Allgäu reloaded: Wie Regionalkrimis Räume neu erfinden 9783839441251

Murder in the country - Katharina Löffler analyzes the cultural-poietic and touristic potential of pop literature on the

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Allgäu reloaded: Wie Regionalkrimis Räume neu erfinden
 9783839441251

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Raum im Buch
3. Buch im Raum
4. Allgäu im Plural
5. Ausblick
6. Quellen

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Katharina Löffler Allgäu reloaded

Edition Kulturwissenschaft | Band 158

Katharina Löffler (Dr.), geb. 1982, ist Germanistin und Kulturwissenschaftlerin. Ihr Dissertationsprojekt »Allgäu reloaded« entstand am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen. Von 2012 bis 2014 war sie Stipendiatin der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg.

Katharina Löffler

Allgäu reloaded Wie Regionalkrimis Räume neu erfinden

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Inhalt

1 Einleitung | 7 1.1 Der Zeitgeist und das Regionale | 7 1.2 Methoden | 14 1.3 Forschungsstand | 17 2

Raum im Buch | 29

2.1 Raumtheorie | 29 2.1.1 Volkskundliche Raumchronik | 29 2.1.2 Konstrukt Raum | 35 2.1.3 Literarische Räume | 40 2.1.4 Freiräume | 46 2.2 Konjunktur eines Genres | 49 2.2.1 Neue Regale | 49 2.2.2 Wettbewerb | 62 2.3 Literaturanalyse | 83 2.3.1 Sieben Mal Kluftinger | 83 2.3.2 Autorenstrategien | 85 2.3.3 Allgäu im Krimi | 90 2.3.3.1 Speisen | 90 2.3.3.2 Rituale | 96 2.3.3.3 Sprache | 100 2.3.3.4 Kulturerbe | 105 2.3.3.5 Orte | 113 2.3.3.6 Landschaft | 116 2.3.3.7 Dynamik | 131 2.3.3.8 Reibung | 138 2.3.4 Satire | 140 2.3.5 Wissensspeicher | 142 2.3.6 Faktor Mord | 146 2.3.7 Profit schlagen | 148 2.3.8 Leser | 153 2.3.9 Serialität | 163 2.3.10 Reiseführer | 164

3 Buch im Raum | 167 3.1 Tourismusräume | 167 3.1.1 Bedeutungsausstatter | 167 3.1.2 Attraktion Container | 168 3.2 Allgäu werden | 170 3.3 Mediale Transformation | 176 3.3.1 Nachreisen | 176 3.3.2 Karten lesen | 180 3.3.3 Auf Tour | 183 3.3.3.1 Altusried | 183 3.3.3.2 Kempten | 199 3.3.3.3 Füssen | 211 3.3.3.4 Oberstdorf | 220 3.3.3.5 Unterallgäu | 223 3.3.3.6 Buxheim | 237 3.3.3.7 Bilanz | 245 3.3.3.8 Teilnehmen | 262 3.3.3.9 Erleben | 296 3.3.3.10 Reklame | 304 4

Allgäu im Plural | 317

4.1 4.2 4.3 4.4

Mehr Sinn | 317 Machtverzicht | 322 Streit | 326 Palimpsest | 334

5

Ausblick | 353

Quellen | 357 6.1 Literatur | 357 6.2 Internetquellen | 375 6.3 Weitere Quellen | 379 6

1 Einleitung

1.1 D ER Z EITGEIST

UND DAS

R EGIONALE

Das Mobilisieren des Regionalen hat Konjunktur. Die Europäische Union setzt auf den „pro-europäischen Akteur“1 Region und skizziert mit dem föderalistischen Konzept eines Europas der Regionen ihr Ziel einer Kollektivierung unter Beibehaltung der kulturellen Vielfalt. 2008 demonstrierten Basken, Bretonen und Korsen für die Gründung eigener Nationalmannschaften und mehr Regionalisierung im Fußball. Die Europäische Fußball-Union (UEFA) organisiert im Amateursektor den Europapokal der Regionen.2 Regional produzierte Nahrungsmittel locken zunehmend Verbraucher3: Ob Alb-Leisa, Albzarella (Linsen und Büffelmilchkäse von der Schwäbischen Alb) oder Steirisches Kürbiskernpesto aus den Genuss-Regionen Österreichs – „noch nie war im Essen so viel Raum“4. Aktionsbündnisse bieten beim Tag der Regionen regionalen Anbietern

1

Norbert Hölcker: Regionen in Europa – Gewinner oder Verlierer des europäischen Einigungsprozesses? Eine Betrachtung des Bedeutungswandels der Regionen in Europa am Beispiel der europäischen Regional- und Strukturpolitik von 1957 bis heute. Marburg 2004, S. 70.

2

Vgl. Rainer Kalb: Aufstand der Regionen. Autonomie für Basken, Bretonen, Korsen? http://www.11freunde.de/artikel/autonomie-fuer-basken-bretonen-korsen

(Zugriff:

07.01.2014). 3

Der Einfachheit wegen und keineswegs aus hierarchisierend-wertenden Gründen wird

4

Bernhard Tschofen: Vom Geschmack der Regionen. Kulinarische Praxis, europäische

in dieser Studie jeweils nur die männliche Form von Akteuren angegeben. Politik und räumliche Kultur – eine Forschungsskizze. In: Zeitschrift für Volkskunde 103, 2007, S. 169-196, hier S. 181.

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ein öffentliches Forum zur Vermarktung ihres Sortiments5. In der Spezialausgabe Kampf der Regionen des TV-Formats Das perfekte Dinner6 konkurrieren die Kandidaten nicht nur um die Anerkennung individueller Kochkunst, sondern um den lukullischen Triumph der eigenen Landsmannschaft. Und der Südwestrundfunk richtet sein Programm zugunsten von mehr „regionalen Dokumentationen, regionalen Serien, regionaler Kultur und regionaler Comedy“7 neu aus. Ob in Politik, Sport, Kulinarik, Wirtschaft, Medien: Das scheinbar Überschaubare etabliert sich zum universell einsatzfähigen Etikett in verschiedenen Wirklichkeiten. „Das Insistieren auf dem Regionalen“, schreibt Konrad Köstlin, wird „zum Spezifikum der Moderne“8. Eine „neue Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land“9, wie es Humangeograf und Dorfforscher Gerhard Henkel ausdrückt, sowie ein aktuelles Tauglichmachen folkloristischer Ressourcen für den Massengeschmack flankieren diese Popularität des Regionalen. Provinz-Enthusiasmus und ein modisch aufbereitetes Alpenländisches zählen zum Zeitgeist. Die wachsende Fülle an Zeitschriften wie Landlust, Mein schönes Land oder Liebes Land ist dafür ebenso Indiz wie die zur jährlichen Volksfestsaison verstärkt zur Schau getragene Dirndlkollektion der Vielen. Gegenwärtig leben in Deutschland mehr Menschen in Städten als auf dem Land: Natur ist ihnen sakralisiertes Faszinosum, „die Magie der Beschaulichkeit“10 schürt ihre Sehnsüchte nach Ländlichkeit. Seit dem ersten Drittel der 2000er Jahre wurde dieses Phänomen zunehmend auch zu einem literarischen. Die vor allem kriminalistische deutschsprachige Belletristik verschob ihren Fokus ins Rurale. Mit dem Regionalkrimi breitete sich ein neues und absatzkräftiges Genre nahezu inflationär in der Angebotspalette von Buchhandlungen aus. In den letzten zehn Jahren erschienene Romane tragen Titel wie Grießnockerlaffaire, Rosskur oder Tegernseer Seilschaften und

5

Vgl. Studioo GmbH (Hg.): Ålaregional. Das Magazin zum Tag der Regionen. Aalen 2013.

6

Das perfekte Dinner – Kampf der Regionen. Vox. Ausstrahlung am 27.12.2013.

7

Landesdienst Südwest für Baden-Württemberg/Deutsche Presseagentur: SWR-Fern-

8

Konrad Köstlin: Region in europäischen Modernen. In: Beate Binder u.a. (Hg.): Ort.

sehen soll regionaler werden. In: Südwest Presse, 29.06.2013. Arbeit. Körper. Ethnografie Europäischer Modernen. 34. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Berlin 2003. Münster 2005, S. 119-126, hier S. 120. 9

Henning Petershagen: Das große Sehnen. Warum sich viele Menschen ein Leben auf dem Land wünschen und was sie dort erwartet. In: Südwest Presse, 10.08.2013.

10 Andreas Möller: Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird. München 2013, S. 15.

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verorten die Schauplätze ihrer fiktionalen Kriminalfälle nicht länger in Metropolen, sondern in der Region. Verlage kategorisieren die Bücher als OberbayernKrimi, Franken-Krimi oder Sylt-Krimi: Kaum ein geografischer Landstrich Deutschlands firmiert noch als weißer Fleck auf der Landkarte fiktiver Tatorte. Der „Regionalkrimi boomt“11. Vertextlichte Lüftlmalerei, erzähltes Ermitteln in Hüttengaudi-Ambiente vor weiß-rot-karierter Szenerie, Kommissare inmitten von Kuhglockengeläut, hübsch aufbereitete Rustikalität: Der Erfolgskurs des literarischen Regionalen spielt sich ab im Kontext einer seit dem letzten Jahrhundert sich in westlichen Gesellschaften vollziehenden „Ästhetisierung der Lebenswelt“12. Nach Kaspar Maase sei es den Menschen zunehmendes Bedürfnis geworden, Gegenstände und Gewohnheiten des gewöhnlichen Lebensvollzugs ‚schön‘ einzurichten: sinnlich reizvoll und emotional ansprechend, in prägnanter, gefälliger Gestalt und aufgeladen mit symbolischen Botschaften, die dem Dasein eine Dimension jenseits der Alltagspragmatik verliehen. Gesucht und genossen werde, was den Sinnen schmeichle, was Auge und Ohr, Geruch und Tastsinn bezirze.13 Der Genuss von Krimiserien zählt ebenso zu diesem en masse angepriesenen Postulat der Schönheit wie das auf Regionalmärkten feilgebotene Warenangebot, um das Geschichten eines harmonischen Landschaftsgefüges gesponnen werden. Die Attraktivität des Regionalen speist sich aus seiner idealisierenden Erzählung und der veredelnden Präparation seiner Produkte. In der Deutung der gegenwärtigen Durchschlagskraft des Regionalen dominiert das Interpretament der Kompensation. Demnach ist die Begeisterungsfähigkeit eines definierten Nahraums als Komplementärbewegung einer globalisierten, als entgrenzt empfundenen Welt zu verstehen, als Surrogat für den Auflösungsprozess von Traditionen in einer spätmodernen Gesellschaftsordnung14. Infolge der Globalisierung sieht sich das Individuum dem Zugriff abstrakter Systeme ausgesetzt. Konsum und Produktion eines kleinräumig Limitierten versprechen eine Quelle an Stabilität. Kürbiskernöl aus der Steiermark oder Krimis aus

11 Susanne Mutschler: Regionalkrimi boomt. In: Schwäbisches Tagblatt, 19.03.2014. 12 Kaspar Maase: Hunger nach Schönheit. Überlegungen zur Ästhetik des Alltags. In: Binder u.a. 2005, S. 283-290, hier S. 284. 13 Ebd., S. 285. 14 Anthony Giddens: Leben in einer posttraditionalen Gesellschaft. In: Ulrich Beck/Ders./Scott Lash (Hg.): Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse. Frankfurt am Main 1996, S. 113-194.

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Württemberg fungieren als „Wärmflasche“15 in von Mobilitäten und internationalen Verflechtungen durchdrungenen Alltagen. Es ist „Sicherheit in zerbrechlichen Zeiten, die der Truchtlachinger in Truchtlaching und der Meppener in Meppen sucht“16 – oder der Hamburger Leser in Garmisch-Krimis. Auch dann, „wenn hinter der Dorflinde ein Kettensägenkiller, unterm Stammtisch der Gesichtshautabzieher und am Froschteich ein Serienlurch lauert“17: weil sich Dorflinde, Stammtisch und Froschteich mühelos verorten und als Requisiten oder wenigstens Relikte räumlich gebundener Riten und Regelwerke verstehen lassen. Regionalkrimi-Lektüren zelebrieren Entschleunigung und Eskapismus aus dem Entgrenzten und verabreichen in der Postmoderne eingebüßte Geborgenheit in individuell portionierbaren Rationen. Kleine, mit Bodenständigkeit konnotierte Räume verheißen mehr Fassbarkeit als große, komplexe. Regionalkrimis, so Schwarzwaldkrimi-Autorin Uta-Maria Heim, punkten als Waren, „denen wir in jeder Hinsicht gewachsen sind und vorschnell vertrauen“18. Ihren Gebrauch begreift sie als nostalgisch-romantisierenden Müßiggang und ideellen Ersatz für eine ländliche Heimat, in der die einstigen verwurzelnden Strukturen längst verloschen seien und zersiedelten Ortschaften, verlassenen Höfen, verrammelten Kirchen und einem Pendlerdasein der Bewohner Platz gemacht hätten. Das vermeintlich verlässlich-idyllische provinzielle Setting tilgt die Verlorenheit in einer von uneinschätzbaren Größen gesteuerten Wirklichkeit. Laut Maase ist aber der Konsum etwa des zeitgenössisch popkulturell zurechtgemachten Regionalen vor allem auch selbstzweckhaft zu begreifen und dient nicht zwangsläufig dem Ausgleich einer defizitären Existenz: Er wird der ästhetischen Erfahrung und dem Moment des Glücksgefühls wegen vollzogen. Maase argumentiert, dass Handhabe und Erleben schöner Produkte zwar balsamische Wirkung haben können, aber ebenso eine originäre Erfahrung, „die um ihrer selbst willen gesucht und genossen wird“19, offerieren. Auch regionale Romanwelten eröffnen ein Kaleidoskop „des Bunten und Opulenten“, aus dem

15 Hermann Bausinger: Die Region und die Welt: Literatur im globalen Zeitalter. Vortrag im Rahmen des Studium Generale an der Hochschule Aalen am 29.10.2012, eigener Mitschrieb. 16 Axel Hacke: Das Beste aus aller Welt. Süddeutsche Zeitung Magazin (2012) H. 34. 17 Ebd. 18 Uta-Maria Heim: Keine Heimat. In: Stuttgarter Zeitung, 13.11.2013. 19 Kaspar Maase: Der Banause und das Projekt des schönen Lebens. Überlegungen zu Bedeutung und Qualitäten alltäglicher ästhetischer Erfahrung. In: Ders.: Das Recht der Gewöhnlichkeit. Über populäre Kultur. Tübingen 2011, S. 238-271, hier S. 248.

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es „leichte Unterhaltung“, „Wohlfühlfaktor“ und „Heiterkeit“20, Ergötzung und Gefühlsregung zu schöpfen gilt. Als ihre erfolgreichste Ermittlerfigur platzierte sich Kommissar Kluftinger in der deutschsprachigen Regionalkrimi-Landschaft und in den Bestsellerlisten. Das Autorenduo Volker Klüpfel und Michael Kobr beheimatete seinen fiktiven Protagonisten in der real existierenden Allgäuer Gemeinde Altusried. Das ließ den Bekanntheitsgrad einer Region, die bis dato kaum nennenswerte literarische Beachtung erfuhr, rasant in die Höhe schnellen: Eine topografische Bibliografie, die zwischen 1945 und 2000 erschienene deutschsprachige Prosa nach ihren Schauplätzen in Regionen, Ländern, Gebieten oder an Flüssen ordnet, listet von insgesamt rund 6800 Belletristik-Titeln gerade 13 unter dem Schlagwort „Allgäu“.21 Klüpfel und Kobr veröffentlichten seit 2003 sieben Kriminalromane22 der Kluftinger-Reihe: Milchgeld (2003), Erntedank (2004), Seegrund (2006), Laienspiel (2008), Rauhnacht (2009), Schutzpatron (2011) und Herzblut (2013). 2010 erschien Mahlzeit! Das Kluftinger Kochbuch. Reise-, Messe- und Preisverleihungsanekdoten der Autoren sammelt Zwei Einzelzimmer, bitte! Mit Kluftinger durch Deutschland (2011) in Kurzgeschichtenform. Dazu inszenieren sie ihre Bücher bei sogenannten LitComedy-Shows in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die ARD verfilmte bislang die ersten drei Kluftinger-Bände. Im Allgäu machen Kommunen, Unternehmen, Tourismus- und Heimatverbände den literarischen Erfolg mit „Krimitourismus an Originalschauplätzen“23 für sich nutzbar. In Altusried sowie an den weiteren Allgäuer Handlungsorten der Romane in Kempten, Memmingen, Buxheim und Füssen werden KluftingerFührungen angeboten. In Oberstdorf startet eine Kluftinger-E-Bike-Tour, und auf einer mehrstündigen Busfahrt durch das Unterallgäu können gleich sämtliche Schauplätze im Paket erfahren werden. Buchhandel und Fremdenverkehrsämter offerieren Allgäuer Krimi-Landkarten. Der Tourismus-Dachverband Allgäu GmbH und das Allgäuer Brauhaus bedienen sich der Romane als Reklameplattform. Im Internet erteilt der fiktionale Kommissar Ausflugstipps. Die Zweitverwertung über die Belletristik hinaus zeigt die hohe Popularität und den Marktwert der Krimis. Durch Indienstnahme und mediale Transformation der literari-

20 Kaspar Maase: Populäre Kultur als repräsentative Kultur. Auch: Michel im Glück. In: Ders. 2011 (a), S. 228-236, hier S. 236. 21 Monika Stoye: Stadt – Land – Fluss. Eine topographische Bibliographie deutschsprachiger Prosa 1945 bis 2000. Stuttgart 2008. 22 Stand: Januar 2014. 23 Stationen.Magazin. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 01.12.2011.

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schen Figur Kluftinger erhält die Region Allgäu eine neue, (in erster Linie touristisch) konsumierbare Akzentuierung. Die vorliegende Fallstudie fokussiert zeitgenössische kriminalistische Populärliteratur als kulturelle Ressource zur Konstituierung von Räumen. Sie untersucht die Übersetzung des Romannarrativs von der ideellen Vorstellung in performatives Erleben und die Effekte einer Fiktionalisierung von Region und ihrer touristischen Vermarktung. Die Arbeit ethnografiert am Beispiel des Sinnkomplexes „Region Allgäu“ Gebrauchsweisen von Literatur. Sie gründet zum einen auf der Annahme kulturpoietischen Vermögens von Literatur, d.h. ihrem Imstandesein zur kreativen Hervorbringung von Wirklichkeiten. Literarische Texte sind Repräsentations- und Reflexionsmedien kulturell geprägter Raumvorstellungen und qualifiziert zum Entwurf imaginativer Raummodelle, die an der Bedeutungsgenerierung real erfahrbarer Räume teilhaben können. Zum anderen ist der Arbeit ein sozialkonstruktivistischer Raumbegriff wesentlich: „Region“ wird nicht als natürlich existent, sondern vielmehr als produziert und als Montage einer spezifischen Kultur auf einen nach je spezifischen menschlichen Interessen definierten Raum verstanden. „Region“ ist damit nichts universal Definierbares, sondern etwas in verschiedenen Kontexten unterschiedlich Bedeutendes. Der Gebrauch von Populärliteratur zeigt diese mehrdeutige Beschaffenheit von Region. Um die mehrdeutige Beschaffenheit des Komplexes „Allgäu“ beschreiben zu können, gilt es an den einzelnen Produktionsmomenten des Krimi-Kosmos jeweils neu zu fragen: Welche Akteure machen hier Allgäu – und welchen Entwurf von Allgäu gestalten sie? Die Analyse gliedert sich deshalb in drei Zugänge. Der erste Teil betrachtet die literarischen Narrative, die die Kluftinger-Romane entwerfen. Auf eine chronologisch und komparatistisch skizzierte Genese der Sparte Allgäu-Krimi folgt die Erzähltextanalyse der Kluftinger-Serie mit der zentralen Frage nach dem in der Fiktion verhandelten Modell der Region Allgäu – und im Anschluss die Frage nach der Rezeption der Leser. Als Produkte zeitgenössischer Populärkunst eignen sich Allgäu-Krimis als kulturwissenschaftliches Arbeitsfeld: Der Künstler hat einerseits analytische Vorarbeit geleistet und ist Fixateur kultureller Ordnungen, andererseits pointiert, komprimiert und verändert er das von der realen Welt Anheimgestellte und arrangiert es durch eigene kreative Zugabe neu.24 Die Kriminalliteratur bildet da-

24 Martin Scharfe hat dieses Vorgehen am Beispiel von Gemälden ausgeführt und nachgewiesen, wie Künstlerbilder von den Alpen historisch-kulturelle Realität des Alpinen repräsentieren. Vgl. Martin Scharfe: Bilder aus den Alpen. Eine andere Geschichte des Bergsteigens. Köln/Weimar/Wien 2013.

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her nicht nur ein vermeintlich existentes, wirkliches Allgäu ab, sondern macht erzählte Allgäu-Wirklichkeiten der Erkenntnis zugänglich. Die Romananalyse orientiert sich an raumtheoretischen Ansätzen aus den Kulturwissenschaften. Das ermöglicht, zwischen dem Text und seinem Gebrauch Verbindungen herzustellen. Denn in ihrem zweiten Teil befasst sich die vorliegende Studie mit medialer Transformation und Inanspruchnahme der Allgäu-Krimis. An den Allgäuer Handlungsorten werden die literarischen Raumnarrative als touristisch konsumierbare, mündlich-visuelle Formen von Medialität und als kulturelle Praktiken wie Wanderungen und Führungen aufbereitet. (Fiktionalisierte) Orte werden so zu Orten des Interesses gemacht. Bei dieser Neu-Formierung auf einer performativen Ebene erfahren die literarischen Raumarchitekturen einen Wandel: Sie werden ästhetisch aufbereitet, kontextualisiert, umgedeutet oder selektiv auf einzelne Elemente reduziert. Diese Veränderungen divergieren an den jeweiligen Aufführungsorten. Besondere Aufmerksamkeit gilt deshalb den akteursspezifischen Nutzungsstrategien so transkribierter Raumnarrative und den branchenübergreifenden Synergien, auf die diese zielen. Gemeinden, Institutionen, Verbände und Unternehmen verfolgen je unterschiedliche Intentionen, Stellenwert und Bedeutung von Kriminalliteraturtourismus und Krimi-konnotierten Marketingaktionen gestalten sich heterogen. Wesentlich ist ebenso die Perspektive von Touristen, Teilnehmern und Konsumenten dieser transmedial ausformulierten Regionalkriminarrative, ihre variierenden Motivationen, an jenen Angeboten zu partizipieren und ihre individuellen Wahrnehmungsweisen der präsentierten Krimi-Region. Berücksichtigung findet dabei die postmoderne Hochkonjunktur körperlich-sinnlicher Teilhabe an Illusionswelten und eine zunehmenden Genuss- und Eventorientierung. Gleichermaßen wird ein Verständnis jener Akteure nicht als passive Abnehmer, sondern als aktive Mitgestalter von Raum vorausgesetzt. Durch Ermitteln von Taktiken und Rhetoriken touristischen Gehens lassen sich Aussagen darüber treffen, wie Benutzer institutionell vorkonzipierte topografische Systeme außer Kraft setzen, sich durch kreative Umgangsweisen Räume aneignen sowie Raumgeschichten durch ihre Praktiken aktualisieren. Im performativen Moment von Literatur lassen sich Konstruktionen von Region entschlüsseln. Ferner ist das Mobilisieren der Literatur zu Reklamezwecken Thema – und auch dabei liegt besonderes Augenmerk auf qualitativen Eingriffen ins Ausgangsnarrativ. Bilanzierend und synthetisierend behandelt der dritte Abschnitt der Studie das Zusammenspiel der fiktionalisierten Krimi-Region mit dem pluralen Raumgefüge Allgäu. Texte unterschiedlicher schriftstellerischer Provenienz, literarisch ausgehandelte Raumordnungen und variable Weisen des Einsatzes literarischer

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Ressourcen stellen die literarisch semantisierte Region Allgäu als Benutzeroberfläche für viele zur Verfügung. Autoren, Touristiker, Unternehmer, Reisende und Einheimische, Gegner und Fans sind involviert in die Justierung des belletristischen Rohstoffs. Dabei entsteht eine Diversität an Raumnarrativen sowohl auf verschiedenen Akteurs- als auch medialen Ebenen, die mitunter konfligieren können. Darüber hinaus schmiegen sich die literarischen Raumgeflechte ins Netz weiterer Herstellungsverfahren von „Allgäu“, tangieren diese, fusionieren mit ihnen oder treten zu ihnen in Konkurrenz. Im finalen Brennpunkt steht deshalb der qualitative Anteil literarischer Raumnarrative an der Herausbildung eines Palimpsestcharakters von Region. Die vorliegende Studie bedient sich fiktionaler Erzählungen als Quelle. Anhand deren Gebrauch bemisst sie Machbarkeit und Veränderlichkeit von Raum durch Literatur. Insbesondere eruiert sie die Handlungspraktiken und facettenreiche Teilhaberschaft spezifischer Akteure auf spezifischen Ebenen an der Herausbildung und Variation von Raumnarrativen. In der Beheimatung von literarischen Narrativen in verschiedenen Medien zeigen sich die Inexistenz einer einseitigen Lesart sowie die Gleichzeitigkeit von Regionsentwürfen. Allgäu reloaded steht für eine Ethnografie von Raumnominierungen: Beschrieben wird im Folgenden, wie „Region“ und konkret „Allgäu“ stets nur als plural konstituiert denkbar sind und künstlerische Werke dies sowohl aufzeigen als auch mitbedingen.

1.2 M ETHODEN Die Rekonstruktion literaturinduzierter Konstituierungsprozesse von „Allgäu“ stützt sich auf mittels empirischem Methodenpluralismus gewonnenes Datenmaterial und seine theoriegeleitete Einordnung. Die Kriminalromane werden nach kulturwissenschaftlichen Raumtheorien ausgewertet. Die Krimi-Leser25 werden nicht als bloß konsumierende Gegenparts der literarischen Raumproduzenten begriffen, sondern als am System der Regionengenese beteiligte und deshalb

25 Alle im Rahmen dieser Studie geführten Interviews werden in literarischer Umschrift wiedergegeben, vor allem um die teilweise auftretende, zur Einordnung der Akteure wichtige dialektale Färbung der Aussagen nicht zu tilgen – mitunter sind Zitate der besseren Lesbarkeit wegen aber auch angeglichen. Vgl. Sabine Kowal/Daniel C. O’Connell: Zur Transkription von Gesprächen. In: Uwe Flick/Ernst von Kardorff/Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek 2008, S. 437-447.

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nicht repräsentativ, aber ergänzend zu befragende Raum-Mitkonstrukteure bereits auf einer ideellen Ebene. Dies verhindert eine monologische Bedeutungsfixierung der Romane und forciert „ein Modell vom kollektiven, polyphonen Charakter sprachlicher und insbesondere literarischer Produktion“26, bei dem der Interpret „aktiver Teil der allgemeinen Vernetzung“27 ist. Die Bedeutung von Milchgeld oder Erntedank zurrt nicht der Text allein fest, sondern sie ändert sich abhängig von den „Umstände[n] ihrer Aufführung, [den] Vorstellungen ihres Publikums“28 und der Umgebung. Die Romane sind deshalb „als Kraftfelder, als Orte des Meinungsstreits und changierender Interessen“29 zu verstehen. In leitfadengestützten Experten-Interviews30 kommen Veranstalter, Anbieter und Vermarkter der Allgäuer Krimitourismus-Angebote zu Wort. Durch teilnehmende Beobachtung31 und aus dem dabei verfassten Feldtagebuch lassen sich Grammatiken der Führungen und Praktiken ihrer Teilnehmer weiter erschließen. Ethnografische Interviews32 mit den Krimi-Touristen erfassen je eigene Aneignungsweisen von Region. Diese fanden gemäß einem methodologischen Vorschlag Melanie Kedings und Carmen Weiths33 während der Teilnahme an KrimiFührungen und beim Erlaufen der Kluftinger-Routen statt. Sogenannte bewegte Interviews, bei denen der Forscher seine Gesprächspartner in ihrem Fort- und Umherkommen begleitet, stellen die körperliche Präsenz von Akteuren an literarischen Schauplätzen zentral und machen deren aktiv-kreatives Allgäu-Erleben nachvollziehbar. Wie Keding und Weith anhand von Modellstudien nachgewie-

26 Moritz Baßler: Einleitung: New Historicism – Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. In: Ders. (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Tübingen/Basel 2001, S. 7-28, hier S. 17. 27 Ebd. 28 Stephen Greenblatt: Die Formen der Macht und die Macht der Formen in der englischen Renaissance (Einleitung). In: Baßler 2001 (a), S. 29-34, hier S. 30. 29 Ebd., S. 33. 30 Vgl. Brigitta Schmidt-Lauber: Das qualitative Interview oder: Die Kunst des RedenLassens. In: Silke Göttsch/Albrecht Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Berlin 2001, S. 165-186. 31 Vgl. Brigitta Hauser-Schäublin: Teilnehmende Beobachtung. In: Bettina Beer (Hg.): Methoden und Techniken der Feldforschung. Berlin 2003, S. 33-54. 32 Vgl. Judith Schlehe: Formen qualitativer ethnographischer Interviews. In: Beer 2003, S. 71-93. 33 Melanie Keding/Carmen Weith: Bewegte Interviews im Feld. In: Christine Bischoff/ Karoline Oehme-Jüngling/Walter Leimgruber (Hg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 131-142.

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sen haben, entfaltet gerade die Bewegung vor Ort katalysatorische Wirkung zur Kommunikation von Emotionen, Raum-Semantisierungen, sinnlichen und leiblichen Aspekten. Zur Ethnografie von Umgangsweisen mit Literatur ist zudem ertragreich, von den Kluftinger-Führungen nicht lediglich verbale Daten und Gesehenes zu dokumentieren, sondern vielmehr sämtliche Sinne „als integralen Bestandteil [des] methodologischen Instrumentariums zu erkennen und zu nutzen“34. Der Einbezug des von Forscherin und Teilnehmenden Geschmeckten, Gerochenen, Gefühlten und Gehörten gestattet, eine mögliche Determiniertheit subjektiver wie kulturell eingeübter Raumaneignungspraktiken von sinnlicher Wahrnehmung zu berücksichtigen. Stimmen aus Verlagen und Buchhandel, Milchwirtschafts- und Hotelbranche, aus dem Rathaus, von Autoren und Reisejournalisten veranschaulichen die „Vielfalt komplexer, oft übereinandergelagerter oder ineinander verwobener Vorstellungsstrukturen“35 im Umgang mit Literatur und erlauben eine dichte Beschreibung von regionalen Aushandlungsprozessen. Das vermeidet ein hierarchisches Gewichten der Intentionen von Regionen-Machern gegenüber jenen von Regionen-Konsumenten. Die Handhabe der spezifischen methodischen Instrumentarien richtet sich nach dem Postulat der Mobilität. Zum einen machen sowohl die allgäuweit verstreuten Krimitourismus-Angebote, ihre Bewegung und Performanz voraussetzende Praxis und die multilokal involvierten Akteure „eine nicht mehr an einen einzigen Platz gebundene Feldforschung“36 unabdingbar. Zum anderen ist zur Beschreibung von Literaturgebrauch eine Konzentration auf die Mobilitäten von Narrativen essenziell. Deren transmediales Zirkulieren gilt es zu verfolgen, ihre Routen nachzuzeichnen, ihre Spuren in Texten wie Landschaften freizulegen und ihre Anreicherungen durch Wissensbestände (über-)regionaler Herkunft und

34 Regina Bendix: Was über das Auge hinausgeht: Zur Rolle der Sinne in der ethnographischen Feldforschung. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 102 (2006), S. 71-84, hier S. 72. 35 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: Ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt am Main 1987, S. 7-43, hier S. 15. 36 Gisela Welz: Moving Targets. Feldforschung unter Mobilitätsdruck. In: Reinhard Johler/Bernhard Tschofen (Hg.): Empirische Kulturwissenschaft. Eine Tübinger Enzyklopädie. Ein Reader des Ludwig-Uhland-Instituts (= Untersuchungen des LudwigUhland-Instituts der Universität Tübingen, 100. Bd.). Tübingen 2008, S. 203-218, hier S. 209.

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importierte individuelle Imaginationsmitbringsel ihrer reisenden Rezipienten zu entdecken. Untersucht wird – einer Geertzschen Auflage37 verpflichtet – nicht das, sondern Artikulationen von Raum im Allgäu.

1.3 F ORSCHUNGSSTAND Die Kritik an einer Hegemonie des Faktors Zeit und das Plädoyer für einen Spatial Turn ab dem Ende des letzten Jahrhunderts haben inzwischen transdisziplinär zu einer gewissen Raumbegeisterung geführt, die sich in einer Fülle von spatial orientierten Fallanalysen bemerkbar macht. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kategorie „Raum“ zweifellos den Status eines „kulturwissenschaftlichen Dauerbrenners“38 innehat. Jüngste Studien gerade auch in Fachbereichen, die Interesse für literarische Texte hegen, inspirieren aber neue Ansätze, Kontextualisierungen und Definitionen von Räumen. Aktuelle Arbeiten beschäftigen sich etwa mit interkulturellen Kontakten und Konflikten im literarischen Sozialraum, besprechen Realitätseffekte und Reflexionspotenzial von Fiktion und diskutieren die Vereinbarkeit von Literatur- und Kulturwissenschaft in der Erzähltextuntersuchung.39 Andere ermuntern die Literaturtheorie zu einer Wiederentdeckung des Stimmungsbegriffs und fokussieren im Kontext einer Paradigmenallianz aus Spatial Turn und der sogenannten neuen Emotionsforschung literarische Gefühlsräume40 oder rücken, im Spannungsfeld einer Revision des Kartenbegriffs, von Topological und Topographical Turn, literarische Texte als Kartografien darstellende und neuartige räumliche Aufschreibesysteme – wie

37 Geertz 1987, S. 32. 38 Michael C. Frank u.a.: Räume – Zur Einführung. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften (2008), H. 2, S. 7-16, hier S. 8. 39 Marius Ritter: Kulturelle Reproduktion, Aneignung und Deplatzierung im sozialen Raum literarischer Welten. Tübingen 2014, Hochschulschrift: https://publikationen. uni-uebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/47113/pdf/Dissertation_Marius_Ritter. pdf?sequence=1&isAllowed=y (Zugriff: 22.01.2015). 40 Z.B. Ines Theilen: Der Grenzraum als literarische Landschaft: Eine lesende Durchquerung von Raoul Schrotts Die Wüste Lop Nor. In: Gertrud Lehnert (Hg.): Raum und Gefühl. Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung. Bielefeld 2011, S. 336345.

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z.B. Online-Netzwerke – thematisierende Medien ins Zentrum der Aufmerksamkeit.41 In der volkskundlich orientierten Germanistik und ihren Nachbardisziplinen allerdings äußert sich ab Anfang der 1990er Jahre die Wiederentdeckung des Gegenstands Region vor allem durch eine hohe Zuwachsrate von regionalen Literaturgeschichtsdarstellungen.42 Die Frage nach einem Zusammenhang von Literatur und Region stellt dort zumeist die Rekonstruktion soziokultureller Bedingungen von Schreiben in geografisch definierten Räumen, die stoff- und stilbildende Einflussnahme von schriftstellerischer Landesansässigkeit und die determinierende Macht der regionalen Lebenswelt auf die mediale Publizität in den Mittelpunkt.43 Regionale Literaturgeschichtsschreibung geht daher häufig mit literaturwissenschaftlicher Regionalisierung einher: Sozialgeschichtlich ausgerichtete Beiträge laufen Gefahr, die Denkfigur von eingrenzbaren literarischen Kulturen zu bemühen und für die Forschung selbst einen Identitätsbewahrungsimpetus und eine Retterrolle zu reservieren: „Sie soll helfen, die versunkenen Literaturlandschaften gleichsam wiedererstehen zu lassen [...].“44 Andere aktuelle Überlegungen betonen dagegen den Konstruktcharakter sowohl von Literatur als auch Region und den Quellenwert regionaler Literaturgeschichtsschreibung für Stoff- und Motivhistorie,45 oder sie beleuchten das literarische Potenzial bei Stereotypisierungen und Identitätsherstellungsprozessen.

41 Franziska Sick (Hg.): Stadtraum, Stadtlandschaft, Karte. Literarische Räume vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Tübingen 2012. 42 Z.B. das Projekt Schwabenspiegel, das in Ausstellung, Katalog mit Autorenlexikon und Aufsatzsammlung die Entstehungsbedingungen von Literatur und das Œuvre von Literaturschaffenden in Württemberg über knapp 2000 Jahre nachvollzieht. Ulrich Gaier/Monika Küble/Wolfgang Schürle: Schwabenspiegel: Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1000-1800, Bd. 1 und 2. Ulm 2003. 43 Z.B. Klaus Hermsdorf: Regionalität und Zentrenbildung: kulturgeographische Untersuchungen zur deutschen Literatur 1870-1945. Frankfurt am Main 1999; Alexander Ritter (Hg.): Literaten in der Provinz – provinzielle Literatur? Schriftsteller einer norddeutschen Region. Heide in Holstein 1991. 44 Jens Stüben: ‚Regionale Literatur‘ und ‚Literatur in der Region‘. Zum Gegenstandsbereich einer Geschichte der deutschen Literatur in den Kulturlandschaften Ostmitteleuropas. In: Instytut Filologii Germańskiej der Uniwersytet Opolski (Hg.): Regionalität als Kategorie der Sprach- und Literaturwissenschaft. Frankfurt am Main 2002, S. 5175, hier S. 55. 45 Jürgen Thaler: Erkundungen im ländlichen Raum. Regionale Literaturgeschichte am Beispiel Vorarlberg. In: Gertrude Cepl-Kaufmann/Georg Mölich (Hg.): Konstrukti-

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Wo allerdings in der Germanistik Differenzierungsdebatten zwischen Literatur in einer Region, Literatur aus einer Region, regional verorteter Literatur, regionaler Literatur, Regionalliteratur, regionalistischer, Provinz- und Heimatliteratur ausgetragen werden, wird potenziellen Transformationsprozessen des literarisch repräsentierten Regionalen meist marginal und nebensächlich Beachtung zugestanden, etwa in Form eines absolutierend formulierten Axioms: „Wie überhaupt (und nicht nur in Bayern) die Literarisierungen von Regionen zu tourismusförmigen Umgestaltungen der Regionen führen, will man die Gäste doch mit jenem literarisch […] produzierten Bild von sich befriedigen, für das sie ja schließlich bezahlen.“46 Die ethnologisch-volkskundliche Auseinandersetzung mit dem räumlichen Gestaltungspotenzial fiktionaler Texte ballt sich um ein Fallbeispiel von weltweiter Berühmtheit: die Heidi-Romane der Schweizer Schriftstellerin Johanna Spyri. Die transmediale Umformung der literarischen Figur und ihre Ingebrauchnahme als Raumbotschafterin und semantisches Fundamt für das Arrangement lebensweltlicher Räume sind Thema zahlreicher Abhandlungen im Fach.47 Sonst tauchen Fallstudien, die sich um konkretes Einwirken literarischer Schöpfung auf regionale Wirklichkeiten kümmern, in der bisherigen Fachgeschichte eher punktuell auf.48 Zum aktuellen Portfolio der Kulturwissenschaften zählt allerdings durchaus die Ethnografie des Erleb- und Bereisbarmachens traditioneller Erzählstoffe;49 oder etwa das Verräumlichen von Sagen- und Lektürensujets50 ist Thema an der interdisziplinären Schnittstelle „Medienwandel“51.

onsprozesse der Region in europäischer Perspektive. Kulturelle Raumprägungen der Moderne. Essen 2010, S. 267-276. 46 Jürgen Joachimsthaler: Die Literarisierung einer Region und die Regionalisierung ihrer Literatur. In: Instytut Filologii Germańskiej der Uniwersytet Opolski 2002, S. 1849, hier S. 48. 47 Beispielhaft sei hier genannt: Ueli Gyr: Heidi überall. Heidi-Figur und Heidi-Mythos als Identitätsmuster. In: Ethnologia Europaea. Journal of European Ethnology 29 (1999), H. 2, S. 75-95. 48 Z.B. Andrea Kiendl: Die Lüneburger Heide. Fremdenverkehr und Literatur. Berlin/Hamburg 1993. 49 Dorothee Hemme: Märchenstraßen – Lebenswelten. Zur kulturellen Konstruktion einer touristischen Themenstraße. Münster 2009. 50 Susanne Hose: Krabat – Zauberlehrling, Hoffnungsträger, Markenname. Die multimedialen Verwandlungskünste einer sorbischen Sagengestalt. In: Christoph Schmitt (Hg.): Erzählkulturen im Medienwandel. Münster 2008, S. 307-324. 51 Christoph Schmitt: Einleitung. In: Ders. 2008 (a), S. 11-18, hier S. 11.

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Die Genese literarisierter Regionen erfährt mit der 2008 erstmals veröffentlichten Dissertation Barbara Piattis52 einlässliches Augenmerk aus literaturwissenschaftlich-komparatistischer Perspektive: Sie verfolgt gerade nicht die Prüfung gesellschaftlich-historischer Voraussetzungen kulturräumlich gedachter Literaturproduktion. Stattdessen sind die in Germanistik respektive Literaturgeschichtsschreibung lange vernachlässigten epischen (und mitunter dramatischen und lyrischen) Handlungsräume und insbesondere die Reaktionen und Rückwirkungen fiktiver Werke auf die dargestellten empirischen, außerliterarischen Landschaften von forschungsleitendem Belang. Piatti wirbt für eine literaturgeografische Herangehensweise: Ein solch transdisziplinärer Zugriff soll nach den Schauplätzen von Literatur, ihrem Bezug zu einer lebensweltlichen Entsprechung und den poetologischen Gründen ihrer Wahl fragen, nach dem Fassonieren geografischer Räume durch Literatur und den Aufgaben, die erzählte Räume im Plot übernehmen, nach dem topografischen Charakter von Romanen, Dramen oder Gedichten und danach, wie man fiktionalisierten Landschaften interpretierend gegenübertritt. Methodisch setzt Piatti auf ein Kartografieren literarischer Werke, d.h. auf das akurate Sichtbarmachen ihrer Schauplätze, Handlungszonen und Figurenwege auf geografischen Verzeichnissen.53 Damit stützt sie sich auf das über eine Dekade vorher von Franco Moretti vorbereitete interdisziplinäre Konzept. Moretti argumentiert, „daß die Geographie eine entscheidende Rolle beim Zustandekommen von Literatur spielt: als aktive und konkret einwirkende Kraft, die in Texten und ihren Querverbindungen sowie in den Erwartungshaltungen ihre Spuren hinterläßt“54. Mit dem Ziel, einen letztlich historischen, weil einen ganzen Korpus von Texten darstellenden Atlas des europäischen Romans zu erstellen, schlägt er vor, Landkarten zur Analyse epischer Texte zu nutzen, um neue Deutungshorizonte zu eröffnen. Beispielsweise erstellt Moretti Stadtpläne von London, die die Mord- und Deliktorte der Sherlock-Holmes-Geschichten markieren. Sein Ergebnis: Diese Tatorte liegen abseits der Terrains mittelloser Milieus:

52 Barbara Piatti: Die Geographie der Literatur. Schauplätze, Handlungsräume, Raumphantasien. Göttingen 2008. 53 Piattis Vorschlag einer Literaturgeografie bildet die Grundlage eines seit 2006 am Institut für Kartografie und Geoinformation der ETH Zürich umgesetzten Forschungsprojekts. Sein Ziel ist, einen interaktiven literarischen Atlas Europas zu entwickeln. Literaturatlas.eu: http://www.literaturatlas.eu (Zugriff: 26.01.2015). 54 Franco Moretti: Atlas des europäischen Romans. Wo die Literatur spielte. Köln 1999, S. 13.

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„Die Detektivstory braucht hingegen das Verbrechen als Rätsel: das merkwürdige, unerhörte Ereignis, den ‚Fall‘, das ‚Mysterium‘, das ‚Abenteuer‘. Und das kann es nur fern der Welt der Armen geben, im London der Grand Hotels, der Häuser am Parkrand, der Banken voller Goldbarren, der Ministerien, der Staatsgeheimnisse. Die Detektivstory bewegt sich mit Vorliebe in den privilegierten Gegenden, den immergleichen Straßen, Häusern und Vierteln der Silver for novels.“55

Literarische Raumanalyse, das wird hier exemplarisch deutlich, unterstreicht im Kartografieren erst Topografien – und zieht selbst Grenzen. Entsprechend verfährt Piatti in ihrer Studie mit fünf Texten, deren Entstehung sich über einen Zeitraum von 200 Jahren ausbreitet: angefangen bei Schillers Wilhelm Tell bis hin zu Christina Viraghs Roman Pilatus aus dem Jahr 2003. Gemeinsam ist ihnen allen ein im Gebiet Vierwaldstättersee angesiedeltes Narrativ. In der Synthese der einzelnen Mapping-Verfahren entsteht ein Landkartensegment der Zentralschweiz als Modell einer – vielfach – fiktionalisierten Region. Barbara Piattis Plädoyer für eine Literaturgeografie ist für eine ethnografisch nachzuvollziehende wissenschaftliche Gegenstandsschnittmenge Literatur/Raum deshalb substanziell, weil es den Überzug des „Georaum[s]“56 durch den „Textraum“57 und das Einschreiben differenter fiktiver Topografien in erdräumliche Realitäten prominent herausstellt. Doch gerade seine semi-geografische Ausrichtung prononciert quantitative Aussagen z.B. über Schauplatzdichte und Ballungszentren von Handlungsorten. Zudem gewährleistet seine Konzentration auf territoriale Wirklichkeiten, denen sich künstlerische Metaebenen einlagern, in Kombination mit seinem phänomenologisch orientierten Raumbegriff lediglich die Analyse vielfältiger Schilderungen literarischer und literarisierter naturräumlich-physischer Landschaften wie Berg, See oder die Stadt Luzern. Ziel des literaturgeografischen Projekts ist eine „zusammenfassend[e] [Hervorhebung i.O.]“58 Charakterisierung des Bereichs Vierwaldstättersee im Sinne „eines Profils dieser fiktionalisierten Landschaft“59 – also eine Texte und Narrative verschiedener (zeitlicher) Provenienz zusammenfügende Beschreibung einer räumlichen Entität. D.h. auch eine solche Literaturgeografie operiert in ihrem Resümee Raumeinheiten bildend und verfugend, soziale und kulturelle Anteile an artifizieller und realweltlicher Raumproduktion werden hintangestellt.

55 Ebd., S. 174. 56 Piatti 2008, S. 23. 57 Ebd. 58 Ebd., S. 261. 59 Ebd.

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Wohl aber öffnet Piatti den Blick auf die transmediale Wandelbarkeit und Inanspruchnahme künstlerisch dargestellter Räume. In einem Exkurs über „Literaturtourismus als kulturelle Technik“60 beschreibt sie das sich ab dem 18. Jahrhundert entwickelnde Vergnügen am Bereisen literarischer Schauplätze. Friedrich Schillers Stück Wilhelm Tell etwa entwickelte sich „zum Reiseführer“61 für den Vierwaldstättersee. Im Zuge des „Dramentourismus“62 wurde eine bereits asphaltierte Straße 1937 Schillers Bühnenanweisung gemäß zur Hohlen Gasse im mittelalterlichen Stil umgearbeitet.63 Laut Piatti ist die Bestsellerqualität des Referenztextes unabdingbare Voraussetzung für die Erschließung von Literaturtourismusräumen und die Rückübersetzung der fiktionalisierten Topografien in Wirklichkeit für Leser/Reisende Freude bereitender Faktor; seit den 1990er Jahren ist ein boomhafter Anstieg des literarischen Reisens und eine wachsende Popularität der Besichtigung von Film-Drehorten zu beobachten. Aus kulturwissenschaftlichem Blickwinkel entstanden in den vergangenen Jahren dazu einige praxeo- und ethnografische Untersuchungsansätze.64 Und im Alpengebiet? Auch bei der kulturwissenschaftlichen Erforschung der Berge kommt deren Qualität als fiktionalisierte Landschaft zunehmend Relevanz zu. Volkskundlich-ethnologische und verwandte germanistische Arbeiten betonen die Beteiligung literarischer Werke und medialer Vermittlung beim Wandel konventionalisierter und kollektiver Alpenvorstellungen:65 Dass das Gebirge ab

60 Ebd., S. 267-298. 61 Ebd., S. 280. 62 Ebd., S. 282. 63 Ebd. 64 Katharina Panteleits hat Stadtführungen in Rom teilnehmend beobachtet, die den Spuren von Dan Browns Thriller Illuminati folgen: Katharina Panteleit: Literaturtourismus: Auf den Spuren der Illuminati in Rom. In: Ramona Lenz/Kirsten Salein (Hg.): Kulturtourismus. Ethnografische Recherchen im Reiseraum Europa. Frankfurt am Main 2009, S. 257-277, hier S. 266. Anja Saretzki fokussiert Strategien der Vermarkter und Tourismus-Anbieter, wenn sie dem Destination-Branding der Heide-Stadt Lüneburg zum erleb- und konsumierbaren Spiel- und Drehort der Fernsehserie Rote Rosen seit 2006 nachgeht: Anja Saretzki: Destination Building und Destination Branding als räumliche Konstruktionsprozesse. In: Karlheinz Wöhler/Andreas Pott/Vera Denzer (Hg.): Tourismusräume. Zur soziokulturellen Konstruktion eines globalen Phänomens. Bielefeld 2010, S. 271-294. 65 Z.B. Matthias Stremlow: Die Alpen aus der Untersicht. Von der Verheissung der nahen Fremde zur Sportarena. Kontinuität und Wandel von Alpenbildern seit 1700.

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Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich nicht mehr als Terrain des Schreckens standardisiert, sondern als Sehnsuchtslandschaft und anti-urbane Kulmination des Erhabenen und Unversehrten idealisiert wird, ist auch Resultat fiktiver Beschreibungsmuster – so der gegenwärtige Forschungskonsens. Darüber hinaus betonen aktuelle Studien ein Interpretament des alpinen Gebiets als von Mobilitäten geprägtes, globalen Einflusskräften ausgesetztes Gefüge, hinterfragen verfestigte, kulturkritisch eingeübte, wissenschaftlich gewahrte, industriell veräußerte und neu installierte Deutungsschablonen etwa des Authentischen und Idyllischen, fokussieren tourismusinduzierte Inszenierungen und Definitionsprozesse sowie sich ändernde Raumwirklichkeiten in den Bergen.66 Das Allgäu, zwar nur randalpin, aber doch ursprünglich-alpenländisch codiertes populäres Label, ist spärlich beachteter Gegenstand neuerer kulturwissenschaftlicher Ethnografie. Punktuell beschäftigten sich Studien mit dem Allgäuer Fremdenverkehr und seiner Einflussnahme auf Alltage und Identitätsenwicklung.67 Entstehung und Konkurrenz unterschiedlicher Raumvorstellungen und wirkmächtiger Allgäu-Images deuten sie immerhin an: „So wenig es trotz dieses Arsenals von Stereotypen und Klischee-Versatzstücken in der Realität ‚den Allgäuer‘/‚die Allgäuerin‘ gibt, so wenig gibt es ‚das Allgäu‘“68, heißt es dort. Gattungsspezifische Fragestellungen existieren kaum: Systematiken und Arbeiten über zeitgenössische Kriminalliteratur v.a. auch deutschsprachiger Provenienz sind rar. Vorhandene Ausnahmen sparen eine Narratologie des erzählten Raums nahezu aus, beschränken sich auf knappe Bemerkungen zu Schauplätzen oder gestehen ihnen höchstens Kulissenfunktion zu.69 In der Germanistik wird erst in den letzten beiden Dekaden das Anliegen, „den Kriminalroman als Litera-

Bern/Stuttgart/Wien 1998; Wolfgang Hackl: Eingeborene im Paradies. Die literarische Wahrnehmung des alpinen Tourismus im 19. und 20. Jahrhundert. Tübingen 2004. 66 Exemplarisch: Marius Risi (Hg.): Alpenland. Terrain der Moderne. Münster 2011; Kurt Luger/Franz Rest (Hg.): Der Alpentourismus. Entwicklungspotenziale im Spannungsfeld von Kultur, Ökonomie und Ökologie (= Tourismus: transkulturell und transdisziplinär, Bd. 5). Innsbruck 2002; Bernhard Tschofen: Berg, Kultur, Moderne: Volkskundliches aus den Alpen. Wien 1999. 67 Manfred Kühn: Fremdenverkehr und regionale Entwicklung. Perspektiven der Regionalisierung ländlicher Kultur durch „sanften Tourismus“. Kassel 1994. 68 Dieter Herz: Hindelang und seine Gäste. Zum Verhältnis zwischen Einheimischen und Urlaubern in einem Oberallgäuer Fremdenverkehrsort. Weißenhorn 1993, S. 213. 69 Peter Nusser: Der Kriminalroman. Stuttgart 2003; Ira Tschimmel: Kriminalroman und Gesellschaftsdarstellung. Eine vergleichende Untersuchung zu Werken von Christie, Simenon, Dürrenmatt und Capote. Bonn 1979.

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turform ernstzunehmen“70, und ihm deshalb sowohl Reflexionskompetenzen sozialer Bedingungen als auch die Evokation ästhetischer Erfahrung zuzubilligen, dezidierter formuliert. Und im Zuge dessen erscheint allmählich, vereinzelt und als Objekt eines exkursorischen Seitenblicks der Genre-Ableger Regionalkrimi, eingeordnet als „Neuerung im deutschen Kriminalroman der späten achtziger Jahre“71, rund ein Jahrzehnt nach dieser angeblichen Entstehungszeit auf der literaturwissenschaftlichen Bildfläche. Erste Arbeiten etwa zu „Poetik und Entwicklung des Regionalismus in der Kriminalliteratur am Beispiel Westdeutschlands“72 gehen aber über das oberflächliche, quantifizierende Auflisten einiger regionenmachender Erzählmerkmale wie Dialekt, Orts- und Landschaftsbeschreibungen nicht hinaus. Die 2009 erschienene und bis dato umfangreichste Typengeschichte des Kriminalromans behandelt schließlich ausführlich die in zeitgenössischen Werken aus dem deutschsprachigen Raum entfaltete „[m]örderische Provinz“73 und insistiert auf die Relevanz von Lokalkolorit: Die Fälle von Felix Hubys Kommissar Bienzle, der so schwäbisch sei, dass er vermutlich noch im Dialekt träume,74 seien „ohne die lokale Komponente, ohne das Provinzielle nicht vorstellbar – und ihre Lösungen sind es schon gar nicht“75. Den epistemologischen Wert der immer weiter boomenden Populärkultursparte Kriminalroman würdigt eine interdisziplinäre Zusammenstellung zur „Geschichte im Krimi“76. Das Genre hat dort Indikatorfunktion für differente Kriminalitätskonzepte und Geschichtsbilder sowie deren konstruktivistische Qualität, der Ermittler gilt als Allegorie für Prozesse des Verstehens. „Historische Kriminalromane dienen nicht explizit und intentional der Vermittlung historischen Wissens, doch sie transportieren quasi als Nebeneffekt ihres kriminalistischen Plots mehr oder weniger gesichertes Wissen über die Vergangenheit, vor allem wenn die

70 Karin Tantow-Jung: „Wachhund und Narr“. Gesellschaftskritik im Kriminalroman der Gegenwart am Beispiel der Werke Richard Heys. St. Ingbert 1997, S. 52. 71 Ebd. 72 Silke Leuendorf: Der Regionalkrimi im Westen von Deutschland. Poetik und Entwicklung eines Genres. Saarbrücken 2008, S. 1. 73 Jochen Schmidt: Gangster, Opfer, Detektive. Eine Typengeschichte des Kriminalromans. Hillesheim 2009, S. 984. 74 Ebd., S. 971. 75 Ebd., S. 973. 76 Barbara Korte/Sylvia Paletschek (Hg.): Geschichte im Krimi. Beiträge aus den Kulturwissenschaften. Köln/Weimar/Wien 2009.

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Textgestaltung durch Detailreichtum oder gar Glossare den Eindruck sorgfältiger Recherche erweckt“77,

heißt es im Vorwort. Entsprechende erkenntnistheorethische Qualitäten räumlicher Entwürfe gilt es ebenso auszuloten. Maike Schmidt beschäftigt sich mit der Mischform des historischen Regionalkrimis und vermerkt zwar so knapp wie verkürzend, dass beide Muttergattungen – Regional- und historischer Krimi – als „Träger von Wissen und Bildung“78 fungierten und dass das Subgenre des historischen Regionalkrimis das regionalgeschichtliche Wissen der Leser erweitere.79 Sie argumentiert jedoch richtig, dass beide Ausgangsgattungen „Authentizitätssignale“80 aus der außerliterarischen Vergangenheit und Region einsetzten, „die den Lesern Referenz- und Orientierungspunkte bieten“81. Auch erste wissenschaftliche Reaktionen auf den Genreableger und Verkaufserfolg Skandinavienkrimi82 klammern die Bedeutung des Faktors Raum aus. Erst jüngst konzentriert sich Franziska Schneider auf die fiktiven spatialen Gefüge in Schwedenkrimis. Für die Skandinavistin und Germanistin garantieren die erzählten Räume die Einhaltung eines Authentizitätsübereinkommens zwischen Text und Leser, d.h. sie sichern Glaubwürdigkeit und Satisfaktion bei der Lektüre trotz eines noch so abstrusen und nebulösen Plots: „Für diese Wahrung des Authentizitätspaktes spielen die literarischen Räume, die der jeweilige Krimi zu bieten hat, eine enorm wichtige Rolle. Räume sorgen dafür, dass die Authentizität gewahrt bleibt, sie verankern die an sich fiktionale Handlung in der dem Leser bekannten Realität.“83 Den Gegenstand Regionalkrimi streifen aktuelle kulturwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der postmodernen Lust am wohlige Vertrautheit signalisierenden, märchenhaft-erdverbundenen Heimatlichen. Simone Egger be-

77 Barbara Korte/Sylvia Paletschek: Geschichte und Kriminalgeschichte(n): Texte, Kontexte, Zugänge. In: Dies. 2009 (a), S. 7-27, hier S. 10. 78 Maike Schmidt: Der historische Regionalkrimi. In: Hans-Edwin Friedrich (Hg.): Der historische Roman. Erkundung einer populären Gattung. Frankfurt am Main u.a. 2013, S. 245-256, hier S. 247. 79 Ebd., S. 255. 80 Ebd., S. 247. 81 Ebd. 82 Jost Hindermann (Hg.): Fjorde, Elche, Mörder. Der skandinavische Kriminalroman. Wuppertal 2006. 83 Franziska Schneider: Das Morden im Norden. In: Faktor 14. Unabhängiges Studierendenmagazin für Forschung und Wissenschaft 7 (2012), S. 12-16, hier S. 15.

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schrieb jüngst84 die Rekonstruktion des populären Sehnsuchtsorts Heimat mit Dirndlmanie, subversiv entstaubter Volksmusik und Reeperbahn-Romantik. Ein Kapitel behält die Autorin den literarischen und filmischen Dokumenten dieser konstatierten Blüte vor – den in Österreich spielenden Ganovengrotesken Wolf Haas’, den Kluftinger-Romanen Klüpfels und Kobrs, den zeitgenössischen Ermittlergeschichten aus Ystad, Marseille und Barcelona, der Tatort-Reihe im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – und stellt fest: „Heimatkrimis boomen.“85 Eine solche Lesart der im Provinziellen angesiedelten Kriminalliteratur ausschließlich als Heimat-Repräsentation birgt allerdings sui generis Risiken von kompendiösen und einseitigen Urteilen. Ähnlich deutet Anna Katharina Knaup die Unterform Alpenkrimi als moderne Version der Heimatliteratur.86 Eine so befangen-exkludierende Genrekategorisierung führt hier zu pauschalisierenden und unpräzisen Ergebnissen: „Die Alpen im Alpenkrimi stehen […] symbolisch für Heimat“87, schreibt Knaup und wähnt diese Heimat im Alpenkrimi als „tendenziell eher positiv besetzt“88. Der Handlungsort sei zwar einerseits „ein bedrohlicher Raum, in dem ein Verbrechen stattgefunden hat, und womit er nicht viel mehr Bedeutung zugesprochen bekommt als einer austauschbaren Mordkulisse“89, andererseits werde er „als attraktiver Lebens-Raum, in dem es sich […] gut leben lässt“90, vorgestellt. Und schließlich: „Dass die Alpenregion teilweise sehr realitätsnah geschildert wird und sich einige Passagen wie in einem Reiseführer lesen, sollte dabei lediglich als ein Realiätseffekt gewertet werden, nicht zuletzt deswegen, weil Alpenkrimis voller Klischees und Stereotypen stecken, die mit der realen Alpenwelt sicherlich nicht deckungsgleich sind.“91

84 Simone Egger: Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden. München 2014. 85 Ebd., S. 131. 86 Anna Katharina Knaup: Tatort Heimat. Der Alpenkrimi als moderne Variante der Heimatliteratur. In: Johann Georg Lughofer (Hg.): Das Erschreiben der Berge. Die Alpen in der deutschsprachigen Literatur. Innsbruck 2014, S. 355-368. 87 Ebd., S. 357. 88 Ebd., S. 364. 89 Ebd., S. 355. 90 Ebd. 91 Ebd., S. 368.

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Eine solche Auslegung attestiert eine schablonenhafte Raumdarstellung, die darauf zielt, eine Plastik- und Postkarten-Heimat als das immer gleiche lukrative Kunstprodukt zu veräußern. Sie verschließt sich jeglichen Deutungen der Raum-, Regionen- und Alpen-Narrative, die jenseits einer Heile-Welt-Prophetie liegen, einem Fokussieren der Beziehung von realreferenten literarischen und empirischen Räumen sowie der handlungsdeterminierenden Aufgabe des Settings. Dagegen betont Ursula Klingenböck die Hybridität des Genres Alpenkimi.92 Die Verfasserin kombiniert den literaturgeografischen Ansatz Barbara Piattis mit kulturwissenschaftlichen Perspektiven und weist anhand von in namenlosen Hochtälern, in Tirol, Garmisch-Partenkirchen und im Dachsteinmassiv verorteten Romanbeispielen nach, dass alpine Georäume in dieser Belletristiksparte eben nicht standardisiert dargestellt, sondern unterschiedlich fiktionalisiert und konzipiert werden: als locus horribilis oder Chimäre einer idyllisch-gezähmten Urlaubslandschaft, als Erkenntnisraum, Dystopie einer beschädigten Umwelt oder als Heterotopie. Klingenböck lässt außerdem die oft protagonistische Qualität des Gebirges nicht außer acht: „Der Raum greift qua Naturereignis in die Handlung ein: Schnee, Kälte, Wind, Lawinenabgänge etc. machen den Abstieg unmöglich, das Eingeschlosseinsein an einem für Krupp [einem verurteilten Gewaltverbrecher, der mittels einer Bergtour therapiert werden soll, KL] negativ besetzten Ort […] wird zum Auslöser für physische und psychische Gewalt: Krupp […] projiziert seine Frustration auf andere, tötet mehrere Menschen […].“93

Die literarische Bergwelt wird in dieser Abhandlung zurecht nicht als monologisch codiert, sondern als je unterschiedlich bedeutend besprochen, Alpenkrimis werden nicht als normierte und geglättete Narrative eines harmonischen Älplerlebens gleichgemacht, sondern als auch sozialkritische sowie Topoi und Stereotypen modifizierende und persiflierende Lektüre anerkannt. An Untersuchungen, die erst Narrationstechniken und Funktionen literarischer Raumdarstellungen kulturwissenschaftlich kontextualisieren, dann Erzähltextanalyse und Ethnografie kombinieren, mangelt es bislang noch.94 Eine Fall-

92 Ursula Klingenböck: Der Alpenkrimi – Literaturgeografische und kulturwissenschaftliche Überlegungen zu einem hybriden Genre. In: Lughofer 2014, S. 319-333. 93 Ebd., S. 324. 94 Vgl. Ansgar Nünning: Formen und Funktionen literarischer Raumdarstellung: Grundlagen, Ansätze, narratologische Kategorien und neue Perspektiven. In: Wolfgang Hallet/Birgit Neumann (Hg.): Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn. Bielefeld 2009, S. 33-52, hier S. 49.

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studie, die einerseits die Regionen-Verhandlungen der Region-akzentuierenden Belletristiksparte Regionalkrimi und andererseits ihre Aneignung und ihren Gebrauch nachvollzieht, ist bisher Desiderat. Die folgenden Ausführungen setzen künstlerischen und empirischen Raum zueinander in Beziehung. Am Beispiel Allgäu wird das Eingreifen von Erzähltexten in die Realität veranschaulicht. Die Forschungsperspektive kann daher nur transmedial sein. Literatur, Literaturtouristiker und Literaturtouristen werden in der Analyse gleichermaßen beteiligt. Dabei kommt es darauf an, Raum über seine geografische Dimension hinaus zu denken. Das fiktive Allgäu muss mehr als kartografiert, seine Effekte auf den Georaum müssen nicht nur markiert, sondern qualitativ gedeutet werden. Vereinheitlichende Genreurteile gilt es dabei zu vermeiden, stattdessen muss die Gattung Regionalkrimi als raumepistemologisches Medium begriffen werden.

2 Raum im Buch

2.1 R AUMTHEORIE 2.1.1 Volkskundliche Raumchronik Lange Zeit stützte sich die Volkskunde auf eine Idee von Räumen als a priori gegebene, geschlossene Gebilde. Die Kategorie Raum verstand die junge Disziplin als erdräumlich verankert: Sie trug ihrem Mühen, „die zu erforschenden Phänomene: die Sachen und Kulturgüter, die Gewohnheiten, Bräuche und Erzählungen jeder Analyse vorab zu lokalisieren“1, Rechnung. Studien über je ausgewählte territoriale Fragmente lehnten an ein Vorstellungsmodell eines jene Clocheartig überwölbenden Hohlmaßes an, das die damit für immerfort haltbar befundenen Kulturingredienzien zur Untersuchung bereit stellte. Als vermeintliche Stärke versprach eine solche Raumkonzeption ihr exaktes Eingrenzungspotenzial von Dingen und Handlungsweisen, die der Feldforscher als modulationsresistente Kontinuen zu fassen wusste. Bereits im 18. Jahrhundert galt das wissenschaftliche Interesse dem Aufzeigen regionaler Spezifika anhand scheinbar objektiver Attribute wie Gebäude, Tracht und Nahrungsgewohnheiten. Forschen im Kulturraum hieß: ein Pochen auf dessen distinktions- und kennzeichnungsmächtige Perspektiven. Als „Schwamm, der die Vergangenheit und Prägekräfte des Raumes“2 aufzusaugen und zu absorbieren imstande sowie vom innerlich gewahrten kulturellen Erbe mehr denn von äußeren Einflüssen bestimmt war, etablierte sich der Kul1

Johanna Rolshoven: Von der Kulturraum- zur Raumkulturforschung. Theoretische Herausforderungen an eine Kultur- und Sozialwissenschaft des Alltags. In: Zeitschrift für Volkskunde, 99 (2003), H. 2, S. 189-213, hier S. 191.

2

Karl Ditt: Strategien regionaler Raumkonstruktionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Cepl-Kaufmann/Mölich 2010 (a), S. 11-22, hier S. 19.

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tur- neben dem Wirtschafts- und Stammesraum zu den durchschlagendsten Raumkonzepten des beginnenden 20. Jahrhunderts. Besonders auch alpine Gebiete firmierten in einer früheren volkskundlichen Sicht als kulturelle Reliktlandschaften und Ballungsräume „statische[r] und altertümliche[r] Lebensweisen“3, für die die Kulturwissenschaften Protektionsund Musealiserungsfunktion4 übernahmen. Prägnant bildet sich jenes Paradigma der regional verort- und kontrastierbaren Kultur in den kartografischen Bestandsaufnahmeprojekten vor allem in der Mitte des 20. Jahrhunderts ab. Damit einher geht die Handhabe von Karten als „das optimale Mittel, regionale Unterschiede der Volkskultur präzise, differenziert, übersichtlich und einprägsam darzustellen“5. „Die Volkskunde etablierte sich als sektoriale Kultursoziologie“6, auf die Herkunftsangabe ihrer Forschungsgüter pochend. Die Denkfigur einer Region als Komprimierungsmaschinerie von impermeabler Kontur zum Zweck einer verbindlichen räumlichen Anordnung der Untersuchungsdinge demaskiert Konrad Köstlin im auslaufenden vergangenen Jahrhundert als wissenschaftsmethodische Falle:7 Denn sie stellt Kultur als in umgrenztem Areal originär vorfindlich und dauerhaft vor, erschwert jedoch die Analyse ihrer sozialen Aspekte und ihrer Mutationsfähigkeit. Köstlin plädiert dafür, Kultur gerade „auf ihren Entstehungszusammenhang, ihre Veränderung und ihre Veränderbarkeit hin“8 zu analysieren und „sich von der ‚durchschauten‘ Definition einer Region, die auf einseitige Interessen gegründet ist, zu lösen“9. Das Interpretament von der geschlossenen, natürlich existenten Region gilt es demnach zu überwinden. Stattdessen sind Regionen laut Köstlin als je nach spezifischen Akteursinteressen produziert und ihre Herstellungen als prozesshaft zu verstehen. Eine essentialistische Definition von Region und regionalen Identitäten wird damit vereitelt:

3

Walter Leimgruber: Alpine Kultur: Welche Kultur für welchen Raum? In: Binder u.a.

4

Vgl. ebd., S. 151.

5

Günter Wiegelmann/Michael Simon: Die Untersuchung regionaler Unterschiede. In:

6

Hermsdorf 1999, S. 214.

7

Konrad Köstlin: Die Regionalisierung von Kultur. In: Ders./Hermann Bausinger

2005, S. 147-155, hier S. 149.

Göttsch/Lehmann 2001, S. 99-121, hier S. 107.

(Hg.): Heimat und Identität. Probleme regionaler Kultur. Neumünster 1980, S. 25-38, hier S. 30. 8

Ebd., S. 32.

9

Ebd.

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„Es hat wenig Sinn, nach dem Wesen der Region zu fragen, sondern nach der Struktur einzelner oder gebündelter regionaler Phänomene. Region ist als sich wandelndes und (durch Menschen) wandelbares Ereignis in unterschiedlichen Phänomenen manifest. Es gibt deshalb keine festliegende Bedeutung von Region. Region bedeutet in verschiedenen – auch wissenschaftlichen – Lebenswelten (= konstruierten Wirklichkeiten) je und je ein Verschiedenes. Sie werden subjektiv verschieden erfahren, und sie bedeuten im historischen Kontext (,objektiv‘) etwas anderes.“

10

Auch Gottfried Korff verweist auf eine „Flexibilität des regionalen Kulturverhaltens“11. Besonders im Zug einer Renaissance von Region als (Europa-)politischer Planungsgröße betonen Beiträge im Fach wie jener Hermann Bausingers12 den Zuschreibungscharakter regionaler Eigenart. Der volkskundliche Raumarchetyp exakt eingegrenzter Homogenisierungsvolumina13 scheint im disziplinären Diskurs mittlerweile obsolet. Auch eine globalisierte Konfusion, sich ändernde und bewegtere alltägliche Lebensvollzüge erfordern neue Konzepte. Gleichwohl machen die Unübersichtlichkeiten der Postmoderne die Subkategorie Region als möglichen sinnstiftenden Satisfaktionsrahmen für kulturwissenschaftliche Erkundungen14 interessant. Jüngere Arbeiten thematisieren vornehm-

10 Ebd., S. 33. 11 Gottfried Korff: Folklorismus und Regionalismus. Eine Skizze zum Problem der kulturellen Kompensation ökonomischer Rückständigkeit. In: Köstlin/Bausinger 1980, S. 39-49, hier S. 45. 12 Hermann Bausinger: Region – Kultur – EG. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 97 (1994), S. 113-140. 13 Sogar neu hergestellte Räume interpretierte die Volkskunde lange als geschlossene Einheiten: Die Siedlungsgebiete der sogenannten Donauschwaben im heutigen Ungarn, Rumänien und Jugoslawien definierte und homogenisierte die Forschergeneration der 1920er bis 1940er Jahre, ideologisch aufgeladen und nationalsozialistisch instrumentalisiert, als abgeschottete Sprachinseln, in denen die Ausgewanderten ihre mitgebrachten Traditionen, isoliert von der – mit vermeintlich Balkan-typischen Zuschreibungen versehenen – umgebenden Bevölkerung wahren sollten. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten im Fach Sammeleifer und Rettungsgedanken, die erst mit Ingeborg Weber-Kellermanns an Kulturaustauschprozessen ausgerichtetem Konzept der Interethnik Ende der 1970er Jahre überwunden wurden. Vgl. Ingeborg Weber-Kellermann: Zur Interethnik. Donauschwaben, Siebenbürger Sachsen und ihre Nachbarn. Frankfurt am Main 1978. 14 Z.B. Heinz Schilling/Beatrice Ploch (Hg.): Region: Heimaten der individualisierten Gesellschaft. Frankfurt am Main 1995.

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lich Projekte regionalen Identitätsmanagements: Region wird dabei gerade auf ihre Gestaltungsmöglichkeiten durch verschiedene Akteure, etwa zur Optimierung ihrer Konkurrenzfähigkeit im (inter-)nationalen Wettstreit um Geltung und Finanzmittel hin abgeklopft.15 Statt kollektive Konnotationen vorauszusetzen, berücksichtigen die Forscher deren Vitalisierung und Relevanz, subjektive Ordnungen und dynamische Grenzziehungen.16 Neuere Fallstudien reflektieren soziokulturelle Herstellungsweisen und Macharten von Regionen, indem sie deren Merkmalsrepertoire nicht länger als „statisch, unveränderlich und dauerhaft“17 definieren, sondern als von verschiedenen Handelnden ausgewählt und aktiviert. Ihre Ethnografie zielt nicht auf ein universal gültiges Wesen einer Region, sondern ihre (temporäre) Be- oder Umdeutung. Ältere volkskundliche Konzepte fossiler Trachten-, Mobiliars- oder Dialektlandschaften genügen dem nicht. Neue kulturwissenschaftliche Maxime: Regionen und regionale Identitäten sind nicht, sie werden geschaffen. Am Beispiel europäischer Agrarpolitik stellt Reinhard Johler die Produktionsmechanismen und Aushandlungsprogramme von (ländlichem) Raum heraus, beschreibt ihn als top down zu organisierenden, mit Bildkonstruktionen auszustattenden Identitätsstiftungsfaktor – und beobachtet dabei das Comeback einstiger starrer volkskundlicher Grenzsetzungskonzepte in den Beschwörungsformeln neoregionalistischer Strategen: „‚Europäische Landschaft‘ und ‚ländlicher Raum‘ werden statisch gefaßt, und sie werden zur homogenisierenden ‚Kulturlandschaft‘ bzw. zur ‚regionalen Kultur‘ nobilitiert, wie sie künftiger Ausgangspunkt einer Politik des ländlichen Raumes und dessen ökonomischer Entwicklung sein sollen.“18

15 Am Beispiel der hessischen Region Vogelsberg zeigen dies: Reimar Brinkmann/Frank Seibel: Wer oder was macht Region? Überlegungen zur Möglichkeit regionaler Identität. In: Schilling/Ploch 1995, S. 21-38. 16 Vgl. Beatrice Ploch /Heinz Schilling: Region als Handlungslandschaft. Überlokale Orientierung als Dispositiv und kulturelle Praxis: Hessen als Beispiel. In: Rolf Lindner (Hg.): Die Wiederkehr des Regionalen. Über neue Formen kultureller Identität. Frankfurt/New York 1994, S. 122-157. 17 Dieter Goetze: Identitätsstrategien und die Konstruktion sozialer Räume: eine spanische Fallstudie. In: Lindner 1994, S. 184-200, hier S. 185. 18 Reinhard Johler: „Wir müssen Landschaft produzieren“. Die Europäische Union und ihre ‚Politics of Landscape and Nature‘. In: Rolf Wilhelm Brednich/Annette Schneider/Ute Werner (Hg.): Natur – Kultur. Volkskundliche Perspektiven auf Mensch und Umwelt. 32. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Halle vom 27.9. bis 1.10.1999. New York/München/Berlin 2001, S. 77-90, hier S. 86.

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Region, instruiert als „identitätsbildende[r] Sinnraum“19, dessen nachhaltige Eigentümlichkeit sich etwa mittels einer geschlossenen „Landschaft als ästhetische[m] Ereignis“20, Sprache, Narrativen, Grenzsetzungen oder kollektiven Verlusterfahrungen codieren lässt, wird zur Macht beschaffenden Substanz oder zum Mentalitätsstimulationsmaterial für viele: Institutionen, Behörden, Touristiker, Industrie. Im „weitgehenden Forschungskonsens zu nicht ontologisch vorgegebenen, sondern von handelnden Subjekten geschaffenen Regionen“21 übereinkommend, gilt es bei der Analyse von Herstellungsprozessen von Region22 nun als „Aufgabe der empirischen Kulturwissenschaften, die eingesetzten Mittel und Mechanismen, die Ziele, aber auch Worte, die diese Prozesse formen, kritisch zu begleiten“23. Sie verdrängt frühere Ansprüche von Reservatspflege und Reliktbehütung – bisweilen evoziert sogar jene Blickverschiebung weg von den Zuverlässigkeiten hin zu Vielschichtigkeiten und Fragilitäten die Statuszuschreibung, „die Regional- und Kulturwissenschaft [sei] allzu sehr darauf fixiert, ihren Gegenstand als nichtexistent zu konstruieren bzw. alles scheinbar Greifbare zu dekonstruieren“24. Auch in der Tourismusforschung wird die Vorstellung vom Urlauben nur als episodenhaftes Verlassen des kulturell umgrenzten Heimatraums in die ebenso versiegelte Zieldestination revidiert: zugunsten der Idee von dabei in- und exportiertem, Einflussmöglichkeiten geltend machendem, Austausch und Raumvernetzungen ankurbelndem kulturellem Kapital.25 Die kohärenzaffinen Raumvorgaben der früheren Volkskunde sind an Dynamiken ausgerichteten Konzepten gewichen. Anstelle Identitäten „als monoli-

19 Walter Schmitz: „Gedachte Ordnung“ – „erlebte Ordnung“. Region als Sinnraum. Thesen und mitteleuropäische Beispiele. In: Cepl-Kaufmann/Mölich 2010 (a), S. 2344, hier S. 30. 20 Ebd., S. 31. 21 Gertrude Cepl-Kaufmann/Georg Mölich: Einleitung. In: Dies. 2010 (a), S. 7-8, hier S. 7. 22 Vgl. Cepl-Kaufmann/Mölich 2010 (a). 23 Bettina Keß: „Mainfranken“. Zu Geschichte und Gebrauch eines Integrativbegriffs. In: Cepl-Kaufmann/Mölich 2010 (a), S. 189-195, hier S. 195. 24 Gertrude Cepl-Kaufmann: Denkbild und Praxis. Zur Rhetorik der Region. In: Dies./Mölich 2010 (a), S. 45-79, hier S. 64. 25 Vgl. Regina Römhild: Europäisierung als Transnationalisierung. In: Anthropolitan. Mitteilungsblatt der Frankfurter Gesellschaft zur Förderung der Kulturanthropologie (GeFKA). 8 (2000), S. 15-27, hier S. 17.

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thische, unwandelbare Entitäten“26 in stabilen Raumzuschnitten darzustellen und scheinbar uniforme Menschenschläge zu beschreiben, wenden sich Untersuchungen zunehmend Wandel und Verwicklungen von Räumen zu, spüren Anstrengungen um Deutungshoheiten und machtvollen Definitionsversuchen nach. Johanna Rolshoven schlägt dafür ein mehr an seiner gesellschaftlichen und alltagsweltlichen Dimension orientiertes denn physisch-geografische Ausdehnungen markierendes Raumverständnis vor.27 Ein derart sozialer Raum umfasse zum einen den individuell gelebten, aus der Perspektive des Menschen gedachten, interpretierten, handelnd erschlossenen, im Alltag produzierten und hier seine kulturelle Wirkung entfaltenden, zum anderen einen stets spezifisch gesellschaftlichen und subjektive Aneignungen normativ strukturierenden Raum.28 Ein solcher Raumbegriff begünstigt die Darstellung von Raumschnittmengen, Komplexitäten und Gleichzeitigkeiten. Ein über soziale Bedingtheit definierter Raum gleicht „einem flexiblen kulturwissenschaftlichen Vorstellungsmodell, das ein Zusammendenken unterschiedlicher Ebenen und Dimensionen erfasst: das Individuelle und das Gesellschaftliche, das Dazugehörige und das nicht Dazugehörige, das Lokale und das Globale, das Konkrete und das Imaginierte, Praxis und Repräsentationen lassen sich in ihrem Ineinandergreifen denken und beschreiben“29.

Im Erforschen divergenter Bedeutungszuschreibungen und „Auseinandersetzungen um Raum [können] soziale und kulturelle Prozesse hervortreten“30. Sozialer Raum als Analysekategorie spricht sich kreuzenden kulturellen Konstellationen Gewicht zu. Kulturraumforschung reduziert solche Verflechtungen, während eine Raumkulturforschung sie gerade akzentuieren kann. Letztere eignet sich daher, um literarische Besetzungen von Regionen nachzuvollziehen.

26 Leimgruber 2005, S. 150. 27 Rolshoven 2003. 28 Ebd., S. 197. 29 Ebd., S. 207. 30 Fransziska Becker/Beate Binder: Einführung. (= Einführung zum Panel: Fragile Räume und angeeignete Orte: Zur Ethnografie von Ortsbezogenheit in der Spätmoderne) In: Binder u.a. 2005, S. 157-159, hier S. 158.

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2.1.2 Konstrukt Raum Fachübergreifend plädieren Vertreter des Spatial Turn für die Kategorie Raum als forschungsleitende Lesart und eine Neu-Justierung der damit verbundenen Begrifflichkeiten. Sie zielen auf eine Abkehr vom Container- oder BehälterRaumregulativ. Dieses denkt Raum als starre Existenz, die darin befindliche Dinge und Lebewesen naturgegeben und integrativ birgt – und ist als Konzept dem homogenisierenden Kulturraum von wesensnotwendiger und widerstandfähiger Beständigkeit der traditionalistischen Volkskunde nahezu kongruent. Der Turn soll eine Reform des Kulturbegriffs hin zum „dynamische[n], performative[n], relationale[n] und entgrenzte[n] Kommunikationsraum“31, ständiges Verhandeln implizierend, benennen. Räume sollen nicht als Gehäuse mit singulärer Semantik betrachtet, sondern ihre Durchlässigkeit und kulturellen Definitionsprozessen erhoben werden. Erstmals verwendet Edward W. Soja den Begriff Spatial Turn für eine Zwischenüberschrift seines Buches Postmodern Geographies32. Soja, marxistischer Humangeograf, moniert einen bis Ende des 20. Jahrhunderts priorisierten Status von Geschichte als Erklärungsmodell von Welt. Damit positioniert er Michel Foucault als bereits früheren Initiator des von ihm ausgerufenen Turns: Dieser hatte 1967 vor einer Gruppe klassischer Raumagenten – Architekten nämlich – das 19. Jahrhundert als in historischen Abfolgen systematisierend umschrieben, das 20. dagegen zu einer Epoche des Raumes erklärt. Foucaults, inzwischen programmatisch rezitiertes, Postulat: „Wir leben im Zeitalter der Gleichzeitigkeit, des Aneinanderreihens, des Nahen und Fernen, des Nebeneinander und des Zerstreuten.“33 Soja plädiert dem folgend dafür, den wissenschaftstheoretischen Wettbewerbsdruck auf das „temporal master-narrative“34 zu forcieren, statt bloß linearen Abläufen auch synchrone zu thematisieren und schließlich die historische

31 Moritz Csáky/Christoph Leitgeb: Kommunikation – Gedächtnis – Raum: Orientierungen im spatial turn der Kulturwissenschaften. In: Dies. (Hg.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem „Spatial Turn“. Bielefeld 2009, S. 7-10, hier S. 8. 32 Edward W. Soja: Postmodern Geographies. The Reassertion of Space in Critical Social Theory. London/New York 1989. 33 Michel Foucault: Von anderen Räumen [1967]. In: Jörg Dünne/Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main 2006, S. 317-329, hier S. 317. 34 Soja 1989, S. 11.

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und räumliche Linse egalitär zu gewichten. Die zeitliche Dimension müsse mit der räumlichen zusammengedacht, neben der Idee vom Zeitgeist jene des Raumgeistes etabliert werden.35 Geschichte spielt sich demnach nicht nur ab – sie spielt immer auch in Räumen, modelliert sie und wird von ihnen geprägt. Soja rückt den Zusammenhang physisch-materieller Räume und sozial-kultureller Praktiken dabei stärker ins Blickfeld: „Gesellschaftliche Prozesse bilden ebenso räumliche Formen aus wie der Raum gesellschaftliche Prozesse erst verursacht.“36 Letzteres schürt, dem volkskundlichen Kulturraum ähnlich, Essentialismus-Verdacht: Das Interpretament von Raum als Geschichtsmotor birgt die Gefahr einer naturalisierenden Vorfixation sozial-kultureller Formierungen durch geografische Voraussetzungen und vorfindliches Material. Soja sucht solche Dispositionen zu umgehen, indem er jenen Raum, der sich auf gesellschaftliche Praktiken auswirke, als gerade gesellschaftlich hergestellt versteht: „Space as a physical context has generated broad philosophical interest and lengthy discussions of its absolute and relative properties [...], its characteristics as environmental ‚container‘ of human life, its objectifiable geometry, and its phenomenological essences. But this physical space has been a misleading epistemological foundation upon which to analyse the concrete and subjective meaning of human spatiality. Space in itself may be primordially given, but the organization, and meaning of space is a product of social translation, transformation, and experience.“37

Damit greift er eine bereits Jahre vor der Proklamation des Spatial Turn artikulierte These Henri Lefebvres auf. Für den Philosophen ist Raum ein „(soziales) Produkt“38, die natürliche Geophysis eine Rohstoffquelle für die Produktivkräfte einer Gesellschaft. Gesellschaften existieren laut Lefebvre nicht im oder reden über Raum, sie kreieren ihn erst – eine jede den ihr eigenen. Solch ein Sozialraum stimuliert zu und resultiert aus ihrem Handeln. Die je spezifischen Produktionsweisen der antiken Polis und der ihr Nachfolgenden bedingen je spezifische Raumausgestaltungen. Im Dementi einer universalistischen Definition geht Lefebvres Theorie also mit der Köstlinschen Regionendeutung konform.

35 Edward W. Soja: Vom „Zeitgeist“ zum „Raumgeist“. New Twists on Spatial Turn. In: Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld 2008, S. 242-262, hier S. 252. 36 Ebd., S. 256. 37 Soja 1989, S. 79f. 38 Henri Lefebvre: Die Produktion des Raums [1974]. In: Dünne/Günzel 2006, S. 330342, hier S. 330.

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Lefebvre misst dem Sozialraum eine triadische Struktur bei.39 Mit der räumlichen Praxis meint er den wahrgenommenen und von Alltagsakteuren (auch materiell) hergestellten Raum. Davon sind die Raumrepräsentationen zu unterscheiden: Sie stehen für von einer bestimmten Expertenriege konzipierte Räume. Diese sind Ausprägungen zeitgenössischer Wissensarchitekturen und abstrakte, autoritative Plattformen und entspringen der Gestaltungsmacht von Wissenschaftlern, Raumplanern, Urbanisten, Technokraten oder Künstlern. Unter den Repräsentationsräumen dagegen versteht Lefebvre gelebte Räume: Räume also der Bewohner und Benutzer, ihre (imaginativen) Modifikations- und Aneignungspraktiken, Transformationen von Raum ins Bildhafte. Ihnen ist ein dynamischer Charakter eigen, sie entstehen aus dem Umfunktionieren der physischmateriellen Basis zur dann spezifisch symbolisch codierten Benutzeroberfläche und erlauben oppositionelle, abweichende Nutzungsweisen. Lefebvres Modell fasst Raum in seiner – nicht mathematischen, sondern sozialen – Dreidimensionalität. Es verpflichtet den Kulturanthropologen, analytisches Separieren zu meiden und nicht zu unterschlagen, inwiefern räumliche Praxis, Raumrepräsentationen und Repräsentationsräume „gemeinsam existieren, übereinstimmen oder in Wechselwirkung treten“40. Mit der sozialkonstruktivistischen Trias wird Raum als Konstellation des sich Überlagernden darstellbar. Eine alle drei Ebenen integrierende Kulturanalyse ist imstande, das Gleichzeitige und Verwobene zu veranschaulichen – und kann darüber hinaus die Teilhabe vieler an der Raumproduktion ins Bild setzen. Indem Lefebvre, im marxistischen Duktus, die alltäglichen Praktiken der Proletarier als Bewegungen vorstellt, die konträr zu den Entwürfen der Raumdesigner und -analysten oder Raumsymboliken verlaufen, verfolgt er ein subjektives Moment der Raumkonstitution. Die Produktion von Raum bleibt damit in Praxis und Interpretation nicht den konventionellen Raumplanern und -gestaltern – Architekten, Ingenieuren, Politikern (oder: Regionalverbandsvorsitzenden, Tourismusdirektoren, Marketingexperten) – überlassen, sondern involviert Polis und Bewohner (oder: Leser, Touristen und einheimische Allgäuer). Eine Dichotomie von Raumkonstrukteuren wie Regionenmachern versus Raumkonsumenten wie Krimi-Touristen wird dadurch aufgebrochen, die Raumproduktion enthierarchisiert und nicht als exklusive Kompetenz begriffen. Das Zusammenspiel gesellschaftlich erlernter, vorkonzipierter und individueller Raumrealisierungen41 lässt sich über das Lefebvresche Sozialraum-Konzept entschlüsseln. Und auch: das Zusammenspiel ei-

39 Ebd., S. 333-340. 40 Ebd., S. 339f. 41 Vgl. Rolshoven 2003, S. 199.

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nes fiktiven Krimi-Allgäus und der Tourismusregion Allgäu. Zwar scheint die Entfernung zwischen marxistischer Theorie auf der einen und dem populärkulturellen Allgäuer Kommissar Kluftinger auf der anderen Seite groß. Indem Lefebvre bei der Produktion von Raum ein Zusammenwirken vieler Akteure voraussetzt, materielle Räume der Alltagsakteure von abstrakten Topografien von Raumplanern und von symbolisch-codierten Räumen der Schriftsteller oder Benutzer unterscheidet, macht er künstlerische Räume auf lebensweltliche beziehbar – wie es für die mediale Übersetzung des Krimi-Stoffs wesentlich ist. Seine Systematik von der mehrdimensionalen Raumproduktion überlässt außerdem die Deutungshoheit über den Begriff „Allgäu“ nicht nur den Touristikern. Sie legitimiert auch die Befragung der Touristen. Inzwischen haben die meisten kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen ihren je eigenen Spatial Turn ausgerufen oder den anderer Fächer bewertet. Das prominenteste Plädoyer für eine (Neu-)Inwertsetzung von Raum in der Soziologie stammt von Martina Löw.42 Sie schlägt eine Überwindung der bis dato in soziologischen Theorien dominierenden absolutistischen Raumvorstellung und der damit einhergehenden Trennung zwischen Raum und Menschen als zwei voneinander unabhängigen Realitäten vor. Nach Löw ist Raum nicht als „dem Handeln vorgängig konzipiert“43, davon unabhängig und als ein Behältnis, in dem Praktiken stattfinden, zu denken – sondern als durch Handlungen bedingt. Die „Konstruktionsleistung, die Räume bildet“44, zu fokussieren, ist ihr ein wesentlicher Aspekt im Anforderungsprofil an raumtheoretische Überlegungen. Mit Lefebvre argumentiert sie für eine Konzentration der Analyse gerade auf den Prozess der Raumkonstitution. Die Reduktion einer Raumauslegung auf eine geografische Dimension ist deshalb laut Löw nicht legitim – sie schlösse eine Analyse der sozialen Produktionsphasen, Veränderungen und Dynamiken von Räumen aus. Die Darstellbarkeit nicht nur von Bewegungen im Raum, sondern auch bewegter Räume, also „sich verändernde[r] Gebilde und konkurrierende[r] Raumkonstruktionen an einem Ort, die gerade durch die zugrundeliegenden Aushandlungsprozesse immer fließend sind“45, ist allerdings für die Untersuchung additiver Bedeutungsaufladungen von Räumen etwa durch Kriminalliteratur und ihrer Effekte notwendige Prämisse.

42 Martina Löw: Raumsoziologie. Frankfurt am Main 2001. 43 Ebd., S. 113. 44 Ebd., S. 132. 45 Ebd., S. 65.

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Löws handlungstheoretische Konzeption sieht eine Gliederung der Raumkonstitution in zwei Verfahren vor: Erstens steht Spacing für das Platzieren von materiellen und symbolischen sozialen Gütern wie von Lebewesen, also für Akte des Errichtens und Bauens. Zweitens benennt die Synthese die Fusion dieser positionierten Ensembles durch menschliche Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Erinnerungsleistungen zu Räumen. Ein so relationales, nicht an natürliches Wachstum und erdräumliches Material gekoppeltes Raumverständnis gewährt eine mögliche Koexistenz mehrerer Räume an einem Ort und ist deshalb operationalisierbar, um „eine sich verändernde Praxis der Organisation des [Allgäuer, KL] Nebeneinanders in das Blickfeld [zu] rücken“46. Die nicht erhobene Voraussetzung qualifizierender Teilnahmebedingungen bei Spacing und vor allem Synthese demokratisiert den Prozess der Raumproduktion: Über individuelle Imaginations-, Erlebnis- und Mnemotechnikleistungen fällt die Rolle der Raummacher – ähnlich der Lefebvreschen Ausführung – nicht beispielsweise lediglich Touristikern, sondern gerade auch Touristen zu. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf das theoretische Leitmotiv von Raum als stets Konstruiertes. Damit wird nicht totalisierend ein abstraktes Allgäu betrachtet, sondern die von unterschiedlichen Handelnden ausgeführten verschiedenen Akte der variablen Kompositionen von Region. Für Aleida Assman geht mit der Größe Raum ein Planen und Modellieren einher. Diese ist vorwiegend „Dispositionsmasse für internationale Akteure, ob es sich dabei um Eroberer, Architekten, Stadtplaner oder Politiker handelt. Alle haben die Zukunft im Blick; sie wollen eingreifen, verändern, umgestalten“47. Im Folgenden soll Raumproduktion nicht als nur professionellen, elitären Riegen vorbehalten analysiert werden, sondern auch der Einflussbereich eben der Nicht-nur-Konsumenten Beachtung finden. So als konstruiert begriffene Räume führen ein Beharren auf ihren vorfixierten Sinn ad absurdum. Sie konkretisieren sich den Präferenzen ihrer Produzenten entsprechend. Akteure schreiben Räumen tonangebende Bedeutungsmuster ein, Akteure etablieren eigene Bedeutungen mittels subversiver Raumaneignungsverfahren. „Auf seinen täglichen Wegen bewegt sich der Mensch nicht in neutralen Raumgefässen, sondern in Bedeutungsräumen“48, argumentiert Johanna Rolshoven. Jene leiten demnach zu formelhaften Schemata und normierenden Codes

46 Ebd., S. 264. 47 Aleida Assmann: Geschichte findet Stadt. In: Csáky/Leitgeb 2009 (a), S. 13-27, hier S. 15f. 48 Rolshoven 2003, S. 197.

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an. Doch es gilt, subjektive Konnotationsspektren anzuerkennen. Der dynamischen Qualität von Räumen entsprechend fehlt es auch ihren Bedeutungen an stabiler Verlässlichkeit: Das Versehen mit neuen Ausstattungsprogrammen ist ein von Interaktionen geprägter und sich stets wiederholender Vorgang. Marode Dorfruinen etwa werden mit EU- und Unesco-Fördermitteln zu Huldigungsstätten eines kommerziell erfolgversprechenden kulturellen Erbes umgewidmet, ökonomisch darbende Hinterlandbrachen im europäischen Süden von Teilzeitauswanderern aus dem Norden, die einem popkulturell aufgehübschten, mediterranen Lifestyle zusprechen, zu malerischen Loci amoeni umglorifiziert.49 Räume sind nicht autogam, ihre Semantiken kulturell gestiftet. Räumliche Statements rühren stets aus kollektiver oder individueller menschlicher Provenienz, sind Resultat von Attribuierungen und spezifischem Sinnzuschnitt. Natürlich gegebene Bedeutungsgravuren existieren nicht. Trotz einer konstruktivistischen Erklärung von Raum sollten Erdoberflächen und materielle Substrate nicht ignoriert bleiben. Sie liefern Bespielmöglichkeiten, bilden Stoff für Bewertungen. In Raumkonstruktionen kommt eine „Verschränkung von kognitiven Operationen, Sinn- und Bedeutungszuschreibungen und Elementen der physischmateriellen Welt“50 zum Ausdruck – so hängt ein Allgäu-Krimi-Narrativ eben auch von der randalpinen Topologie ab. 2.1.3 Literarische Räume Fiktionale Texte sind im sprachlichen Zeichensystem und dessen aus aktuellen diskursiven Übereinkünften gespeisten Bedeutungen verfasst – und entsprechen daher nicht einem gespiegelten Abbild von Wirklichkeit. Dennoch reflektiert Literatur soziale Konstruktionsprozesse von Räumen. Sie inszeniert gesellschaftliches und individuelles Handeln und Erleben, Selektions-, Synthese- und Produktionsleistungen. Die nur ideelle Eigenart des Personals und seiner Unternehmungen ist einer kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht abträglich. Prosa verdichtet, was im lebensweltlichen Feld reabstrahiert werden muss: die Wandlungsfähigkeit von Räumen, die Diskrepanzen und Gleichzeitigkeiten differenter Rauminterpretamente und -ingebrauchnahmen.

49 Vgl. Johanna Rolshoven: Going South! Lokalität und Mobilität einer touristischen Übergangsregion. In: Binder u.a. 2005, S. 135-146. 50 Peter Weichhart: Raumkonstruktionen, „Turns“ und Paradigmen. In: Wöhler/Pott /Denzer 2010 (a), S. 21-39, hier S. 25.

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„Durch die Modellierung von Raumprozessen macht die Literatur wie unter einem Brennglas Raumpraktiken, soziale Interaktionen und Bewegungen im Raum, Raumwahrnehmungen und -vorstellungen, damit verbundene Bewusstseinsprozesse sowie epistemologische Strategien und Problematiken sichtbar, die in der empirischen Wirklichkeit nur schwer der Analyse zugänglich sind.“51

Gemachtheit und Dynamik von Region und Raumkulturen werden durch die illustrierende Vorleistung eines Autors zur wissenschaftlichen Diskussion aufbereitet. Als fictions of space52 bezeichnet Wolfgang Hallet vor allem zeitgenössische Romane, die Raum als kulturelles Konstrukt thematisieren und seine DeNaturalisierung, d.h. die Denkfigur vom nicht natürlich existenten Raum, erzählerisch untermauern. Sie kennzeichnet das Ausstellen von Raumaushandlungsprozessen und Bedeutungszuschreibungsakten und damit die Beförderung des erzählten Raums vom schmückenden Schauplatz zum plotgenerierenden Akteur. Auch – einige – Regionalkrimis sind als solche fictions of space lesbar. Trotz ihrer Fiktionalität verspricht (Kriminal-)Literatur daher gewinnbringendes Medium für Raumaushandlungsanalysen zu sein. Allerdings verfügen künstlerische Texte nicht nur über Repräsentations-, sondern auch über Reflexionsvermögen. Sie können normative, traditionelle oder populäre Raumvorstellungen beleuchten, kommentieren, aufbrechen oder subversiv hinterfragen. Literatur bietet Deutungsanreize, ist potenzielles Korrektiv von (Raum-)Bedeutungskonventionen und deshalb: ein Medium der Macht. Besonders Vertreter der aus der amerikanischen Literaturwissenschaft hervorgegangenen New Historicism-Bewegung betonen diese Oppositionsfunktion fiktionaler Texte. Stephen Greenblatt, ihr Gründungsvater, schreibt literarischen Künstlern außerordentliche Manipulationsgewalt über den Symbolhaushalt einer Kultur zu und plädiert für eine Liaison von Literatur- und Kulturwissenschaft.53 Für Vertreter des New Historicism kann Literatur in Diskurse und soziokulturelle Regelwerke intervenieren, sie kontrollieren oder variieren – was wiederum Nachweis des dissonanten, widerständischen und turbulenten Gepräges von

51 Wolfgang Hallet: Fictions of Space: Zeitgenössische Romane als fiktionale Modelle semiotischer Raumkonstitution. In: Ders./Birgit Neumann (Hg.): Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn. Bielefeld 2009, S. 81-113, hier S. 83. 52 Hallet 2009. 53 Stephen Greenblatt: Kultur. In: Baßler 2001 (a), S. 48-59, hier S. 55f.

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Kultur ist.54 Damit einher geht, dass literarische Werke ihre Inhalte nicht Container-gleich konservieren und sie nicht auf eine werkimmanent vorgegebene, universal gültige Wahrheit zu reduzieren sind. Vielmehr befördern Narrationen Mehrstimmigkeiten – eo ipso und qua ihrer Rezeption – auch und vor allem im Prozess der soziokulturellen Raumaushandlung. Fiktionalisierte Räume können Regionen als tendenziöse oder gefärbte Einheiten positionieren, weil sie als künstlerische Produkte selbst – diametrale – Voreingenommenheiten spiegeln dürfen. Fiktionale Texte „fungieren damit als metakulturelle Kommentare zu sozialen Raumpraktiken“55. Sie bilden epochen- und kulturspezifische Raumentwürfe ab und hinterfragen sie – und bringen neue hervor. Mit der Darstellung von Handlungsorten und Schauplätzen erheben Erzähltexte Grenzlinien, vollziehen räumliche Auslassungen oder verbesondern Raumsegmente. Literatur schafft Orte und Infrastrukturen, Landschaften und Regionen, Dispute und Kohärenzen, differenziert Fremdes vom Eigenen. Diese zunächst ideellen Erzeugnisse entwickeln enorme „Suggestivkraft“56 und wirken auf real erfahrbare Räume zurück: Sie evozieren Erwartungshaltungen und lenken individuelles Raumerleben. Vorstellungen vom Raum bedingen seine Aneignung, seine bemächtigende Inanspruchnahme und Reorganisation. Der sogenannte Wilde Westen, italienische Hafenstädte und schwedische Schärengebiete sind nach der Lektüre von Romanen, denen sie als Schauplätze dienen, andere Räume als zuvor.57 Genauso, wie Literatur Referenzen aus der empirischen Lebenswelt aufnehmen und diskutieren kann, gilt demnach in konträrer Richtung ein Primat ihres erfundenen Raums58 vor dem physischen Material, das mit eben jenem imaginiertem Gehalt ausgestattet wird. Gleichermaßen partizipieren die literarischen Raumkreationen am Wissen einer Gesellschaft und deren Fundus an Sinnhaftigkeiten. Literatur als Kunstform, Medium und Fiktion bildet eine bedeutende Ressource. Sie liefert Sinnangebote, die sich als Folien machtvoller

54 Diese Thesen machen den New Historicism anfällig für Vorbehalte: Diese monieren eine mit der Entprivilegisierung von Deutungsdomänen und vorherrschenden Kontextangeboten einhergehende Gefahr, die Interpretation künstlerischen Materials als Projektionsplattform der eigenen systemkritischen Haltung des Wissenschaftlers zu besetzen.Vgl. Winfried Fluck: Die „Amerikanisierung“ der Geschichte im New Historicism. In: Baßler 2001 (a), S. 229-250, hier S. 246. 55 Hallet 2009, S. 108. 56 Jan Rupp: Erinnerungsräume in der Erzählliteratur. In: Hallet/Neumann 2009 (a), S. 181-194, hier S. 186. 57 Vgl. Hallet 2009, S. 85. 58 Vgl. Rupp 2009, S. 187.

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Raumvorgaben verwerten lassen, die die Ausrichtung kultureller Raumordnungen diktieren und durchschlagskräftige Handlungs- und Wahrnehmungsimperative bilden. Raummaterie ist nie unbedeutend-autonomes Naturprodukt, sondern kulturell zugerichtet und mit Narrationen aufgeladen. Erzähltexte stellen Bedeutungen bereit und können so eine ausschlaggebende Position innerhalb des Raumproduktionsgefüges besetzen. Literatur fungiert als Konstitutionsmedium neuer Raumsemantiken. Damit verfügt sie über „kulturpoietische, d.h. welt- und raumerzeugende Kraft“59, hat also Anteil am konstruktivistischen Charakter von Raum. Literatur zeichnet Räume nicht nur nach, sie handelt sie mit aus. Also stellt die Untersuchung von Narrationen Erkenntnisgewinne auf dreier60 lei Ebenen in Aussicht: Jene haben repräsentierend, reflektierend und performativ an Raumkonstruktionsprozessen teil. Im Sinne des Spatial Turn lassen sich literarische Texte als Mittler von „sprachlich kodierten Bedeutungszuschreibungen“61 auf ihr Kontingent bei der Kreation von Raumkulturen hin befragen, ästhetisch-künstlerische und lebensweltlich-kulturelle Raumkonstellationen lassen sich zueinander in Beziehung setzen und ihre Interaktionen beleuchten. In der Literaturwissenschaft fand die Auseinandersetzung mit der ausgerufenen Raumwende, der spezifischen Rolle von Literatur und den ihr eigenen Kompetenzen bei Aushandlungsprozessen von Räumen lange nur marginal statt62. Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel fordert unter dem Schlagwort Topographical Turn ein Lancieren räumlicher Perspektiven in Cultural Studies und europäischer Kulturtheoriebildung: Damit setzt sie auch auf ein

59 Birgit Neumann: Imaginative Geographien in kolonialer und postkolonialer Literatur: Raumkonzepte der (Post-)Kolonialismusforschung. In: Hallet/Dies. 2009 (a), S. 115138, hier S. 119. 60 Wolfgang Hallet und Birgit Neumann fassen die Türöffnerfunktion literarischer Texte zu Raumaushandlungen in zwei Dimensionen – der Repräsentation und Performanz – zusammen: Wolfgang Hallet/Birgit Neumann: Raum und Bewegung in der Literatur: Zur Einführung. In: Dies. 2009 (a), S. 11-32, hier S. 16. 61 Stefanie Bock: Geographies of Identity: Der literarische Raum und kollektive Identitäten am Beispiel der Inszenierung von Nationalität und Geschlecht in Sybil Spottiswoodes Her Husband’s Country (1911). In: Hallet/Neumann 2009 (a), S. 281-297, hier S. 282. 62 Vgl. Neumann 2009, S. 116.

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Starkmachen von „Orte[n] und Landschaften als Voraussetzung von Literatur“63 und, auf das Geertzsche Kultur-als-Text-Paradigma rekurrierend, ein Anerkennen von Raum nicht lediglich als Causa von Erzähltem, sondern als selbst lesund dechiffrierbaren Text. Als die an Literatur interessierten Geisteswissenschaften begannen, literarische Texte nicht mehr in erster Linie nach ihrer temporalen Ordnung, sondern nach den von ihnen entwickelten fiktionalen Räumen und topografischen Modellen auszuloten,64 trafen sie dabei auf einen wenig ausdifferenzierten Theorienvorrat und „eine[n] Nachholbedarf topographischer Diskursbildung“65. In der Literaturtheorie sind erzählte Räume etwa für die werkimmanente Interpretation, die Toposforschung sowie die Stoff- und Motivgeschichte von Relevanz; traditionelle literaturwissenschaftliche Ansätze konzentrieren sich häufig auf eine Lektüre, die eng dem als autonom begriffenen statt kontextuell verorteten Text verhaftet bleibt. Erst allmählich zielen Beiträge auf eine Korrelation zwischen dem Raum in der Literatur und kulturellen Gefügen.66 Spatiale Fragen gewinnen bei der Inspektion literarischer Texte an Gewicht, teils kulminierend in der Hypothese, „ob es nicht gerade die Tendenz modernistischer und (post)moderner Literatur ist, das, was der Text aussagen möchte, zunehmend unter der Art seiner Raumgestaltung zu subsumieren oder im Extremfall gänzlich hinter ihm verschwinden zu lassen“67. Allerdings erfolgt das Gros der raumfokussierten Erzähltextbesprechungen im kulturwissenschaftlichen Theoriekorsett: Denn der Germanistik mangelt es an einer Narratologie des Raums. Eine ähnlich umfassende Systematik zur Analyse fiktiver räumlicher Konstellationen wie sie zur Erforschung der erzählten Zeit existiert ist Desiderat: Laut Ansgar Nünning etwa fehlt es an erzähltheoretischen Ordnungsprinzipien, die die vielfältigen Narrationstechniken des fiktionalen Raums und seine Wirkmächtigkeit als mediale Inszenierung kultureller Bedeutungsmuster zugänglich machen.68 Die litera-

63 Sigrid Weigel: Zum ‚topographical turn‘. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften. In: KulturPoetik 2 (2002), H. 2, S. 151-165, hier S. 158. 64 Z.B. Hartmut Böhme (Hg.): Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext. Stuttgart/Weimar 2005. 65 Hartmut Böhme: Einleitung: Raum – Bewegung – Topographie. In: Ders. 2005 (a), S. IX-XXIII, hier S. XI. 66 Vgl. Nünning 2009, S. 35-39. 67 Tim Mehigan/Alan Corkhill: Vorwort. In: Dies. (Hg.): Raumlektüren. Der Spatial Turn und die Literatur der Moderne. Bielefeld 2013, S. 7-21, hier S. 12. 68 Nünning 2009, S. 34.

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turwissenschaftliche Forschung vernachlässigte die Kategorie Raum als im Gegensatz zum Erzähltempus eher unbeweglich und nicht handlungsspeisende Garnitur „ornamentalen Charakter[s]“69. Der fiktionale Raum als konstruierte und kulturell zugerichtete Größe blieb weitgehend unbeachtet. Und kaum wurden in der Literaturwissenschaft theoretische Überlegungen angestrengt, die die Untersuchung eines Zusammenspiels künstlerischer Texte und lebensweltlicher Raumkonstruktionen anleiten. Eine Ausnahme formulierte bereits vor der prosperierenden Raumdebatte der russische Literaturwissenschaftler Jurij Lotman70. Er systematisiert Erzähltexte nach kulturtheoretischen Modellen. Lotman liest sowohl Komponenten eines künstlerischen Texts als auch kulturelle Modelle kongruent nach räumlichen Zuordnungsschemata strukturiert: Elendsviertel der Armen versus Paläste der Wohlhabenden, rechts versus links, Himmel versus Erde. Zwischen den Teilsphären eines Textes verläuft nach Lotman eine Grenze, die bestimmte Figuren des Personenregisters passieren können. Ihre potenzielle Permeabilität aber stellt Demarkationslinien als konstruktivistische Setzung bloß. Lotmans Grenzgängertypus und sein „Überqueren jener Verbotsgrenze“71 steht für ein heterogenitätsaffines Raumverständnis und bricht die dualistische Konstellation getrennter Kulturen auf. Gleichzeitig wird Kultur als Begegnung mit einem Anderen und als ereignisbedingt – also: handlungstheoretisch fundiert – identifiziert. Denn mobile Protagonisten bringen für Lotman ein Sujet erst in Gang. Sein poetologisches Raummodell ist ein durch Dynamiken realisiertes: Es stützt sich auf Transfergeschehen, interkulturelle Bewegung im Raum und bewegte Räume. Für Lotman aber „wird die Struktur des Raumes eines Textes zum Modell der Struktur des Raumes der ganzen Welt“72. Dies legitimiert, Interdepenzen herzustellen zwischen Fiktion und Wirklichkeit sowie Rückschlüsse zu ziehen von der Prägung künstlerischen Raums auf ein je spezifisches kulturelles „Weltbild“73. Raumkulturen sind demnach flexible, veränderliche, weil: durchschreitbare Gebilde – die Literatur als solche abzubilden vermag. Michael C. Frank pocht auf ein Ausloten des Beitragsvermögens der Literaturwissenschaften zum Spatial Turn gerade mittels ihres eigenen, bestehenden Theorie- und Methodenrepertoires, zu dem auch das Lotmansche Modell zählt.

69 Ebd., S. 46. 70 Jurij Lotman: Künstlerischer Raum, Sujet und Figur [1970]. In: Dünne/Günzel 2006, S. 529-545. 71 Ebd., S. 539. 72 Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. München 1993, S. 312. 73 Lotman 2006, S. 535.

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Die literaturwissenschaftliche Analyse will er aber „nicht auf die materielle Hervorbringung des Raumes durch soziale Praktiken, sondern auf die ideelle Hervorbringung [Hervorhebung i.O.]“74 konzentriert wissen. Gerade ein Überwinden solch strikt separierter Zuständigkeitsbereiche – gemäß derer sich Philosophie, Geografie und Soziologie raumproduzierenden Praktiken widmeten und die Literaturwissenschaften ausschließlich den fiktiven Raumrepräsentationen75 – ist aber Vorhaben der vorliegenden Studie, um lebensweltliche Anwendungen zunächst imaginierter Regionenentwürfe nachzuvollziehen. In der folgenden Erzähltextanalyse von Regionalkrimis kommen in erster Linie die vorgestellten raumtheoretischen Ansätze aus den Kultur- und Sozialwissenschaften zum Einsatz. Das macht das literarische Allgäu über eine dekorativstabil(isierend)e Rahmenerscheinung hinaus lesbar. Basierend auf kultur- und sozialwissenschaftlichen konstruktivistischen Prämissen wird es als ereignis- wie prozesshaft und -bedingt beschreibbar. Schließlich lassen sich mit einem interdisziplinären theoretischen Fundament medial transitierende Raumbilder – wie bei Allgäu-Krimis und Krimitourismus der Fall – verfolgen und literarische Texte selbst als Konstitutionsmaterial kultureller Raumkonstellationen verstehen. „Wenn es sich beim literarischen Text um eine raumsemiotische Übersetzung aus dem ‚Feld der Praxis‘ in das symbolische Feld der Literatur handelt, dann zeichnet sich auch ab, dass eine an Raumprozessen interessierte Literaturwissenschaft auch an raumtheoretische Konzepte anschließen kann, die in den Sozial- und Kulturwissenschaften eben dieses ‚Feld der Praxis‘ bestellen“76,

argumentiert Wolfgang Hallet. Befinden sich – wie hier – auch die (Re-)Übersetzungen aus jenem symbolischen Feld der Literatur ins Feld der Praxis im Zentrum des Interesses, scheint eine literaturanalytische Übernahme kultur- und sozialwissenschaftlicher Raumtheorien umso plausibler. 2.1.4 Freiräume Wesentlich für fiktionale Literatur ist ihre ästhetische Autonomie. Imaginierte Räume sind immer auch Freiräume, ideellem Ausgestalten von Raummodellen

74 Michael C. Frank: Die Literaturwissenschaften und der spatial turn: Ansätze bei Jurij Lotman und Michail Bachtin. In: Hallet/Neumann 2009 (a), S. 53-80, hier S. 62. 75 Vgl. ebd., S. 61f. 76 Hallet 2009, S. 109.

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keine Grenzen gesetzt.77 Die poietische Leistung von Literatur resultiert auch aus ihrem Vermögen, auf inhaltlicher Ebene extraordinäre Räume zu entwerfen. Textualisieren lässt sich, solange sprachlich codierbar, jegliche Normenübertretung, jegliche sabotierende Raumturbulenz, jeglicher Zugriff auf Sinnkonventionen. Fiktion gewährt Raum für Neues und Alternativen und ist nicht den Abhängigkeiten empirischer Realitäten unterworfen. Obgleich sie in ihrer Einflussnahme auf individuelle und kollektive Raumaneignung Wirklichkeit werden können, ist künstlerisch-vorgestellten Räumen das Zwanglose und Visionäre eines durchexerzierbaren Konjunktivs eigen. Die raumgestalterische Freiheit fiktionaler Narrationen fördern eine (etwa ökonomische) Selbstbestimmtheit des Autors bzw. ein unzensierter Schreibprozess. Am Phänomen Regionalkrimi wird dies besonders augenfällig. Im Ländlichen verortete Romane sind nicht zu einer selektiven Fragmentierung der zu beschreibenden Provinz hinsichtlich bloß ihrer idyllischen Komponenten verpflichtet. Die kontinuierlich geschönten regionalen Bildwelten, wie sie touristische Vermarktungsstrategien und Reklameliteratur per definitionem veräußern, sind ihnen lediglich optionales euphemistisches Stilmittel. Zielen Regionalkrimis auf den Absatz der Produkte Buch und Story, ihre Autoren und Verleger aber nicht in erster Linie oder additiv auf den des Produkts Tourismusregion, können sie sich einer durchgängigen Idealisierung von Raum verwehren. Welches Raumnarrativ Regionalliteratur zu schildern autorisiert ist, hängt von ihrer Gattung und medialen Form, vor allem aber von ihren Auftraggebern ab. Das schöne Allgäu etwa erscheint seit knapp 80 Jahren – zwischenzeitlich firmierte Die Zeitschrift für Brauchtum, Kultur, Heimatpflege, Freizeit und Umwelt als offizielles Mitteilungsorgan des Tourismusdachverbands Allgäu GmbH. Titel und Herausgeber, der AVA Agrar-Verlag Allgäu GmbH, sind gemeinsamer Souverän über den Inhalt: Das Heft arkadisiert die voralpine Flora zum Eichhörnchenwald, setzt auf Fotostrecken die Allgäuer Gebirgspanoramen in all ihrer Opulenz in Szene, bringt nostalgisch-musealisierende Reportagen über alte Gewerke und positioniert sich kulturpessimistisch: „Seit Jahren verdrängen Santa Claus und Weihnachtsmann den Heiligen Nikolaus und unser Christkind. Um diesem Treiben Einhalt zu gebieten und unser Brauchtum wieder in den Vordergrund zu stellen, gibt es eine Initiative für den Heiligen Nikolaus mit Krumm-

77 Vgl. Hallet/Neumann 2009 (b) S. 17f.

48 | ALLGÄU RELOADED stab und Mitra. Viele Bäckereien machen im Allgäu schon mit und verkaufen Lebkuchen mit den Original-Nikolaus-Bildern.“78

Publiziert wird, was der auslesenden Konstruktion eines makellos-ruralen Allgäus und dem hartnäckigen Zurechtzimmern eines gegenüber negativ konnotierten, weil zeitgeistigen Einflüssen resistenten Container-Raums dient. Die auf dem gegenwärtigen Zeitschriftenmarkt grassierenden, das Ländliche zelebrierenden Magazine bieten zwar überregional verortete, aber konzeptionell gleiche Narrative. LandLust beispielsweise will laut Untertitel nur Die schönen Seiten des Landlebens arrangieren. Entsprechend erklärt das Magazin Hühnerhaltung für Anfänger, Heilen mit Bärlauch oder wie man antike Kommoden zu rustikal-dekorativen Waschtischen umarbeitet.79 Der Leser erfährt von einer möglichen Lebensumwelt, die ihre Qualitäten des Echten und Ursprünglichen zur Schau stellt, von einem „Ringelreihen von Betulichkeit“80. Während die Magazinseiten das Landleben um seine unappetitlichen Facetten bereinigen, ermittelt der fiktionale Kommissar Kluftinger im Schlachthof, wo sich Rinderhälften reihen, tote Tierkörper ihrer Zerteilung harren, die Knochensäge surrt und es „nach Blut und rohem Fleisch“81 riecht. Gegenüber dem hochglanzigen Kanon der Land-Illustrierten-Ästhetik entkanalisiert Kriminalliteratur als Genre der Populärkunst die Definition des Gefälligen und befriedigt ein Sehnen nach Amüsement auch am dargestellten Hässlichen.82 Wo zielgruppengebundene Zeitschriften einen Kosmos des Schönen verifizieren, bleiben Romanen Spielräume zur Brechung des Bukolischen. Obgleich die politisch-ökonomische Indienstnahme von Literatur durch Trägerschaften

78 Das schöne Allgäu: Lasst uns froh und munter sein. In: Das schöne Allgäu. Die Zeitschrift für Brauchtum, Kultur, Heimatpflege, Freizeit und Umwelt (2010) H. 12, S. 11-13, hier S. 11. 79 Vgl. LandLust. Die schönen Seiten des Landlebens (2014) H. 2. 80 Markus Brauck: Immer schön auf dem Acker bleiben. Magazin „Liebes Land“. Spiegel online, 18.08.2008: http://spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,druck-572712,00. html (Zugriff: 31.03.2015). 81 Volker Klüpfel/Michael Kobr: Erntedank. Kluftingers zweiter Fall. München 2008, S. 275. Die Romane Volker Klüpfels und Michael Kobrs werden einer schnellen und einfachen Lesbarkeit wegen nachfolgend bei Ihrer erneuten Zitation in Fußnoten nicht durch die übliche Nennung von Autor und Erscheinungsjahr, sondern durch die Nennung von Romantitel und Seitenzahl abgekürzt. Im Literaturverzeichnis sind sie regelkonform chronologisch unter Klüpfel/Kobr gelistet. 82 Vgl. Maase 2011 (c), S. 251.

