Alltagsmobilitäten: Aufbruch marokkanischer Lebenswelten [1. Aufl.] 9783839409282

Die Proteste des »Arabischen Frühlings« verdeutlichen zweierlei: einerseits die grundlegenden Unzufriedenheiten und Unsi

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Alltagsmobilitäten: Aufbruch marokkanischer Lebenswelten [1. Aufl.]
 9783839409282

Table of contents :
INHALT
VERORTUNGEN
Alltagsmobilitäten – Marokkos neue soziale Landschaften
AUFBRUCH EINER LOKALEN AGRARGESELLSCHAFT
Asni 1980
Gesellschaft – Tanzen
Weide – Aushandlungen kollektiver Zugangsrechte
Landwirtschaft – Innovation und sozialer Wandel
Asni 2010
Landwirtschaftliche Existenzsicherung am Limit?
Die Moderne auf den Hochweiden der Rheraia
Ländliche Lohnarbeit und Kommodifizierung von Arbeitskraft
Bruchlinien sozialräumlicher. Fragmentierung einer lokalen Agrargesellschaft
Simulakren: Globalisierte Lebenswelten – Verflochten und Distanziert
DYNAMIKEN GLOBALER REGIONALISIERUNGEN
Marokkanische Landwirtschaft und Freihandel
Mobile Grenzen, entgrenzte Orte und verortete Waren: Das Beispiel des Agrarhandels zwischen Marokko und der EU
Marokko in globalen und regionalen grenzüberschreitenden Handelsströmen
KONSEQUENZEN DER ENTGRENZUNG
Ländliche Räume
»On a commencé petit à petit«: Globalisierte Agrarproduktion und soziale Mobilität im Souss
Petite Bonnes: Zum Arbeiten als Hausangestellte in die Stadt
Wissensmobilität: Entwicklungsinterventionen und lokale Praxis marokkanischer Transhumanz
Städtische Räume
Casablanca: Ein ländliches Zuwanderungsgebiet?
Rabat: Junge Erwachsene, Arbeitsmärkte und soziale Absicherung im urbanen Marokko
Fes: Jugend, Internet und Mobilität
Marrakech: Gentrification und Cosmopolitanism
Diaspora
Normative Ordnungen, multiple Identitäten und religiöse. Interpretationsmuster unterwegs zwischen Marokko und Kanada
Marocanité: Identitäten und Chatrooms der Diaspora
Literatur
Karten-, Abbildungs- und Tabellenverzeichnisse
Autorinnen und Autoren
Dank

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Jörg Gertel, Ingo Breuer (Hg.) Alltagsmobilitäten

Jörg Gertel, Ingo Breuer (Hg.)

Alltagsmobilitäten Aufbruch marokkanischer Lebenswelten

Die Herausgabe des Bandes wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus Lektorat & Satz: Jörg Gertel und Ingo Breuer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-928-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

I N H A LT

VERORTUNGEN Alltagsmobilitäten – Marokkos neue soziale Landschaften Jörg Gertel und Ingo Breuer (Leipzig)

11

AUFBRUCH EINER LOKALEN AGRARGESELLSCHAFT Asni 1980 Gesellschaft – Tanzen Mohammed Mahdi (Meknès)

35

Weide – Aushandlungen kollektiver Zugangsrechte Hassan Rachik (Casablanca)

55

Landwirtschaft – Innovation und sozialer Wandel Mohammed Mahdi (Meknès)

71

Asni 2010 Landwirtschaftliche Existenzsicherung am Limit? Ingo Breuer, Jörg Gertel, David Kreuer und Johannes Frische (Leipzig) Die Moderne auf den Hochweiden der Rheraia Mohammed Mahdi (Meknès) und Pablo Dominguez (Barcelona)

83

113

Ländliche Lohnarbeit und Kommodifizierung von Arbeitskraft Ingo Breuer und Jörg Gertel (Leipzig)

125

Bruchlinien sozialräumlicher Fragmentierung einer lokalen Agrargesellschaft Ingo Breuer (Leipzig)

145

Simulakren: Globalisierte Lebenswelten – Verflochten und Distanziert Jörg Gertel (Leipzig)

163

DYNAMIKEN GLOBALER REGIONALISIERUNGEN Marokkanische Landwirtschaft und Freihandel Najib Akesbi (Rabat)

189

Mobile Grenzen, entgrenzte Orte und verortete Waren: Das Beispiel des Agrarhandels zwischen Marokko und der EU Christian Berndt (Zürich) und Marc Boeckler (Frankfurt a.M.)

219

Marokko in globalen und regionalen grenzüberschreitenden Handelsströmen Steffen Wippel (Berlin und Leipzig)

241

KONSEQUENZEN DER ENTGRENZUNG Ländliche Räume »On a commencé petit à petit«: Globalisierte Agrarproduktion und soziale Mobilität im Souss Sarah Ruth Sippel (Leipzig)

269

3HWLWHV%RQQHV: Zum Arbeiten als Hausangestellte in die Stadt Wenke Krestin (Leipzig)

289

Wissensmobilität: Entwicklungsinterventionen und lokale Praxis marokkanischer Transhumanz David Kreuer (Leipzig)

303

Städtische Räume Casablanca: Ein ländliches Zuwanderungsgebiet? Abderrahmane Rachik (Casablanca)

317

Rabat: Junge Erwachsene, Arbeitsmärkte und soziale Absicherung im urbanen Marokko Ingo Breuer (Leipzig)

327

Fes: Jugend, Internet und Mobilität Ines Braune (Marburg)

341

Marrakech: Gentrification und Cosmopolitanism Anton Escher und Sandra Petermann (Mainz)

357

Diaspora Normative Ordnungen, multiple Identitäten und religiöse Interpretationsmuster unterwegs zwischen Marokko und Kanada Bertram Turner (Halle)

373

Marocanité: Identitäten und Chatrooms der Diaspora Fadma Ait Mous (Casablanca)

389

Literatur

405

Karten-, Abbildungs- und Tabellenverzeichnisse

439

Autorinnen und Autoren

443

Dank

447

V ERORTUNGEN

A L LTA G S M O B I L I T Ä T E N – MAROKKOS NEUE SOZIALE LANDSCHAFTEN Jörg Gertel und Ingo Breuer (Leipzig)

Die Proteste des so genannten ‘Arabischen Frühlings’ führen seit dem Winter 2010/11 in einigen Ländern der arabischen Welt zu teilweise grundlegenden Veränderungen in den politischen Systemen, in anderen entfalten sie lediglich kleinere Reformbemühungen mit geringer gesellschaftlicher Tiefenwirkung. In beiden Fällen bleiben die durch den Widerstand ausgelösten Reformen allerdings weit davon entfernt, die prekären Alltagssituationen zu bewältigen, die für einen Großteil der Bevölkerung durch Armut und Unsicherheit gekennzeichnet sind. Hier setzt Alltagsmobilitäten an und bietet exemplarische Einblicke in die komplexen Ursachen und Ausprägungen gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse, die – nicht nur in Marokko – im neoliberalen Gefüge der vergangenen 30 Jahre angelegt wurden, zur sozialen und ökonomischen Polarisierung lokaler Gesellschaften führen und gegenwärtig, im Kontext globaler Energie-, Nahrungs- und Finanzkrisen, weitere Zuspitzung erfahren. Hinter, neben und losgelöst von medial sichtbar gemachten Szenen existiert Alltag; Alltag in all seinen Ausprägungen und seinen komplexen Verstrickungen. Der Aufbruch marokkanischer Lebenswelten, unser Untersuchungsgegenstand, beginnt hier. Marokko ist Teil der globalen Moderne.1 Im Kontext weitreichender wirtschaftlicher Liberalisierung, engerer politisch-ökonomischer Anbindungen an die EU und die USA sowie global ausgreifender kultureller Verflechtungen entwickelt sich das Land zum regionalen Knotenpunkt komplexer internationaler Zirkulationsprozesse von Personen, Waren und Ideen. So kommt Weizen, der in Marokko konsumiert wird, zunehmend aus den USA; Agrarprodukte wie Tomaten werden hingegen in Marokko für den Export produziert und durch international agierende Unternehmer vor allem nach Europa und Russland verkauft. Marokkanische Stadt-, Gebirgs- und Wüstenlandschaften werden durch Investoren, Reisemagazine und Umweltschutzinitiativen aus den Golfstaaten und 11

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Europa geprägt. Pläne zur Entwicklung des ländlichen Raums kommen von der Weltbank und global agierenden Consulting-Firmen, während islamische Rechtskonzepte in Kanada verhandelt und nach Marokko reimportiert werden. Umgekehrt gelangen Arbeitskräfte aus dem marokkanischen Hinterland bis nach Spanien, während Mitglieder der marokkanischen Diaspora mit ihrem Kapital Einflüsse bis in die Lokalpolitik kleinster Dörfer hinein entfalten. Und während junge Marokkaner das Internet für den Aufbau grenzüberschreitender Beziehungsnetze und Emigrationsperspektiven nutzen, stranden afrikanische Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa in marokkanischen Städten. Vor Ort in Marokko wird die globale Moderne jedoch auch in Form weit verbreiteter Armut und Ungleichheit manifest. Mindestens ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutslinie; die Analphabetenraten sind, gerade bei Frauen, nach wie vor sehr hoch; und die ländlichen Räume – insbesondere die außerhalb der großen Bewässerungsgebiete – sind im Kontext gravierender räumlicher Disparitäten stark benachteiligt. Die weitreichenden Verflechtungen und globalen Zirkulationsprozesse treffen somit auf strukturelle, gesellschaftliche und räumliche Ungleichheiten und tragen dazu bei diese zu reproduzieren (Gertel/Breuer 2007). Alltagsmobilitäten untersucht in diesem Kontext, wie die Moderne in Marokko eindringt und, beschleunigt durch die Kräfte einer neoliberalen Globalisierung,2 lokale Lebenswelten aufbricht, Lebenszusammenhänge fragmentiert, gesellschaftliche Bezüge immer stärker entgrenzt und neue soziale Landschaften hervorbringt. Im Fokus stehen dabei Prozesse, Dynamiken und Konflikte, die innerhalb von Marokko ausgetragen werden, jedoch in globale Verflechtungen eingebunden sind, bis in die Diaspora und in virtuelle Räume Konsequenzen entfalten, um sich oft von dort aus wiederum in lokale Zusammenhänge zurück zu übersetzen. Der vorliegende Band nimmt drei Prozessbündel in den Blick: Erstens die Fragmentierung lokaler Agrargesellschaften. Im Mittelpunkt steht damit der Kern der marokkanischen Ökonomie, die seit vielen Jahrhunderten landwirtschaftlich geprägt ist. Der Fokus liegt hier auf den Transformationen der Existenzsicherungssysteme während der vergangenen 30 Jahre.3 Untersucht wird, wie diese sich teilweise auflösen, zunehmend zersplittern und neu formieren.4 Vor diesem historischen Kontext richtet sich der Blick zweitens auf Dynamiken globaler Regionalisierungen. Regionalisierung verstehen wir als konstitutive Prozesse der wirtschafts- und sozialräumlichen Strukturierung, die immer neue Verknüpfungen von Lokalem und Globalem hervorbringen. Beleuchtet werden daher internationale Verflechtungen, die in ihrer Konsequenz die Lebensbedingungen in Marokko strukturieren. Schließlich werden drittens die Konsequenzen gesellschaftlicher Entgrenzung untersucht, und zwar im ländlichen Raum, in Städten und der globalen Diaspora. Die neuen sozialen Landschaften, die das Buch sichtbar macht, zeigen ein Marokko, das durch vielfältige 12

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Aufbrüche charakterisiert ist, und zwar im doppelten Wortsinn: Als Zerbrechen althergebrachter sozialer Zusammenhänge und als Sich-Aufmachen, sich auf den Weg begeben in eine widersprüchliche, unsichere, jedoch auch neue Chancen bietende Zukunft. Zur konzeptionellen Einordnung unserer weiteren Argumentation werden im Folgenden die beiden zentralen Begriffe – Alltag und Mobilität – näher vorgestellt. Den Begriff Alltag beziehen wir auf das Alltagsleben, das im Giddens’schen Sinne weitgehend durch Routinen strukturiert wird (1992). Routinisierung bezeichnet ›die gewohnheitsmäßige, für selbstverständlich hingenommene Natur der großen Masse der Handlungen des Alltagslebens; das Vorherrschen vertrauter Verhaltensstile und -formen, die ein Gefühl der Seinsgewißheit sowohl fördern wie umgekehrt in diesem auch ihren Rückhalt finden‹ (ebd. 431). Routinen sind nach Giddens konstitutiv für die kontinuierliche Reproduktion der Persönlichkeitsstrukturen der Akteure in ihrem Alltagshandeln sowie für die Reproduktion sozialer Institutionen. Für Agrar- und Hirtengesellschaften in Nordafrika ist das scheinbar ‘fraglose Handeln’ in Alltagsroutinen beim Umgang mit dem Land oder den Tieren zentraler Teil der Lebenswelt; diese wiederum ist nach Schütz und Luckmann (2003, 447) ›der Inbegriff einer Wirklichkeit, die erlebt, erfahren und erlitten wird, […] die im Tun bewältigt wird, und die Wirklichkeit, in welcher – und an welcher – unser Tun scheitert‹. In Anlehnung an diese Überlegungen steht im vorliegenden Band die alltägliche Praxis im Mittelpunkt der Betrachtung. Grundlegend für eine dynamische Perspektive von Alltag ist in Anlehnung an Scott (1991) eine konstruktivistische Konzeption von Erfahrung. Lokale MenschUmwelt-Beziehungen werden entsprechend als Prozesse diskursiver Rahmung begriffen (Goffman 1996). Unser Verständnis von Mobilität fügt sich hierin ein. Ausgehend davon, dass unter Mobilität allgemein die Bewegungen von Personen, Waren und Informationen verstanden werden (Urry 2007), legen wir mit dem Begriff ‘Alltagsmobilitäten’ den Akzent auf Bewegungen von Personen, die in der globalen Moderne auf komplexe Weise mit der Zirkulation von Gütern und Ideen verknüpft sind. Wir unterscheiden drei Formen von Alltagsmobilitäten (vgl. Gertel 2002): Erstens die räumliche Mobilität von Individuen und Gruppen, die sich zwischen Orten bewegen. In Marokko wird diese durch Nomaden und Arbeitsmigranten verkörpert, aber auch durch Pendler, Pilger, Touristen und andere Reisende. Zweitens soziale Mobilität, womit Bewegungen von Personen innerhalb und zwischen Gruppen – also Veränderungen von Positionen im gesellschaftlichen Gefüge – angesprochen sind. In Marokko betrifft dies soziale Aufsteiger wie etwa erfolgreiche Unternehmer, aber auch soziale Absteiger wie beispielsweise marginalisierte Bauern und landlose Gelegenheitsarbeiter. Drittens beleuchten wir die vielfältigen Formen mobiler Identitäten; darunter verstehen wir Veränderungen von Selbstkonstruktionen, also die Mög13

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lichkeiten und die Art, wie Personen ihre Biographie zu gestalten vermögen und damit letztendlich ihre Identitätspositionen in einem sich wandelnden gesellschaftlichen Gefüge aushandeln können. Aus dem Zusammenwirken dieser Mobilitätsdynamiken entstehen neue soziale Landschaften. Die unterliegenden Prozesse sind, so zeigen die folgenden Beiträge des Bandes, je nach Person, Gruppe und Region in Marokko unterschiedlich stark ausgebildet. Sie können sich dabei nicht nur auf vielfältige Weise überlagern und kombinieren, sondern auch ambivalente und widersprüchliche Wirkungen entfalten. Entsprechend gehen wir davon aus, dass Bewegungen im Raum und innerhalb sozialer Gefüge komplexe Ursachen haben und unbeabsichtigte Konsequenzen hervorbringen, die nicht folgenlos bleiben. Die aus ihnen hervorgehenden gesellschaftlichen Aufbrüche verändern nicht nur die Identitäten Einzelner, sie wirken auch strukturell und differenzieren Gesellschaften weiter nach Gewinnern und Verlieren aus.

Räumliche Mobilität und neue soziale Landschaften Um räumliche Dimensionen von Alltagsmobilitäten zu verstehen, ist die Frage zentral, was ‘Raum’ in einer globalisierten Welt bedeutet, in einer Welt also, in der räumliche Zusammenhänge und Grenzen zwar vielfach irrelevant zu werden scheinen, gleichzeitig jedoch territoriale Aspekte von Interaktionen neue Bedeutung entfalten. Entsprechende Debatten sind in der Geographie breit geführt worden; sie sind Ergebnis des sogenannten spatial turns in den Kultur- und Sozialwissenschaften und laufen darauf hinaus, Prozesse sozialer Konstruktion von Raum in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Raum gilt nicht mehr als Ding-an-sich (vgl. Werlen 1999); vielmehr wird Raum, da Handlungen und Interaktionen immer eine räumliche Dimension haben, zu einem System von Bezügen, dass durch Handlungen konstituiert ist. Raumproduktionen sind sowohl Mittel als auch Ergebnis strukturierter sozialer Praktiken (Belina/Miggelbrink 2010). Im Sinne von Massey (1999) wird Raum daher als Ergebnis von Interaktionen, als vielfältig (multiplicity) sowie als nie abgeschlossenes Projekt begriffen. Räumliche Mobilität kann, nimmt man diese Prämissen ernst, nicht mehr adäquat als einfache ‘Bewegung von A nach B’ gefasst werden. Vielmehr ist sie als ein Teil der sozialen Prozesse des RaumMachens zu verstehen. Soziale Interaktionen, Konstitution von Erfahrung sowie Identitätskonstruktionen sind damit verkoppelt. Im Gefüge neoliberaler Globalisierung ist räumliche Mobilität demnach auch als Prozessbündel zu begreifen, das sich zunehmend über nationale Grenzen hinweg manifestiert und neue soziale Räume5 hervorbringt. Mit der Identifizierung sozialer Räume treffen Raum- und Kulturkonzepte zusammen. Da wir Kultur als diskursive soziale Konstruktion verstehen, sind 14

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Argumentationen problematisch, bei denen eine Singularität oder die Unverwechselbarkeit einer als homogen definierten ‘Kultur’ konstruiert und ‘fremden’ Betrachtern irreführend als ein scheinbar geschlossenes Wesen einer solchen präsentiert wird (vgl. Lackner/Werner 1999). Daher sperren wir uns gegen eine territoriale Festlegung von Kultur: Im Gegensatz zu Ansätzen, die ‘Kultur’ abgrenzbaren Territorien oder ‘Räumen’ zuordnen (etwa Nationalstaaten), operiert ein konstruktivistisches Kulturverständnis mit einem relationalen Raumkonzept: ‘Raum’ ist wie deutlich wurde nicht vor oder unabhängig von einer ‘Kultur’ einfach ‘da’ und wird auch nicht von ihr wie ein Container ausgefüllt; vielmehr sind sowohl Raum als auch Kultur Resultate sozialer Handlungen (Werlen 1999): Sie werden ‘gemacht’ und ‘produziert’, weshalb es gilt, die zugrundeliegenden Produktionspraktiken zu entschlüsseln und offenzulegen. Die Alltagspraxis ist hier Ansatzpunkt; sie wird durch Prozesse der Globalisierung zunehmend verändert.6 Da der Begriff der Globalisierung7 oft durch ein weitreichendes, nur vage definiertes Bedeutungsspektrum charakterisiert bleibt und die Reduktion auf eine einzige Theorie der Globalisierung kaum sinnvoll erscheint (Engel/Middell 2010), ist eine Festlegung der analytischen Perspektive gefordert. Korrespondierend zu Giddens’ (1990) Ausführungen in Konsequenzen der Moderne wird hier der Referenzpunkt von Globalisierungsprozessen im Gegenstand konkreter sozialer Beziehungen verortet; sie sind es, die wir als von Globalisierungsprozessen betroffen betrachten möchten, und zwar auch im Hinblick auf räumliche Auswirkungen. Vor diesem Hintergrund sind drei Vorgänge herauszustellen, die bei einer Analyse der Alltagspraxis räumlicher Mobilität zu beachten sind:8 Lokale Alltagssituationen werden, so Giddens (1990), immer stärker durch äußere Einflüsse und Entwicklungen von räumlich und zeitlich distanzierten Positionen mitbestimmt (time-space-distanciation). Ausschlaggebend ist dabei, dass diesem Vorgang vielfältigste Ursachenbündel zugrunde liegen, so beispielsweise technologische Entwicklungen bei Transport und Kommunikation oder etwa auch die historische Ausbreitung der Geldwirtschaft (vgl. Harvey 1989, der von time-space compression spricht). Somit kann eine Analyse der Praxis ländlicher Existenzsicherung nicht mehr auf kleinräumige, territorial abgrenzbare agrarische Zonen oder Siedlungsgebiete beschränkt bleiben, sondern muss gegebenenfalls aus einer historischen Perspektive auch weltweite Ursache-Wirkungs-Ketten beleuchten, die lokale Situationen zunehmend konditionieren. Zudem kommt es durch Globalisierungsvorgänge zur Heraushebung und Entankerung (disembedding) von sozialen Beziehungen aus lokalen Kontexten, was impliziert, dass das Moment der Kopräsenz, die Anwesenheit aller Akteure, bei der Konstruktion von Erfahrung und der Gestaltung des Alltags zunehmend an Bedeutung verliert. Entankerungsprozesse bringen weitere gesellschaftliche Transformationen hervor; sie verlaufen allerdings nicht nur in eine Richtung, sondern es kommt in ihrem Nachgang auch zu neuen ‘Verankerungen’, was wiederum auf die Gestaltung 15

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des Alltags einwirkt. Hieraus leitet sich ab, dass die lokale Ebene, auf der die skizzierten Prozesse wirksam werden, zentraler Ansatzpunkt der hier präsentierten Forschungsergebnisse ist. Drittens sind die Prozesse der Globalisierung schließlich durch den veränderten Charakter der Reflexivität (reflexivity) gekennzeichnet. Infolge der Systematisierung und Institutionalisierung der Wissensproduktion sowie deren Rückkopplung mit der Praxis wird der Alltag etwa von Bauern und Nomaden immer stärker durch die Wissensproduktion selbst verändert. So haben beispielsweise Pläne oder Berechnungen von staatlichen Institutionen ganz konkreten Einfluss auf die Entwicklung des ländlichen Raums. Gefordert sind somit Analysen, die an der jeweiligen lokalen Situation ansetzen, hiervon ausgehend die ökonomischen, kulturellen und politischen Verflechtungszusammenhänge – gegebenenfalls bis hin zur globalen Ebene – beleuchten und zudem die interessengeleiteten Aushandlungsprozesse von Bedeutungen innerhalb gesellschaftsstrukturierender Diskurse thematisieren. Wie anhand des Begriffes der Entankerung bereits deutlich wurde, ist Erfahrung-Machen immer weniger an Situationen der Kopräsenz – an die Anwesenheit der Akteure vor Ort, an eine lokale Situation – gebunden. Massenmigration und Massenmedien führen einerseits zur Entstehung neuer Diasporas (etwa ‘Berber’/‘Amazigh’ in Frankreich), zu so genannten ‘transnationalen sozialen Räumen’ (Faist 2000, Pries 2001) und anderseits zur globalen Verbreitung von (standardisierten) Bildern und Images, die die Bedingungen des Erfahrung-Machens grundlegend verändern. Individuen, die sich niemals in face to face-Kontakten begegnen, beginnen sich beispielsweise als Marokkaner oder Berber/Amazigh zu denken. Im Zusammenhang kultureller Differenzierungsvorgänge sind es die Prozesse der De- und Reterritorialisierung von Interaktionen, die uns besonders interessieren. Appadurai (1996) greift diesen Zusammenhang aus einer anderen Perspektive auf: Innerhalb der gegenwärtigen globalen Ökonomie komme es, so seine These, zu grundlegenden Entkopplungen zwischen Ökonomie, Kultur und Politik. Für die Analyse dieser Dynamiken entwickelt er – alternativ zur Ortsgebundenheit von Interaktionen – das Konzept (neuer) sozialer Landschaften. Der Begriff Landschaft wird zur Metapher: Landschaft bezeichnet nicht mehr ein bestimmtes abgrenzbares Territorium, sondern Dimensionen kultureller Flüsse, die aus Konstruktionen unterschiedlicher Akteure mit ihrer je spezifischen Geschichte hervorgehen.9 Das individuelle Subjekt wird als grundlegende Instanz und die Imagination als zentrale soziale Praxis der Ausgestaltung entterritorialisierter sozialer Räume identifiziert. Appadurai entwirft somit ein neues Raumkonzept, bei dem Interaktionsräume keine territoriale Festschreibung mehr erfahren. Dies impliziert, dass das ‘Lokale’ neu gedacht werden kann; der Begriff konnotiert eben nicht mehr allein Peripherie (in dem Sinne, dass das Lokale im gesellschaftlichen Machtgefüge eine Marginalie darstellt) und er ist auch nicht mehr an eine territoriale Einheit (an ein dort) 16

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gebunden, vielmehr umfasst das Lokale alltägliche Handlungsvollzüge, die sich – eben auch im Zentrum der Macht und gleichzeitig an unterschiedlichen Orten – über Netzwerke sozialer Beziehungen definieren, welche im Wesentlichen aus Vorstellungen, aus Imaginationen, hervorgehen (vgl. Gertel 2002). Ein zentraler Mechanismus der ‘Produktion des Lokalen’ in alltäglichen Handlungsvollzügen ist im Zusammenhang neuer sozialer Landschaften die anhaltende Konstruktion von Heim und Heimat. Dem In-Bewegung-Sein im Kontext räumlicher Mobilität steht das Verankert- und das Eingebunden-Sein im Hier und Jetzt gegenüber. Heim und besonders Heimat haben vielschichtige Bedeutungen (Blunt/Dowling 2006): Heim/at kann der Ort sein, an dem wir leben, ein Haus oder Gebäude, das Land, die Stadt oder eine Region, in der wir aufwachsen oder die uns nahe steht. Als Heimat kann auch eine Landschaft oder eine Person empfunden werden (Mallett 2004). Hieraus ergeben sich Fragen nach der Referenz unserer Erfahrungen: ob etwa die Produktion von Heim/at sich auf einen Ort, ein Gefühl, eine Routine oder sich auf ein aktives In-der-Welt-Sein bezieht. Alle Kombinationen scheinen möglich. Wir verstehen Heim/at daher als materiellen und imaginativen Ort, als Schnittstelle zwischen Raum, Macht und Identität. Räumliche Mobilität impliziert nach unserem Verständnis eine Suche nach bzw. eine Produktion von Heim/at. Räumliche Mobilität verändert daher auch das soziale Gefüge und die Prozesse der Identifikation.

Soziale Mobilität und neue soziale Landschaften Im Mittelpunkt von Analysen sozialer Mobilität steht die Untersuchung von Veränderungen sozialer Positionen im gesellschaftlichen Raum. Bourdieu hat hierzu seit den 1960er Jahren einschlägige Arbeiten vorgelegt und die Bedeutung von Vermögensstrukturen und Kapitalien, über die einzelne Akteure jeweils verfügen, aufgezeigt: »Da der soziale Raum [...] hierarchisch angeordnet ist – vom höchsten Umfang des Gesamtkapitals zum geringsten auf der einen, von der dominanten Kapitalsorte zur dominierten auf der anderen Seite – sind zwei Formen von Verlagerungen in ihm möglich, die von den herkömmlichen Mobilitätsuntersuchungen vermengt werden, obwohl sie keineswegs äquivalent und sehr ungleich wahrscheinlich sind; zunächst die – absteigenden oder aufsteigenden – Vertikalverlagerungen innerhalb desselben vertikalen Raumsektors, d.h. innerhalb desselben Feldes [...]; dann die Transversalverlagerungen, die den Übergang von einem Feld zum anderen implizieren [...]. Die häufigeren Vertikalverlagerungen setzen lediglich eine Änderung im Umfang der innerhalb der Vermögensstruktur bereits dominanten Kapitalsorte voraus [...], folglich eine Verlagerung im Rahmen der Verteilungsstruktur des Gesamtkapitalvolumens, die als Verlagerung innerhalb der Grenzen eines spezifischen Feldes [...] Ge17

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stalt gewinnt. Ausgangsbedingung der Transversalverlagerungen dagegen ist der Übergang in ein anderes Feld, mit anderen Worten die Umstellung von einer Kapitalsorte oder einer Unterart ökonomischen oder kulturellen Kapitals auf eine andere, [...] folglich eine Transformation der Vermögensstruktur als Vorraussetzung für die Wahrung ebenso des Gesamtkapitalvolumens wie der Position auf der vertikalen Dimension des sozialen Raums.« (Bourdieu 1992, 220, Hervorhebungen im Original).

Bourdieus Ideen entfalten erhebliche Relevanz für die Untersuchung gegenwärtiger sozialer Prozesse im Globalen Süden: Sie verweisen auf Fragen der Existenzsicherung und der sozialen Sicherheit, womit Analysen von Kapitalbzw. Ressourcenausstattung einzelner Haushalte in den Mittelpunkt rücken (Dörfler et al. 2003; Gertel 2007a; Breuer 2007). Ansätze zur Existenzsicherung und Livelihood-Konzepte sowie zu Verwundbarkeit und Risiken gehen hieraus hervor (Gertel 2007b). In Anlehnung an Giddens argumentieren wir im Folgenden, dass der Zugang und die Verfügung über Ressourcen die Voraussetzung zum Handeln schaffen, erst damit also Veränderungen sozialer Positionen im gesellschaftlichen Gefüge möglich werden. Doch Ressourcen alleine sind nicht ausreichend, um konkrete soziale Strukturen zu bestimmen: Es sind immer auch Regeln daran beteiligt, soziale Praktiken auszubilden und zu reproduzieren (vgl. Giddens 1995). Bourdieus Arbeiten zu sozialem und kulturellem Kapital (1983) sind hierzu komplementär. Er führt aus: »Die Reproduktionsstrategien, [...] mit deren Hilfe die Individuen und Familien unbewusst oder bewusst ihren Besitzstand zu erhalten oder zu mehren und parallel dazu ihre Stellung innerhalb der Struktur der Klassenverhältnisse zu wahren und zu verbessern suchen [...], bilden ein Ganzes. Vermittelt über die Einstellung zur Zukunft, die ihrerseits durch die objektiven Reproduktionschancen der Gruppe determiniert ist, sind diese Strategien zunächst abhängig von Volumen und Struktur des zu reproduzierenden Kapitals, bzw. vom aktuellen wie potentiellen Umfang des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals der Gruppe sowie vom relativen Gewicht jeder Kapitalsorte im Rahmen der Vermögensstruktur; sie hängt zum zweiten ab von der Verfassung des Systems der institutionalisierten wie nicht-institutionalisierten Reproduktionsinstrumente (Stand der Nachfolgebräuche und des Erbrechtes, des Arbeitsmarktes, des Schulsystems, etc.).«

Um Situationen der Existenzsicherung und entsprechende Handlungsstrategien zu beschreiben, hat Gertel (1997, 2002, 2010a) vor diesem Hintergrund eine Ressourcenkonzeption entworfen, die vier Kategorien unterscheidet: inkorporierte Ressourcen, die an den Körper gebunden sind; sozial institutionalisierte Ressourcen, die aus sozialen Beziehungen hervorgehen; allokative Ressourcen, die auf Eigentumsrechten beruhen; sowie monetäre Ressourcen, die etwa als Bargeld ohne große Schwelle leicht zwischen Personen ausgetauscht

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werden können. Diese Betrachtungsperspektive bietet mehrere Vorteile. So erschließt sich durch die Denkfigur des Giddens'schen Strukturbegriffs – Struktur als rekursiv organisierte Menge von Regeln und Ressourcen – der Zusammenhang von (individuellen) Handlungen und (sozialer) Struktur auf der konzeptionell-empirischen Ebene: Ressourcen sind durch entsprechende Indikatoren in der Praxis erfassbar (Breuer 2007, Gruschke 2009, Gertel 2010a, Sippel 2011), womit die Bedingungen greifbar werden, die die Handlungsmöglichkeiten der Akteure erst generieren. So gelingen Einblicke in Mechanismen, die den Umgang mit Ressourcen bestimmen, wie etwa Akkumulation, Konvertierung oder Aneignung sowie Nutzbarmachung durch Dritte. Auf Grundlage dieses Konzeptes werden soziale Dimensionen von Alltagsmobilitäten – Veränderungen von sozialen Positionen im gesellschaftlichen Gefüge – empirisch greifbar und können anhand einer Analyse quantitativer und qualitativ-struktureller Verschiebungen und Veränderungen von Ressourcenportfolios, über die einzelne Haushalte oder Individuen verfügen, sichtbar gemacht werden. Zudem ermöglicht es das Konzept, Prozesse, die die Bedingungen der Existenzsicherung strukturieren, in ihren konkreten Auswirkungen detailliert zu verfolgen: Es legt offen, wie gesellschaftliche Entwicklungsprozesse sich in Dynamiken konkreter Ressourcenverfügbarkeiten und letztendlich auch im körperlichen Befinden von Individuen niederschlagen. In diesem Sinne begreifen wir in Alltagsmobilitäten Ressourcen sowie deren Zugangsund Umgangsbedingungen als grundlegend für Prozesse sozialen Auf- und Abstiegs, und menschliche Körper, die beispielsweise von Ausbeutung, Hunger und Gewalt, aber auch von Fehl- und Überernährung gekennzeichnet sind, als letzte Instanz des gesellschaftlichen Raums.

Mobile Identitäten und neue soziale Landschaften Mobile Identitäten als konstitutiver Aspekt der Entstehung neuer sozialer Landschaften sind bislang vor allem im Rahmen der Cultural Studies beachtet und theoretisiert worden.10 Stuart Hall beschäftigt sich explizit mit der Frage der kulturellen Identität unter den Bedingungen der Moderne (1992). Seine grundlegende These lautet, dass eine ‘Krise der Identität’ die wichtigsten Strukturen und Prozesse moderner Gesellschaften verschiebt und auch jene Handlungsrahmen, die Individuen in der sozialen Welt verankern, unterminiert. Er argumentiert, dass ein spezieller Typ strukturellen Wandels die Gesellschaften transformiert: nämlich die zunehmende Fragmentierung kultureller Landschaften von Klasse, Geschlecht, Sexualität, Ethnizität, Rasse und Nationalität, die uns als soziale Individuen bislang feste Orte in der Gesellschaft zuwiesen. Diese Fragmentierungen verändern persönliche Identitäten und untergraben unsere Wahrnehmung von uns selbst als integrierte Subjekte. Der Verlust der stabilen 19

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‘Wahrnehmung des Selbst’ wird als Ent-Ortung oder De-Zentrierung des Subjektes bezeichnet. Dieses Set der doppelten Verrückung – die Dezentrierung von Individuen von ihrem Platz in der sozialen und kulturellen Welt und von sich selbst – löst demnach die ‘Krise der Identität’ aus. Hall bindet den strukturellen Wandel, der diese Krise verursacht, an die späte Moderne zurück und belegt ihn mit dem Begriff Globalisierung (ebd. 277). Im Rückgriff auf Giddens (1990) und Harvey (1989) stellt er die Geschwindigkeit und das Ausmaß der strukturellen Transformationen in der Moderne, die anhaltenden Brüche mit den vorherigen Bedingungen sowie die Verschiebung und Vervielfachung gesellschaftlicher Machtzentren als die wichtigsten Diskontinuitäten heraus, die die Globalisierung prägen. Der Zusammenhang zwischen Identitätskrisen und dem strukturellen Wandel moderner Gesellschaften ist dabei nicht einfach ein Zusammenhang von Ursache und Wirkung; deutlich ist entsprechend Halls Argumentation vielmehr allein ihre zunehmende Verschränkung und ihre gegenseitige Rückkopplung im zeitlichen Verlauf der Moderne. Die Zentrierung des Subjektes (Erfindung des aufgeklärten autonomen Individuums) und seine Dezentrierung (Fragmentierung des Individuums) hat weitreichende Konsequenzen: Handelnde Subjekte der späten Moderne werden von Hall so verstanden (und verstehen sich teilweise auch selbst so), dass sie keine stabile Identität (mehr) haben, sondern sich aus mehreren auch widersprüchlichen und unvollständigen ‘Identitäten’ konstituieren. Die Prozesse der Identifikation sind damit offen, variabel und ambivalent und werden teilweise als solche gelebt. Gleichzeitig wird fortwährend an der Illusion der Fortschreibung einer Einheit des Selbst gebaut.11 Akteure greifen dabei auf erinnerte Erfahrungen zurück (die verankert und strukturiert sind durch die vereinheitlichende Erzählung ‘von sich selbst’ – dem ›narrative of the self‹ – Hall 1992, 277), transportieren diese kontextabhängig in Interaktionen, selektiv nach außen und schreiben das so imaginierte Selbst in der Zeit fort. Entsprechend dieser Argumentation werden Aufbrüche im Selbstverständnis und in der Lebenswelt von Nomaden oder Bauern empirischen Untersuchungen zugänglich. Scott führt zur Konstruktion von Erfahrungen aus: »Treating the emergence of a new identity as a discursive event is [...] to refuse a separation between ‘experience’ and language and to insist instead on the productive quality of discourse. Subjects are constituted discursively, but there are conflicts among discursive systems, contradictions within anyone of them, multiple meanings possible for the concepts they deploy. And subjects do have agency. They are not unified, autonomous individuals exercising free will, but rather subjects whose agency is created through situations and statuses conferred on them. Being a subject means being ‘subject to definite conditions of existence, conditions of endowment of agents and conditions of exercise’. These conditions enable choices, although they are not unlimited.« (Scott 1991, 793) 20

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Korrespondierend zu Scott sind drei miteinander verkoppelte Aspekte für den Zusammenhang von ‘Erfahrung-Machen’ und (mobilen) Identitätskonstruktionen bedeutsam: der Diskursbegriff, die These der diskursiven Konstruktion der Subjekte und der ressourcen- und regelabhängige Handlungsspielraum der Akteure. Zunächst ist festzuhalten, dass der Begriff des Diskurses maßgeblich von Foucault geprägt wurde (1993). Foucault interessiert die Modernisierung als Prozess von Disziplinierungen. Unter Diskurs subsumiert er jeden sprachlichen Akt und geht davon aus, dass die Produktion der Diskurse in jeder Gesellschaft durch vielfältige Prozeduren kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird. Hierzu zählt er die Prozeduren der Ausschließung (das verbotene Wort, die Ausgrenzung des Wahnsinns, der Wille zur Wahrheit) sowie interne Prozeduren, die Zufälle beherrschbar machen sollen und die Verknappung der sprechenden Subjekte (durch Rituale des Sprechens, Diskursgesellschaften und Doktrinen). Gemeinsam komme ihnen die Aufgabe zu ›die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen‹ (ebd. 11). Diskurse sind somit heterogene sprachliche Akte, die nicht auf einen einzigen Autor zurückgehen. Sie stellen jedoch auch keine frei fließenden Konstruktionen dar, sondern sind immer in die Gesellschaft eingebunden, oft institutionell verankert und haben materielle Entsprechungen. Ihre Bedeutung besteht gerade auch darin, den Zugang zu Ressourcen zu strukturieren. So beinhaltet beispielsweise die Frage: ‘Was bedeutet die Landwirtschaft für die Zukunft Marokkos?’ die Problematisierung der Art und Weise, wer bei der Beantwortung überhaupt zu Wort kommt (etwa Nomaden, Wissenschaftler oder Bürokraten), wer für wen spricht (beispielsweise Männer für Frauen, Alphabeten für Analphabeten), wer die Möglichkeiten hat Begriffe und Themen zu definieren, um bestimmte Ausschnitte der Praxis zu repräsentieren (etwa durch die Institutionalisierung von Expertisen). Zu untersuchen ist nicht zuletzt, wie die entsprechende Autorität sprachlich kodiert und inhaltlich perpetuiert wird (etwa durch Programme zur Sesshaftmachung von Nomaden). Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass Handelnde unabdingbar in vielfältige oft auch widersprüchliche diskursive Systeme eingebunden sind und durch diese (mit-)konstituiert werden. Erfahrungen werden nicht einfach in einem neutralen Feld gemacht, sondern sind durch jeweils spezifische traces of domination12 geprägt, wobei die konkrete Subjekt-Position als Ergebnis diskursiver Aushandlungsvorgänge zu verstehen ist. Scott formuliert ihr analytisches Projekt entsprechend programmatisch: »Make visible the assignment of subject-positions [...] [is] trying to understand the operations of the complex and changing discursive processes by which identities are ascribed, resisted, or embraced, and which processes themselves are unremarked and indeed achieve their effect because they are not noticed« (1991, 792). 21

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Akteure sind Diskursen jedoch nicht ohne weiteres ausgeliefert. Obwohl sie in konkrete Bedingungen (conditions) eingebunden sind (Scott 1991, 793), verfügen sie über Handlungspotenzial (agency), das ihnen Wahlmöglichkeiten eröffnet, selbst wenn diese nicht unbegrenzt sind. Es ist dieser Aspekt, der eine zentrale Schnittstelle in der Argumentation von Scott (1991) und Giddens (1995) markiert: Beide binden das Vermögen zu Handeln an den Zugang zu Ressourcen zurück.13 Festzuhalten ist demnach, dass die extern wie intern konditionierten Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen Handlungspotenziale einzelner Akteure gestalten. Der Ort, an dem sich die variablen Zugriffsmöglichkeiten auf materielle und immaterielle Ressourcen im Kontext diskursiver Aushandlungsvorgänge immer wieder neu verzahnen, ist das handelnde Individuum in seiner Körperlichkeit. Hiervon ausgehend artikuliert sich entsprechend der Spielraum bei der Interpretation von Erfahrung und Identität: Im Gefolge von Globalisierungsvorgängen brechen, wie diese Ausführungen verdeutlichen, auch für die Bewohner der scheinbar periphersten Orte wie der Bauern und Nomaden, von denen in diesem Buch die Rede sein wird, die Bedingungen des Erfahrung-Machens und damit der Konstruktion der eigenen Biographie zunehmend auf; sie sind Ergebnis lokal und global konstituierender materieller wie diskursiver Einflüsse.

Regionale Geographien und Situated Knowledge Im Mittelpunkt dieser einleitenden Positionierung stehen die Bedingungen der Wissensproduktion und die daraus hervorgehende Erklärungsreichweite unserer Analysen. Die hier vorgelegten Studien beruhen auf empirischen Erhebungen vor Ort. Im Gegensatz zur meist aussagelosen Informationsflut im Informationszeitalter, das sich oft durch Unklarheit der Produktionsbedingungen auszeichnet, steht im Folgenden das kontextbezogene Wissen (situated knowledge) im Vordergrund (Haraway 1988, Harding 1992). Dieses Wissen ist im Gegensatz zu scheinbar objektiven Wissenschaftspositionen immer partiell und subjektiv, allerdings ist die Wissensproduktion verortbar und der Autor verantwortlich für die von ihm repräsentierten Inhalte. Haraway führt aus: »The knowing self is partial in all its guises, never finished, whole, simply there and original; it is always constructed and stitched together imperfectly, and therefore able to join another, to see together without claiming to be another. Here is the promise of objectivity: a scientific knower seeks the subject position, not of identity, but of objectivity, that is partial connection. There is no way to ‘be’ simultaneously in all, or wholly in any, of the privileged (i.e. subjugated) positions structured by gender, race, nation, and class. And that is a short list of critical positions«. (1988, 575) 22

ALLTAGSMOBILITÄTEN

Bezogen auf die Repräsentation der sozialen Wirklichkeit in Marokko impliziert dies, dass die Betroffenen eines globalisierten Alltags nicht per se auch am Besten imstande sind, ihre Situation zu erklären. Haraway wendet sich entsprechend gegen eine vereinfachende Sichtweise, die in den Marginalisierten unproblematisch auch die geeignetesten Sprecher sieht: »The standpoints of the subjugated are not ‘innocent’ positions. On the contrary, they are preferred because in principle they are least likely to allow denial of the critical and interpretative core of all knowledge. They are savvy to modes of denial through repression, forgetting, and disappearing acts – ways of being nowhere while claiming to see comprehensively. [...]. ‘Subjugated’ standpoints are preferred because they seem to promise more adequate, sustained, objective, transforming accounts of the world. But how to see from below is a problem requiring at least as much skill with bodies and language, with the mediations of vision, as the ‘highest’ techno-scientific visualizations. But the alternative to relativism is not totalization and single vision […]. The alternative to relativism is partial, locatable, critical knowledges sustaining the possibility of webs of connections called solidarity in politics and shared conversations in epistemology. This […] is an argument for situated and embodied knowledges and against various forms of unlocatable, and so irresponsible knowledge claims. Irresponsible means unable to be called into account«. (1991, 183f.)

Es ergibt entsprechend wenig Sinn, auf die vermeintliche Authentizität eines lokalen Sprechers zu vertrauen, vielmehr gilt es in jedem Fall auszuweisen, aus welcher Position wer mit welchen normativen Annahmen über welche Realität Aussagen trifft. Authentizität, verstanden als die räumliche Anwesenheit und soziale Eingebundenheit eines Sprechers, ist demnach kaum ein aussagekräftiges Kriterium, um über die Sicherheit von Aussagen zu befinden. Zum einen liegt dies im dualistischen Charakter des semantischen Begriffsfeldes begründet, das lediglich ein entgegengesetztes Oppositionspaar hervorbringt: Eine Aussage lässt sich nicht darauf reduzieren entweder authentisch (richtig und wahr konnotierend) oder nicht-authentisch (falsch und unwahr konnotierend) zu sein. Aussagen sind immer gewichtet, werden von bestimmten Positionen aus gemacht und sind mit Interessen verbunden, oft auch unausgesprochenen. In einem globalisierten Alltag kann jemand räumlich abwesend sein, gleichzeitig jedoch Zugang zu einer Vielzahl von Informationen haben und damit andere – eventuell sogar umfassendere – Aussagen treffen, als vermeintlich ‘authentische’ lokale Berichterstatter. Dies muss jedoch dahingehend eingeschränkt werden, dass in Situationen der Kopräsenz die Auswirkungen von eigenen Aussagen unmittelbar und in letzter Instanz körperlich erfahren werden, und da die Akteure darum wissen, werden Aussagen eventuell bereits anders formuliert und auch andere Inhalte repräsentiert. Umgekehrt bleiben abwesende Berichterstatter von der Unmittelbarkeit der All23

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tagsrealität entkoppelt und werden dementsprechend andere Aspekte in ihren Aussagen betonen (vgl. Gertel 2010a). Vor diesem Hintergrund treten die Autoren in dieser Edition an, aus ihrer Expertise heraus regionale Geographien zu schreiben. Sie bringen dabei nicht nur kontextbezogenes Wissen ein, sondern waren auch an der auf Erfahrungen beruhenden Konstruktion des empirischen Materials, das den Beiträgen zu Grunde liegt, in vielerlei Hinsicht beteiligt, sind in dieses also ‘verwickelt’ und damit konstitutive Bestandteile der Wissensproduktion; einer Wissensproduktion, die immer nur auszugsweise und subjektiv sein kann, für die sie als Autoren jedoch ‘objektiv’ einstehen.

