Alter in der »Volksgemeinschaft«: Zur Lebenslage der älteren Generation im Nationalsozialismus [1 ed.] 9783428515479, 9783428115471

Lil-Christine Schlegel-Voß untersucht schwerpunktmäßig die ökonomische Situation der älteren Generation, die in erster L

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Alter in der »Volksgemeinschaft«: Zur Lebenslage der älteren Generation im Nationalsozialismus [1 ed.]
 9783428515479, 9783428115471

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Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Band 80

Alter in der „Volksgemeinschaft“ Zur Lebenslage der älteren Generation im Nationalsozialismus

Von Lil-Christine Schlegel-Voß

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

LIL-CHRISTINE SCHLEGEL-VOSS

Alter in der „Volksgemeinschaft“

Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte In Verbindung mit Rainer Fremdling, Carl-Ludwig Holtfrerich, Hartmut Kaelble und Herbert Matis herausgegeben von Wolfram Fischer

Band 80

Alter in der „Volksgemeinschaft“ Zur Lebenslage der älteren Generation im Nationalsozialismus

Von Lil-Christine Schlegel-Voß

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Geschichtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0588 ISBN 3-428-11547-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Untersuchung, deren ursprünglicher Titel „Alter in der ,Volksgemeinschaft‘. Alter und Altersversorgung im Nationalsozialismus“ lautete, wurde am 13. Februar 2003 vom Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen. Sie verdankt ihre Entstehung der Anregung von Prof. Dr. Peter Borscheid, zu dessen langjährigen Forschungsschwerpunkten die Geschichte des Alters und der Altersversorgung gehört. Ihm möchte ich sehr herzlich für die interessante Themenstellung, die lebhaften und stets fruchtbaren Diskussionen, die Möglichkeit zur selbständigen wissenschaftlichen Forschung und die ausgezeichneten Arbeitsbedingungen danken. Besonderer Dank gilt auch Prof. Dr. Gerd Hardach, der meinen Werdegang seit dem Studium begleitet hat und der mir nicht nur in wissenschaftlichen Fragen immer ein geduldiger und hilfreicher Ratgeber gewesen ist. Ich möchte ferner allen derzeitigen und ehemaligen Kolleginnen und Kollegen des Fachgebiets Sozial- und Wirtschaftsgeschichte für ihre Hilfsbereitschaft und die stets angenehme Zusammenarbeit danken. Dank gebührt auch den zentralen Serviceeinrichtungen des Fachbereichs Geschichte und Kulturwissenschaften und der Philipps-Universität Marburg, die auf ihre Weise alle zum Gelingen dieses Projekts beigetragen haben. Dem Bundesversicherungsamt in Bonn und der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover möchte ich für die unkomplizierte und unbürokratische Unterstützung danken. Besonderer Dank gilt dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. und der Wissenschaftsförderung der Sparkassen-Finanzgruppe e.V., die die Drucklegung dieser Arbeit großzügig unterstützt haben. Dr. Steffen Voß und meinen Eltern verdanke ich es, abseits der Geschichte nicht den Überblick verloren zu haben. Ihre Anteilnahme, ihr Pragmatismus und ihre vielfältige Unterstützung haben wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Lil-Christine Schlegel-Voß

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

I. Alter in der „Volksgemeinschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

1. Die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

2. Die Stabilisierung der Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

1. Zwischen Ausbau und Krise: Die Entwicklung bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

2. Zwischen Konsolidierung und Stagnation (1933–1938) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

a) Die Sanierung der Rentenfinanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

b) Selbstverwaltung oder „Führerprinzip“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

c) Stillstand in der Rentenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

d) Leistungsentwicklung und Rentenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

3. Leistungsverbesserungen als Bestechungspolitik? (1939 – 1944) . . . . . . . . . . . . . . .

83

a) Die Beseitigung der Notverordnungskürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

b) Strukturelle Verbesserungen statt Rentenerhöhungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

c) Die Juden und Zigeuner in der öffentlichen Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . 100 d) Verwaltungsvereinfachung oder Rentenreform? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4. Die knappschaftliche Pensionsversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Finanzkrise und Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Rentenversicherung und „Arbeitseinsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Die Reform der knappschaftlichen Pensionsversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung . . . . . . . . . . . . 132 1. Zwangsversicherung oder Standespflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Das Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk . . . . . . . . . . . . . 137 3. Die Bedeutung der Handwerkerversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Die wirtschaftliche Lage des Handwerks als Begründung der Zwangsversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

8

Inhaltsverzeichnis

IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk . . . . . . . . . . . 158 1. Die Grundzüge des „Versorgungswerks“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Die Leistungen des „Versorgungswerks“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Von der Kapitaldeckung zum Umlageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4. Die Zukunft der Alterssicherung: Wohlfahrtsstaat oder „Wohlverhaltensstaat“? 172 V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Die Zusammensetzung der Alterseinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Die Lebensversicherung als zusätzliche Säule der Alterssicherung . . . . . . . . . . . . . 180 a) Zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Aufbruch und Neuanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 d) Die Bedeutung der Lebensversicherung für die Altersversorgung . . . . . . . . . . . 192 3. Die betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Die betriebliche Altersversorgung in der „Volksgemeinschaft“ . . . . . . . . . . . . . 196 b) Die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Außerbetriebliche Formen der Altersvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Die Bedeutung der betrieblichen Alterssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 4. Die öffentliche Fürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Von der Armenfürsorge zur Wohlfahrtspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Der Abbau der öffentlichen Fürsorge in der Weltwirtschaftskrise . . . . . . . . . . . 221 c) Die Sozialrentnerfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 d) Die Kleinrentnerfürsorge: „Reichsversorgung“ oder „Armenpflege“? . . . . . . . 233 e) Die Neuordnung der Richtsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 VI. Ausgrenzung und Vernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. „. . . und einmal wöchentlich etwas Käse und Wurst“: Die stationäre Altenhilfe 250 2. Alte Menschen im Sog der „Euthanasie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen a) Tabellen Tabelle 1:

Die durchschnittlichen Bruttoverdienste und die Arbeitszeit von Arbeitern 1928 – 1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

Tabelle 2:

Die durchschnittlichen Bruttoverdienste der Angestellten 1926 – 1941 . . . . .

35

Tabelle 3:

Die durchschnittliche Rentenhöhe in der Invalidenversicherung 1928 – 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

Die durchschnittliche Rentenhöhe in der Angestelltenversicherung 1928 – 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

Tabelle 4:

Tabelle 5:

Die durchschnittliche Rentenhöhe in der knappschaftlichen Pensionsversicherung 1928 – 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Tabelle 6:

Die betriebliche Altersversorgung in der privaten Lebensversicherungswirtschaft 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

Tabelle 7:

Gruppenversicherungsverträge bei deutschen privaten Lebensversicherungsunternehmen 1934 – 1942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Tabelle 8:

Die Zahl der laufend in offener Fürsorge unterstützten Parteien 1928 – 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

Tabelle 9:

Die laufenden Barleistungen in der offenen Fürsorge 1927 / 28 – 1942 / 43 223

Tabelle 10: Die durchschnittlichen monatlichen Unterstützungsbeträge je Partei 1928 / 29 – 1943 / 44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Tabelle 11: Die Altersheime im Deutschen Reich 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Tabelle 12: Die Belegung der kommunalen Altersheime 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Tabelle 13: Die Altersheime nach ihren Bewohnern 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Tabelle 14: Die Belegung der kommunalen Pflegeheime 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Tabelle 15: Die über 60-jährigen Erwerbspersonen nach Wirtschaftsgruppen und Stellung im Beruf 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Tabelle 16: Bewegung des Versicherungsbestandes der deutschen privaten Kapitalversicherung 1928 – 1942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

10

Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen

Tabelle 17:

Bewegung des Versicherungsbestandes der deutschen privaten Kapitalversicherung 1928 – 1942 (Großlebensversicherung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

Tabelle 18:

Bewegung des Versicherungsbestandes der privaten deutschen Kapitalversicherung 1928 – 1942 (Kleinlebensversicherung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

b) Abbildungen Abbildung 1:

Abbildung 2:

Durchschnittliche Rentenhöhe und Rentenniveau in der Invalidenversicherung 1929 – 1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

Durchschnittliche Rentenhöhe und Rentenniveau in der Angestelltenversicherung 1928 – 1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

Abbildung 3:

Der Altersaufbau im selbständigen Handwerk 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

Abbildung 4:

Der Altersaufbau im selbständigen Handwerk 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Abbildung 5:

Der Anteil der über 60-jährigen Erwerbspersonen nach Wirtschaftsgruppen und Stellung im Beruf 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Abbildung 6:

Die Verteilung der über 60-jährigen Erwerbspersonen nach Wirtschaftsgruppen 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

Abbildung 7:

Anteil der Sozialrentner mit zusätzlichem Einkommen 1929 . . . . . . . . . . . 177

Abbildung 8:

Die relative Bedeutung der Einkommensquellen von Sozialrentnern 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

Abbildung 9:

Der Bestand der deutschen privaten Lebensversicherung 1928 – 1942 . . 187

Abbildung 10: Neuzugang und Abgang in der deutschen privaten Lebensversicherung 1928 – 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Abbildung 11: Die laufend in offener Fürsorge unterstützten Parteien 1928 – 1943 . . . . 231

Verzeichnis der Abkürzungen Abs.

Absatz

Abt.

Abteilung

Art.

Artikel

AWI

Arbeitswissenschaftliches Institut

BArch

Bundesarchiv

Bd.

Band

Bl.

Blatt

BVF

Bezirksfürsorgeverband

DAF

Deutsche Arbeitsfront

DGT

Deutscher Gemeindetag

Diss.

Dissertation

DNVP

Deutsch-nationale Volkspartei

Drs.

Drucksache

Jg.

Jahrgang

Jge.

Jahrgänge

M

Mark

N.F.

Neue Folge

NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

NSV

Nationalsozialistische Volkswohlfahrt

RABl.

Reichsarbeitsblatt

RAM

Reichsarbeitsminister

RdDH

Reichsstand des Deutschen Handwerks

RFM

Reichsfinanzminister

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGr

Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß öffentlicher Fürsorge

RM

Reichsmark

RmdI

Reichsminister des Inneren

RMEuL

Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft

RVA

Reichsversicherungsamt

RVO

Reichsversicherungsordnung

RWM

Reichswirtschaftsminister

StdF

Stellvertreter des Führers

Einleitung Alter im Nationalsozialismus – das bedeutete nach Inflation und Weltwirtschaftskrise für die Mehrzahl der älteren Menschen eine Phase finanzieller Bedrängnis und verstärkter Abhängigkeit von öffentlichen Transferleistungen. Es bedeutete aber auch eine veränderte Bewertung des Alters durch die nationalsozialistische Ideologie der „Volksgemeinschaft“ sowie neue Programme, die die Verwaltung des Alters rationalisieren und die Steuerung der Masse der älteren Menschen verbessern sollten. Alter im „Dritten Reich“ bedeutete schließlich eine gesellschaftliche Randstellung, in die vor allem hilfsbedürftige ältere Menschen durch die nationalsozialistische Verfolgungspolitik gegenüber geisteskranken, behinderten oder allgemein „unproduktiven“ Menschen gerieten. Die historische Altersforschung hebt schon seit einiger Zeit die Bedeutung der Altersversorgung für die Konstituierung des Alters als Ruhestandsphase hervor.1 Traditionell wurde das Alter als eine Phase nachlassender Handlungskompetenz definiert, in der vor allem die Erwerbsfähigkeit zurückging. Besitz und Bildung konnten vor den wirtschaftlichen Folgen der abnehmenden Erwerbsfähigkeit schützen und auch im Alter ein ausreichendes Einkommen gewährleisten. Für die Mehrheit der Bevölkerung aber, für die Arbeiter, Kleinbauern und Kleinhandwerker, die von ihrer Hände Arbeit lebten, kam mit dem Alter die Altersnot. Das Alter bedeutete eine Phase sinkenden Einkommens, bis schließlich am Ende des Lebens eine völlige Erwerbsunfähigkeit eintrat. Nach den herrschenden Normen sollten die Kinder ihre alten Eltern, die nicht mehr arbeiten konnten, unterstützen. Wenn es an familialer Unterstützung fehlte, waren ältere Menschen auf die Armenpflege und nicht selten auf das Betteln angewiesen. Im Allgemeinen hatte die kümmerliche Versorgung im Zusammenhang mit der geringen Qualität der medizinischen Betreuung zur Folge, dass die Invaliditätsphase bis zum Eintritt des Todes nicht lange dauerte.2 Die Konstituierung des modernen Ruhestands mit seiner Befreiung vom Zwang zur Erwerbstätigkeit war ein langfristiger und vielschichtiger Prozess. Er begann im späten 19. Jahrhundert und kam erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Abschluss. Der Rückgang der Erwerbsbeteiligung der älteren Generation, der zumeist als Befreiung, in manchen Fällen aber auch als Verdrängungsprozess empfunden wurde, war jedoch nur unter der Bedingung möglich, dass die Gesellschaft eine Altersversorgung anbot, die einen Verzicht auf das Erwerbseinkommen gestat1 2

Conrad, Konstitution. Ders., Greis. Ehmer, Sozialgeschichte. Borscheid, Alltagsgeschichte. Ders., Geschichte. Ders., Altern.

14

Einleitung

tete.3 Im Laufe des 19. Jahrhunderts gewannen daher neben der familialen Unterstützung neue Optionen der Altersvorsorge, wie die staatlichen Pensionssysteme, die berufliche Altersversorgung und die individuelle Altersvorsorge durch Vermögensbildung, an Bedeutung. Die Reichweite der neuen Alterssicherungssysteme blieb jedoch begrenzt, da sie nur wenigen Arbeitnehmern offen standen, und die Altersvorsorge auf der Grundlage individueller Vermögensbildung durch die niedrigen Einkommen der Zeit erschwert wurde. Viele ältere Menschen mühten sich daher mit Nachlassen der Kräfte weiterhin um einen bescheidenen Lebensunterhalt, oder sie wurden auf die Armenfürsorge verwiesen.4 Erst mit der Einführung der Invaliditäts- und Altersversicherung wurde 1889 ein Alterssicherungssystem begründet, das nach bescheidenen Anfängen allmählich zu einer tragfähigen Altersversorgung ausgebaut wurde und einer wachsenden Zahl älterer Menschen einen erwerbsfreien Ruhestand ermöglichte. Während im 19. Jahrhundert die meisten Menschen bis ins hohe Alter erwerbstätig geblieben waren, sofern sie arbeitsfähig waren und eine Beschäftigung fanden, ging die Erwerbsbeteiligung der älteren Generation seit den zwanziger Jahren infolge der Rationalisierung und der Weltwirtschaftskrise deutlich zurück. Allein zwischen 1925 und 1933 sank die Erwerbsquote der über 64-Jährigen um fast elf Prozent, so dass im Jahr 1933 nur noch ein Fünftel der über 64-Jährigen einer Erwerbstätigkeit nachging.5 Zwar stellten die Leistungen der öffentlichen Rentenversicherung auch in den dreißiger Jahren noch kein Existenz sicherndes Sozialeinkommen dar, dennoch hatte sich die öffentliche Rentenversicherung auf Grund ihres hohen Verbreitungsgrades zur wichtigsten Einkommensquelle im Alter entwickelt. Bereits im Jahr 1891 hatte die öffentliche Rentenversicherung, die eine Pflichtversicherung war, zwölf Millionen Mitglieder. In der Folgezeit nahm die Verbreitung weiter zu. Neben institutionellen Erweiterungen trug vor allem der wachsende Anteil der abhängig Beschäftigten an den Erwerbstätigen zur Ausdehnung der öffentlichen Rentenversicherung bei. Bis 1933 stieg die Zahl der Versicherten auf 21 Millionen.6 Der Rentenbestand erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 121.000 auf rund vier Millionen Versicherten- und Hinterbliebenenrenten. 7 Die anderen Optionen der Altersvorsorge wurden wesentlich durch die Sozialversicherung strukturiert und richteten sich entweder an Schichten oder Gruppen, die nicht von der öffentlichen Rentenversicherung erfasst wurden, oder sie sollten die Renten der Sozialversicherung aufbessern.8 Hardach, Optionen. Borscheid / Schomerus, Mobilität. Ehmer, Lohnarbeit. Reif, Soziale Lage. Schäfer, Arbeitsverdienst. Ders., Die berufliche und soziale Situation. Schulz, „. . . der konnte freilich ganz anders sparen als ich“. Tennstedt, Vorläufer. 5 Bevölkerung und Wirtschaft, S. 144. 6 Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamtes. Invaliditäts- und Altersversicherung 3 (1893), S. 21. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1935, S. 412. 7 Bevölkerung und Wirtschaft, S. 222 – 224. 8 Hardach, Optionen, S. 25. 3 4

Einleitung

15

Durch die zentrale Bedeutung der öffentlichen Rentenversicherung war die Entwicklung des modernen Ruhestands eng mit dem Ausbau der staatlichen Sozialpolitik verbunden. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr die Altersversorgung durch das Altern der Gesellschaft. Die Stabilisierung der Lebenszeit und der Rückgang der Geburtenrate ließen die deutsche Gesellschaft seit dem frühen 20. Jahrhundert langsam altern. Obwohl sich dieser Prozess erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschleunigte, als die steigende Lebenserwartung im Alter zu einer raschen Erhöhung des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung führte, wurden bereits in der Weimarer Republik die langfristigen Konsequenzen des Alterns der Gesellschaft für die öffentliche Rentenversicherung diskutiert.9 Die Altersversorgung gehörte daher schon in der Weimarer Republik zu den sozialpolitischen Fragen, die ein breites Interesse in der Öffentlichkeit fanden. Auch die NSDAP hatte die Bedeutung der Altersversorgung frühzeitig erkannt und bereits zu einer Zeit, als die öffentliche Rentenversicherung durch die Inflation bedroht war, einen großzügigen Ausbau der Alterssicherung gefordert.10 Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gelangt waren, wurden die Ziele der Sozialpolitik gegenüber der älteren Generation jedoch völlig neu definiert. An die Stelle des geforderten Ausbaus der Alterssicherung trat eine restriktive Rentenpolitik. Die nationalsozialistische Sozialpolitik ist seit den siebziger Jahren Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen. Dabei standen jedoch zunächst nicht die unterschiedlichen Aspekte des Alters und der Altersversorgung, sondern vor allem Probleme der Herrschaftssicherung durch die Integration der Arbeiterschaft in den NS-Staat sowie Fragen nach der Bedeutung und Funktion der Deutschen Arbeitsfront im Vordergrund.11 Seit den achtziger Jahren wandte sich die Forschung verstärkt der für die nationalsozialistische Sozialpolitik kennzeichnenden Dichotomie von „Auslese“ und „Ausmerze“ zu. Gegenstand der Untersuchungen waren die vielfältigen Aspekte der Gesundheitspolitik und Wohlfahrtspflege in ihrer engen Verknüpfung mit der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik und Rassenhygiene sowie in ihrer Verschränkung mit der nationalsozialistischen Volksgemeinschafts- und Arbeitsideologie.12 Im Bereich der betrieblichen Sozialpolitik 9 Dobbernack, Einwirkungen. Vgl. auch Penkert, S. 8 – 17. Marschalck, Bevölkerungsgeschichte. 10 Vgl. Punkt 15 des Parteiprogramms der NSDAP vom 25. 02. 1920. Zit. nach Kühnl, S. 105 f. 11 Die folgende Aufzählung versteht sich als Auswahl: Mason, Arbeiterklasse. Ders., Sozialpolitik. Ders., Bändigung. Spohn, Betriebsgemeinschaft. Mai, „Warum steht der deutsche Arbeiter zu Hitler?“ Falter, Warum die deutschen Arbeiter während des „Dritten Reichs“ zu Hitler standen. Heuel, Der umworbene Stand. Zollitsch, Arbeiter. Frese, Betriebspolitik. – Einen Überblick über die Forschung gibt Herbert, Arbeiter. 12 Kater, „Gesundheitsführung“. Bock, Zwangssterilisation. Frei (Hg.), Medizin und Gesundheitspolitik. Friedländer, Der Weg zum NS-Genozid. Hansen, Wohlfahrtspolitik. Labisch / Tennstedt, Prävention. Vossen, Gesundheitsämter. Sachße / Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge, Bd. 3. Geyer, Soziale Sicherheit. Süß, Gesundheitspolitik.

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erfuhren vor allem Fragen der arbeitsmedizinischen und betriebsärztlichen Praxis eine vermehrte Aufmerksamkeit.13 Die Auseinandersetzung mit den Problemen des Alters und der Altersversorgung konzentrierte sich auf die Untersuchung der nationalsozialistischen Sozialversicherungspolitik. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf die Pioniersstudien von Scheur, Tennstedt, Teppe und Recker zu verweisen, die im Wesentlichen bis heute den Forschungsstand markieren.14 Das besondere Interesse an der Sozialversicherung erklärt sich hauptsächlich aus ihrer großen Bedeutung für die Legitimation und Herrschaftssicherung des NS-Regimes. Auf Grund ihrer schwierigen Finanzsituation infolge der Weltwirtschaftskrise war die Sozialversicherung bereits in der Endphase der Weimarer Republik zu einem innenpolitischen Dauerthema geworden. Die alarmierenden Defizite der Sozialversicherung belasteten den Reichshaushalt in einem Ausmaß, dass eine Konsolidierung der Reichsfinanzen nur unter der Voraussetzung einer gleichzeitigen Sanierung der Sozialversicherung möglich erschien. Ein Zusammenbruch insbesondere der öffentlichen Rentenversicherung barg zudem die Gefahr sozialer Konflikte, die über kurz oder lang zu einer ernsthaften Destabilisierung des Regimes führen konnten.15 Während sich die Untersuchungen von Scheur und Tennstedt in erster Linie auf einen summarischen Überblick über die Maßnahmen des NS-Regimes im Bereich der Sozialversicherung beschränken, haben die Studien von Teppe und Recker zu wichtigen Erkenntnissen über die nationalsozialistische Rentenpolitik geführt, die bis heute kaum an Gültigkeit verloren haben. Im Zentrum beider Forschungen – Teppe konzentriert sich vorrangig auf die Phase bis Kriegsbeginn, Recker behandelt ausschließlich die Zeit des Zweiten Weltkriegs – stehen die politischen Entscheidungsprozesse und spezifischen Interessenkonstellationen der beteiligten Akteure. Besondere Bedeutung wird dabei dem Konflikt zwischen dem Reichsarbeitsministerium und der Deutschen Arbeitsfront um die Vorherrschaft in der Sozialversicherungspolitik beigemessen. Ausgehend von der Frage nach den langfristigen Tendenzen und Auswirkungen der nationalsozialistischen Sozialpolitik hebt Teppe vor allem die Instrumentalisierung der Sozialversicherung zum Zwecke der „politische[n, die Verf.] Disziplinierung und Steigerung der Produktionseffizienz einerseits und der Befriedung zuungunsten sozialer Bedürfnisse andererseits“ hervor. Die nationalsozialistische Sozialpolitik habe bis zum Ende des Regimes ihren Charakter als „Bestechungspolitik“ nicht verloren und sei daher ein wirkungsvolles Instrument zur Systemstabilisierung gewesen.16 Im Anschluss an Teppe betont 13 Graessner, Neue soziale Kontrolltechniken. Ders., Leistungsmedizin. Karbe, Entstehung und Ausbau. 14 Scheur, Einrichtungen. Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 448 – 482. Teppe, Sozialpolitik. Recker, Sozialpolitik. Zur Knappschaftsversicherung vgl. Geyer, Reichsknappschaft. – Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Weimarer Republik. 15 Teppe, S. 196. 16 Teppe, S. 197, 249 f.

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Recker den „Funktionszusammenhang zwischen Krieg und verstärkter sozialpolitischer Intervention“.17 Die sozialpolitischen Maßnahmen des NS-Regimes hätten wesentlich dazu beigetragen, eine „politische und psychologische Destabilisierung“ zu verhindern, so dass die „Heimatfront“ bis in die letzten Wochen des Krieges intakt geblieben sei.18 Deutlich mehr Beachtung als das traditionelle System der sozialen Sicherung hat das von der Deutschen Arbeitsfront geplante „Versorgungswerk des deutschen Volkes“ als Teil einer umfassenden Nachkriegssozialordnung in der Forschung gefunden.19 Insbesondere die Historiker, die dem Nationalsozialismus eine intentionale Modernisierungswirkung bescheinigen, führen das Versorgungswerk regelmäßig als Beleg für die von ihnen vertretene These an. So beurteilt Zitelmann die Nachkriegsplanungen der Deutschen Arbeitsfront als „progressiv“ im Sinne „einer Entwicklung in Richtung zu mehr Chancengleichheit, Wohlstand und Sozialstaatlichkeit“.20 Selbst der Umstand, dass „die Errichtung eines totalitären Sozialstaates auf dem Rücken ausgebeuteter und unterdrückter Völker stattfinden sollte, die von den Nationalsozialisten als ,rassisch minderwertig‘ angesehen wurden“, spricht nach Zitelmann nicht dagegen, den Nationalsozialismus als „modern“ zu bezeichnen.21 Zu einer differenzierteren Beurteilung gelangt dagegen Schulz, der ebenfalls die Auffassung vertritt, dass die Vorstellungen des NS-Regimes über die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit „wichtige Tendenzen einer Modernisierung im 20. Jahrhundert erkennen“ ließen. Indikatoren dieses Prozesses seien vornehmlich „politisch-administrative Zentralisierung, bürokratische Vereinheitlichung und Ökonomisierung bzw. funktionale Differenzierung“. Dabei erkennt Schulz jedoch an, dass der Nationalsozialismus zugleich Modernisierungstrends auf anderen Gebieten einfror oder gar umkehrte.22 Problematisch an den an modernisierungstheoretischen Überlegungen ausgerichteten Untersuchungen ist, dass ihnen kein einheitlicher Modernisierungsbegriff zugrunde liegt. Grundsätzlich lassen sich nach Schulz zwei Modernisierungsbegriffe unterscheiden: Modernisierung im engeren Sinne wird dabei als „mehr bzw. intensivere Demokratisierung, Verrechtlichung, ,Emanzipation‘, als Verbesserung der Lebenschancen und -qualität“ verstanden.23 Im Hinblick auf den Charakter des NS-Regimes und die Nachkriegsplanungen für die Sozialpolitik und die Wirtschaftsordnung erweist sich diese Definition jedoch als disfunktional. Schulz schlägt daher einen erweiterten Modernisierungsbegriff vor, der primär auf Recker, S. 10. Recker, S. 291. 19 Teppe, S. 237 – 248. Recker, S. 98 – 121. Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 296 – 307. Roth, Intelligenz, S. 95 – 103. 20 Zitelmann, Die totalitäre Seite, S. 17. 21 Ebenda. Vgl. auch Smelser, Robert Ley, S. 299 ff. Prinz, Die soziale Funktion, S. 303 ff. 22 Schulz, Diskussion, S. 122 f. 23 Schulz, Diskussion, S. 108. 17 18

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„die Steigerung von Effizienz und Funktionalität eines Systems“ abhebt.24 Auch Zitelmann wendet sich gegen die Auffassung, „Demokratisierung oder Parlamentarisierung seien konstitutive Elemente der Modernisierung“ und plädiert statt dessen für einen „wertfreien“ Modernisierungsbegriff, der ein „unbefangenes Forschen“ ermöglichen und eine „unnötige Komplizierung der wissenschaftlichen Diskussion“ vermeiden soll.25 Eine Präzisierung der Beurteilungskriterien bleibt Zitelmann jedoch schuldig. Noch deutlicher wird die vielfach kritisierte Vagheit des Modernisierungsbegriffs bei Smelser, der eine Beurteilung der „Absichten und Resultate“ des NS-Regimes an „den Maßstäben der damaligen Zeit“ fordert.26 Dass die Anwendung der Modernisierungstheorie auf den Nationalsozialismus umstritten ist und zum Teil heftige Kritik hervorgerufen hat, beruht jedoch nicht allein auf der Unschärfe des Modernisierungsbegriffs. Das Unbehagen vieler Historiker geht tiefer. Insbesondere Frei betont die Gefahr einer Entkontextualisierung des Nationalsozialismus, wenn man von „den Realität gewordenen Hauptelementen einer Weltanschauung“ absehe, „um einige ihrer größtenteils nicht realisierten sonstigen Aspekte zu einem intentionalen Modernisierungskonzept zusammenbinden zu können“.27 Mommsen gibt ferner zu bedenken, dass jede grundsätzliche Betrachtung der NS-Herrschaft nicht von dem Tatbestand abstrahieren könne, dass „an ihrem Ende nicht der von Ley dithyrambisch gepriesene völkische Sozialstaat, sondern Zerstörung nach innen und außen, unermeßliches soziales Elend, ökonomische Verwüstung und Kulturzerfall“ gestanden habe.28 Zwar habe die nationalsozialistische Propaganda vieles von dem vorweg genommen, was heute als „Errungenschaft des Daseinsvorsorgestaates“ erscheine, realisiert worden seien jedoch nur die destruktiven Züge: „die Eliminierung ,unnützer Esser‘, die Tötung ,lebensunwerten Lebens‘, die Liquidierung angeblich Asozialer und die Tendenz, die nicht mehr arbeitsfähige alte Bevölkerung beiseitezuschaffen“.29 Alber schließlich zeigt auf, dass sich die Nationalsozialisten mit der Beseitigung der politischen Partizipation und der Zerschlagung von Regelungsmechanismen des industriellen Konflikts zentraler Merkmale der Modernisierung beraubten. Erst die Zerstörung des nationalsozialistischen Regimes, die darauf folgende Teilung Deutschlands, und die Integration der Bundesrepublik in die Kultur-, Wirtschafts- und Verteidigungsgemeinschaft des Westens hätten die Grundlagen für eine erfolgreiche Modernisierung des Landes geschaffen.30 Ebenda. Zitelmann, Die totalitäre Seite, S. 4. 26 Smelser, Sozialplanung, S. 91. Zur Kritik an der Unschärfe des Modernisierungsbegriffs vgl. Mommsen, Noch einmal, S. 392. 27 Frei, Wie modern war der Nationalsozialismus, S. 377. Vgl. auch Schneider, S. 541. Könke, S. 586. 28 Mommsen, Noch einmal, S. 399. Vgl. auch Winkler, Vom Mythos der Volksgemeinschaft. Kershaw, NS-Staat, S. 278. 29 Mommsen, Nationalsozialismus, S. 37. 30 Alber, S. 358. 24 25

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Eine Sozialgeschichte des Alters, wie sie Conrad für den Zeitraum zwischen 1830 und 1930 und Penkert für die Weimarer Republik vorgelegt haben, fehlt bislang für die NS-Zeit.31 Die bisherige Forschung hat sich im Wesentlichen auf eine Geschichte der Sozialversicherungsgesetzgebung, die ihr zugrunde liegenden Entscheidungsprozesse und die divergierenden Interessen der politischen Akteure beschränkt. Dieser Ansatz greift jedoch nicht nur für eine Sozialgeschichte des Alters, sondern auch für eine Geschichte der Sozialversicherung zu kurz. Erst die Berücksichtigung der Auswirkungen der Sozialversicherungsgesetzgebung auf die Lebenslage alter Menschen erlaubt eine abschließende Beurteilung der Sozialpolitik für die ältere Generation und ihrer Funktion im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Eine Geschichte des Alters im Nationalsozialismus, wie sie die vorliegende Untersuchung zum Ziel hat, erfordert eine erweiterte Perspektive, die neben den sozialpolitischen Maßnahmen auch die Lebenslage und den Sozialstatus alter Menschen in den Blick nimmt. Zu diesem Zweck wird im ersten Kapitel zunächst der Stellenwert der älteren Generation innerhalb der nationalsozialistischen „Gesellschaftspolitik“, wie sie in dem vom NS-Regime formulierten Konzept der „Volksgemeinschaft“ zum Ausdruck kam, bestimmt. Auch wenn die Volksgemeinschaftsideologie nicht in eine konkrete Neuordnung der Gesellschaft mündete, so führten ihre extreme Leistungsorientierung und die ihr eigene Verschränkung von Rassenideologie und Arbeitsideologie doch gerade im Bereich der Sozialpolitik zu tief greifenden Umwälzungen. Zwar stellte das Alter für sich genommen kein Ausgrenzungskriterium dar, gleichwohl konnte eine Ausrichtung der Sozialpolitik an bevölkerungspolitischen und rassenhygienischen Grundsätzen nicht ohne Folgen für das Alter bleiben. Wie das sechste Kapitel zeigt, wurden die Auswirkungen einer solchermaßen deformierten Sozialpolitik insbesondere im Bereich der stationären Altenpflege sichtbar, die die alten, pflegebedürftigen Menschen in eine gefährlich Nähe zu den „Euthanasie“-Aktionen rückte. Die Lebenslage alter Menschen, die primär anhand ihrer Einkommenssituation rekonstruiert wird, bildet den Schwerpunkt der Untersuchung. Für die Mehrzahl der alten Menschen stellten die Transferleistungen der öffentlichen Rentenversicherung, die in den Kapiteln zwei und drei behandelt werden, die wichtigste Einkommensquelle dar. Daneben bestanden mit der betrieblichen Altersversorgung und der privaten Spartätigkeit, insbesondere in Form von Lebensversicherungsverträgen, weitere Optionen der Altersvorsorge, deren Leistungen eine eigenständige Alterssicherung bilden konnten, oder ergänzend zu den staatlichen Renten hinzutraten. Da diese Einkünfte jedoch oft gering waren, blieben viele ältere Menschen auf zusätzliche Unterstützung durch die Familie oder die öffentliche Fürsorge angewiesen. Der Frage nach der Zusammensetzung der Alterseinkommen und der relativen Bedeutung der einzelnen Bestandteile widmet sich das fünfte 31

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Conrad, Greis. Penkert, Arbeit.

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Kapitel. Als Bewertungsmaßstab dient dabei die Einkommenssituation alter Menschen während der Weimarer Republik. Das „Versorgungswerk des deutschen Volkes“, das im vierten Kapitel behandelt wird, ist zwar Fiktion geblieben, nicht desto trotz darf aber auch in einer Untersuchung, die sich primär mit der Lebenslage und dem Sozialstatus alter Menschen beschäftigt, eine Auseinandersetzung mit den sozialpolitischen Nachkriegsplanungen der Deutschen Arbeitsfront nicht fehlen. Dabei geht es jedoch nicht um eine Bewertung der Realisierungschancen der angestrebten Neuordnung der sozialen Sicherung, sondern vielmehr um die Frage nach der sozialen Wertigkeit alter Menschen in der „Volksgemeinschaft“ und dem Stellenwert der Alterssicherung im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. In diesem Kontext wird auch auf die bereits diskutierten Ergebnisse der an modernisierungstheoretischen Überlegungen ausgerichteten Forschung zurückzukommen sein. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich ausschließlich auf das alte Reichsgebiet, die eingegliederten und besetzten Gebiete dagegen werden nicht einbezogen. Sie konzentriert sich primär auf die große Gruppe der abhängig Beschäftigten, wobei die Altersversorgung der Beamten, die 1933 nicht einmal fünf Prozent der Erwerbsbevölkerung ausmachten, ausgeklammert bleibt.32 Die Selbständigen finden vor allem im Zusammenhang mit der Handwerkerversicherung, die im dritten Kapitel untersucht wird, mit der privaten Alterssicherung über Lebensversicherungsverträge und der öffentlichen Fürsorge Berücksichtigung. Die Altersversorgung in der Landwirtschaft wird nicht behandelt.33 Geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Lebenslage und des Sozialstatus werden nur punktuell, nach Maßgabe des vorhandenen Quellenmaterials thematisiert. Die vorliegende Untersuchung bedient sich sowohl qualitativer als auch quantitativer Methoden. Entsprechend des geographischen Bezugsrahmens stützt sich die Untersuchung im Wesentlichen auf die Aktenbestände des Bundesarchivs in Berlin. Wichtiges Quellenmaterial konnte ferner den Quelleneditionen des Instituts für Zeitgeschichte in München und der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts entnommen werden.34 Den statistischen Auswertungen liegen Bevölkerung und Wirtschaft, S. 142 f. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 32. Sofern die Bauern nicht durch das „Reichserbhofgesetz“ erfasst wurden, bestanden die traditionellen Strukturen der Alterssicherung fort. Vgl. dazu Grundmann, S. 130 – 144. Münkel, bes. S. 567 ff. Corni / Gies, Blut und Boden, S. 41 ff. Mai, „Rasse und Raum“. 34 Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP: Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes. Sammlung der in anderen Provenienzen überlieferten Korrespondenzen, Niederschriften von Besprechungen usw. mit dem Stellvertreter des Führers und seinem Stab bzw. der Partei-Kanzlei, ihren Ämtern, Referaten und Unterabteilungen sowie mit Heß und Bormann persönlich, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München u. a. 1983, 1985. Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, hg. von der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, bearbeitet und eingeleitet von Karl Heinz Roth / Karsten Linne / Michael Hepp, Teil A: Jahrbücher des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront 1936 – 1940 / 41 [Reprint-Ausgabe], München u. a. 1986 – 1987, 1992; Teil B: Periodika, 32 33

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in erster Linie Veröffentlichungen des Statistischen Reichsamtes, des Reichsversicherungsamtes sowie des Deutschen Gemeindetages zugrunde. Für bestimmte Einzelfragen – insbesondere im Bereich der individuellen Vermögensbildung und der betrieblichen Alterssicherung – konnte zudem auf statistische Erhebungen des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront zurückgegriffen werden. Neben dem statistischen Material und den archivalischen Quellen wurde für sämtliche Fragestellungen der reiche Fundus an zeitgenössischer Fachliteratur herangezogen werden, der zugleich ein beredtes Zeugnis dafür ablegt, in welchem Maße die Probleme des Alters und der Altersversorgung die Öffentlichkeit beschäftigten.

Denkschriften, Gutachten und Veröffentlichungen des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront [Mikrofiche-Ausgabe], München u. a. 1988 – 1989.

I. Alter in der „Volksgemeinschaft“ 1. Die nationalsozialistische Volksgemeinschaftsideologie Die „Volksgemeinschaft“ als Gegenentwurf zur pluralistisch-demokratischen Gesellschaftsverfassung der Weimarer Republik war ein Programm, das die Nationalsozialisten von den Intellektuellen der „Konservativen Revolution“ der zwanziger Jahre übernahmen und ihren Bedürfnissen anpassten.1 Die „Volksgemeinschaft“ verhieß eine neue Gesellschaft, die die bestehenden sozialen Gegensätze überwinden sollte. Auf rassischen Grundsätzen basierend versprach sie ihren Mitgliedern soziale Sicherheit unter Ausschluss alles Fremden.2 In der Weltwirtschaftskrise verführte die Aussicht auf materielle Sicherheit Millionen von Menschen und verhalf der NS-Bewegung zu einer Massenbasis, die sie schließlich 1933 an die Macht brachte. Im Zentrum der Volksgemeinschaftsideologie stand die Schaffung einer ideologisch homogenen, sozial angepassten und leistungsorientierten Gesellschaft, in der die traditionellen Klassengegensätze überwunden sein sollten.3 In der „Volksgemeinschaft“ fand der Einzelne Geborgenheit und Halt, musste sich dafür aber den Interessen der Gesamtheit unterordnen und seine Arbeitskraft und sein Leben in den Dienst der Gemeinschaft stellen: „Jedes Glied der Volksgemeinschaft hat a) selbstverständlich die ihm persönlich auferlegten Pflichten zu erfüllen; b) nach besten Kräften der Gemeinschaft zu helfen, ihre Pflichten zu erfüllen.“4 An die Stelle der Freiheit trat die „Einordnung“; der Wert des Einzelnen, „seine Würde, seine Freiheit und seine Wohlfahrt“ orientierten sich an seinem „Nutzen“ für die Gemeinschaft.5 Der Einzelne war nur als „widerspruchsfreies, gliedhaftes, einge1 Thamer, Verführung, S. 495. Sontheimer, Antidemokratisches Denken. Hermand, Der alte Traum. Zur „Konservativen Revolution“ vgl. Breuer, Anatomie. Ders., Grundpositionen. Zur politischen Funktion des Volksbegriffs vgl. Hoffmann, Das ,Volk‘. 2 Kershaw, Hitler. 1889 – 1936, S. 136, 316. 3 Vgl. beispielsweise Hitler am 01. 10. 1933 auf dem Bückeberg, am 09. 09. 1936 in Nürnberg und am 10. 12. 1940 in Berlin, in: Die sozialen Gedanken Adolf Hitlers, S. 94. Bilanz der Sozialpolitik, S. 60. Vom Wesen des „Sozialstaats“, S. 72. 4 Bühler, S. 149. In „Mein Kampf“ schrieb Hitler: „In der Hingabe des eigenen Lebens für die Existenz der Gemeinschaft liegt die Krönung alles Opfersinns.“ Hitler, S. 327. 5 Entwicklungslinien der europäischen Sozialpolitik, S. 27. Vgl. auch Bilanz der Sozialpolitik, S. 59 f., 63. Hitler am 08. 12. 1935 in Nürnberg und am 06. 07. 1937 in Regensburg, in: Die sozialen Gedanken Adolf Hitlers, S. 93 f.

1. Die nationalsozialistische Volksgemeinschaftsideologie

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ordnetes, geführtes Element, als zur Funktion verpflichtetes Objekt, als Mittel zum Gemeinschaftszweck“ lebensfähig und lebensberechtigt. Das Individuum wurde zugunsten der Gemeinschaft vollständig eliminiert.6 Diese „(zwangs-) befriedete und arbeitsame Genossenschaft der Volksgenossen“ stellte sich jedoch, das hatten die Nationalsozialisten frühzeitig erkannt, nicht gleichsam automatisch nach der Machtübernahme 1933 ein.7 Gemäß der Parole „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ stand die Erziehung zur Opferbereitschaft des Einzelnen im Mittelpunkt der Gemeinschaftsideologie. Insbesondere die Jugend, die als Zukunft des deutschen Volkes zu einem „neuen Menschentypus“ herangebildet werden sollte, rückte dabei ins Zentrum des nationalsozialistischen Interesses. Sie sollte der unmittelbaren Kontrolle des Regimes unterworfen und auf seine kriegerischen und imperialistischen Ziele ausgerichtet werden. Die Verschränkung von kollektiven Perspektiven, wie „Volksgemeinschaft“, „Rasse“ und der Vision eines „Großdeutschen Reichs“, mit Nahzielen, die dem Alltag Jugendlicher einen Sinn gaben und ihr persönliches Selbstwertgefühl steigerten, bildeten wichtige Elemente dieses Formierungsprozesses.8 Die intellektuelle Ausbildung und Förderung der Jugend trat in den Hintergrund zugunsten ihrer körperlichen Ertüchtigung, der ideologischen Schulung und ihrer Ausrichtung auf „verzichtfreudige“ Leistungs- und Opferbereitschaft.9 Die Nationalsozialisten versprachen keine materielle Gleichheit. Unterschiede in Einkommen und Wohlstand, Macht und Prestige blieben auch innerhalb der „Volksgemeinschaft“ erhalten. Sie wurden als ein Produkt unterschiedlicher Fähigkeiten und Leistungen für die Gemeinschaft legitimiert und gefördert: „Mit den Unterschieden der Anlagen und ihrer Entwicklung sind auch die Leistungen der Persönlichkeit für die Gemeinschaft verschieden. Auf der Grundlage eines angemessenen Normalstandards ist daher eine Rangordnung des sozialen Ansehens und der sozialen Stellung anzustreben, die gemäß der unterschiedlichen Leistungen auch eine entsprechende Differenzierung der Lebenshaltung umfasst.“10

Die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ stellte sich als eine Leistungsgemeinschaft dar, die dem „fähigen und fleißigen Deutschen“ schier unbegrenzte Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen sollte. „Für uns“, erklärte Hitler am 1. Mai 1938 in Berlin, „ist die Grundlage der deutschen Volksgemeinschaft eine neue Wertung Jegelka, S. 117. Spurk, S. 50. Stolleis, S. 36 f. Vgl. auch Janka, S. 195, 210, 255. Für Hitler bedeutete Erziehung in erster Linie die Ausrichtung des Einzelnen auf die „Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber“ gemäß der Parole: „Du bist nur ein Diener an deinem Volke! Du bist allein nichts, nur in der Gesamtheit bist du alles, nur in einer Front bist du die Macht!“ Zit. nach Zitelmann, Hitler, S. 187 f. Vgl. auch Jegelka, S. 118. Peukert, Nationalsozialismus, S. 128. 8 Dudek, Die Rolle der „jungen Generation“, S. 186. 9 Hitler, S. 475 f. Vgl. auch Jegelka, S. 118, 121 f. Janka, S. 201. Zu Jugend und Erziehung vgl. Herrmann (Hg.), „Die Formierung des Volksgenossen“. Dudek, Nationalsozialistische Jugendpolitik. Hausmann, Heranwachsen im „Dritten Reich“. 10 Elemente der sozialen Ordnung, S. 8. Vgl. auch Vom Wesen des „Sozialstaats“, S. 72. Vom geschichtlichen Begriff, S. 628. 6 7

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I. Alter in der „Volksgemeinschaft“

der Menschen gewesen. Und bei dieser Wertung gingen wir aus von der Leistung des einzelnen für seine Gemeinschaft.“11 Gemäß dem sozialdarwinistischen Prinzip der natürlichen Auslese der Besten und Tüchtigsten bildete die Arbeitsleistung die entscheidende Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“. Diese rassistische und biologische Begründung legitimierte und brutalisierte zugleich den Grundsatz der leistungsfördernden Wirkung ungehemmter Konkurrenz.12 Das „Recht auf Arbeit“, das die Weimarer Verfassung begründet hatte, wurde von den Nationalsozialisten durch eine „Pflicht zur Arbeit“ ergänzt.13 Arbeit diente nicht mehr nur der individuellen Reproduktion, sondern stellte eine Pflicht des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft dar: „Er arbeitet ( . . . ) nicht mehr unmittelbar für sich selbst, sondern gliedert sich mit seiner Tätigkeit in den Rahmen der Gesamtheit ein, nicht nur zum eigenen Nutzen, sondern zum Nutzen aller.“14 Aus der individuellen Arbeitsleistung leitete sich der Grad der „Gemeinschaftsfähigkeit“ ab. Gleichzeitig sollte die „Volksgemeinschaft“ für den Einzelnen in der Arbeit unmittelbar erfahrbar werden. Indem keine Deklassierung bestimmter Arbeiten mehr stattfand, wirkte sie trotz bestehender ökonomischer Ungleichheit egalisierend.15 Deutschland, erklärte Reichsarbeitsminister Franz Seldte auf einer Tagung des „Stahlhelm“ im Februar 1933, sei das Land der Arbeit und der Arbeiter, „freilich nicht als Klasse gesehen, sondern im Sinne der Leistung und des Wertes, in dem wir alle Arbeiter sind, wo wir auch stehen“.16 In der Volksgemeinschaftsideologie wurden Arbeitgeber und Arbeiternehmer zu „Betriebsführern“ und „Gefolgschaft“, und statt Angestellten und Arbeitern gab es nun „Arbeiter der Stirn und der Faust“. Der Begriff „Arbeiter“ avancierte zum „Ehrentitel der deutschen Nation“.17 Die ideologische Egalisierung stellte jedoch nicht nur ein Integrations11 Hitler am 01. 05. 1938 in Berlin, in: Die sozialen Gedanken Adolf Hitlers, S. 94. Vgl. auch Vom geschichtlichen Begriff, S. 627. 12 Broszat, Grundzüge, S. 55. 13 s. Punkt 20 und Punkt 10 des Programms der NSDAP vom 25. 02. 1920. Zit. nach Kühnl, S. 96 – 100. Vgl. auch Thamer, Nation, S. 120. Janka, S. 122, 209. Brozat spricht in diesem Zusammenhang von einem „Modernitäts- und Mobilitätsappeal“, der wesentlich war für die Attraktivität der NS-Bewegung. Broszat, Grundzüge, S. 53. Schoenbaum scheint die Aufstiegsmöglichkeiten, die das NS-Regime bot, über zu bewerten, wenn er von einem „Triumph des Egalitarismus“ spricht. Schoenbaum, S. 334. 14 Hitler, S. 326. 15 Geyer, Soziale Sicherheit, S. 210, 267. 16 Über die künftige Sozialpolitik, S. 84 f. – Franz Seldte, der im November 1918 den „Stahlhelm“ gegründet hatte, war einer der drei konservativen Politiker aus den Reihen der DNVP, die dem Kabinett Hitler angehörten. 17 Hitler am 10. 05. 1933, in: Die sozialen Gedanken Adolf Hitlers, S. 94. Vgl. auch Hitler am 24. 10. 1933 in Berlin, ebenda, S. 96. Vom geschichtlichen Begriff, S. 94. – In der Realität scheinen sich diese Begriffe allerdings kaum durchgesetzt zu haben, wie ein Schreiben Bormanns aus dem Jahr 1938 zeigt. Bormann beschwerte sich darin gegenüber Lammers, dass die staatlichen Stellen und Behörden es bisher nicht geschafft hätten, die Ausdrücke „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ aus dem öffentlichen Leben verschwinden zu lassen. Bormann an Lammers, betr. „Arbeitnehmer und Arbeitgeber“, 16. 05. 1938, in: Akten der Parteikanzlei

1. Die nationalsozialistische Volksgemeinschaftsideologie

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angebot an die Arbeiterklasse dar, sondern diente vor allem der Schaffung einer undifferenzierten Masse von Arbeitskräften, über die die politische Führung und die Unternehmer frei verfügen konnten.18 Mit der ideologischen Aufwertung der Arbeit ging ihre Militarisierung einher. Der „Volksgenosse“ vereinigte den Arbeiter und den Soldaten in einer Person; er war Arbeiter für die „Volksgemeinschaft“ und Soldat im Kampf für sein Volk. Arbeit war Kampf im Frieden, was in der Parole von den „Soldaten der Arbeit“ seinen sinnfälligen Ausdruck fand.19 Die nationalsozialistische Arbeitsideologie appellierte an den Stolz, die Vaterlandsliebe und den Idealismus des Einzelnen und spornte zugleich seinen Ehrgeiz und Aufstiegswillen an. Die Arbeit sollte das Individuum zur Gemeinschaft erziehen und seine Leistungs- und Opferbereitschaft stärken.20 Für diejenigen, die sich dieser Verhaltensnorm nicht unterwerfen wollten oder konnten, entwickelte sich die Arbeit rasch zu einem Instrument der Disziplinierung, Repression und Selektion, das in der brutalen Praxis der Arbeitserziehungslager und der „Vernichtung durch Arbeit“ eskalierte.21 Hinter der Fassade scheinbarer Sicherheit und Geborgenheit war die alltägliche Erfahrung der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ durch die Dichotomie von Inklusion und Exklusion bestimmt. Das NS-Regime behauptete die grundsätzliche Höherwertigkeit der Deutschen als Arier oder Germanen gegenüber allen anderen Völkern oder Rassen.22 Aus diesem Glauben resultierten vor allem zwei Ziele nationalsozialistischer Politik: (1) Der Anspruch auf Weltherrschaft und die Chimäre eines „Volkes ohne Raum“ erhoben die kriegerische Eroberung von Lebensraum zum Primat nationalsozialistischer Außenpolitik.23 (2) Die vermeintliche Bedrohung der „arischen Rasse“ durch andere, „minderwertige Rassen“ erforderte ihre strenge „Reinhaltung“ und planmäßige „Höherzüchtung“ mittels rassenhygienischer Maßnahmen der „Auslese“ und „Ausmerze“. Die Abgrenzung von „Volksgenossen“ und „Fremden“ anhand biologischer Merkmale erwies sich jedoch angesichts der Vagheit dieser Kriterien als undurchführbar. Daher entwickelte sich 103 19081. Vgl. auch Stolleis, S. 24 f. Schoenbaum, S. 56, 89, 336. Janka, S. 117, 233, 262 ff., 270. 18 Mason, Bändigung, S. 31. Vgl. auch Heuel, Der umworbene Stand. Hachtmann, Arbeiterklasse. 19 Ley, Wir sind alle Soldaten der Arbeit, S. 4. Vgl. auch Janka, S. 272 f. Schoenbaum, S. 96 f. 20 Hitler selbst sprach in diesem Zusammenhang von der „Schule der Arbeit“. Hitler am 12. 09. 1935 in Nürnberg, Hitler am 01. 05. 1933 in Berlin, in: Die sozialen Gedanken Adolf Hitlers, S. 94. 21 Peukert, Nationalsozialismus, S. 121 f. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 81. Geyer, Soziale Sicherheit, S. 391 f. 22 „Würde man die Menschen in drei Arten einteilen: in Kulturgründer, Kulturträger und Kulturzerstörer, dann käme als Vertreter der ersten wohl nur der Arier in Frage.“ Hitler, S. 318. 23 Dülffer, S. 102 ff. Janka, S. 326, 406 f., 413 – 428. Kershaw, Hitler. 1936 – 1945, S. 47 – 51, 403.

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I. Alter in der „Volksgemeinschaft“

das individuelle Sozialverhalten zu einem zentralen Bestimmungskriterium der angeblich rassischen Eigenart und schuf neue Kategorien sozialer Zuordnung und Ausgrenzung.24 Allein die Zugehörigkeit zur „arischen Rasse“ und ein im Sinne des Volksgemeinschaftskonzepts angepasstes Sozialverhalten boten die Gewähr als „Volksgenosse“ zu gelten. Die jüdische Bevölkerung als Sinnbild alles Fremden war von vornherein aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen und der Verfolgung und Vernichtung preisgegeben.25 Aber auch Schwache und Kranke gefährdeten im biologischen Denken der Nationalsozialisten die Erbsubstanz des deutschen Volkes und sollten daher an der Fortpflanzung gehindert werden. Viele von ihnen fielen später dem Euthanasieprogramm zum Opfer. Politische Opposition und deviantes Sozialverhalten zogen ebenfalls tödliche Ausgrenzung nach sich, wie die Praxis der Arbeitserziehungslager und das nicht mehr in Kraft getretene „Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“ zeigen.26 Drohung, Terror und tödliche Ausgrenzung gegen alles „Fremde“ bildeten ein konstitutives Moment der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“, die durch den Anschein innerer Stabilität und die Möglichkeit einer positiven Identifikation für diejenigen, die dazu gehörten, die bedingungslose Mobilisierung aller Deutschen für den Krieg gewährleisten sollte.27 Auch die Sozialpolitik blieb nicht unberührt vom Konzept der „Volksgemeinschaft“. Die Definition der Ziele und Aufgaben von Sozialpolitik blieb verschwommen, es bestand jedoch kein Zweifel, dass sich die Sozialpolitik den Erfordernissen der allgemeinen Staatspolitik unterzuordnen hatte: „Sozialpolitik muß der allgemeinen Staatspolitik dienstbar sein. Denn noch so berechtigte sozialpolitische Bedürfnisse eines Teiles des Volkes können nicht erfüllt werden, wenn diese Erfüllung gegen das Gesamtwohl des Volkes verstoßen würde.“28 Die Sozialpolitik war kein Selbstzweck; ihre Aufgaben und Ziele waren durch die Volksgemeinschaftsideologie bestimmt.29 „Alle Glieder des Volkes“ waren „auf die Ziele der Volksgemeinschaft auszurichten“, und der Lebensanspruch des Einzelnen wurde 24 Hitler, S. 316 f., 493. Vgl. auch Weingart / Kroll / Bayertz, S. 367 – 381. Dülffer, S. 108 f. Spurk, S. 50. Janka, S. 116, 185. Peukert, Nationalsozialismus, S. 123 f. 25 Die Literatur über die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden ist kaum zu überblicken, so dass an dieser Stelle nur auf einige neuere grundlegende Darstellungen verwiesen werden kann. Burleigh / Wippermann, The Racial State. Friedländer, Das Dritte Reich. Benz (Hg.), Die Juden in Deutschland. Ders., Der Holocaust. Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. Browning, Nazi Policy. Ders., Der Weg zur „Endlösung“. Herbert (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungspolitik. Longerich, Politik der Vernichtung. 26 Peukert, Arbeitslager. Ders., Nationalsozialismus, S. 123 f. Vgl. auch Ayaß, „Gemeinschaftsfremde“. 27 Dülffer, S. 99, 111. Janka, S. 287 – 297, 306 – 314. Jegelka, S. 119. Peukert, Nationalsozialismus, S. 117. Thamer, Nation, S. 122. Mason, Bändigung, S. 33. 28 Schuhmann / Brucker, S. 15. 29 „So hat die Sozialpolitik einen neuen Inhalt und Sinn bekommen. Sie ist zu einem Mittel geworden, das große politische Ziel, ( . . . ) die Volksgemeinschaft zu verwirklichen.“ Seldte, Sozialpolitik, S. 7. Vgl. auch Ders., Wesen und Aufgaben. Bühler, S. 13.

1. Die nationalsozialistische Volksgemeinschaftsideologie

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dem Gemeinwohl untergeordnet.30 Mit der Ausrichtung auf die „Volksgemeinschaft“ erfuhr die Sozialpolitik zwar eine Ausweitung und Verallgemeinerung ihres Aufgabengebiets, indem die Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis zugunsten einer Einbeziehung aller „Volksgenossen“ aufgegeben wurde. Gleichzeitig verschob sich jedoch die Zielsetzung sozialpolitischer Maßnahmen. Nicht mehr das Wohl des einzelnen Menschen, sondern ausschließlich die Steigerung der Produktivität und die Minderung der „Unterstützungslast für Arbeitsunfähige und Leistungsschwache“ bestimmten die Ausrichtung der Sozialpolitik.31 An die Stelle des sozialpolitischen Konzepts der individuellen Hilfe trat das durch die Volksgemeinschaftsideologie bestimmte Modell des „Volkskörpers“ und der „Volksgesundheit“. Gesundheit wurde mit individueller Leistungsfähigkeit gleichgesetzt und damit zum neuen, zentralen Wert vor allem in der Fürsorge und Wohlfahrtspflege.32 „Die höchste sozialistische Tat“, erklärte der Führer der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley 1939, bestände darin, „die schaffenden Menschen gesund und damit arbeitsfähig zu erhalten“.33 Unterstützungsleistungen dienten in erster Linie dazu, den Empfänger wieder in die Lage zu versetzen, seinen Pflichten als „Volksgenosse“ nachzukommen, d. h. seine Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. 34 Sozialpolitik kämpfte „nicht mehr allein gegen Not, sondern für eine erhöhte Leistung“.35 Zu den Leistungsempfängern konnten nur diejenigen gehören, die als gesund, „erb- und rassenbiologisch brauchbar“, als erziehbar und damit potentiell gemeinschaftsfähig eingestuft wurden. Wen die „Volksgemeinschaft“ nicht einschloss, dem konnte auch keine sozialpolitische Hilfe zu Teil werden.36 Sozialpolitik wurde damit zum „Instrument einer nicht nur positiv Lebenschancen verteilenden, sondern diese auch negativ entziehenden Gesellschaftspolitik“. Der Trend zur Verrechtlichung wurde unterbrochen, und eine radikale Abkehr von den wohlfahrtsstaatlichen Grundsätzen der bürgerlichen Gesellschaft vollzogen.37 Aus der Verschränkung von Rassenideologie und Arbeitsideologie ergab sich ein neues zentrales Selektionskriterium, nämlich die Fähigkeit, „produktive Arbeit“ leisten zu können.38 Alte, Leistungsschwache, Kriegs- und Arbeitsinvaliden Elemente der sozialen Ordnung, S. 9. Vom geschichtlichen Begriff, S. 620. Bühler, S. 27. Bühler, S. 49 f. Althaus, S. 8. Hitler, S. 446 – 448. Vgl. auch Gemeinschaft oder Kollektivismus, S. 154 f. 32 Otto / Sünker, S. 64 f. Sünker, S. 50. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 51 – 53. Janka, S. 383. Hachtmann, Industriearbeit, S. 234. 33 Robert Ley, Der Deutsche Volksschutz, März 1939, BArch R 1501 / 5599, S. 2. 34 Sünker, S. 52. Otto / Sünker, S. 69. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 52. Breuer, Grundpositionen, S. 162. 35 Ley, Die deutschen Sozialwerke, S. 139. Vgl. auch Volkswirtschaftliche Grundprobleme, S. 308. 36 Bühler, S. 15. 37 Rudloff, S. 228. Pankoke / Sachße, S. 164 ff. Otto / Sünker, S. 61, 67, 69. 38 Geyer, Soziale Sicherheit, S. 397. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 81. Hachtmann, Industriearbeit, S. 243. 30 31

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I. Alter in der „Volksgemeinschaft“

waren für die Wirtschaft zu mobilisieren; keine Rücksicht galt es auf hoffnungslos Kranke, d. h. „Leistungsunfähige“ zu nehmen. Ein „eugenischer Rassismus“ unterteilte die Menschen in „nutzlose Lebewesen“ und „asoziale Elemente“ einerseits und „gemeinschaftsfähige Volksgenossen“ andererseits und führte zu einer „rassistischen Endlösung der sozialen Frage“. Den Bezugsrahmen dieser systematischen, großtechnischen „Ausmerze“ von „Unwerten“ bildeten die Dichotomien krank / gesund im Hinblick auf den „Volkskörper“, deviant / normal im Hinblick auf die „Volksgemeinschaft“ und Volk / volksfremd im Hinblick auf Nation und Rasse.39 Auch die institutionelle Differenzierung der Wohlfahrtspflege orientiert sich an diesen Selektionskriterien; Aufgaben und Klientel wurden entsprechend zugeteilt und „behandelt“. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt behielt sich gemäß ihres Selbstverständnisses und ihrer Aufgabenzuschreibung die Arbeit mit den „förderungswürdigen Volksgenossen“ vor. Den kirchlichen Verbänden blieb primär die Arbeit mit den „Minderwertigen“; sie waren daher besonders von den Sterilisationsverfahren und den Krankenmorden betroffen.40 Für diejenigen, die durch ihre Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“ in die Zielgruppe der sozialpolitischen Maßnahmen des Regimes eingeschlossen waren, vor allem jedoch für die Arbeiterschaft, besaß die nationalsozialistische Sozialpolitik in erster Linie kompensatorischen Charakter. In der Kombination von „Fürsorge“ und Unterdrückung diente sie dem Ausgleich einer mangelnden Beteiligung am wirtschaftlichen Aufschwung und war gleichzeitig Instrument der Disziplinierung. Durch ihre propagandistische Isolierung vom politischen Gesamtzusammenhang wirkten die sozialpolitischen Maßnahmen des Regimes legitimationsstiftend und ermöglichten eine partielle Integration der Arbeiterschaft in den NS-Staat.41 Die Ausrichtung der Sozialpolitik an der „Volksgemeinschaft“ blieb auch für die Sozialversicherung und insbesondere die öffentliche Rentenversicherung nicht ohne Konsequenzen und brachte eine Neuorientierung hinsichtlich ihrer Ziele und Aufgaben mit sich. „Die gesamte Reichsversicherung“, erklärte Seldte 1939, „dient heute dem neuen Ziel. Dies ist der gesunde, leistungsfähige, schaffensfreudige, wehrkräftige, rassisch wertvolle deutsche Mensch der Zukunft“.42 Die Aufgabe der Sozialversicherung bestand vor allem darin, den endgültigen Verlust der Arbeitskraft durch Alter, Invalidität oder Krankheit möglichst weit hinauszuzögern und den Einzelnen so lange wie möglich im Arbeitsprozess zu halten. Nicht das Individuum, sondern seine Arbeitskraft stand im Zentrum der Betreuung durch die Sozialversicherung: 39 Peukert, Die Genesis der „Endlösung“, S. 26. Vgl. auch Sünker, S. 51, 53. Sachße /Tennstedt, Bd. 3, S. 50. Geyer, Soziale Sicherheit, S. 396. Roth, ,Auslese‘, bes. S. 157. Janka, S. 186, 301, 303 – 306. 40 Reyer, S. 163 – 180. Schoen, Geschichte, S. 199 – 220. Hansen, Wohlfahrtspolitik. Vorländer, Die NSV. 41 Mason, Bändigung, S. 39 – 41, 47. Ders., Sozialpolitik, S. 157. Breuer, Grundpositionen, S. 157. Otto / Sünker, S. 60 f. Schoen, Armenfürsorge, S. 54. 42 Seldte, Sozialpolitik, S. 97.

1. Die nationalsozialistische Volksgemeinschaftsideologie

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„In einem sozialistischen Gemeinwesen wird dafür zu sorgen sein, daß a) die Zahl derer, die aus der Schaffens- und Kampfgemeinschaft ausscheiden müssen, möglichst gering bleibt, b) die Volksgenossen, die in treuer Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber ihrem Volk aus der Schaffens- und Kampfgemeinschaft vorübergehend (Krankheit) oder dauernd (Invalidität, Alter) ausscheiden müssen, nicht auf erbettelte Almosen angewiesen sind. Der um sein Volk verdiente Arbeiter darf bei Krankheit, Invalidität oder Alter ebenso wenig der Not ausgeliefert sein wie der Soldat.“43

In der Sozialversicherung fand die „aus der Volksgemeinschaft erwachsende Kameradschaft“ ihren organisierten Ausdruck. Die Solidarität der Gemeinschaft sollte dem einzelnen Menschen jedoch kein sorgloses Dasein garantieren, sondern vielmehr die Leistungskraft des gesamten Volkes steigern. Wer seine Pflicht gegenüber der Gemeinschaft erfüllte, erwarb damit das Recht, die „Leistungen der Kameradschaft“ in Anspruch zu nehmen. Dabei handelte es sich jedoch nicht um einen Rechtsanspruch im Sinne des Versicherungsprinzips, da der Einzelne nicht mehr verlangen konnte, dass die Leistungen der Gemeinschaft seinen eigenen Beiträgen entsprachen.44 Wer neben der Sozialversicherung über weitere Hilfsmöglichkeiten verfügte, sollte diese künftig zuerst ausschöpfen, bevor er die Solidarität der Gemeinschaft in Anspruch nahm. Die Invalidenrente sollte zu einem „Ehrensold“ werden, der ausschließlich den „Opfer[n, die Verf.] der Arbeit“ zugute kam. Für alle Arbeitsfähigen dagegen sollte der Grundsatz „Arbeit ist besser als Rente“ verschärft zur Anwendung kommen.45 Das Problem, den Leistungsabfall bei Arbeitern ab dem 40. Lebensjahr zu vermindern und die Erwerbsphase so lange als möglich auszudehnen, beschäftigte die Sozialpolitiker schon seit langem. Dadurch sollte dem viel diskutierten demographischen Trend einer Abnahme der arbeitsfähigen Bevölkerung unter gleichzeitiger Zunahme der Zahl älterer, nicht mehr Arbeitsfähiger entgegen gesteuert werden. Der Mangel an Arbeitskräften seit dem Erreichen der Vollbeschäftigung verstärkte den Druck auf die Sozialpolitik zusätzlich.46 Ziel musste eine Steigerung der „Gesamtleistung“ sein, die nach Auffassung des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront neben technischen Rationalisierungsmaßnahmen nur durch eine Erhöhung und Verlängerung der individuellen Leistungsfähigkeit erreicht werden konnte.47 Die Arbeitsfähigkeit sollte weit über die Bühler, S. 147. Bühler, S. 148 f. 45 Görres, S. 325. Vgl. auch Sozialversicherungsleistungen, S. 209 – 213. 46 Burgdörfer, S. 154. Lebensalter und Leistungsfähigkeit, S. 119. Vgl. auch Geyer, Soziale Sicherheit, S. 394. 47 Lebensalter und Leistungsfähigkeit, S. 163, 165,170 f. – Gründe für die frühzeitige Abnutzung der Industriearbeiter sah man im AWI vor allem in der einseitigen Beanspruchung der Arbeiter durch Spezialisierung und Arbeitsteilung sowie in der gleichbleibenden Stärke der Beanspruchung während des gesamten Arbeitslebens. Zur Lösung des Problems diskutierte man im AWI unter dem Schlagwort „lebensnahe Arbeitsgestaltung“ eine Anpassung der Belastung ähnlich wie in der Landwirtschaft sowohl an den Jahresrhythmus als auch an den Lebensrhythmus sowie die Einführung von Ausgleichsarbeiten. 43 44

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I. Alter in der „Volksgemeinschaft“

Altersgrenze der Rentenversicherung hinaus ausgedehnt werden, so dass der endgültige Verlust der Arbeitskraft im günstigsten Fall mit dem Tod zusammenfiel: „Im strengsten Sinne biologisch und deswegen ein erstrebenswertes Ziel für die Gesundheitsführung ist aber der Zustand, wenn der Zeitpunkt des allmählichen Kräfteschwunds kurz vor dem Eintritt des physiologischen Todes liegt und der endgültige Kräfteverfall mit ihm zusammenfällt.“ 48 Man zeigte sich zuversichtlich, dass, wenn es gelänge „jeden Deutschen jedes Jahr einmal zu ,überholen‘“, künftig „der Bruch der Leistungsfähigkeit nicht mehr mit 40 Jahren, sondern bei 70 Jahren liegen“ werde.49 Die nationalsozialistische Arbeitsideologie war für das Alter von doppelter Konsequenz. Aus der „Volksgemeinschaft“ als „Leistungsgemeinschaft“ ließ sich eine Verpflichtung zur Arbeit über das Rentenalter hinaus ableiten, sofern der Betreffende noch leistungsfähig war. Nur demjenigen, der seine Arbeitskraft endgültig verloren hatte, sollte eine erwerbsfreie Lebensphase gewährt werden, die allerdings möglichst bald durch den Tod beendet werden sollte.50 Zugleich mussten all jene, die nicht nur alt oder invalide waren, sondern auch im täglichen Leben professioneller Hilfe und Betreuung bedurften, vor dem Hintergrund menschenverachtender Kosten-Nutzen-Analysen zu „Ballastexistenzen“ werden, die in gefährliche Nähe zu den nationalsozialistischen Euthanasieprogrammen rückten.

2. Die Stabilisierung der Einkommen Den ökonomischen Kern der Volksgemeinschaftsideologie bildete das Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen und die Einkommen zu stabilisieren. Gleichzeitig sollte die durch die Weltwirtschaftskrise angeschlagene Sozialversicherung finanziell saniert und materiell ausgebaut werden. Bereits vor der Machtübernahme im Januar 1933 hatten die Nationalsozialisten die Forderung nach einer substanziellen Verwirklichung des „Rechts auf Arbeit“ aufgegriffen und zu einem ihrer wesentlichen Programmpunkte erklärt. „Das Brachliegenlassen von Millionen menschlicher Arbeitsstunden“, entrüstete sich Hitler im März 1933, „ist ein Wahnsinn und ein Verbrechen, das zu einer Verarmung aller führen muß“.51 1932 auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise betrug die Zahl der registrierten Arbeitslosen sechs Millionen. Insgesamt waren annähernd neun Millionen Menschen oder jeder fünfte erwerbsfähige Deutsche ohne Arbeit. Die Beseitigung der 48 Dr. Bockhacker, Leiter des Amtes für Volksgesundheit, zit. nach Graessner, Neue soziale Kontrolltechniken, S. 149. 49 Ley am 11. 09. 1937 in Nürnberg, zit. nach Graessner, Neue soziale Kontrolltechniken, S. 149. Vgl. auch Schmorrte, S. 38 – 41. 50 Schuhmann / Brucker, S. 403, 420. Sozialversicherungsleistungen, S. 213. Schulze, S. 292, 294. 51 Domarus, S. 234. Vgl. auch Barkai, Wirtschaftssystem, S. 159. Geyer, Soziale Sicherheit, S. 385.

2. Die Stabilisierung der Einkommen

31

Arbeitslosigkeit war daher ein entscheidender Faktor für den Erfolg oder Misserfolg des Regimes. Dabei kam den Nationalsozialisten zugute, dass die Talsohle der Krise bei ihrer Machtübernahme im Januar 1933 bereits durchschritten war, und die Wirtschaft erste Anzeichen einer allmählichen Erholung zeigte. Durch ein Bündel staatlicher Interventionen – Lohn- und Preiskontrollen, Investitionslenkung, eine stärkere Kontrolle der Banken und des Außenhandels sowie Arbeitsbeschaffungsprogramme – gelang es den Nationalsozialisten den Aufschwung zu stabilisieren und voranzutreiben.52 Obwohl der Abbau der Arbeitslosigkeit zunächst nur langsam erfolgte und sich erst in der zweiten Jahreshälfte 1935 beschleunigte, als die Einführung der Wehrpflicht dem regulären Arbeitsmarkt über eine Millionen erwerbsfähige Personen entzog, verbesserte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt bereits in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft spürbar. 1934 betrug die Zahl der registrierten Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt drei Millionen und sank in der ersten Jahreshälfte 1935 auf rund zwei Millionen. 1936 fiel die Arbeitslosigkeit schließlich unter den Stand von 1928 / 29 und lag 1937 erstmals wieder unter der Marke von einer Million.53 Obwohl die Aufrüstung erst ab 1935 zum entscheidenden Faktor für den wirtschaftlichen Aufschwung wurde, stand die Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf das Ziel der Aufrüstung von Beginn an außer Frage. Öffentliche und private Investitionen flossen vorrangig in kriegswichtige Bereiche, wie die Produktionsgüterindustrie, die Bauindustrie, die Automobilindustrie und die Landwirtschaft, während die Konsumgüterindustrie deutlichen Beschränkungen unterlag. Der Konsum wurde mit Blick auf die Kriegsvorbereitungen eingeschränkt, niedrige Löhne sowie hohe Steuern sorgten für einen geringen Lebensstandard und ermöglichten eine Umverteilung des Volkseinkommens zugunsten von Investitions- und Rüstungsgütern.54 Die erste lohnpolitische Aktivität des Regimes bestand in der Zerschlagung der kollektiven Interessenvertretung der Arbeitnehmer auf politischer und betrieblicher Ebene. An die Stelle der Tarifvereinbarungen traten sogenannte Tarifordnungen, die durch die „Reichstreuhänder der Arbeit“, die dem Reichsarbeitsministerium unterstellt waren, erlassen wurden. Die Tariflöhne, die 1933 um rund 20 Prozent unter dem Stand von 1929 lagen, wurden zwar offiziell auf dem Krisenniveau „stabilisiert“. Die „Reichstreuhänder der Arbeit“ waren jedoch befugt, den Betrieben 52 Zur Diskussion um die Effekte der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik siehe Abelshauser, Kriegswirtschaft. Buchheim, Wirtschaftsentwicklung. Ders., Upswing. Ritschl, Deutschlands Krise, S. 31 – 80. Ders., NS-Wirtschaftsideologie. 53 Overy, War and Economy, S. 38 – 55. Petzina / Abelshauser / Faust, S. 119, Tab. 25. Vgl. auch Silverman, Hitler’s Economy. Buchheim, Zur Natur des Wirtschaftsaufschwungs, S. 105, 107. – Buchheim u. a. vertreten die Ansicht, dass die Arbeitslosenstatistik geschönt gewesen sei, um die nationalsozialistische Herrschaft zu stabilisieren. Hitlers wirtschaftspolitische Bilanz wäre weit weniger beeindruckend ausgefallen, wenn bekannt gewesen wäre, dass sich die Zahl der Arbeitslosen im Winter 1933 / 34 statt auf unter vier Millionen in Wirklichkeit noch auf sechs Millionen belief. 54 Overy, War and Economy, S. 57 – 66. Ders., Economic Recovery, S. 48 – 51. Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 34 – 47.

32

I. Alter in der „Volksgemeinschaft“

eine Unterschreitung der Tariflöhne zu gestatten, wenn wirtschaftspolitische Überlegungen dies geboten erscheinen ließen. Davon waren vor allem Bereiche des Dienstleistungssektors und der Verbrauchsgüterindustrie sowie das Baugewerbe und die Landwirtschaft betroffen. Bei den Arbeitnehmern stießen diese Lohnkürzungen bis 1935 / 36 aus Angst vor Entlassungen kaum auf Widerstand. Die Gewerkschaften waren zerschlagen, und die Deutsche Arbeitsfront versuchte nur selten, Tarifunterschreitungen durch direkte Interventionen zu verhindern.55 Mit dem Erreichen der Vollbeschäftigung – einige Bereiche der Produktionsgüterindustrie hatten sogar schon vor 1936 einen wachsenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften signalisiert – kam es zu deutlichen Lohnsteigerungen.56 Diese drohten jedoch die Rüstungsproduktion zu verteuern und erhöhten auf Grund der Einschränkungen in der Konsumgüterproduktion gleichzeitig die Inflationsgefahr, so dass direkte staatliche Eingriffe in die Lohnpolitik notwendig wurden.57 Dem Gesamtinteresse, die Löhne zugunsten der Rüstung möglichst niedrig zu halten, stand das „Staatsinteresse“ gegenüber, die Rüstungsproduktion auch künftig mit einer ausreichenden Zahl an Arbeitskräften zu versorgen und bei der Arbeiterschaft zumindest einen „Stillhaltekonsens“ zu erzielen. Anstelle eines generellen Lohnstopps sollten daher verschärfte Lohnkontrollen im Bereich der Konsumgüterindustrie und Einschränkungen der individuellen Freizügigkeit einen allgemeinen Auftrieb der Lohnsumme verhindern und den nötigen Spielraum für zusätzliche Lohnanreize in der Rüstungsindustrie schaffen.58 Die Einführung des Arbeitsbuches, die Genehmigungspflicht des Arbeitsamtes bei der Auflösung von Arbeitsverhältnissen, die „Auskämmung“ kleinerer unproduktiver Betriebe und Einstellungsverbote in der Konsumgüterindustrie waren wichtige Maßnahmen zur Arbeitskräftelenkung, die die Freizügigkeit bis 1938 bereits erheblich einschränkten.59 Die am 22. Juni 1938 eingeführte Teildienstpflicht erlaubte es dem Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung, jeden deutschen Staatsangehörigen 55 Von der untertariflichen Bezahlung waren vor allem Frauen betroffen, da weibliche Arbeitskräfte vermehrt in der Verbrauchsgüterindustrie beschäftigt waren; weiterhin waren weniger qualifizierte Arbeitskräfte, Beschäftigte in kleinen Betrieben, in ländlichen Regionen und an der Peripherie des Reichs betroffen. Hachtmann, Industriearbeit, S. 94 – 100. Vgl. auch Siegel, S. 64, 68, 74, 76. 56 Die Verdienststeigerungen bestanden in den seltensten Fällen aus Erhöhungen der Tariflohnsätze oder der in den Betriebsordnungen festgelegten Lohnsätze, sondern in Akkordsteigerungen, freiwillig gewährten und jederzeit widerrufbaren Leistungsprämien oder Zuschlägen, wie Weihnachts- und Treueprämien oder betrieblichen Sozialleistungen. Siegel, S. 62, 126. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 215. 57 Abelshauser, Germany, S. 131 f., 140 f. Siegel, S. 61, 88. Vgl. auch Overy, „Blitzkriegswirtschaft“, S. 383. – Der Anteil des privaten Verbrauchs am Volkseinkommen fiel von 71 Prozent im Jahr 1928 auf 59 Prozent im Jahr 1938, was nach Meinung von Overy einen bemerkenswert starken Rückgang für einen derart kurzen Zeitraum bedeutet. 58 Hachtmann, Industriearbeit, S. 112 – 115. Siegel, S. 99. 59 Hachtmann, Industriearbeit, S. 41 f. Geyer, Soziale Sicherheit, S. 387. Abelshauser, Germany, S. 144.

2. Die Stabilisierung der Einkommen

33

zu verpflichten, „auf einem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz Dienst zu leisten“.60 Im Februar 1939 wurde schließlich eine umfassende und unbegrenzte Dienstpflicht eingeführt. Die Durchführungsverordnung vom 10. März 1939 schränkte die freie Arbeitsplatzwahl weiter ein und machte jeden Wechsel von der Zustimmung der Arbeitsämter abhängig.61 Obwohl von diesen Maßnahmen bis Kriegsbeginn nicht immer konsequent Gebrauch gemacht wurde, beeinflussten sie doch die Arbeitsmarktmechanismen zuungunsten der Arbeitnehmer, indem sie es ihnen erschwerten oder gar unmöglich machten, sich einen besser bezahlten Arbeitsplatz zu suchen. Auch wurde die staatliche Arbeitskräftelenkung zunehmend von strafrechtlichen Eingriffen in das Arbeitsverhältnis begleitet, die sich während des Krieges weiter verschärften. Unerlaubte Lohnerhöhungen, die Verbesserung betrieblicher Sozialleistungen, die vorzeitige Lösung von Arbeitsverhältnissen sowie unerlaubtes Fernbleiben von der Arbeit, Arbeitsverweigerung und Schlamperei waren strafbar und konnten mit Ordnungs- und Geldstrafen, Freiheitsstrafen sowie Einweisungen in Arbeitserziehungs- oder Konzentrationslager geahndet werden.62 Gemäß der Zielsetzung eines möglichst geringen Lohnniveaus hatte sich der Lohnabbau der Weltwirtschaftskrise in den Jahren 1933 / 34 zunächst fortgesetzt und auch in der Folgezeit erholten sich die Löhne nur langsam (Tabelle 1). Erst mit dem Erreichen der Vollbeschäftigung begannen die Löhne deutlich schneller zu steigen als in den vorangegangenen Jahren. Die Lohnerhöhungen waren allerdings weniger auf einen Anstieg der Stundenlöhne als auf eine Zunahme der Wochenverdienste infolge verlängerter Arbeitszeiten zurückzuführen. Während der durchschnittliche Stundenlohn der Arbeiter bis Kriegsende deutlich hinter dem Stand von 1928 zurückblieb, erreichten die durchschnittlichen Wochenlöhne zumindest für die Jahre 1942 bis 1944 das Vorkrisenniveau.63 Die Reallöhne erholten sich deutlich schneller und lagen bereits 1937 wieder auf dem Stand von 1928. Bis Kriegsbeginn stiegen sie um weitere acht Prozent (Tabelle 1). Dennoch blieben die Löhne deutlich hinter dem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung zurück. Während das durchschnittliche jährliche Wachstum des realen Sozialprodukts pro Kopf zwischen 1933 und 1938 bei 10,4 Prozent lag, stiegen die realen Wochenlöhne im gleichen Zeitraum lediglich um durchschnittlich 2,9 Prozent im Jahr (Tabelle 1).64

60 Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 22. 06. 1938, RGBl. I 1938, S. 652. 61 Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13. 02. 1939, RGBl. I 1939, S. 206 f. Zweite Durchführungsverordnung zur Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels) vom 10. 03. 1939, RGBl. I 1939, S. 444 – 446. 62 Siegel, S. 84 – 87, 131. Recker, S. 49 f., 171 f. 63 Vgl. auch Hachtmann, Industriearbeit, S. 100, 124 f. Siegel, S. 103 ff. 64 Petzina / Abelshauser / Faust, S. 28, 78, 89.

3 Schlegel-Voß

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I. Alter in der „Volksgemeinschaft“ Tabelle 1 Die durchschnittlichen Bruttoverdienste und die Arbeitszeit von Arbeitern 1928 – 1944 (1928 = 100)

je Stunde

je Woche

je Woche

1 wöchentliche Arbeitszeit3 (Stunden)

53 77 100 106 103 95 80 77 79 80 81 83 86 89 91 95 96 97 97

61 75 100 103 95 84 69 71 76 77 80 83 87 90 93 99 100 101 100

93 81 100 102 97 94 86 91 94 95 97 101 105 108 108 113 111 109 106

ca. 50 – 60 49,54 46,0 – – – 41,5 42,9 44,6 44,4 45,6 46,1 46,5 47,05 – – 49,26 – –

Nominallöhne1 Jahr 1913 / 14 1925 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 19446 1 2 3 4 5 6

Reallöhne2

Effektivlöhne, d. h. vom Tariflohn abweichende Löhne sind enthalten. Umgerechnet (deflationiert) mit Hilfe der Indexziffern für die Lebenshaltung. In der verarbeitenden Industrie. Durchschnitt der gesamten Industrie. 1. Halbjahr. März.

Quelle: Dietmar Petzina / Werner Abelshauser / Anselm Faust, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. Materialien zur Statistik des Deutschen Reichs 1914 – 1945, München 1978, S. 98.

Die Entwicklung der Angestelltengehälter gestaltete sich insgesamt etwas günstiger als die der Arbeiterlöhne. Die Angestellten hatten zwar während der Weltwirtschaftskrise auch eine erhebliche Minderung ihrer nominalen Bruttomonatsgehälter hinnehmen müssen, die realen Gehälter blieben jedoch auch während der Krise weitgehend stabil. Nach 1933 stiegen die realen Gehälter langsam an und überschritten bereits im Jahr 1935 den Höchststand von 1932 um zwei Prozentpunkte. Während die Reallöhne der Arbeiter zwischen 1933 und 1938 im Durchschnitt lediglich um 2,9 Prozent jährlich stiegen, erhöhten sich die realen Gehälter der Angestellten immerhin um 3,3 Prozent jährlich (Tabelle 2).

2. Die Stabilisierung der Einkommen

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Tabelle 2 Die durchschnittlichen Bruttoverdienste der Angestellten 1926 – 19411 (1925 = 100) Jahr

Nominal2

Real

Jahr

Nominal2

Real

1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933

108,5 113,6 122,1 148,5 126,6 122,6 111,1 106,0

108,5 109,0 114,1 116,1 121,1 127,6 130,7 127,6

1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941

109,0 115,1 121,1 126,1 132,7 140,7 145,2 152,8

127,6 132,7 137,7 143,2 149,7 158,3 158,3 162,3

1 Die Angaben beziehen sich für die Zeit von 1925 bis 1929 auf die Angestellten der gewerblichen Wirtschaft, für die Zeit von 1930 bis 1941 auf alle Angestellten. 2 Effektivlöhne.

Quelle: Dietmar Petzina / Werner Abelshauser / Anselm Faust, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. Materialien zur Statistik des Deutschen Reichs 1914 – 1945, München 1978, S. 98.

Die Lohnquote fiel zwischen 1933 und 1938 von 59,4 auf 55,6 Prozent.65 Gesamtwirtschaftlich lagen die Arbeitseinkommen im Jahr 1938 um drei Prozent unter dem Stand von 1928, die Kapitaleinkommen dagegen um 105 Prozent über dem Niveau von 1928.66 Der schwache Lohnanteil der Arbeitnehmer am industriellen Wachstum zeigt deutlich die wirtschaftliche und gesellschaftliche Kräfteverschiebung zugunsten der industriellen Unternehmer. Die „Volksgemeinschaft“ hob die bestehenden Widersprüche der modernen kapitalistischen Gesellschaft keineswegs auf, sondern verschärfte vielmehr die Ausbeutung der Arbeiterklasse.67 Eine präzise Quantifizierung der Reallohnentwicklung gestaltet sich schwierig, da die Schätzungen hinsichtlich der Entwicklung der Lebenshaltungskosten weit auseinander gehen. Während das Statistische Reichsamt die Erhöhung der Lebenshaltungskosten zwischen 1932 und 1938 mit 4,1 Prozent bezifferte, kam der Ministerialdirigent im Reichsarbeitsministerium, Mansfeld, auf 15 Prozent, der NSDAPGauleiter für Essen und Oberpräsident der Rheinprovinz, Terboven, sogar auf 18 bis 20 Prozent. Die Schätzungen werden vor allem dadurch erschwert, dass sich Faktoren wie Qualitätsverschlechterungen sowie graue und schwarze Märkte einer genauen Quantifizierung entziehen. Unstrittig ist jedoch, dass sich die Kaufkraft der Löhne und Gehälter und damit die Lebenshaltung der Arbeiter und AngestellPetzina / Abelshauser / Faust, S. 102 f. Hardach, Deutschland in der Weltwirtschaft, S. 51. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 185 – 195. Zu den Daten im Einzelnen vgl. Hoffmann, Wachstum, S. 506 ff. 67 Broszat, Grundzüge, S. 47. Mason, Bändigung, S. 14. Peukert, Nationalsozialismus, S. 128. 65 66

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I. Alter in der „Volksgemeinschaft“

ten nach 1934 deutlich verschlechterten.68 Die Bevölkerung musste im Vergleich zur Weimarer Republik erhebliche Einschränkungen bei der Versorgung mit Lebensmitteln, vor allem mit Fleisch, Fett und Weizen, hinnehmen. Besonders in den ärmeren Schichten kam es zeitweilig zur Unterversorgung. Die Mangelerscheinungen waren das Ergebnis einer Wirtschaftspolitik, die die Einfuhr von Lebensmitteln auf Grund der Autarkiebestrebungen und der ständigen Devisenknappheit auf ein Mindestmaß zu reduzieren suchte.69 Daneben bewirkte die hohe Abgabenbelastung durch Steuern und andere Pflichtabgaben eine deutliche Verringerung der verfügbaren Einkommen. Die Schätzungen über die Höhe der staatlichen und parteilichen Abzüge vom Einkommen der Arbeitnehmer schwanken zwischen 13 und 17 bzw. 20 und 30 Prozent.70 Dennoch wurde die Wirklichkeit von der Bevölkerung vielfach anders erlebt. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise erfuhren weite Teile der Bevölkerung den wirtschaftlichen Aufschwung und die sinkende Arbeitslosigkeit als eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Die Zunahme der Beschäftigung versprach steigenden Wohlstand und damit die Erfüllung der Bedürfnisse der modernen Industriegesellschaft nach Massenkonsum, Mobilität, ausreichendem Wohnraum sowie nach Erholung und Unterhaltung. Der wirtschaftliche Aufschwung der dreißiger Jahre, die Erfahrung sozialer Sicherheit und das Gefühl von Zugehörigkeit, Orientierung und Schutz erlaubten ein hohes Maß an materieller und affektiver Integration.71 Die Belastungen und Einschränkungen einer beschleunigten Aufrüstung rückten dagegen in der allgemeinen Wahrnehmung in den Hintergrund.72 Mit Kriegsbeginn verstärkte sich die staatliche Intervention im Bereich der Lohnpolitik und Arbeitskräftelenkung. Die Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939 ermächtigte die „Reichstreuhänder“ für alle Wirtschaftszweige Höchstlöhne festzusetzen und „als zu hoch anzusprechende“ Löhne und Gehälter auf den „kriegsnotwendigen Stand“ zurückzuführen. Sämtliche Arbeitszeitbeschränkungen und Urlaubsregelungen wurden außer Kraft gesetzt, und die Zahlung von Zuschlägen für Mehr-, Sonn- und Feiertags- sowie Nachtarbeit wurde Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 68 f. Corni / Gies, Brot, Butter, Kanonen, S. 353 – 363. Vgl. auch Abelshauser, Germany, S. 147. Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 51 – 54. Overy, Economic Recovery, S. 59 f. Immer noch grundlegend zur Autarkiepolitik ist Petzina, Autarkiepolitik. 70 Siegel, S. 105 f. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 174 ff. Overy, Economic Recovery, S. 33, 45. Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 34, 45. 71 Mason, Sozialpolitik, S. 183 ff. Herbert, Arbeiter, S. 329 – 345. Vgl. auch Burleigh, S. 280 – 295. Abelshauser, Germany, S. 126 f., 130 f. Thamer, Nation, S. 112, 120, 125. Thamer, Verführung, S. 468 f., 502. Buchheim, Zur Natur des Wirtschaftsaufschwungs, S. 97 f., 100. Kershaw, NS-Staat, S. 252. Broszat, Grundzüge, S. 33. Zu den psychologischen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit vgl. auch Sen, Inequality. Jahoda / Lazarsfeld / Zeisel, Die Arbeitslosen von Marienthal. 72 Abelshauser, Germany, S. 148 – 151. Buchheim, Zur Natur des Wirtschaftsaufschwungs, S. 100. 68 69

2. Die Stabilisierung der Einkommen

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verboten.73 Die geplanten Maßnahmen, die neben erheblichen Einkommenseinbußen eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei gleichzeitig steigender Arbeitsbelastung bedeuteten, führten jedoch zu heftigen Protesten innerhalb der Arbeiterschaft und einem Absinken der Arbeitsdisziplin. Das Regime entschloss sich daher, auf Lohnsenkungen zu verzichten und die Löhne und Gehälter stattdessen auf dem Stand vom Oktober 1939 einzufrieren.74 Die übrigen Maßnahmen wurden mit Rücksicht auf die Leistungsbereitschaft der Arbeiterschaft in den nächsten zwölf Monaten stufenweise zurückgenommen.75 Trotz des Lohnstopps stiegen die Effektivlöhne nach Kriegsbeginn zunächst weiter an, erreichten 1942 den Stand von 1928 und konnten schließlich im industriellen Durchschnitt auf diesem Niveau stabilisiert werden.76 Die Reallöhne dagegen waren bereits vor Kriegsbeginn über den Stand von 1928 hinaus gestiegen. Im Jahr 1941 erreichten sie ihren Höchststand und sanken in den folgenden Jahren auf Grund der steigenden Lebenshaltungskosten wieder deutlich ab (Tabelle 1). Im Vergleich zu den Jahren 1933 / 38 verringerte sich der Abstand zwischen dem durchschnittlichen jährlichen Wachstum des realen Sozialprodukts pro Kopf und der Reallohnentwicklung deutlich. Das Wachstum des Volkseinkommens pro Kopf verlangsamte sich zwischen 1938 und 1944 auf 6,6 Prozent jährlich. Die Reallöhne stiegen um durchschnittlich 2,5 Prozent pro Jahr und die Angestelltengehälter um 2,7 Prozent (Tabellen 1, 2). Die Lohnquote sank zwischen 1938 und 1940 um weitere 1,4 Prozentpunkte auf 54,2 Prozent.77 Bis zur Verfügung des Lohnstopps hatten die Beschränkungen der Freizügigkeit dazu gedient, den Lohnsteigerungen entgegen zu wirken. Obwohl diese Funktion mit der Einführung des Lohnstopps entfiel, wurden die Beschränkungen der Freizügigkeit nicht nur beibehalten, sondern angesichts des zunehmenden Arbeitskräftemangels weiter verstärkt.78 Die „Bewirtschaftung der Arbeitskräfte“ begann allerdings nur zögerlich und blieb zunächst sehr lückenhaft.79 Insbesondere von einer generellen Dienstverpflichtung weiblicher Arbeitskräfte wurde aus ideologiKriegswirtschaftsverordnung vom 04. 09. 1939, RGBl. I 1939, S. 1609 – 1613. Zweite Durchführungsbestimmungen zum Abschnitt III (Kriegslöhne) der Kriegswirtschaftsverordnung vom 12. 10. 1939, RGBl. I 1939, S. 2028. 75 Hachtmann, Industriearbeit, S. 128 – 131. Linne, S. 16 – 21. Siegel, S. 133. Herbert, Arbeiter, S. 345 f. Recker, S. 35 – 52, 57. Mason, Bändigung, S. 24. 76 Die Löhne differierten je nach der Branche, der Qualifikation, dem Geschlecht, der Betriebs- und Ortsgröße sowie nach der Region stark. Hachtmann, Industriearbeit, S. 132 – 153. 77 Petzina, / Abelshauser / Faust, S. 78, 102. 78 Siegel, S. 88. 79 Der vermehrten Mobilisierung von Arbeitskräften für die Rüstungsproduktion waren nach Ansicht Overys ohnehin enge Grenzen gesetzt, denn der größte Teil der deutschen Industriearbeiterschaft war bereits in den ersten Kriegsjahren für Kriegszwecke mobilisiert worden. Während in den Jahren zwischen 1939 und 1941 eine Steigerung von 149 Prozent zu verzeichnen gewesen war, waren es in den Jahren 1941 bis 1943 nur noch elf Prozent. Overy, „Blitzkriegswirtschaft“, S. 415. 73 74

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schen Gründen und mit Rücksicht auf die weiblichen Angehörigen der Mittel- und Oberschichten Abstand genommen. Die Neigung freiwillig eine Beschäftigung aufzunehmen, war unter den erwerbsfähigen, aber nicht erwerbstätigen Frauen allgemein gering. Der Familienunterhalt für Angehörige eingezogener Männer war verhältnismäßig hoch und wurde auf das Lohneinkommen der Ehefrau angerechnet, während sich gleichzeitig die Konsummöglichkeiten stetig verringerten. Auch hatte die Zahl der in der Industrie tätigen Frauen bei Kriegsbeginn bereits ein vergleichsweise hohes Niveau erreicht, da die bescheidenen materiellen Verhältnisse viele Frauen, insbesondere aus der Arbeiterschicht, ohnehin zur Erwerbstätigkeit zwangen. Das Reichsarbeitsministerium schätzte das Reservoir weiblicher Arbeitskräfte auf 3,5 Millionen. Der wachsende Facharbeitermangel ließ sich dadurch jedoch nicht ausgleichen, da es sich zumeist um wenig qualifizierte Arbeitskräfte handelte.80 Die militärischen Erfolge schienen zudem eine vollständige Umstellung der Wirtschaft auf den Krieg zunächst unnötig zu machen, da nach dem Einmarsch in die Sowjetunion ein schier unerschöpfliches Arbeitskräftereservoir zur Verfügung zu stehen schien. Der verstärkte „Ausländereinsatz“ entband das Regime vorerst von der Notwendigkeit, die Rekrutierung von Frauen für den Arbeitseinsatz intensivieren zu müssen.81 Mit dem Wandel der militärischen Lage Anfang 1943 veränderte sich die Situation grundlegend. Während die militärische Lage die Einberufung einer immer größeren Zahl von Wehrfähigen gebot, drohte sich gleichzeitig das Arbeitskräftereservoir im Osten zu erschöpfen. Das Regime bestimmte daher im Januar 1943 eine Meldepflicht für alle bisher nicht vom Arbeitsamt registrierten Männer vom vollendeten 16. bis zum vollendeten 65. Lebensjahr und für alle Frauen zwischen dem 17. und dem 45. Lebensjahr. Ausgenommen waren Frauen mit einem noch nicht schulpflichtigen Kind oder zwei Kindern unter 14 Jahren. Auf Grund der verbreiteten Vorbehalte gegenüber einer allgemeinen Dienstpflicht wurde den Arbeitseinsatzbehörden jedoch ein breiter Ermessensspielraum bei der Erfassung der meldepflichtigen Frauen eingeräumt. Weder die erste, noch eine zweite und dritte Meldepflichtaktion im Verlauf des Jahres 1944 brachten daher den gewünschten Erfolg.82 Daneben sollten eine beschleunigte Rationalisierung und eine weitere Ausdehnung der Arbeitszeit das wachsende Arbeitskräftedefizit zumindest teilweise kompensieren.83 Bis Kriegsbeginn waren die wöchentlichen Arbeitszeiten von durch80 Hachtmann, Industriearbeiterinnen, S. 336 – 344. Zur Frauenerwerbstätigkeit vgl. Koonz, Mothers in the Fatherland. Bajohr, S. 219 – 297. Frevert, Frauen an der „Heimatfront“. Winkler, Frauenarbeit. Tröger, Die Planung des Rationalisierungsproletariats. Bock, Frauen und Arbeit. 81 Zur Zwangsarbeit vgl. Herbert, Fremdarbeiter. Ders., Arbeit. Ders., Ausländerpolitik. 82 Recker, S. 177, 182 – 185, 267, 273. Hachtmann, Industriearbeiterinnen, S. 356 ff. 83 Hachtmann, Industriearbeit, S. 46 f. Geyer, Soziale Sicherheit, S. 388 ff., 406. Abelshauser, Germany, S. 156 – 158. Overy, „Blitzkriegswirtschaft“, S. 424. Ders., War and Economy, S. 343 – 375.

2. Die Stabilisierung der Einkommen

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schnittlich 42,9 Stunden im Jahr 1933 auf 47 Stunden gestiegen.84 Nach Kriegsausbruch sahen sich viele Betriebe genötigt, vom 8-Stunden-Tag zu 10- und 12-Stunden-Schichten überzugehen und vermehrt auf Überstunden und Wochenendarbeit zu bestehen. Ende August 1944 wurde für männliche deutsche Arbeitskräfte die 60-Stunden-Woche als Mindestarbeitszeit eingeführt. Die Strafmaßnahmen bei Arbeitsbummelei wurden weiter verschärft, und eine verstärkte betriebsärztliche Kontrolle sollte die Fehlzeiten auf ein Mindestmaß reduzieren. Die Wirkung der Maßnahmen blieb jedoch begrenzt, da Produktionsstörungen infolge der Energieund Rohstoffverknappung, der häufige Wechsel der Produktionsschwerpunkte, Verzögerungen bei der Zulieferung, Luftalarm, Aufräumarbeiten sowie Einsätze beim Wehrschutz und bei der Flak immer häufiger zu Ausfallzeiten führten.85 Der allgemeine Lebensstandard erfuhr nach Kriegsbeginn eine deutliche Verschlechterung. Zwar war die Versorgung der deutschen Bevölkerung trotz der Rationierungen wesentlich besser als im Ersten Weltkrieg, dennoch kam es bereits im Frühjahr 1940 zu ersten Kürzungen der Rationen. Weitere Reduzierungen folgten und bewirkten vor allem bei der Versorgung mit Fleisch, Fett und Brot zum Teil drastische Einschnitte. Vermehrte Hamster- und Schwarzmarktkäufe führten zu steigenden Preisen und damit zu einer spürbaren Verteuerung der Lebenshaltungskosten. Während der offizielle Lebenshaltungskostenindex für die Jahre 1939 bis 1941 Preissteigerungen in Höhe von 5,5 Prozent verzeichnete, schätzte der Reichspreiskommissar die vom Statistischen Reichsamt nicht erfassten Mehrausgaben infolge direkter Preiserhöhungen und Verbrauchsverschiebungen auf 11,9 Prozent. Der Leiter des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront ging sogar von einem Anstieg der Lebenshaltungskosten um mindestens 20 Prozent aus.86 Mit dem Wandel der militärischen Lage verschlechterte sich die Ernährungslage drastisch. An die Stelle zahlreicher Erzeugnisse mit hohem Nährwert traten entweder Ersatzprodukte oder minderwertige Waren. Insbesondere Fleisch und Fett mussten zunehmend durch Kartoffeln, Hülsenfrüchte und andere vegetarische Nährmittel ersetzt werden. Der Nährwert für Normalverbraucher sank bis Herbst 1944 auf unter 2.000 Kalorien pro Tag.87 In der letzten Kriegsphase gewann Deutschland „immer mehr das Aussehen einer ( . . . ) totalen Arbeitsgesellschaft, in der es eines nicht gab: einen Lohn der Arbeit in Form von Wohlstand, Prosperität und sozialer Sicherheit“.88 Und dennoch: Selbst in den letzten Kriegsjahren gestalteten sich die Lebensverhältnisse der deutschen Arbeiterschaft in den Augen vieler Menschen im Vergleich zum Bry, S. 48. Hachtmann, Industriearbeit, S. 53, 234 – 244. Overy, „Blitzkriegswirtschaft“, S. 430. Recker, S. 191 ff., 274 f. 86 Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 60 f. Abelshauser, Germany, S. 152 f. Overy, „Blitzkriegswirtschaft“, S. 390, 404 – 407. 87 Corni / Gies, Brot, Butter, Kanonen, S. 555 – 582. 88 Geyer, Soziale Sicherheit, S. 406. Vgl. auch Herbert, Arbeiter, S. 354 f. 84 85

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Ersten Weltkrieg noch einigermaßen erträglich.89 Als Ausgleich für die verschlechterten Lebensbedingungen bot das NS-Regime ideologische „Wohltaten“ an, wie die Wiederherstellung nationaler Macht und Größe und die kollektive Überlegenheit der Mitglieder der „Volksgemeinschaft“ über unterdrückte Minderheiten und besiegte Nachbarn. Vor allem die Diskriminierung der ausländischen Arbeitskräfte besaß dabei eine wichtige ideologische Funktion, denn sie verlieh der Propaganda einer rassischen Elite eine vermeintlich reale soziale und materielle Basis und machte sie gleichzeitig für jeden deutschen Arbeiter direkt erfahrbar.90 Die bedrückende Wirklichkeit der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ war weit entfernt von dem Versprechen einer solidarischen Gemeinschaft. Nicht Prosperität und soziale Sicherheit kennzeichneten die Alltagserfahrungen der Menschen, sondern die allgegenwärtige Dichotomie von Inklusion und Ausgrenzung. Für invalide, alte oder gebrechliche Menschen war in dieser Realität, die die Lebenschancen des Einzelnen nach seinem Nutzen für die Gemeinschaft bemaß, im Grunde kein Platz. In einer Ideologie, die auf kriegerische Expansion nach Außen und die Schaffung eines „erb“-gesunden, leistungsfähigen „Volkskörpers“ im Inneren ausgerichtet war, ließen sich Alte und Schwache kaum integrieren. Die Jugend repräsentierte die Zukunft der „Volksgemeinschaft“. In der mittleren Generation sollten die Männer als Arbeiter und Soldaten dienen, und die Frauen sollten Mütter werden. Die ältere Generation aber drohte in der „Volksgemeinschaft“, die von ihren Mitgliedern vor allem Leistungs- und Opferbereitschaft erwartete, an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Diese Gefahr verstärkte sich mit Beginn des Bombenkrieges, als sich die Lebensbedingungen in Deutschland dramatisch verschlechterten und die Belastung der mittleren Generation drastisch zunahm.

Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 73. Herbert, Arbeiter, S. 348 f., 352. Mason, Sozialpolitik, S. 174. Ders., Bändigung, S. 31. Vgl. auch Eichholtz, Bd. 2, bes. S. 179 – 292; Bd. 3, bes. S. 223 – 305. 89 90

II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus 1. Zwischen Ausbau und Krise: Die Entwicklung bis 1933 Die Entwicklung der öffentlichen Rentenversicherung war durch ein hohes Maß an Kontinuität gekennzeichnet. Zwar erfuhr die öffentliche Rentenversicherung im Laufe der Zeit hinsichtlich ihres Versichertenkreises und in Bezug auf den Umfang und die Höhe ihrer Leistungen einen beträchtlichen Ausbau, ihre Verwaltungsgrundlagen und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen blieben jedoch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs im Wesentlichen unverändert.1 Die Invaliditäts- und Altersversicherung, die 1889 beschlossen wurde und 1891 in Kraft trat, beruhte auf drei Grundprinzipien: „Das Prinzip der Versicherung [Hervorhebungen im Original, die Verf.], die Beiträge ( . . . ) einforderte und Anspruchsrechte auf Leistungen begründete; die Verbindung von staatlichem Zwang und sozialer Selbstverantwortung; und schließlich der Grundsatz, daß Sozialleistungen nach Maßgabe rechtlich normierter Anspruchsursachen ( . . . ) bemessen wurden“.2 Das Gesetz erfasste mittels einer Versicherungspflicht alle Lohnarbeiter unabhängig von der Höhe ihres Einkommens sowie Angestellte mit einem Jahresverdienst von bis zu 2.000 M. Zweck der Versicherung war die Gewährung von Renten im Falle der Invalidität und im Alter. Ein Anspruch auf Invalidenrente bestand nach einer Wartezeit von fünf Jahren, sofern der Versicherte dauernd zu zwei Dritteln erwerbsunfähig war.3 Eine Altersrente wurde ab dem vollendeten 70. Lebensjahr gewährt, wenn der Versicherte eine Wartezeit von 30 Beitragsjahren zurückgelegt hatte. Um jedoch einen zügigen Beginn der Rentenzahlungen zu ermöglichen und die politische Akzeptanz der Rentenversicherung zu erhöhen, wurde eine Übergangsregelung geschaffen. Danach wurden Arbeitern, die zum Conrad, Alterssicherung. Hentschel, Geschichte, S. 12 f. Vgl. auch Haerendel, Die Anfänge der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies., Regierungen, Reichstag und Rentenversicherung. Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik, S. 181 – 187. Ritter, S. 33 – 50. 3 Die Definition der Erwerbsunfähigkeit war kompliziert: Als erwerbsunfähig galt, wer infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands außerstande war, durch eine, ihn in seinen Kräften und Fähigkeiten nicht überfordernde Tätigkeit einen Lohnbetrag zu verdienen, dessen Höhe der Summe aus einem Sechstel seines eigenen Lohnsatzes der vergangenen fünf Jahre und einem Sechstel des ortsüblichen Tageslohns entsprach. Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 450. 1 2

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

Zeitpunkt der Gesetzgebung bereits älter als 40 Jahre waren, die Berufsjahre, die sie nach dem 40. Lebensjahr geleistet hatten, ohne eigene Beitragsleistung als Versicherungsjahre angerechnet.4 Die Rentenreform 1899 verkürzte die Wartezeit für die Altersrenten auf 25 Jahre und für die Invalidenrenten auf vier Jahre. Der Invaliditätsbegriff wurde etwas günstiger gefasst.5 Die Invalidenversicherung war eine Synthese aus einer Versicherung und einer staatlichen Versorgung. Die Höhe der Leistungen hing zwar grundsätzlich von der Höhe und der Zahl der geleisteten Beiträge ab. Das Äquivalenzprinzip wurde jedoch durch die Gewährung eines festen Grundbetrags durchbrochen. Die Invalidenrente bestand aus einem Reichszuschuss von 50 M jährlich, einem Grundbetrag von 60 M und einem Steigerungsbetrag, der von der Zahl der Versicherungsjahre und der Höhe der geleisteten Beiträge abhing. Die Altersrente, die unabhängig von anderen Einkommen gewährt wurde, setzte sich aus dem Reichszuschuss und dem Steigerungsbetrag zusammen. Der Grundbetrag schien entbehrlich, da bei den Altersrenten auf Grund der langen Versicherungszeit ein höherer Steigerungsbetrag zu erwarten war als bei den Invalidenrenten.6 In Anlehnung an die Finanzierungsmodalitäten privater Versicherungen beruhte die Invaliditäts- und Altersversicherung zwar äußerlich auf einem Kapitaldeckungsverfahren, die Renten wurden jedoch im Wesentlichen nicht aus einem Versicherungskapital erwirtschaftet, sondern aus Steuermitteln und den aktuellen Mitgliedsbeiträgen finanziert.7 Die Beiträge, die je zur Hälfte von den Versicherten und den Arbeitgebern aufzubringen waren, schwankten anfangs um ein Prozent und wurden 1900 auf 1,5 bis drei Prozent erhöht.8 Die Zuschussquote lag bei rund einem Drittel der Ausgaben und diente einer vertikalen Umverteilung zugunsten der als „hilfsbedürftig“ definierten Arbeiterschaft. Der Reichszuschuss war nach Ansicht Bismarcks wesentlich, um die gewünschte politische Wirkung auf die Arbeiter zu erzielen. Langfristig musste sich diese Wirkung jedoch in dem Maße abschwächen, in dem sich der Kreis der Versicherungspflichtigen ausweitete und immer stärker mit dem der Steuerzahler deckte.9 4 Gesetz betr. die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. 06. 1989, RGBl. 1989, S. 97 – 144. Vgl. auch Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 449 f. Hockerts, Sicherung, S. 299. Hentschel, Geschichte, S. 24. 5 Der Versicherte galt nun als erwerbsunfähig, wenn er infolge von Alter, Krankheit oder anderen Gebrechen nicht mehr imstande war, durch eine „entsprechende“ Tätigkeit, die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seiner bisherigen Tätigkeit zugemutet werden konnte, „ein Drittel desjenigen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen“ pflegten. Invalidenversicherungsgesetz vom 13. 07. 1899, RGBl. 1899, S. 393. Vgl. auch Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 450 f. 6 Gesetz betr. die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. 06. 1989, RGBl. 1989, S. 97 – 144. Frerich / Frey, Bd. 1, S. 100. 7 Zschimmer / Paul, Wiederaufbau. 8 Frerich / Frey, Bd. 1, S. 100 f. Hentschel, Geschichte, S. 15.