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und Mäzene zur Repräsentation einer Region ein ebenso aktuelles wie bereits seit Jahrhunderten83 praktiziertes Unternehmen ist: Autoren fiktionaler Texte können, wo nicht an werbende Zwecke gebunden oder in der Verantwortung von Fremdenverkehrsstrategen stehend, sich einer Heile-Welt-Inszenierung entziehen, und, statt literarisch „einen quasi überzeitlichen, christlichen oder altbayrischen Schutzwall gegen Wandel und Veränderung zu errichten“84, ihre Werke vom Status der romantisierenden Konservierungsmedien lösen.

2.2 K ONJUNKTUR EINES G ENRES 2.2.1 Neue Regale Als „die aktuellen Popstars der deutschen Krimiliteratur“85 adeln Pressereferenzen die Erfinder des in der Voralpenprovinz ermittelnden Kommissars Kluftinger, Volker Klüpfel und Michael Kobr. Pioniere aber sind sie nicht. Das literarische Morden im anti-urbanen Abseitigen ist ein gegenwärtig boomendes, aber kein neues Phänomen. Bereits ab 1936 schickt der Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser seinen Protagonisten Wachtmeister Studer von der Berner Kantonspolizei in Serienfolge zur Aufklärungsarbeit in die abgeschiedene helvetische Dorfwelt. Die narrative Erschließung dieses Settings ist jener jüngerer Kriminalromane, die im Regionalen verortet sind, durchaus vergleichbar: Studer fahndet, wo die gastronomischen Betriebe „Zum Klösterli“86 und die Häuser „Alpenruh“87 heißen, ihre Bewohner davor auf Sitzbänken in abendlich-einträchtiger Zweisamkeit schwelgen und „Heugeruch […] schwer in der Luft“88 liegt, wo an der offenen Küchentür vorbeiflanierende Hühner89 die Agrarromantik befeuern und sich verlotterte Gärten mit hoher Unkrautdichte und einsam abgestellten verrosteten Rechen90 dem

83 Vgl. Wolf Wülfing: Literarische Gruppen als Träger regionaler Identitäten. In: CeplKaufmann/Mölich 2010 (a), S. 109-120. 84 Hackl 2004, S. 179. 85 Autorengemeinschaft Klüpfel und Kobr GbR: http://www.kommissar-kluftinger.de/ index.php?id=524 (Zugriff: 10.04.2014). 86 Friedrich Glauser: Wachtmeister Studer [1936]. Zürich 1989, S. 57. 87 Ebd., S. 82. 88 Ebd., S. 94. 89 Ebd., S. 201. 90 Ebd., S. 82.

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fiktiven hereingeschneiten Städter ebenso wie dem zugeneigten Leser zur charmant-wildwüchsigen Gottverlassenheit zusammenfügen. Wie die Regionalkrimis des beginnenden 21. Jahrhunderts greift Glauser auf Sprache, die eine geografische Begleitvorstellung trägt, als den Erzählraum miterzeugendes Stilmittel zurück und lässt seine verdächtigen Protagonisten sich nicht auf Hochdeutsch, sondern im am Schauplatz gebräuchlichen Zungenschlag verteidigen: „Bewyse! Bewyse söll er syni Behauptige!“91 Von Rezensentenseite wird ihm das als authentizitätsförderndes Schaffen einer „schweizerische[n] Atmosphäre“92 beglaubigt. Und gleich den postmodernen Varianten schmiegen sich in Glausers Plots Landschaftsbeschreibungen, die, wenn auch nicht quantitativ ausufernd, die Szenerie als dramatische Seelenlandschaft oder malerischen locus amoenus ausweisen: Studer bewegt sich zwischen Hochplateaus, Hügelhängen und Tälern, sieht Birkenblätter „in der Sonne wie Goldstücke“93 glänzen und „purpurn […] de[n] Laubwald in seinem Rahmen von dunkelgrünen Tannen“94 funkeln, erfreut sich an einer Wiese, überzogen von „weißem, blühendem Schaum“95, und einem „Roggenfeld von zart violetter Farbe“96. Doch schon diese Vorform der zeitgenössischen Krimi-Populärliteratur aus den 1930er Jahren verdeutlicht die Erzähltexten eigene Sezierungsgewalt, mit der sie vermeintlich geschlossenen Raumgesellschaften begegnen können, und deren ästhetische Freiheit. Friedrich Glauser enttarnt in Studers Fällen die schöne Abgeschiedenheit als unterminiert. Abfälligkeiten vereiteln das dörfliche Paradies: Der Leichenfundort wird als „Kaff“97 kompromittiert und dem Weiler Pfründisberg lediglich durch „die Tatsache, daß das Dorf Gampligen – zwei Kilometer weit entfernt – seine Toten [dort] begrub“98, Wichtigkeit beigemessen. Armenhäusler und Schnapsler sind Teil der nur pseudo-harmonischen Dorfgesellschaft, prügelnde Bauern perforieren eine Landutopie zwischen Geißen und Rossen, das Schäbige und Parasitäre ist so sehr den erzählten Raum mithervorbringender Drahtzieher, dass die fiktiven Gerzensteiner sich selbst zum Konsum

91 Friedrich Glauser: Der Chinese [1938]. Zürich 1989, S. 206. 92 Hugo Loetscher: Der arme Hund, der jeder von uns ist. Hugo Loetscher über Friedrich Glauser. In: Glauser 1989 (a), S. 239-255, hier S. 252. 93 Glauser 1989 (c), S. 74. 94 Ebd. 95 Glauser 1989 (a), S. 57. 96 Ebd. 97 Ebd., S. 43. 98 Glauser 1989 (c), S. 15.

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der „bunten Heftli mit den Romanen darin“ als „Möglichkeit, der Öde zu entrinnen, zu fliehen in eine Welt, in der es Komtessen gab und Grafen, Schlösser und Teiche und Schwäne und schöne Kleider und eine Liebe“99, genötigt sehen. Die literarische Antithese zur Denkfigur eines nur aufs Metropolitane festgelegten Übels kulminiert in der reflexiven Kommissaren-Präferenz: „Lieber zehn Mordfälle in der Stadt als einer auf dem Land.“100 Serielle Popularität erreichte das explizit und vor allem prominent – nämlich im Titel – platzierte Regionale in der deutschsprachigen Krimilandschaft mit Jacques Berndorf. 1989 veröffentlichte er Eifel-Blues. Seither recherchierte seine Hauptfigur, der Journalist Siggi Baumeister, in weiteren 22 Bänden im äußersten Westen der Bundesrepublik, „am Arsch der Welt“101. Dieser erweist sich allerdings genauso als Ensemble des Pittoresken schilderungsfähig: „Ich fuhr in das Unterdorf hinunter, am Dorfbrunnen vorbei, auf eine alte, schmale Landstraße. Nach sechshundert Metern bog ich in einen Feldweg ab, fuhr am Dorfrand vorbei zurück und bog dann auf die schmale Betonpiste ein, die zum Sportplatz hochführte. Überall waren die Bauern im Heu und grüßten freundlich, wie sie es immer tun.“102

Die nächste Telefonzelle erfordert eine Wegstrecke von drei Kilometern und für eine komplikationsfreie Ermittlungstätigkeit rund um den Dreifachmord in einem 600-Einwohner-Nest ist zunächst zu klären: „Wer melkt Alfreds Kühe?“103 Und auch das vermeintliche kulturräumliche Abgeschottet-Sein der Eifel wird als von Geheimdienstaffären, Gewalttaten und Prostitution unterhöhlt demontiert – die Kommentierung folgt in einer Voreingenommenheiten verhafteten Ausgerechnet-hier-Manier: „Ich dachte immer, auf dem Land hätte man seine Ruhe.“104 Die fiktionale Darstellung reflektiert Stereotypen, obgleich der Autor selbst – mit Realnamen Michael Preute, gebürtig aus Duisburg, 1984 in die Eifel gezogen, 2003 Friedrich-Glauser-Preisträger – seine Schauplatzwahl über Zuschreibungen legitimiert: „Ich lernte die Eifel als klassische Provinz schätzen, als eine Landschaft, in der alle Verbrechen vorkommen, die aber dazu neigt, derartige Erscheinungen der Gesellschaft zu

99

Glauser 1989 (a), S. 96.

100 Ebd., S. 112. 101 Jacques Berndorf: Eifel-Blues. Dortmund 1989, S. 67. 102 Ebd., S. 78. 103 Ebd., S. 83. 104 Ebd., S. 35.

52 | ALLGÄU RELOADED verschweigen. Provinz verschweigt immer. Und das war eine Herausforderung. Hinzu kommt, daß ich selbst in der Provinz lebe, weil dort die entschieden kauzigeren Typen leben, Weiblein wie Männlein [Hervorhebungen: KL].“105

Die Rolle, die den im Roman beschriebenen sozialen Gütern106 eines Raums – ihres klischeehaften Charakters weitgehend ungeachtet – zukommt, verantwortet aber ein Kriterium der Kategorisierung von Regionalkrimis. Beispiel Eifel-Blues: Siggi Baumeister sucht und findet Wolle an einem Stacheldraht und Schafkot – für ihn wichtige Indizien, dass ein bestimmter Zeuge an einem bestimmten Ort zugegen war. Weshalb? „Die Eifel ist immer ein karges Land gewesen, die Böden sind nicht sonderlich ergiebig. Also hat die Schafzucht Jahrhunderte lang die wichtigste Rolle gespielt. Schafe haben hier sogar Landschaften entstehen lassen, die sogenannten Wacholderheiden. […] Noch heute gibt es ein paar große Schafherden... […] Man kann auf einer Wiese genau unterscheiden, ob da Kühe gegrast haben oder Schafe. Und wenn ein Hirte mit einer Herde in der Gegend war, als sie erschossen wurden, dann hat sich Marita aus irgendeinem Grund daran erinnert.“107

Das bedeutet: Die Schafe als für die Konstruktion der Einheit Eifel charakteristisch beanspruchte Elemente wirken handlungsgenerierend. Der Krimiplot kann sich so nur in diesem Raum ereignen. Eine Verortung etwa in traditionellen Streuobstwiesen- oder Ackerbaugebieten wäre nicht möglich. Das macht EifelBlues zum Regionalkrimi, dessen konkrete behandelte Region nicht mit einer anderen austauschbar ist. Jacques Berndorfs Eifel-Krimi-Reihe gilt als Impulsgeber für die gegenwärtige Regionalkrimi-Konjunktur. Kritiker dringen zurecht darauf, dass „schon die alte britische Rätselkrimischule […] uns kuschelige, skurrile Dörfchen vorgeführt“108 habe, wo Agatha Christies Miss Marple das Böse entlarvte. Jeder je geschriebene Krimi ist auch verortet – viele in molochhaften Großstädten, aber ebenso traditionsgemäß auch einige auf dem Land, im Dorf, in der Provinz. Die Eifel-Krimis sind jedoch insofern Genre-initiierend, als sie erstmals Verkaufserfolge in Serie für nicht mehr nur die Netto-Variante eines fiktiven Verbrechens

105 Jacques Berndorf: Wie alles begann: http://www.jacques-berndorf.de/html/uber_ mich.html (Zugriff: 11.04.2014). 106 Vgl. Löw 2001. 107 Berndorf 1989, S. 139f. 108 Tilmann Gangloff: Daheim ist daheim. In: Stuttgarter Zeitung, 13.04.2013.

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verbuchen: Nicht ausschließlich ein Kriminalfall ist ihr ausgefeilter Gegenstand, sondern zusätzlich ein spezifischer Raum, dessen Narrativ dem Krimiplot gegenüber ebenbürtig gewichtet ist oder diesen erst hervorbringt. Bei Berndorf ist diese Co-Präsenz der Region Romanbasis und wird an exponierter Stelle akzentuiert: nämlich bereits im Titel. Sogenannte Regionalkrimis kennzeichnen sich durch ihr Insistieren auf dem Regionalen.109 Verwehrt sich ihr Mitbegründer gegen diese Bezeichnung, mag dies auch an eigenem Distinktionsbestreben liegen: „Der Begriff Regional-Krimi ist deshalb so fatal, weil letztendlich dann auch Agatha Christie und Raymond Chandler Regional-Krimis schrieben, die eine aus dem Süden und Südwesten Englands, der andere aus dem Bereich Los Angeles.“110 Seit der letzten Jahrtausendwende wurde der deutschsprachige Teil (aber auch der schwedische, französische oder italienische) auf dem Atlas der Regionen nahezu flächendeckend belletristisch erschlossen: kein Küstenabschnitt, kein Mittelgebirge, kein Waldgebiet, für das sich die schriftstellerische Einbildungskraft noch keine(n) Toten ausdachte. Gängiges Kennzeichen: Die Regionalkrimis sind primär über ihren Schauplatz definiert. Die enorme Bedeutsamkeit des erzählten Raums konkretisiert sich in den jeweiligen Untertiteln. Diese verorten die Werke offensiv als Ostfriesland- oder Harz-Krimi, Schwarz- oder OdenwaldKrimi, Rügen-, Remstal- oder Rhein-Neckar-Krimi. Besonders im Bayerischen und gesamten (Vor-)Alpenraum ist die Dichte der fiktiven Mordopfer hoch. Leichen pflastern fiktionalisierte Skipisten und Mountainbike-Trails, seriell gemeuchelt wird im Salzkammergut und im Karwendelgebirge, in Chiemgau-, Oberbayern- oder Alpen-Krimis, bei Föhnlage, zur Hochsaison und auf dem Josefibichl. Friedrich-Glauser-Preisträger Andreas Föhr ersinnt Tote rund um den Tegernsee, Täter treiben sich um Gipfelwirtshäuser und Funkenfeuer herum, die Ermittler haben mit Hendlmorden und Grießnockerlaffairen zu tun und genießen Weißbier in regelmäßigen Dosen. Und in Jörg Maurers Niedertracht muss der Garmischer Hauptkommissar Hubertus Jennerwein erst seine Eignung als Bergfex unter Beweis stellen, um, alarmiert von der Bergwacht, „an der Schneefernerscharte, auf zweitausendsiebenhundertzehn Meter Höhe“111, in der Wand eine mumifizierte Leiche zu inspizieren – bevor die Mordkommission die Lösung eines Falls bei Bierzelt und Blasmusik feiert.112

109 Vgl. Köstlin 2005 (a), S. 120. 110 Jacques Berndorf: Wie alles begann: http://www.jacques-berndorf.de/html/uber_ mich.html (Zugriff: 28.04.2014). 111 Jörg Maurer: Niedertracht. Alpenkrimi. Frankfurt am Main 2011, S. 14. 112 Ebd., S. 356.

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Seit in der Provinz situierte Kriminalgeschichten auf dem Markt erscheinen, erwidern Kritiker und Feuilletonisten ihre Veröffentlichung mit despektierlichem Urteil. Die Schiedssprüche der Kanonorientierten und der Kulturredaktionen brandmarken sie als Triviales abseits der hohen Künste. So erfuhr es Friedrich Glauser, der sich verlegerischem Naserümpfen ausgesetzt sah, weil er beabsichtigte, dem altehrwürdigen Kunstwerk Roman ausgerechnet durch „seinen verachteten Bruder, den Kriminalroman“113 zu neuem Renommee zu verhelfen. Und so verfahren auch gegenwärtige Rezensionen, wenn sie die Qualität des einzelnen Werks reflexhaft nach ihrer kontextuellen Einbettung „in einem Genre, in dem schlichte Dutzendware überwiegt“114, werten. Ehe Buchkritiker sich mit einem individuellen Plot und Schreibstil auseinandersetzen, scheint es für sie bei Regionalkrimis von besonderer Wichtigkeit, sich selbst als Kontrollinstanz in überlegener Distanz zu dieser Art von Lektüre zu positionieren. Die Krimiautoren selbst stellen Pressestimmen online, die mit Geringschätzigkeiten à la „Das Grauen hat einen Namen: Regionalkrimi“115, „Regionalkrimis sind üblicherweise ästhetische Horrortrips“116 oder „Kann ein schäbiger Taschenbuchkrimi Literatur sein? Zumal ein Krimi jener Spielart, die das abgeschmackteste und narzisstischste Wiedererkennungsbedürfnis geistloser Leser bedient: der Regionalkrimi?“117 ansetzen, um in die überraschte Wohlgesonnenheit eines Dafür-ist-dasBuch-doch-ganz-gut-Tenors zu münden. Anders als der Feuilletonjournalist ist der an Populärkultur interessierte Wissenschaftler aber angehalten, sich zur Analyse von Regionalkrimis von eigenen (möglicherweise elitären) Geschmacksbefindlichkeiten und einer an den Maßstäben der klassischen Lehre vom Schönen orientierten Wächterrolle über die Höhenkammliteratur zu lösen.118 Der Landstrich zwischen Memmingen und Oberstdorf, Wangen und Marktoberdorf erreichte mit den Büchern Volker Klüpfels und Michael Kobrs literari-

113 Friedrich Glauser: Offener Brief über die Zehn Gebote für den Kriminalroman. Zit. nach Loetscher 1989, S. 251. 114 Wilhelm Triebold: Was macht die Leiche im Neckar? Elly und die Detektive, Schillers Schädel und die Dämonen am Schönbuchrand: Wie sich vier Regionalkrimis den Tatort Tübingen erschließen. In: Schwäbisches Tagblatt, 25.05.2012. 115 Autorengemeinschaft Klüpfel und Kobr GbR: http://www.kommissar-kluftinger.de/ (Zugriff: 17.04.2014). 116 Joergmaurer.de: http://www.joergmaurer.de/content_html?nid=110&nidc=110 (Zugriff: 17.04.2014). 117 Ebd. 118 Kaspar Maase empfiehlt mit dem Sozialanthropologen Alfred Gell, sich in methodologischem Banausentum zu üben: Maase 2011 (c).

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sche Berühmtheit. 2003 erschien der erste explizit als Allgäu-Krimi bezeichnete Roman – allerdings nicht aus der Feder des Autorenduos. Schussfahrt ist von der gebürtigen Kemptenerin Nicola Förg verfasst. Ihr Debütroman trägt, wie inzwischen viele seiner Nachfolger, eben diese geografisch verortende Gattungsbestimmung im Untertitel. Im selben Jahr, wenige Monate später, war Klüpfels und Kobrs Milchgeld erhältlich. Die Romane der beiden Autoren waren – im Gegensatz zu Förgs – lediglich in der im Memminger Maximilian-Dietrich-Verlag erschienenen Erstausgabe und den weiteren Auflagen aus dem gleichen Haus als Ein Allgäu-Krimi bzw. Ein Krimi aus dem Allgäu119 untertitelt – in den weitaus höheren Folgeauflagen in größeren Verlagshäusern aber nur noch als Kluftingers erster Fall (bzw. entsprechend chronologisch fortlaufend bei den nächsten Bänden). Dennoch waren sie es, die das Genre Regionalkrimi zur Hochkonjunktur trieben und seine Subkategorie Allgäu-Krimi prägten. Wenn auch nicht mehr selbstreferenziell so bezeichnet, werden Klüpfels und Kobrs Romane dennoch in dieser Studie als Regional- und konkret Allgäu-Krimis verstanden: aufgrund ihres Verortetseins im Ruralen und weil sie dennoch – auch teils bereits im Titel – eine gleichgewichtete Relevanz von erzähltem Kriminalfall und erzähltem ländlichem Raum unterstreichen. Milchgeld, Erntedank oder Laienspiel sind zwar keine Synonyme für den Begriff „Allgäu“, verweisen aber je als Pars pro Toto auf seine als typisch zugeschriebene Ausstattung an Gütern. Zwar wird Förg von Buchhändler- und Verlegerseite vor Ort der Rang als „Erfinderin der Allgäu-Krimis“120 zugestanden, im selben Atemzug aber der höchste Bekanntheitsgrad und die Zugpferdfunktion Klüpfel und Kobr zuerkannt. Zum Erstling Schussfahrt inspirierten die häufig mit alpinen Themen beschäftigte Reisejournalistin berufsbedingte Besuche etwa beim aus ihrer Sicht als völlig albern eingestuften Schlossneubau Playcastle im Tiroler Seefeld. Ihr war es ein Bedürfnis, eine Geschichte zu erzählen, die sich kritisch mit derartigen Formen des Tourismus auseinandersetzt – damit die Rubrik Allgäu-Krimi aus der Taufe zu heben, nicht primäres Vorhaben: „An Krimi wurd’s eigentlich nur deshalb, weil ich halt selber wahnsinnig gern Krimis g’lesen hab’.“121 Im Gegensatz dazu handelte es sich bei Erntedank um eine Auftragsarbeit: Der Memminger Maximilian-Dietrich-Verlag strebte erste Versuche in Belletristik an. Auf der Suche nach Autoren wandte er sich an den als gut vernetzt geltenden damaligen

119 Volker Klüpfel/Michael Kobr: Milchgeld. Kluftingers großer Fall. Ein Krimi aus dem Allgäu. Memmingen 2004. 120 Interview mit Frank Edele, Geschäftsführer von Buchhandlung und Verlag Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 121 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013.

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Kulturredakteur Volker Klüpfel – der die Aufgabe gemeinsam mit seinem Jugendfreund dann selbst übernahm. Die Genre-Vorgaben des Verlegers waren in der Erinnerung von Co-Autor Kobr gar nicht dezidierter Art: „Er wollte halt was, was quasi da lokal verortet isch.“122 Der Rezeptionsradius beschränkte sich anfangs auf das reale Pendant des fiktionalisierten Schauplatzes, sowohl bei Klüpfel und Kobr als auch bei Förg. Die ersten Allgäu-Krimis kauften Allgäuer. Von Kluftingers geistigen Vätern wurde der entsprechende Absatzmarkt beliefert: „Wir sind zu den kleinen Käsereien im Allgäu gefahren und haben versucht, unser Buch [das erste spielt in der Milchwirtschaft, KL] dort an den Mann zu bringen“123, sagt Kobr. Dem Erfolg bei den Nahraumlesern folgte überregionaler Zuspruch. Inzwischen verteilt sich Kluftingers „riesengroße Fangemeinde“124 über die ganze Bundesrepublik. Die Romane sind bis nach Hamburg im Buchhandel erhältlich und werden im Allgäu sowohl von Einheimischen als auch Gästen nachgefragt.125 Ein Genre mit vermeintlich begrenzter Reichweite entwickelte sich zum Exportschlager einer Region – und zur profitablen Produktlinie. Mit der Übernahme der prosperierenden Romansparte durch die Großverlage – Förg wechselte vom auf Krimis spezialisierten Emons-Verlag zu Goldmann und später zu Piper, Klüpfel und Kobr erst zu Piper und dann zu Droemer126 – kamen die hohen Auflagen. „Allgäu-Krimi“ avancierte zum ökonomisch lukrativen Label. Es verspricht mittlerweile eine derart einträgliche Einnahmequelle zu sein, dass Verlage sich nicht länger nur auf die schriftstellerische Schaffenskraft vor Ort Lebender verlassen, sondern auswärtige, eigens dafür geschulte Autoren als auftragsreisende Krimi-Schreiber ins Allgäu entsenden. Das Regio-Segment lockt. Sogar ursprünglich auf Sachbücher spezialisierte Verlage erschließen sich für sie neues, aber unriskantes Terrain und erweitern ihren Katalog um fiktionale Kriminalliteratur. Im Bergsportverlag Rother etwa, eigentlich auf Wanderführer und Kletterbücher festgelegt, erschien 2013 Abgrund von Stefan König. Darin verdingt sich ein passionierter Kletterer als Privatdetektiv.

122 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 123 3nach9. WDR-Fernsehen. Ausstrahlung am 06.04.2012. 124 Interview mit Nina Brezina, Belletristik-Koordinatorin in der Buchhandlung Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 125 Ebd. 126 Nach dem Wechsel zu Droemer klagte das Autorenduo gegen Piper: Klüpfel und Kobr forderten von ihrem Ex-Verlag eine höhere Beteiligung an den Erlösen ihrer Romane. Beide Parteien einigten sich außergerichtlich.

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Die „Kehrseite“127 dieses passablen Geschäftsmodells – und in dieser Wortwahl offenbart sich erneut ein der Ästhetik der Hochkultur zugeneigter, das Triviale tadelnder Impetus – sei, dass inzwischen alles verlegt werde, was als Regional- und Alpenkrimi daherkomme, schreibt der Kulturjournalist Stefan Fischer. Er koordiniert für die Süddeutsche Zeitung die Reihe Es geschah in..., die KrimiRegionen und -orte portraitiert.128 Etwa die Chiemgau-Fälle des Rosenheimer Verlags seien die Bäume nicht wert, die ihretwegen gefällt würden. Fischer weiter: In diesem Genre habe man auch mit mäßig literarischem Talent die Chance auf einen Buchvertrag,129 in keinem anderen Segment sei es so einfach, ein Buch gedruckt zu bekommen.130 Ähnlich mokiert sich Kolumnist Axel Hacke, dass den Verlegern überhaupt nichts anderes mehr einfalle, als Regionalkrimis herauszubringen: „Sie haben eine Sammlung von Gedichten unter dem Titel Schlundschatten? Gehen Sie, kommen Sie mit einem Regionalkrimi wieder! Ihr Roman soll Die Morgenschmacht des Eichelhähers heißen? Klingt das nicht nach einem Regionalkrimi? Sie möchten Ihre Habilitationsschrift über Besamungsprobleme bei ostfriesischen Nebenrindern veröffentlichen? Machen Sie einen Regionalkrimi draus!“131

Nach dem gedeihlichen Abschneiden der Vorreiter schnellte auch im Allgäu die Zahl jener, die es ihnen gleichzutun beabsichtigten, nach oben. Nina Brezina verantwortet in einer Kemptener Buchhandlung das belletristische Angebot und entscheidet, welche Allgäu-Krimis ins Sortiment aufgenommen werden. Ein aus der Allgäu-Krimi-Inflation der letzten Jahre resultierendes Unbehagen ihrer Genre-kompetenten Konsumenten schildert sie so: „I hab’ ganz viele Kunden, die sagen, i hab’ des g’lesen, und i hab’ des Gfühl g’habt, des wurde jetzt schnell, schnell innerhalb von ’ner Woche hingeschrieben, dass mer au’ ’nen Allgäu-Krimi auf’n Markt bringen kann.“132 Zwar gibt sie an, streng nach

127 Stefan Fischer: Mordsberge. In: DAV Panorama (2013) H. 3, S. 88-89, hier S. 89. 128 Z.B. Jean-Claude Izzos Marseille, Bruno Morchios Genua, Ken Bruens Galway oder Martin Walkers Périgord. Das Berichterstattungskriterium definiert Fischer im Interview vom 11.10.2013 in deutlicher Abgrenzung zu Schund: „literarische Qualität“. Allgäu- oder Alpen-Krimis wurden bislang nicht vorgestellt. 129 Stefan Fischer 2013, S. 89. 130 Interview mit Kultur- und Reisejournalist Stefan Fischer am 11.10.2013. 131 Hacke 2012. 132 Interview mit Nina Brezina, Belletristik-Koordinatorin der Buchhandlung Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013.

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sprachlichen Kriterien auszusieben und sich nicht nur vom Aufdruck „AllgäuKrimi“ und der damit verbundenen guten Verkaufsprognose leiten zu lassen, bringt aber auch ihren persönlichen Ärger darüber, dass im Zuge dieses Spartenbooms letztlich „jeder meint, er kann schreiben“133, zum Ausdruck. Brezinas Chef, der Geschäftsführer von Buchhandlung und Verlag Tobias Dannheimer, Frank Edele, spitzt zu: „Es gibt unglaublich viele schlechte Allgäu-Krimis.“134 Dass es mittlerweile zahlreiche Allgäu-Krimi-Verfasser gibt, ist für die einzelnen Autoren zunächst von Vorteil. Sie profitieren vom Erfolg des Labels, der ihnen die unproblematische Veröffentlichung ermöglicht, und von der konsumleitenden Spartentreue der Leser: Wer an einem Allgäu-Krimi Gefallen fand, erwirbt auch einen zweiten. Letzteres gilt allerdings nur eingeschränkt. An die Bestsellerlisten-Platzierungen und Verkaufszahlen Kluftinger – bis zum Erscheinen von Herzblut nahmen Klüpfel und Kobr Tantiemen aus 4,5 Millionen verkauften Exemplaren ein135 – konnte kein anderer fiktiver Ermittler aus dem Allgäu anknüpfen. Das Phänomen Regional- und speziell Allgäu-Krimi ist hauptsächlich ein in der Summe erfolgreiches. Überregionale Durchschlagskraft bleibt dem Großteil der Autoren verwehrt. Mit ein Grund dafür ist, dass deren Werke, weil im Gegensatz zur Kluftinger-Reihe in Kleinverlagen mit eher schmalen Werbebudgets veröffentlicht, nicht zu Verkaufsschlagern gemacht werden können. Einen Bestseller, verstanden als „produzierter Absatzerfolg, der insofern von vorneherein geplant wird, als die betreffenden Verlage in bestimmte Bücher mehr finanzielle Mittel für kommunikationspolitische Zwecke investieren als in den Rest des Verlagsprogramms“136, vermag sich etwa der Piper-Verlag müheloser zu leisten. Die verbleibende Hoffnung dieser anderen Krimi-Schreiber auf branchenübergreifende Unterstützung scheitert – und das ist das Dilemma der von Etiketten-Erfinderin Förg als „Nachahmer“137 Bezeichneten – wegen mangelnder Nachfrage an ihren Büchern, wie Simone Zehnpfennig, PR-Koordinatorin beim Tourismusdachverband Allgäu GmbH, ausführt:

133 Ebd. 134 Interview mit Frank Edele, Geschäftsführer von Buchhandlung und Verlag Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 135 Vgl. z.B. Elmar Krekeler: „Krekeler kill“: Kluftinger 7.0 – Ein viel zu guter Tag zum Sterben. In: Die Welt, 08.03.2013: http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/ article114252856/Kluftinger-7-0-Ein-viel-zu-guter-Tag-zum-Sterben.html (Zugriff: 31.03.2015). 136 Burkhart R. Lauterbach: Bestseller. Produktions- und Verkaufsstrategien. Tübingen 1979, S. 181f. 137 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013.

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„Und dann krieg’ i die Bücher zug’schickt und dann heißt’s immer: ‛I würd’ mi freuen, wenn se des auch so vermarkten könnten wie Kobr und Klüpfel’. Dann muss i immer sagen: ’Ich hab’ die nicht vermarktet.‘ Klar, wir ham zusammengearbeitet und des is’ eine Synergie. Aber ich kann des nur machen, wenn auch von denen der Rücklauf kommt und wenn die Bücher auch gefragt sind. Wir arbeiten gut zusammen, aber die Basis is’ auch deren Erfolg.“138

Beispiel Tobias Dannheimer: Das gleichnamige, 1783 gegründete Allgäuer Verlagsunternehmen lag nach dem Zweiten Weltkrieg am Boden. Zum 200-jährigen Jubiläum wurde wieder mit der Publikation von Heimatbüchern – Bildbände über Kempten oder Kulturlexika für das Allgäu – begonnen. Gegenwärtig bringt Tobias Dannheimer die Allgäu-Krimireihen zweier in der Region lebender Autoren, Peter Nowotny und Kurt Simmeth, heraus. Für Geschäftsführer Frank Edele hat das den Status einer „Liebhaberei“139. Er lektoriert nachts zwischen zwölf und vier Uhr, nach dem in den sechs zugehörigen Buchhandlungen zu absolvierenden Tagesgeschäft. Was unter dem scheinbar einenden Label „Allgäu-Krimi“ firmiert, ist eine heterogene Buch- und Produktionspalette. Das verlässlich einbringliche Schaffen von Klüpfel und Kobr fällt darunter, ebenso das auf bundesweiten Absatz hin zielende Marketing finanzkräftiger Verlage und schließlich passioniert betriebene Literaturfabrikation, die einen Resonanzradius bis Memmingen allerdings kaum überschreitet. In der Kemptener Buchhandlung Tobias Dannheimer werden Regional- und Allgäu-Krimis nicht im universalen Krimiregal mit Schmökern amerikanischer, britischer oder skandinavischer Provenienz einsortiert, sondern in einem separaten präsentiert, das wiederum mit großen Lettern in die Unterkategorien „Klufti“, „Allgäu-Krimi“ und „Heimat-Krimi“ unterteilt ist. Bis vor rund sieben Jahren genügte dem Geschäft zur Auslage dieser Sparte noch ein fünfzig Zentimeter

138 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013. Simone Zehnpfennig wurde mehrmals interviewt – in verschiedenen Funktionen (sie ist außerdem Initiatorin des Reiseführer-Dienstleistungsunternehmens Unterallgäuer Gästebegleiter). Angegeben wird die im jeweiligen Kontext relevante. 139 Interview mit Frank Edele, Geschäftsführer von Buchhandlung und Verlag Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013.

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langes Brett,140 das in der Fremdenverkehrshochsaison einem ganzen Tisch mit Allgäu-Dingen wich. Klüpfels und Kobrs Regiokrimis sind immer, die anderen zumindest überwiegend mit zusammengesetzten Doppelwörtern – wie Schutzpatron, Markttreiben, Bußpredigt oder Rosskur – betitelt. Ihr Coverdesign folgt den stets gleichen Schemata: Sie zeigen entweder Tiere (in der Hauptsache Kühe, gefolgt von Geweih-starkem Wild), Stillleben von Vesper-Mahlzeiten rustikaler Couleur oder Exempel eines alpenländisch konnotierten Güterbestands (Kruzifixe, Milchkannen, Skier), häufig vor mächtigen Gebirgsketten oder Holzhütten im Bildhintergrund. „Das Verlagsmarketing passt jedenfalls zum Inhalt“141, urteilen Frauenzeitschriften über die Titelmotivik, demgegenüber ärgert sich Krimi-Schriftstellerin Nicola Förg über die standardisierte Bebilderung auch ihrer eigenen Bücher: „Ich find’ des Cover von dem Platzhirsch ganz ehrlich ’ne Mogelpackung. Weil da sitzt natürlich auf der wie immer unvermeidlichen karierten Decke dieser reizend blickende Dackel drauf, und irgendwie is’ des alles furchtbar putzig. Des Buch is’ aber nich’ putzig. Und eigentlich korrespondiert der Inhalt nich’ mit dem, was drauf is’. Aber die Verlage machen das eben, weil des ’n Verkaufsargument is’. Weil in den Buchhandlungen is’ des ’n Eyecatcher.“142

Die gesonderte Inszenierung von Regionalkrimis ist deutschlandweit in Buchgeschäften Usus – mitunter requisitenhaft umrahmt von einer alpinen Produktpalette. Piper-Verlag und Allgäu GmbH etwa schrieben ein Gewinnspiel für Buchhändler aus: Belohnung für die am schönsten zum Thema „Kluftinger“ dekorierte Buchhandlung war ein Kluftinger-Wochenende. Obwohl nur äußerst selten Handlungsintermezzi (wie ein Skiausflug) der Kluftinger-Romane in den Höhenlagen der Allgäuer Alpen stattfinden, greift die PR-Kommunikation beständig auf das Bergmotiv zurück. Milchgeld wird im Verlagsflyer als „Mord auf der Alm“143 verschlagwortet, auf dem RauhnachtCover dräut eine Felswand. Das Bayerische Fernsehen portraitiert Klüpfel und Kobr in der Reihe „Bergheimat“ in einer „Geschichte zwischen Alpin-Idyll, Heimatverbundenheit, Verbrechen, Bestseller-Ruhm und Lokalkolorit [Hervor-

140 Vgl. Interview mit Nina Brezina, Belletristik-Koordinatorin der Buchhandlung Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 141 Julia Kospach: Blutspuren an der Lederhose. Welt der Frau (2013) H. 10, S. 46-49, hier S. 46. 142 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 143 Piper-Verlag: Klüpfel & Kobr. Flyer.

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hebung: KL]“144. Die Dokumentation zeigt die Autoren bei einer Autofahrt, „gleich tolle Bergsicht“145 versprechend, beim Bergwandern mit ihren Vätern und über selbiges sinnierend. In einer anderen Sendung146 passieren sie, aus dem Off mit Glockengeläut und Blasmusik untermalt, radelnd Kühe, Wiesen und Wegkreuze. Auf Agenturfotos posieren beide in Lederhosen und Edelweiß-Zier. Der Onlineshop Kluftis Kiosk verkauft Kleidung mit aufgedruckten KässpatzenRezepten und dialektal gefärbten Botschaften. Das Autorenduo tourt zu den großen Bühnen Deutschlands, während die Konkurrenz in überschaubaren Buchhandlungen aus ihren Büchern liest. Und stets berichtet die (jeweils lokale und überregionale) Presse. Das genormte und auf Erkennbarkeit hin gestaltete Erscheinungsbild der Regionalkrimis und ihre Produktion in Serie, ihre Promotion durch die Verlagshäuser und ihr Stattfinden in den Medien bestätigen die bereits 1979 von Burkhart Lauterbach formulierte These des geplanten Charakters von Bestsellern147 – bzw. hier der kalkulierten Hochkonjunktur eines ganzen Genres der Unterhaltungsliteratur. Es genüge in keiner Weise, in den Büchern selbst die Voraussetzungen für ihren Verkaufserfolg ausfindig zu machen,148 schreibt Lauterbach. Für das Phänomen Regionalkrimi gilt entsprechend, vor einer Analyse der in den Büchern dargestellten Raumbilder, festzuhalten: Das vom Gesamtprodukt Buch vermittelte Raumnarrativ ist zu einem maßgeblichen Teil auch der verlagspolitisch gesteuerten Aufbereitung geschuldet. Die Buchbranche greift das Zeitgeistphänomen Regionsenthusiasmus auf und befeuert es, in ihrem eigenen, an den gegebenen Marktstrukturen ausgerichteten Interesse, mit. Regionalkrimis erfüllen wesentliche Kriterien spezifisch westlich-moderner Populärkultur, wie sie Kaspar Maase beschreibt:149 das Primat wirtschaftlicher

144 Bergheimat. Kobr, Klüpfel, Kluftinger und ihr Allgäu. Eine Geschichte zwischen Alpin-Idyll, Heimatverbundenheit, Verbrechen, Bestseller-Ruhm und Lokalkolorit. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 06.01.2012. 145 Ebd. 146 Freizeit: Schmidt Max und der Tatort Allgäu. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 13.09.2012. 147 Lauterbach 1979. 148 Ebd., S. 26. 149 Kaspar Maase: Populärkultur – Unterhaltung – Vergnügung. Überlegungen zur Systematik eines Forschungsfelds. In: Christoph Bareither/Ders./Mirjam Nast (Hg.): Unterhaltung und Vergnügung. Beiträge der Europäischen Ethnologie zur Populärkulturforschung. Würzburg 2013, S. 24-36, hier S. 31-33.

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Lukrativität, Standardisierung, Branding und explizite Distinktion der Artefakte und ihrer Ästhetiken von anderen. Sie sind gezielt auf gewinnbringenden Absatz und den Geschmack der Vielen hin produziert. Damit handelt es sich schon bei der Publikation literarisch erzählten Allgäus um einen spezifischen (hier: ökonomischen) menschlichen Erwägungen folgenden Akt des Gestaltens. 2.2.2 Wettbewerb Die Inflation der Allgäu-Krimis bedeutet einen wiederholten Zugriff auf eine physisch-materielle Einheit. Das hat nicht Redundanzen des stets gleichen Narrativs zur Folge, sondern gerade die literarische Pluralisierung von Raum. Peter Nowotny, promovierter Agrarwissenschaftler, Reiseleiter, Bergsteiger, Wanderführer-Autor, schreibt seit 2004 Kriminalromane um den Kemptener Hauptkommissar Paul Wanner. Sein literarisches Allgäu will er nicht als Teil der Fiktion ausgelegt wissen: „Nicht erfunden sind dagegen alle örtlichen Gegebenheiten, die bis ins Detail recherchiert wurden.“150 Sein realistisch gedachtes Erzählen von Region folgt einem erschöpfenden Auflisten geografischer Angaben wie Gipfel, Straßen und Ortschaften, die mit der empirisch erfahrbaren Welt (und ebenso nonfiktionaler Sach- und Wanderliteratur) übereinstimmen. Exemplarisch eine Passage aus Grünten-Mord: „Wir können entweder über Kranzegg zur Grüntenhütte fahren, müssen dann von dort ein Stück bis zum Roßköpfle aufsteigen, und von diesem nach Westen über den schmalen Weg Richtung Zweifelgehren Alpe absteigen. So, wie ich die Ortsbeschreibung verstanden habe, müsste der Tote in direkter Linie unterhalb des Jägerdenkmals liegen. Die andere Möglichkeit wäre, nach Burgberg und zum Gasthaus Alpenblick, dann den Alpweg zur Alpe Rossberg zu fahren und von dort den direkten Aufstieg zur Grüntenhütte zu nehmen, was aber im Dunkeln nicht günstig erscheint. Es ginge auch weiter bis zur oberen Schwande um von dieser den Aufstiegsweg über Zweifelgehren zu nehmen.“151

Urteil der Kollegin: Nowotny „beschreibt ja jeden Stoa persönlich“152. Bis 2013 verkaufte er 40.000 Krimis, erreichte aber in der Touristiker-Wahrnehmung „nie so den Kultstatus wie die zwei Autoren [Klüpfel und Kobr, KL]“153.

150 Peter Nowotny: Vorwort. In: Ders.: Grünten-Mord. Allgäu-Thriller. Kempten 2009, S. 5-6, hier S. 5. 151 Nowotny 2009 (a), S. 110. 152 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013.

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Auch Willibald Spatz’ Alpendöner firmiert via Untertitel als Ein AllgäuKrimi. Er spielt nahezu ausschließlich im städtischen Milieu Kemptens. Handlungsepisoden im Ländlichen sind rar, Landschaften werden weder ironiefrei noch idyllisierend beschrieben, die Protagonisten als gescheiterte Existenzen (Alkoholkranke, Nazis, Sexisten, Schläger, Homophobe) geschildert. Statt Allgäuer Dialekt – zumindest bei Nebenfiguren sonst genreübliche Konvention – dominiert – genreunüblich – Fäkal- und Jugendsprache. Elemente eines Allgäuer Produktrepertoires wie Nahrung oder Kleidung werden weder positiv konnotiert zelebriert noch überhaupt erst aufgezählt. Die Ermittlerfigur Birne, Anfang dreißig, frequentiert in der Erzählung nicht Orte eines etablierten Allgäuer kulturellen Erbes, sondern agiert im Raum jugendlicher Subkulturen. Lediglich das Künstlerhaus, in realiter ein soziokulturelles und selbstverwaltetes Zentrum Kemptens, sticht als präzise beschriebene Ortsangabe und Wirklichkeitsreferenz hervor. Der fiktive Mord erfolgt an einer Rentnerin, die fiktive Tatwaffe, ein Kebabmesser, exponiert allegorisch das Thema des Romans: Ausländerfeindlichkeit. Auszug aus einem Verhör des Kommissars mit einer, aufgrund des Tötungswerkzeugs reflexartig verdächtigten, Türkin: „‚Wissen Sie, was ein Eid nach Deutschem Gesetz bedeutet?‘ ‚Weiß ich. Behandeln Sie mich nicht wie eine Idiotin.‘ Das überraschte Abraham, er hatte gedacht, die Türken hätten ihren Frauen das Aufbegehren ausgetrieben. Er musste wieder strenger mit ihr reden.“154 Das Setting ist austauschbar: Die in Alpendöner erzählte Stadt könnte auch jede andere deutsche anstelle Kemptens sein, die episodenhaften Trips ins Allgäuer Umland und Hochgebirge könnten durch Exkurse in jedes andere Ländliche und jeden anderen massenhaft eingeübten Naherholungsraum ersetzt, das fiktive Verbrechen auch in der Nachbarschaft eines jeden fränkischen oder hessischen Dönerbudenbesitzers verübt werden. Der Roman opponiert gegen Spießbürgertum und Kleingeistigkeit – doch sein kulturkritischer Impetus ist überregional platzierbar. Der Krimi diskutiert die Begegnung mit und die Angst vor dem als fremd Empfundenen und damit die Labilität von Raumkonstrukten. Jedoch rekurrieren rot-weiß kariertes Coverdesign, Titel und besonders Untertitel auf ein Label und seine Vermarktungsfähigkeit und stellen damit die artifizielle Entfaltung eines spezifischen Regionsentwurfs in Aussicht. Die Diskrepanz zwischen äußerer Buchgestaltung und Inhalt gründet nicht in der – zwar gattungs-

153 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013. 154 Willibald Spatz: Alpendöner. Ein Allgäu-Krimi. Meßkirch 2009, S. 90.

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atypischen – kontinuierlich negativen Konnotation des erzählten Sozialraums („Arschlöcher, alles Arschlöcher hier. Keine Zukunft für niemanden hier. Das ist der Vorhof zur Hölle […]. Birne verlor immer mehr an Würde, Lust und Elan, dafür gewann seine Abscheu vor den Menschen auf diesem Platz der Erde, dem hässlichsten, dem verkommensten“155), sondern in der quantitativ und qualitativhandlungsgenerierend völligen Irrelevanz gerade eines spezifischen Allgäus. Die auf die Marke Allgäu-Krimi pochende Aufbereitung des Buchs lockt entsprechend versierte Regionalkrimikonsumenten, doch Plot und der persiflierende, sich jeglicher Tümelei verwehrende und im feuilletonistisch-engeren Sinn popliterarische Schreibstil schüren ihr Missfallen.156 Xaver Maria Gwaltingers Kruzifix (2013) weisen Rinder-Cover und Untertitel als Allgäu Krimi aus. Läutende Kuh- und Kirchenglocken, Trachtenjanker und Frühschopppen zählen mit zum erzählten (im-)materiellen Güterbestand. Doch Gwaltingers literarisches Allgäu ist ein Sammelsurium des Abgründigen und locus terribilis. Die Landbevölkerung bilden Schläger, Fremdgänger/innen, Aids-Tabuisierer, Schwule hassende „alte[...] Wichser“157 und „ordinäre[...] Lackel[...]“158. Kruzifix erzählt nicht vom Schönen, schön Gemachten oder romantisierend ausgestellten Alten, sondern vom Morbiden und Verblichenen:

155 Ebd., S. 283f. 156 Z.B. heißt es in zahlreichen negativen Kundenrezensionen des Versandportals Amazon: „Nachdem ich von dem Allgäuer Kommissar Kluftinger nicht genug bekommen konnte, habe ich nach ähnlich amüsanten Krimis gesucht und bin u.a. auf Alpendöner gestoßen. Ich fand den Titel und auch das Cover des Buches sehr originell und habe mit Spannung angefangen, zu lesen.....aber meine Spannung war schon nach wenigen Seiten wie weggeblasen. Die Sätze nahmen kein Ende, sind bis zur Unverständlichkeit verschachtelt und ich fand einfach keinen Zugang zu dem Protagonisten. Ich habe das Buch dann sehr enttäuscht nach der Hälfte gelangweilt zugeschlagen und zum Verstauben ins Bücherregal gestellt. Ich kann diesen Krimi leider nicht empfehlen.“ Oder: „In anderen ‚Heimatkrimis‘ wird auch immer etwas über die Stadt, bzw. über Land und Leute genauer berichtet, ich finde, das kommt hier zu kurz. Wer das Allgäu kennt, der wird enttäuscht sein, in den [sic] Buch so wenig davon beschrieben zu bekommen.“ http://www.amazon.de/Alpend%C3%B6nerBirnes-erster-Fall-Allg%C3%A4u-Krimi/dp/3839210283/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid =1399303413&sr=8-1&keywords=alpend%C3%B6ner (Zugriff: 05.05.2014). 157 Xaver Maria Gwaltinger: Kruzifix. Allgäu Krimi. Köln 2013, S. 14. 158 Ebd., S. 42.

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„Einrichtung der fünfziger Jahre. Resopal-Tischplatten. Eine Kuchenvitrine aus Glas ohne Kuchen. Ein gerahmtes Bild. Von einem Rottweiler. Verfolgen einen die Köter sogar ins Wirtshaus! Reicht schon beim Joggen. Im hinteren Eck, wo früher der Herrgottswinkel war, hing ein Fernseher an der Wand. Tot. Er lief jedenfalls nicht. Noch nicht.“159

Das Dorfbild gestaltet sich so: „Ich klingelte an seinem Haus. Eine verkommene Hütte. Alle Häuser in Tal waren neu. Wahrscheinlich gab es eine EU-Subvention für Renovierungen von versifften Bauernhütten. Und wahrscheinlich hatte er es nicht geschafft, das Formular auszufüllen und nach Brüssel zu schicken.“160

Das Allgäu-Angebot in Kruzifix ist ein schwarzhumorig-groteskes. Der Ermittelnde führt den kauzigen Detektivtypus ad absurdum und beteiligt sich an einem Tötungsdelikt selbst: „Drücke dem Toni seinen abgeschnittenen Schwanz in die lasche Hand. Das Metzgermesser in die andere. Gieße eine Flasche Schnaps ins blutige Bett. Bloody Mary! Schütte dem Toni noch einen Schuss Schnaps ins Maul. Er tropft seitlich raus. Stecke eine von Tonis Zigaretten an, stecke sie in seinen Mundwinkel.“161

Von dem 1940 in Heimenkirch/Allgäu geborenen und nach Beendigung seiner Brotberufslaufbahn dem Schreiben zugewandten Kurt Simmeth gibt es bislang drei Allgäu-Thriller. Der Erstling Die Strohhutmorde spielt in Lindenberg und ist imstande, probate Ikonografien im Empfängerbewusstein zu verankern – indem er etwa Protagonisten ins „Gasthaus Alpenblick“162 schickt. Er ist aber auch Quelle für akteursspezifische (hier: autorspezifische) Beschäftigung mit Regiound Stadtgeschichtsschreibung. Das Vorwort beschreibt die literarische Verarbeitung (wirtschaftlichen) Wandels: „Ebenfalls richtig sind die geschichtlichen Ausführungen über Lindenberg und seine Umgebung, sowie die Beschreibung der wirtschaftlichen Entwicklung, vom Pferdehandel bis hin zur beginnenden Industrialisierung. Die Hutindustrie war bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein der wichtigste Wirtschaftszweig. Diese, die Bergstadt prägende Hutindust-

159 Ebd., S. 10. 160 Ebd., S. 55f. 161 Ebd., S. 145. 162 Kurt Simmeth: Die Strohhutmorde. Allgäu-Thriller. Kempten 2008, S. 323.

66 | ALLGÄU RELOADED rie, wird über einen Zeitraum von 300 Jahren ansatzweise beschrieben und gelegentlich in die Romanhandlung miteingebaut. [...] Die frei erfundene Handlung [...] spielt im Jahr 1989. Einer Zeit also, in der die Mode sich mehr und mehr nach dem Motto ‚Man geht nicht mehr [Hervorhebung i.O.] mit Hut‘ richtete. Die Sorgen der Bürger und der Stadtväter häuften sich, da dem Niedergang der Hutindustrie mit der Ansiedlung anderer Wirtschaftszweige begegnet werden musste.“163

Joachim Rangnick, ehemals Redakteur für Gesellschaftsspiele, veröffentlichte seit 2004 bereits zehn Allgäu-Krimis, davon die ersten sechs zunächst im Eigenverlag. Zwar wohnt Held Walcher in Bauernfänger, dem ersten Band der Serie, in einem Bauernhaus in „herrliche[r] Aussichtslage auf die Alpen“164, inmitten von „sanften, von Wäldern gerahmten grünen Wiesenhügel[n]“ und einer „würzigen Luft“ und Freundin Lisa auf der gegenüberliegenden Talseite „in einer ehemaligen Käserei“165. Doch ist das fiktionale Allgäu eine so rückständig wie modern dargestellte heterogene Gemengelage, die Stammtischrituale kennt und romantisierend von Brunnentrögen aufgeputzt ist, in der „Bauersfrauen […] von besonders geizigen Ehemännern wie Sklavinnen gehalten werden“166, aber Kommunalpolitiker gleichzeitig akademisch gebildete, politisch engagierte, eloquente und scharfzüngige Vertreter der Landwirtsfraktion fürchten,167 in der ein bohnerwachs- und heublumenduftgeschwängerter Gemischtwarenladen ein „zauberhafte[s] Fenster[...] in die Vergangenheit“168 öffnet, seine Inhaberin sich aber wehrt, „des ganze ausländische Zeug“ wie Parmesan und Oliven zu führen, weil: „ihre Kundschaft kaufte nur, was sie auch kannte“169, letztere aber dennoch zum neuen Bio-Supermarkt am Ortsrand überläuft. Und: Das Allgäu wird großteils lediglich als Homebase in einem durch und durch dynamischen, globalisierten literarischen Handlungsraum bespielt. Ein Investigativjournalist – weit jenseits von einem drollig-schrullig angelegten Kommissar – bekommt es im Stile eines Agententhrillers mit einem international im Verborgenen agierenden Weltkonzern zu tun. Er recherchiert nicht nur im Allgäu, sondern reist nach Spanien, in die Schweiz und auf eine Atlantik-Insel, wo besagte Company ihren geheimen Sitz hat.

163 Kurt Simmeth: Vorwort. In: Ders. 2008 (a), S. 7. 164 Joachim Rangnick: Bauernfänger. Kriminalroman. Berlin 2011, S. 12. 165 Ebd., S. 39. 166 Ebd., S. 11. 167 Ebd., S. 39. 168 Ebd., S. 8. 169 Ebd., S. 115.

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Susanne Wiegleb, in Paris geboren und in Nordafrika und bei Köln aufgewachsen, schrieb zunächst Allgäu-Romane und Kinderbücher. Obwohl und gerade weil im Untertitel als Allgäu-Krimi deklariert, belegt ihr erster aus dem Jahr 2011, Tod am Alpsee, das Franchise-Potenzial dieses Labels für Epik jedweder Art: Denn unabhängiger von zeitgenössischen Buchsegmentskonjunkturen ließe er sich gleichwohl der Kategorie „Frauenroman“ – im belletristisch-populären Verständnis und nicht im Sinne feministischer Literatur – zuordnen. Statt dem eher simpel konstruierten Kriminalfall stehen die emotionalen Verworrenheiten der Protagonistin, das Negieren und Verifizieren von Geschlechterstereotypen im Vordergrund: Heldin Christiane aus Bonn, „Single aus Leidenschaft“170, verbringt den Sommer in Trieblings bei Immenstadt, trifft dort den Halbmarokkaner Karim und nutzt zunehmend die Möglichkeit, mit diesem „eine Exkursion in die Büsche zu unternehmen“171. Gemeinsam beschäftigt die Laienkriminologin und ihre Urlaubsaffäre ein beim Junggesellenabschied im Alpsee vermeintlich Ertrunkener – was das Allgäu als erlebnisgesättigten Abenteuerspielplatz postmoderner Großstädter ausstellt. Gleichzeitig wird über die Perspektive der Touristin Christiane eine konservative Stadt-Land-Antithetik festgeschrieben: Im „Oberallgäu, wo alle etwas merkwürdig waren“ 172, sieht sie sich ausschließlich dauertratschenden, abergläubischen und Obstler trinkenden Bauersleuten gegenüber, die morden, um Flüche abzuwenden. Die Allgäu-Grammatik von Tod am Alpsee folgt den Zuschreibungsmechanismen eines kulturellen Exotismus: Der Roman lässt zwar die Hauptfiguren als mobile Vertreter globaler Räume agieren, zementiert aber in die weitgehend als Behälter dargestellte Voralpenregion provinzielle Stereotypen. In Mordsbraut sabotieren die Tristesse schäbiger Provinzdiskotheken und ihre ungestalten Besucher ein unbeschädigtes Allgäu-Panorama. Doch bereits die Widmung spielt ironisch auf die Art der literarischen Regionenrepräsentation an: „Mit diesem Buch möchte ich Legau, diesen wunderhübschen, schmucken, idyllischen Ort mit all seinen freundlichen Menschen, endlich in aller Munde bringen. Hier zeigt sich das Allgäu in seiner schönsten Art. Und Mundart.“173 Barbara Edelmanns Allgäu-Krimi akquiriert sein Raumkonzept aus üppig ausgebreiter Dorfemblematik und probaten Darstellungsmustern von Ländlichkeit: Eine prestigebedachte Arztgattin erschießt auf der musikkapellengerahmten Bauernhochzeit im kastanienbaumumwachsenen Landgasthof die Braut. Allgäu erschließt

170 Susanne Wiegleb: Tod am Alpsee. Allgäu Krimi. Köln 2011, S. 72. 171 Ebd., S. 23. 172 Ebd., S. 42. 173 Barbara Edelmann: Mordsbraut. Allgäu Krimi. Köln 2014, S. 5.

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sich über die kriminologische Arbeit im Flecken Legau, wo es „nach frisch geschnittenem Gras riecht“174 und „Kirchenglocken zur Messe“175 rufen, wo die weiblichen Befragten „eine karierte Kittelschürze“ und „ein weiß getupftes Kopftuch“176 tragen, sämtliche Verdächtige Schützenvereinsmitglieder sind, Informationsbeschaffungsformen keiner Modernisierung bedürfen („Hier erfährt man in der Wirtschaft genauso viel wie du in deinem geliebten Internet.“177) und die Handlungsmaxime des Einzelnen sich an der Kontrollformel „Was sollten denn die Leute denken?“178 messen lassen muss. Den Handlungsstrang ergänzen axiomatische Lehrsätze über die anscheinend herkunftsbedingten Charakterzüge der Einheimischen („Der Allgäuer an sich ist ein scheues Wild […]“179). Sonja Wölfles Ausgeblasen, ein blasmusikalischer Allgäukrimi erzählt von einem Trompetenspieler, der beim Bezirksmusiktag vergiftet im Klohäusl liegt. Einem anderen Mordopfer wird im Probenraum des Musikerheims der Schädel mit den Hämmern der Röhrenglocken eingedroschen. Polizistin Louisa Städele, selbst Hornistin, macht sich in der Dimmelwanger Blaskapellenszene zwischen „Südtiroler Schützenmarsch“180 und Fronleichnamsprozession an die Aufklärung. Das Musikvereinsmilieu ist hier nicht eine Facette von, sondern flächendeckend gültige Allegorie für Allgäu. Es impft dem literarischen Regionskonstrukt Traditionsverbundenheit ein und schildert es als brauchvermittelten Gegenentwurf zu labilen, strukturschwachen Räumen, in dem Volksmusik indikativ für beständige Bodenständigkeit ist. Voralpenphönix (2014) liefert ein Korrektiv zu populärkulturell etablierten, euphemistischen Virtualitäten des Allgäus. Robert Domes’ Kriminalroman spielt in der 42.000-Einwohner-Stadt Kaufbeuren im nordöstlichen Allgäu – dort war der Autor 13 Jahre lang als Lokaljournalist unterwegs. Aus Sicht der Protagonistin Olivia, Zeitungsredakteurin, alleinerziehende Mutter und aufgeklärte Akademikerin Anfang dreißig, ein „Kaff“181 und Reservoir der Spießigkeit, wo das Dasein „zugepflastert“ ist, „popelig und eng. Bloß keine Überraschung, bloß keine

174 Ebd., S. 77. 175 Ebd., S. 54. 176 Ebd., S. 56. 177 Ebd., S. 80. 178 Ebd., S. 39. 179 Ebd., S. 41. 180 Sonja Wölfle: Ausgeblasen. Ein blasmusikalischer Allgäukrimi. Buchloe 2013, S. 13. 181 Robert Domes: Voralpenphönix. Allgäu Krimi. Köln 2014, S. 14.

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Neuerungen“182. „Allgäu“ ist in Voralpenphönix kein Glückseligkeitsversprechen, sondern Anti-Terrain für das schöne Leben. Im Text werden keine grünen Hügeltopografien klassischer Anziehungskraft durchquert, Teller nicht mit in die Region genagelter, käselastiger Kulinarik befüllt und keine provinziellen Stereotypen von sympathischer Gemütlichkeit aufgerufen. Und das Kaufbeurener Tänzelfest, „ältestes historisches Kinderfest in Bayern“183, zelebriert das Narrativ nicht als die Kleinstadt und die Region nobilitierendes immaterielles Kulturerbe, sondern verhöhnt es als öffentlich legitimiertes zweitägiges Saufgelage „in pseudohistorischer Verkleidung“184 und „nachgeäfftes Mittelalter“185. Voralpenphönix entfaltet sein Allgäu nicht als anmutiges Urlaubsland, sondern als Spielfläche für (eine) Vertriebenengeschichte: Das fiktive Mordopfer stand dem Milowitzer Heimatkreis, einer sudetendeutschen Landsmannschaft vor. Presse und Polizei recherchieren deshalb in Neugablonz, „nach dem Krieg die größte Vertriebenensiedlung Deutschlands“186, inzwischen laut Roman ein auch durch den späteren Zuzug sogenannter Gastarbeiter aus der Türkei und vor allem russlanddeutscher Aussiedler multikultureller und -ethnischer Stadtteil Kaufbeurens. Ihn prägen im Buch Vermüllung und Vernachlässigung, „die traurigen Straßenzüge, die tarnfarbenen Wohnblocks mit dem obligatorischen Haufen Sperrmüll neben der Tür [und] die Menschen mit ihren depressiven Gesichtern“187 statt stuckverzierte Vorzeigeobjekte. Mit der Aufklärung des Verbrechens im Vertriebenenmilieu geht erstens einher, dass die zum Allgäu-Krimi benannte Prosa als in der Region stattfindende respektive die Region konstituierende Kultur vorstellt, was gemeinhin nicht zu deren populärem Insignienkanon zählt: Versatzstücke aus dem Objektivationsund Praktikenrepertoire der Sudetendeutschen. In Voralpenphönix konzipiert sich Allgäu über Mahnmale für Kriegsopfer, „Kitschbilder aus der alten Heimat“188, Butterwischeln, Mohnkließla, Gablonzer Dialekt mit „sudetendeutsche[m] Singsang“189, über Gasthäuser, die „Zur Wahrheit heißen“ und denen das „Kaffeehausflair der K.-u.k.-Monarchie“190 innewohnt. Zweitens kontextua-

182 Ebd., S. 13f. 183 Ebd., S. 26. 184 Ebd., S. 30. 185 Ebd., S. 120. 186 Ebd., S. 25. 187 Ebd. 188 Ebd., S. 64. 189 Ebd., S. 112. 190 Ebd., S. 23.

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lisieren die fiktive Rekonstruktion des konkreten Kriminalfalls politische Positionen, ideologische Aufladungen und kulturelle Zuschreibungen, die den Themenkomplex Vertreibung und Integration in die deutsche Gesellschaft flankieren: Zum Personenregister gehören Stadtbewohner von der Überzeugung, „dass der Flüchtlingszustrom nach dem Krieg dem Allgäu und seiner eigenbrötlerischen Bevölkerung gutgetan hatte“191, genauso wie Populisten und Reaktionäre. Voralpenphönix entwirft kein punktuell angetastetes Paradies von containergleicher Machart. Allgäu ist hier nicht potenzieller Austragungsort für hedonistisches Vergnügen. Mit dem Thema Migration diskutiert der Roman die fluide Struktur lebensweltlicher Räume und ihre Heterogenität, aber, das wird im folgenden Zitat deutlich, auch das spannungsvolle Konfligieren verschiedener kollektiver Raumkonstruktionen: „Neugablonz war zwar offiziell ein Stadtteil von Kaufbeuren, doch im Grunde eine Stadt für sich.“192 Uwe Gardeins Tödliche Höhen ist als Allgäu-Krimi deklariert, verzichtet aber fast gänzlich auf detaillierte Ortsangaben, bleibt geografisch im Vagen (oder unkorrekt) und spielt, wenn nicht in kosmopolitisch tragfähigeren Markern wie München, Zürich oder Lugano, bei einem geradezu beliebigen „Schloss in den Alpen“193 in einem namenlosen Tal. Statt ausladend in Beschreibungen von Draußenraum-Idylle zu schwelgen, ist ein Großteil des Narrativs dafür reserviert, die Hauptfiguren beim Durchstreifen des anonymen Schlosswalds zu begleiten, und zeigt mit philosophischen inneren Monologen angereicherte Seelenlandschaften pseudo-Büchnerschen Duktus. Tödliche Höhen fehlt es an Humoristik, wie sie andere Autoren einsetzen, die Schwerpunktbotschaft ist eine alpenübergreifend einsatzfähige Kapitalismus- und Tourismuskritik. Mitunter ist das transportierte Raumverständnis von kulturwissenschaftlich-konstruktivistischer Qualität („Die Berge sind eine Erfindung der Tourismusbranche“194). Gunther Lennerts Schneeblind ist genauso Allgäu- wie surrealer Tier-Krimi: Die fiktive Fallaufklärung ergänzt die leitmotivisch ausgearbeitete Kommunikation zwischen Kommissar Stocker und seinem Haustier: „Hatte er etwa gerade mit seiner Katze gesprochen?“195 Ebenso handelt ein Teil von Jakob Maria Soedhers Reihe über einen LKABeamten im Allgäu. Dessen „baldrianische Kombination aus sanften, grünen

191 Ebd., S. 109. 192 Ebd., S. 24. 193 Uwe Gardein: Tödliche Höhen. Ein Allgäu-Krimi. Berlin 2010, S. 16. 194 Ebd., S. 328. 195 Gunther Lennert: Schneeblind. Allgäu-Krimi. Berlin 2011, S. 20.

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Hügeln und wiederkäuenden friedlichen Kühen“196 ist hier als „ÖkoGlückshormon“197 inszeniert und Spielfläche für das Okkulte, Abergläubische, Esoterische: „‚... das Allgäu ist eine einzige, große Sekte. Ich weiß keine andere Region, in der es derart viele Verstrahlte gibt.‘ ‚Verstrahlte?‘ Wagner winkte ab. ‚Ich nenne sie eben so, die Marientänzer, Kräuterheiligen, Weltuntergangsapostel, Sternenflieger, Horoskopgläubigen, Handleser, Kaffeesatzleser und Gipfelpilgerer. […] Und zu diesen ganzen Leuten kommen noch all die Privaterleuchteten dazu, die Sympathiesprecher, Gutredner, Heiler, Scharlatane, Weidenheilige, Horoskopierer, Steinverkäufer, Auraforscher und Grasweisen. Hier bei uns im Allgäu – wo du gehst und stehst, […] – hier wird besprochen, bebetet, gehext und verhext, sympathisiert, verflucht, geweiht und bespritzt. [...]‘“198

Viehscheid (Peter Suska-Zerbes) bedient klassische Allgäu-Ikonen und (im-)materielles Kulturerbe, findet seinen Höhepunkt beim gleichnamigen Allgäuer Schaubrauch, bei dem die Kuhherden zum Herbstbeginn ins Tal getrieben werden, die Hirten in Tracht gehen und „[a]ls Zeichen, dass kein Vieh abgestürzt ist, [...] das vordere Rind auf dem Kopf ein hoch aufgewölbtes Kranzgebinde [trägt]: sehr viel Grün, dazwischen Enzian, Silberdistel und Alpenrosen“.199 Zwar gibt Korbinian Allgayers Kreuzkraut im Untertitel die Erzählraumdevise Idyllisch morden im Allgäu aus, doch zeigt der Plot Allgäu weit jenseits eines klassischen Idyll-Entwurfs: Lehrer und Table-Dance-Bar-Servicekraft recherchieren im Erotik-Milieu der Stadt, weil sich das Mordopfer „im Bereich der illegalen Prostitution“200 bewegte. Das Verzeichnis der Narrative, die die Marke „Allgäu“ verschieden semantisieren, ist so vielfältig wie umfangreich – und schreibt sich ständig fort. Die hier gelistete Auswahl kann nur als zwischenzeitliche Inventur, nicht als vollständiger Überblick über das kriminalliterarische Allgäu begriffen werden. Zunehmend machen zahlreiche nicht in der Region beheimatete Autoren das Etikett „Allgäu-Krimi“ für sich nutzbar und beteiligen sich so an der Auslegung des Allgäu-Begriffs. Das schürt bei den vor Ort geborenen Literaten Befindlichkeiten. Volker Klüpfel deutet an, dass auf biografisch bedingten Vorkenntnissen fußende Allgäu-Narrative die für ihn legitimeren sind: „Es schreiben ja au Leute

196 Jakob Maria Soedher: Im Schatten des Mönchs. Augsburg 2014, S. 38. 197 Ebd., S. 37. 198 Ebd., S. 251-253. 199 Peter Suska-Zerbes: Viehscheid. Ein Allgäu-Krimi. Altusried 2014, S. 278. 200 Korbinian Allgayer: Kreuzkraut. Idyllisch morden im Allgäu. Altusried 2013, S. 45.

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Allgäu-Krimis, die überhaupt nicht im Allgäu wohnen und au nicht ausm Allgäu kommen. Des find’ i total absurd, aber gut.“201 Beispiel Arnold Küsters: Er kam in Nettetal-Breyell zur Welt, lebt in Mönchengladbach, schrieb zwei Niederrhein-Krimis, dann Ein Knödel zu viel. In diesem Kriminalroman gibt es Tote unterm Grünten und am Rhein, der Plot pendelt zwischen Allgäu und Mönchengladbach – obgleich Titel und das erprobte KuhGebirgszug-Arrangement auf dem Cover eine deutlich einseitige regionale Reklamefähigkeit signalisieren. Küsters bedient sich für sein Allgäu-Narrativ höchst ausgiebig der Aufzählung des populären regionalen Güterbestands, des rudimentären Einsatzes von Dialekt und des Raumdarstellungsmittels der Landschaftsbeschreibung. Exzessiv wird auf Herrgottswinkel, Bergkäse, Dirndl, karierte Tischtücher und Ähnliches referiert. Gasthofswirte wünschen „An Guate“202 und Passagen wie die folgende verleihen in ihrem konsequentem Aufgebot einer ästhetischen Allgäuer Umwelt leitmotivhaften Charakter: „Er roch die Wiesen, das Grün und die Kräuter. Der mächtige Tannenwald sah gesund und dunkel aus. Ab und an hörte man das leise rhythmische Anschlagen von Kuhglocken. Der gleichförmige Klang machte ihn schläfrig. Der Himmel war blau, nur ein paar Wolken waren zu sehen.“203 Ein Knödel zu viel stellt sein elysisches Allgäu stets distinktiv als antipodischen Gegenpart eines Anderen aus: des urban geprägten Rheinlands, wo abgasschwere Hauptverkehrsadern eines Metropolgebiets das Kommissariat tangieren und die Gehry-Bauten am Rheinhafen „Weltstadtflair“204 vermitteln. Eine Vielzahl stereotyper Attribuierungen von Preußen (ein „seltsamer Volksstamm“205), Rheinländern („ein lustiges Volk“206) und „echte[n] Allgäuer[n]“207 treiben die Diametralität der Räume voran. Der Faktor „Region“ ist in diesem Krimi von gravierendem Gewicht – allerdings in vermeintlich universal-bayerisch klischeehafter und oberflächlicher Ausführung. Küsters schöpft aus dem gleichen Raumgestaltungsgüterpool, aus dem das touristisch vermarktete und massenmedial eingelernte Produkt Allgäu als „Milchund Käseparadies“208 komponiert wurde. Damit ist der Roman Beispiel einer am wirtschaftlich lohnenden Massengeschmack orientierten Machart von Raum.

201 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 202 Arnold Küsters: Ein Knödel zu viel. Kriminalroman. München 2013, S. 81. 203 Ebd., S. 37. 204 Ebd., S. 199. 205 Ebd., S. 11. 206 Ebd., S. 54. 207 Ebd., S. 102. 208 Ebd., S. 174.

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Während der Klappentext von Ein Knödel zu viel den Inhalt mit „Schupfnudel meets Sauerbraten“ rekapituliert, verspricht die Buchrückseite von Rosskur mit „Allgäu meets Niedersachsen“ dem Leser in gleicher Weise einen erzählten Kulturenclash. In Jürgen Seibolds Allgäu-Krimi tritt der Hannoveraner Kriminalhauptkommissar Eike Hansen, „der feine Herr aus dem Norden“209, eine Stelle in Kempten an. Seibold instrumentalisiert wie Küsters repräsentierfähige Kulinarik wie Kässpatzen, verweist auf ein dekoratives Setting mit „herrliche[m] Panorama [...]: in der Ferne die Berge, darüber ein kräftig blauer Himmel mit weißen Wolkenfetzen“210, platziert allgäuerisch gefärbten Zungenschlag in der Nebenfigurenrede, konstruiert Allgäu über seine Unterscheidbarkeit vom „Preußen“211 Hansen. „O je, ein Tourist!“212 bezeichnet diesen eine Romanprotagonistin. An dieser Stelle führt Rosskur selbstreferenziell sein Raumnarrativ vor. Es nährt sich aus der Benennung von Ortsnamen, Formalia und einer prospekthaften Illustration des vorfindlichen physischen Materials – also einer touristisch geschulten Perspektive. Seibold ist gebürtiger Stuttgarter, Journalist und lebt im württembergischen Rems-Murr-Kreis. Er schrieb erst Musikerbiografien, seit 2007 in der ländlichen Peripherie Stuttgarts angesiedelte Baden-Württemberg-, Alb- und NeckarKrimis. Rosskur erschien 2013, ein Jahr später der Allgäu-Krimi-Nachfolger Gnadenhof. „Man merkt halt einfach, der recherchiert im Internet, der fährt hier natürlich ’n bisschen rum und guckt sich was an. Aber wenn mer die Region kennt, merkt mer halt einfach, ob des jemand is’, der diese kleinen InsiderGeschichten kennt oder eben nicht kennt“213, sagt Allgäu-Krimi-Autorin Nicola Förg. Die literarische Wahlbeheimatung auswärtiger Schriftsteller im Allgäu, nach der Maxime, „Ich fahr’ in irgend ’ne Region, die gar nich’ meine is’, und da siedel’ ich an Krimi an, weil’s funktioniert“214, befremdet sie ähnlich wie Volker Klüpfel – die Wahl des Possessivpronomens unterstreicht, dass für sie Aufwachsen in der lebensweltlichen Region auch mehr zu deren literarischem Ausgestalten berechtigt. Tatort in Seibolds Rosskur ist Lechbruck, die fiktive Leiche wird im Premer Filz, einem nahen Moorgebiet gefunden. Im nonfiktionalen Äquivalent liegt diese Stelle vor Förgs Haustüre. Sie lebt auf dem Ponyhof Prem in Prem-Helmau.

209 Jürgen Seibold: Rosskur. Ein Allgäu-Krimi. München 2013, S. 23. 210 Ebd., S. 135. 211 Ebd., S. 302. 212 Ebd., S. 270. 213 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 214 Ebd.

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Den literarischen Zugriff Seibolds auf ihren Wohnort empfand sie als „gar nicht so lustig“, Wilderei und „Foul“215 und kritisierte das bei ihrem Verlag. Seibold veröffentlicht wie sie selbst bei Piper. Nicola Förg schrieb drei Allgäu-Krimis: Schussfahrt (2003), Funkensonntag (2003) und Kuhhandel (2004). Auch sie nutzt Sprache als erzählerisches Konstruktionselement von Region – im Gegensatz zu Glauser, Küsters oder Seibold jedoch in hoher Dichte. Förgs Krimis zeichnen längere Passagen sich originär artikulierender fiktiver Einheimischer aus. Deren direkte Reden kennzeichnen statt einer dezenten Färbung die konsequente literarische Umschrift und Nennung Allgäuer Wörter wie „Hennapfrupfa“216 und „Rattschkattl“217. Dass Schussfahrt ein Glossar218 angehängt ist und die Verfasserin im Nachwort von Kuhhandel den ortskundigen Leser um Entschuldigung bittet, im Buch nicht noch Ostallgäuer und Immenstädter Dialekt präzisiert zu haben, um „bei den NichtAllgäuerisch-Sprachlern nicht unnötig Verwirrung zu stiften“219, unterstreicht den enormen Stellenwert akkurat wiedergegebener Regionalsprache für das Raumnarrativ in Förgs Romanen. Diese verarbeiten nur selten das populäre Allgäuer Gütersortiment – dann aber reflektieren sie den Herstellungscharakter des Regionalen: Eine Trachtträgerin etwa „hasste […] Dirndl mehr als Fußpilz“220, „zeigte [aber] heute alpenländisch Flagge“221. Und scheinbar urtümlich Altes ist aus Promotiongründen alt Gemachtes: „Über einem alten Küchenherd hing Omas Unterhose – mit Spitzen verziert, versteht sich. Kerzen warfen warme Lichtflecken auf die alten Holzbalken. Die Tische zeigten stolz ihre Narben und Wunden von gut hundert Jahren Bierstemmen und Karteln. Der Steinboden erzählte von schweren nagelbeschlagenen Winterstiefeln. Bloß war dieser Inbegriff einer Stube überhaupt nicht alt, nur ihre Einzelteile. Monatelang hatten die Wirtsleute in Scheunen gefahndet, Freunde befragt, Balken geschleppt und etwas geschaffen, das so aussah, als wäre es schon immer so gewesen. Ein bisher unschöner Schuppen war in eine Allgäuer Bergbauernstube verwandelt worden.“222

215 Michael Dumler: „Das finde ich gar nicht lustig“. In: Allgäuer Zeitung, 20.04.2013. 216 Nicola Förg: Kuhhandel. Allgäu Krimi. Köln 2004, S. 152. 217 Ebd., S. 23. 218 Nicola Förg: Schussfahrt. Ein Allgäu-Krimi. München 2008, S. 283-285. 219 Nicola Förg: Nachwort. In: Dies. 2004 (a), S. 206. 220 Nicola Förg: Funkensonntag. Allgäu Krimi. Köln 2003, S. 7. 221 Ebd., S. 8. 222 Ebd., S. 7.

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Förg taucht „die Allgäuer Alpen in ein sanftes Rosa“223, verherrlicht den Niedersonthofener See als „Landschaftsjuwel, das sich in einen dichten Waldgürtel schmiegte“224, benennt alle die Handlung verortenden Alpen, Gipfel, Täler und Ortschaften, macht die Routen der Protagonisten kartografisch exakt nachvollziehbar. Die Autorin begründet das mit einer Präferenz für eine am Schönen orientierte Allgäu-Perspektive, außerdem mit berufs- und freizeitbedingten Kenntnissen: „I schreib’ immer ganz opulente Landschaftsbeschreibungen. […] Es is’ […] zu hundert Prozent authentisch, weil ich die Gegenden alle kenn’, die au alle ablauf’, auch teste, […] ob des au so geht. Also des isch wirklich eins zu eins eigenes Erlebtes. Und als Reisejournalistin hab’ ich viele dieser Dinge einfach scho mal journalistisch aufgearbeitet. […] Mer kommt zum Beispiel irgendwo da hoch, is’ einfach völlig geflasht, weil des’ wirklich sagenhaft, des’ einfach irre. […] Und dann hat mer plötzlich so des G’fühl, des wär’ eigentlich mal ’n schöner Ort für ’ne Leiche.“225

Förgs fiktionalisiertes Allgäu beruht auf eins zu eins Erlebtem – und versprachlicht ihre (ästhetisierende) Syntheseleistung des in der Lebenswelt Vorfindlichen. Ihre Krimis verhandeln global zirkulierende Ökonomien und führen die Labilität von sichernden Wänden der als heil gedachten Welten vor. Doch auch Förg reorganisiert Region über kulturräumliches Abgrenzen und tradierte landsmannschaftliche Zuschreibungen: „Ein Allgäuer ist ein Allgäuer ist ein Allgäuer! Kein Bayer und schon gar kein Schwabe!“226 Die „HeuschreckenZweitwohnungsfreunde aus dem Hanoi- und Adele-Land“227 kaufen Weckle statt Semmeln und praktizieren die Kehrwoche im Kollektiv.228 Dagegen die Einheimischen: „Die Allgäuer strahlten etwas Erdiges aus. Tiefe Wurzeln, die Halt gaben – auch in stürmischen Zeiten.“229 Förgs Allgäu-Narrativ prägt allerdings gerade die Reflexion des vom Fremdenverkehrssegment beschworenen Raumkonstrukts. Ihrer Hauptfigur, Kommissar Gerhard Weinzierl, assistiert Johanna Kennerknecht als Hobbydetektivin, die broterwerblich Tourismusdirektorin ist. Wie andere Protagonisten im Genre be-

223 Förg 2008, S. 40. 224 Ebd., S. 63. 225 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 226 Förg 2008, S. 17. 227 Ebd., S. 35. 228 Förg 2003, S. 178. 229 Ebd., S. 220.

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wegt sie sich auf prospektkompatiblen Wegen, jedoch nicht ohne den Konstruktcharakter vermeintlich naturgegebener landschaftlicher Perfektion zu diskutieren: „Für die Panoramastraße hatte sie jetzt keinen Blick. Irgendwo anders hätte man sie längst zum ‚Tourist Scenic Drive‘, zur ‚Touristenstraße‘, zum autogerechten Panoramarundweg stilisiert. Wo sonst standen Grünten, ja sogar Mädelegabel und Krottenkopf so perfekt Spalier wie hier oben im Bergstätter Gebiet?“230

Schussfahrt, Funkenfeuer und Kuhhandel ist regionales Wissen in hoch verdichtetem Maß eingeschrieben. Den Handlungsverlauf unterbrechen detailreiche, teils historische Exkurse über das regionale kulturelle Erbe: die Milchwirtschaft, das Alphorn, den Brauch von Hörnerschlitten-Rennen, Funkenfeuern und Viehscheid. Die fiktionalen Kriminalfälle betten Kontroversen etwa im Wettbewerb um Gäste ein. „Die Alpen sind nun mal ein Kulturraum, und der Skisport ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Das wissen wir auch! Wir sind doch keine Träumer! Damals aber hatten sich rabiate Fortschrittsgegner formiert, Leute, die am liebsten alle Skigebiete geschlossen hätten“231, erklärt ein Umweltaktivist in Schussfahrt einen Anschlag auf Beschneiungsanlagen. Schließlich verhandeln Förgs Romane strukturelle Probleme bäuerlicher Gebiete – beispielsweise, dass im Kulturraum Voralpenland Bauern dringend als Landschaftspfleger gebraucht würden, obgleich sie längst nicht mehr gewinnbringend wirtschaften könnten.232 Weiter: „Wissen Sie eigentlich, dass nur noch die wenigsten Dörfer ihre Gasthäuser haben? Im günstigsten Fall sind sie Griechen oder Italiener geworden. Meistens aber sind sie ganz aufgegeben worden.“233 In Förgs Kriminalliteratur entmachtet den Raumentwurf des pittoresken Urlaubsziels nicht nur der im erfundenen Verbrechen kulminierende Einbruch eines Bösen. Die Romanregion Allgäu selbst wird in ihrer eigenen sozialen Vielschichtigkeit erzählt. Teils mit kulturkritischem Impuls: „Gell, dir sind im Tourismus? Dir leabet dvo, dasses bei is scheene Baurahef git und Baura, dia no so schaffet, dass es ausluaget wia a heile Welt? Aber Freilein Jo, des isch doch au längscht vorbi. Do nimmsch jetzt wieder a Kundschaft vo mir. A Waldbaur, der auf alls schimpft, was ausländisch isch. Der hot friner d Reps gwählt, der Depp der! Aber dr selbi-

230 Förg 2008, S. 83. 231 Ebd., S. 67. 232 Ebd., S. 29. 233 Ebd., S. 243.

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ge hot a riesige Maschinahalla baut. Und weisch wia? Mit Holz aus Tschechien, weil des gschnitta agliefret billigr isch, als wennr sein eigana Wald zämet schnidet. S Holz verkauft er als Brennholz an Kemptner mit dänische und schwedischa Öfa. Verstohsch? D Welt isch scho lang verdräht, bei is! Und dia selba Baura ganget auf a Demo, dass d Kunda bei Ihne kaufa sollet und it beim Aldi.“234

Die Romane flechten eine dichte Struktur an Topografien: aus erzählten Wegenetzen, Mountainbikestrecken, Skipisten, -touren und -gebieten, der innerstädtischen und soziokulturellen Entwicklung größerer Allgäu-Kommunen. Das erlaubt, nach der „Bedeutung von Karte und Topographie für einzelne Schriftsteller“ zu fragen und „die Orte nicht mehr nur als narrative Figuren oder Topoi, sondern auch als konkrete, geographisch identifizierbare Orte in den Blick zu nehmen“235. Die avisierte größtmögliche Übereinstimmung zwischen Fiktion und Georaum ist für Förg Basis der Nicht-Austauschbarkeit ihrer Schauplätze: „Ich find’s schon wichtig, dass es realistisch is’. […] Also ich will primär ’ne Gschichte erzählen, und die spielt halt nun mal hier. Aber die spielt schon deshalb hier, weil sie auch nur hier spielen kann. Also es sind jetzt nich’ Bücher, wo mer sagt, des könnt’ jetzt au in Vorarlberg spielen.“236 Ihr erzähltes Allgäu hat mnemotopische Qualität. Förgs fiktionale Räume sind – auch – Erinnerungsräume. Das Allgäu-Narrativ ihrer Romane speist sich aus Retrospektiven des handelnden Personals auf dessen Achtziger-Jahre-Jugend in der Region: „Das legendäre Lorenzo, [...] direkt unter der Basilika. Da, wo […] die schönsten Männer und Frauen der Provinz ihre öligen Knoblauchspaghetti neben total abgestürzten Alkoholikern gegessen hatten. Dort waren ganz unterschiedliche Gruppen der Kemptner Nachtszene zusammengetroffen: die Abiturienten und Studenten, die bis dahin im ‚Nest‘ gewesen waren und weltgewandt diskutiert hatten. Andere im Zirkel um einen Tanzlehrersohn waren alle naselang mal schnell an den Gardasee zum Surfen ‚gejettet‘ und hatten vorher im Lorenzo den Hallo-Wach-Kaffee getrunken. […] Einige hatten damals schon gewusst, dass Schnee einfach ins Allgäu gehörte.“237

234 Förg 2003, S. 77. 235 Weigel 2002, S. 158. 236 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 237 Förg 2003, S. 158.

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Förg, aufgewachsen in der Schrothkur-Stadt Oberstaufen, beschreibt ihre Motivation zum Verfassen von Platzhirsch, einem ihrer späteren Alpen-Krimis, der episodenweise im Oberallgäuer Kurort spielt, so: „Für mich war des als Kind a prägendes Erlebnis, diese stockbetrunkenen Kurgäste. Weil am großen Trinktag ham die ja zweiahalb Liter Weißwein trunken. Auf nüchternen Magen, die war’n ja sturzbesoffen. Die sind ja nur immer völlig lustig durch diesen Ort getorkelt. […] Und des hat mich als Kind […] so schwer beeindruckt, dass ich dann im hohen Alter nomal ’n Krimi g’schrieben hab, der eben diese Schrothkur zum Ziel hat. Und des kann nur in Oberstaufen spielen.“238

Das biografisch zurückliegende Raumerleben der Autorin bedingt das Narrativ ihrer Romane, die handlungssteuernde, mehr als dekorative Aufgabe des Schauplatzes und damit die interregionale Unübertragbarkeit der Geschichten mit. Förg verfügt über eine emische Perspektive auf die Alltagsräume der Einheimischen. Diese ist Voraussetzung, um ihre, den Insider-Wissensvorrat stark machenden, literarischen Räume zu gestalten. Sie verfolgt eine gesellschaftskritische („Es gibt in jedem Buch ’ne Botschaft“239) und zumindest nach eigenen Angaben anti-essentialistische Autorintention: „Wir glauben ja immer, nur weil wir hier in ’ner schönen Landschaft leben, muss es ausgesprochen bessere Menschen machen. Tut’s aber nich. […] Mein Allgäu-Bild is’ einfach des, dass auch hier Probleme entstehen.“240 Obgleich Erstnutzerin des Signets Allgäu-Krimi, will Förg ihr Narrativ explizit von dem anderer Autoren unterschieden wissen: „Ich führ g’rad in letzter Zeit sowohl mit meim Verlag als auch mit Journalisten immer wieder die Diskussion, dass ich’s inzwischen ganz schauerlich finde, dass Allgäu- oder Alpen-Krimi immer gleich Slapstick ist. Wir transportieren nämlich damit genau ein Bild, das ich eigentlich ganz grauenvoll finde, nämlich dass alle Ermittler im Alpenraum, und des können’s aufs Allgäu jetzt natürlich genau so nehmen, weil der Kluftinger is’ a Depp, sind anscheinend minderbemittelte Vollidioten, die auch bei einer bayerischen Polizei definitiv keinen Job bekommen hätten. […] Und mir ham halt momentan die Tendenz, dass wir diese Tische ham, auf denen bergeweise Regionalkrimis liegen, quer durch die Repub-

238 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 239 Ebd. 240 Ebd.

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lik, […] und a Großteil davon is’ einfach Klamauk. […] Also mein Weg is’ es nich’ mehr.“241

Die Autorin distanziert den eigenen literarischen Allgäu-Entwurf von dem ihrer Kollegen – bzw. von ihrer Rezeption desselben – und einem komödiantischen Genre-Image, sowohl in den im Rahmen dieser Studie durchgeführten Interviews als auch in der medialen Öffentlichkeit.242 Das Gros der anderen Alpenoder Allgäu-Krimis sieht sie ein über das populärkulturell tradierte, bayerisch codierte Warenrepertoire definiertes, aber klischeehaftes weil undifferenziertes Raumbild transportieren – das ihr missfällt. „Ja, momentan versuch’ i ja eher, dagegen anzuschreiben[…]. [I]ch krieg da ganz häufig so Resonanzen in Form von Mails oder wenn mer dann so Kritiken auf Amazon liest, dass die sagen: ‚Ja ja, des is’n intelligent konstruiertes Buch‘, – als wär des ganz verwunderlich, dass ’n Allgäu- oder Alpen-Krimi überhaupt intelligent konstruiert is’ – ‚aber luschdig war’s fei net‘. […] Find’ ich als Germanistin au wirklich komisch. Weil, i mein’, wir reden hier von Krimi. Des is’ nich’ per se lustig. Und keiner würde von am Skandinavier verlangen, dass es lustig sein muss. Aber Allgäu muss lustig sein.“243

Im Roman Platzhirsch lässt sie eine fiktive Polizistin den Darstellungsmodus der Regionalkrimi-Mitbewerber reflektieren: „Genau dieses Dumpfbackenklischee regierte doch die Wahrnehmung eines Großteils der Republik. Schöne Landschaft, doofe Bauern. […] Irmi bedauerte es, dass die Bayern dieses Image selbst mit aller Vehemenz und Penetranz aufrechterhielten. Wenn sie ab und zu mal Fernsehkrimis sah, was gaben ihre TV-Kollegen denn für ein Bild ab? Und was waren die Ermittler in den ausufernden Krimiregalen für Deppen? Man zimmerte die Klischees fester und fester.“244

Während die Schriftstellerin eine weniger komödiantische Ausrichtung als eigenen Anspruch an die Kategorie Allgäu-Krimi formuliert, konstatiert die Buchhändlerin ein gerade aus einer Diversität der Narrative resultierendes breiteres Angebot für verschiedene Zielgruppen:

241 Ebd. 242 Dumler 2013. 243 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 244 Nicola Förg: Platzhirsch. Ein Alpen-Krimi. München 2013, S. 177f.

80 | ALLGÄU RELOADED „Die Allgäu-Krimis sind so unterschiedlich, au wenn se alle in ein Genre fallen, dass da für jeden was dabei is’. […] Die Nicola Förg schreibt vielleicht anders, was jetzt jemand [anderen] anspricht wie zum Beispiel an Klüpfel und Kobr. Der isch vielleicht manchen dann zu flapsig. Und ich denk’ halt, dass au viele sagen, g’rad richtige Krimi-Leser, also die wirklich aus diesem Feld von Mankell kommen, also die Skandinavier, denen is’ es dann au manchmal zu flapsig. Oder zu wenig sozialkritisch oder politisch.“245

Nina Brezina, Belletristik-Koordinatorin der Kemptener Buchhandlung Tobias Dannheimer, liest allerdings selbst lieber „anspruchsvolle Krimis“ und unterscheidet den Allgäu-Krimi-Bereich davon: Dort werde mehr Wert auf Regionales gelegt, die Orte seien sehr gut beschrieben, die Kommissare witzig, die Morde nicht so brutal246. Ursächlich für Förgs Insistieren auf Divergenz ist ihr eigenes, individuelles Raumerleben der Realwelt – damit soll sich das fiktionale Allgäu-Narrativ möglichst decken: „Was ich halt au wichtig find’, nach außen zu transportieren: Hier wohnen nich’ nur dumpfe Bauernschädel.“247 Aus dem mehrfachen schriftstellerischen Zugriff auf das gleiche erdräumliche Gebiet folgt ein Ringen um das angeblich richtigere Regionenmodell. Das macht Allgäu-Krimis als Quellenmaterial eines Wettstreits um die Definitionsmacht über Region lesbar. Förgs dritter Allgäu-Krimi, Hundsleben aus dem Jahr 2004, war auch ihr bislang letzter. 2005, in Gottesfurcht, ließ sie ihren fiktiven Kommissar Weinzirl eine Stelle in der Weilheimer Polizeiinspektion antreten und fortan in Oberlandund Oberbayern-Krimis Verbrechen aufklären. Parallel zu dieser Reihe schreibt sie seit 2009 Alpen-Krimis um ein Garmischer Ermittlerinnenduo. Spielte für die Umorientierung beim Schauplatz das inflationsgleiche Erscheinen weiterer Allgäu-Krimis eine Rolle? „Ja, mit Sicherheit“, sagt Förg und bringt ein erstrebtes Originäres zum Ausdruck: „Also bei mir war’s eigentlich schon so, dass ich dann irgendwann gedacht hab, okay, jetzt machen’s alle, jetzt machsch du was anderes.“248 Mit der Figur Kluftinger wurde das Allgäu nachhaltig besetzt und ein bisher an Wirkmächtigkeit konkurrenzloser Entwurf der Region popularisiert. Für Simone Zehnpfennig, PR-Chefin des Tourismusverbands Allgäu GmbH, liegt die Hegemonie Kluftingers in der Massengunst gerade an dem von Förg kritisierten, amüsementlastigen Allgäu-Narrativ von Klüpfel und Kobr:

245 Interview mit Nina Brezina, Belletristik-Koordinatorin der Buchhandlung Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 246 Ebd. 247 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 248 Ebd.

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„Aber die beiden bringen halt den Kluftinger ganz anders raus als so’n paar Tiere. Die Leut’ kommen ja deswegen. Dass der sich so blöd anstellt […] und einfach als komischer Kauz, des ham die andern halt net. […] Der Kluftinger hat schon immer mehr Kult g’habt.“249

Jenes Raumnarrativ mit mehr Kultpotenzial bietet auch mehr ökonomisches Kapital. Als Marketingaktion füllte die Allgäu GmbH Wanderrucksäcke mit Krimis. Für jene Nicola Förgs bekam der Verband nach Zehnpfennigs Angaben weitaus mehr Rabatt als für Klüpfels und Kobrs, und: „Die sind aber auch nie so gefragt gewesen, wie wenn wir g’sagt ham, wir bestücken die mit Kluftinger.“250 Eben Kluftinger ist im Genre das Maß aller Dinge – dafür ist der Klappentext von Spatz’ Alpendöner Indiz: „Bier statt Kässpatzen – Kemptens neuer Krimiheld heißt ‚Birne‘!“251 Gerade über die Bezugnahme auf Kluftinger, oder vielmehr: sein Lieblingsessen mit Markenzeichenwert, wird hier ein AllgäuKrimi-Novum propagiert. Volker Klüpfel wertet die pointierte und öffentlich gemachte Distinktion anderer vom eigenen Raumnarrativ als Neid: „Der, der merklich mehr Erfolg hat als andere, wird von den anderen nicht automatisch dafür geliebt, dass er mehr Erfolg hat.“252 Und Co-Autor Kobr: „Also es hat uns schon erschreckt, dass offenbar so viele der […] Mitbewerber die Dreistigkeit besitzen, über uns quasi zu urteilen [...]. Des isch was, was glaub i’ so im Buchbereich normalerweise nich’ üblich isch, was aber klar, wemmer sich die Verkaufszahlen und die Popularität anschaut, natürlich au irgendwie nachvollziehbar isch. Und wenn dann halt aufm Buch draufsteht: Kässpatzen sind out, hier isch der neue Kommissar, also quasi eindeutig aufm Klappentext sozusagen auf uns g’haut wird, wemmer sich g’rad auf den Zug versucht hat drauf zu werfen, dann isch des was, was einen zwar kurzzeitig ärgert, aber wo mer mit ner gewissen Arroganz dann au sagen kann: Die sind au wieder weg. Von daher. Des sind zum Glück nur kurzzeitige Phänomene meistens.“253

Nicola Förg wiederum nimmt monetäre Motivationen seitens ihrer Kollegen für deren Gestaltung eines aus ihrer Sicht possenlastigen Allgäu-Bilds an:

249 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013. 250 Ebd. 251 Spatz 2009. 252 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 253 Ebd.

82 | ALLGÄU RELOADED „Die [Volker Klüpfel und Michael Kobr, KL] wollen jetzt vor allem Kohle abzocken bis zum Gehtnichtmehr. […] Denen geht’s lang nimmer ums Buchschreiben, die wollen kei Buch schreiben, die wollen kei G’schichte mehr erzählen, die schreiben sich Drehbücher für ihre kabarettistischen Lesungen.“254

Das (die heuristische Qualität des Arguments vorausgesetzt) bedeutete: Ein nach größtmöglicher, geglaubter Wirklichkeitstreue konstruiertes Allgäu-Narrativ und die ästhetisch-unterhaltenden Vorlieben der Vielen decken sich nicht. Förg gibt an, Allgäu-Krimis anderer Autoren nicht zu lesen. Grund: „Des Problem isch nämlich immer, dass man entweder denkt, der hat bei mir abgeschrieben. Oder mer denkt sich: Scheiße, der hat ’ne Idee verwendet, die würd’ ich eigentlich au gern verwenden wollen, aber die kann ich jetzt nicht mehr nehmen, weil die is’ verbrannt.“255 Potenzieller Plagiatskonstatierung ungeachtet: Tatsächlich finden sich in sämtlichen Allgäu-Krimis intertextuelle Dopplungen – sowohl auf thematischer als auch auf Signifikantenebene. In nahezu allen Romanen etwa streifen quasi-obligatorisch Protagonisten- oder Erzählerperspektive die Aussicht auf den Berg Grünten, den sogenannten „Wächter des Allgäus“. Und die im kollektiven Gedächtnis präsenteste regionale Branche, die Milchwirtschaft, nutzen nicht nur Klüpfel und Kobr als Motor ihres Plots in Milchgeld, auch für Nowotnys Figuren ist das wirtschaftlich-kulturelle AllgäuErbe teils existenzbedingend und handlungstreibend, Förg widmet sich dieser „Triebfeder einer ganzen Region, [und der] Grundlage für das Bild, das sie kennen“256, in historisierender Exkursform. Und in Ein Knödel zu viel bezahlt Kommissar Mayr nach seiner Erfrischungsgetränkeversorgung einer Bäuerin „Milchgeld“257: Dabei verkehrt die hier dem Begriff aufgepfropfte Bedeutung den gebräuchlichen Allgäuer Wortsinn (wo der Ausdruck jenen Betrag bezeichnet, den – meist Jungen und Mädchen – für die Abgabe ihrer Milch in der Molkerei erhielten) ins Gegenteil. Allgäuer Orte und Sozialgüter finden multiliterarische Verwendung und werden in unterschiedliche Sinnzusammenhänge gebracht. Aus der Blüte der Marke Allgäu-Krimi folgt die mehrfache Inanspruchnahme des immer gleichen Territoriums. Die Narrative der Region aber decken sich nicht. Das Allgäu wird stets anders erzählt. Das sich etablierende Buchsegment fördert die Pluralisie-

254 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 255 Ebd. 256 Förg 2008, S. 242. 257 Küsters 2013, S. 208.

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rung von Raum. Die Vielheit an Allgäu-Entwürfen verursacht Konkurrenzen – auf mehreren Ebenen. Autoren rivalisieren um Schauplätze. Sie verweigern sich gegenseitig das literarische Nutzungsrecht, etwa weil sie eine herkunftsgesättigte Sicht auf das Allgäu privilegisieren. Ebenso disputieren die verschiedenen literarischen Raumnarrative: Persiflierende stehen neben touristisch-ästhetisierenden, andere betonen ein Klischee-Korrektiv oder zielen auf die Engführung von Fiktion und außertextlicher Wirklichkeit. In verschiedenen Allgäu-Krimis konkurrieren verschiedene Raumentwürfe. Als Lefebvresche Repräsentationsräume übertragen sie Raum ins imaginäre Bildhafte und physisches Material in eine je unterschiedlich symbolisch codierte Benutzeroberfläche. Die Narrative der Allgäu-Krimis versprachlichen Prozesse individueller Raumrealisierung. Ihre Verschiedenheit lässt sie miteinander konfligieren: um die semantische Deutungshoheit über die Region Allgäu sowie um kommerziellen Erfolg. Allgäu-Krimis machen bereits auf ihrer Produktionsebene soziale Raumkonstitutionsprozesse sichtbar. Dass die Gattung eine Mehrzahl an Allgäu hervorbringt, zeigt die Teilhabe vieler Akteure (und eben auch: vieler Autoren) an der Konstruktion von Region.

2.3 L ITERATURANALYSE 2.3.1 Sieben Mal Kluftinger In Milchgeld. Kluftingers erster Fall beschäftigt den fiktiven Kommissar die Aufklärung eines Mordes in seinem Allgäuer Heimatort Altusried. Der Lebensmittelchemiker Philip Wachter wurde erwürgt – von Karl Schönmanger, Chef des Milchwerks im benachbarten Krugzell. Grund: Wachter und Schönmangers Sohn Peter nutzten aus Russland importiertes Milchpulver zur illegalen, aber schnellen und billigen Käseherstellung. In diesem Rahmen macht der Roman die Allgäuer Milchindustrie, ihre Strukturveränderungen und die daran beteiligten Akteure vom Bauer über den kleinen Genossenschaftskäser bis zum Global Player zum Thema. Immaterielles kulturelles Erbe ist Vorlage für Erntedank. Kluftingers zweiter Fall. Ein pensionierter Richter und seine Frau instruieren ihren Sohn, Gernot Sutter und Michaela Heiligenfeld zu töten. Sutter hat mit Kaffeefahrten und Esoterik-Produkten Senioren in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, die Ärztin Heiligenfeld unerlaubt Abtreibungen vorgenommen – beide wurden nach Ansicht des Ehepaars von der weltlichen Gesetzgebung nicht zur Genüge bestraft. Das Anstifter-Duo ließ die Opfer nach der Vorlage von zu ihren spezifischen

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Verfehlungen passenden Allgäuer Sagen hinrichten und ihre Leichen symbolträchtig arrangieren. Seegrund. Kluftingers dritter Fall spielt am Füssener Alatsee. Ein Taucher liegt niedergeschlagen am Ufer. Der Kommissar findet heraus: Er wurde von einem Kreis befreundeter Männer in ein am See beschäftigtes Forscherteam geschleust. Die Gruppe, im Zweiten Weltkrieg in derselben Sondereinheit stationiert, plante, sich das technische Gerät der Wissenschaftler für ihre Zwecke zu eigen zu machen: Sie wollte einen im See vermuteten Schatz aus der Beutekunst der Nationalsozialisten bergen. Wesentlich für den Kriminalroman sind Wirklichkeitsverweise aus Biologie und Historie: Das besondere Ökosystem des Alatsees und seine Vergangenheit als militärisches Sperrgebiet während und nach dem Krieg initiieren das fiktive Geschehen. Laienspiel. Kluftingers vierter Fall stellt einerseits die Begegnung mit einem zunächst als fremd Empfundenen, andererseits das Eindringen eines Bedrohlichen ins immun gewähnte Regionenkonstrukt in den Mittelpunkt: Gemeinsam mit dem türkischstämmigen BKA-Experten Faruk Yildrim muss Kluftinger einen Terroranschlag islamistischen Hintergrunds verhindern. Gleichzeitig macht der Roman das Identifikationszentrum und den von Besuchern meistfrequentierten Point of Interest des auch nonfiktionalen Festspielorts Altusried zum Leitmotiv: die Allgäuer Freilichtbühne. Eben dort soll in der Erzählung die Bombe explodieren. In Rauhnacht. Kluftingers fünfter Fall verbringt der Kommissar ein Wochenende in einem Oberstdorfer Berghotel. Dort sitzt ein Gast tot in seinem Zimmer. Wegen eines Schneesturms von der Außenwelt abgeschnitten, identifiziert Kluftinger vor Ort und ohne Teamunterstützung unter den Anwesenden Hotelmanagerin Julia König als Giftmörderin. Das Leitmotiv von Schutzpatron. Kluftingers neuer Fall speist sich aus historisch-kulturellem Erbe im Allgäu. Der Krimi erzählt von einem Museumsneubau an der ehemaligen Burgruine Kalden bei Altusried: Eine Reliquienmonstranz mit Knochensplittern von St. Magnus, dem Schutzpatron des Allgäus, soll dort ausgestellt werden, wird aber geraubt und von Kluftinger zurückgebracht. Sein Antipart, der Kopf des Diebeskollektivs, benennt sich ebenfalls nach dem Allgäuer Schutzheiligen: Magnus. Gleich vier Leichen mit durchschossenem oder herausgeschnittenem Herzen beschäftigen die Kemptener Kriminalpolizei in Herzblut. Kluftingers neuer Fall. Hintergrund der Mordserie: Das Geschwisterpaar Burlitz hat die späteren Opfer für die familiäre Pleite und den Herztod der Mutter als schuldig befunden und gleich einem Gemetzel gerichtet.

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2.3.2 Autorenstrategien Ein Bergsee bei Füssen: „In diesem Idyll lauert etwas Unheimliches. Hier am Alatsee […] warten unzählige Rätsel auf ihre Entschlüsselung.“258 Zum einen ein biologisch-geologisches: Unter Wasser wabert eine violette Wolke. In 15 Metern Tiefe trennt eine Schicht von Schwefelbakterien eine alles konservierende, aber organismenfeindliche, weil sauerstoffarme Todeszone auf dem Grund vom restlichen Teil des Gewässers. Manchmal soll das purpurfarbene Bakterienkonglomerat, das „in Größe und Konzentration weltweit einzigartig sein dürfte“259, bis an die Wasseroberfläche treiben.260 Dem Bergsee brachte das den Rufnamen Der blutende See ein, die biologische Anomalie lockt regelmäßig naturwissenschaftliche Forscherteams verschiedener Universitäten. So zeigt es eine gleichnamige Dokumentation des Bayerischen Rundfunks261: Wissenschaftler der Universitäten München und Stuttgart werden dabei gefilmt, wie sie nach den Ursachen des außergewöhnlichen Bakterienvorkommens forschen, sich auf Tauchgänge zum Grund begeben, Proben nehmen und einen Unterwasserroboter von Land aus per Laptop steuern. Die Filmaufnahmen zeigen auch Metallteile und Gestänge, die aus dem Seegrund ragen: Relikte der Vergangenheit, die weitere Mystifizierbarkeitselemente für den abgeschiedenen Ort liefern. Ihre Funktion: In den letzten Kriegsjahren nutzten die Nationalsozialisten den Alatsee für Versuchsreihen und erklärten ihn zum Sperrgebiet. Lange war nicht klar, was genau sie testeten. Die Dokumentation lässt einen Zeitzeugen – einen damaligen Hirtenbuben von der angrenzenden Alm – zu Wort kommen: Er sei trotz täglichen Gesprächen mit den NSIngenieuren dem Geheimnis nicht auf die Spur gekommen. Unter den Einheimischen brodelt die „Gerüchteküche“262, auch der Raketenphysiker Wernher von Braun soll vor Ort gewesen sein. Später barg man Abschussrampen aus dem See. Heute ist klar: Techniker der Zeppelin-Werke Stuttgart-Ruit installierten eine Anlage, um die Entwicklung des Abfangjägers TA154 zu proben. Nach Kriegsende riegelten die Amerikaner das Gebiet ihrerseits bis 1957 ab – was sie fanden, ist nicht überliefert.

258 Faszination Wissen: Der blutende See. Expedition zum Grund des Alatsees. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 21.04.2005. 259 Ebd. 260 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 261 Faszination Wissen: Der blutende See. Expedition zum Grund des Alatsees. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 21.04.2005. 262 Ebd.

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Drittes Alatsee-Geheimnis, das die BR-Sendung darstellt: „das Schatzgerücht“263. Während des Zweiten Weltkriegs lagerte das NS-Regime geraubte Kunstgegenstände und Gold der Reichsbank im nahegelegenen Schloss Neuschwanstein – und ließ möglicherweise alles von Transportkommandos in den letzten Kriegstagen in Kisten im Alatsee versenken? Immer wieder versuchten sich Taucher in der Suche nach dem angeblichen Nazi-Schatz (sogar die Rothschild-Erben gaben die Suche in Auftrag) – einige verunglückten tödlich. Inzwischen ist Tauchen am See nur noch dem Füssener Tauchclub gestattet.264 „Offiziell wurde nie etwas gefunden“265, Raum für Spekulationen bleibt. Und schließlich: „Der Alatsee ist heute mehr denn je Anziehungspunkt für Esoteriker.“266 Die Kamera fängt einen Panflötenspieler und Wünschelroutengänger ein, der den Bergsee zum „heilige[n] Ort“ erklärt, der Filmtext verweist auf Sagen, die sich um den abgelegenen See ranken, und gesellschaftlich eingeübte Erzählungen über seine angebliche Trichterform und das Labyrinth in seinem Untergrund. Mit all seinen Rätsel ausbreitenden dokumentarischen Erzählsträngen liest sich der Film Der blutende See. Expedition zum Grund des Alatsees wie das nur noch belletristisch anzureichernde, aber mit allen Details vom Tauchroboter bis zum Hütebuben sonst exakte Strickmuster für den Allgäu-Krimi Seegrund. Die Kluftinger-Autoren jedenfalls kennen die Diskurse um den See, die der Film thematisiert. Die Einzigartigkeit des Ökosystems Alatsee, seine Historie und kulturelle Mystifizierung nutzten Klüpfel und Kobr als Vorlage für ihren dritten Kluftinger-Band: „I hab’ mal was g’lesen übern Alatsee, i weiß nimmer genau, ging’s um die Geschichte oder ging’s um die Bakterien, und des fand i interessant, habe weiter g’lesen und immer weiter g’lesen, und irgendwann hab’ mer dacht: Wahnsinn, des isch ja wie g’macht für uns, da müss’ mer unbedingt was drüber schreiben. […] Des isch ja sensationeller Stoff.“267

263 Ebd. 264 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 265 Faszination Wissen: Der blutende See. Expedition zum Grund des Alatsees. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 21.04.2005. 266 Ebd. 267 Bergheimat. Kobr, Klüpfel, Kluftinger und ihr Allgäu. Eine Geschichte zwischen Alpin-Idyll, Heimatverbundenheit, Verbrechen, Bestseller-Ruhm und Lokalkolorit. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 06.01.2012.

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Später präzisiert er: „Beim Alatsee […], da war die Geschichte, die war eigentlich scho ’n Buch, ja, ’n Fall.“268 Das fiktionale Narrativ gründet also auf ein schon bestehendes. Am Alatsee und an Seegrund lässt sich exemplarisch eine intertextuelle Einbindung von Regionalkrimis ablesen – doch verweisen die Bezüge eben nicht (nur) auf weitere literarische Texte, sondern auch auf spezifischen Orten kulturell und historisch Eingeschriebenes. Der Alatsee, das Schloss Neuschwanstein, die Burgruine Kalden und mehr: In den Kluftinger-Romanen werden Wirklichkeitsimporte zu Tat- und Handlungsorten der Narration. Welchen Ansprüchen der Autoren müssen sie genügen? „Entweder der Ort gibt a G’schichte her, a guade. Oder mer hat a guade G’schichte und sucht sich die passenden Orte“269, sagt Klüpfel. Sein Vater (selbst gern von diversen Medien gebuchter Interviewpartner und KluftingerFührer in Altusried) sagt, das Autorenduo recherchiere gezielt nach geschichtsträchtigen (und hier ist die Geschichte im engeren, historischen Sinn gemeint) Orten im Allgäu: „Da fahr’n se drauf ab. Der [Volker Klüpfel] sagt immer: ‚Wenn du da fei irgendwo was hörsch von sowas, des möcht’ i wissa!‘“, so Peter Klüpfel, derlei sei für die Schriftsteller „a gmäht’s Wiesle“270. Aleida Assmann bestimmt Orte im Gegensatz zu Räumen dadurch, „dass an ihnen bereits gehandelt bzw. etwas erlebt und erlitten wurde. Hier hat Geschichte immer schon stattgefunden und ihre Zeichen in Form von Spuren, Relikten, Resten, Narben, Wunden zurückgelassen“271, sie bärgen Vergangenheit. Und Martina Löw: „Ein Ort bezeichnet einen Platz, eine Stelle, konkret benennbar, meist geographisch markiert. Orte werden durch die Platzierung sozialer Güter [immaterieller und materieller Art, KL] oder Menschen kenntlich gemacht, verschwinden aber nicht mit den Gütern/Menschen, sondern stehen dann für andere Besetzungen zur Verfügung.“272

An solchen Orten können je unterschiedliche, durch Menschen verbundene Räume entstehen und sich überlagern. Der beschriebene Entstehungsprozess von Regionalkrimis verdeutlicht das: Indem geografische Marker aufgegriffen und

268 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 269 Freizeit: Schmidt Max und der Tatort Allgäu. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 13.09.2012. 270 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 271 Assmann 2009, S. 16. 272 Löw 2001, S. 224.

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Teil literarischer Räume werden, erweitert sich das am konkreten Ort bestehende Spektrum von Raumsynthesen um eine weitere. In eine Romanhandlung integrierte reale Orte sind nie un-bedeutend, sondern immer schon Geschichtsträchtig und Speichermedium von Geschehenem. Autoren gebrauchen die Orte und Stationen eines bereits Stattgefundenen als Grundlage einer gefälligen Story und schreiben ihnen eine multiräumliche Teilhabe ein. Für Allgäu-Krimis fungieren regionale Vergangenheiten als Basis schriftstellerischer Inspiration. In der BR-Dokumentation heißt es: „Selten sind Wirklichkeit, Sagen und Wunschdenken so eng verwoben wie hier, am blutenden See.“273 Der Satz ist falsch, was die formulierte Seltenheit anbelangt – eine solche Dichte verschiedener Narrative ist potenziell an jedem Ort auffindbar. Doch er bringt zum Ausdruck, dass eine derart auffällige Verwobenheit von (interessanten) Geschichten an spezifischen Orten diese für Kluftinger-Krimis geradezu prädestiniert. Jene geografisch definierten und in den Kluftinger-Geschichten fiktionalisierten Orte werden später zu erlebbaren Stationen der Krimiführungen: Nicht nur in der Vorstellungskraft und im literarischen Medium existent, lassen sie sich in der empirischen Wirklichkeit ansteuern, mit dem Label „Kluftinger“ ausstaffieren und erfolgversprechend bewerben. Spielt ein solches Zweitverwertungspotenzial für die Autoren bei der Auswahl ihrer Allgäuer Tatorte eine Rolle? Nein, sagt Volker Klüpfel: „Des is’ völlig wurst. […] Wir nehmen des, sag’ mer mal, in Kauf. I find’s schön, wenn Leute [kommen]; also selber macht mer’s ja au’ mal ganz gern, wenn mer ’n Buch g’lesen hat und geht an den Schauplatz und der isch dann so und mer findet Sachen wieder. Des find’ i, isch a ganz spannende G’schichte. Aber mir isch es egal, ob in Altusried einer mehr oder weniger übernachtet. […] I hab’ nie g’sagt, des Allgäu muss jetzt mal bekannt werden, es müssen mehr Leute kommen oder so. Mir wollten einfach immer nur Bücher schreiben, die Leute lesen.“274

Die PR-Koordinatorin der Allgäu GmbH bestätigt, zwar mit Klüpfel und Kobr gut zusammenzuarbeiten, auf ihr Ge- und Beschriebenes aber keinen Einfluss nehmen zu können: „Die Autoren schreiben ja komplett losgelöst von uns. […] Wir würden niemals auf die Idee kommen, zu sagen […], wir fänden’s toll, wenn der Kneipp drin vorkommt oder unsere Gesundheitsregion oder was weiß

273 Faszination Wissen: Der blutende See. Expedition zum Grund des Alatsees. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 21.04.2005. 274 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013.

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ich.“275 Die Stadt Kempten hat es versucht: „Also einmal ist ein Vorschlag gekommen unsererseits, a mol eine kriminalistische Handlung während der Zeit der Allgäuer Festwoche [eine jährliche Messe in Kempten, KL] ins Leben zu rufen. […] Do isch bis jetzat no nix passiert. Also mir ham da eigentlich wenig Einfluss auf die Autoren“276, sagt Tanja Beggel von der städtischen Tourist Information. Dagegen betreibt Nicola Förg gezielte Fördermaßnahmen: Funkensonntag ist ausdrücklich der Crew des Bergbauernmuseums in Diepolz gewidmet, und in Schussfahrt lässt sie Tourismusdirektorin Jo sagen: „Aber so was wie das neue Bergbauern-Museum ist eine Chance: Es wurde in den Ort integriert, es ist unaufgeregt und ehrlich, und es geht ohne falschen Pathos mit dem Allgäuer Leben um. Es erzählt einfach die Geschichte des Bergstätter Gebiets. […] Wenn uns das Museum nur einige Gäste mehr bringt, dann haben wir schon gewonnen. […] Das Museum ist eine Chance für die Landschaft und gegen die Entwurzelung der Leute. Sie sollen hier wohnen bleiben und wirtschaften können.“277

Die exponierte Reklame begründet sie mit eigenen Idealen: „Im Fall vom Bergbauernmuseum muss i natürlich schon sagen, des war schon au’ ’n bisschen Tourismus-Werbung von meiner Seite, weil ich einfach von dem Projekt extrem überzeugt bin und einfach durch des Buch den Menschen au nomal so’n gewissen Bekanntheitsgrad zukommen lassen wollte.“278

Und Autor Bernhard Bartas Schreibstrategie beabsichtigt explizit, die Leser seiner Salzkammergut-Krimis zu Touristen zu erziehen: „Ich will, dass die Leser die Landschaft kennenlernen und vielleicht auch hierher kommen. Das ist schon ein Ziel. Die Region profitiert davon vielleicht auch.“279

275 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013. 276 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013. 277 Förg 2008, S. 243. 278 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 279 Kospach 2013, S. 49.

