Alles aus Plaste: Versprechen und Gebrauch in der DDR. Für das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR herausgegeben von Katja Böhme und Andreas Ludwig 9783412215200, 9783412209667

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Alles aus Plaste: Versprechen und Gebrauch in der DDR. Für das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR herausgegeben von Katja Böhme und Andreas Ludwig
 9783412215200, 9783412209667

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Alles aus Plaste Versprechen und Gebrauch in der DDR

Alles aus Plaste Versprechen und Gebrauch in der DDR Herausgegeben von Katja Böhme und Andreas Ludwig für das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR

Böhlau Verlag Köln Weimar Wien

Diese Publikation erscheint zur gleichnamigen Ausstellung im Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR im Verbundprojekt „Bewahren der DDR-Alltagskultur aus Plaste“ mit der Fachhochschule Köln, Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft http://plaste-erhalten.web.fh-koeln.de

Im Rahmen des Förderprogramms „Übersetzungsfunktion der Geisteswissenschaften“

Hinweise erbitten wir an das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR Erich-Weinert-Allee 3, 15890 Eisenhüttenstadt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Konzeption: Katja Böhme, Andreas Ludwig Gestaltung, Satz, Umschlagentwurf: Gudrun Hommers Reproduktionen: Lichtkombinat, Michael Nast Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20966-7

Inhalt

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Einführung

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I „Plaste“ in der DDR. Historische Entwicklung Anfänge nach 1945 – Chemiekonferenz 1958 – Struktur der plastverarbeitenden Industrie – Die Umsetzung des Chemieprogramms – Die Popularisierung der „Plaste“ – Vom Scheitern eines Versprechens

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II Das Material Vulkanfiber, Celluloid und Kunsthorn – Bakelit – Meladur – Polystyrol – Polyamid – Polyvinylchlorid – Polyolefine – Polyurethan

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III Der Lebenslauf der Dinge Formschön, farbenfroh, zweckentsprechend. Die Gestaltung der Haushaltwaren aus Plaste / Stephanie Grossman Das Formen der Plaste. Verfahren und Werkzeuge / Christoph Wenzel Versorgung, Vermarktung, Verkauf Zwischen Anleitung und Engpass „Schätze in unserer Hand“. Kunststoff-Recycling in der DDR

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IV Die Warenwelt und ihre Produzenten Alltagsdinge verändern sich Pressen und spritzen. Die Betriebe

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V Aus neu wird alt „Plaste“ – Gegenstand der Wissenschaft. Konservieren und Restaurieren von DDR-Kunststoffen / Friederike Waentig Die Ablagerungen des Neuen. Plaste in Geschichte, Konsum und Museum / Andreas Ludwig

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Auswahlbibliographie

236

Begriffslexikon

238

Die Autoren

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Abbildungsnachweis

6

Alles aus Plaste

Einführung

Kunststoffe sind Verwandlungskünstler und kommen unauffällig daher. Sie gehören heute selbstverständlich in unseren Alltag und ein Streifzug durch die eigene Wohnung lässt er­ ahnen, dass uns ein Leben ohne synthetische Materialien kaum mehr gelingen würde. Der Beiläufigkeit ihres Auftretens ist es möglicherweise zuzuschreiben, dass Kunst­ stoffe trotz ihrer unbestreitbaren Allgegenwart noch wenig kulturarchäologisches Interesse auf sich ziehen konnten. Das Auratische, das sich etwa mit Porzellan aufgrund seiner Haptik oder mit Elfenbein wegen seines exklusiven Charakters verbindet, haftet den auf Nützlich­ keit und vielfältige Anwendbarkeit hin planmäßig entwickelten „Werkstoffen nach Maß“ bis auf wenige Ausnahmen kaum an. Dennoch haben sie wie kein anderes Material Emotionen – von Wunschträumen bis zur rigorosen Ablehnung – hervorrufen können, verbreiteten sich in rasanter Geschwindigkeit und scheinen trotz einer zunehmend kritischen Distanz in vie­ len Bereichen schlichtweg alternativlos. Problemlos war ihre rasante Geschichte, deren Anfänge im 19. Jahrhundert liegen, aller­ dings nicht. Ihre frühen Vertreter gehen auf Naturstoffe zurück, basieren wie das Kunsthorn auf Milch, wie Cellophan und Vulkanfiber auf Holz. Sie sind abgewandelte und veredelte Stoffe der Natur. Das einst für Billardkugeln entwickelte Celluloid bildete die Vorraussetzung für die Entwicklung des Kinofilms. Leicht entflammbar, machte es den Kinobesuch zu ei­ nem zweifelhaften Abenteuer, verband es aber wie kein anderer Kunststoff mit dem Traum­ haften und Visionären. Was die frühen Kunststoffe zunächst anstrebten, nagte allerdings später immer wieder an ihrem Ruf: Sie setzten auf Imitation. Roland Barthes hat diese Imi­ tation als einen bürgerlichen Brauch charakterisiert.1 In einer „Welt des Scheinens“ sollten Kunststoffe edle Substanzen auf preiswerte Weise ersetzen. Diese Praxis rief schon früh Kri­ tik hervor, zumal dann, wenn die Imitate dem kopierten Material nicht täuschend ähnelten. „Billiger Abklatsch“ – dieses Stigma trugen die Kunststoffe lange mit sich herum. Der Ruch des Billigen, des „Ersatzes“ für Holz, Glas oder Metall, haben sie nach dem Zweiten Welt­ krieg nur mühsam abschütteln können. Ihre Durchsetzung im Haushalt – als Gebrauchsgut – erfolgte daher auch erst verzögert. In der Phase der großen Kunststoffentwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, 1907 Bakelit als erster vollsynthetischer Kunststoff, 1913 Polyvinylchlorid (PVC), 1930 Poly­ styrol, 1933 Polyethylen, 1935 Melaminharz, 1938 Polyamid, 1940 Polyurethan und 1957 Poly­ propylen, gelang es kaum, Kunststoffe als Gebrauchsmaterialien zu etablieren. Die Verbindung von Artifiziellem und Gewöhnlichem, die nach Roland Barthes die groß­e Linke Seite Werbeanzeige des VEB Stickstoffwerk Piesteritz. „Plaste und Kautschuk“ 1964, H. 2.

Qualität des Kunststoffs ausmacht, war erst in der Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit möglich, als sich Plastikartikel im Alltag durchsetzten. Hier wurden sie zum Ausgangspunkt

Einführung

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für eine gesellschaftliche Verheißung, die den Alltag in den Fokus der Moderne rückte und damit Kunststoffe in das private Leben einband: Sie versprachen nicht nur fortschrittlich im Sinne einer technisierten Moderne zu sein, sondern zugleich eine Aufhebung der gesell­ schaftlichen Ungleichheiten durch die Partizipation breiter Bevölkerungsschichten an der Konsumgesellschaft und verkörperten zumindest zeitweise den Mythos des Egalitären. Die­ ses Egalitäre beruht im wesentlichen auf zwei Grundlagen: der Warenförmigkeit von Dingen zu einem geringen Preis in einer auf Konsum orientierten Gesellschaft sowie den Voraus­ setzungen der industriellen Massenproduktion. Mit dem Begriff der „industriellen Massen­ kultur“ hat Wolfgang Ruppert die verschiedenen Ebenen der Produktion, der Rezeption und des Gebrauchs verknüpft.2 Es geht bei den Dingen aus Kunststoff um die potenzierte und beschleunigte Form einer Entwicklung, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gesellschaften der sich industrialisierenden Länder insgesamt ergriff: die massenhafte Her­ stellung von Gebrauchsgütern durch maschinelle Verfahren und deren Verkauf an eine mög­ lichst große Zahl von Konsumenten. Alle einzelnen Schritte des „Lebenslaufs“ der Dinge sind dem Ziel ihrer Marktförmigkeit und Marktgängigkeit unterworfen – und dies unter sich wandelnden politischen, sozialen, technologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedin­ gungen. „Plaste“ in der DDR sind also einerseits historisch konkret zu verorten, andererseits Teil eines globalen Prozesses. Das Konzept der industriellen Massenkultur betrachtet die materielle Kultur im Zusammenhang: als Entwurf, Konstruktion, Produktion und Bewer­ bung, Erwerb und Gebrauch sowie die soziale Kommunikation über die Dinge. Bezogen auf die DDR werden diese Phasen in den einzelnen Kapiteln dieses Buchs in ihrer jeweiligen konkreten historischen Situation beschrieben. Alles aus Plaste? Als sich nach 1989 die Grenzen zwischen Ost und West öffneten, be­ gegneten Besucher einer Produktkultur, die sich von ihrer unterschied. Kunststoffe nahmen in dieser DDR-spezifischen Alltagswelt eine präsente Position ein, sie schienen aus der Perspektiv­e vieler westdeutscher Betrachter geradezu überrepräsentiert. Angesichts der Tat­ sache, dass Kunststoffe aus unserem Alltag heute nicht mehr wegzudenken sind, muß ein solcher Eindruck überraschen. Sollte es in der DDR tatsächlich mehr Kunststoff im Alltag der Menschen gegeben haben, als dies in der Bundesrepublik der Fall war? Wenn hier auch Zweifel geboten scheinen, verweist dieser Wahrnehmungsbefund auf eine interessante Tat­ sache: Noch über 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR sind der Begriff „Plaste“ und eine DDR-spezifische Produktkultur im kulturellen Gedächtnis Ostdeutscher wie West­ deutscher konserviert. Für diese Anbindung der „Plaste“ an einen nicht mehr existierenden Staat gibt es mehrere Gründe: Zunächst ist die Produktkultur der DDR zwar nach dem Um­ bruch von 1989 zügig aus dem Sortiment der Kaufhallen und Warenhäuser verschwunden, doch zahlreiche Artefakte der Konsumwelten aus Kunststoff wie Handrührgeräte, Camping­ geschirr aus Meladur oder Gießkannen aus Polyethylen erfüllen vielerorts noch immer ihren Bestimmungszweck in privaten Haushalten und Gartenlauben. Hinzu kommt als weitere Auffälligkeit, dass die Anzahl der aus Kunststoff produzierten Alltagsartikel – politisch ge­ wollt - überschaubar blieb. Eine große Anzahl der DDR-Produkte aus „Plaste“ wurde bereits seit den 1950er und 1960er Jahren produziert. Dies ermöglichte die generationenübergrei­ fende gemeinsame Erfahrung einer materiellen Kultur in der DDR. Dieser Unterschied ge­

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Alles aus Plaste

genüber den konjunkturellen Moden unterworfenen kapitalistischen Ländern mit einer um­ fangreicheren und abwechslungsreichen Produktpalette kann erklären, warum gerade Plastartikel heute als DDR-spezifische Produktwelt eine Lücke auf dem Ostalgie-Markt fül­ len. Kultobjekte (wie etwa die wieder vermarkteten Kunststoffeierbecher mit Hähnchenkopf oder das noch bzw. wieder modern erscheinende Mobiliar aus Polyurethan, das allerdings häufig zu Unrecht als DDR-Design betrachtet wird) werden heute unter interessierten Sammlern und in Retrodesigngeschäften in Berlin-Mitte zu stattlichen Preisen gehandelt. Die häufig einhergehende Reduktion der Alltagskultur der DDR auf die rein illustrativ erscheinenden Kitsch- und Kult-Objekte verkennt aber die eigentlichen Möglichkeiten, die die Beschäftigung mit der materiellen Kultur der Alltagswelt der DDR bietet. Über die Prä­ sentation geschichtlicher Objekte hinaus haben Museen die Aufgabe, als kulturelles Ge­ dächtnis zu fungieren. Sie sollen vergangene Lebenswirklichkeit erinnerbar machen und eine kritische Auseinandersetzung gewährleisten. Für eine solche Betrachtung müssen Objekt­e entschlüsselt werden. Sie verraten auf ihre Weise etwas über die Zeit, in der sie ent­ standen sind und machen die grundsätzliche Historizität von Gesellschaften sichtbar: So läßt das Material Rückschlüsse auf den technischen und ökonomischen Stand der Produktions­verhältnisse zu, ebenso wie Angaben zum Hersteller oder zum Produktionsjahr. Preisangaben verraten, welchen materiellen Stellenwert ein Produkt in seiner Zeit besaß, ob es teuer oder preiswert war. Produkte können eine bestimmte Bekanntheit in der Öffentlich­ keit erlangen, die über Werbeanzeigen und populäre Zeitschriften Hinweise auf die Attrak­ tivität und mediale Präsentation von Objekten und Werkstoffen gibt. Produktgruppen, ihre Einführung und ihr Verschwinden verweisen auf gesellschaftliche, wirtschafts- und kultur­ geschichtliche Dimensionen der „Dinge“. Schließlich können Besonderheiten an Objekten, Aufkleber etwa oder andere Formen individueller Gestaltung konkrete Formen der An­ eignung und ihre Vernutzung widerspiegeln. Objekte sind, kurzum, über ihren Gebrauchs­ wert und ihre ästhetische Qualität hinausreichende komplexe historische Quellen und mate­ rialisierte Zeugnisse von historischen Gesellschaften und Lebenswelten. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden ein Blick auf ein Material geworfen, das wie kein anderes polarsierende Emotionen an sich binden konnte, das wie kein anderes mit ge­ sellschaftlichen und politischen Aufladungen versehen war und sich mit einer Vehemenz und Geschwindigkeit durchgesetzt hat, die bisher unbekannt war. Die kulturelle Bedeutung der Plaste in der DDR wird von historischen Voraussetzun­ gen, ökonomischen Rahmenbedingungen und politischen Richtlinien ebenso bestimmt, wie von ihrer Darstellung in Medien und ihrem Gebrauch im Alltag. Diesen vielfältigen Perspek­ tiven trägt das Buch in fünf Kapiteln Rechnung. Einleitend wird in Kapitel I ein historischer Bogen von den Anfängen der Kunststoffproduktion im mitteldeutschen Raum über die populä­re Hochphase in den späten 1950er und 1960er Jahren bis zu den 1970er und 1980er Jahren gespannt, in denen Kunststoffe den Ruf des Modernen weitgehend eingebüßt haben. Das Kapitel II stellt die in der DDR gebräuchlichsten Kunststoffe vor, ihre Geschichte, An­ wendungsgebiete und Aspekte ihrer kulturellen Bedeutung. Dem Lebenslauf der Dinge von der Entwicklung über die Herstellung, Vermarktung bis zum Recycling widmet sich Kapi­ tel III. Stephanie Grossman untersucht in ihrem Beitrag die Formgestaltung von Haushalts­

Einführung

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gegenständen aus Kunststoff und das Spannungsverhältnis des DDR-Designs zwischen formgestalterischem Anspruch und politisch wie ökonomischen Anforderungen durch Staat und Industrie. Christoph Wenzel stellt die technologische Seite der Plastverarbeitung vom Formwerkzeugbau bis zu den verschiedenen Verarbeitungsverfahren vor. Es folgen Ab­ schnitte zu Absatz, Vermarktung und Gebrauch von Kunststofferzeugnissen sowie der Wiederverwertu­ng von Kunststoffabfällen durch die Industrie und das staatliche System der Sekundärrohstofferfassung der DDR. In der DDR erfuhren die Kunststoffe eine programmatische Einführung nach der Chemiekonferen­z von 1958. Das dort beschlossene „Chemieprogramm“ war nicht nur vom Glauben an die unbegrenzten Möglichkeiten des technischen Fortschritts, sondern auch dem Versprechen einer konsumorientierten und zugleich „sozialistisch“ definierten Moderne ge­ prägt. Es genügt jedoch nicht, die Geschichte der „Plaste“ in der DDR auf ihre propagandis­ tische Einführung zu beschränken. Erst durch die umfassende Analyse der materialspezi­ fischen Objektwelt werden Wirkungen in Gesellschaft und Alltag erfassbar. Erst hier werden Widersprüche zur politisch gewollten „Chemisierung der Volkswirtschaft“ erkennbar, die Folgen der materiellen Umwälzungen in den privaten Haushalten deutlich und die veränder­ ten Alltagsroutinen und Besonderheiten der Produktwelt im „Osten“ beschreibbar. Das Kapite­l IV widmet sich dem Wandel der Dinge durch den Einzug der Plaste in Haushalt und Freizeit anhand exemplarisch vorgestellter Produktgruppen und beschreibt erstmals die kleine­n Produzenten der Konsumgüter des Alltags. Abschließend geht Kapitel V der Karriere der Alltagsdinge nach. Kunststoffe sind Teil der industriellen Massenkultur des 20. Jahrhunderts und werden damit, wo sie das Wegwer­ fen geleerter, zerkratzter und zerbrochener Reste eines beiläufigen Gebrauchs überstehen, museumswürdig. Voraussetzung ist jedoch, dass sie erhalten werden können. Friederike Waenti­g beschreibt in ihrem Beitrag die vielen systematischen, oft detektivische Arbeit vor­ aussetzenden Schritte, die zum Erhalt der historisch gewordenen Produktwelt aus Plast not­ wendig sind und die den Wandel vom Gebrauchsgut zum Kulturgut begleiten. Dass es sich dabei jedoch nicht um eine Dingkarriere, ein Nach­einander von „Gebrauch“ und „Kultur“ handelt, wie so oft bei Museumsobjekten, wird gerad­e bei den Alltagsobjekten aus Kunststoff deutlich. Andreas Ludwig verweist deshalb auf die immer vorhandene Gleichzeitigkeit von Nützlichkeit und kultureller Verortung, die den Lebenslauf der Objekte von der Entwicklung bis zur Ablagerung im Museum begleitet. Auch im Museumsdepot sind die Alltagsdinge aus Plast immer beides: industriell hergestellte Massengüter und kulturelle Zeugnisse ihrer Zeit. Dieses Buch entstand aus einer Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Restaurie­ rungs- und Konservierungswissenschaft an der Fachhochschule Köln und dem Dokumen­ tationszentrum Alltagskultur der DDR. Das Projekt „Bewahren der DDR-Alltagskultur aus Plaste“ wurde über drei Jahre hinweg im Rahmen des Programms „Übersetzungsfunktion der Geisteswissenschaften“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziell gefördert. Aus Sicht der Beteiligten, Friederike Waentig, Stephanie Grossman, Christoph Wenzel an der Fachhochschule Köln und Katja Böhme und Andreas Ludwig am Dokumen­ tationszentrum Alltagskultur der DDR, ist dieser Programmtitel außerordentlich treffend und beschreibt die Herausforderungen, sich gemeinsam über einen Werkstoff der Moderne,

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seine kulturellen Formen und gesellschaftlichen Wirkungen zu verständigen. Aus diesem gemeinsamen Projekt heraus entstanden eine Wanderausstellung über Plaste in der DDR, eine vom Kölner Projektpartner betreute Website, die die Quellen, Methoden und Forschungs­ ergebnisse detailliert beschreibt (www.plaste-erhalten.web.fh-koeln.de) sowie eine umfang­ reiche wirtschafts- und kulturgeschichtliche Ausstellung im Dokumentationszentrum All­ tagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt. Für diese Ausstellung ist die vorliegendende Publikation zugleich das Begleitbuch. Die Texte wurden, soweit nicht anders gekennzeich­ net, von Katja Böhme verfasst, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin zugleich Kuratorin der Ausstellung ist. Die Herausgeber möchten all jenen danken, die die Forschungen zu diesem Buch durch Hinweise, Materialien, Zugang zu ihren Sammlungen und Archiven sowie die Bereitschaft zu Interviews unterstützt haben. Für die Unterstützung bei der Recherche zur plastverarbei­ tenden Industrie der DDR gilt unser Dank dem Bundesarchiv, dem Landeshauptarchiv Sachse­n-Anhalt, Abteilung Merseburg, dem Hauptstaatsarchiv Dresden, dem Landeshaupt­ archiv Schwerin und dem Landesarchiv Berlin. Das Archiv der Sammlung Industrielle Gestaltun­g – Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und das Archiv der Burg Giebichenstein – Kunsthochschule Halle gewährten uns Zugang zu Archiv- und Fotobestän­ den zur industriellen Formgestaltung in der DDR sowie die Verwendung von Abbildungen für diesen Katalog. Unser besonderer Dank gilt der Sprela GmbH Spremberg und der Zit­ tauer Kunststoff GmbH, die Materialien zur Betriebsgeschichte zur Verfügung stellten. Für ihre bereitwillige Auskunft und das zahlreiche Material aus persönlichem Besitz danken wir besonders Lothar Baumann, Herrn Bühring und Herrn Fiebig, Dieter Ponert, Lutz Kimmel, Werner Biscop (†) und Andreas Biscop, Walter und Edelgard Krause, Herrn Neubert, Frau Böhm, Herrn Klepzig und Frau Bornholdt, ohne die die Geschichte der „Plaste“ in der DDR nicht so detailliert hätte beschrieben und illustriert werden können. Nicht zuletzt sei auch dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gedankt, das Buch und Ausstellung über den ursprünglich vorgesehenen Projektrahmen hinaus ermöglicht hat. Die Heraus­ geber hoffen, dass die hier vorliegende „Übersetzungsarbeit“ die Leserinnen und Leser mit Neugier und Vergnügen durch die „Welt der Riesenmoleküle“ führt.

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Roland Barthes: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964 (franz.: 1957), S. 80. Wolfgang Ruppert (Hrsg.): Chiffren des Alltags. Erkundugen zur Geschichte der industriellen Massenkultur, Marburg 1993.

Einführung

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Kapitel I: „Plaste“ in der DDR Historische Entwicklung

Kunststoffe spielten im Alltag seit den 1950er Jahren eine wachsende Rolle. Bis dahin hatten sie es schwer. In der Elektroindustrie wurde Bakelit zwar bereits in den 1910er Jahren ver­ wendet, auch Knöpfe, Schmuck und Schreibgeräte wurden aus Galalith (Kunsthorn) und Celluloid, Koffer aus Vulkanfiber hergestellt, Telefonapparate und der „Volksempfänger“ aus Bakelit waren Produkte, die unter den Nationalsozialisten Verbreitung fanden. Als Ge­ brauchsgut für Küche und Bad gelang den Kunststoffen der Durchbruch jedoch erst in der Nachkriegszeit.

Anfänge nach 1945 Schon vor 1945 konzentrierte sich auf dem Gebiet der späteren DDR, vor allem im Raum Bitterfeld-Halle-Merseburg, dem sogenannten Chemie­dreieck, die chemische Industrie des Deutschen Reiches: Bakelit aus Erkn­er (seit 1909), PVC aus Bitterfeld (1935) und Eilenburg (1932) und die erste synthetische Faser (PeCe-Faser) aus Wolfen (1934) gehören zu den wich­ tigen Kunststoffentwicklungen des 20. Jahrhunderts. Die national­sozialistische Autarkie­ politik, die die Kunststoffproduktion in den Dienst ihrer Rüstungsindustrie stellte, führte zum Ausbau der braunkohlebasierten Karbonchemie in der Region: Synthetisches Benzin (sogenanntes Leuna-Benzin, 1926) und Buna-Kautschuk (1935) aus Schkopau waren Rüstungsgüt­er der Nationalsozialisten. Angesichts der schon vorhandenen Kunststoffindustrie auf dem Gebie­t der DDR ver­ wundert es nicht, dass dieser Industriezweig auch in den Nachkriegsjahren in der Industrie­ politik der DDR eine wichtige Rolle spielte und alles daran gesetzt wurde, international wei­ terhin zu den führende­n Industrieländern in der Kunststoffproduktion zu gehören. Diesem Vorhaben waren jedoch anfangs erhebliche Grenzen gesetzt: Mit Kriegsende kam die Kunst­ stoffproduktion zunächst völlig zum Erliegen, Teile der Produktionsanlagen waren zerstört. Linke Seite Auf der Leipziger Messe präsentierte sich die plastverarbeitende Industrie ­ mit Haushaltsartikeln nach Entwürfen der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein, um 1960.

Unter sowjetischer Besatzung fand eine umfangreiche Demontage im „Chemiedreieck“ statt. Insgesamt 116 Betriebe der chemischen Industrie, darunter 90 Prozent der Plastindus­ trie, die Phenol- und Melaminharze (Duroplaste) herstellte, wurden, zum Teil komplett, demontier­t und Maschinen und Produktionsanlagen in der Sowjetunion wieder aufgebaut.1 Trotzdem konnte 1945 und 1946 die Produktion von PVC und Polystyrol wieder aufgenom­ men werden. Die großen Chemiebetriebe wurden bis 1954 als Sowjetische Aktiengesell­ schaften geführt, sie hatten die Reparationsansprüche der Sowjetunion zu decken. Die Rekon­struktion der Industriekapazität und der Anschluss an den Produktionsstand von vor

Historische Entwicklung

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Die Karte zeigt den Anteil der Bezirke der DDR an der Produktion der chemischen Industrie (1960). Deutlich sichtbar die Ballung im ­„Chemiedreieck“. Unsere Chemische Industrie, Berlin 1960.

1945 war auch im Interesse der Sowjetunion, die auf diese Weise chemische Endprodukte erhielt. 1955 konnte die DDR wieder Phenolharz, Polyamid, PVC, Polystyrol, Melaminharzund Dicyandiamid-Pressmasse sowie Celluloid herstellen.2

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Alles aus Plaste

Zerstörte Rohranlage der Leuna-Werke, 1945. Foto­album des VEB LeunaWerke „Walter Ulbricht“.

Die Grundlage für die Kunststoffproduktion der DDR war weiterhin die Braunkohle – ihre Verwertung war energieintensiv und schmutzig, aber der Rohstoff im Lande ausrei­ chend vorhanden. Damit lagen ideale Voraussetzungen für den Aufbau eines im Kalten Krieg rohstoff-unabhängigen Industriezweiges vor. Während bei der Roheisen- und Stahl­ produktion (Eisenhüttenstadt) Kapazitäten erst geschaffen werden mussten, waren die für die braunkohlebasierte Kunststoffchemie notwendigen Ausgangsstoffe Kohle und Kalk, Technologien und Forschung bereits vorhanden. Trotz des erfolgreichen Wiederaufbaus der Kunststoffindustrie erreichte die Plastproduktion der DDR Mitte der 1950er Jahre nur etwa ein Fünftel der Produktionsmenge in der Bundesrepublik. Das aus den 1930er Jahren stam­ mende Technologie- und Produktionsniveau hielt dem Systemvergleich mit der Bundes­ republik zwar nicht stand, reichte aber aus, um den 7. Platz unter den weltweit größten Chemieproduzenten zu behaupten. Gegenüberstellung der Plastproduktion DDR/BRD 3

1947 1950 1955 1956

DDR

20.000 t

44.000 t

91.000t

106.000 t

BRD

23.000 t

110.000 t

425.000 t

505.000 t

Historische Entwicklung

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Während die erdölbasierte Chemie welt­ weit stark zunahm und mit ihr die Herstellung neuer, besonders thermoplastischer Kunst­ stoffe wie Polyethylen, Polypropylen und Poly­ ester, setzte die DDR noch auf kohlebasierte Produktion und damit auf ihr aus der Kriegsund Vorkriegszeit bewährtes Sortiment: PVC und die duroplastischen Phenol- und Mela­min­ harze. Angesichts der vorhandenen Braun­ ­ kohlevorkommen (im Geiseltal und dem Leip­ ziger Revier) war das verständlich, doch in den 1950er Jahren wurde auch den Wirtschafts­ planern der DDR bewußt, dass die Wende zur Erdölchemie unumgänglich war. Anteil der Kunststoffsorten in DDR und Bundesrepublik 1957: DDR

BRD

Duroplaste

33,4%

40,8%

PVC

53 %

23,6 %

Sonstige Plaste 13,6%

35,6 %

(Polyamid, Polystyrol, Methacrylat, Polyester, Epoxyde, Polyurethan) Ergeizige Ziele des Chemieprogramms. An der Spitze Kunststoffe und Kunstfasern. 7 Jahre Sputniktempo. Eine Siebenjahrplanfibel für das 6. bis 8. Schuljahr, Berlin 1960.

Chemiekonferenz 1958 Die Chemiekonferenz am 3. und 4. November 1958 in Leuna markiert eine entscheidende Wend­e für die Entwicklung des Wirtschaftszweiges. Sie ist Ergebnis des V. Parteitags der SED, der nach der Rekonstruktion der Schwerindustrie angewandte Wirtschaftszweige und die Produktion von Konsumgütern zum Schwerpunkt der Wirtschaftsentwicklung machte, und einem Handelsabkommen mit der Sowjetunion über den Export von Chemieprodukten. Der Parteibeschluss der SED, die Chemieindustrie der DDR auf eine kosten- und ressourcen­ sparende Erdölbasis umzustellen, versprach (in Kontinuität zu nationalsozialistischen Autarkiebestrebung­en und der Entscheidung für eine autarke Stahl- und Energieproduktion) die Unabhängigkeit von Importen aus dem westlichen Ausland (Erdöl konnte zu günstigen Konditionen aus der UdSSR beschafft werden). Erklärtes Ziel war es, „die Volkswirtschaft innerhalb weniger Jahre so zu entwickeln, daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesell­ schaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft umfassend bewiesen wird.“4 Auf der Chemiekonferenz verknüpften sich der ökonomische Strukturwandel der Chemie­ industrie und das Versprechen einer konsumorientierten Moderne sozialistischer Prägung

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Alles aus Plaste

zu einem politischen Programm, das sich im Alltag durch einen massiven Wandel der Pro­ duktkultur und einen regelrechten Austausch der Dinge niederschlug. Zum Symbol dieses doppelten (ökonomisch-technischen und gesellschaftlichen) Modernisierungsversprechens wurden Kunststoffe und Kunstfasern. Die Realisierung des ambitionierten Programms war in zwei Etappen vorgesehen. Als Konkretisierung der Wirtschaftsplanung des Fünfjahrplans (seit 1959 Siebenjahr­ plan) sollte die Chemieproduktion in den Jahren 1959/60 um 1,9 Milliarden DM gegen­ über den ursprünglichen Zielen des Fünfjahrplans erhöht werden. Bis zum Jahre 1965 plante man sogar eine Verdoppelung gegenüber dem Ausgangsjahr der Chemiekonfe­ renz 1958. Besonders die Kunststoffe mit einer Steigerung um 250 Prozent und die syn­ thetischen Fasern um 460 Prozent gegenüber 1960 standen im Mittelpunkt. Um diese hochgesteckten Ziele zu erreichen, waren die bessere Ausnutzung der vorhandenen Die Erdölleitung aus der Sowjetunion ist die Grund­ lage für die Modernisierung der DDR-Chemieindustrie. Planskizze. 7 Jahre Sputniktempo. Eine Siebenjahrplanfibel für das 6. bis 8. Schuljahr, Berlin 1960.

Produk­tionsanlagen einerseits, der Aufbau von neuen Produktionskapazitäten anderer­ seits vorgesehen. Dazu wurde im selben Jahr der Bau einer über 5000 Kilometer langen Erdölpipeline von der Sowjetunion bis nach Schwedt vereinbart und 1960 der Grundstein für das dortige Erölverarbeitungswer­k gelegt. Weitere Investitionen führten 1959 zum Beginn des Baus des Werkes Leuna II, einem modernen Produktions­komplex, der die petrochemischen Roh­ stoffe Ethylen und Propylen bereitstellen sollte, dem Chemiefaserwerk Guben, das auf Erd­ ölbasis seit 1964 Synthesefasern (in der DDR „Dederon“) herstellte, dem Gipsschwefelsäure­

Historische Entwicklung

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Alles aus Plaste

Zitronenpresse: Glas wird durch Polyamid und Poly­ styrol ersetzt. Deutlich leichter: Polyethylen löst bei Schüsseln Metall ab. Rohkostreibe: Statt Metall nun aus Polyamid. Holz und Naturborsten weichen Polystyrol und Polyamid. Linke Seite Wohlstand aus der Retorte. Das Titelbild des Protokollbandes zur Chemiekon­ferenz setzt das Laborgefäß als Symbol der Chemie ins Zentrum, 1958.

werk Coswig, einer PVC-Fabrik in Bitterfeld und der Kapazitätserweiterung des Carbidwerkes im VEB Chemische Werke Buna. Der Parteichef Walter Ulbricht fasste das Projekt einer sozialistischen Konsum-Moder­ ne in der eingängigen Losung „Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit“ zusammen: „Chemie gibt Brot – Chemie gibt künstliche Düngemittel und hilft, die landwirtschaft­ lichen Erträge zu erhöhen. Chemie gibt Wohlstand – Chemie gibt Kraftstoff für Industrie, Landwirtschaft und Verkehr, sie gibt Roh- und Werkstoffe für alle Industriezweige und zur Herstellung von Waren des Massenbedarfs. Chemie gibt Schönheit – Chemie gibt schöne Textilien vom Perlonstrumpf bis zum Kleiderstoff. Die schöne Gestaltung, die Zweckmäßig­ keit und die herrlichen Farben der chemischen Erzeugnisse helfen mit, das Leben schöner und interessanter zu gestalten.“5 In der Folge, besonders ab Mitte der 1960er Jahre, wurden im Bereich der Konsumgüter zahlreiche, nunmehr auf Erdölverarbeitung beruhend­e Produkte hergestellt. Der Produk­ tionsumfang von Kunststoffartikeln stieg massiv an: von 100.000 Jahrestonnen 1958 auf 1 Mio. Jahrestonnen 1989.6 In verstärktem Maße wurden Produkte aus traditionellen Materia­lien (Holz, Metalle, Glas, Keramik) durch solche aus Kunststoffen ersetzt.

Historische Entwicklung

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Struktur der plastverarbeitenden Industrie Die Schließung bestehender Versorgungslücken durch Kon­ sumgüter aus Plaste war eines der großen Versprechen der Chemiekonferenz. Damit rückte die plastverarbeitende Indust­ rie in den Fokus der Wirtschaftsplanung und erlebte eine weit­ reichende Strukturveränderung. Der Industriezweig der Plast­ verarbeitung gehörte zu einem der dynamischsten der Nachkriegszeit. Die große Nachfrage besonders nach Konsum­ gütern sicherte den Firmen bereits direkt nach Kriegsende ei­ nen hohen Absatz und ein zum Teil rasantes Wachstum. Die Wilhelm Kimmel KG in Sebnitz etwa besaß zum Zeitpunkt ihre­r Gründung 1952 18  Mitarbeiter und konnte 1959 bereits 600 Menschen beschäftigen. 1958 existierten etwa 850 plastver­ arbeitende Betriebe auf dem Gebiet der DDR, unter denen hauptsächlich Privatbetriebe waren (noch 1965 umfasst ihr An­ teil drei Viertel), die jedoch nur einen geringen Produktionsan­ teil erbrachten. Konzentriert waren sie besonders in Sachsen und Thüringen, wo 64 Prozent aller Betriebe ansässig waren. Daneben existierten größere, vor 1945 gegründete Verarbei­ tungswerke, ehemalige Rüstungs­betriebe, die nach dem Krieg verstaatlicht wurden. Die größten Verarbeitungskapazitäten be­ saßen zu dieser Zeit die Presswerke VEB Plasta Köppelsdorf, VEB Preßwerk Tambach-Dietharz, VEB Preßwerk OttendorfOkrilla und der VEB Preßstoffwerk Spremberg. Da die volkseigenen Betriebe zum Teil auf zentraler Ebene Anzeige der VVB Plastverarbeitung. Links die Werbefigur „Plastinchen“ mit einer stilisierten Retorte, rechts das Signet der VVB, strahlenförmig gruppiert die Hersteller­ signets der Betriebe der VVB Plastverarbeitung. Werner Schrader: Kunststoffe. Plaste, Leipzig 1962.

verwaltet wurden (seit 1958 durch die Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Plastverarbeitung). zum anderen Teil der örtli­ chen Industrie unterstanden und die private Industrie und das Handwerk ebenfalls unterschiedlich organisiert waren, ergab sich ein unübersichtliches Bild der Organisations- und Leitungs­ formen.

Gesamtproduktionsumfang des Industriezweiges nach Eigentumsformen, 1958 7 Seit 1956 konnten private Betriebe staatliche Kredite in Anspruch nehmen und erhielten ebenso wie genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Handwerkern (PGH) den Status von halbstaatlichen Betrieben.

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Alles aus Plaste

Betriebe der Vereinigung Volkseigener Betriebe Plastverarbeitung

84 Mio DM

29,2%

Betriebe der übrigen zentral geleiteten Industrie

25 Mio DM

8,6%

Betriebe der örtlich geleiteten Industrie

74 Mio DM

25,5%

Betriebe mit staatlicher Beteiligung

49 Mio DM

16,8%

4 Mio DM

1,4%

54 Mio DM

18,5%

Produktionsgenossenschaften des Handwerks Privatbetriebe

Besonders aufgrund der notorischen Materialknappheit wurde diese Zersplitterung des In­ dustriezweiges zu einem Problem: Das Sortiment der 850 plastverarbeitenden Betriebe war kaum zu überschauen, die Versorgung mit Plastmaterial nur rudimentär geregelt. Die Plan­ wirtschaft befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Entwicklung, vor allem was die Konsumgüterindustrie anging. Auch ein einheitliches Preissystem zur Kalkulation der End­ verbraucherpreise war noch nicht etabliert, so dass die Unternehmen Erzeugnisse aufgrund der ständigen Nachfrage zu überhöhten Preisen an den Handel absetzten konnten, die an die Kunden weitergegeben wurden.

Preisvergleich zwischen Konsumartikeln aus Kunststoff und anderen Materialien, 1962 8 Produkt

Ausführung in Kunststoff

Ausführung in Metall

20,90 DM

11,85 DM

Eimer

6,30 DM

4,20 DM

Trichter

2,10 DM

0,70 DM

Waschwanne

Produkt

Meladur

Steingut

Porzellan

Tasse mit Untertasse

1,65 DM

0,60 DM

1,25 DM

Teller, flach

2,00 DM

0,50 DM

1,50 DM

Frühstücksteller

1,35 DM

0,40 DM

1,10 DM

Die Betriebe folgten in ihrer Produktionsweise ihren eigenen Interessen und unterlagen kaum staatlicher Kontrolle, was die Vorstellung einer zentralistisch gelenkten DDR-Wirt­ schaft für die 1950er Jahre korrigiert. Wertvolle Plastmaterialien wurden für Produkte einge­ setzt, die für die Gesamtwirtschaft von geringer Bedeutung waren, etwa Schmuckwaren und Knöpfe. Zugleich fehlte es der Industrie an Kunststoff für technische Teile. Umgekehrt konnte es passieren, dass Betriebe auf die Herstellung von Konsumartikeln völlig verzichte­ ten, weil ihre Bücher bereits mit Aufträgen zur Produktion technischer Komponenten gut gefüllt waren, so dass die Sicherung der Konsumgüterversorgung gefährdet schien. Mit der Gründung der Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Plastverarbeitung in Halle sollte 1958 ein Lenkungsorgan für den Industriezweig geschaffen werden, das die Versorgung der übrigen Industriezweige mit Plastteilen ebenso gewährleisten konnte, wie die der Bevölke­ rung mit Konsumgütern. So kam es 1960 in Staaken bei Berlin und in Schwerin zur Neu­ gründung von modernen, staatlichen Plastverarbeitungswerken. Die VVB Plastverarbeitung sollte gezielt Einfluß auf die Betriebe und ihre Produktion nehmen, was sich allerdings als schwierig erwies. Nur 23, ausschließlich volks­eigene, Betriebe gehörten der neu gegründe­ ten VVB an. Ihr Produktionsanteil am Gesamtplastaufkommen war mit knapp 30 Prozent zwar nicht gering, die Einflußnahme auf andere Betriebe allerdings durch Kompetenzstrei­

Historische Entwicklung

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Tabletts und Assietten für die Kollektivversorgung, Entwurf: Albert Krause (1959). Produktkatalog VEB Plasta Preßwerk Auma, 1964.

tigkeiten mit den regionalen wirtschaftspoli­tischen Lenkungsorganen (Bezirkswirtschafts­ räten) erschwert. Primäres Ziel der VVB Plastverarbeitung war zunächst die Erfassung aller plastver­­ arbeitenden Betriebe und die Analyse ihres Sortiments. Aus dem ermittelten Bedarf an Plast­ erzeugnissen in den Industriezweigen (Bau- und Elektroindustrie, Verpackungsindustrie, Fahrzeugbau, chemische Industrie) und dem voraussichtlich zur Verfügung stehenden Plastmaterial wurden die Planvorgaben für das Jahr und den Fünfjahrplan formuliert. Die prekäre Rohstofflage der DDR spiegelt sich in der Praxis der Materialkontingentierung wide­r: Im Bereich der Duroplaste (Bakelit und Meladur) oblag die Verteilung der VVB Plastverarbei­ tung. Thermoplaste dagegen (z. B. Polystyol, Polyethylen, Polyamid) wurden seit 1959 durch die Plastlenkstelle des Staatlichen Chemiekontors der Staatlichen Plankommission verteilt. Da man trotz dieser Lenkungsmaßnahmen der grundlegenden Mate­rialknappheit nicht Herr werden konnte, mussten in den 1950er und 1960er Jahren Rohstoffe aus der Bundes­ republik importiert werden. Dies gilt besonders für erdölbasierte Thermoplaste wie Polyethy­ len. Um Verschwendung und den nicht materialgerechten Einsatz der Rohstoffe zu unter­ binden, erlaubte die Plastlenkstelle die Materiallieferungen an die Verarbeitungswerke erst

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Alles aus Plaste

nach genauer Prüfung der geplanten Erzeugnisse. Dieser direkte Eingriff in die Produkt­ palette der Betriebe war notwendig, weil der gesamtgesellschaftliche Bedarf an Kunststoffen erheblich angestiegen war. Die Plastlenkstelle legte bei ihren Entscheidungen besonderen Wert auf die Versorgung von Industriezweigen wie der Elektrotechnik, während die als volks­ wirtschaftlich weniger relevant eingestufte Konsumgüterindustrie zurückstecken musste: Sie sollte durch die kontingentierte Zuteilung von Plasten dazu angehalten werden, materi­ alsparend, werkstoffadäquat und am Bevölkerungsbedarf orientiert zu produzieren. In die­ sem Zusammenhang stehen auch die Bemühungen, das Sortiment der Konsumgüter aus Plaste zu verschlanken. „Wir haben hier einen Zustand“, moniert man in der Fachzeitschrift „Plaste und Kaut­ schuk“ bereits 1956, „wie er in der kapitalistischen Wirtschaft üblich ist; jeder produziert das, was ihm paßt und womit er glaubt, Umsatz erzielen zu können. In unserer volkseigenen Wirtschaft sollte die Herstellung der gleichen Gegenstände in einem Dutzend und mehr Fabriken unmöglich sein. Es ist bekannt, daß eine Fabrikation sich um so rationeller gestal­ ten läßt, je größer die Auflage ist. Nur bei großen Auflagen ist man in der Lage, Einrichtun­ gen zu schaffen, die es gestatten, mit geringstem Arbeitsaufwand und mit hoher Arbeits­ produktivität zu fabrizieren.“9 Für die zersplitterte Industriestruktur auf dem Gebiet der Plastverarbeitung, die in dem Artikel beklagt wurde, gab es durchaus konkrete Beispiele: So produzierten 1958/59 zehn Betriebe Wäscheklammern, acht Salatbesteck und sechs Eierschneide­r.10 1963 vereinbarten die VVB Plastverarbeitung und die VVB EBM (Eisen Blech Metallwaren) daher eine Abstimmung ihres Sortiments, in dessen Ergebnis folgende Artikel nur noch aus Kunststoff hergestellt werden sollten: Eimer, 5l; Eierlöffel; Gemüsewäscher; Seifenbehälter; Schwammbehälter; Eierschneider; Ausstechformen; Nachtgeschirr; Milchkannen, 1 und 2 L; Tropfenfänger; Grabvasen; Butter­ dosen; Eierbecher; Tisch- und Schwenksiebe; Streuer; Tischtuchklammern; Wäschespren­ ger; Kaffeemaßlöffel; Zitronenreiben; Rohkostreiben Nur noch aus Metall hergestellt wurden dagegen: Schöpfkellen; Tee-Eier, Milchkannen, 3 und 5 L; Gebäckzangen; Pfeffermühlen; Likörbecher; Milchschaufeln; Zuckerzangen; Flaschenausgießer11 Im VEB Plasta Preßwerk Auma führte diese „Sortimentsbereinigung“ Ende der 1950er Jahre zu einer Reduktion von 800 auf 171 Erzeugnisse.12 Die Neuprofilierung und Spezialisie­ rung auf Meladur-Tabletts, die in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Formgestaltung in Halle entstanden, ermöglichte nun eine Großserienfertigung und eine Monopolstellung, die durchaus begrüßt wurde. Um die Aussonderung veralteter Erzeugnisse noch weiter zu stimulieren, wurden 1970 für als minderwertig eingestufte Erzeugnisse Preisabschläge von bis zu 64 Prozent auf den Herstellungspreis eingeführt. Da sich die Gewinnspanne für die Betriebe so erheblich verminderte, erhoffte man sich verstärkte Anreize zur Neuentwicklung hochwertigerer Konsumgüter.13 Den ständigen Widerspruch zwischen den Bedarfsforderungen des Handels und der Industriezweige einerseits und den Produktionsmöglichkeiten der Plastverarbeitungsbetrie­ be andererseits konnte die VVB bis Ende der 1960er Jahre zwar nicht lösen, dennoch trug sie maßgeblich zur Durchsetzung der Plaste im Konsumgütersortiment bei.

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Rauchende Schlote in den Leuna-Werken „Walter Ulbricht, 1960. Die Kraftwerke in Leuna produzierten 1986 146.000 Tonnen Schwefel­ dioxid, die Buna-Werke 125.000 Tonnen. Plaste. Werkstoffe moderner Technik, Berlin 1960.

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Alles aus Plaste

Die Umsetzung des Chemieprogramms Das Chemieprogramm von 1958 steht im Kontext einer aufholenden Modernisierung der Wirtschaft der DDR. Angesichts dieser Tatsache muss es überraschen, dass es bereits kurz nach seiner Verabschiedung in den 1960er Jahren ins Stocken geriet. Entgegen den selbst­ gesteckten Zielen des Chemieprogramms ging die Zuwachsrate der Kunststoffproduktion bereits 1960, nachdem sie 1959 kurz angestiegen war, wieder zurück und sank 1961 mit 6,4  Prozent sogar auf das niedrigste Niveau seit 1945. Im Gegensatz produzierte West­ deutschland 1959 bereits 200.000 Tonnen Kunststoff, was einer Zuwachsrate von 25–30 % entsprach, und erreichte damit in etwa die Steigerung, die in der DDR im gesamten Chemie­ programm bis 1965 erreicht werden sollte.14 Die Ziele des Chemieprogramms er­wiesen sich so bereits im ersten Jahr seiner Umsetzung als überholt. Aus heutiger Perspektive besteht die Auffassung, dass entgegen der Wachstumsrhetorik der SED mit dem Chemieprogramm eine „falsche industriepolitische Weichenstellung zu einer volkswirtschaftlich verfehlten Gigantomanie“15 auf den Weg gebracht wurde, die auf völlig unrealistischen Produktionswachstumszahlen beruhte, denen keine dafür notwen­ digen Investitionsmittel entsprachen. In der Tat klafften Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Die zweigleisige Strategie des doppelten Ausbaus von Braunkohle- und Petrol­ chemie erwies sich als Fehlplanung, weil die veranschlagten Investitionsmittel nicht ansatz­ weise bereitgestellt wurden und notwendige Forschungsleistungen ausblieben.16 Zahlreiche ältere Produktionsanlagen liefen auf Verschleiß und neue mussten gegen Devisen aus dem westlichen Ausland importiert werden. Deutlich wird die Stagnation auf dem Gebiet der Thermoplaste. Polyethylen war in den 1960er Jahren international zum Plastwerkstoff Nr. 1 avanciert. Während die USA davon be­ reits Anfang der 1960er Jahre jährlich über 1,5 Millionen Tonnen produzierten und die Bun­ desrepublik immerhin 100.000 Tonnen, gelang der DDR 1961 eine Produktion von gerade einmal 319 Tonnen in einer Pilotanlage. Erst Ende der 1960er Jahre erfolgte in Leuna die Herstellung von Polyethylen in größerem Maßstab. Polyurethan wurde in der DDR erst An­ fang der 1970er Jahre in die großtechnische Produktion überführt (international bereits 1940) und Poly­propylen, dass 1954 in der Bundesrepublik und Italien entwickelt worden war, konnte gar nicht hergestellt werden und wurde erst 1976 im Rahmen einer Kooperationsverein­ barung aus der Tschechoslowakei bezogen. Während das Chemieprogramm mit dem Ziel einer stärkeren Rohstoff-Autarkie angetreten war, zeigte sich in den 1970er Jahren, dass auf­ grund fehlender Forschung eine starke Abhängigkeit gegenüber Technologie- und ErzeugnisImporten aus der Bundesrepublik bestand. Der Bedarf überschritt die eigenen Möglichkeiten bei weitem. So war zwischen 1971 und 1976 der Import von Plasten um 224 Prozent gestiegen.17 Infolge der Erdölkrise 1973 stagnierten die Ölimporte aus der Sowjetunion und sanken in den 1980er Jahren. Deswegen wurden Kunststoffe wieder vorrangig auf Grundlage von Karbid pro­ duziert, was verheerende Folgen für die Umwelt der Region Merseburg – Bitterfeld – Halle hatte. Wenngleich die ehrgeizigen Ziele des Chemieprogramms – insbesondere die Umstel­ lung auf Erdölchemie und die Entwicklung und Produktion hochwertiger Hochpolymere –

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also verfehlt wurden, blieb die Chemieindustrie auch in dieser wenig innovativen Form ent­ scheidender Bestandteil der DDR-Wirtschaft: 1989 machten ihre Erzeugnisse 23 Prozent der Industrieproduktion des Landes aus. Dies war auch deswegen möglich, weil in den Jahren nach der Chemiekonferenz eine intensive Durchdringung des Alltags mit Plastartikeln er­ folgte, die aufwändig propagandistisch begleitet wurde.