1. Zwischen Ausbau und Krise: Die Entwicklung bis 1933

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Der vorrangige Leistungszweck der Versicherung bestand, wie die 1899 eingeführte Bezeichnung „Invalidenversicherung“ deutlich macht, in der Gewährung von Renten im Falle der Invalidität. Mit der Altersgrenze von 70 Jahren orientierte sich die Versicherung am traditionellen Lebenslaufmodell, das Arbeit bis zum Tod als Regelfall voraussetzte. Die Altersrente war zunächst nur „dekoratives Beiwerk“, ihr Bezug eine „fast illusionäre Aussicht“,10 da die Arbeit im Kaiserreich die Menschen frühzeitig verschliss. Nur wenige erreichten die Altersgrenze von 70 Jahren; meistens beendeten der Tod oder Invalidität das Arbeitsleben.11 Trotzdem stellte die Altersgrenze von 70 Jahren als gesetzlich konstruierter Fall von Invalidität einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer arbeitsfreien Altersphase dar. Vorerst blieb das arbeitsfreie Alter allerdings ein normatives Konstrukt, da die Renten faktisch nicht Existenz sichernd waren.12 Sie stellten lediglich einen Zuschuss zum Lebensunterhalt dar, so dass zahlreiche Rentenempfänger auf die Armenfürsorge angewiesen blieben.13 Der eigentliche Fortschritt der Rentenversicherung lag daher „weniger in der Höhe ihrer materiellen Leistungen ( . . . ), als vielmehr in der genauen Abschätzbarkeit und rechtlichen Einklagbarkeit dieser Leistungen (beides war in der Armenfürsorge nicht gegeben) und in der Freiheit von politischer und sozialer Diskriminierung (z. B. Wahlrechtsentzug), an die der Bezug kommunaler Armenunterstützung geknüpft war“.14 Die Einführung einer allgemeinen Witwen- und Waisenversorgung war zunächst auf Grund finanzieller Bedenken zurückgestellt worden. Erst die Reichsversicherungsordnung von 1911 brachte die seit langem diskutierte Hinterbliebenenversorgung.15 Ein Anspruch auf Witwenrente bestand allerdings nur insofern, als die Arbeiterwitwe selbst andauernd invalide war, und ihr verstorbener Ehemann die für die Invalidenrente erforderliche Wartezeit erfüllt hatte. Die Witwenrente setzte sich aus dem Reichszuschuss in Höhe von 50 M sowie drei Zehnteln des Grundund Steigerungsbetrags, auf den der Ehemann Anspruch gehabt hätte, zusammen. Hentschel, System, S. 315. Hockerts, Sicherung, S. 300. Zur Absicht Bismarcks, durch die Alterssicherung die Integration der Arbeiterschaft zu fördern und das Reich aufzuwerten vgl. auch Tennstedt, Der deutsche Weg. 10 Hockerts, Sicherung, S. 299. Haerendel, Die Anfänge der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 128 f. Borscheid, Der alte Mensch, S. 55. Schäfer, Arbeitsverdienst, S. 259. Conrad, Greis, S. 258 f. Zum Leitmotiv lebenslanger Arbeit vgl. Göckenjan, Alter, S. 307 – 312. Ders., „Solange die Sonne leuchtet, ist Zeit des Wirkens“, bes. S. 72, 85 ff. 11 Hentschel, Geschichte, S. 24 f. Conrad, Greis, S. 335. 12 Tennstedt, Sozialpolitik, S. 187. 13 Der Anteil der Unterstützten war im Kaiserreich mit etwa zehn Prozent relativ gering, da die Rente vielfach mit anderen Versorgungsquellen kombiniert wurde. Hockerts, Sicherung, S. 300. Vgl. auch Conrad, Gewinner, S. 314. 14 Hockerts, Sicherung, S. 301 f. 15 Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19. 07. 1911, RGBl. 1911, S. 509 – 838, hier 742 – 745, 748 – 755, 829. Vgl. auch Ellerkamp, Die Frage der Witwen und Waisen. Conrad, Greis, S. 255. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 188. 9

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Für Waisen betrug der Reichszuschuss 25 M; dazu kamen für die erste Waise 15 Prozent und für jede folgende Waise zehn Prozent des Grund- und Steigerungsbetrags des verstorbenen Vaters. Die Waisenrente wurde bis zum vollendeten 15. Lebensjahr gewährt. Die Leistungen der Hinterbliebenenversorgung stellten kein Existenz sicherndes Sozialeinkommen dar und blieben gelegentlich sogar hinter den Leistungen der Armenpflege zurück.16 Eine regelmäßige Anpassung der Renten an die wirtschaftliche Entwicklung war nicht vorgesehen. Gleichwohl stiegen die Renten stetig an, da die Versicherten mit steigenden Löhnen in höhere Beitragsklassen aufrückten und im Rentenalter entsprechende Steigerungsbeträge erhielten. 1891 betrug die durchschnittliche Rente 6 M monatlich, 1892 waren es bereits 10 M. Bis 1913 stieg sie auf 16 M im Monat. Im Vergleich zu den Durchschnittslöhnen in Industrie und Dienstleistung stagnierte die durchschnittliche Rente zwischen 1892 und 1913 bei 18 Prozent, da sich Renten und Löhne in diesem Zeitraum parallel entwickelten.17 Die durchschnittliche Witwenrente betrug 1913 rund 6 M monatlich, die durchschnittliche Waisenrente knapp 7 M.18 Die Zahl der Versicherten wuchs bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs nur langsam. Zwischen 1892 und 1913 stieg sie von 11,65 Millionen auf 16,3 Millionen Personen; der Anteil der Versicherten an der erwerbsfähigen Bevölkerung erhöhte sich von 52,7 auf 58 Prozent.19 Der Rentenbestand nahm trotz der ungünstigen Zugangsbedingungen deutlich schneller zu. Von 1900 bis 1913 erhöhte sich der Bestand von knapp 600.000 auf fast 1,3 Millionen Renten. Davon waren 86 Prozent Invalidenrenten und knapp vier Prozent Hinterbliebenenrenten.20 Obwohl 1907 fast 70 Prozent der Angestellten der Invalidenversicherung angehörten, wurde 1911 eine gesonderte Alterssicherung für die Angestellten errichtet, die alle Angestellten mit einem Jahresarbeitsverdienst von bis zu 5.000 M in die Versicherungspflicht einbezog.21 Im Unterschied zur Invalidenversicherung lag die Altersgrenze nicht bei 70, sondern bei 65 Jahren. Der Invaliditätsbegriff der Angestelltenversicherung orientierte sich an der Berufsunfähigkeit und nicht – wie in Frerich / Frey, Bd. 1, S. 114 f. Vgl. auch Zöllner, S. 108 f. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1893, S. 189. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1915, S. 380 – 384. Desai, S. 112. 18 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1915, S. 380. 19 Frerich / Frey, Bd. 1, S. 106, Tab. 11. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1915, S. 384. Bevölkerung und Wirtschaft, S. 142. 20 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1915, S. 384. Frerich / Frey, Bd. 1, S. 106, Tab. 11. 21 Da Angestellte mit einem Einkommen von weniger als 2.000 Mark weiterhin in der Invalidenversicherung versicherungspflichtig blieben, entstand für diesen Personenkreis eine Doppelversicherung, die erst durch die Novelle des Angestelltenversicherungsgesetzes im November 1922 beseitigt wurde. Die Novelle regelte gleichzeitig die Wanderversicherung neu. Gesetz über Änderungen des Versicherungsgesetzes für Angestellte und der Reichsversicherungsordnung vom 10. 11. 1922, RGBl. I 1922, S. 849 – 880. 16 17

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der Invalidenversicherung – an der Erwerbsunfähigkeit. Berufsunfähigkeit lag vor, wenn die Arbeitsfähigkeit des Angestellten auf weniger als die Hälfte eines vergleichbaren körperlich und geistig gesunden Versicherten gesunken war. Dabei konnten Angestellte anders als Arbeiter nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern nur auf ein engeres Berufsfeld verwiesen werden. Die Invaliditäts- und Altersrenten waren hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen gleichgestellt. Die Wartezeit betrug für männliche Versicherte 120 Beitragsmonate und für weibliche Versicherte 60 Beitragsmonate. Die Finanzierung erfolgte allein durch Mitgliedsbeiträge, die je zur Hälfte von Versicherten und Arbeitgebern aufgebracht wurden. Ein Reichszuschuss war nicht vorgesehen. Die Beiträge waren mit sieben bis acht Prozent deutlich höher als in der Invalidenversicherung, Gleiches galt für die Leistungen. Die Witwenrenten wurden im Unterschied zur Invalidenversicherung ohne Einschränkung gewährt, Waisenrenten wurden bis zum vollendeten 18. Lebensjahr gezahlt.22 Die Einrichtung einer gesonderten Rentenversicherung für Angestellte mit deutlich höheren Leistungen als in der Invalidenversicherung sollte das Sonderbewusstsein der Angestellten fördern, die politische Distanz zur Arbeiterschaft verstärken, und ein Vordringen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften in den sogenannten neuen Mittelstand verhindern. Zugleich wurden mit der Angestelltenversicherung neue Versorgungsstandards geschaffen, an denen sich künftig auch andere Gruppen – insbesondere die Arbeiterschaft – orientieren sollten.23 In der Weimarer Republik wurden die Ziele der öffentlichen Sozialpolitik im Zusammenhang mit dem allgemeinen Ausbau des Wohlfahrtsstaates anspruchsvoller definiert als noch im Kaiserreich. In der Kriegs- und Nachkriegszeit waren zudem neue Gruppen von Hilfsbedürftigen entstanden, die ihre Armut als politisch bedingt verstanden und weitreichende Versorgungsansprüche an die junge Republik stellten.24 Es bildeten sich neue Interessenorganisationen heraus, die die Defizite der staatlichen Sozialpolitik öffentlichkeitswirksam kritisierten, und die – so unterschiedlich ihre politische Ausrichtung auch war – in der Forderung übereinstimmten, dass die Armenfürsorge kein geeigneter Träger zur Behebung der jeweiligen Armutslage sei. Alte fürsorgebedürftige Menschen entledigten sich „ihrer Rolle als Bittsteller um soziale Hilfsleistungen und traten in ihrer Eigenschaft als Rentner erstmals mit anklägerischer Anspruchshaltung gegenüber dem Staat auf“.25 Seit Mitte der zwanziger Jahre, als der alte Zuschussgedanke in der Alters22 Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20. 12. 1911, RGBl. 1911, S. 989 – 1061. Vgl. auch Frerich / Frey, Bd. 1, S. 115 f. Hockerts, Sicherung, S. 303. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 188. Ders., Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 452. Hentschel, Geschichte, S. 20 f., 24. 23 Hockerts, Sicherung, S. 302. Ritter, S. 52. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 188. Hentschel, System, S. 316. Ders., Geschichte, S. 19. Conrad, Greis, S. 256 f. Zöllner, S. 110 f. Schmidt, S. 39. 24 Sachße / Tennstedt, Bd. 2, S. 77 – 82. Geyer, Soziale Rechte. 25 Penkert, S. 143. Sachße / Tennstedt, Bd. 2, S. 81 f.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

sicherung angesichts der sinkenden Erwerbschancen älterer Menschen zunehmend fraglich erschien, griffen schließlich auch die Fürsorgeverbände die Forderung nach einer Existenz sichernden Rente auf.26 Nach Kriegsende standen jedoch zunächst die aktuellen Probleme einer beschleunigten Geldentwertung im Vordergrund, und an einen allgemeinen Ausbau der öffentlichen Rentenversicherung war auf Grund ihrer schwierigen Finanzlage vorerst nicht zu denken. Schon die Kriegsinflation hatte die Renten erheblich abgewertet. Nach dem Krieg beschleunigte sich dieser Prozess, so dass in immer kürzeren Abständen Rentenanpassungen vorgenommen werden mussten. Trotz dieser Maßnahmen sanken die Renten im Verlauf des Jahres 1923 bis zur wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit herab.27 Mit der beschleunigten Geldentwertung schmolz auch das Versicherungskapital der öffentlichen Rentenversicherung zusammen. Die Invalidenversicherung war besonders stark betroffen. Ihr Gesamtvermögen, das im Jahr 1913 rund zwei Milliarden M betragen hatte, verringerte sich auf 253 Millionen RM. Auch die Angestelltenversicherung musste erhebliche Vermögensverluste hinnehmen. Zusätzlich verschärft wurde die Krise durch die wachsende Zahl der Rentenansprüche; gegenüber 1913 hatte sich der Rentenbestand 1924 / 25 verdreifacht.28 Die Krise der öffentlichen Rentenversicherung führte zu einer breiten Reformdebatte. Die Vorschläge reichten von einer Reduzierung der staatlichen Verantwortung auf eine Armenfürsorge, wie sie vor 1889 bestanden hatte, bis zu einer steuerfinanzierten Grundsicherung. Eine Reform der öffentlichen Rentenversicherung scheiterte jedoch am Widerstand des Reichsarbeitsministeriums, und nach der Währungsstabilisierung 1923 / 24 forderte auch die öffentliche Meinung die Wiederherstellung der bestehenden Institutionen.29 Die Sanierung der Rentenversicherung begann Ende 1923 mit der Festsetzung einheitlicher, beitragsunabhängiger Renten. In der Invalidenversicherung betrug die Einheitsrente 13 Billionen M oder 13 Rentenmark für Versicherte und 9 Rentenmark für Witwen. In der Angestelltenversicherung wurde das Ruhegeld auf 30 Billionen M oder 30 Rentenmark, die Witwenrente auf 18 Rentenmark und die Waisenrente auf 15 Rentenmark festgesetzt. Die Beiträge wurden an die aktuellen Währungsverhältnisse angepasst und sollten den Übergang zu einer individuellen Rentenbemessung vorbereiten. Seit 1924 kehrte zunächst die Invalidenversicherung, später dann auch die Angestelltenversicherung schrittweise zu einer individuellen Rentenbemessung zurück.30 Da das Versicherungskapital der Göckenjan / Hansen, S. 751 f. Penkert, S. 148 – 153. Frerich / Frey, Bd. 1, S. 213. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 189. Ders., Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 460 f. 28 Hockerts, Sicherung, S. 303. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 189 f. Ders., Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 461. 29 Penkert, S. 179 – 191. Hockerts, Sicherung, S. 304. Hentschel, Geschichte, S. 120. 30 Frerich / Frey, Bd. 1, S. 215 f. 26 27

1. Zwischen Ausbau und Krise: Die Entwicklung bis 1933

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Rentenversicherung durch die Inflation entwertet war, wurde die Finanzierung auf ein Umlageverfahren umgestellt. Grundsätzlich wurden jedoch der Aufbau einer Kapitalreserve und die Rückkehr zu einem Kapitaldeckungsverfahren angestrebt.31 Die Inflation hatte nicht nur zu einem fast vollständigen Verlust des Versicherungsvermögens geführt. Auch die Versicherten hatten einen Großteil ihrer Ersparnisse verloren und waren nun im Alter in wesentlich höherem Maße als bisher auf die Leistungen der öffentlichen Rentenversicherung angewiesen. Gleichzeitig waren nach der Währungsstabilisierung die Lebenshaltungskosten stark angestiegen, so dass eine Erhöhung der Versicherungsleistungen gegenüber 1913 unerlässlich erschien.32 Strukturelle Verbesserungen und „diskretionäre“ Rentenerhöhungen führten daher seit 1924 zu einer schrittweisen Anhebung der Renten. Die steigenden Löhne und Gehälter ließen die Versicherten allmählich in die höheren Beitragsklassen hineinwachsen und sorgten für einen zusätzlichen Anstieg der Leistungen. Die Renten überstiegen bald das Vorkriegsniveau, nahmen auch in der Weltwirtschaftskrise zunächst noch zu und erreichten 1931 ihren Höchststand. Die durchschnittliche Invalidenrente betrug 37 RM im Monat, das entsprach rund 30 Prozent des Durchschnittslohns aller Versicherten in der Arbeiterversicherung.33 Das durchschnittliche Ruhegeld in der Angestelltenversicherung lag mit 63 RM monatlich deutlich höher, das Rentenniveau entsprach mit 31 Prozent annähernd dem der Arbeiterversicherung. Für Versicherte, die gleichzeitig einen Steigerungsbetrag aus der Invalidenversicherung bezogen, betrug die Durchschnittsrente 82 RM. Das Rentenniveau lag bei knapp 41 Prozent des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten.34 Obwohl es sich bei den Rentenerhöhungen zum größten Teil um reale Leistungssteigerungen handelte, hatte sich die Zahl der Empfänger von Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge gegenüber dem Kaiserreich deutlich erhöht. Der Anteil der Fürsorgeempfänger an den Beziehern von Renten aus der Invalidenversicherung betrug 1929 in den Stadtkreisen 30 Prozent und in den Landkreisen 22 Prozent. 1910 hatten dagegen nur acht bis zwölf Prozent der Invalidenrentner zusätzlich Armenunterstützung bezogen. Das lag zum einen daran, dass die während der Inflation eingeführte Sozialrentnerfürsorge den Rentenempfängern den Zugang zur öffentlichen Fürsorge erleichtert und zugleich ihren stigmatisierenden Charakter gemildert hatte. Zum anderen war die Bedeutung zu31 Eine Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren wäre nur unter Preisgabe von rund zwei Millionen entwerteter alter Renten möglich gewesen. Gleichwohl sorgte die Finanzierungsfrage für dauerhaften Konfliktstoff in der Weimarer Rentenpolitik. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 190. Ders., Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 461. Frerich / Frey, Bd. 1, S. 214. Geyer, Soziale Rechte, S. 410 ff., 418 f. 32 Petzina / Abelshauser / Faust, S. 107, Tab. 20. Vgl. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 190. Ders., Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 461. Hockerts, Sicherung, S. 306. 33 Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 571. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 473. 34 25 Jahre Angestelltenversicherung, S. 91, Ü 19. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 473.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

sätzlicher Einkommensquellen neben der Rente stark zurückgegangen, während gleichzeitig die Renten nur einen unzureichenden Ausgleich boten.35 Aber nicht nur die Höhe der Leistungen, sondern auch die Zahl der Versicherten und Rentenempfänger hatte sich gegenüber der Vorkriegszeit deutlich erhöht. Bis 1929 stieg die Zahl der Versicherten in der Invalidenversicherung auf 18 Millionen, in der Angestelltenversicherung auf 3,6 Millionen. Das entsprach zwei Drittel aller Erwerbspersonen.36 Der Rentenbestand in der Invalidenversicherung hatte sich seit 1913 verdreifacht und belief sich 1931 auf rund 3,5 Millionen Renten. In der Angestelltenversicherung waren 1921 noch nicht einmal 30.000 Renten zur Auszahlung gekommen, bis 1931 hatte sich ihre Zahl fast verzehnfacht.37 Die Weltwirtschaftskrise bedeutete für die Entwicklung der öffentlichen Rentenversicherung einen Rückschlag. Die Beitragseinnahmen sanken seit 1930 infolge von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Lohnkürzungen fast ständig. Gleichzeitig war auf der Ausgabenseite keine Entlastung zu erwarten, da die Zahl der Rentenansprüche stetig stieg. Die Invalidenversicherung verzeichnete seit 1931 Defizite, die nur durch die Auflösung von Reserven und staatliche Beihilfen ausgeglichen werden konnten. In der Angestelltenversicherung waren die Auswirkungen der Krise auf Grund der noch relativ geringen Zahl der Rentenansprüche deutlich schwächer. Dennoch war an den Aufbau einer Kapitaldeckung nicht mehr zu denken.38 Seit Dezember 1931 kam es daher zu einschneidenden Sparmaßnahmen. Die Wartezeiten wurden verlängert, der Rentenzugang erschwert und die Ruhensvorschriften verschärft. Die Leistungen wurden deutlich gekürzt, einige fielen ganz weg.39 Die Durchschnittsrente in der Arbeiterversicherung sank 1932 auf 33 RM, das durchschnittliche Ruhegeld in der Angestelltenversicherung verringerte sich beim Neuzugang auf 61 RM. Das Rentenniveau stieg trotz der einschneidenden Leistungskürzungen zunächst weiter an, da die Löhne in der Krise schneller sanken als die Renten.40 Problematischer als die Rentenversicherung selbst war am Ende der Weimarer Republik die Gesamtsituation der Alterseinkommen. Der Zugang zur Invaliden35 Die wirtschaftliche Lage der Sozialrentner. Zit. nach Hockerts, Sicherung, S. 306. Vgl. auch Conrad, Gewinner, S. 314 f. Geyer, Soziale Rechte, S. 407 f. Tennstedt schätzt den Anteil der Fürsorgeempfänger dagegen mit 70 Prozent der Empfänger von Renten aus der Arbeiterversicherung deutlich höher. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 190. Ders., Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 462. 36 Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 466, Tab. 11; 467, Tab. 12. Bevölkerung und Wirtschaft, S. 142. 37 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1932, S. 387, 392. 38 Geyer, Soziale Rechte, S. 411 f., 420 f. Penkert, S. 196 – 199, 283. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 191. Ders., Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 465. Hentschel, Geschichte, S. 130, 134. Goeze, Fünfzig Jahre Invalidenversicherung. 39 Frerich / Frey, Bd. 1, S. 221 f. 40 Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 473, 534. 25 Jahre Angestelltenversicherung, S. 91, Ü 19. Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 571.

2. Zwischen Konsolidierung und Stagnation (1933 – 1938)

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rente wurde in der Krise verschärft. Gleichzeitig hatten ältere Menschen in der Zeit der Massenarbeitslosigkeit Mühe, ihren Arbeitsplatz zu behalten oder Arbeit zu finden. Die Rationalisierungsbewegung der zwanziger Jahre reduzierte besonders die marginalen Beschäftigungsverhältnisse, die es im Kaiserreich noch in großer Zahl gegeben hatte. Die betriebliche Alterssicherung wurde in der Weimarer Republik abgebaut, da sich die Gewinnsituation der Unternehmen verschlechterte. Auch der Rückgriff auf private Ersparnisse war schwieriger geworden, nachdem die Inflation die Ersparnisse größtenteils vernichtet hatte. Gleichzeitig verringerten Arbeitslosigkeit und Lohnabbau die Chancen zusätzlicher familialer Unterstützung. Trotz des allgemeinen Ausbaus der Rentenversicherung waren daher im Alter immer noch viele Menschen auf die öffentliche Fürsorge angewiesen.41 Dennoch markierte die Rentenpolitik der Weimarer Republik einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der Rente vom Zuschuss zum Lebensunterhalt zu einem Existenz sichernden Sozialeinkommen. Die Inflation hatte zwar in den Anfangsjahren der Republik zu einer schweren Krise der öffentlichen Rentenversicherung geführt, in der Phase der relativen Stabilisierung gelang jedoch nicht nur die Konsolidierung der Rentenversicherung, sondern auch ein deutlicher Ausbau der Alterssicherung. Die Renten stiegen weit über das Vorkriegsniveau hinaus, und auch in der Weltwirtschaftskrise blieb der Abstand zwischen Renten und Arbeitseinkommen geringer als noch im Kaiserreich.

2. Zwischen Konsolidierung und Stagnation (1933 – 1938) Die NSDAP hatte in ihrem Parteiprogramm von 1920 neben anderen sozialpolitischen Forderungen auch einen großzügigen Ausbau der Altersversorgung verlangt.42 Nach der Machtübernahme war von dem Programmversprechen einer besseren Alterssicherung jedoch zunächst keine Rede mehr. Die Regierung übernahm nicht nur das bestehende System der Sozialversicherung, sondern setzte auch die soziale Sparpolitik der Präsidialkabinette fort. Dieser Umstand war zum einen den personellen Kontinuitäten innerhalb der Ministerialbürokratie und der mangelnden sozialpolitischen Kompetenz der NSDAP zuzuschreiben. Zum anderen zwang die schwierige Finanzsituation, vor allem der Invalidenversicherung, zu einer raschen organisatorischen und finanziellen Reorganisation der gesamten Sozialversicherung. Der zum Reichsarbeitsminister berufene Stahlhelmführer Franz Seldte zeigte jedoch wenig Interesse an den sachlichen Anforderungen seines neuen Amtes und übertrug die inhaltliche Verantwortung seinem Staatssekretär Johannes Krohn, dem bisherigen Leiter der Hauptabteilung II „Sozialversicherung und Wohlfahrtspflege“, der bereits 1932 ein umfassendes Sanierungskonzept 41 42

Penkert, S. 214 – 225, 250. Vgl. auch Geyer, Soziale Rechte, S. 422. Parteiprogramm der NSDAP vom 25. Februar 1920, Punkt 15. Zit. nach Kühnl, S. 105 f.

4 Schlegel-Voß

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

erarbeitet hatte.43 Kernpunkte der Reform waren die Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren sowie eine engere Einbindung der Sozialversicherung in die Reichsverwaltung. Durch die Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren, das als unabdingbare Voraussetzung einer soliden Sozialversicherungspolitik galt, sollte künftig einer Destabilisierung der Sozialversicherungsfinanzen, die längerfristig zu einer Gefährdung der Staatsfinanzen führen musste, vorgebeugt werden. Nur eine „Entpolitisierung“ der Rentenpolitik konnte nach Ansicht des Reichsarbeitsministeriums garantieren, dass spätere Generationen und die Wirtschaft nicht zugunsten eines „Gegenwartsvorteils“ belastet würden. Die Kompetenzen der Selbstverwaltung und des Parlaments, deren Beschlüsse als politisch und wirtschaftlich destabilisierend dargestellt wurden, sollten eingeschränkt, der Einfluss des Reichs, namentlich der vermeintlich neutralen Ministerialbürokratie gestärkt werden. Das Reich, so die Argumentation des Reichsarbeitsministeriums, übernehme schließlich die Haftung für eine eventuelle Zahlungsunfähigkeit einzelner Versicherungszweige, ohne direkten Einfluss auf ihre Verwaltung nehmen zu können.44 An eine Rücknahme der Notverordnungskürzungen, wie sie weite Teile der Bevölkerung von der neuen Regierung erhofften,45 war dabei nicht zu denken. Im Gegenteil, ohne eine erhebliche Mehrbelastung sowohl der Beitragszahler als auch der Leistungsempfänger durch Beitragserhöhungen und weitere Rentenkürzungen war die Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren nicht zu realisieren.46 Um die Notwendigkeit weiterer Einschnitte in das Sozialsystem zu unterstreichen, erschreckte man die Öffentlichkeit mit einem versicherungsmathematischen Fehlbetrag von rund 12 Milliarden RM in der Invalidenversicherung, 2,5 Milliarden RM in der Angestelltenversicherung und 1 Milliarde RM in der knappschaftlichen Pensionsversicherung.47 Diese Schätzung, die eine Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren voraussetzte, galt jedoch nur „unter den Bedingungen einer sta43 Teppe, S. 206 – 210. Vgl. auch Heinz, Bilanz der Rentenversicherung. Görres, S. 323 – 325. Hertel, Gedanken zur Reform. Vereinheitlichung der Sozialversicherung. Mielke, Gedanken zur Reform. Sozialversicherungsleistungen, S. 209 – 213. 44 Geyer, Reichsknappschaft, S. 276 – 289. Ders., Soziale Rechte, S. 417 f., 420 – 425. Vgl. auch Der RAM an sämtliche Reichsminister, den Staatssekretär in der Reichskanzlei, den Reichssparkommissar, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, die Versicherungsträger und Versicherungsbehörden, die Sozialminister der Länder, die kommunalen Spitzenverbände, betr. Änderungen in der Sozialversicherung, Februar 1932, BArch R 43 I / 2090. Anlage: Grundsätze für Änderungen in der Sozialversicherung (Referenten-Entwurf), Abschnitt II, S. 6 – 8; Denkschrift „Änderungen in der Sozialversicherung“. 45 Hunderte von Eingaben aus der Bevölkerung machten nicht nur die Dringlichkeit der finanziellen Sanierung der Rentenversicherung, sondern auch die prekäre wirtschaftliche Lage vieler Rentenempfänger eindrucksvoll deutlich. Vgl. BArch, R 3901 / 4621, 4622, 4623, 4624, 4626. 46 Dobbernack, Entwicklung. 47 Eibl, S. 29. Amtl. Begründung zum Sanierungsgesetz. Vgl. auch Eckert, Neugestaltung, S. 37. Peters, S. 117. – Peters schätzt das Defizit mit 13 Milliarden RM in der Invalidenversicherung, 2,1 Milliarden RM in der Angestelltenversicherung und 3,5 Milliarden RM in der knappschaftlichen Pensionsversicherung etwas höher.

2. Zwischen Konsolidierung und Stagnation (1933 – 1938)

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tischen Wirtschaft und war unter den Bedingungen einer expandierenden Industriewirtschaft wirklichkeitsfremd“.48 Tatsächlich wiesen lediglich die Invaliden- und die knappschaftliche Pensionsversicherung Fehlbeträge auf. In der Invalidenversicherung betrug das Defizit in den Jahren 1931 und 1932 jeweils rund 185 Millionen RM, 1933 waren es immer noch rund 37 Millionen RM. Die Angestelltenversicherung dagegen konnte auch in den Jahren der Weltwirtschaftskrise Überschüsse verzeichnen.49 Durch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Lohnsenkungen hatten sich die Beitragseinnahmen in der Invalidenversicherung seit 1929 um rund 40 Prozent verringert und erreichten 1932 mit rund 642 Millionen RM ihren Tiefpunkt.50 In der Angestelltenversicherung sanken die Beitragseinnahmen gegenüber ihrem Höchststand 1930 um rund ein Viertel und betrugen 1932 nur noch knapp 288 Millionen RM.51 Gleichzeitig waren jedoch die Ausgaben durch das Anwachsen der Rentenbestände kontinuierlich gestiegen.52 Die Notverordnungen der Jahre 1931 und 1932 hatten die Rentenkassen zwar durch massive Leistungskürzungen um etwa 380 Millionen RM entlastet,53 und eine Besserung der wirtschaftlichen Lage sowie ein Rückgang der Arbeitslosigkeit ließen erhöhte Beitragseinnahmen erwarten. Trotzdem wurde für die Zukunft ein jährlicher Anstieg der Rentenlast in Höhe von 60 Millionen RM in der Invalidenversicherung und 40 Millionen RM in der Angestelltenversicherung prognostiziert, da sowohl die Zahl der durchschnittlich zur Anrechnung gelangenden Wochenbeiträge als auch die Höhe der gewährten Steigerungsbeträge weiterhin zunahmen.54 Bei einer Beibehaltung des Umlageverfahrens musste daher selbst unter Aufrechterhaltung der Notverordnungen für die folgenden Jahre mit einem Anstieg der Beiträge von fünf auf elf Prozent des Lohnes gerechnet werden.55

Hockerts, Sicherung, S. 308. Vgl. auch Zöllner, S. 131. Die deutsche Sozialversicherung 1937, S. 277. Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 107. Paul, S. 11. Die reichsgesetzliche Invalidenversicherung im Jahre 1938, S. 522 f. 50 Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 86. Amtliche Nachrichten 1933, Nr. 12, S. IV 580. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 534. 51 Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 626. 52 Dobbernack / Sauerborn, S. 50 f., 58. 53 Die Notverordnung vom 08. 12. 1931 (RGBl. I 1931, S. 699) bremste vorübergehend das Anwachsen der Rentenzahl. Durch die genannte Verordnung schieden rund 130.000 Witwen und 190.000 Waisen aus dem Rentenbezug aus. Die Notverordnung vom 14. 06. 1932 (RGBl. I 1932, S. 273) bremste den Anstieg der Rentenhöhe; die laufenden Invalidenrenten wurden um 6 RM, die laufenden Witwenrenten um 5 RM, die laufenden Waisenrenten um 4 RM gemindert. Bei den neu festzusetzenden Renten sank der Grundbetrag bei der Invalidenrente von 14 auf 7 RM, bei der Witwenrente von 8,40 auf 3,50 RM und bei der Waisenrente von 7 auf 2,80 RM. 54 Dobbernack / Sauerborn, S. 50 ff. 55 Dobbernack / Sauerborn, S. 48 – 53. Eckert, Neuordnung, S. 3. Vgl. auch Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 473. 48 49

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

a) Die Sanierung der Rentenfinanzen Das vordringliche Ziel aller Reformbemühungen war nach Auffassung des Reichsarbeitsministeriums die Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren. 56 Bereits am 16. Januar 1933 waren in einer Besprechung mit Vertretern des Reichsfinanzministeriums die Grundzüge der Sanierungspläne diskutiert worden. Mit Rücksicht auf die Märzwahlen bestand das Reichsarbeitsministerium jedoch zunächst auf einer strikten Geheimhaltung der Verhandlungen, denn das geplante Sanierungsgesetz verlangte von Beitragszahlern und Rentenempfängern einen hohen Preis.57 Trotz der geplanten Erhöhung des Reichsbeitrags58 auf 200 Millionen RM jährlich, waren die Sanierungspläne des Reichsarbeitsministeriums grundsätzlich nur unter Aufrechterhaltung der Notverordnungen vom 8. Dezember 1931 und vom 14. Juni 1932, einer weiteren Absenkung der Renten um durchschnittlich sieben Prozent sowie einer Beitragserhöhung um 1,5 Prozent realisierbar.59 Um den kontinuierlichen Anstieg der Renten beim Neuzugang zu verlangsamen, beseitigte der Entwurf in der Invalidenversicherung den bisherigen Grundbetrag von jährlich 84 RM, setzte den bisherigen Reichszuschuss von jährlich 72 RM an dessen Stelle und gewährte für jeden Beitrag einen einheitlichen Steigerungsbetrag, dessen Höhe sich an der Lohnklasse orientierte. Die Mindestrente sollte 144 RM jährlich oder 12 RM monatlich 56 Dobbernack / Sauerborn, S. 55 f. Vgl. auch Eckert, Neugestaltung, S. 39. Finanzreform und Sanierung, S. 244. 57 Teppe, S. 213 f. Vgl. auch Der RAM an den RFM, z. Hd. Geheimrat Poerschke, betr. Sanierung der Invalidenversicherung, 18. 01. 1933, BArch R 2 / 18539. Der RAM, Die Lage der Sozialversicherung, 15. 02. 1933, BArch, R 43 II / 401, S. 4 – 9. Der RAM an die Reichsminister, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Pensionsversicherung, 13. 04. 1933, BArch, R 43 II / 405. 58 Der Reichsbeitrag diente ursprünglich dem teilweisen Ausgleich der durch die Inflation entwerteten Beiträge. Er wäre daher im Laufe der Jahre in dem Maße gesunken, in dem die Beiträge aus der Zeit vor der Inflation aus der Berechnung der neu zugehenden Renten ausgeschieden wären. Die Festschreibung des Reichsbeitrags durch das Sanierungsgesetz diente dazu, das langsame Auslaufen dieser Mittel zu umgehen. Die Summe von 200 Millionen RM stellte einen Pauschalbetrag dar, in dem die bisherigen Zuwendungen aus den Zolleinnahmen in Höhe von 8 Millionen RM, die der Invalidenversicherung vom Reich aufgetragene Vergütung an die Reichspost für den Vertrieb der Rentenmarken und die Rentenauszahlung in Höhe von 13 Millionen RM, der bisherige Reichsbeitrag in Höhe von 163 Millionen RM sowie eine leichte Erhöhung zusammengefasst waren. Davon zu unterscheiden war der sogenannte feste Reichszuschuss von 6 RM pro Rente, der insgesamt einem Betrag von 231,3 Millionen RM jährlich entsprach. Der RAM an die Reichsminister, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Pensionsversicherung, 13. 04. 1933, BArch, R 43 II / 405, S. 3 – 8, hier 7. Der RAM an den RMdI, betr. Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik, 08. 09. 1933, BArch, R 1501 / 126229. Vgl. auch Dobbernack, Finanzlage, S. 282 ff. Mörschel, S. 335 f. Kreikebohm, Die Beteiligung des Staates. 59 Teppe, S. 214. Vgl. auch Der RAM an den RFM, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung, 18. 07. 1933, BArch R 2 / 18557. Anlage: Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes über die Erhaltung der Leistungsfähigkeit in der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung nebst Begründung, S. 9. Vgl. auch Begründung zum Gesetz, S. 9. Eckert, Neugestaltung, S. 39.

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betragen, um auch bei frühzeitiger Invalidität einen angemessenen Zuschuss zum Lebensunterhalt zu garantieren. In der Angestelltenversicherung sollte ebenfalls der Grundbetrag gesenkt und einheitliche Steigerungsbeträge eingeführt werden. In der knappschaftlichen Pensionsversicherung sollten die jeweiligen Bestimmungen der Invaliden- bzw. der Angestelltenversicherung zur Anwendung kommen. Der konstante Grundbetrag bewirkte zusammen mit den einheitlichen Steigerungsbeträgen für alle Beitragszeiten eine erhebliche Kürzung der künftigen Renten.60 Die nivellierende Wirkung des Grundbetrages wurde abgeschwächt, während gleichzeitig die Verdiensthöhe und die Versicherungsdauer eine stärkere Bedeutung erlangten, so dass die geplante Rentenkürzung insbesondere die unteren Einkommen belastete. „Die Renten“, argumentierte das Reichsarbeitsministerium, „sollen für hochbezahlte Arbeiter weniger gekürzt werden als diejenigen für niedriger entlohnte um eine ungerechte Nivellierung der Renten in der Zukunft zu vermeiden“.61 Die geplanten Leistungsverbesserungen hatten dagegen einen wesentlich bescheideneren Umfang. In der Invalidenversicherung sollte die Aufstockung drei weiterer Lohnklassen die bestehende Unterversicherung beseitigen und die Einnahmen der Rentenversicherung erhöhen.62 Zeiten, in denen ein Arbeitsloser Unterstützung vom Arbeits- oder Wohlfahrtsamt erhielt, sollten bei der Aufrechterhaltung der Anwartschaft künftig in allen Versicherungszweigen als Ersatzzeiten gelten.63 In der Wanderversicherung sollten die in der Invaliden- und Angestellten60 Der RAM an den RFM, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung, 18. 07. 1933, BArch R 2 / 18557. Anlage: Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes über die Erhaltung der Leistungsfähigkeit in der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung, S. 1 ff. Begründung, S. 7 f., 13 – 17, 19, 22, 24, 27. Der RAM an den RMdI, betr. Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik, 08. 09. 1933, BArch, R 1501 / 126229. 61 Der RAM an die Reichsminister, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Pensionsversicherung, 13. 04. 1933, BArch, R 43 II / 405, S. 6. Vgl. auch Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 473. 62 Da bisher nur wöchentliche Arbeitsverdienste bis zu 42 RM voll versichert waren, sollten die bisherigen Lohnklassen um drei weitere ergänzt werden. Die Lohnklasse VIII sollte Wochenverdienste von mehr als 42 RM bis zu 48 RM erfassen, die Lohnklasse IX Wochenverdienste von mehr als 48 RM bis zu 54 RM, die Lohnklasse X Wochenverdienste von mehr als 54 RM. Der RAM an den RFM, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung, 18. 07. 1933, BArch R 2 / 18557. Anlage: Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes über die Erhaltung der Leistungsfähigkeit in der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung, S. 6. Begründung, S. 6 f. Der RAM an die Reichsminister, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Pensionsversicherung, 13. 04. 1933, BArch, R 43 II / 405, S. 5 f. 63 Zur Finanzierung der Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit als Ersatzzeiten zahlte die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung einen Ausgleichsbetrag von monatlich 50 Pfennig für jeden Arbeitslosen an die Rentenversicherung. Bei der Erfüllung der Wartezeiten und der Berechnung der Renten fanden Zeiten der Arbeitslosigkeit keine Berücksichtigung. Begründung zum Gesetz, S. 8, 13 f. Sanierung der Rentenversicherung, Sp. 1509 f., 1512 f. Dobbernack, Sanierung, S. 3, 7 f. Zumbansen, Auswirkungen, Sp. 263 f. Trode, S. 351.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

versicherung entrichteten Beiträge zukünftig nicht nur für die Aufrechterhaltung der Anwartschaften, sondern auch für die Erfüllung der Wartezeiten angerechnet werden.64 Die Reformvorschläge des Reichsarbeitsministeriums waren jedoch nicht unumstritten. In einem umfangreichen Gutachten vom Mai 1933 machte der Reichssparkommissar grundsätzliche Zweifel geltend, ob eine dauerhafte Sanierung der Invalidenversicherung überhaupt möglich sei. Er empfahl daher rigorose Leistungskürzungen und eine restriktivere Handhabung der Rentengewährung. Angesichts der großzügigen Bewilligungspraxis während der Weltwirtschaftskrise, hieß es in dem Gutachten, sei davon auszugehen, dass die notwendigen Voraussetzungen für den Bezug einer Rente bei einer beträchtlichen Zahl von Rentenempfängern nicht oder nicht mehr gegeben seien. Den Anteil dieser Renten schätzte der Reichssparkommissar auf ein Viertel aller Renten. Das Einsparpotential veranschlagte er auf 190 Millionen RM; die gesamte jährliche Entlastung sogar auf 310 Millionen RM.65 Im Reichsfinanzministerium stieß vor allem die zusätzliche Belastung des Reichshaushaltes durch die Verstetigung und Erhöhung des Reichsbeitrags auf Kritik. Da die Versicherungsbeiträge aus der Inflationszeit in wachsendem Maße aus der Rentenberechnung ausschieden, wäre nach dem geltenden Recht eine erhebliche Entlastung des Reichs eingetreten. Die angestrebte Neuregelung des Reichsbeitrags verhinderte daher nach Ansicht des Reichsfinanzministeriums nicht nur eine mögliche Ersparnis für das Reich, sondern bürdete dem Reich vielmehr zusätzliche Kosten auf. Das Reichswirtschaftsministerium unter der Führung des Pressekonzernchefs und früheren DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg begab sich in Fundamentalopposition zu den Sanierungsplänen und stellte die öffentliche Rentenversicherung grundsätzlich zur Disposition.66 Strittig war darüber hinaus vor allem die Beitragserhöhung um 1,5 Prozent, die der Reichsarbeitsminister als „Kernstück“ seines Konzeptes bezeichnete, und die von den übrigen Ressorts als unzumutbare Belastung der Wirtschaft abgelehnt wurde.67 Im September zeichnete 64 Der RAM an den RFM, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung, 18. 07. 1933, BArch R 2 / 18557. Anlage: Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes über die Erhaltung der Leistungsfähigkeit in der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung, S. 7, 10 – 13. Begründung, S. 30 – 32. Der RAM an den RMdI, betr. Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik, 08. 09. 1933, BArch, R 1501 / 126229. 65 Gutachterlicher Beitrag des Reichssparkommissars zur Reform der Invalidenversicherung vom 20. 05. 1933, BArch R 2 / 18539, S. 42, 77 – 80. 66 Teppe, S. 215. – Alfred Hugenberg bekleidete das Amt des Wirtschaftsministers allerdings nur wenige Monate und wurde bereits im Juni 1933 durch den Generaldirektor der Allianz Kurt Schmitt abgelöst. 67 Das Reichswirtschaftsministerium bezifferte die jährliche Mehrbelastung der Wirtschaft durch eine Beitragserhöhung um 1,5 Prozent auf rund 350 Millionen RM. Selbst unter der Voraussetzung einer Beitragssenkung in der Arbeitslosenversicherung stand das Reichswirtschaftsministerium einer Erhöhung der Beiträge zur öffentlichen Rentenversicherung ab-

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sich schließlich eine Kompromisslösung ab. Das Reichsarbeitsministerium erklärte sich bereit, die notwendigen Beitragserhöhungen solange zurückzustellen, bis die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung spürbar gesenkt werden könnten. Damit war jedoch auch die Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Reichsfinanzministerium gab im Gegenzug seinen Widerstand gegen die Fixierung des Reichszuschusses auf zunächst 200 Millionen RM auf.68 Bei der Beseitigung der Unterversicherung in der Invalidenversicherung musste das Reichsarbeitsministerium ebenfalls Abstriche hinnehmen. Das Reichswirtschaftsministerium bestand auf der Aufstockung lediglich einer Lohnklasse, zwei weitere Klassen dienten der freiwilligen Höherversicherung.69 Auf Druck des Reichsfinanzministeriums fand schließlich auch der Vorschlag des Reichssparkommissars, das Verfahren zur Entziehung zu Unrecht bewilligter Renten zu vereinfachen, Eingang in den Entwurf.70 Nach geltendem Recht war die Entziehung einmal bewilligter Renten nur dann möglich, wenn eine wesentliche Veränderung in den Verhältnissen des Rentenempfängers eintrat. Angesichts der schwierigen Finanzlage der Rentenversicherung setzte sich nun die Auffassung durch, dass „vor dem nach der gegenwärtigen Rechtslage bestehenden, subjektiven Rechte der Rentenempfänger nicht haltgemacht werden“ könne.71 In Zukunft sollte es daher möglich sein, eine Rente auch ohne Feststellung einer wesentlichen Veränderung in den Verhältnissen der Rentenberechtigten zu entziehen, wenn eine erneute Prüfung ergab, dass der Rentenempfänger nicht invalide war. Rentenempfänger, die am 1. Januar 1934 das 60. Lebensjahr vollendet hatten, waren von der Nachprüfung ausgenommen.72 Die Bedeutung des Sanierungsgesetzes vom 7. Dezember 193373 lag in erster Linie darin, dass es die Voraussetzungen für einen schrittweisen Übergang zum lehnend gegenüber, da diese eine mögliche und nach Ansicht des Reichswirtschaftsministeriums dringend erforderliche Entlastung der Wirtschaft verhindere. Vermerk über die Referentenbesprechung vom 20. 08. 1933, BArch R 2 / 18557. Vgl. auch Teppe, S. 215. 68 Teppe, S. 215. Scheur, S. 59. 69 Vermerk über eine Chefbesprechung vom 14. 09. 1933 betr. die Sanierung der Invalidenversicherung, 19. 09. 1933, BArch R 2 / 18539. Der RAM an den Staatssekretär in der Reichskanzlei, betr. Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Invaliden-, der Angestellten und der knappschaftlichen Versicherung durch die Reichsregierung, 30. 09. 1933, BArch R 2 / 18539. 70 Der RAM an den RFM, den RWM, den Reichssparkommissar, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung, 26. 08. 1933, BArch R 2 / 18557. Anlage: Niederschrift über die Besprechung über den vorläufigen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Invaliden-, der Angestelltenund der knappschaftlichen Versicherung. 71 Dobbernack, Sanierung, S. 6. 72 Ebenda. Zumbansen, Auswirkungen, Sp. 264. Sanierung der Rentenversicherung, Sp. 1512. Begründung zum Gesetz, S. 8. Trode, S. 351. 73 Gesetz zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung vom 07. 12. 1933, RGBl. I 1933, S. 1039 – 1043.

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Kapitaldeckungsverfahren schuf.74 Das Gesetz war damit ein „spätes, aber wichtiges Produkt der Reformplanung der vergangenen Jahre“.75 Der Preis jedoch war hoch: Die Maßnahmen gingen eindeutig zu Lasten der Rentenempfänger und entlarvten die Aussage des Reichsarbeitsministeriums, „alle Beteiligten, d.s. Arbeitgeber, Versicherte, Rentner und das Reich müssen Opfer bringen, um die Invalidenversicherung, deren Gesunderhaltung für alle Beteiligten von größter Bedeutung ist, zu sanieren“, als leeres Versprechen.76 Die Soziale Praxis urteilte daher zu Recht: „Die Versicherten werden in dem neuen Gesetz zuerst die Leistungsminderungen sehen und schmerzlich empfinden. Das wird sich noch verschärfen, wenn durch die Erhöhung der Beiträge das Verhältnis zwischen Beiträgen und Leistungen individuell noch ungünstiger wird.“77 Mit dem Sanierungsgesetz setzte sich der Leistungsabbau durch die Notverordnungen der letzten Jahre der Weimarer Republik fort, und der sozialpolitische Standard der Notverordnungszeit wurde endgültig zementiert. Die „gesellschaftspolitische Begründung“ von Sozialpolitik trat weitgehend in den Hintergrund zugunsten von „staats- und wirtschaftspolitischen Implikationen“.78 Die Rentenpolitik hatte sich dem Primat der Wirtschaftspolitik, deren vorrangiges Ziel im Abbau der Arbeitslosigkeit und in der Belebung der Wirtschaft bestand, unterzuordnen. Durch das Sanierungsgesetz wurde zugleich den Alternativkonzepten, die innerhalb der NSDAP diskutiert wurden, und die auf eine Einheitsversicherung zielten und die Rentengewährung von der Bedürftigkeit und der vorhandenen Arbeitsfähigkeit des Versicherten abhängig machen wollten, vorerst eine deutliche Absage erteilt.79 b) Selbstverwaltung oder „Führerprinzip“? Mit dem Sanierungsgesetz vom Dezember 1933 war es dem Reichsarbeitsministerium gelungen, die finanzielle Konsolidierung der Rentenversicherung einzulei74 Zu den gesetzlichen Regelungen im Einzelnen vgl. Sanierung der Rentenversicherung, Sp. 1509. Dobbernack, Sanierung, S. 1 ff. Engel, Reform, Sp. 899. Vgl. auch Heinze, Drei Grundforderungen. Zumbansen, Auswirkungen, Sp. 263, 265, 266. Heyn, Das Gesetz zur Erhaltung, S. 26. Trode, S. 351. Krohn, Sanierung. Otto, S. 12 f. 75 Geyer, Soziale Rechte, S. 429. Teppe, S. 216. Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 473. Scheur, S. 53, 59 f. 76 Der RAM an den RFM, betr. Sanierung der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung, 18. 07. 1933, BArch R 2 / 18557. Anlage: Vorläufiger Referentenentwurf eines Gesetzes über die Erhaltung der Leistungsfähigkeit in der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung nebst Begründung, S. 9. Zit. nach Teppe, S. 214. Vgl. auch Begründung zum Gesetz, S. 9. 77 Sanierung der Rentenversicherung, Sp. 1523. 78 Geyer, Soziale Rechte, S. 429. Ders., Reichsknappschaft, S. 289. Teppe, S. 214. Vgl. auch Roth, ,Auslese‘, S. 159. 79 Zur Diskussion um die Zukunft der Sozialversicherung vgl. Mönch, S. 175 – 181. Schuhmann / Brucker, Sozialpolitik.

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ten. Offen geblieben war jedoch die Frage ihrer organisatorischen und verfassungsmäßigen Reform. 1933 / 34 existierte eine Vielzahl unterschiedlicher „nationalsozialistischer“ Pläne zur Neuordnung der Sozialversicherung. Der Führer der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, erwartete eine Übernahme und vollkommene Umgestaltung der Versicherungsträger durch seine Organisation. Langfristiges Ziel der Neuordnung, deren Kernelemente in der Zusammenfassung aller Versicherungszweige zu einer Einheitsversicherung, dem Ausbau zur Volksversicherung und einer Erhöhung der Renten bestanden, war eine „auskömmliche Altersversorgung für die gesamte Bevölkerung“.80 Für erhebliches Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang das Buch „Sozialpolitik im neuen Staat“ der beiden ArbeitsfrontFunktionäre Walter Schuhmann und Ludwig Brucker, das den Gedanken einer Einheitsversicherung unter Leitung der Deutschen Arbeitsfront aufnahm und präzisierte.81 Die Mindestrenten sollten demnach künftig für Arbeiter 180 RM und für Angestellte 360 RM jährlich betragen. Der Reichszuschuss sowie der Arbeitgeberanteil sollten entfallen, um die Verbundenheit der Versicherten mit ihrer Versicherung zu stärken und das Verantwortungsbewusstsein gegenüber „Parasiten“ zu schärfen. Die notwendige Beitragserhöhung auf 18 bis 20 Prozent der Bruttolöhne und -gehälter sollte nach dem Willen der Autoren durch Lohnerhöhungen in Höhe von acht Prozent ausgeglichen werden. Der grundsätzliche Rechtsanspruch auf Versicherungsleistungen wurde aufgeweicht. Die Leistungen sollten in Zukunft nicht mehr allein von der Höhe und Zahl der geleisteten Beiträge abhängen, sondern auch die Bedürftigkeit und „Würdigkeit“ des Versicherten berücksichtigen. Der Leistungsbezug begann nicht mehr automatisch mit dem Erreichen der Altersgrenze, sondern richtete sich nach der Leistungsfähigkeit des Versicherten.82 „Es kann nicht angehen“, führten Schuhmann und Brucker aus, „dass Versicherte, wenn sie in das rentenfähige Alter eintreten und trotzdem noch, wie das ja häufig der Fall ist, voll leistungsfähig sind, nun ein Rentnerdasein führen. Wir wollen unser Volk nicht zu einem Rentnervolk erziehen, sondern zu einem Volk der Arbeiter“.83 Die öffentliche Debatte um die Reorganisation der Sozialversicherung zwang das Reichsarbeitsministerium seinerseits konkrete Pläne für eine organisatorische Reform der sozialen Sicherung vorzulegen. Zu diesem Zweck wurde im März Teppe, S. 217 f. Geyer, Reichsknappschaft, S. 293. Ludwig Brucker war stellvertretender Leiter des Gesamtverbandes der deutschen Arbeiterverbände in der Deutschen Arbeitsfront, Geschäftsführer des Bundes der Krankenkassenbeamten und -angestellten sowie Abteilungsleiter der Obersten Leitung der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation und Beauftragter des Reichsarbeitsministeriums zur Leitung des Reichsverbandes der Ortskrankenkassen. Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 284. 82 Schuhmann / Brucker, S. 351 – 427. – Die Vorschläge der Autoren stießen allerdings auch in der DAF auf wenig positive Resonanz. Ley untersagte später, das Buch „Sozialpolitik im neuen Staat“ durch die NSDAP oder die DAF zu vertreiben oder zu empfehlen, da es nicht die offizielle Meinung der Leitung der DAF wiedergebe. Vgl. dazu Mönch, S. 180, Anm. 1. 83 Schuhmann / Brucker, S. 402 f. 80 81

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1934 ein Ausschuss unter Leitung von Staatssekretär Johannes Krohn eingesetzt, der neben Vertretern der Berufsstände, Ministerialbeamten und Professoren auch Vertreter der Deutschen Arbeitsfront in die Planungen einbezog.84 Die Diskussion im Ausschuss folgte weitgehend den Vorstellungen des Reichsarbeitsministeriums, so dass die Kernpunkte der Reform bereits nach der ersten Sitzungsfolge Anfang März feststanden. Sowohl das Versicherungsprinzip als auch der gegliederte Aufbau der Versicherung wurden bejaht. Um die Zersplitterung des Versicherungssystems zu beseitigen, sollten vor allem die Kranken- und die Invalidenversicherung auf organisatorischem Gebiet zusammengefasst werden. Vorbehaltlich einer Einführung des Führerprinzips in der Sozialversicherung sprach sich der Ausschuss für eine paritätische Besetzung der Organe aus. Aus Gründen der Prävention sowie aus bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten wurde eine stärkere Beteiligung der Ärzteschaft in der Sozialversicherung gefordert. Offen blieb dagegen zunächst die Frage, inwieweit der Staat in Zukunft an der Verwaltung der Versicherungsträger zu beteiligen war. Die Tendenz einer entschiedenen Verstärkung der Staatsaufsicht war jedoch unverkennbar.85 Das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Versicherten bei der Aufbringung der Beiträge war ebenfalls strittig. Bis zum Abschluss der Beratungen setzte sich jedoch die Auffassung durch, dass die Beiträge in allen Zweigen der Sozialversicherung in Zukunft jeweils zur Hälfte durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht werden sollten.86 Bis auf das Führerprinzip waren diese Vorstellungen größtenteils weder neu, noch besaßen sie einen spezifisch nationalsozialistischen Charakter. Sie hatten vielmehr eine lange Tradition in der sozialpolitischen Diskussion der Weimarer Republik.87 Das als Rahmengesetz konzipierte Aufbaugesetz, das schließlich im Juli 1934 verabschiedet wurde, legte zunächst nur die Grundzüge der geplanten Reorganisation fest.88 Die weitere Ausgestaltung blieb künftigen Durchführungsverordnungen 84 Die Teilnehmer waren im Einzelnen: Brucker, Ley, Schmeer, Schuhmann und Selzner für die DAF; Dr. Gareis für den Reichsnährstand; Dr. Wagner für die Ärzteschaft; Keppler, der Wirtschaftsberater Hitlers; Pietsch als Präsident der Reichswirtschaftskammer; Dr. Schmidt, der sächsische Minister für Arbeit und Wohlfahrt; Staatsrat Forster für die Gruppe der Angestellten; die Professoren Dersch vom Reichsversicherungsamt und Lutz Richter, Leipzig; Dr. Cuntz, Dr. Erdmann vom Reichsstand der deutschen Industrie, ein Oberrechnungsrat Meyer, Generalsekretär Dr. Schild und Ministerialdirektor Wichmann. Die Versuche des Reichsverbandes Deutscher Landesversicherungsanstalten sowie des DGT, Vertreter ihrer Organisationen in den Ausschuss zu bringen, hatten keinen Erfolg. Teppe, S. 219. Vgl. auch Hentschel, Geschichte, S. 137 f. 85 Teppe, S. 220. Vgl. auch Vermerk ohne Datum aus dem Reichsministerium des Inneren, BArch, R 1501 / 126327. Vermerk ohne Datum aus dem Reichswirtschaftsministerium, R 3101 / 10367. Krohn, Umbau. Anders, Die Arbeiten des Ausschusses. Dobbernack, Reform. 86 Der RAM an den RFM, den RWM, betr. Reform der Sozialversicherung, 26. 05. 1934, BArch R 2 / 18558. Der RAM an den RWM, betr. Reform der Sozialversicherung, 28. 05. 1934, BArch R 3101 / 10367. 87 Teppe, S. 220. 88 Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung vom 05. 07. 1934, RGBl. I 1934, S. 577 – 581. Vgl. auch Krohn, Das Gesetz über den Aufbau, S. 287. Zschimmer, Gesetz,

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vorbehalten.89 Die Eckpunke des Gesetzes waren entsprechend vage formuliert; das Ziel bestand im Wesentlichen darin, unter „Erhaltung der Vielgestaltigkeit der Einrichtungen die Nachteile der Zersplitterung nach Möglichkeit zu beseitigen, die einzelnen Versicherungszweige unter Erhaltung ihrer Selbständigkeit eng zusammenzuführen, die Sozialversicherung zur Staatsverwaltung in ein engeres Verhältnis zu bringen, die Aufsicht mit neuem Inhalt zu versehen, straffer zusammenzufassen und wirksamer zu gestalten, den Aufbau der Versicherungsbehörden zu vereinfachen ( . . . ) und Verschiedenheiten des Rechts der einzelnen Versicherungsarten nach Möglichkeit zu beseitigen“.90

Die Kranken- und Unfallversicherung sowie die Invaliden-, die Angestelltenund die Knappschaftsversicherung wurden zu einer einheitlichen Reichsversicherung zusammengefasst. Die Arbeitslosenversicherung wurde ausgegliedert. Die Rentenversicherung blieb zwar auch weiterhin in je einen selbständigen Zweig für Arbeiter und Angestellte unterteilt, firmierte jedoch in Zukunft unter dem gemeinsamen Oberbegriff „Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten“.91 Die Träger der Krankenversicherung und der Invalidenversicherung wurden organisatorisch enger zusammengefasst, indem die Landesversicherungsanstalten künftig im Bereich der sogenannten Gemeinschaftsaufgaben als Träger der Krankenversicherung fungierten. Im Gegenzug sollten die Krankenkassen die örtliche Durchführung der Invalidenversicherung übernehmen, um eine größere Nähe zu den Versicherten zu gewährleisten.92 Mit der Regelung der Gemeinschaftsaufgaben verband sich zugleich eine stärkere Betonung bevölkerungspolitischer Gesichtspunkte in der Sozialversicherung. Die Konsequenzen einer solchen Politik, die zu Lasten çhronisch Kranke[r, die Verf.], Krüppel und alte[r, die Verf.] Leute“ vor allem auf präventive und wiederherstellende Maßnahmen setzte, wurden in der Öffentlichkeit jedoch kaum thematisiert.93 S. 250. Engel, Gesetz, S. 131. Dobbernack, Reform, S. 742. Zu den Bestimmungen des Gesetzes vgl. Wortlaut und amtliche Begründung, S. 134. Krohn, Werden und Aufgaben. Vgl. auch Teppe, S. 217, 222. Scheur, S. 95. 89 Zu den Durchführungsverordnungen siehe Grünwald, Der Stand der Sozialversicherungsreform. Ders., Weiterer Aufbau der Sozialversicherung. Engel, Vor neuen Aufgaben. Ders., Reform, Sp. 901 – 903. Mönch, S. 191 ff. Goertz, S. 105. 90 Zschimmer, Gesetz, S. 250. 91 Wortlaut und amtliche Begründung, S. 134 f. Vgl. auch Krohn, Das Gesetz über den Aufbau, S. 287 f. Zschimmer, Gesetz, S. 250. Mönch, S. 185. Engel, Reform, Sp. 900. 92 Unter Gemeinschaftsaufgaben wurden Aufgaben der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge sowie der Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik verstanden, die für einen Bezirk aus Gründen der Zweckmäßigkeit gemeinsam durchgeführt werden sollten. Wortlaut und amtliche Begründung, S. 135 f. Zschimmer, Gesetz, S. 250 f. Krohn, Das Gesetz über den Aufbau, S. 291 f. Mönch, S. 185 f. Engel, Reform, Sp. 901. Dobbernack, Reform, S. 724 f. Syrup, S. 516. Eibl, S. 48 f. 93 Schon in der Diskussion um das Sanierungsgesetz hatten die Verfechter einer stärker bevölkerungspolitisch ausgerichteten Sozialversicherung gewarnt, dass die Wohlfahrtsaus-

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Mit dem Reichsversicherungsamt erhielt die Sozialversicherung eine einheitliche Reichsspitze und wurde gleichzeitig der staatlichen Aufsicht unterstellt. Das Reichsversicherungsamt bildete die oberste Spruch-, Beschluss- und Aufsichtsbehörde und führte die Aufsicht über sämtliche Landesversicherungsanstalten und Berufsgenossenschaften, die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, die Sonderanstalten der Invalidenversicherung, die Gemeinde-Unfallversicherungsverbände sowie die Reichsknappschaft. Die Aufsichtsfunktion wurde über die Einhaltung von Gesetz und Satzung hinaus auch auf Fragen der Zweckmäßigkeit ausgedehnt.94 Das Aufbaugesetz beseitigte die bisherigen Selbstverwaltungsorgane und führte das Führerprinzip in die Sozialversicherung ein. An die Stelle der Selbstverwaltung trat künftig der sogenannte „Leiter“, dem ein Beirat mit ausschließlich beratender Funktion zur Seite gestellt wurde. In dem Beirat waren Versicherte und Arbeitgeber paritätisch vertreten; daneben gehörten ihm ein Arzt und ein Vertreter der jeweiligen Gebietskörperschaft an. Die Vertreter der Versicherten und der Arbeitgeber wurden durch die Aufsichtsbehörde ernannt; bei ihrer Berufung war die Deutsche Arbeitsfront zu hören.95 Bei der Ausgestaltung des Beirats bemühte sich das Reichsarbeitsministerium, die Kompetenzen möglichst weit zu fassen, was allerdings nur begrenzt gelang. Gemäß der 14. Verordnung zum Aufbaugesetz vom April 1936 war der Beirat vor Entscheidungen über wichtige Angelegenheiten, insbesondere vor Erlass oder Änderung der Satzung, sowie bei der Feststellung des Haushalts zu hören. Wollte der Leiter vom Gutachten des Beirats abweichen, entschied die Aufsichtsbehörde. Zu den Aufgaben des Beirats zählten zudem die Überprüfung der Bilanz und die Entlastung des Leiters; bei Streitigkeiten entschied ebenfalls die Aufsichtsbehörde.96 Bei der Aufbringung der Mittel bewirkte das Aufbaugesetz eine deutliche Vereinheitlichung der unterschiedlichen Versicherungszweige. Während die Beiträge in der Invaliden- und Angestelltenversicherung von Beginn an zu gleichen Teilen auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber entfallen waren, hatten die Beiträge zur Krankenversicherung und zur knappschaftlichen Pensionsversicherung die Versicherten gaben für chronisch Kranke, Krüppel und alte Leute eine unerträgliche Höhe erreicht hätten. Die Sozialversicherung, so die Kritik, bevorzuge bevölkerungspolitisch minderwertige Personen und berücksichtige die wertvolle Schicht der gesunden, kinderreichen Familien nur unzureichend. Brunn, S. 123 f. Bevölkerungspolitik in der Sozialversicherung, S. 213 f. Vgl. auch Landenberger, S. 233. 94 Wortlaut und amtliche Begründung, Abschnitt III, Abschnitt IV §§ 1, 2, S. 141 f. Vgl. auch Krohn, Das Gesetz über den Aufbau, S. 293 f. Zschimmer, Gesetz, S. 252. Mönch, S. 187. Engel, Reform, Sp. 901, 903. Dobbernack, Reform, S. 744. 95 Wortlaut und amtliche Begründung, S. 137 ff. Vgl. auch Krohn, Das Gesetz über den Aufbau, S. 294 f. Zschimmer, Gesetz, S. 251 f. Mönch, S. 186 f. Engel, Gesetz, S. 130. Dobbernack, Reform, S. 743. Storck, Selbstverwaltung. Vgl. auch Frerich / Frey, Bd. 1, S. 291. 96 14. Verordnung zum Aufbaugesetz (Leiter, Beirat) vom 25. 04. 1936, RGBl. I 1936, S. 400. Vgl. auch Scheur, S. 98 f. Eibl, S. 58.

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bisher in wesentlich höherem Maße belastet als die Arbeitgeber.97 Durch das Aufbaugesetz wurden nunmehr alle Versicherungsbeiträge je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebracht. Lediglich die Beiträge zur Unfallversicherung hatten auch weiterhin allein die Arbeitgeber zu tragen.98 Das Aufbaugesetz eröffnete ferner die Möglichkeit eines einheitlichen Beitragsabzugs, der allerdings erst nach Kriegsbeginn eingeführt wurde. Die Erste und Zweite Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs vom 1. Juli 1941 bzw. 24. April 1942 beseitigten das bis dahin in der Reichsversicherung übliche Beitragsmarkenverfahren und führten ein einheitliches Lohnabzugsverfahren ein.99 Die Erste Lohnabzugsverordnung schuf zunächst die nötigen Voraussetzungen, indem sie den Entgeltbegriff der Reichsversicherungsordnung stärker dem Lohnsteuerrecht anglich. Die Zweite Lohnabzugsverordnung fasste den Beitragseinzug für die Bereiche der Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung zusammen und übertrug ihn den Krankenkassen. Von der Neuordnung ausgenommen blieben freiwillig Versicherte und versicherungspflichtige Selbständige, die weiterhin Beitragsmarken kleben mussten.100 Das Aufbaugesetz markierte nach dem Sanierungsgesetz die zweite wichtige Etappe einer organisatorischen und finanziellen Neuordnung der gesamten Sozialversicherung. „Die entscheidende Leistung des Gesetzes bestand ( . . . ) in der grundsätzlichen Erhaltung der tradierten Grundlagen der Sozialversicherung“, deren „Vielgliedrigkeit ( . . . ) bei gleichzeitiger organisatorischer Straffung und Kooperation einzelner Versicherungszweige bestätigt“ wurde.101 Pläne einer Einheitsversicherung sowie einer stärkeren Betonung des Fürsorgegrundsatzes in der Sozialversicherung wurden zunächst verworfen, wenn auch der Preis nicht eben gering war. Die Einführung des Führerprinzips, das in grundsätzlichem Widerspruch zum bisherigen Recht stand, stellte ein deutliches Zugeständnis an die Forderungen und Vorstellungen der NSDAP dar. Die Versicherungsträger verloren den Charakter von Selbstverwaltungsorganen und wurden zu „Anstalten des öffentlichen Rechts mit einer besonderen Art staatlicher Verwaltung“.102 Damit fand die 97 In der Krankenversicherung wurden die Beiträge bisher im Verhältnis 1:2 von Arbeitgebern und Versicherten aufgebracht; in der knappschaftlichen Pensionsversicherung im Verhältnis 2:3. 98 Wortlaut und amtliche Begründung, S. 139. – Allerdings ging die Meinung dahin, diese Vorschrift dürfe vorläufig noch nicht in Kraft treten, da die Beitragslast der Unternehmer dadurch um ein Prozent des Grundlohnes steigen würde, was als untragbar erschien. Vgl. auch Krohn, Das Gesetz über den Aufbau, S. 295. Zschimmer, Gesetz, S. 252. Mönch, S. 188. Dobbernack, Reform, S. 743. 99 Erste Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs vom 01. 07. 1941, in: RGBl. I 1941, S. 362 – 366. Zweite Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs vom 24. 04. 1942, RGBl. I 1942, S. 252 – 254. 100 Kurzwelly, Die Zweite Lohnabzugsverordnung. Engel, Entwicklung, S. 252 ff. Vgl. auch Frerich / Frey, Bd. 1, S. 291. 101 Teppe, S. 222. 102 Syrup, S. 517. Eibl, S. 55.

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systematische Zerschlagung autonomer Interessenvertretungsstrukturen der Arbeitnehmer im Bereich der Sozialversicherung ihre konsequente Fortsetzung.103 Im Reichsarbeitsministerium hatte man zwar seit längerem auf eine entschiedene Stärkung der staatlichen Aufsicht gedrungen, dies war jedoch nicht gleichbedeutend mit der Durchsetzung des Führerprinzips. Trotzdem fielen dem Reichsarbeitsministerium die Konzessionen nicht schwer, da es gelang, das Führerprinzip dem eigenen „Aufsichtsbegriff dienstbar zu machen und die entscheidenden Kompetenzen staatlichen Organen, das heißt den Aufsichtsbehörden, zu sichern“.104 In der Öffentlichkeit hielt man sich zugute, „den Führergedanken durch die Beigabe eines verantwortlich handlungsfähigen Beirats wesentlich demokratisiert zu haben“.105 Der Deutschen Arbeitsfront gewährte das Gesetz abgesehen von ihrer Anhörung bei der Berufung der Beiräte, keine institutionellen Einflussmöglichkeiten. Nachdem die Deutsche Arbeitsfront durch das Abkommen zwischen Ley, Reichsarbeitsminister Seldte, Hitlers Wirtschaftsberater Wilhelm Keppler und Reichswirtschaftsminister Kurt Schmitt vom November 1933 bereits aus allen relevanten wirtschafts- und lohnpolitischen Entscheidungen ab- und in Erziehungs- und Betreuungsfunktionen hineingedrängt worden war, verlor sie nun in einem weiteren wichtigen sozialpolitischen Bereich an Boden. Abgesehen von der mangelnden Sachkompetenz der Parteiorganisationen war dieser Umstand vor allem der geschlossenen Abwehrfront aus Ministerialbürokratie und Industrie zuzuschreiben, die „nach einem Sieg der DAF ( . . . ) Machteinbußen ihrer Positionen und nicht absehbare Erschütterungen und Risiken für die angestrebte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“ befürchteten.106 Aber auch innerhalb der Partei stießen die Umbaupläne der Deutschen Arbeitsfront auf Skepsis, drohten sie doch das Ziel einer schnellen und grundsätzlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Stabilisierung zu gefährden. c) Stillstand in der Rentenpolitik Trotz der offensichtlichen Niederlage hatte die Deutsche Arbeitsfront das Sanierungsgesetz und das Aufbaugesetz zunächst als „Grundlage zur Erfüllung von Punkt 15 des Parteiprogramms“ begrüßt.107 Dies bedeutete jedoch keineswegs, dass die Deutsche Arbeitsfront unter Führung Leys von ihren Plänen einer steuerPrinz, Vom neuen Mittelstand, S. 288 ff. Teppe, S. 220. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 295 f. 105 Eckert, Neugestaltung, S. 51. 106 Hier und im Folgenden Teppe, S. 223 f. Vgl. auch Eckert, Neugestaltung, S. 51. Mason, Sozialpolitik, S. 115 f. Scheur, S. 82 ff. Prinz, „Sozialpolitik im Wandel der Staatspolitik“, S. 234 f. 107 Denkschrift der Deutschen Arbeitsfront über die Sozialversicherung, 02. 11. 1935, BArch R 3901 / alt R 41 / 649. 103 104

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finanzierten Einheitsversicherung Abstand genommen hatte und auf die Linie des Reichsarbeitsministeriums eingeschwenkt war. Ley setzte vielmehr seine öffentlichen Attacken gegen die tradierte Sozialversicherung fort und versuchte nicht ohne Erfolg, das Reichsarbeitsministerium in die Defensive zu drängen.108 Der erfolgreiche Abschluss der angestrebten organisatorischen und finanziellen Neuordnung der öffentlichen Rentenversicherung hing daher entscheidend davon ab, die in Aussicht genommene Beitragsübertragung von der Arbeitslosenversicherung auf die Rentenversicherung möglichst rasch zu realisieren. Ein erster Versuch, den das Reichsarbeitsministerium im Februar 1935 unternahm, scheiterte am Widerstand des Reichsfinanzministeriums. 109 Finanzminister Schwerin von Krosigk machte deutlich, dass das Reich derzeit keinesfalls auf die Beitragseinnahmen der Arbeitslosenversicherung verzichten könne, da der Reichshaushalt ohnehin stark belastet sei. Er verlangte die Zurückstellung des Entwurfs um ein Jahr, erklärte sich aber bereit, als Ausgleich jährlich 18 Millionen RM aus dem Reichsetat oder aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung für die Rentenversicherung bereitzustellen. 110 Eine Intervention des Reichsarbeitsministeriums bei Hitler blieb erfolglos, da Hitler die angestrebte Beitragsübertragung ebenfalls strikt ablehnte und die vorrangige Verwendung der Überschüsse aus der Arbeitslosenversicherung für Reichszwecke anordnete.111 Auch ein weiterer Versuch im Sommer 1936 scheiterte, da es dem Reichsfinanzministerium erneut gelang, die Entscheidung zu vertagen.112 Teppe, S. 238 f. Der RAM an den RFM, den RWM, den RMEuL, betr. Entwurf eines Gesetzes über die Beitragsübertragung von der Arbeitslosenversicherung auf die Invaliden- und die Angestelltenversicherung, 22. 01. 1935, BArch R 3101 / 10368. Anlage: Entwurf mit Begründung. 110 Vermerk aus dem Reichsarbeitsministerium über eine Ressortbesprechung am 04. 02. 1935 betr. Entwurf eines Gesetzes über die Beitragsübertragung von der Arbeitslosenversicherung auf die Invaliden- und Angestelltenversicherung, 13. 02. 1935, BArch, R 3901 / alt R 41 / 24. Der RAM an den RFM, den RWM, den RMEuL, betr. Entwurf eines Gesetzes über die Beitragsübertragung von der Arbeitslosenversicherung auf die Invalidenund Angestelltenversicherung, 13. 02. 1935, BArch, R 3901 / alt R 41 / 24. Vermerk aus dem Reichsarbeitsministerium über eine Chefbesprechung am 21. 02. 1935, betr. Entwurf eines Gesetzes über die Beitragsübertragung von der Arbeitslosenversicherung auf die Invalidenund Angestelltenversicherung, 01. 03. 1935, BArch R 3901 / alt R 41 / 24. Vermerk aus dem Reichswirtschaftsministerium über die Chefbesprechung am 21. 02. 1935, betr. Entwurf eines Gesetzes über die Beitragsübertragung von der Arbeitslosenversicherung auf die Invalidenund Angestelltenversicherung, 04. 03. 1935, BArch R 3101 / 10368. 111 Vermerk über die Chefbesprechung im Reichsfinanzministerium am 10. 12. 1935, 11. 12. 1935, BArch R 3901 / alt R 41 / 24. 112 Vermerk aus dem Reichsarbeitsministerium über die Chefbesprechung über die Fragen der Arbeitslosenhilfe am 03. 06. 1936, 05. 06. 1936, BArch R 3901 / alt R 41 / 24. Die Beitragseinnahmen gestatteten es der Reichsanstalt nicht nur, ihre eigentlichen Aufgaben zu erfüllen und sich durch die Bildung von Rücklagen gegen finanzielle Rückschläge abzusichern, sondern darüber hinaus dem Reich Mittel für die Arbeitsbeschaffung zur Verfügung zu stellen. Vgl. Die Finanzlage der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung. Reichsarbeitsminister Franz Seldte zur Sozialversicherung. 108 109

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Unterdessen versuchte auch Ley, die Gewichte durch eine Intervention bei Hitler zu seinen Gunsten zu verschieben.113 Hitler wich einer eindeutigen Stellungnahme jedoch aus und forderte die beiden Kontrahenten auf, sich zu verständigen.114 Zu diesem Zweck kam es im Verlauf des Jahres 1936 zu einer Reihe von Treffen zwischen Vertretern des Reichsarbeitsministeriums und der Deutschen Arbeitsfront. Das Reichsarbeitsministerium knüpfte erhebliche Erwartungen an diese neue Kooperation und hielt sogar eine Vereinbarung für möglich, die den Kompetenzstreit endgültig beenden sollte.115 Die Hoffnung auf eine einvernehmliche Lösung erwies sich jedoch rasch als trügerisch, denn weder die Vertreter der Deutschen Arbeitsfront noch Ley selbst fühlten sich an die Ergebnisse der Gespräche gebunden. Im November 1936 bekräftigte Ley auf einer Tagung der Reichsarbeitskammer seine Forderung, die drei Zweige der Sozialversicherung zu einer einheitlichen Volksversicherung zusammenzufassen und dem Einfluss der Partei zu unterstellen.116 Ende 1937, als mit dem Erreichen der Vollbeschäftigung eine erhebliche Entlastung der Arbeitslosenversicherung eingetreten war, unternahm das Reichsarbeitsministerium einen neuerlichen Vorstoß, die in Aussicht gestellte Beitragsübertragung von der Arbeitslosenversicherung auf die Rentenversicherung zu realisieren. Die geplante Beitragsübertragung war nicht nur ein unerlässlicher Bestandteil des ministeriellen Sanierungskonzepts, sie war auch eine notwendige Voraussetzung, den rentenpolitischen Sparkurs der vergangenen Jahre sukzessive zu verlassen. Denn nur eine deutliche Erhöhung der Einnahmen konnte den nötigen finanziellen Spielraum für eine schrittweise Anhebung der Leistungen schaffen. Diese war um so dringlicher geworden, als die Lebenshaltungskosten und die Reallöhne seit 1933 kontinuierlich gestiegen waren, während die Renten auf dem Tiefstand von 1933 / 34 stagnierten, so dass sich die relative Einkommensposition der Rentenempfänger stetig verschlechtert hatte.117 Der Gesetzentwurf des Reichsarbeits113 Vermerk über eine Besprechung des RAM mit Ley am 05. 03. 1936, BArch R 3901 / alt R 41 / 644. 114 Teppe, S. 239 f. 115 Vermerk von Staatssekretär Krohn über ein Gespräch mit Claus Selzner, 14. 10. 1936, BArch R 3901 / alt R 41 / 645. Vermerk von Staatssekretär Krohn über ein Gespräch mit Claus Selzner, 21. 11. 1936, BArch R 3901 / alt R 41 / 645. Vermerk von Staatssekretär Krohn über ein Gespräch mit Claus Selzner, 26.11. 1936, BArch R 3901 / alt R 41 / 645. Vermerk von Staatssekretär Krohn über ein Gespräch mit Claus Selzner, 07. 12. 1936, BArch R 3901 / alt R 41 / 645. Vermerk von Staatssekretär Krohn über ein Gespräch mit Claus Selzner, 06. 02. 1937, BArch R 3901 / alt R 41 / 645. 116 Vermerk von Staatssekretär Krohn über ein Telefongespräch mit Präsident Dr. Syrup, 24. 11. 1936, BArch R 3901 / alt R 41 / 645. Vgl. auch Rede des Hauptdienstleiters Pg. Schmeer anlässlich der Arbeitstagung des Sozialamtes in Würzburg vom 24. – 26. 06. 1937, BArch R 3901 / alt R 41 / 644. Vermerk von Dr. Dobbernack über ein Gespräch über die Neuordnung der Sozialversicherung, 28. 01. 1937, BArch R 3901 / alt R 41 / 644. – Anwesend waren Staatssekretär Krohn, Ministerialdirektor Dr. Engel, Oberregierungsrat Dobbernack vom Reichsarbeitsministerium, Marrenbach, Schmeer, Selzner von der DAF und Reichsärzteführer Dr. Wagner. 117 Petzina / Abelshauser / Faust, S. 98. Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 68 f.

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ministeriums sah daher nicht nur eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf vier Prozent und ihre Übertragung auf die Invaliden- und Angestelltenversicherung vor,118 sondern zielte darüber hinaus mittels struktureller Leistungsverbesserungen auf eine leichte Anhebung der Rentenhöhe.119 Wie in den vergangenen Jahren trafen die Vorstellungen des Reichsarbeitsministeriums sowohl im Reichsfinanzministerium als auch in der NSDAP auf heftigen Widerstand. Das Reichsfinanzministerium bestritt zwar weder die Notwendigkeit einer Beitragserhöhung in der öffentlichen Rentenversicherung, noch die Tatsache, dass die Voraussetzungen angesichts der erreichten Vollbeschäftigung erfüllt waren, lehnte jedoch eine Vermögensakkumulation dieser Größenordnung in der Rentenversicherung aus fiskalischen Gründen ab. Während die Arbeitslosenversicherung eine Spardose darstellte, in die das Reich nach Belieben hineingreifen konnte, musste es sich die Mittel bei der Rentenversicherung in Form von Darlehen beschaffen. Der Reichsfinanzminister schlug daher vor, eine Beitragsübertragung um lediglich ein Prozent vorzunehmen und den zu erwartenden Fehlbetrag in der Rentenversicherung durch eine Reichsgarantie zu decken. Es sei letztlich gleichgültig, hieß es im Finanzministerium, ob die Rentenversicherung durch eine volle Erhöhung der Beiträge oder durch Etatzuschüsse saniert werde.120 Der Widerstand der Parteiführung war prinzipieller Natur. Sie wehrte sich nicht nur gegen jegliche Präjudizierung des Finanzierungsverfahrens, sondern lehnte eine Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren vielmehr grundsätzlich ab. Die Kapitaldeckung als Garant einer „Entpolitisierung“ der Sozialversicherung sei im nationalsozialistischen Staat überflüssig, hieß es zur Begründung, und behindere darüber hinaus den gewünschten Ausbau der Leistungen.121 Obgleich sich ein Kompromiss auf der Grundlage der Vorschläge des Reichsfinanzministeriums abzeichnete, verweigerte Hitler Mitte Dezember einer Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung plötzlich seine Zustimmung. Er ordnete stattdessen an, der Rentenversicherung aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung einen jährlichen Pauschalbetrag in Höhe von 300 Millionen RM zu überweisen.122 Das Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937123 schloss die 1933 begonnene Sanierung der öffentlichen RentenversicheTeppe, S. 233. Der RAM an den Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei, an die Reichsminister, betr. Verabschiedung des Gesetzentwurfs über den Ausbau der Rentenversicherung durch die Reichsregierung, 18. 11. 1937, BArch R 2 / 18540. Vgl. auch Teppe, S. 233. 120 Teppe, S. 233 f. – Zur Position des Reichsarbeitsministeriums, das eine stärkere Unabhängigkeit der Rentenversicherung vom Reichshaushalt anstrebte, vgl. Krohn, Rettung. 121 Der RFM an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Dr. Lammers, 06. 12. 1937, BArch, R 43 II / 400, S. 3. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 323. Hentschel, Geschichte, S. 143 f. 122 Teppe, S. 234. 118 119

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rung ab und schuf zugleich die Voraussetzungen, den dringend erforderlichen Ausbau der Leistungen voranzutreiben.124 Unter Beibehaltung der hohen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wurde die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung verpflichtet, jährlich einen Betrag in Höhe von 18 Prozent der Beitragseinnahmen an die Invalidenversicherung und von 25 Prozent der Beitragseinnahmen an die Angestelltenversicherung abzuführen. Diese Beträge entsprachen in der Invalidenversicherung 0,9 Prozent und in der Angestelltenversicherung 1,0 Prozent des Endbetrags jeder Lohn- und Gehaltsklasse. Für die verbleibende Finanzlücke übernahm das Reich die gesetzliche Garantie.125 Diese Lösung konnte den Reichsarbeitsminister allerdings kaum befriedigen. Die Rückkehr zu einem reinen Kapitaldeckungsverfahren war an den Bedenken des Reichsfinanzministeriums gescheitert, die angestrebte stärkere Unabhängigkeit der Rentenfinanzen vom Reichshaushalt verwässert.126 Die Leistungserhöhungen beschränkten sich auf strukturelle Verbesserungen, die vor allem eine Reihe von Unterschieden zwischen der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung beseitigten und gleichzeitig eine stärkere Ausrichtung der öffentlichen Rentenversicherung an bevölkerungspolitischen Grundsätzen bewirkten.127 Das Anwartschaftsrecht wurde unter Beseitigung von Härten vereinfacht und vereinheitlicht. Die Akademie für Deutsches Recht hatte bereits 1936 mit Nachdruck auf die Notwendigkeit einer Neuregelung hingewiesen und ein entsprechendes Gutachten erstellt, dem die Regelungen des Ausbaugesetzes weitgehend folgten.128 An die Stelle der Dreivierteldeckung trat in der Invalidenversicherung – wie schon in der Angestelltenversicherung – die Halbdeckung. Die Anwartschaft galt 123 Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. 12. 1937, RGBl. I 1937, S. 1393 – 1408. Vgl. auch Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung, S. 2. Eckert, Fünf Jahre Sozialversicherung. 124 Teppe, S. 233. 125 In der Invalidenversicherung wurde der Beitrag auf 5,9 Prozent statt auf 6,5 Prozent des Lohnes erhöht; der 1933 festgestellte versicherungstechnische Fehlbetrag in Höhe von 12 Milliarden RM wurde somit nur zu 60 Prozent gedeckt. Eckert, Neugestaltung, S. 42. Vgl. auch Krohn, Das Gesetz über den Ausbau, S. 37. Dobbernack, Überblick, S. 3. Ders., Inhalt, S. 3. Gesetz über den Ausbau der der Rentenversicherung, S. 2. Zschimmer, Gesundung, Sp. 65 f. 126 Geyer, Reichsknappschaft, S. 322 f., 332. 127 Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 293. 128 Das Gutachten des Ausschusses für Sozialversicherung der Akademie für Deutsches Recht sah eine stärkere Absicherung des Versicherten hinsichtlich der Erhaltung der Anwartschaft vor, als das Aufbaugesetz schließlich verwirklichte. Als Ersatzzeiten sollten neben Zeiten des Wehr-, Arbeits- und Kriegsdienstes, der Lehrgangsteilnahme und beruflichen Fortbildung, der Krankheit und der Arbeitslosigkeit sowie des Bezugs von Renten auch Zeiten der Nichtabführung von Pflichtbeiträgen durch den Unternehmer gelten. Dieser mit erheblichen Kosten verbundene Vorschlag ging jedoch den zuständigen Stellen, v. a. den Versicherungsträgern, zu weit und konnte sich daher nicht durchsetzen. Vereinfachung des Anwartschaftsrechts. Vgl. auch Reinbach, Die Vorschläge des Ausschusses für Sozialversicherung.

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als erhalten, wenn die gesamte Versicherungszeit zur Hälfte durch Wochenbeiträge belegt war. In der Invalidenversicherung wurde neben Zeiten des Wehr- und Arbeitsdienstes künftig auch der Besuch von Lehrgängen oder weltanschaulichen Schulungen als Ersatzzeit angerechnet. Die Wartezeit wurde in allen drei Versicherungszweigen vereinheitlicht und betrug nun für Renten wegen Invalidität oder Berufsunfähigkeit fünf Jahre und für Renten wegen Vollendung des 65. Lebensjahres 15 Jahre. Das Gesetz erleichterte gleichzeitig die Erfüllung der Wartezeit, indem diese durch die Einzahlung entsprechender Deckungsmittel abgekürzt werden konnte.129 Außerdem wurden die Reichsversicherungsgesetze an die wiederhergestellte Wehrpflicht angepasst. Zeiten des Wehr- und Arbeitsdienstes wurden nicht nur für die Erhaltung der Anwartschaft berücksichtigt, sondern galten auch als Ersatzzeiten für die Wartezeit und wurden rentensteigernd angerechnet. Wie in der Angestelltenversicherung wurden den Kriegsteilnehmern künftig auch in der Invalidenversicherung Steigerungsbeträge für die Zeit des Kriegsdienstes im Ersten Weltkrieg gewährt.130 Die Höhe der zu gewährenden Steigerungsbeträge legte allerdings erst die Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung vom 1. September 1938 endgültig fest.131 Das Gesetz über den weiteren Abbau der Notverordnungen vom 19. April 1939 bestimmte ferner, dass die Kriegsdienstzeiten auch für den Erhalt der Anwartschaft anzurechnen waren.132 Eine weitere Verordnung vom Oktober 1939 schließlich übertrug diese Regelungen auch auf die Angehörigen der Wehrmacht und die gegenwärtigen Kriegsdienstzeiten.133 129 Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung, S. 5. Dobbernack, Überblick, S. 5 f. Ders., Inhalt, S. 5. Zschimmer, Gesundung, Sp. 69. Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 39. Biskup, Ausbau, S. 9. 130 Zschimmer, Gesundung, Sp. 68. Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung, S. 4. Dobbernack, Überblick, S. 4 f. Ders., Inhalt, S. 4. Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 39. Biskup, Ausbau, S. 9. Funke, Wichtige Änderungen, S. 10. 131 Sowohl für Zeiten der Erfüllung der aktiven Dienstpflicht und der Arbeitsdienstpflicht als auch für die Teilnahme am Weltkrieg wurden Steigerungsbeträge nach den Sätzen der Lohnklasse II gewährt. Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung vom 01. 09. 1938, RGBl. I 1938, S. 1142 – 1145. Vgl. auch Verordnung zur Durchführung und Ergänzung. Goeze, Verordnung, S. 152 f. Bothe, Wehrdienst. 132 Gesetz zum weiteren Abbau der Notverordnungen in der Reichsversicherung vom 19. April 1939, RGBl. I 1939, S. 793 – 794. – Die Forderung nach einer Anrechnung der Kriegsdienstzeiten auf die Halbdeckung stand seit August 1938 im Raum; das Problem der Finanzierung der zusätzlichen Kosten verhinderte jedoch eine rasche Einigung. Der RAM an den StdF, den RFM, den RMdI, den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, betr. Entwurf einer Verordnung über Steigerungsbeträge für Soldaten, Arbeitsdienstmänner und Kriegsteilnehmer, 11. / 13. 08. 1938, in: Akten der Parteikanzlei 103 10508 – 10. 133 Verordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie die knappschaftliche Pensionsversicherung während des besonderen Einsatzes der Wehrmacht vom 13. 10. 1939, RGBl. I 1939, S. 2030. Vgl. auch Funke, Sozialversicherung. Bothe, Wehrdienst, S. 5.

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In der Invalidenversicherung wurde eine weitere Pflichtlohnklasse eingeführt, um die bestehende Unterversicherung besser verdienender Arbeiter zu beseitigen. In Zukunft war daher mit einem leichten Anstieg des Rentenniveaus zu rechnen.134 Eine unmittelbare Erhöhung der ausgezahlten Rentenbeträge bewirkte die Milderung von Ruhensvorschriften beim Zusammentreffen von Renten und Versorgungsbezügen sowie beim gleichzeitigen Bezug von Renten aus verschiedenen Versicherungszweigen. Nach bisherigem Recht war beim Zusammentreffen mehrerer Renten nur die höhere Rente gewährt worden, während die niedrigere vollständig ruhte. Nach neuem Recht ruhte diese Rente nunmehr nur noch zur Hälfte. Von dieser Regelung profitierten vor allem Empfängerinnen von Witwenrenten.135 In der Invalidenversicherung wurde ferner der Bezug von Witwenrenten erleichtert, so dass künftig auch dann eine Witwenrente gewährt wurde, wenn die Witwe nicht invalide war, aber mehr als drei Kinder erzog. In Anpassung an die Angestelltenversicherung wurden die Kinderzuschüsse und Waisenrenten nun auch in der Invalidenversicherung bis zum vollendeten 18. Lebensjahr gewährt, wenn sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befand. Für kinderreiche Leistungsempfänger erhöhte sich der Kinderzuschuss für das dritte und jedes weitere Kind um 30 RM jährlich. Die Möglichkeit einer Beitragserstattung bei Heirat, wie sie in der Angestelltenversicherung bestand, wurde auf die Invalidenversicherung ausgedehnt, so dass sich künftig auch Arbeiterinnen die Hälfte der seit dem 1. Januar 1924 entrichteten Beiträge erstatten lassen konnten.136 Darüber hinaus führte das Ausbaugesetz zu einer Erweiterung des Versichertenkreises, indem es allen Staatsbürgern, die nicht versicherungspflichtig waren und das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, gestattete, der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten freiwillig beizutreten.137 134 In der bisher höchsten Lohnklasse VIII für Wochenverdienste von mehr als 42 RM waren zum damaligen Zeitpunkt etwa 20 Prozent aller Arbeiter versichert. In Zukunft galt die Lohnklasse VIII für einen wöchentlichen Arbeitsverdienst zwischen 42 und 48 RM, die neue Lohnklasse IX für einen Wochenverdienst von mehr als 48 RM. Dobbernack, Überblick, S. 6. Ders., Inhalt, S. 5. Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 39. Zschimmer, Gesundung, Sp. 69. Funke, Wichtige Änderungen, S. 13. Ders., Die neuste Entwicklung, S. 304. 135 Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 39. Dobbernack, Überblick, S. 4 f., 6. Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung, S. 4. Zschimmer, Gesundung, Sp. 68. Funke, Wichtige Änderungen, S. 12. 136 Nach dem bisherigen Recht erhielt eine Witwe in der Invalidenversicherung im Gegensatz zur Angestelltenversicherung nur dann eine Witwenrente, wenn sie selbst invalide war oder das 65. Lebensjahr vollendet hatte. Dobbernack, Überblick, S. 4 f. Ders., Inhalt, S. 4. Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung, S. 4. Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 38. Zschimmer, Gesundung, Sp. 68. Biskup, Ausbau, S. 9. Funke, Wichtige Änderungen, S. 11 f. 137 Die Warnung des Reichsversicherungsamtes, dass die künftige finanzielle Belastung der Rentenversicherung nicht abzuschätzen sei, wenn der Beitritt ohne Rücksicht auf den Gesundheitszustand erfolge, blieb unberücksichtigt. Das RVA an den RAM, betr. Referentenentwurf eines Gesetzes über die weitere Vereinfachung und Vereinheitlichung und finanzielle Neuordnung der Rentenversicherung, BArch R 89 / 3165. Vgl. auch Krohn, Gesetz über den

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Die durch das Ausbaugesetz bewirkten Leistungsverbesserungen erreichten ein Gesamtvolumen von 500 Millionen RM. Allein die Hälfte davon entfiel jedoch auf den Ausbau des Familienlastenausgleichs. 138 Das Budget für Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten war dagegen mit 150 Millionen RM deutlich geringer. Die Verbesserungen fielen entsprechend bescheiden aus und führten lediglich zu einer geringfügigen Anhebung der durchschnittlichen Rente.139 Dennoch wurde das Gesetz im Reichsarbeitsministerium als „soziale Großtat“ gefeiert, durch die sich die Reichsregierung „eindeutig zum Bestande der sozialen Versicherung bekannt“ habe, ohne den Versicherten oder Unternehmen eine zusätzliche Belastung aufzubürden.140 Die Rentenpolitik könne sich nunmehr ganz auf den Ausbau der Leistungen konzentrieren, um die Rentenempfänger sukzessive aus der öffentlichen Fürsorge herauszuheben.141 Die finanziellen Voraussetzungen für eine allmähliche Erhöhung der Renten waren zweifellos gegeben. Die wachsende Zahl der Beschäftigten hatte zunächst einen langsamen Anstieg der Beitragseinnahmen bewirkt, der sich seit Mitte der dreißiger Jahre zunehmend beschleunigte. Gegenüber dem Tiefpunkt 1932 verdoppelten sich die Beitragseinnahmen bis 1938 und lagen mit rund 1,3 Milliarden RM deutlich über dem Niveau von 1928 / 29. Das Vermögen der Invalidenversicherung hatte sich im gleichen Zeitraum annähernd verdoppelt und betrug 1938 rund 3 Milliarden RM gegenüber 1,6 Milliarden RM im Jahr 1929.142 Der Anstieg der Beitragseinnahmen war jedoch nicht allein durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, sondern auch durch die allgemeine Anhebung der Löhne bedingt. Immer mehr Arbeiter rückten in die oberen Beitragsklassen auf, so dass der durchschnittliche Wochenbeitrag in der Invalidenversicherung zwischen 1932 und 1938 von 123 auf 152 Pfennig kletterte und damit um 12 Pfennig über dem Niveau von 1928 Ausbau, S. 40. Zschimmer, Gesundung, Sp. 68. Biskup, Ausbau, S. 9. Vgl. auch Heyn, Das Gesetz über den Ausbau. Vgl. ferner Frerich / Frey, Bd. 1, S. 301. 138 In den Jahren 1938 bis 1941 sollte zu diesem Zweck jährlich ein Betrag in Höhe von einem Prozent des maßgeblichen Arbeitsentgelts aus den Beitragseinnahmen der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung bereitgestellt werden. Aus diesen Mitteln wurde in Zukunft eine monatliche Kinderbeihilfe von 10 RM für das dritte und vierte Kind und von 20 RM ab dem fünften Kind gewährt. Der RAM an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, betr. Verabschiedung des Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung, 17. 12. 1937, BArch R 43 II / 400. Vgl. auch Dobbernack, Überblick, S. 6 f. Ders., Inhalt, S. 4, 6. Zschimmer, Gesundung, Sp. 70. Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 40. 139 Teppe, S. 234. Eckert, Neugestaltung, S. 41 ff. 140 Dobbernack, Inhalt, S. 6. Ders., Überblick, S. 7. Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 40. Zschimmer, Gesundung, Sp. 70. 141 Ende 1930 befanden sich 644.000 Sozialrentner in der offenen Fürsorge; am 30. Juni 1937 waren es immer noch 543.000 Sozialrentner. Zschimmer, Gesundung, S. 68. Vgl. auch Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 40. 142 Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 534.

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lag.143 Die Angestelltenversicherung, die die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise später und schwächer zu spüren bekommen hatte als die Invalidenversicherung, profitierte nicht ganz so stark von der raschen Erholung auf dem Arbeitsmarkt. Die Beitragseinnahmen wuchsen bis 1938 um knapp 80 Prozent auf rund 515 Millionen RM und überstiegen damit das Vorkrisenniveau von 1928 um das 1,6-fache.144 Das Vermögen hatte sich bis 1938 gegenüber dem Stand von 1932 nahezu verdoppelt und betrug nun knapp 3,9 Milliarden RM.145 Die Renten dagegen waren trotz dieser günstigen Entwicklung kaum gestiegen. Ein beachtlicher Teil lag „noch unter den Richtsätzen der öffentlichen Fürsorge“, ein weiterer nicht wesentlich darüber.146 Um zumindest die durch die Notverordnung vom 14. Juni 1932 bewirkte Kürzung der Versichertenrenten um 6 RM monatlich auszugleichen, schlug das Reichsarbeitsministerium 1938 eine Erhöhung der Invalidenrenten und Ruhegelder je nach ihrer Höhe um 6 RM bis 12 RM vor. Der erwartete Mehraufwand von etwa 400 Millionen RM sollte entweder durch eine Anhebung des Reichszuschusses oder eine Erhöhung der Beiträge um zwei Prozent finanziert werden. Die durch eine Beitragserhöhung entstehende zusätzliche Belastung der Beschäftigten und der Unternehmen hielt man im Reichsarbeitsministerium angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs für zumutbar.147 Daneben plante das Arbeitsministerium eine weitere Aufstockung von Beitragklassen in der Invalidenversicherung, da infolge der Lohnentwicklung bereits wieder zahlreiche Arbeiter unterversichert waren.148 Unterstützung erhielt das Reichsarbeitsministerium durch den Ausschuss für Sozialversicherung der Akademie für Deutsches Recht, der die Rücknahme der Notverordnungskürzungen ebenfalls für zwingend erforderlich hielt. Die Ruhensvorschriften der Notverordnung vom Dezember 1931 stellten nach Ansicht des 143 Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 88. Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 562. Amtliche Nachrichten 1936, Nr. 12, S. IV 540. Amtliche Nachrichten 1939, Nr. 15, S. IV 266. Vgl. auch Heinze, Beschäftigung und Lohn. Zur Verteilung der Wochenbeiträge auf die einzelnen Lohnklassen vgl. Amtliche Nachrichten 1939, Nr. 20, S. IV 353. 144 Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 626. Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 152. 145 Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 535. Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 626. Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 152. Vgl. auch Bericht der Reichsversicherungsanstalt, S. 421 f. 146 Der RAM an den Herrn Ministerpräsidenten Generaloberst Göring, Beauftragter für den Vierjahresplan, betr. Ausbau der Altersversorgung, 24. 01. 1938, BArch R 3901 / alt R 41 / 652. 147 Teppe, S. 235. Vgl. auch Der RAM an den Ministerpräsidenten Generaloberst Göring, Beauftragter für den Vierjahresplan, den StdF, den RFM, den RWM, betr. Ausbau der Altersversorgung (Entwurf eines zweiten Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung), 26. 03. 1938, BArch R 2 / 18541. 148 Der RAM an Generalfeldmarschall Göring, den StdF, den RFM, den RWM, den RMEuL, den RMdI, betr. Entwurf eines Gesetzes über die Aufstockung von Beitragsklassen in der Rentenversicherung der Arbeiter, 11. 08. 1938, in: Akten der Parteikanzlei 103 10511 – 13.

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Ausschusses einen eindeutigen Verstoß gegen das Versicherungsprinzip dar. Zudem habe die Notverordnung vom Juni 1932 die Renten deutlich unter ein angemessenes Niveau gedrückt und zu einer nachhaltigen Erschütterung des Vertrauens der Versicherten geführt.149 In den übrigen Ministerien stießen die Vorstellungen des Reichsarbeitsministeriums auf erheblichen Widerstand. Der Reichswirtschaftsminister erkannte die Forderungen des Arbeitsministeriums zwar prinzipiell als berechtigt und dem „Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit“ entsprechend an, verweigerte aber trotzdem seine Zustimmung.150 Eine Erhöhung der Beiträge, hieß es zur Begründung, sei politisch ausgeschlossen, da sie für die Arbeitnehmer gleichbedeutend mit einer Kürzung der Löhne und Gehälter sei. Eine Erhöhung der Sozialabgaben müsse ferner zu einer Überwälzung der Mehrbelastung der Unternehmen auf die Preise und damit zu einer Gefährdung des ohnehin fragilen Preisgefüges führen. Diese Position wurde auch vom Reichsfinanzministerium geteilt, das seine Zustimmung ebenfalls verweigerte.151 Unterstützung erhielten die Pläne des Reichsarbeitsministeriums dagegen aus dem Reichspropagandaministerium. Beunruhigt durch zahlreiche Stimmungsberichte aus den Gauen, die von permanenten Klagen in der Bevölkerung berichteten und eine rasche Aufhebung der Brüning’schen Notverordnungen forderten, befürwortete das Reichspropagandaministerium die geplanten Leistungsverbesserungen entschieden. Mit Blick auf den bevorstehenden 50. Geburtstag von Hitler betonte das Ministerium den propagandistischen Nutzen der vorgeschlagenen Maßnahmen und drang auf ihre schnelle Umsetzung. Die vehemente Unterstützung des Reichspropagandaministeriums vermochte die Widerstände jedoch nicht zu brechen.152 Die Maßnahmen, die sich schließlich als realisierbar erwiesen, blieben weit hinter den ursprünglichen Plänen des Reichsarbeitsministeriums zurück.153 Das Gesetz zum weiteren Abbau der Notverordnungen in der Reichsversicherung vom 19. April 1939 beschränkte sich im Wesentlichen auf die Milderung von Härten, die durch die Notverordnung vom 8. Dezember 1931 entstanden waren. Das Ruhen der Rente neben Versorgungsbezügen und Pensionen wurde vollAnders, Der Ausbau der Sozialversicherung. Der RWM an den RAM, betr. Entwurf eines Gesetzes über die Aufstockung von Beitragsklassen in der Rentenversicherung der Arbeiter, 27. 10. 1938, BArch R 3101 / 10377. Vgl. auch Die Reichswirtschaftskammer an den RWM, betr. Entwurf eines Gesetzes über die Aufstockung von Beitragsklassen in der Rentenversicherung der Arbeiter, 04. 10. 1938, BArch R 3101 / 10377. Die Reichsgruppe Industrie an den RWM, betr. Aufstockung von Beitragsklassen in der Invalidenversicherung, 26. 09. 1938, BArch R 3101 / 10377. 151 Teppe, S. 235. Vgl. auch Der RAM an den RWM, betr. a) Altersversorgung für das Deutsche Handwerk, b) Entwurf eines zweiten Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung, 18. 06. 1938, BArch, R 3901 / alt R 41 / 24. Vermerk aus dem Reichsfinanzministerium vom 27. 05. 1938, BArch R 2 / 18541. 152 Teppe, S. 235. 153 Gesetz zum weiteren Abbau der Notverordnungen in der Reichsversicherung vom 19. 04. 1939, RGBl. I 1939, S. 793 – 794. 149 150

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ständig beseitigt; neben Bezügen aus der Unfallversicherung ruhte die Rente künftig höchstens zur Hälfte.154 Die Gewährung von Waisenrenten und Kinderzuschüssen wurde ausgedehnt, so dass die Leistungen nun ohne Einschränkungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr zu gewähren waren.155 Die Bestimmung, die Witwen, deren Ehemänner am 1. Dezember 1912 bereits invalide oder verstorben gewesen waren, vom Bezug einer Hinterbliebenenrente ausschloss, wurde nicht beseitigt. Das Gesetz über Leistungen in der Invalidenversicherung vom 12. Juli 1929 hatte diesen Witwen ursprünglich eine Rente gewährt, obwohl der Versicherungsfall bereits vor der Einführung der Hinterbliebenenversicherung eingetreten war, also keine Beiträge dafür entrichtet und damit auch keine Anwartschaften auf Versorgung der Hinterbliebenen erworben worden waren.156 Durch die Notverordnung vom Dezember 1931 waren diese Renten aberkannt und die betroffenen Witwen an die öffentliche Fürsorge verwiesen worden. Dies galt vor allem beim Deutschen Gemeindetag als besondere Härte, deren Beseitigung als wünschenswert betrachtet wurde, zumal die Zahl der Betroffenen gering war.157 Im Reichsarbeitsministerium stieß diese Forderung jedoch auf Grund der damit verbundenen finanziellen Belastung der Rentenkassen auf strikte Ablehnung. Man könne schwerlich Renten wieder gewähren, für die keine Beiträge entrichtet worden seien, so die Begründung, während die Kürzungen von Renten, für die Anwartschaften erworben worden seien, weiterhin bestehen blieben.158 Damit die Verbesserungen des „Geburtstagsgesetzes“ auch tatsächlich den Rentenempfängern zugute kamen und eine leichte Anhebung vor allem der niedrigen Renten bewirkten, durften die Leistungsverbesserungen nicht auf andere Bezüge 154 Freiwillig entrichtete Beiträge schieden bei der Berechnung des ruhenden Teils der Rente aus. Heller, Gesetz zum weiteren Abbau, S. 82 f. Kurzwelly, Gesetz, 227 f. Aus der Reichsversicherung, Sp. 621 – 626. Bothe, Die sozialen Verbesserungen, S. 186 f. Rosenfeldt, S. 984 f., 994. Bartels, Weiterer Abbau, S. 203 f. Vgl. auch Gesetz über den weiteren Abbau der Notverordnungen und zur Ausdehnung des Unfallschutzes in der Reichsversicherung vom 19. 04. 1939, BArch R 89 / 3169. 155 Die Notverordnung vom 8. Dezember 1931 hatte bestimmt, dass keine Kinderzuschüsse und Waisenrenten über das vollendete 15. Lebensjahr hinaus gewährt wurden. Das Aufbaugesetz hatte diese Bestimmung bereits dahingehend gemildert, dass auch nach Vollendung des 15. Lebensjahres bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Leistungen gewährt wurden, wenn sich das Kind noch in der Schul- oder Berufausbildung befand. Heller, Gesetz zum weiteren Abbau, S. 82. Kurzwelly, Gesetz, S. 227 f. Aus der Reichsversicherung, Sp. 621 – 626. Bothe, Die sozialen Verbesserungen, S. 185 f. Rosenfeldt, S. 983 f. Bartels, Weiterer Abbau, S. 204. 156 Gesetz über Leistungen in der Invalidenversicherung vom 12. 07. 1929, RGBl. I 1929, S. 135. 157 Der DGT an den RAM, betr. Vergünstigungen in der Invalidenversicherung, BArch R 36 / 1592. 158 Der RAM an den DGT, betr. Wiedergewährung der durch Notverordnung beseitigten Renten von Witwen vor dem 1. Dezember 1912 verstorbener Invalidenversicherter, 15. 02. 1939, BArch R 36 / 1592.

2. Zwischen Konsolidierung und Stagnation (1933 – 1938)

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insbesondere aus der öffentlichen Fürsorge angerechnet werden.159 Ein Ausgleich der Notverordnungskürzungen war damit freilich nicht verbunden.

d) Leistungsentwicklung und Rentenverfahren Die Entwicklung der Leistungen in der öffentlichen Rentenversicherung blieb deutlich hinter ihrer allgemeinen finanziellen Erholung zurück, da die Notverordnungen der Weimarer Präsidialkabinette trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs in Kraft blieben. Vor allem die Notverordnung vom 14. Juni 1932 hatte eine drastische Kürzung sowohl der laufenden als auch der neu festzusetzenden Renten bewirkt. Die laufenden Invalidenrenten und Ruhegelder waren um 6 RM, die laufenden Witwen- und Witwerrenten um 5 RM und die laufenden Waisenrenten um 4 RM herabgesetzt worden. Die neu festzusetzenden Renten hatten eine Minderung des Grundbetrages in Höhe von 7 RM erfahren (Tabelle 3).160 Tabelle 3 Die durchschnittliche Rentenhöhe in der Invalidenversicherung 1928 – 1939 (Bestandsrenten in RM) Jahr

Invalidenrente

Witwenrente

Waisenrente

1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939

31,64 34,44 36,46 36,87 32,64 30,21 30,31 30,84 30,87 30,97 31,21 31,42

20,75 21,63 22,10 22,00 19,79 18,87 18,97 19,29 19,36 19,45 19,11 18,99

13,75 14,49 15,00 15,00 12,19 11,24 11,04 10,97 10,78 10,62 10,79 10,82

Quelle: Die deutsche Sozialversicherung 1936 mit einem Blick auf das Jahr 1937. Finanzieller und statistischer Jahresbericht des Reichsversicherungsamts über die einzelnen Versicherungszweige, S. 571. Die deutsche Sozialversicherung 1939 mit einem Blick auf 1940 und 1941. Finanzieller und statistischer Jahresbericht des Reichsversicherungsamts über die einzelnen Versicherungszweige, S. 97.

159 Aus der Reichsversicherung, Sp. 622, 623. Heller, Gesetz zum weiteren Abbau, S. 84. Bartels, Weiterer Abbau, S. 186 f. 160 Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialversicherung sowie zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden vom 14. Juni 1932, RGBl. I 1932, S. 273 – 284.

74

II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

45

40

40

35

35 30 30 25

25 20

Rentenniveau

Rentenhöhe in RM

Dieser Trend setzte sich unter der konservativen Sparpolitik des NS-Regimes fort. Durch das Sanierungsgesetz vom Dezember 1933 wurden die Renten im Durchschnitt um weitere sieben Prozent gekürzt. Die durchschnittliche Invalidenrente, die im Jahr 1931 mit 37 RM monatlich ihren Höchststand erreicht hatte, sank infolge der Notverordnungen um fast ein Fünftel auf rund 30 RM monatlich im Jahr 1933. In den folgenden Jahren stagnierte die Durchschnittsrente auf niedrigem Niveau und lag bei Kriegsbeginn immer noch knapp unter dem Stand von 1928. Die durchschnittliche Witwenrente verringerte sich bis 1933 gegenüber ihrem Höchststand im Jahr 1931 um rund 14 Prozent auf knapp 19 RM und stagnierte in den folgenden Jahren auf diesem Niveau. Gegenüber dem Stand von 1928 war die durchschnittliche Witwenrente 1938 um knapp acht Prozent gesunken (Tabelle 3). Da die Löhne während der Weltwirtschaftskrise schneller sanken als die Renten, stieg das Rentenniveau trotz der Kürzungen zunächst weiter an und erreichte 1932 mit 33 Prozent des durchschnittlichen Arbeiterlohns in der Invalidenversicherung seinen Höchststand. In den folgenden Jahren verschlechterte sich die Einkommensposition der Rentenempfänger im Vergleich zu den Lohnempfängern jedoch kontinuierlich. Bis 1938 sank das Rentenniveau auf 26 Prozent des Durchschnittslohns, was dem Stand von 1929 entsprach (Abbildung 1).161

20 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1941 Durchschnittliche Rentenhöhe

Rentenniveau

Berechnet nach Tabelle 3; Statistisches Handbuch von Deutschland 1928 – 1944, hg. vom Länderrat des Amerikanischen Besatzungsgebiets, München 1949, S. 473.

Abbildung 1: Durchschnittliche Rentenhöhe und Rentenniveau in der Invalidenversicherung 1929 – 1941

Die neu festzusetzenden Renten erfuhren infolge der Notverordnungen und des Sanierungsgesetzes den gleichen Abbau, lagen im Durchschnitt aber auf Grund der steigenden Löhne deutlich höher als die Bestandsrenten. Die Durchschnittsrente eines männlichen Versicherten beim Neuzugang, die 1932 knapp 48 RM monatlich 161 Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 473. – Zur Berechnung des Rentenniveaus wurde die durchschnittliche Invalidenrente auf den durchschnittlichen Bruttoverdienst aller Versicherten in der Invalidenversicherung bezogen.

2. Zwischen Konsolidierung und Stagnation (1933 – 1938)

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betragen hatte, verringerte sich bis 1935 auf rund 37 RM. 1938 betrug die durchschnittliche Rente beim Neuzugang knapp 39 RM monatlich und lag damit um rund 19 Prozent unter dem Stand von 1932. Das Rentenniveau sank im gleichen Zeitraum von 48 auf 32 Prozent des Durchschnittslohns in der Invalidenversicherung. Die Durchschnittsrente beim Neuzugang weiblicher Versicherter entwickelte sich noch ungünstiger. Während sie vor 1933 rund 60 Prozent der entsprechenden Rente männlicher Versicherter betragen hatte, verringerte sie sich in den folgenden Jahren auf rund 52 Prozent und stagnierte auf diesem Niveau. Das Rentenniveau sank von knapp 30 Prozent des Durchschnittslohns in der Invalidenversicherung auf rund 17 Prozent. Die durchschnittliche Witwenrente, die sich 1932 / 34 um rund ein Fünftel verringert hatte, erreichte 1938 wieder annähernd den Stand von 1930.162 Die höchstmögliche Rente beim Neuzugang, die 1932 / 33 von knapp 68 RM auf rund 62 RM gesunken war, stieg in den folgenden Jahren rasch über den Stand von 1932 hinaus und betrug 1938 knapp 73 RM. Das Rentenniveau nahm allerdings trotz steigender Nominalbeträge kontinuierlich ab. Während die höchstmögliche Rente beim Eintritt des Versicherungsfalls 1932 noch rund 68 Prozent des Durchschnittslohns in der Invalidenversicherung erreicht hatte, waren es 1938 nur noch 60 Prozent. Das Rentenniveau lag damit aber immer noch über dem Stand von 1930, als die höchstmögliche Rente rund 48 Prozent des Durchschnittslohns betragen hatte.163 Die Entwicklung der Angestelltenrenten lässt sich im Vergleich zu den Arbeiterrenten nur schwer abschätzen, da die Statistik bis 1931 nur den Rentenbestand und ab 1932 ausschließlich den Neuzugang ausweist. Die Auswirkungen der Notverordnungskürzungen und des Sanierungsgesetzes lassen sich daher nur annäherungsweise beurteilen. Im Gegensatz zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie waren die Angestelltenrenten deutlich höher als die Arbeiterrenten, und auch die Rentenkürzungen der Jahre 1931 bis 1933 scheinen in der Angestelltenversicherung moderater ausgefallen zu sein als in der Invalidenversicherung (Tabellen 3, 4). Das durchschnittliche Ruhegeld beim Neuzugang verringerte sich zwischen 1932 und 1934 um sieben Prozent; kam zu der Versichertenrente aus der Angestelltenversicherung ein Steigerungsbetrag aus der Invalidenversicherung hinzu, erhöhte sich der Abzug auf fast zehn Prozent. In der Invalidenversicherung betrugen die Kürzungen dagegen knapp 23 Prozent. Bis 1938 stieg das durchschnittliche Ruhegeld um fast sieben Prozent auf rund 60 RM und erreichte damit den Stand von 1932, während die Rente beim Neuzugang in der Invalidenversicherung deutlich hinter dem Niveau von 1932 zurückblieb. Bei den Wanderversicherten gestal162 Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 573. Amtliche Nachrichten 1936, Nr. 12, S. IV 551. Die reichsgesetzliche Invalidenversicherung im Jahre 1938, S. 522. 163 Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 97.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

tete sich die Entwicklung etwas ungünstiger; die neu festzusetzende Rente stieg im Durchschnitt lediglich um fünf Prozent und blieb damit spürbar hinter dem Stand von 1932 zurück (Tabelle 3, 4). Die Kürzungen in der Witwenversorgung waren im Vergleich dazu wesentlich gravierender. Die durchschnittliche Witwenrente verringerte sich gegenüber dem Höchststand im Jahr 1931 um mehr als ein Fünftel und stagnierte bis 1938 auf niedrigem Niveau (Tabelle 4). Tabelle 4 Die durchschnittliche Rentenhöhe in der Angestelltenversicherung 1928 – 1939 (RM) Jahr

Ruhegeld 1

Witwengeld 2

1

Waisengeld 2

1

2

45,15 47,25 48,74 49,17

31,03 31,10 31,10 31,49

37,50 39,35 40,62 40,94

38,99 40,47 38,39 38,13 37,94 38,52 38,51 38,30

22,72 21,79 21,79 21,57 22,03 21,97 23,56 22,62

25,93 26,09 24,82 24,87 25,43 25,45 26,50 26,21

Rentenbestand 1928 1929 1930 1931

63,76 62,75 62,11 62,73

82,60 83,20 81,45 82,25

37,38 37,35 37,32 37,79 Neuzugang

1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939

60,82 60,54 56,54 57,04 58,31 59,31 60,39 62,04

77,09 75,41 70,28 69,67 71,35 72,51 73,16 75,42

30,66 30,74 29,32 29,51 29,42 29,86 30,04 30,20

1 Leistungen aus der Angestelltenversicherung. 2 Leistungen aus der Angestelltenversicherung inklusive Steigerungsbeträge aus der Invalidenversicherung. Quelle: 25 Jahre Angestelltenversicherung 1911 – 1937, Berlin 1937, S. 91, Übersicht 19. Die deutsche Sozialversicherung 1936 mit einem Blick auf das Jahr 1937. Finanzieller und statistischer Jahresbericht des Reichsversicherungsamts über die einzelnen Versicherungszweige, S. 570. Die deutsche Sozialversicherung 1939 mit einem Blick auf 1940 und 1941. Finanzieller und statistischer Jahresbericht des Reichsversicherungsamts über die einzelnen Versicherungszweige, S. 99.

Das Rentenniveau in der Angestelltenversicherung sank 1932 / 34 von rund 33 auf knapp 32 Prozent des Durchschnittsverdienstes und verringerte sich bis 1938 auf knapp 28 Prozent (Abbildung 2). Bezog der Versicherte einen Steigerungsbetrag aus der Invalidenversicherung, fielen die Verluste gegenüber den Gehaltsempfängern trotz des höheren Rentenniveaus deutlich größer aus. Das Rentenniveau sank zwischen 1932 und 1938 von über 42 auf rund 33 Prozent des Durch-

2. Zwischen Konsolidierung und Stagnation (1933 – 1938)

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schnittsgehalts in der Angestelltenversicherung.164 Die höchstmögliche monatliche Rente beim Neuzugang betrug 1938 in der Angestelltenversicherung rund 126 RM gegenüber 73 RM in der Invalidenversicherung. Das Rentenniveau erreichte in der Angestelltenversicherung 58 Prozent des Durchschnittsgehalts gegenüber 60 Prozent in der Invalidenversicherung.165 Das Niveau der Angestelltenrenten entsprach damit trotz höherer Nominalbeträge annähernd dem der Invalidenrenten. 40

70 35

65 60

30

55

39

38

37

36

41 19

19

19

19

35

34

33

32

31

30

Durchschnittliche Rente

19

19

19

19

19

19

19

19

19

29

25 28

50

Rentenniveau

Rentenhöhe in RM

75

Rentenniveau

Berechnet nach Tabelle 4; Statistisches Handbuch von Deutschland 1928 – 1944, hg. vom Länderrat des Amerikanischen Besatzungsgebiets, München 1949, S. 473.

Abbildung 2: Durchschnittliche Rentenhöhe und Rentenniveau in der Angestelltenversicherung 1929 – 1941 (Ruhrgelder)

An der Bewilligungspraxis der öffentlichen Rentenversicherung änderte sich entgegen einer verbreiteten Forschungsmeinung nach 1933 nur wenig.166 In der Invalidenversicherung war die Zahl der Rentenanträge 1931 / 32 um 19 Prozent, die Zahl der anerkannten Renten um 17 Prozent gesunken. Zwischen 1932 und 1936 verringerte sich die Zahl der bewilligten Versichertenrenten in der Invalidenversicherung um knapp neun Prozent, in der Angestelltenversicherung waren es rund 27 Prozent. Seit 1937 / 38 stieg die Zahl der Rentenbewilligungen zwar wieder langsam an, das Vorkrisenniveau wurde jedoch bis Kriegsende nicht mehr erreicht.167 Diese Ent164 Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 573. Amtliche Nachrichten 1936, Nr. 12, S. IV 551. Die reichsgesetzliche Invalidenversicherung, S. 522. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 473. – Zur Berechnung des Rentenniveaus wurde das durchschnittliche Ruhegeld auf den Durchschnittsverdienst aller Versicherten in der Angestelltenversicherung bezogen. 165 Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 97, 156. 166 Von einer massiven Verschärfung der Bewilligungspraxis gingen Teppe, S. 229 – 232; Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik, S. 475 f. und Scheur, S. 114 ff. aus. 167 Amtliche Nachrichten 1936, Nr. 12, S. IV 518. Amtliche Nachrichten 1939, Nr. 20, S. IV 353. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich Jge. 1933, S. 402; 1935, S. 410; 1938, S. 471; 1939 / 40, S. 489; 1941 / 42, S. 525. Vgl. auch Kaschke, S. 278.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

wicklung hatte im Wesentlichen zwei Ursachen: (1) Zum einen blieben die verschärften Zugangsvoraussetzungen der Notverordnungen bis 1937 in Kraft. Das vage Versprechen eines großzügigen Ausbaus der Rentenversicherung war zwar in der Öffentlichkeit als Zusicherung eines unbürokratischen Verfahrens verstanden worden, bei dem sich die Entscheidung über die Leistungsbewilligung nicht nur an den geltenden Kriterien, sondern auch am Bedarf und der Würdigkeit des Antragstellers orientieren sollte. Das Reichsversicherungsamt setzte sich gegen solche Forderungen jedoch zur Wehr, indem es die formaljuristischen Grundsätze des Rentenverfahrens stärker als bisher betonte.168 (2) Zum anderen verringerte sich zwischen 1933 und 1937 die Zahl der Rentenanträge um 16 Prozent. Die Zahl der bewilligten Renten ging im gleichen Zeitraum lediglich um drei Prozent zurück, während sich die Zahl der abgelehnten Anträge sogar halbierte, so dass die Anerkennungsquote 1933 / 37 von 70 auf 82 Prozent stieg. Während die öffentliche Rentenversicherung in der Weltwirtschaftskrise für viele Menschen, die ihre Arbeit verloren hatten, den letzten Ausweg dargestellt hatte, ihre Existenz zu sichern, nahm mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit der Druck auf die öffentliche Rentenversicherung ab. Wer erwerbsfähig war und Arbeit finden konnte, zog diese den kümmerlichen Leistungen der Rentenversicherung vor. Darüber hinaus übte die durch das Regime propagierte „Pflicht zur Arbeit“ und der seit Mitte der dreißiger Jahre einsetzende Arbeitskräftemangel einen erheblichen Druck auf die Versicherten aus, die sich im Falle eines Rentenantrags dem Vorwurf der Arbeitsverweigerung ausgesetzt sahen, so dass sich die Hemmschwelle, überhaupt eine Rente zu beantragen, deutlich erhöhte.169 Der Rückgang der Arbeitslosigkeit schlug sich auch in der Altersstruktur der Rentenempfänger nieder. Befanden sich 1931 in der Invalidenversicherung noch knapp elf Prozent der Versicherten beim Rentenzugang im Alter zwischen 20 und 39 Jahren, sank ihr Anteil bis 1938 auf sechs Prozent. Der Anteil der 40 – 64-Jährigen verringerte sich im gleichen Zeitraum um 14 Prozentpunkte auf knapp 42 Prozent. Der Anteil der über 65-Jährigen erhöhte sich entsprechend um fast 16 Prozentpunkte auf rund 49 Prozent im Jahr 1938. Dadurch stieg das durchschnittliche Zugangsalter in der Invalidenversicherung für Männer von 57 Jahren im Jahr 1931 auf 61 Jahre im Jahr 1938, bei den weiblichen Versicherten erhöhte sich das Zugangsalter um rund 4 Jahre auf knapp 60 Jahre.170 Die Auswirkungen des vereinfachten Verfahrens zur Entziehung zu Unrecht bewilligter Renten waren quantitativ unbedeutend. Im Jahr 1934 kamen 22.300 und im Jahr 1935 18.000 Invalidenrenten zum Wegfall. Das entsprach nicht einmal einem Prozent des Rentenbestands. Der Anteil der Fälle, in denen der Wiedereintritt der Erwerbsfähigkeit die Ursache für den Wegfall der Rente bildete, stieg zwar Kaschke, S. 268 – 275, 286. Kaschke, S. 279. 170 Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 543 f. Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 82. Amtliche Nachrichten 1936, Nr. 12, S. IV 521, 523, 529. 168 169

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1933 / 34 von 9,2 auf 12,3 Prozent, verringerte sich jedoch bis 1938 wieder auf sieben Prozent.171 Von einer stärkeren Überwachung der Rentenempfänger im Zuge des wachsenden Arbeitskräftemangels konnte daher keine Rede sein. Die im Sanierungsgesetz verfügte Überprüfung des Rentenbestandes war weder neu, noch eine typisch nationalsozialistische Maßnahme, sondern verlangte von den Versicherungsträgern lediglich einen einmaligen Kontrollakt, wie er seit der Jahrhundertwende üblich war.172 Von den Betroffenen wurde die Rentenentziehung dennoch als unbillige Härte empfunden. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, überall würden Nachuntersuchungen stattfinden, um die Erwerbsfähigkeit der Rentenempfänger zu überprüfen. In vielen Fällen, so die Wahrnehmung, würden Rentner für „tauglich zu leichter Arbeit“ befunden, ihre Renten spürbar gekürzt oder im schlimmsten Fall gänzlich entzogen.173 Von erheblicher Bedeutung war dagegen der seit 1937 praktizierte Rentenentzug bei „staatsfeindlicher Betätigung“, denn damit trat die Sozialversicherung „unmittelbar mit dem NS-Unterdrückungsapparat in Beziehung“.174 Erste Versuche, politische Gegner durch Rentenentzug zu bestrafen, waren bereits 1933 von den Rentenversicherungsträgern ausgegangen.175 Im Sommer 1936 legte der Reichsarbeitsminister schließlich einen Referentenentwurf vor, der eine Übertragung des § 75 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts vom 30. Juni 1933 auf die öffentliche Rentenversicherung vorsah. Nach § 75 ruhte das Recht eines Beamten auf den Bezug von Wartegeld, Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung, wenn sich der Berechtigte nach Feststellung der obersten Reichsbehörde im „marxistischen Sinn“ betätigt hatte. Der Ausdruck „staatsfeindliche Betätigung“ war dem Gesetz über Reichsverweisung vom 23. März 1934 entnommen.176 Im Justizministerium stieß der Entwurf zunächst auf Kritik. Bedenklich erschien insbesondere, dass das Ruhen von Renten angeordnet werden konnte, ohne dass der Tatbestand durch ein gerichtliches oder ähnlich ausgestattetes Verfahren bewiesen sein musste. Das Reichsjustizministerium empfahl daher die Einrichtung eines 171 Statistik der Sozialversicherung 1932, S. 577. Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 137. Amtliche Nachrichten 1936, Nr. 12, S. IV 529, 532. 172 Kaschke, S. 280. 173 Deutschlandberichte, Bd. 3 (1936), Nr. 5, A 110. Zur ärztlichen Begutachtung durch den vertrauensärztlichen Dienst vgl. auch Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 475 f. Teppe, S. 232. 174 Bonz, Staatsfeinde, S. 531. 175 Bonz, Staatsfeinde, S. 518 – 521. 176 Der RAM an den RMdI, betr. Referentenentwurf eines Gesetzes über die Änderung einiger Vorschriften der Reichsversicherung, 10. 10. 1936, BArch R 1501 / 6010. Anlage: Entwurf mit Erläuterung. Vgl. auch Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts vom 30. 06. 1933, RGBl. I 1933, S. 433 – 447. Gesetz über Reichsverweisung vom 23. 03. 1934, RGBl. I 1934, S. 213 – 214.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

Untersuchungsverfahrens, das eine einwandfreie Ermittlung des Tatbestands der „staatsfeindlichen Betätigung“ garantieren sollte.177 Auf einer Besprechung am 16. Oktober 1936 widersprachen das Reichsinnen- und das Reichsarbeitsministerium der Auffassung des Justizministers und erklärten ihren Entwurf für rechtmäßig, da es „im Wesen des nationalsozialistischen Führerstaates liege, politische Entscheidungen ( . . . ) durch die verantwortliche politische Leitung zu treffen und sie nicht den Gerichten zu überlassen“.178 Das Ruhen der Renten bei „staatsfeindlicher Betätigung“ stelle nichts anderes dar als eine Ergänzung der Gesetze über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933 und über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. Juli 1933, wonach Vermögen ohne gerichtliche Prüfung eingezogen werden konnten.179 Um die Verabschiedung des Gesetzes nicht länger zu verzögern, einigte man sich auf einen Kompromiss, der die Möglichkeit einer eidlichen Vernehmung in das Verfahren aufnahm. Der entsprechend geänderte Gesetzentwurf konnte schließlich am 23. Dezember 1936 verabschiedet werden.180 Die Renten ruhten künftig in allen Fällen, in denen sich der Berechtigte wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ im Ausland aufhielt, während der Verbüßung von Freiheitsstrafen und während der „Schutzhaft“ im Konzentrationslager. Nach der Entlassung hing die Wiedergewährung der Rentenzahlungen von der weiteren Führung des Berechtigten ab.181 Die Versicherungsträger hatten Rentenakten, denen zufolge ein Verdacht auf „staatsfeindliche Betätigung“ bestand, dem Reichsversicherungsamt zuzuleiten; über das Reichsarbeitsministerium wurde der Vorgang dann dem Reichsminister des Inneren zur Entscheidung vorgelegt. Die Federführung lag dabei beim Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler. Im Falle der Bejahung verfügte anschließend der Reichsarbeitsminister, für welche Zeit die Rente ruhte.182 Die Versicherungsträger waren äußerst aktiv in dem Bemühen, das Ruhen von Renten zu erreichen. Bis 1944 wurden im Monat durchschnittlich 30 Anträge vorgelegt, die sich auf Rentenzahlungen der Unfall-, Invaliden- und Angestelltenversicherung sowie der knappschaftlichen Pensionsversicherung erstreckten. Etwa 90 Prozent der Anträge führten zumindest zu einem teilweisen Ruhen der Ren177 Der Reichsminister der Justiz an den RAM, betr. Referentenentwurf eines Gesetzes über die Änderung einiger Vorschriften der Reichsversicherung, 29. 09. 1936, BArch R 1501 / 6010. 178 Vermerk aus dem Reichsministerium des Inneren über die Besprechung am 16. 10. 1936 im Reichsarbeitsministerium, 19. 10. 1936, BArch R 1501 / 6010. 179 Ebenda. Vgl. auch Bonz, Staatsfeinde, S. 521 – 523. 180 Der RMdI an den RAM, betr. Gesetz über die Änderung einiger Vorschriften in der Reichsversicherung, Oktober 1936, BArch R 1501 / 6010. Der RAM an den RMdI, 16. 10. 1936, BArch R 1501 / 6010. 181 Gesetz über die Änderung einiger Vorschriften der Reichsversicherung vom 23. 12. 1936, RGBl. I 1936, S. 1128 – 1130. Vgl. auch Änderungen in der Sozialversicherung, Sp. 60. 182 Bonz, Staatsfeinde, S. 523 – 526.