Marokkanische Alltagsmobilitäten Alltagsmobilitäten untersucht vor diesem Hintergrund die Mobilitätsprozesse, die Marokko gegenwärtig, unter den Bedingungen neoliberaler Globalisierung, schnell und tiefgreifend verändert. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Lebenswelten aufbrechen und neue soziale Landschaften entstehen. Drei Dynamiken werden dabei beleuchtet: Räumliche Mobilitäten als Bewegungen von Personen sowie von Gütern und Ideen. Soziale Mobilitäten in Gestalt der Ausbildung neuer gesellschaftlicher Positionen, also Prozesse des sozialen Auf- und Abstiegs. Und schließlich mobile Identitäten, die sich auf ‘individueller Ebene’ in flexiblen Subjektpositionen manifestieren. Wir gehen davon aus, dass lokale Lebensbedingungen immer weniger allein vor Ort gemacht, sondern zunehmend durch (räumlich) weit entfernte und (sozial) distanzierte Akteure beeinflusst werden: Prozesse wie beispielsweise strukturelle Veränderungen städtischer Arbeitsmärkte, Aushandlungen globaler und nationaler Agrar- und Handelspolitiken, Praktiken europäischer Abnehmer von Agrargütern, Initiativen der globalen marokkanischen Diaspora sowie die Ausbreitung der Internetnutzung – sie alle wirken in die unterschiedlichsten Lebenswelten hinein und bringen neue soziale Landschaften hervor. Alltagsmobilitäten gliedert sich in drei Teile: Untersucht werden die historischen Prozesse und gegenwärtigen Konsequenzen der Fragmentierung einer lokalen Agrargesellschaft; die Dynamiken globaler Einbindungen marokkanischer Lebenswelten in weltweite Zirkulations- und asymmetrische Austauschsysteme; sowie schließlich die Konsequenzen der Entgrenzung in ihrer diskursiven Verfasstheit und korrespondierenden Materialität. Der erste Teil des Buches beleuchtet Veränderungen und Aufbrüche ländlicher Lebenswelten. Er bezieht sich auf ein exemplarisches Untersuchungsgebiet, und zwar auf Asni, eine Gemeinde an der Nordabdachung des Hohen Atlas. Aufgrund der Lage an der Schnittstelle verschiedener Entwicklungsräume – peripheres Hochgebirge, jedoch relativ stadtnah an Marrakech gelegen; traditionelles Stammesgebiet, das allerdings massiv durch landwirtschaftliche Moder24

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nisierung, internationalen Tourismus sowie Infrastrukturausbau geprägt ist – repräsentiert Asni auf kleinstem Raum viele der gegenwärtigen Entwicklungsdynamiken Marokkos und bietet somit die Möglichkeit, Veränderungsprozesse, die das ländliche Marokko erfassen, exemplarisch wie unter dem Brennglas zu beobachten. Wir beginnen mit einem Rückblick auf die Situation der 1980er Jahre. Drei Beiträge werfen Schlaglichter auf die damalige Verfasstheit der lokalen Lebenswelten: auf die Struktur der traditionellen Gesellschaft, die Weidewirtschaft mit ihrem System kollektiver Landnutzung sowie auf die Anfänge landwirtschaftlicher Modernisierung. Zu Beginn präsentiert Mohammed Mahdi eine soziologische Analyse der lokalen Gesellschaft, der Tachelhayt-sprachigen Stammeskonförderation der Rheraia. Entlang kollektiver Rituale wie dem Tanz zeigt er, wie bei den Rheraia Autoritätsbeziehungen zwischen sozialen Gruppen ausgehandelt und Grenzlinien zwischen Generationsgruppen sowie zwischen den Geschlechtern reproduziert und austariert wurden. Daran anknüpfend untersucht Hassan Rachik die Rolle gemeinschaftlicher Landnutzungsformen für die Weidewirtschaft; er zeigt, wie die mobile Tierhaltung in ein komplexes soziales System eingebunden war, das Ressourcenzugänge dynamisch und flexibel im Hinblick auf den Ausgleich lokaler und übergeordneter Machtbalancen regelte. Im dritten Beitrag beleuchtet Mohammed Mahdi – nun auf die Bauern bezogen – die Anfänge der marktorientierten Landwirtschaft, die das lokale Agrarsystem bis heute dominiert. Im Mittelpunkt steht die Konversion von subsistenzorientiertem Getreideanbau zu marktorientierter Obstproduktion. Mahdi beschreibt diesen Übergang als langen und mit Rückschlägen behafteten Prozess des Experimentierens und der Innovation, der zunächst von risikofreudigen lokalen Akteuren getragen und nach und nach von der Mehrheit adaptiert wurde. Vor diesem Hintergrund liefern die darauf folgenden fünf Beiträge Einblicke in die gegenwärtige Situation der Gemeinde Asni und analysieren aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven Aufbrüche, die das Agrarsystem seit den 1980er Jahren durchlaufen hat. Diese Untersuchungen gehen auf eine empirische Studie zurück, die die Herausgeber gemeinsam mit Mohammed Mahdi, Hassan Rachik und Najib Akesbi 2009 in Asni durchgeführt haben. Im ersten Beitrag diskutieren Ingo Breuer, Jörg Gertel, David Kreuer und Johannes Frische die aktuellen Dynamiken und Strukturen der lokalen Landwirtschaft entlang der Frage nach den Grenzen agrarischer Existenzsicherung. Sie konstatieren, dass die Entwicklung der kommerziellen, marktorientierten Agrarproduktion zwar selektiv neue Chancen eröffnet hat, auf struktureller Ebene jedoch hohe soziale Kosten verursacht. So bringt die einseitige Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion auf liberalisierte Märkte neue Abhängigkeiten und Risiken hervor, untergräbt lokale Institutionen und Sicherungsmechanismen und führt zu einem Kontrollverlust der Bevölkerung über die eigenen Lebenszusammenhänge. 25

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In den nachfolgenden vier Beiträgen werden einzelne Aspekte aktueller Transformationen vertiefend betrachtet. Mohammed Mahdi und Pablo Dominguez untersuchen, wie die Moderne auf den Hochweiden der Rheraia Einzug hält, und zwar insofern, dass die Weiden in ein globalisiertes und zunehmend komplexes Konfliktfeld konkurrierender Interessen geraten. Sie demonstrieren, wie Konflikte zwischen individuellen Viehzüchtern, Strategien staatlicher Institutionen, nationalen NGOs und internationalen Investoren an die Stelle der von Hassan Rachik beschriebenen lokal eingebetteten Aushandlungen durch Dorf- und Verwandtschaftsgruppen treten. Sie zeigen, wie dies schließlich in brachial anmutende, jedoch konkrete Pläne mündet, die fast 3.000 m hoch gelegenen Weiden in eine Ski-, Golf- und Shoppingdestination für den internationalen Jet-Set zu verwandeln. Daran anschließend präsentieren Ingo Breuer und Jörg Gertel ein für den ländlichen Raum Marokkos tiefgreifendes, bislang oft übersehenes und in seinen Konsequenzen kaum verstandenes Phänomen: die Bedeutung ländlicher Lohnarbeit. Zunehmend wird die Arbeitskraft kommerzialisiert und als ‘Ware’ in monetarisierte Verwertungs- und Lebenszusammenhänge eingebunden. Lohnarbeit ist im ländlichen Marokko zwar nicht neu; völlig neu ist jedoch die Unausweichlichkeit, mit der großen Bevölkerungsgruppen die selbstständige Teilhabe an agrarischer Existenzsicherung entzogen wird und diese sich alternativlos in einem besonders krisenbehafteten Segment der marokkanischen Ökonomie – den Märkten für niedrigqualifizierte manuelle Arbeit – ‘eingekapselt’ wiederfinden. Den sozialen Konsequenzen dieser Veränderungen widmet sich der Beitrag von Ingo Breuer, der eine Analyse von Bruchlinien sozio-ökonomischer Fragmentierungsprozesse vorlegt: Wenigen Aufsteigern, die durch die neue Marktorientierung in der Landwirtschaft oder im Tourismus Sicherheit erlangen konnten, so konstatiert er, steht eine wachsende Gruppe Marginalisierter gegenüber: Landlose, Ungebildete und Gelegenheitsarbeiter; diese bilden eine neue Unterschicht, deren Zukunft ungewiss ist. Jörg Gertel konfrontiert vor diesem Hintergrund die globalisierten Projektionen von Besuchern mit denen der lokalen Bewohner. Asni war nicht nur Drehort für Scorseses Tibetfilm Kundun, was cineastisch bis heute nachwirkt, es beherbergt auch exklusive und hochpreisige Hotels, die ortsfremde Akteure zu den Rheraia transportieren. Seine Analyse beleuchtet die strukturellen Verflechtungen ihrer Lebenswelten, zeigt jedoch die Ambivalenz räumlicher Nähe bei gleichzeitiger sozialer Distanz auf und interpretiert im Kontext von Simulakren – der wachsenden Referenzlosigkeit der Zeichen – die Schwellen, die Übertritte in andere Welten verhindern. Der zweite Teil der Edition beschäftigt sich mit Dynamiken globaler Regionalisierungen und damit mit denjenigen Prozessen wirtschafts- und sozialräumlicher Strukturierung, die immer neue Verknüpfungen von Globalem und Lokalem hervorbringen: Handlungen, die territorial weit voneinander entfernt liegen können, wirken zusammen und entfalten neue ‘marokkanische’ Raum26

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strukturen. Drei Aspekte stehen im Mittelpunkt dieses Teils: Erstens die durch Freihandelsabkommen und eine neue Agrarpolitik vorgezeichnete Liberalisierung, Weltmarktöffnung und Deregulierung des marokkanischen Agrarsektors inklusive der weitreichenden Öffnung für Importe etwa von Getreide; zweitens die Einbindung der Agrarproduktion in global verflochtene Warenketten, die immer komplexeren Regulationen unterliegen und neue Formen von Grenzziehungen bedingen; und drittens die bereits seit den 1990er Jahren spürbaren Verschiebungen von Export- und Importstrukturen sowie der Position (und Selbst-Positionierung) Marokkos in der Weltwirtschaft. Najib Akesbi befasst sich mit der weiteren Liberalisierung des marokkanischen Agrarsektors durch den so genannten Plan Maroc Vert. Nach einem Überblick über die politischökonomische Verfasstheit der Landwirtschaft widmet er sich den Freihandelsabkommen, die Marokko jüngst eingegangen ist, und beleuchtet die mittelfristigen Konsequenzen. Seine Befunde sind drastisch: Weitreichende Transfers von Land an wenige (internationale) Investoren, eine sich weiter verschärfende Polarisierung zwischen einem modernen exportorientierten und einem marginalisierten traditionellen Agrarsektor, das Verschwinden ländlicher Existenzsicherungssysteme sowie die Verelendung hunderttausender Kleinbauern sind laut Akesbi denkbare Perspektiven, die für den ländlichen Raum erheblichen politischen und sozialen Sprengstoff bergen. Komplementär hierzu nehmen Christian Berndt und Marc Boeckler eine Außenperspektive ein: Sie untersuchen anhand des Beispiels marokkanischer Agrarexporte in die EU, wie global verflochtene Warenketten in immer komplexerer und detaillierterer Form reguliert werden – etwa durch Zertifizierungen und Hygienevorschriften seitens der EU-Politik, großer Supermarktketten und Konsumenteninitiativen. Mit dem Begriff b/ordering benennen die Autoren die damit einhergehenden Prozesse der Ziehung neuer (mobiler) Grenzen und Ordnungen, durch die etwa festgelegt wird, welche Waren wann und zu welchen Bedingungen mobil sein können. Ihre Analyse verdeutlicht, dass die Einbindung ländlicher Existenzsicherung in globale Warenketten immer auch Verschiebungen von Macht und Kontrolle gleichkommt. Der Beitrag von Steffen Wippel diskutiert schließlich die sich verändernde Position Marokkos in der Weltwirtschaft. Er analysiert Import- und Exportverflechtungen sowie deren Verlagerung über die letzten Jahrzehnte. Er konstatiert, dass Marokko seit den 1990er Jahren eine Vielzahl neuer Import- und Absatzmärkte erschlossen hat: Insbesondere Westafrika, Asien und die Golfstaaten sind als Handelspartner auf den Plan getreten. Marokkos Strategie, sich als Scharnierstelle zwischen Europa, Afrika und dem Nahen Osten zu etablieren, bringt teils widersprüchlicher Wirtschaftsabkommen hervor und steht in scharfem Kontrast zu einer nach wie vor starken Abhängigkeit von europäischen Märkten. Marokko ist somit einerseits nach wie vor äußerst verwundbar gegenüber konjunkturellen Entwicklungen in der EU

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und ist andererseits in ein immer diverseres Netz globaler Handelsverflechtungen eingebunden; die Konsequenzen sind bislang unabsehbar. Der dritte Teil des vorliegenden Bandes widmet sich Ausprägungen und Konsequenzen der Entgrenzung. Komplementär zum Fallbeispiel Asni geht es um die Bandbreite von Aufbrüchen marokkanischer Lebenswelten im Spektrum Land/Stadt/Diaspora. Der erste Abschnitt mit drei Beiträgen beschäftigt sich entsprechend mit Prozessen auf dem Land. Sarah Ruth Sippel befasst sich mit Gewinnern landwirtschaftlicher Kommerzialisierung am Beispiel des Souss, dem wichtigsten räumlichen Schwerpunkt der marokkanischen Exportlandwirtschaft. Sie analysiert die Werdegänge von Familien, die, oft aus bescheidenen Verhältnissen kommend, es geschafft haben, zu wohlhabenden Agrarunternehmern aufzusteigen. Sippel betont, dass eine derartige soziale Mobilität nicht beliebig reproduzierbar und nicht für jeden machbar ist. Vielmehr stellt sie die Bedeutung heraus ‘zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein’ und Chancen, die sich oft nur innerhalb enger historischer Zeitfenster bieten, zu nutzen. Der Beitrag lotet in diesem Sinne die Möglichkeiten sozialen Aufstiegs durch Teilhabe an marktorientierter Landwirtschaft aus und zeigt – perspektivisch auch für andere ländliche Gebiete Marokkos – deren Grenzen auf. Komplementär hierzu befasst sich Wenke Krestin mit Verlierern der ökonomischen Liberalisierung im ländlichen Marokko. Sie untersucht die Situation der so genannten petites bonnes, junger Mädchen, die von ihren Eltern – in der Regel aus purer Not – als Hausangestellte in die Städte geschickt werden. Die erschütternden Berichte über deren Arbeits- und Lebensbedingungen zeigen, wie negative Konsequenzen der Veränderungen auf dem Land buchstäblich auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden. Die sozialen Kosten der Deregulation werden deutlich und der soziale Abstieg erhält ein Gesicht. David Kreuer beschäftigt sich mit Mobilitäten projektbezogener Wissensproduktion am Beispiel transhumanter Tierhalter. Er untersucht wie deren Alltagspraxis durch internationale Diskursformationen im Gefüge von Entwicklungsprojekten, zunehmend mit gestaltet wird. Er zeigt, wie (globale) Ideen und Konzepte – etwa von ‘nachhaltiger Tierhaltung’ – lokal umgesetzt werden und in Form konkreter Interventionen dem ländlichen Raum neue Aufbrüche bescheren. Der darauf folgende Abschnitt ‘Stadt’ fokussiert auf vier Themen: armutsbedingte Zuwanderung und Wohnraumprobleme in Casablanca; Arbeitsmarktzugang und soziale Absicherung von Land-Stadt-Migranten in Rabat; Internetnutzung und Emigrationsperspektiven von Jugendlichen in Fes; sowie Aufkauf und Transformation von Marrakech durch globale ‘Kosmopoliten’. Abderrahmane Rachik leitet diesen Abschnitt ein, indem er für die größte urbane Agglomeration Marokkos – Casablanca – eine migrationsbezogene Analyse der Stadtentwicklung vorlegt und dabei zeigt, wie stark die Stadt durch Zuwanderer vom Land geprägt ist. Für die jüngere Expansion der Elendssiedlungen Casablancas ist, so konstatiert er, allerdings nicht mehr Zuwande28

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rung entscheidend, sondern fortschreitende Prozesse innerstädtischer sozialräumlicher Segregation, in deren Laufe Armutsgruppen zunehmend in schlecht ausgestatteten Wohnraum der urbanen Peripherie abgedrängt werden. Rachiks exemplarischer Einblick in die schwierigen Lebensbedingungen in einem dieser Viertel lässt die Träume vieler junger Angehöriger der ländlichen Unterschicht, in der Stadt zu leben und zu arbeiten, allein schon infolge der Wohnraumproblematik als nur schwer verwirklichbar erscheinen. Ausgehend von Befunden, dass das Überleben in den ländlichen Gebieten Marokkos maßgeblich auf Zugang zu niedrigqualifizierter (städtischer) Lohnarbeit beruht, nimmt Ingo Breuer hieran anschließend aktuelle Dynamiken urbaner Arbeitsmärkte in den Blick. Am Beispiel Rabat zeigt er, dass junge Menschen mit (ländlichem) Migrationshintergrund in Form ausgeprägter, maßgeblich im Heimatgebiet verwurzelter sozialer Netzwerke über spezifische Ressourcen verfügen, die sie für den Zugang zu Lohnarbeit und für ihre soziale Absicherung einsetzen können. In Anbetracht des sich verschärfenden Überangebotes an Arbeitskraft, der fortschreitenden Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen und des Fehlens formeller Institutionen sozialer Absicherung beurteilt Breuer die Perspektiven der Jugendlichen allerdings skeptisch. Der Beitrag von Ines Braune lenkt den Blick auf das Internet als eine Ressource, die – in den Städten, aber zunehmend auch auf dem Land – die Lebenswelten insbesondere der jungen gebildeten Generation nachhaltig prägt. Am Beispiel junger Internet-Nutzer in Fes untersucht sie, wie sich junge Marokkaner das Netz in der alltäglichen Lebenspraxis für vielfältige Zwecke dienstbar machen, etwa für die persönliche Weiterbildung, die Erschließung von Wissen, für den Aufbau sozialer Netzwerke sowie insbesondere auch im Zusammenhang mit erhofften Migrationsmöglichkeiten ins Ausland. Eine ‘virtuelle Emigration’ ins Netz scheint oft einen Ersatz für die physische Auswanderung zu bieten. Anton Escher und Sandra Petermann schließlich eröffnen einen Blick auf Entwicklungen in der Metropole Marrakech, die in den letzten Jahren systematisch zu einer Luxusdestination, einem ‘Spielplatz des globalen Jet-Set’, ausgebaut wird und dadurch – auch in der weiteren Region – immer mehr ausländische Investoren anzieht. Wie die Autoren anhand von Porträts ‘globaler Kosmopoliten’ zeigen, werden diese Prozesse maßgeblich befeuert durch Sehnsüchte und Orientvorstellungen westlicher Personen, die auf jeweils höchst individuelle Weise den Konsum des ‘Orients’ in ihre Lebensentwürfe zu integrieren suchen. Der letzte Abschnitt ‘Diaspora’ verlässt das marokkanische Territorium – teilweise. Er geht der Frage nach, wie sich im Gefüge einer globalen marokkanischen Diaspora Normen und Identitäten verschieben und wie diese Prozesse auf die lokale Ebene in Marokko selbst zurückwirken. Der Beitrag von Bertram Turner untersucht, wie marokkanische Auslandsmigranten – in diesem Fall in Kanada – juristische Vorstellungen zurück nach Marokko bringen, die konkret in die Rechtsprechung im ländlichen Raum einfließen. Wie Turner 29

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betont, sind diese importierten Ideen jedoch nicht einfach als ‘westlich’ zu verstehen, sondern stellen ihrerseits bereits ein Produkt kultureller Auseinandersetzungen der Migranten mit kanadischen Institutionen dar; Rechtspraktiken in Marokko reflektieren in diesem Fallbeispiel die wechselnden Konfliktfelder kanadischer Minderheitenpolitik. Wie in der Diaspora entstandene Identitätskonstruktionen die Alltagspraxis in Marokko prägen, untersucht auch Fadma Ait Mous, deren Beitrag der Frage nachgeht, was es eigentlich bedeutet, in einem mobilen, globalisierten Marokko ‘Marokkaner’ zu sein. Am Beispiel kontroverser Debatten, die durch die Mitglieder der Diaspora in Online-Chatrooms über ‘Marokkanität’ geführt werden, beleuchtet sie, wie sich im Kontext einer Vielzahl mobiler ‘marokkanischer’ Lebensentwürfe auch die entsprechenden Identitätskonstruktionen individualisieren und ‘mobil’ werden. Ein zunehmend entgrenztes Marokko wird, so zeigen diese Beiträge, nicht mehr nur lokal ‘gemacht’. Vielmehr bringen globale Verflechtungen, die sich mit lokalen Bedingungen verzahnen, neue soziale Landschaften und mobile Identitäten hervor, die – als konstituierende Bestandteile der globalen Moderne – materiell und letztlich körperlich wirksam werden.

Anmerkungen 1.

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Die Moderne hat je nach Autor unterschiedliche Charakteristika. Im Allgemeinen wird sie mit der Aufklärung in Europa und der Industrialisierung verbunden, deren unterliegenden Strukturen als dominante soziale Ordnungsprinzipien versucht wurden, in verschiedenen Formen und Konstellationen, weltweit durchzusetzen, beispielsweise über den europäischen Kolonialismus und die neoliberale Globalisierung. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Moderne vgl. exemplarisch Giddens (1990) und Mitchell (2000). Giddens führt aus: ›Modernity is inherently globalising – this is evident in some of the most basic characteristics of modern institutions, including particularly their disembeddedness and reflexivity‹ (1990, 63). Alternativ unterscheidet Beck (1986) – durch eine andere Einteilung – mit der Zweiten Moderne den Ausbruch aus dem kategorialen Rahmen der Industriegesellschaft und seinem Pendant, dem national begrenzten Wohlfahrtsstaat, und zwar durch eine Politik der Globalisierung. Zur globalen Moderne siehe konzeptionell Dirlik (2003); Conrad et al. (2007), Boatc/Spohn (2010). Als geographische Arbeiten, die Ausprägungen der globalen Moderne außerhalb von westlichen Industriegesellschaften in den Blick nehmen sind beispielsweise die von Berndt (2004) zu Mexiko, von Boeckler (2005) zu Syrien und von Lindner zu Russland (2008) anzuführen. Mit dem Begriff neoliberale Globalisierung unterstreichen wir, dass Globalisierungsvorgänge sich maßgeblich aus ökonomischen Entgrenzungen konstituieren, die die sozialen Ausgleichfunktionen moderner Nationalstaaten unterminieren. Oft treten neue Organisationsformen (transnationale Korporationen etc.), die bisher kaum gesamtgesellschaftlich kontrollierbar sind und keinen effektiven Verpflichtungskonzepten unterliegen, an die Stelle staatlicher Regulationsmacht. Siehe hierzu etwa Harvey (2005), Dicken (2003), Castells

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(2003), Lewis (2009). Stiglitz (2003) weist demgegenüber darauf hin, dass die (neoliberale) Globalisierung jedoch auch Vorteile, etwa in Gestalt eines generell erhöhten Lebensstandards, hervorgebracht hat. Zur marokkanischen Landwirtschaft vgl. die Arbeiten von Popp (1983a, 1983b); vgl. auch Müller-Hohenstein/Popp (1990). Von marokkanischer Seite haben etwa Akesbi (2001a, 2001b, 2005, 2007), Rachik (2000) und Bencherifa (1988) wegweisende Studien vorgelegt, während für Entwicklungen bis in die 1980er Jahre das Übersichtswerk von El Khyari (1987) klassisch geblieben ist. Für einen Überblick über die regionalen Unterschiede der Landwirtschaft vgl. Troin (2002). Siehe die Arbeiten zum ländlichen Raum, exemplarisch etwa von MüllerMahn (2001) für Ägypten, Lindner (2008) für Russland und Bretan (2010) für Syrien. Als wichtige Vorarbeiten zum Verständnis neuer sozialer Räume siehe auch die Beiträge zu transnationalen sozialen Räume etwa von Faist (2000) und Pries (2001). Der Begriff Praxis rekurriert auf Bourdieus ›Entwurf einer Theorie der Praxis‹, der den heuristischen Zusammenhang von Theorie und Praxis herausstellt (1976: 143 ff.). Bourdieu geht davon aus, dass Objekte der Erkenntnis sozial konstruiert werden, und dass diese Konstruktionsvorgänge letztlich auf Systemen von strukturierten und strukturierenden Dispositionen beruhen, die in der Praxis – d.h. alltäglich – gebildet und auf praktische Aspekte ausgerichtet sind. Theorie und Praxis sind somit jeweils spezifisch miteinander verkoppelt (vgl. Janning 1991). Giddens fasst diese Kopplung allgemeiner unter den Begriff der ‘doppelten Hermeneutik’ (1995). Globalisierung ist kein Ding an sich und hat keine eigene Essenz. Globalisierung ist vielmehr ein Begriff, der bestimmte Vorgänge der Praxis bezeichnet. Ausschlaggebend ist dabei, dass diesen Prozessen verschiedene – oft sehr komplexe – Ursachenbündel zugrunde liegen (Gertel 2002). Für Giddens sind die drei Phänomene time-space-distanciation, disembedding und reflexivity sowohl ermöglichende Bedingungen als auch Dynamiken der Moderne (1990, 63). Korrespondierend hierzu versteht Appadurai Kultur als ›a subset of differences that have been mobilized to articulate group identity‹ (1996, 14). Eine Überblick über das komplexe Feld der Cultural Studies würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen; wir verweisen deshalb auf den von During (2007) herausgegebenen Reader, in dem eine Vielzahl von Autoren zu Wort kommen, sowie die Einführung von Longhurst et al. (2008), und gehen im Folgenden den Weg, selektiv Ansätze einiger Denker (Hall, Scott, Foucault) für unsere Argumentation nutzbar zu machen. Andrews et al. stellen entsprechend fest: ›Human beings are both authors of, and actors in, self-narratives (…). Through our careful selection of what parts of our pasts we conjure up, we sculpt a ‘narrative identity’ (…) for ourselves which lends a congruence to our past, present and future selves‹ (2000, 77; vgl. Holstein/Gubrium 2000). Vergleiche Riley (1988, 99, in Scott 1991, 787). Was Scott (1991) als conditions charakterisiert, bezeichnet Giddens (1995) analytisch präziser als structure. Er geht davon aus, dass Struktur – als rekursiv organisierte Menge von Regeln und Ressourcen – eine doppelte Funktion innehat: Handeln wird durch Strukturen nicht nur eingeschränkt sondern eben auch erst ermöglicht.

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A UFBRUCH EINER LOKALEN A GRARGESELLSCHAFT

G E S E L L S C H A F T – TA N Z E N Mohammed Mahdi (Meknès)*

Das Wissen, dass eine Gesellschaft durch die besonderen Zeugnisse der mündlichen Tradition wie Märchen, Legenden, Dichtung, Rituale sowie Feste und Tänze über sich selbst liefert, birgt etwas Faszinierendes. In der agropastoralen Gesellschaft des Hohen Atlas können solche Traditionen Arbeitsprozesse eröffnen, begleiten oder abschließen. Und wie die Arbeitsprozesse sagen sie viel über die dazugehörige Gesellschaft. In diesem Beitrag beschäftige ich mich mit dem Tanz (ahouach) und mit anderen Ritualen bei den Rheraia. Die jungen Tänzer nachahmend, von denen später die Rede sein wird, stürze ich mich dabei auf die ‘Tanzbühne’, beobachte und beschreibe sie, vergleiche den Tanz mit anderen Traditionen der Rheraia und interpretiere das, was anlässlich solcher Aktivitäten geschieht, mit dem Ziel, etwas über die Menschen und ihre Gesellschaft auszusagen.

Die Kontexte des Tanzes Es wird nicht zu beliebigen Zeiten getanzt. Jeder rituellen Aktivität ist bei den Rheraia ein bestimmter festgelegter oder zumindest günstiger Moment (azamz) zugeschrieben. Anders zu handeln würde mit Anzeichen von Wahnsinn gleichgesetzt; es wäre so wie Bäume später als März zu pflanzen oder die Nüsse vom Baum herunterzuschlagen, bevor sie reif sind. Bestimmte Umstände geben den Anlass zum ahouach und alle bringen die Freude (farh) der Leute zum Ausdruck. Es wird getanzt, wenn farh da ist. Folgende Situationen, die Anlass zum Tanz gegeben haben, habe ich bei den Rheraia erleben können: Hochzeit, Beschneidung, moussem,1 die Einweihung einer kollektiven Weide, das Opferfest, sowie das Dreschen der Gerste. Jedes Mal, wenn die Gruppe ein wichtiges Ereignis feiert, wird getanzt. Der Tanz gehört zu den Zeremonien, mit denen etwas feierlich begangen wird. Tänze sind Teil der Feier, machen 35

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jedoch nicht die gesamte Feier aus. Ich möchte zunächst die unterschiedlichen Umstände und die dazugehörigen Aktivitäten schildern, die einem Ereignis einen feierlichen Charakter verleihen. Alle Tanz-Situationen stellen Übergangsrituale dar. Diese sind entweder mit individuellen Biographien verbunden, wie Hochzeiten oder Beschneidungen, oder sie stehen mit den Jahreszeiten oder mit räumlichen Übergängen in Verbindung, wie das Opferfest, die Eröffnung einer Weidefläche, das moussem von Sidi Chamharouch oder das Dreschen der Gerste. Wichtige Ereignisse, die entweder das Leben eines Individuums oder der Gemeinde betreffen, werden mit bestimmten Ritualen (etwa Kostümfeste oder Theateraufführungen) und Tänzen gefeiert. Tänze begleiten sowohl die individuellen als auch die Jahreszeitenrituale. Sie werden nach dem Opferritus und nach den unterschiedlichen Zeremonien, die jede Passage kennzeichnen, aufgeführt. Es wird nicht an beliebigen Orten getanzt. Der Raum bzw. die Bühne bestimmen den Erfolg des Tanzes. Aufgrund akustischer Überlegungen muss der Raum vor allem zusammenhängend (imoun) sein, da der Tanz unter freiem Himmel stattfindet und der Wind sowie ‘die Luft’ (rr’ih) den Gesang (n’dam) beeinträchtigen könnten. Die jeweiligen Aufführungen werden auf unterschiedlichen Bühnen abgehalten: Auf der Tenne, in den Gässchen eines Dorfes, auf einem nicht bestellten Feld, oder im Inneren eines Hauses. Um die Bühne herum setzen sich die Zuschauer, die Dorfbewohner sowie die Fremden, die kommen, um die Spektakel zu genießen, dahin wo sie Platz finden, sei es auf den Terrassen des Hauses oder auf den umliegenden Hügeln. Oft brennt ein Feuer, um die Trommeln warm zu halten und abends erhellen Gaslampen die Bühne.

Der Tanz und die Tänzer Der Tanz wird ahouach oder amarg genannt. Im engeren Sinne bedeutet amarg nur Gesang, während Tanz mit dem Wort ahouach übersetzt wird. Amarg ist allerdings ein polysemes Wort, das aus dem Bereich der Gefühle und der starken Emotionen kommt. Es evoziert die Nostalgie, den leidenschaftlichen Wunsch, jemanden zu sehen und zu treffen, an den man durch Liebe, Freundschaft oder Verwandtschaft gebunden ist. Es kann sich dabei um Heimweh handeln, in diesem Fall sind die entsprechenden Ausdrücke: yaghiyi oumarg n’flan oder yaghiyi oumarg n’lablad. Amarg bezeichnet aber auch den Gesang und die Tänze selbst. Die merkwürdige Überschneidung der zwei Wortbedeutungen erfolgt dann, wenn Gesänge aus der Heimat eine Sehnsucht im Einzelnen erwecken und ihn an sein Herkunftsland und seine Lieben erinnert, was sehr oft der Fall ist. Ahouach bezeichnet wiederum gleichzeitig den Tanz und den dazu passenden Gesang. Abgesehen von ihren wortwörtlichen Bedeutungen (ahouach: Tanz; amarg: Gesang) sind beide Termini austauschbar und 36

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bezeichnen im weiteren Sinne gleichzeitig den Gesang als auch den Tanz. Im September 1983 stimmten die Frauen im Dorf Fi-Imlil, um die Schüchternen und die Zögernden dazu aufzufordern, sich an den Kreis der Tänzer anzuschließen, folgende Strophe an: ›Amarg ist nichts Böses und stört nicht den Koran.‹ Im Prinzip werden all diejenigen, die einen Tanz leiten, ihwawin genannt (Plural von ahwawi oder tahawawit). Der ahwawi ist derjenige, der die Liebe des amarg empfindet. Von ihm spricht man als illa guis l’hawa, was so viel heißt wie, dass er über musikalische Inspiration und musikalisches Verständnis verfügt. Das Wort hawa bedeutet einfach Luft. Damit kann das Lied sowie, nicht auf einen musikalischen Kontext bezogen, auch die Luft, die man atmet, gemeint sein. Der ahwawi Oubihi sagte mir Folgendes über hawa: »Wenn die Frauen und die Männer ihre Körper verbeugen um sich zu begrüßen, nehmen sie den Duft auf, der aus der Erde emporsteigt und ihre Körper erfüllt. Dem darauf folgenden Rhythmus wird der Rest überlassen, er bewegt die Seelen und verleiht den Körpern Leidenschaft. … Schau, wie ich im Rhythmus der Trommeln klatschen und den Kopf und die Schultern bewegen kann. Wo hab ich das gelernt? Dort, auf dem assais (Tanzbühne).«

Es gibt auch einen ahwawi-Poeten, genannt anadd’am oder tandd’amt (Plural indd’aman). Während des Tanzes ist das Herz des ahwawi-Poeten voll, auf ihm liegt eine Last. Sein Wunsch ist es, sich von dieser Last zu befreien; es ist ein großes Unglück, wenn der Tanz ihm nicht gewachsen ist und die Ohren nicht nach seinem Mund geraten sind. Denn seine Worte werden ungehört verhallen oder noch schlimmer: er wird sie gar nicht erst aussprechen. Die Anwesenheit anderer ihwawin unter der Tänzergruppe tröstet seine Seele, inspiriert ihn und wertet seine Metaphern auf, da die ihwawin großartige Gesprächspartner sind, die seine Botschaft genau erfassen und ihn zugleich in die Irre führen können. Wenn der ahwawi sich traut, das Wort zu ergreifen, dann geschieht es, um etwas Bedeutendes zu sagen. Sonst würden seine Worte in der Luft verfliegen. Die ihwawin-Poeten atmen im selben Augenblick wie die Tänzer, in dem begnadeten Moment. Und wenn der ahouach nicht der richtige ist, dann wird sich der ahwawi zurückziehen, er wird sich angeschlagen fühlen und das wird man ihm ansehen können, wenn er vernebelt und wie in einer Menschenmenge verirrt dastehen wird.

Der Ablauf des Tanzes Bei den Rheraia hatte ich die Möglichkeit, mehrere Tänze bei unterschiedlichen Gelegenheiten zu beobachten. Die Beschreibung, die ich im Folgenden liefere, entspricht keinem dieser Tänze speziell, gibt aber alle in ihren Grundzügen wieder. 37

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Der ahouach (Tanz) wird durch eine gemischte Gruppe aus Frauen und Männern belebt. Bei allen Gelegenheiten, bei denen ich das Vergnügen hatte, einer dieser schönen Aufführungen beizuwohnen, standen die Tänzer bereits auf der Bühne. Frauen und Männer standen sich in zwei Reihen gegenüber. Jeder der Männer hielt eine Trommel in der Hand. Der ahouach beginnt mit einem langsamen und monotonen Trommelrhythmus, der durch die hohe Stimme eines ein Rezitativ anstimmenden Dichter-Sängers durchbrochen wird. Das Rezitativ besteht aus mehreren Strophen, wobei die letzte dieser Strophen von den Männern einstimmig als Refrain wiederholt wird, nachdem sie zu einer melodischen Phrase gemacht wurde. Der Frauenchor wiederholt den Refrain und schließt weitere Strophen an, um auf die Strophen zu antworten, die vom ersten Dichter kamen. Letztgenannter hört aufmerksam zu und bereitet sich darauf vor, zu erwidern. Er kontert dann mit einer neuen Reihe von Strophen, die durch die zwei Chöre auf die gleiche Art und Weise erwidert werden. Wenn der erste Dichter sein Poem beendet hat, folgt ihm ein zweiter, sei es, um ihm zu antworten, oder um den Dialog mit den Frauen fortzusetzen. Danach kommt ein dritter, und so weiter. Der Dialog kann endlos sein und sich für Zuschauer auf Durchreise oder für diejenigen, die sich mit der poetischen Sprache nicht auskennen, als langweilig erweisen. Lokal nennt man diese Poeme gha. Ebenso benutzt man die Ausdrücke artandarraban (sie reißen mit) und artandaman (sie schreiben Gedichte), was vom Wort n’dam (poetische Komposition) hergeleitet ist. Während sich die Gruppe dieses Wortduell liefert, steigt eine Stimme empor, die, den Dialog unterbrechend, den Ton komplett verändert und den Tänzern eine sehr kurze Strophe (tabismit) zuwirft, die wiederum von den zwei Chören aufgefangen wird. Die Männer singen den ersten Teil und passen dabei den Rhythmus ihrer Trommeln progressiv an, anschließend singt der Frauenchor den darauf folgenden Teil. Die kurze Strophe (tabismit) wird zu assarssou, nachdem die zwei Chöre sie abwechselnd wiederholt und nach mehreren Versuchen zu einer rhythmischen Melodie entwickelt haben. Dabei wird der Rhythmus präziser und unterstützt den Gesang. Die Körper beginnen, sich zu wiegen, der Tanz belebt sich. Die Stimmen und die Körper werden jetzt vom Rhythmus getragen und getrieben. Es folgt der kollektive Tanz. Die Männer stehen in einer Reihe und während sie trommeln, nähern sie sich mit rhythmischen Schritten der Frauenreihe. Wenn sie den Frauen gegenüberstehen, hören der Gesang und der Rhythmus auf. Während sich die zwei Gruppen mit einer respektvollen Verbeugung begrüßen, herrscht eine religiöse Stille. Daraufhin fangen der Gesang und die Tänze plötzlich erneut an. Der Tanz geht weiter. Manchmal kommt es vor, dass eine Gruppe von Jugendlichen den lebhaften Tanz abwartet, um sich auf die Bühne zu stürzen. Sie stehen in einer Reihe oder rücken Schulter an Schulter enger zusammen. Die Trommler lassen sie vor und kauern in der Mitte zwischen ihnen und der Reihe der Frauen. Die Bewegungen werden kreisförmig. 38

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Sie ähneln Drehungen der Tänzergruppe von rechts nach links. Die Tänzer kehren oft nach links zurück, als ob sie dort Schwung nähmen, um dann weiter nach vorne in die Drehrichtung geschleudert zu werden. Die langsame Drehbewegung wird von Fußbewegungen und Händeklatschen unterstrichen. Die Gesamtbewegung beschränkt sich auf das Hin und Her der zwei parallelen Reihen. Die individuellen choreographischen Bewegungen der Frauen, die letztendlich diejenigen sind, die den Tanz gestalten, stammen aus der berberischen Tradition. In der Leichtigkeit, mit der die Tänzerinnen diese Bewegungen ausführen, ist der Einfluss berberischer Tanzmeister wie Damsiria und Tihihit erkennbar, den sie durch das Medium Fernseher auf die Menschen ausüben. Es folgt der Paartanz. Während der Tanz weitergeht, taucht plötzlich jemand aus der Männerreihe oder aus dem Publikum auf und rennt blitzschnell zur Frauenreihe, bleibt vor einer jungen Dame seiner Wahl stehen, klatscht in die Hände und bewegt wild die Schultern. Die junge Dame bewegt ihre Schultern ebenso und sie begrüßen sich mit einer leichten Verbeugung. Der Mann entfernt sich dann in kleinen Schritten, sein Körper ist steif und aufrecht, der Kopf ein wenig zurückgehalten, die Arme werden am Körper entlang fallen gelassen und leicht von unten nach oben geschüttelt, um die ununterbrochene Schulterbewegung zu unterstützen. Die junge Dame entfernt sich daraufhin von der Runde, wobei sie seine Bewegungen nachahmt, sich meistens das Kostüm zurechtrückt und ihm folgt. Dies ist der Brauttanz: taslit. Das Paar, das sich von der Tänzergruppe entfernt hat, tanzt, wie es ihm gefällt: Zuerst tanzen sie einander gegenüber, dann folgen sie einander, der Mann vorne, die Frau hinten. Dies gleicht einem schnellen Rennen, in dem die Dame ihren Tanzpartner nicht loslassen darf und ihm überallhin, wo er sie führt, folgen muss. Um eine neue Bewegung einzuführen, klatscht der Mann in die Hände und die Dame führt eine Figur aus. Oft vollführt sie ein oder zwei Drehungen und der Mann macht es ihr nach. Dann stehen sich die zwei Tänzer erneut gegenüber und bleiben in einer gewissen Distanz zueinander stehen. Dabei schütteln sie ihre Schultern solange sie können. Nicht umsonst sagt man über den Tänzer, dass er zittert (aritchttah) und fügt das arabische Substantiv für den Tanz (chtih) hinzu. In anderen Berberregionen heißt diese Bewegung tighariwin, was die Verniedlichungsform von ighir, Schulter, ist. Beide Bezeichnungen nehmen jeweils auf die Bewegung (das Zittern) und das Körperteil (die Schulter) Bezug. Die Bewegung erreicht in dem Moment ihren Höhepunkt, in dem ihre Köpfe rechts oder links als Begrüßung zur Seite fallen, bevor der Lauf weitergeht. Der taslit-Tanz variiert je nach Phantasie und Vorstellungskraft der Tänzer. Er wird erst beendet, wenn auch der Gemeinschaftstanz zu Ende geht. Dies ist eine kurz gefasste und schematische Beschreibung des Tanzes, wie man ihn bei den Rheraia, den Ourika und den Goundafa im marokkani39

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schen Hohen Atlas bewundern kann. Es ist kein Bild aus der Perspektive eines Musikexperten, Choreographen oder Dichters, sondern aus der Perspektive eines Beobachters, der an Menschen und Gesellschaftsstrukturen interessiert ist. Der Fokus folgender Analyse liegt folglich auf den Akteuren, die den Tanz ausführen.

Die Akteure Bei den Rheraia nehmen sowohl Männer als auch Frauen, junge Damen und junge Männer am ahouach teil. Männer und Frauen tanzen jedoch in getrennten Reihen. Der ahouach besteht aus zwei Formen, die manchmal gleichzeitig durchgeführt werden: ein Gemeinschaftstanz, wobei man in Gruppen von maximal zwei oder drei Personen tanzt, sowie ein Paartanz, wobei mehrere Paare gleichzeitig tanzen können. Zudem kann der Tanz in unterschiedliche Motive unterteilt werden. Auf der Basis der Differenzierung je nach Form und Motiven stelle ich hier zwei Hypothesen auf: Zum einen ist der ahouach eine geregelte Aktivität; die Regeln legen bestimmte Rollen für bestimmte Kategorien von Tänzern fest; sie determinieren Trennungen zwischen Gruppen. Zum anderen erfolgen diese Trennungen entlang des Alters und Geschlechts. Die Rollen der Tänzer im ahouach spiegeln diese Trennungen wieder und damit die sozialen Rollen bzw. gesellschaftlichen Positionen der Tänzer. Der kollektive Tanz wird von zwei in Reihe stehenden Gruppen durchgeführt. Auf der einen Seite steht die Reihe der älteren Männer, die meistens die Weisen des Dorfes im mittleren Alter (m’tahline) sind. Ihr gegenüber steht die Reihe der jungen ledigen Damen im heiratsfähigen Alter (tiazriyine) sowie der verheirateten Frauen und der kleinen Mädchen. Letztere tanzen am Rande der Reihen, falls sie nicht von den Älteren weggeschickt werden. Falls der Tanz in drei Gruppen stattfindet, kommt noch eine Gruppe junger Männer (iaazrine: Ledige) hinzu. Es sind also folgende Akteurskategorien beteiligt: Männer im reifen Alter, Männer mittleren Alters, junge unverheiratete Frauen (und die sie begleitenden kleinen Mädchen), junge unverheiratete Männer, sowie die übrigen Frauen. Frauen sind Teil der Feierlichkeiten. Jedoch sind zwei Situationen zu unterscheiden: Tänze mit ‘intimem’ Charakter werden im Dorf anlässlich der oben genannten Feierlichkeiten abgehalten.2 Ich hatte die Gelegenheit, zwei mitzuerleben, an denen auch Frauen teilnahmen. Im Dorf Targa Imoula anlässlich des Opferfestes im Jahre 1985, sowie in Mazik auf einer Hochzeit im Jahre 1984. Bei den Tänzen mit ‘öffentlichem’ Charakter handelt es sich um die Tänze anlässlich des moussem (in Sidi Chamharouch) oder der Einweihung einer Weidefläche (in Oukaimeden). An diesen Tänzen nehmen die Frauen nicht teil. Die Bezeichnung als ‘intim’ wird nicht nur durch den Ort der Ver40

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anstaltung (Dorf vs. moussem), sondern auch durch die Tageszeit bestimmt: Intimität scheint mit Dunkelheit assoziiert zu werden. Erstaunlich ist, dass die Frauen ausschließlich an den nächtlichen Tänzen teilnehmen. Wenn die Frauen tanzen, ist die Beleuchtung tatsächlich schwach und die Gaslampen, die die Bühne erhellen, sind so gedämpft wie möglich. Dieses gedämpfte Licht ersetzt den früheren Schleier. Man erinnert sich auch daran, dass früher die Bühne durch ein Lagerfeuer beleuchtet war, und dass man um dieses herum tanzte. Im Dorf selbst nehmen verheiratete Frauen nicht am Tanz teil, wenn ausreichend junge Damen anwesend sind. Wie bereits erwähnt, kann der Gemeinschaftstanz durch einen Paartanz begleitet werden. Es handelt sich dabei um den Brauttanz, der durch eine junge unverheiratete Frau geleitet wird: der taslit. Die Männer mittleren Alters können ihrerseits eine junge Dame ihrer Wahl zum Tanz auffordern und diese darf das in der Öffentlichkeit in dem beschriebenen Ritus dargebrachte Angebot nicht ablehnen. Wenn sie an der Reihe sind, tanzen die jungen Männer den asli. Nach meiner Beobachtung nehmen weder ältere Männer noch ältere Frauen an diesem Tanz teil. Die zwei Tanzarten unterscheiden sich zunächst durch die Termini, die man zu ihrer Beschreibung verwendet. Der kollektive Tanz wird n’houch genannt, was so viel heißt wie ‘wir tanzen’. Den Paartanz bezeichnet man als razk, oder man benutzt häufiger Ausdrücke wie ri ttaki taslit, wortwörtlich ‘er überspringt die Verlobte’ bzw. ‘er tanzt mit der Verlobten’ oder taslit toukin s’argaz, ‘die Verlobte tanzt mit dem Mann’. Alle Akteure können an den kollektiven Tänzen teilnehmen, wobei die Freiheit der Frauen gewissen Einschränkungen unterliegt: Die verheirateten Frauen sowie die Alten werden aus dem Tanz des asli ausgeschlossen. Dies impliziert die Exklusivität für die jungen Frauen, die jungen Männer sowie für die Männer mittleren Alters. In Tabelle 2-1 wird der ahouach in mehrere Motive unterteilt: choreographischer, poetischer, instrumentaler und choraler Ausdruck. Im Zusammenhang mit diesen Motiven stehen die Akteursgruppen. Die Zeichnen + oder – definieren ihre Rollen und repräsentieren ihre Inklusion oder Exklusion. Das Schema zeigt mit Sicherheit eines: Exklusion und Inklusion werden nicht durch Geschlechtszugehörigkeit determiniert. So scheint der Rhythmus exklusives Gebiet des männlichen Geschlechts zu sein, junge Männer sind davon jedoch ausgeschlossen. Exklusion und Inklusion hängen über die Geschlechtszugehörigkeit hinweg von anderen Prinzipien ab. Es gilt hier, diese zu untersuchen. Die lokale Definition von ahouach assoziiert Tanz mit ‘Spiel’: Spiel des Rhythmus' und der Klänge, Spiel der Dichtung, Spiel der Körper und der Gestik. Diese Spiele stellen die Quelle der Freuden dar, nach dem die ihwawin (Tänzer) streben und die sie genießen können. Wie alle anderen Spiele weist 41

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auch der ahouach seine eigenen Regeln auf: Akteure werden klassifiziert, Wettbewerbsverhältnisse werden enthüllt oder verdeckt und es wird dafür gesorgt, dass diese sich innerhalb bestimmter Grenzen abspielen und nicht ausarten. Wie dies funktioniert, soll im Folgenden anhand der Spiele und ihrer Akteure gezeigt werden. Das Spiel des Rhythmus und der Klänge: Der Rhythmus ist den Männern reifen und mittleren Alters vorbehalten. Alle anderen Akteure sind davon ausgeschlossen. Die jungen Männer werden in diesem Falle dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Zwar handelt es sich hierbei um eine Inklusion des männlichen Geschlechtes zu Ungunsten der jungen Männer; gleichzeitig geht es jedoch um leadership. So führt der rais den Tanz an, während die anderen Spieler ihn mit den Trommeln begleiten. Während der rais die Melodie spielt und sie verändert, halten die übrigen Trommler mit einem immer gleich bleibenden Schlag den Grundrhythmus.3 An ein und demselben Tanz sowie an seiner Leitung können sich mehrere rouais (Pl. von rais) beteiligen und unter den Trommlern herrscht normalerweise eine Hierarchie. Nakous (Autofelge) sowie krakb (Eisenkastagnetten des Gnawa-Tanzes) scheinen erst vor kurzer Zeit eingeführt worden zu sein. Das Spiel der Dichtung: Die poetische Improvisation ist ein Privileg der alten Männer und zum Teil der Frauen. Das Spiel ist für Männer ab einem gewissen Alter zugänglich. Die jungen Frauen können zwar improvisieren, aber nur im Chor, wobei ihnen oft ein alter Poet zu Hilfe kommt, wenn ihnen die Metaphern ausgehen. Die jungen Männer haben kein Anrecht darauf, das Wort zu ergreifen. Die herausstechende Figur ist die des Dichter-Sängers. Es sind die Alten und die verheirateten Frauen, die sich in diesem einer literarischen Komposition gleichkommenden Spiel hervortun. Bei einem anderen Stamm des Hohen Atlas (Erguita) parodieren die Ledigen im Laufe der anlässlich des Opferfestes zelebrierten Tänze die Poeten-Sänger. Das Publikum macht mit und findet dies lustig. Nach der Tradition verkündet der Ledige mit diesem Akt sein Vorhaben, bis zum Ende des Jahres zu heiraten. Während die amarg (Dichtung) als Spiel für Erwachsene angesehen wird, gilt der assais, die Tanzbühne, als ein Forum der Redegewandtheit, in dem ausschließlich die Initiierten das Wort ergreifen dürfen, da sie die Einzigen sind, die sich mit Metaphern ausdrücken können. Dafür reicht es nicht, erwachsen zu sein: Man muss außerdem aufgeklärt und durch eine übernatürliche Kraft inspiriert sein, damit man die Beiträge der unterschiedlichen Sprecher im Wettbewerb erhaschen und tatsächlich auch verstehen kann. Diejenigen, die in dieses Spiel nicht initiiert wurden, sind in die Rolle von müßigen und verblüfften Zuschauern verbannt. Bestenfalls wird ihnen das Schüren des Feuers anvertraut, das zum Erhitzen der Trommel gebraucht wird, während die Versmanipulatoren ihren Frauen den Hof machen. Wie bereits erwähnt, nehmen die jungen, ledigen Frauen kaum an diesen Wortgefechten teil. 42

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Tab. 2-1: Motive beim Tanz Art des Motivs

Motiv

Männer im reifen Alter

Junge Junge VerheiMänner Frauen ratete mittleren Männer (iaazrine) (tiaazrine) Frauen Alters (m’tahline)

Choreo- Kollektiver Tanz graphisch Individueller Tanz

+ -

+ +

+ +

+ +

+ -

Poetisch

Solo-Improvisation Chorale Improvisation

+ -

+ +

-

+

+ +

Instrumental

Nakous, Kastagnette, Trommeln

+ +

+

-

-

Choral

Chorgesang

+

+

+

+

-

Quelle: Eigene Erhebungen Anmerkung: (+) Inklusion; (-) Exklusion.