Die Popularisierung der „Plaste“ In den 1960er Jahren hatte sich „Plaste“ zu weit mehr als einem Substitutionsmaterial entwickelt. Als Symbol einer modernen, sozialistischen Lebensweise, wie sie Walter Ulbrich­t auf der Chemiekonferenz in Aussicht gestellt hatte, war ihre universelle Ver­ breitung nicht nur volkswirtschaftlich, sondern auch ideologisch gewünscht und beglei­ tet von einer kam­pagnenhaften Einführung. Kunststoffe stießen anfangs auf erhebliche Vorbehalte in der Bevölkerung. Die Erfahrungen aus der Kriegs- und Vor­ kriegszeit, in der Kunststoffe als Ersatz für alles Mögliche, vom Schuh bis zum Fensterglas, eingesetzt wurden, saßen tief und wurden durch Qualitätsmängel in der frühen Nach­ kriegszeit verschärft. Der noch Anfang der 1950er Jahre deut­ lich spürbaren Ablehnung begegn­ete man seitens der Staats­ führung offensiv: Einen ersten Versuch zur Aufbesserung des Rufs der „Plaste“ stellt die bereits 1954 in Berlin präsen­ tierte Ausstellung „Kunststoffe im Neuen Kurs“ dar, auf der sich kunststoffproduzierende Betriebe mit ihrem Sortiment vorstellten und auf die vielfältigen Anwendungsbereiche der Plastchemie aufmerksam machten. Neben der industrie­ relevanten Nutzung wurden hier auch Gebrauchsgüter ge­ zeigt und die Konsumenten mit der Alltagstauglichkeit der neuen Materialien vertraut gemacht. Mit der Chemiekonferenz wurde die Popula­risierung der Kunststoffe dann deutlich intensiviert. Adressaten die­ ser Popularisierungskampagne waren im Bereich der Kon­ sumgüter aus Kunststoff vor allem Frauen. In Illustrierten wie „Guter Rat“ und „Kultur im Heim“ wurden umfassend Einsatzmöglichkeiten, Handhabungsweisen und Pflege­ tipps für die neuen Stoffe erörtert. Da die neuen Plasterzeugnisse anfänglich im Handel Der Katalog zu einer Lehrschau „Plaste. Werkstoffe moderner Technik“ (1960) präsentiert die wichtigsten Anwendungsgebiete der Kunststoffe: Fahrzeugbau, Elektrotechnik, Schiffbau, Wohnungsbau, Verpackungsindustrie und Konsumgüter für den Bevölkerungsbedarf.

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Alles aus Plaste

oft teurer als vergleichbare Produkt­e aus Naturmaterialien waren, bemühte man sich, ihre besonderen Vorzüge her­ auszustellen. Und es war nicht zufällig die Zeitersparnis bei der Hausarbeit, mit der Frauen für die pflegeleichten, un­

Hygienisch, robust und stapelbar. Einsatz von Kunststoffen in der Küche. Produktkatalog „Haushalt + Küche“. VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla, 1971.

zerbrechlichen Plastartikel gewonnen werden sollten. Mehr Zeit, weniger Hausarbeit und ein höheres Maß an Komfort standen im Sozialismus wie im konkur­rierenden System der Bundesrepublik für eine moderne Lebensweise. Eine politische und technikorientierte Propagierung erfuhren die „Plaste“ in der Jugen­d-, Sach- und Schulbuchliteratur. Getragen von Fortschrittsoptimismus und Technik­ begeisterung wurden Kunststoffe als „Werkstoff moderner Technik“ präsentiert, mit denen sich gigantische Großprojekte realisieren ließen: große Kuppeln aus transparentem Kunst­

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Zukunftsträume aus Plast: Die moderne Stadt im Polargebiet. „Jugend und Technik“ 1962, Heft 10.

stoff dienen als Beschirmung ganzer Wohnviertel und schützen vor schädlichen Umwelt­ einflüssen – so der Zukunftstraum. Auch in das populäre Jugend-Comic „Mosaik“ schafft es das Chemieprogramm und in Lehrbüchern und populärwissenschaftlichen Reihe­n bejubelte man die Leistungsfähigkeit der DDR-Chemie. Schnell bestimmten Plaste und Kunststofffasern große Bereiche des Haushalts- und Freizeitbereichs. Komplette Kücheneinrichtungen mit Oberflächen aus Sprelacart dominier­

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Nicht nur praktisch, sondern auch kleidsam – die DDRVariante der „Perlon“-Faser. „Sibylle“ 1959, Heft 5. Igelit-Schuhe aus dem Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld – mitverantwortlich für den „Ersatzstoff“Vorwurf gegen Kunststoffe in der frühen Nachkriegszeit. Katalog „Verbrauchsgüter aus volkseigenen Betrieben des Ministeriums für Schwerindustrie: Chemie“, undatiert.

ten nun die Inneneinrichtung, Geschirr aus Melaminharz oder Polystyrol löste Porzellan und Holz im alltäglichen Gebrauch ab. Selbst Glas ließ sich durch die ebenfalls durch­ sichtigen Kunststoffe Polymethacrylat und Polystyrol ersetzen. Und nicht zuletzt eroberten Kunst­fasern den heimischen Bekleidungsmarkt: Dedero­n, Wolcrylon, Grisuten lauteten die Handelsname­ n der vollsynthetischen Fasern, die als besonders pflegeleicht beworben wurde­n. Die in den 1940er und 1950er Jahren meist verwendeten Kunststoffe waren Bakelit und der Weich-PVC-Stoff Igelit. Radiogeräte, Telefonap­parate, Steckdosen, Kabeltrommeln und Artikel des Bürobedarfs waren klassischerweise aus dem dunkel melierten Phenolharz, das noch heute aufgrund seines eleganten Erscheinungsbilds seine Sammler findet. Aus Igelit wurden aus Mangel an Leder sogar Schuhe gefertigt. Bereits Mitte der 1950er Jahre gab es mit Entwürfen zu Plasterzeugnissen für die Küche Ansätze zur Erschließung neuer Anwendungsbereiche für Kunststoffe. Dabei erwiesen sich die Phenolharzpressmassen als wenig geeignet: Weder konnten sie dem Anspruch auf absolut­e Geschmacks- und Geruchsfreiheit genügen, der im Umgang mit Nahrungsmitteln unabding­ bar ist, noch ließen sie sich in ansprechenden hellen Farben herstellen. Das ermöglichte den Siegeszug der Aminoplaste und dabei vor allem des besonders festen und wasserbeständigen Meladur, das vom Kantinengeschirr bis zur Campingtasse verarbeitet wurde und mit seinen auffälligen Farben, meist Pastelltönen, den Plaststoffen im Ganzen zu einem neuen moderne­ ren Erscheinungsbild verhalf.

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Die neue bunte Welt der Haushaltswaren. Centrum-Versandkatalog, 1964/65.

Durch die Chemiekonferenz wurden die Duroplaste (Bakelit und Meladur) noch um die Thermoplaste, die nun im höheren Maß an Bedeutung gewannen, erweitert. Die PVC-Pro­ duktion konnte erst seit Ende der 1960er Jahre in Folge der erdölbasierten Petrol­chemie um Erzeugnisse aus Polyethylen ergänzt werden. Zusammen mit dem preiswerten Polystyrol entwickelten sie sich in der Konsumgüterproduktion schnell zu regelrechten Massen­plasten. Das Polystyrol fand aufgrund seiner Leichtigkeit in fast allen Bereichen Verwendung: Ge­ schirr, Kristallglasimitationen, Gehäuse von Elektrogeräten, Verpackungen. Nur an der Fes­

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Alles aus Plaste

Centrum-Versandkatalog, 1965/66.

tigkeit mangelte es diesem Alleskönner unter den Plaststoffen. Dagegen konnte das Poly­ ethylen, unzerbrechlich bei gleichzeitig hoher Elastizität, punkten. Da das Material keinerlei Feuchtigkeit aufnimmt, ließ es sich überall dort verwenden, wo der Gegenstand unmittelbar mit Wasser in Berührung kommt: Eimer, Zahnputzbecher, Zahnbürsten, Trinkflaschen, Gieß­ kannen, Kinderbadewannen und –nachttöpfe waren weit verbreitete Artikel. Plastflaschen aus Polyethylen stellten zudem eine bedeutend leichtere und billigere Alternative zum her­ kömmlichen Glas dar.

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Innovation durch Plaste: Küchenmaschine Komet und die moderne KM 8 im Vergleich. „Der Fachberater Haushaltwaren“ 1969, Heft 6.

Gleichberechtigte Rollen­ verteilung bei der Haus­arbeit. Die Werbung für Küchen­ maschinen aus Plast verspricht es. „Der Fachberater Haushalt­ waren“ 1970, Heft 2. Campingausflüge, Zelt­ urlaube und Erholungs­ wochenenden auf dem eigenen Grundstück stellten neue Anforderungen (Leichtigkeit, Bruchfestigkeit, Stapelbarkeit) an Produkte und beförderten die enge Verknüpfung von „Plaste“ mit einer modernen konsumorientierten Lebensweise. Produktkatalog „Plastika. Camping and householdarticles. Articles de camping et de ménage”. VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin, 1965.

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Alles aus Plaste

In der Werbung kein Tabu mehr: Plastgeschirr auf der gedeckten Tafel und wenn Gäste kommen. Produktkatalog „Haushalt + Küche“. VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla, 1971.

Etwa binnen eines Jahrzehnts, zwischen 1960 und 1970, war ein ganzer Produktbereich plastifiziert worden. Die Plastifizierung blieb nicht beim Hausrat stehen, sie erfasste auch die Elektrogeräte. Die Küchenmaschine Komet aus dem Jahr 1958 etwa ist noch ein schweres Standgerät aus Glas und Metall. Nur sieben Jahre später wird an der Hochschule für bilden­ de und angewandte Kunst in Berlin ein Plastmodell, die „KM 8“, entworfen. Auch die Holz­ verkleidung von Fernsehgeräten und Radioanlagen verschwindet, das Metallgehäuse von Schreibmaschinen wird durch Plast ersetzt und transportable Kleingeräte wie das Koffer­ radio und tragbare Rührgeräte sind erst aus leichtem Kunststoff überhaupt denkbar. Durch den Einzug der Plaste in die Haushalte der DDR änderte sich eine komplette Produktwel­t und mit ihr die Lebenswelt der Menschen. Plaststoffe wirkten über die Grenzen ihrer funktionalen Bestimmung hinaus als Identifikationsangebot mit einer modernen Gesellsch­aft.

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Vom Scheitern eines Versprechens Die Plastifizierung des Alltags setzte sich in den 1970er und 1980er Jahren fort. In der DDR stellte man 1989 mehr als sieben mal so viel Kunststoff her, wie zu Beginn der 1960er Jahre.18 Trotz der Allgegenwart von „Plaste“ in nahezu allen Lebensbereichen verschwand die Fort­ schrittsmetaphorik, der Nimbus des Modernen, der das Material in den 1960er Jahren um­ gab. Ein Bruch, wie er in der Bundesrepublik durch die kunststoffkritische „Jute-stattPlastik“-Bewegung in den 1970er Jahren (zumindest von Teilen der Bevölkerung) vollzogen wurde, blieb in der DDR die Ausnahme. Für eine solche Verweigerung gegenüber dem Meladur-Teller mit Holz­dekor, VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin.

Kunststoff fehlte es schlicht an Alternativen. Die 1960er Jahre waren vom Bewußtsein über die Neuartigkeit der Materialien getra­ gen. In Zeitungsartikeln, Einführungen und populärwissenschaftlichen Darstellungen jener Zeit berichtete man begeistert über Materialien und Dinge, die erst im Begriff waren, altes Haushaltsinventar aus Naturstoffen zu ersetzen. Gegen die bekannten Vorbehalte konnte man mit chemischem Wissen im intellektuellen Handgepäck argumentieren. Noch nicht Überzeugte ließen sich durch das Versprechen von Wohlstand und Komfort gewinnen und ein durch professionelle Designer modern gestaltetes Sortiment schloss wichtige Versor­ gungslücken. Das Überzeugungskapital der „Plaste“ lag in ihrer zeitnahen Verheißung: Sie waren nicht ferne Utopien, sondern versprachen eine in naher Zukunft gelebte Realität. Mit ihrer tatsächlichen Präsenz in Küche und Bad aber verschwand das Traumhafte zunehmend. Plastartikel wurden Standard, die Distinktion über den Besitz des modernen Materials war kaum mehr möglich. Wo der Wunsch etwas Neues zu besitzen verschwand, rückte die Aus­ einandersetzung mit dem, was man vorfand, in den Vordergrund. Hier zeigt sich, dass die flächendeckende Versorgung der Massen auch Massenware hervorbrachte, die hohen An­ sprüchen an Design und Qualität nur bedingt genügte. Wirft man einen Blick auf die Dinge aus Plaste, die in den 1970er und 1980er Jahren enstanden, gewinnt man den Eindruck von Uniformität und gestalterischer Beliebigkeit, die zunehmend auch offene Kriti­k hervorrief. So wird in der Zeitschrift „Kultur im Heim“ die Imitation natürlicher Materialie­n durch

Illusion aus Plast. KunststoffObst zu Dekorationszwecken, 70er Jahre.

Holzdekorfolie oder Kristallglasimitation moniert, „die weder die Härte und Widerstands­ fähigkeit von Kristall (Glas) noch einen Abglanz des Kristallschliffs“19 be­sitze. Das Beispiel verdeutlicht, dass es den Plasten nicht gelang, sich über ihre Modephase in den 1960er Jah­ ren hinaus als gleichberechtigtes Material neben Naturstoffen zu etablieren. In den 1970er und 1980er Jahren laufen die Verheißungen zunehmend ins Leere, während die Kunststoffobjekte in der Profanität des Alltäglichen ver­ haftet bleiben.

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Alles aus Plaste

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Seite 36/37 „Plasterzeugnisse – ein Ausdruck unserer Zeit“. Versandhauskatalog Centrum, 1966/67.

Rainer Karlsch: Capacity losses, reconstruction, and unfinished modernization: The chemical industry in the Soviet Zone of Occupation (SBZ)/GDR, 1945-65, in: John E. Lesch (Hrsg.): The German Chemical Industry in the Twentieth Century, Dordrecht / Boston / London, 2010, S. 367–405, hier S. 376. 2 Fritz Welsch: Geschichte der chemischen Industrie. Abriß der Entwicklung ausgewählter Zweige der chemischen Industrie von 1800 bis zur Gegenwart, Berlin 1981, S. 217. 3 Perspektive der Plastindustrie und damit der in der künftigen VVB zusammengefaßten plast­ verarbeitenden Betriebe, 1958, Landeshauptarchiv Merseburg, Sign. 787/10. 4 Erich Apel: Das Chemieprogramm der Deutschen Demokratischen Republik – ein wichtiger Faktor im ökonomischen Wettbewerb zwischen Sozialismus und Kapitalismus, unveröffentl. Dissertation, Humboldt-Universität Berlin 1960, S. 1. 5 Referat Walter Ulbricht, in: Chemie gibt Brot-Wohlstand-Schönheit. Chemiekonferenz des Zentralkomitees der SED und der Staatlichen Plankommission am 3. und 4. November 1958, Berlin 1958, S. 10. 6 Henning Diederichs: Die Plastverarbeitung der DDR und ihr Umfeld, Frankfurt am Main 1993, S. 116. 7 VVB Plastverarbeitung: Ökonomik des Industriezweiges Plastverarbeitung, Halle, den 5.4.1960, Bundesarchiv, DE 1/ 27790. 8 Walter Meyer: Probleme der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit zwischen Konsumgüterproduktion und dem Binnenhandel der DDR: untersucht an den Wechselbeziehungen zwischen der plastverarbeitenden Industrie und dem Handel mit Haushaltwaren, Leipzig 1962, S. 30, 172. 9 Plaste und Kautschuk 1956, Heft 5, S. 104. 10 Meyer, Probleme. S. 53. 11 Beschlußprotokoll der Tagung der Arbeitsgruppen des Zentralen Fachkollektive Eisen, Blech und Metallwaren und Plasten, Berlin, d. 4.6.1962, zitiert nach: Meyer, Probleme. S. 126. 12 Chronik des VEB Plasta Preßwerk Auma, Landeshauptarchiv Merseburg, VVB Plastverarbeitung Halle, Nr. 2052, S. 23. 13 Rededisposition der Erzeugnisgruppe Plasthaushaltwaren zur weiteren Qualifizierung der Führungstätigkeit und der Masseninitiative zur Steigerung der Produktion von Plasthaushaltwaren zu Ehren des 20. Jahrestages der DDR, 7.2.1969, Landeshauptarchiv Merseburg, VVB Plastver­arbei­ tung Halle, Nr. 3927, S. 15. 14 Uwe Fraunholz: Mobilisierung der „Produktivkraft Wissenschaft“? Die Hochschulen und das Chemieprogramm der DDR in den 1950er und 1960er Jahren, in: Dresdener Beiträge zur Geschichte der Technikwissenschaften 28 (2003), S. 33–70. 15 Georg Wagner-Kyora: Vom „nationalen“ zum „sozialistischen“ Selbst. Zur Erfahrungsgeschichte deutscher Chemiker und Ingenieure im 20. Jahrhunder, Stuttgart 2009, S. 72. 16 Ebenda, S. 82. 17 Ebenda. 18 Diederichs, Plastverarbeitung, S. 120. 19 Christiane Müller: Berechtigt oder geschmacklos? Überlegungen zur Imitation, in: Kultur im Heim 5 (1983), S. 46–47, hier S. 46. In ähnlicher Weise argumentiert Udo Dietze: „Wohl wissend um den bloßen Schein des Imitats, hat sich in der ästhetischen Wertehaltung gegenüber dem Holz-Folie-Dekor eine Verbindung von Akzeptanz und Distanz herausgebildet: Es wird einerseits angenommen und gleichzeitig sehr oft geringgeschätzt.“ Vgl. Udo Dietze: Design Dialog, in: Kultur im Heim 6 (1988), S. 36–37, hier S. 36.

Acht Jahre später – Kitsch auf dem Vormarsch. Plastkristall und Holzdekor­folie imitieren andere Materialien, statt minimalistischem Design dominieren folkloristische Ornamente. Versandhaus­katalog Centrum, 1974/1975.

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Kapitel II: Das Material

Linke Seite Salatgarnitur. Produktkatalog des VEB Glasbijou­terie Zittau, 1964. Schema zur Einteilung der Kunststoffe in einem Sachbuch für Kinder. Werner Hirte: Stahl, Beton, bunte Gläser, Berlin 1979.

Kunststoffe sind organische Makromoleküle, die unter Hitze, Druck und der Verwendung von Katalysatoren hergestellt werden. Die Synthese solcher Makromoleküle, die durch chemische Umwandlung von Naturprodukten oder vollständig künstlich gewonnen werden, beruht auf der hohen Reaktionsfähigkeit des Kohlenstoffatoms, das sich zu Ketten und Ringen verbinden kann. Die Vereinigung von vielen kleinen Molekülen zu ketten- oder netz­ förmigen Riesenmolekülen ist der grundlegende Mechanismus der Kunststoffsynthese. Bei der Herstellung von Kunststoffen werden drei Verfahren unterschieden: Bei der Polykondensation schließen sich die Moleküle stufenweise unter Abspaltung von Wasser oder eines anderen Nebenprodukts zusammen. Die so gewonnenen Kunststoffe bezeichnet man auch als Polykondensate. Zu ihnen gehören zum Beispiel Phenolharz (Bakelit) und Melaminharz (Meladur). Die Polymerisation basiert auf einer chemischen tion, bei der sich gleichartige Einzelmoleküle Reak­ (Monomer­-e) zu Makromolekülen verbinden. Aus einzelnen Ethylen-Moleküle­ n z. B. wird so Polyethylen. Polymerisate sind z. B. Polyvinylchlorid (PVC), Polypropylen, Polystyrol und Polymethylmethacrylat (Plexiglas). Die Polyaddition erfolgt ähnlich wie die Polykonden­ sation in einzelnen Stufen. Es fallen jedoch keine Nebenprodukte an. Polyurethane und Epoxidharze zählen zu den Polyaddukten. Nach ihren Eigenschaften werden Kunststoffe in Duroplaste und Thermoplaste geteilt. Duroplaste lassen sich nach der Verarbeitung und Aushärtung nicht mehr verformen. Duroplaste sind Bakelit und Meladur. Auch unter größter Hitze können sie nicht zum Schmelzen gebracht werden, sondern verkohlen. Die Thermoplaste hingegen sind nur in einem bestimmten Temperaturbereich fest. Unter großer Wärmezufuhr werden sie plastisch und lassen sich beliebig oft verformen. Thermoplaste sind die Polymerisate und Polyamid.

Das Material

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Kunststoffe bestehen im wesentlichen aus Kohlenstoff und können aus Erdöl, Erdgas oder Kohle gewonnen werden. In der DDR stand zur Kunststoffgewinnung hauptsächlich Braunkohle zur Verfügung. Um aus Braunkohle Kunststoffe herzustellen, benötigte man zunächst Calciumkarbid. Es wurde unter großem Energieaufwand aus Kalk und Koks in Karbidöfen zusammengeschmolzen. Aufgrund der Petrolchemie war die Herstellung von Karbid in Paraffinanlage im VEB Petrol­ chemisches Kombinat Schwedt. VEB Erdölverarbeitung Schwedt, Dresden 1968.

westlichen Industrieländern rückläufig, in den Buna-Werken hingegen wurden 1970 noch 80% der Produkte auf der Basis von Calciumkarbid hergestellt. Heute werden Kunststoffe vor allem aus Erdöl gewonnen, einem Gemisch aus verschiedenen Kohlenwasserstoffen. Durch Destillation lässt sich das Erdöl in verschiedene Fraktionen aufspalten, darunter Heizöle, Gas, Roh­benzin und Diesel. Aus dem Rohbenzin gewinnt man durch einen thermischen Spaltprozeß, den man als Cracken bezeichnet, Ethylen, Propylen und andere Kohlenwasserstoffverbindungen, die dann zur Herstellung

der

Kunststoffe

verwendet

werden. Auch in der DDR baute man die Erdöl­chemie aus. Das aus der Sowjetunion seit den 1950er Jahren importierte Erdöl, das seit 1963 über die Erdölleitung „Freundschaft“ geliefert wurde, bereitete man im VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt zur Weiterverarbeitung auf. Seit der Erdölkrise 1973 gingen die Lieferungen aus der Sowjetunion jedoch zurück und führten zum Ausbau der technologisch unbefriedigenden Braunkohlechemie mit verheerenden Folgen für die Umwelt. Auf den folgenden Seiten werden die in der DDR gebräuchlichen Kunststoffe vorgestellt. Information über ihre Herstellungsweise, Eigenschaften, Anwendungsgebiete und ihre Verfügbarkeit und Verbreitung in der DDR sollen die Vielfalt der Kunststoffe illustrieren, die unter der Sammelbezeichnung „Plaste“ zusammengefasst wurden.

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Alles aus Plaste

Kunststoffproduzenten in der DDR Betrieb

Hauptprodukte / Kunststoffe

VEB Chemische Werke Buna

Karbid Synthetischer Kautschuk

Markennamen

Buna

Polystyrol Polyvinylchlorid Polyamid Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymerisat

Sconater

Polyethylen Polyvinylacetat

PVAC Schkopau

ungesättigte Polyesterharze

Polyester Schkopau

Polyethylen

Mirathen

Polyamid

Miramid

Ethylen-Vinyl-Acetat

Miravithen

Epoxidharze

Epilox

VEB Plasta Erkner

Phenolharz Phenolharzpressmasse Polyesterpreßmassen Kohlenwasserstoff-Harz

Plastadur

VEB Stickstoffwerk Piesteritz

Karbid

VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“

Melaminharzpressmasse

Meladur

Diciandiamitharzpressmassen

Didi-Preßmasse

Polymethylmethacrylat

Piacryl

Harnstoffharz-Schaumstoff

Piatherm

VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld

Polyvinylchlorid

Ekadur, Ekalit, Ekazell

VEB Synthesewerk Schwarzheide

Polyurethan

SYStole SYStanate SYSpur

VEB Eilenburger Celluloidwerk

Polyvinylchlorid

Decelith

Celluloid

VEB Plasta Kunstharzund Pressmassefabrik Espenhain

Cellulose-Acetat

Saxetat

Phenolharz

Plastadur

Phenolharzpressmasse

Das Material

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Schematische Darstellung zur Herstellung halbsyn­ thetischer Kunststoffe auf Cellulosebasis. Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

Vulkanfiber, Celluloid und Kunsthorn Wer denkt bei Milch und Baumwolle schon an Kunststoffe? Doch die ersten Kunststoffe ware­n abgewandelte Naturstoffe: Aus Milch wurde seit 1899 das sogenannte Kunsthorn (Galalit­h) gewonnen. Die beiden deutschen Chemiker Wilhelm Krische und Adolph Spitteler ließen das Milchprotein Kasein mit Formaldehyd aushärten und erhielten auf diese Weise einen Duroplast, der sich gut färben, polieren und spangebend bearbeiten ließ. Knöpfe, Schnallen, Griffe und Schreibgeräte wurden daraus gefertigt. Zwei wesentliche Nachteile besaß das Kunsthorn allerdings: Es war ziemlich spröde, bröckelte leicht und war in der Herstellung teuer, weshalb es nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung verlor und durch Rechte Seite Profile und technische Teile aus Vulkanfiber. Gebrauchsartikel aus Bakelit.

vollsynthetische Kunststoffe ersetzt wurde. Auch Zellulose, die in Holz und Baumwolle enthalten ist, diente zur Herstellung von halbsynthetischen Kunststoffen. Vulkanfiber, Celluloid (Zellulosenitrat) und Kunstseide (Zelluloseacetat) sind die bekanntesten. Vulkanfiber wurde seit 1859 industriell hergestellt und gehört zu den ältesten Kunststoffen. Der Engländer Thomas Taylor versetzte Zellulose-

Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

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Alles aus Plaste

Fasern mit Zinkchlorid-Lösung und erhielt einen sehr festen, fast unzerbrechlichen Kunststoff, der für Koffer, aber auch technische Teile verwendet wurde. Als Ersatz für das Elfenbein von Billardkugeln entstand 1870 das Celluloid. Es gilt als der erste Thermoplast und wird aus Zellulosenitrat (Schießbaumwolle) und Kampfer ge-

wonnen. Puppen, Spielwaren, die Verkleidung von Akkor­ deoninstrumenten, Brillen und Schalen waren typische Artikel aus Celluloid. Ende der 1880er Jahre wurde mit der Entwicklung des Celluloidfilms der Grundstein für foto­ grafische und Kinofilme gelegt. Gefahr erwuchs jedoch aus der leichten Entflammbarkeit des Materials, so dass Celluloidfilme 1951 verboten und durch sogenannten Sicherheitsfilme auf Basis von Zelluloseacetat ersetzt wurden. Seine Bedeutung hat Celluloid jedoch behalten: Noch heute werden Tischtennisbälle daraus produziert.

Bakelit 1905 entwickelte der amerikanisch-belgische Chemiker Leo Hendrik Baekeland den ersten vollsynthetischen Kunststoff. Das nach seinem Entwickler benannte Phenolharz „Bakelit“ wurde seit 1909 erstmals in Erkner, nahe Berlin, industriell hergestellt und erlebte in den folgenden Jahrzehnten eine weite Verbreitung. In der DDR stellten die Betriebe VEB Plasta Erkner und Espenhain Phenolharz und –pressmasse unter der Marke „Plastadur“ her. Seine mechanische Festigkeit, die Beständigkeit gegenüber Wärme und seine gute Isolationsfähigkeit machten Bakelit zu einem gefragten Material in der Elektroindustrie. Lichtschalter, Stromzähler und Lampenfassungen wurden aus Phenolharz hergestellt, aber auch die Gehäuse von Radio­ gerä­ten, ebenso Schreib- und Nähmaschinengehäuse, Bohnerwachsdosen, Aschenbecher, Türbeschläge und WC-Decke­l. Für alle war die dunkelbraune, rote oder schwarze Farbe charakteristisch, denn dieser Urvater der Kunststoffe ließ sich nur in dunklen Farbtönen einfärben. Weil Phenolharze nicht geschmacksneutral waren, schloss sich eine Verwendung im Zusammenhang mit Lebensmitteln aus. Im Büro hingegen verlieh das Bakelit Telefonen, Stempelkissen, Federschal­en und Brieföffnern durch seinen hohen Ober­ flächenglanz eine Eleganz, die noch heute bei Sammlern Begeisterung auslöst. Das berühmteste Phenolharz-Produkt in der DDR dürfte jedoch der Trabant sein. Seit 1957 wurde seine Karosserie in Zwickau aus Baumwollmatten und Phenolharz­pulver gepresst.

Das Material

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Das Kunststoffauto. Seit 1957 produzierten die Automobil­ werke Zwickau den Trabant mit Duroplast-Karosserie. „Die Technik“ 1959, Heft 3.

Bakelit ist ein Duroplast, das heißt, es lässt sich, einmal gepresst und ausgehärtet, nicht mehr durch Wärmezufuhr verformen. Um Duroplaste zu pressen, benötigt man den Kunststoff als Pulver, Granulat oder Tabletten. Die dosierte Menge an pulverisierter, granulierter oder tablettierter und gegebenfalls vorgewärmter Pressmasse wird in ein beheiztes Formwerkzeug gefüllt. Im geschlossenen Werkzeug erwärmt und verflüssigt sich die Masse, fließt in die Hohlräume der Form und beginnt zu härten. Das sich bei der Erhärtung abspaltende Wasser entweicht als Wasserdampf (Kondensation). Nach der Aushärtung wird die Form geöffnet und das gepresste Erzeugnis kann entnommen werden.

Schematische Darstellung zur Herstellung von Bakelit und Melaminharz Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

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Alles aus Plaste

Eine Konsum-Verkäuferin präsentiert Geschirr und eine Kanne aus Meladur, Titelbild der Zeitschrift „Guter Rat“ 1963, Heft 1.

Meladur Wie Bakelit gehört auch Meladur zu den Duroplasten. Aus Harnstoff und Formaldehyd entsteht in einer chemischen Reaktion ein Harz, das durch die Zugabe von Holzmehl oder Zellstoff als Füllmaterial zu einer Pressmasse wird. Die Herstellung von Melaminharz-Pressmasse glückte bereits 1935. Unter dem Handelsnamen Meladur wurde es in der DDR seit den 1950er Jahren im VEB Stickstoffwerk

Piesteritz

produziert.

Der Großbetrieb im Raum Wittenberg/ Coswig versorgte als alleiniger Erzeuger zahlreiche plastverarbeitende Betriebe der DDR mit Pulver oder gekörnter Masse (Granulat). Meladur kann im Gegensatz zu den Phenolharzen in hellen Farben eingefärbt werden und veränderte damit maßgeblich das Erscheinungsbild der Kunststoffe. Es verkörperte wie kein anderes Plast­ material einen modernen Lebensstil: seine Leichtigkeit, Bruchfestigkeit und die aufgrund moderner Formgebung mögliche Stapelbarkeit machten es zum geeigneten Begleiter im Urlaub und im Garten. Da Meladur geruchs- und geschmacksneutral ist und lange Zeit als Gestapelte Tabletts aus Melaminharz, VEB Plasta Preßwerk Auma.

physiologisch unbedenklich galt, schien es besonders für den Umgang mit Lebensmitteln geeignet und wurde für Kantinenteller, Küchenartikel und Campinggeschirr verwendet. Meladu­r war zwar in der Produktion teurer als Bakelit, fand aber wegen seiner Ähnlichkeit mit Porzellan große Akzeptanz bei den Konsumenten. Zu den wichtigsten Produzenten von Konsumgütern aus Meladur gehörte der VEB Preßstoffwerk Spremberg „Dr. Erani“. Geschirr und Kompottschalen wurden seit den 1960er Jahren hergestellt, bis die Produktion in den 1970er Jahren nach Bulgarien verlagert wurde. Die Thüringer Betriebe VEB Preßwerk Auma und Isopress GmbH Rottenbach (in Verwaltung) stellten über 30 Jahre hinweg Tabletts, Schalen und das bekannte Kantinengeschirr her, die die Bürger der DDR generationenübergreifend begleiteten.

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Alles aus Plaste

Linke Seite Gebrauchsartikel aus Meladur. Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960. Schematische Darstellung zur Herstellung von Poly­ styrol Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

Polystyrol Als 1839 ein Berliner Apotheker aus dem Harz einer orientalischen Pflanze ein ätherisches Öl extrahierte, das sich durch Erwärmen zu einer durchsichtigen Masse verdickte, war er dem Werkstoff Polystyrol bereits dicht auf der Spur. Die destillierte farblose Flüssigkeit nannte er Styrol, doch bis zur industriellen Herstellung sollten noch fast 100 Jahre vergehen: In Ludwigshafen wurde 1931 durch Wärmepolymerisation erstmals Polystyrol großtechnisch hergestellt und 1937 die Produktion auch in den Chemischen Werken Buna in Schkopau aufgenommen. Buna blieb in der DDR alleiniger Hersteller von Polystyrol und stellte im Laufe der Jahre verschiedene Sorten bereit, darunter seit 1967 auch das sogenannte ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol), das deutlich bessere Materialeigenschaften und besonders eine­n höheren Festigkeitsgrad besaß. Polystyrol ist der Kunststoff der kleinen und großen Massenartikel. Von glasklar bis zu leuchtend orange lässt es sich in allen Farbvarianten produzieren und gut im Spritzgießverfahren verarbeiten. Dabei wird das meist kalte Spritzgußgranulat dosiert, erhitzt und mit starkem Druck über eine Düse in eine kalte Form gespritzt. Nach Erkalten der plastischen Massen wird das Erzeugnis durch Öffnen der Form ausgeworfen. Vorratsdosen und Blumengießkannen, Gewürzbehälter, Happenspieße und Käseglocken, Eierbecher und Plastbesteck – 1000 kleine

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Gebrauchsartikel aus Polystyrol. Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

Alltagsbegleiter wurden aus Polystyrol gespritzt. Wegen seiner hohen Bruchanfälligkeit ent­ wickelte man sogenannte Mischpolymerisate, die allerdings nicht mehr transparent, sondern nur in gedeckten Farben zu verarbeiten waren. Diese schlagzähen Polystyrole fanden bei Radiound Telefongehäusen Verwendung, bei den Tasten von Schreibmaschinen und den Düsen von Staubsaugern. Mit dem Schaumpolystyrol, dem sogenannten Styropor, erhielt man ein gutes Isoliermaterial, das sich zudem als Verpackungsmittel für hochwertige Geräte eignete. Als Polystyrolfoli­e ist der Kunststoff uns von knisterndem Bonbonpapier bekannt. In der DDR spielte Polystyrol bei Alltagsprodukten eine herausragende Rolle. Es ersetzte dort, wo Hitze- und Säurebeständigkeit nicht entscheidend waren, teurere Pressmassen, zeigte allerdings eine große Bruchempfindlichkeit. Während international Polycarbonat und Polypropylen das Polystyrol bei Haushaltsartikeln verdrängten, blieb es in der DDR wegen seiner kostengünstigen Herstellung weit verbreitet.

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Alles aus Plaste

ABGEWANDELTE NATURSTOFFE

Papierkorb aus Vulkanfiber

Koffer aus Vulkanfiber

Haushaltsschwamm aus Viskose (Zellwolle)

Tischtennisbälle aus Celluloid, VEB Sportgerätewerk Karl-Marx-Stadt

Akkordeon „Manuela“ mit Celloidbeschlag

Einmach-Cellophan, VEB Zellstoff- und Zellwollewerk Wittenberge, 0,45 M

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BAKELIT

Koffernähmaschine „Freia“ (Abkürzung für Freiarm­ nähmaschine), Entwurf: Ernst Fischer (1958), MEWA Ernst-Thälmann-Werk Suhl

Rollfilmkamera „Pouva Start“, Karl Pouva KG, Freital, 1955–1972, Preis: 16,50 DM

Diabetrachter „Gucki“, VEB Filmosto, Dresden, 1950er Jahre

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Alles aus Plaste

Schreibtischlampe, VEB Leuchtenbau Leipzig, 1950er Jahre

Kaffeemühle, VEB Dieselmotorenwerk Rostock, Werksentwurf (1955)

Radio „Spatz”, VEB Elektroakustik Hartmannsdorf, 1955/56, Preis: 169 DM

Fön, VEB Elektrowärme Altenburg, 1950er Jahre

Anspitzgerät “Modell 120”, VEB Feintechnik Eisfeld, 1950er Jahre

Das Material

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MELADUR

Schalensatz, VEB Plasta Preßwerk Auma, Entwurf: Albert Krause (1959), 1960er–1980er Jahre

Gedeck aus Meladur, VEB Preßstoffwerk Spremberg „Dr. Erani“, 1960er Jahre

Mehrzweckdosensatz, VEB Plasta Preßwerk Auma, 1960er Jahre

Kantinengeschirr, VEB Preßstoffwerk Spremberg „Dr. Erani“, VEB Plasta Preßwerk Auma, Isopress GmbH Rottenbach (in Verwaltung), 1960er–1980er Jahre

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Alles aus Plaste

Schneidebrettchen, Walter Kreutz KG, Neugersdorf, 1960er–1980er Jahre

Butterdose mit Glaseinsatz, Walter Kreutz KG, Neugersdorf, 1950er–1960er Jahre

Zitronenpresse, VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin, Entwurf: Manfred Heintze, 1962

Kaffeegedeck, VEB Preßstoffwerk Spremberg „Dr. Erani“, Entwurf: Martin Kelm und Horst Giese (1960)

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POLYSTYROL

Telefonapparat, VEB Fernmeldewerk Nordhausen, 1989

Eierbecher, Wiesmann & Co. Halberstadt, 1960er Jahre

Eiswürfeleimer mit Zange, Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz, 1960er Jahre

Filtertütenhalter, VEB Metaplast Quedlinburg, 1980er Jahre

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Alles aus Plaste

Kofferradio Stern Camping, VEB Stern-Radio Berlin, 1968

Gießkanne, VEB Glasbijouterie Zittau, 1960er Jahre

Dekordose, VEB Glasbijouterie Zittau, 1980er Jahre

Gewürzmenage, VEB Polyplast Halberstadt, 1960er Jahre

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POLYAMID

Filtertüte aus „Dederon“, Willibald Böhm KG, Wolkenstein

Tasse, Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz, 1960er Jahre

Seifenablage, Wilhelm Kimmel KG,Sebnitz, 1960er–1980er Jahre

Obstmesser, Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz, 1950er–1980er Jahre

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Alles aus Plaste

Gebäckzange, VEB Glasbijouterie Zittau, 1960er Jahre

Kaffeefilter für 2 Tassen, Willibald Böhm KG, Wolkenstein

Sieb mit „Dederon“-Gewebe, Willibald Böhm KG, Wolkenstein, 1950er–1980er Jahre

Brotkorb, Willibald Böhm KG, Wolkenstein, 1960er–1980er Jahre

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PVC

Tortenbehälter

Schutzumschlag für Bücher und Hefte

Besteckkasten, Adalbert Reif KG / VEB Novopack Dresden, 1950er–1980er Jahre

Wäscheleine, VEB Schlotheimer Netz- und Seilerwarenfabrik

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Alles aus Plaste

Handpuppe, Wilhelm Kimmel KG, 1950er–1960er Jahre

Klammerbeutel

Trinkröhrchen, Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz, 1960er–1980er Jahre

Gliederkette, VEB Metallwaren Gottleuba

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POLYOLEFINE

Wäschekorb aus Polyethylen, VEB Preßwerk OttendorfOkrilla, 1970er Jahre

Schüssel aus Polypropylen, VEB Plastverarbeitungswerk Staaken, 1980er Jahre

Bestecktrockner aus Polyethylen, VEB Plaste Wolkenstein, 1970er–1980er Jahre

Eierbehälter aus Polyethylen, VEB Glasbijouterie Zittau, 1960er–1980er Jahre

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Alles aus Plaste

Korb aus Polyethylen, VEB Plastverarbeitungswerk Staaken, 1970er–1980er Jahre

Wannen aus Polypropylen, VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla, Entwurf: Hubert Petras (1976)

Gefrierdose aus Polyethylen, VEB Formaplast Sohland, 1980er Jahre

Seifendose aus Polyethylen, VEB Plaste Wolkenstein, Entwurf: Wolfgang Seidel (1985/87)

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POLYURETHAN

Schüsseleinlagen aus PUR-Schaumstoff, VEB Schaum-Chemie Burkhardtsdorf, 1,10 M

Scheuer-Schwamm aus PUR-Schaum, VEB Schaum-Chemie, Burkhardtsdorf, 1980er Jahre

Garderobe aus dem Möbelprogramm „honapur“, VEB Holz Naumburg, Entwurf: Rudolf Horn, Erich Schubert, Eberhard Wüstner (1976)

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Alles aus Plaste

Kängeruh-Stuhl, VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt, 1974

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Kakteenständer mit ver­ schiedenen Kunststoff­ komponenten: Die Stand­ platte ist aus Bakelit, die farbigen Tabletts aus Melaminharz, die verdeckte Stange aus hartem PVC, die Abstandhalter aus Polystyrol und die Füße unter dem Gefäßboden aus Kautschuk. VEB Preßwerk OttendorfOkrilla, 1960er Jahre

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Alles aus Plaste

Schematische Darstellung zur Herstellung von Polya­ mid. Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

Polyamid NYLON und PERLON – die Markennamen für Polyamid lassen weniger an einen „unzerbrechlichen“ Kunststoff denken, als an seidenweiche Strümpfe und Stoffe. Tatsächlich geht das Polyamid als Werkstoff auf die Entwicklung synthetischer Fasern zurück, die der amerikanische Chemiker Wallace Hume Carothers in den 1930er Jahren intensiv erforscht hatte. 1938 konnte er im DuPont-Verfahren auf der Basis von Adipinsäure und Hexamethyl­ endiamin unter der Marke „Nylon“ die ersten Damenstrümpfe aus Polyamid herstellen. Auch der deutsche Chemiker Paul Schlack forschte zu jener Zeit an Polyamid. Er entdeckte 1938 die Polymerisationsfähigkeit von Caprolactam, das aus dem Phenol des Steinkohlenteer gewonnen wurde, und entwickelte eine Polyamidfaser, die unter dem Markennamen „Perlo­n“ vermarktet wurde. Nylon und Perlon dienten zunächst der Rüstungsproduktion. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Deutschland zu einer zivilen Nutzung. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die Polyamidfasern, die in der DDR seit 1959 unter dem Namen „DEDERON“ vertrieben wurden, als ideales Material für Strümpfe und Bekleidungsstoffe. Es wurde aber auch für Siebeinsätze und Kaffeefilter verwendet. In der DDR wurden der Nylon- und der Perlontyp des Polyamids industriell hergestellt. In den Chemischen Werken Buna produzierte man das „Polyamid AH Schkopau“ auf der Basis von Nylon, in Leuna „Miramid“ auf der Basis von Perlon. Polyamid wurde zude­m als

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Gebrauchsartikel aus Polyamid. Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

Regranulat aus Stoffresten der Textilindustrie gewonnen. So besaß die Wilhelm Kimme­l KG in Sebnitz eine Abteilung zur Polyamid-Aufbereitung, in der die Produktions­reste von Damenstrüpfen und Nylon-Strumpfhosen zu einem Regranulat verarbeitet wurden, das in verschiedenen Farben und kleineren Mengen an verarbeitende Betriebe sowie ins Ausland verkauft wurde. Polyamid erwies sich in der Industrie schnell als geeigneter Ersatz für Metall. Seine hohe Verschleißfestigkeit ermöglichten den Einsatz in der Technik: Zahnräder, Schrauben und Scharniere, an die hohe Festigkeitsansprüche gestellt werden mussten, aber auch Armaturen, Wasserhähne und Türgriffe fertigte man aus diesem Kunststoff. Dass der im Vergleich zu anderen Plasten recht teure Werkstoff auch für Gebrauchsgegenstände des Haushalts große Verwendung fand, stellt eine Besonderheit der DDR dar: Zitronenpressen, Reiben, Becher und Salatbestecke aus Polyamid dürften in der Bundesrepublik eher eine Seltenheit gewesen sein.

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Alles aus Plaste

Schematische Darstellung zur Herstellung von Poly­ vinylchlorid und anderen Vinylverbindungen. Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

Polyvinylchlorid In der DDR stellte man Polyvinylclorid (PVC) hauptsächlich auf der Grundlage von Kalziumkarbid her, das aus Braunkohle und Kalk gewonnen wurde. Zusammen mit Wasser entstand Acetylen, das mit Salzsäure zu Vinylchlorid umgesetzt wurde. Durch die Polymerisation des Vinylchlorids erhielt man den Kunststoff PVC. Nach dem Anteil sogenannter Weichmacher unterscheidet man hartes und weiches PVC. Die industrielle Produktion von PVC begann in den 1930er Jahren durch das Unternehmen I.G. Farben in Ludwigshafen und Bitterfeld, später auch in Eilenburg und Schkopau. In der DDR blieb PVC unangefochten Kunststoff Nr. 1. Es stellte 1956 über die Hälfte des gesamte­n in der DDR produzierten Kunststoffsortiments und noch 1970 war sein Anteil doppelt so hoch wie in anderen Ländern. Hersteller für Polyvinylchlorid in der DDR waren das Elektrochemische Kombinat Bitterfeld, die Eilenburger Celluloid-Werke und das Kombinat Chemische Werke Buna. Zahlreiche Weiterverarbeitungsbetriebe stellten daraus Folien, Rohre, Profile und Borsten her. Polyvinylchlorid war ein preiswerter Kunststoff. Er zeichnet sich durch ausgezeich­ nete Korrosionsbeständigkeit aus, was seine Nutzung im Bauwesen und in der Industrie nahe­legte, wo er für Rohrleitungen, Kabelisolierungen und Auskleidungsmaterial für In­

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dustriebehälter Verwendung fand. Im Hausgebrauch bekannter sind PVC-Fußbodenbeläge und die Hand­ l­aufprofile von Treppenhausgeländern. Als regelrecht berüchtigt können Schuhe aus Igelit, einem Weich-PVC der Nachkriegszeit gelten, das als Ersatz für rationiertes Leder eine recht unbequeme Alternative bot. Nicht zuletzt wurden in der DDR auch kleine Dinge aus PVC hergestellt, zum Beispiel Trinkröhrchen, Wäscheleinen, Blumen­ ampeln und Behälter aller Art.

Erzeugnisse und Muster aus Polyvinylchlorid. Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

Kalander zur Herstellung von PVC-Fußbodenbelag. Plaste. Werkstoffe moderner Technik, Berlin 1960.

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Alles aus Plaste

Schematische Darstellung zur Herstellung von Poly­ ethylen. Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

Polyolefine Die beiden thermoplastischen Kunststoffe Polyethylen und Polypropylen bezeichnet man als Polyolefine. Sie basieren auf den Gasen Ethylen bzw. Propylen, die aus Erdöl gewonnen werden. Um aus diesen petrolchemischen Ausgangsstoffen durch Polymerisation Kunststoffe zu gewinnen, muss Druck angewendet werden. Bei höherem Druck entsteht das weichere PE-ND (niedere Dichte), durch niedrigeren Druck dagegen das vergleichsweise harte PE-HD (hohe Dichte). Beide weisen eine hohe Zähigkeit und Dehnbarkeit auf und sind beständig gegen Wasser. Polyethylen ist gut durch seine wachsartige Oberfläche zu erkennen. Gegenüber Polyethylen ist Polypropylen etwas temperaturbeständiger und hat eine glänzendere Oberfläche. Es kam in der DDR wegen seiner teuren Herstellungskosten deutlich seltener zum Einsatz, obwohl es wegen seiner harten Oberfläche hochwertig ist. Polyethylen und Polypropylen zählten in der DDR zu den modernsten Kunststoffen für den Haushalt. Flaschen, Wannen und Eimer – Behälter also, die regelmäßig mit Flüssig­ keiten in Berührung kamen, wurden häufig aus diesen strapazierfähigen Materialien her­ gestellt. Polyethylenfolie war auch für Verpackungen von Lebensmitteln gefragt, so etwa als Schlauchverpackungen für Milch und Wurst. In den 1960er und 1970er Jahren setzte sich

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Erzeugnisse aus Polyethylen. Plaste Elaste Chemiefasern. Katalog zur Wanderausstellung der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission, Berlin 1960.

die Verarbeitung von Polyethylen, in den 1980er Jahren auch von Polypropylen immer stärker durch. Beide Materialien lassen sich durch Spritzguss, Extrusion, Blas- und Vakuum­ formung zu Formteilen verarbeiten. Auf die Herstellung von Flaschen und Kanistern war der VEB Preßwerk Tambach-Dietharz spezialisiert, Eimer kamen aus Sonneberg und dem Plastverarbeitungswerk Schwerin, während Wannen und Körbe vom VEB Preßwerk OttendorfOkrilla produziert wurden. Zahlreiche andere Betriebe stellten kleinere Polyethylen-Artikel vom Eierbehälter über Schöpfkrüge bis zum Kindernachttopf her.

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Alles aus Plaste

Polyurethan Polyurethane (PUR) sind Kunststoffe, die im sogenannte Polyadditionsverfahren entstehen, das heißt, dass bei der chemischen Reaktion keine Spaltprodukte auftreten. Polyurethane lassen sich als vernetzte und lineare Kunststoffe herstellen. Während die vernetzten Polyurethane duroplastische Eigenschaften aufweisen, ordnet man die linearen Polyurethane den Thermoplasten zu. Durch Variation der Ausgangsstoffe sind Polyurethane als weiche und harte Schaumstoffe, als elastische Massen, Preßmassen, Klebstoffe, Lacke und Beschichtungsmassen herstellbar. Ihre Entwicklung geht auf Forschungen des Chemikers Otto Bayer in den späten 1930er Jahren zurück. Der Aufbau einer industriellen Herstellung von Polyurethan war auch in der DDR vorgesehen und Bestandteil des 1958 beschlossenen Chemieprogramms. Mit der Produktionsaufnahme im VEB Synthesewerk Schwarzheide sollte 1963 begonnen werden, sie wurde aber bereits nach kurzem auf das Jahr 1968 verschoben. Tatsächlich begann man erst Anfang der 1970er Jahre mit der Herstellung. Aufgrund dieser deutlichen Verspätung im Werbeanzeige des VEB Synthesewerk Schwarzheide, Messejournal 1983.

internationalen Vergleich wurden in der DDR Produkte aus PUR erst in den 1970er Jahren bekannt. Für den Bevölkerungsbedarf entstanden Möbelstücke, Matratzen, Sitzkissen, Haushaltstücher, Untersetzer, Badematten und nicht zuletzt der bewährte Haushaltsschwamm. Der einzige Polyurethan herstellende Betrieb der DDR, das VEB Synthesewerk Schwarzheide, brachte außerdem einen eigenen Konsumartikel auf den Markt: Das sogenannte Garten-Ei war ein zusammenklappbarer Gartensessel mit herausnehmbarer Polstersitzfläche. Das modernistische Möbelstück, von dem Gestalter Peter Ghyczy 1968 für den westdeutschen Polyurethan-Hersteller Elastogran/Reuter entworfen, wurde aus Kostengründen in der DDR produziert. Für den Verkauf in der Bundesrepublik vorgesehen, gelangte es in den Besitz von Käufern aus der DDR, weil die auftraggebende Firma Konkurs anmelden musste. Mit einem Preis von 430 Mark war das Garten-Ei ein absoluter Luxusartikel und wurde daher bis zur Produktionseinstellung 1975 nur wenig verkauft.