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2.3.3 Allgäu im Krimi In den Kluftinger-Krimis säumen abgestellte Milchkannen und Wegkreuze – bzw. Marterln, „wie man hier sagte“280 – die erzählten Wege, die Hauptfigur trägt Lodenmantel, Trachtenjacke, Janker und Haferlschuhe, Nebenfiguren Dirndl. Bauern auf Heuwagen ohne Nummernschild versehen Hauptstraßen mit ruraler Koloratur, winterliche Fahrten von Dringlichkeitscharakter werden im Hörnerschlitten absolviert, den Ernstfall probende Räuberbanden simulieren Alarmanlagen-Akustik mit Kuhglockengeläut. Und das „sanfte Gebimmel […] von glücklichen Allgäuer Kühen“281, festgehalten auf Tonband, macht einen potenziellen Tatort identifizierbar. Wie andere Allgäu-Krimis zitieren Klüpfel und Kobr, wenngleich spärlich, Versatzstücke eines verkaufsfördernden voralpinen Insignienrepertoires. Punktuell rufen sie popkulturell und im Massengeschmack verankerte Teilmengen aus einem reichen Arsenal von Agrarromantik-Anzeigern und Ländlichkeitsdesigns auf. An Raumbaugütern282 sind sie in den KluftingerKrimis weder die einzigen noch die gewichtigsten. Die folgenden Unterkapitel beschreiben, anhand welcher materieller Elemente und soziokultureller Handlungsprozesse die Romane Region darstellen – und welches Modell von Allgäu sie damit entwerfen. 2.3.3.1 Speisen Kommissar Kluftinger liebt Kässpatzen. Diese Präferenz durchzieht sämtliche Bände leitmotivisch. Essen vermeintlich fremder Provenienz meidet er: „Was diese Deppen immer hatten: Da hat man so guten einheimischen Käse im Allgäu und dann muss man den Italienern ihren alten Bröckelkäse nachmachen. Auf Pasta asciutta, gut, gerieben und als Würze. Aber zum so Essen? Das war, fand Kluftinger, so etwas wie Ruccola, Latte Macchiato und Aceto Balsamico: Modetrends, die man mitmachen musste, wenn man den Anschein machen wollte, dass man beim Essen international, weltoffen und genießerisch war. Auch seine Frau schleppte dieses ganze Toskanazeug an, ihm schmeckt das meiste nicht.“283

280 Erntedank, S. 56. 281 Volker Klüpfel/Michael Kobr: Herzblut. Kluftingers neuer Fall. München 2013, S. 43. 282 Löw 2001, S. 157f. 283 Milchgeld, S. 165.

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Bei der Einkehr in ein Wirtshaus unter ungarischem Pächter echauffiert sich Kluftinger über die „kulinarische[...] Vergewaltigung seiner Leibspeise“284: Sie wurde ihm, nationaltypisch verfeinert, im Fusion-Food-Stil rötlich eingefärbt, auf Paprika und scharf gewürzt serviert. „Ausgerechnet ein Dönerstand“285, entfährt es ihm an der willkürlich angesteuerten Imbissbude, sich eigentlich eine Leberkäs-Semmel herbeisehnend. Kluftinger schätzt deftige, bodenständige Kost und als prototypisch allgäuerisch vorgestellte Kulinarik wie Weißlacker (einen nur im Allgäu hergestellten Käse), sogenannte Schüblinge, Zwiebelrostbraten. Solche Speisen sind Bestandteile eines sozialen Güterpools, aus dem der Kommissar schöpft und über Vorstellungs- und Wahrnehmungsprozesse286 sein subjektives Allgäu wahrnimmt. So referiert die Erzählung auf die Idee der regionaltypischen Küchen. Der Kriminalroman folgt dem in postmodernen Alltagen populären „Versprechen, dass sich die kulturelle Vielfalt und Differenz der Räume und Regionen besonders unvermittelt in der Begegnung mit ihren kulinarischen Systemen erfahren lässt“287, jedoch lediglich vordergründig. Das Beharren auf dem Genuss eines kulinarischen Erbes vollzieht lediglich eine Person – die als traditionsbewusst, bisweilen konservativ, anti-modern und dem Bekannten und Eigenen zugeneigt gezeichnete Hauptfigur. Die scheinbar traditionelle, Authentizität suggerierende Küche erscheint nicht als universalistischer Verzehr-Inbegriff der Region, sondern ist nur Marker eines AllgäuEntwurfes von vielen. Ebenso wie das vermeintlich Eigentümliche sind Sojamilch, Gasthöfe mit Tofugerichten auf der Speisekarte, vegane low-carb-, lowfat- und low-salt-Ernährungstrends im Narrativ präsent. Vor allem Kluftingers Anti-Held, der mondäne Arzt Dr. Martin Langhammer, mit seiner Vorliebe für Gesundes und Internationales, verkörpert das Da-Sein eines Anderen im Allgäu. Kluftingers Frau liebt Neues, der Sohn rasch zu Verzehrendes. Die fiktive Region erreichen globale Diättrends ebenso wie Küchen-Moden, über geografische Allgäu-Grenzen hinweg konsumierte Fast-Food-Variationen wie die Mitbringsel mobiler Gourmets. Die Koexistenz heterogener Menükarten im Krimi ist Indiz für die dynamische Beschaffenheit von Region. Essen macht in den KluftingerKrimis nicht Raum, Essen macht verschiedene Allgäu-Räume. Dieses Konzept steht konträr zu jenem etwa gegenwärtiger Lebensmittelindustriekampagnen und

284 Volker Klüpfel/Michael Kobr: Seegrund. Kluftingers dritter Fall. München 2008, S. 62. 285 Milchgeld, S. 54. 286 Löw 2001, S. 224f. 287 Tschofen 2007 (a), S. 172.

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Politiken, die im Wettbewerb um Absatz und Distinktion gerade eine an geografischen Grenzen festgezurrte Einmaligkeit von Geschmäckern und Zubereitungsweisen kommunizieren.288 Letztere setzen Erdraum und Speisen homogenisierend in kausale Zusammenhänge. Dagegen macht sich die hier besprochene Populärkultur Denkmuster von natürlichem, unverfälschtem und letztlich gefühlig angerichtetem Essen zunutze – um sie aufzubrechen. Die Krimis inszenieren ein Ineinandergreifen von Kulinariken, während sie gleichzeitig die Hochkonjunktur des Gegenteils, nämlich des räumlich klar identifizierbaren Produkts, reflektieren: „‚Priml‘, stöhnte Kluftinger. Er konnte gut auf diesen Terror der ‚saisonalen Produkte‘ verzichten: Die Bärlauchzeit ging nahtlos in die Spargelzeit über, dann gab es überall Holunderblüten, um bald schon von Pfifferlingen und, am allerschlimmsten, von Kürbis abgelöst zu werden, bis man alles so überhatte, dass es ein Jahr brauchte, um es wieder essen zu können.“289

Denn saisonal ist an dieser Stelle als Kontrast zu ganzjährig verfügbaren, weil importierten Waren zu verstehen – und meint damit: regional. Das gleiche dynamische Konzept regionaler Speisekultur entwirft ein Ableger der Romanserie. 2010 folgten Volker Klüpfel und Michael Kobr dem Trend, die „Sehnsüchte vornehmlich urbaner zahlungskräftiger Schichten nach authentischen und gesunden Produkten aus den Bergen“290 zu befriedigen. Sie machten ihre Fiktion mimetisch reproduzierbar und veröffentlichten ein Kochbuch zur Allgäu-Krimi-Reihe.291 Indem Mahlzeit! Das Kluftinger Kochbuch die kulinari-

288 Drei Monate nach Einführung eines neuen Regional-Siegels für Lebensmittel warben im April 2014 beispielsweise mehr als tausend Produkte mit der verbürgten Herkunft aus der Nähe. Hunderte weitere Antragsverfahren liefen zu diesem Zeitpunkt, der Trend zur Zertifizierung zeigte weiter nach oben – aber: solcher Siegel, die Reklame mittels Regionalität machen, gibt es derzeit viele. Sophie Herr, Expertin des Verbraucherzentrale-Bundesverbands, sagt: „Aus Sicht der Verbraucher wäre eine verbindliche [Hervorhebung: KL] Definition des Begriffs Region durchaus wünschenswert.“ Deutsche Presseagentur: Regional-Siegel für Lebensmittel sehr begehrt. In: Südwest Presse, 23.04.2014. 289 Herzblut, S. 67. 290 Robert Kruker: Alpinavera, Stiefelgeissen und Golflandschaften. In: Risi 2011 (a), S. 67-95, hier S. 71. 291 Diese Offerte an die Rezipienten, das Gelesene gustatorisch nachzuerleben, ist im Regionalkrimi-Genre inzwischen gängige Praxis: Auch Arnold Küsters’ Ein Knödel

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schen Präferenzen Kluftingers aber nicht als individuelle Extravaganz, sondern als Vorliebe für „die Allgäuer Küche [Hervorhebung: KL]“292 einordnet und damit verortet, dokumentiert es: Raum ist nicht nur im belletristischen Werk, er is(s)t vor allem auch im Kochbuch. Wie im belletristischen Bezugstext vermittelt dieses Kochbuch nur vordergründig die Vorstellung einer homogenen und repräsentativen Regionalküche: Es listet Rezepturen für anscheinend typisch allgäuerische Riebelesuppe oder Gröstl. „Zunächst bevorzugt der Allgäuer traditionelle Gerichte, die er (oder sie) schon als Kind gegessen hat“293, heißt es im Vorwort. Der Begleittext zum Allgäuer Filettöpfle verspricht: „Alles, was die Allgäuer Küche ausmacht, ist darin versammelt. Und alles, was [Kluftinger] liebt und Langhammer hasst: viel Fleisch, Spatzen, Käse, ein Sößle und ganz viel Geschmack.“294 Andere Speisen werden als materielles Beiwerk des regionalen Intangible Heritage kulturalisiert: „Ich ess das ja wirklich gerne am Funkensonntag, da freu ich mich jedes Jahr drauf“295, lautet ein Kluftinger-Zitat zu den sogenannten Ausgezogenen, in Schmalz gebackene Hefeküchlein. Damit nährt Mahlzeit! die Eingrenzung von Essgewohnheiten auf nominierte Territorien. Das Kluftinger Kochbuch suggeriert „eine quasi natürlich gegebene Inzidenz von Raum und Geschmack“296. Es installiert die literarische Figur Kluftinger als Gewährsperson einer lokalisierbaren lukullischen Spezifik und fixiert Geschmacksvorlieben. Mit dem Regionalkrimi und der Kochbuchliteratur verschmelzen zwei aktuelle Absatzgaranten unter den Buchgenres. Populärkunst- und Küchenzeitgeist fusionieren. Die fiktionalen Geschichten aus einer Region stützen die derzeit hochkonjunkturelle Revitalisierung von regionalen Speisen und verpacken das Medium Rezeptsammlung in ein Format mit Bedeutungs- und Unterhaltungs-

zu viel ist das Rezept für das titelgebende Gericht angehängt, und Rita Falk hat ein Provinz-Kochbuch zu ihren Bayern-Krimis herausgebracht. 292 Volker Klüpfel/Michael Kobr: Mahlzeit! Das Kluftinger Kochbuch. München 2010, Umschlagtext. 293 Volker Klüpfel/Michael Kobr: Morden und Meucheln. In: Dies. 2010 (a), S. 13-15, hier S. 14. 294 Klüpfel/Kobr 2010 (a), S. 48. 295 Ebd., S. 151. 296 Bernhard Tschofen: Kulinaristik und Regionalkultur. In: Alois Wierlacher/Regina Bendix (Hg.): Kulinaristik. Forschung – Lehre – Praxis (= Wissenschaftsforum Kulinaristik, Bd. 1). Berlin 2008, S. 63-78, hier S. 65.

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mehrwert. Das „Allgäuer Urviech Kluftinger“297 betont Kulinarik als Unterscheidungskennzeichen räumlich gedachter Kulturen und fördert die Stimulation von „allerlei Bedürfnisse[n] hin zum Einfachen und Nahrhaften, dabei das Deftige, Kräftige, Ursprüngliche und Natürliche betonend“298, wie es, Ueli Gyr hat das ausgeführt, bereits bei seinem schweizerischen Pendant Heidi funktionierte. Der Kommissar, respektive der Allgäuer, so suggeriert Mahlzeit!, is(s)t bodenständig und unprätentiös. Mit seiner Verbundenheit gegenüber traditionsorientierter Kost kommuniziert Kluftinger, scheinbar repräsentativ für die regionale Bevölkerung, soziale Identität durch für das Allgäu als typisch befundene Verhaltensmuster.299 Die in den Romanen vorbereitete distinktive Abschottung der in der Kommissargunst stehenden fettigen, einfachen Kost aus heimischen Ställen und Gärten gilt auch im Kochbuch besonders dem Feinschmecker-Habitus von Antagonist Martin Langhammer. Laut den Erklärtexten zu den Rezepten priorisiert dieser Chardonnay statt Bier, genießt gern Exquisites, Raffiniertes aus dem Repertoire zeitgenössischer Küchen-Moden, kosmopolitisch Angereichertes oder exotisch Konnotiertes nach italienischer, französischer oder asiatischer Zubereitungsart. Indem Mahlzeit! aber das Vordringen nobler, gesundheitsbewusster und international ausgerichteter Essgewohnheiten jenen Kluftingers antithetisch entgegenstellt, nagt es gerade an der Denkfigur territorial begrenzbarer einheitlicher Vorlieben. Wie die Romane pocht auch das Kochbuch mit der Figur Kluftinger auf das Vorhandensein mustergültiger Allgäuer Esser und Kochkunst – um dann das Konzept vom uniformen Esskulturraum aufzubrechen. Die Vorstellung von raumabhängiger Küchenoriginalität persifliert sich in Mahlzeit! selbst. Der Vorspann zur Fleischküchle-Herstellung entlarvt etwa die

297 Jobst-Ulrich Brand: Corine-Buchpreis: Mit Gott im Bett. Focus Online: http:// www.focus.de/kultur/buecher/brands-buecher/corine-buchpreise-mit-gott-im-bett_aid _346924.html (Zugriff: 05.12.2014). 298 Ueli Gyr: Kulinarik und Region: Konstrukte aus der Schweiz. In: Gisela Welz/Antonia Davidovic-Walther/Anke S. Weber (Hg.): Epistemische Orte. Gemeinde und Region als Forschungsformate. Frankfurt am Main 2011, S. 143-153, hier S. 144. 299 Vgl. Thomas Knutsch: Ethnic food, cuisines régionales, gruppen- und landschaftstypische Küchen: Essen als Teil der sozialen Identität. In: Sigrid Weggemann: Alte Landschaftsküchen in neuer wissenschaftlicher Bewertung. 11. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft Ernähungsverhalten e.V. am 3. und 4. Juni 1988 in StuttgartHohenheim (= Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Ernährungsverhalten e.V., Bd. 7). Frankfurt am Main 1990, S. 29-37, hier S. 29.

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Identifizierbarkeit einer einzigartigen Region Allgäu über ihre Vespergewohnheiten als imaginiert und sozial eingelernte Praxis: „Psst! Ganz leise und im Vertrauen: Gibt’s in jeder Kultur! Eigentlich egal, ob man sie jetzt Frikadellen, Köfte oder Kötbullar, Meatballs, Fleischpflanzerl oder Buletten nennt. Eigentlich immer ziemlich ähnlich. Das darf der Klufti nur nicht erfahren, sonst schmecken sie ihm vielleicht nicht mehr.“300

Populärkultur kommt hier auf die Teller der realen Welt – und wer will, kann im Nachgang erschmecken, dass ihre regionstypischen Aromen auch Resultat von Narrationspolitiken des Lebensmittel- und Agrarmarkts sind.301 Indes ergänzen das Kochbuch Fotografien. Ihre Motive stammen aus dem gemeinfasslichen Allgäuer Insignienpool: Betagte Milchkannen, gusseiserne Pfannen, karierte Geschirrtücher, Teller mit bäuerlichem Blumendekor, bemalte Bierseidel auf rustikalen Holztischen, Kühe und Ziegen, Käselaibe, vollbeladene Heuwagen, Hirschgeweihe, Blasmusiker in Lederhose und allerhand Voralpenbeschaulichkeit sind abgebildet. Aber auch: türkische Teegläser, eine Hand, die dem Betrachter einen appetitlichen Döner-Snack zu reichen scheint und eine dunkelhäutige Frau mit Kind im Casual-Look beim Kässpatzen-Verzehr. Das kontrastiert illustrativ das Einhämmern von Ernährungsnostalgie in die Region. Mahlzeit! zeichnet wie die Kluftinger-Romane das Allgäu als Raum dynamischer Esskulturen: Auch in Altusried wird frankophile Cuisine statt Hausmannskost bevorzugt, auch Kemptener snacken Fast Food von internationaler Rezeptur, und nicht nur der Trachtler ist folklorisiertem Essen zugetan, sondern Menschen mit pluralen Identitäten.302 Damit bleibt der Rezeptband nicht retroromantisches Reservoir für althergebrachtes Essen. Er ist genrebedingt Inventurbeleg einer gegenwärtigen multiplen Geschmackskultur auch im Allgäu und kulinarischer Zeitgeistanzeiger, denn „ein Kochbuch ist immer nur im allgemeinen sozio-kulturellen Zusammenhang seiner Zeit zu verstehen und zeigt parallel zur Entwicklung der Küchentechnik und zum Wandel der

300 Klüpfel/Kobr 2010 (a), S. 22. 301 Vgl. Tschofen 2008, S. 75. 302 Vgl. Eberhard Wolff: Über die Unfolklorisierbarkeit des Birchermüeslis und die Pluralität von Identitäten. In: Gabriela Muri/Cornelia Renggli/Gisela Unterweger (Hg.): Die Alltagsküche. Bausteine für alltägliche und festliche Essen. Zürich 2005, S. 88-92.

96 | ALLGÄU RELOADED Koch- und Eßgeschirre die Veränderungen der Nahrungsgewohnheiten: Jedes Kochbuch ist also ein Kind seiner Zeit.“303

Das Kluftinger Kochbuch dokumentiert die boomende Huldigung an regionale Küchen ebenso wie die Durchdringung postmoderner Allgäuer Alltagstische von lukullischen Moden. Und es exemplifiziert, was Konrad Köstlin anhand des Nebeneinanders von Mutters – dort: böhmischer – Küche und solchen aus aller Welt im Imbissangebot von – in seinem Beispiel: tschechischen – Einkaufszentren festgestellt hat:304 Die Allgäuer Küche wird erst als besonders anerkannt, wenn sie als Eigenheit nominiert und anderen kontrastierend gegenüber gestellt wird. Kluftingers Krautkrapfen und Tellersulz markieren damit ebenso sehr das Exotische – oder eben das Alltäglich-Vertraute – wie der beim Gang durch Kemptens City einverleibte Kebab oder die von Langhammer zubereitete Quiche. Krimis und Mahlzeit! arbeiten mit der aktuell populären Vorstellung, dass (urige Allgäu-)Räume (ein entsprechend) natürlich-ursprüngliches Essen hervorbringen und unterlaufen sie. Speisen sind hier literarisch-strategisch eingesetzte raumdefinierende Mittel. Gleichzeitig ist das Kochbuch Beispiel für den Gebrauch der Populärliteratur – hier dient er einem ökonomisch-lukrativen Aufgreifen des Ernährungszeitgeists. 2.3.3.2 Rituale Das Zeremoniell dörflicher Veranstaltungen ist in der Fiktion genau getaktet: „Die Musikkapelle spielte gerade einen Choral, und aus der Mitte der Menschenansammlung sah Kluftinger dünnen Rauch aufsteigen. Weihrauch, wie er ein paar Sekunden später roch. Somit begann nun der offizielle Teil, und das hieß in Altusried in der Regel: Gottesdienst.“305 Es folgen Alphornbläser und Böllerschüsse. Aus Dingen und menschlichen Handlungen fügt die Literatur hier ein archetypenlastiges Allgäu-Design zusammen. Mehrmals rekurrieren die Kluftinger-Romane auf immaterielle Güter einer populären Provinzkonstruktion.

303 Kirsten Schlegel-Matthies: Regionale Speisen in deutschen Kochbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Hans Jürgen Teuteberg/Gerhard Neumann/Alois Wierlacher (Hg.): Essen und kulturelle Identität. Europäische Perspektiven (= Kulturthema Essen, Bd. 2). Berlin 1997, S. 212-227, hier S. 212. 304 Konrad Köstlin: Im Food Court ist das Eigene so exotisch wie das Ferne. Vom Entscheidenmüssen. In: Muri/Renggli/Unterweger 2005, S. 30-33. 305 Schutzpatron, S. 333.

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Kluftinger engagiert sich regelmäßig mit seiner Großtrommel bei Proben und Auftritten der Altusrieder Musikkapelle. Auf Geheiß seiner Frau, weil: „Sie wollte, dass er – und damit auch sie – am Dorfleben teilnahm.“306 Kluftinger schätzt, dass er im Musikheim und bei der anschließenden Einkehr seelische und berufliche Befindlichkeiten vergessen kann, denn „hier war die Welt noch in Ordnung. Hier gab es keine Probleme, die man nicht durch das Zahlen einer ‚Runde‘ lösen konnte.“307 In der Wahrnehmung der erzählten Figur entsteht dort ein spezifischer Sozialraum – der aber mit anderen konkurriert: jenen, wo die literarische Welt eben nicht mehr in Ordnung ist. Die Musikprobensituation ist diesen gleichermaßen inhärent und antagonistisch gegenübergestellt. Der Zutritt erfolgt in ritualisierter Weise, und im Vergleich zur Konfusion der Peripherie repräsentiert die Kapellengemeinschaft ein Ideal einfacher Regelhaftigkeit. Aus Protagonistensicht wirkt sie wie eine kompensatorische Heterotopie308. Damit beschreibt der Regionalkrimi eine Parallelexistenz verschiedener Sozialräume – und nicht den einen heilen. Umgekehrt wird Kluftinger zum Saboteur einer besonders normierten Konstellation: „Auf dem kurzen Weg in das gegenüberliegende Gotteshaus hörte er schon vom schweren Eingangsportal aus, was innen gerade auf dem Programm stand. Das gleichförmige Gemurmel, das gedämpft nach außen drang, gehörte unverkennbar zu den von Kluftinger am meisten gehassten Ritualen der katholischen Kirche: dem Rosenkranz. Er versuchte die Tür leise zu öffnen, was ihm jedoch gründlich misslang, und so wurde er sofort von einem Dutzend Augenpaaren entgeistert gemustert. Der Zirkel, der sich zu diesem täglichen Ritus zusammenfand, war offensichtlich keinen Besuch von Außenstehenden gewohnt. Ihren gleichförmigen Gesang jedoch unterbrachen sie nicht.“309

Auch der kirchliche Sozialraum schafft Assoziationen: von einem ländlichtraditionellen, musealen Allgäu. Doch auch er findet im Krimi nur in Abhängigkeit eines antagonistisch strukturierten Draußen statt. Und es gibt weitere Beispiele in den Kluftinger-Romanen, bei denen Protagonisten „nicht nur Dinge, sondern auch (selbst aktiv in das Geschehen eingreifende) andere Menschen oder Menschengruppen“310 und ihre Handlungsweisen

306 Milchgeld, S. 6. 307 Ebd., S. 222. 308 Vgl. Foucault 2006, S. 320-325. 309 Erntedank, S. 143. 310 Löw 2001, S. 158.

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zu einem am Althergebrachten und Eigentümlichen orientierten Regionskonzept zusammenfügen. Der gesundheitlich angeschlagene Kluftinger besucht Wallfahrtskapellen, weil er es in der Jugend so gelernt hat: „Die kleinen Gotteshäuser hatten ihn seit jeher in ihren Bann gezogen: das größere mit dem prächtigen dreiseitigen Altar und den Votivtafeln, das kleinere, bescheidenere mit dem einfachen Kruzifix und all den Zeichen, [sic] volkstümlichen Glaubens an Wunder und die helfende Kraft der Heiligen.“311

Und er beteiligt sich an der Konstruktion eines nach (hier: christlichen) Konventionen ausgerichteten Sozialraums: „Zum Erntedankfest geht man in die Kirche. Das hatte Kluftinger immer so gehalten und daran würde auch sein gespanntes Verhältnis zum Pfarrer nichts ändern.“312 Das Romannarrativ macht solche spezifisch regulierten Gesellschaftspraktiken in der Region fest. Zum Beispiel: „[...] erst jetzt bemerkte Kluftinger, dass die Frau immer die dritte Person gebrauchte, wenn sie ihn ansprach. Eine seltsame Angewohnheit, die ihm aber schon des Öfteren bei älteren Allgäuern aufgefallen war.“313 Und die Gepflogenheit des sogenannten Leichenschmauses sei für viele eine „perverse Sitte“, heißt es im Text, „aber im Allgäu war das nun mal so Brauch“314. Dieser Narrationsstrang von Region inszeniert Stabilitäten im Nahraum und dort performativ vollzogene Traditionsspuren. Zugleich liefert er Angriffsflächen für Kritik an der vermeintlichen belletristischen Klischeekumulation. Autor Michael Kobr verweigert sich einer solchen Deutung. Er begründet die Erzählung ritueller Elemente mit ihrem auch nonfiktionalen Vorkommen: „Also des isch die Frage, inwieweit isch des Klischee? Also wenn i in a Allgäuer Wirtschaft geh’, gibt’s da halt Kässpatzen. So wie’s do [in Württemberg, KL] halt Maultaschen oder so gibt. Also die Kässpatzen an sich sind koi Klischee. Klischees sind, was woiß i: Da im Allgäu leben se alle auf der Alm und laufen mit der Lederhos’ rum. So halt. Klar bring’ mer regionale Besonderheiten nei, also da jetzt regionales Essen oder natürlich au mal Brauchtum oder so. Aber mir versuchen halt, nicht jetzt die Leute klischeehaft zu schildern.“315

311 Herzblut, S. 196. 312 Erntedank, S. 322. 313 Milchgeld, S. 124. 314 Ebd., S. 64. 315 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013.

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Obschon ihrer der Perspektive geschuldete je unterschiedliche Einschätzung als Klischee, Brauch oder Folklore: Die Romane greifen Praktiken auf, die als typisch für Region, Milieu, Institution, Berufs- oder Freizeitalltage gelten, um über sie Allgäu entstehen zu lassen. Doch zum Stammpersonal aller Kluftinger-Bände gehören Figuren, die ein stringent folkloristisches Allgäu-Narrativ unterminieren. Die Trennlinie verläuft allerdings nicht zwischen Landbevölkerung und urbanen Kontexten. Teils behaupten nämlich Genre-Besprechungen generalisierend: Stadt und StädterInnen kriegten in den Regio-Krimis gern ihr Fett ab und die Opposition Stadt – Land werde ordentlich ausgereizt.316 Kluftingers Antagonist ist nicht Metropolenbewohner, sondern Altusrieder Mitbürger: Doktor Martin Langhammer. Er lebt am gleichen Ort, vertritt allerdings einen anderen Raum – aber eben nicht geografischer Art. Langhammer spielt in „grotesk karierten Hosen, ledernen Handschuhen und Schiebermütze“317 Golf, konsumiert Algendrinks, animiert Kluftinger zum verwunderten „Was waren das nur für Menschen, die ihren Lebensmittelkeller ‚Vinothek‘ nannten?“318 und arbeitet als Yogalehrer – auf dem gleichen AllgäuTerritorium. Die Distinktion im Roman richtet sich nicht gegen ein entferntes Mondänes, sondern gegen eine gleichzeitig ausgehandelte Allgäuer Sozialraumproduktion. Kluftinger und Langhammer allein lassen über unterscheidbaren Güterkonsum Region in dualer Ausführung stattfinden. Sie entspricht in ihrem nicht-naturalistischen Zustandekommen dem, was Pierre Bourdieu den Raum der Lebensstile319 nennt. Diesen bringen je nach Habitus konträre Praxisformen von Akteuren hervor – er ist also sozialen Ursprungs. Die Kriminalromane stilisieren nicht einen einzelnen, vermeintlich globalisierungs- und allerweltskulturimmunen Geschmack einer Region zur Naturgabe.320 Sie bilden eine gesellschaftlich statt territorialräumlich bedingte gesplittete Ausprägung von Allgäu ab. Am Beispiel Kluftinger/Langhammer (also: traditionsorientiert versus weltbürgerlich) spielen sie aber auch durch, wie Befremdlichkeitserlebnisse ein ostentatives, schematisch ursprüngliches Allgäuer-Sein mitbedingen. Der kosmopolitischtrendaffine Lifestyle des Gegenspielers befördert die Verallgäuerisierung des Kluftingerschen mit:

316 Kospach 2013, S. 48. 317 Schutzpatron, S. 113. 318 Ebd., S. 178. 319 Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft [1979]. Frankfurt am Main 1987, S. 278. 320 Ebd., S. 17.

100 | ALLGÄU RELOADED „Regionales und Regionalistisches ist die Erfahrung von Distanz oder distanzierter Wahrnehmung. Regionales kann sich überhaupt erst entdecken durch das Fremde, das Andere, das Neue oder das Unbekannte. […] Regionale Eigenheit, regionaler Charakter ist a priori ein Ergebnis von Gestörtsein, von existenzieller Bedrohung […].“321

2.3.3.3 Sprache Kluftinger flucht häufig. „Kreuzkruzifix!“322, „Hurament, Hurament“323 oder „Himmelherrgottsakramentnochmal“324: Er schöpft beim Wettern aus einer Allgäuer Varietät – und signalisiert Bodenständigkeit. Auch Sprache ist in Klüpfels und Kobrs Krimis Codierungssystem sozialer und kultureller Räume. Insgesamt spricht die Romanfigur jedoch selten im Allgäuer Dialekt und dann in nur moderater Ausprägung: in kurzen Grußformeln oder nebensächlich Gemurmeltem. Kluftingers knappe Allzweck-Floskel heißt „Priml“. Je nach (v.a. mittel- oder norddeutscher) Herkunft und (wenig ausgeprägter) Dialektkenntnis der Leser könnte dieses „l“-Derivatem ein Allgäuer oder zumindest bayerisches (bzw.: bairisches) Idiom suggerieren. „Priml“ ist allerdings ein nur pseudo-dialektaler Neologismus. Ausnahmen vom Sprechen nach der Schrift kommen vor, wenn Kluftinger einen deutlich akzentuierten Zungenschlag als Ausweis seiner Identität einsetzt. Auf Schloss Neuschwanstein kompromittiert er auf diese Weise ein AllgäuKonzept von touristischer Machart: „Die Beamten liefen zum Informationsschalter, der sich im vorgelagerten Torbau befand. ‚Kenntat Sie mir a Information geaba, bittschee?‘, fragte der Kommissar in viel breiterem Allgäuer Dialekt, als er ihn sonst benutzte. An Orten wie diesem war es ihm besonders wichtig, dass man ihn als Einheimischen wahrnahm. ‚Ei was wolle Se denn?‘, fragte die Frau an der Kasse beiläufig, ohne zu Kluftinger hinzusehen – in tiefstem Hessisch.“325

Indem sich der Protagonist mittels Mundart als Einheimischer positioniert, zieht er sprachlich(e) Grenzen – im Regionalkrimi-Segment ist das gängiger narratologischer Kniff. Er bedient sich des geläufigen Denkmusters, wonach „Sprache im allgemeinen in hohem Maße dazu beitragen kann, den Menschen, die sie

321 Friedrich Achleitner: Region, ein Konstrukt? In: Ders.: Region, ein Konstrukt? Regionalismus, eine Pleite? Basel 1997, S. 101-111, hier S. 111. 322 Erntedank, S. 12. 323 Ebd., S. 84. 324 Milchgeld, S. 250. 325 Seegrund, S. 291f.

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sprechen, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zu einer Gemeinschaft, ein Wir-Gefühl zu vermitteln“326. Doch Kluftingers Beredtheit im Allgäuer Dialekt evoziert auch dialektisch ein Die-Gefühl: Es separiert die hessischen Arbeitskräfte und Touristenströme internationaler Herkunft aus dem Sozialraum der ansässigen Mitglieder einer Allgäuer Sprachgemeinschaft. Mundart schafft und erzählt hier Region. Und diese Idee von der regionspoietischen Rolle des Zungenschlags ist auch im gegenwärtigen Allgäu-Diskurs präsent. Die „Frage nach der identitätsstiftenden Wirkung der Dialekte ist im Allgäu zweifellos zu bejahen“327, heißt es in neueren kulturgeschichtlichen Aufsätzen über die Region. Sie bescheinigen dem Landstrich gleichermaßen „eine positive Grundeinstellung zu den Dialekten“328 und befinden diese in der imaginierten Sprachlandschaft für wesensnotwendig – „denn die Menschen im Allgäu und anderswo werden immer wieder ein Bedürfnis verspüren, sich auf die eigenen Traditionen zu besinnen und auf das ihnen Ureigene, auf die Wurzeln zurückzugreifen [...]“329. Damit geht im Krimi-Narrativ ein weiteres kulturell etabliertes Rezeptionsmuster vom Sprechen im Dialekt einher: nämlich dass selbiges „bei vielen Menschen ein Gefühl von Geborgenheit und Daheim-Sein“330 entstehen lasse. So codiert Kluftingers Anrede seines Vaters ein Festhalten am Ritualisierten: „‚[...] Griaß di, i bins.‘, begrüßte er nun in alter Tradition seinen Vater.“331 Dialekt transportiert hier Assoziationen des Familiären, Emotionalen und vor allem Bewahrten. Kluftingers Familienangehörige sprechen bis auf rare Abschiedsgrüße („Pfiati, Vatter!“332) sonst hochdeutsch. Das breite und konstante Allgäuerische bleibt nur einmalig oder kurzzeitig auftauchenden Nebenrollen vorbehalten: Kofferträgern in Berghotels, Käsern oder Bauern, die Leichen finden und trotz ihrem „sichtlich schwer fallenden Bemühen […], möglichst nach der Schrift zu reden“333, zur Auskunft gehalten sind. Gelegentlich erklären die Romane aber spezifische Allgäuer Ausdrücke (Etwa: „Damit spielte der Kommissar auf einen

326 Manfred Renn: Die Dialekte im Allgäu. Bedeutung, Stand und Zukunftsaussichten. In: Otto Kettemann (Hg.): „Droben im Allgäu, wo das Brot ein End’ hat“. Zur Kulturgeschichte einer Region. Kronburg-Illerbeuren 2000, S. 289-295, hier S. 289. 327 Ebd., S. 293. 328 Ebd. 329 Ebd. 330 Ebd., S. 289. 331 Milchgeld, S. 168. 332 Schutzpatron, S. 283. 333 Erntedank, S. 23.

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weiteren wunden Punkt bei Renn an – er war klein und dürr und mit seiner Glatze und seiner Hornbrille mit den zentimeterdicken Gläsern wirkte er wie der Prototyp dessen, was die Allgäuer ein ‚Krischpele‘ nannten.“334) Diese Dosierung des Dialekts ist der Lesbarkeit geschuldet – und hat ökonomische Gründe: „Also uns war klar, wir wollen keinen transkribierten Allgäuer Dialekt schreiben. Erstens isch des furchtbar zu lesen und zweitens schränkt das den Rezipientenkreis wahnsinnig ein“335, sagt Kobr. Klüpfel sekundiert: „Wir machen des wie mit ’nem synchronisierten Film. Da sprechen ja auch alle deutsch, und die quasi von auswärts, bei denen merkt mer’s dann.“336 In den Kluftinger-Filmproduktionen selbst ist das anders: Mit ihnen bekam das Allgäuerische, sonst im Gegensatz zum Bairischen medial und v.a. im Fernsehen kaum präsent, eine breite Öffentlichkeit. „Von auswärts“ stammt im Personenregister der Bücher zum einen Polizeidirektionsleiter Dietmar Lodenbacher. Er redet durchgehend in Niederbairischem Dialekt: „‚Do deafan S’ned so gnau hischaung‘, begann Lodenbacher, als er den skeptischen Blick des Kommissars registrierte. ‚Mia homm heid a Nostalgie-Goifturnier. Motto: Gauner und Ganoven. Des passt – wos moanan S’?‘ Er lachte kurz und laut auf, dann wurde er schlagartig wieder ernst. ‚I ben bloß vorbeikemma, dass i Eahna sog, dass mia den Soock jetzt nacha zuamocha kenna.‘“337

Das in seiner Differenz zum Allgäuerischen hier deutlich akzentuierte Bairisch ist in den Büchern Running Gag. Lodenbacher tritt bemüht bis übertrieben zurechtgemacht auf und hegt Ansprüche auf die Mitgliedschaft in der Allgäuer Upper-Class – in Kombination mit seinem ausgeprägten Dialekt ist das komödiantisches Element. Das Erzählen abweichender Sprechweisen untermauert Vorstellungen von abgrenzbaren Kulturräumen nur ansatzweise: „Er [Lodenbacher] war nach Kempten versetzt worden […]. Man hatte das Gefühl, dass er weder mit der hiesigen Mentalität noch mit der hiesigen Sprache noch mit den hiesigen Kollegen besonders warm geworden war. Und dieses Gefühl hatte auch er selbst.“338 Denn das Narrativ vollzieht doch gerade ein Aufeinandertreffen und Auseinanderdriften von Dialekträumen.

334 Ebd., S. 52. 335 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 336 Ebd. 337 Erntedank, S. 322. 338 Milchgeld, S. 27f.

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Kluftingers Sekretärin Sandy spricht Sächsisch, wenngleich in geringer Dialekttiefe. Die aus der Nähe Dresdens ins Allgäu Gezogene beginnt ihre Sätze mit einem „Nu“ oder hat bei ihrem Tun das Gefühl, an einem „wischt’schen Geschehen dron“339 zu sein. Genauso hat der mehrmals mitermittelnde Österreicher Kollegen Bydlinski eine eigene Klangfärbung: „Jo, hat sich eiskalt’s Bimmerl wegg’schossn“340, lautet dessen Rapport eines Suizids. Zu den dialektalen Unterschieden kommen nationalsprachliche Akzente von Romanfiguren mit Migrationsbiografien. „Wos? Keina gutän Spatzän?“341, verlangt ein Gastwirt ungarischer Herkunft Kluftinger ein Urteil über das verzehrte Mahl ab. Und im Sushi-Restaurant wird ein Anruf so entgegengenommen: „Ressaura Han Po, gudde Dah?“342 Trotz seiner marginalen Quantität hat der Allgäuer Dialekt in der KluftingerSerie qualitativ maßgeblichen Anteil an der Entstehung der literarischen Region. Er ist einerseits authentizitätssicherndes Element eines das Erdig-Bodenständige pointierenden Allgäu-Bilds. „Eigenen Charme“343 attestiert Herbert Knaup der Allgäuer Mundart. Der Schauspieler ist angehalten, in den Kluftinger-Verfilmungen seinen Heimatdialekt exaltierter auszuleben, als die Romanvorlage vorsieht. Die Romane aber reflektieren auch essentialistische Denkfiguren einer Kongruenz von Artikulation und vermeintlicher Wesensart: „Sprach jemand übertrieben und in seinen Augen aggressiv hochdeutsch, ließ Kluftinger gern einige Dialektfetzen in seine Rede einfließen. Sollten die nur erst denken, er sei der Seppl, der Bauerndepp, die würden ihn schon noch anders kennen lernen.“344 Allerdings wird die Inszenierung der „hiesigen Sprache“345 – und das entspricht der literarischen Inszenierung der vermeintlich hiesigen Küche – nur über die gleichzeitige Anwesenheit weiterer Dialekte und Akzente auf dem gleichen geografischen Gebiet erzählt. Allgäu meint in den Kluftinger-Romanen nicht eine gesonderte Sprachinsel, sondern ein dynamisches Ineinandergreifen verbal hergestellter Räume. Die Populärliteratur bemächtigt sich einer in der breiten Öffentlichkeit noch immer und in der Volkskunde lange gängigen „Denkart, nach der die Reichweite der Mundarten zunächst einmal vor allem räumlich ge-

339 Ebd., S. 140. 340 Laienspiel, S. 16. 341 Seegrund, S. 63. 342 Ebd., S. 84. 343 Katherine Behr: Kluftinger ermittelt wieder. In: Südwest Presse, 26.11.2013. 344 Milchgeld, S. 152. 345 Ebd., S. 28.

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fasst“346 wird. Aber die Literatur tut dies nicht in Form eines Postulats: Sprachkonzentriertes Kulturraumsimulieren wird in der Kluftinger-Serie situativ und zur zugespitzten Einzelfigurenzeichnung instrumentalisiert – um vom Restpersonal und Plot konterkariert zu werden. Mit ihren zugereisten und sprachlich switchenden Protagonisten und den sowohl in breitem Dialekt als auch sogenanntem reinem Hochdeutsch formulierenden Allgäuern reflektieren die Kriminalromane Wirklichkeiten samt ihres „beweglichen und längst nicht allein räumlich definierten Sprachgefüges“347. Die fiktiven Geschichten haben erkenntnistheoretischen Wert zur Erforschung postmoderner Sprachalltage. Sie nehmen lebensweltlich präsente Dialektnostalgie, Verlustangst und eingeforderten Bewahrerimpetus wie aus dem folgenden Beispiel auf: „Wir leben hier keineswegs auf einer Insel dialektaler Seligkeit. Auch hier sprechen die jungen Menschen im Alltag bereits eine deutlich andere Sprache als die Generation der Eltern und Großeltern. Auch hier hatte und hat der Bevölkerungszuzug, etwa der Flüchtlinge, die zunehmende Mobilität, die höhere Bildung und nicht zuletzt auch der Tourismus Auswirkungen. Und der Einfluß von Rundfunk und Fernsehen ist hier nicht geringer als anderswo.“348

Die mitunter konservative, an sprachlichen Markern festgemachte Individualraumgestaltung Kluftingers arbeitet aber gerade dem Narrativ zu, das die Idee isolierter Kulturräume dekonstruiert: „[Kluftinger] war regelrecht schockiert, dass der ‚Englischwahn‘, wie er die Vorliebe für anglophone Vokabeln nannte, sogar hier, im beinahe hintersten Winkel des Allgäus, im landwirtschaftlichen Lagerhaus, quasi ‚in the middle of nowhere‘ grassierte.“349 Die Krimis stellen Allgäu als Plattform der Sprachgrenzendurchquerung und der Sprachvarietäten aus. Dabei präsentieren sie den fiktiven Akteur Kluftinger als Repräsentant von Mundartagenten, die Ängste vor Dialektschwund schüren und ihre Argumentation mit dem Drohmittel der damit scheinbar einhergehenden Identitätseinbußen untermauern. Als Pendant zur fiktionalisierten Anglizismenwelle beklagen sie

346 Bernhard Tschofen: Dialekt und regionale Kulturforschung. Koordinaten für eine reflexive Beschäftigung mit einem alten Thema. In: Lioba Keller-Drescher/Ders. (Hg.): Dialekt und regionale Kulturforschung. Traditionen und Perspektiven einer Alltagssprachforschung in Südwestdeutschland. Tübingen 2009, S. 19-36, hier S. 23. 347 Ebd. 348 Renn 2000, S. 293. 349 Erntedank, S. 102.

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„die massive fremddialektale Überflutung“350 und „die fortschreitende Bajuwarisierung“351: So fände sich auf Allgäuer Speisekarten „für einen echten Heimatfreund oft ziemlich unverdauliche Kost, eine platte Imitation altbayerischer Bezeichnungen für Speisen, Getränke und Gefäße“352 wie Schmankerl, Hax’n oder Stamperln, auch die Verdrängung der Allgäuer Alpe durch die Alm und die Ablösung des Stübles durch das Stüberl monieren sie: „Dem Allgäu hingegen droht so langsam die Vermischung der angestammten Dialekte mit dem Bairischen und somit der Verlust eines wesentlichen Elementes seiner Identität.“353 Solche Sprachraumvorstellungen aus dem empirischen Diskurs, die sich kongruent zu einzelnen literarisch dargestellten verhalten, unterstreichen: RegionalkrimiFiktion ist epistemologisches Medium. Sie erzählt plurale Dialektrealitäten und stellt bestimmte Positionen, und genauer: Polemiken und Populismen aus. 2.3.3.4 Kulturerbe Klüpfel und Kobr wollen in ihren Romanen jeweils ein Thema von überregionaler Geltung, wie beispielsweise Rache, das für den fiktiven Kriminalfall ursächlich ist, verhandeln.354 Der Schauplatz soll aber seine konkrete literarische Umsetzung bestimmen. Klüpfel: „Also unser Anspruch isch immer: Es soll eigentlich ’ne Krimigeschichte sein, die theoretisch überall spielen kann, aber so erzählt nur im Allgäu.“355 Für diese regional spezifische Erzählweise nutzt das Autorenduo ein motivisches Fundament: Allgäuer Kulturerbe. In den KluftingerRomanen wirkt es explizit handlungsauslösend. So bildet der Bau eines Museums bei der Burgruine Kalden in direkter Nähe zu Kluftingers Heimatort Altusried die Ausgangslage in Schutzpatron. In diesem Neubau sollen Grabungsfunde von jenem ehemaligen Burgareal untergebracht werden. Darunter befindet sich auch eine Reliquienmonstranz aus Gold: Sie birgt Knochensplitter des heiligen Magnus, des Allgäuer Schutzheiligen. Eine Gruppe von Kunsträubern befindet sie für „das Wertvollste, was das Allgäu jemals beherbergt hat“356 und plant ihren Diebstahl: Dies ist der Plot des Romans. Das Prestigeprojekt des Museumsbaus ist Fiktion. Dagegen handelt es sich bei Burg-

350 Renn 2000, S. 294. 351 Ebd. 352 Ebd. 353 Ebd., S. 295. 354 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 355 Ebd. 356 Schutzpatron, S. 107.

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und Magnus-Komplex um literarische Transformationen auch alltagsweltlich produzierten kulturellen Erbes. Die historische Anlage Kalden datiert im Mittelalter. Auf einem Plateau über der Iller ist ein Turmfragment erhalten. Eine nebenstehende Hinweistafel weist die Ruine heute als Teil der Burgenregion Allgäu aus. Magnus war ein vermutlich iroschottischer Mönch. Er gründete im 8. Jahrhundert Missionszellen unter anderem in Kempten und Füssen und christianisierte das Allgäu. Die sogenannte Magnusvita berichtet von mehreren Wundertaten: Magnus soll einen Blinden in Bregenz geheilt, in Kempten eine Schlange und in Roßhaupten einen Drachen bezwungen, wilde Bären gezähmt und eine Erzader entdeckt haben. Auf Grundlage dieser Wunderberichte entstanden diverse Sagen. 20 Allgäuer Kirchen und Kapellen sind nach Magnus benannt, außerdem Brücken, Brunnen und Biere. Magnus ist neben den beiden weiteren Allgäuheiligen St. Gallus und St. Columban Teil einer Skulptur vor der im Jahr 2000 errichteten Autobahnkapelle an der A96 bei Leutkirch sowie auf etlichen Deckenfresken, Vereins- und Gemeindewappen abgebildet. Er wird als Pest-, Seuchen- und Viehpatron verehrt und ist Gegenstand hunderter Gebete, Lieder und Gedichte. Die Gemeinde Füssen feiert stets am Samstag um den 6. September den Magnustag samt Prozession, und der Heimatbund Allgäu verleiht jährlich den Magnusstab für besondere Verdienste um Heimatpflege. Um dieses Erkennungszeichen des Heiligen, mit dem er Drachen und Schlange getötet haben soll, entwickelten sich auch eigene Bräuche: Mindestens seit 1500 segnete man damit Felder und Fluren, um Ungezieferplagen abzuwenden – erst mit einem als Original verehrten, 1496 im Füssener Kloster geborgenen Urstab, ab dem 18. Jahrhundert mit Nachbildungen.357 Grabungen nach Magnus’ Leichnam seit dem späten Mittelalter verliefen erfolglos, seine Gebeine wurden nicht gefunden. „Deren einzige Überbleibsel in Füssen dürften einige Knochensplitter sein, die vom St. Galler Kloster im Jahre 1972 zur Einweihung des neuen Volksaltars der St.-Mang-Kirche in Füssen zur Verfügung gestellt wurden.“358 Neben Brustkreuz, Stola und Kelch werden sie als Reliquien des Mönchs verehrt. Zugunsten der Romanhandlung von Schutzpatron haben Klüpfel und Kobr die Chronik der Heiligenverehrung um ein fiktives Kapitel ergänzt. Sie verlegten den Fundort des Reliquiars und seine Inszenierung vom Ost- ins Oberallgäu nach Altusried. Ansonsten importiert die Erzählung die obigen Aufzählungen von Legendenstoff und gegenwärtig gültigen Praktiken der Kulturerbeartikulation aus

357 Stefan Vatter: St. Magnus. Apostel des Allgäus. Leben, Wirkung und Bedeutung. Lindenberg 2010. 358 Ebd., S. 103.

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der Allgäuer Wirklichkeit. Kluftinger erklärt seinem Kollegen die Bedeutung des Schutzpatrons so: „‚Jedenfalls war [Magnus] sehr wichtig für die Leut hier. Später hat man zu ihm gebetet, damit er einem aus verschiedenen Nöten hilft. Ungeziefer und so. Gibt doch den Spruch: Sankt Mang / schlägt’s Kraut mir der Stang. Und auch bei den Augenleiden ruft man den Magnus an. […] Nach ihm ist die Sankt-Mang-Kirche in Kempten benannt. Und gestorben ist er dann in Füssen, da gibt’s ja heut noch das Manger Fest, wo man eine Magnusstatue zur Verehrung durch die Stadt trägt. Und auch seinen Stab. Der wird übrigens zur Eröffnung auch hierhergebracht.‘“359

In realiter eingeübtes Kulturerbe wird nacherzählt, das Zelebrieren von Geschichte durch Geschichten zum identitätsstiftenden Faszinosum für das fiktive Individuum. Der Komplex um den Altusrieder Museumsneubau ist zwar dazuerfunden, setzt aber Produktionsprozesse von Heritage literarisch ins Bild. Im Roman heißt es: „Während die Archäologen, Kunsthistoriker und Restauratoren [den Fund] aufarbeiteten, war es dann recht still darum geworden, dann aber ging er geradezu um die Welt: Immer wieder hatte Kluftinger in der Zeitung Meldungen gelesen, dass er in Paris, Rom, London und sogar New York im Rahmen großer Ausstellungen zu sehen war. Schließlich war es mehreren Gremien und Politikern aus dem Allgäu gelungen, den Schatz zurück in die Heimat zu holen. Dafür war nach der riesigen Freilichtbühne ein weiteres sündteures Großprojekt der Gemeinde in Auftrag gegeben worden – ein eigens gebauter moderner Ausstellungsraum auf dem Gelände eines ehemaligen Bauernhofs neben der Burg. Kluftinger befürchtete bereits einen nicht enden wollenden Besucherstrom, der in Zukunft das Dorf heimsuchen würde.“360

Am Beispiel eines Dorfes abseits der touristischen Erfolgsdestinationen im Oberallgäu spielt Schutzpatron das Mobilisieren des Vergangenen als Standortfaktor durch. Der Krimi inszeniert Kulturerbe als konstruktivistische Größe: Die Reliquie ist Gegenstand bewusster Sinnzuschreibung und Inszenierung. Im Roman erkennt der Altusrieder Bürgermeister in der Dauerausstellung des Kunstschatzes eine „immense Bedeutung und Chance für die Gemeinde“361, die promovierte Historikerin von der Münchner Universität lobt die wertsteigernde Res-

359 Schutzpatron S. 169. 360 Ebd., S. 81. 361 Ebd., S. 100.

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taurierung, das Dokumentationspotenzial des Fundes und seine didaktisch und museumspädagogisch wundervolle Aufbereitung,362 Versicherungsunternehmen und Sicherheitsfirmen sind involviert. Sie stehen stellvertretend für das Zusammenspiel verschiedener Politiken und Institutionen in einer gegenwärtigen Heritage-Industrie. Und wenn den Ablauf der Eröffnungszeremonie die Altusrieder Blaskapelle mitgestaltet, ein Gottesdienst gefeiert und gemeinsam das Magnuslied intoniert wird, Böllerschüsse abgefeuert werden und Alphornbläser auftreten, der ortsansässige Metzger mit einem Imbisswagen und die Damen vom Frauenbund mit einer riesigen Schupfnudelpfanne die Besucher verpflegen und so viele Medienvertreter wie nie zuvor in Altusried anwesend sind,363 vermittelt das Narrativ: „Heritage is not an inquiry into the past but a celebration of if“364. Jenes Zelebrieren des hier materiellen Erbes befriedigt das Bedürfnis nach ritueller Sicherheit gleichermaßen wie das Ansinnen verschiedener Akteure, deckelt aber auch Resistenzen. Kluftinger fürchtet, wie zitiert, einen nicht enden wollenden Besucherstrom und sieht sich durch den Museumsbau auf dem ehemals naturnahen Areal um einen subjektiven Erinnerungsort und „um ein Stück seiner Kindheit gebracht“365. Hier referiert der Roman auf den Trend Kulturtourismus, aber ebenso auf dessen inhärentes Konfliktpotenzial: Die Interessen lokaler Bewohner und Erbe-Manager können divergieren. Das fiktive Beispiel des erfundenen Erbes exerziert Konkurrenzen von Allgäuer Raumnutzern durch. Auch Erntedank integriert „die Transformation lokaler Kultur in touristisch konsumierbare Destinationen“366 in die Erzählung und billigt dem dann literarisierten Ort handlungspoietischen Status zu: Der Kommissar findet im Krimi in der Handtasche eines Mordopfers das Foto einer Schnitzfigur. Der hölzerne Betende stellt sich als Bestandteil des Chorgestühls der Kartause Buxheim heraus. Kluftinger erfährt, dass es sich bei der Figur um den sogenannten bußfertigen Sünder handelt, was ihm schließlich den Zugang zum Tatmotiv eröffnet. Im Gegensatz zur Altusrieder Reliquienausstellung entspringt das Kartäuserkloster in Buxheim nicht der Einbildungskraft der Autoren: Ab 1975 entstand in der Klosteranlage bei Memmingen ein Kartausenmuseum. Federführend agiert bis heute der Heimatdienst Buxheim. Jährlich zwischen April und Oktober ist das Klostermuseum für Besucher geöffnet, in dieser Zeit gibt es regelmäßig Füh-

362 Ebd., S. 102. 363 Ebd., S. 327-338. 364 David Lowenthal: The Heritage Crusade and the Spoils of History. Cambridge 1998, S. x. 365 Schutzpatron, S. 165. 366 Markus Tauschek: Kulturerbe. Eine Einführung. Berlin 2013, S. 163.

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rungen. Diese reale Verbindung aus kulturellem Erbe und Fremdenverkehr adaptiert Erntedank: Kluftinger schließt sich im Kartausenmuseum einer „vierzigköpfige[n] Menschengruppe, der überwiegende Teil mit grauen Haaren und Cordbundhosen zu quietschbunten Regenjacken ausgestattet“367, an. Während einer Führung hört er erst die Kloster-Chronik, dann die Entstehungsgeschichte des Buxheimer Chorgestühls. Letzteres schuf der Tiroler Holzschnitzer Ignaz Waibl zwischen 1687 und 1691. 1883 wurde es verkauft, landete in einem englischen Frauenkloster und bekam einen schwarzen Anstrich. 1980 erwarb es der Bezirk Schwaben, das Gestühl kam zurück nach Buxheim und wurde renoviert. Der Romantext schildert sämtliche Jahreszahlen korrekt als Wirklichkeitsreferenzen und beschreibt aus Protagonistenperspektive, was die tatsächlichen Klosterflyer fotografisch abbilden: nämlich „die aufwändigste, gewaltigste und doch filigranste Holzarbeit, die Kluftinger je gesehen hatte“, mit „unzähligen Putten, Tieren, Heiligen, Blumen, Früchten und allerlei verschnörkelten Ranken“368. Erntedank thematisiert die Indienstnahme historischer Objektivationen durch den Fremdenverkehr, der Krimi-Plot wird Reflexionsmedium postmoderner Geschichtskultur. Was in der empirischen Wirklichkeit bereits touristisch kontextualisiert, im Klostermuseum mit Bedeutung angereichert und bei angeleiteten Kloster-Rundgängen zum Sprechen gebracht wurde,369 unterliegt durch die literarische Transformation weiteren Sinnstiftungsverfahren. Der Regionalkrimi bildet ein zusätzliches Glied einer Inszenierungskette von Kulturerbe. Auch greifen die Romane auf immaterielles Erbe zu. In Erntedank lassen die Mordanstifter die Opfer nach der Motivik Allgäuer Sagen töten und die Leichen entsprechend inszenieren: Die fiktive Ärztin Michaela Heiligenfeld nahm Abtreibungen vor. Die Polizei fand sie tot in einem Bachbett bei Waltrams, mit einer „Elf“ auf die Stirn geritzt. Als Folie diente den Tätern die Sage Die zwölf Knaben, die von der hartherzigen Edelfrau aus einem eben in Waltrams niedergelassenen Geschlecht berichtet, die elf ihrer Kinder ertränken lassen wollte. Dagegen brachte Gernot Sutter mit kostspieligen Kaffeefahrten und dem Verkauf von Esoterik-Artikeln ältere Menschen um ihr Vermögen. Die Täter interpretierten das als modernes Raubrittertum. Nach seiner Ermordung entfernten sie ein Auge des Toten mit dem Schnabel einer Krähe, platzierten das Tier auf dem Leichnam und diesen beim Weiler Rappenscheuchen. Sagen-Vorbild hier:

367 Erntedank, S. 156. 368 Ebd., S. 157f. 369 Tauschek 2013, S. 163.

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Die Geschichte über einen „ungebärdige[n] Ritter“370. Er soll auf der ehemaligen Burg Rappenschaichen, nach der der heutige Ort benannt ist, gehaust, geplündert, geraubt und alten Weibern die letzte Habe genommen haben, wie es im Roman heißt.371 Als er starb, sollen ihn die Gefährten, um seine angehäuften Reichtümer unter sich zu verteilen, im Burggemach abgelegt haben – bis eine durchs Fenster hereinfliegende Rabenschar das Gesicht des Toten zerfleischte. Erntedank benennt noch weitere Sagen: etwa Das Steinkreuz aus Hindelang oder Der Eremit von Gschnaidt. Auch im Folgeband Seegrund fällt Sagen, die sich um den Allgäuer Alatsee ranken, eine entscheidende Rolle zu: Mutmaßliche Schatzräuber inszenieren im Roman die Geschichte vom Schlüsselmönch, der dort umgehen soll, um unerwünschtes Publikum fernzuhalten. Außerdem integriert die Erzählung Sagen, um die Atmosphäre des Geheimnisvollen und Mysteriösen des Settings zu ergänzen: etwa jene von den Venedigermännlein, die unter dem See in einem langen Gang Gold und Edelsteine aufbewahrten und von drei Schwestern, deren Gier die Flutung des Tals zur Folge hatte. Der Band Rauhnacht wiederum trägt sein Sagen-haftes Leitmotiv im Titel. Als ein Schneesturm Kluftinger zum Aufenthalt in einem Berghotel zwingt, fällt ein Gast einem Giftanschlag zum Opfer, und zwar genau während „den Rauhnächten, den zwölf sagenumwobenen Nächten zwischen Weihnachten und Dreikönig. Kluftinger hatte nie vergessen, wie [der Opa] ihn davor gewarnt hatte, an diesen Tagen nach dem Abendläuten noch vor die Tür zu gehen. Denn dann ziehe Frau Holda, die im Winter als wilde Frau Percht erscheint, mit ihrem unheimlichen Gefolge umher.“372

Außerdem gilt diese Phase als „die Zeit der Geisterbeschwörungen. Denn in dieser Zeit hatten die Dämonen Ausgang“373. Das Narrativ von den Nächten, in denen die Toten umgehen, ist maßgeblich für die Gestimmtheit des erzählten Raums und seiner winterlichen Szenerie. Und bei einer finalen Schlittenfahrt imitiert Kluftinger die sogenannte „wilde Fahrt“374 des Perchtel-Heers aus der Sagenvorlage sogar selbst.

370 Erntedank, S. 227 und Hermann Endrös/Alfred Weitnauer (Hg.): Allgäuer Sagen. Kempten 1954, S. 394. 371 Erntedank, S. 227f. 372 Volker Klüpfel/Michael Kobr: Rauhnacht. Kluftingers fünfter Fall. München 2010, S. 105. 373 Ebd., S. 113. 374 Endrös/Weitnauer 1954 (a), S. 493.

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Die in den Kluftinger-Krimis angeführten Sagen entsprechen teils wörtlich ihrer Nennung in zu Zwecken der Heimatpflege zusammengestellten Sammelwerken.375 Als der 1884 gegründete Verband „Heimatdienst Allgäu“ zu seinem 70. Jubiläum 1954 die Anthologie Allgäuer Sagen der „Allgäuer Heimat“ widmete, geschah dies auch unter der Prämisse, „volkskundliches Material dem drohenden Vergessen zu entreißen“, das mit der Volkssage verbundene Fühlen „liebend bewahren zu helfen“ und einen „Beitrag zur Rettung unserer Kultur“376 zu leisten. Eine solche bereits im 19. Jahrhundert durch die Heimatschutzbewegung propagierte Konservierungslosung lassen Klüpfel und Kobr in Erntedank Hiltrud Urban, eine von Kluftinger konsultierte Allgäuer Sagen-Kundige, formulieren: „Sie müssen wissen, dass gerade in unserer Gegend vergleichsweise viele alte Sagen existieren, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. […] Zum Glück haben sich aber vor beinahe hundert Jahren einige Heimatforscher die Mühe gemacht, die wichtigsten der im Volk kursierenden Sagen und Geschichten aufzuschreiben, ein Schatz, der in unserer schnelllebigen und hektischen Zeit sonst wohl auf ewig verloren gegangen wäre.“377

Die Romanfigur nutzt immaterielles kulturelles Erbe zur Kulturkritik. Dabei handelt es sich nicht um eine der Belletristik vorbehaltende Praxis. 2006 trat das UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes in Kraft. Es erklärte „in Anerkennung der Tatsache, dass die Prozesse der Globalisierung und des gesellschaftlichen Wandels […] auch […] große Gefahren für den Verfall, den Verlust und die Zerstörung des immateriellen Kulturerbes mit sich bringen“378, auch „Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten“379 für schützenswert. Eine solche Argumentation impliziert die Idee einer besseren Vergangenheit und überhöht die Zeit, als Intangible Heritage noch vermeintlich originär beschaffen war und keines Protegierens bedurfte, als Idealzustand.380 Kulturelles Erbe stellt so Illusionsräume bereit: Es erlaubt, sich das Vorgestern als unbeschädigtes Leben vorzustellen. Indem die Kluftinger-

375 Vgl. Endrös/Weitnauer 1954 (a). 376 Hermann Endrös/Alfred Weitnauer: Vorwort. In: Dies. 1954 (a), S. 7-9, hier S. 8f. 377 Erntedank, S. 224. 378 Unesco: Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes: http://www. unesco.de/ike-konvention.html (Zugriff: 01.07.2014). 379 Ebd. 380 Vgl. Tauschek 2013, S. 124.

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Romane ihr Personal von überlieferten Wissensbeständen berichten lassen, stellen sie ein Repertoire eines potenziell als harmonisch imaginierbaren Vergangenen bereit. Den fiktiven postmodernen Alltag kontrastiert eine Allgäuer Welt, in der Gesundbeten noch als probates Heilmittel galt. Jedoch beschränkt sich die nostalgische Geschichtsverklärung auf die Perspektive einzelner Figuren – und wird an anderer Stelle ironisiert. Dass eine Hotelbesitzerin angibt: „Wissen Sie, in den Bergen, wo ich aufgewachsen bin, da haben die Leute noch sehr viel auf diesen abergläubischen Hokuspokus gegeben“381, verkehrt immaterielles Kulturerbe ins Lächerliche. Speziell die Literarisierung immateriellen Erbes ist aber taugliche Autorenstrategie, um die Romanhandlung in einem nicht austauschbaren Setting zu verorten. Klüpfel: „Sagen gibt’s überall anders au, ja. Aber diese speziellen Sagen dann halt wieder nur im Allgäu.“382 Die Figurenrede im Roman spiegelt dieses Interpretament. „Verriet die Art der Sagen aber nicht eine Menge über den Landstrich selbst?“, sinniert Kluftinger, gerade dabei, „tiefer in die mystische Vergangenheit seiner Heimat einzutauchen“383. Die literarische Funktion kulturellen Erbes also ist: Es schafft Raum. Materialien und Wissensbestände einer als einzigartig konstruierten Vergangenheit generieren die unverwechselbare Region im Regionalkrimi. Allgäu im Roman wird durch die Übernahme und Variation von Kulturerbe-Entwürfen hergestellt. Damit decken sich die Prinzipien künstlerischer Konstruktion von Region und jene von lebensweltlichen Heritage-Managern, Planern und EU-Politikern einer zeitgenössischen Regionalisierungskonjunktur: „In this process of region-building, folk culture occupies a newly significant position.“384 Belletristik-Autoren bedienen sich so eines Kunstgriffs385 früherer volkskundlicher und alltäglicher Praxis: Region wird mit als charakteristisch definierten Objektbeständen gefüllt, über vorgeblich nur dort vorfindliche Raumnarrative nominiert und so als einzigartig vorgestellt. Der alltagsweltliche Erfolg der Aktivierung von Kulturerbe als „soul“386, d.h. seiner gefühligen und poetischen Qualitäten387, und als Rüstzeug zur Kenntlichmachung

381 Rauhnacht, S. 115. 382 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 383 Erntedank, S. 252. 384 Ullrich Kockel: Regional Culture and Economic Development. Explorations in European ethnology. Aldershot/Hampshire 2002, S. 165. 385 Köstlin 2005 (a), S. 120. 386 Jonas Frykman: Place for Something Else. Analysing a Cultural Imaginary. In: Ethnologia Europaea, 32 (2002), H. 2, S. 47-68, hier S. 48. 387 Ebd., S. 50.

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von Region lässt sich medial transformieren. Insbesondere in einem Buchsegment, das über Verortung disponiert wird, funktioniert die Prädikatisierung von Region über die so erzählte Unterscheidbarkeit ihrer Kultur. Die Benennung von kulturellem Erbe geschieht über geografische Festlegung. UNESCO-Welterbe meint immer auch Welterbe-Stätten. „In dieser Tradition – die auch Grundlage des modernen Tourismus ist – stehen Denkmale für bestimmte Orte, stehen Orte für bestimmte Kulturräume und lassen sich Landschaften als Materialisierungen vergangener Lebensweisen lesen und entziffern.“388 Romane, deren Intention gerade nicht nur die Narration von Handlung, sondern auch von (handelnd produziertem) Allgäu ist, können sich der so nachhaltig eingeübten Fusion von Kultur und Raum bedienen. Die „Sichtbarmachung in der Karte“389 ist Voraussetzung und Mitgift einer Etikettierung als und mit Heritage – und ebenso Resultat seiner literarischen Übernahme. Der erzählte Verweis auf die Füssener Magnusprozession labelt den einen Roman als Allgäu-Krimi, die Integration Oberammergauer Schnitzhandwerks im Plot einen anderen als Oberland-Krimi390. Die Allgäu-Krimis markieren Allgäu auch über Allgäu-Heritage. Damit sind sie Quellen spezifischer Umgangsweisen mit Historie. Das boomende Unterhaltungsformat Regionalkrimi reflektiert den von Vergangenheitskonjunktur geprägten Zeitgeist. Als raumakzentuierendes Genre nutzt es die Massentauglichkeit von Kulturerbe: Es kontextualisiert Artefakte und populäre Erzählstoffe391 neu und beteiligt sich so an der Produktion des bewahrten Gewesenen. 2.3.3.5 Orte Geografische Angaben, die mit der Realität übereinstimmen, sind in der Kluftinger-Fiktion eher rar: Der „Weiler Zollhaus zwischen Krugzell und Kempten“392, ein „schlichter Bau im Pfrontener Ortsteil Kappel“393 oder ein „Winkel oberhalb von Oberstdorf“394 werden etwa frequentiert. Klüpfel und Kobr beschreiben die von ihren fiktiven Handelnden zurückgelegten Wege wenig detailliert. Sie ver-

388 Bernhard Tschofen: Antreten, ablehnen, verwalten? Was der Heritage-Boom den Kulturwissenschaften aufträgt. In: Dorothee Hemme/Markus Tauschek/Regina Bendix (Hg.): Prädikat „HERITAGE“. Wertschöpfungen aus kulturellen Ressourcen. Berlin 2007, S. 19-32, hier S. 27. 389 Ebd., S. 26. 390 Nicola Förg: Gottesfurcht. Oberland Krimi. Köln 2005. 391 Tauschek 2013, S. 173. 392 Erntedank, S. 14. 393 Seegrund, S. 280. 394 Rauhnacht, S. 9.

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meiden bewusst, das Hauptaugenmerk darauf zu legen, ihren Lesern nach der Lektüre die Option zu bieten, alle Orte abfahren zu können.395 Peter Nowotny nennt dagegen in seinen Allgäu-Krimis sogar jeden Straßennamen: „Er befuhr den Adenauerring bis zur Lindauer Straße, bog zur Dornier Straße ab, von dieser über den Braut- und Bahrweg in die Ellharter Straße und erreichte schließlich den Vicariweg.“396 Milchgeld beschreibt eine Fahrt durch Kempten so: „Kluftinger konzentrierte sich auf das, was er draußen sah: den Berliner Platz mit den trostlosen Fassaden und den vielen Fahrbahnen, die sich hier trafen, die barocken Türme der Lorenzkirche, die majestätisch auftauchten, das Zentralhaus, ein modern umgebautes Hochhaus, das mit der Basilika um das Amt des Wahrzeichens der Stadt Kempten zu konkurrieren schien. Die Illerbrücke kam näher und zeigte das unmittelbare Ende der Fahrt an. Kluftinger konzentrierte sich weiter, sah Kinder, die in der Sonne auf dem Bolzplatz am Ufer der Iller Fußball spielten und auf das für sie viel zu große Tor schossen. Es war lange her, dass Kluftinger so intensiv wahrnahm, was es am Rande dieser beinahe jeden Tag von ihm befahrenen Ringstraße zu sehen gab. Links besah er sich genau das Krematorium der Stadt, rechts bemerkte er den Pferdeparcours, auf dem ein Mädchen mit einer schwarzen Kappe ihr rehbraunes Pferd über ein aus rot-weißen Rundhölzern aufgebautes Hindernis springen ließ […].“397

Steht im ersten Fall die bloße Benennung von Realitätsdetails im Vordergrund, ist es im zweiten die literarische Erschließung der Stadt über ihre Atmosphäre, die ihr Materialbestand und die Wahrnehmung des fiktiven Protagonisten ergeben.398 Evoziert der erste Text eine Topografie des Bezeichnens, schafft der zweite eine Topografie der Bedeutungen. Sonst beschränkt sich das literarische Kluftinger-Mapping meist auf die Benennung einzelner passierter Ortschaften und des Fahrtziels. Abweichungen sind nicht selbstzweckhaft. In Milchgeld heißt es: „Wieder fuhr Kluftinger ‚hintenrum‘. Strobl, der offenbar noch nicht oft hier gewesen war, amüsierte sich während der ganzen Fahrt über die seiner Ansicht nach kuriosen Namen, die die kleinen Dörfer und Weiler trugen; wenn er einen besonders skurril fand, las er ihn laut vor. So beschränkte sich ihre Unterhaltung während der Fahrt auf Worte wie

395 Interview mit den AutorenVolker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 396 Nowotny 2009 (a), S. 175. 397 Milchgeld, S. 138f. 398 Vgl. Löw 2001, S. 229.

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Sibratshofen, Bischlecht, Ebratshofen, Harbatshofen, Kimpflen, Wigglis und Dreiheiligen.“399

Zum einen weist die Kenntnis der abseitigen Route den Fahrer als anerkennungsfähigen Einheimischen aus. In den Allgäu-Krimis der nicht in der Region lebenden Autoren Arnold Küsters oder Jürgen Seibold etwa fehlen so konnotierte Angaben – sie sind auch Beglaubigungsstrategie. Zum anderen folgt das Register der Ortschaften dem Bild des originären, putzig-pittoresken Provinziellen. Das gilt auch dann, wenn der Plot in „Hinterschweinhöf“400 stattfindet. Der gleiche Effekt entsteht hier: „Nachdem sie Flecken mit so klingenden Namen wie Lausers und Bräunlings hinter sich gelassen hatten, schalteten die Polizeiwagen plötzlich die Sirenen ab und bogen in einen schmalen Weg ein. Kluftinger warf einen Blick auf den Holzwegweiser: Behütgott stand darauf.“401 An diesen Romanstellen ist Allgäu ein Panoptikum des urig-extraordinären bis amüsierfähigen Ländlichen. Das Verorten der Erzählung an wirklichkeitsadäquaten Institutionen, Gebäuden und Plätzen ermöglicht eine Kategorisierung als Regionalkrimi. Sie macht Allgäu- von Chiemgau- oder Oberland-Krimis unterscheidbar. Darüber hinaus zeigen erzählte Institutionen, Gebäude und Plätze als soziale Güter oder Güterensembles402 individuelles Positionieren der (fiktiven) Handelnden. Beispiel: In Erntedank muss Kluftinger im „APC“, dem Archäologischen Park Cambodunum, einen Archäologen befragen. Gelegen auf einer Anhöhe über Kemptens Mitte, erzählt die Anlage mit rekonstruiertem Tempel und einer Therme von der Stadtvergangenheit als römischer Siedlung. Als er den Park ansteuert, heißt es: „Links lag ihm zu Füßen die Stadt, und da heute ein klarer Oktobertag war, gönnte er sich ein paar Minuten, in denen er einfach nur hinunterblickte. Er war nie ein großer Stadtfreund gewesen, aber er musste zugeben, dass Kempten an solchen Tagen auch seine Reize hatte, auch wenn er jederzeit dem Blick von einem Berggipfel auf ein grünes Tal den Vorzug gegeben hätte.“403

399 Milchgeld, S. 184f. 400 Ebd., S. 199. 401 Schutzpatron, S. 360f. 402 Vgl. Löw 2001. 403 Erntedank, S. 209.

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Zweites Beispiel: Kluftinger muss zum Golfklub Ottobeuren. Auch der hat ein reales Äquivalent. Als literarischer Spielort obliegt es ihm, Kluftingers Aversion gegenüber dem dort von den „Großkopferten“404 praktizierten „elitären Sport“405 Raum zu geben. Der Polizist ignoriert das Haferlschuh-Verbot auf dem Platz und setzt Greenkeeper synonym für Gärtner. Aber: „Seine Gefechtsbereitschaft wurde allerdings beeinträchtigt, als die majestätischen Türme der Ottobeurer Basilika am Horizont auftauchten. Das war schon eine malerische Kulisse, um diesem überflüssigen Sport nachzugehen, musste Kluftinger einräumen, und er blieb stehen, um den Ausblick des prächtigen Baus zu genießen.“406

Die Schauplätze der Kriminalromane verweisen auf auch in der Realwelt spezifisch angeordnete materielle Güter und Ensembles.407 In der Fiktion evozieren die Ortsangaben symbolische und emotionale Qualitäten – und sie bilden das individuelle Raumverknüpfen von Akteuren ab. 2.3.3.6 Landschaft Das Regionalkrimi-Genre beansprucht das Darstellungsmittel Landschaftsbeschreibung weder exklusiv noch initiativ. Es ist ein traditionell in der Literatur bemühtes: die allegorischen Poesielandschaften der Romantik, die Seelenlandschaften des Realismus. Die Kluftinger-Romane nutzen es im Vergleich zu anderen Allgäu- oder Regionalkrimis nur selten. Auch Buchhändler und Verleger Frank Edele, gefragt nach der Zeichnung der „Region“ Allgäu in den Büchern, bemerkt bei dem Autorenduo eine sehr reduzierte Schilderung von „Landschaft“408. Seine synonyme Verwendung von „Region“ und „Landschaft“ belegt aber die Relevanz dieser Kategorie in der Rezeption dieser Gattung. Kobr gibt stellvertretend für die beiden Verfasser an, ausschließlich dann zu diesem narrativen Instrument zu greifen, „wenn’s für die Geschichte was hergibt oder was nutzt“409. Die Plotdienlichkeit ist auch der gewollten stilistischen Distinktion von Mitbewerbern geschuldet:

404 Schutzpatron, S. 111. 405 Ebd. 406 Ebd., S. 112f. 407 Vgl. Löw 2001, S. 224. 408 Interview mit Frank Edele, Geschäftsführer von Buchhandlung und Verlag Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 409 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013.

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„Also ’ne Landschaftsbeschreibung, nur, weil [Kluftinger] jetzt halt g’rad, was weiß i, durchs Ostallgäu fährt mit den Schlössern, des isch eigentlich zu wenig. Also wenn, dann muss es halt irgendwas mit ihm machen. Also dann kommt er da halt auf ’ne Idee, oder er freut sich wahnsinnig und kommt dadurch runter in so an Erholungsmodus. Aber es darf halt nicht reiner Selbstzweck sein, dass mer sagt: ‚Ah, und er denkt sich, wie schön des da halt alles isch.‘ Und dann leiert man des quasi runter. Weil des isch dann wieder zu sehr an Regionalkrimi, wie’s ihn halt überall gibt.“410

Allerdings besteht durchaus eine schriftstellerische Disposition dazu. Klüpfel: „Also wir ham uns au scho gegenseitig ausgebremst. Weil manchmal geht der Gaul mit einem durch und dann schreibt mer da so ’ne Reisebeschreibung, und des wollen wir ja überhaupt nicht.“411 Nach seinen Angaben hindert aber stets das Korrektiv des Kollegen am inflationären Gebrauch dieser Erzählstrategie. Letztlich entfallen pro Kluftinger-Band nur wenige kurze Abschnitte, teils nur einzelne Sätze darauf. Trotzdem entbehren die Landschaftsbeschreibungen nicht einer leitmotivischen Eignung: „Als sie bei Hellengerst die A980 verließen, hieß sie ein Schild mit der Aufschrift ‚Grüß Gott im Weitnauer Tal‘ willkommen und sofort präsentierte die Landschaft grüne, sanfte Hügel, die die nahen Berge bereits erahnen ließen“412, heißt es in Milchgeld. Erntedank setzt den Leser erst in Kenntnis, dass die Ortschaft Rappenscheuchen dort beginne, „wo die Straße links in die hügelige Landschaft bog“413, und später, dass sein Weg den Kommissar „durch eine hügelige Landschaft, die eigentlich eher zum angrenzenden Oberschwaben als zum Oberallgäu passte“414, führte. In Laienspiel beschleicht Kluftinger „ein ungutes Gefühl, als er seinen Wagen durch die Hügellandschaft des Voralpenlandes lenkte“415, und in Schutzpatron verhallt sein Ruf „in der einsamen Weite der Landschaft hier oben. Nur das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln war zu hören“416. Jedoch: Einerseits das wiederholte (Be-)Nennen einer grünen Hügellandschaft und andererseits der konstatierte marginale Anteil ihrer Beschreibung im Gesamttext können nur so lange festgestellt werden, wie „Landschaft“ als all-

410 Ebd. 411 Ebd. 412 Milchgeld, S. 116. 413 Erntedank, S. 15. 414 Ebd., S. 97. 415 Laienspiel, S. 27. 416 Schutzpatron, S. 361.

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tagsweltlicher Terminus oder Begriff aus dem (Text-)Feld übernommen und nicht als kulturanthropologisch taugliche Analysekategorie gelesen wird. Die kultur- und sozialwissenschaftlichen Theoriebildung legt Landschaft, ähnlich dem Raum, in der jüngsten Vergangenheit konstruktivisch aus. Zunehmend drängt eine Vorstellung ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Gemachtheit jene der materiellen und geografischen Erdoberflächeneinheit zurück. Die Formel „eine Landschaft strahlt nicht von selbst“417 fasst den gegenwärtig mehrheitlichen Forschungskonsens zusammen. Landschaft meint demnach das Ergebnis kulturbedingter Semantisierungsverfahren. Sie ist stets produzierte Größe – und je nach menschlichen Interessen und Politiken418 gestaltbar und in ihrer Bedeutung wandlungsfähig. Vorher prägte den Landschaftsbegriff jahrhundertelang die „Vorstellung eines harmonisch-idealisierten Raumes“419. Er stand synonym für das als schön kanonisierte Draußen. Der Sozial- und Kulturhistoriker Norbert Fischer belegt dies anhand der sich ab dem 16. Jahrhundert entfaltenden Landschaftsmalerei, schöngeistiger Literatur und der Anlage landschaftlicher Gärten und Parks seit dem 18. Jahrhundert:420 Als künstlerische Katalysatoren und Simulakren bzw. am Paradiesischen orientierte erfahrbare Lebenswelt dokumentieren sie eine ästhetisierende Aneignung von Natur. Besonders mit dem Voranschreiten der Industrialisierung gewann die Idee von Landschaft als Antithese des Urbanen dominierende Bedeutung.421 Sie geriet zur Projektionsfläche für den romantisierenden Eskapismus des städtischen Bürgertums. Thomas Hellmuth etwa zeigt exemplarisch am Salzkammergut, wie Künstler in stilisierten Gemälden einen verklärenden Blick auf die alpine Natur vorbereiteten. Verschönerungs- wie Alpenvereinsgruppen schufen mit Aussichtsplätzen und Promenaden eine Infra-

417 Thomas Hellmuth: Die Erzählungen des Salzkammerguts. Entschlüsselung einer Landschaft. In: Dieter A. Binder/Helmut Konrad/Eduard G. Staudinger (Hg.): Die Erzählung der Landschaft. Wien/Köln/Weimar 2011, S. 43-68, hier S. 43. 418 Am Beispiel der Agrarpolitik hat dies Reinhard Johler ausgeführt: Vgl. Johler: 2001. 419 Stefanie Krebs/Manfred Seifert: Multiple Perspektiven auf Landschaft. Zur Einführung. In: Dies. (Hg.): Landschaft quer Denken. Theorien – Bilder – Formationen. Leipzig 2012, S. 11-16, hier S. 11. 420 Norbert Fischer: Landschaft als kulturwissenschaftliche Kategorie. In: Zeitschrift für Volkskunde. 104. (2008), H. 1, S. 19-39, hier S. 23f. 421 Vgl. Norbert Fischer: Metamorphosen des Landschaftsbegriffs. PatchworkLandschaften in Post-Suburbia. In: Krebs/Seifert 2012 (a), S. 241-255, hier S. 242.

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struktur zum mühelosen Umgebungsgenuss, damit zivilisationsflüchtigen Sommerfrischlern ein harmonisches Narrativ der Landschaft bereitstand.422 Der Vorbehalt der Landschaft zum ästhetischen Design wurde epochenübergreifend transportiert. Das war besonders dem in der Romantik intendierten Vermitteln von Gefühlsebenen zuträglich. Diese Idee speist auch den gegenwärtig populären Gebrauch des Landschaftsbegriffs noch. Während Landschaft in politischem Kontext eine territoriale Größe bezeichnet, ist in geografischbiologischem damit ein wegen seiner besonderen materiellen Ausstattung deutlich von anderen unterscheidbares Areal gemeint. Davon beeinflusst, prägt das traditionelle alltagsweltliche Verständnis von Landschaft eine Vorstellung vom heilen Unberührten auf der einen, die Ausrichtung auf charakteristische Naturgegebenheiten auf der anderen Seite. Kultur- und Sozialwissenschaften sind demgegenüber bemüht, zur Analyse postmoderner Lebensbedingungen tauglichere neue Modelle zu entwickeln. Das 2011 als Resümee der Tagung Landschaft quer Denken. Theorien – Bilder – Formationen verfasste Dresdner Manifest zur Landschaftstheorie423 plädiert für einen interdisziplinär entwickelten, offenen Landschaftsbegriff. Absolute Definitionen des Gegenstands sollen vermieden, dagegen seine Komplexität, Dynamik und Gemachtheit vorausgesetzt werden. Über ihre physische Ausstattung hinaus will das Thesenpapier Landschaft als kulturbedingten und subjektiv geformten Vorstellungs- und Handlungsraum verstanden wissen, der sich aus materiellen gleichermaßen wie immateriellen Elementen zusammensetzt, nur scheinbar natürlich beschaffen und von je unterschiedlichem menschlichem Agieren und Zugriff gestaltet ist. Für Norbert Fischer bedarf es wegen neu gestalteter Lebensräume eines neuen Landschaftsbegriffs: Er soll statt der Gegenüberstellung urbaner, molochhafter Metropolräume und agrarisch geprägten Hinterlands eine „offene Diffusion von Stadt und Land“424, soll Heterogenitäten fokussieren. Städtische Naherholungsräume, provinzielle Industrieniederlassungen, Shopping Malls im vormaligen Grünen oder ein gegenteilig ins Ausbluten tendierender dörflicher Strukturwandel brechen alte Vorstellungsmuster von präfigurierten Raumfunktionszuschreibungen auf und lassen laut Fischer eine patchworkartige, „fragmentierte Landschaft“425 entstehen. Sich ändernde Infrastrukturen, die die gegenseitige In-

422 Hellmuth 2011. 423 Guido Fackler u.a.: Dresdner Manifest zur Landschaftstheorie. In: Krebs/Seifert 2012 (a), S. 17-19. 424 Norbert Fischer 2012, S. 245. 425 Ebd., S. 246.

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filtrierung von Stadt und Land befördern, flankieren zunehmend mobile Akteure postmoderner Zivilisationen und deren räumlich in Arbeit, Wohnen oder Freizeit segmentierte Alltage. Entsprechend betrachten jüngere landschaftstheoretische Untersuchungen auch das, was das traditionelle Konzept außer Acht ließ: städtisch-konforme Bauten, Autobahnen, Mülldeponien, das vermeintlich Hässliche. In Abgrenzung zum Raum gewichtet das kulturwissenschaftliche Profil der Kategorie Landschaft deren weniger abstrakten denn konkret-anschaulichen Charakter, ihren physikalisch-materiellen Bestand und ihre zumindest partikulare natürliche Determination deutlicher: Unter Landschaft sei demnach ein überschaubarer Raum zu verstehen, der sich durch naturkundliche, artifizielle und/oder soziokulturelle Charakteristika von anderen Gegenden unterscheide, der „zugleich kultur- und naturbedingt“426 sei, sich also infolge von materiellen und sozialen Wechselwirkungen bildet. Das Dresdner Manifest akzentuiert auch topologische Aspekte bei der Konstitution von Landschaft und sieht deren materielle Grundierung „zumindest mitgedacht“427. Die räumliche, oftmals politisch oder wirtschaftlich definierte Einheit Region generiere demgegenüber ein Spannungsfeld aus Wahrnehmung, Handlung und Erfahrung. Im Folgenden soll Landschaft mit Manfred Seifert als „spezifische Raumqualität“428 verstanden werden. Sie ist als modelliert, geformt, zugerichtet, kulturspezifisch mit Sinn belegt und also flexibel und dynamisch zu deuten. Jedoch ist im Vergleich zur Kategorie „Region“ die naturräumliche Ausstattung der Landschaft besonders relevant im Semantisierungsprozess. Landschaft meint ein sich auf physiognomische Qualitäten oder Imaginationen derselben beziehendes Konstrukt. Mit einer solchen Lesart von Landschaft zu operieren, erfordert eine Revision der künstlerischen Ausgestaltung in den Kluftinger-Romanen. Gleichwohl gehorcht deren oben zitiertes Leitmotiv des hügeligen Allgäus dem klassischen Ideal homogen-schöner Natur. Als Genre, das aus dem Verorten des Plots im Provinziellen erst hervorgeht, scheinen Regionalkrimis prädestiniert, die lange eingeübte Landschafts-Idee vom Inbegriff des Ästhetischen, das dem unansehnlichen Städtischen gegenüber gestellt wird, zu konservieren. Neben den oben aufgezählten bieten die Kluftinger-Romane weitere wenige Beispiele für das alte Konzept, das Landschaft „primär als bildhafte Qualität von

426 Manfred Seifert: Ethnologisch-kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Raum und Landschaft. In: Krebs/Ders. 2012 (a), S. 61-86, hier S. 69. 427 Fackler u.a. 2012, S. 17-19, hier S. 17f. 428 Seifert 2012, S. 69.

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Umgebung“429 fasst. Sie schildern neben der physischen Struktur der Erdoberfläche auch Luftschaften430: „Es war ein wunderschöner Tag. Der Himmel zeigte sich in sattem Weiß-Blau.“431 Das beschreibt einen stereotypen bayerischen Gemeinplatz und Topos des Sakralen. Das hier zitierte emblematische ‚BayernWeiß-Blau‘ ist populäres Klischee-Versatzstück, touristischer Markenartikel und stilisierte Darstellung des Draußenraums. Was als sogenannter alter Landschaftsbegriff aus der zeitgenössischen kulturwissenschaftlichen Theoriebildung getilgt werden soll, bildet den ikonografischen Fundus zur kommerzorientierten Fremdenverkehrs-Raumgestaltung. In der literarischen Transformation dient es der atmosphärischen Aufladung des Settings. Weitere Romanreferenzen auf ein Idyll jenseits der Metropolen lauten so: „Es gab nicht viele Orte, an denen Kluftinger in einer solchen Nacht lieber gewesen wäre als im Herzen des Allgäus, nur von ein paar Einödhöfen umgeben, vor Blicken von ein paar mächtigen Eschen geschützt“432, heißt es in Milchgeld. In Rauhnacht „rissen die Wolken auf, und ein fast voller Mond warf sein silbriges Licht auf die verschneite Landschaft“433. In Schutzpatron: „Über der Iller standen wieder erste Nebelschwaden, die ungemütliche Hitze des kurzen Sommers war einer herrlichen Frische gewichen, und die Septembersonne tauchte die Landschaft in mildes Licht.“434 Und wenn in der Belletristik „majestätisch das Bergmassiv in die Höhe“435 ragt, Kluftinger „den Blick versonnen auf die Allgäuer Bergkette“436 richtet, sich zwingt, „die imposante Kulisse der Füssener Berge bewusst wahrzunehmen“, um dann zu finden: „Schön war es hier“437, oder er nach Lindau fährt, sich „der Blick auf den Bodensee […] zum ersten Mal“ öffnet, „einige Quellwolken […] sich über den Vorarlberger Gipfeln“ auftürmen, „der See […] in strahlender Sonne“ liegt und es Kluftinger „mit einem Mal voller Begeisterung“ entfährt:

429 Ludwig Fischer: Landschaft – überall und nirgends? Nachdenklichkeiten zu ‚alten‘ und ‚neuen‘ Vorstellungen von Landschaft. In: Krebs/Seifert 2012 (a), S. 23-36, hier S. 23. 430 Vgl. Rainer Guldin: Luftschaften. Zur Rolle der Wolken in der Konstitution von Landschaften. In: Krebs/Seifert 2012 (a), S. 127-144. 431 Milchgeld, S. 116. 432 Ebd., S. 253. 433 Rauhnacht, S. 355. 434 Schutzpatron, S. 16. 435 Rauhnacht, S. 362. 436 Schutzpatron, S. 302. 437 Herzblut, S. 213.

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„Isch des schee!“438, markiert das die Allgäu-Krimis nicht nur als alpin codierte Waren der Populärkulturindustrie. Mit ihrer majestätischen Bergwelt wahren die Kluftinger-Romane auch Spuren von seit der Aufklärung literarisch inszenierten Bergbildern des Sakralen. Lyrik, Drama und Prosa modifizierten bis zur Gegenwart die bereits antike und biblische Vorstellung vom Berg als Sitz einer Gottheit. Sie stellten das Gebirge als „naturhaft-heile Gegenwelt“439 zur missfälligen Alltagsrealität in den Ebenen, als freiheitlichen Ort, von dem herab sich die gesamte Welt erneuern und verbessern lässt440 oder als Allegorie der Poesie441 und des Kunstvollen schlechthin dar. In den Kluftinger-Krimis sind die Alpen nicht eine utopische Alternative. Wohl aber ist der Berg hier nicht nur „naturwissenschaftlich inszenierter Naturraum“442, wie es Michael Andermatt Berg- und Heimatromanen unterstellt. Die genannten kurzen Textstellen präsentieren punktuell etwas im Vergleich zum geografisch und hier moralisch niederer gelegenen Rest-Allgäu Erhabenes. Am deutlichsten orientiert sich ein Abschnitt aus Seegrund an einer konservativen bzw. populären – d.h. am etablierten Ästhetischen ausgerichteten – Landschaftsdarstellung: „Der Alatsee lag idyllisch in einem kleinen Kessel, von allen Seiten mit dichtem Wald umgeben. An der Südostseite ragte majestätisch der Gipfel des Säulings über den Bäumen auf. Es war ein Tag, wie gemacht für Fotografen, um diese kitschigen, aber doch irgendwie beeindruckenden Bilder zu schießen, die man in den Kalendern fand, die von Banken, Apotheken und Tankstellen verschenkt wurden, dachte sich Kluftinger: Der kleine Bergsee glänzte in der Sonne, die von einem wolkenlosen Himmel schien. Immer wieder rieselten glitzernde Flocken von den Ästen der Bäume auf sie herab. Unter ihren Füßen knirschte der Schnee, die Luft war klar und rein. ‚Herrlich, oder? Kein einziger Tourist da heroben!‘, jubilierte Kluftinger. Er war stolz. Stolz auf ‚sein‘ Allgäu, das so schön sein konnte, dass er sich manchmal selbst wie ein staunender Tourist vorkam. Und stolz darauf, dass er es heute einem ausländischen Gast präsentieren konnte. ‚Ob es wohl weiße

438 Ebd., S. 180. 439 Michael Andermatt: Transformationen des Sakralen. Zur Literarisierung des Berges von der Aufklärung bis zur Gegenwart. In: Werner M. Egli/Ingrid Tomkowiak (Hg.): Berge. Zürich 2011, S. 65-89, hier S. 68. 440 Ebd., S. 71. 441 Ebd., S. 72. 442 Ebd., S. 66.

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Weihnachten gibt?‘, wollte Yumiko wissen, die von dem Anblick der pittoresken Landschaft sichtlich verzaubert war.“443

Die Komposition aus Wasser, Wald und Bergen ermöglicht dem fiktiven Betrachter, die Umgebung zunächst als ästhetisch, weil von menschlichem Eingreifen unberührt, wahrzunehmen: Der See liegt idyllisch, die Landschaft wirkt pittoresk. „Der Gedanke, dass alle Landschaften Mitteleuropas nicht Natur, sondern das Ergebnis von Kultur sind, kann bei einem Spaziergang im Grünen höchstens als Nebengedanke akzeptiert werden“444, beschreibt Albrecht Lehmann gängiges Landschaftsbewusstsein. Kluftinger lässt diesen Nebengedanken zu. Mit der Vergegenwärtigung ihrer Reproduktion in Kalendern reflektiert er Herstellungsverfahren von Landschaft. So bedient der Abschnitt einerseits Bedürfnisse nach dem Harmonischen und dem hier sprachlich zum Kitsch Aufbereiteten. Andererseits spiegelt er die kulturelle Gemachtheit von Landschaft: Gefallen an einer Umgebung rührt auch daher, weil er durch ihre industriellkünstlerische Stilisierung in Fotografien eingeübt wurde – oder durch ihre Stilisierung in belletristischer Literatur. Die ästhetische Ebene veranlasst den Protagonisten zur Identifikation mit dem Raum. Er empfindet Allgäu als Ideallandschaft. Die subjektiv wahrgenommene schöne Umwelt schafft Bindung. Jedoch bleibt die landschaftliche Ästhetik nicht exklusiv den Allgäuern zur Konstruktion eines Heimatraums vorbehalten, auch die Touristen staunen laut Erzählung am Alatsee. So führt der Roman vor, dass ein spezifisches Verständnis von Landschaft nicht essentialistischer Provenienz ist, sondern seine kulturelle Konstruktion diverse Besuchergruppen zu durchdringen imstande ist. Das zumindest punktuell aufgerufene überschaubar-harmonische Allgäu bestätigt das kontinuierliche Fortbestehen eines traditionellen, engen Landschaftsbegriffs auch in den Kluftinger-Krimis, der postmodernen Sehnsüchten nach dem ungestörten Schönen Projektionsflächen bietet. Doch was die Fiktion explizit als hügelige, verschneite oder septembersonnenmilde Landschaft kategorisiert, steht neben Passagen, die gerade nicht über diesen Terminus sprachlich etikettiert sind. Sie bilden aber gerade jenen Wandel von Landschaft ab, die ihrer kulturwissenschaftlich-theoretischen Rekonzeptualisierung zugrunde liegen. Beispielsweise diese:

443 Seegrund, S. 13. 444 Albrecht Lehmann: Reden über Erfahrung. Kulturwissenschaftliche Bewusstseinsanalyse des Erzählens. Berlin 2007, S. 164.

124 | ALLGÄU RELOADED „Nur das Westallgäu war touristisch noch nicht so erschlossen wie seine Allgäuer ‚Geschwister‘. Vielleicht war das auch besser so, dachte er, denn mit dem Bau der Autobahn hatte die Idylle hier zumindest schon mal den Fortschritt in Form des Verkehrslärms zu spüren bekommen. Als sich Kluftinger die Höfe rechts und links der Autobahn besah, wurde er ein wenig wehmütig bei dem Gedanken, dass sie einst ein regelrechtes Einöddasein geführt haben mussten und nun den Emissionen der großen Straßen ausgesetzt waren.“445

Landschaft ist hier nicht pastorales Gefüge, sondern durchkreuzter Raum. Ihre Physiognomie wurde menschlich modelliert und zur Mobilitätslandschaft umgewertet. Die einstige Einöde ist nicht mehr Gegenpol des Urbanen, sondern durch Verkehrsströme mit ihm verbunden. In Laienspiel hetzt Kluftinger einem Verdächtigen durch Kempten hinterher. Die Verfolgungsjagd geht so: „An der linken Seite führte ein Trampelpfad zur alten Baumwollspinnerei am Flussufer. […] Der Mann rannte schnurstracks auf die Fabrik zu. […] Sie erreichten die heruntergekommene Fabrik etwa gleichzeitig. […] Kein Geräusch verriet ihnen, wo der Flüchtende sich befand. Vom Fluss her drang das beständige Rauschen des Wehrs an Kluftingers Ohr. Die erste Hälfte der Halle war leer, Licht flutete durch die blinden, zum Teil zerbrochenen Fensterscheiben an beiden Seiten. Nur einige gusseiserne Säulen unterbrachen die lange Raumflucht. […] Hier war einst eine florierende Tuchfabrik gewesen. […] Über die Schulter schrie er Bydlinski zu: ‚Laufen Sie nach draußen, zu einer der Illerbrücken, falls er da rüber will.‘ […] Nervös blickte er nach rechts, wo sich ein langer, schmaler Grünstreifen zwischen der Fabrik und der steilen Uferböschung schlängelte. […] Ließ die Fabrik hinter sich, schlug sich durch die Böschung zu dem Fahrradweg durch, der hier entlang der Iller verlief. […] Als wäre der Teufel hinter ihm her, preschte der Flüchtige auf die nahe gelegene Fußgängerbrücke zu. […] Es waren gut zwanzig Meter bis zur Wasseroberfläche. Und die Iller war hier nicht sehr tief, obwohl sie noch immer ein wenig Schmelzwasser aus den Allgäuer Hochalpen führte. Wenn es dumm lief... Er raste ebenfalls zum Geländer und sah gerade noch, wie der Mann mit einem gewaltigen Platschen in den grünen Fluten versank. Sofort riss ihn die gewaltige und tückische Strömung mit, die durch die vielen Wehre an den alten Industrieanlagen verursacht wurde.“446

Dieser Textausschnitt entspräche keiner Landschaftsbeschreibung nach alltagsweltlichem Verständnis: Er entwirft keine vorgeblich zivilisationsferne Länd-

445 Milchgeld, S. 116. 446 Laienspiel, S. 143-149.

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lichkeit, die sich zur utopischen Illusionsbildung eignet, sondern Stadt mit ihren Relikten und Requisiten. Er zählt auf, was ursprünglich als Anti-Landschaft galt: Industriebrachen, Zeugnisse des Verfalls, das abseitige Hässliche – aber mit als naturnah assoziierfähigen grünen Importelementen. Nach neuer, offener Begriffsauslegung lässt sich die Sequenz durchaus als Landschaftsbetrachtung lesen: Ihr Gegenstand ist konstruierte, durch menschliche Praxis geformte und kulturell wie individuell etwa als gewaltig und tückisch gedeutete Natur. In dieser Form sind Regionalkrimis nicht auf die einzementierte Exklusion des Städtischen vom aufgehübschten Ruralen zu reduzieren. Vielmehr beschreiben sie deren gegenseitige Durchdringung. Stellvertretend für Nutzer und Erzeuger des heterogenen Landschaftsbilds der Krimis steht ihre Hauptfigur: Kluftinger lebt in der Oberallgäuer Gemeinde Altusried, pendelt aber aus Berufsgründen täglich in die Allgäu-Metropole Kempten. Er bewegt sich in Mustern, die sich über traditionelle Stadt-LandGrenzen hinwegsetzen. Die Krimi-Protagonisten sind nicht „als kontemplatives Publikum, sondern als mobile, transitorisch von Ort zu Ort wechselnde Akteure“447 zu verstehen. Dieses Rotieren im mindestens binär strukturierten erzählten Raum ist für den russischen Semiotiker Jurij Lotman erst Voraussetzung für die Sujethaltigkeit, d.h. die Handlung eines künstlerischen Textes: „Ein Ereignis im Text ist die Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes. [Hervorhebung i.O.]“448, keines stellt dagegen eine „Verschiebung des Helden innerhalb des ihm zugewiesenen Raumes [Hervorhebung i.O.]“449 dar. „Eine bewegliche Figur“450 wie Kluftinger, d.h. „eine, die das Recht hat, die Grenze zu überschreiten“451, belegt damit nicht nur die gegenseitige Determination und Abhängigkeit von spezifischer Landschaftssemiotik und -organisation von Handlung, sondern, weil der künstlerische Raum nach Lotman als modellhaft für Welt lesbar ist, auch die gegenseitige Determination und Abhängigkeit von Bewegung (statt Verharren) im Raum und Kultur. Durch das Mobilsein erscheint Landschaft in ihrer pluralistischen Funktionsüberlappung – die Fahrradstrecke des Kommissars zur Arbeitsstelle illustriert das:

447 Norbert Fischer 2008, S. 28. 448 Lotman 1993, S. 332. 449 Ebd., S. 338. 450 Ebd. 451 Ebd.

126 | ALLGÄU RELOADED „Nun trat er kräftig in die Pedale. […] Er sog die gute Herbstluft durch die Nase, genoss den Duft nach feuchtem Gras, in den sich eine leise landwirtschaftliche Note mischte, genoss es, die Kuhglocken von einer Weide und das unbeschwerte Zwitschern der Vögel zu hören, freute sich an den bunten Blättern der Bäume, die den Radweg säumten, der mit etwas Abstand parallel zur Straße verlief, und sah nach rechts hinüber zu den Gipfeln der Allgäuer Alpen, die in ein paar Wochen schon wieder von Schnee überzuckert sein würden. Allerdings wurden Kuhglocken und Vogelgesang immer wieder vom Lärm vorbeifahrender Autos übertönt.“452

Allgäu heißt hier: Landschaft mit Ambivalenzen. Einerseits ruft die Romanstelle illustrative Allgäu-Stereotype auf: Kühe, Wiesen, Berge. Aber sie schreibt Landschaft nicht als unberührtes Panorama fest. Stattdessen erschließt der Text ihren prozesshaften Charakter: Straßenbauten haben ihr Bild verändert und die Agrar- auch zu einer Verkehrslandschaft modelliert. Allgäu-Landschaft zeigt hier die multiräumliche Organisation zeitgenössischer Zivilisation auch in der scheinbar stadtfernen Provinz. Kempten und Altusried stehen sich nicht als fixe, antithetische Räume gegenüber. Sie diffundieren über Bewegungen ihrer Bewohner. In den Kluftinger-Romanen stehen tradierte narrative Stilisierungen einer entschleunigten, schönen Umgebung neben Abschnitten, die Komplexität, Fragmentierung, die temporäre oder urbane Dimension von Landschaft und neue Wirklichkeiten zeigen. Das gibt den Allgäu-Krimis epistemologischen Wert für die mediale Generierung landschaftlicher Entwürfe: Sie dokumentieren eine gegenwärtige Parallelexistenz von konstruierten Sehnsuchtsräumen und kulturell regulierten Stadt-, Verkehrs- oder Mobilitätslandschaftskonzeptionen. Landschaft ist in der Romanserie eine wesentliche Kategorie zur Darstellung von Region, gerade in ihrer Komplexität: durch kulturelle Sinnstiftung hergestellt, als Resultat von Veränderung, multiplen Funktionen und Nutzern ausgesetzt, mit fragmentarischen Heile-Welt-Fluchtpunkten, aber nicht universal zum Idyll verklärt. Vor allem aber lassen die Krimis ihr Personal die emotionalen Komponenten bei der Wahrnehmung von Landschaft durchspielen. Das ist nicht nur genrebedingte Qualität von Populärliteratur, es liefert auch Dispositionen für den lebensweltlichen und touristischen Gebrauch der Allgäu-Krimis. Beispiel: „Mein Gott, ist es schön heute, fuhr es [Kluftinger] durch den Kopf. Die Erkenntnis kam so plötzlich, dass es ihn selbst überraschte. Es verschlug Kluftinger manchmal fast den

452 Schutzpatron, S. 73.

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Atem, so sehr liebte er diese Landschaft. Besonders um diese Tageszeit, wenn eine eigentümliche Schwermut über den Wiesen, den Hügeln und den Wäldern lag. Wenn der Bodennebel alles in ein milchiges, fahles Licht tauchte. Es war dann nicht das KlischeeAllgäu, nicht das Allgäu, das die unzähligen Touristen, die hier jedes Jahr herkamen, sehen wollten. Es gab keinen Almabtrieb und keine Alphörner, keine Blasmusik, kein Alpenglühen. Jetzt war es sein Allgäu. Die satten Farben des Tages verbargen sich noch in einem kühlen morgendlichen Grau. Frisch gemähtes Gras verströmte einen vertrauten Duft. Manche ließ diese Stimmung vielleicht kalt, Kluftinger zauberte sie ein Lächeln auf die Lippen. Für einen kurzen Moment war er glücklich. Einfach so.“453

Aktuelle Forschungen gehen von einer nicht nur subjektiven Prägung von Emotionen aus. Vielmehr wird Wohlgefallen als erwartungsgeleitet und sozialisationsbedingt verstanden. Für Werner Nohl hängt der jeweilige landschaftsästhetische Erlebnismodus vom sogenannten landschaftlichen Prototypus ab: „Das [sic] dem so ist, hängt damit zusammen, dass bei jedem Landschaftserlebnis die aktuellen Wahrnehmungen mit den als Norm verinnerlichten charakteristischen Besonderheiten der Prototypen verglichen und entsprechend eingeordnet werden.“454 Der Prototypus der traditionellen Kulturlandschaft – und als solcher lässt sich der durch menschlich-agrarische Bearbeitung strukturierte, aber Hügel-, Wiesen- und Wald-dominierte Allgäu-Ausschnitt im obigen Zitat einordnen – wird demnach in der Regel im ästhetischen Modus des „Schönen“ erlebt. Nohl begründet das mit der harmonischen und vom Besucher leicht verständlichen Organisation seiner Dinge. Darüber hinaus liefert seinen Ausführungen nach der Erlebensmodus des Schönen Heimaterlebnisse mit. Das macht traditionelle Kulturlandschaften sowohl für Einheimische als auch für Zureisende attraktiv: „Es ist der heimatliche Blick, der im ästhetischen Erkennen die Harmonie bevorzugt und sich am Schönen erfreut. Diese Orientierung auf Heimat bewirkt das große Vergnügen, das sich beim Betrachten schöner Landschaften einstellt. Das erklärt übrigens auch, warum es gerade die traditionellen Kulturlandschaften sind, die oft große Touristenströme anlocken. Denn Touristen, denen ja immer nur eine begrenzte Urlaubszeit zur Verfügung steht, können sich in ihnen sofort und ohne großen psychischen Aufwand orientieren und emotional zuhause fühlen.“455

453 Milchgeld, S. 267. 454 Werner Nohl: Landschaftsästhetisches Erleben. Grundformen und ihre nachhaltige Wirkung. In: Stadt + Grün (2010), H. 2, S. 29-36, hier S. 31. 455 Ebd., S. 32.

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Das oben geschilderte voralpine Hügelland der Romane wäre demnach nicht nur vom fiktiven Kluftinger als sein Allgäu identifizierbar. Seine moderate menschliche Formung hin zur traditionellen Kulturlandschaft erklärte auch den Zuspruch, den es von sonst anwesenden fiktiven unzähligen Touristen erfährt: Sie schöpften aus der kulturell eingeübten Praxis, aus dem rasch erschließbaren weil wohlgeordneten Schönen heimatliche Gefühlsregungen zu bilden. Nicht fiktiven unzähligen Touristen wiederum kann jener Textabschnitt kulturelle Folie ihres emotional-ästhetischen Allgäulandschaft-Erlebens sein. Obwohl sich dynamisch verändernd, unterlägen Landschaften den Kontinuitätsvorstellungen von Einzelnen und Gruppen, meint Albrecht Lehmann: „All die Landschaften, die wir im Leben genossen haben, Wälder, Horizonte, Täler sollen wiedererkennbar sein. Wir erwarten, dass sie unsere Gegenwart mit unseren Naturerfahrungen und mit der Geschichte unserer Gruppe verbinden. Landschaften können in ihrer Statik für das Subjekt eine kompensierende Funktion erfüllen, gerade angesichts der Dynamik der Entwicklungen unserer heutigen Gesellschaft.“456

Auch dazu eine Krimi-Passage: „Kluftinger staunte nicht schlecht, als sie in Kalden ankamen, dem kleinen Weiler zwei Kilometer nördlich des Altusrieder Ortskerns. Er war sicher schon tausendmal hier gewesen; als Kind hatten die Burgruine und das Iller-Steilufer, an dem sie stand, eine gewaltige Faszination auf ihn und seine Freunde ausgeübt. […] Doch nun war es ihm, als sei er zum ersten Mal hier. […] Er war beeindruckt von dem, was die Bauarbeiter hier die letzten Wochen und Monate geleistet hatten. Und er war enttäuscht, dass er damit wieder um ein Stück seiner Kindheit gebracht worden war. […] Es gab eben Ecken in Altusried, die schienen sich nicht zu verändern, und das waren für ihn schützenswerte Erinnerungsorte. Auch die Burgruine und Kalden gehörten dazu. Hatten dazu gehört. Denn nun war das Areal, das einst nur aus einem Gehöft, Wiesen und ein bisschen Wald bestanden hatte, um einen Parkplatz erweitert worden. Die Bäume, die das Anwesen umgeben hatten, waren gefällt worden, und der Hof selber war nun eine Mischung aus alter Bausubstanz, Glas und Stahl. So machte man das wohl heute; Kluftinger hatte sich mit dieser Art der Altertumsveredlung des Althergebrachten jedoch nie anfreunden können.“457

Erleben von Landschaft prägt hier Retrospektive, eine dort als positiv erfahrene Kindheit macht sie zum Erinnerungsort. Ihre Zurichtung verändert auch den

456 Lehmann 2007, S. 163. 457 Schutzpatron, S. 165f.

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emotionalen Bezug des fiktiven Individuums zum aktuell Wahrgenommenen. Anderer Textausschnitt: „Zehn Minuten später stand Kluftinger abseits des Treibens auf dem Vorplatz der Burgruine und stützte sich auf das Holzgeländer am Steilufer des Illerdurchbruchs. Der Nebel, der vom Fluss heraufzog, war hier noch zäh und dicht und gab nur vereinzelt den Blick auf die ruhig dahinfließende Iller frei. […] Tief sog er die klare Morgenluft ein und ließ seinen Blick schweifen: Mit der vom Nebel umwaberten Ruine, dem mächtigen Steilufer im Rücken und den knorrigen Bäumen, die sich in dem lauen Lüftchen wiegten, kam er sich vor wie ins Mittelalter versetzt. Er versuchte sich gerade vorzustellen, wie die Zinnen des Turms vor ihm von Rittern in eisernen Rüstungen besetzt waren, da holte ihn das Brummen des Polizeihubschraubers ins Hier und Jetzt zurück.“458

Wo die Populärliteratur ihren Protagonisten eine neblige Landschaft wahrnehmen lässt, spielt sie die atmosphärische Ausstattung von Landschaften durch. Atmosphären sind Resultat menschlicher Wahrnehmung und Herstellung und entstehen sowohl durch individuelle Interpretationsleistungen als auch auf Basis kollektiver Normierungen. Dass sich Kluftinger in mythisch gestimmter Umgebung wähnt, referiert auf ein kulturell tradiertes Wahrnehmungsmodell, Kluftinger erlebt den Nebel nach einem etablierten Deutungsschema. Denn die Erzählkultur greift – insbesondere bei Sagen und der Dichtung der Romantik – seit langem auf durch Nebel erzeugte Atmosphären zurück: Sie symbolisierten Naturerlebnisse des Unheimlichen, Beängstigenden, der Orientierungslosigkeit und vor allem der Einsamkeit.459 Nach Albrecht Lehmann „kann kein Zweifel daran bestehen, dass zu den Wahrnehmungsmustern der Umwelt bis heute die Erzählkultur beiträgt. Traditionelle Muster des Erzählens wirken immer noch als Grundlage für die Interpretation der Wirklichkeit.“460 Die Wahrnehmung eines fiktiven Kriminalkommissars ist also insofern von Relevanz, als dass der Krimi damit selbst kulturell vorbereitete Bewusstseinsmodelle fortschreibt – was wiederum späteres atmosphärisches Erleben realer Landschaften der Krimi-Rezipienten beeinflussen kann. Atmosphären von Landschaften sind zunächst als über die Sinne wahrgenommene Informationen461 begreifbar. Landschaftserleben resultiert nicht nur aus kognitiven Verarbeitungsprozessen, sondern aus der leiblichen Präsenz des

458 Ebd., S. 329f. 459 Vgl. Lehmann 2007, S. 91-95. 460 Ebd., S. 93. 461 Ebd., S. 78.

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Subjekts in der Landschaft und sensorisch vermittelten Eindrücken, die Emotionen stimulieren – in der Fiktion etwa durchströmt ein „Glücksgefühl“462 Kluftinger auf seinem Weg zur Altusrieder Freilichtbühne: „Als der Kommissar sein Auto geparkt hatte und den Weg zum Spielgelände am Fuße der an einem Hügel gelegenen Gemeinde beschritt, war er sogar ein wenig froh, dass er es noch einmal geschafft hatte, sich aus der Umarmung seines Sofas zu befreien. Es war ein wunderschöner Abend, und die frische Luft tat ihm gut. Sie war erfüllt vom Geruch der wieder erwachten Natur, überall surrte und raschelte es, und aus der Ferne drangen die dumpfen Stimmen der Spieler aus den Lautsprechern der Tribüne. Kluftinger hielt inne und atmete tief ein. Er liebte es, wenn die Luft wieder nach etwas roch, im Gegensatz zum Winter, wenn alles in eine olfaktorische Starre versank. Die Laubbäume hatten das Lindgrün des Frühjahrs bereits verloren und wirkten kraftstrotzend. Die Sonne schickte ihre letzten orangefarbenen Strahlen über das Tribünendach der Spielfläche.“463

Haptik, Gerüche, Klänge und Optik bündeln sich zur Basis eines „seelischen Vorgangs der zusammenfassenden Vereinheitlichung“464 und lassen das Individuum die Situation als „wunderschön“ identifizieren. Gerade situatives Erleben, das „sich von der Ereignishaftigkeit aktuellen Erscheinens von Dingen und Atmosphären gleichsam ‚mitnehmen‘ lässt“465, ordnet im phänomenologischen Ansatz des Geografen Jürgen Hasse eine ausschließlich sozio- und kulturkonstruktivistische Konzeptualisierung von Landschaft als unzureichend ein. Leibliche, d.h. bewusstseinsgeleitete Anwesenheit konstituieren eine Umgebung demnach zum Gefühlsraum. Hasse relativiert die Erklärung von Landschaftserleben bloß über seine kulturelle Präfiguration: Sie ent-subjektiviere und ‚kultiviere‘ jede Wahrnehmung schon dadurch, dass sie die Gefühle vom vielsagenden Charakter der Eindrücke methodisch abziehe. Die Bedeutung, die Gefühle im gelebten Leben spielten, werde auf diese Weise strukturell gemindert.466 Jedoch vollzieht die jüngere kulturwissenschaftliche Theoriebildung gerade nicht eine Tilgung der Gefühle aus den Analyseverfahren, sondern diskutiert ihre kulturell geprägte Initiierung. Bei Allgäu-Krimis handelt es sich um ein dann auch touristisch verwertetes Segment der Populärkultur: Das macht ihre Disposi-

462 Laienspiel, S. 54. 463 Ebd. 464 Lehmann 2007, S. 95. 465 Jürgen Hasse: Fundsachen der Sinne. Eine phänomenologische Revision alltäglichen Erlebens. München 2005, S. 254. 466 Ebd., S. 247.

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tion für Allianzen von eingeübten emotionalen Gütern und Ideallandschaften interessant. Die oben zitierte Stelle aus Laienspiel beschreibt eine potenziell stereotypentaugliche Allgäu-Landschaft, die kulturell vorprogrammierte Gefühlsschemata abrufbar macht – bei einer fiktiven Figur und Rezipienten. Dass sie sich auch im Hasseschen Sinn als Abbild der „Fülle affektiver NaturBegegnungen“467 eines Subjekts lesen lässt, ist insofern wesentlich, weil die fiktive Romanlandschaft später eben auch zur subjektiv, aktuell bzw. temporär, konkret und spezifisch gestimmten Umgebung körperlich anwesender KrimiTouristen wird. 2.3.3.7 Dynamik Die Verbindung von Literatur und Fremdenverkehr ist eine anhaltend bewährte: Bereits im 19. Jahrhundert schufen reisende Literaten etwa alpine textualisierte Traumwelten und produzierten so „an dem als touristische Ware verwertbaren Bild der Alpen als Lebensraum mit“468. Wenn Klüpfel und Kobr Kluftinger majestätische Gebirgszüge der Allgäuer Hochalpen passieren und Kässpatzen genießen lassen, festigen auch sie romantisierende Zuschreibungen und streuen vermarktungsfähige Ikonografien einer attraktiven Destination. Das Format bietet aber auch Differenzentwürfe. Der Kommissar ermittelt etwa in einem Gebäude im Kemptener Industriegebiet, das „einen etwas schäbigen Eindruck“ macht, „eine offenbar türkische Teppichreinigung“ und ein russisches Import-Export-Unternehmen beherbergt und sich „im Schatten der großen Müllverbrennungsanlage befindet“469. Verdächtigen dient eine Kneipe namens „Wikingerkrug“, berüchtigt „wegen der häufigen Exzesse, Körperverletzungen und Pöbeleien“470, als Alibi. An anderer Stelle ist vorgesehen, ein städtisches Industriedenkmal „aus dem späten neunzehnten Jahrhundert, in dem bis in die achtziger Jahre vor allem italienische Gastarbeiter Baumwollstoffe gewebt und gesponnen hatten, in Luxuswohnungen umzubauen“471. Kluftinger agiert in „wenig einladenden Hochhäuser[n] […], die Anfang der Siebzigerjahre hier am Rand der Allgäu-Metropole im Rahmen des ‚sozialen‘ Wohnbaus entstanden waren. Der Stadtplanung war es damals sicher ganz recht gewesen, die Probleme hierher auszulagern, dachte

467 Ebd. 468 Hackl 2004, S. 9. 469 Erntedank, S. 64. 470 Ebd., S. 281. 471 Seegrund, S. 186.

132 | ALLGÄU RELOADED der Kommissar. Seither war die Hochhaussiedlung zu einem sozialen Brennpunkt allererster Güte geworden [...]“472.

