Aktuelles Arbeitsrecht 2020, Band 1
 9783504387198

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Tiefe

Gaul Aktuelles Arbeitsrecht Band 1/2020

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Tiefe

Band 1/2020

Aktuelles Arbeitsrecht Herausgegeben von

Prof. Dr. Björn Gaul Bearbeitet von

Dietrich Boewer Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am LAG Düsseldorf a.D.

Prof. Dr. Björn Gaul Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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Zitierempfehlung: Bearbeiter in Gaul, AktuellAR 2020, S. ...

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Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-42704-7 ©2020 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

Vorwort COVID-19 und die damit verbundene Pandemie hat und wird die Welt verändern. Die Pandemie hat die Arbeit unterbrochen und digitalisiert, sie hat Schwerpunkte verändert, neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet und eine Reihe unternehmerischer Aktivitäten nicht nur vorübergehend beendet. Auch das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht musste dieser Situation kurzfristig Rechnung tragen. Beispielhaft seien Veränderungen in Bezug auf Kurzarbeit, Entschädigungen bei Schul- und Kita-Schließungen, Übergangsregelungen beim Elterngeld oder die Beschlussfassungen der Betriebsräte in Telefon- oder Videokonferenzen genannt. Gleichzeitig hat der Arbeitsschutz einen neuen Stellenwert erhalten, der – über die COVID-19-Arbeitsschutzstandards hinaus – die betrieblichen Strukturen und die damit verbundene Arbeitsweise grundlegend verändern wird. Hier müssen rechtzeitig Gefährdungsbeurteilungen vorgenommen und Schutzmaßnahmen bestimmt werden, die auch die mobile Arbeit und das Homeoffice berücksichtigen. Gerade diese Arbeitsformen dürften einen neuen Schub erfahren. Es ist mehr möglich und ggf. sogar nötig als auf Arbeitgeberseite bislang vermutet wurde. Die neuen Rahmenbedingungen müssen vor allem Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Datenschutz und Erreichbarkeit für Kollegen und Kunden gewährleisten und zugleich die Beteiligungsrechte des Betriebsrats beachten. Noch vor COVID-19 ist das ARUG II in Kraft getreten, das vor allem die Vorstandsvergütung neuen Leitlinien unterwirft. Weitere Veränderungen werden die Umsetzung der Entsenderichtlinie und der Vorschlag einer verstärkten Frauenförderung in Führungspositionen mit sich bringen. Gleiches gilt für das Verbandssanktionengesetz, das die Bundesregierung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht hat. Nachdem die Whistleblower-Richtlinie inzwischen in Kraft gesetzt wurde, wird man in den Unternehmen die Compliance noch stärker an diesen neuen Rahmenbedingungen ausrichten müssen. Das gilt auch für die Aufklärung von Rechtsverletzungen. Auf einzelvertraglicher Ebene haben wir uns mit Freelancern, der Vorbeschäftigung bei sachgrundloser Befristung, Erleichterungen bei AUBescheinigungen, der AGB-Kontrolle von Ausschlussfristen und der fehlenden Umsetzung des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung befasst. Ergänzend war auf die Vergütung von Reisezeiten im Außendienst, den Gestaltungsspielraum beim Ermessensbonus, die Mitwirkungspflichten beim Erholungsurlaub, das Urlaubsentgelt bei wechselnder Dauer der Arbeitszeit und die Gefahr einer Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten und Frauen bei Entgeltsteigerungen hinzuweisen, die an Berufs- oder Beschäftigungsjahren V

Vorwort

geknüpft sind. Das BAG hält solche Regelungen trotz der zulässigen Typisierung im Bereich der Entgeltfindung für unzulässig. Das Kündigungsrecht wird geprägt durch eine Klarstellung der Rechtsprechung zum Betriebsbegriff bei Massenentlassungen, der durch das EURecht bestimmt wird. Betriebsverfassungsrechtliche Strukturen sind dabei ohne Bedeutung. Ergänzend waren beispielsweise die Beendigung des faktischen Geschäftsführervertrags, die Kündigung wegen Beleidigung und die Vorbereitung einer Verdachtskündigung zu behandeln. Die betriebliche Altersversorgung ist mit erheblichen Kosten verbunden. Auch wenn sie im Rahmen des Recruitments zugleich einen Anreiz für Bewerber setzen soll, sind regelmäßige Anpassungen notwendig, um den veränderten Vorgaben des Gesetzgebers Rechnung zu tragen. Dabei müssen sich die Unternehmen vor allem mit den Leitlinien der Rechtsprechung zur Anpassung von Versorgungsordnungen (auch im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang) und der Haftung bei Ausfall der Pensionskasse befassen. Im Betriebsverfassungsrecht haben wir uns vor allem mit der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern, dem Datenschutzrecht sowie Beteiligungsrechten des Betriebsrats in der Matrix, im Bereich des Arbeitsschutzes, der Überwachung des Social Distancing sowie des betrieblichen Eingliederungsmanagements befasst. Ergänzend hierzu waren die Rechtsfolgen einer Beendigung von Regelungsabreden, Auskunftsansprüche des Wirtschaftsausschusses und die Vergütung externer Einigungsstellenbeisitzer zu behandeln. Soweit Restrukturierungen anstehen, wird man zukünftig Modifikationen des EuGH bei der Kennzeichnung des Anwendungsbereichs von § 613 a BGB zu berücksichtigen haben. Gleiches gilt für die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Betriebsvereinbarung im Anschluss eines Betriebsteilübergangs gekündigt werden kann. Die entsprechenden Vorgaben ergänzen die aktuelle Rechtsprechung zur Ablösung von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen durch die beim Erwerber geltenden Arbeitsbedingungen. Ganz herzlich danke ich Dietrich Boewer (Boe) für seine aktuelle Zusammenfassung wesentlicher Entwicklungen im Arbeitsrecht. Darüber hinaus sei Frau Kollegin Dr. Saskia Pitzer (Pi), Frau Kollegin Victoria Kaule (Ka) und Herrn Kollegen Kai Roters (Ro) sowie Frau Linda Kriebel Volk (Kr), Frau Anna Maria Miklaszewska (Mi), Frau Christin Rögels und Frau Silvia Gwozdz für die weitere Unterstützung, die diese umfassende Übersicht bis zum Juni 2020 möglich gemacht haben. In Zeiten einer Pandemie war dies keine Selbstverständlichkeit! Köln, im Juni 2020

VI

Björn Gaul (Ga)

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort.......................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis.............................................................................. XV

A.

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland ................................ 1

1.

Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19Pandemie .............................................................................................. 1 a) Erleichterungen bei der Einführung von Kurzarbeit ..................... 1 b) Arbeitszeitflexibilisierung während der COVID-19Pandemie ....................................................................................... 7 c) Erstattungsansprüche bei krankheitsbedingtem Arbeitsausfall ................................................................................ 8 d) Erstattungsansprüche bei Arbeitsausfall als Folge notwendiger Kinderbetreuung ..................................................... 10 e) Betriebsverfassungsrechtliche Beschlussfassungen im Rahmen von Telefon- und Videositzungen ................................. 11 f) Zulässigkeit von modernen Kommunikationsmitteln auch bei Beschlussfassungen sonstiger Arbeitnehmervertreter ........... 14 g) Zulässigkeit des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel im Arbeitsgerichtsverfahren .................. 16 h) Erleichterungen bei der Ausstellung von AUBescheinigungen ......................................................................... 17 i) Die neuen Arbeitsschutzstandards des BMAS für die Rückkehr aus dem Shutdown ...................................................... 19

2.

Erleichterungen beim Elterngeld aus Anlass der COVID-19Pandemie ............................................................................................ 23

3.

Förderung der Qualifikation im Strukturwandel durch das Arbeit-von-morgen-Gesetz I .............................................................. 25

VII

Inhaltsverzeichnis

a) Ausgangssituation ....................................................................... 25 b) Anpassung der Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen gemäß § 82 SGB III ....................... 26 c) Förderung der Weiterbildung bei konjunktureller Kurzarbeit .................................................................................... 27 d) Förderung der Weiterbildung bei Transferkurzarbeit .................. 28 4.

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Änderung der Entsenderichtlinie ............................................................................... 29 a) Ausgangssituation ....................................................................... 29 b) Erweiterung des Katalogs der allgemeinen Arbeitsbedingungen .................................................................... 29 c) Einbeziehung von Leiharbeitnehmern ........................................ 31 d) Verpflichtende Anwendbarkeit von Tarifverträgen ..................... 31 e) Relevante Branchen .................................................................... 32 f) Verzicht und Verwirkung............................................................. 33 g) Verbindlichkeit zusätzlicher Arbeitsbedingungen ....................... 33 h) Fazit ............................................................................................. 34

5.

Neue gesetzliche Regelungen zu befristeten Arbeitsverhältnissen ....................................................................................... 34

6.

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an Führungspositionen ............................................................................ 36 a) b) c) d) e) f)

Frauenquote im AG- und SE-Vorstand ....................................... 36 Frauenquote im Aufsichtsrat von AG und SE ............................. 37 Veränderte Regelungen zur Festsetzung von Zielgrößen ............ 38 Veränderungen in Bezug auf die GmbH ..................................... 39 Anpassung der handelsrechtlichen Erklärungen zur Unternehmensführung ................................................................. 40 Fazit ............................................................................................. 40

7.

Ausweitung der Insolvenzsicherung von Pensionskassen ................. 41

8.

Gesetzliche Neuregelung für die Vergütung von Vorstandsmitgliedern (ARUG II) ....................................................... 44 a) Beschluss des Aufsichtsrats über die Vergütung des Vorstands ..................................................................................... 44

VIII

Inhaltsverzeichnis

b) Vergütung des Aufsichtsrats ........................................................ 46 c) Berichte über die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat ................................................................................. 47 d) Beschlussfassungen der Hauptversammlung .............................. 47 e) Neuregelungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten ......... 48 f) Sonderregelungen zum Inkrafttreten ........................................... 48 9.

Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrags .............................................................................. 49

10.

Externe Meldestellen für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber...................................................................................... 50

11.

Gesetzesentwurf zur Bereinigung arbeitsrechtlicher Regelungen ......................................................................................... 52

12.

Update für den digitalen Wandel der Mitbestimmung ....................... 52

13.

Künstliche Intelligenz in der Personalauswahl, Personalverwaltung und Personalentwicklung .................................. 56

14.

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität .................................................................. 57 a) Ausgangssituation ....................................................................... 57 b) Begriffsbestimmungen und Kennzeichnung der Verbandsverantwortlichkeit ........................................................ 58 c) Ausfallhaftung und Rechtsnachfolge .......................................... 59 d) Verbandssanktionen..................................................................... 60 e) Sanktionszumessung ................................................................... 61 f) Stellung im Verfahren ................................................................. 63 g) Fazit ............................................................................................. 63

15.

Evaluation des Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz .............................................................................. 64

16.

Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche ............................................................................... 65 a) Geltungsbereich........................................................................... 65 b) Festlegung von Mindestentgelten ............................................... 66 c) Regelungen zu Mehrurlaub ......................................................... 66

17.

Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft ............................. 67

IX

Inhaltsverzeichnis

B.

Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht ............ 69

1.

Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit nach dem Brexit .......................................................................................... 69

2.

Richtlinie 2019/2121/EU zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen .......................... 71 a) b) c) d) e)

Anwendungsbereich der Neuregelung ........................................ 72 Bericht für die Gesellschafter und Arbeitnehmer ....................... 73 Auswirkungen auf die Unternehmensmitbestimmung ................ 74 Keine Änderung sonstiger Richtlinien ........................................ 78 Fazit ............................................................................................. 78

3.

Veröffentlichung der Richtlinie 2019/1937/EU (Whistleblower-Richtlinie) ................................................................ 79

C.

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag ............................... 81

1.

Arbeitsrechtliche Kennzeichnung von Freelancern und Interim-Managern .............................................................................. 81

2.

Vorbeschäftigung bei sachgrundloser Befristung .............................. 86

3.

Befristungen bei Neuregelungen im Konzern ................................... 89

4.

Missbräuchlicher Einsatz von Kettenbefristungen im öffentlichen Dienst ............................................................................. 94

5.

Aktuelle Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen................................................... 97 a) Anforderungen der AGB-Kontrolle an den Fristbeginn ............. 99 b) Ausschlussfristen in Alt-Verträgen............................................ 102 c) Wahrung einer Ausschlussfrist durch Beschäftigungsklage – Konsequenzen für die Vertragsgestaltung? ................................................................... 108 d) Einbeziehung von Ausschlussfristen einer Arbeitsordnung oder AGB ........................................................ 112

6

Anforderungen an die Bezugnahmeklausel bei Arbeitnehmerüberlassung ................................................................ 118

7.

AU-Bescheinigung ohne Arztbesuch – Zulässigkeit und Grenzen in Zeiten von Corona ......................................................... 119

X

Inhaltsverzeichnis

8.

Datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer biometrischen Arbeitszeiterfassung ......................................................................... 122

9.

Schadenersatzanspruch bei Umsetzung einer rechtswidrigen Versetzung ........................................................................................ 126

D.

Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub .......................................... 131

1.

Unmittelbarer Anspruch auf Durchführung der EuGHEntscheidung zur Arbeitszeiterfassung ............................................ 131

2.

Präklusion des Arbeitgebers durch die Gründe in der Ablehnung einer Teilzeit während der Elternzeit............................. 135

3.

Ausgleich von Arbeitszeitguthaben in gerichtlichem Vergleich........................................................................................... 141

4.

Vergütung von Reisezeiten bei Außendienstmitarbeitern ................ 145

5.

Einheit des Verhinderungsfalls bei mehrfacher Erkrankung............ 148

6.

Zulässigkeit eines Ermessensbonus für Vorstandmitglieder ............ 153

7.

Höhe des Urlaubsentgelts bei wechselnder Dauer der Arbeitszeit ........................................................................................ 158

8.

Weitere Konkretisierungen der Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers beim Urlaub ................................................................ 162

9.

Erholungsurlaub bei Altersteilzeit im Blockmodell ......................... 168

10

Gestaltungsspielraum bei freiwilligem (tarif-)vertraglichen Mehrurlaub ....................................................................................... 172

11.

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei der anteiligen Einbeziehung von Berufsjahren ....................................................... 174

E.

Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags ........................................... 179

1.

Aktuelles zum Konsultationsverfahren bei Massenentlassungen ......................................................................... 179 a) Der Betriebsbegriff bei Massenentlassungen nach § 17 KSchG ....................................................................................... 179 b) Zuständige Arbeitnehmervertretung ......................................... 183

XI

Inhaltsverzeichnis

2.

Kündigungsschutz bei Schwangerschaft .......................................... 185

3.

Sachverhaltsaufklärung vor Verdachtskündigung ............................ 186

4.

Ordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung ........................ 190 a) b) c) d)

Ausgangssituation und Sachverhalt .......................................... 190 Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG..................... 191 Soziale Rechtfertigung der Kündigung ..................................... 193 Fazit ........................................................................................... 198

5.

Zurückweisung einer Kündigung gemäß § 174 S. 1 BGB............... 198

6.

Fristlose Kündigung eines (fehlerhaften) GmbHGeschäftsführervertrags ................................................................... 202

F.

Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags ....................................................................... 207

1.

Gestaltungsspielraum bei Veränderungen der betrieblichen Versorgungsordnung ........................................................................ 207

2.

Ausgleichsanspruch des Arbeitnehmers bei der Reduzierung des Rentenfaktors durch Pensionskasse .......................................... 211

3.

Berücksichtigung von Altersteilzeit in betrieblicher Versorgungsordnung ........................................................................ 213

4.

Schadensersatzanspruch bei fehlerhafter Information über die Sozialversicherungspflicht der betrieblichen Altersversorgung ...... 216

5.

Betriebsrentenanpassung bei Leistungen einer Pensionskasse ........ 220

G.

Tarifrecht........................................................................................ 225

1.

Tarifvertragliche Änderung der Regelungen zur Anpassung von Versorgungsleistungen .............................................................. 225

2.

Streikmaßnahmen zur Vermeidung einer Betriebsstilllegung .......... 228

H.

Betriebsverfassung und Mitbestimmung ................................ 233

1.

Der Betriebsrat als verantwortliche Stelle oder als Teil der verantwortlichen Stelle? ................................................................... 233

2.

Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen einer Telefonoder Videokonferenz ........................................................................ 235

XII

Inhaltsverzeichnis

3.

Beurteilungszeitpunkt für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern .................................................................... 239

4.

Ausschluss der Nachwirkung einer Regelungsabrede ..................... 242 a) Rechtsnatur und Wirkungsweise der Regelungsabrede ............ 242 b) Beendigung und Nachwirkung .................................................. 244

5.

Bildung eines Wirtschaftsausschusses im Gemeinschaftsbetrieb ....................................................................... 246 a) Grundsätzliche Betrachtungsweise ........................................... 246 b) Einschränkung bei einem gemeinsamen Betrieb von Holding und Tochtergesellschaft ............................................... 247 c) Wirtschaftsausschuss in einem gemeinsamen Betrieb unter Beteiligung eines Tendenzunternehmens ......................... 249 d) Konsequenzen für die Unternehmensmitbestimmung .............. 252 e) Fazit ........................................................................................... 253

6.

Auskunftsansprüche des Wirtschaftsausschusses im Konzern ........ 253

7.

Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer Versetzung in den „Personalüberhang“.......................................................................... 261

8.

Keine Beteiligung des Gesamtbetriebsrats bei Vorgesetztenwechsel in Matrix-Organisation .................................. 266

9.

Mitbestimmung des Betriebsrats bei außerbetrieblichen Wegezeiten ....................................................................................... 267

10.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ............................... 271

11.

Zulässigkeit und Schranken eines Einigungsstellenspruchs im Bereich der Gefährdungsbeurteilung ............................................... 277 a) b) c) d)

Ausgangssituation ..................................................................... 277 Formale Erfordernisse eines Einigungsstellenspruchs .............. 278 Bedeutung des Regelungsauftrags einer Einigungsstelle ......... 280 Umfang der Mitbestimmung bei Gefährdungsbeurteilungen ........................................................ 281 e) Abgrenzung zur Mitbestimmung bei der Festlegung von Schutzmaßnahmen .................................................................... 284 f) Abgrenzung zur Unterrichtung und Unterweisung von Arbeitnehmern........................................................................... 286

XIII

Inhaltsverzeichnis

g) Fazit ........................................................................................... 286 12.

Mitbestimmung des Betriebsrats bei Videoüberwachung zur Einhaltung des Social Distancing .................................................... 287

13.

Einsetzung einer Einigungsstelle „Mobiles Arbeiten“ ..................... 291

14.

Vergütung externer Einigungsstellenbeisitzer .................................. 294

15.

Mitbestimmungsstatut bei der Gründung einer SE durch formwechselnde Umwandlung ........................................................ 300

I.

Betriebsänderung und Betriebsübergang ............................... 307

1.

Neue Kriterien zur Kennzeichnung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs ....................................................................... 307 a) Reduzierung der Bedeutung von Betriebsmitteln bei betriebsmittelintensiver Tätigkeit.............................................. 307 b) Betriebsübergang trotz der Zerschlagung eines Betriebs .......... 311

2.

Ablösung einer Versorgungsordnung durch Betriebsübergang........ 315

3.

Betriebsübergang: Kündigung einer Betriebsvereinbarung ............. 321

4.

Eingeschränkte Haftung des Erwerbers bei Betriebsübergang aus der Insolvenz .............................................................................. 325

J.

Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht ............................................................ 329

1.

Syndikuszulassung für Leiter Personal ............................................ 329

2.

Vorübergehende Erhöhung der Arbeitsentgeltgrenzen bei geringfügiger Beschäftigung ............................................................ 332

Stichwortverzeichnis .................................................................................. 333

XIV

Abkürzungsverzeichnis 2. DSAnpUG-EU 4. PflegeArbbV

a. A. a. E. a. F. a. G. AA AAB ABl. EG ABl. EU abl. Abs. ABV abw. abzgl. AcP AE AEntG

AEUV AFG AFKG AG

Zweites Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (4. Pflegearbeitsbedingungenverordnung) anderer Auffassung am Ende alte(r) Fassung auf Gegenseitigkeit Auswärtiges Amt Allgemeine Arbeitsbedingungen für die ver.diBeschäftigten Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union ablehnend Absatz/Absätze Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen abweichend abzüglich Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Arbeitsrechtliche Entscheidungen (Zeitschrift) Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (ArbeitnehmerEntsendegesetz) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Arbeitsförderungsgesetz Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz) Amtsgericht bzw. Aktiengesellschaft bzw. Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) XV

Abkürzungsverzeichnis

AGB AGBG AGG AGH AiB AktG AktuellAR allg. Alt. AltEinkG

AltvVerbG

AltZertG

AMP AMS amtl. ÄndG Anl. Anm. AO AP APS ArbG ArbGG AR-Blattei ArbMedVV

XVI

Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anwaltsgerichtshof Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Aktiengesetz B. Gaul bzw. Bearbeiter, Aktuelles Arbeitsrecht allgemein Alternative Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz) Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz) Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen (Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz) Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister Arbeitsschutzmanagementsystem amtlich(e) Änderungsgesetz Anlage(n) Anmerkung(en) Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge

Abkürzungsverzeichnis

ArbNErfG ArbPlSchG

ArbR ArbRB ArbR-HB ArbSchG

ArbStättV ArbZG ARdGgw. ArGV

ARST Art. ARUG II ASAV

ASiG

AsylG AsylVfG AT ATG

Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (Arbeitnehmererfindungsgesetz) Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) Arbeitsrecht Aktuell (Zeitschrift) Arbeits-Rechtsberater (Zeitschrift) Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung) Arbeitszeitgesetz Arbeitsrecht der Gegenwart Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung) Arbeitsrecht in Stichworten Artikel Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie Verordnung über Ausnahmeregelungen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis an neueinreisende ausländische Arbeitnehmer (Anwerbestoppausnahmeverordnung) Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz) Asylgesetz Gesetz über das Asylverfahren (Asylverfahrensgesetz) außertariflich(e) Altersteilzeitgesetz

XVII

Abkürzungsverzeichnis

ATV

AuA AU-Bescheinigung AufenthG

AufenthG/EWG

AufenthV Aufl. AÜG

AuR ausf. AVmG

AVR AVR-DD AWbG

AWStG

Az.

XVIII

Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung) Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Aufenthaltsverordnung Auflage Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Arbeit und Recht (Zeitschrift) ausführlich Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz) Arbeitsvertragsrichtlinien in den Einrichtungen des Deutschen Caritas Verbandes Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen der Diakonie Deutschland Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung (Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz) Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz) Aktenzeichen

Abkürzungsverzeichnis

BA BaFin BAG BAnz AT BÄO BAP BAT BAT-O BAT-VKA

BAV BAVAZ BB BBG BBiG Bd. BDA BDSG BeckOK BEEG BEG III

Beil. bEM BerASichG BErzGG BeschCG BeschFG

Bundesagentur für Arbeit bzw. Blutalkohol (Zeitschrift) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Amtlicher Teil Bundesärzteordnung Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleiter e. V. Bundesangestelltentarifvertrag Bundesangestelltentarifvertrag Ost Bundesangestelltentarifvertrag für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Betriebliche Altersversorgung Bedarfsabhängige variable Arbeitszeit Betriebs-Berater (Zeitschrift) Beitragsbemessungsgrenze Berufsbildungsgesetz Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesdatenschutzgesetz Beck‘scher Online-Kommentar Arbeitsrecht Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) Drittes Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Drittes Bürokratieentlastungsgesetz) Beilage berufliches Eingliederungsmanagement Berufsausbildungssicherungsgesetz Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz) Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt (Beschäftigungschancengesetz) Beschäftigungsförderungsgesetz XIX

Abkürzungsverzeichnis

BeschSchG

BeschV

BetrAV BetrAVG BetrSichV

BetrVG BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BIBB BildschArbV

BilMoG BilRUG BImSchG

BKK BMAS BMBF

XX

Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz) Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (Beschäftigungsverordnung) Betriebliche Altersversorgung (Zeitschrift) Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung) Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) Bundesinstitut für Berufsbildung Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Bildschirmarbeitsverordnung) Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnlichen Vorgängen (Bundesimmissionsschutzgesetz) Betriebskrankenkasse Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Bildung und Forschung

Abkürzungsverzeichnis

BMEL BMF BMFSFJ BMG BMI BMJV BMT-G BMU BMVg BMVI BMWi BMZ BNichtrSchG

BPersVG BPflV BPM BQFG

BQG br BRAO BR-Drucks.

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Bundesministerium für Finanzen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gesetz zur Einführung eines Rauchverbots in Einrichtungen des Bundes und in öffentlichen Verkehrsmitteln (Bundesnichtraucherschutzgesetz) Bundespersonalvertretungsgesetz Bundespflegegeldverordnung Bundesverband der Personalmanager Gesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz) Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft Behindertenrecht (Zeitschrift) Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache

XXI

Abkürzungsverzeichnis

Brexit-StBG

BrexitÜG

BRG BRKG BRSG

BRTV-Bau BSeuchG

BSG BSGE BSHG BSSichG

BStBl. BT-Drucks. BTHG

BUrlG BuW BV

XXII

Gesetz über steuerliche Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz) Gesetz für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Übergangsgesetz) Betriebsrätegesetz Bundesreisekostengesetz Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundesseuchengesetz) Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Amtliche Sammlung) Bundessozialhilfegesetz Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz) Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift) Betriebsvereinbarung bzw. besloten vennootschap, niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Abkürzungsverzeichnis

BVD BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. ca. CEO CGM CGZP ChemG ChGlFöG

CoronaVMeldeV COVID-19-ArbZV

d. h. DA DAG DB DBGrG

DCGK DDZ ders. DGB DGUV

Bodenverkehrsdienste Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Amtliche Sammlung) bezüglich beziehungsweise circa Chief Executive Officer Christliche Gewerkschaft Metall Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen Coronavirus-Meldepflichtverordnung Verordnung zu Abweichungen vom ArbZG infolge der COVID-19-Epidemie (COVID-19Arbeitszeitverordnung) das heißt Durchführungsanweisung Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Der Betrieb (Zeitschrift) Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (Deutsche Bahn Gründungsgesetz) Deutscher Corporate Governance Kodex Däubler/Deinert/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung XXIII

Abkürzungsverzeichnis

dies. diff. DKKW DQR DrittelbG

DRV DSAG DSAnpUG-EU DSGVO DStR DStRE DTAG DTTS DuD DVKA DWWS e. V. EAS EBRG EBR-Richtlinie EDSA EFG EFTA EFZG

EG EGAktG XXIV

dieselbe(n) differenzierend Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG Deutscher Qualifikationsrahmen Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz) Deutsche Rentenversicherung Datenschutzauditgesetz Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht – Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Telekom AG Deutsche Telekom Technischer Service Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift) Deutsche Verbindungsstelle für Krankenversicherungen – Ausland Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, EU-DSGVO und BDSG eingetragener Verein Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (Loseblattsammlung) Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische-Betriebsräte-Gesetz) Europäische Betriebsräte Richtlinie Europäischer Datenschutzausschuss Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) European Free Trade Agreement Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz

Abkürzungsverzeichnis

EGBGB EGGmbHG

EGMR EGV ELENAVG EMRK EntgTranspG

ErfK ESC EstB EStG etc. ETS-TV EU EuArbRK EuGH EUV EuZA EUZBLG

EuZW evtl. EVÜ

EWG

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Einführungsgesetz zum GmbH-Gesetz) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA-Verfahrensgesetz) Europäische Menschenrechtskonvention Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz) Erfurter Kommentar Arbeitsrecht Europäische Sozialcharta Ertrag-Steuerberater (Zeitschrift) Einkommensteuergesetz et cetera Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag Europäische Union Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar Europäisches Arbeitsrecht Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell(e) Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Europäisches Schuldvertragsübereinkommen) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

XXV

Abkürzungsverzeichnis

EWiR EzA f. FA FEG ff. FG Fitting FKS FMStG

Fn. FördElRV FPflZG FR FS GA-AÜG GbR GBV GefStoffV gem. GenDG GenTSV

GeschGehG GewO XXVI

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht der/die/das Folgende Fachanwalt Arbeitsrecht (Zeitschrift) Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Folgenden Finanzgericht Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG Finanzkontrolle Schwarzarbeit Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz) Fußnote(n) Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten Gesetz über die Familienpflegezeit (Familienpflegezeitgesetz) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Festschrift Geschäftsanweisung zum AÜG Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesamtbetriebsvereinbarung bzw. Betriebsvereinbarung über die Versorgungsordnung Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung) gemäß Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (Gendiagnostikgesetz) Verordnung über die Sicherheitsstufen und Sicherheitsmaßnahmen bei gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen (GentechnikSicherheitsverordnung) Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Gewerbeordnung

Abkürzungsverzeichnis

GG ggf. GK-BetrVG GKG GKV GLF GmbH GmbHG GmbHR GMBl. GmS-OBG GNBZ GRC GrO GRUR GS GSA Fleisch GSG GWB h. L. h. M. HAG Halbs. Hess u. a. HGB

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Wiese/Kreutz/Oetker u. a., Gemeinschaftskommentar BetrVG Gerichtskostengesetz Verbund Gesetzlicher Krankenkassen Gaul/Ludwig/Forst, Europäisches Mitbestimmungsrecht Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz) GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste Charta der Grundrechte der Europäischen Union Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Großer Senat Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft Gerätesicherheitsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) herrschende Lehre herrschende Meinung Heimarbeitsgesetz Halbsatz/Halbsätze Hess/Worzalla/Glock/Nicolai/Rose/Huke, BetrVG Handelsgesetzbuch XXVII

Abkürzungsverzeichnis

HinGebSchG HK-KSchR HK-MuSchG/BEEG HMB HR HSE HTV HWK HwO HZvNG

i. d. F. i. E. i. H. a. i. H. v. i. S. d. i. S. v. i. V. m. IfSG iGZ IHK InKDG InsO InstitutsVergV

IntG

XXVIII

Hinweisgeberschutzgesetz Gallner/Mestwerdt/Nägele, Handkommentar Kündigungsschutzrecht Rancke, Handkommentar MuSchG und BEEG Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag Human Resources Health Safety Environment Haustarifvertrag Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) Gesetz zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze (Hüttenknappschaftliches ZusatzversicherungsNeuregelungs-Gesetz) in der Fassung im Ergebnis im Hinblick auf in Höhe von im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. Industrie- und Handelskammer Informations- und Kommunikationsdienstegesetz Insolvenzordnung Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (Institutsvergütungsverordnung) Integrationsgesetz

Abkürzungsverzeichnis

IntGVO InvG IPR IT IT-ArGV

IT-AV

ITRB JArbSchG JuMoG JURA jurisPK-IntR jurisPR-ArbR JVGG K&R Kap. KAPOVAZ KassKomm KAVO KBV KDVO KG KGaA KI KO KR

Verordnung zum Integrationsgesetz (Integrationsgesetzverordnung) Investmentgesetz Internationales Privatrecht Informationstechnik/-technologie Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie Verordnung über Aufenthaltserlaubnisse für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie IT-Rechtsberater (Zeitschrift) Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) Gesetz zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Heckmann, juris Praxis-Kommentar Internetrecht juris Praxis-Report Arbeitsrecht Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kapitel Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht (Loseblattsammlung) Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung Konzernbetriebsvereinbarung bzw. Kassenärztliche Bundesvereinigung Kirchliche Dienstvertragsordnung Kammergericht bzw. Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Künstliche Intelligenz Konkursordnung Bader/Fischermeier/Gallner u. a., Gemeinschaftskommentar KSchG XXIX

Abkürzungsverzeichnis

krit. KSchG KugBeV

KugV KWG LadSchlG LAG LAGE LasthandhabV

LFZG LG LHT Lit. lit. LK LKB LPartG LPartÜAG LPK-SGB IX Ls. LSG LSSW LStDV LStR XXX

kritisch Kündigungsschutzgesetz Verordnung über die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld (Kurzarbeitergeldbezugsdauerverordnung) Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverordnung) Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz) Gesetz über den Ladenschluss (Ladenschlussgesetz) Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten bei der Arbeit (Lastenhandhabungsverordnung) Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) Landgericht Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar Literatur littera (Buchstabe) Löwisch/Kaiser, BetrVG Linck/Krause/Bayreuther, KSchG Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz) Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts Dau/Düwell/Joussen, SGB IX Lehr- und Praxiskommentar Leitsatz/Leitsätze Landessozialgericht Löwisch/Spinner/Schlünder/Wertheimer, KSchG Lohnsteuer-Durchführungsverordnung Lohnsteuer-Richtlinien

Abkürzungsverzeichnis

LuftVG m. E. m. w. N. m. W. v. MBO-Ä MDR MERL MgVG

MiLoG MiLoV MiLoV2

MindArbBedG

Mio. MitbEG

MitbestG MontanMitbestErgG

Luftverkehrsgesetz meines Erachtens mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte Monatsschrift für Deutsches Recht Massenentlassungsrichtlinie Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz) Verordnung zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns (Mindestlohnanpassungsverordnung) Zweite Verordnung zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns (Zweite Mindestlohnanpassungsverordnung) Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Mindestarbeitsbedingungengesetz) Million(en) Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungs-Ergänzungsgesetz) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (Montan-MitbestimmungsErgänzungsgesetz)

XXXI

Abkürzungsverzeichnis

MontanMitbestG

MTV MüKo MüKoAktG MünchArbR MünchGesR MuSchArbV MuSchG

n. F. n. v. NachwG

NGG NJW NJW-RR NK-GA Nr. Nrn. NZA NZA-RR NZG NZS o. g. öAT OGH OLG XXXII

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestimmungsgesetz) Manteltarifvertrag Münchener Kommentar BGB Münchener Kommentar AktG Münchener Handbuch Arbeitsrecht Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (Mutterschutzarbeitsverordnung) Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz) neue(r) Fassung (noch) nicht veröffentlicht Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Neue Juristische Wochenzeitschrift NJW Rechtsprechungs-Report Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht Nomos Kommentar Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht oben genannt(e) Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht

Abkürzungsverzeichnis

OT OVG OWiG P&R p. a. PatG PBefG PC PersVG PflBG PflegeVG

PflegeZG PfWG

PreisKlG

PSABV

PStG PSV PublG

RÄ RabattG RAG RAGE RdA

ohne Tarifbindung Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (Ordnungswidrigkeitengesetz) Park & Ride pro anno Patentgesetz Personenbeförderungsgesetz Personal Computer Personalvertretungsgesetz Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz) Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (PflegeVersicherungsgesetz) Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz) Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (PflegeWeiterentwicklungsgesetz) Gesetz über das Verbot der Verwendung von Preisklauseln bei der Bestimmung von Geldschulden (Preisklauselgesetz) Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen bei der Arbeit (PSABenutzungsverordnung) Personenstandsgesetz Pensionssicherungsverein Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen (Publizitätsgesetz) Rheinisches Ärzteblatt (Zeitschrift) Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz) Reichsarbeitsgericht Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts Recht der Arbeit (Zeitschrift) XXXIII

Abkürzungsverzeichnis

RDV RGO RisikoBegrG

RIW RL Rs. RsprEinhG

RTV-Bau RVG

RVLeistVerbG

RVO Rz. RzK s. o. S. SA SAE SARS-CoV-2 SCE SCEBG

XXXIV

Recht der Datenverarbeitung (Zeitschrift) Ruhegeldordnung Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie(n) Rechtssache(n) Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Rechtsprechungseinheitsgesetz) Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVLeistungsverbesserungsgesetz) Reichsversicherungsordnung Randzahl(en)/Randziffer(n) Rechtsprechung zum Kündigungsrecht (Loseblattsammlung) siehe oben Seite bzw. Satz/Sätze Société Anonyme, schweizerische Aktiengesellschaft Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schweres-akutes-AtemwegssyndromCoronavirus 2 Societas Cooperativa Europaea, Europäische Genossenschaft Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft (SCE-Beteligungsgesetz)

Abkürzungsverzeichnis

SchwarzArbG

SchwbG

SE SEAG

SEBG

SeemG SEVO SG SGB I SGB II SGB III SGB IV SGB IX SGB V SGB VI SGB VII SGB VIII SGB X

Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz) Societas Europaea, Europäische Gesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-Ausführungsgesetz) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBeteiligungsgesetz) Seemannsgesetz Verordnung 2157/2001/EG über das Statut der Europäischen Gesellschaft Sozialgericht Sozialgesetzbuch, I. Buch – Allgemeiner Teil Sozialgesetzbuch, II. Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende Sozialgesetzbuch, III. Buch – Arbeitsförderung Sozialgesetzbuch, IV. Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung Sozialgesetzbuch, IX. Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Sozialgesetzbuch, V. Buch – Gesetzliche Krankenversicherung Sozialgesetzbuch, VI. Buch – Gesetzliche Rentenversicherung Sozialgesetzbuch, VII. Buch – Gesetzliche Unfallversicherung Sozialgesetzbuch, VIII. Buch – Kinder- und Jugendhilfe Sozialgesetzbuch, X. Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz

XXXV

Abkürzungsverzeichnis

SGB XI SGB XII SGb SigG SMG sog. SozplKonkG SozR SPE SPI SprAuG SpTrUG SPV SR st. Rspr. Std. StGB StPO SvEV

TAStG TGV TKG

XXXVI

Sozialgesetzbuch, XI. Buch – Soziale Pflegeversicherung Sozialgesetzbuch, XII. Buch – Sozialhilfe Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturgesetz) Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (Schuldrechtsmodernisierungsgesetz) sogenannte(r) Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Sozialrecht (Entscheidungssammlung) Societas Privata Europaea, Europäische Privatgesellschaft Sozialpolitische Informationen (Zeitschrift) Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis Soziales Recht (Zeitschrift) ständige Rechtsprechung Stunde(n) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsentgeltverordnung) Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) Trennungsgeldverordnung Telekommunikationsgesetz

Abkürzungsverzeichnis

TransPuG

TS-TV TV T-Zug TV TV-EUmw/VKA

TVG TV-L TVöD TVöD-F TVöD-K TVöD-VKA

TzBfG u. ä. u. a. Uabs. UmwG UN-BRK

UrhG UStG usw. ÜT UVV v.

Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) Transfer- und Sozialtarifvertrag Tarifvertrag zum tariflichen Zusatzgeld Tarifvertrag Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich Flughäfen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich Krankenhäuser Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz) und ähnliche und andere Unterabsatz/Unterabsätze Umwandlungsgesetz Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNBehindertenrechtskonvention) Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz und so weiter übertariflich(e) Unfallverhütungsvorschriften vom XXXVII

Abkürzungsverzeichnis

VAG

Var. VBL VermbG VermG VerSanG VersAusglG VG VGH vgl. VglO VKA VO

Vorbem. VorstAG VorstOG

VSSR VTFF VTV VVG VwGO VwVfG XXXVIII

Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Variante(n) Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Vermögensbildungsgesetz) Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz) Gesetz über den Versorgungsausgleich (Versorgungsausgleichsgesetz) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergleichsordnung Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Verordnung(en) bzw. Versorgungsordnung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) Vorbemerkung(en) Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (VorstandsvergütungsOffenlegungsgesetz) Vierteljahresschrift für Sozialrecht Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen e. V. Vergütungstarifvertrag Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz

Abkürzungsverzeichnis

WHSS

WiB WissZeitVG WKS WM WO WpHG WPK WPrax WpÜG WRV z. B. z. T. ZAR ZD ZDG ZESAR ZEuP ZFA ZGR ZHR Ziff. ZIP ZMGR ZPO

Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift) Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz) Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung) Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz) Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG Wirtschaftsrecht und Praxis (Zeitschrift) Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift für Datenschutz Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer(n) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Medizinrecht Zivilprozessordnung XXXIX

Abkürzungsverzeichnis

ZRP ZSEG

ZTR zust. ZustRG

ZVertriebsR zzgl.

XL

Zeitschrift für Rechtspolitik Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetz) Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz) Zeitschrift für Vertriebsrecht zuzüglich

A. Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland 1.

Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

Die COVID-19-Pandemie hat Deutschland wie den Rest der Welt im Frühjahr diesen Jahres mit voller Wucht getroffen. Sie hatte einen nahezu vollständigen Stillstand in Wirtschaft und Gesellschaft zur Folge. Viele Unternehmen mussten ihre Tätigkeit jedenfalls vorübergehend beenden. In zahlreichen Branchen ist derzeit nicht absehbar, ob und ggf. wann nach einer Rückkehr aus dem Shutdown das bisherige Level der Auslastung wieder erreicht wird. Insoweit wird uns die aktuelle Krise nicht nur 2020 begleiten, sondern zu grundlegenden Veränderungen in den Arbeits- und Wirtschaftsprozessen auch in den kommenden Jahren führen. Die Bundesregierung hat – oftmals unter Einbindung der Opposition – mit umfangreichen gesetzgeberischen Maßnahmen versucht, einen Ausgleich für die wechselseitige Belastung von Unternehmen und Beschäftigten zu finden. Diese Maßnahmen sind kurzfristig getroffen worden. Sie sind innerhalb kurzer Zeit überarbeitet worden. Sie enthalten nach wie vor Lücken und schaffen zugleich Belastungen, an denen auch die künftigen Generationen zu tragen haben. Dennoch aber war es richtig, insbesondere im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht umfangreiche Veränderungen vorzunehmen, die Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Arbeitnehmervertretern helfen, in der Krise und im Anschluss daran den aktuellen Belastungen und ihren Folgen für den Bestand der Unternehmen und die wirtschaftliche Lebensgrundlage von Arbeitnehmern Rechnung zu tragen. Nachfolgend soll versucht werden, wesentliche Neuregelungen zusammenzufassen. Zu berücksichtigen ist, dass auch diese Neuregelungen weiterhin Änderungen erfahren und zum Teil auch nur für eine begrenzte Zeitspanne gelten.

a)

Erleichterungen bei der Einführung von Kurzarbeit

Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld sowie die Dauer und Höhe des Kurzarbeitergeldes ergeben sich im Wesentlichen aus §§ 95 ff. SGB III sowie ergänzenden Rechtsverordnungen. Darüber hinaus sollten in der betrieblichen Praxis die fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit, die weitere Hinweise zum Antragsverfahren enthalten, beachtet werden. Die aktuellen Maßnahmen des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie haben sowohl bei den tatbestandli1

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

chen Voraussetzungen als auch den Rechtsfolgen zu Veränderungen geführt. Sie können – ausgehend vom Stand bei Abschluss dieses Manuskripts – wie folgt zusammengefasst werden1: Anspruchsvoraussetzungen: Nach § 95 SGB III besteht ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, die betrieblichen sowie die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist. Der Eintritt der COVID-19-Pandemie war als ein unabwendbares Ereignis zu qualifizieren, das einen erheblichen Arbeitsausfall zur Folge haben konnte. Relevant ist ein solcher Arbeitsausfall gemäß § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB III grundsätzlich nur dann, wenn im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens ein Drittel der in dem Betrieb oder der Betriebsabteilung (§ 97 SGB III) beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 % ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen ist. Um die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld in der aktuellen Krise zu erleichtern, ist der Anteil der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, die vom Entgeltausfall betroffen sein müssen, allerdings durch das Gesetz zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld2 in Verbindung mit der Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverordnung – KugV) vom 25.3.2020 auf mindestens 10 % festgesetzt worden3. Diese müssen als Konsequenz einer Absenkung ihrer Arbeitszeit (Kurzarbeit) von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 % ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen sein4. Gemäß § 96 Abs. 4 SGB III ist der für die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld erforderliche Arbeitsausfall nicht vermeidbar, wenn in einem Betrieb (oder einer Betriebsabteilung) alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen wurden, um den Eintritt des Arbeitsausfalls zu verhindern. Im Hinblick darauf gilt ein Arbeitsausfall insbesondere dann als vermeidbar, wenn er durch die Gewährung von bezahltem Erholungsurlaub oder durch die Nutzung von im 1

2 3 4

2

Ausf. zu den rechtlichen Folgen der Corona-Pandemie: Bauer/Günther, NZA 2020, 419; Bissels, CMS-Blog v. 24.4.2020; Bonanni, ArbRB 2020, 110; Fuhlrott/Fischer, NZA 2020, 345; Grimm, ArbRB 2020, 117; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413; Klimpe-Auerbach, AiB 2020/5, 36; Pristin, AiB 2020/3, 10; Reinhard, Kliemt-Blog v. 14.4.2020; Rixen, NJW 2020, 1097; Stück/Wein, AuA 2020, 200; Weller/TassiloRouven, BB 2020, 953; BMAS, Antworten auf arbeitsrechtliche Fragen v. 2.6.2020; CMS, Crisis management in HR v. März 2020. BGBl. I 2020, 493; ausf. dazu Grimm, AuA 2020, 117; Kleinebrink, ArbRB 2020, 155. Vgl. BA, Weisung 202003015 v. 30.3.2020. BGBl. I 2020, 595.

Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

Betrieb zulässigen Arbeitszeitschwankungen ganz oder teilweise verhindert werden kann. Auch in Bezug auf diese Voraussetzung hat der Gesetzgeber eine Erleichterung vorgenommen. Insofern wird in der Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 auf den Aufbau negativer Arbeitszeitsalden verzichtet (§ 1 KugV). Darüber hinaus verzichtet die Bundesagentur für Arbeit darauf, dass Urlaub des Jahres 2020 zur Vermeidung von Kurzarbeit in Anspruch genommen wird. Notwendig ist lediglich, dass etwaiger Resturlaub aus 2019 im Vorfeld der Kurzarbeit gewährt und genommen wurde. Ein Verzicht darauf wäre allenfalls dann denkbar, wenn der Urlaub bereits zu diesem Zeitpunkt zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für einen späteren Zeitpunkt vereinbart worden wäre5. Dauer des Kurzarbeitergeldes: Grundsätzlich wird Kurzarbeitergeld nach §§ 95 ff. SGB III für eine Dauer von längstens zwölf Monaten geleistet. Die Bezugsdauer gilt dabei einheitlich für alle in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer und beginnt mit dem ersten Kalendermonat, für den in einem Betrieb Kurzarbeitergeld vom Arbeitgeber gezahlt wird (§ 104 Abs. 1 SGB III). Entsprechendes gilt dann, wenn als Bezugspunkt auf eine Betriebsabteilung abgestellt wird (§ 97 S. 2 SGB III). Mit der Kurzarbeitergeldbezugsdauerverordnung (KugBeV) vom 16.4.20206 hat das BMAS die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld für Arbeitnehmer, deren Anspruch auf Kurzarbeitergeld bis zum 31.12.2019 entstanden war, über die Jahresfrist hinaus auf bis zu 21 Monate, längstens bis zum 31.12.2020, verlängert. Die Verordnung ist am 31.1.2020 in Kraft getreten und tritt am 31.12.2020 außer Kraft. Weitere Verlängerungen bedürfen dann einer erneuten Rechtsverordnung gemäß § 109 Abs. 1, 1 a SGB III. Höhe des Kurzarbeitergeldes: Gemäß § 105 SGB III beträgt das Kurzarbeitergeld für Arbeitnehmer, die beim Arbeitslosengeld die Voraussetzungen für den erhöhten Leistungssatz erfüllen würden, 67 %, für die übrigen Arbeitnehmer 60 % der Nettoentgeltdifferenz im Anspruchszeitraum. Die Nettoentgeltdifferenz entspricht der Differenz zwischen dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Soll-Entgelt und dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Ist-Entgelt. Soll-Entgelt ist das Bruttoarbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall in dem Anspruchszeitraum erzielt hätte, vermindert um Entgelt für Mehrarbeit. Ist-Entgelt ist das Bruttoarbeitsent-

5 6

Zum Urlaub bei Kurzarbeit schon BAG v. 16.12.2008 – 9 AZR 164/08, NZA 2009, 689. BGBl. I 2020, 801.

3

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

gelt, das der Arbeitnehmer in dem Anspruchszeitraum tatsächlich erzielt hat, zuzüglich aller zustehenden Entgeltanteile (§ 106 Abs. 1 S. 1 bis 3 SGB III). Gerade bei Geringverdienern hat die Einführung von Kurzarbeit eine erhebliche Absenkung des Arbeitseinkommens zur Folge, wenn arbeitgeberseitig keine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes erfolgt. Schon früh sind deshalb in den Bundestag Initiativen mit dem Ziel eingebracht worden, das Kurzarbeitergeld insbesondere bei Arbeitnehmern mit geringeren Einkommen und/oder sozialer Schutzbedürftigkeit anzuheben7. Mit dem Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (SozialschutzPaket II), das insoweit am 29.5.2020 in Kraft getreten ist8, hat die Bundesregierung dieser Diskussion durch eine vorübergehende Sonderregelung zum Arbeitslosengeld in § 421 c Abs. 2 SGB III Rechnung getragen. Danach beträgt das Kurzarbeitergeld abweichend von § 105 SGB III bis zum 31.12.2020 für Arbeitnehmer, die beim Arbeitslosengeld die Voraussetzungen für den erhöhten Leistungssatz erfüllen würden, ab dem vierten Bezugsmonat 77 % und ab dem siebten Bezugsmonat 87 %, für die übrigen Arbeitnehmer ab dem vierten Bezugsmonat 70 % und ab dem siebten Bezugsmonat 80 % der Nettoentgeltdifferenz im Anspruchszeitraum. Voraussetzung ist, dass die Differenz zwischen Soll- und Ist-Entgelt im jeweiligen Bezugsmonat mindestens 50 % beträgt. Für die Berechnung der Bezugsmonate sind Monate mit Kurzarbeit ab März 2020 zu berücksichtigen. Anrechnung von anderweitigem Verdienst: Wenn der Arbeitnehmer für Zeiten des Arbeitsausfalls ein Entgelt aus einer anderen, während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aufgenommenen Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger erzielt, ist das Ist-Entgelt an sich um dieses Entgelt zu erhöhen (§ 106 Abs. 3 SGB III). Durch § 421 c SGB III hatte der Gesetzgeber aber hiervon abweichend zunächst einmal mit Wirkung zum 28.3.2020 auf eine Anrechnung des Entgelts aus einer anderen, während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aufgenommenen Beschäftigung in systemrelevanten Branchen und Berufen in der Zeit vom 1.4.2020 bis zum 31.10.2020 verzichtet. Die entsprechende Regelung war Bestandteil des Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-II (Sozialschutz-Paket) vom 27.3.20209. Mit dem Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona7 8 9

4

BT-Drucks. 19/18686, 19/18704. BGBl. I 2020, 1055. BGBl. I 2020, 575; ausf. dazu Löwisch, BB 2020, 948.

Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

Pandemie (Sozialschutz-Paket II) vom 20.5.2020 hat der Gesetzgeber auf die Systemrelevanz der anderweitigen Beschäftigung verzichtet und § 421 c Abs. 1 SGB III wie folgt neu gefasst: In der Zeit vom 1.4.2020 bis zum 31.12.2020 wird, abweichend von § 106 Abs. 3 SGB III, Entgelt aus einer anderen, während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aufgenommenen Beschäftigung dem Ist-Entgelt nicht hinzugerechnet, soweit das Entgelt aus der neu aufgenommenen Beschäftigung zusammen mit dem Kurzarbeitergeld und dem verbliebenen Ist-Entgelt aus der ursprünglichen Beschäftigung die Höhe des Soll-Entgelts aus der Beschäftigung, für die Kurzarbeitergeld gezahlt wird, nicht übersteigt. Handelt es sich bei der nach S. 1 aufgenommenen Beschäftigung um eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, wird das Entgelt aus dieser Beschäftigung dem Ist-Entgelt nicht hinzugerechnet. Die während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aufgenommenen Beschäftigungen nach S. 1 sind versicherungsfrei zur Arbeitsförderung.