Das Spiel der Körper (der asli-Tanz): Aus diesem Spiel sind die Alten und die verheirateten Frauen ausgeschlossen. Ein alter Mann würde, wenn er den asliTanz tanzte und zudem eine junge Dame (taazrit) zum Tanzen aufforderte, zum Gespött der Leute werden. Schließlich erfordert dieser Tanz Geschick und Gewandtheit, die Bewegungen sind wild und man muss mit einer rasenden Geschwindigkeit aus der Reihe rennen, mit dem Körper zittern, pausenlos laufen können und einen langen Atem haben, um bis zum Schluss durchzuhalten und den Tanzpartner auszulaugen. Auch die verheirateten Frauen tanzen keinen asli. Die Tradition ist hierbei strikt: eine junge Dame, die heiratet, hört mit dem asli-Tanz auf. Sie ist dann keine taslit mehr, sondern eine Frau, deswegen gehört es sich nicht, es wäre beschämend. Sie verliert nach der Hochzeit, mit der sie zur Frau wird, die Freiheit, über die sie als junge Frau verfügte. Und wie alle Frauen ist sie die Frau von jemandem, und zwar von einem Mann, der in dieser Gesellschaft nicht tolerieren kann, dass sie mit einem anderen Mann tanzt. Gesellschaftliche Kontrolle sowie Kontrolle durch ihren Mann schränken also ihre Freiheit ein, asli zu tanzen. Die jungen Frauen hingegen tanzen den asli, es ist ihr Tanz und er wird ihnen zu Ehren getanzt. Nicht umsonst heißt der Tanz taslit-taazrit, der Tanz der unverheirateten Frau. Dabei nimmt die Bezeichnung taslit-taazrit auf das Symbol der Jungfräulichkeit Bezug. Die jungen Frauen empfinden dabei eine große Freude, es ist ihnen ein immenses Vergnügen. Der Tanz bedeutet auch die Gelegenheit, das eigene Image aufzuwerten. Festtagskleidung, Blumenfrisuren aus Nelken oder Basilikumblättern, Silberschmuck oder andere Accessoires sowie k’hol (Lidschatten) lassen den Charme dieser jungen Frauen hervortreten, die aufgrund der harten Aufgaben im Alltag keine Zeit zur Pflege ihrer Schönheit haben. Einmal in der Reihe, begeben sich die Mädchen in einen bitteren Kampf um den 43

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Platz in der Mitte, der der Besten vorbehalten ist, derjenigen, die die Schritte und Bewegungen vormacht und den Frauenchor in Antwort auf die Redner leitet. Diese Position stellt sie zudem genau dem rais des ahouach gegenüber. Die Mädchen ergreifen nicht nur die Gelegenheit, ihren Charme zu zeigen, sondern auch ihre Fähigkeit, sich zu bewegen. Sie konkurrieren um die Anzahl der Male, die sie aufgefordert werden, die Reihe zu verlassen um den asli vorzutanzen. Die höchste Punktzahl ist ein Grund zum Stolz. Wie wir später sehen werden, ziehen sie daraus auch einen materiellen Vorteil. Solange sie unfähig sind, die Freude des Wettstreits kennen zu lernen, springen die jungen Männer (iaazrine, aazri im Singular) wie Verrückte im assais umher. Zu Anfang des ahouach fordern sie die jungen Frauen zum asli auf. Dies ist eine unverschämte, ja sogar herausfordernde Geste. Der asliTanz ist somit ein gefährliches Spiel, das die älteren Weisen zu meiden versuchen. Im September 1983 wurde einmal in einem Dorf der ahouach deswegen unterbrochen, weil junge Männer den assais gestürmt hatten, um die Mädchen zum asli-Tanz einzuladen. Daraufhin, so wurde mir später erklärt, habe man einschreiten müssen, da sonst das Spiel ein unkontrollierbares Ausmaß angenommen hätte, vor allem da das Tanz-Ereignis (Hochzeit) an eine Mitgift gekoppelt sei. Dieses Einschreiten passte den jungen Männern überhaupt nicht, denn sie mussten an diesem Abend gezwungenermaßen frustriert nach Hause gehen. Die Männer mittleren Alters (m’tahline) hingegen unterliegen keinen Einschränkungen beim asli-Tanz. Im Unterschied zu den Älteren haben sie keinen Spott zu befürchten und im Unterschied zu den Frauen fürchten sie sich auch nicht vor der Kontrolle ihres Ehepartners; schließlich ist der Tanz nichts anders als ein Spiel (lahdart). Selbst wenn sie verheiratet sind, genießen die m’tahline eine besondere Stellung, die es ihnen erlaubt, sowohl weiterhin mit den jungen Damen zu tanzen, als auch um ihre Hand anzuhalten. Außer den iaazrine genießt keiner auf der Bühne ähnliche Privilegien wie sie. Diese zwei Gruppen haben das Recht, mit den jungen Damen zu tanzen. Die Realität sieht jedoch komplexer aus als dieses Schema suggeriert. Der asli-Tanz ist sehr kompetitiv. Der Wettstreit ist deswegen interessant, weil er zwischen den m’tahline und den iaazrine abläuft, die beide den taazriyine gegenüberstehen. Dies kann nur mit einer gewissen Gewalt funktionieren. Es geht darum, wer unter den iaazrine oder den m’tahline das exklusive Recht haben wird, mit den Mädchen zu tanzen. In den Augen der Verheirateten sind die Ledigen nichts weiter als Gören, die noch nicht mal in der Lage sind, den Sinn des Spieles zu verstehen (our ssanin i lahdart). Die ledigen Männer hingegen können nicht nachvollziehen, warum Verheiratete sich wie Ledige verhalten dürfen. Sie halten ihren eigenen Wunsch nach jungen Frauen für absolut legitim: erstens weil sie noch unverheiratet sind, und zweitens weil diese jungen Frauen ihre potentiellen zukünftigen Ehefrauen sind. Die verheirateten Männer streiten sich also mit den Ledigen um etwas, was normalerweise 44

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Letzteren rechtmäßig zusteht. Die Ledigen genießen zwar den Brauttanz, doch wird ihre Freude durch die Älteren überwacht, die jederzeit den Tanz abbrechen können. Der Ledige ist demnach mit mehreren Herausforderern konfrontiert: Mit seinesgleichen, also den anderen Ledigen; mit den älteren Männern, also den m’tahline; und mit den Verheirateten, die sich wie Ledige benehmen. Das alles macht den asli zu einem sehr zwangvollen Tanz: Der Weg zur jungen Frau ist voller Tücken. Indem sie verlangen, dass Gäste (iqbilan oder inabguiwn) geehrt und also zum Tanz mit den jungen Frauen zugelassen werden, tragen die lokalen Bräuche zu weiteren Hindernissen bei; nur die älteren Männer beurteilen dies lediglich als Zeichen der Gastfreundschaft; die Ledigen kritisieren, dass sich die Älteren mit dieser ‘Großzügigkeit’ brüsten und sie, die Jüngeren, dazu zwingen, mit den Gästen um die Damen zu konkurrieren; sie empfinden die Pflicht, ‘ihre Mädchen’ gegen die Gäste zu verteidigen; Gäste als Fremde zu bezeichnen kommt jedoch einem Regelbruch gleich. Nach Aussage eines Ledigen darf jemand keinen asli tanzen, wenn er in dem Dorf, in dem der ahouach stattfindet, fremd ist. Diese Aussage zeigt, dass die Fremden sich prinzipiell selbst ausschließen, und die Ungestümen unter ihnen werden durch die jungen Damen des Dorfes entmutigt, da diese einen Preis für den Tanz verlangen. Handelt es sich um einen Jungen aus dem Dorf, so gibt die Tanzpartnerin am Ende des Tanzes dieses Geld zurück; handelt es sich aber um einen Fremden, so behält sie es. Wie diese Analyse zeigt, kann man den ahouach in drei wesentliche Spiele untergliedern. Jedes Spiel ist Schauplatz eines bestimmten Wettbewerbs, an dem einige Akteure zu Ungunsten von anderen teilnehmen, obwohl alle am ahouach teilhaben. Im Folgenden werde ich zeigen, dass die gleichen Prinzipien auch in anderen rituellen Kontexten zum Tragen kommen.

Die Akteure in anderen rituellen Kontexten Bilmawn Anlässlich des dem Opferfest folgenden Kostümfestes, das ich im September 1983 beobachten konnte, habe ich festgestellt, dass eindeutige Oppositionen zwischen zwei Akteursgruppen deutlich werden, und zwar zwischen den iaazrine (den Ledigen) und den m’tahline (den Verheirateten). Die Vorbereitung des Kostümfestes, die Rollenaufteilung, das Rennen durch das Dorf und auch das Theater sind Beispiele dieser Gegensätzlichkeit. Folgende bissige Bemerkungen hörte ich in den Vorbereitungsphase zum Kostümfest: Zum Zeitpunkt der Ledernäharbeiten im Kerzenlicht auf der Terrasse der Moschee herrscht unter den jungen Männern Freude, während ein Mann um die vierzig den Tee serviert. Die Sticheleien erreichen ihren Höhepunkt. 45

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Ein m’tahal fordert die iaazrine auf: ›Wenn ihr es schafft, die Häute zusammenzunähen, kriegt ihr meine Djallaba.‹ Ein anderer antwortet: ›Kommt, wir können ihnen doch nicht die Häute überlassen. Die brauchen einen Bürgen!‹ Ein a‘zri dazu: ›Ich biete 150 Dirham für diese Häute.‹ M’tahal: ›Glaubt ihm nicht, er blufft. Es ist doch bekannt, dass die iaazrine, selbst wenn sie nach einem Jahr Arbeit aus der Stadt zurück kommen, keine 100 Dirham in der Tasche haben. Um in die Stadt zurück zu kehren muss man denen auch noch das Geld für die Fahrkarte leihen.‹ Ein a’zri: ›Ich wiederhole, ich gebe euch gern 150 Dirham für diese Häute.‹ M‘tahal: ›Dann gib uns 500 Dirham und dann kannst du sie haben.‹ Am darauffolgenden Tag, als man zwei Männer in die Lederhäute gekleidet hat, setzen die zwei Gruppen ihre Stichelei fort. Dabei wird eine sehr heikle Frage diskutiert: es geht darum festzulegen, ob dieses Jahr auch die Ledigen verkleidet werden sollen: Ein m’tahal: ›Man kann ihnen unsere Häute nicht anvertrauen, die brauchen eine Bürgschaft.‹ Ein m’tahal: ›Und was, wenn sie sie klauen oder darin ihren Darm entleeren?‹ Ein anderer: ›Das ist egal, die werden ihre Häute dann halt am vierten Tag anziehen.‹ Ein anderer: ›Nein! Das wird erst passieren, wenn die Maisernte vorbei ist.‹ Das Thema wechselt und ein a’zri fängt an zu sticheln: A’zri: ›Wisst ihr dass die Leute aus Ait Souka (Nachbardorf) uns gestern Nacht mit ballouch (Pech) beschmissen haben?‹ Ein anderer: ›So weit kann es kommen, wenn die Verheirateten sich um den bilmawn (in Lederhäute gekleideter Mann) kümmern.‹ M’tahal: ›Die Ledigen üben schon mal, weil sie ja wissen, dass sie die Häute nie anziehen werden dürfen.‹ Ein anderer m’tahal: ›Nicht mal, wenn einer von euch von der Moschee runter springt, würdet ihr die Lederbekleidung tragen dürfen.‹ Ein a’zri ging sofort auf den Vorschlag ein: ›Nein, ein a’zri und ein m‘tahal werden zusammen springen.‹ Ein m’tahal: ›Habt ihr es gehört, er ist nicht mal in der Lage, m’tahal richtig auszusprechen.‹ 46

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Ein anderer: ›Fasst bloß die Ledigen nicht an, ich hab den Eindruck, dass sie stinken.‹ Die Bekleidung des bilmawn wird voran getrieben und die iaazrine verlassen nach und nach den Ort. Alle sind jetzt draußen, feuern sich an und singen: ›Oh Gott, gib uns den bilmawn zurück, den du uns genommen hast.‹ Drinnen präzisiert ein verheirateter Mann: ›Diesen Ledigen ist es langsam kalt im Herzen, ihre Beine zittern ... sie haben Angst.‹

In der Tat, sie haben Angst. Denn in diesem Augenblick beginnt eine Phase des Kostümfestes, in dem die Männer mit ihren Lederhäuten und ihre Begleitung anfangen werden, die Ledigen, welche mit Djallabas bekleidet sind, zu verfolgen, zu verprügeln und mit Asche zu begießen, sobald sie sie erwischen.

Das Opferfest für die Eröffnung der Feldarbeit Im November 1985 hatte ich Gelegenheit, an diesem Ritus der Aït Mizane teilzunehmen, der in der Höhle von Sidi Chamharouch stattfindet. Für dieses Opferfest sind im Dorf jeden Herbst Fremde willkommen. Das Ritual ist in folgende Schritte gegliedert: Spendensammlung, Schlachtung von Ziegen, Schneiden des Fleisches, Versteigerung sowie Verteilung der Stücke. An dem Ritual nehmen teil: die Alten, die Männer mittleren Alters, die Ledigen sowie die jungen Frauen. Versteigert wird sowohl das Fleisch der geschlachteten Ziegen als auch einige Produkte, die von den Dorfleuten gestiftet werden, wie zum Beispiel Mehl, Eier, Butter und Hühnchen. Bei der Versteigerung ist der Markt sehr belebt; zunächst wird das Fleisch verkauft, wobei die Alten und die verheirateten Männer um die Stücke wetteifern. Gegen Ende dieser Situation habe ich beobachten können, wie die Jüngeren von den Älteren gestichelt wurden: ›Ihr werdet niemals Hühnchen kriegen‹, oder ›Passt auf diese iaazrine auf, die auf das Hühnchen warten.‹ Tatsächlich werden die Hühnchen von den Ledigen ersteigert. Während der Fleischverkauf angespannt ist, ist der Hühnchenverkauf der angenehmste Moment des gegenseitigen Überbietens. Die Erwachsenen nehmen lediglich teil, um die Jüngeren zu überbieten, doch lassen die Jüngeren dies nicht zu. Die Preise werden in die Höhe getrieben und die Männer lassen sich lautstark aus: ›Oh diese verdammten Ledigen, die haben schon wieder die Hühnchen in Brand gesteckt.‹ Die Ledigen bieten, und das ist entscheidend, allerdings nicht so sehr wegen des Hühnchens, sondern wegen der darauf folgenden Feier (amgajja), die ein 23-jähriger Lediger so beschreibt: »Vor zwei Jahren haben wir noch um den Kauf der Hähnchen gewetteifert, denn es machte das Hauptgericht aus und abends auch den Hauptteil des 47

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Opferfestes. Einige junge Leute organisierten eine Fete, zu der sie die Mädchen des Dorfes eingeladen haben. Mädchen und Jungs treffen sich am Tag des Opferfestes in der Nähe vom Sheikh (an der Höhle von Sidi Chamharouch) und reden miteinander, sie haben ein Rendez-vous. Alles wird im Voraus vorbereitet. Einige kümmern sich zu Hause um die Zubereitung der tajine oder es können auch die Mädchen sein, die sich drum kümmern. Abends sitzen die Mädchen und Jungs zusammen, trinken Tee und essen. Und im selben Haus findet ein Tanz statt.«

Ein verheirateter Mann erzählt: »Das heißt amgajja. Es ist eine gegenseitige Einladung der Jungs an die Mädchen und andersrum der Mädchen an die Jungs. Das kann zwei Tage andauern. Jungs und Mädchen trinken zusammen Tee, man redet miteinander, man berührt sich und scherzt, so ist es. … Nur für das Essen trennen Mädchen und Jungs ihre Tische. Nach der Fete findet ein Tanz statt. Die Eltern akzeptieren, dass ihre Töchter ausgehen und die Mädchen bitten alle zusammen um die Erlaubnis, so dass die Eltern es letztendlich akzeptieren.«

Wie aus diesen Beispielen erkennbar ist, werden in diesen rituellen Kontexten ebenso wie beim Tanz Trennungen – und ebenso Spannungen – zwischen den unterschiedlichen Akteursgruppen offenbar. Im Folgenden werde ich diese näher analysieren, um die jeweiligen Positionen in der lokalen Gesellschaftsstruktur deutlich zu machen.

Interpretation und Diskussion Der Tanz Der Rhythmus ist Bereich des männlichen Wettstreits, aus diesem Grund ist er exklusives Feld des männlichen Geschlechts. Die Ledigen, die aus diesem Spiel ausgeschlossen sind, befinden sich auf derselben Seite wie die verheirateten und jungen Frauen, die vom gleichen Exklusionsmechanismus betroffen sind. Durch den Rhythmus sickert die Führungsrolle, die Leitung des Tanzes durch: Der rais ist derjenige, der die Macht inne hat, die anderen mit seinem magischen Rhythmus mitzureißen. Die Dichtung ist ein elitäres Spiel, das Spiel der Ait Lmaana, der ‘Leute der Metaphern’. Als geistiges Spiel ist es den jungen Männern fremd. Die verheirateten m’tahline hingegen machen sich nach und nach damit bekannt, genießen es jedoch erst einmal als Anfänger. Frauen können den Titel der tandamt (Dichterin) anstreben und ebenfalls in die Elite der Alten integriert werden; Voraussetzung dafür ist jedoch Reife. Die Dichtung ist die Wissenschaft der Eingeweide (i’lm oul karch). Der Tanz ist hingegen die Hochburg der iaazrine und der tiaazrine. Sie gehen dem Tanz mit einer strengen Sorgfalt und 48

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einer bemerkenswerten körperlichen Anstrengung nach. Er ist ihre Ausdrucksweise, mit der sie ihre körperlichen Fähigkeiten zur Schau stellen. Wie bereits geschildert, nehmen auch die m’tahline mit ihrem ganzen Körper an diesen Spielen teil. Ihre Position ist mehrdeutig, denn während sie das geistige Spiel der Dichtung genießen, infolge ihres Mangels an Reife darin aber nicht völlig aufgehen, nehmen sie mit ihrer Jugendhaftigkeit am körperlichen Spiel teil und verhalten sich somit wie Ledige. Die Spiele des Rhythmus, der Dichtung und des Tanzes werden somit jeweils zum Spiel der Anleitung, zum Spiel des Geistes und zum Spiel des Körpers.

Das Opferfest Aid el Kebir Anlässlich des Opferfestes Aid el Kebir schlachtet der Haushaltsvorstand ein Tier und es finden Feierlichkeiten wie das Kostümfest des bilmawn, Theater unter freiem Himmel sowie Tänze zu später Stunde statt. Zunächst zum Kostümfest des bilmawn: Hier ist die Frage, wer das Fest organisiert und wer die zentrale Rolle des bilmawn übernimmt: Genau um diesen Punkt streiten sich die m’tahline und iaazrine und zugleich ist eben diese Frage das Thema, das beim Kostümfest inszeniert wird. Die Ledigen werden beim bilmawn von den m’tahline verspottet: Man könne ihnen nicht vertrauen, sie seien Trottel, die mit leeren Händen aus der Stadt zurückkehren, sie seien nicht mal volljährig und bräuchten deswegen einen Bürgen, sie werden des Diebstahls bezichtigt und seien schmutzig. Aber auch die verheirateten Männer haben keinen Grund zum Stolz: Es sei ihretwegen, dass das Böse über das Dorf hergefallen ist und sie seien nicht in der Lage, die Herausforderungen der Jüngeren anzunehmen. Dieses Palaver wird jedoch nur solange toleriert, wie die Verkleidung der Akteure andauert. Danach tritt die physische an die Stelle der symbolischen Gewalt. Die ledigen Männer nehmen die Beine in die Hand und rennen durch das Dorf, um den Schlägen und der Asche zu entkommen. Diejenigen, die zur Begleitgruppe des bilmawn gehören, akzeptieren hingegen die damit verbundenen Dienste und spielen eine zweitrangige Rolle. Im Theater hören die Feindseligkeiten vorübergehend auf und die iaazrine leisten zusammen mit den m’tahline ihren Beitrag dazu, das Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Jedoch ist auch hier eine eindeutige Dominanz der m’tahline festzustellen: Die unanständigen Rollen werden den Ledigen vorbehalten und obwohl sie zunächst Widerstand leisten, akzeptieren sie schließlich die vorgeschlagenen Verkleidungen. Das ist der Preis, den sie für ihre Teilnahme zahlen müssen. Schließlich ist es ein m’tahal, der die Position des Regisseurs inne hat und die Rollen verteilt. Ziel des Theaters ist es, Arbeit und Alltag zu thematisieren und die älteren Männer und Haushaltsvorstände ins 49

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Lächerliche zu ziehen, die sich von diesen obszönen Szenen fernhalten. Die iaazrine, die bereit sind, sich zu unterwerfen, müssen als Begleitgruppe des bilmawn herhalten und werden gezwungen, mit den jungen Frauen zu tanzen. Das ist tatsächlich nicht immer eine Freude, denn sobald sie stehen bleiben, werden sie durch Schläge zur Ordnung zurückgerufen. ›Bilmawn? Das tun doch nur die Ledigen‹, sagt man mir. Die älteren, ehrenvollen Männer sind von der Teilnahme an diesen Ritualen ausgeschlossen: Sie empfinden Scham. ›Die, die Bilmawn spielen, das sind die ohne Schamgefühl, die Unverschämten.‹ Aber die Verheirateten nehmen doch an diesen Spielen teil, denke ich mir. Es geht also darum, wer unter den Ledigen und den Verheirateten die Führungsrolle übernimmt, in einer Situation, in der die eigentlichen Autoritäten des Dorfes (die Älteren) ausgeschlossen sind. Die m’tahline wünschen sich, ihre Vormacht über die unverheirateten Männer auszuweiten. Letztere nehmen eine intermediäre Position zwischen Unterwerfung und Befehlsausführung ein: Sie akzeptieren weibliche, üble oder untergeordnete Rollen, tragen stinkende Lederbekleidung, tanzen mit den tiaazrine unter Androhung der Erniedrigung oder sie machen sich aus dem Staub und überlassen die anderen ihrem Schicksal. Sie haben die Wahl zwischen serviler Unterwerfung (genauso wie die jungen Damen, daran lässt sich die Symbolik erkennen, die die Frauen an diesem Tag genießen) und der freien und mutigen Flucht.

Die Eröffnung der Feldarbeit Auch aus dem Anlass des Opferfestes, das zur Eröffnung der Feldarbeit stattfindet, können die Beziehungen zwischen sozialen Akteuren beobachtet werden. Dieses Opferfest ist in mehrere Phasen unterteilt: (1) Es wird das Opfer gebracht. Dies ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit, dennoch gelten die Haushalte (takatine) als Bezugsobjekt; in ihrem Namen werden Geschenke und Beiträge gesammelt; der Haushaltsvorstand übernimmt die Verantwortung und der Haushalt gilt als Rechnungseinheit für alle Aktivitäten. (2) Die Versteigerung offenbart das Konkurrenzverhältnis unter den Haushaltsvorständen; ebenso nehmen die nicht-verheirateten Männer an diesem Wettbewerb teil; während Fleisch, Mehl, Butter und Eier unter den Männern hart umkämpft sind, lockt der Hähnchenverkauf die Ledigen aus der Reserve. Wir haben bereits gesehen, wie die Älteren sie zum Verkauf motivieren um sie dann im entscheidenden Moment unter Androhung, ihnen die Hähnchen zu rauben, dazu zu zwingen, mehr zu bieten. (3) Wenn die Pilger zum Dorf zurückgekehrt sind, finden mehrere Mahlzeiten statt. Die erste, an der alle Mitglieder eines Haushaltes teilnehmen, wird direkt am Lagerfeuer abgehalten. Die anderen hingegen finden am ‘Rande des Feuers’ statt und sind den jungen 50

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Frauen und den unverheirateten Männern vorbehalten. Das Fleisch des Opferfestes wird zum Abendessen serviert; die älteren und verheirateten Männer essen das Opferfleisch, wohingegen die iaazrine und die tiaazrine sich mit tajine und Hähnchen vergnügen. (4) Die iaazrine und die tiaazrine veranstalten einen längeren Abend mit nächtlichen Tänzen; es handelt sich um die kuriose Institution der amgajja (die umso kurioser erscheint, wenn man bedenkt, dass die Absicht des herbstlichen Opferfestes die Einweihung des Dorfes und der Feldarbeit ist); die amgajja ermöglicht den Kontakt zwischen iaazrine und tiaazrine; eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Fruchtbarkeitsritualen wird erkennbar. Indem ein a’zri ein Produkt während der Versteigerung (in diesem Fall das Hühnchen) erwirbt, geht er seine ersten Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde ein: Er übernimmt die Kosten für das feierliche Abendessen, an dem auch junge Frauen teilnehmen. Beim Opfer sticht vor allem die Symbolik des Haushaltes und seines Vorstandes heraus. Nur Haushalte können ‘Bürgerrechte’ als Bewohner – und damit einen Anteil des Opferfleisches – in Anspruch nehmen, nicht aber etwa Witwen und Fremde, die im Dorf wohnen. Letztere kommen in der der Verteilung vorausgegangenen Aufzählung der Haushalte nicht vor, jedoch werden ihnen aus Gründen der Wohltätigkeit nicht wirkliche Stücke, sondern Überreste zugebilligt die ihnen ohne Gegenleistung angeboten werden, um sie nicht in die gemeinschaftliche Buchführung des Opferfestes einzubinden. Die Versteigerung bzw. das gegenseitige Überbieten betont – über seine Funktion als Auslöser des Wettbewerbs zwischen den Haushaltsvorständen, den Abstammungsgruppen sowie den Dörfern hinaus – den Kampf der Erwachsenen um das Fleisch, das hier für das Endprodukt einer männlichen Tätigkeit steht (oder zumindest einer Tätigkeit, worüber der Haushaltsvorstand die Entscheidungsmacht inne hat). Der Wettbewerb der jungen Leute hingegen dreht sich ausschließlich um das Hühnchen, das ein Produkt rein weiblicher Tätigkeit darstellt. In den drei Kontexten des Tanzes, des Kostümfestes und des Opferns lassen sich demnach folgende Gegensätzlichkeiten in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern und Generationen feststellen: Geist/Körper, Befehl/Gehorsam sowie männlich/weiblich. Die Dichotomie Geist/Körper, die im Wesentlichen im ahouach Ausdruck findet, basiert nicht ausschließlich auf dem Kriterium der Geschlechtsunterscheidung. Zugleich enthält sie die Opposition von Reife und Jugendhaftigkeit. So steht die Reife der Poeten, der Weisen und einiger Frauen auf der einen Seite der Jugendhaftigkeit der m’tahline – der verheirateten aber noch nicht reifen Männer – sowie der (männlichen und weiblichen) Ledigen auf der anderen Seite gegenüber. Die Dichotomie Befehl/ Gehorsam strukturiert das Verhältnis zwischen den m’tahline und iaazrine. In all den Kontexten, aus denen der Haushaltsvorstand symbolisch ‘entfernt’ 51

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wird, haben die iaazrine außer der Flucht keine Alternative zum Gehorsam gegenüber den m’tahline. Anlässlich des dritten Tages des Kostümfestes können sie jedoch die Figur des ‘Ledermannes’ übernehmen, somit die Rollen tauschen und die m’tahline anführen. Und schließlich charakterisiert die Dichotomie männlich/weiblich den Wettbewerb um die versteigerten Produkte sowie die Klassifizierung der Ledigen in der Symbolik des Rhythmus beim Tanz. Jede dieser Dichotomien zeigt eine doppelte Spannung, welche sich auf zwei Ebenen zwischen zwei Akteursgruppen verbindet. Geist/Körper: Die erste Ebene existiert unter den reifen Leuten, einschließlich der Frauen, der Jugendlichen und der m’tahline. Der Gegensatz dreht sich um das Mitsprache- und Entscheidungsrecht. Diese Rechte sind der ersteren Akteursgruppe vorbehalten. Zwar steht fest, dass ein m’tahal theoretisch das Wort ergreifen kann, ebenso sicher ist jedoch, dass er dies niemals in Anwesenheit seines Vaters tun wird. Die zweite Ebene verortet sich zwischen den Züchtigen, den Alten und den reifen Männern auf der einen Seite und den ‘Unverschämten’ auf der anderen Seite. Erstere geben symbolisch ihre Führungsrolle während des Kostümfestes ab, an dem teilzunehmen für sie schamvoll wäre, und es sind die ‘Unverschämten’, die ihre Rolle übernehmen. Diese Spannung symbolisiert die Entmachtung der eigentlichen Autoritäten. Die dritte Ebene betrifft den leeren Platz, um den sich die m‘tahline und die iaazrine streiten. Trotz der Tatsache, dass erstere älter sind, erkennen die iaazrine die Führungsrolle, die sich die m’tahline für sich wünschen, nicht an. Sie selbst sind in dieser Frage gespalten. Manche akzeptieren es, zur Begleitgruppe des ‘Ledermannes’ zu gehören, führen folglich auch die Tanzbefehle durch und erleiden die Erniedrigung vor den Mädchen, manche andere hingegen tolerieren dies nicht und rebellieren. Die Illegitimität der Machtausübung ebnet den Weg zum Protest. Die von den m’tahline ausgeübte Führungsmacht ist nie absolut und wird mit der rebellischen Einstellung bestimmter iaazrine konfrontiert. Männlich/weiblich: Die erste Ebene spielt sich zwischen den Älteren und den Jugendlichen ab. Ausschließlich erstere sind dazu berechtigt, den Haushalt zu vertreten. Die Gründung eines Haushaltes verleiht Teilhabe an der Gesellschaft. Die Stellung des Haushaltsvorstands ist unangreifbar: Er ist derjenige, der das Tier anlässlich des Aid el Kebir opfert und in seinem Namen werden die Fleischstücke des gemeinschaftlichen Opferfestes verteilt. Die Ledigen sowie die m’tahline nehmen neben den Witwen und den Fremden Platz. Die zweite Ebene verdeutlicht, dass die iaazrine die Erwachsenen nachahmen und sich beim Wettbewerb um die Hühner überbieten. Neben der Affirmation, zur Gemeinde zu gehören, bietet sich hier die Gelegenheit, Rivalitäten zwischen Familien, Lineages und sozialen Gruppen zum Ausdruck kommen zu lassen. Während sich das Konkurrenzverhältnis unter den Erwachsenen im Bieten um das Fleisch (als Produkt der männlichen Arbeit) ausdrückt, hat der Wettbewerb unter den Jüngeren das von den Frauen gestiftete Huhn zum Objekt. Den Über52

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bietungskampf zu gewinnen bedeutet, sich die Gelegenheit zu verschaffen, den Abend in Gesellschaft der jungen Frauen zu verbringen. Die aufgezeigten Spannungen sind Ausdruck zweier Arten von Ansprüchen der Akteure: Anspruch auf Führungsrollen, da sich die Spannungen in Abgrenzung zum Haushaltsvorstand entwickeln; sowie Anspruch auf die jungen Frauen und allgemein auf Beziehungen zum anderen Geschlecht. Machtstreben und Frauen-Begierde scheinen das Spannungsfeld der Akteure zu bestimmen. Aufgrund der Tatsache, dass die reale Macht in der Hand der Haushaltsvorstände liegt, müssen sich die rituellen Aktionen darauf beschränken, diese nachzuahmen – etwa durch die Ersteigerung des Huhns – oder aber ins Lächerliche zu ziehen (im Theater). Der Wunsch nach einer jungen Frau ist für die iaazrine der Weg, sich vom Ledigsein zu befreien und den Zugang zur sozialen Schicht des m’tahal, des verheirateten Mannes, zu erlangen. Letzterer Status, ein intermediärer sozialer Status zwischen dem Ledigsein und dem erwachsenen Mann (argaz), ist schließlich zweideutig: Durch eine Ehe gründet man zwar eine eigene Kernfamilie, aber noch keinen unabhängigen Haushalt. Der Haushalt kann aus mehreren Kernfamilien bestehen, die alle unter der Autorität eines Vorstandes stehen. Der Haushaltsvorstand entscheidet über ihre Zukunft, etwa indem er Heiratsentscheidungen trifft. Die m’tahline verorten sich zwischen den reifen/anständigen Leuten (den sogenannten Ait l’Aql, Leute der Vernunft) und den Ledigen. Die Ledigen sind mangels Alternative diejenigen, die aktiv am Kostümfest teilnehmen und sich den Regeln der Älteren unterwerfen, wobei es auch solche gibt, die nicht bereit sind, sich zu unterwerfen, die sich an keine moralischen Regel halten und deren unzähmbarer Drang keine Grenzen kennt. Das Spannungsverhältnis verläuft somit entlang des Alters, der Hochzeit als Schwelle und entlang einiger Elemente, die einem frisch verheirateten Mann noch fehlen, um zur Vernunft zu kommen. Es handelt sich dabei um eine Art ‘Gruppenmoral’: Die Stellung der Alten oder Weisen verlangt, Leistungen von hohem Prestigewert zu erbringen, während von den jüngeren Generationen eher materielle Leistungen erwartet werden, wie etwa die Erfüllung der harten Aufgaben des Alltags. Die Analyse der beschriebenen Rituale offenbart demnach eine soziale Struktur, innerhalb der die Akteure je nach ihrem Alter, Geschlecht und Familienstand eine bestimmte Rolle spielen: Die junge unverheiratete Frau stellt ein Wunschobjekt dar, das jedoch patriarchalischen Regeln unterliegt. Der a’zri wird wie ein Kind behandelt und erniedrigt; er ist auf der Suche nach der eigenen Identität, um sich vom Ledigsein zu befreien und den m’tahal-Status zu erlangen. Der m’tahal hat eine zweideutige Rolle und bewegt sich zwischen erwachsenem Mann und Ledigem. Der erwachsene Mann, der so genannte argaz, ist der Verantwortliche und besitzt die Entscheidungsgewalt. Die Frau, tamghart, ist dem Haushaltsvorstand unterworfen, aber unerschrocken und entscheidungsfähig, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet. 53

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Fazit Das ausgewertete ethnographische Material weist Grenzen auf, da der Tanz etwas Lebendiges ist. Um seinem Verfall vorzubeugen, ist der Tanz zwar gegebenenfalls stark reglementiert, aber er ist auch der Moment, in dem Freude ausgedrückt wird. Zwischen der Regelhaftigkeit und der Freiheit ruht seine Lebendigkeit. Der Tanz besteht aus dieser Balance zwischen Ordnung und Phantasie, Norm und Emotionen. Der durch die Tanzregeln, die Bräuche und die Gruppe kontrollierten Aktion steht die unvorhersehbare Aktion gegenüber, die Naturelle und Launen einzelner Personen offenbart. Es geht um die intensiven Momente, die in dem Augenblick, in dem sie passieren, aufgefangen werden. Es handelt sich um die Sorgen des Alltagslebens und ihre Sublimierung in poetische Form. Im Tanz spiegeln sich Liebesintrigen, Interessenkonflikte und Prestigekämpfe wieder. Jeder bringt auf seine Art und Weise Liebesflut oder Rachegelüste zum Ausdruck. Jeder kennt in diesem Kommunikationsgeflecht seinen Ansprechpartner. Dennoch bleibt das Gruppenleben beim Tanzen nicht stehen, es gewinnt sogar vielleicht an Schwung. Das Gemeinschaftsleben zeigt sich dem Publikum und angesichts der esoterischen Ausdrucksweise, mit der kommuniziert wird, weicht man zugleich einer Debatte aus.

Anmerkungen * 1. 2. 3.

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Das französische Manuskript wurde von Enrica Audano in eine erste deutsche Fassung gebracht. Der Begriff moussem bezeichnet ein Fest zu Ehren eines lokalen Heiligen (in diesem Fall des Heiligen Sidi Chamharouch). Auch Tänze, an denen fremde, aber in aller Gastfreundlichkeit empfangene Gäste teilnehmen, können in die Kategorie ‘intim’ fallen. Dabei existieren zwei Arten von Trommeln, die sich in ihrer Klangfarbe unterscheiden. Eine Trommel wird in der Mitte geschlagen, so dass sie tief und schwingend klingt, während die andere sich durch eine sehr gespannte Haut und einen hohen und trockenen Klang auszeichnet, der dadurch gewonnen wird, dass der rais sie zum Abfedern der Vibrationen am Rand schlägt.

WEIDE – AUSHANDLUNGEN KOLLEKTIVER ZUGANGSRECHTE Hassan Rachik (Casablanca)*

Soziale Dynamik und kollektive Regelungen Dieser Beitrag untersucht soziale Interaktionsmechanismen mit der Umwelt am Beispiel der Aushandlung von Weiderechten bei den Rheraia.1 Einerseits ist es durch die Anpassung traditioneller Wirtschaftsweisen gelungen, relativ erfolgreiche Muster im Bereich des nachhaltigen Umgangs mit natürlichen Ressourcen zu entwickeln. Andererseits werden immer wieder die Grenzen der Regulierung erreicht. Das hier besprochene Beispiel aus dem Hohen Atlas analysiert unter soziologischem Blickwinkel in sehr kleinem Maßstab die Genealogie eines Regulationskonfliktes. Die Ait Mizane, eine Untergruppe der Rheraia, von der im Folgenden die Rede sein wird, leben in drei Dörfern: Aroumd, Mazik und Imlil. Laut der nationalen Volkszählung von 1982 hatten diese 590, 458 bzw. 480 Einwohner. Sie sind Teil des tachelhayt sprechenden berberischen Stammesbundes der Rheraia, die einen Teil der Nordabdachung des Hohen Atlas ca. 60 km südlich von Marrakech bewohnen. Die Rheraia gehören zur Gemeinde Asni; der Sitz der Gemeindeverwaltung sowie der der lokalen Verwaltungsbehörde befinden sich allerdings in der Kleinstadt Tahannaout, ca. 30 km vom Stammesgebiet entfernt. Die Wirtschaftsform der Ait Mizane stellt eine Mischung aus Ackerbau (v.a. Gerste und Mais), Obstbau (Nuss- sowie seit kurzem Apfelund Kirschbäume) und Viehzucht dar und kann daher als Agropastoralismus bezeichnet werden. Die Schaf- und Ziegenhaltung folgt einem saisonalen Transhumanzsystem: Im Sommer werden die Tiere auf die Hochweiden der umgebenden Berge getrieben, den Winter verbringen sie im Dorf, auf Weiden in unmittelbarer Dorfnähe oder in den tiefer gelegenen Ebenen nördlich des Atlas. 55

RACHIK

Im Jahre 1984 schlossen die drei Dörfer eine Hirtenvereinbarung (pacte pastoral), welche eine saisonale Sperrung der Winterweiden von Juni bis Anfang Oktober vorsah (vgl. Hammoudi 1988; Miller 1984). Das erklärte Ziel dieser Abmachung war es, alle Tierhalter zu verpflichten, ihre Herden in dieser Zeit auf die Hochweiden zu treiben, um die dorfnahen Weiden, welche nur im Winter zur Verfügung stehen, zu schonen.2 Um die Einhaltung der Sperrung zu gewährleisten, sah die Vereinbarung bei Zuwiderhandlung eine Geldstrafe von 100 Dirham vor. Im Falle einer Zahlungsverweigerung sollte der Zuwiderhandelnde ins Büro des caid (lokaler Verwaltungschef) vorgeladen werden, wo er das Doppelte der Geldstrafe zu zahlen hatte. Die Umsetzung der Vereinbarung beruhte auf einer doppelten Verpflichtung: Sowohl die jma't (Stammesversammlung) als auch die Behörden garantierten den Erfolg dieser Kollektivaktion. Dazu muss angemerkt werden, dass die Vereinbarung erst nach der Befürwortung durch die Behörden in Kraft trat. Die Stammesversammlung ernannte einen muqabil3, der Zuwiderhandelnde ausfindig machen und bestrafen sollte. Diese Person stammte aus dem Dorf Aroumd, wo sie das Amt des muqaddim4 der Moschee bekleidete. Im Falle von Widersetzlichkeit musste der muqabil den Zuwiderhandelnden ins Büro des caid vorladen. Ersterer verwahrte zudem auch die Einnahmen aus den Geldstrafen, welche als Gemeingut angesehen wurden und zur Finanzierung gemeinnütziger Projekte beitragen sollten. Im ersten Jahr, im Sommer 1984, wurde die Vereinbarung von den Tierhaltern respektiert. Im nächsten Jahr wurde sie gebrochen. Während manche Tierhalter die Sperrung verletzten, fochten andere sie in ihrer Gesamtheit an. Nach zahlreichen persönlichen Querelen und kollektiven Widersprüchen annullierten die Vertreter der Dörfer in Anwesenheit des caid den Stammesbeschluss. Auf diese Weise erlangten die Tierhalter nach einer kurzzeitigen Reglementierung die Freiheit über die Führung ihrer Herden zurück. Die vorliegende Studie stellt einen Versuch dar, das Scheitern dieses pacte pastoral zu erklären. Zunächst wird die Organisation der Weidewirtschaft skizziert, bevor auf die Situationen und Strategien der Tierhalter und Stämme eingegangen wird. Bei den untersuchten Gruppen reduzierte sich die Weidensperrung nicht auf eine überlieferte Tradition, sondern war zugleich Ergebnis einer kollektiven Aktion, die eine neue Regelung einführen wollte. Die Ait Mizane verwendeten das Prinzip der Weidensperrung bis dahin nicht, doch kannten sie diesen uralten Hirtenbrauch von den benachbarten Stämmen. Einige Tierhalter nutzten zudem den agdal von Oukaimeden, eine vom 15. März bis zum 10. August gesperrte Weide, die im Sommer von den Stammesbünden der Rheraia und der Ourika genutzt wird und auf der 1983 sieben Lagerplätze der Ait Mizane gezählt wurden (vgl. Giles et al. 1986). Das Scheitern des pacte pastoral kann somit durch die Ablehnung einer Innovation als auch den gleichzeitigen Misserfolg einer Kollektivunternehmung erklärt werden. 56

WEIDE

Karte 3-1: Transhumanz: Sommerweiden der Ait Mizane in den 1980er Jahren 57

RACHIK

Organisation der Weidewirtschaft Im Allgemeinen zeichnet sich das Leben der Herde, mit Ausnahme der Rinder, durch zwei Wanderungsbewegungen aus: eine im Winter und eine im Sommer. Die größten Wanderungen, gemessen an der Anzahl der Tiere, erfolgen in Richtung der Hochweiden (vgl. Karte 1). Diese befinden sich zwischen den Dörfern Imlil (1.750 m), Aroumd (1.900 m) und dem Kamm des Hohen Atlas (2.200–3.050 m). Die Sommertranshumanz beginnt im Juni: Die Tiere werden auf die Hochweiden getrieben, die maximal vier Wegstunden vom Dorf entfernt liegen. Die dortige Verweildauer ist je nach Tierhalter unterschiedlich, doch alle müssen wegen der einsetzenden Kälte im Oktober ins Dorf zurückkehren. Ab November werden die Schafe für den Winter in den azaghar, die nördlich des Atlasgebirges gelegenen Ebenen des Haouz, getrieben. Diese Wanderungsbewegungen erstrecken sich außerhalb des Stammesgebietes und überschreiten oft 30 km. Im Gegensatz zu den Schafen bleiben die Ziegen in den Dörfern und werden, sobald die Winterkälte nachlässt, in die Umgebung der Felder oder auf Weiden in Dorfnähe, die als assammer (pl. issoummar: wörtl. sonnenbeschienener Hang) bezeichnet werden, geführt.5 Das Wort azib wird häufig zur Bezeichnung der Hochweiden benutzt. Tatsächlich bezeichnet das Wort auch die Lager der Hirten und die Einfriedungen (asgoun) aus Trockensteinmauern. Die Lager der Hirten sind Allgemeingut. Unter Allgemeingut sollen hier Güter verstanden werden, deren Nutzung durch ein Mitglied einer Gruppe den anderen Mitgliedern der Gruppe nicht verweigert werden kann (vgl. Olson 1978). Jeder Tierhalter, der dem Stamm der Ait Mizane angehört, darf seine Herden auf sämtliche Weiden innerhalb des Stammesgebietes führen. Die Einfriedungen, die mehrere Herden aufnehmen können, werden von den zuerst eintreffenden Hirten besetzt. Um ihre Herden auseinander zu halten, werden die Tiere in der Regel durch ein spezielles Zeichen (afray) am Ohr markiert. Die drei Dörfer nutzen jeweils separate Sommerweiden; die Winterweiden werden jedoch simultan von Tierhaltern aus verschiedenen Dörfern beansprucht, da in dieser Zeit die nutzbaren Weideflächen stark reduziert sind. Auf der Ebene einzelner Dörfer existiert keine festgeschriebene Regelung der Nutzung kollektiver Weidegebiete. Ebenso geht dem Auftrieb auf die Hochweiden keine Eröffnungszeremonie voraus. Lediglich das Wetter bestimmt den Beginn und das Ende der Transhumanz. Was die Tierhalter betrifft, ist eine gewisse Organisation beim Hüten der Herden zu beobachten: das Abwechseln der Hirten (tawala). Es handelt sich dabei um Regelungen, bei denen sich jeweils zwei bis fünf Tierhalter zusammenschließen und sich dazu verpflichten, die so entstandene Gesamtherde abwechselnd zu hüten. Die Zahl der Arbeitstage richtet sich nach der Zahl der eingebrachten Tiere. Dabei liegt die Rechnungseinheit bei fünf oder zehn Tieren – man sagt: ‘ein Tag für zehn Tiere’. Für 58

WEIDE

Tab. 3-1: Hüteverträge, Herdengröße und Anzahl der Arbeitstage Tierhalter

Ziegen

Schafe

Gesamt

Arbeitstage

A B C D E F G

25 50 35 0 0 50 25

0 20 18 14 20 0 0

25 70 53 14 20 50 25

3 8 5 5 5 2 2

Fall 1

Fall 2 Fall 3 Quelle: Eigene Erhebungen

Tab. 3-2: Herkunft der Tierhalter mit Hüteverträgen auf tawala-Basis(a) Vertrag A B

C D E F G H I

Familie

Weiler

Dorf

Tierhalter (Anz.)

Ait Idar Ait Ifraden Imerda Ait Hmad Ait Azeyyame Id Rami Id M'achou Ait Hmad Ait Azeyyame Ait Idar Ait Ifraden Ait Idar Azeddour Ait Meskouk Ait Bouredda Ait Lmouddene Ait Lqadi

Achayne Tawrirt Tagadirt Tagadirt Tagadirt Tagadirt Tagadirt Tagadirt Tagadirt Achayne Tawrirt Achayne

Imlil Imlil Imlil Imlil Imlil Imlil Imlil Imlil Imlil Imlil Imlil Imlil Mazik Mazik Mazik Aroumd Aroumd

2 1 2 1 2 1 1 2 2 4 1 3 5 2 2 1 1

Quelle: Eigene Erhebungen Anmerkung: (a) Tawala: wörtlich Rotation.

40 Ziegen beispielsweise muss ein Tierhalter je nach Abmachung die gesamte Herde für vier oder acht Tage hüten. Allerdings ist dies nicht zwingend vorgeschrieben; so lassen sich auch individuelle Absprachen zwischen den Tierhaltern beobachten. Diese basieren meist auf Vertrauens- und Freundschaftsverhältnissen. Im dritten Fall der Tabelle 3-1 kann man feststellen, dass zwei verschiedene Herdengrößen die gleiche Anzahl an Arbeitstagen zur Folge haben. Hier erweist ein Schwiegersohn seinem Schwiegervater eine Gefälligkeit. 59

RACHIK

Die Beispiele zeigen, dass die Vertragsparteien einerseits stets zum selben Dorf gehören und eventuell auch zum selben Weiler. Dies lässt sich einerseits dadurch erklären, dass die Weidenutzung auf Dorfebene erfolgt. Andererseits sind Verträge zwischen Tierhaltern einer Familie häufig. Dabei stellt jedoch die Familie nicht zwangsläufig eine Produktionseinheit dar, da die Verträge nicht immer alle Tierhalter einer Familie betreffen. Zudem schließen Tierhalter aus verschiedenen Familien Hüteverträge miteinander ab (Tab. 3-2). Der Hütevertrag gilt als eine angemessene Möglichkeit oder Strategie, die Schwierigkeiten, die häufig bei der Transhumanz auftreten (Hirtenmangel, Pendeln zwischen den Dörfern und Hochweiden, etc.) zu lösen. Er erlaubt es den Tierhaltern, Mitglieder des Haushalts zwischenzeitlich vom Hirtendienst zu befreien und für andere Arbeiten einzusetzen. Für einen Tierhalter können sich drei Optionen ergeben: die Transhumanz, die einfache Wanderung und die Stallhaltung.6 Selbst wenn eine Familie drei Hirten hat, sind diese nicht immer verfügbar. Wenn man darüber hinaus noch die Anforderungen bedenkt, die der Feldbau, der während der Sommertranzhumanz betrieben wird, an die Familien stellt (Gersten- und Kartoffelernte, Maisbewässerung, Aufsammeln der Nüsse, etc.), wird deutlich, warum die Bauern ständig bemüht sind, neue Organisationsmethoden zu entwickeln oder zu übernehmen. Es kommt vor, dass ein Familienoberhaupt zugleich auf angestellte Hirten und Hüteverträge zurückgreift. Wenn der angestellte Hirte nicht mit der Herde unterwegs ist, arbeitet er auf dem Feld und kümmert sich um die säugenden Schafe und Ziegen. Im Zuge der Wintertranshumanz in den azaghar werden verschiedene Beziehungen mit den Bewohnern der Ebene eingegangen. Jeder Tierhalter sucht einen Partner in der Tiefebene, der seine Herde aufnehmen kann. Nach einer Übereinkunft vertraut er seine Schafe dem Partner an. Selbst in diesem Fall, in der Tiefebene, kümmert sich der Hirte des Ait-Mizane-Tierhalters weiter um die Herde. Der Tierhalter überbringt seinem Partner Geschenke und der aufnehmenden Gruppe ein Opfer, welches ‘das Schaf der Gräser’ genannt wird (ahrouy n'touga). Darüber hinaus gibt es jedoch im Voraus ausgehandelte Verträge, bei denen die Vertragsparteien die Dauer der Transhumanz und den Preis festlegen;7 hierbei obliegt das Hüten dem Partner.