2. Zwischen Konsolidierung und Stagnation (1933 – 1938)

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ten.183 1944 setzte sich schließlich sowohl im Reichsarbeitsministerium als auch im Reichsinnenministerium die Auffassung durch, dass die Vorschriften über das Ruhen der Renten als überholt gelten mussten. Infolge des verschärften Arbeitskräftemangels versuchte das NS-Regime zunehmend auch Rentenberechtigte, insbesondere Invalidenrentner, in den Wirtschaftsprozess einzugliedern. Der Bezug eines regelmäßigen Erwerbseinkommens ließ jedoch die politische und erzieherische Funktion der Vorschrift zusehends bedeutungslos werden. Angesichts der angestrebten Verwaltungsvereinfachungen gegen Ende des Krieges einigten sich die beteiligten Stellen daher, künftig von einer Feststellung der „Staatsfeindlichkeit“ abzusehen.184 Das NS-Regime entwickelte bis Kriegsbeginn kaum eigene Initiativen in der Rentenpolitik, sondern setzte die Sparpolitik der Präsidialkabinette fort. Die Reformanstöße gingen vom Reichsarbeitsministerium und seiner konservativen Ministerialbürokratie aus, der es weitgehend gelang, ihre Vorstellungen einer organisatorischen und finanziellen Neuordnung der öffentlichen Rentenversicherung durchzusetzen und das tradierte System einer gegliederten Sozialversicherung gegen die Angriffe aus der Partei zu verteidigen. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs gelang es nicht, an die Entwicklung der zwanziger Jahre anzuknüpfen und den Ausbau der öffentlichen Rentenversicherung weiter voranzutreiben. Die Renten, die durch die Notverordnungen deutlich gekürzt worden waren, stagnierten auf niedrigem Niveau. In der Invalidenversicherung erreichte die Durchschnittsrente 1938 gerade einmal den Stand von 1928.185 In der Angestelltenversicherung kam das durchschnittliche Ruhegeld nicht über den Stand von 1932 hinaus, das Rentenniveau nahm ebenfalls deutlich ab. Hatte schon die erwerbstätige Generation kaum vom wirtschaftlichen Aufschwung der dreißiger Jahre profitieren können, so ging er – zumindest sofern es die Leistungen aus der öffentlichen Rentenversicherung betraf – an den Rentenempfängern gänzlich vorbei. Dass die Lebenshaltungskosten der amtlichen Statistik zu Folge 1938 deutlich niedriger waren als 1928, konnte angesichts der kümmerlichen Renten und wachsender Versorgungsengpässe vor allem bei den ärmeren Schichten nur ein schwacher Trost sein.186 Die Sozialpolitik hatte sich dem Primat wirtschafts- und rüstungspolitischer Ziele unterzuordnen. Die Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren führte zwar zu einer gesteigerten Kapitalakkumulation in der öffentlichen Rentenversicherung, 183 Richtlinien über die Feststellung des Ruhens von Renten bei staatsfeindlicher Betätigung, 02. 10. 1939, BArch R 89 / 4982. Das RVA an den RAM, betr. Wegfall des Ruhens der Renten, 24. 05. 1944, BArch R 89 / 4982. 184 Der RMdI an den RAM, betr. Behandlung von Rentensachen, 28. 04. 1944, BArch R 89 / 4982. Das RVA an den RAM betr. Wegfall des Ruhens der Renten, 24. 05. 1944, BArch R 89 / 4982. Der RAM an das RVA, betr. Ruhen der Renten nach § 615a RVO, 29. 09. 1944, BArch R 89 / 4982. 185 Geyer, Soziale Rechte, S. 428. 186 Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 51 – 54. Petzina / Abelshauser / Faust, S. 107.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

die wachsenden Überschüsse kamen jedoch nicht den Versicherten zugute, sondern flossen in die Finanzierung der Arbeitsbeschaffung, später dann in die Aufrüstung.187 Die Pläne für eine Rücknahme der Notverordnungskürzungen, wie sie das Reichsarbeitsministerium 1938 vorschlug, scheiterten an den fiskalischen Bedenken des Reichsfinanz- und des Reichswirtschaftsministeriums, „die direkt oder indirekt immer wieder auf die wirtschafts- und rüstungspolitischen Sachzwänge“ verwiesen.188 Gleichzeitig hatten jedoch das vage Versprechen eines großzügigen Ausbaus der Altersversorgung sowie der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung erhebliche Erwartungen bei Rentenempfängern und Versicherten geweckt. Mit Rücksicht auf die sozialpolitische Reputation des Regimes galt es daher weitere Leistungsverschlechterungen zu vermeiden. Die nationalsozialistische Sozialpolitik folgte dem Grundsatz: „Nur keine allgemeinen Verschlechterungen, denn sie könnten allgemeine Erbitterung und womöglich allgemeine Abwehrbewegungen hervorrufen. Statt dessen werden einige kleine, wenig kostspielige Verbesserungen vorgenommen und reklamehaft aufgebauscht, damit im Schutze des so erzeugten Propagandanebels um so ungestörter der rücksichtslose Abbau im Einzelfall durchgeführt werden kann.“189

In der Öffentlichkeit rief die fortgesetzte Sparpolitik wachsende Verbitterung hervor, und die im Einzelfall gravierenden Leistungsbeschränkungen führten punktuell zu heftigen Protesten, die das NS-Regime mit brutaler Gewalt unterdrückte. So hatte beispielsweise ein 67-jähriger Arbeiter aus München anlässlich massiver Leistungskürzungen geschimpft: „Der Hitler soll alle alten Leute erschlagen lassen, dann gehns ihm nimmer im Weg rum. Zum Kriegführen sind wir nix mehr wert und drum lässt man uns langsam zugrunde gehn.“190 Nur ein paar Stunden später befand sich der Mann in der Irrenanstalt Egelfing bei München. Vor allem der Rentenentzug bei „staatsfeindlicher Betätigung“, der den Rechtsanspruch der Versicherten praktisch aufhob, bewirkte eine tiefgreifende Aushöhlung des tradierten Versicherungsrechts. Viele Versicherte empfanden dies als Rückfall „auf die Stufe der Wohltätigkeit“, von der eine „Sicherstellung der Existenz nur bei Wohlverhalten und ,Würdigkeit‘ zu erwarten“ war.191

187 Seit 1938 musste die Hälfte des Vermögens der Sozialversicherungsträger in Forderungen gegen das Reich oder die Länder anlegt werden, während es bis dahin lediglich 25 Prozent gewesen waren. Verordnung über die Anlegung des Vermögens der Träger der Reichsversicherung vom 14. 04. 1938, RGBl. I 1938, S. 398. Vgl. auch Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 476. 188 Geyer, Reichsknappschaft, S. 326, 330. Teppe, S. 235. Mason, Sozialpolitik, S. 262. Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 287. 189 Deutschlandberichte, Bd. 2 (1935), Nr. 12, A 67. Siehe auch Scheur, S. 117, 123. 190 Deutschlandberichte, Bd. 4 (1937), Nr. 9, A 111. 191 Deutschlandberichte, Bd. 4 (1937), Nr. 9, A 108 – 109. Teppe, S. 233. Vgl. auch Scheur, S. 117.

3. Leistungsverbesserungen als Bestechungspolitik? (1939 – 1944)

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3. Leistungsverbesserungen als Bestechungspolitik? (1939 – 1944) a) Die Beseitigung der Notverordnungskürzungen Mit Kriegsbeginn spitzte sich die Diskussion um die künftige Ausgestaltung der Rentenpolitik zu. Am 3. März 1939 betraute der Beauftragte für den Vierjahresplan Hermann Göring den Reichsorganisationsleiter Robert Ley mit der Bildung eines Ausschusses, der sich mit Fragen der Gesundheitsführung und der Altersversorgung beschäftigen und die Entscheidung über die Zukunft der Sozialversicherung vorantreiben sollte.192 Durch den erstmaligen Vorsitz in einem sozialpolitischen Ausschuss in seiner Haltung bestärkt, machte Ley seine Position bereits im Vorfeld der Gespräche unmissverständlich deutlich und forderte das Reichsarbeitsministerium auf, die Verhandlungen über weitere Leistungsverbesserungen in der öffentlichen Rentenversicherung unverzüglich einzustellen.193 Im Reichsarbeitsministerium war man jedoch nicht bereit von der bisherigen Linie abzuweichen. Eine Beitragsübertragung von der Arbeitslosenversicherung auf die öffentliche Rentenversicherung sollte zunächst die Rücknahme der Notverordnungskürzungen ermöglichen, ohne die Beitragsbelastung für die Versicherten zu erhöhen. Spätere, echte Rentenerhöhungen sollten durch eine zusätzliche Anhebung der Beiträge finanziert werden, die nach Ansicht des Reichsarbeitsministeriums in Anbetracht des wirtschaftlichen Aufschwungs durchaus vertretbar schien.194 In der konstituierenden Sitzung im Gebäude der Deutschen Arbeitsfront am 16. März 1939 gelang Ley ein „Überraschungscoup“. Er legte den Anwesenden eine Denkschrift mit dem Titel „Der deutsche Volksschutz“ vor, in der die Deutsche Arbeitsfront ihre Pläne für den Umbau der Sozialversicherung ausführlich dargelegte. Der „Deutsche Volksschutz“ sollte aus vier zentralen Einrichtungen bestehen: (1) Einem Arbeitsrecht und einer Arbeitspflicht, (2) einer Volksgesundheitsführung, (3) einer Unfallversicherung und (4) einer Alters- und Invalidenversorgung, die in Form einer monatlichen Einheitsrente in Höhe von 90 RM gewährt werden sollte. Unter Bezug auf Punkt 15 des Parteiprogramms erklärte Ley, bei der Altersversorgung handle es sich um eine „Dankesschuld und eine Ehrenpflicht“ des Staates und der Gemeinschaft gegenüber den alten und nicht mehr arbeitsfähigen „Volksgenossen“. Die Gemeinschaft sei verpflichtet, „aus Gründen des Dankes jeden Deutschen, der in seinem Leben gearbeitet und Werte geschaffen hat, im Alter vor Not und Elend zu schützen“.195 Eine mündliche Aussprache über 192 Der Chef des Stabsamtes des Ministerpräsidenten Generalfeldmarschall Göring, Ministerialdirektor Staatsrat Dr. Gritzbach an Ley, 03. 03. 1939, BArch R 3901 / alt R 41 / 647. 193 Scheiben von Ley an den RAM, 09. 03. 1939, BArch R 3901 / alt R 41 / 647. Vgl. auch Teppe, S. 241. 194 Memorandum des Reichsarbeitsministeriums zur Altersversorgung und Krankenversicherung vom 15. 03. 1939, BArch R 3901 / alt R 41 / 647.

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die Denkschrift lehnte Ley kategorisch ab und forderte die Anwesenden auf, ihre Stellungnahmen bis zum 1. April schriftlich einzureichen, eine weitere Sitzung, ließ Ley wissen, werde nicht einberufen.196 Der Reichsarbeitsminister übersandte seine Stellungnahme am 15. Mai. In Absprache mit den übrigen Ressorts wurde die Einführung einer Volksversicherung darin grundsätzlich abgelehnt. Die vorgeschlagene Einheitsrente für alle Alten und Invaliden widerspräche dem Leistungsprinzip, denn weder der während der Erwerbsphase erreichte Lebensstandard noch „die persönliche Tüchtigkeit, noch der Fleiß des Schaffenden“ fänden eine ausreichende Berücksichtigung. „Das Streben vieler Volksgenossen nach Selbsthilfe“ werde dadurch nachhaltig geschwächt.197 Die Kosten der von Ley vorgeschlagenen allgemeinen Alters- und Invalidenversorgung betrugen nach Schätzung des Reichsarbeitsministeriums 9 bis 10 Milliarden RM und überstiegen die Berechnungen der Deutschen Arbeitsfront damit annähernd um das Doppelte. In Anbetracht der demographischen Entwicklung war künftig mit einem Anstieg der Ausgaben auf über 17 Milliarden RM zu rechnen. Das Reichsarbeitsministerium kalkulierte daher langfristig mit einer Erhöhung der Beiträge auf bis zu 25 Prozent des Arbeitsentgelts und beurteilte den Plan abschließend als „finanziell undurchführbar“.198 Mit der Betonung der finanziellen Dimensionen der Pläne Leys legte das Reichsarbeitsministerium zwar zweifellos eine gravierende Schwäche des Konzepts bloß, dennoch ließ sich das Projekt nicht einfach beiseite wischen. Bereits im Vorfeld der Anordnung Görings hatte beispielsweise der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, erkennen lassen, dass er zumindest einigen Prinzipien der Vorschläge Leys – wie der Abkehr vom Kapitaldeckungsverfahren, der Abkopplung der Rentenhöhe von den Beitragsleistungen, der stärkeren Berücksichtigung der für die „Volksgemeinschaft“ geleisteten Dienste bei der Rentenbemessung – positiv gegenüber stand.199 Seit 1940 wuchs zudem der Druck auf das Regime, einen Ausgleich für die hohe durch den Krieg bedingte Belastung der Bevölkerung zu schaffen. Als weitere Maßnahmen zur Kaufkraftabschöpfung notwendig wurden, nutzte Ley die Gelegenheit, seine Pläne einer allgemeinen Altersversorgung als kompensatorische Maßnahme ins Gespräch zu bringen, die die Bevölkerung nach Kriegsende für die erlittenen Entbehrungen entschädigen sollte. Hitler, angetan von dem 195 Robert Ley, Der Deutsche Volksschutz, Berlin, März 1939, BArch R 1501 / 5599, S. 2 – 7. Vgl. auch Recker, S. 113. 196 Aufzeichnungen über die Sitzung vom 16. 03. 1939 im Gebäude der DAF. Für Staatssekretär Krohn erstellt, BArch R 3901 / alt R 41 / 647. 197 Schreiben des RAM an Ley, 15. 05. 1939, BArch R 3901 / alt R 41 / 647. Anlage 1: Stellungnahme zu dem Vorschlag von Staatsrat Dr. Robert Ley „Der Deutsche Volksschutz“. Anlage 2: Materialien für die Stellungnahme zu dem Vorschlag von Staatsrat Dr. Robert Ley „Der Deutsche Volksschutz“. 198 Ebenda. Vgl. auch Schreiben von Ley an Seldte, 29. 05. 1939, BArch R 3901 / alt R 41 / 647. Schreiben von Seldte an Ley, 12. 06. 1939, BArch R 3901 / alt R 41 / 647. 199 Recker, S. 114 f.

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„taktisch-propagandistischen“ Potential des Vorschlags,200 erteilte Ley im Februar 1940 den Auftrag, „die Grundlagen und Bedingungen der Durchführung einer umfassenden und großzügigen Altersversorgung des Deutschen Volkes in Zusammenarbeit mit den hierzu berufenen Stellen der Partei und des Staates zu prüfen, zu klären, die sich daraus ergebenden Vorschläge unverzüglich auszuarbeiten und mir zu unterbreiten. Dieses neue Gesetzeswerk des Aufbaus der Nationalsozialistischen Volksgemeinschaft soll für alle Zeiten unser Volk an den gemeinsamen Kampf der Front und der Heimat um Freiheit und Unabhängigkeit des Großdeutschen Reiches erinnern.“201

Im Verlauf der Jahre 1940 / 41 verdichtete das Arbeitswissenschaftliche Institut der Deutschen Arbeitsfront die Vorschläge Leys in zahlreichen Gutachten und Denkschriften zu einem geschlossenen Konzept. Die anfänglichen Pläne einer Einheitsrente wichen schnell der Idee einer umlagefinanzierten, einkommensorientierten Staatsbürgerversorgung, die vehemente Anreize zur Erwerbsarbeit setzten sollte. Die Bemühungen mündeten schließlich 1942 in der Formulierung eines Gesetzentwurfs über ein „Versorgungswerk des Deutschen Volkes“.202 Wie nicht anders zu erwarten, trafen die Planungen der Deutschen Arbeitsfront bei den übrigen Ressorts auf geschlossenen Widerstand. Mit dem Ziel, eine Diskussion der Vorschläge möglichst im Keim zu ersticken, einigten sich die Ministerien für Finanzen, Wirtschaft und Arbeit im Januar 1941 auf eine gemeinsame Strategie. Um auch eventuelle Befürworter von der Undurchführbarkeit des Projekts zu überzeugen, waren die finanziellen Schwächen des geplanten „Versorgungswerks“ künftig in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Gleichzeitig galt es einen Gegenvorschlag zu erarbeiten, der auf der Grundlage des bestehenden Systems weitgehende Verbesserungen und Vereinfachungen verwirklichen sollte. Dadurch sollte der „Makel des sozialpolitischen Stillstands oder gar Rückschritts“ abgewendet und zugleich die Leistungsbereitschaft und der Durchhaltewillen der Bevölkerung gestärkt werden.203 Aber nicht nur taktisch motivierte Überlegungen, sondern auch sachliche Gründe sprachen für eine deutliche Anhebung der Leistungen in der öffentlichen Rentenversicherung. Dass die Notverordnungskürzungen nach sechs Jahren nationalsozialistischer Herrschaft immer noch in Kraft waren, rief unter den Rentenempfängern herbe Enttäuschung und harsche Kritik hervor; zumal das Parteiprogramm der NSDAP mit der Forderung nach einem großzügigen Ausbau der Altersversorgung bei vielen hohe Erwartungen geweckt hatte. Eine Umfrage in den ReichsRecker, S. 115. Allgemeine Darstellung eines Versorgungswerkes des Deutschen Volkes vom Dezember 1941, BArch R 3901 / alt R 41 / 650, S. 1. 202 Das AWI der DAF an Staatssekretär Krohn, 03. 10. 1942, BArch R 3901 / alt R 41 / 650. Anlage: Versorgungswerk des Deutschen Volkes. Gesetzentwurf mit kurzer Erläuterung. 203 Recker, S. 121, 206. Teppe, S. 247 f. Vgl. auch Schreiben von Staatssekretär Krohn an den Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, 15. 04. 1941, BArch R 3901 / 20649. 200 201

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gauen im Jahr 1941 ließ keinen Zweifel an der Dringlichkeit, die seit Jahren diskutierten Verbesserungen endlich zu realisieren. Die Renten der Invalidenversicherung wurden allgemein als zu niedrig kritisiert; vor allem im Vergleich zu den Beamtenpensionen und den Leistungen anderer sozialer Einrichtungen erschien ihre Höhe als ungerecht.204 In einer Stellungnahme aus dem Gau Westfalen-Nord hieß es daher: „Es vereinbart sich nicht mit der Großzügigkeit anderer sozialer Einrichtungen, dass im nationalsozialistischen Deutschland die arbeitsunfähigen und alten Arbeiter hungern und im besten Fall ihr Leben notdürftig fristen können.“205 Und ein alter Mann wurde mit der drastischen Aussage zitiert: „Wenn man uns nicht helfen kann oder will, so sollte man uns vor die Geschütze stellen und uns einfach totschießen lassen.“206 Anfang 1941 legte das Reichsarbeitsministerium einen Gesetzentwurf vor, der im Wesentlichen auf die Beseitigung der Rentenkürzungen vom Juni 1932 zielte. Diese Verordnung hatte die laufenden Invalidenrenten, Invalidenpensionen und Ruhegelder um 6 RM, die laufenden Witwen- und Witwerrenten um 5 RM und die laufenden Waisenrenten um 4 RM gekürzt. Die neu festzusetzenden Renten hatten eine Kürzung des Grundbetrages in Höhe von 7 RM erfahren.207 In der Begründung zum Entwurf betonte das Reichsarbeitsministerium, dass die Kürzungen unter Rentnern und Versicherten „andauernd grosse Mißstimmung hervorgerufen“ hätten. Die Notwendigkeit, in der gegenwärtigen Kriegssituation Massenloyalität zu erzeugen, ließe daher „den jetzigen Zeitpunkt für die Beseitigung des früheren Unrechts als besonders geeignet erscheinen“.208 Daneben sah der Entwurf die Einführung einer Rentner-Krankenversicherung vor. Eine Vielzahl von Eingaben, erklärte das Reichsarbeitsministerium, habe deutlich gemacht, dass der Wegfall der Krankenversicherung beim Eintritt in den Ruhestand von vielen Rentenempfängern als erhebliches Defizit der sozialen Sicherung empfunden werde. Gerade Invalidität und Alter seien Lebensphasen, in denen auf Grund zunehmender Hinfälligkeit ein gesteigerter Bedarf an Sicherung 204 NSDAP – Parteikanzlei an das Reichsfinanzministerium, betr. Rentenverbesserungen, 20. 11. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22103 – 81, hier 22105, 22107, 22108 – 22114. – Stellungnahmen der Gaue Kurhessen vom 19. 07. 1941, Franken vom 03. 05. 1941, Westfalen-Nord vom April 1941 und vom Mai 1941, Oberschlesien vom Juni 1941. 205 Ebenda, 103 22108. 206 Ebenda, 103 22111. 207 Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialversicherung sowie zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden vom 14. 06. 1932, RGBl. I 1932, S. 273 – 284. 208 Der RAM an den RFM, betr. Entwurf eines Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung, 31. 01. 1941, BArch R 2 / 18541. Entwurf eines Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom Februar 1941, BArch R 36 / 3171. – Auch in einem Artikel zum Leistungsverbesserungsgesetz in der Sozialen Praxis findet sich der Hinweis, was für eine große sozialpolitische Anstrengung das Leistungsverbesserungsgesetz „mitten in der Anspannung der kriegerischen Auseinandersetzung“ darstelle. Rentenverbesserung, Sp. 649. Vgl. auch Recker, S. 207 f.

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bestehe. Die Möglichkeit, sich bei einem privaten Versicherungsunternehmen auf eigene Kosten zu versichern oder eine frühere Pflichtmitgliedschaft bei einer gesetzlichen Krankenkasse freiwillig fortzusetzen, bleibe aber den meisten Rentnern wegen ihrer schlechten körperlichen Verfassung verschlossen. Zwar springe in schweren Fällen die öffentliche Fürsorge ein, gleichzeitig könne jedoch nicht bestritten werden, dass ein Rentenempfänger, der „in früheren Jahren seine Arbeitskraft der Volksgemeinschaft zur Verfügung gestellt hatte“, auch im Alter Anspruch auf Versicherungsleistungen im Falle der Krankheit habe.209 Dieser Mangel betraf vor allem die Bezieher niedriger Renten, die sich eine private Krankenversicherung oder die Fortsetzung ihrer Pflichtmitgliedschaft meist nicht leisten konnten.210 Die Kosten für die Erhöhung der laufenden Renten wurden auf 390 Millionen RM geschätzt und sollten vom Reich getragen werden. Für die Mehraufwendungen, die durch die Erhöhung der neu festzusetzenden Renten entstanden, übernahm das Reich lediglich eine Garantie. Die Kosten für die Rentnerkrankenversicherung wurden mit 160 Millionen RM veranschlagt und sollten von Rentnern und Versicherungsträgern gemeinsam aufgebracht werden, wobei nur rund 36 Millionen RM auf die Rentner selbst entfielen. Der größere Teil der Kosten sollte durch die Versicherungsträger übernommen werden.211 Der Reichsfinanzminister erklärte sich gemäß der im Januar getroffenen Absprache zwar prinzipiell mit dem Entwurf einverstanden, machte seine endgültige Zustimmung jedoch von einer Bestätigung Hitlers abhängig, dass während des Krieges von einer Verwirklichung der Pläne Leys generell abgesehen werde.212 Eine solche Vereinbarung hätte die Realisierung des Altersversorgungswerks jedoch auch für die Zeit nach dem Krieg grundsätzlich in Frage gestellt. Ley intervenierte daher bei Heß und drang auf eine umgehende Durchführung des „Versorgungswerks“, um „eine geordnete Versorgung des deutschen Volkes sicherzustellen“213 und zugleich den geplanten Leistungsverbesserungen zuvorzukommen. Unterstützung erhielt Ley aus den Gauen, wo die in Aussicht gestellten Rentenerhöhungen allgemein als unzureichend beurteilt wurden. Der Entwurf nehme zwar die Notverordnungskürzungen vom Juni 1932 zurück, die Kürzungen durch das Sanierungsgesetz vom 7. Dezember 1933 blieben jedoch erhalten. Die geplanten Erhöhungen, so die Kritik, brächten daher für eine große Gruppe von Renten209 Entwurf eines Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom Februar 1941, BArch R 36 / 3171. Roedenbeck, Krankenversicherung (I), S. 85. 210 Recker, S. 207. 211 Entwurf eines Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom Februar 1941, BArch R 36 / 3171. 212 Schreiben des RFM an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers, 20. 03. 1941, BArch R 3901 / alt R 41 / 18. Schreiben des RFM an den RAM, 20. 03. 1941, BArch R 3901 / alt R 41 / 28. Vgl. auch Recker, S. 208. 213 Ley an den StdF, 01. 04. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 117 08318. Vermerk aus dem Reichsfinanzministerium vom 09. 05. 1941, BArch R 2 / 18541.

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empfängern nur einen teilweisen Ausgleich der Rentenkürzungen der dreißiger Jahre.214 Im Mai beendete schließlich Hitler die Diskussion, indem er sich mit der Einbringung des Gesetzes einverstanden erklärte. Die Verwirklichung des „Versorgungswerks“ wurde auf die Nachkriegszeit vertagt, die Vorarbeiten sollten jedoch fortgesetzt werden.215 Das Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung wurde am 24. Juli 1941 verabschiedet und trat in Teilen rückwirkend zum 1. Juni 1941, im Übrigen zum 1. August 1941 in Kraft.216 Das Leistungsverbesserungsgesetz erhöhte in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie in der knappschaftlichen Pensionsversicherung die laufenden Renten um 7 RM monatlich. Bei den Witwen- und Witwerrenten betrug der Zuschlag 5 RM, bei den Waisenrenten 4 RM monatlich. Die Kosten übernahm das Reich.217 In der Invalidenversicherung erhöhten sich dadurch rund 2,92 Millionen Invalidenrenten, 840.000 Witwenrenten und 500.000 Waisenrenten. In der Angestelltenversicherung waren es 350.000 Ruhegelder, 205.000 Witwenrenten und 60.000 Waisenrenten.218 Bei den neu festzusetzenden Renten hob das Gesetz den Grundbetrag in der Arbeiterversicherung um 7 RM monatlich an und verdoppelte ihn damit auf 156 RM im Jahr. In der Hinterbliebenenversorgung stieg der Grundbetrag bei der Witwenrente von 72 RM auf 132 RM und bei der Waisenrente von 36 RM auf 84 RM jährlich. In der Angestelltenversicherung wurde der Grundbetrag um 84 RM jährlich auf 444 RM aufgestockt, was einer Rentenerhöhung um knapp 24 Prozent entsprach. Die Mehraufwendungen gingen zu Lasten der Versicherungsträger. In der Invalidenversicherung übernahm damit jedoch letztlich das Reich die Kosten, da die Grundbeträge durch den Reichszuschuss finanziert wurden. Die knappschaftliche Pensionsversicherung erhielt künftig einen erhöhten Zuschuss vom Reich, im Übrigen griff die Reichsgarantie.219 214 NSDAP – Parteikanzlei an das Reichsfinanzministerium, betr. Rentenverbesserungen, 20. 11. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22103 – 81, hier 22115 f., 22159 – 66, 22167 f. – Stellungnahmen der Gauleitung Ober-Donau vom 03. 09. 1941, der Gauleitung Schwaben vom 25. 02. 1941, aus dem Gau Schleswig-Holstein am 26. 02. 1941. 215 Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei an den RFM, betr. Gesetz über Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung und Abbau der Gehaltskürzungen, 23. 05. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 15617 – 20. 216 Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. 07. 1941, RGBl. I 1941, S. 443 – 444. 217 Heller, Gesetz über die Verbesserung, S. 103. Kurzwelly, Großzügiger Ausbau, S. 373. Rentenverbesserung, Sp. 649 f. Verbesserungen in der Rentenversicherung, S. 508. Dersch, Leistungsverbesserungen (I), S. 221 – 225. 218 Entwurf eines Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom Februar 1941, BArch R 36 / 3171. Vgl. auch Engel, Entwicklung, S. 248. 219 Eine Staffelung der Erhöhung wie in der Arbeiterversicherung war in den anderen Versicherungszweigen nicht notwendig, da den Witwen, Witwern und Waisen der Grundbetrag in der Angestelltenversicherung wie auch in der knappschaftlichen Pensionsversicherung anteilig zu fünf Zehnteln bzw. vier Zehnteln gewährt wurde. Heller, Gesetz über die Verbes-

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Bei der Prüfung der fürsorgerechtlichen Hilfsbedürftigkeit blieben die Leistungsverbesserungen bei Invalidenrenten und Ruhegeldern in Höhe von 6 RM, bei Witwen und Waisen gänzlich außer Ansatz. Eine nachträgliche Berücksichtigung beim Kostenersatz war ebenfalls ausgeschlossen, denn auch die Fürsorgeempfänger unter den Rentnern sollten an den aus Reichsmitteln finanzierten Verbesserungen teilhaben. Im Falle einer Anstaltsunterbringung allerdings konnten die Rentenerhöhungen angerechnet werden, sofern der Hilfsbedürftige in der Anstalt in jeder Hinsicht ausreichend betreut wurde, und eine zusätzliche Leistung auf Grund körperlicher oder geistiger Gebrechen keine Erleichterung versprach.220 Mit der Einführung einer Krankenversicherung für Rentner, beseitigte das Leistungsverbesserungsgesetz ein schwerwiegendes Defizit im Bereich der sozialen Sicherung. Die praktische Umsetzung folgte der Leitlinie, bei möglichst geringer Beitragsbelastung und einer einfachen Verwaltung einen ausreichenden Versicherungsschutz zu garantieren.221 Die Rentnerkrankenversicherung gewährte ihren Versicherten und deren Angehörigen Leistungen gemäß den Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung. Um Kosten zu sparen wurden jedoch außer dem Sterbegeld222 keine Barleistungen, sondern ausschließlich Sachleistungen bewilligt. Die Rentnerkrankenversicherung gewährte daher keine Zuschüsse zu größeren Heil- und Hilfsmitteln, zu Zahnersatz und Zahnkronen sowie Stiftzähnen. Ausgenommen waren ferner Leistungen wie Krankengeld, Hausgeld, Wochengeld und ähnliche Barleistungen. Krankenhauspflege wurde zwar prinzipiell von den Krankenkassen übernommen, ihre Gewährung war jedoch zeitlich begrenzt. Die Beschränkung auf Sachleistungen erschien vertretbar, da die Rente auch im Krankheitsfall unvermindert gewährt wurde, so dass ein Ausgleich von Einkommenseinbußen nicht erforderlich war.223 serung, S. 103. Kurzwelly, Großzügiger Ausbau, S. 374. Rentenverbesserung, Sp. 650. Verbesserungen in der Rentenversicherung, S. 508. Dersch, Leistungsverbesserungen (I), S. 226. Engel, Entwicklung, S. 248. 220 Erlass des RAM und RMdI betr. die Behandlung der Leistungsverbesserungen der Rentenversicherung in der öffentlichen Fürsorge vom 28. 07. 1941, in: RABl. II 1941, S. 301. Vgl. auch Dersch, Leistungsverbesserungen (I), S. 225. Verbesserungen in der Rentenversicherung, S. 508. 221 Roedenbeck, Krankenversicherung (I), S. 85. Vgl. auch Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner vom 04. 11. 1941, RGBl. I 1941, S. 689 – 692. 222 Das Sterbegeld betrug für Versicherte bis zum vollendeten 14. Lebensjahr 40 RM und für Versicherte über 14 Jahren 75 RM. Beim Familiensterbegeld erhielten die Hinterbliebenen im Falle des Todes eines Ehepartners ein Sterbegeld in Höhe von 40 RM, beim Tod eines unterhaltsberechtigten Kindes ein Sterbegeld von 25 RM. Die Gewährung des Sterbegeldes setzte voraus, dass der Verstorbene und seine Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft gelebt hatten. Das Sterbegeld diente zunächst der Bestreitung der Bestattungskosten, eventuelle Überschüsse konnten an die Hinterbliebenen ausgezahlt werden. Auf das Familiensterbegeld wurde der Betrag, auf den der Verstorbene selbst gesetzlich versichert war, angerechnet. Roedenbeck, Krankenversicherung (II), S. 115 f. 223 Roedenbeck, Krankenversicherung (I), S. 95 f. Kurzwelly, Großzügiger Ausbau, S. 375. Engel, Entwicklung, S. 242 f.

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Bei einer Anstaltsunterbringung des Versicherten oder seiner Familienangehörigen war die Rentnerkrankenversicherung auch im Falle einer Krankheit nicht verpflichtet, Leistungen zu gewähren, wenn die erforderliche ärztliche Behandlung sowie die notwendigen Medikamente im Rahmen der Heimbetreuung erbracht wurden. Die Anstalt als Empfängerin der Rente konnte daher eine Erstattung der Krankenversicherungsbeiträge beantragen. Übernahm die Anstalt nur Teilleistungen in der Krankenpflege, hatte die Krankenkasse den Teil der Krankenpflege, der nicht in der Gesamtbetreuung enthalten war, im Rahmen der Rentnerkrankenversicherung zu gewähren. Beinhaltete die Betreuung durch die Anstalt keine Krankenpflege, übernahm die Rentnerkrankenversicherung die gesamten Kosten.224 Bei Erkrankungen von leistungsberechtigten Familienangehörigen zahlte die Krankenversicherung von den Kosten für Medikamente und kleinere Heilmittel die Hälfte, bei anzeigepflichtigen übertragbaren Krankheiten übernahm sie die Kosten in voller Höhe. Sofern die Kosten nicht von der Krankenversicherung übernommen wurden, musste der Rentner selbst dafür aufkommen. Im Falle der Hilfsbedürftigkeit des Rentners sprangen die jeweiligen Fürsorgeverbände ein.225 Eine Befreiung von der Rentnerkrankenversicherung war grundsätzlich nicht möglich. Nahm ein Rentenempfänger eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf, kam es zu einer Doppelversicherung, sofern sich der Rentner nicht von der Versicherungspflicht auf Grund der Beschäftigung befreien ließ. Auf Antrag konnten dem Rentner die Beiträge zur Rentnerkrankenversicherung allerdings erstattet werden, solange beide Versicherungen nebeneinander bestanden. Im Falle einer Doppelversicherung hatte der Rentner Anspruch auf die Leistungen der auf dem Beschäftigungsverhältnis beruhenden Krankenversicherung und war bei der Gewährung von Barleistungen den nicht rentenberechtigten Versicherten gleichgestellt. Die Gewährung von Barleistungen neben den Rentenbezügen galt als gerechtfertigt, da bei Rentenempfängern in der Regel finanzielle Not den Ausschlag für die Aufnahme einer Beschäftigung gab, und ihr Lebensunterhalt sich nicht nur auf ihre Rente, sondern vor allem auf ihren Arbeitsverdienst stützte.226 224 Reichsverband der Ortskrankenkassen, Sonderdruck des Rundschreibens Nr. 4 / 1942, betr. Krankenversicherung der Rentner, 20. 01. 1942, BArch R 36 / 1574. Der DGT an den DGT – Landesdienststelle Württemberg, betr. Krankenversicherung der Rentner, 22. 04. 1942, BArch R 36 / 1574. Anlage: „Verbesserungen der Leistungen in der Kranken- und Rentenversicherung“. Vgl. auch Koch, S. 157. Roedenbeck, Krankenversicherung (I), S. 86, 93. Ders., Krankenversicherung (II), S. 117 f. Engel, Entwicklung, S. 242 f. 225 Zusätzliche Krankenleistungen durch die Fürsorgeverbände an Hilfsbedürftige über die Leistungen der Krankenversicherung der Rentner und der knappschaftlichen Rentner und der Krankenversicherung der Kriegshinterbliebenen hinaus. Runderlass des RAM und des RMdI vom 15. 05. 1942, BArch R 36 / 1574. Der RAM, der RMdI an die Fürsorgeverbände und ihre Aufsichtsbehörden, die Träger der Krankenversicherung, ihre Aufsichtsbehörden und Verbände, betr. Zusätzliche Krankenleistungen durch die Fürsorgeverbände an Hilfsbedürftige über die Leistungen der Krankenversicherung der Rentner und der knappschaftlichen Rentner und der Krankenversicherung der Kriegshinterbliebenen hinaus, BArch R 36 / 1574. Vgl. auch Roedenbeck, Krankenversicherung (I), S. 96.

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Die Kosten für die Krankenversicherung von 3,30 RM je Rente wurden zum größten Teil durch die Versicherungsträger übernommen. Die Rentenempfänger hatten einen Beitrag von 1 RM monatlich zu leisten, den die Versicherungsträger direkt einbehielten; die Empfänger von Hinterbliebenenrenten waren beitragsfrei versichert.227 Neben der Beseitigung der Kürzungen durch die Notverordnung vom Juni 1932 bewirkte das Leistungsverbesserungsgesetz erhebliche Erleichterungen in der Wanderversicherung. Da die Steigerungsbeträge und die Grundbeträge in der Invaliden- und in der Angestelltenversicherung unterschiedlich hoch waren, konnte es vorkommen, dass ein Wanderversicherter eine höhere Rente erhielt, als ein Berechtigter, der unter gleichen Voraussetzungen nur aus einem der beiden Zweige Leistungen bezog. Der Gesetzgeber hatte daher bestimmt, dass in Fällen, in denen der volle Grundbetrag der Angestelltenversicherung gewährt wurde, Steigerungsbeträge aus der Invalidenversicherung nur insoweit gewährt werden durften, als sie beim Ruhegeld den Betrag von 12 RM, bei den Witwen- und Witwerrenten den Betrag von 6 RM und bei den Waisenrenten den Betrag von 4,80 RM überstiegen. Das Leistungsverbesserungsgesetz milderte diese Härte, indem es die Beträge halbierte. Von dieser Novellierung des Versicherungsrechts profitierten als regelmäßig Wanderversicherte insbesondere die Handwerker. Die Regelung beschränkte sich allerdings auf die neu festzusetzenden Renten, für die Bestandsrenten blieb die bisherige Vorschrift in Kraft.228 Nachdem bereits das „Kriegsgesetz“ vom Januar 1941229 festgelegt hatte, dass die Anwartschaften für die Dauer des Krieges grundsätzlich erhalten blieben, bewirkte das Leistungsverbesserungsgesetz eine weitere Vereinfachung des Rechts. Künftig galten die Anwartschaften aus allen Beiträgen, die für die Zeit vom 1. Januar 1924 bis zum Ablauf des auf das Kriegsende folgenden Kalenderjahrs 226 Reichsverband der Ortskrankenkassen, Sonderdruck des Rundschreibens Nr. 4 / 1942, betr. Krankenversicherung der Rentner, 20. 01. 1942, BArch R 36 / 1574. Vgl. auch Koch, S. 158. Roedenbeck, Krankenversicherung (I), S. 86, 92 f. Ders., Krankenversicherung (III), S. 139 ff., 134. 227 Roedenbeck, Krankenversicherung (I), S. 93 f. Koch, S. 158. Heller, Gesetz über die Verbesserung, S. 104. Kurzwelly, Großzügiger Ausbau, S. 375 f. Rentenverbesserung, Sp. 651 f. Engel, Entwicklung, S. 243. 228 Diese Vorschrift hatte sich teilweise als ungerecht erwiesen, weil der Wanderversicherte dadurch für einen langen Zeitraum Beiträge zur Invalidenversicherung zahlte, ohne dafür jemals eine Gegenleistung in Form von Steigerungsbeträgen zu erhalten. Kurzwelly, Großzügiger Ausbau, S. 374. Heller, Gesetz über die Verbesserung, S. 103 f. Verbesserungen in der Rentenversicherung, S. 509. Dersch, Leistungsverbesserungen (I), S. 226. 229 Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlass des Krieges vom 15. 01. 1941, RGBl. I 1941, S. 34 – 36. – Das Gesetz verbesserte ferner die Berechnung der Halbdeckung im Sinne des Versicherten, indem Zeiten, in denen der Versicherte während des Krieges Kriegs-, Sanitäts- oder ähnliche Dienste leistete, für die Halbdeckung nicht mehr mitgezählt wurden, wohl aber die dafür entrichteten Beiträge. Dersch, Leistungsverbesserungen (II), S. 43. Ders., Weitere Kriegsmaßnahmen. Kurzwelly, Kriegsmaßnahmen. Engel, Entwicklung, S. 246 f.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

entrichtet wurden, als erhalten, sofern der Versicherungsfall nicht bereits vor dem 26. August 1939 eingetreten war.230 Das Leistungsverbesserungsgesetz hatte eine deutliche Erhöhung der Renten zur Folge. In der Invalidenversicherung stieg die Durchschnittsrente von 32 RM auf 39 RM monatlich; die durchschnittliche Witwenrente erhöhte sich von 19 RM auf 24 RM im Monat. Damit lag die durchschnittliche Arbeiterrente jedoch immer noch deutlich unter dem von der Deutschen Arbeitsfront errechneten sozialen Existenzminimum von 45 RM monatlich.231 Das Rentenniveau, das 1938 nur 26 Prozent des Durchschnittslohns in der Invalidenversicherung betragen hatte, erhöhte sich auf 29 Prozent. Die ausgezahlten Beträge lagen damit geringfügig über dem Stand von 1931, das Rentenniveau dagegen deutlich darunter. Beim Neuzugang betrug die durchschnittliche Rente männlicher Versicherter 47 RM; das Rentenniveau stieg gegenüber dem Stand von 1938 um drei Prozentpunkte auf 35 Prozent des Durchschnittslohns. Die durchschnittliche Rente weiblicher Versicherter stieg beim Neuzugang auf 27 RM monatlich; das Rentenniveau erhöhte sich ebenfalls um drei Prozentpunkte auf 20 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes. Sowohl die ausgezahlten Beträge als auch das Rentenniveau blieben damit trotz der Verbesserungen deutlich hinter dem Stand von 1932 zurück. Die Mindestrente stieg für Versicherte von 12 RM auf 20 RM und für Witwen von 9 RM auf 14,50 RM im Monat. Die höchstmögliche Rente betrug knapp 91 RM, was einem Rentenniveau von 67 Prozent entsprach.232 In der Angestelltenversicherung können die Auswirkungen der Rentenerhöhung nur geschätzt werden, da für 1940 / 41 keine Angaben über die Höhe der Durchschnittsrente verfügbar sind. Gegenüber dem Stand von 1939 stieg das durchschnittliche Ruhegeld beim Neuzugang von 62 RM auf 70 RM monatlich. Trat ein Steigerungsbetrag aus der Invalidenversicherung hinzu, erhöhte sich der Betrag auf schätzungsweise 83 RM bis 84 RM im Monat. Auf Grund des vergleichsweise starken Anstiegs des Durchschnittsverdienstes in der Angestelltenversicherung erhöhte sich das Rentenniveau lediglich um einen Prozentpunkt auf 28 Prozent; kam ein Steigerungsbetrag aus der Invalidenversicherung hinzu, waren es 33 Prozent. Die durchschnittliche Witwenrente erhöhte sich um rund 5 RM auf etwa 36 RM monatlich; im Falle eines Steigerungsbetrags aus der Invalidenversicherung betrug die Rente etwa 44 RM im Monat.233 In der Öffentlichkeit fand das Gesetz nur wenig Beifall, da die Notverordnungskürzungen schon seit langem als unzumutbare Härte galten, deren Rücknahme als 230 Kurzwelly, Großzügiger Ausbau, S. 375. Rentenverbesserung, Sp. 650 f. Verbesserungen in der Rentenversicherung, S. 509. Heller, Gesetz über die Verbesserung, S. 104. Engel, Entwicklung, S. 248. 231 Zum Problem des sozialen Mindestbedarfs, S. 114. 232 Strebel, Die Höhe der Invalidenrenten. Die deutsche Sozialversicherung 1936, S. 573. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 473. 233 Der RAM an die Parteikanzlei, betr. Weitere Verbesserungen in der Rentenversicherung, 11. 09. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22056 – 61. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 473. Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 99.

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längst überfällig empfunden wurde. Im Vergleich zu dem großzügigen Ausbau der Altersversorgung, den Punkt 15 des Parteiprogramms in Aussicht gestellt hatte, erschien das Leistungsverbesserungsgesetz als eine späte „Wiedergutmachung“ gebrochener Versprechen und enttäuschter Hoffnungen.234 „Die Auffassung“, hieß es in einem Kommentar aus dem Gau Magdeburg-Anhalt, „dass der Nationalsozialismus für die alten und schwachen Volksgenossen nichts übrig hat und ihre schnelle Vernichtung wünscht, hat ( . . . ) einer vernünftigen Auffassung Platz gemacht.“235 Vor allem die Tatsache, dass sich die Rentenerhöhung im Wesentlichen auf eine Aufhebung der Kürzungen aus dem Jahr 1932 beschränkte, während die Rentenkürzungen durch das Sanierungsgesetz fortbestanden, stieß in der Öffentlichkeit und in Fachkreisen auf Kritik. Und auch das Reichsarbeitsministerium räumte ein, dass „das Endziel, den schaffenden Volksgenossen eine völlig ausreichende Rentenversorgung zu gewähren ( . . . ) noch nicht erreicht werden“ konnte, und es daher „Aufgabe der staatlichen Sozialpolitik“ bleibe, „auf die Erreichung dieses Ziels hinzuwirken“.236 Allein die Einführung der Rentner-Krankenversicherung wurde allgemein als spürbare Verbesserung begrüßt. Angesichts der steigenden Anfälligkeit für Krankheiten im Alter und einer durchschnittlichen Rentenhöhe, die für eine freiwillige Versicherung wenig Raum ließ, schloss das Gesetz eine erhebliche Lücke in der sozialen Sicherung.237 Die Soziale Praxis konstatierte daher treffend: „Durch die neuen Verbesserungen erhärtet das Reich seinen Willen und seine Kraft, mitten in der Anspannung der kriegerischen Auseinandersetzung mit den bewährten Methoden neuen Segen zu stiften, alte Wunden zu heilen und die Lage der Sozialrentner – der Alten, Schwachen, Witwen und Waisen – zu stützen und weiter zuheben.“238

Das Leistungsverbesserungsgesetz zielte jedoch nicht nur auf eine Verbesserung der materiellen Lage der Rentenempfänger, sondern war darüber hinaus Teil einer „Bestechungspolitik“, die Legitimation erzeugen und das Regime im Inneren stabilisieren sollte. Es wandte sich nicht nur an alte Menschen, sondern vor allem an die erwerbstätige Generation, der es in Zukunft eine Belohnung für ihre Opfer und Entbehrungen während des Krieges versprach. Der Durchhaltewillen der Bevölkerung sollte dadurch gestärkt und ihre Leistungsbereitschaft gesteigert werden.239 234 Dersch, Leistungsverbesserungen (I), S. 221. Rentenverbesserung, Sp. 649. Vgl. auch der Oberbürgermeister der Stadt Chemnitz an den Vorsitzenden des DGT, Reichsleiter Fiehler, betr. Aufhebung der Rentenkürzungen, 07. 04. 1941, BArch R 36 / 805. 235 NSDAP – Parteikanzlei an das Reichsfinanzministerium, betr. Rentenverbesserungen, 20. 11. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22103 – 81, hier 22104. – Stellungnahme aus dem Gau Magdeburg-Anhalt vom 09. 08. 1941. 236 Engel, Entwicklung, S. 248. Vgl. auch Der RAM an die Parteikanzlei, betr. Weitere Verbesserungen in der Rentenversicherung, 11. 09. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22055 – 61. 237 Verbesserungen in der Rentenversicherung, S. 509. Kurzwelly, Großzügiger Ausbau, S. 375. 238 Rentenverbesserung, Sp. 649.

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b) Strukturelle Verbesserungen statt Rentenerhöhungen Trotz der Rentenerhöhungen blieben die Renten spürbar hinter der allgemeinen Lohnentwicklung zurück, und die steigenden Lebenshaltungskosten verschlechterten die relative Einkommensposition der Rentenempfänger nach Kriegsbeginn zusätzlich. Während die amtliche Statistik für die Jahre 1939 / 41 einen Anstieg der Lebenshaltungskosten von lediglich 5,5 Prozent auswies, schätzte der Reichspreiskommissar die Teuerung auf Grund direkter Preiserhöhungen und Verbrauchsverschiebungen auf knapp zwölf Prozent. Die Deutsche Arbeitsfront ging sogar von 20 Prozent aus.240 Im September 1941 schlug der Reichsarbeitsminister daher weitere Leistungsverbesserungen in der öffentlichen Rentenversicherung vor. Ein entsprechender Entwurf ging der Parteikanzlei am 11. September mit der Bitte um Stellungnahme zu. Der Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann, leitete die Pläne umgehend an Staatssekretär Reinhardt im Reichsfinanzministerium weiter, um die Durchführbarkeit und die finanziellen Auswirkungen des Projekts prüfen zu lassen.241 Die Vorlage des Reichsarbeitsministeriums umfasste zwei alternative Konzepte, die sich vor allem bezüglich der zu erwartenden Kosten erheblich voneinander unterschieden. Die Kernelemente des umfangreicheren Plans waren (1) die Anhebung der Renten auf das Niveau, das sie ohne die durch die Notverordnungen bedingten Kürzungen inzwischen erreicht hätten, und (2) die Angleichung des Leistungsrechts in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung. In allen Zweigen der öffentlichen Rentenversicherung sollte ein einheitlicher Grundbetrag von 30 RM monatlich gewährt werden. Diese Maßnahme erforderte in der Invalidenversicherung und der knappschaftlichen Pensionsversicherung der Arbeiter eine Anhebung des Grundbetrags um 17 RM monatlich. Bei den Witwenrenten sollte der Grundbetrag künftig 15 RM, bei den Waisenrenten 12 RM monatlich betragen. In der Angestelltenversicherung und der knappschaftlichen Pensionsversicherung der Angestellten ergab sich aus der einheitlichen Gestaltung des Grundbetrags zunächst eine Rentenkürzung. Zum Ausgleich sollten die Steigerungsbeträge soweit erhöht werden, dass im Ergebnis ein Anstieg des Ruhegeldes um durchschnittlich 17 RM monatlich eintrat. Für die laufenden Renten sah der Entwurf in allen Versicherungszweigen eine Erhöhung der Versichertenrenten um 15 RM, der Witwenrenten um 7,50 RM und der Waisenrenten um 6 RM monatlich vor. Die Kinderzuschüsse für die ersten beiden Kinder sollten erhöht und der Bezug von Witwenrenten in der Invalidenversicherung weiter erleichtert wer239 Vgl. auch Recker, S. 206 f. Teppe, S. 250. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 194. Ders., Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 477 f. 240 Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 60 f. Abelshauser, Germany, S. 152 f. 241 Der RAM an die Parteikanzlei, betr. Weitere Verbesserungen in der Rentenversicherung, 11. 09. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22056 – 82. NSDAP – Parteikanzlei an Hauptbefehlsleiter Reinhardt, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 23. 10. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22050 – 55. Vgl. auch Recker, S. 209.

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den.242 Die Kosten der Reform veranschlagte das Reichsarbeitsministerium mit 840 Millionen RM; davon entfielen allein 770 Millionen RM auf die Erhöhung der laufenden Renten. Zur Finanzierung der Mehrausgaben war eine weitere Beitragsübertragung aus der Arbeitslosenversicherung geplant.243 Für den Fall, dass der erste Plan auf Grund seiner finanziellen Dimensionen an den fiskalischen Bedenken der übrigen Ressorts scheiterte, hatte das Reichsarbeitsministerium ein Alternativkonzept erarbeitet, dessen Leistungsverbesserungen wesentlich bescheidener ausfielen. Die laufenden Renten sollten generell um 7 RM erhöht werden. Eine Anhebung der Mindestrente auf 35 RM monatlich sollte vor allem bei den niedrigen Renten eine spürbare Verbesserung bewirken. Die Witwenrenten sollten um 3,50 RM monatlich, die Waisenrenten um 3 RM im Monat angehoben werden. Die Mindestrente sollte 17,50 RM bzw. 14 RM monatlich betragen. Bei den neu festzusetzenden Renten sollte der Grundbetrag in der Invalidenversicherung und in der knappschaftlichen Pensionsversicherung der Arbeiter von 13 RM auf 20 RM monatlich steigen, und der Mindeststeigerungsbetrag sollte sich von 6 RM auf 15 RM monatlich erhöhen. Die Witwenrente sollte fünf Zehntel, die Waisenrente vier Zehntel der Versichertenrente betragen. In der Angestelltenversicherung und der knappschaftlichen Pensionsversicherung der Angestellten sollten die Steigerungsbeträge soweit angehoben werden, bis die Erhöhung der Ruhegelder den Verbesserungen in der Arbeiterversicherung entsprach.244 Die geschätzten Kosten fielen mit 480 Millionen RM im Vergleich zum ersten Plan deutlich geringer aus. Die Finanzierung sollte ebenfalls aus den Überschüssen der Arbeitslosenversicherung erfolgen.245 Um auch die auf Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge angewiesenen Rentenempfänger an den Rentenerhöhungen teilhaben zu lassen, sollten die Leistungsverbesserungen weitgehend anrechnungsfrei bleiben. Bei der ersten Variante betrugen die anrechnungsfreien Beträge für Versichertenrenten 6 RM und für Hinterbliebenenrenten 3 RM. Die zweite Variante sah vor, die Rentenerhöhungen auf Grund ihres geringeren Umfangs gänzlich außer Ansatz zu lassen.246 242 Erster Plan zu neuen Verbesserungen in der Rentenversicherung. Anlage 1 zum Schreiben des RAM an die Parteikanzlei, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 11. 09. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22062 – 65. 243 Finanzielle Auswirkungen des ersten Plans zu neuen Verbesserungen in der Rentenversicherung. Anlage 2 zum Schreiben des RAM an die Parteikanzlei, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 11. 09. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22066 – 70. Vgl. auch Recker, S. 206 f., 209. Geyer, Reichsknappschaft, S. 370. 244 Zweiter Plan zu neuen Verbesserungen in der Rentenversicherung. Anlage 3 zum Schreiben des RAM an die Parteikanzlei, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 11. 09. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22071 f. 245 Finanzielle Auswirkungen des zweiten Planes zu neuen Verbesserungen in der Rentenversicherung. Anlage 4 zum Schreiben des RAM an die Parteikanzlei, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 11. 09. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22073 – 77.

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Unterstützung erhielt die geplante Reform durch die Parteikanzlei. Bormann bejahte die politische Notwendigkeit der geplanten Rentenerhöhungen ausdrücklich und forderte aus propagandistischen Gründen ihr Inkrafttreten noch vor Weihnachten 1941. Reinhardt gegenüber betonte er, die Gauleiter hätten wiederholt darauf hingewiesen, dass die Leistungsverbesserungen vom Juli 1941 zwar „die brennende Not der Rentner ( . . . ) gemildert, ( . . . ) doch keineswegs beseitigt“ hätten. Untersuchungen des Hauptamtes für Volkswohlfahrt in Zusammenarbeit mit dem Hauptamt für Volksgesundheit hätten für alleinstehende Rentner einen Mindestbedarf von rund 26 RM monatlich ergeben, wobei die Ausgaben für Miete, Beleuchtung, Heizung sowie Bekleidung und andere Anschaffungen nicht enthalten seien.247 Im Jahr 1940 hätte jedoch allein in der Invalidenversicherung knapp ein Drittel aller Renten unter 21 RM gelegen. Trotz der inzwischen erfolgten Rentenerhöhungen seien 1941 immer noch 871.000 Invalidenrenten hinter der angestrebten Mindestrente von 35 RM zurückgeblieben.248 Angesichts dieser sozialpolitischen Defizite sprach sich Bormann nicht nur generell für eine weitere Anhebung der Renten aus, sondern befürwortete nachdrücklich den weitergehenden Reformplan des Reichsarbeitsministeriums: „Alle diese Schwierigkeiten ( . . . ) dürften durch den sogenannten ersten Plan der Reformvorschläge mit einem Schlage beseitigt werden, während bei der Durchführung des zweiten Planes eine baldige Ergänzung erforderlich wäre.“249 Reinhardt erkannte die geplanten Leistungsverbesserungen zwar grundsätzlich als wünschenswert an, machte jedoch entscheidende finanz- und wirtschaftspolitische Bedenken gegen die Reformpläne geltend. Da die Empfänger der Verbesserungen ausnahmslos zu den Beziehern niedriger Einkommen gehörten, argumentierte Reinhardt, schlage sich die zusätzliche Kaufkraft in vollem Umfang als Warennachfrage nieder. Einem Kaufkraftschub dieser Größenordnung stände jedoch kein angemessenes Warenangebot gegenüber, so dass Verbesserungen im genannten Umfang zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgeschlossen seien. Die Einnahmen der Arbeitslosenversicherung seien außerdem bereits für andere Ausgabenzwecke vollständig verplant, so dass das Reich gezwungen wäre, die erforderlichen Mittel 246 Behandlung der Leistungsverbesserungen der Rentenversicherung in der öffentlichen Fürsorge. Anlage 5 zum Schreiben des RAM an die Parteikanzlei, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 11. 09. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22078 – 82. 247 NSDAP – Parteikanzlei an Hauptbefehlsleiter Reinhardt, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 23. 10. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22050 – 55, hier 22051. 248 Finanzielle Auswirkungen des zweiten Planes zu neuen Verbesserungen in der Rentenversicherung. Anlage 4 zum Schreiben des RAM an die Parteikanzlei, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 11. 09. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22073 – 77. 249 NSDAP – Parteikanzlei an Hauptbefehlsleiter Reinhardt, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 23. 10. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22050 – 55, hier 22051.

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aus dem Haushalt bereitzustellen. Dies sei jedoch aus Gründen der Kriegsfinanzierung nicht vertretbar. Reinhardt bezweifelte ferner den propagandistischen Nutzen der Rentenerhöhungen, da die Rentenempfänger erst im Juli 1941 eine deutliche Verbesserung erfahren hätten und eine neuerliche Anhebung der Renten gar nicht erwarteten. Zudem seien zahlreiche Sozialrentner erwerbstätig und erhielten zusätzliche Hilfe durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Während des Krieges könne und müsse man sich daher auf die Beseitigung der schlimmsten strukturellen Härten beschränken.250 Eine Intervention Bormanns beim Chef der Reichskanzlei, Hans Lammers, brachte nicht den gewünschten Erfolg.251 Und auch das Reichsfinanzministerium beharrte auf seiner ablehnenden Position. Anlässlich einer neuerlichen Senkung der Lebensmittelrationen, die einen Kaufkraftüberschuss von voraussichtlich 1 Milliarde RM freizusetzen drohte, betonten das Reichsfinanz- und das Reichswirtschaftsministerium übereinstimmend die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zur Kaufkraftabschöpfung. Verbesserungen in der öffentlichen Rentenversicherung seien unter diesen Bedingungen nur insofern realisierbar, als sie ein Volumen von 100 Millionen RM nicht überschritten.252 In Anbetracht dieser breiten Abwehrfront legte das Reichsarbeitsministerium schließlich im April 1942 einen neuen Gesetzentwurf vor, der auf eine Erhöhung der Renten verzichtete und sich stattdessen auf den Abbau struktureller Mängel vor allem in der Arbeiterversicherung beschränkte. Die erforderlichen Mehrausgaben schätzte das Reichsarbeitsministeriums auf 53 Millionen RM. Der Restbetrag bis zur Ausschöpfung der bewilligten Mittel in Höhe von 100 Millionen RM sollte zur Finanzierung von Zusatzrenten in den östlichen Gebieten herangezogen werden.253 Auf Grund der vorangegangenen Verhandlungen war dieser neue Entwurf weitgehend unumstritten. Allein bei der Deutschen Arbeitsfront, die bereits in den Leistungsverbesserungen von 1941 eine vehemente Gefährdung ihrer eigenen Pläne gesehen hatte, stieß der Entwurf eines Zweiten Leistungsverbesserungsgesetzes auf Widerspruch. Mit dem neuen Gesetz, kritisierte Ley, sei ein dauernder Auftrieb 250 Hauptbefehlsleiter Fritz Reinhardt an den Leiter der Parteikanzlei, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Sozialversicherung, 17. 11. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22094 – 97. Vgl. auch Recker, S. 209. 251 NSDAP – Parteikanzlei an Reichsminister Lammers, 14. 01. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 156642 f. Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei an den Leiter der Parteikanzlei, Februar 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 15644 – 50. 252 Vermerk betr. Leistungsverbesserungen in der Sozialversicherung, 17. 03. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 22186 f. Vgl. auch Recker, S. 209. 253 Der RAM an den Leiter der Parteikanzlei, den RFM, den RMdI, betr. Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung, 02. 04. 1942, BArch R 89 / 3171. Vermerk aus dem Reichsfinanzministerium, betr. Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung, 11. 04. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 10556 f.

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der Rentenleistungen verbunden. Manche Leistungen seien bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt erheblich über die im „Versorgungswerk“ vorgesehene Höhe hinausgewachsen.254 Ley steckte in einem Dilemma: Bei einer Verwirklichung des „Versorgungswerks“ mussten entweder die erhöhten Renten gekürzt oder die Masse der niedrigen Renten erhöht werden. „Das eine“, daran bestand kein Zweifel, „ist politisch wohl völlig unmöglich; das nationalsozialistische Reich kann nach einem gewonnenen Krieg nicht die als Dank für den Kriegseinsatz festgesetzten Renten abbauen“.255 Die Durchsetzungschancen einer allgemeinen Rentenerhöhung waren jedoch auf Grund der damit verbundenen Kosten ebenfalls gering. Jede weitere Vertagung des geplanten „Versorgungswerks“ musste somit die Realisierungschancen des Projekts verschlechtern. Ley wandte sich daher mit der Forderung an Bormann, das „Versorgungswerk“ wenigstens in Grundzügen bereits während des Krieges in Kraft zu setzen, um „endlich ( . . . ) Ordnung in die gesamte Versorgung zu bringen“.256 „Die Unzulänglichkeit der Sozialversicherung“, gab Ley zu bedenken, stelle angesichts der Dauer des Krieges eine zunehmende Belastung für „die Leistungsfreudigkeit weiter Volkskreise“ dar. Trotz aller Reformbemühungen sei die „Aussicht auf den Lebensabend vorläufig äußerst trübe“ und könne nur durch eine schnellstmögliche Realisierung des „Versorgungswerks“ nachhaltig verbessert werden.257 Leys Bemühungen blieben jedoch erfolglos. Aber auch dem Reichsarbeitsministerium war es nicht gelungen, die angestrebten Leistungsverbesserungen im geplanten Umfang zu verwirklichen. Das Reichsfinanzministerium verschloss sich dem Argument einer wünschenswerten und für das Regime öffentlichkeitswirksamen sozialpolitischen Verbesserung und gestattete aus fiskalischen Überlegungen heraus lediglich eine Minimallösung.258 Das Zweite Leistungsverbesserungsgesetz wurde am 19. Juni 1942 verabschiedet und trat rückwirkend zum 1. Mai in Kraft.259 Es erhöhte aus bevölkerungspolitischen Gründen die Kinderzuschüsse für die ersten beiden Kinder von 90 RM auf 120 RM. Damit wurde ein weiterer Teil der Kürzungen durch die Notverordnung vom Juni 1932, die den Kinderzuschuss von 10 RM auf 7,50 RM gesenkt hatte, zurückgenommen.260 Schreiben Leys an Bormann, 26. 04. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 117 08261 – 68. Ebenda, 117 08264. 256 Die DAF an Reichsleiter Bormann, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, April 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 22193 – 98, hier 22196. – Eine Abschrift des undatierten Schreibens ging am 25. 04. 1942 im Reichsfinanzministerium ein. 257 Schreiben Leys an Bormann, 26. 04. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 117 08261 – 68, hier 08261, 08264. 258 Der RAM an den Leiter der Parteikanzlei, den RFM, den RMdI, betr. Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung, 02. 04. 1942, BArch R 89 / 3171. Der RMdI an den RAM, betr. Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung, 10. 04. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 10555. 259 Zweites Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 19. 06. 1942, RGBl. I 1942, S. 407 – 408. 254 255

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In der Invalidenversicherung bewirkte das Gesetz eine weitere Angleichung an das Recht der Angestelltenversicherung, indem es den Bezug von Witwenrenten wesentlich erleichterte. In der Angestelltenversicherung und der knappschaftlichen Pensionsversicherung hatte auch die voll erwerbsfähige Witwe einen Anspruch auf Witwenrente. In der Invalidenversicherung wurde dagegen nur denjenigen Witwen eine Hinterbliebenenrente gewährt, die invalide waren oder das 65. Lebensjahr vollendet hatten. Das Ausbaugesetz hatte diese Bestimmung zunächst dahingehend gelockert, dass auch Witwen, die beim Tod des versicherten Ehemanns mehr als drei waisenrentenberechtigte Kinder erzogen, einen Rentenanspruch besaßen. Das Zweite Leistungsverbesserungsgesetz erweiterte den Kreis der Berechtigten nunmehr entscheidend, indem es auch diejenigen Witwen einbezog, die mindestens zwei waisenrentenberechtigte Kinder unter sechs Jahren erzogen oder das 55. Lebensjahr vollendet und mindestens vier lebende Kinder geboren hatten.261 Eine vollständige Angleichung des Rechts war damit, wie das Reichsversicherungsamt kritisierte, allerdings nicht erreicht.262 Das Leistungsverbesserungsgesetz ermöglichte ferner Ehefrauen, deren Ehe geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben worden war, den Bezug einer Witwenrente, wenn der Versicherte zum Zeitpunkt des Todes unterhaltspflichtig gewesen war. Eine Einschränkung erfuhr diese Regelung insofern, als sie eine Kann-Bestimmung war, die der Zustimmung des Reichsarbeitsministers oder einer von ihm beauftragten Stelle bedurfte. Die Höhe der Leistungen war begrenzt und durfte weder die Witwenrente der Ehefrau, die zum Zeitpunkt des Todes mit dem Versicherten verheiratet gewesen war, noch den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau überschreiten.263 Die Vorschriften über die Erfüllung der Wartezeiten, die bereits durch das Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlass des Krieges vom 15. Januar 1941 erleichtert worden waren, wurden ebenfalls weiter vereinfacht. Durch das „Kriegsgesetz“ galt bei Versicherten, die während des Krieges als Soldaten starben oder „infolge einer Beschädigung bei besonderem Einsatz oder einer Wehrdienstbeschädigung invalide“ wurden oder starben, die Wartezeit automatisch als erfüllt.264 Das neue Gesetz dehnte diese Bestimmung auch auf alle Personen aus, die infolge eines Arbeitsunfalls berufsunfähig wurden oder starben.265 Heller, Zweites Gesetz, S. 403. Fix, S. 75. Engel, Entwicklung, S. 248. Fix, S. 75 ff. Heller, Zweites Gesetz, S. 403. 262 Das RVA an den RAM, betr. Entwurf eines zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung, 14. 04. 1942, BArch R 89 / 3171. 263 Heller, Zweites Gesetz, S. 403. Fix, S. 77 ff. Engel, Entwicklung, S. 249. 264 Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlass des Krieges vom 15. 01. 1941, RGBl. I 1941, S. 34 – 36. Vgl. auch Kurzwelly, Kriegsmaßnahmen, S. 74 – 76. Dersch, Weitere Kriegsmaßnahmen, S. 101 – 107. Engel, Entwicklung, S. 246 f. 265 Heller, Zweites Gesetz, S. 404. Fix, S. 79. Engel, Entwicklung, S. 249. 260 261

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Aus bevölkerungspolitischen Gründen wurde ferner die Beitragserstattung bei Heirat weiter ausgebaut. Nach geltendem Recht konnten sich weibliche Versicherte bei ihrer Heirat die Hälfte der angesammelten Beiträge erstatten lassen, wenn die Wartezeit spätestens zwei Jahre nach der Heirat erfüllt war. Diese Regelung hatte jedoch vielfach eine beabsichtigte Eheschließung verzögert und wurde daher ersatzlos gestrichen.266 Die ehrgeizigen Pläne einer deutlichen Erhöhung der Renten, die es erlaubt hätte, an das Rentenniveau der späten zwanziger Jahre anzuknüpfen, scheiterten erneut am Widerstand des Reichsfinanz- und des Reichswirtschaftsministeriums. Der schmale finanzielle Rahmen von 100 Millionen RM, den das Reichsfinanzministerium aus kaufkraftpolitischen Überlegungen gesteckt hatte, erlaubte lediglich strukturelle Verbesserungen des Rentenrechts, die nicht geeignet waren, den Lebensstandard der Rentenempfänger unmittelbar zu verbessern.267 Auch die ursprüngliche Absicht, das Leistungsniveau der Invalidenversicherung dem der Angestelltenversicherung anzugleichen, konnte nicht verwirklicht werden. Dennoch war man dem Ziel eines einheitlichen Leistungsrechts in beiden Versicherungszweigen ein gutes Stück näher gekommen und hatte zugleich bewiesen, dass sich der Anspruch der Deutschen Arbeitsfront, Arbeiter und Angestellte in der „Volksgemeinschaft“ sozialversicherungsrechtlich gleichzustellen, auch im Rahmen des traditionellen Systems der sozialen Sicherung, realisieren ließ. In Anbetracht der Schärfe der Auseinandersetzung mit der Deutschen Arbeitsfront war man im Reichsarbeitsministerium darüber hinaus bereit, alte Grundsätze der Rentenversicherungspolitik über Bord zu werfen. Bereits beim Ersten Leistungsverbesserungsgesetz hatte den vorgenommenen Rentenerhöhungen auf der Beitragsseite kein Äquivalent gegenüber gestanden. Mit dem Zweiten Leistungsverbesserungsgesetz setzte sich dieser Trend fort, so dass die Probleme der Kapitaldeckung, die in den dreißiger Jahren noch bestimmend für die Rentenpolitik gewesen waren, zunehmend in den Hintergrund traten.268 c) Die Juden und Zigeuner in der öffentlichen Rentenversicherung In engem zeitlichem Zusammenhang – ein inhaltlicher lässt sich nicht nachweisen – zu der Debatte über das Zweite Leistungsverbesserungsgesetz und die Reform der knappschaftlichen Pensionsversicherung stand der Entwurf einer Verordnung über die Behandlung von Juden und Zigeunern in der Reichsversicherung.269 Der Entwurf orientierte sich an den Grundsätzen eines vom ReichsarbeitsFix, S. 79. Heller, Zweites Gesetz, S. 404. Vgl. auch Frerich / Frey, Bd. 1, S. 302. 268 Geyer, Reichsknappschaft, S. 368 ff. Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 302, 306. 269 Der RAM an den Leiter der Parteikanzlei, den RMdI, den RFM, das Auswärtige Amt, den Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, betr. Entwurf einer Verordnung über die 266 267

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ministerium Anfang 1942 vorgeschlagenen Erlasses über die Behandlung der sogenannten „Schutzangehörigen und Staatenlosen polnischen Volkstums“ in den eingegliederten Ostgebieten. Danach sollten den „Schutzangehörigen und den Staatenlosen polnischen Volkstums“ alle Leistungen der Sozialversicherung nur als Unterstützung ohne Rechtsanspruch gewährt werden, während sie gleichzeitig die vollen reichsgesetzlichen Beiträge entrichten mussten. Alle als Bevölkerungspolitik geltenden Leistungen sollten auf das äußerste beschränkt werden. Im Bereich der Invaliden- und Hinterbliebenenunterstützung sollten alle Arbeitnehmer, auch die Angestellten und Bergleute, wie Arbeiter behandelt werden; Alters-, Kinder- und Waisenunterstützungen sollten gar nicht mehr, Witwenunterstützungen lediglich in eingeschränktem Maße gewährt werden. Die Leistungsvoraussetzungen sollten verschärft werden, die Höhe der Unterstützungsleistungen durfte die Richtsätze der öffentlichen Fürsorge nicht übersteigen.270 Die Juden und Zigeuner sollten im Vergleich dazu noch deutlich schlechter gestellt werden. Ihnen sollte zusätzlich das Recht zur freiwilligen Versicherung vorenthalten bleiben; von der Möglichkeit Rechtsmittel gegen Versicherungsträger und Versicherungsbehörden einzulegen, waren sie ausgeschlossen. Trotz bestehender Gegenseitigkeitsverträge mit anderen Staaten sollten in der Invaliden- und Hinterbliebenenunterstützung für die Erfüllung der Wartezeit und die Erhaltung der Anwartschaft künftig keine Beiträge mehr berücksichtigt werden, die in den Sozialversicherungen der eingegliederten Gebiete entrichtet worden waren. Dahinter standen finanzielle Überlegungen, da diese Anwartschaften häufig gar nicht, oder nur unzureichend gedeckt waren. Ebenfalls im Widerspruch zu den bestehenden Gegenseitigkeitsverträgen sollten Juden und Zigeuner, die im Generalgouvernement, den besetzten Ostgebieten oder im Ausland lebten, vom Bezug der Unterstützungen ausgeschlossen werden. Von den während des Krieges eingeführten Leistungsverbesserungen waren Juden und Zigeuner ausdrücklich ausgenommen.271 Die Verordnung solle sicherstellen, erklärte der Reichsarbeitsminister in der zusammenfassenden Begründung, „daß die zu gewährenden Unterstützungen sowohl die aus weltanschaulichen Gründen erforderliche Schlechterstellung der Juden gegenüber den deutschen Versicherten bringen, aber auch das geringste Existenzminimum bei Eintritt des Versicherungsfalls erfüllen, ohne daß im allgemeinen noch zusätzliche Leistungen aus dem Vermögen der Reichsvereinigung der Juden im Wege der freien jüdischen Wohlfahrtspflege gezahlt werden müßten“.272

Die Mittel der Reichsvereinigung und der jüdischen Kultusvereinigung, hieß es weiter, würden nämlich „für die Endlösung der europäischen Judenfrage beBehandlung von Juden und Zigeunern in der Reichsversicherung, 26. 08. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 10861 – 10868. 270 Ebenda, S. 1 f. 271 Ebenda, S. 2 f. 272 Ebenda, S. 4. – In den Jahren nach 1938 waren zahlreiche Beschwerden aus der Bevölkerung eingegangen, dass Juden immer noch Leistungen aus der Sozialversicherung bezögen. Vgl. dazu R 3901 / 4627.

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nötigt“, eine Unterschreitung des im Entwurf vorgesehenen Niveaus sei daher unzweckmäßig.273 Obwohl die beteiligten Ressorts dem Entwurf grundsätzlich zustimmten, und nur in wenigen Einzelfragen Änderungswünsche bestanden, wurde die Verordnung nie in Kraft gesetzt. Während sich die Arbeiten an dem Entwurf hinzogen, wurde die Verordnung selbst zunehmend obsolet. Die systematische Deportation der Juden und Zigeuner aus dem „Altreich“ und Österreich in die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten hatte längst begonnen. Von den fast 169.000 Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze, die im Mai 1941 noch im „Altreich“ lebten, waren bis Ende 1942 bereits 100.516 Personen deportiert worden. Im April 1943 lebten nur noch knapp 32.000 Juden im alten Reichsgebiet. Eine Regelung der Behandlung von Juden und Zigeunern in der Sozialversicherung war überflüssig geworden.274 Während im Inland Eingriffe in das materielle Recht der Sozialversicherung zum Nachteil jüdischer Versicherter unterblieben,275 war in den Gebieten außerhalb des alten Reichsgebiets von dieser Zurückhaltung nichts zu spüren. Die neuen versicherungsrechtlichen Regelungen, die von der deutschen Verwaltung in den eingegliederten und besetzten Gebieten in Kraft gesetzt wurden, schlossen die Juden ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich aus.276 Erste Einschränkungen für alle im Ausland lebenden Berechtigten hatten sich bereits aus den Ende 1936 eingeführten devisenrechtlichen Vorschriften ergeben. Einschneidende Eingriffe in die Rentenansprüche ermöglichte schließlich die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941, wonach Juden, die ihren „gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland“ nahmen, die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit erloschen auch sämtliche Versorgungsansprüche.277 Diese Bestimmung fand auf alle jüdischen Bürger mit deutscher Staatsangehörigkeit Anwendung, die in die Ghettos und Lager im Generalgouvernement und in den von der Wehrmacht eroberten Gebieten im Osten deportiert wurden. Mit Erlass vom 17. April 1942 bestimmte der Reichsarbeitsminister ferner, dass auch Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit künftig keine Leistungen mehr aus der deutschen Rentenversicherung zuständen. Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit, hieß es zur Begründung, hätten keinen Anspruch auf eine bevorzugte Behandlung gegenüber den deutschen Juden, die nach der Deportation aus dem Ebenda. Bonz, Geplant, aber nicht in Kraft gesetzt, S. 161 – 164. 275 Eine Ausnahme bildeten die jüdischen Rentenberechtigten in den eingegliederten Ostgebieten, die in das Konzentrationslager Theresienstadt und das Ghetto von Lodz deportiert worden waren, sowie die zur Vorbereitung der Deportation im Sammellager Berlin festgehaltenen deutschen Juden. Spezielle Erlasse des Reichsarbeitsministers bestimmten die Einstellung der Rentenzahlungen an diese Berechtigten aus dem „Altreich“. Bonz, Geplant, aber nicht in Kraft gesetzt, S. 150 ff. 276 Bonz, Geplant, aber nicht in Kraft gesetzt, S. 152. 277 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. 11. 1941, RGBl. I 1941, S. 722 – 724. 273 274

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Reichsgebiet ihre Rentenansprüche gemäß der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz verloren hatten.278 d) Verwaltungsvereinfachung oder Rentenreform? Zeitgleich zu den Arbeiten an der Verordnung über die Behandlung von Juden und Zigeunern in der Reichsversicherung, wartete man im Reichsarbeitsministerium auf eine Gelegenheit, die beabsichtigte Angleichung des Leistungsrechts in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung unter gleichzeitiger Erhöhung der Renten erneut ins Gespräch zu bringen. Als die Verschlechterung der militärischen Lage auch die Ministerien in wachsendem Maße zum Personalabbau zwang, wodurch einschneidende Verwaltungsvereinfachungen erforderlich wurden, schien dieser Zeitpunkt gekommen. Der Entwurf zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts, der den beteiligten Ressorts im Herbst 1943 zuging, sah vor, den Grundbetrag künftig nicht mehr als festen Betrag, sondern in Abhängigkeit vom durchschnittlichen Arbeitsentgelt des Versicherten zu gewähren. Der Grundbetrag sollte 20 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes, mindestens jedoch 30 RM und höchstens 60 RM monatlich, betragen. Der Steigerungsbetrag sollte einheitlich auf ein Prozent des durchschnittlichen Entgelts für jedes Versicherungsjahr festgesetzt werden.279 In der Invalidenversicherung wäre die durchschnittliche Versichertenrente dadurch um 35 Prozent von 40 RM auf 54 RM monatlich gestiegen. Die durchschnittliche Witwenrente hätte sich von 23 RM auf 25 RM monatlich, die durchschnittlichen Waisenrenten von 15 RM auf 18 RM im Monat erhöht. In der Angestelltenversicherung wäre die Durchschnittsrente beim Neuzugang um rund 30 Prozent auf 94 RM gestiegen. In der Hinterbliebenenversorgung hätte sich die durchschnittliche Witwenrente von 35 RM auf 45 RM, die durchschnittlichen Waisenrente von 26 RM auf 35 RM erhöht.280 Dieser Vorschlag des Reichsarbeitsministeriums, der weit über eine Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts hinausging, war durchaus bemerkenswert. Denn mit dieser Empfehlung zielte das Arbeitsministerium auf eine stärkere Anbindung der Renten an die Lohnentwicklung, die mittelfristig zu einem deutlichen Anstieg des Rentenniveaus geführt hätte. Das Reichsarbeitsministerium distanzierte sich damit erneut deutlich von dem bisher verfochtenen Prinzip der Kapitaldeckung und der damit verbundenen strengen Äquivalenz von Beitrag und 278 Bonz, Geplant, aber nicht in Kraft gesetzt, S. 155. Vgl. auch Kirchberger, Die Stellung der Juden. 279 In der Invalidenversicherung bewirkte der Entwurf eine Erhöhung des Grundbetrags, während der Steigerungsbetrag gleichzeitig von 1,2 auf ein Prozent des Entgelts sank. In der Angestelltenversicherung führte der Entwurf zu einer teilweisen Absenkung des Grundbetrags, dafür erhöhte sich jedoch der Steigerungsbetrag von 0,7 auf ein Prozent des Entgelts. Der RAM an den RMdI, betr. Entwurf einer Verordnung zur Vereinfachung des Leistungsund Beitragsrechts in der Sozialversicherung, 13. 11. 1943, BArch R 1501 / 3813. 280 Ebenda.

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Leistung. Dieser Gedanke einer stärkeren „Dynamisierung“ der Renten griff tief in die überkommenen Strukturen der öffentlichen Rentenversicherung ein und hätte ihr im Falle einer Realisierung ein völlig neues Gesicht gegeben.281 Angesichts des als unzureichend empfundenen Rentenniveaus in der Arbeiterversicherung stieß der Vorschlag generell auf Zustimmung. Die unterschiedliche Behandlung von Bestandsrenten und Neurenten, die die ohnehin deutliche Diskrepanz zwischen den Bestands- und den Neurenten zusätzlich verstärkt hätte, erschien allerdings äußerst problematisch. Über kurz oder lang musste sie die berechtigte Forderung nach einer Erhöhung auch der Bestandsrenten provozieren, die weder im Interesse der Kaufkraftregulierung, noch der staatlichen Arbeitseinsatzpolitik lag. Die beteiligten Ressorts waren sich zudem einig, jegliche Vorentscheidung über eine Nachkriegsordnung in der öffentlichen Rentenversicherung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu vermeiden.282 Neben der geplanten Rentenerhöhung strebte der Entwurf im Bereich der Rentner-Krankenversicherung tatsächlich eine Vereinfachung der Verwaltung an. Rentenempfänger, die eine Beschäftigung ausübten, sollten künftig von der Sozialversicherungspflicht befreit werden. Nach geltendem Recht waren die erwerbstätigen Rentner zwar von der Rentenversicherungspflicht entbunden, unterlagen jedoch trotzdem der Krankenversicherungspflicht. In dieser Konstellation griffen die allgemeinen Lohnabzugstabellen nicht, was bei einem Beschäftigungsniveau unter den Rentenempfängern von etwa 70 Prozent einen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand bedeutete. Eine generelle Befreiung von der Versicherungspflicht ließ daher nach Ansicht des Reichsarbeitsministeriums eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung erwarten.283 Im Reichsinnenministerium stieß dieser Vorschlag auf harsche Kritik, da der angestrebten Verwaltungsvereinfachung der Verlust sämtlicher Barleistungen gegenüberstand. Während die Rentenempfänger bisher im Krankheitsfall ihre Rente sowie ein je nach dem Grundlohn gestaffeltes Krankengeld erhielten, wären sie künftig allein auf ihre Rente und die Sachleistungen der Rentner-Krankenversicherung angewiesen gewesen.284 Im Reichsarbeits281 Vgl. auch Recker, S. 282. – Nach Ansicht Reckers waren taktische Überlegungen ausschlaggebend für den „vermeintlichen Sinneswandel Seldtes ( . . . ), der hier versuchte, seinen schwindenden Einfluß auf die staatliche Sozialpolitik ( . . . ) zu festigen“. Seldte habe unter dem Druck gestanden, den Forderungen nach einer Vereinfachung der Verwaltung und Vereinheitlichung des Lohnabzugs zum Zwecke des Personalabbaus nachzukommen, „wie er auch befürchten mußte, daß im Falle eines Mißerfolgs seiner Bemühungen die Pläne zur Auflösung des bestehenden Sozialversicherungssystems wieder aufleben würden“. 282 Recker, S. 281 f. 283 Der RAM an den RMdI, betr. Entwurf einer Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung, 11. 11. 1943, BArch R 1501 / 3813. Gedächtnis-Niederschrift über die Besprechung im Reichsministerium des Inneren, betr. Änderungen bei der Rentnerkrankenversicherung am 03. 03. 1944, BArch R 1501 / 3813. 284 Der RMdI an den RAM, betr. Entwurf einer Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung, 15. 01. 1944, BArch R 1501 / 3813. Vgl. auch Recker, S. 280.

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ministerium erwog man daher, den Rentnern zum Ausgleich der entstehenden Nachteile im Rahmen der Rentner-Krankenversicherung zumindest diejenigen Barleistungen zu gewähren, die zur Krankenpflege gehörten. Hinsichtlich des Krankengeldes verwies das Ministerium auf die Möglichkeit einer Zusatzversicherung.285 Eine solche Erweiterung der Leistungen ließ sich jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht durchsetzen, so dass der Reichsarbeitsminister letztlich auf seinen ursprünglichen Plan zurückkam. Die Bedenken des Reichsinnenministeriums fanden insofern Eingang in den überarbeiteten Entwurf, als nunmehr nur noch Rentner, die über 63 Jahre alt waren von der Krankenversicherung befreit werden sollten. Rentner, die frühzeitig invalide geworden waren und lediglich geringe Rentenansprüche besaßen, sollten dagegen im Krankheitsfall auch künftig ein Krankengeld erhalten.286 In der letzten Kriegsphase gestaltete sich die Rentenpolitik in zunehmendem Maße unübersichtlich. Versuche, „den Zusammenbruch der alten Ordnung auszunutzen, um gleichsam in letzter Minute langgehegte Reformprojekte durchzusetzen“ führten zu einer „schwer überschaubare[n, die Verf.] Folge hektischer Manöver und Gegenmanöver“, so dass schließlich die Beteiligten selbst den Überblick über die künftige Entwicklung zu verlieren drohten.287 Als im August 1944 weitere Verwaltungsvereinfachungen zur Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz erforderlich wurden, legte das Reichsarbeitsministerium den Entwurf einer Angleichung der Arbeiter- und Angestelltenrenten unter gleichzeitiger Erhöhung der Leistungen in leicht modifizierter Form erneut vor. An die Stelle der Individualrente sollte künftig ein Vorschuss treten, dessen Höhe sich nach dem Lebensalter des Berechtigten beim Eintritt des Versicherungsfalls und der Höhe des Arbeitsentgelts bemessen sollte. Der Vorschuss setzte sich aus einer einkommensabhängigen „Grundleistung“ und einem altersabhängigen „Zuschlag“ zusammen. Die einheitliche Grundleistung sollte 20 Prozent des monatlichen Entgelts, höchstens jedoch 60 RM monatlich betragen. Der Zuschlag sollte bis zur Vollendung des 40. Lebensjahrs bei 0,5 Prozent, danach bei einem Prozent des Entgelts für jedes Versicherungsjahr liegen.288 Durch die veränderte Berechnungsgrundlage wären die neu festzusetzenden Renten in der Invalidenversicherung im Durchschnitt von 40 RM auf 60 RM gestiegen; in der Angestelltenversicherung wären 285 Gedächtnis-Niederschrift über die Besprechung im Reichsministerium des Inneren, betr. Änderungen bei der Rentnerkrankenversicherung am 03. 03. 1944, BArch R 1501 / 3813. Vermerk aus dem Reichsministerium des Inneren, betr. Entwurf einer Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung, 03. 03. 1944, BArch R 1501 / 3008. 286 Recker, S. 280 f. Vgl. auch Erste Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. 03. 1945, RGBl. I 1945, S. 41 – 50. 287 Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 305. 288 Der RAM an den Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz, z.H. von Oberregierungsrat Dr. Wiebe, betr. Entwurf einer Ersten Verordnung zur Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 25. 08. 1944, BArch R 11501 / 3783, S. 7 f.

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die Renten dagegen weitgehend stabil geblieben.289 Die Erhöhung der Arbeiterrenten, betonte das Reichsarbeitsministerium in seiner Begründung, solle endlich auch den Empfängern von Leistungen der Invalidenversicherung eine ausreichende Mindestversorgung garantieren. Die entstehenden Mehrausgaben seien „als Kriegskosten“ anzusehen, „die nicht nur unvermeidlich sind, sondern auch die Widerstandskraft der schaffenden Volksgenossen verstärken“.290 Da durch die Anhebung der Renten eine erhebliche Entlastung der öffentlichen Fürsorge zu erwarten war, sollte die Finanzierung der zusätzlichen Ausgaben nach Ansicht des Reichsarbeitsministeriums aus den Überschüssen der Arbeitslosenversicherung erfolgen.291 In den übrigen Ministerien stieß die beabsichtigte Rentenerhöhung um 40 bis 50 Prozent auf Grund der damit verbundenen Kosten auf erheblichen Widerstand. Das Reichsfinanzministerium stimmte zwar einer Vereinfachung des gegenwärtigen Verfahrens der Rentenfestsetzung prinzipiell zu, lehnte jedoch den vorliegenden Entwurf als abermaligen Versuch, unter dem Deckmantel der Verwaltungsvereinfachung weitere Rentenerhöhungen durchzusetzen, kategorisch ab.292 Die unterschiedliche Behandlung von Bestands- und Neurenten stelle einen Verstoß gegen das Gebot der sozialpolitischen Ausgewogenheit dar und müsse daher zwangsläufig zu einer Anhebung auch der Bestandsrenten und damit zu einer Explosion der Kosten führen. Im Vergleich zu der voraussichtlichen Mehrbelastung in Höhe von 180 Millionen RM im ersten und 360 Millionen RM im zweiten Jahr erscheine die in Aussicht gestellte Entlastung der öffentlichen Fürsorge unbedeutend. Darüber hinaus, erklärte das Reichsfinanzministerium, stelle die geplante Reform „eine weitgehende und unerwünschte Festlegung“ der für die Nachkriegszeit beabsichtigten Neuordnung der gesamten Altersversorgung dar, die es zum gegenwärtigen Zeitpunkt unbedingt zu vermeiden gelte.293 Im Reichswirtschaftsministerium begrüßte man zwar die geplante Vereinfachung des Rentenfestsetzungsverfahrens, die damit verbundene Benachteiligung der Bestandsrenten und die Präjudizierung der Nachkriegsordnung trafen jedoch auch hier auf heftige Kritik.294 Lammers und Göring machten ebenfalls erhebliche Bedenken gegen den Entwurf geltend. Lam289 Ebenda, S. 11 – 13. – In der Invalidenversicherung wären die Witwenrenten im Durchschnitt von 23 RM auf 26 RM und die Waisenrenten von 15 RM auf 20 RM gestiegen. In der Angestelltenversicherung hätten sich die Witwenrenten um 1 RM auf 41 RM verringert, während die Waisenrenten von 25 RM auf 28 RM gestiegen wären. 290 Ebenda, Begründung, S. 4, 18. 291 Vgl. auch Recker, S. 281 f. Geyer, Reichsknappschaft, S. 371. 292 Schreiben des RFM an den RAM, 05. 09. 1944, BArch R 1501 / 3783. Vermerk aus dem Reichsfinanzministerium vom 05. 09. 1944, in: Akten der Parteikanzlei 103 10943 – 47. 293 Schreiben des RFM an den RAM, 05. 09. 1944, BArch R 1501 / 3783. 294 Der RWM an den RAM, betr. Entwurf einer Ersten Verordnung über die Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 19. 09. 1944, BArch R 1501 / 3783. Der RWM an den RAM, betr. Entwurf einer Ersten Verordnung über die Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 17. 09. 1944, in: Akten der Parteikanzlei 103 10934 f.

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mers sah in der geplanten Rentenerhöhung einen unzulässigen Vorgriff auf eine künftige Nachkriegsordnung der Sozialversicherung. Durch die Bemessung der Vorschüsse nach dem Lebensalter und dem monatlichen Entgelt beim Eintritt des Versicherungsfalls werde im Grunde der „Übergang von der Versicherung zur Versorgung“ vollzogen. Dadurch, argumentierte Lammers, würden bei den Versicherten Hoffnungen geweckt, „die eine zweckmäßige und gerechte Lösung des Problems der Sozialversicherung beeinträchtigen könnten“.295 Der Beauftragte für den Vierjahresplan stand dem Entwurf zwar grundsätzlich positiv gegenüber, lehnte jedoch eine Übernahme der Kosten durch die Arbeitslosenversicherung strikt ab und verwies den Reichsarbeitsminister stattdessen an den Reichshaushalt und damit an den Reichsfinanzminister, wodurch sich die Erfolgsaussichten des Entwurfs nicht eben erhöhten.296 Obwohl die bisherigen Verhandlungen keinen Zweifel daran ließen, dass die übrigen Ressorts allein auf der Basis der gegenwärtigen Rentenhöhe zu einer Pauschalierung der Rentenzahlungen bereit waren,297 legte der Reichsarbeitsminister im September 1944 einen modifizierten Entwurf vor, der die vorgetragenen Bedenken keineswegs beseitigte, sondern vielmehr eine kräftige Erhöhung auch der laufenden Renten vorsah. Die Anhebung der Bestandsrenten in der Invalidenversicherung sollte in Form fester Zuschläge erfolgen, die für Invalidenrenten 10 RM monatlich, für Witwenrenten 5 RM und für Waisenrenten 4 RM im Monat betragen sollten. Die zusätzlichen Kosten schätzte das Ministerium für das erste Jahr auf 570 Millionen RM.298 295 Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei an den RAM, betr. Entwurf einer Ersten Verordnung über die Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 15. 09. 1944, BArch R 1501 / 3783. 296 Der Beauftragte für den Vierjahresplan. Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz an den RAM, betr. Entwurf einer Ersten Verordnung über die Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 02. 09. 1944, BArch R 1501 / 3783. Vgl. auch Recker, S. 283. Geyer, Reichsknappschaft, S. 372 f. 297 Vermerk aus dem Reichsfinanzministerium über eine Besprechung beim Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz am 03. 10. 1944, 10. 10. 1944, in: Akten der Parteikanzlei 103 10957 – 59. Der RFM an den RAM, betr. Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 10. 10. 1944, BArch R 1501 / 3783. Der RWM an den Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz, betr. Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, hier: Entwurf einer Ersten Verordnung über die Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 10. 10. 1944, BArch R 1501 / 3783. Der Beauftragte für den Vierjahresplan an den RAM, betr. Entwurf einer Verordnung über die Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 07. 10. 1944, in: Akten der Parteikanzlei 103 10989 – 93. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 371. 298 Der RAM an den Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz, den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, den Leiter der Parteikanzlei, den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, den RFM, den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, den RWM, betr. Entwurf einer Ersten Verordnung über die Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 27. 09. 1944, in: Akten der Parteikanzlei 103 10948 – 56, hier 10951.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

Eine Vereinfachung der Rentenberechnung war nach Ansicht des Reichsarbeitsministeriums untrennbar mit einer deutlichen Erhöhung der Renten verbunden.299 Eine Pauschalierung, die sich ausschließlich nach der Durchschnittszahl der in den einzelnen Lebensaltern anzurechnenden Beitragsjahre und dem Mittelbetrag jeder Entgeltgruppe bemaß, vermied zwar – wie von den übrigen Ministerien gefordert – jegliche Erhöhung der Renten; sie barg jedoch nach Meinung des Reichsarbeitsministeriums erheblichen sozialen Sprengstoff, da sich die Bezüge in einer ganzen Reihe von Fällen „gegenüber dem ohnehin unzulänglichen Leistungsniveau der Invalidenversicherung weiter verschlechtern“ würden.300 Eine Erhöhung der laufenden Renten, räumte der Arbeitsminister ein, sei zwar nicht zwingend erforderlich, aber „sozial gerechtfertigt“ und in Anbetracht der Kriegssituation von nicht zu unterschätzender propagandistischer Bedeutung. Die fiskalischen Bedenken des Reichsfinanzministeriums wischte der Arbeitsminister unter Hinweis auf die geschätzte Verschuldung des Reichs von 350 Milliarden RM einfach beiseite. Gemessen an den laufenden Kriegskosten, erklärte er, könne eine Mehrbelastung von einigen Hundertmillionen RM wohl kaum ins Gewicht fallen.301 Die Vorschläge des Reichsarbeitsministeriums stießen längst nicht bei allen Mitgliedern der politischen Führung auf Ablehnung. So begrüßten beispielsweise Bormann, Himmler und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, sowie Albert Speer, der seit September 1943 an der Spitze des Super-Ministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion stand, und Herbert Backe, seit 1942 kommissarischer Minister für Ernährung und Landwirtschaft, die geplante Reform als erhebliche Verwaltungsvereinfachung, die gleichzeitig die öffentliche Fürsorge entlaste und endlich eine einheitliche Behandlung aller „schaffenden Volksgenossen“ bewirke.302 Die beabsichtigte Rentenerhöhung sei geeignet, bei der „arbeitenden Bevölkerung ( . . . ) schon jetzt die feste Überzeugung zu gründen, dass der nationalsozialistische Staat die Absicht hat, nach Kriegsende eine großzügige, den Interessen der arbeitenden Bevölkerung gerecht werdende Reform der Sozialversicherung durchzuführen“.303 Dass Teile der politischen Führung noch im Herbst 1944 der Überzeugung waren, durch Rentenerhöhungen Massenloyalität erzeugen und den Durchhaltewillen der Bevölkerung stärken zu können, zeugt allerdings eher von massivem Ebenda, 103 10948 f., 10956. Ein solches Verfahren benachteiligte all jene, die tatsächlich mehr Beitragsjahre zurückgelegt hatten oder deren Entgelt höher gewesen war als der Mittelwert der einzelnen Entgeltgruppe. Der RAM an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, den RFM, den RWM, betr. Entwurf einer Ersten Verordnung über die Anpassung der Reichsversicherung an den totalen Kriegseinsatz, 12. 11. 1944, in: Akten der Parteikanzlei 103 10967 – 80, hier 10967, 10968 f. 301 Ebenda, 103 19076, 10978, 10980. 302 Der Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung, Fernschreiben an den Reichsführer, 14. 10. 1944, BArch R 1501 / 3783, S. 3. 303 Ebenda. 299 300

3. Leistungsverbesserungen als Bestechungspolitik? (1939 – 1944)

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Realitätsverlust als von taktischem Kalkül.304 Dieser Auffassung waren wohl auch die übrigen Ressorts und die Industrie, die angesichts der Verschlechterung der militärischen Lage und des sich abzeichnenden Zusammenbruchs des Reichs zu weiteren „sozialen Investitionen“ nicht mehr bereit waren.305 Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs waren die in der Weltwirtschaftskrise eingeführten Leistungsrestriktionen bis Kriegsbeginn bestehen geblieben. Erst nach Ausbruch des Krieges setzte im Rahmen einer Politik, die auf die Erhaltung der Massenloyalität und die Stärkung des Durchhaltewillens der Bevölkerung zielte, ein scheinbarer Wandel in der Rentenpolitik ein. Obwohl man im Reichsarbeitsministerium bereit war, die bisher im Bereich der öffentlichen Rentenversicherung verfochtenen Grundsätze über Bord zu werfen, kamen die Leistungsverbesserungen dennoch nicht über einen Ausgleich der Notverordnungskürzungen hinaus. Ein Anschluss an die in der Phase der relativen Stabilisierung der Weimarer Republik betriebene Politik eines entschiedenen Ausbaus der öffentlichen Rentenversicherung gelang nicht. Die Rentenpolitik hatte sich nach wie vor dem Primat kriegswirtschaftlicher und rüstungspolitischer Erfordernisse unterzuordnen. Rentenerhöhungen stießen dort an ihre Grenzen, wo sie in Widerspruch zur Verbrauchslenkung, Kaufkraftregulierung, Kriegsfinanzierung und Arbeitskräftemobilisierung zu geraten drohten.306 Zwar verzichtete das Regime mit Rücksicht auf seine sozialpolitische Reputation auf einschneidende Eingriffe in das Leistungsrecht der öffentlichen Rentenversicherung, gleichwohl blieb vor allem der zunehmende Arbeitskräftemangel nicht ohne Folgen für das Leistungsniveau der Rentenversicherung. Die unzureichende Höhe der Renten sollte den Druck auf die ältere Generation verstärken, bis ins hohe Alter hinein erwerbstätig zu bleiben. Die Rente verwandelte sich zunehmend in eine die nachlassende Leistungsfähigkeit kompensierende und die noch vorhandene Leistungskraft mobilisierende „Prämie“ für Invalide und Alte. Damit gewann das Ursprungskonzept der frühen Alters- und Invalidenversicherung, das die Rente lediglich als Zuschuss zum Lebensunterhalt gesehen hatte, wieder verstärkt an Bedeutung.307 Das 1941 eingeführte Verbot, während des Krieges Invaliden- oder Berufsunfähigkeitsrenten bei der Aufnahme einer Beschäftigung zu entziehen, war die konsequente Fortsetzung dieser Politik.308 Die Rentenpolitik war ferner Teil einer Bestechungspolitik, die darauf zielte, durch die tatsächliche oder auch nur in Aussicht gestellte Befriedigung sozialer Bedürfnisse, die „innere Front“ zu befrieden, den Durchhaltewillen der Bevölke304 Geyer, Reichsknappschaft, S. 372. Vgl. auch Recker, S. 284. – Recker bewertet das stimmungspolitische Kalkül m.E. zu stark. 305 Geyer, Reichsknappschaft, S. 372 f. Recker, S. 284. Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 305. 306 Vgl. Teppe, S. 250. 307 Göckenjan / Hansen, S. 754 f. Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik, S. 477 f. 308 Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. 01. 1941, RGBl. I 1941, S. 34 – 36. Vgl. auch Kurzwelly, Kriegsmaßnahmen, S. 75 f. Dersch, Weitere Kriegsmaßnahmen, S. 107. Ders., Leistungsvoraussetzungen, S. 145 f.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

rung zu stärken und Massenloyalität zu erzeugen.309 In diesem Kontext richtete sich Rentenpolitik nicht mehr in erster Linie an die ältere, sondern vor allem an die mittlere Generation. Die tatsächlichen oder in Aussicht genommenen Leistungsverbesserungen stellten ein Versprechen an die erwerbstätige Generation dar, ihre Opfer und Entbehrungen nach dem Krieg großzügig zu entlohnen. Eine spürbare Verbesserung der sozialen Lage der Rentenempfänger war dagegen von nachgeordneter Bedeutung und fand dort ihre Grenze, wo der politische Nutzen – im Sinne einer Stabilisierung der NS-Diktatur – fragwürdig schien. Das NS-Regime benötigte Soldaten und Arbeitskräfte, aber keine Rentner, die, war ihre Arbeitskraft endgültig erschöpft, nur noch eine Belastung für die „Volksgemeinschaft“ darstellten.

4. Die knappschaftliche Pensionsversicherung a) Finanzkrise und Sanierung Die Finanzkrise der knappschaftlichen Pensionsversicherung fiel infolge der ohnehin bestehenden strukturellen Probleme, die sich während der Weltwirtschaftskrise drastisch verschärft hatten, wesentlich gravierender aus als in den übrigen Versicherungszweigen. Die Beitragseinnahmen waren zwischen 1928 und 1932 auf Grund von Entlassungen, Kurzarbeit und Lohnkürzungen dramatisch eingebrochen. In der Arbeiterpensionskasse betrug der Rückgang rund 62 Prozent, in der Angestelltenpensionskasse waren es rund 31 Prozent.310 Der Mitgliederbestand hatte sich bis Herbst 1932 innerhalb von nur drei Jahren in der Arbeiterabteilung um zwei Fünftel und in der Angestelltenabteilung um ein Drittel verringert. Während das Verhältnis von Beitragszahlern und Pensionären in der Arbeiterpensionskasse Ende 1929 noch 5:2 betragen hatte, standen Ende 1932 zwei Pensionären nur noch drei Beitragszahler gegenüber. In der Angestelltenpensionskasse verlief die Entwicklung ähnlich ungünstig. Im Vergleich zur Arbeiterabteilung fiel die Zunahme der Pensionsempfänger zwar weniger stark ins Gewicht, dennoch war der Zuwachs größer als in den Jahren zuvor.311 Auf Grund der strukturellen und finanziellen Probleme waren in der knappschaftlichen Pensionsversicherung bereits 1930 drastische Sparmaßnahmen eingeleitet worden. Die Einführung neuer und die Ausweitung bestehender Ruhensvorschriften, eine Verringerung des Kinder- und Waisengeldes sowie eine Kürzung der Steigerungsbeträge für vor 1924 zurückgelegte Beitragszeiten in der Angestelltenabteilung bewirkten eine spürbare Kürzung der laufenden Renten. Die durchschnittliche Invalidenpension und die durchschnittliche Witwenrente sanken geRecker, S. 284. Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik, S. 477 f. Teppe, S. 250. Die deutsche Sozialversicherung 1937, S. 270. 311 Geyer, Reichsknappschaft, S. 256 f., 274. Vgl. auch Dobbernack / Sauerborn, S. 59 ff. Dobbernack, Entwicklung, S. 264 ff. Syrup, S. 515. 309 310

4. Die knappschaftliche Pensionsversicherung

111

genüber dem Stand von 1928 um elf Prozent, die Gesamtleistung aus Invalidenpension und Invalidenrente verringerte sich um fast neun Prozent. In der Angestelltenpensionskasse sanken die ausgezahlten Beträge im Durchschnitt um neun bis zehn Prozent (Tabelle 5). Die Notverordnungen vom Juni und Dezember 1931 bewirkten eine weitere Ausdehnung und Verschärfung der Ruhensvorschriften. Eine neuerliche zehnprozentige Kürzung der vor 1924 erworbenen Steigerungsbeträge in der Angestelltenpensionskasse und eine 14-prozentige Kürzung dieser Steigerungsbeträge in der Arbeiterpensionskasse führten faktisch zu einer Aufhebung der Aufwertungsregelung. In der Arbeiterpensionskasse stieg zudem der Beitrag von 8,5 auf 9,8 Prozent.312 Die durchschnittliche Invalidenpension und die durchschnittliche Witwenrente verringerten sich dadurch um weitere 18 Prozent, die knappschaftliche Gesamtleistung sank um 17 Prozent. In der Angestelltenpensionskasse verringerten sich das durchschnittliche Ruhegeld und die durchschnittliche Gesamtleistung um weitere 15 Prozent; die Witwenrente sank um zwölf Prozent (Tabelle 5). Die Notverordnung vom 14. Juni 1932 brachte eine weitere drastische Kürzung der Leistungen. Die laufenden Pensionen sanken um 6 RM monatlich für Versicherte, um 5 RM für Witwen und um 4 RM im Monat für Waisen. Bei den neu festzusetzenden Renten wurde der Grundbetrag um 7 RM monatlich herabgesetzt, und der Kinderzuschuss um 2,50 RM gekürzt. In der Hinterbliebenenversorgung verringerten sich der Grundbetrag und die Steigerungsbeträge um jeweils ein Zehntel.313 In der Arbeiterpensionskasse war die durchschnittliche Invalidenpension damit gegenüber dem Stand von 1928 um 36 Prozent, die durchschnittliche Witwenrente um fast 40 Prozent gesunken. Die knappschaftliche Gesamtleistung war um 33 Prozent gekürzt worden. In der Angestelltenpensionskasse hatte sich das durchschnittliche Ruhegeld im gleichen Zeitraum um ein Drittel verringert. Bei der Gesamtleistung und den Witwenrenten betrugen die Kürzungen 32 bzw. 30 Prozent (Tabelle 5). Trotz dieser einschneidenden Sparmaßnahmen war es bis 1933 nicht gelungen, die knappschaftliche Pensionsversicherung zu konsolidieren, so dass weiterhin ein erheblicher Sanierungsbedarf bestand. Im Vergleich zu den übrigen Versicherungszweigen gestaltete sich die Sanierung der Knappschaftsversicherung ohnehin 312 Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 05. 06. 1931, RGBl. I 1931, S. 279 – 314. Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 08. 12. 1931, RGBl. I 1931, S. 699 – 745. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 263 f., 268 – 272. 313 Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialversicherung sowie zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden vom 14. 06. 1932, RGBl. I 1932, S. 273 – 284. 314 Geyer, Reichsknappschaft, S. 189 f. Vgl. auch Dobbernack, Gegenwartsprobleme, S. 1 f. Ders., Reform, S. 741. 315 Kratz, Die knappschaftliche Pensionsversicherung, S. 134. Dobbernack, Gegenwartsprobleme, S. 282. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 290 f. Frerich / Frey, Bd. 1, S. 304.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus Tabelle 5

Die durchschnittliche Rentenhöhe in der knappschaftlichen Pensionsversicherung ohne Kinderzuschuss 1928 – 1939 (RM) Arbeiterpensionskasse Jahr 1928 1929 1930 1. Hj. 1931 2. Hj. 1931 1. Hj. 1932 2. Hj. 1932 1933 1934 19351 1936 1937 1938 1939

Invalidenpension

Alterspension

Gesamtleistung2

Witwenrente

Waisenrente

58,67 56,08 55,84 52,18 45,09 42,93 37,58 37,69 38,08 38,21 36,70 35,96 36,11 36,34

73,21 71,67 77,73 72,15 63,57 64,92 61,64 63,49 64,68 64,37 62,91 62,09 60,53 61,81

60,20 58,10 58,47 54,42 47,09 45,21 40,01 40,27 40,77 40,83 39,64 39,17 39,40 40,25

30,88 30,04 28,30 27,56 24,05 22,52 18,36 18,69 18,49 18,29 17,55 17,04 17,56 17,75

4,73 3,76 3,86 2,69 0,21 0,04 – 0,06 0,07 0,13 0,08 0,06 0,10 0,10

Angestelltenpensionskasse Jahr 1928 1929 1930 1. Hj. 1931 2. Hj. 1931 1. Hj. 1932 2. Hj. 1932 1933 1934 19351 1936 1937 1938 1939

Ruhegeld

Altersruhegeld

Gesamtleistung2

Witwenrente

Waisenrente

172,17 166,95 169,62 155,65 136,25 131,01 123,11 115,70 115,43 110,23 107,47 106,59 107,51 107,94

147,33 135,19 115,07 144,24 133,27 136,01 126,16 124,21 126,33 124,11 121,15 118,24 115,76 133,45

170,47 165 166,68 154,97 136,04 131,41 123,36 116,41 116,33 111,35 108,63 107,63 108,29 111,40

83,07 81,34 81,17 75,03 66,14 65,90 58,81 57,91 58,85 55,18 53,20 51,78 51,66 51,82

39,38 33,01 34,86 32,71 30,95 24,49 21,40 22,93 26,42 25,48 23,77 24,03 28,74 28,32

1

Einschließlich Saarknappschaft. Die Gesamtleistung setzte sich aus der knappschaftlichen Invalidenpension und einer Invalidenrente aus der Arbeiterversicherung zusammen. 2

Quelle: Die deutsche Sozialversicherung 1937 mit einem Blick auf das Jahr 1938. Finanzieller und statistischer Jahresbericht des Reichsversicherungsamts über die einzelnen Versicherungszweige, S. 273. Die deutsche Sozialversicherung 1939 mit einem Blick auf 1940 und 1941. Finanzieller und statistischer Jahresbericht des Reichsversicherungsamts über die einzelnen Versicherungszweige, S. 172.

4. Die knappschaftliche Pensionsversicherung

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schwieriger, da die Knappschaftsversicherung neben den gesunkenen Einnahmen zusätzlich unter erheblichen strukturellen Problemen litt. Darüber hinaus hing die finanzielle Konsolidierung der knappschaftlichen Pensionsversicherung auf Grund der Doppelversicherung der Bergarbeiter in der Knappschaftsversicherung und in der Invalidenversicherung entscheidend davon ab, dass es zuvor gelang, die Arbeiterversicherung finanziell zu sanieren. Das Gesetz zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit schuf daher zunächst nur die Voraussetzungen für eine Neuordnung der Knappschaftsversicherung, die endgültige Sanierung blieb späteren Regelungen überlassen.314 Die neuerlichen Leistungsbeschränkungen sollten die Versicherungsträger vorerst weiter entlasten und die Herstellung eines versicherungstechnischen Gleichgewichts erleichtern, um in absehbarer Zeit die Umstellung auf ein Kapitaldeckungsverfahren zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wurden die Änderungen, die sich durch das Sanierungsgesetz im Leistungsrecht der Invaliden- und der Angestelltenversicherung ergaben, auf die knappschaftliche Pensionsversicherung übertragen. In der Arbeiterpensionskasse wurde der Grundbetrag, der ursprünglich 14 RM betragen hatte und im Juni 1932 auf 7 RM herabgesetzt worden war, auf 6 RM monatlich festgesetzt. In der Angestelltenpensionskasse verminderte sich der Grundbetrag von 33 RM auf 30 RM. Die Steigerungsbeträge, die zuvor vor allem die Untertagearbeiter begünstigt hatten, wurden künftig als einheitliche, feste Sätze gewährt, die sich nach der Lohn- und Gehaltsklasse richteten. Für die ersten 60 Beitragsmonate wurde nur noch der halbe Steigerungsbetrag gewährt. Die bisherige Möglichkeit, Anwartschaften durch die Entrichtung einer geringen Anerkennungsgebühr in Höhe von durchschnittlich 0,50 RM monatlich zu erhalten, entfiel. Stattdessen konnten die Ansprüche nur noch durch eine freiwillige Weiterversicherung aufrechterhalten werden, wobei mindestens der halbe Monatsbeitrag zu entrichten war. Die reichsgesetzliche Invalidenrente wurde fast vollständig auf die Knappschaftspension angerechnet, obwohl nach wie vor die vollen Beiträge sowohl zur Pensionsversicherung als auch zur Invalidenversicherung entrichtet werden mussten. In der Arbeiterpensionskasse erhöhte sich die Wartezeit für die Invalidenpension von drei auf fünf Jahre.315 Die Maßnahmen des Sanierungsgesetzes gingen fast vollständig zu Lasten der Versicherten. Die ehemals relativ hohen knappschaftlichen Pensionen wurden radikal zusammengestrichen, und viele nicht mehr arbeitsfähige Bergarbeiter waren künftig, im Gegensatz zu früheren Jahren, auf die öffentliche Fürsorge angewiesen.316 An der desolaten Finanzlage der Knappschaftsversicherung änderte sich zunächst nur wenig. Eine im Laufe des Jahres 1934 erstellte versicherungsmathematische Bilanz wies einen Fehlbetrag von 3,8 Milliarden RM in der Arbeiterpensionskasse und von 740 Millionen RM in der Angestelltenpensionskasse aus. Unter Beibehaltung des Umlageverfahrens wurde für die kommenden Jahre mit einem Anstieg der Beiträge auf 13 bis 14 Prozent in der Arbeiterpensionskasse und auf 316 Geyer, Soziale Rechte, S. 431 f. Vgl. auch Die DAF – Reichsbetriebsgemeinschaft Bergbau – an den DGT, betr. Auszahlung der Zusatzunterstützung von Wohlfahrtsbehörden zusammen mit den Knappschaftsrenten, 04. 08. 1937, BArch R 36 / 1609.

8 Schlegel-Voß

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

22 bis 23 Prozent in der Angestelltenpensionskasse gerechnet.317 Nach Ansicht des Reichsarbeitsministeriums war daher die zügige Realisierung der in Aussicht gestellten Umstellung vom Umlageverfahren auf ein Kapitaldeckungsverfahren dringend geboten. Zu diesem Zweck sollten die Leistungen in der Arbeiterpensionskasse durchschnittlich um weitere 7,5 Prozent gekürzt werden. In der Angestelltenpensionskasse, hieß es aus dem Reichsarbeitsministerium, müssten die Abschläge sogar bis zu 12,5 Prozent betragen. Gleichzeitig waren Beitragserhöhungen von einem Prozent in der Arbeiterpensionskasse und 3,6 Prozent in der Angestelltenpensionskasse vorgesehen. Die Reichsmittel sollten um 54 Millionen RM jährlich erhöht werden.318 In den übrigen Ressorts, aber auch innerhalb der Parteiführung, stießen die Pläne des Reichsarbeitsministeriums auf heftige Ablehnung. Das Reichsfinanzministerium schloss eine Erhöhung der Reichsmittel grundsätzlich aus. Durch den stetig wachsenden Reichszuschuss, erläuterte das Ministerium, verlöre die knappschaftliche Pensionsversicherung zunehmend den Charakter einer Versicherung und damit zugleich ihre Existenzberechtigung als Sonderanstalt der Bergleute.319 Die angestrebte Reform müsse daher mittels weiterer Leistungsbeschränkungen auf eine erhebliche Verringerung des Reichszuschusses hinwirken. Geeignete Maßnahmen seien die Erschwerung der Gewährung von Witwenrenten, die Verschärfung der Ruhensvorschriften sowie die Überführung der Angestellten im Bergbau in die Angestelltenversicherung.320 Der vorgeschlagenen Beitragserhöhung trat das Reichswirtschaftsministerium energisch entgegen, da die durch das Aufbaugesetz von 1934 vorgeschriebene, jedoch in der Knappschaftsversicherung noch nicht eingeführte Beitragshalbierung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ohnehin zu einer Mehrbelastung der Unternehmer führen müsse. Einer Minderung der Leistungen verweigerten schließlich sowohl der Stellvertreter des Führers als auch die Deutsche Arbeitsfront ihre Zustimmung.321 Die Sanierungspläne des Reichsarbeitsministeriums waren damit zunächst gescheitert. 317 Dobbernack, Gegenwartsprobleme, S. 282, 290. Ders., Überblick, S. 4. Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung, S. 3. Vgl. auch Frerich / Frey, Bd. 1, S. 303. 318 Der RAM an den RFM, den RWM, den StdF, betr. Knappschaftliche Pensionsversicherung, 23. 03. 1935, in: Akten der Parteikanzlei 103 10580 f. Der RAM an den RFM, betr. Erhaltung der Leistungsfähigkeit in der knappschaftlichen Pensionsversicherung, 04. 05. 1935, in: Akten der Parteikanzlei 103 10584 f. Die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der knappschaftlichen Pensionsversicherung. Vertraulicher Vermerk des Reichsarbeitsministeriums, in: Akten der Parteikanzlei 103 10587 – 93. 319 Vermerk des Reichsfinanzministeriums über die Sitzung am 21. 05. 1935 über die Sanierung der knappschaftlichen Pensionsversicherung, 24. 05. 1935, in: Akten der Parteikanzlei 103 10582 f. 320 Vermerk des Reichsfinanzministeriums über eine Besprechung am 01. 08. 1935, 10. 08. 1935, in: Akten der Parteikanzlei 103 10595 f. 321 Ebenda. Vermerk des Reichsfinanzministeriums über die Sitzung am 21. 05. 1935 über die Sanierung der knappschaftlichen Pensionsversicherung, 24. 05. 1935 in: Akten der Parteikanzlei 103 10582 f. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 316 f.