Später führt es ihn in den Stadtteil Thingers, wo die Hochhäuser „günstigen Wohnraum vor allem für Zuwanderer“ bieten und sich „eine eigene, osteuropäisch geprägte Infrastruktur gebildet [hat], mit einem russischen Supermarkt, Wäschereien und verschiedenen Kneipen, von denen einige problemlos als Spelunken durchgingen“473. Und noch im selben Band nach Kempten-Kottern: „In Kottern hatte sich mit der Industrialisierung die Textilindustrie angesiedelt. Und für die Baumwollfabriken hatte man Arbeitskräfte gebraucht. Die wurden in Italien rekrutiert und in einfachen, aber ausreichend dimensionierten Wohnungen einquartiert. Die Zahl der Italiener war hier noch in den Achtzigerjahren so hoch gewesen, dass man rein italienischsprachigen Unterricht an der Volkshochschule anbot. Nach und nach war aber aus dem italienischen Viertel durch Zuzug von jugoslawischen und türkischen Arbeiterfamilien ein internationaler Stadtbezirk geworden. Es herrschte eine Arbeiterkultur des Miteinanders und der gegenseitigen Akzeptanz, auch wenn die Häuser zusehends verfielen und viele ausländische Familien in schöneren Vororten ihr Reihenhäuschen bezogen hatten. Immer mehr Wohnungsleerstände waren die Folge.“474

Im Stadtteil Kottern sind die Straßen Flickwerk, die Häuserfassaden verblichen und mit Satellitenschüsseln dekoriert, Klingelschilder und Briefkästen marode. Das Bild von „Hegge, einem tristen Ortsteil von Waltenhofen“ wird ähnlich reizlos beschrieben: Kluftinger fahndet in „einem schmucklosen Wohnblock“, wo die Parteien „ärmlich eingerichtet“ sind und die Bewohner „Leggins und Pullover“475 tragen. Also eben nicht: Dirndl. „Allgäu“ ist hier nicht anheimelnd aufgeputzt, Lokalkolorit entsteht über die abseitigen Facetten einer Region jenseits des touristischen Blicks. Das Narrativ verweigert sich einer stringenten Sättigung traditioneller ästhetischer Ansprüche. Es bricht mit der Idee von Region – speziell einer bayerisch-voralpinen – als Sehnsuchtsort, wie sie andere Sparten der Populärkultur vorführen: Volksmusiksendungen, Heimat-Heftromane oder Landzeitschriften. Während man dort „eine Reportage über einen Schlachthof

472 Laienspiel, S. 12. 473 Ebd., S. 134. 474 Ebd., S. 139. 475 Herzblut, S. 335-338.

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[…] wohl nie finden“476 wird, befragt Kluftinger Zeugen aus der sogenannten Zerteilungskolonne zwischen Kuhgerippen, Rinderhälften und Knochensägen in einem eben solchen.477 Wenn ihm beim Betreten der Kemptener Justizvollzugsanstalt, die von innen keinerlei Blick auf die Umgebung gewährt, diese als eine „abgeschlossene Welt mit eigenen Regeln und leider auch einer häufig nicht gerade positiven Eigendynamik“478 erscheint, beschreibt Herzblut eine prototypische Heterotopie Foucaultscher Definition. Gleiches gilt für den Jahrmarkt in der Kemptener Innenstadt: Die mobilen Hinterzimmer des Rummels offenbaren sich als „eine Art Parallelwelt“, in der die Wohnwagen „nach kaltem Rauch, fettigem Essen und Schweiß“ riechen und ihr Interieur verdreckt und schmuddelig ist, wo die Schießbudenbesitzer über „Gesindel“, angeheuerte „Drogenheinis“, ungeregelte Arbeitszeiten, mangelnde Absicherung und ihr Herumkrebsen „knapp über dem Existenzminimum“ klagen und der Satz „Junger Mann zum Mitreisen gesucht [Hervorhebung i.O.]“ „wie aus einer anderen Zeit“ klingt,479 wo das „Leben als Angehöriger des fahrendes Volkes“ ein „Dasein am unteren Rand der Gesellschaft“480 bedeutet. Gefängnis und Rummel sind Teil sozialer Institutionalisierung. Ob ihres heterotopen Charakters, d.h. ihrer Nicht-Übereinstimmung mit gesellschaftlicher Norm, bilden sie aber „Gegenorte“481 zu ihrer Umgebung – Raum ist hier in seiner Heterogenität und kulturellen Konstruiertheit Gegenstand zeitgenössischer Populärliteratur. Für das Personal der Allgäu-Krimis erweisen sich die verschiedenen Sphären als zugänglich – und Barrieren zwischen Altusried und Kempten, zwischen touristisch aufbereitetem Stadtraum und Gefängnis, zwischen den Nutzerräumen von Einheimischen, Urlaubern und Kriminellen „für den die Handlung tragenden Helden als permeabel“482 und damit als Zuschreibungen. Das entspricht dem kultursemiotischen Modell Jurij Lotmans. Die Fiktion beschreibt raumkulturelle Durchlässigkeiten und Allgäu in seinen sozialräumlich segmentierten Alltagswelten. Lotmans Theoriekonzept berücksichtigt, dass verschiedene Akteure

476 Eckhard Fuhr: Der große Kampf um die lesenden Landeier: http://www.welt.de/ kultur/article2325969/Der-grosse-Kampf-um-die-lesenden-Landeier.html (Zugriff: 04.07.2014). 477 Erntedank, S. 274-277. 478 Herzblut, S. 220. 479 Schutzpatron, S. 255-262. 480 Ebd., S. 271. 481 Foucault 2006, S. 320. 482 Lotman 2006, S. 542.

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solch verschiedenen Räumen angehören können – „[d]ann erweist sich ein und dieselbe Welt des Textes als für die jeweiligen Helden in verschiedener Weise aufgeteilt. Es entsteht sozusagen eine Polyphonie der Räume, ein Spiel mit den verschiedenen Arten ihrer Aufteilung“483. Im erzählten Raum bilden und erleben verschiedene fiktive Handelnde ihr je verschieden bedeutendes Allgäu. In Laienspiel kann sich der türkischstämmige BKA-Mann Faruk Yildrim bei Razzien im Tadschikischen Kulturvereinssitz „aus voller Kehle [mit] eine[m] türkisch oder arabisch klingenden Satz“484 Gehör verschaffen; sein Vater kam als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland.485 Kluftinger kooperiert mit Kollegen der österreichischen Gendarmerie, bekommt eine japanische Schwiegertochter und kommuniziert per Skype-Technologie mit deren Vater. Und auch mobile Dinge bringen offenbar starr justierte Raumgefüge ins Wanken: In Milchgeld wird der Allgäuer Käse illegal mit aus Russland importiertem Molkepulver gepanscht. Der humoristischen Überzeichnung und Niederschwelligkeit des Genres ungeachtet: Die Allgäu-Krimis repräsentieren medial globale Bewegung, interethnische und kosmopolitische Austauschprozesse. Unterhaltungsliteratur reagiert auf die Existenz von Migration, multikulturellen und heterogenen Gesellschaften und löst die Vorstellung von der umgrenzten Region Allgäu auf. Fragmentarisch bedienen Klüpfels und Kobrs Kriminalromane aber konservative Allgäu-Entwürfe. Dass der „Allgäuer Sturschädel“486 Kluftinger Bayern1-Stammhörer487, nicht technikaffin und mit neuen Medien wenig bewandert ist, „seine schwäbische Abstammung“ ihn „Glücksmomente“488 bei Geldersparnissen spüren lässt und ihm der alternative Lebensstil von „Öko-Weibern“489 suspekt ist, dass scheinbar „die Allgäuer Neuem gegenüber nicht immer allzu aufgeschlossen waren, zumal, wenn es nördlich von der Donau kam“490, und homosexuelle Befragte aussagen, dass es „noch immer Menschen gebe, die mit unserem Lebenswandel so ihre Probleme haben. Vor allem hier, im ländlich geprägten Raum“491, referiert auf Stereotypen vom unverfälschten bis hinterwäldlerischen Allgäuer. Allerdings werden solche Zuschreibungen in den Erzählungen

483 Lotman 1993, S. 328f. 484 Laienspiel, S. 158. 485 Ebd., S. 238. 486 Schutzpatron, S. 131. 487 Bayern 1 ist ein mitunter spießbürgerlich konnotierter Radiosender. 488 Milchgeld, S. 24. 489 Ebd., S. 57. 490 Laienspiel, S. 277. 491 Herzblut, S. 188.

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ironisiert, von Gegenentwürfen begleitet und sozialkritisch instrumentalisierbar gemacht. „Es gibt natürlich den Allgäuer nicht“492, sagt Volker Klüpfel. In den Büchern fände sich gerade die gesamte Bandbreite der dort Lebenden. Das Narrativ beruft sich auf essentialisierende Voreingenommenheiten, generalisiert aber nicht, sondern spielt mit Stereotypen. „Jeder Allgäuer ist von der Mentalität her ja auch anders“493, sagt Kluftinger. Und die fiktiven Akteure besuchen alternative Märkte und Diskotheken, Bordelle und Freilichtspiele. Die Krimis verhandeln kulturelles Transfergeschehen, über traditionsaffine Sozialgüter konstruierte Allgäuentwürfe überlagern sich mit anderen Sozialräumen. Kobr erklärt das über den Alltagsbegriff: „Klar gibt’s die Klischees von der Almhütte und vom Bilderbuchallgäu. Andererseits versuch’ mer halt au, tatsächlich den Alltag reinzubringen, wie’s halt in den Städten, die da sind, au isch.“494 Die Kluftinger-Romane lassen Region über dynamisches Diffundieren stattfinden. Das führt auch zur Darstellung von Raumkonflikten. Besonders in Laienspiel: Im vierten Band muss Kluftinger einen im Allgäu geplanten Terroranschlag islamistischen Hintergrunds abwenden. Autobomben explodieren, tadschikische Waffenhändler gilt es zu stellen. Die Story freilich ist überzeichnet, dient Spannungs- und Unterhaltungszwecken der Lektüre: Dennoch zeigt sie Präsenz und Reflexion alltagskultureller Konfusion in und durch Populärkultur. Interkulturalität, Risikowachstum und Katastrophen nennt Doris BachmannMedick die wesentlichen Faktoren für Raumturbulenzen der Postmoderne: Sie sprengten Raumhorizonte, „die der Verortung der europäischen Subjekte über lange Zeiträume hinweg begrenzte und für stabil gehaltene Bezugsrahmen und Orientierungspunkte geboten haben“495. Indem Literatur Räume des 21. Jahrhunderts darstellt, verdichtet sie auch Konfrontationen mit dem Anderen und Komplikationen und zerlegt das Überschaubare und Harmonische. Das gilt auch für die provinziellen Räume im populären Genre: „Als vor ein paar Monaten im Fünftausend-Seelen-Ort Hindelang im hintersten Oberallgäu fünfundsiebzig Jugendliche aufgeflogen waren, die regelmäßig Hasch, Marihuana und andere illegale Drogen konsumiert hatten, war ein Aufschrei durch die Bevölkerung gegangen. Dass es so etwas hier gebe, dass jetzt auch schon der ‚Schmutz der Großstädte‘ in

492 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 493 Laienspiel, S. 187. 494 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 495 Doris Bachmann-Medick: Fort-Schritte, Gedanken-Gänge, Ab-Stürze: Bewegungshorizonte und Subjektverortung in literarischen Beispielen. In: Hallet/Neumann 2009 (a), S. 257-279, hier S. 260.

136 | ALLGÄU RELOADED die ländliche Idylle schwappe, sei ungeheuerlich, war damals der Tenor. […] Nein, das Verbrechen gibt es hier wie anderswo, sagte Kluftinger immer, wenn man ihn auf Fortbildungen auf die vermeintlich heile Welt ansprach, aus der er doch komme.“496

Die Populärlektüre Allgäu-Krimi zielt auf den Geschmack eines breiten Publikums und seinen Kaufanreiz. Das Buchsegment will nicht Erklärstücke zur Gegenwart liefern. Aber indem sich der niederschwellige Lesestoff Region als potenziell turbulente Größe zum Gegenstand macht, handelt er deren Veränderbarkeit mit aus. Die fiktiven Personen erleben Wandel – gesellschaftlich bedingten, z.B. angesichts drohender Terroranschläge („Die Unschuld der Provinz, dieses beruhigende Gefühl, das uns die Heimat vermittelt, ist unwiederbringlich verloren.“497), kommunalen oder individuellen: „Hinter dem Küchenfenster begann eine Wiese, die noch unbebaut war, was in diesem Neubaugebiet aber nicht mehr lange so bleiben würde. Es schmerzte Kluftinger manchmal ein bisschen, wenn er in diese Siedlungen kam, die eigentlich nichts mehr mit seinem Heimatort zu tun hatten. Er kannte weder die Namen der Straßen noch die der Menschen, die in ihnen wohnten. Manchmal beschlich ihn das wehmütige Gefühl, dass sie ihm ‚sein‘ Altusried wegnahmen. Immerhin waren das einmal alles Wiesen gewesen, auf denen er als Kind mit seinen Freunden gespielt hatte.“498

Figurendarstellung geschieht in der Literatur über Zuordnungsprozesse, und das macht Veränderungen von Räumen der Gegenwart sichtbar. Kluftinger muss im Oberallgäu, wo „laut der letzten Volkszählung fast achtzig Prozent Katholiken“499 leben, den Suizid eines zum Islam konvertierten Studenten klären. Er arbeitet unter einem Vorgesetzten, der, als Sohn türkischer Zuwanderer muslimisch sozialisiert, sich das „schwarze Schaf der Familie“500 nennt, weil er sich zum Agnostizismus bekannte: Populärliteratur inszeniert individuelle und kollektive Irritationen postmoderner westlicher Industriegesellschaften, Brüche mit sozialräumlichen Routinen. Kobr: „Oft hat’s ja dann schon bissl’ was Tümelndes, dieser Regionaliserungstrend: Alles isch jetzt Allgäu, also alles heißt jetzt au Allgäu. Und man allgäuert in der Zeitung irgendwie

496 Laienspiel, S. 85. 497 Ebd., S. 359. 498 Erntedank, S. 42f. 499 Laienspiel, S. 237. 500 Ebd., S. 238.

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und dann irgendwie kulinarisch allgäuern und kulturell allgäuern und so weiter. Und des Allgäu hat natürlich au wirklich a paar so Touristenzentren. Da hat’s natürlich teilweise scho au a bissle was Abstoßendes eigentlich und manchmal fehlt’s vielleicht a bissle an einer größeren Weltoffenheit, die man sich manchmal a bissle wünscht. Aber andererseits macht des halt auch wieder den Charakter aus. Und ich glaub’, man muss sich an seiner Heimat auch a bissle reiben. Wenn des hier sozusagen Harmonie wäre, des wär au nix.“501

Die Kriminalromane betreiben nicht erzählte Bestandsschutzmaßnahmen, sondern beleuchten auch die mitunter pathologischen und spannungsreichen Aspekte von Region und der sie konstituierenden Gesellschaft. Das Allgäu der Kluftinger-Serie ist kein statischer und versiegelter Behälter, die Krimis sind eine Absage an das Konzept von Raum als Container und Kontinuum. Die Reihe skizziert Region in ihrer Durchlässigkeit und Multidimensionalität. Sie beschreibt nicht linear ein Allgäu, sondern fiktionalisiert verschiedene Vorstellungen davon. Sie stellt institutionalisierte Regionskonzepte neben subjektive Allgäu-Verwirklichungen Einzelner. Ihr Narrativ basiert nicht auf einer gegebenen Größe Region, sondern bereitet Raumkonstruktionsprozesse auf. Es entrollt die „ständige[...] Wechselwirkung zwischen Ländlichem und Urbanem, zwischen Traditionellem und Innovativem, zwischen Peripherem und Globalem [Hervorhebung: KL]“502 und damit das in aktuellen Fachbeiträgen beschiedene „Spezifische an der alpinen Situation“503. Das macht die Krimis zum Quellenmaterial mit Erkenntniswert auch einer kulturwissenschaftlichen (Vor-)Alpenforschung, die „heute […] Themenfelder wie Mobilität, Migration, Urbanisierung, Gentrifizierung, Globalisierung, Multilokalität, multiple Identitäten, soziale Dynamik und kulturelle Transformation“504 ins Zentrum ihres Interesses stellt. Das dynamische Regionskonzept der Krimis bedeutet aber auch: Die Provinz, das Ländliche hat hier mehr als nur drapierende Kulissen-Qualität. Region mit ihren Produzenten verschiedener Interessen ist nicht Hintergrund der Handlung. Die kulturell gemachte Region setzt die Handlung mit in Gang und wird so zum Hauptakteur. Also: Unterhaltungslektüre als fictions of space505? Der Anglizist Wolfgang Hallet definiert zeitgenössische Romane, die in diese Kategorie

501 Bergheimat. Kobr, Klüpfel, Kluftinger und ihr Allgäu. Eine Geschichte zwischen Alpin-Idyll, Heimatverbundenheit, Verbrechen, Bestseller-Ruhm und Lokalkolorit. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 06.01.2012. 502 Marius Risi: Einleitung. In: Ders. 2011 (a), S. 7-11, hier S. 10f. 503 Ebd., S. 10. 504 Ebd., S. 8. 505 Hallet 2009.

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fallen, eben über die handlungstreibende Dimension von Raum, die durch die maßgebliche Rolle von Raumpraktiken, Aushandlungen, Wahrnehmungsprozessen und Raumsignifikationen in der Erzählung veranlasst wird. Darüber hinaus entwerfe die Struktur solcher Erzählungen eine spatiale Topologie im Lotmanschen Sinne, indem sie Raumnutzungen, Bewegungen und Raumwahrnehmungen inszeniere.506 Die Allgäu-Krimis integrieren lokale Nachkriegsgeschichtsreferenzen und regionales Kulturerbe in die Handlung, zeigen Regionsbewusstsein und Bewegungsmuster an ihren fiktiven Figuren, geben Raumüberwerfungen wie islamistischem Terror plotaktivierenden Charakter – und sind also auch als fictions of space lesbar. 2.3.3.8 Reibung Im Souvenirladen in Füssen, in direkter Nähe der Königsschlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein, sieht Kluftinger kristallene Schwäne, Waren mit König-Ludwig-Konterfei und mit Miniaturversionen von Schloss Neuschwanstein befüllte Schneekugeln. „Je länger er auf die glänzenden Glaskugeln starrte, desto mehr kam ihm deren Inhalt ebenso leblos vor: das kitschige Schloss, die Allgäuer Hügellandschaft zur Postkartenidylle degradiert, konserviert und eingelegt. Hier wurde nicht Heimat verkauft, dachte er sich. Hier wurde die Heimat verkauft [Hervorhebung i.O.]. Kluftinger ging an einem langen Regal vorbei, in dem sich ‚Leuchthäuser‘ stapelten, die laut Zertifikat allesamt aus Rothenburg ob der Tauber stammten und romantische Fachwerkhäuschen in Franken darstellten. Hier, mitten im Allgäu, fanden sich neben dem Weißenburger Rathaus und der Nürnberger Burg auch der ‚Nachtwächterturm‘ aus Dinkelsbühl. Scheinbar musste man sich gar nicht mehr die Mühe machen, in die Orte selbst zu reisen – überall gab es mittlerweile denselben Quatsch.“507

Und in Rauhnacht führt ihn die Hotelchefin durch ein Oberstdorfer Berghotel: „‚Wir haben hier bewusst auf alpenländische Elemente gesetzt – das erwarten die Gäste. Aber unser Loungebereich ist dafür moderner. Auch wenn die Leute geteilter Meinung über unser ‚Gasfeuerchen‘ sind. Glauben Sie mir, hier abends bei einem guten Gläschen Wein oder Whiskey in den Klubsesseln zu sitzen, das hat schon was. Sie sehen, wir versuchen, ein Berghotel zu sein, aber wir haben nie den klassischen Lederhosenbarock mit gedrechselten und geschnitzten Elementen bedient. Klare Linien waren mir schon immer

506 Ebd., S. 107f. 507 Seegrund, S. 49.

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lieber.‘ Die Hotelchefin war in ihrem Redeeifer kaum mehr zu bremsen. ‚Das schlägt sich auch in unserer Speisekarte nieder. Wir haben im Stüberl und auch im großen Restaurant wechselnde Thementage wie unseren Berggeistschmaus oder unsere Südtiroler Brettljausn.‘ ‚Jausn?‘, echote Kluftinger, und als er seinen Worten nachhorchte, stellte er fest, dass sie kritischer klangen, als er es beabsichtigt hatte. ‚Ich weiß, was sie sagen wollen: Eine Jausn und ein Stüberl im Allgäu – das passt wie die Faust aufs Auge. Aber das ist unseren Gästen egal. Die würden sich allenfalls fragen, wieso es denn ‚Stüble‘ heißt und Alpe statt Alm. Hier haben wir uns der Mehrheit angepasst.‘ Erika legte die Stirn in Falten. ‚Aber das heißt doch, sie können einen Urlaub im Allgäu kaum von einem in Tirol, Oberbayern oder Südtirol unterscheiden.‘ ‚Streng genommen nicht‘, sagte Julia König. ‚Aber so ist es halt, da muss man an den Markt schon Zugeständnisse machen.‘ Kluftinger nickte. Priml, Hauptsache Berge. Wo die stehen, scheint inzwischen völlig egal zu sein.“508

Die Referenz auf touristisch designte Raumwelten ist im Regionalkrimi-Genre probater Kunstgriff. Die hier zitierten Stellen illustrieren aber nicht nur die Parallelexistenz verschiedener Allgäu-Konzepte – eben jenem der Fremdenverkehrsplaner und dem Kluftingers. Sie unterlaufen ersteres. Die kommerzorientierte und stereotyp-folkloristische Aufbereitung von Raum wird kulturkritisch bewertet. Das Narrativ distanziert sich von nur einer einzigen, spezifischen Sinngebung: jener, die „plakative Alpenromantik“509 aufruft. Gerade Allgäu-Krimis profitieren von wirkmächtigen, lange publik gemachten touristischen Folien. Doch die Literatur muss die Projektion einer aufgeputzten Sehnsuchtslandschaft nicht adaptieren. Stattdessen nutzt sie hier ihre Diskreditierungskompetenzen gegenüber populären Raumbildern, deren Vermarktung und Entstehung. Literatur „hinterfragt den modernen locus amoenus“510 des voralpinen Tourismus, der sich etwa im „bayerische[n] Zuckerbäckerschloss“511 festkrallt. Allgäu-Krimis können vertextlichte Allgäu-Souvenire sein, sie können solche aber auch bloßstellen. Die zwei zitierten Passagen verweisen auch auf Entortung und Austauschbarkeit postmoderner Destinationen. Hier die überregionale Verfügbarkeit vermeintlich typischer Gegenstände, dort das universalalpine Hotelinterieur: Das beschreibt angleichende Semantisierungsverfahren im Tourismus, die gerade fern jeglicher regionaler Spezifik stattfinden: eine „Touristizität ‚ohne

508 Rauhnacht, S. 44f. 509 Seegrund, S. 9. 510 Hackl 2004, S. 179. 511 Seegrund, S. 5.

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Raum‘“512. Der Soziologe Karlheinz Wöhler bezeichnet damit spätmoderne Methoden, Destinationen nach ubiquitären Mustern zu gestalten. Potenzielle Reiseräume werden demnach zunächst zur aufladbaren Leerstelle dekontextualisiert, dann thematisch befüllt, um sie als Waren konsumierbar zu machen. Diese Befüllung allerdings folgt globalen Trends statt lokalen Voraussetzungen. Erwerbbar werden so eher weltweit bzw. in der westlichen Welt zugkräftige Ereignispakete eines Extraordinären und weniger an konkrete Räume rückgebundene. In Rauhnacht opfert die beschriebene Ausstaffierung eines schematisierten Alpenländischen eine Allgäuer Spezifik. Dass sich Kluftinger dem verweigert, impliziert eine Missbilligung von „serielle[r] Replikation oder serielle[r] Monotonie touristischer Räume“513. Die Kluftinger-Krimis stellen nicht nur unterschiedliche Allgäu-Entwürfe vor, sie bewerten sie auch. Sie missbilligen semantische Konventionen und in anderen, hier: touristischen, Kontexten positiv konnotierte Modelle von Region. Die Populärliteratur nutzt ihr kritisches Potenzial. 2.3.4 Satire Die Kluftinger-Autoren haben nach eigener Aussage von Anfang an versucht, gegen das Label Heimatkrimi anzuschreiben und „nicht immer nur aufs Bayernklischee drauf[zu]hauen“514. An einer Definition des Genres über seine besondere Fokussierung von Raum liegt das allerdings nicht. Ihre Verweigerung rührt eher aus dem Regionalkrimi-Image der Klischeeversessenheit. „Fremdgehende Pfarrer, korrupte Bürgermeister und zwielichtige Bauspekulanten seien notwendige Ingredienzien eines Regionalkrimis – so stand es in einer großen deutschen Tageszeitung zu lesen. […] Es wirft für uns ein Problem auf: Obwohl wir immer wieder in die Schublade der Regionalkrimischreiber gesteckt werden, sind wir offenbar keine. Denn nichts von den oben genannten Dingen findet sich in unserem bescheidenen Œuvre. Nicht einmal ein Hirschgeweih oder eine karierte Tischdecke auf unseren Buchumschlägen.“515

512 Karlheinz Wöhler: Touristifizierung von Räumen. Kulturwissenschaftliche und soziologische Konstruktion von Räumen. Wiesbaden 2011, S. 158. 513 Ebd., S. 162. 514 Nadia Köhler: „Am besten passen wir ins Bestsellerregal“. In: Stuttgarter Zeitung, 19.06.2012. 515 Volker Klüpfel/Michael Kobr: Zwei Einzelzimmer, bitte! Mit Kluftinger durch Deutschland. München 2011, S. 200.

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In Zwei Einzelzimmer, bitte! (2011) berichten Klüpfel/Kobr von ihren Reise- und Lesetourerlebnissen. Darin veröffentlichen sie mit Alpenglühen auf der Grasnarbe. Ein Berg-, Heimat-, Provinz-, Kuh- und Wald- und Wiesenkrimi516 auch eine Kurzgeschichte, die ganz ihrem – verschmähten – Verständnis von Regionalkrimi nachkommt. Sie erzählt das andere Allgäu: „Es war einer dieser wunderschönen, idyllischen Tage, wie es sie in dieser Vollkommenheit nur im Allgäu gibt: Sattgrüne Grashalme wiegten sich auf den Wiesen im sanften Wind, ein weißblauer Himmel spannte sich über diesen sattgrünen Wiesen, und leises Geläute der Kuhglocken schallte von weiter entfernten sattgrünen Wiesen herüber. Das Allgäu präsentierte sich wie ein Postkartenmotiv, was aber nicht verwunderlich war, denn es war hier immer schön, regnete nie, das war vor vielen Jahren in einer AlpenromanidylleVerordnung so festgelegt worden. Dankbar, in einer so wunderschönen Idylle leben zu müssen, machte sich der Sichelgruber Xaver vergnügt pfeifend auf den Weg, um seine sattgrünen Wiesen zu düngen.“517

In seinem „Bschüttfass“518 entdeckt jener Xaver die Leiche vom Unterleitner Sepp, dessen Brustkorb „von einer Mistgabel durchbohrt worden [war], in seinen Hals schnitten sich die darumgewickelten ledernen Hosenträger seiner krachledernen Lederhose und aus seinem Rektum schaute die Spitze eines Alphorns hervor“519. Kommissar Kaltengruber Konrad, Lokaljournalistin, Dorfpfarrer, Baulöwe, Bürgermeister und Bauern mühen sich um die Aufklärung. Preziös arbeitet der Kurzkrimi ein ikonisches Allgäuer Güterrepertoire ab und karikiert das Gattungsverständnis von Klüpfel und Kobr. Nicht alle anderen Allgäu-Krimis taugen, wie erläutert, als Bezugsmoment dieser Satire. Und teils persiflieren Klüpfel und Kobr statt nur der geläufigen und häufig feuilletonistisch formulierten Zuschreibung an das Genre mit Alpenglühen auf der Grasnarbe genau so die eigenen Kriminalromane. Auch in den Kluftinger-Bänden tauchen, wie beschrieben, wenn auch in äußerst loser Folge, Fragmente eines wirkmächtigen, voralpenländischen Symbolsortiments auf: Dorfschultheiße mit übertriebener Trachtenvorliebe, Kuhglocken. Allein das Verfassen einer Parodie unterstreicht aber die Konkurrenz unterschiedlicher Allgäu-Narrative. Region wird intertextuell verhandelt. Mit Alpen-

516 Volker Klüpfel/Michael Kobr: Alpenglühen auf der Grasnarbe. Ein Berg-, Heimat-, Provinz-, Kuh- und Wald- und Wiesenkrimi. In: Dies. 2011 (a), S. 203-211. 517 Ebd., S. 203. 518 Ebd. 519 Ebd., S. 204.

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glühen distanzieren sich Klüpfel und Kobr von einem ausschließlich über folkloristische Komponenten konstruierten, containergleichen Allgäu-Bild. Die Persiflage ist Korrektiv einer essentialistischen Regionsidee. 2.3.5 Wissensspeicher Die Frauenärztin Michaela Heiligenfeld nahm unerlaubte Abtreibungen vor und wurde angeklagt. Der damalige Staatsanwalt hielt das vom Richter festgelegte Strafmaß für zu gering, Jahre später stellt er sich über das Rechtssystem und lässt sie umbringen. Dieses Tatmotiv zu rekonstruieren ist Aufgabe Kluftingers in Erntedank. Damit schöpft die Krimi-Fiktion aus dem Kontingent an Wirklichkeit vor Ort. Sie inkorporiert ein Ereignis aus der jüngeren regionalen Vergangenheit: den sogenannten Memminger Prozess. Von 1988 bis 1989 musste sich der Gynäkologe Horst Theissen vor dem Landgericht der Unterallgäuer Stadt wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche verantworten. Zunächst wurde er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, eine spätere Revisionsverhandlung sah eine Aussetzung zur Bewährung vor und von einem Berufsverbot ab. Mit dem Verfahren rückte die Memminger Justiz in den Fokus bundesweiten Interesses. Abtreibungsgegner und sich mit Theissen Solidarisierende empörten sich lautstark, der Angeklagte erhielt Morddrohungen, die Namen sämtlicher seiner Patientinnen gelangten an die Öffentlichkeit,520 ihre Bloßstellung wurde medial als „Hexenjagd“ und der Prozess als „Kreuzzug“521 angeprangert. Nach dem gleichen Schema verfährt Seegrund. Auch diese Mordgeschichte speisen Tatsachen: einerseits die biologische Anomalie des Füssener Alatsees, sein Vorkommen an purpurfarbenen Schwefelbakterien. Und andererseits vor allem die Historizität des Gewässers: Während des Zweiten Weltkriegs und danach war das Areal militärisches Sperrgebiet, weil die Nationalsozialisten dort Waffenversuche durchführten. Und ihre Kriegsbeutekunst versteckten sie auch im Allgäu. Die Fiktion setzt an diesen geschichtswissenschaftlichen Fixpunkten an und schreibt ihre Geschichte darauf gründend fort: Die lässt den Kommissar das „Projekt Seegrund“ dechiffrieren, „eine jahrzehntelang offen gebliebene

520 Manuela Mayr: Vor 25 Jahren: Abtreibungsprozess in Memmingen: Frauen am Pranger: http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Abtreibungsprozess-in-Mem mingen-Frauen-am-Pranger-id26881786.html (Zugriff: 15.07.2014). 521 Gisela Friedrichsen: „Kein Horrorszenario wie in Memmingen“. In: Der Spiegel 3/1994, S. 52-55, hier S. 55: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/ 13683373 (Zugriff: 15.07.2014).

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Frage“522 nach einer legendären Geheimwaffe der Nationalsozialisten beantworten und den Rothschildschatz, Teil der nach dem Krieg nicht wieder aufgetauchten geraubten Wertstücke, partiell aus dem Alatsee bergen. Ein derart Fakten oder fingierte Fakten arrangierendes Narrativ impliziert für Achim Saupe die Suggestion von Echtheit. Saupe zeigt anhand von Geschichtskrimis, die etwa Nationalsozialismus und RAF-Terrorismus thematisieren, dass „die Montage von Realitätsreferenzen in die Fiktion, die für ‚Wirklichkeit‘ bürgen, […] den Eindruck authentischer, d.h. ‚faktennah‘ rekonstruierter Vergangenheitsbilder hervorzurufen [vermag]“523. Gerade das Fortschreiben historischer Leerstellen bedingt für ihn die Anziehungskraft solcher Lektüren: „Ihr Reiz liegt in der Wahrscheinlichkeit der Erzählung, in der Anschlussfähigkeit an historisches, immer lückenhaftes und gerade deshalb der Fiktion gegenüber offenem historischem Wissen.“524 Dagegen wertet Wolfgang Struck den künstlerischen Einsatz historischer Dokumente als „prekär“525. Sie dienten kaum dazu, die Fiktion zu authentifizieren; eher kontaminiere die Fiktion die Dokumente und füge sie in einen artifiziellen Fluss. Der Literaturwissenschaftler beanstandet das am Beispiel von zeitgenössischen Fernsehkrimis, die sich echte Filmsequenzen aus der NS-Zeit einverleiben. So eine Anreicherung fiktionaler Modelle durch historische Dokumente scheint ihm deshalb problematisch, weil sich den echten Bildern zugunsten einer kohärenten Fiktion „jede Aussage abzwingen lässt“526. Sie selbst werden demnach genauso wie die reale Topografie des Schauplatzes im Sinne des artifiziellen Narrativs instrumentalisiert. Bezüglich der Kluftinger-Romane sind Strucks und Saupes These von gleicher Relevanz. Dass ihr Allgäu-Narrativ mit historischen Partikeln angereichert ist, macht sie zum Brennglas regionaler Retrospektiven. Ihre Adaption realer, raumspezifischer Vergangenheit wirkt einer potenziellen Austauschbarkeit des Schauplatzes entgegen. Sie unterstreicht die archivarische Qualität von Regionalkrimis. Das zeigt die doppelte mnemotechnische Wirksamkeit von Literatur:

522 Seegrund, S. 274. 523 Achim Saupe: Effekte des Authentischen im Geschichtskrimi. In: Eva Ulrike Pirker u.a. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen. Bielefeld 2010, S. 173-193, hier S. 175. 524 Ebd. 525 Wolfgang Struck: Vom Aufheben alter Bilder. Wenn die Geschichte dem Fernsehen zum Tatort wird. In: Anna Häusler/Jan Henschen (Hg.): Topos Tatort. Fiktionen des Realen. Bielefeld 2011, S. 169-185, hier S. 184. 526 Ebd., S. 181.

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Sie beteiligt sich nicht nur an der semantischen Aushandlung extratextueller Gedächtnisorte, sondern fungiert selbst als Erinnerungsraum.527 Die betrachteten Allgäu-Krimis speichern Vergangenheit, ohne sie zu plastinieren: Mit ihrer Überführung in literarische Imagination wird sie in neue Sinnzusammenhänge gesetzt. Diese Darstellungsfreiheit von Literatur ist auch als Zuspitzung des konstruktivistischen Charakters von Geschichte und deren Eigenschaft als stets aus gegenwärtiger Perspektive (neu) Gedeutetes zu begreifen. Die von Struck beklagte Instrumentalisierung von Wirklichkeitsdokumenten und Topografien ist dabei Indiz für die stete semantische Pluralisierung von Raumnarrativen. Das Gedächtnismedium Literatur demonstriert auch die Modifizierbarkeit seiner Gegenstände. Damit speichern Regionalkrimis nicht nur Regionalgeschichte, sie vervielfachen jene in Raumgeschichten. „Mir suchen uns so Schlaglichter. Des spielt im Allgäu, des darf mer ja au merken“528, begründet Klüpfel die Aufnahme regiohistorischer Referenzen. Die Romane integrieren nicht nur Vergangenheit, sondern stützen sich auf geografische Wirklichkeiten. Sowohl in der literarischen Fiktion als auch in der alltagsweltlichen Realität liegen etwa das Kemptener Kommissariat, Multiplexkino, Haus der Milchwirtschaft und Bordell in direkter Nachbarschaft. Das ergänzt den Unterhaltungswert der Erzählungen um Glaubhaftigkeit: „Durch den Verweis auf kontingente Wirklichkeitsdetails im Roman wird eine direkte Verbindung zwischen dem Signifikanten, also dem aufgerufenen Realitätsdetail, und der Wirklichkeit als scheinbar objektiv erfahrbarem Referenzgegenstand suggeriert – ein Verfahren der Authentizitätssuggestion, die im Reisebericht durch die Konvention der Augenzeugenschaft zusätzliche Gültigkeit hat.“529

In Milchgeld wird ein Lebensmitteldesigner des Milchwerks zum Mordopfer. Das integriert ein Verhandeln ökonomischer und sozialer Bedingungen im Allgäu in die Narration. Die Protagonisten in der Milchwirtschaft diskutieren die Notwendigkeit neuer Light-Produkte und Herstellungsverfahren, ein Käser beklagt die nicht mehr gegebene Rentabilität des autonomen Wirtschaftens in kleineren Betrieben ohne Anschluss an große Ketten („Bei 500 Kilo Käse am Tag, die wir produzieren, müssten wir ja 24 Stunden im Laden stehen, um den auch an den Mann zu bringen“530), die Ansprüche der fiktiven Molkerei, Discounter

527 Vgl. Rupp 2009. 528 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 529 Neumann 2009, S. 123. 530 Milchgeld, S. 120.

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als Kunden zu gewinnen und zum Global Player zu mutieren, wird geschildert, fiktive Bauern monieren sinkende Milchpreise und der Juniorchef des Milchwerks priorisiert marktwirtschaftliches Denken – statt wie der Senior „romantische Ansichten“531 – im Verhältnis zu den seiner Ansicht nach subventionsverwöhnten Landwirten: Das öffnet Milchgeld für eine Interpretation als „bei allem Lokal-Klamauk […] ernst zu nehmende Auseinandersetzung mit der Zukunftsfähigkeit landwirtschaftlicher Strukturen und der Frage, welche Qualität (und welchen Preis) Lebensmittel haben sollen“532. Eine solche Lesart setzt für die Narrationsentwicklung Kenntnisse über die für das Allgäu als „Käseküche Deutschlands“533 prägende Wirtschaftsbranche voraus. An anderer Stelle passiert Kluftinger in der Kemptener Residenz in der Vorhalle eine Malerei: „Grinsend warf [Kluftinger] einen Blick auf die umstrittenste Figur im Gemälde: Die ‚Papsthure‘ mit entblößtem Oberkörper, die auf einer Sau ritt. Allzu fromme Bürger hatten die Farbe von den Brüsten abgekratzt – ein Ausdruck höchster Beschränktheit, wie Kluftinger fand. […] Bisweilen trieb hier allzu große Angst vor Neuem und Unbekanntem noch immer seltsame Blüten.“534

Die Romane vermitteln Informationen, die an spezifische Räume und Orte gekoppelt sind. Was die Bücher an Namen, Locations und Vorlagen nutzten, sei alles „hier in der Gegend verankert“ und „aus der unmittelbaren Umgebung rausgezogen“535, erklärt Simone Zehnpfennig, Führerin der Unterallgäuer Gästebegleiter, während einer Kluftinger-Tour den Teilnehmern. Für Germanist und Bibliothekar Jürgen Thaler ist, ausgehend von der Verschriftlichung des Sagengutes, „regionale Literatur […] zuerst Sprachspeicher des Eigenen“536; später sind, um Literaturgeschichte sinnvoll nachzuzeichnen, „Texte einer Region als Medium zu lesen, in denen sich so etwas wie spezifische regionale Erfahrungen ablesen lassen“537 – Thaler schlägt dies zur methodischen 531 Ebd., S. 228. 532 Stefan Fischer 2013, S. 89. 533 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013. 534 Erntedank, S. 260. 535 Simone Zehnpfennig. Mitschnitt während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 536 Thaler 2010, S. 267. 537 Ebd., S. 275.

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Ordnung von Literatur in und aus einer Region vor. Der Aspekt der Spezifik gewinnt auch für die Darstellung von Region an Bedeutung. Die KluftingerKrimis vertextlichen Redeweisen, Konventionen, Ereignisse oder Konflikte, deren Provenienz aus bestimmten Regionenkonstrukten des Allgäus rührt. Sie extrahieren Komponenten ihrer erzählten Räume aus den soziokulturellen Produktionen der lebensweltlichen. Das erlaubt, sie als in der Gegend verankert zu betrachten. Populärliteratur solcher Art ist Materialsammlung. Sie erzählt nicht Wahrheit, zeugt aber von wirklichen Raumaushandlungen. Der Journalist Stefan Fischer betreut für die Süddeutsche Zeitung die Reihe Es geschah in. Anhand von Kriminalromanen stellt sie Regionen und Städte vor, in denen diese spielen. Fischers Ansicht nach funktioniere das insofern gut, weil die Autoren in der Regel sehr gut reflektierten, was in einer Stadt oder Region passiere, und was dort die Atmosphäre ausmache. Außerdem könne man bei der Lektüre neben der Krimihandlung auch etwas über die Mentalität eines Ortes erfahren.538 Eine solche journalistische Zweitverwertung von Kriminalromanen (und in der Folge die Zuschreibung von Atmosphären und Mentalitäten) baut gerade auf eine im ursprünglichen Narrativ erzählte Spezifik von Raum. Dieses Angebot qualifiziert Allgäu-Krimis zum Speichermedium: nicht eines objektivierbaren regionalen Wissens, sondern multipler alltäglicher, kultureller, historischer Wissensbestände einer Region, ihrer Herstellung und Erweiterung. 2.3.6 Faktor Mord Aus Rezipientensicht scheint die Klassifikation Krimi für die KluftingerRomane für Lesevergnügen und Kaufentscheidung nebensächlich oder unzutreffend: wegen des scheinbar genreunüblichen Amüsements während der Lektüre („Wo ich den Krimi gelesen hab’, hat mein Mann g’sagt: ‚Ich denk’, du liest’n Krimi, du lachst ja dauernd!‘“539) und weil nicht der Fall, „sondern so des Drumherum“540 im Vordergrund stehe. Die Füssener Krimiführerin Erih Gößler weiß von vielen ihrer Teilnehmer: „Für’n Krimi finden se’s nicht spannend genug.“541 Im Vergleich zu „Hardcore-Krimis“542 schätzten Kluftinger-Leser eher den Witz und die Beschreibung der Charaktere.

538 Interview mit Kultur- und Reisejournalist Stefan Fischer am 11.10.2013. 539 Erih Gößler, Mitschnitt während der Krimiführung „Seegrund“ am 14.06.2013. 540 Ethnografisches Interview mit der Bibliothekarin Gitte Hermann (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 541 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 542 Ebd.

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Auch das Feuilleton attestiert eine Hegemonie des Spaßfaktors vor dem Nervenkitzel, denn „wer am Ende der Täter ist, spielt in den Kluftinger-Romanen ohnehin keine so große Rolle“543. Literaturkritiker sortieren Klüpfel und Kobr mitunter statt ins Regionalkrimiregal zu den „Comedy-Krimis“544, und in der Buchbranchenreklame wird ihre neueste Veröffentlichung als „Krimischmankerl [Hervorhebung: KL]“ verniedlicht und als „Mordsgaudi“545 angepriesen. Allerdings mitverantwortet die kriminalistische Handlungsbasis der Kluftinger-Romane gerade ihre regionserschließende Qualität. Entsprechend einer Denkfigur vom fiktiven Detektiv als „ethnographisch konzipierte[m] Beobachter“546 sammelt Kluftinger im Rahmen seiner Aufklärungsarbeit empirisches Datenmaterial, sucht, befragt, deutet und ist um eine möglichst dichte Beschreibung der in einem Verbrechen kulminierenden sozialen Handlungsräume innerhalb ‚einer‘ Region bemüht. Kriminologische Enthüllungsstrategien reportieren ihren konstruktivistischen Charakter. „Der Tatort ist die räumliche Eingrenzung eines Verdachts“ und „sui generis eine Projektionsfläche für Spekulationen und Imaginationen“547: Für die Ermittelnden gilt es, ein semiotisches Netzwerk aus Spuren, Zeichen, Akteuren und ihren Praktiken um die topografisch fixierte Fläche zu rekonstruieren und deren Bedeutung festzulegen. Tatorte initiieren so räumliche Syntheseprozesse, weil um sie Geschichten geschrieben werden müssen. Fahndungsarbeit beinhaltet raumkonstituierende Akte. Am Beispiel von Schillers Fragment gebliebenem Drama Die Polizey stellt Stephan Gregory die raumepistemologische Monopolstellung des genannten Berufsstands dar. Nach Gregory kristallisiert besagtes Kriminalschauspiel das besondere Rechercheprivileg der staatlichen Institution heraus: Wie kein anderer Apparat ist sie befähigt, das hier städtische Gefüge zu durchdringen, raumspezifisches Wissen zu generieren und zu ordnen. „Sie bildet also eine Art synthetische Vernunft, die die zahllosen in der Stadt gesammelten Erkenntnisse zusammenführt und auf diese Weise schließlich Paris ‚in seiner Allheit erscheinen‘ lässt.“548

543 Helmut Pusch: Der Täter ist nicht so wichtig. In: Südwest Presse, 25.02.2013. 544 Helmut Pusch: Zum Totlachen. In: Südwest Presse, 21.02.2012. 545 Tobias Dannheimer GmbH (Hg.): Mordsgaudi mit kauzigem Ermittler. In: Dannheimer. Das Magazin (2013) H. 1, S. 2-3, hier S. 3. 546 Saupe 2010, S. 179. 547 Anna Häusler/Jan Henschen: Fiktionen des Realen. Zur Konstruktion des Tatorts. In: Dies. 2011 (a), S. 7-10, hier S. 7f. 548 Stephan Gregory: Erkenntnis und Verbrechen. Schillers Pariser Ermittlungen. In: Häusler/Henschen 2011 (a), S. 45-73, hier S. 50.

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So autorisiert zur Rauminventur und zur Befugnis, Freigelegtes enzyklopädisch zusammenzufügen, ist Klüpfels und Kobrs Kluftinger genauso wie Schillers Pariser Polizei. Literarische Kommissare bewegen sich zu Dechiffrierungsund Synthesezwecken im Lotmanschen Grenzgängermodus durch Räume. Die fiktiven in ein Verbrechen Involvierten erzeugen ihre je eigenen sozialen Geflechte, von denen die Tatorte nur Teilmengen sind: mafiöse Strukturen, polizeiliche Verwaltungseinheiten, alltägliche Lebenswelten von Verdächtigen und Opfern. Die Romane schildern deren Stattfinden an den gleichen fiktiven Territorien, denen auch weitere Semantiken eingeschrieben sind: am Tourismusmagnet Neuschwanstein, an Allgäuer Bauernhöfen, in Käsereien. (Regionale) Kriminalgeschichten bilden die Existenz verschiedener Räume an einem Ort und damit die Kontextbedingtheit von Region ab. Das obligatorische Verbrechen prädestiniert zur Narration eines dynamisch-heterogenen Raummodells. Der Einfall des Fremden und Tötenden malträtiert vereinheitlichende Postulate vom Allgäu als überhöhte Ideallandschaft. Regionalkrimis kreuzen das monologisch positive Pittoreske, das andere Produkte der Populärkultur wie Heimatfilme oder Volksmusikevents propagieren. Deshalb können sie die Fragilität ländlicher Gesellschaften darstellen. Tote Lebensmitteldesigner oder massakrierte Klinikumsärzte entpuppen sich dann als MacGuffins im Sinne Alfred Hitchcocks: Handlungsauslöser, die im Erzählungsverlauf zugunsten der Entfaltung eines z.B. beschädigten Allgäugefüges an Bedeutung einbüßen. 2.3.7 Profit schlagen Die Kluftinger-Romane erringen regelmäßig Spitzenpositionen in den Bestsellerlisten. Das hängt entscheidend vom dominanten vorfixierten Raumdesign ihrer Handlungsorte ab: Das Allgäu verfügt über Markenqualität und Popularität wie kaum eine andere im Regionalkrimi-Genre aufgerufene Gegend. Mit jährlich mehr als 17 Millionen Übernachtungen und 3,5 Millionen Gästeankünften zählt das Allgäu zu den Top-Urlaubsregionen Deutschlands und gilt als die bundesweit größte zusammenhängende Tourismusdestination.549 Für 93 Prozent der Deutschen ist das Allgäu ein Begriff, mit dem sie bestimmte Vorstellungen verbinden: 42,1 Prozent assoziieren ihn mit Bergen, 23,4 Prozent mit Ferien, 17,7 Prozent mit Käse, 16,9 Prozent mit Kühen, 11,9 Prozent mit schöner

549 Allgäu GmbH: Destinationsentwicklung und Tourismusstrategie als Vorzeigemodell im Deutschlandtourismus: http://www.allgaeu-tourismusprofis.de/ (Zugriff: 17.07.2014).

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Landschaft und 10,6 Prozent mit Wiesen.550 70,5 Prozent bezeichnen das Urlaubsziel als intakt, 73,7 Prozent als sympathisch, 70,7 Prozent als attraktiv – und 46,45 Prozent der Deutschen betrachten das Allgäu als traditionsverbunden, weltoffen erscheint es 48,9 Prozent.551 Aus diesem Imageprofil schöpfen die Kluftinger-Krimis. Der hohe Bekanntheitsgrad und die positive Konnotation des Allgäus gründet in der Vorleistung der Fremdenverkehrsindustrie. Sie schuf und schafft wirkmächtige Bilder. Als die Krimi-Serie ab Beginn der 2000er Jahre erschien, war dem Territorium zwischen Lech und Lindau das touristische Pfund einer Ideallandschaft bereits eingeschrieben. Ein Bild von Region mit hohem Marktwert, auf das es sich zu beziehen lohnte, stand parat. Das Allgäu hatte in seiner Kommodifizierung längst reüssiert, die Lockparole von der „Landschaft, die sich konsumieren läßt, auf die sich Sehnsüchte nach heiler Welt, gesunder Natur und einer geordneten Gesellschaft trefflich projizieren und in der sich diese Wunschbilder inszenieren lassen“552, eine breite Anhängerschaft gefunden. Der Erfolg des Destinationsentwurfs Allgäu basiert auch auf dem physiognomisch Vorfindlichen. Martina Löw argumentiert, dass „Räume nur aus dem geschaffen werden können, was zur Synthese oder zum Spacing bereitsteht oder herbeigeschafft wird. Hierzu zählt auch alles, was die Natur vorgibt. Wo kein Fluß ist, kann dieser auch nicht in die Konstitution von Raum einbezogen werden. Die Möglichkeiten, Räume zu konstituieren, sind demnach immer auch von den in einer Handlungssituation vorgefundenen symbolischen und materiellen Faktoren [Hervorhebung i.O.] abhängig.“553

Nur wo Berge und Wiesen sind, können sie als Elemente ästhetisierender Landschaftskompositionen in Wert gesetzt werden. Das ist mitzubedenken, wenn Allgäu-Krimis bezüglich ihrer Kommensurabilität mit Mordgeschichten aus Schwarzwald oder Ruhrgebiet abgeglichen werden. Im Allgäu eigneten sich die materiellen Gegebenheiten, um sie zum landschaftlichen Faszinosum zu stilisie-

550 Alfred Bauer: Das Allgäu-Image. Studie zum Fremdimage des Allgäus bei der deutschen Bevölkerung. Kempten 1999, S. 8f.: http://www.hochschule-kempten.de/ fileadmin/fh-kempten/BSTW/profs/bauer_alfred/allgaeu-image1999.pdf

(Zugriff:

17.07.2014). 551 Ebd., S. 23-25. 552 Angelika Schneiderat: Wie sich das Allgäu in Szene setzt. Gedanken zur Volkskultur im Zeitalter des Tourismus. In: Kettemann 2000, S. 427-433, hier S. 427. 553 Löw 2001, S. 191.

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ren. Die Tourismusindustrie propagierte Alpenrand und Alpenvorland zum bereisbaren Universum des Vollkommenen. Sie aktivierte die mediale Präsenz der Region Allgäu und ihre Wahrnehmung durch die Vielen. Die Verlagsbranche machte sich das bekannte Produkt Allgäu zunutze, indem sie ihre eigenen Güter damit labelte. Auf derart ertragreiche Fundamente können sich an anderen Schauplätzen verortete Mitbewerber des Segments Regionalkrimi, denen es am Marketing-Motor Tourismus als Popularisierungsagentur von Bildwelten mangelt, nicht stützen. Dagegen kann andernorts die Leerstelle eines zugkräftigen Images auch umgekehrte mediale Transformationsstrategien anstoßen: Regionalinitiativen in der struktur- und wirtschaftsschwachen Lausitz mobilisierten den sorbischen Sagenstoff um die Figur Krabat und seine 1971 erstmals erschienene Fiktionalisierung Otfried Preußlers, um der Region den Anstrich des Besonderen zu geben und etwa durch entsprechend thematisierte Radwege für den Fremdenverkehr zu erschließen.554 Für das Allgäu gilt: Der beliebte touristische Bedeutungskomplex ist lukrative Folie für eine Fiktionalisierung der Region. Simone Zehnpfennig, Pressechefin des Tourismusdachverbands Allgäu GmbH, beschreibt die Synergieeffekte: „Das Allgäu als Zugpferd macht natürlich scho viel aus. […] Des is’ auf jeden Fall auch ein Verkaufsargument für die beiden Autoren. Allgäu hat einen Namen. Mit Allgäu kommen die Bilder in den Kopf mit Bergen, mit Kühen, mit heiler Welt. Des is’ so. Und des is’ zurückzuführen auf die Tourismus-Werbung. Davon profitieren die natürlich sehr.“555

Klüpfel sieht sich als Allgäu-Krimi-Autor über einen „Sympathie-Bonus“556 verfügen. Für die Namhaftigkeit des Settings und die gesellschaftlich gut eingeübten Assoziationen mit dem Allgäu-Begriff gibt es einen Indikator. Klüpfel und Kobr zelebrieren das während ihrer Lesungen mit einer interaktiven Performance. Auf der LitComedy-Tour 2013 baten sie stets die Anwesenden im Saal, das Allgäu nach ihren Vorstellung akustisch zu imitieren. Ergebnis: „In jeder Show kommt ‚Muh!‘. Alle, das ganze Publikum macht ‚Muh!‘“557 554 Vgl. Hose 2008. 555 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013. 556 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 557 Ebd. Beim Besuch der Kluftinger-Show in der Aalener Stadthalle am 27.09.2013 durch die Verfasserin bestätigt sich dieser Bericht: Nach der Aufforderung der Bühnenakteure antwortet der ganze Saal einstimmig mit Kuh-Lauten – ohne entsprechende vorherige Instruktion.

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Petra Eisenmann vom Altusrieder Kulturamt beschreibt den Erfolgsgrund der Allgäu-Krimis so: „Vielleicht liegt’s wirklich dran, dass des Allgäu schön is’. Und dass d’Leut, wo se Urlaub machen, dann einfach Bücher drüber lesen.“558 Und Monika Echtermeyer, Professorin für Tourismuswirtschaft und Geschäftsführerin eines Oberstdorfer E-Bike-Verleihs mit Kluftinger-Touren im Angebot: „Es kann sein, dass das irgendeine Welt vermittelt, die Allgäuer Welt, die sie [die Urlauber, KL] selbst eben zuhause in ihren Städten, aus denen sie kommen, nicht haben. So was Uriges, Mystisches. In einer Umgebung, die sie auch nicht haben. Ich glaube einfach, dass das der Reiz der Sache ist. Weil diese ganzen Kriminalfolgen im Fernsehen wie Derrick oder so, die ja ganz bekannt sind und auch sehr beliebt sind, die spielen ja alle in den Städten, meistens. Und diese Allgäu-Krimis sind mal was Neues, was anderes. Die spielen halt eben nicht in den Städten, sondern hier in diesen urigen Landschaften des Allgäus. Und oft ist das gepaart mit der Tatsache, dass die Leute sowieso ganz gerne hierher kommen, um hier Urlaub zu machen. Und dann kennen die auch noch die Allgäu-Krimis, dann kommen zwei Faktoren zusammen, und deshalb finden die das ganz klasse.“559

Zwei Branchen arbeiten einander zu. Der Fremdenverkehr hat das Allgäu mit einem Imaginationspool ausstaffiert und attraktiv gemacht – für Urlauber und Leser. Lisa Gschwender hat am Beispiel von Allgäuer Bergkäse aus ökotrophologischer Perspektive gemeinsame Wertschöpfungsmöglichkeiten von Nahrungsund Tourismusbranche untersucht: „Das Produkt Allgäuer Bergkäse profitiert in hohem Maße von seinem Image. Viele Kunden verknüpfen gedanklich das Lebensmittel mit der Urlaubsregion Allgäu – aus persönlichen Erfahrungen heraus oder anhand eines Bildes, das sich aufgrund verschiedener, z.B. medialer, Informationen gebildet hat. Sowohl das Lebensmittel als auch die Feriendestination tragen den Namen Allgäu bzw. den Zusatz Allgäuer [Hervorhebung i.O.] und bilden und nutzen das Image gleichermaßen.“560

558 Interview mit Petra Eisenmann, Gästeinformation und Kulturamt Altusried, am 23.08.2013. 559 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013. 560 Lisa Gschwender: Synergien im Lebensmittel- und Tourismusmarketing am Beispiel Allgäuer Bergkäse. Bachelorarbeit. Hamburg 2011, S.1: http://edoc.sub.unihamburg.de/haw/volltexte/2011/1432/pdf/LS.OeT.BA.AB11.64.pdf (Zugriff: 18.07. 2014).

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Laut Gschwender findet zwischen touristischer Allgäu-Dachmarke und gelabelter Kost ein positiver Transfer des Images der Ursprünglichkeit statt. Entsprechendes gilt anhand der Kluftinger-Krimis auch für die Bereiche Tourismus und Buchbranche. Dieser Transfer bestätigt ein Netzwerk aus Verwandtschaften und Ähnlichkeiten, in dem sich verschiedene Populärkulturphänomene – hier: Literatur und Tourismus – bewegen.561 Klöster und Bier, „Kult und Lederhose, Schmalz und Schlager“ bilden ein reichhaltiges Repertoire der „Spezialitäten aus Bayern“ und jener „krachledernen Frömmelei“562, die im Massengeschmack nachhaltig verankert und gleichzeitig Gegenstand kulturkritischen Monierens ist. Die Kluftinger-Romane zitieren solche Vehikel zur stilisierten Idealraumcollage (Lederhose, Schlager) aus Tourismusreklame und Popkultur. Das sichert ihnen einen Vertrauensvorschuss. „Im ortlos gewordenen globalen Tourismus haben alpenkodierte Produkte einen guten Marktwert, und selbst in einem Alpenmilch-Joghurt lebt der Mythos des Hochgebirges als unbefleckter Naturraum weiter, wird den Alpen eine Innozenz zugeschrieben, die sie nie besaßen.“563 Nicht nur im Joghurt lebt dieser Mythos weiter, auch im Oberstdorfer Berghotel aus Rauhnacht oder in Kluftingers kontinuierlichem Kässpatzen-Genuss. Obwohl die Krimi-Narrative Heimatkitsch und Raummythen dann auch dekonstruieren: Jenen guten Marktwert von Lektüren, die ihren Protagonisten und Lesern Panoramen auf majestätische Gebirgszüge eröffnen, tangiert das wenig. Die Kluftinger-Romane spielen großteils nicht im Hochgebirge, sondern etwa in morbiden, charmelosen Randbezirken Kemptens. Für ihre Positionierung am popkulturellen Marktplatz genügt aber auch ihr nur partielles Aufrufen „der guteingeführten Erzählung von Alpen als Refugium für Natur und Ehrlichkeit“564. Sei es durch Berggipfel auf dem Cover, sei es durch eine Nebenfigur wie Max Greiter, ein gebürtiger Oberstdorfer, der „durch das gebräunte Gesicht immer aussah, als käme er gerade von einer Klettertour“, und offensiv nach außen trägt, dass er „aus anderem Holz geschnitzt war als die ‚Flachlandtiroler‘ aus dem nördlichen Allgäu“.565 Die Kluftinger-Narrative referieren auf populäre Allgäu-Semantik: auch, um sie aufzubrechen und Region in ihrer Heterogenität zu schildern. Ihre Einzeler-

561 Vgl. Maase 2013. 562 Hans Haid: Mythos und Kult in den Alpen. Kultstätten und Bergheiligtümer in den Alpen. Rosenheim 1990, S. 138. 563 Kurt Luger/Franz Rest: Entwicklungsgeschichte des Alpentourismus. Einleitung. In: Dies. 2002 (a), S. 48-50, hier S. 49. 564 Tschofen 1999, S. 50. 565 Schutzpatron, S. 303.

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zählstränge wären ohne jeglichen Bezug auf das touristische Allgäu-Image nicht umsetzbar. Das literarische Spiel mit Stereotypen wird durch zitierte Zuschreibungen wie die nur moderat ausgeprägte Allgäuer Weltoffenheit erst befördert. Damit bilden die Kluftinger-Krimis ein Glied einer Konstruktions- und Verwertungskette von Region. Sie funktioniert branchenübergreifend – und, wie die folgenden Kapitel zeigen, auch im Zirkelschluss. 2.3.8 Leser Kluftinger polarisiert: Die Romane zeichnen den Kommissar ostentativ bodenständig bis kauzig. Die Gutachten von Literaturkritikern und der im Rahmen dieser Studie befragten Rezipienten oszillieren zwischen Identifikation mit bzw. Vergnügen über die Romanhauptfigur und einem Aufbegehren über die aus ihrer Perspektive beschworenen Klischees. Die trennende Achse zwischen beiden Standpunkten verläuft diametral zur Schnittlinie zweier potenziell separierbarer Leserteilmengen: den gebürtigen oder dort beheimateten Allgäuern auf der einen, den Buchkonsumenten von nicht allgäuerischer Herkunft auf der anderen Seite. Einverständnis mit dem fiktiven Krimi-Allgäu und Kritik daran wird sowohl aus emischer als auch etischer Perspektive formuliert. Das Bayerische Fernsehen kündigt eine Dokumentation über die Autoren und ihre Erfindung Kluftinger so an: „Sie haben es geschafft, die Mentalität einer ganzen Region in dieser Figur zu verdichten: Volker Klüpfel und Michael Kobr.“566 Diesen landsmannschaftlich orientierten Zuschreibungsimpetus und die Kultivierung von Stereotypen tragen Teile der Rezipienten mit: Sie bedingen deren Wohlgefallen an der Unterhaltungslektüre. Die Romanfigur wird ihnen so zum Allgäuer Original. Für Hans Haugg, den Vorsitzenden des Heimatdienstes Buxheim bei Memmingen, ist Kluftinger „a liebenswerter Grantler“ und „bei allen beliebt“567, nach eigener Aussage auch bei ihm selbst. Theresia Wölfle, Kemptener Stadt- und Kluftinger-Führerin, sagt: „Kluftinger isch a richtiger Allgäuer. I behaupt’ au immer, mir hält mer an Spiegel vor, bei manchen Sachen. […] Mer isch sparsam, mer isch manchmal im Allgäu a bissle maulfaul, so wird er ja au beschrieben. Und i denk’, des trifft uns ganz gut.“568 Die Kemptener

566 Bayerisches Fernsehen: Bergheimat. Kobr, Klüpfel, Kluftinger und ihr Allgäu: http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/bergheimat/bergheimat -kobr-kluepfel-kluftinger100.html (Zugriff: 23.07.2014). 567 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 568 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013.

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Buchhändlerin Nina Brezina bestätigt eine große Akzeptanz der Figur unter den Einheimischen: „I hab’ ganz viele Kunden, natürlich Kemptener oder Allgäuer, die Kluftinger lieben.“569 Die Allgäuer seien ein ganz eigenes Volk und stolz darauf. Das spiegelten die Krimis wider. Rezipienten billigen den Romanheld auch als repräsentativ für eine vorgestellte Allgäuer Wesensart: „Ich hab’ kürzlich au mal g’lesen: Der Allgäuer is’ g’schert. Und da is mer dann wieder voll die Szene kommen, wo der Kluftinger mitm Langhammer beim Skifahren isch, und er doch dann aus Versehen oder mit Versehen die Handschuhe von dem Langhammer dann ’n Skilift runterwirft. Und da hab’ ich mir dacht, des isch au wieder typisch Allgäuer“,

sagt die Allgäuerin Franziska Hebbel. „Gschert“ definiert sie als „Schabernack machen, aber auf ’ne nette Art und Weise“570. Nahezu alle befragten Allgäuer (Touristik-)Experten deuten die Figur Kluftinger als Überzeichnung. Gleichzeitig glauben sie aber an die tatsächliche Besonderheit eines Allgäuer Menschenschlags. Etwa Adrian Ramjoué, Altusrieder Kultur- und Verkehrsamtsleiter: „So an knorrigen, muhagligen, immer so a bissl grantigen, bodenständigen Allgäuer, des is’ schon ganz gut gezeichnet. Aber es gibt natürlich auch andere Allgäuer, des is’ wie in jedem Landstrich [...]. Des is sicherlich au a bissl überzeichnet, sonschd wird jemand net zum Original und würde keine Identifikation erwecken. […] Aber es ist dennoch im Kern schon auch sehr gut getroffen.“571

Die PR-Chefin der Allgäu GmbH, Simone Zehnpfennig, meint, dass sich die Allgäuer wiederfänden in den von den Büchern immer wieder durchgespielten Eigenschaften Ehrlichkeit und Dankbarkeit, in der Region leben zu dürfen.572 Buxheims Heimatdienst-Vorsitzender Hans Haugg differenziert das Allgäu zwar in kleinere Landstriche und widerspricht der Behauptung eines typischen All-

569 Interview mit Nina Brezina, Belletristik-Koordinatorin der Buchhandlung Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 570 Ethnografisches Interview mit Franziska Hebbel (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 571 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 572 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013.

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gäuers, fügt aber hinzu: „[Kluftinger] mit seim stura Kopf, eigensinnig, nix saga, dann wieder mal kauzig: Des sind scho so Allgäuer. Desch scho der Charakter.“573 Peter Klüpfel sagt über die Romanfigur Kluftinger: „Des isch a echter Allgäuer. So sind mir scho.“574 Der Vater des Autors Volker Klüpfel behält sich aber Korrekturanmerkungen vor, wenn der Narrativentwurf des Sohnes nicht mit der eigenen Allgäuer Innensicht übereinstimmt: „Da sag i’s dann, weil ich a ganz stolzer Allgäuer bin: Also des kammer jetzt nimmer bringa, also des muss raus, also do bin i jetzt nimmer dabei, weil mir Allgeier sind it so. […] Also irgendetwas, was an Allgäuer dann verletzen könnte, des derf gar et sei.“575 NichtAllgäuer Rezipienten wie Petra Hägele aus Biberach interpretieren die Darstellung Kluftingers als kongruent zu eigenen stereotypen Zuschreibungen: „Ich denke, so stellt man sich auch einen Allgäuer vor, so griesgrämig.“576 Andere gestehen dem fiktiven Charakter keine Stellvertreterfunktion für eine Allgäuer Wesenseigenheit zu. Die Rosenheimerin Nadine Ogger hält das Romanpersonal für nicht typisch allgäuerisch und bezweifelt seine Realitätsnähe: „I denk’, so Urige, wie’s halt darg’stellt wird im Buch, san in der Grütz’ mittlerweile.“577 Die Kemptener Buchhändlerin Nina Brezina vermutet, die Behäbigkeit Kluftingers sei Grund für viele, ihn abzulehnen: „Weil se sagen, ich komm’ ausm Allgäu, aber ich bin nicht so, und i möcht’ nicht in der Öffentlichkeit so darg’stellt werden.“578 Tanja Beggel, die Krimi-Führungen in Kempten organisiert, berichtet von solchen Stimmen über die Kluftingersche Eigenart: „Manche sagen, des sei alles so a bissl rückständig und a bissl hinterwäldlerisch. Des wird von manchen dann nicht ganz so positiv aufgenommen.“579 Laut Simone Zehnpfennig, PR-Chefin der Allgäu GmbH, widersprächen die Allgäuer auch der

573 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 574 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 575 Ebd. 576 Ethnografisches Interview mit Petra Hägele (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 577 Ethnografisches Interview mit Nadine Ogger (Name anonymisiert) während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 578 Interview mit Nina Brezina, Belletristik-Koordinatorin der Buchhandlung Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 579 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013.

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Vorstellung, sie stellten sich in der realen Lebenswelt „so tumb“580 an wie der Krimi-Protagonist – solche Darstellungen würden als störend empfunden. Und Allgäu-Krimi-Mitbewerberin Nicola Förg, gebürtig aus Kempten, erscheint die fiktive regionalspezifische Eigenart Kluftingers zu preziös. Sie macht deren Bewertung vom perspektivischen Standpunkt der Rezipienten abhängig. Bei einer eigenen Lesung im Dachauer Hinterland traf sie auf Frauen, „die den Kluftinger ganz toll finden. Die sind aber anscheinend scho so weit weg, und schon so in ’ner andern Region, wo mer dann so’n depperten Allgeier Kommissar irgendwie toll findet. Je dichter mer rankommt, desto weniger toll finden die Leute des, weil sie irgendwie sagen, also des war ja am Anfang no lustig mit seine Kässpatzen, aber inzwischen nervt er uns. Weil jetzt frisst er bloß no Kässpatzen und hat bloß no irgendwas mit seiner Tuba.“581

Dagegen verstehen andere Leser Traditionsaffinität und Technophobie des Kommissars nicht als regionale d.h. provinzielle Spezifik, sondern als die (s)einer Generation: „Diese Parodie des Älterwerdens, dieser Konflikt mit dieser neuen Technik, das ist eigentlich das, was uns an den Büchern gefällt. […] Auch dieser Vater-Sohn-Konflikt, das ist wunderbar. […] Das ist so Alltags-mäßig“582, sagt Sieger Tees. Seine Frau ergänzt: „Passieren könnt’ es in ganz Deutschland.“583 Das Ehepaar stammt aus Westfalen, lebt aber beim württembergischen Backnang. Hinter der eigenen biografischen Folie sehen sie Kluftinger als „nicht typisch allgäuerisch“, sondern als „Schwab’“. Selbst dem Feuilleton ist die Veröffentlichung eines neuen KluftingerBandes Anlass für ein Pro und Contra. Die Aversion des Kommissars gegen Yoga, Indoor-Golf-Simulatoren oder I-Phones zeichneten Klüpfel und Kobr „nicht wie Ewiggestrige, sondern [sie] outen sich als feinsinnige Beobachter, mit der seltenen Fähigkeit der Selbstironie. Inzwischen werden die beiden in Sippenhaft mit der Masse an Verfassern sogenannter Heimatkrimis genommen. Doch Kobr und Klüpfel sind

580 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013. 581 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 582 Ethnografisches Interview mit Sieger und Beate Tees (Namen anonymisiert) während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 583 Ebd.

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nicht die Florian Silbereisens der Bestsellerliteratur. Ihre Krimis handeln nicht vom Mord in der Blaskapelle […]“584,

argumentiert die journalistische Fürsprecherin. Für die Gegenseite ist das Gelesene „hinterwäldlerischer Provinzmief“ und Kluftinger „bähmullig, verfressen und rückwärtsgewandt: diesen Heimatkrimi-Helden hat das Allgäu nun wirklich nicht verdient“585. Weitere Besprechungen attestieren ihm „Spießigkeit“ genauso wie „Allgäuer Bauernschläue“586, ein „in der Wolle gefärbte[r] Vorälpler“587 und „wertkonservativ“588 zu sein. Neben der Darstellung der Hauptfigur spaltet auch die des Allgäus im Roman. „Es is’ immer eine schöne Heimat, die da beschrieben wird, […] also nur positiv“589, sagt Altusrieds Bürgermeister Heribert Kammel. Martin Angerer, Marketing-Leiter des Kneipp-Sanatoriums Bad Clevers im Unterallgäuer Bad Grönenbach findet, „die Bücher sind durchaus so, wie’s Allgäu is’, ohne jetzt zu sehr Heimatgedöns und sonstige Dinge zu haben“590. Für den Journalist und Krimi-Reiseseiten-Betreuer Stefan Fischer prägen „ein großes Maß an Borniertheit – bis zur Karikatur –, Weltfeindlichkeit, Technikfeindlichkeit und Intellektuellenfeindlichkeit“591 das Allgäu-Bild der Kluftinger-Romane. Kemptens Krimiführungs-Koordinatorin Tanja Beggel führt die Beliebtheit der Bücher darauf zurück, dass „trotz aller Kriminalität“, die darin dargestellt werde, „d’s Allgäu schon etwas beschaulich daherkommt und schön und als gute, heile Welt von

584 Nadia Köhler: Kluftinger: Vater aller Heimatkrimis? Pro: Wohltuend selbstironisch. In: Stuttgarter Zeitung, 26.02.2013. 585 Carola Fuchs: Kluftinger: Vater aller Heimatkrimis? Kontra: Unerträglich hinterwäldlerisch. In: Stuttgarter Zeitung, 26.02.2013. 586 Katja Waizenegger: Gut, dass sie den Kluftinger haben. In: Schwäbische Zeitung, 27.04.2013. 587 Franz Josef Görtz: Rampensäue mit Tirolerhut. Volker Klüpfel und Michael Kobr. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.2009: http://www.faz.net/aktuell/gesell schaft/volker-kluepfel-und-michael-kobr-rampensaeue-mit-tirolerhut-1884523.html (Zugriff: 14.04.2015). 588 Hans Krebs: „Kreuzkruzifix, ich bin tot!“. In: Allgäuer Anzeigeblatt, 27.02.2013. 589 Interview mit Heribert Kammel, Bürgermeister von Altusried, am 31.10.2013. 590 Interview mit Martin Angerer, Marketingleiter des Kneipp-Sanatoriums Bad Clevers in Bad Grönenbach, am 02.03.2013. 591 Interview mit Stefan Fischer, Kultur- und Reisejournalist, am 11.10.2013.

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früher“592. Tatjana Rupprecht aus Biberach sagt: „Laienspiel mit dem Terror war ein bissle abgehoben. Das war zu viel des Guten, zu viel fürs Allgäu. Ich denke, da will man eher was Seichtes.“593 Für Studentin Felicitas Jahn aus Mittelfranken beschreiben die Romane das Allgäu aufgrund der Szenen sowohl an Bergseen als auch im städtischen Kempten als „sehr vielfältig“ und in seiner „ganze[n] Bandbreite“594. Ingmar Krause interpretiert die erzählte Region als „sehr menschlich“, sie komme „sehr freundlich rüber“595. Der mehrfache AllgäuUrlauber Lothar Märkle aus Höchstädt an der Donau sagt über die Krimis: „Da kommt scho des rüber: Schicht’ zehn Allgäuer überanander, dann isch der Obere genau so verdruckt wie der Untere.“596 Die Österreicherin Leonore Marl liest: „Dass [das Allgäu] an ländlichen Charme hat, sehr grün ist, was mir persönlich eben sehr gefällt, und die Menschen dazu so kompliziert sind.“597 Annegret Bichler, wie Marl aus dem Salzburger Land, deutet die literarisch aufbereitete Region so: als „net sehr offen und für andere zugänglich“ und ein „bissl negativ dargestellt“598. Und die Salzburger Buchhändlerin Christel Dingler sieht die Kluftinger-Romane nicht ein klischierendes Narrativ anbieten, sondern die „vermeintliche ländliche Idylle“, das „vermeintlich glückliche Dorfleben“599 und ihr soziales Regelwerk exakt sezieren.

592 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013. 593 Ethnografisches Interview mit Tatjana Rupprecht (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 594 Ethnografisches Interview mit Felicitas Jahn (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 595 Ethnografisches Interview mit Ingmar Krause (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 596 Ethnografisches Interview mit Lothar Märkle (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 597 Ethnografisches Interview mit Leonore Marl (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 598 Ethnografisches Interview mit Annegret Bichler (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 599 Ethnografisches Interview mit Christel Dingler (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013.

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Uta-Maria Heim ist Krimi-Autorin aus dem Schwarzwald. Sie versteht Regionalkrimi-Narrative als Antithesen spätmoderner Lebensräume: kittend, lindernd, das verstörend-hinterfragende Potenzial von Literatur nicht ausschöpfend. Die fiktiven Verbrechen sind ihr nur temporäre Interruptionen eines am Schluss wieder restaurierten homogenen Kulturraums: „Während der Großteil der internationalen Krimi-Produktion immer literaturaffiner wird und mit Formen und Farben experimentiert, widmet sich der zunächst scheinbar randständige Regio-Krimi der ureigenen Funktion, die Kriminalliteratur seit ihrer Entstehung rund zwei Jahrhunderte lang hatte: Er stellt die ideale Ordnung der Verhältnisse wieder her. Nur im Regionalkrimi kann man sich wirklich noch darauf verlassen, dass man seine Sicht der Dinge wiederfinden, sich mit den Helden identifizieren und am Schluss durchblicken und aufatmen darf. Das Happyend wird nur hier noch garantiert. Der restliche globale Krimi-Kosmos ist auf den letzten Waggon der Moderne aufgesprungen und rebelliert gegen den althergebrachten Anspruch, mit aufklärerischen, moralischen und letztlich unliterarischen Mitteln das Gute siegen zu lassen und die Verhältnisse zu stabilisieren.“600

Jene Passage soll nur exemplarisch genannt werden für eine Vielzahl an Rezensenten, die die im Genre vorgestellten Räume als intakte und schlussendlich unkaputtbare Reservate eines abseitigen, heilen Ehemaligen werten. Dynamiken abzubilden, gestehen sie den fiktiven Regionen nicht zu. Stattdessen verharren sie beim Interpretament des erzählten Container-Raums. Die Wertung bis hin zur Verächtlichmachung von Regionalkrimis als schlichtes Massenamüsement jenseits jeglicher subversiver Zielvorgaben durch eine Jury der intellektuellen Hochkulturhüter ist mehrfach eingeübte Praxis: Weil sie die literarische Region nur für behaglich und gleichbleibend befindet. Vertreter des in den 1980er Jahren an der University of California ausgerufenen New Historicism verweigern sich einem Verständnis von Kunstwerken als autonome Einheiten, die eine totalisierende Lesart zulassen. Für sie ist ein literarischer Text „Brennpunkt konvergierender Kraftlinien“601 von Kulturen. D.h. er kommuniziert keine monologische und zementierte Bedeutung, sondern veranlasst eine komplexe, pausenlose Auseinandersetzung zwischen paradoxen und differierenden Definitionen. Sie haben keine universalistische Erklärung, weil Analysen und Verständnis der Interpreten „notwendigerweise von [ihren] eigenen historisch, gesellschaftlich und institutionell geformten Standpunkten ausge-

600 Heim 2013. 601 Stephen Greenblatt: Selbstbildung in der Renaissance. Von More bis Shakespeare (Einleitung). In: Baßler 2001 (a), S. 53-47, hier S. 41.

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hen“602. Das verleiht den Botschaften von Texten sozialkonstruktivistische Qualität. Die Konsumenten der Kluftinger-Krimis einigen sich nicht auf eine Sinngebung: Ihre Interpretamente divergieren. Zwar entwerfen die literarischen Narrative ein fiktives Allgäu, doch diktiert der Text nicht dessen Deutung. Im Sinne des New Historicism fungiert er als Ausgangspunkt von Allgäu-Aushandlungen. Die Krimileser sind nicht passive Abnehmer eines vorfixierten Raumbildes. Sie wirken aktiv am Konstitutionsverfahren mit, indem sie das Gelesene je individuell imaginieren. Ihre zwei dominanten Lesarten – die kulturkritisch gestimmte Abwertung auf der einen, der eskapistisch motivierte Enthusiasmus für eine pastorale Landschaft auf der anderen Seite – zeigen am Beispiel Regionalkrimi eine Gleichzeitigkeit teils widerständiger Raummodelle bereits in einer ideellen Dimension. Konsumenten lesen das literarische Allgäu hinter je verschiedenen kulturellen Folien. Beim Rezeptionsprozess wenden sie verschiedene Selektionsund Verknüpfungsstrategien an. Ästhetische Erfahrung, zu der populäre Künste animieren können, definiert Kaspar Maase über die Erfüllung zweier Kriterien: der Auslösung eines empfundenen Wohlgefallens und der Evokation von Bedeutungsbildern.603 Das raumbetonende Genre zeigt Vielfalt, individuelle und kulturelle Prägung solcher rezipierter Semantiken. Besonders reizvoll macht die Allgäu-Krimi-Lektüre die Ausstaffierung mit Realitätsdetails: exakt benannte Orte, die transmediale Übereinstimmung fiktiver und lebensweltlicher Topografien. Das schürt gefällige Vergegenwärtigungsseffekte. „Die Leute sagen immer, das Wichtigste ist ihnen – g’rad den Touristen –, dass se was wiedererkennen“, beschreibt Allgäu-Krimi-Autorin Nicola Förg das Kommentarverhalten ihres Publikums. „Und wenn der Tourist auf dem Berg schon mal war, findet er’s ganz toll, dass da jetzt ’n Krimi spielt. Wenn er jetzt womöglich sogar no woaß, wo die Leich’ liegt, dann isch er total z’frieden.“604 Laut Förg verursacht Wiedererkennen aber nicht nur Amüsement bei auswärtigen Buchrezipienten. Allgäuer Leser führen demnach noch pedantischere, weil empirisch fundiertere Authentizitätskontrollen während der Lektüre durch: „Als Leser, der hier lebt, bin ich sehr viel kritischer, weil ich natürlich möcht’, dass des stimmt. Also wenn der links abbiegt und fahrt den Auerberg nauf, wenn da gar kei Stroß isch, wird sofort einer sagen: ‚He, da gibt’s ja gar kei Stroß!‘ Des wird natürlich dem Kie-

602 Louis Montrose: Die Renaissance behaupten. Poetik und Politik der Kultur. In: Baßler 2001 (a), S. 60-93, hier S. 73. 603 Maase 2005, S. 286. 604 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013.

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ler wurst sein. […] Je näher ich dran bin, desto mehr weiß ich. Je weiter ich weg bin, desto großzügiger werd’ ich. Beziehungsweise meine Interessen ändern sich. Der Regionsleser will sich wiedererkennen, will authentische Orte haben, will sagen: ‚Den Wirt kenn ich auch, da ess’ ich auch immer meine Kässpatzen.‘ Der von bissl weiter weg, der Gast, sagt: ‚Ha! Da fahr’ ich jetzt mal hin, weil da steht, da hat’s gute Kässpatzen.‘“605

Ihre emische Perspektive auf die fiktionalisierten Wirklichkeitsbezüge garantiert Allgäuer Lesern ein Mehr an Wissen. Das unterscheidet ihre Illusionsherstellung von jenen nicht-einheimischer Krimi-Rezipienten. In Laienspiel etwa, wo es um die tatsächlich stattfindenden Freilichtspiele im Ort geht, stehen laut Adrian Ramjoué vom Altusrieder Kultur- und Verkehrsamt „sehr viele Insider-Sachen drin“606. Die erschlössen sich nur Einwohnern des Orts. „Da ham viele Altusrieder, wie se den Roman g’lesen ham, innerlich geschmunzelt und gesagt: ‚Ja genau, so is’ es. Ja natürlich, sehr gut.‘“607 Mit solchen Strategien schaffen die Autoren nach Ramjoués Dafürhalten eine „hohe Identifikation der Bevölkerung für ihre eigene Umgebung“608. Anita Kapf ist gebürtige Allgäuerin und lebt seit Jahren im Schwarzwald. Beim Lesen der Kluftinger-Romane ist sie „in Gedanken die Wege mitgefahren“609. Die im Kemptener Umland aufgewachsene Franziska Hebbel erinnert sich während der Lektüre an ihre Kindheitstage.610 Und bei der Kemptenerin Theresia Wölfle füttert Selbstprojektion die Vorstellungskraft, wenn Kluftinger spezifische Strecken zurückliegt: „Mer sieht sich selber wieder.“611 Annegret Bichler, Schriftführerin des Bibliothekarsverbands Salzkammergut, bilanziert den Erfolg der österreichischen Krimi-Pendants gerade unter Nahraumlesern so: „Des Salzkammergut, des is’ momentan bei uns sehr in. Weil da können sich viele selber identifizieren, weil’s die Gegend kennen. Und da sag’n s’: ‚Ah, da war i. Und des kenn’ i. Oder des kenn’ i.‘ Und Salzburg-Krimis natürlich. Die gengen a irrsinnig guat, weil da

605 Ebd. 606 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 607 Ebd. 608 Ebd. 609 Ethnografisches Interview mit Anita Kapf (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 610 Ethnografisches Interview mit Franziska Hebbel (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 611 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013.

162 | ALLGÄU RELOADED woaß jeder: ‚Ah, des is’ do, und do is’ der Schauplatz, und do is’ des.‘ Und do geht halt jeder den Weg dann mit. Da geht’s aber net nur um an Kommissar, da geht’s dann wirklich um die Region, weil die a jeder kennt.“612

Nicola Förg appelliert an ein „kollektives Bewusstsein“613 einer 1980er-JahreJugend im Allgäu, wenn sie in ihren Kriminalromanen die damals von dieser (also: ihrer) Generation frequentierten Lokalitäten beschreibt. Und Rezipientinnen im entsprechenden Alter bereitet es Lesegenuss, wenn Kemptener Diskotheken, „wo mer früher als Jugendliche drin war“614, den Plot verorten. Leser können die fiktiven Spurensuchen imaginativ und auf empirischer Basis begleiten, Ortskundige das Gelesene ob seiner Realitätsnähe überprüfen. Allgäu-Krimi-Lektüren sind vorgestellte Reservate des Eigenen. Das begründet den Erfolg der einstigen Nischengattung. Der Boom der Regionalkrimis liegt nicht an Darstellungen arkadischer Landschaften, die kompensationskompatibel auf spätmoderne, enttraditionalisierte Alltage wirken. Das zeitgeistige Pfund der Regionalkrimis ist vielmehr ihr situatives Identifikationspotenzial für den Einzelnen. Sie halten in der Fiktion Wiedererkennungsmöglichkeiten des Erlebten oder Erlebbaren einem globalisierten Allerweltskulturkonglomerat entgegen. Wiedererkennbarkeit ist allerdings als relationale Größe zu begreifen. Maike Gruber, eine aus Chiemsee-Nähe stammende Leserin, sagt: „In meiner Fantasiewelt ist Kluftinger eher ein Oberbayer.“615 Erih Gößler, Krimi-Führerin in Füssen, kennt Leser, deren Wiedererkennungseffekt gerade nicht eine Identifikation mit einer Allgäuer Mentalität prägt, sondern sich auf äquivalente Vorstellungen von wesenseigenen Menschenschlägen überträgt: „Es kam auch so’n Norddeutscher, der gesagt hat, solche Leut’ kenn ich bei uns auch.“616 Die Österreicher Bibliothekarin Gitte Hermann beschreibt Kluftinger nicht als Allgäuer, sondern als „typisch bayerisch“ – Grund: das „Kasnocken-Essen, Bier-Drenk’n, gemüt-

612 Ethnografisches Interview mit Annegret Bichler (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 613 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 614 Ethnografisches Interview mit Elke Hauber (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 615 Ethnografisches Interview mit Maike Gruber (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2012. 616 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013.

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lich Fernsehen“617. Und die Kemptenerin Theresia Wölfle erscheint die Belletristik-Version ihres Wohnorts als „a Stadt wie jede andere“ und „nix B’sonders“618. Sozial und kulturell verschieden positionierte Leser loten ihr ganz eigenes fiktives Allgäu aus. Ein Kluftinger-Roman ist ein subjektiv betrachtbares Bilderbuch für viele. 2.3.9 Serialität Die Presse unterscheidet „Klufti-Novize[n]“ und „Kluftianer“619. Diese Rhetorik ist Indiz dafür, dass die Allgäu-Rezeptionen einer Lesergruppe ihre kontinuierlich eingelernten Lektürepraktiken vorstrukturieren. Regional-, Allgäu- und Kluftinger-Krimis sind Prototypen postmoderner Populärkulturproduktion: Sie verankern sich nachhaltig auf dem Marktplatz des Massengeschmacks, weil sie in standardisierten Reihen publiziert und erworben werden. Kaum ein Kluftinger-Erstleser belässt es bei einem Band. Viele, die Kobr und Klüpfel lesen, greifen auch zu Förg und Konsorten und umgekehrt. Wer im Allgäu-Urlaub dort spielende Krimis liest, ersteht nach der Rückkehr mitunter solche über seine Herkunftsregion. Allgäuer konsumieren HessenKrimis oder in anderen Regionen angesiedelte. Bisweilen konsumieren die Kluftianer losgelöst vom erhofften Wohlgefallen an der Lektüre. Der Erwerb einer Neuerscheinung gehört für sie zur eingeübten performativen Profilierung als Fan: Buchhändlerin Nina Brezina: „Viele ham g’sagt: ‚Hoah, desch ja immer s’gleiche.‘ Die kaufen des trotzdem, des g’hört einfach dazu. Mer kauft sich an Klüpfel und Kobr, an Neuen.“620 Wiederholter Allgäu-Krimi-Konsum macht den Leser zum Sachverständigen und routinierten Souverän über die fiktive Region. Er liest erwartungsgeleitet und kann vergleichen, denn „jede Fortsetzung bezieht sich ästhetisch auf ihre Vorgänger wie auf die parallel in diesem Segment des Massenmarkts der schnellen Genüsse angebotenen Waren“621. Der „Wissensdrang“ von Lesern macht nicht an den Grenzen einer Serie halt, sondern animiert sie, mehr Gattungsgleiches aufzunehmen: Das so erworbene „Genrewissen ermöglicht ihnen einen be-

617 Ethnografisches Interview mit der Bibliothekarin Gitte Hermann (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 618 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 619 Krebs 2013. 620 Interview mit Nina Brezina, Belletristik-Koordinatorin der Buchhandlung Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 621 Maase 2013, S. 33.

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sonderen Zugang zur Serie“622. Darüber hinaus mischen sich die Kluftianer selbst in eine literarische und textualisierte Fortschreibung des fiktiven Allgäus ein: Über das soziale Netzwerk Facebook posten sie nicht nur an die Infoseite Kluftinger-Krimis,623 sondern kommunizieren auch mit dem von Autor Volker Klüpfel betriebenen Profil Kommissar Kluftingers.624 2.3.10 Reiseführer Laut Allgäu-Krimi-Autorin Nicola Förg sind die Ortsbeschreibungen ihrer Romane „absolut authentisch“. Viele ihrer Leser „latschen des auch nach“625. Nach ihren Angaben prüfen diese sogar die Angebote fiktionalisierter Gastlokale auf ihren Wahrheitsgehalt, und zwar „mit ihrem Buch“626 in der Hand. Für Förg müssen auch ihre literarischen Speisekarten mit der Realität übereinstimmen. Und der Stuttgart-Krimi-Autor Thomas Hoeth sagt: „Es gibt tatsächlich Leute, die die Orte abgehen. Die gehen in den Block und nehmen den Krimi mit.“627 Literaturtourismus ist bewährte populäre Praxis. Speziell die um Lokalkolorit angereicherte Krimigattung bereitet aber der Expedition zu Schauplätzen besondere Konjunktur. Allgäu-Krimis implantieren nicht nur Wirklichkeitsreferenzen. Das fiktive Kluftinger-Universum gewinnt seinen Reiz vor allem durch den Verweis auf reale Topografien. Das verleiht der Lektüre neben einer ideellen ästhetischen Genusserfahrung Zusatznutzen. Sie wird als Reiseführer lesbar. Ebensolche sorgen dafür, schreibt Sabine Gorsemann, dass „die fremde Stadt, Region, Kultur oder Natur, die sozusagen den Rohstoff des touristischen Konsums darstellt, zum ‚Gebrauch‘ hergerichtet wird“, machen „das NichtBekannte und Nicht-Vertraute für Touristen handhabbar“, bewerten „‚Ausschnitte‘ der fremden Wirklichkeit“ nach „Maßstäben von Autoren“, verarbeiten „bereits vorhandene [gesellschaftliche] Vorstellungen über die Fremde“ und vermit-

622 Mirjam Nast hat das am Beispiel von Perry-Rhodan-Heftromanen nachgewiesen: Mirjam Nast: ‚Leichte‘ Lektüre? Zum Umgang mit Heftromanen zwischen Anstrengung und Vergnügen. In: Bareither/Maase/Dies. 2013, S. 167-182, hier S. 174. 623 Facebook: https://de-de.facebook.com/kluftinger.krimis (Zugriff: 30.07.2014). 624 Facebook: https://de-de.facebook.com/kommissar.kluftinger (Zugriff: 30.07.2014). 625 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 626 Ebd. 627 Tübinger Nacht des Regionalkrimis. Veranstaltung am Landestheater Tübingen am 25.05.2012, eigener Mitschrieb.

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teln vorsortiertes „Wissen und Kenntnisse[...]“628. Die Allgäu-Krimis erfüllen sämtliche dieser Kriterien: Sie statten reale Orte mit Geschichten aus, semantisieren Topografien, reflektieren Regionsentwürfe, bilden regionales Wissen ab und locken zur Imagination der Region. Auch künstlerische Lektüren machen Orte bereisbar, spornen zum körperlichen Erleben der vorgestellten Räume an und erleichtern das Zurechtfinden im Wirklichen. Nach Karlheinz Wöhler funktionieren sie aber nur unter bestimmten Voraussetzungen als Reise-Stimulans: „Seien es Printmedien, Radio, Filme im Kino, Fernsehen oder das Internet – diese Verbreitungsmedien sind touristisch erst dann aktuell, wenn deren Formen (insb. Text und Bilder) so konfiguriert werden, dass sie auch in räumlich und zeitlich fernen Situationen verstanden (kommuniziert) werden, d.h. wenn diese Formen eine Aktualität haben, erkennbar und anschlussfähig sind […]. Medien öffnen sich gegenüber Menschen (und sozialen Systemen) und werden z.B. zu Tourismusmedien nicht dadurch, dass das Mitgeteilte gelesen oder angeschaut wird, sondern wenn die Mitteilung einer Information (beispielsweise ‚Eifel‘) beim Lesen und Anschauen unter dem Gesichtspunkt der Passung ‚Reise‘ (oder auch Urlaub) selektiert, also interpretiert wird.“629

Bei den Allgäu-Krimis ist diese Anschlussfähigkeit gegeben: Ihre Schauplätze lassen sich gedanklich mühelos mit der über immensen Bekanntheitsgrad verfügenden Folie der Urlaubsregion Allgäu verknüpfen. Über die Populärliteratur wird die profitable Tourismusdestination medial weiter kommuniziert. Ihre Eignung zur Gebrauchsliteratur wiederum ist Grund medialer Folgeverwertungen der Belletristik: Zahlreiche TV-Produktionen dokumentieren das Ferien- oder Vergnügungszielpotenzial der Allgäuer Schauplätze der KluftingerKrimis. Moderator Schmidt Max beispielsweise besichtigt in seiner Sendung Freizeit im Bayerischen Rundfunk die Kartause Buxheim, radelt zur Ruine Kalden, promeniert um den Alatsee und erklärt mit dialektalem Einschlag in die Kamera: „In diesen Kriminalromanen, da stecken ja unglaublich vuil Freizeittipps drin.“630 Und das Reisemagazin Merian veröffentlicht eine Kurzgeschichte

628 Sabine Gorsemann: Bildungsgut und touristische Gebrauchsanweisung: Reiseführer als Vermittler zwischen dem Alltag der Leser und der bereisten Fremde. In: Christiane Cantauw (Hg.): Arbeit, Freizeit, Reisen. Die feinen Unterschiede im Alltag. Münster/New York 1995, S. 83-91, hier S. 85-89. 629 Wöhler 2011, S. 73. 630 Freizeit: Schmidt Max und der Tatort Allgäu. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 13.09.2012.

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über Kluftinger als Leiter einer Allgäuführung, und zwar: „Anhand der Schauplätze seiner spektakulärsten Fälle!“631 Regionale Kriminalliteratur lädt zum performativen Nacherleben des Erzählten. Dem Fremdenverkehr ist diese Qualität lukratives Fundament: inwiefern, zeigen die folgenden Kapitel.

631 Merian.de: Allgäu: Führung mit Heimatkolorit. In: Merian (2009), H. 4: http://www.merian.de/magazin/allgaeu-fuehrung-heimatkolorit.html (Zugriff: 30.07. 2014).

3 Buch im Raum

3.1 T OURISMUSRÄUME 3.1.1 Bedeutungsausstatter Badebuchten und Wanderparadiese locken Urlauber nicht aufgrund einer morphologisch-natürlichen Vorbestimmtheit. Sie müssen erst zu solchen nominiert und gegenüber ordinären Zuhause-Räumen als lindernde, antithetische Hemisphären positioniert werden. Destinationen lassen Fremdenverkehr nicht wegen einer inhärenten Eigenart stattfinden. Sie sind vielmehr Paradebeispiel für den konstruktivistischen Charakter von Räumen: „Der Tourismus bzw. die Tourismusindustrie ist eine der weltweit nachhaltigsten Raumdefinitionsmächte.“1 Planer und Impresarios der Tourismusindustrie implantieren Bedeutungen, materielle und symbolische Infrastrukturen in Räume, um sie auch kommerziell benutzbar zu machen. Topografisch definierte Sektoren lassen sich als Güter feilbieten, wenn sie mit Images ausgestattet werden, die auf Moden, Trends und die Präferenzen der potenziellen Anreisenden abgestimmt sind. Räume werden touristisch bewirtschaftet, indem ihre Anbieter sie mit spezifischen Attributspaketen befüllen und so kulturalisieren.2 Rohstoffe und geologische Materien lassen Umwelten nicht per se bedeuten. Es gilt, sie selbst erst als Pfaffenwinkel oder Fünf-Seen-Land auszuzeichnen und in Narrativen zu arrangieren. Solche Destinationendesigns dokumentieren die Besetzungsfähigkeit von Räumen. Am touristischen Zugriff zeigt sich ihre flexible Formbarkeit, derer sich Manager und Strategen bedienen können. Die Herstellung von Sehnsuchtsräumen verantwortet aber nicht einseitig eine hierarchisch bemächtigte Gruppe von Regisseuren: 1

Wöhler 2011, S. 191.

2

Vgl. Wöhler 2011.

168 | ALLGÄU RELOADED „Vielmehr stellt die Vermarktung einer Destination eine sinnstiftende soziale Praxis dar, die im Rahmen eines dramatischen Aktes eine Destinationsrealität erst erzeugt und verhandelt. In dieses Drama sind nicht nur die Vermarkter des [sic] Destination involviert, sondern erst durch die Teilhabe der touristischen Nachfrager (an die sie die Vermarktungsaktivitäten richten) konstituiert sich die Sinnprovinz der Destination als ein Raum geteilter Bedeutungen.“3

Ferientaugliche Räume werden von verschiedenen Akteursparteien angeboten und nachgefragt. Ihr Stattfinden garantiert aber erst die Koalition aus vermeintlichen Destinationsherstellern und -konsumenten: Deren klar abgrenzbare Identitäten und Zuständigkeiten sind in diesem Prozess liquide. 3.1.2 Attraktion Container Einmalig und originär muss ein Tourismusraum sein: Als Konsumgüter ringen Reiseziele im Wettbewerb mit anderen um Nachfrager. Es gilt, sie gegenüber der Konkurrenz zu markieren. Das funktioniert über Destination Branding4: Positive Images von und Assoziationen mit einer Destination werden so akzentuiert und strategisch beworben, dass sie sich als dominierende Lesart des Urlaubsziels und unterscheidbares Charakteristikum nachhaltig in der Wahrnehmung potenzieller Gäste verankern. Über cineastische Kassenschlager etwa lassen sich attraktive Konnotationen ihrer Drehorte ankurbeln – so geschehen bei dem in Salzburg aufgenommenen Musical The Sound of Music. Wo aber nicht Hollywood Besucherakquise betreibt, braucht es andere Strategien, um die Position von Ferienregionen im Standortwettbewerb zu optimieren. Gerade im Alpenraum und seinem Vorland, wo sich zwischen Kempten und Verona die erdräumlichen Voraussetzungen ähneln, reicht ein semantisch nur moderat als universalalpin befülltes LandschaftsBühnenbild nicht, um den Destinationen Eindeutigkeit einzuschreiben. Es bedarf einer symbolischen Staffage.5 Zum Labeln von Destinationen bieten sich Fragmente einer dort festgemachten Regionalkultur an. Wo kulturelles Erbe mobilisiert wird, generiert es regionalspezifische Signaturen: Offensives Zurschaustellen von Schwarzwälder Bollenhüten, sogenannten Schwäbischen Waldfeen und Bayerischen Bierköniginnen

3

Saretzki 2010, S. 276.

4

Ebd., S. 282-284.

5

Vgl. Kurt Luger/Franz Rest: Der Alpentourismus. Konturen einer kulturell konstruierten Sehnsuchtslandschaft. In: Dies. 2002 (a), S. 11-46, hier S. 28.

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als Kulturbotschafter pocht auf Einmaligkeit unter den Mitbewerbern um die Gästegunst. Initiatoren plädieren dafür, „Highlights in den Regionen […] als Leitprodukte für den Tourismus zu fördern“ und „Produkte mit Markencharakter“6 zu etablieren, um im Kampf der Urlaubsregionen abstiegsresistent zu werden. Gemäß diesem Kalkül übernehmen Fremdenverkehrsregisseure und Marketingexperten die Deutungshoheit darüber, was öffentlichkeitswirksam als Außergewöhnlichkeit verleihende regionale Prestige-Kultur angepriesen werden kann. Tourismus ist eine der autoritativsten Kulturalisierungsagenturen in der Postmoderne, das Propagieren einer nur singulär möglichen Auffindbarkeit von Zeichen, Praktiken und Ethnien wird zum lohnenden Standortfaktor. Die Fremdenverkehrsindustrie schlüpft damit bisweilen in die Rolle der Bewahrerin und Nutznießerin alteingeübter Container-Raumkonzepte: Das Unterscheidbarmachen über kulturelle Kennzeichen zieht symbolische Trennlinien zur benachbarten Destination, die Vermarktung über tradierte Eigentümlichkeiten zurrt Sehnsuchtsräume in stabilen Kulturkorsetten fest. Das Bewerben attraktiver und heilsbringender Kompensationsräume geht einher mit dem Risiko, diese als veränderungsresistent und exklusiv im Wortsinn zu annoncieren – insbesondere, wenn eine Wurzeln und Ursprünglichkeit akzentuierende Reklamerhetorik forciert wird. Damit bewegt sich der Tourismus im Spielraum gegenwärtiger Konvention: Wo Räume als schützenswerte Ökosysteme oder zu fördernde Wirtschaftsregionen z.B. politisch oder ökonomisch auszurichten sind, gilt es für die Veranlasser, sie von anderen abzugrenzen. Beispiel Allgäu: In der regionalen Rinderzucht schwindet die Reinrassigkeit. Homogenitätsbejahendes Kulturraumdenken findet deshalb auch im Agrarsektor statt. Dem sogenannten Allgäuer Schlag – gut angepasst an Klima und Berglagen der Alpen –, mangelte es nach Postwirtschaftswunder-Ansprüchen an der nötigen Leistungsfähigkeit. Mitte der 1960er Jahre begann man, das einheimische Braunvieh mit amerikanischen Milchrassen zu kreuzen. Die Anzahl der scheinbar ursprünglichen Allgäuer Kühe ging zurück.7 Der als Defekt empfundenen Hybridisierung des eigenen Viehbestands folgten bäuerliche und veterinärmedizinische Behütungspostulate:

6

Günter Eymael: Tourismuspolitik und Destinationsmanagement in einer europäischen Kernregion. Tourismus in Rheinland-Pfalz unter europäischen Aspekten. In: Martin L. Fontanari/Markus A. Fontanari (Hg.): Tourismus im Europa der Regionen. ETIJubiläumsband 1991-2001. Trier 2001, S. 7-12, hier S. 10.

7

Wolfgang Kustermann: Die Allgäuer Rinderzucht. Vom Kurzhornrind zum Original Braunvieh. In: Kettemann 2000, S. 219-223.

170 | ALLGÄU RELOADED „[1988] legten Allgäuer Landwirte und Tierärzte den Grundstein für den ‚Allgäuer Original Braunviehzuchtverein‘, der sich bis heute für die Erhaltung des alten Braunviehtyps […] einsetzt. Derzeit gibt es im Allgäu nur noch 500 Original Braunviehtiere, deren Überleben auch von den zukünftigen politischen Entscheidungen abhängen wird. Betrachtet man den rasanten Strukturwandel in der Landwirtschaft, im Zuge dessen bereits viele bäuerliche Betriebe aufgeben mußten, so bleibt die Befürchtung, daß dem Allgäuer Original Braunvieh auch diese letzten ‚Zufluchtsorte‘ entzogen werden. Sein Verschwinden wäre nicht nur aus genetischer, sondern auch aus kultureller Sicht ein großer Verlust.“8

Über den Agrarsektor hinaus scheinen solche (Zucht-)Raumvorgaben wenig bedeutsam. Sie sind es aber doch: weil der Topos vom Allgäu-typischen Braunvieh sowohl probate Ressource der regional verorteten Kriminalliteratur als auch der regionalen Eigenwerbung ist. Weidende Kühe haben rund um Kempten, Oberstdorf und Oberstaufen in der Außenwahrnehmung Wahrzeichenqualitäten. Einem Beschützer-Prinzip folgt auch der Erste Vorsitzende des Allgäuer Heimatbundes Karl Stiefenhofer, wenn er darum ringt, „Wurzeln für die Zukunft zu bewahren“9. Seit 2014 lässt er an der eigens gegründeten Allgäu-Akademie Lehrer und Journalisten in Heimatgeschichte, Dialekt, Geologie oder Tracht schulen, damit diese als Multiplikatoren Heimatpflege in lokale Subsysteme, in Bildungseinrichtungen und zur jungen Generation trügen. Grüß-Gott-Vereine will er initiieren, damit Allerweltsempfangsbekundungen wie Hallo, Hi, Ciao oder Tschüss regionalen Begrüßungsformeln nicht den Rang ablaufen10 – Container-Visionen haben nach wie vor Konjunktur.

3.2 ALLGÄU WERDEN Kühe, Wiesen, Berge: Das ist das Allgäu. Jedenfalls konzentrieren sich Vorstellungskomplexe von Allgäu-Urlaubern um diesen Assoziationskern. Beispiele für den Allgäu-Begriff vor Ort befragter Touristen aus dem Rheinland, Österreich, Hessen, Baden-Württemberg: „Ich bringe mit dem Allgäu diese großen Flächen an Wiesen, die Natur, dieses weite Land in Verbindung. Das macht für mich das Allgäu aus, das satte Grün, die Berge“11; „Mir war’n vorig’s Jahr im Sommer in

8

Ebd., S. 223.

9

Uwe Jauß: Kämpfer fürs Allgäu. In: Schwäbische Zeitung, 11.04.2015.

10 Ebd. 11 Ethnografisches Interview mit Frauke Schrüwers (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 03.08.2012.

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Urlaub in Oberstaufen, und des hab’ i als typisches Allgäu empfunden. […] All’s war grün, hügelig, Kühe. Die beigebraunen Kühe verbind’ i total mit Allgäu“12; „Wandern, Berge, grüne Wiesen und Natur.“13 Wie entstand die so durchschlagskräftige Idee vom Allgäu als sattgrüner Hügellandschaft? Voraussetzung für diese Vorstellung war ein im 19. Jahrhundert einsetzender agrarischer Modernisierungsprozess, wie Manfred Kühn in seiner Studie nachgewiesen hat14. Bis dahin handelte es sich nicht um einen prosperierenden Landstrich. Seit dem 16. Jahrhundert prägte Vereinödung die Allgäuer Landaufteilung. Mit Viehzucht und – klimatisch wenig begünstigtem – Ackerbau sicherten sich die Bauern einen „meist kärglichen Lebensunterhalt“15. Der Flachsanbau dominierte. Die blühenden Felder befeuerten den damaligen Ruf als „blaue[s] Allgäu“16. Aber mit zunehmenden Baumwollimporten und durch das Aufkommen maschineller Textilerzeugung verlor der Flachs an Rentabilität. Es kam zum Strukturwandel:17 Die Allgäuer Landwirte spezialisierten sich auf intensive Milchviehhaltung, das Gebiet vergrünlandete. Die Redensart „Droben im Allgäu – wo das Brot ein End’ hat“18 entstand mit der endgültigen Aufgabe des Getreideanbaus. Die entstehende milchwirtschaftliche Monokultur war Grundlage für die sich von den Höhen- in die Tallagen ausbreitende und mit importierten Techniken optimierte Käseproduktion. Von den Schweizern schauten sich die Allgäuer ab 1815 die Emmentaler-Herstellung ab: Mit dem Abkupfern dieser neuen Sorte gelang auch die Verarbeitung großer Milchmengen in ein lange haltbares Erzeugnis.19 Käsehändler spezialisierten sich auf den Vertrieb. Dorfsennereien, die genossenschaftliche Zusammenschlüsse mehrerer Bauern organisierten, lösten kleine Hauskäsereien ab, bis der Wechsel zur gegenwärtig vorherrschenden industriellen Herstellung erfolgte. Die Graswirtschaft setzte sich als wirtschaftliches Hauptstandbein durch: Seit 1850 gibt es südlich von Kempten kaum mehr

12 Ethnografisches Interview mit der Bibliothekarin Gitte Hermann (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 13 Ethnografisches Interview mit Petra Rahn (Name anonymisiert) während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 14 Kühn 1994. 15 Gudrun Thiel: „Weißes Gold“. Aspekte zur Entwicklung der Allgäuer Milchwirtschaft. In: Kettemann 2000, S. 209-218, hier S. 209. 16 Kühn 1994, S. 78. 17 Thiel 2000. 18 Georg Simnacher: Zum Geleit. In: Kettemann 2000, S. 5. 19 Thiel 2000, S. 210.

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Ackerland.20 Die agrarische Umstrukturierung veränderte den erdräumlichen Phänotyp. Bis heute speist er nachhaltig das Bildrepertoire populärer AllgäuKreationen. Im Bewusstsein der wenig wohlhabenden und bäuerlich geprägten Bevölkerung war der Allgäu-Begriff früher kaum präsent. Erst mit dem durchschlagendenden Erfolg der landwirtschaftlichen und ökonomischen Modernisierung bekam er Konjunktur. Presseorgane oder Gemeinden adaptierten ihn als Namenszusatz. Die seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts deutlich gestiegene Reputation als Käseküche Deutschlands und der florierende Fremdenverkehr steigerten die Identifikation der Bewohner mit der nominierten Region.21 „Allgäu“ ist heute ein kollektiv anerkannter, in der Alltagssprache geläufiger Terminus. Wie z.B. „Innviertel“ oder „Salzkammergut“ bezeichnet er eine vernacular region, d.h. er kann als Wahrnehmungs- und Identitätsraum verstanden werden.22 Eine administrative oder politische Einheit kennzeichnet er nicht: Zwar heißt auch eine der sogenannten Planungsregionen Bayerns „Allgäu“, doch ist jene Größe nicht deckungsgleich mit dem umgangssprachlichen Gebrauch. Dieser bezieht sich auf ein Gebiet, über dessen exakte Ausdehnung jedoch teils Uneinigkeit herrscht(e) und das geografisch, v.a. an den Rändern, nicht exakt definiert ist. Als gängige topografische Marker gelten der Fluss Lech im Osten, der Allgäuer Hauptalpenkamm im Süden, Memmingen und Mindelheim im Norden. Die Westflanke des Allgäus umfasst partiell den Landkreis Ravensburg und liegt auf baden-württembergischem Landesgebiet, der Großteil im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben. Auf diesen entfallen die kreisfreien Städte Memmingen, Kempten und Kaufbeuren, die Landkreise Ober-, Ost- und Unterallgäu sowie Teile des Kreises Lindau. Mit 65.000 Einwohnern ist Kempten urbanes Zentrum des Allgäus. In der Mitte des 19. Jahrhunderts bereiteten der Anschluss ans Schienenverkehrsnetz und die die Berglagen infrastrukturell zurichtenden ersten Alpenvereine – sie wollten „die alpine Tätigkeit, die bisher auf eine akademische Elite beschränkt war, auch breiten Bevölkerungskreisen zugänglich“23 machen – die touristische Erschließung des Allgäus vor. Sogenannte Verschönerungsvereine gründeten sich und lockten mit ihrem Schaffen die Sommerfrischler. Bauern begannen, Zimmer zu vermieten. Langsam drang die Erkenntnis ins Bewusstsein

20 Ebd., S. 212. 21 Kühn 1994, S. 117-121. 22 Weichhart 2010, S. 36. 23 Norbert Kloiber: Alpenvereine. Erschließung der Berge für den Tourismus. In: Kettemann 2000, S. 415-419, hier S. 416.

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der Einheimischen, dass sich mit den Gästen aus ganz Deutschland eine neue, lukrative Einnahmequelle auftat.24 Ab der Jahrhundertwende und später mit dem Bau von Skiliftanlagen entwickelte sich auch die Wintersaison zum – jedoch bis heute zweitrangigen – Erwerbszweig. Mit dem Tourismus wandelten sich die Alltage der Allgäuer. Es galt, den Vergnügungsbedarf ihrer Besucher zu sättigen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierten sich die ersten Trachten- und Gemütlichkeitsvereine, um – sowohl Gäste als auch Einheimische selbst – auf Wald- und Heimatfesten, beim Alpenball und Skifasching zu unterhalten.25 Der neue Dienstleistungssektor sicherte ein gewisses Vermögen, erzeugt(e) mitunter aber auch Missmut: „So wird z.B. berichtet, daß Allgäuer Bauernknechte ihre Rechen oder sonstiges Arbeitsgerät demonstrativ quer über die Schulter legten, wenn ihnen Sommerfrischler, die sich den ganzen Tag dem Müßiggang hingeben konnten, entgegenkamen.“26 Und noch im gegenwärtigen Diskurs wird angeführt, dass sich Einheimische „gegen die völlige Überfremdung und den zerstörerischen Eingriff in ihre Landschaft wehren“27. Der Fremdenverkehr hat sich inzwischen zum tragenden Wirtschaftszweig im Allgäu etabliert – mit allerdings deutlichem Süd-Nord-Gefälle. Mit Oberstdorf und dem Kurort Oberstaufen liegen die touristischen Zentren im Landkreis Oberallgäu. Das Freizeitangebotsrepertoire schöpft sich insbesondere aus der Zurichtung als Wandergebiet, aus einem Mountainbike-Tourennetz, Wassersportmöglichkeiten an Seen, hoher Golfplatzdichte, mehreren Heimatmuseen und zahlreichen Skigebieten.28 97 Prozent der Oberallgäuer Sommergäste ist die Schönheit der Landschaft wichtigste Reisemotivation, Wandern die beliebteste Beschäftigung vor Ort.29 Die Gästezahlen steigen, die der Übernachtungen sind rückläufig, d.h. der Trend geht zu Kurzzeitaufenthalten.30

24 Helga Hoffmann: Die Sommerfrischler – Anfänge des Fremdenverkehrs. In: Kettemann 2000, S. 407-411. 25 Schneiderat 2000, S. 428. 26 Hoffmann 2000, S. 410. 27 Ebd., S. 411. 28 Vgl. Meike Fehrholz: Der Tourismus im Oberallgäu und im Oberwallis. Grundlagen und Raumrelevanzen, Struktur und Perspektiven untersucht am Beispiel ausgewählter Gemeinden. Düsseldorf 2006. 29 Ebd., S. 79-81. 30 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013.

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Und auch im Allgäu erwies sich ein Akzentuieren regionalkultureller Eigenarten für touristische Strategen als veritable Übung. Wie Manfred Kühn am Beispiel des jährlichen Viehscheids argumentiert, blieb die von Fremdenverkehrsämtern initiierte Traditionserfindung und -streuung (die Anzahl der durchführenden Kommunen vervierfachte sich seit dem Zweiten Weltkrieg) aber nicht nur folkloristische Vorführung. Einheimische Akteure tragen sie als verlebendigten Brauch mit. Sie ist nicht ausschließlich Ingrediens touristischer Fremdperspektive, sondern wirkt identitätsstiftend.31 Obgleich diese These auch im Allgäu die „quasi zeitlose Klage“32 über das Verlustiggehen einheimischer Ursprünglichkeit und einem für echt(er) befundenen Volkskultursediment unterhalb des Einflussbereichs fremder und moderner Kräfte des Wandels untergräbt: Die Formel von der gelebten Tradition wird nicht einseitig von wissenschaftlichem Standpunkt analytisch festgestellt, sondern auch vom touristischen aus betont: „Wir werben viel mit der Tradition, mit der Authentizität. Und des is’ aber auch tatsächlich so. Ich weiß des einfach au’ durch zum Beispiel Schweizer Gäste im Tourismus. Die finden des toll, dass mir so viel die Tradition noch leben. Weil die Schweizer leben ja au’ vom Tourismus und da sei alles nur aufgesetzt. Da hat mer dann halt irgendwoher die Angestellten im Tourismus und die zieht mer halt im Dirndl an, und hier sei des noch gelebte Tradition“33,

sagt Simone Zehnpfennig. An anderer Stelle aber spitzt sie die ökonomische Wirkmächtigkeit demonstrativen Zelebrierens von Charakteristika zu: „Der Tourismus lebt vom Klischee.“34 Zehnpfennig ist Public-Relations-Verantwortliche bei der Allgäu GmbH. Der Dachverband bündelt die Vermarktung der Destination Allgäu. Den Kosten- und Personalaufwand für eigene PR-Arbeit können sich einzelne Orte, abgesehen „von den Großen wie Oberstdorf“35, nach Einschät-

31 Kühn 1994, S. 127f. 32 Schneiderat 2000, S. 427. 33 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013. 34 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013. 35 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts in Altusried, am 13.02.2013.

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zung Adrian Ramjoués, Kultur- und Verkehrsamtsleiter in Altusried, gar nicht leisten. 2011 fusionierten Allgäu Marketing GmbH und Allgäu Initiative GbR zur der neuen Allgäu GmbH36: Neben Entwicklung und Bewerbung von Tourismus und der Marke Allgäu zählen Regional- und Wirtschaftsstandortsmanagement zu den Aufgabenschwerpunkten. Das Profilierungsziel umreißt Zehnpfennig so: „Wir wollen in den nächsten 20 Jahren die alpin geprägte Gesundheits- und Wohlfühldestination sein. Und des soll in den Köpfen der Menschen verankert sein.“37 Die Zugehörigkeit von Kommunen und Produkten kommuniziert die WortBild-Marke, ein Logo mit weißem „Allgäu“-Schriftzug auf blauem Grund. Damit darf die Allgäu GmbH sogar auf Autobahnen werben. Die Autobahndirektion Süd erteilte ihr im August 2014 die Erlaubnis, unter den auch bundesweit gebräuchlichen braunen Infotafeln an der A 7 und A 96, jeweils an den geografischen Grenzen, zusätzliche weiße Hinweisschilder mit ihrem blauen Logo zu montieren. Der Oberallgäuer Landrat Anton Klotz begrüßte die Entscheidung, weil so die „Eigenständigkeit“38 des Allgäus gezeigt werde. Die Presse wertete die Schilder zwar nicht als Garantie für Mehreinkünfte, aber als „ideelle[n] Gewinn“, weil sie „das Selbstbewusstsein einer attraktiven Tourismus- und Wirtschaftsregion“39 signalisierten. 130 Markenpartner hat die Allgäu GmbH inzwischen. Sie müssen spezifische Kriterien erfüllen: Die Marke Allgäu hat sich von der reinen Herkunfts- zur Qualitätsmarke entwickelt. 2012 wurde sie als Superbrand40 ausgezeichnet. Den Award vergibt die weltweit größte Brandmarketing-Organisation seit 20 Jahren auf internationaler Ebene, seit zehn in Deutschland. Gekürt werden die jeweils stärksten Marken. Anforderungen sind u.a. Markendominanz, Markenakzeptanz, Kundenbindung, Vertrauen und Langlebigkeit. Eine Jury entschied auf Grundla-

36 Allgäu GmbH: Die Allgäu GmbH – die offizielle Dachorganisation für Standort und Tourismus: http://extranet.allgaeu.info/allgaeu_gmbh/ (Zugriff: 06.08.2014). 37 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013. 38 Markus Raffler: Blech-Botschafter dürfen kommen. In: Allgäuer Zeitung, 07.08.2014. 39 Markus Raffler: Ein Gewinn. Kommentar. In: Allgäuer Zeitung, 07.08.2014. 40 Vgl. Superbrands Germany: http://www.superbrands.info/ (Zugriff: 06.08.2014).