Anfechtung des Pacte Pastoral Die Fragen, auf die diese Studie zu antworten versucht, leiten sich aus Erhebungen ab, die zwischen 1985 und 1990 durchgeführt wurden. Was die Beziehungen zwischen den Gruppen betrifft, stand dabei die Frage im Fokus, warum die Dörfer Imlil und Mazik die Vereinbarung mit großer Vehemenz anfochten, während alle Tierhalter aus Aroumd diese stets verteidigten. 60

WEIDE

Alle 1990 befragten Tierhalter aus Aroumd befürworten die Aufrechterhaltung der Weidensperrung. Sie weisen das Scheitern der Vereinbarung den benachbarten Gruppen zu. ›Sie wollen nicht auf die Hochweiden gehen wie wir, sie bleiben lieber in der Nähe der Dörfer.‹ Manche Dorfbewohner beschuldigen nur die Tierhalter aus Imlil: ›Wir führen unsere Herden auf die Hochweiden. Sie jedoch begnügen sich damit, gerade bis in die Nähe unseres Dorfes zu gehen. Wenn wir dann zurückkehren, finden wir unsere Weiden trocken vor.‹ Als im Sommer 1985 die Vereinbarung erstmal angefochten wurde, begnügte sich der größte Tierhalter von Aroumd (und des Stammes) nicht mit Worten, sondern führte seine circa 300 Kopf große Herde auf die Winterweiden von Imlil. Fünf Jahre später erklärt er, dass seine Aktion seine Unzufriedenheit mit den Tierhaltern von Imlil ausdrücken sollte, welche die Winterweiden nicht verließen. Die Anfechter von Imlil äußerten sich alsbald öffentlich. Während einer spontanen Versammlung (05.07.1985) auf dem kleinen Dorfplatz (souiqa) stellten sie die divergierenden Interessen der Dörfer dar. In dieser von einigen zu Geldstrafen verurteilten Tierhaltern aufgeheizten Debatte kam zum Ausdruck, dass die Vereinbarung lediglich dem Dorf Aroumd nutze. Aroumd ›verfügt über ausgedehnte Weideflächen, wir lehnen es ab, uns auf die Hochweiden zu beschränken, wo es nur Steine gibt. Wir wollen nicht ins Hochgebirge gehen und auf unsere dorfnahen Weiden verzichten.‹ Auf die Frage, warum die Tierhalter von Imlil ihre Herden nicht auf die von Aroumd genutzten Weiden führten, sofern diese dem gesamten Stamm gehören, wurde die Befürchtung der Überlastung oder Weigerung der Hirten angebracht. Dieser Konflikt sei von Vorfällen angestachelt worden, die von den Bewohnern Imlils angesprochen und von den Informanten aus Aroumd abgestritten wurden. 1984, am Tag der Öffnung der gesperrten Zonen, hätten die Bewohner Aroumds im Morgengrauen ihr Vieh auf eine Weide geführt, die gemeinsam mit Imlil genutzt wurde. Das Gras, welches das Vieh übrig gelassen hätte, sei von den Männern und Frauen gesenst worden. »Was nützt uns diese Vereinbarung, wenn unsere Winterweiden sowieso trocken sind? Es ist doch besser, sie im Sommer zu nutzen, wenn die Tierhalter von Aroumd auf den Hochweiden sind.«

Um die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Dörfern zu verstehen, muss ihre Lage im Stammesterritorium betrachtet werden. Aroumd befindet sich talaufwärts und hat daher leichten Zugang zu den Weiden, welche jenseits des Heiligtums Sidi Chamharouch liegen. Da die Sommer- und Winterweiden weit voneinander entfernt sind, können sie von Aroumd aus nicht zeitgleich genutzt werden, sondern tatsächlich nur im saisonalen Wechsel. Die Tierhalter von Imlil, wie auch die von Mazik, haben jedoch die Möglichkeit, während des Sommers gleichzeitig Sommer- und Winterweiden zu nutzen, da diese von 61

RACHIK

ihrem Standort aus näher beieinander liegen (vgl. Tab. 3-3, 3-4). Daher war die Vereinbarung für das Dorf Aroumd vorteilhaft, bedeutete sie doch eine Schonung bzw. Erweiterung der Winterweiden für Aroumd und eine Verringerung der Sommerweiden für Imlil und Mazik. Angesichts seines Viehreichtums von insgesamt 2.400 Tieren, mehr als die beiden anderen Dörfer zusammen besitzen, war es für Aroumd nur von Vorteil, neue Weideflächen dazu zu gewinnen. Die gegensätzlichen Interessen werden auch daran deutlich, dass die Initiative für den pacte pastoral vor allem von Aroumd ausging. Viele Informanten erklären die Entstehung der Vereinbarung mit einem Konflikt zwischen dem untersuchten Stamm und einer benachbarten Gruppe (Anmiter, Tifnout). Der Streitgegenstand betrifft die Organisation einer Hochweide namens Isgane n’Wagouns. Diese Weide befindet sich auf dem Territorium der Ait Mizane, wird jedoch hin und wieder von der benachbarten Gruppe genutzt. Niemand bei den Ait Mizane lehnte dieses althergebrachte Nutzungsrecht ab. Vor jeder Sommerwanderung kamen die Vertreter der benachbarten Gruppe mit ihren Geschenken nach Aroumd, dem der Problemweide am nächsten gelegenen Dorf, um diese Erlaubnis erneuert zu bekommen. Daran können sich Informanten erinnern. Damals, so sagt man, wagten es die Tierhalter nicht, die vom Heiligen gesetzten Fristen zu überschreiten. Während der Kolonialzeit begannen sie ihren Aufenthalt zu verlängern. Sie bedienten sich der Macht des wohlbekannten caid Glawi, der mehrere Herden bei ihnen hatte, um die Weidebesitzer zu bedrohen. Nach der Unabhängigkeit Marokkos verlangten die Ait Mizane die Rückkehr zum traditionellen 15-tägigen Aufenthalt. Zwischen den Hirten und Tierhaltern der entgegen gesetzten Gruppen kam es zu Streitereien und Prügeleien. 1962 unterschrieben die Gemeindevertreter und die angesehenen Persönlichkeiten der beiden Gruppen unter der Ägide der beiden betroffenen caids eine Vereinbarung, die den Aufenthalt der Tierhalter aus Anmiter und Tifnout auf den Monat Juli beschränkte. Diese Bemühungen machten dem Konflikt und den Feindseligkeiten zwischen den Gruppen jedoch kein Ende. Im Mai 1989 gab es im Sitz der Gemeindeverwaltung in Tahannaout einen erneuten Schlichtungsversuch. Die caids und die Vertreter der rivalisierenden Gruppen diskutierten das Datum der Weideöffnung. Da es sich um eine Hochweide handelt, verlangten die Nutzer, den Termin der Transhumanz um zwei Wochen nach hinten zu verschieben. Im darauf folgenden Sommer wurde die Übereinkunft erneut gebrochen: Am 9. September befanden sich einige Tierhalter noch immer auf der Weide. Diese Verlängerung wurde damit gerechtfertigt, dass sie wegen dem Schnee, der die Wege versperrte, nicht zum vereinbarten Zeitpunkt hinauf gehen konnten. Am 8. September 1989 verzögerte eine weitere Übereinkunft zwischen den Stämmen den Auftrieb auf die Hochweiden; von nun an sollte die Transhumanz im August stattfinden.

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WEIDE

Tab. 3-3: Sommerweiden des Stammes Ait Mizane Name der Weide

Dorf

Tiberguent Adad Izgarne Zawt Dou Adj Berdoune Tamdout n’Chikh Bougdrour Tissendar Ouggoug n’Ougdal Tawount Isgane n’Wagouns Tizi n’Tighalline Izerrougza

Imlil Imlil Mazik Mazik Mazik Aroumd Aroumd Aroumd Aroumd Aroumd Aroumd Aroumd Aroumd

Einfriedungen 6 3 1 5 6 3 1 2 3 3 0 1 2

Quelle: Eigene Erhebungen

Tab. 3-4: Winterweiden des Stammes Ait Mizane Name der Weide

Dorf

Tiberguent Tagountaft Tasghimout Tighalline Iguer Ougni Berdoune Imoulayne Dou Adj Assouggelgh

Imlil und Aroumd Imlil und Aroumd Imlil und Mazik Imlil Imlil Mazik Mazik Mazik Aroumd

Quelle: Eigene Erhebungen

Da die Weiden von den Ait Mizane als Stammeseigentum angesehen werden, sollten diese von den drei Dörfern verteidigt werden. Bei den untersuchten Gruppen bedeutet eine Kollektivaktion, dass die drei Gruppen des Stammes vertreten sind und die Ausgaben geteilt werden. Bei einem Konflikt zwischen dem Stamm sowie den Nachkommen und Verwaltern von Sidi Chamharouch traf eine Delegation von zwölf Personen die Behörden. Jedes Dorf war von vier angesehenen Persönlichkeiten vertreten. Die für die Lösung des Konflikts nötigen Ausgaben wurden von den drei Dörfern getragen. Gleichzeitig bestand die Dorfversammlung, welche eigentlich den gesamten Stamm vertreten sollte, jedoch oft ausschließlich aus Vertretern des Dorfes Aroumd. Doch es kam noch besser. Die Ausgaben (Verwaltungsvorgänge, Transportkosten etc.) wur63

RACHIK

den größtenteils von Aroumd getragen. Nur die Tierhalter aus diesem Dorf zahlten regelmäßig Beiträge im Verhältnis zu ihrem Tierbesitz ein. Im Winter 1989 legte die Dorfversammlung diese Beiträge auf fünf Dirham pro Tier fest. Einige angesehene Persönlichkeiten von Aroumd werfen Imlil und Mazik vor, sie in diesem Konflikt nicht genügend zu unterstützen. Auf der anderen Seite werfen die Anführer von Imlil und Mazik wiederum Aroumd vor, allein zu handeln und zu viel Initiative zu ergreifen: ›Sie gehen zum caid ohne es mit uns abzusprechen […]. Ein Vertreter von Aroumd ging alleine dorthin, um eine Kopie der Übereinkunft zwischen den Stämmen zu holen. Diese gehört dem gesamten Stamm. Es hätten mindestens drei Vertreter (einer pro Dorf) bedurft‹, erklärt ein Gemeindevertreter von Mazik. Andere werfen Aroumd vor, allein über das Geld aus den Geldstrafen bestimmt zu haben. Dieses Geld deckte tatsächlich einen Teil der Ausgaben, die für die Lösung des Konflikts anfielen. Den angesehenen Personen und den Bewohnern von Imlil und Mazik ist der Konflikt gleichgültig, weil sich ihre Sommerweiden woanders befinden. Wir erinnern uns: Die Eigentumsrechte der Sommerweiden liegen beim Stamm und deren Nutzungsrechte beim Dorf. Nach Meinung von Bewohnern dieser beiden Dörfer wird die Problemweide von Tierhaltern aus Aroumd genutzt. Ob der Konflikt zugunsten von Aroumd ausgeht oder nicht, hätte keinerlei Auswirkungen auf ihre Weiden. Angesehene Personen aus Aroumd schlugen eine Sperrung der nächstgelegenen Weiden vor, um so alle Tierhalter des Stammes zu veranlassen, die Hochweiden zu nutzen und dadurch besser mit ihren Gegnern konkurrieren zu können. Es handelt sich hierbei um Motive, welche die angesehenen Personen, die am Entstehen des pacte pastoral beteiligt waren und die Informanten aus den verschiedenen Dörfern explizit erwähnt haben. Eine Person verwendete sogar das Wort ‘Ursache’, um die Hirtenvereinbarung mit dem Konflikt in Verbindung zu bringen: ›Die Ursache der Vereinbarung war es, die Tierhalter dazu zu bringen, massiv die Hochweiden zu nutzen, um die Ait Tifnout in die Enge zu treiben. Diese bringen mehr als 3.000 Tiere.‹ Ein anderer Tierhalter drückt dieselbe Idee aus: die Vereinbarung wurde geschlossen, ›damit die Tiere massiv hochgetrieben werden und mit den von den Ait Tifnout genutzten Weiden beginnen, um danach allmählich zu den näher gelegenen Weiden abzusteigen‹. Die erwarteten Gewinne würden am Ende des Konflikts wohl nicht für alle Dörfer die gleichen sein. Sollte man also davon ausgehen, dass Tierhalter sich an einer Unternehmung beteiligen, deren Früchte von anderen geerntet werden würden, und seien sie auch vom selben Stamm? Um die kollektiven Strategien im Falle von Aroumd zu erklären, wo alle Tierhalter tatsächlich die Vereinbarung akzeptiert haben, wären der Aufbau und die Struktur der Gruppe ausreichend. Im Fall von Imlil und Mazik waren die Reaktionen der Tierhalter jedoch unterschiedlich. Dies zwingt uns dazu, das Scheitern des pacte pastoral nicht nur auf Dorfebene zu analysieren, sondern 64

WEIDE

zwischen einzelnen Tierhaltern zu unterscheiden, denn viele Tierhalter aus diesen Dörfern handelten der Vereinbarung zuwider. Einige dieser Personen stellten zwar die Weidensperrung nicht direkt in Frage, billigten jedoch die Zuwiderhandlungen ihrer Hirten. Vier Tierhalter, die Geldstrafe bezahlen mussten, gehörten sogar der Versammlung der angesehenen Personen an, welche die Vereinbarung geschlossen haben. Unter ihnen war auch der muqaddim, der angab, dass die Tiere seinem Sohn entflohen seien und so die Grenzen einer gesperrten Weide überschritten hätten; in anderen Situationen führten nach Angaben der Tierhalter einzelne Hirten heimlich und absichtlich Herden über die von der Vereinbarung festgelegte Grenze. Die Hirten anderer Tierhalter (die ebenfalls bestraft wurden) verließen die Hochweiden ungefähr zehn Tage vor der festgesetzten Frist und zogen auf die Winterweiden. Wieder andere Tierhalter fochten die Vereinbarung an, indem sie die Transhumanz komplett verweigerten. Unter diesen brachen einige zudem auch die Weidensperrung. Insgesamt lassen sich somit vier Formen negativer Reaktion auf die Vereinbarung unterscheiden: Nichteinhaltung der Dauer der Transhumanz; Überschreitung der Grenzen der gesperrten Weiden; Überschreitung mit Anfechtung; Anfechtung ohne Überschreitung. Im ersten Fall bewerteten mehrere Tierhalter die Vereinbarung als zu streng: Die auf vier Monate festgesetzte Transhumanzdauer ließe sich nicht mit der für die Herdenbewegungen notwendigen Flexibilität vereinbaren. Die Dauer der Transhumanz hinge zum Beispiel von der Zusammensetzung der Herde ab. Die Hirten, die nur Ziegen hüteten, neigen dazu, als Erste wieder ins Tal abzusteigen, weil, so erklärten die Tierhalter, die Ziegen die Kälte nicht vertrügen. Derjenige, der eine gemischte Herde aus Schafen und Ziegen besitze, müsse einen Unterstand für die Nacht finden, wenn er seinen Aufenthalt verlängern wolle. Im zweiten Fall waren Tierhalter, die mit ihren Herden weiterhin Transhumanz betreiben wollten, der Meinung, dass die Vereinbarung ihre Sommerweiden spürbar reduziere; aus Sicht von mehreren dieser Hirten waren die Regeln der Vereinbarung sowohl im räumlichen als auch im zeitlichen Sinne zu streng. Der heftigste Widerstand jedoch kam von Tierhaltern, die die Transhumanz komplett verweigerten; Transhumanz, so argumentierten sie, lohne sich ohnehin nur ab einer bestimmten Herdengröße; diejenigen mit kleinen Herden (weniger als 20 Tiere) hätten keinen Nutzen davon, mit wenigen Tieren zu wandern. Stimmte diese Argumentation, dann wären die Verweigerer vor allem Tierhalter kleiner Herden. Dies war jedoch nicht der Fall (vgl. Tab. 3-5): Bei den Anfechtern handelt es sich umgekehrt sogar um Tierhalter mit mittleren und großen Herden. Die Verweigerungen stehen womöglich vielmehr in Zusammenhang mit einem weiteren Problemfeld: Transhumanz erfordert einen erfahrenen Hirten; in Dorfnähe hingegen kann das Hüten einem Kind anvertraut werden. Die Strategien der Herdenhalter sind von der Verfügbarkeit familiärer Arbeitskraft 65

RACHIK

beeinflusst: Gerade die jungen Männer entfliehen den rauen Bedingungen der Transhumanz zunehmend, angezogen etwa von Tätigkeiten im Tourismusbereich, der sich in der Region entwickelt. Das Arbeitskraftproblem betrifft sowohl die Tierhalter mit kleiner als auch großer Herde. Einer der härtesten Anfechter aus Imlil (Tierhalter E, Tab. 3-5) sagte aus, er habe während der durch den pacte pastoral auferlegten Transhumanz mehrere Ziegen verloren, da der Hirte, sein verheirateter Sohn, nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen sei. Ein anderer Anfechter aus Mazik hielt im Sommer seine Herde auf einer Weide in der Nähe des Dorfes (Berdoun), wo er ein 'azib gebaut hatte, welches eigentlich nur als ‘Zwischenstation’ zwischen Dorf und Hochweiden gedacht war: Sein zwölfjähriger Sohn hütete die Herde und er selbst pendelte, ging abends zum azib, um seinem Sohn zu helfen, und kehrte morgens ins Dorf zurück. Für mehrere Tierhalter ist Arbeitskräftemangel zudem deshalb kaum zu bewältigen, da die Anstellung eines bezahlten Hirten sehr schwierig geworden ist. Die gängige Meinung ist, dass der Beruf des Lohnhirten aufgrund des niedrigen Gehalts zu verschwinden drohe. In der Tat schwankt dieses je nach Alter des Hirten zwischen 1.000 Dh (für einen 15jährigen Hirten) und 1.800 Dh (für einen 25-jährigen Hirten); zudem wird der Vertrag häufig vom Vater des Hirten abgeschlossen, welcher auch das Geld bekommt. Manche Hirten sagen aus, nur die Hälfte des Lohnes zu bekommen. Der Vertrag beinhaltet darüber hinaus auch andere Verpflichtungen für den Viehbesitzer, so etwa die Versorgung des Hirten mit Nahrung und Kleidung (djellaba, akhidous, Schuhe, Stiefel und zwei Decken) sowie bestimmte ‘Geschenke’ an den Hirten (tasekfedt oder lfabour, für gewöhnlich eine weibliche Jungziege). Insgesamt wird die Transhumanz – und damit die Einhaltung des pacte pastoral – durch die geringe Größe mancher Familien und den Mangel an Hirten nicht begünstigt. Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass die Transhumanz für die Tierhalter gleichzeitig Gewinne, aber auch Verluste bedeutet. Zu den Gewinnen zählt, dass sich das Vieh auf den Hochweiden besser ernähren kann und sein Preis höher ausfallen wird als der des im Dorf verbleibenden Viehs. Verluste sind hingegen im Bereich des Viehdungs zu verbuchen, der als Dünger für die intensive Landwirtschaft im Hochgebirge unverzichtbar und als überaus wertvoll betrachtet wird. Der Tierhalter, der Transhumanz betreibt, verliert den gesamten Viehdung, wenn der azib zu weit vom Dorf entfernt oder für Maulesel unzugänglich ist. Auch von näher gelegenen Weiden kann der Tierhalter mit dem Maulesel immer nur einen Teil des Dungs transportieren. Einige Halter großer Herden führen die Transhumanz nicht durch, um den Dung zu behalten, der sonst ganz oder teilweise in den Einfriedungen zurückbleibt. Nach einem Jahr wurde einigen Tierhaltern klar, dass die Regeln der Vereinbarung sowohl im räumlichen als auch im zeitlichen Maß zu streng waren. Der stärkste Widerstand kam dabei von denjenigen, die es aus verschiedenen 66

WEIDE

Tab. 3-5: Negative Reaktionen auf den pacte pastoral Dorf Imlil         Mazik         Aroumd

Tierhalter Ziegen

Schafe





A B C D E F G

56 35 60 50 60 50 30

 H I J K L M N O

60 50 19 15 150 70 ? ?





20 1 50 20 20 20 20

Nein

Art der Zuwiderhandlung 

Ja Ja Ja Ja Ja

Ja Ja Ja Ja Nein Nein Nein

Grenzverletzung Verweigerung Verweigerung Verweigerung Verweigerung Verweigerung Verweigerung

20 12 20 10 20 30 ? ?

Nein Nein Nein Ja Ja Ja Ja Ja

Ja Ja Ja Ja Ja Nein Ja Nein

Fristverletzung Fristverletzung Fristverletzung Verweigerung Verweigerung Verweigerung Verweigerung Verweigerung

50

Nein

Ja

Grenzverletzung



 P

Anfech- Zuwidertung handlung

 250

Quelle: Eigene Erhebungen Anmerkung: ‘Verweigerung’ bedeutet komplette Verweigerung der Transhumanz.

Motiven komplett ablehnten, die traditionelle Transhumanz zu den Hochweiden durchzuführen, den pacte pastoral deshalb anfochten und bei den Behörden dessen Aufhebung forderten. Wie gezeigt wurde, kam eine aufgezwungene Transhumanz diesen Tierhaltern aus mehreren Gründen nicht entgegen. Etliche Faktoren, darunter Mangel an familiärer Arbeitskraft und an Lohnhirten, sowie bei größeren Herden, die Ökonomie des Viehdungs, behinderten die Herdenbewegung.

Fazit Von der Analyse der Bedingungen der Kollektivaktion ausgehend, lässt sich das Scheitern des pacte pastoral mit dem Vorhandensein von divergierenden oder sogar gegensätzlichen Interessen der Dörfer und Tierhalter in Beziehung setzen. Die Ablehnung der Vereinbarung ist, wie ich gezeigt habe, durch die verschiedenen Situationen der Anfechter begründbar, durch ihr jeweils individuelles System von Ressourcen und Zwängen, das Handlungsspielräume er-

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RACHIK

öffnet oder einschränkt. Das Vorhandensein unterschiedlicher Interessen allein kann den Widerstand gegen eine solche Kollektivunternehmung nicht erklären, ebenso wie gemeinsame Interessen allein nicht ausreichend wären, um sein Funktionieren sicherzustellen. Die Lage der Tierhalter wird von den Bedingungen, die von der Gruppe bestimmt sind, unterschiedlich beeinflusst. So focht etwa in Aroumd kein Tierhalter die Vereinbarung an: In Anbetracht der Anzahl der von diesem Dorf genutzten Weiden, des Konflikts mit dem benachbarten Stamm und der Konkurrenz um die Winterweiden zwischen den Dörfern zogen in Aroumd alle einen Vorteil daraus, Transhumanz zu betreiben und den pacte pastoral zu respektieren. Umgekehrt wird im Fall von Imlil und Mazik bei näherer Betrachtung der Lage einzelner Tierhalter verständlich, warum manche von ihnen Transhumanz verweigerten und aufhörten, diese zu betreiben. Allerdings ist so noch nicht erklärt, warum die Tierhalter bei der Anfechtung des pacte pastoral so erfolgreich waren. Eine mögliche Erklärung ergibt sich aus der Art des durch den pacte (potenziell) sichergestellten Allgemeingutes. Dieses Allgemeingut brachte einem Teil der Gruppe nicht nur keinerlei Vorteil, sondern stand dessen Interessen direkt entgegen: Sie hätten selbst bei Tierverlust, bei Hirten- und Futtermangel zu einer festgelegten Zeit auf die Hochweiden ziehen müssen. Die Ablehnung der Vereinbarung war die einzig mögliche Reaktion, weil die Vereinbarung denjenigen Tierhaltern, die sie nicht akzeptieren konnten, keine Alternative bot. Diese Tierhalter hatten zudem die Möglichkeit, gegen eine kollektive Übereinkunft vorzugehen: Ihr Status ermöglichte die Ablehnung der Vereinbarung, da sie in der Mehrheit Halter großer Herden waren. Auch die politische Lage bestimmte das Ende der Anfechtung. Im vorliegenden Fall lag die Annullierung der Vereinbarung nicht in den Händen des Stammes, sondern kam letztendlich den Vertretern der lokalen Behörden zu. Im ländlichen Kontext unterbinden diese prinzipiell jegliche Initiative, die ein Gewaltrisiko birgt. Der caid konnte eine Vereinbarung, die den Status Quo gefährden würde, nicht aufrecht erhalten, ohne seine Stellung aufs Spiel zu setzen. Es war also in seinem Interesse sowie in dem der Anfechter, dem pacte pastoral offiziell ein Ende zu setzen, auch wenn die Motive nicht die gleichen waren. In jedem Fall war der pacte, und damit eine zwangsweise Fortführung der transhumanten Tradition, damit zum Scheitern verurteilt.

Anmerkungen * 1.

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Das französische Manuskript wurde von Enrica Audano in eine erste deutsche Fassung gebracht Dieser Text beruht auf Feldforschungen, die der Autor in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in der Region durchgeführt hat.

WEIDE

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3. 4. 5.

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7. 8.

In verschiedenen Regionen Marokkos bezeichnet das Wort agdal zugleich den Akt des befristeten Untersagens der Nutzung einer Weide als auch die gesperrte Weide selbst. Nach Laoust bedeutet das Wort agdal eine Weide, einen Talgrund mit Feuchtwiesen, die zu bestimmten Zeiten gesperrt (qqen) und zu anderen Zeiten, im Spätfrühling und Sommer, frei gegeben (erzem) ist (1939). Bei den Seksawa (Hoher Atlas) wird diese organisierte Sperrung agmi genannt. Berque definiert dies als ›dem allgemeinen Nutzungsrecht entzogene Orte‹ (1978, 111). Hart hingegen definiert den agdal kurz und knapp: ›Collective pasture with rigidely fixed opening and closing dates‹ (1984, XV). Bei den Ait Mizane bezeichnet agdal eine kleine bewässerte Privatweide, während das Prinzip der Weidensperrung durch andere Ausdrücke wie qqen adrar (die Bergweiden sperren) oder nesker azzayne (eine Geldstrafe auferlegen) wiedergegeben wird. Muqabil: derjenige, der sich um etwas kümmert. Muqaddim: Verwalter; Vertreter der Behörden auf Stammesebene. Der Verzicht auf die Transhumanz bei Ziegen wird von den Tierhaltern wie folgt erklärt: ›Wenn die Ziegen den Winter in der Tiefebene verbringen, nehmen sie zu, kehren in die Berge zurück, trinken das kalte Quellwasser, ersticken (kshint) und sterben.‹ ›Die Ziegen essen das trockene Gras der Tiefebene (touga iqqourne), rupfen daraufhin das ‘grüne’ Gras (tzegzaw), trinken kaltes Wasser, werden krank und sterben.‹ Manchmal wird die Transhumanz bei Jungziegen, die in der Tiefebene verkauft werden sollen, durchgeführt. Andere Tierhalter sind der Meinung, dass die flachen Weiden (isetwa) der Ebene nicht für Ziegen geeignet seien. Sie seien besser an die Hochweiden angepasst, wo sie ihre bevorzugte Nahrung finden. Einfache Wanderung: Die Tiere werden morgens auf dorfnahe Weiden und abends ins Dorf zurückgeführt. Die Stallhaltung oder die Anfütterung entspricht nur teilweise dem, was die Tierhalter mit dem Wort gli bezeichnen, welches ‘eingrenzen, limitieren, unterscheiden, teilen’ bedeutet (vgl. Jordan 1934). Wenn man ‘wir teilen sie’ (ar ten guelli) sagt, meint man, dass die Jungtiere, die trächtigen oder säugenden Weibchen, im Stall oder auf dem Hof bleiben. 1989 wurden Schafe für drei Monate zum Preis von 30 Dh pro Tier aufgenommen. 1936 haben Geographen vier Sommerweiden gezählt, die dem hier untersuchten Stamm gehörten (Weide Nr. 7, 8, 10 und 11). Dazu kommt eine weitere Weide ohne Namen, die nach ihrer Lage dem Azib n’Tighalline (vgl. Carte du Massif de Toubkal 1936) entspricht. Miller hat neun Weiden ausfindig gemacht, von denen wir nur sechs mit Sicherheit identifizieren konnten (Nr. 2, 5, 7, 8, 10 und 11). Die Weide von Tamsoult, die sich auf dem Gebiet eines benachbarten Stammes (Azzaden) befindet, wird nach Angabe von mehreren Tierhaltern seit etwa 15 Jahren nicht mehr genutzt (vgl. Miller 1984, XVII, 105-115). Die Liste wurde um drei Weiden ergänzt, welche von zentraler Bedeutung für die Transhumanz sind (Nr. 1, 4, 14). Dazu ist anzumerken, dass die Weide Isgane n’Wagouns (Nr. 11) zu Aroumd gehört, aber auch von einer Gruppe des Stammes Ait Tifnout genutzt wird. Die errichteten Einfriedungen gehören dem letztgenannten. Die Tierhalter von Aroumd führen ihre Herden außerhalb der dem Nachbarstamm zustehenden Zeit dorthin und bringen sie am Abend auf die Weide von Tawount (Nr. 10) zurück.

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LANDWIRTSCHAFT – I N N O VAT I O N U N D S O Z I A L E R W A N D E L Mohammed Mahdi (Meknès)*

Die Einführung des Obstbaus in den Dörfern des Hohen Atlas war in den letzten Jahrzehnten eines der markantesten Phänomene, die die Agrarsysteme grundlegend transformiert haben und bis heute weitreichende Auswirkungen für die Existenzsicherung der Bewohner entfalten.1 Im gegenwärtigen Agrarsystem hat der Obstbau (Apfel-, Pfirsich-, Kirsch-, Aprikosen- und Pflaumenbäume) den Getreideanbau weitgehend ersetzt. In den einzelnen Tälern der Gemeinde Asni ist dieser Prozess unterschiedlich weit fortgeschritten. Der vorliegende Artikel verfolgt das Ziel, Bedingungen, Prozesse und Auswirkungen agrarischer Innovationen besser zu verstehen.1 Wie erfolgen Innovationen? Wie verhalten sich die Landwirte gegenüber technischen Neuerungen? Durch welche Prozesse und unter welchen Bedingungen werden Innovationen von sozialen und technischen Systemen übernommen, integriert oder zurückgewiesen? Wie hängen Innovationen mit sozialem Wandel zusammen? Unter Innovation verstehe ich eine von einem Individuum oder einer Produktionseinheit neu wahrgenommene Idee, Praktik oder Objekt. Der Begriff soziales System ist analytisch zu denken; er bezeichnet Netze von Beziehungen zwischen Akteuren (Personen oder Gruppen), die miteinander in Interaktion stehen und in physische und kulturelle Rahmenbedingungen eingebettet sind. Die Verbreitung von Innovationen definiere ich als den Prozess, durch den eine Innovation mittels verschiedenster Kanäle während einer bestimmten Zeitspanne zwischen den Mitgliedern eines sozialen Systems kommuniziert und angeeignet wird. Die Verbreitung geschieht durch die im sozialen System aktiven Verknüpfungen. Sie beeinflusst zunächst die physischen Bestandteile des ländlichen Ensembles, das technische System. Sie verändert die materielle und kulturelle Grundlage der Bauern und aktiviert oder transformiert Netze sozialer Beziehungen. 71

MAHDI

Die vorliegende Untersuchung habe ich 1985 im douar (Dorf) Imseker L’Bour durchgeführt. Hier begann der Obstbau um 1975. Ich habe darüber hinaus über etwa zehn Jahre hinweg im gesamten Gebiet den Prozess der Einführung des Obstanbaus beobachtet. Ich werde versuchen, anhand der erhobenen Daten den Einführungsprozess dieser neuen Kulturen zu analysieren, indem ich die Perspektiven des technischen Systems und der beteiligten Akteure einnehme. Zunächst werde ich die agrarökonomischen, sozialen und technischen Elemente des Dorfes Imseker L’Bour vorstellen. Dann werde ich zeigen, wie die Eigenschaften des lokalen Agrarsystems die Übernahme der Innovation begünstigt haben. Schließlich werde ich aus der Perspektive der verschiedenen Akteure versuchen, den Innovationsprozess detailliert zu erklären und zu verstehen.

Imseker L’Bour Die Bevölkerung von Imseker L’Bour setzt sich aus 44 Haushalten zusammen, die durch Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen eng untereinander verbunden sind (starke Tendenz zur Endogamie) und sich in fünf Abstammungsgruppen unterteilen. Aus den dichtgedrängten Wohnverhältnissen entstehen starke Bande zwischen Nachbarn. Beziehungen gegenseitiger Hilfe sind relativ verbreitet, so etwa beim abwechselnden Hüten der Ziegenherden, beim Austausch und Ausleihen von Werkzeugen oder bei der Unterstützung landwirtschaftlicher Arbeiten. Seit der Einführung des marktorientierten Obstanbaus werden diese Systeme gegenseitiger Hilfe zunehmend kommerzialisiert und monetarisiert. Gemeinsame Interessen (Bewässerungssystem, Waldgebiete, Instandhaltung der Moschee und der Piste zum Dorf, religiöse Feiern etc.) verbinden die Dorfbewohner jedoch nach wie vor und erfordern enge Kooperation. Die agrarisch nutzbare Fläche des Dorfes umfasst etwa 23,1 ha, wovon 6,34 ha bewässert sind; der Rest wird im Trockenfeldbau genutzt (bour). Innerhalb der bour-Flächen muss unterschieden werden zwischen den im Gruppenterritorium befindlichen (2,14 ha) und den außerhalb in der Ebene liegenden Flächen (14,5 ha). Schließt man drei Landwirte aus, die mehr als einen Hektar Land besitzen (wovon der Großteil in der Ebene liegt), so sind die pro Haushalt genutzten Flächen in aller Regel sehr klein. Die Dorfbewohner praktizieren Trocken- und Bewässerungsfeldbau. Im Trockenfeldbau wird in den Bergen alle zwei bis drei Jahre Gerste auf Ackerflächen gesät, die vom Forstamt angemietet werden; in der Ebene wird dagegen eine Rotation GetreideHülsenfrüchte-Getreide oder Getreide-Brache-Getreide praktiziert. Im Bewässerungsfeldbau werden Getreide, Gemüse und Obstbäume angebaut. Zudem hat die Baumwirtschaft eine lange Tradition in Imseker L’Bour: Walnussbäu72

LANDWIRTSCHAFT

Karte 4-1: Imseker L’Bour 73

MAHDI

me, die hier wild wachsen – etwa entlang der Wasserläufe und dort, wo ihr Laubwerk den Ackerbau nicht beeinträchtigt – sind in guten Jahren eine nicht zu vernachlässigende Einnahmequelle. Sie werden allerdings wenig gepflegt. Insgesamt ist hervorzuheben, dass das System der Nutzpflanzenproduktion in Imseker L’Bour, wie im gesamten Gebiet der Rheraia, ziemlich einheitlich ist, d.h. dass zwischen einzelnen Haushalten bezüglich der Produktionsmethoden keine großen Unterschiede bestehen: Man ‘macht es so wie alle anderen’. Um dieses System und seine Veränderungen soll es im Folgenden gehen.

Agrarsystem und Innovation Ein Bauer aus Imseker L’Bour beschrieb mir die ersten Experimente mit Obstbäumen wie folgt: »Während der 1960er Jahre hatten einige Bauern des Dorfes Pflaumenbäume gepflanzt. Da sie es eilig hatten, Früchte zu sehen und es leid waren, zu warten, rissen sie die Bäume wieder aus und kehrten zum gewohnten Anbau zurück. Einige Jahre später pflanzte eine Familie im Nachbarort, Tagadirt n’Imseker, Apfel- und Kirschbäume. In den ersten Jahren war es hart. Als sie aber das Ergebnis sahen, haben es einige von uns ihnen gleichgetan.«

Die Umgebung von Imseker L’Bour stellte einen nicht zu vernachlässigenden Trumpf bei der Übernahme der Neuerung dar. In Asni gab es seit mehreren Jahrzehnten Obstbäume. Dort wurden sie in den 1950er Jahren auf einem kolonialen Bauerngut eingeführt (von einem gewissen Roger, an den man sich nach wie vor erinnert), wie auch in bestimmten Bergdörfern, sowohl im Rheraiaals auch im Ourika-Tal. Diese Experimente dienten als Erfolgsbeispiele, denen man folgen konnte. Seither blieb der Obstbaum für die Bauern aus Imseker attraktiv. Um die technische Hürde seiner Einführung zu überwinden, lud man erfahrene Bauern aus den entsprechenden Dörfern ein; die vielfältigen sozio-historischen Bindungen, die in die benachbarten Regionen bestehen, begünstigten die Zirkulation von Informationen über die neuen Pflanzen. Die Innovation Obstbau betraf die bewässerten Flächen des Dorfes, die vorher ausschließlich für den herkömmlichen subsistenzorientierten Getreide- und Gemüseanbau genutzt worden waren. Die traditionelle Fruchtfolge bestand aus Gerste, die im Oktober/November gesät und im Juli geerntet wird, gefolgt von Spätmais, den man im Juli sät und im Oktober erntet; zudem wurden auf kleineren Parzellen Kartoffeln, Zwiebeln sowie Klee angebaut, die beide etwa zur gleichen Zeit wie der Obstbaum eingeführt wurden. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren 5/6 der bewässerten Parzellen außerdem zeitgleich mit Obstbäumen bepflanzt. Obstbaum, Gemüse- und Futterpflanzen wurden – und das ist entscheidend – den traditionell angebauten Produkten zur Seite gestellt. So störte der Baum bei seiner Einführung das vorhandene Produktions74

LANDWIRTSCHAFT

system nicht, sondern sorgte, zusammen mit Kartoffeln und Klee, lediglich für eine intensivere Bodennutzung. Die Parzellen werden zusätzlich mit Bäumen bepflanzt; sie werden weiterhin intensiv genutzt, zumindest in den ersten Jahren, in denen der Baum nicht produktiv ist. Ein Ausfall von Ackerflächen wird so durch die Ausweitung der Mischkultur umgangen und anstelle einer Ersetzung hat sich in der Übergangsphase ein Phänomen des Nebeneinanderbestehens von Altem und Neuem gezeigt. Fruchtfolge und Rotation unterschieden sich zum Zeitpunkt der Untersuchung kaum von denjenigen vor der Einführung der Obstbäume. Die Bauern verfolgen die traditionelle Fruchtfolge weiterhin, ergänzen sie aber durch Gemüse und Obst, die gänzlich auf den Markt ausgerichtet sind, sowie durch Klee. So vollzog sich der Übergang von einer reinen Sammeltätigkeit (Nussbaum) hin zu einem Obstanbau, der das Beherrschen von Techniken verlangt. Allerdings bedeutet die Übernahme des Obstbaumes keineswegs, dass auch seine Kultivierung beherrscht wird; die Bauern wussten anfangs so gut wie nichts über Schnitt, Pfropfung, Stecklinge usw. Im Rückblick zeigt sich jedoch die grundlegende Veränderung der Agrarlandschaft. Der marktorientierte Obstbau integrierte sich in das bestehende System, das bis dahin im Wesentlichen auf Eigenverbrauch ausgerichtet war, ohne es umzustürzen, was nicht unbedingt von Anfang an abzusehen war.

Prozesse der Übernahme Im Folgenden analysiere ich die Muster der Ausbreitung sowie die Entscheidungen der Akteure, Innovation zuzulassen und auf Feldern Obstbäume zu pflanzen, auf denen man gewohnt war, Gerste und Mais anzubauen, und somit Anbaugewohnheiten zu ändern und nicht unbeträchtliche Risiken einzugehen. In Imseker L’Bour verlief die Übernahme des Obstbaumes in einer S-förmigen Kurve (vgl. Abb. 4-1). Die Verteilung der Obstproduzenten auf dieser Kurve würde es erlauben, sie je nach Zeitpunkt der Einführung in sechs Klassen einzuteilen: Pioniere, Innovatoren, frühe Mehrheit, späte Mehrheit, Nachzügler und Nichtübernehmer. Mit dem heuristischen Wert dieser Einteilung im Hinterkopf werde ich jedoch eine andere Klassifikation vornehmen. Sie unterteilt den beobachteten Zeitraum in drei Hauptphasen, anhand derer zwischen Kategorien von Einführern unterschieden wird. Dies ist für mein Fallbeispiel zweckmäßiger. Schematisch gesprochen gab es im Prozess der Übernahme des Obstbaus zunächst eine Experimentierphase, die vom ersten bis zum vierten Jahr reicht, dann einen Zeitabschnitt von weiteren vier Jahren, in dem sich die Innovation verbreitete, und schließlich eine dreijährige Phase, in der die Innovation unvermeidlich und unumkehrbar wurde, da fast alle Bauern des Dorfes Bäume pflanzten. Es ist hervorzuheben, dass die eigentliche Einführung (erstmals ei75

MAHDI

nen Baum zu pflanzen) durch ‘Wiederholungstaten’ überlagert wird (zum zweiten, dritten Mal usw. weitere Bäume zu pflanzen). In der Abbildung 4-1 fallen diese beiden Kategorien von Bauern zusammen; im Folgenden möchte ich sie jedoch im Interesse analytischer Klarheit trennen. In der ersten Phase vollzog sich die Einführung des Obstbaumes sehr langsam und die Zahl der neuen Obstproduzenten pro Jahr war gering. Lediglich zwei bis drei Bauern pro Jahr – insgesamt 11 von 44 – begannen innerhalb der ersten vier Jahre mit dem Obstbau, drei von ihnen pflanzten im gleichen Zeitraum mehrmals. Daher verteilt sich die Anzahl der Bäume nach vier Jahren auf die Bauern wie folgt: 5, 12, 25, 30, 40, 40, 49, 100, 110, 185. Nur zwei Bauern pflanzten gleich im ersten Jahr eine beträchtliche Menge (100 bzw. 145 Bäume), ein dritter im zweiten Jahr (80). Diese drei Bauern können als die ‘Pioniere’ des Obstanbaus in Imseker L’Bour angesehen werden. Die restlichen acht Bauern pflanzten in dieser Phase nicht mehr als je 50 Bäume, nur drei von ihnen im ersten Jahr. Das Verhalten dieser Bauern ist durch große Vorsicht gekennzeichnet. Sie imitieren die drei oben erwähnten Pioniere, ohne ein zu hohes Risiko einzugehen, und entschließen sich erst sehr viel später, die Innovation ernst zu nehmen: ab dem sechsten (20 Bäume) und dem neunten Jahr (70 Bäume) in einem Fall, ab dem achten Jahr (98 Bäume) im zweiten, ab dem sechsten (10 Bäume) und siebten Jahr (100 Bäume) im dritten. Insgesamt ist die Einführung des Obstbaums in der ersten Phase von einem vorsichtigen und allmählichen Vorgehen geprägt; lediglich die Pioniere gingen ein gewisses Risiko ein. Während der zweiten Phase, die sich wiederum über vier Jahre erstreckt, beschleunigt sich das Phänomen der Übernahme: 8, 15, 10 bzw.15 Pflanzungen kommen in diesen Jahren jeweils hinzu. Mehr und mehr bekennen sich die Bauern zum Obstbaum. Trotzdem finden sich die oben genannten Verhaltensmuster der ersten Phase bei den Bauern der zweiten Phase wieder. Weiterhin werden pro Bauer und Jahr relativ wenige Bäume neu gepflanzt und nur manche pflanzen größere Mengen an. Außerdem tritt eine wiederholte Pflanzung auch in der zweiten Phase auf (in 29 Fällen gegenüber 19 erstmaligen Pflanzern). Im Laufe dieser zweiten Phase führten fast 50 Prozent der Bauern im Dorf den Obstbaum ein oder pflanzten ihn erneut an. Mit Beginn der dritten Phase schlossen sich weitere neun Übernehmer der Bewegung an. Ihren Höhepunkt erreichte die Innovationsgeschwindigkeit im Jahr 1983 (21 Pflanzer) und fiel dann plötzlich fast auf Null ab. Lediglich vier Bauern, drei von ihnen landlos, hatten den Obstbaum bis 1985 noch nicht eingeführt. Neuübernehmer und Wiederholungspflanzer habe ich bisher gleichberechtigt betrachtet. Nun zu denjenigen, die den Obstbaum erstmalig anpflanzen (vgl. Abb. 4-2). Alle Phasen beginnen mit einer verhältnismäßig hohen Zahl von Bauern, die zum ersten Mal Obstbäume pflanzen. Ihre Zahl nimmt mit den Jahren ab und geht gegen Null. Die Phase geht zu Ende und ihr folgt eine 76

LANDWIRTSCHAFT

Abb. 4-1: Einführung von Obstbäumen

77

MAHDI

zweite, in der sich der Prozess wiederholt, dann eine dritte. So vollzieht sich die Übernahme in Stufen. Während des ersten Zeitabschnitts führten 25 Prozent der Bauern den Obstbau ein, in der zweiten Periode folgten fast 50 Prozent der Dorfbewohner ihrem Beispiel und in der dritten Phase schlossen sich weitere 20 Prozent der Bauern an. Indessen hat die Innovation vier Bauern nicht erreicht, die den Obstanbau zum Zeitpunkt der Untersuchung (noch) nicht übernommen hatten. Die Wiederholungspflanzer verstärken das Phänomen der Einführung und geben ihm seinen unumkehrbaren Charakter. Ihre Anzahl pro Jahr ist größer als die der erstmaligen Übernehmer. Diejenigen, die zum wiederholten Male pflanzen, begannen zaghaft ab dem dritten Jahr, und ihre Anzahl blieb vom sechsten Jahr an durchweg hoch. Aus dieser Tatsache tritt der kollektive Aspekt der Innovation deutlicher hervor.

Motivationen der Akteure Bisher habe ich den Verlauf der Einführung des Obstbaumes in Imseker L’Bour auf aggregierter Ebene dargestellt. Nun ist es angebracht, sich auf die individuelle Ebene zu begeben, um zu versuchen, die Motive der Akteure hinsichtlich der Übernahme dieser Innovation zu erklären. Zu diesem Zweck greife ich die drei Einführungsphasen wieder auf. Anwender der ersten Phase unterteilen sich in zwei Unterkategorien von Bauern mit zwei verschiedenen Verhaltensmustern (vgl. Tab. 4-1): (1) Die Pioniere: Die Anzahl der von diesen Bauern gepflanzten Bäume ist relativ hoch (100, 110 und 185), teilweise aufgrund mehrmaliger Pflanzung. Diese Bauern verfügen über große landwirtschaftliche Nutzflächen und/ oder über ein substanzielles Nebeneinkommen. Dies verleiht ihnen den Spielraum, eine Parzelle dem Obstbau zu opfern, während gleichzeitig die Ernährung des Haushaltes mit Getreide gesichert ist. In den Obstbaum werden zudem lediglich monetäre Überschüsse investiert, ohne die Geldbestände des Betriebs zu gefährden. Diese beiden Voraussetzungen ermöglichten es den Pionieren, ein kalkuliertes Risiko einzugehen, ohne dass ein Fehlschlagen des Experiments eine Katastrophe für den Haushalt dargestellt hätte. (2) Die ‘Zaghaften’: Das Verhalten dieser Gruppe ist charakterisiert durch die Pflanzung einer geringen (30 min) zur Arbeit bzw. Pendeln in andere Stadtteile betreffen nur eine Minderheit. Die Verdienste der Befragten reflektieren die Integration in vorwiegend niedrigqualifizierte und informelle Arbeitsmarktsegmente, legen aber auch beträchtliche ökonomische Ungleichheiten offen (siehe Tab. 17-2). Das mediane Budget der arbeitenden Befragten liegt bei etwa 1.300 Dh pro Monat. Während die untersten (am schlechtesten bezahlten) 25 Prozent weniger als 800 Dh verdienen, erwirtschaften die obersten 25 Prozent jeweils über mehr als 2.000 Dh pro Monat. Die Arbeitslosen haben fast ausnahmslos nur sehr wenig Geld zur Verfügung: Die Hälfte von ihnen muss mit weniger als 200 Dh pro Monat auskommen. Hervorzuheben ist, dass der ‘Sprung ins Erwachsenenleben’, also die Gründung eines eigenen Haushaltes, auf Grundlage dieser Budgets für einen beträchtlichen Teil der Jugendlichen finanziell kaum machbar ist. Folgende Überlegungen verdeutlichen dies: Für das städtische Marokko lag die offizielle Armutslinie im Jahre 2004 bei einem Ausgabenniveau von 1.687 Dh pro Haushalt und Monat; alle Haushalte, die darunter lagen, galten als arm in dem Sinne, dass ihre Versorgung mit ausreichend Nahrung und einer bestimmten Mindestmenge an Non-Food-Gütern nur noch bedingt sichergestellt war, und zusätzlich galten alle Haushalte, die weniger als 2.531 Dh pro Monat ausgaben, als armutsgefährdet (vgl. HCP 2005). Dies bedeutet, 6 dass es nicht nur für die arbeitslosen Befragten, sondern auch für mindestens die Hälfte der Arbeitenden auf Grundlage ihrer gegenwärtigen Einkommen unmöglich wäre, einen Haushalt zu gründen und diesen als einzige einkommenserwirtschaftende Person langfristig über der Armutslinie zu halten. Etwa 73 Prozent der Befragten, darunter auch etliche Personen aus den höheren Altersklassen und mit permanenter Beschäftigung, wohnen dementsprechend noch bei ihren Eltern oder mit anderen Familienmitgliedern zusammen.7 Die Einbindung in einen familiären Kontext ist für die Mehrheit überlebensnotwendig und stellt die zentrale, oft alternativlose Strategie sozialer Sicherung dar. Die eigene Familiengründung kann oft erst nach Jahren harter Arbeit in Angriff genommen werden.