Damit ist jede anderweitige Tätigkeit, die ein Arbeitnehmer während der Kurzarbeit aufnimmt, anrechnungsfrei. Dies gilt auch im Konzern. Sozialversicherungsbeiträge: Arbeitet der Arbeitnehmer während der Kurzarbeit, besteht die wechselseitige Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für das Ist-Entgelt fort. Soweit durch Kurzarbeit ein Entgeltausfall eintritt, müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beiträge zur Sozialversicherung für das ausgefallene Soll-Entgelt zahlen. Die Beiträge sind allerdings auf 80 % des Unterschiedsbetrags zwischen dem Soll-Entgelt und dem Ist-Entgelt begrenzt. Dies hat zur Folge, dass etwaige Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld, soweit sie 80 % dieses Unterschiedsbetrags nicht übersteigen, dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt nicht zugerechnet werden (§ 1 Abs. 1 Nr. 8 SvEV). Zur Entlastung hat der Gesetzgeber auf der Grundlage des Gesetzes zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld10 in Verbindung mit der KugV vom 25.3.202011 für Arbeitsausfälle in der Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 bestimmt, dass dem Arbeitgeber auf Antrag die von ihm während des Bezugs von Kurzarbeitergeld nach §§ 95, 101 SGB III allein zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung in pauschalierter Form erstattet werden. Für den Antrag des Arbeitgebers auf 10 BGBl. I 2020, 493. 11 BGBl. I 2020, 595.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge, der schriftlich oder elektronisch erfolgen kann, ist keine Stellungnahme des Betriebsrats erforderlich (§ 323 Abs. 2 SGB III). Diese Stellungnahme muss allerdings der Anzeige des Arbeitsausfalls (§ 99 Abs. 1 S. 3 SGB III) bzw. dem Antrag auf Kurzarbeitergeld (§ 323 Abs. 2 S. 1 SGB III) beigefügt werden. Lohnsteuer: Etwaige Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld unterliegen nach Maßgabe der Neuregelung durch das Corona-Steuerhilfegesetz in § 3 Nr. 28 a EStG bis zur Höhe von 80 % des Unterschiedsbeitrags zwischen Soll- und Ist-Entgelt in der Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 nicht der Lohnsteuer. Die durch § 3 Nr. 11 a EStG geschaffene Möglichkeit, Arbeitnehmern Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Beitrag i. H. v. 1.500 € im Jahre 2020 steuerfrei zu gewähren, ist nicht auf Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld anzuwenden. Steuerfrei sind nur solche Zuwendungen, die zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden. Leiharbeitnehmer: Grundsätzlich kann das Recht des Leiharbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug des Verleihers (§ 615 S. 1 BGB) nicht durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden; § 615 S. 2 BGB bleibt hiervon unberührt (§ 11 Abs. 4 AÜG). Ergänzend hierzu sah § 11 Abs. 4 S. 3 AÜG im Umkehrschluss vor, dass Kurzarbeit mit einer Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld für Leiharbeitnehmer nicht in Betracht kam. § 11 Abs. 4 S. 3 AÜG ist allerdings nicht nur mit Wirkung zum 15.3.2020 aufgehoben worden12. Vielmehr ist auf der Grundlage von § 11 a AÜG, der neu eingefügt wurde, durch § 3 KugV die Möglichkeit einer Vereinbarung von Kurzarbeit mit der Folge des Bezugs von Kurzarbeitergeld auch für Leiharbeitnehmer geschaffen worden. Die Neuregelung lautet wie folgt: Das in § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG geregelte Recht von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern auf Vergütung wird bei Vereinbarung von Kurzarbeit für den Arbeitsausfall und für die Dauer aufgehoben, für die der Leiharbeitnehmerin oder dem Leiharbeitnehmer Kurzarbeitergeld nach dem SGB III gezahlt wird. Eine solche Vereinbarung kann das Recht der Leiharbeitnehmerin oder der Leiharbeitnehmers auf Vergütung längstens bis zum 31.12.2020 ausschließen.

Die Neuregelung ist zum 1.3.2020 in Kraft getreten. Sie erlaubt damit auch Verleihern, Kurzarbeitergeld in Anspruch zu nehmen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen aus §§ 95 ff. SGB III erfüllt sind und eine individual- oder

12 BGBl. I 2020, 493.

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Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

kollektivvertragliche Regelung über die Verkürzung der Arbeitszeit mit einem entsprechenden Entgeltausfall getroffen wird.

b)

Arbeitszeitflexibilisierung während der COVID-19Pandemie

Auf der Grundlage von § 14 Abs. 4 ArbZG, der mit dem Sozialschutz-Paket mit Wirkung zum 28.3.2020 eingefügt worden war, hat das BMAS durch die Verordnung zu Abweichungen vom ArbZG infolge der COVID-19Epidemie (COVID-19-ArbZV) vom 7.4.202013 Ausnahmen von den generellen Schranken des Arbeitszeitrechts vorgesehen. Höchstarbeitszeit: Gemäß § 1 COVID-19-ArbZV darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer abweichend von §§ 3, 6 Abs. 2 ArbZG auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden, wenn die Verlängerung nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann. Die Verlängerung muss wegen der COVID-19-Pandemie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern notwendig sein. § 3 S. 2 ArbZG gilt entsprechend. In diesem Zusammenhang nennt der Gesetzgeber beispielsweise das Herstellen, Verpacken, Be- und Entladen sowie das Einräumen von Waren des täglichen Bedarfs, von Arzneimitteln oder Medizinprodukten, die Pflege, Betreuung und Versorgung von Personen, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechner-Systemen. Wenn von der Abweichungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird, darf die Arbeitszeit 60 Stunden in der Woche nicht überschreiten. Etwas anderes gilt in dringenden Ausnahmefällen, wenn und soweit die Verlängerung nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann. Ruhezeit: Abweichend von §§ 5 Abs. 1, 7 Abs. 9 ArbZG darf die Ruhezeit bei den vorstehend genannten Tätigkeiten um bis zu zwei Stunden verkürzt werden, wobei eine Mindestruhezeit von neun Stunden nicht unterschritten 13 BMAS v. 7.4.2020.

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werden darf. Die Verkürzung ist nach § 2 COVID-19-ArbZV indes nur zulässig, wenn sie wegen der COVID-19-Pandemie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern notwendig ist. Jede Verkürzung der Ruhezeit ist innerhalb von vier Wochen auszugleichen. Der Ausgleich ist nach Möglichkeit durch freie Tage zu gewähren, ansonsten durch Verlängerung anderer Ruhezeiten auf jeweils mindestens 13 Stunden. Sonn- und Feiertagsbeschäftigung: Abweichend von § 9 Abs. 1 ArbZG dürfen Arbeitnehmer mit den vorstehenden Tätigkeiten auch an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden, sofern die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Dies gilt entsprechend, soweit das LadSchlG sowie die landesrechtlichen Regelungen dem nicht entgegenstehen. Abweichend von § 11 Abs. 3 S. 1 ArbZG kann der Ersatzruhetag für Arbeitnehmer, die an einem Sonntag nach § 3 Abs. 1 COVID-19-ArbZV beschäftigt werden, innerhalb eines dem Beschäftigungstag einschließenden Zeitraums von acht Wochen gewährt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass er bis zum 31.7.2020 gewährt wird. Die vorstehend genannten Ausnahmen dürfen nur bis zum 30.6.2020 angewendet werden. Falls Zweifel bestehen, kann die Aufsichtsbehörde feststellen, ob eine Beschäftigung nach dieser Verordnung zulässig ist (§§ 4 f. COVID-19-ArbZV). Die Verordnung tritt am 31.7.2020 außer Kraft.

c)

Erstattungsansprüche bei krankheitsbedingtem Arbeitsausfall

Der Ausfall eines Arbeitnehmers als Folge einer COVID-19-Erkrankung ist nach den normalen Regelungen in der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall abzuwickeln. Damit besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer eines etwaig erforderlichen Arztbesuches (§ 616 BGB) und der normale Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß §§ 3 f. EFZG14. Besonderheiten können sich allerdings dann ergeben, wenn noch keine festgestellte COVID-19-Erkrankung gegeben ist, sondern eine Behandlung als Krankheitsverdächtiger bzw. Ansteckungsverdächtiger gemäß § 30 Abs. 1 S. 2 IfSG vorgenommen wird. Auch in diesem Fall besteht ein Anspruch auf 14 Vgl. zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall LAG Düsseldorf v. 30.3.2012 – 6 Sa 1358/11 n. v.

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Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

Entgeltfortzahlung für die Dauer des erforderlichen Arztbesuchs (§ 616 BGB). Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Anschluss daran aus Gründen der Vorsorge frei, ohne dass die Voraussetzungen einer Verdachtsmeldung gemäß § 1 Abs. 2 CoronaVMeldeV gegeben sind, wird man zwar von einem Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 615 S. 1 BGB ausgehen müssen. Dieser Anspruch entfällt allerdings dann, wenn der Arbeitnehmer als Ansteckungsverdächtiger, als Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern gesetzlichen, verordnungsrechtlichen oder behördlichen Verboten in der Ausübung seiner Tätigkeit unterliegt oder unterworfen wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die entsprechende Ausfallzeit eine nicht nur unerhebliche Zeitspanne beträgt. Hiervon ist – trotz abweichender Auffassung – dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer als Konsequenz entsprechender Verdachtsmomente für mehr als zwei Wochen nicht tätig werden kann15. Der Arbeitnehmer hat in diesen Fällen aber gemäß § 56 Abs. 1 IfSG einen Anspruch auf eine Entschädigung in Geld. Sie bemisst sich nach dem Verdienstausfall und wird für die ersten sechs Wochen in Höhe des Verdienstausfalls gewährt. Von Beginn der siebten Woche an wird sie in Höhe des Krankengeldes (§ 47 Abs. 1 SGB V) gewährt, soweit der Verdienstausfall die für die gesetzliche Krankenversicherungspflicht maßgebende Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt (§ 56 Abs. 2 IfSG). Als Verdienstausfall gilt das Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit nach Abzug der Steuer und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung zusteht (Nettoarbeitsentgelt). Der Betrag erhöht sich um das Kurzarbeitergeld, auf das der Arbeitnehmer Anspruch hätte, wenn er nicht aus den in Abs. 1 genannten Gründen an einer Arbeitsleistung verhindert wäre. Die Entschädigung wird durch den Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, ausgezahlt. Auf Antrag des Arbeitgebers werden die ausgezahlten Beträge von der zuständigen Behörde erstattet (§ 56 Abs. 5 IfSG). Die Frist für den Antrag auf Erstattung der dem Arbeitnehmer gezahlten Beträge ist durch das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite16 auf zwölf Monate verlängert worden. § 11 S. 1 IfSG wurde entsprechend angepasst.

15 Vgl. ErfK/Gallner, PflegeZG § 2 Rz. 4; a. A. HWK/Krause, BGB § 616 Rz. 42; MüKo/Henssler, BGB § 616 Rz. 68; Staudinger/Oetker, BGB § 616 Rz. 104; Eufinger, DB 2020, 1121; Grimm, DB 2020, 1177; Sagan/Brockfeld, NJW 2020, 1112. 16 BGBl. I 2020, 1018.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

d)

Erstattungsansprüche bei Arbeitsausfall als Folge notwendiger Kinderbetreuung

Gemäß § 45 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, dass sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten oder versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Ein entsprechender Anspruch auf Krankengeld besteht in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für 10 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte längstens für 20 Arbeitstage. Bei mehreren Kindern ist der Anspruch für Versicherte auf 25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte auf 50 Arbeitstage je Kalenderjahr begrenzt. Das Krankengeld beträgt 90 % des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt der Versicherten und darf 70 % der Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 Abs. 3 SGB V nicht übersteigen. Für die Dauer des Anspruchs auf Krankengeld haben Versicherte einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht. Der Freistellungsanspruch kann nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden (§ 45 Abs. 3 SGB V). Als Konsequenz der Schließung von Kindertagesstätten und Schulen im Rahmen der COVID-19-Pandemie hat der Gesetzgeber in § 56 Abs. 1 a IfSG eine weitergehende Regelung getroffen17. Sie lautet wie folgt: Werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten aufgrund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt und müssen erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern, die das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können, und erleiden sie dadurch einen Verdienstausfall, erhalten sie eine Entschädigung in Geld. Anspruchsberechtigte haben gegenüber der zu-

17 Vgl. Formulierungshilfe für den Änderungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu BT-Drucks. 19/19150.

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Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

ständigen Behörde, auf Verlangen des Arbeitgebers auch diesem gegenüber, darzulegen, dass sie in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind sicherstellen können. Ein Anspruch besteht nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde. Im Fall, dass das Kind in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII in den Haushalt aufgenommen wurde, steht der Anspruch auf Entschädigung anstelle der Sorgeberechtigten den Pflegeeltern zu.

Abweichend von der Entschädigung eines Ausscheiders, Ansteckungsverdächtigen, Krankheitsverdächtigen oder eines sonstigen Trägers von Krankheitserregern gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG wird die Entschädigung gemäß § 56 Abs. 1 a IfSG grundsätzlich i. H. v. 67 % des dem erwerbstätigen Sorgeberechtigten entstandenen Verdienstausfalls für längstens sechs Wochen gewährt. Für einen vollen Monat ist der Höchstbetrag der Entschädigung aber auf 2.016 € begrenzt (§ 56 Abs. 2 IfSG). Damit wird faktisch eine pauschale Gleichstellung mit den Rechtsfolgen von Kurzarbeit erreicht. Auch hier kann der Antrag auf Erstattung der dem Arbeitnehmer ausgezahlten Beträge durch den Arbeitgeber gemäß §§ 56 Abs. 5, 11 S. 1 IfSG innerhalb von zwölf Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder dem Ende der Absonderung gestellt werden.

e)

Betriebsverfassungsrechtliche Beschlussfassungen im Rahmen von Telefon- und Videositzungen

Bereits seit vielen Jahren wird von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern gleichermaßen die Forderung erhoben, Betriebsräten die Nutzung moderner Kommunikationsmittel nicht nur zur Beratung, sondern auch zur Beschlussfassung zu erlauben. Das Gebot der (körperlichen) Anwesenheit in § 33 Abs. 1 S. 1 BetrVG und das Verbot der Öffentlichkeit in § 30 S. 4 BetrVG standen einer Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen von Telefonoder Videokonferenzen aber nach herrschender Meinung entgegen. Dafür sprach auch § 41 EBRG, der diese Teilnahmemöglichkeit nur für den Europäischen Betriebsrat erlaubt hatte18. Als der Shutdown vieler Unternehmen anlässlich der COVID-19-Pandemie Beschlussfassungen im Rahmen von Präsenzmeetings, insbesondere bei überbetrieblichen Gremien (Gesamt- und Konzernbetriebsrat), ganz erheblich erschwerte und mit nicht unerheblichen Gesundheitsrisiken für die Mit-

18 B. Gaul, AktuellAR 2020, 235 ff.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

glieder dieser Gremien verband, hatte das BMAS am 23.3.2020 zwar eine Stellungnahme veröffentlicht, nach der – abweichend von der ganz herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung – Beschlussfassungen der Betriebsräte im Rahmen von Telefon- und Videokonferenzen zulässig sein sollten. Obwohl durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Verfahrensrecht parallel vergleichbare Regelungen für das Gesellschaftsrecht getroffen wurden19, glaubte das BMAS offenbar, dass die betriebsverfassungsrechtliche Situation keiner Neuregelung bedurfte. Diese Bewertung war indes falsch. Die Ministererklärung war deshalb auch aus rechtlicher Sicht bedeutungslos, weil damit keine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen verbunden war. Sie hätte allenfalls Grundlage für Vertrauensschutz bei Vorbehalten der Arbeitsverwaltung sein können, wenn diese die Zahlung von Kurzarbeitergeld mit der Begründung verweigert hätte, dass die für die Wirksamkeit entsprechender Betriebsvereinbarungen erforderliche Beschlussfassung des zuständigen Betriebsrats mangels einer Zusammenkunft in einer Präsenzsitzung nicht gegeben sei. Ebenso wenig hilfreich war die durch Wedde vorbereitete Erklärung, nach der der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Beschlussfassung von Betriebsräten verzichten sollte. Denn diese Erklärung sollte nicht nur vorbehaltlos erfolgen. Sie hätte auch gegenüber Arbeitnehmern, die sich auf die Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung berufen hätten, keine Bedeutung. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber – befristet vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 – für fast alle Arbeitnehmervertreter eine gesetzliche Ausnahmeregelung getroffen hat20. Im Rahmen der Betriebsverfassung sieht die Neuregelung durch § 129 BetrVG wie folgt aus: Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie (1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der KonzernJugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Abs. 1 S. 3 BetrVG

19 Vgl. BGBl. I 2020, 569. 20 BGBl. I 2020, 1044; ausf. dazu Bachner, AiB 2020/6, 29; Däubler/Klebe, NZA 2020, 545; Hayen, AuR 2020, 249; Klumpp/Holler, BB 2020, 1268.

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gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. Gleiches gilt für die von den in S. 1 genannten Gremien gebildeten Ausschüsse. (2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Abs. 1 S. 1, 2 entsprechend. (3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.

Die Entscheidung über die Durchführung einer Beschussfassung mittels Video- oder Telefonkonferenz wird durch den Vorsitzenden des Betriebsrats im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens getroffen. Eine Einschränkung auf bestimmte Anbieter von Videositzungen ist entgegen der im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geführten Diskussion mit § 129 BetrVG nicht verbunden. Insofern können auch Anbieter wie Skype, Zoom, FaceTime, Teams oder WebEx genutzt werden. Es genügt, wenn die Teilnahme durch die Mitglieder des Betriebsrats im Vorfeld in Textform (z. B. E-Mail, SMS) bestätigt wird. Ergänzend hierzu sind durch das jeweilige Betriebsratsmitglied insbesondere organisatorische und räumliche Maßnahmen zu treffen, die gewährleisten, dass Dritte keine Kenntnis von der Beratung und Beschlussfassung erhalten. Abweichend von § 114 ArbGG ist eine Protokollierung der organisatorischen Maßnahmen zur Wahrung des Beratungs- und Beschlussgeheimnisses nicht erforderlich. Nicht notwendig ist, dass alle Mitglieder an der Video- oder Telefonkonferenz teilnehmen. Ebenso denkbar ist es, dass nur einzelne Mitglieder auf diese Weise an der im Übrigen als Präsenzsitzung durchgeführten Beratung und Beschlussfassung teilnehmen. Wichtig ist, dass mit § 129 BetrVG neben dem Betriebsrat, dem Gesamtund Konzernbetriebsrat auch die Jugend- und Auszubildendenvertretung, die Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Konzern-Jugendund Auszubildendenvertretung die Möglichkeit entsprechender Video- und Telefonkonferenzen erhält. Das Gleiche gilt für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss (§ 129 Abs. 2 BetrVG). Umlaufbeschlüsse werden allerdings weiterhin nicht zugelassen. Darüber hinaus sieht § 129 BetrVG keine Sonderregelungen für die Dauer von Übergangsmandaten, die Bildung von und die Entscheidung innerhalb von Wahlvorständen oder sonstige Erleichterungen in Bezug auf Betriebsratswahlen vor. Nur im Hinblick auf Versammlungen nach den §§ 42, 53, 71 BetrVG wird eine Durchführung im Rahmen audiovisueller Einrichtungen erlaubt (§ 129 Abs. 3 BetrVG). 13

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

f)

Zulässigkeit von modernen Kommunikationsmitteln auch bei Beschlussfassungen sonstiger Arbeitnehmervertreter

Mit dem Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung21, das auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschlusses für Arbeit und Soziales22 verabschiedet wurde, und dem Zweiten Gesetzes zur Änderung des BPersVG23, das auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat24 verabschiedet wurde, sind weitere Erleichterungen in Bezug auf den Einsatz moderner Kommunikationsmittel bei der Beratung und Beschlussfassung sonstiger Arbeitnehmervertreter in Kraft gesetzt worden25. Die Regelungen für das Personalvertretungsrecht treten mit Ablauf des 31.3.2021 außer Kraft; die übrigen Erleichterungen enden bereits mit Ablauf des 31.12.2020. Alle neuen Regelungen treten bereits am 1.3.2020 in Kraft. Sprecherausschuss: In § 39 SprAuG ist in diesem Zusammenhang bestimmt worden, dass die Teilnahme an Sitzungen des Sprecherausschusses, des Unternehmenssprecherausschusses, des Gesamtsprecherausschusses und des Konzernsprecherausschusses sowie die Beschlussfassung mittels Videound Telefonkonferenz erfolgen können, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. Die Teilnahme kann in Textform bestätigt werden. Versammlung der leitenden Angestellten: Eine Versammlung der leitenden Angestellten gemäß § 15 SprAuG kann mittels audiovisueller Einrichtung durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig (§ 39 Abs. 2 SprAuG). Europäischer Betriebsrat: § 41 b EBRG erlaubt die Teilnahme an Sitzungen des besonderen Verhandlungsgremiums, eines Europäischen Betriebsrats oder einer Arbeitnehmervertretung i. S. d. § 19 EBRG sowie die Beschlussfassung mittels Video- und Telefonkonferenz, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. Nach dem 31.12.2020 besteht diese Erleichte21 22 23 24 25

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BT-Drucks. 19/17740. BT-Drucks. 19/18753. BT-Drucks. 19/18696. BT-Drucks. 19/19036. BGBl. I 2020, 1044, 1063.

Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

rung einer Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Betriebsrats mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien nur für Besatzungsmitglieder eines Seeschiffs, das sich auf See oder in einem Hafen befindet, der in einem anderen Land als das Land liegt, in dem die Reederei ihren Geschäftssitz hat (§ 41 a EBRG). SE- und SCE-Betriebsrat: Gemäß § 48 SEBG können die Teilnahme an Sitzungen eines SE-Betriebsrats oder einer Arbeitnehmervertretung nach § 21 Abs. 2 SEBG sowie die Beschlussfassung im Rahmen der Unterrichtung und Anhörung mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. Entsprechendes bestimmt § 50 SCEBG für den SCE-Betriebsrat oder eine Arbeitnehmervertretung nach § 21 Abs. 2 SCEBG. Personalrat: Auch Personalratsmitglieder können gemäß § 37 Abs. 3 BPersVG mittels Video- oder Telefonkonferenzen an Sitzungen teilnehmen, wenn vorhandene Einrichtungen genutzt werden, die durch die Dienststelle zur dienstlichen Nutzung freigegeben sind, vorbehaltlich einer abweichenden Regelung in der Geschäftsordnung, sofern kein Mitglied des Personalrats unverzüglich nach Bekanntgabe der Absicht zur Durchführung der Sitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz diesem Verfahren gegenüber dem Vorsitzenden widerspricht und der Personalrat geeignete organisatorische Maßnahmen trifft, um sicherzustellen, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Auch hier ist eine Aufzeichnung unzulässig. Personalratsmitglieder, die mittels Video- oder Telefonkonferenz an Sitzungen teilnehmen, gelten als anwesend. § 41 Abs. 1 S. 3 BPersVG findet mit der Maßgabe Anwendung, dass der Vorsitzende vor Beginn der Beratung die zugeschalteten Personalratsmitglieder feststellt und in die Anwesenheitsliste einträgt. Sprechstunden des Personalrats: Die Sprechstunde des Personalrats kann gemäß § 43 Abs. 2 BPersVG mittels Videokonferenz abgehalten werden, wenn vorhandene Einrichtungen genutzt werden, die durch die Dienststelle zur dienstlichen Nutzung freigegeben sind, dies in der Geschäftsordnung des Personalrats vorgesehen ist und der Personalrat geeignete organisatorische Maßnahmen trifft, um sicherzustellen, dass Dritte vom Inhalt der Sprechstunde keine Kenntnis nehmen können. Aufzeichnungen sind unzulässig. Personalratswahlen: Für die Personalratswahlen im Jahre 2020 gilt § 26 S. 2 BPersVG mit der Maßgabe, dass die Amtszeit des Personalrats mit der Konstituierung beginnt. Ist am Tage des Ablaufs der regelmäßigen Amtszeit des Personalrats ein neuer Personalrat noch nicht gewählt oder konstituiert,

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

führt der Personalrat die Geschäfte weiter, bis der neue Personalrat gewählt oder zu seiner ersten Sitzung zusammengetreten ist, längstens jedoch bis zum Ablauf des 31.3.2021. Dies gilt für die Jugend und Auszubildendenvertretungen nach dem BPersVG entsprechend (§ 26 a BPersVG).

g)

Zulässigkeit des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel im Arbeitsgerichtsverfahren

§ 128 a ZPO, der auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren entsprechende Anwendung findet (§ 46 Abs. 2 ZPO), erlaubt grundsätzlich Verhandlungen in Wege der Bild- und Tonübertragung. Dazu kann das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Entsprechendes gilt für Zeugen, Sachverständige oder eine Partei, wenn eine Vernehmung erfolgt. Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet. Entscheidungen über entsprechende Verhandlungen in Wege der Bild- oder Tonübertragung sind unanfechtbar. Problematisch an dieser Regelung ist nicht nur, dass die Technik, die eine entsprechende Übertragung erlaubt hätte, in der Regel nicht vorhanden ist. Mit Blick auf die Risiken als Folge der COVID-19-Pandemie ist vor allem zu beachten, dass das Gericht selbst weiterhin im Sitzungssaal anwesend sein muss. Falls Parteien, ihre Vertreter, Sachverständige oder Zeugen vor Ort sein wollen, ist eine Verhandlung oder Vernehmung im Wege der Tonoder Videoübertragung gegen ihren Willen nicht durchsetzbar. Hinzukommt, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 52 ArbGG) jedenfalls außerhalb des Güteverfahrens zu gewährleisten ist. Mit dem Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der CoronaPandemie (Sozialschutz-Paket II) sind diese Gestaltungsmöglichkeiten durch Einfügung von § 114 ArbGG allerdings für den Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ganz erheblich ausgeweitet worden26: Infektionsschutz bei epidemischen Lagen von nationaler Tragweite (1) Das Gericht kann abweichend von § 128 a ZPO einem ehrenamtlichen Richter bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG von Amts wegen gestatten, an einer mündli26 Vgl. Francken, NZA 2020, 681.

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Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

chen Verhandlung von einem anderen Ort aus beizuwohnen, wenn es für ihn aufgrund der epidemischen Lage unzumutbar ist, persönlich an der Gerichtsstelle zu erscheinen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an den anderen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet. (2) Abs. 1 gilt entsprechend für die Beratung, Abstimmung und Verkündung der Entscheidung. S. 1 gilt auch, wenn die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erfolgt. Die an der Beratung und Abstimmung Teilnehmenden haben durch geeignete Maßnahmen die Wahrung des Beratungsgeheimnisses sicherzustellen; die getroffenen Maßnahmen sind zu protokollieren. (3) Das Gericht soll den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG im Falle des § 128 a ZPO von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung Verfahrenshandlungen vorzunehmen. S. 1 gilt entsprechend für die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen. (4) Abweichend von § 128 Abs. 2 S. 1 ZPO kann das Bundesarbeitsgericht bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG nach vorheriger Anhörung auch ohne Zustimmung der Parteien eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, wenn das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückgewiesen hat. § 95 ArbGG bleibt unberührt.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Neuregelung in der Zeit bis zum 31.12.2020 praktische Relevanz gewinnen wird27. An sich wäre dies wünschenswert und sinnvoll. Es dürfte allerdings in der Regel daran scheitern, dass die technischen Voraussetzungen auf Seiten des Gerichts (einschließlich der Beisitzer), der Parteien und sonstiger Beteiligten nicht vorhanden sind.

h)

Erleichterungen bei der Ausstellung von AUBescheinigungen

Wie wir auch an anderer Stelle aufgezeigt haben, haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband im Zusammenhang mit 27 Vgl. Referentenentwurf der Bundesregierung v. 9.4.2020; Oltmanns/Fuhlrott, DB 2020, 841.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

der COVID-19-Pandemie mehrfach Änderungen von § 4 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie beschlossen28. Die am 28.5.2020 beschlossene Fassung, die zum 1.7.2020 in Kraft treten soll29, sieht folgende Regelungen vor: § 4 Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (1) Bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sind körperlicher, geistiger und seelischer Gesundheitszustand der oder des Versicherten gleichermaßen zu berücksichtigen. Deshalb darf die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit nur aufgrund ärztlicher Untersuchung erfolgen. Rückwirkend ab dem 20.4.2020 und befristet bis zum 31.5.2020 darf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei Versicherten mit Erkrankungen der oberen Atemwege, die keine schwere Symptomatik vorweisen, für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen auch nach telefonischer Anamnese und zwar im Wege der persönlichen ärztlichen Überzeugung vom Zustand des Versicherten durch eingehende telefonische Befragung erfolgen; das Fortdauern der Arbeitsunfähigkeit kann im Wege der telefonischen Anamnese einmalig für einen weiteren Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen festgestellt werden. (…) § 4 a Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen des Entlassmanagements Soweit es für die Versorgung der oder des Versicherten unmittelbar nach der Entlassung aus dem Krankenhaus erforderlich ist, kann das Krankenhaus (die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt) im Rahmen des Entlassmanagements wie eine Vertragsärztin oder ein Vertragsarzt Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen nach der Entlassung entsprechend dieser Richtlinie feststellen. Die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt hat in geeigneter Weise im Rahmen des Entlassmanagements rechtzeitig die weiterbehandelnde Vertragsärztin oder den weiterbehandelnden Vertragsarzt über die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu informieren. § 11 Abs. 4 SGB V bleibt unberührt. Die Regelungen der S. 1 bis 3 gelten entsprechend für die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung sowie für Ärztinnen und Ärzte in Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation bei Leistungen nach den §§ 40 Abs. 2, 41 SGB V. 28 Vgl. B. Gaul/Kaule, AktuellAR 2020, 119 ff. 29 BAnz AT v. 28.5.2020 B3.

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Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

§ 4 b Sonderregelung im Zusammenhang mit der COVID-19Pandemie Wenn und solange der Deutsche Bundestag gemäß § 5 Abs. 1 IfSG eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt hat, gilt § 4 a mit der Maßgabe, dass die 7-Kalendertage-Frist auf eine 14Kalendertage-Frist erweitert wird und dass sich die unmittelbare Erforderlichkeit auch aus dem Umstand einer Vermeidung des zusätzlichen Aufsuchens einer Arztpraxis ergeben kann.

Die hier wiedergegebene Regelung ist befristet bis zum 30.6.2020. Die Möglichkeit, bei einer Erkrankung der oberen Atemwege eine AUBescheinigung auch nach telefonischer Anamnese zu erhalten, endete damit am 31.5.202030.

i)

Die neuen Arbeitsschutzstandards des BMAS für die Rückkehr aus dem Shutdown

Im April hat das BMAS die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards veröffentlicht. Sie verfolgen das Ziel, durch die Unterbrechung der Infektionsketten die Bevölkerung zu schützen, die Gesundheit von Beschäftigten zu sichern, die wirtschaftliche Aktivität wiederherzustellen und zugleich einen mittelfristig andauernden Zustand flacher Infektionskurven zu erreichen. Zu diesem Zweck soll ein betriebliches Maßnahmenkonzept geschaffen werden, das technische, organisatorische und personenbezogene Schutzmaßnahmen enthält. aa)

Rechtsnatur der Arbeitsschutzstandards

Bei den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards handelt es sich nicht um eine Rechtsverordnung nach § 18 ArbSchG. Sie sind auch nicht Teil der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie gemäß § 20 a ArbSchG. Ungeachtet dessen werden sie durch das BMAS als „verbindliche Standards“ beschrieben, „auf die sich alle verlassen können und an die sich auch alle halten müssen“. Diese Feststellung ist unzutreffend, soweit sich nicht inhaltsgleiche Handlungspflichten des Arbeitgebers aus sonstigen gesetzlichen und/oder behördlichen Vorgaben auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene ergeben. Nichtsdestotrotz sei den Arbeitgebern empfohlen, die in den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards niedergelegten Schutzmaßnahmen zu

30 Vgl. BDA-Rundschreiben Nr. II/074/20 v. 22.4.2020.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

prüfen und im Rahmen der Umsetzung der durch §§ 3 ff. ArbSchG begründeten Pflichten zu beachten, weil sie vielfach sinnvolle und zum Teil auch notwendige Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer enthalten. bb)

Wege zur Umsetzung der Arbeitsschutzstandards

Vor diesem Hintergrund dürfte es sinnvoll und im Rahmen von § 3 ArbSchG auch geboten sein, die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards als „betriebliches Maßnahmenkonzept“ im Rahmen der Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes gemäß §§ 3, 4 Nr. 3 ArbSchG in angepasster und individualisierter Form umzusetzen. Verantwortlich hierfür ist der Arbeitgeber, der sich von den Ergebnissen der Gefährdungsbeurteilung leiten lassen muss. Im Zweifel müssen dabei auch Beratungen mit den Fachkräften für Arbeitssicherheit, dem Betriebsarzt und dem Arbeitsschutzausschuss erfolgen, soweit der Arbeitgeber nicht darüber hinaus besondere Koordinations- und Krisenstäbe eingesetzt oder Personen gemäß § 13 ArbSchG beauftragt hat. Wichtig ist, dass die Umsetzung der Arbeitsschutzstandards mit umfassenden Beteiligungsrechten des Betriebsrats aus §§ 80 Abs. 1, 2, 87 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 3, 6, 7, 89, 99 BetrVG verbunden ist. Die Nichtbeachtung der Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG kann der Betriebsrat nicht nur zum Anlass nehmen, Unterlassungsansprüche geltend zu machen. Denkbar ist auch, dass Handlungspflichten, die der Arbeitgeber im Rahmen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts setzen will, als Konsequenz der Nichtbeachtung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats unwirksam sind. Schon dies legt nahe, die Abstimmung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung festzuhalten, die unmittelbare und zwingende Wirkung besitzt. Diese kann dann auch die Frage behandeln, wie Arbeitnehmer – ggf. auch Fremdpersonal – unterwiesen werden. cc)

Besondere technische Maßnahmen

Vorrang bei den arbeitgeberseitigen Maßnahmen zur Umsetzung der SARSCoV-2-Arbeitsschutzstandards haben besondere technische Maßnahmen. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Arbeitsplatzgestaltung: Abstand zwischen den Arbeitnehmern (1,5 – 2 m) gewährleisten; Mehrfachbelegung von Büros vermeiden; ggf. Arbeitsplatzabtrennung mit transparenter Schutzeinrichtung. Homeoffice: Verlagerung der Büroarbeit (insbesondere bei Großraumbüros mit geringen Schutzabständen) nach Möglichkeit ins Homeoffice; Vermeidung der Mehrfachbelegung von Räumen bzw. Schaffung von Schutzabständen.

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Gesetzliche Neuregelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie

Sanitärräume, Kantine, Pausenräume: Verfügbarkeit ausreichender Flüssigseife, Handtuch-/Desinfektionsspender; Aufenthaltsräume: Abstand sicherstellen; ggf. Anpassung der Reinigungsintervalle; Reinigen von Türklinken und Handläufen; Vermeidung von Warteschlangen an der Essenausgabe (ultima ratio: Kantinenschließung). Lüftung: Regelmäßiges Lüften sowie Vermeidung einer Verbreitung von Aerosolen durch raumlufttechnische Anlagen. Baustellen, Landwirtschaft, Außen- und Lieferdienst: Möglichst Mindestabstände von 1,5 m, vereinzeltes Arbeiten bzw. feste, kleine Teams; Ausstattung der Firmenfahrzeuge für Handhygiene, Desinfektion, Papiertücher und Müllbeutel; Vermeidung gleichzeitiger Nutzung durch mehrere Beschäftigte; Zuweisung fester Fahrzeuge; Anpassung der Reinigungsintervalle; Tourenplanung. Dienstreisen und Meetings: Reduzierung auf ein Minimum und Ersatz durch Online-Meetings bzw. Telefon- und Videokonferenzen. dd)

Besondere organisatorische Maßnahmen

Ergänzend zu den technischen Maßnahmen sind auch besondere organisatorische Maßnahmen zu treffen. Aus Sicht des BMAS geht es dabei vor allem um folgende Aspekte: Sicherstellung von Schutzabständen: Anpassung der Nutzung von Verkehrswegen und -mitteln (z. B. Aufzüge); Markierung von Schutzabständen an typischen Engstellen (z. B. Zeiterfassung, Aufzug) bzw. Einrichtung von Abstandsflächen; ggf. alternative Maßnahmen (Mund-Nase-Bedeckung). Arbeitsmittel/Werkzeuge/Arbeitskleidung/PSA: Verwendung/Aufbewahrung möglichst personenbezogen; ggf. geeignete Schutzhandschuhe; häusliches Umkleiden, wenn möglich und sinnvoll. Arbeitszeit- und Pausenregelung: Verringerung der Belegungsdichte in gemeinsam genutzten Räumen durch zeitliche Entzerrung/feste Schichten; Anpassung des Beginns/Endes der Arbeitszeit. Zutritt betriebsfremder Personen: Reduzierung auf Minimum; Dokumentation; Unterweisung in Schutzmaßnahmen. Handlungsanweisung für Verdachtsfälle: Schaffung betrieblicher Regelungen zur raschen Aufklärung von Verdachtsfällen; möglichst kontaktlose Fiebermessung; Aufforderung an Arbeitnehmer mit Atemwegssymptomen (Husten, Atemnot, Fieber), das Betriebsgelände zu verlassen (Ausnahme:

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Beschäftigte in kritischen Infrastrukturen); telefonische Kontaktaufnahme durch Beschäftigte mit Arzt oder Gesundheitsamt. Betrieblicher Pandemieplan: Ergänzende Regelungen zur Aufklärung und Information von Kontakten bei bestätigten Infektionen31. Psychische Belastung durch Corona: Erfassung etwaiger Belastungen (z. B. Stress, Kundenkonflikte, Social Distancing) in Gefährdungsbeurteilung und Festlegung von Schutzmaßnahmen. Insbesondere im Hinblick auf die Handlungsanweisung für Verdachtsfälle wird man allerdings nicht nur etwaige Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 6, 7 BetrVG zu beachten haben. Vielmehr spielen bei der Einführung entsprechender Maßnahmen auch datenschutzrechtliche Aspekte eine besondere Rolle. Deutlich macht dies beispielhaft die Entscheidung des ArbG Wesel vom 24.4.202032, mit der ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Überwachung der Einhaltung von Abständen zwischen den Beschäftigten (Social Distancing) durch eine bestehende Videoanlage bestätigt wurde. Wir haben darüber an anderer Stelle berichtet33. Ähnliche Fragestellungen dürften sich dann ergeben, wenn die Körpertemperatur von Arbeitnehmern gemessen werden soll. Da Fieber auch andere Ursachen haben kann, was die Eignung des damit verbundenen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung infrage stellt, wird man unabhängig von der Beteiligung des Betriebsrats eine (konkludente) Einwilligung der hiervon betroffenen Arbeitnehmer verlangen müssen. Soweit in den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards davon die Rede ist, dass im Betrieb eine möglichst kontaktlose Fiebermessung vorzusehen sei, sind diese rechtlichen Fragestellungen indes nicht berücksichtigt. ee)

Besondere personenbezogene Maßnahmen

Die personenbezogenen Maßnahmen sind nachrangig, da sie – anders als technische und organisatorische Maßnahmen – mit einem stärkeren Eingriff in die Handlungsfreiheit der Arbeitnehmer verbunden sind und zusätzlich das Risiko tragen, dass sie nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt wer-

31 Vgl. hierzu Godek, AuA 2020, 218; Reinhard, ArbRB 2020, 148; Steffan, ArbRB 2020, 145; Wünschelbaum, NZA 2020, 612. 32 ArbG Wesel v. 24.4.2020 – 2 BVGa 4/20 n. v. 33 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 287 ff.

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Erleichterungen beim Elterngeld aus Anlass der COVID-19-Pandemie

den. Bei technischen und organisatorischen Maßnahmen ist die Umsetzung einfacher zu gewährleisten. Zusätzliche persönliche Schutzausrüstung: Bei unvermeidbarem Kontakt zu anderen Personen bzw. bei nicht einhaltbarem Schutzabstand sollen zusätzliche persönliche Schutzausrüstungen (Mund-Nase-Bedeckung) zur Verfügung gestellt und getragen werden. Unterweisung/Kommunikation/Information: Umfassend, einheitlich und zentral (insbesondere gegenüber Führungskräften zu gewährleisten); Festlegung von einheitlichen Ansprechpartnern; Schutzmaßnahmen sind zu erläutern; auf Einhaltung der Hygienehinweise ist hinzuweisen. Arbeitsmedizinische Vorsorge/Schutz besonders gefährdeter Personen: Angebot arbeitsmedizinischer Vorsorge/Beratung (ggf. telefonisch) durch Betriebsarzt; Betriebsarzt kann ggf. Tätigkeitswechsel empfehlen; Information des Arbeitgebers nur mit Einwilligung des Arbeitnehmers. Insbesondere bei speziellen Regelungen für Risikogruppen sind allerdings nicht nur arbeitsschutzrechtliche Gesichtspunkte zu beachten. Vielmehr ist auch zu prüfen, ob darin eine Benachteiligung wegen Alters oder Behinderung zu sehen ist. (Ga)

2.

Erleichterungen beim Elterngeld aus Anlass der COVID-19-Pandemie

Am 1.3.202034 ist das Gesetz für Maßnahmen im Elterngeld aus Anlass der COVID-19-Pandemie in Kraft getreten. Die Bundesregierung hatte den entsprechenden Entwurf am 21.4.202035 in den Bundestag eingebracht. Dort war er auf der Grundlage der beschlossenen Empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend36 am 7.5.2020 verabschiedet worden37. Die Änderungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Durch eine Ergänzung in § 2 b Abs. 1 S. 3 BEEG ist ein zusätzlicher Ausklammerungstatbestand für Einkommensausfälle aufgrund der COVID-19Pandemie eingeführt worden. Danach werden auf Antrag bei der Ermittlung des für die Höhe des Elterngeldes maßgeblichen Einkommens in der Zeit 34 35 36 37

BGBl. I 2020, 1061. BT-Drucks. 19/18698. BT-Drucks. 19/19038. BR-Drucks. 217/20.

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Erleichterungen beim Elterngeld aus Anlass der COVID-19-Pandemie

den. Bei technischen und organisatorischen Maßnahmen ist die Umsetzung einfacher zu gewährleisten. Zusätzliche persönliche Schutzausrüstung: Bei unvermeidbarem Kontakt zu anderen Personen bzw. bei nicht einhaltbarem Schutzabstand sollen zusätzliche persönliche Schutzausrüstungen (Mund-Nase-Bedeckung) zur Verfügung gestellt und getragen werden. Unterweisung/Kommunikation/Information: Umfassend, einheitlich und zentral (insbesondere gegenüber Führungskräften zu gewährleisten); Festlegung von einheitlichen Ansprechpartnern; Schutzmaßnahmen sind zu erläutern; auf Einhaltung der Hygienehinweise ist hinzuweisen. Arbeitsmedizinische Vorsorge/Schutz besonders gefährdeter Personen: Angebot arbeitsmedizinischer Vorsorge/Beratung (ggf. telefonisch) durch Betriebsarzt; Betriebsarzt kann ggf. Tätigkeitswechsel empfehlen; Information des Arbeitgebers nur mit Einwilligung des Arbeitnehmers. Insbesondere bei speziellen Regelungen für Risikogruppen sind allerdings nicht nur arbeitsschutzrechtliche Gesichtspunkte zu beachten. Vielmehr ist auch zu prüfen, ob darin eine Benachteiligung wegen Alters oder Behinderung zu sehen ist. (Ga)

2.

Erleichterungen beim Elterngeld aus Anlass der COVID-19-Pandemie

Am 1.3.202034 ist das Gesetz für Maßnahmen im Elterngeld aus Anlass der COVID-19-Pandemie in Kraft getreten. Die Bundesregierung hatte den entsprechenden Entwurf am 21.4.202035 in den Bundestag eingebracht. Dort war er auf der Grundlage der beschlossenen Empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend36 am 7.5.2020 verabschiedet worden37. Die Änderungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Durch eine Ergänzung in § 2 b Abs. 1 S. 3 BEEG ist ein zusätzlicher Ausklammerungstatbestand für Einkommensausfälle aufgrund der COVID-19Pandemie eingeführt worden. Danach werden auf Antrag bei der Ermittlung des für die Höhe des Elterngeldes maßgeblichen Einkommens in der Zeit 34 35 36 37

BGBl. I 2020, 1061. BT-Drucks. 19/18698. BT-Drucks. 19/19038. BR-Drucks. 217/20.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 auch solche Kalendermonate nicht berücksichtigt, in denen die berechtigte Person aufgrund der COVID-19Pandemie ein geringeres Einkommen aus Erwerbstätigkeit hatte und dies glaubhaft machen kann. Bislang war eine solche Ausklammerung nur aus eng mit der Schwangerschaft und Geburt verknüpften Gründen oder auf Grundlage besonderer staatlicher Pflichten erlaubt. Die Neuregelung erfasst nunmehr auch Einkommensreduzierungen als Folge von Kurzarbeit, etwaiger Freistellungen oder Arbeitszeitreduzierungen zu Gunsten der Kinderbetreuung. Einkommensnachteile aus anderen Gründen (z. B. Arbeitsmarktlage, Krankheit) werden weiterhin nur durch den vergleichsweise langen Bemessungszeitraum von zwölf Monaten aufgefangen. Eltern, die in systemrelevanten Branchen und Berufen arbeiten, können den Bezug von Elterngeld auf Antrag für die Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 aufschieben. Der Bezug der verschobenen Lebensmonate ist dann aber spätestens bis zum 30.6.2021 anzutreten. In diesem Fall kann das Basiselterngeld abweichend von § 4 Abs. 1 S. 1 BEEG auch noch nach Vollendung des 14. Lebensmonats des Bezugskindes bezogen werden (§ 27 Abs. 1 BEEG). Für ein entsprechendes Verschieben des Partnerschaftsbonus genügt es, wenn nur ein Elternteil einen systemrelevanten Beruf ausübt (§ 27 Abs. 2 BEEG). Wurde der Partnerschaftsbonus spätestens bis zum Ablauf des 27.5.2020 beantragt, und liegt der Bezug des Partnerschaftsbonus ganz oder teilweise zwischen dem 1.3.2020 und 31.12.2020, gelten abweichend von § 8 Abs. 1, 3 Nr. 4 BEEG die Angaben zur Höhe des Einkommens und zum Umfang der Arbeitszeit, die bei der Beantragung des Partnerschaftsbonus glaubhaft gemacht worden sind. Auf diese Weise soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass aufgrund der COVID-19-Pandemie zum Teil weniger oder mehr als geplant gearbeitet wird (§ 27 Abs. 3 BEEG). Diesen ungeplanten Veränderungen in Bezug auf die Einnahmen trägt auch § 27 Abs. 3 BEEG Rechnung. Danach bleiben für die Höhe des Elterngeldes für die Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.5.2020 die Einnahmen im Bezugszeitraum unberücksichtigt, die der berechtigten Person als Ersatz für Erwerbseinkommen zustehen, das nach der Geburt des Kindes aufgrund der COVID-19-Pandemie weggefallen ist. Das Elterngeld kann allerdings höchstens so hoch sein wie der Elterngeldbetrag, der dem Berechtigten zustünde, wenn er keinen Einkommenswegfall aufgrund der COVID-19Pandemie hätte oder hat. (Ga)

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Förderung der Qualifikation im Strukturwandel durch das Arbeit-von-morgen-Gesetz I

3.

Förderung der Qualifikation im Strukturwandel durch das Arbeit-von-morgen-Gesetz I

a)

Ausgangssituation

Bereits im Herbst des vergangenen Jahres hatte die Bundesregierung angekündigt, der fortschreitenden Globalisierung, Digitalisierung und Zunahme neuer Beschäftigungsformen mit den Arbeit-von-morgen-Gesetzen I bis III Rechnung zu tragen. Dabei waren die Gesetzesvorhaben mit folgenden Themen verbunden worden:  Arbeit-von-morgen-Gesetz I: Transformationspaket mit Transformationsgeld, Transferkurzarbeitergeld, Weiterentwicklung des Qualifizierungschancengesetzes, Weiterbildungsprämie,  Arbeit-von-morgen-Gesetz II: Sachgrundlose Befristung, Mobile Arbeit, Mitbestimmung,  Arbeit-von-morgen-Gesetz III: Tarifautonomie, Allgemeinverbindlicherklärung, Beschäftigtendatenschutz.

Nachdem ein Teil des Arbeit-von-morgen-Gesetzes I bereits im Zusammenhang mit den Neuregelungen zur Kurzarbeit nach Eintreten der COVID-19Pandemie in Kraft gesetzt worden war38, sind die verbliebenen Regelungen des Arbeit-von-morgen-Gesetzes I zur Förderung von Qualifikationsmaßnahmen im Rahmen des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung eingebracht39 und auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales40 im Bundestag verabschiedet worden und in wesentlichen Teilen, soweit hier von Bedeutung, am 29.5.2020 in Kraft getreten41. Das Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung beschäftigt sich vor allem mit der Qualifizierung von Arbeitnehmern, die im Zusammenhang mit dem Umbau und Strukturwandel zu einer emissionsarmen und digitalen Wirtschaft mit neuen Anforderungsprofilen an die künftigen Arbeitsplätze

38 39 40 41

Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 1 ff. BT-Drucks. 19/17740. BT-Drucks. 19/18753. BGBl. I 2020, 1044.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

konfrontiert sind. Das zeigen auch die Antworten der Bundesregierung auf eine Anfrage mehrerer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Evaluation des Qualifizierungschancengesetzes42. In vielen Bereichen wird das zum Wegfall der bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten führen. Arbeitslosigkeit kann dann nur vermieden werden, wenn durch den Erwerb zusätzlicher Qualifikationen die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten vorhanden sind. Dies betrifft nicht nur solche Unternehmen, die aktuell mit voller Auslastung arbeiten. Auch und insbesondere in Unternehmen, bei denen der Strukturwandel bereits zu einem Wegfall von Beschäftigungen geführt hat, muss versucht werden, die Gedanken der Qualifizierung mit den Möglichkeiten der konjunkturellen Kurzarbeit zu verknüpfen. Schließlich bildet die Kurzarbeit eine sozialversicherungsrechtliche Möglichkeit, unter Inanspruchnahme staatlicher Leistungen auf einen vorübergehenden Beschäftigungsmangel zu reagieren, ohne dass direkt Entlassungen ausgesprochen werden. Vor diesem Hintergrund ist es vom Grundsatz her richtig, dass die Bundesregierung die bereits mit dem Qualifizierungschancengesetz verbundenen Neuregelungen, über die wir im Frühjahr berichteten43, erweitert und ergänzende Regelungen für den Fall von konjunktureller Kurzarbeit sowie Transferkurzarbeit getroffen hat.

b)

Anpassung der Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen gemäß § 82 SGB III

Im Mittelpunkt steht dabei die Änderung von § 82 SGB III. Damit wird den betroffenen Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, unter Einbindung des jeweils zuständigen Betriebsrats und der Bundesagentur für Arbeit, erhöhte Fördermittel für die Qualifizierung der Arbeitnehmer zu erhalten. Insoweit wird die bestehende Regelung zunächst einmal durch zwei Absätze ergänzt: (4) Bei Vorliegen einer Betriebsvereinbarung über die berufliche Weiterbildung oder eines Tarifvertrags, der betriebsbezogen berufliche Weiterbildung vorsieht, verringert sich die Mindestbeteiligung des Arbeitgebers an den Lehrgangskosten nach Abs. 2 unabhängig von der Betriebsgröße um 5 %. Die Zuschüsse zum Arbeitsentgelt nach Abs. 3 S. 4 können bei Vorliegen der Voraussetzungen nach S. 1 um 5 % erhöht werden.