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ge von 2250 ausgewerteten Interviews. Das Allgäu wurde als einzige Region prämiert – etwa neben Lego oder der Deutschen Bank.41 Die Regionenmarke ruft in ihren Reklamedesigns den durch agrarische Monokultur zubereiteten landschaftlichen Phänotyp ab. Von Touristen werden solche Bilder als repräsentativ für die Region anerkannt: „Wir waren letztens in Bad Hindelang, da ist’s richtiges Allgäu. Da hasch deine Kühe, Käsereien [Hervorhebung: KL].“42 Das ist Indikator für die enorme Gewichtigkeit touristischer Raumentwürfe und ihrer Vorgaben im Aushandlungsprozess von „Allgäu“.

3.3 M EDIALE T RANSFORMATION 3.3.1 Nachreisen Spurensuche, erstes Beispiel: „Er wollte gerade etwas erwidern, da fuhren sie an einem grünen Schild vorbei, auf dem mit gelber Schrift ‚Böserscheidegg‘ stand. Maier atmete erleichtert auf. Dann sahen sie auch die Käserei. Kluftinger parkte den Wagen unter einem großen Kastanienbaum neben dem Haus und sie gingen auf den Eingang zu.“43

In Milchgeld vermutet der fiktive Kommissar einen Zeugen in der fiktiven Käserei. Diese verfügt über ein lebensweltliches Äquivalent. Vom Kastanienbaum über die „drei riesige[n] kupferne[n] Wannen“44 bis zu den Räumen, „bis unter die Decke mit großen, goldgelb glänzenden Käselaiben gefüllt“45, stimmen Literatur und Wirklichkeit überein. Dass die Handlung mit Requisiten ausstaffiert ist, die Realitätsnähe suggerieren, lockt. Helmut Pfanner, Betriebsleiter der realen Dorfsennerei Böserscheidegg, erinnert sich: „Ab und zu sind mol in der Käserei, im Lada, Kunda do g’wä, wo des erwähnt hand und g’sagt hand, ja, jetzt

41 Allgäu GmbH: Superbrand Allgäu: Fachjury prämiert die Marke mit dem international begehrten Markensiegel: http://medien.allgaeu.info/allgaeu_news/allgaeu_gmbh_ news/Superbrand_Allgaeu_Fachjury_praemiert_die_Marke_mit_dem_begehrten_inter nationalen_Markensiegel.html (Zugriff: 06.08.2014). 42 Ethnografisches Interview mit Tatjana Rupprecht (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 43 Milchgeld, S. 118f. 44 Ebd., S. 119. 45 Ebd., S. 121.

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hand se sich dacht, jetzt guckat se doch g’rad mol die Käserei a, weil die do im Roman vorkommt. […] Des warat oi [welche, KL], wo do extra herg’fahra sind. Also keine Einheimische.“46 Abbildung 1: Dorfsennerei Böserscheidegg.

Quelle: Eigene Aufnahme, 22.8.2013.

Spurensuche, zweites Beispiel: Noch einmal Milchgeld. Ein fiktives Mordopfer wird auf dem Altusrieder Friedhof beigesetzt. „Als die Trauergesellschaft am Grab stand, hatte es zwar nicht aufgehört zu nieseln, aber die Sonne war für einen kurzen Moment durch die Wolken gekommen. Die Folge war ein Regenbogen, der sich quer über den Horizont spannte. Das Grab von Philip Wachter lag auf der dritten Ebene des Friedhofs, gleich am Eingang. Man konnte die Berggipfel von hier aus sehen – jedenfalls wenn das Wetter schön war.“47

Auch dem wird, im Wortsinn, nachgegangen. Peter Klüpfel ist Vater des Autors Volker Klüpfel und wohnt in direkter Nachbarschaft zum Altusrieder Friedhof. Laut ihm suchen öfters Menschen diesen Schauplatz:

46 Interview mit Helmut Pfanner, Betriebsleiter der Dorfsennerei Böserscheidegg, am 22.08.2013. 47 Milchgeld, S. 73.

178 | ALLGÄU RELOADED „Neulich wieder, i war g’rad im Garta, na sind Leut’ draußa g’wäsa und hand immer so rumg’schaut, na hab’ i scho g’wusst, was die woll’n.[...] Und oine hat sich na halt doch zu mir her traut und hat dann g’froget. […] Und dann frogen die: ‚Ja, und wo isch jetzt des Grab?‘ Die zwei Mädchen, die hand dann g’sagt: Sie ham jetzt dann alles. Also die sind da rumg’laufa.“48

Mit alles haben meint er: Besagte Friedhofbesucherinnen haben sämtliche Stationen, die als literarische Handlungsorte auf einer beim örtlichen Kultur- und Verkehrsamt erhältlichen Kluftinger-Altusried-Karte verzeichnet sind, abgeklappert. Spurensuche, Beispiel Nummer drei: „Wenige Minuten später stellten sie ihren Wagen auf dem Parkplatz der Kartause ab. […] [Kluftinger] betrachtete ehrfürchtig die weitläufige Klosteranlage – jedenfalls den kleinen Teil, der vom Parkplatz aus sichtbar war, blickte auf eine große Mauer, die den ganzen Komplex umgab, auf Torbögen und gepflegte Grünflächen mit gekiesten Wegen. ‚Komm schnell, da geht g’rad eine Führung los.‘“49

Im fiktiven Kartausenkloster befindet sich „eines der schönsten Chorgestühle Europas“50. Für den Kommissar ist es Puzzleteil einer Mordmotiv-Rekonstruktion. Die Passage aus Erntedank beschreibt ebenfalls eine Wirklichkeitsreferenz: die Kartause in Buxheim. Wie im Buch kann sie geführt oder individuell besichtigt werden. Im dort ausgelegten Gästebuch ist folgender Eintrag vermerkt: „Was für eine tolle Leistung, das Chorgestühl in 4 Jahren zu schnitzen! 7(+1)* Schwaben auf Kluftingers Spuren. *aus Möttingen“51. Die drei Beispiele stehen jeweils für Spurensuchen in zweifacher Dimension: zum einen für die literarische, textimmanent-inhaltliche der Kriminalromane. Und zum anderen für die lebensweltlich-performative der Akteure, die sich auf die Suche nach einem Echten hinter der Fiktion begeben. Als unterhaltend empfundene Lektüren können, wie Mirjam Nast am Beispiel von seriellen Heftromanen ausgeführt hat, zu aufwändigen „Anschlusspraktiken“52 laden: Sammeln, Kommunikation mit anderen Fans, Besuch von Conventions. Die wirklichkeitsnahe Raumzentriertheit der Regionalkrimis legt aber

48 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 49 Erntedank, S. 155f. 50 Ebd., S. 158. 51 Feldnotiz vom 03.04.2013. 52 Nast 2013, S. 181.

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nicht nur eine z.B. merchandise- oder materiallastige Kultivierung von Fan-Sein nahe. Sie prädestiniert zum partiellen Nacherleben des Gelesenen selbst. AllgäuKrimis verweisen auf nonfiktionale Geografien und stellen ein Entdeckererlebnis in Aussicht. Das beanwortet auch wachsende postmoderne Bedürfnisse nach Authentizitätserfahrungen, Überprüfbarkeit und Präsenz des Ursprünglichen. Die Reiseführereignung von Regionalkrimis findet Anwendung. Bei AllgäuKrimi-Autorin Nicola Förg beeinflussen solche Nutzungsstrategien der Leser wiederum die literarische Regionendarstellung. „Die absoluten Geheimtipps“ will sie nicht beschreiben, „weil ich muss ja nicht unbedingt jeden in meine Lieblingskneipe schicken.“53 Heißt auch: Allein ihre Verquickung in die Romanerzählung erklärt Orte für bereisens- und erlebenswert. Was belletristische Reiseführer vorstellen, muss nicht deckungsgleich mit dem herkömmlicher Reiseführer sein, und es muss nicht aus einem etablierten Sightseeing-Kanon rekrutiert werden, um für eine Attraktion befunden zu werden: Die Fiktionalisierung allein hat Adelungscharakter. Der Fan-Besuch von Käsereien im touristisch eher abseitigen Westallgäu oder bis dato profanen Friedhöfen unterstreicht das. Erih Gößler fragen Kluftinger-Spurensucher nach dem Standort eines in Seegrund beschriebenen Souvenirgeschäfts und nach dem eines „halbverfallene[n] Bauernhof[s]“54 aus der Fiktion. Gößler ist Stadtführerin in Füssen, also eben jener Gemeinde, die mit den Königsschlössern über eine touristische Zugnummer internationalen Formats verfügt. Und die Pressechefin der Allgäu GmbH erzählt über einen Gast: „Der war zum Wandern schon immer hier, der kennt des Allgäu. Des war für ihn keine fremde Region, aber er hat’s halt jetzt au’ als Aufhänger, dass er nach Illerbeuren geht, weil da war’n mal die Fotos vom Kluftinger drin – der hat die total verfolgt letztendlich –, dass er in die Kartause Buxheim geht, dass er nach Altusried geht, die Teufelsküche in Obergünzburg [ein weiterer Schauplatz, KL] sich anschaut, all des. Des hat’n bewogen, des Allgäu neu zu sehen, und net eben nur die Bergwelt beim Wandern. Also so gesehen is’ des schon ’n neuer Gast.“55

Auf literarischer Spurensuche erschließen sich Allgäu-Urlauber, und auch: erfahrene Allgäu-Urlauber für sie neue Allgäu-Räume. Für die Touristiker bedeutet

53 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 54 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 55 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013.

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das neues Zielgruppenpotenzial. Literarische Fiktion wird ihnen zum Kapital. Nicht in die Praxis des Individual-Krimitourismus strategisch zu intervenieren, schiene aus ihrer Sicht fahrlässig. Das literaturbasierte (Nach-)Reisen im und ins Allgäu bleibt nicht nur eigenmächtigen Anstrengungen überlassen. Es wird institutionell vorangetrieben, kommerziell verwertbar gemacht und vor allem: angeleitet. 3.3.2 Karten lesen 2010 brachte die damalige Allgäu Marketing GmbH Mörderisch spannendes Allgäu, eine „neue Karte zu den Schauplätzen und Touren rund um die KultKrimis“56 von Klüpfel und Kobr, heraus. Ein Jahr später erschien Schutzpatron. Die inzwischen zur Allgäu GmbH fusionierte Tourismusdachgesellschaft veröffentlichte die um die Inhalte des frisch erschienenen Kluftinger-Romans erweiterte Neuauflage. In Kooperation mit dem Piper-Verlag wurden 40.000 Exemplare an den Buchhandel geliefert. Außerdem konnte die Krimi-Karte im Internet kostenlos bestellt werden und stand zum Download bereit.57 Allgäuer Tourismusgemeinden – die mitunter gar nicht in den Romanen oder auf der Karte vorkommen – legen sie als Werbematerial auf Messen aus.58 Das großformatige, faltbare Printprodukt ist beidseitig bedruckt. Auf der einen Blattseite stehen zu jedem der bis dato sechs erschienenen Kluftinger-Bände kurze Texteinheiten. Sie beschreiben bis zu fünf in der außerliterarischen Wirklichkeit bereisbare Schauplätze. Auf der Kehrseite sind diese in einer AllgäuPanoramakarte markiert. Die Karte dient so der touristischen Destination als thematisch spezifiziertes Lockmittel. Und sie gibt jenen, die am Überprüfen der Authentizität der Lektüre interessiert sind, konkrete Gebrauchsanweisungen. Denn mit der Krimi-Karte sind individuelle Anstrengungen oder „nervenaufreibende Ermittlungen [...]

56 Allgäu Marketing GmbH: Presse-News: Auf Kluftingers Spuren: „Mörderischspannendes [sic] Allgäu“. Neue Karte zu den Schauplätzen und Touren rund um die KultKrimis. 11.03.2010. 57 Allgäu GmbH: Presse-News: Spannende Zusammenarbeit: Kluftinger und das Allgäu. Kooperation mit dem Piper-Verlag bewirbt die Destination deutschlandweit. 01.06.2011. 58 Caravan – Motor – Touristik (CMT) – Die Urlaubs-Messe. Stuttgart, Stand der Gemeinde Missen im Allgäu, Feldnotiz vom 17.01.2013.

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nicht mehr nötig“ und „der Liebhaber kriminell guter Reisen [ist] nicht auf seine eigene Spurensuche angewiesen“59. Die Auswahl nur einzelner Schauplätze auf der Krimi-Karte ist freilich der Form und gewünschten Übersichtlichkeit eines solchen Mediums geschuldet. Dennoch unterliegt das fiktive Regionsnarrativ in seiner medialen Transformation einem Selektionsprozess. „Geheimnisvolle Seen und sagenumwobene Felsen, wilde Tobel und urige Wirtschaften: Was Krimi-Fans an der Welt der Kommissar-Kluftinger-Bestseller lieben, lässt sich im Allgäu live erleben“60: So heißt es in der Pressemitteilung zur Karte. Die Schlachthöfe und Kemptener Industriebrachen, die hochhausgeprägten Randsiedlungen und Spelunken aus der besagten Welt der Kommissar-Kluftinger-Bestseller genügen der touristischen Perspektive nicht. Stattdessen stellt die Karte Altusried, die Freilichtbühne, die Kemptener Residenz, Neuschwanstein, das Fellhorn oder die Burgruine Kalden als Reise-Imperative vor. Ein Vorwort erklärt das Allgäu zur „ländlichen Idylle“, zum „rau[en]“, „eigensinnig[en]“ und „spezielle[n] Landstrich“61. Fotografien zeigen z.B. ein Wegkreuz neben dem Altusrieder Ortsschild, die Türme der Kemptener St. Lorenz-Basilika vor Alpen-Panorama, die nebelschwadenumwobene Ruine Kalden, eine winterliche Aufnahme Neuschwansteins (Codierung: überzuckertes Märchenschloss) oder den Illerdurchbruch aus einer Perspektive, die das klassisch-ästhetikorientierte Landschaftsideal hinreichend erfüllt. Die Allgäu GmbH betreibt Spacing mit der fiktiven Region und resynthetisiert62 die ausgewählten Elemente. Sie kontextualisiert sie neu, indem sie sie auf die Krimi-Karte hievt. Für bereisenswert befinden die Herausgeber, was bereits Bestandteil eines bestehenden Sehenswürdigkeitenkanons ist (das Füssener Königsschloss, das architektonisch-kulturelle Erbe Kemptens), einem populären bajuwarischen Güterpool entstammt (sakrale materielle Staffage, Wirtshausgastronomie) oder dem Postulat eines paradiesischen Heilsraums gerecht wird. Die Fremdenverkehrsregie reorganisiert literarische Regionsfragmente romantisierend als intakten Container-Raum, den es zu bereisen lohnt. Ergebnis ist ein neuer (Kluftinger-)Allgäu-Entwurf. Dieser ist ausschließlich positiv gestimmt, ganz nach Zielsetzung von Markenmachern und Regionenanbietern:

59 Allgäu Marketing GmbH 2010. 60 Allgäu GmbH 2011. 61 Allgäu GmbH: Mörderisch spannendes Allgäu. Kommissar Kluftinger. Faltkarte [2011]. 62 Vgl. Löw 2001.

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„Ich bin Touristiker, ich will, dass das schöne Allgäu gezeigt wird“63, sagt Simone Zehnpfennig von der Allgäu GmbH. Eine experimentierfreudigere Auswahl auch morbiderer Literaturschauplätze schlösse eine Zustimmung des Massengeschmacks allerdings nicht per se aus. Kaspar Maase zählt zu ästhetischen Erfahrungen auch „das Vergnügen an Gegenständen, die nicht gefällig, leicht verdaulich, heileweltmäßig daherkommen. Zum Kern populärer Kunst gehört das ästhetische Vergnügen am Hässlichen, Erschreckenden, Maßlosen – an dem, was Kant das Erhabene nennt“64. Indem die Allgäu GmbH unter den literarischen Wirklichkeitsreferenzen eine Auslese trifft, strukturiert sie die erlebbare Krimi-Region vor. Die Kluftinger-Karte lädt aber nicht nur zum vorbereiteten IndividualKrimitourismus. Sie wirbt für konsumierbare Events, die an mehreren Spielorten der Bücher entwickelt wurden: die Krimi-Führungen. Diese werden als Türöffner zur im Sinne des Tourismusdachverbands vereinheitlichten Entität Region angepriesen: „Altusried, Buxheim, Füssen, Kempten, Allgäu: Krimiführungen bringen das Allgäu näher!“65 Allerdings bestätigt die Karte auch bestehende Hierarchien und Ranglisten im Allgäu-Tourismus. Im Gegensatz zu den anderen Krimi-Führungen sind jene in Kempten dort nicht verzeichnet. Die Stadt wollte den für den Abdruck fälligen Betrag von 300 Euro nicht bezahlen.66 Die Hälfte der Karte finanzierte die Allgäu GmbH, insbesondere auch, um die touristisch strukturschwächeren Gemeinden zu protegieren.

63 Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, Mitschnitt während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 64 Maase 2005, S. 286. 65 Allgäu GmbH: Mörderisch spannendes Allgäu. Kommissar Kluftinger. Faltkarte [2011] 66 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013.

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3.3.3 Auf Tour 3.3.3.1 Altusried 3.3.3.1.1 Start Kluftinger lebt in Altusried. Das Dorf existiert auch in der Realität: 5300 Einwohner, Landkreis Oberallgäu, knapp 15 Kilometer nordwestlich von Kempten. Mit den vier anderen Ortschaften Frauenzell, Kimratshofen, Krugzell und Muthmannshofen bildet es eine landwirtschaftlich, mittelständisch-handwerklich und -gewerbebetrieblich geprägte Marktgemeinde. Wer hier Urlaub macht, sucht das Ruhige und Heimelige, heißt es bei der Altusrieder Gästeinformation.67 Stammgäste werden regelmäßig für ihre Treue zum Ort geehrt.68 Bei einer Bettenkapazität von 308 und rund 24.200 jährlichen Übernachtungen69 spielt der Fremdenverkehr für die Kommune am Illerradwanderweg aber im Vergleich zu den Ski- und Bergwanderhochburgen im südlichen Oberallgäu eine weit untergeordnetere Rolle. Für die Einheimischen identitätsstiftendes und für die Außenwirkung relevantes Herzstück Altusrieds ist die lokale Theateraktivität. Während der Wintermonate wird im kleineren Theaterkästle inszeniert. Vor allem aber seine Freilichtspiele haben Altusried über die Gemeindegrenzen hinaus bekannt gemacht. Mit Dem Bayerischen Hiasl führte die Bevölkerung 1879 erstmals ein Stück unter freiem Himmel auf. Es folgten, meist im Abstand von drei bis fünf Jahren, etwa Wilhelm Tell oder Andreas Hofer mit bis zu 500 Darstellern aus dem Dorf. Die jeweils sommerlichen Spielzeiten wurden in der Selbstwahrnehmung zur „Altusrieder Tradition“70. In der Saison 2013 sahen zuletzt 50.000 Besucher Don Quijote.71 Das Gelände der heutigen Allgäuer Freilichtbühne liegt in Tallage knapp einen Kilometer südlich vom Ortskern. 1999 wurde dort eine moderne, komplett 67 Interview mit Petra Eisenmann, Gästeinformation und Kulturamt Altusried, am 23.08.2013. 68 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 69 Markt Altusried: Statistischer Jahresbericht 2013: http://www.altusried.de/fileadmin/ Dateien/Dateien/Rathaus/Jahresbericht_2013.pdf (Zugriff: 11.08.2014). 70 Volker Klüpfel und Markt Altusried: Die Chronik der Freilichtspiele: http://www. altusried.de/de/freilichtbuehne/freilichtspiel-historie/freilichtspiel-chronik.html

(Zu-

griff: 11.08.2014) 71 Markt Altusried: Statistischer Jahresbericht 2013: http://www.altusried.de/fileadmin/ Dateien/Dateien/Rathaus/Jahresbericht_2013.pdf (Zugriff: 11.08.2014).

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überdachte Tribünenanlage fertiggestellt. Über den Zeitpunkt und die Auswahl einer neuen Eigenproduktion entscheidet die Bürgerversammlung, neben den einzelnen Bühnenakteuren wirken stets die ortsansässigen Musik- oder Trachtenvereine mit, Altusrieder Frauen kochen ehrenamtlich für Hunderte Laiendarsteller aus dem Dorf,72 in Vorbereitung und Aufführungszeit entsteht ein gemeindelebenprägendes „großes Ganzes“73. Eine Teilnahme von Neubürgern werten Einheimische als integrationsfördernd: „Mir sagen immer, wenn oiner nach Altusried zieht, no isch er zerscht amol Neutusrieder. Wenn er dann bei de Freilichtspiel’ mitduad, no wird er dabei Altusrieder“74, erklärt der alteingesessene Altusrieder Peter Klüpfel. Die Festspiele seien „a heilige Kuh bei uns“75. Er selbst ist seit 1952 Laiendarsteller, für ihn eine „Pflicht“76, denn: „Uns isch des in die Wiege gelegt, da kammer net anders. Uns’re Väter dädat sich im Grab rumdräha, wenn mir do et mitdädat.“77 Auch sein Sohn, Kluftinger-Autor Volker Klüpfel, ist von Kindheit an als Schauspieler dabei. Volker Klüpfel wuchs in Altusried auf, seine Eltern leben dort noch immer. Die ersten Kluftinger-Romane waren bereits Jahre im Handel, als sich die Gemeinde entschloss, geführte Rundgänge durch den Heimatort der Buchfigur anzubieten. Auf dem Kulturamt hatten sich immer wieder Leute nach solchen Besichtigungsmöglichkeiten erkundigt.78 Die erste Wahl als Guide fiel auf Peter Klüpfel. Als Vater des Autors und Alteingesessener schien er besonders qualifiziert. Nach anfänglichen Zweifeln – „Ach komm, hert’s doch auf, sowas brauch’ mer doch et macha! Da kommt doch niemand!“79 – sagte er zu. Seit Mai 2010 führt er im zweiwöchigen Turnus in den Sommermonaten Besuchergruppen durch Altusried, pro Jahr nach eigenen Angaben rund 400 Teilnehmer. Wegen

72 Peter Klüpfel, Mitschnitt während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 73 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter Kultur- und Verkehrsamt Altusried, am 13.02.2013. 74 Peter Klüpfel, Mitschnitt während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 75 Peter Klüpfel, Feldnotiz von der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2012. 76 Peter Klüpfel, Mitschnitt während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 77 Ebd. 78 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 79 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013.

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der insgesamt steigenden und teils zeitgleichen Nachfrage verschiedener Reisegesellschaften ist inzwischen auch seine Tochter als Krimi-Führerin miteingestiegen. 3.3.3.1.2 Design Die Krimi-Führung Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried ist ein rund zweistündiger Rundgang durch das Dorf. An verschiedenen Romanschauplätzen liest Peter Klüpfel passende Passagen aus den Büchern vor. Konzeption und Streckenführung hat er mit Sohn und Autor Volker Klüpfel gemeinsam ausgearbeitet. Startpunkt ist am Milchwerk Stegmann. Hier stimmen Georaum und literarischer Schauplatz aus Milchgeld aber nicht überein: In ihrem Erstling verlegten die Autoren das fiktive Milchwerk prophylaktisch in den Nachbarort Krugzell, um etwaigen Unmut seitens der Altusrieder Betreiber zu vermeiden. Es geht zum früheren, 1969 geschlossenen Altusrieder Polizeirevier (laut Fiktion arbeitete Kluftingers Vater da als Dorfpolizist), in eine Wohnsiedlung zu einer gemeinhin als nobel begreifbaren gelben Villa im Toskana-Stil (sie wird als Wohnhaus von Kluftingers snobistischem Antipart Dr. Langhammer besichtigt), auf den Rathausplatz und zur alten Volksschule. Mittlerweile nutzt diese – wie in den Büchern – die Altusrieder Musikkapelle als Unterkunft: Ein Raum im ersten Stock des alten Gebäudes ist voller Pokale, Urkunden und historischer Instrumente, er ist im Halbrund bestuhlt, zentral steht ein Notenständer – die Szenerie wirkt, als könne unmittelbar mit der Musikprobe begonnen werden.80 Kirche und Friedhof folgen als weitere Stationen. Ein Haus in Ortsrandlage benennt Klüpfel als Heim Kluftingers. In realiter ist es Volker Klüpfels Elternhaus. Hier gibt es ein wenig Theater: Peter Klüpfel ruft vom Straßenrand aus nach der angeblichen Erika, Kluftingers Gattin. Auf dem Balkon erscheint eine Frau und tauscht sich in eben dieser Rolle kurz mit dem Tourenleiter aus. Danach führt Peter Klüpfel die Gruppe aus dem Dorf hinaus, vorbei an Schulzentrum, Kindergarten und Sportplatz. Der Weg geht durch grüne Sommerwiesen hinab ins Tal, eine Hügellandschaft mit verstreut liegenden Höfen ist zu sehen.81 Nach einem Marsch entlang eines Bachlaufs ist die Freilichtbühne finale Station. Peter Klüpfel referiert über Bau und Bespielung und zeigt in den Katakomben eine Videobotschaft der Autoren.

80 Feldnotiz von der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2012. 81 Wie oben.

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Die Altusrieder Krimi-Führung schafft ein Mnemotop. Peter Klüpfel rezitiert nicht nur Buchpassagen. Er erzählt auch Kindheitserinnerungen oder eigene Anekdoten und schmückt sie mit fiktionalen Versatzstücken aus dem KluftingerUniversum aus. Z.B. berichtet er vor dem ehemaligen Polizeirevier von einem „Lausbuaba“-Streich in Kindheitstagen – worauf Kluftinger Senior, der alte Dorfpolizist, ihn und seine Freunde in die Gefängniszelle gesteckt habe.82 „Dieses Gschichtle“, sagt Klüpfel im Interview, sei ihm „tatsächlich passiert“83. Den autobiografischen Erzählermodus hat er den Publikumserwartungen angepasst: „I du halt den Kluftinger immer noch dazu.“84 Anderes Beispiel: Auf der Strecke durchs Altusrieder Wohngebiet erinnert sich Peter Klüpfel stets daran, wie in seinen Jugendjahren dort noch Wiesen gewachsen seien und er sich von Mai bis Ende September als Kuhhirte betätigt habe: manchmal an den Füßen fröstelnd, weil stets barfuß und in kurzer Lederhose unterwegs. Die damalige Taktik der „Hiatebuaba“: „Wenn a Kuah frisch g’schissen hat, na sind mir ganz schnell neig’standa. Und des war richtig schee warm, 40 Grad ung’fähr, herrlich.“85 Die eigene Retrospektive garniert er mit Reimen eines Allgäuer Heimatdichters. Die Altusrieder Krimi-Führung spielt einen von Kindheitserfahrungen prästrukturiert erzählten Landschaftsgenuss durch, sie ist performative Aufführung einer „anthropologische[n] Dimension von Landschaft“86 – greift also beschriebene Wahrnehmungsweisen aus der Fiktion auf. Am Bach am Ortsrand vergegenwärtigt Klüpfel, wie sein Großvater, ein Wirt, dort seine Speisekarte einst durch Schwarzfischerei bereichert habe: „Der hat handg’fischt, also nicht mit der Angel.“ Kluftingers Vater sei im Gebüsch auf der Lauer gelegen und habe den wildernden Wirt mit einer Forelle erwischt. „No hat mei Großvater g’seit: ‚Warum? Mer wird se ja wohl no aluaga derfa!‘ Und hat se wieder neig’schmissa. Na konnt er’n net fassa, er hat ja nix doa, er hat se ja nur ag’schaut.“87

82 Peter Klüpfel, Mitschnitt während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 83 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 84 Ebd. 85 Peter Klüpfel, Mitschnitt während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 86 Lehmann 2007, S. 163. 87 Peter Klüpfel, Mitschnitt während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013.

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Stephan Enser hat sich mit Kulturtourismus an Stätten, die Auskunft über die Vergangenheit der eigenen Kultur geben, auseinandergesetzt.88 Enser beschreibt, wie sich Gedächtnis an symbolische Objektivationen koppelt. Das setzt identitätsstiftende Raumkonstruktionsprozesse in Gang. Als Mnemotope versteht er Räume und Landschaften, „die durch die Erinnerungskultur mit Zeichen versehen und dadurch in ihrer Totalität semiotisiert werden“89. Der Bewegungsradius der Altusrieder Krimi-Führung wird durch die fiktionalisierten, aber als selbst erlebt deklarierten Narrative Peter Klüpfels zum Erinnerungsraum. Die über Orte und ihre Materialisierungen aktivierten Retrospektiven des Krimi-Führers bemühen ein spezifisches Altusrieder Gedächtnis. Die Führungsteilnehmer nehmen an einem mündlich vermittelten Erinnerungskollektiv der Einheimischen teil. Dieses Mobilisieren verorteter Vergangenheit wirkt als Authentifizierungsstrategie: Es birgt für die (nahezu ausschließlich auswärtigen) Krimi-Touristen eine Nähe zu jener Kultur, die so als ein echtes, verbürgtes Fundament für die bisher nur imaginierte Raumkultur der Lektüren wahrnehmbar ist und stellt damit Identifikationsmöglichkeiten mit dem literarischen Personal in Aussicht. Peter Klüpfel bedient auch einen Folklorismus-Bedarf. Er tritt in Tracht auf und spricht ausgeprägten Allgäuer Dialekt. Er grüßt der Gruppe begegnende Passanten namentlich („Griaß di, Erna!“90), benutzt Possessivpronomen bei der Vorstellung der örtlichen Vereine und ihrer Ausstattung („Des isch natürlich die Original-Trommel von unserer Musik, also Gründungs-Trommel, wemmer so will.“91), echauffiert sich über die gleichen Phänomene wie die fiktive Romanfigur Kluftinger (nämlich die zugeparkten Straßen während des sogenannten Alternativen Markts im Ort), berichtet über die eigene, langjährige Laienschauspielerkarriere auf der Altusrieder Freilichtbühne, bezeichnet sich als Teil einer „alteingesessene[n] Familie“92. Mit dieser Rhetorik weist er sich als Inhaber einer emischen Altusried-Perspektive aus.

88 Stephan Enser: Europa als Mnemotop. Kulturtourismus als Programm der europäischen Identitätsbildung. In: Hasso Spode/Irene Ziehe (Hg.): Gebuchte Gefühle. Tourismus zwischen Verortung und Entgrenzung (= Voyage. Jahrbuch für Reise- und Tourismusforschung, Bd. 7). München /Wien 2005, S. 103-120. 89 Ebd., S. 107. 90 Feldnotiz von der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2012. 91 Peter Klüpfel, Mitschnitt während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 92 Feldnotiz von der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2012.

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Die Wahl des Rundgang-Leiters beschert der Altusrieder Krimi-Führung ein Alleinstellungsmerkmal unter sämtlichen konsumierbaren Krimi-Angeboten im Allgäu: Peter Klüpfel steht für eingeweihte Kennerschaft. Als SchriftstellerVater punktet er mit Prominentenbonus und Literaturproduktionswissen. Zum Glaubwürdigkeitspostulat trägt außerdem bei, dass sich Peter Klüpfel selbst partiell mit Kluftinger identifiziert. Er gibt an, seinem Sohn für die Buchfigur teils Pate gestanden zu haben.93 Auch Führungs-Teilnehmer nehmen ihn so wahr. Dem verweigert er sich angeblich: „Heit [bei der Krimi-Führung, KL] ham’s au wieder g’sagt: ‚Herr Kluftinger, sie sollten au no unterschreiben.‘ Na hab i g’sagt: I bin net dr Kluftinger. [lacht] I unterschreib au’ et als Kluftinger.“94 Dass die Teilnehmer ihre Kluftinger-Idee auf ihn projizieren können, ist aber zweifelsohne Zweitvermarktungsvorteil: „Dort wartet ein Mann auf mich, bei dem man fast das Gefühl bekommt, dass es den Kluftinger wirklich gibt“95, moderiert Schmidt Max in der Sendung Freizeit: Schmidt Max und der Tatort Allgäu, während er vor laufender Kamera auf den in Lederhose, Janker und kariertem Hemd gewandeten Klüpfel zuradelt. Peter Klüpfel selbst lanciert die Denkfigur einer urtümlichen, charakteristischen Allgäuer Wesenseigenheit: „Der Grund, dass die zwei [Klüpfel und Kobr, KL] so erfolgreich sind, ist, glaube ich, dass die die Leut’ besser ang’schaut ham und den Menschenschlag. Man kann sich immer selber entdecken.“96 Die Altusrieder Krimi-Führung zeigt eine Allgäuer Ortschaft samt Infrastruktur – Käserei, Kirche, Vereinsheim. Bis auf ihre Sinngebung als literarischer Schauplatz unterscheidet sie sich nicht maßgeblich von anderen vergleichbarer Größe. Das Führungsdesign rekurriert auf Botschaften wie Dörflichkeit, Ländlichkeit und Gemütlichkeit. Bachläufe und als Allgäu-typisch interpretierbare, teils von Reitern durchkreuzte97 Wiesenlandschaften inszenieren Altusried als Element eines eingeübten Sehnsuchtsraummodells. Der humorig angelegte Führungstext vitalisiert Konstrukte früherer Alltage: Altusried erscheint im störungsresistenten Wo-die-Welt-noch-in-Ordnung-ist-Impetus als uriges AllgäuDorf, wo einzig Schlitzohrigkeiten die Kriminalitätsstatistik der ansässigen Poli-

93 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 94 Ebd. 95 Freizeit: Schmidt Max und der Tatort Allgäu. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 13.09.2012. 96 Feldnotiz von der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2012. 97 Wie oben.

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zisten verantworten, Kuhfladen kalte Füße wärmen und das Vereinsleben intakt ist. 3.3.3.1.3 Effekte In einer Fernsehsendung beschreibt Michael Kobr das Sehenswürdigkeitsrepertoire der Altusrieder Krimi-Führung so: „Die Familie Klüpfel hat lange in intensiven Sitzungen recherchiert, was mer in Altusried alles anschauen könnte. Und mer schaut jetzt glaub’ i normale Wohnhäuser einfach an, in Ermangelung von wirklichen touristischen Highlights. Aber isch au schön.“98 Ähnlich süffisant gestalten die Autoren die Videobotschaft, die abschließend den Führungsteilnehmern in der Altusrieder Freilichtbühne präsentiert wird: Kobr: „Die Gemeinde Altusried moint, sie müssten so Führungen machen, weil da Touristen kommen.“ Klüpfel: „Was für Führungen?“ Kobr: „Ja so Kluftinger-Führungen.“ Klüpfel: „Kluftinger-Führungen?“ Kobr: „Ha ja. Mei, ’s kommt ja jetzt, sag i mal, niemand extra nach Altusried, um irgendwas anzuschauen.“ Klüpfel: „Da gibt’s ja überhaupt nix zum Sehen.“ Kobr: „Ja.“ Klüpfel: „Was zeigen s’ dene armen Leut dann?“ Kobr: „Weiß i net.“ Klüpfel: „’S Milchwerk?“ Kobr: „’S Rathaus oder, oder. Gut, i mein’, d’Freilichtbühne kannsch scho mal zeigen, aber...“ Klüpfel: „Des isch ja wirklich d’s Einzige.“ Kobr: „Ja und unter der Zeit bringt’s ja eigentlich au nix. Da isch ja nix touristisch Sehenswertes.“ Klüpfel: „Ja, und des Wetter isch meistens schlecht und...“

98 Menschen der Woche mit Frank Elstner, SWR Fernsehen. Ausstrahlung am 02.03.2013.

190 | ALLGÄU RELOADED Kobr: „Und die Leut’ sind ja jetzt au net so, dass se sagen, ja, i stell’ extra Stühle naus, weil die Touristen kommen.“ […] Kobr [ans Publikum]: Schön, dass sie hier sind. Wir wollten sie kurz begrüßen. Schön, dass sie auf Kommissar Kluftingers Spuren unterwegs sind und endlich das touristische Potenzial von Altusried entdeckt haben. Klüpfel: „Es gibt ja hier tolle Sachen zu sehen! Ein Milchwerk! Unglaublich!“ Kobr: „Oder auch des Rathaus.“ Klüpfel: „Wunderschön! Sehr schöner Neoklassibarock...“ Kobr: „Jetzt äh... -zistisch, oder... ein wunderschönes Rathaus.“ Klüpfel: „Des Altusried bordet geradezu über von Sehenswürdigkeiten, die sie, meine Damen und Herrn, bei diesen Führungen erleben können!“99

Der Ironie ungeachtet: Vor Kluftinger hatte Altusried keine Kuriosa oder Einmaligkeiten zu bieten. Erst die literarische und dann touristisch-konsumierbare Erschließung machte das bis dato Profane im Ort zu etwas Besonderem. Einige Schauplätze waren Teilmengen der Bevölkerungsalltage. Mit ihrer Beanspruchung als Führungsstationen erfuhren sie eine Umdeutung zu bereisbaren Touristenräumen und materialisierter Fiktion: Kirche, Friedhof, Rathausplatz. Andere Besichtigungsstätten mussten nach ihrer belletristischen Erfindung vor Ort erst gefunden werden: wie das Langhammer-Haus, Heim von Kluftingers Intimfeind. Bei der Führungsplanung wurde überlegt, welches Gebäude im Dorf am ehesten die im Roman vorgestellte Optik träfe. Nun steuern die Ausflugsgruppen regelmäßig ein gelbes Wohnhaus mit Säulenvorbau an. Peter Klüpfel beschreibt das Auswahlverfahren: „Klar, mir brauchen a Haus, des sich a bissle abhebt von den andern. Und die Familie, die do wohnt, die hammer g’frogt, ob mer des nemma dürfat. [...] Und die freit sich scho drauf, und die weiß jetzt, wann mir kommen, dann isch die weg, dann geht die halt ins Haus nei. [..] Und die find’ des richtig pfundig, dass mer ihr Haus da nimmt.“100

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Videobotschaft von Volker Klüpfel und Michael Kobr. Mitschnitt während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013.

100 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013.

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Abbildung 2: Das „Langhammer“-Haus in Altusried.

Quelle: Eigene Aufnahme, 9.8.2013.

Die Krimi-Führung installiert Haltepunkte. Damit generiert sie Gleichzeitigkeiten von Räumen an spezifischen Orten und Objektivationen: solche des Wohnens und Reisens, des Zuhause-Seins und des Aufsuchens. Sie befüllt das scheinbar Gewöhnliche, Banale mit extraordinärem weil literarisch popularisiertem Sinn: Sie schafft Sehenswürdigkeiten. Und die Führungspraxis veranschaulicht den konstruktivistischen Charakter eben von Sehenswürdigkeiten. Der Altusrieder Kulturamtsleiter sagt zum Findungsprozess des LanghammerHauses, dass „natürlich ’ne Führung im Schloss Neuschwanstein von dem her gesehen deutlich einfacher“ sei, denn dieses gebe es „nun mal in realiter, das hat halt der gute Ludwig so hingestellt, und dann is’ es so.“101 Er hat recht, wenn er auf die quantitative Rarität prunkvoller Königsbauten im Vergleich zu Wohnhäusern anspielt. Zu Sehenswertem gemacht werden können aber, das zeigt das Krimi-Führungsbeispiel, die einen wie die anderen. Altusrieder spüren Effekte der Romane vor allem dann, wenn sie sich in der geografischen Fremde bewegen: Etwa Urlaubsbekanntschaften ist die Herkunftsangabe „Altusried“ seit Erscheinen der Kluftinger-Krimis gleich ein Be-

101 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013.

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griff, berichteten mehrere.102 Das ändert das Auskunftverhalten der Altusrieder: „Mer muss nimmer sagen, mer wohnt bei Kempten. Mer kann sagen, mer wohnt in Altusried. Net alle, aber sehr viele wissen dann: ‚Ah ja, Altusried: Kluftinger“103, sagt Kulturamtsmitarbeiterin Petra Eisenmann. Für ihren Kollegen Adrian Ramjoué ist Kluftinger „Synonym für Altusried“104 geworden. Das mediale Interesse hat zugenommen: Die lebensweltliche Vorlage für Kluftingers Wohnort und der dort praktizierte Krimi-Tourismus sind Gegenstand zahlreicher TV-Dokumentationen. Der enorme Anstieg des Bekanntheitsgrads ist die bedeutendste Folge für Altusried durch die Nennung in den Kriminalromanen, darin sind sich Bürgermeister, Kulturamtsleiter und Fremdenführer einig.105 Konsens besteht unter ihnen aber auch darüber, dass durch die Kluftinger-Codierung der örtliche Fremdenverkehr insgesamt keine signifikante Steigerung erfahren hat. Marginale Synergieeffekte entstehen zwar: Gelegentlich möchten Führungsteilnehmer im Anschluss an den Rundgang vor Ort Kluftingers Leibspeise essen, fragen Peter Klüpfel nach Einkehrmöglichkeiten. Der schickt sie in die entsprechende Lokalität, die zuverlässig Kässpatzen anbietet.106 Ein exorbitanter monetärer Profit durch die Kriminalromane, der sich beispielsweise in deutlichen Zuwächsen in Übernachtungsgewerbe und Gastronomie niederschlüge, ist aber nach Auskünften von Rathaus und Kulturamt nicht messund feststellbar – und wird dort auch nicht mit Nachdruck verfolgt. „Die Übernachtungszahlen halten sich bei uns im Rahmen. Das wird auch durch den Kluftinger nicht dramatisch nach oben explodieren“, meint Bürgermeister Heribert Kammel. Abgesehen vom Popularitätsgewinn spielt der Faktor Kluftinger für ihn „eher a untergeordnete Rolle“107. Peter Klüpfel glaubt, bis auf die durch-

102 Interview mit Heribert Kammel, Bürgermeister von Altusried, am 31.10.2013, mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013 und Petra Eisenmann, Gästeinformation und Kulturamt Altusried, am 23.08.2013. 103 Interview mit Petra Eisenmann, Gästeinformation und Kulturamt Altusried, am 23.08.2013. 104 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 105 Vgl. die Interviews mit Heribert Kammel, Bürgermeister von Altusried, am 31.10.2013, mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013 und mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 106 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 107 Interview mit Heribert Kammel, Bürgermeister von Altusried, am 31.10.2013.

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schnittlich 400 Krimi-Touristen jährlich kämen wegen Kluftinger nun nicht mehr Gäste nach Altusried als vor Veröffentlichung der Romane.108 Einen neuen Busparkplatz habe man wegen der Krimi-Touristenströme nicht bauen müssen, sagt Kobr.109 Laut Volker Klüpfel hat das Autorenduo die Goldene Bürgermedaille der Kommune nicht verliehen bekommen, „weil wir jetzt fünf Übernachtungen mehr da reinbringen, sondern weil wir dem Ort anscheinend ein sympathischeres Image verleihen.“110 Folgen von ökonomischer Relevanz sind durch Romane und Führungen vor Ort nicht spürbar oder belegbar. Doch Literatur und Tourismus haben dem Gemeinderaum neue Narrative eingraviert. Die literarischen Raumgeschichten sind Magnet für einen bestimmten erlebnisorientierten, zureisenden Personenkreis, die Krimi-Führungen als Raumrepräsentationen Lefebvreschen Verständnisses Ergebnis planerischer Vorgaben. Doch die räumliche Praxis der Altusrieder Alltagsakteure tangieren sie kaum. Die Sozialraumherstellung der Einheimischen ist nicht kontinuierlich Kluftingerdeterminiert, die Dorfbewohner übernehmen anscheinend keine Anleihen aus der Fiktion zur eigenen Identitätskonstruktion. Redewendungen aus den Romanen, Begrifflichkeiten oder Nominierungen, wie z.B. „Langhammer-Haus“, gehen laut Ramjoué nicht in den Altusrieder Sprachschatz über.111 Der Romanheld hat sich nach Angaben des Kulturamtsleiters nicht zur Altusrieder Symbolfigur entwickelt, aus emischer Perspektive erfolgt keine Erklärung des Ortes über oder eine Identifikation mit Kluftinger. In vor Ort geführten Interviews klingt an, dass die literarisch-touristische Inwertsetzung Altusrieds vereinzelt auf Missgunst, großteils aber auf Akzeptanz stößt. Es lässt sich weder auf Euphorie für die Belletristik und performative Praxis schließen, noch auf vehemente Abneigung dagegen. Die Befragten sehen die Ursache dafür meist in der noch moderaten quantitativen Ausprägung des Krimi-Tourismus. „Mei, der Allgäuer nimmt des halt so hin“, beschreibt Adrian Ramjoué eine eher unenthusiasmierte Haltung, und weiter: „Würde der Kluftinger jetzt nicht in Altusried beheimatet sein, sondern, i sag’ mal, drüben in Haldenwang [ein knapp 15 Kilometer entfernter Ort, KL], na tät’ der Altusrieder sagen: ‚Ja, isch halt so.‘“112

108 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 109 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 110 Ebd. 111 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 112 Ebd.

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Einheimische scheinen dem offensichtlichen Besichtigungsreiz des eigenen alltäglichen Dorfraums höchstens mit Befremden zu begegnen. Bürgermeister Heribert Kammel: „Wir Altusrieder denken uns: komisch [lacht]. Komisch. Warum lassen sich da Leute, die jetzt von weiß Gott woher kommen und des Buch lesen, diese Schauplätze da zeigen?“113 Sogar für den Krimi-Führer selbst sind die Nacherlebenspraktiken seiner Akteure mitunter nicht nachvollziehbar: „Die [Krimi-Touristen, KL] kommat von Lübeck und von Hamburg und machen zum Teil sogar Kluftinger-Urlaub. Also i hab’ scho Leut’ g’habt, die ham g’sagt, sie sind a ganze Woche jetzt im Allgäu, ham alle Stationa durchg’macht. […] Die sind ja et doof. Mei, des sind ja alles vernünftige Menschen, und trotzdem verinnerlichen die des so.“114

Nach Volker Klüpfels Ansicht stünden die Altusrieder Kluftinger „neutral“115 gegenüber: „Also sie ham ihn schon irgendwie eingemeindet, aber es isch etzt et so, dass sie wahnsinnig stolz auf ihn wären.“116 Die lokale Innenwahrnehmung macht sich eher an tradierten Gemeinschaften fest: KL: „Identifizieren sich die Altusrieder mit Kluftinger?“ Peter Klüpfel: „I glaub’ jetzt ita. Es gibt scho oi [welche, KL], dia des ganz toll finden und do au stolz sind, Altusrieder zum sei. […] Aber i bin au stolz, wenn jetzt, sag mer, unser U50-Chor a tolles Konzert macht in Kempta […]. Und no sag’ i: ‚Mensch, toll, Altusrieder! Mir Altusrieder, mir sind scho wilde Hund!‘“117

Das literarische und dann medial transformierte Kluftinger-Altusried beschwört kein neues dörfliches Kollektiv. Von Gewicht sind aber die Wechselwirkungen, in die es mit einem wesentlichen und etablierten Element des dörflichen Gesellschaftsraums tritt: der Freilichtbühne. Mit Laienspiel haben Klüpfel und Kobr einen ganzen Kluftinger-Roman jenem Alleinstellungsmerkmal gewidmet, das das lebensweltliche Altusried von anderen Oberallgäuer Dörfern in seinem Umkreis unterscheidet. So geht der

113 Interview mit Heribert Kammel, Bürgermeister von Altusried, am 31.10.2013. 114 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 115 Volker Klüpfel in SWR4 Matinee, SWR4-Radio. Sendung vom 01.04.2013. 116 Ebd. 117 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013.

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Plot: Wie alle paar Jahre inszenieren die Altusrieder ein Freilichtspiel – Wilhelm Tell. Die Premiere gerät fast zur Katastrophe, hätte Kluftinger nicht gerade noch ein auf dem Theatergelände geplantes Bombenattentat vereitelt. In der Rahmenhandlung von Kluftingers viertem Fall wird nach dem Wirklichkeitsmuster die Chronologie eines solchen Theaters ausführlich durchexerziert: von den gemeinsamen Proben der Dorfbewohner im Vorfeld über ihr allabendliches Pilgern zum Bühnengelände bis zum Eröffnungszeremoniell samt Musikkapellen-Auftritt und Reden von Schirmherren aus der bayerischen Politszene. In der Erzählung heißt es: „Auch wenn es [Kluftinger] manchmal seltsam vorkam, dass sich so viele Altusrieder, ganze Familien sogar, nach Feierabend in albern aussehende Kostüme warfen, um sich mit Mistgabeln und Dreschflegeln die Köpfe einzuschlagen, durchströmte ihn in diesem Moment ein großes Glücksgefühl, an etwas so Außergewöhnlichem wie dieser gemeinschaftlichen Inszenierung teilhaben zu dürfen.“118

Abbildung 3: Peter Klüpfel mit Krimi-Touristen vor der Altusrieder Freilichtbühne.

Quelle: Eigene Aufnahme, 9.8.2013.

118 Laienspiel, S. 54.

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Auch bei der Altusrieder Krimi-Führung kommt der Freilichtbühne prominente Geltung zu. Als einzige aller Stationen gewinnt sie nicht erst durch die Fiktionalisierung den Stellenwert des Besonderen und nicht auch andernorts Vorfindlichen. Und die Freilichtspiele sind im Führungsnarrativ beständig präsent: in den vorgelesenen Buchpassagen, in Peter Klüpfels Berichten vom eigenen Engagement als Schauspieler, auf historischen Fotografien früherer Besetzungen im besichtigten alten Schulhaus, das zugleich Freilichtbühnen-Fundus ist. Und schließlich bildet das Festspielgelände die finale Station, den längsten Aufenthalt und Höhepunkt der Führung: Peter Klüpfel informiert dort ausführlich über Tribünenarchitektur und Theatertradition.119 Die Freilichtspiele haben Altusried bereits vor den Kluftinger-Romanen zur namhaften Ortsangabe gemacht – jedoch nur in einem vergleichsweise überschaubaren Radius. Bürgermeister Heribert Kammel beziffert ihn auf 200 Kilometer.120 Durch die Krimis, die bundesweit und im gesamten deutschsprachigen Raum gelesen werden, hat sich die Reichweite von Altusrieds Bekanntheit erheblich vergrößert. Peter Klüpfel beschreibt die Verschiebung im örtlichen Bedeutungsranking so: „Die Freilichtspiele gibt’s scho länger, aber Kluftinger hat halt a bissle überholt.“121 Allerdings gilt das nur für die Außenwahrnehmung. Auswärtige assoziieren den Ort verstärkt mit der Buchfigur. Innenperspektivisch bleibt die Freilichtbühne bedeutsamer: „Auch wenn des außerhalb der Region ein wichtigerer Faktor ist, der Kluftinger, weil sie [Auswärtige, KL] halt die Freilichtbühne noch nicht kennengelernt haben, sag’ ich, dass die Freilichtbühne intern, also was Altusried anbelangt – den Ort und die Bürgerschaft –, schon noch viel mehr ist, als jetzt diese Romanfigur. […] Natürlich sind die Altusrieder stolz darauf, dass mer so bekannt geworden sind und dass es den Kluftinger gibt als Romanfigur. Aber die Freilichtbühne, die erleben sie halt in der Realität.“122

Fiktion und Führung setzt die Freilichtbühne in neue, und zwar veräußerbare Kontexte und macht auch sie weiter publik. Die Literatur, ihre touristische Zweitverwertung und die Allgäuer Freilichtbühne betreiben Cross-Promotion.

119 Feldtagebuch von der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 120 Interview mit Heribert Kammel, Bürgermeister von Altusried, am 31.10.2013. 121 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 122 Interview mit Heribert Kammel, Bürgermeister von Altusried, am 31.10.2013.

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Kluftinger ist nicht Konkurrenz für das Theater, vielmehr bewerben sich beide gegenseitig. Manche Krimi-Touristen werden durch ihre Führungsteilnahme überhaupt erst auf die Freilichtbühne aufmerksam. Volker Klüpfel erzählt von vielen schriftlichen Rückmeldungen an die Autoren, in denen deren Verfasser berichten, dass sie nach ihrer Teilnahme an der Krimi-Tour Altusried auch eine Theateraufführung besuchten.123 Allerdings generiert nicht nur die Buchfigur mehr Aufmerksamkeit für die Freilichtbühne, sondern auch umgekehrt. Der KrimiTourismus profitiert von geübten Theatergästen. Karin und Lothar Märkle aus Höchstädt an der Donau etwa waren im August 2013, als auf der Freilichtbühne Don Quijote gespielt wurde, auf Kurzurlaub in Altusried: Nachmittags nahmen sie an der Krimi-Führung teil, abends sahen sie das Stück. Jahre zuvor haben sie sich bereits eine Wilhelm-Tell-Inszenierung im Ort angeschaut. Die Intention dieses Mal war: „I wollt’ meim Mann zum Geburtstag Don Quijote schenken und hab’ mi dann a bissl informiert im Internet, und da simmer auf diese Kluftinger-Führung übers Tourismus-Büro g’stoßen. Na hab’ i mir gedacht, des muss i ihm dazu schenken, weil er isch totaler Fan.“124 Ähnlich verhält es sich beim Schwarzwälder Ehepaar Immele. Sie liefen bei der Kluftinger-Tour mit, ausschlaggebend für ihren dreitägigen Aufenthalt in Altusried war aber das Laientheater. KL: „Wie sind sie dazu gekommen, die Führung mitzumachen?“ Gertrud Immele: „Wir waren schon öfters in den Freilichtspielen. Und da geh’ mer auch morgen wieder hin. KL: „Und wie sind sie auf die Führung aufmerksam geworden?“ Gertrud Immele: „Ich hab’ im Internet geschaut und ich wusst’ an für sich schon lang, dass es die Kluftinger-Führungen gibt. Und jetzt hammer g’sagt, wir machen zwei Nächte und machen dann heute die Führung mit.“125

123 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 124 Ethnografisches Interview mit Karin Märkle (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 125 Ethnografisches Interview mit Gertrud Immele (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013.

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Es gibt also Synergieeffekte zwischen Krimitourismus und Freilichtbühne? Ja, sagt der Kulturamtsleiter: „Die gibt’s. Die sind nicht so direkt zu messen, aber mer kriegt des natürlich mit, dass Leute nach Kluftinger fragen, weil se g’rad in Altusried sind, um sich die Kastelruther anzugucken oder Pur [das Freilichtbühnengelände ist auch Veranstaltungsort für Konzerte und Gastauftritte, KL] oder ’ne Produktion von uns. Oder es gibt natürlich au’ des Umgekehrte, dass sich welche zu ’ner Führung anmelden und dann weisen wir sie schon sehr gerne und direkt drauf hin, dass wir natürlich neben dem Kluftinger die Freilichtbühne ham, die mer aus dem Laienspiel ja kennt.“126

Die Literatur wird zur Verweismöglichkeit auf bestehende Erlebnisofferten des Orts. Es besteht eine Reklame-Allianz. Eine Infotafel vor dem Freilichtbühnengelände zu technischen Daten der Tribüne und Kartenvorbestellungsoptionen wirbt auch für die Krimi-Führungen. Und im Flyer127 von Don Quijote kündigt eine Anzeige eine sogenannte LitComedy-Show der Autoren an – die eben auf der Freilichtbühne stattfindet. Während ihrer Lesetourneen nach Erscheinen eines neuen Kluftinger-Romans machen Klüpfel und Kobr auch immer Station vor dem Altusrieder Tribünenrund. An der Allgäuer Freilichtbühne findet multimediales Aushandeln von Raum statt. Erst sozial produzierte Alltagsbühne der Dorfgesellschaft, wird der Laientheaterraum durch seine literarische Aufbereitung fiktionalisiert. In mündliche, visuelle und performative Medienformate wie Lesung und Krimi-Führung übersetzt, kehrt das modellierte Romannarrativ in den lebensweltlichen Bühnenraum zurück und flicht sich ihm sinngebend ein. Der Komplex Freilichttheater ist dörflicher Identifikations-, Festspiel- und Lektüreraum. Solche Raumgleichzeitigkeiten können, wenn harmonisierend und nicht disputierend, in Reklamestrategien münden; ihr Ankommen in der populären Wahrnehmung kann, wie in Altusried, zum Wunschziel werden. Ramjoué: „Ich kann mir scho’ vorstellen, dass über so ’ne Romanfigur wie Kluftinger Altusried schon gewinnen kann. Also es wäre natürlich sehr wünschenswert. Und wir möchten natürlich auch, dass, wenn Altusried bekannter wird, natürlich au’ die Freilichtbühne bekannter wird und wir des Prädikat mit dem Festspielort Altusried, so wie ich des au immer

126 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 127 Allgäuer Freilichtbühne: Don Quijote. Von einem der auszog, die Welt zu retten! Flyer.

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versuche, in den Medien platzieren. […] Es wäre schön, wenn es irgendwann mal so wäre, dass Kluftinger und Altusried praktisch wie eins sind, und egal, was man jetzt von beiden Begriffen hört, mer sofort weiß, um was geht’s. […] Heut’ weiß a jeder, wenn er die drei Balken sieht: ‚Ah, klar, Adidas.‘ Und diese Entwicklung zu bekommen, des wär’ scho nicht schlecht.“128

3.3.3.2 Kempten 3.3.3.2.1 Start Kempten ist die „Allgäu-Metropole“129: So heißt es im Kriminalroman genauso wie in der nonfiktionalen Eigenvermarktung und Außendarstellung.130 Mit 65.000 Einwohnern ist die Stadt die größte des Allgäus, außerdem die erste schriftlich bezeugte und damit älteste Deutschlands. Ab dem Mittelalter existierte die ehemalige Römersiedlung Cambodunum in Zweiteilung. Erst 1818 vereinigten sich die Stiftsstadt der Fürstabtei und die freie Reichsstadt durch königlichen Befehl. Seit 1978 ist Kempten Hochschulsitz mit inzwischen knapp 5000 Studierenden und gilt heute als renommierter Wirtschaftsstandort Bayerns. Das städtische Reklameportfolio betont eine gelingende Dialektik aus Historie und Modernität, von Alt und Neu. Flyer und Prospekte stellen Kemptens 2000jährige Vergangenheit heraus und empfehlen Gästen einen Besuch des architektonischen Erbes: etwa mit dem Archäologischen Park Cambodunum, der in rekonstruierten Tempelanlagen und Ausgrabungen an die römische Besiedlungszeit des Voralpenlands erinnert, einem erhaltenen Stadtmauerdurchgang, der gotischen St. Mang-Kirche, Patrizierbauten am Rathausplatz, der St. LorenzBasilika als erstem großem Kirchenbau Süddeutschlands nach dem Dreißigjährigen Krieg, mit Fachwerkhäusern im Handwerkerviertel der früheren Stiftsstadt oder der ehemaligen Residenz der Fürstäbte mit ihren Prunkräumen in RokokoAusstattung. Gleichermaßen wirbt „Kempten Tourismus“ mit „eine[r] Menge trendige[r] Bars, originelle[n] Kneipen und stilvolle[n] Restaurants“, internationaler wie allgäuerischer Kulinarik, dem „südländischen Flair“ des Rathausplatzes, Kunst, Klassik-Konzerten und unterirdischen Multivisionsshows, dem jährlichen Jazz-Frühling, „Spitzenveranstaltungen aller Art“ in der Multifunktionshalle bigBOX Allgäu, einer Shopping-Infrastruktur, die „alles [bietet], was das Einkaufsherz begehrt“, der jährlichen Verbrauchermesse Allgäuer Festwoche als 128 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 129 Laienspiel, S. 12. 130 Kempten Tourismus- und Veranstaltungsservice (Hg.): Lust auf Kempten. Ein Spaziergang durch Geschichte und Kultur. Flyer.

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„Glanzpunkt des regionalen Wirtschaftslebens“ samt umfangreichem Rahmenprogramm.131 Auch Tanja Beggel von der Kemptener Tourist Information akzentuiert die moderne Ausrichtung und den urbanen Charakter Kemptens, verweist auf Studentenkultur und starke Wirtschaftszweige und grenzt die Stadt deutlich als Epizentrum des High-Life-Potenzials von ihrer Umgebung ab: „Die Landbevölkerung, junge Leute, Jugendliche, die aufm Land um Kempten rum wohnen, oder au viele von auswärts, sagen, sie wollen nach Kempten kommen, weil in Kempten sehr, sehr viel los isch. Also auch kulturell isch sehr, sehr viel geboten. Wie g’sagt, s’isch a Metropole, also gegenüber am Landleben und am Dorfleben von am kloinara Ort, von einer kleineren Gemeinde bietet Kempten eigentlich sehr, sehr viel.“132

Allgäu-Krimi-Autorin Nicola Förg befand Kempten in den 80er Jahren für „toter als tot“, heute sei es eine „sensationell schöne Stadt“, die mit zahlreichen Straßencafés „fast wie in Italien“133 anmute. Seit Jahren notiert die sogenannte Allgäu-Metropole Zuwachsraten im Übernachtungsbereich. Im Fremdenverkehr setzt sie Schwerpunkte mit der Radtouristik, ihrem (Hoch-)Kulturangebot – und über 25 Stadt-, Themen- und Museumsführungen. Z.B. nimmt das LivingHistory-Format Ritter – Fürstabt – „Hexe“ die Teilnehmer mit auf eine inszenierte Zeitreise mit Spielszenen, eine Stadtführung auf Frauenspuren erzählt von Künstlerinnen, Textilarbeiterinnen und Mägden, die Kemptener Kostproben servieren ebensolche in verschiedenen Lokalen, es gibt eine klassische Stadtbegehung und einen abendlichen Stadtspaziergang zur blauen Stunde, Führungen durch Residenz, Alpin-, Burgen- und Allgäu-Museum, durch den Duft- und Heilpflanzengarten, außerdem SEGWAY-City-Touren.134 Und unter dem Motto Kommissar Kluftinger ermittelt können seit 2007 die innerstädtischen Schauplätze aus Klüpfels und Kobrs Kriminalromanen besichtigt werden.135 Maria Rodica-Menzel hat die Kemptener Krimi-Führung konzipiert, zunächst für Stuttgarter Mitarbeiter des Piper-Verlags, die zu einer Autorenlesung

131 Ebd. 132 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013. 133 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 134 Kempten Tourismus und Veranstaltungsservice (Hg.): Kempten für Entdecker 2013. Stadtführungen, Themenführungen, Museumsführungen. Prospekt. 135 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013.

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anreisten.136 Ursprünglich arbeitete sie als Leiterin herkömmlicher Stadtführungen. Inzwischen kann die Tour zwischen Mai und Oktober an jedem ersten Freitagnachmittag im Monat und gruppenweise individuell und jederzeit gebucht werden. Der Zulauf ist seit Beginn konstant geblieben bis angestiegen,137 bei den öffentlichen Führungen nehmen regelmäßig bis zu 35 Personen teil, auch die privaten Gruppenführungen werden pro Saison stark nachgefragt.138 3.3.3.2.2 Design Start der Kemptener Kluftinger-Führung ist an der Residenz, dem früheren Klosterkomplex der Fürstäbte und heutigen Sitz des Landgerichts. Von dort geht es in rund zwei Stunden zu Handlungsorten der Romane im Kemptener Zentrum.139 Dort trägt der jeweilige Stadtführer die passenden Literaturstellen vor. In Kempten gibt es mehrere Kluftinger-Guides. Die stellen zu Beginn den fiktiven Charakter Kluftinger vor: er sei ein „typischer“140 und „wirklich so a alter Allgäuer“141, der heimischen Kulinarik zugetan, in Altusried lebend, aber in Kempten als Kommissar seinem Polizistenberuf nachgehend. Über das Messegelände der Allgäuer Festwoche (während dieser „fünften Jahreszeit“142 Kemptens im August hat Kluftinger seine Gattin kennengelernt) – geht es zu Kluftingers Arbeitsstelle. Die reale Lage der Kriminalpolizeiinspektion nutzten die Autoren hinlänglich zur komödiantischen Aufbereitung: Sie befindet sich gegenüber eines Bordells. Die Krimi-Route streift das Forum Allgäu, eine vom Kommissar skeptisch beäugte Mall, und kreuzt die von Passantenmengen belebte Kemptener Fußgängerzone.

136 Ethnografisches Interview mit Maria Rodica-Menzel, Stadtführerin in Kempten, während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 137 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 138 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013. 139 Soweit nicht genauer angegeben, fußen die Angaben auf den Feldtagebüchern von der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 03.08.2013 und am 02.08.2013. 140 Maria Rodica-Menzel, Mitschnitt während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 141 Theresia Wölfle, Feldnotiz von der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 03.08.2012. 142 Wie oben.

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Halt macht die Gruppe auch im Parktheater: In Laienspiel ist die Diskothek Austragungsort einer Schießerei. Zur Nachmittagszeit der Führung sind die Räume dunkel, der leere Dancefloor zwischen Theke und Diskokugel wird zum Lesungsort. Genauso der Verkaufsraum des Schuhhauses Onkel Hannes. Im Roman erzwingen Kluftingers Frau und Mutter dessen Kauf eines Tanzschuhpaares, und zwar im „ersten Stock des Schuhladens in der Kemptener Altstadt, in dem Kluftinger schon als Bub eingekauft hatte. Er hatte damals darauf bestanden, wie alle seine Freunde, weil es dort eine Rutsche hinunter zur Kinderabteilung gab. Die Rutsche gab es immer noch.“143 Im Buch bleibt das Geschäft namenlos. Dass die Führung das Schuhhaus Onkel Hannes ansteuert, liegt an eben dieser Rutsche. So eine existiert nur einmal im lebensweltlichen Kemptener Einzelhandel. Dennoch muss die Kluftinger-Tourenleiterin ihrem Publikum, bevor sie zwischen Regalen, Haferlschuhen und stöbernden Kunden zum Lesevortrag ansetzt, erklären: „Es könnte auch jedes andere Schuhhaus in Kempten sein.“144 Denn dieses Element im Führungsraster stieß auf den Widerstand der Autoren. Klüpfel und Kobr möchten das Konzept einer jeden Kluftinger-Führung kennen. Solange Abweichungen zwischen literarischen Schauplätzen und dem als reale Entsprechung Vorgestellten nicht gravierend sind, wollen sie keinen Einfluss nehmen. Beim Schuhladen verwehrten sich die Autoren aber einer ausdrücklich formulierten Gleichsetzung von Fiktion und wirklichem Pendant, d.h. auch dem Gruppenbesuch der Innenräume des Onkel Hannes. Grund: „In Kempten war’s zum Beispiel so, da sind die immer zu so am Schuhladen ’gangen, und ham g’sagt, des isch der Schuhladen aus’m Buch. Und da hammer g’sagt, des soll’n se bitte unterlassen, weil wir wollen für kein’ Schuhladen Werbung machen“145, sagt Volker Klüpfel. Andere Einkaufsepisode mit Comedy-Qualität aus der Romanvorlage: Auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für seine Frau landet Kluftinger in der Wäscheabteilung „beim Horten“146. „Horten“ ist der früher gebräuchliche Name für die Galeria Kaufhof. Entsprechend macht die Krimi-Führung den Dessous-Bereich der Kemptener Filale jenes Warenhauskonzerns zur begehens- und besehenswerten Stätte: Zwischen Warenauslagen, Wäsche, Büstenhalter und Stringtangas vorführenden Puppen und stöbernden Kaufhauskunden bekommen die Führungsteilnehmer Romanpassagen vorgelesen.

143 Laienspiel, S. 118f. 144 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 145 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 146 Seegrund, S. 115.

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Abbildung 4: Krimi-Führung in der Dessous-Abteilung.

Quelle: Eigene Aufnahme, 2.8.2013.

Durch den Hofgarten, einer mit Blumenbeeten, Zierrasenflächen, Bänken und Brunnen zur Residenz gehörigen Parkanlage klassisch-ästhetischer Zurichtung, geht es zum Sushi-Haus. Das japanische Lokal liegt an einer Durchfahrtsstraße abseits der Fußgängerzone und ihrer flanierenden Massen, die einzigen visuellen Auffälligkeiten in der stadtlandschaftlichen Umgebung bilden zwei große, goldene Drachenfiguren, rote Ballonlampen und eine blinkende Lichterkette vor seinem Eingang. Die Führung inszeniert es als lebensweltliches Komplement zum fiktionalen Restaurant Han Po, in dem der sonst kässpatzenaffine Kluftinger seine Premierenverkostung asiatischer Algen-Reis-Fisch-Gerichte erlebt. Weil Kluftinger einen Tanzkurs absolvieren muss, wird auch wenige Schritte weiter, am Straßenrand vor einer Tanzschule, Halt gemacht und vorgelesen. Zum Abschluss geht es zur Brauereigaststätte zum Stift. Dort können die Teilnehmer optional Kluftingers Leibspeise testen und zum Kässpatzenessen einkehren. Die Kemptener Kluftinger-Führung steuert teils Orte an, über deren reale Entsprechung die Fiktion nur vage Auskunft gibt, wo die Kriminalgeschichte laut Stadtführerin Theresia Wölfle also „sein könnte“147. Unter den Schuhgeschäften und Tanzschulen der Stadt wählten die Guides exemplarisch aus, was

147 Theresia Wölfle, Feldnotiz von der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 03.08.2012.

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ihnen passend erschien. Nicht allein das literarische Narrativ legitimiert sie als betrachtenswerte Schauplätze, sie sind Planungsmasse tourismusangeleiteter Inwertsetzung. Abbildung 5: Die „Galeria Kaufhof“ in Kempten.

Quelle: Eigene Aufnahme, 20.4.2013.

Das Kemptener Krimi-Führungsdesign schafft eine noch eklatantere Prädikatisierung des Geläufigen als das Altusrieds. Die fiktive Bedeutungsdreingabe verleiht Fußgängerzonen, Einzelhandel oder Gastronomie Strahlkraft – sonst sind sie profan Konnotiertes. Die Kemptener Führung schreibt sich überregional vorfindlichen und mitunter auswechselbaren städtischen Infrastrukturen ein. Shoppingmalls oder Japan-Restaurants existieren auch in anderen urbanen Zentren. Sie stehen für mobile Konsumkulturen, globalisierte und nicht lokalkolorierte Räume. Mit der Galeria Kaufhof etwa inszeniert die Führung gerade die Negation von Orts- oder Regionenspezifik. Sie ist Zweigstelle einer bundesweit agierenden Kette, die charakteristische Fassadenkachelung nichts unverwechselbar Kemptenerisches, sondern in diversen Städten zu sehen. Architektur, LogoAusstattung und Labeling der Filiale demonstrieren serielle Reproduktion. Das literarische Narrativ zeichnet das Triviale aus – und indiziert hier seine Aus-

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tauschbarkeit. Das Warenhaus, transitorischer Nicht-Ort Augéscher Definition148, statten erst Fiktion und ihre Zweitverwertung mit Eigentümlichkeit aus. Punktuell zielt das Führungsdesign auf das abseitige, hinterhöfische und trashige Kempten: Bordell-Peripherie und Dessous-Abteilung werden Lesungsorte, die Teilnehmer über die altpapierstapel- und putzutensilgesäumte Nebentür einer Diskothek in die schummerlichtige Verlassenheit ihres nachmittäglichen Innenraums gebracht. „Des isch ja net des schöne Kempten“, sagt KrimiFührerin Theresia Wölfle, die auch andere Themenstadtrundgänge leitet, „des isch net des, was i in der klassischen Führung zeigen würde.“149 Einzelne Teile der Führung entsprechen nicht den ästhetischen Qualitäten eines populären und hochkulturellen Sightseeing-Kanons. Diskotheken, Tanzschulen und Bordelle zählen zur Stadtlandschaft nach gegenwärtigem kulturwissenschaftlichem Verständnis: Es sind nicht harmonische, ländliche Draußenräume. Die Kemptener Krimi-Führung rückt das unidealisierte Urbane mit in den Betrachterfokus. Die Populärliteratur macht es als Kuriosum lesbar. Sie schürt das ästhetische Vergnügungspotenzial150 des Anstößigen, Schlüpfrigen und Ordinären. Die rotlichtige Nachbarschaft des Kommissariats erlebten die Krimi-Touristen als „Brüller schlechthin“151. Allerdings lässt das Krimi-Führungsdesign auch viel Raum für das tradiert ansehnliche Kempten mit seinen etablierten Sehenswürdigkeiten. Brunnen mit opulentem Blumenschmuck, die Doppeltürme der St. Lorenz-Basilika, die Blumenanlagen im Hofgarten und die Barockbauten der ehemaligen Residenzstadt liegen an der Strecke. Sie sind mehr als visuelles Dekor. Krimi-Führerin Theresia Wölfle gibt unterwegs die Direktive: „Wir verlassen jetzt kurz Kluftinger“152, um neben der ehemaligen Stadtmauer über Kemptens Historie, d.h. die einstige Aufteilung in Stifts- und Reichsstadt zu berichten. Später informiert sie über das frühere Gerberhandwerk und die Residenz. Wie ausführlich Wölfle das städtische Kulturerbe in den Führungstext integriert, hängt von Teilnehmer- und Gruppenstruktur ab. Trotz oder wegen der mitunter gewöhnlichen Stationen: Die Führungsanbieter beabsichtigen durchaus, eine besondere Allgäuer Identität zu transportieren.

148 Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. Frankfurt am Main 1994. 149 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 150 Vgl. Maase 2005, S. 286. 151 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 152 Theresia Wölfle, Feldnotiz von der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 03.08.2012.

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Tanja Beggel verantwortet bei der Tourist Information Kempten die Organisation sämtlicher Stadtführungen. Für sie kennzeichnet die „Grundhaltung“ der Krimi-Führung, „dass die Bücher natürlich an gewissen Humor ham, und dass die Führung natürlich au’ in ’ner gewissen Weise humorvoll aufbereitet werden sollte. […] Ja, am besten wär’s, wenn natürlich der Stadtführer au’ a bissl unser’n Sprachgebrauch, also unser’n Dialekt mehr oder weniger spricht, dass au’ dieses Lokale und dieses Regionale dann einfach au’ an Einfluss hat auf die Führung. I glaub’, dass des natürlich au ganz gut ankommt. Also i glaub’, dass die Gäste dann schon erwarten, dass diese Grundhaltung dieses Kommissars mehr oder weniger vermittelt wird. Also dieses Gemütliche, Allgäuerische.“153

Den touristischen Kemptener Krimi-Führungsregisseuren geht es darum, regionale Spezifik nachdrücklich im Erlebnisdesign zu verankern. Eine „Allgäuer Eigenheit“154 ist für die Guides in der Führungsgestaltung zu berücksichtigender Imperativ. Das soll axiomatisch vorausgesetzte Erwartungshaltungen der Teilnehmer befriedigen. Die touristischen Raumanbieter verfahren im ContainerImpetus: Das Konsumgut Kempten wird als Kulturraum mit origineller und erkennbarer Befüllung bereitgestellt. Für Führungsleiterin Theresia Wölfle ist das Raumspezifische der Kemptener Krimi-Führungen eine zum Ausdruck gebrachte „Mentalität der Allgäuer“155. Sie selbst nutzt bei den Touren Sprache als Marker regionalisierter Kultur: „Dialekt baut mer natürlich mit ein. Mer kommt am eigenen Dialekt scho gar net vorbei.“156 Die Person des Führungsleiters ist sozialer Akteur – und produziert die je erzählte Version von Kempten/Allgäu mit. Ähnlich wie jenes Peter Klüpfels in Altusried ist auch das Auftreten der Allgäuerin Theresia Wölfle in Kempten Authentifizierungsstrategie, um einen Allgäuer Menschenschlag vorzuführen. Wölfle verwendet ebenso Personalpronomen mit Inklusionsfunktion und formuliert distinktive Wesenseigenarten: „Im Allgäu ist man ja sparsam und it geizig, das unterscheidet uns von den Schwaben“, erklärt sie etwa während einer

153 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013. 154 Ebd. 155 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 156 Ebd.

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Führung, und: „Warum sind die Kluftinger-Bücher so beliebt? I denk’, weil mer uns an Spiegel vorhält [Hervorhebungen: KL].“157 Allerdings wechseln sich in Kempten verschiedene Kluftinger-Guides ab. Dadurch tritt merklich zutage, wie der jeweilige Leiter das Führungsnarrativ von Region und Stadt determiniert. Auch Wölfles Kollegin Maria Rodica-Menzel folgt dem Ansinnen der Tourist Information, Regionalkultur abzubilden – und betont die stereotypentauglichen Eigenheiten der Buchfigur. Sie stellt Kluftinger als „typische[n] Allgäuer“ vor, der „fantastisch fluchen“ könne, „hauptsächlich regionale Küche“ bevorzuge und auf dem Teller „nichts Ausländisches“158 haben möge. Ihre Romaninterpretation reichert sie aber häufig durch essentialismusrevidierende Reflexionen an. Etwa vor der letzten Station, ehe sie die SeegrundPassage, in der sich Kluftinger wegen „atomar und bakteriell verseuchten“159 japanischen Fischs und ungenügend gekühlten tschechischen Transportern grämt, vorliest, führt sie eigene Gedanken aus: „Wir sagen, wir sind weltoffen, sehen neue Kulturen an. Aber im Endeffekt trotzdem, egal, wo wir sind, wir haben Vorurteile. Und jeder von ihnen hat seine Art von Vorurteilen, egal, was er macht, wo er is’ oder was er getan hat oder machen wird.“160 Rodica-Menzel leitet außer den Krimi-Touren italienische und französische Kempten-Führungen. Die Germanistin stammt aus Bukarest und spricht mit rumänischem Akzent. An den Anfang ihrer Tätigkeit als Krimi-Führerin und Krimi-Führungsdesignerin erinnert sie sich so: „Und ausgerechnet mich hat man vor ein paar Jahren angerufen: ‚Frau Menzel, wir brauchen dringend eine Krimi-Führerin.‘ Sag’ i: ‚Wieso? I bin nicht eine Allgäuerin!‘ ‚Na, sie schaffen das.‘“161 Unter Leitung Theresia Wölfles betont das Führungsnarrativ eine regionalspezifische Kultur und Allgäuer Ursprünglichkeit. Dagegen deutet Maria Rodica-Menzel als Raumakteurin und Raumproduzentin eine dynamische Beschaffenheit der nonfiktionalen Stadt zumindest an. Sie repräsentiert das lebensweltliche Kempten als durchlässigen und bewegten Raum. Das Nebeneinander der sogenannten Allgäu-Metropole als heterogener Raum mit mobilen Handelnden und nicht nur allgäuerisch konnotierten Elementen, sondern überregional organisier-

157 Theresia Wölfle, Feldnotiz von der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 03.08.2012. 158 Maria Rodica-Menzel, Mitschnitt während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 159 Seegrund, S. 94. 160 Maria Rodica-Menzel, Mitschnitt während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 161 Ebd.

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ten Konsummöglichkeiten schimmert im Krimi-Führungsnarrativ durch – wenn auch die Maxime der Touristiker, Regionalkultur zu präsentieren, darüber steht. 3.3.3.2.3 Effekte Die populärkulturelle Aktivierung Kemptens hat ein Pendant: Lüneburg. Die einstige Salz- und Hansestadt wurde erst als Heide-Metropole beworben und dann um die Lesart als Stadt der Roten Rosen erweitert.162 Seit 2006 dreht die ARD die gleichnamige werktäglich ausgestrahlte Serie in Lüneburg – inzwischen sind „Stadt und Telenovela […] längst miteinander verwachsen“163, heißt es in der Außendarstellung. Zum touristisch veräußerten Repertoire Lüneburgs zählen nun auch Rote-Rosen-Rundgänge. Laut Anja Saretzki dient ein solches Branding der Stadt über die erfolgreiche Fernsehserie dazu, Wettbewerbsposition und Zielgruppenbreite zu verbessern. Dies entspricht den Prinzipien Lefebvrescher Repräsentationssräume.164 Auch der Destination Kempten lagert sich durch die literarische Aufbereitung eine neue Lesart ein. Die Krimi-Führungen ordnen die semiotische Manövriermasse Stadt neu. Ihre performativen Kuriosa entstehen, weil das physischmaterielle Vorfindliche in neue Kontexte gesetzt wird. Bordelle und Wäscheabteilungen von Kaufhäusern als Elemente bestehender Alltags- und Konsumräume werden neu beschrieben – und so Teile neuer räumlicher Gefüge: der Vorführräume einer Destination. Es sind Gebäude, Geschäfte oder Läden, die laut der Krimi-Führungsleiterin „auch in München, in Augsburg, in Biberach oder sonst irgendwo stehen“165 könnten, und in die Führungsteilnehmer nach Veranstaltungsende mitunter zurückkehren, um während des Rundgangs Gesichtetes zu kaufen. Von merklichen Umsatzsteigerungen durch den KluftingerTourismus hat man bei der Tourist Information jedoch keine Kenntnisse. Und auch Anfragen von Mitbewerbern im Einzelhandel, die ihre Geschäfte als potenzielle Schauplätze gern in den Krimi-Rundgang integriert sähen, gehen dort nicht ein.166 Aber: Das Ordinäre und Banale mutiert zum touristisch Herzeigbaren, zum Ausstellungsstück einer Stadt, zur Lesebühne.

162 Saretzki 2010. 163 Lüneburg Marketing GmbH: Rote Rosen: http://www.hansestadtlueneburg.de/ Home-Hansestadt-Lueneburg/Kultur-und-Tourismus/Rote-Rosen-hansestadt-luene burg.aspx (Zugriff: 28.08.2014). 164 Saretzki 2010, S. 288. 165 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 166 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013.

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Das kluftingerisierte Kempten ist Beispiel für Stadt in ihrer räumlichen Polysemie. Die Belletristik textualisiert die Allgäu-Metropole und wird selbst Mitspieler im Sinnkonglomerat Kempten. Zu den von definitionsmächtigen Marketingmanagern installierten Narrativen von Cambodunum, Residenz- und Stiftsstadt addiert sich jenes von der Arbeitsstadt Kluftingers. Das populärliterarische Anreichern des Stadtrepräsentationsrepertoires hat allerdings nicht den Stellenwert eines Brandings der Destination Kempten über die Romanfigur (wie es Anja Saretzki für Lüneburgs Rote-Rosen-Vermarktungsoffensive feststellt). Zwar steht jene Rezeption der Romanfigur Kluftinger als repräsentativem Allgäuer konträr zu einer bestimmten Selbstwahrnehmung und zum Selbstbewusstsein Kemptens. Tanja Beggel, Stadtführungsorganisatorin bei der Tourist Information Kempten: „Dieser Kommissar wird ja eigentlich als gemütlich, als a bissl behäbig darg’stellt. […] Kempten isch wesentlich moderner. […] Des isch vielleicht au’ ganz, ganz wichtig: Es isch nicht ein Kemptener, der da darg’stellt wird, sondern es isch einfach ein Allgäuer Original. Also er vertritt eigentlich die ganze Region. Und Kempten als Metropole des Allgäus isch nicht deckungsgleich mit Kluftinger, weil der manchmal au’ so bissl rückständig darg’stellt wird“.167

Einheimische Deutungshoheiten und gelebte Aneignungspraxis der (auch auswärtigen) Stadtbenutzer bilden Oppositionen. Das in der populären Lektüre von den Lesern individuell gedeutete und dann, nach Lefebvre, „gelebte [Hervorhebung i. O.]“168 Kempten ist „vermittelt durch Bilder und Symbole, […] also ein Raum der ‚Bewohner‘, der ‚Benutzer‘, aber auch bestimmter Künstler, vielleicht am ehesten derjenigen, die beschreiben [Hervorhebung i. O.] und nur zu beschreiben glauben: die Schriftsteller und Philosophen“ und fasst den Raum, „den die Einbildungskraft zu verändern und anzueignen sucht“169. Die von KluftingerFans und Touristen ausgehandelte und signifizierte Stadt ist in Lefebvres Systematik ein Repräsentationsraum: Denn diese Kluftinger-Fans und Touristen formulieren ihr individuelles Veto gegenüber gewöhnlichen Kontextualisierungen von Bordellen, Schuhgeschäften und Kaufhäusern. Bisweilen trotzt das dem

167 Ebd. 168 Lefebvre 2006, S. 336. 169 Ebd.

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auch auf Modernität und Modernisierung von bestehenden „Traditionen“170 setzenden Selbstverständnis der Vermarkter, und es trotzt jenem von Einheimischen, die „definitiv“171 keine identitätsstiftenden Anleihen aus den Romanvorlagen übernähmen und Kempten durch die Bücher „net unbedingt mit andern Augen“172 sähen. Der Kemptener Kluftinger-Tourismus macht aber auch nachvollziehbar, wie sich verschiedene Ebenen der Raumproduktion durchdringen. Indem das Romannarrativ Führungsnarrativ wird, mutiert es auch zum Planungsbestand der Touristiker und damit zur Raumrepräsentation, d.h. zu dem, was Lefebvre als theoretisch vorstrukturiert begreift. In der Krimi-Führungssituation verschmelzen und konkurrieren die von Lesern und Fans erlebte und von Touristikern abstrakt entworfene Dimension von Allgäu und Kempten. Diese kriminalistisch erzählte Formatierung der Stadt addiert sich zu anderen touristischen, ohne sich gegenüber diesen als dominant durchzusetzen. Zwar gilt für Kempten wie für Altusried: Die Kluftinger-Romane machen den Ort bekannter und generieren überregionale Aufmerksamkeit. Aus Touristiker-Perspektive wird der fiktive Kommissar als positiv besetzte Figur und als „ein guter Botschafter für die Stadt Kempten“173 verstanden – jedoch nur von partiellem Gewicht und nicht als imagebildender Faktor. Die Möglichkeit, dass sich KrimiTouristen über die Führung hinaus für Kempten begeistern, wird wohlwollend zur Kenntnis genommen. Impuls intensiverer Vermarktungsstrategien ist sie nicht. Krimi-Führerin Theresia Wölfle „erzählt ja während der KluftingerFührung au’ kleins bissle über Kempten, so a bissl a Zuckerle, und hofft, dass die Leute dann natürlich wieder kommen“174. Die Stadtvermarkter bewerben Kluftinger gegenüber anderen Angeboten z.B. in Prospekten175 oder auf der offiziellen Homepage176 nicht an prominenterer

170 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013. 171 Ebd. 172 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 173 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013. 174 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 175 Kempten Tourismus und Veranstaltungsservice (Hg.): Kempten für Entdecker 2013. Stadtführungen, Themenführungen, Museumsführungen. Prospekt. 176 Stadt Kempten: http://www.kempten.de/de/fuehrungen-3.php (Zugriff: 01.09.2014).

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Stelle. Laut Tanja Beggel ist der Krimi-Tourismus „schöner Nebeneffekt“177. Das Hauptaugenmerk im städtischen Führungsrepertoire liege auf den klassischen Stadtrundgängen und dem historischen Kempten. Kluftinger soll nicht Synonym für Kempten werden. Die Stadt hat sich bereits wirkmächtige und für sie wichtigere Lesarten zu eigen gemacht. Beggel: „Kempten isch mehr als bloß der Kluftinger.“178 Klüpfels und Kobrs Romane verändern das semantische Gefüge Kemptens. Sie schlagen alternative Raumbilder vor, die der Krimi-Tourismus performativ erprobt, aber die die Raumanbieter nicht als die eine prägende Lesart der Stadt propagieren. Als planerische Größe der Tourismusadministratoren ist sie von eher untergeordneter ökonomischer und auszeichnender Relevanz. 3.3.3.3 Füssen 3.3.3.3.1 Start Die Stadt Füssen verfügt über eine semantische Füllmasse, die an Strahlkraft ihresgleichen sucht: Nirgends ist so viel Märchen und Königsimposanz im Raum wie in der romantischen Seele Bayerns.179 Auf einem Bergvorsprung südlich über der 14.500-Einwohner-Stadt im Ostallgäu thront der wichtigste Besuchermagnet im Deutschlandtourismus: Rund 1,5 Millionen Menschen180 besichtigen jährlich Schloss Neuschwanstein. Das Utopia und Refugium des sogenannten Märchenkönigs Ludwig II. führt auch 2014 die Liste der beliebtesten Sehenswürdigkeiten in der Bundesrepublik für ausländische Touristen an.181 Rund sechs Kilometer westlich von der Kernstadt liegt der Alatsee: Er ist Schauplatz des dritten Kluftinger-Romans Seegrund und in der Folge KrimiFührungs-Ziel geworden. 2006 schrieb die Allgäu GmbH ein Gewinnspiel aus: 177 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013. 178 Ebd. 179 Füssen Tourismus und Marketing: Füssen im Allgäu – die romantische Seele Bayerns:

http://www.fuessen.de/service/presse/basisinformationen/pressetext-romanti

sche-seele.html (Zugriff: 18.08.2014). 180 Bayerische Schlösserverwaltung: Schloss Neuschwanstein heute – Besucherrekorde und Erhaltungsprobleme: http://www.neuschwanstein.de/deutsch/schloss/index.htm (Zugriff: 18.08.2014). 181 Deutsche Zentrale für Tourismus: Online-Umfrage Reiseland Deutschland. Favoriten behaupten ihre Position bei den beliebtesten Reisezielen Deutschlands: http://www.germany.travel/media/content/presse/de/pressemitteilungen_2014/mai_ 1/PM_DZT_Online-Umfrage_zu_den_Top_100.pdf (Zugriff: 18.08.2014).

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Im November des gleichen Jahres durften rund 20 Teilnehmer ein KrimiWochenende im Allgäu verbringen. Zum Programm zählte eine Autoren-Lesung im Füssener Kloster St. Mang und auch eine Besichtigung der literarischen Tatorte sollte dazugehören. Simone Zehnpfennig, PR-Chefin der Allgäu GmbH, bat die Füssener Stadtführerin Erih Gößler, eine Tour vor Ort zu konzipieren. Was zunächst als einmaliges Event geplant war, wurde zum dauerhaften Angebot. Gößler, die bis dato herkömmliche Stadtführungen, aber auch Themen-Touren wie z.B. Sagen- oder Fackelführungen leitete, bot ihr Krimi-Führungs-Konzept der städtischen Fremdenverkehrsinstitution als regelmäßige Veranstaltung an. Im Mai 2007 nahm Füssen Tourismus und Marketing die Krimi-Führung „Seegrund“ ins Repertoire auf. Seitdem führt Gößler in jeder Sommersaison zwischen Mai und September im ein- bis zweiwöchigen Abstand jeweils freitagabends Gruppen zum Alatsee. Wegen der großen Nachfrage hat sie inzwischen noch eine weitere Kollegin als Kluftinger-Guide angelernt. Die KrimiFührungen seien „unglaublich gut gebucht“182 und im Gegensatz zu anderen Themenwanderangeboten von Beginn an auf gute Resonanz gestoßen. Anfangs war die Teilnehmeranzahl auf 20 pro Abend beschränkt, später wurde das Limit bei 24 angesetzt. Auch abseits der festgelegten Termine kann die Führung „Seegrund“ von Gruppen gebucht werden, dies geschieht rund sechs Mal pro Jahr. 3.3.3.3.2 Design Startpunkt183 der Krimi-Führung „Seegrund“ ist stets am späten Freitagabend am Parkplatz Gipsloch in Bad Faulenbach, einem Ortsteil von Füssen. Erih Gößler empfängt dort die Teilnehmer zum jeweils gut fünf Kilometer langen Marsch zum Alatsee. Die Strecke führt durch ein erschlossenes Freizeitgebiet: vorbei an Naturfreibädern und am Badecafé, entlang ausführlich beschilderter NordicWalking-Infrastruktur, später auf Wanderwegen durch den Wald. Auf dem Hinweg zum Alatsee ist der Krimi Seegrund kein Thema. Gößler will die Teilnehmer mit anderem „einstimmen“184: etwa mit Infos über die örtlichen Gesteinsvorkommen und den früheren Gipsabbau im Faulenbacher Tal185 und den damit

182 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 183 Soweit nicht genauer angegeben, erfolgt die Ethnografie auf Grundlage des Feldtagebuchs von der Teilnahme an der Krimi-Führung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 184 Feldnotiz von der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 185 Von etwa 1600 bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde im Faulenbacher Tal Gips abgebaut, per Floß wurde er auf dem Lech verschifft. Auch beim Alatsee handelt es sich um eine Doline, einen Einsturz im Gipskarst: Peter Nasemann/Herbert

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zusammenhängenden latenten Schwefelgeruch in der Umgebung. Dann erzählt sie „eine Geschichte, wo mir in Füssen gedacht ham, des is’ ein Kriminalfall“186: Beim Kelleraushub eines Bad Faulenbacher Hotel-Neubaus in den 1970er Jahren seien zwei Skelette entdeckt worden, die Aufregung sei groß gewesen. Jedoch stellte sich später heraus, dass dem Fund kein spektakuläres Verbrechen vorausgegangen war. Bei den menschlichen Überresten handelte es sich nicht, wie zunächst erhofft, um museumstaugliche Knochen von Römern, sondern um aus geschichtswissenschaftlicher oder sensationsorientierter Perspektive nahezu profan im Dreißigjährigen Krieg Umgekommene. Am nächsten Haltepunkt berichtet Gößler von einem „wirklichen Krimi“, der sich vor Ort abgespielt hat und „sogar durchs Fernsehen gegangen“187 sei: Vor einigen Jahren sperrte demnach die Polizei Gößlers Wohngebiet am Füssener Stadtrand ab. Fahnder durchkämmten den Wald. Grund: Ein Pilzsammler war dort auf eine Mülltüte mit einem weiblichen Torso gestoßen. Der Freund des Opfers hatte die Frau nach einem Streit gewürgt, zerstückelt und die Leichenteile mit dem Rucksack entsorgt. An einem weiteren Halt erzählt sie die Sage von den Venedigern – jene sollen vor Ort ein großes Tunnelsystem zur Lagerung von Schätzen ausgehoben und zu gierige Besucher in ihren Höhlen behalten haben (Gößler deutet auch auf einen Riss im Felsblock, hinter dem sich „bestimmt Gerippe“188 befänden). Und sie erzählt auch von der Vergangenheit des zurückgelegten, im Grenzgebiet zu Österreich befindlichen Wegs als Schmugglerpfad. Nach rund eineinhalb Stunden erreicht die Gruppe den Alatsee, wo Gößler zum Platznehmen auf Bänken an der Uferpromenade bittet. Während sich ihrem Publikum Seeblick und Gebirgspanorama bieten, referiert Gößler über den lebensweltlichen Grundstock der Krimi-Fiktion: über die Zurichtung des Bergsees als Erholungsraum seit dem 19. Jahrhundert, seine biochemische Besonderheit (die sauerstoffarme „Todeszone“189 in der Tiefe und das Vorkommen der purpurfarbenen Bakterienschwärme), die von den Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs auf dem Areal durchgeführten Waffenversuche, die Speku-

Scholz/Christoph Esslinger: Der Stuck des Schwäbischen Rokoko: Gips aus den Allgäuer Bergen. In: Kettemann 2000, S. 59-65. 186 Erih Gößler, Mitschnitt während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 187 Feldnotiz von der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 188 Erih Gößler, Mitschnitt während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 189 Ebd.

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lationen über in der Tiefe versenktes sogenanntes Nazigold, die Verriegelung des Sees als militärisches Sperrgebiet durch die Amerikaner bis 1954, über die vielen Geschichten, die sich in der Folge um den See rankten, und dass es einige Personen gegeben habe, „so heißt’s in Füssen, die verschwunden sind in dieser Zeit, weil sie zu neugierig waren“190. Dann liest Gößler erstmals während der Führung aus Seegrund vor. In der Dämmerung191 folgt eine Umrundung des Alatsees mit weiteren Vorlesepausen an den jeweiligen literarischen Schauplätzen, z.B. der fiktionalen Leichenfundstelle am Ufer. Dazwischen streut Gößler Reportagen über die naturwissenschaftlichen Versuchsreihen am und im See. An der letzten Station am Alatsee kostümiert sie sich zur Hexe: mit LanghaarPerücke, Hut und schwarzem Umhang. Die kleine theatrale Szene dient dazu, die im Krimi erwähnte Sage von den drei Schwestern zu zitieren: Besagte Geschwister sollen sich demnach um den alleinigen Besitz der einst grünen Aue im Gebirgstal gezankt haben, worauf sich ein Schlund aufgetan und ihre Burg verschlungen habe, das Wasser emporgegurgelt und der Alatsee entstanden sei. In der Hexenrolle warnt Gößler die Teilnehmer noch vor einer weiteren in den Krimi-Plot implementierten Sagengestalt – dem angeblich nächtens umherstreifenden Schlüsselmönch. In der Dunkelheit tritt die Gruppe mit Fackeln den fünf Kilometer langen Rückweg nach Bad Faulenbach an. Im Unterschied zu den anderen touristischen Kluftinger-Angeboten im Allgäu akzentuiert die KrimiFührung „Seegrund“ einen spezifischen atmosphärischen Aspekt: Sie erzählt eine randalpine Landschaft als Spielraum des Mystischen, Rätselhaften und Diffusen. Keine andere Kluftinger-Führung geht derart auf das Krimi-Genre der Romane ein wie jene in Füssen. Was in Altusried die Kindheitsanekdoten Peter Klüpfels bewirken, übernehmen in Füssen die Berichte von wirklichen Kriminalfällen: Sie dienen der Authentifizierung des Aufgeführten und machen das Forstareal um Füssen auch als nonfiktionalen Tatort glaubhaft. Von Führungsbeginn an eröffnen sie einen Spannungsbogen, der auf moderaten Nervenkitzel und Unheimlichkeitserfahrung der Teilnehmer zielt. Gößler insistiert stets auf die geheimnisvolle Qualität der durchschrittenen Umgebung, nennt den Gipsweiher „unheimlich“ und suggeriert mit ihrer Bemerkung, dass der Alatsee „harmlos“ aussehe, seine gegenteilige Qualität, genauso wie mit der Behaup-

190 Ebd. 191 Die teilnehmende Beobachtung fand während einer Krimi-Führung im Juni statt – der Einbruch der Dunkelheit muss für die Gesamtheit der von Mai bis September dauernden Führungssaison jahreszeitlich entsprechend an anderer Stelle gedacht werden. Die ersten und letzten Krimi-Führungen eines Sommers beginnen zudem zu einer früheren Uhrzeit.

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tung, dass es in diesem See immer noch Geheimnisse gebe und sich unter Tauchern immer wieder tödliche Unfälle ereignet hätten.192 Mit ihrem Vortrag historischer und zeitgenössischer (Quasi-)Kriminalfälle, von Sagen und den aus der Realität in die Fiktion eingespeisten Ungereimtheiten ist die Füssener Führung auf das konsumierbare Vergnügen am schönen Schauder zugeschnitten. Gößler erzählt von Skeletten unter der örtlichen Erde, Leichnamen im Wald, gibt im Part einer Hexe die Losung: „Drum hütet Euch! Hütet euch vor dem Alatsee! Der ist gefährlich!“193, berichtet von Kriegsverbrechen, biologischen Todeszonen im Untergrund, die sich selbst naturwissenschaftlichem und damit einem rational codiertem Forschen als unzugänglich erweisen, und dem sogenannten blutenden See. Immer geht es um Tod und Gefahr, das Erzählte entspricht kulturell eingelernten Schemata an Narrativen, die zu bestimmten Emotionen – wie dem auf Einverständnis beruhenden Gruseln – animieren. Wesentlich ist auch der Streckenverlauf durch einen Draußenraum spezifischer Physiognomie und seiner Codierung. Die „Seegrund“-Führung bewegt sich nicht innerhalb städtischer oder dörflicher Infrastrukturen, sondern auf einem zwar hergerichteten, aber in populärer Konnotierung naturnahen Wegenetz. Der Marsch führt vorbei an Felsen, Wiesen, Seen, Bächen und Schilf, durch den Wald, über Wurzelwerk und Lichtungen, unterwegs treffen Wegkreuze mit brennenden Kerzen das Betrachterauge, Äste hängen in und Salamander queren den Weg, Grillen zirpen, Vögel zwitschern, Frösche quaken, die Wasseroberfläche des Alatsees spiegelt eine dunkle Berg- und Waldkulisse. Auch ist die Route weitaus länger als bei den anderen Führungen. Sie erfordert körperliche Anstrengung. Im Rahmen von „Seegrund“ sind die Teilnehmer über drei Stunden unterwegs und gehen insgesamt zehn Kilometer. In der Ankündigung wird entsprechend auf festes Schuhwerk bestanden. Im Gegensatz zum fußläufigen Sightseeing im urbanen Raum ist der Marsch hier aber auch Selbstzweck: „Seegrund“ hat Wanderungscharakter, die Aktivität in der Natur ist Teil des erwerbbaren Erlebnispakets. Touristische Draußenräume werden nach gesellschaftlichen Konjunkturen semiotisch befüllt – so auch jener Füssens. Dass die KrimiFührung „Seegrund“ die Konsumtion eines Naturerlebnisses mit emotionalem Zusatznutzen in Aussicht stellt, ist Reaktion auf zeitgeistige Präferenzen der

192 Erih Gößler, Mitschnitt während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 193 Ebd.

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westlichen Postmoderne: sportive und genussorientierte, eventisierte Aufenthalte im als unberührt erlebbaren Freien.194 Der im sogenannten Grünen befindliche Führungsraum wird darüber hinaus besonders bedeutend gemacht, indem er temporär segmentiert, d.h. in den späten Abend- und beginnenden Nachtstunden vor Augen geführt wird. Zwielicht und Dunkelheit subventionieren nur bestimmte Aufladungen: die des Alatsees als Mysterium statt seiner Qualität als Badeparadies im potenziell lieblichen Mittagssonnenschein. Die Tageszeit gehört zum Führungsdesign. Sie erlaubt, einen Schwerpunkt in der Bespielung von Landschaft zu setzen: Die Dunkelheit ist nicht nur kulissenhaftes Beiwerk, sondern ermöglicht erst den thematisierten Eventcharakter der Veranstaltung. Hexen-Performanz der Leiterin, Lesung im Stirnlampenlicht und Rückweg im Fackelschein hängen davon ab. Das Führungsdesign speist sich aus der früheren Wahrnehmung des Alatsees in der Bevölkerung, die Gößler so beschreibt: „[Der Alatsee] liegt halt wirklich in dem Kessel drin. Bis 1900 hat sich keiner für diesen See interessiert, weil er den Menschen unheimlich war. Der Bewuchs ging wirklich bis ans Wasser hin, und des war dann ’n bisschen düster.“195 Wenn die Krimi-Führerin den von ihr gestalteten dramatischen Aufbau schildert, kommt das umspannende Sujet des Geheimnisumwobenen zum Ausdruck: „Es ist so, dass ich auf’m Hinweg zum Alatsee so’n bisschen in die Atmosphäre eintauchen möchte, also die Leut’ so ’n bisschen drauf vorbereiten in Richtung Krimi oder Mystik. Und dann das Wissenschaftliche, was sie also richtig interessiert, und dann schon als großer Punkt natürlich die Lesung, der Krimi selber. […] Und dann natürlich kommt wieder die Mystik und der Auftritt der Hexe und der Rückweg im Dunkeln. Des spielt so alles mit rein.“196

Die Umgebung ist dafür wesentlich: „Es wird ja auch [im Roman Seegrund] beschrieben: Der Alatsee liegt idyllisch in einem Kessel, von hohen Bergen umgeben. Also des is’ etwas, wo ich auch ganz gern drauf eingeh’, weil’s dann sehr auffällig is’ mit dem Alatsee, mit den runden Berghängen, dass da ’n Gletscher drin lag, der nach draußen wollte, und dann überall so badewannenförmige Rundungen geschaffen hat. Dann natürlich der Wind, der vom Salober [ein Berg, KL] run-

194 Antje Schlottmann: Erlebnisräume/Raumerlebnisse: Zur Konstruktion des „Draußen“ in Bildern der Werbung. In: Wöhler/Pott/Denzer 2010 (a), S. 67-85. 195 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 196 Ebd.

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terkommt: Oft, wemmer da stehen, da is’ des: ‚Uuh‘. So schuckrig [schaudererregend, KL]. Des spielt auch mit rein. Natürlich.“197

Abbildung 6: Der Alatsee.

Quelle: Eigene Aufnahme, 14.6.2013.

Am Alatsee „wird die Landschaft daher zum Paradigma des Trägers von Stimmung und Atmosphäre“198. See – Tal – Bergeinsamkeit ist gleich schauderhaft: Die materielle Ausstattung der Landschaft zusammen mit ihrer etablierten semantischen Ausstattung ist maßgebliches Differenzmerkmal zu anderen touristischen Füssen-Performanzen sowie zu anderen Kluftinger-Führungen: „Des is’n anderes Bild insofern, als mer wirklich in die Natur rausgeht. Da hammer nicht Stein gewordene Stadtgeschichte, sondern einfach auch Natur auf dem Weg. Und des is’ auch etwas, worauf ich ganz gern die Leut’ hinweise. Wenn Blümchen am Weg sind. In der Zeit, wo Orchideen blühen, da läuft mer an Orchideen vorbei. […] Diese unglaubliche

197 Ebd. 198 Alexandra Karentzos/Alma-Elisa Kittner: Touristischer Raum: Mobilität und Imagination. In: Stephan Günzel (Hg.): Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart 2010, S. 280-293, hier S. 285.

218 | ALLGÄU RELOADED Atmosphäre da im Faulenbacher Tal, dass das aufgenommen wird, einfach dieses In-derNatur-Bewegen.“199

Mit der Krimi-Führung „Seegrund“ erfährt das Romannarrativ einen enormen Zuschnitt zum Element eines körperlich erlebbaren Events im Draußenraum. Die Populärkulturfiktion initiiert eine Raumkonstruktion, die entlang der Vorgaben eines Veranstaltungsformats der Trend-Kategorie Outdoor (d.h. ein Naturerlebnis in Aussicht stellend200) ausgerichtet ist. Das imaginäre Allgäu wird über die Körperlichkeit im idyllisch-geheimnisvollen Naturraum erzählt. Die AlatseeFührung überschreibt die Literatur in einen lebensweltlichen Teil von Region, dessen Besuch dann nicht nur wegen seines Schauplatz-Charakters als lohnend vermarktet werden kann – sondern auch, weil er den zeitgeistigen Bedarf an bewegtem Draußensein befriedigt. 3.3.3.3.3 Effekte Füssen ist gleich Märchenschloss: Das um Neuschwanstein kreierte RomantikNarrativ ist die mächtigste und eine schwerlich ablösbare semiotische Füllmenge des Stadtraums. Das zeigt allein die im Gemeinde-Logo fixierte SchlossSilhouette201. Der Prunkbau im Berg vereint die artifizielle Programmatik König Ludwigs II., die Ansinnen der Fremdenverkehrsregisseure und touristischen Konsum. Diese weitgehende Kongruenz verschiedener Raumdimensionen treibt die Leistungsfähigkeit des Produkts Königsschloss an. Andere Angebote auf Füssener Stadtgebiet sind gegenüber der Durchschlagskraft, dem Bekanntheitsgrad und der ökonomischen Relevanz Neuschwansteins nicht wettbewerbsfähig. Entsprechend haben laut Krimi-Führerin Erih Gößler die „Seegrund“-Touren keinen großen, d.h. quantitativ ausschlaggebenden touristischen Effekt oder Auswirkungen auf das Gesamtbild Füssens; sie sind nur eine kleine Ergänzung für die Stadt der Königsschlösser.202 In den vergangenen Jahren kämen aber vermehrt jüngere Leute zwischen 20 und 35 nach Füssen, um dort einen Wanderurlaub zu verbringen. Diese Klientel spricht nach ihrer Erfahrung lieber speziellen Thementouren als den standardmäßigen, gewöhnlichen Stadtführungen zu. Durch Kollegen-Feedback weiß sie, dass die Krimi-Führungen für dieses Publikum aber auch Türöffner zum restlichen, vermeintlich profanen Angebot

199 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 200 Schlottmann 2010, S. 68. 201 Vgl. z.B. Füssen Tourismus und Marketing: www.fuessen.de (Zugriff: 21.08.2014). 202 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013.

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sind. Sie animieren die zum Führungstermin als Tagestouristen Angereisten zu weiteren Aufenthalten und Besichtigungen. In der Seegrund-Fiktion ist Füssens Tourismus dankbares Mittel zur Figurendarstellung. Der Massengeschmack liebt Neuschwanstein, die Figur Kluftinger charakterisiert gerade ihre Abneigung der popkulturell aufbereiteten Repräsentation von Stadt: „‚Oh dear, how marvellous, just like in Disneyland!‘ Kluftingers Englisch war nicht besonders gut, aber den von der kamerabehängten älteren Frau mit Baseballkappe und riesiger Sonnenbrille ausgerufenen Satz hatte er verstanden. ‚Hast du das gehört? Wie in Disneyland. Priml! […]‘ Es war elf Uhr dreißig. Kluftinger stand mit seiner Frau am Ticketcenter der Königsschlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein bei Füssen und war alles andere als gut gelaunt. Nicht nur, weil er fürs bayerische Zuckerbäckerschloss nicht viel übrig hatte. Auch seine Sympathie für die Besucherhorden aus aller Welt, die sich als nicht enden wollender, wuselnder, schnatternder Strom über das Allgäu ergossen, hielt sich in Grenzen.“203

Der Krimi macht den Alatsee mit seiner Abwesenheit von Menschenmengen zum Gegenentwurf des zitierten Disneylands. Nach diesem Prinzip funktioniert auch der Gebrauch der Populärlektüre als Führungsgerüst. Die zum Naturerlebnis designte Wanderung um den Alatsee bietet eine erwerbbare Alternative zum Massentreffpunkt Neuschwanstein. Der Veranstaltungskalender der FüssenHomepage listet die Krimi-Führung „Seegrund“ unter dem Menüpunkt „Wandern“, neben Kräuterspaziergängen und Panoramawanderungen. Füssen biete alles, was das Wanderherz begehre, heißt es dort.204 Die in die Allgäuer Landschaft hinein transformierte Literatur erlaubt Distinktion: „Mit der Bewerbung des vor Ort vorhandenen Draußenraums und den darin möglichen Aktivitäten wird ein exklusives Erlebnis verbunden, das sich […] meist deutlich von massentouristischen Erlebnissen unterscheidet.“205 Gößler beschreibt sie als „weiteren interessanten Punkt für die Stadt“206. „Interessant“ meint: ein Kontrast zum Bestehenden. Mit „Seegrund“ schmiegen Touristiker und Touristen einen zusätzlichen Zuschnitt von Füssen in die Ausflugszieltopografie der Stadt, der sich in seiner Akzentsetzung deutlich von der

203 Seegrund, S. 5. 204 Füssen Tourismus und Marketing: Wanderurlaub in Füssen im Allgäu: http:// www.fuessen.de/wandern.html (Zugriff: 21.08.2014). 205 Schlottmann 2010, S. 68. 206 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013.

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kitschlastigen Aufbereitung des Zuckerbäckerschlosses unterscheidet. Füssens touristisches Raumgefüge verschiebt sich partiell. Der Alatsee ist seit Erscheinen von Seegrund berühmter geworden. Allerdings liegt in diesem Fall bereits mit dem Krimi eine mediale Transformation vor, da der Kriminalroman die im BR-Film Der blutende See dokumentierten Fakten und eine im Jahr 2004 real erfolgte wissenschaftliche Tauchexpedition zur Fiktion weiterspinnt. Bis dato galt der See als Insider-Tipp für Badevergnügen. Film und Krimi haben die Aufmerksamkeit auf seine Eigenschaft als Versuchslabor der Nationalsozialisten und seine biologische Besonderheit gelenkt. Die Belletristik akzentuiert zuvor schon verhandeltes, aber nur wenig publik gemachtes Expertenwissen und neue Bedeutungen am konkreten geografischen Ort. Laut Gößler reisen nun auch unabhängig von den „Seegrund“-Führungen viele eigens zum See, um sich davon selbst ein Bild zu machen. Die Besucher locken neue Motive: Der Alatsee wandelt sich vom profanen Erholungsziel zum sehenswerten Ort literarischer und eben auch geschichtlicher und naturwissenschaftlicher Spurensuche. Und damit zum Ort überregionaler medialer Beanspruchung: „Die Einheimischen wissen’s auch nicht alle, dass da unten diese Schicht [die sauerstoffarme Zone unter der Purpurbakterienwolke, KL] is’. Aber eben seit Seegrund da is’ und auch der Film vom Bayerischen Fernsehen, is’ des mehr im Bewusstsein. Und es kommen ja fast jedes Jahr jetzt Fernseh-Teams her, die unter irgendeinem Aspekt rund um den Alatsee drehen.“207

Wie das Team von Freizeit – die Reisesendung wirbt für „Urlaub am Tatort im Allgäu“208, der Moderator radelt ums Ufer und sagt Reklamebotschaften auf: „Wenn sie auf Kluftingers Spuren unterwegs san, dann is’ des so sicherlich einer der schönsten Orte. Idyllisch, friedlich und herrlich weiches Wasser.“209 3.3.3.4 Oberstdorf 3.3.3.4.1 Start Oberstdorf ist Deutschlands südlichste Gemeinde und heilklimatischer Kurort, Wander- und Skitourismus-Hochburg im Oberallgäu. Seit 2009 sitzt dort das EBike-Verleihcenter Allgäu. Es gehört zum europaweit im Tourismus agierenden 207 Ebd. 208 Freizeit: Schmidt Max und der Tatort Allgäu. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 13.09.2012. 209 Ebd.

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Elektromobilitäts-Unternehmen Movelo und ist Kooperationspartner der Allgäu GmbH. Es vermietet Elektrofahrräder und bietet geführte Radtouren an: herkömmliche durch Ober- und Ostallgäu sowie thematisierte (z.B. eine BiberTour, eine Steinbock-Tour; das sogenannte „Sagenhafte E-Biken“ inklusive Höhlenbesuch ist in Planung). Im Sommer 2012 nahmen die Veranstalter Elektroradtouren auf den Spuren von Allgäu-Krimis ins Programm auf. Initiierend waren die Lektürepräferenzen des Ehemanns von Geschäftsführerin Monika Echtermeyer: „Es gibt keinen einzigen Allgäu-Krimi, den er noch nicht gelesen hat. Und er hat mich auf die Idee gebracht und meinte: ‚Mensch, das wär’ doch mal was! Eigentlich könnt’ste doch sowas mal anbieten!‘“210 In der ersten Saison boten sie die Krimi-Elektroradtouren von Mai bis Oktober einmal monatlich an. Mit je rund 15 Teilnehmern waren sie gut gebucht – im Folgejahr allerdings ging die Nachfrage komplett auf Null zurück.211 3.3.3.4.2 Design Start der Krimi-Radtour des E-Bike-Verleihs Allgäu ist in Oberstdorf. Von dort fahren die Teilnehmer eine rund 45 Kilometer lange Strecke durchs Illertal nach Kempten. Das Radeln unterbrechen Rastpunkte, an denen Romanpassagen vorgelesen werden. Allerdings beschränkt sich die Lektüreauswahl hier nicht auf die Bücher Klüpfels und Kobrs. Die Radroute führt auch zu Schauplätzen aus den Allgäu-Krimis von Nicola Förg. Das literarische Thema ergänzen Erläuterungen zur Umgebung, zum Iller-Lauf und Hochalpenkamm. Die Krimi-Radtour anempfiehlt ihren Teilnehmern das Erlebnis einer klassisch-harmonischen Antithese zum urbanen Raum und eine gängige touristische Bildkomposition von Region. Echtermeyer: „Das, was ich gesehen habe von den Orten, an denen man vorbei kommt, das sind idyllische Landschaften zum Teil. Das sind so nette, urige Allgäuer Gasthöfe. Das passt eigentlich zum Image des Allgäus. Da wird jetzt nicht unbedingt was Neues oder was völlig anderes vermittelt.“212 Der auf dem Fahrrad durchquerte Tourenraum schmiegt sich in ein von potenziell tristen All-

210 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013. 211 Eine für das Jahr 2013 geplante teilnehmende Beobachtung an der Krimi-E-BikeTour konnte deshalb nicht stattfinden. Die Analyse gründet auf dem im Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013 erhobenen Datenmaterial. 212 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013.

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tagskontexten bereinigtes, paradiesisches Urlaubsraumkonstrukt, das säkulare Heilssehnsüchte schürt und Entspannungs-, Freiheits- und Glücksversprechen213 in Aussicht stellt. Der auf Rädern zurückgelegte Tourenabschnitt endet in Kempten. Dort schließt sich eine oben beschriebene Kluftinger-Führung an, ehe die Teilnehmer per Rad oder Zug nach Oberstdorf zurückkehren können. 3.3.3.4.3 Effekte Das Nacherleben der Kriminalgeschichten koppelt sich bei der Tour des E-BikeVerleihs an eine weitere Erlebnismotivation: sportliche Aktivität im Freien. Radfahren mit Elektroantrieb boomt – und zählt zunehmend zum Freizeitgestaltungsrepertoire touristischer Destinationen. Regionen setzen auf das „Trendfahrzeug“214 E-Bike als Werbe- und Imageträger, weil es für sanfte und nachhaltige Mobilität, Innovation und bewussten Landschaftsgenuss steht.215 Echtermeyer, neben ihrer Funktion bei Movelo auch Professorin für Tourismuswirtschaft, sagt: „Da [im Allgäu-Tourismus, KL] ist jetzt E-Bike schon seit einigen Jahren im Trend. […] Und es gibt immer mehr Fans, [...] immer mehr Leute aller Altersstufen, die die Räder nutzen.“216 Ein populären Alpen-Narrationen folgender ästhetisierter Draußenraum, ein Authentisches hinter dem Fiktiven und eben eine prosperierende sportive Fortbewegungsart ergeben ein Erlebnispaket. Die Oberstdorfer Krimi-E-Bike-Tour ist eine Trend-Allianz, denn ihr Bewegungsmodus E-Biken ist auch Trendsport: Er modifiziert eine bestehende Sportart und ihr Gerät, reduziert Anstrengung und setzt sich über konventionelle sportive Bewegungspraxen und ein gängiges Sportverständnis hinweg, kreiert eigene Symboliken und Raumansprüche.217 Während mit dem „für alternative Sportarten typischen Aufsuchen von Naturräumen wie Meeren, Bergen, Wüsten und Luftraum“218 solche Trendsportarten wie Klettern oder Mountainbiken häufig in ihrer extremen Variante (Freeclimbing, Downhill) ausgeübt werden, ermöglicht elektrisch angetriebenes Radfahren eine deutlich risikoärmere Aneignung solcher postmoderner Outdoor-

213 Karentzos/Kittner 2010, S. 283. 214 Gunnar Fehlau/Peter Barzel: Das E-Bike. Die neuen Fahrräder mit elektrischer Antriebsunterstützung. Typen – Modelle – Komponenten. Bielefeld 2009, S. 7. 215 Vgl. ebd., S. 30f. 216 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013. 217 Ansgar Thiel/Klaus Seiberth/Jochen Mayer: Sportsoziologie. Ein Lehrbuch in 13 Lektionen. Aachen 2013, S. 172-176. 218 Ebd., S. 182.

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Sehnsuchtsräume und kann diese neu verschlagworten: unter Gesundheitssport, Umweltbewusstsein, Entschleunigung. Sport und seine alternativen Spielarten besetzen physikalisch-materielle Räume und produzieren in ihrem Vollzug soziale und als touristische Waren veräußerbare räumliche Komplexe.219 Trendsportarten entsprechen in ihrer Wirkung also den Krimiführungen – auch die beanspruchen neue Mobilitätspraktiken, Symboliken und Infrastrukturen. Wo Belletristik Sportarenen narrativ einkleidet, kumulieren Konstruktionsprozesse und Semantiken von Raum. Die Krimi-E-Bike-Tour führt auf der Benutzeroberfläche zwischen Nebelhorn und Allgäu-Metropole, zwischen Illertal und Hörnerdörfern verschiedene Erlebnismotivationen und Codierungen von Allgäu zusammen: körperliche Ertüchtigung, Outdoor-Erfahrung und das Eintauchen in ästhetische Illusionswelten populärer Lesestoffe. Die literarische Radrunde befriedigt unterschiedliche Aneignungspraktiken eines partiellen AllgäuSegments. Sie verbindet Nutzerräume. Das schürt Profiterwartungen: Kluftinger macht das Akku-unterstützte Verkehrsmittel jenen zugänglich, die sich ohne eine solche Thematisierung nicht dafür begeisterten. Die Teilnehmer, sagt Monika Echtermeyer, „sind keine passionierten Radfahrer. Das war, würd’ ich sagen, eher so ein Zufallstreffer von denen, dass die hierher zu uns kamen und sich Räder dafür ausgeliehen haben. Das sind passionierte Krimi-Leser, die dann über die Schiene Rad noch eine Erweiterung ihres Spektrums bekamen. […] Die waren ganz begeistert von den Rädern, hatten so was noch nie gemacht, mit Elektro-Fahrrädern herumgefahren. Und die Strecke sind immerhin 45 Kilometer ein Weg. Und dann nochmal zurück […], was ’ne ganze Menge ist für Ungeübte. Das hätten die ohne die Krimi-Führung niemals gemacht. Das war der Antrieb, der Ansporn für die.“220

Auch das Oberstdorf-Beispiel weist auf die Türöffner-Qualitäten des Regioneninterpretaments Allgäu-Krimi: Es kann neues Publikum bringen. 3.3.3.5 Unterallgäu 3.3.3.5.1 Start Die Unterallgäuer Gästebegleitung ist ein unter anderem von der EUGemeinschaftsinitiative LEADER-Plus geförderter Kooperationspartner der All219 Vgl. Anke Strüver: Marathonevents als Urlaubsziel – zur „laufenden“ Konstruktion von Tourismusräumen. In: Wöhler/Pott/Denzer 2010 (a), S. 225-244. 220 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013.