Migration, Arbeitszugang, Soziale Absicherung Viele in Rabat lebende junge Erwachsene sind in ihren Biographien von Prozessen der Land-Stadt-Migration geprägt: 42,9 Prozent (124) der Befragten sind nicht in Rabat geboren, sondern zugewandert, und zwar fast alle aus ländlichen Gebieten. Auffällig ist, dass die Migranten dispers auf die verschiedenen Wohnviertel verteilt wohnen und dass von räumlichen Konzentrationen von Menschen bestimmter Herkunft oder gar ihrer Segregation in ethnic neigh334

RABAT

Tab. 17-2: Monetäre Situation junger Erwachsener in Rabat

Durchschnittliches Budget/Monat Kein Budget (%) Budgetperzentil in Dh: 25% 50% 75%

(a)

Arbeitende

In Ausbildung

Arbeitslose

(n=151)

(n=57)

(n=81)

1.526 ---

495 14,0

349 34,6



 800 1.300 2.000

 200 500 650

--200 500

Quelle: Eigene Erhebungen Herbst 2002 Anmerkungen: n=289; (a) Personen ohne Budget mitgerechnet.

bourhoods nicht die Rede sein kann. Der Zuwanderungszeitpunkt liegt bei 33 Prozent der befragten Migranten weniger als fünf Jahre zurück, bei weiteren 21 Prozent zwischen fünf und neun Jahren, bei 19 Prozent zwischen zehn und vierzehn Jahren und bei 27 Prozent darüber. Die Herkunftsgebiete zeigen zwei räumliche Schwerpunkte: Rund die Hälfte der Migranten stammt aus Südmarokko (mehrheitlich aus den Regionen Marrakech, Souss und Anti-Atlas sowie Ouarzazate, Errachidia und aus der Westsahara) und ein weiteres Drittel aus den Küstengebieten und zentralmarokkanischen Ebenen (insbesondere Regionen Settat, Khemisset, Khouribga, Beni-Mellal und El Jadida). In vielerlei Hinsicht – etwa bezüglich ihrer Beschäftigungsstruktur – ähneln die Migranten stark den Befragten, die in Rabat geboren sind. Allerdings verfügen sie über einen höheren Durchschnittsverdienst (1.942 Dh gegenüber 1.526 Dh in der Gesamtstichprobe) und eine niedrigere Arbeitslosenquote als die Nichtmigranten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass unter ihnen viele junge Männer zu finden sind, die nach Rabat migriert sind, um von hier aus Familienangehörige auf dem Land zu unterstützen. Sowohl beim Arbeitszugang als auch im Bereich sozialer Absicherung stehen nur einer sehr kleinen Minderheit der jungen Erwachsenen formelle Institutionen zur Verfügung. Lediglich knapp zehn Prozent der Befragten sind in staatliche Institutionen sozialer Sicherheit (Rentenkasse, Krankenversicherung) eingebunden. Es handelt sich ausschließlich um Angestellte in höherqualifizierten Jobs des öffentlichen oder privaten formellen Sektors. Ebenso spielen staatliche Agenturen für die Arbeitsfindung praktisch keine Rolle: Nur vier von 289 Befragten gaben an, Dienste einer solchen Institution in Anspruch genommen zu haben. Vor diesem Hintergrund liegt auf der Hand, dass sowohl Zugang zum Arbeitsmarkt als auch Hilfe bei Krisen wie etwa Krankheit fast ausschließlich durch informelle Mechanismen persönlicher Netzwerke vermittelt sind. Zentral für die jungen Erwachsenen sind dabei Familie und Verwandt335

BREUER

schaft, zusätzlich jedoch auch außerfamiliäre Akteure wie etwa Freunde und Nachbarn, sowie Kontakte, die auf einem gemeinsamen (ländlichen) Herkunftsgebiet bzw. der Zugehörigkeit zu derselben (tribalen, lokalen) Gruppe beruhen. Im Folgenden werden die Bedeutungen dieser verschiedenen Netzwerke für den Arbeitsmarktzugang der jungen Erwachsenen sowie für die Generierung ihrer sozialen Sicherheit untersucht. Annahme dabei ist, dass nicht jeder in gleichem Maße über Zugang zu Netzwerken verfügt. Im Mittelpunkt steht daher die Frage, wer unter den Befragten auf Kontakte zu welchen Akteuren zurückgreifen kann und wem umgekehrt keine Kontakte zur Verfügung stehen. Hierfür wurden die Jugendlichen gefragt, an wen sie sich am ehesten wenden, wenn sie Arbeit suchen. Zum anderen stellten wir ihnen Frage, auf welche Personen sie zurückgreifen, wenn sie (a) dringend Geld benötigen, (b) im Krankheitsfall Hilfe brauchen bzw. (c) persönliche Probleme haben. Als zentrales Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich die entsprechenden Strategien (bzw. die Verfügbarkeit von Netzwerken) zwischen unterschiedlichen Subgruppen erheblich unterscheiden: Finanziell besser gestellte Jugendliche verfolgen andere Strategien als solche in schwieriger ökonomischer Situation, Männer andere als Frauen und Arbeitslose andere als Arbeitende. Insbesondere unterscheiden sich jedoch die Strategien der Migranten deutlich von denen der Nichtmigranten. Arbeitszugang: Insgesamt 72 Prozent der nicht-selbständig Beschäftigten gaben an, ihre gegenwärtige Arbeit durch Verwandte, Freunde oder Bekannte vermittelt bekommen zu haben. Danach gefragt, an wen sie sich am ehesten wenden, wenn sie Arbeit suchen, nennen die Befragten am häufigsten Freunde (41 Prozent); diese spielen eine wichtigere Rolle als die Familie (28 Prozent). Eine geringere Bedeutung haben Personen aus der ländlichen Herkunftsregion (13 Prozent) sowie Nachbarn (zehn Prozent). Umgekehrt gaben 21 Prozent der Befragten an, über keinen Ansprechpartner bei der Arbeitssuche zu verfügen (›ich habe niemanden, den ich fragen könnte‹); weitere sieben Prozent konnten die Frage nicht beantworten. Ein detaillierteres Bild ergibt sich, wenn man einzelne Gruppen junger Leute miteinander vergleicht. Drei Punkte sind hervorzuheben: (1) Unter den ökonomisch schlecht situierten Befragten befinden sich überdurchschnittlich viele, die bei der Arbeitssuche nicht auf die Familie zurückgreifen können oder bei denen familienbasierte Netzwerke versagt haben. Umso bedeutsamer sind für diese Gruppe Freunde, Personen aus der ländlichen Herkunftsregion und Nachbarn. (2) Anders als erwartet stehen für Frauen nicht Familienmitglieder bei der Arbeitssuche im Vordergrund, sondern vor allem Freunde und Nachbarn, in der Regel gleichen Geschlechts. (3) Befragte mit Migrationshintergrund verfügen über vielfältigere Optionen als solche ohne; die Bedeutung der Familie tritt in dieser Gruppe hinter die von Freunden sowie insbesondere von nicht zum Familienkreis gehörigen Personen aus dem gemeinsamen Herkunftsgebiet zurück. Letztere sind somit von erheblicher Bedeutung für den Arbeitszu336

RABAT

gang von Migranten; es handelt sich oft um Akteure ländlichen Ursprungs, die in Rabat kleine Unternehmen aufgebaut haben (etwa in Einzelhandel, Gastronomie oder Baugewerbe). Knappe 24 Prozent der nicht in Rabat geborenen und nicht-arbeitslosen Befragten gaben an, ihr Arbeitgeber stamme aus ihrer Herkunftsregion; rund 42 Prozent sagten, dass an ihrer Arbeitsstelle noch weitere Personen aus ihrer Herkunftsregion beschäftigt seien; und 78 Prozent gaben an, ihre jetzige Arbeit über Verwandte und/oder Bekannte bekommen zu haben. Von den Personen ohne Migrationshintergrund hingegen bejahten nur knapp die Hälfte letztere Frage. Es ist somit festzuhalten, dass Zugang zu Lohnarbeit maßgeblich durch soziale Netzwerke strukturiert wird, die auf Familie, Freundschaft und Bekanntschaft, aber auch auf gemeinsame Herkunft zurückgehen. Verfügbarkeit und Diversität dieser Netzwerke sind bei Migranten überdurchschnittlich ausgeprägt. Soziale Absicherung: Danach gefragt, an wen sie sich im Fall akuter Geldknappheit, im Krankheitsfall oder bei persönlichen Problemen am ehesten wenden würden, gaben die jungen Erwachsenen Antworten, die sich von den arbeitsmarktbezogenen teils deutlich unterschieden. Insgesamt dominiert die Familie (genannt von 61 Prozent der Befragten); relevant sind außerdem Freunde (30 Prozent) sowie in geringerem Umfang Personen aus der ländlichen Herkunftsregion (10 Prozent). Die Antwort ›ich habe niemand‹ gaben lediglich acht Prozent der Befragten. Auffällig sind auch hier gruppenspezifische Unterschiede: Sowohl bei ökonomisch schlecht situierten als auch bei arbeitslosen Befragten ist der Personenkreis, der im Ernstfall helfen würde, sehr stark eingeengt; beide Gruppen würden beispielsweise nur sehr selten Freunde um Geld bitten; in vielen Fällen bildet die Familie den einzigen Anknüpfungspunkt. Bei Frauen dominiert die Familie eher als bei Männern, die mehrheitlich sowohl auf familiäre als auch auf nicht-familiäre Kontakte zurückgreifen können. Migranten verfügen auch im Bereich der sozialen Absicherung über breitere Netzwerke als Nichtmigranten; bei der Mehrheit der befragten Migranten werden familiäre Kontakte parallel zu vielfältigen Kontakten zu Freunden, Personen aus dem gemeinsamen ländlichen Herkunftsgebiet sowie anderen Akteuren genutzt. In allen Gruppen steht die Familie jedoch im Mittelpunkt des informellen Sicherungsnetzwerks. Besonders deutlich wurde dies bei den Antworten auf eine Frage, die auf Befürchtungen und Zukunftsängste abzielte: Während Ängste vor Krankheit, sozialem Abstieg, vor Verlust der Arbeit, vor Verarmung sowie dem Ausbleiben von Erfolg im Vordergrund standen, bezeichneten 75 Prozent der Befragten die Möglichkeit eines ultimativen Bruches mit Eltern und Familie als völlig unvorstellbar. Dementsprechend steht die Mehrheit der jungen Leute auch der Vorstellung einer Emigration ins Ausland ambivalent gegenüber: Fast alle würden für eine sichere Arbeit eine Auswanderung nach Europa zwar erwägen, ein Leben in Marokko in engem Kontakt mit der Familie jedoch allen anderen Alternativen vorziehen. 337

BREUER

Fazit Als junger Erwachsener seine Position in der Gesellschaft des urbanen Marokko zu finden stellt sich als komplexe Herausforderung dar. Die zentrale Problematik liegt dabei im Bereich von Arbeit und Beschäftigung: Ohne Arbeit und ein stabiles Einkommen sind aus der Perspektive junger Marokkaner die Gründung eines eigenen Haushaltes, Heirat, finanzielle Unabhängigkeit von den Eltern sowie eine langfristige soziale Absicherung kaum denk- und realisierbar. Der Druck auf die nationalen Arbeitsmärkte nimmt gegenwärtig im Kontext wirtschaftlicher Liberalisierung und demographischen Wandels jedoch eher noch zu. Für die jungen Leute werden die daraus resultierenden Unsicherheiten durch die nach wie vor geringe Reichweite sozialer Sicherungssysteme verstärkt. Die Situation junger Erwachsener in Rabat reflektiert diese Probleme: Die Befragten sind zwar größtenteils in Lohnarbeitsmärkte integriert. Ihre Beschäftigungen sind jedoch trotz erheblicher zeitlicher Stabilität mehrheitlich niedrigqualifiziert, informell, schlecht bezahlt und bieten keinerlei soziale Absicherungsleistungen. Da sowohl Zugang zum Arbeitsmarkt als auch soziale Absicherung maßgeblich über informelle persönliche Netzwerke erfolgen, sind die Handlungsspielräume, die jungen Erwachsenen angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation bleiben, ungleich verteilt: Die jungen Leute sind jeweils auf sehr unterschiedliche Weise in familiäre, freundschaftliche und herkunftsgebietbezogene Netzwerke eingebunden. Insbesondere Personen mit Migrationshintergrund verfügen über vergleichsweise diverse Kontakte und bringen damit aus ihrer Biographie heraus Potentiale mit, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt und die Bewältigung von Notsituationen erleichtern können.

Anmerkungen 1. 2.

3.

4.

5.

338

In Marokko beispielsweise machen Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren 21 Prozent der Bevölkerung aus (vgl. Bouderbat/Ajbilou 2007). Angesichts einer Vielzahl von Definitionen für ‘Jugend’ geht vorliegender Beitrag von einer pragmatischen Definition des Begriffes ‘junge Erwachsene’ aus: Hierunter werden im Folgenden unverheiratete Menschen im Alter zwischen 18 und 34 Jahren verstanden. Der konzeptionell und definitorisch nur schwer fassbare ‘informelle Sektor’ umfasste Anfang des Jahrtausends mindestens 40 Prozent, vermutlich jedoch sogar einen noch weit höheren Anteil der nicht-landwirtschaftlichen Arbeitsplätze in Marokko (Mejjati-Alami 2006). Vgl. Bouderbat/Ajbilou (2007, 21). Die Werte beziehen sich auf die städtische Bevölkerung; für das ländliche Marokko liegen die Werte etwas niedriger, sind jedoch der gleichen Tendenz unterworfen. Im Vergleich zu anderen Ländern der arabischen Welt liegt zur Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Marokko eine beachtliche Zahl von

RABAT

6.

7.

Studien vor (Braune 2008, Hegasy 2007, Rachik 2006, Bourqia et al. 2000, Dialmy 2000, CERED 2000a, Bennani-Chraibi 1994, Suleiman 1989, Tozy 1984, Pascon/Bentaher 1969, Adam 1963). Schwerpunktmäßig nehmen diese Studien kulturelle, politische und religiöse Einstellungen junger Menschen in den Blick, thematisieren dabei jedoch auch die komplexen Wechselbeziehungen zu Problemen wie Arbeitslosigkeit. Strategien des Arbeitsmarkteintritts wurden bislang fast ausschließlich am Beispiel der sogenannten chômeurs diplômés (Arbeitslose mit Universitätsabschluss) thematisiert; in Bezug auf Jugendliche aus den unteren sozialen Schichten liegen bislang kaum entsprechende Untersuchungen vor. Auf Grundlage der Erhebung, die vorliegendem Beitrag zugrunde liegt, hat Gertel (2004) einen explorativen Artikel veröffentlicht, der sich allerdings auf eine andere Stichprobe bezieht und schwerpunktmäßig die von den Jugendlichen formulierten Wünsche und Ängste in den Mittelpunkt stellt. Ein direkter Vergleich der von hier diskutierten Daten mit den offiziellen Armutslinien ist wegen der deutlichen Unterschiede in den verwendeten Kategorien (etwa: Einnahmen vs. Ausgaben) und Erhebungsmethoden kaum möglich. Trotzdem geben die offiziellen Armutslinien eine ungefähre Vorstellung davon, welche Budgets im städtischen Marokko zum Überleben benötigt werden. Weitere 17 Prozent leben gemeinsam mit Freunden und Arbeitskollegen.

339

FES: JUGEND, INTERNET UND MOBILITÄT Ines Braune (Marburg)

»Nachdem die große Moschee Hassan II. in Casablanca fertiggestellt war – und diese Moschee ist die zweitgrößte der Welt – entschied der marokkanische König, sie als Zeichen seiner Freundschaft Amerika zu schenken. Alle Versuche der Amerikaner das Minarett vom Boden zu entfernen, schlugen jedoch fehl. Da die Moschee ins Meer gebaut wurde, schickten die Amerikaner Experten, die herausfinden sollten, ob die Ursache unter Wasser läge. Sie waren geschockt, als sie Tausende junge Marokkaner sahen, die sich am Sockel des Minaretts festhielten, um auf diese Weise nach Amerika zu emigrieren.« (Sabry 2005, 12; Übersetzung der Autorin)

Wenn es unmöglich scheint, geographische Grenzen zu überwinden, bietet das Internet als scheinbar grenzenloser Raum neue Reise- und Fluchtwege. Wenn Mobilität erwünscht, aber nicht erlaubt ist, verspricht der Cyberspace neue Möglichkeiten. Der oben angeführte Witz unterstreicht die Relevanz der Emigration als zentralen Aspekt vorgestellter und erlebter Mobilität in Marokko und deutet zugleich die vielfältigsten Versuche, einen Weg aus Marokko herauszufinden, an. Die Zukunftsträume vieler marokkanischer Jugendlicher spielen im Ausland. Dort ist nicht alles gut, aber alles besser als in Marokko. Das Ausland scheint in den Zukunftsvisionen omnipräsent und doch unerreichbar. Die eigene Situation in Marokko wird als aussichtslos empfunden, doch die legalen Wege ins Glück sind äußerst begrenzt. Nicht zuletzt durch die geographische Lage Marokkos scheint Europa greifbar nah zu sein; zumindest ist es an klaren Tagen über die Meeresenge von Gibraltar sichtbar. Doch die 14 Kilometer Wasserweg zwischen Afrika und Europa sind eher Trennwall denn Verbindung. Nicht nur für die Jugendlichen und deren Familien ist der Traum vom Leben im Ausland äußerst relevant. Fast jede marokkanische Familie unterhält 341

BRAUNE

enge Beziehungen zu Verwandten und Freunden im Ausland, die regelmäßig ihren Jahresurlaub in Marokko verbringen und dabei neben Devisen und Waren neue Kleidungsstile und Ansichten mitbringen. Auch für den marokkanischen Staat und die Wirtschaft sind die Rücküberweisungen derjenigen, die es über die Meeresenge von Gibraltar geschafft haben als wichtigste Deviseneinnahmen von hoher Bedeutung. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen: Welche Rolle spielt das Internet? Wie eignen sich die jungen Marokkaner das Internet an? Wo ermöglicht das Internet Mobilität und wo verschiebt, öffnet, fixiert es Grenzen? Um diesen Fragen nachzugehen, folgt zunächst eine theoretische und alltagspraktische Positionierung des Internets im marokkanischen Kontext. Anschließend wird die Relevanz der Emigration als eine Mobilitätsoption für viele junge Menschen und deren Familien in Marokko skizziert, um vor diesem Hintergrund die Internetnutzung junger Menschen zu analysieren.1

Theoretische Positionierung des Internets Die wissenschaftliche Diskussion über das Internet wird einerseits von der digital-divide-Debatte, in der das Internet Hoffnungsträger und Entwicklungsvision ist und andererseits im Kontext von Konvergenz und Virtualität geführt. Zum einen dominieren Begriffe wie E-velopment und E-Democracy und zum anderen ist vom Hybrid- und Metamedium die Rede. In beiden Fällen bestimmen die technischen Möglichkeiten und Potentiale die Debatte und die eigentliche Nutzung des Mediums wird nicht thematisiert. Die Betrachtung des Internets im Sinne sowohl der entwicklungspolitischen als auch der technischen Potentiale geschieht unabhängig von der konkreten Nutzung und ist deshalb auch ein fruchtbarer Boden für die Mythen des Internets.2 ›So gesehen impliziert das technisch Mögliche nicht notwendig das sozial Wünschenswerte‹ (Höflich 2003, 7). Sterne beschreibt den Fokus auf die Technologie des Internets, wenn er betont, dass mit der Einführung des Internets entweder technophile oder technophobe Visionen laut wurden: »Both positions, however, take for granted the relative autonomy and agency of technology – its transformative power – and often, they separate technologies from the contexts in which they are developed and used.« (1999, 259)

Viele Arbeiten suggerieren eine Unabhängigkeit des Internets als einen Raum außerhalb existierender gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Machtstrukturen. Das Internet wird als Vision oder Schrecken bewertet, wobei nicht berücksichtigt wird, wie die Menschen es tatsächlich nutzen und welche Rolle es für sie spielt. Doch gerade die vielfältigen Nutzungsanwendungen des Internets machen deutlich, dass es nicht ein oder das Internet gibt,

342

FES

das unabhängig von Raum und Zeit überall die gleiche Wirkung entfaltet. Das Gegenteil ist der Fall; es entscheiden die Nutzenden in ihrem jeweiligen spezifischen kulturellen, politischen und ökonomischen Nutzungskontext, welche der im Internet zur Verfügung gestellten Inhalte für sie relevant sind oder, knapper formuliert: was für sie das Internet ist.

Internet in Marokko Der Forderung folgend, dass die Nutzenden in Abhängigkeit ihrer spezifischen Situation entscheiden, welchen Teil des Internets sie sich aneignen, wird nun knapp die Situation des Internets in Marokko skizziert. Als offizielles Startdatum in Marokko gilt das Jahr 1995. Seit diesem Zeitpunkt sind die technischen Voraussetzungen für einen Internetanschluss in Marokko geklärt, aber es mussten und müssen noch viele Anstrengungen unternommen werden, um das Internet einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben oberste Priorität für die marokkanische Regierung, um das Land auf dem Weg in eine Informationsgesellschaft voranzubringen. »Morocco has attempted to institutionalise policies to ensure that the country is well positioned to take full advantage of the opportunities that are offered by technological advancements and diffusion […].« (Ibahrine 2004)

Ein privater Internetanschluss kostete 1996 laut Ibahrine 50 US Dollar im Monat zusätzlich zu den Telefonanschlusskosten. Anfang 1999 fiel der Preis auf 20 US-Dollar für unbegrenzten Internetzugang (vgl. Ibahrine 2004). Mit der Einführung der leistungsstarken DSL-Leitung für Privatkunden im Juni 2004 nahm die Zahl der privaten Internetanschlüsse weiter zu, so dass zwischen Dezember 2003 und August 2004 eine Steigerung von 44 Prozent zu verzeichnen war. Das heißt, im August 2004 waren 88.000 Privathaushalte an das weltweite Netz angeschlossen (vgl. ANRT 2004, 2). Die Entwicklung des Internets wurde in Marokko jedoch maßgeblich durch die Vielzahl der öffentlichen Zugänge, also durch die Internetcafés, vorangetrieben. Die sogenannten Public Internet Access Points bzw. französisch Points d’Accès Public à Internet im Allgemeinen und die Internetcafés im Besonderen sind Motor und Gesicht des Internets in Marokkos.3 »Ein erster Blick auf die Zahlen der Entwicklung des Internets in den letzten Jahren zeigt, dass der Anstieg der Nutzung vor allem den Internetcafés, von denen es über 2000 gibt, zu verdanken ist.« (ANRT 2004, 2; Übersetzung der Autorin)

Aus Tabelle 18-1 ist die Entwicklung der Nutzerzahlen, sowohl der Abonnenten als auch der geschätzten Nutzer, nachzuvollziehen. Internetcafés haben 343

BRAUNE

sich sowohl in den Stadtzentren als auch in den Wohnvierteln der marokkanischen Städte etabliert. Vor allem aufgrund der Internetcafés in den verschiedenen Wohnvierteln rückte das Internet näher an den Alltag der Jugendlichen heran. Verantwortlich dafür waren die ständig sinkenden Nutzungspreise und die nicht mehr anfallenden Fahrtkosten, die zuvor auf dem Weg ins Stadtzentrum, wo die ersten Internetcafés öffneten, entstanden waren. Ferner erleichtern die kurzen Wege zu den Internetcafés im eigenen Wohnviertel häufige und vor allem nächtliche Besuche des Internets. Die Internetcafés reagieren auf das große Interesse mit entsprechenden Öffnungszeiten: Einige sind rund um die Uhr, sieben Tage die Woche und jede Woche im Jahr geöffnet. Die Mehrzahl öffnet jedoch um neun oder zehn Uhr am Morgen und schließt gegen Mitternacht bzw. dann, wenn die letzten Kunden gegangen sind. Die Häufigkeit, mit der die Jugendlichen, die an der Befragung teilgenommen haben, zustimmen, dass das Internet ihren Alltag bereichert, unterstreicht die Ankunft und Etablierung des Internets in den Tagesabläufen marokkanischer Nutzer.4 Viele können sich nicht vorstellen, darauf zu verzichten, und bezeichnen sich sogar als internetsüchtig. Das Internet hat einen festen Platz im Alltag erhalten. Für knapp die Hälfte der befragten Jugendlichen zählt die Nutzung zu den täglichen Aktivitäten, d.h. sie gehen mindestens einmal und manchmal mehrmals am Tag online. Für genauso viele Jugendliche gehört das Internet mehrmals in der Woche zum festen Tagesprogramm. Lediglich ein Zehntel der Befragten gehen nur einmal wöchentlich oder seltener ins Netz. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in den urbanen Gebieten Marokkos die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Internetnutzung bestehen und dieses vor allem von jungen Menschen zwischen zwölf und 35 Jahren umfassend genutzt wird. Die Verfügbarkeit des Internets ist jedoch nur eine Seite der Nutzungsmedaille; entscheidend für die andere Seite ist, dass die Jugendlichen vor dem Hintergrund ihrer Situation in Marokko einen großen Bedarf an grenzüberschreitenden Mobilitätsoptionen haben. Diese Situation wird im Folgenden nachgezeichnet. Die rasanten sozioökonomischen und technologischen Entwicklungen im Kontext der Globalisierung treffen nicht alle jungen Menschen gleichermaßen. So bestehen große Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Jugendlichen, zwischen jungen Menschen in der Stadt und auf dem Land, zwischen Studierenden, Arbeitslosen, Diplomierten und Straffälligen, Arbeitenden, Verheirateten etc. Deren Situation wiederum ist unterschiedlich und abhängig von den finanziellen Mitteln, von der Ausbildungssituation, dem Wohnort etc. Gleichzeitig betrifft viele Jugendliche ein Phänomen, das in der wissenschaftlichen Literatur als verlängerte Jugendphase beschrieben wird. Da Heirat der einzige gesellschaftlich legitimierte Initiationsritus in das Erwachsenenalter ist und das Heiratsalter beständig steigt; verlängert sich die Jugendphase zunehmend.5 Dies ist vor allem eine Konsequenz längerer Ausbildungszeiten (späterer Schuleintritt, wiederholte Schul344

FES

Tab. 18-1: Entwicklung der Internetnutzung in Marokko Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

Abonnenten

Abonnenten pro 100 Einw.

Nutzer

Nutzer pro 100 Einw.

37.000

0,13

200.000

0,69

53.000

0,18

400.000

1,37

55.000

0,19

700.000

2,36

60.800

0,21

1.000.000

3,32

113.200

0,38

3.500.000

11,71

262.300

0,87

4.600.000

15,18

399.700

1,30

6.100.000

19,85

483.400

1,55

7.300.000

23,38

489.300

1,55

10.300.000

32,59

479.800

1,50

10.300.000

32,19

Quelle: International Telecommunication Union, Zusammenstellung der Autorin (http://www.itu.int/ITU-D/icteye/Indicators/Indicators.aspx, 20.06.2010)

und Studienjahre) und des Mangels an Arbeitsplätzen, wodurch die Schaffung einer finanziellen Basis für die Hochzeit zu einem langwierigen Prozess wird. Dabei versprach gerade der Gang durch die Bildungsinstitutionen soziale Mobilität – ein Versprechen, das seitens der marokkanischen Regierung schon lange nicht mehr eingehalten werden kann: anstatt des postkolonialen Traums, Reichtum durch Bildung zu erlangen, erleben jetzt viele Jugendliche das Trauma arbeitsloser Akademiker. Verlängerte Jugendphase bedeutet zudem, länger bei den Eltern zu wohnen, länger von ihnen abhängig zu sein und länger keinen Raum zu haben, Verantwortung übernehmen und tragen zu können. Der Alltag Jugendlicher ist stark von gesellschaftlicher Marginalisierung geprägt und von Grenzen bestimmt, die nicht übertreten werden können oder dürfen, sei es die Grenze zum Erwachsenenalter, die zum anderen Geschlecht oder die geographische Grenzen nach Europa oder Nordamerika. Viele Jugendliche reagieren mit Unsicherheit und einem hohen Maß an Frustration; doch sie versuchen beständig, an den Grenzziehungen zu arbeiten, Grenzen zu verschieben, sie durchlässig zu machen, sie aufzuheben.

Migration in Marokko Wie bereits zu Beginn des Beitrags angedeutet, führt die in Marokko empfundene Perspektivlosigkeit zu dem weitverbreiteten Wunsch, die eigene Zukunft außerhalb Marokkos zu gestalten. Migration wird zur zentralen Mobilitätsoption für die individuelle Entfaltung und Lebensgestaltung. Dies geschieht vor dem Hintergrund bereits vielfältiger Vernetzungen zu im Ausland lebenden 345

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Verwandten und engen Beziehungen sowohl auf individueller als auch auf gesamtgesellschaftlicher und staatlicher Ebene zu den sogenannten ‘Auslandsmarokkanern’. Circa zehn Prozent der marokkanischen Bevölkerung lebt im Ausland. Europa ist mit Abstand das beliebteste Ziel; 85 Prozent aller Marokkaner leben dort. Frankreich ist das wichtigste Emigrationsziel; 47 Prozent der im Ausland lebenden Marokkaner wohnen dort. In den Niederlanden und Italien leben je 13 Prozent, in Spanien und Belgien je zehn Prozent und in Deutschland fünf Prozent. Während die Emigration nach Frankreich und die Niederlande in den vergangenen Jahren rückläufig war, stieg sie in die sogenannten neuen Zielländer, Italien und Spanien, an. In anderen arabischen Staaten (Libyen, Algerien, Tunesien und Golfstaaten) wohnen und arbeiten neun Prozent und in Nordamerika sechs Prozent der knapp drei Millionen Auslandsmarokkaner. Von der offiziellen staatlichen Seite wird die Emigration zum Teil begrüßt, da sie einerseits Entlastung für den eigenen Arbeitsmarkt bedeutet und andererseits Rücküberweisungen in Devisen verspricht (vgl. Bouoiyour 2006, 462). Für die im Ausland lebenden Marokkaner, die so genannten MRE (Marocains Résidant à l’Étranger) ist ein extra Staatsminister zuständig, der enge Beziehungen zu ihnen aufrecht erhalten und pflegen soll. Die hohe Bedeutung der MRE wird einmal mehr unterstrichen, wenn diese im Sommerurlaub in ihr Heimatland zurückkehren und mit aufwändigen Willkommensaktionen begrüßt werden. Aus Sicht der emigrationswilligen Marokkaner muss jedoch betont werden, dass den Auswanderern aufgrund der restriktiven Visumpolitik der nördlichen Mittelmeeranrainerstaaten legale Wege heute weitestgehend verschlossen sind. Dennoch hält die Emigration unvermindert an und gilt als eine zentrale Option zur Verbesserung der eigenen Zukunftsgestaltung. Es sind vor allem die 17- bis 35-jährigen, die ihr Land verlassen wollen. Viele von ihnen sind Schüler und Studenten, die zum Teil noch nicht in dem Alter sind, in dem ihnen der Eintritt in die Arbeitswelt und ins Leben verwehrt wird. Es handelt sich vielmehr um eine Armut an Zukunftsvisionen, die als diffuse Armut bezeichnet wird. »Es ist vor allem eine diffuse, bedrückende Armut basierend auf Befürchtungen, Zweifeln und Unentschlossenheit. Es ist eine Armut, genährt von der Armut in den Familien, in denen die meisten Familienmitglieder keiner Arbeit nachgehen und das Einkommen der Eltern nur unzureichend ist.« (Lahlou 2005, 73; Übersetzung der Autorin)

Emigration als Mobilitätsoption ist jedoch nicht nur Teil staatlicher Politik oder jugendlicher Alltagskultur, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das täglich reproduziert wird: etwa durch Warteschlangen vor europäischen Botschaften oder kursierende Witze über Emigration und Gespräche unter Jugendlichen im Viertel (vgl. Sabry 2005). 346

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Die Aussagen zur Emigration sind insofern zu relativieren, als einige Marokkaner lediglich für eine begrenzte Zeit nach Europa möchten, um ihre Zukunftsperspektiven in Marokko zu verbessern. So verheißt ein europäischer Studienabschluss eine Stelle an einer marokkanischen Universität, im Ausland erworbene Sprachkenntnisse ebnen den Weg in die Tourismusbranche. Da die restriktive Visumpolitik der europäischen Staaten häufig auch die Aufnahme eines Studiums unmöglich macht, ebenso wie eine touristische Reise in den Norden oder den Besuch von Verwandten, werden den jungen Marokkanern auch da wieder Grenzen gesetzt. Die Unmöglichkeit, einfach in den Norden zu reisen, wird als große Ungerechtigkeit empfunden und nährt einmal mehr den Boden für Resignation und Frustration. Die jungen Menschen erleben eine doppelte Rückweisung ihrer Ideen und Träume, einerseits durch die marokkanische Gesellschaft und andererseits durch die auf Abschottung zielende Einwanderungspolitik Europas. Dennoch sind die jungen Menschen beständig auf der Suche, Wege zu finden bzw. sich Mittel zu erarbeiten, um durch illegale oder legale Einreise in Europa oder Nordamerika Fuß zu fassen. Gerade durch das Internet geraten neue Mobilitätsoptionen in den Blick. Durch das Internet gelingt es den jungen Marokkanern, sich neue Wege zu erschließen und somit bestehende Grenzverläufe zu verändern.

Internetnutzung und Mobilitätsoptionen Die marokkanischen Internetnutzer begegnen dem Thema Migration auf kreative Art und Weise. Sowohl der Chat als auch die Informationssuche werden eingesetzt, um sich der Welt zu nähern und um die Grenzen zu überbrücken, welche restriktive Visumpolitik und fehlende finanzielle Mittel setzen. Im Cyberspace gelten keine Visumregelungen und vielfältige Kontakte in die Welt sind möglich, wie die folgenden Kommentare zu unterschiedlichen Mobilitätsoptionen zeigen.

Neue Wahrnehmungen der Welt Anhand der im Internet zugänglichen Informationen und anhand der möglichen Kontaktaufnahme mit Menschen aus der ganzen Welt erhalten die jugendlichen Nutzer neue globale Zugänge, unabhängig davon, ob sie konkrete Emigrationsabsichten haben oder nicht. Auch die jungen Menschen, die nicht emigrieren möchten, schätzen diese grenzüberschreitenden Kontaktmöglichkeiten und Informationen. Freunde aus dem Ausland zu haben, war für viele vor der Internetnutzung undenkbar. Vor allem über diese neu gewonnenen Freunde im Chat interagieren marokkanische Jugendliche mit dem Ausland und fühlen sich als ‘Teil der Welt’. Für viele, vor allem für die arbeitslosen 347

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Jugendlichen, verhindern Kontakte mittels des Internets geistige Stagnation, oder wie es einer der Arbeitslosen beschreibt, ›das Zurückfallen hinter die Welt‹. Durch die Internetnutzung hat sich der Horizont der jungen Menschen in hohem Maße erweitert. Globale Bezüge sind näher an ihren Alltag gerückt. »Ja, das Internet hat mich verändert. Es hat gemacht, dass ich weiß, was in der Welt passiert. Das Internet hat mein Leben sehr verändert. Ich weiß jetzt viel mehr über alles Bescheid, was ich vorher nicht wusste. Mein Horizont ist viel weiter. Ich habe viele neue Sachen gelernt. Das macht mich irgendwie auch selbstbewusster. Ich habe die Welt in einem neuen Ausmaß kennen gelernt. Ich nehme sie anders wahr und nehme an ihr teil.« (Fatima, 22 Jahre)

In Bewegung sein Ähnlich wie bei der zuvor beschriebenen Nutzungsvariante geht es auch hier, ungeachtet nationalstaatlicher Grenzen, um die geistige Bewegungsfreiheit im Internet. Es wird jedoch das ‘In-Bewegung-Sein’ in den Vordergrund gerückt. Abdelali: »Im Internet habe ich mich durch den Austausch mit anderen selbst gefunden. Die Freunde hier sind beschäftigt, beschäftigt mit ihrer Arbeit, mit ihren eigenen privaten Dingen. Also gehe ich ins Internet. Da habe ich andere Freunde, wirklich richtig gute Freunde. Ich kann mich ein bisschen über die Welt austauschen und meine dadurch verändern. Ich kann Ideen mit Worten austauschen und sie dadurch verändern. Die Leute im Internet haben ein Interesse daran.« Ines: »Was gefällt dir am Chat?« A: »Was mir gefällt? Ich fühle mich wohl und entspannt. Es ist vielleicht, wie wenn du in der Nacht allein durch die Straßen ziehst und du deine Ruhe hast. Du bist in Bewegung und niemand stört dich dabei. Ich fühle mich einfach entspannt. Das ist alles.« (Abdelali, 30 Jahre)

Dieser junge Mann spielt mit seiner Aussage darauf an, dass er durch die Möglichkeit des Redens und Diskutierens im Chat auch einen neuen Zugang zu sich selbst bzw. sich selbst gefunden hat. In dem auf Englisch geführten Interview spielt er mit der Bedeutung des Wortes change, das er einerseits mit der Bedeutung des Austauschens und andererseits im Sinne von Verändern verwendet. Durch die intensiven Gespräche im Chat haben sich für ihn neue Einsichten ergeben, die für sein Selbst- und Weltbild wichtig sind. Zusätzlich wird angesprochen, dass die Freunde in seiner Umgebung häufig mit sich und ihren Problemen beschäftigt sind, aber im Internet immer jemand für ein Gespräch verfügbar ist. Er schätzt das Gefühl, das sich in ihm aufbaut, wenn er durch das Internet wandert und vergleicht dies mit einem erholsamen Spaziergang

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durch die Nacht, wo er ungestört seinen eigenen Wegen nachgehen kann. Andere Jugendliche greifen das Bild des Seefahrers auf, der an verschiedenen Häfen im weiten Ozean des Internets Halt macht und bei Bedarf an Land geht, um weitere Erkundungen einzuholen.

Emigration ins Ausland Dieser Wanderungsbewegung ohne Auswanderungsabsicht steht jedoch die Internetnutzung Jugendlicher gegenüber, die gezielt nach Möglichkeiten suchen, einen konkreten Weg ins Ausland zu finden. Im folgenden Zitat steht die Suche nach einem Ehepartner als Emigrationsmöglichkeit im Vordergrund. Ines: »Hast du einen Traum für deine Zukunft?« Kauthar: »Nach Europa zu gehen – das ist die Hauptsache. Das ist das Wichtigste. Dort eine gute Arbeit finden und es gut haben.« I: »Warum nach Europa?« K: »Dort ist es gut, dort ist alles gut. Es gibt dort Arbeit, es gibt dort intelligente Männer ... Alles ist gut.« I: »Und wie möchtest du nach Europa kommen?« K: »Indem ich einen Mann von dort heirate. Mit den Männern hier kann man nicht so reden wie mit denen im Internet. Die Männer hier sind nicht so intelligent. Das heißt, es gibt auch hier kluge Männer, aber ich weiß nicht, wie ich die kennen lernen kann und wo sie sind. Außerdem möchte ich ja einen aus Europa, um mit dorthin zu gehen.« I: »Hast du schon einen Mann so kennen gelernt?« K: »Ja, einen Mann aus Tunesien, der aber in Holland arbeitet. Ich habe ihn im Chat kennen gelernt und letztes Jahr im Mai ist er zu mir gekommen, zu uns nach Hause, um sich mit mir zu verloben. Aber ich habe das abgelehnt, weil er komische Vorstellungen hatte. Ich fand ihn sehr sehr nett, aber er wollte, dass ich allein in Tunesien bleibe mit unseren Kindern und er arbeitet weiter in Holland. Aber das möchte ich nicht. Was soll ich allein in Tunesien? Ich möchte auch nach Europa. Also habe ich die Beziehung beendet.« I: »Hast du zur Zeit eine Beziehung?« K: »Nein, zur Zeit suche ich wieder. Ich chatte mit Männern aus dem Ausland. Das ist das wichtigste. Sie müssen aus dem Ausland kommen. Nur mit denen chatte ich.« (Kauthar, 25 Jahre)

Die Geschichte von Kauthar steht beispielhaft für die vieler Marokkaner, die hoffen, über das Internet den Partner fürs Leben (im Ausland) zu finden. Das Beispiel Kauthars verdeutlicht, mit welcher Hartnäckigkeit dieses Ziel ver349

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folgt wird. Bei ihrer Entscheidung gegen den Mann aus Tunesien wird der entschiedene Wunsch, nach Europa zu gehen, durch die Absage der bereits anberaumten Verlobung unterstrichen. Der Wunsch, einen ausländischen Ehepartner zu finden, hat sich in den Köpfen der Marokkaner als Märchen etabliert. Dieses Märchen wird stetig untermauert, da jeder bereits davon gehört hat, dass es wahr geworden ist. Aber nicht alle Nutzer, die einen Ehepartner im Internet suchen, zielen damit auch auf die Möglichkeit der Auswanderung. Bei einigen steht die große Liebe im Vordergrund und die mögliche Ausreise ist nur zweitrangig. Neben der gezielten Suche nach einem Ehepartner wird die Möglichkeit genutzt, sich via Internet an einer ausländischen Universität einzuschreiben, um dadurch die Visumsangelegenheiten regeln zu können. Ines: »Hast du einen Traum für deine Zukunft?« Mohammed: »Ich möchte Ingenieur werden, ein richtig guter Ingenieur.« I: »Hier in Marokko oder im Ausland?« M: »Ich möchte gern ins Ausland, nach England.« I: »Sprichst du Englisch?« M: »Nein noch nicht, letztes Jahr habe ich mich in einem Zentrum in einen Sprachkurs eingeschrieben. Bis jetzt kann ich nur ein paar Sätze sprechen.« I: »Warum willst du ins Ausland gehen?« M: »Dort gibt es bessere Möglichkeiten. In England, und das weiß die ganze Welt, gibt es gute Schulen und Universitäten. Ich möchte dort meinen Doktor im Ingenieurwesen machen.« I: »Also du möchtest dort deine Ausbildung fortsetzen?« M: »Ja. Also erst will ich hier mein Abi machen und dann würde ich gerne dort ein Diplom und später meinen Doktor machen. Dann bleibe ich ein bisschen da, um zu arbeiten und dann komme ich vielleicht nach Marokko mit all meinen Erfahrungen zurück und gründe hier eine kleine Firma oder so. So stelle ich mir das vor.« (Mohammed, 18 Jahre)

Bei der Einschreibung an einer Universität steht bei vielen jungen Marokkanern aber auch, ähnlich wie bei der Suche nach einem Ehepartner, die ursprüngliche Motivation im Vordergrund, nämlich das Studium an einer ausländischen Universität (und nicht primär die Emigration). Die jungen Menschen erhoffen sich bessere Studienbedingungen und neue Impulse für ihre jewieligen Fachrichtungen. Ein europäischer Studienabschluss kann auch als Taktik zur Verbesserung der Zukunftschancen innerhalb Marokkos verstanden werden, da mit einem solchen Abschluss die Chancen auf dem einheimischen Arbeitsmarkt steigen. Im folgenden Interviewausschnitt beherrscht das Thema Emigration jegliche Gedankengänge des jungen Mannes. Er setzt auf verschiedene Taktiken, sich mittels des Internets einen Weg ins Ausland zu erschließen. 350

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Yassine: »Ich bin in einer Warteposition. Ich warte darauf, wieder nach Frankreich gehen zu können. Wie, ob legal oder illegal, ist mir egal. Ich war schon einmal zwei Jahre in Frankreich bei meiner Schwester. Aber ich war illegal dort. Deshalb konnten sie mich zurück schicken. In Frankreich gibt es genug Arbeit. Da möchte ich auf jeden Fall wieder hin. Hier gibt es keine Arbeit und nichts zu tun. Meine Zukunft sehe ich auf jeden Fall in Frankreich.« Ines: »Warum ist es dort besser als hier?« Y: »Viel Arbeit, viel Arbeit.« [...] I: »Was ist das Internet für dich?« Y: »Es ist zum sich Vergnügen. Ich kann in Kontakt bleiben mit meinen Freunden dort, in Frankreich. [Pause] Ich suche nach Wegen, wie ich wieder nach Frankreich gehen kann. Gerade versuche ich, mich an einer Uni einzuschreiben.« I: »Warum bist du das erste Mal ins Internet gegangen?« Y: »Das war vor einem Jahr. Ich wollte das Internet kennen lernen und wissen wie es geht. Ich war gerade wieder in Marokko angekommen, nachdem ich aus Frankreich zurückgeschickt wurde und ich hatte viel über das Internet gehört. Ich dachte, dort finde ich vielleicht eine Möglichkeit, wieder nach Frankreich zu kommen.« I: »Und hast du eine Möglichkeit gefunden?« Y: »Na ja, wie soll ich sagen, ich verfolge mehrere Möglichkeiten. Ich habe dir schon gesagt, dass ich versuche, mich an einer französischen Uni einzuschreiben. Und ich chatte.« I: »Mit wem chattest du?« Y: »Na mit Frauen natürlich. Ich kann doch keinen Mann heiraten. Na ja, manchmal spreche ich auch mit Männern, wenn ich denke, dass die Beziehungen in Europa haben und dass die mir ’nen Job beschaffen können.« I: »Woher soll die Frau kommen?« Y: »Ganz egal. Na ja, nicht ganz egal. Irgendwoher aus Europa.« [...] I: »In welcher Sprache chattest du?« Y: »Nur in Französisch. Die Leute dort [in Europa, Anm. d. A.] verstehen doch kein Arabisch.« [...] I: »Was machst du noch im Internet?« Y: »Manchmal suche ich noch direkt nach Arbeit im Netz. Da hab ich aber noch nichts Richtiges gefunden.« (Yassine, 32 Jahre)

Auch Fragen, die scheinbar nicht mit der Auswanderung in Verbindung stehen, werden hier mit Bezug auf die Notwendigkeit, einen Emigrationsweg zu

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finden, beantwortet. Das betrifft zum Beispiel die Frage nach den im Internet benutzten Sprachen. Aus der Perspektive des jungen Marokkaners muss ausschließlich Französisch benutzt werden, da dies die Sprache ist, mit denen er mit den Menschen in Frankreich kommunizieren kann. Auch der erste Internetkontakt geht auf die Bemühung, neue Emigrationswege nach Frankreich zu ermitteln, zurück.

Flucht ins Internet Vor dem Hintergrund der persönlichen Situation der jungen Menschen wird eine weitere Form der Emigration im Zusammenhang mit der Internetnutzung deutlich, nämlich die digitale Auswanderung bzw. Flucht ins Internet. Das bezieht sich auf Jugendliche, die bereits doppelt zurückgewiesen wurden, einerseits von der Realität in Marokko und andererseits von den europäischen Behörden. Frustriert von ihrer Situation wählen sie die Aufenthalte im Internet als Flucht von ihrem Alltag und erleben dort Abwechslung und Anregung. Khaoula: »Einen Traum? Mit der Zeit sind die Träume verschwunden und ich bin immer enttäuschter geworden. Mit den Träumen ist es Schluss jetzt. Vor meinem Universitätsabschluss war ich sehr ambitioniert und ich hatte große Träume. Aber jetzt bin ich ziemlich ernüchtert.« Ines: »Hast du überlegt ins Ausland zu gehen?« K: »Ins Ausland, ich weiß nicht mehr. Ich wollte unbedingt ins Ausland, um mein Studium dort fortzusetzen, aber ich habe kein Visum bekommen. Ich würde auch jederzeit noch dafür ins Ausland gehen, um etwas Neues zu lernen. Hier, wenn ich den ganzen Tag zu Hause bin, verliere ich all mein Wissen und stumpfe ab. Alles was ich gelernt habe, vergesse ich. Aber ich möchte nicht für immer im Ausland leben. Ich würde gerne meine Ausbildung dort fortsetzen und dann zurückkommen. Ich habe auch eine Tante in Kanada, die mich eingeladen hat. Ich warte seit zwei Jahren auf meine Papiere. Ich glaube einfach nicht mehr daran. [...] Das Internet – dort kann ich mich und mein Leben hier vorübergehend vergessen. Dort kann ich was Neues lernen und mich aufhalten und gut unterhalten. Vielleicht ist es so etwas wie eine Flucht vor meiner derzeitigen Situation. Ich weiß nicht, zumindest vertreibt es mir die Zeit, wenn ich nicht weiß, was ich damit anfangen soll.« (Khaoula, 29 Jahre)

Khaoula ist seit ihrem Universitätsabschluss in Wirtschaftswissenschaft vor sechs Jahren arbeitslos und verbringt die meiste Zeit zu Hause, das sie sich mit ihren Eltern und drei jüngeren Geschwistern teilt. Für sie, wie für andere arbeitslose Jugendliche, ist die Internetnutzung im positiven Sinne eine sinnvolle Strategie des Zeitvertreibs und mit negativen Vorzeichen eine Fluchtmöglichkeit aus ihrem als aussichtslos empfundenen Alltag. 352

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Ines: »Nutzt du das Internet für das Ziel der Emigration?« Hassan: »Je nachdem was du mit Emigration meinst. Wenn du meinst, wirklich ins Ausland zu gehen – diesen Gedanken habe ich aufgegeben, also nutze ich dafür auch nicht das Internet. Wenn du meinst hier aus meinem Alltag abzuhauen, dann ja; dafür nutze ich das Internet. Ich emigriere hier aus dem Stillstand in die Welt des Internets, wo was passiert, wo ich selbst agieren kann.« (Hassan, 23 Jahre)

Mittels des Internets, d.h. über die Gespräche mit Menschen im Ausland und über die zugängliche Informationsvielfalt, nehmen die jungen Marokkaner die Welt anders wahr. Sie erschließt sich durch mehr Vielfalt, mehr Teilhabe. Daraus entsteht das Gefühl, mit größerer Nähe am Welt-Geschehen teilzunehmen. Im Internet bewegen sich die jungen Menschen mit Leichtigkeit ungeachtet geographischer und nationalstaatlicher Grenzen durch die Welt. Einigen ist dieses Gefühl der Bewegung, der Wanderung, Bereicherung genug. Für sie weiten sich dadurch die Grenzen des im Alltag Erreichbaren. Assoziationen zum Grenzenlosen werden oft bemüht. Für andere ist die Migration in die Weiten des Internets nicht ausreichend, sondern die Internetaktivitäten dienen der direkten Überschreitung nationalstaatlicher Grenzen. Durch vielfältige Praktiken (Suche eines Ehepartners, Arbeitsplatzes etc.) wird versucht, die Grenzen nach Europa oder Nordamerika zu überwinden. Gelingt dies nicht, bleiben diese Grenzen verschlossen, bleibt die Emigration ins Internet. Das Internet dient hier als Ventil, als ‘Druckausgleich’ aufgrund fehlender Möglichkeiten zu Grenzüberschreitungen. Die jungen Menschen arbeiten an Grenzziehungen, deren Verlauf nicht allein in ihrer Macht liegt. Die Internetnutzung als Flucht oder als Ventil kann als Umgang mit der eigenen Ohnmacht gelesen werden. Die Aneignung des Internets als Mobilitätsoption reagiert auf die mangelnde Bewegungsfreiheit in der Welt und auf die damit verbundenen Grenzen. Dabei wird sich das Medium im Sinne einer Problemlösung angeeignet. Im Kontext der Emigration heißt es, sich einerseits Wege ins Ausland zu öffnen und andererseits, bei Misslingen, Ersatzformen der Emigration mittels der Emigration ins Internet zu schaffen. In beiden Fällen wird das Internet erfolgreich eingesetzt, um die gegenwärtige Situation zu bearbeiten oder ihr zu entfliehen.