4. Die knappschaftliche Pensionsversicherung

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Neben den Bedenken der beteiligten Ressorts erwies sich die geplante Reform der Knappschaftsversicherung, deren Ziel vor allem in der Einführung eines Kapitaldeckungsverfahrens bestand, jedoch auch grundsätzlich als problematisch. Das anhaltend niedrige Leistungsniveau sorgte in der Bergarbeiterbevölkerung zunehmend für Missstimmung und ließ den Ruf nach Leistungserhöhungen immer lauter werden. Die Knappschaftsversicherung konnte zwar von der wirtschaftlichen Erholung profitierten, ihre Finanzlage blieb im Vergleich zu den übrigen Versicherungszweigen jedoch schwierig. Obgleich sich die Beitragseinnahmen zwischen 1932 / 33 und 1937 in der Arbeiterpensionskasse um 82 Prozent und in der Angestelltenpensionskasse um 32 Prozent erhöht hatten, lagen sie 1937 mit 31 bzw. 15 Prozent immer noch deutlich unter dem Stand von 1928.322 Trotz der seit 1930 vorgenommenen beträchtlichen Leistungskürzungen überstiegen die Ausgaben für Versicherungsleistungen nach wie vor die Beitragseinnahmen, so dass die Knappschaftsversicherung auf erhebliche Zuschüsse durch das Reich angewiesen war.323 Zugleich drohte das niedrige Leistungsniveau sowohl die Bemühungen um eine Belebung des Arbeitsmarktes zu erschweren, als auch die „Überalterung“ der beschäftigten Bergarbeiter zu verschärfen. Die seit 1930 vorgenommenen erheblichen Leistungskürzungen führten dazu, dass viele ältere Bergarbeiter und Angestellte, die bereits zum Bezug einer Pension berechtigt waren, den Eintritt in den Ruhestand aus finanziellen Gründen hinausschoben. Die fortgesetzte Erwerbstätigkeit der älteren Bergleute behinderte jedoch die Einstellung jüngerer arbeitsloser Kräfte und erschwerte damit eine Entlastung des Arbeitsmarktes sowie die dringend erforderliche Verjüngung der Belegschaften. Geplante Entlassungen älterer Bergleute scheiterten an den niedrigen Pensionsleistungen, da eine Zwangspensionierung vielfach mit erheblichen Härten für die Betroffenen verbunden war und daher zu Protesten in der Bergarbeiterbevölkerung führen konnte.324 Das Reichsarbeitsministerium steckte in einem Dilemma: Die für die Umstellung auf ein Kapitaldeckungsverfahren erforderlichen Leistungskürzungen waren angesichts der anhaltenden Unzufriedenheit der Bergleute ausgeschlossen. Die von der Bergarbeiterbevölkerung geforderten Leistungserhöhungen waren ebenfalls undurchführbar, da die Bergbauunternehmen der notwendigen Anhebung der Beiträge mit Macht entgegentraten. Aber auch bei den Arbeitnehmern war die Belastungsgrenze erreicht. In der Arbeiterpensionskasse betrug der Beitrag einschließlich des Beitrags zur Invalidenversicherung 14,8 Prozent, wovon der Versicherte 8,3 Prozent zu tragen hatte. In der Angestelltenpensionskasse lag der Beitrag bei 12,8 Prozent, davon entfielen 7,7 Prozent auf den Versicherten.325 Das Reichs322 Die deutsche Sozialversicherung 1937, S. 270. Die deutsche Sozialversicherung 1939, S. 169. 323 Dobbernack, Gegenwartsprobleme, S. 283 f. Kratz, Die knappschaftliche Pensionsversicherung, S. 143 f. 324 Geyer, Reichsknappschaft, S. 317. 325 Die Beiträge betrugen seit 1931 im Einzelnen in der Arbeiterpensionskasse 9,8 Prozent, davon entfielen 5,8 Prozent auf den Versicherten; in der Invalidenversicherung fünf

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

arbeitsministerium schlug daher vor, die dringend erforderlichen und politisch erwünschten Leistungsverbesserungen durch eine leichte Anhebung der Beiträge unter gleichzeitiger Entlastung der Bergleute zu finanzieren.326 Der Entwurf eines Aufbaugesetzes sah vor, den Beitrag in der Arbeiterpensionskasse von 9,8 auf elf Prozent anzuheben und zugleich die Arbeiter durch eine Halbierung des Beitrags zwischen Versicherten und Unternehmen zu entlasten. Die Altersgrenze für den Bezug der Alterspension sollte von 50 auf 55 Jahre erhöht werden. Die Pensionsversicherung der Angestellten sollte künftig nur noch Angestellte umfassen, die mit wesentlich bergmännischen Tätigkeiten beschäftigt waren.327 Zusätzlich war eine kräftige Erhöhung der Beiträge von 12,8 auf 16 Prozent vorgesehen, die jedoch größtenteils auf die Unternehmer abgewälzt werden sollte. Die Reichsmittel sollten auf dem bisherigen Stand von 105 Millionen RM jährlich festgeschrieben werden. Die verbleibende Finanzlücke sollte durch die Gewährung einer sogenannten Gemeinschaftshilfe der Wirtschaft außerhalb des Bergbaus geschlossen werden. Zu diesem Zweck war die Bereitstellung eines Zuschusses von jährlich 50 Millionen RM durch die Invalidenversicherung und von jährlich 18 Millionen RM durch die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte vorgesehen.328 Die geplanten Leistungserhöhungen beschränkten sich auf strukturelle Verbesserungen, die lediglich einen leichten Anstieg der Renten bewirken sollten.329 Der Entwurf orientierte sich am Primat der Sanierung und ließ nur wenig Raum für konkrete Leistungserhöhungen. Vor allem die Knappschaft kritisierte den Entwurf als unzulänglich und verlangte eine spürbare Anhebung der Leistungen. Diese Forderung wurde auch von den Unternehmern befürwortet, die angesichts der eingetretenen Vollbeschäftigung und der ungünstigen Bedingungen in der Knappschaftsversicherung – hohe Beiträge und geringe Leistungen – massive Nachwuchsprobleme befürchteten. Ein Konzept, wie die entstehenden Mehrkosten zu Prozent, davon entfielen 2,5 Prozent auf den Versicherten; in der Angestelltenpensionskasse 10,85 Prozent, davon entfielen 6,51 Prozent auf den Versicherten; für wesentlich bergmännische Arbeiten trat ein Zuschlag von 1,96 Prozent hinzu, so dass sich der Anteil des Versicherten auf 7,69 Prozent erhöhte. Dobbernack, Gegenwartsprobleme, S. 285 f. Die deutsche Sozialversicherung 1937, S. 269. 326 Dobbernack, Gegenwartsprobleme, S. 293 f. 327 Zum Problem der „wesentlich bergmännischen Arbeit“ siehe Kratz, Das Ausbaugesetz und die Bergbauangestellten. Dobbernack, Inhalt, S. 3. Funke, Wichtige Änderungen, S. 13 f. 328 Zschimmer, Gesundung, Sp. 67. Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung, S. 3. Dobbernack, Überblick, S. 4. Ders., Inhalt, S. 4. Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 38. Thielmann, Die knappschaftliche Pensionsversicherung, S. 74. 329 Der RAM an sämtliche Reichsminister, betr. a) Entwurf eines Gesetzes über die weitere Vereinfachung, Vereinheitlichung und finanzielle Neuordnung in der Rentenversicherung; b) Entwurf einer Verordnung über die Herabsetzung der Beiträge zur Invalidenversicherung für die in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigten Arbeiter; c) Entwurf einer Neuordnung über die Anlegung des Vermögens der Träger der Rentenversicherung, 21. 07. 1937, BArch R 3901 / alt R 41 / 823. Anlage 1: Entwurf eines Gesetzes über die weitere Vereinfachung, Vereinheitlichung und finanzielle Neuordnung in der Rentenversicherung, bes. S. 22 ff.

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decken waren, fehlte jedoch. Daher rückte der Vorschlag des Reichsarbeitsministeriums, durch eine Aufteilung der Beiträge im Verhältnis 1 : 2 eine deutliche Entlastung der Versicherten sicherzustellen, zunehmend in den Mittelpunkt der Diskussion. Die damit verbundene Mehrbelastung der Unternehmen in Höhe von 30 Millionen RM jährlich schien vertretbar, da sich die Belastung der Unternehmer seit 1932 um 2,3 Prozent verringert hatte, während die der Arbeitnehmer lediglich um 0,5 Prozent gesunken war.330 Angesichts des drohenden Arbeitskräftemangels im Bergbau erklärten sich die Unternehmen daher bereit, „im Interesse ihrer Gefolgschaften und zur sozialen Befriedung der Bergarbeiterschaft“ die Kosten zu übernehmen, sofern eine weitere Belastung künftig ausgeschlossen sei.331 Ein entsprechend geänderter Entwurf konnte schließlich im Dezember 1937 verabschiedet werden.332 Die Neuverteilung der Beiträge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Verhältnis 1:2 bewirkte eine deutliche Absenkung der Beitragsbelastung der Bergleute. In der Arbeiterpensionskasse wurde der Beitragssatz nicht wie geplant auf elf Prozent angehoben, sondern sank stattdessen um 0,8 Prozentpunkte auf neun Prozent, wovon nur drei Prozent auf die Versicherten entfielen. Die Einführung der Beitragshalbierung in der knappschaftlichen Krankenversicherung entlastete die Arbeiter zusätzlich um 0,5 Prozent, und die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 0,5 Prozent bewirkte eine weitere Entlastung um 2,75 Prozent. In der Arbeiterpensionskasse verringerten sich die Beiträge zur Sozialversicherung damit insgesamt um rund sechs Prozent. Die Entlastung der Angestellten im Bergbau fiel mit durchschnittlich 5,4 Prozent etwas bescheidener aus.333 Neben den allgemeinen Verbesserungen, die das Ausbaugesetz auch in den übrigen Versicherungszweigen bewirkte, erhöhten sich die Pensionen der Bergleute beim Zusammentreffen mit einer Invalidenrente durch die Milderung von Ruhensvorschriften um bis zu 60 RM jährlich für Versicherte und 30 RM für Witwen. Eine zusätzliche Erhöhung um durchschnittlich 30 RM jährlich trat dadurch ein, dass sich die Zeit, für die nur der halbe Steigerungsbetrag gewährt wurde, von 60 auf 30 steigerungsfähige Monatsbeiträge verringerte. Die Einführung der sogenannGeyer, Reichsknappschaft, S. 320 f. Die Wirtschaftsgruppe Bergbau an den RFM, 03. 12. 1937, BArch R 2 / 18540. Die Wirtschaftsgruppe Bergbau an Staatssekretär Dr. Posse, 03. 12. 1937, BArch R 3101 / 10368. 332 Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. 12. 1937, RGBl. I 1937, S. 1393 – 1408. 333 Vom Beitrag der Bergbauangestellten zur Pensionsversicherung, der nach dem Gesetz nun 16 Prozent betrug, entfielen künftig 5,3 Prozent auf die Versicherten, was einer Entlastung um 2,4 Prozent entsprach. Die Beitragshalbierung in der Krankenversicherung führte zu einer weiteren Entlastung um 0,2 Prozent. Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung verringerte die Belastung um etwa 2,75 Prozent. Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung, S. 3 f. Dobbernack, Überblick, S. 4. Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 39 f. Zschimmer, Gesundung, Sp. 70. Funke, Wichtige Änderungen, S. 14. Ders., Die neueste Entwicklung, S. 305 f. Thielmann, Die knappschaftliche Pensionsversicherung, S. 74 f. 330 331

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ten Halbdeckung erleichterte die Aufrechterhaltung der Anwartschaften, wobei die Steigerungsbeträge im Falle der Halbdeckung aber nur zur Hälfte gewährt wurden.334 Das Ausbaugesetz markierte eine wichtige Etappe bei der Sanierung der knappschaftlichen Pensionsversicherung. Die Verstetigung des Reichszuschusses sowie die Gemeinschaftshilfe der übrigen Versicherungszweige stellten die Knappschaftsversicherung auf ein sicheres Fundament, das es künftig erlauben sollte, die Reform weiter voranzutreiben. Die Einführung eines Kapitaldeckungsverfahren allerdings scheiterte wie auch in den übrigen Versicherungszweigen, da die erforderlichen Beitragserhöhungen unterblieben, während gleichzeitig Leistungsverbesserungen vorgenommen wurden. Die verbleibende Finanzlücke wurde durch eine Reichsgarantie gedeckt.335

b) Rentenversicherung und Arbeitseinsatz Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs rückte das Problem eines wachsenden Arbeitskräftemangels im Bergbau in den Vordergrund der sozialpolitischen Diskussion. Die unzureichende Kohleförderung beeinträchtigte sowohl die Rüstungsproduktion als auch die Versorgung der Bevölkerung mit Brennstoff und ließ künftig krisenhafte Engpässe erwarten. Obwohl die sinkende Förderleistung nicht allein auf die geringe Zahl oder den mangelnden Leistungswillen der Beschäftigten zurückzuführen war, erschienen die Arbeitseinsatzlage sowie die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten doch als geeignete Ansatzpunkte, das Produktionsvolumen kurzfristig am effektivsten zu steigern. Durch die behördliche Lenkung weiterer Arbeitskräfte in den Bergbau und die Anwerbung neuer Bergleute sollten die Einberufungen zur Wehrmacht und der natürliche Abgang durch Invalidität und Tod kompensiert werden. Dies konnte jedoch nur gelingen, wenn die Lohn- und Arbeitsbedingungen attraktiver als bisher gestaltet wurden. Da substanzielle Lohnerhöhungen ausgeschlossen waren, blieb nur ein umfassender Ausbau der sozialen Sicherung im Bergbau, um neue Arbeitskräfte anzuziehen und den Leistungswillen der Vorhandenen zu steigern.336 Bereits im September 1940 hatte Reichsarbeitsminister Seldte den Sondertreuhänder der Arbeit für den deutschen Bergbau beauftragt, Vorschläge für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Gesundheitsfürsorge und der Wohnungsversorgung sowie den Ausbau der knappschaftlichen Renten- und Krankenver334 Krohn, Gesetz über den Ausbau, S. 39. Dobbernack, Überblick, S. 4 f., 6. Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung, S. 4. Zschimmer, Gesundung, Sp. 68. Funke, Wichtige Änderungen, S. 13. Thielmann, Die knappschaftliche Pensionsversicherung, S. 76 f. 335 Geyer, Reichsknappschaft, S. 322 f. Vgl. auch Gemeinschaftshilfe für Kumpel. Arbeitslosenbeiträge für gesunde Rentenversicherung, in: Der Angriff Nr. 301 vom 24. 12. 1937, BArch NS 5 / VI / 3476. 336 Recker, S. 210 f.

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sicherung zu erarbeiten. Die Diskussion konzentrierte sich dabei zunächst auf Leistungsverbesserungen in der Krankenversicherung und Gesundheitsfürsorge. Die Reform der knappschaftlichen Pensionsversicherung wurde an den Präsidenten der Reichsknappschaft und langjährigen NSDAP-Aktivisten Reinhard Jakob delegiert, der im Sommer 1942 eine ausführliche Denkschrift vorlegte, die die geforderten Leistungsverbesserungen geschickt mit der zentralen Frage des Arbeitseinsatzes verband.337 Seinen Vorschlägen für eine grundlegende Neuordnung der knappschaftlichen Pensionsversicherung stellte Jakob eine Analyse der bisherigen Maßnahmen voran, die der nationalsozialistischen Rentenversicherungspolitik eine vernichtende Bilanz ausstellte. Im Grunde, kritisierte Jakob, seien in der Rentenversicherung bisher lediglich die durch die Notverordnungen bewirkten Verschlechterungen beseitigt und einige weltanschaulich unbedingt erforderliche Ergänzungen vorgenommen worden.338 Die Beseitigung der aus den Notverordnungen resultierenden Kürzungen durch das Erste und Zweite Leistungsverbesserungsgesetz hätte zwar allgemein eine Anhebung der Renten auf den früheren Stand bewirkt. Auf die knappschaftlichen Renten träfe dies jedoch auf Grund der Doppelversicherung in der knappschaftlichen Pensionsversicherung und der Arbeiterversicherung nur teilweise zu. Sowohl die Notverordnungen als auch das Sanierungsgesetz hätten gerade die Leistungen der Doppelversicherung stark gekürzt (Tabelle 5), so dass die frühere erhebliche Besserstellung der Bergleute auch nach den Leistungsverbesserungsgesetzen nicht wieder erreicht worden sei.339 Die durchschnittliche knappschaftliche Invalidenpension, die alle berufsunfähigen, d. h. bergfertigen Bergleute, die noch nicht invalide im Sinne der Arbeiterversicherung waren, erhielten, betrug 1942 nach 20 Berufsjahren beim Neuzugang rund 48 RM monatlich. Bis 1934 waren es 58 RM im Monat gewesen, vor dem 1. Januar 1931 sogar knapp 68 RM. Nach fast neun Jahren nationalsozialistischer Herrschaft blieb die durchschnittliche Invalidenpension damit um ein Fünftel hinter dem Stand von 1933 und um fast 30 Prozent hinter dem Vorkrisenniveau zurück. Im Falle der Invalidität im Sinne der Arbeiterversicherung trat zu den Leistungen der Pensionskasse eine Invalidenrente in Höhe von durchschnittlich 48 RM hinzu. Durch die Kürzungen nach den Vorschriften der Wanderversicherung betrug die monatliche Gesamtleistung im Durchschnitt jedoch nur 68 RM. Das waren 26 Prozent weniger als vor dem Inkrafttreten des Sanierungsgesetzes. Die knappschaftliche Witwenrente, die im Durchschnitt rund 26 RM monatlich betrug, hatte sich gegenüber dem Stand von 1933 um 15 Prozent verringert. Die Gesamtleistung Recker, S. 211 f. Geyer, Reichsknappschaft, S. 335 – 337, 314 f. Gedanken zu einer Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung von Reinhard Jakob, Präsident der Reichsknappschaft, Juli 1942, BArch R 89 / 3641, S. 51. 339 Ebenda, S. 53. Vgl. auch Der Präsident der Reichsknappschaft an den RAM, betr. Verordnung über die knappschaftliche Krankenversicherung der Rentner, 12. 01. 1942, BArch R 89 / 4120. 337 338

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aus der knappschaftlichen Pensionsversicherung und der Invalidenversicherung betrug knapp 41 RM und hatte sich damit seit 1933 um fast 18 Prozent verringert. Waisenrenten wurden lediglich aus der Arbeiterversicherung gewährt und betrugen im Durchschnitt 15 RM monatlich (Tabelle 5).340 Allein die geänderte Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes im Falle der Berufsunfähigkeit war nach Meinung Jakobs positiv zu beurteilen. Nach § 35 des Reichsknappschaftsgesetztes galt als berufsunfähig, wer infolge von Krankheit oder anderer Gebrechen weder imstande war, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit noch eine andere im Wesentlichen gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit auszuüben. Die ältere Rechtsprechung ging dabei jedoch nicht von der individuellen Tätigkeit, sondern von einem weiteren Feld knappschaftlicher Tätigkeiten aus. Als berufsunfähig galt der Versicherte erst dann, wenn er nicht mehr in der Lage war, eine knappschaftliche Tätigkeit zu verrichten, die der am geringsten entlohnten Arbeit innerhalb dieses Kreises entsprach. Dadurch konnte sich der Eintritt der Berufsunfähigkeit erheblich verzögern, während der Bergmann gleichzeitig gezwungen war, spürbare finanzielle Einbußen hinzunehmen, die sich zusätzlich mindernd auf seine spätere Pension auswirkten. Seit 1939 ging die Rechtsprechung dagegen bei der Auslegung von § 35 des Reichsknappschaftsgesetztes vom individuellen Arbeitsleben des Versicherten aus. Als bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit galt nunmehr die Tätigkeit, die der Versicherte tatsächlich ausgeübt hatte. Dadurch verringerte sich das Feld der gleichartigen Tätigkeiten erheblich und der Bezug einer knappschaftlichen Invalidenpension wurde deutlich erleichtert.341 „Von den fünf großen, bekannt gegebenen sozialen Planungen des nationalsozialistischen Staates, der Altersversorgung, dem Reichsgesundheitswerk, dem sozialen Wohnungsbau, der Reichslohnordnung und dem Berufserziehungswerk“, fasste Jakob seine Kritik in beißender Schärfe zusammen, „ist für die breite Öffentlichkeit wohl nichts Greifbareres vorhanden, als die gelegentliche Ankündigung in Presseartikeln und die Wiedergabe in Reden“.342 Unter den Rentenempfängern und innerhalb der Arbeiterschaft, erklärte Jakob, habe sich angesichts des sozialpolitischen Stillstands bittere Enttäuschung und wachsende Hoffnungslosigkeit breit gemacht. Kein Zeitpunkt sei daher geeigneter als der gegenwärtige, um „über die Ankündigungen und Zukunftsverheißungen hinaus endlich einmal dem arbeitenden deutschen Menschen einen wirklichen Beweis für den guten Willen zu ge340 Dobbernack, Neuregelung, S. 530. Ders., Gegenwartsprobleme, S. 295. Gedanken zu einer Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung von Reinhard Jakob, Präsident der Reichsknappschaft, Juli 1942, BArch R 89 / 3641, S. 50, 53 f. 341 Wichtige Neuerungen in der Praxis. Geselle, Die knappschaftliche Berufsunfähigkeit. Alterspension und Invalidenpension des Bergmanns, in: Monatshefte für NS-Sozialpolitik Nr. 9 / 10 vom Mai 1941, BArch NS 5 / VI / 3477. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 354 – 357. 342 Gedanken zu einer Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung von Reinhard Jakob, Präsident der Reichsknappschaft, Juli 1942, BArch R 89 / 3641, S. 64.

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ben und zu zeigen, dass es dem Nationalsozialismus mit der Verwirklichung seiner propagierten Reformwerke tatsächlich heiliger Ernst ist“.343 Falls eine Aufbesserung aller Sozialrenten und eine Umsetzung der geplanten Altersversorgung während des Krieges tatsächlich nicht durchführbar seien, so sollten nach Ansicht Jakobs doch zumindest die Bergleute eine deutliche Besserstellung erfahren. Die Erhöhung der knappschaftlichen Renten sei dringend geboten, betonte Jakob, um zum einen dem alarmierenden Arbeitskräftemangel im Bergbau entgegenzuwirken, und zum anderen „die später auf alle Deutschen auszudehnenden Auswirkungen einer nationalsozialistischen Altersversorgung“ propagandawirksam zu demonstrieren.344 In der knappschaftlichen Pensionsversicherung müsse ein Versorgungsniveau erreicht werden, das den Versicherten und ihren Hinterbliebenen bei Invalidität und Alter sowie im Falle des Todes im Wesentlichen die Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstandards gestatte. Bei den Leistungen der öffentlichen Rentenversicherung, argumentierte Jakob, handele es sich um die „finanzielle Abstattung der Dankespflicht der Allgemeinheit gegenüber dem unter einmalig schweren Arbeitsbedingungen volks- und kriegswirtschaftlich hervorragend wertvolle Arbeit leistenden Bergmannsstand“. Die Renten stellten im Grunde einen Anspruch „auf einen Teil der volkswirtschaftlichen Gesamtproduktion“ dar und seien daher aus den Erträgen der „Gesamtarbeit des Volkes“ aufzubringen. Die angestrebte Rückkehr zum Prinzip der Kapitaldeckung sei daher aufzugeben.345 Die Vorschläge Jakobs für eine Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung basierten hauptsächlich auf vier Leitgedanken: (1) Die verschiedenen Versicherungszweige sollten unter Beseitigung der Doppelversicherung der Arbeiter und unter Einbeziehung aller im Bergbau beschäftigten Angestellten zu einer einheitlichen knappschaftlichen Versicherung zusammengefasst werden. Das unterschiedliche Leistungsrecht galt es zu vereinheitlichen. (2) Die Leistungen sollten deutlich angehoben und zugunsten der mit wesentlich bergmännischen Arbeiten Beschäftigten ausgebaut werden. (3) Zugleich waren die Leistungen stärker als bisher an die Erfordernisse des Arbeitseinsatzes anzupassen. (4) Eine höhere Belastung der Versicherten und der Unternehmen war dabei jedoch unbedingt zu vermeiden.346 Vor allem im Leistungsrecht sah der Vorschlag Jakobs weitreichende Veränderungen vor. Um den erreichten Lebensstandard nach Eintritt des Versicherungsfalls zu gewährleisten, sollten sich die knappschaftlichen Renten künftig unmittelbar nach dem während des Arbeitslebens erzielten Einkommen richten.347 Zu diesem Zweck sollte an die Stelle der Invalidenpension bzw. des Ruhegeldes Ebenda, S. 77. Ebenda, S. 77, 78 f. 345 Ebenda, S. 57 – 63, 66, 68, 70 f., 103. Vgl. auch Kratz, Die knappschaftliche Pensionsversicherung, S. 136. 346 Ebenda, S. 81. 347 Ebenda, S. 83. 343 344

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aus der knappschaftlichen Versicherung die sogenannte „Knappschaftsrente“ treten, die wie bisher bei dauernder oder vorübergehender Berufsunfähigkeit im Sinne der „Bergfertigkeit“ zu gewähren war. Die Knappschaftsrente sollte den mit der Berufsunfähigkeit verbundenen Verdienstrückgang ausgleichen und galt daher als eine Vorleistung auf die spätere Vollrente.348 Die Gesamtleistung aus der knappschaftlichen Invalidenpension und einer Invalidenrente aus der Arbeiterversicherung, die der Versicherte bisher im Falle ständiger oder vorrübergehender Invalidität im Sinne der Arbeiterversicherung sowie nach Vollendung des 65. Lebensjahrs erhielt, sollte durch eine einheitliche knappschaftliche Leistung, die sogenannte „Knappschaftsvollrente“, ersetzt werden. Die Knappschaftsvollrente sollte in angemessenem Verhältnis zum früheren Arbeitseinkommen des Versicherten stehen und die Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstandards garantieren. Zugleich durfte sie jedoch das Durchschnittsentgelt der Versicherten nicht übersteigen, damit künftig auch nach Eintritt des Versicherungsfalls ein Anreiz zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit bestand.349 Die bisherige Alterspension sollte entfallen, da sie nach Ansicht Jakobs den Erfordernissen des Arbeitseinsatzes zuwider lief. Die Alterspension, die als Kompensation für die im Alter nachlassende Arbeitskraft gewährt wurde, erhielten Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet, 25 Versicherungsjahre zurückgelegt und während dieser Zeit mindestens 15 Jahre wesentlich bergmännische Arbeit verrichtet hatten. Ursprünglich durfte neben dem Bezug der Alterspension keine der früheren Beschäftigung „gleichwertige Lohnarbeit“ mehr ausgeübt werden. Um die Arbeitseinsatzlage im Bergbau zu verbessern – das unausgeschöpfte Arbeitskräftepotential wurde auf 50.000 Invaliden geschätzt –, war diese Vorschrift jedoch im März 1939 beseitigt worden, so dass nun auch weiterhin gleichwertige Lohnarbeit verrichtet werden konnte. Der Berechtigte bezog neben seinem vollen Arbeitslohn eine um 25 Prozent gekürzte Rente.350 Die Alterspension hatte sich damit faktisch zu einem Lohnzuschlag entwickelt.351 Jakob schlug daher vor, die Alterspension durch einen „Leistungszuschlag“ zu ersetzen, der erst mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit oder Invalidität fällig werden und eine dauernde Erhöhung der Rentenleistungen bewirken sollte. Der Leistungszuschlag sollte ausschließlich Beschäftigten, die eine Reihe von Jahren wesentlich bergmännische Arbeiten verrichtet hatten, gewährt werden. Die Höhe des Zuschlags sollte sich nach der Dauer der Tätigkeit richten, um eine möglichst lange Fortsetzung der bergmännischen Arbeit zu Ebenda, S. 87 f. Ebenda, S. 89, 91, 95. 350 Verordnung zur Erhöhung der Förderleistung und des Leistungslohns im Bergbau vom 02. 03. 1939, RGBl. I 1939, S. 482 – 483. – Die Ruhensvorschriften der Notverordnungen waren nach wie vor in Kraft. Die Bestimmung, wonach die Alterspension im Falle einer Erwerbstätigkeit bis zu 100 Prozent ruhte, war 1938 dahingehend gemildert worden, dass die Kürzung nunmehr nur noch 25 Prozent betrug. 351 Geyer, Reichsknappschaft, S. 327 – 329. Vgl. auch Der Ruf an den Bergmann, Sp. 401. Alterspension und Invalidenpension des Bergmanns, S. 113 f. Thielmann, Fortentwicklung. 348 349

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fördern.352 Der Leistungszuschlag sollte ferner durch ein sogenanntes „Bergmannstreuegeld“ ergänzt werden, das die mit wesentlich bergmännischen Arbeiten Beschäftigten mit einem größeren Kapitalbetrag für ihre langjährige Arbeit unter Tage belohnen sollte.353 In der Hinterbliebenenversorgung sahen die Pläne Jakobs eine stärkere Differenzierung der Leistungen vor. Beim Tod des Versicherten sollte der Witwe zunächst eine Witwenrente in Höhe von fünf Zehnteln der Knappschaftsrente gewährt werden. Erfüllte die Witwe die Voraussetzungen für eine Witwenrente aus der Arbeiterversicherung, d. h. Invalidität oder Kinderreichtum, sollte sie eine „Witwenvollrente“ in Höhe von sechs Zehnteln der Knappschaftsvollrente erhalten. Bei den Waisenrenten war die Gewährung fester monatlicher Beträge vorgesehen. Die Kürzungsvorschriften beim Zusammentreffen mehrerer Hinterbliebenenrenten sollten entfallen, um die Benachteiligung kinderreicher Familien zu beseitigen.354 Bereits wenige Wochen nachdem Jakob seine Denkschrift vorgelegt hatte, wies Göring im August 1942 das Reichsarbeitsministerium an, innerhalb des nächsten Monats einen Entwurf zu erarbeiten, der „die Leistungen des deutschen Bergbaus“ sichern und den „deutsche[n, die Verf.] Bergmann wieder an die Spitze des deutschen Arbeiters“ stellen sollte. In Anlehnung an die Vorschläge Jakobs verlangte Göring eine Vereinfachung des unübersichtlichen Knappschaftsrechts und eine deutliche Verbesserung der Leistungen, wobei es sowohl die „schwere, kräftezehrende Untertagearbeit“ als auch die „arbeitseinsatzmäßigen Erfordernisse“ zu berücksichtigen galt.355 Das Reichsarbeitsministerium konnte sich zwar nicht in allen Einzelheiten mit der Denkschrift Jakobs identifizieren, stimmte den Grundsätzen der Reform jedoch zu, so dass der Gesetzentwurf, der Anfang September 1942 vorlag, in weiten Teilen den Vorschlägen Jakobs folgte.356 Die Altersversorgung im Bergbau sollte künftig durch eine einheitliche knappschaftliche Rentenversicherung geregelt und die Doppelversicherung der Bergarbeiter beseitigt werden. Mit der organisatorischen Vereinheitlichung verband sich zugleich eine völlige Angleichung des Leistungsrechts für Arbeiter und Angestell352 Gedanken zu einer Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung von Reinhard Jakob, Präsident der Reichsknappschaft, Juli 1942, BArch R 89 / 3641, S. 96 f. Vgl. auch Jakob, Die neue knappschaftliche Rentenversorgung, S. 118. 353 Gedanken zu einer Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung von Reinhard Jakob, Präsident der Reichsknappschaft, Juli 1942, BArch R 89 / 3641, S. 99 ff. 354 Ebenda, S. 92 f. 355 Schreiben von Reichsmarschall Göring an den RAM, 25. 08. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 13780 f. Vgl. auch Recker, S. 213. Geyer, Reichsknappschaft, S. 358. 356 Der RAM an den Reichsmarschall, betr. Neuregelung der knappschaftlichen Versicherung, 01. 09. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 13786 f. Anlage: Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der knappschaftlichen Rentenversicherung vom September 1942. Der RAM an den Leiter der Parteikanzlei, den RFM, den RWM, betr. Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der knappschaftlichen Versicherung, 19. 09. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 13788 – 90. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 357 f.

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te.357 Die von Jakob vorgeschlagene Einbeziehung aller in knappschaftlichen Betrieben beschäftigten Angestellten fand dagegen auf Grund der damit verbundenen Mehrbelastung der Knappschaftsversicherung keinen Eingang in den Entwurf.358 Diese Position wurde von den Bergbauunternehmen unterstützt, die eine Einbeziehung aller Angestellten in die knappschaftliche Rentenversicherung ebenfalls ablehnten, da die Beiträge in der Knappschaftsversicherung deutlich höher waren als in der Angestelltenversicherung.359 An die Stelle der bisherigen Leistungen sollten die Knappschaftsrente und die Knappschaftsvollrente treten, deren Höhe sich unmittelbar nach dem während des Arbeitslebens verdienten Lohn bemessen sollte. Zu diesem Zweck sollte der Grundbetrag gestrichen werden, so dass sich die Rente künftig nur noch aus einem einheitlichen Steigerungsbetrag berechnete. Bei einer relativ kurzen Versicherungsdauer musste die Streichung des Grundbetrags allerdings zu sehr viel niedrigeren Renten als bisher führen. Als Ausgleich sah der Entwurf daher die Einführung einer Mindestrente vor, die bei der Knappschaftsrente 360 RM jährlich und bei der Knappschaftsvollrente 600 RM jährlich betragen sollte. Eine vollständige Kompensation sollte die Mindestrente jedoch nicht bewirken, da die niedrigen Leistungen bei kurzer Versicherungsdauer als Anreiz galten, um die Beschäftigten langfristig an den Bergbau zu binden.360 Statt des von Jakob empfohlenen Leistungszuschlags für wesentlich bergmännische Arbeiten sah der Entwurf des Reichsarbeitsministeriums einen „Zusatzsteigerungsbetrag“ in Höhe von 0,5 Prozent vor. Obwohl der Vorschlag des Arbeitsministerium allgemein als „gerechter“ galt, da er vom tatsächlichen Arbeitsverdienst ausging und dadurch besser verdienende Bergleute begünstigte, stieß er auf den Widerstand der Reichsvereinigung Kohle, die sich von den gestaffelten Zuschlägen eine höhere psychologische Wirkung versprach. Der geplante „Zusatzsteigerungsbetrag“ wurde daher wieder gestrichen, und das ursprüngliche Konzept fester Zuschläge in den Entwurf aufgenommen.361 Seldte, Bergmannsversicherung, S. 539 f. Vgl. auch Recker, S. 215. Vorläufiger Referenten-Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute vom September 1942, mit Begründung, BArch R 89 / 3561, Begründung, S. 1 ff., 8 f. Gedanken zu einer Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung von Reinhard Jakob, Präsident der Reichsknappschaft, Juli 1942, BArch R 89 / 3641, S. 82. 359 Die Reichsvereinigung Kohle an den RAM, betr. Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute, 22. 09. 1942, BArch R 3101 / 34213. Anlage: Aufzeichnungen über die Abweichungen des Verordnungsentwurfs von den Vorschlägen der Reichsvereinigung Kohle, S. 1 f. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 363. 360 Vorläufiger Referenten-Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute vom September 1942, mit Begründung, BArch R 89 / 3561, Begründung, S. 1 ff., 8 f. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 359. 361 Die Reichsvereinigung Kohle an den RAM, betr. Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute, 22. 09. 1942, BArch R 3101 / 34213, S. 2 f. Der RAM an den Generaldirektor Pleiger, Reichswerke Hermann Göring, Präsident 357 358

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Wie von Jakob vorgeschlagen sollte der Leistungszuschlag durch ein Bergmannstreuegeld ergänzt werden, das die bisherige Alterspension ersetzen sollte.362 Diese Regelung hätte jedoch eine erhebliche Verschlechterung gegenüber dem geltenden Recht bedeutet, wonach die Alterspension im Grunde einen Lohnzuschlag darstellte. Um die entstehenden Nachteile zu mildern, schlug das Reichsarbeitsministerium vor, die Versicherten bis Ende 1947 zwischen dem neuen und dem alten Recht wählen zu lassen. Bei den Unternehmern stieß die geplante Abschaffung der Alterspension auf heftige Ablehnung, da es angesichts des gegenwärtigen Arbeitskräftemangels jegliche Verschlechterung unbedingt zu vermeiden galt.363 Auf Initiative Jakobs einigte man sich schließlich auf die Einführung eines „Knappschaftssolds“ in Höhe von 60 RM monatlich. Der Knappschaftssold blieb damit zwar leicht hinter der bisherigen Höhe der Alterspension von durchschnittlich 70 RM im Monat zurück. Diese Minderung wurde nach Ansicht des Reichsarbeitsministeriums jedoch durch die übrigen Leistungsverbesserungen mehr als ausgeglichen. Die erwartete Mehrbelastung von 50 bis 60 Millionen RM sollte vom Reich getragen werden.364 In der Hinterbliebenenversorgung folgte der Entwurf dem Vorschlag Jakobs. Die Witwenrente sollte sechs Zehntel der Knappschaftsrente und die Witwenvollrente sechs Zehntel der Knappschaftsvollrente betragen. Die Waisenrente wurde einheitlich auf 300 RM jährlich festgesetzt.365 Die vorgesehene deutliche Anhebung der neu festzusetzenden Renten machte eine spürbare Erhöhung auch der laufenden Renten erforderlich. Die Invalidenpensionen sollten daher um 25 RM monatlich und die Witwenrenten um 20 RM monatlich angehoben werden.366 Zugleich verstärkte sich durch die Anhebung der Knappschaftsrenten aber auch der Abstand zu den Leistungen der übrigen Versicherungszweige, so dass der Druck, auch die Arbeiter- und Angestelltenrenten Jakob, Reichsknappschaft, Direktor Prof. Dr. Dersch, RVA, Dr. Funke, DAF – Amt für Arbeitseinsatz, Sturmhauptführer Trenz, Reichssicherheitshauptamt, betr. Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute – Übersendung von Änderungen, 25. 09. 1942, BArch R 89 / 3561. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 361. 362 Vorläufiger Referenten-Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute vom September 1942, mit Begründung, BArch R 89 / 3561, Begründung, S. 4, 10, 13. 363 Die Reichsvereinigung Kohle an den RAM, betr. Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute, 22. 09. 1942, BArch R 3101 / 34213, S. 1 f. 364 Der RAM an den Generaldirektor Pleiger, Reichswerke Hermann Göring, Präsident Jakob, Reichsknappschaft, Direktor Prof. Dr. Dersch, RVA, Dr. Funke, DAF – Amt für Arbeitseinsatz, Sturmhauptführer Trenz, Reichssicherheitshauptamt, betr. Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute – Übersendung von Änderungen, 25. 09. 1942, BArch R 89 / 3561. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 362. 365 Vorläufiger Referenten-Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute vom September 1942, mit Begründung, BArch R 89 / 3561, S. 3 f. 366 Ebenda, S. 5 f.; Begründung, S. 7.

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deutlich anzuheben, künftig erheblich steigen musste. Das Reichsarbeitsministerium schlug daher vor, in der Invaliden- und in der Angestelltenversicherung die Bestandsrenten um 15 RM monatlich und die Neurenten um 17 RM im Monat zu erhöhen.367 Dieser Versuch, im Rahmen der Knappschaftsreform auch eine allgemeine Rentenerhöhung durchzusetzen, scheiterte jedoch am grundsätzlichen Widerstand des Reichswirtschaftsministeriums und des Reichsfinanzministeriums. 368 Als erbitterter Gegner der geplanten Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung erwies sich Ley, der seine eigenen Reformpläne durch die beabsichtigten Maßnahmen massiv bedroht sah. In hektisch gefertigten Gutachten, zahllosen Schreiben an die verschiedenen Ressorts und Parteistellen und schließlich in einem Gegenentwurf versuchte Ley bis zur letzten Minute, den Erlass der Verordnung zu verhindern.369 Zu Recht wies Ley darauf hin, dass die Umsetzung der geplanten Neuregelung im Bergbau eine spätere Realisierung des „Versorgungswerks“ nahezu unmöglich mache. Die geplante Höhe der Leistungen läge deutlich über dem im „Versorgungswerk“ vorgesehenen Niveau, so dass eine Verwirklichung des „Versorgungswerks“ für viele Rentenempfänger mit einer spürbaren Minderung der Leistungen verbunden wäre.370 Zudem sei das geplante Rentenniveau wohl kaum geeignet, gab Ley zu bedenken, den Arbeitseinsatz im Bergbau zu fördern. Angesichts des körperlichen Verschleißes vieler Bergleute würden die vergleichsweise hohen Leistungen vielmehr die Tendenz verstärken, den Übergang in den Ruhestand möglichst frühzeitig zu vollziehen. Der nationalsozialistische Grundsatz „Arbeit geht vor Versorgung“, erklärte Ley, könne daher ausschließlich im „Versorgungswerk“ zur Durchführung gelangen.371 Um endlich „eine organische Lösung“ in der Frage der Altersversorgung zu erzwingen,372 legte Ley schließlich einen Gegenentwurf vor, der auf eine Umsetzung des „Versorgungswerks“ zumindest im Bereich des Bergbaus noch während des Krieges zielte. Der 367 Der RAM an den Leiter der Parteikanzlei, den RFM und den RWM, betr. Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute, 19. 09. 1942, BArch R 89 / 3561. 368 Der RWM an den RAM, betr. Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute, 24. 09. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 10621 – 25. Der RFM an den Reichsmarschall Göring, Beauftragter für den Vierjahresplan, betr. Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute, 26. 09. 1942, BArch R 3101 / 10378. Vgl. auch die Auszugsweise Abschrift an das Reichsarbeitsministerium, BArch R 3901 / alt R 41 / 28. Der RFM an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Dr. Lammers, betr. Maßnahmen auf dem Gebiet der Sozialversicherung und des Altersversorgungswerks des deutschen Volkes, 23. 12. 1942, BArch R 3901 / alt R 41 / 28. 369 Geyer, Reichsknappschaft, S. 364. 370 DAF – AWI an den Oberregierungsrat Dr. Riegler, Reichswirtschaftsministerium, 25. 09. 1942, BArch R 3101 / 10378. Übersendung einer Aktennotiz betreffend das Versorgungswerk, BArch R 3101 / 10378. 371 Scheiben Leys an den Leiter der Parteikanzlei, Bormann, 21. 10. 1942, BArch R 3901 / alt R 41 / 28. 372 Schreiben Leys an Göring, 28. 09. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 10626 – 30, hier 10629.

4. Die knappschaftliche Pensionsversicherung

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Entwurf scheiterte jedoch angesichts der damit verbundenen Vorentscheidung über eine mögliche Nachkriegsordnung an der einhelligen Ablehnung sowohl der beteiligten Ressorts als auch der Parteiführung.373

c) Die Reform der knappschaftlichen Pensionsversicherung Auf Grund der allgemeinen Zustimmung konnte der Entwurf einer Verordnung über die Neuordnung der Rentenversicherung im Bergbau mit unwesentlichen Änderungen am 4. Oktober 1942 verabschiedet werden.374 Zur Begründung hieß es im Vorwort: „Der deutsche Bergmann ist und bleibt entscheidend für die Leistung des Bergbaus. Seine harte Arbeit sichert die Freiheit der deutschen Wirtschaft und den Bestand des Volkes. Sein Einsatz für die Allgemeinheit erfordert eine soziale Betreuung, die der schweren, kräftezehrenden Untertagearbeit gerecht und als eine der stolzen bergmännischen Tradition entsprechende Bevorzugung erkannt wird.“375

Das neue Gesetz stand ganz unter dem Primat der Leistungssteigerung. Vor allem drei Elemente sollten den Arbeitseinsatz fördern und den Bergmann veranlassen, „freiwillig das letzte an Arbeitswillen und Arbeitskraft herzugeben“: der Knappschaftssold, der Leistungszuschlag für Hauer und das Bergmannstreuegeld.376 Die Leistungen bemaßen sich künftig nach „Wert und Dauer der ( . . . ) für die Gemeinschaft geleisteten Tätigkeit“ und sollten erkennen lassen, dass die „schwerste, volkswirtschaftlich aber wertvollste Arbeit auch von der Volksgemeinschaft entsprechend gewertet wird“.377 Die Regelleistungen der einheitlichen knappschaftlichen Rentenversicherung bestanden aus der Knappschaftsrente, der Knappschaftsvollrente und den Hinterbliebenenrenten. Die Knappschaftsrente und die Knappschaftsvollrente setzten sich aus einem Steigerungsbetrag, einem Leistungszuschlag für Hauerarbeit unter Tage und einem Kinderzuschuss zusammen. Der bisherige Grundbetrag wurde gestrichen und zum Ausgleich eine Mindestrente eingeführt. Die Einstufung in Beitragsklassen entfiel, so dass sich die Renten künftig aus dem tatsächlich während Recker, S. 214. Geyer, Reichsknappschaft, S. 365 f. Der RAM an Göring, betr. Verabschiedung des Entwurfs einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau, 01. 10. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 10631 f. Anlage: Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau vom Oktober 1942. 375 Verordnung über die Neuordnung der Rentenversicherung im Bergbau vom 04. 10. 1942, RGBl. I 1942, S. 569 – 572. 376 Jakob, Deutschlands Fürsorge, S. 68. Dersch, Leistungsvoraussetzungen, S. 149 f. 377 Jakob, Deutschlands Fürsorge, S. 67 f. Vgl. auch Reinhard Jakob, Kurzbericht über den Stand der Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau. Gehalten auf der Sitzung des Ausschusses für Sozialwesen der Reichsvereinigung Kohle am 22. 01. 1943, BArch R 40 / 321, S. 3 ff. 373 374

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

des Erwerbslebens verdienten Einkommen berechneten. Die Bemessungsgrenze wurde auf 400 RM monatlich festgesetzt, was für die Arbeiter, deren Bemessungsgrenze bisher bei 275 RM im Monat gelegen hatte, eine erhebliche Verbesserung bedeutete. Für die Angestellten, deren Bemessungsgrenze bisher 600 RM monatlich betragen hatte, ergab sich dadurch eine Verschlechterung. Diese wurde jedoch durch den nach neuem Recht erheblich höheren Steigerungsbetrag ausgeglichen.378 Bei der Knappschaftsrente betrug der jährliche Steigerungsbetrag 1,5 Prozent des versicherten Entgelts, so dass die Rente nach 20 Berufsjahren eine Höhe von 30 Prozent, nach 30 Berufsjahren eine Höhe von 45 Prozent und nach 40 Berufsjahren eine Höhe von 60 Prozent des Arbeitsentgelts erreichen sollte.379 Bei der Knappschaftsvollrente war der Steigerungsbetrag als Ausgleich für den Wegfall der Doppelversicherung in der Invalidenversicherung mit 2,4 Prozent deutlich höher. Nach 20 Versicherungsjahren sollte die Knappschaftsvollrente ein Niveau von 48 Prozent des Arbeitsentgelts erreichen. Nach 30 Jahren waren es 72 Prozent, und nach 40 Jahren sollte die Rente die allgemeine Höchstgrenze von 80 Prozent des Arbeitsentgelts erreichen. Trat zur Knappschaftsvollrente ein Leistungszuschlag hinzu, erhöhte sich die Grenze auf 90 Prozent des Arbeitsentgelts.380 Tatsächlich lagen die Renten jedoch zunächst nicht über dem bisherigen Niveau; erst in späteren Jahren waren merkliche Verbesserungen zu erwarten.381 Völlig neu war der Leistungszuschlag, der nach mindestens zehn Jahren Untertagearbeit als Hauer für jedes weitere Jahr gewährt, aber erst nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit oder nach Vollendung des 65. Lebensjahrs als Zuschlag zur Rente ausbezahlt wurde. Der Leistungszuschlag betrug nach zehn Jahren für jedes weitere Jahr 12 RM jährlich, in den folgenden zehn Jahren 24 RM und danach für jedes weitere Jahr 36 RM jährlich. Er sollte die Bedeutung der Hauerarbeit hervorheben und den Anreiz verstärken, diese Tätigkeit möglichst lange auszuüben. Die Auslegung des Begriffs der Hauerarbeit unter Tage überließ das Gesetz dem Reichsversicherungsamt, das diese Frage in mehreren Durchführungsbestimmungen regelte.382 Vom Leistungszuschlag wurde künftig eine deutliche Erhöhung der

Jakob, Die neue knappschaftliche Rentenversicherung, S. 116 f. Dobbernack, Neuregelung, S. 525. Thielmann, Neuregelung, S. 7. Engel, Entwicklung, S. 251. Jakob, Die neue knappschaftliche Rentenversicherung, S. 117. 380 Dobbernack, Neuregelung, S. 525 f. Engel, Entwicklung, S. 251. Jakob, Die neue knappschaftliche Rentenversicherung, S. 117. 381 Geyer, Reichsknappschaft, S. 359. 382 Verbesserte Bergmannsrenten, Sp. 469 f. Dobbernack, Neuregelung, S. 525. Jakob, Die neue knappschaftliche Rentenversicherung, S. 119. Vgl. auch Erste Durchführungsbestimmung zum knappschaftlichen Leistungszuschlag vom 25. 01. 1943, RABl. II 1943, S. 67. Schreiben des RVA an den RAM vom 19. 12. 1942, BArch R 89 / 3561. Anlage: Vorläufiger Entwurf von Durchführungsbestimmungen zum knappschaftlichen Leistungszuschlag. Schreiben des RAM an das RVA, betr. Durchführungsbestimmung des RVA zum knappschaftlichen Leistungszuschlag, 18. 01. 1943, BArch R 89 / 3561. Dritte Durchführungsbestimmung zum knappschaftlichen Leistungszuschlag vom 12. 11. 1943, in: RABl. II 1943, S. 516. 378 379

4. Die knappschaftliche Pensionsversicherung

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Renten im Vergleich zum bisherigen Niveau erwartet. Bei den Bergarbeitern sollte sich die Knappschaftsrente gegenüber der Invalidenpension um 12 bis 38 Prozent erhöhen, bei der Knappschaftsvollrente sollte der Anstieg im Vergleich zur Gesamtleistung aus Invalidenpension und Invalidenrente 13 bis 27 Prozent betragen. Dabei sollten sich die Zuwächse mit steigendem Einkommen und zunehmender Versicherungsdauer immer stärker erhöhen, bis sie schließlich durch die Höchstgrenze von 90 Prozent des Arbeitsentgelts gedeckelt wurden.383 Bei den Angestellten sollte die Knappschaftsrente das bisherige Ruhegeld um zwei bis 30 Prozent übersteigen. Bei der Knappschaftsvollrente rechnete man im Vergleich zur Gesamtleistung aus Ruhegeld und Altersruhegeld sogar vielfach mit einer Verdoppelung der Bezüge. Auch bei den Angestellten sollten die Zuwächse mit steigendem Gehalt und zunehmender Versicherungsdauer ansteigen, bis sie schließlich durch die Höchstgrenze und die allgemeine Bemessungsgrundlage gedeckelt wurden.384 In der Praxis blieben die Zuwächse jedoch auf Grund der hohen gesundheitlichen Risiken im Bergbau erheblich hinter den Erwartungen zurück und bewirkten nur für eine vergleichsweise geringe Zahl von Versicherten eine spürbare Verbesserung.385 Das Gleiche galt für das Bergmannstreuegeld, das als „Anerkennung für ( . . . ) unermüdliche Einsatzbereitschaft“ beim Eintritt der Berufsunfähigkeit oder der Invalidität gewährt wurde, und von dem man sich eine nicht unwesentliche Beeinflussung des Arbeitseinsatzes versprach. Nach Vollendung des 50. Lebensjahrs und 15 Jahren wesentlich bergmännischer Arbeit erwarb der Versicherte für jedes weitere Jahr als Hauer Anspruch auf diese zusätzliche Leistung. Für die ersten beiden vollen Jahre, in denen die Hauertätigkeit über das 50. Lebensjahr hinaus fortgesetzt wurde, erhielt der Versicherte je 500 RM; für jedes weitere Jahr 1.000 RM.386 An die Stelle der bisherigen Alterspension trat, wie im Entwurf vorgesehen, der Knappschaftssold, der als Anerkennung und Belohnung für langjährige schwere Berufsarbeit im Bergbau als Zuschlag zum Lohn gewährt wurde. Mit einer Höhe von 50 RM monatlich blieb er allerdings deutlicher als im Entwurf vorgesehen hinter der bisherigen Alterspension in Höhe von 70 RM zurück.387 Die Durchfüh383 Übersicht A: Monatliche Renten der Bergarbeiter (ohne Kinderzuschuss) nach bisherigem Recht und nach der Neuordnung. Dobbernack, Neuregelung, S. 527. Vgl. auch Jakob, Knappschaftsreform, S. 109 f. 384 Übersicht B: Monatliche Renten der knappschaftlichen Angestellten (ohne Kinderzuschuss) nach bisherigem Recht und nach der Neuordnung. Dobbernack, Neuregelung, S. 527. Vgl. auch Reinhard Jakob, Kurzbericht über den Stand der Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau. Gehalten auf der Sitzung des Ausschusses für Sozialwesen der Reichsvereinigung Kohle am 22. 01. 1943, BArch R 40 / 321, S. 13 f. 385 Recker, S. 215. 386 Verbesserte Bergmannsrenten, Sp. 469 f. Dobbernack, Neuregelung, S. 529. Thielmann, Neuregelung, S. 6. Jakob, Die neue knappschaftliche Rentenversorgung, S. 120. 387 Thielmann, Neuregelung, S. 6. Dobbernack, Neuregelung, S. 528. Die Sonderstellung des Bergmanns. Knappschaftsreform mit wesentlicher Vereinfachung und Verbesserung, in: Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 476 vom 05. 10. 1942, BArch NS 5 / VI / 3478.

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II. Die öffentliche Rentenversicherung im Nationalsozialismus

rungsverordnung vom 22. Februar 1943 stellte daher fest, dass die vorgenommene Minderung zu hoch ausgefallen sei und erhöhte den Einheitsbetrag auf 60 RM monatlich.388 Die laufenden Renten wurden wie geplant erhöht, so dass die Gesamtleistung, die neben einer Rente aus der knappschaftlichen Pensionsversicherung zugleich eine Rente aus der Invalidenversicherung umfasste, für Versicherte im Durchschnitt um 35 Prozent und für Witwen im Mittel sogar um 50 Prozent stieg.389 Auf Druck der Reichsvereinigung Kohle schuf die Verordnung ferner die Möglichkeit, den Leistungsberechtigten künftig in besonderen Notfällen eine außerordentliche Unterstützung zu gewähren, um die Bergleute der als unwürdig empfundenen Fürsorge zu entheben.390 Die Gewährung der Unterstützung setzte eine vorübergehende Notlage voraus und war an die Bedingungen der Bedürftigkeit und der Würdigkeit geknüpft. Kinderreiche Familien galten dabei als besonders förderungswürdig. Die Ausarbeitung entsprechender Richtlinien sollte durch das Reichsversicherungsamt erfolgen.391 Die Kosten der Neuordnung wurden durch eine Beitragsübertragung aus der Arbeitslosenversicherung auf die knappschaftliche Rentenversicherung in Höhe von 3,75 Prozent gedeckt. Das entsprach einem Kapitalbetrag von etwa 87 Millionen RM jährlich. Künftig betrug der Beitrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung für Arbeiter 18,5 Prozent und für Angestellte 21,5 Prozent des Arbeitsentgelts. Davon entfielen 6,5 Prozent auf die Versicherten und zwölf bzw. 15 Prozent auf die Unternehmen. Ein Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wurde nicht mehr erhoben. Die der knappschaftlichen Pensionsversicherung nach bisherigem Recht zufließenden Zuschüsse des Reichs sowie der Invaliden- und der Angestelltenversicherung wurden durch die Verordnung auf die knappschaftliche Rentenversicherung übertragen. Da die Verordnung die knappschaftliche Invalidenversiche388 Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau vom 22. 02. 1943, RGBl. I 1943, S. 109 f. Vgl. auch Durchführungsverordnung zur Neuregelung im Bergbau, in: RABl. V 1943, S. 103. Dobbernack, Durchführungsbestimmungen, S. 91. Jakob, Deutschlands Fürsorge, S. 69. Vgl. auch Reinhard Jakob, Kurzbericht über den Stand der Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau. Gehalten auf der Sitzung des Ausschusses für Sozialwesen der Reichsvereinigung Kohle am 22. 01. 1943, BArch R 40 / 321, S. 18 f. 389 Dobbernack, Neuregelung, S. 530. Engel, Entwicklung, S. 252. 390 Die Reichsvereinigung Kohle an das RAM, betr. Entwurf einer Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung der Bergleute, 22. 09. 1942, BArch R 3101 / 34213, S. 4. 391 Der Präsident der Reichsknappschaft an das RVA, betr. Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau – Richtlinien für außerordentliche Unterstützung, 18. 03. 1943, BArch R 89 / 3609. Das RVA an den RAM, betr. Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau – Richtlinien für außerordentliche Unterstützung, 22. 06. 1943, BArch R 89 / 3609. Der Präsident der Reichsknappschaft an den Leiter der Hauptabteilung Reichsversicherung im Reichsarbeitsministerium Ministerialdirektor Dr. Zschimmer, betr. Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau – Richtlinien für außerordentliche Unterstützung, 15. 10. 1943, BArch R 89 / 3609.

4. Die knappschaftliche Pensionsversicherung

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rung in die knappschaftliche Rentenversicherung überführte, erhielt die knappschaftliche Rentenversicherung künftig einen Teil des Reichsbeitrags zur Invalidenversicherung. Darüber hinaus beteiligte sich das Reich in Zukunft in Höhe der bisherigen Grundbeträge an den Knappschaftsvollrenten, den Witwenvollrenten und den Waisenrenten.392 Durch die Verknüpfung von Versicherungsleistungen mit Gratifikationen für die individuelle Arbeitsleistung verband das Gesetz die geforderten Leistungsverbesserungen geschickt mit den Erfordernissen des Arbeitseinsatzes. Durch den Leistungszuschlag und das Bergmannstreuegeld, die einen nicht unerheblichen finanziellen Anreiz zur Fortsetzung der Berufstätigkeit auch bei schlechter Gesundheit oder im Falle der Invalidität darstellten, wurde die in der Volksgemeinschaftsideologie geforderte „Pflicht zur Arbeit“ konsequent und sehr pragmatisch im traditionellen System der öffentlichen Rentenversicherung umgesetzt. In der verstärkten Abstufung der Leistungen nach dem Wert und der Dauer der während des gesamten Erwerbslebens für die „Volksgemeinschaft“ geleisteten Arbeit kam das Primat der individuellen Leistung unmittelbar zum Ausdruck und bewies die Anpassungsfähigkeit der überkommenen Sozialversicherung an die Anforderungen der nationalsozialistischen Arbeitsideologie. Bei der Knappschaftsreform handelte es sich um ein „neues Leistungssystem ( . . . ) ohne Anwendung von Zwang, allein aus wohlabgewogenen Anreizen und einer ( . . . ) materiellen Anerkennung überragender Arbeitsleistungen“,393 das zugleich eine tragfähige Alternative zum „Versorgungswerk“ der Deutschen Arbeitsfront darstellte. Das Ziel, im Alter eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten, sollte und konnte gleichermaßen realisiert werden.394 Die Neuregelung im Bergbau war die „konservative Antwort“ auf die Herausforderung durch die Deutsche Arbeitsfront und stellte damit ein Zukunftsmodell für eine Reform der gesamten öffentlichen Rentenversicherung dar. Die Bergleute begegneten dem Gesetz angesichts der inhärenten „Arbeitspflicht“ mit Misstrauen. Die nach der Beseitigung der Alterspension deutlich niedrigeren Leistungen zwangen zur Fortsetzung der Hauertätigkeit bis zur Berufsunfähigkeit oder der Vollendung des 65. Lebensjahrs. Zugleich war jedoch der Verschleiß der Arbeitskraft im Bergbau hoch und die „Bergfertigkeit“ trat in der Regel frühzeitig ein. Der Leistungszuschlag und das Bergmannstreuegeld kamen daher faktisch nur für einen kleinen Teil der Hauer zum Tragen, so dass die in Aussicht gestellten Leistungsverbesserungen letztlich hinter den Erwartungen zurückblieben.395

392 Dobbernack, Neuregelung, S. 531 f. Thielmann, Neuregelung, S. 8. Verbesserte Bergmannsrenten, Sp. 469 f. Jakob, Die neue knappschaftliche Rentenversorgung, S. 121. Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 363 f. 393 Präsident Jakob auf einer Versammlung der Reichsvereinigung Kohle im Januar 1943. Zit. nach Geyer, Soziale Rechte, S. 400 f. 394 Geyer, Reichsknappschaft, S. 367. Vgl. auch Recker, S. 216. 395 Vgl. auch Geyer, Reichsknappschaft, S. 367 f.

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung 1. Zwangsversicherung oder Standespflicht? Die Diskussion über eine Altersversorgung der selbständigen Handwerker begann nicht erst in den dreißiger Jahren unter nationalsozialistischer Herrschaft. Sie war wie die Soziale Praxis im Jahr 1937 schrieb, „fast so alt wie die Sozialversicherung“ selbst.1 Spätestens mit der Einrichtung einer einheitlichen gesetzlichen Berufsvertretung im Jahr 1900 hatte die Debatte an Intensität gewonnen. 1902 hatte der dritte Handwerkskammertag in Leipzig eine Entschließung verabschiedet, die eine obligatorische Alters- und Invaliditätsversicherung für das Handwerk gefordert hatte.2 Nur zwei Jahre später, im Jahr 1904, hatten die Nationalliberalen die Forderung aufgenommen und einen Gesetzentwurf im Reichstag eingebracht. Zur Begründung wurde auf die schwierige wirtschaftliche Lage vieler Handwerker verwiesen. Nur die wenigsten hätten von der Möglichkeit der freiwilligen Versicherung in der Invalidenversicherung oder dem Abschluss einer privaten Lebensversicherung ausreichend Gebrauch gemacht. Einer ganzen Berufsgruppe drohe daher im Alter die „Proletarisierung“. Der Vorschlag der Nationalliberalen war im Reichstag auf weitgehende Ablehnung gestoßen. Allen voran hatte der Staatssekretär des Inneren, Graf von Posadowsky, das Vorhaben auf das heftigste kritisiert. Die Einbeziehung der Selbständigen in die öffentliche Rentenversicherung käme einem Ausbau zur Volksversicherung gleich, den es unter allen Umständen zu verhindern gelte. Abgesehen von der damit verbundenen finanziellen Belastung seien zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht einmal alle Unselbständigen in den Schutz der öffentlichen Rentenversicherung einbezogen. Vor allem die Hinterbliebenenversorgung in der Arbeiterversicherung stehe nach wie vor aus und habe oberste Priorität.3 In den folgenden Jahren war der Wunsch nach einer einheitlichen, das gesamte Handwerk umfassenden Regelung zunehmend in Vergessenheit geraten und hatte erst Ende der zwanziger Jahre wieder an Bedeutung gewonnen. Durch den Krieg, die Inflation und langjährige Beschäftigungslosigkeit befanden sich viele Handwerker in einer wirtschaftlich prekären Lage. Eine Einbeziehung der Handwerker in die Versicherungspflicht wurde zwar als unvereinbar mit ihrer Stellung als Die Altersversorgung der Selbständigen, Sp. 279 f. Biskup, Von der sozialen Fürsorge, S. 8 f. 3 Stenographische Berichte des deutschen Reichstags, 11. Legislaturperiode, 1. Session, Bd. 1, 11. Sitzung, 14. Januar 1904, S. 264 – 298. 1 2

1. Zwangsversicherung oder Standespflicht?

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Selbständige abgelehnt, der 28. Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag in Köln 1928 hatte jedoch auf einen energischen Ausbau der Versicherungs- und der Fürsorgeeinrichtungen des Handwerks gedrungen.4 Seit den zwanziger Jahren traf die Forderung nach einer Ausdehnung der Alterssicherung auf veränderte Bedingungen. In der Weimarer Republik hatten sich in wachsendem Maße die überkommenen Verteilungsgrenzen verschoben, und immer größere Teile der Bevölkerung hatten sich zu Adressaten sozialpolitischer Maßnahmen entwickelt. In der Rentenpolitik gewann die Überzeugung an Bedeutung, dass Umverteilung nicht mehr ausschließlich zugunsten armer und alter Arbeiter erfolgen sollte. Die ältere Generation rückte als wachsende Gruppe generell stärker in den Blickpunkt der Sozialpolitik, und die Alten begannen sich langsam zu einer eigenständigen Wohlfahrtsgeneration zu entwickeln. Das Ziel einer Existenz sichernden Rente bestimmte zunehmend die rentenpolitische Diskussion, wenn auch zunächst ohne konkrete Folgen für die Betroffenen. Auf Grund einer Eingabe des Reichsstands des Deutschen Handwerks erklärte sich der Reichsarbeitsminister schließlich im November 1936 bereit, eine Alterssicherung für das selbständige Handwerk auf der Basis einer gesetzlichen Versicherungspflicht zu erarbeiten. Er forderte das Handwerk und die Deutsche Arbeitsfront auf, ihre Vorstellungen zu erläutern.5 Der Vorschlag der Handwerksführung vom Januar 1937 beruhte auf dem Grundsatz der „Standespflicht“, also einer „Versicherungspflicht ohne Gesetzeszwang“.6 Der selbständige Handwerker sollte die freie Wahl haben zwischen dem Abschluss einer privaten Lebensversicherung und dem Beitritt zur reichsgesetzlichen Sozialversicherung sowie zwischen einer Renten- oder Kapitalversicherung. Für die Handwerker, die für den Abschluss einer Versicherung bereits zu alt waren, wurde eine Sonderregelung verlangt. Eine zwangsweise Einbeziehung des Handwerks in die öffentliche Rentenversicherung lehnte die Handwerksführung strikt ab.7 Die Haltung innerhalb des Handwerks 4 Pense, S. 537 f. Biskup, Von der sozialen Fürsorge, S. 8 f. Schüler, Altersversicherung, S. 214. Zöllner, Die soziale Fürsorge, S. 28 – 31. 5 Der RAM an den RdDH, das deutsche Handwerk in der DAF, das Sozialamt der DAF, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 05. 11. 1936, BArch R 3101 / 135959. Die Altersversorgung der Selbständigen, Sp. 279 f. Pense, S. 538 f. Zur Frage der Altersversorgung im Handwerk, S. 209 f. Die DAF verstand sich als maßgebliche Initiatorin der Handwerkerversicherung. Vgl. dazu Altersversorgung des Handwerks, S. 12 f. Pense, S. 537. Das Reichsarbeitsministerium reklamierte die Initiative in der Frage der Alterssicherung des Handwerks ebenfalls für sich. Vgl. dazu Krohn, Sozialpolitische Bedeutung, Sp. 449. 6 Heyn, Zur Altersversorgung im Handwerk, S. 381 f. Ders., Zur Altersversorgung der Selbständigen, S. 907 f. 7 Der RdDH an die Präsidenten der Handwerkskammern, die Reichsinnungsmeister und die Landeswerksmeister, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 28. 01. 1937, BArch R 3101 / 135959. Der RdDH an den RWM, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 29. 04. 1937, BArch R 3101 / 135959. Vgl. auch Sitzler, Altersversorgung, Sp. 72 f. Schüler, Altersversicherung, S. 215 f., 217.

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

war jedoch keinesfalls eindeutig. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Hamburg beispielsweise forderte die Einbeziehung der selbständigen Handwerker in die Arbeiterversicherung, da sie dieser bereits als Lehrlinge und Gesellen angehörten, und erworbene Anwartschaften erhalten blieben. Auch gewähre die Arbeiterversicherung nicht nur im Alter Leistungen, sondern auch im Falle der Invalidität. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil läge ferner im Einschluss einer ausreichenden Hinterbliebenenversorgung.8 Die Lebensversicherer waren sich trotz der traditionellen Rivalitäten zwischen Privaten und Öffentlichen in ihrer Ablehnung einer Versicherungspflicht für das selbständige Handwerk einig.9 Angesichts des drohenden Einbruchs der öffentlichen Rentenversicherung in das Geschäftsfeld der Lebensversicherer überwanden diese kurzfristig ihr gegenseitiges Misstrauen und stellten sich einmütig gegen die Pläne des Reichsarbeitsministeriums. Der Reichsverband der öffentlich-rechtlichen Versicherer bestätigte zwar die Notwendigkeit einer „Ausdehnung der sozialen Fürsorge auf die Selbständigen“, lehnte jedoch eine staatliche Trägerschaft kategorisch ab. Die Versicherung solle vielmehr mittels eines „großzügigen Zusammenschlusses der Privatgesellschaften mit den öffentlichen Anstalten durchgeführt werden als Zwangsversicherung ohne Monopolcharakter“. Staatliche Maßnahmen sollten sich künftig auf solche Fälle beschränken, die versicherungsmäßig nicht zu erfassen seien.10 In den Reihen der privaten Lebensversicherer regte sich noch weit heftigerer Widerspruch. Einer Einbeziehung der Handwerker in die öffentliche Rentenversicherung traten die Versicherer vor allem mit zwei Argumenten entgegen: Aus Gründen der „sozialpolitische[n, die Verf.] Gerechtigkeit“ verwarfen sie den Plan ganz generell, da der öffentlichen Rentenversicherung nach dem Aufbaugesetz erhebliche Subventionen aus der Arbeitslosenversicherung zuflossen, die Handwerker jedoch keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichteten. Auch widerspräche eine zwangsweise Einbeziehung der Handwerker in die öffentliche Rentenversicherung dem für die Selbständigen kennzeichnenden Gedanken der Eigenverantwortlichkeit. Nach Auffassung der Versicherer stellten die Vorschläge des Reichsarbeitsministeriums grundsätzlich eine „Gefahr für das private Versicherungsgewerbe“ dar, denn durch die Ausdehnung der Sozialversicherung bliebe der Versicherungswirtschaft nur noch ein beschränktes und damit unzureichendes Betätigungsfeld.11 Heyn, Zwangsversicherung, S. 1281. Zu den Rivalitäten zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Versicherern vgl. Feldman, S. 120, 214 – 219, 223, 226 f., 346 f., 359, 389, 391 – 396, 401 ff. Borscheid, Mit Sicherheit leben, Bd. 1, S. 143 f. Surminski, Welche Zeiten, S. 60. 10 Diesen Vorschlag machte Prof. Dr. Riebesell, Präsident des Reichsverbandes der öffentlich-rechtlichen Versicherung, in einem Vortrag über „Die Versicherung in der deutschen Wirtschaft“ im Rahmen einer bankpolitischen Vortragsreihe der Staatswissenschaftlichen Fachschaft an der Universität Berlin am 14. Januar 1937. Vgl. dazu Die Frage der Versicherung der Selbständigen, S. 53 f. 8 9

1. Zwangsversicherung oder Standespflicht?

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Angesichts der stark differierenden Vorstellungen der beteiligten Interessengruppen konkretisierten sich die Pläne einer Alterssicherung für das selbständige Handwerk nur langsam. Erst im Januar 1938 legte das Reichsarbeitsministerium einen Gesetzentwurf vor, der allerdings an den massiven Einwänden des Reichsstands des Deutschen Handwerks scheiterte.12 Ein überarbeiteter Entwurf, der den beteiligten Stellen am 17. Februar 1938 zuging, unterwarf alle selbständigen Handwerker unabhängig von ihrer Einkommenshöhe der Versicherungspflicht, überließ den Versicherten jedoch in gewissem Umfang die Wahl der Versicherungsart.13 Handwerker mit einem Jahreseinkommen von mehr als 7.200 RM waren zwar grundsätzlich versicherungspflichtig, konnten sich aber durch den Abschluss einer Lebensversicherung in Form einer Kapital- oder Rentenversicherung mit mindestens gleicher Beitragshöhe von der Sozialversicherungspflicht befreien.14 Für Handwerker mit einem Jahreseinkommen unter 7.200 RM gestaltete sich die Situation grundsätzlich anders. Nach Ansicht des Reichsarbeitsministeriums konnte die Sozialrente als Grundlage der Altersversorgung in dieser Einkommensgruppe nicht entfallen. Der Entwurf gestattete lediglich die sogenannte Halbversicherung: eine Kombination aus öffentlicher Rentenversicherung und privater Lebensversicherung. Dabei unterlag der Handwerker mit der Hälfte seines Einkommens der Angestelltenversicherungspflicht und zahlte entsprechende Beiträge. Darüber hinaus war er verpflichtet, auf der Grundlage der anderen Hälfte seines Einkommens eine private Lebensversicherung abzuschließen, deren Prämie mindestens so hoch sein musste wie der Beitrag zur öffentlichen Rentenversicherung.15 Das Problem einer angemessenen Altersversorgung der Handwerker war jedoch durch diese Regelungen noch nicht vollständig gelöst, da der Erwerb von Versicherungsansprüchen in höherem Alter entweder überhaupt nicht, oder nicht mehr in ausreichendem Maße möglich war. Auf Anregung des Reichsstands des Deutschen Handwerks sah der Entwurf daher eine Umlage des gesamten Handwerks zugunsten bedürftiger älterer Handwerker vor.16 11 Ullrich, Abgrenzungsfragen. Vgl. auch Heyn, Zwangsversicherung, S. 1255. Zum Problem der Subventionierung durch die Arbeitslosenversicherung und zum Grundbetrag siehe Heyn, Angestelltenversicherungspflicht, S. 1264 f. 12 Der RAM an den RdDH, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 08. 01. 1938, BArch R 3101 / 135959. Der RAM an den RWM, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 17. 02. 1938, BArch R 3101 / 135959. Der RAM an den RFM, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 17. 02. 1938, BArch R 2 / 18541. Vgl. auch Aktenvermerk für Hauptamtsleiter Pg. Marrenbach, betr. Besprechung beim Stab des StdF in München über den Referentenentwurf eines Gesetzes über die Altersversorgung des deutschen Handwerks am 11. 10. 1938, 13. 10. 1938, BArch, NS 22 / 767. 13 Der RAM an das RVA, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 17. 02. 1938, BArch R 89 / 3196. Anlage: Entwurf mit Begründung. 14 Ebenda, S. 2 f. 15 Ebenda, Begründung S. 6 f. – So auch der Ausschuss für Sozialversicherung der Akademie für Deutsches Recht. Der Vorsitzende des Ausschuss für Sozialversicherung der Akademie für Deutsches Recht, Alfred Anders, an den Vorsitzenden des Ausschusses für Versicherungswesen, Generaldirektor Dr. Ullrich, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 13. 04. 1938, BArch R 3101 / 135959.

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

Dieser neue Entwurf vom Februar 1938 fand die volle Zustimmung des Reichsstands des Deutschen Handwerks und die grundsätzliche Billigung des Reichswirtschaftsministeriums. Im Detail machte das Ministerium jedoch erhebliche Bedenken geltend. Die hohe Versicherungspflichtgrenze, reklamierte das Ministerium, enge das Geschäft der privaten und öffentlich-rechtlichen Versicherer beträchtlich ein. Um eine Schädigung der Versicherungswirtschaft zu vermeiden, müsse die Einkommensgrenze daher deutlich verringert werden.17 Die Reichsgruppe „Versicherung“ bemängelte vor allem die Höhe der für die Versicherungsfreiheit erforderlichen Versicherungssumme, die dem Entwurf zufolge mindestens 10.000 RM betragen sollte. Nach Berechnungen der Reichsgruppe entsprach dieser Betrag beim Eintritt des Versicherungsfalls mit dem 65. Lebensjahr einer jährlichen Rente von 900 RM, einschließlich einer 50-prozentigen Witwenrente. Gemessen an den durchschnittlichen Leistungen der Angestelltenversicherung erschien diese Summe überzogen.18 Dahinter stand die Sorge, dass nur wenige Handwerker in der Lage sein würden, die erforderlichen Beiträge aufzubringen, und die Lebensversicherer letztlich nur in eingeschränktem Maße von der Einführung der Versicherungspflicht für das selbständige Handwerk profitieren würden. Da im Jahr 1938 etwa 85 Prozent der Policen Klein-Lebensversicherungen mit einer durchschnittlichen Versicherungssumme von 334 RM waren, und nur 15 Prozent der Policen mit einem durchschnittlichen Kapital von 3.780 RM in die Kategorie der Groß-Lebensversicherung fielen, war diese Befürchtung durchaus berechtigt.19 Der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, sagte eine erhebliche Beeinträchtigung des Lebensstandards vieler Handwerker voraus, da sowohl der Arbeitnehmer- als auch der Arbeitgeberanteil allein durch den Handwerker aufzubringen sei, und die zusätzlichen Kosten nicht auf die Preise abgewälzt werden könnten.20 Die NSDAP und insbesondere die Deutsche Arbeitsfront signalisierten prinzipielle Zustimmung. Bereits im Mai hatte der Leiter des Sozialamtes der Deutschen Arbeitsfront, Mende, erklärt, die Arbeitsausschüsse und das Fachamt Handwerk der Deutschen Arbeitsfront hätten ebenso wie der Reichsstand des Deutschen Handwerks, die Innung und die Innungskrankenkassen immer wieder die Einbezie16 Der RAM an das RVA, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 17. 02. 1938, BArch R 89 / 3196, S. 3, Begründung S. 8. 17 Vermerk aus dem Reichswirtschaftsministerium vom 05. 05. 1938, BArch R 3101 / 135959. Vermerk aus dem Reichswirtschaftsministerium ohne Datum, BArch R 3101 / 135959. Vermerk aus dem Reichswirtschaftsministerium vom 12. 05. 1938, BArch R 3101 / 135959. 18 Dr. Wankelmuth, Ministerialrat im Reichsarbeitsministerium an Ministerialrat Hoffmann, 10. 11. 1938, BArch R 3101 / 34108. 19 Allgemeine Darstellung eines Versorgungswerkes des Deutschen Volkes, Berlin 1941, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 7, Fiche 4 – 5, Bl. A 293 – 464, hier 386 ff. 20 Vermerk aus dem Reichswirtschaftsministerium ohne Datum, BArch R 3101 / 135959.

2. Das Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk

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hung der Handwerker in die Sozialversicherung gefordert.21 Ley betonte, dass die „Altersversorgung des Handwerks dringend erwünscht und notwendig“ sei.22 Die Bedenken, die hinsichtlich einer Schädigung der Privatversicherungen innerhalb der NSDAP noch vereinzelt bestanden, konnten in einer Besprechung beim Stab des Führers am 11. Oktober 1938 ausgeräumt werden. Wenn die Wahl zwischen Privatversicherung und öffentlicher Rentenversicherung dem Einzelnen überlassen bleibe, erklärte Wilhelm Friedrich Funke vom Sozialamt der Deutschen Arbeitsfront, würden „vorerst keine unbilligen Maßnahmen gegen die Privatversicherung unternommen“.23 Eine Gefahr für die Verwirklichung der eigenen Pläne einer Volksversicherung ging nach Meinung des Sozialamtes von der Handwerkerversicherung nicht aus. Funke vertrat vielmehr die Auffassung, „im Handwerk könnten praktische Erfahrungen gesammelt werden im Bezug auf die Gesamtaltersversorgung des deutschen Volkes“.24 Am 14. Oktober 1938 setzte Bormann schließlich den Reichsarbeitsminister über das prinzipielle Einverständnis der Parteiorganisation in Kenntnis, vorausgesetzt der Entwurf garantiere die völlige Wahlfreiheit zwischen dem Abschluss einer privaten Lebensversicherung und dem Beitritt zur öffentlichen Rentenversicherung.25 Der entsprechend geänderte Entwurf wurde am 21. Dezember 1938 verabschiedet.

2. Das Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk Das Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk unterwarf alle selbständigen Handwerker, die in die Handwerkerrolle eingetragen waren, der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit und des Alters sowie zugunsten der Hinterbliebenen.26 Die Angestelltenver21 Der Leiter des Sozialamtes an den StdF – Stab – über den Geschäftsführer der DAF, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 07. 04. 1938, BArch NS 22 / 767. Vgl. auch DAF – Sozialamt – an die Dienststelle des Reichsorganisationsleiters Pg. Dr. Ley, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 05. 10. 1938, in: Akten der Parteikanzlei 117 03028 ff. 22 Die NSDAP – Reichsleitung. Der Reichsorganisationsleiter an den Stabsleiter des StdF Reichsleiter Pg. Bormann, betr. Gesetz über die Altersversorgung des deutschen Handwerks, 13. 08. 1938, BArch NS 22 / 767. 23 Aktenvermerk für Hauptamtsleiter Pg. Marrenbach, betr. Besprechung beim Stab des StdF in München über den Referentenentwurf eines Gesetzes über die Altersversorgung des deutschen Handwerks am 11. 10. 1938, 13. 10. 1938, BArch NS 22 / 767. – Die Beteiligten waren Dr. Bärmann vom Stab Hess, Reichsschatzmeister Schwartz, Dr. Funke sowie ein weiterer Funktionär des Sozialamtes der DAF. 24 Ebenda. 25 NSDAP – StdF an den RAM, betr. Entwurf eines Gesetzes über die Altersversorgung im deutschen Handwerk, 14. 10. 1938, BArch NS 22 / 767. 26 Gesetz über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 21. 12. 1938, RGBl. I 1938, S. 1900 – 1901. – Die Witwe des Handwerkers war ebenfalls versicherungspflichtig,

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

sicherung wurde in erster Linie aus zwei Gründen für zuständig erklärt: Erstens waren die Handwerker in ihrer sozialen Lage mit anderen versicherungspflichtigen Angestellten vergleichbar. Zweitens hatten sie schon als Lehrlinge und Gesellen der Invalidenversicherung angehört und Ansprüche erworben, deren Erhalt in Zukunft durch die weitere Zugehörigkeit zur Angestelltenversicherung gesichert war.27 Eine Einbeziehung in die Arbeiterversicherung kam nicht in Betracht, da die Arbeiterrenten als unzureichend galten. Das Gesetz beschränkte sich auf den Versicherungszwang, während die Entscheidung über die Art der Vorsorge dem Handwerker selbst überlassen blieb. Er hatte die freie Wahl zwischen öffentlicher Rentenversicherung, privater Lebensversicherung oder Halbversicherung.28 Die Versicherungsfreiheit oder Halbversicherung auf der Grundlage einer Lebensversicherung war nur dann rechtmäßig, wenn die Lebensversicherung nicht ausschließlich die Hinterbliebenen des Handwerkers absicherte, sondern auch dem Handwerker selbst im Alter eine Versicherungsleistung garantierte. Es konnte sich dabei um eine private Renten- oder Kapitalversicherung handeln. Im Falle einer Kapitalversicherung knüpften sich zusätzliche Bedingungen an die Gewährung der Versicherungsfreiheit oder Halbversicherung. Für die volle Versicherungsfreiheit war eine Versicherungssumme von mindestens 5.000 RM vorgeschrieben. Die dem Versicherungsnehmer zustehenden Gewinnanteile durften vor Ende der Laufzeit nicht ausgezahlt werden, sondern mussten bis zur Fälligkeit der Versicherung angesammelt werden.29 Bei der Halbversicherung musste die Versicherungssumme mindestens 2.500 RM betragen. Da der Handwerker bei der Halbversicherung nur den halben Pflichtbeitrag zur Angestelltenversicherung entrichtete, mussten folglich auch die zur Auszahlung kommenden Leistungen halbiert werden. Bei den sofern sie den Betrieb übernahm. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht war möglich, wenn die Witwe (1) eine Rente aus der Invaliden- oder Unfallversicherung bezog, (2) Leistungen aus einem Lebensversicherungsvertrag, der den verstorbenen Ehemann zur Versicherungsfreiheit oder Halbversicherung berechtigt hatte, erhielt oder (3) den Betrieb innerhalb eines Jahres nach dem Tod des Ehemanns aufgab. Schüler / Biskup, S. 15. 27 Allerdings wurde einem Versicherten, der den Grundbetrag aus der Rentenversicherung der Angestellten erhielt, der Steigerungsbetrag aus der Arbeiterversicherung nur insofern gewährt, als er 12 RM monatlich überstieg. Diesem Nachteil stand jedoch der höhere Grundbetrag von 30 RM monatlich in der Angestelltenversicherung (6 RM in der Arbeiterversicherung) gegenüber. Ferner waren die Voraussetzungen für die Gewährung von Ruhegeld und Witwenrente in der Angestelltenversicherung wesentlich günstiger als in der Rentenversicherung der Arbeiter. 28 Gesetz über die Altersversorgung, S. 2, 3 f. Krohn, Sozialpolitische Bedeutung, Sp. 449 f. Dobbernack, Altersversorgung, S. 64 f., 67. Wankelmuth, Altersversorgung, S. 24, 28. Krohn, Gesetz über die Altersversorgung, S. 110. Grießmeyer, Betrachtungen, S. 18 f. Vgl. auch Funke, Altersversorgung, S. 22. Lessing, S. 62, 68. 29 Die Summe von 5.000 RM entsprach zwar keinesfalls dem vollen Wert der durchschnittlichen Leistungen in der Angestelltenversicherung, näherte sich diesem aber durch die Ansammlung der Gewinnanteile weiter an. Gesetz über die Altersversorgung, S. 4. Sitzler, Altersversorgung, Sp. 73 f. Krohn, Sozialpolitische Bedeutung, Sp. 450 f. Dobbernack, Altersversorgung, S. 67 f. Wankelmuth, S. 29 f. Krohn, Gesetz über die Altersversorgung, S. 110. Funke, Altersversorgung, S. 22. Lessing, S. 63 f.

2. Das Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk

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Steigerungsbeträgen gestaltete sich dies unproblematisch, da sich der Steigerungsbetrag aus der Zahl und der Höhe der geleisteten Beiträge berechnete. Beim Grundbetrag, der unabhängig von der Höhe der Beitragsleistungen gewährt wurde, bedurfte es dagegen einer Sonderregelung, wonach der halbversicherte Handwerker künftig nur den halben Grundbetrag erhielt.30 Der volle Grundbetrag konnte nur dann gewährt werden, wenn der Halbversicherte, bevor oder nachdem er als solcher versicherungspflichtig geworden war, mindestens 60 Pflichtbeiträge oder insgesamt mindestens 120 Beiträge in voller Höhe entrichtet hatte.31 Die Altersgrenze lag ebenso wie in der Angestelltenversicherung bei 65 Jahren. Die Durchführungsverordnung vom 13. Juli 1939 legte zusätzlich das 60. Lebensjahr als unterste Grenze für die Auszahlung des Guthabens im Erlebensfall fest, um zu verhindern, dass das Kapital bereits vorzeitig aufgezehrt wurde. Die Verordnung präzisierte ferner die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit bzw. der Halbversicherung. Sie konnte auch auf der Grundlage mehrerer, nebeneinander bestehender Verträge erfolgen, sofern diese die genannten Bedingungen erfüllten. Die zweite Durchführungsverordnung vom 28. Oktober 1939 legte fest, dass in der Lebensversicherung neben der rentenberechtigten Ehefrau auch die Kinder, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, bezugsberechtigt waren. Bei einer Kapitalversicherung waren alle bezugsberechtigten Hinterbliebenen zu gleichen Teilen zu berücksichtigen. Im Falle einer privaten Rentenversicherung hatte die Witwe ein Anrecht auf mindestens fünf Zehntel und jede Waise bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs auf vier Zehntel der Rente.32 Auf Wunsch des Reichsstands des Deutschen Handwerks erfasste die Versicherung das gesamte Jahreseinkommen und nicht nur Einkünfte aus der Tätigkeit als Handwerker. Dadurch sollte gewährleistet sein, dass die spätere Rente im Verhältnis zum Erwerbseinkommen eine angemessene Höhe erreichte. Eine Übertragung der in der Angestelltenversicherung festgesetzten Versicherungsgrenze von 7.200 RM auf die Handwerker lehnte der Reichsstand ab. Auf Grund der Einkommensschwankungen im Handwerk, erklärte der Reichsstand, würde eine solche 30 Krohn, Sozialpolitische Bedeutung, Sp. 451. Gesetz über die Altersversorgung, S. 5. Sitzler, Altersversorgung, Sp. 74 f. Dobbernack, Altersversorgung, S. 67. Krohn, Gesetz über die Altersversorgung, S. 110 f. Wankelmuth, S. 30. Funke, Altersversorgung, S. 23. Lessing, S. 64 ff. 31 Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 13. 07. 1939, RGBl. I 1939, S. 1255 – 1260. Bartels, Handwerkerversorgung, S. 307. Funke, Durchführung der Altersversorgung, S. 334. 32 Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 13. 07. 1939, RGBl. I 1939, S. 1255 – 1260. Zweite Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 28. 10. 1939, RGBl. I 1939, S. 2113 – 2114. Bartels, Handwerkerversorgung, S. 305 f. Funke, Durchführung der Altersversorgung, S. 332 f. Zweite Durchführungsund Ergänzungsverordnung, S. 583 f. Die Durchführungsverordnung zum Altersversorgungsgesetz erschienen, S. 424 f. Schüler / Biskup, S. 31 ff. Dobbernack, Zweite Verordnung, S. 957 f.

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

Regelung zwangsläufig zu einem ständigen Wechsel zwischen Versicherungsfreiheit und Versicherungspflicht führen und eine geregelte Altersversorgung erheblich erschweren. Die Berücksichtigung auch der Spitzeneinkommen schien zudem unerläßlich, um etwaige Einkommenseinbrüche auszugleichen.33 Der Beitragsbemessung lagen die im letzten Einkommenssteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte vor Abzug der Sonderausgaben zu Grunde. Der Handwerker blieb auch dann versicherungspflichtig, wenn die Einnahmen seines Betriebes die Ausgaben nicht überstiegen und keine Veranlagung zur Einkommenssteuer erfolgte. Die Beitragsbemessung erfolgte dann auf der Grundlage der Privatentnahmen des Handwerkers.34 Die Handwerkerversicherung erfasste grundsätzlich alle durch den Handwerker ausgeübten Tätigkeiten. Auch im Falle einer zusätzlichen abhängigen Beschäftigung galt, sofern der Handwerker in der Handwerkerrolle eingetragen war, ausschließlich die Versicherungspflicht nach dem Handwerkerversorgungsgesetz. Die Beiträge hatte der Handwerker zunächst allein aufzubringen.35 Erst die Dritte Durchführungsverordnung vom 20. Dezember 1940 räumte dem Handwerker gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf die Hälfte des Pflichtbeitrags ein.36 Im Falle einer Dienst- oder Notdienstverpflichtung war der Arbeitgeber verpflichtet, sich mit der Hälfte des zuvor regelmäßig entrichteten Beitrags an der Altersvorsorge des Handwerkers zu beteiligen.37 Diese Regelung übertrug der Gesetzgeber mit dem Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlass des Krieges vom 15. Januar 1941 generell auf alle Handwerker, die während 33 Gesetz über die Altersversorgung, S. 4. Dobbernack, Altersversorgung, S. 64 f. Wankelmuth, S. 24. Grießmeyer, Betrachtungen, S. 19. Vgl. auch Funke, Altersversorgung, S. 22. Lessing, S. 62 f. Vermutlich lag der Versicherung das gesamte Haushaltseinkommen zu Grunde. Vgl. dazu Fragen zur handwerklichen Altersversorgung, S. 156. 34 Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 13. 07. 1939, RGBl. I 1939, S. 1255 – 1260. Vgl. auch Bartels, Handwerkerversorgung, S. 304. Funke, Durchführung der Altersversorgung, S. 331. Die Durchführungsverordnung zum Altersversorgungsgesetz erschienen, S. 409. Beitragszahlung bei Minderung des Einkommens, S. 501 f. Schüler / Biskup, S. 25 f. 35 Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 13. 07. 1939, RGBl. I 1939, S. 1255 – 1260. Vgl. auch Rundschreiben der Träger der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Pensionsversicherung, betr. Beschäftigung von Handwerkern als Gefolgschaftsmitglieder, 07. 11. 1939, BArch R 40 / 320. 36 Dritte Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 20. 12. 1940, RGBl. I 1940, S. 1671. Zur Dritten Durchführungs- und Ergänzungsverordnung zum Altersversorgungsgesetz, S. 37. Bruno, Wann hat ein selbständiger Handwerker, S. 54 f. 37 Zweite Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 28. 10. 1939, RGBl. I 1939, S. 2113 – 2114. Vgl. auch Der RAM an die DAF – Zentralbüro – Sozialamt, betr. Beschäftigung von selbständigen Handwerkern im Notdienst, 31. 10. 1939, BArch R 89 / 3198. Bruno, Wann hat ein selbständiger Handwerker, S. 55.

2. Das Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk

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des Krieges ihren Betrieb einstellen und eine invaliden- oder angestelltenversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen mussten, sofern ihre Eintragung in der Handwerkerrolle fortbestand.38 Um die Zuständigkeit der Angestelltenversicherung zu begründen, verwies das Gesetz auf die Anwartschaften, die der Handwerker während seiner Zeit als Lehrling oder Geselle erwarb. Sollten sich diese Anwartschaften rentensteigernd auswirken, musste den Handwerkern, die nach ihrem Ausscheiden aus der Invalidenversicherung zumeist keine Beiträge mehr entrichtet hatten, die Möglichkeit eingeräumt werden, die entstandene Lücke durch die Nachentrichtung von Beiträgen zu schließen. Das Gesetz gestattete es den Handwerkern daher für ihre Zeit als Selbständige, frühestens aber für die Zeit seit dem 1. Januar 1924, Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten nach zu entrichten. Dieses Recht erlosch, wenn der Handwerker berufsunfähig wurde, das 60. Lebensjahr vollendete oder starb. Die Frist zur Nachentrichtung endete am 31. Dezember 1941, danach galten die allgemeinen Vorschriften der Angestelltenversicherung.39 Bei der Gewährung von Ersatzzeiten wich die Handwerkerversorgung von den allgemeinen Bestimmungen der Angestelltenversicherung ab. Krankheit galt nur dann als Ersatzzeit, wenn der Handwerker gewöhnlich selbst in seinem Betrieb mitarbeitete. Arbeitslosigkeit wurde nur dann anerkannt, wenn der Handwerker dem Arbeitseinsatz zur Verfügung stand, d. h. aus der Handwerkerrolle gelöscht wurde. Lediglich Zeiten, in denen der Handwerker zur Erfüllung der Arbeitsdienst- und Wehrpflicht sowie zur Teilnahme an vom Reichsversicherungsamt anerkannten Lehrgängen einberufen war, galten uneingeschränkt als Ersatzzeiten. Sie wurden auch dann als solche anerkannt, wenn der Betrieb in dieser Zeit ohne Minderung des Ertrags weitergeführt wurde. Die Ersatzzeiten erstreckten sich ausschließlich auf Versicherte der Angestelltenversicherung. Im Falle der Versicherungsfreiheit oder Halbversicherung auf der Grundlage eines Lebensversicherungsvertrags waren die Prämien prinzipiell regelmäßig zu entrichten. Lediglich im Falle der Einberufung konnte eine Stundung der Prämien vereinbart werden, eine Verpflichtung für den Versicherer bestand jedoch nicht. Zudem konnte eine Beihilfe bis zur Höhe des für die Erhaltung der Anwartschaft erforderlichen Risikobeitrags gewährt werden, wenn die Anwartschaft auf andere Weise nicht zu erhalten war.40 38 Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlass des Krieges vom 15. Januar 1941, RGBl. I 1941, S. 34 – 36. Kurzwelly, Kriegsmaßnahmen, S. 76. Dersch, Weitere Kriegsmaßnahmen, S. 105. Engel, Entwicklung, S. 247. 39 Die Durchführungsverordnung vom Juli 1939 bestimmte, dass die Beiträge mindestens in der Klasse C, bei Halbversicherung in der Klasse B nach zu entrichten waren. Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 13. 07. 1939, RGBl. I 1939, S. 1255 – 1260. Bartels, Handwerkerversorgung, S. 308. Die Durchführungsverordnung zum Altersversorgungsgesetz erschienen, S. 410. Vgl. auch Sitzler, Altersversorgung, Sp. 73. Gesetz über die Altersversorgung, S. 5. Krohn, Sozialpolitische Bedeutung, Sp. 451. Dobbernack, Altersversorgung, S. 69. Wankelmuth, S. 25 f. Funke, Altersversorgung, S. 23 f. Lessing, S. 66.

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

Handwerker, die beim Inkrafttreten des neuen Gesetzes das 60. Lebensjahr bereits vollendet hatten und der Reichsversicherung bis dahin entweder nicht angehört oder ihre frühere Anwartschaft verloren hatten, waren von der Versicherungspflicht ausgenommen. Auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters war dieser Gruppe der Erwerb von Rentenansprüchen entweder überhaupt nicht oder nicht mehr in ausreichender Höhe möglich. Um jedoch die über 60-jährigen Handwerker, deren Zahl die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte auf etwa 250.000 Personen schätzte, nicht gänzlich von den Leistungen des neuen Gesetzes auszuschließen, sah das Gesetz die Gewährung von Fürsorgeleistungen vor. Die Kosten sollten durch die Erhebung einer Umlage innerhalb des Handwerks gedeckt werden.41 Die Altershilfe nahm am 1. Juli 1940 ihre Arbeit auf. Die Verordnung vom 13. Juli 1939 hatte die Umlage für den Zeitraum vom 1. April 1939 bis zum 31. März 1940 auf nur 1 RM festgesetzt. Obwohl die Zahl der bedürftigen Handwerker auf 50.000 bis 60.000 Personen geschätzt wurde, beschränkte sich die Altershilfe in Anpassung an die vorhandenen Mittel auf einen Kreis von lediglich rund 12.000 Personen.42 Auf die Fürsorgeleistungen bestand kein Rechtsanspruch, ihre Gewährung unterlag vielmehr der Prüfung sowohl der Bedürftigkeit als auch der Würdigkeit. Die Unterstützung wurde in Form einer monatlichen Rente in Höhe von 30 RM gewährt und war an das Leben des unterstützten Handwerkers gebunden. Die Altershilfe stellte weder nach Art noch nach Umfang der Leistungen eine Ideallösung dar. Die durch die verhältnismäßig geringe Umlage begrenzten Leistungen galten allgemein als unzureichend, um die alten und bedürftigen Handwerker und ihre Hinterbliebenen im erforderlichen Umfang zu betreuen. Die Erschließung zusätzlicher Mittel und eine Erhöhung der Umlage schienen daher dringend geboten.43 Zum 1. April 1942 wurde die Umlage daher auf Drängen des Reichsstands auf 2 RM erhöht.44 40 Die Durchführungsverordnung zum Altersversorgungsgesetz erschienen, S. 423. Bartels, Handwerkerversorgung, S. 305. Funke, Durchführung der Altersversorgung, S. 331. Altersversorgung, Löschung in der Handwerkerrolle und Einberufung zur Wehrmacht, S. 515 f. Die Altersversorgung des Handwerks bei Arbeitslosigkeit, S. 377 f. Schüler / Biskup, S. 28 f. 41 Gesetz über die Altersversorgung, S. 4. Krohn, Sozialpolitische Bedeutung, Sp. 452. Dobbernack, Altersversorgung, S. 69 f. Wankelmuth, S. 32. Krohn, Gesetz über die Altersversorgung, S. 111. Grießmeyer, Betrachtungen, S. 19. Funke, Altersversorgung, S. 24. Lessing, S. 66 f. 42 Der RdDH an den RAM, betr. Altersversorgung des deutschen Handwerks, hier Altershilfe, 10. 06. 1939, BArch R 3101 / 34108. 43 Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 13. 07. 1939, RGBl. I 1939, S. 1255 – 1260. Deutscher Handwerks- und Gewerbekammertag an die Handwerkskammern, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk (hier Altershilfe gemäß § 11 des Gesetzes über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk), 16. 06. 1940, BArch R 89 / 3201. Deutscher Handwerks- und Gewerbekammertag, Merkblatt für die Handwerkskammern: Die Durchführung der Altershilfe, BArch R 89 / 3201. Vgl. auch Schüler, Die Altershilfe des Handwerks, in: Deutsches Handwerk 9 (1940), S. 481 – 484. Ders., Die Altershilfe des Handwerks, in: Soziale Praxis 49

2. Das Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk

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Die Erschließung neuer Mittel gestaltete sich dagegen äußerst schwierig und langwierig. Schon im März 1939 war der Reichsstand des Deutschen Handwerks mit der Forderung an die Reichsgruppe „Versicherung“ herangetreten, sich an den Kosten der Altershilfe zu beteiligen. Der Versicherungszwang und die im Gesetz geforderte Versicherungssumme, so die Begründung, ließen für die kommenden Jahre erhebliche Zuwächse erwarten, ohne dass den Versicherern besondere Akquirierungskosten entständen. Der Reichsstand forderte daher einen Anteil an den Beitragseinnahmen aus der Handwerkerversicherung in Höhe von 1,5 Millionen RM für alle zwischen dem 1. Januar 1939 und dem 30. Juni 1940 geschlossenen Verträge. Für alle später abgeschlossenen Policen, die zur Halb- oder Vollbefreiung von der Angestelltenversicherung führten, sollte der Reichsstand einen Anteil in Höhe von 0,3 Prozent der Versicherungssumme erhalten.45 Obwohl die Reichsgruppe „Versicherung“ im März 1939 zunächst eine entgegenkommende Haltung signalisiert und die Forderung des Reichsstands als berechtigt anerkannt hatte, kamen die Verhandlungen rasch ins Stocken.46 Um den Fortgang der Angelegenheit zu beschleunigen, wandte sich der Reichsstand im Juni 1939 an die Ministerien für Arbeit und Wirtschaft, bekräftigte seine Forderung nach einer Beteiligung der Versicherungswirtschaft an der Altershilfe und mahnte eine Durchsetzung gegebenenfalls mittels Zwangsmaßnahmen an. Die Lebensversicherungsgesellschaften, hieß es zur Begründung, hätten „vollkommen ohne eigenes Zutun durch das Altersversorgungsgesetz des Handwerks einen sehr großen geschäftlichen Auftrieb erfahren“, so dass eine Beteiligung an den Kosten der Altersversorgung zweifellos gerechtfertigt sei.47 Die Ministerien bestritten zwar die Rechtmäßigkeit der Forderung keineswegs, lehnten jedoch eine gesetzliche Verpflichtung der Versicherungsunternehmen strikt ab. Stattdessen schlugen sie (1940), Sp. 457 – 556. Biskup, Bewährung, S. 38 f. Bartels, Handwerkerversorgung, S. 308. Funke, Durchführung der Altersversorgung, S. 334. 44 Der RdDH an den RWM, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, hier Erhöhung der Umlage, 17. 09. 1941, BArch R 3101 / 34109. Der RWM an den RAM, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, hier Erhöhung der Umlage, 27. 10. 1941, BArch R 3101 / 34109. Vermerk des RWM über eine Besprechung im Reichsarbeitsministerium am 28. 11. 1941, BArch R 3101 / 34109. Vierte Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 08. 12. 1941, RGBl. I 1941, S. 756. Fünfte Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 26. 09. 1942, RGBl. I 1942, S. 565. Der RAM an die Parteikanzlei, den RWM, den RFM, den Reichskommissar für Preisbildung, betr. Jahresumlage für die Altershilfe des deutschen Handwerks, 13. 10. 1943, in: Akten der Parteikanzlei 103 10577. 45 Der RdDH an den RWM, betr. Altersversorgung des deutschen Handwerks, hier Altershilfe, 15. 06. 1940, BArch R 3101 / 34108. Anlage: Notiz des RdDH „Altersversorgung für das Deutsche Handwerk – Finanzierung des Altershilfefonds (Die bisher zur Erweiterung des Altershilfefonds unternommenen Schritte)“, S. 1 f. 46 Ebenda, Anlage 1: Aktenvermerk des RdDH vom 01. 08. 1939. 47 Ebenda, Anlage 3: Der RdDH, betr. Altersversorgung des deutschen Handwerks, hier Altershilfe, 10. 06. 1939.

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

vor, die Angelegenheit durch eine Vereinbarung zwischen dem Reichsstand und den Lebensversicherern zu regeln und sagten ihre Unterstützung bei den Verhandlungen zu.48 Bei der Erörterung am 7. Juli 1939 zeichnete sich jedoch ab, dass die Erfolgsaussichten einer Vereinbarung äußerst gering waren. Der Leiter der Reichsgruppe „Versicherung“, Allianz-Direktor Eduard Hilgard, machte unmissverständlich deutlich, dass „irgendeine finanzielle Hilfe zugunsten des Handwerks für dessen Altersfonds nicht in Frage käme, weil es ein Irrtum sei, etwa anzunehmen, dass die Versicherungswirtschaft durch das Altersversorgungsgesetz besondere Gewinne erzielt hätte“.49 Die Anwerbung der Handwerkerversicherungen sei nicht billiger gewesen als die anderer Versicherungen. Im Gegenteil, angesichts der Verworrenheit der gesetzlichen Bestimmungen sei die Aufklärung der Handwerker sogar aufwendiger als bei anderen Versicherungsabschlüssen. Darüber hinaus gab Hilgard zu bedenken, dass sich die gesamte Tätigkeit der Versicherer ausschließlich im Interesse der Versicherten vollziehen müsse, und etwaige Überschüsse nur den Versicherten zugute kommen dürften. Eine „Spende“ für die Altershilfe des Handwerks lehnte die Reichsgruppe als unvereinbar mit ihrer Funktion als Treuhänder der Versicherten grundsätzlich ab.50 Obwohl sich der Reichsstand des Deutschen Handwerks im Verlauf des Jahres 1939 mehrfach an die Ministerien für Arbeit und Wirtschaft wandte, war eine Lösung des Konflikts zunächst nicht abzusehen.51 Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1940 kam Bewegung in die Angelegenheit, nachdem die Altershilfe am 1. Juli 1940 ihre Arbeit aufgenommen hatte und die ungenügende Versorgung der bedürftigen alten Handwerker offenkundig wurde.52 Angesichts der erheblichen Defizite in der Altershilfe gerieten sowohl das Reichswirtschaftsministerium als auch die Reichsgruppe „Versicherung“ zunehmend unter Druck,53 so dass sich die Ebenda, Anlage 4: Aktennotiz des RdDH vom 20. 06. 1939. Ebenda, Anlage 2: Aktennotiz des RdDH über die Verhandlungen mit der Reichsgruppe „Versicherung“ am 07. 07. 1939, S. 1. 50 Vermerk aus dem Reichswirtschaftsministerium, betr. Altersversorgung des deutschen Handwerks, ohne Datum, BArch R 3101 / 34108. 51 Der RdDH an den RWM, betr. Altersversorgung des deutschen Handwerks, hier Altershilfe, 15. 06. 1940, BArch R 3101 / 34108. Anlage 5: Der RdDH an den RWM, betr. Altersversorgung des deutschen Handwerks, hier Finanzierung des Altershilfefonds, 17. 07. 1939, S. 2 f.; Anlage 6: Aktenvermerk des RdDH vom 27. 07. 1939; Notiz des RdDH „Altersversorgung für das Deutsche Handwerk – Finanzierung des Altershilfefonds (Die bisher zur Erweiterung des Altershilfefonds unternommenen Schritte)“, S. 3; Anlage 8: Der RdDH an das Reichswirtschaftsministerium, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, 22. 11. 1939. 52 Der RdDH an den RWM, betr. Altersversorgung für das Deutsche Handwerk, hier Beginn der Unterstützungszahlungen, 11. 07. 1940, BArch R 3101 / 34108. 53 Der RdDH an den RWM, betr. Altersversorgung des deutschen Handwerks, hier Altershilfe, 15. 06. 1940, BArch R 3101 / 34108. Anlage: Notiz des RdDH „Altersversorgung für das Deutsche Handwerk – Finanzierung des Altershilfefonds (Die bisher zur Erweiterung des Altershilfefonds unternommenen Schritte)“, S. 3 f. Vermerk des Reichswirtschaftsministe48 49

2. Das Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk

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Lebensversicherungsunternehmen schließlich bereit erklärten, einen Betrag in Höhe von 1,5 Millionen RM für die Zwecke der Altershilfe bereitzustellen. Angesichts der positiven Geschäftsentwicklung konnte dieses Angebot, das einen wesentlichen Teil der Forderungen des Reichsstands vollständig ignorierte, jedoch kaum befriedigen.54 Erst im Frühjahr 1942 kam es zu einer endgültigen Einigung. Die Lebensversicherer akzeptierten die Forderung des Reichsstands, neben einer einmaligen Zahlung in Höhe von 1,5 Millionen RM vom 1. Juli 1942 an 0,3 Prozent der Versicherungssumme aus allen Neuabschlüssen der Handwerker für die Altershilfe zur Verfügung zu stellen.55 Die Beteiligung an den Kosten der Altershilfe blieb unter den Lebensversicherern umstritten. Im Februar 1943 wandte sich der Vorsitzende des Verbandes öffentlicher Lebens- und Haftpflichtversicherer, Franz Schwede-Coburg, an das Wirtschaftsministerium. Schwede-Coburg, Gauleiter von Pommern und hartnäckiger Verfechter einer Verstaatlichung der Privatversicherungen, machte geltend, dass die Unterstützung bedürftiger alter Handwerker im Grunde Aufgabe der „Volksgemeinschaft“ sei. Die Beteiligung der Lebensversicherer an den Kosten stelle „eine Ablenkung von den nationalsozialistischen Zielen ( . . . ) und eine Schmälerung von Einrichtungen des Staates“ dar.56 An den bestehenden Regelungen vermochten die Einwände Schwede-Coburgs jedoch nichts zu ändern. Zum Umgang mit den jüdischen Handwerkern äußerte sich das Gesetz an keiner Stelle. Es schwieg, da sich die Entrechtung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung seit Herbst 1937 zunehmend radikalisierte und das Regime von einem balriums, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, hier Finanzierung des Altershilfefonds, 03. 07. 1940, BArch R 3101 / 34108. 54 Der RdDH an den RWM, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, hier Altershilfe, 12. 06. 1941, BArch R 3101 / 34109. Anlage: Der RdDH an die Wirtschaftsgruppe Lebens- und Krankenversicherung, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, hier Altershilfe, 10. 06. 1941. 55 Bei der Aufbringung der Sonderumlage galten folgende Modalitäten: Die Hälfte der Summe war von den Mitgliedsunternehmen nach Maßgabe der jeweiligen Prämieneinnahmen aufzubringen. Für die andere Hälfte der Gesamtsumme richtete sich der Anteil der einzelnen Unternehmen nach den Zuwächsen, die im Jahr 1939 gegenüber dem durchschnittlichen Neugeschäft der Jahre 1936 bis 1938 erzielt worden waren. Ausgenommen waren Unternehmen mit einem Prämienaufkommen von weniger als 1 Millionen RM sowie Unternehmen, die infolge ihrer Tarife 1939 keine Handwerkerversicherungen abgeschlossen hatten. Der RWM an die Reichswirtschaftskammer, betr. Sonderumlage der Wirtschaftsgruppe Lebens- und Krankenversicherung für die Zwecke der Altersversorgung des deutschen Handwerks, 30. 09. 1942, BArch R 3101 / 34109. Vermerk aus dem Reichswirtschaftsministerium vom 30. 09. 1942, BArch R 3101 / 34109. Der RdDH an den RWM, betr. Altersversorgung für das deutsche Handwerk, hier Altershilfe, 26. 03. 1942, BArch R 3101 / 34109. Vermerk aus dem Reichswirtschaftsministerium vom 16. 02. 1942, BArch R 3101 / 9279. Vgl. auch Biskup, Bewährung, S. 38 f. Die Altershilfe des Handwerks, S. 472. 56 Verband öffentlicher Lebensversicherungsanstalten in Deutschland an den RWM, betr. Laufende Unterstützung bedürftiger alter Handwerker durch die Lebensversicherer, 23. 02. 1943, BArch R 3101 / 34109. 10 Schlegel-Voß

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

digen Abschluss des langjährigen Liquidations- und Enteignungsprozesses ausging.57 Anfang 1938 waren der jüdische Einzelhandel und die Angehörigen der freien Berufe schon weitgehend ausgeschaltet, und mindestens die Hälfte der jüdischen Arbeiter und Angestellten war arbeitslos. Nur die jüdischen Handwerksbetriebe, die sich größtenteils auf die Bekleidungsbranche konzentrierten, hatten sich vielfach noch halten können. Von den Mitte 1935 im „Altreich“ gezählten 8.500 jüdischen Handwerksbetrieben existierten im Dezember 1938 noch 5.800. Für diese relative Langlebigkeit gab es zwei Gründe: Erstens war der jüdische Anteil im Handwerk wesentlich geringer als im Einzelhandel und dürfte daher weniger konkurrenzbedingte antisemitische Aggression hervorgerufen haben.58 Zweitens handelte es sich bei den jüdischen Handwerkern meist um Einmannbetriebe kleiner Schneider, Schuster oder Hutmacher, die sich häufig in einer derartig schwierigen wirtschaftlichen Lage befanden, dass sich kaum „arische“ Anwärter dafür interessierten. Nach dem Novemberpogrom wurde die „Entjudung“ schnell zu Ende geführt. Bis März 1939 waren fast alle noch verbliebenen 5.800 Handwerksbetriebe liquidiert, nur 345 waren „arisiert“ worden.59 Mit der Liquidation oder „Arisierung“ jüdischer Handwerksbetriebe ging die Streichung ihrer ehemaligen Inhaber aus der Handwerkerrolle einher. Die jüdischen Handwerker dürften daher gar nicht erst in den Schutz der neuen Handwerkerversicherung, die am 1. Januar 1939 in Kraft trat, einbezogen worden sein. Dass bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene, bedürftige jüdische Handwerker Unterstützungsleistungen aus der Altershilfe erhielten, muss angesichts der antisemitischen Grundstimmung im Handwerk wie im gesamten sogenannten „alten Mittelstand“ als unwahrscheinlich gelten.60

3. Die Bedeutung der Handwerkerversicherung Das Reichsarbeitsministerium maß dem Gesetz „eine überaus große sozialpolitische Bedeutung“ bei. Das Gesetz garantiere dem Handwerk endlich die lange entbehrte Sicherheit im Alter und bei Berufsunfähigkeit sowie die Gewissheit einer Versorgung der Hinterbliebenen. Das deutsche Handwerk habe das Gesetz daher „mit einem großen Gefühl der Erleichterung und als eine der größten Errungen57 Zu den diversen „Ausschaltungsbestimmungen“ vgl. Adam, S. 172 – 197. Longerich, S. 121 – 130, 155 – 161. 58 Nach der Berufszählung von 1933 gab es in der Wirtschaftsabteilung „Industrie und Handwerk“ 19.319 jüdische Selbständige, was einem Anteil von knapp 1,3 Prozent an allen Selbständigen dieser Wirtschaftsabteilung entsprach. Im Bekleidungsgewerbe wurden 8.278 Juden gezählt; ihr Anteil betrug 1,7 Prozent. Der jüdische Anteil im Waren- und Produktenhandel war dagegen mit 4,2 Prozent, unter den Selbständigen waren es sogar 7,4 Prozent, deutlich höher. Barkai, Vom Boykott zur „Entjudung“, S. 139. 59 Barkai, Vom Boykott zur „Entjudung“, S. 139 f. Vgl. auch Kwiet, S. 547 f., 550. 60 Zum Antisemitismus im Handwerk vgl. von Saldern, S. 202 – 207.

3. Die Bedeutung der Handwerkerversicherung

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schaften begrüßt, die das Dritte Reich gebracht habe“.61 Die Ausdehnung der Sozialversicherung auf das Handwerk wurde im Reichsarbeitsministerium als grundsätzliches Bekenntnis zur Sozialversicherung bewertet. Die Verbindung von staatlichem Zwang und individueller Verantwortung besäße Modellcharakter und werde in Zukunft eine Ausdehnung der öffentlichen Rentenversicherung auf weitere Berufsgruppen gestatten.62 Die Handwerkerversicherung sei „Wegbereiter für die Erfüllung von Punkt 15 des Parteiprogramms ( . . . ), in dem ein großzügiger Ausbau der Altersversorgung für das deutsche Volk gefordert“ worden war.63 Mit der Handwerkerversicherung dehnte die öffentliche Rentenversicherung ihren Wirkungsbereich auf einen Personenkreis aus, der bis dahin vor allem ein Betätigungsfeld der Lebensversicherer gewesen war. Im Reichsarbeitsministerium bewertete man diese Kompetenzerweiterung jedoch keineswegs als „einen Kampf gegen die Individualversicherung“.64 Die Altersversorgung für das Handwerk stelle vielmehr eine Aufgabe dar, die der öffentlichen Rentenversicherung und den Lebensversicherern gemeinschaftlich gestellt und von ihnen gemeinschaftlich zu lösen sei. Sie ebne den Weg für eine Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Individualversicherung, um weiteren Kreisen „den Segen einer geregelten Altersversorgung zukommen zu lassen“.65 In der Praxis gab das Reichsarbeitsministerium jedoch eindeutig der öffentlichen Rentenversicherung den Vorzug. Aus Sicht des Ministeriums schloss die staatliche Rente im Gegensatz zur Kapitalversicherung einen Missbrauch für betriebliche oder private Zwecke aus. Zudem lag der Kapitalwert des durchschnittlichen Ruhegeldes, den das Reichsarbeitsministerium auf 8.779 RM schätzte, deutlich über dem für die Versicherungsfreiheit geforderten Betrag von 5.000 RM. Der wohl wichtigste Vorteil für den Versicherten bestand in der grundsätzlichen Absicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit; zumal der Eintritt vorzeitiger Invalidität in den weitaus meisten Fällen den Anlass für die Gewährung von Versicherungsleistungen darstellte.66 Problematisch war dabei 61 Das Reichsarbeitsministerium rechnete infolge des Gesetzes über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk mit einem Zuwachs von etwa einer Millionen Versicherten einschließlich der Halbversicherten. Grießmeyer, Betrachtungen, S. 19. Vgl. auch Krohn, Sozialpolitische Bedeutung, Sp. 452. Ders., Gesetz über die Altersversorgung, S. 111. Syrup, S. 521. 62 Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel hatte 1937 eine Umfrage zum Problem der Altersversorgung der Unternehmer im Einzelhandel durchgeführt. Im Zentrum stand die Frage, inwiefern die Selbständigkeit des Unternehmers mit einer gesetzlichen Zwangsversicherung in Einklang zu bringen sei. Heyn, Zur Altersversorgung der Selbständigen, S. 907. Dobbernack, Altersversorgung, S. 70. Wankelmuth, S. 28. Vgl. auch Sitzler, Altersversorgung, Sp. 71 f. 63 Dobbernack, Altersversorgung, S. 63 f. Grießmeyer, Betrachtungen, S. 20. Krohn, Gesetz über die Altersversorgung, S. 111. Syrup, S. 521. 64 Krohn, Sozialpolitische Bedeutung, Sp. 454. 65 Krohn, Gesetz über die Altersversorgung, S. 109, 111. Vgl. auch Wankelmuth, S. 28. Syrup, S. 522. 66 In der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte lag das durchschnittliche Alter bei Eintritt der Berufsunfähigkeit für Männer bei 55 Jahren und für Frauen bei 45 Jahren. 70 Pro-

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

jedoch, dass die meisten Handwerker auf Grund ihrer invalidenversicherungspflichtigen Lehrlings- und Gesellenzeit Wanderversicherte waren, so dass sich ihre Rente im Falle der Berufsunfähigkeit aus Leistungen beider Versicherungszweige zusammensetzte. Da sich die Versicherungszweige aber hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen erheblich unterschieden, musste ein Handwerker, der nach dem Recht der Angestelltenversicherung als berufsunfähig galt, nicht gleichzeitig auch invalide im Sinne der Reichsversicherungsordnung sein.67 Trotz dieser Defizite war die öffentliche Rentenversicherung der privaten Lebensversicherung in diesem Punkt überlegen, da die Lebensversicherung das Risiko der Berufsunfähigkeit wenn überhaupt nur gegen Zahlung zusätzlicher Prämien abdeckte. Sie ließ zudem auch die Frage offen, wie der Versicherte eine für seine Altersversorgung ausreichende Versicherungssumme ansammeln sollte, wenn er auf Grund frühzeitiger Berufsunfähigkeit nicht mehr oder nur noch in geringem Umfang zu Prämienzahlungen in der Lage war. Gleichwohl musste das Reichsarbeitsministerium eingestehen, dass auch die Kapitalversicherung Vorzüge bot. Ihre Attraktivität bestand vor allem darin, dass sie die Versicherungssumme ohne Wartezeit in voller Höhe auszahlte, sobald der Versicherungsfall eintrat.68 Das Reichsarbeitsministerium propagierte daher die Halbversicherung als zweckmäßigste Variante. In ihr verbände sich die Sicherheit regelmäßiger Rentenzahlungen mit der Flexibilität eines Kapitals, während sich gleichzeitig die Risiken einer Kapitalversicherung auf ein tragbares Maß verringerten.69 Die Deutsche Arbeitsfront bestätigte ebenfalls, dass mit dem Gesetz vom 21. Dezember 1938 Jahrzehnte alte Wünsche des Handwerks nach materieller Sicherheit und psychologischer Entlastung in Erfüllung gegangen seien. Die Regierung bringe damit zum Ausdruck, „dass sie die Alters- und Hinterbliebenenversorgung aller schaffenden Deutschen zu den wichtigsten sozialpolitischen Aufgaben des Staates zählt“.70 Die Deutsche Arbeitsfront lobte die Handwerkerversorgung als ein „modernes, den vielfältigen wirtschaftlichen und persönlichen Verzent der neu bewilligten Ruhegelder eines Jahres waren auf Berufsunfähigkeit und nur 30 Prozent auf das Erreichen der Altersgrenze zurückzuführen. Dobbernack, Altersversorgung, S. 69. Grießmeyer, Betrachtungen, S. 18 f. Lessing, S. 69. Funke, Altersversorgung, S. 22. Syrup, S. 521. 67 In der Angestelltenversicherung besaß der Versicherte bereits dann einen Leistungsanspruch, wenn er zu mehr als 50 Prozent berufsunfähig war, während er in der Arbeiterversicherung erst dann einen Anspruch geltend machen konnte, wenn er zu mehr als zwei Dritteln invalide war. Vgl. dazu Zur Frage der Berufsunfähigkeit im Rahmen der handwerklichen Altersversorgung, S. 607 f. Entbindet Berufsunfähigkeit oder Rentenbezug von der Altersversicherungspflicht, S. 210 f. Biskup, Neuere Fragen, S. 262. 68 Starb der Handwerker vor Erreichen der Altersgrenze, ohne berufsunfähig zu sein, bezog er kein Ruhegeld. Starb seine Ehefrau vor ihm und waren die Kinder nicht waisenrentenberechtigt, kam auch die Gewährung einer Hinterbliebenenrente nicht in Frage. Ein versichertes Kapital wurde den Kindern dagegen in jedem Fall ausgezahlt. Wankelmuth, S. 30. 69 Ebenda. Sitzler, Altersversorgung, Sp. 75. Dobbernack, Altersversorgung, S. 68 ff. 70 Sitzler, Altersversorgung, Sp. 71. Kratz, Zum Gesetz, S. 1.