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gäu GmbH. Ein Team aus Gästebegleitern, d.h. speziell ausgebildeten Führungsleitern, organisiert Programme und Rahmenveranstaltungen für Tagungen, Seminare, Gruppen- und Einzelausflüge im Landkreis Unterallgäu und Umgebung.221 Simone Zehnpfennig, Geografin und inzwischen hauptberuflich für Pressearbeit und Public Relations beim Allgäuer Tourismusdachverband zuständig, ist Initiatorin des Serviceunternehmens: Während ihres Erziehungsurlaubs koordinierte sie Gruppen- und Journalistenreisen im Allgäu und gründete darauf aufbauend die Unterallgäuer Gästebegleitung. Zum Dienstleistungsrepertoire zählen 16 als Halbtages- oder Tagesfahrten konzipierte Touren:222 z.B. eine Tour auf den Spuren der Gesundheitslehre Sebastian Kneipps, Bootstouren auf der Iller und Rundreisen, bei denen Technik, die Allgäuer Milch- oder Barockstraße, Dorflandschaften, Wallfahrtskirchen, Burgen oder Brauereien im Zentrum stehen. Seit 2009 gehört auch eine Kluftinger-Tour zum Portfolio: Auf Anfrage der Südwest Presse plante Zehnpfennig eine Leserreise rund um die Romanschauplätze und nahm das Konzept danach ins regelmäßige Programm auf.223 Inzwischen veranstalten die Unterallgäuer Gästebegleiter jährlich zwischen April und Oktober meist einmal monatlich „eine liebenswerte, kultige Allgäufahrt mit kriminellen Inhalten“224. Gruppen können jederzeit separate Termine vereinbaren. 3.3.3.5.2 Design Die Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter ist eine rund siebenstündige Fahrt durchs Unter- und das nördliche Oberallgäu. Per Bus werden die Teilnehmer zu dortigen Romanschauplätzen (und teils auch Drehorten der Verfilmungen) gefahren. Chefin Simone Zehnpfennig und Gästeführerin Ulrike Gandy wechseln sich in der Tourenleitung ab.225

221 Unterallgäuer Gästebegleiter: http://www.unterallgaeuer-gaestebegleiter.de/Uber_ Uns.html (Zugriff: 08.09.2014). 222 Unterallgäuer Gästebegleiter: http://www.unterallgaeuer-gaestebegleiter.de/Start. html (Zugriff: 08.09.2014). 223 Interview mit Simone Zehnpfennig, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus und Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013. 224 Unterallgäuer Gästebegleiter: http://www.unterallgaeuer-gaestebegleiter.de/Kluft inger_Touren.html (Zugriff: 08.09.2014). 225 Im Rahmen dieser Studie wurde die Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleitung unter beider Leitung an verschiedenen Terminen teilnehmend beobachtet: Zum einen handelte es sich um eine für jedermann buchbare Tour, zum anderen um einen

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Start ist am Parkplatz der Kartause Buxheim. Die erste Station ist exaltiert gewichtete Wirklichkeitsreferenz in Erntedank: Im Krimi liegt einer Leiche die Fotografie einer hölzernen Heiligenstatue bei. Die Statue gehört zum Chorgestühl der Kartause – worauf der Kommissar die Klosteranlage aufsucht und an einer Führung durchs dortige Museum teilnimmt. Diese Führungspassage226 verdichtet Realitätsverweise und Geschichtspartikel in hohem Maß: dass sich die Kartäuser um 1400 in Buxheim niederließen, dass die Mönche ihr asketisches Leben in Zellen zubrachten, dass das Chorgestühl im 17. Jahrhundert vom Tiroler Bildhauer Ignaz Waibel gebaut, später verkauft, in einem englischen Frauenkonvent aufgestellt, schwarz bemalt, schließlich nach Buxheim zurückgeholt und dort renoviert wurde. Die Fiktion verarbeitet Wirklichkeit: jene des aufgerufenen historischen Wissens und jene der Führungssituation, denn auch in realiter organisiert der Heimatdienst Buxheim Rundgänge durch die Anlage. Und die Fiktion schafft Wirklichkeit: Weil sie eine Anschlussfähigkeit lebensweltlicher Praxis nach eben dieser fiktiven Führungsvorlage erlaubt. Kartausenführungen gab es allerdings bereits vor Erscheinen der AllgäuKrimis. Im Unterschied dazu erlaubt die Kartausenbesichtigung im Rahmen der Kluftinger-Tour ihren Teilnehmern, Echtheitsexpertisen am fiktional vermittelten Faktenwissen vorzunehmen. Und sie können nicht nur Erlebnisansprüche, sondern Nacherlebensansprüche geltend machen. Katharina Panteleit hat literaturinduzierten Tourismus am Beispiel von Illuminati-Stadtführungen in Rom untersucht. Im Vergleich zu herkömmlichem Fremdenverkehr hält sie eine „romanbezogene Authentizität“227 für ausschlaggebend: Demnach ist für die Teilnahme an Literaturtouren nicht lediglich die Originalität des Besehenen und sein subjektives Erleben von Relevanz. Hier zählt vor allem der Abgleich mit seiner literarischen Aufbereitung innerhalb der Romanhandlung und die Erfahrung seiner narrativen Neuinwertsetzung. Gästebegleiterin Ulrike Gandy instruiert die Krimi-Touristen rasch zu jenem Abgleich: „Kluftinger und Erika sind nach Buxheim und haben eine Führung mitgemacht, und das ist auch unser erster Programmpunkt.“228 Die Kartausenbesichtigung im Rahmen der Kluftinger-Tour folgt dem Weg des erfundenen

geschlossenen Gruppentermin des Bibliothekarsverbands Salzburg. Die Analysen des Führungsdesigns stützen sich auf das an beiden Terminen erhobene Datenmaterial. 226 Erntedank, S. 155-159. 227 Panteleit 2009, S. 259. 228 Ulrike Gandy, Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012.

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Kommissars. Gandy bringt die Gruppe in den Kreuzgang, in eine ehemalige Mönchszelle, in Kapelle und Kartausenkirche.229 Sie berichtet detailreich von Klostergründung und Ordensleben, Architektur, Kunstgeschichte und der Chronologie des Chorgestühls. Ihre Ausführungen sind deckungsgleich zu den genannten Wirklichkeitspartikeln in der Fiktion – also zu jenen Ausführungen, die Kluftinger im Kloster hört. Fiktion und Realität inszenieren die Kartause als kulturelles Erbe. In der Realität brechen aber das konservative Erzählmuster einer traditionellen Kartausenführung passend zum jeweils Betrachteten vorgetragene Romanpassagen auf. Kapelle und Kirche werden als Lesungsorte bespielt, die Besucher bekommen neben historischem auch populärkulturelles Wissen vermittelt. Der Krimitourismus stattet den Klosterkomplex mit neuen Narrativen aus. Neben gesicherte Geschichtsdarstellung stellt er Geschehensberichte zeitgeistigartifizieller Provenienz. Das bewahrte und nach bewährten Schemata gezeigte Vergangene erneuern modische Erzählstoffe. Beispiel Anna-Kapelle: Ihre Rokoko-typischen Deckengemälde und Skulpturen zeigen viele Kirchenheilige. Die Gästebegleiterin weist auf das Abbild der heiligen Agathe und erzählt die Legende dazu. Und sie kontextualisiert die Schutzpatronin aller Goldschmiede noch einmal neu: indem sie ausführt, wie im Krimi Schutzpatron der Heiligenname „Agathe“230 zum Pseudonym für einen Ganoven wird. Das Krimi-Führungsdesign speist der musealisierten Kulturerbestätte ein Mehr an Unterhaltung ein. Es erweitert sie um Erlebnisoptionen, die sich stärker an Infotainment denn an bildungsbürgerlich codierter Information ausrichten. Fakten reizen im Krimi-Klosterrundgang nicht um ihrer selbst willen. Sie sind reizvoll, weil sie in Fiktion eingebettet sind, die Fiktion in der Führungssituation der Kluftinger-Tour wieder zu einem Teil der Wirklichkeit wird und das in der Wirklichkeit Erlebte die fiktiv verarbeiteten Fakten legitimiert. Nächste Station: Memmingen. Im Zentrum erklärt die Gästebegleiterin der Gruppe das materielle (z.B. Sakralbauten) und immaterielle (z.B. das jährliche Fischertagsfest) Kulturerbe der Stadt. Der Rundgang hat gängige Stadtführungsqualität – eigentlich: Denn das Vorgestellte kommt in den Krimis nicht vor. Lediglich die touristischen Raumanbieter respektive Führungsdesigner verknüpfen, teils willkürlich, Objekte und Lektüre. Das Antonierhaus etwa ist ein mittelalterliches Kloster und beherbergt heute die Memminger Stadtbibliothek. Die Gästebegleiterin verbindet es so mit der Fiktion: „Was das Ganze mit Kluftinger zu tun hat? Kluftinger hat doch im Schutzpatron sein Auto nicht mehr gefunden.

229 Feldtagebuch von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 230 Ebd.

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Was macht man da als guter Katholik? Man betet zum heiligen Antonius, dem Schlumper-Patron [sic].“231 Tatsächlich wendet sich Kluftinger im Krimi an Antonius – aber vor einem Marterl am Wegrand bei Krugzell.232 Das Antoniterkloster in Memmingen kommt in keinem von Klüpfels und Kobrs Büchern vor, zumal: Es ist gar nicht nach jenem Schutzheiligen der Schlamper benannt. Laut Gästebegleiterin erinnert es an einen auch als „Säule-Antonius“ oder „Sau-Toni“ (die Leute schenkten ihm Schweine) bekannt gewordenen anderen Antonius. Obwohl nicht Romanschauplatz, wird besagtes Kloster krimitouristisch bedeutend gemacht. Memmingen ist lediglich Drehort der Kluftinger-Verfilmungen – auch für Szenen, die in der Romanvorlage nicht in der kreisfreien Stadt im Unterallgäu spielen. Die Krimis benennen aber keine Orte und Objekte der Stadt als auf die Wirklichkeit referierende Kuriosa und potenzielle Sehenswürdigkeiten. Lediglich „das Kunstwerk, der stilisierte Polizeistern mit den stählernen Zacken“233 vor dem Memminger Polizeigebäude kommt in Milchgeld vor – und während der Kluftinger-Tour weisen die Gästebegleiter in probater Sightseeing-Manier per Mikrofondurchsage die Teilnehmer im Bus darauf hin.234 In der Memminger Innenstadt löst sich das Führungsdesign sonst gänzlich vom Handlungsraum der Literatur – dennoch wird sie als Teil eines literarisch thematisierten Erlebnisangebots für sehenswert befunden und angesteuert. Memmingens Rathaus, Patrizierhäuser, Kirche, Marktplatz, Stadtbach: Sie sind nicht Teil der Fiktion, aber der Führung. Transformierte Literatur schafft und vermarktet Räume, selbst wenn die literarische Quelle deren Orte nicht berücksichtigt. Die Fahrt geht weiter, hinaus aus der 42.000-Einwohner-Stadt, über Landstraßen. Die Tourenleiterin weist auf die von großen Bauernhöfen geprägte Siedlungsstruktur des Unterallgäus hin. Die Landschaft jenseits der Busfenster erlaubt den Teilnehmern eine Einschätzung, die die Wirkmacht touristischer Definitionsarbeit etablierter Ikonografien unterstreicht: „Jetzt wird’s scho bissle allgäuerischer.“235

231 Ulrike Gandy, Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 232 Schutzpatron, S. 73. 233 Milchgeld, S.130. 234 Simone Zehnpfennig, Mitschnitt während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 235 Tatjana Rupprecht (Name anonymisiert), Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012.

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In Erntedank lassen Kommissar und Ehefrau Erika ihrem Kartausenbesuch ein Mittagessen folgen: Auch diese Romansituation simuliert die KluftingerTour. Während in der literarischen Vorlage ins „Gasthaus Engel, das gleich neben der Klostermauer lag“236, eingekehrt wird, speist die Krimitouristengruppe in der Brauereigaststätte Schweighart in Kronburg – obwohl ein wirkliches Äquivalent zur Lektüre auch in Buxheim existiert. Das lebensweltliche Original genügte aber den ästhetischen Ansprüchen von Veranstalterin Simone Zehnpfennig nicht. Sie fand: „Des war natürlich net schön, und ich bin Touristiker, ich will, dass das schöne Allgäu gezeigt wird, und net irgend so a Lokal.“237 Zehnpfennig half dem Bayerischen Rundfunk bei der Drehort-Suche zur Erntedank-Verfilmung. Für die Filmaufnahmen riet sie ebenfalls statt zur Buxheimer Realitätsreferenz zur Kronburger Gastwirtschaft Schweighart. Laut Zehnpfennig ist das „eine der unverfälschtesten Gaststätten, die’s noch gibt. Die brauen auch ihr eigenes Bier und verkaufen des im Umkreis bis Memmingen“238. Die Authentizitätsofferte der Krimitour funktioniert hier gerade nicht über ein Insistieren auf OriginalSchauplätzen, sondern über die mit Konsequenz verfolgte Kontingenz harmonisch-stereotyper Bildwelten des Fremdenverkehrs. Als echt und unverfälscht wird nicht in Szene gesetzt, was möglichst kongruent medial transformierbar ist. Die Bustour fährt jene Wirtschaft an, die sich mit der wohldosierten Folklore ihres holzvertäfelten Gastraums als repräsentativ für die Destination Allgäu propagieren lässt. Das ermöglicht den passenden Lockruf zur Busreise: „Und Kässpatzenessen gibt’s im kultigsten Wirtshaus der Region!“239 Die Wahl der einzelnen Bauelemente des zu gestaltenden Krimi-Reiseraums folgt hier ausschließlich Kriterien der touristischen Allgäu-Anbieter statt den Ortsangaben des Romanraums. Die belletristische Region und die Führungsregion divergieren, wenn die autonome Fiktion den Absichten der Destinationsmanager trotzt. Nach dem Mittagsmahl folgt wieder die Weiterfahrt. Wieder durch eine Landschaft, die entsprechend tradierten Mustern und populären Allgäuer Kulissenkonstruktionen wahrnehmbar ist: mit Gehöften, Wiesen, Kühen, Tobeln, sich

236 Erntedank, S. 167. 237 Simone Zehnpfennig, Mitschnitt während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 238 Ebd. 239 Unterallgäuer Gästebegleiter: Kluftinger-Tour: Eine Fahrt durchs Unterallgäu: http://www.unterallgaeuer-gaestebegleiter.de/Kluftinger_Touren.html 11.09.2014).

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durch Täler und Hügel schlängelnden Straßen.240 Gästebegleiterin Simone Zehnpfennig spricht auch während der Fahrt über Kulturerbe der Umgebung, das nicht Teil der literarischen Fiktion ist (die Wallfahrtskirche Maria Steinbach oder die Entwicklung von Aussiedlerhöfen und Vereinödung). Gleichzeitig betont sie kontinuierlich, dass man sich „absolut auf den Spuren von Kluftinger“241 befinde. Dann ist die Ruine Kalden ein Haltepunkt. Sie steht auf einem Plateau oberhalb des Illerdurchbruchs. In Schutzpatron wird daneben ein Museum gebaut. Im Realraum meint „Ruine“: rund sieben Meter hohe Reste eines Turms zwischen Waldrand und Wiese. Zwei Hinweistafeln, unter anderem zur Burgenregion Allgäu, flankieren sie, eine Inszenierung als Spektakulum fehlt. Als Kulturerbe präsent macht das historische Material die Fiktion, die die Gästebegleiterin vorliest. Danach hält die jeweilige Tourenleiterin die Gruppe an, einige Schritte weiter am Wiesenrand zu verweilen. Gesichert von einem Geländer, eröffnet ein Vorsprung am rund 50 Meter in die Tiefe abfallenden Hang ein Panorama auf Illertal, Flussbiegung und das gegenüberliegende Ufer mit Wald, Wiesen und Weiler, im Hintergrund läuten Kuhglocken: tauglich als Idealbild von Kulturlandschaft. Dieser Rastplatz der Kluftinger-Tour hat Pars-pro-Toto-Qualitäten. Der dort gewährte Ausblick ist stellvertretend für eine spezifische Wahrnehmung von Landschaft, die die siebenstündige Busreise durch das Allgäu den Krimi-Touristen bewilligt. Er geschieht aus überhöhter, d.h. distanzierter Perspektive auf den Umgebungsausschnitt. So referiert er auf ein traditionales und bis heute durchschlagskräftiges Landschaftsverständnis, wonach die Fusionsleistung des Betrachters aus dessen Nicht-Beteiligung an der tatkräftigen Zurichtung der dargebotenen, scheinbar natürlichen Umgebung rührt. „Der uns vertraute, sozusagen klassische Landschaftsbegriff, der sich seit der Renaissance durchgesetzt hatte, und der in seinem Kern die Anschauung eines mehr oder weniger ‚natürlichen‘ Ensembles, die bildliche Repräsentation einer Naturszenerie meinte, ist nur unter der Prämisse zu haben, dass nicht handgreiflich an den Elementen der Szenerie arbeiten muss, wer sie zur ‚Landschaft‘ synthetisiert“242,

240 Feldtagebuch von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 241 Simone Zehnpfennig, Mitschnitt während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 242 Ludwig Fischer: Kulturlandschaft und Arbeit: Nachdenken über das Selbstverständliche. In: Markus Leibenath u.a. (Hg.): Wie werden Landschaften gemacht? Sozial-

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schreibt der Literatur- und Medienkulturwissenschaftler Ludwig Fischer. Die Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter stellt in ihrem langstreckenhaften Durchkreuzen von Region populäre Allgäuer Kulturlandschaft, also menschlich und hier v.a. spezifisch agrarisch geformte Natur, in großer Menge zur Begutachtung bereit. Die Teilnehmer können sie problemlos als Schönheit perzipieren. Sie zählen nicht zu den tatkräftigen Allgäuer Landschaftsarbeitern – Milchbauern, Illerflößern, Brückenbauern –, wirtschaftlich-existenzielle Verwertbarkeit des betrachteten Materials ist ihnen nicht primär interessanter Aspekt. Ihre Streckenwahl prädestiniert die Bustour zur Anwendung solch konventioneller Betrachtungsweisen. Abseits vom städtischen Memmingen oder Kempten lädt das mit Wahrnehmungs-regulierenden Bildqualitäten wirkmächtige Ländliche zur „Übernahme eines ‚fremden Blicks‘“243 und so zur „ökonomisch viel versprechenden touristischen Zuschreibung“244. Auch Altusried ist Haltestelle der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter. Zu Fuß245 oder bei schlechten Wetterverhältnissen im Bus246 geht es zu Romanschauplätzen im Dorf, wo die jeweils passenden Stellen aus der Krimiserie vorgelesen werden, unter anderem zur Freilichtbühne. Die Bustour tangiert den literarischen Heimatort Kluftingers aber weitaus kürzer und oberflächlicher als die gemeindeeigene zweistündige Krimi-Führung durch Altusried. Einerseits aus tourismusstrategischen Gesichtspunkten: Die beiden Erlebnisangebote sollen nicht deckungsgleich sein. „Des is’ scho absichtlich getrennt, dass mer sich net in die Quere kommt“247, sagt Simone Zehnpfennig von der Unterallgäuer Gästebegleitung. In deren Tour erfährt nur marginale Beachtung, was andere Kluftinger-Tourismus-Angebote eingehender zeigen. Das soll Redundanzen für AllesBucher unter den Kluftinger-Touristen vermeiden. Laut Zehnpfennig gibt es Reisegruppen, die etwa in Kempten übernachten, mit einem Besuch Füssens beginnen, sich dann auf Krimi-Spuren durch Altusried führen lassen und zum Abschluss noch an der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter teilneh-

wissenschaftliche Perspektiven auf die Konstituierung von Kulturlandschaften. Bielefeld 2013, S. 39-60, hier S. 40. 243 Ebd. 244 Ebd. 245 Feldtagebuch von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 246 Feldtagebuch von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 247 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013.

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men. In Altusried beispielsweise verfügen die Leiterinnen der Gästebegleitung auch nicht über die Insiderperspektive des Ortsansässigen und Autor-Vaters Peter Klüpfel. Ähnlich wie dort funktioniert die Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am nächsten Etappenziel Kempten. Teils werden Schauplätze in der Vorbeifahrt im Bus erklärt, teils während eines Fußmarsches durch das Zentrum. Auch hier gehören Orte/Lesebühnen zum Rundgang, die auch Teil der nur auf Kempten begrenzten Krimi-Führungsroute sind. Aber auch hier handeln die Unterallgäuer Gästebegleiter sie straffer und weniger ausführlich ab als die Kempten-eigene Führung das tut. Besonders in Kempten unternimmt das Führungsnarrativ der Gästebegleiter Exkurse weg von der Fiktion. Was mitunter von der Zusammensetzung der Gruppe abhängt: „Ich mische auch immer und mache Sachen, die nicht ‚Kluftinger‘ sind. Weil häufig sind auch Leute dabei, die gehen einfach mit. Da ist der Ehepartner Kluftinger-Fan und der Mann geht dann mit“248, sagt Gästebegleiterin Ulrike Gandy. Dann spricht sie beispielsweise über Kemptens bauliches Erbe, verlässt die literaturinduzierte Route, macht Abstecher zum tradierten Sightseeing-Kanon der Stadt. Das rechtfertigt aber gerade die Behauptung seiner Konformität mit den Freizeitgestaltungspräferenzen der fiktiven Charaktere. Gandy lockt die Teilnehmer nämlich so in die St. Lorenz-Basilika (die im Krimiraum keine Rolle spielt): „Es gibt etwas ganz Besonderes hier, das hat nichts mit Kluftinger zu tun. Ob Sie daran Interesse haben? Die Frau Kluftinger, die Erika, würde sich’s anschauen wollen.“249 Die Strategie gelingt: Die Gruppe folgt ihr gern in die Kirche. Erneut steuert die Führung also ein Objekt an, das nicht Teil des Romansettings ist. Dennoch lässt es sich als Element eines kohärenten Krimitourismus-Raums positionieren, indem sein Reiz über fiktives Fortspinnen der Fiktion beglaubigt wird. Die Romanfiguren bekommen Testimonial-Qualifikation – und lassen sich variabel instrumentalisieren, um Güter im Sinne der Raumanbieter unter neuer Überschrift zu arrangieren. Die Route der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter resultiert erstens aus Erwägungen über die zeiteffiziente Durchführbarkeit: Besichtigt wird, was sich innerhalb eines Tages schnell ansteuern lässt. Mitten im Wald gelegene Schauplätze oder der Alatsee im Ostallgäu entfallen wegen ihrer zu großen Entfernung von den restlichen Orten des Krimi-Geschehens.

248 Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 249 Ulrike Gandy, Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012.

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Welcher literarische Handlungsort eignet sich, von logistischen und synergetischen Gründen abgesehen, nicht zur Transformation in touristisch konsumierbare Raumware? „Der Schlachthof“250, sagt Zehnpfennig. In Erntedank251 nimmt Kluftinger in der Kemptener Schlachterei, zwischen Fleisch-Förderbändern, Rinderhälften und Knochensägenkreischen, einen Verdächtigen fest. „Des is’ jetzt nix Besonderes für uns“252, begründet die Touristikerin den Verzicht auf den potenziellen Krimi-Touren-Stopp. Es gibt Zugangsbeschränkungen, Hygienevorschriften etwa, vermutlich wäre eine Besichtigung nur von außen möglich. Dem ungeachtet: Eine Revision zum bereisungswürdigen Kuriosum erfahren auch nicht besondere Schuhgeschäfte in der Kemptener City oder unscheinbare Burgturmrudimente erst durch populärliterarische Bedeutungsdreingabe. Dass die Tour jenen Ort, wo Tierblut fließt und Vieh „in handlichere Stücke“253 zerteilt wird, ausklammert, ist aber Indikator für den Impetus ihrer Veranstalter: tradierten Ästhetik-Maßstäben des Fremdenverkehrs gerecht zu werden. Zwar streift die Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter in Seitenblicken mobile und diffuse postmoderne Alltagsräume: indem sie Kluftingers täglicher Pendelroute vom Dorf in die Stadt folgt etwa. Im Führungsdesign der Gästebegleiter dominiert aber der Rundreise- und Überlandfahrtscharakter. Durchquert wird ein als linderungsfähig inszeniertes Ländliches: das schöne Allgäu. Das Busreisenschema verfährt so romantisierend wie reduzierend: Es präsentiert vorrangig die intakte Provinz. Das Mittagsmahl im urigerem Gasthaus, das Panorama auf Flusslandschaften, die imposanten Sakralbauten aus der bewährten Vorratskammer des Herzeigbaren: Die medial übersetzte, touristisch veräußerte Kluftinger-Region ist nicht hybrid, sondern gibt sich monolithisch und als „das Allgäu, diese Bilderbuchlandschaft“254. Der Raumentwurf der Fiktion erfährt im Führungsdesign einen deutlichen Zuschnitt hin zum Leitbild Sehnsuchtslandschaft, um das spezifische Allgäu der Tourismuswirtschaft zu kommunizieren und zu bewerben. Simone Zehnpfennig:

250 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013. 251 Erntedank, S. 274-279. 252 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013. 253 Erntedank, S. 276. 254 Unterallgäuer Gästebegleiter: Das Allgäu: http://www.unterallgaeuer-gaestebe gleiter.de/Das_Allgau.html (Zugriff: 15.09.2014).

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„Ich nehme Kluftinger als Aufhänger dafür, um die Landschaft darzustellen. Wir sind ja immer froh, wenn wir die Münch’ner da haben, die kommen übrigens echt wegen dem Kluftinger. Die sagen: ‚Ja, gut, s’Allgäu.‘ So nach dem Motto: ‚Kenna mer scho, aber wir gehen lieber doch zu uns zum Skifahren.‘ Und die wollen dann mal die Kartause Buxheim sehen und Altusried, des kennt keiner. Und dann steht mer da oben – also ich bin denen sehr dankbar, dass se Schutzpatron g’schrieben haben –, des is’ die Illerschleife wo mer runtergucken kann, Naturschutzgebiet, wunderschön, und kann zeigen: Hey, des is’ auch zum Beispiel Burgenregion Allgäu, […] da stehen überall diese Schautafeln. Mer kann einen ganz guten Bogen spannen von Füssen, wo der Alatsee im Vordergrund steht, Seegrund eigentlich, zu den Schlössern, die der Ludwig gebaut hat. Also ich kann da echt die ganze Palette spielen. […} Und des is’ es, was ich eigentlich au’ machen möchte: des Allgäu zeigen. Und da simmer den Autoren richtig dankbar, dass se diesen Teil des Allgäus herausg’sucht ham. Und in der Kartause Buxheim kann i die Klösterkultur darlegen, die Christianisierung über St. Mang mit Schutzpatron, die Käsewirtschaft sowieso, deswegen gibt’s auch immer Kässpatzen, des isst der Kluftinger ja so und so am liebsten, um mer fährt ja durch die Landschaft, des is’ die Käseküche Deutschlands, des Allgäu, und des kammer da scho’ immer gut spielen. Und das kulturelle Leben durch die Freilichtbühne Altusried. […] Also des kammer dann zeigen: Hey, wie aktiv sind die Allgäuer tatsächlich! Wie sehr sind se verwurzelt mit ihrer Heimat.“255

Die akzentuierte Verwurzelung der Allgäuer deutet an: Die Kluftinger-Region der Unterallgäuer Gästebegleiter ist nicht nur eine Bühne für normierte Ästhetik. Sie suggeriert auch eine Beständigkeit und Beschädigungsresistenz der dort gelebten Kultur. Die Raumsyntheseagentur Fremdenverkehr baut ihr Allgäu hier aus sozialen Gütern und latent stereotypisierten Menschen,256 die einem HeileWelt-Versprechen Genüge tragen, und lässt einen konservierenden Container entstehen. Auch die Romane stellen die Pflege von Allgäuer (Theater-)Tradition, regional-ursprünglich codierte Kulinarik und in grünhügeligen Wiesen verortete Handlungen dar. Allerdings konstatieren sie Dinge und Praktiken nicht als absolut für ein umgrenztes territoriales Areal. Wo die Krimis von Dönerständen und unansehnlichen urbanen Siedlungsarchitekturen erzählen, trifft die KluftingerTour der Gästebegleiter eine trennscharfe Auslese. Sie entzurrt fiktiv dargestellte und lebensweltliche dynamische Raumgefüge und verpflichtet die Region auf

255 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013. 256 Vgl. Löw 2001.

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eine Funktion als touristisch offerierbares Konsumgut mit klaren Botschaften: „Die Allgäuer ham’s net mit Sushi.“257 3.3.3.5.3 Effekte Es gebe überall Schlösser und Burgen im Allgäu, sagt Gästebegleiterin Simone Zehnpfennig an der Burgruine Kalden.258 Sie kommt damit ihrem Ansinnen nach, über die Kluftinger-Tour Reklameanreize für die Destination Allgäu zu setzen – und bewirbt die Burgenregion Allgäu. Dieses LEADER-Plus-Projekt vereint 23 Städte und Gemeinden, an denen Burgruinen, Schlösser und Stadtbefestigungen als kulturelles Erbe zugänglich gemacht werden.259 In der Schildmauerburg Grönenbach lassen sich stuckdeckenschwere Räume in barocker Opulenz besichtigen,260 die Sulzberger Burg wartet mit Museum und jährlichem Mittelalterfest auf.261 Am Schutzpatron-Schauplatz, dem ehemaligen Herrschaftssitz Schloss Kalden, kann Zehnpfennig allerdings bloß konstatieren: „Hier hat man wirklich nur die Ruine.“262 „Ruine“ heißt: Ein nicht einmal baumhohes Turm-Überbleibsel ist einzig verbliebener Objektivationsbestand, daneben lediglich zwei Schautafeln. „Vuil is ned do“263, bemerkt auch der Moderator einer Dokumentation des Bayerischen Fernsehens lakonisch, als er die Ritterfestungsreste als Tourenstation vorstellt. Jedoch: Wo es der „Ruine“ Kalden an historischer Gegenständlichkeit oder ausführlich aufbereiteter Living-History-Inszenierung fehlt, besetzt die erlebbare Literatur diese semiotische Leerstelle. Die Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter erzählt alte Mauerreste neu. Der Ort und seine Materialität werden durch zeitgeistige Populärkultur – Regionalkrimis und ihre Übersetzung in

257 Simone Zehnpfennig, Mitschnitt während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 258 Simone Zehnpfennig, Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 259 Burgenregion Allgäu: Die Städte und Gemeinden der Burgenregion: http://www. burgenregion.de/00_gemeinden/index.html (Zugriff: 16.09.2013). 260 Burgenregion Allgäu:

Schloss

Grönenbach:

http://www.burgenregion.de/01_

burgen/00_schloss/00_groenenbach.html (Zugriff: 16.09.2013). 261 Burgenregion Allgäu: Burg Sulzberg: http://www.burgenregion.de/01_burgen/01_ ruine/download/Sulzberg.pdf (Zugriff: 16.09.2013). 262 Simone Zehnpfennig, Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 263 Freizeit: Schmidt Max und der Tatort Allgäu. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 13.09.2012.

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Erlebnistourismus – frisch illustriert. Bislang so wenig glanzvolles wie frequentiertes Element der Burgenregion Allgäu, erhält das Vergangenheitsrelikt Kalden neue thematische Füllmenge. Sie wertet das bis dahin Farblose auf. „Wenn i mit den Leuten da bin, dann sagen die: ‚Huh, hätt’ mer allein nie hing’funden und wär’ mer auch nie hingegangen‘“264, erzählt Gästebegleiterin Zehnpfennig. Genauso gerät das Turmfragment nach ihren Angaben inzwischen verstärkt in den medialen Fokus, z.B. seitens des Outdoor-Magazins. Die vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club zertifizierte Radrunde Allgäu integriert es nun als Station – „vorher is’ mer dran vorbeigefahren“265. Das sonst kaum Berücksichtigte wird erst auf die Wirklichkeit verweisender Teil eines literarischen Imaginationsraums, in der Folge Komponente eines touristischen Erlebnisraums – und dann Element weiterer Raumgefüge sozialer Akteure, z.B. von Sporträumen. Abbildung 7: Lesung vor der Ruine Kalden.

Quelle: Eigene Aufnahme, 20.4.2013.

Das Prinzip der Neubewertung des als unspektakulär Stigmatisierten greift entlang der gesamten Strecke der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter. In der Extremversion führt das bis hin zur Erklärung des absolut Landläufigen

264 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013. 265 Ebd.

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während der Sightseeingtour – eine Gästebegleiter-Ausführung übers Busmikrofon geht so: „Und der Ortseingang von Altusried schaut aus wie überall: Entweder mer hat an Netto oder an Rewe oder diese Einkaufsmärkte.“266 Später folgt diese: „Und in dem ehemaligen Gasthaus, da is’ der Klüpfel her. Is’ aber a relativ normales Haus. Also nix Besonderes.“267 Auch hier wird das Profane bemerkenswert. Polizeigebäude und Marktplätze werden ihrer vermeintlich absoluten Deutung und Nutzung – als Polizeigebäude und Marktplätze – enthoben, als Teile fiktiver Illusionsräume und Lesungsorte reproduziert. Die mediale Übersetzung der Krimi-Lektüren in performative Tourismusangebote setzt fort, was die Literatur befeuerte: die Multiplikation von sich einschreibenden Räumen an realen Orten. Damit einher geht eine Akzentverschiebung weg vom touristischen SüdNord-Gefälle: „Jeder, der an Allgäu denkt, denkt an Oberstaufen, Oberstdorf und Füssen. Aber mir sind hier in der Region, an die man eher nicht denkt, und hier spielen aber die Allgäu-Krimis“268, sagt Simone Zehnpfennig während der Busfahrt zwischen Memmingen und Kronburg. Es ist aber tatsächlich nur: eine Akzentverschiebung. Mit einem quantifizierbaren touristischen Aufschließen der Unterallgäuer Gemeinden zum Schrothkur-Ort Oberstaufen, der „ein gutes Image im Sinne eines hohen Lifestylefaktors (Nachtleben, gesellige Atmosphäre) erlangt“269 hat, zum Kneippkur-Ort Oberstdorf mit seinen Wandermöglichkeiten in alpinen Höhenlagen, zur Königsschlösser-Stadt Füssen oder zum gesamten südlichen Oberallgäu mit seiner enormen Skigebietsdichte ist durch den Krimitourismus nicht zu rechnen. Die Unterallgäuer Gästebegleitung nutzt genauso wenig wie die KrimiFührungen in Altusried oder Kempten das offzielle Kluftinger-Logo, dessen Rechte bei den Autoren liegen. Das bedeutet: Kein Profitieren von Markenrechten. Zehnpfennig: „Die wirtschaftliche Gewinnschöpfung ist gleich Null.“270 Der Nutzen der Bustour geht aber über die Erträge aus den bloßen Teilnahmegeldern hinaus. Als die letzte Station in Kempten absolviert ist, bilanziert beispielsweise eine Teilnehmerin: „Aber des isch scho’ a schönes Städtle, mit de’ ganze Cafés. Au’ Memmingen hat mir jetzt guat g’falla, vom Städtle her. Miaß’ mer mol an

266 Simone Zehnpfennig, Mitschnitt während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 267 Ebd. 268 Ebd. 269 Fehrholz 2006, S. 91. 270 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegeleiter, am 13.02.2013.

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Shopping-Samstag eilega in Memmingen.“271 Buxheim, Memmingen, Kalden: Was bis dahin laut Expertin „nicht das große Allgäu“272 war, wird über die Tour im doppelten Sinn er-fahren und als auch bereisenswerter Teil der Destination Allgäu publik gemacht. 3.3.3.6 Buxheim 3.3.3.6.1 Start „Das Foto zeigte eine geschnitzte Holzstatue, nicht bemalt, sondern in einem honigfarbenen Braunton. […] Der Mönch oder Heilige auf dem Bild hatte die Hände gefaltet und trug eine Kapuze.“273 Was in Erntedank als Foto auf Papier abgebildet neben einer Leiche liegt, findet Kluftinger im Original im Chorgestühl der Kartause Buxheim: Die Schnitzarbeit stellt den sogenannten bußfertigen Sünder dar – Matthias Kreutzer, einen einstigen Schergen des Memminger Landadels, der für das Fürstenhaus derer von Balzheim blutrünstig Geld eintrieb. Vier seiner Kinder starben, sein fünftes wollte er nicht auch noch verlieren, deshalb begann er auf Anraten der Kartäusermönche, sein Leben untadelig und reuevoll zu gestalten. Der Sohn überlebte. Kreutzer mutierte zum Fürsprecher des Klosters. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurde ihm als hölzerne Statue und Teil des Chorgestühls ein Denkmal gesetzt – so erfährt es Kluftinger im Roman von Pater Odilo.274 Mit Kartause, Chorgestühl, Holzfigur und deren gängiger Aufladung als Symbol für Demut und Buße integriert der künstlerische Text Wirklichkeitsfragmente; Kluftingers fiktiver Besuch im Klostermuseum ist kontingente Realitätsreferenz. 1402 gründete der Kartäuserorden seine Niederlassung im heute unterallgäuerischen Buxheim bei Memmingen. Seit 1974 müht sich der gegenwärtig rund 200-Mitglieder-starke Heimatdienst Buxheim e.V. um die Restaurierung des Klostergebäudes, um Einrichtung, Neugestaltung und Leitung des Kartausenmuseums. Inzwischen weisen auch braune Schilder an der nahen Autobahn 7 auf das Kulturerbe im 3000-Einwohner-Ort hin. Die Kartause ist von April bis Oktober geöffnet, sonntags organisiert der Heimatdienst Führungen, in der Saison

271 Petra Hägele (Name anonymisiert), Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 272 Simone Zehnpfennig, Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 273 Erntedank, S. 138. 274 Ebd., S. 160-162.

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2012 verzeichnete der Verein insgesamt 17.000 Gäste.275 Mit das wertvollste Sakralkunstwerk und wichtigster Besuchermagnet der Ausstellung ist das Chorgestühl in der Kartausenkirche. Der Tiroler Holzschnitzer Ignaz Waibl schuf es zwischen 1687 und 1691. Graf Waldbott von Bassenheim, der damalige Besitzer der Kartause, ließ es 1883 aus Finanznot versteigern. Es landete in einem Frauenkonvent in England. Als dieser aufgelöst werden sollte, konnte das Chorgestühl auf Betreiben der dortigen Oberin Cathleen Bush und des Präsidenten des Bezirkstags Schwaben, Georg Simnacher, für zweieinhalb Millionen Mark nach Buxheim zurückgeholt und renoviert werden. Für die Kartause als kulturtouristisch aufbereitete Stätte hat es heute eine „Wahnsinnsbedeutung“, sagt Hans Haugg, der Erste Vorsitzende des Heimatdienstes Buxheim. „Zigtausende“ Besucher kämen allein deswegen.276 Doch die Besucher lockt nicht nur der künstlerische und historische Wert der Objekte. Sie bewegen auch transzendentale Gründe: „Wenn mir dann bei Führungen vermitteln können: Nicht bloß anschauen! Praktisch die Stimmung von der Kirche, von den Figuren, vom Kreuzgang – des isch also die meditative Stimmung, des isch des, was mir eigentlich machen. Koin Rummel, koin Radau. Und wenn oiner des kapiert hat, die [sic] kommen zig Mal. Die kommen oft. Die gleiche Leit. Hocken ins Gärtle, meditieren, sind im Chorgestühl drin, bleiben a dreiviertel Stund’ in der Anna-Kapelle. Da ka’ mer richtig meditieren. Des isch der Grund. Au’ der Kartäusergedanke: Ruhe, Schweigen.“277

Anlässlich des Jubiläums zur 30-jährigen Rückkehr des Chorgestühls brachte der Heimatdienst unter dem Titel „Soli deo – allein für Gott“278 (eine Kurzfassung des Kartäuserprogramms) ein Heft heraus. Es erklärt zwar in wenigen Worten den dreistufigen Aufbau des Chorgestühls – mit geschnitzten Dämonenmasken auf der unteren, Ordensgründer und im christlichen Glauben Vorbild gewordene Menschen wie die Gottesmutter, Johannes den Täufer und den bußfertigen Sünder auf der zweiten und Apostel und Erzengel auf der höchsten Ebene –, vor allem aber stellt es mit reicher Bebilderung und Versen aus den Statuten des Kartäuserordens Gläubigen Anreize zur schweigenden Reflexion bereit.

275 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 276 Ebd. 277 Ebd. 278 Heimatdienst Buxheim: Soli deo – allein für Gott. Das Chorgestühl in der Kartause Buxheim. Prospekt. o.J.

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Seit dem Erscheinen von Erntedank bietet eine Kartausenvisite nicht mehr nur Zugang zu Kulturerbe und metaphysischen Erfahrungen, sondern auch zu literarischen Illusionsräumen. In der Sommersaison gibt es, zusätzlich zur Bustour, an jedem dritten Freitag eine nur auf die Kartause beschränkte KluftingerFührung – die allerdings ebenfalls von der Unterallgäuer Gästebegleitung und nicht vom Heimatdienst Buxheim organisiert wird, weshalb auf eine eigene Analyse des Führungsdesigns verzichtet werden kann. Im Folgenden sollen die Effekte der Implantierung fiktiver Narrative in die Kulturerbe-Stätte gesondert aufgearbeitet werden. 3.3.3.6.2 Effekte Die Kluftinger-Romane bieten vor allem für die bisherigen Randgebiete Potenzial – auch für Buxheim. Simone Zehnpfennig spitzt zu: „Es is’ für uns natürlich insofern gut, als dass in den Krimis oftmals des unbekanntere Allgäu vorkommt. Also Buxheim kannte kein Mensch vorher. Jetzt kennen’s doppelt so viele.“279 Dass die Kartause Buxheim literarischer Schauplatz wurde, ließ die Besucherzahlen nicht explosionsartig in die Höhe schnellen. Aber es machte das Kloster interessant für eine neue Klientel. Der Heimatdienst-Vorsitzende: „Es hat sich was verändert. Und zwar kommen da Leute, die sonst mit Museum nix am Hut haben.“280 Haugg beschreibt sie als jünger als das durchschnittliche Kartausenpublikum, als „richtige[n] Fanclub“ und „spezielle[n] Kreis“. Diesem sei das Vorhandensein der in der Fiktion beschriebenen Mönchsstatue an einem realen Ort Motivation für eine Reise dorthin – aus anderen Gründen käme dieser Kreis nicht nach Buxheim.281 Der finanzielle Gewinn, den die neue, junge Kundschaft mit sich bringt, und der Stellenwert, den sie in den Museumsbilanzen einnimmt, scheinen gering: Laut Haugg bewegt sich bei insgesamt 17.000 Museumsgästen im Jahr 2012 der Anteil der Individual-Krimi-Touristen und Führungsteilnehmer der Unterallgäuer Gästebegleiter nicht einmal im vierstelligen Bereich. Er meint aber auch, dass sich die ursprünglichen Krimi-Touristen mitunter für weitere Besuche in der Kartause begeistern lassen.282 Deutlich profitiert der Heimatdienst von der medialen Berichterstattung in der Folge der Fiktionalisiserung. Vor allem das Fernsehen verweist häufig auf

279 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013. 280 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 281 Ebd. 282 Ebd.

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die Wirklichkeitsreferenz aus dem Roman. Für die Museumsbetreiber und ihre Einrichtung ist das kostenlose und überregional-flächendeckende Reklame. Bereits früher war das Kloster regelmäßig Gegenstand von TV-Reportagen. Mit dem Erscheinen von Erntedank haben sich aber seine Außenwahrnehmung und mediale Darstellung gewandelt. Filmbeiträge stellen nicht mehr nur das Kulturerbe Kloster vor, sondern seine Qualität als Literaturschauplatz in den Vordergrund. Filmteams fragen in Vorgesprächen mit Kartausenvertretern gezielt nach der Aufbereitung durch die Belletristik und nehmen die Krimifigur zum neuen Aufhänger.283 Der semantische Komplex Kluftinger ist dabei für vielfältige Anschlussnarrative instrumentalisierbar: Z.B. war auch die katholische Kirchenredaktion in Buxheim und knüpfte ihre Publikation an den Romanstoff.284 Dieses mediale Interesse ist knappe zehn Jahre nach der Erstausgabe von Erntedank 2004 ungebrochen. Es ruft die Kartause über die Romanlektüre hinaus als bereisbaren Schauplatz kontinuierlich in Erinnerung und hält den Zulauf an KrimiTouristen auf konstantem Niveau. Abbildung 8: Schnitzfigur des „Büßermönchs“.

Quelle: Eigene Aufnahme, 20.4.2013.

283 Z.B. Freizeit: Schmidt Max und der Tatort Allgäu. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 13.09.2012. 284 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013.

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Vor allem aber bewirkte Erntedank eine Hierarchisierung und Neuordnung der Objekte im Museum. Das Chorgestühl war durch seine internationale Dingbiografie und seinen kunsthistorischen Wert schon vor der Krimi-Veröffentlichung wichtig für die Kartause. Inzwischen hat sich der Fokus darauf noch verengt. Er konzentriert sich nun auf eine einzelne Schnitzfigur im ganzen Gestühl. Der im Buch erwähnte Büßermönch ist berühmter als all die anderen hölzernen Fratzen, Apostel und Heiligen neben ihm. Die Authentizitätsnachfrage der Krimi-Touristen führte zu seiner neuen Inwertsetzung durch den Heimatdienst. „Jetzt, weil der Roman gut eingeschlagen hat, kommat viele: ‚Ja, wo isch der Mönch?‘ Und no hammer g’sagt: Ok, jetzt isch der Mönch praktisch au a Markenzeichen“285, sagt Haugg. Der Heimatdienst platzierte ein Abbild der Holzfigur etwa an prominenter Stelle auf dem Titelbild des klostereigenen Kultur- und Veranstaltungsprogramms286 und auf der Startseite der Kartausenhomepage287 – allerdings losgelöst von einer Kontextualisierung durch die Romanlektüre. „I könnt’ 500 Figuren rausfotografieren“288, beschreibt der Vorsitzende das Materialrepertoire des Chorgestühls. Zum Markenzeichen der Kartause wurde aber lediglich eine nobilitiert. Literatur bedingt hier den semantischen Werdegang von Artefakten. Sie treibt ein Fortschreiben der Objektbiografie und eine Berufung der Statue als elementarer Bestandteil neuer Raumvorstellungskomplexe voran. Erntedank erzählt die Geschichte der hölzernen Mönchsfigur nach und schreibt jener eine weitere ein. Die Figur entstand als Symbol des für Erlösung Betenden als Teil des Chorgestühls, dessen Anfertigung ab 1687 der Konvent auf maßgebliches Einwirken des Priors Johann Bilstein beschlossen hatte – und hatte so zunächst den Wert eines sakralen Gegenstands. Nicht-Ordensmitglieder oder Frauen durften zu dieser Zeit nicht in die Kartause. „Und somit ham die dieses Chorgestühl nur für sich gebaut. Des hat niemals ein Fremder gesehen.“289 Ausnahme: Weil Buxheim Reichskartause war, sahen sich ihre Obrigkeiten den Fürstäbten Kemptens oder Ottobeurens zumindest gleichgestellt – bei Besuchen und zur Distink-

285 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 286 Heimatdienst Buxheim e.V.: Kultur- und Veranstaltungsprogramm 2013. Flyer. 287 Heimatdienst Buxheim: Kartause Buxheim: http://www.kartause-buxheim.de/ (Zugriff: 29.09.2014). 288 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 289 Ebd.

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tion diente das Chorgestühl also auch repräsentativ „zum Glänzen“290. Nachdem es der damalige Kartausenbesitzer 1883 versteigern ließ, bemühte sich hundert Jahre später der Bezirk Schwaben um seinen Rückkauf, es kam 1980 zurück nach Buxheim, wurde restauriert und 1994 „in einer feierlichen Benediktion wieder in Dienst genommen“291. Seither bietet es wieder vor Ort Raum für Transzendenzerfahrung. Darüber hinaus inszeniert es der Heimatdienst, der sich die „ideele [sic] und praktische Wahrnehmung der kulturellen, denkmal- und landschaftspflegerischen, historischen und heimatkundlichen Belange Buxheims“292 zur Aufgabe gemacht hat, als Heimat-sichernde, identitätsstiftende Objektivation, die es zu bewahren gilt und die bereist werden kann. Es wird uminterpretiert: „Denn durch ihre Musealisierung werden Objekte in einen neuen Kontext gesetzt, erhalten einen neuen Wert und eine andere Bedeutung. Als ‚kulturelles Erbe‘ beziehen sie sich auf die Vergangenheit, sind aber zu etwas Neuem geworden.“293 Die Holzplastik übernimmt Symbolfunktion für die Kartäuserlehre, ist Sakralobjekt, kunsthistorisches Wertstück, Materialisierung lokaler Historie und Identität, distinktionstaugliches Museumsexponat – und durch den Allgäu-Krimi auch literarische Figur. Die Fiktionalisierung macht sie zur tragenden Komponente von Kulturerbe-Folgekonstrukten: erzählten Unterhaltungsräumen und erlebbaren Vergnügungsräumen. Die Lektüre macht den Büßermönch attraktiv für das bis dato nicht gängige Museumspublikum. Der Heimatdienst versucht aber, die Figur als potenzielles Lockmittel für ein breites Zielgruppenspektrum kompatibel zu machen. Ein Branding des Museums über die Kluftinger-Fiktion bleibt aus. Der Ausstellungskomplex besetzt die Nische der Kartäusergeschichte und fußt auf mehreren Standbeinen: Die ehemaligen Zellen schildern den Ordensalltag der historischen Schweigemönche, das Sakralmuseum in der Sakristei stellt die Techniken der Kirchenbaukunst in den Vordergrund und das sogenannte Klosterstüble die Buxheimer Dorfgeschichte und das Grafengeschlecht derer von Bassenheim, das im 19. Jahrhundert die

290 Ebd. 291 Heimatdienst Buxheim: Chorgestühl: http://www.kartause-buxheim.de/chor.html (Zugriff: 29.09.2014). 292 Heimatdienst Buxheim: Aufgaben und Organisation: http://www.heimatdienstbuxheim.de/index.php/aufgaben-organisation (Zugriff: 29.09.2014). 293 Carolin Kollewe: Wie ‚böse Steine‘ zu ‚wertvollen Stücken‘ werden – Produktion kulturellen Erbes und Konstruktion lokaler Identität während des Aufbaus eines Gemeindemuseums in Südmexiko. In: Hemme/Tauschek/Bendix 2007, S. 253-276, hier S. 254.

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Kartause besaß. Haugg beschreibt den Stellenwert des Krimis: „Do isch der Kluftinger uns so wichtig wie die anderen.“294 Die Fiktion ist für ihn eine „schöne Randbemerkung“295, aktiv vermarktet wird sie von Vereinsseite nicht. Wohl auch, weil man nicht auf die – eher marginalen – Eintrittsgelder zusätzlicher Krimi-Touristen angewiesen ist. Haugg zum regelmäßigen Führungsbesuch der Unterallgäuer Gästebegleiter: „Es isch schee, wenn die kommen, weil des ja andere Leit’ send. Und i denk’, wenn die des scho’ so gut am Leben erhalten, dann lauft des so weiter. […] Und so lang’ des so g’macht wird, isch des scho’ positiv.“296 Das leichte Plus an Gästen und Bedeutung wird begrüßt. Existenzielle Abhängigkeit davon besteht in der bald vier Jahrzehnte alten Institution nicht. Doch Haugg anerkennt die Möglichkeit, die die Literatur bietet: „Mir ham kleine Museen, die ham unter der Woche oin Tag auf oder am Samstagvormittag oder am Sonntag nach d’r Kirch’, dene würd’s gut tun, dass a paar Leit mehr kommen.“297 Die Buxheimer Museumsmacher greifen das neue Sinnangebot nur auf explizite Nachfrage – von Krimi-Touristen oder Filmteams – auf. Sonst bleibt es außen vor. Haugg: „Also bei normale Kartausen-Führungen spielt der Kluftinger koi Rolle. Es sei denn, es kommt die Frage: ‚Wo war jetzt der Büßer? Wie war des?‘ Dann tut mer des mit erwähnen. Weil, wenn i des mit erwähn’, no woiße, i hab’ vielleicht a paar Interessenten. Und wenn nicht, no stör’ i die ganz’ Stimmung mit dem Kluftinger-Roman. Weil bei uns sind andere Inhalte danna als wie die Romangeschichte.“298

Allgäu-Krimi-Autoren, Romanrezipienten und Krimi-Touristen generieren neue Lesarten des Klosterraums und schreiben seinen materiellen Teilmengen neue Symbolgehalte zu. Sie sperren sich gegenüber jenen Raumkonzeptionen der Museumsplaner, die nur singuläre Kulturgeschichte aufrufen. Innerhalb Lefebvres triadischem Modell von Sozialraum299 entspricht die Inanspruchnahme der Kartause als Literaturschauplatz einem Repräsentationsraum. Als subversive Gebrauchsstrategie streitet er mit anderen Benutzerräu-

294 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 295

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296

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297 Ebd. 298 Ebd. 299 Lefebvre 2006.

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men: denen etwa der spirituell motivierten oder kunsthistorisch interessierten Klosterbesucher, die sich von der populärliterarischen Zurichtung der erwarteten Klosterpraxis gestört fühlen. Zwar übernimmt der Heimatdienst nicht die Romanfolie im Sinne eines universalen Marketingkonzepts. Indem die Unterallgäuer Gästebegleitung aber die literaturinduzierten Repräsentationsräume in ihr vorstrukturiertes Konsumgut Tourismusraum verwandelt, überführt sie diese wiederum in Raumrepräsentationen: Die teilweise Indienstnahme des belletristischen Kapitals im Kloster ist beispielhaft für Auszeichnungsprozesse kulturellen Erbes: Die Inszenierung von Vergangenheit fußt nicht nur auf gesicherten Wissensbeständen von vermeintlich objektivem Wahrheitsgehalt. Falsch/richtig sind nicht Kriterien für Kulturerbe-Narrative. Es geht vielmehr darum, (hier gegenständliches) Material mit passgenauen Erzählungen auszustatten. Passgenaue Erzählungen heißt: von Besuchern, Schriftstellern und an der Raumproduktion beteiligten Akteuren akzeptierte oder aktivierte und eben möglicherweise auch fiktionale. Hauggs Einschätzung belegt das: „Die Kartause isch ja scho uralt. Und do isch im Mittelalter scho’ so viel passiert, dass des au’ no dazu passt. Die Gedanken sind frei, und jeder interpretiert und der Künstler hat Freiheit. Und die Sachen, wo dazu dichtet sind, die klingat gut, die hören sich gut an, die lesen sich gut. Hat aber mit den Kartäusern an sich gar nix zu tun. Und da will i jetzt au net sagen, des isch falsch. I gib’ dem Klüpfel und dem Kobr die künstlerische Freiheit, die se brauchen. […] So kann i sagen, des basst scho dazu.“300

Literatur kann Vorratskammerqualitäten für die Konstruktion von Kulturerbe haben. Die Fiktionalisierung der Kartause festigt ihre Position auf dem Markt der Sehenswürdigkeiten, indem sie über neue Trends und Themen weitere Zugänge schafft. Klosterbesuche folgen nicht mehr nur einem Bildungsimpetus, Nostalgie- oder Transzendenzbedarf. Die Kulturerbestätte wird auch zur postmodernen Erlebniswelt, die Authentizitäts- und Vergnügungsbedürfnisse befriedigt. Diese Neudeutung des kulturellen Konsumguts Kartause kommt einer Entvertikalisierung dessen gleich, was Gerhard Schulze „alltagsästhetische Schemata“301 nennt: Letzteres sind kollektive Erlebnisprogramme, in denen bestimmten materiellen und immateriellen Warenensembles spezielle Bedeutungskomplexe zugeordnet sind. Indem Krimitourismus im Sakralmuseum stattfindet, durch300 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 301 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt am Main/New York 2000, S. 125.

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dringen sich Hochkultur-, Trivial- und Spannungsschema302. Denn die verschiedenen Genussstrategien ihrer Akteure – Kontemplation und Ruhezustand, Suche nach der gewohnten und schönen, pittoresk-gemütlichen Illusion, körperzentrierte Action und Bewegungs- und Reisebedarf – setzen nicht mehr distinktive Gruppenzuordnungen voraus, sondern können kombiniert werden. Die verschiedenen sozialkonstruktivistischen Variationen der Alltagsästhetik verfügen in Buxheim über die gleiche Benutzeroberfläche und greifen auf die gleichen, in unterschiedliche Raum- und Sinnkomplexe eingearbeiteten Güter zu. 3.3.3.7 Bilanz In ihrer Häufigkeit, Regelmäßigkeit und (auch medialen) Resonanz sind die Erlebnis-Angebote zu den Kluftinger-Romanen einzigartig im Allgäu.303 1500 Menschen304 lockt der fiktive Romankommissar jährlich zur Teilnahme am organisierten Krimi-Tourismus. Ökonomisch spielen die Kluftinger-Führungen damit für die Destination Allgäu und die einzelnen Kommunen eine eher untergeordnete Rolle und sind von vergleichsweise geringer Rentabilität. Doch sie garantieren Seitenblicke ihrer Konsumenten: auf die ansprechenden grünhügeligen und rustikal-ländlichen Renommierdesigns, mit denen Fremdenverkehrsmanager die Region versehen. Und sie rücken bis dahin periphere, wenig vermarktete und für die touristische Öffentlichkeit neue Allgäu-Nischen abseits der elaborierten Wander- und Wintersport-Hotspots in den Vordergrund. Alle Krimi-TourismusAngebote aber eint das Jonglieren mit Bedeutungsmassen: Wo Kluftinger stattfindet, wird Allgäu aktualisiert. Neue Versionen von Allgäu werden hergestellt. Ihre Elemente können alt, gängig oder bewährt sein: Käse, Kühe, Berge und

302 Ebd., S. 142-167. 303 Buchpremieren von Peter Nowotny finden an den jeweiligen Tatorten – auf dem Grünten oder dem Nebelhorn – statt, Laiendarsteller spielen dort Buchszenen nach. Außerdem gastiert der Autor bei Krimi-Dinnern auf dem Walmendinger Horn. Die Schauplätze aus Nicola Förgs Romanen können Interessierte auf geführten Radtouren erkunden – allerdings nur die ihrer neuen, in Oberbayern verorteten: Der Tourismusverband Pfaffenwinkel veranstaltet sie. Auch erfand Förg für die Königscard (ein Label für Übernachtungsunterkünfte, das deren Gästen freien Eintritt für Bergbahnen, Museen oder Freizeitveranstaltungen im Allgäu, in den Ammergauer Alpen und Tirol anbietet) die Internet-Krimiheldin Sissy König als Aufhänger für SocialMedia-Aktionen und Gewinnspiele. Ein ähnlich breites Angebotsspektrum wie beim Kluftinger-Tourismus gibt es sonst im Allgäu aber nicht. 304 Geld und Leben: Allgäu-Krimi. Auf den Spuren von Kommissar Kluftinger. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 27.02.2014.

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mehr. Neu sind aber mitunter die beteiligten Akteure, und neu sind die Narrative der Region. Denn der Wahrnehmung von Regionsentwürfen gehen neue „Platzierungsprozesse [Hervorhebung i.O.], das heißt, das Platzieren sozialer Güter oder Lebewesen bzw. das Sich-Platzieren derselben, das Bauen, Errichten oder Vermessen, auch das Positionieren primär symbolischer Markierungen, um Ensembles von Gütern und Menschen als solche kenntlich zu machen, [und] das Platzieren von Information“305,

kurz: neue Spacing-Verfahren voraus. Im Gegensatz zu tradierten Infrastrukturen des Fremdenverkehrs erschließen sich die Produzenten des Kluftinger-Allgäus ihren Raum um Orte und Objekte, die bis dahin in andere räumliche Kompositionen eingebunden waren. Den Gütern widerfährt teils eine Prädikatisierung: Indem Krimi-Führungen Polizeidienststellen, Bordelle, Wohn- und Warenhäuser zu Haltepunkte und Lesungsorte machen, werten sie sie um, erklären sie für ansteuerungswert und machen sie zu Teilen kommerzieller Erlebniswarensortimente. Der Kluftinger-Tourismus produziert neue Sehenswürdigkeiten. Und er führt ihren sozialkonstruktivistischen Charakter vor. Attraktionen sind nicht von naturgegebener Existenz, sie sind von verschiedenen Akteuren beworben, wahrgenommen und ausgehandelt. Ingrid Thurner schreibt: „Die Sehenswürdigkeit muss über eine Eigenschaft verfügen, die ihre Bewertung als Besonderheit zulässt. Sie muss über eine Eigenheit verfügen, die sie von anderen vergleichbaren Objekten abhebt, etwa in der Größe, Höhe, Umfang, Material (an allererster Stelle Gold), Wert – eine Qualität also, die in der gängigen Praxis des Erstellens von Bestenlisten der Superlative dem Objekt einen Platz auf den oberen Rängen zuweist. Als sehenswert katalogisiert ist das Herausragende, Kostbare, Ungewöhnliche, Kuriose, Seltene, Rare. Je seltener das Objekt, umso mehr trägt es das Attribut sehenswert.“306

Thurners Definition lässt plausibel erscheinen, warum z.B. Neuschwanstein beliebtestes Reiseziel der Republik ist. Sie macht aber nicht plausibel, weshalb eine überregional und bundesweit in gleicher Bauweise und Ausstattung vorfindliche Kaufhauskettenfiliale Kemptens besichtigt wird. Eine solche Gewöhnlichkeit kennzeichnet einen Großteil der Krimi-Schauplätze und Führungsstationen. Die Besonderheit von Sehenswürdigkeiten lässt sich also gerade nicht über eine We-

305

Löw 2001, S. 225.

306 Ingrid Thurner: Sehenswürdigkeiten. Konstruktion und Rezeption. In: Andreas Kagermeier/Albrecht Steinecke (Hg.): Kultur als Standortfaktor. Potenziale, Nutzung, Management. Paderborn 2011, S. 1-17, hier S. 4.

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senseigenheit ihres Materials herleiten. Sie ist das Ergebnis von Nobilitierungsarbeit. Ingrid Thurner hat deshalb recht, wenn sie den Fabrikationscharakter von Besuchermagneten betont und fortfährt: „Das Besondere muss nicht positiv konnotiert sein“307 – denn wie die Kluftinger-Führungen nachweisen, kann auch ein Bordell in einer mittelgroßen Stadt zum Anziehungspunkt werden. Unrecht hat sie aber, wenn sie einschränkt: „Manche [Hervorhebung: KL] Besonderheit liegt auch nicht im Objekt selbst begründet, sondern dankt sich äußeren Umständen.“308 Denn ebenso wenig wie die Besonderheit einer Diskothek wurzelt die der Rokoko-Prunkräume der Kemptener Residenz in ihrer Physiognomie selbst, sondern ist Resultat sozialer und kultureller Bedeutungsimplantierungsprozesse. Erst Akteure veredeln mit ihrer Aufmerksamkeit das Banale zum Extraordinären. Der Krimi-Tourismus erweitert einen klassischen Bestand an bereisbaren Bildungsgütern und Topopgrafien des Fremdenverkehrs. Er integriert aber auch eingeübte Besichtigungsstätten (die Kemptener St. Lorenz-Basilika, die Altusrieder Freilichtbühne, die Kartause Buxheim) und verräumlicht sie neu. Über die organisierten Krimi-Touren hinaus gibt es auf der Homepage zur Romanserie unter der Überschrift Hier spricht der Chef: Kluftingers Reisetipps eben solche: „Ich hab ja nix gegen die Terror... äh Touristen. Aber wo dappen die denn allweil hin? Nach Neuschwanstein, zum Almabtrieb und ins Bierzelt. Vom richtigen Allgäu kriegen die doch gar nix mit. Dann kommen sie heim und erzählen, dass es bei uns nur grüne Wiesen und grinsende Kühe gibt und die auch noch schöner sind als die Mädchen. Ja, dankschön. Wie? Sie überlegen auch, ob Sie ins Allgäu fahren? Wissen’S was? Ich verrat’ Ihnen jetzt mal ein paar Tipps, was es bei uns noch zu sehen gibt. Ganz unter uns, versteht sich. Da geht es dann auch nicht so zu wie bei den echten ‚Touristenattraktionen‘. Da haben Sie mehr von Ihrem Allgäu-Urlaub. Und ich auch, denn alle Tipps sind ziemlich weit weg von meinem Wohnort Altusried.“309

Der fiktive Kriminalpolizist schlägt auf der Internetpräsenz Abstecher zu den Burgberger Erzgruben, zum Glasbläserdorf Schmidsfelden oder zum Wangener Fidelisbäck, wo „es den weltbesten Leberkäs und fantastische Seelen“310 geben

307 Ebd. 308 Ebd. 309 Autorengemeinschaft Klüpfel und Kobr GbR: http://www.kommissar-kluftinger. de/index.php?id=525 (Zugriff: 03.12.2014). 310 Ebd.

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soll, vor. Diese Orte liegen alle im Allgäu, sind aber nicht Romanschauplätze. Die Online-Reklame allein scheint auch keine so attraktivitätssteigernden Effekte zu haben wie die Integration in die Romanhandlung. Aus den Erzgruben – Erlebniswelt am Grünten heißt es: „Uns ist nicht bekannt, dass bisher irgendein Gast zu uns gekommen ist aufgrund der Kluftinger-Homepage“311. Aus der historischen Glashütte Schmidsfelden: „Die Tatsache, dass ich noch nicht wusste, dass die Manufaktur und das Museum als Ausflugtipp auf der KluftingerHomepage zu finden sind, beschreibt eigentlich schon viel.“312 Und im besagten Wangener Backwarengeschäft ist „kein einziger Fall bekannt, bei dem Gäste erzählt haben, dass sie über die Krimis zu uns gekommen sind“313. Der Krimi-Tourismus ist lokalspezifisch von unterschiedlichem Stellenwert. Existenz- und überlebenssichernde Größe ist er für keine der untersuchten Kommunen und Serviceunternehmen, aber im jeweiligen Dienstleistungsspektrum doch von unterschiedlicher Relevanz. In Kempten ist die Krimi-Führung nur eine von vielen Stadtrundgängen und besetzt urbane Nischenräume, in Füssen beleuchtet die „Seegrund“-Wanderung den Scheinwerferlichtsschatten der Königsschlösser, in Altusried erweist sich der Krimi-Marsch durchs Dorf als synergietauglicher Sidekick zur bis dato dominanten Instanz Freilichtbühne. Und das literarische Kapital wird im Krimi-Tourismus lokalspezifisch angepasst. Die verschiedenen Führungen zeigen, dass das Romannarrativ seine Transformation in eine real erlebbare Region mitnichten vorfixiert. Die Führungen folgen nicht einem singulären, standardisierten Allgäu-Schema. Sie schmiegen sich in lokal divergierende Ausgangslagen und Interessenausrichtungen, sie produzieren neue Dorf-, Stadt-, Draußen-, Sport- und Kulturerberäume. Sowohl Allgäu-Metropolen mit reichem Historienvorrat als auch reizende Ländlichkeit lassen sich so illustrieren. Der literarische Stoff wird ortsspezifisch interpretiert und modelliert. Künstlerische Literatur verfügt, so lange sie nicht Auftragsarbeit ist, über ästhetische Autonomie. Sie kann ihre ideellen Räume frei ausgestalten. Wo Allgäu-Krimi-Narrative in erlebbare Tourismusformate transformiert werden, mischen neue Akteure mit. Die Herstellungsweise von Region und damit einhergehende Intentionen ändern sich. Mit Lefebvre: Von Schriftstellern imaginierte Repräsentationsräume, die „die Einbildungskraft zu verändern und anzueignen

311 Gabriele Fischer, Erzgruben – Erlebniswelt am Grünten, E-Mail-Auskunft vom 16.10.2013. 312 Stefan Michaelis, Glasdesigner Historische Glashütte Schmidsfelden, E-MailAuskunft vom 09.10.2013. 313 Ursula Mönch, Fidelisbäck Wangen, E-Mail-Auskunft vom 10.10.2013.

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sucht“314, durchdringen den materiellen Raum mit ihrer eigenwilligen Symbolik. Raumanbieter der Fremdenverkehrsbranche lassen sich von diesem Zeichensystem zum Design ihrer raumrepräsentatorischen Führungen inspirieren, bevor die Touren-Teilnehmer in der konkreten Performanzsituation wieder in gelebte Raumaushandlungsprozesse eingreifen. Die Tourismusindustrie setzt diese Zweitverwertung der Kriminalromane gemäß ihrer eigenen Regeln und Ziele um. Sie modifiziert deren Narrativ qualitativ. Im Krimi ist Allgäu ein hybrides Gefüge: Die Fiktion beansprucht Gemeinplätze von rural-behaglicher Codierung und hintertreibt sie durch unattraktive Alternativfacetten der Handlungsregion, Schilderungen von Landschaften mit Prospektpotenzial stehen solche eines pathologisch-kriminellen, hinterhöfischen Allgäus gegenüber, Stereotypen vom erdigen Provinzler werden durch andere Protagonisten relativiert und nicht als absolut gedachtes Menschenschlagsaxiom erzählt. Die Kluftinger-Krimis entwerfen ein Ineinandergreifen von Kulinariken, Sprachen und mobilen Biografien, Tourismusindustrie und Tourismuskritik, Milieus und sozialen Kontexten. Region ist in der Fiktion nie monokulturell geprägt oder kohärent. Sie erscheint in ihren multiplen Herstellungsverfahren, als dynamisches Konglomerat von Allgäu-Variationen mit durchlässigen Rändern. Bei der medialen Transformation ändert sich dieses Raumkonzept. Die Krimi-Karte Mörderisch spannendes Allgäu zeigt in panoramenhafter Übersicht den Prototyp einer intakten Urlaubslandschaft, ergänzt um weitere Requisiten. Die Altusrieder Krimi-Führung kulturalisiert den Dorfraum zu einer Einheit, die nostalgische Sehnsüchte stillt. Die Kemptener Krimi-Führung soll eine markierende regionale Eigenheit und allgäuerische Identität kommunizieren. Die KrimiFührung „Seegrund“ veräußert ein arrangiertes Romantikensemble und die ästhetische Erfahrung eines vorbereiteten Naturraums. Die Fortbewegungspraxis der Krimi-E-Bike-Tour aus Oberstdorf orientiert sich an Gebrauchskategorien des Genusssports. Die Krimi-Tour der Unterallgäuer Gästebegleitung spielt in einem partikularisierten Allgäu heterotopischen Charakters mit Ingredienzen, die dem stilisierenden Kodex einer makellosen Voralpenkultur genügen. Und schließlich ist auch der Krimi-Tourismus in der Kartause Buxheim klar signifiziert: Hier geht es um das gefällige Zelebrieren von Vergangenheit. Die Designs des Krimi-Tourismus sind Zuschnitte der literarisch erzählten diffusen Region. Sie betonen regionaltypische Charakteristika und übertünchen Differenzeinsprengsel, die den vermeintlichen Kulturraum aufwirbeln. Die Führungen präsentieren mehrheitlich stabile und monolithische Raumeinheiten. All-

314 Lefebvre 2006, S. 336.

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gäu ist dort komplexitätsreduziert und ein thematisch jeweils eindeutig festgelegtes Konstrukt. Damit findet im arrangierten Krimi-Tourismus das in den Kulturwissenschaften inzwischen überkommene Container-Paradigma Anwendung. Räume als Behälter herzustellen, hat derzeit Konjunktur: besonders bei politisch motivierten Regionalisierungbemühungen. Walter Leimgruber argumentiert am Beispiel der EU-autorisierten Alpenkonvention und ihren konservierungsorientierten ökologischen Schutzmaßnahmen im Berggebiet (wie etwa Biosphärenreservaten), dass dabei „neue Verortungen und Abgrenzungen angestrebt oder alte revitalisiert und Hoffnungen auf Stabilität und Überschaubarkeit geweckt [werden]. Sichtbar werden aber auch Fluchtund Sehnsuchtsbilder von Menschen, welche die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung als unsicher, unübersichtlich und bedrohlich erleben“315.

Die Container versprechen Vereinfachung. Das macht sie politisch interessant. „Die Attraktivität dieses Raummodells liegt gerade darin begründet, dass es klare Grenzen zwischen innen und außen, zugehörig und fremd zu ziehen mag.“316 Dieses Ex- und Inklusionsvermögen ist genauso Vorzug für Raumanbieter in der Fremdenverkehrsbranche. Über Container lassen sich vermeintlich originäre Eigenheiten (durchaus in doppeltem Sinn) zuordnen: Elemente, die eine einheitliche Urlaubsraumsynthese stören, lassen sich ins Draußen verbannen. Als limitierte Volumen gedachte Tourismusräume gewährleisten Eindeutigkeit: Sie führen vermeintlich singuläre und auszeichnende Kulturen vor, versehen Destinationen mit scharfen Profilen und rüsten sie für den Wettbewerb der Ferienregionen um Wiedererkennungswerte. Dass die Krimi-Tourenführer auf Stereotypen rekurrieren, das Leitmotiv des unverfälschten Allgäuers durchspielen, in erster Linie auf jene scheinbar urprünglichen, allgäuerischen Imageattribute der Romanfigur Kluftinger verweisen – geizig, grantelnd, bodenständig – und die Existenz eines homogenen Allgäuer Menschenschlags behaupten, zeigt: Ein Anpreisen von Reisezielen als geschlossene Refugien geschieht über und forciert ein essentialisierendes Insistieren auf herkunftsdeterminierten Unterschieden. Der Krimi-Tourismus verstärkt das besonders Regionale und das Besondere der Region: heimelige Dörfer mit urigen Bewohnern, moderne, aber dezidiert traditionsbewusste Voralpen-Metropolen, geheimnisvolle, aber genießbare Natur, Sehnsuchtslandschaften. Aus diesen gefäßartig gestalteten Raumkonstrukten,

315 Leimgruber 2005, S. 153. 316 Markus Schroer: „Bringing space back in“ – Zur Relevanz des Raums als soziologischer Kategorie. In: Döring/Thielmann 2008, S. 125-148, hier S. 136.

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in denen sich das konsumtive Nacherleben von Lektüre abspielt, wird gesondert, was für ihre Nobilitierung und ihren Absatz schädlich wäre. Die Altusrieder Kluftinger-Führung betreibt Erinnerungskultur, jene Buxheims erzählt Kulturerbe. Sie akzentuieren Vergangenheiten stärker denn Veränderung. Und suggerieren den leisen Vorsatz, das übriggebliebene Vorgestellte als beschützenswert zu kategorisieren. Ebenso setzt das genussvolle Durchqueren grüner Hügellandschaften im Reisebus das Phantasma ihrer beständigen Existenz voraus. Die Führungsdesigns betonen eher die Stabilität des Vorgeführten denn seine dynamischen Qualitäten. Sie versiegeln und veräußern entwirrte Weltbilder, verlässliche Ordnungen und Sicherheiten. Krimi-Tourismus im Allgäu aktiviert neue Narrative, aber er festigt auch die Bereisbarkeit der Käseküche Deutschlands, der Allgäu-Metropole Kempten, von Kulturerbestätten und Bilderbuchlandschaften. Institutionalisiertes und kommerzialisiertes Reisen auf Kluftingers Spuren ist auch „Containertourismus“: Es „findet zumeist in eindeutig ausgewiesenen Territorien statt“317, deren Orten und Gütern bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Abbildung 9: Bordell gegenüber des Kemptener Kriminalkommissariats.

Quelle: Eigene Aufnahme, 20.4.2013.

317 Karlheinz Wöhler/Andreas Pott/Vera Denzer: Formen und Konstruktionsweisen von Tourismusräumen. In: Dies. 2010 (a), S. 11-19, hier S. 16.

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Die touristische Design-Vorgabe lautet meist: Locus amoenus. Aus den KrimiFührungsräumen wurde getilgt, was die Entwürfe der Destination Allgäu und ihrer lokalen Subelemente als heile Voralpenwelt derangieren könnte. Gemeinhin negativ konnotierte Raumelemente, die dem Allgäu der Kriminalromane inhärent sind, klammert ihre makellosigkeitsorientierte Aufbereitung zugunsten eines homogenen, schönen Erlebnis-Komplexes aus. Mit den genannten Ausnahmen: Doch auch das im Kemptener Krimi-Rundgang Bestaunte, für die etablierte touristische Vermarktung Unkonventionelle, nobilitiert der Konnex mit der Literatur. Schuhgeschäfte und Diskotheken mutieren zu magnetischen Zielorten. Etikettiert durch den „Kult-Kommissar Kluftinger“318, werden auch sie mit dem Attribut kultig in Wert gesetzt. Sie verharren jenseits des Leitfadens populären Vergnügens und Mainstreams, an dem sich Kirmes oder Themenparks ausrichten, bieten aber Gelegenheit zur zwar normverletzenden, aber dennoch ästhetischen Erfahrung.319 Selbst das Bordell gegenüber dem Kemptener Kriminalkommissariat stört nicht konservative Konzepte vom touristisch Herzeigbaren: Es handelt sich um ein Gebäude mit stuckverzierter Fassade, mehr architektonisches Schmuckstück denn Objektivation des Schmuddeligen. Der ästhetische Referenzrahmen der Kluftinger-Touren rührt auch aus ihrem Zweck als touristisches Appetithäppchen: Von Macherseite wird teils begrüßt, teils vehement dazu angeleitet, dass die Premieren-Allgäu-Urlauber, ErstlingsBesucher oder Tagesausflügler unter den Teilnehmern über die Führung auf Region, Stadt oder Dorf und ihre/seine weiteren Attraktionen aufmerksam werden. Dieser Bezugsgröße entsprechend anziehend und gefällig muss das Design des Türöffners komponiert sein. Die touristischen Räume sind in diesem Sinne Verbesserungen der literarischen. Während die Romane sich einer stringenten Retouche der Region Allgäu verweigern, vollziehen die Krimi-Führungsdesigns nicht nur einen Medienwechsel, sondern auch eine Optimierung des ursprünglich belletristischen Narrativs. Urlaubwelten kommunizieren laut Konrad Köstlin in einer „eigenen Sprache“320 – und, das ist am Beispiel der Allgäu-Krimis zu ergänzen: Sie folgen einer anderen Grammatik als die Lektürefolie. Der Geograf Fabrizio Bartaletti schreibt, dass „die Tourismusexperten und die Populärliteratur […] uns die Bergwelt gewöhnlich in ihren anmutigsten Fa-

318 Deutsche Presseagentur: Kluftinger, die dritte. In: Schwäbische Zeitung, 16.03.2013. 319 Maase 2013, S. 29. 320 Konrad Köstlin: Wir sind alle Touristen – Gegenwelten als Alltag. In: Cantauw 1995, S. 1-12, hier S. 8.

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cetten, als ein Paradies von kristallklaren Bächen und Seen, blühenden Almwiesen, lustigen weidenden Tiere[n], glitzern[d]en Gletschern, grenzenlosen Skipisten, glücklichen Bergbewohnern, kurz: als Idylle“321 präsentieren. Diese Behauptung ist für das Fallbeispiel Allgäu einzuschränken: Die Populärliteratur präsentiert Bergwelt und Voralpenland mitunter als Idyll. Darüber hinaus verfahren die Allgäu-Krimis Klüpfels und Kobrs reflexiv gegenüber massenkulturell gelernten Raumdarstellungen, außerdem sozial- und kulturkritisch. Um diese Erzählstränge sind die performativen Aufführungen an ihren Schauplätzen beschnitten. Der Krimi-Tourismus romantisiert und beweihräuchert, statt zu hinterfragen. Er veräußert Kompensationsräume. Die Raumgestaltungsagentur Tourismus ist bemüht, Gefüge reich an „eu-topoi, ‚gute[n]‘, glücksverheißende[n] Orte[n]“322 zu schaffen. Im Kluftinger-Tourismus koalieren unterschiedliche Branchen – und spalten die Raumnarrative. Wo die Belletristik folklorisierende Sichtweisen vom Allgäu gleichermaßen rekrutiert und torpediert, sucht der Fremdenverkehr das dekonstruierte Arrangement der Region zu restaurieren und belässt Industriebrachen323 oder Sozialbausiedlungen mit Brennpunktqualität324 im missachteten Erlebnisraumabseits. Das Aufhübschen des Allgäus der Tourismusregisseure ergibt tendenziell gefäßartige Räume, die aber nicht komplett „verkitscht“325 sind. Denn die fiktiven Bewegungsmuster der Krimi-Protagonisten, siehe Kempten, anempfehlen zumindest die Genese neuer Touristen-Wege, die statt fürstäbtlichen Prunkräumen Polizeirevier und Warenhäuser passieren – obgleich sie, ganz traditionalistisch wie zeitgeistig, auf ein finales Kässpatzenmahl hinauslaufen. Kluftinger hat als Buchfigur, die eine extratextuelle Daseinsform erreicht, eine prominente Wegbereiterin: Heidi. Auch die Romanheldin Johanna Spyris beanspruchte der Fremdenverkehr für sich. 17 Schweizer Gemeinden schlossen sich 1997 zum Kooperationsprojekt Heidiland zusammen, um ihre Vermarktung als eine Destination mit einem einzigen und einzigartigen Narrativ literarischer Provenienz zu optimieren. Ueli Gyr beschreibt, wie dabei das fiktive Fundament als Zuschreibungsvorrat zur Etablierung einer Projektionsfläche genutzt und modifiziert wird:

321 Fabrizio Bartaletti: Tourismus in den italienischen Alpen. In: Luger/Rest 2002 (a), S. 197-211, hier S. 209. 322 Karentzos/Kittner 2010, S. 283. 323 Laienspiel, S. 143. 324 Ebd., S. 12. 325 Tschofen 1999, S. 285.

254 | ALLGÄU RELOADED „Daraus resultiert ein stimmiges Set aus Imageattributen, darunter Herzlichkeit, Genuss, Unschuld, Gemeinschaft, Gastfreundlichkeit, die allesamt in einem Vorstellungskomplex von gesundem Leben, Selbstvertrauen, Frische, Freiraum und Erlebnissen gebündelt werden: Heidiland erscheint demnach als Land, in dem solches nicht nur vorhanden ist, sondern im Urlaub wieder lebbar wird.“326

Der Zugriff auf die Fiktion erfolgt im Impetus, eine bereisenswürdige, weil gesunde und ursprüngliche Destination zu errichten. Literatur touristisch transformieren heißt hier: mit Literatur Raum schönfärben und diesem das Siegel des Außergewöhnlichen verleihen. Das Labeln über das Mädchen von der Alp wird zur Betonungsstrategie lokalspezifischer Kultur, die „Heidisierung“, so schreibt Gyr, hat „Folklorisierungstendenzen“327 zur Folge. Dass der 1880 ersterschienene Roman mit seiner Darstellung der Biografie Heidis und der Sozialverhältnisse, in denen das Mädchen aufwächst, auch an Vorstellungen von den Bergen als Perfektion räumlicher Wirklichkeit kratzt, hindert nicht an segmentierender medialer Übersetzung des literarischen Raumnarrativs. So kann die fiktive Gestalt laut Walter Leimgruber bis heute als Proklamiererin einer gesunden, naturnahen Lebenswelt und als „Reparaturfigur“328 für die Störgeräusche fragiler postmoderner Alltage vermarktet werden. Diese zeitgeistige Beschneidung und Transformation des literarischen Stoffs verheißt Sicherheit: „Auffallend am aktuellen Heidi-Interesse ist die Tatsache, dass wir in einer Zeit, die viele als Umbruch, als Erschütterung wahrnehmen, wieder auf eine Figur zurückgreifen, die Stabilität und Orientierung verspricht, die versöhnt und zusammenführt, was in der Realität nicht zusammenkommt.“329 Auch wenn es im krimitouristisch erschlossenen Allgäu mehr um das authentische Erfahren seiner Lebenswelt denn konkret um den singulären Protagonisten Kluftinger selbst geht, gilt im Allgäu das gleiche Prinizip wie in der Schweiz: „Der Tourismus nutzt Heidi gemäss seiner eigenen Marktökonomie, während die Figur sich dadurch wandelt.“330 Der Raumkreateur Fremdenverkehr modelliert Destinationen nach seinen eigenen Interessen und richtet sich an (gemachten) Trends und

326 Ueli Gyr: Herzfigur und Markenzeichen. Zur Heidisierung im Schweizer Tourismus der Gegenwart. In: Ernst Halter (Hg.): Heidi – Karrieren einer Figur. Zürich 2001, S. 187-199, hier S. 197. 327 Ebd., S. 191. 328 Walter Leimgruber: Heidi – Wesen und Wandel eines medialen Erfolgs. In: Halter 2001, S. 167-185, hier S. 175. 329 Ebd., S. 184. 330 Gyr 2001, S. 188.

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Konjunkturen aus. Eine semiotische Zuspitzung des kluftingerisierten Wegesystems hin auf die dynamischen, prozesshaften und chaotischen Qualitäten der Region Allgäu zählt im Krimi-Tourismus nicht zur, nach Lefebvre, raumrepräsentatorischen Agenda. Ein Exkurs auf die Bühnensäle: Klüpfel und Kobr selbst profitieren von einer weiteren medialen Übersetzung des Stoffs, sie transformieren ihre Romane in theatrale Live-Formate: „Das Autorenduo […] verdankt dem grantigen Ermittler eine beispiellose Karriere […] auch im Showgeschäft.“331 Von ihrem anfänglichen klassischen Lesungsmodell sind die Autoren abgekommen. Inzwischen machen sie mit ihrer „ersten multimedialen Lit-Comedy-Show auf deutschsprachiger Bühne“332 bis zu 120 Mal pro Jahr333 Station in ausverkauften Hallen im ganzen Bundesgebiet, in Österreich und der Schweiz. Die Programme haben sie in Zusammenarbeit mit einer Regisseurin entwickelt, nach Erscheinen eines neuen Bandes werden sie aktualisiert. Sie setzen sich jeweils aus Einspielerfilmen, Vorlese-Parts und Stand-Up-Comedy- und Sketch-Elementen zusammen, sogar der Allgäuer Bauernchor334 trat schon mit auf. Im Gegensatz zur Romangrundlage sind sie einzig auf die Evokation von Komik ausgelegt. „Anspruch ist: Alle Klufti-Fans sollen eine Mordsgaudi haben und alle, die Klufti nicht kennen, auch“335, beschreibt Volker Klüpfel die Konzeption. Er und Kobr zitieren in ihren Shows ausnahmslos witzige Buchszenen – besonders solche, die eine Interpretation Kluftingers als kauzigen, altmodischen und deshalb scheinbar ursprünglichen Allgäuer zulassen. Klamauk entsteht darüber hinaus über die Persiflage von Alltags- und modernen Technikprodukten hin zu Allgäuer Retro-Versionen: das Parfum duftet nach Fragrance Käs, aus dem I-Phone wird der IMer von Äpfl statt von Apple (aus Blech mit Henkel und viel Speicher).336 Regionalisierende Kalauer verkehren originale Image-Botschaften ins Gegenteil, Gute-Alte-Zeit-Nostalgie löst

331 Waizenegger 2013. 332 Aalener Nachrichten: Klüpfel und Kobr kommen in die Stadthalle. In: Aalener Nachrichten, 26.09.2013. 333 Bergheimat. Kobr, Klüpfel, Kluftinger und ihr Allgäu. Eine Geschichte zwischen Alpin-Idyll, Heimatverbundenheit, Verbrechen, Bestseller-Ruhm und Lokalkolorit. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 06.01.2012. 334 Ebd. 335 Tobias Dannheimer GmbH 2013, S. 2. 336 Markus Lehmann: Allgäu-Idyll lockt mit Leichenteilen. In: Aalener Nachrichten, 30.09.2013.

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Zukunfts- und Fortschrittsaffinität ab. Die Verallgäuerisierung von materiellen Sozialgütern erzeugt Witz. Auf der Bühne reden Kobr und Klüpfel Allgäuer Dialekt und kokettieren in ihren dramaturgisch strukturierten Dialogen mit landsmannschaftlichen Zuschreibungen.337 Die Programme verballhornen die bäuerliche Allgäuer Bevölkerung (etwa wenn einer stark behaarten, in eine Blumen-Kittelschürze gehüllten Herta aus dem Westallgäu eine ganze Abhandlung gewidmet wird338) und rekurrieren auf angebliche Allgäuer Allgemeingültigkeiten (Volker Klüpfel: „Was Sie garantiert im Haus haben sollten – jedenfalls jeder Allgäuer hat des – isch ein Schnaps“339). Kässpatzen, Käse-Deoroller, Bergpanorama, Kuh und Kuhfladen gehören zu Bühnenbild und Requisitenausstattung.340 Die Überführung des literarischen Rohmaterials in Bühnenprogramme pocht auf das zuspitzbare und effektvolle Regionale. Das Zeigen populärer AllgäuDinge trimmt die LitComedy-Shows auf ihren humoristischen Duktus. Das Aufrufen von Klischees sichert Kenntnis beim Publikum, deren Verarbeitung garantiert Lacher. „Allgäuer Comedy“341 ist eine Reduktion von Allgäu: Zum Zweck der komischen Wirkung arbeitet sich die performative Live-Version der Krimis an einer Parade an kulturell eingetrichterten, etablierten Regionalaccessoires ab. Die Autoren verfahren dort nach dem gleichen Prinzip wie die Touristiker: Sie verändern ihr Romannarrativ. Die Comedy-Shows sind um die gesellschaftskritischen und unerfreulichen Erzählstränge beschnitten, das Raumkonzept der Bücher ist ein anderes als das der Live-Auftritte. Jenes zielt weniger auf revuetaugliche Überhöhung und zeigt verschiedene Facetten von Allgäu, dieses ist rein komödiantisch designt. Das Feuilleton kategorisiert die Autoren inzwischen als „Criminal Comedians“342 und mutmaßt, sie würden ihre „Comedy-Krimis“ rund um Kommissar Kluftinger „mittlerweile ganz offensichtlich auf ihre Taug-

337 Feldnotiz von der Show „Schutzpatron – Kluftingers neuer Fall“ am 10.05.2012 in der Friedrich-List-Halle Reutlingen. 338 Feldnotiz von der Show „Weihnachten mit Klufti und Co“ am 13.12.2011 im Theaterhaus Stuttgart. 339 Wie oben. 340 Markus Lehmann 2013. 341 Aalener Nachrichten 2013. 342 Franz Josef Görtz: Rampensäue mit Tirolerhut. Volker Klüpfel und Michael Kobr. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.2009: http://www.faz.net/aktuell/gesell schaft/volker-kluepfel-und-michael-kobr-rampensaeue-mit-tirolerhut-1884523.html (Zugriff: 14.04.2015).

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lichkeit für die Live-Auftritte hin“343 schreiben und den Verbrechensplot dabei zur Nebensache werden lassen. Auch Klüpfel und Kobr errichten Regionen-Container, wenn sie ihre Kriminalliteratur medial transformieren: In den Festhallen und Theatersälen der Republik meint Kluftingers Heimat bloß das erheiternde Allgäu, das Spaß und Scherze zu provozieren imstande ist. Dem geht ein ebensolcher Selektionsprozess voraus wie der touristischen Verarbeitung. Mit der Inbesitznahme der Allgäu-Krimis durch Fremdenverkehrsinstitutionen wird der schriftliche Ausgangstext in mündlich und visuell vermittelte Formate übertragen, der Kluftinger-Stoff durchschreitet verschiedene Medien. Voraussetzung einer Analyse ist dabei ein Medienbegriff, der nicht auf die technisch-materielle Unterscheidbarkeit von Informationskanälen wie Print, Internet, Rundfunk und Fernsehen zielt. Stattdessen meint „Medium“ hier mit dem Literaturwissenschaftler Werner Wolf ein Kommunikationsdispositiv: „Dies ist in erster Linie durch einen spezifischen (z.B. symbolischen oder ikonischen) Gebrauch eines semiotischen Systems (Sprache, Bild), in manchen Fällen auch durch Kombination mehrerer Zeichensysteme (wie beim Tonfilm als einem ‚Kompositmedium‘ aus Sprache, Bild und Musik/Geräuschen) zur Übertragung kultureller Inhalte gekennzeichnet […].“344

Neben den Romanen lassen sich damit auch die literaturtouristischen Führungen als Medien definieren, obwohl letztere Vermittlungsordnungen tradierter Künste sprengen und Gefüge von verschiedenartig signifizierender Qualität sind. Das Medium Krimi-Führungsraum vermittelt virtuelle Realitäten:345 Die Designinstanz Tourismus bezieht sich in der Gestaltung ihres Kluftinger-Kosmos nicht auf die lebensweltlich-alltägliche Region in ihrer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Beschaffenheit, sondern auf die selektierte Literatur als Referenzrahmen. Auf Basis der Imagination bei der Lektüre entstehen Allgäu-Entwürfe, die kontingent, aber für den Krimi-Führungsteilnehmer real erfahrbar sind.

343 Pusch 2012. 344 Werner Wolf: Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft. In: Heribert Foltinek/Christoph Leitgeb (Hg.): Literaturwissenschaft: intermedial – interdisziplinär (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte, Bd. 697; Veröffentlichungen der Kommission für Literaturwissenschaft, Nr. 22). Wien 2002, S. 163-192, hier S. 165. 345 Wöhler 2011, S. 81-93.

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Wanderungen um den Alatsee und Rundgänge durch Altusried transportieren nicht das als absolut zu denkende, sondern eine auf zeitgeistaffine Wünsche hin gestaltete Möglichkeit von Allgäu. Sie machen Vorgestelltes erlebbar. Die gezeigten Bergseen und Freilichtbühnen sind Resultat von Virtualisierungsprozessen: Füssener und Altusrieder Fremdenverkehrsbehörden stellen Räume, die das erst nur Erdenkliche simulieren, als echtes Terrain für nicht fiktionale Erfahrungen bereit. (Krimi-)Tourismus ist ein Verwirklichungsmedium.346 Medienwechsel wie jener des Kluftinger-Stoffs sind besonders in westlichen Industriegesellschaften gegenwärtig keine Seltenheit. Sie sind Ausdruck sowohl von Konsumentenmacht als auch vom Kapitalverwertungsbestreben der Anbieter: Millionenfach angeklickte Youtube-Videos aus Eigenproduktion münden in Plattenverträge, die Geschichten erfolgreicher Comic-Publikationen kommen auf die Kino-Leinwände. Auch im Tourismus sind sie gang und gäbe: Der Autor Elmar Bereuter verarbeitete die Historie der sogenannten Schwabenkinder in einem Roman – und veröffentlichte später Wanderführer, die heutige Bergsportler auf die einstigen Routen der jungen Tiroler oder Vorarlberger Saisonarbeiter ins Württembergische schicken.347 „Transmediale Metamorphosen gehören zu den selbstverständlich gewordenen, nahezu alltäglichen Erscheinungsformen des aktuellen Medienmarkts“348, schreibt Annette Simonis. Entscheidend ist die Wertung als Metamorphose: Die Übersetzungen von Geschichten aus einem Ausgangs- in ein Zielmedium richten sich hier nicht nach den Prinzipien simultanen, in Sinn und Formulierung möglichst originalgetreuen Dolmetschens. Vielmehr können diese Übersetzungen laut Simonis mit ästhetischen Veränderungen einhergehen. Diese Veränderungen veranlassen die soziokulturellen Umwelten, die institutionellen und kulturellen Bedingungen der jeweiligen medialen Formate – wie es bei der Metamorphose von Krimi-Lektüre zu Krimi-Tourismus der Fall ist. Der Stoff gelangt osmotisch durch nur semipermeable mediale Trennschichten und wird, verdichtet oder gefiltert, ins Zielmedium eingepasst. Diese nur unvollständige Präsenz des Romannarrativs in den Führungsdesigns empfiehlt, die Zweitverwertungen der Allgäu-Krimis als transmediale Konstellationen einzuordnen – die von solchen der Intermedialität zu unterschei-

346 Ebd., S. 87. 347 Raimund Weible: Auf Schwabenkinder-Wegen. In: Südwest Presse, 11.08.2012. 348 Annette Simonis: Einleitung – Bilder, Medien, Schriftkultur. Das Zusammenspiel zwischen Medien und ihre Wechselwirkungen mit soziokulturellen Kontexten als Triebfedern von ästhetischen und kulturgeschichtlichen Transformationsprozessen. In: Dies./Berenike Schröder (Hg.): Medien, Bilder, Schriftkultur. Mediale Transformationen und kulturelle Kontexte. Würzburg 2012, S. 7-20, hier S. 10.

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den sind. Urs Meyer, Roberto Simanowski und Christoph Zeller349 schlagen ein präzises Differenzieren zwischen beiden Kategorien vor: Während der Intermedialitätsbegriff die Denkfigur verschiedener Positionen als gesonderte Einheiten voraussetzt, so das Paradigma der Grenzziehung zwischen den beteiligten Medien verfestigt, eine additive Kopplung meint und den Akzent auf das „Ergebnis als vollzogener Verbindung beider Partner“350 legt, akzentuiert Transmedialität gerade den Überschreitungsprozess und die damit verbundenen Umbauten, Verstümmelungen oder neuen Formulierungen von z.B. künstlerischen Gegenständen. Ein Verständnis des organisierten Allgäuer Krimi-Tourismus als transmediales Ereignis bewahrt zum einen vor dem Phantasma, (zunächst) literarische Themen und Texte als stabile Entitäten und unveränderliche Kontinuitäten zu denken. Ihre Eigenheit als „Diskursverarbeitungsmaschine[n]“351 und das Moment ihrer Rezeption machen sie zu polyphonen Gebilden, die durchlässig und modellierbar sind. Zum anderen lenkt ein Fokussieren des Überschreitungsprozesses eines Stoffs von einem Medium mit besonderen Codierungsverfahren in ein anderes die Aufmerksamkeit auf die sozialen Produktionsleistungen gerade im Schwellenbereich. Der Medienwechsel Kluftingers ist ein Wechsel vom Imaginären ins sogenannte Reale. Und er ist keine nur auf eine einzige Weise mögliche Kopplung einer Narration des künstlerischen Schriftmediums mit der Freizeitindustrie, sondern eine von verschiedenen Akteuren konkret so ausgehandelte Transformation. Mit der transmedialen Metamorphose ändert sich der Modus der Teilhabe an der Populärkultur: Während es sich bei der Romanlektüre laut Kaspar Maase352 um Unterhaltung, d.h. körperlich passive und private Rezeptionen, sinnliche Erfahrungen und mentale Aneignungen der Kreativleistung anderer, professioneller Akteure handelt (wie etwa auch beim Film-Konsum), ist die Partizipation an den Krimi-Führungen der Kategorie Vergnügen zuzuordnen, also einer von eigener (körperlicher) Aktivität von Laien-Protagonisten geprägten, die sich im kommerziellen, populärkulturell gerahmten Setting (wie etwa auch der Tanz in der Diskothek) abspielt. Im Gegensatz zur imaginären Raumherstellung bei der Literaturrezeption rückt das Zielmedium Krimi-Führung das bewegte Mitwirken vieler Akteure

349 Urs Meyer/Roberto Simanowski/Christoph Zeller: Vorwort. In: Dies. (Hg.): Transmedialität. Zur Ästhetik paraliterarischer Verfahren. Göttingen 2006, S. 7-17. 350 Ebd., S. 10. 351 Baßler 2001 (b), S. 14. 352 Maase 2013, S. 27.

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deutlicher in den Fokus: Raumpoiesis wird dort von „darstellerischer Realisierung“353 bedingt, d.h. – nach Judith Butler – durch die Performanz leiblich an den realen Schauplätzen Anwesender. Organisierter Krimi-Tourismus hat Aufführungscharakter. Als Kulturform der Unterhaltungsindustrie (bzw. mit Maase: der Vergnügungsindustrie) ist er gemäß einem von Timo Heimerdinger vorgeschlagenen kulturwissenschaftlichen Beschreibungsmodell als theatrales Ereignis354 lesbar. Die Führungsdesigner der Tourismusverbände und Fremdenverkehrsämter verantworten als Raumregisseure die Inszenierung: Sie operieren mit Zeichenvorräten und transportieren Inhalte, die mit gelernten Zuschreibungen aufgeladen sind, und arrangieren so Sinn. Die Führungssituation bedingt das performative Moment: Erih Gößlers verkleidet sich als Hexe, Peter Klüpfel gibt den Kluftinger, Teilnehmer sehen, hören, reagieren, machen mit. Praktiken von Guides und Gästen instrumentalisieren das im medialen Zeichensystem des Romans vermittelte narrative Inventar und fügen sich zur schematisierten wie spontanen Dramaturgie. Darüber hinaus ist seine Korporalität wesentliches Merkmal des Mediums Krimi-Theater: Das Berühren der Büßerfigur in der Buxheimer Kartause beglaubigt die Authentizität des literarischen Narrativs, das Begehen der Waldwege am Alatsee hebt Haptik und Materialität der Dinge in den Vordergrund, die körperliche Aneignung des semiotisch befüllten Raums garantiert ein individuelles Unterlaufen und eine „persönliche Spezifik“355 kulturell vorstrukturierter Erlebnismuster. Nicht zuletzt ist die Wahrnehmung der Krimi-Führungen insofern eine theaterspezifische, da das „Bühnengeschehen“ in Altusried, Kempten oder Füssen „immer schon auch auf die Publikumswirkung hin konzipiert“356 wurde. Anknüpfend an den Spatial Turn und seiner Abkehr vom Container-Konzept beschäftigen sich auch neueste theaterwissenschaftliche Forschungen mit der Hervorbringung von Räumen. Bühnen werden dort nicht länger als gefäßartig begrenzte Einheiten behandelt, in denen sich darstellende Kunst abspielt. Stattdessen verfolgen aktuelle Beiträge einen kulturkonstruktivistischen Ansatz und begreifen Theater als raumkonstituierendes Medium, das sein spatiales Fundament im Aufführungsvollzug über performative Praktiken, Kommunikation, Körperlichkeit und Materialität „im Wechselspiel von Akteuren und Zuschau-

353 Judith Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin 1995, S. 133. 354 Timo Heimerdinger: Theatralität als heuristisches Modell für die Volkskunde. In: Binder u.a. 2005, S. 513-524. 355 Ebd., S. 519. 356 Ebd.

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ern“357 erst herstellt. „Bühne“ ist damit als a priori vorhandene Existenz unhaltbar und darf nicht nur architektonisch, sondern muss vielmehr handlungstheoretisch als sozialer Raumproduktionsapparat erklärt werden, den Ensemble und Publikum gleichermaßen steuern. Beispiel Ötztal: Im Sommer 2013 brachen dort Schauspieler und Zuschauer regelmäßig zum „Wandertheater“ in die Alpen auf.358 Ein mehrstündiger Marsch zwischen Wiesen und Felsblöcken, Steinadlern und Dreitausendern setzte dort die Geschichte des Tiroler Herzog Friedls, der im 15. Jahrhundert in die Berge geflüchtet sein soll, um. Die materielle Umwelt scheint auffälligstes Differenzmerkmal zu einer Inszenierung in städtischen Theaterbauten. Doch der physische Erdraum agiert nicht als Veranlasser der historischen Begebenheit oder eigenmächtiger Protagonist in der theatralen Inszenierung. Entscheidend sind die bewegten und sich bewegenden Akteure – die schauspielern, Regie führen und zusehen, die die Umgebung als „schönste Theaterkulisse der Welt“ und „unglaubliche Landschaft“ werten, sich „hier oben […] frei fühlen“ und „vergessen, dass es auch Täler gibt“359. Die Bühne wird ausgehandelt und entsteht durch ihre Performativierung.360 Die Praxis der Raumproduktion ist im Allgäu die gleiche wie im Ötztal: Altusried und Kempten, Buxheim und der Alatsee werden wie im Theater bespielt. Kognitive Entwürfe, emotionale Aneignung, Kommunikation und körperliche Anwesenheit der Akteure bringen die lebensweltlich erlebbaren KluftingerWelten hervor. Das Agieren der Akteure initiiert den Medientransfer des KrimiStoffs: Erst mit der Performanz wandeln sich die literarischen, imaginären Räume zu den jeweiligen touristisch konsumierbaren. Erst Handeln verwirklicht die Allgäuer Kluftinger-Bühnen. Sie sind geskriptet durch abstrakte Führungsdesigns, doch diese werden im Touren-Vollzug aktualisiert und neu dar- und hergestellt. Tourismusräume entstehen im Präsens durch performative Praxis, dafür ist das Medium Literaturführung beispielhaft.361

357 Norbert Otto Eke/Ulrike Haß/Irina Kaldrack: Bühne: Raumbildende Prozesse im Theater. In: Dies. (Hg.): Bühne: Raumbildende Prozesse im Theater. Paderborn 2014, S. 9-12, hier S. 9. 358 Lena Grundhuber: Schönste Kulisse der Welt. In: Südwest Presse, 10.08.2013. 359 Ebd. 360 Martina Leeker: Performativierung des Raums. Wissens- und technikgeschichtliche Aspekte zeitgenössischer Bühnenräume. In: Eke/Haß/Kaldrack 2014 (a), S. 149170. 361 Peter Dirksmeier: Die Performativität und Konstruktion touristischer Räume – das Beispiel Südbayern. In: Wöhler/Pott/Denzer 2010 (a), S. 89-105, hier S. 100.

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Insofern überzeugt Theatralität als kulturwissenschaftliches Instrumentarium besonders, wenn es darum geht, Räume zu untersuchen. Denn das Theatralitätsmodell ist in mikroskopischer Weise „die Mehrdimensionalität kultureller Phänomene zu beschreiben“362 imstande: Es berücksichtigt gerade das Eingreifen Vieler bei der Bedeutungszuschreibung, d.h. das Ineinanderwirken von vermeintlich disziplinierenden Raumrepräsentationen und mitunter diskrepanten Repräsentationsräumen363 im performativen Vollzug. Aus der Negation von Bühne als vorgegebene Einheit resultiert eine Abkehr von einer „einseitige[n] Konzentration auf den Schauspieler, der auf der Bühne wie auf einem gleichsam natürlich wirkenden Podest agierte“364: Der Spielraum wird im Kollektiv und in Interaktion mit dem Publikum hergestellt. Im theatralen Modell Krimi-Führung sind die Rollenverhältnisse ohnehin fluide: Die Guides repräsentieren institutionell konzipierte Führungsdesigns, präsentieren Orte und Objekte und bewegen sich zeitgleich als sozial agierende Individuen in Wald, Dorf, Stadt und Region. Und die Teilnehmer changieren zwischen der Zuhörerbzw. Zuschauerperspektive, die kulturell erworbenen Regularien folgt, und ihren Parts als raumpoietische Darsteller und mitkonstruierende Akteure. Ebenso wenig, wie dem literarischen Text eine universal gültige Bedeutung eingeschrieben ist, bleibt die Inszenierung des touristischen Krimi-Theaters allein den amtlich beglaubigten oder professionellen Regisseuren vorbehalten. Die Touristen selbst stellen das kluftingerisierte Allgäu mit her: und zwar durch individuelle Performanzen sowie ritualisierte, den normativen Vorgaben machtvoller Instanzen (wie hier der Fremdenverkehrsverbände) gehorchende Performativität.365 Wenn der Medientransfer des literarischen Allgäu-Narrativs erschöpfend erfasst werden soll, ist es demnach unverzichtbar, speziell nach der Raumaneignung der KrimiFührungsteilnehmer zu fragen, um „den kreativen Umgang mit mentalen Bildern und ihre individuelle Aneignung zu untersuchen“366. 3.3.3.8 Teilnehmen Die Teilnehmer aller Kluftinger-Touren lassen sich in zwei Großgruppen gliedern: Allgäu-Urlauber, die eine Krimi-Führung in ihren mehrtägigen Aufenthalt in der Region integrieren, und Tagesausflügler, die ausschließlich wegen Kluf-

362 Heimerdinger 2005, S. 520. 363 Lefebvre 2006. 364 Eke/Haß/Kaldrack 2014 (b), S. 11. 365 Butler 1995, S. 133. 366 Heimerdinger 2005, S. 521.

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tinger anreisen.367 Die Verteilung variiert an den verschiedenen KrimiFührungsorten. Die Veranstalter der Wanderung in Füssen oder der E-Bike-Tour in Oberstdorf können ihre Teilnehmer auf kurzem Weg aus den zahlreichen, in den Sommermonaten in diesen Touristen-Hochburgen anwesenden Gästen akquirieren. Einige von ihnen haben sich bereits vorab im Internet über die Angebote informiert. Aber viele der Führungsteilnehmer, die gerade Ferien in der Destination Allgäu machen, werden erst durch Publikationen und Veranstaltungskalender vor Ort auf die Kluftinger-Erlebnisangebote aufmerksam und entscheiden sich spontan für eine Buchung. Familie Schrüwers etwa kommt vom Niederrhein, macht seit neun Jahren Urlaub im Allgäu und hat fast alle Kluftinger-Romane gelesen. In ihrer Sulzberger Ferienwohnung lag ein Prospekt Kemptens aus, der auf die dortige Kluftinger-Führung hinwies – anhand dessen entschloss man sich zur Teilnahme.368 Unter den Krimi-Touristen gibt es außerdem Kluftinger-Kenner und -Laien. Allerorts bilden „einfach Literatur-Begeisterte“369 die Mehrzahl, doch gehen oder fahren auch viele mit, die die Romane selbst gar nicht gelesen haben – und dabei handelt es sich nicht nur um Personen, die ihren Kluftinger-begeisterten Partner begleiten. Überdies beschreiben Organisatoren und Guides die Zusammensetzung ihrer Kundschaft durchweg als gemischt. Erih Gößler etwa nennt ihre Wandergäste „bunt zusammengewürfelte Menschengruppen“370. Bei den während der Feldforschungsphase teilnehmend beobachteten Führungen gingen je zur Hälfte Männer und Frauen mit. Dagegen sehen Gößler und Theresia Wölfle bei ihren Veranstaltungen das weibliche Publikum in der Überzahl.371 Im Feld waren etliche (Ehe-)Paare oder Familien mit Kindern auszumachen, aber auch gemeinsam angereiste Geschwister, Freundinnen-Duos und Cliquen. Die Altersstruktur der Kluftinger-Kunden ist überall heterogen. In Altusried geht laut Adrian Ramjoué die Spanne „von Kindern bis zu Senio-

367 Die in diesem Kapitel vorgestellten Ergebnisse beruhen auf dem von der Verfasserin in Befragungen von Krimi-Führungsveranstaltern, -guides und -teilnehmern von 2012 bis 2013 generierten Datenmaterial und nicht auf statistischen Erhebungen. 368 Ethnografisches Interview mit Frauke Schrüwers (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 03.08.2012. 369 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013. 370 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 371 Ebd. und Interview mit Theresia Wölfle, Krimi-Führerin in Kempten, am 03.04.2013.

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ren“372. Bei der Führung durch das Dorf seien „auch schon welche mit dem Rollator mitgegangen“373. Nur die Oberstdorfer E-Bike-Touren-Veranstalterin Monika Echtermeyer grenzt ihr Klientel auf vorwiegend über 40- und 50-Jährige ein.374 Nahezu alle Krimi-Führer wissen von Kluftinger-Touristen aus Norddeutschland und mitunter solchen aus Österreich zu berichten. Einen großen Anteil unter den Tourengästen (und insbesondere unter den eigens angereisten Tagesausflüglern) machen aber Menschen aus Baden-Württemberg und Bayern aus. Die ethnografisch interviewten Allgäu-Urlauber, die in Altusried, Kempten oder Füssen mitliefen, stammten beispielsweise aus dem Schwarzwald, der Stuttgarter und Ulmer Gegend, aus Franken, Niedersachsen, Hessen oder Niederbayern. Und die Allgäuer selbst? Die Teilnehmer des Altusrieder KluftingerRundgangs kommen laut Krimi-Führer Peter Klüpfel „it von Kimratshofa und von Kempta“375, also nicht aus der näheren Umgebung. Auch bei der Oberstdorfer E-Bike-Tour sind Urlauber von weiter her in der Mehrzahl: „Die meisten Leute, die an den Führungen teilgenommen haben, waren keine Allgäuer. Das waren alles Touristen aus Hannover, aus Bielefeld, aus dem Ruhrgebiet. Das hat mich gewundert. Ich hab’ gedacht, diese Allgäu-Krimis, das ist was hier für die Eingefleischten, die sich auskennen. Aber nee, das waren hauptsächlich Auswärtige“376,

sagt Veranstalterin Monika Echtermeyer vom E-Bike-Verleihcenter Allgäu. Ihre Hypothese bewahrheitet sich aber bei den anderen Führungen. Nach Angaben von Tanja Beggel von der Tourist Information Kempten und Krimi-Führerin Theresia Wölfle gehen bei der dortigen Führung neben Personen von auswärts „natürlich“ auch Stadtbewohner und Menschen aus dem Umkreis mit377. Ebenso

372 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 373 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 24.08.2012. 374 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013. 375 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 376 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013. 377 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013.

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fanden sich bei Feld-Interviews während der Kemptener Krimi-Führung mehrere gebürtige Allgäuer und im Allgäu Lebende. Genauso wandern „viele Einheimische“378 mit um den Alatsee: Erih Gößler zählt Ostallgäuer wie Leute aus dem nahen Oberbayern zu ihren Füssener Wandergruppen. Die spezifische Teilnehmerstruktur ist reiseanlassbedingt. Laut Simone Zehnpfennig ist die Bustour der Unterallgäuer Gästebegleitung häufig Komponente eines (Geburtstags-)Geschenks: Kluftinger-Fans bekommen von ihren Verwandten oft ein Wochenende im Allgäu mit der Führung als einem Programmpunkt.379 Neben den regelmäßigen öffentlichen Terminen gibt es für Gruppen die Möglichkeit, die Kluftinger-Touren individuell zu buchen. Arztpraxen, Firmen oder Musikvereine machen anlässlich ihrer Betriebs- und Jahresausflüge davon Gebrauch, ebenso Bibliothekarsverbände, Literatur-Kreise und Volkshochschul-Seminare, Schüler- und Blindengruppen sowie junge Frauen, um so Junggesellinnen-Abschiede zu feiern. Elke Hauber und Daniela Fischer sind beide in Kempten aufgewachsen. Während die eine noch immer in der Stadt wohnt und arbeitet, lebt die andere inzwischen in Österreich. Beide sind „keine Kluftinger-Fans“380. Hauber konkretisiert: Erst zwei Bände über den Allgäuer Ermittler habe sie gelesen und einen nicht einmal zu Ende geschafft – der Roman habe sie nicht gefesselt, sein Humor entspreche nicht ihrem, der Typ von Kommissar fasziniere sie nicht und die literarische Qualität empfinde sie nicht als besonders hochwertig. Dennoch gehen die Freundinnen bei der Kemptener Krimi-Führung mit. Hauber ist in der Presse auf das Angebot aufmerksam geworden und hat Fischer die Teilnahme zum Geburtstag spendiert. „Also eigentlich kenna mir scho alles“381, sagt Fischer über das, was sie beim Rundgang sieht. Missvergnügen äußern aber beide nicht. Weshalb bleibt Verdruss aus, obwohl die zwei Teilnehmerinnen eine Aversion gegen die Popkulturware hegen, die sie konsumieren? Der Grund ist Haubers Buchungsanreiz: „Also eigentlich ging’s drum, dass wir zwei uns treffen, und dass mer des z’amm’ machen [lacht].“382 Nicht die Vitalisierung einer bestimmten Lektüre ist Movens für die Teilnahme. Freundschaftspflege konditioniert das

378 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 379 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013. 380 Ethnografisches Interview mit Daniela Fischer und Elke Hauber (Namen anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 381 Ebd. 382 Ebd.

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Vergnügen. Hauber und Fischer unterlaufen den kluftingerisierten Stadtraum im metaphorischen und buchstäblichen Sinn und gravieren ihm autonom semiotische Spuren ein. Verbraucher sind nicht zur Passivität gezwungen – am kulturwissenschaftlich durchschlagskräftigsten hat Michel de Certeau die Überholung ihrer tatenund widerstandslosen Empfängerrolle vorangetrieben.383 Der französische Philosoph und Soziologe sieht Konsumenten selbst mit poietischem Vermögen ausgestattet und schöpferisch agieren. Sie „machen“384 etwas mit Waren und gebrauchen Erworbenes eigenmächtig, dieser Gebrauch impliziert Renovierungsleistungen. Abnehmer modellieren, verfremden, bearbeiten und zweckentfremden Dinge. Jenes Modell eines kreativen Subversionspotenzials ist vom Umgang mit materiellen Gütern auf Alltagshandeln, das kulturelle Textgewebe konstituiert, übertragbar. Wo machtvolle Organisationen bestehen, bleibt Individuen die Möglichkeit des widerspenstigen und doch systemimmanenten Sprengens von Vorgaben. Ob Leser Lektüren geschmacksgeleitet interpretieren, Gesellschaften die Doktrinen politischer Autoritäten umfunktionieren oder Fußgänger urbane Geografien semiotisch kompromittieren: Sie alle verändern Gegebenes. De Certeau versteht verbrauchende oder scheinbar beherrschte Akteure als imstande, Ordnungen zu deformieren, ohne sie zu annullieren.385 Die Listen, Tricks und Finten der vermeintlich Schwachen, um strategisch geschaffene Hoheitsräume individuell zu nutzen, bezeichnet er als „Taktiken“386. Diese zeichnen sich „durch das Fehlen von etwas Eigenem“387 aus und stehen für artifiziellaufmüpfiges Handeln im Territorium autoritativer Anderer. Besonders der Gebrauch und die Genese von Räumen bilden die Aktivität von vermeintlichen Konsumenten ab. De Certeau beschreibt das am Beispiel der Aneignung urbaner Gefüge durch Fußgänger.388 Er unterscheidet Stadt-Konzepte von Stadt-Benutzungen. Die Topografien von Siedlungen sind demnach planerisch vorstrukturiert und in ihren Funktionen projektiert, doch erst die performativen Tätigkeiten der sie Frequentierenden verwirklichen sie: „Die Spiele der Schritte sind Gestaltungen von Räumen.“389 Gehende schreiben abstrakten Programmierungen ihre Bewegungslinien und eigenen Zusammenhänge ein, knüp-

383 Michel de Certeau: Kunst des Handelns. Berlin 1988. 384 Ebd., S. 80. 385 Ebd., S. 81. 386 Ebd., S. 87-97. 387 Ebd., S. 89. 388 Ebd., S. 177-208. 389 Ebd., S. 188.