Fazit Das große Interesse am Internet basiert auf den Hoffnungen der Jugendlichen, sich neue Mobilitätsoptionen zu erschließen. Das für den jugendlichen Alltag höchst präsente Thema der Emigration ist vielfach Motor für die Aneignung des Internets und die Möglichkeiten der Nutzung geben den Jugendlichen Handlungsoptionen zur Bearbeitung des Themas zurück. Mit Hilfe des Inter353

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nets eröffnen sie sich Möglichkeiten, sowohl eigenständig Antworten auf ihre Wünsche zu finden als auch Neues zu gestalten, d.h. die Nutzung enthält sowohl ein reagierendes aber auch eigenständig agierendes Moment. Die Beschäftigung mit der Emigration häufig auch ohne direkten bzw. realistischen Emigrationswunsch wirkt vielfach als Metapher für den Wunsch nach Bewegung und nach Veränderung. Das Internet ist dabei das ideale Medium, (nationalstaatliche) Grenzen mit Leichtigkeit zu überschreiten und Kontakte mit Menschen aus jedem beliebigen Land aufzubauen sowie Informationen über jedes beliebige Land und Thema einzuholen. Die Jugendlichen haben sich die Möglichkeiten des Internets mit Bezug auf das Thema der Emigration auf vielfältige und kreative Weise angeeignet und sich reale Handlungsoptionen – abseits des Witze Erzählens – erschlossen. Das betrifft die direkte Kontaktaufnahme mit Bekannten und Unbekannten aus der ganzen Welt. Aber auch die Möglichkeit des freien Bewegens in den Weiten des Cyberspace wird von den Jugendlichen im Gegensatz zu den begrenzten und festgelegten Wegen in der Öffentlichkeit angesprochen. Ferner wird das Internet genutzt, um konkrete Anknüpfungspunkte für den Weg nach Europa oder Nordamerika aufzudecken. Dabei handelt es sich vor allem um die Suche nach einem Studien- oder Arbeitsplatz sowie nach einem Ehepartner oder Informationen, die hilfreich sein können, um Visumsangelegenheiten zu regeln. Sind alle Hoffnungen auf einen Aufenthalt oder das Leben im Ausland aufgebraucht, dienen die Aufenthalte im Internet auch als Flucht oder Ausgleich zu täglich empfundenem Stillstand. Vielleicht steht am Schluss die Emigration in die Weiten des Internets als Verhandlung der eigenen Ohnmacht. Das Internet bietet Möglichkeiten der Entgrenzung, die die eigene strukturelle Begrenzung oftmals erst sichtbar, aber auch verhandelbar macht.

Anmerkungen 1.

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Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden junge Menschen zwischen 14 und Mitte 30 in den Internetcafés der Stadt Fes berücksichtigt. Die Begrenzung auf Jugendliche war insofern nicht schwierig, als zwar theoretisch jeder Zugang zum Internet in den öffentlichen Internetcafés hat, aber praktisch fast ausschließlich Jugendliche davon Gebrauch machen. Grundlage für die folgenden Aussagen ist eine Onlinebefragung, die im Mai 2003 in Internetcafés in Fes durchgeführt wurde und an der 240 Jugendliche teilnahmen, sowie 60 Leitfadeninterviews, die zwischen April und August 2004 ebenfalls in Fes geführt wurden. Das Bild, das hier von den marokkanischen Jugendlichen gezeichnet wird, betrifft urbane Jugendliche, von denen die meisten einen Schulabschluss besitzen bzw. noch die Schule oder die Universität besuchen. Einige hatten bereits einen Universitätsabschluss. Das entspricht dem relativ hohen Bildungsniveau junger Menschen in der Stadt.

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2.

3.

4.

5.

Debatin weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es ›als historische Konstante‹ gilt, bei jeder Einführung neuer Medientechnologien technophile gegen technophobe Mythen auszuprobieren (1999, 481). Die Internetcafés spielen hinsichtlich des öffentlichen Zugangs zum Internet die herausragende Rolle. Ferner gewähren einige Bibliotheken und Jugendzentren Zugang zum Internet. 83 Prozent der Jugendlichen, die an der Onlinebefragung teilgenommen haben, stimmen zu, dass das Internet ihren Alltag bereichert. Knapp die Hälfte der Jugendlichen kann sich nicht vorstellen, auf das Internet zu verzichten und 40 Prozent der Jugendlichen geben an, sie seien süchtig nach dem Internet, das maßgeblich ihr Leben bestimme. Während das Ehealter in den 1960er-Jahren bei knapp 18 Jahren lag, betrug es 1982 bereits 24 Jahre (vgl. Bennani-Chraibi 1994, 19). Nach dem letzten Zensus von 2004 lag das Durchschnittsalter der Frauen bei knapp 27 und bei den Männern bei 31 Jahren (vgl. RDH, Report de Développement Humain au Maroc, 2006: Une illustration graphique de 50 ans de développement. http:// www.rdh50.ma/fr/pdf/RDH50.pdf, 26).

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MARRAKECH: G E N T R I F I C AT I O N U N D C O S M O P O L I TA N I S M Anton Escher und Sandra Petermann (Mainz)1

Die Globalisierung erreicht zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Königreich Marokko vorher nicht bekannte kulturelle Auswirkungen. Für die Lebenswelt in den Altstädten Marokkos kann man mit U. Hannerz formulieren: »There is now a world culture [...] not a replication of uniformity but an organization of diversity, an increasing interconnectedness of varied local cultures, as well as a development of cultures without clear anchorage in any one territory.« (1996, 102)

In den Altstädten Marokkos – insbesondere in Marrakech – veranlassen vorwiegend europäische und US-amerikanische Kosmopoliten einen baulichen Erneuerungsprozess, der in den Metropolen der Industrieländer als Gentrification2 bekannt ist. Innerhalb von zehn Jahren verändert sich dadurch völlig das Gesicht der Medina von Marrakech. Die als Gentrifier bezeichneten zuziehenden Ausländer kaufen alte, teilweise verfallene, teils durch Vermietung übernutzte oder partiell leer stehende Wohnhäuser3 auf, um sie zu renovieren, neu zu gestalten und als Wohn- oder Geschäftsgebäude zu nutzen. Die bisherige ärmere Wohnbevölkerung, die zur Miete wohnte, und die bisherigen Eigentümer, die die Häuser nicht restaurieren wollten oder konnten, wurden verdrängt. Die Verwandlung der Altstadt von Marrakech betrifft nicht nur die strukturelle Organisation und die materielle Infrastruktur, sondern auch die gesamte Ästhetik der Stadt: Farben und Formen scheinen sich zu verdichten, Wohnhäuser und Wege sowie Plätze und Parks scheinen sich zu transformieren bzw. neu zu entstehen – und das in einem vorher ungekannten, unvorstellbaren und ungeahnten Ausmaß. Die Zahl der ausländischen Hausbesitzer in der Medina stieg bis zum Sommer 1999 von ehemals wenigen dutzend zu Beginn der 1990er Jahre auf rund 150 Personen an (vgl. Escher/Petermann 2000). Auf357

ESCHER/PETERMANN

grund der umfassenden Unterstützung durch die inzwischen international agierenden Immobilienbüros ist ein Hauskauf für Ausländer kein risikobehaftetes Abenteuer mehr, sondern ein abgesichertes Geschäft. Bis Ende November des Jahres 2000 erstanden 457 Ausländer über 500 Häuser (512 Grundstücke) in der Medina von Marrakech (vgl. Escher et al. 2001a, 2001b). Im Monat März des Jahres 2003 wurden über 900 ausländische Immobilienbesitzer (mit insgesamt 948 Grundstücken) gezählt (vgl. Escher/Petermann 2003). Die ausländischen Investoren verfügten dann im Frühjahr 2006 bereits über 1.432 Immobilien, und es ist von etwa 1.250 Hausbesitzern auszugehen (vgl. Escher/Petermann 2009). Im Frühjahr 2009 sind es bereits 2.167 Immobilien in der Medina, die sich in ausländischer Hand befinden (vgl. Abb. 19-1 bis 19-3). Dabei nahmen die spekulativen und renditebezogenen Investitionen in den letzten Jahren erheblich zu. Allerdings ist anzumerken, dass die internationale Finanzkrise des Jahres 2008 am Immobilienmarkt der Altstadt nicht spurlos vorbei gegangen ist. Die auf die Altstadt spezialisierten Immobilienund Baufirmen beklagen Ende des Jahres 2008 einen nahezu vollkommenen Einbruch des Immobilienmarktes. Obwohl das Verkaufsangebot an restaurierten Häusern aufgrund von Zahlungsproblemen der Eigentümer steigt, fehlt derzeit die Nachfrage. Das Phänomen entspricht der von R. Glass (1964) erstmals formulierten Theorie der Gentrification (siehe beispielsweise Dangschat 1988; Häußermann 1990; Lees 2000). Menschen, welche vorgeben, individuell offen für andere Kulturen zu sein, kaufen alte, verfallende Wohnhäuser, die, so scheint es, zum Zeitpunkt des Kaufs keiner mehr will. Die meisten der Neubewohner der Medina sehen sich im Kontext der Weltgesellschaft und verorten sich im Zusammenhang mit Cosmopolitanism (vgl. Werbner 1999). Die Voraussetzung für einen Kosmopoliten ist, dass er mobil ist und im Verlauf seines Lebens nicht nur an einem einzigen Ort gelebt hat. Er unterscheidet sich gravierend von herkömmlichen Touristen, erzwungenen Exilanten und agilen expatriates. Ein Kosmopolit charakterisiert sich selbst durch folgende Merkmale: Offenheit, Wille zur Integration, Verständnis für fremde Menschen und Kulturen, Erfahrung mit ›dem Anderen‹, Fähigkeit, die Normen der eigenen Gesellschaft und Kultur zu reflektieren und kulturelle Kompetenz. Dies bringt den Kosmopoliten, wie U. Hannerz feststellt, in die Nähe des intellektuellen Milieus: ›There is some kind of affinity between cosmopolitanism and the culture of intellectuals‹ (1996, 108). Kosmopoliten stellen sich auf die Seite der lokalen Bevölkerung und wollen von dieser entsprechend differenziert betrachtet und behandelt werden. Allerdings kann die Beziehung des Kosmopoliten zu seiner Herkunft sehr differenziert ausfallen; sie unterscheidet sich durch die transkulturellen Erfahrungen von derjenigen des Ortsansässigen zu seiner Heimat:

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MARRAKECH

Karte 19-1: Medina von Marrakech – Ausländischer Immobilienbesitz (2009)

»Our home is really home, but in a special way; a constant reminder of a pre-cosmopolitan past, a privileged site of nostalgia. This is where once things seemed fairly simple and straightforward. It is again really home, a comfortable place of familiar faces, where one’s competence is undisputed, where one does not have to prove it to either oneself or others, but where for much the same reasons is some risk of boredom.« (Hannerz 1996, 110)

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Der Kosmopolit sieht die Menschen seines Zuhauses als Einheimische, wohingegen diese den Kosmopoliten nicht unbedingt in ihre Gruppe aufnehmen: Er wird aufgrund seiner Erfahrung respektiert, gehört aber nicht uneingeschränkt dazu. Im Wechselspiel von locals und cosmopolitans ergibt sich eine gegenseitige Abhängigkeit des Kosmopoliten vom Einheimischen, denn der Einheimische, der sich mit Kosmopoliten auseinandersetzt, unterscheidet sich von den anderen Einheimischen. Auch er hat in der Regel Erfahrungen im Ausland gemacht und ist damit dem Kosmopoliten ähnlich. Kosmopoliten bewegen sich bewusst und selbstbestimmt über nationalstaatliche und kulturelle Grenzen hinweg. Damit ist der Kosmopolit in seiner theoretischen Konzeption durchgehend positiv definiert; allerdings dienen dem kosmopolitischen Ausländer die konkreten Orte als Mittel zum Zweck, gewissermaßen als Hintergrund, um sich in diesem aus europäischer Sicht kulturellen und rechtlichen Zwischenraum zu verwirklichen.

Lebenswelten in Marrakech aus der Perspektive der Gentrifier und Kosmopoliten Die fremden Bewohner lassen sich in hohem Maße vereinfacht und reduziert auf die Basis ihres Interesses an der Medina durch folgende Sozialfiguren darstellen: intellektueller Künstler, weltläufiger Jetsetter, einfallsreicher Kulturunternehmer, engagierter Geschäftsmann, begüterter Tourist, rüstiger Rentner und interkultureller Lebensgefährte. Die Welten, in denen die Neubewohner leben, sind sehr unterschiedlich. Der intellektuelle Künstler sucht in der Medina insbesondere die künstlerische Inspiration und strebt nach Selbstverwirklichung sowie auf die Befriedigung seiner (sexuellen) Bedürfnisse in seinen eigenen vier Wänden. Der weltläufige Jetsetter unterhält in Marrakech zusätzlich zu seinen bereits global verstreut existierenden Domizilen ein weiteres Haus für seinen ausschweifenden Lebensstil. Der einfallsreiche Kulturunternehmer erfüllt sich einen Traum als kultureller Vermittler zwischen interessierten Touristen und der einheimischen Gesellschaft. Der engagierte Geschäftsmann versucht zwischen den Kulturen und Gesellschaften mit einer Produktions- oder Handelsidee Geld zu machen. Der begüterte Tourist ermöglicht sich ein Ferienhaus in der mystischen Exotik der kontrastreichen Altstadt von Marrakech. Der rüstige Rentner erfreut sich an dem ihm entgegengebrachten Respekt, der Gastfreundschaft und menschlichen Wärme sowie daran, einen kostengünstigen Altersruhesitz entdeckt zu haben. Der interkulturelle Lebensgefährte hat eine neue Heimat in Marrakech gefunden, allerdings dauert es teilweise sehr lange, bis er in der Routine des Alltags wirklich angekommen ist. Kaum eine der angeführten Figuren findet man in idealer Form, vielmehr überschneiden sich die Figuren in den lebenden Neubewohnern. 360

MARRAKECH

Karte 19-2: Ausländischer Immobilienbesitz im Derb Debaschi/Marrakech

Marrakech, ein kreativer Spielplatz4 Der US-Amerikaner Bill Willis, ›… die graue Eminenz des aktuellen Trends für alles, was Marokko anbelangt …‹ (Lovatt-Smith 1995, 151) ist bereits in vielen Ländern zu Hause gewesen. Aus dem Süden der USA stammend verließ er mit 19 Jahren das Land und erkundete vornehmlich Europa: »I tried to live in big cities. I lived in New York for three years, I went to school in Paris for three years, I lived in Rome for three years. I lived in London about a year.«

Persönliche und berufliche Bindungen existieren vor allem zu Europa und der islamischen Welt. ›I’ve done all my work in Europe, the Far East, here in Morocco, and so forth.‹ Demzufolge fühlt sich Willis ›… half American and half Moroccan by now.‹ Arabisch spricht er allerdings nur bruchstückhaft. Zum ersten Mal kam Willis in den 1960er Jahren im Alter von 30 Jahren als Tourist nach Marokko und verbrachte die ersten Wochen in Tanger. Dort

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ESCHER/PETERMANN

erhielt er eine Einladung zu der Hochzeit seines guten, langjährigen Freundes Paul Getty jr., den er daraufhin in die Flitterwochen nach Marokko einlud: »And so, I wrote them congratulations and said ‘why don’t you come to Morocco on your honeymoon’ and five days later, the newlywed Gettys arrived to Tangier and so, what do we do? We rent a car, and we do the ‘honeymoon à trois’.«

Zusammen bereisten sie ganz Marokko. In Marrakech gefiel es Getty so gut, dass er sich zu einem Hauskauf in der Medina entschloss und Willis um Unterstützung bei der Renovierung bat. »And so that’s how I began to work in Morocco. I had no intention of working here when I first came. And then I started working for other people.«

Fasziniert von der Langsamkeit und scheinbaren Leichtigkeit des Lebens in Marokko, das ihn an seine Kindheit im Süden der Vereinigten Staaten von Amerika erinnerte, beschloss er 1966, sich ebenfalls in Marrakech – ›the most charming city in Morocco‹ – ein Haus zu kaufen. Denn in Marokko haben sich laut Willis die Menschen den Kontakt mit den grundlegenden Elementen des Lebens bewahrt – mit Werten, die der Okzident, vor allem in großen Metropolen, vergessen hat (vgl. Matthieussent 1985b, 231). Im Norden der Stadt, zwischen Friedhof und Moschee, kaufte er sich schließlich 1973 den Haremsteil eines alten Palastes aus dem 18. Jahrhundert und richtete ihn nach seinen Vorstellungen ein. Das Haus verfügt über 23 Zimmer, welche Willis zwar nicht alle bewohnen kann, die ihm allerdings das Gefühl verleihen, sich in seinem eigenen kleinen Königreich zu befinden. Mit dem Ausspruch ›… once you’re in your house, you’re in your own little kingdom‹ zielt er zudem auf einen anderen Aspekt der marokkanischen Hausarchitektur ab: Durch die Abschirmung dieser Häuser gegenüber der Außenwelt können sich die Bewohner der sozialen Kontrolle der Gesellschaft entziehen und innerhalb des Hauses alle nur vorstellbaren Freiheiten und Phantasien ausleben. In der Verfügbarkeit des Hauses und des Dienstpersonals sowie dem niedrigen Preisniveau vor Ort sieht Willis – auch wenn er über ausreichend finanzielle Mittel verfügt – einen großen Vorteil gegenüber Europa. Und in dieser Atmosphäre lädt er seit den 1960er Jahren zu rauschenden Festen ein: ›C’était l’époque des fêtes délirants, avec Brian Jones, Mick Jagger, John Lennon, Keith Richards, chez Paul Getty et ici, dans le harem. Je me souviens en particulier d’une année où le dernier jour du ramadan tombait le 31 décembre… La folie totale ….‹ (Willis, z.n. Matthieussent 1985b, 231). Dieses internationale Flair hat sich bis heute in Marrakech bewahrt und begeistert Willis noch immer: »I love Marrakech because it’s so international. And everybody that I’ve known in all of my travels in Italy, in England, in France, in America and so 362

MARRAKECH

– people constantly coming through here. And so that amuses me. And I mean, I know locally practically – I won’t say everybody – but I know many, many, many people locally. But I more used to talk to my friends just come here for a brief stay. They bring in some kind of new energy in life, so that amuses me.«

Manchmal geht er zwar mit Freunden in ein Restaurant, doch normalerweise bevorzugt er Dinner-Parties in seinem Haus: »And most of my friends do the same thing. And I have lots of dear friends, like Hedi Krupp von Bohlen und Halbach, who lives sort of six months a year here. … And Yves Saint Laurent comes three or four times a year, he’s a dear friend of mine. And so we have a very nice group of people that live here.«

Doch nicht nur zu Mitgliedern der ausländischen Community pflegt er Freundschaften, sondern auch zu Marokkanern der oberen Gesellschaftsschicht, für die er meist ein Bauprojekt geleitet hat. »Most of my Moroccan friends have secondary houses here. They have their businesses in Casablanca, which is the industrial capital of Morocco, and friends like Omar Ben Jelloun. … he owns Volvo, he owns Goodyear, he owns Siemens, he’s a big, big industrialist… .«

All diese Faktoren – Lebensstil, Haus, Dienstpersonal, Empfänge innerhalb der Gesellschaftsschicht – erinnern Willis vor der ärmlichen Kulisse von Marrakech an »… a bit of a colonial atmosphere. It’s the sort of thing I love about Morocco. There is still that sort of gracious colonial atmosphere.«

Doch nicht nur die koloniale Atmosphäre sieht Willis im positiven Licht, sondern auch die jetzige Entwicklung der Ausländerzahlen und deren Auswirkungen auf Marrakech: »But it is good, it cleans up the city, it brings a lot of money to Morocco. It employs hundreds of Moroccan workmen, and so that is very, very good. It’s very good for the Medina, because these foreigners bring in lots of money and fix up all these old houses, that are falling into ruins or tear them down and build something marvelous in the place so that’s very good.«

Eine negative Entwicklung sieht er im zunehmend steigenden Lebensstandard und somit auch im Preisniveau in Marokko. 25 Jahre lang fährt er während der heißen Sommermonate nach Salzburg, doch seit einiger Zeit verbringt er diese Jahreszeit in Tanger: »So usually in July and August, I go up to Tangier. I used to go to Salzburg every summer, but since the death of Maestro von Karajan, I don’t like the choice of music in Salzburg very much anymore.« 363

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Die restlichen zehn Monate des Jahres lebt Willis überwiegend in Marrakech. Während dieser Zeit baut oder renoviert er Häuser innerhalb und außerhalb der Medina für ein bis zwei Kunden pro Jahr. Willis gestaltet sein Leben in Marrakech innerhalb der kosmopoliten Elite und Kunstszene. Er bedient sich der Kulisse Marrakechs in unterschiedlicher Weise: Hier kann er Klima und Sonne genießen, hier kann er sein exzentrisches Leben innerhalb des stark renovierten, sanierten und nach seinen Vorstellungen gestalteten Hauses genießen, hier kann er problemlos seinem Beruf als Architekt nachgehen und hier ist es ihm möglich, die herrschaftliche Atmosphäre vergangener Kindheitstage im Süden der USA aufleben zu lassen.

Eine geniale Geschäftsidee: Gästehäuser in Marrakech Der 53-jährige Franzose hat einige Jahre seiner Kindheit in Marokko gelebt und kehrt mit seiner Familie im Alter von dreizehn Jahren nach Frankreich zurück. Nach seiner Ausbildung zum Informatiker reist er oftmals nach Marokko, verlässt Frankreich und lebt einige Zeit in Südamerika. Bevor er Gästehäuser in der Medina eröffnet, arbeitet er in Marrakech einige Jahre im Exportgeschäft. In Marrakech hat er seine zweite Frau – eine Französin – kennengelernt und geheiratet. Zusammen mit ihr und zwei Kindern lebt er mittlerweile permanent in Marrakech. Für ihn ist der Hauskauf eine Rückkehr in die Jugend, da ihm das Licht Marokkos immer in Erinnerung geblieben ist. Ausschlaggebend für seinen Zuzug nach Marrakech sind zudem die Nähe zu Europa, das Klima, die Freundlichkeit der Marokkaner, die Verfügbarkeit von Dienstpersonal und das verhältnismäßig ruhige Leben. Ursprünglich als Zweitwohnung konzipiert, kauft er – motiviert durch das geringe Preisniveau – zu Beginn der 1990er Jahre ein Haus in der Medina. »Zur damaligen Zeit gab es kaum Interessenten und Käufer. Viele Häuser standen zum Verkauf und die Preise waren angemessen. Und ich habe erst später erkannt, dass es einen Markt für Gästehäuser gibt. Für sein Haus hat er sich entschieden, weil es schön und angenehm ist. Und wenn man sich so ein Haus kauft, stellt man Personal ein. Und dann hat man Freunde, die wiederum mit Freunden und deren Freunden kommen. Das endet damit, dass bei einem Leute wohnen, die man nicht kennt. Also sagt man sich: die müssen zahlen.«

Das Viertel Riad Zitoun Kdim hat beim Kauf nur eine untergeordnete Rolle gespielt, da es ihm ohnehin sehr schwer gefallen ist, die Qualität eines Viertels angemessen zu beurteilen.

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Karte 19-3: Ausländischer Immobilienbesitz im Derb Riad el Arous/Marrakech

»Wir glaubten, dass ein gutes Viertel sich dadurch auszeichnet, dass sich dort viele Touristen und Polizisten aufhalten. Zunächst verwirft man die Viertel, in denen es keine Touristen gibt, weil man sich dort nicht wohlfühlt. Die Marokkaner wollen einen nicht, man muss erst eine Art Test durchlaufen. Nach einer bestimmten Zeit, das hängt von der jeweiligen Person ab, ist man in die Gemeinschaft aufgenommen und wird von den Leuten geschützt, die einen einst zurückwiesen.«

Erst nachdem er rund 120 Häuser angesehen hat – zwei Drittel davon ohne Grundbucheintrag –, entschließt er sich für sein erstes Haus. Das Haus umfasst acht Zimmer und kostet inklusive aller Kosten für Kauf, Renovierung und Notargebühren einen Preis von 3,3 Millionen Dirham (rund 330.000 Euro). Nachdem er einige Jahre in diesem Haus gelebt hat, verlässt er aus praktischen Gründen die Medina: Das Gästehaus, und damit sein Wohnhaus, ist immer ausgebucht; er vermietet auch seine ehemalige Wohnung. Und die Nähe der Wohnung zur Schule der Kinder motiviert ihn, in die Neustadt zu ziehen. Aufgrund der großen weltweiten touristischen Nachfrage nach ‘Wohnen 365

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im Paradies bzw. Wohnen im Riad’ entschließt sich der Franzose 1995 zu einem weiteren Hauskauf in der Medina. Diesmal wählt er ein Haus mit 600 m² Wohnfläche im Viertel Ksour, das er von einem Landsmann kauft und das demzufolge schon renoviert ist. Auch dieses Haus wird als Gästehaus genutzt. Insgesamt beschäftigt Michel sieben Personen, vier Frauen im ersten Haus und zwei Frauen sowie einen Mann im neuen Gästehaus. Das Personal hat er durch Empfehlungen von seinen Angestellten oder von befreundeten Franzosen gefunden: »Es handelt sich um Freunde meiner Angestellten oder andere Franzosen haben sie uns empfohlen. Jemand, der geht, empfiehlt seine Bonne. Das läuft immer über Empfehlungen. Wir sind darauf angewiesen, auf Vertrauensbasis zu arbeiten und die Leute zu kennen.«

Wichtig für die Wahl der Angestellten sind neben diesem Aspekt auch die Fremdsprachenkenntnisse. Zumindest Französisch ist für diejenigen Kräfte unerlässlich, die direkt mit den ausländischen Kunden arbeiten. Der Franzose betont seine guten Nachbarschaftskontakte zu Marokkanern. ›Sie sind sehr kontaktfreudig und jeder kennt jeden – schließlich ist es hier ein kleines Dorf. Man redet viel, sie laden uns auf einen Tee bei sich ein, sie sind sehr offen.‹ Diese Kontakte sieht er als sehr wichtig an, da man in einem relativ geschlossenen Umfeld lebt. »Das ist wie in einem Hafen. Wenn man auf einem Schiff lebt und im Hafen anlegt, muss man seine Nachbarn rechts und links kennen. Jeder lebt für sich, aber man ist sich sehr nah. Also braucht man gute Beziehungen zueinander. Streitereien kann man nicht gebrauchen.«

Dennoch spielt sich sein privates Sozialleben ausschließlich in der Ausländergemeinde ab, marokkanische Freunde hat er keine. »Jetzt gibt es immer mehr Leute, die sich hier niederlassen und die ein soziales Leben innerhalb der ausländischen Community führen. Man geht oft aus, man sieht viele Leute. Man trifft hier Leute, die man sonst nirgends sehen würde.«

Sein Bekanntenkreis beschränkt sich wegen sprachlicher Probleme überwiegend auf französischsprachige Nationalitäten: Franzosen, Schweizer, Belgier. »Es gibt aber auch eine englische Community, die ich nicht kenne und ich kenne auch nicht viele Deutsche. Weil wir keinen Ansatzpunkt haben.«

Er geht häufig aus und empfängt ebenso häufig Freunde und Bekannte zum Essen. Über das Verhalten der Ausländer äußert sich Michel nicht. Die rasante Entwicklung der Ausländerzahlen bemerkt er und sieht sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

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»Ich bin da zweigeteilt. Die Häuser verfallen und die Marokkaner unterhalten sie nicht gut. Und wenn sie nicht in Schuss gehalten werden, verfallen sie. Die Europäer kaufen die Häuser und restaurieren sie. Das hat eine gute Seite. Aber die schlechte Seite ist die, dass die Europäer nicht die Medina übernehmen dürfen, das verändert sonst alles. Es gibt einen Teil, der abgegrenzt werden müsste, und ich glaube, es gibt inzwischen viel zu viele Europäer in der Medina.«

Doch nicht nur bezüglich der Ausländer, sondern auch im alltäglichen Leben in Marokko sieht er Vor- und Nachteile. Gerade durch seine Arbeit ist er häufig mit der schwerfälligen Verwaltung und mit Problemen wie Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit der Arbeiter konfrontiert, die er unterschiedlich begründet: »Hier ist alles fließend, nichts ist genau. Das hat mehrere Gründe: Oft kennt die Person die Antwort selbst nicht, aber sie will nicht den Eindruck erwecken, dass sie nichts wisse. Und der zweite Grund ist, dass der Marokkaner dir oft nicht die Wahrheit sagt, sondern das, was du hören willst. Das korrespondiert nicht so gut mit unserer europäischen Mentalität. Aber mit der Zeit versteht man die Dinge und man passt sich an sie an.«

Seine alltäglichen Handlungen konzentrieren sich vornehmlich auf die Leitung der Gästehäuser. Vormittags fährt er zu den Gästehäusern, bespricht sich mit seinen Angestellten und steht seinen Kunden für Fragen und Gespräche zur Verfügung. Nachmittags erledigt er die anfallenden Büroarbeiten, d.h. vornehmlich administrative Tätigkeiten und die Entgegennahme von Reservierungen. Die Werbung für seine Gästehäuser erfolgt neben der Mund-zuMund-Propaganda über Reiseführer, Zeitschriften und das Internet. Durch den hohen Bekanntheitsgrad und die hohe Auslastung seiner Gästehäuser kann der Besitzer mit den Einnahmen problemlos die laufenden Kosten decken und einen angenehmen Lebensstil in Marrakech pflegen. Neben der Leitung der Gästehäuser kümmert er sich überwiegend um seine Familie und pflegt seine sozialen Kontakte innerhalb der ausländischen französischen Gemeinschaft. Auch wenn Michel positive Kontakte zu seinen marokkanischen Nachbarn als sehr wichtig einstuft, ist er durch seinen Beruf und in seinem Privatleben fast ausschließlich in der Lebenswelt der ausländischen Gemeinschaft verhaftet. Michel hat in Marrakech durchaus mit alltäglichen, vor allem administrativen Problemen zu kämpfen – dennoch möchte er weiterhin in Marrakech leben. Die Gästehäuser in der Medina sind für ihn ein wahrer Quell des irdischen Glücks, denn sie garantieren derzeit seine finanzielle Existenz.

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Die zweite Chance oder das Projekt Marrakech ›Und dann entschloss ich mich, ‘Das Projekt Marrakech’ anzugehen‹, wird Wolfgang später über sein Wagnis sagen, in der Medina ein Gästehaus zu betreiben. Der gebürtige Münchener ist vor allem eines: vielseitig. In seinem akademischen Studium beschäftigt er sich mit Maschinenbau, Betriebswirtschaftslehre und Sportwissenschaften. Anschließend verschreibt er sich dem Leistungssport, später arbeitet er als Fotomodell, Foto-Assistent, Personal Trainer und im Bereich der Medientechnik. »Ich bin mir immer wie ein Exot vorgekommen. Schon mein ganzes Leben. Bei uns in der Schule, da waren die Popper und die Alternativen. Und ich war immer der ‘Sportgoofy’. Und ich war auf den Festen von den Poppern und ich habe mit den Alternativen an der Isar 20 Kästen Bier vernichtet.«

Damals ist es für ihn ein Problem, zu keiner der verschiedenen Cliquen richtig zu gehören: ›Und ich konnte mich nie irgendwo einordnen‹, stellt der ehemalige Trainer fest. Im Jahr 1999 besucht er zum ersten Mal mit Freunden Marrakech und steigt in einem relativ teuren Gästehaus ab, das er sich aufgrund seines guten Einkommens auch leisten kann. Doch bald stürzt sein beruflicher Erfolg drastisch ab: Eine medizinisch verschleppte Sportverletzung verbietet ihm, weiter als erfolgreicher persönlicher Trainer die ‘Reichen und Schönen’ in München zu betreuen, und aufgrund des Absturzes der New Economy konnte er den versprochenen Leitungsposten bei einer Medienagentur nicht mehr antreten. Zu dieser Zeit, als sein Leben vor einer neuen Weichenstellung steht, reist Wolfgang mit der schweren Sportverletzung wieder nach Marrakech, um im ehemals als äußerst angenehm erfahrenen Ambiente die Verletzung auszukurieren. Im Gästehaus denkt er über einen Neuanfang nach: »Da habe ich mir auf meinem Sofa mit hochgelegtem Bein überlegt, wie das doch wäre, wenn ich unser schönes Deutschland verlassen würde. Nicht weil mir da nichts gefällt, weil ich keine Freunde habe und weil ich nichts erreiche, sondern weil ich mir gedacht habe: ‘Nee, ich kenne es schon’.«

Diese Gedanken werden auch durch eine neue Bekanntschaft beflügelt. In diesem für ihn wichtigen Jahr 2002 lernt er seine zukünftige Frau, eine Angestellte im Gästehaus, wo er mit seinen Freunden abgestiegen war, kennen und zunächst auf Distanz lieben. Heute noch schwärmt Wolfgang von diesem für ihn eigenartigen und völlig neuen Zustand: »Es war wie wenn man sich in einen Stern verliebt: Es war erst einmal irrsinnig weit weg. Mit ihr konnte ich ja nicht abends ums Eck auf ein Bier gehen – sie hat eine seriöse islamische Erziehung. Aber das war wie Liebe auf den ersten Blick, als ich sie sah. Als wir […] in den Riad reinkamen.« 368

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Immer noch mit Verwunderung erzählt er von der Zeit mit Hadda, seiner jetzigen Frau, vor der Hochzeit. Aufgrund der strengen sozialen Überwachung war der Austausch von Zärtlichkeiten, wie wir es aus Europa kennen, so gut wie nicht möglich. Um mit Hadda, die neben ihrer berberischen Muttersprache Arabisch und Französisch spricht, besser kommunizieren zu können und vor dem Hintergrund, sich in der aufstrebenden Stadt Marrakech niederzulassen, belegt Wolfgang einen Intensivsprachkurs in Französisch und besucht einen Freund in Frankreich, der ihn beim Erlernen der Sprache unterstützt. Interessant dabei ist, dass er nicht die Muttersprache seiner Frau erlernte, sondern mit Französisch die Sprache der ehemaligen Kolonialherren und die heutige Verkehrssprache der internationalen Gemeinschaft in der Medina. Nachdem Wolfgang zum Islam übergetreten ist, steht einer Heirat von seiner Seite nichts mehr im Weg. Im Oktober 2003 heiraten die beiden und ziehen in ein kleines, gemietetes Haus. Zur Zeit der Haussuche sind die Immobilienpreise in Marrakech aufgrund der internationalen Nachfrage bereits schon relativ hoch. Wolfgang entschließt sich für ein gemietetes Haus mit Kaufoption im Süden der Altstadt, im Kasbah-Viertel. Die Miete pro Monat beläuft sich auf hundert Euro. Später will er eventuell das Haus und das Nachbarhaus kaufen und als Gästehaus ausbauen. Er denkt über verschiedene Möglichkeiten einer Geldquelle zur Sicherung seiner Existenz nach, denn die Ersparnisse in Deutschland nehmen immer mehr ab. Die beiden Optionen, die für ihn in Frage kommen, sind ein Fischrestaurant oder Gästehaus zu eröffnen. Deswegen macht er sich mithilfe eines lokalen Immobilienmaklers auf die Suche nach einem potenziellen Haus. Nach hartnäckiger Suche wird er unweit des Djemaa elFna fündig. Zwar eignet sich das Haus aufgrund seines Grundrisses nicht für ein Restaurant, allerdings für den Ausbau zu einem kleinen Gästehaus. Die Renovierungsarbeiten übernehmen er und Mohammed, ein marokkanischer Freund und gelernter Schreiner. Wolfgang versteht es, den begrenzten Platz des kleinen Hauses ideal zu nutzen und das Haus detailverliebt zu einem kleinen Paradies zu gestalten. Hierbei entspringt auch schon die nächste Projektidee zum Erwerb des Lebensunterhaltes. Da viele zuziehende Ausländer mit der Qualität der renovierten Häuser nicht dauerhaft zufrieden sind, plant Wolfgang, in verantwortungsvoller Weise für Europäer als Berater und/oder Bauleiter zu fungieren. Allein schon durch die durchgeführten Renovierungsarbeiten und seine Freundschaft zu Mohammed ist Wolfgang mehr als viele Ausländer in das marokkanische Sozialgefüge integriert. »Ich ordne mich eher dem marokkanischen Gesellschaftssystem unter und ich bilde mir nicht ein, dass es so sein muss wie bei uns. Weil dann gibt es nur Konflikte. Hier bin ich nicht zu Hause.«

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Im Laufe der Zeit hat er sich die gängigsten arabischen Redeweisen und das benötigte Spezialvokabular angeeignet. Besonders in seinem Wohnviertel, der Kasbah, fühlt er sich akzeptiert. »Ich fühle mich da wohl und bin respektiert. Und hier kennt man auch Hadda und mich und so können wir uns in der Kasbah frei bewegen.«

Dies trifft nicht auf alle Stadtviertel zu. Manchmal werden Hadda und Wolfgang beschimpft, wenn sie zusammen in der Stadt unterwegs sind. »Da glaubt immer ein Geschaftlhuber daherkommen zu müssen und seinen Senf dazu geben zu müssen. Ich verstehe es ja Gott sei Dank nicht oder wenig.«

Aus diesem Grund sind die beiden nur sehr selten gemeinsam in der Öffentlichkeit unterwegs. »Unser Privatleben spielt sich in den eigenen vier Räumen ab und es ist auch ein großer Unterschied, ob wir allein sind oder wenn Leute dabei sind.«

Seine Sicht auf die Ausländer in der Medina zeichnet sich durch kritische Distanz aus: »Die meisten Europäer haben irgendwie einen Schaden, einen Dachschaden. Einen sexuellen Schaden. Einen Profitgierschaden. Die Franzosen einen Kolonialschaden.«

Verständlicherweise sieht er sich außerhalb dieser – aus seiner Sicht – relativ kranken Gesellschaft und deshalb betont er immer wieder: ›Ich hatte jetzt monatelang keinen Kontakt mit Europäern.‹ Er sieht Marrakech als eine Bühne für Ausländer, die sich in ihrem Heimatland eingesperrt fühlen und nach Marrakech kommen, um in ihrem Paradies Grenzen zu überschreiten: »Viele Leute kommen hierher, um Dinge zu tun, die beispielsweise in Deutschland nicht immer gestattet sind oder die irgendwie einen als auffällig abstempeln würden.«

Aus diesem Grund pflegt er nur zu einem relativ kleinen Kreis von Ausländern regelmäßig Kontakte. Der Tagesablauf von Wolfgang richtet sich stark nach seiner Arbeit. In der Renovierungsphase seines Gästehauses unweit des Platzes verbringt er fast den ganzen Tag mit der Arbeit vor Ort, der Motivation der Arbeiter und der Bereitstellung der Arbeitsmaterialien. Auch seine Frau ist weiterhin in einem Gästehaus berufstätig und folglich ganztags außer Haus. Inzwischen paukt sie die englische Sprache, da seine Gäste oftmals aus dem englischen Raum kommen. Hadda soll in Zukunft in seinem eigenen Gästehaus das Zepter in die Hand nehmen. Inzwischen steht das Haus mit drei Zimmern in der Nähe des Djemaa el-Fna und das nächste Projekt ist in Ar370

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beit: ein gemeinsam mit einem Freund finanziertes und von einer Gesellschaft betriebenes Gästehaus in der Kasbah. Danach, wenn die Phase der Existenzabsicherung abgeschlossen ist, wird, so überlegt der Projektmacher, die Gründung einer wirklichen Familie anstehen. Das Leben in Marrakech stellt für Wolfgang eine Möglichkeit dar, die bekannten, ausgetretenen und teilweise verstellten Wege in Deutschland zu umgehen und in einer fremden, von ihm als erdig charakterisierten Stadt zusammen mit seiner Frau, die für ihn eine notwendige Vermittlerin und eine gleichberechtigte Partnerin ist, eine Existenz aufzubauen. Sein soziales Umfeld in Marrakech stützt sich überwiegend auf einige wenige Mitglieder der Ausländer-Community und auf marokkanische Geschäftskontakte. Über eine Zukunft in Deutschland denkt Wolfgang trotz der Beschimpfungen auf der Straße relativ selten nach. Marrakech ist für ihn ein rationales Projekt und eine zweite Chance zur finanziellen Sicherung seiner Existenz und zur Selbstverwirklichung seiner handwerklichen und persönlichen Fähigkeiten. Der Deutsche gehört zu einer Gruppe von Ausländern, welche die neuen Möglichkeiten in Marrakech gezielt strategisch nutzen.

Das gentrifizierte und kosmopolisierte Marrakech So unterschiedlich die vorgestellten Charaktere und Typen auch sein mögen – sie alle bewegen sich sicher in der Lebenswelt des gentrifizierten und kosmopolisierten Marrakech. Sie betreten die Bühne der baulich erneuerten Stadt mit einem Grundverständnis für fremde Kulturen und Menschen, neugierig auf Erfahrungen mit ‘dem Anderen’ und durchaus bereit, sich in die neu gefundene und durch die ausländische Gemeinschaft kreierte Welt zu integrieren. Bereits nach wenigen Monaten Bühnenerfahrung erweitern sie ihre – biographisch bedingt – vorhandenen kulturellen Kompetenzen und reflektieren zumindest teilweise äußerst kritisch ihre jetzige Situation und ihr Umfeld. Allerdings vermögen sie es kaum, die Inszenierung ihrer Lebenswelt zu verlassen und Teil des ‘marokkanischen Marrakech’ zu werden. Sonst würde sich auch die wechselseitige Abhängigkeit von locals und cosmopolitans auflösen: einerseits auf lokaler Seite von Arbeit- und Geldgebern sowie andererseits auf kosmopoliter Seite von Statisten für ihr Bühnenbild.

Anmerkungen 1.

2.

Der vorliegende Aufsatz greift Aspekte und Textabschnitte aus folgender Publikation auf: Escher/Petermann (2009): Tausendundein Fremder im Paradies? Ausländer in der Medina von Marrakech. Würzburg. Gentrification bezeichnet einen baulichen Aufwertungsprozess eines Stadtteiles, der mit einem Verdrängungsprozess der bislang dort lebenden einkom371

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3.

4.

372

mensschwachen Bevölkerungsgruppen durch zunächst wenige Innovatoren (Pioniere) und nachfolgend durch eine neue, meist statushöhere Bevölkerungsgruppe (Gentrifier) verbunden ist (z.B. Friedrichs 1996). In Marrakech werden die Wohnhäuser mit Innenhof als Dar und die Wohnhäuser mit Innenhof und Garten als Riad bezeichnet. Im touristischen Diskurs nennt man heute alle Wohnhäuser in der Medina Riad. Alle folgenden Zitate ohne Quellenangabe entstammen (übersetzten und transkribierten) persönlichen Äußerungen der beschriebenen Personen. Die Interviews wurden in den Jahren 2000, 2003 und 2006 sowie 2009 von den Autoren geführt.

N O R M AT I V E O R D N U N G E N , M U LT I P L E I D E N T I T Ä T E N U N D R E L I G I Ö S E I N T E R P R E TAT I O N S M U S T E R U N T E RW E G S Z W I S C H E N M A R O K K O U N D K A N A D A Bertram Turner (Halle)

Migration, Mobilität und Wechselwirkungen Marokkaner sind mobil. Jeder, der jemals einen der Knotenpunkte des öffentlichen Transportwesens des Landes während einer der so zahlreichen Hauptreisezeiten erlebt hat, wird das bestätigen (vgl. Turner 2000). Seit mehreren Generationen erstreckt sich diese Mobilität in Form von Migration weit über die Landesgrenzen hinaus. Die überwältigende Mehrheit aller Marokkaner, die im Ausland leben, besucht ihre Heimat im Sommer. Die alljährliche Operation Merhaba, die Organisation dieses Transits von und nach Marokko, stellt eine enorme logistische Herausforderung dar. Marokkanische Lebenswelten sind durch Mobilität zunehmend in globale Kontexte eingebunden. Die Marokkaner, die temporär oder für immer ins Ausland streben, verändern sich, passen sich teils an gegebene Verhältnisse an, gehen Kompromisse ein, entwickeln einen eigenen Lebensstil, der seinen Ausdruck findet in einer ‘Gastarbeiter- oder Migrantenkultur’, culture beur, irgendwo zwischen Integration in den neuen Lebenszusammenhang und Reminiszenzen an die alte Heimat angesiedelt.1 Die Mobilität hat auch Auswirkungen auf das Leben derer, die im Herkunftsland bleiben. Migranten, die MRE (Marocains Résidents à l’Étranger) oder MDM (Marocains du Monde),2 halten Kontakt zur Heimat und bringen neue Vorstellungen ins Land, investieren in die einheimische Wirtschaft, fördern Entwicklungsinitiativen, tragen zur Veränderung von Machtkonstellationen und Eigentumsverhältnissen bei. Dieser Einfluss der MRE auf die Verhältnisse im Herkunftsland findet große Aufmerksamkeit und ist ein etabliertes Thema in der Forschung (vgl. Daoud 2005; Lacroix 2005; Sabry 2005; Snel et al. 2006). 373

TURNER

In diesem Beitrag geht es nun um eine etwas anders gelagerte Perspektive. Es stehen mehr die Aspekte der Gegenseitigkeit dieses Transfers im Mittelpunkt (vgl. Franz von Benda-Beckman et al. 2005). Dabei geht es wiederum weniger um das Thema der Revitalisierung von Tradition oder die Rückbesinnung auf religiöse Werte in der Diaspora-Situation (vgl. dazu Bowen 2004). Es wird vielmehr argumentiert, dass die Anstöße zu Veränderungen, die von MRE in ihr Herkunftsland gebracht werden und dort mit lokalen Vorstellungen interagieren, ihrerseits selbst zumindest zu einem nicht unerheblichen Anteil schon das Ergebnis eines Austauschprozesses zwischen Akteuren aus beiden Sphären sowohl aus Marokko als auch der Diaspora darstellen. Dieser Umstand mag auch dazu beitragen, dass die Marokko erreichenden Impulse alles andere als homogen sind. Sie reflektieren vielmehr vorausgegangene komplexe Aushandlungsprozesse. Es werden also aus analytischen Gründen insgesamt drei transformative Konfigurationen innerhalb des Interaktionsnetzes differenziert, das die beiden Pole Herkunftsland und Aufnahmeland verbindet. Empirisch sind diese Konfigurationen zeitgleich wirksam und ineinander verschachtelt. Im Ergebnis zeigen sich Auswirkungen dieser Interaktion auf alle drei beteiligten Akteursgruppen: die Migranten, die Marokkaner in Marokko und die Akteure der Aufnahmeländer. Die erste Konfiguration, die zu dieser Vielstimmigkeit beiträgt, resultiert aus der Unterschiedlichkeit der kulturellen und sozialen Inventare, auf die die MRE – die ihrerseits vielschichtige kulturelle und soziale Inventare transportieren – in den verschiedenen Aufnahmeländern treffen und mit denen sie in unterschiedlicher Weise umgehen. In einer zweiten Konfiguration – und diese steht hier im Vordergrund – werden die Folgen oder Ergebnisse dieser ersten Transformation zwischen den marokkanischen Migranten und Marokkanern, die in Marokko leben, selbst verhandelt, noch bevor sie in der dritten Konfiguration in lokalen Arenen in Marokko wirksam werden. Die Transformationen der zweiten Konfiguration haben keinen fixen Ort. Sie werden zumeist in Marokko lokalisiert, wenn MRE dort die Ergebnisse der ersten Konfiguration in einen kleineren Akteursrahmen einspeisen, bevor das Ergebnis dieses Austausches sich in Marokko freisetzt und in die dritte Konfiguration mündet. Moderner Kommunikationstechnologie kommt bei den geschilderten Aushandlungsprozessen der zweiten Konfiguration eine große Bedeutung zu.3 Manchmal müssen aber auch die Akteure in Marokko selbst mobil werden und sich auf den Weg zu ihren Ansprechpartnern machen. Dieser Prozess findet also nicht nur in Marokko statt, wenn die MRE saisonal dorthin reisen. Auch die MRE werden von Menschen aus Marokko in ihren neuen Lebenssituationen aus verschiedenerlei Gründen aufgesucht, sodass sich Impulse ‘aus der Heimat’ auch auf die Interaktion zwischen MRE und anderen Bürgern des Aufnahmelandes einerseits und eben auch auf die Rückkoppelun374

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gen mit der ‘Heimat’ auswirken. Das bedeutet, dass auch intellektuelle Transfers aus dem Herkunftsland selbst zur Entwicklung des so vielfältigen Spektrums beitragen. Dieser kontinuierliche Translationsprozess von Wissensbeständen, von kulturellen Inventaren und normativen Standards ist wiederum in die jeweiligen Metakontexte nationaler Politiken und transnationaler Strömungen eingebettet. Und er trägt, so setzt sich das Argument fort, in den Gastländern zur Entstehung spezifischer Charakteristika von lokalen MRE-Gemeinschaften bei und damit zur Entstehung dessen, was die MRE später als Innovation nach Marokko mitbringen. MRE importieren Konzepte, Wertmaßstäbe und Lebensweisen in ihre Herkunftsregionen, die ein Konglomerat aus einerseits mitgebrachten und andererseits in den Gastländern angetroffenen, umgestalteten oder angenommenen Komponenten darstellen. Mein Anliegen ist es im Folgenden zu zeigen, dass nicht nur die alljährliche Invasion der MRE nach Marokko hierzu beiträgt, sondern dass marokkanische Akteure Wissensbestände und Handlungsorientierung auch in umgekehrte Richtung vermitteln, wenn es die Umstände ergeben. Letztlich verändern sich damit wiederum, wie gesagt, auch die lokalen Arenen in Marokko, aus denen die Impulse zu dem kontinuierlichen Aushandlungsprozess beigesteuert werden. Was marokkanische Migranten an intellektuellem Input zum Diskurs über Recht und Konfliktregulierung beitragen, wenn sie von Kanada in ihre Herkunftsregionen reisen, sind innovative Impulse, die dazu führen, lokales Konfliktgeschehen in erweiterte Rahmenbedingungen und Zusammenhänge eingebettet zu betrachten. Sie beziehen sich auf Konzepte wie Zivilgesellschaft, staatsbürgerliche Verantwortung, freie Selbstentfaltung des Individuums und kulturelle Vielfalt, wovon Gestaltungsfreiräume im Recht ein Teil sind. Solche Referenzen zum Diskurs über Multikulturalität und Migrationsgesellschaft in Kanada weisen allerdings schon Pfadabhängigkeiten zum juridischen Interaktionsrahmen auf, der Kanadier marokkanischer Herkunft mit ihrem Herkunftsland verbindet. Der Diskurs selbst ist religiös konnotiert und referenziert einerseits die Haltung gegenüber dem Islam in der Gesamtgesellschaft Kanadas, insbesondere in der französischsprachigen Provinz Québec, wo die Mehrheit von ihnen lebt, als auch die Herausforderungen, denen sich der lokale oder populäre Islam in Marokko als Identitätsmarker und Bezugsrahmen rechtlichen Handelns angesichts des wachsenden Einflusses des politischen Islam auch in lokalen Arenen gegenübersieht. Beispiele für solche Transferprozesse gibt es viele. Man könnte in Eigeninitiative entwickelte Kooperationen zwischen Dörfern in Marokko und ihren MRE-Satellitensiedlungen anführen, etwa im Bereich des Tourismus oder der Vermarktung marokkanischer Ökoprodukte in den Industrieländern. Im Folgenden werde ich solche Aushandlungsprozesse anhand eines nicht ganz alltäglichen Beispiels zeigen. Der Ausnahmecharakter des Beispiels vermag die Spannung zwischen der Normalität von Mobilität zwischen Marokko und sei375

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nen Migrationsorten und der Komplexität der durch sie hervorgerufenen Transformationsprozesse besonders deutlich zu machen. Die unterschiedlichen Interpretationen des geschilderten Falls durch die beteiligten Akteure im Abstand eines Jahrzehnts reflektieren die Rückkoppelungseffekte zwischen Mobilität und Transfer einerseits und den sich in beiden Ländern verändernden gesellschaftlichen Referenzrahmen andererseits. Sie lassen erkennen, dass bei den im Rahmen von alltäglicher Mobilität stattfindenden expliziten Aushandlungsprozessen grundlegende kulturelle Konzepte unterschwellig mitverhandelt werden.