3. Die Bedeutung der Handwerkerversicherung

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hältnissen des Handwerks Rechnung tragendes sozialpolitisches Werk“, das einen „weitere[n, die Verf.] Fortschritt auf dem Weg zur allgemeinen Altersversorgung des deutschen Volkes“ darstelle.71 Die Aufgabe der privaten und öffentlich-rechtlichen Lebensversicherer bestände in Zukunft darin, sich „durch einwandfreie Aufklärung, soziale und billige Gestaltung der Handwerkerversorgung“ im Wettbewerb mit der öffentlichen Rentenversicherung zu beweisen.72 Die Versicherungswirtschaft maß der Handwerkerversicherung ebenfalls eine hohe Bedeutung bei. Zwar wurde kritisiert, dass man nun in einem Geschäftsfeld, das bisher allein durch die Lebensversicherer bearbeitet worden sei, in Konkurrenz zur Sozialversicherung trete. Gleichzeitig wurde jedoch die Schrittmacherfunktion der Sozialversicherung für die deutsche Privatversicherung anerkannt. Die Förderung des Versicherungsgedankens habe auch bei den privaten Versicherern für erhebliche Zuwächse gesorgt, und das neue Gesetz ließe zusätzliche Abschlüsse mit hohen Versicherungssummen erwarten.73 Die Aussage des Reichsarbeitsministeriums, die Handwerkerversicherung sei von der öffentlichen Rentenversicherung und der deutschen Versicherungswirtschaft gemeinsam durchzuführen, wurde bei den Versicherungsunternehmen mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Nach den Vorstellungen der Lebensversicherer sollte die Sozialversicherung in Zukunft lediglich das Existenzminimum abdecken, während die Privatversicherung als Zusatzversicherung einen „geruhsamen Lebensabend bei ausreichender Rente“ garantierte.74 Dem Wettbewerb mit der Sozialversicherung sahen die Versicherer angesichts guter Leistungen gelassen entgegen, sofern sich Konkurrenz und Aufklärung sachlich gestalteten.75 Die Frage der Wettbewerbsmodalitäten sollte sich jedoch schnell als dauerhafter Streitpunkt erweisen. Die deutschen Lebensversicherer erwarteten zwar keineswegs, dass sich die Träger der öffentlichen Rentenversicherung als glühende Verfechter der Kapitalversicherung präsentierten, sie verlangten aber eine faire Chance, ihre Produkte zu vermarkten. Das war jedoch nach Ansicht der Versicherungswirtschaft nur begrenzt der Fall, da die staatliche Subventionierung der öffentlichen Rentenversicherung den Wettbewerb erheblich verzerre. Die Versicherer bemängelten ferner, dass von verschiedenen, der Sozialversicherung nahestehenden Seiten immer wieder zum Ausdruck gebracht werde, dass sich die Kapitalversicherung nicht für die Alters- und Hinterbliebenenversicherung der Handwerker eigne. Die Rentenversicherung werde in vielen Fällen als die bessere Versorgungsform dargestellt; und selbst dort, wo auf die Vorteile der Kapitalversicherung hingewiesen werde, geschehe dies derart, dass diese letztlich nicht mehr erkennbar seien.76 71 Kratz, Zum Gesetz, S. 1, 6. Altersversorgung des Handwerks, S. 12 f. Funke, Altersversorgung, S. 22. 72 Kratz, Zum Gesetz, S. 6. 73 Die Presse zur Altersversorgung des Handwerks, S. 38 f. Hassenpflug, S. 262. 74 Hassenpflug, S. 262. Vgl. auch Zur Altersversorgung des Handwerks, S. 63. 75 Die Presse zur Altersversorgung, S. 38 f.

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

Das Gesetz gab eindeutig der Gewährung von Renten den Vorzug. In diesem Punkt hatten sich das Reichsarbeitsministerium und die Deutsche Arbeitsfront gegen die Interessen der Lebensversicherer durchsetzen können. Aber auch die Reichsgruppe „Industrie“ vertrat – zumindest für die abhängig Beschäftigten – die Auffassung, dass die Rentenversicherung prinzipiell die zweckmäßigste Form der Altersversorgung sei. Und auch die private Lebensversicherungswirtschaft konnte sich dieser verbreiteten Meinung nicht verschließen. Auf der Jahresversammlung der Wirtschaftsgruppe „Privatversicherung“ am 25. Februar 1938 in München stellte ihr Leiter, Generaldirektor Andreas Braß, fest: „Es ist nun mal ein Zug des deutschen Volkes, das stark geworden ist und immer stärker werden wird, dass es für den Lebensabend nicht das kleine Kapital, sondern die Rente verlangt. Ich weiß, dass den Lebensversicherern das Rentenrisiko zum großen Teil unerwünscht ist und manchmal Schwierigkeiten bietet. Aber das Volk verlangt die Rentenversicherung.“77 Braß wies ferner darauf hin, dass die privaten Lebensversicherer Gefahr liefen, künftig auch in anderen Bereichen ins Abseits zu geraten, wenn sie das Feld der Rentenversicherung weiterhin ausschließlich der Sozialversicherung überließen.78 Trotz dieser zum Teil berechtigten Kritik profitierten die Lebensversicherer in erheblichem Maße von der Einführung der Handwerkerversicherung. Allein im ersten Halbjahr 1939 stieg die Zahl der Groß-Lebensversicherungen bei den privaten Lebensversicherern von 3,5 auf 3,8 Millionen Policen. Gleichzeitig erhöhte sich der Wert des Bestandes von 13,4 auf 14,8 Milliarden RM.79 Der Wert aller Kapitalversicherungen stieg 1939 gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent. Die öffentlich-rechtlichen Versicherer konnten im gleichen Zeitraum einen Zuwachs von rund 13 Prozent verzeichnen.80 Vor allem jüngere und besser verdienende Handwerker bevorzugten den Abschluss einer Lebensversicherung. Nach der Handwerkszählung von 1949 hatte fast die Hälfte aller versicherten Handwerker eine Lebensversicherung abgeschlossen. Rund 40 Prozent der Handwerker waren Vollversicherte in der Angestelltenversicherung; darunter vor allem geringer verdienende und ältere Handwerker. Lediglich rund zwölf Prozent der Handwerker hatten sich für die Halbversicherung entschieden.81 76 Heyn, Bedeutung der Rentenversicherung, S. 184 f. Zur Altersversorgung des Handwerks, S. 64. 77 „Gemeinschaftsarbeit in der Versicherungswirtschaft“. Vortrag auf der Jahreshauptversammlung der Wirtschaftsgruppe Privatversicherung am 25. Februar 1938 in München von Generaldirektor Braß (Leiter der Wirtschaftsgruppe Privatversicherung), Berlin 1938, BArch R 3101 / 9273, S. 8. 78 Dobbernack, Altersversorgung, S. 66. 79 Geschäftsbericht 1938 / 39 der Wirtschaftsgruppe Privatversicherungen in der Reichsgruppe Versicherungen, BArch R 3101 / 9274, S. 8, 11. 80 Borscheid / Drees (Hg.), S. 69. 81 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk, BT-Drs. 3598. Vgl. auch Höffner, S. 78 f.

3. Die Bedeutung der Handwerkerversicherung

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Die öffentliche Diskussion stellte vor allem die Schwierigkeiten, die mit der Entscheidung über die verschiedenen Versicherungsmöglichkeiten verbunden waren, in den Vordergrund. Sollte der Handwerker in die Lage versetzt werden, die für seine Bedürfnisse zweckmäßigste Form der Versicherung zu wählen, so erforderte dies eine umfassende Aufklärungsarbeit.82 Die Information der Handwerker sollte sich jedoch als erhebliches Problem erweisen. 1943 musste der Reichsstand des Deutschen Handwerks feststellen, dass viele Handwerker immer noch nicht mit ihrer Altersversorgung vertraut waren. Eine Vielzahl von ihnen hatte noch keine Entscheidung über die ihnen vom Gesetzgeber eingeräumten Versicherungsmöglichkeiten getroffen.83 Zunächst hatte die offene Formulierung des Gesetzestextes bei den versicherungspflichtigen Handwerkern für Verunsicherung gesorgt. Wichtige Durchführungsbestimmungen ergingen erst spät und in einer Form, die neue Fragen und Widersprüche aufwarf. Vielfach bestanden Lebensversicherungsverträge, auf deren Grundlage Versicherungsfreiheit oder Halbversicherung geltend gemacht wurde, die den Anforderungen des Gesetzes in zentralen Punkten nicht genügten.84 Auch waren viele Handwerker nach Kriegsbeginn durch die Einberufung zur Wehrmacht nicht mehr in der Lage, die Verhandlungen mit den Lebensversicherungsunternehmen fortzusetzen. Und auch die Versicherungsgesellschaften selbst waren durch die Einberufungen von Mitarbeitern oft außerstande, die durch das Altersversorgungsgesetz bedingte Vermehrung der Geschäfte zu bewältigen.85 Um ein Scheitern der Handwerkerversorgung zu vermeiden, mussten daher sukzessive die Fristen verlängert werden, innerhalb derer noch Versicherungsfreiheit oder Halbversicherung beantragt werden konnte.86

82 Vgl. dazu die Frankfurter Zeitung Nr. 655 / 656 vom 24. 12. 1938, die Berliner BörsenZeitung Nr. 599 vom 23. 12. 1938, den Völkischen Beobachter Nr. 359 / 360 vom 25. / 26. 12. 1938, die Kölnische Zeitung Nr. 650 vom 24. 12. 1938. Zit. nach Die Presse zur Altersversorgung, S. 38 f. Grießmeyer, Betrachtungen, S. 18. Lessing, S. 68. 83 Biskup, Bewährung, S. 37. 84 Bruno, Wann hat der selbständige Handwerker, S. 55. Bruno, Versicherungsfreiheit, S. 47 f. 85 Auszug aus dem Lagebericht „Bisherige Auswirkungen der Versicherungen der Handwerker“ vom 29. 12. 1939, BArch R 3101 / 34108. Weitere Maßnahmen in der Altersversorgung, S. 62 f. Kurzwelly, Kriegsmaßnahmen, S. 76. Dersch, Weitere Kriegsmaßnahmen, S. 105. 86 Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 13. 07. 1939, RGBl. I 1939, S. 1255 – 1260. Durchführungsverordnung zum Altersversorgungsgesetz, S. 408. Zweite Durchführungs- und Ergänzungsverordnung, S. 583 f.

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

4. Die wirtschaftliche Lage des Handwerks als Begründung der Zwangsversicherung Die Einführung einer Alterssicherung entsprach einem Bedürfnis der Handwerker selbst oder doch zumindest ihrer Standesorganisation. Der Reichsstand des Deutschen Handwerks feierte das Handwerkerversorgungsgesetz als „Großtat im Aufbau unserer sozialen Ordnung“ und „Markstein in der neueren Handwerksgeschichte“.87 Zwar sei die Idee eines Anschlusses an die Sozialversicherung zunächst auf wenig Zustimmung gestoßen, nun aber hätten die Gewähr eines gesicherten Lebensabends und das Bewusstsein, auch bei vorzeitig eintretender Berufsunfähigkeit geschützt zu sein, diese Bedenken zerstreut. Durch den Krieg, die Inflation und die Weltwirtschaftskrise befänden sich viele Handwerker in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage und verfügten kaum über Ersparnisse für das Alter. Angesichts der Überbesetzung vieler Handwerkszweige, erklärte der Reichsstand, sei es wahrscheinlich, dass es der Mehrheit der Handwerker auch in Zukunft nicht gelingen werde, ausreichende Ersparnisse anzusammeln. Zusätzlich verschärft werde die Problematik durch die Altersgliederung des Handwerks, die künftig eine wachsende Zahl bedürftiger alter Handwerker erwarten ließ.88 Seitens des Reichsarbeitsministeriums wurde die Notwendigkeit einer auf Zwang basierenden Alterssicherung ebenfalls mit der prekären wirtschaftlichen Lage vieler Handwerker begründet. Das durchschnittliche Einkommen von 1.900 RM gleiche nicht nur in seiner Höhe, sondern vielfach auch in seiner Unsicherheit dem eines Arbeiters oder Angestellten. Es reiche kaum aus, um ausreichende Rücklagen für den Fall der Berufsunfähigkeit und für das Alter zu bilden.89 Für die Frage der Versicherungspflicht, argumentierte das Reichsarbeitsministerium, käme es nicht darauf an, „ob jemand selbständig oder abhängig beschäftigt“ sei, „sondern nur darauf, ob er des Schutzes einer auf dem Versicherungszwang beruhenden Altersversorgung“ bedürfe.90 Da die Handwerker weder von der freiwilligen Versicherung in der öffentlichen Rentenversicherung noch vom Abschluss privater Lebensversicherungsverträge ausreichend Gebrauch machten, könne man es der „eigenen Einsicht eines Handwerkers ebenso wenig wie der eines Arbeiters überlassen, ob er für die Wechselfälle des Lebens Vorsorge treffen will oder nicht“.91 Nach einer Untersuchung des Reichsstands des Deutschen Handwerks auf der Grundlage der Berufszählung des Statistischen Reichsamtes von 1933 war bei der Schüler, Die sozialpolitische Magna Charta, S. 1. Schüler, Alterssicherung, S. 213 f. 89 Krohn, Gesetz über die Altersversorgung, S. 109. Ders., Sozialpolitische Bedeutung, Sp. 452. Die Altersversorgung der Selbständigen, Sp. 279 f. Vgl. auch Schewe, S. 4. 90 Wankelmuth, S. 24. Dobbernack, Altersversorgung, S. 64. 91 Dobbernack, Altersversorgung, S. 64. Vgl. auch Wankelmuth, S. 24. Grießmeyer, Betrachtungen, S. 18. Gesetz über die Altersversorgung, S. 3. Krohn, Gesetz über die Altersversorgung, S. 109. Sitzler, Altersversorgung, S. 73. Pense, S. 540. 87 88

4. Die wirtschaftliche Lage als Begründung der Zwangsversicherung

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Machtübernahme durch die Nationalsozialisten rund ein Drittel der Handwerker älter als 50 Jahre, davon hatte etwa die Hälfte bereits das 60. Lebensjahr vollendet (Abbildung 3).92 Der hohe Anteil älterer Handwerker war eine Folge der Erschütterungen des Handwerks durch den Ersten Weltkrieg und die Inflation. Sowohl während des Weltkrieges als auch in der Inflationszeit dürften Existenzgründungen weitgehend unterblieben sein. In der Phase der relativen Stabilisierung der Weimarer Republik wurde der Gang in die Selbständigkeit durch teure Kredite erschwert. Die Einberufungen während des Ersten Weltkriegs hatten zudem in zahlreichen Betrieben zu Einkommenseinbußen geführt. Durch die Inflation hatten viele Handwerker eine empfindliche Schmälerung ihrer Ersparnisse hinnehmen müssen, so dass sie auch in fortgeschrittenem Alter zur Erwerbstätigkeit gezwungen waren. Von der „Überalterung“ waren vor allem solche Handwerkszweige betroffen, in denen sich der beschleunigte Strukturwandel ohnehin stark auswirkte.93 bis 30 Jahre 20% 60 u. mehr Jahre 14% 50-60 Jahre 21%

30-50 Jahre 45%

Quelle: Der Altersaufbau der selbständigen Handwerker im Jahr 1933, in: Deutsches Handwerk 6 (1937), S. 370 – 373, hier 371.

Abbildung 3: Der Altersaufbau im selbständigen Handwerk 1933

Die Überbesetzung von Handwerkszweigen war aber nicht allein durch die Erwerbstätigkeit bis ins hohe Alter hinein bedingt. Viele vor allem junge Handwerksgesellen und Industriearbeiter, die während der Weltwirtschaftskrise arbeitslos geworden waren, hatten sich in die Selbständigkeit geflüchtet.94 Während sich die Zahl der handwerklichen Betriebe in den Jahren 1926 bis 1931 lediglich um rund 75.000 Betriebe erhöht hatte, schnellte sie zwischen 1931 und 1936 von 1,38 Millionen auf 1,65 Millionen empor.95 Überdurchschnittliche Zuwächse konnten dabei 92 Der Altersaufbau der selbständigen Handwerker 1933, S. 372 f. Vgl. auch Statistisches Reichsamt, Berufszählung 1933. 93 Der Altersaufbau der selbständigen Handwerker 1933, S. 371. – Unter den Gerbern, Seilern, Drechslern, Posamentierern, Buchbindern, Böttchern, Hutmachern, Mützenmachern, Schirm- und Stockmachern, Bürsten- und Besenmachern, Holzschuhmachern, Korbmachern, Färbern, Kupferschmieden, Webern, Uhrmachern sowie den Klavier- und Orgelbauern waren mehr als ein Fünftel der Handwerker älter als 60 Jahre. 94 Der Altersaufbau der selbständigen Handwerker 1933, S. 372 f. 95 Der starke Anstieg 1931 / 36 hatte allerdings auch statistische Gründe: Zum einen waren 1931 noch nicht alle Betriebe in der zwei Jahre zuvor eingerichteten Handwerkerrolle einge-

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III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

das Bekleidungs- und Reinigungshandwerk sowie das Bauhandwerk verzeichnen; also Handwerkszweige, in denen eine ganze Reihe wenig kapitalintensiver Berufe die Existenzgründung erleichterte.96 Gleichzeitig stieg die Zahl der unter 30-jährigen Betriebsinhaber stark an: Allein zwischen 1931 und 1933 erhöhte sich ihre Zahl von 14,1 auf rund 20 Prozent der selbständigen Betriebsinhaber. Diese Betriebe stellten allerdings in vielen Fällen eher einen Hinzuverdienst als eine Existenzgrundlage dar.97 Nach einer eigenen Erhebung des Reichsstands nahm die Zahl der selbständigen Handwerksbetriebe seit 1936 deutlich ab und sank bis 1939 um elf Prozent auf 1,47 Millionen.98 Durch den wirtschaftlichen Aufschwung bot sich vielen jüngeren Handwerkern seit dem Erreichen der Vollbeschäftigung die Möglichkeit, in eine abhängige Beschäftigung als Geselle, Facharbeiter oder Werkmeister zurückzukehren. Davon machten vor allem diejenigen Gebrauch, deren Betriebe nie eine ausreichende Existenzgrundlage dargestellt hatten.99 Die Dritte Verordnung über den vorläufigen Aufbau des Deutschen Handwerks vom 18. Januar 1935100 setzte ferner dem bis dahin ungehinderten Zustrom vor allem junger Menschen zum Handwerk ein Ende, indem die Ablegung der Meisterprüfung zur verpflichtenden Zugangsbedingung erklärt wurde.101 Die Zahl der Neugründungen verringerte sich daher seit 1936 erheblich. Waren 1936 noch 104.000 Geschäftseröffnungen registriert worden, waren es 1938 nur noch 60.000.102 Vom Rückgang der Betriebe waren vor allem die jungen Handwerker unter 30 Jahren betroffen. Ihr Anteil sank zwischen 1933 und 1939 um knapp elf Prozentpunkte auf rund neun Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil der älteren Handwerker weiter an, da ihre schwierige wirtschaftliche Lage sie vielfach zur Fortsetzung ihrer Erwerbstätigkeit zwang. Der Anteil der über 60-Jährigen erhöhte sich bis 1939 auf knapp 19 Prozent (Abbildung 3 und 4).103 tragen. Zum anderen erhöhte sich die Zahl durch die Wiedereingliederung des Saarlandes und die Anerkennung neuer Berufe. Aus der Statistik, S. 421. 96 Das Baugewerbe war einer der am stärksten durch die Weltwirtschaftskrise betroffenen Wirtschaftszweige, so dass besonders viele Arbeitslose in die Selbständigkeit drängten. Aus der Statistik, S. 421. Vgl. auch Die Zahl der Betriebe, S. 13. 97 Aus der Statistik, S. 422. 98 Aus der Statistik, S. 421. Vgl. auch Heyn, Zur Altersversorgung der Selbständigen, S. 907. 99 Der Wirtschaftsaufschwung verbesserte die Möglichkeiten zur Heirat und Familiengründung und bewog viele junge weibliche Selbständige zur Betriebsaufgabe. So reduzierte sich der Anteil der unter 25-Jährigen bei den Damenschneiderinnen in den Jahren 1936 bis 1939 um mehr als 18 Prozentpunkte auf rund fünf Prozent. Wie steht es mit dem Altersaufbau, S. 271 f. Aus der Statistik, S. 422. Vgl. auch von Saldern, S. 140. 100 Dritte Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 18. 01. 1935, RGBl. I 1935, S. 14 – 15. 101 Die Zahl der Betriebe verringerte sich allein durch das Ausscheiden von Betrieben als Handwerk und der „Ausschaltung der Juden“ um 30.000 Betriebe. Aus der Statistik, S. 422. 102 Aus der Statistik, S. 423. 103 Wie steht es mit dem Altersaufbau, S. 272.

4. Die wirtschaftliche Lage als Begründung der Zwangsversicherung

155

bis 30 Jahre 9%

60 u. mehr Jahre 19%

50-60 Jahre 23%

30-50 Jahre 49%

Quelle: Wie sieht es mit dem Altersaufbau des selbständigen Handwerks aus? In: Deutsches Handwerk 8 (1939), S. 271 – 273, hier 271.

Abbildung 4: Der Altersaufbau im selbständigen Handwerk 1939

Die geschilderten Probleme waren keineswegs auf das Handwerk beschränkt. Der Anteil der über 60-Jährigen war bei den Selbständigen aller Wirtschaftsgruppen im Vergleich zu den Arbeitern und Angestellten verhältnismäßig hoch. Die Land- und Forstwirtschaft bildete den Spitzenreiter. Ein Viertel aller Selbständigen war dort über 60 Jahre alt, und 14,3 Prozent hatten bereits das 65. Lebensjahr vollendet. In Industrie und Handwerk sowie in Handel und Verkehr lag der Anteil der über 60-Jährigen an den Selbständigen bei jeweils 15 Prozent, der Anteil der über 65-Jährigen bei rund sieben bzw. acht Prozent. Im Dienstleistungsbereich gestalteten sich die Verhältnisse ähnlich. Knapp 13 Prozent der Selbständigen hatten das 60. Lebensjahr bereits vollendet, rund sechs Prozent waren bereits älter als 65 Jahre. Im Durchschnitt aller Wirtschaftsgruppen betrug der Anteil der über 60-jährigen Selbständigen 19,4 Prozent, der Anteil der über 65-Jährigen lag bei 10,4 Prozent (Abbildung 5).104 30 25,3

Prozent

25 19,4

20

15,8

15

12,9

15 10

9,8

8,6 6,3

8,1

4,9

5 0 Landwirtschaft

Industrie u. Handwerk

Handel u. Verkehr

Dienstleistungen (ohne häusl. Dienste)

Summe aller Wirtschaftsgruppen

Quelle: Statistisches Reichsamt, Berufszählung. Die berufliche und soziale Gliederung der Bevölkerung des Deutschen Reichs. Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juli 1933 (Statistik des Deutschen Reichs Bd. 453), Berlin 1936, Heft 3, Tab. 3a, S. 3 / 4 ff.

Abbildung 5: Der Anteil der über 60-jährigen Erwerbspersonen nach Wirtschaftsgruppen und Stellung im Beruf 1933 104

Statistisches Reichsamt, Berufszählung 1933, Tab. 3a, S. 3 / 4 ff.

156

III. Der Ausbau zur Volksversicherung: Die Handwerkerversicherung

Bei einer Verteilung der Älteren auf die Sektoren betraf das Problem der „Überalterung“ ebenfalls vor allem die Landwirtschaft. Insgesamt entfielen knapp 50 Prozent aller Erwerbspersonen über 60 Jahren und knapp 58 Prozent aller über 65-jährigen Erwerbspersonen auf diesen Sektor. In Industrie und Handwerk waren knapp ein Drittel aller über 60-jährigen und rund ein Fünftel aller über 65-jährigen Erwerbspersonen beschäftigt. Auf die Wirtschaftsgruppe „Handel und Verkehr“ sowie den Dienstleistungssektor entfielen mit rund 16 bzw. sieben Prozent verhältnismäßig wenige Erwerbspersonen im Alter von über 60 Jahren (Abbildung 6).

Industrie und Handwerk 28%

Landwirtschaft 48%

Handel und Verkehr 16% Dienstleistung 7%

Häusliche Dienste 1%

Quelle: Statistisches Reichsamt, Berufszählung. Die berufliche und soziale Gliederung der Bevölkerung des Deutschen Reichs. Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juli 1933 (Statistik des Deutschen Reichs Bd. 453), Berlin 1936, Heft 3, Tab. 3a, S. 3 / 4 ff.

Abbildung 6: Die Verteilung der über 60-jährigen Erwerbspersonen nach Wirtschaftsgruppen 1933

Eine Betrachtung allein der Selbständigen ergibt eine ähnliche Verteilung auf die Wirtschaftsgruppen. Mehr als die Hälfte aller Selbständigen, die älter als 60 bzw. 65 Jahre waren, arbeitete in der Landwirtschaft. Ein gutes Fünftel entfiel auf Industrie und Handwerk, ein weiteres knappes Fünftel auf den Handel und Verkehr.105 Das Problem der „Überalterung“ betraf somit die Selbständigen generell, wobei jedoch nicht das Handwerk, sondern die Landwirtschaft der am stärksten betroffene Sektor war. Die selbständigen Handwerker waren daher keineswegs schutzbedürftiger als der übrige Mittelstand. Die Entscheidung für eine Alterssicherung des Handwerks im Jahr 1938 war nicht primär sachlich begründet, sondern vielmehr politisch motiviert. Nach sechs Jahren nationalsozialistischer Herrschaft, die im Bereich der Rentenpolitik durch stagnierende Leistungen und ein sinkendes Rentenniveau gekennzeichnet waren, brauchte das Regime dringend einen sozialpolitischen Erfolg. Die Handwerkerversicherung lag ferner in der Logik der sich zuspitzenden Konkurrenz zwischen dem Reichsarbeitsministerium und der Deutschen Arbeitsfront um die Vorherrschaft in der Rentenpolitik. Die Interessen des Reichsarbeitsministeriums waren 105

Statistisches Reichsamt, Berufszählung 1933, Tab. 3a, S. 3 / 4 ff.

4. Die wirtschaftliche Lage als Begründung der Zwangsversicherung

157

dabei offensichtlich: Die Ausdehnung der Rentenversicherungspflicht bedeutete eine klare Bejahung der traditionellen öffentlichen Rentenversicherung und festigte damit die Position des Reichsarbeitsministeriums gegenüber der Deutschen Arbeitsfront. Durch die Verbindung von Sozialversicherung und Individualversicherung eröffnete die Handwerkerversicherung die Möglichkeit, künftig weite Kreise der Selbständigen in die öffentliche Rentenversicherung zu integrieren und auf diese Weise den Punkt 15 des Parteiprogramms zu verwirklichen. Zugleich war damit der Beweis erbracht, dass sich die Ziele der nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie – insbesondere der Ausbau der Rentenversicherung zu einer allgemeinen Volksversicherung – auch im Rahmen der traditionellen Sozialversicherung erreichen ließen. Die Motive der Deutschen Arbeitsfront waren im Grunde dieselben, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Auch die Deutsche Arbeitsfront sah in der Handwerkerversicherung den ersten Schritt zu einer Volksversicherung im Sinne von Punkt 15 des Parteiprogramms, die jedoch als Alternative zur Sozialversicherung gedacht war und dem Einfluss des Reichsarbeitsministeriums entzogen werden sollte. Zur bevorzugten Zielgruppe wurden die Handwerker vor allem deshalb, weil sie eine verwaltungsmäßig leicht zu erfassende und eindeutig zu bestimmende Gruppe darstellten.106 Die Alterssicherung von etwa 1,3 Millionen Handwerkern war nicht nur technisch machbar, sondern auch finanziell ohne großen Aufwand durchführbar. Für das NS-Regime besaßen die Handwerker – ähnlich wie die Landwirte – eine ideologisch herausgehobene Stellung. Ihre Alterssicherung war durchaus geeignet, Erwartungen zu befriedigen, die durch Punkt 16 des Parteiprogramms geweckt worden waren, der die „Schaffung eines gesunden Mittelstands“ gefordert hatte.107 Gleichzeitig verbanden sich mit der Handwerkerversorgung auch fiskalische Interessen. Mit Blick auf die lange Wartezeit von 15 Jahren diente die Rentenversicherung der Handwerker auf absehbare Zeit als Spardose, in die der Staat zur Finanzierung der Aufrüstung hineingreifen konnte.108

106 107 108

Vgl. auch Höffner, S. 73. Das Parteiprogramm der NSDAP vom 25. Februar 1920. Zit. nach Kühnl, S. 96 – 100. Von Saldern, S. 54 f. Hentschel, Geschichte, S. 139 f.

IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk Bereits Mitte der dreißiger Jahre hatte Ley dem eigens zu diesem Zweck gegründeten Arbeitswissenschaftlichen Institut der Deutschen Arbeitsfront die Ausarbeitung eines nationalsozialistischen sozialpolitischen Programms übertragen. Das Institut, das sich schnell zu einer der wichtigsten Denkfabriken des NSRegimes entwickelte, bestand aus einer zentralen Forschungsstelle, einem Zentralarchiv, einer Zentralbibliothek und einer Statistischen Zentralstelle und bot seinen Mitarbeitern damit eine exzellente Infrastruktur zur Erfüllung ihrer Forschungsaufträge. Seit 1938 kam es im Zuge der einsetzenden sozialpolitischen Kriegs- und Nachkriegsvorbereitungen zu einer erheblichen Erweiterung des Instituts, die zugleich mit einer deutlichen Ausweitung seiner Kompetenzen verbunden war.1 Die Aufgabe der Einrichtung bestand primär darin, grundlegende Strategien im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik zu entwickeln, die der langfristigen Herrschaftssicherung des Regimes sowie einer deutlichen Steigerung der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Bevölkerung dienen sollten. Die Zusammensetzung der Mitarbeiter – im Arbeitswissenschaftlichen Institut trafen junge Aufsteiger der angewandten Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Ministerialbürokraten, „traditionell“ sozialisierte Sozialreformer und ehemalige Mitglieder des revisionistischen Flügels der Arbeiterbewegung aufeinander – sollte dabei die notwendige gedankliche Flexibilität garantieren und bewirkte zugleich die eigentümliche Synthese aus „Weltmachtpolitik und Sozialreform“, die den Sozialstrategien des Instituts zu eigen war.2 Den Konzepten lag die Überlegung zugrunde, dass auf Dauer nur ein verbesserter Lebensstandard die Integration der Arbeiterschaft in den NS-Staat gewährleisten könne. Nach Ansicht des Arbeitswissenschaftlichen Instituts eröffnete jedoch erst der äußere Machtgewinn den erforderlichen Verteilungsspielraum, die Bevölkerung und vor allem die Arbeiterschaft am künftigen Wohlstand zu beteiligen.3 Mit den „Blitzkriegserfolgen“ 1939 / 40 intensivierten sich daher die Planungen einer Nachkriegssozialordnung und mündeten im Bereich der Altersversorgung schließlich 1942 in die Formulierung eines Gesetzentwurfs über ein „Versorgungswerk des Deutschen Volkes“.4 Roth, Intelligenz, S. 127 – 134. Zur „biographischen Typologie“ der Mitarbeiter des Arbeitswissenschaftlichen Instituts vgl. Roth, Intelligenz, S. 182 – 229. 3 Roth, Intelligenz, S. 138 – 148, 188. Vgl. auch Geyer, Soziale Sicherheit, S. 398. 4 Das AWI der DAF an Staatssekretär Krohn, 03. 10. 1942, BArch R 3901 / alt R 41 / 650. Anlage: Versorgungswerk des Deutschen Volkes. Gesetzentwurf mit kurzer Erläuterung. 1 2

1. Die Grundzüge des „Versorgungswerks“

159

1. Die Grundzüge des „Versorgungswerks“ Ihrer Integrationsfunktion gemäß sollte die geplante Altersversorgung nach den Grundsätzen der „Volksgemeinschaft“ organisiert werden: „Das Versorgungswerk erwächst aus dem Gedanken der Volksgemeinschaft und stellt sich so als der organisierte Ausdruck der in dieser Gemeinschaft begründeten Kameradschaft dar. Nur von dieser höheren Warte aus kann sein Verhältnis zum einzelnen Volksgenossen erfaßt und begriffen werden.“5

An die Stelle der öffentlichen Rentenversicherung sollte eine allgemeine Staatsbürgerversorgung treten, die neben den abhängig Beschäftigten auch alle Selbständigen und Unternehmer unabhängig von ihrer Einkommenshöhe umfassen sollte, sofern sie ihre „Gemeinschaftspflicht“ erfüllten und „Reichsangehörige deutschen und artverwandten Blutes“ waren. Explizit ausgeschlossen waren „Volksschädlinge“ sowie „Erbkranke“.6 Diese der Volksgemeinschaftsideologie eigene Dichotomie von Inklusion und Exklusion bildete den Kern der angestrebten Neuordnung der Altersversorgung.7 Im Rahmen der volksgemeinschaftlichen Ordnung kam dem Staat die Aufgabe zu, die Zahl derer, die durch Krankheit oder Invalidität vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausschieden, möglichst gering zu halten. Gleichzeitig durften aber diejenigen, die ihre Arbeitskraft vorübergehend (Krankheit) oder dauernd (Invalidität, Alter) verloren und ihre Pflicht gegenüber der Gemeinschaft erfüllt hatten, ebenso wenig „der Not ausgeliefert werden, wie der Soldat“.8 Der Treuepflicht des Volks5 Die Altersversorgung (Zusammenfassender Überblick), Berlin 1940, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 8, Fiche 5 – 6, Bl. A 465 – 546, hier 490. Allgemeine Darstellung eines Versorgungswerks des Deutschen Volkes, Berlin 1940, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 7, Fiche 4 – 5, A Bl. 293 – 464, hier 326. In pathetischer Sprache wurde auch von einer „Neuschöpfung aus dem Geiste der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft“ gesprochen. Robert Ley, Grundzüge der Altersversorgung, in: Der Vierjahresplan, Nr. 11 vom 15. 6. 1941, S. 590 – 592. Zit. nach Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 171, Fiche 120, Bl. G 962 – 965, hier 963. An anderer Stelle hieß es: „Das Versorgungswerk wird eines der sichtbaren Zeichen der neu entstandenen Volksgemeinschaft sein.“ Robert Ley, Der Staatssozialismus setzt sich durch, in: Der Angriff, Nr. 238 vom 02. 10. 1940. Zit. nach Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 302, Fiche 188, Bl. S 2229 – 2234, hier 2234. 6 Inflation und Weltwirtschaftskrise hatten gezeigt, dass auch bei Selbständigen die Verstetigung des Einkommens im Alter problematisch war. Das Versorgungswerk des Deutschen Volkes. Begründung, Berlin 1942, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 336, Fiche 208 – 209, Bl. V 277 – 427, hier 290 ff. Das Versorgungswerk des Deutschen Volkes. II. Einzelerörterungen, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 338, Fiche 210 – 214, Bl. V 486 – 836, hier 566 ff. 7 Erste Skizze einer Alters- und Invalidenversorgung, Berlin 1940, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 139, Fiche 100 – 101, Bl. E 1493 – 1548, hier 1512. Vgl. auch Roth, Intelligenz, S. 147.

160

IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk

genossen stand der Anspruch auf Versorgung als „soziales Grundrecht“ gegenüber; die Erwerbstätigen rückten damit in ein Treueverhältnis zum Staat ein, das zuvor allein den Beamten vorbehalten gewesen war. Die Altersversorgung wurde als eine genuine Aufgabe des Staates betrachtet, deren Finanzierung langfristig nicht mehr wie bisher aus Beiträgen, sondern aus dem allgemeinen Steueraufkommen erfolgen sollte.9 Obwohl es sich bei der geplanten Altersversorgung streng genommen um eine steuerfinanzierte Staatsbürgerversorgung handelte, bezeichnete das Arbeitswissenschaftliche Institut dieses Finanzierungsverfahren in Abgrenzung zur traditionellen Kapitaldeckung als Umlageverfahren.10 Formal sollte zwar ein Rechtsanspruch auf die Versorgungsleistungen bestehen, dieser war jedoch stark ausgehöhlt, da die Leistungsgewährung generell von der „Erfüllung der volksgemeinschaftlichen Arbeitspflicht“ abhängen sollte.11 Gemäß dem Grundsatz „Arbeit geht vor Versorgung“ sollte erst dann ein Anspruch auf Versorgung geltend gemacht werden können, wenn der Einsatz der eigenen Arbeitskraft nicht mehr möglich (Invalidität) oder nicht mehr zumutbar (Alter) war.12 Nur wer sich durch seine Arbeit als nützliches Glied der „Volksgemeinschaft“ erwiesen hatte, durfte künftig erwarten, „dass die Volksgemeinschaft wenn er nicht mehr arbeiten kann, für ihn eintritt und seine Existenz sichert“.13 Wer sich der „Pflicht zur Arbeit“ verweigerte wurde aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen und sollte seinen Anspruch auf Versorgung verlieren: „Aus dem Grundgedanken des Versorgungswerks ergibt sich ohne weiteres, daß durch gemeinschaftswidriges Verhalten, insbesondere grundlose Arbeitsverweigerung, der Versorgungsanspruch verwirkt wird; jedoch muß der Ausschluß aus der Volksgemeinschaft nicht unbedingt endgültig sein, sondern kann durch ordentliche Führung wieder ausgeglichen werden.“14 8 Soziale Sicherung und Altersversorgung. Grundsätzliche Überlegungen, Berlin 1939, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 265, Fiche 169, Bl. S 483 – 503, hier 489. Bühler, S. 147. 9 Versicherung oder Versorgung? Eine Gegenüberstellung im Hinblick auf die künftige Altersversorgung des deutschen Volkes, Berlin 1942, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 333, Fiche 207, Bl. V 200 – 252, hier 241. Allgemeine Darstellung, Bl. 302, 307, 374, 461. Die Altersversorgung, Bl. 504 ff., 520 f. Vgl. auch Das Sozialwerk des deutschen Volkes, Berlin 1944, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 298, Fiche 187, Bl. S 2111 – 2123, hier 2120. 10 Im Gegensatz zum heutigen Sprachgebrauch unterschied das Arbeitswissenschaftliche Institut lediglich zwischen dem Kapitaldeckungsverfahren und dem Umlageverfahren. Allgemeine Darstellung, Bl. 394. 11 Allgemeine Darstellung, Bl. 301, 307. Die Altersversorgung, Bl. 494, 497, 503, 506. Vgl. auch Die sozialen Aufgaben, S. 53 f. 12 Die Altersversorgung, Bl. 486, 497, 502. Allgemeine Darstellung, Bl. 301, 307, 349 f. Ley, Grundzüge der Altersversorgung, Bl. 964. 13 Versorgungswerk. Begründung, Bl. 303. Allgemeine Darstellung, Bl. 343. 14 Neben der Verweigerung der Arbeitspflicht konnten auch Verstöße gegen das Strafgesetz sowie Verurteilungen durch ein soziales Ehrengericht zum Verlust des Versorgungsanspruchs führen. Die endgültige Entscheidung über die Aberkennung des Versorgungs-

1. Die Grundzüge des „Versorgungswerks“

161

Diese restriktive Bewilligung von Versorgungsleistungen sollte zugleich den nötigen finanziellen Spielraum für einen großzügigen Ausbau der Leistungen schaffen, um „die ganz oder teilweise arbeitsunfähig gewordenen Volksgenossen in die völkische Sozialordnung (entsprechend den Gesetzen dieser Ordnung) einzugliedern. ( . . . ) Es darf nicht – wie das bisher geltende Versorgungsrecht – den Volksgenossen in dem Augenblick praktisch von der Teilnahme am nationalsozialistischen Gemeinschaftsleben ausschließen, in dem er seine Arbeitskraft verliert“.15

Die Verbindung von Versorgungsanspruch und Arbeitspflicht bedingte auf institutioneller Ebene einen engen Zusammenhang zwischen dem „Versorgungswerk“ einerseits sowie dem Arbeitseinsatz und der Gesundheitsfürsorge andererseits:16 Sowohl die Pflicht zur Arbeit als auch der Vorrang der Arbeit vor der Versorgung setzten voraus, dass für alte und invalide Menschen eine ausreichende Zahl geeigneter Arbeitsplätze zur Verfügung stand, deren Arbeitsbedingungen an die physische Leistungsfähigkeit des Einzelnen angepasst waren.17 Der Gesundheitsfürsorge sollte die Aufgabe zufallen, „das Altwerden der Volksgenossen mit allen Mitteln modernster Gesundheitsführung so zu betreuen, daß sie arbeitseinsatzfähig bis ins hohe Alter bleiben und auch einen ihnen biologisch zumutbaren Wirkungskreis erfüllen konnten“.18 Der „Zeitpunkt des allmählichen Kräfteschwunds“ sollte künftig erst kurz vor dem „Zeitpunkt des physiologischen Todes“ beginnen, und der „endgültige Kräfteverfall“ sollte nach Möglichkeit mit diesem zusammenfallen.19 Als Dank für die erfüllte Staatsbürgerpflicht sollte jedem „Volksgenossen“ im Alter und bei Invalidität eine seinem bisherigen Einkommen angemessene Mindestlebenshaltung garantiert werden.20 Ein System von Leistungsanreizen sollte anspruchs sollte auf der Grundlage einer Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit und ihrer Lebensgestaltung erfolgen. Allgemeine Darstellung, Bl. 317, 338 – 347. Vgl. auch Die Altersversorgung, Bl. 520. Ley, Staatssozialismus, Bl. 2232. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 583 f. 15 Erste Skizze, Bl. 1509 f. Allgemeine Darstellung, Bl. 307. 16 Allgemeine Darstellung, Bl. 306, 349 ff. Die Altersversorgung, Bl. 483, 487. Das Versorgungswerk. Begründung, Bl. 308 ff. Die sozialen Aufgaben, S. 55. Versicherung und Versorgung, Bl. 222. 17 „Um die Altersversorgung in die Tat umzusetzen, gibt es einen Schlüssel: man muß mit dem Altwerden oder dem Schwinden der Kräfte auch das Tempo der Arbeit ändern.“ Robert Ley, Aus dem Schlußappell der 3. Schulungswoche der Deutschen Arbeitsfront am 23. 02. 1935 in Leipzig, in: Arbeit, Volk und Staat 1935. Zit. nach Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 1, Fiche 3 / 01. 18 Das Gesundheitswerk des Deutschen Volkes. Entwurf zu einem Führer-Erlass und Begründung, bearbeitet vom Amt für Gesundheit und Volksschutz der Deutschen Arbeitsfront, BArch R 1501 / 3797, S. 86. 19 Ebenda, S. 24. 20 Allgemeine Darstellung, Bl. 301. Die Altersversorgung, Bl. 502. Die sozialen Aufgaben, S. 54. 11 Schlegel-Voß

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IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk

die Leistungsbereitschaft des Einzelnen fördern und ihn für eine möglichst lange Fortsetzung der Erwerbstätigkeit – auch im Alter und im Falle der (Teil-)Invalidität – belohnen.21 „Ich bin davon überzeugt“, erklärte Ley, „daß wenn der schaffende Mensch weiß, daß er im Alter und bei Invalidität vor unverschuldeter Not unbedingt geschützt ist, daraus eine große Arbeitsfreude und ein ungeheurer Segen erwachsen wird“.22 Um die vorhandenen Leistungsreserven auch der älteren und invaliden „Volksgenossen“ restlos auszuschöpfen und gleichzeitig den Versorgungsaufwand zu reduzieren, sollten eventuelle Verdiensteinbußen infolge der nachlassenden Leistungsfähigkeit durch die Gewährung von Ausgleichszahlungen kompensiert werden:23 „Die Volksgemeinschaft hat ein Interesse daran, daß möglichst viele ihrer Glieder arbeiten. Dieses Interesse wird um so größer, je mehr eine Überalterung des Volkes zu befürchten ist. Nun ist im Regelfall auch der ältere Mensch keineswegs arbeitsunfähig oder arbeitsunlustig. ( . . . ) Es muß daher der Versuch unternommen werden, unbeschadet des Versorgungsanspruchs auch den älteren Volksgenossen freiwillig zur Weiterführung einer Arbeit zu bewegen ( . . . ).“24

Die leistungsrechtlichen Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten sollten gemäß dem volksgemeinschaftlichen Anspruch einer klassenlosen Gesellschaft abgeschafft werden, so dass künftig alle „Volksgenossen“ nach einheitlichen Grundsätzen betreut werden sollten, sofern sie ihre Arbeitspflicht erfüllt hatten.25

2. Die Leistungen des „Versorgungswerks“ Das geplante „Versorgungswerk des Deutschen Volkes“ bestand aus einer Alters- und „Beschädigtenversorgung“ sowie einer Hinterbliebenenversorgung. Die Regelleistung im Alter war das „Altersruhegeld“, das nach Vollendung des 65. Lebensjahrs gewährt werden sollte, sofern der Anspruchsteller eine Berufs21 Allgemeine Darstellung, Bl. 328, 331, 400 f. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 559, 682. Die Altersversorgung, Bl. 495, 502. Vgl. auch Grundsätze des zu schaffenden Versorgungswerks für alte und invalide Volksgenossen (Ein Diskussionsbeitrag), Berlin 1940, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 170, Fiche 118 – 120, Bl. G 778 – 961, hier 830. Die Sicherung der sozialen Existenz, S. 140. 22 Robert Ley, Der Deutsche Volksschutz, Berlin 1939, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 85, Fiche 78, Bl. D 1262 – 1271, hier 1268. Vgl. auch Recker, S. 87. 23 Vgl. Ley, Grundzüge der Altersversorgung, Bl. 964. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 714. 24 Erste Skizze, Bl. 1523 f. 25 Die Altersversorgung, Bl. 490. Allgemeine Darstellung, Bl. 331 ff. Vgl. auch Das Versorgungswerk. Begründung, Bl. 293 ff. Grundsätze des zu schaffenden Versorgungswerkes, Bl. 940 ff. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 577. Versicherung oder Versorgung, Bl. 217, 231 f. Für und wider die Einheitsrente, S. 318.

2. Die Leistungen des „Versorgungswerks“

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tätigkeit von mindestens 25 Jahren nachweisen konnte.26 Um eine „soziale Mindestlebenshaltung“, die sich an der Einkommensposition des Einzelnen während seines Erwerbslebens orientierte, zu garantieren, sollte das „Altersruhegeld“ 60 Prozent des „versorgungsfähigen Einkommens“, d. h. des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes der letzten zehn Kalenderjahre, in denen vor dem Erreichen der Altersgrenze ein Beruf ausgeübt worden war, betragen.27 Ein Grundbetrag in Höhe von 50 RM monatlich sollte einen gewissen Ausgleich der Einkommensunterschiede bewirken und gleichzeitig verhindern, dass die Versorgung von Beziehern niedriger Einkommen unter das „soziale (völkische) Existenzminimum“ sank.28 Völlig arbeitsunfähigen Ruhegeldempfängern ohne Angehörige konnten in Ausnahmefällen anstelle monetärer Transfers auch Unterhaltsleistungen anderer Art gewährt werden, wie beispielsweise die Aufnahme in ein Altersheim, wenn dies im Interesse des Versorgungsberechtigten lag.29 Im Falle einer Erwerbstätigkeit über das vollendete 65. Lebensjahr hinaus sollte den Versorgungsberechtigten als „Anerkennung für ihre Leistungsbereitschaft“ ein „Alterssold“ gewährt werden.30 Der „Alterssold“ sollte einen Ausgleich für eine altersbedingte Verdienstminderung bieten und zugleich einen erheblichen Anreiz zur Fortsetzung der Berufstätigkeit schaffen, indem der Erwerbstätige ein deutlich höheres Einkommen erzielen konnte als der Ruhegeldempfänger.31 Die Höhe des „Alterssolds“ sollte sich ebenfalls nach dem bisherigen Arbeitseinkommen richten und 20 Prozent des „versorgungsfähigen Einkommens“ betragen. „Alterssold“ und Arbeitsentgelt durften maximal eine Höhe von 120 Prozent des „versorgungsfähi26 Die Altersgrenze sollte jedoch keinesfalls endgültig festgeschrieben werden. Eine Regelung sollte vielmehr nur in Form einer Durchführungsverordnung erfolgen, so dass die Altersgrenze gegebenenfalls an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden konnte. Allgemeine Darstellung, Bl. 310, 425. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 388 f. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 713. 27 Als Arbeitsverdienst galt das Einkommen des Versorgungsberechtigten aus selbständiger und unselbständiger Arbeit sowie aus „Beschädigten-“ und „Witwensold“. Als Bemessungsgrundlage sollte das Bruttoeinkommen dienen. Die Altersversorgung, Bl. 494 f., 507 f. Allgemeine Darstellung, Bl. 308 f., 351, 401 ff., 417 f., 424. Grundsätze des zu schaffenden Versorgungswerks, Bl. 830, 908 f. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 362, 378 ff., 382 ff., 387. Sozialwerk des deutschen Volkes, Bl. 2120. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 660, 673 ff. Erste Skizze, Bl. 1500 f., 1516. 28 Der genaue Betrag sollte sich ähnlich wie in der Fürsorge nach den jeweiligen örtlichen und persönlichen Verhältnissen sowie nach der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung richten. Zum Problem des sozialen Mindestbedarfs, S. 113 f., 115 ff. Allgemeine Darstellung, Bl. 309, 408 f. Grundzüge des zu schaffenden Versorgungswerkes, Bl. 885. Vgl. auch Die Altersversorgung, Bl. 509. Versicherung oder Versorgung, Bl. 205 f. 29 Die Altersversorgung, Bl. 506. Allgemeine Darstellung, Bl. 308. Erste Skizze, Bl. 1515. 30 Die Altersversorgung, Bl. 511. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 389. 31 „( . . . ) das Recht auf einen ruhigen Lebensabend muß von einer gewissen Altersgrenze an in jedem Fall gewährleistet sein. Auf der anderen Seite hat der Staat ein lebhaftes Interesse daran, die in den Alten vorhandenen Arbeitsreserven soweit als möglich nutzbar zu machen.“ Allgemeine Darstellung Bl. 310, 349, 425 f. Vgl. auch Versorgungswerk. Begründung, Bl. 389 f. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 714.

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IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk

gen Einkommens“ erreichen; überstieg das Einkommen diesen Betrag, wurden die Versorgungsleistungen entsprechend gekürzt. Die Untergrenze, bis zu der durch den „Alterssold“ eine finanzielle Verbesserung gegenüber dem „Altersruhegeld“ eintrat, lag bei einem Arbeitsverdienst von mindestens 41 Prozent des „versorgungsfähigen Einkommens“. Der „Alterssold“ förderte daher vor allem die Fortsetzung einer regulären Erwerbstätigkeit, die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung war dagegen nur wenig attraktiv.32 Die Invalidenversorgung sollte alle „Arbeitseinsatzunfähigen oder Erwerbsbehinderten“ umfassen, deren Erwerbsunfähigkeit nach Beginn der Erwerbstätigkeit eingetreten war, unabhängig davon, wie es zu dieser Einschränkung gekommen war. Nicht jede Minderung der Erwerbsfähigkeit sollte jedoch automatisch einen Versorgungsanspruch begründen. Ein Anspruch sollte nur unter der Voraussetzung bestehen, dass eine „angemessene Erwerbstätigkeit dauernd im üblichen Umfang“ nicht mehr ausgeübt werden konnte.33 Im Gegensatz zur Altersversorgung, bei der die Fortsetzung der Berufstätigkeit freiwillig war, musste der „Versorgungsberechtigte in der Beschädigtenversorgung bis zur Erreichung der Altersgrenze eine ihm nachgewiesene, zumutbare Arbeit annehmen“.34 Die Invalidenversorgung verwies ihre Anspruchsteller vorrangig auf den Arbeitseinsatz und verschaffte damit dem Grundsatz „Arbeit geht vor Versorgung“ unmittelbar Geltung. Als Ausgleich für den auf Grund der eingeschränkten Erwerbsfähigkeit verminderten Arbeitsverdienst sollte den Invaliden ein „Beschädigtensold“ gewährt werden. Die Höhe sollte sich nach der Diskrepanz zwischen dem bisherigen Arbeitsverdienst und dem aktuellen, niedrigeren Entgelt bemessen, wobei das Gesamteinkommen den Arbeitsverdienst nicht überschreiten durfte, um den Invaliden nicht besser zu stellen als den „Gesunden“.35 Erst wenn der „Beschädigtensold“ den Arbeitsverdienst nicht auf 100 Prozent ergänzte, und dem Invaliden kein geeigneter Arbeitsplatz mehr zugewiesen oder eine Berufsausübung nicht mehr zugemutet werden konnte, bestand „Arbeitseinsatzunfähigkeit“ und der Invalide erhielt ein „Beschädigtenruhegeld“. Diese Invalidenrente sollte ebenfalls 60 Prozent des „versorgungsfähigen Einkommens“, d. h. des regelmäßigen Arbeitsverdienstes vor Eintritt der Invalidität, betragen und konnte bei Bedarf durch ein Haushalts- und Kindergeld aufgestockt werden. Ein Grundbetrag von 50 RM sollte wie in der Altersversorgung eine Mindestsicherung garantieren.36 32 Allgemeine Darstellung, Bl. 311, 427. Die Altersversorgung, Bl. 510 ff. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 390. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 715. 33 Allgemeine Darstellung, Bl. 311, 427 f. Die Altersversorgung, Bl. 513. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 390 f. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 717. 34 Versorgungswerk. Begründung, Bl. 391. Die Altersversorgung, Bl. 513. Allgemeine Darstellung, Bl. 312, 428. 35 Der Erwerbsunfähige war allerdings insofern bessergestellt, als dass er eine Einkommensgarantie erhielt, die der Gesunde nicht hatte. Die Altersversorgung, Bl. 513. Vgl. auch Allgemeine Darstellung, Bl. 312, 428. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 391. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 718 f.

2. Die Leistungen des „Versorgungswerks“

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Bei der Feststellung der Invalidität sollte zunächst durch ein medizinisches Gutachten die „Arbeitseinsatzfähigkeit“ überprüft werden. Auf der Grundlage dieses Gutachtens entschied die Arbeitseinsatzstelle über Art und Umfang der weiteren Beschäftigung. Dem Invaliden musste dabei keine gleichwertige, sondern lediglich eine zumutbare Arbeit zugewiesen werden. Inwiefern ein Ausgleich durch den „Beschädigtensold“ in Betracht kam, richtete sich nach dem Berufsbild und dem bisherigen Verdienst. Der „Beschädigtensold“ sollte den Verdienst des nur noch bedingt arbeitsfähigen Invaliden jedoch nicht auf das bisherige individuelle Arbeitsentgelt, sondern lediglich auf den Regelverdienst der jeweiligen Berufsgruppe ergänzen. War die „Möglichkeit einer gleichwertigen Vollarbeit oder einer zumutbaren Arbeit mit dem früheren Verdienst auf der Grundlage des Regeleinkommens der Ausgangsgruppe“ nicht mehr gegeben, sollte „der Unterschied zwischen diesem und dem niedrigeren Arbeitsverdienst durch den Beschädigtensold ausgeglichen“ werden. Kriegs- und Arbeitsunfallinvaliden sollten dabei eine bevorzugte Behandlung erfahren.37 Neben der Alters- und Invalidenversorgung umfasste das geplante „Versorgungswerk“ auch eine Hinterbliebenenversorgung, die sich insbesondere im Vergleich zur Angestelltenversicherung erheblich vom bisherigen Recht unterschied. Unter dem Deckmantel einer angeblichen Gleichstellung der Geschlechter sollte der Grundsatz „Arbeit geht vor Versorgung“ auch in der „Familienversorgung“ zur Anwendung kommen: „Im übrigen bedeutet die Durchführung dieser Grundsätze, dass jede Frau die gleichen Versorgungsrechte, allerdings auch die gleichen Pflichten hat wie der Mann.“38 Wem eine Arbeit zugemutet werden konnte, dem sollte auch keine Versorgung zustehen. Ausgenommen von der Pflicht zur Arbeit waren Witwen mit mindestens drei Kindern oder Kindern unter fünf Jahren sowie Witwen, die das 45. Lebensjahr überschritten hatten oder erwerbsunfähig waren. Die Vollendung des 65. Lebensjahres bildete im Gegensatz zu den Bestimmungen in der öffentlichen Rentenversicherung keine Anspruchsvoraussetzung. Hatte zuvor keine Versorgungsberechtigung bestanden, sollte sich dies auch nicht mit Erreichen der Altersgrenze ändern. Sofern die Witwe nicht wieder heiratete, war sie allein auf die nach dem Tod ihres Mannes erworbenen eigenen Ansprüche angewiesen.39 Damit entfiel zugleich die unterschiedliche Behandlung von Arbeiter36 Allgemeine Darstellung, Bl. 308 f., 312, 409, 428, 432. Die Altersversorgung, Bl. 512 ff. Erste Skizze, Bl. 1500 f., 1516, 1526 ff. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 673 f., 719. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 382 ff., 395. Die Altersversorgung, Bl. 507 f. Das Versorgungswerk des Deutschen Volkes. I. Entwurf und Motivierung, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 337, Fiche 209 – 210, Bl. V 428 – 485, hier 442 f., 463 f. 37 Versorgungswerk. Begründung, Bl. 392 ff. 38 Allgemeine Darstellung, Bl. 349. 39 Allgemeine Darstellung, Bl. 432 f. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 395 f. Versorgungswerk. Entwurf und Motivierung, Bl. 446. Versicherung oder Versorgung, Bl. 207. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 726 f.

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IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk

und Angestelltenwitwen, so dass fortan allen Frauen die gleichen Pflichten als „Mütter der künftigen Geschlechter“ auferlegt waren.40 Ähnlich wie bei der Alters- und Invalidenversorgung untergliederten sich die Versorgungsleistungen in einen „Witwensold“ und ein „Witwengeld“, je nachdem, ob eine versorgungsberechtigte Witwe einer Erwerbstätigkeit nachging oder nicht. In den ersten drei Monaten nach dem Tod des „Familienernährers“ sollte ein „Witwengeld“ in Höhe des „Beschädigten- oder Altersruhegeldes“ des verstorbenen Ehemannes gewährt werden, danach sollten die Zuwendungen auf die Hälfte des Ruhegeldes gekürzt werden. Mit 50 Prozent der Versorgungsleistungen des Verstorbenen war das „Witwengeld“ äußerst knapp bemessen. Im Arbeitswissenschaftlichen Institut galten indes gewisse Einschränkungen der Lebensführung als durchaus zumutbar und zum Teil sogar erstrebenswert, stellten sie doch einen Anreiz zur Aufnahme einer Beschäftigung oder zu einer bevölkerungspolitisch erwünschten neuen Eheschließung dar.41 Der „Witwensold“ sollte ein Drittel des Witwengeldes betragen und stellte eine Anerkennung für die Einsatzbereitschaft derjenigen dar, die trotz eines bestehenden Versorgungsanspruchs einer Erwerbstätigkeit nachgingen. Erwerbstätige Witwen stellten sich damit finanziell besser als Nichterwerbstätige und erwarben zusätzlich eigene Versorgungsansprüche, die später den abgeleiteten Anspruch auf das niedrigere „Witwengeld“ ersetzen sollten.42 Ein „Waisengeld“ in Höhe von monatlich 25 RM sollte die Einkommenssituation der Hinterbliebenen verbessern, wobei die Gesamtzahlungen den Versorgungsanspruch des Verstorbenen nicht übersteigen durften.43 Neben diesen Regelleistungen sah das „Versorgungswerk“ die Gewährung zusätzlicher Gratifikationen vor, die ausschließlich besonders verdienten „Volksgenossen“ zugute kommen sollten. Der geplante „Ehrensold“ sollte all jene, die „bei aktivem Einsatz ihrer Person im Dienst oder Beruf ( . . . ) zu Schaden gekommen“ waren, für die seelischen Belastungen ihrer verminderten Erwerbsfähigkeit entschädigen. Als Ausdruck „einer Dankesschuld der Gemeinschaft“ gegenüber „Kriegsbeschädigte[n, die Verf.], Opfer[n, die Verf.] der Arbeit und Volksgenossen“, die bei einer Tätigkeit im öffentlichen Interesse eine Verletzung erlitten hatten, kam dem „Ehrensold“ in erster Linie ideelle Bedeutung zu.44 Je nach der Art Ley, Staatssozialismus, Bl. 2233. Recker, S. 104. 42 Versorgungswerk. Begründung, Bl. 396. Allgemeine Darstellung, Bl. 433. Erste Skizze, Bl. 1504. Versorgungswerk. Entwurf und Motivierung, Bl. 446. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 727 f. 43 Die Altersversorgung, Bl. 514 ff. Allgemeine Darstellung, Bl. 313 f., 433. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 396. Versorgungswerk. Entwurf und Motivierung, Bl. 447. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 728. 44 Unter „aktivem Einsatz“ wurden auch Berufskrankheiten verstanden, sofern sie zu einem Katalog von Krankheiten gehörten, die nachgewiesener Maßen durch die Arbeitstätigkeit hervorgerufen wurden. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 397 f., 399. Allgemeine Darstellung, Bl. 314, 434. Die Altersversorgung, Bl. 516. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 729 ff. 40 41

2. Die Leistungen des „Versorgungswerks“

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des Einsatzes und dem Grad der Invalidität sollte der „Ehrensold“ zwischen 30 RM und 100 RM monatlich betragen; anderweitige Versorgungsansprüche oder Einkommen durften nicht angerechnet werden.45 Aus ideologischen und bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten sollte kinderreichen Müttern im „Versorgungswerk“ eine besondere Anerkennung zu Teil werden. „Neben den Soldaten“, hieß es zur Begründung, seien es vor allem die kinderreichen Frauen, die „ihr Leben für den Bestand und die Zukunft der Nation eingesetzt und der Volksgemeinschaft Opfer gebracht haben ( . . . ), um der Nation Kinder zu schenken, die zu ihrer Erhaltung und Stärkung notwendig sind“.46 Als „Dank der Gemeinschaft für den Beitrag der kinderreichen Mütter zum Fortbestand und zur Stärkung der Volkskraft“ sollte den Inhaberinnen des „Ehrenkreuzes der deutschen Mutter“ nach Vollendung des 65. Lebensjahrs ein sogenannter „Muttersold“ gewährt werden.47 Die Zuwendungen sollten für Inhaberinnen des bronzenen Ehrenkreuzes 10 RM, für Inhaberinnen des silbernen Ehrenkreuzes 15 RM und für Inhaberinnen des goldenen Ehrenkreuzes 20 RM monatlich betragen.48 Wie die Planer des Arbeitswissenschaftlichen Instituts betonten, bestand die Funktion des „Versorgungswerks“ in erster Linie darin, den „erbgesunden Volksgenossen“ und ihren Hinterbliebenen im Alter sowie bei Invalidität oder Tod eine „angemessene oder typische Lebenshaltung“ zu garantieren. Die Versorgungsleistung sollte daher nicht nur nach unten, sondern auch hinsichtlich ihrer Maximalhöhe begrenzt werden. Es könne nicht Aufgabe der „Volksgemeinschaft“ sein, hieß es im Entwurf, dem Einzelnen einen „persönliche[n, die Verf.] Lebenszuschnitt“ zu gewährleisten, der „sich zusehends von der üblichen Lebenshaltung“ entferne.49 Die Leistungen des „Versorgungswerks“ sollten daher auf einen Betrag von 250 RM monatlich, die sogenannte „Höchstversorgung“, begrenzt werden. Die „Versorgungsgrenze“, die die Gesamteinkünfte der Versorgungsberechtigten aus Versorgungsansprüchen und anderweitigen Einkommen – der Arbeitsverdienst war von der Anrechnung ausgenommen – nicht übersteigen durften, sollte 400 RM im Monat betragen. Diese Grenze war nach Ansicht des Arbeitswissenschaftlichen Instituts so bemessen, dass „im Regelfall dem sparsamen Volksgenossen seine Einnahmen aus Ersparnissen oder sonstigen Quellen (auch private Zusatzversorgungseinrichtungen) in vertretbarer Weise zugute“ kämen und zugleich eine BesserstelAllgemeine Darstellung, Bl. 314, 436 f. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 399. Allgemeine Darstellung, Bl. 346. 47 Die Altersversorgung, Bl. 517. Allgemeine Darstellung, Bl. 314. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 733 f. 48 Die Altersversorgung, Bl. 516 f. Allgemeine Darstellung, Bl. 314, 436 f. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 399. Versicherung oder Versorgung, Bl. 208. – Inhaberinnen des bronzenen Ehrenkreuzes hatten vier bis fünf Kinder, Inhaberinnen des silbernen Ehrenkreuzes sechs bis sieben Kinder und Inhaberinnen des goldenen Ehrenkreuzes acht und mehr Kinder. 49 Allgemeine Darstellung, Bl. 409 f. 45 46

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IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk

lung gegenüber den Erwerbstätigen vermieden werde.50 Wenn beide Ehepartner erwerbstätig waren, konnten zwar beide Partner einen selbständigen Versorgungsanspruch geltend machen, die Versorgungsleistungen durften jedoch zusammen die „Höchstversorgung“ bzw. die „Versorgungsgrenze“ nicht übersteigen.51 Diese Anrechnungsvorschriften sollten die Bezieher niedriger Einkommen mit geringen zusätzlichen Einkünften begünstigen und gemeinsam mit dem Grundbetrag eine teilweise Nivellierung der Alterseinkommen bewirken.52

3. Von der Kapitaldeckung zum Umlageverfahren Das bisherige Kapitaldeckungsverfahren sowie die damit verbundene strenge Äquivalenz von Beitrag und Leistung wurden von den Sozialplanern des Arbeitswissenschaftlichen Instituts strikt abgelehnt. Das Äquivalenzprinzip, so die Kritik, wirke sich in doppelter Hinsicht nachteilig für die Versicherten aus. Da bei der Rentenberechnung alle während des Erwerbslebens geleisteten Beiträge gleichmäßig berücksichtigt würden, müssten die Renten zwangsläufig deutlich hinter dem letzten Arbeitsverdienst zurückbleiben. Nach der Festsetzung der Rente verschlechtere sich die relative Einkommensposition der Rentenempfänger zusätzlich in dem Maße, in dem sich der allgemeine Lebensstandard verbessere.53 Eine Rentenversicherung, die auf der Ansammlung von Kapitalien und deren Verzinsung beruhe, wälze zudem das Risiko von Geldwertveränderungen auf ihre Leistungsempfänger ab. Das „Kapital- und Zinsprinzip“ sei daher für eine „volksgemeinschaftliche Regelung der Altersversorgung“ ungeeignet.54 Die aus dem Kapitaldeckungsverfahren resultierende vermeintliche Unabhängigkeit der Rentenversicherung vom Reichshaushalt war nach Ansicht des Arbeitswissenschaftlichen Instituts eine reine Fiktion. Die Rücklagen der Rentenversicherung seien zum größten Teil in öffentlichen Anleihen angelegt, und durch den Reichsbeitrag sowie die Liquidationsgarantie sei der Staat zudem direkt an der 50 Ebenda, Bl. 315, 410 f. Die Altersversorgung, Bl. 518. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 372 ff. Erste Skizze, Bl. 1501. Versorgungswerk. Entwurf und Motivierung, Bl. 438 f., 448, 474 ff. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 696 ff. Versicherung oder Versorgung, Bl. 208. 51 Der Grundbetrag dagegen wurde nur einmal gewährt. Die Altersversorgung, Bl. 519. Vgl. auch Erste Skizze, Bl. 1505, 1519 ff. Versorgungswerk. Entwurf und Motivierung, Bl. 448. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 737 f. Versicherung oder Versorgung, Bl. 208. 52 Die Altersversorgung, Bl. 517 ff. Allgemeine Darstellung, Bl. 315 f., 439. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 402. – Die einkommensnivellierende Wirkung des Versorgungswerks wird in der älteren Literatur allerdings häufig überbetont. Vgl. Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 299. Teppe, S. 246. 53 Mögliche Formen, S. 92 f. 54 Versorgungswerk. Begründung, Bl. 331 f. Allgemeine Darstellung, Bl. 370 f. Vgl. auch Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 613, 775. Grundsätze des zu schaffenden Altersversorgungswerks, Bl. 877, 889 ff., 921 f. Volkswirtschaftliche Grundprobleme, S. 310.

3. Von der Kapitaldeckung zum Umlageverfahren

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Finanzierung der Rentenversicherung beteiligt und besäße damit einen erheblichen Einfluss auf die öffentliche Rentenversicherung. Ohnehin sei eine finanzielle Unabhängigkeit der Rentenversicherung grundsätzlich nur insofern notwendig und gerechtfertigt, als sich die Bürger gegen Übergriffe und Missgriffe der Staatsführung schützen müssten. Im nationalsozialistischen „autoritären Volksstaat“ sei dieser Antagonismus jedoch überwunden. Die Unabhängigkeit der Rentenversicherung sei daher überflüssig geworden und stehe letztlich sogar im Widerspruch zur nationalsozialistischen Sozialverfassung.55 In Anlehnung an Keynes „Kreislauftheorie“ wurde das Kapitaldeckungsverfahren im Arbeitswissenschaftlichen Institut als „volkswirtschaftlicher Umweg“ prinzipiell verworfen und sollte durch ein Umlageverfahren ersetzt werden. Die Ansammlung eines Deckungskapitals, so die Analyse des Instituts, bedeute zunächst eine Umschichtung vom Verbrauch zu Investitionen. Die Auszahlung von Renten sei wiederum gleichbedeutend mit einer erneuten Umschichtung; diesmal von Investitionen zum Verbrauch. Die Zinsen und Tilgungsbeträge, die durch diese Kapitalreserve erwirtschaftet würden, müssten jedoch stets aus dem jeweiligen Volkseinkommen bestritten werden, so dass die Ansammlung eines Deckungsstocks letztlich keine Entlastung für die Volkswirtschaft bedeute.56 Die Mittel für gegenwärtige und künftige Rentenleistungen könnten immer nur aus dem Volkseinkommen der jeweiligen Periode entnommen werden, so dass die „Verteilung des volkswirtschaftlichen Produktionsertrages zwischen [der älteren Generation, die Verf.] und den Schaffenden“ letztlich ein Problem der intergenerationalen Umverteilung darstelle:57 „Die Mittel für das Versorgungswerk hat die jeweils arbeitende Generation aufzubringen. Auf diese Weise ist allein einerseits die vorangehende Generation zu sichern und hat andererseits die gegenwärtige Generation die Gewähr, dass sie dereinst auf dieselbe Weise in den wirklichen Genuß der Versorgungsleistungen kommen kann.“58

Die zweckmäßigste Methode der Umverteilung zwischen den Erwerbstätigen und den Nicht-mehr-Erwerbstätigen war nach Ansicht des Arbeitswissenschaft55 Allgemeine Darstellung, Bl. 365 f. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 326 f. Versicherung oder Versorgung, Bl. 229 f. Robert Ley, Gedanken zur Altersversorgung. Artikelserie, in: Der Angriff, Nr. 258 vom 25. 10. 1940 bis Nr. 62 vom 13. 3. 1941. Zit. nach Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 157, Fiche 110 – 111, Bl. G 81 – 109, hier 98 ff. Mögliche Formen, S. 90. 56 In diesem Punkt irrten die Sozialplaner des AWI, da Investitionen in der Zukunft zu einer höheren Produktivität führen, die wiederum eine künftige Entlastung der Volkswirtschaft bedeutet. 57 Die Altersversorgung, Bl. 488. Ley, Gedanken zur Altersversorgung, Bl. 92 f. Vgl. auch Bühler, S. 152 f. 58 Versorgungswerk. Entwurf und Motivierung, Bl. 461. Allgemeine Darstellung, Bl. 394 f. Vgl. auch Volkswirtschaftliche Grundprobleme, S. 312. Bühler, S. 152 f. – „Die schaffende Generation muß ihre Kinder ernähren und ausbilden, und sie muß zum anderen den Alten und Invaliden das Leben ermöglichen, das diese schon dadurch verdient haben, daß sie die verdienende Generation großgezogen haben.“

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IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk

lichen Instituts die unmittelbare Kaufkraftübertragung durch das Umlageverfahren: „Jede Generation baut ihr Werk in wesentlichen Teilen auf den Leistungen der vorangegangenen auf. Es entspricht daher der Gerechtigkeit, wenn die Schaffenden einen Teil ihres Arbeitsertrags den Volksgenossen überlassen, die ihre Kräfte im Dienste der Gemeinschaft verbraucht haben.“59

Erst das Umlageverfahren ermögliche die angestrebte Anpassung der Transferleistungen aus der öffentlichen Rentenversicherung an die Entwicklung der Erwerbseinkommen und damit die künftige Teilhabe der älteren Generation an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung.60 Und auch die notwendige Anbindung der laufenden „Realversorgung der Alten und Arbeitsunfähigen“ an die allgemeine Kaufkraftentwicklung, die es gestatte einer inflationären Abwertung der Versorgungsleistungen vorbeugen, sei nur im Rahmen eines Umlageverfahrens zu verwirklichen.61 Zur Finanzierung der angestrebten Altersversorgung standen nach Einschätzung des Arbeitswissenschaftlichen Instituts grundsätzlich zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Entweder müsse der private Konsum der Erwerbstätigen zugunsten der älteren Generation beschränkt werden, oder die Investitionen müssten zugunsten des privaten Konsums zurückgestellt werden. Letzteres scheide jedoch prinzipiell aus, da die Zurückstellung von Investitionen zu einer Verringerung der Produktion und damit zu einem Rückgang des Volkseinkommens führe.62 Aber auch die erste Variante stelle letztlich keine Alternative dar, da der Lebensstandard der erwerbstätigen Bevölkerung ohnehin so niedrig sei, dass eine weitere Verschlechterung politisch nicht vertretbar scheine.63 Die Finanzierung der Altersversorgung könne daher künftig ausschließlich auf der Grundlage der zu erwartenden Produktivitätszuwächse erfolgen. Die Höhe des Versorgungsaufwands müsse sich an der Entwicklung des Sozialprodukts orientieren, dessen dauerhaft steigende Tendenz angesichts der kriegerischen Eroberungen als sicher gelten könne. Das Arbeitswissenschaftliche Institut rechnete beim Bruttosozialprodukt mit einem jährlichen Zuwachs von 2,5 bis drei Prozent, und der Anstieg der Arbeitsproduktivität wurde 59 Das AWI der DAF an Staatssekretär Krohn, 03. 10. 1942, BArch R 3901 / alt R 41 / 650. Anlage: Versorgungswerk des Deutschen Volkes. Gesetzentwurf mit kurzer Erläuterung. 60 Grundsätze des zu schaffenden Versorgungswerks, Bl. 810 f. Allgemeine Darstellung, Bl. 394. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 526, 540. Ley, Staatssozialismus, Bl. 2233. Versicherung oder Versorgung, Bl. 238. 61 Das Versorgungswerk. Begründung, Bl. 355, 357 ff. Die Altersversorgung, Bl. 488 f., 506. Allgemeine Darstellung, Bl. 396. Erste Skizze, Bl. 1517. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 550, 553. Vgl. auch Bühler, S. 153. 62 Volkswirtschaftliche Grundprobleme, S. 313. Die sozialen Aufgaben, S. 43. Bühler, S. 159. Vgl. auch Überblick über die für ein Versorgungswerk möglichen Finanzierungsverfahren. 63 Sozialwirtschaftliche Bilanz, S. 45. Ley, Gedanken zur Altersversorgung, Bl. 92 f. Allgemeine Darstellung, Bl. 390. Bühler, S. 161.

3. Von der Kapitaldeckung zum Umlageverfahren

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auf durchschnittlich ein bis 1,5 Prozent pro Jahr geschätzt, so dass eine jährliche Zunahme des Volkseinkommens von einem bis zwei Prozent realistisch erschien.64 Den Finanzbedarf der geplanten Altersversorgung schätzte das Arbeitswissenschaftliche Institut auf der Grundlage des Rechnungsjahrs 1937 / 38 auf etwa 8 bis 8,5 Milliarden RM jährlich. Im Vergleich zu den bisherigen Ausgaben der öffentlichen Rentenversicherung in Höhe von 5,5 Milliarden RM ergab sich ein Mehrbedarf von rund 3 Milliarden RM pro Jahr.65 Diesen Anstieg der Kosten auf das 1,5-fache der bisher für die staatliche Alterssicherung aufgewandten Mittel, hielt das Arbeitswissenschaftliche Institut jedoch auf Grund der zu erwartenden Produktivitätszuwächse und der geplanten Ausweitung des Versichertenkreises für vertretbar. Von den teilweise bereits realisierten bevölkerungs- und gesundheitspolitischen Maßnahmen erhoffte man sich zudem eine deutliche Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen sowie eine erhebliche Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft.66 Die Arbeiten am „Versorgungswerk“ wurden von einer breit angelegten Pressekampagne begleitet, die das komplexe Problem einer Neuordnung der Alterssicherung auf die griffige Formel „Versicherung oder Versorgung“ reduzierte.67 In einer Artikelserie im Angriff unter dem Slogan „Der Staatssozialismus setzt sich durch“ sowie in einem umfangreichen Beitrag im Jahrbuch des Arbeitswissenschaftlichen Instituts, die das geplante „Versorgungswerk“ in den Kontext der Bismarckschen Sozialgesetzgebung stellten, gerierten sich Ley und die Deutsche Arbeitsfront „als Vollstrecker der ,eigentlichen‘ Intention Bismarcks“ und als Nachkommen der „Arbeiterpartei“.68 Vor allem Bismarcks Bemerkung über den „geheimrätlichen Wechselbalg“ wurde zum Kronzeugnis für die Vorteile des Versorgungsprinzips und sollte der geplanten Altersversorgung gleichzeitig die nötige historische Legitimation verschaffen.69 64 Das Versorgungswerk. Begründung, Bl. 353. Grundsätze des zu schaffenden Versorgungswerks, Bl. 858. Allgemeine Darstellung, Bl. 392. Die volkswirtschaftliche Problematik des Aufwandes für eine erweiterte Altersversorgung, Berlin 1938, in: Strategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 348, Fiche 217 – 218, Bl. V 1152 – 1187, hier 1168 f. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 534, 544, 547, 549. Vgl. auch Bühler, S. 160. 65 Die Altersversorgung, Bl. 523 ff. Allgemeine Darstellung, Bl. 462 f. Ley, Gedanken zur Altersversorgung, Bl. 92 f. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 425. Grundsätze des zu schaffenden Versorgungswerks, Bl. 912 ff. Versorgungswerk. Entwurf und Motivierung, Bl. 485. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 778. 66 Recker, S. 106. 67 Versicherung oder Versorgung, in: Soziale Praxis 49 (1940), Sp. 673 – 680. Versicherung oder Versorgung (Prinzip und Praxis). Vom Arbeitswissenschaftlichen Institut der DAF zur Verfügung gestellt, in: Soziale Praxis 51 (1942), Sp. 7 – 16. Vgl. auch Storck, Versorgung. 68 Die Artikel im „Angriff“ erschienen am 25. 10., 01. 11., 15. 11., 22. 11., 06. 12., 13. 12. 1940. Zit. nach Recker, S. 120. Bismarcks Sozialpolitik. Vgl. auch Bismarck und die Altersversorgung (1940), in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Nr. 73, Fiche 63, Bl. B 2073 – 2077. Das nationalsozialistische Altersversorgungswerk. 69 Recker, S. 119. Teppe, S. 243 f. Roth, Intelligenz, S. 167 – 176.

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IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk

Trotz der umfangreichen Legitimationsbemühungen stießen die Vorschläge sowohl bei den beteiligten Fachressorts als auch innerhalb der Parteiführung auf massiven Widerstand. Vor allem die finanziellen Dimensionen schienen unkalkulierbar und ließen die Entscheidungsträger des NS-Regimes vor einer Realisierung des ehrgeizigen Projekts zurückschrecken. Insbesondere im Reichsfinanzministerium, wo man mit Rücksicht auf die Kriegssituation bereits im Frühjahr 1941 auf eine Zurückstellung der Pläne Leys gedrungen hatte, bestanden schwerwiegende Bedenken gegen die beabsichtigte Staatsbürgerversorgung.70 Aber auch innerhalb der Parteiführung stieß der geplante „Versorgungsstaat“ auf teilweise heftige Kritik.71 Die Reichsgruppe „Industrie“ stand den Vorstellungen Leys zur Reorganisation der Sozialversicherung ebenfalls ablehnend gegenüber und versuchte in Kontakten mit hohen Regierungsbeamten und den Führungsspitzen anderer Verbände, die geplante Altersversorgung zu unterlaufen.72 Im Januar 1942 beendete schließlich Hitler die Diskussion. Obgleich er selbst 1940 den Auftrag an Ley erteilt hatte, „die Grundlagen ( . . . ) einer umfassenden und großzügigen Altersversorgung ( . . . ) auszuarbeiten“, schloss er nun eine Realisierung der Reformpläne der Deutschen Arbeitsfront während des Krieges grundsätzlich aus und untersagte alle weiteren Vorarbeiten, da diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt „gänzlich gleichgültig“ seien.73 Ob für diese Entscheidung die Argumente der konservativen Ministerialbürokratie oder die veränderte militärische Lage im Winter 1941 / 42 ausschlaggebend waren, muss offen bleiben.

4. Die Zukunft der Alterssicherung: Wohlfahrtsstaat oder „Wohlverhaltensstaat“?74 Die nationalsozialistische Sozialpolitik hat in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend Beachtung in der Forschung gefunden und zu äußerst kontroversen Einschätzungen Anlass gegeben. Vor allem die Befürworter der Modernisierungsthese 70 Schreiben des RFM an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers, 20. 03. 1941, BArch R 3901 / alt R 41 / 28. Vgl. auch Recker, S. 114 ff. Teppe, S. 247 f. 71 Vermerk aus dem Reichsministerium der Finanzen vom 09. 05. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 10543. Fernschreiben von Pg. Dr. Klopfer an Bormann, betr. Erlassentwürfe von Reichsleiter Dr. Ley, Dezember 1943, in: Akten der Parteikanzlei, 103 22042 – 45. Vgl. auch Teppe, S. 244 f. 72 Recker, S. 118. 73 Aktenvermerk für Pg. Friedrichs, Pg. Dr. Klopfer und Pg. Tießler, 25. 12. 1942, BArch R 2 / 31093. Zit. nach Geyer, Soziale Sicherheit, S. 400. Vgl. auch Schreiben des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei Lammers an Ley, Januar 1942, BArch R 3901 / alt R 41 / 28. Der Leiter der Parteikanzlei an den Reichsleiter Ley, betr. Einführung der Altersversorgung, 02. 06. 1942, BArch NS 22 / 767. Der Leiter der Parteikanzlei an den Reichsmarschall Hermann Göring, betr. Einführung der Altersversorgung, 02. 06. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 103 22034. 74 Vgl. Teppe, S. 196.

4. Die Zukunft der Alterssicherung

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haben ihr Augenmerk verstärkt auf diesen Bereich der NS-Geschichte gerichtet, mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit in höherem Maße als bisher auf die „progressiven“ Elemente des Nationalsozialismus zu lenken. Der Nationalsozialismus, so das Urteil, habe „auf verschiedenen sozialpolitischen Gebieten beachtliche Fortschritte“ gebracht, die „,progressiv‘ waren, ( . . . ) versteht man darunter eine Entwicklung auf mehr Chancengleichheit, Wohlstand und Sozialstaatlichkeit“.75 Die von der Deutschen Arbeitsfront geplante Nachkriegssozialordnung habe „egalisierende Momente von einiger Radikalität“ enthalten, sei „ihrer Zeit voraus“ gewesen und habe die heutige Entwicklung vorweggenommen.76 Vor allem die angestrebte „Dynamisierung“ der Leistungen und die damit verbundene Erhöhung der Renten sowie die geplante Vereinheitlichung des Leistungsrechts haben vielfach zu einer positiven Bewertung des „Versorgungswerks“ geführt. In der Tat war das beabsichtigte Versorgungsniveau im Vergleich zu den Leistungen des bestehenden Alterssicherungssystems hoch. Allein die in Aussicht gestellte Mindestversorgung überstieg die Durchschnittsrente in der Arbeiterversicherung deutlich, und die Anbindung der Rentenhöhe an den Verdienst der letzten zehn Jahre hätte „die wirtschaftliche und soziale Lage vieler Rentenempfänger mit einem Schlag verbessert“.77 Für eine nicht zu vernachlässigende Minderheit der Rentenempfänger – daran bestand auch unter den Sozialplanern im Arbeitswissenschaftlichen Institut kein Zweifel – wäre die Realisierung des „Versorgungswerks“ allerdings mit einschneidenden Einkommenseinbußen verbunden gewesen. Vor allem in der knappschaftlichen Pensionsversicherung waren die Renten deutlich höher als die geplanten Leistungen des „Versorgungswerks“, und auch besser verdienende Angestellte mussten unter Umständen mit Rentenminderungen rechnen. Die Abschaffung der Unterschiede im Leistungsrecht für Arbeiter und Angestellte sowie die Einbeziehung weiterer gesellschaftlicher Gruppen in die Altersversorgung bedeuteten zwar einen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Recht.78 Die Einbeziehung von Selbständigen und Unternehmern blieb jedoch solange fragwürdig, als aus den Planungen nicht ersichtlich war, in welcher Relation die Beiträge zu den daraus resultierenden Leistungen stehen würden. Überhaupt blieb der Entwurf hinsichtlich der Beitragsgestaltung äußerst vage und ließ damit die Frage, wie die Bilanz aus Leistung und Gegenleistung für die je unterschiedlichen Einkommensschichten aussehen würde, gänzlich unbeantwortet.79 Der im „Versorgungswerk“ enthaltene Grundgedanke einer umlagefinanzierten „dynamischen“ Rente hat einige Forscher dazu verleitet, die Neuordnungspläne Leys als Vorläufer der bundesrepublikanischen Rentenreform zu interpretieren.80 75 76 77 78 79

Zitelmann, Die totalitäre Seite der Moderne, S. 17. Ders., Adolf Hitler, S. 122. Schulz, Diskussion, S. 117. Smelser, Robert Ley, S. 300. Ders., Sozialplanung, S. 83. Teppe, S. 246. Recker, S. 106. Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 297 ff. Recker, S. 107. Recker, S. 108.

174

IV. Die Pläne der Deutschen Arbeitsfront: Das Altersversorgungswerk

Ein Vergleich des Beveridge-Plans mit dem „Versorgungswerk des deutschen Volkes“ führte Hockerts 1983 zu der Schlussfolgerung, Robert Ley sei „– um es ganz überspitzt zu sagen – in gewisser Hinsicht ( . . . ) der deutsche William Beveridge“ gewesen.81 Recker betont in ihrer abschließenden Bewertung der nationalsozialistischen Sozialpolitik zwar, „daß nach dem Ende des Dritten Reichs die Besatzungsmächte wie die Vertreter der deutschen Parteien in Ost und West in ihren sozialpolitischen Vorstellungen nicht an den Konzepten aus der nationalsozialistischen Zeit anknüpften“, erklärt aber zugleich den „Generationenvertrag“ zur „Grundlage aller Überlegungen zur neuen Altersversorgung“ und rückt die Neuordnungspläne Leys damit zumindest indirekt in die Nähe der bundesrepublikanischen Rentenreform von 1957.82 Am deutlichsten vertritt Martin Broszat die These, die Pläne Leys hätten die Reformdiskussion in der Bundesrepublik erheblich beeinflusst. Leys Entwurf einer Staatsbürgerversorgung habe „Grundgedanken“ wie beispielsweise die „staatliche Renten-Garantie“ und die „dynamische Rentenanpassung“ enthalten, die „später wiederkehrten und die Sozialversicherungsgesetzgebung der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren zu einer bedeutenden Errungenschaft machten“.83 Der Nationalsozialismus habe einen „Schub progressiver sozialpolitischer Neuerungen“ gebracht, so dass „nicht alles, was sich in der NS-Zeit ereignete ( . . . ), ( . . . ) nur den diktatorischen und inhumanen Herrschaftszielen des Regimes“ gedient habe.84 Zweifellos standen die Sozialplanungen der Deutschen Arbeitsfront in der Tradition einer längeren Reformdiskussion und sind im Kontext einer ganzen Reihe sozialpolitischer Reformprojekte, beispielsweise in Großbritannien, Schweden oder Norwegen, zu betrachten.85 Ein direkter Einfluss der Neuordnungsvorstellungen der Deutschen Arbeitsfront auf die rentenpolitische Reformdiskussion der frühen Bundesrepublik lässt sich jedoch nicht nachweisen. „Niemals fiel während der Debatten in den fünfziger Jahren der Name Ley.“86 In seiner fast 500-seitigen Studie zur alliierten und deutschen Sozialversicherungspolitik nach 1945 erwähnt Hockerts den Namen Ley nur ein einziges Mal – und zwar als Gegenspieler von Johannes Krohn, dem Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium – und vermag Parallelen zur bundesdeutschen Rentenversicherungsreform ausschließlich in den früheren Plänen der Arbeitnehmerorganisationen zu entdecken.87 80 Für einen zusammenfassenden Überblick der Diskussion über die modernisierenden Elemente in der nationalsozialistischen Sozialpolitik vgl. Elsner, „in gewisser Hinsicht ( . . . )“. 81 Hockerts, Sicherung, S. 309. Vgl. auch Ders., Hundert Jahre Sozialversicherung, S. 383. 82 Recker, S. 99, 301. So auch Ritter, S. 69 f. 83 Broszat, Plädoyer, S. 383. 84 Ebenda. 85 Elsner, S. 87. Prinz spricht vor dem Hintergrund internationaler Vergleiche von einer „Parallelaktion“. Prinz, Die soziale Funktion, S. 324. 86 Elsner, S. 83. 87 Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen, S. 27.

4. Die Zukunft der Alterssicherung

175

Die vermeintliche Analogie zwischen der nationalsozialistischen Sozialplanung und der Reformdiskussion der fünfziger Jahre beruhte nicht auf einer direkten Rezeption der Pläne Leys, sondern resultierte vielmehr aus einer sich intensivierenden Auseinandersetzung mit der „Kreislauftheorie“ Keynes’, die den Sozialordnungen sowohl der Kriegs- als auch der Nachkriegszeit zu Grunde lag.88 Davon abgesehen bestanden jedoch gravierende Unterschiede: Während das Programm einer wachstumsorientierten dynamischen Rente in der Bundesrepublik auf dem Grundsatz der intergenerationalen Umverteilung basierte, beabsichtigte das NSRegime „die staatlich finanzierten, dem Wirtschaftswachstum angepaßten Leistungen mittels äußeren Machtgewinns“ sicherzustellen; „denn nur darin sah man die Voraussetzungen für den zu schaffenden Wohlstand“. In dem „Gedanken, daß nach dem Krieg just die zentralen finanziellen Probleme gelöst sein würden, die seit zwei Generationen einer ,progressiven‘ Sozialreform im Wege gestanden ( . . . ) hatten“, lag das ns-spezifische Moment der sozialpolitischen Nachkriegsplanungen der Deutschen Arbeitsfront.89 In der Abkopplung der Versorgungsansprüche von den geleisteten Versicherungsbeiträgen und ihrer Verknüpfung mit einer nur vage definierten Arbeitspflicht offenbarte sich ein weiteres spezifisches Merkmal der nationalsozialistischen Sozialpolitik. An die Stelle des Rechtsanspruchs trat die Bindung an ein allgemeines politisches und soziales Wohlverhalten und verwandelte das System der sozialen Sicherung in ein Disziplinierungsinstrument zur Ausplünderung der Arbeitskraft.90 Die unverkennbar repressiven Züge des „Versorgungswerks“ blieben auch der Öffentlichkeit nicht verborgen: „Sozialversicherung, ja, das ist unser Recht, das müssen wir kriegen“, klagte ein Berliner Vorarbeiter, „das mit Ley, ja, wenn’s Geld nicht mehr langt, Pille, weg sind wir“.91 Als Kompensation für Unterdrückung und Ausbeutung bot das geplante „Versorgungswerk“ der deutschen Bevölkerung – insbesondere der Arbeiterschaft – die Teilhabe an der künftigen Wohlstandsentwicklung und die sozialpolitische Vorrangstellung gegenüber den Bewohnern der besiegten und „befreundeten“ Nachbarländer.92 Durch die Verbindung von Disziplinierung und partieller Integration war das „Versorgungswerk“ wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Sozialstrategie zur langfristigen Herrschaftssicherung, die zugleich die „innere Front“ stabilisieren half, indem sie der Bevölkerung eine Belohnung für ihre Opfer und Entbehrungen während des Krieges versprach.

88 Für die Bundesrepublik ist in diesem Zusammenhang auf die viel zitierte Aussage Mackenroths zu verweisen, „daß aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß“. Mackenroth, Reform der Sozialpolitik. 89 Geyer, Soziale Sicherheit, S. 399. Vgl. auch Teppe, S. 247. Roth, Intelligenz, S. 171. Linne, S. 24. 90 Recker, S. 101, 107. Teppe, S. 247. Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 301. Tennstedt, Sozialpolitik, S. 195. 91 Zit. nach Eckert, Neugestaltung, S. 53. 92 Vgl. auch Recker, S. 85. Teppe, S. 247. Prinz, Vom neuen Mittelstand, S. 247.

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme 1. Die Zusammensetzung der Alterseinkommen Die Leistungen der öffentlichen Rentenversicherung waren für einen Großteil der älteren Generation zwar die wichtigste, aber längst nicht die einzige Einkommensquelle. Zusätzliche Einkünfte aus Erwerbstätigkeit oder Untervermietung, aus Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung oder Lebensversicherungsverträgen sowie weitere staatliche Versorgungsleistungen und die Unterstützung durch andere Haushaltsmitglieder oder Verwandte stellten eine notwendige Ergänzung zu den vielfach kärglichen Transferleistungen aus der öffentlichen Rentenversicherung dar.1 Dabei trafen jedoch in der Regel hohe Renten aus der öffentlichen Rentenversicherung mit hohen Einkünften aus anderweitigen Einkommensquellen zusammen. Die Bezieher niedriger Renten verfügten dagegen seltener über zusätzliche Einkünfte und waren daher häufig auf die Leistungen der öffentlichen Fürsorge angewiesen. Nach einer Untersuchung des Vereins für öffentliche und private Fürsorge aus dem Jahr 1929 zur Lage der Sozialrentner bezogen in den Stadtkreisen 30 Prozent und in den Landkreisen knapp 22 Prozent der Rentenempfänger neben den Leistungen aus der öffentlichen Rentenversicherung Fürsorgeunterstützung. Die Gründe der Hilfsbedürftigkeit lagen in erster Linie in der geringen Höhe der Renten, dem hohen Alter der Unterstützten, ihrem mangelnden Zugang zum Arbeitsmarkt und dem Fehlen von Zusatzeinkommen. Zu den Fürsorgeempfängern gehörte eine große Zahl alleinstehender Frauen mit geringen Rentenansprüchen sowie Personen, die – wie beispielsweise Frührentner – auf Grund kurzer Erwerbsbiographien infolge von Krankheit und Invalidität nur geringe Rentenansprüche besaßen.2 Unter den Rentenempfängern, die ohne zusätzliche Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge auskamen, verfügten schätzungsweise 25 bis 30 Prozent der Personen neben ihrer Sozialrente über zwei oder mehr Einkommen. Bei den Unterstützten waren es dagegen höchstens fünf Prozent. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die unterstützen Sozialrentner kaum ein Interesse daran haben konnten, ihre Zusatzeinkommen allzu hoch erscheinen zu lassen, da sie sonst Gefahr liefen, die amtliche Bedürftigkeitsgrenze zu überschreiten. Neben den öffentlichen Transferleistungen stellte vor allem die Erwerbsarbeit eine wichtige Einkommensquelle dar. Von den nicht unterstützten Sozialrentnern bezog ein Fünftel der befragten 1 2

Conrad, Alterssicherung, S. 112. Vgl. auch Ders., Mixed Incomes. Geyer, Soziale Sicherheit, S. 407. Göckenjan / Hansen, S. 742.

1. Die Zusammensetzung der Alterseinkommen

177

Personen zusätzlich zur Rente ein Erwerbseinkommen, das in den Städten im Durchschnitt 160 RM und auf dem Land im Mittel 90 RM monatlich betrug. Unter den unterstützten Sozialrentnern gingen dagegen nach eigenen Angaben nur drei Prozent der Befragten einer Erwerbstätigkeit nach. Daneben trugen vor allem der Bezug weiterer staatlicher Versorgungsleistungen sowie zusätzliche Einkünfte aus Untervermietung, aus der betrieblichen Alterssicherung oder aus Lebensversicherungsverträgen dazu bei, das Alterseinkommen aufzubessern. Mehr als die Hälfte der Nichtunterstützen, aber nur knapp ein Viertel der Unterstützten verfügten über solche „sonstigen Einkommen“. In der ersten Gruppe betrugen diese Einkünfte in den Stadtkreisen im Schnitt 66 RM und in den Landkreisen im Durchschnitt 50 RM im Monat. In der zweiten Gruppe waren sie mit 20 RM bzw. 18 RM monatlich deutlich geringer. Von den Beziehern „sonstiger Einkommen“ erhielten fast ein Fünftel der Nichtunterstützten, aber nur ein kleiner Teil der unterstützen Sozialrentner zusätzliche Leistungen beispielsweise aus der Unfallsversicherung oder der Kriegsbeschädigtenfürsorge. Einen wichtigen Einkommensbestandteil bildeten ferner Ruhebezüge sowie Privatpensionen und freiwillige Sozialleistungen der Arbeitgeber (Abbildung 7). 70 55,6

Prozent

60

45,3

50 40 30 20

26,7

22

10 0

27,9

3,1

Erwerbseinkommen

Sonstige

Familienunterstützung

Quelle: Christoph Conrad, Vom Greis zum Rentner. Der Strukturwandel des Alters in Deutschland zwischen 1830 und 1930, Göttingen 1994, S. 313.

Abbildung 7: Anteil der Sozialrentner mit zusätzlichem Einkommen 1929

Ein großer Teil der Sozialrentner war darüber hinaus auf Sach- und Geldhilfen seitens ihrer Angehörigen angewiesen. Vor allem Witwen erhielten häufig Zuwendungen von Angehörigen; bei den Nichtunterstützten waren es 55 Prozent, bei den Unterstützten immerhin 35 Prozent.3 Die Bedeutung zusätzlicher Einkünfte für die Zusammensetzung der Haushaltseinkommen war hoch. Während die unterstützen Sozialrentner zu 92 Prozent von 3 Geyer, Soziale Rechte, S. 408. Conrad, Greis, S. 310 – 312. Vgl. auch Die Sanierung der Sozialversicherung und die Fürsorge.

12 Schlegel-Voß

178

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

öffentlichen Transferleistungen abhängig waren, machten die Leistungen der öffentlichen Rentenversicherung bei den Nichtunterstützten lediglich rund ein Drittel des Haushaltseinkommens aus. Ein knappes Drittel stammte aus Erwerbseinkommen; ein weiteres Drittel entfiel auf sonstige Einkommen (Abbildung 8). 60 47,8

50

Prozent

40

43,9

35,9

32,8

31,3

30 20 7,1

10 0

1,2

0 Rente

Unterstützung

Erwerbseinkommen

Sonstige

Quelle: Christoph Conrad, Vom Greis zum Rentner. Der Strukturwandel des Alters in Deutschland zwischen 1830 und 1930, Göttingen 1994, S. 313.

Abbildung 8: Die relative Bedeutung der Einkommensquellen von Sozialrentnern 1929

Dabei musste sich die materielle Lage der nicht unterstützten Sozialrentner, die ihre Bezüge durch anderweitige Einkommen so weit aufbesserten, dass kein Anspruch auf öffentliche Fürsorge bestand, allerdings nicht notwendiger Weise von der unterstützter Rentenempfänger unterscheiden.4 Die Erwerbsbeteiligung der über 65-Jährigen, die 1925 noch 30,8 Prozent betragen hatte, war infolge der Rationalisierungsmaßnahmen und des Personalabbaus während der Weimarer Republik kontinuierlich gesunken. Die Massenarbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise hatte diesen Trend weiter beschleunigt, so dass die Erwerbsquote der über 65-Jährigen 1933 nur noch knapp 20 Prozent betrug. In der Altersgruppe der 60 – 65-Jährigen hatte sich die Erwerbsquote im gleichen Zeitraum um 8,9 Prozentpunkte verringert und lag 1933 bei 45,7 Prozent. Vor allem die Erwerbsbeteiligung älterer Männer war stark zurückgegangen. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen betrug der Rückgang fast 19 Prozent, in der Altersgruppe der 60 – 65-Jährigen waren es 13,5 Prozent. Die Erwerbsbeteiligung älterer Frauen verringerte sich dagegen in beiden Altersgruppen lediglich um fünf Prozentpunkte und betrug 1933 bei den über 65-Jährigen 12,7 Prozent und bei den 60 – 65-Jährigen 26,7 Prozent. Mit dem Erreichen der Vollbeschäftigung und dem beginnenden Arbeitskräftemangel verbesserten sich die Chancen älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt deutlich, ihre Erwerbsbeteiligung stieg jedoch nur leicht 4

Geyer, Soziale Rechte, S. 408. Göckenjan / Hansen, S. 742 f.

1. Die Zusammensetzung der Alterseinkommen

179

an. 1939 betrug die Erwerbsquote in der Altersgruppe der über 65-Jährigen 21,2 Prozent, in der Altersgruppe der 60 – 65-Jährigen waren es 48,7 Prozent.5 Erst nach Beginn des Krieges stieg die Erwerbsbeteiligung der älteren Generation auf Grund des wachsenden Arbeitskräftemangels deutlich an. Das Reichsarbeitsministerium schätzte, dass 1943 etwa 70 Prozent der Rentenempfänger einer Erwerbsarbeit nachgingen.6 Über den Umfang der Beschäftigungsverhältnisse und ihre Bedeutung für die Einkommenssituation der Rentenempfänger lassen sich allerdings keine Aussagen treffen. Von dem scharfen Einbruch in der Erwerbsbeteiligung älterer Männer zwischen 1925 und 1933 waren vor allem die abhängig Beschäftigten betroffen. Der Anteil der Selbständigen an den über 65-jährigen Erwerbstätigen erhöhte sich dagegen von 50 auf 70 Prozent, um dann bis 1939 wieder um sieben Prozentpunkte zu sinken.7 1933 waren fast 58 Prozent aller Erwerbspersonen über 65 Jahren Selbständige, der Anteil der abhängig Beschäftigten betrug dagegen lediglich knapp 19 Prozent. Unter den Selbständigen waren 1933 rund zehn Prozent der Erwerbspersonen über 65 Jahre alt; bei den abhängig Beschäftigten war der Anteil der über 65-Jährigen im Gegensatz dazu mit 2,6 Prozent verschwindend gering.8 Ob die Erwerbstätigkeit vieler Selbständiger bis ins hohe Alter hinein freiwillig erfolgte oder aus ökonomischen Zwängen resultierte, muss offen bleiben. Die im Hinblick auf die Handwerkerversicherung gewonnenen Ergebnisse legen allerdings die Schlussfolgerung nahe, dass vielfach eine unzureichende Alterssicherung ausschlaggebend für die fortgesetzte Erwerbstätigkeit war. Die durchschnittlichen Lebensversicherungspolicen stellten häufig – wie im Folgenden zu zeigen sein wird – selbst in der Großlebensversicherung keine eigenständige Alterssicherung dar. Die private Spartätigkeit war zwar weit verbreitet, die Spareinlagen bestanden jedoch größtenteils aus kleinen und kleinsten Beträgen. 1933 betrug die durchschnittliche Spareinlage je Kopf der Bevölkerung 213 RM und lag damit immer noch um 42 Prozent unter dem Stand von 1913. Im Jahr 1938 erreichten die Spareinlagen zwar wieder annähernd das Niveau von 1913, der Betrag je Kopf blieb jedoch immer noch leicht hinter dem Vorkriegsstand zurück.9 Nach einer Erhebung des Arbeitswissenschaftlichen Instituts war der Einlagenbestand bei mehr als einem Drittel der Sparbücher geringer als 20 RM und bei mehr als der Hälfte geringer als 100 RM. Der jährliche Einzahlungsüberschuss je Sparbuch schwankte 1933 / 37 zwischen 11 RM und 34 RM, so dass sich die Durchschnittseinlage je Sparbuch zwischen 1933 und 1937 nur geringfügig von 541 RM auf 567 RM erhöhte. Die Zahl der Sparbücher nahm dagegen im gleichen Bevölkerung und Wirtschaft, S. 144. Vgl. auch Conrad, Entstehung, S. 444 f. Der RAM an den RMdI, betr. Entwurf einer Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung, 11. 11. 1943, BArch R 1501 / 3813. 7 Conrad, Entstehung, S. 443. Ders., Greis, S. 320 f. 8 Vgl. Tabelle 15 im Anhang. 9 Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 90. 5 6

12*

180

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Zeitraum deutlich zu und stieg von 19,7 auf 27,3 Millionen.10 Die Spartätigkeit war in den meisten Fällen im Wesentlichen kurzfristig und zweckorientiert. Sie diente der Ansammlung kleiner und kleinster Beträge für aufwendigere Anschaffungen und kleinere Notlagen. Die Ein- und Auszahlungen lagen dementsprechend zeitlich eng beieinander, so dass die Salden der Sparkonten relativ gering waren.11 Nach einer Erhebung der Deutschen Arbeitsfront über 350 Arbeiterhaushaltungen aus dem Jahr 1937 konnten 222 oder 63,4 Prozent der befragten Haushalte Ersparnisse erzielen, während bei 36,5 Prozent der Haushalte Abhebungen bzw. die Aufnahme von Schulden überwogen. Die Spartätigkeit war dabei sowohl vom Einkommen als auch von der Anzahl der Personen im Haushalt abhängig. Die Sparquote betrug bei den Arbeitern je nach der Verdiensthöhe 0,9 bis 2,6 Prozent des Einkommens, was einem monatlichen Betrag zwischen 1,35 RM und 6 RM entsprach. Nach 40 Jahren ununterbrochener Spartätigkeit ergab sich daraus bei einem Zins von drei Prozent ein Kapital von 1.000 RM bis 2.500 RM.12 Für einen 65-jährigen Mann mit einer durchschnittlichen weiteren Lebenserwartung von zwölf Jahren entsprach dieser Betrag bei gleichem Zins einer monatlichen Rente von etwa 8 RM bis 16 RM. Mehr als ein Zuschuss zum Lebensunterhalt war das nicht.

2. Die Lebensversicherung als zusätzliche Säule der Alterssicherung a) Zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise Bis Anfang der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts war die Lebensversicherung eine „Klassenversicherung“ geblieben, die sich in erster Linie auf die gut verdienenden Beschäftigten des Dienstleistungssektors, wie Staatsbeamte, Ärzte, Anwälte, Notare, Professoren, Lehrer und Kaufleute, konzentriert hatte. Die materielle Lage der Masse der abhängig Beschäftigten, die eine regelmäßige Zahlung der hohen Prämien nicht erlaubte, hatte der Ausbreitung der Lebensversicherung als einer Form der privaten Altersvorsorge zunächst enge Grenzen gesetzt.13 Erst die allgemeine Verbesserung der Einkommensverhältnisse und die Einführung der Sozialversicherung, die wesentlich zur Popularisierung des Versicherungsgedan10 Allgemeine Darstellung, Bl. 378 ff., bes. 380. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 339 ff., bes. 341. Vgl. auch Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 640 f. Mögliche Formen, S. 79. 11 Versorgungswerk. Begründung, Bl. 342 f. Allgemeine Darstellung, Bl. 381 f. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 643 ff. Mögliche Formen, S. 81. Bemerkungen zur Kapitalbildung, S. 133. 12 Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 646 f. Allgemeine Darstellung, Bl. 382 f. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 343 f. Mögliche Formen, S. 82. 13 Arps, Auf sicheren Pfeilern, S. 127, 134 f., 156. Borscheid, Entstehung, S. 319, 325. Vgl. auch Farny, Entwicklungslinien, Stand und wirtschaftliche Bedeutung. Helmer, Grundlinien der Geschichte der Versicherung.

2. Die Lebensversicherung als zusätzliche Säule der Alterssicherung

181

kens beitrug, hatten der Lebensversicherung auch in den unteren Bevölkerungsschichten zum Durchbruch verholfen.14 Nach 1900 begann daher in der Entwicklung der deutschen Lebensversicherung eine Phase rasanter Zuwächse, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs anhielt. Seit 1905 übertraf das Neugeschäft in der Kapitalversicherung alljährlich 1 Milliarde M, so dass sich der Versicherungsbestand bis Ende 1913 mehr als verdoppelte. Bei Kriegsausbruch kamen auf einhundert Einwohner mehr als 18 Lebensversicherungsverträge; 1900 waren es erst zehn gewesen.15 Den größten Zuwachs konnte die sogenannte Kleinlebens- oder Volksversicherung verzeichnen, die mit kleinsten Versicherungssummen und entsprechend geringen Prämien, die es auch den unteren Einkommensschichten ermöglichen sollten, eine Lebensversicherung abzuschließen, arbeitete. Die Zahl der Policen stieg zwischen 1900 und 1914 von 3,61 auf 9,32 Millionen, und der Wert des Versicherungsbestands verdreifachte sich.16 Innerhalb des gesamten Versicherungsbestandes blieb die Bedeutung der Volksversicherung jedoch gering. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs entfielen von 12,3 Millionen Versicherungsverträgen mit einer Gesamtversicherungssumme von 17 Milliarden M vier Millionen Verträge mit einer Versicherungssumme von 15,4 Milliarden M auf die Großlebensversicherung. Die Zahl der Kleinlebensversicherungen lag zwar deutlich höher, die Versicherungssumme war jedoch mit 1,7 Milliarden M verhältnismäßig gering. Während die durchschnittliche Versicherungssumme in der Kleinlebensversicherung etwa 200 M betrug, war sie in der Großlebensversicherung mit knapp 4.000 M fast zwanzigmal so hoch.17 Den Ersten Weltkrieg überstand die deutsche Lebensversicherungswirtschaft ohne größere Erschütterungen; die eigentliche Belastungsprobe kam erst mit der Inflation. Nach einem fast einhundertjährigen kontinuierlichen Aufschwung erlebte die deutsche Lebensversicherung ihre erste große Krise. Die Inflation bedrohte die Lebensversicherung in doppelter Hinsicht: Das Versagen der Rechnungseinheit Währung stellte die Versicherer bei der Bewertung der Risiken und der Schadensregulierung vor nahezu unlösbare Probleme und musste auf Dauer zu erheblichen Vertrauensverlusten bei den Versicherten führen. Gleichzeitig verursachte die zunehmende Geldentwertung einen rasanten Anstieg der Kosten, der kaum oder gar nicht auf die Prämien abgewälzt werden konnte. Trotz Teuerungszuschlägen mussten daher zahlreiche Gesellschaften 1922 die Volksversicherung und 1923 schließlich auch die Großlebensversicherung einstellen.18 Nach der Währungsumstellung sahen sich viele Unternehmen durch den weitgehenden Verlust ihrer Versiche14 Braun, S. 281 f., 347. Borscheid / Drees (Hg.), S. 5. Vgl. auch Die Volksversicherung, ihre Grenzen und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung, S. 1264. Die Versicherungsformen in der Lebensversicherung, S. 1225. 15 Arps, Auf sicheren Pfeilern, S. 583 ff. 16 Arps, Auf sicheren Pfeilern, S. 586 f. 17 Michalke, S. 340 f. Vgl. auch Braun, S. 362. 18 Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 1, S. 120, 285 f., 292, 303 – 306, 477 f.

182

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

rungsbestände zur Liquidation bzw. Fusion mit anderen Unternehmen gezwungen. Die Versicherten waren nicht minder hart betroffen: „( . . . ) eine Versicherungssumme von 25.000 RM, mit der sich der Empfänger 1918 noch ein Haus hätte kaufen können, [reichte, die Verf.] Ende 1920 nur noch für eine Zimmereinrichtung, Ende 1922 nur noch für einen Anzug, im Juli 1923 nur noch für 1 Zentner Briketts, und schließlich waren die Portogebühren, die man zu ihrer Übermittlung an den Berechtigten benötigt hätte, bedeutend höher als die Versicherungssumme selbst.“19

Die Aufwertung der Versicherungsansprüche war ein langwieriger und komplizierter Prozess, der sich bis in die dreißiger Jahre hineinzog. Nach der Währungsumstellung sperrte sich zunächst der Staat, der sich gerade erst seiner Schulden entledigt hatte, gegen eine Aufwertung. Erst ein Urteil des Reichsgerichts vom November 1923, das in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregte, zwang den Staat zum Einlenken und machte den Weg für eine Aufwertung frei. Im Juni 1925 stand schließlich fest, dass Hypotheken grundsätzlich mit 25 Prozent, Staatsanleihen mit 2,5 bis fünf Prozent, Pfandbriefe und Industrieobligationen mit 15 Prozent ihres Goldmarkbetrags zur Höherbewertung kommen sollten. In der Lebensversicherung mussten die Versicherer zunächst den Goldmarkwert der Deckungsrückstellungen feststellen, der die Berechnungsgrundlage für die Aufwertung bilden sollte. Für jeden einzelnen Versicherten war dann zu berechnen, welcher Anteil ihm auf Grund seiner Versicherungssumme und seiner bisherigen Prämienzahlungen an diesem Aufwertungsfond zustand. Da der Altsparer mehr erhalten sollte als der Inflationssparer, war dabei zwischen Prämien zu unterscheiden, die vor Einsetzen der Inflation in harter Währung gezahlt, und solchen, die in fast wertlosem Papiergeld geleistet worden waren. Ein Anrecht auf Auszahlung der aufgewerteten Ansprüche bestand erst ab 1932; bis dahin wurden die Beträge zunächst mit zwei Prozent, ab 1928 schließlich mit acht Prozent verzinst. Für die Versicherer war die Aufwertung mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden, da rund elf Millionen Verträge in umständlichen Einzelrechnungen bearbeitet werden mussten. Der Umstand, dass 1931, sieben Jahre nach der Inflation, erst die Hälfte der Policen erledigt war, verdeutlicht die Arbeitsintensität des Verfahrens. Die Ansprüche wurden im Durchschnitt mit 14,5 Prozent aufgewertet, wobei die Schwankungsbreite zwischen acht und 23 Prozent lag.20 Trotz der erheblichen wirtschaftlichen Probleme während der Zwischenkriegszeit gelang der Wiederaufbau der Lebensversicherung schneller als erwartet, da das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung in die Versicherungswirtschaft ungebrochen war. Im Jahr 1929 erreichte das Neugeschäft in der Lebensversicherung mit mehr als 3,5 Milliarden RM einen Höhepunkt, wobei die beantragten Versicherungssummen im Durchschnitt deutlich hinter dem Vorkriegsstand zurückblieben. Auch der Versicherungsbestand erholte sich rasch und übertraf 1930 erstmals wieUllrich, Währungszerfall, S. 124. Zit. nach Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 1, S. 292. Borscheid, Mit Sicherheit leben, Bd. 1, S. 110. Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 159 – 161. 19 20

2. Die Lebensversicherung als zusätzliche Säule der Alterssicherung

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der den Vorkriegstand von 16,7 Milliarden RM. Die Bestandsfestigkeit der Neuabschlüsse war im Vergleich zur Vorkriegszeit gering, da die wirtschaftliche Situation in der Weimarer Republik instabil blieb und die Einkommen der Versicherten zum Teil erheblichen Schwankungen unterlagen.21 Die Weltwirtschaftskrise beendete den Aufschwung des Lebensversicherungsgeschäfts abrupt. Sie beeinträchtigte zwar nicht den Entschluss zur Versicherung, da der Versicherungsgedanke in der Bevölkerung inzwischen fest verwurzelt war. Sie wirkte sich jedoch in erheblichem Maße auf die Höhe der Versicherungssumme aus, weil ein Großteil der Versicherten gezwungen war von der Groß- auf die Kleinlebensversicherung umzusteigen. Zudem kam es zu massenhaften Stornierungen und Rückkäufen, als viele Versicherte nicht mehr in der Lage waren, ihre Prämien zu entrichten.22

b) „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ Der Machtwechsel von 1933 ließ die grundlegenden Strukturen der deutschen Versicherungswirtschaft, insbesondere ihre Unterteilung in private und öffentlichrechtliche Unternehmen, weitgehend unangetastet. Dies war sicherlich nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass mit dem Generaldirektor der Allianz-Versicherung AG, Kurt Schmitt, im Juni 1933 ein Vertreter der Privatversicherer an die Spitze des Reichswirtschaftsministeriums trat.23 Die Eingriffe des Regimes beschränkten sich zunächst auf eine umfassende Reorganisation des Verbandswesens. An die Stelle der rund 70 Verbände der deutschen Versicherungswirtschaft, an deren Spitze der 1910 gegründete Reichsverband der Privatversicherungen gestanden hatte, trat die Reichsgruppe „Versicherung“, die sich in Wirtschaftsgruppen untergliederte, die wiederum Fach- und Fachuntergruppen bilden konnten. Die Reichsgruppen waren rechtsfähige Vereine, deren Leiter vom Reichswirtschaftsministerium bestellt und mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet wurden. Für die Unternehmen war die Mitgliedschaft verpflichtend. Zum Leiter der Reichsgruppe „Versicherung“ ernannte Reichswirtschaftsminister Schmitt seinen früheren Kollegen, den Allianz-Direktor Eduard Hilgard. Die Wirtschaftsgruppe „Privatversicherung“ wurde bis 1937 durch den Generaldirektor der Colonia, Christian Oertel, geleitet; sein Nachfolger war Andreas Braß, der aus dem Lager der Versicherungsgesellschaften der Deutschen Arbeitsfront kam und als „Alter Kämpfer“ galt. Leiter der Wirtschaftsgruppe „Öffentlich-rechtliche Versicherungen“ war bis 1938 Professor Paul Riebesell von der Hamburger Feuerkasse. Zu seinem Nachfolger wurde der Gauleiter von Pommern und Vorsitzende des Verbandes der Borscheid / Drees (Hg.), S. 5 f. Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 174, 179 f. Borscheid, Mit Sicherheit leben, Bd. 1, S. 133. Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 180. Vgl. auch Entwicklung und Grenzen, S. 396. Vesper, S. 644 f. 23 Feldman, S. 24 – 31, 78 – 138. Borscheid, 100 Jahre Allianz, S. 106 ff. Borscheid, Sicherheit in der Risikogesellschaft, S. 79. 21 22

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

öffentlich-rechtlichen Lebens- und Haftpflichtversicherer, Franz Schwede-Coburg, ernannt. Mit Schwede-Coburg, der ebenfalls ein „Alter Kämpfer“ war, 1922 in Coburg die SA kommandiert hatte und 1931 zum Ersten Bürgermeister aufgestiegen war, übernahm ein hartnäckiger Verfechter einer Verstaatlichung der privaten Versicherungswirtschaft die Leitung der Wirtschaftsgruppe.24 Allerdings hatte Schwede-Corbug nur wenig Gelegenheit sein neues Amt für seine Ziele zu nutzen, da das Reichswirtschaftsministerium Ende 1939 eine Straffung der Reichsgruppe „Versicherung“ verfügte, die zu einer Zusammenlegung der beiden Wirtschaftsgruppen zu einer gemeinsamen „Fachgruppe“ führte, in der künftig sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Versicherer vertreten waren.25 Die öffentlich-rechtlichen Versicherer gerieten frühzeitig und weitgehend widerstandslos unter nationalsozialistischen Einfluss. Das lag zum einen daran, dass die öffentlich-rechtlichen Versicherer der Aufsicht der Oberpräsidenten der jeweiligen Provinzen unterstanden, so dass sich die politischen Umwälzungen bei ihnen deutlich schneller und unmittelbarer auswirkten als bei den Aktiengesellschaften und Versicherungsvereinen. Zum anderen suchten die öffentlich-rechtlichen Versicherer aus Furcht vor einer möglichen Privatisierung durch das Reichswirtschaftsministerium von sich aus die Beteiligung hochrangiger Parteifunktionäre in den Führungsgremien.26 Die von den Privatversicherern befürchtete Sozialisierung der Versicherungswirtschaft trat nicht ein. Die Sorge der Versicherer war aber nicht unberechtigt, da die NSDAP einen starken antikapitalistischen Flügel besaß, der sich vehement für eine Verstaatlichung der Banken und Versicherungen aussprach.27 Dadurch erhielt die Auseinandersetzung über die Gemeinwohlorientierung der Versicherungswirtschaft, die seit der Gründung der ersten öffentlich-rechtlichen Versicherer mit wechselnder Intensität geführt worden war, neuen Auftrieb. Die öffentlich-rechtlichen Versicherer betonten ihre Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl und denunzierten die Privaten, zumindest sofern es sich um Aktiengesellschaften handelte, als rein kapitalistisch orientiert. Die Versicherungsunternehmen der Deutschen Arbeitsfront – obgleich sie wegen ihrer Rechtsform als Aktiengesellschaften formal zur Privatversicherung zählten – gaben sich ebenfalls als „antikapitalistische“ Vermögenstreuhänder der Versicherten aus und machten unter dem Slogan „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ Front gegen die Privaten.28 In der Versicherungswirtschaft ging die Angst um, die neue Wirtschaftsordnung werde die von der Deutschen Arbeitsfront beherrschten Gesellschaften begünstigen und letzten Feldman, S. 29 – 32, 129, 251 – 257. Surminski, Versicherung, S. 62 – 68, 91. Borscheid, Mit Sicherheit leben, Bd. 1, S. 143 f. 26 Surminski, Versicherung, S. 55, 85. Borscheid, 100 Jahre Allianz, S. 110. Ders., Mit Sicherheit leben, Bd. 1, S. 143. Ders., Sicherheit in der Risikogesellschaft, S. 82. 27 Feldman, S. 220 – 223. Borscheid, 100 Jahre Allianz, S. 106 ff. Ders., Sicherheit in der Risikogesellschaft, S. 79. 28 Surminski, Versicherung, S. 60, 73, 78, 82 – 84. Feldman, S. 68 – 70, 220 – 223. 24 25

2. Die Lebensversicherung als zusätzliche Säule der Alterssicherung

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Endes zu einer Verstaatlichung der Versicherungswirtschaft führen. Die Privaten mussten sich daher nicht nur mit ihrer gewohnten öffentlich-rechtlichen Konkurrenz auseinandersetzen, sondern auch mit den von der politisch einflussreichen Deutschen Arbeitsfront protegierten ehemals gewerkschaftlichen Versicherungsvereinen.29 Im Lager der öffentlich-rechtlichen Versicherer standen den Privaten mit Franz Schwede-Coburg und Hans Goebbels, dem Direktor der öffentlich-rechtlichen Provinzial-Feuerversicherungsanstalt der Rheinprovinz und Bruder des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels, äußerst gefährliche Nationalsozialisten gegenüber.30 Vor allem Schwede-Coburg betrieb die Verstaatlichung der Privatversicherung mit Nachdruck. Die Versicherungswirtschaft, erklärte er, habe öffentliche Aufgaben zu erfüllen und müsse öffentlich-rechtlich organisiert sein. Von den sozialistischen Kreisen der NSDAP unterstützt forderte er daher die Überführung der Privatversicherung in öffentlich-rechtliche Gauversicherungsanstalten.31 Zwar untersagte Hitler persönlich Ende 1938 auf zehn Jahre jegliche Diskussion über eine Verstaatlichung der Versicherungswirtschaft. Die Auseinandersetzung zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen war damit jedoch keineswegs beendet. Mit Kriegsbeginn verlagerte sie sich vielmehr auf das Ringen um die Vorherrschaft bei der versicherungswirtschaftlichen Expansion in den eroberten Gebieten und verlor erst an Bedeutung, als sich die Kriegslage für Deutschland zunehmend verschlechterte.32 Aus Angst vor möglichen Sozialisierungsbestrebungen ließen die privaten Versicherer keine Gelegenheit aus, sich dem neuen Regime anzudienen und ihre ideologische Neuausrichtung unter Beweis zu stellen.33 Im Oktober 1933 schaltete beispielsweise die Alte Leipziger eine Anzeige, in der sie den NS-Slogan „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ übernahm und behauptete, Lebensversicherungen zum Selbstkostenpreis anzubieten.34 Auch von den Leitern der Reichsgruppe „Versicherung“ und der Wirtschaftsgruppe „Privatversicherung“, Hilgard und Oertel, wurde das Paradigma der Gemeinnützigkeit bei jeder Gelegenheit betont.35 Selbst namhafte Versicherungswissenschaftler stellten sich in den Dienst der nationalsozialistischen Gemeinnützigkeits-Propaganda und waren redlich bemüht, die Lebensversicherung als Ausdruck der „Volksgemeinschaft“ darzustellen. Aus der „volksgemeinschaftlichen“ Arbeitspflicht und dem daraus resultierenden Anspruch Feldman, S. 120. Surminski, Versicherung, S. 76 f. Feldman, S. 129. Borscheid, 100 Jahre Allianz, S. 109. Ders., Mit Sicherheit leben, Bd. 1, S. 142. 31 Surminski, Versicherung, S. 74, 84, 95 f. 32 Feldman, S. 346 f., 359, 371, 477 f., 383 – 396, 402 f. Vgl. auch Borscheid, 100 Jahre Allianz, S. 110 f. Ders., Mit Sicherheit leben, Bd. 1, S. 145. 33 Schmitt, Versicherung im neuen Deutschland. Rohrbeck, Lebensversicherung. 34 Zit. nach Surminski, Versicherung, S. 45. 35 Surminski, Versicherung, S. 89 f. 29 30

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

auf Versorgung wurde eine Pflicht zur zusätzlichen privaten Vorsorge abgeleitet, die von jedem, der dazu in der Lage war, den Abschluss einer Lebensversicherung verlangte.36 Die Versicherungseinrichtungen wurden als „Gefahrengemeinschaft“ interpretiert, die den Versicherten einen Versorgungsanspruch gegenüber der Gemeinschaft einräumte. Ziel der Versicherungsgesellschaften sollte nicht mehr die Gewinnmaximierung, sondern der Dienst an der Gemeinschaft sein. Als Treuhänder der „Spargroschen der Volksgenossen“ mühten sich die Versicherer um den „Erfolg für die Volksgenossen“ und eröffneten durch die Bündelung kleinster Prämien zu großen Kapitalanlagen auch dem Arbeiter die gleichen Chancen zur Kapitalbildung wie den Selbständigen und Industriellen. Zugleich, so die Behauptung, trügen die Versicherer durch ihre Anlagepolitik zur „Wiedererstärkung Deutschlands“ bei und wirkten daher praktisch gemeinnützig.37

c) Aufbruch und Neuanfang Nach den Erfahrungen der Inflation und der Weltwirtschaftskrise empfand die Versicherungswirtschaft die Jahre bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs angesichts der politischen Stabilisierung und einer zunehmenden wirtschaftlichen Erholung als Aufbruch und Neuanfang.38 Infolge der Weltwirtschaftskrise hatte sich das Neugeschäft, das 1929 mit 3,8 Milliarden RM seinen Höhepunkt erreicht hatte, bis 1932 fast halbiert. Der Versicherungsbestand der statistisch erfassten Lebensversicherungsunternehmen hatte sich bis Ende 1932 gegenüber dem Höchststand von 1931 um knapp 1 Milliarde RM oder fünf Prozent verringert. Ab Mitte 1933 setzte eine allmähliche Erholung des Lebensversicherungsgeschäfts ein. Die Abnahme des Versicherungsbestandes verlangsamte sich und schlug schließlich in einen Zugang um.39 Seit 1934 beschleunigte sich der Aufschwung, so dass der Versicherungsbestand bereits Ende 1934 wieder den Stand von 1931 erreichte. Bis Ende 1938 erhöhte sich der Versicherungsbestand um fast 40 Prozent und überstieg damit das Krisenniveau von 1932 um das 1,5-fache (Abbildung 9).40 36 Zit. nach Surminski, Versicherung, S. 91. Ähnlich auch Rohrbeck, Was bedeutet Volksversicherung, S. 406. Die Volksversicherung im nationalsozialistischen Staat, S. 849. 37 Rohrbeck, Was bedeutet Volksversicherung, S. 404 f. Die Volksversicherung im nationalsozialistischen Staat, S. 848 ff. – Die Auffassung, die Versicherungsunternehmen seien nur Treuhänder des Geldes der Versicherten, war in der NS-Zeit weit verbreitet und wurde auch von maßgeblichen Rechtsexperten vertreten. Surminski, Versicherung, S. 73. Zu den Kapitalanlagen der Versicherer vgl. Ebenda, S. 201 – 206. Feldman, S. 196 f., 302 f., 499. 38 Surminski, Versicherung, S. 179. 39 Die Lebensversicherung im Jahr 1933, S. 253 f. Vgl. auch Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 174. 40 Die Lebensversicherung im Jahr 1934, S. 259 f. Die Lebensversicherung im Jahr 1938, S. 363 f. Die Lebensversicherung im Jahr 1936, S. 195 f. Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 174 f. Vgl. auch Tabelle 16 im Anhang.