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fen Verbindungen zwischen Orten und äußern Raum, wie Sprechende Sprache erst realisieren. Ihre Umgangsweisen machen Stadt. Der (urbane) Raum de Certeaus konkretisiert sich in seiner praktischen Bearbeitung. Die Kunstfertigkeit ihres Handelns lässt Passanten Komponenten einer Stadt selektieren und favorisieren. Indem sie sich über Absperrungen hinwegsetzen, abkürzen, Plätze außer Acht lassen oder Umwege zurücklegen, aktualisieren sie präsente Ordnungen. In der sprechakttheoretischen Metaphorik de Certeaus „verwandelt der Gehende jeden räumlichen Signifikanten in etwas anderes“390 – und zwar durch seine individuelle Inanspruchnahme des sprachlichen CodeSystems, d.h. er bedient sich einer „Rhetorik des Gehens“391. „Das Gehen“, so de Certeau weiter, „bejaht, verdächtigt, riskiert, überschreitet, respektiert etc. die Wege, die es ‚ausspricht‘. […] Diese Aussagevorgänge sind von unbestimmter Vielfalt.“392 Damit propagiert de Certeau einen Begriff von Raum, der auf Dynamik ebenso wie auf Polysemien zielt. Urbane Elemente sind hier Manövriermasse der steten taktierenden Zugriffe umherstreifender Akteure. Stadt ist nicht Synonym für Permanenz, sondern findet in ständiger Überarbeitung statt. Ebenso resultiert aus dem performativen Erschließen von bereits Benanntem eine Multiplikation von Sinn: „Gehen bedeutet, den Ort zu verfehlen.“393 Also: Verbraucher und Stadtbenutzer desavouieren das von ihren Vor-Gängern dort Geäußerte und kreieren neue Zusammenhänge und Räume, die einander überlagern. Aus dem Kontext der Kulturindustrie argumentierend, versteht de Certeau Konsumenten zwar als Co-Produzenten auf zweiter Ebene, aber nicht als primäre Erzeuger von Gütern: Verbrauch manifestiert sich demzufolge „nicht durch eigene Produkte, sondern in der Umgangsweise [Hervorhebung i.O.] mit den Produkten, die von einer herrschenden ökonomischen Ordnung aufgezwungen werden“394. Lektüren, juristische Regelwerke und Infrastrukturen „werden von Praktikern (Benutzern) gebraucht und manipuliert, die sie nicht gemacht haben“395. Der Nominierung der Konsumenten als Praktiker und Benutzer statt als Hersteller eigener Waren (d.h. statt als Produzenten originärer Räume) ungeachtet: Entscheidend ist das Zugeständnis und die Gewichtung ihrer Eigenleistung. De Certeaus Vorstellung des Verbrauchs kommerzieller Produkte ist deshalb taugliches

390 Ebd., S. 190. 391 Ebd., S. 191. 392 Ebd., S. 192. 393 Ebd., S. 197. 394 Ebd., S. 13. 395 Ebd., S. 82.

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Modell zur Erklärung der Teilnehmer-Praktiken bei den Kluftinger-Führungen: weil es kaufende, buchende und sich fortbewegende Akteure aus einem stillen Abnehmerdasein abholt. Eine singuläre Produktion von Erlebnis-, Regional- und Raumprodukten ist in diesem Modell nicht denkbar. Mahnt Lefebvre vor einer in Raumprodukt und Raumproduktion trennenden Analyse,396 stellt de Certeau gerade das Instrumentarium bereit, das die individuellen, symbolisierenden, erfindungsreichen und poietischen Raumpraktiken der gelebten Räume, die oppositionell zu den konzipierten Entwürfen verlaufen können, fassbar macht. Das Produkt Tourismusraum kann insofern nur als Gemenge mannigfacher Produktionsverfahren gedacht, seine Konstitution nur über die Diversität der touristischen Taktiken und Praktiken erschlossen werden. Über ein dichtes Studium der Verhaltens- und Erlebensweisen Reisender etwa während ihres Gehens auf semantisch aufgeladenen und vorgezeichneten Routen, ihrem Bewegen in Destinationen und ihrer Besuche populärer Orte wird laut Philip L. Pearce ersichtlich, „how they manufacture and create their own personalised story about the visit“397. Indem also Literatur-Führungsteilnehmer und ihre verschiedenen Motivationen, ihre „sensory systems and emotions, their attitudes and their understanding as well as how they interact with others and move in space and time“398 unter das ethnografische Brennglas rücken, lässt sich die konsumierbare und Konsumenten-gesteuerte Produktion von Allgäu im Kluftinger-Tourismus artikulieren. Erst die durch Altusried, Kempten oder um den Alatsee Gehenden verwirklichen den lebensweltlichen Krimi-Raum. Als Teilnehmer der Kemptener Krimi-Führung sind Elke Hauber und Daniela Fischer Verbraucher eines touristischen Warenangebots. Sie bewegen sich systemkonform innerhalb der Gruppe der Literaturtouristen. Ihren Gang durch die Stadt kennzeichnet dennoch „Antidisziplin“399: Beide entziehen sich der Kontrolle des raumrepräsentatorischen Führungsdesigns, ohne die Ordnung des organisierten Rundgangs zu torpedieren. Hauber und Fischer konsumieren ein institutionell-strategisch konfiguriertes Raumkonzept, das die humorvolle Darbietung regionaler Eigenart forciert. Sie jonglieren aber mit den Vorgaben und machen eigenständigen Gebrauch von der kluftingerisierten Route durch Kempten. Die Antipathie der zwei Frauen gegenüber dem literarischem Ausgangsstoff

396 Lefebvre 2006, S. 334. 397 Philip L. Pearce: Tourist Behaviour and the Contemporary World. Bristol/ Buffalo/Toronto 2001, S. 87. 398 Ebd., S. 3. 399 Certeau 1988, S. 16.

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und Führungsthema und ihre biografisch bedingte Kenntnis jeglicher Station kompromittiert die eigentliche Intention der Anbieter, Fan-Nachfrage zu befriedigen und für Stadt und Region zu werben. Die beiden Teilnehmerinnen taktieren: Sie kommunizieren untereinander und nutzen die von anderen überlegte Streckenführung zum individuellen Zweck ihres Wiedersehens und der freundschaftlichen Geselligkeit. Ihre Praxis des Gehens durch Kempten folgt ihrer eigenen Rhetorik, realisiert aber dennoch den städtischen Krimi-Tourismusraum in seiner Mehrdeutigkeit. Das dem arrangierten Thema gegenüber interesselose Verhalten produziert in listenreicher, unsichtbarer Weise400 eine KluftingerWirklichkeit. Jenen Mitspielerstatus Haubers und Fischers besitzen sämtliche Teilnehmer der Allgäuer Roman-Führungen. Mit ihren je spezifischen Umgangsweisen mit Dorf, Stadt oder See modifizieren sie die touristisch fabrizierte Destination. Sie schlüpfen in die Co-Produzentenrolle der Krimi-Region Allgäu und untergraben eine vermeintliche Deutungshoheit der institutionellen Raumgestaltungsprofessionen. Dabei gibt es eine Bandbreite an verschiedenen raumbildenden Handlungskünsten, Rhetoriken des Gehens und schöpferischen Taktiken der produktiven Krimi-Touristen im Allgäu. Es folgt ein Überblick. Führungsteilnehmer unterminieren die geplanten Tourismusräume, indem sie am eingeübten Postulat der Einzigartigkeit von Destinationsanbietern kratzen. Statt der vorkomponierten Darbietung regionaler Besonderheit zu folgen, dient ihnen „Allgäu“ als Projektionsfläche für ein wohlbekanntes Anderes. Nadine Ogger etwa lebt in der Rosenheimer Gegend. Vom Angebot einer KrimiFührung um den Alatsee erfuhr sie während einer Gesundheitswoche im Füssener Ortsteil Bad Faulenbach. Während der Wanderung erlebt die Oberbayerin die naturräumliche Physiognomie als „so wie bei uns. Berge halt, Wälder, Seen. […] Berg’ san vielleicht a bissl höher als bei uns dahoam [lacht]. Aber sonst eigentlich gleich.“401 Ogger fügt die wahrgenommenen Raumgüter zur kongruenten Schablone für das in der Heimat Vorfindliche zusammen. Das stützt die These Konrad Köstlins, dass Menschen im Urlaub gerade nicht eine Gegenwelt suchten, sondern sich dort vielmehr um die Verwirklichung eines stabilen Alltags mühten.402 Oggers Gesundheitswoche finanziert die Krankenkasse, den Aufenthaltsort wählte sie selbst. Mit Füssen fiel ihre Wahl auf die Stadt, die ihr wegen der kurzen Anfahrt unter allen in Aussicht gestellten Reisezielen am

400 Ebd., S. 81. 401 Ethnografisches Interview mit Nadine Ogger (Name anonymisiert) während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 402 Köstlin 1995.

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meisten zusagte403 – auch dieser Vorzug des Nahen spricht für Köstlins Annahme einer zunehmenden Sehnsucht nach dem Verlässlichen in einer von Mobilitätszwang und Unsicherheit geprägten, angstmachenden Moderne. Leonore Marl, Bibliothekarin aus dem Salzburger Land, beschreibt sowohl ihre Allgäu-Imagination während der Kluftinger-Lektüre als auch das, was ihr die Bustour der Unterallgäuer Gästebegleitung präsentiert, als „ähnlich wie bei uns zu Hause“404. Und ihre Reisegefährtin Annegret Bichler aus dem österreichischen Lamprechtshausen empfindet den Unterschied zwischen dem Allgäu und ihrer Herkunftsregion in Sachen „Baustil“, „Bevölkerung“ und „räumlicher Struktur“ als nicht besonders groß: Das vom Bus aus Betrachtete „könnt’ genauso bei uns stehen“405. Bichler setzt das Gezeigte mit dem Vertrauten gleich – und vollzieht eine „sekundäre[...] Produktion“406 eines im Fremdenverkehrssektor entwickelten Vorstellungsbilds. Die Touristen meißeln das veräußerte Allgäu zur Spiegelfläche ihres jeweiligen Zuhauseraums zurecht. Das ist gleichzeitig Indikator für eine teils höhere Wirkmächtigkeit eines universal-alpinen, übertragbaren Raumentwurfs gegenüber regionalen Spezifizierungsstrategien. Die Dillenburgerin Petra Rahn hat sich während ihres Urlaubs in Bad Faulenbach der Krimi-Führung „Seegrund“ angeschlossen – obwohl sie bis dato nicht einen Roman von Klüpfel und Kobr gelesen hat. Ihre Hotelbekanntschaft, eine Kluftinger-Kennerin, hat sie „quasi mitgenommen“407. Rahn sagte trotz ihres Mangels an Lektüre-Vorwissen zu, weil sie sich für die körperliche Bewegung im Freien begeisterte: „So ’ne Wanderung hört sich gut an.“408 Dass Guide Erih Gößler die Gehzeit durch Erzähl- und Lesepausen unterbricht, war ihr nicht bewusst, Rahn findet es aber gut und unterhaltsam. Ähnlich Ulrike Vogel: Auch sie hat noch keinen Kluftinger-Band gelesen. Die Neu-Isenburgerin verbringt mit einer Freundin eine Aktiv-Woche in Bad Faulenbach. Diese hat bereits mehrere der Krimis gelesen, und von ihr ist Vogel zur Führung „mitgegangen wor-

403 Ethnografisches Interview mit Nadine Ogger (Name anonymisiert) während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 404 Ethnografisches Interview mit Leonore Marl (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 405 Ethnografisches Interview mit Annegret Bichler (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 406 Certeau 1988, S. 14. 407 Ethnografisches Interview mit Petra Rahn (Name anonymisiert) während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 408 Ebd.

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den“409. Und obwohl sie kein literarisches Basiswissen hat, findet Vogel die „Seegrund“-Führung „ganz toll“ und „spannend“. Bei den Nicht-“Kluftianer[n]“410 Rahn und Vogel handelt es sich um keine Einzelfälle. Auch der Altusrieder Kultur- und Verkehrsamtsleiter Adrian Ramjoué weiß von Teilnehmern an der dortigen Krimi-Führung, die vorher kein einziges Wort aus den Kluftinger-Romanen gelesen haben. Für jene ist das literarische Thema seiner Ansicht nach völlig irrelevant und könne genauso gut „Micky Maus oder so“411 lauten. Die Teilnahme solcher Kluftinger-Laien an den Krimi-Führungen verdeutlicht die Eigeninitiative vermeintlicher Verbraucher bei der Nutzung offerierter Produkte. Sie überarbeiten das auf literarische Referenzen hin stilisierte Raumprodukt, indem sie es zum eigenen Vergnügen gebrauchen, das nicht auf Krimi-Kenntnis gründet. Sie agieren als Hersteller (im de Certeauschen Verständnis: als Hersteller zweiter Ordnung) eines pluralen KrimiTourismusraums, indem sie gerade durch ihr Unwissen das Design des Systems Literaturführung individuell zuschneiden. Die Raumaneignungstaktiken der Kluftinger-Leser unter den Krimi-Touristen markieren den entgegengesetzten Pol im Spektrum der Führungsnutzungen. Beispiel Klara Marx aus Niedersachsen: Sie verbringt mit ihrem Mann ihren Urlaub in Schwangau. Von der Füssener Krimi-Führung hat sie vor Ort erfahren. Doch schon vorher hatte sie die Romanlektüre motiviert, den Schauplatz aufzusuchen: „Aber der Alatsee wäre sowieso unser Ziel gewesen, durch Seegrund einfach. ‚Wenn wir da in der Nähe sind‘, hab’ ich zu meinem Mann gesagt, ‚möchte ich auf jeden Fall den Alatsee sehen.‘“412 Im Vorfeld der Reise begutachtete sie die Fiktion auf die biologische Faktizität des Erzählten hin: „Ich hab’ auch im Internet mal nachgeguckt, ob das denn auch stimmt mit diesen Mikroorganismen. Hab’ ich auch nachgelesen.“413 Marx’ Krimi-Führungsteilnahme und Online-Recherche sind Folgepraktiken des konkreten Leseakts: Unterhaltungserfahrungen beim (seriellen) Lektürekonsum können Verbraucher zu solchem Mehraufwand animieren.414 Dass Marx in der organisierten Gruppe

409 Ethnografisches Interview mit Ulrike Vogel (Name anonymisiert) während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 410 Krebs 2013. 411 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 412 Ethnografisches Interview mit Klara Marx (Name anonymisiert) während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 413 Ebd. 414 Nast 2013.

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zum Alatsee wandert, dient ihrer positiv konnotierten Weiterbildung, ihr Umgang mit dem institutionell angebotenen Streckenverlauf konstituiert sich über die angepeilte und für sie amüsante Vertiefung ihrer subjektiven Einsicht in das zunächst nur literarisch entfaltete Sujet: „Der Aufwand für den Wissenserwerb steht dabei dem Vergnügen nicht entgegen; vielmehr können die Anstrengungen selbst als Teil des Vergnügens gesehen werden.“415 Dieses Vergnügen am intensivierten Romankontextstudium erfahren die Führungsteilnehmer nicht als distanzierte Beobachter. Sie stellen es aktiv her: mit detailorientierten, raumdurchdringenden Forschungs- und Kontrolltaktiken. Die Touren-Teilnehmer der Unterallgäuer Gästebegleitung etwa kennen die Bücher „bestens“, sagt Organisatorin Simone Zehnpfennig, kommen „teilweise auch vorbereitet“, „suchen“ nach Hintergrundinformationen und „überprüfen“ auf der Rundfahrt: „Die wollen dann wirklich nur vor Ort sehen: Wie schaut’s aus? Die Frage ist: Stimmt das denn auch? Der reumütige Büßer in Buxheim: Gibt’s den tatsächlich, stimmt diese Sage, die drumrum gestrickt ist? Gibt’s die Padres noch? Des is’ deren Intention: zu sehen, stimmt des?“416 Nach Angaben der Kemptener Führungsleiterin Theresia Wölfle lesen manche in Kleingruppen anreisende „Krimi-Fans“ die Bücher zur Vorbereitung direkt vor ihrem Besuch der Schauplätze und bestehen auf einem exakten Abgleich von fiktionalem und lebensweltlichem Raum: „Die wollen dann wissen: Wo ist der Mord passiert? Wo is’ der vom G’länder runterg’fallen? Sowas isch dann scho’ wichtig.“417 Laut Erih Gößler ist wie für Klara Marx speziell die im Roman thematisierte biochemische Besonderheit des Alatsees und die historische Thematik den „Seegrund“-Gästen Anlass zur eingehenden Beschäftigung im Vorfeld und für Nachfragen während der Wanderung. Manche Teilnehmer verfügten über Kenntnis nahezu des kompletten Textes und interessierten sich besonders für Einzelheiten. Gößler: „Ich müsst’ das Buch auswendig kennen für so Spezielle.“418 Und auch die Füssener Krimi-Führerin bemerkt eine vergnügungsfördernde Selektion des Gesehenen danach, ob es der Krimi-Erzählung und dem Imaginierten entspricht: „Manche überlegen dann schon: Wo könnte die Leiche gelegen haben? Und dann muss mer diskutieren [lacht], ob des da gewesen sein könnte oder nicht.“419

415 Ebd., S. 174. 416 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 13.02.2013. 417 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 418 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 419 Ebd.

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Zum Raumgebrauch der Krimi-Touristen gehört, dass sie interagierende und vernetzte Infrastrukturen innerhalb der Krimidestination schaffen. Monika Echtermeyer sagt über die unabhängig voneinander angemeldeten Radfahrer bei der E-Bike-Krimi-Tour: „Die haben sich untereinander ausgetauscht.“ Und weiter: „Die kannten sich alle überhaupt nicht, aber hatten alle ein gemeinsames Interesse, was sie miteinander verband. Und dadurch hatten sie unheimlich Spaß.“ Der Geschäftsführerin des E-Bike-Centers erschien deren gemeinsames Fachsimpeln „wie so ein Clübchen, wie so Eisenbahn-Freunde, die dann über Lokomotiven sprechen“420. Raumaushandlung geschieht hier im Kollektiv – und hat selbstzweckhaft-beglückenden Charakter. Was macht das Erlaufen der Schauplätze für Kluftinger-Leser attraktiv? Bewegungspraktiken implizieren Beobachtungsleistungen. Zu Fuß unterwegs sein heißt, eigene Erfahrungen sammeln. Neuere wissenschaftliche Arbeiten plädieren für mehr ethnografische Aufmerksamkeit gegenüber der sozialen Qualität des Fortkommens per pedes. Demnach lässt sich erst im Begehen der literarischen Kluftinger-Routen profunde Kennerschaft der Geschichten, die über sie erzählt werden, erreichen: „True knowledge depends on the confirmation of stories in personal experience, and to achieve this one must travel the trails and visit the places of which they tell […].“421 Das Gehen vor Ort validiert Narrative, garantiert Austausch mit Kundigen, liefert Einblicke in lokale Bedingungen, stellt Lernerfolge in Aussicht, vertieft das Allgäu-Wissen: Mit dem Erlaufen von Realräumen erwerben die Führungsteilnehmer selbst Expertenstatus. Im Movens des Zusatzerwerbs von Wissen und der Empiriegenerierung vor Ort verifiziert sich die von Johanna Rolshoven attestierte Verwandtschaft von ethnografischem und touristischem Alltagsverhalten:422 Sowohl Feldforscher als auch Krimitourismus-Teilnehmer verfahren in ihrer Wahrnehmung selektierend, erschließen sich Raum über spezifische Erwartungen und „Voreingenommenheiten“423 und produzieren „symbolische Wirklichkeiten“424, in der Konsequenz also gelebte Repräsentationsräume Lefebvrescher Vorstellung. Allerdings benennt Rolshoven ein Differenzmerkmal zwischen beiden Gruppen: Während Touristen

420 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013. 421 Tim Ingold/Jo Lee Vergunst: Introduction. In: Dies. (Hg.): Ways of Walking. Ethnography and Practice on Foot. Farnham/Burlington 2009, S. 1-19, hier S. 6. 422 Rolshoven, Johanna: Der ethnographische Blick als touristischer Blick. In: Cantauw 1995, S. 41-54. 423 Ebd., S. 48. 424 Ebd., S. 54.

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der Freizeit und Erholung wegen reisten, veranlasste den Forscher vorrangig die Suche nach Erkenntnis. Der Kluftinger-Tourismus zeigt aber: Beides schließt einander nicht aus. Recherche-Praktiken, dokumentarisches Performen wie z.B. stetes Fotografieren425 und schließlich (das Streben nach) Erkenntnisgewinn bedingen für die Führungsteilnehmer gerade das Vergnügen. „Die waren nachher wirklich hundertprozentig überrascht darüber, dass es genau so aussah, wie im Roman geschildert. […] Und das fanden die total faszinierend“426, beschreibt Echtermeyer das Verhalten der Krimi-Radler. Genauso hätte die Teilnehmer die in die Fiktion integrierte Realitätsreferenz der benachbarten Lage von Kemptener Kriminalkommissariat und Bordell begeistert: „Mir ist das jetzt so arg im Gedächtnis, weil das die Leute am meisten verblüfft hat [lacht], das mit der Polizei und dem Puff gegenüber. […] Das hat die [Teilnehmer] dann völlig umgehauen, als sie das gesehen haben.“427 Genauso berichtet die Kemptener KrimiFührerin Theresia Wölfle, dass die Kluftinger-Touristen die Romane „intensiv gelesen“ hätten, beim Rundgang „auf ganz kleine Details“ achteten und diese ansprächen; zudem kommentierten sie das Besichtigte mit „Stimmt genau“ oder „Ah ja, das gibt’s wirklich!“, was auf ihre Durchführung von Inspektionstaktiken schließen lässt. Wölfle zufolge sind die Teilnehmer von dem Umstand gefesselt, dass tatsächlich eine Schuhhandlung existiert, „die so aussieht, wie beschrieben“, und sie begeistern sich am Kuriosum, dass der Raum der fiktiven Narration „net bloß irgendwo aus der Luft gegriffen“428 ist. Touristischer Allgäu-Krimi-Raumkonsum erweist sich als zufriedenstellend, wenn lektürevermittelte Vorstellung und Realität nicht kollidieren, sondern sich als kongruent erweisen und das Gesehene sich unmittelbar als das Erwartete identifizieren lässt: „Ah, jetzt guck’, da isch er!“429, ruft Tatjana Rupprecht im Moment des Betretens des Buxheimer Priesterchores, als sie in einer Schnitzfigur des Chorgestühls sofort die in Erntedank erwähnte Gestalt des bußfertigen Sünders erkennt – sie entdeckt darin das als echt und ursprünglich Codierte. Der Reise- und Kulturjournalist Stefan Fischer vermutet hinter der Teilnahme an Krimi-Touren eine Bestätigungssuche, zu der das mit seinem expliziten

425 Feldtagebuch von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 426 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013. 427 Ebd. 428 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 429 Tatjana Rupprecht (Name anonymisiert), Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012.

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Fokus auf Schauplatz- und Ortsangaben kredibilitätsversprechende literarische Genre Regionalkrimi nachdrücklich einlädt.430 Entpuppt sich ein solcher Faktencheck als nicht hinlänglich, d.h. stimmen erzählter und erlebter Krimi-Raum nicht überein, beanstanden das die Teilnehmer entsprechend. Nach Romanangaben in Erntedank ist etwa die Figur des bußfertigen Sünders aus Buchenholz geschnitzt.431 Tatsächlich ist im Buxheimer Chorgestühl ausschließlich Eichenholz verarbeitet. „Da han Besucher reklamiert“, sagt der Heimatdienst-Vorsitzende Hans Haugg. Grund: „Weil die Besucher passen auch alle mit auf.“432 Und bei der „Seegrund“-Führung wird eine kleine Hütte eines Bauern zum Schauplatz erklärt: Sie soll den von einem Schamanen bewohnten Verschlag aus der Belletristik-Vorlage darstellen. Problem: Das Simulakrum aus der Lebenswelt besitzt im Gegensatz zum literarischen und von gewisser Skurrilität geschilderten Artefakt eine Tür. Die Existenz eines solchen Zugangs signalisiert Gewöhnlichkeit – und ist für die Krimi-Wanderer deshalb so häufig wie rasch Stein des Anstoßes: „Des is’ des erste, was die Leut’ bemerken“, sagt die Krimi-Führerin amüsiert, und: „Is’ schon witzig, weil se des so als wahr empfinden, diese Geschichte.“433 Die Forschungs- und Recherchetaktiken der Teilnehmer gehen bisweilen in ein Insistieren auf Verfügbarkeit des Gelesenen und Imaginerten über: Bei der Kluftinger-Bustour droht das im Inserat angekündigte Kässpatzenessen „im kultigsten Wirtshaus der Region“434 wegen einer vergessenen Tischreservierung auszufallen. Teilnehmerin Tatjana Rupprecht moniert, dass ihr das geschmackliche Nacherleben von Kluftingers Leibspeise verwehrt bleibt: „Wenn i auf Kluftinger-Tour bin, will i au’ Kässpatza essa.“435 Auf dem Weg zum ErsatzGasthaus wiederholt sie ihr Verlangen nach dem Authentischen: „I will meine Kässpatza!“436 Die Wirtschaft kann wegen Mangels an Bergkäse lediglich Spinatspätzle mit Gorgonzola-Soße anbieten. Die findet Rupprecht zwar „lecker“437, aber im weiteren Tourenverlauf weist sie die Gruppe nachdrücklich auf die Re-

430 Interview mit Kultur- und Reisejournalist Stefan Fischer am 11.10.2013. 431 Erntedank, S. 163. 432 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 433 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 434 Unterallgäuer Gästebegleiter: http://www.unterallgaeuer-gaestebegleiter.de/Kluft inger_Touren.html (Zugriff: 05.11.2014). 435 Tatjana Rupprecht (Name anonymisiert), Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 436 Wie oben. 437 Wie oben.

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klameschilder anderer Wirtshäuser hin, die eben jenes auf Lektürebasis erwartete Mahl anpreisen. Mitunter verlangen die Romanrezipienten auf Krimi-Tour nicht nur, dass das verwirklichte Literaturerlebnis die Existenz von Objekten und Geografien verbürgt, sondern auch die Existenz von Personen. „Die Leute wollen meistens, wenn wir unterwegs sind, Auskunft über Kluftinger“438, sagt der Altusrieder Führungsleiter Peter Klüpfel. Und sein Sohn, Autor Volker Klüpfel: „Wenn die Grenzen zwischen Fiktion und Realität plötzlich verschwimmen, des finden die Leute spannend. Also i hör’ dann au’ so absurde G’schichten von meiner Schwester, die die Führungen [in Altusried, KL] ja macht mit mei’m Vater z’sammen. Die sagt, da fragen dann Leute wirklich: ‚Ja, wo wohnt’n der jetzt, der Kluftinger?‘ Also: ‚Gibt’s den eigentlich wirklich?‘ Und so. Also manche, da ham sich die Grenzen scho’ verschoben. Des find’ i natürlich super als Autor. Des isch doch toll, wenn so ’ne Figur in Köpfen von Menschen wirklich lebendig wird.“439

Sehen sich diese Menschen mit ihrer Vorstellung gegenüber einem „Subjekt[...], das Wahrhaftigkeit auszeichnet“440, wird es Projektionsgestalt für Authentizitätszuschreibungen. Das gilt etwa auch, wenn sie Führungsleiter Peter Klüpfel selbst mit „Herr Kluftinger“441 anreden. Mit den Krimi-Führungen wird Wirklichkeit zum Faszinosum, sofern sie den erzählten Raum aus den Romanen zu beglaubigen imstande ist. Wenn nicht, untergräbt diese reale Leerstelle das taktische Verifizieren der Krimi-Touristen und ist ihnen Anlass zur – wenn auch eher minder als mehr entrüstet vorgetragenen – Kritik. Eine Teilnehmerin der Altusrieder Krimi-Führung erwartet, dass sie nach der Evokation „bestimmte[r] Vorstellungen“ bei der Buchlektüre mit einer Kluftinger-Tour „mal den genauen Ort kennenlernt“442. Ein Absolvent bereits verschiedener Kluftinger-Führungen sagt: „Was grundsätzlich an Schauplätzen in den

438 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 24.08.2012. 439 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 440 Susanne Knaller: Ein Wort aus der Fremde. Geschichte und Theorie des Begriffs Authentizität. Heidelberg 2007, S. 22. 441 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 442 Ethnografisches Interview mit Gertrud Immele (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013.

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Büchern vorkommt, ist auch wirklich eins zu eins an den verschiedenen Orten so zu sehen.“ Er erklärt, das bislang auf Grundlage der Romanlektüre Vorgestellte nun mit visuell Wahrgenommenem verbinden zu können. Das ergebe einen „weiteren Krimi im Kopf […], der das Ganze dann komplett macht“443. Eine Teilnehmerin resümiert die Bustour der Unterallgäuer Gästebegleiter so: „Das war jetzt authentisch, das konnte man jetzt nachvollziehen“ – in Bezug auf die Tatsache, dass Kemptener Polizeiinspektion und Bordell tatsächlich und „nicht wegen Klufti“444 einander direkt gegenüber liegen. Und die Füssener KrimiFührerin betont, wie relevant es ist, dass der auf Tour vorgelesene Erzähltext das Erlebte legitimiert: „Sobald ich das Buch in der Hand hab’ und über das Buch red’, is’ es ganz wichtig, dass es authentisch is’.“445 Die Schauplatz-Besucher formulieren hier Absichten der Annäherung an das Originale: weil sich ihre Unterhaltung durch das realitätsangereicherte Imaginierte und eine bessere Nachvollziehbarkeit des sonst nur Ausgemalten steigern lässt. So positionieren sie sich als Suchende nach dem gegenwärtig hochkonjunkturellen Echten und Ursprünglichen – als Vertreter postmoderner Zeiten also, in denen Aleida Assmann zufolge „(fast) alles als optional, konstruiert, inszeniert und manipuliert“446 gelte und das Authentische einen letzten (Gegen-)Wert markiere.447 Der AllgäuGebrauch der Führungsteilnehmer zielt auf Authentizitätserfahrung. Aber: Wer oder was authentifiziert im Krimi-Tourismus?448 Bei der Regionalkrimi-Lektüre bestimmen Einbildungskraft und die in die Erzählung integrierten Realitätssplitter eine imaginierbare Wahrscheinlichkeit des Erzählten. Die potenzielle Glaubwürdigkeit und Echtheit der räumlichen Verortung attestieren dem artifiziellen Werk Authentizität. Im Krimi-Tourismus ändert sich das. Die Führungsdesigner und touristischen Raumanbieter sind Inszenierungsagenturen von Authentizität, zur Echtheit verbürgenden Instanz aber wird die Wirklichkeit selbst: Die lebensweltliche Anwesenheit der Krimi-

443 Ethnografisches Interview mit Ingmar Krause (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 444 Ebd. 445 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 446 Aleida Assmann: Authentizität – Signatur des abendländischen Sonderwegs? In: Michael Rössner/Heidemarie Uhl (Hg.): Renaissance der Authentizität? Über die neue Sehnsucht nach dem Ursprünglichen. Bielefeld 2012, S. 27-42, hier S. 29. 447 Ebd. 448 Ebd.

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Touristen bedingt diese Referenzauthentizität449 des Führungsraums und seiner Komponenten. Die prüfenden Teilnehmer-Bewegungen im Raum zeichnen Schauplätze und ihren Objektbestand aus, die Krimi-Touristen mit ihren empirischen Kontrollpraktiken identifizieren den Schein der Fiktion als Sein450 in der Realität. Krimi-Führungsveranstalter postulieren Topografien zu OriginalSchauplätzen, aber erst im subjektiven Rezeptionsakt der Führungsteilnehmer wird das medial Vermittelte als authentisch beglaubigt. Die Führungskonsumenten wählen einzelne Streckeningredienzen aus und bewerten sie – und coproduzieren so Raum mittels Authentifizierungstaktiken. Die Richtigkeit des Wirklichen wird z.B. über Sprechakte mitreguliert. Eine Mitfahrerin der Kluftinger-Bustour der Unterallgäuer Gästebegleiter kommentiert etwa das Erreichen einzelner Stationen mit „Priml“451. „Priml“ ist Kluftingers Allzweckformel und favorisierter Ausdruck seiner Zustimmung, ein Neologismus der Autoren. Mit seinem Gebrauch rechtfertigt sie aktiv die lebensweltliche Situation als authentisch. Die Transformation des Kunstworts, das nicht zum alltäglichen Allgäuer Sprachgebrauch gehört, aus der Fiktion in die Realität verkürzt die (jedenfalls nicht medial determinierte) Unterschiedlichkeit beider Ebenen und zeichnet letztere als den Romanen entsprechend aus. Performanzen fördern eigenes Authentizitätserleben.452 Die multimediale Existenz des Erzählstoffs bzw. seine Transformation durch verschiedene Formate erlaubt eine variable Richtung der Referenzialität. Obgleich Referenzauthentizität über Empirie in der Wirklichkeit garantiert wird, kann auch die fiktive Narration den Gegenstand des Verweises bilden: KrimiTouristen, die erst ihr Literaturkonsum z.B. zu einem Besuch des Alatsees anregte, ist die Hütte des Schamanen lediglich aus der Belletristik, d.h. als türlos, bekannt – dann ist es an der realen Hütte am Bergseeufer samt ihrer vorhandenen Tür, dem Test auf Glaubwürdigkeit und Ursprünglichkeitstauglichkeit standzuhalten. Authentizitätseffekte und Zugeständnisse des Echten stellen sich ein, wenn das Vorgeführte den Vorannahmen im imaginären Gepäck der KluftingerLeser und jetzt Kluftinger-Touristen genügt. Umgekehrt kann der Autorisierungsprozess bei der Romanlektüre funktionieren. Einheimische Leser oder geübte Allgäu-Urlauber rezipieren die Kriminalromane hinter einer Schablone aus einem bereits gehorteten Bestand an Empirie: Ihnen ist das Kunstwerk mit sei-

449 Knaller 2007, S. 21-28. 450 Assmann 2012. 451 Tatjana Rupprecht (Name anonymisiert), Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 452 Knaller 2007, S. 178.

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nen fiktiven Ereignissen mimetisches Abbild, dessen Qualität sich als authentisch erweist oder nicht.453 Eine wirklichkeitsinduzierte Authentifizierung des Gelesenen wiederum kann als Realitätsreferenz in die erneute Imagination eingespeist und für einen weiteren, aktiven und modifizierenden Gebrauch des literarischen Textes und einen Zugewinn an ästhetischer Erfahrung instrumentalisiert werden: Für eine Teilnehmerin der Kluftinger-Bustour wird es nach ihrer Reise „jetzt interessant, [die Romane] noch amol zu lesen. Weil mer die Orte jetzt mit den Vorstellungen, die mer vorher gehabt hat, verknüpfen kann. Des wird jetzt spannend“454. Für ihre Reisegefährtin, die sich ungern Literaturverfilmungen ansieht, hängt die wiederholte Unterhaltung bei einer zweiten Buchlektüre gerade von der jetzt überprüften Referenzialität ab: „I woaß net, wie’s mir jetzt geht, wenn i’s noch amol lies’, weil i a Vorstellung g’habt hab’. Und wenn i’s jetzt noml lies’, dann kenn’ i jetzt die Leit’, die Landschaft. Und dann sieh’ i, ob mer’s no amol so taugt oder ob’s mer mehr taugt.“455 Schließlich schöpfen Krimi-Touristen Unterhaltung und Vergnügen aus zirkulierender Referenzialität – umgesetzt durch erst ideelle Bilder, intertextuelle Recherchemaßnahmen, eigene Performanz und authentizitätsgesicherte Nachbereitung: Ein Ehepaar beispielsweise bezeichnet sich als „Kluftinger-Fans“. Sie kennen die Bücher und nehmen an der „Seegrund“-Führung teil. Die Frau und Allgäu-Urlauberin beschreibt ihre Erwartungen an die Wanderung und die beabsichtigte Genusssteigerung für den aktualisierenden Gebrauch des Buchs und des Produkts Führung so: Beate Tees: „Dass ein bisschen mehr über den Alatsee erzählt wird. Gut, ich hab’ mir drei Kurzfilme im Netz drüber angeguckt. Und dass die Verbindung zu diesem Krimi-Helden hergestellt wird. Dass man sich die Bücher im Nachhinein einfach noch ein bisschen besser vorstellen kann. Oder dieses Buch [Seegrund, KL] jetzt g’rad.“ KL: „Wollen sie es dann danach nochmal lesen?“

453 Assmann 2012, S. 28. 454 Ethnografisches Interview mit Leonore Marl (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 455 Ethnografisches Interview mit Iris Jancker (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013.

280 | ALLGÄU RELOADED Beate Tees: „Ich les’ es jetzt gerade. Jetzt während dieser Tour.“456

Ebenso stoßen Gäste im Kartäuserkloster authentizitätsprüfende Kreisläufe eigeninitiativ an: „Viele Besucher haben sogar das Buch dabei und lesen während der Führung die Szenen nach“457, sagt Buxheims Heimatdienst-Vorsitzender Hans Haugg in der Presse. Folgevergnügung wird zudem nicht lediglich über erneute Lektüre anvisiert, sondern auch über wiederholte und ungebundenere Inspektionen der wirklichen Schauplätze, die zwar den Konzeptualisierungen der Führungsdesigner folgen, aber hinterher autonom vom Veranstaltungsprodukt Krimi-Führung stattfinden: Manche Besucher der Kemptener Krimi-Führung gehen nach der Darbietung die Tour noch einmal mit dem Stadtplan nach,458 Teilnehmer der Füssener KrimiWanderung schauen sich am nächsten Tag den Alatsee noch einmal „genau“459 an. Xaver Zingler ist ein Sonderfall: Er stammt aus Oberbayern und ist inzwischen im Ruhestand, vorher war er 20 Jahre Hauptkommissar in Kempten – also wirkliches Pendant der Romanfigur Kluftinger. Mit seiner Frau nimmt er an der Kemptener Kluftinger-Tour teil, die Karten bekam er geschenkt. Seine Benutzung des Raum-Angebots als Krimi-Führungsteilnehmer zielt gerade nicht auf einen Abgleich von Fiktion und Wirklichkeit. Sein Raumkonsum im Rahmen der Tour impliziert Vermeidungstaktiken, seine ästhetische Erfahrung der „wunderhübsche[n] Stadt“460 fußt auf dem Ausblenden des bereits als echt und richtig Erlebten, seine genussvolle Rezeption hängt von der imaginativen Tilgung spezifischer, für ihn authentischer Raumrealitäten im Prozess des Gehens entlang der urbanen Schauplätze ab. Zingler kennt sich aus. Er sagt, dass Kempten „eine sehr beschauliche, ruhige Stadt im Verhältnis zu anderen Städten dieser Größe“ und „nicht vergleichbar mit München, Augsburg und sonstigen Großstädten“461 ist. Laut Zingler beschäftigt vor allem Kemptens Dreiländereckslage in Schweizer und Österreicher Nähe die dortige Kriminalpolizei, kann echte Ermittlungs-

456 Ethnografisches Interview mit Beate Tees (Name anonymisiert) während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 457 Simone Haefele: Kommissar Kluftinger auf der Spur. In: Schwäbische Zeitung, 05.11.2011. 458 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 459 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, 14.06.2013. 460 Ethnografisches Interview mit Xaver Zingler (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 461 Ebd.

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arbeit monatelang dauern und mitunter erst durch Zufall zu einem Ende geführt werden. Eine Gegenüberstellung des literarischen bzw. medial transformierten popkulturellen Reviers Kempten mit dem für ihn realen ergäbe keinerlei authentizitätbedarfsbefriedigende Schnittmenge: „Des is’ kein Vergleich. Des is’ net vergleichbar. Des is’, wie wenn sie an Blinden fragen, was er sieht. Des geht net. Des is’ unmöglich. Weil die so wie Tag und Nacht verschieden san.“462 Zinglers Gebrauch der Ware Literatur-Erlebnis sieht eine Reproduktion seines Alltagsraumes vor. Um es für „trotzdem interessant“ befinden zu können, „da jetzt mitzugeh’n“463, muss er auf ein Fahnden nach seinem persönlichen Authentischen verzichten. Wirkliche Genusserfahrung bei einer Krimi-Führung zu generieren heißt für ihn, bereits erlebte Stadt-Wirklichkeiten zu missachten, die Geografien seiner früheren Berufswege als Vergnügungsraum neu zu erschaffen und Kempten im Modus ästhetischer Illusionsbildung mit semantischen Anleihen aus der Populärkunst neu zu codieren. Für Monika Echtermeyer, Veranstalterin der Kluftinger-E-Bike-Tour, dominieren Interesse für den Kriminalromanstoff und Authentizitätsprüfungsprozesse im Verhalten der Teilnehmer: „Also das waren wirklich Insider-Krimi-Leute. Die wollten hauptsächlich diese KrimiOrte sehen und fotografieren und erleben. Und das andere hat die, ich sag mal so, nur sekundär interessiert. Das waren jetzt keine Naturbegeisterten, die sich da unheimlich für die Blumen oder für die Bäume interessiert haben.“464

Bei anderen Krimi-Touristen ist die Brennweite ihres Interesses größer. Die Bewegungs- und Wahrnehmungsrhetorik der Kunden beschränkt sich dann weniger stet und mikroskopisch auf das fiktionalisierte Allgäu, sondern wandert ausschweifender und mitunter zielloser in der räumlichen Warenwelt umher. Ihr Aufmerksamkeitsfokus löst sich vom literarischen Fundamt und eigentlich zentralen Thema der Führungen: Die Kemptener Stadtführerin Theresia Wölfle bitten etwa Krimi-Führungsteilnehmer, den architektonischen und teils im Romannarrativ außer Acht gelassenen Bestand der Stadt historisch einzuordnen bzw. das Passierte über die belletristische Literatur hinaus zu kontextualisieren.465 Und Erih Gößler muss auf dem Weg um den Alatsee für das Krimi-Thema irre-

462 Ebd. 463 Ebd. 464 Interview mit Monika Echtermeyer, Geschäftsführerin im E-Bike-Verleihcenter Allgäu in Oberstdorf und Professorin für Tourismuswirtschaft, am 19.09.2013. 465 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013.

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levante Auskünfte über das Gewässer, ehemalige deutsch-österreichische Herrschaftsgrenzen und zur Geologie im dortigen Berggebiet geben, auf Exkurse in Naturwissenschaft und (z.B. Schmuggler-)Geschichte reagiert ihr Publikum mit interessebekundendem Raunen.466 Bei der Bustour der Unterallgäuer Gästebegleiter unterstreichen die Teilnehmer durch Nachfragen, dass sie ausholenden Erläuterungen von Krimi-Guide Ulrike Gandy zur Klosterchronik Buxheims nicht abgeneigt sind.467 Und beim Anblick des Chorgestühls zeigen sie eine Begeisterung, die eben nicht von dessen Fiktionalisierung, sondern von seiner Entstehungsgeschichte und seiner von der Belletristik autonomen Nominierung als künstlerisch-ästhetisches Objekt herrührt: „Toll. Alles sehr schön. Diese Handarbeit, Wahnsinn!“468 In Kempten lädt Gandy zur Basilika-Besichtigung ein, weist aber darauf hin, dass diese literaturtouristisch eigentlich belanglos ist („Es ist wirklich nichts, was mit Kluftinger zu tun hat.“469) – doch die Teilnehmer folgen ihr bereitwillig: „Das schauen wir uns gern an.“470 Das Allgäu wird in der Krimi-Führung zum Konsumprodukt. Und manche Krimi-Touristen verlagern ihr Konsuminteresse noch bei seinem Verbrauch auf andere Raumwaren. Sie entwickeln sich zu zweigleisig aktiven Nutzern: Theresia Wölfle: „I hab’ letztens wieder welche dabei g’habt, die ham sich dann Schuh’ kauft.“ KL: „Während der Führung?“ Theresia Wölfle: „Während der Führung.“471

Diese Teilnehmer bewegen sich innerhalb der Ordnung der Raumgesetzgeber – nämlich im von den Führungsdesignern für die Kluftinger-Route ausgewählten Kemptener Schuhladen. Doch sie unterlaufen die Programmplanung und umverteilen ihre Erwerbsbereitschaft vom eigentlich konsumierten Gut (dem Krimi-

466 Mitschnitt während der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 467 Feldtagebuch von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 468 Florentine Egli (Name anonymisiert), Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 469 Ulrike Gandy, Unterallgäuer Gästebegleiterin, Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 470 Florentine Egli (Name anonymisiert), Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 471 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013.

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Erlebnis-Angebot samt Veranstaltungstext) auf ein Konkurrenzprodukt (den Schuh), das als Ware wiederum semantisch kluftingerisiert und attraktiv gemacht wird. Mitunter bereitet die Führungssituation weitere touristische Bewegungsmuster vor: und zwar solche, die dem fiktional organisierten Allgäu und der Kluftinger-Welt abtrünnig werden. So wird Theresia Wölfle immer wieder nach KrimiFührungsende um Freizeitgestaltungstipps gebeten – und diese sollen mit dem Buchprotagonisten nicht unbedingt zu tun haben: „Desch des Interessante. Die [Führungsteilnehmer] fragen mi nach allgemeinen Ausflugszielen, aber nicht speziell nach Kluftinger.“472 Die Kemptener Krimi-Führerin schlägt dann die „klassischen Ausflugsziele des Allgäus“473 vor: eine Fahrt aufs Nebelhorn, zu den Königsschlössern, zu einem der Seen. Die Gebrauchstaktiken der Krimi-Führungsteilnehmer geben eine stringente Bindung an den Ausgangsgegenstand preis. Die Führungsteilnehmer praktizieren einen ambivalenten Parallelkonsum und Folgeunternehmungen, die nicht mit dem literarischen Basisthema verwandt sind: All das ist einerseits Indikator für die Emanzipation der verbrauchenden Akteure von den infrastrukturellen Anleitungen des Romannarrativs. Andererseits erfüllen sich damit auch die Hoffnungen der Touristiker: Kluftinger-Tourismus hat Türöffner-Potenzial für andere Allgäu-Räume. Zu den performativen Eigenproduktionen der Krimi-Touristen beim Gebrauch der Erlebnisware Allgäu gehört mitunter auch: das Begehen von Heimat. „Heimat“ soll hier allerdings zunächst in heuristischer Absicht als Geburtsort begriffen werden und gerade nicht, um „die Denkfigur der menschlichen Gebundenheit an einen überschaubaren oder als überschaubar gedeuteten Raum“474 fortzuschreiben. Franziska Hebbel ist im Allgäu zur Welt gekommen und lebt nahe Kempten. Sie machte bereits bei verschiedenen Kluftinger-Führungen mit. Bei der Buchlektüre habe sie sich gedacht: „Des wär’ bestimmt voll cool, an den Originalschauplätzen zu sein“475 – obwohl diese längst als Wegemarken auf ihrer eigenen Topografie des herkunftsbedingt Vertrauten verzeichnet waren:

472 Ebd. 473 Ebd. 474 Günther Gebhard/Oliver Geisler/Steffen Schröter: Heimatdenken. Konjunkturen und Konturen. Statt einer Einleitung. In: Dies. (Hg.): Heimat. Konturen und Konjunkturen eines umstrittenen Konzepts. Bielefeld 2007, S. 9-56, hier S. 10. 475 Ethnografisches Interview mit Franziska Hebbel (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013.

284 | ALLGÄU RELOADED „Also zum Beispiel die Ruine Kalden, wo Schutzpatron spielt […], da war ich als Kind schon. Da war von Kluftinger no’ gar keine Rede. Da war ich mit meinen Eltern als Kind schon und fand des wahnsinnig interessant, als wir bei dieser Unterallgäu-Führung [der Unterallgäuer Gästebegleitung, KL] dort waren.“476

Die Bezugsgröße der sekundären Raumherstellung bildet hier die Biografie der Gehenden, ihre manipulative Rhetorik der Krimi-Raum-Aneignung fußt auf ihrem Erinnerungsrepertoire. Hebbels Umherstreifen im literarisch semantisierten Allgäu ist ihr mentales Errichten eines heimatlichen Gedächtnisraums vorgelagert. Die Taktiken ihres Erlebniskonsums zielen auf eine Kombination des kindlichen mit dem aktualisierten Raumgebrauch, die Rekonstruktion des Bekannten mittels neuartiger Chiffrierung ist kausal für das empfundene Vergnügen: „Mich hat des so fasziniert, ich bin dann au’ selber nomal hin und find’ des wahnsinnig interessant, des jetzt aus anderem Blickwinkel zu sehen.“477 Die spezifische Umgangsweise der Allgäuerin mit der Krimi-Region zielt auf nostalgisierenden Genuss. Ihre Wege entlang der Kluftinger-Routen berühren die Fährten des Vergangenen. Die Raumfabrikationen des Vergangenen wiederum tangieren, wie Hebbel die Populärkulturware Krimi-Führung individuell manipuliert. In ihrer synthetisierenden Reproduktionsleistung, bei der „über Vorstellungs-, Wahrnehmungs- und Erinnerungsprozesse […] soziale Güter und Lebewesen zu Räumen zusammengefasst“478 werden, verknüpft die Teilnehmerin Komponenten aus Retrospektive und Präsens, aus heimatlicher Lebenswelt und Fiktion. Denn ihre kindliche Wahrnehmung vom Areal um die frühere Burg Kalden war diese: „Da is’ diese Ruine, da is’ die Iller, da is’ der Illerbruch.“479 Seit der Romanlektüre stelle sie vor dem Hintergrund dieses erinnerten Bildmaterials die Buchszenen „in [ihrem] Kopf“480 nach. Genauso transtemporär und -medial funktioniert Hebbels tourismussystemimmanente, aber sich von den Taktiken touristischer Erstbesucher der Destination unterscheidende Raumsynthesetaktik bei der Kemptener Kluftinger-Führung: „Für mich isch des viel Wiedererkennungswert, weil ich kenn’ Kempten von Kindheitstagen an. Und ich bring’ jetzt des, was ich in den Büchern g’lesen habe und was ich heute erlebe, alles so zu-

476 Ebd. 477 Ebd. 478 Löw 2001, S. 225. 479 Ethnografisches Interview mit Franziska Hebbel (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 480 Ebd.

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sammen.“481 Hebbels Lektüre sowohl von Roman- als v.a. auch KrimiTourismusraum-Text geschieht durch eine herkunftsgefärbte Brille. Im Begehen von Orten ihrer Kindheit sammelt die Allgäuerin Narrative, fügt sie an- und aufeinander und schreibt über neue Erfahrungen ihre persönliche, unabschließbare Raumgeschichtenfibel fort.482 Mit Romanen und Führungen eröffnet sich insbesondere für einheimische Allgäuer eine Kollektion an neuer Raumsemantik. Sie bieten die Möglichkeit einer Nobilitierung des Herkömmlichen und alltägliche Kontexte mit außerordentlichen Vergnügungserfahrungen zu infiltrieren. Waltraud Zingler lebt bei Kempten und kennt die Stadt. Sie findet es „immer nett, wenn mer was liest, und des sind Plätze, die mer kennt. Und dann sieht mer des irgendwie mit ganz anderen Augen, wenn mer da mal was drüber g’lesen hat, wenn mer da wieder hinkommt“483. Sie bringt zum Ausdruck, wie ein neuer Signifikationshaushalt die aktiven Prozesse des Gehens von Akteuren beeinflusst: „Mer geht dann bewusster durch“, sagt sie über die Wahrnehmung von ihr aus dem Alltagsleben bekannten Infrastrukturen nach der Romanlektüre. Und sie erwartet sich eine weitere positive Veränderung durch die Führungsteilnahme: „Jetzt wenn’s ei’m g’fallen hat und Spaß g’macht hat, da erinnert mer sich ja gern wieder.“484 Das durch die semiotische Zufuhr positive Stadtaneignungserlebnis kann in der Erinnerung aufbewahrt und als Vergnügen erzeugende Raumbenutzungstaktik bei erneuten Fußgängerpraktiken reaktiviert werden. Als Kempten-Routinier operiert Waltraud Zingler so mit einer spezifischen Kunst der Fortbewegung, die Susanne Österlund-Pötzsch Tourist Gait nennt. Sie bezeichnet damit eine typisch touristische Art des Gehens, „in the sense that as tourists we tend to experience things more intensely, have a heightened sensory awareness and increase our interaction with our surroundings“485. Ein solches Unterwegs-Sein zu Fuß ist nicht darauf ausgelegt, ein Ziel zu erreichen, sondern vorrangig auf Beobachten und Erkunden, performativ und raumkreierend, es verfolgt je verschiedene Absichten und findet laut Österlund-Pötzsch nicht nur bei Sightseeingtouren während Urlaubsaufenthalten statt, sondern genauso Anwen-

481 Ebd. 482 Vgl. Ingold/Vergunst 2009 (b), S. 14-16. 483 Ethnografisches Interview mit Waltraud Zingler (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 484 Ebd. 485 Susanne Österlund-Pötzsch: Pedestrian Art. The Tourist Gait as a Tactic and Performance. In: Ethnologia Europaea. Journal of European Ethnology. 40 (2010), H. 2, S. 14-28, hier S. 25.

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dung beim Abschreiten von Alltagsrouten. „This performative tactic also allows one to see one’s everyday environment with different eyes“486 – und es ermöglicht der Stadtkennerin Zingler nach Anleitung durch den Fremdenverkehr eine Übernahme eines touristischen Modus des Gehens und damit eine Neuinterpretation des Geläufigen. Bewegung in räumlichen Gefügen beeinflusst Identifikation und ist von Identifikation beeinflusst. Besonders, wenn es sich bei der Teilnahme an den Krimi-Führungen um eine Rückkehr handelt. Anita Kapf stammt aus dem württembergischen Allgäu in der Nachbarschaft Altusrieds. Seit vielen Jahren lebt sie im Schwarzwald. Ihr Verhalten als Krimi-Touristin, d.h. ihre Kunst, im von Fremdenverkehrsregisseuren ersonnenen Programm Coups487, eigene Kreativleistungen, zu landen, lässt auf ihre Intention der mit der Krimirauminbesitznahme einhergehenden Heimatraumaneignung schließen, sofern man mit InaMaria Greverus Heimat als „Raum, der Sicherheit, Aktivitätsentfaltung und Identität gewährt. Identität als Sich Erkennen, Erkannt- und Anerkanntwerden“488 definiert. Denn Kapf etabliert sich bei einer Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleitung in der Gruppe aus sonst nur Nicht-Einheimischen neben der aus Berlin stammenden Leiterin Ulrike Gandy als zweite Authentifizierungsinstanz für die restlichen Teilnehmer. Kapf kann Expertenwissen aus ihrem Fundus des Vertrauten kundtun: Sie spricht mit dialektalem Einschlag, kann beim gemeinsamen Mittagsmahl über Geschmack und Beschaffenheit des in den Kriminalromanen thematisierten und nur noch im Allgäu hergestellten Weißlacker-Käses Auskunft geben und später bestätigen, dass die im Roman erwähnten Aberglaubenspraktiken wie z.B. das Gesundbeten im Allgäu tatsächlich noch ausgeübt werden; und sie erklärt, verifiziert oder kommentiert während der ganztägigen Rundfahrt immer wieder das Gehörte und Gesehene auf Grundlage ihres eigenen Erfahrungsvorrats.489 Kapfs kunstvolles Operieren490 als Allgäu-Profi im zunächst Fremdkonzipierten ist auch selbstvergewisserungsdienlich, ihr Mitwirken an der kluftingerisierten Allgäugenese bedeutet auch das Verorten einer Rückkehrerin in altbekannten soziokulturellen Ordnungen.

486 Ebd., S. 20. 487 Certeau 1988, S. 73. 488 Ina-Maria Greverus: Über die Poesie und die Prosa der Räume. Gedanken zu einer Anthropologie des Raums (= TRANS. Anthropologische Texte/Anthropological Texts, Bd. 10). Berlin 2009, S. 438. 489 Feldtagebuch von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 490 Certeau 1988, S. 73.

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Eine weitere Krimi-Touristin stammt aus dem allgäuerischen Dietmannsried, lebte einige Zeit andernorts und nimmt nach ihrer Rückkehr an der Kemptener Kluftinger-Tour teil. Ihren Populärkulturkonsum prägt das eigensinnige Anliegen des Wieder-Zurechtfindens im früher kognitiv Beherrschten: „Ich mach’ immer dort, wo ich hinzieh’, egal wo, als erstes Stadtführungen mit, um die Stadt kennen zu lernen. Und hier wieder, nachdem ich so lang’ weg war – was sich so ereignet hat.“491 Auch ihr Begehen urbaner Krimi-Räume ist performative Praxis, die nach Re-Verortung strebt. Allgäu-Visitationen von Allgäuern im Rahmen der Kluftinger-Touren beschränken sich auf ein populärkulturell arrangiertes und touristisch normiertes Segment, d.h. auf eine von Alltagsdiskrepanzen bereinigte Offerte von Heimat. Allgäuer Krimi-Touristen bereisen eine Idealversion ihrer Herkunftsregion. Branchenprofessionen stellen ihnen einen nobilitierten Krimi-Tourismusraum bereit. Auch seine Allgäuer Nutzerinnen, die über einen immensen und vielfältigen Speicher an regionalem Wissen verfügen, lassen sich in ihrem Gebrauch auf die vorgeschlagene Selektion ein. Sowohl die noch vor Ort lebende als auch die emigrierte gebürtige Allgäuerin konsumiert aktiv Heimat als postmodernes Postulat des Ästhetischen. Für Franziska Hebbel ist während ihres Fortbewegens im literarisch nominierten Raum das Wiederaufrufen der reizvollen Imagination bei der Buchlektüre vergnügungssichernd: „Es wird ja immer geschrieben, dass der Kluftinger den Herbst so mag, weil der so’n besonderes Flair hat. Und mir selber geht’s genauso. Mit den Bergen und den Wiesen, und ich find’ den Herbst auch wahnsinnig schön.“492 Und Anita Kapf, die seit zwanzig Jahren nicht mehr im Allgäu lebt, plant nach der Krimiführung an Genuss und nicht am Gewohnten orientierte Folgepraktiken – und solche Pläne legitimiert ihr Einverständnis mit der Allgäu-Kollektion der Führungsdesigner: „Ich kenne Kempten nur vom Einkaufen und Freunde-Besuchen. Das war heute ganz anders. Ich war noch nie in der Kirche [St.-Lorenz-Basilika, KL], obwohl ich schon 20.000 Mal an der Kirche vorbei gelaufen bin. Da war jetzt Kluftinger der Auslöser. Ich möchte wirklich mal Urlaub hier machen, wo man nicht nur die ganze Verwandtschaft besucht,

491 Ethnografisches Interview mit Trude Veigl (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013. 492 Ethnografisches Interview mit Franziska Hebbel (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 02.08.2013.

288 | ALLGÄU RELOADED sondern auch mal eine Tour durch Altusried oder ’ne Wanderung. Dazu regt Kluftinger schon auch an.“493

Hebbels und Kapfs Durchstreifen des Bekannten zielt auf die Evokation eines Wohlgefühls: Sie machen sich das vormalig Begangene performativ zu eigen und (er)finden aktiv die Heimat innerhalb der strategischen Ordnung eines touristischen Systems neu. Die aktualisierte Herkunftsregion wird zur Projektionsfläche für das Behagliche und Besondere. Seine Qualität bestimmt die Abwesenheit des Herkömmlichen. Allgäuer Teilnehmer instrumentalisieren die KrimiFührung als Filtermedium: Es befreit ein als originär designtes Regionales vom kosmopolitischen Durchdrungensein eines konsumtiven raumkulturellen Einerleis und ästhetischer Monotonie. In der Terminologie von Ina-Maria Greverus entspricht das, was (ehemalige) Einheimische im Kluftinger-Tourismus an Allgäu-Komponenten sublimieren, dem poetischen Destillat aus einer weltumspannend-prosaischen Eintönigkeit. Greverus spielt die „Ästhetik der lokalen und individuellen Einmaligkeit und Poesie“ und jene der „globalen Mittelmäßigkeit und Prosa“494 gegeneinander aus. „Heimat“, und damit auch die verzauberungsfähige Benutzeroberfläche des Regionalkrimi-Allgäus, „war – und ist – für [Greverus] ein Raum, in dem Poesie sich gegen die Prosa der Welt durchsetzen könnte. Erfinderisch. Utopisch“495, wo die aus sentimentalischen Kindheitserinnerungen und der Zitation des als lange überliefert und fixiert vorgestellten Kulinarikund Traditionsbestands verdichtete „Poesie der ländlichen Vergangenheit“496 imaginierbar wird. Eine Heimat, die nicht nur Geburts- und Wohnort meint, bietet damit auch nicht nur identitätssichernde Fangnetzqualitäten für ihre Bewohner. Wenn Heimat Synonym für eine Konstruktionsoption eines poetischen Raums ist, ist eine Allgäuer Heimat eben auch Bezugsgröße auswärtiger Krimi-Touristen, die an dieser Vorstellung vom unveränderlich Schönen und regional Eigenartigen teilhaben möchten. Dieser Heimat-Container bietet nostalgischen Retrospektiven und sehnsuchtsvoller Einbildungskraft gleichermaßen Raum. Er erreicht maximale Effizienz, d.h. genussvolle und individuell zustimmende taktische Inanspruchnahme seiner Verbraucher von interregionaler Provenienz, indem er im süddeutschen Provinziellen platziert wird. Zugereiste Konsumenten besetzen die

493 Ethnografisches Interview mit Anita Kapf (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 494 Greverus 2009, S. 45f. 495 Ebd., S. 44. 496 Ebd., S. 45.

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literarisch aufgehübschte Destination als „Mietwohnung“497 und machen sie sich zur Heimat, d.h. zum poetischen Terrain, das zum Schwelgerischen lädt: „I find’ einfach, des Allgäu oder halt dieser ganze südbayerische Raum, der hat einfach so a Gemütlichkeit. Und hier die Allgäuer Kühe. Oder die Landschaft ist au’ so toll. […] Kann’s gar net beschreiba. Einfach wunderschön“498, sagt eine KrimiFührungsteilnehmerin aus Höchstädt an der Donau beim Gehen durch Altusrieds Peripherie. Ihr Mann sekundiert und unterstreicht das mögliche Eindringen, Zurechtfinden und Wohlfühlen im vermeintlichen Raum der Anderen: „Von verschiedenen Urlauben“ sei beiden das Allgäu „net unbekannt“, er kenne „den Menschenschlag“ und könne sich „da sehr gut in die Rolle reindenken, auch in des ganze Ambiente, in dem die Romane spielen“, und er könne „was damit anfangen.“499 Krimi-Tourismus im Allgäu ist Heimatverhandlungsgenerator: In ihren Performanzen konzeptualisieren und gestalten die Teilnehmer die Kategorie in ihrer Mehrdeutigkeit.500 Unter diesen Umgangstaktiken der Krimi-Touristen lassen sich ausschließlich undisziplinierte, zweckentfremdende Raumbenutzungsweisen nicht trennscharf separieren. Vor allem auch eigenmächtige Inbesitznahmen und verifizierende Aktualisierungen einer vorfabrizierten, behältergleichen Idylle zählen zu den Aneignungsmodi der Führungsteilnehmer. Einheimische, ExEinheimische und Urlauber beheimaten sich in der balsamischen Poesie einer heilen Allgäu-Welt. Für singuläre Teilnahmen an Kluftinger-Führungen gibt es individuelle Motivationen und Anlässe. Explizite Anhänger der Romanserie machen häufig bei mehreren oder gar sämtlichen Allgäuer Krimi-Führungen mit. Der Status „Kluftinger-Fan“ bewegt sie zur Kumulation von empirisch generiertem Romanwissen sowie möglichst vieler und vielfältiger Authentifizierungsereignisse und seriellem Vergnügen – und wird dadurch bestätigt. Altusrieds Kluftinger-Führer Peter Klüpfel: „Es gibt auch Leute, die machen Kluftinger-Urlaub im Allgäu. Ich hab’ neulich welche gehabt, die waren eine Woche [unterwegs] auf Kluftingers Spu-

497 Certeau 1988, S. 27. 498 Ethnografisches Interview mit Karin Märkle (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 499 Ethnografisches Interview mit Lothar Märkle (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 500 Gebhard/Geisler/Schröter 2007, S. 13.

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ren.“501 Ein Krimi-Tourist wanderte 2012 mit seiner Familie bei der „Seegrund“Führung mit, im Sommerurlaub 2013 nahm er an der Kemptener KluftingerFührung teil, zwei Tage später an jener durch Altusried. Er beschreibt sich selbst als Kluftinger-Fan. Seine mehrfachen Aufwendungen als solcher erlauben ihm eine stete Variation seines Allgäu-Gebrauchs. Er sagt: „Der Alatsee, die Führung, lebt von der Uhrzeit auch, weil’s abends ist. Und g’rad jetzt tagsüber hat der Alatsee weniger dieses Flair als abends. In diese Dunkelheit da reinzugehen und mit Taschenlampen dann um den Alatsee herumzugehen, das hat nochmal wirklich ’ne andere Aussagekraft oder kommt anders rüber, als wenn man das jetzt tagsüber machen würde. […] In Kempten – das war auch sehr angenehm –, haben wir allerdings ’ne Privat-Führung gemacht, weil’s ein Geburtstagsgeschenk war. Und das war auch toll, dann die Stadt Kempten zu sehen, g’rad so die Altstadt. Und da hat’s auch da der Führer sehr schön gemacht, auch die – in dem Falle uns – Gäste miteingebunden. Das macht der dann immer so, dass auch jeder eine Textpassage liest. Der eine als Kluftinger, der andere dann als Erika und, und, und. Und das auch jeweils an den verschiedenen Schauplätzen, wie sie in den Büchern vorkommen. Und das hat da auf jeden Fall auch richtig Spaß gemacht. Und [in Altusried] ist natürlich auch das Besondere vielleicht, dass es der Vater von dem einen Autor macht. Das hat dann auch nochmal ’nen gewissen Reiz.“502

Einmal steht die Wahrnehmung einer besonders gestimmten Umgebung im Vordergrund, einmal Amüsement durch bewusst getätigte eigene Performanz, ein drittes Mal die Subjektauthentizitätserfahrung503 in der Begegnung mit dem als wahrhaftiger Allgäuer auftretenden Führungsleiter Peter Klüpfel im Zentrum seines Erlebniskonsums. An Verwertungsweisen der Krimi-Führungen und ihrer Narrative existieren so viele wie Besucher. Ihren je unterschiedlichen Teilnahmemotivationen entsprechend tarieren diese ihre subjektiven Spielarten von Allgäu aus. Scheinbar gängiges Muster ist: Teilnehmer beschreiben das literarische Allgäu als „sehr schön“, sehen sich veranlasst, „einfach des mal zu sehen: die Berge, wovon der

501 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 24.08.2013. 502 Ethnografisches Interview mit Ingmar Krause (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 503 Knaller 2007, S. 22f.

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Kluftinger eben so schwärmt, und seine Landschaft und seine Heimat“504 – und verfolgen während einer Führung eine Raumwahrnehmung, die sich auf eine solche prototypische, makellos voralpine Umgebung konzentriert. Solche Teilnahme-Zwecke können sich mit anderen verbinden. Die eben zitierte Niederbayerin macht im Verbund eines Frauen-Quartetts bei einer KrimiFührung mit. Die Teilnahme dient der Pflege sozialer und familiärer Beziehungen und ist ein Präsent für die Schwester: „Sie wohnt im Schwarzwald. Und dann hab’ i mir gedacht, des wär eigentlich so in der Mitte, da könnten wir uns hier treffen, und ich schenk’ ihr sowas zum Geburtstag.“505 Eine Kombination des Kluftinger-Interesses mit anderen Buchungsanlässen kann sich laut Simone Zehnpfennig aber auch als genusshemmend erweisen: „Wir hatten einen Reisebusunternehmer, der hat a Muttertags-Tour als Kluftinger-Tour mit ausgewiesen. Des [Publikum] war so halb-halb, halb Kluftinger, halb anderes. Des war überhaupt nix. […] Und der wollte als Kaffeefahrt unbedingt, weil er, der Busunternehmer und Reiseveranstalter, selber so großer Kluftinger-Fan war, dass mir in Altusried zum Beispiel Kaffee trinken. Muttertag is’ ja im Mai. Jetzt war’s im Mai richtig kalt, so dass wir unten in die Freilichtbühne reingegangen sind, und des war einfach furchtbar [...]. Und wenn die dann nicht Fan sind, und des reichen schon an Drittel, die nix mi’m Kluftinger zu tun hatten, [...] dann war die Busfahrt scho’ für die ein Drittel daneben [...]. Also es sollten immer richtige Kluftinger-Fans sein. Sonst is’ es dann für die eher langweilig, wenn mer zu sehr auf des eingeht.“506

Obwohl die Koordinatorin der Unterallgäuer Gästebegleitung besagte Veranstaltung als Misserfolg wertet, zeigt diese exemplarisch weitere akteursspezifische Inanspruchnahmen des arrangierten Allgäu-Konzepts: Das Krimi-Produkt wird eigenmächtig auf das Motto „Muttertag“ adaptiert – und teilweise undiszipliniert weil gelangweilt unterlaufen. Auch Volkshochschulgruppen integrieren Krimi-Führungen in ihr Kursangebot, um Fiktion und erlebbare Region literaturwissenschaftlich zu analysieren. Zehnpfennig: „Manche nehmen des richtig auseinander.“507 Laut Kemptens

504 Ethnografisches Interview mit Josefine Leiß (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 505 Ebd. 506 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 20.04.2013. 507 Ebd.

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Krimiführerin Theresia Wölfle sind die meisten Teilnehmer auf Kurzweil und Ergötzlichkeit aus: „Also der überwiegende Teil will einfach unterhalten sein. Die wollen zwei schöne Stunden ham, wo se unterhalten sind, wo se lachen können. Sie wollen net groß drüber nachdenken, sie wollen einfach an schönen Tag ham, oft mit dem Abschluss KässpatzenEssen. Ja, einfach das G’mütliche muss da im Vordergrund stehen.“508

Aber auch das dient individueller Bedarfsbefriedigung – und ist eine im Sinne de Certeaus eigennützige und aktive Gebrauchstaktik. Bei wieder anderen Kunden tritt das Nacherleben literarischer Räume nahezu völlig in den Hintergrund. Das kommerzielle Gut Krimi-Führung bietet auch eine Plattform für gruppeninterne Interaktionen – wenn z.B. Geburtstage während einer Tour zelebriert werden. Das Kluftinger-Allgäu wird dann zur Benutzeroberfläche von Feierlichkeiten umfunktioniert, das touristische Konzept semantisch neu besetzt. Die Veranstalterin der Krimi-Bustouren nennt solche eigeninitiativen Bedeutungstransfers durch die Verbraucher: „Und dann hatt’ i scho welche, die hatten vorher irgendwann mal Geburtstag und ham [das] dann im Kreis der Familie ihr’m Opa, ihrer Schwester, ihrer irgendwas, g’schenkt. Und die kommen dann später zur Tour und dann is’ das wie so a Art Nachfeiern mit Mittagessen oder Kaffeetrinken zwischendurch. Und die nächste, die ich hab’, des is’ auch richtig groß. Die krieg’n an Bus aus der Nähe von München. Und da sind’s 40. [...] Und vor der Tour graust’s mer scho, weil des is’ so [eine] verlängerte Geburtstagsfeier, dann kommst immer net weg. Und da is’ es aber auch so, da steht oftmals eher die Geselligkeit im Vordergrund und nur die witzigen Sachen.“509

Auch das Führungsangebot am Alatsee wird mitunter nach den Wünschen der Konsumenten, z.B. eines ausgeprägteren Eventcharakters wegen, modifiziert, wie Erih Gößler sagt: „Also es gibt Leut’, die sagen, nee, sie wollen nicht so lange laufen, fang’ mer doch am Alatsee an. Die hab ich sogar gehabt für einen runden Geburtstag, des war ein Füssener, die ham dann eine Taucherpuppe hingelegt im schwarzen Taucheranzug an die Stelle [die dem literarischen Leichenfundort entspricht, KL]. Da gab’s dann im Wald so’n Sektemp-

508 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 509 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 20.04.2013.

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fang für die Gruppe. Mit Fackeln, da ham se gleich schon im Dunkeln dann sich verabredet. Des war dann also ganz mystisch. Oder dass Leut’ erstmal Kässpatzen essen gehen und dann anschließend die Runde um den See machen. Und ganz unterschiedliche Buchungen. Mer kann’s ja dann auch tagsüber machen, je nachdem, wie se’s gerne möchten.“510

Auch Sehbehinderte buchen Kluftinger-Rundgänge. Ihre physischen Einschränkungen führen zu spezifischen Rhetoriken des Umhergehens im Raum und zu besonders einschneidenden Umformungen des touristisch designten Erstprodukts Krimi-Führung: „Für a blinde Personengruppe hot mer mal a Kommissar-Kluftinger-Führung g’macht. Des isch natürlich dann a Herausforderung für die Stadtführerin g’wesen, aber die hat des gut g’meistert. Also die hat dann einfach a Einführung geben im Café Arte bei uns im Allgäu-Museum. Da hat se dann erst a mal die Ruhe g’habt, dass jeder Platz nehmen kann, und erst die Figur erklärt und alles. Und da muss mer sich natürlich scho’ umstellen, dass mer zum Beispiel sehr viel drauf eingeht: Was kann i tasten? Was kann i fühlen? Solche Sachen. Mer muss natürlich wesentlich mehr erklären als [für] die Personen, die das Ganze auch sehen können. Aber es hat dann ganz gut funktioniert [...]. Aber des sind natürlich dann besondere Herausforderungen, wo i natürlich von mei’m Konzept und von mei’m vorgegebenen Rundkurs scho’ a wen’g abweichen muss“511,

sagt die Kemptener Stadtführungskoordinatorin Tanja Beggel. Wenn das sinnliche Wahrnehmungsspektrum fehlt, entfallen sämtliche visuelle Komponenten bei der Synthese des individuellen Krimi-Allgäus. Das verursacht zwangsläufig ein Fragmentieren, Außerachtlassen(müssen) und Auswählen unter den Bestandteilen der literarisch aufgeladenen Stadt. Aber Menschen ohne Gesichtssinn sind ebenso wenig wie sehende Teilnehmer dirigierte Kunden. Auch sie kreieren ihr je eigenes Allgäu mit je eigenen Taktiken – unabhängig von optischen Anreizen. Bisweilen schlägt die Kreativität der Verbraucher in trotzige Ablehnung um und bewegt die kommerziellen Veräußerer dazu, ihr Produktangebot durch ein anderes zu ersetzen. Die Kemptener Tourist Information hatte laut Beggel unter ihren Krimi-Gästen

510 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, 14.06.2013. 511 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten, am 14.02.2013.

294 | ALLGÄU RELOADED „scho’ mal a Schülergruppe g’habt, des war au’ ganz, ganz interessant. A Schülergruppe hat die Kommissar-Kluftinger-Führung gebucht, wahrscheinlich, weil der Lehrer die Bücher g’lesen hat und des lustig g’funda hat. Und da isch aber diese Art von Humor bei den Schülern überhaupt net angekommen. Überhaupt net. Der Krimi-Führer hat dann anschließend abgebrochen und dann a normale Stadtführung draus g’macht, weil die mit dieser Person, mit diesem Krimi, mit diesem Lokalkolorit eigentlich gar nix anfangen konnten.“512

Die Füssener Krimi-Führerin Erih Gößler fasst die Struktur ihres Publikums und damit seine divergierenden Anwendungen der Ware Krimi-Tour so zusammen: „’s gibt Leut’, die können sich nicht loseisen von ihr’m Beruf, die dann mit irgendwelchen andern da ständig über was weiß ich welche Probleme reden, und andere, die das von vornerein sehen und genießen, und wieder andere, die mer erst ’n bisschen anstupfen muss, damit se die Augen aufmachen [lacht] und den Mund zu. Also es is’ immer ganz spannend, weil des sind immer ganz unterschiedliche Leute und Gruppen, unterschiedliche Menschen, auf die mer trifft. Des is’ jedes Mal a Experiment.“513

Krimi-Tourismus macht auf der Mikroebene das machtvolle Agieren von Raumbenutzern und die Diversität von Petitionen, die an die branchenübergreifend einsatzfähige und gegenwärtig florierende Projektionsfläche „Region“ herangetragen werden, sichtbar. Krimi-Tourismus ist – kulturell vorgeprägtes – Brennglas, das einflussreiche Konsumenten beim Entdecken und Skizzieren von Räumen beobachtbar macht. Ihr Begehen von Literaturräumen integriert und bedingt ihr Mokieren, ihre Freude und ihre Kommunikation mit Mitgehenden und ist nicht nur Fortbewegungsmittel zum Zweck, sondern soziale Aktivität514 und damit raumerzeugende Praxis. Im bereisbaren Kluftinger-Kosmos kollaborieren Touristiker und Touristen. Fremdenverkehrsämter und -verbände bringen das Produkt Literaturerlebnis auf den Markt und stellen es als semantischen Voranschlag zur konsumtiven Verfügung. Sie bestimmen Strecken, reichern Geografien mit Narrationen an und regulieren Allgäuer Raum. Die Führungsteilnehmer sind nicht nur Abnehmer, sondern als Mitgestalter und Entwickler in den literarischen und symbolischen Aufladungsprozess der Region involviert. Zwar sind ihnen Handlungsanleitung und Drehbuch anempfohlen, doch die Interpretation bleibt ihnen überlassen: Sie

512 Ebd. 513 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, 14.06.2013. 514 Ingold/Vergunst 2009 (b), S. 1-2.

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bewegen sich konform zur normativen Ordnung des populärkulturellen Systems „Literatur-Führung“, sie verbleiben in kulturell eingelernten Rollenschemata von touristischen Kunden. Aber sie unterwerfen sich nicht reflexhaft räumlichen Sinnparolen. Sie bestätigen, verwerfen oder ersinnen Signifikationen von Schauplätzen. Sie bespielen das zur Krimi-Destination ausgerufene Terrain und (er-)finden auf vorgegebenen Kluftinger-Routen eigene Wege. Im Begehen und Befahren von Orten ignorieren und erinnern, prüfen und beglaubigen sie. KrimiTouristen widersetzen sich der thematischen Ausschreibung der Rundgänge oder ordnen sie einem anderen Motto unter, sträuben sich gegen proklamierte Zuschreibungen an die Region oder nisten sich bewusst in positiv konnotierte Allgäuer Bildwelten ein, wühlen nach dem Echten, reaktivieren Altbekanntes, verquicken, lesen aus und sortieren neu. Erst ihr kunstvolles Aushandeln realisiert die literarisch eingefärbte Destination, erst performatives Agieren und subjektives Transformieren ins selbst mitbestimmte Bildhafte beleben das vorkonzipierte Allgäu. Wofür Raymond Lucas mit Charles Baudelaire und Walter Benjamin den urbanen Charakter des Flâneurs prädestiniert sieht (und so eine distinktive Hierarchie von sich Fortbewegenden entwirft), muss also durchaus auch dem Touristen im Ländlichen zugetraut werden: das kunstvolle Interagieren mit der Umgebung und eine schöpferisch-ästhetische Eigenproduktion im Gehen. „The flâneur [Hervorhebung i. O.] inscribes upon the city, writing rather than reading it. This is an important distinction: his spectatorship is an active one, which imposes his will upon the city streets, creating a narrative as he goes along. […] It is important to understand that practices of reception can be as creative as those that inscribe in the first place.“515

Die Verknüpfung von Raumbauelementen – materielle Bestände, immaterielle Kulturversatzstücke, Atmosphären, symbolische Repertoires – ist „an menschliche Aktivität gebunden“516: sowohl von Vorbereitern als auch Benutzern. Und sowohl Kluftinger-Fans als auch Kluftinger-Laien verfügen infolgedessen über Gestaltungs- und Deutungsmacht: Die „finale Produktion“517 der Destination Allgäu und speziell der Ware Literaturführung erfolgt erst im aktiven Zutun der Krimi-Touristen selbst. Sie nutzen, sondern und bevorzugen divergierende Kon-

515 Raymon Lucas: ‚Taking a Line for a Walk‘: Walking as an Aesthetic Practice. In: Ingold/Vergunst 2009 (a), S. 169-184, hier S. 171. 516 Löw 2001, S. 224. 517 Wöhler 2011, S. 65.

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stitutionselemente für den Entwurf ihrer erlebten Räume: Ihre Synthesen sind je verschieden. So entstehen Mehrdeutigkeiten. Krimi-Tourismus provoziert neue Allgäu-Versionen, Kluftinger-Führungen sind Multiplikationsmedien von Region. Diese wird gemäß unterschiedlichen Präferenzen, Erwartungen und Vorurteilen, die auch von den vorkonzipierten Raumrepräsentationen und wirkmächtigen Emblemen der Tourismusindustrie und der Marktwirtschaft der populären Künste geschürt und tangiert sein können, maßgeschneidert und gelebt. Die besuchten Krimi-Schauplätze werden zu Zentren oder Eckpunkten sich überlagernder Nutzerräume. An den einzelnen Orten kreuzen sich so viele Allgäu-Narrative, wie ihre Benutzer aushandeln. Diese Raumkonstrukte sind Resultat individueller Produktionen und können sich der Lesbarkeit anderer verweigern.518 Wo Kempten der einen Besucherin neu inwertgesetztes Alltagsterritorium ist, moniert der gelangweilte Schüler die für ihn fade Vorlese-Tour; während an der Ruine Kalden für die gebürtige Allgäuerin Symbolisierungen ihrer Kindheit und fiktionale Bildwelten verschmelzen, vergnügen sich andere am sich ihnen dort bietenden Ensemble klassischer Landschaftsästhetik. Die Pluralisierung, die Michel de Certeau für den Umgang eigenmächtiger Akteure mit urbanen Systemen feststellt, gilt auch für die Aneignung der semantisch aufgeladenen Kategorie Region und der vermeintlichen Einheit Allgäu: Das aktive, taktierende, mitunter querlaufende und unfügsame Umhergehen der Krimi-Touristen kommt einem „Herumirren“ gleich, „das die Stadt [hier: den Raum] vervielfacht und verstärkt [Hervorhebung: KL]“519. Im Operationspotenzial all seiner Akteure demonstriert Literaturtourismus in Altusried, Kempten oder Füssen die Veränderlichkeit von Räumen. Und er ist Beispiel für die durch multiples Engagement vollzogene Herstellung von Destinationen. 3.3.3.9 Erleben Mit dem Medienwechsel des Kluftinger-Stoffs ändert sich der Modus seines Konsums: Performer ersetzen imaginierende Romanrezipienten. Sie schmecken Käse, sehen Kühe, verknüpfen Raumrealitäten in körperlicher Anwesenheit – was für die Spezifik ihrer ästhetischen Erfahrung maßgeblich ist. Der Kultursoziologe Andreas Reckwitz betont die stets auch sinnlichen Qualitäten von sozialen Praktiken und das empfindungsaktivierende Potenzial von verräumlichten Konstellationen.520 Genauso, wie bei der Analyse gesellschaftlichen Handelns

518 Certeau 1988, S. 206. 519 Ebd., S. 197. 520 Andreas Reckwitz: Affective Spaces: A Praxeological Outlook. In: Rethinking History: The Journal of Theory and Practice. 16 (2012), H. 2, S. 241-258.

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(also etwa der performativen Herstellung touristischer Destinationen) die Involvierung des menschlichen Sensoriums mitzudenken ist, komplettiert auch erst die Auseinandersetzung mit der emotionalen Ebene und Wahrnehmungsaspekten die Untersuchung von Raumkonstruktionsprozessen: „Affections can […] emerge and are in fact much more likely to emerge within comprehensive threedimensional settings comprising extensive arrangements of artefacts within which human bodies move.“ 521 Krimi-Tourismusräume sind „affective spaces“ 522 : Mit ihren Artefakten und Symbolen wirken sie sensuell stimulierend. Von ihren Benutzern werden sie über Gemütsregungen jenseits kongnitiver Verfahren wahrgenommen, angeeignet und reproduziert. Zu den Allgäu-Konstruktionspraktiken der Krimi-Touristen in der Kartause Buxheim zählen z.B. solche taktiler Art: Sie „wollen des Kluftinger-Denkmal sehen“, sagt der Heimatdienst-Vorsitzende Hans Haugg (er meint damit die in den Erntedank-Plot verquickte Schnitzfigur im Chorgestühl des Klosters), „und vielleicht au’ streicheln [Hervorhebung: KL]“523. Wenn Guide Erih Gößler bei der „Seegrund“-Führung über die Gipsvorkommen der Umgebung spricht, reicht sie ihrer Gruppe Steine zum Befühlen, instruiert sie, diese gegeneinander zu schlagen und den ausströmenden Gestank zu identifizieren und weist im Verlauf der Wanderung auf die Schwefelquellen und ihren latenten Schwefelgeruch im Faulenbacher Tal hin.524 Wenn Krimi-Führer Peter Klüpfel die Teilnehmer ins erste Stockwerk der früheren Altusrieder Volksschule bringt, kommentiert er die enorme Geräuschkulisse so: „Ein schönes Knarren, das macht die Treppe schon seit 100 Jahren“525, auf dem Weg zur Altusrieder Freilichtbühne rauscht ein Bach, genauso bei der Krimi-Führung „Seegrund“ – ein Teilnehmer bewertet das ironisch-anerkennend mit „Ramontisch [sic]!“526, bei der Umrundung des Alatsees ist es bis auf die Dämmerungspolyphonie naturräumlicher Provenienz aus Grillengezirp oder Froschquaken völlig still,527 auf dem Rückweg zum Wanderparkplatz dringt Kuhglockengeläut aus dem Dunkel.528 Und bei sämtlichen Kri-

521 Ebd., S. 253. 522 Ebd., S. 254. 523 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 524 Feldtagebuch von der Krimi-Führung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 525 Feldtagebuch von der Krimi-Führung „Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2013. 526 Feldtagebuch von der Krimi-Führung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 527 Ebd. 528 Mitschnitt während der Krimi-Führung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013.

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mi-Tourismus-Angeboten ist das Thema Kulinarik von besonderer Relevanz: Sofern ein gemeinsames Kässpatzen-Mahl, d.h. der Verzehr des als typisch allgäuerisch kommunizierten Lieblingsessens des fiktiven Romankommissars, nicht ohnehin ins Touren-Programm integriert ist oder als Touren-Abschluss gebucht werden kann, wissen die Krimi-Führungsleiter von zahlreichen Teilnehmern zu berichten, die ihre literaturinduzierte Einkehr als Einstimmung vor der Führung privat organisieren oder nach Veranstaltungsende um Gasthaus-Tipps für ein Kässpatzen-Essen bitten.529 Im Interview erklärt eine von diesen, warum: Woanders schmecke das Gericht nicht so gut wie im Allgäu. Grund: Die dazu notwendige Käsesorte könne man in der eigenen Heimatregion nicht bekommen. KL: „Den Bergkäse?“ Karin Märkle: „Na, den Weißlacker. Des isch ja der beste Kässpatza-Käse.“530

Beim mittäglichen Stopp der Bustour der Unterallgäuer Gästebegleiter im Wirtshaus Schweighart in Kronburg steht es den Teilnehmern frei, auf der Speisekarte ein anderes Gericht zu wählen. Bei der Erhebung des Datenmaterials für diese Studie verlangte jedoch nahezu keiner aus der vollen Doppeldecker-Busbesetzung nach einer Alternative zum kulinarischen Favoriten des Romanhelden – lediglich ein Mitfahrer bestellte sich Braten.531 Diese Quote ist nach Auskunft von Organisatorin Simone Zehnpfennig weder Ausnahme noch außergewöhnlich, auch nicht bei Gruppen aus dem süddeutschen oder Alpenraum, denen Kluftingers Leibgericht nicht als Novum auf dem Teller erscheinen sollte: „Mich wundert’s, dass die alle Kässpatzen essen wollen. […] Das is’ für die kultig.“532 Und auch Krimi-Touristen, die die Gastwirtschaft unabhängig von den organi-

529 Interviews mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, und Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 24.08.2013 und 14.06.2013. 530 Ethnografisches Interview mit Karin Märkle (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 531 Feldtagebuch von der Kluftinger-Bustour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 532 Interview mit Simone Zehnpfennig, Initiatorin der Unterallgäuer Gästebegleiter, am 20.04.2013.

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sierten kommerziellen Touren aufsuchen, „wollen dann eigentlich au’ die Kässpätzle essen“533, sagt der Inhaber. Für jene, die nach dem Krimi-Rundgang durch Kempten mit zum (nicht obligatorischen) Kässpatzen-Essen in die Brauereigaststätte Zum Stift gehen, ist es laut Stadtführerin Theresia Wölfle „ganz, ganz wichtig, dass sie eben des au’ essen, was der Kluftinger essen würde“534. Sogar bei der Lesung von Schutzpatron auf der Altusrieder Freilichtbühne, der Allgäu-Premiere des Romans, wurde den 2000 Zuschauern ein aromenvermitteltes und affektives Allgäu-Erleben ermöglicht: Aus 30 Kilogramm Zwiebeln, 50 Kilogramm Mehl und 500 Eiern bereiteten Köchinnen zwischen 500 und 600 Portionen Kässpatzen zu.535 Die Teigwaren werden medial als prototypische „kulinarische Allgäukultur“536 vermarktet. Besonders beim KrimiTourismus an literarischen Schauplätzen sind sie unverzichtbares, sinnlich und emotional anregendes Instrumentarium zum Zusammenbau von Allgäu. Denn die Krimi-Destination ist auch Genussregion. Der erlebbare Kluftinger-Kosmos wird über visuell, haptisch, olfaktorisch, auditiv und gustatorisch nutzbare Komponenten inszeniert; die Krimi-TourenVerbraucher fügen ihr je eigenes Allgäu über Prozesse des Sehens, Tastens, Riechens, Hörens und Schmeckens zusammen. Das körperliche Spüren dessen, was platzierte Materialbestände und Lebewesen aussenden, ist nämlich für Martina Löw ebenso raumproduzierendes Agieren: „Die alltägliche Konstitution von Räumen geht mit Wahrnehmungen einher, die sowohl auf der Außenwirkung der sozialen Güter und anderer Menschen basieren als auch auf der Wahrnehmungsaktivität des Konstituierenden.“537 Die Attraktivität von Krimi-Führungen bemisst sich in ihrem Einbezug der Teilnehmer in eine Raumgestaltung, die nicht lediglich auf okular Vermitteltes oder die verbal überbrachte Narration der Guides beschränkt ist. Während die mentale Allgäu-Genese bei der Buchrezeption vor einem inneren Auge stattfin-

533 Ethnografisches Interview mit Florian Schweighart, Braumeister und Inhaber der Brauerei und Gastwirtschaft Schweighart (zur Krone) in Kronburg während der Kluftinger-Bustour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 534 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 535 Bergheimat. Kobr, Klüpfel, Kluftinger und ihr Allgäu. Eine Geschichte zwischen Alpin-Idyll, Heimatverbundenheit, Verbrechen, Bestseller-Ruhm und Lokalkolorit. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 06.01.2012. 536 Geld und Leben: Allgäu-Krimi. Auf den Spuren von Kommissar Kluftinger. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 27.02.2014. 537 Löw 2001, S. 197.

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det, erfühlen körperlich an Schauplätzen anwesende Touristen das Baumaterial für die erlebte Region – Kemptener Verkehrslärm, Augusthitze, Regengeruch und den Schweiß der wandernden Ertüchtigung – mit allen Sinnen. Für Hartmut Böhme existiert Raum überhaupt erst durch körperliche Präsenz und Bewegung – sein Konzept scheint also unzureichend für die Analyse fiktionaler Literaturräume, wo Phänomene nur imaginiert, aber nicht leiblich erfahren werden können: „Die Bewegungen, die wir mit unserem Körper und als Körper im Raum vollziehen – auch die technisch ermöglichten –, erschließen erst das, was wir historisch, kulturell, individuell als Raum verstehen. […] Bewegt sich nichts und bewege ich mich nicht, ist kein Raum. Raum wird also aufgespreitet und ausgerichtet primär durch Bewegung.“538

Jedoch macht seine performanzdeterminierte Raumidee das tätige Sensorium essenziell für die Produktion und Erfahrung lebensweltlicher räumlicher Gebilde. Wo der sinnliche Apparat des Menschen in Turbulenzen gerät und maximal gefordert wird, wo kinästhetisches Empfinden und Gleichgewicht außer Kraft gesetzt sind, nur noch Stille, akustisches Rauschen, optische Homogenität in Weiß oder das unsichtbare Schwarze herrschen, lassen sich laut Böhme weder Relationen mehr eruieren noch Konturen ausmachen, ist das Differenzierungsvermögen ausgeschaltet – und damit jegliches Verräumlichen unmöglich. „In den Grenzzonen aller Sinne begegnet deswegen nicht das Anästhetische […], sondern ein äußerstes Gewahrwerden, das in Besinnungslosigkeit umschlägt, eine Art Anästhesie bei höchster Ästhesie. Das ist ein Weltuntergang. Die Welt, die sich in einem Punkt, einem Reiz ununterscheidbar zusammenzieht, fließt ab, sie verdünnt sich zu einer Raumlosigkeit, in der einzig nur eines zu spüren heißt, nichts mehr wahrzunehmen.“539

Dass sensorischer Überforderung demnach aber nicht nur Enträumlichung folgt, sondern mitunter auch die völlige Desorientierung, Einbuße der Selbstverortung, Depersonalisierung540 und Irrelevanz des Ich im Nichts, macht die begehbaren Krimi-Räume zweifach bedeutend: Weil sensuell hergestellt, fördern sie eine Regulierung des Ich über Sinnlichkeit. Mit dem Wahrnehmen von Erscheinun-

538 Hartmut Böhme: Raum – Bewegung – Grenzzustände der Sinne. In: Christina Lechtermann/Kirsten Wagner/Horst Wenzel: Möglichkeitsräume. Zur Performativität von sensorischer Wahrnehmung. Berlin 2007, S. 53-72, hier S. 58-60. 539 Ebd., S. 71. 540 Ebd., S. 70.

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gen geht Selbstpositionierung einher. In der Begegnung mit den von ihnen verräumlichten Phänomenen verorten die Führungsteilnehmer sich im KluftingerKosmos, koppeln seine Existenz an die ihre. Während der Leser nur am imaginären Allgäu mitbastelt, kann sich ein jeder Wanderer auf Kommissarsspuren im Mittelpunkt des selbstgemachten realen fühlen. Er bemisst Beziehungen, Distanzen, Nuancen im gesehenen Alpenblick, gehörten Glockengeläut, geschmeckten Käsearoma. Der erlebbare Krimi-Tourismusraum ist egozentrisch in besonderem Maß. Das bedingt seinen Reiz. Sinnentaumel, Opulenz der Wahrnehmung und sprichwörtliche Reizüberflutung garantieren schöne Erlebnisse. Im Gegensatz zur Buchlektüre kann die Intensität ihrer ästhetischen Erfahrung beim Begehen der Schauplätze aus einer Akzentuierung der Körperlichkeit geschöpft werden: Im Romankonsum dominiert die mentale Verarbeitung der Kluftinger-Narration, den Text einer Krimi-Führung ergänzen Synästhesien, physische Reize, Stimmungsadjutanten. Das öffnet seinen verkörperten Gebrauch für eine Zunahme individueller emotionaler Prozesse: „Je weniger narrative Strukturen und kognitive Anforderungen die Texte vorgeben, desto freier ist der Rezipient, in die Aneignung seine ‚Interiorität‘, d.h. bisher nicht artikulierte Elemente seiner Vorstellungs- und Gefühlswelt hineinzulegen. Auseinandersetzung mit eigener Interiorität wird so zur wichtigsten Quelle ästhetischer Erfahrung.“541

In ihrer multisensorisch ansprechenden Beschaffenheit können die verräumlichten Krimi-Führungen Affekte und Emotionen in Gang setzen, in Reckwitz’ Verständnis also „bodily reactions“, die als „enabled/restricted by interpretative schemes at the same time“542 zu begreifen sind. Die Designs der KrimiDestinationen lassen sich insofern als bereitgestellte Empfindungskomplexe einordnen, die von den Teilnehmern subjektiv sowie durch kulturell geschulte Interpretationsleistungen in Anspruch genommen werden können. GebirgsbachGegurgel, die glattpolierte Oberflächenstruktur jahrhundertealten Holzes, beißende Schwefel-Schwaden oder die Würze goldgelber Käsefäden bedienen einstudierte Gefühlsmuster und laden ein zur räumlich eingebetteten Impression von Romantik, Behaglichkeit, Schauder oder Heimeligkeit. Dabei ist AllgäuEntwürfen ihre Instruktionskompetenz zu einem spezifischen affektiven Verhalten nicht naturgegeben. Die jeweils individuelle Kluftinger-Region wird unter Einbezug ihres Sensoriums von Akteuren mitbestimmt.

541 Maase 2005, S. 289. 542 Reckwitz 2012, S. 251.

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Im spannungsgeladenen Kribbeln in Füssens dunklen Wäldern, im aufgeregten Trubel der Kemptener Einkaufsstraße, in der bierseligen Gaststube in Kronburg wird Kluftingers Kosmos unmittelbar und zum ganz Eigenen – und nicht nur Beobachteten. Das literarisch zugerichtete Allgäu liefert ein Möglichkeitsreservoir auf der Suche nach den schönen Gefühlen. Seine Objekte und Artefakte bedeuten nicht a priori, sie lassen sich einem handlungsleitenden Ästhetikbedarf nach anordnen, werten und wahrnehmen: „Man achtet darauf, wie man erlebt, und man versucht, die Umstände so zu arrangieren, daß man es schön findet.“543 Ins Lebensweltliche transformierte Kriminalroman-Räume sind insofern Indikatoren und Spielorte der von Gerhard Schulze benannten postmodernen Erlebnisgesellschaft: Mit ihren beeinflussbaren Raumofferten halten sie Tummelplätze für ein auf Erleben und die gesteigerte Evokation von Wohlgefallen hin ausgerichtetes Handeln im „Projekt des schönen Lebens“544 bereit. Für Schulze ist eine erlebnisrationale545 Lebensführung charakteristisch für die gegenwärtige gesellschaftliche Erwerbskultur. Erlebnisse werden dabei nicht als Dreingabe begrüßt, sondern sind Hauptzweck des Handelns und Konsumierens. Das Populärkulturprogramm einer Allgäuer Literaturführung bedient diesen Bedarf. Die Füssener Krimi-Führerin Erih Gößler beantwortet die Frage nach der Relevanz des Faktors „Erlebnis“ für die Gäste: „Des is’ ganz wichtig, weil das was Außergewöhnliches is’. Laufen tut mer schon, ja. Aber so in die Dämmerung hinein laufen zum einen is’ nicht so üblich, und zum anderen dann eben Geschichten hören dabei, nicht. Ungewöhnliche Geschichten, also jetzt nicht einfach so was: Geschichte – das Schloss [Neuschwanstein, KL] is’ dann und dann erbaut und Ludwig is’ dann und dann geboren und dann gestorben. Sondern andere Geschichten. Eben wie die Sagen, die sich um diese Gegend ranken. Und da kommt dann auch oft die Frage: ‚Woher kommt das? Und warum erzählt mer des so?‘ Und bei manchen Sagen kann mer auch den Ursprung finden, woher des kommt. Also einfach dieses Erlebnis, das Laufen, die Natur und dann die Erzählungen. Und mir kommen ja dann aus dem Wald direkt so an den See: ‚Ooh!‘ Auf einmal tut sich des Tal auf, und mer steht an dem See, [das ist] so [ein] Aha-Erlebnis. Und wenn ich das als normaler Mensch mach’ – ich lauf’ jetzt da durch den Wald und lauf’ zu dem See –, hat man das dann nicht so. Des is’ irgendwie a

543 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Zur Ästhetisierung des Alltagslebens. In: Dagmar Steffen (Hg.): Welche Dinge braucht der Mensch? Hintergründe, Folgen und Perspektiven der heutigen Alltagskultur. Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung. Gießen 1995, S. 38-44, hier S. 42. 544 Ebd. 545 Schulze 2000, S. 40-42.

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ganz anderes Gefühl, wenn ich mit der Gruppe geh’, und dann steh’n mir dann da alle und schau’n diesen See an [lacht]. Des is’n anderes Erlebnis. Auch ’n anderes Erlebnis als normale Wanderführungen. Weil da einfach diese Geschichten, diese Mystik dann dazu komm[en].“546

Wesentlich für die von Schulze attestierte gesteigerte Anhäufung von Erlebnismomenten ist die Innenorientierung, die diese erst hervorbringen. Während der Erfolg außenorientierten Handelns durch andere, d.h. nach objektiven Kriterien, geprüft werden kann, obliegt die Bewertung eines Produkts oder eines spezifischen Agierens als Freude bereitend dem Einzelnen: „Erlebnisse werden nicht vom Subjekt empfangen, sondern von ihm gemacht.“547 Entscheidend für die Erlebnisqualität ist nach Schulze demnach nicht nur die zur Verfügung stehende Materialbasis, sondern ihre individuelle Interpretation durch psychophysische Verknüpfungsprozesse der jeweiligen Kunden.548 Zwar können sich Subjekte „kollektiven Schematisierungen“549 öffnen und gesellschaftliche Erklärungsrahmen von z.B. Produkten der Populärkultur wie Belletristik, Sportveranstaltungen – oder Krimi-Führungen – begünstigen, jedoch herrscht beim parallel intendierten Erlebniskonsum der Vielen keine Deckungsgleichheit an Erlebnissen. Die eigeninitiative Rolle in der Erlebnisproduktion übernimmt das Subjekt eben auch in der Raumerlebnisproduktion. Die Regionenanbieter und KluftingerTouren-Veranstalter bereichern den Erlebnismarkt mit einem Vorrat an Zutaten:550 der Gelegenheit, von Wurzelwerk durchwobenen Pfaden zu folgen, Krötenscharen bei ihrer nächtlichen Wanderung zu beobachten, Salamander vor Fußgängern zu retten,551 selbst Sprechrollen in kleinen szenischen Lesungen auf der Strecke zu übernehmen oder auf dem „Weg, den der Kluftinger laufen muss, wenn er zur Freilichtbühne zur Probe muss“552, mimetisch der Literatur nachzugehen. Aber obgleich die Fremdenverkehrsbranche Erlebnisse vermarktet und anpreist: Ob das „Kopfkino“553 der Buchlektüre und seine Übertragung in kör-

546 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 547 Schulze 2000, S. 44. 548 Ebd., S. 43-48. 549 Ebd., S. 53. 550 Ebd., S. 431. 551 Feldtagebuch von der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 552 Simone Zehnpfennig, Mitschnitt während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 553 Interview mit Tanja Beggel, Organisation Führungen bei der Tourist Information Kempten am 14.02.2013.

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perlich Erfahrbares für positiv befunden werden und damit das ästhetische Gütesiegel „Erlebnis“ tragen können, ist im kultursoziologischen Verständnis Sache der Regionennachfrager und nicht der -lieferanten. Eine Krimi-Führungsorganisatorin formuliert ein mögliches Qualitätskriterium: „Dieses Imaginäre wird natürlich dann vielleicht übertroffen oder aber macht sich Enttäuschung breit. Je nachdem, was für a Erwartungshaltung jeder für sich hat und welche Bilder dann au’ vorher im Kopf entstanden sind.“554 Krimi-Touristen folgen so nicht nur dem Imperativ westlicher Industriegesellschaften – „Erlebe dein Leben!“555 –, sondern agieren, diese Vorgabe spezifizierend, auch nach der Maxime: „Erlebe dein Allgäu!“ In Altusried, Kempten oder Füssen werden aus vormals nur ideellen Räumen transformierte Erlebniswelten veräußert. Aber erst das multisensuell aufnehmende, symbolisch (de)codierende, emotional berührte Subjekt, das Allgäuer Sommerwiesen riecht, sich mit der bodenständig-alpin konnotierten Mahlzeit auch Geborgenheit servieren lässt und sich in einer berggipfelumrahmten Wunderkammer naturnah aufgehoben fühlt, ist imstande, das Konsumprodukt als Situation des Extraordinären556 anzuerkennen. Das Regionale boomt, Allgäu-Erleben ist reizvoll – durch den kulturell assistierten, aber im Bewusstsein des Einzelnen erfüllten Wunsch nach dem Schönen. 3.3.3.10 Reklame Es bleibt nicht bei Übersetzungen der Romane in touristisch veräußerbare Erlebnisgüter. Kluftinger erweist sich als polyvalent. Die Buchfigur weckt als vielversprechende Botschafterfigur bei verschiedenen Akteuren und Institutionen Begehrlichkeiten. Michael Kobr sieht den fiktiven Kommissar zum eigenen Unbehagen ein „Eigenleben“ und sich „in den Köpfen der Leute“ zum „Allgemeingut“ entwickeln: Jeder wolle noch sein „Scherflein“ vom Erfolg abbekommen.557 Kobr berichtet etwa von einer Bäckerei, die Semmeln als Kluftis angeboten hat, und vom Kimratshofener Milchwerk, das sich auf seiner Homepage als Die Kluftinger Molkerei in Szene setzte.558 Die Autoren beriefen sich auf ihr Markenrecht und wehrten sich dagegen. Kobr:

554 Ebd. 555 Schulze 2000, S. 33. 556 Ronald Hitzler: „Ein bißchen Spaß muß sein!“ Zur Konstruktion kultureller Erlebniswelten. In: Winfried Gebhardt/Ders./Michaela Pfadenhauer (Hg.): Events. Soziologie des Außergewöhnlichen. Opladen 2000, S. 401-412, hier S. 401. 557 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 558 Ebd.

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„Und na hammer halt hing’schrieben und g’sagt, wär’ halt ganz nett, wemmer sowas wüssten. Und mir möchten halt für keine Lebensmittel oder was weiß i für irgendwelche Produkte Werbung machen und ob se’s bitte halt lassen würden. Oder irgendwie halt. Also mir ham dann au’ no’ vorg’schlagen – da [in der Kimratshofener Käserei] isch tatsächlich der Film [zu Milchgeld] gedreht worden [während der Roman selbst im Krugzeller Milchwerk spielt] –, und na hammer g’sagt, schreibt’s halt hin: Der Original-Schauplatz aus den Filmen. Oder irgendsowas. Dann hammer ’ne ganz verschnupfte Mail zurück bekommen, und da war’n se beleidigt.“559

Inzwischen führt die Online-Präsenz der Allgäu Milch Käse eG nur noch im Menüpunkt Aktuelles eine Meldung vom 4. April 2012 auf: Sie berichtet von Dreharbeiten und zitiert Käsermeister Hubert Dennenmoser: „Nicht nur der beste Käse, auch die besten Krimis kommen aus dem Allgäu!“560 Auch gegen einen Schweizer Reiseveranstalter, der Kluftinger-Touren anbieten wollte und unerlaubt mit dem Kommissaren-Logo warb, wurde rechtlich vorgegangen und eine Abmahnungsgebühr erzwungen.561 Gruppierungen wenden sich an die Autoren, weil sie um Segnung durch die Buchfigur buhlen und sich durch eine Kluftingerisierung der eigenen Sache einen Popularitätsanstieg erhoffen: Die Bürgerinitiative gegen Windkraft hat schon angeklopft und die Moor-Allianz bat laut Klüpfel: „Macht’s mal a Moorleiche!“562 Simone Zehnpfennig erhält als PR-Chefin der Allgäu GmbH Vermittlungsgesuche, denen an einer möglichst preiswerten Reklame über eine Symbiose mit der Literatur gelegen ist. So habe das Tagungs- und Managementzentrum Schloss Lautrach sich bei ihr erkundigt, was zu tun sei, damit die Autoren dort eine Lesung hielten oder das Schloss in einen Roman miteinbezögen – anstatt ihnen direkt ein Preisangebot zu machen. „Die gehen immer davon aus, dass des

559 Ebd. 560 Allgäu Milch Käse eG: Kommissar Kluftinger ermittelt bei der Allgäu Milch eG: http://www.emmentalerwerk.de/aktuell/news/33-kommissar-kluftinger-ermittelt-bei -der-allgaeu-milch-eg.html (Zugriff: 09.12.2014). 561 Interviews mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013 und am 20.04.2013. 562 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013.

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relativ günstig oder kostenlos is’, is’ es aber net“563, sagt Zehnpfennig. Sie nennt ein weiteres Beispiel für eine geplante Indienstnahme des literarischen Rohstoffs: „Des war damals noch Allgäu-Milch, heute is’ es Arla [sie meint eigentlich das von 1901 bis 2011 existierende Milchverarbeitungsunternehmen Allgäuland-Käsereien GmbH mit Sitz in Ahegg bei Wangen im Allgäu, das später von der schwedisch-dänischen Molkereigenossenschaft Arla Foods übernommen wurde, KL]. […] Und dann ham die mi’ au’ ang’rufen, ham g’sagt, sie würden gern für ihre Bauern – weil die Bauern sind ja Gesellschafter der Allgäu-Milch – mal ’n’Abend machen. Da ging’s um den Milchpreis. Also tatsächlich ums Milchgeld. Und dann ham se g’sagt: ‚Wir hätten gern, dass die Autoren uns aus’m Buch Milchgeld lesen.‘ Und dann hab i die E-Mail weiterg’schickt, und dann sagen die: ‚Ah, die ham bei uns au’ scho’ g’fragt, die war’n nur net mit unser’m Preis einverstanden.‘“564

Der Regionendachverband selbst macht sich wie beschrieben den Ruhm der Literatur durch Anleitungen zum Krimitourismus mit der Karte Mörderisch spannendes Allgäu zunutze. Aber schon 2006 kooperierte die damalige Allgäu Marketing GmbH mit Autoren und Buchhandel: Bei sogenannten Roadshows bereiste ein Bus süddeutsche Städte, Musiker und Trachtenträger bewarben in den Fußgängerzonen die Marke und Destination Allgäu, Flyer wurden verteilt, Buchhandlungen waren dazu angehalten, Fenster allgäugerecht mit Krimis von Klüpfel und Kobr sowie von Nicola Förg zu dekorieren, und beim dazugehörigen Gewinnspiel lockte ein Hotelwochenende im Allgäu mit Krimi-AutorenLesung. Außerdem wurden Allgäu-Rucksäcke für Wander- und PromotionAktionen mit Romanexemplaren bestückt.565 Später platzierte die Allgäu GmbH ein Lesezeichen in den Buchausgaben der Kluftinger-Krimis und eine ImageAnzeige im 2011 im Piper-Verlag erschienenen Schutzpatron. Das Reklamebild zeigt Neuschwanstein vor Nebeldunstschwaden und Gebirgskulisse, ist mit „Eine Landschaft voller Märchen“566 überschrieben und vom blauen Logo mit All-

563 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013. 564 Ebd. 565 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013. 566 Schutzpatron, S. 350.

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gäu-Schriftzug und der Internetadresse des Verbands gesäumt – für die Destination eine nahezu aufwandsfreie Kampagne mit einer Auflage von über einer Million: Für Druck und Vertrieb kam der Buchverlag auf.567 Win-Win, sagt Simone Zehnpfennig: „Die Synergieeffekte sind halt hoch. Des Allgäu ist beliebt, des ist die beliebteste Ferienregion. […] Dann ist des natürlich ’ne gute Symbiose. Der Piper-Verlag sitzt ja in München, ist also auch in Bayern verhaftet, und dann […] passt des für die. Für uns natürlich auch, klar. Besser kann’s net gehen. Also wir profitieren umgekehrt natürlich enorm.“568

Die Dachmarke und Urlaubsregion Allgäu etikettiert und vermarktet vielfach regionale kulinarische Spezialitäten und Genussmittel – wie den Bergkäse samt seinem emotionalen Beiwerk aus Tradition und Natürlichkeit. Die Marke Allgäu hat davon einen „positive[n] Imagetransfer“569. Genauso gewinnt die Destination auch durch die offensive Verknüpfung mit dem Sympathieträger Kluftinger und Substraten literarischer Botschaften. Beispiel Milchgeld: Im Krimi will der Juniorchef des Milchwerks neue Produktlinien entwickeln, die Molkerei zum „Global Player“570 aufsteigen sehen und gibt, ganz mammonorientiert, lebensmittelskandalträchtige und kosteneinsparende Panschereien mit importiertem minderwertigem Rohstoff in Auftrag. Der Senior-Firmenleiter Schönmanger erweist sich zwar am Ende als Mörder eines in diese Machenschaften involvierten Forschers – aber auch als hehren Idealen verpflichteter Allgäuer Käser alter Schule, dem daran liegt, dass die Bauern nicht im Preis gedrückt und um das ihnen zustehende Milchgeld gebracht werden. Genau diesen Aspekt greifen sich die Touristiker, ganz de Certeausche Auswähler und Text-Reproduzenten, aus dem Narrativ – Simone Zehnpfennig: „G’rad in Milchgeld geht’s ja wirklich um die sauberen Nahrungsmittel, die Milch, die nur mal zum Käse verarbeitet wird, um des Käsepulver und die Vermanschung und die Billigware letztendlich. Des finden mir natürlich insofern toll, als dass eben der Fokus drauf g’legt wird, wie sehr auch der alte Käsermeister, der im Käsewerk da sitzt, eigentlich auf seine Qualität achtet, und wie er auch steht zum Allgäu und zu seinen Bauern, dass er

567 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013. 568 Ebd. 569 Gschwender 2011, S. 14 (Zugriff: 10.12.2014). 570 Milchgeld, S. 154.

308 | ALLGÄU RELOADED Qualität verkaufen möchte und Qualität herstellen möchte. Und dann kommen die Jungen und versuchen, billig Geld zu machen. Des is’ ja toll, wenn die [Autoren] sagen: Hey! Die richtigen Allgäuer lehnen des absolut ab. Des is’ toll für uns, aber wir haben damit nix zu tun. Insofern freuen wir uns, wenn dieses Image transportiert wird, weil es erhöht die Glaubwürdigkeit des Allgäus auf jeden Fall.“571

Milchgeld steht für die PR-Koordinatorin des Tourismusdachverbands für „Authentizität“ und „Ehrlichkeit“: Chiffren, mit denen die Destination sich und ihre Produkte bereitwillig garniert. Das Allgäuer Brauhaus schaltet Anzeigen in Mahlzeit! Das Kluftinger Kochbuch572, adaptiert die bodenständige Strahlkraft des glaubwürdigen Genießers Kluftinger für die eigenen Biere und stattet diese mit neuen, popkulturell kontextualisiertem Zusatznutzen aus. Literatur wird sinnliefernder Bestandteil im regionalen Gesamtpaket Allgäu, das sich aus den Synergieeffekten seiner Raumbauelemente Berge, Käse, Bier und nun Bücher symbiotisch befruchtet. Bedeutungsverwandtschaften werden hergestellt, die Beliebtheit der Bücher wird genutzt. Auch die jährlich in Kempten stattfindende Allgäuer Festwoche, eine der bundesweit größten Verbrauchermessen, schmückt sich im Rahmenprogramm mit Kluftinger-Veranstaltungen und unterstreicht die Eignung der Kriminalromane als brauchbares Instrumentarium im Regionalmarketing: Region präsentiert sich über Regionalkrimis. Einem Legauer Textilienshop bringt Kluftinger neue Kunden. Bisher vertrieb die Mayr und Abel Druck GmbH hauptsächlich ihre Allgäu-Kollektion: Shirts und Pullover mit Messages zur herzlichen („Griaß di“) oder distinktiven („Eiser Gräs isch griener“) modischen Positionierung. Inzwischen zählt auch Kluftis Kiosk zum Sortiment: Kleidung und Accessoires mit Kluftinger-Logo, einem stilisierten roten „K“, mit Zitaten aus den Romanen oder Flüchen und Aphorismen im Kommissaren-Duktus. Das hat profitable Folgen, wie eine Fernsehdokumentation berichtet: Sprecherin: „Irgendwo zwischen Memmingen und Kempten. Hier kommmen kaum Touristen vorbei. Aber für die Krimitruppe ist dieser Laden in Legau ein El Dorado. Die Inhaber haben die Fans längst als Zielgruppe entdeckt, besonders wenn es Neues von Kluftin-

571 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013. 572 Klüpfel/Kobr 2010 (a).

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ger gibt, steigt die Nachfrage. Die Fanartikel werden direkt hier im Geschäft mit seinen Sprüchen bedruckt, natürlich in Mundart.“ Reporterin: „Kurbeln die Kluftinger-Krimis auch ihr Geschäft hier an?“ Verkäuferin: „Ja, unbedingt. Auch von Kluftinger kommen einfach inzwischen au’ scho’ ganz viele und kaufen bei uns T-Shirts ein. Doch, isch wirklich sehr interessant, was einfach au’ für Leute dann rei’kommat, weil’s einfach wieder anderes Klientel isch, wie jetzt sonschd bei uns einfach rei’kommat.“573

Sogar in der Propagierung christlicher Glaubenslehre setzt man auf belletristische Illustration: Roland Sievers fordert in der Zeitungsrubrik Gedanken zum Sonntag pietistische Genügsamkeit. Dem Pfarrer von der evangelischen Kirchengemeinde Oberstdorf ist die episodenhafte Komik aus Rauhnacht beispielhaft für verwerfliche Völlerei. Der Romankommissar, der in der Brunchszene Speisen um Speisen stapelt, Semmeln aushöhlt und die Teigreste achtlos zurück in Heißwasserbehälter befördert, ist Sievers Symbolgestalt für Verschwendungsmentalität: „Kluftinger kommt, privat wie beruflich, eigentlich eher konservativ daher. In Wahrheit ist er jedoch ein authentischer Vetreter eines modernen Zeitgeistes. Leben als gäbe es kein Morgen. Das Leben voll auskosten – über die Maßen. Dass die Maßlosigkeit seit alters her zu den sieben Todsünden gehört, spielt für die moderne Lebensführung schon längst keine Rolle mehr.“574

Der Pfarrer beansprucht die Fiktion gleich zweifach: als beweiskräftiges Sinnbild zur moraltheologischen Gesellschaftsdiagnostik und zur populärkulturellen Einkleidung evangelischer Ethik. Ob kommerzielle Güter, Veranstaltungen, Netzwerke oder Religionslehre: Der fiktionale Stoff wird vielfach medial verwandelt, mobilisiert und genutzt, die Figur Kluftinger je nach Zielsetzung zurechtgemacht, assimiliert und passgenau in neue Regionalfolien eingefügt. Dies ist niederschwelliges Beispiel für die triadische Struktur sozialer Raumproduktion nach Lefebvrescher Ordnung: Zwar ist ein über Populärliteratur erklärtes Allgäu Ergebnis professioneller Raumkreationsinstanzen, doch bedeutet es auch die Lasur von Benutzeroberflächen mit

573 Geld und Leben: Allgäu-Krimi. Auf den Spuren von Kommissar Kluftinger. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 27.02.2014. 574 Roland Sievers: Gedanken zum Sonntag. Kluftinger entdeckt das Paradies. In: Allgäuer Anzeigeblatt, 18.08.2012.

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neuartigen symbolischen Codes und tangiert mit seiner Zurichtung von Gebrauchswaren auch die wahrnehmenden Raumpraktiken von Alltagsakteuren. Mittelständler, Institutionen und Geistliche setzen Transformationen der Dichtung in Gang und fördern ihre je eigenen Interpretamente des Unterhaltungsstoffs und seiner Allgäu-Darstellung. Aus der Lektüre werden Vorstellungskomplexe von integren Agrarräumen oder poppig-modernen weil traditionell-regional-unverfälschten Waren subtrahiert. Die Beigabe literarischer Imagination reformuliert und adelt Produkte und Ereignisse. Kluftinger wirkt als metonymischer Veredler. Vor allem entwickelt die Literatur multiple Einsatzfähigkeit: Sie kann zum Werbemittel für Lebensmittel, Messen, Politik und Glaubensdogmatik präpariert werden. Die vermeintlichen Verbraucher und Postproduzenten wildern im Allgäu-Krimi-Text in de Certeauscher Manier ganz nach eigennützigem Gutdünken, die Bücher sind sowohl für aktiv Bedeutungen produzierende Rezipienten als auch für zweckentfremdend rezipierende Produzenten eigener Güter reich an Rohmaterial. Die Fiktion wird in Folgeprodukten verdinglicht und individuell verräumlicht, Kluftinger zum Werbeträger, Güter verkünden durch ihn Geschichten. Eine erneute Parallele zu Romanheldin Heidi, über die eine Diversität an Produktpaletten generiert und vermarktet wird: Auch der Heidi-Text steht je verschiedenen Moden, Interessen, kommerziellen Nutzungstaktiken, zielgruppenorientierten Zuschnitten, Identifikationsmöglichkeiten und medialen Übersetzungen zur Verfügung.575 Nicht alle Akteure setzten auf die ökonomische Inanspruchnahme von Literatur. Martin Angerer ist Marketingleiter des Kneipp-Sanatoriums Bad Clevers in Bad Grönenbach. Als Klüpfel und Kobr einmal im Ort eine Lesung absolvierten, schlug Angerer in einem Gespräch mit den Autoren Bad Clevers als KrimiSchauplatz vor – aber nach eigenen Angaben nur im Scherz.576 Er vertraut nicht auf die Lukrativität einer solchen Fiktionalisierung: „Des weiß i net, ob des überhaupt an Effekt haben würde. Des glaub’ i net amal.“577 Wohl aber sind die Romane als unerlässliches regionales Deutungsangebot im Hotel anerkannt: „Wir ham da ’n großes Bücherregal für unsere Gäste, wo wir so ausgewählte Literatur haben, und da gehören natürlich auch die Allgäu-Krimis dazu, klar“578, sagt Angerer.