Fallstudie Marokkanisches Traumland Es war im Sommer 1998 in einem Dorf im Souss von Marokko. Der Sommer ist die Zeit, in der die vaccancia, die zmagria oder saffarin, oder wie auch immer die MRE oder MDM genannt werden mögen, ‘nach Hause’ kommen. Dann wird alles teurer, weil sie investieren und konsumieren. Selbst Beton wird knapp. Die Zahl der Autounfälle und der Hochzeiten nimmt rapide zu. Für so manches werden die MDM verantwortlich gemacht. ›Sie müssen aber auch immer alles besser wissen, sich in alles einmischen und alles anders machen wollen‹,4 so die Klage eines Freundes während eines Gesprächs über die ambivalente Beziehung der Souassa, der Leute aus dem Souss, zu ihren Angehörigen in der Fremde. Solche oder ähnliche Formulierungen dürften manchem bekannt vorkommen. Gleichzeitig freut man sich auf das Wiedersehen, auf die Geschenke und Zuwendungen. Es trifft sich eine recht gemischte Gruppe von Männern, Einheimische aus dem Dorf, die dort geblieben sind, und solche, die hier geboren, aber auf der Suche nach Arbeit in die verschiedensten Landesteile gezogen sind, vor allem nach Casablanca. Dabei sind auch MRE aus verschiedenen Ländern, aus Frankreich, Holland und auch zwei Männer aus Montréal, der größten Stadt der frankophonen kanadischen Provinz Québec und Standort der größten Gruppe von Canadiens d’Origine Marocaine, wie die beiden sich mir gegenüber selbst bezeichneten. Wir reden über Mobilität als Wesenszug der marokkanischen Gesellschaft. »Wir sind alle viel unterwegs… Ja, auch Frauen dürfen das. Wenn Deine Frau sagt, sie will ihre Verwandtschaft besuchen gehen, dann kannst Du nichts machen«, sagt mein Nachbar, und: »Du kannst nur sagen: Und wer kocht dann für mich? Und sie wird sagen: Na da ist doch deine Mutter und auch die Schwestern. Du wirst versorgt sein. Gott sei Dank kommen sie nicht so leicht ins Ausland, sonst würden wir hier eines Tages allein sitzen.«

Ich denke an meine eigenen Mühen des Reisens durch den Nahen Osten, durch Marokko und frage, wie beschwerlich das umgekehrt auch für Marokkaner denn 376

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sei, auf Auslandsreisen klarzukommen. ›Gar kein Problem‹, lautet die Antwort. ›Wir fahren ja zu unseren Leuten.‹ Das Gespräch dreht sich dann um die altbekannte Frage nach dem besten Platz auf Erden für Marokkaner außerhalb des bled (Heimat). Es stellte sich ein erstaunlicher Konsens heraus: ›Québec ist selbstverständlich das Traumland für Marokkaner‹, so die einhellige Meinung aller Anwesenden. Ich konnte mir auch Gründe für diese Antwort denken. Marokkaner, die nach Kanada auswandern, verfügen über einen vergleichsweise hohen Bildungsgrad und stammen aus eher besser situierten Familien im Vergleich zu MRE in europäischen Ländern. Abgesehen davon erfreut sich Kanada einer hohen Wertschätzung in Marokko, z.B. als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit. Auf meine Nachfrage hin erklärte mir stellvertretend ein ehemaliger MRE aus Frankreich, der seinen Lebensabend in der Heimat verbringt und ehrfurchtvoll wegen seiner Rente le retraité genannt wird: ›Weil es praktisch ein islamisches Land ist!‹ Auf meinen erstaunten Gesichtsausdruck hin folgte: »So wegen Religion kannst du da machen was du willst, sogar besser als bei uns. Und islamisches Recht wird geachtet, sogar besser als bei uns. Und manchmal wenn sie Probleme haben, weil sie nicht genau wissen, wie man mit islamischen Angelegenheiten umgeht, mit denen sie nicht so vertraut sind, dann sind wir gerne bereit, sie zu unterstützen.«

Es stellte sich heraus, dass alle meine Gesprächspartner die französische Redewendung kannten: ›Canada, une terre d’islam sans musulmans‹ (vgl. El Azizi 2008). Ein Anhaltspunkt für diese Einstellung, der in der folgenden Diskussion immer wieder auftauchte, war der Respekt, der in Kanada auch lokalen oder spezifischen Erscheinungsformen des Religiösen entgegen gebracht wurde, auch in Rechtsangelegenheiten.

Na’imas Problem Um mir genauer zu erklären, was sie eigentlich meinten, erzählten mir meine Gesprächspartner von einem konkreten Fall, der gerade große Aufmerksamkeit fand. Nachdem ich einmal davon erfahren hatte, habe ich den Fall über die Jahre hinweg verfolgt, habe Gespräche mit vielen der involvierten Akteure geführt. Die Geschichte beginnt 1998. ›Wir haben ihnen einen Rechtsexperten geschickt, einen Soussi faqih,5 um ihnen zu helfen, einen Streitfall zu regeln‹, so der Älteste in der Gruppe der Erzähler. Es stellt sich heraus, dass es eigentlich um zwei miteinander verzahnte Szenarien ging: Einerseits um eine marokkanische Angelegenheit mit marokkanischen Protagonisten und andererseits um einen Rechtsstreit, in den ein kanadischer Geschäftsmann marokkanischer Abstammung und die Zivilkammer des Gerichtshofs von Québec verwickelt waren.

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In den 1990ern studierte Na’ima, die Tochter eines Soussi-Farmers, Geschäftsmanns und bedeutenden Politikers, also eines Vertreters des höchsten Kreises der ländlichen Elite, Augenheilkunde an der frankophonen Université de Montréal. Das macht sie auch in den Augen der Kanada-Marokkaner zu einem Mitglied der privilegiertesten Gruppe, die man sich vorstellen kann, die von marokkanischen Elitestudenten in Montréal. Kurz vor ihren Abschlussexamina wurde Na’ima plötzlich krank. Symptome waren heftige Kopfschmerzen, Angstzustände, Appetitlosigkeit. Die Ursachen ihres Leidens blieben aber unklar und eine medizinische Behandlung in Kanada war erfolglos. Ihre Eltern drängten sie, nach Marokko zurückzukehren, um weiter behandelt zu werden. Sie willigte nur sehr zögerlich ein. Auch in Marokko konnten ihr die Mediziner nicht helfen. Da sich ihr Zustand zusehends verschlechterte, konsultierte ihr Vater einen bekannten Sufi-Experten, shih Abdesslam, einen Experten mit höchster Reputation, was die spirituelle Behandlung solcher Krankheitsbilder angeht. Die Hypothese war, dass ein jin, der Einfachheit halber im Folgenden als ‘Geist’ bezeichnet, von ihr Besitz ergriffen und die Krankheit verursacht habe. Solche Kontakte sind nichts Ungewöhnliches und können ganz verschiedene Gründe haben. Menschen und Wesen dieser anderen Lebensform, die gleichfalls im Koran erwähnt ist, teilen sich denselben Lebensraum und so kommt es immer wieder mal zu Kollisionen oder Reibereien. Besessenheit mag die verschiedensten Hintergründe haben, die hier nicht im Detail erläutert werden können. Die Kinder extrem vermögender Eltern gehören jedenfalls zu den gefährdeten Personen, so dass Na’imas Problem nicht unbedingt als Ausnahmefall angesehen wurde. In Marokko verfügen insbesondere Vertreter religiöser Kongregationen (turuq) und SufiGelehrte über das notwendige Wissen und die Fähigkeiten (z.B. Trancetechniken), in die Koexistenz von jnun (Pl. v. jin) und Menschen regulierend einzugreifen. Shih Abdesslams Diagnose bestätigte jedenfalls den Ausgangsverdacht. Seine Bemühungen, Na’ima von dem Geist zu befreien, scheiterten jedoch: »Es könnte sich also um einen kanadischen jin handeln, der nur Französisch spricht und möglicherweise nur in seiner/ihrer Heimat überhaupt mit sich über eine Beendigung der Besessenheit reden lässt.«

Die Vermutung des shih passte bestens in den landläufig aktuellen Diskurs in Marokko über eine Globalisierung der Geisterwelt und den Einfluss transnational agierender Geister auf wirtschaftliche Entwicklungen. Narrative über zunehmende Mobilität von jnun, über das Auftauchen von fremden jnun, die in fremden Sprachen sprechen und z.B. mit Pflanzenkrankheiten die Exportlandwirtschaft gefährden, machten im Souss die Runde. Und auch Auslandseinsätze von marokkanischen Spezialisten in Migrantengemeinschaften in Reaktion auf global wandernde Geister sind zu verzeichnen.6 Insofern stellt der vorliegende Fall auch gar keine Ausnahme dar. 378

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Da sich der Zustand der jungen Frau in den nächsten Wochen nicht verbesserte, versuchte ihr Vater, Abdesslam zu überzeugen, sie nach Montréal zu begleiten, um dem Geist dort das Verlassen der Patientin zu ermöglichen. Der shih lehnte das Angebot rundheraus ab. Es dauerte Wochen und viel Überredungskunst, einschließlich der Aussicht auf eine enorme Spende, um ihn umzustimmen. Die Ironie der Geschichte liegt also darin, dass sich jemand aufmacht, um nach Kanada zu reisen, der noch niemals auf Reisen war, vom hajj (Pilgerfahrt nach Mekka) einmal abgesehen. Und die Ursache? Die transnationale Mobilität seiner Klientel, der jnun. Es wurde eigens für ihn eine Maschine gechartert und es muss ein denkwürdiger Eindruck gewesen sein, einen Sufi shih mit seinem durchaus ungewöhnlichen Erscheinungsbild nebst Entourage auf Reisen zu sehen. Unmittelbar nach ihrer Ankunft inspizierte Abdesslam Na’imas Wohnung und entdeckte eine spirituelle Kontaminierung. In der Zwischenzeit, während Na’imas wochenlangem Aufenthalt in Marokko, hatte ihr Vermieter Klage gegen sie eingereicht, weil sie plötzlich und ohne jede Nachricht nach Marokko verschwunden war und ihre Mietschulden seit Monaten offenstanden. Der Vermieter war ein Geschäftsmann marokkanischer Herkunft. Da er nicht wusste, wo sich seine Mieterin aufhielt, hatte er eine Räumungsklage veranlasst. Nun intervenierte Na’imas Vater und versuchte, die anstehende Gerichtsverhandlung abzubiegen. Die beiden Parteien konnten sich aber trotz aller Erklärungsversuche nicht einigen, was durchaus auch darauf zurückgeführt werden kann, dass der Vater eine Reduktion der Schulden verlangte mit dem Hinweis, dass die marokkanische Seite ihn verdächtige, etwas mit der spirituellen Kontamination von Na’imas Wohnung zu tun zu haben. Es kam zum Prozess. Der Anwalt, den Na’imas Vater engagiert hatte, berief shih Abdesslam als Zeugen. Dieser bot eine Erklärung der Beweggründe der Angeklagten an, warum sie zu schwach sei, um vor Gericht zu erscheinen, warum sie die Mietschulden nicht gezahlt habe und nach Marokko gereist sei. Darüber hinaus liege die Ursache der Erkrankung in der Tatsache, dass die Wohnung von einem Geist bewohnt gewesen sei und daher der Kläger im Verdacht stehe, etwas mit der Verunreinigung der Wohnung und also mit dem Zustand der jungen Frau zu tun zu haben. In diesem Augenblick, so wurde es mir erzählt, unterbrach die Richterin die Sitzung und bat die Verhandlungsführer zu sich: ›Wissen Sie was, meine Herren, ich glaube, ich gebe Ihnen die Gelegenheit, erst einmal eine außergerichtliche Einigung zu versuchen.‹ So soll sie es formuliert haben, versicherten meine Gewährsleute, die dabei gewesen waren. Der Vermieter stimmte unverzüglich zu. Offensichtlich erschien er über die Maßen peinlich berührt von der Tatsache, aufgrund seiner Herkunft in eine quasi atavistische Exorzismusgeschichte verwikkelt worden zu sein und einen Prozess zu führen, in dem Personen von so ungewöhnlicher Repräsentanz wie shih Abdesslam auftreten. Der shih sah sich durch die richterliche Intervention vielmehr auf seine 379

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ureigenste Aufgabe verwiesen, nämlich zwischen allen Parteien zu vermitteln. Der Geschäftsmann gab sich geschlagen und anerkannte ihn auch als religiöse Autorität und Vermittler. Abdesslam erreichte, dass Na’imas Vater einwilligte, die gesamte ausstehende Miete zu zahlen unter der Bedingung, dass der Vermieter einen Teil der Reisekosten übernehmen würde sowie die Kosten für das Ritual zur Reinigung der Wohnung. Das Einvernehmen wurde durch ein gemeinsames Gebet vor Gott als Zeuge besiegelt. Das Gericht soll die Vereinbarung sanktioniert haben als Resultat eines informellen Schiedsverfahrens in einem geschäftlichen Streitfall unter der Autorität von shih Abdesslam auf der Basis des islamischen Rechts, was für Geschäftsdispute möglich ist. Im Anschluss verhandelte Abdesslam erfolgreich mit dem jin, der sich in der Tat als Quebecer zu erkennen gab. Er entlastete den Vermieter vom Vorwurf der Komplizenschaft und erklärte, die Wohnung aus freien Stücken ausgewählt zu haben. Gegen Belohnung war er bereit, Na’ima freizugeben. Niemand außer den direkt Beteiligten nahm offensichtlich von diesem Fall Notiz in Kanada. Nach Abschluss der Affäre reiste die marokkanische Gruppe wieder ab, einschließlich Na’ima. Sie war nun frei von Symptomen, brauchte aber noch Wochen, um sich völlig zu erholen. Sie kehrte nach Montréal zurück, wo sie noch heute lebt und als Ärztin praktiziert. Sie ist verheiratet und kehrt wie viele andere nur während der MRE-Saison in den Souss zurück.

Kontingente Beurteilungen und Wahrnehmungen Was die Analyse des Falles besonders aufschlussreich macht für die Frage nach den korrespondierenden Wechselwirkungen von Mobilität und Transformation, ist der Unterschied in seiner Beurteilung durch die Akteure selbst und andere Beobachter in einem zeitlichen Abstand von zehn Jahren. Das legt den Blick frei auf Wechselwirkungen von globalen und unterschiedlichen nationalen Kontextualisierungen. In einer ersten Reaktion zeigten sich die marokkanischen Akteure Anfang des Jahres 1999 höchst zufrieden mit dem Verlauf der Angelegenheit und lobten das Fingerspitzengefühl der kanadischen Justiz. Man sah einerseits die Tauglichkeit lokaler Strategien der religiös-rechtlichen Konfliktregulierung auch für einen multikulturellen Kontext als erwiesen an. Andererseits mokierte man sich über die Entfremdung mancher Exilmarokkaner von ihren Wurzeln, speziell den religiösen Vorstellungen in ihren lokalen Ausprägungen, und das gerade zu einer Zeit, da die Globalisierung spiritueller Erscheinungen ein großes Thema war. ›Sie kommen im Sommer und filmen die Trance-Sessions unserer Aissaoui (die religiöse Kongregation mit der größten Verbreitung im Souss) und führen sich schlimmer auf als Touristen. Sie verstehen nichts mehr...‹ Das war eine der typischen Klagen, die in diesem Zusammenhang geäußert wurden.7 380

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Der kanadische Geschäftsmann marokkanischer Herkunft hatte eine ganz andere Sichtweise auf die Dinge. Er, der moderne Businessman, fühlte sich in höchstem Maße peinlich berührt. »Die leben da doch noch im Mittelalter. Damit will ich nun wirklich nichts zu tun haben… Sicher bin ich Muslim, aber doch nicht so was! Was glauben Sie, was das für ein Bild über uns Marokkaner in der kanadischen Öffentlichkeit ergeben würde, wenn die Geschichte bekannt würde. So was von rückständig. Ich habe mit diesen Leuten weniger gemein als mit meinen hinduistischen Nachbarn.«

Das kanadische Gericht wiederum hatte sich wenig darum gekümmert, inwiefern die Geisterfrage nun als Ausdruck kultureller Vielfalt ein cultural argument abgeben könnte (vgl. Dundes Renteln 2004); sie wurde einfach dem religiösen Recht zugeordnet, obwohl der Kläger es bevorzugt hätte, sein Anliegen in einem formellen säkularen Rechtskontext zu belassen. Dennoch hatte er die informelle Behandlung des Falles akzeptiert. Zehn Jahre später geben die Protagonisten ein modifiziertes Urteil ab. Beide Seiten stimmen darin überein, dass man sich für die gegenwärtige Situation in Québec einen solchen Verlauf der Geschichte kaum mehr vorstellen könnte. Die marokkanischen Gesprächspartner, die über Entwicklungen in den Aufnahmeländern ganz gut im Bilde sind, werten den Vorgang als Beweis für die große Bandbreite dessen, was alles unter den Begriff des islamischen Rechts subsummiert werden müsste, aber nicht wird. Dieses Defizit, so sagen sie, gilt in gleicher Weise für beide Staaten. Man zeigte sich enttäuscht über die jüngsten restriktiven Tendenzen im Umgang mit der kulturellen Diversität in Québec, aber äußerte sich positiv über die klare Position der ‘kanadischen MRE’, wie sie sagen, oder der ‘Kanadier oder Quebecer marokkanischer Herkunft’, wie letztere sich selbst nennen. Man rechnete es ihnen an, dass sie im Zuge der kontroversen Debatten über kulturelle Vielfalt in Québec die Anerkennung ihrer Diversität forderten und ihre kulturellen Beziehungen zu ihrem Herkunftsland als Teil ihrer Identität bezeichnet hatten.8 Das Ansehen der MRE war also in ihrer Herkunftsregion erheblich gestiegen, während das positive Bild des marokkanischen Traumlands Kanada einige Kratzer bekommen hatte. In diesem Tenor äußerte sich auch der Geschäftsmann, der die Geschichte heute lieber als Beleg für die kulturübergreifende Mediationskompetenz von Vertretern eines spirituellen spezifisch marokkanischen Islam ansieht. »Ja, das war schon kurios, aber wie der shih das damals geregelt hat, das war schon clever und das Ganze ohne den kanadischen Rechtskontext je infrage zu stellen. Und er fügte hinzu: Und auch die Richterin war cool; ich möchte nicht wissen wie so eine Sache heutzutage ausgehen würde.«

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Gegenläufige nationale Entwicklungen und transnationale Einbettungen der Mobilitätseffekte Was hat nun dieser Wandel in der Beurteilung von Na’imas Fall mit der gegenwärtigen Situation in Kanada und Marokko zu tun? Was sagt dieser Perspektivenwechsel über das Verhältnis der beiden Gruppen zueinander aus und die Intensität gegenseitiger Referenzierung? Einerseits weisen politische Entwicklungen in Kanada und Marokko gegenläufige Richtungen auf, andererseits kann man auch gegenläufige Tendenzen innerhalb beider Staaten selbst identifizieren. Und in beiden Fällen weisen diese Entwicklungen Züge von Maßstabsübertragungen von transnationalen Prozessen auf untergeordnete aber miteinander korrespondierende Ebenen auf (vgl. Herod/Wright 2002). Diese transnationale Einbettung, die sich in Übertragungsketten bis in lokale Verhältnisse hinein manifestiert (vgl. Tsing 2000), so mein Argument, konfiguriert sich einerseits aus den ‘Konsumgütern der Neoliberalisierung’ also politische Liberalisierung und Demokratisierung, Dezentralisierung und Regionalisierung, Rechtsstaatlichkeit und neoliberale Marktöffnung (vgl. Jenson/Santos 2000), andererseits aus der Herausforderung durch einen transnationalen politischen Islam (vgl. Mandaville 2001). In Marokko ist die Entwicklung in den Jahren zwischen 1998 und 2009 einerseits gekennzeichnet von politischer Liberalisierung (vgl. Bendourou 2004), einer zaghaften Fortsetzung der Demokratisierungs- und Dezentralisierungspolitik (vgl. Storm 2007), dem fortgesetzten Aufbau einer Zivilgesellschaft (Sater 2007) sowie der wirtschaftlichen Öffnung gegenüber dem Weltmarkt (vgl. Cohen 2003; Cohen/Jaidi 2006). Andererseits dämpfen Tendenzen wie die zunehmende Einschränkung der Pressefreiheit und wachsende staatliche Kotrolle, die Ausweitung der Kompetenzen der Sicherheitsorgane, gerade im Zuge der Auseinandersetzung mit islamischem Aktivismus, die Wirkung der Liberalisierung. Insbesondere nach dem Bombenanschlag von Casablanca im Jahre 2003, dem mehr als 40 Menschen zum Opfer fielen, ergriff die Regierung Maßnahmen, um die Handlungsfreiheit islamischer Aktivisten bis in die entferntesten Zonen des Landes erheblich einzuschränken. Befürworter einer marokkanischen Interpretation und lokalen Vielfalt islamischer Frömmigkeit betonten ihre Distanz zum transnationalen politischen Islam (vgl. Turner 2007), dessen Vertreter nur eine einzige gültige Version des Islam akzeptieren. Kanada im Gegenzug gilt einerseits als bahnbrechend in der rechtlichen Verankerung von kultureller Vielfalt innerhalb der heterogenen kanadischen Einwanderungsgesellschaft, was religiöse und juridische Vielfalt einschließt. Andererseits haben heftige öffentliche Debatten in jüngster Zeit gezeigt, wie anfällig das Modell der kulturellen Vielfalt ist. Zwei Kontroversen bilden implizit den Hintergrund für die Reinterpretation der hier vorgestellten Episode 382

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aus kanadischer Sicht: zum Ersten der Disput über die angebliche Einführung der shari’a als rechtliche Grundlage für informelle Schiedsverfahren in der Provinz Ontario zwischen 2003 und 2006 und zum Zweiten die Debatte über kulturelle Divergenzen und Verwerfungen im Verhältnis der verschiedenen Gemeinschaften innerhalb der Provinz Québec, die zur Gründung einer Kommission führte. In der shari’a-Debatte ging es letztlich um die Frage, ob ‘islamisches Recht’ mit der kanadischen Verfassung in Einklang stehe. Hintergrund dafür war der Ontario Arbitration Act von 1999, der die staatlich garantierte rechtliche Verbindlichkeit von informellen Schiedsverfahren zum Gegenstand hat, sofern festgelegte Standards eingehalten wurden und die Regelung nicht mit kanadischen Gesetzen kollidiert. Das beinhaltete glaubensbasierte Schiedsverfahren in Privatangelegenheiten, womit in der Praxis Familienstreitigkeiten gemeint sind. Die Ankündigung einer muslimischen Organisation im Jahre 2003, von nun an für Interessenten Schiedsverfahren in Übereinstimmung mit islamischem Recht anzubieten, wurde von einer sich gegen dieses Angebot formierenden Opposition als eine Art Versuch der Einführung der shari’a in Kanada dargestellt und deren Verfassungsmäßigkeit angezweifelt. Insbesondere der Status von Frauen nach islamischem Recht wurde als inakzeptabel kritisiert. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, sei vermerkt, dass die heftige Kontroverse dazu führte, dass im Jahre 2006 jegliche Form von glaubensbasierter Schiedsvermittlung aus dem Arbitration Act getilgt wurde (vgl. Emon 2006; Korteweg 2006; Razack 2007). Im Gegensatz zu Ontario konnten informelle glaubensbasierte Schiedsverfahren in Familienangelegenheiten in Québec niemals staatliche Anerkennung reklamieren. Die Debatte in Ontario feuerte allerdings einen öffentlichen Diskurs über ‘kulturelle Akkommodation’ und gegenseitige Toleranz im Rahmen kultureller Vielfalt in der Nachbarprovinz an. Etliche Fälle so genannter interkultureller Konflikte wurden zu dieser Zeit in der Quebecer Presse hochgespielt. Die Provinzregierung beauftragte 2007 eine Kommission damit, Vorschläge zur Überwindung der öffentlichen Kontroverse und gesellschaftlichen Krise zu entwickeln. Diese Commission, die Consultation Commission on Accommodation Practices Related to Cultural Differences, in der Umgangssprache als Commission on Reasonable Accommodation bezeichnet, was man vielleicht mit ‘angemessenem gegenseitigem Entgegenkommen’ umschreiben könnte, wurde von zwei herausragenden Wissenschaftlern, Gérard Bouchard und Charles Taylor, geleitet. Es fanden Anhörungen in der ganzen Provinz statt, und alle denkbaren Institutionen, NGOs, zivilgesellschaftliche und staatliche Organisationen äußerten sich im Rahmen dieses Verfahrens. 2008 wurde ein Report veröffentlicht, der praktisch alle Nachrichten, die die Kontroverse angefeuert hatten, als Fehlmeldungen entlarvte und vor allem deren mediale Aufbereitung kritisierte (Bouchard/Taylor 2008). Darüber hinaus wurden Vorschläge gemacht, wie das Zusammenleben der Quebecer gestaltet werden sollte. 383

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Im Zusammenhang mit diesen Debatten wurden auch Mitglieder der marokkanischen Gemeinde in Québec zu Zielen von polemischen Attacken. So wurden etwa, um ein Beispiel zu nennen, das das hier behandelte Thema berührt, die Ergebnisse einer vielbeachteten Publikation über die Haltung der Marokkaner zur Religion (Iraqi 2007; Tozy et al. 2007), die auf Umfragen basierte, polemisch in ihr Gegenteil verkehrt (Lessard 2007). Diese wissenschaftliche Publikation, die ein großes Medienecho in Marokko und darüber hinaus hervorgerufen hatte, hat unter anderem die Hypothese bestätigt, dass in Marokko trotz gegenteiliger Signale aus randständigen sozialen Feldern ein Prozess fortschreitender Säkularisierung der Gesellschaft eingesetzt habe. Während sich die marokkanische Öffentlichkeit befriedigt über die Tatsache einer erstmalig freien und kritischen öffentlichen Debatte über Religion in ihrem Land zeigte, stellte die islamkritische frankophone Website Point de Bascule unter Bezugnahme auf diese Publikation einen Artikel ins Netz mit dem Titel: ›Les Marocains musulmans sont moins tolérants que les Québecois‹ (Die muslimischen Marokkaner sind weniger tolerant als die Québecer). Dieser Ausgrenzungspolemik begegnete man in der marokkanischen Gemeinde um Montréal offensichtlich mit einer Rückbesinnung auf kulturelle Verbindungen zur ehemaligen Heimat. Die Menschen im Herkunftsland lesen diese Rückbesinnung als Offerte und fühlen sich ihrerseits in ihrer Abgrenzung gegen einen rigoristischen transnationalen Islam unterstützt. Aus diesem Kontext heraus bezeichnete der kanadische Geschäftsmann im Jahre 2009 auch seine Einwillligung in eine informelle Regulierung des Falles vor zehn Jahren als Ausdruck seiner Bereitschaft zur accommodation mit Akteuren aus seinem Herkunftsland, was er als eine legitime Ausdehnung des Geltungsbereiches des Grundsatzes der reasonable accommodation über die multikulturelle kanadische Gesellschaft hinaus auf die Herkunftsgesellschaften ansieht. Im Lichte dieser Entwicklungen rücken also die MRE in Kanada und ihre Ansprechpartner in Marokko nach zehn Jahren eher zusammen. Die kanadischen MRE entwickeln ihre eigene Tradition, wobei sie kulturelle Inventare, die ihnen vor zehn Jahren noch als inkompatibel mit ihrer neuen Lebenssituation vorkamen, als ihr Erbe akzeptieren und sie als eine der Grundlagen ihrer Weiterentwicklung, ja Voraussetzung für eine Eingliederung in eine heterogene Gesellschaft ansehen. Die Mehrheit der Souassa, mit denen ich über diesen Fall gesprochen habe, akzeptiert den Sonderweg der MRE und hofft auf deren Unterstützung in der transnationalen Konstellation gegenüber islamischem Aktivismus, der in Marokko die religiösen Grundlagen des Sufi-Islam mehr bedroht als in Kanada (vgl. Turner 2007). Beide Seiten arbeiten in wechselseitigem Dialog an einer nachhaltigen Einbettung ihrer jeweiligen Lebenswelten, Zukunftsentwürfe und Erklärungsmodelle in einen globalen Rahmen. Die vor diesem globalen Hintergrund in einem gegenseitigen Austauschprozess generierten ‘externen Einflüsse’ der MRE auf die Lebenswelt 384

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der Marokkaner im eigenen Land, wofür die Reinterpretation von Na’imas Fall ein Beispiel sein sollte, werden als Beitrag akzeptiert und entfalten ihrerseits wiederum Wirkung. Gerade Rechtssphäre und Konfliktregulierung stellen eine Arena der Auseinandersetzung zwischen den großen Antagonisten dar. Die Vertreter eines Modells der kulturellen Diversität, die plurale Rechtsverhältnisse innerhalb einer staatlichen Ordnung als gegeben ansehen, stehen Befürwortern eines absoluten normativen Alleingültigkeitsanspruchs gegenüber. Bezeichnenderweise fassen die Beteiligten den Fall Na’ima als einen Konflikt mit familienrechtlicher Komponente auf und stellen ihn in einen Zusammenhang mit glaubensbasierten Schiedsverfahren in Familienangelegenheiten, wie sie in Kanada so heftig diskutiert worden sind. Das lässt sich zwar kaum aus dem Tatsachenbestand herauslesen, ist aber aus marokkanischer Sicht einer aus internen Logik der Fürsorgeverpflichtung der Familie ihrer Tochter gegenüber erklärbar. Wurde noch unmittelbar nach dem Verfahren argumentiert, Familienrecht habe doch gar keine Rolle gespielt, so sagen MRE heute dazu, dass die erweiterte marokkanische Sichtweise eben ein Ausdruck der typischen familiären Verbundenheit in ihrem Herkunftsland sei. Auch der Genderaspekt fand positive Erwähnung, schließlich eröffnete dieses für Kanada etwas aus dem juridischen Rahmen fallende Verfahren der jungen Frau die nötigen Optionen, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Beide Seiten sind sich übrigens durchaus im Klaren darüber, dass eine gewisse Spannung zwischen den beiden Lebenswelten mit ihren unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Anforderungen zu Na’imas Krankheit beigetragen haben mag. Solch eine innere Zerrissenheit zwischen Verpflichtungen der Familie gegenüber, den Anforderungen des Studiums und den so anderen Lebensumständen in Kanada machen, nach Auskunft meiner marokkanischen Gesprächspartner, gerade eine junge Frau ‘anfällig’ für das geschilderte Krankheitsphänomen. Dieser Aspekt weist auf die Verknüpfung von Mobilität und Transfer von kulturellen und normativen Standards mit der sozialen Konstruktion multipler Identitäten hin.

Multiple Identitäten Ein zentrales Moment in der Verknüpfung von Mobilität mit wechselseitig evozierten Transformationsprozessen stellt der Diskurs über Identität dar. Das ist ein zentrales Thema in Marokko (vgl. Benjelloun 2002; Rachik 2003), aber nicht nur dort, sondern im Zuge der Kontrastierung ihrer unterschiedlichen Lebenswelten auch im Diskurs zwischen Marokkanern und MRE, die sich selbst als Kanadier sehen (vgl. Jebwab 2006). Die Wechselbeziehung zwischen Marokko und seinen Migrationsorten ist durchaus ambivalent besetzt. 385

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Das Thema ist genauso zentral für viele Lebenssituationen, die von kultureller Diversität geprägt sind, ist also auch Gegenstand eines Quebecer Binnendiskurses. Da geht es darum, dass sich die Quebecer innerhalb Kanadas als sprachlich-kulturelle Minderheit ansehen und daher für sich Sonderrechte, wenn nicht mehr, reklamieren. Die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität durch ‘kulturelle Vielfalt’ spiegelt sich zum Beispiel in einem ambivalenten Verhältnis zu den maghrebinischen Einwanderern. Einerseits als Träger von ‘Differenz’ empfunden, insbesondere als Muslime, wurden sie andererseits als frankophone Verstärkung der eigenen Sprachidentität willkommen geheißen. Hier lassen sich Anknüpfungspunkte an den geschilderten Fall ausmachen. Eine Konfliktkonstellation, insbesondere diesen Zuschnitts, erzwingt die Offenlegung von Werten, Überzeugungen und Loyalitäten (vgl. Schlee 2004). Normative Identitätsmarker werden in einem Konfliktkontext als Beipack bei der Regelung eines zunächst zumindest eigentlich binnenmarokkanischen Problems nach Québec transferiert. Sie werden sowohl zu einem Unterscheidungsmerkmal innerhalb der kanadischen multikulturellen Gesellschaft als auch zu einem Marker der Distanz zur Herkunftsgesellschaft und bedienen verschiedene Legitimitätsdiskurse. Ein zentraler Diskurs bezieht sich auf die religiöse Komponente. Danach bezieht Religion in der Konfliktregulierung ihre Legitimität in Gestalt einer lokalen Variante des Islam einschließlich der shari’a und manifestiert sich als ausgleichsorientierte Komponente, die sich als kompatibel mit anderen Rechtskomponenten erweist. Zuerst als atavistisches Abgrenzungsmerkmal interpretiert, transportiert die spätere Lesung die Botschaft: »Wir Kanadier marokkanischer Herkunft fühlen uns einem spirituell inspirierten, offenen Islam verbunden und unterscheiden uns von jeglichen religiös inspirierten Rigoristen.«

So formulierte es ein Gesprächspartner, den ich über das Journal MaghrebCanada Express (http://www.maghreb-canada.ca) als Vertreter der marokkanischen Gemeinde um Montréal kennengelernt hatte. Die kanadischen Anteile multipler Identität reflektieren die Zustimmung zur rechtlichen Gleichstellung und der Unparteilichkeit der normativen Ordnung. Der externe Integrationsdruck auf die MRE, der vor allem ihre religiöse Identität herausfordert, befördert wiederum eine Annäherung an die ehemalige Heimat. Man sieht sich im Schatten eines globalen politischen Islam einer liberalen marokkanischen Tradition religiöser Vielfalt innerhalb des Islam verpflichtet. Hier werden nun kanadische und Soussi-Tendenzen kongruent. Insgesamt stellt der transnationale Islamdiskurs eine Klammer zwischen ihnen dar (Roy 2004). Eine weitere gemeinsame Komponente stellen die Herausforderungen durch die Anti-TerrorismusGesetzgebung in beiden Ländern dar, die bezeichnenderweise in Kanada von der Vorlage der Bush-Regierung frühzeitig abgekoppelt wurde (DJC 2008). 386

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Fazit Die Reinterpretation von Na’imas Fall nach zehn Jahren zeigt großmaßstäbige Veränderungsprozesse. Mobilität referenziert den Wandel ihrer Rahmenbedingungen. Die Konfliktintervention eines religiösen Experten wird kompatibel mit dem Konzept der juridischen Vielfalt, zu dessen Entstehung es selbst beigetragen hat. Infolge dieses Prozesses sehen allerdings dessen Träger es als nicht länger opportun an, ein solches Beispiel in den Vordergrund zu rücken. Sie reinterpretieren es jetzt vielmehr als eine positiv konnotierte Reminiszenz an religiöse Variabilität und Toleranz traditioneller Verhältnisse ihrer Herkunftsregion. Meine Gesprächspartner im marokkanischen Südwesten, im Souss, äußern die Überzeugung, dass gerade die im Austausch zwischen den Polen Heimat und Diaspora entstehenden Vorstellungen zum positiven Wandel in beiden Lebenswelten beitragen können und auch dazu, dass man sich trotz aller sich entwickelnden Unterschiede nicht allzu fremd wird. Das Erinnern von Konfliktumständen in Abhängigkeit vom Wandel der politischen, sozialen und rechtlichen Rahmenbedingungen lässt Mobilität als einen bestimmenden Faktor von Transformation in der translokalen Verknüpfung korrespondierender Lebenswelten erkennen.

Anmerkungen 1.

2.

3. 4.

5.

Details über den Stand der Beziehungen zwischen Marokkanern im Ausland und ihrem Herkunftsland bietet eine Studie, die der Conseil de la Communauté Marocaine à l’Étranger im Juli 2009 veröffentlicht hat. (vgl. http:// www.ccme.org.ma). MRE (Marocains Résidents à l’Étranger) wird in der Regel mit ‘Auslandsmarokkaner’ oder ‘im Ausland lebende Marokkaner’ übersetzt; der jüngere, meist unübersetzte Begriff MDM (Marocains du Monde), den man etwa mit dem Ausdruck ‘marokkanische Weltgemeinschaft’ wiedergeben könnte, geht auf eine staatliche Organisationsstruktur zurück (vgl. http://www.marocains dumonde.gov.ma). Vgl. die Diskussionen auf Internetforen wie http://www.bladi.net. Siehe auch Braune (2008); Zillinger (2009); vgl. auch Beitrag Ait Mous. Alle wörtlichen Zitate sind eigene freie Übersetzungen aus Interviews, die im Rahmen von Feldforschungen im Souss und Kanada in den Jahren zwischen 1999 und 2005 geführt wurden sowie aus Gedächtnisprotokollen von Telefongesprächen aus den Jahren 2007 bis 2009. Seit 2005 ist dies Teil des Projektes Legal Diversity Within and Beyond the Scope of the State: Faith-based Dispute Management in Canada in the Aftermath of the shari’a Law Dispute in Ontario and its Repercussions in Morocco im Rahmen des Forschungsprogramms: Religion in Disputes: Religious Belief, Law, and Authority in Dispute Management der Projektgruppe Rechtspluralismus am Max-PlanckInstitut für ethnologische Forschung in Halle/Saale. Der Ausdruck faqih lässt sich in der Tat am besten mit dem Begriff ‘Rechtsexperte’ (für islamisches Recht) wiedergeben, was allerdings im vorliegen387

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6. 7. 8.

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den Kontext in einem Spannungsverhältnis zu der Tatsache steht, dass der genannte Experte ein sufi shikh, also ein Meister/Vertreter einer spirituellen, mystischen Richtung des Islam ist, der gegenüber fuqaha (Pl. von faqih) in kritischer Distanz steht. Meinen Souassa-Gesprächspartnern ist dieser Umstand egal; sie sprechen explizit von sufi fuqaha. Vgl. z.B. Dumont (2004) über Brüssel. Vgl. über die Integration der Aissaoua in translokale komplexe Beziehungsgeflechte Zillinger (2009). Vor diesem Hintergrund fanden sich die Souassa mit gleichzeitigen Entwicklungen in Richtung einer sich von den marokkanischen Wurzeln emanzipierenden culture beur in Québec leichter ab. Der Ausdruck beur bezeichnet die Nachkommen nordafrikanischer Einwanderer insbesondere in frankophonen Ländern. Er geht auf eine Wendung im verlan zurück, einem französischen Jargon, der auf Silbenumdrehung beruht. Aus a-ra-be wird letztlich beur. Der Ausdruck kann auch pejorativen Charakter haben, wird aber gerade von jungen Immigranten aus Nordafrika zur Bezeichnung ihrer eigenen Immigrantenkultur verwendet.

MAROCANITÉ: I D E N T I T Ä T E N U N D C H AT R O O M S D E R D I A S P O R A Fadma Ait Mous (Rabat)

Vorliegender Beitrag untersucht die Frage nach den vielfältigen Zusammenhängen zwischen Migration und Identität1 anhand einer Analyse von Internetdiskussionsforen marokkanischer Emigranten. Die Frage der Identität im Kontext der Migration zu behandeln, verlangt die unterschiedlichen Bindungen des Migranten sowohl an sein Herkunfts- als auch an sein Aufnahmeland aufzuzeigen. Diese Bindungen sind emotionaler sowie wirtschaftlicher Natur. Im Folgenden geht es darum, zu untersuchen, wie marokkanische Auslandsmigranten solche Bindungen definieren und in ihren Internetseiten zum Ausdruck bringen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts begannen die marokkanischen Migranten der zweiten Generation in Europa und insbesondere in Frankreich,2 eigene Internetseiten zu entwickeln. Diese Internetseiten werden üblicherweise ‘gemeinschaftlich’ oder ‘diasporisch’ genannt. Anhand einer Textanalyse der zwei Websites yabiladi.com (übersetzt oh-mein-heimatland.com) und biladi.net (übersetzt mein-heimatland.net) werde ich im Folgenden versuchen, Wahrnehmungen und Narrationen der Migranten in Bezug auf zwei Themen zu beschreiben: die Migrationserfahrungen sowie die ‘Marokkanität’ – das ‘Marokkaner-Sein’. Aufgrund der Weite dieses Diskussionsfeldes beschränke ich die Untersuchung auf drei Grundideen, die eng mit der Identitätsfrage verbunden sind: die Eigenbezeichnungen oder wie sich die Internetnutzer unter den Migranten selbst nennen; das Image des Herkunftslandes Marokko; und schließlich das Thema der potentiellen Rückkehr nach Marokko sowie die damit verbundene Frage, was es bedeutet, weit entfernt von der Heimat zu sterben.

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Die marokkanische Diaspora In der Geschichte der marokkanischen Emigration lassen sich drei Hauptphasen unterscheiden. Die erste Phase beginnt mit dem ersten Weltkrieg und dauert bis Mitte der 1970er Jahre an. Zu Beginn dieser Phase, unter dem frankospanischen Protektorat, erfolgte Arbeitsmigration als Antwort auf die Bedürfnisse des kolonialen Kontextes und ausschließlich nach Frankreich. In der Zeit nach der Unabhängigkeit (1956) und insbesondere ab dem Jahr 1960 wuchs die marokkanische Migrationsbewegung exponentiell und weitete sich über Frankreich hinaus auf andere europäische Länder aus, so etwa auf Belgien, Deutschland und die Niederlande. Diese neue Entwicklung wurde durch die wachsende Nachfrage dieser Länder nach Arbeitskraft bestimmt. Marokko unterzeichnete in diesem Kontext bilaterale Abkommen, die Beschäftigungsund Niederlassungsbedingungen marokkanischer Arbeitskräfte regelten.3 Dies war für Marokko insofern profitabel, als dass dies eine vorübergehende Lösung für die unterschiedlichen postkolonialen4 Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut und Landflucht sowie die damit verbundenen Spannungen insbesondere in den peripheren ländlichen Regionen bot. Diese Migration war ›vor allem männlich und rückkehrorientiert, durch ein ständiges Hin und Her zwischen dem Aufnahmeland und Marokko charakterisiert‹ (Berriane 2002, 292). Eine zweite Phase lässt sich zwischen den 1970er Jahren und den späten 1980ern ausmachen. Mit ihr ging das Ende der offiziellen Rekrutierung von Arbeitskräften durch die europäischen Länder und die Institutionalisierung der Visapflicht für die einreisenden Marokkaner einher. Dies hat die illegale Migration, besonders nach Spanien und Italien, verschärft. In den Ländern mit einer großen marokkanischen Gemeinde, wie Frankreich, Belgien und den Niederlanden, ist die Migration in dieser Phase im Wesentlichen durch Familienzusammenführungen gekennzeichnet. Dadurch glich sich die männlich dominierte Struktur der marokkanischen Migration aus. Darüber hinaus entwickelten sich auch Regionen, die bislang wenig in die Emigration eingebunden waren, zu Ausgangspunkten der Migration, so beispielsweise das Pré-Rif, Ostmarokko, die Tadla sowie etliche marokkanische Städte (Oujda, Tanger, Casablanca etc.). Die neuen Migranten haben ein neues soziologisches Profil: Sie sind nunmehr jung, gebildet, umfassen Frauen ohne Begleitung, Führungskräfte, qualifizierte Techniker und Unternehmer. Für Europa stellte dies das Ende der internationalen Mobilität dar und den Anfang der Integration der bereits dort lebenden Ausländer, von denen erwartet wurde, sich für das Bleiben oder für die Rückkehr in das Herkunftsland zu entscheiden. Die dritte Phase beginnt Anfang der 1990er Jahre und ist im Zuge der Globalisierung durch einen zirkulären und transnationalen Charakter der Migration gekennzeichnet. Hierbei verstärkt und verschränkt sich der Personenverkehr zwischen Marokko und den europäischen Ländern in verschiedenen Formen; 390

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gleichzeitig nimmt auch die Vielfalt der Ziele zu (arabische Länder, Afrika, Amerika, Ozeanien). Seit diesem Moment wird der Begriff der ‘marokkanischen Diaspora’ in der Forschung verwendet; diese ist gekennzeichnet durch ›eine starke Dispersion, die Aufrechterhaltung sowie Entwicklung einer eigenen Identität, eine interne, vom Herkunfts- sowie vom Aufnahmeland unabhängige Organisation, sowie kontinuierliche reale oder symbolische Kontakte mit den Ursprungsländern‹ (Berriane 2002, 293). Der Logik der transnationalen Netzwerke folgend verbleibt der marokkanische Migrant nicht mehr hier oder dort, sondern bewegt sich zwischen zwei oder sogar drei Ländern. Die marokkanische Migration hat sich demnach entlang dieses historischen Prozesses hinsichtlich zentraler Punkte modifiziert (Chattou 1998): veränderte Zeitlichkeit (von vorübergehender zu permanenter Migration); neue Zusammensetzung (indem sie alle marokkanischen sozialen Gruppen betrifft); andere sozio-ökonomische Ziele der Migranten (Streben nach ökonomischen Wohlbefinden, nach Teilhabe an der Konsumgesellschaft sowie soziokultureller Anerkennung), und schließlich veränderte politische Forderungen (etwa nach Staatsbürgerschaft und Teilhabe am politischen Leben). Laut Statistiken aus dem Jahre 2007 gibt es 3.292.599 marokkanische Migranten. Ihre Rücküberweisungen machen neun Prozent des marokkanischen Bruttoinlandproduktes aus (57 Milliarden Dirham): Dieser bedeutende Devisenimport erklärt das seit einiger Zeit zu beobachtende zunehmende Interesse des marokkanischen Staates an der Diaspora. Über die spektakuläre Sommeraktion marhaba (Willkommen) und die Fernseh- und Radiosendungen über die Erfolgsgeschichten marokkanischer Migranten5 hinaus widmen sich mehrere Institutionen speziell den Migranten, unter anderem das Ministerium für die community der Marokkaner im Ausland, die Hassan II-Stiftung für die im Ausland lebenden Marokkaner, der Rat der marokkanischen Gemeinschaft im Ausland (CCME) und schließlich das Ministerium für religiöse Stiftungen und islamische Angelegenheiten; allein letztgenannte Institution verfügte 2008 über ca. 120 Mio. Dirham an Fördermitteln für die religiösen Angelegenheiten der im Auslandamarokkaner. Die marokkanische Diaspora verfügt über mehrere Internetseiten. Zu unterscheiden sind offizielle Webseiten wie etwa die des Ministeriums für die im Ausland lebenden Marokkaner (www.marocainsdumonde.gov.ma), die Website der Hassan II-Stiftung (www.watan.ma), die des CCME (www.ccme.ma) sowie Webseiten, die von jungen im Ausland lebenden Marokkanern entworfen werden und die Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind, beispielsweise: www.bladi.net; www.wafin.be; www.yabiladi.com; www.yawatani.com; www.moroccoboard.com usw. Die Fülle solcher in letzter Zeit entwickelter Internetseiten lässt sich laut dem Gründer von yabiladi dadurch begründen, dass ›die Anzahl der Internetnutzer (vor allem Jugendliche) im Ausland höher als im Inland ist und ihre Bindung zur Heimat besonders stark ist‹6. 391

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yabiladi.com und bladi.net Untersucht wurden die beiden Webseiten yabiladi.com und bladi.net für den Zeitraum vom 20. April bis zum 15. Mai 2008. Für die Wahl dieser Seiten lassen sich zwei Gründe anführen. Erstens handelt es sich um die meistbesuchten und dynamischsten Webseiten zum Thema. Zweitens werden sie auf der Homepage des Ministeriums als ‘Partner’ aufgeführt. Die in diesen zwei Foren verwendete Sprache ist das Französische, das sich mit dem darija, dem marokkanischen arabischen Dialekt, vermischt.7 Es existieren ebenso Portale auf Englisch, Spanisch und Amazigh (berberischer Dialekt). yabiladi.com: Das Wort yabiladi bedeutet wörtlich ‘Oh mein Land’; das Wort ‘Land’ konnotiert jedoch ‘Heimat’. Die Website wurde 2001 entwickelt und wird seit 2002 von Mohamed Ezzouak betrieben, einem jungen Informatikingenieur, selbst zurückgekehrter Emigrant, der mittlerweile auf der Grundlage bei yabiladi.com gesammelter Erfahrungen die Firma WebStratégie gegründet hat (vgl. Khalladi/Cherkaoui 2009, 71-77). Die Website stellt sich selbst als ‘Portal Marokkos und der Marokkaner ohne Grenzen’ vor und erklärt zu ihrem Ziel, zum bevorzugten Ort für den Informationsaustausch sowie für Debatten über Auslandsmarokkaner betreffende Themen zu werden. Yabiladi.com besteht aus mehreren Rubriken, die unterschiedliche Dienste zur Verfügung stellen, unter anderem: aktuelle Themen, Multimediales, praktische Informationen, Dienstleistungen, Foren, Kleinanzeigen, Treffpunkte, Chats, Radiosendungen, Bibliothek, Fußball und Video. Diese Dienste gliedern sich wiederum in mehrere Unterforen (Allgemein, Aktuelles und Medien, praktisches Leben, Familie, Lebensstil, Religion, Gemeinde und Hilfsdienste, Spaß und Freizeit). Ihr Initiator hat aber nicht nur ein an aktuellen Nachrichten und Freizeit orientiertes Medienforum erstellen wollen, sondern vor allem eine Austauschplattform für alle Fragen der marokkanischen Gemeinschaft in Europa. Mittels Debatten solle yabiladi.com Antworten auf Fragen aus den Bereichen des Alltags, der Arbeit, der Finanzen sowie der Rückkehrchancen nach Marokko anbieten. Dank ihrer ›durchschnittlich 55.000 Besucher und den ca. 10.000-15.000 Radiohörern pro Tag‹ (Khalladi/Cherkaoui 2009, 71f.) hat sich yabiladi.com zur zahlenmäßig wichtigsten marokkanischen Diaspora-Website entwickelt. bladi.net: das Wort bladi heißt ‘mein Land’, wobei wiederum die Konnotation ‘meine Heimat’ implizit ist. Die Seite stellt sich als Internetportal der ‘Marokkaner von woanders’ vor und beinhaltet Informationen zur Tagespolitik, Chats, News, ein Diskussionsforum, einen Kulturkalender, Kleinanzeigen, ein Online-Verzeichnis sowie ein Portal für die Auslandsmarokkaner, Fotos von Marokko, Musik, praktische Informationen und vieles mehr. Unter der Kategorie ‘Forum’ sind weitere Unterkategorien zugänglich (Kultur, Gesellschaft, Spaß und Freizeit, ‘Marokko in unserer Nähe’); die Unterkategorien 392

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sind weiter unterteilt in Marokko/Frankreich, Marokko/Spanien, Marokko/ Kanada sowie einen englischsprachigen Bereich.