2. Die Lebensversicherung als zusätzliche Säule der Alterssicherung

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Millionen RM

Millionen Policen

Millionen RM

Millionen Policen

Millionen RM

Millionen Policen

Quelle: Tabellen 16, 17 und 18 im Anhang.

Abbildung 9: Der Bestand der deutschen privaten Lebensversicherung 1928 – 1942

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Millionen RM

1938 entfielen auf einhundert Einwohner 48 Lebensversicherungspolicen; 1913 waren es lediglich 18 gewesen.41 Bis Ende 1934 erholte sich jedoch zunächst die Zahl der Policen schneller als der Wert des Versicherungsbestands, so dass die durchschnittliche Versicherungssumme nach 1933 weiter sank (Abbildung 9).42 Das lag vor allem daran, dass sich die Kleinlebensversicherung deutlich früher und schneller erholte als die Großlebensversicherung. Während sich der Kapitalwert des Neuzugangs in der Kleinlebensversicherung 1933 um rund 27 Prozent erhöhte, betrug der Zuwachs in der Großlebensversicherung lediglich fünf Prozent. 1933 machte der Abschluss von Kleinlebensversicherungen bei den privaten Lebensversicherern die Hälfte des gesamten Neugeschäfts aus (Abbildung 10).43

3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 Neuzugang Großlebensversicherung Neuzugang Kleinlebensversicherung

Quelle: Tabellen 17 und 18 im Anhang.

Abbildung 10: Neuzugang und Abgang in der deutschen privaten Lebensversicherung 1928 – 1940

Nach 1934 kehrte sich dieser Trend um. Im Zuge der Stabilisierung der Einkommen verlangsamten sich die Zuwächse in der Kleinlebensversicherung und begannen dann zu schrumpfen. Bis Ende 1938 sank der Neuzugang um durchschnittlich 5,4 Prozent jährlich. Die Großlebensversicherung dagegen konnte ein kontinuierliches Wachstum des Neuzugangs verzeichnen, das zwischen 1934 und 1938 knapp elf Prozent pro Jahr betrug (Abbildung 10). Das Jahr 1939 stellte für die Großlebensversicherung ein Rekordjahr dar, als im Zuge der Einführung der Handwer41 Die Lebensversicherung im Jahr 1938, S. 363 f. Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 174 f. 42 Die Lebensversicherung im Jahr 1934, S. 259 f. Die Lebensversicherung im Jahr 1936, S. 195 f. Die Lebensversicherung im Jahr 1938, S. 363 f. Vgl. auch Tabelle 16 im Anhang. 43 Die deutsche Volksversicherung im Jahre 1934, S. 1134. Die deutsche Volksversicherung im Jahre 1935, S. 1141. Vgl. auch Tabellen 16, 17 und 18 im Anhang.

2. Die Lebensversicherung als zusätzliche Säule der Alterssicherung

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kerversicherung 75 Prozent des gesamten Neuzugangs auf die Großlebensversicherung entfielen.44 Mit dem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung seit Mitte der dreißiger Jahre verbesserte sich auch die Bestandsfähigkeit der Versicherungen. Die zunehmende Stabilisierung der Einkommen ermöglichte den Versicherten regelmäßige Prämienzahlungen und ließ den Rückkauf von Versicherungen seltener werden. Der vorzeitige Abgang durch Rückkauf, Verfall und Nichteinlösung, der während der Weltwirtschaftskrise von 31 Prozent des Neuzugangs im Jahr 1929 auf 125 Prozent im Jahr 1932 gestiegen war, ging seit 1933 kontinuierlich zurück und verringerte sich bis 1938 auf 37 Prozent.45 Auf die Policen jüdischer Versicherter, in der Regel Verträge, die zwischen 1923 und 1932 abgeschlossen worden waren, über 20 Jahre liefen, und deren Versicherungssumme zumeist überdurchschnittlich hoch war, traf dies jedoch nicht zu.46 Aus Rücksicht auf das Ausland verzichtete das NS-Regime zwar zunächst auf den Erlass gesetzlicher Bestimmungen, wonach alle Versicherungsverträge mit „Nichtariern“ als aufgelöst zu gelten hatten. Die systematische wirtschaftliche Ausgrenzung und die versteckte Diskriminierung von Juden, die sich unter dem Deckmantel des geltenden Rechts vollzogen, führten jedoch bald zu einer zunehmenden Verdrängung jüdischer Versicherter aus der Lebensversicherung. Ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt, waren sie nicht mehr in der Lage ihre Versicherungsbeiträge zu bezahlen und zum Rückkauf oder zur Umwandlung in beitragsfreie Versicherungen unter gleichzeitiger Herabsetzung der Versicherungssumme gezwungen. Vor allem für auswanderungswillige Juden stellte der Rückkauf häufig die einzige Möglichkeit dar, die diskriminierenden Sonderabgaben und die Reichsfluchtsteuer zu bezahlen.47 Infolge der nach dem Novemberpogrom 1938 verhängten „Sühneleistung“ kam es zu einer regelrechten Stornowelle bei den jüdischen Versicherungen. Der vorzeitige Abgang stieg in der gesamten Lebensversicherung von 290 Millionen RM im Jahr 1937 auf 460 Millionen RM im Jahr 1939; das Volumen der Rückkäufe erhöhte sich von 77 auf 134 Millionen RM.48 Um sicherzustellen, dass die Juden ihren Zahlungsverpflichtungen nachkamen, wies der Staat 44 Die private deutsche Volksversicherung im Jahre 1939, S. 13. Vgl. auch Tabellen 16, 17 und 18 im Anhang. – Zu den Problemen in der Kleinlebensversicherung vgl. Rohrbeck, Volksversicherung, ihre Grenzen und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung. 45 Die deutsche private Lebensversicherung im Jahre 1934, S. 986. Die deutschen privaten Lebensversicherungsunternehmungen im Jahre 1935, S. 1001 f. Die deutschen privaten Lebensversicherungsunternehmungen im Jahre 1936, S. 970. Die deutschen privaten Lebensversicherungsunternehmungen im Jahre 1937, S. 894 f. Die private Lebensversicherung 1938, S. 935. Die deutsche private Lebensversicherung im Jahre 1939, S. 570 f. 46 Feldman, S. 288, 294, 299. 47 Nach der novellierten Fassung vom Mai 1934 musste jeder Auswanderungswillige mit einem Vermögen von mehr als 20.000 RM 25 Prozent seines zu versteuernden Vermögens abführen. Feldman, S. 288, 302 f. Botur, S. 116 f. Surminski, Versicherung, S. 148 f. 48 Surminski, Versicherung, S. 155. Feldman, S. 291, 302.

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

die Versicherungen an, die auszuzahlenden Gelder auf ein sogenanntes Auswanderungssperrkonto zu überweisen.49 Die Ausfuhr von Vermögenswerten war durch Währungs- und Devisenkontrollbestimmungen beschränkt, die kontinuierlich verschärft wurden, bis für die Juden kaum noch eine Möglichkeit bestand, ihre Lebensversicherungsguthaben im Auswanderungsfall ins Ausland zu transferieren. Während ein Auswanderer Anfang 1934 noch 10.000 RM in bar und weitere 5.000 RM in Wertpapieren und anderen Anlageformen ausführen durfte, wurde der Höchstbetrag für Bargeldausfuhren mit Wirkung vom 23. Juni 1934 auf 2.000 RM herabgesetzt. Seit Ende 1936 konnten beim Verdacht der Kapitalflucht Vermögenswerte durch die Devisenstellen beschlagnahmt werden. Wenn den auswanderungswilligen Juden nach Entrichtung der Abgaben überhaupt noch Mittel verblieben, standen sie vor der Wahl, diese entweder auf einem Sperrkonto, über das nur von Deutschland aus verfügt werden konnte, zu belassen, oder sie bei der Golddiskontbank zu einem Bruchteil ihres Wertes in Bargeld zu tauschen.50 Von erheblicher praktischer Bedeutung waren ferner die im Rahmen der Zwangsvollstreckung im Steuereintreibungsverfahren erwirkten Pfändungen von Kapitalversicherungsrechten. Diese Fälle häuften sich bei der Auswanderung oder Flucht von Juden ins Ausland, wenn diese in Abwesenheit wegen angeblicher Devisenvergehen angeklagt und zu Steuernachzahlungen verurteilt wurden.51 Die notwendigen Voraussetzungen für einen direkten staatlichen Zugriff auf jüdische Versicherungen waren durch das Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens im Zusammenhang mit dem Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 bereits frühzeitig gegeben.52 Aber erst die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 ermöglichte schließlich eine schnelle und massenhafte Enteignung jüdischer Versicherter. Nach dieser Verordnung verlor ein Jude die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn er seinen „gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland“ nahm. Sein Vermögen, darunter auch Versicherungen, verfiel dem Reich. Davon waren vor allem deportierte Juden betroffen, die durch die Verbringung in die Konzentrationslager im Osten ihren „gewöhnlichen Aufenthalt“ ins Ausland verlegten. Die Versicherungsunternehmen hatten die bestehenden Verträge Feldman, S. 303. Surminski, Versicherung, S. 160 f. Feldman, S. 303, 311 – 314. 51 Botur, S. 117 f. 52 Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. 07. 1933, RGBl. I 1933, S. 479 f. Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. 07. 1933, RGBl. I 1933, S. 480. – Danach konnten Einbürgerungen, die zwischen dem 9. November 1918 und dem 30. Januar 1933 erfolgt waren, widerrufen werden, falls die Einbürgerung als „unerwünscht anzusehen“ war. Reichsangehörigen, die sich im Ausland aufhielten, konnte die Staatsangehörigkeit entzogen werden, sofern sie „durch ein Verhalten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt“ hatten. Das Vermögen der Betroffenen konnte beschlagnahmt und nach der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit als dem Reich verfallen erklärt werden. 49 50

2. Die Lebensversicherung als zusätzliche Säule der Alterssicherung

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anzumelden, die dann von den staatlichen Stellen eingezogen werden konnten.53 Von der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz waren jedoch letztlich nur verhältnismäßig wenige Lebensversicherungspolicen deutscher Juden betroffen, da die Mehrzahl der jüdischen Kunden ihre Verträge bereits in den Jahren 1938 / 39 gekündigt hatte. Das NS-Regime hatte sein Ziel, das in den jüdischen Versicherungspolicen steckende Kapital an sich zu reißen, bereits vor 1940 zum größten Teil erreicht.54 Der Kriegsausbruch brachte zunächst einen erheblichen Rückgang der Neuabschlüsse, da die Neigung zur Zahlung der erhöhten Kriegszuschläge in Erwartung eines baldigen Friedensschlusses allgemein gering war, und die Akquisition neuer Kunden durch die Einberufung von Versicherten und Mitarbeitern beträchtlich erschwert wurde. Die von Robert Ley angekündigte Neuordnung der gesamten Altersversorgung schien ferner eine zusätzliche private Absicherung künftig überflüssig zu machen.55 Trotz dieser kurzen Stockung zu Beginn des Krieges nahm das Geschäftsjahr 1940 einen günstigeren Verlauf als erwartet. Der Neuzugang blieb zwar hinter dem Vorjahr zurück, was angesichts der durch die Handwerkerversicherung ausgelösten „Sonderkonjunktur“ des Jahres 1939 kaum verwundern konnte, entsprach jedoch immer noch ungefähr dem Durchschnitt vergangener Jahre (Abbildung 10). Im Jahr 1941 setzte sich die günstige Entwicklung fort. Der Neuzugang fiel höher als erwartet aus und übertraf in einigen Unternehmen sogar das Ergebnis von 1939. Der Versicherungsbestand betrug 1941 rund 40 Milliarden RM; die Zahl der Versicherungsverträge lag bei rund 45 Millionen, so dass statistisch betrachtet jeder zweite Deutsche über mindestens eine Lebensversicherung verfügte.56 Der Ausbruch des Krieges, so die Erklärung der Versicherer, habe das Bedürfnis nach Sicherheit erhöht, zumal die volle Versicherungssumme auch bei Kriegstod ausbezahlt werde. Die Übernahme des Kriegsrisikos habe „zu einer wesentlichen Vertiefung des Versicherungsgedankens beigetragen und das Vertrauen in die Lebensversicherung gestärkt“.57 Die Deckung der Kriegsgefahr regelte ein Erlass des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung vom 7. Oktober 1939. Bei Poli53 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. 11. 1941, RGBl. I 1941, S. 722 – 724. – Die von der 11. Verordnung betroffenen Lebensversicherungen mit laufender Beitragszahlung galten zum 31. Dezember 1941 als gekündigt, die Rückkaufwerte verfielen dem Reich. Bei bereits abgelaufener Beitragsdauer oder beitragsfreien Verträgen wurde der geschäftsplanmäßige Rückkaufwert – falls sie bereits angemeldet waren – zum 1. Juli 1942, andernfalls zu dem auf die Anmeldung folgenden Quartalsersten berechnet. Vgl. auch Botur, S. 128, 133. Surminski, Versicherung, S. 157 ff. 54 Feldman, S. 328. 55 Feldman, S. 413. Die private Lebensversicherung 1938, S. 971. 56 Das Lebensversicherungsgeschäft 1939, S. 396. Das Lebensversicherungsgeschäft 1940, S. 544. Rückblick auf das Lebensversicherungsjahr 1941, S. 393 f. 57 Die deutsche private Lebensversicherung im Jahre 1940, S. 5 f. Das Lebensversicherungsgeschäft 1940, S. 544.

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

cen, die vor dem 1. September 1939 abgeschlossen oder beantragt worden waren, musste – sofern das Kriegsrisiko abgedeckt war – beim Tod des Versicherten in „unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder anderen kriegerischen Ereignissen“ die volle Versicherungsleistung ohne Wartezeit ausbezahlt werden. Für den Fall, dass die Kriegsgefahr nicht gedeckt war, musste beim Tod des Versicherten zumindest das für den Todestag berechnete Deckungskapital zur Auszahlung kommen. Für die notwendigen Kriegsrückstellungen wurde eine Umlage erhoben, wobei der durch den Versicherungsnehmer zu leistende Beitrag auf die Gewinnguthaben anzurechnen war. Bei nach dem 1. September 1939 beantragten Policen war die Kriegsgefahr grundsätzlich gedeckt. Zur Finanzierung wurde ein besonderer Gefahrenzuschlag erhoben, der sich nach der Höhe der Versicherungssumme richtete.58 Ab 1942 nahm die Zahl der Sterbefälle drastisch zu, so dass bald alle Lebensversicherer Sterblichkeitsverluste hinnehmen mussten. Diese Bestandsverluste wurden jedoch weitgehend ausgeglichen, da die Neuabschlüsse aufgrund des inflationären Geldüberhangs überdurchschnittlich hohe Versicherungssummen aufwiesen. Bis Ende 1942 wuchs der Versicherungsbestand auf 45 Milliarden RM, bis Kriegsende vermutlich sogar auf 50 Milliarden RM. Dieser Wert beruht allerdings auf Schätzungen, da eine öffentliche Bekanntgabe der Geschäftsberichte seit Ende 1943 nicht mehr erfolgte.59

d) Die Bedeutung der Lebensversicherung für die Altersversorgung Die Lebensversicherung als Form der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung erfuhr während der NS-Zeit – begünstigt durch den wirtschaftlichen Aufschwung der dreißiger Jahre sowie den kriegsbedingten, erheblichen Kaufkraftüberhang der vierziger Jahre – einen stetigen Aufschwung. Gleichzeitig blieb die durchschnittliche Versicherungssumme jedoch verhältnismäßig gering. Zwar stieg der durchschnittliche Betrag je Versicherung seit 1935 kontinuierlich an, dahinter verbargen sich jedoch erhebliche Unterschiede. Ende 1938 betrug die durchschnittliche Versicherungssumme in der Kleinlebensversicherung, auf die rund zwei Drittel der Policen entfielen, 334 RM.60 Die Kleinlebensversicherung war eine reine Sterbegeldversicherung, die eine angemessene Beerdigung des Versicherten er58 Auf Versicherungssummen von bis zu 500 RM wurde dabei kein Zuschlag erhoben. Für Versicherungspolicen bis 5.000 RM betrug der Zuschlag zehn Prozent, für Versicherungspolicen bis 20.000 RM 15 Prozent und für Policen von bis zu 40.000 RM 20 Prozent der Versicherungssumme. Für den Teil der Versicherungssumme, der den Betrag von 40.000 RM überstieg, betrug der Zuschlag einheitlich 30 Prozent. Die Deckung der Kriegsgefahr in der Lebensversicherung, S. 551 f. 59 Surminski, Versicherung, S. 234, 236. Rückblick auf das Lebensversicherungsjahr 1941, S. 393 f. 60 Vgl. Tabellen 16 und 18 im Anhang.

3. Die betriebliche Altersversorgung

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laubte und darüber hinaus unter Umständen noch ausreichte, den Angehörigen über die ersten Wochen hinwegzuhelfen. Eine zusätzliche Säule der Alterssicherung stellte sie jedoch nicht dar. Auf die Großlebensversicherung entfielen 1938 nur rund elf Prozent der Policen, und die durchschnittliche Versicherungssumme lag bei 3.780 RM. Bei etwas mehr als der Hälfte aller Policen lautete die Versicherungssumme auf einen Betrag von bis zu 5.000 RM, ein großer Teil dieser Policen belief sich allerdings nur auf Beträge zwischen 2.000 RM und 3.000 RM.61 Policen mit einer Versicherungssumme von mehr als 10.000 RM waren für den Großteil der Bevölkerung unerschwinglich. Der monatliche Beitrag eines 30-Jährigen für eine gemischte Kapitalversicherung auf das 60. Lebensjahr betrug ohne Versicherungssteuer für eine Versicherungssumme von 10.000 RM etwa 24 RM monatlich und für eine Versicherungssumme von 20.000 RM etwa 48 RM im Monat. Die tatsächlich gezahlten Prämien lagen im Vergleich dazu 1937 bei durchschnittlich knapp 2 RM im Monat.62 Aus einer durchschnittlichen Großlebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 3.780 RM ergab sich für einen 65-jährigen Mann mit einer mittleren weiteren Lebenserwartung von zwölf Jahren bei einer Verzinsung von 4,54 Prozent jährlich eine monatliche Rente von rund 34 RM. Das war kaum mehr als die durchschnittliche Rente in der Arbeiterversicherung. Eine eigenständige Alterssicherung stellte die Lebensversicherung wohl nur in den seltensten Fällen dar. Zwar war die Lebensversicherung für die meisten Versicherten ohnehin nur als eine Zusatzversorgung gedacht, die ergänzend zu den Leistungen der Sozialversicherung trat. Aber selbst diese Funktion erscheint angesichts der Höhe vieler Policen fraglich. Zu einer Verbesserung der materiellen Lage der älteren Generation konnten die während der NS-Zeit abgeschlossenen Versicherungsverträge, die in den fünfziger und sechziger Jahren fällig geworden wären, ohnehin nicht mehr beitragen. Denn bevor diese Policen zur Auszahlung gelangten, war das Kapital durch die Kriegsinflation entwertet.

3. Die betriebliche Altersversorgung Die betriebliche Sozialpolitik hat eine lange Tradition. Noch bevor entsprechende staatliche Versicherungen entstanden, gewährten bereits viele Unternehmen ihren Beschäftigten in Notlagen Unterstützungsleistungen. Die betriebliche Sozialpolitik nahm eine „Pionierrolle“ ein und hatte „Vorläufer- und Vorbildfunktion für 61 Ende 1938 bestanden bei 67 privaten Gesellschaften mit einer Versicherungssumme von 23,4 Milliarden RM und 30,8 Millionen Policen 20,4 Millionen Kleinlebensversicherungen und nur 3,5 Millionen Großlebensversicherungen. Vgl. Tabelle 17 und 18 im Anhang. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 346 ff. Allgemeine Darstellung, Bl. 385 ff. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 651 ff. 62 Allgemeine Darstellung, Bl. 388. Versorgungswerk. Begründung, Bl. 349. Versorgungswerk. Einzelerörterungen, Bl. 654.

13 Schlegel-Voß

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

staatliche Sozialpolitik“.63 Ansätze einer betrieblichen Sozialpolitik im weitesten Sinne existierten bereits seit der Antike vor allem im Handwerk, in der Seefahrt und im Bergbau. Eine entscheidende Ausweitung und Differenzierung erfuhr die betriebliche Sozialpolitik aber erst in der Industrialisierung. Sie sollte die Versorgungslücke, die sich aus den Veränderungen des Arbeitslebens ergeben hatte, schließen und zugleich die Herausbildung einer für den industriellen Produktionsprozess unerlässlichen Stammbelegschaft fördern.64 In Anknüpfung an traditionelle vorindustrielle Verhaltensweisen vollzog sich die betriebliche Sozialpolitik bis ins 20. Jahrhundert hinein unter einer patriarchalischen Personalverfassung.65 Neben moralischen, religiösen und sozialen Beweggründen spielten für die betriebliche Sozialpolitik insbesondere ökonomische Erwägungen eine Rolle. Der Unternehmer stand vor der Aufgabe, Arbeitskräfte in großer Zahl zu gewinnen, sie in den Produktionsprozess zu integrieren, die Arbeitsverhältnisse zu verstetigen, Leistung und Arbeitsmoral zu steigern und die betriebliche Herrschaftsstruktur zu sichern.66 Als Gegenleistung für die betriebliche Fürsorge wurden von den Arbeitnehmern Fleiß und gute Führung sowie Treue und Gehorsam verlangt. Wer sich den Regeln unterwarf, erlangte ein hohes Maß an sozialer Sicherheit.67 Seit den späten siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts begannen viele Großunternehmen, die betriebliche soziale Sicherung zu einem geschlossenen System auszubauen. Sie reagierten damit auf den Bedeutungsverlust traditioneller Bezugs- und Sicherungssysteme, wie der Familie und der Kirche, und versuchten gleichzeitig der wachsenden Konkurrenz zu begegnen, die von anderen gesellschaftlichen Kräften wie der Sozialdemokratie, den Freien Gewerkschaften und dem Staat als sozialpolitischem Gesetzgeber ausging. Umfang und Tempo, in dem die Sozialpolitik expandierte, hing vom Wachstum des Unternehmens und der konjunkturellen Entwicklung ab; den größten Schub bewirkte die Hochkonjunktur ab Mitte der neunziger Jahre.68 Hemmer, S. 140. Vgl. auch Fischer, Pionierrolle, S. 34. Fischer, Pionierrolle, S. 34 ff. Wessel, bes. S. 433 f. 65 Schulz verweist in diesem Zusammenhang auf die Lebensgemeinschaft und Wirtschaftseinheit von Meister, Gesellen und Lehrlingen im Handwerk. Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 147. Vgl. auch Ritter / Tenfelde, S. 409 – 412. 66 Als Vertreter einer „sozialethischen Anschauung“ gelten beispielsweise Ernst Abbé, der 1889 die Carl-Zeiss-Stiftung gründete, und Robert Bosch. Nach ihrer Auffassung „waren die Arbeiter kein unmündiges Klientel, sondern selbstbewußt-freie Arbeitskräfte, denen ihr Arbeitsvertrag so viel Selbstbestimmung verschaffen sollte wie möglich“. Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 147, 148, 139. Vgl. auch Ritter / Tenfelde, S. 418 f. 67 Dieses System von Anreiz und strikter Disziplinierung war in jenen Branchen am stärksten ausgeprägt, in denen Betriebsstörungen auf Grund hoher Anlagekosten besonders gravierende Folgen hatten, wie beispielsweise in der Schwerindustrie. Die durch eine stärkere pädagogische Ausrichtung abgeschwächte Form der patriarchalischen Personalverfassung war der Protektoralismus, der vor allem in der Chemie- und Elektroindustrie anzutreffen war. Der Protektoralismus begriff die Beschäftigten als noch unmündiges Klientel, das es zu Eigenständigkeit und Selbstverantwortung anzuleiten galt. Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 143 f., 148, 157. Ritter / Tenfelde, S. 412. 63 64

3. Die betriebliche Altersversorgung

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Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verlor der Betriebspatriarchalismus zunehmend an Bedeutung und machte kooperativen Formen der Personalverfassung Platz. Vor allem die Einführung der sozialen Sicherung auf versicherungsrechtlicher Grundlage markierte einen deutlichen Einschnitt in die unternehmerische Autonomie. Das Versicherungsprinzip mit Beitragszwang und Rechtsanspruch triumphierte über das Fürsorgeprinzip, verwies die betriebliche soziale Sicherung auf einen nachgeordneten Rang und zwang zu einer Anpassung der betrieblichen Sozialleistungen.69 Zugleich beschleunigten die wirtschaftlichen Wachstums- und Konzentrationsprozesse der Unternehmen den Funktionswandel der betrieblichen Sozialpolitik, indem sie eine zunehmende Versachlichung und Entpersönlichung der Arbeitsverhältnisse bewirkten. Im Zuge der technisch-organisatorischen Rationalisierungsprozesse kam der betrieblichen Sozialpolitik in wachsendem Maße eine kompensatorisch-komplementäre Funktion zu.70 Die ersten Einrichtungen zur Alterssicherung, die bei der Gutehoffnungshütte 1832, bei Krupp und bei Henschel 1858, bei Siemens 1872, bei der BASF 1879 und bei den Farbwerken Hoechst 1882 entstanden, wiesen zunächst vielfältige Organisationsformen auf.71 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts schälten sich aber neben der Zahlung aus laufenden Mitteln vor allem zwei Formen einer allgemeinen Invaliditäts- und Altersversorgung der Belegschaft heraus: der innerbetriebliche Fonds, der Eigentum des Unternehmens blieb und dessen wirtschaftliches Schicksal teilte,72 und die rechtlich selbständige Unterstützungseinrichtung, die sich meist über Beiträge finanzierte und ihren Mitgliedern einen eingeschränkten Rechtsanspruch auf Leistungen gewährte.73 Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 151 ff., 157 – 162. Ritter / Tenfelde, S. 415 ff., 423. Der Bedeutungsverlust der betrieblichen Sozialpolitik wurde durch das legitimatorische Gefälle zwischen staatlicher und betrieblicher Sozialpolitik erleichtert. Das sozialpolitische Modell der Unternehmer war aufgrund seiner partikularen Legitimation dem staatlichen prinzipiell unterlegen. Im Gegensatz zur staatlichen Sozialpolitik war die betriebliche nicht in erster Linie darauf ausgerichtet, Defizite von Schutzbedürftigen auszugleichen, sondern intendierte immer auch Belohnung und Statusdifferenzierung. Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 146, 163 f., 175 f. 70 Homburg, S. 653. Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 165, 168. Vgl. auch Weiss, Handbuch der betrieblichen Altersfürsorge, S. 12. 71 Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 141. 72 Die Leistungen waren in der Regel in einem Statut oder Regulativ festgelegt und reichten von einer unverbindlichen Inaussichtstellung bis zur festen Zusage von Versorgungsleistungen. Ein Rechtsanspruch der Begünstigten bestand nicht, die Rücknahme von in Aussicht gestellten oder zugesagten Leistungen war jederzeit zulässig. Das Statut regelte ferner die Zuwendungen seitens des Unternehmens; es konnten aber auch Beiträge von den Begünstigten erhoben werden. Den Begünstigten wurden zumeist begrenzte Mitspracherechte in der Fondsverwaltung eingeräumt. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 41, 43 f. 73 Die Finanzierung erfolgte über Mitgliedsbeiträge und Zuwendungen durch das Unternehmen. Die Mitglieder besaßen einen eingeschränkten Rechtsanspruch in Höhe der geleisteten Beiträge und waren an der Verwaltung beteiligt. Trotz der formalen Abtrennung vom Unternehmen sicherte sich dieses in der Regel einen maßgeblichen Einfluss auf die Verwal68 69

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Bis zur Inflation erfuhren die betrieblichen Maßnahmen und Einrichtungen der Alterssicherung einen kontinuierlichen Ausbau. Die Zahl der Einrichtungen nahm zu, und in den Zeiten der Not nach dem Ersten Weltkrieg gewann das unternehmerische Fürsorgeprinzip wieder an Gewicht. Die Inflation erschütterte die betriebliche Altersversorgung durch die Entwertung sowohl der Vermögen als auch der ausgezahlten Pensionen nachhaltig. Die nach der Aufwertung verbliebenen Vermögen reichten in den meisten Fällen kaum aus, auch nur die laufenden Pensionen zu decken, so dass es zur Auflösung vieler, vor allem rechtsfähiger Kassen kam. Der Abbau der betrieblichen Sozialleistungen setzte sich in der Phase der relativen Stabilisierung fort und nahm schließlich in der Weltwirtschaftskrise drastische Ausmaße an, als sich die Gewinnsituation der Unternehmen deutlich verschlechterte.74 a) Die betriebliche Altersversorgung in der „Volksgemeinschaft“ Angesichts der schwierigen Lage vieler Einrichtungen der betrieblichen Sozialpolitik, insbesondere solcher zur Altersversorgung, sahen sich die Nationalsozialisten nach ihrem Regierungsantritt im Januar 1933 mit einer schwierigen Situation konfrontiert. Entgegen dem in Punkt 15 des Parteiprogramms angekündigten „großzügigen Ausbau der Altersversorgung“ stagnierten die Leistungen der öffentlichen Rentenversicherung auf dem niedrigen Krisenstand und mussten durch betriebliche Sozialleistungen ergänzt werden, um ein ausreichendes Versorgungsniveau zu gewährleisten. Eine weitgehende Vereinheitlichung der Einrichtungen sowie eine stärkere Verrechtlichung der Leistungen erschienen daher unverzichtbar. Der Handlungsspielraum des NS-Regimes war dabei jedoch begrenzt, da der Ausbau der betrieblichen Alterssicherung zum damaligen Zeitpunkt sowohl mit dem Ziel eines möglichst raschen Abbaus der Arbeitslosigkeit als auch mit den Interessen der Unternehmer kollidierte. Eingriffe in die betriebliche Sozialpolitik mussten sich daher vorläufig im Wesentlichen an den betriebspolitischen Bedürfnissen und den ökonomischen Möglichkeiten ausrichten.75 Das Gesetz über die Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 bewirkte zunächst eine völlige Neuordnung der Arbeitsverfassung.76 Die Gewerktung der Kasse. Das lag nicht zuletzt daran, dass die Kassen auf Zuwendungen durch das Unternehmen angewiesen waren, um ihre dauerhafte Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 41 f., 44 f. 74 Hachtmann, Industriearbeit, S. 269. Wessel, S. 437. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 104 – 107, 110 f. – Diese Entwicklung wurde allerdings durch eine Rechtsprechung abgemildert, die jegliche Willkür bei der Gewährung, dem Widerruf, der Kürzung oder der Steigerung gezahlter oder zugesagter betrieblicher Renten ausschloss. 75 Vgl. Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 168 f. Hachtmann, Industriearbeit, S. 256, 277. Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 1. Münz, Eine Kernfrage betrieblicher Sozialpolitik: Zusätzliche Altersversorgung, in: Berliner Börsenzeitung Nr. 408 vom 01. 09. 1937, BArch NS 5 / VI / 3859.

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schaften wurden zerschlagen und die Mitbestimmungsrechte außer Kraft gesetzt. Die Stellung des „Betriebsführers“ erfuhr eine deutliche Stärkung, die innerbetrieblich nur durch seine Verpflichtung auf „das Wohl der Gefolgschaft“ begrenzt wurde. Auf den ersten Blick schien das auf Disziplin und Gehorsam gründende „personenrechtliche Treueverhältnis“ der „Betriebsgemeinschaft“ die „Idee des Patriarchalismus“ zu beerben.77 Dennoch vergrößerte sich die Autonomie der Unternehmen keineswegs, denn sowohl der „Betriebsführer“ als auch die „Gefolgschaft“ hatten sich den rüstungspolitischen Zielen des Regimes unterzuordnen.78 Die Aufgabe der betrieblichen Sozialpolitik sollte künftig darin bestehen, den Einzelnen in die „Volksgemeinschaft“, die in der „Betriebsgemeinschaft“ ihren unmittelbaren Ausdruck fand, einzugliedern und seine Leistungsbereitschaft und -fähigkeit zu erhalten und zu fördern.79 Auf betrieblicher Ebene dienten die sozialpolitischen Maßnahmen in erster Linie der Festigung der „Betriebsgemeinschaft“. Aus der „Treuepflicht der Gefolgschaft“ wurde eine Fürsorgepflicht des Unternehmers abgeleitet, die nach Ansicht der Deutschen Arbeitsfront nicht auf die Erwerbsphase beschränkt war.80 In einer zwölf „Leitsätze“ umfassenden Denkschrift forderte die Deutsche Arbeitsfront daher eine grundlegende Reorganisation der betrieblichen Alterssicherung.81 Den Arbeitnehmern war künftig ein unbedingter Rechtsanspruch auf die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung einzuräumen, der durch die generelle Umstellung aller Einrichtungen auf ein Kapitaldeckungsverfahren praktisch garantiert werden sollte.82 Die erforderlichen Mittel sollten ausschließlich durch den Betrieb aufgebracht werden; eine Beteiligung der 76 Gesetz über die Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. 01. 1934, RGBl. I 1934, S. 45 – 56. 77 Hartmann, S. 98. Zit. nach Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 169. Vgl. auch Spohn, Betriebsgemeinschaft und innerbetriebliche Herrschaft, bes. S. 140 – 161. Dräger, S. 61. 78 Schulz, Betriebliche Sozialpolitik, S. 168 f. 79 Preller, S. 322 f. Sitzler, Betriebsgemeinschaft, Sp. 377 f. Bühler, S. 311 ff., 314. 80 Funke, Grundsätzliche Erfordernisse, S. 128. Die betriebliche Sicherung, S. 336. Die betriebliche Sicherung bei Invalidität und Alter, Berlin Februar 1939, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 63, Fiche 56 – 57, Bl. B 1482 – 1550. 81 Funke, Grundsätzliche Erfordernisse, S. 127 – 130. Vgl. auch Die Leitsätze der Deutschen Arbeitsfront zur zusätzlichen Gefolgschaftsversicherung, in: Völkischer Beobachter Nr. 149 vom 29. 05. 1938, BArch NS 5 / VI / 4409. Akademie für Deutsches Recht. Ausschuss für Arbeitsrecht, „Leitsätze für die betriebliche Altersvorsorge“ aufgestellt in der Sitzung am 3. und 4. April 1939, BArch NS 5 / VI / 4443. 82 Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 20, 23 – 25, 65 f. Betriebliche Altersversorgung, Sp. 539. Funke, Die zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 323. Ders., Grundsätzliche Erfordernisse, S. 129. Friedrich Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung. Eine Übersicht über die verschiedenen Formen, Berlin 1940, in: Sozialstrategien der Deutschen Arbeitsfront, Teil B, Abt. 2, Nr. 62, Fiche 56, Bl. B 1458 – 1481, hier 1476. Vgl. auch DAF – Der Reichsleiter – an den RAM, betr. Anordnung für die betrieblichen Fürsorgeleistungen insbesondere Leistungen für die betriebliche Altersversorgung, o. Datum, BArch R 3901 / alt R 41 / 28.

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

„Gefolgschaft“ erschien nur in solchen Fällen gerechtfertigt, in denen es sich um eine freiwillige Aufstockung der vom Unternehmen garantierten Grundversorgung handelte. Aber auch dann sollte die Beteiligung der Arbeitnehmer die Hälfte des Gesamtbeitrags nicht überschreiten.83 Der Betrieb als „einheitliche Leistungsgemeinschaft“ setzte nach Ansicht der Deutschen Arbeitsfront ferner eine gleichmäßige soziale Betreuung aller „Gefolgschaftsmitglieder“ voraus. „Die Gemeinschaft“, argumentierte Funke vom Sozialamt der Deutschen Arbeitsfront, vertrage „grundsätzlich keine Sonderrechte“ bestimmter Gruppen von Beschäftigten.84 Gemeint waren damit die Angestellten, die im Vergleich zu den Arbeitern sowohl in der betrieblichen als auch in der staatlichen Sozialpolitik eine bevorzugte Behandlung erfuhren.85 Die betriebliche Altersversorgung sollte sich zwar prinzipiell nach der Einkommenshöhe des einzelnen „Gefolgschaftsmitglieds“ richten, kinderreiche „Gefolgschaftsmitglieder“ sollten aber durch niedrigere Beiträge und höhere Leistungen besonders gefördert werden. Die Leistungsgewährung sollte künftig grundsätzlich in Form von Renten erfolgen, da die meisten „Gefolgschaftsmitglieder“, so die Begründung der Deutschen Arbeitsfront, keine Erfahrungen im Umgang mit größeren Kapitalbeträgen besäßen, so dass die Gefahr einer unsachgemäßen Verwendung unvertretbar hoch sei.86 Besondere Aufmerksamkeit widmete die Deutsche Arbeitsfront dem Problem der individuellen Freizügigkeit. Auf Grund ihrer traditionellen Funktion, die Belegschaft an das Unternehmen zu binden, stand die betriebliche Altersversorgung in prinzipiellem Widerspruch zu den Erfordernissen der Arbeitskräftelenkung. Der Verlust von Ansprüchen bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Betrieb, so die Befürchtung, könne einen rüstungspolitisch erwünschten Arbeitsplatzwechsel erschweren. Künftig sollte dem Arbeitnehmer daher im Falle eines Arbeitsplatzwechsels die Rückerstattung zumindest der eigenen Beiträge, die Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung oder die Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung garantiert werden.87 83 Im Vergleich dazu sahen die Richtlinien des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung vom 11. 03. 1934 bei der Gefolgschaftsversicherung eine Beteiligung des Unternehmens in Höhe von einem Fünftel der Beiträge als ausreichend an. Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 25 – 27. Funke, Grundsätzliche Erfordernisse, S. 129 f. Ders., Die zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 324. Die betriebliche Sicherung, S. 339. Die betriebliche Sicherung bei Invalidität und Alter, Bl. 1505. 84 Funke, Die zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 323. 85 Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 14. Funke, Grundsätzliche Erfordernisse, S. 128 f. Vgl. auch Betriebliche Altersversorgung, Sp. 538. Die betriebliche Sicherung, S. 334. Die betriebliche Sicherung bei Invalidität und Alter, Bl. 1511, 1527 – 1529. 86 Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 27 – 31. Funke, Grundsätzliche Erfordernisse, S. 130. Ders., Die zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 324. Die betriebliche Sicherung, S. 341. Die betriebliche Sicherung bei Invalidität und Alter, Bl. 1515 ff. 87 Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 15 – 19, 68. Funke, Grundsätzliche Erfordernisse, S. 129. Ders., Die zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 323. Die betriebliche Sicherung, S. 337 f., 342. Betriebliche Altersversorgung, Sp. 538 f. Vgl. auch Rocholl, Sp. 651 ff.

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In der Praxis erfüllten nur wenige Einrichtungen der betrieblichen Alterssicherung die Anforderungen der Deutschen Arbeitsfront, die auf eine weitgehende Vereinheitlichung der betrieblichen Altersversorgung zugunsten der rechtsfähigen Pensionskasse als zukünftige Standardform der betrieblichen Alterssicherung drängte.88 Nach dem Zusammenbruch ihrer Kassen infolge der Inflation gewährten viele Unternehmen nur noch Zuwendungen aus laufenden Mitteln, auf die selbstverständlich kein Rechtsanspruch bestand. Die häufigste Form der betrieblichen Alterssicherung war bis Ende der dreißiger Jahre der Pensionsfonds, bei dem das ausgewiesene Vermögen rechtlich Eigentum des Unternehmens blieb. Ein Rechtsanspruch auf Leistungen bestand auch hier nicht.89 Die Reform des Körperschafts- und Vermögenssteuerrechts im Oktober 1934 und die Durchführungsbestimmung vom Februar 1935 bewirkten einen deutlichen Fortschritt auf dem Weg zu einer stärkeren Verrechtlichung der betrieblichen Altersversorgung. Die Reform entzog den betrieblichen Pensionsfonds die Steuerfreiheit, beschränkte sie auf rechtsfähige Pensionskassen und verschärfte die Bedingungen für ihre steuerliche Begünstigung erheblich. Die Pensionskasse musste ihren Mitgliedern künftig einen Rechtsanspruch einräumen, zu dessen Sicherung die Kasse auf ein Kapitaldeckungsverfahren umgestellt und der staatlichen Versicherungsaufsicht unterstellt werden musste. Die Höhe der Zuwendungen wurde auf 20 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme beschränkt. Eine Übergangsfrist sollte den betroffenen Unternehmen den Aufbau eines Kapitalstocks erleichtern.90 Unter den Kassen ohne Rechtsanspruch wurden in Zukunft nur noch solche steuerlich begünstigt, die vorübergehende Unterstützungen bei Not oder Arbeitslosigkeit gewährten. Die Zahlung dauernder Rentenleistungen wurde diesen Kassen untersagt. Sie mussten ebenfalls rechtsfähig sein, und die Verwendung des Vermögens für soziale Zwecke musste durch die Satzung garantiert sein.91 Mit dieser für die Versicherten insgesamt vorteilhaften Entwicklung verbanden sich sehr unterschiedliche Interessen. Das Reichsfinanzministerium hegte die 88 Nach dem Körperschaftssteuergesetz von 1920 / 22 waren alle rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen sozialen Kassen von der Körperschaftssteuer befreit, sofern die dauernde Verwendung der Einkünfte für die Zwecke der Kasse gesichert war. Seit 1925 musste außerdem im Falle der Auflösung die Verwendung des Kapitals entsprechend des satzungsmäßigen Zwecks garantiert sein. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 111 f. Vgl. auch Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 33. 89 Weiss, Zur betrieblichen Altersversorgung, Sp. 360. 90 Körperschaftssteuergesetz vom 10. 10. 1934, RGBl. I 1934, S. 1031 – 1034. Vermögenssteuergesetz vom 16. 10. 1934, RGBl. I 1934, S. 1052 – 1055. Durchführungsbestimmungen zum Vermögenssteuergesetz für die Vermögenssteuerveranlagung nach dem Stand vom 1. Januar 1935 vom 02. 02. 1935, RGBl. I 1935, S. 100 – 104. Erste Verordnung zur Durchführung des Körperschaftssteuergesetzes vom 06. 02. 1935, RGBl. I 1935, S. 163 – 168. Vgl. auch Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1466. Weiss, Zur betrieblichen Altersversorgung, Sp. 360. Ders., Handbuch der betrieblichen Altersfürsorge, S. 13. Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 34 – 37. 91 Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 40 f. Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 114.

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Absicht, durch die Umstellung der betrieblichen Alterssicherung auf ein Kapitaldeckungsverfahren neue Absatzmöglichkeiten für Reichsanleihen zu erschließen. Die Deutsche Arbeitsfront machte sich mit der Verallgemeinerung des Rechtsanspruchs in der betrieblichen Alterssicherung alte gewerkschaftliche Forderungen zu Eigen und erhoffte sich dadurch einen deutlichen Legitimationszuwachs. Die Versicherungswirtschaft schließlich erwartete von der Vereinheitlichung der betrieblichen Altersversorgung zugunsten der rechtsfähigen Pensionskasse eine nachhaltige Verbesserung ihrer Wettbewerbsposition.92 In der Industrie stieß die steuerliche Benachteiligung der Pensionsfonds auf Empörung, stellten diese doch immerhin eine teilweise Absicherung der Pensionszusagen dar. Obwohl die Pensionskasse nicht nur bei der Deutschen Arbeitsfront als „Ideal der betrieblichen Altersversorgung“ galt,93 machte die Reichsgruppe „Industrie“ schwerwiegende Bedenken geltend. Auf Grund der Steuerreform müssten mehrere Tausend Pensionsfonds aufgelöst, in Pensionskassen umgewandelt und mit ausreichenden Deckungskapitalien versehen werden. Eine so umfassende Umstrukturierung der betrieblichen Alterssicherung sei jedoch weder wirtschaftlich noch verwaltungsmäßig vertretbar und selbst für viele Großunternehmen schlicht undurchführbar.94 Auch im Reichsarbeitsministerium wurde die Aussicht, sämtliche Pensionsfonds könnten in Pensionskassen umgewandelt werden, skeptisch beurteilt. Angesichts der hohen Zahl der betroffen Einrichtungen und der erforderlichen Deckungskapitalien schien daher die Zukunft der gesamten betrieblichen Alterssicherung in Frage zu stehen.95 Nach langwierigen Verhandlungen zwischen der Reichsgruppe „Industrie“, dem Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung und dem Reichsfinanzministerium zeichnete sich schließlich Ende 1938 ein Kompromiss ab, der es den Unternehmen erlaubte, auch künftig steuerbefreite Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung zu unterhalten, ohne einen Deckungsstock ansammeln zu müssen. Den rechtlich selbständigen Unterstützungskassen, die bisher auf fallweise Leistungen be92 Weiss, Zwanzig Jahre Unterstützungskassen, S. 41. Zu den Interessen der DAF vgl. Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1466 f. 93 Reichsgruppe Industrie über die betriebliche Altersfürsorge, S. 112. Zur Haltung des Reichsarbeitsministeriums vgl. Betriebliche Altersversorgung, Sp. 539. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 116 f. – In einem Runderlass vom 06. 07. 1937 hatte das Reichsarbeitsministerium die „Reichstreuhänder der Arbeit“ angewiesen, dass für die zusätzliche Altersversorgung der „Gefolgschaft“ vornehmlich die Rentenversicherung in Betracht käme. 94 Weiss, Versicherungsprinzip, S. 162. Ders., Zur betrieblichen Altersversorgung, Sp. 360. Ders., Betriebliche Altersvorsorge, in: Deutsches Arbeitsrecht Nr. 6, Juni 1939, BArch NS 5 / VI / 4009. Reichsgruppe Industrie über die betriebliche Altersfürsorge, S. 112 f. Schrupp, Sp. 145. Professor Moldenhauer über die Altersversorgung der Gefolgschaft, S. 371 f. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 112. Die Einschätzung, dass viele Betriebe nicht zu einer Umstellung ihrer Pensionskasse in der Lage seien, wurde auch von der DAF nicht bestritten. Vgl. Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1469. Funke, Die zusätzliche Gefolgschaftsversicherung, S. 324. 95 Weiss, Zwanzig Jahre Unterstützungskassen, S. 39 f.

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schränkt gewesen waren, wurde in Zukunft die Zahlung laufender Renten gestattet. Von den ursprünglichen Auflagen blieb einzig die Pflicht bestehen, die jeweiligen betrieblichen Einrichtungen in selbständige und rechtsfähige Kassen umzuwandeln.96 In Anbetracht der hohen finanziellen Anforderungen, die eine Pensionskasse an das Unternehmen stellte, entschlossen sich viele Betriebe, ihre Pensionskassen in Unterstützungskassen umzuwandeln. Und auch bei Neugründungen griffen die Unternehmen bevorzugt auf die betriebseigene Unterstützungskasse als der weniger verbindlichen Form der betrieblichen Altersversorgung zurück.97 1944 bestanden schätzungsweise 8.000 Unterstützungskassen mit einem Vermögen von 3 Milliarden RM.98 Dieser Aufschwung der Unterstützungskassen hatte neben dem fehlenden Rechtsanspruch vor allem zwei Gründe. Da für die Vermögen der Unterstützungskassen keine Anlagevorschriften bestanden, konnten die zurückgestellten Mittel im Betrieb verbleiben und standen den Unternehmen für Investitionen zur Verfügung. Die anhaltend günstige Gewinnsituation der Unternehmen und die verschiedentlich erhöhten Tarife der Körperschaftssteuer erhöhten zudem den Anreiz, die mit der Einrichtung einer Unterstützungskasse verbundenen Steuervorteile vollständig auszuschöpfen.99 Die Pensionskasse, die sich vor allem für solche Unternehmen eignete, deren Belegschaft groß genug war, einen Risikoausgleich herbeizuführen, verlor dagegen zunehmend an Bedeutung. Die Wirtschaftsgruppe „Lebens- und Krankenversicherung“ schätzte, dass im Jahr 1940 rund 200 beaufsichtigte Pensionskassen mit fast 400.000 Versicherten und einem Vermögen von rund 1 Milliarde RM bestanden. Dazu kamen vier öffentlich-rechtliche Zusatzversorgungsanstalten, deren Vermögen noch einmal rund 1 Milliarde RM betrug.100 Statt der angestrebten Rechts96 An den Verhandlungen im Reichsfinanzministerium nahmen neben Vertretern des Ministeriums Vertreter der Reichsgruppe „Industrie“, des Vereins für Privatpensionskassen, des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung und der Wirtschaftsgruppe „Privatversicherung“ teil. Weiss, Zwanzig Jahre Unterstützungskassen, S. 40. Vgl. auch Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 113. Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 115 f. Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1471. Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 36 f. 97 Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 245. Vgl. auch Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 39. Reichsgruppe Industrie über die betriebliche Altersfürsorge, S. 112. Weiss, Versicherungsprinzip, S. 165 f. Ders., Zur betrieblichen Altersversorgung, Sp. 360 f. Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1442 f. Schrupp, Sp. 148 f. 98 Weiss, Unterstützungskassen, S. 110. Ders., Zwanzig Jahre Unterstützungskasse, S. 41. Heißmann, S. 8. 99 Die Beträge, die „den Steuerkassen und damit der Kriegsfinanzierung“ dadurch entgingen, waren offensichtlich so erheblich, dass das Reichsfinanzministerium die Höhe der jährlichen Rückstellungen 1944 von 20 Prozent auf 10 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme herabsetzte. Zudem durften nur noch für laufende Leistungen Rückstellungen gebildet werden, und nicht mehr wie bisher auch für künftige Leistungen. Ludwig Arps, Die Altersvorsorge der Betriebe, in: Die Wirtschaftskurve, September 1944, BArch NS 5 / VI / 4405, S. 555 – 563, hier 561 f. 100 Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 243. Vgl. auch Zum heutigen Stand der betrieblichen Altersversorgung. Weiss, Zwanzig Jahre Unterstützungskassen, S. 39. Kersten,

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sicherheit für die Arbeitnehmer hatte sich damit genau das Gegenteil durchgesetzt, so dass bei Kriegsbeginn nicht einmal jedes fünfte Unternehmen seiner Belegschaft einen Rechtsanspruch auf Leistungen gewährte.101 Als Alternative zur Pensions- oder Unterstützungskasse boten sich vor allem für kleinere und mittlere Betriebe die Gruppenpensionskassen an, die 1937 etwa 5,9 Millionen Arbeitnehmer betreuten. In der Gruppenpensionskasse wurden die „Gefolgschaftsmitglieder“ mehrerer Betriebe eines Industrie- oder Gewerbezweigs zu einer gemeinsamen Versicherung zusammengefasst. Die Gruppenpensionskassen unterstanden der staatlichen Versicherungsaufsicht und waren seit dem 1. Januar 1939 von der Körperschafts- und Vermögenssteuer befreit, wenn sie eine eigene Rechtspersönlichkeit besaßen, und die angeschlossenen Betriebe demselben Wirtschaftszweig angehörten. Die Einräumung eines verbindlichen Rechtsanspruchs war nicht erforderlich.102

b) Die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge Über die Zahl der Einrichtungen zur betrieblichen Altersversorgung, ihre Verteilung auf die unterschiedlichen Rechtsformen, die Anzahl der betreuten Arbeitnehmer und die Höhe der Leistungen und Beiträge liegen keine verlässlichen Angaben vor. Albrecht Weiss, der Geschäftsführer des Vereins für Privatpensionskassen, der späteren Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung, erklärte Anfang der fünfziger Jahre, die Zahl der Unternehmen, die für ihre ehemaligen Beschäftigten sorgten, sei nicht bekannt und auch nicht abzuschätzen.103 Es soll hier dennoch der Versuch unternommen werden, die Entwicklung der dreißiger und vierziger Jahre in ihren Grundzügen zu skizzieren. Die Verbreitung von Einrichtungen und Maßnahmen der betrieblichen Altersversorgung war je nach Wirtschaftszweig und Betriebsgröße sehr unterschiedlich. In den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben fanden sich fast durchgängig Einrichtungen der zusätzlichen Alterssicherung. Für die Angestellten der Banken und Versicherungen existierten ebenfalls in größerem Umfang Altersversorgungseinrichtungen. Daneben boten vor allem größere und mittlere Unternehmen kapitalintensiver Industrien, wie der Eisen- und Stahl-, der Elektro- oder der Chemieindustrie ihren Beschäftigten betriebseigene Altersversorgungseinrichtungen an. S. 29. Heißmann, S. 8. – Heißmann bezifferte die Zahl der Pensionskassen mit Rechtsanspruch auf 300. 101 Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 117. Zusätzliche Gefolgschaftsversicherung, S. 8 f. Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1470 f. Hachtmann, Industriearbeit, S. 280. 102 Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 9, 38, 71. Funke, Die zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 324. Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1470 f. Weiss, Die betriebliche Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenfürsorge, Sp. 701. Vgl. auch Hachtmann, Industriearbeit, S. 259. 103 Weiss, Handbuch der betrieblichen Altersfürsorge, S. 17.

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In den arbeitsintensiven Industrien, wie beispielsweise der Textilindustrie, bestanden dagegen verhältnismäßig wenige Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge.104 Im Jahr 1936 verfügten nach einer Erhebung der Reichsgruppe „Industrie“ 5.300 oder ein Viertel aller in der Reichsgruppe organisierten Unternehmen über Einrichtungen der Altersversorgung. Nach Kriegsbeginn stieg ihre Zahl deutlich an, da sich auf Grund des wachsenden Arbeitskräftemangels und der restriktiven Lohnpolitik auch mittlere und kleinere Unternehmen verstärkt um ihre Einführung bemühten. Zwischen 1936 und 1943 wurden etwa 2.300 Unterstützungseinrichtungen neu geschaffen, die Mehrzahl in kleineren und mittleren Betrieben.105 Für das Jahr 1943 wurde die Zahl der betrieblichen Versorgungseinrichtungen mit 8.000 beziffert. Einer anderen Erhebung zufolge gewährten 1941 etwa 40 bis 50 Prozent der Unternehmen ihren Beschäftigten bei Invalidität und Alter Unterstützungsleistungen.106 Die Zahl der erfassten Arbeitnehmer veranschlagte Weiss für die frühe Bundesrepublik mit etwa 50 Prozent aller „in der Wirtschaft (mit Ausnahme des Einzelhandels, der Landwirtschaft, des Handwerks und der freien Berufe) tätigen Arbeiter und Angestellten“.107 Für eine Annährung an die Ausgestaltung und Höhe der Leistungen und damit ihre Bedeutung für das Versorgungsniveau der Arbeitnehmer im Alter bleibt nur der Rückgriff auf Einzelbeispiele. Problematisch ist dabei allerdings, dass es sich bei den gut dokumentierten Einrichtungen in erster Linie um solche von Großunternehmen handelt, deren Leistungen in der Regel deutlich höher waren als die kleinerer und mittlerer Betriebe. In der privaten Lebensversicherungswirtschaft gewährten viele Unternehmen ihren Mitarbeitern und deren Familien von Beginn an Unterstützungsleistungen im Alter sowie bei Invalidität und Tod. Bei einer Reihe von Versicherungsunternehmen diente dabei die staatliche Beamtenversorgung als Vorbild.108 Der Beitritt 104 Die Deutsche Arbeitsfront zur Frage der zusätzlichen Gefolgschaftsversorgung, S. 664. Vgl. auch Hachtmann, Industriearbeit, S. 269. 105 Hachtmann, Industriearbeit, S. 260, 265 ff., 271, 275, 280. – Der Erlass des Reichsarbeitsministeriums über „Lohnstopp und betriebliche Altersfürsorge“ vom 26. 03. 1940 hatte die Einrichtung und den Ausbau der betrieblichen Altersfürsorge zwar der Genehmigungspflicht durch die „Reichstreuhänder der Arbeit“ unterstellt, aber keineswegs gänzlich verboten. Eine Richtlinie des Reichsarbeitsministeriums von Anfang 1942 wies die „Reichstreuhänder“ vielmehr an, Anträgen auf Ausbau der betrieblichen Altersversorgung generell zuzustimmen, so dass 1942 / 44 ein starkes Anwachsen der Einrichtungen zu beobachten war. 106 Hachtmann, Industriearbeit, S. 278. Zum heutigen Stand der betrieblichen Alterssicherung, Sp. 473. Vgl. auch Die Deutsche Arbeitsfront zur Frage der zusätzlichen Gefolgschaftsversorgung, S. 664 – 665. 107 Weiss, Zwanzig Jahre Arbeitsgemeinschaft, S. 37. 108 Die Versorgungseinrichtungen erstreckten sich jedoch zunächst nicht auf alle Angestellten. Während den „Privatbeamten“ ein Anspruch auf Ruhegehalt sowie Witwen- und Waisenversorgung eingeräumt wurde, blieben die „Gehilfen“ zunächst außen vor. Davon waren vor allem Frauen betroffen, da sie im 19. Jahrhundert nur in Ausnahmefällen als

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

zu den Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung war in der Regel verpflichtend, konnte an bestimmte Altersgrenzen und eine Gesundheitsprüfung gebunden sein und eine zeitliche Mindestzugehörigkeit zum Unternehmen voraussetzen. Die Leistungen waren meist eindeutig festgelegt und orientierten sich in der Regel am letzten Gehalt vor dem Eintritt in den Ruhestand. Eine Rente wurde erst nach Erfüllung einer bestimmten Wartezeit gewährt, die je nach Unternehmen zwischen fünf und zehn Jahren schwankte, zumeist jedoch zehn Jahre betrug. Nach Ablauf dieser Wartezeit betrug die Rente in der Regel 25 bis 30 Prozent des vorherigen Einkommens; für jedes weitere Beschäftigungsjahr erhöhte sich der Prozentsatz um ein bis zwei Prozentpunkte. Nach 35 bis 40 Dienstjahren wurde im Allgemeinen ein Höchstsatz von 70 bis 80 Prozent des letzten Arbeitsentgelts erreicht. Die Witwenpension betrug zunächst ein Drittel, später 50 Prozent des Pensionsanspruchs des Verstorbenen. Die Halbwaisenpension schwankte zwischen zehn und 20 Prozent der väterlichen Pension, die Vollwaisenpension war etwas höher. Die Waisenpension wurde meist bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs gewährt. Die Hinterbliebenenversorgung durfte insgesamt die Pension des Verstorbenen nicht übersteigen.109 Das Verrentungsalter schwankte je nach Unternehmen zwischen dem 55. und dem 70. Lebensjahr, wobei der Eintritt in den Ruhestand zumeist zwischen dem 60. und dem 65. Lebensjahr erfolgte.110 Die Finanzierung der Leistungen übernahmen im Wesentlichen die Unternehmen. Die Höhe etwaiger Mitgliedsbeiträge richtete sich nach dem monatlichen Entgelt oder dem pensionsfähigen Gehalt. Einen vorbehaltslosen Rechtsanspruch besaßen die Mitglieder zumeist nicht. Geriet eine Kasse in finanzielle Schwierigkeiten, konnten sowohl in Aussicht gestellte als auch bereits laufende Leistungen gekürzt werden. Wenn ein Mitarbeiter das Unternehmen vorzeitig verließ, ihm illoyales Verhalten oder ein unmoralischer Lebenswandel nachgewiesen wurde, verfielen die Ansprüche in der Regel ganz oder teilweise.111 „Beamte“ eingestellt wurden. Auch die Mitarbeiter im Außendienst waren in der Regel nicht in die Versorgungseinrichtungen einbezogen. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 23, 26, 32, 39 f., 47. 109 Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 47 – 52, 76, 85. 110 Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 85. Wessel, S. 434 f. 111 Für den Fall, dass ein Kassenmitglied vor Ablauf der Wartezeit starb, wegen Invalidität aus dem Unternehmen ausschied oder vom Unternehmen gekündigt wurde, hatte es Anspruch auf die Rückzahlung der geleisteten Beiträge. Bei einer Kündigung war der Anspruch auf Rückerstattung allerdings teilweise auf 40 bis 50 Prozent der geleisteten Beiträge beschränkt, teilweise sogar ganz ausgeschlossen. Für den Fall der Auflösung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung existierten sehr unterschiedliche Regelungen. Bei rechtlich selbständigen Kassen oblag die Entscheidung über die Auflösung der Mitgliederversammlung, die allerdings eventuelle Forderungen des Unternehmens zu berücksichtigen hatte. Bei den unselbständigen Einrichtungen reichten die Bandbreite der Möglichkeiten und ihre Auswirkungen für die betroffenen Mitglieder vom vollständigen Verlust aller erwarteten Unterstützungsleistungen, über die Absicherung der schon im Ruhestand befindlichen Mitglieder bis hin zur Verteilung des zum Zeitpunkt der Auflösung vorhandenen Vermögens an die aktiven und pensionierten Mitglieder. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 53 – 62, 66 f., 86.

3. Die betriebliche Altersversorgung

205

Um die Jahrhundertwende unterhielt die Mehrzahl der größeren Versicherungsunternehmen Unterstützungseinrichtungen, deren Zahl in den folgenden Jahren weiter anstieg, so dass in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts bereits alle größeren Gesellschaften über eigene Unterstützungseinrichtungen verfügten. Aber auch kleinere Betriebe bemühten sich in Konkurrenz zu den Großunternehmen zunehmend um die Einrichtung von Maßnahmen der betrieblichen Alterssicherung.112 Nach einer Enquete der Deutschen Arbeitsfront, die 290 Versicherungsgesellschaften mit über 65.000 Beschäftigten untersuchte, verfügten Ende 1936 zwei Drittel der Unternehmen mit 93 Prozent der Beschäftigten über Maßnahmen und Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung. 97 Prozent der Großbetriebe und 82 Prozent der mittleren Betriebe hatten Ruhestandsregelungen für ihre Beschäftigten getroffen. Bei den Kleinbetrieben waren es dagegen nur 60 Prozent, bei den Kleinstbetrieben sogar nur 20 Prozent, da die Anforderungen einer betrieblichen Altersversorgung die Finanzkraft kleinerer Unternehmen häufig überstiegen.113 Die Mehrzahl der Unternehmen, darunter vor allem Großbetriebe, gewährte die in Aussicht gestellten Betriebsrenten aus laufenden Mitteln. Über 45.000 Beschäftigte erhielten 1936 Zuwendungen aus laufenden Mitteln, was einem Anteil von 70 Prozent aller in der Enquete erfassten Beschäftigten entsprach. Die Zuwendungen beliefen sich auf einen Betrag von rund 7 Millionen RM oder 63 Prozent der 1936 insgesamt von der Versicherungswirtschaft ausgezahlten Rentensumme. Die durchschnittliche Rentenhöhe, deren Bewilligung im freien Ermessen der Betriebsleitung lag, betrug 148 RM monatlich, wobei jedoch die Mehrzahl der Renten zwischen 75 RM und 125 RM lag.114 Unter den vermögensbildenden Versorgungseinrichtungen hatten die Pensionsfonds, deren Vermögen rechtlich Eigentum des Unternehmens blieb, ein deutliches Übergewicht vor Stiftungen und Vereinen sowie selbständigen Pensionskassen. 1936 belief sich das Vermögen der Pensionsfonds auf 35,7 Millionen RM, die jährlichen Zuweisungen betrugen rund 4 Millionen RM. Die ausgezahlten Renten erreichten eine durchschnittliche Höhe von 175 RM monatlich.115 Das Vermögen der 14 Stiftungen und Vereine betrug dagegen nur Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 70 – 72, 87, 132. In der privaten Lebensversicherungswirtschaft entfielen 85 Prozent der Beschäftigten auf Großbetriebe und 12 Prozent auf mittlere Betriebe, die fast durchgängig über Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung verfügten. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 118 f. Vgl. auch Ders. (Hg.), Die freiwilligen sozialen Leistungen, S. 95 f. 114 Die Höchstbeträge lagen zwischen 1.000 RM und 1.600 RM monatlich, die niedrigsten Rentenbeträge schwankten zwischen 8 RM und 30 RM monatlich. Je größer das Unternehmen, desto höher waren die möglichen Höchstbeträge. Kalbaum (Hg.), Die freiwilligen sozialen Leistungen, S. 103 – 106. Vgl. auch Ders., Erfolgsbeteiligung, S. 124, 131. 115 Die unselbständigen Fonds stellten reine Rechnungsposten dar, die mit wenigen Ausnahmen der uneingeschränkten Verfügung des Unternehmens unterstanden. Die Rentenzahlungen lagen im Allgemeinen im freien Ermessen der Unternehmensleitung. Bei den selbständigen Fonds wurde das Vermögen zwar gesondert ausgewiesen und in Wertpapieren angelegt, blieb jedoch trotzdem Bestandteil des Gesellschaftsvermögens. Die Leistungsgewährung war durch eine Satzung geregelt; es konnten auch Mitgliedsbeiträge erhoben wer112 113

206

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

etwa 10 Millionen RM, und die jährlichen Zuweisungen beliefen sich 1936 auf knapp 2 Millionen RM. Die durchschnittliche Rentenhöhe schwankte zwischen 68 RM und 100 RM und lag im Mittel bei 86 RM monatlich.116 Hinsichtlich des Kapitalstocks besaßen die Pensionskassen die größte Bedeutung. Ihr Vermögen belief sich 1936 auf 36 Millionen RM, die jährlichen Zuweisungen betrugen fast 4 Millionen RM. Die durchschnittliche Rentenhöhe reichte von 87 RM bis 139 RM und betrug im Schnitt 136 RM monatlich (Tabelle 6).117 Tabelle 6 Die betriebliche Altersversorgung in der privaten Lebensversicherungswirtschaft 1936 Form der Alterssicherung Renten aus lfd. Mitteln Pensionsfonds Pensionskassen Stiftungen und Vereine

Zahl der Zahl der Unternehmen Beschäftigten (Tsd.)

Vermögen (Mio. RM)

Höhe der Zuwendungen (Mio. RM)

1 monatl. Rentenhöhe (RM)

112

45



7,1

148,–

73

22

35,7

4,2

175,–

38

21

36

3,8

136,–

14

7

10

1,8

86,–

Quelle: Günter Kalbaum (Hg.), Die freiwilligen sozialen Leistungen des Privatversicherungsgewerbes im Jahr 1936. Eine Dokumentation, Stuttgart 1990, S. 103, 111, 115, 117, 119 ff., 125, 127.

Bei Krupp existierte bereits seit 1858 eine erste Pensionsregelung. 1885 entstand eine Arbeiterpensionskasse mit eigener Rechtspersönlichkeit, im Jahr 1890 folgte eine eigenständige Angestelltenpensionskasse. Die Mitgliedschaft in den Krupp’schen Pensionskassen war verpflichtend und begann mit dem Eintritt in die Firma. Die Arbeiterkasse finanzierte sich über ein Eintrittsgeld sowie laufende Beiträge der Versicherten, die anfangs ein Prozent des Tagesverdienstes, später dann 1,3 Prozent betrugen. Das Unternehmen beteiligte sich zunächst mit 50 Prozent der Mitgliedsbeiträge, ab 1891 in derselben Höhe. Die Kasse gewährte Pensionen für Mitglieder und deren Hinterbliebene; Voraussetzung für die Rentenden. Kalbaum (Hg.), Die freiwilligen sozialen Leistungen, S. 108 – 111, 115. Ders., Erfolgsbeteiligung, S. 124. 116 Stiftungen und eingetragene Vereine waren zwar gegenüber den Unternehmen, von denen sie gegründet waren, rechtlich selbständig. Die Unternehmensleitungen waren jedoch in der Regel in den Organen der Altersversorgungseinrichtungen vertreten und konnten sich einen weitgehenden Einfluss sichern, da diese Einrichtungen zumeist von den finanziellen Zuwendungen des Unternehmens abhängig waren. Kalbaum (Hg.), Die freiwilligen sozialen Leistungen, S. 117 – 120. Ders., Erfolgsbeteiligung, S. 125. 117 Kalbaum (Hg.), Die freiwilligen sozialen Leistungen, S. 122 – 127. Ders., Erfolgsbeteiligung, S. 132.

3. Die betriebliche Altersversorgung

207

bewilligung waren eine 20-jährige, bei schwerer Arbeit 15-jährige ununterbrochene Betriebszugehörigkeit und eine durch die Fabrikärzte bestätigte Arbeitsunfähigkeit. Die Mindestpension nach 20 bzw. 15 Dienstjahren betrug 40 Prozent des Arbeitsverdienstes der letzten drei Beschäftigungsjahre. Für jedes weitere Jahr kamen 1,5 Prozentpunkte hinzu, so dass sich nach 43 Dienstjahren ein Höchstsatz von 75 Prozent des vorherigen Arbeitsentgelts ergab. Die Witwenpension betrug zwei Drittel der Pension des Verstorbenen;118 die Waisenpension, die bis zum vollendeten 14. Lebensjahr gewährt wurde, belief sich für Halbwaisen auf zehn Prozent und für Vollwaisen auf 15 Prozent der väterlichen Pension. Die Hinterbliebenenpensionen durften insgesamt einen Betrag in Höhe von 75 Prozent der Mitgliedspension nicht übersteigen. 1899 wurde eine Altersrente eingeführt, die unabhängig vom Vorliegen einer Erwerbsunfähigkeit ab dem 65. Lebensjahr gewährt wurde.119 Obwohl die Beschäftigten zu Beitragszahlungen herangezogen wurden, besaßen sie nur einen eingeschränkten Anspruch auf die Leistungen der Kasse. Mit dem Ausscheiden aus dem Unternehmen erloschen alle Pensionsansprüche, ebenso bei selbstverschuldeter Arbeitsunfähigkeit, „unmoralischem Lebenswandel“ oder illoyalem Verhalten gegenüber dem Unternehmen.120 Die Krupp’sche Angestelltenpensionskasse umfasste alle Angestellten bis zu einem Alter von 45 Jahren und einem Jahreseinkommen von mehr als 2.000 M. Das versicherungsfähige Einkommen war auf maximal 10.000 M begrenzt. Die Kasse finanzierte sich aus einem Grundkapital sowie aus Zuschüssen und laufenden Beiträgen des Unternehmens, aus Eintrittsgeldern und einem laufenden Mitgliedsbeitrag in Höhe von drei Prozent des Arbeitsverdienstes. Die Gewährung einer Pension setzte Dienstunfähigkeit und eine fünfjährige Mitgliedschaft in der Kasse voraus. Die Zahlung einer Alterspension war an eine 35-jährige Dienstzeit und die Vollendung des 65. Lebensjahrs oder einen vom Unternehmen gestellten Pensionierungsantrag gebunden. Die Mindestpension betrug nach fünf Mitgliedsjahren 25 Prozent des letzten Gehalts und stieg mit jedem weiteren Beitragsjahr um 1,67 Prozentpunkte bis auf maximal 75 Prozent. Die Witwe erhielt bis zu einer eventuellen Wiederheirat 50 Prozent des Pensionsanspruchs ihres verstorbenen Ehemanns. Eine Waisenrente wurde bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs gewährt und betrug für Halbwaisen fünf Prozent, für Vollwaisen 15 Prozent der Pension des Verstorbenen. Die Hinterbliebenenpensionen durften insgesamt einen Betrag von 75 Prozent der Mitgliedspension nicht übersteigen.121 118 Die Zahlung einer Witwenpension unterlag erheblichen Einschränkungen: Wenn der Ehemann zum Zeitpunkt der Eheschließung über 40 Jahre alt gewesen war, oder die Ehe nicht mindestens zehn Jahre gedauert hatte, erhielt die Witwe nur die halbe Pension. War die Ehe erst nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit geschlossen worden, wurde gar keine Pension gezahlt. Im Falle einer Wiederverheiratung wurden die Zahlungen eingestellt. Stercken / Lahr, S. 65 f. 119 Stercken / Lahr, S. 71. 120 Stercken / Lahr, S. 63 – 70. 121 Die Leistungen der Angestelltenkasse waren so attraktiv, dass bei der Einführung der Angestelltenversicherung von 3.860 versicherungspflichtigen Angestellten über 83 Pro-

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Infolge der Inflation kam es in den Krupp’schen Pensionskassen zu drastischen Leistungskürzungen. In der Arbeiterpensionskasse wurden die Voraussetzungen der Rentenbewilligung verschärft, und die ausgezahlten Beträge für Pensionäre, Witwen und Waisen deutlich abgesenkt.122 Die Leistungen der Angestelltenpensionskasse wurden ebenfalls gekürzt;123 als Ergänzung wurde im August 1924 der „Pensionär- und Hinterbliebenen-Unterstützungsverband“ gegründet. Der Verband finanzierte sich aus Zuwendungen des Unternehmens und Mitgliedsbeiträgen, die, abhängig vom Eintrittsalter, zwischen einem und fünf Prozent des Arbeitsentgelts betrugen. Die Unterstützungsleistungen begannen mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit oder mit Vollendung des 65. Lebensjahrs und waren an eine fünfjährige Wartezeit gebunden. Sie bestanden aus einem Grund- und einem Sonderbetrag, der sich nach der Höhe der gezahlten Beiträge und dem Familienstand der Mitglieder richtete. Witwen erhielten 60 Prozent des Grundbetrags und für jedes Kind unter 18 Jahren eine Sonderunterstützung; Vollwaisen erhielten 20 Prozent der Grund- und Sonderunterstützung. Weder die Mitglieder noch ihre Hinterbliebenen hatten einen Rechtsanspruch auf Leistungen. Die durchschnittliche Unterstützung betrug 1927 für Mitglieder 57 RM und für Hinterbliebene 35 RM monatlich. Zusammen mit den durchschnittlichen monatlichen Pensionszuwendungen in Höhe von 72 RM ergab sich daraus für männliche Angestellte eine mittlere Betriebsrente von 129 RM im Monat.124 1934 wurden die Krupp’schen Pensionskassen, die sich nach der Inflation als nicht mehr sanierungsfähig erwiesen hatten, aufgelöst. Das verbliebene Vermögen wurde an die einzelnen Mitglieder ausgezahlt, und die Zuwendungen wurden auf laufende Mittel umgestellt. Die Leistungen stagnierten trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs seit Mitte der dreißiger Jahre auf dem niedrigen Krisenniveau. Erst nach Kriegsbeginn kam es zu deutlichen Leistungsverbesserungen. 1942 betrugen die Zuwendungen für Arbeiter nach zehn Beschäftigungsjahren 15 RM monatlich und erhöhten sich ab dem 16. Dienstjahr um jeweils 1 RM pro angefangenem Jahr. Witwen erhielten 60 Prozent der Pension des Verstorbenen, mindestens jedoch 10 RM. Die Waisenrenten betrugen 25 Prozent der väterlichen Pension für Halbwaisen und 50 Prozent für Vollwaisen.125 zent eine Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht beantragten. Stercken / Lahr, S. 90 ff. 122 Die Höhe der neu zugehenden Pensionen betrug nur noch 17,5 Prozent der satzungsmäßigen Papiermark-Pensionen, mindestens jedoch 15 RM monatlich für Mitglieder und 12 RM für Witwen. Stercken / Lahr, S. 81 – 85. 123 Stercken / Lahr, S. 94. 124 Insgesamt ergab sich aus den Leistungen der Angestelltenversicherung, der Betriebsrente und den Zuwendungen des Pensionär- und Hinterbliebenen-Unterstützungsverbandes ein monatliches Alterseinkommen von 184 RM bis 204 RM. Gemessen am monatlichen Durchschnittsverdienst der sozialversicherungspflichtigen Angestellten von 207 RM im Jahr 1929 war das ein hervorragendes Versorgungsniveau. Vgl. Stercken / Lahr, S. 98 – 101, bes. 101. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 473. 125 Stercken / Lahr, S. 85 f.

3. Die betriebliche Altersversorgung

209

Die 1872 gegründete „Arbeiter- und Beamten-Pensions-, Witwen- und WaisenKasse“ der Firma Siemens umfasste Arbeiter und Angestellte, die ein volles Jahr im Unternehmen beschäftigt waren. Im Falle der Invalidität oder nach Betriebsunfällen wurde nach zehn Dienstjahren ein Höchstsatz von 720 M, später von 900 M jährlich gewährt. Trat die Invalidität früher ein, war die Höhe der Pensionen nach der Beschäftigungsdauer gestaffelt. Die Gewährung einer Alterspension setzte voraus, dass der Empfänger 30 Beschäftigungsjahre bei Siemens verbracht und die Altersgrenze von 50 Jahren überschritten hatte. Nach 30-jähriger Beschäftigungsdauer konnten die Pensionen eine Höhe von bis zu zwei Dritteln des durchschnittlichen Jahreslohns erreichen und waren damit außerordentlich attraktiv. Obwohl die Beschäftigten keine Beiträge entrichteten, bestand bis 1900 ein grundsätzlicher Rechtsanspruch auf die Leistungen der Kasse.126 Die Pensionsberechtigung erlosch mit dem Ausscheiden aus dem Unternehmen sowie bei Erwerbsunfähigkeit durch eigenes Verschulden oder Interessenschädigung des Unternehmens. Die Hinterbliebenen wurden zunächst nur bei Bedürftigkeit und nach Maßgabe der finanziellen Lage der Kasse unterstützt. Die Leistungen waren nach dem Dienstalter des Verstorbenen gestaffelt und betrugen nach 20 bis 30 Dienstjahren 50 Prozent, nach zehn bis 20 Dienstjahren 30 Prozent und nach fünf bis zehn Dienstjahren 25 Prozent der Pension des Verstorbenen.127 Durch den Gründerkrach und die anschließende Rezession geriet die Kasse bald nach ihrer Errichtung in finanzielle Schwierigkeiten, so dass es schließlich um die Jahrhundertwende zu Zugangs- und Leistungsbeschränkungen kam.128 Die Pensionen folgten nicht mehr der Lohnentwicklung, so dass die Arbeiterpensionen 1905 / 06 und 1910 / 11 im Schnitt nur noch 42 bzw. 34 Prozent des Durchschnittslohns erreichten. Die Angestellten, die gegenüber den Arbeitern eine bevorzugte Behandlung erfuhren, kamen vor dem Ersten Weltkrieg im Durchschnitt auf 53 bzw. 48 Prozent ihres mittleren Gehalts.129 Nach den Statuten von 1914, die bis zur Umwandlung der Pensionskasse in eine Unterstützungskasse im Jahr 1940 galConrad, Erfolgsbeteiligung, S. 101, 107. Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 98 – 100, 106, 114. Feldenkirchen, S. 414 f. 128 Der Höchstsatz wurde erst nach 35 Dienstjahren gewährt, gerechnet ab dem 21. Lebensjahr. Bei unverschuldeten Betriebsunfällen erhielt der Betroffene zwar auch weiterhin jederzeit eine Pension, aber nur noch „nach dem für eine 15-jährige Dienstzeit bestehenden Satz“. Die Mindesthöhe der Pension nach 10-jähriger Beschäftigungsdauer wurde für Arbeiter und Beamte um 25 Prozent gesenkt. Die gleichzeitige Erhöhung der Steigerungsbeträge glich diese Pensionskürzungen zwar teilweise aus, benachteiligte jedoch vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter mit zehn bis 19 Dienstjahren. Die Unfallrenten aus der Sozialversicherung wurden in Zukunft ganz, die Invalidenrenten zu einem Drittel auf die Betriebspension angerechnet. Witwen erhielten künftig nach einer 25-jährigen Dienstzeit des Verstorbenen 50 Prozent und nach zehn bis 25 Dienstjahren ein Drittel der Pension des Verstorbenen. Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 102. 129 Die staatliche Invalidenrente betrug 1900 im Durchschnitt 140 M, die Altersrente 144 M; die Pensionskasse bei Siemens schüttete dagegen im Mittel 578 M aus. Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 107. Feldenkirchen, S. 415. 126 127

14 Schlegel-Voß

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

ten, betrugen die Pensionen nach zehn bis 35 Beschäftigungsjahren für „Beamte“ mindestens 30 M, aber höchstens 100 M, und für „Beamtinnen“ 18 M bzw. 60 M monatlich. „Unterbeamte“, Angestellte im Wochenverdienst und Arbeiter erhielten nach zehn Dienstjahren 30 M und nach 35 Dienstjahren höchstens 75 M monatlich. Für Arbeiterinnen lagen die betrieblichen Renten mit 18 M bzw. 45 M deutlich niedriger.130 Infolge der Inflation sanken die durchschnittlichen Zuwendungen spürbar und blieben auch in der Phase der relativen Stabilisierung hinter dem Vorkriegsstand zurück. Der Abbau der betrieblichen Altersversorgung beschleunigte sich ab 1929, als die Pensionskasse zunehmend als Instrument zum Personalabbau eingesetzt wurde und die Ausgaben deutlich anstiegen, und setzte sich trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs in den dreißiger Jahren fort.131 1928 / 29 betrug der Höchstsatz nach 35-jähriger Beschäftigungsdauer für „hochwertige Facharbeiter“ 119 RM, für „normale Facharbeiter“ 100 RM und für „kaufmännische Angestellte in niedrigen Gehaltsgruppen“ zwischen 100 RM und 114 RM monatlich. Auf Grund einer Verschärfung der Anrechnungsvorschriften für die Leistungen aus der öffentlichen Rentenversicherung sanken die Höchstsätze in der Folgezeit für „hochwertige Facharbeiter“ auf 99 RM und für „normale Facharbeiter“ auf 90 RM monatlich. Bei den Angelernten erreichten die Betriebsrenten eine maximale Höhe von rund 82 RM monatlich, bei den Ungelernten waren es rund 78 RM.132 1938 betrug die durchschnittliche Arbeiterpension bei Siemens 331 RM jährlich und war damit etwas niedriger als die durchschnittliche Arbeiterrente in der öffentlichen Rentenversicherung. 1919 waren die betrieblichen Leistungen dagegen noch doppelt so hoch gewesen wie die staatliche Arbeiterrente.133 Auf Grund der Steuerreform von 1934 wandelte Siemens seine Pensionskassen Anfang 1940 in eine Unterstützungskasse um, die ab 1. April die Kapitalien, Aufgaben und Pensionäre der bisherigen Kassen übernahm.134 Gemäß den Bestimmungen über die Steuerfreiheit von Unterstützungskassen besaß die Kasse eine eigene Rechtspersönlichkeit, ein Rechtsanspruch auf Leistungen war jedoch grundsätzlich ausgeschlossen.135 Die Berechnung der Pensionen folgte neuen, deutlich Homburg, S. 614. Der Anteil der Aufwendungen für „Altersfürsorge“ an allen „freiwilligen Sozialleistungen“, der 1932 / 33 mit 77,2 Prozent seinen Höhepunkt erreicht hatte, sank bis 1938 / 39 auf 48, 7 Prozent. Homburg, S. 643 f. Vgl. auch Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 107. 132 Homburg, S. 615 f. 133 Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 111. Feldenkirchen, S. 415 f. 134 Bei einer Fortführung der bestehenden Pensionskasse hätte das Unternehmen Deckungskapitalien in Höhe von etwa 300 Millionen RM aufbringen müssen. Das war mehr als das Grundkapital von Siemens & Halske und der Siemens-Schuckertwerke zusammen. Eine Weiterführung kam daher nicht in Frage. Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 114. Feldenkirchen, S. 415. 135 Die Pensionsfähigkeit begann, außer bei Betriebsunfällen, mit dem 10. Dienstjahr ab dem 21. Lebensjahr gerechnet; die Altersgrenze lag weiterhin bei 65 Jahren, und nach 130 131

3. Die betriebliche Altersversorgung

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hierarchisch orientierten und leistungsbezogenen Grundsätzen und führte dadurch zu einer stärkeren Übertragung der innerbetrieblichen Einkommensdifferenzierung auf die Altersversorgung.136 Einen ganz anderen Weg der betrieblichen Altersfürsorge beschritt die Firma Bosch. Überzeugt von der Mündigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Arbeiters, lehnte es Robert Bosch ab, über die Zahlung hoher Löhne und die Schaffung gesunder Arbeitsbedingungen hinaus zusätzliche Anreize zu schaffen, um die Werksangehörigen an das Unternehmen zu binden.137 Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung beschränkte sich das Unternehmen zunächst darauf, neben den Arbeitgeber- auch die Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Kranken-, Invalidenund Angestelltenversicherung zu übernehmen. Erst 1913 gründete Bosch eine „Arbeiter-Unterstützungskasse“, die bei unverschuldeter Bedürftigkeit infolge von Krankheit, Invalidität und Sterbefällen Zuwendungen gewährte.138 Die Angestellten wurden vorerst nicht einbezogen und erhielten stattdessen eine Gehaltszulage in Höhe von 10 M monatlich. Erst 1921 richtete Bosch die sogenannte „Angestellten-Hilfe“ ein und schloss zu diesem Zweck Kapitallebensversicherungsverträge zugunsten der Angestellten des Unternehmens und ihrer Hinterbliebenen ab. Die Versicherungsbeiträge in Höhe von fünf Prozent des Jahresgehalts übernahm das Unternehmen; die Angestellten konnten die Versicherung durch die Entrichtung eigener Prämien zusätzlich aufstocken. Voraussetzung für die Aufnahme in die „Angestellten-Hilfe“ war eine mindestens zehnjährige Firmenzugehörigkeit. Die Versicherung kam mit Vollendung des 30. Dienstjahres und dem Erreichen des 60. Lebensjahres sowie im Todesfall zur Auszahlung. Bei einem Arbeitsplatzwechsel – mit Ausnahme der fristlosen Kündigung – konnten die Angestellten die Versicherung auf der Grundlage eigener Beiträge fortsetzen oder sich den Rückkaufwert auszahlen lassen.139 Die im Jahr 1929 rückwirkend zum 1. Januar 1927 eingerichtete „Bosch-Hilfe“ stellte eine wesentliche Erweiterung der bestehenden Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge dar. Die „Bosch-Hilfe“ richtete sich an alle Arbeitnehmer, die mindestens zehn Dienstjahre bei Bosch vorweisen konnten und das 40. Lebens50 Beschäftigungsjahren wurde wie bisher das letzte Einkommen weiter gezahlt. Bei Betriebsunfällen erhielten die Betroffenen unabhängig vom Dienstalter mindestens den nach 15 Dienstjahren vorgesehenen Satz. Die Witwenrente betrug nach einer Beschäftigungsdauer des Verstorbenen von bis zu 24 Jahren 40 Prozent der Rente des Ehemannes, danach 50 Prozent. Für Kinder in der Ausbildung erhielt die Witwe zusätzlich 10 RM monatlich. Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 117 f. Vgl. auch Feldenkirchen, S. 416. 136 Der für alle Beschäftigtenkategorien in gleicher Höhe festgesetzte monatliche Grundbetrag von 30 RM für Männer und 20 RM für Frauen wurde durch einen nach dem Dienstalter gestaffelten Prozentsatz des „ruhegeldfähigen Arbeitsverdienstes“ ergänzt. Conrad, Erfolgsbeteiligung, S. 117. 137 Mulert, S. 3 – 6. Vgl. auch Fischer, Pionierrolle, S. 50. 138 Mulert, S. 25. 139 Mulert, S. 26. 14*

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

jahr vollendet hatten. Die Arbeitnehmer zahlten keine Mitgliedsbeiträge, erwarben jedoch auch keinen Rechtsanspruch und erhielten abgesehen von Fällen der Invalidität auch keine Leistungen, wenn sie das Unternehmen vor dem Erreichen des 65. Lebensjahres verließen.140 Die Alters- und Invalidenrente betrug 1940 nach zehn Beschäftigungsjahren 20 Prozent eines festgesetzten „Arbeitseinkommens“ und stieg mit jedem zusätzlichen Beschäftigungsjahr um einen Prozentpunkt. Als Beschäftigungszeiten galten dabei lediglich die Jahre nach Vollendung des 30. Lebensjahrs, so dass im Falle der Invalidität frühestens ab dem 40. Lebensjahr eine Rente gewährt wurde.141 Das Witwengeld, das sich nach dem Alter der Witwe beim Tod des Ehemannes richtete, durfte 50 Prozent der Rente des Verstorbenen nicht übersteigen. Das Waisengeld betrug zehn Prozent der väterlichen Rente, pro Monat aber nicht weniger als 10 RM. Die Hinterbliebenenrente war insgesamt auf höchstens 80 Prozent der Rente des Verstorbenen begrenzt.142 Auch die Daimler-Benz AG gewährte ihren ehemaligen Lohn- und Gehaltsempfängern nach langjähriger Betriebszugehörigkeit eine betriebliche Zusatzrente. 1942 erhielten ehemalige Arbeiter nach 20-jähriger Betriebszugehörigkeit eine monatliche Rente von 20 RM, die sich abhängig von der Beschäftigungsdauer auf bis zu 40 RM nach 40 Dienstjahren erhöhte. Im Todesfall erhielt die Witwe bei einer 20-jährigen Betriebszugehörigkeit des Verstorbenen eine Betriebsrente in Höhe von 10 RM monatlich; bei mehr als 40-jähriger Betriebszugehörigkeit waren es 25 RM. Bei den Angestellten richtete sich die Höhe der Leistungen ebenfalls nach der Dauer der Beschäftigung, berücksichtigte darüber hinaus aber auch die Höhe der Bezüge. Nach zehn Dienstjahren betrug die Rente in der Regel 25 Prozent des letzten Gehalts und stieg mit jedem weiteren Jahr um 1,5 Prozentpunkte auf maximal 75 Prozent des letzten Gehalts.143 Die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung waren, wie die genannten Beispiele zeigen, selbst in den Großunternehmen äußerst heterogen. Neben regionalen und branchenspezifischen Besonderheiten sowie der Rechtsform der Versorgungseinrichtung war vor allem die soziale Stellung der Beschäftigten ausschlaggebend für die Höhe der Leistungen und die Voraussetzungen ihrer Gewährung. Während sich die Zuwendungen an alte und invalide Arbeiter hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und ihrer Höhe stark unterschieden, gestalteten sich die Versorgungsleistungen für Angestellte nicht nur wesentlich einheitlicher, sondern waren auch durchgängig erheblich höher als die der Arbeiter. Im Querschnitt aller Branchen und Betriebsgrößen schätzte die Deutsche Arbeitsfront die durchschnittliche Mulert, S. 27. Die „Arbeitseinkommen“ wurden nach bestimmten Sätzen, die der Vorstand der „Bosch-Hilfe“ festlegte, berechnet und betrugen für gelernte Arbeiter 240 RM, für ungelernte Arbeiter 190 RM, für Hilfsarbeiter 170 RM und für Arbeiterinnen 120 RM im Monat. Mulert, S. 28. 142 Mulert, S. 28. 143 Pohl / Habeth / Brüninghaus, S. 175 f. 140 141

3. Die betriebliche Altersversorgung

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Höhe der betrieblichen Renten für das Jahr 1937 auf einen Betrag von 25 RM bis 30 RM monatlich für Arbeiter und 120 RM bis 200 RM für Angestellte.144 Die Betriebsrenten der Arbeiter waren damit zum Teil deutlich niedriger als die Leistungen aus der öffentlichen Rentenversicherung, die Betriebspensionen der Angestellten dagegen überstiegen diese zumeist beträchtlich.

c) Außerbetriebliche Formen der Altersvorsorge Eine Alternative zu den dargestellten innerbetrieblichen Formen der Altersversorgung stellte die sogenannte Gruppenversicherung dar, bei der ein Unternehmen für Teile seiner Belegschaft oder auch für die gesamte Belegschaft bei privaten oder öffentlich-rechtlichen Lebensversicherungsunternehmen Kapital- oder Rentenversicherungen zu speziellen Tarifen abschloss.145 Seit 1935 stieß die Gruppenversicherung, im nationalsozialistischen Sprachgebrauch „Gefolgschaftsversicherung“, bei den Unternehmen auf verstärktes Interesse, da ihnen durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 eine Fürsorgepflicht für ihre Belegschaft auferlegt worden war. Das Aktiengesetz vom 30. Januar 1937 verlangte zudem ein angemessenes Verhältnis zwischen der Gewinnbeteiligung von Aufsichtsrat und Vorstand einerseits und den Aufwendungen für die Beschäftigten andererseits, während die Steuerreform von 1934 zugleich die innerbetrieblichen Optionen der Altersvorsorge stark eingeschränkt hatte.146 Darüber hinaus bot der Abschluss von Gruppenversicherungsverträgen auch praktische Vorteile: Die Gruppenversicherung arbeitete nach dem Kapitaldeckungsverfahren und garantierte den Versicherten einen Rechtsanspruch, während gleichzeitig das Risiko nicht beim Unternehmen, sondern bei der Versicherungsgesellschaft lag.147 Die „Gefolgschaftsversicherung“ eignete sich daher besonders für kleinere und mittlere Betriebe, deren Finanzkraft für eine innerbetriebliche Einrichtung nicht ausreichte.148 144 Funke, Die zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 323, 325. Diese Schätzungen werden durch Kersten bestätigt, der die Höhe der betrieblichen Renten auf 30 RM bis 100 RM monatlich beziffert. Kersten, S. 29. 145 Die Anfänge der Gruppenversicherung reichen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Ernsthaft diskutiert wurde die Gruppenversicherung als Alternative zu betriebseigenen Einrichtungen allerdings erst nach der Inflation, als sich verstärkt die Frage nach einem Ersatz für die wertlos gewordenen Pensionskassen der Großunternehmen stellte. Beeinflusst durch das amerikanische Vorbild entstanden sogenannte „Kollektivversicherungen“ mit speziellen, niedrigeren Tarifen. Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 230 f. Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 58. 146 Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 238. 147 Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 237 f. Vgl. auch Professor Moldenhauer über die Altersversorgung der Gefolgschaft, S. 372. Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1478 f. 148 Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1478 f. Professor Moldenhauer über die Altersversorgung der Gefolgschaft, S. 372.

214

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Die Gruppenversicherung entfaltete sich dennoch nur langsam. Die Verträge mussten erst an die vielfältigen sozialen Bedingungen der Unternehmen angepasst werden, und der Vertrieb von Gruppenversicherungsverträgen in größerem Umfang erforderte den Aufbau spezieller Abteilungen bei den Versicherungsgesellschaften.149 Die Richtlinien des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung vom 17. März 1939 verschärften zudem die Auflagen der Gruppenversicherung. Sie verlangten eine eindeutige Definition des von der Gruppenversicherung erfassten Personenkreises, und der Versicherungsvertrag musste mindestens die Hälfte dieses Personenkreises, wenigstens jedoch zehn Personen umschließen. Wurden mindestens 90 Prozent des definierten Personenkreises versichert, so konnte auf eine Gesundheitsprüfung oder die an ihre Stelle tretende Wartezeit verzichtet werden. Das Unternehmen hatte für jeden Versicherten mindestens 20 Prozent des seinem Eintrittsalter entsprechenden Beitrags zu leisten. Die Dauer der Beitragszahlungen durfte nicht über das 65. Lebensjahr hinausgehen. Den Versicherten musste ein unmittelbarer Rechtsanspruch auf die Versicherungsleistungen eingeräumt werden, und zwar mindestens in Höhe der eigenen Beiträge. Im Falle eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Unternehmen sollte die Versicherung zu den bisherigen Beitragssätzen fortgesetzt werden können.150 Die Ende der dreißiger Jahre bestehenden Gruppenversicherungen umfassten schätzungsweise neun bis zehn Millionen Arbeitnehmer, davon sieben bis acht Millionen Arbeiter und zwei bis 2,5 Millionen Angestellte, was bei den Arbeitern einem Anteil von etwa 41 bzw. 46 Prozent und bei den Angestellten von 42 bzw. 53 Prozent entsprach.151 Die durchschnittliche Versicherungssumme betrug 467 RM (Tabelle 7). Bis 1942 erhöhte sich die Zahl der Versicherten auf knapp zwölf Millionen, und der Wert des Versicherungsbestands stieg auf 6 Milliarden RM.152 Hinter diesen Durchschnittswerten verbargen sich jedoch erhebliche Unterschiede, wie das Beispiel der privaten Lebensversicherungswirtschaft deutlich macht. Unter den privaten Lebensversicherern hatten Mitte der dreißiger Jahre 32 Betriebe mit knapp 11.000 Beschäftigten Gruppenversicherungsverträge für 35 Prozent ihrer Beschäftigten abgeschlossen. Es bestanden 3.199 Kapitalversicherungen mit einer durchschnittlichen Versicherungssumme von 5.830 RM. In den Kleinstbetrieben allerdings blieb die mittlere Versicherungssumme mit 725 RM erheblich hinter diesem Durchschnittswert zurück. In den kleineren und mittleren Betrieben belief Arps, Durch unruhige Zeiten, Teil 2, S. 240. Zusätzliche Gefolgschaftsversicherung, S. 82 f. Riebesell, Sp. 461. Neue Bestimmungen für die Gefolgschaftsversicherung. Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1476 f. 151 Kalbaum, Erfolgsbeteiligung, S. 118. Vgl. auch Professor Moldenhauer über die Altersversorgung der Gefolgschaft, S. 372. Hachtmann, Industriearbeit, S. 279. 1939 betrug die Zahl der Arbeiter 17,4 Millionen, die der Angestellten 4,7 Millionen. Bevölkerung und Wirtschaft, S. 142. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 44. 152 Ludwig Arps, Die Altersvorsorge der Betriebe, in: Die Wirtschaftskurve, September 1944, BArch NS 5 / VI / 4405, S. 559. 149 150

3. Die betriebliche Altersversorgung

215

sie sich im Mittel auf 4.380 RM und lag somit immer noch deutlich unter dem Durchschnitt. In den Großbetrieben dagegen betrug die mittlere Versicherungssumme knapp 12.800 RM und war damit mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnittswert. Allerdings wies die Höhe der Policen auch innerhalb der Großunternehmen noch einmal beträchtliche Unterschiede auf.153

Tabelle 7 Gruppenversicherungsverträge bei deutschen privaten Lebensversicherungsunternehmen 1934 – 1942 Jahr

Zahl der Unternehmen

Zahl der VersicherungsVersicherten (Mio.) bestand (Mio. RM)

Versicherungssumme (RM)

1934

67

5,3

2253

426

1935

70

5,9

2419

412

1936

69

5,8

2593

451

1937

74

6,1

2771

456

1938

67

6,9

3225

467

1939

71

7,3

3341

455

1940

70

7,4

3573

480

1941

69

7,6

3820

502

1942

69

7,9

4103

517

Quelle: Die Lebensversicherung im Jahr 1934, in: Wirtschaft und Statistik 1935, S. 259 f. Die Lebensversicherung im Jahr 1935, in: Wirtschaft und Statistik 1936, S. 288. Die Lebensversicherung Ende 1936, in: Wirtschaft und Statistik 1937, S. 195 f. Die Lebensversicherung im Jahr 1937, in: Wirtschaft und Statistik 1938, S. 285 f. Die Lebensversicherung im Jahr 1938, in: Wirtschaft und Statistik 1939, S. 363. Zusammengefaßter Geschäftsbericht über die Tätigkeit des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung 1939 bis 1945 (Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für Versicherungs- und Bausparwesen, Sonderheft 3), Berlin 1955, S. 80.

Eine weitere „außerbetriebliche“ Alternative stellte die Höherversicherung in der öffentlichen Rentenversicherung dar, bei der die Belegschaftsmitglieder in einer höheren Beitragsklasse als der, die ihrem Lohn oder Gehalt entsprach, versichert wurden. Die Mehrkosten übernahm das Unternehmen ganz oder in Teilen. Die Vorzüge der Höherversicherung, für die das Reichsarbeitsministerium und die Versicherungsträger vehement warben, lagen vor allem in der Gewährung von Renten gegenüber der Zahlung eines Kapitals, der Sicherheit der Ansprüche, die durch die Reichsgarantie gedeckt waren, sowie den geringen Verwaltungskosten. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer blieb unbeschränkt, da die Ansprüche der Versicherten auch im Falle einer Senkung oder Aussetzung der Unternehmerbeiträge 153 Kalbaum (Hg.), Die freiwilligen sozialen Leistungen, S. 134 f. Ders., Erfolgsbeteiligung, S. 124, 134 f., 137 ff.

216

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

nicht verloren gingen.154 Problematisch war allerdings, dass sich die zusätzlichen Beiträge in Abhängigkeit der jeweiligen Pflichtbeitragsklasse sehr unterschiedlichen auswirkten. In der Angestelltenversicherung bewirkte beispielsweise ein in Höhe des Pflichtbeitrags entrichteter Zusatzbeitrag in den niedrigen und mittleren Gehaltsklassen, in denen zwei Drittel der Angestellten versichert waren, nur geringe Rentensteigerungen, da das Ruhegeld etwa zur Hälfte aus dem Grundbetrag bestand, der durch die zusätzlichen Beiträge keine Steigerung erfuhr. In den oberen Gehaltsklassen konnte dagegen durch eine Beitragsverdopplung eine Verdopplung des Ruhegeldes erreicht werden. In der Invalidenversicherung war durch eine Verdopplung des Beitrags eine entsprechende Steigerung der Renten nur in den unteren Beitragsklassen möglich; in den höheren Beitragsklassen nahm der Nutzen der Höherversicherung schrittweise ab.155 Aus Sicht der Unternehmen war die Höherversicherung in der öffentlichen Rentenversicherung nur mäßig attraktiv, da die Aufwendungen des Unternehmens für die betriebliche Altersvorsorge der Belegschaft kaum zu Bewusstsein kamen, und die Bindung der Arbeitnehmer an das Unternehmen daher als gering eingeschätzt wurde.156

d) Die Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung Die Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung lässt sich angesichts des disparaten Materials nur schwer abschätzen; einige generalisierende Aussagen lassen sich dennoch treffen. Die Verbreitung der betrieblichen Alterssicherung war je nach Branche und Betriebsgröße sehr unterschiedlich. Während bei den Banken und Versicherungen die Mehrzahl der Unternehmen ihren Beschäftigten im Falle der Invalidität und im Alter Leistungen gewährte, waren es in den kapitalintensiven Industrien vor allem Mittel- und Großunternehmen. In den arbeitsintensiven Industrien kam es erst im Zuge des wachsenden Arbeitskräftemangels zu einem verstärkten Ausbau der betrieblichen Alterssicherung.157 Die Höhe der Leistungen und die Voraussetzungen ihrer Gewährung hingen entscheidend von der Betriebsgröße ab. Je größer das Unternehmen war, desto höher 154 Grießmeyer, Gefolgschaftsversorgung. Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 77 – 82. Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1481. Funke, Die zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 325. 155 Kratz, Gedanken zur zusätzlichen Gefolgschaftsversorgung. 156 1936 unterhielten beispielsweise in der privaten Versicherungswirtschaft acht Unternehmen mit 624 Beschäftigten für 26 Belegschaftsmitglieder eine Höherversicherung in der öffentlichen Rentenversicherung; davon zwei Kleinst- und drei Kleinbetriebe, zwei mittlere und ein Großunternehmen. Die durchschnittlichen Aufwendungen für die Höherversicherung betrugen 7 RM monatlich, für die Weiterversicherung leitender Angestellter 36 RM monatlich. Kalbaum (Hg.), Die freiwilligen sozialen Leistungen, S. 139 f. Ders., Erfolgsbeteiligung, S. 140. Vgl. auch Sitzler, Die betriebliche Altersversorgung, Bl. 1481. Funke, Die zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 325. 157 Hachtmann, Industriearbeit, S. 269.

3. Die betriebliche Altersversorgung

217

und umfangreicher waren in der Regel die Leistungen bei Invalidität und Alter sowie zugunsten der Hinterbliebenen.158 Neben der Rechtsform der jeweiligen Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung war ferner vor allem die soziale Stellung der Beschäftigten von grundlegender Bedeutung. Die Arbeiterpensionen blieben deutlich hinter denen der Angestellten zurück. Während die durchschnittliche Arbeiterpension nur knapp an die Durchschnittsrente in der öffentlichen Rentenversicherung heranreichte, überstiegen die Betriebspensionen der Angestellten diese deutlich. In Relation zum Kaiserreich, als die Werkspensionen die staatlichen Renten häufig um das Zwei- bis Dreifache überstiegen hatten, nahm sich die Höhe der Betriebsrenten während der NS-Zeit – wie schon in den Jahren der Weimarer Republik – eher bescheiden aus. Zwar war die Zahl der Fälle, in denen Betriebe Rentenzahlungen gewährten, verhältnismäßig groß, und bei langer Werkstreue erreichten die Zuwendungen mancher Unternehmen immer noch einen Umfang, der deutlich über dem der staatlichen Durchschnittsrente lag. Die große Masse der Betriebe, die sich häufig erst auf Grund der vom Arbeitsmarkt her wirkenden Zwänge seit 1934 / 35 zur Schaffung betrieblicher Altersfürsorgeeinrichtungen veranlasst sah, gestand ihren Arbeitnehmern nach Feststellung der Deutschen Arbeitsfront jedoch meist nur „geringe Beträge“ zu: „( . . . ) je höher die Leistungen, desto geringer die Zahl der Betriebe, die sie gewähren.“159 Dennoch war die Bedeutung der Betriebsrenten gegenüber der Weimarer Republik gestiegen, da die Leistungen der öffentlichen Rentenversicherung während der Weltwirtschaftskrise drastisch gekürzt worden waren. Gleichzeitig hatten sich die Chancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt infolge der Massenarbeitslosigkeit rapide verschlechtert, so dass zusätzliche Einkünfte, beispielsweise aus der betrieblichen Alterssicherung, wichtiger geworden waren als noch in der Weimarer Republik, um ein Existenz sicherndes Alterseinkommen zu gewährleisten. Dieser Trend setzte sich in den dreißiger Jahren fort, als sich im Zuge des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs die Kluft zwischen den Renten einerseits und den Löhnen und Gehältern andererseits vergrößerte. Wenn die betriebliche Alterssicherung einen allgemeinen Ausgleich staatlicher Defizite nicht zu leisten vermochte,160 so lag dies auch an dem gesunkenen Leistungsniveau und der unzureichenden Verbreitung der betrieblichen Alterssicherung. Noch entscheidender dürfte jedoch die Tatsache gewesen sein, dass hohe Renten aus der öffentlichen Rentenversicherung in der Regel mit hohen Betriebspensionen zusammentrafen. Die Bezieher niedriger Renten verfügten dagegen nur selten über nennenswerte Bezüge aus Einrichtungen der betrieblichen Alterssicherung und waren daher vielfach auf die Leistungen der öffentlichen Fürsorge angewiesen. Hachtmann, Industriearbeit, S. 260, 265 ff. Zusätzliche Gefolgschaftsversorgung, S. 5. Vgl. auch Hachtmann, Industriearbeit, S. 282. Penkert, S. 225. 160 Hachtmann, Industriearbeit, S. 282. 158 159

218

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

4. Die öffentliche Fürsorge a) Von der Armenfürsorge zur Wohlfahrtspolitik In der Weimarer Republik beschleunigte sich der Wandel von einer traditionellen Arbeiterschutzpolitik zu einer allgemeinen Gesellschaftspolitik. Die Weimarer Verfassung gewährte neben politischen Grundrechten auch soziale Rechte, und die Ziele staatlicher Sozialpolitik wurden generell anspruchsvoller definiert als noch im Kaiserreich. Im Bereich der öffentlichen Fürsorge kam es zu einer Ausweitung und Differenzierung der Leistungen und ihrer Adressaten. Die Kriegs- und Inflationszeit hatte neue Gruppen von Hilfsbedürftigen geschaffen, die ihre Armut als politisch bedingt verstanden und nun den ihnen während des Krieges immer wieder versprochenen „Dank des Vaterlandes“ von der Weimarer Republik einforderten. Es bildeten sich zahlreiche Interessenverbände, die, so verschieden ihre politische Ausrichtung auch war, in der Forderung übereinstimmten, dass die Armenfürsorge kein geeignetes Medium zur Kompensation erlittener Schädigungen und zur Behebung der besonderen Armutslagen war. Sie verlangten stattdessen eine auf die spezifische Situation ihrer jeweiligen Klientel zugeschnittene, Existenz sichernde Rente und eine verstärkte Mitwirkung bei Verabschiedung und Vollzug entsprechender Gesetze.161 Zu den Opfern der Kriegs- und Nachkriegsinflation gehörten vor allem weite Teile des bürgerlichen Mittelstandes, deren traditionelle Alterssicherung durch Vermögensbildung infolge des Krisengeschehens nach 1918 weitgehend zerstört war. Bis Ende 1920 hatte die Mark 90 Prozent ihres Vorkriegswertes eingebüßt, die Kapitalvermögen waren größtenteils vernichtet, und die Mehrzahl der ehemaligen Kapitalrentner war verelendet.162 Im Februar 1923 entschloss sich die Regierung daher zur Einführung einer Sonderfürsorge. Das Gesetz über die Kleinrentnerfürsorge vom 2. Februar 1923 erstreckte sich auf „bedürftige, alte oder erwerbsunfähige Personen, die (. . . ) ohne die eingetretene Geldentwertung oder sonstige Kriegsfolgen nicht auf die öffentliche Fürsorge angewiesen gewesen wären“.163 Das Gesetz trennte die Maßnahmen zugunsten der Kleinrentner ausdrücklich von der allgemeinen Armenpflege und schloss die Anwendbarkeit aller für die Armenpflege geltenden Bestimmungen auf die Kleinrentnerfürsorge aus. Es waren keine Höchstsätze vorgeschrieben, und das verbliebene Vermögen wurde – soweit es aus Sachße / Tennstedt, Bd. 2, S. 68 – 82. Nach einer Erhebung des Städtetags von 1922 verfügte die Mehrzahl der Kleinrentner nicht mehr über eine den Lebensstandard sichernde Altersversorgung. Das Gros entstammte dem sogenannten alten Mittelstand, wo die Erwerbstätigkeit bis ins hohe Alter hinein noch die Regel darstellte und finanzielle Rücklagen vor allem der Sicherung der Hinterbliebenen dienten. Entsprechend hoch war der Anteil von Frauen und über 70-Jährigen unter den Kleinrentnern. Penkert, S. 155 f. Scholz, S. 320 – 323, 330 – 337. Vgl. auch Sachße / Tennstedt, Bd. 2, S. 92. Frerich / Frey, Bd. 1, S. 233. Göckenjan / Hansen, S. 735 – 741. 163 Gesetz über Kleinrentnerfürsorge vom 02. 02. 1923, RGBl. I 1923, S. 104 – 105. Vgl. auch Sachße / Tennstedt, Bd. 2, S. 93 f. Frerich / Frey, Bd. 1, S. 233. 161 162

4. Die öffentliche Fürsorge

219

Grundbesitz und Mobiliar bestand – weitgehend verschont. Trotz dieser Bevorzugung empfanden die Betroffenen die fürsorgerischen Maßnahmen als „Leistungen der Armenpflege, die in Anspruch zu nehmen von jeher als beschämend gegolten“ hatte.164 In dem Gefühl, ihnen sei mit der Inflation ein Unrecht geschehen, das der Staat maßgeblich zu verantworten habe, forderten die Kleinrentner eine eigenständige „Rentnerversorgung“, die ihnen einen Rechtsanspruch auf eine Rente unabhängig von „der Willkür ( . . . ) auf dem Gebiete der Fürsorge“ garantieren sollte.165 Aber auch die wirtschaftliche Lage vieler Empfänger von Leistungen aus der öffentlichen Rentenversicherung verschlechterte sich infolge der Geldentwertung und unzureichender Rentenanpassungen nach dem Ersten Weltkrieg rapide. Im Juli 1921 beliefen sich die Altersrenten je nach Lohnklasse auf 18 M bis 51 M wöchentlich, während die Kosten für den Ernährungsbedarf eines Erwachsenen nach Schätzungen des Statistischen Reichsamts knapp 60 M pro Woche betrugen.166 Mit der Beschleunigung der Inflation sanken zugleich die Aussichten auf eine Reform der öffentlichen Rentenversicherung, so dass sich die Reichsregierung im Dezember 1921 zu besonderen fürsorgerischen Maßnahmen gezwungen sah, um zumindest die schlimmste Not der Rentenempfänger zu lindern.167 Das Gesetz über Notstandsmaßnahmen zur Unterstützung von Rentenempfängern der Invaliden- und Angestelltenversicherung erlaubte es den fürsorgepflichtigen Gemeinden im Rahmen bestimmter Obergrenzen, die das Reichsarbeitsministerium definierte, und in Anlehnung an den Lebenshaltungskostenindex des Statistischen Reichsamts Höchstbeträge festzusetzen, die den Rentenempfängern als Gesamtjahreseinkommen zugebilligt wurden. Soweit alle tatsächlichen Einkünfte des Rentenempfängers diesen Betrag nicht erreichten, wurde der fehlende Teil aus Fürsorgemitteln ergänzt.168 Mit der beschleunigten Geldentwertung verringerte sich die Bedeutung der Sozialrenten für das Alterseinkommen zunehmend, so dass die Renten 1923 auf dem Höhepunkt der Inflation vielfach „nur noch ( . . . ) als Berechtigungsschein für eine Sonderfürsorge, die höhere Leistungen erbrachte als die reine Armenfürsorge“, fungierten.169 Die Zahl der unterstützten Rentenempfänger stieg auf rund 1,3 Millionen, was etwa einem Drittel aller Sozialrentner entsprach. 164 Denkschrift zur Kleinrentnerfürsorge, in: Verhandlungen des Reichstages Bd. 377: Anlagen zu den stenographischen Berichten, Berlin 1924, S. 6711. Zit. nach Scholz, S. 338. Vgl. auch Geyer, Soziale Rechte, S. 409. 165 Scholz, S. 338 – 347, bes. 344. Vgl. auch Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 182. Frerich / Frey, Bd. 1, S. 234 f. 166 Scholz, S. 321 f. 167 Als „Sozialrentner“ galten solche Empfänger von Renten aus der Invaliden- und Altersversicherung sowie der Angestelltenversicherung, deren Renten infolge der Geldentwertung immer weniger zum Überleben ausreichten. Sachße / Tennstedt, Bd. 2, S. 92. Frerich / Frey, Bd. 1, S. 233. 168 Gesetz über Notstandsmaßnahmen zur Unterstützung von Rentenempfängern der Invaliden- und Angestelltenversicherung vom 07. 12. 1921, RGBl. I 1921, S. 1533 – 1535. 169 Fischer, Wirtschaftliche Bedingungen, S. 94.