42 BT-Drucks. 19/17878. 43 B. Gaul, AktuellAR 2019, 2 ff.

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Förderung der Qualifikation im Strukturwandel durch das Arbeit-von-morgen-Gesetz I

(5) Die Beteiligung des Arbeitgebers an den Lehrgangskosten nach Abs. 2 verringert sich um jeweils 10 %, wenn die beruflichen Kompetenzen von mindestens 20 %, im Fall des Abs. 2 S. 2 Nr. 1 10 %, der Beschäftigten eines Betriebs den betrieblichen Anforderungen voraussichtlich nicht oder teilweise nicht mehr entsprechen. Die Zuschüsse zum Arbeitsentgelt nach Abs. 3 S. 4 können bei Vorliegen der Voraussetzungen nach S. 1 um 10 % erhöht werden.

Der bisherige Abs. 4 ist Abs. 6 und S. 3 in Bezug auf die Berechnung der Schwellenwerte neu gefasst worden. Danach werden Teilzeitbeschäftigte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 10 Stunden mit 0,25, nicht mehr als 20 Stunden mit 0,50 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 und im Rahmen der Bestimmung der Betriebsgröße nach § 82 Abs. 1 bis 3 SGB III sämtliche Beschäftigte des Unternehmens, dem der Betrieb angehört, und, falls das Unternehmen einem Konzern angehört, die Zahl der Beschäftigten des Konzerns berücksichtigt. Der bisherige Abs. 5 wird Abs. 7. Die gesetzliche Neuregelung macht deutlich, dass Weiterbildungsmaßnahmen, die auf kollektivrechtlicher Ebene vereinbart werden, stärker gefördert werden. Dabei treten weitere Änderungen in § 82 SGB III zum 1.1.2021 in Kraft. Sie sehen eine pauschale Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen vor, bei denen Vergleichbarkeit hinsichtlich Qualifikation, Bildungsziel und Weiterbildungsbedarf besteht und diese Arbeitnehmer oder der Betriebsrat ihr Einverständnis hierzu erklärt haben.

c)

Förderung der Weiterbildung bei konjunktureller Kurzarbeit

Auch im Zusammenhang mit Kurzarbeit werden Weiterbildungsmaßnahmen gefördert. Dies erfolgt durch die Einfügung von § 106 a SGB III, der eine Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge bei beruflicher Weiterbildung während konjunktureller Kurzarbeit vorsieht: Dem Arbeitgeber werden von der Agentur für Arbeit auf Antrag für den jeweiligen Kalendermonat 50 % der von ihm allein zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung in pauschalierter Form für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erstattet, wenn diese vor dem 31.7.2023 Kurzarbeitergeld beziehen und an einer beruflichen Weiterbildung nach § 82 SGB III teilnehmen, deren zeitlicher Umfang mindestens 50 % der Arbeitsausfallzeit beträgt. Für die Pauschalierung wird die Sozialversicherungspauschale nach § 153 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III abzüglich des Beitrags zur Arbeitsförderung zugrunde gelegt.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Die Erstattung erfolgt für die Zeit, in der die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer jeweils vom vorübergehenden Arbeitsausfall betroffen ist. Diese Regelung zu den Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen wird in § 109 Abs. 1 a SGB III ergänzt um eine Ermächtigung der Bundesregierung, für den Fall außergewöhnlicher Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats zeitlich eine Verlängerung der Bezugsdauer für das konjunkturelle Kurzarbeitergeld auf bis zu 24 Monate festzulegen. Die Verordnung ist zeitlich zu befristen. Die Neuregelung ergänzt § 109 Abs. 1 SGB III, durch den das BMAS ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf, die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld über die gesetzliche Bezugsdauer hinaus bis zur Dauer von 24 Monaten zu verlängern, wenn außergewöhnliche Verhältnisse auf dem gesamten Arbeitsmarkt vorliegen.

d)

Förderung der Weiterbildung bei Transferkurzarbeit

In vergleichbarer Weise sind die Regelungen zur Transferkurzarbeit in § 111 SGB III ergänzt worden. Grundlage ist eine Einfügung von § 111 a SGB III. Danach können Arbeitnehmer, die einen Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld haben und an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung teilnehmen, die während des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld enden, durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn die Agentur für Arbeit sie vor Beginn der Teilnahme beraten hat, der Träger der Maßnahme und die Maßnahme für die Förderung zugelassen sind und der Arbeitgeber mindestens 50 % der Lehrgangskosten trägt. Bei Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung, die erst nach dem Bezugszeitraum des Transferkurzarbeitergeldes endet, können Arbeitnehmer gemäß § 81 SGB III gefördert werden, wenn die Maßnahme spätestens drei Monate oder bei länger als ein Jahr dauernden Maßnahmen spätestens sechs Monate vor der Ausschöpfung des Anspruchs auf Transferkurzarbeitergeld beginnt und der Arbeitgeber während des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld mindestens 50 % der Lehrgangskosten trägt. In Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten verringert sich der vorstehend genannte Mindestanteil an den Lehrgangskosten auf 25 %. Im Insolvenzfall kann eine weitergehende Minderung durch die Agentur für Arbeit bestimmt werden. (Ga)

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Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Änderung der Entsenderichtlinie

4.

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Änderung der Entsenderichtlinie

a)

Ausgangssituation

Im Februar hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2018/957/EU zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie) vorgelegt44. Die Neuregelung45, die bis zum 30.7.2020 umzusetzen ist, soll vor allem gleiche Lohnbedingungen für entsandte wie einheimische Arbeitnehmer gewährleisten. Besondere Bedeutung besitzt dabei die Verpflichtung, nach einer Entsendedauer von 18 Monaten das Recht des Einsatzstaates zur Anwendung zu bringen. Dies bewirkt eine zusätzliche Komplexität in Entsendetatbeständen und eine nicht unerhebliche Mehrbelastung der betroffenen Unternehmen46.

b)

Erweiterung des Katalogs der allgemeinen Arbeitsbedingungen

Grundsätzlich gelten bei einer vorübergehenden Entsendung von Arbeitnehmern nach den Regelungen des Internationalen Privatrechts auch während der Tätigkeit im Einsatzland die arbeitsrechtlichen Regelungen des Herkunftslandes. Nur dort, wo zwingendes Recht ohne Rücksicht auf das Arbeitsvertragsstatut zur Anwendung kommen soll, müssen die Arbeitsvertragsparteien ihre Rechte und Pflichten nach den Rechtsvorschriften des Einsatzlandes ausrichten. Durch § 2 AEntG werden solche zwingenden Arbeitsbedingungen bestimmt, die ohne Rücksicht auf das Arbeitsvertragsstatut auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern Anwendung finden sollen. Hier wird es zu einer Erweiterung kommen. Während bislang nur die Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze erfasst wurden, müssen für solche Arbeitnehmer zukünftig die Regelungen zur Entlohnung einschließlich der Überstundensätze ohne die Regelungen über die betriebliche Altersversorgung 44 BR-Drucks. 84/20. 45 ABl. EU 2018, L 173, 16; vgl. BT-Drucks. 19/7583, 19/13448. 46 Vgl. zu den Auswirkungen auch die Antworten der Bundesregierung auf Fragen der FDP-Fraktion: BT-Drucks. 19/2806; Boysen, DB 2018, 1668.

29

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

beachtet werden. Darüber hinaus werden in den Katalog der AGB Vorschriften über Zulagen oder die Kostenerstattung zur Deckung der Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten für Arbeitnehmer, die aus beruflichen Gründen von ihrem Wohnort entfernt sind, eingefügt. Diese Ergänzung trifft Arbeitgeber mit Sitz im Ausland für solche Kosten, die dem Arbeitnehmer entstehen, wenn er oder sie 1. zu oder von seinem oder ihrem regelmäßigen Arbeitsort im Inland reisen muss oder 2. von dem Arbeitgeber von seinem oder ihrem regelmäßigen Arbeitsort im Inland vorübergehend zu einem anderen Arbeitsort geschickt wird.

Insbesondere die Einbeziehung des Begriffs der Entlohnung hat eine erhebliche Ausweitung zur Folge. Denn damit werden alle Bestandteile der Vergütung erfasst, die ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber in Geld oder als Sachleistung für die geleistete Arbeit erhält. Dazu gehören insbesondere die Grundvergütung, einschließlich Differenzierungen nach der Art der Tätigkeit, der Qualifikation und Berufserfahrung der Arbeitnehmer und nach Regionen, sowie Zulagen, Zuschläge und Gratifikationen, einschließlich etwaiger Überstundensätze. Darüber hinaus umfasst der Begriff der Entlohnung auch Regelungen zur Fälligkeit entsprechender Ansprüche einschließlich etwaiger Ausnahmen und deren Voraussetzungen (§ 2 a AEntG). Erhält der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland eine Zulage für die Zeit der Arbeitsleistung im Inland (Entsendezulage), kann diese auf die Entlohnung angerechnet werden. Dies gilt nur dann nicht, soweit die Entsendezulage zur Erstattung von Kosten gezahlt wird, die infolge der Entsendung tatsächlich entstanden sind (Entsendekosten). Als Entsendekosten gelten insbesondere Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten. Legen die für das Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen nicht fest, welche Bestandteile einer Entsendezulage zum Zwecke der Erstattung von Entsendekosten gezahlt werden oder welche Teile Entlohnung sind, wird unwiderleglich vermutet, dass die gesamte Entsendezulage als Erstattung von Entsendekosten gezahlt wird (§ 2 b AEntG). Ergänzend hierzu wird klargestellt, dass zu den Regelungen über die Sicherheit, den Gesundheitsschutz und die Hygiene am Arbeitsplatz auch Anforderungen an die Unterkünfte von Arbeitnehmern gehören, wenn sie vom Arbeitgeber für Arbeitnehmer, die von ihrem regelmäßigen Arbeitsplatz entfernt eingesetzt werden, unmittelbar oder mittelbar, entgeltlich oder unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.

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Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Änderung der Entsenderichtlinie

c)

Einbeziehung von Leiharbeitnehmern

Bereits in § 2 Abs. 2 AEntG wird klargestellt, dass ein Arbeitgeber mit Sitz im Ausland einen Arbeitnehmer auch dann im Inland beschäftigt, wenn er ihn oder sie an einen Entleiher mit Sitz im Ausland oder im Inland überlässt und der Entleiher den Arbeitnehmer im Inland beschäftigt. Ergänzend hierzu stellt § 3 S. 2 AEntG klar, dass allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge sowie Tarifverträge in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach §§ 7, 7 a AEntG auch für grenzüberschreitend eingesetzte Leiharbeitnehmer verbindlich sind. Wichtig ist, dass auch beim grenzüberschreitenden Einsatz von Leiharbeitnehmern die besonderen Regelungen der §§ 13 b, 13 c AEntG beachtet werden, die bei Einsatztatbeständen zur Anwendung kommen, die 12 bzw. 18 Monate überschreiten. Auch hier sind allerdings Kettenüberlassungen zu berücksichtigen, so dass die zusätzlichen Arbeitsbedingungen ggf. schon vor Ablauf der 12 bzw. 18 Monate auf das Arbeitsverhältnis mit einem Leiharbeitnehmer zur Anwendung kommen müssen. Insoweit werden sehr differenzierte Regelungen über die Zusammenrechnung verschiedener Einsatzzeiten getroffen (§ 13 c Abs. 3 bis 7 AEntG). Ergänzend hierzu regelt § 15 a AEntG Informationspflichten des Entleihers bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung. Danach ist der Entleiher mit Sitz im Ausland, der einen Arbeitnehmer im Inland beschäftigt, verpflichtet, den Verleiher hierüber in Textform vor Beginn der Beschäftigung im Inland zu unterrichten. Beschäftigt ein Entleiher mit Sitz im In- oder Ausland einen Leiharbeitnehmer eines im Ausland ansässigen Verleihers im Inland, so unterrichtet der Entleiher den Verleiher vor Beginn der Beschäftigung im Inland über die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlohnung. Die letztgenannte Unterrichtungspflicht gilt nur dann nicht, wenn die Voraussetzungen für ein Abweichen vom Gleichstellungsgrundsatz nach § 8 Abs. 2, 4 S. 2 AÜG vorliegen. § 13 AÜG bleibt hiervon unberührt.

d)

Verpflichtende Anwendbarkeit von Tarifverträgen

Grundsätzlich finden Tarifverträge nur nach den allgemeinen Regelungen des TVG Anwendung. Fehlt eine beiderseitige Tarifbindung und/oder wird der Arbeitnehmer auf der Grundlage eines Arbeitsvertragsstatuts seines Herkunftslandes nur vorübergehend im Inland eingesetzt, sind die Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags damit für dieses Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht verbindlich.

31

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Eine Ausnahme hierzu bestimmt § 3 AEntG. Danach finden die Rechtsnormen eines bundesweiten Tarifvertrags unter der Voraussetzung der §§ 4 bis 6 AEntG auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmern zwingend Anwendung, wenn der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt ist oder eine Rechtsverordnung nach § 7 AEntG oder § 7 a AEntG vorliegt. Mit der Einbeziehung der gemäß § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge erfolgt eine deutliche Ausweitung des Anwendungsbereichs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es eines bundesweiten Tarifvertrags nicht bedarf, soweit Arbeitsbedingungen i. S. d. § 5 Nrn. 2, 3 oder 4 AEntG Gegenstand tarifvertraglicher Regelungen sind, die zusammengefasst räumlich den gesamten Geltungsbereich dieses Tarifvertrags abdecken. Im Kern geht es dabei um Regelungen über den Urlaub, tarifvertragliche Einrichtungen im Zusammenhang mit der Abwicklung etwaiger Urlaubsansprüche sowie Regelungen in Bezug auf Unterkünfte von Arbeitnehmern. Gegenstand eines Tarifvertrags können zukünftig nicht nur Mindestentgeltsätze sein, die nach Art der Tätigkeit, Qualifikation der Arbeitnehmer und Regionen differieren können (einschließlich der Überstundensätze). Vielmehr wird durch eine Ergänzung in § 5 S. 1 Nr. 1 AEntG klargestellt, dass die Differenzierung nach der Art der Tätigkeit und Qualifikation insbesondere bis zu drei Stufen umfassen kann. Darüber hinaus können auch solche Tarifverträge in die Verbindlichkeit nach dem AEntG eingebunden werden, die sonstige Entlohnungsbestandteile enthalten (§ 5 S. 1 Nr. 1 a AEntG). Allerdings wird in § 7 Abs. 1 S. 2 AEntG festgelegt, dass die Möglichkeit des Erlasses einer Rechtsverordnung nicht für tarifvertragliche Arbeitsbedingungen nach § 5 S. 1 Nr. 1 a AEntG gilt. Entsprechendes bestimmt § 7 a Abs. 1 S. 2 AEntG.

e)

Relevante Branchen

Die Neuregelung des AEntG bewirkt keine Ausweitung der in § 4 Abs. 1 AEntG genannten Branchen. Ungeachtet dessen bleibt die Möglichkeit bestehen, gemäß § 4 Abs. 2 AEntG auch Tarifverträge weiterer Branchen in die Verbindlichkeit für grenzüberschreitend eingesetzte Arbeitnehmer einzubinden, wenn die Erstreckung der Rechtsnormen eines solchen Tarifvertrags im öffentlichen Interesse geboten erscheint, um die in § 1 AEntG genannten Gesetzesziele zu erreichen und dabei insbesondere einem Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten entgegenzuwirken.

32

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Änderung der Entsenderichtlinie

f)

Verzicht und Verwirkung

Die Regelungen über den Verzicht und die Verwirkung in § 9 AEntG werden aktualisiert. Danach ist ein Verzicht auf den aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 7 AEntG oder § 7 a AEntG entstandenen Anspruch der Arbeitnehmer auf Mindestentgeltsätze nach § 5 S. 1 Nr. 1 AEntG nur durch gerichtlichen Vergleich zulässig; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs auf die Mindestentgeltsätze ist ebenfalls ausgeschlossen. Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs auf die Mindestentgeltsätze können ausschließlich in dem der Rechtsverordnung nach §§ 7, 7 a AEntG zugrunde liegenden Tarifvertrag geregelt werden; die Frist muss wie bisher mindestens sechs Monate betragen.

g)

Verbindlichkeit zusätzlicher Arbeitsbedingungen

Ganz erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat die Erweiterung des Katalogs der zwingenden Arbeitsbedingungen, die bei Entsendungstatbeständen zur Anwendung kommen sollen, die 12 bzw. 18 Monate überschreiten. Im Hinblick darauf bestimmt § 13 b Abs. 1 AEntG zunächst einmal, dass auf Arbeitsverhältnisse eines Arbeitnehmers mit einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber, der mehr als 12 Monate im Inland beschäftigt wird, nach 12 Monaten Beschäftigungsdauer im Inland zusätzlich zu den bereits vorstehend genannten Arbeitsbedingungen alle Arbeitsbedingungen Anwendung finden, die am Beschäftigungsort in Rechts- und Verwaltungsvorschriften und in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen vorgeschrieben sind. Ausgenommen werden lediglich 1. die Verfahrens- und Formvorschriften und Bedingungen für den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen einschließlich nachvertraglicher Wettbewerbsverbote und 2. die betriebliche Altersversorgung.

Gibt der Arbeitgeber vor Ablauf einer Beschäftigungsdauer im Inland von 12 Monaten eine Mitteilung ab, verlängert sich der Zeitraum, nach dessen Ablauf die zusätzlichen Arbeitsbedingungen für den betroffenen Arbeitnehmer gelten, auf 18 Monate. Die Mitteilung muss in Textform gegenüber der zuständigen Behörde der Zollverwaltung in deutscher Sprache erfolgen und folgende Angaben enthalten: 1. Familienname, Vorname und Geburtsdatum des Arbeitnehmers, 2. Ort der Beschäftigung im Inland, bei Bauleistungen die Baustelle,

33

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

3. die Gründe für die Überschreitung der zwölfmonatigen Beschäftigungsdauer im Inland und 4. die zum Zeitpunkt der Mitteilung anzunehmende voraussichtliche Beschäftigungsdauer im Inland.

Wichtig ist, dass bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer im Inland alle Zeiten berücksichtigt werden müssen, in denen der Arbeitnehmer im Rahmen von Dienst- oder Werkverträgen im Inland beschäftigt wird (§ 13 c Abs. 1 AEntG). Wird der Arbeitnehmer in einem Betrieb des Arbeitgebers im Inland oder in einem Unternehmen, das nach § 15 AktG mit dem Arbeitgeber verbunden ist, im Inland beschäftigt, werden zur Berechnung der Beschäftigungsdauer im Inland alle Zeiten berücksichtigt, in denen der Arbeitnehmer in dem im Inland belegenen Betrieb oder dem Unternehmen im Inland beschäftigt wird (§ 13 c Abs. 2 AEntG). Darüber hinaus sind die bereits angesprochenen Sonderregelungen zur Berechnung der Einsatzdauer von Leiharbeitnehmern zu berücksichtigen (§ 13 a Abs. 3 bis 7 AEntG).

h)

Fazit

Das Gesetz soll am Tage nach seiner Verkündung, allerdings frühestens am 30.7.2020, in Kraft treten. Da die wesentlichen Vorgaben der beabsichtigten Änderungen bereits durch die Richtlinie 2018/957/EU gefasst sind, ist nicht zu erwarten, dass das Gesetzgebungsverfahren zu grundlegenden Änderungen führen wird. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass sich die betriebliche Praxis schon bald auf die zusätzlichen materiell-rechtlichen Vorgaben einstellt, die insbesondere bei längeren Einsatztatbeständen zu erheblichen Anpassungen der für das Arbeitsverhältnis der hiervon betroffenen Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitsbedingungen führen werden. Da mit der gesetzlichen Neuregelung auch entsprechende Kontrollbefugnisse der Zollbehörden verbunden sind, wird sie auch die Umsetzung im Einzelnen überwachen. (Ga)

5.

Neue gesetzliche Regelungen zu befristeten Arbeitsverhältnissen

Entgegen der noch im Herbst geäußerten Erwartung fehlt der Entwurf einer gesetzlichen Neuregelung zu befristeten Arbeitsverhältnissen. Offenkundig musste das BMAS mit Blick auf notwendige Maßnahmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie andere Schwerpunkte setzen.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

3. die Gründe für die Überschreitung der zwölfmonatigen Beschäftigungsdauer im Inland und 4. die zum Zeitpunkt der Mitteilung anzunehmende voraussichtliche Beschäftigungsdauer im Inland.

Wichtig ist, dass bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer im Inland alle Zeiten berücksichtigt werden müssen, in denen der Arbeitnehmer im Rahmen von Dienst- oder Werkverträgen im Inland beschäftigt wird (§ 13 c Abs. 1 AEntG). Wird der Arbeitnehmer in einem Betrieb des Arbeitgebers im Inland oder in einem Unternehmen, das nach § 15 AktG mit dem Arbeitgeber verbunden ist, im Inland beschäftigt, werden zur Berechnung der Beschäftigungsdauer im Inland alle Zeiten berücksichtigt, in denen der Arbeitnehmer in dem im Inland belegenen Betrieb oder dem Unternehmen im Inland beschäftigt wird (§ 13 c Abs. 2 AEntG). Darüber hinaus sind die bereits angesprochenen Sonderregelungen zur Berechnung der Einsatzdauer von Leiharbeitnehmern zu berücksichtigen (§ 13 a Abs. 3 bis 7 AEntG).

h)

Fazit

Das Gesetz soll am Tage nach seiner Verkündung, allerdings frühestens am 30.7.2020, in Kraft treten. Da die wesentlichen Vorgaben der beabsichtigten Änderungen bereits durch die Richtlinie 2018/957/EU gefasst sind, ist nicht zu erwarten, dass das Gesetzgebungsverfahren zu grundlegenden Änderungen führen wird. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass sich die betriebliche Praxis schon bald auf die zusätzlichen materiell-rechtlichen Vorgaben einstellt, die insbesondere bei längeren Einsatztatbeständen zu erheblichen Anpassungen der für das Arbeitsverhältnis der hiervon betroffenen Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitsbedingungen führen werden. Da mit der gesetzlichen Neuregelung auch entsprechende Kontrollbefugnisse der Zollbehörden verbunden sind, wird sie auch die Umsetzung im Einzelnen überwachen. (Ga)

5.

Neue gesetzliche Regelungen zu befristeten Arbeitsverhältnissen

Entgegen der noch im Herbst geäußerten Erwartung fehlt der Entwurf einer gesetzlichen Neuregelung zu befristeten Arbeitsverhältnissen. Offenkundig musste das BMAS mit Blick auf notwendige Maßnahmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie andere Schwerpunkte setzen.

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Neue gesetzliche Regelungen zu befristeten Arbeitsverhältnissen

Dass die Bundesregierung auf eine Neuregelung zu befristeten Arbeitsverhältnissen verzichten wird, ist allerdings nicht zu erwarten, nachdem man sich auf wesentliche Inhalte bereits im Koalitionsvertrag verständigt hatte. Folgerichtig wird das Thema auch als weiteres Vorhaben der Bundesregierung in der aktuellen Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrags genannt. Wir hatten darüber an anderer Stelle berichtet47. Mit der entsprechenden Neuregelung soll die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG von 24 Monaten auf 18 Monate verkürzt werden. Gleichzeitig soll festgelegt werden, dass nur eine einzige Verlängerung möglich ist. Ob im Zusammenhang mit § 14 Abs. 2 TzBfG – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen – zugleich festgeschrieben wird, dass nicht mehr als 2,5 % der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer im Rahmen einer sachgrundlosen Befristung tätig werden dürfen, ist derzeit noch offen. Obwohl die Bundesregierung diese Vorgabe in der Bundesverwaltung wohl umgesetzt hat, dürfte inzwischen erkannt worden sein, dass die unternehmensbezogene Anknüpfung des Schwellenwerts nicht nur in der praktischen Umsetzung erhebliche Probleme bereitet. Sie dürfte auch Bedenken mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG ausgesetzt sein, wenn man sich die damit verbundene Schlechterstellung von Arbeitnehmern in Kleinunternehmen vor Augen führt. Außerdem dürfte sie zu einer erheblichen Ausweitung des Gegenstands prozessualer Auseinandersetzungen um die Wirksamkeit einer sachgrundlosen Befristung führen, wenn die hiervon betroffenen Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Befristung mit der Begründung geltend machen, dass Arbeitsverhältnisse, bei denen der Arbeitgeber noch von einer sachgrundbezogenen Befristung gemäß § 14 Abs. 1 TzBfG ausgeht, wegen des Fehlens einer sachlichen Begründung eigentlich als sachgrundlose Befristung zu behandeln und bei der Berechnung des Schwellenwertes zu berücksichtigen sind. Denkbar ist deshalb, dass als Ausgleich für den Verzicht auf diesen Schwellenwert die Höchstdauer einer sachgrundlosen Befristung über den Koalitionsvertrag hinaus auf zwölf Monate abgesenkt wird. Unabhängig davon dürfte die gesetzliche Neuregelung auch mit einer Kennzeichnung der Vorbeschäftigung verbunden sein. Danach wäre eine Vorbeschäftigung unschädlich und stünde einer (erneuten) sachgrundlosen Befristung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen, wenn sie mehr als drei, vier oder fünf Jahre vor dem erneuten Vertragsabschluss beendet wurde. Der

47 B. Gaul, AktuellAR 2020, 49 f.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Vorteil dieser außerordentlich wichtigen Klarstellung läge darin, dass die betriebliche Praxis davon befreit würde, die kaum noch praktikablen Grundsätze anzuwenden, die das BAG auf der Grundlage der Vorgaben des BVerfG zur Kennzeichnung einer irrelevanten Vorbeschäftigung entwickelt hat. Wir hatten auf diese Rechtsprechung an anderer Stelle verwiesen48. Unklar ist derzeit, ob in diesem Zusammenhang auch die Höchstdauer einer Sachgrundbefristung festgelegt wird. Der Koalitionsvertrag hatte hier – insbesondere mit Blick auf Kettenbefristungen zum Zwecke der Vertretung – eine Höchstdauer von fünf Jahren vorgesehen. Dabei sollte eine vorangehende Beschäftigung als Leiharbeitnehmer Berücksichtigung finden. (Ga)

6.

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an Führungspositionen

In der Bundesregierung wächst die Unterstützung gesetzlicher Regelungen zur stärkeren Förderung einer Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft ebenso wie im öffentlichen Dienst. Der Referentenentwurf eines entsprechenden Gesetzes zur Änderung und Ergänzung bestehender Regelungen ist am 16.1.2020 vorgelegt worden. Für die Privatwirtschaft sind darin vor allem folgende Neuregelungen vorgesehen:

a)

Frauenquote im AG- und SE-Vorstand

Bislang besteht keine gesetzliche Frauenquote für die Besetzung des Vorstands einer AG oder SE. Eine faktische Bindungswirkung kann allenfalls durch die Festsetzung von Zielgrößen erfolgen, die gemäß § 111 Abs. 5 AktG durch den Aufsichtsrat für den Aufsichtsrat selbst und den Vorstand zu bestimmen sind. Dies soll durch die Einfügung von § 76 Abs. 3 a AktG geändert werden. Danach soll bei börsennotierten Gesellschaften, für die das MitbestG, das MontanMitbestG oder das MitbEG gelten, mindestens ein Vorstandsmitglied eine Frau sein, wenn der Vorstand aus mehr als drei Personen besteht. Die Bestellung eines Vorstandsmitglieds durch den Aufsichtsrat unter Verstoß gegen dieses Beteiligungsverbot ist nach dem Entwurf nichtig.

48 Vgl. Boewer, AktuellAR 2019, 377 ff., 2020, 86 ff.

36

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Vorteil dieser außerordentlich wichtigen Klarstellung läge darin, dass die betriebliche Praxis davon befreit würde, die kaum noch praktikablen Grundsätze anzuwenden, die das BAG auf der Grundlage der Vorgaben des BVerfG zur Kennzeichnung einer irrelevanten Vorbeschäftigung entwickelt hat. Wir hatten auf diese Rechtsprechung an anderer Stelle verwiesen48. Unklar ist derzeit, ob in diesem Zusammenhang auch die Höchstdauer einer Sachgrundbefristung festgelegt wird. Der Koalitionsvertrag hatte hier – insbesondere mit Blick auf Kettenbefristungen zum Zwecke der Vertretung – eine Höchstdauer von fünf Jahren vorgesehen. Dabei sollte eine vorangehende Beschäftigung als Leiharbeitnehmer Berücksichtigung finden. (Ga)

6.

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an Führungspositionen

In der Bundesregierung wächst die Unterstützung gesetzlicher Regelungen zur stärkeren Förderung einer Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft ebenso wie im öffentlichen Dienst. Der Referentenentwurf eines entsprechenden Gesetzes zur Änderung und Ergänzung bestehender Regelungen ist am 16.1.2020 vorgelegt worden. Für die Privatwirtschaft sind darin vor allem folgende Neuregelungen vorgesehen:

a)

Frauenquote im AG- und SE-Vorstand

Bislang besteht keine gesetzliche Frauenquote für die Besetzung des Vorstands einer AG oder SE. Eine faktische Bindungswirkung kann allenfalls durch die Festsetzung von Zielgrößen erfolgen, die gemäß § 111 Abs. 5 AktG durch den Aufsichtsrat für den Aufsichtsrat selbst und den Vorstand zu bestimmen sind. Dies soll durch die Einfügung von § 76 Abs. 3 a AktG geändert werden. Danach soll bei börsennotierten Gesellschaften, für die das MitbestG, das MontanMitbestG oder das MitbEG gelten, mindestens ein Vorstandsmitglied eine Frau sein, wenn der Vorstand aus mehr als drei Personen besteht. Die Bestellung eines Vorstandsmitglieds durch den Aufsichtsrat unter Verstoß gegen dieses Beteiligungsverbot ist nach dem Entwurf nichtig.

48 Vgl. Boewer, AktuellAR 2019, 377 ff., 2020, 86 ff.

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Förderung einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an Führungspositionen

Für die dualistische SE soll eine entsprechende Handlungsvorgabe durch § 16 S. 2, 3 SEAG i. V. m. Art. 9 Abs. 1 lit. c-ii SEVO begründet werden. Bei der monistischen SE fehlt eine entsprechende Regelung. Dort soll eine Frauenquote im Verwaltungsrat allerdings für alle Gesellschaften bestimmt werden, bei denen der Verwaltungsrat aus derselben Anzahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern besteht. Auf das Erfordernis einer Börsennotierung soll dabei in der Zukunft verzichtet werden. Eine weitergehende Verpflichtung, den Kreis der geschäftsführenden Direktoren unter Berücksichtigung einer bestimmten Frauenquote zu besetzen, sieht der Referentenentwurf nicht vor. Die Frauenquote für den Vorstand von AG und SE soll ab dem 1.1.2022 bei der Neubestellung einzelner oder mehrerer Vorstandsmitglieder einzuhalten sein (§ 26 Abs. 3 EGAktG, Art. 9 Abs. 2 SEVO).

b)

Frauenquote im Aufsichtsrat von AG und SE

Nach § 96 Abs. 2 AktG setzt sich der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft, für die das MitbestG, das MontanMitbestG oder das MitbEG gelten, nach der derzeit geltenden Regelung zu mindestens 30 % aus Frauen und zu mindestens 30 % aus Männern zusammen. Im Referentenentwurf ist vorgesehen, auf die Börsennotierung zu verzichten. Darüber hinaus soll die Quote nur noch den Anteil der Frauen im Aufsichtsrat erfassen. Die Neuregelung, die auch für die SE gilt, soll in der AG gemäß § 26 Abs. 3 EGAktG bei erforderlich werdenden Neuwahlen und Entsendungen ab dem 1.1.2022 zur Anwendung kommen. Für die SE ist als Stichtag im Referentenentwurf der 1.1.2021 vorgesehen, was allerdings ein Schreibfehler sein dürfte. Wenn die Anzahl der neu zu besetzenden Sitze nicht genügt, um den Mindestanteil zu erreichen, sind die Sitze mit Frauen zu besetzen, um den Frauenanteil sukzessive zu steigern (§§ 26 Abs. 3 EGAktG, 17 Abs. 2 S. 3 SEAG). Für die monistische SE soll eine entsprechende Vorgabe durch § 24 Abs. 3 S. 2, 3 SEAG begründet werden. Grundsätzlich ist der vorstehend genannte Mindestanteil weiterhin vom Aufsichtsrat insgesamt zu erfüllen (Gesamterfüllung). Alternativ kann allerdings auch eine Getrennterfüllung bestimmt werden. Hierzu muss die Seite der Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter aufgrund eines mit Mehrheit gefassten Beschlusses vor der Wahl der Gesamterfüllung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden widersprechen. Dies hat zur Konsequenz, dass der Mindestanteil für diese Wahl von der Seite der Anteilseigner und der Seite der Arbeitnehmer getrennt zu erfüllen ist (§ 96 Abs. 2 S. 2, 3 AktG).

37

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

c)

Veränderte Regelungen zur Festsetzung von Zielgrößen

Nach Maßgabe des Referentenentwurfs soll § 111 Abs. 5 AktG wie folgt neu gefasst werden: Der Aufsichtsrat von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, legt für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und im Vorstand Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen die für den Aufsichtsrat und den Vorstand jeweils angestrebte Anzahl der Frauen und den angestrebten Frauenanteil an der Gesamtbesetzung beschreiben. Legt der Aufsichtsrat für den Aufsichtsrat oder den Vorstand die Zielgröße Null fest, so hat er diesen Beschluss klar und allgemein verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 %, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgröße festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein. Wenn für den Aufsichtsrat bereits das Mindestanteilsgebot nach § 96 Abs. 2 AktG gilt, sind die Festlegungen nur für den Vorstand vorzunehmen. Gilt für den Vorstand das Beteiligungsverbot nach § 76 Abs. 3 a AktG, entfällt auch die Pflicht zur Zielgrößensetzung für den Vorstand.

Konsequenz dieser geänderten Handlungsvorgabe ist, dass damit auch die Anzahl von Frauen angegeben werden muss, die Mitglieder des Vorstands bzw. Aufsichtsrats sind. Für die Organmitglieder mag diese Verpflichtung noch umsetzbar sein. Problematisch dürfte es allerdings sein, die entsprechende Pflicht des Vorstands umzusetzen, die durch eine Einfügung in § 76 Abs. 4 S. 1 AktG geschaffen werden soll. Danach müssen die durch den Vorstand bestimmten Zielgrößen für die beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands ebenfalls die angestrebte Anzahl der Frauen und den angestrebten Frauenanteil an der Gesamtbesetzung beschreiben. Dies unterstellt, dass die Anzahl der innerhalb einer Führungsebene beschäftigten Arbeitnehmer innerhalb des maßgeblichen Bezugszeitraums unverändert bleibt. In der Praxis ist dies aber häufig nicht der Fall. Möglicherweise wird man die Zielgröße daher mit einer Bedingung verbinden müssen, nach der eine bestimme Anzahl von Arbeitnehmern in der jeweiligen Führungsebene tätig ist. Wenn der Vorstand auf einer der Führungsebene für den Frauenanteil die Zielgröße Null festlegen will, was weiterhin zulässig bleibt, muss er dies nach den Regelungen im Referentenentwurf klar und allgemein verständlich 38

Förderung einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an Führungspositionen

begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Gemäß § 26 Abs. 1 EGAktG sind bei Gesellschaften, bei denen am 1.5.2021 gemäß §§ 76 Abs. 4, 111 Abs. 5 AktG die Zielgröße Null festgelegt ist, bis zum 31.12.2021 neue Festlegungen nach §§ 76 Abs. 4, 111 Abs. 5 AktG nach Maßgabe der vorstehend geänderten Regelungen zur Festlegung der Zielgrößen zu treffen.

d)

Veränderungen in Bezug auf die GmbH

Auch innerhalb der GmbH wird für solche Gesellschaften, bei denen innerhalb des Aufsichtsrats nach Maßgabe des MitbestG, des MontanMitbestG oder des MitbEG eine Parität von Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern hergestellt werden muss, der Aufsichtsrat zu mindestens 30 % aus Frauen zusammengesetzt sein. Auch hier gilt grundsätzlich das Gebot der Gesamterfüllung, falls kein Beschluss zur Getrennterfüllung getroffen wird. Eine Frauenquote für die Geschäftsführung – vergleichbar mit § 76 Abs. 3 a AktG – ist im Referentenentwurf nicht vorgesehen. Wenn ein Aufsichtsrat nach dem MitbestG, dem MontanMitbestG oder dem MitbEG zu bestellen ist, legt der Aufsichtsrat allerdings für den Frauenanteil unter den Geschäftsführern eine Zielgröße fest. Die Zielgrößen, die durch die Gesellschafterversammlung (§ 52 Abs. 2 S. 1 GmbHG) bzw. den Aufsichtsrat (§ 52 Abs. 2 S. 2 GmbHG) festgelegt werden, müssen – entsprechend §§ 76 Abs. 4, 111 Abs. 5 AktG – die angestrebte Anzahl der Frauen und den angestrebten Frauenanteil an der Gesamtbesetzung beschreiben. Wird für den Aufsichtsrat oder unter den Geschäftsführern der GmbH die Zielgröße Null festgelegt, so ist dieser Beschluss klar und allgemein verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen (§ 52 Abs. 2 S. 3 bis 5 GmbHG). Eine entsprechende Veränderung ist auch für die Zielgrößen vorgesehen, die nach § 36 GmbHG durch die Geschäftsführung für die beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführung festgelegt werden sollen. Auch dort müssen die für die jeweilige Führungsebene bestimmten Zielgrößen die angestrebte Anzahl der Frauen und den angestrebten Frauenanteil an der Gesamtbesetzung beschreiben. Falls, was in diesem Bereich unwahrscheinlich ist, der Frauenanteil mit einer Zielgröße Null bestimmt werden soll, bedarf dies einer klaren und allgemein verständlichen Begründung. Sie muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen.

39

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Der Mindestanteil an Frauen im Aufsichtsrat der GmbH, wie er durch den Referentenentwurf bestimmt werden soll, soll bei erforderlich werdenden Neuwahlen und Entsendungen ab dem 1.1.2022 zur Besetzung einzelner oder mehrerer Aufsichtsratssitze führen. Falls die Anzahl der neu zu besetzenden Aufsichtsratssitze nicht genügt, um den Mindestanteil zu erreichen, sind die Sitze sukzessive mit Frauen zu besetzen (EGGmbHG). Falls in den von der Neuregelung betroffenen Gesellschaften gemäß §§ 36, 52 Abs. 2 GmbHG am 1.5.2021 Zielgrößen mit Null bestimmt wurden, sind die Gesellschaften verpflichtet, bis zum 31.12.2021 neue Festlegungen gemäß §§ 36, 52 Abs. 2 GmbHG in der durch den Referentenentwurf vorgesehenen Neufassung zu treffen (§ 9 Abs. 1 EGGmbHG).

e)

Anpassung der handelsrechtlichen Erklärungen zur Unternehmensführung

Durch eine Anpassung in § 289 f Abs. 2 Nrn. 4, 5, 5 a HGB werden die Mindestbestandteile der Erklärung zur Unternehmensführung an die neuen Vorgaben zur Festlegung von Zielgrößen und zum Mindestanteil von Frauen angepasst. Diese Verpflichtungen werden durch § 289 f Abs. 4 HGB auch auf nichtbörsennotierte Gesellschaften übertragen, wenn dort gemäß §§ 76 Abs. 4, 111 Abs. 5 AktG oder §§ 36, 52 Abs. 1, 2 GmbHG Zielgrößen für den Frauenanteil und Fristen für deren Erreichung festzulegen waren und die Festlegung der Zielgröße Null zu begründen war. Gesellschaften, die nicht zur Offenlegung eines Lageberichts verpflichtet sind, haben nach dem Referentenentwurf eine Erklärung mit den entsprechenden Festlegungen, Begründungen und Angaben zu erstellen und auf der Internetseite der Gesellschaft öffentlich zugänglich zu machen. Alternativ kann diese Pflicht auch durch Offenlegung eines unter Berücksichtigung der entsprechenden Handlungsvorgabe erstellten Lageberichts erfüllt werden. Die Nichtbeachtung dieser Publikationserfordernisse soll als Konsequenz entsprechender Änderungen in §§ 334, 336, 340 n, 341 n HGB als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

f)

Fazit

Dass der Gesetzgeber die bestehenden Handlungspflichten zur Förderung einer Besetzung von Führungspositionen mit Frauen verändert, kommt nicht überraschend. Die bestehenden Selbstverpflichtungen der Unternehmen tragen zu langsam dem gesellschaftspolitischen Ziel Rechnung, eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen auch innerhalb der Privatwirtschaft zu bewirken. Von der gesetzlichen Neuregelung sind etwa 40

Ausweitung der Insolvenzsicherung von Pensionskassen

600 Unternehmen betroffen, die in der Regel mehr als 2.000 Beschäftigte haben. (Ga)

7.

Ausweitung der Insolvenzsicherung von Pensionskassen

Gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG steht der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm dem Arbeitnehmer zugesagten Leistungen der Alters-, Invaliditätsoder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass des Arbeitsverhältnisses (betriebliche Altersversorgung) auch dann ein, wenn die Durchführung über eine Direktversicherung, eine Pensionskasse, einen Pensionsfonds oder eine Unterstützungskasse erfolgt. Relevant wird diese Ausfallhaftung dann, wenn der mittelbare Versorgungsträger ganz oder teilweise nicht in der Lage ist, die Versorgungszusage zu erfüllen. Die derzeitige Absicherung der Betriebsrentner im Hinblick auf eine etwaige Insolvenz des Arbeitgebers, die bei unmittelbaren Versorgungszusagen ebenso wie bei Eintritt der Ausfallhaftung gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG zum Tragen kommt, erfasst allerdings nur Direktzusagen, Unterstützungskassenzusagen oder Zusagen, die über einen Pensionsfonds durchgeführt werden. Direktversicherungen und Pensionskassen werden in die Insolvenzsicherung durch den Pensionssicherungsverein (PSV) bislang nicht eingebunden. Die einzige Absicherung, die allerdings nur einer Sanierung notleidender Versicherungsträger dient, wird über Protektor geboten. Die von einem solchen Ausfall des Versorgungsträgers und der gleichzeitigen Insolvenz des Arbeitgebers betroffenen Betriebsrentner können gegenüber Protektor oder dem PSV keine Ansprüche geltend machen. Bereits mit Urteil vom 20.2.201849 hatte das BAG den EuGH ersucht, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV klarzustellen, ob Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers anwendbar ist, wenn Betriebsrentner von Kürzungen ihrer Versorgungsbezüge betroffen sind, weil weder der Versorgungsträger noch der frühere Arbeitgeber als Folge seiner Zahlungsunfähigkeit in der Lage ist, entsprechende Differenzbeträge zu leisten. In seinem Urteil vom 19.12.201950 hat der EuGH das Vorabentscheidungsersuchen wie folgt beantwortet: 49 BAG v. 20.2.2018 – 3 AZR 142/16 (A), NZA 2018, 1142. 50 EuGH v. 19.12.2019 – C-168/18, NZA 2020, 107 – Pensions-Sicherungs-Verein.

41

Ausweitung der Insolvenzsicherung von Pensionskassen

600 Unternehmen betroffen, die in der Regel mehr als 2.000 Beschäftigte haben. (Ga)

7.

Ausweitung der Insolvenzsicherung von Pensionskassen

Gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG steht der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm dem Arbeitnehmer zugesagten Leistungen der Alters-, Invaliditätsoder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass des Arbeitsverhältnisses (betriebliche Altersversorgung) auch dann ein, wenn die Durchführung über eine Direktversicherung, eine Pensionskasse, einen Pensionsfonds oder eine Unterstützungskasse erfolgt. Relevant wird diese Ausfallhaftung dann, wenn der mittelbare Versorgungsträger ganz oder teilweise nicht in der Lage ist, die Versorgungszusage zu erfüllen. Die derzeitige Absicherung der Betriebsrentner im Hinblick auf eine etwaige Insolvenz des Arbeitgebers, die bei unmittelbaren Versorgungszusagen ebenso wie bei Eintritt der Ausfallhaftung gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG zum Tragen kommt, erfasst allerdings nur Direktzusagen, Unterstützungskassenzusagen oder Zusagen, die über einen Pensionsfonds durchgeführt werden. Direktversicherungen und Pensionskassen werden in die Insolvenzsicherung durch den Pensionssicherungsverein (PSV) bislang nicht eingebunden. Die einzige Absicherung, die allerdings nur einer Sanierung notleidender Versicherungsträger dient, wird über Protektor geboten. Die von einem solchen Ausfall des Versorgungsträgers und der gleichzeitigen Insolvenz des Arbeitgebers betroffenen Betriebsrentner können gegenüber Protektor oder dem PSV keine Ansprüche geltend machen. Bereits mit Urteil vom 20.2.201849 hatte das BAG den EuGH ersucht, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV klarzustellen, ob Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers anwendbar ist, wenn Betriebsrentner von Kürzungen ihrer Versorgungsbezüge betroffen sind, weil weder der Versorgungsträger noch der frühere Arbeitgeber als Folge seiner Zahlungsunfähigkeit in der Lage ist, entsprechende Differenzbeträge zu leisten. In seinem Urteil vom 19.12.201950 hat der EuGH das Vorabentscheidungsersuchen wie folgt beantwortet: 49 BAG v. 20.2.2018 – 3 AZR 142/16 (A), NZA 2018, 1142. 50 EuGH v. 19.12.2019 – C-168/18, NZA 2020, 107 – Pensions-Sicherungs-Verein.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

1. Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ist dahin auszulegen, dass er auf eine Situation anwendbar ist, in der ein Arbeitgeber, der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine überbetriebliche Einrichtung gewährt, wegen seiner Zahlungsunfähigkeit nicht für den Ausgleich der Verluste einstehen kann, die sich aus der Kürzung der von dieser überbetrieblichen Einrichtung erbrachten Leistungen ergeben, wobei diese Kürzung von der diese Einrichtung überwachenden staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht genehmigt wurde. 2. Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG ist dahin auszulegen, dass eine wegen der Zahlungsunfähigkeit seiner ehemaligen Arbeitgeberin erfolgte Kürzung der einem ehemaligen Arbeitnehmer gezahlten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen wird, obwohl der Betroffene mindestens die Hälfte der sich aus seinen erworbenen Recht ergebenden Leistungen erhält, wenn dieser ehemalige Arbeitnehmer wegen dieser Kürzung bereits unterhalb der von Eurostat für den betreffenden Mitgliedstaat ermittelten Armutsgefährdungsschwelle lebt oder künftig leben müsse. 3. Der eine Mindestschutzpflicht vorsehender Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG kann unmittelbare Wirkung entfalten, so dass er gegenüber einer privatrechtlichen Einrichtung geltend gemacht werden kann, die vom Staat als Träger der Arbeitgeberinsolvenzsicherung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung bestimmt worden ist, wenn diese Einrichtung in Anbetracht der Aufgabe, mit der sie betraut ist, und der Bedingungen, unter denen sie sie erfüllt, dem Staat gleichgestellt werden kann, sofern sich die Aufgaben der Sicherung, mit der sie betraut ist, tatsächlich auf die Arten von Leistungen bei Alter erstreckt, für die der in Art. 8 dieser Richtlinie vorgesehene Mindestschutz verlangt wird.

Die Bundesregierung beabsichtigt, durch einen Änderungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Rahmen der Beratung über den Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze, der am 4.3.2020 in den Bundestag eingebracht worden ist51, die Vorgaben des EuGH durch eine Erweiterung der Insolvenzsicherung des PSV für Versorgungszusagen umzusetzen, die über eine Pensionskasse durchgeführt werden. Auf der Grundlage eines entsprechenden Referentenentwurfs, der be51 BT-Drucks. 19/17586.

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Ausweitung der Insolvenzsicherung von Pensionskassen

reits am 12.11.2019 vorgelegt worden war, soll der Änderungsantrag im Wesentlichen folgende Neuregelungen beinhalten:  Wird ein Arbeitgeber insolvent und kann die Pensionskasse die nach der Versorgungszusage des Arbeitgebers vorgesehenen Leistungen nicht erbringen, tritt der PSV für diese Leistungskürzung ein.  Der neue PSV-Schutz umfasst auch bereits bestehende Betriebsrenten und Anwartschaften, allerdings nur bei Arbeitgeberinsolvenzen, die nach dem 31.12.2021 eintreten. Soweit Insolvenzen vor dem 1.1.2022 eintreten bzw. eingetreten sind, soll eine Übergangsregelung gelten. Diese sieht unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch der Betriebsrentner gegen den PSV vor; die damit ausgelöste Zahlungspflicht soll allerdings nicht durch Beiträge, sondern durch Leistungen des Bundes zum Ausgleich kommen.  Zur Finanzierung der neuen Absicherung müssen auch diejenigen Arbeitgeber Beiträge an den PSV leisten, die Betriebsrenten über Pensionskassen durchführen. § 10 BetrAVG soll entsprechend angepasst werden. Die Beitragspflicht der Trägerunternehmen der Pensionskassen soll dabei allerdings nur die Höhe von 20 bis 30 % des üblicherweise ermittelten Betrags umfassen. Einzelheiten hierzu werden derzeit erörtert. Auf diese Weise soll in pauschalierender Form dem geringeren Risiko einer fehlenden Leistung bei der Durchführung von betrieblicher Altersversorgung über eine Pensionskasse Rechnung getragen werden.  Pensionskassen, die dem Sicherungsfonds Protektor angehören oder auf tarifvertraglicher Grundlage als gemeinsame Einrichtung betrieben werden, sollen weiterhin von der Insolvenzsicherung durch den PSV ausgeschlossen werden.

Mit der Einbindung der regulierten Pensionskassen in der Insolvenzsicherung durch den PSV verzichtet der Gesetzgeber darauf, eine Absicherung der Ausfallhaftung des Arbeitgebers gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG dadurch zu erreichen, dass dieser Anspruch als insolvenzsicherungspflichtige Direktzusage behandelt wird. Denn dies hätte nicht nur entsprechende Beitragspflichten der Arbeitgeber zur Folge. Es wäre auch notwendig, bilanzielle Rückstellungen für diese potenzielle Verpflichtung zu bilden. Für die betriebliche Praxis hat die gesetzliche Änderung nicht unerhebliche Bedeutung. Denn sie ist nicht nur mit einem höheren Verwaltungsaufwand durch die Einbeziehung des PSV verbunden. Der Gesetzgeber schätzt diesen Aufwand auf 1,3 Mio. €. Deutlich relevanter sind seine Schätzungen zum

43

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Beitragsvolumen, das in den ersten fünf Jahren bei etwa 63 Mio. € liegen soll. Trotz der anschließend geplanten Absenkung wird es danach zu weiteren Beitragsabflüssen i. H. v. 42 Mio. € kommen. Da die Beratungen im Bundestag noch nicht abgeschlossen sind, ist mit weiteren Änderungen der noch im Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen zu rechnen. Wir werden darüber berichten. (Ga)

8.

Gesetzliche Neuregelung für die Vergütung von Vorstandsmitgliedern (ARUG II)

Bereits am 1.1.2020 sind die gesetzlichen Neuregelungen zur Vergütung von Vorstandsmitgliedern als Bestandteil des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) in Kraft getreten52. Grundlage hierfür war der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 29.4.201953, der allerdings durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz54 und die abschließende Beschlussfassung im Deutschen Bundestag55 noch Änderungen erfahren hatte56. Unter Einbeziehung ergänzender Regelungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten bei Geschäften mit nahestehenden Personen sollen die Veränderungen im Hinblick auf die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat nachfolgend kurz zusammengefasst werden.

a)

Beschluss des Aufsichtsrats über die Vergütung des Vorstands

Bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds hat der Aufsichtsrat gemäß § 87 Abs. 1 AktG weiterhin dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Dies gilt sinngemäß für das Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art. Bei börsennotierten Gesellschaften ist die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten. Va52 53 54 55 56

44

BGBl. I 2019, 2637. BT-Drucks. 19/9739. BT-Drucks. 19/15153. BR-Drucks. 605/19. Vgl. hierzu auch Kell/Barth, GmbHR 2/2020, R20.