Das Material

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Alles aus Plaste

Kapitel III: Der Lebenslauf der Dinge Formschön, farbenfroh, zweckentsprechend Die Gestaltung der Haushaltwaren aus Plaste Auf Flohmärkten findet man sie in den Kisten unter den Tapeziertischen, bei Umzügen stopft man sie in die Kartons zwischen das gute, sorgfältig eingewickelte Porzellan und kaum eine Erbengemeinschaft wird sich darüber zerstreiten – die Rede ist von den zahlreichen Plastikgegenständen, die sich in jeder Küche finden lassen. Auf den ersten Blick erscheint auch die in der DDR entstandene Warenwelt aus Plaste als anonyme Massenware ohne größeren Wert, bei der einem der Begriff Design nicht in den Sinn käme. Tatsächlich spielten diese Haushaltsartikel in der Geschichte der DDR nicht immer eine so nebensächliche Rolle. Für einen kurzen Zeitraum zwischen 1958 und 1960 wurde ihnen im Rahmen des Chemieprogramms eine geradezu staatstragende Funktion zugewiesen. Eine neu zu schaffende Warenwelt aus Plaste sollte die privaten Konsumbedürfnisse der Bevölkerung befriedigen und dem Westen die Überlegenheit des sozialistischen Staates demonstrieren. Diese Phase war zwar nur von kurzer Dauer, sie blieb jedoch nicht ohne Folgen für diesen speziellen Bereich des Alltagsdesigns in der DDR. So lässt sich die Produktion der Haushaltwaren aus Plaste in drei Abschnitte unterteilen: Die Zeit vor, während und nach dem Ende des Chemieprogramms. Die Warenwelt, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst entstan­d, hatte wenig Ähnlichkeit mit den bunten Massenartikeln, die wir heute mit Aschenbecher aus Phenolformaldehydharz, Preßstoffwerk Spremberg, um 1955. Linke Seite Handbohrmaschine HBM 300, VEB Elektrowerkzeuge und Apparate Sebnitz, Entwurf: Erich John (1963).

Kunststoffen in Verbindung bringen. Sie bestand aus wenigen, dunkelfarbigen Gegenständen, wie z. B. Schraubdeckeldosen, Aschenbechern, Zierschalen oder -tabletts. Diese und ähnliche Artikel wurden überwiegend aus Phenolharz – besser bekannt unter dem Markennamen Bakelit – in kleinen Betrieben gefertigt, die hauptsächlich technische Teile, Gehäuse oder Griffe produzierten. Gezielte Gestaltungsarbeit fand zu diesem Zeitpunkt noch nicht statt, entsprechend uneinheitlich war die Erscheinungsform der Produkte.

Kunststoffartikel der Nachkriegszeit Die Gegenstände, die im Rahmen dieser Nebenproduktion entstanden, beruhten überwiegend auf älteren Formen aus der Vorkriegszeit, die mit den beschränkten Mitteln der Nachkriegszeit hergestellt wurden. In manchen Fällen konnten Formwerkzeuge, die den Krieg und die Demontagen durch die Sowjetunion unbeschadet überstanden hatten, weiter verwendet werden. Für andere Produkte baute man die Werkzeuge nach. Als Nachkriegsware lassen sich diese Artikel oftmals nur durch die eingearbeiteten Markenzeichen erkennen,

Der Lebenslauf der Dinge

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Schale aus Phenolformaldehydharz, VEB Plasta Pressstoffwerk Köppelsdorf, um 1950.

denn weder die Formensprache noch die Farbgebung alleine würden eine Datierung in die Zeit nach 1945 vermuten lassen. Das Design der unmittelbaren Nachkriegsjahre reflektierte somit überwiegend die Formen der Vorkriegszeit, eine eigenständige Formensprache hatte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht entwickelt. Deutlich wird dies am Beispiel einer Schale aus der Produktion des VEB Plasta Presstoffwerk Köppelsdorf. Diese greift zwar die Form einer unter dem Markennamen Tropas gefertigten Schale der Dynamit Nobel AG von 1935 auf, statt des teureren und schwieriger herzustellenden Harnstoff-Formaldehydharzes wurde jedoch Phenol-Formaldehydharz verwendet. Im Ergebnis erscheint die jüngere Schale aufgrund der gedämpften

Vorsatzblatt der Preis­liste Nr. 7 für TROPAS-WAREN, gültig ab 1. Januar 1938.

Farbigkeit und der matten Oberfläche älter, als das Modell aus den dreißiger Jahren. Von den Betrieben, die nach 1945 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone die Produktion aufnahmen, konnten nur wenige auf Erfahrungen bei der systematischen Gestaltung von Konsumgütern aus Kunststoff zurück blicken. Zu den Herstellern, die bereits in der Vorkriegszeit Gebrauchs- oder Ziergegenstände aus Kunststoff produziert hatten und ihren Betrieb nach 1945 wieder aufnahmen oder weiter führten, zählten die Firma Isopress (gegr. 1932), die Adler-Knopf-Fabrik (gegr. 1924), die Glasbijouterie Zittau (gegr. 1931), der spätere VEB Preßstoffwerk Spremberg „Dr. Erani (gegr. 1867 als RömmlerWerke), die Willibald Böhm KG, besser bekannt als Sonja Plastic (gegr. 1925), sowie der VEB Plasta Preßwerk Auma (gegr. 1937). Das Warenspektrum dieser Betriebe reichte von Knöpfen und Modeschmuck über Campinggeschirr, Schalen, Aschenbecher und Dosen bis hin zu Pressstoffplatten und Gehäusen für elektrische Geräte und Maschinen. Entsprechend unterschiedlich waren auch die Erfahrungen bei der Produktgestaltung, die traditionell zumeist ohne Zutun von ausgebildeten Gestaltern geschah. Eine Ausnahme stellten hier die RömmlerWerke dar, die unter anderem mit Christian Dell zusammen arbeiteten, der von 1922–1925 am Bauhaus in Weimar als Meiste­r lehrte und zu den Pionieren des Industriedesigns in Deutschland zählte.1 Auch die privaten Firmenneugründungen zu Beginn der 1950er Jahre produzierten ohne Gestalter oder künstlerische Beratung. Gefertigt wurden in der ersten

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Alles aus Plaste

Hälfte der 1950er Jahre mehr oder weniger werkstoffgerechte Werksentwürfe wie die unten abgebildete Milchkanne, bewährte Vorkriegsmodelle und Kopien westdeutscher Waren. Wie das Warenangebot gegen Ende der 1950er Jahre aussah, vermittelt der Gebrauchswarenkatalog „BesenBürsten-Pinsel, Plasterzeugnisse, Gummi­waren“ von 1957. Er richtete sich an den Groß- und Einzelhandel und bildet einen Großteil der damaligen Konsumgüterproduktion ab. Das rund 400 Artikel umfassende Sortiment reichte von einfachen Küchengerätschaften über Blumenübertöpfe bis hin zu Kämmen, Taschenspiegeln und Kunstledertaschen. Auffällig ist, wie kleinteilig und stilistisch heterogen die Erzeugnisse sind. Neben zahlreichen einfachen Gegenständen wie Trinkbechern, Eierlöffeln oder Tellern, zeigt der Katalog eine Auswahl an nützlichen Küchengerätschaften wie Gemüsereiben, Trichter, Voratsbehältern oder Siebe. Eher fragwürdig in Bezug auf Gestaltung oder Haltbarkeit sind hingegen Ware­n, wie ein Teeservice aus Melaminharz im barocken Stil, Spitzendeckchen aus PVC, im asiatischen Stil dekorierte Tabletts aus Phenolharzpressmasse sowie die zahlreichen ornamental reich verzierten Besteckteile aus glasklarem Polystyrol. Die wenigsten der Erzeugnisse wiesen eine Formensprache auf, die sich aus den Eigenschaften des

Gebrauchswarenkatalog 1957.

Material­s Kunststoff entwickelt hatte. Vielmehr wurde die Gestaltung von einem Willen zur Imitation edlerer Materialien und historischer Stile geprägt. Vergessen scheinen die Bemühungen des Deutschen Werkbundes und des Bauhauses, materialgerechte und zeitgemäße Formen zu entwerfen und zu produzieren, die sich an den Bedürfnissen der Menschen und am praktischen Gebrauch orientierten.

Plaste für die sozialistische Kultur Für die plastverarbeitende Industrie der DDR stellte das Jahr 1958 eine bedeutende Zäsur dar. Im Gesetz über den Siebenjahrplan von 1959 heißt es: „Die Produktion von Konsum­ gütern aus Plaste ist im schnellen Tempo zu entwickeln, so daß der Bevölkerung kurzfristig zweckmäßige und formschöne Plasterzeugnisse im großen Umfang zur Verfügung gestellt Milchkanne aus Polystyrol, Werksentwurf, Willibald Böhm KG / Sonja Plastic, um 1956.

werden können.“2 Die Betonung der ästhetischen Qualitäten der Waren im Gesetzestext erfolgte nicht von ungefähr. Innerhalb der sozialistischen Kulturtheorie bestand der Zweck eines Gegenstandes, eines Kunstwerkes, eines Gebäudes nicht nur einzig darin, eine praktische Funktion zu

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erfüllen, vielmehr sollte ein reiches Dekor und eine kunstvolle Ausfertigung den kulturellen Leistungsstand des Volkes im Sozialismus ausdrücken und den Betrachter und Nutzer mit Stolz auf das Geleistete erfüllen.3 Die gesamte Lebensumwelt sollte bewusstseinsbildend und bestätigend wirken, um die Gesellschaft auf ihrem Weg zum vollkommenen sozialistischen Staat zu unterstützen. Diesen Vorgaben entsprechend hatten die im Rahmen des Chemieprogramms von 1958 zu produzierenden Massenbedarfsartikel aus Plaste die Aufgabe, den Alltag der Bevölkerung nicht nur zu erleichtern, sondern auch schöner und moderner zu gestalten. Dieser Vision einer kulturvollen, sozialistischen Umweltgestaltung stand jedoch die Realität des tatsäch­ lichen Warenangebots gegenüber. In einem ersten Schritt wurden daher die vorhandenen Sortimente von staatlichen Stellen (dem Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren und der VVB Plastverarbeitung) erfasst und überprüft.4 Zur Ergänzung und Verbesserung des Sortiments vergab die VVB Plastverarbeitung anschließend einen Gestaltungsauftrag an das Institut für Entwurf und Entwicklung an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle. Man versprach sich von dieser Auftragsvergabe an professionelle Formgestalter eine deutliche Anhebung des ästhetischen und qualitativen Niveaus der Warenwelt der Zukunft. Die mehr als 200 Objekte, die zwischen 1958 und 1960 in Halle als Teil des Programms „Tausend kleine Dinge“ entstanden, begleiteten über Jahrzehnte den Alltag der DDR-Bürger.5 Trotz ihrer Unauffälligkeit, die sich aus ihrer Funktion als einfache Haushaltswaren ergab, sind sie in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert: Zum einen stellt diese Warengruppe den ersten Versuch dar, mit einem hohen ästhetischen und funktionellen Anspruch ein ganzes Warensortiment im Rahmen der Planwirtschaft für die sozialistische Gesellschaft zu entwerfen. Zum anderen handelte es sich bei den Entwerfern um die erste Generation der in der DDR ausgebildeten Formgestalter, die fortan die Entwicklung des staatlich gelenkten Design­s prägen sollten.

Das Institut für Entwurf und Entwicklung, Halle Burg Giebichenstein Die fünf Formgestalter, die 1958 an das Institut für Entwurf und Entwicklung an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle – Burg Giebichenstein berufen wurden, zählten zu den ersten Hochschulabsolventen dieses jungen Berufes in der DDR. Martin Kelm (*1930) und Horst Giese (*1931) hatten zunächst eine Ausbildung zum Elektroinstallateur abgeschlossen, bevor sie die Abteilung Gerät an der Fachschule für angewandte Kunst in Wismar und die Abteilung Formgestaltung an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst Berlin-Weißensee besuchten. Beide Schulen gingen auf Neugründungen der Nachkriegszeit zurück. Eine Orientierung an den Kunstschulausbildungen der Weimarer Zeit war in der DDR politisch unerwünscht. Ein Anknüpfen an die von den Nationalsozialisten verfolgten Kunstund Gestaltungstheorien der Bauhauszeit konnte daher auch nach dem Ende des Zweiten

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Alles aus Plaste

Weltkrieges in der SBZ/DDR nicht erfolgen. Die als Formalismusdiskussion bekannten politisch initiierten Angriffe gegen die Vorkriegsmoderne führten dazu, dass der Bruch mit diesem gestalterischen Erbe fortgeführt wurde, nun jedoch unter dem Vorzeichen des Antikapitalismus. Die Staatsführung wollte die Künste für die politischen Ziele nach sowjetischem Vorbild instrument­ alisieren. In Berlin-Weißensee, aber auch an der Kunstschule Hall­e kam es in den Jahren 1948 bis 1952 daher wiederholt zu regelrechten Säuberungs­aktionen unter den Lehrkräften, die sich daher entweder der neuen Linie anpassten, oder ihren Beruf aufgaben und teilweise gar die DDR verließen.6 An der Hochschule Berlin-Weißense­ e versuchten die Formgestalter unter der Leitung von Rudi Högner sich den Angriffen der Kulturfunktionäre dadurch zu entziehen, dass sie sich auf das noch junge Gebiet der technischen Formgestaltung konzentrierten. Nur so war es möglich, ornamentlose, sachliche Die Formgestalter des Instituts für Entwurf und Entwicklung 1959. Von links nach recht: Heinz Barth, Günter Reißmann, Horst Giese, Manfred Heintze, Albert Krause, Marti­n Kelm.

Formen unter Verwendung moderner Materialien zu entwerfen, ohne sich des For­malismus verdächtig zu machen.7 Entsprechend kamen mit Martin Kelm und Horst Giese zwei diplomierte Formgestalter nach Halle, die sich auf den Entwurf technischer Formen spezialisiert hatten und das Wissen um die

Möglichkeiten der Kunststoffe und der industriellen Serienproduktion mitbrachten. Ergänzt wurde die Gruppe durch drei Absolventen des Instituts für künstlerische Werkgestaltung Burg Giebichenstein/Halle: Albert Krause (*1925), Günter Reißmann (*1931) und Heinz Barth verfügten als gelernte Silberschmiede bzw. Keramiker über umfangreiche Erfahrungen auf dem Gebiet der Gefäßgestaltung. Die 1915 als Handwerker- und Kunstgewerbeschule gegründete Schule der Stadt Halle galt neben dem Bauhaus als eine der wichtigsten Kunst- und Kunstgewerbeschulen der Weimarer Zeit. Zu ihren Lehrkräften gehörten so bedeutende Bildhauer und Keramiker wie Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks, die in Halle einen künstlerisch geprägten Gegenentwurf zur industriell orientierten Ausbildung am Bauhaus der Dessauer Zeit anstrebten. Die Versuche, in der unmittelbaren Nachkriegszeit an diese durch die Nationalsozialisten 1933 unterbrochenen Traditionen anzuknüpfen, wurden durch die kulturpolitischen Entwicklungen der Jahre 1948 bis 1956 zunächst zunichte gemacht.8 Es ist jedoch davon auszugehen, dass das Bewusstsein um die Entwurfsarbeit der Vorkriegszeit durchaus auch noch Mitte der 1950er Jahre an der Schule in Halle präsent und lebendig war. In Halle trafen somit zwei unterschiedliche Gestaltungsansätze aufeinander – die eher technisch ausgerichtete Formgestaltung, wie sie in Berlin-Weißensee gelehrt wurde und die handwerklich-künstlerisch geprägte Arbeitsweise der Absolventen der Burg Giebichenstein. Beide Einflüsse lassen sich klar an den qualitätsvollen Entwürfen erkennen, die in dieser Zusammenarbeit in den Jahren 1958 bis 1960 am Institut für Entwurf und Entwicklung entstanden.

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Die Ziele der Entwurfsarbeit Der Auftrag des Gestalterkollektivs bestand darin, innerhalb kürzester Zeit eine große Anzahl von Entwürfen für die Industrie zu entwickeln, um die Versorgungslücken auf dem Gebiet der Haushaltwaren zu schließen. Die zu produzierenden Waren sollten fröhlich bunt, die Formen elegant und praktisch sein, um die Modernität und den Optimismus des jungen sozialistischen Staates zu verkörpern. Multifunktionalität und Stapelfähigkeit waren weitere wichtige Aspekte bei der Gestaltung, um den räumlichen Bedingungen der oftmals recht kleinen Neubauwohnungen oder dem Großkücheneinsatz zu entsprechen. Die Entwürfe hatten den höchsten Anforderungen in Bezug auf Gestaltung, Qualität und Haltbarkeit zu entsprechen, denn im Gegensatz zum Konsumenten im kapitalistischen Ausland sollte der Bürger der DDR eine maximale Gegenleistung für sein hart erarbeitetes Geld bekomme­n. Künstliche Kaufanreize durch auffälliges Design sollten hingegen vermieden werden, damit sich der Konsument nicht gezwungen fühlen würde, einen funktionstüchtigen Gegenstand aufgrund modischer Aspekte durch einen neuen ersetzen zu müssen. Besonders die Plastartikel galten in dieser Hinsicht als eine Herausforderung, ging man doch von einer nahezu grenzenlosen Haltbarkeit der neuen Werkstoffe aus. Eine auf modische Gestaltung ausgerichtete Entwurfstätigkeit – bereits in den 1960er Jahren sprach man auch in der DDR in diesem Zusammenhang vom Styling der Waren – wurde als Inbegriff der kapitalistischen Warenwirtschaft von den Formgestaltern abgelehnt. Die Entwürfe sollten möglichst neutral und zeitlos sein, weshalb auf Ornamente und Muster weitestgehend verzichtet wurde. Die entsprechende Losung lautete „modern ohne modisch zu sein“. Tatsächlich hat sich dieses gestalterische Konzept als erfolgreich erwiesen, denn die meisten der Entwürfe aus dieser Zeit werden auch heute noch als formschön und elegant wahrgenommen. Bei der Entwurfsarbeit standen jedoch nicht nur die Bedürfnisse der Konsumenten im Vordergrund. Die Formgestalter mussten sich bei ihrer Arbeit auch an den eingeschränkten technischen Möglichkeiten der Industrie und dem anhaltenden Rohstoffmangel orientieren. Die neuen Waren sollten daher nicht nur den Alltag der DDR-Bürger verschönern, sondern auch der Industrie dazu verhelfen, Kosten zu senken und das teuer importierte Material effizienter einzusetzen. Dies geschah durch den Entwurf von Formen, bei deren Fertigung und Nachbearbeitung nur wenig Material verloren ging, sowie durch die Wahl von Farben, die sich mit Farbstoffen und Pigmenten aus heimischer Produktion herstellen ließen. Die gleichfalls knappen Arbeitskräfte sollten gezielter eingesetzt werden, indem die Herstellung weitestgehend automatisiert, ohne aufwändige manuelle Nachbearbeitung erfolgen sollte. Neben dem Binnenmarkt galt die Aufmerksamkeit der Staatsführung auch dem Exportmarkt. Die neu zu entwerfenden Gegenstände sollten von so hoher Qualität sein, dass sie sich auch auf den westlichen Märkten gewinnbringend absetzen ließen. Die Chemie- und Plastindustrie sollte mit Hilfe der Formgestaltung zum erfolgreichen Konkurrenten west­ licher Firmen avancieren und zum devisenbringenden Motor der DDR-Wirtschaft werden.

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Ausstellung des Instituts für Entwurf und Entwicklung an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle Burg Giebichenstein, 1960.

Trinkflasche aus Polyethylen, Entwurf Wilhelm Wagenfeld für das Johannes Bruchsteiner Plastic Werk von 1956.

Die Entwürfe Entworfen wurde von den fünf Formgestaltern in Halle nahezu alles, was an Plastartikeln in den Haushalten, den Kantinen oder beim Camping gebraucht wurde. Es entstanden Zitronenpressen, Eierlöffel, Teller, Tassen, Schüsseln, Blumengießkannen, Eimer, Milchkannen und vieles mehr. Für viele dieser Arbeiten lassen sich Vorbilder finden. An dieser Stelle seien jedoch nur vier Beispiele genannt, die für die verschiedenen Inspirationsquellen stehen, derer sich die Formgestalter bedienten. Für die Adaption zeitgenössischer Entwürfe steht exemplarisch die von Horst Giese entworfene Bergbauflasche. Diese ähnelt in ihrer Grundform einer nur wenige Jahre zuvor von Wilhelm Wagenfeld für das Johannes Buchsteiner Plastic Werk entworfenen Flasche. Dass es Bergbauflasche aus Polyethylen und Melaminharz, Entwurf Horst Giese, VEB Preßwerk Tambach, um 1960.

sich dabei nicht um eine reine Kopie handelt, erkennt man an Details wie der Verbindung des Schraubverschlusses mit dem Flaschenkörper. Die von Giese entwickelte Lösung ist belastbare­r und sparte Arbeitsschritte und Material bei der Fertigung. Ein Austausch des Haltestücks ist bei Beschädigung leicht möglich.

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links Konfektschalensatz aus Porzellan, Entwurf Gerhard Marcks, Ausführung Staat­ liche Porzellanmanufaktur Berlin, 1930.

Auch an der Schule in Halle selber fand sich ein reicher Fundus an Formen. So scheint der von Albert Krause entworfene Assiettensatz aus Meladur einen Konfektschalensatz von Gerhard Marcks zu zitieren, den dieser 1930 während seiner Zeit in Halle für die Staatliche Porzellanmanufaktur in Berlin schuf. Beide Entwürfe bestehen aus einem Tablett und kleinen, quadratischen Schalen zur Aufnahme verschiedener Speisen.

rechts Assiettensatz aus Melaminharz (Meladur), Entwurf Albert Krause 1959, Ausführung VEB Plasta Preßwerk Auma.

Als Beispiel für die Adaption älterer Entwürfe sei hier lediglich ein von Martin Kelm entwickeltes Teegedeck erwähnt. Die Form der Tassen und der Tassenhenkel nimmt deutlich Elemente eines Services von Jutta Sika auf, das diese bereits 1903 für die Wiener Porzellanmanufaktur geschaffen hatte. Es ist zu vermuten, dass die Anregung, sich mit diesem unter Keramikern sicherlich nicht unbekannten ­Entwurf auseinander zu setzen, von der Hallenser Seite des Kollektivs stammte. Neben den namentlich bekannten Vorbildern standen auch eine Vielzahl von anonyme­n Entwürfen Pate für Neuentwicklungen. Der von Horst Giese für eine Campinggarnitur entworfene Transportbehälter für Eier greift eine Form auf, deren Ursprung nicht mehr nach-

Tee- oder Kaffeegedeck aus Melaminharz (Meladur), Entwurf: Martin Kelm 1959, VEB Plastverar­beitungswerk Schwerin.

weisbar ist. Es lässt sich nicht einmal mit Gewissheit sagen, in welchem Land diese Form erstmals entwickelt wurde, denn ähnliche Modelle finden sich sowohl bei verschiedenen deutschen Herstellern wie auch in England, Frankreich, den USA und Schweden. Die Liste der Beispiele ließe sich noch weiter fortführen, es bleibt jedoch zu betonen, dass es sich bei keine­m der Entwürfe um Kopien im eigentlichen Sinne handelt. Der Großauftrag der VVB Plastverarbeitung war trotz seines Volumens für die Form­gestalter am Institut nur eine Aufgabe unter vielen. Als weitere Industriezweige wurden der Maschine­n- und Gerätebau betreut, Gutachter­tätig­kei­ten wurden wahrgenommen und an der Hochschule selber waren die fünf Formgestalter als Dozenten in der Lehre tätig. Vermutlich entstand aus Zeit-, Kapazitäten- und Erfahrungsmangel eine Ausgangslage, bei der die Gestalter auf Formen zurückgriffen, die nach ihren Maßstäben als gelungene formgestalterische Lösungen gelten konnten. Wirkliche Neuentwicklungen wurden daher lediglich auf die Bereiche beschränkt, in denen nicht auf Vorbilder zurüc­k gegriffen werden konnte.

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rechts Transportbehälter für Eier. Produktkatalog VEB Glas­ bijouterie Zittau, 1963. unten Transportbehälter für Eier als Teil eines CampingEimer­s. Entwurf: Horst Giese 1959, VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin.

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Wie sich die Arbeit der Formgestalter zusammen mit den verstärkten Lenkungsmaßnahmen der VVB Plastverarbeitung auf das Warensortiment auswirkte, lässt sich anhand des Gebrauchswarenkatalogs PlasteErzeugnisse von 1961/62 ab­lesen. Statt einer Vielzahl gleichartiger Produkte wurde nun eine breitere Palette mit weniger Produktvariationen abgedeckt. So wurden erstmals auch großvolumige Behältnisse wie Eimer, Körbe und Milchkannen aus Polyethylen angeboten, obwohl deren Produktion nach wie vor Schwierigkeiten bereitete. Die Waren wirken in ihrer Erscheinungsform einheitlicher und stilistisch nicht mehr so heterogen. Weg fielen auch so gut wie alle Plastprodukte, die andere Materialien imitierten. Der Gebrauchswarenkatalog bildete aber nicht die Gesamtheit der Warenproduktion ab. Einige der Waren, die noch 1957 im ersten Katalog abgebildet waren, finden sich in den Versandhauskatalogen der sechziger Jahre wieder und waren auch weiterhin im Einzelhandel erhältlich.

Produktionsprobleme und Absatzschwierigkeiten Nicht alle Entwürfe aus Halle konnten in der Form umgesetzt werden, wie sie zunächst von den Gestaltern Gebrauchswaren­katalog Plaste-Erzeugnisse, herausgegeben vom Zentralen Warenkontor für Haushaltswaren des Ministeriums für Handel und Versorgung, Berlin, o. J. (um 1961).

entworfen wurden. So mussten beispielsweise Entwürfe verändert werden, um den Forderungen der Verbraucher zu entsprechen. Zur Illustration seien hier nur drei Beispiele genannt. Das vom Gestalterkollektiv für Spremberg entwor­fene Speisegeschirr (Abb. S. 83) wurde zwar auf der Leipziger Messe 1961 für seine gute Formgebung mit der Goldmedaille ausgezeichnet, dennoch mussten die Gestalter auf Grund von Verbraucherwünschen nachträgliche Änderungen vornehmen. Die moderne, randlose – und somit materialsparende – Form der Teller kam bei den Konsumenten nicht gut an, da sich derartige Teller schlecht im befüllten Zustand tragen ließen. Entsprechend niedrig waren die Verkaufszahlen, so dass der Handel die zusätzliche Produktion von Tellern mit Fahne einforderte. Ein ähnliches Problem trat bei den von Martin Kelm entworfenen Tassen auf. Die zunächst ohne Durchbruch gestalteten Henkel wurden gleichfalls aufgrund ihrer schlechten Handhabbarkeit vom Verbraucher abgelehnt. Die Henkeldurchbrüche bedeuteten für den Hersteller einen höheren Aufwand, da eine manuelle Nachbearbeitung jedes einzelnen Henkels notwendig war, um den Durchbruch zu entgraten.

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Speiseservice aus Melaminharz, Entwurf: Gestalter­ kollektiv des Instituts für Entwurf und Entwicklung Halle (1959). Fachliche Mitteilungen für den Industriezweig Plast­ verarbeitung. Sonderheft Herbstmesse 1964.

Auch die von den Formgestaltern entwickelten Farben stießen nicht immer auf die Begeisterung der Verbraucher. So wurde bereits 1961 beschlossen, das in Spremberg produzierte Geschirr nicht mehr in türkis und grau herzustellen, da die Verbraucher diese Farben für Speisegeschirr ablehnen würden. Das Ziel der Formgestalter, eine vollständig aufeinander abgestimmte Warenwelt aus Plaste zu entwerfen, konnte nur zum Teil erreicht werden. Zum einen gelang es ihnen nicht, ihren Einfluss auf die privat geführten Betriebe auszuweiten. Firmen wie Kimmel, WISCO oder Kreutz produzierten weiterhin eine im wahrsten Sinne des Wortes bunte Palette an Plastwaren. Andererseits führten Abstimmungsprobleme zwischen den lenkenden Stellen, den beratenden Instituten und den plastverarbeitenden Betrieben neben den anhaltenden technischen Problemen dazu, dass das Ziel, eine für alle Kunststoffe einheitliche und vor allem verbindliche Farbpalette zu etablieren, nicht erreicht werden konnte.

Gestaltungsarbeit nach 1960 Das Jahr 1960 stellt für die Haushaltwaren aus Plaste eine Zäsur dar. Nachdem Mitte des Jahres 1960 der Auftrag der VVB Plastverarbeitung bis auf kleinere Einzelaufträge erfüllt war, wandten sich die Formgestalter anderen Aufgaben zu. Die Gestaltung der Haushalt­ waren wurde fortan nicht mehr als eine zentrale Aufgabe betrachtet, da man sich sicher war, alle für den Haushalt notwendigen Güter gestaltet zu haben. Die Zeitlosigkeit der Entwürfe sollte garantieren, dass eine Erneuerung der Produktpalette aus modischen Gründen nicht

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Brotschale aus Polystyrol, VEB Presswerk TambachDietharz, nach 1970. Die Form der Schale zeigt eine große Ähnlichkeit zu einem Entwurf für eine Brotschale aus Edelstahl, den ­Wilhelm Wagenfeld für WMF schuf.

nötig sein würde, und auch ein technischer Fortschritt war im Bereich der Teller und Tassen nicht zu erwarten. Die Arbeitskraft der Formgestalter war damit frei für neue Auf­gaben. Im Laufe des Jahres 1962, und somit ein Jahr nachdem die Entwurfsarbeit für die VVB Plastverarbeitung vom Institut für Entwurf und Entwicklung für erfolgreich beendet erklärt worden war, gelang es den Leuna-Werken erstmals, Polystyrol in großen Mengen herzustellen. Das Ergebnis war eine regelrechte Polystyrolschwemme, die nun der plastverarbeitenden Industrie überraschend zur Konsumgüterproduktion zur Verfügung stand, für die es aber nur wenige Formen gab. In den Werken entstanden in der Folge massenhaft Werks­ entwürfe für preiswerte Trinkgefäße, Vorratsdosen, Besteck und Menagerien, die den Konsumenten eine dem Westen ebenbürtige Warenvielfalt vorgaukeln sollten. Die formgestalterische Ausführung dieser Produkte unterscheidet sich deutlich von der geplanten und koordinierten Entwurfsarbeit des Instituts in Halle. Die verwendeten Farben waren bunter, schriller und zunehmend unverhohlen wurden Waren aus dem Westen kopiert. Das Ergebnis war eine Rückkehr zur heterogenen, qualitativ oftmals minderwertigen Warenwelt der frühen 1950er Jahre. Zwar wurden viele der am Institut für Entwurf und Entwicklung gestalteten Entwürfe bis zum Ende der DDR weiter produziert, sie gingen mit den Jahren jedoch in der Masse der Werksentwürfe unter. Der gestalterische Qualitätsschwund der Produkte lässt sich jedoch nicht nur auf die mangelhafte Entwurfsarbeit in den Werken zurück führen. Auch die professionelle Form­ gestaltung durchlebte in der DDR einen Wandel, der sich auf die gestaltete Umwelt aus­ wirkte. Mitte der 1960er Jahre zogen sich Formgestalter wie Horst Michel und Rudi Högner altersbedingt aus dem Berufsleben zurück. Ihre Namen stehen heute für ein sachliches, aber dennoch künstlerisch intuitives Design, das die Formgestaltung der 1950er Jahre prägte. Die nachfolgende Generation widmete sich weniger der Gestaltung der privaten Lebensräume als der Gestaltung des öffentlichen Raumes und der Arbeitsumwelt, eine Entwicklung, die

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sich bereits zu Beginn der 1960er Jahre abgezeichnet hatte. Ihre Entwürfe folgten nun, unter dem Einfluss des 1972 gegründeten Amts für industrielle Formgestaltung, verstärkt technischen Normen oder arbeitsergonomischen Erkenntnissen. Das Ergebnis war ein sehr sprödes, von der Technik geprägtes, oftmals hartkantiges Design, welches insbesondere von den Gestaltern der Nachkriegszeit kritisch betrachtet wurde. So antwortete Horst Michel in einem Interview von 1973 auf die Frage, ob es in der DDR eine grundlegende Theorie der Industrieformgestaltung gäbe: „Die Grundregeln, die sind doch schon geschaffen, ich kann jetzt nicht sagen, an welcher Hochschule, ich weiß auch nicht, wo sie herkommen, aber eckig, grau und stapelfähig.“9 Auch das Institut für Entwurf und Entwicklung in Halle durchlebte zu Beginn der 1960er Jahre einige Veränderungen. Martin Kelm, Horst Giese und Günter Reißmann verließen zwischen 1961 und 1963 das Institut, um in Berlin am Institut für angewandte Kunst zu arbeiten. Dort widmete sich besonders Martin Kelm der politischen Arbeit, sein Name wird heute weniger mit Entwürfen für Plastgeschirr in Verbindung gebracht als mit seiner politischen Karriere, die ihn als Leiter des Amts für industrielle Formgestaltung (AIF) bis in den Rang eines Staatssekretärs hob. In Halle lag nach diesem Exodus der Fachkräfte die Formgestaltung für die Industrie zunächst allein in den Händen von Manfred Heintze und Albert Krause. 1966 kam schließlich der Keramiker Hubert Petras an das Institut. Die von Petras 1976 für den VEB Presswerk Wanne aus Polypropylen. Entwurf Hubert Petras (1976) für den VEB Presswerk Ottendorf-Okrilla.

Ottendorf-Okrilla entworfenen Wannen und Bottiche aus Polypropylen zählen zu den wenigen heute namentlich bekannten Gestalterarbeiten auf dem Gebiet der Haushaltwaren der 1970er Jahre. Dieser Entwurf von Petras verdeutlicht noch einmal, dass aus dem Zusammen-

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spiel von künstlerisch-handwerklichen Erfahrungen und dem tiefgehenden Verständnis der Möglichkeiten der industriellen Fertigung hochwertige und zeitlose Formen entstehen, die auch heute noch überzeugen können.

Stephanie Grossman

1 Roman Schneider, Ingeborg Flagge: Original Resopal. Die Ästhetik der Oberfläche. Berlin, 2006, S. 28–34. 2 Auszug aus dem Gesetz über den Siebenjahrplan 1959–1965 in: Neues Deutschland vom 2.10.1959. 3 Heinz Hirdina: Rückwärts zur Avantgarde, vorwärts zur Kunst. Zum Designverständnis im Osten Deutschlands zwischen 1950 und 1954, in: Samson Dietrich Sauerbier (Hrsg.): Zwei Aufbrüche. Symposion der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Die ersten zehn Jahre. Sinn – Sinne – Lehre. Ansichten zu Aussichten, Berlin, 1997, S. 127–136, hier S.131. 4 Walter Meyer: Probleme der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit zwischen der Konsumgüterproduktion und dem Binnenhandel der Deutschen Demokratischen Republik (untersucht an den Wechselbeziehungen zwischen der plastverarbeitenden Industrie und dem Handel für Haushaltwaren aus Plaste). Dissertation vorgelegt an der Hochschule für Binnen­ handel Leipzig. Oktober 1962, S. 52–55. 5 Vgl. die Liste der vom Institut für Entwurf und Entwicklung konzipierten Erzeugnisse von 1962. Archiv der Burg Giebichenstein – Kunsthochschule Halle BG-Rep. 11/ITF/02 o. Pag. 6 Zur Kunsthochschule Berlin-Weißensee vgl. Hildtrud Ebert (Hrsg.): Drei Kapitel Weißensee. Dokumente zur Geschichte der Kunsthochschule Berlin-Weißensee 1946–1957, Berlin 1996 und bei Sauerbier (Hrsg.), Zwei Aufbrüche. 7 Vgl. Heinz Hirdina: Gestalten für die Serie. Design in der DDR 1949–1985. Dresden 1988, S. 54–63. 8 Renate Luckner-Bien (Hrsg.): 75 Jahre Burg Giebichenstein 1915–1990. Beiträge zur Geschichte. Halle/Saale 1990. 9 Horst Michel im Interview mit Werner Laux am 18.9.1973. Protokoll des Tonbandmitschnitts, S. 32. Archiv Sammlung industrielle Gestaltung/Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

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Das Formen der Plaste Verfahren und Werkzeuge

Ein gut gestaltetes Erzeugnis erfüllt nicht nur seinen Zweck und gefällt dem Auge, es muss gleichzeitig einfach zu produzieren, stabil und dauerhaft sein. In der DDR spielte außerdem der sparsame Einsatz von Materialien und Arbeitskraft eine bedeutende Rolle. Da sich plastische Werkstoffe maschinell mit wenigen Arbeitsschritten in beinahe jede beliebige Gestalt versetzen lassen, eigneten sie sich besonders für eine ökonomische Produktion von Konsumgütern. Auf den folgenden Seiten werden die wichtigsten maschinellen Plastverarbeitungsverfahren sowie organisatorische und technische Aspekte des Formwerkzeugbaus beschrieben. Grundsätzlich unterteilt sich die Herstellung von Formteilen aus Plasten in zwei Verfahrensweisen: das „Urformen“ und das „Umformen“. Das Urformen bezeichnet die Herstellung eines Formteils aus einem zuvor formlosen Stoff (Pulver, Granulat oder zähflüssigen Massen) durch Schaffen eines inneren Zusammenhalts. Dazu müssen Kunststoffe unter Wärmezufuhr in einen plastischen Zustand versetzt und mit Druck in eine Negativform eingebracht werden. Die Fixierung der neu gewonnenen Gestalt geschieht bei Thermoplasten auf physikalischem Weg durch Abkühlung, bei Duroplasten dagegen meist unter Wärmezufuhr durch chemische Vernetzung.1 Im Unterschied zu thermoplastischen Kunststoffen lassen sich Duroplaste nach dem Aushärten auch mit Wärme nicht erneut erweichen. Gepresste Schalen aus Mela­minharz (rechts ), tiefgezogene Brotdose aus PVC-h (links), blasgeformte Milchkanne mit spritzgegossenem Deckel und Henkel aus Polyethylen (hinten).

Unter Umformen versteht man dagegen Verfahren, bei denen Plasthalbzeuge (z. B. Folien, Schläuche) erwärmt und mit Hilfe eines Werkzeugs, gegebenenfalls auch mit Druckluft oder Vakuum, in Form gedrückt werden. Die am häufig­ sten angewandten Urformverfahren zur Herstellung von dreidimensionalen Formteilen aus Plasten sind das Formpressen und der Spritzguss, unter den Umformverfahren ist es die Vakuumziehformung. Die Extrusionsblasformung bildet ein Mischverfahren. Im Folgenden sollen die vorgenannten Techniken näher beschrieben werden.

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Formpressen Das Formpressen wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt und stellt damit das älteste Plastverarbeitungsverfahren dar. Es dient vorwiegend der Herstellung von Formteilen aus Duroplasten, wie Camping- und Kantinengeschirr. Zunächst wird eine dem Formteil entsprechend dosierte Menge an pulverisierter, granulierter oder tablettierter und gegebenenfalls vorgewärmter Pressmasse in ein beheiztes Werkzeug gefüllt. Anschließend fährt der Pressstempel hinunter und verschließt das Werkzeug. Die Masse erwärmt und verflüssigt sich, fließt in die Hohlräume der Form und beginnt zu härten. Fließ- und Vernetzungsprozess laufen parallel ab und lassen sich zeitlich nicht exakt trennen. Nach dem Erhärten kann das Formteil aus dem Werkzeug entnommen werden. Der Grat, der sich im Fugenbereich zwischen Werkzeugunterteil und Pressstempel gebildet hat, muss in einem weiteren Arbeitsschritt abgetragen werden. Durch das Formpressen können Formteile in beinahe jeder Form und einem Gewicht von wenigen Gramm bis zu mehreren Kilogramm her­ gestellt werden. Metallteile, wie Hülsen, Schrauben oder Schematische Darstellung des Formpressenverfahrens nach Friedrich Schleicher; Horst Reichenauer: Fachkunde der Plastverarbeitung. Form- und Spritzpressen, Leipzig 1971.

Muttern, lassen sich gut in sie einbetten. Ein wichtiger Vorteil von Pressteilen ist deren geringe innere Spannung, die in ihrer Herstellungsweise begründet ist. Als Nachteil des Formpressens betrachteten die sozialistischen Ökonomen das manuelle Entgraten der Formteile, das im Bereich der Konsumgüterproduktion lange Zeit nicht automatisiert werden konnte. Dieser Arbeitsschritt fesselte nicht nur Arbeitskapazitäten, die Qualität der Ausführung war zudem auch stark vom Geschick des einzelnen Bearbeiters abhängig.

Spritzguss Bereits seit 1919 fand die Spritzgusstechnik Anwendung bei der Verarbeitung von Thermoplasten, doch erst die Entwicklung der vollautomatischen Spritzgussmaschine zehn Jahre später etablierte das Verfahren in der industriellen FertiManuell abgeschliffener Pressgrat am Griff einer Zitruspresse aus Melaminharz.

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gung.2 Es ist das für thermoplastische Kunststoffe am häufigsten gewählte Verarbeitungsverfahren und eignet sich

Schematische Darstellung des Spritzgießens mit Schneckenvorschub.

zur Herstellung verschiedenster Formstücke, vom Eierbecher über Gerätegehäuse bis hin zu großformatigen Wannen. Der Ablauf des Spritzvorgangs beginnt mit dem Plastifizieren des Kunststoffgranulats entweder durch die Reibungsenergie in einem Schneckenzylinder oder – bei Kolbenbetrieb – in einem vorgeschalteten Heizzylinder. Ist eine ausreichende Menge an Material erweicht, schließt der Spritzgussautomat das Formwerkzeug und fährt die Düse an die Einspritz­ öffnung der Form heran. Der Spritzkolben bewegt sich vorwärts, dabei verdichtet er unter Druck die plastifizierte Spritzgussmasse und schiebt eine bestimmte Menge durch das Angusssystem in die Formhöhle. Der Zuhaltedruck des Formwerkzeugs und der Einspritzdruck des Kolbens müssen dabei genau aufeinander abgestimmt sein. Da sich die Plastmasse während der Abkühlung zusammenzieht, muss entsprechend des Volumenschwundes auch ein Nachdruck aufrechterhalten werden, der flüssige Masse nachschiebt. So kann die Entstehung von Hohlräumen im Material (Lunker) vermieden werden. Die Lunker entstehen zuerst in den stärkeren Wandungsbereichen eines Spritzteils, wie in der nebenstehenden Abbildung zu erkennen ist. Mit der Abkühlung wird das Formteil fixiert. Es kann sich jedoch nach dem Entformen verziehen, wenn es noch nicht genügend abgekühlt ist. Rasches Abkühlen verhindert dies zwar und erlaubt zugleich einen höheren Ausstoß an Spritzteilen, allerdings kommt es zum Einfrieren von inneren Spannungen, die bei behutsamem Lunker im Henkel einer spritzgegossenen Kanne aus Polystyrol.

Abkühlen vermieden werden können. Am Ende des Spritzzyklus öffnet sich das Formwerkzeug und mechanische Auswerfer entformen den Spritzling.

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Vakuumziehformung Mitte der 1950er Jahre wurde eine neue Verarbeitungstechnologie eingeführt: das Vakuumziehformen. Erste solcher Maschinen aus DDR-Produktion wurden 1957 auf der Leipziger Frühjahrsmesse vom VEB Pressenwerk Freital präsentiert.3 Beim Vakuumziehformen oder -tiefziehen wird im Gegensatz zu den meisten anderen Formgebungsverfahren kein hoher Druck, sondern vergleichsweise schwacher Unterdruck eingesetzt. Es dient vorwiegend der Herstellung einfacher Gegenstände mit schwach ausgeprägten Konturen, wie zum Beispiel Brotdosen aus Hart-PVC. Eine Folie aus thermoplastischem Kunststoff wird über einem Hohlraum in einen Halterahmen gespannt, so dass dieser luftdicht abgeschlossen ist. Am Boden des Kastens befindet sich eine Matrize (Negativ-Form), in die Kanäle für die Evakuierung eingearbeitet sind. Die Kunststofffolie wird durch einen Infrarot-Strahler gerade bis zum Erreichen der für die Verformung notwendigen Plastizität erwärmt, ohne das Material jedoch zu verflüssigen. Durch die in die Negativ-Form eingearbeiteten Luftkanäle wird nun der Hohlraum evakuiert, die erweichte Folie schmiegt sich dicht an die Matrize an und kann mit Pressluft abgekühlt werden. Statt mechanischer Auswerfer nutzt man bei Vakuumformmaschinen Druckluft, die nun umgekehrt durch die Luftkanäle der Matrize geblasen wird, um das erstarrte Formteil zu entnehmen. Schematische Darstellung des Vakuumsziehformens nach Wilfried Schaaf, Arno Hahnemann: Verarbeitung von Plasten, Leipzig 1968.

Extrusionsblasformung Nachdem der VEB Preßwerk Tambach 1959 den ersten auf einer Leipziger Frühjahrsmesse ausgestellten Extrusionsblasautomaten von der westdeutschen Firma Blattenfeld (Meinerzhagen) kaufte, war er der erste Betrieb der DDR, der dieses Verfahren anwenden konnte. Der Automat war für die Hohlkörperproduktion von Gegenständen aus thermoplastischen Kunststoffen mit bis zu 1000 cm3 Volumen ausgelegt.4 Bei der Extrusionsblasformung wird ein Extruder mit einer Blasformungseinheit kombiniert. Extruder, auch Strangpressen genannt, sind kontinuierlich arbeitende Plastverarbeitungsmaschinen. Im Gegensatz zu diskontinuierlichen Verfahren, wie dem Formpressen oder dem Spritzguss, entstehen hierbei keine einzelnen Formteile, sondern endlose Profile, Schläuche oder Rohre. Der Extruder produziert aus der Schmelze ein endloses Schlauchband. Der noch plastische Schlauch wird umgeleitet und zwischen die geöffneten Backen eines zweiteiligen Formwerkzeugs geführt. Durch das Schließen der beiden Werkzeughälften wird das Schlauchstück abgetrennt und zugleich verschweißt. Anschließend strömt Druckluft in das eingeschlossene Schlauchstück und bläst es soweit auf, dass es gegen die Wand des Werkzeughohlraums gepresst wird und dessen Form übernimmt. Anders als beispielsweise beim Spritzgießen formt das Werkzeug hier nur die Außenfläche des Formteils,

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Alles aus Plaste

Schematische Darstellung des Extrusionsblasverfahrens nach Heinz Thomaschke u. a.: Fachkunde der Plastverarbeitung - Technologische Verfahren 1, Leipzig 1983.

während die Innenfläche roh bleibt. Es lassen sich Hohlkörper, wie zum Beispiel Milch­ kannen oder Campingflaschen mit einfachen Gewinden formen, selbst mit starken Hinterschneidungen oder Durchbrechungen. Neben diesen wichtigsten Verarbeitungstechniken gibt es weitere Verfahren, welche hier zumindest erwähnt werden sollen. Das Kalandrieren dient der Herstellung von endlosen bahnenförmigen Produkten, wie Folien oder Fußbodenbelägen aus PVC. Mittels mehrerer gegenläufiger, zum Teil beheizter Walzen wird das erweichte Material im Kalander geknetet, komprimiert und dabei stetig dünner und breiter gepresst. Abhängig von der Art der Walzen lassen sich sowohl glatte als auch strukturierte Oberflächen erzeugen. Beim Schichtpressen werden mit Phenol- oder Melaminformaldehydharz getränkte Bahnen aus Papier oder Textil übereinander gelegt und zwischen beheizten Platten gepresst. Das Kunstharz erhärtet und vernetzt bei diesem Vorgang, so dass hochglänzende und harte Platten entstehen. Je nach Einsatzzweck, ob für Tischplatten oder Wandverkleidungen, kann die oberste Lage mit einer passend bedruckten Dekorschicht versehen werden. Beinahe alle Kunststoffe lassen sich zu Schaumstoffen verarbeiten. Die wohl bekanntesten sind geschäumtes Polystyrol und Polyurethan. Sie eignen sich für verschiedenste Einsatzbereiche, für Verpackung, Isolierung oder Möbelpolster. Dem plastischen Material wird entweder ein gasbildendes Treibmittel beigegeben oder es wird während des Formungsprozesses mit einem Gas vermischt. In der Spritz- oder Gussform bildet sich ein großvolumiges, jedoch leichtes Gefüge aus zahlreichen gasgefüllten und von Kunststoff eingeschlossenen Zellen. Die Härte des Schaumstoffs hängt von der Art des geschäumten Materials ab: Polyurethan ergibt weichere, Niederdruck-Polyethylen dagegen härtere Schäume.