220

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Gegenüber der Vorkriegszeit hatte sich die Zahl der Rentenempfänger, die Leistungen aus der öffentlichen Fürsorge in Anspruch nahm, damit verdreifacht.170 Die Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 hob die Sonderstellung der Sozial- und Kleinrentner auf und gliederte sie in die reguläre Fürsorge ein.171 Zwar sollten sie im Rahmen einer gehobenen Fürsorge auch weiterhin bevorzugt behandelt werden, Art und Umfang der zu gewährenden Sonderstellung wurden jedoch erst durch die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 1. Januar 1925 sowie die Verordnung zur Änderung der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 7. September 1925 abschließend geregelt. Hilfsbedürftig war danach, „wer den notwendigen Lebensbedarf für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderer Seite, insbesondere von Angehörigen“ erhielt. Unter dem „notwendigen Lebensbedarf“ wurde im engeren Sinn „der Lebensunterhalt, insbesondere Unterkunft, Nahrung, Kleidung und Pflege“ verstanden. Im weiteren Sinn gehörten jedoch auch „Krankenhilfe sowie Hilfe zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit; Hilfe für Schwangere und Wöchnerinnen; bei Minderjährigen Erziehung und Erwerbsbefähigung; bei Blinden, Taubstummen und Krüppeln Erwerbsbefähigung“ zum notwendigen Lebensbedarf. Die Reichsgrundsätze unterschieden vier Gruppen von Hilfsbedürftigen: (1) Die allgemeine Fürsorge für Erwerbslose, Pflegekinder und sonstige Hilfsbedürftige deckte den notwendigen Lebensbedarf im oben genannten Sinn. (2) Kleinrentner, Sozialrentner und ihnen Gleichgestellte kamen in den Genuss einer gehobenen Fürsorge, die die früheren Lebensverhältnisse des Hilfsbedürftigen berücksichtigen sollte. (3) Die Kriegsopfer erhielten ebenfalls Leistungen aus der gehobenen Fürsorge, die mindestens den Maßstäben der Kleinrentnerfürsorge genügen mussten. (4) Die Unterstützungsleistungen für sogenannte „Asoziale“, die gegebenenfalls mit einer Anstaltsunterbringung verbunden waren, durften dagegen „das zur Fristung des Lebens Unerläßliche“ nicht übersteigen. Der Richtsatz für die gehobene Fürsorge sollte „in der Regel wenigstens ein Viertel“ über dem der allgemeinen Fürsorge liegen. Bestimmungen über die Höhe der Richtsätze oder ihre überörtliche Vereinheitlichung enthielten die Reichsgrundsätze nicht. Die Festsetzung der Richtsätze blieb weiterhin Sache der Kommunen, so dass sich an dem bestehenden Ost-West- und Nord-SüdGefälle in der öffentlichen Fürsorge zunächst nichts änderte.172 Die Reichsgrundsätze hatten damit zwar die Sonderstellung der Sozial- und Kleinrentner in der öffentlichen Fürsorge rechtlich festgeschrieben, ihre Einbeziehung in die Reichsfürsorgeverordnung bedeutete jedoch gleichzeitig eine deutliche Absage an die Sachße / Tennstedt, Bd. 2, S. 93. Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. 02. 1924, RGBl. I 1924, S. 100 – 107. 172 Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04. 12. 1924, RGBl. I 1924, S. 765 – 770. Verordnung zur Änderung der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 07. 09. 1925, RGBl. I 1925, S. 332. Vgl. auch Sachße / Tennstedt, Bd. 2, S. 146 ff., 173 ff., 182. 170 171

4. Die öffentliche Fürsorge

221

Forderung nach einer von der öffentlichen Armenfürsorge gänzlich losgelösten staatlichen Versorgung.

b) Der Abbau der öffentlichen Fürsorge in der Weltwirtschaftskrise Die Weltwirtschaftskrise stellte die öffentliche Fürsorge vor existentielle Probleme und führte vor allem im Bereich der gehobenen Fürsorge zu drastischen Einschnitten. Infolge der Massenarbeitslosigkeit hatte sich die Gesamtzahl der laufend unterstützten Parteien173 zwischen 1928 und 1932 mehr als verdoppelt, und die Zahl der laufend in bar unterstützten Arbeitslosen war im gleichen Zeitraum auf das elffache gestiegen. Der Anteil der Arbeitslosen an allen laufend in offener Fürsorge unterstützten Parteien hatte sich um 50 Prozentpunkte auf 63 Prozent erhöht (Tabelle 8).174 Mit der Zunahme der unterstützten Parteien explodierten die Kosten der kommunalen Fürsorge; gegenüber dem Rechnungsjahr 1928 / 29 hatten sich die Ausgaben für laufende Barleistungen im Rechnungsahr 1932 / 33 mit 1,8 Milliarden RM fast verdreifacht. Allein die Ausgaben für Arbeitslose betrugen im Rechnungsjahr 1932 / 33 nahezu 1,4 Milliarden RM und machten damit knapp 78 Prozent der gesamten Ausgaben für laufende Barleistungen in der offenen Fürsorge aus (Tabelle 9).175

173 Die Reichsstatistik verwendet als Zähleinheit für die laufende Unterstützung in der offenen Fürsorge den Begriff der „Partei“, der im Allgemeinen identisch mit dem des Haushalts ist. Eltern oder Elternteile, die mit ihren Kindern oder sonstigen Angehörigen im selben Haushalt leben, bilden eine Partei. Die Zahl der unterstützten Personen ergibt sich aus den Parteien und den mitunterstützten Familienangehörigen. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 292 f., Anm. 6. 174 Vgl. auch Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 84. 175 Neben der Massenarbeitslosigkeit als Hauptursache der steigenden Fürsorgekosten trugen ferner die durchschnittlich längere Dauer der Unterstützung und die wachsende Zahl der mitunterstützten Familienangehörigen zum Anwachsen der Ausgaben bei. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1930 / 31, S. 295.

31,8 34,4 36,0 33,9 33,5 31,5 27,0 25,5 23,7 21,8 23,5 24,1 24,1 23,7 21,6 19,5

Kriegsopfer und Gleichgestellte

614,0 621,3 633,6 606,2 577,6 594,0 581,4 569,7 555,8 537,3 511,8 473,2 442,1 411,2 383,6 348,8

Sozialrentner

– – – – – – – 82,5 83,8 80,8 86,0 84,1 79,8 75,5 71,1 64,5

Empfänger von Kleinrentnerhilfe 274,7 264,1 248,0 229,9 208,4 192,7 190,1 114,1 104,1 95,1 81,3 72,0 65,2 59,8 54,3 48,6

Empfänger von Kleinrentnerfürsorge 65,9 65,7 66,7 63,5 65,3 67,3 65,7 64,1 61,6 58,0 57,2 53,4 48,5 49,3 58,9 50,1

Gleichgestellte nach § 17 RGr. 246,4 351,8 819,6 1631,7 2814,2 2450,6 1442,5 972,6 623,5 310,3 117,0 21,5 – – – –

Arbeitslose, Notstandsu. Fürsorgearbeiter2 124,6 144,1 162,0 173,0 173,2 166,5 157,3 152,7 157,7 157,0 151,3 141,7 126,9 109,9 95,6 83,0

Pflegekinder

Allgemeine Fürsorge

476,4 492,0 515,5 543,6 604,4 623,4 612,9 581,9 557,4 527,1 480,7 393,1 320,1 262,93 91,8 63,3

Sonstige Hilfsbedürftige

1833,9 1973,4 2481,5 3281,8 4476,6 4125,9 3077,1 2563,0 2167,6 1787,5 1508,8 1263,1 1107,5 994,6 901,8 799,6

Unterstützte Parteien insgesamt

Quelle: Statistisches Handbuch von Deutschland 1928 – 1944, hg. vom Länderrat des Amerikanischen Besatzungsgebiets, München 1949, S. 610 f.

1 Reichsgebiet von 1937, jedoch durchgehend ohne Saarland. – 2 Die bedeutungslos gewordene Zahl der Fürsorgearbeiter wurde seit Beginn des Rechnungsjahrs 1939 in der Statistik nicht mehr berücksichtigt. – 3 Einschließlich der Empfänger der 1941 eingeführten erweiterten gehobenen Fürsorge.

1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943

Jahr

Gehobene Fürsorge

Tabelle 8: Die Zahl der laufend in offener Fürsorge unterstützten Parteien 1928 – 19431 (Tsd.) 222 V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

8,9 8,1 9,8 11,2 9,5 8,4 8,2 6,8 7,0 6,3 5,9 6,3 7,5 8,7 9,9 8,8

Kriegsbeschägigte usw.

126,9 149,1 156,5 162,5 134,4 111,5 115,6 112,5 111,9 109,9 109,1 105,4 96,7 105,3 115,8 137,5

Sozialrentner – – – – – – – – 36,0 36,3 35,6 37,3 35,4 35,2 36,1 39,7

Empfänger von Kleinrentnerhilfe

Empfänger von Kleinrentnerfürsorge1 130,5 153,6 147,2 145,7 126,1 103,9 71,3 74,2 41,8 37,8 35,0 28,2 24,6 23,5 23,6 25,2 – – – – – – 28,6 28,3 27,3 26,5 26,0 25,5 24,0 24,06 31,6 46,4

Gleichgestellte

Allgemeine Fürsorge Arbeitslose, Sonstige Notstands- Pflegekinder Hilfsu. Fürsorgebedürftige2,3 arbeiter – – 195,4 159,5 25,1 148,4 179,0 – 146,9 434,0 – 173,9 897,8 – 179,0 1392,7 33,1 207,3 1229,2 – 218,4 – 216,3 787,44 511,0 32,9 218,3 306,7 33,7 208,5 158,7 33,3 201,6 60,2 32,7 182,7 9,0 30,3 143,8 – 31,1 157,2 – 29,6 136,47 – 45,47 461,7 643,8 639,4 928,4 1346,5 1856,8 1671,2 1225,5 986,3 765,7 605,3 478,2 371,3 387,7 387,06 422,98

Unterstützte Parteien insgesamt

Quelle: Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich. Vorläufige Ergebnisse der Reichsfürsorgestatistik 1931 / 32, in: Wirtschaft und Statistik 1933, S. 258 – 261, hier 260. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich. Ergebnisse der Reichsfürsorgestatistik 1932 / 33, in: Wirtschaft und Statistik 1934, S. 402 – 406, hier 404. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich. Ergebnisse der Reichsfürsorgestatistik 1934 / 35 mit Teilergebnissen für das Rechnungsjahr 1935 / 36, in: Wirtschaft und Statistik 1936, S. 82 – 88, hier 85. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich. Ergebnisse der Reichsfürsorgestatistik 1935 / 36 mit Teilergebnissen für das Rechnungsjahr 1936 / 37, in: Wirtschaft und Statistik 1937, S. 206 – 212, hier 209. Die öffentliche Wohlfahrtspflege im Rechnungsjahr 1936 / 37, in: Wirtschaft und Statistik 1938, S. 466 – 470, hier 468. Die öffentliche Wohlfahrtspflege im Jahr 1937 / 38, in: Wirtschaft und Statistik 1939, S. 527 – 532, hier 529. Die öffentliche Wohlfahrtspflege in den Jahren 1938 und 1939, in: Wirtschaft und Statistik 1940, S. 552 – 556, hier 553. Die öffentliche Wohlfahrtspflege in den Jahren 1939 und 1940, in: Wirtschaft und Statistik 1942, S. 132136, hier 133. Die öffentliche Fürsorge von Oktober 1942 bis März 1943 und im Rechnungsjahr 1942, in: Wirtschaft und Statistik 1944, S. 15 – 16, hier 16.

1 Für die Jahre 1927 / 28 bis 1932 / 33 einschließlich Gleichgestellten. – 2 Einschließlich Wohlfahrtserwerbslose und Arbeitslose mit Zusatzunterstützung. – 3 Für die Jahre 1929 / 30 bis 1931 / 32, 1933 / 34, 1934 / 35 vermutlich einschließlich Pflegekindern. – 4 Einschließlich 29,1 Millionen RM für die Restfinanzierung von Notstandsarbeiten. – 5 Neues Reichsgebiet ohne eingegliederte Ostgebiete. – 6 Darin enthalten sind 0,9 Millionen RM (1940 / 41) bzw. 2,5 Millionen RM (1941 / 42) für Empfänger von Kriegshilfe. – 7 Empfänger allgemeiner oder sonstiger Fürsorge. – 8 Einschließlich 87,1 Millionen RM für Empfänger der erweiterten gehobenen Fürsorge.

1927 / 28 1928 / 29 1929 / 30 1930 / 31 1931 / 32 1932 / 33 1933 / 34 1934 / 35 1935 / 36 1936 / 37 1937 / 38 1938 / 39 1939 / 40 1940 / 415 1941 / 425 1942 / 435

Jahr

Gehobene Fürsorge

Tabelle 9: Die laufenden Barleistungen in der offenen Fürsorge 1927 / 28 – 1942 / 43 (Mio. RM)

4. Die öffentliche Fürsorge 223

224

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Die traditionelle Wohlfahrtspflege der Weimarer Republik brach unter dem Massenansturm der Hilfsbedürftigen zusammen. Der permanenten Erweiterung der fürsorgerischen Aufgaben stand trotz der Ausdehnung des absoluten Finanzvolumens eine zunehmende relative Verknappung der Mittel gegenüber. Die sinkenden Einnahmen brachten die Kommunen an den Rand ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit und erzeugten zugleich einen wachsenden Druck, die Fürsorgeleistungen zu kürzen und den Empfängerkreis zu begrenzen. Das fürsorgerische Prinzip der Individualisierung, d. h. jedem entsprechend seiner spezifischen Notlage zu helfen, führte mehr und mehr zu einer peinlich genauen Ausforschung der persönlichen Lebensverhältnisse. Gleichzeitig erfolgte eine verstärkte Schematisierung der Maßnahmen und Leistungen, da die Mittel keine Rücksicht mehr auf frühere Besitz- und Einkommensverhältnisse oder die Bedürfnisse bestimmter Gruppen erlaubten. Die Nivellierung der unterschiedlichen Hilfsbedürftigengruppen und die rigorose Beschränkung auf das für das Überleben Notwendige führten zu einer Einheitsfürsorge, die vor allem für die Empfänger der gehobenen Fürsorge mit erheblichen Härten verbunden war.176 Mit der im Juni 1931 eingeführten Reichswohlfahrtshilfe bestimmte die Reichsregierung, dass die Richtsätze für die laufende Barunterstützung „das Maß des Angemessenen und Erforderlichen“ nicht überschreiten dürften,177 und die Notverordnung vom 8. Dezember 1931 setzte den Sonderstatuts der Sozial- und Kleinrentner teilweise außer Kraft. Die für die Mehrleistungen an Klein- und Sozialrentner vorgeschriebene Ein-Viertel-Distanz gegenüber den Richtsätzen der allgemeinen Fürsorge wurde von einer Muss- in eine Sollvorschrift umgewandelt, und der Umfang der Mehrleistungen in das Ermessen der Fürsorgeverbände gestellt.178 Ungefähr die Hälfte aller Fürsorgeverbände nutzte die neue Gesetzeslage, um deutliche Einschränkungen in der gehobenen Fürsorge durchzusetzen, so dass sich die durchschnittlichen Monatsbeträge je laufend unterstützter Partei in den Jahren 1930 / 32 für die Sozialrentner um fast 13 Prozent und für die Kleinrentner um knapp 18 Prozent verringerten (Tabelle 10).179 Vor allem die Kleinrentner sahen in diesen Kürzungen, die ihnen ihre Sonderstellung nahmen und sie dadurch 176 Lohalm, Wohlfahrtskrise, S. 194, 200 f., 208, 214. Vgl. auch Leibfried, Existenzminimum und Fürsorge-Richtsätze. 177 Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 05. 06. 1931, RGBl. I 1931, S. 279 – 314. 178 Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 08. 12. 1931, RGBl. I 1931, S. 699 – 745. 179 Der Aufwand je Partei wurde generell von mehreren Faktoren bestimmt: Von der Höhe der Unterstützungsrichtsätze, dem vorhandenen Einkommen der Hilfsbedürftigen und der mehr oder weniger strengen Anrechnung desselben, von der Zahl der mitunterstützten Angehörigen je Partei, vom Umfang der neben den Barleistungen gewährten Sachleistungen (Brennstoff, Kleidung, Nahrungsmittel etc.), von der Verteilung der Hilfsbedürftigen auf Bezirksfürsorgeverbände und Gemeinden mit mehr oder weniger hohen Unterstützungsrichtsätzen. Die öffentliche Wohlfahrtspflege im Rechnungsjahr 1936 / 37, S. 468. Vgl. auch Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 182.

15 Schlegel-Voß

21,28 22,19 23,83 22,67 21,39 21,30 21,11 22,83 22,12 22,48 22,27 25,81 26,45 29,61 28,15 25,70

Kriegsopfer

20,24 21,00 21,37 18,47 16,08 16,22 16,12 16,30 16,37 16,81 17,05 16,96 17,22 19,91 25,62 25,03

Sozialrentner

37,58 37,91 38,58 35,83 31,64 32,02 33,39 33,54 33,52 34,31 33,65 33,29 33,41 36,86 43,69 42,85

Kleinrentner und Gleichgestellte 53,06 53,25 52,52 45,54 42,05 43,03 46,44 45,68 46,22 46,10 41,54 37,89 – – – –

Wohlfahrtserwerbslose 15,13 15,63 15,46 15,30 14,54 12,98 12,82 12,48 12,61 14,25 14,50 13,86 – – – –

Zusätzlich unterstützte Empfänger von Arbeitslosenhilfe 17,49 18,01 18,00 17,99 17,67 17,59 17,58 17,84 17,68 17,55 17,88 17,87 17,86 18,31 19,69 20,03

Pflegekinder

Allgemeine Fürsorge

26,91 27,46 27,70 27,06 27,67 28,90 29,15 30,89 30,79 31,48 31,28 30,22 30,34 32,34 29,51 31,07

Sonstige Hilfsbedürftige

Quelle: Statistisches Handbuch von Deutschland 1928 – 1944, hg. vom Länderrat des Amerikanischen Besatzungsgebiets, München 1949, S. 612 f.

1 Reichsgebiet von 1937, jedoch durchgehend ohne Saarland. – 2 Ab 1940 auch noch Baraufwand für die „Kriegshilfe“, der sich 1940 auf 88,02 RM, 1941 auf 85,15 RM, 1942 auf 87,60 und 1943 auf 89,54 RM je laufend unterstützter Partei und Monat belief. – 3 Die Empfänger der erweiterten gehobenen Fürsorge erhielten im Jahr 1942 durchschnittlich 43,44 RM monatlich und im Jahr 1943 39,91 RM monatlich.

1928 / 29 1929 / 30 1930 / 31 1931 / 32 1932 / 33 1933 / 34 1934 / 35 1935 / 36 1936 / 37 1937 / 38 1938 / 39 1939 / 40 1940 / 412 1941 / 42 1942 / 433 1943 / 44

Rechnungsjahr

Gehobene Fürsorge

Tabelle 10: Die durchschnittlichen monatlichen Unterstützungsbeträge je Partei 1928 / 29 – 1943 / 441

4. Die öffentliche Fürsorge 225

226

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

endgültig „verproletarisierten“, eine Bestätigung ihres lang gehegten Misstrauens gegenüber dem Weimarer Staat. Ihre Enttäuschung machte sie empfänglich für die NS-Propaganda und führte zu einer frühen Anlehnung der Kleinrentner an die NS-Bewegung.180 Von den tatsächlichen Leistungskürzungen, denen die Fürsorgeempfänger in den Krisenjahren ausgesetzt waren, gibt die Entwicklung der Richtsätze nur ein ungenügendes Bild. In der alltäglichen Verwaltungspraxis ergaben sich unterhalb der Ebene formaler Richtsatzänderungen erhebliche weitere Kürzungen durch die restriktive Auslegung der Gesetzeslage, durch die verschärfte Anrechnung sonstiger Einkommen, durch die Kürzung zusätzlicher einmaliger Beihilfen oder die verstärkte Einführung von Sach- anstelle von monetären Leistungen. Die Richtsätze entwickelten sich zunehmend von Orientierungsmarken, die im Einzelfall überoder unterschritten werden konnten, zu Höchstsätzen, die keinesfalls zu überschreiten waren.181 Zugleich begann eine neue Segmentierung der Hilfsbedürftigen in alt und jung, krank und gesund, alleinstehend und familiengebunden, „arbeitsscheu“ und arbeitswillig. Durch die Klassifizierung nach dem gegenwärtigen oder zukünftigen wirtschaftlichen Nutzen konzentrierte sich die Fürsorge zunehmend auf arbeitsfähige Erwachsene, in der Ausbildung stehende Jugendliche sowie Kleinkinder und ihre Familien. Der älteren Generation dagegen wurden unter Hinweis auf ihren infolge des Alters nachlassenden Bedarf jegliche Sonderzuwendungen gestrichen. Besonders stigmatisiert wurden Kranke sowie geistig und körperlich Behinderte.182 Für viele Fürsorgeempfänger bedeuteten die Jahre der Weltwirtschaftskrise ein Leben am Rande des Existenzminimums, in dem Hunger und bitterste Not zum Alltag gehörten. Für die Sozialrentner fielen die Kürzungen in der Fürsorge mit drastischen Einschnitten in das Leistungsniveau der öffentlichen Rentenversicherung zusammen und verschärften ihre wirtschaftliche Notlage zusätzlich. Durch die Massenarbeitslosigkeit sanken gleichzeitig die Chancen sowohl der Sozialrentner als auch der Kleinrentner, ihre Alterseinkommen auf dem Arbeitsmarkt aufzubessern.183 Der wachsenden Hilfsbedürftigkeit dieser Gruppen stand das Bestreben der Fürsorgeverbände gegenüber, die Zahl der Empfänger vor allem in der gehobenen Fürsorge möglichst gering zu halten. Zwischen 1930 und 1932 sank die Zahl der unterstützten Parteien in der Sozialrentnerfürsorge infolge der Kürzungen der Unterstützungsrichtsätze und strengerer Maßstäbe bei der Überprüfung der Hilfsbedürftigkeit um knapp neun Prozent. Der Rückgang der Ausgaben in der Sozialrentnerfürsorge fiel mit rund 17 Prozent fast doppelt so hoch aus. In der Kleinrentnerfürsorge stieg die Zahl der unterstützten Parteien mit Beginn der Weltwirtschaftskrise zunächst deutlich an. Bis 1932 verringerte sich jedoch auch in 180 181 182 183

Scholz, S. 348 f. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 90. Lohalm, Wohlfahrtskrise, S. 215 f. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1930 / 31, S. 292.

4. Die öffentliche Fürsorge

227

dieser Gruppe die Zahl der unterstützten Parteien infolge der Notverordnungen und des natürlichen Abgangs durch Tod um rund 17 Prozent;184 die Ausgaben sanken um knapp 15 Prozent (Tabellen 8, 9).185 Beim Regierungsantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933 befand sich die kommunale Fürsorge auf ihrem finanziellen Tiefpunkt. Die Zahl der laufend unterstützten Parteien betrug am 31. März 1933 rund 4,7 Millionen, die Kosten beliefen sich für das Rechnungsjahr 1932, das am 31. März 1933 endete, auf rund 1,8 Milliarden RM, und die Richtsätze hatten für einen Großteil der Fürsorgeempfänger ihren Tiefstand erreicht.186 Durch den raschen Rückgang der Arbeitslosigkeit im Zuge des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs seit Mitte der dreißiger Jahre verbesserte sich die Finanzlage der öffentlichen Fürsorge nachhaltig.187 Bis 1936 hatte sich die Zahl der unterstützten Arbeitslosen annährend halbiert und sank bis 1938 um knapp 96 Prozent. Die Kosten der laufenden Unterstützung für Arbeitslose verringerten sich im gleichen Zeitraum um knapp 89 Prozent (Tabellen 8, 9). Insgesamt hatte sich die Zahl der laufend unterstützten Parteien bis 1936 halbiert; bis 1938 ging sie um weitere 30 Prozent zurück und fiel damit deutlich unter den Stand von 1928 (Tabelle 8). Der Anteil der durch die öffentliche Fürsorge Unterstützen an der Bevölkerung sank von 15,3 Prozent im März 1933 auf 3,1 Prozent im März 1939.188 Gleichzeitig verringerten sich auch die Ausgaben beträchtlich. Bis 1936 konnten die Kosten für laufende Barleistungen um zwei Drittel reduziert und damit unter den Stand von 1928 / 29 gedrückt werden (Tabelle 9). Obwohl sich die Haushaltslage der Kommunen bis Mitte der dreißiger Jahre deutlich entspannte, blieb die Politik der Gemeinden restriktiv und auf eine weitere finanzielle Konsolidierung gerichtet. Zwar leugneten die Gemeinden und Bezirksfürsorgeverbände keineswegs die Not vieler älterer Menschen, bestritten jedoch mit Nachdruck die Zuständigkeit der Kommunen, die Rentenkürzungen der Notverordnungen auszugleichen.189 Die laufenden Barleistungen in der offenen Für184 Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1931 / 32, S. 258 f. Die öffentliche Wohlfahrtspflege im Rechnungsjahr 1936 / 37, S. 466 f. Vgl. auch Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1932 / 33, S. 402 f. Die öffentliche Fürsorge von Oktober 1941 bis März 1942 und im Rechnungsjahr 1941, S. 393. 185 Der im Verhältnis zur Sozialrentnerfürsorge geringere Rückgang der Ausgaben liegt darin begründet, dass die Ausgaben der gehobenen Fürsorge für Kleinrentner und ihnen Gleichgestellte in der amtlichen Statistik bis zum Rechnungsjahr 1933 / 34 nicht getrennt ausgewiesen wurden. Da die Zahl der unterstützten Gleichgestellten im Gegensatz zu der der unterstützten Kleinrentner während der Krise weitgehend stabil blieb, fielen die Einsparungen in dieser Gruppe wesentlich geringer aus als in der Sozialrentnerfürsorge (Tabelle 9). 186 Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1932 / 33, S. 402, 404. 187 Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 90 f. 188 Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 610 f. 189 Zu den Klagen der Gemeinden und Bezirksfürsorgeverbände sowie den Forderungen des DGT, die Rentenkürzungen aufzuheben vgl. Akten betr. Sozialrentnerfürsorge (Kürzung der Fürsorgeleistungen), BArch R 36 / 1174.

15*

228

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

sorge wurden auf dem niedrigen Krisenniveau von Ende 1932 eingefroren, und die Richtsätze, die weiterhin als Höchstsätze galten und in der Praxis vielfach unterschritten wurden, blieben bis 1940 nominell weitgehend stabil. Der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung vergrößerte daher bis Kriegsbeginn die Kluft zwischen den staatlichen Transferleistungen einerseits und den Löhnen und Gehältern andererseits zunehmend. Der Anstieg der Lebenshaltungskosten um 6,4 Prozent – der Index für Ernährung stieg nach offiziellen Angaben sogar um 7,8 Prozent – verschlechterte die relative Einkommensposition der Fürsorgeempfänger zusätzlich.190 c) Die Sozialrentnerfürsorge An der wirtschaftlichen Notlage vieler Rentenempfänger änderte sich trotz des Versprechens eines großzügigen Ausbaus der Altersversorgung im Parteiprogramm von 1920 zunächst wenig. Im Gegenteil: Für die Sozialrentner ergab sich nach 1933 durch den wirtschaftlichen Aufschwung bei gleichzeitig stagnierenden Renten und Fürsorgerichtsätzen faktisch eine doppelte Benachteiligung, die sich um so empfindlicher auswirken musste, als sich die Richtsätze ohnehin am unentbehrlichen Lebensbedarf orientierten, und die Renten ebenfalls deutlich hinter dem von der Deutschen Arbeitsfront errechneten Existenzminimum zurückblieben.191 Seit Mitte der dreißiger Jahre machte sich daher die Deutsche Arbeitsfront, die sich die Interessenvertretung der Sozialrentner inzwischen einverleibt hatte, zunehmend zum Sprachrohr der hilfsbedürftigen Rentenempfänger und forderte eine deutliche Erhöhung der Richtsätze. Ähnlich wie in der Rentenpolitik beabsichtigte die Deutsche Arbeitsfront, die zuständigen Fachministerien auch im Bereich der Fürsorge in die Defensive zu drängen, um ihre eigenen Kompetenzen zu erweitern und ihre Legitimation zu erhöhen.192 Die Bemühungen um eine Erhöhung der Richtsätze blieben jedoch zunächst ohne Erfolg. Das Ausbaugesetz vom 21. Dezember 1937 führte zwar allgemein zu einer leichten Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Rentenempfänger, die Rentenerhöhungen konnten jedoch sowohl zum Kostenersatz für bereits aufgewendete Fürsorgeleistungen herangezogen als auch auf die laufende Unterstützung angerechnet werden. Erst ein gemeinsamer Erlass des Reichsinnen- und des Reichsarbeitsministers vom 8. April 1938 untersagte es den Fürsorgeverbänden, die Leistungsverbesserungen zum Kostenersatz in Anspruch zu nehmen.193 Die Anrech190 Intern schätzte man die Erhöhung der Lebenshaltungskosten im Reichsarbeitsministerium auf 15 Prozent; der NSDAP-Gauleiter von Essen ging sogar von einer 18 – 20-prozentigen Steigerung aus. Hachtmann, Lebenshaltungskosten, S. 68 f. Vgl. auch Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 95 f. Leibfried / Hansen / Heisig, S. 176. 191 Zum Problem des sozialen Mindestbedarfs, S. 116, 122. 192 Leibfried / Hansen / Heisig, S. 177 – 179. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 182, 247. Göckenjan / Hansen, S. 753. – Nach jahrelanger Odyssee zwischen der DAF und der NSV wurde die Interessenvertretung der Sozialrentner schließlich 1936 in die DAF eingegliedert.

4. Die öffentliche Fürsorge

229

nung auf laufende Unterstützungszahlungen blieb dagegen zulässig und wurde von vielen Betroffenen als „unbillige Härte“ empfunden.194 Auch der Reichsarbeitsminister räumte ein, dass gerade die „Rentenempfänger in bedrängten wirtschaftlichen Verhältnissen, die auf zusätzliche Unterstützung durch die öffentliche Fürsorge angewiesen“ seien, größtenteils nicht von den Leistungsverbesserungen des Ausbaugesetzes profitiert hätten, da die Fürsorgeverbände die bisher gewährte Unterstützung um den Betrag der Rentenerhöhung gekürzt hätten. Obgleich dieses Vorgehen rechtlich korrekt sei, widerspräche es den Zielen der Reichsregierung. Zwar werde es immer Fälle geben, in denen Versicherte infolge niedriger Entlohnung und kurzer Versicherungsdauer auf zusätzliche Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge angewiesen seien. Da die Sozialrentner jedoch in der Regel auf ein langes Erwerbsleben zurückblicken könnten, stände ihnen eine angemessene Mehrleistung gegenüber der allgemeinen Fürsorge zu. Bei der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit solle daher generell ein bestimmter Teilbetrag der Renten anrechnungsfrei bleiben. Zumindest aber müsse die Weimarer Vorschrift, wonach der Richtsatz für Sozialrentner um ein Viertel über dem der allgemeinen Fürsorge liegen sollte, wieder in Kraft gesetzt werden.195 Der gemeinsame Erlass des Reichsarbeits- und des Reichsinnenministers, der schließlich am 12. Dezember 1938 erging, blieb deutlich hinter den ursprünglichen Forderungen zurück. Anstelle der angestrebten Erhöhung der Richtsätze milderte der Erlass lediglich einige Härten bei der Prüfung der fürsorgerischen Hilfsbedürftigkeit und beim Kostenersatz. Bei der Bedürftigkeitsprüfung blieben künftig (1) die Steigerungsbeträge für Kriegs-, Wehr- und Arbeitsdienstzeiten, (2) die erhöhten Kinderzuschüsse für das dritte und jedes weitere Kind in Höhe von 2,50 RM monatlich sowie (3) die Leistungen, die für Zeiten der Schul- und Berufsausbildung bis zum 18. Lebensjahr gewährt wurden, anrechnungsfrei. In der Knappschaftsversicherung blieben (1) bei den knappschaftlichen Arbeiterpensionen, die nach dem 1. Januar 1934 festgesetzt wurden, 3 RM monatlich für Versicherte und 2,50 RM für Witwen, (2) beim Zusammentreffen einer knappschaftlichen Arbeiterpension mit Bezügen aus der Invalidenversicherung 5 RM monatlich für Versicherte und 2,50 RM für Witwen, sowie (3) die Kinderzuschüsse, auf die bereits vor dem 1. Januar 1934 Anspruch bestanden hatte, in Höhe von 3,75 RM monatlich außer Ansatz. Diese Regelung galt für alle laufenden Renten mit Ausnahme der jüdischen Versicherten. Bei Renten und Unterstützungen, die 1940 oder später begannen, waren dagegen bei der Prüfung der Hilfs193 Runderlass über die Anordnung gem. § 15 Abs. 2 Satz 2 der Fürsorgepflicht-Verordnung vom 08. 04. 1938, in: RABl. IV 1938, S. 189. 194 Exemplarisch: Der Bürgermeister – Wohlfahrtsamt – an den Kreisausschuss – Bezirksfürsorgeverband – Delitsch, Mai 1938, BArch R 36 / 805. Der Oberbürgermeister der Stadt Naumburg (Saale) an den DGT, 13. 12. 1938, BArch R 36 / 805. 195 Der RAM an den RMdI, betr. Behandlung der Leistungsverbesserungen der Rentenversicherung in der öffentlichen Fürsorge, 03. 11. 1938, in: Akten der Parteikanzlei 103 10514 – 18.

230

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

bedürftigkeit nur die Steigerungsbeträge für Kriegs-, Wehr- und Arbeitsdienstzeiten anrechnungsfrei.196 Da die Leistungsverbesserungen des Ausbaugesetzes bei der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit nur partiell außer Ansatz blieben, schied ein Teil der bisher unterstützten Sozialrentnerparteien aus der öffentlichen Fürsorge aus. Während die Zahl der unterstützten Sozialrentner zwischen 1933 und 1937 nur um durchschnittlich 2,5 Prozent pro Jahr gesunken war, betrug der Rückgang im Jahresdurchschnitt 1938 knapp fünf Prozent, im Jahresmittel 1939 sogar 7,5 Prozent (Tabelle 8).197 Die Zahl der unterstützten Sozialrentner und ihrer Familienangehörigen, die Ende 1934 mit rund 944.000 Personen ihren Höhepunkt erreicht hatte, sank bis Ende März 1938 um 14 Prozentpunkte und lag damit um rund sieben Prozent unter dem Vorkrisenstand.198 Neben den Leistungsverbesserungen des Ausbaugesetzes waren dafür vor allem langfristige Trends verantwortlich. Trotz Inflation und Weltwirtschaftskrise waren die Nominallöhne und -gehälter seit dem Kaiserreich deutlich gestiegen und schlugen sich nun in wachsenden Rentenansprüchen nieder. Trotzdem entwickelten sich die Sozialrentner bis 1937 zur zahlenmäßig stärksten Gruppe unter den Fürsorgeempfängern, da vor allem die Zahl der hilfsbedürftigen Arbeitslosen deutlich schneller sank als die der unterstützten Sozialrentner. 1938 betrug ihr Anteil an allen Empfängern laufender Barunterstützung rund ein Drittel, ihr Anteil an den Empfängern der gehobenen Fürsorge lag bei rund zwei Dritteln (Abbildung 11).199 Eine grundlegende Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Sozialrentner trat bis Kriegsbeginn nicht ein. Im Reichsarbeitsministerium und in der Parteikanzlei gingen weiterhin unzählige Eingaben ein, in denen Sozialrentner „unter Hinweis auf die äußerst bedrängte Lage dieser Volkgenossen um Hilfsmaßnahmen“ ersuchten.200 Da die Realisierungschancen sowohl einer Erhöhung der Renten als auch einer grundlegenden Neuordnung der Richtsätze gering waren, versuchte das Reichsarbeitsministerium ab 1939, die Not der Sozialrentner zumindest partiell zu lindern. Anlässlich von Hitlers 50. Geburtstag erhielten die Sozial- und Kleinrentner daher eine „einmalige Sonderzuwendung“ in Höhe von 15 RM für 196 Behandlung der Leistungsverbesserungen der Rentenversicherung in der öffentlichen Fürsorge. Runderlaß des RAM und des RMdI vom 12. 12. 1938, Ministerialblatt des Reichsund Preußischen Ministeriums des Inneren, Nr. 52 vom 21. 12. 1938, BArch R 36 / 805, S. 2141 – 2144. Vgl. auch Zumbansen, Die Behandlung der Leistungsverbesserungen. Berthold, Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung. 197 Die öffentliche Wohlfahrtspflege im Jahre 1937 / 38, S. 528. Die öffentliche Wohlfahrtspflege in den Jahren 1938 und 1939, S. 552. Die öffentliche Fürsorge im Rechnungsjahr 1941, S. 393. Vgl. auch Friedmann, S. 244. 198 Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1933 / 34, S. 427. Die öffentliche Fürsorge im 1. Vierteljahr 1938 und im Rechnungsjahr 1937 / 38, S. 707. 199 Die öffentliche Fürsorge im Rechnungsjahr 1937 / 38, S. 707. Die öffentliche Wohlfahrtspflege im Jahre 1937 / 38, S. 528. 200 Der RAM an den RFM, betr. Soziale Maßnahmen anlässlich des 50. Geburtstages des Führers, 13. 04. 1939, BArch R 2 / 18560, S. 1.

4. Die öffentliche Fürsorge

231

Anzahl in Tsd.

6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 1928

1930

1932

1934

1936

1938

1940

1942

Quelle: Statistisches Handbuch von Deutschland 1928 – 1944, hg. vom Länderrat des Amerikanischen Besatzungsgebiets, München 1949, S. 610 f.

Abbildung 11: Die laufend in offener Fürsorge unterstützten Parteien 1928 – 1943

Fürsorgeberechtigte und 5 RM für unterstützte Angehörige. „Die in Betracht kommenden Volksgenossen“, betonte der Reicharbeitsminister mit Blick auf die sozialpolitische Reputation des Regimes, „würden darin einen Beweis sehen, dass das Reich sie neben seinen anderen großen Aufgaben nicht vergisst“ und „die einmalige Beihilfe als fühlbare Erleichterung dankbar begrüssen“.201 Im Dezember 1939 bemühte sich der Reichsarbeitsminister, die Sozialrentner in die seit 1932 bestehende, alljährliche „Winterhilfe“ für die Kleinrentner einzubeziehen. Grundlegende Leistungsverbesserungen in der Sozialversicherung, die sich seit längerer Zeit als notwendig erwiesen hätten, hieß es zur Begründung, seien wegen der damit verbundenen Belastung der Reichsfinanzen zurückgestellt worden. Viele Sozialrentner seien daher zur „Deckung des notwendigen Lebensbedarfs“ auf Sonderbeihilfen des Reichs angewiesen. Um im ersten Kriegswinter eine „weitgehende Missstimmung bei den Sozialrentnern und ihren Familien“ zu vermeiden, gelte es die „Überzeugung [zu, die Verf.] festigen, dass das Reich ihnen auch in den Zeiten größter staatspolitischer Aufgaben seine Hilfe zuteil werden“ ließe.202 Das Reichsfinanzministerium zeigte sich jedoch unbeeindruckt von dem 201 Ebenda, S. 2 f. Der RAM an die Landesregierungen (Sozialverwaltungen) des Altreichs; in Preußen an die Regierungspräsidenten, den Stadtpräsidenten der Reichshauptstadt Berlin, die Oberpräsidenten und den Oberbürgermeister der Reichshauptstadt Berlin, den Reichskommissar für das Saarland, betr. Einmalige Reichsbeihilfe für Sozialrentner und Kleinrentner, 19. 04. 1939, BArch R 2 / 18560. Der RAM an den StdF, den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, den RMdI, den RFM, den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, die Kanzlei des Führers, 19. 04. 1939, in: Akten der Parteilkanzlei, 103 10769 – 77. Vgl. auch Berthold, Die sozialen Maßnahmen, S. 273. 202 Der RAM an den RFM, betr. Reichssonderbeihilfe für hilfsbedürftige Sozialrentner, Kleinrentner, Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene, 07. 12. 1939, BArch R 43 II / 405,

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Argument, bei der Einbeziehung der Sozialrentner in die „Winterhilfe“ handele es sich um ein „unabweichbare[s, die Verf.] Staatsbedürfnis“, und lehnte den Vorschlag des Reichsarbeitsministeriums ab.203 Die Winterhilfe des Reichs blieb auf die Kleinrentner beschränkt.204 Auch ein neuerlicher Versuch im Dezember 1940, eine einmalige Beihilfe in Höhe von 25 RM für laufend unterstützte Rentner und 10 RM für mitunterstützte Angehörige zu erwirken, um die „verzweifelte Stimmung“ der hilfsbedürftigen Rentenempfänger zu lindern, scheiterte an den fiskalischen Bedenken des Reichsfinanzministeriums. 205 Daran vermochte auch der Hinweis des Reichsarbeitsministers, dass die Richtsätze infolge der „gegenwärtigen Preisverhältnisse“ und des „erhöhten Winterbedarfs“ immer weniger ausreichten, um auch nur den nötigsten Lebensbedarf zu decken, nichts zu ändern.206 Die Richtsätze betrugen im Rechnungsjahr 1940 in den städtischen Fürsorgeverbänden im Durchschnitt für Alleinstehende rund 37 RM und für Ehepaare knapp 54 RM monatlich. In den ländlichen Fürsorgeverbänden waren sie mit 32 RM für Alleinstehende und 45 RM für Ehepaare merklich geringer bemessen.207 Die tatsächlichen Zuwendungen je unterstützter Partei lagen allerdings mit durchschnittlich rund 20 RM im Monat in den städtischen Fürsorgeverbänden und knapp 14 RM monatlich in den ländlichen Fürsorgeverbänden deutlich unter diesen Richtsätzen.208 Erst das Leistungsverbesserungsgesetz vom Juli 1941 verbesserte die Einkommenssituation der unterstützten Rentenempfänger spürbar,209 da die Rentenerhöhungen bei der Prüfung der fürsorgerechtlichen Hilfsbedürftigkeit in vollen UmS. 1 ff. Entwurf betr. Reichssonderbeihilfen für hilfsbedürftige Sozialrentner, Kleinrentner, Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene, Dezember 1939, in: Akten der Parteikanzlei 103 11793 – 98. – Wie schon im Frühjahr 1939 schlug der RAM für die Beihilfe eine Höhe von 15 RM für Berechtigte und von 5 RM für unterstütze Angehörige vor. 203 Schreiben des RAM an den RFM, 12. 01. 1940, in: Akten der Parteikanzlei 103 11799 – 801. 204 Der RAM an den StdF, den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, den Chef der Kanzlei des Führers, Generalfeldmarschall Göring, den RMdI, den RFM, den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, betr. Sonderzuschuss für Kleinrentner, 27. 02. 1940, in: Akten der Parteikanzlei 103 11802 f. Vermerk aus der Reichskanzlei, 05. 03. 1940, BArch R 43 II / 405. 205 Schreiben des RAM an den RFM, 30. 11. 1940, BArch R 43 II / 405. Schreiben des RFM an den RAM, 06. 12. 1940, BArch R 43 II / 405. 206 Schreiben des RAM an den RFM, 19. 12. 1940, BArch R 43 II / 405. Schreiben des RAM an den RFM, 30. 11. 1940, BArch R 43 II / 405. Schreiben des RAM an den Chef der Reichskanzlei, 19. 12. 1940, BArch R 43 II / 405. 207 NSDAP – Parteikanzlei, der Leiter der Parteikanzlei an Hauptbefehlsleiter Reinhardt, betr. Weitere Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung, 23. 10. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 103 22050 – 22052, 22078 – 22082. Anlage 5: Behandlung der Leistungsverbesserungen der Rentenversicherung in der öffentlichen Fürsorge, S. 3 f. 208 Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 612 f. 209 Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. 07. 1941, RGBl. I 1941, S. 443 – 444.

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fang außer Ansatz blieben. Im Gegensatz zu früheren Leistungsverbesserungen, die von Ausnahmen abgesehen, nur den bereits laufenden Unterstützungsfällen zugute gekommen waren, profitierten von den Leistungsverbesserungen des Jahres 1941 auch alle künftigen Empfänger von Renten und Unterstützung.210 d) Die Kleinrentnerfürsorge: „Reichsversorgung“ oder „Armenpflege“? Im Gegensatz zu den Sozialrentnern gelang es den Kleinrentnern sehr viel früher und umfassender, ihre Situation zu verbessern. Aus Enttäuschung über die mangelnde Berücksichtigung ihrer Interessen durch die Weimarer Parteien hatten sich die Kleinrentner frühzeitig an den Nationalsozialismus angelehnt und verbanden mit der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ erhebliche Erwartungen.211 Nicht nur in Punkt 16 des Parteiprogramms von 1920, sondern auch bei zahlreichen öffentlichen Auftritten hatten führende Nationalsozialisten wiederholt die lang ersehnte Kompensation der Inflationsfolgen in Aussicht gestellt.212 Von den neuen Machthabern erwarteten die zu „Almosenempfängern der öffentlichen Fürsorge“ herabgewürdigten Kleinrentner daher eine rasche und tiefgreifende Besserung ihrer wirtschaftlichen Lage.213 Die Kapitalrentner hätten, hieß es in einem Schreiben des Reichsbundes der deutschen Kapital- und Kleinrentner an Hitler im Mai 1933, „mit Fleiß und Sparsamkeit in langem arbeitsreichem Leben erworbenes Vermögen dem Staat und der Wirtschaft zur Verfügung gestellt ( . . . ) und zur früheren wirtschaftlichen Blüte Deutschlands beigetragen ( . . . ) und mussten erleben, dass eine ungerechte Gesetzgebung ihnen durch rechtsgültige Verträge ausgeliehene Vermögen nahm und sie dadurch völlig ihrer selbstgeschaffenen Alterssicherung beraubte“.214

Das langfristige Ziel bestand zwar auch weiterhin in einer vollständigen Lösung aus der als stigmatisierend empfundenen Fürsorge, kurzfristig sollte jedoch zunächst eine deutliche Anhebung der Richtsätze die schlimmste Not der Kleinrentner beseitigen. Die Kleinrentner und ihre Interessenvertretung mussten indes enttäuscht feststellen, dass die Lösung der Kleinrentnerfrage nicht zu den vordringlichsten Problemen des Regimes zählte. In Anbetracht der langen Wartezeit, erklär210 Behandlung der Leistungsverbesserungen der Rentenversicherung in der öffentlichen Fürsorge. Runderlass des RAM und des RMdI vom 28. 07. 1941, Ministerialblatt des Reichsund Preußischen Ministeriums des Inneren, Nr. 32 vom 06. 08. 1941, BArch R 36 / 805, S. 1425 f. Vgl. auch Schell, S. 376 f. 211 Der Rentner und der deutsche Wiederaufbau, S. 17 f. Der Rentner und das neue Reich, S. 25 f. Das einige Deutschland, S. 81 f. Vgl. auch Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 182. Leibfried / Hansen / Heisig, S. 175 f. 212 von Colomb, Die „Kleinrentner“. Die Reichsregierung zur Rentnerfrage, S. 73 f. 213 Deutscher Rentnerbund e.V. – Der Bundesvorsitzende an Reichskanzler Adolf Hitler, 26. 05. 1933, BArch R 43 II / 408, S. 2. 214 Ebenda, S. 1 f., 3.

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

te der Reichsbund in einem Schreiben an den Reichspräsidenten im Oktober 1933, sei „die große Begeisterung, mit der die heutige Regierung ( . . . ) begrüsst wurde, ( . . . ) mehr und mehr vollständiger Hoffnungslosigkeit“ gewichen. Die Verzweiflung vieler Kleinrentner sei so groß, dass mit einer „Selbstmordepidemie“ gerechnet werden müsse, sollte sich ihre Lage nicht bald entscheidend verbessern.215 Unterstützung erhielten die Kleinrentner aus dem Reichsarbeitsministerium, wo man alle Versuche, die wirtschaftliche Situation dieser Gruppe im Rahmen der Fürsorge zu verbessern, für gescheitert erklärte. Eine Lösung war nach Auffassung des Ministeriums einzig in Form eines „Rentnerversorgungsgesetz[es, die Verf.], das den Rentnern bei Bedürftigkeit einen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Rente ohne Verpflichtung zum Ersatz“ garantiere, möglich.216 Eine entsprechende Vorlage hatte man im Reichsarbeitsministerium bereits Mitte 1932 erarbeitet. Danach sollten Personen, die für die Zeit vor der Inflation einen Kapitalbesitz von mindestens 10.000 RM oder ein Kapitaleinkommen von wenigstens 500 RM jährlich nachweisen konnten, eine durchschnittliche Grundrente von 55 RM monatlich erhalten. Dazu kamen ein „Frauenzuschlag“ von 30 RM und ein Kinderzuschlag von 20 RM monatlich. Die Kosten des „Rentnerversorgungsgesetzes“ schätzte das Reichsarbeitsministerium auf rund 150 Millionen RM.217 Im Vergleich zu den bisherigen Aufwendungen für die Kleinrentnerfürsorge, die abzüglich der Rückerstattungen durch Unterstützte und Ersatzpflichtige rund 48 Millionen RM betrugen, bedeute dies zwar einen erheblichen Mehraufwand für das Reich. Dafür sei das Problem der Kleinrentnerunterstützung jedoch endgültig gelöst und eine „nicht wieder gutzumachende Enttäuschung“ der Rentner und ihrer Angehörigen abgewendet.218 Im Reichsfinanzministerium stieß der Vorschlag mit Blick auf die angespannte Haushaltslage auf strikte Ablehnung. Alle zur Verfügung stehenden Mittel, führte das Finanzministerium aus, seien nach dem ausdrücklichen Willen Hitlers auf die Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung zu konzentrieren.219 Anfang 1934 intervenierte der Reichsbund der deutschen Kapital- und Kleinrentner erneut bei Hitler persönlich, mit dem Ziel eine umfassende Verbesserung der Kleinrentnerunterstützung zu erreichen. Die Kleinrentner, erklärte der Reichsbund, fühlten sich „zu Bettlern degradiert“ und „aus der Volksgemeinschaft ausgestossen“. In Anbetracht des wachsenden Elends und ihres hohen Alters sähen viele Kleinrentner im Selbstmord den letzten Ausweg.220 215 Deutscher Rentnerbund e.V. – Der Bundesführer – an das Büro des Reichspräsidenten, 06. 10. 1933, BArch R 43 II / 408. 216 Der RAM, der RMdI an den RFM, den Staatssekretär der Reichkanzlei, betr. Kleinrentnerhilfe, 07. 07. 1933, BArch R 43 II / 408, S. 1 f. 217 Ebenda, Anlage 1: Der RAM an den Staatssekretär der Reichskanzlei, betr. Denkschrift des Deutschen Rentnerbundes; a) die Schaffung eines Rentnerversorgungsgesetzes, 14. 6. 1932. 218 Der RAM, der RMdI an den RFM, den Staatssekretär der Reichkanzlei, betr. Kleinrentnerhilfe, 07. 07. 1933, BArch R 43 II / 408, S. 3 f. 219 Der RFM an den RAM, betr. Kleinrentnerhilfe, 16. 12. 1933, BArch R 43 II / 408.

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Das Gesetz über Kleinrentnerhilfe, das schließlich im Juli 1934 zustande kam, stellte einen Kompromiss dar, der sich nach Ansicht des Arbeitsministeriums, „mit Verbesserungen, die bisher schon von zahlreichen Fürsorgeverbänden in gleichem oder ähnlichem Umfang durchgeführt“ wurden, begnügte.221 Das Gesetz bewirkte eine deutliche Anhebung der Unterstützung für alle alten oder erwerbsunfähigen, hilfsbedürftigen Personen, die am 1. Januar 1918 nachweislich über ein Kapitalvermögen von mindestens 12.000 RM oder einen Rentenanspruch von jährlich wenigstens 500 RM verfügt hatten und das Vermögen oder den Anspruch während der Inflation verloren hatten.222 Zum Kapitalvermögen zählten auch Ansprüche aus Kapital- und Rentenversicherungen, die bis zum Stichtag noch nicht fällig geworden waren, sowie Rentenansprüche aus geleisteter Arbeit, wie beispielsweise Werkspensionen, die am Stichtag bereits bestanden hatten. Sonstige Vermögenswerte, wie Grund- oder Betriebsvermögen, fanden keine Berücksichtigung. Die Beweislast für die Erfüllung der Voraussetzungen oblag dem Kleinrentner, die Fürsorgeverbände hatten die Antragsteller jedoch bei der Beschaffung der notwendigen Unterlagen zu unterstützen. Dem eigenen Vermögen gleichgestellt waren Vermögen, die der Hilfsbedürftige oder die Hilfsbedürftige vom Ehemann oder der Ehefrau nach dem 1. Januar 1918 geerbt hatte, sofern es dem verstorbenen Ehepartner am Stichtag gehört hatte. Als alt im Sinne des Gesetzes galten Männer, die am 1. September 1934 das 60. Lebensjahr, und Frauen, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten. Als erwerbsunfähig galt, wer außerstande war, seinen Lebensunterhalt zumindest zur Hälfte durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten.223 Kleinrentner, die die Voraussetzungen der Kleinrentnerhilfe nicht er220 Reichsbund der deutschen Kapital- und Kleinrentner – Der Bundesführer – an den Reichskanzler Adolf Hitler, 07. 01. 1934, BArch R 43 II / 408. Vgl. auch An den Führer, S. 1 f. Rentnerversorgungsgesetz, S. 18 f. – Schreiben ähnlichen Inhalts gingen an den RAM, den RMdI und den Reichspropagandaminister. 221 Gesetz über Kleinrentnerhilfe vom 05. 07. 1934, RGBl. I 1934, S. 580 – 581. Vgl. auch Der RAM, der RMdI an den Staatssekretär in der Reichskanzlei, sämtliche Reichsminister, betr. Verabschiedung des Gesetzentwurfs über die Kleinrentnerhilfe, 29. 06. 1934, BArch R 3101 / 10395. Der RAM, der RMdI an den Staatssekretär in der Reichskanzlei, betr. Verabschiedung des Gesetzentwurfs über die Kleinrentnerhilfe durch die Reichsregierung, 22. 06. 1934, BArch R 3101 / 10395. 222 Für die Festsetzung der Mindestgrenze von 12.000 RM waren folgende Erwägungen maßgebend: Da ein Vermögen von 10.000 Vorkriegsmark vor allem in ländlichen und kleinstädtischen Verhältnissen als ausreichende Grundlage für eine Altersversorgung galt, ging das Gesetz von einer Mindestgrenze von 10.000 Vorkriegsmark aus. Nach der Umrechnungstabelle zum Aufwertungsgesetz (RGBl. I 1925, S. 133) hatten am Stichtag 10.000 Papiermark einen Wert von 8.000 Goldmark. Die Vermögensgrenze wurde deshalb auf 12.000 RM festgesetzt. Der Stichtag wurde gewählt, um alle Kleinrentner, die das Mindestvermögen vor Beginn der Geldentwertung erworben hatten, zum Bezug der Kleinrentnerhilfe zuzulassen. Den Kleinrentnern, deren Vermögen unter 10.000 Vorkriegsmark gelegen hatte, gewährte die Kleinrentnerfürsorge in den meisten Fällen Leistungen in Höhe ihrer früheren Einnahmen. Gesetz über Kleinrentnerhilfe, S. 218. 223 Es musste ein „ursächlicher Zusammenhang zwischen einem durch die Geldentwertung eingetretenen Vermögensverlust und der Hilfsbedürftigkeit“ bestehen, die Hilfsbedürf-

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

füllten, aber „ohne die eingetretene Geldentwertung nicht auf die öffentliche Fürsorge angewiesen“ wären, wurden weiterhin in der Kleinrentnerfürsorge betreut. Sozialrentner, die die genannten Bedingungen erfüllten, konnten ebenfalls Kleinrentnerhilfe beantragen.224 Das Gesetz beseitigte ferner den Ersatzanspruch des Fürsorgeverbandes, den die Kleinrentner stets als besonders drückend empfunden hatten und dessen Durchsetzung „in vielen Fällen zu erheblichen Härten und zu einer dauernden Beunruhigung der Rentnerkreise geführt“ hatte.225 Die Ersatzpflicht der Kinder, Ehegatten und Eltern wurde auf die bürgerlich-rechtliche Unterhaltspflicht beschränkt. Die Erben der Empfänger von Kleinrentnerhilfe in aufund absteigender Linie waren gänzlich von der Ersatzpflicht befreit. Die Empfänger von Kleinrentnerhilfe konnten nicht mehr zur Pflichtarbeit herangezogen werden, und auch die Unterbringung in einem Arbeitshaus sowie die Anwendung von Verwaltungszwangsverfahren gegen Unterhaltspflichtige waren nicht mehr gestattet. Die Unterstützungsleistungen in der Kleinrentnerhilfe mussten die allgemeinen Richtsätze um ein Viertel übersteigen, so dass zumindest für einen Teil der Kleinrentner der ursprüngliche Rechtszustand wiederhergestellt wurde. Daneben waren den Kleinrentnern alle Sonderleistungen der öffentlichen Fürsorge, wie beispielsweise Leistungen zur Deckung des Winterbedarfs, Lebensmittelverbilligungsscheine oder Mietbeihilfen, zu gewähren. In der Klein- und Sozialrentnerfürsorge dagegen blieben die Notverordnungskürzungen, die das Ausmaß der Mehrleistung in das Ermessen der Fürsorgeverbände gestellt hatten, bestehen.226 Das Gesetz über die Kleinrentnerhilfe setzte außerdem die durch die Notverordnungen aufgeweichte Vorschrift wieder in Kraft, wonach Aufwertungseinkommen und Einkommen aus Anleiheablösungen bis zu einem Betrag in Höhe von 270 RM jährlich bei der Festsetzung einer öffentlichen Unterstützung außer Ansatz zu bleiben hatten.227 tigkeit musste jedoch nicht allein durch die Geldentwertung verursacht sein. Ein ursächlicher Zusammenhang war auch dann gegeben, wenn die Hilfsbedürftigkeit erst durch das spätere Hinzutreten weiterer Ursachen eingetreten war. Als durch die Geldentwertung vernichtet galt ein Kapitalvermögen auch dann, wenn der Kleinrentner während der Inflationszeit gezwungen gewesen war, es aufzuzehren. Der RAM, der RMdI an die für die Durchführung der Kleinrentnerhilfe zuständigen Ministerien der Länder, 09. 12. 1935, BArch R 36 / 1177, S. 1 f. Der RAM, der RMdI an die für die Durchführung der Kleinrentnerhilfe zuständigen Ministerien der Länder, betr. Kleinrentnerhilfe, 02. 01. 1935, BArch R 36 / 1177, S. 2. 224 Der DGT an die städtischen und ländlichen BFV, betr. Gesetz über Kleinrentnerhilfe, 26. 07. 1934, BArch R 36 / 1182, S. 2. Der RAM, der RMdI, an die für die Durchführung der Kleinrentnerfürsorge zuständigen Ministerien der Länder, betr. Kleinrentnerhilfe und Kleinrentnerfürsorge, 02. 01. 1935, BArch R 36 / 1177, S. 1. 225 Ebenda, S. 2. Der DGT an die städtischen und ländlichen BFV, betr. Gesetz über Kleinrentnerhilfe, 26. 07. 1934, BArch R 36 / 1182, S. 3 f. 226 Ebenda, S. 4. Der RAM, der RMdI an die für die Durchführung der Kleinrentnerfürsorge zuständigen Ministerien der Länder, betr. Kleinrentnerhilfe und Kleinrentnerfürsorge, 02. 01. 1935, BArch R 36 / 1177, S. 2. Die Berechnung der Kleinrentnerhilfe. Sonderdruck aus dem Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 09. 09. 1934, BArch R 36 / 1177. 227 Nach § 84 des Aufwertungsgesetzes und nach § 26 des Gesetzes über die Ablösung öffentlicher Anleihen mussten bei der Festsetzung einer Unterstützung öffentlich-rechtlicher

4. Die öffentliche Fürsorge

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Die Anrechnung von Arbeitseinkommen wurde eingeschränkt. Arbeitsentgelte bis zu einem Betrag in Höhe des halben Richtsatzes waren gänzlich anrechnungsfrei; der Mehrverdienst durfte nur zu 50 Prozent angerechnet werden.228 Die Gewährung von Fürsorgeleistungen war ferner nicht mehr vom Verbrauch oder der Verwertung eines „kleineren“ Vermögens abhängig, wobei die Grenze für alleinstehende Kleinrentner bei 5.000 RM und für Ehepaare bei 6.000 RM lag. Das Reichsarbeitsministerium verlangte grundsätzlich eine wohlwollende Durchführung der Kleinrentnerhilfe. In Zweifelsfällen, so die Direktive des Ministeriums, seien die gesetzlichen Bestimmungen zugunsten der Kleinrentner auszulegen, da mit dem Gesetz „neben den sonstigen Vergünstigungen namentlich auch eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse“ beabsichtigt sei.229 Das Kleinrentnerhilfegesetz brachte zwar nicht die lang ersehnte „Reichsversorgung“, bewirkte aber dennoch für viele Kleinrentner eine erhebliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse. Von den rund 82.000 laufend unterstützten Parteien, die im Jahr 1935 Kleinrentnerhilfe bezogen, waren nach Berechnungen des Statistischen Reichsamtes 80 Prozent zuvor in der Kleinrentnerfürsorge betreut worden.230 Etwa 20.000 Parteien, die sich der als entwürdigend empfundenen öffentlichen Fürsorge bisher verweigert hatten, oder deren Hilfsbedürftigkeit bis dahin nicht anerkannt worden war, gelangten aufgrund der veränderten Voraussetzungen bei der Bedürftigkeitsprüfung neu in die Fürsorge (Tabelle 8).231 Der durchschnittliche Unterstützungsbetrag je Partei erhöhte sich gegenüber der Kleinrentnerfürsorge um etwa 5 RM auf rund 16 RM monatlich.232 Art Aufwertungseinkommen und Einkommen aus Anleihevermögen bis zum Betrag von 20,50 RM monatlich außer Ansatz bleiben. Durch die Notverordnung vom 8. 11. 1931 wurde den Fürsorgeverbänden gestattet, von diesen Vorschriften abzuweichen. Gesetz über Kleinrentnerhilfe, S. 220. Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen (Aufwertungsgesetz) vom 16. 07. 1925, RGBl. I 1925, S. 117 – 132. Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. 07. 1925, RGBl. I 1925, S. 137 – 144. Vgl. auch Sachße / Tennstedt, Bd. 2, S. 180 f. 228 Der DGT an die städtischen und ländlichen BFV, betr. Gesetz über Kleinrentnerhilfe, 26. 07. 1934, BArch R 36 / 1182, S. 5 f. Die Berechnung der Kleinrentnerhilfe. Sonderdruck aus dem Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 09. 09. 1934, BArch R 36 / 1177. Gesetz über Kleinrentnerhilfe, S. 220. 229 Der RAM, der RMdI an die für die Durchführung der Kleinrentnerhilfe zuständigen Ministerien der Länder, betr. Kleinrentnerhilfe, 02. 01. 1935, BArch R 36 / 1177, S. 1. Vgl. auch Syrup, S. 535. 230 Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1932 / 33, S. 403. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1933 / 34, S. 426. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1934 / 35, S. 83. Vgl. auch Schreiben des RAM an den RFM, betr. Kleinrentnerhilfe, 23. 08. 1937, BArch R 43 II / 408, S. 5. 231 Die öffentliche Wohlfahrtspflege im Deutschen Reich 1936 / 37, S. 244. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich im Rechnungsjahr 1935 / 36 und 1936 / 37, S. 232. Sparkler, S. 50 f. 232 Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1934 / 35, S. 85. Die öffentliche Wohlfahrtspflege im Rechnungsjahr 1936 / 37, S. 468.

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Trotz der eindeutigen Verbesserungen vermochte die Kleinrentnerhilfe die hohen Erwartungen, die der Reichsbund mit dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten verbunden hatte, nicht zu erfüllen. Zwar lehnte der Reichsbund, der offensichtlich von seiner Forderung nach einer völligen Loslösung aus der öffentlichen Fürsorge abgerückt war und sich mit einer „praktikable[n, die Verf.] ,Zwischenlösung‘“ abgefunden hatte, das Gesetz nicht grundsätzlich ab, machte aber erhebliche Bedenken geltend.233 Die Kritik konzentrierte sich vor allem auf die enge Auslegung des Kapitalbegriffs, die dafür sorge, dass ehemalige Besitzer von Grund- und Betriebsvermögen, aber auch die sogenannten „Haustöchter“ – hilfsbedürftige, ledige Töchter von Kleinrentnern – von der Kleinrentnerhilfe ausgeschlossen blieben.234 Die Mehrzahl der bedürftigen Kleinrentner erhielte weiterhin die niedrigeren Leistungen der als diskriminierend empfundenen Kleinrentnerfürsorge, so dass sich ihre wirtschaftliche Lage vorerst nicht verbessere. Im Gegenteil: In Anbetracht der Zunahme der Lebenshaltungskosten und der steigenden Erwerbseinkommen sei vielmehr zu erwarten, dass sich ihre relative Einkommensposition künftig weiter verschlechtern werde. Der Reichsbund sehe daher keine Veranlassung, von seiner Forderung nach einer deutlichen Erhöhung der Richtsätze abzurücken.235 Im Vorfeld der Märzwahlen 1936 verstärkte der Reichsbund den Druck auf die Regierung. Man bemühe sich zwar, erklärte der Reichsbund, „jeden einzelnen Rentner zu veranlassen, am 29. März seine Stimme für den Führer abzugeben“, diese Aufgabe werde jedoch durch die katastrophale wirtschaftliche Lage vieler Kleinrentner ungemein erschwert.236 Dass man dem einen „Volksteil“ eine Altersversorgung gewähre, während man den anderen, dem man sein Vermögen und sein Leibfried / Hansen / Heisig, S. 176. von Colomb, Ein Jahr Kleinrentnerhilfe. Dies., Kleinrentner in Familiengemeinschaft. Dies., Kapitalnachweis. Vgl. auch Die Durchführung des Kleinrentnerhilfegesetzes. Durchführung des Kleinrentnerhilfe-Gesetzes. 235 Zu den Eingaben des Reichsbundes der deutschen Kapital- und Kleinrentner vgl. Der DGT – Provinzialdienststelle Nieder- und Oberschlesien, Breslau, Rundschreiben an die Landräte, 07. 02. 1936, BArch R 36 / 1115. Reichsbund der Deutschen Kapital- und Kleinrentner – Bundesgruppe Stettin an den Bürgermeister von Stettin, 15. 02. 1936, BArch R 36 / 1115. Der DGT – Provinzialdienststelle Pommern an den DGT, 24. 02. 1936, BArch R 36 / 1115. Der DGT – Provinzialdienststelle Westfalen einschl. Lippe an den DGT, 07. 04. 1936, BArch R 36 / 1115. Der DGT – Provinzialdienststelle Rheinland und Hohenzollern an den DGT, 16. 03. 1937, BArch R 36 / 1115. Der DGT – Provinzialdienststelle Sachsen einschl. Anhalt an den DGT, 15. 03. 1937, BArch R 36 / 1115. Der DGT – Landesdienststelle Thüringen an den DGT, 03. 04. 1937, BArch R 36 / 1115. Der DGT – Landesdienststelle Mecklenburg an den DGT, 09. 04. 1937, BArch R 36 / 1115. Der DGT – Provinzialdienststelle Hannover an den DGT, 10. 04. 1937, BArch R 36 / 1115. Der DGT – Landesdienststelle Bayern an den DGT, 10. 06. 1937, BArch R 36 / 1115. Vgl. auch Ausbau des Gesetzes über Kleinrentnerhilfe, S. 82. Ist die Einbeziehung der Inflations-Haus- und Grundstücksverkäufer in die Kleinrentnerhilfe gerecht, S. 66 f. Querschnitt und Entwicklungslinien, S. 49 f. 236 Der Reichsbund der Kapital- und Kleinrentner e.V. – Der Bundesführer – an den RAM, 19. 03. 1936, in: Akten der Parteikanzlei 103 11734 – 11739, hier 11734. 233 234

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Einkommen geraubt habe, auf die Wohlfahrt verweise, werde als „schreiendes Unrecht“ empfunden. Die Erbitterung und Verzweiflung unter den Kleinrentnern, betonte der Reichsbund, sei „kaum noch steigerungsfähig“, wie die wachsende Zahl der Selbstmorde beweise.237 Unterstützung erhielten die Kleinrentner durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, in die der Reichsbund 1933 eingegliedert worden war.238 Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt kritisierte die unzureichenden Unterstützungssätze der öffentlichen Fürsorge und übte systematisch Druck auf die Kommunal- und Ministerialbürokratie aus. Dabei hatte die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt jedoch weniger das Wohlergehen der Kleinrentner im Blick, als vielmehr eine Stärkung der eigenen Position in der Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Wohlfahrtspflege. Die Kritik an den Zuständen in der öffentlichen Fürsorge sollte die kommunale Trägerschaft diskreditieren und den Weg für eine Übernahme der gesamten Fürsorge durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ebnen.239 Im Zentrum der an bevölkerungspolitischen und rassenhygienischen Zielen ausgerichteten „Volkswohlfahrtspflege“ stand die „erbgesunde“ deutsche Familie. Die Betreuung alter Menschen war dagegen von nachgeordneter Bedeutung und sollte neben der Gebrechlichenfürsorge und der Betreuung geistig und körperlich Behinderter künftig den kirchlichen Organisationen überlassen bleiben.240 Im Reichsarbeitsministerium war man sich der Defizite des Gesetzes bewusst und um Abhilfe bemüht. Es gelte unter allen Umständen zu verhindern, betonte das Ministerium, dass „alte Volksgenossen, die mit ihrer Lebensarbeit in früheren Jahrzehnten zur Stärke des Deutschen Reichs beigetragen haben und auch in Kriegszeiten ihre Opferwilligkeit bewiesen haben, der äußersten Not und Verzweiflung“ preisgegeben würden.241 Eine grundlegende Neuordnung der gesamten Kleinrentnerbetreuung scheiterte jedoch an den fiskalischen Bedenken des Reichsfinanzministeriums, das eine Aufstockung der Mittel kategorisch ablehnte.242 Obwohl das Justizministerium und der Stellvertreter des Führers eine Reform der Ebenda, 11736 f. Aufruf an alle deutschen Kapital- und Kleinrentner, S. 57. Engerer Anschluss des Reichsbundes, S. 89. – 1936 wurde Hans-Georg Ballarin, Amtsleiter im Hauptamt für Volkswohlfahrt der NSDAP, zum Bundesführer des Reichsbundes ernannt. 239 Leibfried / Hansen / Heisig, S. 177 – 181. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 132 – 150, 254 – 256. Zum Konflikt zwischen der NSV einerseits und der kommunalen und freien Wohlfahrtspflege andererseits vgl. Hansen, Wohlfahrtspolitik. Schoen, Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Kramer / Landwehr, Die freie Wohlfahrtspflege. Hammerschmidt / Rehbein, Die Wohlfahrtsverbände im NS-Staat. 240 Kaiser, bes. S. 89. Rudloff, S. 224. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 141, 149. Mann / Reidegeld, Die nationalsozialistische „Volkswohlfahrtspflege“. 241 Der RAM, der RMdI an den RFM, betr. Kleinrentnerhilfe, 03. 08. 1935, in: Akten der Parteikanzlei 103 11764 – 66, hier 11765 f. Vgl. auch Der RAM, betr. Kleinrentnerhilfe, 13. 02. 1935, in: Akten der Parteikanzlei 103 11760 – 63. 242 Der RAM an den RMdI, betr. Kleinrentnerfürsorge und Kleinrentnerhilfe, 24. 3. 1936, in: Akten der Parteikanzlei 103 11728 f. 237 238

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Kleinrentnerfürsorge befürworteten, verliefen die Verhandlungen zunächst ergebnislos.243 Erst ein Jahr später, im März 1937, kam Bewegung in die Angelegenheit, als der Stellvertreter des Führers angesichts immer eindringlicherer Beschwerden und Klagen eine zügige Neuordnung der Kleinrentnerfürsorge verlangte.244 An der Haltung des Reichsfinanzministeriums, keine weiteren Mittel zu Verfügung zu stellen, hatte sich zwar nichts geändert, gleichwohl traf die Initiative des Reichsarbeitsministeriums auf veränderte Rahmenbedingungen. Durch den Abbau der Arbeitslosigkeit hatten sich die Ausgaben für die laufende Barunterstützung in der öffentlichen Fürsorge gegenüber dem Rechnungsjahr 1932 / 33 um mehr als 1 Milliarde RM verringert, so dass sich die finanziellen Verteilungsspielräume erheblich erweitert hatten (Tabelle 9). Das Reichsarbeitsministerium schlug daher vor, den Kreis der Anspruchsberechtigten in der Kleinrentnerhilfe um ehemalige Besitzer von Grund- und Betriebsvermögen, hilfsbedürftige ledige Töchter von Kleinrentnern sowie auslandsdeutsche Flüchtlinge, die ihr Vermögen bei der Vertreibung aus dem Ausland verloren hatten, zu erweitern. Die zusätzlichen Kosten für das Reich, die sich in den nächsten Jahren aufgrund der natürlichen Abnahme der Zahl der Kleinrentner stetig verringern würden, schätzte das Reichsarbeitsministerium auf etwa 7 Millionen RM. Im Vergleich zu den Einsparungen in Höhe von über 1 Milliarde RM, betonte das Ministerium, dürften diese Mehrausgaben kaum ins Gewicht fallen.245 Im Bereich der Kleinrentnerfürsorge plante das Reichsarbeitsministerium eine deutliche Erhöhung der Leistungen. Nach Angaben des Statistischen Reichsamtes betrugen die durchschnittlichen monatlichen Zuwendungen je Kleinrentnerpartei im Jahr 1935 in der Kleinrentnerfürsorge knapp 30 RM und in der Kleinrentnerhilfe rund 37 RM. In der allgemeinen Fürsorge lag der durchschnittliche monatliche Aufwand je Partei im Vergleich dazu bei 31 RM für sonstige Hilfsbedürftige und bei knapp 46 RM für Wohlfahrtserwerbslose. Die Leistungen für Kleinrentner waren damit entgegen den rechtlichen Regelungen kaum höher bzw. teilweise sogar deutlich niedriger als die der allgemeinen Fürsorge.246 Dennoch verzichtete der Vorschlag auf eine generelle Anhebung der Richtsätze. Stattdessen sollte der Reichszuschuss zur Kleinrentnerfürsorge in Höhe von 28 Millionen RM, der bisher die Gemeinden entlastet 243 NSDAP – Der StdF an den RAM, betr. Kleinrentnerfürsorge und Kleinrentnerhilfe, 05. 05. 1936, in: Akten der Parteikanzlei 103 11741. NSDAP – Der StdF an den RAM, betr. Kleinrentnerfürsorge und Kleinrentnerhilfe, 20. 05. 1936, in: Akten der Parteikanzlei 103 11742 f. Der Reichsminister der Justiz, betr. Inflationsgrundstücksverkäufer und Kleinrentnerhilfe, 04. 02. 1936, in: Akten der Parteikanzlei 103 11730 f. Der RAM an den StdF, betr. Kleinrentnerhilfe, 22. 03. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11746 – 59. 244 Der RAM an den RFM, betr. Kleinrentnerhilfe, 22. 03. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11744 f. 245 Der RAM an den StdF, betr. Kleinrentnerhilfe, 22. 03. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11746 – 59, hier 11754 f. Vgl. auch Der RAM an den RFM, betr. Kleinrentnerhilfe, 23. 08. 1937, BArch R 43 II / 408, S. 3 f., 6. 246 Der RAM an den StdF, betr. Kleinrentnerhilfe, 22. 03. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11746 – 59, hier 11755 f.

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hatte, künftig direkt an die Kleinrentner ausgezahlt werden. Bei rund 190.000 Kleinrentnerparteien ergab sich daraus ein Zuschuss in Höhe von 12 RM monatlich je Partei. Die Kleinrentner, hieß es zur Begründung, seien im Gegensatz zu den Sozialrentnern fast ausschließlich auf die Leistungen der öffentlichen Fürsorge angewiesen. Die Mehrleistungen seien daher kaum mehr als ein gerechter Ausgleich für die durch die Geldentwertung erlittenen Verluste.247 Ein entsprechender Entwurf ging den beteiligten Ressorts am 8. Dezember 1937 zu.248 Im Reichsjustizministerium, beim Stellvertreter des Führers, in der Parteiführung und im Hauptamt für Volkswohlfahrt stießen die Pläne des Reichsarbeitsministeriums auf grundsätzliche Zustimmung.249 Die Reichsministerien des Inneren und der Finanzen äußerten zwar zunächst Vorbehalte gegen den Entwurf,250 ließen diese jedoch fallen, als auf Verlangen des Stellvertreters des Führers jüdische Kleinrentner von den Verbesserungen ausgeschlossen wurden, was den fiskalischen Bedenken der beiden opponierenden Ministerien entgegen kam.251 Die Verordnung zur Ergänzung des Gesetzes über die Kleinrentnerhilfe vom 24. Dezember 1937 erweiterte den Kreis der Empfänger von Kleinrentnerhilfe um die ehemaligen Inhaber von Grund- und Betriebsvermögen, sofern dieses Vermögen mindestens 12.000 RM betragen hatte, in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1918 und dem 30. November 1923 veräußert worden war, und der Erlös der Geldentwertung zum Opfer gefallen war.252 Die Verordnung dehnte die Kleinrentnerhilfe ferner auf die sogenannten „Haustöchter“ aus, die mit ihren Eltern bis zu 247 Ebenda. Vgl. auch Der RAM an den RFM, betr. Kleinrentnerhilfe, 23. 08. 1937, BArch R 43 II / 408, S. 6 f. 248 Der RAM an den RMdI, den RFM, den StdF, betr. Kleinrentnerhilfe, 08. 12. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11775 – 82. Anlage: Entwurf über eine Verordnung zur Ergänzung des Gesetzes über die Kleinrentnerfrage. 249 Der Reichsminister der Justiz an den StdF, betr. Kleinrentnerhilfe, 26. 04. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11767 f. NSDAP – Der StdF an den RAM, betr. Kleinrentnerhilfe, 14. 05. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11769. Vermerk aus dem Reichsfinanzministerium vom 15. 10. 1937, betr. Kleinrentnerhilfe, in: Akten der Parteikanzlei 103 11771 – 74. 250 Ebenda. 251 NSDAP – Der StdF an den RAM, betr. Kleinrentnerhilfe, 14. 12. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11787 f. NSDAP – Der StdF an den RFM, 14. 12. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11786. Der RFM an den RAM, 23. 12. 1937, in: Akten der Parteikanzlei 103 11783 – 85. 252 Verordnung zur Ergänzung des Gesetzes über Kleinrentnerhilfe vom 24. 12. 1937, RGBl. I 1937, S. 1415. Zum Grundvermögen gehörte der Grund und Boden einschließlich der Gebäude und des Inventars. Zum Betriebsvermögen gehörten alle Teile einer wirtschaftlichen Einheit, die dem Betrieb eines Gewerbes oder eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs als Hauptzweck diente, soweit die Wirtschaftsgüter dem Betriebsinhaber gehörten. Zum Betriebsvermögen gehörten nicht nur Maschinen, Rohstoffe, Waren und Inventar, sondern auch Kapitalforderungen, Spareinlagen sowie Bank- und sonstige Guthaben. Das Grundvermögen wurde nach seinem gewöhnlichen Verkaufswert bewertet, die Grundlage für die Errechnung des Betriebsvermögens bildete in der Regel die Geschäftsbilanz. Zimmerle, S. 35.

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

deren Tod im gemeinsamen Haushalt gelebt und anstelle einer Erwerbstätigkeit hauswirtschaftliche Arbeit für ihre Angehörigen geleistet hatten. Die „Haustochter“ musste nachweisen, dass ihre Eltern am 1. Januar 1918 ein Mindestvermögen von 12.000 RM besessen hatten, das sie nach diesem Stichtag geerbt hatte oder ohne die eingetretene Geldentwertung geerbt hätte.253 Auch Flüchtlinge und „Verdrängte“ gehörten künftig zu den Empfängern der Kleinrentnerhilfe, sofern sie infolge des Weltkrieges ein Vermögen von mindestens 12.000 RM verloren hatten und ohne diesen Verlust nicht auf die öffentliche Fürsorge angewiesen wären. Dies galt auch für die Ehepartner und Töchter von Flüchtlingen oder „Verdrängten“, wenn sie das Vermögen ererbt hatten oder ohne die eingetretene Geldentwertung geerbt hätten.254 Die Zahl der Kleinrentnerhilfeempfänger erhöhte sich infolge der Verordnung vom 24. Dezember 1937 nochmals deutlich. Das Statistische Reichsamt schätzte, dass bis Ende September 1938 rund 11.000 Parteien neu in die Kleinrentnerhilfe aufgenommen wurden.255 Statistisch wurde diese Zunahme allerdings durch den langfristigen Trend einer generellen Abnahme der Zahl der unterstützten Kleinrentnerparteien überlagert, der sich seit 1939 beschleunigte, als auch die Zahl der Parteien in der Kleinrentnerhilfe, die 1938 nochmals stark angestiegen war, zu sinken begann.256 Dieser Rückgang der unterstützten Kleinrentner war allerdings nicht auf eine gesunkene Hilfsbedürftigkeit zurückzuführen, sondern resultierte vielmehr aus der hohen altersbedingten Sterblichkeit der Kleinrentner, bei denen es sich zumeist um hochbetagte Personen handelte. In der Kleinrentnerfürsorge musste den Unterstützungsempfängern der laufende Reichszuschuss ab April 1938 direkt ausgezahlt werden. Er betrug für alleinstehende Kleinrentner in ländlichen und städtischen Bezirksfürsorgeverbänden mit unter 20.000 Einwohnern 10 RM monatlich, in Bezirksfürsorgeverbänden mit 20.000 bis 100.000 Einwohnern 11 RM und in Bezirksfürsorgeverbänden mit mehr als 100.000 Einwohnern 12 RM monatlich. Lebte der Kleinrentner mit einem oder mehreren Empfängern von öffentlicher Fürsorge oder Arbeitslosenunterstützung in Hausgemeinschaft, erhöhte sich der Betrag auf 13 RM, 14,50 RM bzw. 16 RM monatlich. Da sich das bisherige Einkommen der Kleinrentner nach dem Willen der Reichsregierung um den vollen Betrag erhöhen sollte, blieb der Reichszuschuss bei der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit außer Ansatz.257 KleinZimmerle, S. 36. Ebenda. Vgl. auch Syrup, S. 536. 255 Die öffentliche Wohlfahrtspflege im Deutschen Reich in den Jahren 1936 / 37, S. 244. 256 Die Zahl der in der Kleinrentnerhilfe unterstützten Personen, die am 31. 12. 1934 knapp 88.000 betragen hatte, erhöhte sich bis Ende März 1938 auf knapp 105.000 betreute Personen. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1933 / 34, S. 427. Die öffentliche Fürsorge im Rechnungsjahr 1937 / 38, S. 707. Die öffentliche Fürsorge im Deutschen Reich 1934 / 35, S. 83. 257 Der RAM an die Landesregierungen (Sozialverwaltungen) und den Reichskommissar für das Saarland, für Preußen an die Regierungspräsidenten und den Stadtpräsidenten der 253 254

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rentner, die nach der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 als Juden galten, waren vom Bezug des Reichszuschusses ausgeschlossen. „Mischlingen“ nach § 2 der genannten Verordnung wurde er dagegen gewährt.258 Kleinrentnern in geschlossener Fürsorge, zum Beispiel in Alters- oder Siechenheimen, erhielten den Reichszuschuss nur dann, wenn Art und Umfang der gewährten Anstaltsfürsorge eigene zusätzliche Ausgaben des Kleinrentners zur Verbesserung seiner Lebenshaltung rechtfertigten. Die Entscheidung darüber oblag den Bezirksfürsorgeverbänden. Ein Vorstoß der Stadt Frankfurt, den in Anstaltspflege befindlichen Kleinrentnern generell nur einen Teil des Reichszuschusses als Taschengeld auszuzahlen, stieß im Reichsarbeitsministerium auf Ablehnung, da eine solche Regelung die Bereitschaft der Kleinrentner, Altersheime aufzusuchen und ihre Wohnungen für andere Wohnungssuchende frei zu machen, vermindere.259 Durch den Rückgang der unterstützten Parteien konnte der Reichszuschuss im Sommer 1941 für alleinstehende Kleinrentner in Bezirksfürsorgeverbänden mit unter 20.000 Einwohnern auf 15 RM monatlich, in Bezirksfürsorgeverbänden mit 20.000 bis 100.000 Einwohnern auf 16,50 RM und in Bezirksfürsorgeverbänden mit mehr als 100.000 Einwohnern auf 18 RM monatlich erhöht werden. Für Kleinrentner, die mit einem Fürsorgeempfänger in Hausgemeinschaft lebten, erhöhten sich die Beträge auf 20 RM, 22 RM bzw. 24 RM monatlich. Der Zuschlag für jede weitere mitunterstützte Person betrug 5 RM.260 Trotz dieser Verbesserungen blieb die wirtschaftliche Situation vieler Kleinrentner angespannt. Im April 1939 musste das Reichsarbeitsministerium feststellen, dass „auf dem Gebiete der Kleinrentnerfürsorge und Kleinrentnerhilfe ( . . . ) trotz der Einführung der laufenden Reichszuschüsse im April v. Js. keine grundlegende Reichshauptstadt Berlin, betr. Reichszuschüsse für Kleinrentner, 25. 03. 1938, BArch R 36 / 1178, S. 2 f. Vgl. auch Syrup, S. 536. 258 Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. 11. 1935, RGBl. I 1935, S. 1333 – 1334. Der RAM an die Landesregierungen (Sozialverwaltungen) und den Reichskommissar für das Saarland, für Preußen an die Regierungspräsidenten und den Stadtpräsidenten der Reichshauptstadt Berlin, betr. Reichszuschüsse für Kleinrentner, 25. 03. 1938, BArch R 36 / 1178, S. 1. 259 Frankfurt am Main – Der Oberbürgermeister – Fürsorgeamt an den DGT, betr. Reichszuschuss für Kleinrentner, 18. 05. 1938, BArch R 36 / 1180. Der DGT an den Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, betr. Reichszuschüsse für Kleinrentner, 22. 06. 1938, BArch R 36 / 1180. Der RAM an den Regierungspräsidenten in Wiesbaden, betr. Reichszuschuss für Kleinrentner, 01. 11. 1938, BArch R 36 / 1181. 260 Der RAM an die Landesregierungen (Sozialverwaltungen) der Altreichsgebiete, für Preußen an die Regierungspräsidenten, den Stadtpräsidenten der Reichshauptstadt Berlin, den Reichsstatthalter der Westmark, die Reichsstatthalter in den Reichsgauen der Ostmark, die Regierungspräsidenten in Karlsbad, Aussig, Troppau, den Reichsstatthalter in DanzigWestpreußen, die Regierungspräsidenten in Danzig, Marienwerder, Bromberg, die Regierungspräsidenten in Posen, Hohensalza, Litzmannstadt, betr. Erhöhung des Reichszuschusses für Kleinrentner, 18. 07. 1941, BArch R 36 / 1185. Vgl. auch Erhöhte Reichszuschüsse für Kleinrentner, in: Soziale Praxis, Nr. 16 vom 15. August 1941, BArch NS 5 / VI / 4012. 16*

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Änderung und Beruhigung eingetreten“ war.261 Anlässlich von Hitlers 50. Geburtstag forderte der Minister daher auch für die Kleinrentner eine einmalige Sonderzuwendung, um, wie es hieß, den „in Betracht kommenden Volksgenossen“ zu beweisen, „dass das Reich sie neben seinen anderen großen Aufgaben nicht“ vergessen habe.262 Die einmalige Sonderbeihilfe, die den Berechtigten bis spätestens Ende Mai auszuzahlen war, betrug für die Empfänger von Kleinrentnerhilfe oder -fürsorge 15 RM und durfte auf die Leistungen der öffentlichen Fürsorge nicht angerechnet werden. Für jeden mitunterstützten Angehörigen trat ein Zuschlag in Höhe von 5 RM hinzu. Hilfsbedürftigen, die sich in geschlossener Fürsorge befanden, wurde die Sonderbeihilfe ebenfalls gewährt, sofern sie dem Empfänger selbst oder seinen Angehörigen zugute kam und eine „fühlbare Erleichterung“ bewirkte.263 Daneben wurde den Kleinrentnern seit 1932 jedes Jahr eine einmalige „Winterbeihilfe“ in Höhe von 15 RM gewährt, die nicht zu einer Kürzung der Unterstützungsleistungen führen durfte. Für mitunterstützte Angehörige, die im Haushalt des Berechtigten lebten, wurde ein Zuschlag von 5 RM gezahlt.264 Im Winter 1940 ermöglichte die sinkende Zahl der unterstützten Kleinrentner eine deutliche Erhöhung der „Winterbeihilfe“ auf 25 RM für Berechtigte und 10 RM für mitunterstützte Angehörige.265 261 Der RAM an den RFM, betr. Soziale Maßnahmen anläßlich des 50. Geburtstages des Führers, 13. 04. 1939, BArch R 2 / 18560, S. 1 f. 262 Ebenda. 263 Der RAM an die Landesregierungen (Sozialverwaltungen) des Altreichsgebiets, in Preußen an die Regierungspräsidenten, den Stadtpräsidenten der Reichshauptstadt Berlin, den Reichskommissar für das Saarland, betr. Einmalige Reichsbeihilfe für hilfsbedürftige Sozialrentner und Kleinrentner, 19. 04. 1939, BArch R 2 / 18560. 264 Der RAM an die Landesregierungen (Sozialverwaltungen), den Reichskommissar für das Saarland, die preußischen Regierungspräsidenten, den Stadtpräsidenten der Reichshauptstadt Berlin, den Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, die Landeshauptmänner in der Ostmark, den Reichsstatthalter im Sudetengau, die Regierungspräsidenten in Karlsbad, Aussig, Troppau, den Reichsstatthalter in DanzigWestpreußen, betr. Reichssonderzuschuss für Kleinrentner, 27. 02. 1940, BArch R 43 II / 405. 265 Der RAM an die Landesregierungen (Sozialverwaltungen) des Altreichsgebiets, in Preußen an die Regierungspräsidenten, den Stadtpräsidenten der Reichshauptstadt Berlin, den Reichskommissar für die Saarpfalz, die Reichsstatthalter in den Reichsgauen der Ostmark, den Reichsstatthalter im Sudetengau, die Regierungspräsidenten in Karlsbad, Aussig, Troppau, den Reichsstatthalter in Danzig-Westpreußen, die Regierungspräsidenten in Danzig, Marienwerder, Bromberg, den Reichsstatthalter im Warthegau, betr. Reichssonderzuschuss für Kleinrentner, 12. 11. 1940, BArch R 3901 / 6343. Der RAM, der RMdI an die Landesregierungen (Sozialverwaltungen) des Altreichsgebiets, den Reichsstatthalter der Westmark und Chef der Zivilverwaltung in Lothringen, die Reichsstatthalter in den Alpen- und DonauReichsgauen, den Reichsstatthalter im Sudetengau, die Regierungspräsidenten in Karlsbad, Aussig, Troppau, den Reichsstatthalter in Danzig-Westpreußen, die Regierungspräsidenten in Danzig, Marienwerder, Bromberg, den Reichsstatthalter im Warthegau, den Chef der Zivilverwaltung im Elsaß, den Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg, betr. Reichssonderzuschuss für Kleinrentner, 20. 10. 1944, BArch R 1501 / 1477.

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e) Die Neuordnung der Richtsätze Von einer systematischen Sozialpolitik, die geeignet gewesen wäre, die durch die Weltwirtschaftskrise in ihrer Substanz zutiefst erschütterte öffentliche Fürsorge zu reorganisieren, konnte im Bereich der Sozial- und Kleinrentnerfürsorge bis Mitte 1941 keine Rede sein. Nachdem eine Anhebung der Richtsätze frühzeitig am Widerstand des Reichsfinanzministeriums gescheitert war, blieb die Fürsorgepolitik auf sporadische Maßnahmen beschränkt, die zumindest die schlimmste Not der Unterstützungsempfänger lindern sollten, ohne jedoch nennenswerte Kosten zu verursachen. Die Einführung der Kleinrentnerhilfe sowie die direkte Auszahlung des Reichszuschusses und die alljährliche „Winterbeihilfe“ hatten zwar gegenüber dem niedrigen Krisenniveau von 1932 / 33 eine deutliche Verbesserung der sozialen Lage der Kleinrentner bewirkt. Die Maßnahmen hatten jedoch zugleich die Unübersichtlichkeit des Fürsorgerechts verstärkt und zu einer wachsenden Segmentierung der Unterstützungsempfänger geführt. Im Bereich der Sozialrentnerfürsorge war es dagegen nur zu geringfügigen Verbesserungen gekommen, so dass die Leistungen weitgehend auf dem niedrigen Krisenstand stagnierten. Im Herbst 1941 trafen die Forderungen nach einer Vereinheitlichung und Erhöhung der niedrigen, als diskriminierend empfundenen Richtsätze für „würdige“ und „gemeinschaftsfähige Volksgenossen“ auf veränderte, günstigere Bedingungen als in den Jahren zuvor:266 (1) Der Ausgrenzungsprozess jüdischer Hilfsbedürftiger aus der öffentlichen Fürsorge, der unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begonnen hatte, war Ende 1940 faktisch abgeschlossen. Die Ausgrenzung hatte sich zunächst auf der Ebene der Kommunen vollzogen, ohne dass es einer gesetzlichen Regelung bedurft hätte. Die Fürsorgeverbände hatten die Unterstützung für jüdische Hilfsbedürftige auf die gesetzlichen Pflichtleistungen reduziert, alle Sonderleistungen waren ausgesetzt worden, und sämtliche Zuwendungen der jüdischen Wohlfahrtspflege wurden vollständig angerechnet.267 Nach den Novemberpogromen hatte sich der Ausgrenzungsprozess trotz oder gerade wegen der mit der Verdrängung aus dem Wirtschaftsleben verbundenen steigenden Hilfsbedürftigkeit der jüdischen Bevölkerung radikalisiert. 1937 / 38 waren 21 Prozent der jüdischen Bürger hilfsbedürftig, darunter vor allem Kinder, Jugendliche und alte Menschen.268 Am 19. November 1938 hatten der Reichsinnen-, der Reichsarbeits- und der Reichsfinanzminister eine „Verordnung über die Fürsorge für Juden“ erlassen, die jüdische Hilfsbedürftige ausschließlich auf die Hilfe jüdischer Institutionen verwies. Öffentliche Leistungen durften nur noch im äußersten Leibfried / Hansen / Heisig, S. 182 f. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 247 ff. Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, S. 46 – 104, 114 – 156. Ders., Die öffentliche Fürsorge, S. 599 – 606. Adler-Rudel, S. 158 – 160. Lohalm, Hamburgs öffentliche Fürsorge, S. 504 – 507. Ders., Der öffentliche Umgang mit der Armut. Vgl. auch Hanke, S. 263 ff. 268 Herzig, S. 249. 266 267

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V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

Notfall gewährt werden und sollten nur den nötigsten Lebensbedarf decken. Sie lagen wesentlich unter dem allgemeinen Unterstützungssatz, und die Hilfen jüdischer Organisationen wurden voll in Ansatz gebracht.269 Im Bereich der Sozialund Kleinrentnerfürsorge waren davon schätzungsweise 20.000 jüdische Sozialrentner und 3.000 jüdische Kleinrentner betroffen, die bis dahin Leistungen der gehobenen Fürsorge bezogen hatten.270 Die am 4. Juli 1939 formell gegründete Reichsvereinigung der Juden in Deutschland war zur Organisation und Finanzierung eines separaten jüdischen Fürsorgewesens verpflichtet worden, und hatte ab November 1939 die Kosten der „Geschlossenen Fürsorge“ vollständig zu übernehmen.271 In der „Offenen Fürsorge“ war es angesichts der sinkenden finanziellen Leistungsfähigkeit der jüdischen Gemeinden zunächst nicht zu einer abschließenden Regelung gekommen. Gleichwohl wandten die wenigen noch leistungsbereiten Wohlfahrtsämter immer strengere Kriterien bei der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit jüdischer Armer an und unterwarfen die Unterstützten einer strikten Arbeitspflicht. Im Sommer 1941 wurden noch etwa 250 jüdische Familien durch die staatlichen Fürsorgeverbände unterstützt.272 Im Dezember 1942 verbot das Reichsinnenministerium den Fürsorgeverbänden und Wohlfahrtsämtern schließlich offiziell die Ausgabe von Sozialleistungen an Juden.273 Damit war der Ausgrenzungsprozess formal vollendet, auch wenn letztlich nur noch eine Entwicklung nachvollzogen und gesetzlich legitimiert wurde, die bereits seit Jahren abgeschlossen war.274 (2) Bereits bei Kriegsbeginn war der staatliche Repressionsapparat so weit ausgebaut, dass alle arbeitsfähigen Unterstützungsempfänger zur Aufnahme einer Beschäftigung gezwungen werden konnten. Zwar hatte schon in der Weimarer Zeit die Möglichkeit bestanden, „Arbeitsscheue“ und „Asoziale“ ohne richterliche Beteiligung auf dem Verwaltungsweg in geschlossene Arbeitshäuser zu überweisen, 269 Verordnung über die Fürsorge für Juden vom 19. 11. 1938, RGBl. I 1938, S. 1649. Zum Radikalisierungsprozess vgl. Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, S. 167 – 226, 238 – 243. 270 Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, S. 167 f. 271 Die als Zwangsorganisation durch die nationalsozialistischen Behörden gegründete „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ trat an die Stelle der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“, die bis dahin noch einen Rest an Unabhängigkeit und Beschlussfreiheit hatte bewahren können. Den Auslöser bildete das Gesetz vom 28. 03. 1938, das den jüdischen Gemeinden und ihren Verbänden die bisherige Stellung als Körperschaften des öffentlichen Rechts aberkannte. Sie konnten infolge dessen nur noch als rechtsfähige Vereine bürgerlichen Rechts weiter bestehen. Damit war den Gemeinden die Möglichkeit genommen, wie bisher Steuern zu erheben, die eintreibbar waren, so dass sie nur noch freiwillige Beiträge fordern konnten. Adler-Rudel, S. 17 f. Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, S. 221 – 226, 238 – 243, 259 – 262. Barkai, Vom Boykott zur „Entjudung“, S. 171 f. 272 Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, S. 243 – 253, 262 – 280. Ders., Die öffentliche Fürsorge, S. 609 – 613. Lohalm, Hamburgs öffentliche Fürsorge, S. 508 – 511. 273 Reichsministerialblatt der Inneren Verwaltung vom 30. 12. 1942, S. 2377. Abdruck bei Lohalm, Fürsorge und Verfolgung, S. 101. Vgl. auch Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, S. 305 – 307. 274 Gruner, Die öffentliche Fürsorge, S. 613 – 616. Adler-Rudolf, S. 151 – 182.

4. Die öffentliche Fürsorge

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aber erst das NS-Regime machte von dieser Regelung intensiven Gebrauch. Mit einsetzendem Arbeitskräftemangel waren die Maßnahmen drastisch verschärft worden – an die Stelle der fürsorgerischen Einweisung in Arbeitshäuser trat nun die Vorbeugehaft im Konzentrationslager –, so dass ein Missbrauch der angestrebten Erhöhung der Fürsorgeleistungen durch „arbeitsscheue Asoziale“ praktisch ausgeschlossen war.275 (3) Durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung im Zuge der beschleunigten Aufrüstung hatte sich die Kluft zwischen „armen und bessergestellten Volksgenossen“ zunehmend vergrößert. Das kriegswirtschaftliche Bezugsscheinsystem hatte gezeigt, dass die Geldleistungen der Fürsorge nicht einmal für die Beschaffung der lebensnotwendigen Bedarfsgüter ausreichten. Mit zunehmender Dauer des Krieges wuchs daher der Druck auf das Regime, sozialpolitische Verbesserungen vorzunehmen, um sich der Loyalität der Bevölkerung zu versichern und die „innere Front“ zu stärken.276 Auf Initiative der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und der Deutschen Arbeitsfront sowie der Parteikanzlei kam es daher im Oktober 1941 zu der seit der Weimarer Zeit diskutierten Neuordnung der Richtsätze in der öffentlichen Fürsorge. Der gemeinsame Runderlass des Reichsinnen- und des Reichsarbeitsministers schrieb die Differenzierung der Weimarer Fürsorge in unterschiedlich zu alimentierende Gruppen von Bedürftigen zwar formal fort, unterwarf sie jedoch gleichzeitig erb- und rassenbiologischen „Würdigkeitskriterien“.277 In Zukunft waren alle Hilfsbedürftigen, die nach den Richtlinien für die Beurteilung der Erbgesundheit zur Gruppe der Durchschnittsbevölkerung gehörten und daher im Allgemeinen als erbgesund zu gelten hatten, nach den Vorschriften der gehobenen Fürsorge zu betreuen. Das Abstandsgebot zwischen gehobener und allgemeiner Fürsorge, das während der Weltwirtschaftskrise erheblich aufgeweicht worden war, wurde wieder ziffernmäßig festgeschrieben. Die Regelung blieb jedoch hinter dem ursprünglichen Rechtszustand einer Ein-Viertel-Distanz zurück. Der Richtsatz der gehobenen Fürsorge musste den der allgemeinen Fürsorge künftig um 15 Prozent übersteigen; der Bedarf für Miete und anderen Sachaufwand wurde ganz aus dem Richtsatz herausgenommen.278 Die Leistungen der allgemeinen Fürsorge beinhalteten nur noch den Grundbedarf für Nahrung, Beleuchtung und Kochfeuerung, für die Instandhaltung der Kleidung und des Schuhwerks, für Reinigung sowie kleinere Bedürfnisse. In der Praxis sollten die Fürsorgebehörden den jeweiligen Richtsatz zugunsten der Bedürftigen an die örtlichen Lebenshaltungskosten anpassen, Leibfried / Hansen / Heisig, S. 182 f. Rudloff, S. 200 f. Leibfried / Hansen / Heisig, S. 182 f., 190 f. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 248. 277 Rudloff, S. 195. Sachße / Tennstedt, Bd. 3, S. 249. 278 Öffentliche Fürsorge, insbesondere Aufbau der Richtsätze. Runderlass des RMdI und des RAM vom 31. 10. 1941, in: Blätter für öffentliche Fürsorge und soziale Versicherung. Halbmonatsschrift für Fürsorgeverbände, Versicherungsbehörden und Versicherungsträger 16 (1941), BArch R 36 / 1116, S. 9 f. 275 276

248

V. Die zusätzlichen Alterssicherungssysteme

während gleichzeitig „gegen Asoziale mit Strenge und Härte“ vorgegangen werden sollte.279 Für die Sozial- und Kleinrentner bedeutete dies zwar einerseits eine deutliche Anhebung der Unterstützungsbeträge, andererseits nivellierte jedoch die massive Erweiterung des Empfängerkreises der gehobenen Fürsorge – schätzungsweise kamen 250.000 „erbtüchtige“ Parteien neu in die gehobene Fürsorge – ihre vorherige Sonderstellung.280 Im Rechnungsjahr 1942 / 43 erhöhte sich der durchschnittliche monatliche Unterstützungsbetrag in der Sozialrentnerfürsorge gegenüber den Vorjahren um rund 46 Prozent auf fast 26 RM monatlich; er lag damit um rund 26 Prozent über dem Vorkrisenniveau von 1928 / 29. In der Kleinrentnerhilfe und -fürsorge fielen die Zuwächse auf Grund der vorangegangenen Leistungsverbesserungen weniger deutlich aus als bei den Sozialrentnern. In der Kleinrentnerhilfe erhöhten sich die durchschnittlichen Zuwendungen je Partei 1942 / 43 um knapp 26 Prozent; in der Kleinrentnerfürsorge betrug der Anstieg rund 24 Prozent. Die durchschnittlichen Unterstützungsbeträge je Partei waren dagegen in der Kleinrentnerhilfe und -fürsorge deutlich höher als in der Sozialrentnerfürsorge (Tabelle 10). Die Kleinrentnerfürsorge betrug im Schnitt knapp 36 RM monatlich und war damit annährend so hoch wie die Durchschnittsrente in der Arbeiterversicherung. Die Kleinrentnerhilfe war mit knapp 44 RM im Monat sogar deutlich höher; das von der Deutschen Arbeitsfront errechnete soziale Existenzminimum in Höhe von 45 RM monatlich wurde allerdings nicht erreicht.281 Im Bereich der Sozial- und Kleinrentnerfürsorge blieb die Fürsorgepolitik bis Mitte 1941 Flickwerk, und ein allgemeiner Ausgleich der Notverordnungskürzungen wurde trotz des Versprechens eines großzügigen Ausbaus der Altersversorgung nicht realisiert. Obwohl der Abbau der Arbeitslosigkeit die Kommunen erheblich entlastete, stagnierten die durchschnittlichen Unterstützungsbeträge auf dem niedrigen Krisenniveau, und das Regime beschränkte sich auf punktuelle Maßnahmen zur Linderung der schlimmsten Notlagen. Erst im Zuge der allgemeinen sozialpolitischen Verbesserungen des Jahres 1941 kam es auch in der öffentlichen Fürsorge zu einer deutlichen Anhebung der Leistungen, die jedoch in erster Linie bevölkerungspolitischen Zielsetzungen diente und zugleich die sozialpolitische Reputation des Regimes verbessern sollte. Die alten Menschen, erklärte Goebbels im Januar 1943, seien „ein ( . . . ) nicht zu unterschätzender stimmungsbildender Faktor. Aus diesem Grund müssen wir bewusst auch weiterhin Massnahmen überlegen, mit Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, S. 297 f. Öffentliche Fürsorge, insbesondere Aufbau der Richtsätze. Runderlass des RMdI und des RAM vom 31. 10. 1941, in: Blätter für öffentliche Fürsorge und soziale Versicherung. Halbmonatsschrift für Fürsorgeverbände, Versicherungsbehörden und Versicherungsträger 16 (1941), BArch R 36 / 1116, S. 9. Die öffentliche Fürsorge von Oktober 1941 bis März 1942, S. 393. Vgl. auch Entwurf über die Verbesserung der Leistungen in der öffentlichen Fürsorge. Runderlass des RMdI und des RAM vom September 1941, BArch R 36 / 1112, S. 1 – 3. 281 Die öffentliche Fürsorge von Oktober 1941 bis März 1942, S. 394. Die öffentliche Fürsorge von Oktober 1942 bis März 1943, S. 16. 279 280

4. Die öffentliche Fürsorge

249

denen wir die alten Leute – und sei es nur durch irgendein freundliches Wort – erfreuen können“.282 Unter den Sozialrentnern nahm die Hilfsbedürftigkeit nach 1933 infolge der seit dem Kaiserreich deutlich gestiegenen Nominallöhne und der damit verbundenen höheren Rentenansprüche sowie auf Grund der zunehmenden Erwerbsbeteiligung der älteren Generation zwar kontinuierlich ab – bis 1943 ging die Zahl der unterstützten Sozialrentnerparteien um rund 40 Prozent zurück –, für viele Rentenempfänger blieb die öffentliche Fürsorge jedoch ein fester Bestandteil ihres Alterseinkommens. Im Vergleich zu den Sozialrentnern gelang es den hilfsbedürftigen Kleinrentnern wesentlich früher eine spürbare Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation zu erreichen. Das lag zum einen daran, dass die Kleinrentner auch nach 1933 über eine verhältnismäßig durchsetzungsfähige Interessenvertretung verfügten, die die Reichsregierung unermüdlich mit den Defiziten der Kleinrentnerfürsorge konfrontierte. Zum anderen hatte das Regime im Parteiprogramm von 1920 nicht nur einen großzügigen Ausbau der Altersversorgung, sondern auch die „Schaffung eines gesunden Mittelstands“ in Aussicht gestellt. Trotz dieser Versprechen blieben die durchschnittlichen Unterstützungsbeträge in der Kleinrentnerfürsorge jedoch zum Teil deutlich hinter dem von der Deutschen Arbeitsfront geforderten sozialen Existenzminimum zurück. Von einer eigenständigen, Existenz sichernden „Rentnerversorgung“ konnte daher auch nach 1933 keine Rede sein.

282

Schreiben Tisslers an Friedrichs, 06. 01. 1943, in: Akten der Parteikanzlei II, 75120.

VI. Ausgrenzung und Vernichtung 1. „ . . . und einmal wöchentlich etwas Käse und Wurst“: Die stationäre Altenhilfe Eng verbunden mit der andauernden wirtschaftlichen Notlage vieler älterer Menschen war die Diskussion über ihre systematische „Umsetzung“ in Altersheime als eine ihren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen angepasste Form des Wohnens. Die durchschnittliche Quote der „hospitalisierten alten Menschen“ war mit drei bis vier Prozent ihrer Altersgruppe gering. Mit zunehmendem Alter und wachsender Armut stieg der Anteil stationär versorgter alter Menschen aber deutlich an, so dass „der Anstaltsaufenthalt zur typischen Alterskarriere für einen beträchtlichen Teil der Hochbetagten gehörte“.1 Der „geschlossenen Altersfürsorge“ kam daher eine beachtliche öffentliche Aufmerksamkeit zu, die es erlaubt, wichtige Aspekte gesellschaftlicher Wertvorstellungen bezüglich des Alters zu rekonstruieren. Das Altersheim als räumlich und versorgungsmäßig eigenständige Institution entwickelte sich in Deutschland im Verlauf des 19. Jahrhunderts aus dem öffentlichen Armenwesen. Der Rückgang der Sterblichkeit erhöhte die Aussichten ein hohes Lebensalter zu erreichen, während gleichzeitig die Verstädterung und die Binnenwanderung die Generationen auseinander rissen und zu einer wachsenden Zahl alleinstehender älterer Menschen führten. Ein vermehrtes soziales Engagement des Bürgertums und eine generelle Intensivierung sozialstaatlicher Intervention – bedingt durch die Vorstellung einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung der Besitzenden und Gebildeten und begünstigt durch eine allgemeine Verbesserung der materiellen Verhältnisse – rückten die Versorgung älterer Menschen verstärkt in das Blickfeld der Sozialreformer. Wichtige Impulse für die zahlenmäßige Zunahme der Anstalten und ihre Ausdifferenzierung in verschiedene Typen von Heimen gingen ferner von der Medizin aus, die ihr Handlungsfeld Ende des 19. Jahrhunderts auf das Alter auszudehnen begann.2 Unter dem Einfluss der Sozialhygieniker und Bevölkerungswissenschaftler, die den Menschen auf sein Erbgut und seinen volkswirtschaftlichen Nutzen reduzierten, gewannen seit der Jahrhundertwende Überlegungen zu einer Rationalisierung sozialer Kosten an Bedeutung. Obgleich der Bezugspunkt dieser Erwägungen nicht das Alter war, konnten die Bemühungen, die Adressaten fürsorgerischer und gesundheitspolitiIrmak, Der Sieche, S. 13 f. von Kondratowitz, S. 103 f. Borscheid, Spital, S. 260 – 268. Schmorrte, S. 1. Vgl. auch Marschalck, Bevölkerungsgeschichte. 1 2

1. Die stationäre Altenhilfe

251

scher Maßnahmen „zu klassifizieren, zu sortieren und gemäß ihres ,Wertes‘ gestuft zu behandeln“, nicht ohne Folgen für die gesellschaftliche Position alter Menschen bleiben. Zwar hoben sich alte und pflegebedürftige Menschen als Repräsentanten eines zwangsläufigen und natürlichen Verfallsprozesses positiv von den übrigen „Siechen“ ab, dennoch markierte das Alter das Ende einer gesellschaftlich als „produktiv“ definierten Existenz, deren Erhalt der Gesellschaft Kosten verursachte. In diesem Zusammenhang bot das Altersheim auf Grund seines gegenüber Krankenhäusern sowie Heil- und Pflegeanstalten vergleichsweise niedrigen Finanzbedarfs beachtliche Möglichkeiten zur Rationalisierung sozialer Kosten.3 Der Umgangston in den öffentlichen Altersheimen war rau, die Tradition der Armenpflege trotz der Trennung in „ehrbare“ und „würdige“ Bewohner einerseits und „lasterhafte“, „liederliche“ Anstaltsinsassen andererseits ungebrochen. Das Altersbild, das die alltägliche Betreuungspraxis der Anstalten prägte und gleichzeitig die Existenz der Anstalten selbst legitimierte, war das einer grundsätzlichen „Hilflosigkeit“ und „weitestgehenden Bedürfnisbeschränkung im Alter [Hervorhebung im Original, die Verf.]“.4 Mit der Verpflichtung der Bewohner zur Mitarbeit in der Land- oder Hauswirtschaft, griffen die Anstalten auf die disziplinierenden Konzepte des Armenwesens zurück. Dazu gehörten auch umfassende Sanktionsmöglichkeiten, die von Ermahnungen oder Verweisen über Urlaubs- und Besuchsverbote bis hin zu Kürzungen der Verpflegung und Arrest reichten. Einen deutlich beschaulicheren Lebensabend boten dagegen die traditionellen Formen der privaten Altersvorsorge, wie die kirchlichen Altenstifte, Pfründnerhäuser oder Bürgerhospitäler. Sie waren den Wohlhabenden vorbehalten, die sich mittels einer beträchtlichen Einkaufssumme eine lebenslange Versorgung sichern konnten. Im Gegensatz zu den öffentlichen Armen- und Siechenanstalten boten die privaten Einrichtungen Einzelzimmer mit eigener Möblierung, unbegrenzten Ausgang, ausgedehnte Besuchszeiten, keinen Zwang zu gemeinsamen Mahlzeiten, die Möglichkeit eigener Verpflegung, unbegrenztes Recht auf Urlaub und ähnliches mehr.5 Eine stärkere Popularisierung erfuhr das Altersheim erst infolge der Inflation, die zu einer als massenhaft empfundenen Verarmung der älteren Generation geführt und die ökonomischen Vorteile einer Heimunterbringung deutlich gemacht hatte. Nicht nur die Träger der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege propagierten das Altersheim als günstige Alternative zum eigenen Haushalt, sondern auch die Betroffenen selbst, hier vor allem die Kleinrentner, forderten die vermehrte Einrichtung von Altersheimen. Damit waren jedoch nicht die öffentlichen Alters- und Pflegeheime alten Stils gemeint, denen immer noch der Geruch der 3 von Kondratowitz, S. 112 – 117. Conrad, Greis, S. 277 – 286. Weingart / Kroll / Bayertz, S. 254 – 273. Vgl. auch Siemen, Psychiatrie, S. 20 – 23. – Die heterogene Gruppe der „Siechen“ umfasste chronisch Kranke, Pflegebedürftige und körperlich Behinderte. 4 von Kondratowitz, S. 110. 5 von Kondratowitz, S. 106 – 111. Vgl. auch Irmak, Der hinfällige Körper, S. 327. Tölle, S. 115 – 130.

252

VI. Ausgrenzung und Vernichtung

Armenpflege anhaftete, sondern moderne Wohnheime, in denen trotz räumlicher Zusammenfassung separate Wohn- und Versorgungseinheiten bestehen blieben.6 Die wachsende Wohnungsnot in der Weimarer Republik beschleunigte diesen Prozess, wenn auch zunächst vor allem auf der Ebene sozialpolitischer Planungen. Die „Überführung“ alter Menschen in Altersheime schien „rationell“, da sie eine Umverteilung von Wohnraum an kinderreiche Familien und „eine ,Allokation‘ des Alters in oft bereits vorhandenen, allerdings umzurüstenden Gebäuden“ zu ermöglichen versprach.7 Damit alleinstehende Wohnungsinhaber ihre familiengerechten Wohnungen gegen eine Kleinst- oder Altersheimwohnung tauschten, musste ihnen jedoch eine Unterbringung angeboten werden, die ihre Ansprüche und Lebensweisen ausreichend berücksichtigte. Der Anstaltsbau sollte sich daher künftig an einer als zukunftsweisend empfundenen Heimtypologie orientieren, die vier verschiedene Kategorien unterschied: (1) Wohnheime für Kleinrentner, die die Fortführung eines eigenen kleinen Haushalts ermöglichen sollten; (2) Altersheime für Personen ohne eigenen Haushalt; (3) Alterspflegeheime für Personen, die an Altersbeschwerden litten; (4) und schließlich Siechenanstalten „zur Aufnahme von chronisch Kranken, namentlich an Altersschwäche leidenden Personen“.8 Der in der Phase der relativen Stabilisierung begonnene Neu- und Ausbau von Heimen kam jedoch infolge der Weltwirtschaftskrise über erste Ansätze nicht hinaus (Tabelle 11). Tabelle 11 Die Altersheime im Deutschen Reich 1939 Altersheime der freien Wohlfahrtspflege

Kommunale Altersheime Gemeinden Einwohner Zahl (Tsd.)

Zahl der Altersheime

vor 1900

Baujahr seit 1900

darunter seit 1924

Zahl der Gemeinden

Zahl der Altersheime

Berlin Über 500 200 – 500 100 – 200 50 – 100 20 – 50 10 – 20

1 9 17 26 46 132 131

44 61 74 72 112 227 163

33 41 54 59 85 176 126

11 20 20 13 27 51 37

8 6 5 4 5 18 10

1 9 13 22 28 57 43

47 194 76 154 98 109 60

Insgesamt

362

753

574

179

56

173

738

Quelle: Kurt Buhrow, Altersheime 1939, in: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden 1941, S. 149 – 194, hier 150, 193 f. 6 von Kondratowitz, S. 117 – 120. Irmak, Der hinfällige Körper, S. 328. Ders., Der Sieche, S. 104, 121 – 124. 7 von Kondratowitz, S. 120 f. Vgl. auch Lohalm, Wohlfahrtskrise, S. 215. Hinz, Mieterschutz und Wohnungsbau. 8 Irmak, Der Sieche, S. 104 f., 121, 124.