Migration und Internetnutzung Inhaltlich liegt den Websites ein ausgeprägter Bezug auf das Herkunftsland zugrunde: In beiden Websites dominieren auf Marokko bezogene Themen (z.B. Aktuelles, Küche, Musik, Photos). Die Internetnutzer besuchen beide Websites mit drei vorrangigen inhaltlichen Zielen: Erstens suchen sie nach praktischen Informationen über Marokko, um sich über das Land zu informieren, die Sommerferien zu organisieren, günstiger nach Marokko telefonieren zu können und vieles mehr. Zweitens nutzen sie die Website, um Hilfe zu erbitten oder anzubieten, etwa um im Aufnahmeland angetroffene Schwierigkeiten zu überwinden; sie suchen zudem nach psychologischer Unterstützung etwa nach dem Verlust eines Angehörigen oder schließen sich kulturellen Debatten an, etwa um familiäre Gepflogenheiten und die marokkanische Mentalität näher kennen zu lernen. Drittens tauschen sie sich über gesellschaftliche, politische und religiöse Themen aus. Der Gründer und Leiter von yabiladi, Mohammed Ezzouak, erklärt diese Ausrichtung in einem Interview, in dem er die Wahl des Namens erklärt: »Yabiladi ist der Name, den wir für unser Portal ausgesucht haben, weil er das Gefühl aller ausgewanderten Marokkaner, die sich mit ihrer Heimat verbunden fühlen, widerspiegelt: Marokko! Der Großteil der Emigranten der ersten oder zweiten Generation träumt davon, nach Marokko zurückzukehren um dort zu arbeiten oder zu investieren.«8

Oft drehen sich die Diskussionen um praktische Fragen: Fragen nach Informationen, Ratschlägen und Hilfestellungen bezüglich verschiedener Themen wie Familienzusammenführung, Aufenthaltserlaubnis, Visa oder nach den für eine gemischte Ehe benötigten Dokumenten. Die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten schaffen eine Art ‘virtuelles Zuhause’. Es handelt sich dabei um einen virtuellen Raum, in dem die Nutzer über Themen sprechen können, die ihnen auf dem Herzen liegen, über ihre Sorgen. Darüber hinaus weist dieses Zuhause zusätzliche Vorteile auf, denn es ist nicht nur der Ort der Kommunikation, sondern auch ein Raum, in dem man sich aufhalten kann auch wenn man nicht viel zu sagen hat, in dem man ›mit den anderen man selbst sein kann‹. So sagt einer der Nutzer: »Das Netz gibt uns ein kraftvolles Medium, um uns virtuell zu treffen, Kontakte zu knüpfen, uns auszutauschen, dazu zu lernen, uns zu informieren und auch Spaß zu haben.«

Ein Zweiter fügt hinzu: 393

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»Marokko fehlt uns unheimlich, wir versuchen auf dem Laufenden darüber zu sein, was in Marokko passiert, genauso so zu reden wie die Leute bei uns, alles so zu tun, als wären wir noch in unserem Land.«9

Man kann außerdem feststellen, dass auf diesen Internetseiten mehr über Marokko als über die Diaspora, über das Aufnahmeland, gesprochen wird. In erster Linie geht es darum, die politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich aktuellen Themen Marokkos zu verfolgen und Inhalte zu diskutieren, durch die sich viele betroffen fühlen, so etwa die Zukunft und Entwicklung des Landes sowie das Bild, das man von Marokko hat. Die Diskussionsforen werden als ‘Gemeinschaftsmedium’ definiert, was dazu führt, dass die Internetnutzer im Rahmen der Internetseite in gewisser Wiese eine virtuelle Identität entwickeln und eine virtuelle Gemeinschaft bilden, die sich als bladinautes (bei bladi) bzw. als yabiladiens oder yabis (bei yabiladi) bezeichnen. Es handelt sich jedoch keineswegs um eine ‘geschlossene Gesellschaft’. Zwar lassen einige Diskussionen innerhalb dieser Foren auf die Absicht schließen, ‘unter sich’ zu bleiben, aber aufgrund der Tatsache, dass der Internetzugang einen demokratischen Charakter hat, stellt man beim Surfen auf diesen Websites fest, dass auch ‘Nicht-Marokkaner’ an den Debatten teilnehmen. Die Debatten in den Foren folgen oft einem bestimmten Ablaufschema. In einer ersten Nachricht wird zunächst eine Diskussion angestoßen. Sie wird meistens eingeleitet durch die Frage nach einem konkreten Ratschlag oder in der Absicht, einen Meinungsaustausch über ein Thema in Gang zu setzen, Kritik beziehungsweise Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen und somit Leute in einer ähnlichen Situation zu Unterstützung oder Hilfe zu bewegen; es kann aber auch um eine Anfrage an den Webmaster gehen, etwa eine Umfrage oder einen interaktiven Fragebogen zu starten. Die darauffolgende Diskussion sprengt dann oft den Rahmen der anfänglichen Anfrage und nimmt die Gestalt einer ideologischen Auseinandersetzung an. Die Intonation wird durch Emoticons ausgedrückt.10 Auffällig ist, dass die Teilnehmer ihre Auseinandersetzung nicht abschließen und die Diskussion von alleine endet, wenn keine neuen Beiträge mehr hinzugefügt werden.

Sich selbst und den eigenen Zwischenraum bezeichnen Da die Inhalte im Wesentlichen Marokko gewidmet sind, entsteht im Laufe der Diskussionen ein doppeltes Bezugssystem, das zwischen ‘Herkunftsland’ und ‘Aufnahmeland’ (auch Emigrations-, Niederlassungs- oder Aufenthaltsland genannt) unterscheidet. Wie beziehen sich die Internetnutzer auf diesen ‘Zwischenraum’ und wie verorten sie sich darin? Um diese Frage zu beant394

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worten, werde ich eine interaktive Umfrage über die bevorzugte Herkunftsbezeichnung der Internetsurfer vorstellen, welche vom Webmaster von yabiladi. com am 29. Februar 2008 initiiert wurde. Die Frage lautete: »Wie möchtet ihr bezeichnet werden? Zmagri, RME, MRE, Weltmarokkaner, Marokkaner ohne Grenzen, beur, Franko-Marokkaner, Belga-Marokkaner?«

Das Wort zmagri ist eine Verballhornung des französischen Wortes emigré. Zmagri ist die Singularform, zmagria die Pluralform (émigrés). Es ist ein Spitzname, den die Marokkaner benutzen, um die im Ausland lebenden Marokkaner, die sie im Sommer während ihrer Ferien im bled (Heimat oder heimatliches Dorf) gelegentlich treffen, zu definieren. Dieses Label stellt eine Stigmatisierung, eine Beleidigung dar, da mehrere Stereotypen mit diesem Wort eng verbunden sind: Großkotzigkeit, demonstrative Konsumorientierung, Missachtung der Gepflogenheiten des bled. Die Emigranten ihrerseits reagieren auf diese Stigmatisierung, indem sie den Marokkanern vom bled sowie den neu in Frankreich Angekommenen die ebenso pejorative Etikette blédard verpassen. Dieses Wort gilt als Beleidigung, da es all die angenommen Grundeigenschaften der im bled gebliebenen oder der frisch aus dem bled emigrierten Marokkaner beinhaltet: Ländlichkeit, Engstirnigkeit sowie die Unfähigkeit, sich an die westliche Kultur anzupassen. RME und MRE bedeuten Résident Marocain à l’Étranger bzw. Marocain Résident à l’Étranger, beides zu übersetzen mit ‘im Ausland ansässiger Marokkaner’. Der Begriff beur (weibl. beurette) wird normalerweise zur Bezeichnung der zweiten Generation der in Frankreich geborenen Maghrebiner benutzt, um sie von ihren Eltern zu unterscheiden. Von den aus Marokko und aus dem Maghreb stammenden Jugendlichen wird das Wort, ebenso wie zmagri, jedoch benutzt, um in Frankreich geborenen Jugendliche zu stigmatisieren, die ‘zu Franzosen’ geworden und daher ‘keine richtigen Marokkaner’ mehr seien (Schiff 2008). Zugleich wird ihnen vorgeworfen, ihre (marokkanischen) Wurzeln in übertriebener Weise zu verkörpern, indem sie auffällige oder überholte Elemente der Kultur ihrer Eltern pflegen und somit wie eine Karikatur wirken: Er oder sie ist ‘zu französisch’ und muss sich deswegen ‘zu viel Mühe geben, marokkanisch zu wirken’ (ebd.). Die Antworten der yabis auf die Frage nach der Eigenbezeichnung sind zahlreich und unterschiedlich. Welche Bezeichnung jeweils übernommen wird, gibt Aufschluss darüber, welche Identität in den Vordergrund gestellt wird: die Herkunftsidentität oder die des Aufenthaltsortes. Der Großteil der Teilnehmer bevorzugt die Bezeichnung als ‘Marokkaner(in)’ gekoppelt an den ‘Stolz’ und mit Verwendung der marokkanischen Flagge als Emoticon (vgl. Abb. 21-1). Sie betonen die ‘Marokkanität’, lehnen es oft ab, als ‘anders’ betrachtet zu werden und dulden es aus Verbundenheit mit der Idee des Marokkaner-Seins nicht, in Unterkategorien gesteckt zu werden. Einer unter 395

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ihnen sagt: ›Ich würde einfach ‘zum Exil gezwungener Marokkaner’ sagen‹; ein weiterer definiert ‘marokkanisch’ als ›das beste Adjektiv, ich liebe es und bleibe es ‹; ein anderer geht weiter und sagt: ›ich würde marokkaner aus marokko sagen […], das heißt 100% marokkaner, einfach aus dem bled … aber ich wohne in frankreich … jedenfalls liebe ich dich von ganzem herzen, marokko ‹. Die Frage nach der Bezeichnung wird von vielen Teilnehmern als verstörend empfunden, was sich daran zeigt, dass sie in die Defensive gehen und sich dazu gedrängt fühlen, ihre ‘Marokkanität’ laut und deutlich zu verkünden. Als Beispiele seien angeführt: »Warum denn nicht schlicht und einfach Marokkaner????« »Nur weil man in Frankreich geboren wurde ist man doch nicht weniger Marokkaner. Ich fühl mich schlicht als Marokkaner und bin stolz drauf, einer zu sein.« »Einfach Marokkaner, warum sollte man unterschiede machen wenn man dieselbe herkunft hat?? dieselben traditionen?? dieselbe religion?? und dasselbe blut…pfff.« »warum muss man immer nach Verkomplizierungen suchen, nur bei uns versuchen die alles, um uns zu klassifizieren … ich persönlich habe immer geantwortet: ich bin genauso Marokkanerin wie ihr NICHTS ANDERES ALS MAROKKANER .«

Andere Nutzer hingegen benutzen ein doppeltes Bezugssystem und definieren sich als Franko-MarokkanerInnen, als Franzosen, Belgier, Italiener, Kanadier oder HolländerInnen marokkanischer Herkunft, als MarokkanerInnen zwischen zwei Ufern oder als MarokkanerInnen aus Frankreich. Wieder andere übernehmen, in Übereinstimmung mit ihrem Geburtsort, direkt die Bezeichnung als Bürger ihres Aufnahmelandes, da sie bereits in der zweiten oder dritten Generation dort leben. Diese Nutzer sehen das Kriterium des Geburtsortes als bestimmend für die Eigendefinition: »Wenn man in einem Land geboren wird und dort lebt, hat man einfach dessen Staatsbürgerschaft. Ich persönlich wurde in Frankreich geboren, ich lebe in Frankreich. Ich glaube, dass man nich auf zwei Feldern gleichzeitig spielen kann. All die, die sich Marokkaner definieren, haben sie denn ein französischen Perso/Personalausweiß? Wenn ja, warum? Alibi-Antworten wie ‘ja aber es is nur wegen der Arbeit’ bitte vermeiden.«

Ein zweiter Forums-Teilnehmer betont denselben Aspekt und verweist auf die »Franko-Marokkaner die nicht nur in Frankreich wohnen sondern schlicht und einfach FRANZOSEN sind!!! Also hört auf, euch alle in Frankreich ansässig zu nennen.«

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Abb. 21-1: Emoticon mit marokkanischer Flagge

Noch nachdrücklicher ist folgender Teilnehmer, der General De Gaulle zitiert: »Alle in Frankreich geborenen Kinder sind Franzosen…Habe ich denn nicht Franzose gesagt? Seien sie schwarz, grau, gelb oder weiß… e basta mit euren ‘Franko-Marokkaner’. Sagt Franzosen marokkanischer algerischer, vietnamesischer, italienischer spanischer Herkunft…‘SO SCHÖN, SO GROSS UND GROSSZÜGIG IST Frankreich’ (General De Gaulle).«

Schließlich betont eine weitere Diskussionsteilnehmerin den in der Identitätsfrage impliziten Forderungscharakter, indem sie erklärt: »Unter denjenigen, die im Ausland geboren wurden, fühlen sich viele lediglich der Nationalität ihres Wohnortes und nicht der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern zugehörig. Deswegen sehe ich keinen Grund, sie um jeden Preis unter dieses Joch der Marokkanität zu unterwerfen.«

Ferner schlagen andere Teilnehmer Bezeichnungen vor, die nicht in der vom Webmaster aufgestellten Liste vorkommen. So entscheidet sich ein Surfer für die Benennung ‘Weltmarokkaner’, weil das ‘poetischer’ klinge als MRE oder RME und ›alle anderen Abkürzungen, die eher zu Robotern als zu Menschen passen‹. Noch ein anderer kreiert die von ihm bevorzugte Benennung ‘Marok-

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kaner außerhalb Marokkos’. Ein Dritter zieht den Vergleich zu denen, die die Bezeichnung aus dem Aufnahmeland übernehmen und fordert das Label ‘Ausgewanderter’. Ein vierter Nutzer hingegen bevorzugt den Begriff der ‘marokkanischen Diaspora’, den er treffender findet, weil »diese Bezeichnung sich nicht ausschließlich auf einen Emigrant oder im Ausland lebenden Menschen oder auf die beschränkt, die die Staatsbürgerschaft des Aufnahmelandes besitzen, sondern auch die so oft übersehenen Mischlinge, ihre Angehörigen, und all die, die Marokko lieben, einschließt.«

Im Rahmen dieser Argumentationslinie, die er als schlüssig erachtet, stellt ein Teilnehmer fest, dass ›man vor allem ein Migrant ist! Voilà, ein passendes Wort ‘MIGRANT’‹. Bezugnehmend auf die etymologische Bedeutung des arabischen Wortes für Migration, hijra,11 erklärt ein weiterer Teilnehmer seine Präferenz für den Begriff muhajirun (Emigrierte) sowie oulad el muhajirun (‘Kinder von Emigranten’, um diese von ihren Eltern zu unterscheiden) gegenüber dem Label ‘Inhaber des grünen [marokkanischen] Passes’. Schließlich schlägt ein Internetsurfer, im Einklang mit der marokkanischen Tradition, die darija-Benennung ‘Marokkaner von Übersee’ vor, da sich das Ausland auf der anderen Seite des Meeres befinde. Über diese Unterschiede bei der bevorzugten Bezeichnung hinaus lässt sich bei allen Teilnehmern eine kategorische Ablehnung all jener Benennungen beobachten, die als pejorativ empfunden werden (zmagri, beur, etc.): ›Zmagri klingt viel zu sehr nach illegal… also nein!‹, sagt ein Nutzer, und ein anderer fügt hinzu: ›Das Wort zmagri ist eher eine Bezeichnung, die frustrierte Leute benutzen, versteht ihr was ich meine?‹; ein dritter ist derselben Meinung: ›Zmagri, nein danke, das hört sich nach Zeichentrick an und klingt pejorativ‹. Die zentrale Erkenntnis, die durch diese Textanalyse deutlich wird, ist, dass das doppelte Bezugssystem, also die Identität des Zwischenraums, unterschiedlich klassifiziert wird. So wird der Bezug zu Marokko mit emotional aufgeladenen Begriffen ausgedrückt: bled, Herkunft, Wurzel, Mutter, Heimat, mein Herz, mein Herkunftsland, bei uns, u.v.m. Der Bezug zu Frankreich wird hingegen mit rationalen Termini zum Ausdruck gebracht: Land in dem man lebt, Arbeit, Schule, Vater, Aufenthaltsort, Wohnort, und so weiter.

Mythisierende versus kritische Bilder vom bled Aus den Diskussionen über die Darstellung Marokkos und insbesondere der ‘Heimat’, des bled, ergeben sich zwei widersprüchliche Bilder. Das erste ist ein mythisierendes Bild: Die Vorstellung von Marokko ist in vielen Fällen stark idealisiert, so sehr, dass man vom Syndrom des ‘verlorenen Paradieses’ sprechen könnte. Abgesehen von der tatsächlichen geographischen Nähe zwi398

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schen Marokko und Frankreich, die häufige Rückreisen und Familienbesuche ermöglicht, lässt sich dieses mythisierende Bild auf die Wirkung der sommerlichen marokkanischen Initiativen zurückführen. Die Behörden Marokkos betreiben eine aktive Politik zur Wiederbelebung der ‘Marokkanität’ von Migranten und deren Nachkommen, beispielsweise durch die Entsendung von Arabischlehrern, die Finanzierung kultureller und sportlicher Veranstaltungen sowie durch Werbeaktionen für Investitionen und Immobilienkäufe in Marokko. In diesem Kontext organisiert der Staat die unter dem Namen ‘Operation marhaba’ (Willkommen) bekannte Aktion Transit. Diese soll die Rückkehr der marokkanischen Migranten aus dem Ausland erleichtern. In den Fernsehnachrichten werden zum Beispiel tagtäglich ganze Reportagen dem Reiseverlauf oder dem Aufenthalt marokkanischer Familien im Königreich gewidmet. Nicht selten empfängt sogar der König höchstpersönlich bestimmte Familien im Hafen von Tanger. Die Verteidiger dieses ‘idealisierten’ Bildes nehmen ihr bled mit Nachdruck in Schutz. Das zeigt sich in den Diskussionsforen auf verschiedene Art und Weise, wobei das Grundsatzprinzip ist, dass man das Bild des eigenen Landes nicht beschmutzen solle. So behauptet ein Nutzer: ›man darf kein negatives bild unseres geliebten landes, marokkos, verbreiten‹. Des Weiteren solle man die Fortschritte der Heimat hervorheben: ›Heut ist MAROKKO eins der gesellschaftlich und wirtschaftlich stabilsten Länder … In unserm geliebten Land ist alles zu finden …‹. Beim zweiten Bild handelt es sich hingegen um eine kritische Einstellung ‘zu Gunsten des guten Zweckes’. In der Argumentation der Diskussionsteilnehmer lässt sich Kritik durch die Bindung an und die Liebe zum Herkunftsland, für welches sie sich eine positive Entwicklung wünschen, rechtfertigen. Die Kritikpunkte drehen sich um so unterschiedliche Themen wie Bildungssystem, Gesundheitsvorsorge, tagespolitische Themen oder Gebrauch der französischen Sprache durch Marokkaner. So spricht sich zum Beispiel ein Forumsbesucher vehement gegen die Anwendung des Französischen und die Diskriminierung des Marokkanischen sowie der marokkanischen Kultur aus: »In Marokko sind alle bereit, all das schlecht zu machen, was marokkanisch oder arabisch ist. Bei der Sprache angefangen man muss Französisch sprechen wenn man modern sein will. [W]ährend andere Länder sich auf ihre Werte und ihre Kultur gestützt haben um sich zu entwickeln, lehnen wir unser ganzes Kulturerbe ab.«

Ein weiteres Problem sei die mangelnde soziale Infrastruktur in Marokko, worauf ironisch hingewiesen wird: »Was ist das denn fürn Land??? Wie kann ich denn stolz drauf sein, aus nem Land zu kommen, das seinen Bürgern nicht mal die Grundversorgung gewährleisten kann?? [I]ch bin sehr enttäuscht von Marokko.«

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Die Kritik wird hier als Synonym für Wahrheit empfunden und die kritischen Stimmen legen Wert drauf zu betonen, dass ›wir ja nicht unser Land schlecht machen nur weil wir die Wahrheit sagen‹.

Rückkehr ins bled Die Schwierigkeit, doppelte Zugehörigkeiten vollständig in einer Person zu integrieren, verstärkt durch widersprüchliche Vorgaben der Behörden, konfrontiert die Internetnutzer sehr spezifisch mit der Frage einer Rückkehr nach Marokko und den damit verbundenen Möglichkeiten, Schwierigkeiten, Vorund Nachteilen. Im Folgenden soll untersucht werden, wie die Nutzer von bladi.net an diese Frage herangehen. Aus den Antworten ergeben sich drei Profile: die Befürworter der Rückkehridee, die Unentschlossenen und ihre Gegner. Die Befürworter einer Rückkehr nach Marokko argumentieren sowohl im emotionalen als auch im wirtschaftlichen Sinne. Sie betonen die höhere Lebensqualität in Marokko (die Lebenshaltungskosten seien niedriger und das soziale Leben umgänglicher) und patriotische Ideen (im eigenen Lande etwas zu bewirken, zur Entwicklung beizutragen). Diese Idee zeigt sich deutlich in folgender Mitteilung, die einen Diskussionsstrang eröffnet: »Nachricht: im eigenen Herkunftsland leben (Marokko). Ich wurde in Frankreich geboren aber ich bin marokkanischer Herkunft, ich liebe mein Land und nach meinem Studium möchte ich mich dort endgültig niederlassen, um dort zu arbeiten und sicherlich auch mein Leben dort zu verbringen. Ich möchte gern eure Meinungen dazu haben … danke.«

Eine der Antworten auf diese Mitteilung betont die Idee, dass Rückkehrer als Entwicklungsakteure für das eigene Land agieren können: ›in Marokko leben macht es dir möglich, etwas in deinem Herkunftsland aufzubauen, in einem Land, das es wirklich nötig hat‹. Ein weiterer Diskutant fragt nach dem Zusammenhang zwischen Rückkehr und (früherer) Emigration: ›…wie glücklich macht es denn, genau das Gegenteil davon zu tun, was unsere Eltern getan haben, und zwar in unser Ursprungsland zu ziehen‹. Viele Diskussionsteilnehmer sind als ‘unentschlossen’ zu klassifizieren; bei ihnen stehen oft Kosten-Nutzen-Überlegungen im Vordergrund und unter Betonung ihres Zwischenstatus legen sie Wert darauf, mit ›einem Fuß auch in Frankreich zu stehen‹. Schließlich stellen die Gegner einer Rückkehr den Rückkehrbegriff per se in Frage und betonen, dass sie in Frankreich geboren sind: ›dein Land ist Frankreich, da du dort geboren wurdest und dort aufgewachsen bist‹; ›spuck nicht auf frankreich, es ist dank diesem land, dass du heute lebst‹.

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Eine andere Form der Rückkehr, die für viele ab einem bestimmten Alter zentral wird, ist in den Foren häufiger Diskussionsgegenstand: Es ist die Frage, was es bedeutet, weit weg vom bled zu sterben und wo die Bestattung erfolgen soll. Für die jungen Internetnutzer ist diese Frage schwierig zu beantworten. Sie ist eng mit der Problematik religiöser Rituale und der Entscheidung der vorübergehenden oder endgültigen Niederlassung im Aufnahmeland verwoben. Eine längere Debatte zu diesem Thema wurde von folgendem Beitrag eines Forumsteilnehmers angestoßen: »Mitteilung: Im Ausland sterben. Ich möchte gern wissen, ob unsere Regierung was unternimmt um die Familien bei der Rückführung eines im Ausland, weit weg von seiner Heimat, verstorbenen Marokkaners zu unterstützen.«

Durch die Analyse des Diskussionsmaterials konnten drei Profile identifiziert werden. Erstens diejenigen, die die Rückführung in die Heimat bevorzugen, aber die finanziellen Schwierigkeiten betonen. So schreibt zum Beispiel ein Teilnehmer: »Es ist sehr hart, an den Tod in einem Land zu denken, in dem man nicht begraben werden will, sich an die Leichenüberführung eines Körpers zu erinnern, dem man im Sterben beigestanden hat. Es ist ein doppelter Riss: die Trauer wegen des Verlustes eines Angehörigen und dann die harte Tatsache, seine Leiche tagelang in einem Kühlsarg aufbewahrt zu sehen, um sie dann notdürftig in einem Gepäckraum nach mehrfachen langwierigen und ich würde sagen unmenschlichen bürokratischen Angelegenheiten zu transportieren. In solchen Momenten stellt man die Entscheidung, auszuwandern, wirklich in Frage.«

In eine ähnliche Richtung geht folgende Aussage: ›ich denke ständig an dieses Thema, weil’s uns nicht möglich is, in unser Geburtsland rückgeführt und dort begraben zu werden‹. Ein weiterer Nutzer stellt sein Anliegen in den Vordergrund, die religiösen Riten einzuhalten und sie gut und richtig durchzuführen. Er erklärt den Wunsch, im bled bestattet zu werden, folgendermaßen: ›Für mich ist es eine fixe Idee, wenn ich sterbe möchte ich dass ein fkih und die Meinen den Koran rezitieren‹. Das zweite Profil wird durch diejenigen verkörpert, die eine Bestattung in Frankreich bevorzugen: »zwischen 2 Friedhöfen, wovon sich einer in einem europäischen Land und der andere in Marokko befindet … wenn es euch recht ist, ich glaube nach meinem Tod werde ich doch noch ein bisschen hier bleiben, wenn es euch nicht stört.«

Die dritte Position ist die der Unentschlossenen (weil gleichgültig), für die der Ort keine Bedeutung hat, denn ›es ist egal, hier oder woanders zu verwesen‹. 401

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Man kann behaupten, dass die Überführung in die Heimat die zahlenmäßig am häufigsten vertretene Auffassung ist. Dafür lassen sich mehrere Gründe anführen: Der Wunsch, die religiösen Rituale unter bestmöglichen Umständen durchführen zu können; finanzielle und juristische Erwägungen sowie der Mangel an muslimischen Friedhöfen in Frankreich. Insgesamt lässt sich somit zusammenfassen, dass der Tod im Migrationsprojekt nicht vorgesehen ist: Die Rückführung gilt als Rückkehr in die Heimat post mortem.

Fazit Die Logik der Globalisierung hat transnationale Netzwerke kreiert, die die Migranten in einem Raum zwischen zwei oder sogar drei Ländern, verortet. Die in den hier vorgestellten Diskussionsforen zum Vorschein kommenden Verbindungen zwischen Migration und Identität bezeugen, dass durch das Internet die Beziehungen zwischen den Internetnutzern mit marokkanischem Migrationshintergrund und ihrem Herkunftsland Marokko (sei es ihr eigenes oder das ihrer Eltern) intensiver geworden sind. Aus einer patriotischen Haltung heraus und zum Zwecke der Kommunikation über Marokko entwickeln sich vielfältige virtuelle Räume. Diskussionsforen erlauben jedem, sich in die Gemeinschaft einzubringen, der er zugehörig ist und somit seine ‘Marokkanität’ auszuleben, indem er sich in einem Diskussionsforum anmeldet und dort nach den Antworten auf alle möglichen Fragen (seien sie ernsthaft oder überflüssig) sucht. Die Begeisterung für die Heimat konnte anhand des von den emigrierten Internetnutzern gezeichneten Marokko-Bildes skizziert werden. Das Bild des Herkunftslandes, wie es aus den unterschiedlichen Diskussionen hervorgeht, ist zwischen Euphorie und verbitterter Kritik gespalten, wobei Letztere nicht impliziert, dass die ‘Liebe’ für das Ursprungsland verleugnet wird: Es wird vielmehr aus Liebe kritisiert. Eine Analyse der emotionalen Ebene würde zur Annahme verleiten, dass solch eine Liebe sich in der Rückkehr konkretisiere. Doch möchte ich abschließend die These aufstellen, dass diese starke Bindung sich nicht am Kriterium der Rückkehr festmachen lässt. Dies wird deutlich anhand der drei Profile, die von Befürwortern einer Rückkehr über die Unentschlossenen bis hin zu den ‘Rückkehrverweigerern’ reichen. Aber auch dieser Unterschied trübt keineswegs die ‘Liebe’ für die Heimat. Schließlich impliziert das Sprechen über Rückkehr keine reale Aktion. Es handelt sich dabei eher um Repräsentationen, um in einer virtuellen Diskussion geäußerte Einstellungen. Diese klar zum Ausdruck zu bringen, bedeutet für die Emigranten eine mythische Zuflucht, einen ‘potentiellen Ausweg’, wenn beispielsweise die Jugendlichen in der Migration auf die Schwierigkeiten des Schul- und Arbeitslebens sowie auf Rassismus stoßen. Die Analyse solcher interaktiven Beziehungen mit dem Herkunftsland belegt die auch von 402

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anderen Forschern vertretene These, dass das Aufkommen einer OnlineGemeinschaft zwischen den Marokkanern aus Marokko und denen aus dem Ausland stark in ihrer ursprünglichen Kultur verankert ist.

Anmerkungen 1.

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Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Version eines im Rahmen des Kolloquiums HOME – Sécurité Sociale, Migration et Mobilité en Afrique du Nord am 19. Mai 2008 vorgestellten Beitrages. Das Kolloquium wurde vom Centre Marocain des Sciences Sociales (CM2S) der Universität Hassan II in Casablanca in Zusammenarbeit mit dem SFB 586 Differenz und Integration der Universitäten Leipzig und Halle-Wittenberg organisiert und in der Fondation du Roi Abdul Aziz Al Saoud Pour les Etudes Islamiques et les Sciences Humaines in Casablanca gehalten. Siehe dazu beispielhaft für den Fall der Niederlande Brouwer (2006, 11531168). Unterzeichnung der Abkommen mit Deutschland und Frankreich (1963), Belgien (1964) und den Niederlanden (1969). Vgl. Reffas (1994, 576). ›Die vielfältigen Schwierigkeiten, die sich im Übergang von einer kolonialen zu einer postkolonialen Konstellation ergeben, zusammen mit der Unfähigkeit der aufeinander folgenden marokkanischen Regierungen, die Basis für eine nachhaltige und kohärente Entwicklung des ruralen Milieus zu legen, haben eine Landfluchtbewegung ausgelöst und die Arbeitslosigkeit und die Unterbeschäftigung sowohl in den Städten als auch auf dem Lande sichtbar gemacht‹ (Chattou 1998, 100). Dabei handelt es sich beispielsweise um Fernsehsendungen wie ‘Marokko ohne Grenzen’ und ‘Marokkaner von anderswo’ auf 2M, dem zweiten Vollprogrammsender des marokkanischen Fernsehens; Biladi und Canal Atlas auf TVM, einem offiziellen öffentlichen Vollprogrammsender, der seit 2007 Al Aoula, ‘Das Erste’ heißt, oder auch die unterschiedlichen Sendungen über den Erfolg der Marokkaner und der Maghrebiner auf Midi 1 Sat, einem 2006 in Tanger als franco-marokkanischer Vollprogramm-Privatsender initiierter Kanal, der vor kurzem seinen rechtlichen Status geändert hat und zum öffentlichen marokkanischen Sender wurde. Interview mit Mohamed Ezzouak von Tarik Essaadi auf Emarakkech.info (Marokkanisches Nachrichtenportal), 22. Jan. 2003, http://www.emarrakech. info/Oui,-on-peut-exprimer-son-patriotisme-via-Internet_a37.html). Darija ist die Bezeichnung für den marokkanischen arabischen Dialekt, auch ‘marokkanisches Arabisch’ genannt (vgl. Caubet 2004, 10). Dabei handelt es sich um ›die Muttersprache der nicht-amazighophonen Marokkaner; es ist eine Sprache ohne einen besonderen Status, de facto dient sie als Verkehrssprache der Marokkaner; ebenso kann man sie als lingua franca definieren insofern sie die Sprecher im nationalen Raum als allgemeines Kommunikationsmittel zwischen den Muttersprachlern verschiedener arabischer Dialekte, zwischen Arabophonen und Amazighophonen und zwischen Amazighophonen entfernterer Dialekte verwenden.‹ (Boukous 2006, 17). Für lange Zeit wurde Darija auf die Privatsphäre beschränkt, jedoch hat es heutzutage eine Stellung im marokkanischen öffentlichen Raum, sowohl in der neuen urbanen Musik, wie auch im Kino, im Theater, in der Werbung und in den neuen Medien. Aufgrund der Tatsache, dass es im Darija keine geschriebene 403

AIT MOUS

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Grammatik gibt, wird es sowohl mit dem arabischen als auch mit dem lateinischen Alphabet (im Internet sowie vor allem in SMS) geschrieben. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass das linguistische Feld Marokkos sich aus den folgenden Sprachen zusammensetzt: das Standardarabisch als einzige offizielle Landessprache; das Amazigh (rehabilitiert und durch einen progressiven Zugang zum öffentlichen Bildungssystem sowie zu den Medien zunehmend anerkannt); das Darija; aber auch das Französische und in einem kleineren Ausmaß das Spanische (insbesondere im Norden des Landes) (vgl. Boukous 2006, 17). Interview mit Ezzouak in der Online-Zeitung Afrik im Jahre 2002; http:// www.afrik.com/article4437.html (Stand 2. Mai 2008). Anmerkung des Übersetzers: Im französischen Originaltext sind die Zitate aus den Internetseiten unverändert – einschließlich der grammatikalischen und orthographischen Fehler – übernommen worden. In der deutschen Übersetzung wurde versucht diesen Stil – analog zu deutschen Internetforen – zu übernehmen. Zur Verwendung von Emoticons in marokkanischen Diskussionsforen vgl. Atifi et al. (2005). Darüber hinaus steht die hijra in der muslimischen Tradition für den Gründungsakt der ersten islamischen Gemeinde durch das Exil des Propheten und seiner Gefährten aus Mekka, die aufgrund der Verfolgungen und der Abneigung ihnen gegenüber nach Medina auswandern mussten. Dieses grundlegende Ereignis wurde im Folgenden verwendet um den Beginn der islamischen Ära zu markieren.

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437

VERZEICHNISSE

Kartenverzeichnis 3-1 4-1 5-1 5-2 5-3 5-4 5-5 5-6 5-7 7-1

Transhumanz: Sommerweiden der Ait Mizane in den 1980er Jahren Imseker L’Bour Gemeinde Asni Gemeinde Asni – Untersuchungsgebiete Transhumanz in der Gemeinde Asni in den 1980er Jahren Herdenhalter und Herdenbestände in der Gemeinde Asni Obstbaumbestände in der Gemeinde Asni Getreideproduktion in der Gemeinde Asni Landzugang in der Gemeinde Asni Beschäftigungsstrukturen in der Gemeinde Asni

57 73 87 91 95 99 102 103 105 133

7-2 8-1

Arbeitsorte Sozialräumliche Fragmentierung – Untersuchungsgebiete

135 147

12-1

Verteilung marokkanischer Exporte und Importe (2000-2007)

246

12-2 12-3

Relative bilaterale Handelsintensitäten (RBHI) (1980-1989) Relative bilaterale Handelsintensitäten (RBHI) (2000-2007)

252 253

17-1 19-1

Rabat – Sozialräumliche Gliederung und Untersuchungsgebiete Medina von Marrakech – Ausländischer Immobilienbesitz (2009)

331 359

19-2 19-3

Ausländischer Immobilienbesitz im Derb Debaschi/Marrakech Ausländischer Immobilienbesitz im Derb Riad el Arous/Marrakech

361 365

Abbildungsverzeichnis 4-1 4-2

Einführung von Obstbäumen Obstbäume: Erstmaliger und wiederholter Pflanzversuch

77 79

439

ALLTAGSMOBILITÄTEN

8-1 10-1 10-2 10-3 10-4 10-5 10-6 10-7 10-8 10-9 10-10 11-1 11-2 12-1 21-1

Gemeinde Asni – Lebensstandards im räumlichen Gefüge Anzahl von Agrarbetrieben nach Betriebsgröße Landwirtschaftliche Flächenbelegung (2003-2007) Bedeutung der landwirtschaftlichen Ökonomie Entwicklung des landwirtschaftlichen BIP pro Einwohner Variabilität der marokkanischen Getreideproduktion Entwicklung der Fleischproduktion Abhängigkeit des BIP von der Agrarproduktion Selbstversorgungsquoten bei Lebensmitteln Verteilung der Agrarbetriebe nach Betriebsgrößen Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche Jahresgang marokkanischer Tomatenimporte in die EU Die Frischtomatenwarenkette Regionale Handels- und Kooperationsabkommen Emoticon mit marokkanischer Flagge

149 193 195 196 196 197 197 199 199 209 209 229 231 248 397

Tabellenverzeichnis 2-1 3-1 3-2 3-3 3-4 3-5 4-1 5-1 5-2 5-3 5-4 6-1 7-1 7-2 7-3 8-1 8-2 9-1 9-2 11-1 11-2

440

Motive beim Tanz Hüteverträge, Herdengröße und Anzahl der Arbeitstage Herkunft der Tierhalter mit Hüteverträgen auf tawala-Basis Sommerweiden des Stammes Ait Mizane Winterweiden des Stammes Ait Mizane Negative Reaktionen auf den pacte pastoral Wirtschaftliche Merkmale der Übernehmer Gemeinde Asni: Untersuchungsdörfer – Zensus und Sample Obstbaumbesitzklassen Landzugang Nussbaumbesitzklassen Kalender der Rituale in Oukaimeden (Beobachtungen 1983) Elterngeneration: Letzte Aktivitäten im Arbeitsleben Bedeutung selbstständiger agrarischer Tätigkeiten (SAT) im Arbeitsleben von Haushaltsvorständen Einkommensstrukturen in Asni Soziale Gruppen und Ressourcenverfügung in der Gemeinde Asni Territoriale Dimensionen von Unsicherheit in der Gemeinde Asni Haushaltsbudget von Abdelsalam Auszug aus den Übernachtungspreisen in der Kasbah Tamadot Qualitätsstandards im marokkanischen Zitrus- und Tomatensektor EU-Rapid Alert System for Food and Feed – Importwarnungen

43 59 59 63 63 67 81 89 101 106 107 117 129 130 131 152 156 169 179 233 235

VERZEICHNISSE

11-3 12-1 12-2 12-3 12-4 16-1 16-2 16-3 17-1 17-2 18-1

Auszug aus der EU Vermarktungsnorm für Tomaten Wichtige marokkanische Exportgüter Wichtige marokkanische Exportgüter nach Handelspartnern Güterstruktur des marokkanischen Außenhandels (1) Güterstruktur des marokkanischen Außenhandels (2) Marokko: Entwicklung des Bevölkerungswachstums (1936-2007) Ländliche Migranten in die Städte und nach Casablanca Urbanisierung in Marokko Arbeitsmarktintegration junger Erwachsener in Rabat Monetäre Situation junger Erwachsener in Rabat Entwicklung der Internetnutzung in Marokko

236 257 259 260 261 319 319 321 333 335 345

441

A U TO R I N N E N U N D A U TO R E N

Fadma Ait Mous forscht am Centre Marocain des Sciences Sociales (CM2S) der Université Hassan II in Casablanca, Marokko, zu kollektiven Identitäten, sozialen Netzwerken und Internetnutzung. Najib Akesbi ist Professor am Institut Agronomique et Veterinaire Hassan II in Rabat, Marokko, und arbeitet zur Ökonomie des ländlichen Raumes. Christian Berndt ist Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Zürich. Sein Interesse gilt der Wirtschaftsgeographie und der Erforschung globaler Warenketten. Marc Boeckler ist Professor am Geographischen Institut der Goethe-Universität Frankfurt a.M. und arbeitet zu kulturellen Geographien der Ökonomie. Ines Braune lehrt am Centrum für Nah- und Mitteloststudien der PhilippsUniversität Marburg. Sie beschäftigt sich mit Jugend, Medien und Zivilgesellschaft in der MENA-Region. Ingo Breuer ist als Geograph Projektleiter am Sonderforschungsbereich 586 der Universitäten Leipzig und Halle-Wittenberg und forscht zu Mobilität und Existenzsicherung im Globalen Süden. Pablo Dominguez ist Professor am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universitat Autònoma in Barcelona, Spanien, und forscht zu AgroPastoralismus, Wirtschaft, Religion, Geschichte und Ökologie in Marokko.

443

ALLTAGSMOBILITÄTEN

Anton Escher ist Professor am Geographischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er forscht zu arabischen Altstädten und globalen Gemeinschaften. Johannes Frische arbeitet am Centre for Area Studies der Universität Leipzig im Bereich der Migrations-, Diaspora- und Transnationalismusforschung. Jörg Gertel ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeographie am Orientalischen Institut der Universität Leipzig und forscht zu globalen Nahrungskrisen und Aspekten der Existenzsicherung. Wenke Krestin arbeitet am Orientalischen Institut der Universität Leipzig und beschäftigt sich mit dem ländlichen Raum im Sudan und in Marokko. David Kreuer arbeitet am Sonderforschungsbereich 586 der Universitäten Leipzig und Halle-Wittenberg und am Helmholtz-Institut für Umweltforschung in Leipzig und forscht zu Jugend, Nomadismus und Dürre. Mohammed Mahdi ist Professor für Soziologie an der Ecole Nationale d’Agriculture in Meknès, Marokko, und arbeitet zu Fragen von sozialem, technischem, ökonomischem und institutionellem Wandel im ländlichen Raum. Sandra Petermann arbeitet am Geographischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und forscht zu Stadt- und Sozialgeographie mit den regionalen Schwerpunkten Marokko und Frankreich. Abderrahmane Rachik arbeitet an der Fondation du Roi Abdul Aziz pour les études islamiques et les sciences humaines und der Université Hassan II in Casablanca, Marokko. Er lehrt Stadtsoziologie und forscht zu Stadtpolitik und sozialen Bewegungen in Marokko. Hassan Rachik ist Professor an der Faculté des Sciences Juridiques Economiques et Sociales an der Universität Casablanca, Marokko. Er publiziert und lehrt zu Fragen von Jugend, Identität und sozialem Wandel. Sarah Ruth Sippel arbeitet am Centre for Area Studies der Universität Leipzig und forscht zur marokkanischen Exportlandwirtschaft und Prozessen sozialer Polarisierung im Kontext globaler Agro-Food-Systeme.

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Bertram Turner arbeitet am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle/Saale. Er forscht zum Rechtspluralismus und im Bereich der ethnologischen Konflikt- und Migrationsforschung. Steffen Wippel arbeitet am Orientalischen Institut der Universität Leipzig sowie am Zentrum Moderner Orient in Berlin zur Wirtschaft der Maghrebund Golfstaaten sowie zu neuen transnationalen Wirtschaftsräumen.

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DANK

Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereiches 586 ›Differenz und Integration‹ arbeiten wir seit 2001 gemeinsam mit unseren marokkanischen Partnern Najib Akesbi (Agrarökonomie), Mohammed Mahdi (Anthropologie) und Hassan Rachik (Soziologie) an Fragestellungen zum ländlichen Raum Marokkos. In diesen Jahren haben wir – und alle an diesem Buch beteiligten Autoren – uns immer wieder in wechselnden Konstellationen in Marokko und in Deutschland getroffen, um Fragestellungen zu präzisieren und Forschungsergebnisse zu diskutieren. Alltagsmobilitäten ist ein Ergebnis dieser Diskussionsprozesse; wir möchten hiermit allen Beteiligten sehr herzlich danken. Besonders danken möchten wir darüber hinaus Enrica Audano und Johannes Frische für die Übersetzungen der französischen Manuskripte; Paulina von Mirbach für die Gestaltung des Layouts; Lea Bauer für die Erstellung der Karten und Abbildungen; sowie Marie Hakenberg, Wenke Krestin, Birgit Kemmerling, Lilith Dieterich und Sarah Ruth Sippel für die redaktionellen Arbeiten am Buchmanuskript. Ohne ihren Einsatz und ihre Professionalität wäre das Buch in der vorliegenden Form nicht entstanden. Für die dem ersten Buchteil zugrunde liegende empirische Studie in der Gemeinde Asni geht unser Dank an die marokkanischen Feldassistenten, die hunderte von Interviews in Tachelhayt, der lokalen Berbersprache, durchgeführt haben: Abdelhakim Aboullouz, Hafid Aferiad, Lahcen Ait Mahdi, Rachida Bab-Allah, Khalid Bennaji, Salah Boulla, Hamdi Echkaou, Ahmed Eddarkaoui, Amal Elhouasni, Hassan Elhouz, Mohamed Elmoussaoui, Nora Ennah sowie Mohamed Jeghllaly. David Kreuer hat die Feldstudie inhaltlich und logistisch vorbereitet und gemeinsam mit Fouzia Bassy einen Großteil der Zensusdaten erhoben. Wir danken außerdem den Leipziger Studierenden, ohne deren Engagement eine Durchführung der Studie nicht möglich gewesen 447

ALLTAGSMOBILITÄTEN

wäre, für ihren unübertroffenen Einsatz auch bei der anschließenden Dateneingabe: Enrica Audano, Sonja Ganseforth, Marie Hakenberg, Wenke Krestin, Robert Lengefeld, Julia Oheim und Wenzel Stählin. David Kreuer und Johannes Frische haben mit großem Überblick die Befragerteams organisiert und Sarah Ruth Sippel hat immer wieder notwendige Hilfestellungen vor Ort geleistet. Unser größter Dank gilt jedoch den Bewohnern von Asni, die uns an ihrem Leben teilhaben ließen und mit großer Geduld unsere Fragen beantworteten.

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Kultur und soziale Praxis Sylke Bartmann, Oliver Immel (Hg.) Das Vertraute und das Fremde Differenzerfahrung und Fremdverstehen im Interkulturalitätsdiskurs Dezember 2011, ca. 240 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1292-9

Isolde Charim, Gertraud Auer Borea d’Olmo (Hg.) Lebensmodell Diaspora Über moderne Nomaden Dezember 2011, ca. 400 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1872-3

Sabine Hess, Nikola Langreiter, Elisabeth Timm (Hg.) Intersektionalität revisited Empirische, theoretische und methodische Erkundungen November 2011, 280 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1437-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur und soziale Praxis Silja Klepp Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz Eine Ethnographie der Seegrenze auf dem Mittelmeer September 2011, 428 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1722-1

Anne C. Uhlig Ethnographie der Gehörlosen Kultur – Kommunikation – Gemeinschaft November 2011, 388 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1793-1

Erol Yildiz Die weltoffene Stadt Wie Migration Globalisierung zum urbanen Alltag macht Januar 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1674-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur und soziale Praxis Anıl Al-Rebholz Das Ringen um die Zivilgesellschaft in der Türkei Intellektuelle Diskurse, oppositionelle Gruppen und Soziale Bewegungen seit 1980 Februar 2012, ca. 408 Seiten, kart., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1770-2

David Johannes Berchem Wanderer zwischen den Kulturen Ethnizität deutscher Migranten in Australien zwischen Hybridität, Transkulturation und Identitätskohäsion Oktober 2011, 708 Seiten, kart., 42,80 €, ISBN 978-3-8376-1798-6

Thomas Fröhlich, Yishan Liu (Hg.) Taiwans unvergänglicher Antikolonialismus Jiang Weishui und der Widerstand gegen die japanische Kolonialherrschaft. Mit einer Übersetzung von Schriften Jiang Weishuis aus dem Chinesischen und Japanischen August 2011, 362 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1018-5

Daniel Gaxie, Nicolas Hubé, Marine de Lassalle, Jay Rowell (Hg.) Das Europa der Europäer Über die Wahrnehmungen eines politischen Raums März 2011, 344 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1626-2

Martina Grimmig Goldene Tropen Die Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana

Gertraud Marinelli-König, Alexander Preisinger (Hg.) Zwischenräume der Migration Über die Entgrenzung von Kulturen und Identitäten Oktober 2011, 292 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1933-1

Jürg Martin Meili Kunst als Brücke zwischen den Kulturen Afro-amerikanische Musik im Licht der schwarzen Bürgerrechtsbewegung Mai 2011, 320 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1732-0

Janne Mende Begründungsmuster weiblicher Genitalverstümmelung Zur Vermittlung von Kulturrelativismus und Universalismus September 2011, 212 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1911-9

Minna-Kristiina Ruokonen-Engler »Unsichtbare« Migration? Transnationale Positionierungen finnischer Migrantinnen. Eine biographieanalytische Studie Dezember 2011, ca. 348 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1876-1

Verena Schreiber Fraktale Sicherheiten Eine Kritik der kommunalen Kriminalprävention Juni 2011, 302 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1812-9

September 2011, 296 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-751-6

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