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Beitragsvolumen, das in den ersten fünf Jahren bei etwa 63 Mio. € liegen soll. Trotz der anschließend geplanten Absenkung wird es danach zu weiteren Beitragsabflüssen i. H. v. 42 Mio. € kommen. Da die Beratungen im Bundestag noch nicht abgeschlossen sind, ist mit weiteren Änderungen der noch im Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen zu rechnen. Wir werden darüber berichten. (Ga)

8.

Gesetzliche Neuregelung für die Vergütung von Vorstandsmitgliedern (ARUG II)

Bereits am 1.1.2020 sind die gesetzlichen Neuregelungen zur Vergütung von Vorstandsmitgliedern als Bestandteil des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) in Kraft getreten52. Grundlage hierfür war der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 29.4.201953, der allerdings durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz54 und die abschließende Beschlussfassung im Deutschen Bundestag55 noch Änderungen erfahren hatte56. Unter Einbeziehung ergänzender Regelungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten bei Geschäften mit nahestehenden Personen sollen die Veränderungen im Hinblick auf die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat nachfolgend kurz zusammengefasst werden.

a)

Beschluss des Aufsichtsrats über die Vergütung des Vorstands

Bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds hat der Aufsichtsrat gemäß § 87 Abs. 1 AktG weiterhin dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Dies gilt sinngemäß für das Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art. Bei börsennotierten Gesellschaften ist die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten. Va52 53 54 55 56

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BGBl. I 2019, 2637. BT-Drucks. 19/9739. BT-Drucks. 19/15153. BR-Drucks. 605/19. Vgl. hierzu auch Kell/Barth, GmbHR 2/2020, R20.

Gesetzliche Neuregelung für die Vergütung von Vorstandsmitgliedern (ARUG II)

riable Vergütungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben; für außerordentliche Entwicklungen soll der Aufsichtsrat eine Begrenzungsmöglichkeit vereinbaren. Grundlage dieser Festsetzung soll nach § 87 a AktG, der neu eingefügt wurde, ein klares und verständliches System zur Vergütung der Vorstandsmitglieder sein, das der Aufsichtsrat zu beschließen hat. Dieses Vergütungssystem enthält mindestens die folgenden Angaben, in Bezug auf Vergütungsbestandteile jedoch nur, soweit diese tatsächlich vorgesehen sind: 1. Die Festlegung einer Maximalvergütung der Vorstandsmitglieder; 2. Den Beitrag der Vergütung zur Förderung der Geschäftsstrategie und zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft; 3. Alle festen und variablen Vergütungsbestandteile und ihren jeweiligen relativen Anteil an der Vergütung; 4. Alle finanziellen und nichtfinanziellen Leistungskriterien für die Gewährung variabler Vergütungsbestandteile einschließlich a) einer Erläuterung, wie diese Kriterien zur Förderung der Ziele gemäß Nr. 2 beitragen, und b) einer Darstellung der Methoden, mit denen die Erreichung der Leistungskriterien festgestellt wird; 5. Aufschubzeiten für die Auszahlung von Vergütungsbestandteilen; 6. Möglichkeiten der Gesellschaft, variable Vergütungsbestandteile zurückzufordern; 7. Im Falle aktienbasierter Vergütung: a) Fristen, b) die Bedingungen für das Halten von Aktien nach dem Erwerb und c) eine Erläuterung, wie diese Vergütung zur Förderung der Ziele gemäß Nr. 2 beiträgt; 8. Hinsichtlich vergütungsbezogener Rechtsgeschäfte: a) die Laufzeiten und die Voraussetzungen ihrer Beendigung, einschließlich der jeweiligen Kündigungsfristen, b) etwaige Zusagen von Entlassungsentschädigungen und c) die Hauptmerkmale der Ruhegehalts- und Vorruhestandsregelungen;

45

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

9. Eine Erläuterung, wie die Vergütungs- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer bei der Festsetzung des Vergütungssystems berücksichtigt wurden, einschließlich einer Erläuterung, welcher Kreis von Arbeitnehmern einbezogen wurde; 10. Eine Darstellung des Verfahrens zur Fest- und zur Umsetzung sowie zur Überprüfung des Vergütungssystems, einschließlich der Rolle eventuell betroffener Ausschüsse und der Maßnahmen zur Vermeidung und zur Behandlung von Interessenkonflikten; 11. Im Fall der Vorlage eines gemäß § 120 a Abs. 3 überprüften Vergütungssystems: a) eine Erläuterung aller wesentlichen Änderungen und b) eine Übersicht, inwieweit Abstimmung und Äußerungen der Aktionäre in Bezug auf das Vergütungssystem und die Vergütungsberichte berücksichtigt wurden.

Auf dieser Grundlage hat der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft die Vergütung der Vorstandsmitglieder in Übereinstimmung mit einem der Hauptversammlung nach § 120 a Abs. 1 AktG zur Billigung vorgelegten Vergütungssystem festzusetzen. Nicht erforderlich ist, dass die Hauptversammlung dem Vorschlag des Aufsichtsrats zugestimmt hat. Der Aufsichtsrat kann allerdings vorübergehend vom dem Vergütungssystem abweichen, wenn dies im Interesse des langfristigen Wohlergehens der Gesellschaft notwendig ist und das Vergütungssystem das Verfahren des Abweichens sowie die Bestandteile des Vergütungssystems, von denen abgewichen werden kann, benennt (§ 87 a Abs. 2 AktG).

b)

Vergütung des Aufsichtsrats

Gemäß § 113 Abs. 1 AktG kann den Aufsichtsratsmitgliedern für ihre Tätigkeit eine Vergütung gewährt werden. Sie kann in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt werden. Sie soll in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben der Aufsichtsratsmitglieder und zur Lage der Gesellschaft stehen. Nach Maßgabe der gesetzlichen Neuregelung ist bei börsennotierten Gesellschaften mindestens alle vier Jahre über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder Beschluss zu fassen. Ein die Vergütung bestätigender Beschluss ist zulässig. In dem Beschluss sind die nach § 87 a Abs. 1 S. 2 AktG erforderlichen Angaben sinngemäß und in klarer und verständlicher Form zu machen oder in Bezug zu nehmen. Wird die Vergütung in der Satzung festgesetzt, sind die entsprechenden Angaben nicht erforderlich. 46

Gesetzliche Neuregelung für die Vergütung von Vorstandsmitgliedern (ARUG II)

c)

Berichte über die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat

Gemäß § 162 AktG erstellen Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft jährlich einen klaren und verständlichen Bericht über die im letzten Geschäftsjahr jedem einzelnen gegenwärtigen oder früheren Mitglied des Vorstands und des Aufsichtsrats von der Gesellschaft und von Unternehmen desselben Konzerns (§ 290 HGB) gewährleistete und geschuldete Vergütung. Dabei werden weitere Einzelheiten, die der Bericht enthalten muss, in § 162 Abs. 1, 2 AktG festgelegt. Eine Konkretisierung personenbezogener Daten ist nur dort ausgeschlossen, wo sie Erkenntnisse über die Familiensituation einzelner Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats zulassen. Personenbezogene Angaben zu früheren Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats sind in allen Vergütungsberichten, die nach Ablauf von zehn Jahren nach Ablauf des Geschäftsjahres, in dem das jeweilige Mitglied seine Tätigkeit beendet hat, zu unterlassen (§ 162 Abs. 5 AktG). Der Vergütungsbericht ist durch den Abschlussprüfer zu kontrollieren. Er hat zu prüfen, ob die Angaben nach § 162 Abs. 1, 2 AktG gemacht wurden und einen Vermerk über diese Prüfung zu erstellen. Dieser Vermerk ist dem Vergütungsbericht beizufügen (§ 162 Abs. 3 AktG).

d)

Beschlussfassungen der Hauptversammlung

Gemäß § 87 Abs. 4 AktG kann die Hauptversammlung auf Antrag nach § 122 Abs. 2 S. 1 AktG die nach § 87 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AktG festgelegte Maximalvergütung herabsetzen. Unabhängig davon beschließt die Hauptversammlung nicht nur über das Vergütungssystem und den Vergütungsbericht für Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats einer börsennotierten Gesellschaft (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 AktG). In der börsennotierten Gesellschaft beschließt die Hauptversammlung auch über die Billigung des nach § 162 AktG erstellten und geprüften Vergütungsberichts für das vorausgegangene Geschäftsjahr. Auch daraus folgen allerdings weder Rechte noch Pflichten (§ 120 a Abs. 4 AktG). Bei börsennotierten kleinen und mittelgroßen Gesellschaften ist eine solche Beschlussfassung nicht erforderlich, wenn der Vergütungsbericht des letzten Geschäftsjahres als eigener Tagesordnungspunkt in der Hauptversammlung zur Erörterung vorgelegt wird (§ 120 a Abs. 5 AktG). Die Hauptversammlung beschließt nach § 120 a AktG auch über die Billigung des vom Aufsichtsrat vorgelegten Vergütungssystems für die Vorstandsmitglieder bei jeder wesentlichen Änderung des Vergütungssystems, mindestens jedoch alle vier Jahre. Der Beschluss begründet indes weder 47

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Rechte noch Pflichten. Er ist nicht nach § 243 AktG anfechtbar. Ein das Vergütungssystem bestätigender Beschluss ist zulässig. Beschluss und Vergütungssystem sind nach § 120 a Abs. 2 AktG unverzüglich auf der Internetseite der Gesellschaft zu veröffentlichen und für die Dauer der Gültigkeit des Vergütungssystems, mindestens jedoch für zehn Jahre, kostenfrei öffentlich zugänglich zu halten. Hat die Hauptversammlung das Vergütungssystem nicht gebilligt, ist spätestens in der darauffolgenden ordentlichen Hauptversammlung ein überprüftes Vergütungssystem zum Beschluss vorzulegen (§ 120 a Abs. 3 AktG).

e)

Neuregelungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten

Mit §§ 111 a bis 111 c AktG wurden umfangreiche Neuregelungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten bei Geschäften mit nahestehenden Personen eingefügt. Hierzu gehören alle Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen, durch die ein Gegenstand oder ein anderer Vermögenswert geldlich oder unentgeltlich übertragen oder zur Nutzung überlassen wird, wenn dabei eine nahestehende Person eingebunden wird. Nahestehenden Personen sind nahestehende Unternehmen oder Personen im Sinne der internationalen Rechnungslegungsstandards. Ein Unterlassen ist kein Geschäft im Sinne dieser Neuregelung. Darüber hinaus werden Geschäfte, die im ordentlichen Geschäftsgang und zu marktüblichen Bedingungen mit nahestehenden Personen getätigt werden, aus dem Anwendungsbereich der §§ 111 a bis 111 c AktG ausgegrenzt. Weitergehende Ausnahmeregelungen bestimmt § 111 a Abs. 3 AktG. Unter den in § 111 b AktG genannten Voraussetzungen bedarf ein Geschäft der börsennotierten Gesellschaft mit nahestehenden Personen einer vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats oder eines gemäß § 107 Abs. 3 S. 4 bis 6 AktG bestellten Ausschusses. Dabei dürfen an dem Geschäft beteiligte nahestehende Personen i. S. d. § 111 a Abs. 1 S. 2 AktG nicht Mitglieder des Ausschusses sein. Vielmehr muss er mehrheitlich aus Mitgliedern zusammengesetzt sein, bei denen keine Besorgnis eines Interessenkonflikts aufgrund ihrer Beziehungen zu einer nahestehenden Person besteht.

f)

Sonderregelungen zum Inkrafttreten

Auch wenn die gesetzliche Neuregelung im Wesentlichen bereits zum 1.1.2020 in Kraft getreten ist, werden durch § 26 j EGAktG umfangreiche Übergangsregelungen bestimmt. So hat die erstmalige Beschlussfassung nach §§ 87 a Abs. 1, 113 Abs. 3, 120 a Abs. 1 AktG in der ab dem 1.1.2020 48

Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrags

geltenden Fassung bis zum Ablauf der ersten ordentlichen Hauptversammlung, die auf den 31.12.2020 folgt, zu erfolgen. Die erstmalige Beschlussfassung nach § 87 a Abs. 2 S. 1 AktG in der ab dem 1.1.2020 geltenden Fassung hat bis zum Ablauf von zwei Monaten nach erstmaliger Billigung des Vergütungssystems durch die Hauptversammlung zu erfolgen. Den gegenwärtigen und den zutretenden Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern kann bis zu diesem Zeitpunkt eine Vergütung nach der bestehenden Vergütungspraxis gewährt werden; die vor diesem Zeitpunkt mit ihnen geschlossenen Verträge bleiben unberührt. Die in § 162 AktG getroffenen Regelungen zum Vergütungsbericht sind erstmals für das nach dem 31.12.2020 beginnende Geschäftsjahr anzuwenden. Für die Angaben, die der Vergütungsbericht enthalten muss, werden dabei ergänzende Übergangsregelungen festgelegt (§ 26 j Abs. 2 EGAktG). (Ga)

9.

Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrags

Bereits am 6.11.2019 hat der Chef des Bundeskanzleramts eine Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrags durch die Bundesregierung vorgelegt. Ein entsprechender Bericht war im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Soweit der Bericht auch Feststellungen zu Themen enthält, an deren Umsetzung die Bundesregierung (noch) arbeitet, dürften die aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie auch insoweit zu einem weiteren Aufschub, zu einer Veränderung der Prioritäten oder einem Verzicht führen. Für das Arbeitsrecht sind dabei folgende Ankündigungen enthalten: Wir wollen den Missbrauch bei Befristungen von Arbeitsverträgen abschaffen. Wir werden ein Gesetzesentwurf auf den Weg bringen, der sachgrundlose Befristungen und Kettenverträge einschränkt. Für die Bundesverwaltung haben wir bereits beschlossen, dass künftig in keiner Behörde mehr als 2,5 % der Beschäftigten sachgrundlos befristet sein sollen. In einem ersten Schritt wurden fast 1.800 Stellen entfristet. Wir werden zügig ein Gesetz vorlegen, mit dem wir die betriebliche Mitbestimmung stärken und dafür das Wahlverfahren für Betriebsräte in kleinen Betrieben vereinfachen. Wir werden ein Initiativrecht für Betriebsräte für Weiterbildung schaffen.

49

Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrags

geltenden Fassung bis zum Ablauf der ersten ordentlichen Hauptversammlung, die auf den 31.12.2020 folgt, zu erfolgen. Die erstmalige Beschlussfassung nach § 87 a Abs. 2 S. 1 AktG in der ab dem 1.1.2020 geltenden Fassung hat bis zum Ablauf von zwei Monaten nach erstmaliger Billigung des Vergütungssystems durch die Hauptversammlung zu erfolgen. Den gegenwärtigen und den zutretenden Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern kann bis zu diesem Zeitpunkt eine Vergütung nach der bestehenden Vergütungspraxis gewährt werden; die vor diesem Zeitpunkt mit ihnen geschlossenen Verträge bleiben unberührt. Die in § 162 AktG getroffenen Regelungen zum Vergütungsbericht sind erstmals für das nach dem 31.12.2020 beginnende Geschäftsjahr anzuwenden. Für die Angaben, die der Vergütungsbericht enthalten muss, werden dabei ergänzende Übergangsregelungen festgelegt (§ 26 j Abs. 2 EGAktG). (Ga)

9.

Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrags

Bereits am 6.11.2019 hat der Chef des Bundeskanzleramts eine Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrags durch die Bundesregierung vorgelegt. Ein entsprechender Bericht war im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Soweit der Bericht auch Feststellungen zu Themen enthält, an deren Umsetzung die Bundesregierung (noch) arbeitet, dürften die aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie auch insoweit zu einem weiteren Aufschub, zu einer Veränderung der Prioritäten oder einem Verzicht führen. Für das Arbeitsrecht sind dabei folgende Ankündigungen enthalten: Wir wollen den Missbrauch bei Befristungen von Arbeitsverträgen abschaffen. Wir werden ein Gesetzesentwurf auf den Weg bringen, der sachgrundlose Befristungen und Kettenverträge einschränkt. Für die Bundesverwaltung haben wir bereits beschlossen, dass künftig in keiner Behörde mehr als 2,5 % der Beschäftigten sachgrundlos befristet sein sollen. In einem ersten Schritt wurden fast 1.800 Stellen entfristet. Wir werden zügig ein Gesetz vorlegen, mit dem wir die betriebliche Mitbestimmung stärken und dafür das Wahlverfahren für Betriebsräte in kleinen Betrieben vereinfachen. Wir werden ein Initiativrecht für Betriebsräte für Weiterbildung schaffen.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Wir greifen den Wunsch vieler Beschäftigter nach einer stärkeren Bestimmung von Arbeitszeit sowie Arbeitsort ebenso auf wie den Wunsch von Unternehmen nach mehr betrieblicher Flexibilität. Wir werden dazu über eine Tariföffnungsklausel im ArbZG Experimentierräume für tarifgebundene Unternehmen schaffen, um eine Öffnung für mehr selbstbestimmte Zeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität in der zunehmend digitalen Arbeitswelt zu erproben. Auf Grundlage dieser Tarifverträge kann dann mittels Betriebsvereinbarungen insbesondere die Höchstarbeitszeit wöchentlich flexibler geregelt werden können.

Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit diese Ankündigungen tatsächlich in konkreten Gesetzesentwürfen münden. Dies gilt nicht nur für die Befristung, hinsichtlich derer bislang ein Gesetzesentwurf fehlt57. Auch der Bereich der Arbeitszeit, in dem neben dem Bedürfnis nach einer Flexibilisierung auch den Handlungsvorgaben des EuGH zur Dokumentation Rechnung getragen werden muss, liegen noch keine Entwürfe einer gesetzlichen Neuregelung vor. Wichtig dürfte allerdings vor allem im Bereich des Arbeitszeitrechts sein, Flexibilität für selbstbestimmtes Handeln nicht nur den tarifgebundenen Unternehmen zuzugestehen. Dies würde auch dem Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit nicht gerecht. (Ga)

10. Externe Meldestellen für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber Im vergangenen Jahr hatten wir eingehend über die Richtlinie 2019/1937/EU vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, berichtet58. Sie ist am 16.12.201959 in Kraft getreten60. Einige Abgeordnete und die Fraktion BÜNDNIS 19/DIE GRÜNEN hatten dies zum Anlass genommen, der Bundesregierung Fragen zu externen Mel-

57 58 59 60

50

Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 34 ff. B. Gaul, AktuellAR 2019, 350 ff. ABl. EU 2019, L 305, 17. B. Gaul, AktuellAR 2020, 79.

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

Wir greifen den Wunsch vieler Beschäftigter nach einer stärkeren Bestimmung von Arbeitszeit sowie Arbeitsort ebenso auf wie den Wunsch von Unternehmen nach mehr betrieblicher Flexibilität. Wir werden dazu über eine Tariföffnungsklausel im ArbZG Experimentierräume für tarifgebundene Unternehmen schaffen, um eine Öffnung für mehr selbstbestimmte Zeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität in der zunehmend digitalen Arbeitswelt zu erproben. Auf Grundlage dieser Tarifverträge kann dann mittels Betriebsvereinbarungen insbesondere die Höchstarbeitszeit wöchentlich flexibler geregelt werden können.

Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit diese Ankündigungen tatsächlich in konkreten Gesetzesentwürfen münden. Dies gilt nicht nur für die Befristung, hinsichtlich derer bislang ein Gesetzesentwurf fehlt57. Auch der Bereich der Arbeitszeit, in dem neben dem Bedürfnis nach einer Flexibilisierung auch den Handlungsvorgaben des EuGH zur Dokumentation Rechnung getragen werden muss, liegen noch keine Entwürfe einer gesetzlichen Neuregelung vor. Wichtig dürfte allerdings vor allem im Bereich des Arbeitszeitrechts sein, Flexibilität für selbstbestimmtes Handeln nicht nur den tarifgebundenen Unternehmen zuzugestehen. Dies würde auch dem Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit nicht gerecht. (Ga)

10. Externe Meldestellen für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber Im vergangenen Jahr hatten wir eingehend über die Richtlinie 2019/1937/EU vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, berichtet58. Sie ist am 16.12.201959 in Kraft getreten60. Einige Abgeordnete und die Fraktion BÜNDNIS 19/DIE GRÜNEN hatten dies zum Anlass genommen, der Bundesregierung Fragen zu externen Mel-

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Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 34 ff. B. Gaul, AktuellAR 2019, 350 ff. ABl. EU 2019, L 305, 17. B. Gaul, AktuellAR 2020, 79.

Externe Meldestellen für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber

destellen für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber zu stellen61. Die Bundesregierung hat diese Fragen im November 2019 beantwortet62. Aus den Fragen und ihrer Beantwortung durch die Bundesregierung wird erkennbar, dass derzeit wenige Meldestellen für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber in Deutschland bestehen. Die Bundesregierung beabsichtigt, erst im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2019/1937/EU (Whistleblower-Richtlinie) über die Einrichtung neuer interner und externer Meldestellen zu entscheiden. Derzeit sind dies beispielsweise nur die Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, die Hinweisgeberstelle für Verstöße gegen Aufsichtsrecht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und das Hinweisgebersystem des Bundeskartellamts. Für die betriebliche Praxis haben diese externen Meldestellen eine nicht unerhebliche Bedeutung. Denn die derzeit noch ganz überwiegend angenommene Notwendigkeit, Meldungen bei Rechtsverstößen zunächst einmal im Rahmen interner Meldekanäle vorzunehmen, dürfte mit einer Umsetzung der Hinweisgeberschutz-Richtlinie weitestgehend entfallen. Das folgt aus Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2019/1937/EU. Danach setzen sich die Mitgliedstaaten (nur) dafür ein, dass die Meldung über interne Meldekanäle gegenüber der Meldung über externe Meldekanäle in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass keine generelle Präferenz für die interne Meldung bestimmt werden darf. Daran dürfte der Gesetzgeber im Zweifel auch dann festhalten, wenn die Handlungsvorgaben der Richtlinie 2019/1937/EU gemäß Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2019/1937/EU auch auf Bereiche und Rechtsakte ausgedehnt werden, die eigentlich nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Vor diesem Hintergrund können die Antworten der Bundesregierung natürlich nur die aktuelle Bedeutung der externen Meldestellen widerspiegeln. Insoweit beschreiben sie beispielhaft nicht nur die gegenwärtigen Verfahren, die Art und Weise ihrer Auswertung, die Dauer einer Bearbeitung entsprechender Meldungen sowie Maßnahmen zum Schutz der Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber. Es steht zu erwarten, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937/EU an diesen Erfahrungen angeknüpft werden wird. (Ga)

61 BT-Drucks. 19/13426. 62 BT-Drucks. 19/14980.

51

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

11.

Gesetzesentwurf zur Bereinigung arbeitsrechtlicher Regelungen

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung arbeitsrechtlicher Regelungen (Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz) hat die Fraktion der AfD am 11.12.2019 einen Vorschlag vorgelegt, mit der die gesetzlichen Regelungen zur Massenentlassung in §§ 17 f. KSchG an die unionsrechtlichen Vorgaben des EuGH angepasst werden sollen. Darüber hinaus soll die verfassungswidrige Regelung in § 75 Abs. 3 HGB gestrichen werden. Obgleich eine entsprechende Klarstellung der gesetzlichen Regelungen wünschenswert wäre, damit der tatsächliche Wortlaut und die rechtliche Handlungsvorgabe, wie sie derzeit richterrechtlich bestimmt wird, wieder im Einklang stehen, ist nicht mit einer Umsetzung des gesetzlichen Vorschlags zu rechnen. Ohne Rücksicht auf die inhaltliche Richtigkeit des Vorschlags dürfte sich eine parlamentarische Mehrheit für eine entsprechende Klarstellung derzeit nicht finden lassen. Insoweit bleibt abzuwarten, bis sich die Bundesregierung selbst des Themas annimmt und einen eigenen Gesetzesentwurf einbringt. Aus Sicht der Betriebspraxis wäre dies sehr zu begrüßen. (Ga)

12. Update für den digitalen Wandel der Mitbestimmung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern 100 Jahre nach dem Inkrafttreten des BRG zu Recht ein Update der Mitbestimmung, um sie fit für den digitalen Wandel zu machen. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass die bestehenden Regelungen einer industriegesellschaftlich geprägten, analogen Arbeitswelt entsprechen. Die fortschreitende Digitalisierung, die zu veränderten Tätigkeitsinhalten, Qualifikationsanforderungen und einer neuen Arbeitsorganisation bei vielen Beschäftigten führt, wird dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Um diesen Anforderungen durch Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam Rechnung tragen zu können, sollen mitbestimmungsrechtliche und datenschutzrechtliche Regelungen gleichermaßen angepasst werden. Dazu soll auch eine Stärkung der Mitbestimmung gehören. Ein konkreter Gesetzesentwurf ist mit der Forderung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht verbunden. Vielmehr soll die Bundesregierung durch den Bundestag aufgefordert werden, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der sich unter Berücksichtigung ergänzender Prüfaufträge vor allem an folgenden Eckpunkten orientieren soll:

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

11.

Gesetzesentwurf zur Bereinigung arbeitsrechtlicher Regelungen

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung arbeitsrechtlicher Regelungen (Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz) hat die Fraktion der AfD am 11.12.2019 einen Vorschlag vorgelegt, mit der die gesetzlichen Regelungen zur Massenentlassung in §§ 17 f. KSchG an die unionsrechtlichen Vorgaben des EuGH angepasst werden sollen. Darüber hinaus soll die verfassungswidrige Regelung in § 75 Abs. 3 HGB gestrichen werden. Obgleich eine entsprechende Klarstellung der gesetzlichen Regelungen wünschenswert wäre, damit der tatsächliche Wortlaut und die rechtliche Handlungsvorgabe, wie sie derzeit richterrechtlich bestimmt wird, wieder im Einklang stehen, ist nicht mit einer Umsetzung des gesetzlichen Vorschlags zu rechnen. Ohne Rücksicht auf die inhaltliche Richtigkeit des Vorschlags dürfte sich eine parlamentarische Mehrheit für eine entsprechende Klarstellung derzeit nicht finden lassen. Insoweit bleibt abzuwarten, bis sich die Bundesregierung selbst des Themas annimmt und einen eigenen Gesetzesentwurf einbringt. Aus Sicht der Betriebspraxis wäre dies sehr zu begrüßen. (Ga)

12. Update für den digitalen Wandel der Mitbestimmung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern 100 Jahre nach dem Inkrafttreten des BRG zu Recht ein Update der Mitbestimmung, um sie fit für den digitalen Wandel zu machen. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass die bestehenden Regelungen einer industriegesellschaftlich geprägten, analogen Arbeitswelt entsprechen. Die fortschreitende Digitalisierung, die zu veränderten Tätigkeitsinhalten, Qualifikationsanforderungen und einer neuen Arbeitsorganisation bei vielen Beschäftigten führt, wird dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Um diesen Anforderungen durch Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam Rechnung tragen zu können, sollen mitbestimmungsrechtliche und datenschutzrechtliche Regelungen gleichermaßen angepasst werden. Dazu soll auch eine Stärkung der Mitbestimmung gehören. Ein konkreter Gesetzesentwurf ist mit der Forderung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht verbunden. Vielmehr soll die Bundesregierung durch den Bundestag aufgefordert werden, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der sich unter Berücksichtigung ergänzender Prüfaufträge vor allem an folgenden Eckpunkten orientieren soll:

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Update für den digitalen Wandel der Mitbestimmung

1. Der steigenden Bedeutung der Personalplanung und -entwicklung sowie der Qualifizierung von Beschäftigten wird Rechnung getragen, indem a) Betriebs- und Personalräte ein echtes Mitbestimmungs- und Initiativrecht in Fragen der qualitativen Personalentwicklung und Personalplanung erhalten; b) Betriebs- und Personalräte ein Mitbestimmungs- und Initiativrecht erhalten, wenn Beschäftigte aufgrund des in absehbarer Zeit drohenden Wegfalls von Tätigkeiten oder Arbeitsplätzen eine Weiterbildung bzw. Qualifizierung benötigen. 2. Die Mitbestimmungsrechte der Betriebs- und Personalräte in den Bereichen Arbeitsorganisation und präventiver Gesundheitsschutz werden zeitgemäß verbessert, indem a) ein echtes Mitbestimmungsrecht über die dem Einzelnen zugewiesene Menge an Arbeit und über die zugrunde liegenden Zielvorgaben für die Fälle geschaffen wird, wenn die Arbeit bei Vertrauensarbeitszeit entgrenzt und über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus Mehrarbeit entsteht; b) ein Mitbestimmungsrecht eingeführt wird, um ein Recht auf Homeoffice und mobiles Arbeiten an einem selbstgewählten Ort passgenau im Betrieb umsetzen zu können; c) ein Mitbestimmungsrecht für Regelungen zur Erreichbarkeit bzw. Nichterreichbarkeit der Beschäftigten ausdrücklich festgeschrieben wird; d) die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Katalog der Mitbestimmungsrechte aufgenommen werden. 3. Der betriebliche Schutz der Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten wird gestärkt und der steigenden Bedeutung des Datenschutzes wird Rechnung getragen, indem a) die betriebliche Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten in den Katalog der Mitbestimmungsrechte im Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht aufgenommen wird, insofern sie in Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten eingreift oder eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle ermöglicht; b) das bestehende Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen im Betrieb gestärkt wird, in-

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

dem es auch für technische Einrichtungen inklusive Software und Künstlicher Intelligenz Anwendung findet, bei denen Leistungsund Verhaltenskontrolle von Beschäftigten nicht der Hauptzweck der technischen Einrichtung sind. Bei Software und Künstlicher Intelligenz ist die Mitbestimmung auf den Prozess von der Entwicklung bis zur Evaluation technischer Neuerungen im Betrieb zu erstrecken, sofern dies zum Schutz der Beschäftigtenrechte nötig ist; c) das Recht auf Weiterbildung für Betriebsrats- und Personalratsmitglieder gestärkt wird, damit Betriebs- und Personalräte die steigenden Anforderungen bei komplexen Themen wie dem Datenschutz, den Persönlichkeitsrechten und der IT-Sicherheit sachgerecht bewältigen können; d) Betriebs- und Personalräte bei Bedarf, insbesondere beim Einsatz neuer digitaler Techniken, Sachverständige im Rahmen des Erforderlichen hinzuziehen können, ohne dass eine konkrete Vereinbarung mit den Arbeitgebenden erforderlich ist. Legen diese Widerspruch ein, dann entscheidet die Einigungsstelle; e) geprüft wird, ob gängige betriebliche Software bei einer zentralen Stelle auf Risiken hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten und des Beschäftigtendatenschutzes untersucht werden und wie diesbezügliche Erkenntnisse Betriebs- und Personalräten zugänglich gemacht werden könnten. 4. Die betriebliche Mitbestimmung wird für möglichst viele Erwerbstätige und Digitalisierungsrisiken im Unternehmen zur Anwendung gebracht und für digitale Geschäftsmodelle geöffnet, indem a) das Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebs- und Personalrats analog zur Leiharbeit auf den Einsatz von Fremdpersonal erweitert wird, das aufgrund von Werk- und Dienstverträgen länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt wird; b) die bestehenden Möglichkeiten der Tarifpartner, den Zuschnitt und die Abgrenzung des von der Mitbestimmung erfassten „Betriebs“ flexibel und passgenau auszugestalten, erheblich ausgeweitet und gestärkt werden, um insbesondere arbeitnehmerähnliche Personen sowie Beschäftigte, die im Rahmen von Werk- und Dienstverträgen für mindestens drei Monate im Betrieb tätig sind, in die Mitbestimmung einzubeziehen; c) geprüft wird, in welcher Form die Interessenvertretung von Auftragnehmenden digitaler Plattformen (Crowdworker, Clickworker,

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Update für den digitalen Wandel der Mitbestimmung

Content Creators) gestärkt werden kann und wie rechtliche Vorgaben, insbesondere beim Arbeits- und Datenschutz und bei der Transparenz von Vergabeentscheidungen auch für Leistungserbringende digitaler Plattformen durchgesetzt werden können. 5. Für Betriebs- und Personalräte sowie Gewerkschaften werden zeitgemäße digitale Kommunikationsformen ermöglicht, indem a) gesetzlich klargestellt wird, dass Betriebs- und Personalräte das Recht auf Zugang zu digitalen innerbetrieblichen Kommunikationsmitteln sowie auf eine angemessene Grundausstattung mit digitalen Endgeräten erhalten; b) Gewerkschaften analog zu den herkömmlichen Zutrittsrechten zum Betrieb ein gesetzliches „virtuelles“ Zutrittsrecht erhalten, mit dem sie die Beschäftigten im Betrieb auch digital erreichen können. 6. Die für Aufsichtsräte geltenden Rechtsnormen und Verhaltenskodizes sollen mit dem Ziel überprüft werden, Sachverhalte, die mit der Digitalisierung an Bedeutung gewinnen, zum verpflichtenden Thema in den Aufsichtsräten zu machen. Notwendig dabei sind: a) ein Zustimmungsvorbehalt zur qualitativen Personalentwicklung und Personalplanung; b) ein Transparenzgebot auch für die Personalplanung; c) die Definition klarer Leitlinien zum KI-Einsatz.

Viele dieser Punkte müssen tatsächlich erörtert und mit Blick auf gesetzgeberische Veränderungen geprüft werden. Trotz der Notwendigkeit einer Aktualisierung der Betriebsverfassung, die den wechselseitigen Interessen der Betriebsparteien und der betroffenen Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Digitalisierung Rechnung trägt, dürfte es aber zugleich wichtig sein, die Neuregelung nicht mit einer Überregulierung zu verbinden. Es ist nicht nur wichtig, dass die Betriebsparteien ausreichend Spielraum für betriebs-, unternehmens- oder konzernspezifische Regelungen erhalten. Darüber hinaus muss man bei allen Neuregelungen im Auge behalten, dass die Anerkennung eines vollen Mitbestimmungsrechts zu einer erheblichen Verzögerung führen kann, wenn nach dem Scheitern interner Verhandlungen erst noch ein Einigungsstellenverfahren mit ungewissem Ausgang durchgeführt werden muss, bevor Veränderungen in Kraft gesetzt werden können. Sinnvoll wäre deshalb nicht nur, in wesentlichen Kernfragen der Digitalisierung an der Mitbestimmung festzuhalten und Anwendungsfälle zu konkretisieren. Hilfreich erscheint auch, gleichzeitig einzelne Veränderungen nur noch mit einem Unterrichtungs- und Beratungsrecht zu verbinden. Beispielhaft sei in55

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

soweit auf das Update einer Software verwiesen, das nach aktueller Rechtslage selbst dann nur mit Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eingeführt werden kann, wenn keine zusätzlichen Daten verarbeitet oder keine neuen Zwecke verfolgt werden. (Ga)

13. Künstliche Intelligenz in der Personalauswahl, Personalverwaltung und Personalentwicklung In ihrer Antwort auf eine entsprechende Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE63 hat die Bundesregierung zum Einsatz von automatisierten Entscheidungssystemen und Künstlicher Intelligenz (KI) in der Personalauswahl, Personalverwaltung und Personalentwicklung Stellung genommen64. Darin macht die Bundesregierung unter anderem deutlich, dass sie keine Neureglung plant, um einen detaillierteren Rahmen für die automatisierte Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, wie dies z. B. durch Precire erfolgt, zu schaffen. Die Bundesregierung vertritt berechtigterweise die Auffassung, dass die aktuellen Regelungen insbesondere aus Art. 9, 22, 88 DSGVO bzw. §§ 22, 26 BDSG bereits einen Schutz der Beschäftigten zur Folge haben. Allerdings weist die Bundesregierung darauf hin, dass das BMAS die Einsetzung eines interdisziplinären Beitrags plane, der das BMAS bei Fragen des Beschäftigtendatenschutzes sowie zu ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung beraten und insbesondere prüfen solle, ob ein eigenständiges Gesetz sinnvoll sei und welchen Inhalt es ggf. haben könnte. In diesem Zusammenhang bestätigt die Bundesregierung zu Recht, dass die Einwilligung eines Bewerbers die Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen automatisierter Entscheidungssysteme sein kann. Voraussetzung sei aber, dass die Einwilligung freiwillig erteilt werde. Dabei müssten vor allem die im Beschäftigungsverhältnis bestehende Abhängigkeit der beschäftigten Personen sowie die Umstände, unter denen die Einwilligung erteilt werde, berücksichtigt werden. Freiwilligkeit könne insbesondere vorliegen, wenn für die beschäftigte Person ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht werde oder Arbeitgeber und beschäftigte Person gleichgelagerte Interessen verfolgten. Ungeachtet dessen blieben na-

63 BT-Drucks. 19/12439. 64 BT-Drucks. 19/13210.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

soweit auf das Update einer Software verwiesen, das nach aktueller Rechtslage selbst dann nur mit Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eingeführt werden kann, wenn keine zusätzlichen Daten verarbeitet oder keine neuen Zwecke verfolgt werden. (Ga)

13. Künstliche Intelligenz in der Personalauswahl, Personalverwaltung und Personalentwicklung In ihrer Antwort auf eine entsprechende Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE63 hat die Bundesregierung zum Einsatz von automatisierten Entscheidungssystemen und Künstlicher Intelligenz (KI) in der Personalauswahl, Personalverwaltung und Personalentwicklung Stellung genommen64. Darin macht die Bundesregierung unter anderem deutlich, dass sie keine Neureglung plant, um einen detaillierteren Rahmen für die automatisierte Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, wie dies z. B. durch Precire erfolgt, zu schaffen. Die Bundesregierung vertritt berechtigterweise die Auffassung, dass die aktuellen Regelungen insbesondere aus Art. 9, 22, 88 DSGVO bzw. §§ 22, 26 BDSG bereits einen Schutz der Beschäftigten zur Folge haben. Allerdings weist die Bundesregierung darauf hin, dass das BMAS die Einsetzung eines interdisziplinären Beitrags plane, der das BMAS bei Fragen des Beschäftigtendatenschutzes sowie zu ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung beraten und insbesondere prüfen solle, ob ein eigenständiges Gesetz sinnvoll sei und welchen Inhalt es ggf. haben könnte. In diesem Zusammenhang bestätigt die Bundesregierung zu Recht, dass die Einwilligung eines Bewerbers die Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen automatisierter Entscheidungssysteme sein kann. Voraussetzung sei aber, dass die Einwilligung freiwillig erteilt werde. Dabei müssten vor allem die im Beschäftigungsverhältnis bestehende Abhängigkeit der beschäftigten Personen sowie die Umstände, unter denen die Einwilligung erteilt werde, berücksichtigt werden. Freiwilligkeit könne insbesondere vorliegen, wenn für die beschäftigte Person ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht werde oder Arbeitgeber und beschäftigte Person gleichgelagerte Interessen verfolgten. Ungeachtet dessen blieben na-

63 BT-Drucks. 19/12439. 64 BT-Drucks. 19/13210.

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Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität

türlich Differenzierungen, die an in § 1 AGG genannte Merkmale anknüpften, unzulässig. Eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte in Bezug auf personelle Einzelmaßnahmen hält die Bundesregierung offenkundig nicht für erforderlich. Dies folgt aus ihrem zutreffenden Hinweis, nach dem die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Auswahl von Bewerbern (insbesondere § 99 BetrVG) auch dann greifen, wenn der Auswahlprozess sich ganz oder teilweise auf KI stützt. In gleicher Weise hängt auch die Mitbestimmung des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht davon ab, ob die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten unter Einbeziehung von KI durchgeführt wird. Es genügt, wenn Daten Verwendung finden, die Leistung oder Verhalten einzelner Arbeitnehmer erkennen lassen. Über die Hinweise zur Vorbereitung einer gesetzlichen Regelung zum Beschäftigtendatenschutz hinaus lassen sich der Antwort der Bundesregierung keine weitergehenden Vorhaben entnehmen. Nichtsdestotrotz bleibt es wichtig, sich mit dem rechtlichen Rahmen des Einsatzes von automatisierten Entscheidungssystemen und KI auch außerhalb gesetzlicher Vorgaben zu befassen. Dies gilt für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter gleichermaßen. Dabei dürfte der Schutz der Persönlichkeit, wie er vor allem durch das Datenschutzrecht gewährleitet wird, ebenso wie ein weitergehender Handlungsrahmen durch die Grundsätze der Ethik im Vordergrund stehen. Wir hatten über die entsprechenden Richtlinien für den verantwortungsvollen Einsatz von KI und weiterer digitaler Technologien in der Personalarbeit, die durch den Ethikbeitrat HR-Tech 2019 erarbeitet und 2020 in aktualisierter Form veröffentlich wurden, bereits im Frühjahr 2019 berichtet65. (Ga)

14. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität a)

Ausgangssituation

Im April hat das BMJV einen neuen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vorgelegt66. Im Mittelpunkt steht

65 B. Gaul, AktuellAR 2019, 73 ff. 66 Vgl. dazu BMJV v. 22.4.2020.

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Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität

türlich Differenzierungen, die an in § 1 AGG genannte Merkmale anknüpften, unzulässig. Eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte in Bezug auf personelle Einzelmaßnahmen hält die Bundesregierung offenkundig nicht für erforderlich. Dies folgt aus ihrem zutreffenden Hinweis, nach dem die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Auswahl von Bewerbern (insbesondere § 99 BetrVG) auch dann greifen, wenn der Auswahlprozess sich ganz oder teilweise auf KI stützt. In gleicher Weise hängt auch die Mitbestimmung des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht davon ab, ob die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten unter Einbeziehung von KI durchgeführt wird. Es genügt, wenn Daten Verwendung finden, die Leistung oder Verhalten einzelner Arbeitnehmer erkennen lassen. Über die Hinweise zur Vorbereitung einer gesetzlichen Regelung zum Beschäftigtendatenschutz hinaus lassen sich der Antwort der Bundesregierung keine weitergehenden Vorhaben entnehmen. Nichtsdestotrotz bleibt es wichtig, sich mit dem rechtlichen Rahmen des Einsatzes von automatisierten Entscheidungssystemen und KI auch außerhalb gesetzlicher Vorgaben zu befassen. Dies gilt für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter gleichermaßen. Dabei dürfte der Schutz der Persönlichkeit, wie er vor allem durch das Datenschutzrecht gewährleitet wird, ebenso wie ein weitergehender Handlungsrahmen durch die Grundsätze der Ethik im Vordergrund stehen. Wir hatten über die entsprechenden Richtlinien für den verantwortungsvollen Einsatz von KI und weiterer digitaler Technologien in der Personalarbeit, die durch den Ethikbeitrat HR-Tech 2019 erarbeitet und 2020 in aktualisierter Form veröffentlich wurden, bereits im Frühjahr 2019 berichtet65. (Ga)

14. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität a)

Ausgangssituation

Im April hat das BMJV einen neuen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vorgelegt66. Im Mittelpunkt steht

65 B. Gaul, AktuellAR 2019, 73 ff. 66 Vgl. dazu BMJV v. 22.4.2020.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

dabei das Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG). Anlass für die gesetzliche Neuregelung ist die Einschätzung der Bundesregierung, dass Straftaten, die aus Verbänden (juristische Personen oder Personenvereinigungen) heraus begangen werden, nach geltendem Recht gegenüber dem Verband lediglich mit einer Geldbuße nach dem OWiG geahndet werden könnten. Eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität sei damit nicht möglich. Hinzukomme, dass die Höchstgrenze des Ahndungsteils der Verbandsgeldbuße von 10 Mio. € unabhängig von der Verbandsgröße gelte. Sie lasse insbesondere gegenüber finanzkräftigen multinationalen Unternehmen keine empfindliche Sanktion zu und benachteilige damit kleinere und mittelständische Unternehmen. Der Entwurf soll eine eigenständige gesetzliche Grundlage für eine Sanktionierung von Verbänden schaffen, sie dem Legalitätsprinzip unterwerfen und ComplianceMaßnahmen fördern sowie Anreize setzen, dass Unternehmen durch Untersuchungen dazu beitragen, Straftaten aufzuklären. Nachfolgend sollen einige wesentliche Aspekte des Referentenentwurfs, die auch Auswirkungen in Bezug auf die Tätigkeit der im Arbeitsrecht Verantwortlichen haben können, dargestellt werden.

b)

Begriffsbestimmungen und Kennzeichnung der Verbandsverantwortlichkeit

Als Verband im Sinne des Gesetzes gelten eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts, ein nichtrechtsfähiger Verein sowie eine rechtsfähige Personengesellschaft (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 ist eine Leitungsperson im Sinne dieses Gesetzes:  ein Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person,  ein Mitglied eines Vorstands eines nichtrechtsfähigen Vereins,  ein vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft,  ein Generalbevollmächtigter und, soweit er eine leitende Stellung innehat, ein Prokurist und ein Handlungsbevollmächtigter eines Verbands,  jede sonstige Person, die für die Leitung eines Betriebs oder Unternehmens eines Verbands verantwortlich handelt, wozu auch die

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Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität

Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört.

Hiervon ausgehend dürften neben den Organmitgliedern und etwaigen Mitgliedern eines Aufsichtsrats auch leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG zu den Leitungspersonen gehören. Eine Verbandstat wird durch § 2 Abs. 1 Nr. 3 als eine Straftat qualifiziert, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte. Gegen einen Verband wird nach § 3 Abs. 1 eine Verbandssanktion verhängt, wenn jemand  als Leitungsperson dieses Verbands eine Verbandstat begangen hat oder  sonst in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands eine Verbandstat begangen hat, wenn Leitungspersonen des Verbands die Straftat durch angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht hätten verhindern oder wesentlich erschweren können.

Hiervon ausgehend werden als Verbandstaten Handlungen der Leitungspersonen durch Tun oder Unterlassen erfasst. Voraussetzung ist natürlich, dass eine entsprechende Pflicht zum Handeln besteht, was jedenfalls bei einer potenziellen Verantwortlichkeit für ein Handeln durch Unterlassen jeweils gesondert festgestellt werden muss.

c)

Ausfallhaftung und Rechtsnachfolge

Insbesondere im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Sanktionen war in der Vergangenheit immer wieder die Frage entstanden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein etwaiger Rechtsnachfolger in die Verantwortlichkeit für die Missachtung rechtlicher Vorgaben durch den Rechtsvorgänger gebracht werden konnte. Diese Frage wird nunmehr in §§ 6 f. ausdrücklich einer Regelung zugeführt. Grundsätzlich können danach Verbandsgeldsanktionen gegen den oder die Rechtsnachfolger verhängt werden, wenn eine Gesamtrechtsnachfolge oder eine partielle Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG) vorliegt (§ 6). Ergänzend hierzu regelt § 7 eine Ausfallhaftung. Danach kann ein Haftungsbetrag in Höhe der Verbandsgeldsanktion festgesetzt werden gegen Verbände, die 1. zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einleitung des Sanktionsverfahrens mit dem betroffenen Verband eine wirtschaftliche Einheit gebil-

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

det und auf den betroffenen Verband oder seinen Rechtsnachfolger unmittelbar oder mittelbar einen bestimmenden Einfluss ausgeübt haben, oder 2. wesentliche Wirtschaftsgüter des betroffenen Verbands übernommen und dessen Tätigkeit im Wesentlichen fortgesetzt haben (Einzelrechtsnachfolge),

wenn der Verband nach der Bekanntgabe der Einleitung des Sanktionsverfahrens erlischt oder nach diesem Zeitpunkt Vermögen mit der Folge verschoben wird, dass gegen den Verband oder seinen Rechtsnachfolger eine angemessene Verbandsgeldsanktion nicht verhängt oder voraussichtlich nicht vollstreckt werden kann. Wenn hinsichtlich eines Verbands, gegen den auf diese Weise ein Haftungsbetrag festgesetzt werden kann, eine Gesamtrechtsnachfolge oder eine partielle Gesamtrechtsnachfolge eintritt, gilt § 6 entsprechend.

d)

Verbandssanktionen

Einzelheiten zu den Verbandssanktionen, die in einer Verbandsgeldsanktion oder der Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt liegen können, sind in §§ 8 ff. geregelt. Grundsätzlich beträgt die Verbandsgeldsanktion bei einer vorsätzlichen Verbandstat mindestens 1.000 € und höchstens 10 Mio. €, bei einer fahrlässigen Verbandstat mindestens 500 € und höchstens 5 Mio. €. Bei einem Verband mit einem auf wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten Zweck und einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. € beträgt die Verbandsgeldsanktion abweichend hiervon 1. bei einer vorsätzlichen Verbandstat mindestens 10.000 € und höchstens 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes, 2. bei einer fahrlässigen Verbandstat mindestens 5.000 € und höchstens 5 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes.

Bei der Ermittlung des durchschnittlichen Jahresumsatzes ist der weltweite Umsatz aller natürlichen Personen und Verbände der letzten drei Geschäftsjahre, die der Verurteilung vorausgehen, zugrunde zu legen, soweit diese Personen und Verbände mit dem Verband als wirtschaftliche Einheit operieren. Dabei kann auch eine Schätzung erfolgen (§ 9 Abs. 1). Weitere Einzelheiten zu einer Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt, dem Vorbehalt eines Teils der Verbandsgeldsanktion und etwaigen Auflagen bei Verbandsgeldsanktionsvorbehalt sind in §§ 10 ff. bestimmt. Ergänzend hierzu können durch das Gericht für die Dauer der Vorbehaltszeit ge-

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Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität

mäß § 13 Weisungen erteilt werden, wenn diese erforderlich sind, um der Begehung von Verbandstaten entgegenzuwirken.

e)

Sanktionszumessung

Nach § 15 Abs. 1 sind Grundlage für die Bemessung der Verbandsgeldsanktion die Bedeutung der Verbandstat sowie die Schwere und das Ausmaß des Unterlassens angemessener Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten. Dabei erfolgt eine einzelfallbezogene Berücksichtigung aller Umstände, die für und gegen den Verband sprechen. Hierzu gehören nach § 15 Abs. 2, 3 neben den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verbandes unter anderem auch das Bemühen des Verbands, die Verbandstat aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen, sowie nach der Verbandstat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten. Im Mittelpunkt dürfte zukünftig bei der Auseinandersetzung um Verbandstaten stehen, dass nicht nur das präventive Wirken eines Verbands um Compliance dargestellt werden kann. Vielmehr geht es auch darum, dass verbandsinterne Untersuchungen zur Aufklärung durchgeführt werden, wenn trotz dieser Bemühungen Rechtsverletzungen in Rede stehen. Diese können sowohl durch den Verband selbst als auch durch von ihm beauftragte Dritte durchgeführt werden (§§ 16, 17). Es dürfte wichtig sein, die gesetzlichen Anforderungen an die Durchführung solcher Untersuchungen nicht nur in den Bereichen Recht und Compliance zu kennen. Vielmehr müssen die entsprechenden Regelungen auch im HRBereich beachtet werden, soweit dieser – beispielsweise im Vorfeld einer Verdachtskündigung – an der Aufklärung entsprechender Verhaltensweisen der Vergangenheit mitwirkt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die durchgeführte Untersuchung als Konsequenz der Missachtung etwaiger Formerfordernisse nicht zu einer Milderung der Verbandssanktion führen kann. Nach § 17 Abs. 1 soll das Gericht die Verbandssanktionen mildern, wenn 1. der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Verbandstat aufgeklärt werden konnte, 2. der beauftragte Dritte oder die für den beauftragten Dritten bei den verbandsinternen Untersuchungen handelnden Personen nicht Verteidiger des Verbands oder eines Beschuldigten, dessen Verbandstat dem Sanktionsverfahren zugrunde liegt, sind, 3. der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeiten,

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

4. der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte den Verfolgungsbehörden nach Abschluss der verbandsinternen Untersuchung das Ergebnis der verbandsinternen Untersuchung einschließlich aller für die verbandsinterne Untersuchung wesentlichen Dokumente, auf denen dieses Ergebnis beruht, sowie des Abschlussberichts zur Verfügung stellen, 5. die verbandsinterne Untersuchung unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt wurde, insbesondere a) Mitarbeiter vor ihrer Befragung darauf hingewiesen werden, dass ihre Aussagen in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können, b) Befragten das Recht eingeräumt wird, einen anwaltlichen Beistand oder ein Mitglied des Betriebsrats zur Befragung hinzuzuziehen und die Befragten auf dieses Recht vor der Befragung hingewiesen werden, und c) Befragten das Recht eingeräumt wird, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung sie selbst oder die in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen gefährden würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, und die Befragten auf dieses Recht vor der Befragung hingewiesen werden und 6. die verbandsinterne Untersuchung in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt wird.