575 Vgl. Gyr 2001; Gyr 2011; Leimgruber 2001. 576 Interview mit Martin Angerer, Marketingleiter des Kneipp-Sanatoriums Bad Clevers in Bad Grönenbach, am 02.03.2013. 577 Ebd. 578 Ebd.

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Helmut Pfanner ist Betriebsleiter der Dorfsennerei Böserscheidegg. Sie gehört einer Genossenschaft aus zwölf Landwirten – und ist einer der Romanspielorte. In Milchgeld führt eine Zeugensuche Kluftinger in dieses „Käseparadies“579 im Westallgäu, dort sieht er Hühner über den Hof laufen, sich güldene Laibe aneinander reihen, er selbst ist „von diesem durchdringenden Aroma geradezu überwältigt“580. Auch der echte Böserscheidegger Käser hat den Krimi gelesen. Seine Rezeption steht jener der Touristiker konträr gegenüber: KL: „Wie wird im Roman die Milchwirtschaft im Allgäu dargestellt?“ Helmut Pfanner: „Ja, schlecht.“ KL: „Warum?“ Helmut Pfanner: „Ja, da ging’s doch um irgendwelche Panschereien. Und des isch natürlich für’d’ Milchwirtschaft nicht gut, wenn sowas drin vorkommt.“581

Zehnpfennigs und Pfanners unterschiedliche Interpretationen des MilchgeldNarrativs sind Paradebeispiele für die Vervielfachung eines Textes durch Lektüre. Beide empfangen nicht eine monologisch vorgesetzte Allgäu-Botschaft aus der Literatur, sondern schaffen sich ein eigenes Verständnis von der fiktiven Milchlandwirtschaftsregion. Das hat handlungsanleitende Folgen: Während Zehnpfennig die literarische Vorlage auf Schlagworte wie Authentizität, Natürlichkeit und Tradition hin taxiert und entsprechende Narrationselemente als imageverstärkend für die Allgäu GmbH einsetzt, ist man in der Dorfsennerei weit von eigenen populärliterarisch angeleiteten Marketingstrategien entfernt. Wie oben ausgeführt, schrieb sich die Kimratshofener Allgäu Milch Käse eG, markenrechtliche Bestimmungen missachtend, zeitweise auf die Fahnen und Homepage, Die Kluftinger Molkerei zu sein – dagegen hegt der verantwortliche Leiter der Böserscheidegger Käserei keinerlei Ambitionen, die Genossenschaft über die bekannte Buchfigur auszuzeichnen und zu bewerben. Helmut Pfanner umschreibt die Bedeutung der Nennung im Roman so: „I woiß et, des isch ja au’ nix B’sonderes. Oder? Also wichtiger isch für uns halt oifach, dass mir a gutes Produkt herstellat und d’Leit im Lada au’ bedient werrat, it so lang’ warta missat.“582 Also ist die Literaturschauplatzqualität der Dorfsennerei nach seinem Da-

579 Milchgeld, S. 121. 580 Ebd., S. 119. 581 Interview mit Helmut Pfanner, Betriebsleiter der Dorfsennerei Böserscheidegg, am 22.08.2013. 582 Ebd.

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fürhalten kein Wettbewerbsvorteil? Pfanner verneint: „Na! Würd’ i it sagen, überhaupt it.“583 Die Sennerei Böserscheidegg ist sogar auf der Karte Mörderisch spannendes Allgäu verzeichnet.584 Kluftinger-Fans suchen die Käserei auf. Eine Teilnehmerin der Altusrieder Krimi-Führung erzählt, immer, wenn sie mit ihrem Ehemann in Scheidegg urlaube, Käse in Böserscheidegg zu kaufen und sich mit dem Personal in der Sennerei über die Nennung im Krimi zu unterhalten: „Die freuen sich natürlich. Dass mer über sie g’schrieba hat. Finden’s gut. Ja, ja.“585 Neben den Verkäuferinnen haben auch den Betriebsleiter selbst nach eigener Angabe bereits Kunden auf diese Nennung in Milchgeld angesprochen. Aber erst kurz vor dem Interview im Rahmen dieser Studie hat Pfanner von der Eintragung auch auf der Krimikarte erfahren („bis vor ma halba Johr ham mer gar et g’wisst, dass es so a Karte überhaupt gibt“586) – das ist ein weiteres Anzeichen für den geringen Stellenwert, den die literarische Nobilitierung für die seit 1896 bestehende Käserei einnimmt. Dass dort nicht versucht wird, sich die Romanfigur Kluftinger stärker selbst anzueignen und von ihr zu profitieren, liegt auch an der Unkenntnis des vielseitig einsetzbaren literarischen Kapitals. Pfanner reagiert mit Erstaunen, als er im Experten-Interview überhaupt erst von den KrimiFührungsangeboten in anderen Allgäuer Gemeinden erfährt: KL: „Was denken Sie, was die Leute, die bei den Kluftinger-Führungen mitmachen in Altusried und so weiter, dazu bewegt, da mitzumachen?“ Helmut Pfanner: „Gibt’s sowas?“ KL: „Ja.“ Helmut Pfanner: „Führungen?“ KL: „Ganz viele.“ Helmut Pfanner: „Echt? In Altusried?“ KL: „In Altusried und in Kempten und in Füssen und eine Bustour.“

583 Ebd. 584 Allerdings fehlerhaft: Auf der Karte liegt Böserscheidegg im Ober- statt im Westallgäu. 585 Ethnografisches Interview mit Gertrud Immele (Name anonymisiert) während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 586 Interview mit Helmut Pfanner, Betriebsleiter der Dorfsennerei Böserscheidegg, am 22.08.2013.

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Helmut Pfanner: „Wega dem Krimi? Ach wa!“ […] KL: „Was denken Sie, was bewegt die Leute, einem Buch hinterher zu reisen?“ Helmut Pfanner: „I denk’ mer do, hand die nix Besseres zu tun? [...] Beschäftigungstherapie. I würd’s nicht macha halt.“587

Anders als bei der Allgäuer Tourismus-Dachmarke, dem großen Kimratshofener Milchwerk oder der Verbrauchermesse Allgäuer Festwoche unterschätzt man in Böserscheidegg das Beweihräucherungspotenzial durch semantische Aufladung mit einem fiktionalen Geschichtenmehrwert – was zweifelsohne auch darauf zurückzuführen ist, dass der mächtige Fremdenverkehrsverband allein ein Vielfaches mehr an Marketingkompetenz bündelt als die kleine Dorfsennerei. Das parallele Rühmen mit und Verzichten auf Kluftinger dokumentiert aber die Inkongruenz von Region(en) und Allgäu-Konstitution(en). Institutionelle und individuelle Akteure, Urlauber und Einheimische, Romanrezipienten und Nichtleser bemächtigen sich verschiedener Spacing-Elemente588 und verknüpfen sie zu differenten Raumnarrativen – die literarischer Provenienz und über die Fiktion stimuliert sind oder gerade nicht. Pfanner auf die Frage, wie das Allgäu in Klüpfels und Kobrs Romanen dargestellt wird: „Ach, i glaub’, das spielt koi große Rolle. Mer woiß ja, mein Gott, des isch a ausgedachter Krimi, gell. Spielt halt hier in der Gegend. Aber i glaub, über den Roman beurteilt mer s’Allgäu nicht.“589 Dagegen nutzen andere die der literarischen Erfindungskraft entlehnte Region gerade, um ihr Allgäu und ihre Allgäuer Produkte zu erzählen. (Nicht) angeeignete Populärliteratur und (nicht) verfolgte branchenübergreifende Synergien sind Beispiel und Beleg für eine handlungsdeterminierte und plurale Produktion von Raum. Die mögliche Kluftingerisierung des Raums wird aber nicht ausgereizt. In der Gewinnschöpfung aus der literarischen Materie besteht Luft nach oben. „Des könnte mit Sicherheit noch mehr ausgebaut werden“590, sagt Simone Zehnpfennig von der Allgäu GmbH. Ideen hat sie: Man könne einen Kluftinger-Tag auf

587 Ebd. 588 Vgl. Löw 2001. 589 Interview mit Helmut Pfanner, Betriebsleiter der Dorfsennerei Böserscheidegg, am 22.08.2013. 590 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013.

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den Skipisten am Fellhorn organisieren und allen, die mit altmodischen Skiern und Skianzügen im Kluftinger-Stil erschienen, Preisnachlass gewähren. Oder in einem Flugzeug mit engagierten Schauspielern die Flugzeug-Szene aus Schutzpatron nachspielen oder aber den legendären Weißlacker-Käse servieren – Spektakel wie diese fallen ihrer Ansicht nach aber eher in den Aufgabenbereich spezialisierter Event-Agenturen.591 Dass die Kultur-Produktmanagerin „Zeitmangel“592 als Grund angibt, selbst die Nutzung des literarischen Potenzials für den Dachverband nicht weiter voranzutreiben, ist aber auch eindeutiges Indiz dafür, dass die Vermarktung und Etablierung der Krimi-Region nur ein kleines, aber längst nicht das wichtigste Element in der Regionenvermarktung der Destination darstellt. Wohl aber „wundert“593 sich Zehnpfennig, dass etwa örtliche Hotelbetriebe sich nicht verstärkt um eine Wertschöpfung aus den Romanen bemühen – so hält sie z.B. vor allem in der Winter-, Nach- oder Zwischensaison ein KrimiDinner nach der Vorlage von Rauhnacht für denkbar: „Des wär’ bestimmt der Renner schlechthin.“594 Eine gesteigerte Ingebrauchnahme der Populärliteratur geht ihren Aussagen nach mit einem Ausbau des Krimi-Erlebnisraums einher: „Mer könnt’ dem no’ mehr an Event-Charakter geben.“595 Das entspräche jenem Schema, das Karlheinz Wöhler für unabdingbar für postmoderne Tourismusorte hält: eine „eventisierte Raumnutzung und -organisation“596. Denn in der Bedarfsbefriedigung des global umtriebigen homo eventicus hat dem Kultursoziologen zufolge der konkrete Raum zugunsten von dort implantierten, in Aussicht gestellten erlebbaren Ereignissen abgedankt. Weshalb intensivieren die Allgäuer über die bestehenden Führungsangebote und kommerziellen Nutzungsversuche hinaus nicht ihr Werben um Krimi-Fans und spätmoderne Eventkunden? Zehnpfennig sagt: „Den Allgäuern geht’s halt au immer relativ gut. Die Auslastung passt.“597 Wandern, Wellness, Wintersport: Die Erlebnisdomäne im Allgäu war thematisch bereits vor Erscheinen der Kluftinger-Romane ausführlich besetzt. Das Eventportfolio der starken Destination prägen Viehscheid oder die Wandertrilo-

591 Ebd. 592 Ebd. 593 Ebd. 594 Ebd. 595 Ebd. 596 Wöhler 2011, S. 166. 597 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013.

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gie598. Die Region ist als Wirtschafts- und Tourismusstandort lange über andere Narrative etabliert und (aus-)erzählt – das literarische Narrativ ist lediglich willkommenes und flexibel nutzbares Gimmick im Allgäu-Marketing. Die fiktive Figur Kluftinger muss nicht als Allheilmittel und Impulsgeber instrumentalisiert werden, um regionale Entwicklungsprozesse thematisch kohärent erst anzustoßen, endogene Potenziale symbolträchtig zu aktivieren und ein strukturschwaches touristisches Brachland in einen imagestrotzenden Reiseraum umzumodeln, wie es z.B. in der Lausitz mit dem zur Retter-Allegorie stilisierten historischen, sagenhaften und literarischen Krabat versucht wurde.599 Das Urprodukt AllgäuKrimi ist vielgestaltig diversifizierbar, aber so heißbegehrt von den einen Produktanbietern wie entbehrlich für andere Akteure in der Region.

598 Die Wandertrilogie Allgäu ist ein Weitwanderwegekonzept, das Strecken auf drei Routen und in drei Höhenlagen vernetzt. Allgäu GmbH: Wandertrilogie Allgäu – im Dreiklang mit der Natur: http://www.allgaeu.de/wandern (Zugriff: 30.04.2015). 599 Vgl. Hose 2008.

4 Allgäu im Plural

4.1 M EHR S INN Kluftinger hat räumliche Wirkung. Der auf dem bundesweiten Marktplatz ohnehin wohlpositionierten Region, Destination und Marke Allgäu bescherten die Bestseller noch zusätzlichen Bekanntheitsgrad und mehr mediale Beachtung. Die Destination wird über neue Kanäle in Szene gesetzt. Und die vom Massengeschmack goutierten Imaginationen schaffen neue Raumwirklichkeiten. Die als ästhetische Unterhaltungserfahrung rezipierbaren Romannarrative machen „Werbung“1, „Lust aufs Allgäu“2 und „noch mehr Leute aufs Allgäu neugierig“3, befinden die Nutznießer aus Fremdenverkehr und Buchhandel vor Ort. Klüpfel und Kobr werden als „Botschafter für das Allgäu“4 gelobt. Den Romanen wird attestiert, den Begriff „Allgäu“ in einen „positiven Zusammenhang“5 zu setzen. Die Fiktion überlässt den regionalen Akteuren mit der als Stereotyp lesbaren Figur Kluftinger einen Sympathieträger und Repräsentanten, über den das Raumprodukt Allgäu zugespitzt und vermenschlicht werden kann. Über diese Zugnummer gelingt die Inwertsetzung bisher unprominenter Allgäu-Ecken: Orte wie

1

Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013.

2

Interview mit Nina Brezina, Belletristik-Koordinatorin der Buchhandlung Tobias

3

Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013.

4

Interview mit Frank Edele, Geschäftsführer von Buchhandlung und Verlag Tobias

5

Interview mit Martin Angerer, Marketingleiter des Kneipp-Sanatoriums Bad Clevers

Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013.

Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. in Bad Grönenbach, am 02.03.2013.

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die „Kartause Buxheim [werden] komplett in ein anderes Licht gerückt“6, d.h. semantisch beliefert und zu Alternativen gegenüber den klassischen Ausflugszielen im Allgäu präpariert. Was Besucher bisher am Streckenrand der Anreise verschmähten, steuern sie laut Simone Zehnpfennig, Produktmanagerin Kultur der Allgäu GmbH, nun gezielt an: „Ich weiß es von vielen Gruppen, die des Allgäu kennen. Die kennen Oberstdorf, die kennen Füssen, die kennen Oberstaufen, und sagen dann zu mir, g’rad die Stuttgarter: ‚Hey, da war’ mer no’ nie, da simmer immer dran vorbei gefahr’n.‘ Auch die Kartause Buxheim, da sagen se: ‚Ja klar, des seh’ mer immer auf der A7.‘ Da hast du die Schilder. Die sagen: ‚Ich halt jetzt mal da an.‘ Und des is’ tatsächlich mal auch ’n Grund, hier in der Region zu sein, in der nicht-touristischen Hochburg des Allgäus.“7

Im Kommentar von Tourenleiterin Ulrike Gandy während einer Krimi-Fahrt der Unterallgäuer Gästebegleiter von Altusried nach Kempten verdichtet sich das wirklichkeitspoietische Nachspiel der Fiktion: „Hier ist alles verkluftingert.“8 Die Kriminalgeschichten aus dem und über das Allgäu haben sowohl AllgäuBegriff als auch Allgäu-Realität verändert, exakter: ergänzt. Das Romannarrativ stellt eine weitere Darstellungsart bereit, mit der sich die Größe Region semiotisch befüllen lässt, und die verschiedene Akteuere in ihrem Performen leitet. Literatur und Literaturtourismus schaffen neue Topografien mit eigenen Ambivalenzen und Grenzen, Hotspots, Alltagswegen und Leerstellen, sie erzählen Allgäu in einer neuen Geschichte. „Neu“ meint hier allerdings bisweilen: aus alten Versatzstücken bestehend. Die Allgäu-Krimis rekrutieren bekannte Allgäu-Dinge. Kluftinger isst Weißlacker-Käse, Kluftinger trägt Tracht, Kluftinger bereist Schloss Neuschwanstein. Die einzelnen Romanmotive sind keine Neuerfindungen der Autoren, sondern Teilmengen bestehender Allgäu-Konstrukte. Sie werden aber in neue Zusammenhänge gebracht – oder, in Martina Löws Terminologie: Einzelne Raumbauelemente werden neu synthetisiert, zu noch nicht dagewesenen Regionenproduk-

6

Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013.

7

Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013.

8

Ulrike Gandy, Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012.

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ten vereint. Die Kriminalromane beliefern „Allgäu“ einerseits formal neu: weil sie künstlerische, belletristische und speziell kriminalistische Texte, weil sie medial spezifisch aufbereitete Populärkultur sind. Und die Kriminalromane bewerten „Allgäu“ andererseits inhaltlich neu: in der ästhetischen Freiheit literarischer Texte transportiert Kluftingers Neuschwanstein-Besuch Tourismus-Kritik, erscheinen Allgäuer Phänomene in positivem, negativem und/oder ungewohntem Licht. Diese Allgäu-Geschichten unterscheiden sich von jenen mündlich überlieferter Sagen, Heimatzeitschriften und der Marketingkommunikation des Fremdenverkehrs – und sind deshalb: neu. Die Allgäu-Krimis entwerfen ein spezifisches Bild der Region, das sich ihr einschreibt: „Literatur spiegelt nicht nur Realität, sondern schafft sie“9, schreibt Hermann Bausinger. Er bezieht sich auf Schloss Lichtenstein, das Herzog Wilhelm von Urach, Graf von Württemberg, ab 1840 im Stile einer mittelalterlichen Burg und als Zitat von Wilhelm Hauffs gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1826 bauen ließ. Heute ist der Lichtenstein unter anderem Postkartenmotiv, Namensgeber für Vereine, Ausflugsziel, touristischer Besuchermagnet und Beweisstück außerliterarischer Durchschlagskraft von Dichtung. Mit diesem Beispiel kommt Bausinger einer Einschätzung solcher Popularisierungsprozesse und Mediengrenzen sprengender Wirkungsgeschichten als spezifisch postmoderner Eventkonsum beantwortend zuvor. Auch Kluftingers Allgäu materialisiert und personalisiert sich in den Bemühungen von Nutznießern und Zweitverwertern, ist Jongliermasse in der infrastrukturellen und touristischen Neuerschließung der Region durch formale Raumexperten und -anbieter und schürt und filtert Erwartungshaltungen, Transformationen ins Symbolisch-Bildhafte und wahrnehmende Eroberungen seiner Benutzer. Die fiktiven Räume sind in ihrer demnach kulturhervorbringenden Eigenart Brennglas und Sinnvorrat dreidimensional stattfindender Sozialraumproduktion Lefebvrescher Denkart, wo gegenständlich bedingte, räumliche Alltagspraxis, geplante Raumprogramme und individuelles wie kollektives Aneignen

9

Hermann Bausinger: Lichtenstein und Huhkahöhle. Die Uracher Alb als „Literaturlandschaft“. In: Ders.: Fremde Nähe. Auf Seitenwegen zum Ziel. Essays. Tübingen 2002, S. 179-210, hier S. 195f. Literatur nimmt mitunter sogar Schutz- bis Musealisierungsfunktion für (materielle) Realitäten ein: Im englischen Cornwall können viele Landhausbesitzer den Unterhalt ihrer Anwesen nur schwerlich finanzieren. Deshalb stellen sie diese als Kulisse für die Verfilmungen der Romane Rosamunde Pilchers zur Verfügung. Gelder der Produktionsfirmen und Einnahmen aus Führungen für TVTouristen bewahren die Herrenhäuser vor Umnutzung oder Verfall. Vgl. Meike Stolp: Pilcher-Pilger retten Landadel. In: Südwest Presse, 21.08.2014.

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aufeinandertreffen. Allgäu ist nun – auch, aber nicht ausschließlich! – KrimiAllgäu, und das Krimi-Allgäu wirkt handlungsanleitend und konkretisiert damit reale Räume. Das Beispiel der Kluftinger-Romane macht also einerseits die Kulturpoiesis ästhetisch-künstlerischer Narration nachvollziehbar. Andererseits ist die raumkonstruktivistische Beanspruchung der Lektüre auch Paradebeispiel probater Fremdenverkehrspraxis: des Thematisierens von Urlaubszielen und Ereignissen. Für den Kultursoziologen Karlheinz Wöhler werden nach gegenwärtigen Marktvorgaben Destinationen erst durch ihr eindeutiges Kennzeichnen über ein Leitmotto als Waren anziehend und als Möglichkeitsräume spezifischer Erlebnisse veräußerbar.10 „Bloße Räume“ (der heuristische Charakter dieser Formulierung, der eine menschlichem Handeln und Semiotisieren vorgelagerte natürliche Existenz von Räumen suggeriert, soll an dieser Stelle gebilligt bleiben) werden Wöhler zufolge „ins Wettbewerbsabseits“11 gestellt: Dem ist insofern zuzustimmen, als dass Altusrieds Dorfkern, die Kemptener Einkaufszone oder Füssener Waldwege sich nun mit dem Pfund, Teil des Kluftinger-Universums zu sein, ausgestattet sehen, und nicht lediglich über bloße Gewöhnlichkeit markiert sind. Literaturtourismus ergänzt jetzt ein bestehendes Allgäuer Themenspektrum: Zu historisch-kulinarischen Stadtführungen in Kempten, der romantischen Märchenschlösserwelt Füssens und Hüttenzauber-Offerten12 rund um den Schrothkurort Oberstaufen gesellen sich Wandermöglichkeiten durch literarische Welten, das Allgäu ist nicht mehr nur Familienskigebiets-El-Dorado, Deutschlands Käseküche oder Kräuterland13, sondern auch Krimi-Region. Zu den semantischen Füllmengen im Konstitutionsprozess von Region baulicher, sportlicher, kulinarischer oder botanischer Provenienz kommt mit der populärkulturell-literarischen ein weiterer Sujetvorschlag hinzu, mit dem sich auch Schnittmengen herstellen lassen. „‚Die Kluftinger-Krimis sind die Chance[,] das Allgäu deutschlandweit mit einem anderen imagebildenden Thema zu besetzen‘, freut sich Simone Zehnpfennig von der Allgäu GmbH“14, wie es etwa in der Pressemitteilung zur Kooperation zwischen Piper-Verlag und Marke Allgäu aus dem Jahr 2011 heißt. In einer TV-Dokumentation lobt Zehnpfennig die krimitouristischen Angebote,

10 Vgl. Wöhler 2011, S. 161-163. 11 Ebd., S. 158. 12 Oberstaufen Tourismus: Hüttenzauber im Allgäu: http://www.oberstaufen.de/erleben/ winter/huettenzauber/ (Zugriff: 16.12.2014). 13 Allgäuer Kräuterland e.V.: Allgäu – das Kräuterland Deutschlands: http://www.all gaeu-kraeuterland.de/ (Zugriff: 16.12.2014). 14 Allgäu GmbH 2011.

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weil sie Gästen ermöglichten, das Allgäu unter einem anderen Aspekt und „ein bisschen skurrilen Bedingungen“15 kennenzulernen, und nicht wie bislang nur von der bekannten Warte Wandern oder Radeln aus. Vorteil des neuen KrimiBedeutungsprogramms aber ist, das haben die Analysen etwa der Füssener Krimi-Wanderung oder der in Oberstdorf startenden Krimi-E-Bike-Tour ergeben: Mit ihm lassen sich gerade auch solche tradierten Allgäuer Erlebnismöglichkeiten semiotisch bereichern. Der gelungene Narrativ-Zuschlag konkretisiert sich in der Beschreibung einer Führungsteilnehmerin, die die Buchfigur während ihres Allgäu-Urlaubs als nahezu allgegenwärtig empfindet: „Kluftinger ist uns in den letzten Tagen schon öfters über den Weg gelaufen.“16 Dass thematisches Ausstatten im Fremdenverkehrssektor Trend und KrimiTourismus deshalb auch Antwort auf den Zeitgeist ist, zeigt, wie ein kulturwissenschaftlich-paradigmatisches Theorem als strategische Erfolgsmethode globalen Wirtschaftens reüssiert: Die Gestalt- und Füllbarkeit relationaler Räume ist hier Analysemodell, dort Aktionsimperativ. Aus dem florierenden thematischen Versiegeln von Destinationen leitet Wöhler einen zunehmenden Verlust ihres Ortsbezugs und eine Entkopplung touristischen Erlebens von konkreten räumlichen Voraussetzungen physischer und soziokultureller Art ab. Stattdessen glichen sich einst geografisch unterscheidbare Ziele einander immer mehr als normierte Erlebnisräume an: „Dem Raum werden in Struktur gesetzte, global gültige Bedeutungen angesonnen, die nicht aus dem Raum als solchem herrühren.“17 Die Qualität von spätmodernen Reisen bestimmt demnach ihr Prozentsatz an ereignisreichen Momenten und nicht die Frage nach dem Wohin. Wöhler: „Der Tourismus huldigt der Zeit und nicht (mehr) dem Raum.“18 Für das Fallbeispiel Allgäuer Krimi-Tourismus bleibt diese These lediglich ansatzweise haltbar. Zweifellos folgen Literatur-Führungen einem weltweit brummendem Erlebniswarenmuster, das auch das Venedig der Donna-LeonSchauplätze, das Illuminati-Rom oder das kriminalistische Schweden ereignisreich zur Geltung bringt. Und dass Kluftinger-Rundgänge sich etwa standardisierte Kaufhausfilialen zum Ziel nehmen, suggeriert erst recht ihre Verpflanzbarkeit nach allerorten. Aber: Krimi-Tourismus im Allgäu ergibt ein Hybridpro-

15 Geld und Leben: Allgäu-Krimi. Auf den Spuren von Kommissar Kluftinger. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 27.02.2014. 16 Ethnografisches Interview mit Gerburg Geis (Name anonymisiert) während der Krimi-Führung „Kommissar Kluftinger ermittelt“ in Kempten am 03.08.2012. 17 Wöhler 2011, S. 163. 18 Ebd., S. 148.

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dukt. Er ist Erlebnis- und Regionalware zugleich. Nicht nur, dass sein literarisches Ausgangsgenre über konkrete Ortsangaben den neuen, kluftingerisierten Bereisungsraum den Gemeinden Altusried, Kempten oder Füssen geradezu einnagelt. Mehr noch: Fiktion und ihre medial transformierte touristische Verwertung stellen Raum geradezu zentral. Genauer: Raumkonstrukte, die auch Ingredienzen dessen, was Wöhler als den Raum als solchen bezeichnet – die erdräumliche, voralpin geprägte Peripherie, die gesellschaftliche Struktur oder wirtschaftliche Prosperität des Allgäus –, miteinbeziehen und bewerten können. Kluftinger-Romane und -Führungen diskutieren und nominieren Stereotypen, Stätten und räumliche Spezifika. Durch ihr inhärentes regionales Wissen erscheinen sie gerade lokal gekoppelt und dafür prädestiniert, in konkrete Gebiete gepresst zu werden. Mit dem Krimi-Tourismus kommt, im Gegensatz zum ubiquitär alpin begeh- und buchbaren Restangebot aus Loipen- und Wandernetzen, Schneeschuh- und Hüttentouren, Klettersteigen und Wellnessoasen, Kompositionen aus „wil[d]romantischen[n] Täler[n] mit rauschenden Gebirgsbächen, schimmernde[n] Bergseen mit Trinkwasserqualität und […] kristallklare[r] Luft“19, mehr spezifisch-konkreter Raum in die Destination Allgäu. Insgesamt erweist sich das literarische Narrativ als zugriffsoffen, individuell benutzbar und auch für eine Verfestigung bewährter, ästhetisierender AllgäuErzählungen verfügbar. Es erweitert den Pool an regionalen Polysemien, ohne das dominierende Design zu verdrängen. Auch post Kluftinger bleibt das Allgäu eine die schöne Landschaft inszenierende und zurichtende Berge- und Seen-, Wander-, Rad- und Skiregion, jedoch mit einer neuen Geschichte und ihren Gebrauchsrhetoriken bepackt: Allgäu reloaded.

4.2 M ACHTVERZICHT Die partielle Kluftingerisierung des Allgäus: Das steht für Kulturalisierungs-, Kommodifizierungs- und Machtprozesse. Mit der medialen Transformation des angepassten Romannarrativs wird der Verzehr von Kässpatzen, das Schaulaufen spezifischer Mentalitäten und kontemplativer Genuss ästhetischer Landschaften räumlich fixiert, Region mit territorial festgemachten Objektivationen und Praktiken definiert, Allgäu über Kluftingersche Allgäuer Lebensart erklärt. Der so kulturalisierte Raum partizipiert an ökonomischen Kreisläufen und mutiert zur

19 Tourismus Oberstdorf: Oberstdorfer Naturgenuss: http://www.oberstdorf.de/natur/na turschutzgebiet-allgaeuer-hochalpen/oberstdorfer-naturgenuss/ (Zugriff: 17.12.2014).

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kommerziell veräußerlichen Ware. Unterschiedliche Akteure ergreifen Besitz über das belletristische Kapital. Allerdings: Die Implantierung von Popkultur in verschieden gesäumte Dimensionen von Allgäu erfolgt nicht mit Vehemenz. Beispiel Altusried: Bürgermeister Heribert Kammel schätzt wert, dass sich der Bekanntheitsgrad seiner Gemeinde durch die Romane erheblich vergrößert hat. Er glaubt, „dass Kluftinger und Klüpfel/Kobr für Altusried schon ein ganz, ganz wichtiger Faktor sind“20 und hat mit dem Gemeinderat beschlossen, dem Autorenduo die Bürgermedaille in Gold zu verleihen. Strebte etwa die Allgäu GmbH kooperative KluftingerVermarktungsprojekte an, würde der Rathauschef eine Beteiligung Altusrieds befürworten. Weitere dorfeigene, über die lokalen Führungen hinausgehende Initiativen verfolgt er aber nicht. Mehr noch: In seinen Äußerungen kommt zum Ausdruck, dass eine Kommodifizierung des Kluftinger-Narrativs für den Ort selbst als nicht lohnend genug erscheint, um sich ausführlicher damit auseinanderzusetzen: „Also wenn sich da die Möglichkeit ergeben würde, dann würde ich definitiv nicht ausschließen, dass mer sich da noch verstärkt mit diesem Thema umgibt, um des mal so auszudrücken. Welche wirtschaftlichen Effekte dadurch erzielt werden können, ich kann mir des einfach nicht so richtig vorstellen. Kempten, die ham ja auch so Kluftinger-Events, weiß aber jetzt nicht, inwieweit die besucht sind, ob des wirklich noch so viel Potenzial nach oben hat. Also da lass mer uns überraschen. […] Ich hab’ aber ehrlich g’sagt keine Informationen, dass über den Kreis um Kempten herum Absichten beziehungsweise Pläne bestehen, hier des noch zu pushen. Wenn die Allgäu GmbH des machen möchte, oder der Tourismusverband oder was auch immer, gut und recht, da würden wir uns mit Sicherheit auch beteiligen. Aber allein von uns ausgehend, da seh’ ich unsere Möglichkeiten ehrlich g’sagt auch begrenzt.“21

Bekanntwerden und Popularisierung der Gemeinde durch Literatur und Literaturtourismus scheint aus administrativer Perspektive ein willkommenes Phänomen, aber keines von existenzieller Relevanz. Kammel auf die Frage, welche Rolle für die Altusrieder Verwaltung ein Andauern des Kluftinger-Hypes mit hohen Verkaufszahlen der Bücher spielt: „Keine. Keine. Ach mei, es wär’ halt schade, wenn’s nicht so wäre. Aber dass wir dann in irgendeiner Form in die Vergessenheit geraten, das denk’ ich nicht. Es geht halt dann auf

20 Interview mit Heribert Kammel, Bürgermeister von Altusried, am 31.10.2013. 21 Ebd.

324 | ALLGÄU RELOADED ein normales Maß zurück, was, wie gesagt, schade wäre. Aber da wir jetzt nicht den ganz großen wirtschaftlichen Segen davon haben...“22

Wohl erkennt der Bürgermeister das aus einer selektiven Narrationsinterpretation abgeleitete Kulturalisierungspotenzial der Romane für die Gesamtregion: Er sehe „den Kluftinger jetzt nicht nur als Altusrieder, sondern vor allen Dingen als Allgäuer“, und finde, es sei „den beiden Autoren sehr, sehr gut gelungen, die Eigenarten, die man den Allgäuern nachsagt, besonders gut darzustellen und rauszubringen“23. Eine plastischere und plakativere Huldigung an die fiktive Romanfigur lehnt Kammel ab – was Kluftingers Stellenwert für den Ort gut ausdrückt: „Ich bin des ein oder andere Mal gefragt worden, warum hat mer dem Kluftinger noch kein Denkmal gesetzt? Also es gibt ja Orte, in denen so Romanfiguren oder Figuren aus der Historie Denkmäler haben. Haben wir noch nicht. Ob der Kluftinger jemals, oder die beiden, Klüpfel und Kobr, a Denkmal bekommen, sei mal dahingestellt. Ich weiß es nicht. Aber wir kommen auch ohne des aus.“24

Kluftinger ist für Altusried Multiplikator – aber nicht eine das Dorfbild dominierende Symbolfigur. Die kommodifizierten Erzählstoffe markieren die Gemeinde, aber sie sind aus politischer und ökonomischer Sicht verzichtbar: Man kommt auch ohne sie aus. Über die Fiktion wird keine alleinige Deutungshoheit installiert, eine nachdrückliche Propertisierung einer Kluftinger-Kultur nicht vorangetrieben. Wie in Altusried, so im gesamten Allgäu: Besondere Rezeptions- und Einsatzweisen der Kommissarsfigur transportieren Lebensart. Sie setzen Kulinarik, Sprache oder Charakteren Grenzen. Jedoch nur punktuell: Kluftinger labelt ein Konglomerat an touristischen Einzelangeboten, aber nicht großflächige, das Allgäu umspannende Kampagnen. Aus seinem Kosmos wird keine holistische Lesart der Region abgeleitet – er flankiert bereits bestehende. Der fremdenverkehrsgerecht transformierte und zum Stereotypen stilisierte Romanheld dient der Akzentuierung von Eigenheiten, deren Popularität auf Jahrzehnte vor Erscheinen der Krimi-Serie stattfindende Kulturalisierungsbemühungen der Reisebranche zurückzuführen ist. Das Krimi-Narrativ ist lediglich Alternative, Ergänzung und mitunter Verstärkung zu wirkmächtigen vorgängigen Regionalisierungsprozessen einer seit langem als Käse- und Wandergebiet mit bodenständig-knorriger

22 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd.

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Bevölkerung etablierten Destination. Seine Zurichtung vollzieht sich innerhalb der Einflusssphäre touristischer Anbieter, wirkt gestaltungsmächtig an der Produktion von Raum mit und schafft ihn, veranlasst jedoch als separate Teilmenge der großen Allgäu-Erzählungen lediglich zu Kulturalisierungsverfahren und Definitionspolitiken in einer sanften Variation. Die populärkulturelle Fiktion wird als neue Bedeutungsmasse auf die geografische Einheit zwischen Memmingen und Oberstdorf projiziert, aber nicht gleich einem priorisierten Leitbild, sondern in verhältnismäßig bedingtem Ausmaß. Der kluftingerische Geschichtenpool ist Beigabe im Aktionsbereich verschiedener individueller und institutioneller Akteure – aber zur Konsolidierung regionaler politischer oder administrativer Autoritäten, zur ausschlaggebenden Stärkung des Wirtschaftsstandorts Allgäu oder zur Aktivierung regionaler Identität bedarf es seiner Applikation nicht. Mit Gottfried Korff, der ausgeprägten Folklorismus als identitätsvergewisserndes und selbstbespiegelndes Surrogat ökonomischer Prosperität deutet,25 lässt sich argumentieren: Das Mobilisieren und Florieren eines dekorativ und üppig inszenierten Schaubrauchs hat im Allgäu längst eingesetzt. Der jährliche Viehscheid etwa wird als „einer der wichtigsten Brauchtums- und Traditionstermine im gesamten Allgäu“26 beworben, hat sich als wirkmächtige Zelebrierung von arrangierter Kultur etabliert und versammelt regelmäßig Landwirte wie Gäste. Eine literaturinduzierte Erneuerung des folklorisierbaren Bestands an Volkskulturelementen scheint aktuell in der jetzt nicht mehr wirtschaftlich rückständigen und von Modernisierungsprozessen vernachlässigten Region nicht erforderlich. Außerdem scheint das polarisierende, von vielen Ansässigen eben auch als Tableau einer altbackenen, vergangenheitszugewandten Gegend interpretierte Kluftinger-Narrativ kaum zu dem fortschrittsaffinen Anstrich zu passen, den das Allgäu sich zu geben bemüht ist: Die Region komme in den Krimis „auf jeden Fall anders, als sie sich sehen will“27 rüber, sagt etwa der Kemptener Buchhändler Frank Edele. Die Ausstattungsprozesse einer geränderten Region mit dem neuen Narrativ verlaufen weder ausschließlich noch eindeutig aus der Wirkrichtung top down. Wohl sind dabei mit den Tourismusämtern und der Allgäu GmbH Instanzen lokaler und regionaler Administrationen am Werk. Darüber hinaus fließen auch

25 Korff 1980, S. 39-49. 26 Dein Allgäu: Allgäu-Viehscheid. http://www.allgaeu-viehscheid.de/ (Zugriff: 13.01. 2015). 27 Interview mit Frank Edele, Geschäftsführer von Buchhandlung und Verlag Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013.

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Individualinteressen in die räumlichen Einschreibungsverfahren mit ein: Guide Erih Gößler z.B. bot ihr Krimi-Führungskonzept dem kommunalen Tourismusamt an, die Klüpfels sind mit dem Sohn als Autor plus Vater und Tochter als Krimi-Führer als eine Art Familienunternehmen in die Platzierung des Kluftinger-Themas involviert. Dass die Stadt Kempten auf eine Nennung ihres KrimiFührungsangebots auf der Karte Mörderisch spannendes Allgäu der Allgäu GmbH verzichtet, ist dagegen Indiz dafür, dass der literarische Erzählstoff nicht zu einer stringenten Bündelung definitionsmächtiger Kräfteverhältnisse veranlasst. Das Operieren mit Kulturraumerfindungen, so hat es die vorliegende Studie gezeigt, bleibt im Fall des Kluftinger-Allgäus nicht Eliten und Expertenwissen vorbehalten. Zweifellos resultiert die Kommunikation der popkulturell aufgehübschten Region aus dem branchenspezifischen Kalkül der Touristiker. Doch die Anerkennung des geografischen Abschnitts Allgäu als Krimi-Region und damit die Gewichtung seiner Eigentümlichkeit erfolgt auch über die Aneignung der Rezipienten und Führungsteilnehmer. Die Deutungshoheit über eine oder die Kultur im Allgäu wird in der Regionalkrimi-Ära nicht an Politik und Professionen ausgehändigt – Schriftsteller, Leser, Touristen, Unternehmer und Initiativen teilen sie untereinander: Kluftinger kommt sowohl von oben als auch von unten ins Allgäu.

4.3 S TREIT Die Romanfigur Philip Wachter wird in Milchgeld stranguliert, ermordet und auf dem Altusrieder Friedhof beigesetzt. In der Fiktion startet Kluftinger während der Beerdigung eine für ihn mehr peinliche denn erfolgreiche Verfolgungsjagd eines Verdächtigen quer über das örtliche Gräberfeld. Für Krimi-Touristen entwickelte sich diese Passage zum Faszinosum. Sie können den Schauplatz besuchen – er ist zugleich Drehort für die entsprechende Szene in der Milchgeld-Verfilmung –, doch ihr Fokus richtet sich auf eine fehlende, weil fiktive Objektivation: Wachters Bestattungsstätte. „‚Viele Leute fragen, wo das Grab von Wachter ist‘, berichtet Klüpfel senior und schüttelt den Kopf. ‚Für manche Menschen ist Kluftinger Wirklichkeit.‘“28 Nicht nur Altusrieds Krimi-Führer, auch Bestattungsunternehmer Klaus Hackler erging es so. Während seiner Arbeit auf dem örtlichen Friedhof konnte er „wildfremden Leu-

28 Aimée Jajes: Ein Grab für einen Toten, den es nicht gibt. In: Allgäuer Zeitung, 28.07.2012.

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ten“29, die um entsprechende Auskunft gebeten hatten, keine reale Vorlage zum Roman präsentieren. Also nahm er die Verdinglichung der Literatur im Sommer 2012 selbst in die Hand: Hackler häufte, mit dem Einverständnis der Gemeinde, auf dem Kiesweg neben der Abfallstelle in der letzten Friedhofsreihe Erde auf, bepflanzte sie und platzierte ein Holzkreuz inklusive Sterbebild (es zeigte Jesper Petzke, Regieassistent beim Milchgeld-Dreh) darauf. Er übernahm die Pflege der Attrappe und kam selbst für die Kosten auf.30 Abbildung 10: Lesung auf dem Altusrieder Friedhof.

Quelle: Eigene Aufnahme, 9.8.2013.

Ende Juli des gleichen Jahres ließ Hackler das leere Pseudo-Grab wieder entfernen. Es hatte Beschwerden gegeben. „‚Die Emotionen sind zum Teil so hoch gegangen, das war unvorstellbar‘“, sagte er gegenüber Journalisten und konkretisierte: „Zwar habe er ‚zu 98 Prozent‘ positive Rückmeldungen erhalten, aber die wenigen negativen Äußerungen seien ‚unter die Gürtellinie‘ gegangen.“31 Die Angelegenheit war sogar für überregional erscheinende Medien von Interesse, die Lokalpresse widmete ihr eine ausführliche mehrtägige Berichterstat-

29 Ebd. 30 Ebd. 31 Dirk Ambrosch: Grab für eine Figur aus den Kluftinger-Krimis. In: Schwäbische Zeitung, 03.08.2012.

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tung und ging auf Stimmenfang. Toni Zech, Pfarrer der Pfarrei St. Blasius in Altusried, zitiert sie so: „‚Ich halte das für einen Schmarrn, dass eine Romanfigur ein Grab braucht. Brauchen wir das jetzt auch für alle Tatort-Tote [sic]?‘“32 Der Journalist Jürgen Gerstenmaier kommentierte für die Allgäuer Zeitung: „Über Geschmack... lässt sich nicht streiten. Und was da in Altusried geboten wird, ist nur eines: geschmacklos. Ein Grab auf einem öffentlichen Friedhof für das Opfer in einem Kluftinger-Krimi zu schaffen? Geht’s eigentlich noch? Ein Friedhof ist ein Ort der Trauer, der Besinnung, des Gedenkens an Verstorbene. In diesem Raum der Stille hat Klamauk nichts, aber auch gar nichts verloren. Man stelle sich die unwürdige Situation eines Besuchers vor, der am Grab eines nahen Angehörigen gerade mit den Tränen kämpft, während sich hinter ihm eine munter plappernde Kluftinger-Gruppe die jüngsten Anekdoten rund um den Allgäuer Kult-Kommissar erzählt. […] Die Idee zu diesem Grab einer Romanfigur mit Trauerflor am Kreuz, Sterbebild und Weihwasserkessel ist eine dumme. Und gehört schleunigst beerdigt.“33

Laut Peter Klüpfel empfanden ein „paar“34 Altusrieder die Inszenierung als pietätlos und haben sich darüber „mokiert“35. Der Krimi-Führer wertet die Aufregung aber als medial gemacht und Schlagzeilenbeschaffungsstrategie zur meldungsarmen Jahreszeit. Für sich selbst beansprucht er durchaus die erforderliche Sensibilität, um bei Lesestopps auf dem Friedhof während seiner KluftingerRundgänge Krimi-Tourismus und Wahrung der Totenruhe nicht gegeneinander auszuspielen: „Der von der Zeitung hat a Horrorszenario g’macht: Wenn da g’rad jemand steht am Grab von ’ra Familie, und dann kommt d’r Klüpfel mit ’ra Gruppe... I hab ihm g’sagt, er sollt’ scho glauba, dass i so viel Takt hab’. Aber der Volldepp hat halt g’meint, er muaß was draus macha, weil Sommerloch war.“36

Simone Zehnpfennig, die als Organisatorin der Unterallgäuer Gästebegleitung Altusried im Rahmen von Kluftinger-Bustouren ansteuert, hält dagegen das tou-

32 Jajes 2012. 33 Jürgen Gerstenmaier: Geschmacklos. In: Allgäuer Zeitung, 28.07.2012. 34 Peter Klüpfel, Mitschnitt während der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 35 Peter Klüpfel, Feldnotiz von der „Krimi-Führung: Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2012. 36 Wie oben.

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ristische Besichtigen und Ausgestalten dieses konkreten Schauplatzes für unangebracht: „Ich mag’s einfach au’ net, dass mer über’n Friedhof geht, weil [der] Friedhof is’ halt dann doch ein Ort der Pietät und der Rücksichtnahme.“37 Im Altusrieder Rathaus jedoch teilt man Peter Klüpfels Einschätzung. Auch dort wird der vermeintliche Skandal eher als Blähwerk regionaler Zeitungsredaktionen interpretiert. Obgleich man von einigem Hader mit dem falschen Grab weiß, wird der einheimischen Bevölkerung insgesamt ein eher entspannter Umgang mit der Aktion des Bestatters bescheinigt. Bürgermeister Heribert Kammel erzählt zwar von empörten Mails, Schreiben und „wenige[n] Beschwerden“38, fügt aber, sich lakonisch von der medialen Berichterstattung distanzierend, hinzu: „Wir in Altusried, wir ham des viel gelassener g’sehen. Klar, auch in Altusried hat der eine oder der andere g’sagt: ‚Wie kammer bloß?‘ Aber ich denk’ mir: Mein Gott. Und der Pfarrer war da eben au ganz locker und hat g’sagt: ‚Ja, um Himmelswillen.‘ Des is’ ein Gag und nicht mehr und nicht weniger. Also nicht so hoch hängen.“39

Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts, erinnert sich ein halbes Jahr danach, dass das fingierte Grabmal bei vielen auf Ablehnung gestoßen sei, die Reaktionen sich insgesamt aber im Spektrum von „Ach, is’ mir doch wurschd“ bis „Irgendwo hört’s aber schon a mol auf“40 bewegt hätten. Proteste, sagt Adrian Ramjoué, seien „bei der Zeitung natürlich [eingegangen]. Die AZ [Allgäuer Zeitung, KL] hat ja ausführlichst drüber berichtet, und hat ja, glaub’ i, au’ Umfragen g’startet bei Altusriedern, bei Allgäuern. Da war ja zwei Mal, drei Mal an Artikel in der Zeitung und dann is’ des Grab wieder verschwunden und seitdem redet au’ kein Mensch mehr davon. Also es war jetzt net so, dass hier dann die Telefone geglüht hätten mit Protesten oder mit Jubelschreien, des sicherlich nicht. Aber mer hat halt scho’ mitgekriegt, dass es einem Teil der Bevölkerung, au’ der Altusrieder, net unbedingt so gefällt. Und der andere, die ham gsagt: ‚Ha ja, is’ doch eigentlich a ganz witzige Idee‘.“41

37 Simone Zehnpfennig, Mitschnitt während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 38 Interview mit Heribert Kammel, Bürgermeister von Altusried, am 31.10.2013. 39 Ebd. 40 Interview mit Adrian Ramjoué, Leiter des Kultur- und Verkehrsamts Altusried, am 13.02.2013. 41 Ebd.

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Auch Volker Klüpfel wertet die Angelegenheit als einen von der Presse befeuerten „künstliche[n] Aufreger“42, die Grab-Installation als „sehr witzig“43, aber „sicher hart an der Geschmacksgrenze“44. Sowohl er als auch Kollege Kobr äußern in Experten- und Zeitungsinterviews Verständnis für jene, die das Grabmalssimulakrum als zu makaber empfanden. Die Autoren selbst waren am Aufstellen der Gedenkstätte für die Romanfigur nicht beteiligt, sahen sich aber mitunter dafür verantwortlich gemacht. Volker Klüpfel: „Also die Art der Kritik war sicher so in die Richtung: Ham se des jetzt au’ no’ nötig? Da woll’n wir gar nix damit zu tun ham. […] Also in den Leserbriefen hat mer’s halt au’ g’sehen. I mein, selber kriegt mer sowas ja selten direkt g’sagt, wenn dann nur über andere oder eben durch Leserbriefe, Zeitungskommentare. Also desch au’ so ’ne Lehre: Wir sind für alles verantwortlich, was mit Kluftinger zu tun hat. Ob mer’s wirklich sind oder nicht, spielt keine Rolle. Deswegen muss mer da echt aufpassen.“45

Allerdings bescherte der Autor selbst dem Thema erst gehörige und überregionale Öffentlichkeit, indem er ein Foto des Holzkreuzes auf der Internet-Plattform Facebook hochlud. Ein Post eines Nutzers auf der Kluftinger-Seite kategorisiert das Fake-Grab als Coup und „gelungenen Werbegag“46, ein anderer formuliert eine Neubewertung des Allgäuer Dorfs: „Damit hat sich Altusried den Titel Gemeinde mit dem größten Sinn für schwarzen Humor verdient.“47 Der „Fall Gruftinger“48 führt vor, wie Literatur Wirklichkeit schafft. Er ist Beispiel dafür, wie Nutzer von Erlebnisräumen in ihrem imaginierenden Umhergehen die materielle Verwirklichung neuer Allgäu-Semantiken erst anstiften. Vor allem aber zeigt er, wie verschiedene Bedeutungsräume miteinander in Konflikt geraten können. Kluftingers Kosmos kollidiert mitunter mit anderen sozialen Raumkonstrukten. Verräumlichte Fiktion wird Diskursmasse von Künstlern und Presse, Kommunalverwaltung und kirchlichen Instanzen, Touristikern und Touristen, Popkultur-Publikum und Trauernden. Die beteiligten Parteien tragen den Disput nach ihren je unterschiedlichen Prioritäten aus: Autorschaft und kontrollierende Ausübung kritischer Gewalt, Interessenvertretung der Bürgerschaft

42 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 43 Jajes 2012. 44 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 45 Ebd. 46 Jajes 2012. 47 Ebd. 48 Dirk Ambrosch: Der Fall Gruftinger. In: Allgäuer Zeitung, 01.08.2012.

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und Befürwortung von Reklame, Humoraffinität, Befriedigung von Attraktionsbedarf und Berücksichtigung moralischer Leitlinien. Die involvierten Akteure erwarten sich vom gleichen Ausschnitt der Erdoberfläche die Erfüllung verschiedener Raumaufgaben. Was die einen als der Stille und dem Totengedenken vorbehaltenes Terrain verteidigen, garantiert den anderen als außergewöhnlichästhetischer Lesungsort das Authentifizierungserlebnis ihrer Romanlektüre: „Man konnte die Berggipfel von hier aus sehen – jedenfalls wenn das Wetter schön war. Der Regenbogen erstreckte sich wohl von der Zugspitze bis in Höhe des Daumens, sinnierte Kluftinger. Wie gern wäre er jetzt dort gewesen, anstatt hier auf einer Beerdigung zu stehen.“49 Die Grab-Affaire demonstriert, dass physischen Gegebenheiten ihre Bedeutung nicht eingewachsen ist. Agierende handeln sie aus. Obgleich die Entfernung zwischen einem fingierten Grab nach trivialliterarischer Vorlage und dem Lefebvreschen Theorem von der antiken Polis groß scheint: In der Causa Wachter zeigt sich, wie auch postmoderne Nutzergruppen durch je eigene Praktiken räumliche Bedeutungen herstellen, ihre Raumproduktion durch materielle Zeichen markieren und durch eine verdinglichte Repräsentation Räume machtvoll besetzen.50 An einem Ort addieren sich Sinnkomplexe, eine geografische Einheit erfährt polyphone Narration. Wie auf dem Altusrieder Friedhof – einerseits Trauerstätte, neuerdings bereisbarer Schauplatz – können sich unterschiedliche Bedeutungsräume stören, als dissonant erweisen und einander samt ihren Symbolisierungen verdrängen. Neben dem Fall Gruftinger löst die injizierte literarische und touristische Semantik weitere Raumkonkurrenzen im Allgäu aus. Dort nämlich, wo Landschaft bis dato anderen Verbraucherzwecken diente und die ausübenden Akteure ihre Rekontextualisierung durch den Krimi-Tourismus als unvereinbar damit betrachten. Laut Erih Gößler, Krimi-Guide in Füssen, sehen sich mitunter Besucher des Alatsees durch die Kluftinger-Wanderungen gestört. Bei Lesestopps an jener Stelle, die dem im Buch beschriebenen Leichenfundort entsprechen soll, kann Räume generierendes Handeln aufeinanderprallen. Spannungen entstehen: „Da hammer manchmal schon Probleme, weil da ’ne Bank is’, und da hocken dann abends halt manchmal Leut’, die ihre Ruhe ham wollen. […] Einmal ham wer ganz massive Beschwerden g’habt. […] Da war ein Mann da gesessen. Und dann hab’ ich gesagt: ‚Entschuldigung, ich brauch’ den Platz jetzt g’rad für ein paar Minuten. Tut mir leid, dass ich

49 Milchgeld, S. 73. 50 Lefebvre 2006, S. 332f.

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Anderswo verhindern Nutzungskonflikte eine touristische Ingebrauchnahme physischen Raums: Der Leichenfundort von Erntedank befindet sich mitten auf einer Wiese bei Rappenscheuchen, kann aber im Rahmen der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter nicht begangen werden – der Bauer, dem sie gehört, hat etwas dagegen.52 Auch wo sakrale Stätten zu musealem Kulturerbe umgewertet und dann krimitouristisch reproduziert werden, gibt es Raumturbulenzen. Laut Hans Haugg, dem Vorsitzenden des Heimatdienstes Buxheim, haben 99 Prozent der Vereinsmitglieder die literarische Neuerzählung der Klosteranlage positiv aufgenommen. Eine Person aber habe „a wen’g g’wettert“, aus ihrer Sicht handle es sich bei der Fiktionalisierung um eine Entheiligung und damit unzulässige Schmähung des Kartäuserlebens.53 Dass besonders Vorstellungen von geschlossenen räumlichen Einheiten gefühlte Raumdiskrepanzen nach sich ziehen, unterstreicht ein weiteres Beispiel für Gegenwehr, auf die der Krimistoff stieß. „Kreuzkruzifix, ich bin tot!“54 heißt die Überschrift zur feuilletonistischen Besprechung des Kluftinger-Bands Herzblut (erschienen im Februar 2013) im Allgäuer Anzeigeblatt – der Titel ist ein Zitat, Kluftinger sagt den Satz in eben jenem Roman. Wenige Tage später druckt die Zeitung einen Leserbrief. Darin heißt es: „Es gibt Neues von Klüpfel/Kobr. Mit dicken Lettern sticht dem Leser ein schlimmer Fluch ins Auge, den ich nicht zu schreiben wage. Mag sein, dass mancher Leser dies als lustig empfindet. Doch leider lässt das wieder einmal mehr erkennen, wie der christliche Glaube in unserem ach so christlichen Land mit zunehmender Tendenz demontiert und lächerlich gemacht wird. Um es auf die Spitze zu treiben, wird der neue Roman als gute Un-

51 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 52 Ulrike Gandy, Feldnotiz von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 53 Interview mit Hans Haugg, Vorsitzender des Heimatdienstes Buxheim, am 03.04.2013. 54 Krebs 2013.

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terhaltung deklariert und paradoxerweise mit einem ‚Vergelt’s Gott‘ für Klufti abgeschlossen. Doch Gott lässt sich nicht verspotten.“55

Der Verfasser wohnt im allgäuerischen Wertingen. Sein Schreiben referiert auf eine Denkfigur, die geografische Grenzen nach der kulturellen Spielart Religion ausrichtet. Sowohl ein Beschützerimpetus für die im christlichen Land festgemachte Raumdefinitionsgröße Glauben als auch Widerstand gegen das durch die Massenware Literatur verursachte Bedrohungsszenario schimmern durch die Textzeilen. Aus Akteurssicht besteht eine Unstimmigkeit zwischen dem konservativen Konstrukt einer gottgefälligen georäumlichen Einheit auf der einen und dem über eine blasphemische Sprache der Populärkultur erzählten Allgäu auf der anderen Seite. Kluftinger schürt punktuell räumliche Antagonismen. Wo „Allgäu“ um das literarisch entworfene Produkt der Region erweitert wird, können alte, eingeübte Raumentwürfe mit neuen rivalisieren. Ihre Nutzer und Gestalter treten in räumliche Konkurrenzen. Wo sich Raumkonglomerate treffen (also an potenziell jedem Ort), existieren auch Raumkontroversen – bedingt durch plurale soziale Akteure und deren jeweils mehrdimensionale, d.h. geplante, gelebte und verbildlichende Raumproduktion. Eine kluftingerisierte Allgäu-Lesart öffnet auch Klüfte zu anderen. Vor allem dort, wo spezifische räumliche Praxen56 dominieren, scheinen die institutionell angeordneten bzw. die Benutzeroberfläche neu codierenden Populärliteraturräume auf Widerstand zu stoßen: Die Kemptener Innenstadt etwa bietet Raum für Passanten, Einheimische, Touristen, Open-Air-Veranstaltungen und Gastronomie unter freiem Himmel, Eisdielen-Kunden und Shopper, Gehetzte und Schaufensterbummler – also ohnehin für eine bunte Vielfalt von Aneignungsweisen. Es scheint unwahrscheinlich, dass ihre kriminalistisch-performative Beanspruchung ähnliche Missverhältnisse zwischen Raumgebrauchsweisen und Neukonstitutionen zu schüren imstande ist wie jene des Altusrieder Friedhofs. Er ist eindeutiger gestimmt, eindeutiger durch die kulturell eingelernte Praxis der Trauer und Stille besetzt. Vereinzelt aber bedeutet Allgäu reloaded auch: räumliche Diskrepanzen.

55 Blasius Hurler: Glaube wird demontiert. In: Allgäuer Anzeigeblatt, 02.03.2013. 56 Lefebvre 2006, S. 330-342.

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4.4 P ALIMPSEST Ein Samstag im April 2013: Die Unterallgäuer Gästebegleiterin Ulrike Gandy führt durch Memmingen. Der Spaziergang durch die Stadt ist Programmpunkt einer Kluftinger-Bustour. Gandy bugsiert ihre Gruppe durch das Getümmel auf dem Marktplatz, wo hunderte Einkaufende zwischen zahlreichen Marktständen ein Wirrwarr an Bewegungsmustern erlaufen. Gandy wendet sich kurz von den Krimi-Touristen ab und einem Obststand zu, kauft einen Sack Äpfel, um dann ihre Gruppe zurück Richtung Busparkplatz zu bringen.57 Was sich wie eine Randnotiz einer Kluftinger-Führung liest, beschreibt den Synapsencharakter der Krimi-Tourismus-Angebote: Sie überlagern, kreuzen und verknüpfen sich mit anderen Raumkonstrukten. „Allgäu“ ist ein Netzwerk aus Sozialräumen. Gandy pendelt zwischen dem Kosmos der literarischen Stadtführung und dem des Marktgeschehens, zwischen dem der touristisch begehbaren Region und den Alltagswegen der Memminger – auf demselben Terrain. Als eine Art Brennglas lässt der Krimi-Tourismus die Parallelexistenz verschiedener sozialer und kultureller Raumerzeugnisse an den besuchten geografischen Fixpunkten erscheinen. Besonders augenfällig ist das am Alatsee. Die literarischen Routen lagern sich dort einer Summe an bestehenden Infrastrukturen ein. Es gibt Hinweistafeln zu Wegenetzen und Seepromenaden, Nordic-Walking-Strecken, Gastronomien am See, Naturfreibädern und den historischen Gipsabbau im Tal. KrimiWanderer begegnen dort Radfahrern oder Skatern, laut Guide Erih Gößler sind in den Felswänden am Wegesrand häufig Kletterer zu sehen58, der Alatsee sei „bei schönem Wetter im Sommer auch ein sehr beliebter Badesee“59, den auch Einheimische für abendliche Ausflüge nutzten. Dort werde geangelt und gewandert. Der Füssener Tauchclub trainiert regelmäßig mit der Wasserwacht am See, um für mögliche Unfälle vorbereitet zu sein.60 Auch halten sich nach Gößlers Berichten oft ein Panflötenspieler mit einer Sensibilität für Wasseradern, Esoteriker, die dort „Stellen der Kraft“61 vermuteten, oder Menschen mit Metalldetektoren, die Resten früherer römischer Siedlungen nachspürten, am See auf. Wo die Literatur neue Narrative stiftet, fügen sich bereits durch Akteurspraktiken re-

57 Feldtagebuch von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 58 Feldtagebuch von der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 59 Erih Gößler, Mitschnitt von der Krimiführung „Seegrund“ in Füssen am 14.06.2013. 60 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 61 Ebd.

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alisierte Freizeit-, Naherholungs-, Sport- und Transzendenzräume ineinander. In der Vergangenheit nutzten ihn die Nationalsozialisten als Versuchsraum, in der Gegenwart forschen dort Naturwissenschaftler: am physisch-materiellen Marker Alatsee kumuliert Sinn. Eine Stelle am Ufer öffnet den Zugang zu räumlicher Pluralität: jene, an der Erih Gößler stets das Roman-Zitat „Herrlich, oder? Kein einziger Tourist da heroben!“62 vorträgt, Kluftinger sagt es, während er am fiktiven Alatsee steht. Die realen Krimi-Touristen amüsiert die Passage regelmäßig – was sich der Tatsache verdankt, dass sie selbst dort verschiedene räumliche Symbolsysteme zeitgleich realisieren. Gößler: „Ich lach’ mich immer halb kaputt [lacht]. Dann sag’ ich denen – die stehen dann so vor mir – ,sag’ ich: ‚Des [is’] meine Lieblingsstelle!‘ Im Sommer, wenn alles voll Touristen is’: ‚Kein einziger Tourist!‘ [Da] is’ schon ’n gewisser Humor dahinter [lacht]. Des is’ witzig. Des sehen sie dann auch schon so. Weil sie stehen ja auch dann als Touristen da.“63

Am Alatsee lenkt die Einbildungskraft der Führungsteilnehmer die Populärliteratur, sie codiert die Peripherie des Bergsees, so dass die EinheimischenPerspektive des Allgäuer Kommissars mit sich kulturkritisch erhebendem Impetus übernommen und die Umgebung zum touristeninvasionsfreien Hort erklärt werden kann. Zugleich sind die imaginierenden Krimi-Wanderer eben selbst: Touristen. Individuen können mehrere Raumproduzentenrollen parallel ausüben, räumliche Multipräsenzen durch die identische Person verwirklicht werden. Während der Krimi-Führung „Seegrund“ kompromittiert der Zivilisationsflüchtling den Erlebnistouristen, das verräumlichte Zeichensystem Fiktion das ebenso verräumlichte Zeichensystem Fremdenverkehr – durch jeweils dieselben Individuen. Hier liegt das Stimulans für selbstreflexives Vergnügen der KrimiTouristen. Das gilt nicht nur für den Alatsee: Wer bei der Ruine Kalden das Mörderisch spannende Allgäu64 durchstreift, erwandert auch die Burgenregion Allgäu, wer Altusried im Rahmen eines Kluftinger-Rundgangs besichtigt, kreuzt, KrimiFührer Peter Klüpfel weist darauf hin, auch den schwäbischen Abschnitt des Ja-

62 Seegrund, S. 13. 63 Interview mit Erih Gößler, Stadt- und Themenführerin in Füssen, am 14.06.2013. 64 Allgäu GmbH: Mörderisch spannendes Allgäu. Kommissar Kluftinger. Faltkarte [2011].

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kobswegs65 und damit einen Pilgerraum, dessen kirchlich-raumrepräsentatorisch konzipierte sakrale Materialität und Zeichenhaftigkeit eine „Topologie des Heils“66 bilden, der sich die Topologie des Kriminalromans einlagert: wie im Romanschauplatz der Dorfkirche mit ihrem Gemälde des Heiligen Jakobus. Krimi-Touristen und Pilger frequentieren das Gotteshaus gleichermaßen. Genauso treffen jene, die literarisch Erzähltes nacherleben, während der KluftingerFührungen auf Kirchenbesucher, die in den Bankreihen sitzen und beten.67 Und das gelbe Gebäude im toskanischen Stil, das Krimi-Touristen einige Straßen weiter deshalb als Domizil der fiktiven Figur Martin Langhammer besichtigen, weil es aussieht, „wie wemmer’s als Kulisse nog’stellt hätt’“68, ist sonst ein herkömmliches Wohnhaus. In der Buxheimer Kartause kreuzen sich die Wege derer, denen die Klosteranlage Bühnenbild für Literatur-Tourismus ist, mit jenen anderer Besuchergruppen bei herkömmlichen Führungen und mit jenen von Brautpaaren, denen der Rokoko-Kreuzgang das Hintergrundmotiv ihrer fotografisch inszenierten Hochzeitsikonografie liefert.69 In Kempten nährt die gleichzeitige performative Umsetzung differenter Raumschichten die Komik und den Kuriositätencharakter des dortigen Führungsformats. In der Wäscheabteilung der Galeria Kaufhof stellen KrimiTouristen zwischen Puppen, die Dessous präsentieren, eine Romanepisode nach. Sie beschreibt den für Kluftinger einigermaßen blamablen Versuch, seiner Ehefrau Wäsche zu kaufen. Und um die Krimi-Touristen herum stöbern sich Kundinnen durch Mieder- und Tanga-Auslagen, ihre bisherige BüstenhalterAusbeute in der Armbeuge stapelnd.70 Wo die einen rezitieren, shoppen die anderen. Literatur und Konsum formen Paralleluniversen innerhalb eines Warenhauses. Genauso ist das interagierende Produzieren von Krimi- und Einkaufsräumen im Schuhhaus Onkel Hannes Skurrilitätsgarant: Wenn die KrimiFührerin dort Kluftingers Tanzschuherwerb vorliest, müssen die Krimi-Touristen

65 Feldtagebuch von der „Krimi-Führung : Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2012. 66 Karlheinz Wöhler: „Wir wissen nicht, was wir tun sollen“ – Expertisierte Raumaneignung und -konstruktion. In: Ders./Pott/Denzer 2010 (a), S. 157-188, hier S. 165. 67 Feldtagebuch von der „Krimi-Führung : Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 09.08.2013. 68 Interview mit Peter Klüpfel, Leiter der Krimi-Führungen in Altusried, am 23.08.2013. 69 Feldtagebuch von der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013. 70 Feldtagebuch von der Krimi-Führung: „Kommissar Kluftinger ermittelt...“ in Kempten am 02.08.2013.

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zwischenzeitlich Verkäuferinnen Platz machen, die die neueste Herrenschuhmode an den Mann bringen möchten.71 Krimi-Tourismus hat Fensterfunktion: Er entfaltet die Sicht auf Verflechtungen verschiedener sozialer Raumproduktionsprozesse. So zeigt er ein Allgäu der Gleichzeitigkeit, das sich im Sinne Foucaults als „Netz, dessen Stränge sich kreuzen“72, verstehen lässt. Dieses Gefüge impliziert auch die räumlichen Konstrukte der Einheimischen. Ihre Allgäu-Versionen sind eigene und andere als die touristisch aufbereiteten und literarisch erzählten, existieren teils länger oder abseits von ihnen – aber müssen dennoch als mit ihnen verwoben betrachtet werden. Menschen, die auf dem Altusrieder Friedhof die letzten Ruhestätten von Verstorbenen pflegen, während einige Meter daneben Peter Klüpfel Kluftingers Ermittlungsarbeit zwischen Gräbern in authentische Szenerie versetzt,73 sind dafür nur ein Indiz. Krimi-Touristen bewegen sich im Allgäu nicht in pedantisch von Einheimischen gesonderten erdräumlichen Flächen wie Club- oder Hotelanlagen. Teils handelt es sich bei den Führungsteilnehmern selbst um im Allgäu Wohnhafte oder Geborene, teils führt die Deklaration des vermeintlich Gewöhnlichen als Sehenswürdigkeit zu einem Crossover von Reisenden- und EinheimischenPfaden: Der Krimi-Tourismus lässt auswärtige Kluftianer dieselben Orte wie Ansässige aufsuchen und bündelt dort verschiedene Ordnungen von Welt. Das legitimiert die Hypothese von der machtvollen Infiltrierung der semantischen Raumraster der Allgäuer Alltagsakteure durch jene der Krimi-Schriftsteller, Krimi-Führungsanbieter und Krimi-Touristen. Doch sie greift nur sporadisch: Altusrieder oder Kemptener scheinen als Kollektiv (oder, mit Lefebvre: als Polis74) kaum Anleihen aus der literarischen Erzählung für ihre Raumproduktion zu übernehmen. Weder betrachten die Einheimischen ihre Region als Folge der Romane durch eine belletristisch oder touristisch geschliffene Kluftinger-Brille, noch werden fiktive Bilder eingeübt und dominant. Zwar gibt es laut den Autoren viele Kluftinger-Fans im Allgäu, die KrimiFigur entfacht gerade auch in der wirklichen Entsprechung ihrer Heimat Begeisterung. Autor Michael Kobr:

71 Feldtagebuch von der Krimi-Führung: „Kommissar Kluftinger ermittelt...“ in Kempten am 03.08.2012. 72 Foucault 2006, S. 317. 73 Feldtagebuch von der „Krimi-Führung : Auf Kommissar Kluftingers Spuren durch Altusried“ am 24.08.2012. 74 Lefebvre 2006.

338 | ALLGÄU RELOADED „Also i hab’ g’rad vorher in Memmingen ’tankt und dann hat die Frau sich wahnsinnig g’freit […]. I musst’ dann no’ bissle vor und z’rück fahr’n, damit i überhaupt tanken kann. Und die hat sich wahnsinnig g’freut [Kobr verstellt seine Stimme]: ‚Ah Kluftinger isch rückwärts an d’Tankstell’ hing’fahr’n!‘ Und so. [...] Des finden die [Allgäuer] scho’ cool, dass einer von denen quasi ein deutschlandweit bekannter Kommissar geworden isch sozusagen.“75

Von hegemonialem Rang oder in einer Monopolstellung im Allgäuer Identitätsfindungsprozess ist Kluftinger aber nicht. Die Region ist ökonomisch solide, als Destination etabliert. Hier zirkulieren bereits populäre Identifikationsangebote und wirkmächtige Formeln von einer Allgäuer Eigenart. Sie zeugen von relativ immuner Selbstsicherheit und bedürfen offenbar keiner Ablösung. Frank Edele ist Geschäftsführer einer Kemptener Buchhandlung. Seine Ausführungen belegen ein Narrativ vom tatkräftigen, gewieften Allgäuer – dessen Präsenz unabhängig von den Krimis ist: „Es gibt hier sehr viele kreative Menschen. Die heißen im Allgäu Mächelar. Des sind die, die Tatendrang haben, die basteln wollen, die was machen wollen, vorantreiben. Des hängt mit der Geschichte des Allgäus zusammen, weil die Menschen vor über hundert Jahren unglaublich arm waren. Die mussten sich was einfallen lassen. Die haben noch keine Krimis geschrieben, aber die haben den Käse ins Allgäu geholt. Des war des Beste überhaupt, was passieren konnte. Aber der Menschenschlag is’ hier so brodelnd oder nicht g’rad innovativ, sondern neugierig. Des hängt au’ mit spirituellen Dingen zusammen [...]. Es gab hier die ersten Mondkalender, die ersten, die Wasseradern gesucht haben, lauter so Sachen. [...] Des is’ diese landwirtschaftliche, bäuerliche, naturverbundene Gesellschaft, die hier lebt.“76

Eine an der Populärliteratur orientierte Selbstsicht der regionalen Bevölkerung verneint er. Die von ihm als rückständig und reserviert rezipierten fiktiven Allgäuer decken sich für den Verleger nicht mit den realen – das zeigt seine Antwort auf die Frage, ob sich Eigenwahrnehmung und Außendarstellung der Allgäuer durch die Kluftinger-Krimis verändert hätten: „Ich hoffe nicht [lacht]. Die [realen Allgäuer, KL] sind moderne Menschen, die aufgeschlossen sind, sehr rei-

75 Interview mit den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr am 27.09.2013. 76 Interview mit Frank Edele, Geschäftsführer von Buchhandlung und Verlag Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. Der Ausdruck Mächelar meint einen besonderen Erfindergeist der Allgäuer. Vgl. Renn 2000, S. 289.

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selustig, sehr netter Menschenschlag.“77 Edele gibt außerdem an, keine Allgäuer zu kennen, die eine eigene Übereinstimmung mit jenen aus den Krimis offensiv kommunizierten, auch trügen nicht alle Lederhosen, äßen Kässpatzen oder grantelten kontinuierlich. Doch genauso, wie er pauschalisierende Stereotypen ablehnt („Weil’s ja au net den Allgäuer gibt so wie den Hamburger oder was au immer.“78), gibt er sich distinktionsbetont: „Da simmer schon selbstbewusst genug, dass mer sagen: ‚Wir sind Allgäuer. Wir sind keine Bayern, keine Schwaben, wir sind Allgäuer.‘“79 Autorin Nicola Förg ist in Kempten geboren. Auch sie bestätigt ein nachdrücklich-exaktes Nominieren des Eigenen und ein Zelebrieren kulturalisierter regionaler Zugehörigkeit – vor allem in Abgrenzung zur administrativen Verwaltungseinheit des bayerischen Regierungsbezirks Schwaben, der einen Großteil des Allgäus umfasst: „Die allergrößte Gemeinheit, die man einem Allgäuer antun kann, is’, wenn mer sagt, er sei a Schwabe. Weil ein Allgäuer ist ein Allgäuer ist ein Allgäuer ist ein Allgäuer. Dann isch er lang nix. […] Im Zweifelsfall is’ er vielleicht auch noch Bayer. Aber an Schwabe is’ er nie. Also des is’ eigentlich fast scho’ ’ne Beleidigung.“80

Zugleich aktualisiert sie einen Glauben an eine scheinbar repräsentative und herkunftsbedingt feststehende Wesensart. Förg: „I glaub’ schon, der Unterschied zwischen am richtigen Oberbayern und am Allgäuer is’ schon ganz elementar. Also Allgäuer sind einfach Alemannen. Es sind einfach Alemannen wie Vorarlberger, wie Ostschweizer, wie Schwaben eben auch, wie Oberschwoben oder au’ Albler, des is’ schon a anderer Menschenschlag. [Die] sind einfach net so krachat. Die Oberbayern sind einfach definitiv viel krachater. Da kommsch irgendwo hin, da gibt’s glei a mol a Schnapsl, und dann isch mer ja au in seiner Humoristik schon teilweise... – wenn mer des jetzt net so kennt und die Menschen au’ net kennt, muss mer a stabile Psyche ham. Also i glaub’, ’s find net jeder sofort lustig. Am Allgäuer wird ja vielleicht eher nochg’sagt, der is’ verdruckt. Da gibt’s ja diesen schönen Spruch: Man schichtet dreißig Allgäuer über’nander, also mer ka’ au’ zwanzig nehmen, na isch der Oberste genauso ver-

77 Interview mit Frank Edele, Geschäftsführer von Buchhandlung und Verlag Tobias Dannheimer in Kempten, am 21.09.2013. 78 Ebd. 79 Ebd. 80 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013.

340 | ALLGÄU RELOADED druckt wie der Unterste. […] Die Allgäuer sind eigentlich gutherzig. Die sind nur einfach net so welche, die sofort alles sprudeln lassen, sondern die warten halt erst a mol.“81

Die Aussagen Edeles und Förgs zeigen: Im Allgäu sind bereits Zuschreibungskonstrukte für eine angeblich unterscheidbare regionale Bevölkerungsgruppe vorrätig, die aus emischer Perspektive akzeptiert und verbreitet werden. Kulturwissenschaftlich entscheidend ist hier aber nicht ihr in Frage zu stellender Wahrheitsgehalt, sondern ihre, möglicherweise neueren literarischen Identifikationsvorschlägen trotzende, Wirkmächtigkeit. Helmut Pfanner, Betriebsleiter der Sennereigenossenschaft im Westallgäuer Böserscheidegg, definiert den Begriff „Allgäu“ über seine Bewohner. Pfanner: „Die Leit’ sind halt it so offa, gell. Sind ziemlich für sich glaub’, ja. A bissle eigenbrötlerisch halt.“82 Und während sie im literarischen Narrativ dem teils überzeichneten Allgäuer Kluftinger einige nur mäßig bis gar nicht in Regionalkolorit stilisierte Allgäuer Charaktere beiseite stellen, befeuern (wenn auch freilich suggestiv persiflierend) die Autoren selbst bei öffentlichen Marketing-Auftritten eine repräsentative, kennzeichnende und regional angeblich gleichmäßig ausgeprägte Eigenheit des Allgäuers. Exemplarisch ein längerer Ausschnitt aus einem Radiointerview: Moderator: „Die beiden schreiben sehr erfolgreiche Krimis, die im Allgäu spielen. Und gerade aus dieser Tatsache entstehen oft die allerkomischsten Situationen. Was macht denn den Allgäuer im Speziellen aus, meine Herren?“ [...] Michael Kobr: „[...] Also des isch scho’ a gewisse, also jetzt nicht unbedingt Weltfremdheit, aber er braucht die große, weite Welt nicht, um sein’ Tag glücklich zu verbringen, der Allgäuer.“ […] Moderator: „Wie kommt man eigentlich – wenn ich da hinkomme, bin ich ja Tourist – wie kommt man als Tourist mit einem Allgäuer ins Gespräch? Gelingt mir das?“ Volker Klüpfel: „Ja, des kommt auf die Frage drauf an. Also wenn mer jetzt fragt [verstellt seine Stimme]: ‚Ach, können Sie uns mal sagen: Gibt’s hier ’ne tolle Ecke zum Fo-

81 Ebd. 82 Interview mit Helmut Pfanner, Betriebsleiter der Dorfsennerei Böserscheidegg, am 22.08.2013.

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tografieren, auch was Schönes, was Pittoreskes, mit ’ner Kuh vielleicht?‘ Dann sagt der Allgäuer: ‚Lecksch mi’ am Arsch.‘“ Michael Kobr: „Also wenn Sie jetzt zum Beispiel in so a Wirtschaft gehen und Sie setzen sich erstmal a Stunde hin und sagen gar nix, schauen au’ niemand an, und dann raunzen’S amol a baar so Sachen, dann weiß der scho, ok, der isch ganz in Ordnung, der red ’et so viel, so könnt’ mer’s vielleicht probieren.“ Volker Klüpfel: „Also sowas Nassforsches, des mag der Allgäuer halt nicht. Der hat des G’fühl, du bisch Gast, jetzt aklimatisiersch di mal a bissl, bleibsch mal in d’r Ruah, und wenn de dann mal so a bissl die Atmosphäre mit’kriegt hasch, dann kannsch so langsam anfanga.“ Michael Kobr: „Wobei ‚Gast‘ isch natürlich so a Sach. Überall heißt’s ja in Deutschland ‚Gästezimmer‘, und bei uns im Allgäu heißt’s halt ‚Fremdenzimmer‘. Und des sagt tatsächlich viel aus, muss mer sagen.“83

Über das Allgäu, aber vor allem auch im Allgäu und unter Allgäuern kursieren wirkmächtige Narrationsentwürfe eines eigenen Menschenschlags. Klüpfels und Kobrs Romane zitieren, verwenden und reflektieren Versatzstücke davon. Umgekehrt erweitert der Stoff um den Altusrieder Polizisten zwar das semantische Aufgebot einer Region, wirkt aber kaum fortwährend identitätsstiftend für ihre Einwohnerschaft. Das mindestens mit der touristischen Erschließung eingeübte bollwerkartige Selbstvertrauen eines inzwischen alles andere als strukturschwachen Landstrichs kann dafür ausschlaggebend sein. Der Erfolg der Destination macht unabhängig von raumrepräsentatorisch einprogrammierten neuen Identifikationsangeboten: „Wobei glaub’ ich jetzt dem Einheimischen des vollkommen wurst isch, ob sich des Allgäu als Gesundheits- und Wellnessregion vermarktet. Also für den isch sein Allgäu sein Allgäu. Der Allgäuer is’ mit Sicherheit jemand, der stolz is’ auf seine Region, also der schon au’ weiß, dass er in am verdammt schönen Eck der Welt wohnt“84,

sagt Nicola Förg. Die Formel „Ja, isch scho’ recht, wenn Gäst’ do sin, aber wenn koine do sin, isch au’ ganz nett“85, beschreibt ihrer Ansicht nach eine im Allgäu verbreitete Haltung. Und Simone Zehnpfennig von der regionalen Dachgesellschaft für Standort und Tourismus, selbst im Allgäu lebend, unterstreicht mit ih-

83 SWR4 Matinee, SWR4-Radio. Sendung am 01.04.2013. 84 Interview mit Autorin Nicola Förg am 24.05.2013. 85 Ebd.

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ren Ausführungen, dass vor Ort bereits ein reicher Pool an Kulturalisierungselementen besteht. Der lässt sich nicht nur vermarkten, sondern auch von den Einheimischen zur eigenen Verortung heranziehen: „Wir ham’ unheimlich viele Sagen. Nächsten Sonntag sind die Funkenfeuer überall zum Beispiel. Mer isch scho’ mit dem verwurzelt und auch mit den ganzen Traditionen, die hier sind. Und er [sie meint ihren Kollegen, der am Schreibtisch gegenüber sitzt, KL] zum Beispiel ist immer ganz erstaunt über das, was es hier im Allgäu gibt. Er is’ aus Oberbayern [...]. Da hab’ i immer g’meint: Hä, ham die Oberbayern des net? Aber scheinbar ham mir wirklich no mehr und leben des no mehr, als es andere tun. [...] I hab’ selber drei Kinder, mer wächst so rein, allein durch die katholische Kirche, des is’ einfach so, mer hat dann die Bräuche. Und vielleicht fällt des uns gar nimmer so arg auf. […] Und vielleicht wird der Kluftinger noch zu ’ner Marke. Also momentan, wenn sie uns fragen, sag mer: Nö.“86

Während der Gemeinplatz von der gelebten Tradition bewährtes Selbstwahrnehmungs- und Außendarstellungsmittel zu sein scheint, wird sich einer Adaption der Kriminalliteratur zum Aushandeln des eigenen Ichbewusstseins verwehrt. Zumindest dann, wenn das fiktive Allgäu nicht als dynamisch-prozesshafter Raum, sondern ausschließlich als altmodisch-abgeschlagen und hinterwäldlerisch interpretiert wird. „Die Allgäuer ham g’sagt: ‚Um Gotteswillen, was war denn das!‘ Also so rückständig simmer halt einfach net“87, beschreibt Zehnpfennig Reaktionen auf den Kluftinger-Stoff und seine Transformationen. Nimbus und Selbstverständnis an Populärkultur auszurichten ist dann so unwahrscheinlich wie hinfällig, sobald der (hier im Kontext einer Bestandsaufnahme der Allgäuer Heimatpflegepraxis formulierte) Befund greift, „dass die Region längst kein Kuhfladen-Image mehr hat. Sie wirkt naturverbunden und weltoffen. Ein starker Regionalstolz hat sich entwickelt“88. Theresia Wölfle ist Krimi-Führerin in Kempten und wohnt dort. Die Rolle der Allgäu-Krimis für Selbstwahrnehmung und Alltagsrouten ihrer Mitbürger schätzt sie als gering ein: Die Kemptener frequentierten ihre „eingeschliffenen Wege“ in der Stadt und ließen sich „von so am Buch net beeinflussen“89. Etwa

86 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 13.02.2013. 87 Ebd. 88 Jauß 2015. 89 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013.

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wegen dessen Nennung im Roman Laienspiel im Schuhhaus Onkel Hannes statt im bis dato gewohnten Geschäft einzukaufen, ist für Wölfle undenkbar. Auch kommt eine aktive Selbstverortung über den erzählten fiktiven Raum für sie nicht infrage: „Mer wird eher mal drauf angsprochen, dass mer hört: ‚Ach, du kommsch aus’m Allgäu, da spielen doch die Kluftinger-Romane.‘ Also i würd’, wenn i irgendwo im Urlaub bin, au’ net sagen: ‚I komm aus’m Allgäu, wo die Kluftinger-Romane spielen.‘ Nee. Eher dass des andersrum läuft, dass die Leut’ mich dann ansprechen.“90

Und Anita Kapf, die im Schwarzwald lebt, aber aus dem Allgäu stammt, sagt: „I würd’ saga, identifizieren tut man sich weniger mit den Personen, eher mit der Region. Ich lese auch die Schwarzwald-Krimis, das ist das gleiche. Da ermitteln ein Reporter und ein Lehrer: Das ist das gleiche, wenn man die liest. Die fahren von da nach da, dann ist das so plastisch, wenn man die Gegend kennt.“91

Bei ihr meint Identifikation mit dem Gelesenen also weniger Zustimmung zu einer aus dem Roman aufgenommenen universalen Allgäu-Kultur denn ein aus der so empfundenen Deckungsgleichheit von Landschaftsbeschreibungen mit realen Topografien gesogenes wohliges Gefühl des Erkennens. Kluftinger-Identifikation ist, wenn überhaupt, auf temporäres PopulärkulturKonsumvergnügen beschränkt. Allgäuer entwickeln keine kollektive, strahlkräftige oder nachhaltige Assimilation an das fiktionalisierte Allgäu. Einer Adaption der fiktionalen Vorlage im empirischen Alltag scheint zudem abträglich, dass in der Selbstwahrnehmung die Region Allgäu – teils ganz in der Tradition Lefebvres, den physikalischen Naturraum als Ressource und Nachweis der Produktivkräfte einer Gesellschaft zu verstehen92 – als über die Epochen sehr erfolgreich zugerichteter Landstrich erscheint. In einem Ausstellungskatalog des Schwäbischen Bauernhofmuseums Illerbeuren aus dem Jahr 2000 heißt es: „Hier entstand im Laufe von Jahrhunderten eine Kulturlandschaft, die einen harmonischen Gleichgewichtszustand zwischen Natur und künstlichem Eingriff, zwischen natürlicher Vegetation und landwirtschaftlicher Nutzung, zwischen gewachsenen Landschaftsformen

90 Ebd. 91 Ethnografisches Interview mit Anita Kapf (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 01.09.2012. 92 Lefebvre 2006, S. 330f.

344 | ALLGÄU RELOADED und menschlichen Bauten darstellt. […] Die folgenden Beiträge wollen versuchen, die Vielfalt und das Besondere der Landschaft und der Menschen in den Allgäuer Alpen und ihre Wirkung auf das Alpenvorland lebendig werden zu lassen.“93

Obwohl dieser Standpunkt eine dynamikaffine, für Heterogenitäten sensibilisierte und konstruktivistische Vorstellung von Region vertritt, fungiert er zeitgleich als stolzer Lobeshymnus auf ein mühsames, aber auf lange Sicht gelingendes soziales Aneignen von materiellem Raum – das in der Konsequenz Selbstachtungsanreize etwa durch die Populärkultur überflüssig macht. Zumindest punktuell allerdings verspricht der Einsatz einzelner Erzählstränge oder Narrationselemente, ein Wir-Gefühl zu steuern: Die AllgäulandKäsereien GmbH etwa plante eine Lesung aus Milchgeld für ihre einheimischen Gesellschafter und Bauern.94 Spontan, thematisch zugespitzt, spezifisch rezipiert, ummodelliert, geformt oder transformiert kann das literarische Narrativ nicht nur touristischen Zwecken, sondern auch der aktiven Allgäu-Herstellung durch und für die Ansässigen dienen: „Des kommt dann auf einmal, dass se [die Einheimischen] des sagen. Und sich gerne da wiederfinden würden oder wiederfinden“95, so Zehnpfennig. Zum einen kann Identitätsmanagement in der verhältnismäßig prosperierenden Region Allgäu auf ein üppiges Arsenal an raumausstattenden Gütern zurückgreifen, zum anderen polarisiert Kluftinger. Im realen Allgäu mobilisiert er nicht nur zur Beglaubigung, sondern genauso zur Abgrenzung von der Lektüre: Für ein kollektives Allgäuer Bewusstsein ist die Krimi-Fiktion deshalb nicht maßgeblich. Sie verquickt aber Ansässigen- und Auswärtigen-Welten mehrfach: einerseits, indem sie den Lesern der Kluftinger-Romane, die es in beiden Lagern gibt, den gleichen ideellen Symbolhaushalt zur Verfügung stellt – sie nutzen ihn für je individuelle Raumimaginationen, die sich in der polyphonen Idee „Allgäu“ begegnen. Und indem die Krimi-Fiktion touristische, d.h. auch von Fremden realisierte Welten auf den physisch-materiellen und semiotisch besetzten Benutzeroberflächen der Einheimischen einrichtet, macht sie Allgäu hybrid und mitveranlasst ein „Zusammentreffen unterschiedlicher Vernetzungsstränge an einzelnen

93 Peter Nasemann: Die Allgäuer Alpen als Siedlungsraum und Kulturlandschaft. In: Kettemann 2000, S. 25-28, hier S. 28. 94 Interview mit Simone Zehnpfennig, Leitung Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Produktmanagement Kultur bei der Allgäu GmbH – Gesellschaft für Standort und Tourismus, am 20.04.2013. 95 Ebd.

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Orten“96. An fiktiven Schauplätzen und Tatorten, in Kaufhausabteilungen und dörflichen Wohngebieten schichten sich mitgebrachte Projektionen von reisenden Kluftinger-Fans und Führungsdesignern über die kulturellen Praktiken der Einheimischen, wenngleich letztere die importierten Deutungen der Region nicht zwingend übernehmen. Die Allgäu-Krimi-Leser wie Nicht-Kluftianer unter den Allgäu-Bewohnern bilden und performen je spezifische Raumkonstrukte, die sich mit den neuformulierten der Krimi-Touristiker und zugereisten KrimiTouristen kreuzen. Gemeinsam bedingen sie eine „Komplexität paralleler kultureller und räumlicher Welten und damit korrespondierender oszillierender Identitätsfacetten“97 in Kempten, Altusried oder Memmingen. „Allgäu“ steht immer nur für eine nach spezifischen menschlichen Belangen konstruierte Version von Allgäu. Literatur und Krimi-Tourismus konstituieren also nicht das Allgäu. Denn das Allgäu gibt es nicht.98 Vielmehr meint Allgäu ein je Unterschiedliches und ist als Palimpsest zu deuten: als Schichtung sich überlagernder Sozialräume. Literatur und Krimi-Tourismus konstituieren eine dieser Schichten von Allgäu. Das kluftingerisierte Allgäu ist eine AllgäuVersion von vielen. Es findet situativ statt und kann performativ aufgeführt werden. Es ist gebunden an Allgäuer Orte und Dinge, die als Realitätszreferenz in den Romanen auftauchen. Und es ist gebunden an jene Akteure, die als KrimiTouristiker oder Krimi-Touristen handeln. Die Populärliteratur ist eine kulturelle Ressource zur Herstellung einer Komposition von Allgäu. Die Touristiker nutzen sie als eine Bespielweise der Destination. Daneben existieren weitere und intensiver beanspruchte. Jede Monografie von Region impliziert Unzulänglichkeiten. „Allgäu“ nominiert eine Benutzeroberfläche, der stets neue Narrative eingeschrieben werden, und ist damit Synonym einer unendlich fortführbaren Reihung von Signifikationen. Ein Allgäu existiert nur vor dem Hintergrund eines anderen. Was aber laut Aleida Assmann urbane Konglomerate an Bedeutungsgravuren ausmacht, gilt auch für das Palimpsest Region: „Obwohl im Stadtraum alles gleichzeitig anwesend ist, heißt das jedoch keineswegs, dass jeweils alle Schichten auch gleichzeitig wahrgenommen werden und im Bewusstsein präsent sind.“99 Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen lässt sich im Allgäu über den medialen Wandel des Kluftinger-Stoffes aufarbeiten. Anhand von Literatur und ihren Transformationsprozessen kann die Intertextualität von regionalen Narrativen, die Entste-

96 Römhild 2000, S. 19. 97 Ebd., S. 25. 98 Vgl. Herz 1993, S. 213. 99 Assmann 2009, S. 18.

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hung, Verwobenheit und das multiple Dasein von Raumschichten rekonstruiert werden. Bereits auf der Ebene des literarischen Textes handelt es sich, wie ausgeführt, um weit mehr als nur eine singuläre Erzählung, nämlich um ein sich potenziell unendlich vergrößerndes Textkorpus: Kluftingers Handlungsraum ist nur eine Skizze auf dem Palimpsest Region. Andere Allgäu-Narrative aus anderen Allgäu-Krimis prägen weitere. Klüpfels und Kobrs Romanreihe bleibt nicht monologische Bestimmung von Allgäu. Die Reihe ist Element eines Allgäu-KrimiUniversums – eines Universums an, nach Lefebvre, repräsentationsräumlichen Angeboten symbolischer Ordnung. Dessen Bestandteile kennzeichnet sowohl ihr alternierendes Bezogensein aufeinander als auch eine mitunter konfliktreiche Differenz von Autorintentionen und Imaginationsraumkonkurrenzen. Dieses von polyphoner Einbildungskraft produzierte Allgäu-Krimi-Allgäu ist, wie beschrieben, Bühne für Komik und Tragik, verkitschtes Idyll und Spielort von Grotesken, Arena innenperspektivisch geführter Verteidigungskämpfe von Autoren gegen darstellerische Zugriffe von Außen. Vielfalt und Dialogizität von AllgäuEntwürfen freilich rekrutieren sich nicht nur aus genregleichen Texten und, gattungsübergreifend, anderen literarischen Erzählungen, sondern auch aus kulturellen Raumformulierungen jeglicher (medialer) Art. Rezipienten eignen sich das literarische Rohmaterial der Kriminalromane aktiv an und produzieren eine Vielzahl an weiteren Allgäu-Vorstellungen: zustimmende oder ablehnende, aber immer eigensinnige. Die von Fremdenverkehrsregisseuren konzipierten lokalspezifisch variierenden Inszenierungen von Schauplätzen schreiben sich dem Palimpsest Allgäu ebenso ein – doch ein Durchscheinen touristischer Designs vor oder jenseits von Kluftinger, die die Destination als gelebte Tradition bergende Wellness-, Wander- oder Wintersportregion erzählen, erlauben sie weiterhin. Mit gutem Grund: Referieren die Krimi-Inszenierungen mitunter doch auf die populären AllgäuSchablonen. Mit ihren kreativen und erfinderischen Verbauchstaktiken fächern die Krimi-Touristen die Codierungen von Tourismusverbänden und kommunalen Institutionen weiter auf. Sie implantieren dem Begriff „Allgäu“ noch mehr an Regionsentwürfen. Ihre multisensorisch erfahrenen und realisierten Erlebnisräume überlappen sich mit dem Allgäu der Anderen: nämlich dem über die Alltagspraktiken der Einheimischen konstruierten. Die Palimpseststruktur der Region lässt das milchwirtschaftsgeprägte Agrarland durch die Sehnsuchtslandschaft scheinen. Mnemotope pressen sich in abgeschiedene Provinz. Shoppingmeilen werden Tatorte eingekerbt. Heimaten blitzen durch Aussichtsorte, Eventstätten durch Bergparadiese – und umgekehrt. Das Schlagwort Allgäu subsumiert die ehemalige Residenzstadt Kempten als heraus-

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geputzes Ausflugsziel ebenso wie ihre zu „Brennpunkte[n]“100 ernannten Außenbezirke, über die es schon hieß, „nachts kannsch da net aussteigen“101. Es wird auf dem Rathausplatz der Regionsmetropole mitproduziert, wo Touristen wie Einheimische an Sommerabenden auf freie Plätze hoffen und es „wurst [ist], ob i von hier bin oder ob i von woanders her bin“102, wird von Streetworkern und Jugendhilfe mit ausgehandelt, die zum Einsatz kommen, weil Menschen verschiedener Herkunftsländer einst „in ein Wohngebiet gepackt“ worden, aber ihre „Welten aufeinandergeprallt“103 seien. Allgäu entsteht, wenn das Oberschönegger Milchverarbeitungsunternehmen Ehrmann seine Joghurtbecher mit dem Bild einer viehscheidstauglichen Kranzkuh dekoriert, und ebenso, wenn Kluftinger in einer eigens für das Reisemagazin Merian erdachten Episode eine Fernsehredakteurin, die vermeintlich typisches Braunvieh in Szene zu setzen erpicht ist („Haben Sie vielleicht jetzt ein paar Kühe für uns?“104), in Klischee-negierendem Ansinnen lediglich in einen „stinkende[n] Stall“105 führt, wo es völlig an „so tolle[n] Kränze[n] auf dem Kopf“106 der Tiere fehlt. Der monothematische Zugang Regionalkrimi eröffnet den Blick auf die mehrdeutige Beschaffenheit von Region. Nicht nur die populärkulturelle Ware Romanserie und ihre Transformation engagiert ein „in Interaktionen bestehendes Netzwerk von Dingen und Aktivitäten […], an denen viele beteiligt sind: Künstler, Agenturen, Impresarios, Unternehmen, Kritiker, Publikum und Fans“107. Auch das sie einbettende Raumgefüge ist Resultat der Praktiken einer Vielzahl von Handelnden: Administratoren, eigene Infrastrukturen schaffenden Organisationen, Exekutiven, deutenden Publizisten, Erzählern und Lesern, Reisenden und Bereisten. Diese Summe von Akteuren stützt Lefebvres Verständnis von Raum als mehrdimensional kreiertes Ganzes:108 Dessen konstituierende Ebenen können heuristisch getrennt analysiert werden, sind im alltäglichen Dasein aber untrennbar miteinander verquickt.

100 Interview mit Theresia Wölfle, Stadtführerin in Kempten, am 03.04.2013. 101 Ebd. 102 Ebd. 103 Ebd. 104 Merian.de: Allgäu: Führung mit Heimatkolorit. In: Merian (2009), H. 4: http://www .merian.de/magazin/allgaeu-fuehrung-heimatkolorit.html (Zugriff: 09.01.2015). 105 Ebd. 106 Ebd. 107 Maase 2013, S. 30f. 108 Lefebvre 2006.

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Denn der Kluftinger-Kosmos ist Ergebnis triadisch strukturierter Produktionsverfahren. Er wird über verschiedene Modi von verschiedenen Herstellern konstruiert und ist daher selbst nur im Plural denkbar: Die literarischen Narrative beschreiben erfundene Altusrieder Lebensräume, Kemptener Arbeitswelten, Erfahrungen ihrer Protagonisten: fiktive räumliche Praxis also. Über die Lektüre fabrizieren Leser Vorstellungen und damit Repräsentationsräume, die als imaginierbare Symbolausstattungen die Benutzeroberfläche Allgäu reformulieren. Während Planer und institutionalisierte Raumanbieter aus der literarischen Ressource abstrakte, erdachte Raumrepräsentationen – in Form von KrimiLandkarten und Führungsdesigns – konzipieren, verräumlichen erst die KrimiTouristen als aktive Benutzer die Bildqualitäten der Fiktion und wandeln sie in gelebte Räume. Diese repräsentationsräumlichen Zeichensysteme wiederum dringen in Friedhöfe, Schuhgeschäfte oder Naherholungsgebiete der Allgäuer ein, überschreiben deren Materialausstattungen und die dort ausgeübten Alltagsroutinen, d.h. sie signifizieren lebensweltliche räumliche Praxis. Das Kunstprodukt Allgäu-Krimi setzt ein Zirkulieren von miteinander verwobenen Produktivkräften in Gang – und sein Gebrauch steht beispielhaft für die komplexe Beschaffenheit räumlicher Konstrukte. Der mehrstimmige Charakter von Region speist sich indes nicht nur aus diesen verschiedenen Zugriffsebenen und Gestaltern, sondern auch aus ihren divergierenden Strategien und Taktiken, den Gegenstand Allgäu zu behandeln. In seiner Biegsamkeit wird das literarische Narrativ akteursabhängig interpretiert und gebändigt und über verschiedene Erzählstile in semiotisch diversifizierbare Raumschichten aufgesplittet. Auf sämtlichen Raumproduktionsebenen werden je eigene Codierungen von Allgäu umgesetzt. Die Kluftinger-Romane inszenieren die Region als dynamisch-heterogenes Gewebe mit porösen Grenzen, als Ansammlung sozial und kulturell hergestellter Nutzerräume. Ein Forum für mobile Menschen und Sozialgüter, ein Nebeneinander von alternativen Bio-Märkten und sakralen Konventionen, von Arbeitswelten von Prostituierten und Polizisten, ein Panoptikum pastoraler Umwelten und touristisch zugerichteten Berggebiets: Das ist das Allgäu in Klüpfels und Kobrs Kriminalromanen. Zwar befriedigen auch sie populäre Folklorismuspetitionen und warten mit „Bilder[n] vom schönen Bayern, Landschaften oder kulturelle[n] Formen wie Wirtshäuser oder Trachten, wie sie in dieser Intensität kaum in einer anderen Region zu finden sind“109, auf: partiell jedoch, und nicht in preziöser Anhäufung. Voralpine Bukolik ist im belletristischen Text vorhanden, aber nicht holistische Behauptung.

109 Egger 2014, S. 169.

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Demgegenüber zeigt der Krimi-Tourismus teils zum Kuriosum umgewertete Gewöhnlichkeit, akzentuiert aber die Vorstellung vom Sehnsuchtsziel Allgäu als harmonisch-stabiles Behältnis eines charakteristischen Menschenschlags, dekorativer Natur und pittoresker Artefakte, nicht aber die Aushandlungsprozesse räumlicher Zuschreibungen. Diese unterschiedlichen Raumnarrationen ergänzen die Allgäu-Auslegungen von Lesern und vor Ort Performenden: Während die Romane nach dem Dafürhalten der einen Rezipienten „eben nicht“110 einen klischierenden Blick auf die Region werfen, sondern das vermeintliche ländliche Idyll als Phantasma enttarnen, sehen die anderen im Erzähltext ihren Bedarf nach Imaginationen von bergkettengesäumten Projektionsflächen ihres Schwelgens erfüllt, für dritte weist ihre Lektüre die fiktive Region vehement als tumbes und rückständiges Randgebiet aus. Und neben jenen Krimi-Touristen, die das Design der Anbieter in individueller, de Certeauscher Rhetorik unterwandern, gehen solche die Strecken ab, die das Gesehene als harmonisches Urlaubsparadies und intakten Heimatraum genießen. Krimi-Leser und Führungsteilnehmer schaffen sich ihre eigenen Allgäu-Bilder und Nutzerräume. So ergeben sich sowohl konzeptionell und als auch inhaltlich ambivalente Allgäu-Schichten: Auf Statik hin designte Raumrepräsentationen schreiben sich mobiler räumlicher Praxis ein, Dynamiken herausarbeitende Repräsentationsräume dienen ihren umwertenden Benutzern als konsumierbare Symbolhaushalte ihrer homogen ästhetisch zu erfahrenden Reiseräume – und so fort. Die Summe von Raumproduktionsweisen ergänzt ein Füllhorn von ins Voralpenland gepflanzten Bedeutungen. In all seinen Dimensionen und Transformationen lässt das literarische KrimiNarrativ Raum für typisierende Gemeinplätze eines universalistischen Bayernbilds. Das kluftingerisierte Allgäu kann, je nach Verbrauchertaktik, auch einer Denkfigur Rechnung tragen, die das Bayerische als Synonym für Heimat schlechthin und als gefragter denn je begreift. Auch in aktuellen, eher populärwissenschaftlichen, Beiträgen kulturanthropologischer Ausrichtung wird diese bemüht: „So viel Heimat wie in Bayern – könnte man meinen – gibt es nicht überall. Und mehr Heimat ist eigentlich nicht vorstellbar. Die Menschen, die hier leben, sind oft tief verbunden mit der Gegend und tragen diese Verbundenheit auch besonders offen zur Schau. […] Durch die Bewirtschaftung ist im Laufe der Zeit eine Landschaft mit chrakteristischen

110 Ethnografisches Interview mit Christel Dingler (Name anonymisiert) während der Kluftinger-Tour der Unterallgäuer Gästebegleiter am 20.04.2013.

350 | ALLGÄU RELOADED Bauten, blühenden Wiesen und grasenden Kühen entstanden. Bayern meint immer auch eine Fülle von Traditionen, Bräuchen und Symbolen, die mit der christlichen Prägung der Region zusammenhängen.“111

Wer sein Allgäu entlang solcher Zuschreibungen konsumieren will – als scheinbar authentisch gewachsenes Gebilde, Speicherkammer lebendiger Tradition und legitimiertes Flaniergebiet für Trachtträger – wird sowohl in der literarischen als auch lebensweltlich erfahrbaren Kluftinger-Welt fündig. Jene, die in Lektüre und Wirklichkeit andere Facetten von Region suchen, jedoch ebenso. Im und um den transmedial strukturierten Krimi-Kosmos ist „Allgäu“ heterowie homogen, negativ wie positiv konnotiert, wird als veränderlich dargestellt und als vertraut erfahren, ist Plattform kultureller Austauschprozesse und veräußerbarer Kulturraum: aber nie absolut, sondern relational zu denken. Jede interessegeleitet konstruierte Allgäu-Schicht interagiert mit anderen so nominierten: An gemeinsam akquirierten Raumbauelementen und Orten entstehen Berührungsmomente. Erst ihre individuelle Verknüpfung durch verschiedene Akteure schafft eine Vielzahl an Allgäu-Räumen: Eine Bank am Alatsee-Ufer ist Teilmenge von Urlauber-, Füssener Spaziergänger-, Naturwissenschaftler- und Touristiker-Räumen. Alle im Allgäu ausgeübten Sozialpraktiken generieren ihre eigenen spatialen Gefüge.112 Regionalkrimi-Narrative und Kluftinger-Tourismus negieren, indem sie auf Realwelten referieren und sie umdeuten, per se eine singuläre Semantik von Sozialgütern. Als Orte benennendes und Region nach- und neu erzählendes Genre ist das Allgäu-Krimi-Segment Indikator populärkultureller Art dafür, dass „die Möglichkeit, am gleichen Ort unterschiedliche Räume zu schaffen, immer gegeben“113 ist. Während „Allgäu“ im gängigen Sprachgebrauch eine Region betitelt, subsumiert der Begriff im kulturwissenschaftlich-raumtheoretischen Kontext eine Vielheit an geografisch auffindbaren Orten, an denen sich jeweils eine Summe an sozial produzierten Räumen formiert. Obgleich sie mithin ein Konstrukt Region mitbedingen, können diese einzelnen Raumschichten Resultate auch globaler oder lokaler Kräfte sein: In weltweite Handelsbeziehungen verflochtene Milchwerke, Füssen frequentierende Touristenströme internationaler Besetzung und die dörfliche Laienspielgemeinschaft Altusrieds sind dafür einige Beispiele im Kluftinger-Universum. In ihrer simultanen Gegenwart treffen und beeinflus-

111 Egger 2014, S. 164f. 112 Reckwitz 2012, S. 252. 113 Löw 2001, S. 201.

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sen diese Schichten einander, beschreiben das Palimpsest Allgäu kontinuierlich neu. Region ist nicht nur regionales Produkt, Allgäu nicht autark allgäuerisch hergestellt: Das liegt an den Austauschprozessen von Reisenden- und Bereistenräumen, universellen Ökonomien und örtlichen Strukturen, kosmopolitisch und lokal eingeschränkt zirkulierenden Moden und Erzählungen. Das Allgäu ist nicht erzähl- und ethnografierbar, lediglich einzelne seiner Schichten sind es. Bei totalisierenden Versuchen handelte es sich um Zuschreibungen und Typisierungen. Entsprechend lassen sich über Region erzählende Kriminalromane nicht zu universalgültig-repräsentativen Erzählungen von Allgäu erklären. Die Kluftinger-Serie ist nur ein Narrativ von Allgäu. Vorherrschendes Narrativ von Allgäu ist es nicht. Doch es wird bearbeitet, und das hat, wie ausgeführt, vielfache Effekte und Beteiligte. In diesem Gebrauch bleibt das Krimi-Narrativ nicht singulär, in seinem Durchmarsch durch verschiedene mediale Formate nicht unangetastet und unverändert. Vielmehr muss mediale Transformation immer als Multiplikation des Erzählstoffes betrachtet werden. Leser, Kulturunternehmer, Touristen und viele weitere Akteure und Akteursnetzwerke partizipieren an einer unendlich weiterführbaren Reihe von Übersetzungen. Schicht um Schicht setzten sie die Beschriftung des hauchdünnen, durchsichtigen regionalen Pergaments fort. „Allgäu“ steht metonymisch für Gleichzeitigkeiten – Literatur schafft weitere davon. Und indem Literatur nicht ausschließlich Literatur bleibt, sondern verschiedene Handelnde zu verschiedenen Performanzen aktiviert, macht eine Ethnografie von Populärlektüren und ihrem Gebrauch die mehrdeutige Beschaffenheit von Region nachvollziehbar.

5 Ausblick

Regionen sind tradierte Gegenstände volkskundlichen Forschens, und Regionalkrimis stellen genau diese Kategorie zentral. Kulturwissenschaftliche Aufmerksamkeit für jenes Literaturgenre empfiehlt sich aber nicht, weil es vermeintlich nur Geschichten über geografisch zugeordnete Trachtengarderoben, Brauchrequisiten, prototypische Repräsentationen von Volkskultur und fiktionalisierten Folklorismus bereitstellt. Regionalkrimis sind in zweifacher Hinsicht von Interesse: weil sie an Reflexion und Poiesis von palimpsestartigen Gefügen beteilgt sind. Allgäu-Krimis beschreiben Konstruktionen von Region und setzen solche mit ihrer Ingebrauchnahme in Gang, sie bilden ein mehrdimensional hergestelltes Regionsnetzwerk ab und sind Bestandteil eines lebensweltlichen. AllgäuKrimis diskutieren disparate Sichtweisen von Allgäu und liefern Bedeutungsmassen für neue Allgäu-Entwürfe, sie stellen gesellschaftlich erzeugte Raummodelle dar und verankern sich sinnstiftend in spatialen Herstellungsverfahren der Wirklichkeit. Allgäu-Krimis inszenieren fiktionale Raumpalimpseste und ergänzen reale um weitere semiotische Schichten. Sie zeigen die Produktion von Region und produzieren Region, sie bilden Region ab und lösen sie aus. Eine Analyse der epistemologischen Quelle Regionalkrimi und ihrer lebensweltlichen Inszenierung verspricht daher einigen Mehrwert für kulturwissenschaftliche Regionalforschung – insbesondere, das hat die vorliegende Studie gezeigt, wenn sie transmedial ausgerichtet ist. Das gilt auch für Anschlussfragestellungen, die über das Allgäu hinausgehen. Ihr Ziel kann nicht nur sein, etwa in Anlehnung an Franco Moretti und dessen Vorhaben, das Textkorpus des europäischen Romans in literarischen Landkarten zu visualisieren,1 einen Atlas des europäischen Regionalkrimis zu erstellen. Erzählte Räume bieten weiteres erkenntnistheoretisches Potenzial als das bloße Verzeichnen ihrer Handlungsorte. Kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit

1

Moretti 1999.

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Regionen thematisierenden Lektüren kann und sollte über die zweidimensionalen Grenzen literaturgeografischer Mapping-Ansätze hinausgehen und sich auch an den Gebrauchsweisen dieser Lektüren orientieren. Sie sollte die qualitative Untersuchung von imaginären Regionen mit der von realen verbinden, Literaturanalyse und Ethnografie empirischer Entitäten kombinieren. Übersichten von deutschsprachigen oder auch internationalen fiktionalisierten Regionen ließen so auf lohnende Befunde hoffen: beispielsweise hinsichtlich der Muster, Kongruenzen, Gleichheiten und Unterschiede in der Genese von Raumvorstellungen. Vergleiche von mehreren alpinen Regionen hinsichtlich ihrer Darstellung in der Literatur und ihrer performativen Umsetzung, von alpinen und maritimen Regionen, von schweizerischen oder schwedischen wären nur einige wenige Ansätze, die Aufschlüsse über Topoi oder Gemeinplätze in der Organisation von Regionen in Aussicht stellen. Konkret wäre etwa darauf einzugehen, inwieweit Literaturen über – spezifische – Regionen Reaktionen auf oder mit Grund für zeitgenössische gesellschaftliche Trends sein können. Denn literarische Narrative sind, auch das demonstriert diese Studie, elastisch. Als Rohmaterial lassen sie sich im de Certeauschen Verständnis verschiedensten Verbraucherinteressen gemäß modulieren und weiterverarbeiten. Für im Allgäu verortete Kriminalromane gilt das besonders: Wirklichkeitspartikel integrierend, eignen sie sich gut, um je nach Akteursvorgabe Wirklichkeiten semiotisch neu einzukleiden. Maßgeblich beeinflusst diese Elastizität selbstredend ihre Rezeption. Das Image des Genres bestimmt aber auch jene (besonders feuilletonistisch gern bemühte) Rezeption, putzigheimelige, auf ewig unzerrüttbare und auch durch den flüchtigen Einfall des Bösen nicht einreißbare heile Welten zu präsentieren. Allgäu-Krimis, so eine populäre Lesart, förderten Eskapismus, stellten Sehnsuchtslandschaften, opulente süddeutsche Traditionsreservate, popkulturell aufgehübschte Kompensationsräume, kurz: das schöne Allgäu vor. Und diese Idee vom sonnigen Allgäu lässt sich gut einsortieren in die gegenwärtig kommerziell so gedeihlichen Warenbestände von Bayern-Pop, Alpenromantik und nach aktuellen Mode-Normativen aufgerüstetem Provinzenthusiasmus. In Konsumgesellschaften, in denen der „Zauber des Allgäus fernab von Kunststoffen, Chinaprodukten und Plagiaten“2 in Form von I-Phone-Taschen aus echtem Kuhfell über den Online-Ladentisch des Heimatliebe-Versands geht, wo „Trachten liegen voll im Trend“3 allherbst-

2

Heimatliebe: Lebendiges Allgäu. http://www.heimatliebe.eu/wir.html (Zugriff: 15.01.

3

Alpenwelt-Versand: Lederhose und Dirndl – Trachtenmode in ihrer ursprünglichen

2015). Form. http://www.alpenwelt-versand.com/ (Zugriff: 15.01.2015).

A USBLICK

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lich als generationsübergreifender Imperativ für Stadtbewohner jeglichen Milieus kursiert und junge Blasmusikformationen wie die Oberammergauer Kofelgschroa oder die Chiemseer LaBrassBanda bislang als traditionell etikettierte Musik in hippe Popkultur umstylen, können sich auch Buchautoren in Lederhosen positionieren, ohne an Lässigkeit einzubüßen,4 und Geschichten über Landstriche, in denen Traktoren tuckern,5 aus Steingutkrügen getrunken6 und im Walkjanker7 aus dem Bauernhaus gegangen wird, problemlos zum Verkaufshit avancieren. Romantisierende Ländlichkeit ist (wieder) en vogue, auch allgäuerische. Das literarische Narrativ verfolgt aber, wie ausgeführt, keine stringente Verklärung oder Abschottung der Region. In den provinziellen Allgäu-KrimiSettings leben, ebenso wie in urbanen, wenig Begüterte in monotonen Sozialbausiedlungen, findet Prostitution statt, gehören kyrillische Schriftzüge zum Stadtbild, arbeiten Menschen unter schlechten Bedingungen oder versuchen, ihr Existenzminimum über Drogenhandel zu sichern, herrscht in Unternehmen das Primat von Profitgier und kapitalistischem Gewinnstreben vor dem Ethos einer legalen Produktion sauberer Erzeugnisse. Gerade die wissenschaftliche Akzentuierung des (performativen) Gebrauchs verschiedener Akteure von Kriminalliteratur mit spezifischen Spielorten könnte spannende Erkenntnisse über die jeweiligen Wahrnehmungen etwa von Stadt- und Provinzkrimi liefern. Ein Ausdehnen dieses transmedialen Vorgehens über die Genregrenzen hinaus ist freilich ebenso denkbar wie wünschenswert. Der Fokus dieser Arbeit lag auf der lebensweltlichen Re-Produktion von fiktionalen Räumen – doch diese inszenieren nicht nur Regionalkrimis, sondern selbstverständlich auch andere künstlerische Texte. Und genauso werden diese angeeignet und performativ verwirklicht. Kulturwissenschaftlich beachtenswert scheinen neben der Kategorie Raum auch die performativen Aneignungstaktiken anderer Konzepte aus der Literatur: z.B. Mode, Architektur, Essen. Und fragen ließe sich auch nach der Aneignung anderer populärkultureller Werke: TV-Serien, Internet-Blogs, Magazine. Der Fokus läge dann stets auf dem Werk und auf den lebensweltlichen Gebrauchstaktiken seiner Konsumenten. Speziell für Medien- und Tourismusfor-

4

Vgl. z.B. Carola Fuchs: Der neue Kluftinger-Krimi: Pfiffig oder provinziell? In: Stuttgarter Zeitung, 26.02.2013. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.der-neue-klufting er-krimi-pfiffig-oder-provinziell.72d7d274-50d9-4361-b6d3-d2f3d9c83af4.html (Zugriff: 15.01.2015).

5

Herzblut, S. 74.

6

Ebd., S. 27.

7

Ebd., S. 213.

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schung und ihre Schnittmengen schiene das ertragreich – etwa durch Fragen danach, wie sich Akteure Urlaubswelten aneignen, nach welchen ästhetischen Vorgaben und popkulturellen Referenzen Urlauber ihren Urlaub gestalten, nach der Wirkmacht von in Magazinen illustrierten Landschaftsbildern für Wanderer oder der von Historienromanlektüren für den Besuch von Kulturerbe-Stätten oder dem Einfluss von Populärkultur auf die Inszenierung von Heritage, Reisegestaltung oder Urlaubs-Selfie. Resultat eines performanz-orientierten Vorgehens wäre: Der kreative Anteil von eben Nicht-nur-Konsumenten rückte stärker in den Fokus.

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6.3 W EITERE Q UELLEN 3nach9. WDR-Fernsehen. Ausstrahlung am 06.04.2012. Bergheimat. Kobr, Klüpfel, Kluftinger und ihr Allgäu. Eine Geschichte zwischen Alpin-Idyll, Heimatverbundenheit, Verbrechen, Bestseller-Ruhm und Lokalkolorit. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 06.01.2012. Das perfekte Dinner – Kampf der Regionen. Vox. Ausstrahlung am 27.12.2013. Faszination Wissen: Der blutende See. Expedition zum Grund des Alatsees. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 21.04.2005. Freizeit: Schmidt Max und der Tatort Allgäu. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 13.09.2012. Geld und Leben: Allgäu-Krimi. Auf den Spuren von Kommissar Kluftinger. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 27.02.2014. Menschen der Woche mit Frank Elstner, SWR Fernsehen. Ausstrahlung am 02.03.2013. Stationen.Magazin. Bayerisches Fernsehen. Ausstrahlung am 01.12.2011.

Kulturwissenschaft María do Mar Castro Varela, Paul Mecheril (Hg.)

Die Dämonisierung der Anderen Rassismuskritik der Gegenwart 2016, 208 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-3638-3 E-Book: PDF: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3638-7 EPUB: 15,99 € (DE), ISBN EPUB:978-3-7328-3638-3

Fatima El-Tayeb

Undeutsch Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft 2016, 256 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3074-9 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3074-3

Arianna Ferrari, Klaus Petrus (Hg.)

Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen 2015, 482 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-2232-4 E-Book: PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2232-8

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Kulturwissenschaft Andreas Langenohl, Ralph J. Poole, Manfred Weinberg (Hg.)

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Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.)

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Diskriminierungen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2016 2016, 160 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3578-2 E-Book: PDF: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3578-6

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