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Entwicklung und Organisation des Formwerkzeugbaus Noch bis weit in die 60er Jahre hinein warben die Fachzeitschrift „Plaste und Kautschuk“ sowie Verbrauchermagazine wie „Kultur im Heim“ oder „Guter Rat“ eindringlich für die Qualität von Haushaltsartikeln aus Plasten. Die damals noch jungen Materialien litten unter einem schlechten Ruf. Sie wurden aus Mangel an Erfahrung häufig zu Erzeugnissen verarbeitet, die nicht werkstoffgerecht waren und im alltäglichen Gebrauch bald starke Gebrauchsspuren zeigten, sich verzogen oder zerbrachen. Um diese Einsatz- und Verarbeitungsfehler abzustellen, untersuchte das Deutsche Amt für Material- und Warenprüfung (DAMW) die Ursachen und bot den Produzenten Vorschläge zur Verbesserung an. Für die Haltbarkeit des Endproduktes waren mehrere Faktoren verantwortlich: Die Wahl des geeigneten Plastmaterials – beispielsweise robustes Polyamid für mechanisch stark beanspruchte Teile – sowie stabilisierende Details waren zu berücksichtigen, etwa unterschiedliche Wandstärken, Randverdickungen, Stege oder Rippen. Solche Erkenntnisse mussten naturgemäß zunächst durch Versuche gewonnen werden. Dies geschah entweder in den verarbeitenden Betrieben nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum, wenn eine vom Modell abgenommene Negativform zum ersten Mal maschinell reproduziert und anschließend begutachtet wurde, oder auf dem Weg systematischer Grundlagenforschung. In der DDR nahm diese Arbeit die Zentralstelle für Standardisierung (ZfS) Formenbau wahr, eine spezialisierte Unterabteilung des 1960 durch die VVB Plastverarbeitung gegründeten Zentrallaboratoriums für Plastverarbeitung (ZLP). In der Fachzeitschrift „Plaste und Kautschuk“ veröffentlichte die ZfS Formenbau ab 1961 regelmäßig ihre Fachbereichsstandards, in denen die Leser beispielsweise über Legierungszusammensetzungen für Werkzeugstähle oder genormte Aufspannkörper für Formwerkzeuge informiert wurden.5 In der DDR verteilte sich die Produktion der Formwerkzeuge auf reine Formenbauwerkstätten und eine Reihe von plastverarbeitenden Betrieben mit werkzeugbauenden Betriebsteilen, die – je nach Kapazitäten – Formen nur für den Eigenbedarf oder auch für externe Auftraggeber herstellten. Der eingeschlagene Rand­ bereich und die Stege im Profil des Henkels erhöhen die Formstabilität dieses Haushaltseimers aus Polyethylen, VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin, 1983.

Die bedeutendsten Formbauwerkstätten der DDR waren die VEB Preßwerkzeugbau Großdubrau und Triptis. Die stetigen politischen Forderungen nach Steigerung der Produktqualität und erhöhter Produktivität führten letztlich auch auf dem Gebiet des Werkzeugbaus zu einer immer stärkeren Zentralisierung der Fertigungsstellen. So dezimierte sich die Anzahl der einschlägigen Betriebe und Betriebsteile im Laufe der Jahre zunehmend, obwohl der Bedarf an Werkzeugen durch die Formenbauer kaum gedeckt werden konnte und die Wartezeiten teilweise mehr als ein Jahr betrugen.6

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Haushaltsartikel aus Meladur, Polyethylen und Polystyrol. Katalog des VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla, 1962.

Um die Produktion besonders wichtiger Erzeugnisse sicher zu stellen, wurde 1961 die Anordnung über den Einsatz von Werkstoffen – Plastwerkstoffe – erlassen.7 Sie regelte, dass nur Formbauaufträge bearbeitet werden durften, wenn das Staatliche Chemiekontor dem beauftragenden Betrieb zuvor die Verarbeitung des Plastwerkstoffs gestattet und für die Produktion des neuen Erzeugnisses eine Genehmigung erteilt hatte. Zusätzlich forderte das Ministerium für Materialwirtschaft ab 1967 eine bevorzugte Bearbeitung des Formenbaus für technische Teile gegenüber solchen für die Konsumgüterproduktion.8 Dies bedeutete, dass häufig mit bereits verschlissenen Formwerkzeugen gearbeitet werden musste. Die Verwendung eines beschädigten Formwerkzeugs führte dazu, dass alle Meladurteller dieses Kakteenständers identisch angeordnete Kratzpuren aufweisen.

Ein Beispiel hierfür zeigen die nebenstehenden Abbildungen: An allen untersuchten Exemplaren eines Kakteenständers wiesen die bunten Meladurteller identische Kratzspuren auf.

Materialien im Formwerkzeugbau und deren Verarbeitung Allein die Produktion großer Mengen an Formteilen rechtfertigte den Aufwand, ein Formwerkzeug zu fertigen. Das verwendete Material musste intensive Nutzung ohne merklichen Verschleiß überdauern, damit eine hohe Anzahl an sauberen Abformungen gewährleistet war. Ferner musste es zum Formen eingesetzten Kräften standhalten, die notwendige Wärme zu- oder abführen können, korrosionsfest und unempfindlich gegenüber chemischen Angriffen sein. Zur Reproduktion ebenmäßiger und glänzender Oberflächen benötigte man

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Eierbecher aus Polystyrol, ohne Herstellermarke, vermutlich vor 1972.

ein Werkzeugmaterial, das sich glatt polieren, für matte Effekte aber auch durch Ätzen mit Säure anrauen ließ. Die knappen und daher teuren metallischen Werkstoffe, insbesondere Stahl, Spezialbronzen oder Aluminium, erfüllten diese Anforderungen am besten. Nicht allein die begrenzten Kapazitäten des Werkzeugbaus, auch die hohen Materialkosten machten Formwerkzeuge zu kostbaren Gütern. In Bezug auf die Plaste, die den Mangel an metallischen Rohstoffen auffangen sollten, forderten die staatlichen Organe ebenfalls immer dringender einen sparsamen Materialverbrauch. Um diesen Appellen nachzukommen, legten einige Betriebe gleiche Formentwürfe mit dünneren Wandstärken neu auf. Die beiden abgebildeten Eierbecher sind zwar in ihrer äußeren Form und den Abmessungen identisch, trotzdem handelt es sich bei dem rechten um eine Weiterentwicklung des linken Vorläufers. Während letzterer noch aus zwei separat gespritzten Teilen verklebt wurde, entstand der neuere Eierbecher in einem einzelnen, aus mehreren Teilen zusammengefügten Formwerkzeug, wie an der vertikalen Werkzeugtrennnaht zu sehen ist. Mit der neuen Form reduzierte der VEB Polyplast Halberstadt auch die Wandungsstärke, was zu einer Materialersparnis von etwa 3 Gramm Polystyrol pro Eier­ becher führte. Die Lebensdauer der Form wird stark durch die Art des verarbeiteten Werkstoffs bestimmt: Kunststoffe wie PVC, Melaminharz- und treibmittelhaltige Pressmassen setzen bei ihrer Verarbeitung Säuren und aggressive Dämpfe frei, die Korrosionserscheinungen hervorrufen und unveredelte Werkzeugoberflächen beschädigen können. Für die Arbeit mit diesen Kunststoffen sollten darum hartverchromte Formen verwendet werden. Darunter versteht man den elektrolytischen Aufschlag von Chrom auf ein anderes Metall. Das Verfahren dient der zusätzlichen Härtung von Werkzeugstählen – auch von billigeren, niedriglegierten Stählen. Trotz ihrer größeren Härte sind diese Schichten verletzbar, so dass auch mit hartverchromten Stählen behutsam umgegangen werden sollte. Beschädigte Schichten lassen sich nicht ausbessern, sondern müssen komplett abgetragen und erneuert werden.9 Diese zeitaufwendige Arbeit führt zu langen Ausfällen des Werkzeugs – ein für die schwache Versor-

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Alles aus Plaste

gungslage der DDR unakzeptabler Zustand. Neben der Abnahme der Oberflächengüte kann der Verschleiß von Formwerkzeugen auch zur stärkeren Ausbildung von Graten – auch Schwimmhäute genannt – führen. Formwerkzeuge für das Vakuumtiefziehen werden vergleichsweise geringen Beanspruchungen ausgesetzt. Sie müssen daher nicht aus Hartmetall bestehen, sondern können auch kostengünstig aus Gips, Holzwerkstoffen, Epoxidharz oder Aluminium gefertigt sein.

Werkzeugtypen und -aufbau Die Werkzeugtypen unterteilen sich grundsätzlich in offene und geschlossene Formwerkzeuge. Erstgenannte finden Detailaufnahme von Graten an einem Einkaufskorb aus Polyethylen, die auf eine Verwendung von verschlis­se­ nen Formwerkzeugen hinweisen.

beim Vakuumtiefzieh- oder Gießverfahren Anwendung, doch beinahe alle auf Druckzugabe basierenden Verfahren erfordern den Einsatz geschlossener Werkzeuge. Einfache Formwerkzeuge dieser Art setzen sich zumindest aus zwei trennbaren Teilen zusammen, die über genormte Aufspannplatten an den beweglichen Maschinenteile­n befestigt sind. Die negative Außenform (Matrize) enthält bei Spritzgussformen die Angussdüse (Düsenseite). Das Gegenstück, mit dem die Formhöhle geschlossen wird, bezeichnet man als Kern. In ihm können sich Vorrichtungen zum Ausstoßen des Formteils befinden, die sogenannten Auswerfer (Auswerferseite). Möchte man Formteile mit Durchbrechungen oder Hinterschneidungen – der Fach­ begriff bezeichnet aus einer Körperform heraus ragende Elemente – herstellen, so muss das Formwerkzeug entsprechend aus mehreren seitlich trennbaren Teilen aufgebaut sein (Backenwerkzeu­g). Betrachtet man die Oberfläche solcher Plastgegenstände genau, so erkennt man häufig feine Nähte, welche die Fugen zwischen diesen einzelnen Teilen des Formwerkzeugs markieren. Je besser die einzelnen Formwerkzeugteile passen, desto geringer sind diese Nähte ausgeprägt. In den Werkzeugkörper müssen außerdem Kanäle eingelassen sein, um die vom Plastmaterial verdrängte Luft abführen, beziehungsweise um beim Tiefziehen ein Vakuum erzeugen zu können. Zur Temperierung dienen separate Kanäle, durch die der Formstoff entspreplaste) chend seiner Art erhitzt (heißvernetzende Duroplaste) oder abgekühlt (Thermo­ werden kann. Ein Formwerkzeug gibt nicht nur einer zuvor formlosen Masse Gestalt, es prägt meist auch produktspezifische Angaben in die Standflächen der Formteile ein. Dazu zählten in der DDR beispielsweise Betriebsmarken, Artikelnummern, Handelsschlüsselnummern, Gütezeichen oder der Endverbraucherpreis (EVP). Diese Informationen sind entweder in die Bodenplatt­e des Formwerkzeugs eingraviert oder als auswechselbare Blindstempel in ihr eingelassen. Aus den Prägungen lassen sich häufig der produzierende Betrieb, das verwendete Material oder der Herstellungszeitraum ablesen. Die Unterseite der hier gezeigten

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Zitruspress­e verrät beispielsweise folgendes: Sie wurde durch den VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin (Betriebskennzeichen N61) aus Melaminharzpressmasse mit Zellulosefasern als Füllstoff hergestellt (Typzeichen 152) und der Zeitpunkt der Her­stellung kann auf das Jahr 1971 oder später datiert werden (Gründungsjahr des DDR-Warenzeichenverbands Pneumant). Im Grunde unterscheiden sich die in der DDR angewandten Plastverarbeitungsverfahren nicht von denen des Westens. Auch hinsichtlich ihrer Auswahl an Formbauwerkstoffen oder Konstruktionstechniken orientierten sich die Ostdeutschen am Wissensstand ihrer Zeit. Den Plasten wurde durch das Chemieprogramm bereits Prägungen auf der Unterseite einer Zitruspresse aus Melaminharz, VEB Plast­ verarbeitungswerk Schwerin, 1971 oder später.

1958 eine Sonderfunktion im Kampf gegen Versorgungslücken aller denkbaren Arten zugewiesen. Doch trotz dieser Bedeutsamkeit und mehrfacher Restrukturierungen des Maschinen- und Werkzeugbaus vermochte die sozialistische Planwirtschaft es nicht, diese Lücken zu schließen, ohne dabei neue aufzureißen.

Christoph Wenzel

1 Horst Reichenauer, Gottfried Meyer: Fachkunde der Plastverarbeitung. Ur- und Umformen von

Plasten, Leipzig 1971, S. 12, S.37. 2 Friederike Waentig: Kunststoffe in der Kunst. Eine Studie unter konservatorischen

Gesichtspunkten, Petersberg 2004, S. 144. 3 E. Blank, H. Löbner: Plastverarbeitungsmaschinen auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1957,

in: Plaste und Kautschuk 1957, Heft 9, S. 330 f. 4 Betriebschronik des VEB Preßwerk Tambach, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung

Merseburg, VVB Plastverarbeitung Halle, Nr. 2052, S. 212; Plaste und Kautschuk 6/1959, S. 281 f. 5 H. Stoye: 5 Jahre Zentrallaboratorium für Plastverarbeitung, in: Plaste und Kautschuk 1965, Heft 7, S. 407–408. 6 Henning Diederichs: Die Plastverarbeitung der DDR und ihr Umfeld, Frankfurt a.M. 2003, S. 152. 7 Anordnung über den Einsatz von Werkstoffen – Plastwerkstoffe – in: Gesetzblatt der DDR II/1961, S. 111. 8 Ministerium für Materialwirtschaft: Veränderungen, die auf dem Plastgebiet notwendig sind und

die zur Sicherung der Veränderungen notwendigen Arbeitsmethoden. Bundesarchiv, DE 3, 91 Bd. 2, S. 8. 9 Horst Reichenauer u. a.: Fachkunde der Plastverarbeitung. Plastwerkstoffe, 2. bearbeitete Auflage, Leipzig 1982, S. 20.

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Alles aus Plaste

Versorgung, Vermarktung, Verkauf

Vom Betrieb in den Verkauf Um 1960 befand sich der Handel in der DDR in einem Übergangsstadium: Bis 1959 hatte er die plastverarbeitende Konsumgüterindustrie, die etwa seit den beginnenden 1950er Jahren Plastartikel herstellte, mit vergleichsweise geringem Interesse wahrgenommen. Die Betriebe des zersplitterten Industriezweiges produzierten nach eigenem Ermessen und setzten ihre Produkte oft selbst an die Warenhäuser und den Privathandel der DDR ab. Bedingt durch die damals noch vorherrschende Ablehnung der „Plaste“ seitens der Konsumenten war der private, genossenschaftliche und der staatliche Großhandel oft nicht bereit, Gebrauchsgegenstände aus Plaste in das Sortiment aufzunehmen. Mit der Begründung, dass diese Erzeugnisse sowieso nicht gekauft oder nur sehr schleppend abgesetzt würden, hemmte der Handel gewollt oder ungewollt die Konsumgüter produzierenden Plastbetriebe. Mit der Chemiekonferenz und dem politisch gewünschten Bedarfszuwachs an Plast­ erzeugnissen änderte sich die Beziehung zwischen Handel und Industrie. Im Zuge der Propagierung der „Plaste“ nach der Chemiekonferenz war die Nachfrage an Plasthaushalts­ waren 1959/1960 sprunghaft angestiegen. Am Gesamtumsatz von Haushaltswaren erreichten Plasterzeugniss­e Ende 1961 dennoch nur einen Anteil von 5,9 Prozent. In Auswertung der Handelskonferenz von 1959 wurde die planmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern auf der Grundlage von Bedarfsforschungen angestrebt. Die plastverarbeitende Industrie sollte ihre Erzeugnisse nun in Abstimmung mit dem staatlichen Handel der DDR produzieren. Das Zentrale Warenkontor für Haushaltwaren, die Handelsorganisation HO und die Konsumgenossenschaften erklärten gegenüber den Betrieben ihren Bedarf und schlossen auf der Binnenhandelsmesse, die jährlich auf die Leipziger Herbstmesse folgte, Verträge über die Produktionsmengen. Probleme ergaben sich, weil zwischen den gewachsenen Bedarfswünschen des Handels und den Produktionsmöglichkeiten der Industrie in den 1960er Jahren erhebliche Diskrepanzen bestanden. Im Forderungsprogramm des Handels zur Versorgung mit Plasterzeugnissen 1960–65 (1959) heißt es resigniert: „Die im Rahmen des Chemieprogramms vorgesehene Entwicklung auf dem Plastsektor wird den Forderungen des Handels nicht gerecht. Nach dem vorliegenden Chemieprogramm ist eine ausreichende Bedarfsdeckung mit Plasterzeugnissen erst in den Jahren 1963–65 möglich. Im Hinblick auf die Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe (der Erhöhung des Pro-KopfVerbrauchs über das westliche Niveau, K. B.) ist das nicht politisch vertretbar.“1 In einer Koordinierungsvereinbarung zwischen dem Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren und der Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Plastverarbeitung plante man 1967 eine erhebliche Erhöhung der Menge geblasener Polyethylenerzeugnisse (z. B. Flaschen und Kanister) bis 1970. Der VEB Preßwerk Tambach-Dietharz, der in dieser Zeit als einziger

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Das Fertigungsprogramm enthält Adressen und Produktionshinweise zu allen plastverarbeitenden Betrieben der DDR vor der Verstaatlichungswelle 1972. Fertigungsprogramm der plastverarbeitenden Betriebe der Deutschen Demokrati­ schen Republik, Ausgabe 1967, hrsg. v. der VVB Plastverarbei­ tung, Halle 1966.

Rechte Seite Aufgestempelte Preisangabe „DM“ auf einem Meladurtablett des VEB Plasta Preßwerk Auma. Die eingeprägte Währungsangabe als „Mark der Deutschen Notenbank“ ermöglicht die Datierung des Bechers auf die Jahre 1964–1967. Trinkbecher aus Polyethylen, Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz. Aufgrund der eingeprägten Preisangabe in „Mark“ und des vor der Verstaatlichung gültigen Herstellersignets kann man auf den Herstellungszeitraum des Tellers der Walter Kreutz KG Neugersdorf zwischen 1968 und 1972 schließen.

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Betrieb geblasene Hohlkörper herstellte, bezeichnete die Planvorgaben des Handels als „völlig irreal“. Der VEB Preßwerk-Ottendorf-Okrilla pflichtete dem Veto des Betriebes in Tambach bei. Nach seinen Kalkulationen übertrafen die Forderungen des Handels die bis 1970 vorhandenen Produktionskapazitäten des Industriezweiges um das Vierfache.2 Die plastverarbeitende Industrie war aufgrund fehlender Rohstoffe und ausgelasteter Maschinenkapazitäten nicht in der Lage, den Bedarf an Plasthaushaltsartikeln im Inland zu decken, was sich erst in den 1970er und 1980er änderte.

Werbung für das eigene Sortiment war für die Betriebe, da kein­e Absatzschwierigkeiten vorhanden waren, im Binnenhandel unbedeutend und nur im Export von Belang. Um den Verkaufseinrichtungen einen Überblick über das Sortiment an Plast­ erzeugnissen zu verschaffen, gab der Handel (seit 1960 das Zentrale Warenkontor für Haushaltwaren) 1957 und 1961 einen Gebrauchswarenkatalog für Plasterzeugnisse heraus. Auch die VVB Plastverarbeitung publizierte in mehreren Auflagen seit 1961 Fertigungsprogramme der plastverarbeitenden Industrie und informierte mögliche Interessenten so über das Produktionssortiment des Industriezweiges. Die Betriebe selbst besaßen eine eigene Abteilung für Export und Absatz. Bereits vor Produktionsbeginn musste Sicherheit über den Endverbraucherpreis der Erzeugnisse herrschen, der in der Regel in den Boden des Produktes eingeprägt, in seltenen Fällen auch nachträglich aufgestempelt wurde. Die Preisermittlung war ein aufwendiger Vorgang. Zunächst hatte der Betrieb für neu in die Produktion aufzunehmende Produkte, maßgeblich auf Grundlage der Produk­ tionskosten, eine Preiskalkulation vorzunehmen und diese beim zuständigen Preisbildungsorgan zu beantragen. Das konnten entweder die Vereinigung Volkseigener Betriebe, die Räte der Bezirke oder auch einzelne Betriebe beziehungsweise Kombinate sein. Da ein staat­ liches

Interesse

bestand,

das

Preisniveau

für

Konsumgüter stabil zu halten, waren die Betriebe in der Regel nicht berechtigt, die Einzelhandelsverkaufspreise selbständig festzulegen, wobei für das Sortiment der „1000 kleinen Dinge“ Ausnahmen bestanden.3 Für Haushaltwaren aus Plasten lag die Preisbildung beim VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla, der diese in Abstimmung mit dem Handel und dem Amt für Preise festlegte. Die meisten Kunststofferzeugnisse in der DDR waren mit Preisangaben versehen. Da die Währungsbezeichnung der DDR sich mehrfach änderte, ist es möglich, anhand der Preisangaben die Erzeugnisse grob zu datieren.4

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Sehen, was drin ist: Kartonverpackung für eine Bowlenkelle aus transparentem Polystyrol des VEB Glas­ bijouterie Zittau, 1960er Jahre.

Runde Kartonverpackung des VEB Adler-Knopffabrik Soh­land für den PlastikFederball Schwalbe, 1959. Modernes Zubehör für Feierlichkeiten. Bowlenspieße aus Polystyrol des VEB Plasta Sonneberg in schlichter Papiertüte, 1960er Jahre.

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Einfache Kartonverpackung für einen Meßbecher aus Polystyrol, 1958. Die farbige Verpackung wirbt für Form und Material der Gewürzmenage aus Polystyrol, Wiesmann & Co., Halberstadt, 1960er Jahre. Kartonverpackung mit moderner Produktfotografie des VEB Kunststoffverarbeitungs­ industrie Sebnitz für ein Kleinkindsortiment, 80er Jahre.

In einer Anlayse zur Warengruppe Gummi-Plaste im Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren von 1969 wird die Preissituation für Plasterzeugnisse analysiert. „Plasterzeug­nisse werden zu ca. 70–80% durch die Preise der Grundmaterialien bestimmt. Da diese – gesehen zu den führenden plastherstellenden Ländern – drei- bis viermal höher liegen, ist verständlich, daß unser Preisniveau keineswegs dem Weltmarkt entspricht.“ Zudem habe sich die Preisreduktion bei den Grundstoffen nicht im Endverbraucherpreis (EVP) nieder­geschlagen, so dass die Produkte den Kunden noch immer zu überhöhten Preisen angeboten würden. Als Folge würde „die Substitution der klassischen und oftmals im Aufkommen stark begrenzten Rohstoffe“ ausgebremst. „Das gegenwärtig überhöhte Preisniveau wirkt sich direkt verkaufshemmend aus und fördert in keiner Weise die Abschöpfung der zunehmenden Kaufkraft. Sehr deutlich zeigt sich dieses beim Verkauf der großvolumigen, wertintensiven Plastartikel.“5 Auch die Verpackung und der Versand der Erzeugnisse lagen im Verantwortungs­bereich der Betriebe. Verpackungen spielten für die Erzeugnisse lange wegen Materialknappheit

Beliebtes Plastkristall in Kartonverpackung, 1980er Jahre.

eine nachgeordnete Rolle. In der Regel wurden die Produkte in Kartons oder Papier verpackt. Einige Verpackungen waren mit Verwendungshinweisen versehen oder warben gezielt für die neuen Werkstoffe.

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Warenpräsentation Plasthaushaltwaren wurden besonders in den Warenhauskatalogen der Centrum- und Konsument-Versandhäuser und in den Verkaufseinrichtungen selbst beworben. Dabei widmete man der Warenpräsentation besondere Aufmerksamkeit und stellte Kunststofferzeugnisse als geschlossenes Sortiment aus. „Bieten wir Plasterzeugnisse richtig an?“, fragte man 1964 in einer Fachzeitschrift des Handels „Fachberater Haushaltwaren“ und unterstrich, dass neben einer ansprechenden Präsentation der Erzeugnisse auch eine fachkundige Auskunft durch das Verkaufspersonal den Ruf der neuen Werkstoffe verbessern könnte. Insgesamt vier Industrieläden in Berlin, Halle und Leipzig boten gezielt Plasthaushaltwaren an: Vom Küchen­ gerät bis zum Badezimmerschrank konnte man hier ein breites Sortiment an Plastprodukten bekommen. Geschult wurde das Verkaufspersonal zum Teil direkt in den herstellenden Betrieben und konnte so über Material­ eigenschaften Auskunft geben. Auf neue Erzeugnisse wurde der Käufer auch in Zeitschriften aufmerksam gemacht. Nur in Ausnahmefällen machten die produzierenden Betriebe durch Anzeigen selbst auf neue Erzeugnisse aufmerksam, häufig wurden sie aber getestet und den Kunden in Zeitschriftenartikeln ausführlich – zum Teil auch kritisch – vorgestellt. In den 1950er und 1960er Jahren veröffentlichten einige Betriebe Werbe­broschüren, deren Ästhetik mit einfachen Mitteln – meist schlichten Zeichnungen, die die Anwendungsweise illustrierten – das Praktische der Erzeugnisse hervorhob. Auch die Farbigkeit der neuen Haushaltswaren aus Kunststoff spiegelte sich in den Illustrationen der Kataloge wider, die gegen das Einheitsgrau der Nachkriegszeit eine moderne und farbig ansprechende Produktkultur entwarfen. In den 1970er und 1980er Jahren wurde diese Form der Produktwerbung, wie für alle Warenbereiche in der DDR, auf Exportartik­el beschränkt und griff auf andere ästhetische Mittel, vorrangig die Produktfotografie, zurück. Auf diese Weise waren die Erzeugnisse zwar unmittelbarer erfahrbar, das Versprechen einer modernen Lebensweise, die in den Kontext einer Produktkultur des Praktischen gestellt wurde, trat hinter der Materialität der Einzelprodukte allerdings zurück. Nur große Plastverarbeitungswerke mit einem hohen Exportanteil wie der VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla verfügten über eigene Werbeleiter, die meisten Prospekte entwarfen Werbegestalter der Deutschen Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG) im Auftrag der Produzenten. Seit 1961 beKleinigkeiten für den Haushalt, vorgestellt in „Guter Rat“ 1969, Heft 2.

mühte sich der Industriezweig um eine gemeinschaftliche Werbestrategie: Die Werbefigur „Plastinchen“ sollte als geschütztes Warenzeichen eines von volkseigenen und privaten gemeinsam gegründeten Warenzeichenverbandes mit dem Werbe­slogan „Dort, wo ihr Plastinchen seht, findet ihr auch Qualität“ verwendet werden. Das Kunstwort „Plastika“, das dafür benutzt

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Alles aus Plaste

Unter dem Warenzeichen „dedaplast“ warben staatliche und private Betriebe für ihre Erzeugnisse. Katalog „Dedaplast Plast-Küchenartikel. Wäsche­ klammern“, hrsg. v. der VVB Plastverarbeitung, Halle 1968.

Das Bildzeichen Pneumant verweist in seiner graphische­n Gestaltung auf „Elaste“ und die Reifenproduktion der DDR. „Werbestil Pneumant“, 1977. Die weibliche Werbefigur „Plastinchen“ symbolisiert die Verknüpfung von Chemie und Konsum: Ihr Körper aus einem stilisierten Laborgefäß (Retorte) präsentiert das moderne Plastsortiment. Versandhauskatalog Centrum, 1966.

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Fingerhüte aus Meladur, farbig, zu 100 Stück im Karton verpackt. Bleistiftverlängerer und –schützer aus Meladur und Bakelit. Die Haushaltsschüssel wurde aus Meladur, Bakelit und Didipressmasse (Dicyandiamid) hergestellt. Kratzfestes Tablett aus Meladur. Katalog des VEB Plasta Preßwerk Auma, 1950er Jahre.

wurde, war der Versuch, Bezeichnungen wie Kunststoff- oder Plasterzeugnisse griffig zu verknappen und wurde ebenfalls bei der Produktwerbung eingesetzt. Seit 1968 bewarb man Plasterzeugnisse unter dem Waren­zeichen „Dedaplast“. Die ersten beiden Silben setzten sich aus deutsche demokratische Republik zusammen und wurden mit dem Begriff „Plast“ verbunden.5 Die Begriffsschöpfung folgte dem Markennamen der Kunstfaser „Dederon“, erreichte aber nicht dessen Popularität. In den 1970er und 1980er Jahren produzierten viele Plastbetriebe in Folge der Kombinats­bildung des VEB Kombinat Plast- und Elastverarbeitung unter dem Warenzeichen „Pneumant“. Das ursprüngliche Markenzeichen für die Reifen­ industrie kennzeichnete seit 1971 auch Haushaltswaren aus Kunststoff und war in 70 Ländern geschützt. Die einzelnen Herstellerbetriebe mussten auf ihre eigenen Betriebskennzeichen verzichten und verschwanden hinter dem gemein­ samen Warenzeichen.

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Runde Dose mit Dekor aus Poly­ styrol. ExortKatalog des VEB Glas­ bijouterie Zittau, 1965.

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Kaffeebehälter mit Maß. Sechs Eierlöffel in Zellophanbeute. Langstieliges Salatbesteck aus Polystyrol, Entwurf: Hochschule für industrielle Formgestaltung, Burg Giebichenstein. Der Satz Quirle in drei verschiedenen Größen war aus Holz und Polyamid. Verkauft wurde er im Karton oder im Klarsicht-Beutel aus Plast.

Export-Katalog VEB Glasbijoute­ rie Zittau, 1960.

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Alles aus Plaste

Messestand für „Plaste“ und Sprelacart, einen Schichtpressstoff zur Beschichtung von Küchenmöbeln, um 1960.

Auf der Leipziger Messe Zweimal jährlich hatten die Betriebe die Gelegenheit, ihr Sortiment auf der Leipziger Messe zu präsentierten und Exportvereinbarungen mit Unternehmen aus dem Ausland abzuschließen. Der Export von Konsumgütern hatte sich in den 1950er Jahren erst langsam entwickelt und im Vergleich zum Gesamtexport der DDR nur geringe Bedeutung. Exportanteil von Konsumgütern aus Plaste am Gesamt­export der DDR7 1954

6000 DM =

0,01%

1955

7200 DM =

0,02%

1956

78.900 DM =

0,2%

1957

530.700 DM =

0,9%

1958

903.200 DM =

1,3%

1959

1.662.600 DM =

1,9%

Die wichtigsten Exportländer waren Holland, Dänemark, Belgien, Jugoslawien, China, Ungarn, Polen, Rumänien und die Tschechoslowakei. In den 1960er Jahren gewann der Export von Plast-Konsumgütern erheblich an Bedeutung und Plasthaushaltwaren wurden vor allem in das westliche Ausland exportiert. Zu den Exportschlagern der DDR gehörten Mehl-

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Gemeinschaftliche Präsentation des VEB Glasbijouterie Zittau und des Privatbetriebs Willibald Böhm, Wolkenstein (Markenzeichen Sonja Plastic) auf der Leipziger Messe, um 1960. Der Stand zeigt Haushaltsprodukte aus Polyamid und Polystyrol.

siebe und WC-Sitze. 1963 erbrachten WC-Sitze des VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla, die vor allem in die Bundesrepublik verkauft wurden, Dessertschalen des VEB Plasta Preßwerk Auma und Butterglocken des VEB Preßwerk Tambach-Dietharz hohe Devisenerlöse. In die sozialistischen Länder lieferte man besonders Halbzeuge (Rohre, Profile) und Schichtpressstoffe wie Sprelacart. Neben den volkseigenen Betrieben, die in der VVB Plastverarbeitung zusammengefasst waren, stellten auch private und halbstaatliche Betriebe der örtlichen Industrie, die den Bezirkswirtschaftsräten unterstanden, wie die privaten Firmen Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz, und Willibald Böhm KG, Wolkenstein, auf dem gemeinsamen Kollektivstand der plastver­ arbeitenden Industrie aus. Alle Außenhandelsgeschäfte wurden über zentrale Außenhandelsbetriebe abgewickelt. Für den Bereich der Plasthaushaltwaren waren der Außenhandelsbetrieb Union Metallwaren und Sportartikel und der WMW Export-Import zuständig. An die ausstellenden Betriebe wurden auf den Messen Umsatzerwartungen formuliert – das sogenannte „Messesoll“. Als Seismograph für internationale Entwicklungen auf dem Plastsektor war die Leipziger Messe für die VVB Plastverarbeitung als Lenkungsorgan der plastverarbeitenden Industrie stets von besonderer Bedeutung. Hier ließen sich internationale Trends feststellen, das DDR-Sorti-

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Alles aus Plaste

ment mit dem internationaler Unternehmen vergleichen und Inspirationen für neue Produktentwicklungen gewinnen. Bereits Mitte der 1960er Jahre musste die VVB Plastverarbeitung auf der Leipziger Messe feststellen, dass sich auf dem Weltmarkt eine Sättigung mit bestimmten Plasterzeugnissen abzeichnete, die, wie Meladurgeschirr, starken Modeschwankungen unterlagen. Auf der anderen Seite war die DDR in einigen Produktbereichen nicht in der Lage, dem Bedarf ausländischer Abnehmer zu entsprechen. Für großformatige Polyethylenbehälter mit einem Volumen ab drei Liter gab es noch 1963 keine ausreichenden Verarbeitungskapazitäten, das Polyethylen-Material aus Leuna und Buna verfügte über eine zu schlechte Farbpalette und Erzeugnisse, die aus importiertem Polyethylen produziert wurden, ließen sich im Ausland wegen ihrer hohen Preise nicht absetzen. Auch die Möbelindustrie zeigte einen deutlichen Rückstand hinter dem westlichen Ausland. Hier fehlten geeignete Plastwerkstoffe wie Polypropylen, Polyurethane für Sitzschalen und oberflächenveredelte Faser- und Spanplatten für Schränke.8 Das Interesse an Konsumgütern aus der DDR blieb in der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern hoch. 1965 hatte der VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla die Möglichkeit, die dreifache Menge an Sanitärerzeugnissen abzusetzen, war aber durch den Binnenhandel gebunden. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Zentralen Warenkonto­r für Haushaltwaren, das den Inlandsbedarf an Plastprodukten zu sichern hatte, und der VVB Plastverarbeitung, die die Exporte ausweiten wollte. Trotz der Exporterfolge für Plastkonsumgüter sank im Laufe der Jahre der Exportgewinn. Polystyrol-Erzeugnisse, die in der Bundesrepublik durch modernere Kunststoffe wie Polypropylen und Polycarbonat verdrängt worden waren, ließen sich zunehmend nur noch zu niedrigen Verkaufspreisen ab­ setzen.9 Es fehlte ein modernes Werkstoffsortiment, das einen für die DDR rentablen Absatz hochwertiger Konsumgüter garantiert hätte.

1 Forderungsprogramm des Ministeriums für Handel und Versorgung für Plasterzeugnisse 1960–65,

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Berlin 4.9.1959, zit. nach: Walter Meyer: Probleme der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit zwischen Konsumgüterproduktion und dem Binnenhandel der DDR: untersucht an den Wechsel­beziehungen zwischen der plastverarbeitenden Industrie und dem Handel mit Haushaltwaren, Leipzig 1962, S. 8. Landeshauptarchiv Merseburg, VVB Plastverarbeitung Halle Nr. 3277. Lexikon der Wirtschaft. Industrie, Berlin 1970, S. 62. Die DDR verfügte über drei verschiedene Währungsbezeichnungen. Die „Deutsche Mark der Deutschen Notenbank“ (DM) war vom 24. Juli 1948 bis zum 31. Juli 1964 gültig. Es folgte im Zeitraum vom 1. August 1964 bis zum 31. Dezember 1967 die „Mark der Deutschen Notenbank“ (MDN). Vom 1. Januar 1968 bis zum 30. Juni 1990 war die „Mark (M) der Deutschen Demokratischen Republik“ die Währungsbezeichnung. Analyse der bisherigen Versorgungsleistungen (Anlage zur Prognose der Verbrauchsentwicklung im Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren), 25. November 1969, Landesarchiv Berlin, C Rep. 500 Nr. 150, S. 23–24. Landeshauptarchiv Merseburg, VVB Plastverarbeitung Halle Nr. 1989. Ökonomik des Industriezweiges Plastverarbeitung, Halle 1960, S. 61, Bundesarchiv, DE 1/ 27790. Abschlussbericht über die Durchführung der Leipziger Frühjahrsmesse 1963, Landeshauptarchiv Merseburg, VVB Plastverarbeitung Halle, Nr. 1637/1. Bericht über die Studiengruppenarbeit anläßlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1965, Landeshauptarchiv Merseburg, VVB Plastverarbeitung Halle, Nr. 979.

Der Lebenslauf der Dinge

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Zwischen Anleitung und Engpass

Mit dem Aufkommen von Konsumgütern aus Kunststoffen setzte eine Erörterung über den „richtigen Gebrauch“ der „Plaste“ ein. Dies geschah in zweierlei Hinsicht: Einerseits sollten plastverarbeitende Betriebe auf einen materialgerechten Einsatz der Werkstoffe und den richtigen Umgang mit den Grundstoffen hingewiesen werden. Dazu wurden eigene Informationseinrichtungen geschaffen, wie 1960 die Technische Beratungsstelle der VVB Plastverarbeitung sowie Publikationen zur Verarbeitung von Kunststoffen veröffentlicht. Frühzeitig gewann aber auch die Nutzung der Plastartikel durch die Verbraucher an Bedeutung. Durch den Handel sollten die Kunden auf die Besonderheiten des Materials hingewiesen werden. Damit reagierte man darauf, dass bei den noch wenig mit Kunststoffen vertrauten Nutzern und Nutzerinnen Unzufriedenheiten mit den neuen Materialien aufkamen. Reklamationen und Eingaben an den Handel ließen erkennen, dass an Plastartikel häufig zu hohe Anforderungen gestellt wurden. Überbeanspruchung und unsachgemäße Verwendung ließen das Material unansehnlich wirken, führten zu Deformierungen oder Beschädigungen.

Gut informiert – Der „Fachberater Haushaltwaren“ klärt das Verkaufspersonal über die Materialvorzüge von Melaminharz auf, 1967, Heft 5.

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Alles aus Plaste

Polystyrol zum Beispiel hat eine glänzende Oberfläche, ist aber bruchanfällig, nicht beständig gegen Säure und nur bis 80° hitzebeständig. Im Verkaufsgespräch sollten die Mirarbeiter des Handels die Kunden informieren, Zitronenscheiben nicht in Polystyrolbehältnissen aufzubewahren, in Meßbecher aus Polystyrol kein heißes Wasser zu gießen und keinen zu hohen Druck auf Eierlöffel oder andere Kleinstartikel auszuüben.1 Auch die wachsartige Oberfläche des Polyethylens erfordert einen bewußten Gebrauch. Grobkörnige Scheuermittel zerstören die Oberfläche und lassen das Material schnell unansehnlich wirken, weswegen ausführlich vor der Verwendung von Scheuersand bei der Reinigung gewarnt wurde. Im Gebrauch bewährten sich die vielfältigen neuen Erzeugnisse, aber es zeigten sich auch die Nachteile der Plaste. Ihre elektrostatische Aufladung machte sie zu regelrechten Staubfängern. Essgeschirr aus Meladur dunkelte nach und verlor seinen Glanz, der seine Gleichwertigkeit mit Porzellan begründete, und auch transparentes Polystyrol wirkte schnell stumpf. Wenn sie das reichhaltige Informationsangebot annahmen, konnten DDR-Bürger zu Alltagsexperten für Kunststoffe werden. In Zeitschriften und Ratgebern wurde ausführlich über die Werkstoffe aufgeklärt. Befürchtungen, durch chemische Fachbegriffe die Alltagsnutzer zu verschrecken, hegte man offenbar nicht. Grundwissen über „Duro- und Thermoplaste“, Herstellungsverfahren und Molekülketten wurde nicht nur in Schulbüchern vermittelt, sondern galt als zeitgemäßes „Know-How“ für Jedermann. So heißt es etwa in dem Ratgeber „Unser Haushalt“: „Mit dem Begriff „Plast“ gibt sich die Hausfrau heute nicht mehr zufrieden. Sie will wissen, woraus er besteht, woran sie ihn erkennen kann und wie sie ihn behandeln muß. Das letzte ist besonders wichtig, denn jede Werterhaltung setzt die Kenntnis des Werkstoffes und seine richtige Behandlung voraus.“2 Was Konsumentinnen und Konsumenten tatsächlich über Kunststoffe wissen wollten, muss offen bleiben. Letztlich mussten sich die Produkte im alltäglichen Gebrauch bewähren.

„Plaste“ im Gebrauch Die Eigenheiten des Gebrauchs von Dingen im Alltag zu untersuchen, gehört zu den spannendsten Aspekten von „Objektbiographien“. Ihr Gebrauch folgt nicht nur gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und kulturell verankerten Handlungsroutinen, er stellt auch eine individuelle Beziehung zwischen Mensch und Ding her und verweist in die Sphäre des Privaten. Damit ist der individuelle Gebrauch allerdings auch weniger leicht zugänglich als offizielle Rhetorik, gesetzliche Richtlinien und mediale Diskurse. Wir können im Nachhinein nur indirekt ermessen, welche Bedeutung Plasterzeugnisse im DDR-Alltag für ihre Nutzerinnen und Nutzer besaßen. In der DDR bemaß sich der Stellenwert von Dingen nicht in erster Lini­e nach der Höhe des Preises, sondern nach ihrer Verfügbarkeit in den üblichen Verkaufseinrichtungen. Der erhebliche Aufwand, mit dem der Erwerb von bestimmten knappen Waren verbunden war, trug nicht unerheblich zu deren Bedeutungszuwachs bei und besaß einiges Distinktionspotential für deren Besitzer und Nutzer. Diese durch Verknappung hervorgerufene Aufwertung von Dingen blieb den Plasthaushaltswaren allerdings verwehrt.

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Neue Werkstoffe – neue Pflegeprodukte. Plast­ reinigungsschaum und Antista­tik-Spray des VEB Aerosol-Automat Karl-Marx-Stadt.

Während in den Anfängen der Plastifizierung des Alltags Kunststoffe noch nicht aus­reichend zur Verfügung standen und von den Betrieben zu vergleichsweise hohen Preisen verkauft werden konnten, sank mit der größeren Verfügbarkeit der Plastartikel auch deren exklusiver Charakter, so dass aufgrund einer Sättigung des Marktes, schlechter Gebrauchseigenschaften oder unterschiedlicher geschmacklicher Präfenrenzen auch Verkaufsschwierigkeiten bei verschiedenen Erzeugnissen aufraten. Marktlage von Plasterzeugnissen, 19773 Angebotslücken: Brotdosen; Gießkannen; Dekordosen; Bestecktrockner; Badewannenauf­ lagen; Seifendosen; Spiegelschränke; Tortenbehälter; Kaffeefilter; WC-Sitze (Polystyrol); Vorratsdosen; Tortenplatten (Kristalleffekt); Kompottschalen (Kristalleffekt); Zahnbürstenbehälter; Kosmetikschränke; Konsolen; Zierdeckchen. „Ladenhüter“: Ziergitter; Gedecke, 2-teilig; Eiswürfeleimer; Paniertablet­ ts; Seifenhalter; Tropfenfänger, Badezimmerboxen; Zuckerdosierer; Rohkostreiben; Tomatenmesser; Blumensteckschalen; Hyazinthentreibschalen; Flaschenträger; Margarineglocken; Hemden­ bügel; Kinderlöffel, lang; Eierbechergarnituren; Haushaltsstapelboxen; Fleischklopfer; Kinder­gedecke. „Können Sie, liebe Leserin, sich vorstellen, daß Sie eine festliche Tafel mit Plasttellern decken? Natürlich nicht. Würden Sie den Plastbecher, aus dem Sie morgens (…) trinken, am Feierabend benutzen, um daraus genüßlich Ihren Tee oder Kaffee zu nehmen? Natürlich nicht. Natürlich nicht? Sehen wir uns einmal um, und wir bemerken, daß diese Verneinung gar nicht so selbstverständlich ist.“4 Die Hoffnung der 1960er Jahre, dass Kunststoffe sich im Alltag als gleichberechtigte Materialien neben Porzellan, Holz und Glas würden behaupten

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Alles aus Plaste

An eine solche Nutzung haben die Mitarbeiter des VEB Preßwerk TambachDietharz sicher nicht gedacht: Ein Eimer aus Polyethylen dient als Spielzeug-Trockenhaube im Kindergarten.

können, erwies sich spätestens in den 1980er Jahren als gescheitert. Zunehmend griffen auch jüngere Leute – ähnlich wie in westlichen Gesellschaften – auf natürliche Materialien zurück. Das Mobiliar der Großelterngeneration – alte Vitrinen, Buffets und Kommoden – wurde den mit Sprelacart oder Plastfolie beklebten Pressspanmöbeln vorgezogen und Plastprodukte in ausgewählte Lebensbereiche verbannt.5 Im Haushalt bildete sich so eine Hierarchie der Materialien heraus, in der Kunststoffe einen festen Platz erhielten. Ihre Produktkultur des Praktischen überzeugte vor allem in Küche, Bad und dem Freizeitbereich, aus der „guten Stube“ und von der gedeckten Tafel blieben Plasterzeugnisse jedoch in der Regel ausgeschlossen. Die Zeitschrift „Kultur im Heim“ porträtiert in den 1980er Jahren

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fotografisc­h individuelle Wohnungseinrichtungen, in denen Kunststofferzeugnisse in den Wohnzimmern gänzlich fehlen. Der Eindruck von Billigkeit und Uniformität der leichten Plasterzeugnisse ließ sich nur begrenzt abstreifen. Die Firma Kimmel entwickelte 1976 Saftbecher aus Polypropylen, die ebenso wie die weitverbreiteten aus Rumänien importierten Trinkbecher mit Punkten aus Polystyro­l im Alltag eine Umnutzung als Zahnputzbecher erfuhren, jedoch als Trinkgefäße mit Glas nicht kon­kurrieren konnten. Eine solche Degradierung von Produkten im Gebrauch erlebten auch Einkaufskörbe aus Polyethylen, die vielfach als Behälter für Wäscheklammern benutzt wurden. Nicht immer folgten die Konsumenten also den von Produzenten und Handel intendierten Bad oder Küche? – Über den gewünschten Einsatzort entscheidet der Verbraucher. Trinkbecher aus Polystyrol, 1970er Jahre.

Nutzungsw­eisen und entfremdeten Produkte im Gebrauch. Eine besondere Form dieser veränderten Nutzungs­weisen stellte die Weiternutzung von Plastverpackungen dar. Aufgrund von Versorgungsengpässen mit Frischhaltefolie nutzten Verbraucher nach dem Verzehr die Milch-Schlauchbeutel aus Polyethylen zum Beispiel anstelle von Butterbrot­papier weiter.

Eine Liebeserklärung aus Plaste. Selbstgebastelter Fanartikel aus Kunststoff­ perlen.

1 Der Fachberater Haushaltwaren 1971, H. 4, S. 17. 2 Unser Haushalt, Leipzig 1968, S. 369. 3 Kurzberichte zur Marktlage. Hrsg. v. Institut für Marktforschung, 1977. Bundesarchiv

DL 102, Nr. 1142. 4 Mit dem Plast auf Du und Du, in: Guter Rat 1966, H. 1, S. 18. 5 „Möbel aus zweiter Hand.“, in: Kultur im Heim 1984, H. 5, S. 35–37, hier S. 36 und

Kultur im Heim 1983, H. 2, S. 34.