Problematisch ist nicht nur die Unbestimmtheit der Pflicht zu einem „fairen Verfahren“. Dies gilt umso mehr, als die Grundsätze zu einem „fairen Verhandeln“, die das BAG im Urteil vom 7.2.201967 entwickelt hat, weder dogmatisch ausreichend begründet sind noch übertragbar erscheinen. Wir hatten darüber schon bei früherer Gelegenheit berichtet68. Schwierigkeiten dürfte auch die Anerkennung eines Rechts auf Auskunftsverweigerung auslösen, weil damit wesentliche Erkenntnisse für die Aufklärung einer Straftat verloren gehen und arbeitgeberseitig deutlich schwieriger Erkenntnisse für die zukünftige Vermeidung entsprechender Straftaten erlangt werden können. Sinnvoller erscheint, stattdessen ein Beweisverwertungsverbot in Bezug auf etwaige Aussagen des Arbeitnehmers im Gesetz 67 BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688 Rz. 35. 68 B. Gaul, AktuellAR 2019, 171 ff.

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Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität

festzuschreiben. Unter Berücksichtigung der aus § 241 Abs. 2 BGB folgenden Auskunftspflicht des Arbeitnehmers gäbe dies dem Arbeitgeber die Möglichkeit, den Sachverhalt umfassend aufzuklären, ohne dass die Erkenntnisse im Rahmen des Strafverfahrens zum Nachteil des Arbeitnehmers verwendet würden. Mildert das Gericht die Verbandsgeldsanktion nach § 17 Abs. 1, reduziert sich das in § 9 Abs. 1 bis 3 jeweils vorgesehene Höchstmaß um die Hälfte und das vorgesehene Mindestmaß entfällt. Die Anordnung der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung des Verbands nach § 14 ist dann ausgeschlossen (§ 19).

f)

Stellung im Verfahren

Gemäß § 27 sind auf den betroffenen Verband im Sanktionsverfahren die Vorschriften der StPO über den Beschuldigten entsprechend anzuwenden. Dies betrifft beispielsweise das Aussageverweigerungsrecht, den Anspruch auf rechtliches Gehör, das Stellen von Beweisanträgen, die Wahl des Verteidigers einschließlich des Verbots einer Mehrfachverteidigung, das Recht auf Akteneinsicht und die Regelungen zum Beschlagnahmeverbot in § 97 Abs. 1 StPO.

g)

Fazit

Es steht zu erwarten, dass dieser Referentenentwurf bis zum Sommer noch einmal angepasst und dann in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht und zügig verabschiedet werden wird. Gerade weil die Höhe einer etwaigen Sanktion sehr stark von den Vorkehrungen im Bereich der Compliance abhängig ist, dürfte es wichtig sein, unternehmensintern notwendige Maßnahmen zur Vermeidung von Rechtsverletzungen zu ergreifen. Des Weiteren ist bei einer Aufklärung etwaiger Verstöße nach Maßgabe des VerSanG vorzugehen. In vielen Fällen ist die Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen jedenfalls bei kollektiven Sachverhalten darüber hinaus an eine Beteiligung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geknüpft. (Ga)

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

15. Evaluation des Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage einzelner Abgeordneter sowie der Fraktion BÜNDNIS 19/DIE GRÜNEN69 hat die Bundesregierung noch einmal zur Evaluation des Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern Stellung genommen70. Wir hatten über den Evaluationsbericht und die darin getroffenen Feststellungen71 bereits 2019 berichtet72. Einleitend hat die Bundesregierung darauf verwiesen, dass der unbereinigte Gender-Pay-Gap in Bezug auf den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst im Jahre 2019 bei 20 % gelegen hat. 2017 betrug die Differenz noch 21 %. Wichtig für die weitere Diskussion ist allerdings, dass der bereinigte Gender-Pay-Gap, der den Entgeltunterschied von Frauen und Männern bei gleicher formaler Qualifikation und gleichen Ausprägungen in den sonst verfügbaren lohnrelevanten Merkmalen misst, im Jahre 2014 nur bei 6 % lag. Eine aktuellere Messung liegt der Bundesregierung offenkundig nicht vor. Wichtig ist diese Bereinigung, weil insbesondere branchenbezogene Unterschiede und Differenzen als Folge einer Vollzeit- bzw. Teilzeitbeschäftigung nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen aber wird aus den Antworten erkennbar, dass die Bundesregierung keine konkreten Anpassungen des EntgTranspG plant. Diese prüfe allerdings, ob Maßnahmen zur Vereinfachung und Verbesserung des Auskunftsverfahrens geboten seien. Währenddessen werde sie die Anwendung des Auskunftsanspruchs durch die Bereitstellung von Informations- und Beratungsangeboten weiter gezielt unterstützen und dadurch auch die Bekanntheit des Auskunftsanspruchs stärken. Ergänzend hierzu wird das BMFSFJ noch 2020 Informationsmaterial für Unternehmen bereitstellen, um im Hinblick auf die Berichte nach § 21 EntgTranspG die Rechtsanwendung zu vereinfachen sowie die Berichtsqualität und die Vergleichbarkeit zu erhöhen. Damit sollen auch denjenigen Unternehmen, die 2021 ihren zweiten Bericht nach § 21 EntgTranspG vorlegen müssen (nichttarifgebundene oder -anwendende Arbeitgeber), entsprechende

69 70 71 72

64

BT-Drucks. 19/17479. BT-Drucks. 19/18043. BT-Drucks. 19/11470. B. Gaul, AktuellAR 2019, 346 ff.

Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche

Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Unternehmen, die ihre Berichte vorbereiten, sollten dies nutzbar machen. (Ga)

16. Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche Am 1.5.2020 ist die Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (4. Pflegearbeitsbedingungenverordnung – 4. PflegeArbbV) in Kraft getreten73. Sie tritt am 30.4.2022 außer Kraft.

a)

Geltungsbereich

Gemäß § 1 PflegeArbbV gilt die Verordnung für Pflegebetriebe. Dies sind Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen, die überwiegend ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflegeleistungen oder ambulante Krankenpflegeleistungen für Pflegebedürftige i. S. d. § 10 S. 3 AEntG erbringen. Keine Pflegebetriebe sind Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker oder behinderter Menschen im Vordergrund des Zwecks der Einrichtung stehen, sowie Krankenhäuser. Grundsätzlich gilt die Verordnung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Ausnahme der Auszubildenden nach dem BBiG und dem PflBG sowie der Pflegeschülerinnen und Pflegeschüler. Darüber hinaus gilt die Verordnung nicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Pflegebetriebe, die außerhalb der Pflege beschäftigt werden (§ 1 Abs. 3 PflegeArbbV). Hierzu gehören beispielsweise Arbeitnehmer in der Verwaltung, der Haustechnik, der Küche oder der Wäscherei. Im Wege einer Rückausnahme werden sie allerdings wieder in den Geltungsbereich einbezogen, wenn sie im Rahmen der von ihnen auszuübenden Tätigkeiten in einem Umfang von mindestens 25 % ihrer vereinbarten Arbeitszeit gemeinsam mit Bezieherinnen und Beziehern von Pflegeleistungen tagestrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig werden (§ 1 Abs. 4 PflegeArbbV).

73 BAnz AT v. 28.4.2020 V2.

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Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche

Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Unternehmen, die ihre Berichte vorbereiten, sollten dies nutzbar machen. (Ga)

16. Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche Am 1.5.2020 ist die Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (4. Pflegearbeitsbedingungenverordnung – 4. PflegeArbbV) in Kraft getreten73. Sie tritt am 30.4.2022 außer Kraft.

a)

Geltungsbereich

Gemäß § 1 PflegeArbbV gilt die Verordnung für Pflegebetriebe. Dies sind Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen, die überwiegend ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflegeleistungen oder ambulante Krankenpflegeleistungen für Pflegebedürftige i. S. d. § 10 S. 3 AEntG erbringen. Keine Pflegebetriebe sind Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker oder behinderter Menschen im Vordergrund des Zwecks der Einrichtung stehen, sowie Krankenhäuser. Grundsätzlich gilt die Verordnung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Ausnahme der Auszubildenden nach dem BBiG und dem PflBG sowie der Pflegeschülerinnen und Pflegeschüler. Darüber hinaus gilt die Verordnung nicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Pflegebetriebe, die außerhalb der Pflege beschäftigt werden (§ 1 Abs. 3 PflegeArbbV). Hierzu gehören beispielsweise Arbeitnehmer in der Verwaltung, der Haustechnik, der Küche oder der Wäscherei. Im Wege einer Rückausnahme werden sie allerdings wieder in den Geltungsbereich einbezogen, wenn sie im Rahmen der von ihnen auszuübenden Tätigkeiten in einem Umfang von mindestens 25 % ihrer vereinbarten Arbeitszeit gemeinsam mit Bezieherinnen und Beziehern von Pflegeleistungen tagestrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig werden (§ 1 Abs. 4 PflegeArbbV).

73 BAnz AT v. 28.4.2020 V2.

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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

b)

Festlegung von Mindestentgelten

In § 2 PflegeArbbV wird ein Mindestentgelt festgesetzt, das sich während der Laufzeit der Verordnung erhöht und die Dauer der Ausbildung und den Ort der Tätigkeit berücksichtigt. Darüber hinaus werden besondere Regelungen für Bereitschaftsdienste getroffen. Rufbereitschaft wird von der Verordnung nicht erfasst. Die Fälligkeit des Mindestentgelts bestimmt § 3 PflegeArbbV. Dabei wird ergänzend bestimmt, dass über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehende Arbeitsstunden abweichend von der grundsätzlichen Fälligkeit auf der Grundlage schriftlicher einzelvertraglicher oder kollektivrechtlicher Vereinbarungen bis zu einer Obergrenze von 225 Arbeitsstunden in ein Arbeitszeitkonto eingestellt werden können. Der Ausgleich kann dann durch Auszahlung des darauf entfallenden Mindestentgelts oder durch bezahlte Freizeitgewährung erfolgen. Weitergehende Vereinbarungen über Wertguthaben, insbesondere im Rahmen der Altersteilzeit oder nach §§ 7 b, 7 e SGB IV, bleiben hiervon unberührt. Die Ansprüche auf das Mindestentgelt verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden (§ 5 PflegeArbbV).

c)

Regelungen zu Mehrurlaub

Arbeitnehmer, die in den Geltungsbereich der PflegeArbbV fallen, haben einen Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Erholungsurlaub, der, ausgehend von einer jahresdurchschnittlichen Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage, im Kalenderjahr 2020 fünf Tage und in den Kalenderjahren 2021 und 2022 jeweils sechs Tage beträgt (Mehrurlaub). Wenn sich die regelmäßige Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt auf mehr oder weniger als fünf Tage in der Woche verteilt, erhöht oder verringert sich der Anspruch auf Mehrurlaub entsprechend (§ 4 Abs. 1 PflegeArbbV). Wichtig ist, dass der Anspruch auf Mehrurlaub nach Maßgabe von § 4 Abs. 2 PflegeArbbV nicht entsteht, soweit tarifliche, betriebliche, arbeitsvertragliche oder sonstige Regelungen insgesamt einen über den gesetzlichen Erholungsurlaub hinausgehenden Anspruch auf bezahlten Urlaub vorsehen. (Ga)

66

Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft

17. Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft Die gehäuft aufgetretenen Infektionsfälle in Betrieben der Fleischwirtschaft haben die politische Diskussion noch einmal verstärkt, ob die arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen im Bereich der Fleischwirtschaft ausreichend sind. Aus Sicht der Bundesregierung war dies in der Vergangenheit nicht der Fall, was zur Folge hatte, dass die Tarifverträge für Schlachten und Fleischverarbeitung bereits im Jahre 2014 in den Anwendungsbereich von §§ 3 ff. AEntG aufgenommen wurden. Darüber hinaus wurden ergänzende Handlungsvorgaben durch das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft oder die Leitlinie über den „Arbeitsschutz bei der Kooperation mehrerer Arbeitgeber im Rahmen von Werkverträgen“ gesetzt. Am 20.5.2020 hat das BMAS ergänzende Eckpunkte eines „Arbeitsschutzprogramms für die Fleischwirtschaft“ veröffentlicht. Darin geht es auszugsweise um folgende Maßnahmen: 1. Der Zoll und die Arbeitsschutzverwaltungen sollen, auch in Zusammenarbeit mit den Berufsgenossenschaften sowie den kommunalen Ordnungs- und Gesundheitsämtern, zeitnah die erforderlichen zusätzlichen Maßnahmen ergreifen, um die Einhaltung der Arbeits-, Infektions- und Gesundheitsschutzstandards durch die Arbeitgeber in Werkvertragsunternehmen insbesondere in der Fleischwirtschaft, in denen häufig eine Gemeinschaftsunterbringung von eigenen, überlassenen oder bei Werkvertragsunternehmen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erfolgt, sicherzustellen. (…) 2. Die Bundesregierung wird eine Novelle des ArbSchG vorlegen, um das gemeinsame Ziel besserer Kontrolle wirkungsvoll voranzubringen. (…) 3. In der aktuellen epidemischen Lage liegt es in der Verantwortung der Arbeitgeber auch bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Standards zur Vermeidung von Infektionsrisiken am Arbeitsplatz sowie bei deren Unterbringung sicherzustellen. Die Bundesregierung prüft, wie eine dauerhafte Verpflichtung der Unternehmen zur Sicherstellung von Mindeststandards in allen Fällen bei der Unterbringung sichergestellt werden kann, und zwar unabhängig davon, ob diese in eigens gestellten oder vermittelten Unterkünften erfolgt. 4. Ab dem 1.1.2021 soll das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch in Betrieben der Fleischwirtschaft i. S. d. § 6 Abs. 10 AEntG nur noch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des eigenen Be-

67

Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland

triebs zulässig sein. Damit wären Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen nicht mehr möglich. (…) Für Betriebe des Fleischerhandwerks ist eine gesonderte Betrachtung möglich. (…) 5. Die Kontrollierbarkeit der Arbeitszeitaufzeichnung wird durch die Einführung einer verpflichtenden digitalen Arbeitszeiterfassung im Rahmen des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) verbessert. 6. Der Bußgeldrahmen des ArbZG wird von 15.000 € auf 30.000 € (analog zum Bußgeldrahmen des MiLoG) verdoppelt. 7. Prüfung, ob für alle Beschäftigten der Fleischwirtschaft (auch sog. Praktikantinnen und Praktikanten) eine hinreichende Absicherung für Unfall- und Gesundheitsrisiken besteht und Schließung eventueller Sicherungslücken. (…)

Die Umsetzung dieser Eckpunkte setzt konkrete gesetzgeberische Regelungen voraus, die auf gesetzlicher Ebene oder durch Rechtsverordnung getroffen werden können. Wir werden darüber berichten. (Ga)

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B. 1.

Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit nach dem Brexit

Mehr als 40 Jahre nach Beitritt des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Gemeinschaft entschieden sich die Briten am 23.6.2016 zum Austritt aus dem europäischen Staatenverbund1. Am 29.3.2017 unterrichtete das Vereinigte Königreich den Europäischen Rat von seiner Absicht, aus der EU auszutreten, und leitete damit offiziell das Verfahren nach Art. 50 AEUV ein2. Spiegelbildlich zu den Beitrittsverhandlungen, bei denen die Anträge zunächst durch ein Veto seitens Frankreichs abgelehnt worden sind3, stellten sich die Austrittsverhandlungen nicht ganz unproblematisch dar. Im Januar 2020 stimmten das britische Parlament und das EU-Parlament dem BrexitAbkommen4 zu, mit dem das Vereinigte Königreich am 31.1.2020 aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft ausgetreten ist5. Im Anschluss an den Austritt Großbritanniens aus der EU begann die Übergangsphase, die in Art. 127 des Abkommens bis zum 31.12.2020 vorgesehen ist. In diesem Zeitraum sollen auf der Grundlage der im Oktober 2019 vereinbarten Politischen Erklärung6 die künftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union ausgehandelt werden7. Das Vereinigte Königreich werde während des Übergangszeitraums weiterhin das Unionsrecht anwenden, aber nicht mehr in den Institutionen der EU vertreten sein. Am 1.2.2020 ist darüber hinaus das Brexit-Übergangsgesetz (BrexitÜG)8 in Kraft getreten9, in dem klargestellt wird, dass das Vereinigte

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. https://www.bbc.com/news/politics/eu_referendum/results. EU-Rat v. 29.3.2017 – XT 20001/17; vgl. dazu Ulrich, GmbHR 2016, R225 f. Vgl. Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, B. Beitritt zur EU, Beitrittsverhandlungen, 1. Beitritt Irlands, Großbritanniens und Dänemarks. ABl. EU 2020, L 29, 7. EU-Parlament v. 29.1.2020. ABl. EU 2019, C 384 I, 178; EU-Rat, Revised Political Declaration v. 17.10.2019 – TF50 (2019) 65. EU-Rat und Rat der EU v. 30.1.2020. BGBl. I 2019, 402. BGBl. I 2020, 316.

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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

Königreich während der Übergangsphase von Bestimmungen des Bundesrechts, die an den Status als Mitgliedstaat anknüpfen, miterfasst wird10. Heute ist Großbritannien neben den USA und Frankreich einer der wichtigsten Handelspartner für Deutschland. Im Jahre 2019 wurden Waren im Wert von mehr als 78 Mrd. € ins Vereinigte Königreich exportiert11. Fast 80.000 deutsche Staatsbürger waren im Jahre 2018 im Vereinigten Königreich beschäftigt und umgekehrt mehr als 60.000 britische Staatsbürger in Deutschland12. Insoweit sind die arbeitsrechtlichen Folgen des Brexits von großer Bedeutung. Wir hatten darüber bereits bei früherer Gelegenheit berichtet13. Das wohl umstrittenste Thema ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie ist Bestandteil der vier Grundfreiheiten und gewährleistet in Art. 45 AEUV, dass Arbeitnehmer in jedem Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen und ausüben können14. Mit dem Ende der Übergangsphase werden sich Großbritannien und EU/EWR als Drittstaaten gegenüberstehen15. Ein grenzüberschreitender Einsatz von Arbeitnehmern wird dann nur noch unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein. Hammond16 zufolge werden Mitarbeiter aus EU-Staaten, die vorher noch nicht im Vereinigten Königreich gelebt haben und dort ab Anfang nächsten Jahres längerfristig eingesetzt werden sollen, eine Erlaubnis benötigen. Demgegenüber könnten EU-Staatsangehörige, die noch vor dem Ende der Übergangsphase im Vereinigten Königreich eintreffen, im Rahmen des EU Settlement Scheme noch den „pre-settled status“ nutzen. Unternehmen sollten überlegen, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, Mitarbeiterentsendungen in das Vereinigte Königreich ggf. noch in 2020 vorzunehmen. Zwar wolle die Regierung des Vereinigten Königreichs ein neues Einwanderungssystem einführen, das zu abweichenden Rahmenbedingungen führen dürfte, aber dies sei nur eines von vielen Vorhaben der britischen Regierung, auf die mangels weitergehender Informationen derzeit jedenfalls noch nicht aufgebaut werden kann. Darüber hinaus stellt der Brexit die Dienstleistungsfreiheit vor erhebliche Probleme. Sie gehört ebenfalls zu den europäischen Grundfreiheiten und 10 BT-Drucks. 19/7087 S. 4. 11 Statistisches Bundesamt, Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland (vorläufige Ergebnisse), 2020. 12 Statistisches Bundesamt, Brexit-Monitor, 2020. 13 B. Gaul, AktuellAR 2016, 373 ff., 2017, 45 ff. 14 HWK/Henssler, AEUV Art. 45 Rz. 1 a; Coulter/Hancké, The Political Quarterly 2016, 148, 153; Jay/Davies/Reid, Employee Relations Law Journal 2016, 69, 78; Nebeling, Handelsblatt v. 1.7.2016. 15 Vgl. Grupp, NJW 2017, 2065, 2068; Zimmer/Cox/Inhoffen, BB 2016, 1781, 1782. 16 Hammond, cms.law v. 30.1.2020.

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Richtlinie 2019/2121/EU zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU

gewährleistet in Art. 56 AEUV die vorübergehende Erbringung wirtschaftlicher Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat17. Die Politische Erklärung legt zwar fest, dass ein „umfassendes und ausgewogenes Freihandelsabkommen“ ausgehandelt werden soll18. Da allerdings der Zeitrahmen bis zum 31.12.2020 sehr knapp bemessen ist, wird man wohl davon ausgehen müssen, dass das Freihandelsabkommen schwerpunktmäßig nur den Warenverkehr abdecken wird und somit viele Bereiche, insbesondere Dienstleistungen, ungeregelt bleiben werden19. Somit würde Art. 56 AEUV im Verhältnis zum Vereinigten Königreich, das sodann als Drittstaat anzusehen sein würde, nicht mehr anwendbar sein, so dass insbesondere Entsendungen in und aus Großbritannien nicht mehr möglich sein würden20. Da sich das Vereinigte Königreich zurzeit noch in der Übergangsphase befindet, sind die Folgen des Brexits bislang nur unvollkommen absehbar. Zwar appellierten EU-Politiker wegen der aktuellen Corona-Krise an Großbritannien, den Übergangszeitraum bis maximal Ende 2022 zu verlängern, die britische Regierung schließt diese Möglichkeit allerdings aus. Mit einem harten Brexit am Ende des Jahres drohen enorme wirtschaftliche Schäden und politische Veränderungen. Einerseits würde eine vollständige Entkopplung von der EU Großbritannien die Möglichkeit eröffnen, sich völlig zu deregulieren. Der Markt würde dann darüber entscheiden, ob es Großbritannien im Anschluss daran gelingt, einen verhältnismäßig attraktiven Wirtschaftsstandort zu schaffen. Andererseits führt der Wegfall des Rechts auf freien Waren- und Dienstleistungsverkehr dazu, dass Großbritannien die Chance verliert, ohne Zölle und Genehmigungsverfahren Handel mit der EU zu führen. (Mi)

2.

Richtlinie 2019/2121/EU zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen

Seit dem 14.6.2017 regelt die Richtlinie 2017/1132/EU die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften. Mit der Richtlinie 2019/2121/EU vom 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, die bis zum 31.3.2023 in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden

17 18 19 20

Vgl. EuArbRK/Rebhahn/Krebber, AEUV Art. 56 Rz. 1. ABl. EU 2019, C 384 I, 178. Vgl. Hammond, cms.law v. 30.1.2020. Vgl. EuArbRK/Rebhahn/Krebber, AEUV Art. 56 Rz. 119.

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Richtlinie 2019/2121/EU zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU

gewährleistet in Art. 56 AEUV die vorübergehende Erbringung wirtschaftlicher Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat17. Die Politische Erklärung legt zwar fest, dass ein „umfassendes und ausgewogenes Freihandelsabkommen“ ausgehandelt werden soll18. Da allerdings der Zeitrahmen bis zum 31.12.2020 sehr knapp bemessen ist, wird man wohl davon ausgehen müssen, dass das Freihandelsabkommen schwerpunktmäßig nur den Warenverkehr abdecken wird und somit viele Bereiche, insbesondere Dienstleistungen, ungeregelt bleiben werden19. Somit würde Art. 56 AEUV im Verhältnis zum Vereinigten Königreich, das sodann als Drittstaat anzusehen sein würde, nicht mehr anwendbar sein, so dass insbesondere Entsendungen in und aus Großbritannien nicht mehr möglich sein würden20. Da sich das Vereinigte Königreich zurzeit noch in der Übergangsphase befindet, sind die Folgen des Brexits bislang nur unvollkommen absehbar. Zwar appellierten EU-Politiker wegen der aktuellen Corona-Krise an Großbritannien, den Übergangszeitraum bis maximal Ende 2022 zu verlängern, die britische Regierung schließt diese Möglichkeit allerdings aus. Mit einem harten Brexit am Ende des Jahres drohen enorme wirtschaftliche Schäden und politische Veränderungen. Einerseits würde eine vollständige Entkopplung von der EU Großbritannien die Möglichkeit eröffnen, sich völlig zu deregulieren. Der Markt würde dann darüber entscheiden, ob es Großbritannien im Anschluss daran gelingt, einen verhältnismäßig attraktiven Wirtschaftsstandort zu schaffen. Andererseits führt der Wegfall des Rechts auf freien Waren- und Dienstleistungsverkehr dazu, dass Großbritannien die Chance verliert, ohne Zölle und Genehmigungsverfahren Handel mit der EU zu führen. (Mi)

2.

Richtlinie 2019/2121/EU zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen

Seit dem 14.6.2017 regelt die Richtlinie 2017/1132/EU die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften. Mit der Richtlinie 2019/2121/EU vom 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, die bis zum 31.3.2023 in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden

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Vgl. EuArbRK/Rebhahn/Krebber, AEUV Art. 56 Rz. 1. ABl. EU 2019, C 384 I, 178. Vgl. Hammond, cms.law v. 30.1.2020. Vgl. EuArbRK/Rebhahn/Krebber, AEUV Art. 56 Rz. 119.

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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

muss21, werden die darin getroffenen Regelungen modifiziert und um Maßnahmen zur grenzüberschreitenden Spaltung und zum grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel (Umwandlung) ergänzt. Hintergrund der Neuregelung ist die Erkenntnis, dass es nur in einigen Mitgliedstaaten Regelungen zu solchen Restrukturierungen gibt. Die Rechtslage ist also zersplittert, zum Teil widersprüchlich und weist viele Lücken auf, was zur Rechtsunsicherheit führt und vor allem kleinere Unternehmen daran hindern könnte, grenzüberschreitende Umwandlungen, Spaltungen oder Verschmelzungen vorzunehmen. Damit aber würde das Recht auf Niederlassungsfreiheit, wie es der EuGH in der Entscheidung vom 25.10.201722 zuletzt noch einmal beschrieben hat, nicht zur Anwendung gebracht. Gleichzeitig sollen angemessene Regelungen zum Schutz der am stärksten betroffenen Interessenträger getroffen werden, die die Kommission mit Arbeitnehmern, Gläubigern und Gesellschaftern identifiziert hat. Zu begrüßen ist jedenfalls, dass zukünftig verstärkt auch digitale Unterrichtungswege nutzbar sein sollen, soweit Informationspflichten in Rede stehen.

a)

Anwendungsbereich der Neuregelung

Die Neuregelung betrifft Kapitalgesellschaften, die in eine grenzüberschreitende Umwandlung, eine Spaltung oder eine Verschmelzung eingebunden werden. Welche Kapitalgesellschaften dies sind, wird im Anhang II zur Richtlinie 2017/1132/EU genannt. In Deutschland sind dies die AG, KGaA und GmbH. Mit dem Begriff der grenzüberschreitenden Umwandlung wird dabei der grenzüberschreitende Rechtsformwechsel erfasst. Dabei wandelt eine Gesellschaft ohne Auflösung, Abwicklung oder Liquidation ihre Rechtsform, in der sie im Wegzugsmitgliedstaat eingetragen ist, in die Rechtsform einer Gesellschaft des Zuzugsmitgliedstaats um und verlegt mindestens ihren satzungsmäßigen Sitz unter Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit in den Zuzugsmitgliedstaat. Als umgewandelte Gesellschaft wird die im Zuzugsmitgliedstaat infolge einer grenzüberschreitenden Umwandlung neu gegründete Gesellschaft bezeichnet (Art. 86 b). Vorbehaltlich etwaiger Abweichungen gemäß Art. 160 c bezeichnet der Begriff der Spaltung nach Art. 160 b einen Vorgang, • durch den eine Gesellschaft, die eine Spaltung vornimmt, zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Pas21 ABl. EU 2019, L 321, 1. 22 EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, NJW 2017, 3639 – Polbud.

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Richtlinie 2019/2121/EU zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU

sivvermögen auf zwei oder mehr neu gegründete Gesellschaften (begünstigte Gesellschaften) gegen Gewährung von Aktien oder sonstigen Anteilen der begünstigten Gesellschaften an die Gesellschafter der Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt, und ggf. einer baren Zuzahlung überträgt; die Zuzahlung darf 10 % des Nennwerts, oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts dieser Aktien oder sonstigen Anteile nicht überschreiten (Aufspaltung), oder • durch den eine Gesellschaft, die eine Spaltung vornimmt, einen Teil ihres Aktiv- und Passivvermögens auf eine oder mehrere begünstigte Gesellschaften überträgt, und zwar gegen Gewährung von Aktien oder sonstigen Anteilen der begünstigten Gesellschaften oder der Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt, oder beiden, d. h. sowohl der begünstigten Gesellschaften als auch der Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt, an die Gesellschafter der Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt, und ggf. einer baren Zuzahlung; die Zuzahlung darf 10 % des Nennwerts, oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts dieser Aktien oder sonstigen Anteile nicht überschreiten (Abspaltung), oder • durch den eine Gesellschaft, die eine Spaltung vornimmt, einen Teil ihres Aktiv- oder Passivvermögens auf eine oder mehrere begünstigte Gesellschaften gegen Gewährung von Aktien oder sonstigen Anteilen der begünstigten Gesellschaften an die Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt, überträgt (Ausgliederung).

Eine grenzüberschreitende Verschmelzung wird bereits in Art. 119 Richtlinie 2017/1132/EG definiert. Dabei wird, vergleichbar mit den Regelungen des UmwG, die Übertragung auf bereits bestehende (übernehmende) Gesellschaften ebenso wie auf Gesellschaften erfasst, die erst durch die Umwandlung neu gegründet werden (neue Gesellschaften).

b)

Bericht für die Gesellschafter und Arbeitnehmer

Bei allen Formen der grenzüberschreitenden Restrukturierung sollen grundsätzlich Berichte für die Gesellschafter und Arbeitnehmer erstellt werden (grenzüberschreitende Umwandlung: Art. 86 e, Spaltung: Art. 160 e, Verschmelzung: Art. 124). In dem Bericht, der in einem Dokument oder in getrennten Dokumenten für Gesellschafter und Arbeitnehmer erfolgen kann, ist insbesondere Folgendes zu erläutern: • die Auswirkungen der Verschmelzung, grenzüberschreitenden Umwandlung und der Spaltung auf die Arbeitsverhältnisse sowie ggf. Maßnahmen, um diese Arbeitsverhältnisse zu sichern,

73

Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

• wesentliche Änderungen der anwendbaren Beschäftigungsbedingungen oder Standorte der Niederlassungen der Gesellschaft, • wie sich die vorgenannten Aspekte auf etwaige Tochtergesellschaften der Gesellschaft auswirken.

Der Bericht wird den Gesellschaftern und den Arbeitnehmervertretern oder – wenn es solche Vertreter nicht gibt – den Arbeitnehmern selbst in jedem Fall in elektronischer Form zusammen mit dem Plan für die Umwandlung, falls verfügbar, spätestens sechs Wochen vor dem Tag der Gesellschafterversammlung, die über die Umwandlung zu beschließen hat, zugänglich gemacht. Der Plan enthält unter anderem Angaben zu den voraussichtlichen Auswirkungen der grenzüberschreitenden Umwandlung oder Spaltung auf die Beschäftigung sowie bei allen Umwandlungen Angaben zu besonderen Vorteilen, die den Mitgliedern der Verwaltungs-, Leitungs-, Aufsichts- oder Kontrollorgane der von der Umwandlung betroffenen Gesellschaft gewährt werden. Bei der grenzüberschreitenden Umwandlung und der Spaltung sind auch Angaben für das Verfahren zu machen, nach dem gemäß Art. 86 l, 160 l die Einzelheiten für die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Festlegung ihrer Mitbestimmungsrechte in den begünstigten Gesellschaften geregelt werden (Art. 86 d, 160 d). Erhält das Verwaltungs- oder Leitungsorgan der Gesellschaft nach Maßgabe des nationalen Rechts rechtzeitig eine Stellungnahme zu den Informationen von den Arbeitnehmervertretern oder – wenn es solche Vertreter nicht gibt – den Arbeitnehmern selbst, werden die Gesellschafter hiervon in Kenntnis gesetzt und diese Stellungnahme dem Bericht als Anlage beigefügt. Ein Bericht ist nicht erforderlich, wenn die beteiligten Gesellschaften mit Ausnahme der Personen, die dem Leitungs- oder Verwaltungsorgan angehören, keine Arbeitnehmer beschäftigen. Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren, die auf der Grundlage der Richtlinien 2002/14/EG oder 2009/38/EG oder nationaler Regelungen bestehen, werden durch diesen Bericht nicht berührt.

c)

Auswirkungen auf die Unternehmensmitbestimmung

Im Mittelpunkt der weiteren Umsetzung der Richtlinie 2019/2121/EU dürften die Folgen für die Unternehmensmitbestimmung stehen. Sie ist Gegenstand eingehender Regelungen bei Umwandlung, Spaltung und Verschmelzung gleichermaßen. Grundsätzlich soll nach einer grenzüberschreitenden Umwandlung in der hervorgehenden Gesellschaft die Regelung zur Arbeitnehmermitbestimmung

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Richtlinie 2019/2121/EU zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU

Anwendung finden, die im Zuzugsmitgliedstaat gilt (Art. 86 l Abs. 1). Es wird also an den Sitz der Gesellschaft angeknüpft. Dieser Grundsatz soll jedoch nach Art. 86 l Abs. 2 keine Anwendung finden, wenn die Gesellschaft, die die Umwandlung vornimmt, in den sechs Monaten vor Veröffentlichung des in Art. 86 d genannten Plans für die grenzüberschreitende Umwandlung eine durchschnittliche Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die vier Fünftel des im Recht des Wegzugsmitgliedstaats festgelegten Schwellenwerts entspricht, der die Mitbestimmung der Arbeitnehmer i. S. d. Art. 2 lit. k Richtlinie 2001/86/EG auslöst, oder wenn das Recht des Zuzugsmitgliedstaats • nicht mindestens den gleichen Umfang an Arbeitnehmermitbestimmung vorsieht, wie er in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat, wobei dieser Umfang als der Anteil der die Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder des Verwaltungs- und Aufsichtsorgans oder ihrer Ausschüsse oder des Leitungsgremiums ausgedrückt wird, das für die Ergebniseinheiten der Gesellschaften zuständig ist, wenn eine Arbeitnehmermitbestimmung besteht, oder • für Arbeitnehmer in Betrieben der umgewandelten Gesellschaft, die sich in anderen Mitgliedstaaten befinden, nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten vorsieht, wie sie Arbeitnehmern im Zuzugsmitgliedstaat gewährt werden.

Mitbestimmung meint dabei nach Art. 2 lit. k Richtlinie 2001/86/EG die Unternehmensmitbestimmung, also die Einflussnahme des Organs zur Vertretung der Arbeitnehmer und/oder der Arbeitnehmervertreter auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft durch die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen, oder die Wahrnehmung des Rechts, die Bestellung eines Teils der oder aller Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu empfehlen und/oder abzulehnen. Konsequenz dieser Ausnahme ist, dass nach näherer Maßgabe der Richtlinie (vgl. nur Art. 86 l, 133 i. V. m. den Regelungen der Richtlinie 2001/86/EG) Verhandlungen über eine Vereinbarung über die Ausgestaltung der Unternehmensmitbestimmung geführt werden müssen, die das Niveau der Unternehmensmitbestimmung, die vor der Umwandlung gilt, grundsätzlich nicht verschlechtern darf. Das Ergebnis ist den Arbeitnehmern ohne angemessene Verzögerung mitzuteilen (vgl. Art. 86 l Abs. 8, 160 n Abs. 8). Allerdings erlaubt der Vorschlag, den Arbeitnehmeranteil durch Vereinbarung abzusenken. Lediglich dann, wenn im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan der Gesellschaft vor der Umwandlung bereits eine Arbeitnehmerbeteiligung von min75

Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

destens einem Drittel bestand, darf diese Beteiligung durch die Vereinbarung nicht unter ein Drittel abgesenkt werden (Art. 86 l Abs. 4 lit. b, 160 n Abs. 4 lit. b). Scheitern die Verhandlungen, gilt die Auffangregelung, wie sie in Teil 3 lit. a des Anhangs zur Richtlinie 2001/86/EG für die Gründung einer SE vorgesehen ist. Auch damit wäre eine Aufrechterhaltung der Unternehmensmitbestimmung verbunden. Grundsätzlich entspricht diese Ausnahme den Regelungen, wie sie für die grenzüberschreitende Verschmelzung bereits heute zur Anwendung kommen. Das gilt schlussendlich auch für den Verzicht auf die Führung von Verhandlungen, der zu einer Anwendung der Auffangregelungen führt (vgl. für die Verschmelzung Art. 133 Abs. 8). Klarstellend sieht die Richtlinie sogar vor, dass Arbeitnehmer, die in anderen Mitgliedstaaten beschäftigt werden, bei der Berechnung von Schwellenwerten nach Maßgabe der nationalen Bestimmungen selbst dann nicht berücksichtigt werden müssen, wenn sie nach der Umwandlung auf der Grundlage einer Beteiligungsvereinbarung bei der Umsetzung der Mitbestimmung berücksichtigt werden (vgl. Art. 86 l Abs. 5, 160 n Abs. 5). Diese Regelungsmöglichkeit hatte der EuGH in seinem Urteil vom 18.7.201723, über das wir berichtet haben24, bestätigt. Es gibt aber drei bemerkenswerte Ausnahmen: • Zum einen kommt der Grundsatz nach den vorstehenden Regelungen bereits dann nicht (mehr) zur Anwendung und macht Verhandlungen über eine Mitbestimmung in der hervorgehenden Gesellschaft erforderlich, wenn in der Gesellschaft vor der Umwandlung zwar keine Unternehmensmitbestimmung galt, aber die dafür bestehenden Schwellenwerte in den letzten sechs Monaten vor der Erstellung der maßgeblichen Verträge um nicht mehr als ein Fünftel unterschritten wurden. Bei der paritätischen Mitbestimmung wären das 1.600 Arbeitnehmer, bei der Drittelbeteiligung 400 Arbeitnehmer. Abweichend von der in Deutschland maßgeblichen Betrachtungsweise, die über den Begriff der „in der Regel“ Beschäftigten auch eine zukunftsbezogene Entwicklung berücksichtigt, wären dabei nur die letzten sechs Monate maßgeblich. Das bewirkt, dass vorübergehende Beschäftigungszahlen eine Pflicht zu Verhandlungen auslösen, ohne dass damit schlussendlich eine Pflicht zur Einführung einer Unternehmensmitbestimmung besteht. Denn auch bei einem Scheitern der Verhandlungen ist nur ein Zustand zu erhalten, der ohne die Umwandlung gelten würde. Unter Berücksichtigung der aktuellen Diskussion zur Umwandlung in eine SE, über 23 EuGH v. 18.7.2017 – C-566/15, NZA 2017, 1000 – Erzberger. 24 B. Gaul, AktuellAR 2017, 539 ff.

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Richtlinie 2019/2121/EU zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU

die wir an anderer Stelle berichten25, wird man dabei im Zweifel an den Soll-Zustand anknüpfen müssen. • Zum anderen besteht für den Fall eines Rechtsformwechsels durch Umwandlung und die grenzüberschreitende Spaltung die Verpflichtung, eine Rechtsform zu wählen, die eine solche Unternehmensmitbestimmung erlaubt (vgl. Art. 86 l Abs. 6, 160 n Abs. 6). Damit schränkt die Richtlinie die Rechtsformfreiheit nicht unerheblich ein, schließt aber weiterhin eine Umwandlung deutscher Gesellschaften in eine Rechtsform nicht aus, die ohne einen grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel durchgeführt wird und zur Folge hat, dass die gesetzlichen Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung nicht (mehr) zur Anwendung kommen. Beispielhaft sei nur die Umwandlung einer GmbH oder AG in eine KG genannt, bei der der Komplementär durch eine ausländische Kapitalgesellschaft gebildet wird (z. B. SA & Co. KG, GmbH (Österreich) & Co. KG, AG (Luxemburg) & Co. KG). Denn die Umwandlung hat in diesen Fällen keinen grenzüberschreitenden Charakter. Die ausländische Kapitalgesellschaft tritt als Komplementär ein. Sie ist von der Umwandlung selbst nicht betroffen. • Ergänzend hierzu wird die umgewandelte Gesellschaft, wenn für sie ein System der Unternehmensmitbestimmung maßgeblich ist, durch Art. 86 l Abs. 7 (grenzüberschreitende Umwandlung), Art. 133 Abs. 7 (Verschmelzung) und Art. 160 n Abs. 6 (Spaltung) verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, dass die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer bei einem nachfolgenden Formwechsel, einer Verschmelzung oder Spaltung – unabhängig davon, ob es sich um grenzüberschreitende oder innerstaatliche Vorhaben handelt – innerhalb von vier Jahren nach dem Wirksamwerden der Umwandlung durchgeführt und durch eine entsprechende Anwendung der Art. 86 l Abs. 1 bis 6, 133 Abs. 1 bis 6, 160 n Abs. 1 bis 6 geschützt werden. Damit wird eine Aufrechterhaltung der Mitbestimmung geschaffen, wie sie für die Spaltung nach § 123 UmwG bereits in § 325 UmwG vorgesehen ist. Problematisch ist aber, dass die Richtlinie keine weitergehenden Voraussetzungen nennt, also rechtsformunabhängig ist und ohne Rücksicht auf das Erreichen etwaiger Schwellenwerte zu einer Fortführung der Unternehmensmitbestimmung verpflichtet. Das überzeugt nicht und erscheint auch unverhältnismäßig, geht also über das Ziel hinaus, (nur) einen angemessenen Schutz der Arbeitnehmer bei solchen Veränderungsprozessen zu gewährleisten. 25 B. Gaul, AktuellAR 2020, 300 ff.

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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

Klarstellend bestimmt Art. 86 l Abs. 5, dass die Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf in anderen Mitgliedstaaten beschäftigte Arbeitnehmer der umgewandelten Gesellschaft die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, diese Arbeitnehmer bei den Schwellenwerten für die Beschäftigtenzahl zu berücksichtigen, bei deren Überschreitung Mitbestimmungsrechte nach nationalem Recht entstehen. Das entspricht der Bewertung durch den EuGH im Urteil vom 18.7.201726.

d)

Keine Änderung sonstiger Richtlinien

Veränderungen der Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten (Richtlinie 2009/38/EG), der Massenentlassungsrichtlinie (Richtlinie 98/59/EG), der Betriebsübergangsrichtlinie (Richtlinie 2001/23/EG) und der Richtlinie zur Unterrichtung und Anhörung (Richtlinie 2002/14/EG) sind damit nicht verbunden. Vielmehr müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Rechte der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Beratung in Bezug auf die grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgänge beachtet und im Einklang mit dem Rechtsrahmen der anderen Richtlinien ausgeübt werden. Unbeschadet von Art. 86 e Abs. 7, 86 g Abs. 1 lit. b, 160 e Abs. 7, 160 g Abs. 1 lit. b stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Rechte der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung mindestens vor einer Entscheidung über den Plan oder Bericht in einer Weise geachtet werden, dass den Arbeitnehmern vor einer Entscheidung der Anteilsinhaber eine begründete Antwort gegeben werden kann (Art. 86 k Abs. 2, 160 k Abs. 2). Die Art und Weise, wie die Unterrichtung und Anhörung zu erfolgen hat, ist durch die Mitgliedstaaten entsprechend der Richtlinie 2002/14/EG zu bestimmen (Art. 86 k Abs. 3, 160 k Abs. 3).

e)

Fazit

Das Ziel, durch eine Überarbeitung und Ergänzung der Richtlinie 2017/1132/EU einen einheitlichen Rahmen für grenzüberschreitende Formwechsel, Verschmelzungen und Spaltungen zu schaffen, ist zu begrüßen. Der Rechtsrahmen auf europäischer Ebene ist lückenhaft und bewirkt Rechtsunsicherheit, die derzeit nur der EuGH auflösen kann. Es überzeugt allerdings nicht, wenn durch Unionsrecht Verhandlungen über eine Unternehmensmitbestimmung vorgeschrieben werden, obwohl die dafür auf nationaler Ebene geltenden Schwellenwerte noch nicht erreicht sind. Das kostet Zeit und schafft eine Erwartung, die sich in vielen Fällen nicht erfüllen dürfte. Denn Umsetzungspflichten bestehen nicht. Ungeachtet dessen bleibt den betroffe26 EuGH v. 18.7.2017 – C-566/15, NZA 2017, 1000 – Erzberger.

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Veröffentlichung der Richtlinie 2019/1937/EU (Whistleblower-Richtlinie)

nen Unternehmen weiterhin die Möglichkeit, Verpflichtungen zu einer Fortschreibung der Unternehmensmitbestimmung insbesondere im Zusammenhang mit einer Akquisition vor allem dadurch zu vermeiden, dass nur die Geschäftsanteile erworben werden und auf grenzüberschreitende Umwandlungen verzichtet wird. (Ga)

3.

Veröffentlichung der Richtlinie 2019/1937/EU (Whistleblower-Richtlinie)

Am 26.11.2019 ist die Richtlinie 2019/1937/EU vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblower-Richtlinie), im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden27. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 17.12.2021 nachzukommen. Eine Übergangsregelung besteht für juristische Personen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern. Hier genügt es, wenn die Mitgliedstaaten bis zum 17.12.2023 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um der Verpflichtung zur Einrichtung interner Meldekanäle gemäß Art. 8 Abs. 1, 3 Richtlinie 2019/1937/EU nachzukommen (Art. 26 Abs. 1, 2 Richtlinie 2019/1937/EU). Grundsätzlich betrifft die Umsetzung der Richtlinie nur die Meldung von Verstößen gegen das Unionsrecht, wie es in Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 2019/1937/EU genannt wird. Die Richtlinie lässt allerdings die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, den Schutz nach nationalem Recht in Bezug auf Bereiche oder Rechtsakte auszudehnen, die an sich nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Es ist zu erwarten, dass Deutschland von dieser Befugnis Gebrauch macht. Einzelheiten zur WhistleblowerRichtlinie und den Konsequenzen ihrer Umsetzung hatten wir bereits bei früherer Gelegenheit behandelt28. (Ga)

27 ABl. EU 2019, L 305, 17. 28 B. Gaul, AktuellAR 2018, 286 ff., 2019, 53 ff.

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Veröffentlichung der Richtlinie 2019/1937/EU (Whistleblower-Richtlinie)

nen Unternehmen weiterhin die Möglichkeit, Verpflichtungen zu einer Fortschreibung der Unternehmensmitbestimmung insbesondere im Zusammenhang mit einer Akquisition vor allem dadurch zu vermeiden, dass nur die Geschäftsanteile erworben werden und auf grenzüberschreitende Umwandlungen verzichtet wird. (Ga)

3.

Veröffentlichung der Richtlinie 2019/1937/EU (Whistleblower-Richtlinie)

Am 26.11.2019 ist die Richtlinie 2019/1937/EU vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblower-Richtlinie), im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden27. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 17.12.2021 nachzukommen. Eine Übergangsregelung besteht für juristische Personen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern. Hier genügt es, wenn die Mitgliedstaaten bis zum 17.12.2023 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um der Verpflichtung zur Einrichtung interner Meldekanäle gemäß Art. 8 Abs. 1, 3 Richtlinie 2019/1937/EU nachzukommen (Art. 26 Abs. 1, 2 Richtlinie 2019/1937/EU). Grundsätzlich betrifft die Umsetzung der Richtlinie nur die Meldung von Verstößen gegen das Unionsrecht, wie es in Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 2019/1937/EU genannt wird. Die Richtlinie lässt allerdings die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, den Schutz nach nationalem Recht in Bezug auf Bereiche oder Rechtsakte auszudehnen, die an sich nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Es ist zu erwarten, dass Deutschland von dieser Befugnis Gebrauch macht. Einzelheiten zur WhistleblowerRichtlinie und den Konsequenzen ihrer Umsetzung hatten wir bereits bei früherer Gelegenheit behandelt28. (Ga)

27 ABl. EU 2019, L 305, 17. 28 B. Gaul, AktuellAR 2018, 286 ff., 2019, 53 ff.

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C. Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag 1.

Arbeitsrechtliche Kennzeichnung von Freelancern und Interim-Managern

Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir uns eingehend mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen bei der Beschäftigung von Fremdpersonal ein Arbeitsvertrag oder ein Dienst- bzw. Werkvertrag vorliegt1. Ob die Beschäftigten in diesem Zusammenhang als (freie) Mitarbeiter, Freelancer, Interim-Manager, Solo-Selbständige oder Arbeitnehmer bezeichnet werden, spielt keine Rolle. Soweit es um die zivilrechtliche Kennzeichnung geht, sind vor allem die durch das BAG entwickelten Kriterien einer Eingliederung in die betrieblichen Abläufe maßgeblich, bei denen auf die Ausübung einer weisungsgebundenen Tätigkeit abgestellt wird2. Diese Kriterien beanspruchen auch nach dem Inkrafttreten von § 611 a BGB weiterhin Geltung3, auch wenn sozialversicherungsrechtlich vielfach davon abweichende Kriterien berücksichtigt werden4. Die Frage, ob ein „Freelancer“ im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit als freier Mitarbeiter tätig wird oder ob doch ein Arbeitsverhältnis vorliegt, bedarf stets einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung, bei der eine Vielzahl von Kriterien zu berücksichtigen ist. Dass ein „Freelancer“ die gleichen Aufgaben wie ein Arbeitnehmer des Unternehmens wahrnimmt oder dass er nach seinem Eintritt in die Altersrente erneut/weiterhin mit Aufgaben betraut wird, die er zuvor schon während des Bestehens seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt hat, mag auf den ersten Blick zwar für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprechen. Diese Gesichtspunkte verlieren jedoch an Gewicht, wenn die übrigen Rahmenbedingungen der Tätigkeit im Vergleich zu den Arbeitnehmern des Unternehmens andere sind bzw. sich diese nach dem Eintritt in die Altersrente ändern. Insofern kommt es bei der Bewertung nicht darauf an, wie die Tätigkeiten anderer Mitarbeiter ausgestaltet sind. Unerheblich ist auch, wie die frühere Beschäftigung als Arbeitnehmer strukturiert war. Entscheidend ist, auf welcher Rechtsgrundlage und in welcher Art und Weise der „Freelancer“ jetzt seine Tätigkeiten für das Unternehmen

1 2

3 4

Vgl. B. Gaul/Kaule, AktuellAR 2016, 321 ff., 2017, 1 ff., 59 ff. Vgl. BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, NZA 2020, 61 Rz. 19 f.; BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 Rz. 24; BAG v. 13.5.2014 – 1 ABR 50/12, NZA 2014, 1149 Rz. 18; HWK/Thüsing, BGB § 611 a Rz. 47. BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, NZA 2020, 61 Rz. 19 f. Vgl. BSG v. 25.4.2012 – B 12 KR 24/10 R n. v. (Rz. 16 m. w. N.).