1. Die stationäre Altenhilfe

253

Die öffentlichen Kassen waren leer, und die Verelendung weiter Teile der Bevölkerung ließ die Bedeutung der Sozialrenten für das Familieneinkommen steigen, so dass sich viele Familien veranlasst sahen, ältere Angehörige zurück in die Familie zu holen oder erst gar nicht in die Heime abzuschieben.9 Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung seit Mitte der dreißiger Jahre verschärfte sich der Wohnungsmangel rapide. Die dauernden Engpässe bei der Wohnungsversorgung drohten die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik und damit das Regime selbst zumindest partiell zu delegitimieren. Die „Umsetzung“ älterer Menschen in Altersheime versprach hier kurzfristige und kostengünstige Lösungen.10 Seit dem Erreichen der Vollbeschäftigung gewann das Altersheim auch aus arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten an Bedeutung. Die Heimunterbringung vor allem pflegebedürftiger alter Menschen verbesserte die Aussichten, auch jene, vor allem weiblichen Arbeitskräfte in den Produktionsprozess zu integrieren, die bisher in der häuslichen Pflege gebunden waren.11 Um die Errichtung von Altersheimen zu beschleunigen – die vorhandenen Kapazitäten galten als unzureichend – entschloss sich das Regime im Sommer 1936, den Bau von Altersheimen durch die Gewährung von Darlehen und die Übernahme von Reichsbürgschaften staatlich zu fördern.12 Zur Begründung hieß es im Erlass des Reichsarbeitsministers vom 13. Juli: „Erfahrungsgemäß wohnen noch viele Einzelpersonen und ältere kinderlose Ehepaare in verhältnismäßig geräumigen Altwohnungen, während eine große Zahl kinderreicher Familien in kleinen Wohnungen u. dgl. untergebracht sind. Zur Bekämpfung des Wohnungsmangels würde es erheblich beitragen, wenn die Altwohnungen freigemacht werden kön-

Ebbinghaus, S. 139. Rentnerheime im NS-Staate, in: Nationalsozialistisches Gemeindeblatt 4 (1934), Sonderdruck von S. 98 – 100, BArch R 3901 / alt R 41 / 802. Deutscher Wohnungsbau 1933 bis 1937. Vgl. auch Führer, Anspruch und Realität. Harlander, Zwischen Heimstätte und Wohnmaschine. 11 Begrüßungsansprache zur Tagung betreffend Altersfürsorge und Altersheime, S. 121. Vgl. auch Siemen, Psychiatrie, S. 26. 12 Erlass des Reichsarbeitsministers über die Schaffung von Altersheimen zur Bekämpfung des Wohnungsmangels vom 13. 07. 1936, in: RABl. II 1936, S. 226 f. – Der Zentralverband Deutscher Haus- und Grundbesitzervereine, später Reichsbund der Haus- und Grundbesitzer, schlug Ende der dreißiger Jahre als weitere, kostengünstige Alternative vor, alte Menschen, die in Gemeinden mit Wohnungsmangel lebten, zum Umzug in Gemeinden mit verfügbaren Wohnungen zu bewegen. Der Plan erwies sich jedoch als undurchführbar. Zwar war die Idee sowohl beim StdF, beim RMdI und beim RAM als auch bei den betroffenen alten Menschen auf Zustimmung gestoßen. In der Frage, durch wen die Umzugskosten zu übernehmen seien, konnte jedoch keine Einigung erzielt werden. Zentralverband Deutscher Haus- und Grundbesitzervereine e.V. an den Stab des StdF, betr. Problem der Wohnungsnot, 16. 06. 1937, BArch NS 6 / 274. Der StdF – Stab – an den RMdI, betr. Problem der Wohnungsnot, 23. 08. 1937, BArch NS 6 / 274. Der RAM an den StdF, betr. Beseitigung der Wohnungsnot, 24. 11. 1937, BArch NS 6 / 274. Der RMdI an den StdF, betr. Wohnungsnot, 18. 02. 1938, BArch NS 6 / 274. Der Reichsbund der Haus- und Grundbesitzer an den RAM, betr. Wohnungstauschaktion für Pensionäre, 21. 03. 1938, BArch NS 6 / 274. 9

10

254

VI. Ausgrenzung und Vernichtung

nten, die jetzt noch von dem erstgenannten Personenkreis bewohnt werden. Voraussetzung hierfür ist aber die Schaffung billiger, den besonderen Bedürfnissen angepasster Unterkunftsmöglichkeiten für die bisherigen Bewohner. Hierfür halte ich den Bau von Altersheimen für die zweckmäßigste Lösung, und zwar um so mehr, als der Anteil der älteren Personen an der Gesamtbevölkerung in stetem Wachstum begriffen ist.“13

Die Experten in der kommunalen Fürsorgeverwaltung knüpften bei ihren Planungen an die während der Weimarer Republik entwickelte Heimtypologie an und gaben trotz eines steigenden Bedarfs an Pflegeplätzen dem Bau von Alterswohnheim eindeutig den Vorzug vor der Errichtung kapitalintensiver Pflegeheime.14 Die verstärkte Förderung des Wohnheims entsprach dem von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und der Deutschen Arbeitsfront propagierten, sozialpsychologisch aufgewerteten Bild des rüstigen Rentners und korrespondierte zugleich mit dem wohnungspolitischen Kalkül des Regimes. Die Ausweitung des Altenheimbaus war darüber hinaus Teil einer Mittelstandspolitik, die die Kleinrentner zumindest partiell für die infolge der Inflation erlittenen Verluste entschädigen sollte.15 Die niedrigen Alterseinkommen und der vermehrte Bedarf an Betreuung und Pflege machten es vielen Kleinrentnern – aber auch den Empfängern von Renten aus der öffentlichen Rentenversicherung – auf Dauer unmöglich, einen eigenen Haushalt aufrecht zu erhalten.16 Eine Lösung versprach hier der Bau von Alterswohnheimen mit einer den modernen sozialhygienischen Erfordernissen entsprechenden Wohnkultur, in denen dem Heimbewohner eine abgeschlossene, kleine Wohnung, zumindest jedoch ein eigenes Zimmer zur Verfügung stehen sollte.17 Die Zimmer sollten mit einer kleinen Küche oder Kochnische mit elektrischem Kochanschluss, fließend Wasser und einer Waschgelegenheit ausgestattet sein. Die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Bewohner sollte so weit als möglich erhalten bleiben, während gleichzeitig eine ausreichende Zahl an Gemeinschaftsräumen und Funktionsräumen, wie Trocken- und Bügelräume oder Frem13 Erlass des Reichsarbeitsministers über die Schaffung von Altersheimen zur Bekämpfung des Wohnungsmangels vom 13. 07. 1936, in: RABl. II 1936, S. 226 f., hier 226. 14 In Stuttgart waren beispielsweise 80 Prozent der Altersheimbewohner 70 Jahre und älter. Mayer, S. 136. Vgl. auch Ortner, S. 128. Mailänder, Übersicht, S. 131 f. Ders., Altersheime, S. 60. Ders., Wohn- und Altersheime, S. 69 f. 15 Irmak, Der Sieche, S. 124. von Kondratowitz, S. 120. Vgl. auch „Alterswohnheime“ im gemeinnützigen Wohnungswesen, S. 192 f. 16 Ballarin, Nationalsozialismus, S. 34 f. Schmidt-Schmiedebach, Die Förderung des Baus von Altersheimen, in: Blätter der Wohlfahrtspflege in Württemberg 92 (1939), S. 123. 17 Der DGT – Landesdienststelle Sachsen – an den DGT, betr. Errichtung von Dauerwohnheimen für Mitglieder des Reichsbundes der Kapital- und Kleinrentner, 07. 12. 1937, BArch R 36 / 1187. Der DGT an den DGT – Landesdienststelle Sachsen, betr. Errichtung von Dauerwohnheimen für Mitglieder des Reichsbundes der Kapital- und Kleinrentner, 08. 01. 1938, BArch R 36 / 1187. Vgl. auch Walter Schurig, Sächsisches Rentnerheim. Grundfragen der Organisation, grundsätzliche Betriebsführung, Rentnerheime im NS-Staate, Richtsätze für Heim-Preise, 1934, BArch R 3091 / alt R 41 / 802, S. 8 – 10. Deutschlands größtes Altersheim. 210 Wohnungen sind schon bezogen – 150 weitere entstehen, in: Der Mitteldeutsche Nr. 42 vom 12. 02. 1938, BArch NS 5 / VI / 4008.

1. Die stationäre Altenhilfe

255

denzimmer für Besucher, zur Verfügung stehen sollten. Die Einführung liberaler Hausordnungen sowie eine Aufstockung des Taschengeldes sollten jede Reglementierung der Lebensführung vermeiden und den Heimbewohnern den Zugang zu den kulturellen Dienstleistungen des Wohnortes erleichtern.18 Ein ausreichendes Angebot solcher Wohnheimplätze sollte ältere Wohnungsinhaber „aus der abgeklärten Weisheit des Alters heraus“ und ohne jeden Zwang frühzeitig zur Aufgabe ihrer Wohnung und zur Übersiedlung in ein Altersheim bewegen.19 Die wenigen kritische Stimmen, die die verhältnismäßig hohen Baukosten, die sich später in hohen Unterbringungskosten niederschlagen und damit die „Umsiedlung“ älterer Menschen in Altersheime eher behindern als fördern mussten, beanstandeten, gingen in der allgemeinen Euphorie der Sozialplaner unter.20 Die angestrebte systematische „Umsetzung“ älterer Menschen in Altersheime erforderte zuvor einen genauen Überblick über die vorhandenen Kapazitäten und den zukünftigen Bedarf an Plätzen. Das verfügbare statistische Material erwies sich jedoch als widersprüchlich: Einer Untersuchung zufolge, die 1930 in der Deutschen Zeitschrift für Wohlfahrtspflege erschien, war im November 1928 in den Altersheimen und Armenhäusern der Gemeinden und Gemeindeverbände ein Bestand von 72.000 Betten vorhanden. Dazu kamen rund 26.000 Betten in den Heimen der freien Wohlfahrtspflege.21 Andere Untersuchungen schätzten allein die Zahl der in der freien Wohlfahrtspflege vorhandenen Betten auf 40.000 bis 50.000 Plätze.22 Angesichts dieser verwirrenden Angaben wurden Anfang 1939 18 Ballarin, Errichtung, S. 126. Ders., Nationalsozialismus, S. 36. Breitfeld, Errichtung von Wohnheimen. Hörmann, S. 128. Mailänder, Übersicht, S. 131 f. Schmidt-Schmiedebach, Die Förderung des Baus von Altersheimen, in: Blätter der Wohlfahrtspflege in Württemberg 92 (1939), S. 124. Ders., Die Förderung des Baus von Altersheimen, in: RABl. II 1939, S. 286 f. Neue evangelische Altersheime. Vgl. auch Irmak, Der Sieche, S. 124 – 126, 129. 19 Wohnheim für behagliches Alter, in: Hamburger Fremdenblatt Nr. 139 vom 21. 05. 1943, BArch NS 5 / VI / 4764. 20 Nach Mailänder sollten die Kosten für ein einfaches Altersheim einen Betrag von 60 RM bis 75 RM monatlich nicht übersteigen; für ein besser ausgestattetes Heim veranschlagte er 75 RM bis 100 RM monatlich. Mailänder, Altersheime, S. 59. Ballarin schätzte, dass Kleinrentnern in der Regel nicht mehr als 25 RM bis 30 RM monatlich an Miete für einen Altersheimplatz aufbringen konnten. Ballarin, Nationalsozialismus, S. 36. Vgl. auch Mailänder, Errichtung, S. 126. Ders., Altersfürsorge, S. 345. 21 Reutti / Götze, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege 1930, S. 282. Zit. Nach Kurt Buhrow, Die Altersheime in den Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege Nr. 5 / 6 vom August / September 1942, BArch NS 5 / VI / 4764, S. 121 – 129, 171 – 176, hier 121. 22 Nach Mailänder verfügte die Innere Mission im April 1938 über 852 Altersheime mit knapp 23.000 Betten. In der Trägerschaft der Caritas befanden sich nach dem Stand von 1929 rund 1.000 Altersheime mit mehr als 22.000 Betten, das Rote Kreuz verfügte über 58 Anstalten mit rund 1.000 Betten, der Fünfte Wohlfahrtsverband über 48 Altersheime mit rund 2.000 Betten. Mailänder, Altersfürsorge, S. 344. Schick schätzte die Zahl der Altersheime und verfügbaren Betten für die Innere Mission auf 957 Heime mit 27.000 Betten, für die Caritas auf 337 Heime mit rund 4.000 Betten, für die Jüdische Wohlfahrtspflege auf 55 Heime mit knapp 2.000 Betten, für das Deutsche

256

VI. Ausgrenzung und Vernichtung

erste Schritte zu einer Aktualisierung des Materials eingeleitet, die schließlich Mitte des Jahres in eine groß angelegte statistische Erhebung des Deutschen Gemeindetages mündeten. Gegenstand der Untersuchung waren die Altersheime in den Gemeinden des alten Reichsgebiets mit mehr als 10.000 Einwohnern, die sich im Eigentum von Gemeinden und Gemeindeverbänden oder Stiftungen mit gemeindlicher Verwaltung befanden.23 Von den 552 erfassten Gemeinden beantworteten 14 Gemeinden den Fragebogen nicht, und 176 berichteten, dass sich keine Altersheime im Eigentum der Gemeinde, des Gemeindeverbandes oder von Stiftungen mit kommunaler Verwaltung befänden. In den verbleibenden 363 Gemeinden wurden 753 Altersheime gezählt (Tabelle 11). Darüber hinaus konnten in 173 Gemeinden 738 Altersheime der freien Wohlfahrtspflege ermittelt werden, über die jedoch keine näheren Angaben vorliegen.24 Die kommunalen Altersheime waren in ihrer überwiegenden Mehrzahl älteren Baujahres. Rund drei Viertel der Heime waren bereits vor 1900 errichtet worden. Nur rund sieben Prozent waren nach 1924 entstanden, davon lediglich zwei Prozent nach 1933 (Tabelle 11). Nach 1924 waren vor allem in den Großstädten mit mehr als 200.000 Einwohnern Altersheime entstanden, da die andauernde Zuwanderung in die großen Städte die Zahl der älteren Menschen, die der Betreuung in einem Altersheim bedurften, kontinuierlich erhöht hatte. Die Inflation, die zu einer Verarmung weiter Teile des Mittelstandes geführt hatte, erhöhte die Nachfrage nach Altersheimplätzen zusätzlich.25 In den 753 ermittelten kommunalen Altersheimen standen 1939 rund 57.000 Plätze zur Verfügung, die sich vor allem in den Großstädten konzentrierten.26 Analog zur nachlassenden Bevölkerungsdichte nahm die durchschnittliche Größe der Rote Kreuz auf 92 Heime mit rund 2.000 Betten, für den Paritätischen Wohlfahrtsverband auf 51 Heime mit rund 2.000 Betten, für die Arbeiterwohlfahrt auf 13 Heime mit rund 800 Betten und für die Christliche Arbeitshilfe auf 25 Heime mit knapp 2.000 Betten. Schick, S. 60 f. 23 Der Reichsverband der freien gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschland e.V. an den DGT, betr. Plätze in Altersheimen, 22. 02. 1939, BArch R 36 / 1897. Der Reichsverband der freien gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschland e.V. an den DGT, 14. 03. 1939, BArch R 36 / 1897. Der DGT an den Reichsverband der freien gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschland e.V., betr. Altersheime, 14. 04. 1939, BArch R 36 / 1897. Der DGT an die Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern, betr. Fragebogen über Altersheime, die von Gemeinden bzw. Gemeindeverbänden verwaltet werden, 22. 05. 1939, BArch R 36 / 1897. 24 Kurt Buhrow, Altersheime 1939. Ders., Die Altersheime in den Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege Nr. 5 / 6 vom August / September 1942, BArch NS 5 / VI / 4764, S. 121 – 129, 171 – 176, hier 123 f. 25 Ebenda, S. 125. Kurt Buhrow, Altersheime 1939, S. 154 – 158, Tab. 1. 26 Während im Reichsdurchschnitt auf eine Gemeinde 158 Plätze entfielen, verfügte die Stadt Berlin über 20-Mal so viele Plätze, die übrigen Gemeinden mit mehr als 500.000 Einwohnern sogar über 38-Mal so viele Altersheimplätze. In den Gemeinden mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern war es dagegen nur noch rund die Hälfte, in Gemeinden mit 10.000 bis 20.000 Einwohnern sogar nur noch ein Fünftel (Tabelle 12).

1. Die stationäre Altenhilfe

257

Altersheime mit sinkender Einwohnerzahl ab. Während sich in den acht Großstädten Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Hannover, Bremen, Halle und Aachen Anstalten mit mehr als 300 Plätzen fanden, überwogen in den kleineren Gemeinden Anstalten mit einer deutlich geringeren Anzahl an Plätzen. In einem knappen Drittel der Gemeinden, vor allem Groß- und Mittelstädte, bestanden Altersheime mit 60 bis 300 Plätzen. In fast 70 Prozent der Gemeinden, fast ausschließlich kleine und mittlere Städte, verfügten die Altersheime dagegen maximal über 60 Plätze.27 Die Wohnformen in den Altersheimen wiesen entsprechend den Bedürfnissen und der finanziellen Leistungsfähigkeit ihrer Bewohner erhebliche Unterschiede auf. Neben möblierten Mehrbettzimmern sowie möblierten und unmöblierten Einzelzimmern standen teilweise auch kleine Wohneinheiten zur Verfügung, die sich insbesondere für Ehepaare eigneten.28 Bei der Mehrzahl der Plätze, im Reichsdurchschnitt rund 60 Prozent, handelte es sich um möblierte Plätze, der größte Teil davon in Mehrbettzimmern, die vom Doppelzimmer bis zum Schlafsaal reichten. Im Reichsdurchschnitt entfielen 85 Prozent der Plätze auf Mehrbettzimmer. In den Großstädten war ihr Anteil überdurchschnittlich hoch, in den kleineren Gemeinden dagegen deutlich niedriger.29 Für „Einzelpersonen“, darunter dürften Einzelzimmer zu verstehen sein, standen mit knapp zehn Prozent nur vergleichsweise wenige Plätze zur Verfügung, die sich vor allem in den kleineren Gemeinden konzentrierten.30 Am geringsten war das Angebot für Ehepaare, für die im Reichsdurchschnitt nur rund drei Prozent der möblierten Plätze ausgelegt waren (Tabelle 12). Den rund 57.000 Plätzen in kommunalen Altersheimen standen mehr als 54.000 Bewohner gegenüber, so dass sich im Reichsdurchschnitt eine Auslastung von 95 Prozent ergab (Tabelle 12). Die Aufnahmekapazitäten der Altersheime dürften somit 1939 weitgehend erschöpft gewesen sein.31 Angesichts der stagnierenden Zahl der Anstalten musste eine forcierte Umsiedlung alter Menschen in Altersheime daher zwangsläufig zu einer engeren Belegung und damit einer Verschlechterung der Lebensbedingungen führen. 27 Kurt Buhrow, Die Altersheime in den Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege Nr. 5 / 6 vom August / September 1942, BArch NS 5 / VI / 4764, S. 121 – 129, 171 – 176, hier 175. 28 Die Zahl der in den kommunalen Altersheimen vorhandenen Wohnungen wurde in der Untersuchung des DGT von 1939 nicht erhoben. Lediglich elf Gemeinden gaben an, dass in 25 Altersheimen 710 Wohnungen beständen, deren Größe und Ausstattung von einem Zimmer mit Kochnische bis zur Zwei-Zimmer-Wohnung mit Küche und Kellerraum reiche. Ebenda, S. 122 f. 29 In Gemeinden mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern waren es noch 67 Prozent und in Gemeinden mit 10.000 bis 20.000 Einwohnern nur noch knapp 64 Prozent (Tabelle 12). 30 In den Gemeinden mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern waren im Durchschnitt immerhin fast 16 Prozent und in Gemeinden mit 10.000 bis 20.000 Einwohnern 19 Prozent der möblierten Plätze solche für Einzelpersonen (Tabelle 12). 31 Vgl. auch Mailänder, Altersheime, S. 58.

17 Schlegel-Voß

26

46

132

131

362

100 – 200

50 – 100

20 – 50

10 – 20

Insgesamt

753

163

227

112

72

44 61 74

34575

2595

6090

4594

4715

586 10877 5989

3386

493

924

533

335

16 1037 48

1185

102

277 86

169

153

40 326 118

2597 520 4716 10641 4101 5042 145 2001 4164 216 2720 36699 318 99 4352 5100 86 247 2022 2334 82 89 978

1702

1463

3384

2120

1761

3331

3386

4313 2259

442 9606 4462

512 6014 2701 145 2277 216 2122 316 99 2838 86 247 1296 82 39

29453 22509 32.730 26313 12894 17633 96 1337

1648

4087

3759 10

4185

464 9514 5796

846

60

142

114

126

8 314 82

21585

1979 21

3828

2464 5360 3880 135 1558 177 2602

2879

341

666

448

335

549 540

m

11776 2362

2516 130 201 1314 21

1946 2697 2266 135 1013 151 1748

w

Einzelpersonen

4568

96 324

646

210 26 406

518 1268 1074

Ehepaare

unmöblierten Zimmern

Quelle: Kurt Buhrow, Altersheime 1939, in: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden 1941, S. 149 – 194, hier 151, 158 – 171. Berichtigungen Altersheime 1939, BArch R 36 / 1897.

1 9 17

Berlin Über 500 200 – 500

Einwohner (Tsd.)

Gemeinden insgesamt

Bewohner in

möblierten Zimmern möbliert AltersunmöblEinzelpersonen darunter für heime insgeinsge- MehrEheiert m w samt bett-Z. paare samt Einzel- Ehe- mehr. Zahl pers. paare Pers.

Plätze

Tabelle 12: Die Belegung der kommunalen Altersheime 1939

258 VI. Ausgrenzung und Vernichtung

1. Die stationäre Altenhilfe

259

Der Anteil der Ehepaare an den Heimbewohnern fiel entsprechend der verfügbaren Plätze mit zehn Prozent verhältnismäßig gering aus. Gleichzeitig dürfte aber auch die Nachfrage nach solchen Plätzen relativ niedrig gewesen sein, da sich die älteren Menschen in der Regel erst nach dem Tod des Ehepartners entschieden, in ein Altersheim zu übersiedeln.32 Unter den alleinstehenden Bewohnern befanden sich zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer. Die Frauen, vor allem Witwen, waren damit im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung, der 1939 bei den über 60-Jährigen 53 Prozent betrug, überdurchschnittlich stark in den Altersheimen vertreten. Die Männer waren dagegen in Relation zu ihrem Anteil an der Bevölkerung, der in der Altersgruppe der über 60-Jährigen bei 47 Prozent lag, unterrepräsentiert.33 Rund 60 Prozent der Bewohner waren in möblierten Zimmern untergebracht, darunter vor allem Männer. 82 Prozent aller männlichen Altenheimbewohner lebten in möblierten Zimmern. Bei den Frauen, deren Präferenz, auch im Altersheim möglichst selbständig zu wirtschaften, deutlich höher war, betrug der Anteil dagegen lediglich 60 Prozent (Tabelle 12). Die Bewohner möblierter Zimmer waren im Reichsdurchschnitt zu 80 Prozent in Mehrbettzimmern untergebracht. Vor allem in den Großstädten zwang der Mangel an Plätzen zu einer engen Belegung der Heime. Mit sinkender Gemeindegröße entspannte sich die Lage allerdings merklich (Tabelle 12).34 Mehr als die Hälfte der Bewohner kommunaler Altersheime war pflegebedürftig, die Mehrzahl davon Frauen. In Relation zu ihrem Anteil an der Gesamtzahl der Bewohner war jedoch die Pflegebedürftigkeit der Männer deutlich höher als die der Frauen. Während 64 Prozent der in Altersheimen untergebrachten Männer zur Gruppe der Pflegebedürftigen gehörten, waren es bei den Frauen nur 52 Prozent (Tabellen 12, 13).35 Frauen, insbesondere Witwen, entschlossen sich 32 Kurt Buhrow, Die Altersheime in den Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege Nr. 5 / 6 vom August / September 1942, BArch NS 57VI / 4764, S. 121 – 129, 171 – 176, hier 125. 33 Ebenda. 34 In den Großstädten mit über 500.000 Einwohnern, außer Berlin, waren 90 Prozent der Bewohner in Doppelzimmern oder Schlafsälen untergebracht. In den kleineren Gemeinden war der Anteil der Bewohner von Mehrbettzimmern dagegen deutlich geringer. In den Gemeinden mit 10.000 bis 20.000 Einwohnern betrug er im Mittel nur noch 70 Prozent, in Gemeinden mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern sogar nur noch 62 Prozent (Tabelle 12). Vgl. auch Ortner, S. 129. 35 Um den Anteil der Pflegebedürftigen an allen Heimbewohnern differenziert nach dem Geschlecht zu berechnen, wurden alle Pflegebedürftigen sowie sämtliche Altersheimbewohner, deren Geschlecht nicht ermittelt werden konnte, nach dem Verhältnis der übrigen Pflegebedürftigen bzw. Altersheimbewohner aufgeteilt und schließlich die Ehepaare je zur Hälfte zu den männlichen und weiblichen Einzelpersonen hinzu gezählt. Kurt Buhrow, Die Altersheime in den Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege Nr. 5 / 6 vom August / September 1942, BArch NS 5 / VI / 4764, S. 121 – 129, 171 – 176, hier 127.

17*

260

VI. Ausgrenzung und Vernichtung

in der Regel früher zur Übersiedlung in ein Altersheim als Männer, die, sofern sie ihre Ehefrau überlebten, zumeist den Eintritt der Pflegebedürftigkeit abwarteten.36 Nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit ihrer Bewohner lassen sich in der Erhebung des Deutschen Gemeindetags von 1939 zwei Typen von Altersheimen unterscheiden: Das „Pflegeheim“ und das „Alterswohnheim“. Etwa die Hälfte der 753 untersuchten kommunalen Altersheime waren Pflegeheime, deren Bewohner zu fast 87 Prozent altersgebrechlich oder siech waren. Die andere Hälfte der Anstalten waren Alterswohnheime, in denen der Anteil der Pflegebedürftigen nur knapp sechs Prozent betrug (Tabelle 13). Im Reichsdurchschnitt betrug der Anteil der Pflegebedürftigen 56 Prozent, der Anteil der Heimbewohner, die in Pflegeheimen untergebracht waren, lag mit 62 Prozent nur leicht darüber. Die Altersheimbewohner waren demzufolge in den meisten Fällen entsprechend ihrer Pflegebedürftigkeit untergebracht. Mit zunehmender Gemeindegröße, die im Allgemeinen mit einer engeren Belegung der Heime verbunden war, verstärkte sich allerdings die Notwendigkeit rüstige ältere Menschen mit Pflegebedürftigen zusammenzulegen (Tabelle 14).37 Die Größe der Altersheime war wesentlich durch ihren Zweck bestimmt. Heime mit überwiegend rüstigen und selbständigen Bewohnern, in denen ein geringeres Maß an Betreuung und ärztlicher Versorgung nötig war, waren in der Regel auch noch bei einer geringeren Bettenzahl rentabel. In den Pflegeheimen dagegen setzten das kostenintensive Personal und die teuren hygienischen Einrichtungen eine deutlich höhere Zahl an Plätzen voraus. Die Ausstattung der Heime war sehr unterschiedlich: Rund 56 Prozent der Heime waren mit einer Gemeinschafts- oder Anstaltsküche ausgestattet. Rund 30 Prozent der Anstalten, überwiegend Alterswohnheime, stellten Kochnischen oder eigene Küchen für ihre Bewohner bereit oder gewährten zumindest die Möglichkeit einer Küchenmitbenutzung. Die Hälfte der Heime verfügte über Musiksäle, ein Viertel über Festsäle. Aufenthalts-, Schreiboder Lesezimmer waren lediglich in 24 Prozent der Anstalten vorhanden. Dagegen waren fast 80 Prozent aller Heime mit einem Raucherzimmer ausgestattet. Die sanitären Standards waren insgesamt niedrig: Zentralheizung und fließend Wasser waren infolge des weit zurückliegenden Baujahrs vieler Anstalten äußerst selten. Nur knapp fünf Prozent der Anstalten verfügten über eine Zentralheizung und lediglich 0,7 Prozent der Anstalten über fließend Wasser. Gemeinschaftliche Badeanlagen waren in zwei Dritteln der Heime vorhanden.38

36 37 38

Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 175 f.

31 3 60 44 8 116 105 6 86 74 3 370

346 37

b c 50 – 100 a b c 20 – 50 a b c 10 – 20 a b c Insgesamt a

b c

18791 1979

2038 104 4630 1749 337 5663 3661 364 2249 2131 75 33545

405 2496 83 11295 3276 584 5330 3440 432 3973

Zahl der Bewohner

324 117

30 2 1364 27 – 1593 81 8 688 90 2 8949

110 – – 2577 11 89 1431 85 16 1186

245 3578 65 71 1774 25 12 1565 55 110 7 1216 21 – 2492 144 11 997 95 4 11867 55 460 105

Altersgebrechlichen m w

42 15

6 – 304 1 – 449 19 3 153 8 – 3214

3 — — 1463 4 5 535 4 7 307

Zahl der Siechen m 12 – – 2143 35 6 1041 1 11 570 46 18 2 643 – – 636 39 2 223 17 – 5268 46 110 21

w

936 258

164 11 3527 49 – 5170 283 24 2061 210 6 29399

370 – – 9761 115 171 4781 115 46 3729

ingesamt

Quelle: Kurt Buhrow, Altersheime 1939, in: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden 1941, S. 149 – 194, hier 152.

(a = Pflegeheime; b = übrige Altersheime; c = Altersheime, in denen sich nur oder überwiegend Hilfsbedürftige befinden / Armenhäuser).

100 – 200

200 – 500

Über 500

12 30 2 30 22 9 28 40 6 38

Anzahl der Altersheime

a b c a b c a b c a

Berlin

Einwohnerzahl der Gemeinde (Tsd.)

Tabelle 13: Die Altersheime nach ihren Bewohnern 1939

5 139

8,1 10,6 76,2 2,8 – 91,3 7,7 6,6 91,6 9,9 8,0 87,6

Anteil der Altersgebr. und Siechen an allen Bewohnern (%) 91,4 – – 86,4 3,5 29,3 89,7 3,3 10,6 93,9

1. Die stationäre Altenhilfe 261

262

VI. Ausgrenzung und Vernichtung Tabelle 14 Die Belegung der kommunalen Pflegeheime 1939 Zahl der Heimbewohner

Einwohnerzahl der Gemeinden (Tsd.)

Anteil der Pflegeheimbewohner an allen Bewohnern (%)

Zahl der Pflegebedürftigen

Anteil der Pflegebedürftigen an allen Bewohnern (%)

insgesamt

in Pflegeheimen

Berlin Über 500 200 – 500 100 – 200 50 – 100 20 – 50 10 – 20

2984 15155 9202 6115 6716 9688 4455

405 11295 5330 3973 4630 5663 2249

13,6 74,5 57,9 65 68,9 58,5 50,5

370 10047 4942 3904 3576 5477 2277

12,4 66,3 53,7 63,8 53,2 56,5 51,1

Insgesamt

54315

33545

61,8

30593

56,3

Quelle: Kurt Buhrow, Altersheime 1939, in: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden 1941, S. 149 – 194, hier 152.

Die Kosten einer Altersheimunterbringung variierten erheblich je nach der Art der Unterbringung, der Größe, Lage und Ausstattung des Zimmers, der jeweiligen Pflegebedürftigkeit der Bewohner sowie nach den Leistungen, die im Entgelt inbegriffen waren. In einigen Heimen schloss das Entgelt die Kosten für Heizung, Beleuchtung, Verpflegung und ärztliche Versorgung ein, in anderen Heimen mussten diese Leistungen gesondert eingekauft werden. Die im Folgenden berechneten Durchschnittswerte können daher nur einen groben Überblick vermitteln. Eine differenzierte Berücksichtigung eventuell enthaltener Zusatzleistungen ist auf der Grundlage des verfügbaren Datenmaterials nicht möglich. Nach dem Entgelt lassen sich grundsätzlich zwei Kategorien von Altersheimen unterscheiden: Jene, die gegen eine einmalige Einkaufssumme oder monatliche Beiträge eine lebenslange Versorgung gewährten, und solche, die ihren Bewohnern gegen eine monatliche Miete einen Heimplatz in einem möblierten oder unmöblierten Zimmer überließen. Die Untersuchung des Deutschen Gemeindetags von 1939 ermittelte 73 Heime, die gegen eine einmalige Einkaufssumme eine lebenslange Versorgung gewährten. In 80 Prozent dieser Anstalten betrug der durchschnittliche Einkaufspreis 1.231 RM bis 2.410 RM für Einzelpersonen und 2.382 RM bis 5.142 RM für Ehepaare. Das Spektrum der Einkaufspreise reichte für Einzelpersonen von 85 RM bis 12.000 RM, für Ehepaare von 200 RM bis 24.000 RM. Bei 20 Prozent der Heime, die lediglich freie Unterkunft gewährten, waren die Einkaufspreise mit durchschnittlich 286 RM bis 563 RM für eine Einzelperson und 514 RM bis 775 RM für Ehepaare deutlich niedriger.39 Ein Einfluss der

1. Die stationäre Altenhilfe

263

Gemeindegröße auf die Höhe des Einkaufspreises lässt sich nicht nachweisen. Zwar verringerte sich mit abnehmender Gemeindegröße die Mindesthöhe der Einkaufspreise, gleichzeitig erhöhten sich jedoch auch die Höchstbeträge. Die höchsten Einkaufssummen fanden sich mit 12.000 RM bzw. 24.000 RM in Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern.40 Die laufenden Beiträge für eine lebenslange Versorgung variierten in 52 Altersheimen für Einzelpersonen zwischen 15 RM und 180 RM, für Ehepaare zwischen 40 RM und 220 RM monatlich. Der Durchschnitt belief sich für Einzelpersonen auf 58 RM bis 75 RM und für Ehepaare auf 107 RM bis 131 RM monatlich. Auch bei den laufenden Beiträgen öffnete sich die Schere zwischen Mindest- und Höchstbeträgen mit sinkender Gemeindegröße. Sowohl die niedrigsten als auch die höchsten Monatsbeträge fanden sich in Gemeinden mit weniger als 50.000 Einwohnern.41 Die monatlichen Mietpreise für ein unmöbliertes Zimmer, die die Erhebung des Deutschen Gemeindetags von 1939 für 64 Altersheime ausweist, schwankten je nach Größe des Zimmers oder der Wohnung und entsprechend der zusätzlich gewährten Leistungen zwischen 2 RM und 90 RM für Einzelpersonen bzw. zwischen 2,50 RM und 76 RM für Ehepaare. Im Durchschnitt betrug die Miete für Einzelpersonen 11 RM bis 24 RM und für Ehepaare 18 RM bis 62 RM im Monat. Auch bei den Mietpreisen für ein unmöbliertes Zimmer erweiterte sich mit sinkender Gemeindegröße die Spanne zwischen dem Mindest- und dem Höchstbetrag.42 Die Mieten für möblierte Zimmer sind lediglich für 20 Heime dokumentiert. Der Preis variierte für Einzelpersonen zwischen 1 RM und 80 RM und für Ehepaare zwischen 22 RM und 120 RM monatlich. Im Durchschnitt betrug er 21 RM bis 30 RM bzw. 29 RM bis 68 RM.43 Gemessen an den durchschnittlichen Monatslöhnen und -gehältern, die sich 1938 in der Industrie auf 156 RM für Arbeiter und 218 RM für Angestellte beliefen, waren die einmaligen Einkaufspreise für eine lebenslange Versorgung vielfach 39 Der Einkaufspreis variierte zwischen 25 RM und 1.500 RM für Einzelpersonen und zwischen 130 RM und 1.000 RM für Ehepaare. Kurt Buhrow, Altersheime 1939, BArch R 36 / 1897, S. 48 f., Tab. 5. 40 Ebenda. 41 Ebenda. Vgl. auch Das Heim der Alten, in: Das Reich Nr. 37 vom 12. 09. 1943, BArch NS 5 / VI / 4764, S. 2. In Stuttgart betrugen die Kosten für ein unmöbliertes Einzelzimmer mit Zentralheizung einschließlich Heizkosten, Beleuchtung und Verpflegung (Frühstück, Mittagessen, Nachmittagskaffee, Abendessen) 65 RM bis 85 RM monatlich, in besser ausgestatteten, neuen Heimen meist rund 100 RM. Die Reinigung der Zimmer erfolgte durch die Bewohner, die Wäsche musste auf eigene Kosten gereinigt werden, und Einnahme der Mahlzeiten auf dem Zimmer wurde extra berechnet. In München kostete ein Altersheimplatz im Gemeinschaftszimmer mit zwei und mehr Betten einschließlich Heizung, Beleuchtung, Verpflegung, Wäschereinigung, Betreuung, ärztlicher Versorgung und der Verabreichung von Arzneimitteln 60 RM monatlich, bzw. 70 RM bis 80 RM für Selbstzahler und 90 RM bis 120 RM für Ehepaare. Hörmann, S. 127 f. Ortner, 128 f. 42 Kurt Buhrow, Altersheime 1939, BArch R 36 / 1897, S. 50 f., Tab. 5. Vgl. auch Das Heim der Alten, in: Das Reich Nr. 37 vom 12. 09. 1943, BArch NS 5 / VI / 4764, S. 2. 43 Kurt Buhrow, Altersheime 1939, BArch R 36 / 1897, S. 5.

264

VI. Ausgrenzung und Vernichtung

außerordentlich hoch.44 Ein Vergleich mit der durchschnittlichen Versicherungssumme privater Kapitallebensversicherungen, die 1938 in der Großlebensversicherung 3.780 RM und in der Kleinlebensversicherung 334 RM betrug, macht deutlich, dass der Einkauf in ein Altersheim mit lebenslanger Versorgung in der Regel nur wenigen Wohlhabenden möglich war. Die monatlichen Beiträge für eine lebenslange Versorgung waren im Vergleich zu den durchschnittlichen Renten, die 1938 für Arbeiter 31 RM und für Angestellte 60 RM betrugen, ebenfalls hoch. Selbst wenn die Rente durch Leistungen der betrieblichen Alterssicherung ergänzt wurde, dürfte die Unterbringung in einem Altersheim, insbesondere für Arbeiter, zumeist unerschwinglich geblieben sein. Einzig die Mieten für möblierte oder unmöblierte Zimmer lagen im Rahmen dessen, was mit einer durchschnittlichen Rente zu bestreiten war. Allerdings fielen bei dieser Art der Unterbringung in der Regel erhebliche zusätzliche Kosten für Verpflegung, Heizung und Beleuchtung sowie eventuell benötigte Dienst- und Pflegeleistungen an. Vieles spricht dafür, dass ein großer Teil der Bewohner kommunaler Altersheime, insbesondere diejenigen mit hoher Pflegebedürftigkeit, auf Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge angewiesen waren.45 Erfolgte die Unterbringung in einem Altersheim auf Kosten der öffentlichen Fürsorge ging die Rente in der Regel auf den Fürsorgeverband über. Der Befürsorgte erhielt zur Deckung seines über die Anstaltsversorgung hinausgehenden persönlichen Bedarfs lediglich ein Taschengeld ausbezahlt. Nach einer Erhebung, die der Deutsche Gemeindetag im August 1934 in 36 Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern durchführte, betrugen die Taschengelder in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle 1 RM bis 12 RM im Monat, wobei die ausgezahlten Beträge für Frauen teilweise deutlich niedriger bemessen waren als diejenigen für Männer. Das durchschnittliche Taschengeld, das durch die Übernahme kleinerer Tätigkeiten innerhalb der Anstalt zum Teil erheblich aufgebessert werden konnte, betrug 3 RM monatlich.46 Gegenüber dem Stand von 1927 hatte es sich damit infolge der Leistungskürzungen während der Weltwirtschaftskrise um 2 RM oder 40 Prozent verringert.47 Nur die wenigsten Bewohner von Altersheimen dürften die Anstalt als eine „Stätte der Ruhe und des Friedens“48 empfunden haben. Die Heime waren, wie die Erhebung des Deutschen Gemeindetags von 1939 belegt, in ihrer Mehrzahl älteren Baujahrs und verfügten über vergleichsweise bescheidene hygienische Standards. Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 473. Im Jahr 1939 waren in Stuttgart 42 Prozent der Altersheimbewohner auf Kosten der öffentlichen Fürsorge untergebracht. Mayer, S. 136. 46 DGT: Taschengeld der Insassen von Altersheimen (Ergebnis der Rundfrage vom 30. 08. 1934), BArch R 36 / 1904. 47 Taschengeld für Insassen der Alters- und Siechenheime. Ergebnisse der Rundfrage vom 19. 11. 1927, BArch R 36 / 1904. 48 Ortner, S. 130. 44 45

1. Die stationäre Altenhilfe

265

Die Unterbringung der Bewohner erfolgte in der Regel in Mehrbettzimmern oder Schlafsälen, die nicht geeignet waren, eine Atmosphäre der Ruhe und der familiären Privatheit zu vermitteln.49 Die hohe Auslastung der Heime und die damit verbundene enge Belegung lassen vermuten, dass es zumindest partiell schon vor Kriegsausbruch zu erheblichen Defiziten in der Betreuung und medizinischen Versorgung der Bewohner kam. Das Klima in den Anstalten war nach wie vor rau, der Umgang mit den Bewohnern vielfach entmündigend und erniedrigend.50 Die umfänglichen Strafkataloge zeugen davon, dass die Prinzipien der Armenfürsorge häufig ungebrochen fortwirkten.51 Die „Mitarbeit“ in der Anstalt war weiterhin ein fester Bestandteil des Heimalltags. Als Teil eines pädagogischen Konzepts sollte die körperliche Beschäftigung der Bewohner die Entstehung von Minderwertigkeitsgefühlen und Depressionen verhindern. Zugleich war sie aber auch eine logische Konsequenz der an Kosten-Nutzen-Kalkülen ausgerichteten Fürsorgepolitik, die von den Anstalten forderte, sich im Wesentlichen selbst zu tragen. Die rüstigen Bewohner waren in der Regel gehalten, sich an der Land- und Hauswirtschaft der Anstalt sowie an der Pflege und Betreuung ihrer pflegebedürftigen Mitbewohner zu beteiligen. Aber auch die Schwachen und Siechen mussten im Rahmen ihrer Möglichkeiten, beispielsweise durch die Herstellung von Körben, Bürsten oder Besen, durch das Auftrennen von Werkstoffen oder das Falzen und Kleben von Briefumschlägen, zum Unterhalt der Anstalt beitragen.52 Eine Schilderung des Heimalltags aus dem Jahr 1936 macht deutlich, wie bescheiden die Lebensbedingungen der Altersheimbewohner vielfach waren: „Das nationalsozialistische Regime spart auch sonst an den alten Leuten, so sehr es kann ( . . . ). So spart man vor allem am Lichtverbrauch. Im vergangenen Winter wurde bestimmt, daß morgens kein Licht angemacht werden durfte, auch an sehr dunklen Tagen mußten sich die teilweise sehr hilflosen, schlecht sehenden alten Leute im Dunkeln anziehen. Abends wurde nur von 6 bis 8 Uhr Licht gebrannt. Wer dann noch länger aufbleiben wollte, mußte sich von seinem Taschengeld selbst Kerzen halten. ( . . . ) 49 Zur Deutung des Altersheims als „Nachbildung eines bürgerlich-patriarchalischen Familienzusammenhangs“ vgl. von Kondratowitz, S. 107 f. 50 Einer Erhöhung des Taschengeldes traten die Fürsorgeverbände beispielsweise mit dem Argument entgegen, die Anstaltsbewohner würden dadurch lediglich verleitet, sich Alkohol und Tabak zu verschaffen. Der Leiter des Württembergischen Landesfürsorgeverbandes, 28. 08. 1942, BArch R 36 / 805. DGT – Landesdienststelle Württemberg – an die Oberbürgermeister in Stuttgart, Ulm und Heilbronn, die Landräte, betr. Taschengeld in der geschlossenen Fürsorge, 19. 08. 1941, BArch R 36 / 805. Vgl. auch Der Reichsstatthalter Niederdonau an das Oberversicherungsamt Niederdonau, ohne Datum, BArch R 1501 / 2984. 51 Die Strafpraktiken umfassten Verweise, Urlaubsverringerung, Ausgehverbot, Entzug von Vergünstigungen wie Tabak oder Kaffee sowie gegebenenfalls von Nahrungsmitteln, Kürzung von Arbeitsprämien, Verlegung in erzieherische oder psychiatrische Anstalten. Irmak, Der hinfällige Körper, S. 327. 52 Pawlowski, Beschäftigungsmöglichkeiten für die Alten und Siechen. Bundesnachrichten des Bundes für Alterspflege in Privatheimen, Folge 1, März 1942, BArch R 36 / 1899. Bundesmitteilungen des Reichsbundes für Alterspflege. Bund Deutscher Altersheime e.V., Folge 2, April 1942, BArch R 36 / 1899. Vgl. auch Hahn, Alternsforschung, S. 222.

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VI. Ausgrenzung und Vernichtung

Das äußert sich auch in der Verpflegung. Das Essen ist unschmackhafter geworden. Brot gibt es einigermaßen genügend ( . . . ). Zum Bestreichen des Brotes gibt es pro Woche ein halbes Pfund Margarine und einmal wöchentlich etwas Käse, Wurst oder einen geräucherten Fisch. Mittags wird zusammengekochtes Essen aus der Armenküche (vorwiegend Hülsenfrüchte, Brotsuppe, Kartoffelsuppe usw.) verabreicht. Sonntags gibt es etwas Bratfleisch dazu. Das Essen ist den alten schwachen Magen nicht angepaßt. Klagen kranke Alte, daß ihnen die Kost nicht bekömmlich wäre, so wird nur dann Rücksicht darauf genommen, wenn der Arzt eine andere Kost verordnet. Der Arzt kommt aber nur einmal die Woche. ( . . . ) Früher kam auch der Arzt häufiger und behandelte menschlicher. Jetzt kommt er nur in schweren Fällen auf die Säle und Stuben der alten Leute. Man muß ihn in seinem Sprechzimmer aufsuchen, dort geht jede ,Untersuchung‘ mit Blitzesschnelle und in militärischem Ton vor sich. Die Krankenpflege läßt zu wünschen übrig und leidet unter den Sparmaßnahmen. ( . . . ) Die krank darniederliegenden Insassen liegen sich mehr Löcher als früher. In dieser Hinsicht sehen die verstorbenen Insassen oft sehr schlimm aus und die Leitung paßt auf, daß Verwandte das nicht zu sehen bekommen. Jeder einigermaßen gesunde Insasse muß nach Kräften mitarbeiten und helfen, z. B. beim Ankleiden von Schwachen und Kranken, beim Saubermachen der Zimmer. Wenn andere Arbeit vorhanden ist (Nähen, Flicken, Waschen von Heimwäsche), müssen die herangezogenen Insassen von morgens bis abends 6 Uhr – mit Ausnahme der üblichen Pausen – ununterbrochen arbeiten. ( . . . ) Für Kleidung müssen die Insassen selber sorgen. Sie erhalten privat manchmal alte Sachen geschenkt und dürfen sich auch die Kleider der verstorbenen Insassen nehmen.“53

Nach Kriegsbeginn verschlechterten sich die Lebensbedingungen in den Anstalten drastisch. Davon waren auch die Altersheime betroffen: Zwar setzte sich der Trend einer wachsenden fachlichen Qualifizierung des Anstaltspersonals auch in der NS-Zeit ungebrochen fort, der ab 1936 einsetzende Personalmangel in den Alters- und Siechenheimen führte jedoch zu einer schleichenden Dequalifizierung. Nach Ausbruch des Krieges verschärfte sich der Personalmangel zunehmend, da der Bedarf an Pflegekräften in den Lazaretten und Akutkrankenhäusern den Abzug von Personal aus den Alters- und Siechenheimen erforderlich machte. Zugleich verweigerten die Arbeitsämter die Neueinstellung qualifizierter Kräfte und wiesen den Heimen stattdessen kurzfristig angelernte Hilfskräfte zu. Die Betreuungssituation der Heimbewohner verschlechterte sich laufend, und die hygienischen Bedingungen waren teilweise katastrophal. Es kam zur Vernachlässigung insbesondere inkontinenter Bewohner, und die ärztliche Betreuung war vielfach mangelhaft, während die Insassen gleichzeitig verstärkt zur „Mitarbeit“ in den Anstalten herangezogen wurden.54 Grundsätzlich sollte die Mitarbeit in den Heimen zwar nur nach Maßgabe der individuellen Arbeitsfähigkeit erfolgen. Bewohner, die sich der Mitarbeit verweigerten, sahen sich jedoch zunehmendem Druck ausgesetzt. „Alle 53 Bericht aus dem Altersheim einer norddeutschen Stadt, in: Deutschlandberichte, Bd. 3 (1936), A 60 – 62. 54 Irmak, Der Sieche, S. 277 – 286, 309 – 314. Schwarzer, S. 44 – 48.

1. Die stationäre Altenhilfe

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Insassen“, so die Forderung, sollten „die ihnen irgendwie noch zur Verfügung stehende Arbeitskraft in den Dienst der Anstalt und damit der Allgemeinheit stellen“.55 Gegen Ende des Krieges wurde schließlich diskutiert, Arbeiten aus der Rüstungsindustrie an Alters- und Siechenheime zu vergeben, um noch die letzte, in den Anstalten verbliebene Arbeitskraft für die Ziele des Regimes auszubeuten.56 Vor allem in den privaten, an kommerziellen Interessen ausgerichteten Altersheimen wurden eklatante Missstände beobachtet. Der Reichsstatthalter in Hamburg berichtete, dass „in den privaten Heimen die Notlage der alten Leute vielfach erpresserisch ausgenutzt wird, daß sie oft ungebührlich hohe Preise bezahlen müssen, daß sie nicht die ihnen zustehenden Lebensmittel bekommen ( . . . ) und oft nicht in hygienisch einwandfreien Zuständen“ lebten.57 Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge beklagte Fälle von ungeeigneter und unzureichender Pflege, von Ausnutzung und Verwahrlosung, die jedoch keineswegs nur auf die privaten Altersheime beschränkt waren.58 Und auch der Deutsche Gemeindetag berichtete von Missständen, die eine gesetzliche Neuregelung der Aufsicht über private Alters- und Pflegeheime dringend geboten erscheinen ließen.59 Hinsichtlich der geforderten Konzessionspflicht für gewerbliche Altersheime steckte das NSRegime jedoch in einem Dilemma. Da die Kommunen ihren Anstaltsbau nach 1939 weitgehend eingestellt hatten, nahm die Bedeutung privater Heime infolge einer zunehmenden Umfunktionierung von Anstalten aller Art in Lazarette stetig zu. Damit wuchs zwar einerseits „die Notwendigkeit einer staatlichen Gewährleistung von Mindeststandards ( . . . ), um die Funktionsfähigkeit zur Aufnahme von alten Menschen seitens dieser Träger zu gewährleisten“. Andererseits durfte das private Engagement jedoch nicht durch allzu strikte Auflagen beeinträchtigt werden.60 Zu einer Entscheidung kam es bis Kriegsende nicht mehr. 55 Der Leiter des Württembergischen Landesfürsorgeverbandes, 28. 08. 1942, BArch R 36 / 805. DGT – Landesdienststelle Württemberg – an die Oberbürgermeister in Stuttgart, Ulm und Heilbronn, die Landräte, betr. Taschengeld in der geschlossenen Fürsorge, 19. 08. 1941, BArch R 36 / 805. Vgl. auch Der Reichsstatthalter Niederdonau an das Oberversicherungsamt Niederdonau, ohne Datum, BArch R 1501 / 2984. 56 Der Beauftragte für den Vierjahresplan. Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz an den RMdI, betr. Vergebung von Aufträgen an Lazarette, Krankenanstalten und dergl., 09. 05. 1944, BArch R 1501 / 2995. Vermerk aus dem Reichsministerium des Inneren, betr. Besprechung im Rüstungsamt am 18. 05. 1944, 15. 05. 1944, BArch R 1501 / 2995. 57 Der Reichsstatthalter in Hamburg an den RMdI, betr. Hergabe von Gewerbescheinen zum Betrieb eines Pflegeheims, 14. 11. 1942, BArch R 36 / 1897. Vgl. auch die Vertretung der Hansestadt Hamburg in Berlin an den DGT, 30. 04. 1943, BArch R 36 / 1897. Prof. Dr. H. Braeuninger, Direktor des Tuberkulosekrankenhauses Hohenkrug, an den Vizepräsidenten Prof. Dr. Kayser-Petersen, Stettin-Augustuswalde, 07. 07. 1944, BArch R 1501 / 3043. 58 Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge an den RMdI, 29. 11. 1944, BArch R 1501 / 3258. Sofie Quast, Genehmigungspflicht gewerbsmäßig betriebener Alterspensionen? In: Die Rheinprovinz, Januar 1941, BArch NS 5 / VI / 4764. 59 Der DGT an den RMdI, betr. Einführung der Konzessionspflicht zur Führung von Alters- und Pflegeheimen, 30. 04. 1943, BArch R 1501 / 3258. 60 Irmak, Der Sieche, S. 129 – 131.

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VI. Ausgrenzung und Vernichtung

2. Alte Menschen im Sog der „Euthanasie“ Während die Spitzenfunktionäre der öffentlichen und privaten Fürsorge noch über Missstände in einzelnen Heimen diskutierten, hatten sich die Lebensbedingungen in den Alters- und Pflegeheimen durch die Freilenkung von Anstalten für Kriegserfordernisse längst allgemein drastisch verschlechtert. Die Räumungen, die im Zusammenhang mit der Anfang 1940 im Rahmen der „Aktion T4“ begonnenen Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ standen, erfolgten zunächst durch die Verlegung und Tötung der gemeinsam mit den Alten untergebrachten geistig behinderten Menschen, während alte pflegebedürftige Heimbewohner in dieser ersten Phase noch verschont wurden.61 Die „Einkreisung“ der Heime hatte bereits 1939 begonnen. In seinem Runderlass vom 9. Oktober zur „planwirtschaftlichen Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten“ hatte der Reichsminister des Inneren im beigefügten Merkblatt unter anderem die Meldung von Patienten mit senilen Erkrankungen verlangt.62 Gleichzeitig waren den Anstalten zwei Meldebögen zugegangen, in denen detaillierte Angaben über die Anstalt selbst und ihre Bewohner gefordert wurden. Der Meldebogen 1 erhob Einzelheiten zur Person sowie zur Art der Erkrankung und zur Arbeitsfähigkeit der Bewohner. In dem Fragebogen, der mit der Zeit immer ausführlicher wurde, mussten Art und Dauer der Beschäftigung eingehend benannt und der Wert der Arbeitsleistung mit der Durchschnittsleistung Gesunder verglichen werden. Im Falle seniler Erkrankungen war anzugeben, ob der Patient „stärker verwirrt“ oder „unsauber“ war. Der Meldebogen 2 erhob zur organisatorischen Vorbereitung des späteren Abtransports der Kranken Angaben zur Lage der Anstalt, zur Entfernung zur nächsten Bahnstation, zum Träger der Anstalt sowie zur Zahl der Patienten und Ärzte.63 Dass alte Menschen nicht prinzipiell von den „Euthanasie“-Aktionen ausgenommen waren, macht auch das geplante, jedoch nie in Kraft getretene „Euthanasiegesetz“, das seit Mitte 1940 von Spitzenfunktionären aus der Gesundheits- und Sozialpolitik diskutiert wurde, deutlich.64 Nach § 2 sollten „sämtliche Fälle von seniler Demenz, die erheblich unsauber sind und außerdem der dauernden Verwahrung in einer Heil- und Pflegeanstalt bedürfen“, unter den Geltungsbereich des geplanten Gesetzes fallen.65 „Bloße Altersveränderungen“, die nicht Folge eines Pfäfflin, S. 108. Kuhlbrodt, S. 156. Hahn, Pflegebedürftige, S. 133 f. Klee, „Euthanasie“, S. 90 – 93, 176. von Kondratowitz, S. 127 f. 63 Richarz, S. 145 f. 64 An einer Besprechung im Oktober 1940 nahmen – neben Mitgliedern des „Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten Leiden“ und „T4“-Gutachtern – Heydrich vom Reichssicherheitshauptamt, Vertreter des „Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- und Rassepolitik“ im Reichsinnenministerium sowie Vertreter aus den Gesundheitsverwaltungen der Länder teil. Vgl. Roth / Aly, S. 112 – 115, 173 – 175. 61 62

2. Alte Menschen im Sog der „Euthanasie“

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„eigentlichen Krankheitsprozesses“ waren, wurden ausgenommen, die Unterscheidung von „normalem“ und „krankhaftem“ Alter blieb jedoch umstritten.66 Einig waren sich die Diskutanten dagegen über das Selektionskriterium, das die Bevölkerung in „Unproduktive“ und „Produktive“ einteilte: der Nutzen des Individuums für die „Volkgemeinschaft“.67 Die vorläufige Ausklammerung alter pflegebedürftiger Menschen aus der „Euthanasie“ resultierte im Wesentlichen aus zwei Gründen. (1) Zum einen waren „die Befürworter, insbesondere die Koautoren des ,Euthanasie‘-Gesetzes, ( . . . ) alle Psychiater, die vor allem ihre Tätigkeitsgebiete im Auge hatten, und die Patientenmorde für den Fortschritt der medizinischen Wissenschaft zu nutzen versuchten“. Der „pervertierte therapeutische Optimismus der ,Aktion T4‘ verfing [daher, die Verf.] nur insofern bei den Ältesten, als sie altgewordene ,Geisteskranke‘ waren“.68 (2) Zum anderen bestanden in der Reichs- und Parteispitze erhebliche Bedenken gegen eine Einbeziehung alter pflegebedürftiger Menschen in die „Euthanasie“, da die Blitzkriege „keine ausreichende Deckung ( . . . ) für eine vollends entfesselte Vernichtungsmaschinerie“ boten und die Bevölkerung nicht annähernd auf eine „Euthanasie“ an Menschen hohen Alters vorbereitet war. Eine Zurechnung alter, pflegebedürftiger Heimbewohner zu den „Lebensunwerten“ musste sich in den Augen der Öffentlichkeit gegen die gesamte Gesellschaft richten und damit die „Heimat- und Kriegsfront in staatszersetzender Weise“ gefährden.69 Obwohl „bei Senilen größte Zurückhaltung“ zu üben war, wie es in den Begutachtungsmaßstäben für die „Aktion T4“ hieß, und eine Einbeziehung in die Aktion „nur bei dringenden Umständen z. B. Kriminalität, bzw. Asozialität“ erfolgen durfte,70 war der Grad, der das „normale“ vom „krankhaften“ Alter trennte, schmal. Bereits im Mai 1939 war es beispielsweise in Sachsen zu einer systematischen Erfassung aller „Anstalten, Heime, Stifte, Siechenhäuser usw. ( . . . ), in denen chronisch Kranke, Altersschwache, Sieche sowie u.U. auch harmlose Geisteskranke und Geistesschwache“ untergebracht waren, gekommen.71 Bis Sommer 1941 wurden zahlreiche Bewohner von Einrichtungen der Alten- und Gebrechlichenpflege im Rahmen der Freilenkung von Betten für Kriegserfordernisse teilweise mehrfach 65 Korrespondenz des Leiters der Landesheilanstalt Brandenburg, Dr. Eberl, mit dem Leiter der Hauptabteilung II in der „Kanzlei des Führers“, Victor Brack, über das „Euthanasiegesetz“. Juli bis September 1940, in: Roth / Aly, Dokument 4, S. 130. 66 Korrespondenz des Leiters der Landesheilanstalt Brandenburg, in: Roth / Aly, Dokument 4, S. 137. Entwurf zu einem „Euthanasiegesetz“ nebst Durchführungsverordnung und Meinungsäußerungen hierzu, in: Roth / Aly, Dokument 6, S. 170 f. 67 Roth / Aly, S. 140. Vgl. auch von Kondratowitz, S. 125, 127 f. 68 Irmak, Der Sieche, S. 362 f. 69 Irmak, Der Sieche, S. 357 f. 70 „Ausscheiden nach s t r e n g e m Maßstab“. Die Begutachtungsmaßstäbe von Bouhler / Brandt – ein internes T4-Dokument, in: Klee (Hg.), Dokumente, Dokument 32, S. 100 f. 71 Zit. nach Hahn, Alternsforschung, S. 223.

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VI. Ausgrenzung und Vernichtung

verlegt, wobei mindestens in einem Fall T4-Gutachter beteiligt waren. Schon allein die Verlegung an sich bedeutete für alte Menschen eine schwere, oft lebensbedrohliche Belastung. Der Transport in eine Heil- und Pflegeanstalt, zumal wenn es sich um eine den Tötungsanstalten vorgelagerte Einrichtung handelte, war lebensgefährlich. „Der Bevölkerung gegenüber wurden diese Vorgänge verschleiert und die gezielte Freilenkung im Nachhinein als Unterbelegung deklariert.“72 Dass sich die „Aktion T4“ nicht geheim halten ließ, und die Proteste der Bevölkerung zum offiziellen Abbruch der „Euthanasie“ im Sommer 1941 beitrugen, ist hinlänglich bekannt. Obgleich in dieser ersten Phase alte, pflegebedürftige Menschen weitgehend verschont geblieben waren,73 hatte sich doch gerade an der drohenden Ermordung alter Menschen die Empörung der Öffentlichkeit entzündet. Ein deutscher Gesandter im Vatikan berichtete Ende März 1941 alarmiert an das Auswärtige Amt: „Von einflussreichen italienischen Freunden werde ich immer dringlicher auf hier verbreitete angeblich durch Londoner Rundfunk ausgewertete Gerüchte aufmerksam gemacht, denen zufolge in Deutschland Insassen von Irrenanstalten und Altersheimen durch einschlafende Mittel oder Einschränkung der Lebensmittelrationen beseitigt und zu Versuchsobjekten von Kampfgas gemacht würden. Die Angehörigen erhielten entweder Ascheurnen oder rührselig gehaltene Schreiben des Inhalts, alle Pflege und ärztliche Kunst hätten leider nicht vermocht, den Patienten zu retten. Die Anzahl der Opfer beläuft sich auf viele Tausende.“74

Ein im Juni 1941 von den Engländern über deutschen Großstädten abgeworfenes Flugblatt sollte die deutsche Bevölkerung von der Ermordung der „Unbrauchbaren“, zu denen neben „Geisteskranken“ und „Schwachsinnigen“ auch alte Menschen, Insassen von Altersheimen sowie Siechen- und Krankenhäusern, „welche von der Unterstützung der öffentlichen Fürsorge lebten“, gehörten, in Kenntnis setzten.75 Und Bischof von Galen ließ in seiner mutigen und berühmt gewordenen Predigt am 3. August 1941 in der Lambertikirche in Münster keinen Zweifel, dass sich die Tötung von „unproduktiven“ Menschen gegen die gesamte Gesellschaft richtete: „Wenn einmal zugegeben wird, daß Menschen das Recht haben, ,unproduktive‘ Mitmenschen zu töten – und wenn es jetzt zunächst auch nur arme wehrlose Geisteskranke trifft –, dann ist grundsätzlich der Mord an allen unproduktiven Menschen, also an den unheilbar Kranken, den arbeitsunfähigen Krüppeln, den Invaliden der Arbeit und des Krieges, dann Zu den Vorgängen im Einzelnen vgl. Hahn, Alternsforschung, S. 224. Die Zahlen, die Bernd Walter für die „Euthanasie“-Transporte aus den Heil- und Pflegeanstalten des Provinzialverbandes Westfalen für Anfang 1941 zusammengetragen hat, belegen einen deutlich unterdurchschnittlichen Anteil solcher Patienten mit Alterskrankheiten und alter Menschen überhaupt. Walter, Psychiatrie, S. 728. Ders., Anstaltsleben, S. 224, 229. Vgl. auch von Rönn, Verlegungen, S. 154, 160 f. 74 Auswärtiges Amt, Telegramm (Geh. Ch. V.) Rom (Vatikan), 24. 03. 1941, in: Akten der Parteikanzlei 207 00091 f., hier 00091. 75 Schwarzer, S. 32. 72 73

2. Alte Menschen im Sog der „Euthanasie“

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ist der Mord an uns allen, wenn wir alt und altersschwach und damit unproduktiv werden, freigegeben. ( . . . ) Dann ist keiner von uns seines Lebens mehr sicher.“76

Der offizielle Stopp der „Euthanasie“ im Sommer 1941 bedeutete jedoch keineswegs das Ende der Krankenmorde. Vermutlich mit Beteiligung oder sogar Unterstützung der „Euthanasie“-Zentraldienststelle in Berlin setzten die Gesundheitsverwaltungen einiger Regionen die Ermordung „Geisteskranker“ als eigenständige, „regionale Euthanasie“ fort.77 Und auch die Freilenkungen von Alters- und Pflegeheimen für Kriegserfordernisse gingen weiter. Unter Herbert Linden, seit Oktober 1941 Reichsbeauftragter für die Heil- und Pflegeanstalten, intensivierte sich die Durchforschung nunmehr aller Anstalten nach psychisch Kranken. Im Zuge der „Aktion Brandt“, so benannt nach dem Generalkommissar für das Sanitätsund Gesundheitswesen, Dr. Karl Brandt, dessen Aufgabe zunächst im „Ausgleich des Bedarfs an Ärzten, Krankenhäusern, Medikamenten usw. zwischen dem militärischen und dem zivilen Sektor“, später dann in der katastrophenmedizinischen Versorgung der vom Luftkrieg zerstörten Städte bestand, beschleunigte sich das „Verlegungskarussell“ zunehmend und setzte eine „Abwärtsspirale“ in Gang, die die Bewohner von Alters- und Pflegeheimen entweder in Behelfsunterkünfte oder in die freigemordeten Heil- und Pflegeanstalten führte.78 Auf systematischen Reisen führte die Planungskommission genaue Erhebungen auch der kleinsten Altersund Pflegeheime durch, die eine detaillierte Beurteilung der Bewohner einschlossen. Ab Sommer 1942 gerieten schließlich auch die letzten Alters- und Pflegeheime vor allem konfessioneller Träger ins Visier der Planer.79 Unter dem Eindruck des forcierten Bombenkriegs seit Sommer 1942 und unter dem Druck der lokalen Befehlshaber, die eine Evakuierung aller Anstalten in den besonders gefährdeten Gebieten forderten, radikalisierte sich der Umgang mit den Anstaltsbewohnern ab der Jahreswende 1942 / 43 zunehmend. Als die Kapazitäten der Anstalten in den Aufnahmegebieten im Sommer 1943 erschöpft waren, kam es schließlich zu einer Wiederaufnahme der „Euthanasie“.80 Im Gegensatz zur „Aktion T4“ erfolgten die Tötungen nun nicht mehr nach „einem vorher festgelegten Plan, der sich an Tötungskapazitäten orientierte“ sondern richteten sich „nach dem Bischof Clemens August Graf von Galen, Bd. 2, Nr. 341, S. 874 – 883, hier 878. Zum Komplex der „regionalen Euthanasie“ mit ihren Schwerpunkten in Pommern, Hessen-Nassau, Sachsen, Bayern und der Provinz Sachsen vgl. Walter, Psychiatrie, S. 668, 680 – 684, 762. Faulstich, S. 614 – 620. 78 Erlass des Führers über das Sanitäts- und Gesundheitswesen vom 28. 07. 1942, RGBl. I 1942, S. 515 f. Zur Diskussion über die zeitliche Abfolge und regionale Ausdehnung der „Aktion Brandt“ vgl. Aly, Medizin. Schmuhl, Rassenhygiene. Wunder, Euthanasie. von Rönn, Die Entwicklung der Anstalt Langenhorn. Blasius, „Einfache Seelenstörung“. Kaminsky, Zwangssterilisation. 79 Hahn, Pflegebedürftige, S. 134. Dies., Alternsforschung, S. 225. Irmak, Der Sieche, S. 365 – 369. von Kondratowitz, S. 129 f. Schwarzer, S. 38 – 41. 80 Faulstich, S. 624, 632 f. Aly, Der saubere und schmutzige Fortschritt, S. 24. Ders., Medizin, S. 30, 56 – 70. Vgl. auch von Kondratowitz, S. 128 f. Schmuhl, Sterilisation. 76 77

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VI. Ausgrenzung und Vernichtung

örtlichem Bedarf – dezentral organisiert“.81 Während in der ersten Phase der „Euthanasie“ noch nach „strengen Maßstäben“ selektiert worden war, vollzogen sich die Verlegungen nun nach rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Es gab keine differenzierten Tötungskriterien mehr; es zählten allein die Arbeitsfähigkeit der Patienten, ihre Pflegebedürftigkeit sowie das Ausmaß und die medizinischen Folgen des jeweiligen Bombenangriffs.82 Die Freilenkung der Heime und Krankenhäuser – chronisch Kranke und Alterskranke konnten keine Krankenhausbehandlung mehr beanspruchen – erfolgte durch die Verlegung in Heil- und Pflegeanstalten, wo die Bewohner durch Hungerkost und Überdosen von Medikamenten getötet werden konnten.83 Unter den getöteten Patienten war der Anteil von Patienten mit der Diagnose „Alterskrankheiten“ und kurzer Aufenthaltsdauer überproportional hoch. In einer Art „Nachholeffekt“ fielen nun jene Gruppen, die 1941 aus politischen Gründen verschont worden waren, verstärkt den „Euthanasie“-Aktionen zum Opfer.84 Nicht nur „senile demente“ Ältere gerieten in den Zugriff der Heil- und Pflegeanstalten, vielmehr waren nun auch zunehmend gesunde, ältere Menschen von den Verlegungsmaßnahmen betroffen. Je weiter sie sich im Verlauf solcher Evakuierungsmaßnahmen von ihren Heimatorten entfernten, desto mehr verblasste die Scheidelinie zu den Psychiatriepatienten. 85 Die Stadt Hamburg beispielsweise ließ nach den schweren Bombenangriffen Ende Juli 1943 alle noch vorhandenen Wohnstifte und Heime räumen. Wenige Tage später wurde ein Transport mit 284 überwiegend älteren, teilweise bettlägerigen Menschen in Richtung Osten in Marsch gesetzt, von denen 150 nach tagelanger Irrfahrt schließlich in Neuruppin ausgeladen wurden. Diejenigen, die die Strapazen des Transports überlebt hatten, wurden innerhalb kürzester Zeit „im Interesse der Geschäftsvereinfachung“ zu psychiatrischen Patienten erklärt, mit allen Konsequenzen, die dieser Status mit sich bringen konnte.86 Zur gleichen Zeit wurden fast 100 geisteskranke Frauen aus der Heilund Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn nach Hadamar verlegt. Dazu gehörten auch mehr als 20 überwiegend ältere Frauen, die nach dem großen Luftangriff mit der Diagnose „bombengeschädigt“ und dem Zusatz „Verwirrtheitszustand“, „Nervenleiden“ oder „Geisteskrankheit“ in die Heil- und Pflegeanstalt eingeliefert worden waren. Die Einweisung war durch staatliche Stellen, zum Beispiel die Heime der Sozialverwaltungen oder Rettungsstellen der Ersten Hilfe, und frei praktizierende Ärzte erfolgt. Den Verantwortlichen war dabei in der Regel bewusst, was Aly, Medizin, S. 57. Aly, Medizin, S. 60 f. Pfäfflin, S. 112. Roer, Psychiatrie, S. 22, 27 f., 35. Irmak, Der Sieche, S. 372 f. 83 Zum Hungersterben vgl. Faulstich, S. 633 – 660. Siemen, Die bayerischen Heil- und Pflegeanstalten, S. 448 – 452. Vgl. auch Hahn, Pflegebedürftige, S. 135 f. 84 Walter, Psychiatrie, S. 761. Ders., Anstaltsleben, S. 217 – 233. 85 Hahn, Alternsforschung, S. 225 f. Aly, Medizin, S. 60. von Kondratowitz, S. 130 f. Süß, S. 84. Vgl. auch Irmak, Der hinfällige Körper, S. 337 f. 86 Asendorf, S. 193 – 195. 81 82

2. Alte Menschen im Sog der „Euthanasie“

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ihre Entscheidung für die Betroffenen bedeutete. Viele der Frauen aus dem Hamburger Transport nach Hadamar starben innerhalb weniger Wochen und Monate an „Grippe“, „Lungenentzündung“, „Sepsis“ oder im Falle älterer Bewohner an „Altersschwäche“.87 Die Stadt Stettin ließ die Bewohner eines Altersheims, „etwa 500 alte, abgeklapperte Frauen“, nach Meseritz-Obrawalde transportieren, wo sie wenig später ermordet wurden.88 In der Heil- und Pflegeanstalt Uchtspringe wurde im März 1943 ein „Pflegeheim“ eingerichtet, in das 105 Personen eingewiesen wurden. Eine eigene Station existierte nicht; die „Pfleglinge“ wurden dahin geschoben, wo Anstaltsbetten frei waren, und entsprechend der Erfordernisse der Anstalt hin und her verlegt. Auch in diesem Fall erfolgte eine „Psychiatrisierung“ nicht psychisch behandlungsbedürftiger alter Menschen, die die Zusammenlegung mit teils schwer gestörten, unruhigen, verwirrten oder halluzinierenden Patienten als extrem belastend und erniedrigend empfunden haben müssen. Die alten Menschen teilten das Schicksal der übrigen Patienten, mussten schwere Arbeit leisten und litten an Unterernährung. Von den im März 1943 in das „Pflegeheim“ eingewiesenen Personen starben innerhalb von drei Monaten 43 Prozent, innerhalb eines halben Jahres fast 70 Prozent.89 In Bremen wurden nach dem Bombenangriff im November 1943 zwischen 300 und 500 Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Ellen nach Meseritz-Obrawalde verlegt. Viele der Kranken, die meisten von ihnen weit über 60 Jahre alt, die nach 24-stündiger Fahrt ohne warme Verpflegung an die Anstalt Meseritz abgegeben wurden, waren bereits wenige Wochen später tot.90 Besonders tragisch war das Schicksal der jüdischen Altersheimbewohner. Die zunehmende „Überalterung“ der jüdischen Bevölkerung hatte bereits in den zwanziger Jahren zu einem Ausbau der jüdischen Altersheime geführt. Der Anteil der über 50-Jährigen, der 1925 rund 25 Prozent betragen hatte, lag 1933 bei knapp 28 Prozent, und stieg infolge der Auswanderung vor allem der jüngeren Juden bis Ende 1938 auf knapp 50 Prozent. Ein Drittel der 320.000 Juden, die zu diesem Zeitpunkt noch in Deutschland lebten, war bereits älter als 60 Jahre.91 1932 hatten im Deutschen Reich 58 jüdische Altersheime mit knapp 2.500 Betten und sieben Siechenheime mit rund 280 Betten bestanden.92 Nach 1933 stieg ihre Zahl deutlich an, da die wachsende Verarmung viele alte Menschen zur Übersiedlung in ein Altersheim zwang. Zahlreiche auswanderungswillige jüngere Juden wollten ihre Eltern und Verwandten, die für die Auswanderung zu alt waren, nur dann verlassen, wenn für ihre Unterbringung gesorgt war.93 Eine Reihe unrentabler Altersheime wurde geschlossen oder mit anderen zusammengelegt, Einzelzimmer wurAsendorf, S. 192. Aly, Medizin, S. 67. 89 Roer, Psychiatrie, S. 32 – 36. Vgl. auch Fricke, Psychologie des Alters. 90 Marßolek / Ott, S. 332 ff. 91 Adler-Rudel, S. 168 f. Vollnhals, S. 327. 92 Von 1920 bis 1932 wurden 18 neue Altersheime eröffnet. Adler-Rudel, S. 169. Vgl. auch Vollnhals, S. 393. 93 Maierhof, S. 307, 111. Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, S. 199. 87 88

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VI. Ausgrenzung und Vernichtung

den in Doppelzimmer umgewandelt, und neue kleine Altersheime errichtet. Ende 1938 bestanden 67 Altersheime, die über knapp 3.600 Betten verfügten, sowie sechs Siechenheime mit rund 300 Betten.94 Nachdem anstalts- und pflegebedürftige Juden seit November 1939 nur noch in jüdischen Heimen untergebracht werden durften, stieg die Zahl der Alters- und Siechenheime nochmals deutlich an, so dass Ende 1939 insgesamt 90 solcher Einrichtungen bestanden.95 Dem Zugriff des NS-Regimes unmittelbar ausgeliefert wurden die Alters- und Siechenheime mit Beginn der Deportationen zur „tödlichen Falle“ für ihre Bewohner. Die jüdischen Krankenhäuser und Alterseinrichtungen wurden erst durch den Abtransport und die Tötung der Patienten geräumt und anschließend von den deutschen Behörden beschlagnahmt. Viele ältere Menschen wählten in dieser Situation den Freitod.96 Aber auch für ältere Menschen, die sich nicht in Alters- und Siechenheimen befanden, spitzte sich die Situation mit der Intensivierung des Bombenkriegs zu. Mit dem Ziel, den katastrophalen Wohnungsmangel vor allem in den Großstädten zumindest partiell zu mildern, wurden von den Behörden erhebliche Anstrengungen unternommen, die Zahl der Wohnungen, die durch ältere Menschen belegt waren, genau zu erfassen und Strategien zu ihrer Freimachung zu entwickeln.97 Die Verordnung zur Wohnungsversorgung der Luftkriegsbetroffenen vom 21. Juni 1943 erlaubte es den Großstädten, nach unterbelegten Wohnungen zu fahnden und mit allem Nachdruck Ausgebombten jüngeren Alters zur Verfügung zu stellen.98 Den Betroffenen war dabei vielfach bewusst, welches Schicksal sie erwartete, wenn sie in die Verfügungsgewalt einer Anstalt gerieten. Viele versuchten sich daher bis zuletzt, dem Zugriff staatlicher Stellen zu entziehen. Die Hamburger Fürsorge konstatierte in ihren Stimmungsberichten: „Im allgemeinen besteht der Eindruck, dass hilflose, alte Leute nicht an uns herantreten wollen aus Furcht vor Umquartierung nach außerhalb.“99 Adler-Rudel, S. 169 f. Vollnhals, S. 411. Adler-Rudel, S. 170. 96 Hahn, Pflegebedürftige, S. 137. Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, S. 309. Die jüdischen Selbstmörder waren im Durchschnitt 65 Jahre alt und alleinstehende Elternteile oder -paare, deren Kinder schon vor Jahren emigriert waren. Kwiet, S. 651 ff. Vgl. auch Hahn / Schröder, Suizidalität. 97 Nach der Volks- und Berufszählung 1939 bestanden im Deutschen Reich 2,37 Millionen Ein-Personen-Haushalte, was zehn Prozent aller Haushalte entsprach. 42 Prozent der Ein-Personen-Haushalte entfielen auf Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern. Fast 40 Prozent der Haushaltsvorstände von Ein-Personen-Haushalten waren älter als 65 Jahre. Schreiben Leys an den Leiter der Parteikanzlei, Reichsleiter Bormann, betr. Wohnungsnot und Wohnungsverteilung in Deutschland, 28. 05. 1942, in: Akten der Parteikanzlei 101 19231 – 67, hier 19233 f. Vgl. auch Der Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau an die Deutsche Akademie für Wohnungswesen e.V., betr. Förderung des Baues von Altersheimen, 21. 11. 1941, BArch R 1501 / 1508. Das Heim der Alten, in: Das Reich Nr. 37 vom 12. 09. 1943, BArch NS 5 / VI / 4764, S. 1. Altersheime, Wohnungsbau und Fürsorge, Sp. 111. Polligkeit, Errichtung von Alterswohnstätten. 98 Irmak, Der Sieche, S. 109. 99 Pfäfflin, S. 116 f. Asendorf, S. 192. Vgl. auch von Kondratowitz, S. 132. 94 95

2. Alte Menschen im Sog der „Euthanasie“

275

Die zunehmende Zerstörung deutscher Städte führte die Pläne des Regimes jedoch bald ad absurdum. Die Kapazitäten in den Altersheimen reichten kaum aus, um die benötigten Betten für Ausweichkrankenhäuser und Lazarette bereit zu stellen.100 Gleichzeitig wurden sie vor allem in den größeren Städten in wachsendem Maße zur Unterbringung von Ausgebombten und von berufstätigen Männern, deren Familien bereits evakuiert waren, herangezogen.101 Spätestens ab Mitte 1944 ließ sich der kriegsbedingte Raumbedarf nicht einmal mehr annährend durch die Verlegung von Anstaltsbewohnern decken; es fehlten mindestens 25.000 Krankenbetten.102 Im November 1944 befahl der Reichsminister des Inneren daher die „Errichtung von Ausweichkrankenhäusern und Kriegssiechenheimen“ in Dorfschulen, Landjahrlagern, Gasthöfen oder ähnlichen Liegenschaften. Dorthin sollten all jene abgeschoben werden, die ohne Aussicht auf Heilung die dringend für Verwundete und Kranke benötigten Betten blockierten. Betroffen waren vor allem sieche, altersschwache und chronisch kranke Menschen.103 Die Zustände in den Siechenheimen waren katastrophal: Es fehlte „an Einrichtungsgegenständen, Wäsche und Geschirr. Die Patienten schliefen auf Stroh und hungerten. Sie hatten Läuse und die Gegenmittel waren nicht mehr verfügbar. Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten forderten ihre Opfer; die Alten und Siechen hatten keine Widerstandskraft mehr.“104 Über die Zahl der ermordeten alten Menschen ist nichts bekannt, ebenso wenig über ihre Sterblichkeit vor allem in den letzten Kriegsjahren. Sicher ist jedoch, dass ältere Menschen, zumindest wenn sie durch eine Anstaltsunterbringung so100 Der DGT an den RMdI, betr. Einführung der Konzessionspflicht zur Führung von Alters- und Pflegeheimen, 30. 04. 1943, BArch R 36 / 3258, S. 2. Vermerk des DGT, 01. 09. 1943, BArch R 36 / 1897. 101 In Köln wurden im Herbst 1943 durch die Verlegung von Altersheimbewohnern in auswärtige Heime 50 Wohnräume freigemacht. Die Stadt Dortmund sah sich veranlasst, die Altersheime durch den Abtransport ihrer Bewohner für alleinstehende berufstätige Personen freizumachen. In Wilhelmshaven wurden ebenfalls Altersheime geräumt, um die Unterbringung Berufstätiger zu ermöglichen. Und auch in Bremen waren Altersheime verlegt worden, um Wohnräume für die Familienväter evakuierter Familien zu schaffen. Vermerk des DGT über die Wohnraumbeschaffung für Bombengeschädigte, 01. 09. 1943, BArch R 1501 / 3258. 102 Der RMdI an den Leiter der Parteikanzlei, den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, den RWM, den Reichsluftfahrtminister, den Reichskirchenminister, den Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, den Reichsgesundheitsführer, das Oberkommando der Wehrmacht, das Oberkommando des Heeres, die NSDAP – Hauptamt für Volkswohlfahrt, betr. Errichtung von Ausweichkrankenhäusern und Kriegssiechenheimen, 14. 11. 1944, in: Akten der Parteikanzlei 101 14001 – 03. Vgl. auch Faulstich, Hungersterben, S. 314. 103 Der RMdI an die Reichsverteidigungskommissare, die Reichsstatthalter, die Ober- und Regierungspräsidenten, den Polizeipräsidenten in Berlin, den Oberbürgermeister der Reichshauptstadt, betr. Errichtung von Ausweichkrankenhäusern und Kriegssiechenheimen, 22. 11. 1944, in: Akten der Parteikanzlei 101 14009 / 2 – 7. 104 Hahn, Alternsforschung, S. 226.

18*

276

VI. Ausgrenzung und Vernichtung

ziale Kosten verursachten oder Ressourcen banden, die das Regime für andere Zwecke benötigte, zu den „unproduktiven Ballastexistenzen“ zählten. Durch die Unterbringung in Alters- und Pflegeheimen gelangten sie in die Verfügungsgewalt des Regimes, wurden „herumgeschoben, zusammengepfercht und ausgebeutet“ und schließlich zu Opfern der „Euthanasie“-Aktionen. 105 Im Gegensatz zu geistig behinderten oder psychisch kranken Menschen, die letztlich eine Minderheit darstellten, von der sich der „Gesunde“ deutlich abgrenzen konnte, waren alte Menschen ein allgegenwärtiger Bestandteil der Gesellschaft. Jeder Mensch wurde alt, und lief damit Gefahr, zur „Ballastexistenz“ erklärt und ermordet zu werden. Umso erstaunlicher ist es, dass die Tötung alter Menschen nicht auf mehr Widerstand in der Bevölkerung gestoßen ist. Über die Motivation bei den Tötungen im Rahmen der „Euthansie“-Aktionen gibt es nur im Bezug auf die beteiligten Ärzte erste Studien.106 Vergleichbare Untersuchungen zur großen Masse des Pflegepersonals fehlen bislang. Während die massenhafte Vergasung von Psychiatriepatienten in der ersten Phase der „Euthanasie“ eine erhebliche Distanz zwischen Tätern und Opfern schuf, war dies in der zweiten, dezentral organisierten Phase der „Euthanasie“ grundsätzlich anders. Die Auswahl der Opfer und ihre Tötung wurden vielfach durch das Pflegepersonal durchgeführt, der Kontakt zu den Opfern war eng. Die gängige These vom „blinden Gehorsamsverhältnis zu den befehlenden Ärzten“ greift daher zu kurz. Vielmehr ist von einer „verwissenschaftlichen Empathie“ auszugehen, die „eine tiefgreifende Unordnung am Gesellschaftskörper zu erkennen glaubte und daher zu Serientötungen gerade auch an äußerlich ,Sauberen‘ in der Lage war“.107 Gleichzeitig schufen die zunehmenden Defizite in der Versorgung und Betreuung der Anstaltsbewohner eine Atmosphäre, in der die Hemmschwelle für ihre Tötung beständig sank. Die katastrophalen Lebensbedingungen in den Anstalten ließen ihre Bewohner immer verzweifelter, aggressiver oder auch stumpfer werden, bis sie irgendwann den gängigen Stereotypen und Vorurteilen des „Geisteskranken“ entsprachen, von denen sich der „Gesunde“ ohne Schuld abgrenzen konnte. Die Menschen verloren ihren sozialen Wert und waren schließlich der Vernichtung preisgegeben.108 Die zweite Phase der „Euthanasie“ fiel mit der Intensivierung der alliierten Luftangriffe zusammen. Die Städte waren zerbombt, und viele Menschen waren obdachlos geworden; die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern des dringendsten täglichen Bedarfs verschlechterte sich zusehends. Der Tod war allgegenwärtig geworden. Der alltägliche Überlebenskampf an der „Heimatfront“ ließ keinen Platz mehr für die Sorge um das Schicksal alter und pflegebedürftiger Menschen. Hahn, Alternsforschung, S. 227. Schmuhl, Die Selbstverständlichkeit des Tötens. Lifton, Ärzte im Dritten Reich. Kersting, Anstaltsärzte. 107 Irmak, Der hinfällige Körper, S. 344 f. 108 Ebbinghaus, S. 140. 105 106

Zusammenfassung In ihrem Parteiprogramm von 1920 hatte die NSDAP unter Punkt 15 einen großzügigen Ausbau der Altersversorgung gefordert. Nach der Machtübernahme im Januar 1933 zeichnete sich die nationalsozialistische Sozialpolitik jedoch zunächst keineswegs durch ein besonderes Interesse an der Alterssicherung aus. Sofern es überhaupt zu der im Parteiprogramm in Aussicht gestellten Aufwertung des „Alters“ kam, so geschah dies ausschließlich auf der Ebene der Propaganda.1 In der Rentenpolitik entwickelte das NS-Regime bis Kriegsbeginn kaum eigene Initiativen, sondern setzte stattdessen die Sparpolitik der Weimarer Präsidialkabinette fort. Im Zuge des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs führte die angestrebte Rückkehr zum Kapitaldeckungsverfahren zwar seit Mitte der dreißiger Jahre zu einer gesteigerten Kapitalansammlung in der öffentlichen Rentenversicherung, die wachsenden Überschüsse kamen jedoch nicht den Versicherten zugute. Unter dem Primat rüstungspolitischer Zielsetzungen scheiterten die vom Reichsarbeitsministerium vorgeschlagenen Leistungsverbesserungen an den fiskalischen Bedenken der Ministerien für Finanzen und Wirtschaft, die in den Überschüssen der öffentlichen Rentenversicherung eine willkommene Kapitalreserve sahen, die der Staat nach Belieben zur Finanzierung der Arbeitsbeschaffung, später dann der Aufrüstung nutzen konnte. Trotz der deutlichen Erholung der Rentenfinanzen knüpfte das NS-Regime nicht wieder an den in der Weimarer Republik begonnen Ausbau der öffentlichen Rentenversicherung an. Die Renten stagnierten auf dem niedrigen Krisenniveau, während sich die relative Einkommensposition der Rentenempfänger angesichts der Lohn- und Gehaltszuwächse sowie steigender Lebenshaltungskosten bis Kriegsbeginn zunehmend verschlechterte. Mit der Einführung der Handwerkerversicherung im Jahr 1938 durchbrach das Regime seine restriktive Rentenpolitik nur scheinbar. In Anbetracht des vollmundigen Versprechens eines „großzügigen Ausbaus der Altersversorgung“ brauchte das Regime nach sechs Jahren der Stagnation in der Rentenpolitik aus legitimatorischen Gründen einen sozialpolitischen Erfolg. Zur bevorzugten Zielgruppe wurden die Handwerker dabei vor allem deshalb, weil sie eine verwaltungsmäßig leicht zu erfassende und eindeutig bestimmbare Gruppe bildeten, deren Alterssicherung technisch und finanziell ohne großen Aufwand machbar schien. Zugleich war die Handwerkerversicherung nicht nur geeignet, Erwartungen zu befriedigen, die durch Punkt 15 des Parteiprogramms geweckt worden waren. Sie ließ sich darüber hinaus im Sinne von Punkt 16 des Parteiprogramms propagandistisch nutzen, um 1

Zu einer vermeintlichen Neubewertung des „Alters“ vgl. Göckjan / Hansen, S. 752 ff.

278

Zusammenfassung

die Defizite der nationalsozialistischen Mittelstandspolitik zu verschleiern. Nicht zuletzt verbanden sich mit der Handwerkerversicherung auch fiskalische Interessen, da sie auf Grund der langen Wartezeit zunächst vor allem eine Spardose darstellte, in die der Staat zur Finanzierung der Aufrüstung hineingreifen konnte. Mit Ausbruch des Krieges wuchs die Notwendigkeit sozialpolitischer Verbesserungen, um die Loyalität der Bevölkerung zu sichern, ihren Durchhaltewillen zu stärken und ihre Leistungsbereitschaft zu erhöhen. Zugleich hatte sich die Rentenpolitik jedoch dem Primat kriegswirtschaftlicher und rüstungspolitischer Erfordernisse unterzuordnen. Leistungsverbesserungen in der öffentlichen Rentenversicherung besaßen daher nur insoweit eine Realisierungschance, als sie mit den Bedingungen der Verbrauchslenkung, der Kaufkraftregulierung, der Kriegsfinanzierung und der Arbeitskräftemobilisierung vereinbar waren. Die Rentenerhöhungen kamen infolgedessen bis Kriegsende trotz deutlich gestiegener Lebenshaltungskosten kaum über einen Ausgleich der Notverordnungskürzungen hinaus, so dass sich die Einkommenssituation der älteren Menschen nur unwesentlich verbesserte. Die Absicht des NS-Regimes, die staatliche Alterssicherung zur Stabilisierung der eigenen Herrschaft sowie zur Disziplinierung und Ausbeutung der Arbeiterschaft zu instrumentalisieren, trat vor allem in den sozialpolitischen Nachkriegsplanungen der Deutschen Arbeitsfront, die sich nach Kriegsbeginn konkretisierten und schließlich im Jahr 1940 in einen Gesetzentwurf mündeten, deutlich zutage. Durch die Abkopplung der Versorgungsansprüche von den geleisteten Versicherungsbeiträgen und ihre Verknüpfung mit einer nur vage definierten Arbeitspflicht sollten die Ausplünderung der Arbeitskraft optimiert und politisches und soziales Wohlverhalten erzwungen werden. Als Kompensation für Unterdrückung und Ausbeutung bot das „Versorgungswerk“ der sozial angepassten, „erbgesunden“ deutschen Bevölkerung die Teilhabe an der künftigen Wohlstandsentwicklung und eine sozialpolitische Vorrangstellung vor den besiegten und „befreundeten“ Nachbarn. Durch die Verbindung von Disziplinierung und partieller Integration war das „Versorgungswerk“ wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Sozialstrategie zur langfristigen Herrschaftssicherung, die zugleich auch kurzfristig legitimitätsstiftend wirkte, indem sie der erwerbstätigen Generation eine Belohnung für ihre Opfer und Entbehrungen während des Krieges versprach. Vor diesem Hintergrund lässt sich das „Versorgungswerk“ nur dann als modern „im Sinne von Rationalität und Effizienz“2 interpretieren, wenn man bereit ist, die Reformpläne Leys aus dem politischen und ideologischen Kontext des Nationalsozialismus zu lösen und den Fokus auf den Grundgedanken einer umlagefinanzierten, wachstumsorientierten Rente zu verengen. Im Sinne einer rationalen und effizienten Alterssicherung kann das „Versorgungswerk“ dagegen kaum als modern gelten, da es mit der Abschätzbarkeit und rechtlichen Einklagbarkeit der Leistungen einerseits und der Freiheit von politischer und sozialer Diskriminierung andererseits konstitutive Elemente des modernen Sozialstaats zu beseitigen suchte.3 2

Schulz, Diskussion, S. 122.

Zusammenfassung

279

Die Realisierungschancen des „Versorgungswerks“ lassen sich nur ansatzweise ausloten, eine Verwirklichung erscheint jedoch aus mehreren Gründen fragwürdig: (1) Auf Grund seiner finanziellen Dimensionen war das „Versorgungswerk“ nicht nur bei den beteiligten Fachressorts und in der Industrie auf einhellige Ablehnung gestoßen, sondern war darüber hinaus auch innerhalb der Parteiführung umstritten. Im Januar 1942 schloss Hitler daher eine Umsetzung der Pläne Leys noch während des Krieges aus und untersagte auch alle weiteren Vorarbeiten. (2) Die Knappschaftsreform, die in geschickter Weise Leistungsverbesserungen mit den Erfordernissen des Arbeitseinsatzes verband, hatte zudem bewiesen, dass eine Ausrichtung der Altersversorgung an den Grundsätzen der „Volksgemeinschaft“ auch innerhalb des tradierten Systems der sozialen Sicherung möglich war. Das Regime verfügte daher über eine tragfähige und finanziell überschaubare Alternative zu den Neuordnungsplänen der Deutschen Arbeitsfront. (3) Mit dem vereinfachten Entzug zu Unrecht bewilligter Renten sowie dem Rentenentzug bei „staatsfeindlicher Betätigung“ stand überdies ein umfassendes Instrumentarium zur Verfügung, um unerwünschte Personen aus politischen und rassistischen Gründen vom Bezug staatlicher Transferleistungen auszuschließen. Die Bedeutung der betrieblichen Alterssicherung als zusätzliche Säule der Altersvorsorge nahm in der NS-Zeit im Vergleich zur Weimarer Republik erheblich zu. Das niedrige Rentenniveau in der öffentlichen Rentenversicherung, das nach dem Willen des Regimes so weit als möglich durch Leistungen aus der betrieblichen Altersvorsorge kompensiert werden sollte, erforderte einen vermehrten Ausbau der betrieblichen Alterssicherung, der sich zugleich mit einer stärkeren Verrechtlichung und Vereinheitlichung der betrieblichen Altersvorsorge verbinden sollte. Die Zahl der Einrichtungen der betrieblichen Alterssicherung stieg zwar auch bei kleineren und mittleren Betrieben an, konzentrierte sich aber immer noch auf die öffentlichen Betriebe, das Bank- und Versicherungsgewerbe sowie die Großunternehmen kapitalintensiver Industrien. Die Leistungen, die in der Inflation eingebrochen waren, stagnierten während der NS-Zeit trotz einer deutlich verbesserten Gewinnsituation der Unternehmen auf niedrigem Niveau. Zwar erreichten die Zuwendungen mancher Unternehmen bei langer Werkstreue immer noch einen Umfang, der deutlich über dem der staatlichen Durchschnittsrente lag. Die große Masse der Betriebe, die sich häufig erst auf Grund der vom Arbeitsmarkt her wirkenden Zwänge zur Schaffung betrieblicher Altersfürsorgeeinrichtungen veranlasst sah, gestand ihren Arbeitnehmern jedoch meist nur geringe Beträge zu. Die angestrebte Umstellung aller Einrichtungen der betrieblichen Alterssicherung auf ein Kapitaldeckungsverfahren und die Gewährung eines allgemein verbindlichen Rechtsanspruchs scheiterten am Widerstand der Unternehmen. Einen allgemeinen Ausgleich für die Defizite der staatlichen Rentenpolitik vermochte die betriebliche Altersvorsorge daher nicht zu leisten.

3

Vgl. auch Schneider, S. 544. Frei, Wie modern war der Nationalsozialismus, S. 375.

280

Zusammenfassung

Die Lebensversicherung erfuhr begünstigt durch den wirtschaftlichen Aufschwung der dreißiger Jahre und den kriegsbedingten erheblichen Kaufkraftüberhang der vierziger Jahre einen stetigen Aufschwung. Die durchschnittliche Versicherungssumme blieb jedoch im Vergleich zu den Jahren der relativen Stabilisierung der Weimarer Republik verhältnismäßig gering, so dass die Lebensversicherungen wohl nur in den seltensten Fällen eine eigenständige Alterssicherung darstellten. Die Mehrzahl der Policen war nicht höher als ein Sterbegeld und daher kaum geeignet das niedrige Leistungsniveau der öffentlichen Rentenversicherung zu kompensieren. Viele alte Menschen waren daher trotz des Versprechens eines großzügigen Ausbaus der Altersversorgung auf Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge angewiesen. Ähnlich wie in der Rentenpolitik verfolgte das NS-Regime auch im Bereich der öffentlichen Fürsorge einen restriktiven Kurs und fror die Unterstützungsleistungen auf dem niedrigen Krisenniveau ein. Obwohl sich die Finanzsituation der Kommunen durch den zügigen Abbau der Arbeitslosigkeit rasch verbesserte, kam es erst im Zuge der allgemeinen sozialpolitischen Verbesserungen des Jahres 1941 zu einer deutlichen Anhebung der Richtsätze, ohne jedoch an das Leistungsniveau der Weimarer Zeit anzuknüpfen. Die von den Kleinrentnern geforderte „Rentnerversorgung“ wurde trotz der politischen Nähe ihrer Interessenvertretung zur NSDAP nicht realisiert. Mit der Einführung der Kleinrentnerhilfe 1934 wurden allerdings zumindest für einen Teil der Kleinrentner spürbare Verbesserungen hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen und der Leistungshöhe erzielt, die den durch die Inflation erlittenen Statusverlust der ehemaligen Kapitalrentner partiell kompensierten. Obgleich sich die Zahl der unterstützten Parteien in der Sozial- und Kleinrentnerfürsorge während der NS-Zeit deutlich verringerte, blieben die Leistungen der öffentlichen Fürsorge doch für viele alte Menschen ein fester Bestandteil ihrer Alterseinkommen. Im Vergleich zur Weimarer Republik verschlechterte sich die Einkommenssituation der älteren Generation unter dem Nationalsozialismus erheblich. Die schwierige wirtschaftliche Lage vieler älterer Menschen resultierte zwar in erster Linie aus der Sparpolitik der Weimarer Präsidialkabinette, das NS-Regime setzte diesen Kurs jedoch auch in der Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs fort. Während sich die Löhne- und Gehälter ab Mitte der dreißiger Jahre allmählich erholten, blieben die Notverordnungskürzungen in der öffentlichen Rentenversicherung und in der öffentlichen Fürsorge im Wesentlichen bis 1941 in Kraft, so dass sich die Diskrepanz zwischen den Transfereinkommen und den Erwerbseinkommen kontinuierlich verschärfte. Nach Kriegsausbruch verschlechterte sich die Lebenslage der älteren Generation ungeachtet der sozialpolitischen Verbesserungen Anfang der vierziger Jahre drastisch. Die trotz der Rationierungen verstärkt auftretenden Versorgungsengpässe betrafen vor allem die unteren Einkommensschichten und damit nicht selten auch alte Menschen. Mit dem Bombenkrieg gingen schwere psychische und physische Belastungen einher, die für alte und gebrechliche Menschen nur mühsam zu bewältigen waren. Angesichts der zunehmenden Zerstörung

Zusammenfassung

281

der deutschen Städte sahen sich alte und pflegebedürftige Menschen überdies dem Vorwurf ausgesetzt, Ressourcen und Pflegekräfte zu binden, Wohnraum zu „blockieren“ und Bunkereingänge zu „verstopfen“. Die darin zum Ausdruck kommende gesellschaftliche Randstellung war jedoch keineswegs eine ausschließliche Folge der Kriegssituation, sie war vielmehr ein konstitutives Element der nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie. Für alte, invalide oder pflegebedürftige Menschen war in dieser Weltanschauung, die die Lebenschancen des Einzelnen nach seinem Nutzen für die Gemeinschaft bemaß, im Grunde kein Platz. Durch die Ausrichtung der „Volksgemeinschaft“ auf kriegerische Expansion nach Außen und die Schaffung eines „erbgesunden“, leistungsfähigen „Volkskörpers“ im Inneren drohten alte, nicht mehr leistungsfähige Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Die Jugend repräsentierte die Zukunft der „Volksgemeinschaft“. In der mittleren Generation sollten die Männer als Arbeiter und Soldaten dienen, und die Frauen sollten Mütter werden. Die ältere Generation dagegen besaß in diesem Gesellschaftsentwurf letztlich keine Funktion und wurde nur noch durch die Reste des alten Normenstaats geschützt.4 Im Bereich der stationären Altenpflege begann dieser Schutz im Verlauf des Krieges zu bröckeln. Die Scheidelinie zu den Psychiatriepatienten wurde immer dünner, so dass die Bewohner von Alters- und Pflegeheimen in den Sog der „Euthanasie“-Aktionen gerieten. Zwar stellte das Alter kein unmittelbares Ausgrenzungskriterium dar, gleichwohl wurden alte Menschen, zumindest sofern sie durch eine Anstaltsunterbringung soziale Kosten verursachten und Ressourcen banden, die das Regime für Kriegszwecke benötigte, mit zunehmender Dauer des Krieges vermehrt zu den „unproduktiven Ballastexistenzen“ gezählt. Durch den Bombenkrieg war der Tod auch an der „Heimatfront“ allgegenwärtig geworden; viele Menschen waren obdachlos und litten an Unterversorgung. Im Überlebenskampf der letzten Kriegsmonate war für die Sorge um alte und gebrechliche Menschen kein Platz mehr. Nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ im Frühjahr 1945 gestaltete sich die Gesamtsituation der Alterseinkommen erneut schwierig. Allein die öffentliche Rentenversicherung erwies sich trotz der teilweise erheblichen Finanzprobleme als weitgehend stabil. Die Rentenzahlungen wurden in den Westzonen bereits wenige Monate nach Kriegsende wieder aufgenommen und erfolgten zunächst auf der Grundlage des alten Versicherungsrechts und nach Maßgabe der Kassenlage der einzelnen Versicherungsträger. Die Rentenversicherung wurde auf ein Umlageverfahren umgestellt, und die Länder übernahmen eine Defizithaftung. Die Währungsreform stellte die Renten 1:1 um; das Leistungsniveau war allerdings niedrig und blieb trotz diskretionärer Rentenanpassungen in den folgenden Jahren zunehmend hinter der allgemeinen Lohnentwicklung zurück.5 Die Sparer dagegen brachIrmak, Der Sieche, S. 85. Schmähl, Sicherung bei Alter, Invalidität und für Hinterbliebene. Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen. 4 5

282

Zusammenfassung

te die Währungsreform zum zweiten Mal in einer Generation um ihre finanziellen Rücklagen, da die Reichsmarkguthaben im Verhältnis 10:1, größere Guthaben sogar nur im Verhältnis 100:6,5 umgestellt wurden. Dies betraf vor allem die Lebensversicherung, aber auch die Einrichtungen der betrieblichen Alterssicherung, sofern sie auf der Ansammlung von Vermögen beruhten.6 Damit waren „kapitalgedeckte“ Formen der Alterssicherung zum zweiten Mal im 20. Jahrhundert radikal abgewertet worden. Die Grundfragen der künftigen Gestaltung der Alterssicherung sollten daher schon bald die sozialpolitische Tagesordnung der neu gegründeten Bundesrepublik bestimmen.

6 Buchheim, Die Errichtung der Bank deutscher Länder, S. 130 f. Weiss, Handbuch der betrieblichen Altersfürsorge, S. 18 f. Borscheid, Mit Sicherheit leben, Bd. 2, S. 10 – 22.

13.052.982

insgesamt

1.233.026 1.784.161 1.848.167

5.932.069

Selbständige (Eigentümer und Pächter) Angestellte (ohne leitende Angestellte) Arbeiter

insgesamt

Handel und Verkehr

1.489.868 1.300.818 9.939.441

Industrie und Handwerk Selbständige (Eigentümer und Pächter) Angestellte (ohne leitende Angestellte) Arbeiter

211.314

94.760 21.518 44.405

401.641

111.766 29.942 248.358

3,5

7,7 1,2 2,4

3,1

7,5 2,3 2,5

5,2

493.140

9.342.785

insgesamt

140.273

99.951 10.878 13.016

201.849

112.130 10.857 71.550

552.433

311.892 1.848 36.352

2,3

8,1 0,6 0,7

1,5

7,5 0,8 0,7

5,9

14,3 1,8 1,4

Anteil in %

Zahl

Zahl

Anteil in %

Erwerbspersonen über 65 Jahre

Erwerbspersonen 60 bis 65 Jahre

11 2,6 2,6

Erwerbspersonen

Landwirtschaft, Gärtnerei, Tierzucht, Forstwirtschaft, Fischerei Selbständige (Eigentümer und Pächter) 2.177.791 239.017 Angestellte (ohne leitende Angestellte) 97.878 2.553 Arbeiter 2.530.650 67.080

Wirtschaftsgruppe

351.587

194.711 32.396 57.421

603.490

223.896 40.799 319.908

1.045.573

550.909 4.401 103.432

Zahl

5,9

15,8 1,8 3,1

4,6

15,0 3,1 3,2

11,2

25,3 4,5 4,1

Anteil in %

Erwerbspersonen über 60 Jahre

Tabelle 15: Die über 60-jährigen Erwerbspersonen nach Wirtschaftsgruppen und Stellung im Beruf 1933

Anhang

18.440 33.023 1.218.119

1.269.582

5.213.589 4.032.345 14.949.786 1.218.119

32.296.074

Häusliche Dienste Angestellte Arbeiter Hausangestellte

insgesamt

Summe aller Abteilungen Selbständige (Eigentümer und Pächter) Angestellte (ohne leitende Angestellte) Arbeiter Hausangestellte

insgesamt

3,8

8,9 1,8 2,6 1,2

1,2

957.879

544.482 37.579 132.216 9.654

10.433

196 583 9.654

52.891

2,9

10,4 0,9 0,9 0,8

0,8

1 1,7 0,8

1,9

6,5 1,6 1,8

2.180.343

1.010.042 111.611 516.960 23.937

26.092

541 1.614 23.937

153.601

40.526 33.474 34.585

Zahl

6,7

19,4 2,8 3,4 1,9

2,0

2,9 4,9 1,9

5,7

12,9 4,0 5,8

Anteil in %

Erwerbspersonen über 60 Jahre

Quelle: Statistisches Reichsamt, Berufszählung. Die berufliche und soziale Gliederung der Bevölkerung des Deutschen Reichs. Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juli 1933 (Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 453), Berlin 1936, Heft 3, Tab. 3a, S. 3 / 4 ff.

1.222.464

465.560 74.032 384.744 14.283

15.659

345 1.031 14.283

1,9 3,1 1,2

3,7

100.710

2.698.656

insgesamt

20.509 13.800 10.715

Anteil in %

Zahl

Zahl

Anteil in %

Erwerbspersonen über 65 Jahre

Erwerbspersonen 60 bis 65 Jahre

6,4 2,3 4

Erwerbspersonen

Öffentlicher Dienst und private Dienstleistung (ohne häusliche Dienste) Selbständige (Eigentümer und Pächter) 312.904 20.017 Angestellte (ohne leitende Angestellte) 831.048 19.674 Arbeiter 598.505 23.870

Wirtschaftsgruppe

Fortsetzung Tabelle 15:

284 Anhang

Anhang

285

Tabelle 16 Bewegung des Versicherungsbestandes der deutschen privaten Kapitalversicherung 1928 – 1942

Jahr

Zahl der Unternehmen

Zugang (Mio. RM)

Abgang (Mio. RM)

1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942

62 58 64 60 57 55 54 64 63 61 67 71 70 69 69

3.790 3.373 3.349 2.592 2.088 2.414 2.903 2.998 3.148 3.269 3.525 4.309 3.045 – –

1.364 1.356 1.761 2.208 2.750 2.312 1.909 1.771 1.787 1.604 1.665 1.806 1.254 – –

Bestand Policen (Mio.)

Kapital (Mio. RM)

8,8 10,8 14,7 16,4 16,7 20,5 23,4 24,5 26,5 28,5 30,8 33,1 34,9 37,0 38,9

12.786 14.074 16.306 16.734 15.887 15.920 16.885 18.693 20.383 21.973 23.387 26.637 28.682 31.664 34.696

1 Betrag je Police (RM) 1.460 1.297 1.110 1.019 950 775 722 – 739 749 759 759 822 855 892

Quelle: Assekuranz-Jahrbuch 49 (1930), S. 318 – 321; 50 (1931), S. 334 – 337; 51 (1932), S. 412 – 415; 52 (1933), S. 382 – 385; 53 (1934), S. 348 f.; 54 (1935), S. 320 f.; 55 (1936), S. 404 f.; 56 (1937), S. 282 f.; 58 (1939), S. 35. Die deutsche private Lebensversicherung im Jahr 1933, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 57 (1934), S. 941 – 945. Die deutsche private Lebensversicherung im Jahr 1934, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 58 (1935), S. 986 – 989. Die deutschen privaten Lebensversicherungsgesellschaften im Jahr 1935, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 59 (1936), S. 1001 – 1005. Die deutschen privaten Lebensversicherungsunternehmungen im Jahr 1936, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 60 (1937), S. 969 – 1024. Die deutschen privaten Lebensversicherungsunternehmungen im Jahr 1937, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 61 (1938), S. 893 – 897. Die private Lebensversicherung 1938, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 62 (1939), S. 934 – 936. Die deutsche private Lebensversicherung im Jahr 1939, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 63 (1940), S. 570 – 572. Die deutsche private Lebensversicherung im Jahr 1940, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 65 (1942), S. 5 f. Zusammengefaßter Geschäftsbericht über die Tätigkeit des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung 1939 bis 1945 (Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen, Sonderheft 3), Berlin 1955, S. 80.

286

Anhang Tabelle 17 Bewegung des Versicherungsbestandes der deutschen privaten Kapitalversicherung 1928 – 1942 (Großlebensversicherung)

Jahr

Zahl der Unternehmen

Zugang (Mio. RM)

Abgang (Mio. RM)

1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938

56 51 53 51 48 47 46 63 63 62 57

2.970 2.289 2.207 1.584 1.144 1.212 1.433 1.541 1.861 1.933 2.196

1938 1939 1940 1941 1942

67 71 70 69 69

– 3.235 1.928 – –

Bestand

1 Betrag je Police (RM)

Policen (Mio.)

Kapital (Mio. RM)

1.120 928 1.159 1.424 1.711 1.523 1.093 925 996 884 1.020

2,6 2,7 3,1 3,3 3,0 3,2 3,4 – – – –

10.796 11.114 12.093 12.180 11.247 10.884 11.115 12.498 13.648 14.667 15.957

4.187 4.121 3.873 3.645 3.784 3.381 3.278 – – – –

– 1.170 273 – –

3,5 4,1 4,4 4,9 5,3

13.340 15.871 17.058 18.935 20.974

3.780 3.836 3.843 3.884 3.971

Quelle: Assekuranz-Jahrbuch 49 (1930), S. 318 f.; 50 (1931), S. 334 f.; 51 (1932), S. 412 f.; 52 (1933), S. 382 f.; 53 (1934), S. 348; 54 (1935), S. 320; 55 (1936), S. 404. Die deutsche Volksversicherung im Jahr 1934, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 58 (1935), S. 1133 – 1136. Die deutsche Volksversicherung im Jahr 1935, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 59 (1936), S. 1141 – 1143. Die deutsche Volksversicherung im Jahr 1936, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 60 (1937), S. 1145 – 1147. Die private deutsche Volksversicherung im Jahr 1938, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 62 (1939), S. 25 f. Die private deutsche Volksversicherung im Jahr 1939, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 64 (1941), S. 13 f. Die private deutsche Volksversicherung im Jahr 1940, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 65 (1942), S. 176 – 178. Zusammengefaßter Geschäftsbericht über die Tätigkeit des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung 1939 bis 1945 (Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen, Sonderheft 3), Berlin 1955, S. 80.

Anhang

287

Tabelle 18 Bewegung des Versicherungsbestandes der privaten deutschen Kapitalversicherung 1928 – 1942 (Kleinlebensversicherung)

Jahr

Zahl der Unternehmen

Zugang (Mio. RM)

Abgang (Mio. RM)

1928 1929 1930 1931 1932 1933

28 31 36 36 36 35

820 1.084 1.142 1.008 945 1.202

1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942

40 44 44 43 42 67 71 70 69 69

924 1.264 1.210 1.151 1.095 1.013 826 842 – –

Bestand

1 Betrag je Police (RM)

Policen (Mio.)

Kapital (Mio. RM)

245 428 603 784 1.039 790

4,8 8,2 11,6 13,1 13,7 17,3

1.990 2.961 4.213 4.554 4.640 5.036

415 429 415 417 402 –

670 750 742 675 599 525 489 314 – –

12,7 16,2 18,7 20,4 20,2 20,4 21,6 23,0 24,5 25,6

3.803 4.674 5.276 5.793 6.223 6.821 7.425 8.051 8.909 9.619

– 321 313 320 323 334 343 350 363 375

Quelle: Assekuranz-Jahrbuch 49 (1930), S. 320 f.; 50 (1931), S. 336 f.; 51 (1932), S. 414 f.; 52 (1933), S. 384 f.; 53 (1934), S. 348 f.; 54 (1935), S. 320 f.; 55 (1936), S. 404 f. Die deutsche Volksversicherung im Jahr 1934, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 58 (1935), S. 1133 – 1136. Die deutsche Volksversicherung im Jahr 1935, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 59 (1936), S. 1141 – 1143. Die deutsche Volksversicherung im Jahr 1936, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 60 (1937), S. 1145 – 1147. Die private deutsche Volksversicherung im Jahr 1938, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 62 (1939), S. 25 f. Die private deutsche Volksversicherung im Jahr 1939, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 64 (1941), S. 13 f. Die private deutsche Volksversicherung im Jahr 1940, in: Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen 65 (1942), S. 176 – 178. Zusammengefaßter Geschäftsbericht über die Tätigkeit des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung 1939 bis 1945 (Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen, Sonderheft 3), Berlin 1955, S. 80.

Literaturverzeichnis 1. Archivalische Quellen Bundesarchiv Berlin NS 5

Deutsche Arbeitsfront

NS 6 NS 22

Parteikanzlei der NSDAP Reichsorganisationsleiter der NSDAP

R2 R 36

Reichsministerium der Finanzen Deutscher Gemeindetag

R 40 R 43 I

Reichsverband Deutscher Rentenversicherungsträger Alte Reichskanzlei

R 43 II R 89

Reichskanzlei Reichsversicherungsamt

R 112 R 1501

Reichsversicherungsanstalt für Angestellte Reichsministerium des Inneren

R 3101

Reichswirtschaftsministerium

R 3901

Reichsarbeitsministerium

2. Gedruckte Quellen Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP: Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes. Sammlung der in anderen Provenienzen überlieferten Korrespondenzen, Niederschriften von Besprechungen usw. mit dem Stellvertreter des Führers und seinem Stab bzw. der Partei-Kanzlei, ihren Ämtern, Referaten und Unterabteilungen sowie mit Heß und Bormann persönlich, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München u. a. 1983, 1985. Ayaß, Wolfgang, „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933 – 1945, Koblenz 1998. Bischof Clemens August Graf von Galen. Akten, Briefe und Predigten 1933 – 1946, 2 Bde., Mainz 1988. Deutschlandberichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sopade, 1934 – 1940, hg. im Auftrag des Exilvorstands der Sozialdemokratischen Partei, Reprint, Frankfurt / M. 1980. Domarus, Max (Hg.), Hitler. Reden und Proklamationen 1932 – 1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, 2 Bde., Würzburg 1962, 1963.

3. Statistische Quellen

289

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3. Statistische Quellen Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung: Amtsblatt des Reichsarbeitsministeriums, des Reichsversicherungsamts und der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, hg. vom Reichsarbeitsministerium und vom Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Berlin, verschiedenen Jge. Assekuranz-Jahrbuch, Basel, verschiedene Jge. Bericht des Direktoriums der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte für das Geschäftsjahr. . . , Berlin, verschiedene Jge. Bevölkerung und Wirtschaft 1872 – 1972, hg. vom Statistischen Bundesamt, Stuttgart / Mainz 1972. Borscheid, Peter / Drees, Anette (Hg.), Versicherungsstatistik Deutschlands 1750 – 1985, St. Katharinen 1988. Bry, Gerhard, Wages in Germany 1871 – 1945, Princeton 1960. Desai, Ashok V., Real wages in Germany 1871 – 1913, Oxford 1968. Die deutsche Sozialversicherung: mit einem Blick auf das Jahr . . . ; finanzieller und statistischer Jahresbericht über die einzelnen Versicherungszweige, Berlin, verschiedene Jge. Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876 – 1975, hg. von der Deutschen Bundesbank, Frankfurt / M. 1976. 25 Jahre Angestelltenversicherung 1931 – 1937, Berlin 1937. 19 Schlegel-Voß

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4. Literatur vor 1945

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4. Literatur vor 1945

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Literaturverzeichnis

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Sachwortverzeichnis Altersheime – Altersheimbau 255 – Aufnahmekapazität 257 – Entwicklung 253 – Heimtypologie 252, 260 – Jüdische Einrichtungen 274 – Kosten 264 – Kriegssiechenheime 275 – Lebensbedingungen 260, 267 – Räumung 268, 270 – Taschengeld 264 Altersversorgung, betriebliche 279 – Formen 206, 211 – Gruppenpensionskasse 202 – Gruppenversicherung 215 – Höherversicherung in der öff. Rentenversicherung 216 – Inflation 196 – Körperschafts- und Vermögenssteuerrecht 199 – Leistungen 204, 207, 208, 210, 212 – Leistungsniveau 206, 208, 210, 213, 217 – Leitsätze der Deutschen Arbeitsfront 198 – Pensionsfonds 200 – Pensionskasse 202 – Unterstützungskasse 201 – Weltwirtschaftskrise 196 Angestelltenversicherung siehe Rentenversicherung, öffentliche Arbeitskräftelenkung 33, 38 Arbeitslosigkeit 31 Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront 21, 29, 39, 85, 158 Arbeitszeit 39 Deutsche Arbeitsfront 17, 20, 27, 32, 57, 62, 64, 84, 92, 137, 149, 157, 198, 228, 247

Einheitsrente 83 – 84 Einheitsversicherung 56 – 57, 62 Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz 102, 190 Erwerbstätigkeit 14, 179 Euthanasie 19, 272, 281 – Anstaltspersonal 276 – Euthanasie-Gesetz 269 – Proteste 271 – Psychiatrisierung 273 Fürsorge, öffentliche 176, 280 – Jüdische Fürsorgeempfänger 246 – Kleinrentnerfürsorge 219, 244 – Kleinrentnerhilfe 237, 240, 242 – Kostenersatz 230, 233 – Leistungen 232, 240, 248 – Parteien 230, 237, 242 – Reichsgrundsätze 221 – Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht 220 – Reichswohlfahrtshilfe 224 – Reichszuschuss 240, 243 – Rentnerversorgung 219, 234, 237, 249, 280 – Richtsätze 220, 224, 226, 228, 232, 248 – Sonderzuwendungen 231, 244 – Sozialrentnerfürsorge 47, 220, 233 – Weltwirtschaftskrise 227 – Winterhilfe 232, 244 Handwerkerversicherung 278 – Altershilfe 145 – Altersstruktur 153, 155 – Anwartschaft 141 – Beitrag 140 – Beitragsbemessung 140 – Berufsunfähigkeit 148 – Halbversicherung 135, 139, 148, 150

326

Sachwortverzeichnis

– Haltung der Deutschen Arbeitsfront 137, 149 – Haltung der Versicherungswirtschaft 134, 136, 144 – 145, 149 – Haltung des Handwerks 134, 152 – Jüdische Handwerker 146 – Probleme der Handwerkerversicherung 151 – Überbesetzung von Handwerkszweigen 154 – Versicherungsfreiheit 135, 138 – 139, 150 – Versicherungspflicht 135, 138 Invaliditäts- und Altersversicherung siehe Rentenversicherung, öffentliche Invalidenversicherung siehe Rentenversicherung, öffentliche Kapitaldeckungsverfahren 42, 47, 51, 65, 81, 103, 169, 277 Lebenshaltungskosten 35, 39, 64, 81, 94, 228 Lebensstandard 31, 36, 40, 100, 136, 170 Lebensversicherung 280 – Aufwertung 182 – Bestandsfähigkeit 189 – Deckung der Kriegsgefahr 192 – Inflation 182 – Jüdische Versicherte 191 – Kleinlebensversicherung 181 – Neuzugang 189, 191 – 192 – Versicherungsbestand 188, 191 – 192 – Versicherungssumme 192 – Volksgemeinschaft 186 – Weltwirtschaftskrise 183 – Zusatzversorgung 193 Lohnpolitik 35, 37 Modernisierung 18, 175, 278 Nationalsozialistische Volkswohlfahrt 28, 97, 239, 247 Reichsbund der deutschen Kapital- und Kleinrentner 233 – 234, 239 Reichsgruppe Versicherungen 184

Reichsvereinigung der Juden in Deutschland 101, 246 Rentenversicherung, öffentliche – Alterspension 122, 125 – Altersstruktur 78 – Angestelltenversicherung, Anfänge der 45 – Anwartschaft 53, 66 – 67, 91, 101, 113, 118 – Aufbaugesetz 62 – Aufsicht 60 – Ausbaugesetz 69, 118 – Beitrag 42, 45, 52, 54, 58, 61, 70 – 71, 111, 113, 117, 130 – Beitragsübertragung 63, 65, 83, 95 – Bergmannstreuegeld 129 – Berufsunfähigkeit 120 – Bewilligungspraxis 54, 78 – Entziehung von Renten 55, 81 – Führerprinzip 58, 60, 62 – Gesetz zum weiteren Abbau der Notverordnungen 73 – Grundbetrag 42, 53, 88, 94 – 95, 103, 111, 113, 124, 127 – Hinterbliebenenversorgung 44, 68, 72, 99, 123, 125 – Inflation 47 – Invalidenversicherung, Anfänge der 43 – Knappschaftsrente 122, 124, 128 – Knappschaftssold 125, 130 – Knappschaftsvollrente 122, 124, 128 – Leistungsverbesserungsgesetz, Erstes 94 – Leistungsverbesserungsgesetz, Zweites 100 – Leistungszuschlag 129 – Mindestrente 52, 92, 95, 124, 127 – Notverordnungen 51 – 52, 70 – 71, 86, 94, 111, 119 – Reichsbeitrag 52, 54 – Reichsgarantie 65, 88, 118 – Reichszuschuss 42, 45, 52, 55, 70, 88, 114, 116, 118, 130 – Rentenbestand 14, 44, 46, 48 – Rentenniveau 44, 47 – 48, 77, 92, 96, 103, 120 – Rentnerkrankenversicherung 87, 91,105 – Ruhensvorschriften 68, 71, 117 – Sanierungsgesetz 56, 113

Sachwortverzeichnis – – – –

Versicherte 14, 44, 48 Verwaltungsvereinfachung 103, 105, 108 Wartezeit 41 – 42, 45, 67, 99, 101, 113 Weltwirtschaftskrise 49, 110

Sozialpolitik, betriebliche 195, 197 Umlageverfahren 47, 51, 113, 170 Vermögensbildung 180 Versorgungswerk 17, 20, 85, 87, 98, 127, 131, 279 – Altersversorgung 164 – Arbeitsideologie 161 – Dynamisierung 173, 175 – Ehrensold 167 – Finanzierung 171 – Funktion 175

327

– Hinterbliebenenversorgung 166 – Invalidenversorgung 165 – Muttersold 167 – Realisierungschancen 279 – Staatsbürgerversorgung 160 – Versorgungsgrenze 168 Verstaatlichung der Versicherungswirtschaft 185 Volksgemeinschaft 19, 35, 40, 100, 110, 131, 159, 281 – Arbeitsideologie 25, 30, 131, 160 – klassenlose Gesellschaft 23 – Leistungsgemeinschaft 25 – Rassenideologie 26 – 27 – Sozialpolitik 28 – Sozialversicherung 29 Volksversicherung 57, 64, 84, 132, 137, 157