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Alles aus Plaste

„Schätze in unserer Hand“ Kunststoff-Recycling in der DDR

Wo Kunststoff im Alltag verwendet wird, fällt auch Müll an. Seit Verpackungen aus Kunststoff in den 1970er und 1980er Jahren zunehmend Kartons und Glasbehälter verdrängten, stellte sich die Frage des Recycling auch in der DDR. Was uns heute vor allem als Problem der Abfallbeseitigung erscheint, wurde in der DDR unter dem Aspekt der Einsparung von Rohstoffen diskutiert. Die notorische Kunststoffknappheit in der DDR und die begrenzten Mittel für den Import sorgten für ein frühzeitiges Interesse an der Organisation der Abfall­ erfassung und geeigneten Verfahren für die Wiederaufbereitung von Plastabfällen. Bereits in den 1970er Jahren führten der VEB Chemische Werke Buna und die TechniPotentieller Plastmüll: Verpackungsflaschen aus Polyethylen. Katalog „Mirathen“ des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, 1977.

sche Hochschule Leuna-Merseburg Erfassungsexperimente durch, um den Anfall an Plastmüll in Privathaushalten zu ermitteln. Bei einem solchen Erfassungsversuch wurden 1978 2000 Haushalte im Stadtgebiet Merseburg untersucht. In einem Monat waren 1000 kg Plastaltstoffe angefallen, was einem hochgerechneten Müllaufkommen von etwa 6 kg pro Jahr für einen Haushalt entsprach. Auf dieser Grundlage entwickelte man 1981 ein Konzept

Der Lebenslauf der Dinge

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Nicht Wegwerfen, sondern Sammeln. Die Plakate des VEB Kombinat SERO sprechen nicht von Müll, sondern „Sekundärrohstoffen“.

und schuf Kapazitäten zur Aufbereitung von Thermoplasten, unter anderem auch im VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin. 1983 wurden dann erstmals Plastabfälle aus Privathaushalten erfasst. Sie konnten an Annahmestellen des VEB Kombinat Sekundärrohstofferfassung (SERO), bei privaten Altstoffhändlern und über die Sammelstützpunkte, die von Hausgemeinschaften, Schulen und anderen gesellschaftlichen Organisationen unterhalten wurden, sowie in Containern vor Kaufhallen entsorgt werden. Abzugeben waren besonders Plastflaschen, Deckel von Honig- und Marmeladengläsern, Becher von Speiseeis, Quark, Joghurt, Senf, Margarine, Butter, Thermoplastgroßteile wie Eimer, Schüsseln, Badewannen, Waschkörbe, Toilettenbrillen, Spülbeckeneinlagen und Papierkörbe. Der Ankaufspreis betrug 3 Pfennig pro Plastflasche und 1 Mark für ein Kilogramm sonstiger Thermoplastabfälle. Bei gesellschaftlich organisierten Sammlungen, etwa durch eine Hausgemeinschaft, wurden 1,30 Mark pro Kilogramm gezahlt. Wegen fehlender Verarbeitungskapazitäten sowie eingeschränkter technischer Möglichkeiten waren eine Reihe von Plastartikeln von der Annahme ausgeschlossen. Dazu gehörten insbesondere: mit Fremdstoffen (etwa mit Farbe) behaftete Thermoplastabfälle, technische Folien und Folienabfälle, Duroplastartikel wie Campinggeschirr, Türklinken, WC-Sitze,

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Alles aus Plaste

Spielzeug und Sportartikel, Gehäuse von Haushaltsgeräten, Formteile aus Schaumstoff sowie Bierkästen und Milchbehälter. Durchschnittliche Zusammensetzung von Thermoplastabfällen aus Haushalten, Erfassung in Containern1 Erfaßte Stoffe

Beispiele Anteile in %

Polyolefine

Flaschen, Verschlüsse, Becher

65,5

Kanister, Stapelware PVC, Polystyrol

Margarinebecher, Quarkbecher,

24,1

Spielzeug Duroplaste Verschlüsse 0,2 Schaum-Polystyrol Eierverpackung 0,7 gemischter Hausmüll 9,5 Plastabfälle aus Haushalten aufzubereiten, erforderte hohen Aufwand. Zunächst wurde die gesammelte Abfallmenge durch das VEB Kombinat Sekundärrohstoffe vorzerkleinert. Der Transport der leichten, aber voluminösen Plastartikel zu den Aufbereitungsbetrieben verursachte hohe Transportkosten, die durch das Zerkleinern reduziert werden sollten. In den Aufbereitungsbetrieben wurden Metallrückstände entfernt und die Plastteile auf Korngröße zerkleinert. Die gewaschenen Plastschnitzel wurden in einer sogenannten SchwimmSink-Rinne voneinander getrennt. Polyethylen und Polypropylen schwammen oben, während PVC, Polystyrol und andere nach unten sanken. Nach der Regranulierung mussten den Altplasten in der Regel noch Primärplaste und Füllstoffe zugegeben werden, um sie weiterverarbeiten zu können. Aus den Regeneraten wurden u.a. folgende Artikel produziert: Hydrotöpfe und Pflanzenschalen, Eimer, Tapetenleisten, Gardinenstangen, Rohre, Pedale und Fahrradgriffe, Kettenschutz, Schuhsohlen. Im Gegensatz zu privaten Haushalten wurde in der Industrie der Wiedereinsatz von Plastabfällen schon lange Zeit praktiziert. Da Plastabfälle in allen Herstellungs- und Verarbeitungsphasen anfallen, fanden sie sich sowohl bei Plastherstellern, als auch bei plastverarbeitenden Betrieben in unterschiedlicher Form. Bei den Plastherstellern war der Anteil an tatsächlichem Ausschuß sehr gering. Bei den anfallenden Abfallprodukten handelte es sich um Rückstände und Ansätze aus Reaktionskesseln, Filtern, Verlusten bei der An-, Um- und Abfahrt sowie Fehlchargen und geprüftes Material. Die plastverarbeitenden Betriebe sammelten Angüsse und Ausschüsse, die im Spritzgießverfahren entstanden, und konnten diese leicht dem Kreislauf wieder zuführen. Mit Schneidmühlen wurden die Abfälle zerkleinert und dann über einen Extruder granuliert. Die Betriebe waren seit 1966 gesetzlich verpflichtet, die im eigenen Betrieb entstehenden Plastabfälle weiterzuverarbeiten und Abfälle, die sie nicht selbst aufbereiten konnten, an Aufbereitungsbetriebe abzugeben.2

Der Lebenslauf der Dinge

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Bereits in den 1960er Jahren wurde für plastverarbeitende Betriebe das Sammeln von Plastabfällen verpflichtend. „Plaste und Kautschuk“ 1966, Heft 9.

Die Wiederverwertung von Plastwerkstoffen aus dem privaten Gebrauch war nicht so problemlos möglich. Dass die wenigsten Plaste frei von Verschmutzungen waren und nicht typenrein auftraten, führte zu einer deutlich geringeren Qualität des Sekundärmaterials. Ein leichter Eigengeruch der recycelten Plaste schloss die Verwendung für Lebensmittel­ verpackungen aus und auch für Spielzeug war das Material aufgrund seiner grau-schwarzen Färbung nicht zu gebrauchen. Die hohen ökonomischen Aufwendungen bei der Sammlung dieser dezentral anfallenden Abfälle setzten einem umfassenden Recycling von Kunststoffen in der DDR deutliche Grenzen. Der Umgang mit Kunststoffabfällen bleibt in der DDR ein zwiespältiges Phänomen: Auf der einen Seite lässt er sich durchaus als Schritt zu einer fortschrittlichen Recyclingpraxis betrachten, die zur gleichen Zeit auch in westlichen Ländern auf Interesse stieß. Dies wird allerdings auf der anderen Seite durch den Absatz von Wegwerfplast­artikeln in den Westen und die rücksichtslose Zerstörung der Umwelt im Chemiedrei­ eck deutlich relativiert. „Jede Tonne wiederverwendeter Plastabfälle ersetzt 0,7 Tonnen neuen Plast“, rechnete man 1987 den Lesern der Zeitschrift „Guter Rat“ vor. In erster Linie blieb das Recycling in der DDR Mittel zur Einsparung von Rohstoffen.

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Nicht bunt, aber funktional: Fahrradgriffe aus aufberei­­­ teten Plastabfällen. Katalog „Miravithen“ des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, 1971.

1 Autorenkollektiv: Technologie der Plast- und Elastverarbeitung, Leipzig 1989, S. 226. 2 Ebenda, S. 225.

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Kapitel IV: Die Warenwelt und ihre Produzenten Alltagsdinge verändern sich Haushaltshelfer aus Kunst­ stoff präsentiert die Zeit­ schrift „Guter Rat“ 1966, Heft 1. Linke Seite Meladurartikel in einer Presshalle, um 1960. Plaste. Werkstoffe moderner Technik, Berlin 1960. Seite 122/123 Der Versandhauskatalog zeigt Plastartikel im Gebrauch. Als Konsumentin angesprochen wird stets die Frau, Versand­ hauskatalog Centrum 1968/69.

Der Einzug der „Plaste“ – 1000 kleine Dinge für den Haushalt Die Anzahl der Dinge des Alltags, die in der DDR aus „Plaste“ hergestellt wurden, ist kaum zu ermessen. Nach der Chemiekonferenz 1958 veränderten sie das Inventar des Wohn- und Lebensraums in der DDR elementar und nachhaltig. Die sogenannten „1000 kleinen Dinge“ des täglichen Bedarfs waren das große Versprechen des V. Parteitags der SED im Juli 1958 und zugleich Eingeständnis und Reaktion auf eklatante Versorgungsmängel bei der Bereitstellung von Konsumgütern in der DDR. Die im Juli 1958 tagende Handelskonferenz, auf der die Versorgungsmisere recht deutlich beklagt worden war, beschloss die Einführung von Selbstbedienungsläden und die Spezialisierung von Verkaufsstellen, mit dem Ziel, den Anschlus­s an das Versorgungsniveau der Bundesrepublik zu erreichen. Auch die Chemiekonferenz griff das Konsumversprechen Ulbrichts auf und stellte die Produktion von Plast­ artikeln für den Haushalt in den Vordergrund. Eingesetzt wurden Kunststoffe als Ersatz für Leichtmetall, Holz und Porzellan. Ihre Qualitäten lagen auf der Hand: Leichtigkeit, Far­bigkeit und ein hygienischer Gebrauch entsprachen einer funktionalen und auf Rationalität fokussierten Lebensweise. Vorratsdosen etwa wurden aus transparentem Polystyrol produziert, das eine schnelle Übersicht über die Lebensmittelvorräte im Haushalt ermöglichte und eine platzaufwendige und unübersichtliche Tütenwirtschaf­t ablöste. In dem Maße, wie Kämme, Spiegel und andere, eher verspielte Accessoires einem durch stapelbare Vorratsdosen, leicht transportierbare Geschirrteile und gut zu reinigende Küchenhelfer (Sieb­ e, Reiben etc.) organisierten und durchratio­ nalisierten Küchenreg­ ime wichen, verschwanden auch die tradi­ tionellen Kunststoffe Celluloid, PVC und Bakelit zunehmend. Die Plastifizierung der Küche mit Haushaltsartikeln gelang, auch wegen zum Teil fehlender Alternativen, in den 60er Jahren flächendeckend. Doch ungeachtet ihrer Verbreitungswelle war auch der Bereich der Haushaltswaren aus Plaste von Versorgungsschwierigkeiten betroffen. So bestand Mangel v. a. bei großformatigen Polyethylen-Erzeugnissen wie Körben und Wannen, deren Aufnahme in die Produktion sich Jahr um Jahr aus technischen Gründen verzögerte. Auch waren Fleischklopfer, Brötchenkörbe

Die Warenwert und ihre Produzenten

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Alles aus Plaste

Die Warenwelt und ihre Produzenten

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Becher und Fleischklopfer sind Importartikel der 1970er Jahre.

und Trinkbecher, die in der DDR zahlreich verwendet wurden, nicht immer Eigenproduktionen. Während zur Versorgung der Bevölkerung Plastartikel importiert werden mussten, kamen andere in der DDR produzierte Erzeugnisse fast ausschließlich in den Export. Als Teil des Programms der „1000 kleinen Dinge“ wurden vor allem an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein in Halle neue Kunststoff­artikel für den Haushalt entworfen und veraltete Artikel, die durch ihren andere Materialien imitierenden und dysfunktionalen Charakter dem „Ruf der Plaste schadeten“, systematisch aus dem Sortiment genommen. Zunehmend gerieten die hohen Maßstäbe an Formgestaltung und materialgerechten Einsatz in Vergessenheit. Imitate von geschliffenem Kristallglas, verbreitet in verschiedenen Varianten von Tortenplatten und Kuchentellern aus sogenanntem „Plastkristall“, brachten den einstigen „Ersatzstoff“-Vorwurf wieder auf den Tisch. Vorratsdosen wurden in den 1970er und 1980er Jahren mit dekorativen Mustern versehen, deren aufdringliches, naturalistisches Ornament gegen Kitschvorwürfe nicht mehr gefeit war. „Vergeßt die tausend kleinen Dinge nicht“, mahnte 1967 ein Ratgeber („Unser Haushalt“), der junge Paare bei der Gründung eines eigenen Hausstandes zur Seite stehen wollte und präsentiert eine Übersicht über die wichtigsten Plasterzeugnissen, die in keinem Haushalt fehlen sollten.

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Alles aus Plaste

Produktkatalog Pneumant „Plastkristall“, 1973.

Aufstellung von Plastartikeln für den Haushalt eines jungen Paares1: 1 Schüssel mit 6 Schälchen für Salate und Kompott

1 Trichter 1 Salatbesteck

6 Eierbecher

2 Schüsseln in verschiedenen Größen

6 Eierlöffel

Dosen für Fleisch und Wurst

1 Butterdose

2 Rührlöffel

1 Käseglocke

3 Quirle in verschiedenen Größen

1 Konfitürendose

1 Tee-Ei

1 Margarineglocke

1 Blumengießkanne

1 Milchkanne

6 Untersetzer

1 Brötchenkorb

1 Tablett

1 Passiersieb

1 Kannenuntersetzer

2 Frühstücksbrettchen

1 verschraubbare Kaffeedose

1 Zitronenpresse

Gewürzgarnitur

1 Menage (Salz, Pfeffer, Senf)

Die Warenwelt und ihre Produzenten

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Substitution. Die „fit“-Flasche aus Plaste Das Reinigungsmittel „fit“ war in der DDR Synonym für Spülmittel schlechthin. Der Herstellerbetrieb VEB Fettchemie Karl-Marx-Stadt deckte ca. 85 Prozent der Spülmittelproduk­ tion und kreierte 1954 mit „fit“ eine bekannte Marke. In zwei Varianten konnte man das Spülmittel Mitte der 60er Jahre im Handel erwerben: als Pulver im Pappkarton oder als Flüssigspülmittel in der Glasflasche. Das Flüssigmittel erfreute sich deutlich größerer Beliebtheit, doch waren die Glasflaschen schwerer und konnten natürlich leicht zerbrechen. 1966 stellte man deshalb die Verpackung auf Polyethylen um, das unzerbrechlich und merklich leichter ist. Da die Produktionsmenge an Plastflaschen anfänglich den Bedarf nicht decke­n konnte, wurden beide Materialvarianten parallel produziert. Das Nebeneinander verschiedener Verpackungen erschloss sich den Konsumenten nicht. Die Redaktion der populären Zeitschrift „Guter Rat“ beklagte zudem das Fehlen eines Schraubdeckels auf den neuen Flaschen. „Gern würde man den Inhalt umfüllen, doch ist dies leider nicht möglich, da die Plastflaschen keinen Schraubdeckel haben. „Guter Rat“ meint, daß hier die Belange der Hausarbeit nicht genügend bedacht wurden. Was sagen die Verantwortlichen dazu?“2 Die Verantwortlichen antworteten. In derselben Zeitschrift widmete man kurze Zeit später den neuen Plastflaschen einen ganzen Artikel: „Wem nützt neue Verpackung?“3. Mitte der 1960er Jahre war die Verwendung von Plastverpackungen noch ein vergleichsweise neuer Trend. Verschiedene Verpackungen für das Reinigungsmittel „fit“.

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Alles aus Plaste

Schraubdosen aus Duro­plasten waren für Schuhcreme und „Linda Neutral“ – ein Scheuermittel – aber schon länger im Einsatz. Thermoplastverpackungen setzten sich erst seit den

Automatisierte Produktion von Plastflaschen. Die Plastverarbeitungs­ maschine besitzt eine integrierte Abfüllvorrichtung. Katalog „Miravithen“ des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, 1971.

60er Jahren durch. Da die Plastwerkstoffe allerdings teuer waren, mußte der hohe Preis durch andere Vorzüge ausgeglichen werden, etwa die Transparenz der Verpackung. Bei den „fit“-Flaschen kam ein weiterer Vorzug hinzu. Der VEB Fettchemie Karl-MarxStadt besaß eine automatisierte Produktion. Die Plastflaschen wurden in einem Vorgang gespritzt, mit dem Spülmittel befüllt und verschlossen. Der Automat wurde von der einen Seite mit einem Granulat bestückt, von der anderen Seite wurde das Spülmittel zugeführt. Mit diesen Automaten, die der Betrieb aus dem Ausland importierte, ließen sich stündlich 3000 Flaschen herstellen und befüllen. Die bisher verwendeten Glasflaschen waren von anderen Betrieben geliefert worden. Transportkosten, Bruchverluste und der Bedarf an Transportkarton ließen sich durch das neue Verfahren minimieren. Mit einem Eigengewicht von nur 25 Gramm war die Plastflasche gegenüber ihrer Glasvariante, die 500 Gramm wog, eine leichte Alternative. 1967 erfolgte eine Umstrukturierung des Betriebes und die „fit“-Produktion wurde nach Hirschfelde bei Zittau verlegt, wo sie sich im übrigen noch heute befindet. Seit 1984 wurde der Betrieb den Leuna-Werken unterstellt, die auf diese Weise ihrer staatlichen Verpflichtung zur Produktion von Konsumgütern nachkommen konnten. Die Form der Plastflaschen war seit 1967 einem Chemnitzer Wahrzeichen nachempfunden, dem „roten Turm“.

Die Warenwelt und ihre Produzenten

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Verschiedene Plastflaschen. Werkstoff dafür war „Mira­ vithen“ – ein Äthylen-Vinyl­ acetat-Copolymerisator aus Leuna.

Die Plastflasche stellte eine Innovation der Verpackungsmittel in der DDR dar. Die Technologie wurde auch von anderen Betrieben der Leichtchemie übernommen. So lieferte der VEB Laneu in Bad Schmiedeberg sein Feinwaschmittel „laneu“ und das Reinigungsmittel „otroc“ ebenfalls in Plastflaschen. Dennoch blieben hochwertige Verpackungsmittel in der DDR immer eine Mangelware und mit ihrer umfangreichen Verwendung stellte sich ein neues Problem – der Verpackungsmüll.

Innovation. Von der Blechkanne zum Schlauchbeutel Es gibt Dinge, deren Gestaltung und Funktionsweise kann ein Materialwandel nichts an­ haben. Eine Bürste bleibt eine Bürste, ob sie aus Holz und Naturborsten besteht oder einen Polystyrolkörper und Polyamidborsten besitzt. Andere Dinge modifizieren ihre Gestalt, erfordern neue Nutzungsweisen, wenn man sie aus einem anderen Material herstellt. Der Transport, die Aufbewahrung und der Verzehr von Milch sind alltägliche Vorgänge. Milchkanne in traditioneller Form aus Aluminium und mit Holzgriff.

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Alles aus Plaste

Gerade die Aufbewahrung hat sich allerdings stark gewandelt und spiegelt ein sich historisch veränderndes Verhältnis der Menschen zur Nahrung und Nahrungsversorgung wider. Das traditionelle Aufbewahrungsgefäß für Milch war die Milchkanne aus Aluminium.

Unter der Überschrift „formschön, zweckmäßig, farbenfroh – Plastartikel für den Haushalt“ präsen­ tierte die Verbraucherzeit­ schrift „Kultur im Heim“ Neuentwicklungen aus Plaste für den Haushalt. „Kultur im Heim“ 1966, Heft 3.

Die Warenwelt und ihre Produzenten

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Linke Seite Der Weg der Milch. „Jugend und Technik“ 1963, Heft 10. Die Milchkanne der Willibald Böhm KG, Wolkenstein, nimmt die Form der Alumini­ umkannen auf. Gebrauchswarenkatalog Plaste-Erzeugnisse, hrsg. vom Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren des Ministeriums für Handel und Versorgung, Berlin, o. J. (um 1961). Glasflaschen mit Alukappe in einem praktischen Flaschen­ träger aus Polyethylen des VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin.

Bis in die 1960er Jahre ist lose Milch auch in den Städten noch üblich. Erst die „Kaufhalle“ verlangt eine grundsätzlich abgepackte Ware. Milchflaschen aus Glas stellten das Grundnahrungsmittel in portionierter Weise dem Konsumenten zur Verfügung. Flaschen aus Glas waren in der DDR bis in die 80er Jahre gebräuchliches Verpackungsmittel für Milch. Mit der Verbreitung von Kunststoffen entwickelten sich jedoch neue Behältnistypen, die alte Formen aufgriffen, aber auch ganz neue Wege der Formgebung beschritten. Bereits in den 50er Jahren stellte die Willibald Böhm KG im sächsischen Wolkenstein eine Milchkanne aus Polystyrol her. Die Gestaltung der Kanne greift die Formgebung der Aluminiumkannen mit aufgesetztem Deckel und Haltegriff auf. Durch das Polystyrol ist eine moderne Farbgebung in Pastelltönen möglich. Das Material ist leicht zu reinigen und korrosionsbeständig. Allerdings rief die Formgebung Kritik bei den ausgebildeten Form­ gestaltern hervor. Die Nachahmung der traditionellen Metallgestaltung werde dem neuen Material nicht gerecht. In diesem Zusammenhang forderte man immer wieder eine „plastgerechte“ Gestaltung von Konsumgütern. Wenig später, um 1960 entwickelt der Formgestalter Albert Krause an der Hochschule für Formgestaltung Halle Burg Giebichenstein einen Milcheimer aus Polyethylen. Der Rohstoff war Anfang der 60er Jahre Importware und stand nur begrenzt für die Produktion von Konsumgütern zur Verfügung. Der VEB Plastikwerk Berlin stellte aus diesem neuen Material einen ovalen Eimer mit Deckel und rundem Haltegriff bereit. Die Formgebung hatte sich sowohl von der klassischen Kanne als auch der runden Eimerform gelöst. Mitte der 60er Jahre griff der VEB Preßwerk Tambach-Dietharz, spezialisiert auf geblasene Hohlkörper aus Thermoplasten, erneut das Kannenmodell auf. Allerdings hatte sich die neue Milchkanne aus Polyethylen stark von ihrem Metallvorbild entfernt (Abb. auf S. 129). Der konisch sich verjüngende Gefäßkörper, der auf den typischen abgesetzten Gefäßhals verzichtet, wurde in leuchtenden Farben angeboten und trat als modernes Haushaltsprodukt hervor.

Milcheimer aus Polyethylen, VEB Plastikwerk Berlin, 3,50 M.

Milchflaschenverschluss aus dem VEB Plastikwerk Berlin, 0,26 M. Mit dem Verschwinden der Glasflasche, auf deren Ab­ messung die Milchflaschen­ verschlüsse der DDR abge­ stimmt waren, verlor auch der Verschluß seine Funktion.

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Flaschenverschlüsse aus Polyethylen wurden 1962 in der Zeitschrift „Guter Rat“ vorgestellt. „Guter Rat“ 1962, Nr. 659.

Der Siegeszug der Kunststoffe schien besiegelt, als 1967 die Produktion von 1- und 2-Liter-Milchkannen aus Metall eingestellt wurde. Auch die Milchflaschen aus Glas wurden vom Plasteboom tangiert. Flaschenverschlüsse aus Polyethylen ermöglichten seit Anfang der 1960er Jahre die Wiederverschließbarkeit der Flaschen. Aus Polyethylenfolie wurden seit den späten 60er Jahren Milchbeutel hergestellt. Sie ersetzten zwar die Glasflaschen nicht komplett, waren aber eine zunehmend verbreitete Alternativ­e zum Verpackungsglas. Zum Ausgießen der Milch schnitt man am oberen Rand

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Milchtüten wurden in der DDR seit Ende der 60er Jahre aus Polyethylen-Folie her­ gestellt. Der VEB Plastver­ arbeitungswerk Schwerin war alleiniger Hersteller des Milchtütenhalters. Als Mate­ rial kamen Polyethylen und das hochwertige Polypropy­ len zum Einsatz.

der Verpackung eine Ecke ab. Erleichtert wurde das Ausgießen und Aufbewahren der angebrochenen Plastemilchtüten durch die Schlauchbeuteleimer aus Schwerin. Zum 20. Jahrestag der DDR 1969 war die Produktion ausgewählter Konsumgüter zu einer Hauptaufgabe der plastverarbeitenden Industrie erklärt worden. Der VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin übernahm im Rahmen dieser Staatsaufgabe die Bereitstellung eines Behältnisses, das zum Ausgießen von Milch aus Schlauchbeuteln dienen sollte. In drei verschiedenen Varianten wurden die ovalen Behälter, deren Gefäßwandung zu einer Seite diagonal herabgezogen war, produziert. Der Preis betrug 1,90 M. Heute sind die Milchtütenhalter ein kulturelles Artefakt und bereits wieder Geschichte. Verdrängt wurden sie vom Tetrapack, wobei sowohl Glas­ flasche als auch Schlauchbeutel, die aber kein Behältnis zur Stabilisierung mehr benötigen, wieder ein Comeback erleben.

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Freizeit und Campingartikel. Gebrauchswarenkatalog Plaste-Erzeugnisse, hrsg. vom Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren des Ministeriums für Handel und Versorgung, Berlin, o. J. (um 1961).

Packen, Stapeln und Reisen – Campingartikel aus Kunststoff In Küche und Bad verdrängten Kunststoffe traditionelle Materialien, ersetzten und veränderten so Inventar und Erscheinungsbild des häuslichen Lebensbereichs. In dem Maße, wie die Kunststoffe Zeitersparnis und rationellere Arbeitsweisen im Haushalt versprachen, rückte mit ihnen ein anderer Lebensbereich in den Fokus der Aufmerksamkeit der Konsumenten. Das Versprechen einer zeitnahen Konsummoderne widmete sich ausgiebig und durch eine Vielzahl von Produkten der Freizeitgestaltung und dem Urlaub. Die frei zur Verfügung stehende Zeit, die Freizeit (seit 1967 existierte die 5-Tage-Arbeitswoche), diente einerseits zur Erholung von der Arbeit, bot aber zunehmend auch Spielraum für spezifische Aktivitäten, die oft im Freien und jenseits der eigenen vier Wände verlebt wurden. Das Camping erlebte vor allem in der Nachkriegszeit eine große Aufwertung. „Plaste“ schien besonders geeignet, um Accessoires für das Reisen und die Erholung im Freien bereitzustellen. Unzerbrechlich, leicht und schnell zu reinigen – mit diesen Eigenschaften war das Material nahezu konkurrenzlos. Da der Besitz eines Autos noch Ausnahme war, musste das Reise­gepäck ausreichend leicht, möglichst platzsparend und den Belastungen des Freizeit­gebrauchs genügend, entsprechend robust sein.

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Produktkatalog Wilhelm Kimmel KG, 1955/56.

Klein, handlich und prak­ tisch: Klappbecher der Firma Kimmel gehören noch heute zum Sortiment des Unter­ nehmens in Sebnitz. Mit Spiegel betrug der Preis 1,05 M, ohne 80 Pfennig. Trink- und Eierbecher in einem. Der Marktführer von Klappbechern, der VEB Kunststofferzeugnisse Wilthen, stellte Anfang der 1960er Jahre 85 Prozent der Klappbecherproduktion. Der Preis betrug 1,15 M.

Bereits in den 50er Jahren stellte die Wilhelm Kimmel KG aus Polystyrol Teleskopbecher her, zusammenlegbare Trinkgefäße, die aus konzentrisch zusammengesteckten und teleskopartig gegeneinander verschiebbaren Ringen bestehen und ein dem unteren Ring zugeordnetes Bodenteil sowie einen Deckel besitzen. Solche Becher besaßen bereits Vorbilder

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Stapelgeschirr von Hans Merz aus Meladur, Entwurf 1957.

aus Metall und gehen auf das 19. Jahrhundert zurück. Verbreitung fanden sie aber vor allem als platzsparende Reisebecher aus Kunststoff in den 50er und 60er Jahren. Die Firma Kimmel bot den Becher in verschiedenen Varianten, mit fotographischen Urlaubsmotiven oder einem Spiegel auf dem Deckel, an, was seine Nutzung als Souvenir aber auch zur Körper­

Eierbehälter. Gebrauchswarenkatalog Plaste-Erzeugnisse, hrsg. vom Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren des Ministeriums für Handel und Versorgung, Berlin, o. J. (um 1961).

hygiene oder Kosmetik nahelegt. In einer anderen Variante, dem Klappbecher „Tourist“ des Betriebes VEB Kunststofferzeugnisse Wilthen, besaß der Becherdeckel eine runde Vertiefung und ließ eine zusätzliche Nutzung als Eierbecher zu. Die 50er und 60er Jahre zeugen von einer gewissen Kreativität bei der Entwicklung praktischer Kleinigkeiten für den Urlaub. Auch das an der Hochschule für industrielle Formgestaltung in Halle 1957 entwickelte stapelbare Campinggeschirr aus Meladur lässt den Vorrang der Funktionalität und Nützlichkeit bei der Produktentwicklung erkennen. Das Campinggeschirr des Formgestalters Hans Merz zeichnet sich durch ein platzsparendes Design aus. Zwei Tassen, Untertassen, ein Zuckertopf, ein Milchkännchen werden in die zum Service gehörende Kanne für Tee oder Kaffee gestapelt und durch einen Bajonettverschluss transportsicher verschlossen. Der Preis für das Campingservice betrug 7,50 DM. Campingartikel wurden in der DDR zahlreich produziert. Beworben wurden sie vor allem für den Export und erfolgreich ins Ausland abgesetzt. Im Inland scheint dir Versorgung mit Campingartikeln hingegen eher dürftig gewesen zu sein. So ist festzustellen, dass in den musealen Sammlungen speziell für Reise und Camping entwickelte Produkte eher unterrepräsentiert sind. Campingkoffer, die es in der DDR durchaus gab, sind eine absolute Aus-

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nahme, ebenso sogenannte „Camping­ eier“. Hierbei handelt es sich um ein kleines Behältnis in Ei-Form aus zwei Teilen, das zur Aufbewahrung eines einzigen Eies diente. Aus den beiden Kugelhälften, die zusammengeschraubt wurden, lies sich durch Umdrehen und Aufstecken ein Eierbecher zusammen­ setzen. Das Zusammenstecken und Stapeln lag auch der sogenannten „Campingrolle“ zu Grunde. Aus Polyethylen bestand eine Campingrolle. Gebrauchswarenkatalog Plaste-Erzeugnisse, hrsg. vom Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren des Ministeriums für Handel und Versorgung, Berlin, o. J. (um 1961). Ein Produktkatalog aus dem Jahr 1968 zeigt den 5-LiterCampingeimer und seine Funktionsweise. Katalog „Dedaplast PlastKüchenartikel. Wäscheklammern“, hrsg. v. der VVB Plastverarbeitung, Halle 1968.

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Konstruktion ineinander gestapelter Becher, in deren Decke­l sich eine Saftpresse befand. Während solche Kleingarnituren eher entwurfstech­nische Spielereien zu sein scheinen, behauptete der Camping-Eimer des VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin tatsächliche eine zweckmäßige Ausstattung für den Campingurlaub zu bieten und bot zwei Campinggarnituren im Eimer an. In den 5-Liter Campingeimer mit Deckel konnten eine Schüssel und Geschirr aus Meladur gestapelt und eingehängt werden. Verstaut in einem Eimer wurde so ein komplettes Gebrauchsservice für zwei Personen transportierbar. Der Entwurf des Formgestalters Horst Giese verzichtete weistestgehend auf den Duroplast Meladur und setzte ganz auf den neuen Thermoplast Polyethylen. Auch hier diente ein für den Urlaub zweckmäßiger Eimer als Behältnis für ein Geschirrsortiment. In dem 10-Liter-Eimer ließ sich sogar die Geschirrgarnitur für eine vierköpfige Familie unterbringen. Die 1-Liter-Flaschen aus dem raren Thermoplast waren in moderner Extrusionsblastechnik

10-Liter-Campingeimer, Entwurf: Horst Giese. Produktkatalog „Plastika. Camping and householdarticles. Articles de camping et de ménage”. VEB Plast­ verarbeitungswerk Schwerin, 1965.

produziert. Der Deckel diente nicht nur dem sicheren Verschluss, sondern ließ sich als Schüssel zum Abwaschen der Geschirrteile verwenden. Die großzügig geformten Henkel der Tassen ermöglichten das Einhängen am Eimerrand und die Eierbecher ließen sich zu Transportbehältern umfunktionieren.

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Haushaltstechnisierung durch „Plaste“ – Küchenmaschinen Die Befreiung von der lästigen und zeitintensiven Hausarbeit war das Versprechen der elektrischen Haushaltsgeräte in den 1960er und 1970er Jahren. Von Anfang an waren elektrische Küchengeräte mit dem symbolischen Wert der Modernität aufgeladen. Sie setzten sich als Massenprodukte der Konsumgesellschaft durch und wurden in allen gesellschaftlichen Schichten als selbstverständlicher Bestandteil des täglichen Lebens betrachtet. Die Universalküchenmaschine war das Multifunktionsgerät der Küche und gehörte in den 1960er Jahren zu den großen Kaufvorhaben junger Ehepaare, setzte aufgrund ihres hohen Preises allerdings einen gut abgewogenen Kaufentschluss voraus. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen lag 1960 in Arbeiter- und Angestelltenfamilien noch bei durchschnittlich 890 DM und stieg bis 1970 auf 1326 DM.4 Eine Küchenmaschine Imme des VEB Döbelner Beschläge und Metallwaren, die 580 DM kostete, war daher noch nicht für jeden finanziell erschwinglich. In einem Werksentwurf entstand 1956 im VEB Elektrogerätewerk Suhl die „Küchenmaschine Komet“ (KM). Sie bestand aus einem Grundgerät mit Motor und Glasrührschüssel sowie Knet- und Rührhaken. Zusätzlich ließen sich ein Fleischwolf, ein Reibe-

Handrührgerät Unimix Junior mit Kunststoffgehäuse, Kurt Rönsch KG Dresden, 1966.

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Küchenmaschine KM 8, VEB Elektrogerätewerk Suhl.

und Schnitzelgerät, eine Schlagwerkmühle, eine Fruchpresse sowie ein Mixer anschließen. Das Gerät war aus massivem Metall (Gußeisen) gefertigt und besaß diverse Glaskomponenten und war mit seinen gut 19 Kilogramm inklusive aller Zusatzgeräte ein regelrechtes technisches Monstrum. So stellte sich für die „Komet“ wie die anderen in den 1950er Jahren entwickelten Küchenmaschine die Frage, wo man sie in der eigenen Küche belassen sollte. Aufgrund des Eigengewichts allein des Grundgerätes von etwa 6,5 Kilogramm kam das Verstauen im Schrank im Grunde nicht in Frage, da das Ein- und Ausräumen zu beschwerlich war. Man beließ sie bevorzugter Weise an ihrem festen Platz. Mängel beim Gebrauch, etwa beim Schnitzelgerät oder dem Rührgerät, waren ein weiteres Problem. Mit der KM 6, die 1963 auf der Leipziger Messe präsentiert wurde und ebenfalls aus Suhl stammte, kam eine grundsätzlich überarbeitete Variante der „Komet“ auf den Markt. Weiterhin hielt man am Baukastensystem fest. Durch die Verwendung von Plastwerkstoffen gelang jedoch eine Gewichtsreduzierung auf nur noch 4,2 Kilogramm. Gestaltet wurde das neue Modell aus Kunststoff an der Hochschule für bildende und angewandte Künste, Berlin, durch Leo Beilfuß und Wilfried Klemmt. Der Entwurf wurde auf der Leipziger Frühjahrsmesse mit einer Goldmedaille prämiert. Die Plastanwendung betraf nicht nur das Gerätegehäuse, auch die Rührschüssel aus Glas wurde durch Kunststoff ersetzt. Nicht zuletzt waren es auch die vielen kleinen Kunststoffteile, die die Maschine deutlich anwendunsfreundlicher und leichter machten. In den 1960er Jahren folgten eine Reihe von Weiterentwicklungen: Die KM 7 besaß eine erleichterte Schaltautomatik und leichtere Metallteile aus einem rostfreien Stahl. Mit der KM 8, die 1968 in Kooperation mit der RATIO-Küchenmöbel-Produktlinie zum 20. Jahrestag der DDR 1969 an der Kunsthochschule Weißensee entwickelt wurde, war die Entwicklung von Küchenmaschinen in der DDR zunächst abgeschlossen. Erst 1986 brachte der VEB Elektromechanik Berlin-Kaulsdorf die „Berlinett electronic“, eine Kompaktküchen­

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maschine, heraus. Nicht nur die hohen Anschaffungspreise – mit allen Zusatzgeräten kostete die KM 8 noch immer 261 Mark – sondern auch die Komponentenvielfalt, die Gebrauch und Reinigung des Gerätes zu einem zeitaufwendigen Unterfangen werden ließen, verschoben das Interesse der Verbraucher zu den weniger funktionsvielfältigen, aber in Gebrauch und Wartung leichteren Handrührgeräten. Das Institut für Marktforschung konnte 1981 zeigen, dass sich bereits im Laufe der 1960er Jahre die Warenbereitstellung aufgrund der gewandelten Konsumentennachfrage zu Gunsten der handlichen Handrühr- und Mixgeräte verschoben hatte. Lag der Anteil im Handel verfügbarer Küchenmaschinen gegenüber den Handmixern 1960 noch bei 90,5 %, betrug er 1970 nur noch 31,2 %.5 Mit verschiedenen Aufsätzen wie Schneidstab, Mixaufsatz und Schlagbecher ersetzten die handlichen Geräte zunehmend die Küchenmaschinen. Zudem ließen sie sich problemlos im Küchenschrank verstauen. Die Plastifizierung der Gehäuse führte nicht nur zu einer Gewichtsreduzierung der Geräte und damit einem erleichterten Gebrauch, sie trug auch dazu bei, dass der Herstellungspreis sank und ein größerer Teil der Bevölkerung elektrische Geräte im Haushalt verwenden konnte. Auch andere Geräte wurden vom umfassenden Plasteinsatz erfasst: Dazu gehörten Bügeleisen, Staubsauger, Kühlschränke, Waschmaschinen, Fernseher und Radiogeräte. Während bei Hausrat und Geschirr alternative Materialien wie Porzellan und Glas ständig Konkurrenz für die Plastartikel blieben, vollzog sich der Materialwandel bei den Geräten selbstverständlicher und umfassender.

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Unmittelbar nach der Ver­ staatlichung lag noch kein neues Prospektmaterial des Betriebes vor. Der Firmen­ name wurde durchgestri­ chen und der neue Name, VEB Kleinstgeräte Seligen­ thal, darüber gestempelt. Produktkatalog der thürin­ gischen Firma Scherschmidt & Wolff, 1972.

Pressen und Spritzen. Die Betriebe

In der DDR produzierten über 800 plastverarbeitende Betriebe Artikel für Industrie und den Konsum. Abteilungen für Plastverarbeitung befanden sich außerdem in großen Betrieben und Kombinaten, die elektrotechnische Geräte wie Staubsauger, Radiogeräte oder Küchen­ geräte herstellten und auch die kunststofferzeugenden Kombinate im Chemiedreieck stellten im Rahmen der sogenannten Konsumgüterproduktion Gebrauchsartikel aus Kunststoff her. Der Alltag und bisweilen auch das Schicksal der plastverarbeitenden Betriebe war durch wirtschaftspolitische Entscheidungen und die planwirtschaftlichen Strukturen bestimmt.

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Herstellersignets plastverarbeitender Betriebe der DDR. „Der Fachberater Haushaltwaren“ 1967, Heft 3 und Heft 4.

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Ein Großteil unter ihnen war bis zur Enteignung 1972 privat oder halbstaatlich. Während in der Nachkriegszeit noch relativ geringer staatlicher Einfluß auf das Sortiment von kleinen privaten Betriebe bestand, wurden sie Anfang der 1960er Jahre und in den 1970er und 1980er Jahren zunehmend in das System der Planwirtschaft einbezogen. Bereits in den 1950er Jahren war eine Reihe von Betrieben zur Aufnahme staatlicher Beteiligung bewegt worden, mit dem positiven Effekt, dass mittels staatlicher Kredite neue Maschinen angeschafft und das Produktionssortiment deutlich erweitert werden konnte. Zugleich wuchs aber auch die staatliche Einflußnahme. 1972 kam es dann überraschend zu einer Verstaat­ lichungswelle privater und halbstaatlicher Betriebe und der vollen Integration in das zentral geleitete planwirtschaftliche System der DDR. Während das Sortiment sich in der Regel kaum änderte, verloren die Betriebe aber einen wesentlichen Teil ihrer Identität. Der Fami­ lienname verschwand aus dem Firmensignet und als volkseigener Betrieb oder Betriebsteil eines größeren Werks oder Kombinates wurde der staatliche Zugriff spürbarer. Für einige Unternehmer bedeutete dieser Verlust des eigenen Betriebes einen schmerzvollen biographischen Bruch. Einige zogen sich zurück, andere wurden aus dem Betrieb gedrängt und wieder andere übernahmen weiter führende Funktionen als nun abEhemalige Pressereihalle des größten plastverarbeitenden Betriebes der DDR in Otten­ dorf-Okrilla, 2010.

hängig beschäftigte Werks- oder Produktionsleiter. Unter den plastverarbeitenden Betrieben der DDR fanden sich auch solche, die direkt nach dem Krieg Staatseigentum wurden bzw. in den 1950er und 1960er Jahren als volkseigene Neugründungen entstanden. Nach dem Chemieprogramm, das große Investitionen auch in die plastverarbeitende Industrie vorsah, entstanden in strukturschwachen Regionen im Norden der DDR oder politisch bedeutsamen Regionen wie dem brandenburgischen Grenzgebiet zu Westberlin neue Plastbetriebe, die zu modernen Produk­tionsbetrieben mit hohem Automatisierungsgrad und Herstellu­ngsvolumen aufgebaut wurden – wie der VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin und der VEB Plastverarbeitungswerk Staaken. Mit über 800 plastverarbeitenden Betrieben erwies sich der Industriezweig als unübersichtlich und schwer kontrollierbar. Seine Strukturierung spiegelt die unterschiedlichen politischen und ökonomischen Organisationsstrategien der DDR im Laufe der vier Jahrzehnte wider. Eine große Zahl der Betriebe unterstand der örtlichen Industrie und damit den jewei­ ligen Bezirkswirtschaftsräten. Eine deutlich kleinere, aber ihrer Produktion nach gewichtige Gruppe von volkseigenen Betrieben wurde seit 1958 in sogenannten Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) zusammengefass­t, die Bestandteil eines zentralen Leitungssystems

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Blick in die Presserei der ehemaligen Walter Kreutz KG, Neugersdorf, 2010.

der DDR waren. Die VVB Plastverarbeitung, die ihren Sitz in Halle an der Saale hatte, sollte eine effektive Lenkung des Industriezweiges gewährleisten, die Produktionskapazitäten in den Betrieben erfassen und deren Auslastung garantieren. Sie hatte den Prioritäten des industriellen Bedarfs entsprechend Investitionsmittel, Material und Formwerkzeuge zu verteilen und Einfluss auf das Sortiment zu nehmen. Als sogenanntes Bilanzorgan hatte die VVB den Bedarf an Plasterzeugnissen zu ermitteln, die Jahresproduktion zu planen und die Plan­ umsetzung zu überwachen. Die Betriebe waren auf örtlicher Ebene sowie zentraler Ebene von den übergeordneten Wirtschaftsorganen stark abhängig. Die Materialzuteilung von Plastrohstoffen, auf die die verarbeitenden Betriebe zur Sicherung ihrer Produktion angewiesen waren, wurde über ein Bezugssystem abge­wickelt. Plastmaterial aus der Eigenproduktion der DDR sowie Importen wurde seit 1959 über die Plastlenkstelle vergeben. Die Materialausgabe wurde abhängig ge-

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macht von dem geplanten Produktionssortiment und dem plastgerechten Einsatz des Materials. Bestanden Zweifel an der bedarfsgerechten Produktion eines Betriebes, konnte die Genehmigung zur Materialversorgung entzogen werden und der Betrieb war gezwungen, seine Planung zu korrigieren oder andere Rohstoffreserven zu akquirieren. Hier wird deutlich, wie stark der staatliche Einfluß auf die Betriebe und das, was sie produzierten, war. Die Frage der Materialbeschaffung gehörte für die Betriebe immer zum zentralen und problematischen Eckpunkt der Planerfüllung und führte bisweilen zu eigenwilligen und unorthodoxen Beschaffungsinitiativen. Die kontingentierte Materialzuteilung zählte somit zu einem wirksamen Instrumenta­ rium der staatlichen Einflussnahme auf die plastverarbeitenden Betriebe. Seit 1967 stellte auch die sogenannte Erzeugnisgruppenarbeit ein solches Instrument dar. Mit dem Ziel, Produktionsbetriebe, die ähnliche Erzeugnisse herstellten, in einen Austausch miteinander zu bringen, richtete man Erzeugnisgruppen ein. In der Plastverarbeitung waren sie nach folgenden Haupterzeugnisgebieten strukturiert: Schichtpressstoffe und Polyesterhalbzeuge, Plastfertigerzeugnisse für die Industrie, Plasthaushaltwaren, Automatisierungsgeräte und Elektrotechnik. Kennzeichnend für diese Form der überbetrieblichen Zusammenarbeit war, dass nicht nur volkseigene Betriebe, sondern auch private und halbstaatliche Betriebe in die Kooperation mit einbezogen wurden. Formal beruhte der Zusammenschluss auf Freiwilligkeit und wurde vertraglich besiegelt, de facto aber stellten die Erzeugnisgruppen ein Kontrollinstrument dar. Vorrangiges Ziel war die Abstimmung des Produktionssortiments sowie dessen Konzentration und Spezialisierung. Das schloss ein, dass perspektivische Entwicklungen von Technologien und Sortiment, die Abstimmung von Investitionsmaßnahmen, die Entwicklung einer gemeinsamen Materialversorgung, einer gemeinsamen Plan-Bilanzierung, die auch den Export einschloss, sowie Fragen der Berufsausbildung, Arbeitskraft­ lenkung und Preisbildung zum Gegenstand der Zusammenarbeit wurden. Als zentrales Ziel galt besonders die Vermeidung von Dopplungen im Sortiment. Faktisch war die Erzeugnisgruppe damit ein staatliches Kontrollinstrument der betrieblichen Produktion: Sie diskutierte, prüfte und lehnte im Zweifelsfall vorgeschlagene Produktneuentwürfe der Betriebe ab. In den 1970er und 1980er Jahren führte die wirtschaftspolitische Strategie in der DDR zur verstärkten Zentralisierung. Die Verstaatlichungspraxis hatte der Unabhängigkeit privater Betriebe ein Ende gesetzt, sie wurden nun größeren volkseigenen Betrieben oder Kombinaten zugeordnet. Die größten Plastverarbeitungsbetriebe wurden 1979 im zentralgeleiteten Kombinat Plast- und Elastverarbeitung zusammengefasst. Große und wirtschaftlich erfolgreiche Privatbetriebe wie die Firma Willibald Böhm aus Wolkenstein und die Wilhelm Kimme­l KG aus Sebnitz erhielten nach ihrer Umwandlung in volkseigene Betriebe sogar den Status von Kombinats-Stammbetrieben. Ebenso aber wurden Betriebe zusammengelegt, deren Produktionsprofil und technische Ausstattung sehr unterschiedlich waren, was die Effektivität der Produktion und das Wirtschaften erschwerte. Das Ende der DDR war durch ein Nebeneinander von sehr modernen, hoch automatisierten Betrieben und solchen, deren Maschinenpar­k, Sortiment und Werkszustand stark verschlissen und veraltet war, gekennzeichnet. Die Wiedervereinigung bedeutete für viele plastverarbeitende Betriebe daher das Aus. Produktionstechnologien waren schlichtweg nicht konkurrenzfähig und das Sortiment

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Noch immer in Benutzung: Betriebsgebäude der Meta­ plast GmbH in Quedlinburg, 2010.

nicht mehr gefragt. Einigen gelang jedoch der Neustart – vor allem den verstaatlichten Privatbetrieben, die zum Teil zurück in die Hände der Familien fielen und jenen, für die Interesse von Seiten westlicher Investoren bestand. Andere Betriebe sind von der Bildfläche verschwunden oder zeugen als Industrieruinen von einer einst entwickelten Produktion. Die Recherche zu den hier versammelten Geschichten plastverarbeitender Betriebe in der DDR glich bisweilen einer Detektivarbeit. In den Staats- und Landesarchiven fanden sich wenig verwertbare Informationen. Erst mit der Hilfe von Heimatvereinen, lokalen Museen und auskunftsfähigen Ortsverwaltungen war es möglich, ehemalige Mitarbeiter, Betriebs­ leiter und Firmenbesitzer zu finden. Die Zeitzeugen gaben nicht nur Auskunft über die Geschichte ihres Betriebes, sie verfügten auch über Fotos, Kataloge und Betriebschroniken. In einigen Fällen war es möglich, Nachfolgeunternehmen der ehemaligen DDR-Betriebe zu ermitteln. Neben gut sortierten Firmenarchiven gab es häufig auch die Auskunft, dass kein Material zur Betriebsgeschichte mehr vorhanden sei. Vor Ort zeigte sich ein recht unterschiedliches Bild: Einige Unternehmen saßen noch auf dem alten Betriebsgelände, andere hatten ihre Arbeit in neuen Räumlichkeiten, zum Teil auch an anderen Standorten fort­ gesetzt. Von einigen war nur noch eine Rasenfläche oder Industrieruine übrig geblieben. Die folgenden Kurzkapitel stellen die Geschichte der Plastverarbeitung in der DDR anhand ihrer Betriebe und Alltagsprodukte dar. Einige rücken dabei einzelne bekannte und verbreitete Produkte des DDR-Alltags in den Vordergrund und erzählen die Geschichte hinter diesen Dingen. Andere gehen der durch politische Veränderungen geprägten, zum Teil sehr wechselvollen Geschichte einzelner Betriebe nach. Dabei werden Brüche und Hintergründe einer materiellen Alltagswelt erkennbar, die sich im alltäglichen Umgang mit den Dingen nicht unmittelbar erschließen, sondern erst durch eine Spurensuche rekonstruiert werden müssen.

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Sprelacart-Muster eines Blumentischs.

Sprelacart aus Spremberg Sprelacart. Das Material weckt in der DDR Erinnerungen: An spiegelglatte und hitzebestän­ dige Tischplatten, auf die man auch mal Zigarettenglut fallen lassen kann, ohne dass ein Brandfleck zurückbleibt, an Kücheneinrichtungen in Alt-, aber vor allem Neubauwohnungen, an die Waggonverkleidung der Züge in holzimitierendem Dekor und die zahlreichen beschichteten Schrankwände. Sprelacart war überall – in jedem Büro, jeder Kantine, in jeder Kneipe, auf jedem Polizeirevier und auch beim Abschied im „Tränenpalast“, wenn man die DDR als Ausreisender für immer verließ. Aber was verbarg sich hinter dem allgegen­wärtigen Sprelacart aus dem VEB Sprela-Werke Spremberg?