81

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

erbringt. Ob andere Mitarbeiter mit vergleichbarer Arbeitsaufgabe als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind oder ob der „Freelancer“ zuvor selbst als Arbeitnehmer beschäftigt war, ist bei einer arbeitsrechtlichen Betrachtungsweise nicht entscheidend. Auch bei diesen Vergleichsmöglichkeiten kommt eine selbständige Tätigkeit in Betracht, wenn der „Freelancer“ seine Tätigkeiten nicht (mehr) weisungsgebunden ausübt und nicht (mehr) in den Betrieb eingegliedert ist5. Auch wenn die sozialgerichtliche Rechtsprechung diesen Gesichtspunkt als Indiz für eine unselbständige Beschäftigung berücksichtigt6, hat die Art und Weise eines früheren Einsatzes für die arbeitsrechtliche Bewertung der aktuellen Einsatzform nach der BAGRechtsprechung keine Bedeutung. Es bleibt jedoch dabei, dass zwingend eine einzelfallbezogene Gesamtwürdigung vorzunehmen ist. Bei der Abgrenzung zwischen einem Arbeitsverhältnis und der selbständigen Tätigkeit berücksichtigen die Arbeitsgerichte, Sozialversicherungsträger und Sozialgerichte bei der Beurteilung im Rahmen einer Gesamtwürdigung insbesondere folgende Kriterien: • geschlossene Verträge (Titel und Inhalt), • Bestimmungsrecht über Zeit und Ort der Tätigkeit, Vorgaben für die Lage und/oder die Dauer der Arbeitszeit, Anforderung durch das Einsatzunternehmen für Tätigkeiten im Betrieb sowie Erteilung von Weisungen zur Tätigkeit an anderen Orten, • inhaltliche Gestaltungsfreiheit für die Durchführung der geschuldeten Tätigkeiten durch Freiheit von späteren Weisungen des Einsatzunternehmens sowie die Bindung an unternehmensinterne Richtlinien, • Eingliederung in den Betrieb durch die Wahrnehmung von Weisungsrechten gegenüber Arbeitnehmern des Einsatzunternehmens sowie durch Einfügung in die typischen Arbeitsabläufe des Betriebs zur Wahrnehmung von Daueraufgaben, • räumliche und technische Einbindung in die betrieblichen Arbeitsabläufe durch die Stellung von Räumlichkeiten, dienstlicher E-MailAdressen, Mobiltelefon, Telefonanschluss, Visitenkarten und die Überlassung von sonstigen Arbeitsmitteln, • Haftungsregelung bei Gewährleistungsfällen, • Regelungen zu Fehlzeiten insbesondere durch Urlaub oder Krankheit sowie etwaige Regelungen zur Entgeltfortzahlung, 5 6

82

BSG v. 28.9.2011 – B 12 R 17/09 R n. v. (Rz. 16). Vgl. BSG v. 25.4.2012 – B 12 KR 24/10 R n. v. (Rz. 16).

Arbeitsrechtliche Kennzeichnung von Freelancern und Interim-Managern

• Vorliegen eines abgrenzbaren Projektauftrags, der Qualität und Quantität der geschuldeten Dienst- oder Werkleistung erkennen lässt, ohne dass die einzelnen Arbeitsschritte und -ergebnisse bereits kleinteilig vorgegeben sind, • Vergütungsregelung (Bezahlung für Zeiteinheiten oder für Arbeitsergebnisse), • Regelungen über die Möglichkeit des Einsatzes weiterer Personen als Vertreter oder Erfüllungsgehilfen, • wirtschaftliche Betrachtungsweise hinsichtlich des unternehmerischen Risikos der eingesetzten Person, z. B. Anzahl weiterer Auftraggeber, Umsatzanteil mit dem Einsatzunternehmen, Dauer des Einsatzes, tatsächliche Beschäftigung eigener Arbeitnehmer (auch im Rahmen des in Rede stehenden Einsatzes), Marktauftritt mit eigener Homepage und eigenem Betrieb einschließlich entsprechender Räumlichkeiten sowie Auftritt als selbständiger Unternehmer, z. B. durch die Anmeldung eines eigenen Gewerbes, Vorhalten eigener Betriebsmittel, Kapitaleinsatz, Unterhaltung einer Betriebshaftpflichtversicherung, nachweislich aktives Werben um andere Kunden als das Einsatzunternehmen.

Wichtig ist, dass die vorstehenden Kriterien zwar fast ausnahmslos Verwendung finden, wenn die sozialversicherungsrechtliche Kennzeichnung in Rede steht. Hier werden auch wirtschaftliche und unternehmerische Kriterien als Indizien berücksichtigt, die arbeitsrechtlich entweder irrelevant oder jedenfalls nur ambivalent sind, also nur in Verbindung mit weiteren Merkmalen für oder gegen ein Arbeitsverhältnis, eine arbeitnehmerähnliche Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit sprechen. Hiervon abweichend verlangt die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung auf der Grundlage der nunmehr auch in § 611 a Abs. 1 BGB niedergelegten Grundsätze für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses vor allem, dass durch das Einsatzunternehmen Weisungen in Bezug auf Art, Ort und Zeit der Tätigkeit der jeweils in Rede stehenden Person erfolgen, die nicht bereits durch die Natur der geschuldeten Dienst- oder Werkleistung bestimmt werden. Diese müssen eine Eingliederung in die betrieblichen Abläufe zur Folge haben. Außerdem wird geprüft, ob die in Rede stehende Person nur bezahlt wird, wenn das Werk bzw. die Dienstleistung in der geschuldeten Quantität oder Qualität erbracht wurde, was dazu führt, dass etwaige Mängel beseitigt werden müssen (Indiz für Werk- oder Dienstleistungsvertrag), oder ob bereits das Bemühen um diesen Erfolg einen Zahlungsanspruch zur Folge hat (Indiz für Arbeitsverhältnis). Vergleichbare Grundsätze hat die Rechtspre83

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

chung zum Begriff der Eingliederung bei Einstellungen nach § 99 BetrVG7 und der Kennzeichnung der Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 AÜG entwickelt8. Hiervon ausgehend sind Vorgaben zur Arbeitszeit, zum Arbeitsort und zur Tätigkeit dann aus arbeitsrechtlicher Sicht weniger gewichtig, wenn sie bereits durch die Natur einer Dienst- oder Werkleistung vorgegeben sind. Insofern handelt es sich um ambivalente Merkmale, die nicht zwingend für oder gegen eine selbständige Tätigkeit oder die Begründung eines Arbeitsverhältnisses sprechen. Hierzu gehören z. B. • die Aufforderung zur Erbringung der Tätigkeit in den Räumlichkeiten des Auftraggebers, wenn die Dienst- oder Werkleistung aufgrund ihrer Eigenart nur dort verrichtet werden kann, • die Aufforderung zur Einhaltung der Betriebsöffnungszeiten, wenn die Dienst- oder Werkleistung ihrer Natur nach in Räumlichkeiten des Auftraggebers erfolgen muss und/oder Schnittstellen zu Arbeitnehmern des Auftraggebers bestehen, die zur Vorbereitung der Arbeit oder zur Verwendung der Arbeitsergebnisse genutzt werden sollen oder • die Aufforderung zu bestimmten Tätigkeiten als Konkretisierung werkvertraglicher Erfolgsvorgaben (vgl. § 645 Abs. 1 BGB), wenn sich diese mittelbar aus der Festlegung einer bestimmten Qualität oder Quantität oder aber dem Zeitpunkt ihrer Fertigstellung ergeben.

Wenig relevant ist aus arbeitsrechtlicher Sicht, wenn Betriebsmittel des Auftraggebers verwendet werden, sofern die Arbeit mit diesen Betriebsmitteln durch den Unternehmer in Bezug auf Art, Ort und Zeit frei bestimmt wird, sofern nicht die Natur der vereinbarten Dienst- oder Werkleistung zu bestimmten Einschränkungen zwingt. Unerheblich ist aus arbeitsrechtlicher Sicht auch, ob die in Rede stehende Arbeit zuvor durch Arbeitnehmer des Auftraggebers verrichtet wurde. Wichtig ist nur, dass die Art der Steuerung verändert wurde, wenn der Auftrag auf der Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrags abgewickelt werden soll. Kein entscheidendes Abgrenzungskriterium ist auch, ob die vereinbarte Dienst- oder Werkleistung durch einen Dritten unter Einbeziehung von Personal erbracht wird, das durch den Auftraggeber gestellt und auf dem Ge7

8

84

Vgl. BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, NZA 2020, 61 Rz. 19; BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 Rz. 29; HWK/Ricken, BetrVG § 99 Rz. 17 f.; Greiner, RdA 2014, 262, 265. Vgl. BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 62/12, NZA 2017, 662 Rz. 30 ff.; Gaul/Hahne, BB 2016, 58, 59.

Arbeitsrechtliche Kennzeichnung von Freelancern und Interim-Managern

lände des Auftraggebers eingesetzt wird. Entscheidend bleibt auch insoweit, dass gewährleistet ist, dass der Unternehmer selbst in Bezug auf Art, Ort und Zeit seiner eigenen Tätigkeit grundsätzlich frei ist. Unerheblich ist auch, ob die Bezahlung auf der Basis der tatsächlich geleisteten Stunden oder als monatliche Pauschale erfolgt. Entscheidend ist, ob der Zahlungsanspruch ohne Rücksicht auf die Qualität oder Quantität der geleisteten Arbeit entsteht (Indiz für Arbeitsverhältnis) oder ob bei Fehlzeiten oder Mängeln Nachleistungs- bzw. Nachbesserungsansprüche bestehen, bevor eine Vergütung erfolgt (Indiz für Werk- oder Dienstleistungsvertrag). Ob und inwieweit eine Beschäftigung im Einzelfall als eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit qualifiziert werden kann, hängt von den individuellen Gegebenheiten ab. Ausgangspunkt für die Bewertung dürfte allerdings zunächst einmal die Bezeichnung und der Inhalt des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrags sein. Denn die Bezeichnung des Vertrags und seine Regelungen bringen zum Ausdruck, welche Rechtsnatur die Vereinbarung und welchen Inhalt die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Parteien haben sollten. Wenn der Vertrag und die tatsächliche Durchführung einander widersprechen, setzt sich aber die tatsächliche Handhabung gegen den Vertrag durch. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Vertrages ist darauf zu achten, dass – wenn ein Arbeitsverhältnis vermieden werden soll – insbesondere Weisungen gegenüber dem „Freelancer“ in Bezug auf Arbeitszeit, Arbeitsort und Inhalt der Tätigkeit unterlassen werden. Solche Vorgaben sind auf die abstrakt-generelle Kennzeichnung des geschuldeten Werks bzw. der Dienstleistung zu beschränken; dies schließt spätere Weisungen allerdings nicht gänzlich aus, wie auch § 645 BGB zeigt. Daraus folgt zugleich, dass der richtigen Vertragsgestaltung mit „Freelancern“ große Bedeutung zukommt. Zudem ist im Rahmen eines Compliance-Prozesses sicherzustellen, dass die vertraglich vorgesehenen Regelungen auch tatsächlich – und dokumentiert – umgesetzt werden. Vollständig wird man das Risiko einer fehlerhaften Einschätzung allerdings wohl nicht ausschließen können. Das folgt bereits aus dem Umstand, dass sich auch im Arbeitsverhältnis der Umfang der Weisungen nach der Eigenart der geschuldeten Arbeit bestimmt. Je höher ein Arbeitnehmer in der Betriebshierarchie eingesetzt wird und je stärker der Gestaltungsspielraum aufgrund der individuellen Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen für die geschuldete Aufgabe ist, desto geringer ist der Umfang der tätigkeitsbezogenen Weisungen. Das zeigt auch § 611 a Abs. 1 S. 4 BGB. Danach hängt der Grad der persönlichen Abhängigkeit eines Arbeitnehmers auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab, was die Nähe zu einem als Dienst- oder 85

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

Werkunternehmer beschäftigten Dritten deutlich macht. Letztlich muss jeder Fall eines beabsichtigten Einsatzes eines „Freelancers“ vorab anhand obiger Kriterien kritisch beurteilt werden, falls die Begründung eines Arbeitsverhältnisses vermieden werden soll. (Ga/Ro)

2.

Vorbeschäftigung bei sachgrundloser Befristung

Die nach der Rechtsprechung des BVerfG9 gebotene verfassungskonforme Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG, wonach eine vom Gesetzgeber nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG erlaubte sachgrundlose Befristung bis zur Dauer von zwei Jahren nur unter der Prämisse zulässig ist, dass mit demselben Arbeitgeber zuvor kein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat, war Gegenstand einer weiteren Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 12.6.201910. Bekanntlich hat das BVerfG11 ein Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung eines Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber dann für unzumutbar und damit verfassungswidrig erachtet, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Dies kann nach Ansicht des BVerfG12 etwa bei geringfügigen Nebenbeschäftigungen während der Schul-, Studien- oder Familienzeit, bei Werkstudierenden und studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen ihrer Berufsqualifizierung oder bei einer erzwungenen oder freiwilligen Unterbrechung der Erwerbsbiographie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergeht, der Fall sein13. Da das BVerfG davon abgesehen hat, die sehr allgemein gehaltenen Kriterien der Unzumutbarkeit näher zu konkretisieren, muss die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift anhand des jeweiligen Einzelfalls vonstattengehen14. Soweit es um die Zeitkomponente „sehr lange zurückliegt“ geht, liegen mehrere Entscheidungen des BAG15 vor, die vereinfacht zum Aus9 BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 Rz. 62 ff. 10 BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 429/17, NZA 2019, 1563; ausf. dazu bereits Boewer, AktuellAR 2019, 377 ff. 11 BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 Rz. 62 ff. 12 BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 Rz. 63. 13 BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 429/17, NZA 2019, 1563 Rz. 19. 14 BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 429/17, NZA 2019, 1563 Rz. 23; BAG v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700 Rz. 24. 15 BAG v. 21.8.2019 – 7 AZR 452/17, NZA 2020, 40 Rz. 24: 22 Jahre; BAG v. 17.4.2019 – 7 AZR 324/17 n. v. (Rz. 19): knapp 5,5 Jahre; BAG v. 17.4.2019 – 7 AZR 323/17, NZA 2019, 1271 Rz. 24: ca. 15 Jahre; BAG v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700 Rz. 26: 8 Jahre.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

Werkunternehmer beschäftigten Dritten deutlich macht. Letztlich muss jeder Fall eines beabsichtigten Einsatzes eines „Freelancers“ vorab anhand obiger Kriterien kritisch beurteilt werden, falls die Begründung eines Arbeitsverhältnisses vermieden werden soll. (Ga/Ro)

2.

Vorbeschäftigung bei sachgrundloser Befristung

Die nach der Rechtsprechung des BVerfG9 gebotene verfassungskonforme Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG, wonach eine vom Gesetzgeber nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG erlaubte sachgrundlose Befristung bis zur Dauer von zwei Jahren nur unter der Prämisse zulässig ist, dass mit demselben Arbeitgeber zuvor kein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat, war Gegenstand einer weiteren Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 12.6.201910. Bekanntlich hat das BVerfG11 ein Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung eines Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber dann für unzumutbar und damit verfassungswidrig erachtet, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Dies kann nach Ansicht des BVerfG12 etwa bei geringfügigen Nebenbeschäftigungen während der Schul-, Studien- oder Familienzeit, bei Werkstudierenden und studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen ihrer Berufsqualifizierung oder bei einer erzwungenen oder freiwilligen Unterbrechung der Erwerbsbiographie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergeht, der Fall sein13. Da das BVerfG davon abgesehen hat, die sehr allgemein gehaltenen Kriterien der Unzumutbarkeit näher zu konkretisieren, muss die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift anhand des jeweiligen Einzelfalls vonstattengehen14. Soweit es um die Zeitkomponente „sehr lange zurückliegt“ geht, liegen mehrere Entscheidungen des BAG15 vor, die vereinfacht zum Aus9 BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 Rz. 62 ff. 10 BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 429/17, NZA 2019, 1563; ausf. dazu bereits Boewer, AktuellAR 2019, 377 ff. 11 BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 Rz. 62 ff. 12 BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 Rz. 63. 13 BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 429/17, NZA 2019, 1563 Rz. 19. 14 BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 429/17, NZA 2019, 1563 Rz. 23; BAG v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700 Rz. 24. 15 BAG v. 21.8.2019 – 7 AZR 452/17, NZA 2020, 40 Rz. 24: 22 Jahre; BAG v. 17.4.2019 – 7 AZR 324/17 n. v. (Rz. 19): knapp 5,5 Jahre; BAG v. 17.4.2019 – 7 AZR 323/17, NZA 2019, 1271 Rz. 24: ca. 15 Jahre; BAG v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700 Rz. 26: 8 Jahre.

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Vorbeschäftigung bei sachgrundloser Befristung

druck bringen, dass bei einem 40 Jahre währenden typischen Erwerbsleben zwischen den sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen von jeweils zweijähriger Dauer mit demselben Arbeitgeber eine zeitliche Unterbrechung von mindestens 20 Jahren liegen muss, um eine Kettenbefristung auszuschließen und dem sozialpolitischen Anliegen zu genügen, den unbefristeten Arbeitsvertrag zum Prototyp des Arbeitsverhältnisses zu befördern. Das BAG16 führt hierzu aus, dass eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, wenn sie vor nahezu 22 Jahren stattgefunden hat. Bei einer solchen Zeitspanne bestünde keine Gefahr der Kettenbefristung. Zugleich werde der mit der Regelung in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG verfolgte Zweck, das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten, nicht gefährdet. Bei einer derartigen Zeitspanne käme eine dritte Einstellung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber mit einem sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag nach Ablauf weiterer 22 Jahre typischerweise nicht in Betracht. In diesem Zusammenhang verweist das BAG auf die ebenfalls den Bestandsschutz betreffende Regelung des § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB, nach der die längste Kündigungsfrist nach einer Dauer von 20 Jahren eingreift. In der Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 12.6.201917 ging es um die weitere vom BVerfG zugelassene Alternative einer verfassungskonformen Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG, wonach als Vorbeschäftigung eine nur geringfügige Nebenbeschäftigung während der Schul-, Studien oder Ausbildungszeit zu beurteilen war. Im Streitfall war der Kläger im Alter von 19 Jahren auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags in der Zeit vom 26.7.2004 bis zum 4.9.2004 als Ferienbeschäftigter gegen einen Monatslohn von 1.688,05 € (brutto) bei der Beklagten beschäftigt, bevor er ca. neun Jahre später erneut auf der Grundlage eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags vom 19.8.2013 ab dem 1.9.2013 für die Beklagte als Montierer, zunächst bis zum 28.2.2014 und zuletzt durch Verlängerungsvertrag vom 30.1.2015 bis zum 31.8.2015, tätig wurde. Mit seiner gegen den letzten Verlängerungsvertrag gerichteten und rechtzeitig erhobenen Entfristungsklage wollte er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.8.2015 verhindern. Nach Abweisung der Klage durch das ArbG Stuttgart18 hat ihr das LAG Baden-Württemberg19 entsprochen und dabei ausschließlich auf die nur ca. neun Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung abgestellt. Das BAG hat auf

16 BAG v. 21.8.2019 – 7 AZR 452/17, NZA 2020, 40 Rz. 24. 17 BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 429/17, NZA 2019, 1563; vgl. dazu Fink, DB 2020, 232; Fuhlrott, NZA-RR 2020, 54; Spielberger, NJW 2020, 22. 18 ArbG Stuttgart v. 17.11.2016 – 6 Ca 5914/15 n. v. 19 LAG Baden-Württemberg v. 18.8.2017 – 8 Sa 21/17 n. v.

87

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

die Revision der Beklagten die Sache unter Aufhebung der Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Unabhängig davon, dass bei aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen grundsätzlich nur der letzte Arbeitsvertrag der Befristungskontrolle unterliegt20, kam es für die Frage der Zulässigkeit der sachgrundlosen Befristung und damit für das Anwendungsverbot aus § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG auf den Ausgangsvertrag vom 19.8.2013 an. Denn nur auf diesen Vertrag konnte die höchstens dreimalige Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Vertrags zurückgeführt werden. Im Lichte seiner bisherigen Rechtsprechung konstatiert das BAG zunächst, dass eine neun Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung für sich allein betrachtet noch nicht als „sehr lange zurückliegend“ qualifiziert werden kann, um im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG als Erstbeschäftigung angesehen werden zu können. Damit hat es nach Ansicht des BAG jedoch nicht sein Bewenden. Vielmehr war die weitere Prüfung geboten, ob möglicherweise für eine zulässige erneute Anwendung von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG trotz der Vorbeschäftigung in verfassungskonformer Einschränkung von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG die vom BVerfG angeführte Alternative einer geringfügigen Nebenbeschäftigung während der Schul-, Studien- oder Ausbildungszeit des Klägers in Betracht zu ziehen war. Dieser Prüfungsansatz drängte sich deshalb auf, weil der Kläger zum Zeitpunkt der nur sechs Wochen andauernden Vorbeschäftigung erst 19 Jahre alt war und deshalb Einiges dafür sprach, dass sie von untergeordneter Bedeutung und nicht auf eine längerfristige Sicherung des Lebensunterhalts angelegt war. Zur näheren Konkretisierung der Zeitgeringfügigkeit (kurze Dauer) greift das BAG auf § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV zurück, der in der Fassung vom 23.12.2002 durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Art. 2)21 im Hinblick auf die Zeitgeringfügigkeit eine geringfügige Beschäftigung im Jahre 2004 annahm, wenn die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400 € im Monat übersteigt. Diese Zeitgeringfügigkeit war im Streitfall insoweit erfüllt, als die Vorbeschäftigung des Klägers bei der Beklagten mit sechs Wochen die Zeitgrenze 20 BAG v. 23.5.2018 – 7 AZR 875/16, NZA 2018, 1399 Rz. 15. 21 BGBl. I 2002, 4621.

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Befristungen bei Neuregelungen im Konzern

des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV von zwei Monaten oder 50 Arbeitstagen nicht ausgeschöpft hatte. Zweifelhaft konnte lediglich sein, ob die Vorbeschäftigung berufsmäßig ausgeübt worden war. Insoweit geht das BAG von den Grundsätzen aus, die das BSG22 zur näheren Kennzeichnung der Berufsmäßigkeit aufgestellt hat. Eine Beschäftigung oder Tätigkeit wird danach dann berufsmäßig ausgeübt i. S. v. § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV, wenn sie für den Beschäftigten nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist und er damit seinen Lebensunterhalt überwiegend oder doch in einem solchen Umfang bestreitet, dass seine wirtschaftliche Situation zu einem erheblichen Teil auf dieser Beschäftigung beruht. Wäre in diesem Sinne von einer Berufsmäßigkeit auszugehen, spräche nach Ansicht des BAG Vieles dafür, die Vorbeschäftigung vorliegend im Rahmen des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG zu berücksichtigen, da die Nichtberücksichtigung den Zweck, das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten, gefährden könnte. Da das LAG hierzu keinerlei Feststellungen getroffen hatte, war die Zurückverweisung der Sache angezeigt, um den Parteien Gelegenheit zu geben, weiteren Sachvortrag zu diesen Fragen zu leisten. Auch diese Entscheidung des BAG signalisiert der betrieblichen Praxis, dass bei der Vorbeschäftigung eines Arbeitnehmers, die nicht länger als 20 Jahre zurückliegt, die Vereinbarung einer sachgrundlosen Befristung bei einer erneuten Einstellung mit hohen Risiken verbunden ist, selbst wenn der Arbeitnehmer die vorangegangene Tätigkeit nur vorübergehend ausgeübt hat. Da das BAG die Zeitgeringfügigkeit durch die Berufsmäßigkeit einer geringfügigen Beschäftigung i. S. v. § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV entwertet, wird für die Praxis ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor geschaffen. Der Ruf nach dem Gesetzgeber ist daher mehr als berechtigt, was auch im beschäftigungspolitischen Interesse Sinn ergibt. (Boe)

3.

Befristungen bei Neuregelungen im Konzern

In § 14 Abs. 2 a S. 1 TzBfG erlaubt der Gesetzgeber für Existenzgründer in den ersten vier Jahren nach der Gründung eines Unternehmens die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von vier Jahren. Ist der befristete Arbeitsvertrag zunächst für eine kürzere Dauer geschlossen, kann er – auch mehrfach – bis zu dieser Gesamtdauer von vier Jahren kalendermäßig befristet verlängert werden. Solange das Unternehmen noch nicht älter als vier Jahre seit dem Zeitpunkt der Aufnahme der Erwerbstätigkeit ist, kann es von der Möglich-

22 BSG v. 14.3.2018 – B 12 KR 17/16 R n. v. (Rz. 12).

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Befristungen bei Neuregelungen im Konzern

des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV von zwei Monaten oder 50 Arbeitstagen nicht ausgeschöpft hatte. Zweifelhaft konnte lediglich sein, ob die Vorbeschäftigung berufsmäßig ausgeübt worden war. Insoweit geht das BAG von den Grundsätzen aus, die das BSG22 zur näheren Kennzeichnung der Berufsmäßigkeit aufgestellt hat. Eine Beschäftigung oder Tätigkeit wird danach dann berufsmäßig ausgeübt i. S. v. § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV, wenn sie für den Beschäftigten nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist und er damit seinen Lebensunterhalt überwiegend oder doch in einem solchen Umfang bestreitet, dass seine wirtschaftliche Situation zu einem erheblichen Teil auf dieser Beschäftigung beruht. Wäre in diesem Sinne von einer Berufsmäßigkeit auszugehen, spräche nach Ansicht des BAG Vieles dafür, die Vorbeschäftigung vorliegend im Rahmen des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG zu berücksichtigen, da die Nichtberücksichtigung den Zweck, das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten, gefährden könnte. Da das LAG hierzu keinerlei Feststellungen getroffen hatte, war die Zurückverweisung der Sache angezeigt, um den Parteien Gelegenheit zu geben, weiteren Sachvortrag zu diesen Fragen zu leisten. Auch diese Entscheidung des BAG signalisiert der betrieblichen Praxis, dass bei der Vorbeschäftigung eines Arbeitnehmers, die nicht länger als 20 Jahre zurückliegt, die Vereinbarung einer sachgrundlosen Befristung bei einer erneuten Einstellung mit hohen Risiken verbunden ist, selbst wenn der Arbeitnehmer die vorangegangene Tätigkeit nur vorübergehend ausgeübt hat. Da das BAG die Zeitgeringfügigkeit durch die Berufsmäßigkeit einer geringfügigen Beschäftigung i. S. v. § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV entwertet, wird für die Praxis ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor geschaffen. Der Ruf nach dem Gesetzgeber ist daher mehr als berechtigt, was auch im beschäftigungspolitischen Interesse Sinn ergibt. (Boe)

3.

Befristungen bei Neuregelungen im Konzern

In § 14 Abs. 2 a S. 1 TzBfG erlaubt der Gesetzgeber für Existenzgründer in den ersten vier Jahren nach der Gründung eines Unternehmens die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von vier Jahren. Ist der befristete Arbeitsvertrag zunächst für eine kürzere Dauer geschlossen, kann er – auch mehrfach – bis zu dieser Gesamtdauer von vier Jahren kalendermäßig befristet verlängert werden. Solange das Unternehmen noch nicht älter als vier Jahre seit dem Zeitpunkt der Aufnahme der Erwerbstätigkeit ist, kann es von der Möglich-

22 BSG v. 14.3.2018 – B 12 KR 17/16 R n. v. (Rz. 12).

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

keit des § 14 Abs. 2 a S. 1 TzBfG Gebrauch machen23. Nach § 14 Abs. 2 a S. 3 TzBfG ist für den Zeitpunkt der Gründung des Unternehmens die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die nach § 138 AO der Gemeinde oder dem Finanzamt mitzuteilen ist, maßgebend. Gemeint ist damit der Zeitpunkt der tatsächlichen Aufnahme der anzeigepflichtigen Tätigkeit. Die Erleichterung befristeter Einstellungen für Existenzgründer, die entsprechend der Regelung zur Befreiung von neu gegründeten Unternehmen von der Sozialplanpflicht nach § 112 a Abs. 2 BetrVG nachgebildet worden ist24, erfährt allerdings zwei Einschränkungen: Zum einen gilt die Privilegierung gemäß § 14 Abs. 2 a S. 2 TzBfG nicht für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen. Des Weiteren findet nach S. 4 dieser Vorschrift auf die Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 a S. 1 TzBfG die Regelung des Abs. 2 S. 2 Anwendung, wonach ein Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung eines Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber besteht. Die Erleichterung für Existenzgründer, in den ersten vier Jahren nach Unternehmensgründung befristete Arbeitsverträge ohne sachlichen Befristungsgrund bis zur Dauer von vier Jahren abschließen zu dürfen, ist durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.200325 mit Wirkung ab dem 1.1.2004 in das TzBfG eingeführt worden. Dabei hat sich der Gesetzgeber von dem Gedanken leiten lassen, dass für Existenzgründer der wirtschaftliche Erfolg besonders ungewiss und für sie kaum abschätzbar ist, wie sich das Unternehmen entwickeln und wie hoch der Personalbedarf sein wird26. Dabei werden, der Regelung des § 14 Abs. 2 TzBfG entsprechend, nur kalendermäßig befristete Arbeitsverträge erfasst, nicht jedoch zweckbefristete und auflösend bedingte Arbeitsverträge. Die mehrfach mögliche Befristungsverlängerung bis zur vierjährigen Höchstdauer orientiert sich an der Vorschrift des § 14 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 TzBfG, so dass die dazu vorhandene Rechtsprechung des BAG27 herangezogen werden kann. Da nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG die Befristung ohne Sachgrund nicht zulässig ist, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat (Anschlussverbot), ist die sachgrundlose Be-

23 24 25 26 27

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BT-Drucks. 15/1204 S. 14. BT-Drucks. 15/1204 S. 10, 14. BGBl. I 2003, 3002. BT-Drucks. 15/1204 S. 10. Vgl. nur BAG v. 20.2.2008 – 7 AZR 786/06, NZA 2008, 883 Rz. 9; BAG v. 18.1.2006 – 7 AZR 178/05, NZA 2006, 605 Rz. 10; BAG v. 19.10.2005 – 7 AZR 31/05, NZA 2006, 154 Rz. 15; anders jedoch im Falle der Verkürzung der Laufzeit: BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 49/15, NZA 2017, 634 Rz. 26.

Befristungen bei Neuregelungen im Konzern

fristungsmöglichkeit nach § 14 Abs. 2 a S. 1 TzBfG auf Neueinstellungen beschränkt, weil von vornherein eine Zuvorbeschäftigung bei einem Existenzgründer ausscheidet. In der Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 12.6.201928 ging es im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 14 Abs. 2 a S. 2 TzBfG um die Beurteilung der erweiterten Befristungsmöglichkeit bei einer neu gegründeten Tochtergesellschaft einer Konzernmuttergesellschaft, ohne dass damit die Änderung der rechtlichen Struktur schon bestehender anderer Unternehmen verbunden worden war. Bei der Beklagten handelte es sich um ein Unternehmen, das seine Geschäftstätigkeit am 1.9.2011 aufnahm, um an dem Ort der Tätigkeit einen neuen Möbelverkaufsstandort einer Unternehmensgruppe zu erschließen. Zuvor sind Unternehmen des Konzerns, dem auch die Beklagte angehörte, länger als vier Jahre im Bereich des Handels mit Möbeln marktaktiv gewesen, ohne jedoch am Standort der Beklagten vertreten zu sein. Die Beklagte machte von der Möglichkeit einer gemeinsamen Bilanz von Mutter- und Tochtergesellschaft nach § 264 Abs. 3 HGB Gebrauch. Die Klägerin war zunächst in der Zeit vom 26.3.2013 bis zum 31.3.2014 bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte befristet beschäftigt. Dieser Vertrag wurde zweimal verlängert, zuletzt aufgrund einer Vereinbarung vom 19.3.2015 bis zum 31.7.2015. Mit ihrer am 21.8.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 27.8.2015 zugestellten Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Befristung zum 31.7.2015 geltend gemacht und sich vor allem darauf berufen, dass die Neugründung der Beklagten im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung des Konzerns erfolgt sei, wovon ausgegangen werden müsse, wenn ein vom Konzern bereits verfolgtes unternehmerisches Engagement mit einer erweiterten Zielsetzung in einer neu gegründeten Gesellschaft fortgeführt werde. Das BAG ist dem LAG29 gefolgt, das die Entfristungsklage der Klägerin im Gegensatz zum ArbG30 als unbegründet abgewiesen hat. Zunächst geht das BAG davon aus, dass die im Anstellungsvertrag vom 19.3.2015 vereinbarte Befristung zum 31.7.2015 die Voraussetzungen von § 14 Abs. 2 a S. 1 TzBfG erfüllt, weil die am 24.6.2011 in das Handelsregister eingetragene Beklagte am 1.9.2011 ihre tatsächliche Erwerbstätigkeit aufgenommen hat und der erste befristete Arbeitsvertrag der Parteien zum 26.3.2013 innerhalb der ersten vier Jahre nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit abgeschlossen und

28 BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 317/17, NZA 2019, 1568. 29 LAG Bremen v. 11.5.2017 – 2 Sa 159/16 n. v. 30 ArbG Bremen-Bremerhaven v. 7.9.2016 – 7 Ca 7207/15 n. v.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

anschließend mehrfach verlängert worden ist, ohne dass die zulässige Gesamtdauer von vier Jahren überschritten wurde. Angesichts dessen kam es entscheidungserheblich darauf an, ob die erweiterte Befristungsmöglichkeit daran scheiterte, dass es sich bei der Beklagten um eine Neugründung im Zusammenhang mit einer rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen gehandelt hat. Da nach der Gesetzesbegründung zur Einführung von § 14 Abs. 2 a TzBfG durch Art. 2 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt31 hinsichtlich des Begriffs des neu gegründeten Unternehmens ausdrücklich auf die Vorschrift in § 112 a Abs. 2 BetrVG verwiesen wird, wonach die Ausnahme neu gegründeter Unternehmen von der Sozialplanpflicht nicht für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen gilt, bezieht sich das BAG insoweit auf die Gesetzesbegründung32 zu § 112 a Abs. 2 BetrVG. Beispielhaft wird darin die Verschmelzung von Unternehmen auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Umwandlung auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Auflösung eines Unternehmens und Übertragung seines Vermögens auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Aufspaltung eines Unternehmens auf mehrere neu gegründete Unternehmen oder die Abspaltung von Unternehmensteilen auf neu gegründete Tochtergesellschaften als rechtliche Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen angesprochen. Diese – wenn auch nur beispielhaft – zu § 112 a Abs. 2 S. 2 BetrVG getroffenen Aussagen überträgt das BAG auch auf den Ausschluss der erweiterten Befristungsmöglichkeit nach § 14 Abs. 2 a S. 2 TzBfG, weil beide Vorschriften gleichermaßen darauf angelegt sind, Erleichterungen in der Aufbauphase eines neu gegründeten Unternehmens zu gewähren. Dabei weist das BAG darauf hin, dass eine rechtliche Umstrukturierung von Unternehmen in diesem Sinne nicht voraussetzt, dass schon bestehende Unternehmen in ihrer rechtlichen Struktur geändert werden, wie gerade die Abspaltung von bestehenden Unternehmensteilen auf neu gegründete Tochtergesellschaften verdeutlicht33. Es geht nach Ansicht des BAG vielmehr darum, dass bestehende unternehmerische Aktivitäten innerhalb von rechtlichen Strukturen wahrgenommen werden, die sich von den bisher bestehenden unterscheiden34. Mit dieser Begründung hat das BAG35 eine Neugründung im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung 31 32 33 34

BT-Drucks. 15/1204 S. 14. BT-Drucks. 10/2102 S. 28 zum Entwurf eines BeschFG 1985. Vgl. dazu BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 21/94, NZA 1995, 699 Rz. 24. BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 21/94, NZA 1995, 699 Rz. 24; Loritz, NZA 1993, 1108; Willemsen, DB 1990, 1405. 35 BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 21/94, NZA 1995, 699 Rz. 28.

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Befristungen bei Neuregelungen im Konzern

von Unternehmen angenommen, wenn der Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer KG eine neue GmbH gründet und diese von der KG deren Betrieb übernimmt. Da es in dem zur Entscheidung gestellten Streitfall nicht darum ging, auf ein neu gegründetes Unternehmen bereits vorhandene unternehmerische Aktivitäten aus anderen Unternehmen zu übertragen und fortzuführen, sondern vielmehr darum, im Konzern noch nicht wahrgenommene neue wirtschaftliche Aktivitäten zu verfolgen, hat das BAG eine nach § 14 Abs. 2 a S. 1 TzBfG privilegierte Neugründung der Beklagten angenommen, die berechtigterweise von der erleichterten Befristungsmöglichkeit Gebrauch machen durfte. Wenn auch der Gesetzgeber die Befristungserleichterungen in der Aufbauphase eines neu gegründeten Unternehmens bereitstellen wollte, um der besonderen Ungewissheit der wirtschaftlichen Situation von Existenzgründern Rechnung zu tragen, so ist diese Intention des Gesetzgebers nach Auffassung des BAG nicht nur auf eine Existenzgründung „aus dem Nichts heraus“ zu beziehen, sondern – mangels anderweitiger Regelung des Gesetzes – auch auf Existenzneugründungen zu übertragen, die, wie im Streitfall, in eine bereits vorhandene Konzernstruktur eingebunden sind. Wie bei einer konzernunabhängigen Neugründung hat die Beklagte keinerlei in einem anderen Konzernunternehmen bereits vorhandene unternehmerische Aktivitäten übernommen oder fortgesetzt, sondern ist gegründet worden, um in einer noch nicht besetzten Region mit neu geschaffenen Arbeitsplätzen erstmals mit der Geschäftstätigkeit des Möbelhandels präsent zu sein. Aufgrund dieser tatsächlichen Umstände hat das BAG die für privilegierte Neugründungen typischerweise vorhandenen Unsicherheiten über den wirtschaftlichen Erfolg und den damit verbundenen Personalbedarf als gegeben erachtet. In diesem Zusammenhang sieht es das BAG zu Recht als irrelevant an, ob und in welchem Umfang die Muttergesellschaft anlässlich der Gründung der Beklagten Vermögen auf diese übertragen hat, weil bei jeder Neugründung eines Unternehmens notwendigerweise eine materielle Ausstattung erforderlich ist. Das BAG hat auch abgelehnt, wegen der mit der Einbeziehung der Beklagten in den Konzernabschluss der Muttergesellschaft nach § 264 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 HGB verbundenen Einstandspflicht der Muttergesellschaft für die von dem Tochterunternehmen bis zum Abschlussstichtag eingegangenen Verpflichtungen im folgenden Geschäftsjahr den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 a TzBfG zu beschränken. Einer entsprechenden teleologischen Reduktion des § 14 Abs. 2 a TzBfG hält das BAG entgegen, dass die Anwendung dieser Vorschrift kein „eigenes“ wirtschaftliches Risiko des neu gegründeten Unternehmens voraussetzt, das unternehmerische Risiko des Er93

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

folgs eines neu gegründeten Unternehmens aber unabhängig davon bestehen bleibt, ob etwaige Verluste dieses Unternehmens (Jahresfehlbeträge) wie nach § 302 AktG durch eine entsprechende Einstandspflicht der Muttergesellschaft ausgeglichen werden müssen36. Dieser Bewertung ist uneingeschränkt beizupflichten, weil die für § 14 Abs. 2 a TzBfG maßgebende Einschätzung von Risiken völlig unabhängig davon ist, ob das neu gegründete Unternehmen mit einer das Verlustrisiko einkalkulierenden wirtschaftlichen Ausstattung antritt oder nicht oder dieses die Möglichkeit hat, einen Verlustausgleich bei der Muttergesellschaft – etwa einem Beherrschungs- oder einem Gewinnabführungsvertrag entsprechend – in Anspruch nehmen zu können. Für die betriebliche Praxis hat diese Entscheidung des BAG allein deswegen eine besonders klarstellende Bedeutung, weil sie näher konkretisiert, unter welchen Prämissen eine Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen von einer Neugründung abzugrenzen ist, bei der die erleichterten Befristungsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden können. (Boe)

4.

Missbräuchlicher Einsatz von Kettenbefristungen im öffentlichen Dienst

Insbesondere im Anschluss an die Entscheidung des EuGH vom 26.1.201237 hatten wir wiederholt über die Rechtsmissbrauchskontrolle bei einer mehrfachen Befristung von Arbeitsverhältnissen berichtet38. Ausgangspunkt war dabei die Feststellung des EuGH, nach der das Vorliegen eines sachlichen Grundes einen Missbrauch der Berechtigung zum Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags zwar grundsätzlich ausschließt. Etwas anderes kann sich allerdings dann ergeben, wenn eine umfassende Prüfung der mit der Verlängerung der betreffenden befristeten Arbeitsverträge verbundenen Umstände erkennbar macht, dass ein nicht nur vorübergehender Bedarf an den vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungen besteht. Daran anknüpfend hatte das BAG im Urteil vom 26.10.201639 zwar Grundsätze entwickelt, nach denen auch beim Vorliegen eines sachlichen Grundes ein institutioneller (objektiver) Rechtsmissbrauch erkennbar gemacht werden kann. Danach soll zunächst einmal kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle bestehen, wenn nicht die Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverträge oder die Anzahl 36 Vgl. dazu auch BT-Drucks. 18/4050 S. 57 f. zum Entwurf des BilanzrichtlinieUmsetzungsgesetzes (BilRUG). 37 EuGH v. 26.1.2012 – C-586/10, NZA 2012, 135 – Kücük. 38 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2012, 316 ff., 2016, 64 ff., 413 ff., 2017, 99 ff. 39 BAG v. 26.10.2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382 Rz. 23 .

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

folgs eines neu gegründeten Unternehmens aber unabhängig davon bestehen bleibt, ob etwaige Verluste dieses Unternehmens (Jahresfehlbeträge) wie nach § 302 AktG durch eine entsprechende Einstandspflicht der Muttergesellschaft ausgeglichen werden müssen36. Dieser Bewertung ist uneingeschränkt beizupflichten, weil die für § 14 Abs. 2 a TzBfG maßgebende Einschätzung von Risiken völlig unabhängig davon ist, ob das neu gegründete Unternehmen mit einer das Verlustrisiko einkalkulierenden wirtschaftlichen Ausstattung antritt oder nicht oder dieses die Möglichkeit hat, einen Verlustausgleich bei der Muttergesellschaft – etwa einem Beherrschungs- oder einem Gewinnabführungsvertrag entsprechend – in Anspruch nehmen zu können. Für die betriebliche Praxis hat diese Entscheidung des BAG allein deswegen eine besonders klarstellende Bedeutung, weil sie näher konkretisiert, unter welchen Prämissen eine Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen von einer Neugründung abzugrenzen ist, bei der die erleichterten Befristungsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden können. (Boe)

4.

Missbräuchlicher Einsatz von Kettenbefristungen im öffentlichen Dienst

Insbesondere im Anschluss an die Entscheidung des EuGH vom 26.1.201237 hatten wir wiederholt über die Rechtsmissbrauchskontrolle bei einer mehrfachen Befristung von Arbeitsverhältnissen berichtet38. Ausgangspunkt war dabei die Feststellung des EuGH, nach der das Vorliegen eines sachlichen Grundes einen Missbrauch der Berechtigung zum Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags zwar grundsätzlich ausschließt. Etwas anderes kann sich allerdings dann ergeben, wenn eine umfassende Prüfung der mit der Verlängerung der betreffenden befristeten Arbeitsverträge verbundenen Umstände erkennbar macht, dass ein nicht nur vorübergehender Bedarf an den vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungen besteht. Daran anknüpfend hatte das BAG im Urteil vom 26.10.201639 zwar Grundsätze entwickelt, nach denen auch beim Vorliegen eines sachlichen Grundes ein institutioneller (objektiver) Rechtsmissbrauch erkennbar gemacht werden kann. Danach soll zunächst einmal kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle bestehen, wenn nicht die Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverträge oder die Anzahl 36 Vgl. dazu auch BT-Drucks. 18/4050 S. 57 f. zum Entwurf des BilanzrichtlinieUmsetzungsgesetzes (BilRUG). 37 EuGH v. 26.1.2012 – C-586/10, NZA 2012, 135 – Kücük. 38 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2012, 316 ff., 2016, 64 ff., 413 ff., 2017, 99 ff. 39 BAG v. 26.10.2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382 Rz. 23 .

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Missbräuchlicher Einsatz von Kettenbefristungen im öffentlichen Dienst

der Verlängerungen mindestens das Vierfache der bei sachgrundloser Befristung zulässigen Gesamtdauer bzw. zulässigen Anzahl an Verlängerungen (mindestens 8 Jahre oder 12 Verlängerungen) übersteigt oder wenn nicht die Gesamtdauer und die Anzahl der Verlängerungen mindestens das Dreifache der für die sachgrundlose Befristung zulässigen Höchstdauer bzw. maximalen Anzahl an Verlängerungen (mindestens 6 Jahre und 9 Verlängerungen) erreicht. Wenn der Arbeitnehmer gleichwohl einen Rechtsmissbrauch für gegeben hält, müssen seinerseits weitergehende Anhaltspunkte dargelegt und ggf. bewiesen werden. Umgekehrt wird allerdings durch das BAG ein Indiz für Rechtsmissbrauch angenommen, wenn die Gesamtdauer oder die Anzahl der Verlängerungen mindestens das Fünffache der für die sachgrundlose Befristung vorgesehenen Höchstdauer bzw. der Anzahl der Verlängerungen (mindestens 10 Jahre oder 15 Verlängerungen) erreicht oder wenn die Gesamtdauer und die Anzahl der Verlängerungen mindestens das Vierfache der für die sachgrundlose Befristung zulässigen Gesamtdauer bzw. der dort zulässigen Verlängerungen (mindestens 8 Jahre und 12 Verlängerungen) erreicht. In diesen Fällen obliegt es dem Arbeitgeber, Gründe zur Rechtfertigung der Vertragsgestaltung vorzutragen, die einen Rechtsmissbrauch ausschließen. In diesem Zusammenhang ist jetzt auf das Urteil des EuGH vom 19.3.202040 hinzuweisen. In dieser Entscheidung hat sich der EuGH im Rahmen mehrerer Vorabentscheidungsersuchen noch einmal eingehend mit der Frage befasst, wann von einem missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge im öffentlichen Dienst zur Deckung des ständigen Personalbedarfs ausgegangen werden kann und welche Rechtsfolgen sich daraus auf nationaler Ebene ergeben können. Der Tenor seiner Entscheidung lässt sich wie folgt zusammenfassen: 1. § 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner einen Sachverhalt, in dem ein Arbeitnehmer, der auf Grundlage eines befristeten Arbeitsverhältnisses – d. h. bis zur endgültigen Besetzung der freien Stelle, die er innehat – tätig ist, im Rahmen mehrerer Einstellungen über mehrere Jahre hinweg ununterbrochen dieselbe Stelle innehatte sowie konstant und kontinuierlich dieselben Aufgaben erfüllte, wobei er dauerhaft auf dieser Stelle blieb, weil der Arbeitgeber seiner gesetzlichen Verpflichtung, fristgerecht ein Auswahlverfahren zur endgültigen Besetzung

40 EuGH v. 19.3.2020 – C-103/18, C-429/18 n. v. – Sánchez Ruiz.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

der freien Stelle durchzuführen, nicht nachkam und das Arbeitsverhältnis daher von Jahr zu Jahr implizit verlängert wurde, nicht vom Begriff „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse“ im Sinne dieser Bestimmung ausnehmen dürfen. 2. § 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften und einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach die aufeinanderfolgende Verlängerung befristeter Arbeitsverhältnisse allein deswegen als durch „sachliche Gründe“ i. S. v. § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt angesehen wird, weil sie den in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Gründen für die Einstellung (Erforderlichkeit, Dringlichkeit oder Durchführung von Programmen zeitlich begrenzter, konjunktureller oder außerordentlicher Art) genügt, soweit die nationalen Rechtsvorschriften und die nationale Rechtsprechung den betreffenden Arbeitgeber nicht daran hindern, in der Praxis mit solchen Verlängerungen einen ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf zu decken. 3. § 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG ist dahin auszulegen, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, im Einklang mit allen anwendbaren Regeln seines nationalen Rechts zu beurteilen, ob die Durchführung von Auswahlverfahren zur endgültigen Besetzung der Stellen, auf denen sich vorübergehend befristet beschäftigte Arbeitnehmer befinden, die Umwandlung des Status dieser Arbeitnehmer in „unbefristet, nicht permanent beschäftigtes Personal“ und die Gewährung einer Entschädigung an die Arbeitnehmer in gleicher Höhe wie bei missbräuchlicher Kündigung, zur Verhinderung und ggf. zur Ahndung von Missbräuchen durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse geeignete Maßnahmen oder gleichwertige gesetzliche Maßnahmen im Sinne dieser Bestimmung darstellen. 4. §§ 2, 3 Nr. 1, 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG sind dahin auszulegen, dass bei missbräuchlichem Rückgriff eines öffentlichen Arbeitgebers auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse der Umstand, dass der betreffende Beschäftigte der Eingehung und/oder Verlängerung solcher Arbeitsverhältnisse zugestimmt hat, nicht geeignet ist, dem Verhalten des Arbeitgebers aus diesem Blickwinkel jeden missbräuchlichen Charakter zu nehmen, mit der Folge, dass die Rahmenvereinbarung auf den Fall dieses Arbeitnehmers nicht anwendbar wäre.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

5. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem öffentlichen Arbeitgeber anhängig ist, nicht dazu verpflichtet, eine nationale Regelung, die nicht mit § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG im Einklang steht, unangewendet zu lassen.

Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass der EuGH in den Gründen seiner Entscheidung nicht nur deutlich gemacht hat, dass die nationalen Gerichte bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der jeweils maßgeblichen Richtlinie auslegen müssen, um das darin festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen. Diese Auslegung werde allerdings durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot begrenzt. Die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, dürfte deshalb auch nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen41. Darüber hinaus weist der EuGH darauf hin, dass eine Bestimmung des Unionsrechts, die – wie § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung – nicht unbedingt und hinreichend genau sei, von einem Einzelnen vor einem nationalen Gericht nicht in Anspruch genommen werden könne. Des Weiteren könne eine Bestimmung des Unionsrechts, die keine unmittelbare Wirkung habe, auch nicht als solche im Rahmen eines dem Unionsrecht unterliegenden Rechtsstreits geltend gemacht werden, um die Anwendung einer ihr entgegenstehenden Bestimmung des nationalen Rechts auszuschließen42. (Ga)

5.

Aktuelle Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

Ausschlussfristen, die nach Ablauf des in ihnen bezeichneten Zeitraums einen Anspruch oder ein Recht beseitigen und zum Erlöschen bringen, gehören nicht nur zum Repertoire nahezu sämtlicher Tarifverträge; sie sind gleichermaßen in zahlreichen Arbeitsverträgen anzutreffen. Sie können dabei zweistufig ausfallen und neben der rechtzeitigen Geltendmachung gegenüber dem Vertragspartner innerhalb einer weiteren Mindestfrist die gerichtliche Geltendmachung vorsehen. Sie dienen der Rechtssicherheit und 41 EuGH v. 19.3.2020 – C-103/18, C-429/18 n. v. (Rz. 122 f.) – Sánchez Ruiz. 42 EuGH v. 19.3.2020 – C-103/18, C-429/18 n. v. (Rz. 118 f.) – Sánchez Ruiz.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

5. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem öffentlichen Arbeitgeber anhängig ist, nicht dazu verpflichtet, eine nationale Regelung, die nicht mit § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG im Einklang steht, unangewendet zu lassen.

Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass der EuGH in den Gründen seiner Entscheidung nicht nur deutlich gemacht hat, dass die nationalen Gerichte bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der jeweils maßgeblichen Richtlinie auslegen müssen, um das darin festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen. Diese Auslegung werde allerdings durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot begrenzt. Die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, dürfte deshalb auch nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen41. Darüber hinaus weist der EuGH darauf hin, dass eine Bestimmung des Unionsrechts, die – wie § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung – nicht unbedingt und hinreichend genau sei, von einem Einzelnen vor einem nationalen Gericht nicht in Anspruch genommen werden könne. Des Weiteren könne eine Bestimmung des Unionsrechts, die keine unmittelbare Wirkung habe, auch nicht als solche im Rahmen eines dem Unionsrecht unterliegenden Rechtsstreits geltend gemacht werden, um die Anwendung einer ihr entgegenstehenden Bestimmung des nationalen Rechts auszuschließen42. (Ga)

5.

Aktuelle Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

Ausschlussfristen, die nach Ablauf des in ihnen bezeichneten Zeitraums einen Anspruch oder ein Recht beseitigen und zum Erlöschen bringen, gehören nicht nur zum Repertoire nahezu sämtlicher Tarifverträge; sie sind gleichermaßen in zahlreichen Arbeitsverträgen anzutreffen. Sie können dabei zweistufig ausfallen und neben der rechtzeitigen Geltendmachung gegenüber dem Vertragspartner innerhalb einer weiteren Mindestfrist die gerichtliche Geltendmachung vorsehen. Sie dienen der Rechtssicherheit und 41 EuGH v. 19.3.2020 – C-103/18, C-429/18 n. v. (Rz. 122 f.) – Sánchez Ruiz. 42 EuGH v. 19.3.2020 – C-103/18, C-429/18 n. v. (Rz. 118 f.) – Sánchez Ruiz.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

der Rechtsklarheit. Der Anspruchsgegner soll sich auf die aus der Sicht des Anspruchstellers noch offenen Ansprüche rechtzeitig einstellen, Beweise sichern und ggf. Rücklagen bilden können43. Seit dem 1.1.200344 unterliegen vertragliche Ausschlussfristen als AGB der Wirksamkeitskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Als solche ist eine vertragliche Ausschlussfrist nicht i. S. v. § 305 c Abs. 1 BGB überraschend, weil ihre Vereinbarung einer weit verbreiteten Übung im Arbeitsleben entspricht45. Da vertragliche Ausschlussfristen eine vom gesetzlichen Verjährungsrecht abweichende Regelung darstellen (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB), müssen sie sich eine uneingeschränkte Wirksamkeitskontrolle nach § 307 Abs. 1, 2 BGB sowie nach §§ 308, 309 BGB gefallen lassen46. Während der Ablauf der Ausschlussfrist rechtsvernichtende Wirkung hat und von Amts wegen zu berücksichtigen ist, gibt die Verjährung dem Schuldner eine Einrede und hindert damit die Durchsetzung der rechtlich fortbestehenden Forderung (§ 214 BGB). Die Ausschlussfristenregelung darf danach gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben nicht unangemessen benachteiligen, wovon etwa auszugehen ist, wenn sie in beiden Stufen eine Geltendmachung unterhalb eines Zeitraums von mindestens drei Monaten nach Fälligkeit verlangt47. Darüber hinaus kann die Ausschlussfristenregelung wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB i. V. m. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB rechtsunwirksam sein, wenn aus ihr nicht ausreichend klar und verständlich ersichtlich ist, welche Rechtsfolgen der Vertragspartner des Verwenders zu gewärtigen hat und was er tun muss, um deren Eintritt zu verhindern. Eine Klausel, die aufgrund ihrer missverständlichen Formulierung geeignet ist, den Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abzuhalten, ist intransparent und benachteiligt ihn entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen48. Zur Unwirksamkeit einer vertraglichen Ausschlussfrist führen auch die Klauselverbote des § 309 Nr. 7 43 BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 44/19, NZA 2020, 586 Rz. 18; BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 578/15, NZA 2017, 528 Rz. 26. 44 Die Übergangsfrist des Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB ist am 31.12.2002 abgelaufen; BAG v. 23.8.2017 – 10 AZR 376/16, NZA 2017, 1595 Rz. 13. 45 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 20; BAG v. 27.1.2016 – 5 AZR 277/14, NZA 2016, 679 Rz. 19. 46 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 22. 47 BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 44/19, NZA 2020, 586 Rz. 21; BAG v. 14.6.2016 – 9 AZR 181/15, NZA-RR 2016, 565 Rz. 31; BAG v. 27.1.2016 – 5 AZR 277/14, NZA 2016, 679 Rz. 21; BAG v. 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, NZA 2006, 149 Rz. 34, 36. 48 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 42; BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 35 m. w. N.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

BGB. Die vielfach in Ausschlussfristen anzutreffende Regelung, wonach die schriftliche Geltendmachung aller Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vorgesehen wird, kann gemäß § 309 Nr. 13 b BGB für ein Schuldverhältnis, das nach dem 30.9.2016 entstanden ist, nicht mehr wirksam vereinbart werden (Art. 229 § 37 EGBGB), weil keine strengere Form als die Textform vorgesehen werden darf. Darüber hinaus kann sich aus dem Gesetz selbst ergeben, dass eine Vereinbarung, die den daraus herleitbaren Anspruch oder seine Geltendmachung ausschließt, insoweit unwirksam ist, wie dies etwa § 3 S. 1 MiLoG vorsieht oder bei tarifvertraglichen Ansprüchen (§ 4 Abs. 4 S. 3 TVG) oder Ansprüchen aus einer Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG) der Fall sein kann. Erfasst eine vertragliche Ausschlussfrist nach ihrem Wortlaut uneingeschränkt auch derartige Ansprüche, bedarf es der Prüfung, ob zusätzlich die Regeln der AGB-Kontrolle mit der Rechtsfolge aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB heranzuziehen sind und der Verstoß gegen das Transparenzgebot die Gesamtunwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung auslöst49. Vertragliche Ausschlussfristen, die der AGB-Wirksamkeitskontrolle – etwa wegen Intransparenz – nicht standhalten, büßen ihre Wirksamkeit vollständig ein, wobei nach § 306 Abs. 1 BGB abweichend von § 139 BGB die Wirksamkeit des Vertrags im Übrigen erhalten bleibt. Gemäß § 306 Abs. 2 BGB tritt an die Stelle der unwirksamen Regelung das Gesetz und schließt damit die Möglichkeit ihrer geltungserhaltenden Reduktion aus50.

a)

Anforderungen der AGB-Kontrolle an den Fristbeginn

In der Entscheidung vom 28.8.201951 hatte der 5. Senat des BAG die Wirksamkeit einer Ausschlussfrist zu beurteilen, die vorsah: Alle Ansprüche aus diesem Vertrag sind binnen drei Monaten nach ihrer Entstehung, im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb drei Monaten, schriftlich geltend zu machen. Nach Ablauf der Fristen ist beiderseits die Geltendmachung von Ansprüchen ausgeschlossen.

49 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 44, 46; BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 61. 50 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 26; BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 378/16, NZA 2018, 100 Rz. 32; BAG v. 19.6.2012 – 9 AZR 712/10, NZA 2012, 1227 Rz. 21. 51 BAG v. 28.8.2019 – 5 AZR 425/18, NZA 2019, 1645 Rz. 36.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

Die Parteien stritten im Rahmen einer Stufenklage über eine Auskunft nach § 21 a Abs. 7 S. 3 ArbZG und in der zweiten Stufe über die nach Erteilung der Auskunft näher zu beziffernde Vergütung von Überstunden. Der Kläger ist bei der Beklagten, die ein Speditionsunternehmen betrieb, als Kraftfahrer beschäftigt gewesen und hat im Schichtdienst die auf einem Lagergelände stationierten LKWs der Beklagten nach vorgegebenen Touren gefahren. Neben den in den LKWs installierten Fahrtenschreibern wurden die Arbeitszeiten des Klägers auf einer Fahrerkarte festgehalten. Seit dem Jahre 2015 führte der Kläger auf dieser Fahrerkarte nachträgliche manuelle Buchungen von Arbeitszeiten durch. Der Kläger hatte mit mehreren Schreiben in den Jahren 2015 und 2016 von der Beklagten die Abgeltung von Überstunden eingefordert. Mit seiner Stufenklage verlangte der Kläger die Herausgabe einer Kopie der Aufzeichnungen der Daten der Fahrerkarte von der Beklagten für bestimmte Zeiträume, um darauf gestützt einen bezifferten Zahlungsantrag zur Vergütung der behaupteten Überstunden stellen zu können. Die Beklagte verteidigte sich unter anderem damit, dass etwaige Ansprüche des Klägers aufgrund der vertraglichen Ausschlussfrist verfallen seien. Während die beiden Vorinstanzen52 die Klage des Klägers abgewiesen haben, war sie vor dem BAG im Wesentlichen erfolgreich. Das BAG geht zunächst davon aus, dass der Auskunftsanspruch nach § 21 a Abs. 7 S. 3 ArbZG Gegenstand der ersten Stufe einer Stufenklage sein kann, unabhängig davon, dass diese Regelung keine Sicherungsfunktion für Vergütungsansprüche hat. Die durch das Gesetz zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) vom 14.8.2006 mit Wirkung vom 1.9.200653 eingeführte Regelung des § 21 a Abs. 7 ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber, die Arbeitszeit der als Fahrer oder Beifahrer im Bereich des Straßentransports beschäftigten Arbeitnehmer aufzuzeichnen, die Aufzeichnungen zwei Jahre aufzubewahren und nach S. 3 dieser Vorschrift, dem Arbeitnehmer auf Verlangen eine Kopie der Aufzeichnungen seiner Arbeitszeit auszuhändigen54. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber, entsprechend dem in Art. 1 Richtlinie 2002/15/EG bestimmten Zweck, Vorschriften für die Gestaltung der Arbeitszeit festlegen, um die Sicherheit und die Gesundheit der Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports wahrnehmen, zu

52 LAG Sachsen v. 20.2.2018 – 7 Sa 38/17 (6) n. v.; ArbG Dresden v. 15.12.2016 – 2 Ca 2385/16 n. v. 53 BGBl. I 2006, 1962. 54 Vgl. Art. 9 b Richtlinie 2002/15/EG v. 11.3.2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

gewährleisten55. Ungeachtet dieser Zweckdetermination geht das BAG davon aus, dass die geforderten Aufzeichnungen für den Kläger geeignet sind, eine Bezifferung der Vergütung für Überstunden vornehmen zu können. Denn die entsprechenden Aufzeichnungen stellen ein geeignetes Hilfsmittel dar, um die aufgewendete Arbeitszeit des Arbeitnehmers rekonstruieren zu können56. Allerdings wäre die Geeignetheit der vom Kläger in Kopie geforderten Aufzeichnungen von vornherein zu verneinen gewesen, wenn feststünde, dass die auf der Grundlage der Aufzeichnungen zu beziffernden Zahlungsansprüche des Klägers durch die Nichteinhaltung der vertraglich vereinbarten Ausschlussfrist bereits erloschen waren. Da es bei dem Arbeitsvertrag der Parteien in jedem Falle um einen Verbrauchervertrag i. S. d. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB ging, war die AGB-Kontrolle eröffnet, ohne dass es einer Klärung bedurfte, ob es sich bei den vertraglichen Regelungen und damit der vereinbarten Ausschlussfrist um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen gehandelt hat. Das BAG hält die vereinbarte Ausschlussfrist in beiden Alternativen nach §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 BGB für rechtsunwirksam. Die zur Unwirksamkeit führende unangemessene Benachteiligung sieht das BAG darin, dass der Beginn der Ausschlussfrist in der ersten Alternative an das Entstehen und in der zweiten Alternative an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft, wodurch nicht mehr gewährleistet ist, dass dem Arbeitnehmer zur Geltendmachung seines Anspruchs mindestens drei Monate ab Fälligkeit verbleiben, die nach ständiger Rechtsprechung des BAG57 nicht unterschritten werden dürfen, weil eine derartige Unterschreitung mit fundamentalen Grundgedanken des gesetzlichen Verjährungsrechts nicht vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) sei und wesentliche Rechte, die sich aus der Natur des Arbeitsvertrags ergeben, so eingeschränkt würden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet sei (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Ein Anspruch ist regelmäßig erst dann im Sinne der Ausschlussfrist fällig, wenn sich die Leis-

55 BT-Drucks. 16/1685 S. 11 ff.; vgl. auch zur Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit: EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – CCOO; BAG v. 28.8.2019 – 5 AZR 425/18, NZA 2019, 1645 Rz. 23. 56 BAG v. 21.12.2016 – 5 AZR 362/16, NZA-RR 2017, 233 Rz. 27. 57 BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 44/19, NZA 2020, 586 Rz. 21; BAG v. 14.6.2016 – 9 AZR 181/15, NZA-RR 2016, 565 Rz. 31; BAG v. 27.1.2016 – 5 AZR 277/14, NZA 2016, 679 Rz. 21; BAG v. 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, NZA 2006, 149 Rz. 28 ff.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

tungspflicht des Schuldners aktualisiert und der Gläubiger den Anspruch annähernd beziffern kann58. Angesichts dessen führt die im Streitfall maßgebende Ausschlussfrist, deren Lauf an die Entstehung, nicht aber an die Fälligkeit des Anspruchs, anknüpft, zu einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers, weil ein Anspruch bereits dann entstanden ist, wenn die jeweiligen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Die im Lichte von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom BAG definierte Fälligkeit im Sinne von vereinbarten Ausschlussfristen bezieht den Kenntnisstand des Gläubigers mit ein, so dass das BAG im Streitfall die erste Alternative der Ausschlussfrist für rechtsunwirksam gehalten hat, weil dem Kläger für die Geltendmachung ihm zustehender Ansprüche nicht mindestens drei Monate ab Fälligkeit verblieben. Auch die zweite Alternative der maßgebenden Ausschlussfrist, die ihrem Wortlaut nach alle Ansprüche erfasst und den Lauf der Ausschlussfrist im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginnen lässt, führte nach Ansicht des BAG zu einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers mit der Rechtsfolge der Unwirksamkeit, weil auch insoweit dem Gläubiger für die Geltendmachung eines Anspruchs weniger als drei Monate ab Fälligkeit verbleiben können, wenn dieser erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird. Da beide Alternativen der vertraglichen Ausschlussfrist wegen unangemessener Benachteiligung des Klägers rechtsunwirksam waren, konnte das BAG dahinstehen lassen, ob zumindest eine der inhaltlich trennbaren Alternativen der Ausschlussfrist in Anwendung des sog. blue-pencil-Tests59 aufrechterhalten werden konnte.

b)

Ausschlussfristen in Alt-Verträgen

Wie mit vertraglichen Ausschlussfristen zu verfahren ist, die vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (SMG) vereinbart wurden und seit dem 1.1.200360 als AGB der Wirksamkeitskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegen, war Gegenstand einer Entscheidung des 9. Senats des

58 BAG v. 14.11.2018 – 5 AZR 301/17, NZA 2019, 250 Rz. 27 m. w. N.; BAG v. 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, NZA 2006, 149 Rz. 33. 59 Vgl. BAG v. 27.1.2016 – 5 AZR 277/14, NZA 2016, 679 Rz. 23; BAG v. 16.5.2012 – 5 AZR 251/11, NZA 2012, 971 Rz. 37. 60 Die Übergangsfrist des Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB ist am 31.12.2002 abgelaufen; BAG v. 23.8.2017 – 10 AZR 376/16, NZA 2017, 1595 Rz. 13.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

BAG vom 24.9.201961. Die im Jahre 1997 von den Parteien vereinbarte Ausschlussfrist hatte folgenden Wortlaut: Die Parteien vereinbaren, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen drei Monaten nach Fälligkeit verfallen. Der Verfall tritt nicht ein, wenn solche Ansprüche innerhalb dieses Zeitraumes schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht werden.

Die Parteien stritten darüber, ob die Beklagte, die allen Beschäftigten in den Jahren 1997 bis 2003 mit der Vergütung für Juni ein Urlaubsgeld i. H. v. 50 % und in den Jahren 1998 bis 2000 mit der Vergütung für November ein Weihnachtsgeld i. H. v. 60 % des Bruttomonatsentgelts gezahlt hatte, unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung verpflichtet war, diese Zahlungen für das Jahr 2015, die Gegenstände einer vom Kläger im Jahre 2016 erhobenen Zahlungsklage geworden sind, fortsetzen zu müssen, nachdem sie die Zahlungen eingestellt hatte. Im Rahmen der prozessualen Auseinandersetzung berief sich die Beklagte vor allem darauf, dass die vom Kläger verfolgten Zahlungsansprüche verfallen seien. Demgegenüber hielt der Kläger die Verfallklausel für unwirksam, weil sie auch Ansprüche erfasste, für die aufgrund gesetzlicher Bestimmungen Ausschlussfristen nicht vereinbart werden dürften. Die Zahlungsklage blieb in allen Instanzen erfolglos. Ungeachtet dessen, dass nach Auffassung des BAG im Hinblick auf die von der Beklagten über Jahre hinweg vorbehaltlos an die Arbeitnehmer geleisteten Zahlungen eines Urlaubsgeldes und eines Weihnachtsgeldes ein Anspruchsgrund in Gestalt einer betrieblichen Übung62 geschaffen worden war, auch in Zukunft derartige saisonale Sonderzahlungen leisten zu müssen, scheiterte der Erfolg der Klage an der verspäteten Geltendmachung. Die vom Kläger klageweise verfolgten Zahlungsansprüche für das Jahr 2015 waren aufgrund der vereinbarten Ausschlussfrist erloschen. Dabei geht das BAG davon aus, dass die bereits im Jahre 1997 vereinbarte Ausschlussfrist seit dem 1.1.2003, nach Ablauf der Übergangsfrist des Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB, einer Wirksamkeitskontrolle nach §§ 305 ff. BGB unterworfen war. Insoweit verneint das BAG zunächst, dass die Ausschlussfristenregelung als überraschend i. S. v. § 305 c Abs. 1 BGB zu qualifizieren und damit nicht Vertragsbestandteil geworden ist, weil die Vereinbarung von

61 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310. 62 Vgl. dazu nur BAG v. 25.6.2019 – 9 AZR 546/17, NZA 2019, 1577 Rz. 31; BAG v. 19.9.2018 – 5 AZR 439/17, NZA 2019, 106 Rz. 16 m. w. N.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

Ausschlussfristen einer weit verbreiteten Übung im Arbeitsleben entspricht63 und auch ausreichend deutlich im Vertrag der Parteien mit eigener darauf hinweisender Überschrift gekennzeichnet worden war. Da die vertragliche Ausschlussfrist Vertragsbestandteil geworden ist, unterzieht das BAG die Klausel einer uneingeschränkten Wirksamkeitskontrolle nach § 307 Abs. 1, 2 BGB sowie nach §§ 308, 309 BGB, weil die Ausschlussklausel eine von Rechtsvorschriften abweichende Regelung (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB) darstellte, zumal gesetzlich entstandene Ansprüche – von einer Verwirkung (§ 242 BGB) abgesehen – erhalten bleiben und nur im Rahmen des Verjährungsrechts geltend gemacht werden müssen. Nach dieser Feststellung geht das BAG zunächst der Frage nach, ob die Ausschlussfristenregelung gegen § 276 Abs. 3 BGB oder gegen § 202 Abs. 1 BGB mit der Rechtsfolge aus § 306 Abs. 1 BGB verstößt, weil sie die in diesen Vorschriften enthaltenen gesetzlichen Verbote, die sich auf die Verantwortlichkeit des Schuldners und die Unzulässigkeit von Vereinbarungen über die Verjährung beziehen, von ihrem Anwendungsbereich nicht ausdrücklich ausschließt. Da durch die Ausschlussklausel die Haftung des Schuldners nicht im Voraus erlassen wird, ist sie insoweit nach Ansicht des BAG im Hinblick auf § 276 Abs. 3 BGB bedenkenfrei64, während die Ausschlussklausel gegen § 202 Abs. 1 BGB verstoßen könnte, wonach ab Inkrafttreten des § 202 Abs. 1 BGB n. F.65 einzelvertraglich vereinbarte allgemeine Ausschlussfristen insoweit als nichtig anzusehen sind, als sie die Haftung wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlungen mitumfassen66. § 202 Abs. 1 BGB, der nur Vereinbarungen über die Verjährung erfasst, ist nach der Rechtsprechung des BAG67 auch auf Ausschlussfristen anwendbar und soll in Ergänzung von § 276 Abs. 3 BGB einen umfassenden Schutz gegen im Voraus vereinbarte Einschränkungen von Haftungsansprüchen aus vorsätzlichen Schädigungen bewirken. Da die im Streitfall in Rede stehende vertragliche Ausschlussfrist alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betreffen sollte und die Klausel insoweit nicht teilbar war, hätte mangels einer zulässigen geltungserhaltenden Reduktion (§ 306 Abs. 1 BGB) der Verstoß gegen § 202 Abs. 1 63 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 20; BAG v. 27.1.2016 – 5 AZR 277/14, NZA 2016, 679 Rz. 19. 64 Vgl. dazu bereits BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 886/07 n. v. (Rz. 16). 65 BGBl. I 2001, 3138 (Art. 9). 66 BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 233/18, NZA 2019, 571 Rz. 46; BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 886/07 n. v. (Rz. 17). 67 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 25; BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154 Rz. 42 ff.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

BGB die Unwirksamkeit der gesamten Klausel zur Folge haben müssen, was seit dem 1.1.2003 gemäß Art. 229 § 5 EGBGB auch für Ausschlussfristen gilt, die vor dem 1.1.2002 vereinbart worden sind. Das BAG verneint jedoch diese rechtliche Konsequenz und beschreitet den Weg der ergänzenden Vertragsauslegung, die unter Berücksichtigung der typischen und schutzwürdigen Interessen der Vertragsparteien eine vervollständigungsbedürftige Lücke des Vertrags schließen soll68. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung und Bewertung des mutmaßlichen Parteiwillens und der Interessenlage ist dabei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, so dass die ergänzende Vertragsauslegung darauf bezogen eine anfängliche Regelungslücke rückwirkend schließt69. Die grundsätzliche Zulässigkeit für diesen Schritt leitet das BAG daraus her, dass eine vor Inkrafttreten des SMG vereinbarte vertragliche Ausschlussfristenregelung nur deshalb unwirksam ist, weil der Verwender eine Bestimmung des Gesetzes – hier § 202 Abs. 1 BGB – bei der Vereinbarung der Klausel nicht berücksichtigen konnte. Das BAG denkt die diese Lücke enthaltende Ausschlussfristenvereinbarung in der Weise zu Ende, dass die Parteien bei Kenntnis dieser später eingetretenen Rechtslage Haftungsansprüche i. S. v. § 202 Abs. 1 BGB aus dem Anwendungsbereich der Ausschlussfristenregelung ausgenommen hätten70 und diese Beschränkung nunmehr dem Vertragstext zu entnehmen ist. Mit dem gleichen Argument der ergänzenden Vertragsauslegung begegnet das BAG der Nichtbeachtung der Klauselverbote aus § 309 Nr. 7 BGB. Wenn auch das vom BAG entwickelte Ergebnis überzeugend ist, so erweist es sich zumindest als missverständlich, wenn das BAG insoweit einen Bezug zur AGB-Kontrolle herstellt. Geht man davon aus, dass § 202 Abs. 1 BGB unmittelbar oder zumindest analog auch für Ausschlussfristen gilt, gibt es abgesehen von der Auslegungstechnik für AGB keine Verknüpfung zur AGB-Kontrolle. Wird eine vertragliche Ausschlussfrist durch ergänzende Vertragsauslegung „gerettet“, dann muss dieses Produkt der Auslegung angemessen, ausreichend, bestimmt und transparent sein, weil es sonst seinerseits an § 307 Abs. 1 BGB scheitern würde. Zutreffend hat daher auch der 8. Senat des BAG71 eine vertragliche Ausschlussfrist, die nach Inkrafttreten des SMG abgeschlossen worden war, nicht nach § 134 BGB für insgesamt 68 Vgl. zur ergänzenden Vertragsauslegung: BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 28 f. m. w. N.; BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 49; BAG v. 21.8.2013 – 5 AZR 581/11, NZA 2014, 271 Rz. 42 m. w. N. 69 BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 49; BAG v. 21.8.2013 – 5 AZR 581/11, NZA 2014, 271 Rz. 42 m. w. N. 70 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 34. 71 BAG v. 20.6.2013 – 8 AZR 280/12, NZA 2013, 1265 Rz. 22.

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rechtsunwirksam angesehen, weil in ihr ein Ausschluss von Ansprüchen der in § 202 Abs. 1 BGB oder § 309 Nr. 7 BGB erfassten Art nicht vorgesehen war, sondern im Wege einer am Sinn und Zweck solcher Klauseln orientierten Auslegung angesichts der klaren Gesetzeslage und der von den Parteien nicht für regelungsbedürftig gehaltenen Ausnahmesituation angenommen, dass ein derartiger Fall von der Ausschlussklausel gar nicht erfasst werden sollte. Im Hinblick auf die vertragliche Ausschlussfristenregelung im Altvertrag prüft der 9. Senat des BAG, ob diese wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB i. V. m. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB rechtsunwirksam ist, was vom BAG verneint wird. Insoweit hält sich das BAG an die bereits zum Transparenzgebot entwickelten Grundsätze, wonach der Verwender von AGB die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners klar und verständlich darzustellen hat und bei Ausschlussfristen aus der Verfallklausel mit hinreichender Deutlichkeit ersichtlich sein muss, welche Rechtsfolgen der Vertragspartner des Verwenders zu gewärtigen hat und was er tun muss, um deren Eintritt zu verhindern. Eine Klausel, die die Rechtslage unzutreffend oder missverständlich darstellt und geeignet ist, den Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abzuhalten, benachteiligt ihn entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen72. Dabei ist für die Beurteilung der Transparenz auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen, so dass es – wie das BAG in seiner Rechtsprechung hervorhebt – ausschließlich auf die Gesetzeslage bei Vertragsschluss ankommen kann. Eine zu diesem Zeitpunkt transparente vertragliche Ausschlussfrist kann daher nicht durch eine spätere Gesetzesänderung intransparent werden73. In diesem Zusammenhang thematisiert das BAG, dass die hier zu beurteilende vertragliche Ausschlussfrist entgegen § 3 S. 1 MiLoG vom Umfang her auch den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfasst, der auf der Grundlage des am 16.8.2014 in Kraft getretenen MiLoG ab dem 1.1.2015 zu zahlen ist. Da gemäß § 3 S. 1 MiLoG Vereinbarungen insoweit unwirksam sind, als sie den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, werden von

72 Vgl. nur BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 35 m. w. N.; BGH v. 25.11.2015 – VIII ZR 360/14, NJW 2016, 936 Rz. 17 m. w. N. 73 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 42; BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 42.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

dieser Rechtsfolge auch vertragliche Ausschlussfristen erfasst74. Die in § 3 S. 1 MiLoG gesetzlich vorgesehene geltungserhaltende Reduktion beseitigt das BAG für vertragliche Ausschlussfristen, indem es mit der zusätzlichen Anwendung der AGB-Kontrolle und der damit verbundenen Intransparenz zur vollständigen Unwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung gelangt, weil sie den Eindruck vermittelt, dass auch der gesetzliche Mindestlohnanspruch nach § 1 MiLoG innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend zu machen ist75. Da im Streitfall der Arbeitsvertrag bereits vor Inkrafttreten des MiLoG am 16.8.2014 abgeschlossen worden war, führt die fehlende Ausnahme des gesetzlichen Mindestlohns in dem hier vorliegenden Altvertrag nach Ansicht des BAG nicht zur Gesamtunwirksamkeit, sondern lediglich zur Teilunwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung nach § 3 S. 1 MiLoG76. Dies folgt aus dem Umstand, dass für die Prüfung der Transparenz einer in einem Verbrauchervertrag i. S. v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB gestellten oder als AGB i. S. v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB vereinbarten Ausschlussfrist allein auf die Gesetzeslage bei Vertragsschluss abzustellen ist. Einer Annahme der Intransparenz der vereinbarten Ausschlussklausel unter dem Gesichtspunkt, dass von ihr Ansprüche aus dem Anwendungsbereich von § 4 Abs. 4 S. 3 TVG und § 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG erfasst werden, begegnet das BAG mit dem Hinweis, dass bei Vertragsabschluss der Anwendungsbereich dieser Vorschriften nicht eröffnet wäre und ein Arbeitgeber keine Veranlassung habe, bei derartigem Befund Ausschlussklauseln im Hinblick auf nicht anwendbare kollektive Normenverträge einschränkend zu formulieren. Der 5. Senat des BAG77 hat demgegenüber eine als AGB gestellte Verfallklausel, welche die von § 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG und § 4 Abs. 4 S. 3 TVG geschützten Ansprüche umfasst, insoweit für teilnichtig (§ 139 BGB) angesehen und aus der sich nur daraus ergebenden unzureichenden Transparenz nicht die Gesamtunwirksamkeit der Verfallklausel nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB abgeleitet. Begründungsansatz bildet dabei die Erwägung, dass bei der Kontrolle von in AGB vereinbarten Ausschlussfristen die arbeitsrechtlichen Besonderheiten, die § 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG und

74 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 44; BAG v. 17.10.2017 – 9 AZR 80/17, NZA 2018, 57 Rz. 20 ff. 75 BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 27; BAG v. 17.10.2017 – 9 AZR 80/17, NZA 2018, 57 Rz. 25. 76 BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 45. 77 BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 43/18, NZA 2019, 768 Rz. 33.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

§ 4 Abs. 4 S. 3 TVG innewohnen, gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB angemessen zu berücksichtigen sind. Da der Kläger seine durch betriebliche Übung entstandenen Ansprüche auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld für 2015 nicht rechtzeitig im Sinne der rechtswirksamen vertraglichen Ausschlussfrist geltend gemacht hatte, waren diese vollständig erloschen und damit die Revision zurückzuweisen. Unter Hinweis darauf, dass diese Zahlungsansprüche lediglich den Bestand des Arbeitsverhältnisses, aber keinerlei Arbeitsleistung voraussetzten, fehlte ihnen nach Ansicht des BAG der Entgeltcharakter78 i. S. v. § 3 S. 1 MiLoG, so dass auch keine teilweise Zahlung in Höhe des Mindestlohns in Betracht kam.

c)

Wahrung einer Ausschlussfrist durch Beschäftigungsklage – Konsequenzen für die Vertragsgestaltung?

Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BAG79, dass ein Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Zahlungsansprüche wegen Annahmeverzugs (§ 615 S. 1 BGB) sowohl die erste als auch die zweite Stufe einer zweistufigen vertraglichen oder tariflichen Ausschlussfristenregelung wahrt, ohne diese Ansprüche ausdrücklich bezeichnen oder beziffern zu müssen. Für die zweite Stufe der Ausschlussfrist, die eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsieht, ist diese Rechtsfolge nach der Rechtsprechung des BVerfG80 bei einer Bestandsschutzstreitigkeit bezüglich der Auslegung von Ausschlussfristen unter verfassungsrechtlichen Aspekten zu berücksichtigen, um das Grundrecht des Arbeitnehmers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht durch Kostenbarrieren zu versperren81.

78 Vgl. dazu BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 273/18, NZA 2020, 310 Rz. 51; BAG v. 6.12.2017 – 5 AZR 699/16, NZA 2018, 582 Rz. 23; BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 135/16, NZA 2016, 1327 Rz. 32. 79 Vgl. nur BAG v. 18.9.2019 – 5 AZR 240/18, NZA 2020, 174 Rz. 41 f.; BAG v. 19.8.2015 – 5 AZR 1000/13, NZA 2015, 1465 Rz. 26; BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, 101 Rz. 14. 80 BVerfG v. 1.12.2010 – 1 BvR 1682/07, NZA 2011, 354 Rz. 23: Durch § 4 Abs. 1 KSchG und § 42 Abs. 3 S. 1 GKG 2004 erkennt der Gesetzgeber an, dass dem Bürger der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht durch Kostenbarrieren abgeschnitten werden darf. 81 BAG v. 18.9.2019 – 5 AZR 240/18, NZA 2020, 174 Rz. 42; BAG v. 24.9.2014 – 5 AZR 593/12, NZA 2015, 35 Rz. 28; BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, 101 Rz. 23.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

Ob diese für den Kündigungsschutzprozess zur Wahrung von Ausschlussfristen entwickelten Grundsätze gleichermaßen anzuwenden sind, wenn sich der Arbeitnehmer klageweise mit einem Leistungsantrag auf vertragsgemäße Beschäftigung gegen eine unwirksame Versetzung wendet und im Nachhinein Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs gegen den Arbeitgeber geltend macht, war Gegenstand einer Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 18.9.201982. Der Fall betraf eine Klägerin, die als Fachärztin für Innere Medizin bei dem beklagten Universitätsklinikum beschäftigt worden war und in dieser Eigenschaft gemäß Arbeitsvertrag vom 14.2.2007 die Funktion einer Oberärztin für den ambulanten Bereich der Klinik für Knochenmarktransplantation wahrgenommen hatte. Der Arbeitsvertrag nahm auf den TVÄrzte Bezug. Darin war in § 37 eine Ausschlussfrist vorgesehen, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfielen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Ärzten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht wurden. Die Klägerin nahm am ärztlichen Rufbereitschaftsdienst teil und erhielt hierfür eine zusätzliche monatliche Vergütung, die sich auf durchschnittlich 1.973,96 € (brutto) belief. Zum 1.7.2010 wurde die Klägerin in die Medizinische Klinik/ Nephrologie versetzt. Rufbereitschaftsdienste wurden ihr nicht mehr zugeteilt. Durch rechtskräftiges Urteil des LAG Düsseldorf vom 15.7.201183 wurde der Beschäftigungsklage der Klägerin vom 3.5.2010 hinsichtlich ihrer früheren Tätigkeit entsprochen. Gleichwohl setzte die Beklagte die Klägerin weiterhin in der Nephrologie ein. Ab Juni 2010 zahlte die Beklagte an die Klägerin lediglich die regelmäßige Vergütung. Mit einer Klage vom 14.11.2011 hat die Klägerin zunächst die Feststellung der Vergütungspflicht eingefordert und sodann mit Klageerweiterung vom 9.5.2012 hilfsweise Zahlungsklage erhoben und diese später erweitert. Während der Zahlungsklage aus Annahmeverzug vom ArbG Essen84 und LAG Düsseldorf85 für die Zeit vom 1.5.2011 bis zum 28.2.2017 entsprochen wurde, ist sie für die Zeit vom 1.7.2010 bis zum 30.4.2011 wegen der Versäumung der Ausschlussfrist abgewiesen worden. Die Vergütung aus Annahmeverzug für diesen Zeitraum i. H. v. 19.087,61 € (brutto) war noch Gegenstand der Revision vor dem BAG. Das BAG hat die Entscheidung des LAG aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen, weil es im Gegensatz zum LAG einen Verfall der Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs von Juli 2010 bis April 2011 82 83 84 85

BAG v. 18.9.2019 – 5 AZR 240/18, NZA 2020, 174. LAG Düsseldorf v. 15.7.2011 – 9 Sa 343/11 n. v. ArbG Essen v. 24.3.2017 – 3 Ca 3018/11 n. v. LAG Düsseldorf v. 14.3.2018 – 7 Sa 464/17, ZTR 2018, 329.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

aufgrund der arbeitsvertraglich einbezogenen Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TV-Ärzte verneint hat. Zunächst bejaht das BAG dem Grunde nach die mögliche Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§ 615 S. 1 i. V. m. § 611 BGB – jetzt § 611 a Abs. 2 BGB) die ihr vorenthaltene Vergütung für die unterbliebene Einteilung zu Rufbereitschaftsdiensten zu schulden, ohne dies abschließend beurteilen zu können. Im Hinblick auf die Voraussetzungen für einen etwaigen Annahmeverzug geht das BAG davon aus, dass für das Leistungsangebot der Klägerin, an den in der Klinik für Knochenmarktransplantation stattfindenden Rufbereitschaftsdiensten teilzunehmen, ein wörtliches Angebot nach § 295 BGB ausreichend war, weil sie sich erkennbar gegen die Versetzung in die Nephrologie zur Wehr gesetzt hat. In ihrer Klage auf Verurteilung zur Beschäftigung als vollbeschäftigte Oberärztin für den ambulanten Bereich in der Klinik für Knochenmarktransplantation vom 3.5.2010 sieht das BAG ein taugliches Angebot, das auch die Ableistung von Rufbereitschaftsdiensten einschloss. Aufgrund der Tatsachenfeststellungen des LAG konnte das BAG allerdings nicht ausreichend beurteilen, ob die Klägerin auch ohne die Versetzung Rufbereitschaftsdienste in ihrem bisherigen Einsatzbereich geleistet hätte, was zwischen den Parteien streitig und vom LAG nicht aufgeklärt worden war. Eine derartige Aufklärung hätte sich allerdings erübrigt, wenn etwaige Vergütungsansprüche der Klägerin aus Annahmeverzug schon deshalb nicht mehr durchsetzbar waren, weil sie unter Berücksichtigung der tarifvertraglichen Ausschlussfrist nicht rechtzeitig geltend gemacht wurden und deshalb erloschen sind. Bei diesem Prüfungsschritt geht das BAG zunächst davon aus, dass die tarifliche Ausschlussfrist sämtliche Ansprüche erfasst, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsbeziehungen gegeneinander haben, unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage sie beruhen86. Das BAG subsumiert darunter auch den Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs (§ 615 S. 1 BGB), wobei gleichgültig ist, ob damit ein Anspruch aus § 611 a Abs. 2 BGB oder, bei Fehlen einer Vergütungsabrede, aus § 612 Abs. 1 BGB aufrechterhalten wird87. Das BAG hält die tarifliche Ausschlussfrist für wirksam. Ob die Ausschlussfrist teilnichtig ist, weil sie auch Ansprüche aus vorsätzlichem Handeln ein-

86 Vgl. dazu BAG v. 18.9.2019 – 5 AZR 240/18, NZA 2020, 174 Rz. 34; BAG v. 11.4.2019 – 6 AZR 104/18, NZA 2019, 1004 Rz. 16. 87 BAG v. 19.8.2015 – 5 AZR 1000/13, NZA 2015, 1465 Rz. 21 m. w. N.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

bezieht, sieht das BAG nicht als entscheidungsrelevant an, weil ein solcher Anspruch nicht in Rede stand. Damit war die Anwendung der Ausschlussfrist eröffnet und zu klären, ob die Klägerin ihre Zahlungsansprüche für die Zeit von Juli 2010 bis April 2011 nach Ablauf der Ausschlussfrist gegenüber der Beklagten geltend gemacht hatte. In diesem Zusammenhang überträgt das BAG die zur Kündigungsschutzklage entwickelten Grundsätze für die Einhaltung von ein- und zweistufigen Ausschlussfristen auf Ansprüche aus Annahmeverzug, die vom Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess abhängen88, auf den vorliegenden Streitfall, wenn sich der Arbeitnehmer mit einem Leistungsantrag auf vertragsgemäße Beschäftigung gegen eine unwirksame Versetzung wendet. Damit mache er – für den Arbeitgeber erkennbar – jedenfalls zugleich Ansprüche im Sinne der ersten Stufe einer Ausschlussfrist geltend, die aus dieser Beschäftigung folgen. Auch bei einem Leistungsantrag auf vertragsgemäße Beschäftigung steht nach Ansicht des BAG nicht nur das ideelle Beschäftigungsinteresse bei der gerichtlichen Durchsetzung im Vordergrund, sondern vielmehr auch die für diese Beschäftigung maßgebende Vergütung. Wie für den Kündigungsschutzprozess entschieden, verneint das BAG dagegen die gleichzeitige Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht von dem Ausgang der Klage auf Beschäftigung abhängen. Diese bedürfen einer eigenständigen, die Wahrung der Ausschlussfrist berücksichtigenden Geltendmachung. In Anbetracht dieser rechtlichen Bewertung hat die Klägerin mit der am 3.5.2010 anhängig gemachten Beschäftigungsklage zugleich die Ansprüche auf Annahmeverzug wegen Nichteinteilung zu Rufbereitschaftsdiensten auch für den hier maßgebenden Zeitraum vom 1.7.2010 bis zum 30.4.2011 rechtzeitig geltend gemacht, ohne dass die Vergütungsansprüche ausdrücklich erwähnt oder beziffert werden mussten. Diese nicht überraschende Weiterentwicklung der Rechtsprechung des BAG, wonach mit einer Klage auf vertragsgemäße Beschäftigung die für diese Beschäftigung vereinbarten Entgeltansprüche im Sinne der ersten Stufe einer vertraglichen oder tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht werden, signalisiert der betrieblichen Praxis, dass bei unwirksamen Versetzungsentscheidungen, die zu Vergütungseinbußen führen, vertragliche oder tarifliche Ausschlussfristen wenig behilflich sind, um Nachzahlungsansprüche abzuwehren. Dass auch Schadensersatzansprüche in Gestalt eines Fahrtkostenersatzes durch rechtswidrige Versetzungen ausgelöst werden können, hat das

88 BAG v. 18.9.2019 – 5 AZR 240/18, NZA 2020, 174 Rz. 41 f.; BAG v. 19.8.2015 – 5 AZR 1000/13, NZA 2015, 1465 Rz. 26; BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, 101 Rz. 14.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

BAG89 in einer jüngeren Entscheidung bestätigt. Ob diesen Konsequenzen durch eine entsprechende Vertragsgestaltung begegnet werden kann, erscheint wenig aussichtsreich, weil ein vertraglicher Ausschluss derartiger Ansprüche ebenso an der AGB-Kontrolle scheiterte, wie eine Ausschlussfristenregelung, die eine rechtzeitige Geltendmachung von Folgeansprüchen auch für den Fall der Beschäftigungs- und Kündigungsschutzklage ausdrücklich vorschriebe. Eine das Direktionsrecht nach § 106 GewO erweiternde Versetzungsklausel mit einer einschränkenden materiellen Ausstattung, dürfte den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und damit als vertragliche Gestaltungskomponente wegen einer Missachtung der Bedingungen des § 2 KSchG ausscheiden. Auch die denkbare Alternativlösung, die Versetzung vorsorglich mit einer Änderungskündigung gegenüber dem Arbeitnehmer zu verbinden, würde an der Vergütungsproblematik nichts ändern, wenn die Änderungsschutzklage des Arbeitnehmers erfolgreich ist (§ 8 KSchG). Schließlich ist an eine in der betrieblichen Praxis so gut wie nie anzutreffende kontrollfreie Individualabrede zu denken, die sich aber ebenfalls an § 2 KSchG messen lassen muss.

d)

Einbeziehung von Ausschlussfristen einer Arbeitsordnung oder AGB

In der betrieblichen Praxis ist es vor allem bei tarifgebundenen Arbeitgebern üblich, in die jeweiligen Anstellungsverträge eine sog. Bezugnahmeklausel auf die für den Betrieb einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung aufzunehmen, die ihrerseits tarifliche Ausschlussfristen enthalten. Gleiches geschieht mit entsprechenden Bezugnahmen auf die für den Betrieb maßgebenden Betriebsvereinbarungen. Diese Verfahrensweise stellt nicht nur eine Entlastung des zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrags zumindest im Hinblick auf die nichttarifgebundenen Arbeitnehmer dar, sondern ist nach § 2 Abs. 1 NachwG auch geboten. Diese mit dem Gesetz zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EGRecht90 zur Umsetzung der Nachweisrichtlinie 91/533/EWG91 eingeführte Regelung verpflichtet in S. 1 den Arbeitgeber, spätestens einen Monat nach 89 BAG v. 28.11.2019 – 8 AZR 125/18, NZA 2020, 589. 90 BGBl. I 1995, 946; das NachwG wurde zuletzt durch das TAStG geändert, BGBl. I 2014, 1348. 91 ABl. EG 1991, L 288, 32, diese Richtlinie wird m. W. v. 1.8.2022 gemäß Art. 24 Richtlinie 2019/1152/EU über transparente unvorhersehbare Arbeitsbedingungen in der EU aufgehoben, die bis zum 1.8.2022 gemäß Art. 21 Abs. 1 von den Mitgliedstaaten der Union umzusetzen ist.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Diese Verpflichtung entfällt, wenn dem Arbeitnehmer ein schriftlicher Arbeitsvertrag ausgehändigt worden ist und dieser die in § 2 Abs. 1 bis 3 NachwG geforderten Angaben enthält (§ 2 Abs. 4 NachwG). Nach § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG sind in die Niederschrift mindestens zehn näher bezeichnete Vertragsbedingungen aufzunehmen, zu denen unter Nr. 10 ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind, gehört. Im Hinblick darauf heißt es in der Gesetzesbegründung92: Entsprechend Art. 2 Abs. 2 Nachweisrichtlinie sind nach Nr. 10 in der Niederschrift auch die auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Dienstvereinbarungen anzugeben. Unter Berücksichtigung des in der Bundesrepublik Deutschland historisch gewachsenen Systems, wonach der Arbeitgeber bereits heute verpflichtet ist, die für den Betrieb maßgeblichen Tarifverträge (§ 8 TVG) und Betriebsvereinbarungen (§ 77 Abs. 2 S. 3 BetrVG) an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen und der öffentlich-rechtliche Dienstherr beschlossene Dienstvereinbarungen in geeigneter Weise bekannt zu machen hat (§ 73 Abs. 1 S. 2 BPersVG), reicht es für die gesetzliche Verpflichtung nach Nr. 10 aus, wenn allgemein auf die Geltung von Tarifverträgen unter Angabe des einschlägigen Tarifbereichs sowie auf die Geltung von Betriebsvereinbarungen oder Dienstvereinbarungen unter Angabe des Betriebs oder der Dienststelle, in der der Arbeitnehmer beschäftigt ist, hingewiesen wird. Eine detaillierte Einzelauflistung aller auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder Dienstvereinbarungen unter Angabe der jeweiligen Kollektivvertragsparteien, des Abschlussdatums und des Regelungsinhaltes ist nicht erforderlich.

Da der Gesetzgeber einen in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis auf die für das Arbeitsverhältnis maßgebenden kollektiven Normenverträge genügen lässt, was sich auch mit Art. 2 Abs. 3 Nachweisrichtlinie 91/533/EWG verträgt, kann der Arbeitgeber in Übereinstimmung mit der vorzitierten Regierungsbegründung in zulässiger Weise durch eine Bezugnahmeklausel auf die für den Betrieb einschlägigen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen verweisen, ohne diese nach dem jeweiligen Gegenstand oder Datum näher

92 BT-Drucks. 13/668 S. 11.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

konkretisieren zu müssen. So hat das BAG93 in einem Anstellungsvertrag mit der Überschrift „Gesetze, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen“ die Formulierung „Im Übrigen finden die gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen, die Arbeitsordnung, die sonstigen Betriebsvereinbarungen sowie die Dienst- und Geschäftsanweisungen der Firma in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.“ nicht beanstandet und dazu ausgeführt, sie sei weder unklar (§ 305 c Abs. 2 BGB) noch intransparent i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, weil sich der Arbeitnehmer die erforderlichen Kenntnisse durch die Pflicht des Arbeitgebers gemäß § 8 TVG, die für den Betrieb maßgebenden Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen, verschaffen könne. Da § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG lediglich einen in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis auf die anwendbaren Tarifverträge verlange und deshalb eine detaillierte Angabe aller auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge nicht gefordert sei, stünden auch die Vorschriften des NachwG der Annahme einer wirksamen Bezugnahme nicht entgegen. Mit dieser Begründung hatte das BAG keine Bedenken, die in dem einschlägigen Tarifvertrag vorgesehene Ausschlussfrist auf den Streitfall anzuwenden. Ein Tarifvertrag ist dabei einschlägig, wenn er kraft Tarifbindung, Bezugnahme oder Allgemeinverbindlichkeit auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Damit hat das BAG, wie schon bei früherer Gelegenheit94, für die Nachweispflicht nach § 2 Abs. 1 NachwG ausreichen lassen, den Arbeitnehmer auf den Tarifvertrag hinzuweisen, in dem die Ausschlussfrist enthalten ist, ohne dass es noch eines gesonderten Hinweises auf die Ausschlussfrist als wesentliche Arbeitsbedingung im Anstellungsvertrag bedarf. Diese Feststellung des BAG ist für die betriebliche Praxis deshalb von Bedeutung, weil der allgemeine Hinweis auf einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung möglicherweise nicht deren Inhalte und damit die darin enthaltenen wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließt, so dass diese aus dem kollektiven Normvertrag in den schriftlichen Anstellungsvertrag übertragen werden müssten95, was auch auf die tarifliche Ausschlussklausel als wesentliche Arbeitsbedingung zuträfe. Wenn auch das NachwG selbst keine rechtlichen Konsequenzen vorsieht, falls der Arbeitgeber seiner Nachweispflicht nicht genügt, so ergeben sich diese unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verzugs aus § 280 Abs. 1 S. 1

93 BAG v. 14.11.2012 – 5 AZR 107/11 n. v. (Rz. 19, 21, 26). 94 BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 469/02, NZA 2004, 102; so bereits BAG v. 17.4.2002 – 5 AZR 89/01, NZA 2002, 1096. 95 So etwa ErfK/Preis, NachwG § 2 Rz. 24 f., der auch nur bei normativer Geltung des (anzuwendenden) TV eine nachweispflichtige Tatsache annimmt.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

BGB, wonach der dadurch adäquat verursachte Schaden zu ersetzen ist 96. Der Schadensersatzanspruch ist auf Naturalrestitution gerichtet (§ 249 Abs. 1 BGB). Deshalb kann ein Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber verlangen, so gestellt zu werden, als wäre sein Zahlungsanspruch nicht untergegangen, wenn ein solcher Anspruch nur wegen Versäumung der Ausschlussfrist erloschen ist und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers bestehen würde. Eben diese Problematik war Thema der Entscheidung des 6. Senats des BAG vom 30.10.201997, in der es um vollständig in Bezug genommene kirchliche Arbeitsrechtsregelungen ging, die für die Geltendmachung von Ansprüchen eine Ausschlussfrist vorsahen. Der Arbeitsvertrag des als Küster bei der beklagten katholischen Kirchengemeinde beschäftigten Klägers nahm die Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) in Bezug. Diese sah in § 57 eine sechsmonatige einstufige Ausschlussfrist vor. Der Kläger verfolgte mit seiner Zahlungsklage Vergütungsansprüche wegen einer von ihm behaupteten zu niedrigen Eingruppierung, die einen Zeitraum nach Ablauf der Ausschlussfrist betrafen, auf die sich die Beklagte berief. Der Kläger hielt der Beklagten vor, ihm stünde die Zahlung als Schadensersatz zu, weil die Beklagte bezüglich der Ausschlussfrist gegen ihre Nachweispflicht aus § 2 Abs. 1 NachwG verstoßen habe. Das LAG Düsseldorf98 hat die Klage wegen Versäumung der Ausschlussfrist abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision war Gegenstand der Entscheidung des BAG, das den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen hat. Das BAG geht zunächst davon aus, dass es sich bei der KAVO um eine AGB handelt, die mangels normativer Wirkung nur über eine Bezugnahmeklausel in Arbeitsverträgen Wirkung entfalten kann99. Das BAG hält die Bezugnahmeklausel für ausreichend transparent, weil für den Kläger klar ersichtlich war, dass die für das Erzbistum seiner Kirchengemeinde einschlägige KAVO gemeint war. Anschließend bejaht das BAG die Wirksamkeit der Ausschlussfristenregelung in § 57 KAVO, allerdings mit der Maßgabe, dass bei dieser Kontrolle das Verfahren des Dritten Wegs mit paritätischer Besetzung der Arbeitsrechtlichen Kommission und Weisungsungebundenheit ihrer Mitglieder als im Arbeitsrecht geltende Besonderheit (§ 310 Abs. 4 S. 2

96 BAG v. 21.2.2012 – 9 AZR 486/10, NZA 2012, 750 Rz. 34; BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 676/02, NZA 2005, 64 Rz. 25. 97 BAG v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18, NZA 2020, 379. 98 LAG Düsseldorf v. 10.4.2018 – 3 Sa 144/17 n. v. 99 So bereits BAG v. 15.11.2018 – 6 AZR 240/17 n. v. (Rz. 20) zur Kirchlichen Dienstvertragsordnung (KDVO) der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

BGB) angemessen zu berücksichtigen ist. Dieses Verfahren biete nämlich eine Gewährleistung dafür, dass die Arbeitgeberseite nicht einseitig ihre Interessen durchsetzen kann. Aus dieser Besonderheit zieht das BAG die rechtliche Konsequenz, die KAVO wie einen Tarifvertrag der AGB-Kontrolle zu entziehen und nur darauf hin zu kontrollieren, ob sie gegen die Verfassung, gegen anderes höherrangiges zwingendes Recht oder gegen die guten Sitten verstößt100. Das BAG nimmt nach dieser für das AGB-Recht vorgenommenen Gleichschaltung mit einem Tarifvertrag auch Abstand davon, die vollständig in Bezug genommenen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen auf Transparenz hin zu überprüfen (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB). Daher spielte es für die Wirksamkeit der Ausschlussfristenregelung in § 57 KAVO im Hinblick auf die Frage der Transparenz keine Rolle, dass sie entgegen § 3 S. 1 MiLoG den gesetzlichen Mindestlohn erfasst, weil dies – wie bei einer tariflichen Ausschlussfrist – nur ihre Teilunwirksamkeit bewirkt. Im Lichte dieser Bewertung kam es mangels einer AGB-Kontrolle nach Ansicht des BAG auch nicht darauf an, dass § 57 KAVO nach seinem Wortlaut für die Geltendmachung von Ansprüchen die Textform (§ 126 b BGB) unerwähnt lässt (§ 309 Nr. 13 BGB). Auch wegen eines etwaigen Verstoßes gegen § 202 Abs. 1 BGB i. V. m. § 134 BGB käme nur insoweit eine Teilunwirksamkeit in Betracht. Nach diesen Feststellungen war der Verfall der streitgegenständlichen Zahlungsansprüche eingetreten, weil diese nicht innerhalb der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 57 KAVO vom Kläger geltend gemacht worden waren. Anschließend wendet sich das BAG der Prüfung zu, ob die Beklagte wegen unterlassener besonderer Unterrichtung über die Verfallfrist des § 57 KAVO im Anstellungsvertrag gegen ihre Verpflichtungen aus dem NachwG verstoßen hat und der Kläger im Wege des Schadensersatzes (§§ 280 Abs. 1 S. 1, 249 BGB) so gestellt werden muss, als wäre sein Zahlungsanspruch nicht untergegangen. Diese rechtliche Konsequenz setzte voraus, dass ein solcher Zahlungsanspruch nur wegen Versäumung der Ausschlussfrist erloschen ist und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers bestehen würde101. Dabei geht das BAG hinsichtlich der Prüfung der adäquaten Verursachung zu Gunsten des Arbeitnehmers von einer Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens aus, wenngleich der Arbeitnehmer die Kausalität

100 So zuvor BAG v. 22.3.2018 – 6 AZR 835/16, NZA 2018, 1350 Rz. 66 m. w. N. 101 BAG v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18, NZA 2020, 379 Rz. 47; BAG v. 21.2.2012 – 9 AZR 486/10, NZA 2012, 750 Rz. 34.