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Die Römmler AG und Resopal Bereits 1930 hatte die Herrmann Römmler AG in Spremberg ein Patent für Aminoplaste beantragt, die als Klebe- und Tränkungsmittel für die Herstellung von geschichteten Materialien Verwendung finden sollten. Im selben Jahr wurde das Warenzeichen „Resopal“ eingetragen – eine Zusammensetzung aus „Resina“, dem lateinischen Ausdruck für Harz und dem an den geschliffenen Glanz von Edelsteinen erinnernden „Opal“. Hinter dem Markennamen verbarg sich ein Schichtpressstoff, der aus mit Harz imprägnierten Papierbahnen gefertigt wurde, die mit hoher Hitze und unter hohem Druck verpresst wurden. Die Römmler-Werke in Spremberg waren ein Unternehmen, das im späten 19. Jahrhundert Textilabfälle aus der Bekleidungsindustrie aufbereitete, die zur Herstellung von Kunstblumen wiederverwendet wurden. Römmler zeigte allerdings schon früh Interesse für die Herstellung plastischer Massen und sein Sohn regte nach der Produktion von Baumwollflocks als Füllstoff für Schellackplatten auch die Erweiterung des Sortiments um Pressmasseartikel für die Elektroindustrie an. Zunächst auf Naturharzbasis im Kaltpressverfahren hergestellt, richtete sich das Augenmerk seit der bahnbrechenden Entdeckung des HitzeDruck-Verfahrens zur Herstellung von Bakelit durch Leo Hendrik Baekeland auf die Kunststoffherstellung. Seit 1919 besaß die Römmler AG ein Mitnutzungsrecht an diesem Patent von Baekeland. Mit dem Patent für Resopal, das der Römmler AG 1935 rückwirkend erteilt wurde, zeigten sich völlig neue Nutzungsmöglichkeiten für Kunststoffe. Im Gegensatz zu Bakelit ließ sich Melaminharz einfärben und ermöglichte ein umfangreiches Farbspektrum für Kunststoffartikel. Vor allem die Verwendung von Kunststoff als Beschichtungsmaterial in der Möbelindustrie wurde intensiv erforscht, setzte sich allerdings erst in den 1950er Jahren durch. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Römmler-Werke einer umfangreichen Demontage durch die sowjetische Besatzungsmacht unterzogen und das Patent sowie eine Reihe führender Mitarbeiter der Römmler-Werke verließen Spremberg in Richtung Westen. Im hessischen Groß-Umstadt bauten sie in der Abteilung Isolierstoffe des Konzerns Brown, Boveri & Cie. (BBC) ein neues Unternehmen auf, das unter dem Markennamen „Resopal“ die Einbauküchen in der Bundesrepublik der 1950er Jahre prägte.

Vom Melacart zum Sprelacart Vier ehemalige Mitarbeiter, die in Spremberg geblieben waren, erhielten von sowjetischen Offizieren, die die Demontage des Betriebes beaufsichtigten, die Erlaubnis, Pressen, die sehr stark beschädig waren, käuflich zu erwerben. Damit war der Grundstein für den Wiederaufbau eines Plastwerkes gelegt. Bereits 1948 meldeten die Deutsche Wirtschaftskommission und das Ministerium für Wirtschaftsplanung der DDR den dringenden Bedarf an dekora­tiven Schichtpreßstoffplatten an. Dazu mußten eine patentfreie Rezeptur entwickelt (das Patent für Resopal lag beim Konzern BBC in Hessen) und in großem Maße Investitions­ mittel zur Verfügung gestellt werden. Zunächst als „Melacart“, bekannter allerdings unter

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Innenverkleidung eines Schiffes aus Sprelacart Plaste. Werkstoffe moderner Technik, Berlin 1960.

Seit 1971 gehörte der Betrieb zur VVB Plast- und Elast­ verarbeitung und warb unter dem Warenzeichen Pneumant. Werbeanzeige, „Kultur im Heim“ 1977, Heft 2.

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der späteren Marke „Sprelacart“ wurden seither Schichtpreßstoffe in Spremberg produziert. Als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Schichtpreßstoffen dienten dabei mit Kunstharz imprägnierte Papiere oder Gewebebahnen. Diese Bahnen wurden zu Formaten zugeschnitten und entsprechend der geforderten Stärke des Erzeugnisses übereinander gestapelt und unter erheblichem Druck und Temperaturen bis zu 160° in Etagenpressen ausgehärtet. Bei oberflächenveredelten Schichtpreßstoffen war die Deckschicht entweder eine PVC-Folie oder ein mit Melaminharz getränkter Dekorbogen. „Sprelacart“ (Spremberg, Laminat, Carton) wurde in der DDR in Massen produziert, im Inland und Ausland abgesetzt und findet sich daher auch in den meisten Ländern des Ostblocks wieder.

Seit 1971 gehörte der Betrieb zur VVB Plast- und Elast­ verarbeitung und warb unter dem Warenzeichen Pneumant. Werbeanzeige, „Kultur im Heim“ 1977, Heft 2.

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Eine Brotdose aus PVC – Adalbert Reif KG, Dresden Wer in der DDR in den 1950er Jahren eine Brotdose aus Plast erwerben wollte, hatte eine überschaubare Auswahl. Zwei Hersteller fabrizierten sie: Der Kunststoffgroßbetrieb VEB Eilenburger Celluloidwerk und der winzige Familienbetrieb Adalbert Reif in Dresden. Beide Behältnisse, die ganz klassisch aus einer Schale mit Deckel bestanden, imitierten die Form einer Brotscheibe und hatten ihre Vorbilder in Brotdosen aus Aluminium. Wirft man einen Blick auf die Rückseite der Produkte der Adalbert Reif KG in Dresden, sie bot zwei Größen an, entdeckt man zwei (erhabene) Schriftzüge. Eine besitzt den Namen „Adarei“, geschrieben in Sütterlin, die andere heißt „Heidi“. Was sich hinter den Brotdosen, die mit den genannten Namen auch beworben wurden und geläufige Marken waren, verbarg, dürfte den Käufern und Besitzern nicht gegenwärtig gewesen sein. Die zwei Brotdosen erzählen eine Geschichte, die eng mit der Teilung Deutschlands verbunden ist. 1900 gründete Adalbert Reif in Dresden eine Buchdruckerei. Sein Sohn, mit gleichem Namen, übernahm 1935 den Betrieb von seinem Vater. Druckerzeugnisse, Kästen für Formulare und andere Der Firmengründer Adalbert Reif mit der Brotdose „Heidi“, undatiert.

Büroartikel gehörten zum Sortiment des Familienbetriebes. Nach dem Krieg musste die Familie quasi von vorne beginnen, zunächst mit Nähschatullen, Briefmappen, Bilderbüchern und Weihnachtssternen. Man blieb dem Buchdruck treu, bis 1950 von einem Tag auf den anderen dem Betrieb die Bilderbuchproduktion entzogen wurde. 1951 begann die Umorientierung. In Halle besuchte Reif einen Weiterbildungskurs für Kunststoffe. Vom Buchdrucker zum Kunststoffverarbeiter vollzieht sich nun ein rascher

Brotdose mit dem Schriftzug auf der Bodenunterseite.

Wandel. Mit einer Brotbüchse aus PVC gelingt dem Geschäftsmann Adalbert Reif ein Coup.

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Brotdose und Formwerkzeug der Adalbert Reif KG, Dresden. Foto undatiert.

Der Familiengeschichte nach ging die nach der Tochter Heidi benannte Brotbüchse auf deren beharrlichen Wunsch nach einer Schulbrot-Tüte zurück. Wenn schon Plastik, warum dann nicht eine Brotbüchse aus PVC? Die erste Folie wurde mit ungedeckten Schecks bezahlt, die ein Freund der Familie im Schreibtisch aufbewahrte, bis Adalbert Reif sie decken konnte. Werkzeuge, Formen, Maschinen waren selbst gebastelt. 1,05 DM kostete so eine „Heidi“-Brotdose aus Hart-PVC. Als technische Innovation führte der Autodidakt Adalbert Reif, der sich zu der Zeit auf Westreisen noch Anregungen holen konnte, 1955 in der DDR

Der Katalog verweist auf Material und Preis der Brot­ dose der Adalbert Reif KG, Dresden. Gebrauchswarenkatalog Plaste-Erzeugnisse, hrsg. vom Zentralen Warenkontor für Haushaltwaren des Ministeriums für Handel und Versorgung, Berlin, o. J. (um 1961).

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Messestand der Adalbert Reif KG. Foto undatiert.

das Vakuum-Tiefziehverfahren ein. Das Sortiment an PVC-Artikeln wurde daraufhin noch einmal enorm erweitert. 1960 beging der Betrieb sein 60jähriges Jubiläum mit 45 Mitarbeitern. Wie viele kleine Unternehmer wurde Adalbert Reif mit der Aufforderung konfrontiert, staatliche Beteiligung aufzunehmen. Erste Über­legungen, die DDR zu verlassen, entstanden. Weniger als einen Monat vor dem Mauerbau verließ die Familie Reif die DDR und damit das in den 15 Jahren nach dem Krieg mühsam wieder aufgebaute Familienunternehmen, um in der BRD nun wieder ganz von vorne anzufangen. Mit Erfolg. Und die Familie blieb dem Kunststoff verbunden. Bis heute werden in der Adalbert Reif GmbH in der Nähe von Hambung Prospekt­hüllen aus Kunststoff gefertigt. Die DDR übernahm von der

Nach der Verstaatlichung verweist nichts mehr auf die Adalbert Reif KG. Der VEB Novopack Dresden behält die Brotdose aber im Sortiment.

Familie Reif ein florierendes Unternehmen. Überraschender Weise ging es nicht sofort in staat­lichen Besitz über, sondern wurde als

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Kommanditgesellschaft weitergeführt. Name und Produktionsprofil wurden beibehalten. Noch immer verkaufte man Dosen mit dem Name­n „Heidi“. Dass Ingrid-Heidi Reif zu diesem Zeitpunkt bereits in Hamburg lebte, die DDR verlassen hatte, interessierte den Handel der DDR nicht, und Konsumenten konnten nicht ahnen, dass „Adarei“ und „Heidi“ auf sogenannten „Republikflüchtige“ verwiesen. Eine Änderung der Marke war für den Betrieb nicht möglich, da man bei einer solchen Veränderung die Preßwerkzeuge hätte verändern müssen, was schlichtweg zu kostspielig war. „Für die Zukunft ist eine Löschung des Warenzeichens vorgesehen“, erklärt man bei der Verstaatlichung 1972. „Die Prägungen werden nach Entwicklung neuer Warenzeichen verändert“.6 Das geschah auch, als der Betrieb in den 1970er und 1980er Jahren als VEB Novopack Dresden die Entwürfe der Familie Reif weiter herstellte.

Bonbondose, Tablett und Besteckkästen der Adalbert Reif KG aus PVC.

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„Kimmels Zahnbude“. Die Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz Die Wilhelm Kimmel KG im sächsischen Sebnitz war der größte private Betrieb der plast­ verarbeitenden Industrie der DDR. Im Unterschied zu anderen Plastverarbeitern begann er nicht mit dem Pressen von Bakelit und Meladur, sondern spezialisierte sich von Anfang an auf das Spritzgießen von thermoplastischen Kunststoffen. Er stellte Haushaltsartikel aus Polystyro­l, Polyethylen und Polyamid her, Sektstopfen und als alleiniger Hersteller Trinkröhrchen aus PVC und Polypropylen. Als weiteres Standbein entstand eine Abteilung zur Wiederaufbereitung von Polyamid, das in einer eigenen Abteilung eingefärbt und in der DDR sowie im Ausland vertrieben wurde. Der Firmengründer und gelernte Bankkaufmann Wilhelm Kimmel interessierte sich anfangs vor allem für Kunststoffzähne und tat sich Ende der 1940er Jahre mit einem Zahnarzt zusammen. Gemeinsam bauten beide einen Plastverarbeitungsbetrieb in Bad Schandau auf – Zähne wurden dort jedoch nie produziert. „Kimmels Zahnbude“ blieb trotzdem noch lange der inoffizielle Name des Unternehmens, das Kimmel 1952 mit 3 Spritzgussmaschinen und 18 Mitarbeitern in Sebnitz gründete. Nach nur Der Firmengründer Wilhelm Kimmel bei einer Ansprache im Betrieb. Foto undatiert. Produktkatalog der Wilhem Kimmel KG, 1964.

sieben Jahren verfügte der Betrieb über 600 Mitarbeiter und Anfang der 1970er Jahre über 220 Spritzgussmaschinen. Die staatliche Beteilungen durch die Staatsbank Dresden und später den VEB Chemische Werke Buna wußte der Unternehmer Kimmel sich zunutze zu machen: Mit Hilfe von Krediten baute er eine der größten Spritzgießabteilungen der plastverarbeitenden Industrie auf. Ein Großteil des Maschinenparks waren Spritzgießautomaten der westdeutschen Firma Maurer.

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Die Devise des Unternehmens ist das möglichst unabhängige ökonomische Agieren: Nicht nur Formwerkzeuge wurden seit 1953 im firmeneigenen Werkzeugbau selbst angefertigt. Da die industriellen Großbetriebe der DDR die benötigte Farbenvielfalt nicht gewährleiste­n konnten und auch keine Ein­ färbungen in kleinen Mengen vornahmen, baute die Firma Kimmel 1954 einen eigene Färberei auf. Während zunächst nur für den bedarf eingefärbt wurde, konnte nach Eigen­ einem Jahr bereits für fremde Abnehmer, vornehmlich kleine Betriebe, eingefärbt werden. Erschwerte Bedingungen in der Polyamid-Abteilung. Aus Platzmangel stapeln sich die Textilreste. Foto undatiert.

Auch

der

Aufbau

einer

Abteilung

zur

Wiederauf­bereitung von Polyamid-Abfällen entstand aus der Not: Weil an Rohstoff­en noto­ rischer Mangel herrschte, versuchte der Betrieb aus textilen Abfällen, in erster Linie Damenstrüpfe­n aus Premnitz, Polyamidgranulat zur Wiederverarbeitung im Spritzguß zu gewinnen. Auch hier wurde aus der Materialbeschaffung für die eigene Produktion ein

Linke Seite Blick in das Formwerkzeug­ lager der Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz. Foto undatiert. Extrusionsabteilung der Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz. Hier wird das Granulat ge­ wonnen. Ein Großteil der Maschinen wurde im Betrieb selbst entwickelt. Foto undatiert.

Spritzgußabteilung der Wilhelm Kimmel KG, Sebnitz: 1953 mit 13, 1971 mit 220 Spritz­ gußautomaten. Foto undatiert.

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Nachbearbeitung, Kontrolle und Verpackung sind häufig Frauenarbeit. Foto undatiert.

Eine Mitarbeiterin der Wilhelm Kimmel KG im Farblabor. Foto undatiert. Beschwerliche Arbeit in der Rohstoffmischerei. Foto undatiert.

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Werbeanzeige aus dem Jahr 1962. Gut sichtbar Produkte aus dem Sortiment und das Firmensignet – ein leicht gekipptes „K“ mit Punkt, das durch die schräge Unter­ schrift des Firmengründers inspiriert war. „Das Magazin“ 1962, Heft 10.

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neue­s Standbein des Unternehmens aufgebaut: Nicht nur in der DDR, sondern auch in die Bundesrepublik, Österreich, Belgien und Frankreich wurde das regranulierte Polyamid verkauft. Das erste Produkt des Unternehmens war die Tubenschulter. Da noch die Technologie fehlte, Tuben aus einem Stück zu fertigen, benötigte man ein separates Schulterstück mit Gewinde. Es folgten eine große Anzahl von Haushaltsartikeln aus Polystyrol und Polyamid. Mit 55 Millionen Sektstopfen jährlich und Joghurtbechern für die jugoslawische Milchwirtschaft übernahm der Betrieb Großaufträge, für die eigene Abteilungen eingerichtet wurde­n. 1972 wurde der Betrieb mit einer Größe von 620 Mitarbeitern und einem erzielten Umsatz von 36 Millionen Mark enteignet und in Volkseigentum umgewandelt. Unter dem Namen VEB Kunststoffverarbeitungsindustrie Sebnitz, seit 1981 als Stammbetrieb des Kombinats Plastik, produzierte er bis zur Auflösung des Kombinats im Jahre 1990. Der offizielle Reprivatisierungstermin der Wilhelm Kimmel KG war der 1.1.1992. Der Betrieb produziert noch heute unter dem Namen Wilhelm Kimmel GmbH & Co KG. Geschäftsführe­r war bis 2011 der Sohn des Firmengründers, Lutz Kimmel.

Anzeige in der Fachzeitschrift „Plaste und Kautschuk“ aus dem Jahr 1968, Heft 2. Beworben werden hier nicht die Fertigerzeugnisse, son­ dern die beiden weiteren Standbeine der Wilhelm Kimmel KG: das Einfärben von Kunststoffen und die Wiederaufbereitung von Polyamidabfällen.

Die berühmte Tubenschulter. Das erste Produkt der Firma Kimmel ist aus PVC. Produktkatalog Wilhelm Kimmel KG, 1956.

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Nicht nur WC-Sitze – VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla Schwarze WC-Sitze aus Phenolharz, bunte aus Polystyrol, dreitürige Badezimmer- und Spiegelschränke, Ablagen, Seifenhalter und Badezimmerleuchten. Der VEB Preßwerk OttendorfOkrilla in der Nähe von Dresden versorgte die DDR vor allem mit Sanitärerzeugnissen und Zubehör fürs Badezimmer. In Ottendorf-Okrilla befand sich der größte Plastverarbeitungsbetrieb der DDR. Mit über 2700 Mitarbeitern und im Vergleich zu anderen Betrieben der DDR modernster Technik wurden hier Industrie- und Haushaltserzeugnisse für den Weltmarkt produziert. Der bereits 1946 verstaatlichte Betrieb stellte damals noch Bremsbeläge her. Erst 1948 wurde dieser Produktionsschwerpunkt in Ottendorf aufgegeben und ins sachsen-anhaltinische Coswig verlegt. In Ottendorf-Okrilla kam es zu einer Umprofilierung. Eine Presserei in Bad Berka (Thüringen) mit einer Belegschaft von etwa 160 Mitarbeitern verlagerte man nach Ottendorf. Angefangen hatte der Betrieb, wie die meisten anderen Plastverarbeitungswerke, mit einem sehr breiten Sortiment von Preßartikeln, vor allem technischen Teilen für die Industrie. In den 50er Jahren folgte die Produktion von Bohnerwachs- und Schuhcreme-Dosen mit automatischer Entgratung und Verpackung und bald auch weitere Haushaltsartikel aus Didi- (Dicyaniddiamid-Harz) und Melaminharzpressmasse. Die Nachfrage nach großformatigen Plastteilen machte den Ausbau des Betriebes und den Einsatz größerer Verarbeitungsmaschinen erforderlich. Vom Schrottplatz eines Stahlwerks in Gröditz sicherte man eine alte 1200-Tonnenpresse, setzte sie in Stand und presste darauf in einer neu gebauten Pressereihalle das Karosseriedach des Trabantvorläufers „P 70“. Mit der Fertigstellung einer eigenen Presserei in Zwickau wurde diese Produktion ausgelagert. Die frei gewordenen Kapazitäten konnten nun für die Herstellung großformatiger

Seite 163 bis 165 Produktkatalog „Haushalt­ artikel – Polyäthylen. Poly­ styrol. Meladur“. VEB Preß­ werk Ottendorf-Okrilla, 1962.

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Rechte Seite Modell des Betriebsgeländes nach der Erweiterung in den 1960er Jahren. Fachliche Mitteilungen für den Industriezweig Plast­ verarbeitung. Sonderheft Herbstmesse 1964. Produktkatalog „Plastika. Sanitär-Plastartikel“. VEB Preßwerk OttendorfOkrilla, 1967.

Konsumgüter genutzt werden. So nahm der Betrieb bereits in den 1950er Jahren als alleiniger Hersteller die Produktion von WC-Sitzen aus Kunststoff auf. Aufgrund der ständigen Produktionserweiterungen hatten sich die Bedingungen im Werk Ende der 1950er Jahre rapide verschlechtert. Aus Platzmangel musste das Material außerhalb des Werks gelagert werden, versandfertige Erzeugnisse wurden provisorisch in einem dafür auf dem Betriebsgelände aufgestellten Zelt untergebracht und die Garage wurde zur Spritzgusswerkstatt umfunktioniert. In den 1960er Jahren wurde das Werk endlich grundlegend erneuert und erweitert. Der Plan sah Investitionsmittel von 26 Millionen Mark vor. Damit war der Ausbau des VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla das größte Investitionsvorhaben der Plastverarbeitung nach der Chemiekonferen­z. Aus dem VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla sollte einer der modernsten Plastverarbeitungsbetriebe der DDR werden. Eine neue Presserei- und Spritzerei-Halle, eine Entgratung und Versandabteilung entstanden. Mit den Erweiterungsmaßnahmen wuchsen auch die Zahl der Mitarbeiter und das

Schwarze WC-Sitze aus Phenolharz, bunte aus Poly­ styrol. Produktkatalog Pneumant „Unser Programm“, 1975.

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Produktion­svolumen. Um mehr als 40 neue Erzeugnisse erweiterte sich das Konsumgütersortiment des Betriebes: ein umfangreiches Badsortiment mit Medizin- und Spiegelschränken, Ablagekonsolen und Zubehör sowie farbige WC-Sitze aus dem Thermoplast Polystyrol ermöglichten dem Betrieb den Absatz auch ins westliche Ausland.

Um die Produktion weiter zu steigern, widmete sich die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Betriebes besonders der Automatisierung des Fertigungsprozesses. Mit Hilfe von speziellen Entnahmevorrichtungen konnten die Arbeitsschritte für die Plastverarbeiter reduziert werden und ermöglichten so die gleichzeitige Bedienung von mehreren Maschinen durch eine einzelne Person. In der Blaserei, wo Polyethylen-Flaschen im Extrusionsblasverfahren produziert wurden, konnte eine vollständig automatisierte Fertigungsstraße entwickelt werden. Von der Zuführung des Materials bis zur Verpackung des fertigen Erzeugnisses war kein manueller Handgriff mehr notwendig. Nach den Investitionsmaßnahmen der 1960er Jahre konnte der Betrieb allerdings keine weiteren finan­ ziellen Mittel im größeren Umfang mehr beanspruchen. Dennoch behielt der VEB Preßwerk Otten­dorf-Okrilla seine führende Rolle in der plastverarbeitenden Industrie. Als leitender Betrieb der Erzeugnisgruppe Plasthaushaltwaren war er mitverantwortlich für die Produktneuentwicklungen und die Preisbildung dieser Warengruppe.

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Kreutz – Durotherm – Robotron. Die Walter Kreutz KG Neugersdorf Die Walter Kreutz KG, Neugersdorf, war ein Familienbetrieb in Sachsen, unmittelbar an der tschechischen Grenze. Er gehörte wie der VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla der Erzeugnisgruppe Plasthaushaltwaren an, war aber in Größe, technischer Ausstattung und Sortiment das komplette Gegenteil des großen Kombinatsbetriebes. Mit etwas über 30 Mitarbeitern handelte es sich um ein sehr kleines Unternehmen, dessen Produkte (vor allem Tortendrehplatten, Kaffeefilter und Schneidbrettchen) aber weit verbreitet waren. Er produzierte ein seit den 1950er Jahren kaum verändertes Sortiment an Meladurerzeugnissen, das auch nach der Verstaatlichung 1972 beibehalten und nur geringfügig ergänzt wurde. Seit den späten 1960er Jahren verarbeitete man auch Thermoplaste und stellte aus Polyethylen Seifenhalter und Warmhalteteller her. Nach Kriegsende gründete Walter Kreutz in Neugersdorf einen Betrieb zur Aluminiumverarbeitung. Zu den ersten Erzeugnissen zählten Gabeln und Löffel. Wenige Jahre später wurde eine hydraulische Presse erworben und eine Kunstharzpresserei aufgebaut, in der aus Phenolharz und seit den 1950er Jahren auch aus Meladur Kerzenleuchter, Schraubdosen, Teller, Frühstücksbrettchen und Tortenplatten hergestellt wurden. 1960 musste der Betrieb staatliche Beteiligung aufnehmen. Als Kommanditisten traten zunächst die Deutsche Investitionsbank, später der Betrieb VEB Duroplast-PreßwerkNeusalz­a-Spremberg ein. Die Verstaatlichung 1972 war ein Einschnitt für das Familienunternehmen. Seit dem 1.5.1972 wurde der Betrieb als VEB Plastverarbeitung Neugersdorf geführt, der Schwiegersohn von Walter Kreutz übernahm seither die Funktion des Betriebs-

Rechte Seite Doppelpresse mit einem Erzeugnis der Walter Kreutz KG: eine drehbare Torten­ platte aus Meladur. Produktkatalog „Plaste im Haushalt“. Walter Kreutz KG, 1963.

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Meladur-Erzeugnisse aus dem Produktkatalog „Plaste im Haushalt“. Walter Kreutz KG, 1963.

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Meladur-Erzeugnisse aus dem Produktkatalog „Plaste im Haushalt“. Walter Kreutz KG, 1963.

leiters, die Tochter eine leitende Funktion im Vertrieb und Export. Trotz Verstaatlichung blieDer Warmhalteteller aus Me­ ladur und Polyethylen wurde seit Ende der 1960er Jahre produziert. Durch das Ein­ füllen von heißem Wasser in den Hohlraum im Boden des Gefäßes ließ sich die Nahrung warm halten.

ben Sortiment und die betriebsinternen Strukturen bestehen. Und auch die Erzeugnisse verrieten weiterhin die Herkunft der Produkte aus einem privaten Betrieb. Das Betriebskennzeichen „Kreutz“ musste anfänglich weitergeführt werden, da ein Austausch der Formwerkzeuge zu teuer gewesen wäre. Seit 1980 war der Betrieb Teil des VEB Durotherm Sohland, Erzeugnisse wurden nun auch mit dem Warenkennzeichen „durotherm“ versehen. 1985 gehörte Durotherm Sohland zum VEB Kombinat Robotron, so dass in dieser Zeit Artikel der Walter Kreutz KG auch unter der Marke „Robotron“ auftraten. Das Sortiment der Walter Kreutz KG stammte fast ausnahmslos aus den 1950er Jahren und wurde nur vereinzelt durch Neuentwicklungen ergänzt. Nach der Wende setzten sich Tochter und Schwiegersohn von Walter Kreutz, die das Unternehmen jahrzehnte geleitet hatten, zur Ruhe. Sie wohnen noch heute über den Werksräumen. Unten stehen die alten Pressen und Spritzgießautomaten. Die Formteile sind noch enthalten, als wäre hier gerade gepresst worden und das Werksbüro ist eingerichtet, als sei der Betriebsleiter nur kurz aus dem Raum verschwunden.

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Sonja – Markenname für Haushaltsartikel Kunststoffartikel für den Haushalt werden in erster Linie aus praktischen Gründen erworben. Im Gegensatz zu Porzellan (etwa aus Meißen) wollen die Konsumenten in der Regel bei Plaste nicht wissen, welches Unternehmen für die Qualität der Erzeugnisse steht. Marken wie die amerikanische „Tupperware“ bildeten in der DDR die Ausnahme. Der Firma Willibald Böhm aus Wolkenstein in Sachsen gelang es jedoch, eine Marke für ihre Produkte bekanntzumachen – Sonja, die auch nach der Verstaatlichung des Unternehmens in den 1970er Jahren erhalten blieb. 1925 ließ sich der 23jähriger Werkzeugmacher Willibald Böhm in Wolkenstein nieder und baute einen kunststoffverarbeitenden Betrieb auf. Sein Bruder Josef Böhm stieg als Teilhaber in das Unternehmen ein. In einem angemieteten Hinterhaus fertigten die Brüder unter beengten Verhältnissen zunächst Knöpfe aus Kunsthorn (Galalith). In den 1930er Jahren wurden die Produktion und die Räumlichkeiten erheblich erweitert und der Betrieb beschäftigte 1939 bereits 168 Mitarbeiter, vor allem Frauen. Mit der Herstellung von Knöpfen und Schnallen aus Celluloid erzielte die Firma einen jährlichen Umsatz von etwa 3  Millionen Reichsmark, die Hälfte der Produktion konnte sogar ins Ausland abgesetzt werde­n. Durch einen Luftmineneinschlag 1945, der die Produktion nahezu lahmlegte, brach die Produktion des erfolgreichen Unternehmens ein. Erst Ende der 1940er Jahre war ein merklicher Aufschwung zu verzeichnen und besonders Josef Böhm bemühte sich um alternative Produktionsmöglichkeiten. Er entwarf eine große Anzahl von Haushaltsgegenständen, die der Willibald Böhm KG zum Durchbruch verhalfen: Siebe und Kaffeefilter und seit Ende der 1960er Jahre die berühmten Eierbecher in Hähnchenform entwickelten sich zu Erfolgs­ produkten des Betriebes.

Berühmt und heute wieder als Retro-Artikel in Mode: Eierbecher mit Hähnchen­ kopf waren seit den späten 1960er Jahren im Handel.

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Siebe mit Poly­ amidgewebe, Willibald Böhm KG, Wolkenstein. Katalog „Dedaplast Plast-Küchenartikel. Wäscheklammern“, hrsg. v. der VVB Plastverarbeitung, Halle 1968.

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Kaffeefilter mit Polyamidgewe­ be, Willibald Böhm KG, Wol­ kenstein. Katalog „Dedaplast PlastKüchenartikel. Wäscheklammern“, hrsg. v. der VVB Plastverarbeitung, Halle 1968.

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Der Firmengründer Willibald Böhm verließ kurz vor dem Bau der Mauer die DDR und baute in Bielefeld ein neues Kunststoffunternehmen auf, das zum größten Knopfhersteller Europas avancierte. In Wolkenstein wurde der ursprüngliche Betrieb nun durch Josef Böhm weitergeführt, seit 1963 unter staatlicher Beteiligung. Die Beschäftigtenzahl war bereits wieder auf 140 Mitarbeiter angestiegen. 1969 trat die Tochter Michaela Böhm in den Familienbetrieb ein, den sie auch nach der Verstaatlichung 1972 als Betriebsdirektorin weiterführte und nach der Wiedervereinigung als Geschäftsführerin leitete. Zu diesem Zeitpunkt, 1972, änderte der Betrieb auch seinen Namen und wurde nun als volkseigener Betrieb unter VEB Plaste geführt. Aus der 1979 vollzogenen Zusammenlegung des VEB Plaste mit dem VEB Modedekor ging 1981 das Kombinat Plaste und Chemie hervor. Die Reprivatisierung erfolgte Als Betriebskennzeichen fungierte der eingetragene Markenname „Sonja“ auch nach der Verstaatlichung 1972.

1990. Der Markenname „Sonja“ hat seine eigene Geschichte. Josef Böhm, der über lange Zeit den Betrieb führte, gab den Produkten des Unternehmens den Namen seiner erstgeborenen Tochter. Man folgte damit einer durchaus üblichen Konvention, mit einem weiblichen Name­n eine insbesondere Konsumentinnen ansprechende Marke zu etablieren. Bei der Willibal­d Böhm KG ging das Konzept auf. Der schwungvolle Schriftzug zierte fast jedes Produkt des Betriebes und prägte sich so ein. „Sonja“ ist ein im kollektiven Gedächtnis der Ostdeutschen fest verankerter Name, hinter dem der produzierende Betrieb nahezu verschwindet. Das unter dem Markennamen „Sonja“ bekannte Unternehmen gehörte zu den wichtig­ sten privaten kunststoffverarbeitenden Betrieben der DDR, insbesondere auf dem Sektor der Haushaltswaren. Bekannt durch die berühmten Sonja-Filter und Hühner-Eierbecher ge­ hören insbesondere die Produkte der Willibald Böhm KG in Wolkenstein zum häuslichen Inventar der DDR. Das Unternehmen setzte nach der Reprivatisierung 1990 die Produktion unter dem Namen Willibald Böhm GmbH „Sonja Plastic“ fort.

Wäscheklammern aus Quedlinburg Wäscheklammern sind ein kleines unscheinbares, aber nützliches Gebrauchsgut. In der DDR wurden sie in den 1950er und 1960er Jahren von dem volkseigenen Betrieb VEB Plasta Köppelsdorf in Sonneberg und weiteren neun privaten oder halbstaatlichen Betrieben produziert, darunter der PGH Metaplast in Quedlingburg, einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks, bestehend aus einem Schlossermeister, einem Werkzeugmeister und 13 weiteren Handwerkern. Als Metallverarbeiter versorgten sie Schmuckwarenhersteller mit Nadeln und stellte Gardinenklammern her. Von den 15 Mitgliedern der Produktionsgenossenschaften arbeiteten nur acht im Betrieb, die übrigen in Heimarbeit, eine in der Industrie damals noch recht übliche Beschäftigungsform. 1959 nahm die PGH Metaplast die Kunststoff­ Wäscheklammer aus Poly­ styrol. Gut sichtbar verrät ein Schriftzug den Betriebs­ namen der Produktionsge­ nossenschaft des Handwerks (PGH).

verarbeitung auf. Erste Produkte waren runde Seifenhalter und Wäscheklammern, die auf einer 30-Gramm-Spritzgußmaschine gefertigt wurden. Dazu kamen kleine Andenken und Abzeichen. Die Betriebschronik beschreibt ausführlich die Schwierigkeiten, die die anfängliche Unkenntni­s im Umgang mit den neuen Materialien auslöste :

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„Da wir für diese Produktion kein Polystyrol erhielten, haben wir die Wäscheklammern aus Niederdruckpolyäthylen hergestellt. Uns stand nur naturfarbenes Material zur Ver­ fügung, so waren wir gezwungen, selbst einzufärben. Wir hatten hierin keine Erfahrung und holten uns von der Firma Brauns7 dementsprechend Farbstoffe, die wir nach Ermessen des Spritzers – mal mehr, mal weniger – dem Polyäthylen zusetzten. Das Mischen erfolgte nicht in einer Trommel, sondern der Farbstoff wurde dem Material zugesetzt, einige Male umgerührt und der Spritzvorgang begann. Die Klammern sahen gut aus, aber nach kurzer Zeit kamen die Reklamationen. Unsere Wäscheklammern färbten ab, wir waren gezwungen, jedem Reklamierenden Brauns’schen Entfärber zuzusenden, um die gefärbten Stücke damit zu behandeln. Trotzdem bekamen wir einige Kleidungsstücke zurück, in denen die Farbe haften blieb, für die wir dann Entschädigung zahlen mußten. Die Auslieferung dieser Wäscheklammer­n hat uns sehr geschadet und auch noch nach Jahren wurden wir auf den Einkaufshandlungen gefragt, ob die neuen Klammern einwandfrei seien. Das konnten wir mit ruhigem Gewissen bestätigen, da wir inzwischen eingefärbtes Material verarbeiteten.“8 1962 produzierte die PGH Metaplast 1.387.600 Wäscheklammern, 1963 sind es 4.026.900 und 1964 bereits 6.500.000. Von einem prozentualen Anteil von etwa 2% an der Binnenhandelsproduktion an Wäscheklammern steigert sich der Betrieb auf einen Binnenmarktanteil von 17%.9

Linke Seite Wäscheklammern aus Poly­ styrol. Katalog „Dedaplast PlastKüchenartikel. Wäscheklammern“, hrsg. v. der VVB Plastverarbeitung, Halle 1968. Einige Haushaltserzeugnisse, wie Tiefkühldosen aus Poly­ ethylen, produzierte der Betrieb ausschließlich für den Export. Im Handel der DDR waren sie nicht zu bekommen. Messejournal 1983.

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Mit dem Ziel, die Produktion zu zentralisieren, sollte 1963 der PGH Metaplast die Produktion von Wäscheklammern verboten werden. Dazu belegte das staatliche Chemiekontor die zahlreichen Privatbetriebe, die Wäscheklammern produzierten, mit einem Material­ verwendungsverbot. Der steigende Bedarf an Wäscheklammern aus Plast entzog dieser geplanten Maßnahme allerdings den Boden: So kam es im selben Jahren zu einer Vereinbarung zwischen plastverarbeitender und holzverarbeitender Industrie, die vorsah, Wäscheklammern nur noch aus Kunststoff zu produzieren. Damit blieb der PGH Metaplast die Wäscheklammerproduktion erhalten. Der Betrieb produzierte jedoch ein deutlich breiteres Sortiment. In den 1960er Jahren Linke Seite Werbeanzeige für ein Früh­ stückssortiment aus Poly­ styrol. „Der Fachberater Haushaltwaren“ 1985, Heft 1.

kam es zu einer langfristigen Zusammenarbeit mit dem VEB Meßgerätewerk Mertik, Quedlinburg, für den man die gesamte Thermo- und Duroplastproduktion übernahm. In diesem Zug wurde der Betrieb erneut erweitert, verschiedene Werksteile kamen hinzu und die Belegschaft wuchs auf 400 Beschäftigte an. Mit der Verstaatlichung 1972 erhielt die PGH die Rechtsform eines volkseigenen Betriebes. In den 1980er Jahren wurde ein breites Sortiment an Konsumgütern hergestellt: Neben

Frühstückssortiment. In den 1980er Jahren wurden die Erzeugnisse im Sieb­ druckverfahren mit Mustern oder Bildmotiven bedruckt.

den Seifenschalen und Wäscheklammern entstanden Zwiebel- und Filtertütenbehälter aus Polystyrol, ein mehrteiliges Servierset sowie verschiedene Spiel- und Freizeitartikel. Nach dem Ende der DDR wurde der Betrieb in eine GmbH umgewandelt und stellt noch heute Kunststoffteile her.

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PUR-Möbel aus dem Petrolchemischen Kombinat Schwedt „Würden Sie Plastemöbel im Wohnbereich einsetzen?“ – Die populäre Einrichtungszeitschrift „Kultur im Heim“ fragte 1971 vorsichtig bei ihren Lesern nach und stellte erste Entwürfe aus der Möbelindustrie vor. Anfang der 1970er Jahre gehörten Kunststoffe im Möbelbereich zwar bereits zum Standard und waren in Form von Sprelacart-Tischplatten und Schubfächern aus Plast allgegenwärtig, aber Sitzmöbel und Wohnzimmereinrichtungen, die ausschließlich aus Kunststoff bestanden, gab es noch nicht, und mit einiger Vorsicht wollte man von den Konsumenten nun wissen, ob sie sich in einem Ensemble von Kunststoff­ möbeln zu Hause wohlfühlen würden. Die Antworten der Leser von „Kultur im Heim“ wurden nicht abgedruckt, so dass wir nichts über die Einstellung der Konsumenten zu Möbeln aus Plast wissen, 1972 aber begann der VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt mit dem Aufbau eines Möbelprogramms aus Polyurethan, das zu den wenigen Innovationen von Konsumgütern aus Kunststoff gehörte, die in den 70er und 80er Jahre noch offensiv beworben wurden. Produktkatalog „vario-Möbel aus Schwedt“, 1973.

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Der Kunststoff Polyurethan war erst mit großer Verzögerung Anfang der 70er in der DDR industriell hergestellt worden, in Leverkusen hatte man bereits 1940 mit der Produk­

tion begonnen. Über die Hälfte des Polyurethanaufkommens, das im Synthesewerk Schwarzheide bei Senftenberg synthetisiert wurde, ging an Betriebe der Möbelindustrie. Durch das Wegfallen der vielen bei der Holzverarbeitung notwendigen Fertigungsstufen sollte Polyurethan eine Produktivitätssteigerung in der Möbelproduktion gewährleisten. Die traditionelle Herstellungsweise erforderte das Trocknen, Zuschneiden, Bearbeiten und Verleimen von Holzteilen, das Verschäumen von Polyurethan dagegen nur einen einzigen Vorgang. Das große Erdölverarbeitungswerk Schwedt übernahm nach dem VIII. Parteitag 1971 die Verpflichtung, Polyurethan-Möbel herzustellen. Einer Richtlinie des Ministers für chemische Industrie zufolge hatten die Kombinate der Grundstoffindustrie Konsumgüter im Wert von bis zu 2 Prozent ihrer Warenproduktion bereitzustellen. Unter dem Markennamen „Variopu­r“ produzierte man ein ganzes Möbelprogramm. Der VEB PCK Schwedt musste aus dem Nichts eine „Möbelstrecke“ aufbauen. Die Realisierung des Vorhabens gelang nur durch Mithilfe der beiden westdeutschen Unternehmen Werbung für den KängeruhStuhl aus Polyurethan, Ent­ wurf: Ernst Moeckl, BRD. Produktkatalog „vario-Möbel aus Schwedt“, 1973.

Horn und Siemag, die im Grunde eine komplette Möbelfabrik inklusive Maschinenpark, Lackieranlage und Trockenkanälen in der DDR errichteten. Horn lieferte die Lizenzen und das Know-How der PUR-Verarbeitung, die Firma Siemag Werkzeugträger und Schäum­ maschinen. Auch die Formwerkzeuge für die Möbel und der notwendige Polyurethanlack

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Wand- und Garderobenele­ mente des Möbelprogramms „honapur“, VEB Holz Naum­ burg. „Kultur im Heim“ 1976, Heft 2. Linke Seite Werbeanzeige für das Vario­ pur-Möbelprogramm in der Zeitschrift „Kultur im Heim“, 1974, Heft 5.

mussten aus der Bundesrepublik importiert werden. Mitarbeiter des Möbelunternehmens Horn wiesen über mehrere Monate die Mit­ arbeiter in Schwedt in die Verarbeitungstechnik ein. Das prestigeträchtige Projekt, das pünktlich zum 23. Geburtstag der DDR am 7. Oktober 1972 in Betrieb ging und als Meilenstein sozialistischen Designs beworben wurde, hatt­e 40 Millionen Valutamark (offizielle Bezeichnung der DDR für Devisen in D-Mark) verschlungen. Als bekanntestes Erzeugnis dieses Sor­ timents gilt der Kängeruh-Stuhl,10 ein freischwingendes Sitzmöbel aus Kunststoff. Was

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heute als Inbegriff des DDR-Kunststoffmöbeldesigns gilt, wurde in den 60er Jahren vom westdeutschen Designe­ r Ernst Moeckl ent­ wickelt. Der auf Polyurethan spezialisierte Möbelfabrikan­t Dieter Horn verkaufte die Lizen­z 1972 an die DDR. Der

Kängeruh-Stuhl

wurde­

in der DDR unter dem Spitz­namen „hockender Mann“ bekannt und fand sich vor allem in Versammlungs- und Clubräumen. Beworben wurde der Stuhl in Prospekten und verschiedenen Zeitschriften auch für den privaten Gebrauch. Mit einem Preis von 200 Mark war der Erwerb des futuristische­n Plastmobiliars allerdings ein recht teures Vergnügen. Neben

Kängeruh-Stuhl

dem

umfasste das Variopur-Sortiment aus Schwedt verschie­dene Beistelltische, Rollwagen, die mit Bepolsterung auch als Sitzmöbel fungierten, eine Blumenwanne, einen Eßtisch und einen Polstersessel. Um perspektivisch die Ablösung von der „Horn Collection“ zu ermöglichen, wurden Formgestalter durch das Amt für industrielle Formgestaltung mit der Entwicklung von Polyurethan-Möbeln beauftragt. Es entstanden

einige

Entwürfe,

unter

anderem von Rudolf Horn, einem Bauarbeiterversorgung Boxberg, 1976.

der einflussreichsten Möbelgestalter und langjährigen Dozenten an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle/Burg Giebichenstein. Ein Drehsessel, den Axel Bruchhäuser für das PCK Schwedt entwickelte, gehörte zu den ersten PUR-Möbeln, die aus der DDR stammten. Es bleibt eine Ironie der Geschichte der PUR-Möbel-Entwicklung der DDR, dass gerade die Erzeugnisse, deren Entwürfe aus der Bundesrepublik stammten, das Garten-Ei, das wenige Jahre im Synthesewerk Schwarzheide hergestellt und von dem Formgestalter Peter Ghyczy entwickelt wurde, und Ernst Moeckls Kängeruh-Stuhl heute als Klassiker des DDR-Designs und beliebte Retro-Artikel gelten.

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Schluss mit der Eierbechermentalität – der VEB Polyplast Halberstadt Die Firma Wiesmann & Co. gründete sich 1946 in Halberstadt. Bis in die 1950er Jahre wurde hier Metall zu Türbeschlägen, Nägeln und anderen bautechnischen Erzeugnissen verar­ beitet. Erst 1951 stieg der Betrieb, der nun schon über 80 Mitarbeiter umfasste, auf die Ver­ arbeitung von Kunststoffen um. Zu den ersten Produkten zählten Reißverschlüsse, die auf selbst gebauten Plastverarbeitungsmaschinen hergestellt wurden. Mitte der 1950er Jahre brachte die Firma dann die ersten Haushaltsartikel aus Kunststoff auf den Markt: Bierglasuntersetzer, Butterglocken und Konfitüredosen gehörten dazu, deren Produktion erst durch die verbesserte Ausstattung mit moderneren Plastverarbeitungsmaschinen, wie hydrau­ lischen Pressen, möglich wurde. Die Reißverschlußproduktion sicherte dem Unternehmen ein starkes Wachstum, so dass die Belegschaft auf 650 Mitarbeiter anstieg. 1958 nahm die Geschichte des Betriebes eine überraschende Wende: Das Werk geriet in Schwierigkeiten, da Reißverschlüsse zu teuer und nicht auf dem Qualitätsniveau der Zeit hergestellt werden konnten. Die privaten Besitzer der Firma hatten bereits 1956 eine staat­ liche Beteiligung aufnehmen müssen und verließen noch vor dem Mauerbau die DDR.

Aufsteller der Firma Wiesmann & Co., Halberstadt, undatiert.

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Übersicht über die Waren­ produktion der Firma Wies­ mann & Co.,1966-1970. Vor allem der Anteil technischer Erzeugnisse nimmt zu. 25 Jahre Wiesmann & Co. Industriebetrieb mit staat­ licher Beteiligung, 1971.

Unte­r dem neu eingesetzten staatlichen Betriebsleiter musste die Produktion von Reißverschlüssen aufgegeben und die Belegschaft deutlich reduziert werden. Um die rückläufige Produktion und die schwierige ökonomische Situation zu verbessern, baute man die Produktion von Haushaltswaren deutlich aus, was eine regelrechte Explosion neuer Artikel zur Folge hatte, die schon 1963 zum Teil einer staatlich angeordneten „Sortimentsbereinigung“ zum Opfer fielen. Der Betrieb behielt jedoch ein breites Sortiment an Erzeugnissen für den Bevölkerungsbedarf, das Eierbecher, Gewürzmenagen, Isolierbecher, Eis- und Fruchtbecher sowie Brötchenkörbe, Schwammhalter, Tabletts mit Kristalleffekt, Vorratsdosen und Kindernachttöpfe umfasste. Mit der Erweiterung und der Erneuerung der Produktionsmaschinen in den 1960er Jahren, wie sie auch im VEB Preßwerk Ottendorf-Okrilla und der Wilhelm Kimmel KG Sebnitz stattfanden, wurde zugleich mit einer Umprofilierung begonnen, die zu einer Erweiterung um Erzeugnisse für das Gesundheitswesen führte. Die Modernisierungsmaßnahmen hatten

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für die Mitarbeiter eine deutliche Arbeitserleichterung zur Folge. Alte Spritzgießmaschinen wurden durch moderne Spritzgießautomaten ersetzt und eine neue Werkshalle bot mehr Platz für Maschinen und Mitarbeiter. Aber die Profilierung auf medizintechnische Produkte stellte auch neue Herausforderungen an den Betrieb und seine Mitarbeite­r. Von seinem frühen Produktionsprofil verabschiedete sich der Betrieb Schritt für Schritt. „Abschied vom Eierbecherdenken“ lautete das Motto, das mit einem durchaus kri­tischen Rückblick auf das bisherige Arbeiten verbunden war: „Früher haben wir bei Wünschen an uns nach Zeichnung, Muster und Stückzahl gefrag­t“, resümiert der damalige Produktionsdirektor des Betriebes. „Sowie etwas nach Komplikation roch, haben wir abgewunken und gesagt, macht‘s lieber aus Stahl. Große Stückzahlen, lange Lebensdauer, möglichst geringe Qualitätsanforderungen, na wie beim Eierbecher. Ob da die Farbe genau stimmt, oder ob die Öffnung ein paar Millimeter größer ist oder ob da Einschlüsse im Plast sind – wen interessiert‘s?“11 Um Katheterschläuche mit einem Gewicht von 1,35 Gramm oder Pipettenspitzen mit einem Durchmesser von 0,38 Millimetern zu spritzen, war dagegen eine Präzision im Werkzeugbau notwendig, die auf den Hundertstel Millimeter genau war. Die Produktionsräume für die medizintechnischen Erzeugnisse müssen staubfrei sein, Kittel und alle zwei Stunden Händewaschen gehören zum Arbeitsalltag. Ende der 1980er Jahre hatte sich der VEB Polyplast Halberstadt zu einem wichtigen Hersteller von Kathetern, Kanülen und sonstigen medizintechnischen Erzeugnissen ent­

Blick in die Spritzgußhalle der Firma Wiesmann & Co. Foto undatiert.

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Aus dem Sortiment der Firma Wiesmann & Co.: doppel­ wandige Isolierbecher und Stapelboxen aus Polystyrol, Flasche aus Polyethylen. 25 Jahre Wiesmann & Co. Industriebetrieb mit staat­ licher Beteiligung, 1971.

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wickelt. Plasthaushaltswaren hatten 1966 noch fast die Hälfte des gesamten Produktionsumfangs ausgemacht, bereits 1970 waren es nur noch 35Prozent. Ganz verabschieden wollte sich der Betrieb von den Konsumgütern zwar nicht, aber es ist vor allem die Spezialisierung auf hochpräzise Plastformteile gewesen, die dem Betrieb den Weiterbestand nach dem Ende der DDR ermöglichte.

Industrialisierung des Nordens – das VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin „Neue Perspektive für Arbeitskräfte in Schwerin und Umgebung“ – so warb man 1959 mit einer Annonce in der Schweriner Volkszeitung um Mitarbeiter für das im Aufbau begriffene Plastverarbeitungswerk. Der Bezirk Schwerin war im Siebenjahrplan beauflagt worden, die Industriealisierung des Bezirkes durch die Errichtung eines Plastverarbeitungswerks für die im Chemieprogramm vorgesehene Produktion von Plasterzeugnissen zu forcieren. Wede­r plasterzeugende noch plastverarbeitende Industrie war bis dahin im Norden der DDR vorhanden. Das Plastverarbeitungswerk in Schwerin zählte neben Staaken bei Berlin zu den wenigen Neugründungen nach der Chemiekonferenz. Die Entwicklung strukturschwacher Regionen gehörte neben der Bedarfsdeckung mit zeitgemäßen Konsumgütern zum politisch-ökonomischen Ziel des Chemieprogramms.

Arbeitskräftewerbung. Schweriner Volkszeitung, September 1959.

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Am Stadtrand von Schwerin nahmen 1960 36 Produktionsarbeiter und einige Angestellte und Hilfskräfte ihre Arbeit auf. Die Anfangsbedingungen waren schwierig: Stromausfälle, fehlende Baumaterialien und Werkzeuge, aber auch schlechte sanitäre Bedingungen vor Ort. Einen Eindruck der damaligen Produktionsbedingungen vermittelt ein Mitarbeiter der Duroplastabteilung: „Damals hatten wir noch eine einfache Fertigung. Die Herstellungsverfahren waren, trotz moderner Pressen, fast primitiv zu nennen, wir bauten beispielsweise Preßwerkzeuge auf die Maschinen, ohne ein Hebezeug zu besitzen. Auf angelegten Rutschen standen wir, oft mehrmals während einer Schicht, und hoben das Werkzeug auf den Maschinentisch. Heute würden wir uns dafür einen Trickfilm vom Arbeitsschutz einfangen. Und ging im Objekt das Licht aus, berieten wir bei Kerzenschein Verbesserungen der Arbeit, Sorgen des Kollektivs.“12 Der niedrige technische Stand der Plastverarbeitung und veraltete Maschinen blieben auch dem Anfang der 1960er Jahre neugegründeten Betrieb nicht erspart. Probleme bereite-

Seite 190 bis 192 In deutscher, englischer und französischer Sprache ist der Exportkatalog des VEB Plast­ verarbeitungswerk Schwerin aus dem Jahr 1965 verfasst. Die Erzeugnisse dieser Zeit sind vor allem aus Meladur und Polystyrol. Produktkatalog „Plastika. Camping and householdarticles. Articles de camping et de ménage”. VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin, 1965.

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te dem Betrieb jedoch zudem, dass es anfangs noch kein festes Erzeugnissortiment gab, was bedeutete, dass in Schwerin Erzeugnisse anderer Plastbetriebe gepresst wurden, häufig auch aufwendigere. „Die wollten den Kram loswerden“, beklagte sich ein Mitarbeiter. „Sechzig Prozent der installierten Kapazität mußten durch Aufträge ausgelastet werden, die wir uns in der ganzen DDR zusammenholten. Nicht immer hatten wir einwandfreie Werkzeuge. Das erschwerte den Produktionsprozeß unserer Dosen aus Phenolpulver, der Deckel für Marmeladengläser aus Amino-Preßmasse oder des Haushaltsgeschirrs aus Meladur.“13 Gefertigt wurden zu Anfang eine Vielzahl von Produkten, etwa Bürstenteller und Scheiben für Bohnermaschinen, Bohnerwachsdosen, Laufrollen für die Landmaschinenindustrie, Deckel für den Textilmaschinenbau, Gehäuse für Kaffeemühlen sowie Klemmkastendeckel für die Elektroindustrie. Mit der Aufnahme des Spritzgießens 1962 kamen thermoplastische Erzeugnisse hinzu: ein Kindergedeck, Zahnputzbecher, Creme-Dosen und technische Teile für Nähmaschinen und Campingartikel aus Polyethylen. Im selben Jahr wurde im Betrieb eine Plastaufbereitungsanlage in Betrieb genommen und 1963 fand man mit Groß­behältern für die Fischindustrie, wie Fässer und Kisten, einen neuen Produktionsschwerpunkt.14 In den folgenden Jahren wuchsen Produktion und Mitarbeiterzahl deutlich an. 1969 begann man mit der Erweiterung des Betriebes, dessen ursprüngliche Kapazitäten nicht mehr ausreichten. Verbunden war das Vorhaben mit einem Rationalisierungsprogramm, das eine umfangreiche Automatisierung der Produktion vorsah. Neben neuen Spritzgieß­ maschinen wurden 27 Großsilos, die über eine Rohranlage die Maschinen direkt mit Material versorgten, installiert. Es entstanden neue Produktions- und Forschungsräume sowie ein neuer Formwerkzeugbau. Doch zeigten sich immer wieder Probleme, die aus dem Neben­ einander von technischer Innovation und Stagnation herrührten. Eine Entgraterin, deren Aufgabe es war, gespritzte und gepresste Erzeugnisse nachzubearbeiten und von überschüs­ sigem Grat zu befreien, beschrieb 1980 die Situation wie folgt: „Praktisch sieht es bei uns im Werk so aus, daß der Kampf um die Erfüllung der Pläne unnötig erschwert wird, weil wir nicht kontinuierlich produzieren können. Stoßarbeit ist für manches Monatsende charakteristisch, den Frauen in der Endbearbeitung glühen dann sozusagen die Finger, damit wir unsere Aufgaben schaffen. Wir sind natürlich in wichtigen Materiallieferungen, etwa bei Polyäthylen, von anderen Betrieben, ja selbst von Importen abhängig. (…) Wir haben bisher in unserer Abteilung immer alle Aufgaben geschafft. Aber wie das im Hinblick auf die größeren Aufgaben werden soll, ist mir gar nicht klar. Wir wissen beispielsweise nicht, ob der Aufwand beim Entgraten verschiedener Teile überhaupt gerechtfertigt ist. Draußen in der Halle spritzt eine Kollegin ein Stück in Sekundenschnelle an den modernen Automaten. Wir neun Frauen aber arbeiten wie im Mittelalter und kratzen an den Teilen den Grat ab. (…) Wie dieser Widerspruch zwischen Automaten und Handarbeit gelöst werden kann, ist mir nicht klar.“15 Seit 1974 wurden Gehäuse von Autobatterien, Computerbandspulen und Zubehör für die Möbelindustrie gefertigt. 1989 sind 150 Lehrlinge und 1780 Mitarbeiter im Plastverarbeitungswerk beschäftigt. Damit gehörte Schwerin zu den größten Plastverarbeitungsbetrieben der DDR.

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Im Grenzgebiet – VEB Plastverarbeitungswerk Staaken Auf einem stark kriegsbeschädigten Flugplatzgelände, bekannt durch die Zeppelin-Werke und seinen Luftschiffbau im frühen 20. Jahrhundert, entstand 1960 in der Nähe zur Grenze nach West-Berlin das Plastverarbeitungswerk Staaken. Es gehörte zu den Betriebsneugründungen nach der Chemiekonferenz von 1958. Die im „Chemieprogramm“ geforderte Produktionssteigerung von Plasterzeugnissen sollte zunächst durch eine Erweiterung des in Berlin-Friedrichshagen ansässisigen Plastik-Werks Berlin realisiert werden. Der Berliner Magistra­t stimmte der Werkserweiterung jedoch nicht zu – stadtplanerisch war für das umliegend­e Gelände die Entwicklung eines Wohn-, Freizeit- und Erholungsgebiets vorgesehen-, so dass das Flugplatzgelände in Staaken zum Standort für ein neues PlastverarbeiPapierkorb aus Polyethylen, Entwurf: Albert Krause, um 1960, Preis: 7 M. Rechte Seite Tragetasche aus Polyethylen, 1960er Jahre, Preis: 5,80 M. Abfalleimer mit Deckel aus Polyethylen, 1960er– 1980er Jahre, Preis: 13,50 M.

tungswerk wurde. Sicher war die Standortwahl für Staaken auch eine politische gewesen. Die Gemeinde Staaken war im Rahmen eines Gebietsaustausches zwischen der sowjetischen und britischen Besatzungsmacht aufgeteilt worden. In dem auf diese Weise geteilten Ort trafen also Ost und West unmittelbar aufeinander. „Die Errichtung eines neuen großen Betriebes“, so heißt es in der Betriebschronik, „sollte dazu dienen, für den im Grenzgebiet zu Westberlin wohnenden Teil der Bevölkerung die Möglichkeit zu schaffen, ihre Arbeitskraft dem sozialistischen Aufbau zur Verfügung zu stellen.“16 Solange es möglich war, arbeiteten viele Berufstätige aus Staaken und Falkensee bei Siemens oder anderen Westberliner Unternehmen. Als die Grenze 1961 geschlossen wurde, sollte der VEB Plastverarbeitungswerk Staaken als örtlicher Arbeitgeber für die ansässige Bevölkerung der Region zur Verfügung stehen. Etappenweise wurde die Produktion dann von Friedrichshagen nach Staaken verlagert. Die Ausrichtung des Betriebes stand bereits 1959 fest: die Übernahme des sogenannten Altwerks in Friedrichshagen mit der Herstellung von Thermoplasterzeugnissen und der Aufbau der ersten Verarbeitungskapazität von glasfaserverstärkten ungesättigten Polyesterharzen (GUP). Die territoriale Trennung des Stammwerks in Berlin-Friedrichshagen von Staaken führte zu einigen Problemen auf technologischem Gebiet, denn es fehlte eine kompetente technologische Betreuung vor Ort. Mit dem Einsatz einer eigenen Werkleitung, der Einrichtung eines betriebseigenen Technologenkollektivs und einer Reparaturbrigade versuchte man den Problemen Herr zu werden und legte unter dem Namen „VEB Plastik-Werk Berli­n, Werkteil III“ den Grundstein für den VEB Plastver­ arbeitungswerk Staaken. 1960 wurde in Staaken mit der Ver­arbeitung von glasfaserverstärktem Polyester begonnen, auf die sich der Betrieb in den kommenden Jahren spezialisierte. Zu diesem Zeitpunkt stand eine Belegschaft von 30 Arbeitskräften zur Verfügung. Ende 1960 wurde dazu auch

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eine Thermospritzerei in Betrieb genommen, deren Maschinen aus dem Hauptwerk in Friedrichshagen stammten. Hauptsächlicher Produktionsschwerpunkt hier waren technische Formteile für die Elektro- und Leuchtenindustrie, etwa Kabelstecker und Gitterraster. In diese Zeit fällt auch die Produktion erster Konsumgüter: Tabletts, Milcheimer, Milchflaschenverschlüsse und eine Apfelreibe gehören dazu. Diese frühe Zeit des Betriebes war durch zweierlei gekennzeichnet: die ständigen Bau- und Erweiterungsmaßnahmen und ein Anwachsen der Produktionskapazität und der Sortimentsbreite. Mit der Grenzschließung im August 1961 stieg die Mitarbeiterzahl von 30 (1959) auf 250 (1961) an, da eine Reihe vormaliger Grenzgänger nun in Staaken tätig wurde. Entsprechend folgte 1962 die juristische Selbständigkeit unter dem Namen VEB Plastverarbeitungswerk Staaken. Der Gründungsurkunde des Betriebes ist zu entnehmen, dass Staaken die Rechtsnachfolge des vormaligen Stammbetriebs in Friedrichshagen antrat, womit auch dessen Vermögenswerte an Staaken übergingen. Die 1960er Jahre sind von der Profilierung insbesondere im Bereich der Polyesterver­ arbeitung, sowie der Aufnahme neuer Verfahrenstechnologien geprägt. In die Zeit fallen auch Planungen, den VEB Plastverarbeitungswerk Staaken noch um einen weiteren Standort im nahegelegenen Albrechtshof zu erweitern sowie den Stammbetrieb in Staaken zu erneuer­n. Dem Vorhaben wurde 1970 aus „volkswirtschaftlichen Gründen“ durch einen Ministerrats­beschluß eine Absage erteilt. Dennoch bemühte man sich, in einzelnen Teilprojekten die Situation in Staaken zu verbessern. So wurde bis dato die Beheizung des Werkes zum Teil durch das Kreiskrankenhaus in Staaken, zum Teil durch zwei alte Dampfloks nur pro­visorisch gewährleistet. Auch die Arbeitsbedingungen, insbesondere in der PolyesterAbteilun­g, waren körperlich stark belastend und das Tragen von Gesichtsmasken wurde eingeführt. Eine wesentliche Erweiterung erfuhr die Produktionspalette durch die Aufnahme der Groß­behälter-Fertigung für die Landwirtschaft im Wickelverfahren, die mit über 30 Prozent zu einem der wichtigsten Zweige der Produktion gehörte. Der Betrieb umfasste in den 1980er Jahren über 900 Mitarbeiter. Zu den bekannten Alltagsdingen aus Kunststoff zählten neben den Schüsselsätzen aus Polyethylen oder Polypropylen verschiedene Körbe. Bekannter Artikel für Büro und heimisches Arbeitszimmer war der Papierkorb aus Polyethylen. Aber auch Motorradhelme, Leuchtengehäuse für Straßenlaternen und die berühmten Welldächer aus Kunststoff für die Gartenlaub­e wurden in Staaken hergestellt.

VEB Plastunion Triptis Die Herstellung von Plastprodukten erfordert mehr als Material und eine Plastmaschine. Zu den wichtigsten Elementen eines Preß- oder Spritzgußvorgangs gehört das Formwerkzeug, das festlegt, welche Form das gewünschte Erzeugnis haben soll. Viele Betriebe verfügten über einen eigenen Formwerkzeugbau. Andere ließen ihre Formwerkzeuge in speziellen Formwerkzeugbetrieben produzieren. Zu einem der für die plastverarbeitenden Betriebe wichtigsten Formenbaubetriebe gehörte der VEB Presswerkzeugbau Triptis.

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Tablett mit Assietten aus Meladur. Fachliche Mitteilungen für den Industriezweig Plast­ verarbeitung. Sonderheft Herbstmesse 1964.

Unter dem Namen „Gräbner & Co.“ als Matritzenbau-Betrieb gegründet, produzierte das Unternehmen, das 1927 von Gütterlitz nach Triptis gezogen war, Matritzen- und Kunststoffpressen. In der Nachkriegszeit wurde das Produktionsprofil um hydraulische KunststoffPressen erweitert. 1948 wurde der Betrieb enteignet und verstaatlicht und 1956 die Produk­ tion von Kunststoff-Pressen eingestellt. Der Betrieb begann sich stattdessen auf die Herstellung von Formwerkzeugen für die plastverarbeitende Industrie zu spezialisieren. In den 1960er Jahren erfolgt eine umfassende Erweiterung der Produktionskapazitäten und die Einrichtung einer Lehrwerkstatt. In den 1960er Jahren bemühte man sich, die Plastverarbeitung in der DDR zu zentralisieren. Dazu sollten Formwerkzeugbau und plastver­ arbeitende Betriebe zusammengeführt werden. Dies war besonders für jene Betriebe von Vorteil, die ihre Formwerkzeuge nicht selbst herstellten und somit von der pünktlichen Belieferung mit den Formen für ihre Plastprodukte abhängig waren. 1967 schlossen sich im Thüringer Raum der Formwerkzeugbaubetrieb VEB Presswerkzeugbau Triptis und die plastverarbeitenden Betriebe VEB Plasta Preßwerk Auma und Isopress Rottenbach in Verwaltung zur Plastunion Triptis zusammen. Der Werkzeugbaubetrieb in Triptis stand dem Zusammenschluss als Leitbetrieb vor und versorgte die verarbeitenden Betriebe mit Formwerk­ zeugen. Darunter waren auch der VEB Plasta Preßwerk Auma, der vor allem Haushaltsartikel aus Meladur produzierte. Er galt in den 1960er Jahren als der Betrieb mit der höchsten Export­rentabilität. Bekannt sind insbesondere die von Albert Krause gestalteten Dessert­ schalen aus Meladur. Das Plastverarbeitungswerk in Auma war ähnlich wie die Adler-Knopffabrik in Sohland (später VEB Formaplast Sohland) und die Willibald Böhm KG in Wolkenstein zunächst auf die Produktion von Kunststoffknöpfen spezialisiert. Gegründet wurde das

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Die beworbene Schüssel wur­ de aus Meladur, Bakelit und Didi-Pressmasse hergestellt. Produktkatalog VEB Plasta Preßwerk Auma, undatiert.

Unternehmen 1937 auf dem Grundstück einer ehemaligen Gardinenweberei von einem jungen Unternehmer und gelernten Mediziner. Nach erfolglosen Versuchen in der Knopfproduk­ tion wurde es 1939 von der Firma Strauß & Co. in Schmölln erworben, die die Knopfproduktion mit zusätzlichen Pressen weiterführte. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem der Betrieb Knöpfe für Luftwaffenröcke, Hosenknöpfe und elektrotechnische Teile für die AEG hergestellt hatte, wurde die Firma Strauß als ehemaliger Rüstungsbetrieb unter Zwangsverwaltung gestellt und 1948 enteignet. Mit der Verlegung der Knopfproduktion nach Schmölln begann für den nun volkseigenen Betrieb ein neues Kapitel. Durch die Angliederung anderer Werke und Betriebsteile nahm die Anzahl der Beschäftigten und der Umfang des Sortiments erheblich zu: 1949 wurden die Firma Hinkelmann in Triptis und Schiffer & Co. in Gera angegliedert, es folgten 1953 die treuhändisch verwalteten Werke Wegner und Heiligenstadt. 1951 wurde der Betrieb der Vereinigung Volkseigener Betriebe Plasta in Leipzig zugeordnet. Dieser Zuordnung verdankt er den Namen VEB Plasta Preßwerk Auma. 1952 wurden in Auma etwa 800 Artikel gepresst, darunter sowohl technische Teile und Radiogehäuse als auch Haushaltswaren. Eine eigene Absatzabteilung wurde notwendig und 1954 trat der Betrieb erstmals auf der Leipziger Messe mit einem Konsumgütersortiment in Erscheinung, wo vornehmlich

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Tabletts aus Bakelit, Schalen und dreiteilige Gedecke präsentiert wurden. Ab 1956 wurden die Produkte auch exportiert und 1958 der erste Warenkatalog in drei Sprachen publiziert. Nach der Chemiekonferenz machte sich die gewachsene staatliche Einflußnahme auf die plastverarbeitende Industrie bemerkbar. Auf Wunsch der staatlichen Güteinspektion erfolgte Anfang der 1960er Jahre eine Sortimentsbereinigung, so dass unter anderem Kaffeeund Gläseruntersetzer sowie Seifendosen aus der Fertigung verschwanden. Als Spezial­ betrieb für Tabletts und Frühstücksbrettchen sollte der VEB Plasta Preßwerk Auma exportfähige und modern gestaltete Produkte herstellen. In diesem Zusammenhang kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit mit Designern der Hochschule für Formgestaltung Burg Giebichenstein in Halle. Bedeutsam für die DDR wurde besonders die Herstellung von Kantinengeschirr für die Kollektivversorgung in Schulen, Betrieben, Krankenhäusen und anderen öffentlichen Einrichtungen, die der Betrieb zusammen mit dem nahgelegenen Betrieb Iso­press in Rottenbach übernahm. 1967 wurde der VEB Plasta Preßwerk Auma dem VEB Preßwerkzeugbau Triptis angegliedert und fimierte kurzzeitig unter dem Namen „Ostthüringer Plastunion“, später VEB Plastunion Triptis. In den 1970er Jahren wurde er wieder aus der Plastunion ausgegliedert und unter dem Namen VEB Polyplast Auma als eigenständiger volkseigener Betrieb weitergeführt. Ebenso wie im VEB Polyplast Auma wurde im nahegelegenen Isopress Rottenbach (in Verwaltung) vor allem Meladur zu Tellern, Schüsseln und Kantinengeschirr gepresst. In den 1970er Jahren kamen auch thermoplastische Erzeugnisse hinzu. Gegenüber dem VEB Polyplast Auma besaß der Betrieb jedoch einen gravierenden Unterschied. Bis zur Verstaat­

Dessertschalen aus Meladur, 1960er bis 1980er Jahre.

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Bild des ehemaligen Säge­ werks, das die Isopress GmbH Rottenbach in Verwal­ tung übernahm, undatiert.

lichung Anfang der 1970er Jahre war Isopress weder privat noch im Besitz der DDR, sondern Eigentum eines schwedischen Unternehmers, der ihn 1932 in Berlin-Oberschöneweide als Bakelitpresserei gegründet und 1943 kriegsbedingt nach Rottenbach hatte verlegen lassen. Wie in vielen duroplastverarbeitenden Unternehmen wurden hier während des National­ sozialismus Aufträge für die Rüstungsindustrie ausgeführt: Pferde-Gasmasken und das Gehäus­e für den Volksempfänger wurden hier hergestellt. Bei der Isopress waren bis zur Stilllegung nach der Befreiung durch amerikanische Truppe­n im April 1945 auch Zwangsarbeiter beschäftigt. Ende August wurde die Produktion wieder aufgenommen und im bescheidenen Maßstab mit noch vorhandenen Materialien damit begonnen, erste Konsumgüter zu produzieren. Aus Bakelit wurden Becher, Seifen­ dosen, Wäschesprenger, Rasierschalen und Aschenbecher produziert, die an den thürin­ gischen Groß- und Einzelhandel verkauft wurden. Das Werk konnte nicht enteignet werden und wurde als Treuhandbetrieb weitergeführt. Seither hieß es Isopress GmbH in Verwaltung, unterschied sich aber ansonsten in seiner Produktionsstruktur und Betriebsführung nicht von einem VEB. Bis in die beginnenden 1950er Jahre herrschte über das „Schicksal“ der Isopress offenbar selbst auf höherer Ebene keine Klarheit, was vermutlich mit den Vermögensverhältniss­en zusammenhing und zu nur zögerlichen Investitionen in den Aufbau des Werkes führte. Die Produktionsräume waren lange Zeit in provisorischem Zustan­d. Anfang der 1950er Jahre stieg die Anzahl der Pressen auf 17 und 1952/53 konnte erstmals mit der Verarbeitung von Meladurpressmassen begonnen werden, um Konsumgüter in hellen Pastellfarben herzustellen. Zum Sortiment gehören Teller, Tassen, Schüsseln und Tabletts. Wegen großer Nachfrage im Bereich der Konsumgüterproduktion ging der Produktionsanteil technischer Teile auf weniger als 20 % zurück. Wie der VEB Plasta Preßwerk Auma gehörte die Isopress in den 1970er und 1980er Jahren zum VEB Plastunion Triptis.

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Zeitweise war die Isopress Rottenbach in Verwaltung auf weißes Meladurgeschirr spezialisiert. Eine Mitarbeite­ rin präsentiert das Sortiment. Foto undatiert.

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Ausblick Die vorgestellten Werksgeschichten stellen nur einen kleinen Ausschnitt der plastverarbeitenden Industrie der DDR vor – Betriebe, die vor allem Haushaltsartikel aus Kunststoff produzierten, die kleinen Begleiter des Alltags. Eine Reihe von Fragen bleiben daher offen: Wenig wissen wir über die plastverarbeitenden Abteilungen der elektrotechnischen Kombinate, die Küchenmaschinen, Staubsauger, Telefonapparate und andere Elektrogeräte produzierten. Auch dieser Teil des DDR-Alltags erlebte eine umfassende Durchsetzung mit Kunststoffen, die nicht nur das Gehäuse, sondern auch das Innenleben der Geräte betraf. Ein mindestens ebenso weites Feld stellt die Spielzeugindustrie dar, die in den 1980er Jahren fast ausschließlich Kunststoffe verarbeitete und etwa 15.000 Artikel lieferte und exportierte. Kunststoffe, besonders PVC und Polyethylen, wurden auch als Folien zu Möbelbezügen, Täschnerwaren und in der Verpackungsindustrie verarbeitet, ein Produkt- und Material­ bereich, dessen Untersuchung noch aussteht. Hier dürften sich die Recherchen allerdings als noch schwieriger erweisen. Während Haushaltshaltsartikel aus Kunststoff zumindest bis Anfang der 1970er Jahre durch Herstellersignets gekennzeichnet wurden und so einen Rückschluss auf die Produzenten ermöglichen, unterlagen Gehäuse und technische Teile, die in Radiogeräten und Fönen und Mixern verbaut wurden, keiner Kennzeichnungspflicht. Damit sind der Erforschung dieses Produktbereichs Grenzen gesetzt.

1 Unser Haushalt, Leipzig 1967, S. 42. 2 Guter Rat 1966, Heft 4, S. 32. 3 Inge Schauer: Wem nützt neue Verpackung?, in: Guter Rat 1967, Heft 2, S. 15. 4

Staatliche Zentralverwaltung für Statistik (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1973, S. 243. 5 Marktforschung 1981, Heft 3, S. 25 ff. 6 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 11430 Bezirkstag/Rat des Bezirkes Dresden, Bezirkswirtschaftsrat Nr. 1766/11. 7 Es handelt sich um die Firma Wilhelm Brauns KG, Anilinfarbenfabriken, Quedlinburg. 8 Die Entwicklung unserer PGH seit 1958, Metaplast, Produktionsgenossenschaft des Handwerks Metall und Plaste 43 Quedlinburg, Harz, Quedlinburg 1968, Broschüre, S. 8. 9 Sortimentsübersicht Plasthaushaltwaren 1962-64, LHASA, VVB Plastverarbeitung, Nr. 153, 9 Blatt. 10 Eine hervorragend recherchierte Studie zum Kängeruhstuhl, der die Informationen dieses Textes folgen, ist: Juliane Wattig: Kängeruh-Stuhl. Ein BRD-Design in der DDR. Semesterarbeit im Fach Kunst- und Kulturgeschichte, vorgelegt am Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften an der Fachhochschule Köln, 2008. 11 Wochenendbeilage der Volksstimme vom 8. Juli 1988. 12 VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin, Der Auftrag. Beiträge zur Geschichte, Heft 1, o. O. 1980, S. 14. 13 Ebenda, S. 14 f. 14 Dieter Bock: Spritzgießmaschinenbau in der DDR. Die historische Entwicklung und ihr Umfeld, Herrnhut 2004, S. 180. 15 VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin, Der Auftrag. Beiträge zur Geschichte, Heft 1, o. O. 1980, S. 38. 16 25 Jahre VEB Plastverarbeitungswerk Staaken, 1962-87. Betriebschronik, Staaken 1987, S. 2.



Mitarbeiter der Isopress Rottenbach, in Verwaltung, an einer hydraulischen Presse. Foto undatiert.

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Kapitel V: Aus neu wird alt „Plaste“ – Gegenstand der Wissenschaft: Konservieren und Restaurieren von DDR-Kunststoffen Öffentliche und private Museen sammeln inzwischen Alltagsprodukte der DDR, wie Eier­ becher, Küchengeräte, Brotkörbe, Geschirr, Behälter und andere Gebrauchsgegenstände. Sinn und Zweck dieser Sammlungen ist es, den Alltag der DDR für nachfolgende Generationen erfahrbar zu machen. Dazu müssen die Sammlungen historisch und kulturwissenschaftlich aufgearbeitet werden. Jedoch wird die Frage nach korrekter Aufbewahrung und Präsen­tation, um die Dinge möglichst lange für die Nachwelt zu erhalten, dabei meist vernachlässigt. Das Sammeln von Kunststoffobjekten aus den Bereichen Alltagskultur und Design folgt ande­ren Gesetzmäßigkeiten als das Sammeln von musealen Objekten und Antiquitäten. Warum sammeln wir diese Dinge? Das Material ist interessant, das Design oft ausgefal­ len, es sind frühe Massenprodukte mit ausgeprägtem Raritätscharakter, die inzwischen zu Sammlerstücken geworden sind. Sie würden nach und nach komplett aus unserer Welt ver­ schwinden, wenn sie nicht konserviert und restauriert würden. Dabei steht die kultur­ geschichtliche Bedeutung weit vor monetären Interessen, da es sich meist nicht um im her­ kömmlichen Sinne „wertvolle“ Dinge handelt. Die Wissenschaft der Restaurierung und Konservierung moderner Materialien, wie sie Kunststoffe darstellen, ist ein recht junges Aufgabenfeld und die Entwicklung des Fachgebie­ tes erfolgte in der Anfangszeit eher empirisch, denn streng wissenschaftlich. Was bei her­ kömmlichen musealen Objekten selbstverständlich ist, muss bei Kunststoffobjekten erst mühsam erarbeitet werden. Fehlende Erfahrungen, methodische Probleme und Forschungs­ defizite, zusätzlich das schlechte Image der Kunststoffe führten dazu, dass die degradieren­ den ( d.h. das Material wird abgebaut und zersetzt sich) Originalteile ausgetauscht wurden. Heute gehören diese Anfangsfehler der Vergangenheit an, die Entwicklung von Mitteln und Methoden schreitet voran. Es fehlt allerdings noch immer an einer Auseinandersetzung mit dem Image der Kunst­ stoffe, mithin an ihrer Akzeptanz, auch in der Kunst, der Denkmalpflege und der Restaurie­ Linke Seite Milcheimer aus Polyethylen. Durch intensive Sonnen­ einstrahlung spröde gewor­ den und schon durch leise Berührung in Scherben zersprungen.

rung. Das dahinterliegende Problem ist die mangelnde Beschäftigung mit der Vielfalt des Werkstoffes Kunststoff. Wir haben es mit einer unendlich scheinenden Vielfalt von Kunst­ stoffen zu tun, die von Spezialisten entwickelt wurden. Jeder Kunststoff zeichnet sich durch für ihn typische physikalische und chemische Eigenschaften aus. Für Laien gibt es einige einfache Möglichkeiten der Annäherung. Die geschichtliche Einordnung, das Aussehen, die Gestaltung, direkte Hinweise am Objekt wie Herstellerzeichen und ähnliches.

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Das alleine reicht allerdings für eine restauratorische Herangehensweise nicht aus, nur mit einer kombinierten naturwissenschaftlich-kulturwissenschaftlichen Analyse kann man den Kunststoffen ihr Geheimnis entlocken. Nötig ist ein kontrolliertes Verfahren einer syste­ matischen, schrittweisen Analyse, um zu Gewissheit und damit zu Empfehlungen für den Erhalt zu kommen. Auf den folgenden Seiten werden einige wichtige Probleme des Materials Kunststoff angesprochen und die heutigen Methoden der Konservierung vorgestellt. Dabei wird versucht, die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge für Laien so verständlich dar­ zustellen, dass die Arbeit der Restauratoren und deren Methodik nachvollziehbar wird.

Alterung Alle Materialien, auch Kunststoffe, verfallen im Alter. Die Vorgänge der Alterung sind wie alle Alterungsvorgänge in der Natur nicht reversibel. Der große Unterschied liegt in der Zer­ fallsgeschwindigkeit: viele natürliche Stoffe zerfallen sehr langsam, sie können über Jahrhun­ derte unverändert erhalten bleiben. Organische Werkstoffe, darunter auch die Kunststoffe, degradieren wesentlich schneller als anorganische. Innerhalb der synthetischen Stoffe sind gro­ße Unterschiede in der Stabilität zu verzeichnen. Einige können sehr rasch, das heißt innerhalb weniger Jahre verfallen, während andere über Jahrzehnte unverändert überleben. Der Zusatz von geeigneten chemischen Ver­bindungen – Inhibitoren – während der Verarbei­ tung hat hemmenden Einfluss auf den Alterungsprozess. Kunststoffe stellen für die Restauratoren auch hier eine besondere Herausforderung dar. Lange Zeit erkennt man nicht – anders als beispielsweise bei Metall oder Holz-, dass Zerfalls­ prozesse schon eingesetzt haben und wenn man es erkennt, ist es schon fast zu spät. Hat die De­gradation erst einmal begonnen, ist es fast unmöglich, diesen Prozess aufzuhalten oder gar um­zukehren. Daher ist es nicht nur wichtig, auf die ersten Anzeichen der Degradation zu achten, sondern auch die Faktoren zu ergründen, die den Zerfall einleiten. Die Duroplas­ te (Kunststoffe, die nach ihrer Herstellung nicht mehr mit Wärme verformt werden können) zählen zu den haltbarsten Kunststoffen, sie sind thermisch sehr belastbar und mechanisch extrem beanspruchbar. Die Thermoplaste oder Plaste (Kunststoffe, die auch nach ihrer Her­ stellung in einem bestimmten Temperaturbereich noch plastisch verformt werden können) und die Elastomere oder Elaste (Kunststoffe, die formfest aber elastisch verformbar sind, wie Gummibänder) hingegen zeigen vielfältige Degradationserscheinungen und Alterungs­ spuren. Ebenso können Verunreinigungen während der Herstellung, hervorgerufen durch schlecht gesäuberte Maschinen und Räume oder unreine Rohstoffe und Additive, zu spä­ teren Sollbruchstellen oder Versagen der Stabilität und Haltbarkeit führen. Wird ein Naturprodukt als Ausgangsmaterial für die Herstellung verwendet, ist die Ge­ fahr einer Verunreinigung weit größer als bei synthetisch produzierten Rohstoffen. Deshalb muss beim Herstellungsprozess viel mehr Wert auf die richtige Aufbereitung gelegt werden. Etwaige Schäden müssen nicht sofort auftreten, sie können aber die Periode der Brauchbarkeit stark verringern, also gleichsam das Lebensalter der Dinge verkürzen. Zu

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beachten ist auch die Verwendung von Füllstoffen und Pigmenten und ihre Auswirkung auf die Stabilität. Nicht nur, dass diese metallische Komponenten enthalten können, sie können auch schon in der Weiterverarbeitung Degradationsprozesse einleiten, indem sie beispielweise die thermische Zersetzung beschleunigen. Auch eine spanabhebende Be­ arbeitung kann zu sekundä­ren Verformungen führen. Die Folge des mechanothermischen Abbaus ist die Verringerung des Molekulargewichtes beispielweise bei Polystyrol oder Polymethacryl­at. Neben der Technik kann auch der Mensch schon während der Herstellung zu einer beschleu­nigten Alterung der Produkte beitragen. Die genaue Einhaltung der verfahrenstech­ nischen Re­geln ist daher wichtig. Wie aufgezeigt, beeinflusst das Zusammentreffen vieler Faktoren während der Herstel­ lung, des Gebrauchs und der Lagerung das Verhal­ten der Materialien. Auch das Klima spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Die Einwirkungen der verschiedenen Klimafaktoren führen zu einer atmosphärischen Alterung von Kunststoffen, die ihre Eigenschaften irreversibel verändern und den Gebrauchswert stark beeinträchtigen. Die intakte Oberfläche ist dabei der wichtigste Schutz vor der äußeren Atmosphäre. Das Versagen dieses Schutzes beginnt meist mit Rissen,1 aber auch mit dem Verziehen des Werkstückes, dem Wandern (Migration) einiger Inhaltstoffe an die Oberfläche, das sich in flüssiger oder kristalliner Form zeigt. Die Veränderungen zeigen sich also im Aus­sehen, im Glanz, der Farbe und in Rissbildungen, sowie in den verminderten Gebrauchseigenschaften. Vor jeder Restaurie­rung und Konservierung ist es essentiell, sich mit den aktuellen Er­ kenntnissen auf dem Gebiet der Restaurierung auseinanderzu­setzen, um ein möglichst um­ fassendes Bild der Veränderungen im Werkstoff zu erhalten und so zu einem Restaurierungund Konservierungskonzept zu gelangen, damit die Behandlung nicht zu weiteren Schädigungen führt oder die Alterung beschleunigt. Um zu verstehen, wie wir zu einer möglichst guten Erhaltung der Kunststoffe gelangen, ist die Methodik der Restaurierungswissenschaft für die besonderen Herausforderungen beim Werkstoff Kunststoff im Folgenden zusammengefasst.

Methodik der Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft2 Wie schon in den vorigen Abschnitten deutlich wurde, kann man die Arbeit der Restaurato­ ren am ehesten mit der von Detektiven beschreiben, die alle möglichen Indizien sammeln müssen, um dann die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Im Folgenden wird exemplarisch aufgezeigt, um welche Art von Indizien es sich handeln kann. Voruntersuchungen und Charakterisierung der zu restaurierenden Objekte stellen den wichtigs­ten Part für die Konservierung und Restaurierung dar. Deshalb müssen alle relevan­ ten Daten über das jeweilige Objekt zusammengetragen werden, bevor eine geeignete Kon­ servierungsstrategie entwickelt werden kann. Voraussetzung dafür ist das Wissen um die die Kunststoffe schädigen­den Faktoren, denn man kann Schäden nur erkennen, wenn man auch weiß, wie sie entstehen.

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Die Untersuchungen müssen individuell auf jedes Objekt abgestimmt sein und wegen der Komplexität der Stoffe in Zusammenarbeit mit einem analytischen Labor stattfinden. Zu Beginn einer Restaurierung und Konservierung steht die Dokumentation mit Ob­ jektbeschreibung und -recherche, wobei Stempel, Firmenzeichen, Verpackungen, Num­ mern, Formen, Farben, Hersteller und Informationen über Fabrik und Produktionsjahr be­ achtet werden sollten. Marken- und Produktnamen sind wichtig, nicht nur wegen der Firmenzugehörigkeit, sondern um Künstler oder Gestalter auszumachen, die mit Produzenten zusammen gearbei­ tet haben. Vor allem Moden be­stimmen den Stil einer Zeit und können daher einen Hinweis auf einen Zeitraum geben, wie bei­spielsweise Tütenlampen und Pastellfarben in den 1950er Jahren oder die Ägyptenmode in den 1920er Jahren. Nach der Objektbeschreibung folgt die Beschreibung der Funktion und des Zustandes, also der Gebrauchsspuren, Produktionsspuren, Reparaturen und der Schäden. Der Scha­ densbeschreibung folgt die Beurteilung des Zustandes nach definierten Standards. Abschließend werden die bisherigen Lagerungsbedingungen beschrieben. Ob eine offene oder geschlossene Aufbewahrung stattgefunden hat, welche Materialien dazu verwendet wur­ den und welche Beschaffenheit das Raum- und Mikroklima hatte, ist von zentraler Bedeutun­g für die Belastungen, denen ein Objekt bis zum Zeitpunkt der Untersuchung ausgesetzt war.

Visuelle Beschreibung und Charakterisierung des Materials Die Beschreibung und Charakterisierung sollte sich nicht nur mit der Bestimmung der Sub­ stanz beschäftigen, sondern auch mit seiner Provenienz. Am Anfang steht dabei der Ver­ such, die Art des Kunststoffs über seine Provenienz und alle darüber vorhandenen Daten zumindest einzugrenzen. Hilfreich hierbei ist es, die Erkenntnisse aus der Objektbeschrei­ bung und Recherche einbeziehend, die Form zu betrachten, denn über das Design kann eine grobe Einordnung in die historischen Zusammenhänge erfolgen. In Kenntnis der Kunst­ stoffgeschichte können die möglichen Materialien damit herausgesucht und eingegrenzt werden. Verarbeitungs- und Herstellungsspuren können weitere Hinweise geben, da die verschiedenen Polymere unterschiedliche Produktionsformen bedingen. Oft geben äußere Erscheinungsmerkmale und Betasten, Ritzen sowie vorsichtiges und einfa­ches Hin- und Herbiegen schon Hinweise auf eine bestimmte Kunststoffgruppe. Zu den Er­scheinungsmerkmalen gehören neben Stil und Gestaltung auch Stempel, Trans­ parenz und Farbe, Oberflächengestaltung, Verformungen, Zersetzungserscheinungen und Anzeichen von Schäden. Dabei ist die Betrachtung unter dem Mikroskop oft hilfreich. Am Anfang jeder Untersuchung sollte eine kurze schriftliche Beschreibung des Materi­ als erfol­gen mit folgenden Stichpunkten: Farbe, Lichtdurchlässigkeit, Oberflächenbeschaf­ fenheit, Steifheit, physikalische Eigenschaften und Geruch. Keiner der oben aufgeführten Punkte wird zu einer definitiven Identifikation führen, doch können in Zweifelsfällen gerade diese Aspekte helfen, zwischen zwei oder mehr Kandi­ daten zu ent­scheiden. Die Beschreibung der vorher aufgeführten Punkte durch die Restaura­

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toren ist auch für die Ana­lytiker als Ausgangspunkt sehr wichtig, wenn weitere instrumen­ telle Analysen folgen sollten, um beispielsweise herauszufinden, in welcher Phase der Alterung sich das Material befindet. Die Beschreibung beinhaltet weiterhin die Erläuterung eventuell vorgefundener Stempel oder Marken. Oftmals finden sich verschiedene Stempel auf der Unterseite oder an anderen verdeck­ten Stellen. Möglicherweise sind es Firmenlogos, Markennamen, Patentnum­mern, Zeichen nach DIN oder TGL, die auch über die Zusammensetzung Auskunft geben können. Gerade die eingetragenen Warenzeichen oder die Normenkennzeichnung verraten nicht nur den Kunst­stoff, sondern auch die Füllstoffe. Doch mit den Kennzeichnungen und Kurzzeichen sollte man vorsichtig umgehen. Leider werden bis heute häufig noch unterschiedliche Kurzzei­ chen für die gleichen Polymere verwendet, vor allem in Publikationen und Firmenunterlagen.

Transparenz und Farbe Weil nur wenige Synthetika als glasklare Formmassen produziert wurden, kann die Trans­ parenz von Werkstoffen ein weiteres Indiz zur Charakterisierung sein. Andere können als Folie zwar glasklar hergestellt sein, wären als Formmasse aber trüb. Natürlich kann jeder transparente Kunststoff auch gefüllt und gefärbt auftreten. Auch die Farbigkeit eines Kunststoffes gibt Auskunft über das Material. Beispielsweise können die Phenolformaldehydformmassen nur in dunklen Tönen, maximal in Ocker, her­ gestellt wer­den. Erkennt man kleine Fasern oder Holzpartikel in der Masse, kann man meist von Phenol­formaldehyd ausgehen, selten sind die Holzpartikel in Bois Durci, Ebena oder Schellack zu erkennen. Alte blaue Bakeliteobjekte mit einer intakten Oberfläche wird es kaum mehr geben, da sie heutzutage vermutlich zu einem grünen Objekt vergilbt sind. Erkennt man Linien, die auf die Fließrichtung weisen und führen diese auf einen Punkt hin, wurden die Objekte im Spritzver­ fahren fabriziert. Imitationen von Elfenbein und Schildpatt wurden vorwiegend aus den frühen Kunststoffen ge­fertigt: Mit Cellulosenitrat konnten fast perfekte Elfenbeinimitate hergestellt werden und auch die Schildpattimitate aus Cellulosenitrat zeigten eine größere Transparenz und Klarheit als die Imitate aus Kasein­ formaldehyd oder Horn. Weiterhin deuten perlmuttfarbene Effekte auf Kasein hin und Bern­ steinimitate auf Phenolform­aldehydgießharz. Man kann sich aber nicht immer auf die Farbigkeit der synthetischen Waren verlassen, da populäre Farben und Objekte oftmals in billigeren Materialien imitiert wurden. Dem acht­ samen Auge fallen die Unterschiede in Qualität und Material jedoch auf.

Oberflächen Auch die Oberflächen müssen detektivisch genau ausgewertet werden. Die Oberfläche mit ihrem unterschiedlichen Glanz verweist auf die Polierfähigkeit der unter­schiedlich glänzen­ den Werkstoffe. So können Polyacrylate, Polystyrol, Celluloseester, Kasein und Gießharze zu

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einem hohen Glanzgrad poliert werden, während Polyethylen und andere kristalline oder weichere Polymere wesentlich weniger Glanz zeigen. Gerade die Veränderung des Glanz­ grades und der Oberfläche sind genauestens zu beobachten und zu untersuchen, da sich hier die Frage nach der Patina stellt. Die Untersuchung muss sich mit der Frage beschäftigen, ob eine Patina vorliegt und wie sie zu erhalten ist. Weiterhin muss berücksichtigt und kontrol­ liert werden, inwieweit sich die Oberfläche künftig verändern könnte. Das Behandlungskon­ zept muss die möglichen Veränderungen der Oberfläche bedenken, denn die Grenze zwi­ schen Patina und Degradation ist ständig im Fluss, wenn die Abbaumechanismen nicht unterbunden werden können. Kleinere Fehler in der Oberfläche, die unter dem Mikroskop zu erkennen sind, wie bei­ spielsweise leichte parallele Kratzer oder Linien, sind typisch für Cellulosenitratfolien. Sie stam­ men vom Furniermesser. Diese Linien dürfen aber nicht mit den Zeichen verwechselt werden, die vom Extrudieren stammen und auf Röhren, Stangen oder andere Folien zu finden sind. Ausblühungen auf der Oberfläche wie ein weißliches Pulver auf dunkelfarbigen Objek­ ten kön­nen schwefelhaltige Produkte aus dem vulkanisierten Kautschuk sein, flüssige oder schmierige Filme auf hellfarbigen und transluzenten Objekten können ein Hinweis auf Cel­ lulosenitrat sein, wohingegen hier ein weißliches Pulver auf Celluloseacetat deuten würde. Flüssige Filme oder Tropfen auf weichen, biegsamen, transparenten oder farbigen Objekten weisen auf Weich-PVC hin. Die Feinheit oder Unreinheiten der Kanten, Nähte und Ränder, die vom Pressen oder Gießen herrühren, lassen auf die Viskosität (Fließzähigkeit) schließen. Sehr dünnflüssige Massen zeigen sehr feine und kleine Unebenheiten und nicht alle Stoffe konnten in der Frühzeit dünnflüssig eingestellt wer­den. Hier kann die Produktionstechnik mehr Auskunft geben. Wurden die Unreinheiten mit Farbe oder Firnis überstrichen, ist dies ein Datierungshinweis auf das 19. Jahrhundert, als es Mode war, Fehlerhaftigkeiten zu über­ decken und damit auch noch etwas Farbigkeit und Glanz hinzuzufügen. Nur Kratzer oder andere Beschädigungen geben hier den Blick auf das Material frei.

Verformungen, Fehler, Härte, Bruchbild und Geruch Verformungen können durch den Verlust des Weichmachers hervorgerufen werden, wie dies für Polyvinylchlorid und Celluloseacetat typisch ist. Alle Thermoplaste können sich aber auch durch Hitzeeinwirkung oder durch eine Behandlung mit Lösemitteln verformen. Die Härte der Polymere ist abhängig vom Vorhandensein und der Menge an zugesetzten Weich­machern, Füllstoffen und anderen Beimengungen. Einfache Möglichkeiten, eine Aus­ sage über die Härte zu treffen, ermöglichen der Fingernagel- oder der Bleistifttest. Die Ergeb­ nisse dieser Tests müssen allerdings mit Vorsicht betrachtet werden, da sich im Laufe der Alterung die Härte verändern kann. Kunststoffe wie Polyethylen, Polypropylen, Gutta Percha, Weich-PVC, Gummi und Polyurethan können mit dem Fingernagel eingedrückt und je nach Art der Verformung damit eingegrenzt wer­den. Sogar das Bruchbild der Polymere kann Aufschluss über die Art der Werkstoffe geben, ein Weißbruch, eine Bruchstelle mit weißen Kanten, deutet auf Hart-Polyvinylchlorid, Buta­

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dienstyrol und Acrylnitril-Butadien-Styrol, wohingegen alle Duroplaste und Polymethyl­ methacry­lat und Polystyrol einen spröden glasartigen Bruch zeigen. Ist gar kein Bruch festzustelle­n, kommen alle Elastomere und Polyethylen, Polypropylen, Polyamid, WeichPoly­vinylchlorid, Celluloseacetat, Polycarbonat und Polytetrafluorethylen in Frage. Auch der Geruch gibt Anhaltspunkte auf das Material oder die verwendeten Stoffe. Um ihn wahrnehmen zu können, reibt man entweder mit dem Daumen oder dem Finger über die Ober­fläche. Die Phenoplaste riechen nach Phenol, schwefliger Geruch deutet auf vulka­ nisierten Kautschuk, Campher auf Cellulosenitrat, Essig auf Cellulose­acetat, muffige form­ aldehydartige Gerüche entstehen gewöhnlich bei Kasein und ein wachsar­tiger Duft deutet auf altes Polyethylen hin.

Mikrochemische Tests zur Identifikation von Kunststoffwerkstoffen Neben der äußeren Erscheinungsform eines Kunststoffes liefert die mikrochemische Untersu­chung, wie das Verhalten in der Wärme und die Reaktion auf Lösungsmittel, nütz­ liche Hin­weise für die Erkennung. Jede Kunststoffanalyse verläuft in einer festgelegten Reihenfolge: Nach Feststellung der Kunststoffgrup­pe (Thermoplaste, Duroplaste und Elastomere) folgen die Vorproben zu eini­ gen typischen Merkmalen wie Löslichkeit, Dichte und Erweichungs- und Schmelzverhalten. Die Löslichkeit der Kunststoffe hängt sehr von dem chemischen Aufbau und auch von der Größe des Moleku­largewichtes ab. Einen eindeutigen Nachweis geben die Tests mit verschie­ denen Lösemitteln nicht. Jedoch geben gerade Lösemittelversuche für Restauratoren wichti­ ge Hinweise auf Reini­gungs- und Klebemöglichkeiten. Auch die Dichte von Kunststoffen ist nur bedingt als Kenngrö­ße brauchbar, „da insbesondere verarbeitete Kunststoffe oft Hohl­ räume, Poren oder Fehlstellen enthalten.“3 Besonders das Verhalten beim Erhitzen im Glüh­ röhrchen (Pyrolysetest) und in der offenen Flamme (Brennprobe) spielt eine wichtige Rolle für die Ein­grenzung.

Mikroskopie Die Lichtmikroskopie bietet eine einfache und informative Möglichkeit, Proben von Kunst­ stoffen zu untersuchen. In der Industrie stellen mikroskopische Untersuchungsmethoden häufig die direkteste und beste Möglichkeit dar, die inneren strukturellen Merkmale von Kunststoffen zu erfassen und zu beurteilen. Da einzelne Moleküle lichtmikroskopisch nicht auflösbar sind, kön­nen übergeordnete Strukturen oder Beeinflussungen identifiziert und beurteilt werden. Die Problemstellung der mikroskopischen Untersuchungen reicht dabei von der reinen Werkstoffbeurteilung über die Sicherung der Qua­lität einer Fertigung bis hin zur Beurteilung von Schadensursachen. Gerade die Beurteilung von Schäden und Schadens­ ursachen ist auch für die Restaurierung und Konservierung interes­sant, um ein dem Objekt gerechtes Konzept für die Bewahrung zu entwickeln.

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Instrumentelle Analytik Genaue Ergebnisse erzielt der Naturwissenschaftler mit instrumenteller Analytik. Apparative Untersuchungen mittels Py-GC/MS haben interessanterweise gezeigt, dass die Zusammen­ setzung der DDR-Kunststoffe (bisher wurden PE und PS verglichen) sich nicht von den BRD-Kunststoffen unterscheidet.

Präventive Strategien und Konservierung Gelangen Kunststoffobjekte in die Sammlungen, so sind besondere Handhabung und prä­ ventive Strategien nötig, um die Objekte bestmöglich vor Schäden zu schützen und die Alte­ rung aufzuhalten. Neben den oben aufgeführten Untersuchungsmethoden und der Samm­ lung von Indizien fehlt es oft an der Kenntnis, welches „unbekannte Leben“ ein Objekt vor der Aufnahme in die Sammlung hatte. Wo wurde es gelagert, wie wurde es benutzt und vie­ les mehr. Unsachgemäße Handhabung führt oft erst eine gewisse Zeit später zu Schäden, die dann nicht mehr zuzuordnen sind. Um weitere Schäden zu vermei­den, müssen bei Aufnah­ me in eine Sammlung neben der speziellen Deponierung auch Richtli­nien zum Transport und Regelungen zum Umgang erstellt werden. Solche Regelungen beginnen, wie bei traditio­ nellen Objekten, mit dem Tragen von Handschuhen. Oberste Prämisse ist, dass das Objekt selbst so wenig wie möglich angefasst oder gar herumgetragen wird. Informationen über das Objekt sollten als Karteikarte oder als Datenausdruck beim Objekt lie­gen, um so unnötiges “in die Hand nehmen“ zu vermeiden. Die moderne Variante sind Bar­ codes am Objekt, die über einen Scanner die Objektdaten in eine Datenbank einlesen. Zu den eigentlich sehr simplen aber effektiven Methoden gehört essentiell eine „gute Haushaltsführung“ im trockenen Depot, denn Feuchtigkeit und Staub können bei syntheti­ schen Ma­terialien die Degradation beschleunigen. Staub ist hier ebenso gefährlich wie ande­ re atmosphärische Elemente, da Staub und Schmutz nicht nur Feuchtigkeit binden können, son­dern auch abrasiv (abschleifend) wirken. Einige Maßnahmen sind einfach umzusetzen, dazu gehören eine regelmäßige Reini­ gung des Fußbodens, UV-Schutz vor den Leuchtmitteln, Staubabdeckung der großen Objek­ te, regel­mäßige Kontrolle des Zustandes und eventuelle Reinigung aller Objekte. Im Raum verteilte Pheromonfallen können über die verschiedenen Insektenpopulationen in den ver­ schiedenen Räumlichkeiten Auskunft geben, wie auch stets geschlossene und verdunkelte Fenster deren Eindringen verhindern. Optimale Lagerungsbedingungen sind genauso wichtig wie optimale Ausstellungs­ bedingungen. Auch im Depot können relative Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Licht, Strahlung, Gase und Staub als destruktive Mittel wirken. Daher sollten die Werte gemessen, kontrolliert und bei ungünstigen Werten oder zu großen Schwankungen Gegenmaßnahmen überlegt werden. Die Messung von Licht und UV-Strahlen muss nicht ständig erfolgen, eine Messung mit handelsüblichen Lux- und UV-Metern in Intervallen ist ausreichend.

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Kurz gesagt: „Good housekeeping is the first step to good storage.“4 Auf die Einrichtung und Ausstattung der Depots ist größte Sorgfalt zu verwenden, sie vermögen es, den Expona­ ten eine maximale Lebenszeit zu gewährleisten.

Resümee Nicht nur in der Alltagskultur der ehemaligen DDR spielten Plaste eine wichtige Rolle. Diese synthetischen Stoffe werden gezielt eingesetzt, haben bestimmte Qualitäten, ihre Geschichte reicht inzwischen über ein Jahrhundert zurück, sie sind Teil unseres Lebens und schon des­ wegen sind sie erforschungs-, dokumentations- und erhaltenswürdig. Sie sollten lesbar blei­ ben, und weil sie viel flüchtiger sind als traditionelle Materialien, müssen wir viel mehr für sie tun. Oder wollen wir, dass in 100 Jahren ein wesentlicher Teil der Alltagskultur des 20. und 21. Jahrhunderts nicht mehr vorhanden ist? Solange Museen und Sammler Kunstwerke und gestaltete Objekte sammeln, die unsere Gesellschaft und Kultur dokumentieren, solan­ ge wird es Kunststoffe in Museen geben. Ihr Anteil wird dabei zunehmen, wie er auch im alltäglichen Leben mehr und mehr an Ein­fluss gewinnt. Der Unterschied liegt im Werkstoff. Wenn wir mit klassischen Materialien arbeiten, ist das Ziel der Restaurierung eigentlich, die Objekte für die nächsten 100 Jahre in einem guten Zustand zu erhalten. Bei Kunststoffen müssen wir diesen Anspruch reduzieren, weil wir schlicht nicht wissen, wie sich das Material in den kommenden Jahren verhalten wird. Polymere Werkstoffe haben leider die Tendenz, sich über die Jahre allmählich in ihre Grundstoffe zu zersetzen. Natürlich gibt es da Unterschiede: Duroplaste zum Beispiel sind sehr haltbar, Phenolformaldehyd hält 100 Jahre und länger. Polystyrol dagegen war immer schon sehr empfindlich und anfällig etwa gegenüber Spannungsrissen. Oder beispielswei­ se die DDR-Milchkannen aus Polyethylen, die unangenehm riechen – vielleicht auf Grund von Weichmacher-Migration und der sehr langen Nutzung zu DDR-Zeiten. Bei der Analy­ se wurden zum Beispiel die ungesättigten Fettsäuren der Milch im Polyethylen einer Milchkanne nachgewiesen. Es bleibt viel zu tun. Die Forschung steckt noch in den Kinder­ schuhen.

Friederike Waentig

1 Robert Shanks: Polymer Corrosion. Environmen­tal and mechanical degradation. in: Corrosion

Australia. Vol. 15. No. 6. 1990, S. 7 f. 2 Friederike Waentig: Plastics in Art. A Study from the Conservation Point of View, Petersberg 2008. 3 Dietrich Braun: Erkennen von Kunststoffen. Qua­litative Kunststoffanalyse mit einfachen Mitteln,

München / Wien, 2. Aufl., 1986, S. 38. 4 Roger Griffith: Storage: Not So Simple. Improved Storage Specifications For Modern Furniture

Coll­ections, (unveröffentl. Diplomarbeit.) London 1997, S. 54.

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Die Ablagerungen des Neuen Plaste in Geschichte, Konsum und Museum

Der Gang durch ein Kaufhaus offenbart es: Plastikdinge sind in der warenförmigen Welt distinktiver Markenprodukte angekommen. Statt der funktionsbezogenen Systematik ein­ facher Gebrauchsgegenstände wie Eierlöffel, Schuhanzieher und Rührschüsseln zu folgen, haben wir uns zwischen Handelsmarken zu entscheiden, deren Namen wir erst erlernen müssen. Markenbezug beim Konsum setzt voraus, dass entweder verläßliche Qualitätsstan­ dards oder gar eine gegenüber dem Konkurrenzprodukt überlegene Qualität erwartet wer­ den kann, oder zumindest (vielleicht gar wichtiger) eine distinktive Verortung des Konsu­ menten in der Öffentlichkeit bewirkt werden soll. Geht so etwas bei Gegenständen aus Plastik? Ein Blick zurück zeigt die wechselnden Konjunkturen der kulturellen Bedeutung von Kunststoffartikeln und ihre Einbindung in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext. Plastik ist die neue Anmutung der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Dies gilt weltweit und natürlich auch in der DDR, die hier deshalb zunächst nicht gesondert betrach­ tet werden soll. In der Kulturgeschichte der Kunststoffe wird das 20. Jahrhundert als „syn­ thetisches Jahrhundert“ bezeichnet.1 In wenigen Jahrzehnten veränderte sich die Welt der Gebrauchsgüter ebenso grundlegend, wie die Einstellung der Menschen zum Wert der Güte­r. Plastik ist das Material der Gewöhnlichkeit, des Verbrauchs, des Wegwerfens, nicht aber des Werts, der Dauerhaftigkeit und der Reparatur.

Points of no return Die Eckpunkte der Entwicklung sind schnell erzählt: Das 1907 erfundene Bakelit ist der erst­e vollsynthetische Kunststoff weltweit und bestimmte für mindestens zwei Jahrzehnte die Vor­ stellung von Kunststoffen. Telefon- und Radiogehäuse waren seit den 1920er oder 1930er Jahren aus Bakelit, ebenso Türgriffe, Schalen, Dosen und vieles mehr. In vielerlei Beziehun­ gen war Bakelit Ersatz für traditionelle, natürliche Materialien, insbesondere für Metalle und Holz. Aus einer Masse in Form gepresst ersetzte Bakelit aufwändige Handarbeit und war zugleich ein ideales Material der industriellen Massenproduktion. Das Telefon im Schicht­ holzgehäuse war ein Luxusartikel, ebenso das Radio in Form eines Möbelstücks. In den 1930er Jahren sind beide Gebrauchsgegenstände geworden und im Alltag angekommen. Linke Seite Relikte des Alltagsgebrauchs: Flaschenöffner, kombiniert mit Verschluss aus Kunst­ stoff.

Ihre Gehäuse aus Kunststoff sind Normalität und werden nicht mehr als „Ersatz“ wahrge­ nommen. Die zahllosen Gehäusebauwerkstätten dagegen mussten der industriellen Produk­ tion gepresster Duroplaste weichen. Die freie Formbarkeit des Kunststoffs hatte die Konsum­ güter von den Zwängen handwerklicher Konventionen und Möglichkeiten befreit, es

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entstanden neue, zweckdienliche und daher unaufdringlich-logische und angemessene For­ men. Tendenziell war der Weg geöffnet, technischen Konsumgütern ein auf ihre Funk­tion ausgerichtetes Gehäuse zukommen zu lassen. Ein weiterer Schritt zur „Plastifizierung“ der Welt war das Cellophan (Zellulosehydrat). Seit 1908 hergestellt, diente der halbsynthetische Kunststoff in Form einer durchsichtigen Folie der Verpackung von Lebensmitteln. Die knisternde Tüte suggeriert Haltbarkeit, Frische und Hygiene, ihr Inhalt ist geschützt und zugleich sichtbar. Cellophan war lange Zeit ein Material der Moderne, denn es band als verfügbarer Beutel lose Einzelteile zusammen oder veredelte die Verpackung industriell hergestellter Lebensmittel, deren Gleichförmigkeit und Marktförmigkeit bereits zuvor durch eine erste Verpackungslage hergestellt worden war: Erst durch den Cellophanumschlag erhält die Schachtel Pralinen ihr modernes Finish: frisch, hygienisch, unbedenklich. Schritt Nummer drei ist das Nylon. Die Faser aus Polyamid (in Deutschland Perlon, in der DDR ab 1959 unter dem Handelsnamen Dederon) bewirkte eine kulturelle Revolution in der Bekleidung. Aus dem Luxusgut Seidenstrumpf wurde ein bezahlbares Produkt der in­ dustriellen Massenproduktion, das zugleich einen Bekleidungsstandard setzte. Während die aus der gleichen Faser hergestellte Kittelschürze den Hauch des Praktischen niemals abstrei­ fen konnte und lediglich als verbesserte Variante des Baumwollkittels galt, einfache Dinge wie der Dübel aus dem gleichen Material unter dem Blickwinkel seiner Gebrauchseigen­ schaften interpretiert werden, bedeutete der Nylonstrumpf den Eintritt in eine moderne Lebensweis­e: frei von Sorgen (Laufmaschen), demokratisch (Preis), sinnlich und doch mora­ lisch korrekt. Ein vierter und letzter Schritt zur Plastifizierung der Welt war die Einführung von Poly­ ethylen und Polypropylen als Material für Haushaltwaren. Zwar waren einfache Haushalts­ gegenstände aus Kunststoff schon zuvor bekannt und hatten in bestimmten Segmenten be­ reits in den 1950er Jahren eine hohe Verbreitung – vor allem bei der Anwendung von Melaminharz in Geschirr, Gefäßen und bei beschichteten Küchenmöbeln. Sie standen, zeit­ gemäß oft in Pastellfarben oder in Verbindung mit grau, für eine doppelte Modernität: prak­ tisch und hygienisch einerseits, mobil und unaufdringlich-funktional andererseits. Mit den Haushaltwaren aus Polyethylen und Prolypropylen brach dagegen die Popkultur in das häus­ liche Umfeld ein: Wassereimer in den Grundfarben rot, blau und gelb, Nutzung jenseits jede­r Konvention durch Unzerbrechlichkeit, Leichtigkeit und Biegsamkeit. Als Körbe, Botti­ che, Wanneneinsätze sind die knallbunten Gebrauchsgüter visuelle Marker in den Woh­ nungen und bald auch in der Öffentlichkeit: Getränkekisten, vorher aus Holz, werden aus Kunststoff hergestellt, Mülleimer („Vorsicht! Keine heiße Asche einfüllen!“) und andere Aus­ rüstungen bewirken einen vollständigen Materialaustausch in fast allen Lebensbereichen. Wer würde heute darauf kommen, die Gelbe Tonne für Kunststoffabfälle aus Blech herzu­ stellen? Mit dieser Gelben Tonne sind wir auf den Schattenseiten der Moderne aus Kunststoff angekommen. Plastik ist ein Wegwerfartikel, seine Zeitlichkeit ist dem Material eingeschrie­ ben und nur Museen kommen auf die Idee, seine Lebensdauer durch konservatorische Maß­ nahmen zu verlängern. Plastik kann weder repariert werden noch erhält es nach langem

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Gebrauch die Patina des Intimen, des durch Arbeit und Gewöhnung geadelten Objekts. Ex und hopp, dieses Motto der Konsummoderne in den 1970er Jahren2 gilt für entleerte Yoghurt­ becher, für Küchengeräte, deren Gehäuse gebrochen ist, oder heutzutage für Drucker, deren mechanische Plastikteile zerschlissen sind. Heute sind die immensen Abfallmengen aus Kunststoffen entscheidend für das nega­ tive Image des Plastik. Sieben bis acht Prozent des Hausmülls in Westeuropa bestehen aus Kunststoffabfällen, gerechnet nach Gewicht wohlgemerkt, nicht nach Volumen. Dreißig Pro­ zent davon sind Verpackungen. Jeder Versuch, den Schälchen und Folien zu entgehen, ist zum Scheitern verurteilt, weil alternative Verpackungshilfen in Supermärkten nicht angebo­ ten werden. Polystyrolfressende Vögel, plastikgranulatschluckende Fische, im Wind treiben­ de Plastiktüten machen die ökologischen Folgen des Kunststoffzeitalters drastisch deutlich. In der DDR war dieses Problem noch nicht virulent, denn Wegwerfartikel aus Kunst­ stoff waren selten, eher dominierten die ökonomischen Aspekte, die eine Wiederverwen­ dung und Aufbereitung von Plastabfällen aus Industrie und Haushalten nahelegten. Im aus­ gebauten System der Sicherung von Sekundärrohstoffen (SERO) wurde für ein Kilo Kunststoffabfälle eine Mark gezahlt, für eine Plastflasche 3 Pfennig – weniger im übrigen, als für ein Glas. Viel eher war die umweltzerstörende Wirkung der auf Karbonchemie beruhen­ den Produktionsanlagen ein Problem. Ob sie im Bewusstsein der Bevölkerung mit der zu­ nehmenden Plastifizierung der Warenwelt in Zusammenhang gebracht wurden, müsste erst näher untersucht werden. Plastik ist ein Stoff, der sehr schnell altert. Das gilt nicht nur für seine Ding-Karriere als Gebrauchsgut zwischen Produktionszeit und Müllzustand, sondern auch für seine repräsen­ tative Seite, die Warenästhetik.3 Darunter werden hier die emotionalen visuellen Zeichen verstanden, mit denen Gegenstände über ihren reinen Gebrauchswert hinaus als positiv oder negativ aufgeladen erscheinen, also Gefühle ansprechen, die ein Ding begehrenswert machen. Beispiele dafür sind die Präsentationen der Dinge in der Werbung, auf Messen, in Geschäften oder in Zeitschriftenberichten. Ursprünglich als kapitalismuskritische Theorie entwickelt, ist die Perspektive der Warenästhetik geeignet, den Blick für jenen ästhetischen Überschuss zu schärfen, der mit den Dingen verbunden sein kann, egal, ob in der auf Ver­ kauf und Profit angelegten kapitalistischen Wirtschaftsweise oder in dem auf Versorgung und Ressourcenplanung orientierten Staatskapitalismus in der DDR. Interessant sind dabei die Codes, mit denen Plastik als begehrenswert, modern und allgemein positiv dargestellt wird, aber auch das Auftreten der Kunststoffe im Alltag.

Werbung Obwohl das Chemieprogramm der DDR des Jahres 1958 mit großem propagandistischen Aufwand popularisiert wurde, fand es in der Produktwerbung nur einen bescheidenen Widerha­ll. Werbung gab es in der Planwirtschaft der DDR durchaus. Beginnend mit dem Neuen Kurs vom Juni 1953, der eine vermehrte Produktion von Konsumgütern versprochen hatte, wurden erstmals nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder verstärkt Werbean­

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zeigen in Zeitschriften publiziert. Anknüpfend an die Ästhetik der 30er Jahre wurden Mar­ kenprodukte und gehobene Konsumgüter beworben, in erster Linie Kosmetik und Konfek­ tion. Gegen Ende der 1950er Jahre verbreiterte sich die Palette der Produktwerbung um technische Konsumgüter und die 1960er Jahre zeigten sich aus der Perspektive der Produkt­ werbung als Phase einer konsumorientierten Warenwelt, offensiv vergleichbar mit der des Westens und weitgehend frei von genuin politischen Botschaften. Dies war eine Folge des V. Parteitages der SED, der die Überlegenheit des Sozialismus aus der künftigen Fähigkeit herleitete, mehr Konsumgüter als die Bundesrepublik zur Verfügung stellen zu können. Mit­ te der 1970er Jahre wurde Werbung für Konsumgüter rigoros eingeschränkt, bestand fak­ tisch nur noch aus Werbeanzeigen für den Export und existierte damit in der DDR-Öffent­ lichkeit nicht mehr. Für den Export bewarb die DDR die Leistungsfähigkeit ihrer Chemieindustrie in den 1950er Jahren durch die Präsentation mächtiger Produktionsanla­ gen, später durch die Auflistung exportfähiger Chemikalien oder Verbrauchsgüter wie Lacke und, bereits in den 1970er Jahren, in einer Werbebotschaft, die die Exportfähigkeit der DDR mit ihrer politischen Anerkennung verbindet: 1973 ist das Jahr der Weltfestspiele in OstBerlin und die Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz nicht nur ein Treffpunkt, sondern Zei­ chen der Internationalität. Dort hießt es kurzerhand: „DDR-Chemie fördert den Fortschritt“. Werbewand für das Chemie­ programm der DDR auf der Leipziger Messe, um 1960.

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Ein Bezug zur DDR ist jedoch, bis auf ihre Rolle als Exporteur, in diesen Anzeigen erstaun­ lich dezent. Das Chemiekombinat Leuna verknüpft in einer Werbeanzeige die Rolle der Pro­ duktion mit dem Slogan „60 000 Hände schaffen in einem Werk“ mit dem Versprechen

Werbung für Konsumgüter des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, 1962. „Plaste und Kautschuk“ 1962, H. 3. Werbeanzeige des VEB Chemi­ sche Werke Buna, „Plaste und Kautschuk“ 1962, H. 7. Unsere Zeit. Messemagazin 1973.

Exportwerbung für die Chemie­ industrie der DDR. Unsere Zeit. Messemagazin 1973.

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„Die Zukunft dem Kunststoff“ – beides Botschaften, die auch in den 30er Jahren hätten kommuniziert werden können. Ge­ zeigt wird eine Mutter, die ihr Kind in einer Wanne aus Kunst­ stoff badet – ein klarer Hinweis auf das Konsumgüterpro­ gramm der SED. Auch die Bildsprache eines privaten Lackherstellers zeigt unbekümmert das Produktionsvolumen auf einer Straße von Moskau bis Paris – über Berlin; der heuti­ ge Betrachter denkt an den „großdeutschen Wirtschaftsraum“ wenige Jahre zuvor. Einzelne Gegenstände aus Plaste spielten in der Export­ werbung dagegen kaum eine Rolle und auch für den Konsum­ güterbinnenmarkt wurden sie nur in wenigen Ausnahmen beworben. Die private Firma Kimmel beispielsweise, auf Haushaltwaren spezialisiert, warb in einer Anzeige mit einem Potpourri aus Haushaltsartikeln, die vor allem durch ihre Far­ bigkeit wirkte. Das Stickstoffwerk Piesteritz, unter anderem Hersteller von Melaminharz, bewarb seine Konsumgüter aus Meladur im Kontext ihres Einsatzgebietes Camping, verwies aber auch auf das Arbeitsleben, indem es eine Schreibkraft in einen Kreis von berufsbezogenen Kunststoffartikeln setzte. Eher beiläufig tauchen die neuen Kunststoffe in der Konsumgü­ terwerbung auf. In einer Anzeigenserie des Warenzeichenver­ bandes für Hauhaltsgeräte, IKA Electrica, steht der Wischeimer aus Kunststoff neben dem Staubsauger mit Metallgehäuse, der ein Jahr später bereits aus Kunststoff ist. „Frauen als Zeugen“ Werbeanzeigen der Lack­ fabrik Böhme & Michael für den Export. „Die Technik“, Messeheft 1955.

lautet die Werbebotschaft, die von heute aus betrachtet durchaus auch alltagsgeschichtlich zu verstehen ist. Damit sind die wesentlichen Verbreitungsgebiete von Kunststoffen im Haushalt formu­ liert, ohne dass jedoch das Material selbst anhaltend zum Gegenstand werbender Botschaf­ ten wird. Plaste sind irgendwann einfach da. Am deutlichsten werden Kunststoffe in der Textilindustrie beworben. Chemiefasern, die eigentlich nicht Gegenstand dieses Buches sind, haben offenbar die Phantasie von Werbern und Konsumenten weit deutlicher angeregt, als Putzeimer. Zarte Perlonstrümpfe und -unterwäsche unter dem Markennamen Hydrophil und synthetische Wolle (Wolcrylon) machen Ende der 1950er Jahre den Anfang. Mit der Ein­ führung des Markennamens Dederon für Nylon- beziehungsweise Perlonfasern beginnt eine einheitliche Markenstrategie, die auch die synthetische Wolle einbezieht. Wolpryla wird mit dem gleichen Slogan beworben wie zuvor schon Wolcrylon: „Leichter als Wolle“. Die Werbung für Dederon umreißt die Vorstellungswelten am Ende der 1950er Jahre: Unter dem Motto „Ein Faden vollendeter Verläßlichkeit“ werden die Qualitäten im einzelnen aufgeführt: „Schönheit und Eleganz, Zuverlässigkeit, duftige Leichtigkeit, einfach Waschmethode“. Kunststoffe sind hier mit ihrer Verbindung von Praktischem und Sinnlichem in besonderem Maße als Material der konsumgüterorientierten Nachkriegsmoderne erkennbar.4

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Werbeanzeigen für Konsum­ güter des VEB Stickstoffwerk Piesteritz, 1964. „Plaste und Kautschuk“ 1964, H. 5 und 9.

Werbeanzeigen für Haus­ haltsgeräte, 1963/1964. „Das Magazin“ 1963, H. 1 und 1964, Heft 9.

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Werbung für Chemiefasern, von oben links nach unten rechts: Hydrophil (Perlon), VEB Sternwäsche LimbachOberfrohna, 1959 Wolle imitierendes Wolcrylon, 1958 Dederonfaser, Werbung des Warenzeichenverbandes, 1959 Wolle imitierendes Wolpryla, 1963. „Sibylle“ 1958, H. 5; 1959, H. 6 und „Das Magazin“ 1963, H. 10.

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Alles aus Plaste

Seite 224 Kaufhalle mit eigenem Sorti­ ment von Haushaltwaren aus Kunststoff, Frankfurt (Oder), um 1960.

Messen, Geschäfte, Märkte – Warenpräsentation Die Chemiekonferenz des Jahres 1958 bringt die Plaste in die öffentliche Kommunikation. Auf den Leipziger Messen der Folgejahre spielen Kunststoffe nicht nur als gleichsam un­ kommentierte Materialien für Konsumgüter eine Rolle, sondern werden gezielt beworben,

Schaufensterdekoration mit Haushaltwaren aus Plast, verbunden mit Darstellung der Erdölleitung aus der Sowjetunion, zum 20. Jahres­ tag der DDR, Eisenhütten­ stadt 1969.

zum Beispiel Dekorationsstoffe als „Fasern aus der Retorte“.

Seite 225 Schaufenstergestaltung mit PUR-Möbeln im „Möbel­ kaufhaus“, Eisenhüttenstadt, 1970er Jahre.

Sowjetunio­n zu erkennen ist. Im Laufe der Jahre nimmt diese dezidierte Herausstellung ab.

Marktstand mit Kunststoff­ artikeln, Frankfurt (Oder), undatiert. Werbestand für Chemie­ fasern, Leipziger Messe, ­um 1960.

Auch in den Geschäften gewinnen Ende der 50er Jahre Plaste ein eigenständiges Gewich­t. In den modernen Selbstbedienungsläden der Zeit erhalten Haushaltsartikel aus Kunststoff eine eigene „Plaste“-Abteilung und in den Schaufenstern werden die gleichen Produkte im Kontext allgemeiner Erfolgspropaganda gezeigt, wie hier aus Anlass des 20.  Jahres­tages der DDR in Verbindung mit einer Darstellung der Erdölleitung aus der Die Präsentation von Möbeln aus Polyurethan beschränkt sich auf den werbenden Hinweis „einladend-wohnlich“, was immer er bedeuten soll, und schließlich landen die Gegenstände aus Plast auf den Marktständen. Wo ihnen im Kontext des Verkaufs von Haushaltswaren eine anhaltend zentrale Position zugewiesen wird. Diese zunehmde Alltagspräsenz von Kunststoffen ist ein Prozess, der in den 1960er Jahren einsetzte und sich bis in die 1970er Jahre fortsetzte. Skeptische Einschätzungen, nach denen Plastprodukte in der DDR anhalten knapp geblieben sind,5 lassen sich mit Blick auf die Warenwelt in den Kaufhallen nicht bestätigen. Ihre konzentrierte Präsentation macht jedoch deutlich, dass sie anhaltend als etwas Besonderes wahrgenommen wurden.

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Trinkbecher aus Plast, Sammlung des Dokumenta­ tionszentrums Alltagskultur der DDR.

Was bleibt? – Sedimente Die Einführung und schrittweise Gewöhnung an Kunststoffe in einem Zeitraum zwischen, grob geschätzt, den 1920er und den 1950er Jahren bedeutete eine Revolution der Warenwelt, die eigentlich eine beschleunigte Evolution war. In der DDR vollzog sich dieser Prozess, be­ dingt durch die Folgen des Zweiten Weltkrieges und die in den 1950er Jahren einsetzende zentrale Wirtschaftsplanung, verspätet und sektoral. Mit Blick auf die Quellen, die aus der DDR überliefert sind, ist der Modernisierungsschub der späten 1950er Jahre am auffällig­ sten, vor alle­m weil er mit der Chemiekonferenz 1958 und der Verkündung des 7-Jahrplans auf dem V. Parteitag der SED im gleichen Jahr einen programmatischen Charakter erhielt, der un­mittelbare Folgen für die Entwicklung neuer Konsumgüter hatte. Mit der gezielten Einbeziehung des sich in diesen Jahren professionalisierenden Industriedesigns, das weiter oben ausführlich beschrieben ist, erhielten die einfachen Gegenstände aus Kunststoff eine kulturell­e Bedeutung, die anderen Alltagsgütern fehlt. Die behauptete, durchdringende Plasti­fizierung der DDR, die auf diesen Innovationsschub folgte, ist einerseits nicht außerge­ wöhnlich, vollzog sich doch eine Entwicklung, die alle anderen entwickelten Industrie­ gesellschaften auch durchliefen. Andererseits bezieht sich der Begriff der „Plastifizierung“ auf Beobachtungen, die am Ende der DDR Besucher aus dem Westen in einer Art naiven Erstaunens formulierten. Aus den überlieferten Quellen können beide Aspekte nur unzurei­ chend belegt werden, es sei denn aus nach Tonnen quantifizierten Produktionsstatistiken. Deshalb soll hier abschließend ein Blick in eine Museumssammlung geworfen werden, um zumindest einen nachträglichen Eindruck in die Plastikwelten der DDR zu erhalten.

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Alles aus Plaste

In den Sammlungen des Eisenhüttenstädter Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR sind nach einer Stichprobenanalyse etwa zehn Prozent der Objekte aus Kunststoff.6 Am häufigsten finden sie sich in den Bestandsgruppen Hausrat und Elektrogeräte, die meis­ ten sind aus Polystyrol. Dieser Befund deckt sich mit dem, was bisher über das Eindringen der Kunststoffe in die Warenwelt der DDR herausgefunden wurde: die Plastikwelt dringt mit einer Massivität in die Objektkultur des Alltags ein, die den Begriff der Plastifizierung durch­ aus gerechtfertig erscheinen lässt und bis ins Detail wirkt. Dennoch zeigen sich Unterschiede, die eine Differenzierung notwendig machen und die Hinweise auf den Umgang des Einzel­ nen mit den Dingen aus Plast geben. Auffällig ist zunächst die Masse des Immergleichen. Kunststoffe sind Produkte der in­ dustriellen Massenherstellung von Alltagsgütern und treten in diesen Massen auch auf. Sta­ pel von Tellern, Assietten und Schälchen aus Melaminharz verweisen auf ihre Verbreitung als Alltagsgeschirr in Kantinen und Kindertagesstätten. Ergänzt werden sie durch Trink­ becher aus Kunststoff. Es entsteht die Vorstellung einer flächendeckend plastifizierten Kul­ tur der Speiseneinnahme außer Haus, wobei der Eindruck insofern relativiert werden muss, als zumindes­t Teller und Assietten aus Steingut und Porzellan ebenso massenhaft in den Museumssammlungen vorkommen. Auch darf der Begriff der Plastifizierung nicht negativ interpretiert werden, denn es macht durchaus Sinn, das weitgehend unzerbrechliche Meladur­geschirr dort einzusetzen, wo ein robuster Umgang zu erwarten ist.

Menagen aus Plast. Sammlung des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR.

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Kästchen mit Diarahmen aus Glas, Karton und Kunststoff. Sammlung des Dokumenta­ tionszentrums Alltagskultur der DDR.

Parallel existiert eine Vielfalt des Einzelnen. In der Plastikwelt der Sammlungen finden sich unterschiedliche Varianten von Gebrauchstypen, die darauf hinweisen, dass der Einsatz von Kunststoffen für bestimmte Objekte so selbstverständlich wurde, dass im Lauf der Zeit verschiedene Hersteller sich ihrer Gestaltung und Produktion angenommen haben. Ein Bei­ spiel für diese Beobachtung im Objektbestand sind Menagen, eine heute eher ungewöhn­ liche Begleiterscheinung des Essens in Gaststätten. In der immergleichen Zusammenset­ zung von Pfeffer, Salz und Senf lassen sie an das zugrunde liegende Essensangebot denken, zugleich wecken sie die Vorstellung, wie eine Menage aus quietschebuntem Polystyrol wohl auf dem gedeckten Tisch gewirkt haben mag. Die Plastifizierung des Alltags steht auch für den Wandel des Beiläufigen. Eine der gro­ ßen Bestandsgruppen aus Kunststoff sind Diarahmen, die zunächst aus zwei Glasplatten, verklebt mit gummiertem schwarzen Papier bestehen. Sie werden abgelöst durch zusam­ mensteckbare Rahmen aus Kunststoff in weiß und grau, so dass Vorder- und Rückseite er­ kennbar werden. Der Holzkasten, der die schweren Glasrahmen sicher verwahrt, wird abge­ löst von Kästen aus Plast. Die Massen an Dias wecken Vorstellungen von der Sorgfalt und Mühe des Zubereitens, Auswählens und Dokumentierens der fotografierten Erlebnisse ebenso wie der Präsentation im Freundes- und Bekanntenkreis. Ein kleiner Gegenstand be­

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Alles aus Plaste

gleitet eine Routine der Dokumentation dessen, was für bemerkens- und fotografierenswert gehalten wird. Genauso aber verweist er auf den gekonnten Umgang mit dem Objekt, denn im Projektor verhalten sich die Diarahmen durchaus eigensinnig: Glasrahmen bleiben stecke­n, Kunststoffrahmen verklemmen. Dennoch verweisen die an sich belanglosen Rah­ men auf eine Kultur der Gemeinsamkeit und Kommuniktion, denn Dias werden gemacht und gerahmt, um sie vorzuführen, eine Kulturtechnik, deren zeitgemäße Fortsetzung mit digitalen Aufnahmen durchaus noch im Stadium der Suche ist und vor allem noch keine Nach­ folge im Bereich der Objektkultur gefunden hat. Plasteobjekte geben Hinweise auf Innovationen, entweder als Gerätschaften für den Umgang mit Neuem oder als Verbesserung des Altbekannten. Der Umgang mit Milch ist ein Beispiel für beides. Milch wurde zunächst lose verkauft und Verbraucher benötigten eine Milchkanne, um sie nach Hause zu transportieren. Im Verlauf von vierzig Jahren DDR (aber natürlich nicht nur dort) wird die Milchflasche zum Standard, vor allem im Zuge der Durch­ setzung von Selbstbedienungsgeschäften ab den späten 1950er Jahren. Die Milchflasche ist mit einem Deckel aus gewachstem Karton oder Aluminium verschlossen. Einmal geöffnet, ist die Milche den Umweltbedingungen ausgeliefert. Wiederverschließbare Deckel für Milchflaschen sind eine Innovation, die die Haltbarkeit steigert, Wiederverwendbarkeit er­ möglicht, die tägliche Routinen verändert und eindeutig auch erleichtert. Genauso aber ist der biegsame Kunststoff alternativlos, denn aus natürlichen Materialien hätten man den praktischen Flaschenverschluss nicht herstellen können. In späteren Jahren wurde die Ver­ packung von Milch in Schlauchbeuteln aus Kunststoff eingeführt. Hier geht es aber nicht um einen der wichtigen Wegwerfartikel aus Plast (dessen Zweitnutzung eine eigene Ge­ schichte wert wäre, denn warum sollten sie sonst in die Museumssammlung geraten sein),

Milchflaschenverschlüsse. Sammlung des Dokumenta­ tionszentrums Alltagskultur der DDR.

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sondern um die Alltagstechniken des Umgangs. Schlauchbeutel sind extrem flexibel, man kann sie nicht ohne Hilfsmittel benutzen und deshalb taucht in den Museumssammlungen der Ausgießer auf, ein Gefäß, das den Maßen des Milchbeutels angepasst ist und einen erhöhten vorderen Rand hat, der dem Beutel Stabilität bietet und das Ausgießen erleichtert. Es ist hier nicht der Ort, näher auf die Tücken des Objekts einzugehen, auch nicht auf den Vergleich mit anderen Industriegesellschaften im Hinblick auf die Einfüh­ rung dieser Verpackungsvariante, sondern auf das Aufkommen ei­ nes völlig neuen Gegenstands im Zuge einer technischen Innovati­ on in der Verpackungsindustrie. Hausrat aus Plast verrät etwas über die Zeit seiner Entstehung und Nutzung, die Dinge sind kulturelle Vergegenständlichungen. Beachtlich ist die Ansammlung von Happenspießen in den Muse­ umssammlungen, die offenbar zur Grundausstattung von Haushal­ ten gehörten und die Phantasie anregen, wie die dazugehörige Par­ tykultur wohl ausgesehen hat. Die gemütliche Runde auf Sessel und Sofa, auf dem Couchtisch die Platten mit vorbereiteten Handspei­ sen, deren Kombinationen mit diesen Spießen zusammengehalten Ausgießer für Schlauch­ beutel.

sind. Es ist die Vorstellung einer vergangenen Zeit und ihrer Gast­ lichkeitsroutinen, die sich an den Dingen festmacht und der Verweis auf eine Produkt- und Genusskultur, die außer Gebrauch geraten ist und heute nur noch in Rudimenten existiert. Mit den Happenspießen verbindet sich auch die Vorstellung von den Mühen der Hausarbeit, denn benutzte Partyspieße müssen mit der Hand abgewaschen werden – heutige Buffets weisen dafür Zahnstocher auf oder, falls es besonders nett aussehen soll, Holzstäbchen mit kleinen Flaggen. Abschließend erfolgt eine Reise in die Welt des Ersatzes: milliardenfach werden Dreh­ verschlüsse für Flaschen benötigt, Parfums, Medizin, Alkoholika werden auf diese Weise transportfähig gemacht und für eine je unterschiedliche Zeit der Verwendung konfektio­ niert. Drehverschlüsse sind in der Regel aus Metall, können aber auch aus Kunststoff sein. In den Sammlungen des Dokumentationszentrums findet sich eine Ansammlung von Fla­ schenverschlüssen, deren potentielle Unbrauchbarkeit die Frage nach ihrem Sinn stellt: sie sind aus Duroplast und haben die Eigenschaft, zu brechen, mit der Folge, dass man sie nur noch zum Aufstecken benutzen kann. Ganz offenbar wurden sie hergestellt, um Metall zu sparen, aber es stellt sich die Frage, warum es nicht möglich gewesen ist, einen anderen Kunststoff zu wählen, der ein wenig flexibler und vor allem unzerbrechlich sein sollte. Die Masse unbrauchbarer Schraubverschlüsse erscheint dem heutigen Betrachter wie eine Reise nach Absurdistan, verweist vermutlich aber einfach nur auf eine der Unzulänglichkeiten früher Kunststoffproduktion, die sich durch die Zentralplanwirtschaft perpetuiert haben. Erhalte­n hat sich die Ansammlung der Schraubverschlüsse aus der Lagerhaltung einer Apo­ theke, aber wesentlich ist, dass ihre eingeschränkte Verwendungsfähigkeit den Blick auf den alltagspraktischen Umgang mit Dingen aus Plast schärft.

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Alles aus Plaste

Die musealisierte Dingwelt aus Plast eröffnet einen Blick in die mit dem Stoff verbun­ dene industrielle Massenproduktion bis in ihre feinsten Verästelungen hinein, zugleich aber auch eine Vorstellung über die mit den Dingen verbundenen Alltagsroutinen. Eine Welt ohne Dinge kann nicht existieren, aber was vorhanden war und wie benutzt wurde, ist eine Mikrogeschichte des Alltags.

Andreas Ludwig

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Begriffslexikon

Aminoplaste: duroplastische Kunststoffe auf der Basis von Amiden (z.B. Harnstoff, Dizyan­ diamid, Melamin). Durch Zusetzen von Füllstoffen wie Holzmehl und Zellstoff-Fasern erhält man Pressmassen (Meladur, Didi). Duroplaste: Kunststoffe, die durch Polykondensation gebildet werden und sich nach der Aushärtung nicht wieder verformen lassen. Zu den Duroplasten zählen u. a.: PhenolharzPressmassen (Bakelit), Melaminharz-Pressmassen (Meladur) Dederon: In der DDR wurden Polyamidfasern seit 1959 unter dem Markennamen „Dede­ ron“ (abgeleitet von DeDeR) beworben. Hergestellt wurde „Dederon“ im VEB Kunstseiden­ werk „Friedrich Engels“ Premnitz, im VEB-Chemiefaserwerk „Herbert Warnke“ Guben und im VEB Chemiefaserkombinat „Wilhelm Pieck“ in Rudolstadt-Schwarza. Elaste: Polymere mit elastischen Eigenschaften, z.B. Kautschuk. Populär wurde der Begriff im Werbeslogan „Plaste und Elaste aus Schkopau“ des VEB Chemische Werke Buna. Entgraten: Entfernen der beim Herstellungsprozess entstandenen scharfen Kanten und Überstände Extrudieren: Verarbeitungsverfahren, bei dem die zugeführte Formmasse geschmolzen, verdichtet und dann durch ein Formgebungswerkzeug ausgepresst wird. Granulat: Kunststoff-Zwischenprodukt in Kugel- oder Linsenform Kalandrieren: Verarbeitungsverfahren, bei dem die vorgewalzten Plaste zu Folien ausge­ walzt werden. Karbid: Karbid ist ein auf Kohle basierender künstlich hergestellter Stoff, der als Ausgangs­ stoff für die Kunststoffproduktion dient. Er setzt sich aus Calcium und Kohlenstoff zusam­ men (CaC2) und wird in Karbidöfen aus Koks und Kalk gewonnen. Damit beide Stoffe mitei­ nander reagieren können, müssen Temperaturen von etwa 2500° C erreicht werden. Petrolchemie: Chemische Produktion auf der Basis von Erdöl und Erdgas.

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Alles aus Plaste

Phenoplaste (Phenolharze): Duroplastische Kunststoffe auf der Basis von Phenol und Formaldehyd. Als Pressmassen sind sie unter dem Namen Bakelit bekannt. Plaste: In der DDR wurden Kunststoffe in der Regel als „Plaste“ (Einzahl: Plast) bezeichnet. Im Sprachgebrauch bildete sich eine Unschärfe heraus, so dass aus dem Pluralwort der Sin­ gularterminus „die Plaste“ wurde. Neben Plaste blieb in der DDR auch der Begriff Kunststoff gebräuchlich. Der Ausdruck „Plastik“ wurde hingegen selten verwendet. Polyaddition: stufenweise Bildung hochmolekularer Stoffe (Polymere) ohne Aspaltung von niedermolekularen Nebenprodukten Polykondensation: stufenweise Bildung hochmolekularer Stoffe (Polymere) unter Abspal­ tung von niedermolekularen Nebenprodukten (z. B. Wasser oder Ammoniak) Polymerisation: Die Polymerisation ist eine chemische Reaktion, bei der Einzelmoleküle (Monomere) unter Auflösung der Mehrfachbindung zu Makromolekülen (Polymere) reagie­ ren. Pressen: Verarbeitungsverfahren der Duroplaste, bei dem die Pressmasse unter Wärmeein­ wirkung und Druck im geschlossenen Formwerkzeug durch chemische Umwandlung aus­ härtet. Spritzgießen: Verarbeitungsverfahren der plastverarbeitenden Industrie, bei dem eine kal­ te, meist körnige Spritzgußmasse dosiert, erwärmt und unter hohem Druck über eine Düse in eine kalte Form gespritz wird. Nach Aushärten der so entstandenen plastischen Masse kann das Spritzgußteil durch Öffnen der Form ausgeworfen werden. Thermoplaste: Kunststoffe, die durch Polymerisation gebildet werden und unter Wärme­ zuführung wieder verformbar sind. Zu den Thermoplasten zählen u. a.: Polyvinylchlorid, Polyethylen, Polystyrol, Polyamid und Polymethacrylat (Plexiglas) Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Plastverarbeitung: VVB waren Verwaltungs­ instanzen der Planwirtschaft der DDR. Die 1958 in Halle gegründete VVB Plastverarbeitung war für die Lenkung des Industriezweigs, die Sicherung der Planauflagen und Koordinie­ rung von Produktion und Werkzeugbau zuständig. 1970 wurde sie von der VVB Plast- und Elastverarbeitung abgelöst. Pneumant: Das Warenzeichen der Reifenindustrie der DDR wurde seit 1971 auch für Haus­ haltswaren der plastverarbeitenden Betriebe des VEB Kombinat Plast- und Elastverarbeitung verwendet.

Begriffslexikon

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Die Autoren

Katja Böhme, M.A., Historikerin mit dem Schwerpunkt

um für Angewandte Kunst in Köln, im Kunstgewerbemu­

Zeitgeschichte

sem Berlin Köpenick, im Landesmuseum für Technik und

Studium der Geschichtswissenschaften, Allgemeinen und

Arbeit in Mannheim.

Vergleichenden Literaturwissenschaften und Soziologie an der Freien Universität Berlin. Von 2008 bis 2011 am Zent­

Christoph Wenzel M.A., Dipl.-Rest (FH)

rum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Seit 2009

Aufbau des Fachgebiets Präventive Konservierung in der

wissenschaftliche Mitarbeiterin am Dokumentationszent­

Bayerischen Schlösserverwaltung (München). Seit 2009

rum Alltagskultur der DDR.

wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Restaurie­ rungs- und Konservierungswissenschaft der Fachhochschule

Stephanie Grossman, Dipl.-Rest (FH)

Köln. Schwerpunkte: Holz- und Kunststoffobjekte, Denk­

Studium der Restaurierung und Konservierung von Objek­

malpflege, Präventive Konservierung und Vermittlungs­

ten aus Holz und Werkstoffen der Moderne von 2000 bis

arbeit.

2004 an der Fachhochschule Köln. Von 2009 bis 2012 wis­ senschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Bewah­ ren der DDR-Alltagskultur aus Plaste“ an der Fachhochschu­ le Köln. Andreas Ludwig, Dr. phil., Historiker Mitarbeit in der Berliner Geschichtswerkstatt und Aufbau des Heimatmuseums Berlin-Charlottenburg. Seit 1993 Auf­ bau und Leitung des Dokumentationszentrums Alltagskul­ tur der DDR in Eisenhüttenstadt. Arbeitsschwerpunkte: All­ tagsgeschichte, Museologie, moderne Stadtgeschichte. Friederike Waentig, Professorin für „Restaurierung und Konservierung von Objekten aus Holz und Werkstoffen der Moderne“ an der Fachhochschule Köln, Forschungsschwer­ punkt Erhaltung von Kunststoffen Studium der Denkmalpflege, Volkskunde und Bauforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Diplomstudium der Restaurierung und Konservierung an der Fachhochschu­ le Köln. Restauratorin an der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, am Restaurie­ rungszentrum der Landeshauptstadt Düsseldorf, im Muse­

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Alles aus Plaste

 

Abbildungsnachweis

7 Jahre Sputniktempo, 16, 17; 25 Jahre Wiesmann & Co., 186, 188; Archiv der Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle, 77, 79, 80; Archiv der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – Sammlung industrielle Gestaltung, 80, 81; Heidi Bornholdt, 153, 154, 155; Centrum Versandhauskatalog, 30, 31, 36, 37, 103, 122, 123; Chemie bringt Brot – Wohlstand – Schönheit, 18; Das Magazin, 161, 221, 222; Der Fachberater Haushaltwaren, 32, 110, 144, 175, 178; Die Technik, 44, 220; Fachliche Mitteilungen für den Industriezweig Plastverarbeitung, 83, 167, 197; Fertigungsprogramm der plastverarbeitenden Betriebe (1967), 98; FH Köln, 61, 64, 73, 74, 75, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 99, 136, 155, 204; Gebrauchswarenkatalog Besen-Bürsten-Pinsel (1957), 75; Gebrauchs­ warenkatalog Plast-Erzeugnisse (um 1961), 82, 130, 134, 136, 138, 154; Guter Rat, 45, 102, 121, 132; Hirdina, 79; Hirte, 39; Lutz Kimmel, 157, 158, 159, 160; Jugend und Technik, 28, 130; Katalog Mirathen. VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, 115; Katalog Miravithen. VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, 119, 127, 128; Kultur im Heim, 129, 151, 152, 182, 183; Manufakturarchiv der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin GmbH, 80; Wolfgang Meinert, 185, 187; Messejournal, 71, 177; Plaste Elaste Chemiefasern, 42, 43, 44, 46, 47, 48, 65, 66, 67, 68, 69, 70; Plaste und Kautschuk, 118, 162, 219, 221; Plaste. Werkstoff moderner Technik, 24, 26, 68, 120, 151; Dieter Ponert, 200, 201, 202; Produkt­ katalog Dedaplas­t, 103, 137, 138, 173, 174, 176; Produktkatalog Glasbijouterie Zittau, 38, 81, 105, 106; Produktkatalog „Haushalt + Küche“, 27, 33; Produktkatalog Haushalt­artikel – Polyäthylen. Polystyrol. Meladur, 93, 163, 164, 165, 171; Produkt­katalog Plastika. Sanitär-Plastartikel, 167; Produktkatalog Pneumant „Plastkristall“, 125; Produktkatalog Pneumant „Unser Programm“, 166; Produktkatalog Scherschmidt & Wolff, 143; Produktkatalog „vario-Möbel aus Schwedt“, 180, 181; Produktkatalog VEB Plasta Preßwerk Auma (1964), 22; Produktkatalog VEB Plasta Preßwerk Auma, undatiert, 104, 198; Produktkatalog VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin, 32, 139, 190, 191, 192; Produktkatalog Walter Kreuz KG, 168, 170, 171; Produktkatalog Wilhelm Kimmel KG (1955/56), 135, 162; Produktkatalog Wilhelm Kimmel KG (1964), 157; Sammlung Kay Meiners, 74; Schrader, 20; Schwerine­r Volkszeitung, 189; Sibylle, 29, 222; Rüdiger Südhoff, 63, 85; Unsere Chemische Industrie, 14; Unsere Zeit. Messemagazin, 219; VEB Erdölverarbeitungswerk Schwedt, 40; Verbrauchsgüter aus volkseigenen Betrieben, 29; Wilhelm Wagenfeld Stiftung © VG Bild Kunst, Bonn 2012, 79; Werbestil Pneumant, 103; Zentralkonsum eG, 184 Alle anderen Abbildungen: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, Eisenhüttenstadt

Abbildungsnachweis

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ANDREAS LUDWIG IM AUFTRAG DES DOKUMENTATIONSZENTRUMS ALLTAGSKULTUR DER DDR E.V. (HG.)

KONSUM KONSUMGENOSSENSCHAFTEN IN DER DDR

Die Konsumgenossenschaften entwickelten sich nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR zu einer Organisation, die sowohl den Einzelhandel, als auch die Produktion von Gütern des täglichen Bedarfs maßgeblich mitbestimmte. Er betrieb Dorf läden, Kauf hallen, Warenhäuser, ein Versandhaus und Gaststätten, organisierte Arbeiter- und Ernteversorgung, produzierte Brot und Nudeln, Seife und Streichhölzer. Mit der deutschen Einheit 1990 endeten auch die besonderen Bedingungen für den KONSUM . Dennoch gelang es, einige Konsumgenossenschaften erfolgreich am Markt zu etablieren und auch Kaffee und Bürsten werden noch unter genossenschaftlicher Regie produziert. Die Autoren stellen diese Entwicklung vor. Zahlreiche historische Fotografien geben ein Bild von Arbeitsbedingungen und Warenpräsentation, von Geschäften und Produkten. Der Band richtet sich an Leser, die an der Geschichte der DDR und ihres Alltags interessiert sind, und ist für Kunden und Mitarbeiter eine Erinnerung an den KONSUM . 2006. 204 S. 300 S/W-ABB. UND 57 FARB. ABB. AUF 16 TAF. BR. 210 X 240 MM. € 19,90 [D] / € 20,50 [A] | ISBN 978-3-412-09406-5

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com wien köln weimar