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Rechtsprechung zur Wirksamkeit und Wirkweise von vertraglichen Ausschlussfristen

zwischen der unterlassenen Aufklärung und dem eingetretenen Schaden darzulegen hat102. Während das BAG im Hinblick auf die AGB-Kontrolle die KAVO wie einen Tarifvertrag behandelt, geht es hinsichtlich des NachwG davon aus, dass die Bezugnahme auf die KAVO keinen in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG darstellt, der einen gesonderten Hinweis auf die in der KAVO enthaltene Verfallfrist als wesentliche Arbeitsbedingung entbehrlich machen könnte. In diesem Zusammenhang bestätigt das BAG zunächst seine bisherige Rechtsprechung, dass es bei einer allgemeinen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG keines besonderen zusätzlichen Hinweises auf die Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag bedarf. Dies gelte indes nicht für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen als AGB. Vom Wortlaut der Regelung her ist dies zweifelsfrei richtig, wie auch § 2 Abs. 3 NachwG bestätigt, wonach die Angaben nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nrn. 6 bis 9, Abs. 2 Nrn. 2, 3 NachwG durch einen Hinweis auf die einschlägigen Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und ähnlichen Regelungen, die für das Arbeitsverhältnis gelten, ersetzt werden dürfen. Angesichts dessen lehnt das BAG auch eine analoge Anwendung von § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG auf kirchliche Arbeitsrechtsregelungen ab, die als ähnliche Regelungen i. S. v. § 2 Abs. 3 NachwG zu qualifizieren sind. Diese Bewertung stimmt mit der Genese des NachwG überein. Durch Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit (11. Ausschuss) ist (nur) § 2 Abs. 3 NachwG mit dem Zusatz „und ähnlichen Regelungen“103 versehen worden, um – wie es in der Beschlussempfehlung heißt – die enge Verweisung auf ähnliche Regelungen, z. B. solche der Kirchen und der kirchlichen Verbände, auszudehnen104. Angesichts dieser Gesetzesentwicklung ist dem BAG darin zu folgen, dass der Gesetzgeber des NachwG bewusst differenziert und keine vollständige Gleichstellung von kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen mit Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen vorgenommen hat. Eine Anwendung von § 2 Abs. 3 NachwG kam im Streitfall nicht in Betracht, weil diese Regelung, wie das BAG zu Recht argumentiert, auf Angaben bezogen ist, denen sich die Vereinbarung einer Verfallklausel als wesentliche Arbeitsbedingung nicht zuordnen lässt.

102 BAG v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18, NZA 2020, 379 Rz. 47; BAG v. 20.6.2018 – 4 AZR 235/15 n. v. (Rz. 23); BAG v. 20.4.2011 – 5 AZR 171/10, NZA 2011, 1173 Rz. 27. 103 BT-Drucks. 13/1753 S. 5. 104 BT-Drucks. 13/1753 S. 14.

117

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

Da der Arbeitsvertrag des Klägers keinen besonderen Hinweis auf die Ausschlussfristenregelung des § 57 KAVO enthielt, musste der Kläger nach alledem so gestellt werden, als wären seine möglicherweise bestehenden Zahlungsansprüche rechtzeitig geltend gemacht worden. Die Entscheidung des BAG ist für die betriebliche Praxis deswegen von Bedeutung, weil sie nicht nur die bisherige Spruchpraxis zum Hinweis auf Kollektivvereinbarungen nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG bestätigt, sondern zugleich verdeutlicht, dass die aus dieser Vorschrift herzuleitende Privilegierung der Mindestangaben nicht auf AGB übertragbar ist. Dies ist nicht nur für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen von Bedeutung, sondern auch für Fälle relevant, bei denen sich wiederholende befristete Arbeitsverhältnisse nach allgemeinen Rahmenbedingungen richten, auf die bei Abschluss des jeweiligen Vertrags vom Arbeitgeber verwiesen wird. Es ist deshalb ratsam, wesentliche Arbeitsbedingungen, etwa eine Ausschlussfristenregelung, erneut in den jeweiligen Arbeitsvertrag aufzunehmen. (Boe)

6.

Anforderungen an die Bezugnahmeklausel bei Arbeitnehmerüberlassung

Grundsätzlich verpflichtet § 8 Abs. 4 AÜG den Verleiher, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (Gleichstellungsgrundsatz). Erhält der Leiharbeitnehmer das für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers im Entleiherbetrieb geschuldete tarifvertragliche Arbeitsentgelt oder in Ermangelung eines solchen ein für vergleichbare Arbeitnehmer in der Einsatzbranche geltendes tarifvertragliches Arbeitsentgelt, wird vermutet, dass der Leiharbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsentgelts gleichgestellt ist. Werden im Betrieb des Entleihers Sachbezüge gewährt, kann ein Wertausgleich in Euro erfolgen. Soweit nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3 a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschritten werden, kann ein Tarifvertrag vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen. In diesem Fall muss der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen gewähren. Besteht keine gesetzliche Tarifbindung, können nichttarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags die Anwendung des Tarifvertrags vereinbaren (§ 8 Abs. 2 AÜG). Die entsprechende Abweichung wird in Bezug auf das Arbeitsentgelt allerdings durch § 8 Abs. 4 AÜG begrenzt. Danach kann ein Tarifvertrag i. S. d. § 8 Abs. 2 AÜG hinsichtlich des Arbeitsentgelts vom 118

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

Da der Arbeitsvertrag des Klägers keinen besonderen Hinweis auf die Ausschlussfristenregelung des § 57 KAVO enthielt, musste der Kläger nach alledem so gestellt werden, als wären seine möglicherweise bestehenden Zahlungsansprüche rechtzeitig geltend gemacht worden. Die Entscheidung des BAG ist für die betriebliche Praxis deswegen von Bedeutung, weil sie nicht nur die bisherige Spruchpraxis zum Hinweis auf Kollektivvereinbarungen nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG bestätigt, sondern zugleich verdeutlicht, dass die aus dieser Vorschrift herzuleitende Privilegierung der Mindestangaben nicht auf AGB übertragbar ist. Dies ist nicht nur für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen von Bedeutung, sondern auch für Fälle relevant, bei denen sich wiederholende befristete Arbeitsverhältnisse nach allgemeinen Rahmenbedingungen richten, auf die bei Abschluss des jeweiligen Vertrags vom Arbeitgeber verwiesen wird. Es ist deshalb ratsam, wesentliche Arbeitsbedingungen, etwa eine Ausschlussfristenregelung, erneut in den jeweiligen Arbeitsvertrag aufzunehmen. (Boe)

6.

Anforderungen an die Bezugnahmeklausel bei Arbeitnehmerüberlassung

Grundsätzlich verpflichtet § 8 Abs. 4 AÜG den Verleiher, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (Gleichstellungsgrundsatz). Erhält der Leiharbeitnehmer das für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers im Entleiherbetrieb geschuldete tarifvertragliche Arbeitsentgelt oder in Ermangelung eines solchen ein für vergleichbare Arbeitnehmer in der Einsatzbranche geltendes tarifvertragliches Arbeitsentgelt, wird vermutet, dass der Leiharbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsentgelts gleichgestellt ist. Werden im Betrieb des Entleihers Sachbezüge gewährt, kann ein Wertausgleich in Euro erfolgen. Soweit nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3 a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschritten werden, kann ein Tarifvertrag vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen. In diesem Fall muss der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen gewähren. Besteht keine gesetzliche Tarifbindung, können nichttarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags die Anwendung des Tarifvertrags vereinbaren (§ 8 Abs. 2 AÜG). Die entsprechende Abweichung wird in Bezug auf das Arbeitsentgelt allerdings durch § 8 Abs. 4 AÜG begrenzt. Danach kann ein Tarifvertrag i. S. d. § 8 Abs. 2 AÜG hinsichtlich des Arbeitsentgelts vom 118

AU-Bescheinigung ohne Arztbesuch – Zulässigkeit und Grenzen in Zeiten von Corona

Gleichstellungsgrundsatz grundsätzlich nur für die ersten neun Monate einer Überlassung an einen Entleiher abweichen. Eine längere Abweichung durch Tarifvertrag ist nur zulässig, wenn nach spätestens 15 Monaten einer Überlassung an einen Entleiher mindestens ein Arbeitsentgelt erreicht wird, das in dem Tarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist, und nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt erfolgt. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Wichtig für die praktische Handhabe ist, dass eine entsprechende Abweichung im Gleichstellungsgebot des § 8 Abs. 1 AÜG an eine vollständige Inbezugnahme des zwischen den jeweiligen Tarifvertragsparteien abgeschlossenen Tarifwerks für die Arbeitnehmerüberlassung erforderlich ist. Darauf hat das BAG mit Urteil vom 16.10.2019105 unter Bezugnahme auf die entsprechende Regelung in §§ 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 S. 1 AÜG a. F. hingewiesen. Unschädlich seien lediglich vertragliche Regelungen über Gegenstände, die tariflich nicht geregelt seien oder die zu Gunsten des Arbeitnehmers von den tariflichen Bestimmungen abweichen. Wichtig ist, diese Anforderungen an die Ausgestaltung einer Bezugnahmeklausel nicht nur dann zu beachten, wenn der Leiharbeitnehmer ausschließlich im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung tätig wird. Relevant wird diese Vorgabe insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer nur zeitweise als Leiharbeitnehmer eingesetzt wird, im Übrigen aber im Betrieb des Verleihers tätig ist, für den an sich ein anderer Tarifvertrag zur Anwendung kommt106. (Ga)

7.

AU-Bescheinigung ohne Arztbesuch – Zulässigkeit und Grenzen in Zeiten von Corona

Nach wie vor hat eine ordnungsgemäß ausgestellte AU-Bescheinigung einen hohen Beweiswert. Darauf hat das BAG bereits mit Urteil vom 11.8.1976107 hingewiesen. Wenn der Arbeitnehmer im Streitfall eine AU-Bescheinigung vorlege, sei – so das BAG – der Beweis der Erkrankung aufgrund der Lebenserfahrung als erbracht anzusehen. Eine gesetzliche Vermutung i. S. d.

105 BAG v. 16.10.2019 – 4 AZR 66/18, NZA 2020, 260 Rz. 16 ff. 106 Eingehend Bissels, NZA 2020, 427. 107 BAG v. 11.8.1976 – 5 AZR 422/75, DB 1977, 119 Rz. 10 ff., 14.

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AU-Bescheinigung ohne Arztbesuch – Zulässigkeit und Grenzen in Zeiten von Corona

Gleichstellungsgrundsatz grundsätzlich nur für die ersten neun Monate einer Überlassung an einen Entleiher abweichen. Eine längere Abweichung durch Tarifvertrag ist nur zulässig, wenn nach spätestens 15 Monaten einer Überlassung an einen Entleiher mindestens ein Arbeitsentgelt erreicht wird, das in dem Tarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist, und nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt erfolgt. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Wichtig für die praktische Handhabe ist, dass eine entsprechende Abweichung im Gleichstellungsgebot des § 8 Abs. 1 AÜG an eine vollständige Inbezugnahme des zwischen den jeweiligen Tarifvertragsparteien abgeschlossenen Tarifwerks für die Arbeitnehmerüberlassung erforderlich ist. Darauf hat das BAG mit Urteil vom 16.10.2019105 unter Bezugnahme auf die entsprechende Regelung in §§ 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 S. 1 AÜG a. F. hingewiesen. Unschädlich seien lediglich vertragliche Regelungen über Gegenstände, die tariflich nicht geregelt seien oder die zu Gunsten des Arbeitnehmers von den tariflichen Bestimmungen abweichen. Wichtig ist, diese Anforderungen an die Ausgestaltung einer Bezugnahmeklausel nicht nur dann zu beachten, wenn der Leiharbeitnehmer ausschließlich im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung tätig wird. Relevant wird diese Vorgabe insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer nur zeitweise als Leiharbeitnehmer eingesetzt wird, im Übrigen aber im Betrieb des Verleihers tätig ist, für den an sich ein anderer Tarifvertrag zur Anwendung kommt106. (Ga)

7.

AU-Bescheinigung ohne Arztbesuch – Zulässigkeit und Grenzen in Zeiten von Corona

Nach wie vor hat eine ordnungsgemäß ausgestellte AU-Bescheinigung einen hohen Beweiswert. Darauf hat das BAG bereits mit Urteil vom 11.8.1976107 hingewiesen. Wenn der Arbeitnehmer im Streitfall eine AU-Bescheinigung vorlege, sei – so das BAG – der Beweis der Erkrankung aufgrund der Lebenserfahrung als erbracht anzusehen. Eine gesetzliche Vermutung i. S. d.

105 BAG v. 16.10.2019 – 4 AZR 66/18, NZA 2020, 260 Rz. 16 ff. 106 Eingehend Bissels, NZA 2020, 427. 107 BAG v. 11.8.1976 – 5 AZR 422/75, DB 1977, 119 Rz. 10 ff., 14.

119

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

§ 292 ZPO für die bescheinigte Erkrankung begründe die AUBescheinigung indes nicht. Trotz des hohen Beweiswerts muss das Arbeitsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung neben der AU-Bescheinigung aber auch solche Tatsachen berücksichtigen, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. In diesem Zusammenhang hat das BAG darauf verwiesen, dass der Beweiswert einer AU-Bescheinigung auch dadurch beeinträchtigt werde, wenn der Arzt den Arbeitnehmer vor der Ausstellung der Bescheinigung nicht untersucht habe108. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Ehefrau des erkrankten Arbeitnehmers dem Arzt die Symptome lediglich telefonisch geschildert. Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir darauf hingewiesen, dass das Ausstellen einer AU-Bescheinigung ohne persönliche Untersuchung berufsrechtlich nicht per se unzulässig ist109. Grundlage ist der im Mai 2018 eingeführte § 7 Abs. 4 S. 3 MBO-Ä, mit dem das Ferndiagnoseverbot gelockert worden ist. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist danach ausnahmsweise erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt110 wird. Die MBO-Ä entfaltet Rechtswirkung, soweit sie durch die jeweilige Ärztekammer als Satzung beschlossen und von der Aufsichtsbehörde genehmigt ist. Mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Brandenburg ist das bei allen Landesärztekammern der Fall. Die Einführung von § 7 Abs. 4 S. 3 MBO-Ä wird nicht nur dann genutzt, wenn dem Betroffenen ein Besuch des behandelnden Arztes als Folge der Erkrankung ausnahmsweise nicht möglich und/oder wenn dieser Besuch mit Blick auf die Gefahren einer Ansteckung nicht sinnvoll erscheint. Diese Überlegungen hatten während der COVID-19-Pandemie zur Folge, dass AU-Bescheinigungen generell auch ohne einen Besuch des Arztes ausgestellt wurden111. Schon vor der COVID-19-Pandemie gab es mehrere Unternehmen, die anboten, auf elektronischem Wege „in wenigen Minuten“ bzw. „mit wenigen Klicks“ zu einer AU-Bescheinigung zu gelangen. Während die Diagnose bei einigen Anbietern per Video-Call gestellt wird, gibt es im 108 109 110 111

120

BAG v. 11.8.1976 – 5 AZR 422/75, DB 1977, 119 Rz. 16. B. Gaul, AktuellAR 2019, 95 ff. Die Aufklärungspflicht folgt aus §§ 8 MBO-Ä, 630 e BGB. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 17 ff.

AU-Bescheinigung ohne Arztbesuch – Zulässigkeit und Grenzen in Zeiten von Corona

Internet andere Anbieter, die es genügen lassen, dass innerhalb eines einfachen Menus mehrere Fragen zu den Krankheitssymptomen beantwortet werden. Wenn diese Symptome aus Sicht des Anbieters eine Arbeitsunfähigkeit nahelegen, wird die AU-Bescheinigung ausgestellt und dem Arbeitnehmer per WhatsApp zugeschickt. Auf diese Weise ist es möglich, bei einer Erkältung/Grippe, Regelschmerzen, Rückenschmerzen, Stress, Migräne, Blasenentzündung oder einer Magen-Darm-Grippe ebenso wie bei akuten Symptomen einer COVID-19-Erkrankung ohne den persönlichen Kontakt mit einem Arzt innerhalb weniger Minuten eine AU-Bescheinigung zu erhalten112. In seiner Entscheidung vom 3.9.2019113 hatte das LG Hamburg zwar über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit des letztgenannten Angebots zu befinden und entschieden, dass das Angebot unlauter sei, weil die Art und Weise der Ausstellung von AU-Bescheinigungen gegen die unternehmerische Sorgfalt verstoße. Eine der ärztlichen Sorgfalt entsprechende AUBescheinigung setze zuverlässige Feststellungen zur Person des Patienten und der Erkrankung voraus. Ohne persönlichen Kontakt sei das bei dem von der Beklagten beworbenen Verfahren nicht sichergestellt, da die AUBescheinigung ausschließlich aufgrund der Angaben des Patienten erstellt werde. Der grundsätzliche Verzicht auf persönlichen Kontakt sei daher mit der ärztlichen Sorgfalt gemäß § 25 MBO-Ä unvereinbar und müsse auch bei leichten Erkrankungen dem Einzelfall vorbehalten bleiben. Hintergrund sei, dass der Arzt die Angaben des Patienten ohne persönlichen Kontakt nicht verifizieren könne. Das würden auch Telefonate und Video-Chats nicht ermöglichen. Das Urteil des LG Hamburg zeigt, dass trotz der Möglichkeit der Ferndiagnose weiterhin berufsrechtliche Grenzen bestehen (ärztliche Sorgfalt)114. Das folgt auch aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 S. 3 MBO-Ä. § 25 S. 1 MBO-Ä verlangt, dass Ärzte bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren haben und ihre ärztliche Überzeugung nach bestem Wissen aussprechen. Das erfordert immer eine ärztliche Untersuchung115, die grundsätzlich im unmittelbaren Kontakt mit dem Patienten stattfinden sollte. Entgegen der von Heider116 vertretenen Ansicht

112 113 114 115

Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 95 ff., 317 ff. LG Hamburg v. 3.9.2019 – 406 HKO 56/19 n. v. Schulenburg/Eibl, RÄ 2020, 22. § 4 S. 2 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie erfordert für die Ausstellung einer AUBescheinigung eine ärztliche Untersuchung. 116 Heider, NZA 2019, 288.

121

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

wird man die Beantwortung eines (umfangreichen) Fragenkatalogs bereits als eine ärztliche Untersuchung qualifizieren können. Führt man sich diese wettbewerbsrechtliche Bewertung vor Augen, wird man davon ausgehen müssen, dass der Beweiswert einer AUBescheinigung, die auf der Grundlage eines im Internet eingestellten Fragenkatalogs erstellt wurde, erschüttert ist117. Dies gilt erst recht, wenn – was gemäß § 5 Abs. 3 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie zulässig ist – ohne persönliche Beratung und Behandlung eine Rückdatierung erfolgt. Die Schlussfolgerung von Ricken, einer aufgrund Ferndiagnose erstellten AU-Bescheinigung sei der erhöhte Beweiswert generell abzusprechen118, dürfte aber zu weit gehen und steht im Widerspruch zur berufsrechtlichen Lockerung. Richtigerweise wird man differenzieren und im Einzelfall prüfen müssen, ob eine ärztliche Untersuchung stattgefunden hat und ob die ärztliche Sorgfalt im Übrigen eingehalten worden ist119. Dabei kann auch nach einer ärztlichen Untersuchung, die ausschließlich über Kommunikationsmedien erfolgt, eine AU-Bescheinigung ausgestellt werden, wenn der Verzicht auf die persönliche Untersuchung die Ausnahme bleibt120. Auch um Missbrauch einzuschränken, wird man allerdings verlangen müssen, dass neben der bloßen Beantwortung von Fragen auch eine Kontaktaufnahme durch Telefon, Bild oder Video erfolgt, sofern dies technisch möglich ist. Denn solche Formen der individuellen Kommunikation ermöglichen dem Arzt weitergehende Diagnosemöglichkeiten, die zur Folge haben, dass mit der notwendigen Sorgfalt eine einzelfallbezogene Einschätzung erfolgen kann. (Ga/Ka)

8.

Datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer biometrischen Arbeitszeiterfassung

Bereits an anderer Stelle hatten wir darüber berichtet, dass die Entscheidung des EuGH vom 14.5.2019121 spätestens nach entsprechenden Maßnahmen des Gesetzgebers bewirken wird, dass übergreifend objektive, verlässliche und zugängliche Systeme der Arbeitszeiterfassung eingeführt werden122.

117 Ebenso LAG Rostock v. 5.8.2004 – 1 Sa 19/04 n. v. (Rz. 16); LAG Hamm v. 10.9.2003 – 18 Sa 721/03, NZA-RR 2004, 292 Rz. 86. 118 BeckOK/Ricken, EFZG § 5 Rz. 27. 119 Vgl. Hahn, ZMGR 2018, 279. 120 Zust. Hahn, ZMGR 2018, 279. 121 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – CCOO. 122 B. Gaul, AktuellAR 2019, 24 ff., 113 ff., 2020, 131 ff.

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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

wird man die Beantwortung eines (umfangreichen) Fragenkatalogs bereits als eine ärztliche Untersuchung qualifizieren können. Führt man sich diese wettbewerbsrechtliche Bewertung vor Augen, wird man davon ausgehen müssen, dass der Beweiswert einer AUBescheinigung, die auf der Grundlage eines im Internet eingestellten Fragenkatalogs erstellt wurde, erschüttert ist117. Dies gilt erst recht, wenn – was gemäß § 5 Abs. 3 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie zulässig ist – ohne persönliche Beratung und Behandlung eine Rückdatierung erfolgt. Die Schlussfolgerung von Ricken, einer aufgrund Ferndiagnose erstellten AU-Bescheinigung sei der erhöhte Beweiswert generell abzusprechen118, dürfte aber zu weit gehen und steht im Widerspruch zur berufsrechtlichen Lockerung. Richtigerweise wird man differenzieren und im Einzelfall prüfen müssen, ob eine ärztliche Untersuchung stattgefunden hat und ob die ärztliche Sorgfalt im Übrigen eingehalten worden ist119. Dabei kann auch nach einer ärztlichen Untersuchung, die ausschließlich über Kommunikationsmedien erfolgt, eine AU-Bescheinigung ausgestellt werden, wenn der Verzicht auf die persönliche Untersuchung die Ausnahme bleibt120. Auch um Missbrauch einzuschränken, wird man allerdings verlangen müssen, dass neben der bloßen Beantwortung von Fragen auch eine Kontaktaufnahme durch Telefon, Bild oder Video erfolgt, sofern dies technisch möglich ist. Denn solche Formen der individuellen Kommunikation ermöglichen dem Arzt weitergehende Diagnosemöglichkeiten, die zur Folge haben, dass mit der notwendigen Sorgfalt eine einzelfallbezogene Einschätzung erfolgen kann. (Ga/Ka)

8.

Datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer biometrischen Arbeitszeiterfassung

Bereits an anderer Stelle hatten wir darüber berichtet, dass die Entscheidung des EuGH vom 14.5.2019121 spätestens nach entsprechenden Maßnahmen des Gesetzgebers bewirken wird, dass übergreifend objektive, verlässliche und zugängliche Systeme der Arbeitszeiterfassung eingeführt werden122.

117 Ebenso LAG Rostock v. 5.8.2004 – 1 Sa 19/04 n. v. (Rz. 16); LAG Hamm v. 10.9.2003 – 18 Sa 721/03, NZA-RR 2004, 292 Rz. 86. 118 BeckOK/Ricken, EFZG § 5 Rz. 27. 119 Vgl. Hahn, ZMGR 2018, 279. 120 Zust. Hahn, ZMGR 2018, 279. 121 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – CCOO. 122 B. Gaul, AktuellAR 2019, 24 ff., 113 ff., 2020, 131 ff.

122

Datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer biometrischen Arbeitszeiterfassung

Bedauerlicherweise liegt ein konkreter Vorschlag des Gesetzgebers, an dem sich die Unternehmen bei der Einleitung entsprechender Maßnahmen ausrichten könnten, bislang noch nicht vor123. Gewissheit besteht nur insoweit, als die EuGH-Entscheidung den Arbeitgeber nicht zu einer bestimmten Technik der Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Vielmehr sind grundsätzlich händische, mechanische oder elektronische Erfassungsformen zulässig124. In seinem Urteil vom 16.10.2019125 musste sich das ArbG Berlin jetzt mit der Frage befassen, ob der Arbeitgeber ohne Einwilligung des Arbeitnehmers ein Zeiterfassungssystem einführen durfte, bei dem die An- und Abmeldung durch die Mitarbeiter mittels biometrischer Daten (Fingerprint) erfolgten. Der Kläger, dessen Dienstzeiten in der Vergangenheit handschriftlich in Dienstplänen erfasst wurden, hatte die Benutzung des neuen Zeiterfassungssystems abgelehnt und dafür zwei Abmahnungen erhalten. Mit der Klage begehrte er die Entfernung dieser Abmahnungen aus der Personalakte. Mit insoweit überzeugender Begründung hatte das ArbG Berlin der Klage stattgegeben. Nach seiner Auffassung war der Arbeitgeber nicht berechtigt, den Arbeitnehmer auf der Grundlage von § 26 Abs. 1, 3 BDSG ohne eine ergänzende Einwilligung zu verpflichten, das Zeiterfassungssystem zu benutzen. Eine solche Einwilligung lag aber ebenso wenig vor wie eine Betriebsvereinbarung. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG berechtigt, personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke der Beschäftigung zu verarbeiten, wenn dies für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses geeignet, erforderlich und angemessen ist. Soweit, wie dies bei biometrischen Daten der Fall ist, die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten in Rede steht, setzt dies nach § 26 Abs. 3 BDSG weiter voraus, dass die Verarbeitung zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt. Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot einer Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten i. S. d. Art. 9 Abs. 1 DSGVO zulässig. Allerdings bleibt der Arbeitgeber gemäß §§ 26 Abs. 3 S. 3, 22 Abs. 2 BDSG verpflichtet, angemessene und spezifische Maßnah123 B. Gaul, AktuellAR 2020, 49 f. 124 B. Gaul, AktuellAR 2019, 24 ff., 113 ff. 125 ArbG Berlin v. 16.10.2019 – 29 Ca 5451/19, NZA-RR 2020, 68.

123

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

men zur Wahrung der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer vorzusehen, die vor allem den Stand der Technik, die Implementierungskosten, die Art und den Umfang der Umstände, die Zwecke der Verarbeitung sowie die unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten und die Schwere der mit der Verarbeitung verbundenen Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen berücksichtigen. Ausgangspunkt der auch im Zusammenhang mit technischen Maßnahmen zur Arbeitszeiterfassung notwendigen Prüfung ist dabei zunächst einmal die Erkenntnis, dass der Arbeitgeber – spätestens nach einer entsprechenden Anpassung von § 16 Abs. 2 ArbZG – verpflichtet ist, ein objektives, verlässliches und zugängliches System der Arbeitszeiterfassung einzuführen. Mit der Einführung einer entsprechenden Arbeitszeiterfassung bewirkt der Arbeitgeber eine Verarbeitung personenbezogener Daten mit dem Ziel der Erfüllung einer aus dem Arbeitsrecht folgenden Verpflichtung. Dabei dürfte eine Erfassung der Arbeitszeit mittels eines biometrischen Erfassungssystems zwar geeignet sein. Zu Recht stellt das ArbG Berlin allerdings die Frage, ob ein solches System auch erforderlich und angemessen ist. Denn bei der insoweit notwendigen Prüfung der Angemessenheit müsse – so das ArbG Berlin – berücksichtigt werden, dass die durch den Arbeitgeber geltend gemachten Zwecke zur Rechtfertigung des mit der Zeiterfassung verbundenen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht umso schwerer liegen müssen, je intensiver der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wirkt. Daher werde das Interesse des Arbeitgebers an einer biometrischen Zugangskontrolle zu Bereichen mit sensiblen Geschäfts-, Produktions- und Entwicklungsgeheimnissen eher überwiegen als bei einer normalen Zugangssicherung oder einer allgemeinen Arbeitszeiterfassung126. Losgelöst von diesen Überlegungen zur Angemessenheit hat das ArbG Berlin auch die Erforderlichkeit abgelehnt. Zwar dürfe bei Maßnahmen zur Arbeitszeiterfassung und/oder Zugangskontrolle berücksichtigt werden, dass es zum Missbrauch solcher Systeme durch Einbeziehung von Kollegen kommen könne. In der Regel sei aber davon auszugehen, dass sich die weit überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer rechtstreu verhalte, so dass durch den Arbeitgeber konkrete Anhaltspunkte für einen solchen Missbrauch in nicht unerheblichem Umfang dargelegt werden müssten. Derartiges habe die Beklagte allerdings nicht getan. Sie habe weder vorgetragen, dass durch das bisherige „händische“ System der Zeiterfassung erheblicher Missbrauch betrieben worden sei, noch habe sie darlegen können, dass bei der Einführung eines anderen Zeiterfassungssystems (ohne die Speicherung biometrischer 126 ArbG Berlin v. 16.10.2019 – 29 Ca 5451/19, NZA-RR 2020, 68 Rz. 33.

124

Datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer biometrischen Arbeitszeiterfassung

Daten) der gleiche Missbrauch im erheblichen Umfang oder auch nur im nennenswerten Umfang zu befürchten gewesen sei. Ebenso wenig habe die Beklagte dargetan, dass etwa der Kläger in der Vergangenheit durch Falschangaben in Bezug auf seine Arbeitszeit aufgefallen sei127. Von diesen Grundsätzen ausgehend bestand keine gesetzliche Rechtfertigung für die Einführung einer Zeiterfassung, bei der biometrische Daten (Fingerprint) nutzbar gemacht wurden. Dieses Ergebnis dürfte auch auf den Fall übertragbar sein, dass die Einführung des Zeiterfassungssystems mit dem Betriebsrat auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung abgestimmt wird. Zwar kann die Verarbeitung personenbezogener Daten, einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses auf der Grundlage einer solchen Betriebsvereinbarung gerechtfertigt werden (§ 26 Abs. 4 BDSG). Aus §§ 26 Abs. 4 S. 2, Abs. 5 BDSG i. V. m. Art. 5 Abs. 1, 6, 88 Abs. 2 DSGVO wird man allerdings die Notwendigkeit ableiten müssen, dass auch insoweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss. Fehlt es an der Erforderlichkeit und/oder Angemessenheit, kann auch die Betriebsvereinbarung keine Rechtfertigung für die Nutzung personenbezogener Daten bieten. Dies gilt erst recht im Anwendungsbereich von §§ 22, 26 Abs. 3 BDSG i. V. m. Art. 9 DSGVO. Eine Missachtung dieses Rahmens einer Verarbeitung personenbezogener Daten stellt ebenfalls eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar, das nach § 75 Abs. 2 BetrVG auch das Handeln der Betriebsparteien begrenzt. Hiervon ausgehend kann nur die Einwilligung nach § 26 Abs. 2, 3 BDSG die Nutzung eines Zeiterfassungssystems rechtfertigen, das biometrische Daten benutzt. Neben den formalen Erfordernissen der Einwilligung aus Art. 7 DSGVO, § 26 Abs. 2 BDSG hinaus setzt dies aber voraus, dass diese Einwilligung durch den Arbeitnehmer freiwillig erteilt wird. Dies ist zwar insbesondere dann der Fall, wenn für den Arbeitnehmer ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht wird oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichgelagerte Interessen verfolgen. Bei der Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung ist dies allerdings je nach Umfang des damit verbundenen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht nicht ohne Weiteres der Fall. Hier wird man die Freiwilligkeit gesondert darlegen und ggf. auch beweisen müssen. (Ga)

127 ArbG Berlin v. 16.10.2019 – 29 Ca 5451/19, NZA-RR 2020, 68 Rz. 34 f.

125

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

9.

Schadenersatzanspruch bei Umsetzung einer rechtswidrigen Versetzung

Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir uns mit der Änderung der Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen einer ermessensfehlerhaften Versetzung befasst. Danach besteht keine – auch keine vorläufige – Bindung des Arbeitnehmers nach §§ 106 S. 1 GewO, 315 BGB an unbillige Weisungen des Arbeitgebers, sofern diese nicht durch den Arbeitnehmer trotz dieser Unbilligkeit akzeptiert werden128. Die frühere Rechtsprechung des 5. Senats des BAG, nach der bei einem (bloßen) Verstoß gegen den Grundsatz billigen Ermessens bis zur rechtkräftigen Feststellung dieser Ermessensfehlerhaftigkeit eine Verpflichtung zur Durchführung bestanden hatte129, hat das BAG aufgegeben. Damit kann der Arbeitnehmer auch bei einer (nur) ermessensfehlerhaften Weisung die Durchführung der Versetzung verweigern130. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechungsänderung hat sich das BAG in seinem Urteil vom 28.11.2019131 jetzt eingehend mit der Frage befasst, ob und ggf. in welcher Höhe der Arbeitnehmer bei der Durchführung einer ermessensfehlerhaften Weisung des Arbeitgebers einen Anspruch auf Schadensersatz geltend machen kann. In der zugrunde liegenden Entscheidung hatte die Beklagte den Kläger im Jahre 2014 „für mindestens zwei Jahre, ggf. auch länger“ vom Betriebssitz in Hessen in die 487 km entfernte Niederlassung in Sachsen versetzt. Zwar erhob der Kläger gegen diese Versetzung, die er für ermessensfehlerhaft hielt, Klage, kam allerdings der Aufforderung nach, in Sachsen zu arbeiten. Dort stellte ihm die Beklagte bis Mitte Februar 2015 eine Dienstwohnung zur Verfügung. Danach mietete sich der Kläger eine private Unterkunft. Eine Vereinbarung über die Erstattung versetzungsbedingter Fahrtkosten oder die Gewährung von Tagegeldern wurde nicht getroffen. Der Kläger fuhr allerdings wöchentlich jeweils sonntags von seinem Hauptwohnsitz in Hessen nach Sachsen und jeweils freitags zurück. Hierfür nutzte er seinen privaten PKW. Die durch den Kläger erhobene Klage wegen der Versetzung wurde durch das LAG Hessen132 am 20.5.2016 mit der Feststellung rechtskräftig abgeschlossen, dass die Versetzung unwirksam war. Der Kläger arbeitete danach

128 BAG v. 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, NZA 2018, 1259 Rz. 18; BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rz. 63. 129 Vgl. BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, 858 Rz. 24. 130 Eingehend Boewer, AktuellAR 2018, 315 ff. 131 BAG v. 28.11.2019 – 8 AZR 125/18, NZA 2020, 589. 132 LAG Hessen v. 10.11.2017 – 10 Sa 964/17 n. v.

126

Schadenersatzanspruch bei Umsetzung einer rechtswidrigen Versetzung

zunächst weiter in Sachsen. Erst mit Schreiben vom 11.10.2016 teilte ihm die Beklagte mit, dass er ab dem 17.10.2016 wieder in Hessen arbeiten solle. Mit der zuletzt beim BAG anhängigen Klage machte der Kläger den Ersatz der ihm in der Zeit von Juli bis September 2016 für die wöchentlichen Heimreisen entstandenen Reisekosten sowie die Zahlung von Tagegeldern für dieselbe Zeit geltend. Hinsichtlich der Tagegelder verwies er auf eine tarifvertragliche Regelung, die kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis Geltung beanspruchte. Danach sollte der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen für Montagearbeiten ein Tagegeld zahlen. Zur Begründung des Anspruchs auf die Reisekosten verwies der Kläger auf steuerliche Vorschriften, die nach seiner Auffassung analog zur Anwendung kommen sollten. Mit seinem Urteil vom 28.11.2019133 hat das BAG zunächst einmal den Anspruch auf Erstattung der Reisekosten anerkannt. Dabei hat es das BAG zwar abgelehnt, auf die tarifvertragliche Regelung zu Montagearbeiten abzustellen. Denn mit der Versetzung des Klägers in eine andere Niederlassung sei keine Montagearbeit verbunden, die typischerweise außerhalb des Betriebs erfolge. Eine analoge Anwendbarkeit der tarifvertraglichen Regelung scheitere an den dafür erforderlichen Voraussetzungen. Weder sei eine planwidrige Regelungslücke erkennbar noch bestünden Anhaltspunkte dafür, wie die Tarifvertragsparteien den streitgegenständlichen Sachverhalt hätten regeln wollen. Grundlage für den Anspruch des Klägers auf Erstattung der Reisekosten war daher ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Denn mit der rechtswidrigen Versetzung des Klägers habe die Beklagte schuldhaft ihre Vertragspflichten verletzt. Dies gelte auch für die Zeit nach Rechtskraft der Entscheidung des LAG Hessen. Denn die Beklagte habe auch nach dieser Entscheidung ihre Versetzung nicht etwa zurückgenommen, sondern weiterhin erwartet, dass der Kläger in Sachsen arbeite. Eine Minderung des Schadensersatzanspruchs wegen Mitverschuldens des Klägers lege nicht vor. Zum einen habe der Kläger nicht schuldhaft gehandelt, als er die unwirksame Versetzung durch die Beklagte befolgte. Denn es sei ihm im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht zumutbar gewesen, der Versetzung, deren Wirksamkeit oder Unwirksamkeit jedenfalls bis zur rechtskräftigen Entscheidung des LAG Hessen noch nicht geklärt gewesen sei, nicht nachzukommen. Der Gefahr einer arbeitsrechtlichen Sanktion durch die Beklagte etwa in Form einer

133 BAG v. 28.11.2019 – 8 AZR 125/18, NZA 2020, 589 Rz. 13 ff.

127

Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag

Abmahnung oder sogar Kündigung habe er sich nicht aussetzen müssen. Im Übrigen habe die Beklagte die Versetzung ausdrücklich als nur „vorübergehende“ Maßnahme bezeichnet. Vor diesem Hintergrund sei er auch nicht gehalten gewesen, den Schaden dadurch abzuwenden, dass er seinen bisherigen Wohnsitz in Hessen aufgegeben hätte. Die Höhe des Schadensersatzanspruchs hat das BAG auf der Grundlage des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVGG) mit 0,30 € für jeden gefahrenen Kilometer bestimmt. Zur Begründung hat das BAG insoweit nicht nur auf § 287 Abs. 1 ZPO verwiesen. Das BAG hat zugleich auch abgelehnt, auf das Bundesreisekostengesetz (BRKG) und die Trennungsgeldverordnung (TGV) abzustellen. Auf der Grundlage dieser Vorschriften hatte das LAG Hessen lediglich einen Anspruch auf eine Erstattung der Kosten einer Heimfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln (2. Klasse) – alle zwei Wochen – anerkannt. Nach den insoweit überzeugenden Feststellungen des BAG handelt es sich bei der TGV um eine Regelung für den öffentlichen Dienst, die umfassend verschiedene Ansprüche (auf Trennungstagegeld, Trennungsreisegeld, Reisebeihilfe für Heimfahrten) aus in § 1 TGV bestimmten Anlässen betreffe und dabei zudem davon ausgehe, dass unter gewissen Voraussetzungen daneben ein Anspruch auf Umzugskostenvergütung bestehe. Aus diesem komplexen Regelungssystem heraus ließen sich keine einzelnen Bestimmungen isoliert herausgreifen, weil hierdurch der tatsächlich für den Arbeitnehmer bei einer unwirksamen Versetzung entstehender Mehraufwand nicht abgebildet werde134. Im Gegensatz dazu erscheine es dem 8. Senat des BAG angemessen, sich an den Bestimmungen über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen zu orientieren, die auch sonst in der gerichtlichen Praxis zur Schätzung von Fahrtkosten herangezogen würden. Maßgeblich sei dabei allerdings der für Sachverständige, Dolmetscherinnen, Dolmetscher, Übersetzerinnen und Übersetzer geltende Wert i. H. v. 0,30 € pro Kilometer. Dass Zeugen nur eine Erstattung i. H. v. 0,25 € pro Kilometer erhielten, sei dadurch gerechtfertigt, dass sie mit ihrer Anreise zu einem Termin eine staatsbürgerliche Pflicht erfüllten. In gleicher Weise hat es das BAG auch abgelehnt, die Erstattung nur für eine Heimreise im Zwei-Wochen-Rhythmus anzuerkennen. Der Kläger habe seinen Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt in Hessen gehabt. Aus der Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) lasse sich keine Obliegenheit ableiten, jedes zweite Wochenende an dem Einsatzort in Sachsen zu verbringen.

134 BAG v. 28.11.2019 – 8 AZR 125/18, NZA 2020, 589 Rz. 34 ff.

128

Schadenersatzanspruch bei Umsetzung einer rechtswidrigen Versetzung

An diesen Feststellungen anknüpfend hat das BAG allerdings einen Anspruch auf Zahlung eines Tagegeldes abgelehnt. Zum einen komme auch insoweit die tarifvertragliche Regelung zu den Montagetätigkeiten nicht zur Anwendung. Zum anderen sei gar nicht erkennbar, ob der Kläger durch seine Versetzung tatsächlich einen erhöhten Verpflegungsmehraufwand gehabt habe. Schon dies stehe etwaigen Ansprüchen aus § 607 BGB analog bzw. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB entgegen135. (Ga)

135 BAG v. 28.11.2019 – 8 AZR 125/18, NZA 2020, 589 Rz. 40 ff.

129

D. Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub 1.

Unmittelbarer Anspruch auf Durchführung der EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung

Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber bislang keine Vorschläge vorgelegt, auf deren Grundlage eine Umsetzung der Vorgaben des EuGH in seinem Urteil vom 14.5.20191 erfolgen könnte. In dieser Entscheidung hatte der EuGH nicht nur die These aufgestellt, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien sicherzustellen, dass die Arbeitgeber ein System einrichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden könne. Unter Bezugnahme auf Art. 4 Abs. 1, 11 Abs. 3, 16 Abs. 3 Richtlinie 89/391/EWG sowie Art. 31 Abs. 2 GRC hatte der EuGH darüber hinaus konkretisiert, dass das System „objektiv, verlässlich und zugänglich“ sein müsse2. Wir hatten uns bereits mit den diesbezüglichen Fragen befasst3. Bei den Fragen zur Umsetzung der EuGH-Entscheidung geht es nicht nur um den Umfang der Aufzeichnungspflichten, eine Berechtigung des Arbeitgebers zur Delegation der Arbeitszeiterfassung und etwaige Vorgaben, die die Technik der Arbeitszeiterfassung betreffen. Insbesondere der letztgenannte Punkt prägt ganz entscheidend die Frage, ob Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertreter und/oder Behörden eine bestimmte Form der Arbeitszeiterfassung durchsetzen können. Angesichts der fehlenden Handlungsvorgaben durch den deutschen Gesetzgeber stellt sich zunehmend die Frage, ob Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertreter und Behörden schon heute eine Pflicht des Arbeitgebers zur Dokumentation der Arbeitszeit auch ohne eine Korrektur bzw. Ergänzung des ArbZG annehmen können oder ob eine Handlungspflicht des Arbeitgebers erst dann besteht, wenn die Vorgaben des EuGH auf gesetzlicher Ebene umgesetzt wurden. Die Bundesregierung scheint – in Übereinstimmung mit den Arbeitgeberverbänden – davon auszugehen, dass Handlungspflichten der Arbeitgeber-

1 2

3

EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – CCOO. Ausf. dazu vgl. Bettinghausen, BB 2019, 2740; Brors, NZA 2019, 1176; Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278; Höpfner/Daum, RdA 2019, 270; Hüpers/Reese, RdA 2020, 53; Jacobs, ZFA 2019, 265; Klein/Leist, ZESAR 2019, 365, 397; Kohte, AuR 2019, 402; Kössel, DB 2019, 1958; Meyer, RdA 2020, 25; Niklas, ArbRB 2019, 275; Reinhard, NZA 2019, 1313; Schipp, ArbRB 2019, 282; Stausberg, AiB 12/2019, 24; Thüsing/Rombey/Schippers, NZA 2020, 480; Wiesenecker, BB 2020, 564; Windeln/de Kruijff, ArbRB 2019, 285. B. Gaul, AktuellAR 2019, 417 ff.

131

Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

seite erst dann bestehen, wenn die gesetzliche Grundlage – insbesondere § 16 Abs. 2 ArbZG – entsprechend angepasst wurde4. Hiervon ausgehend könnte die betriebliche Praxis zu der Auffassung gelangen, dass erst einmal abgewartet werden kann. Schließlich ist derzeit gar nicht erkennbar, ob der Gesetzgeber es bei der Einfügung einer Dokumentationsverpflichtung belässt oder ob er – was unionsrechtlich möglich wäre – weitergehende Regelungen zur Einschränkung des gesetzlichen Geltungsbereichs treffen würde. Dies könnte zu einer Ausgrenzung von Arbeitnehmern mit einem bestimmten Mindesteinkommen, einer bestimmten Funktion (z. B. Führungskräfte außerhalb des Kreises der leitenden Angestellten) oder einer bestimmten Tätigkeit (z. B. Rechtsanwälte/Syndikusrechtsanwälte) führen5 und daraus folgend auch die Handlungspflichten des Arbeitgebers beschränken. Denkbar ist ebenfalls, dass unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit und dem jeweiligen Gehalt eine vertragliche Regelung zugelassen wird, auf deren Grundlage unter bestimmten Voraussetzungen eine Anwendbarkeit einzelner Schranken des Arbeitszeitrechts ausgeschlossen werden kann (opt-in/optout). Eine solche Regelung könnte Ausgangspunkt für den Fortbestand insbesondere des Modells der Vertrauensarbeitszeit sein. Der mit diesen Überlegungen verbundene Aufschub etwaiger Handlungspflichten des Arbeitgebers, die in jedem Zweifel auch mit Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 6 BetrVG verbunden sind, entfällt allerdings dann, wenn man von einer unmittelbaren Anwendbarkeit der durch den EuGH im Urteil vom 14.5.20196 entwickelten Grundsätze ausgehen sollte. Diese Sichtweise wird nicht nur von einem sehr beachtlichen Teil der Literatur mit der Begründung vertreten, dass der EuGH in seinem Urteil zur Rechtfertigung der arbeitgeberseitigen Handlungspflichten jeweils auch auf Art. 31 Abs. 2 GRC verwiesen und dabei den Eindruck erweckt habe, dass daraus eine unmittelbare Handlungspflicht auch innerhalb einer privatrechtlichen Rechtsbeziehung vermittelt werde, ohne dass es einer weitergehenden Umsetzung durch die einzelnen Mitgliedstatten bedürfe7. Dafür sprechen im Übrigen auch die Feststellungen des EuGH in seinem Urteil vom 19.11.20198, auf das wir an anderer Stelle verwiesen haben9. In dieser Entscheidung hatte der EuGH zwar zunächst einmal deutlich gemacht, 4 5 6 7 8 9

Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 24 ff., 303 f. Vgl. Thüsing/Rombey/Schippers, NZA 2020, 480. EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – CCOO. Vgl. Bayreuther, EuZW 2019, 446, 447 f.; Heuschmid, NJW 2019, 1853, 1854; Ulber, NZA 2019, 677, 680. EuGH v. 19.11.2019 – C-609/17, C-610/17, NZA 2019, 1631 – TSN, AKT. Boewer, AktuellAR 2020, 172 ff.

132

Anspruch auf Durchführung der EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung

dass Art. 31 Abs. 2 GRC, auf den er sich bei seiner arbeitszeitrechtlichen Rechtsprechung bezieht, gemäß Art. 51 Abs. 1 GRC für die Mitgliedstaaten nur dann und insoweit verbindlich ist, als es um die Durchführung des Rechts der Union geht. Daher habe Art. 31 Abs. 2 GRC innerhalb der Mitgliedstaaten auch keine Bedeutung in Bezug auf Regelungen, die außerhalb des Anwendungsbereichs einer Richtlinie getroffen würden. Folgerichtig können etwaige Handlungsvorgaben hinsichtlich des unionsrechtlich abgesicherten Mindesturlaubs unberücksichtigt bleiben, wenn auf nationaler Ebene – durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag – Regelungen über einen freiwilligen Mehrurlaub getroffen würden. Im Umkehrschluss wird man aus diesen Feststellungen des EuGH allerdings auch schließen müssen, dass Art. 31 Abs. 2 GRC eine unmittelbare Handlungspflicht in Bezug auf solche Rechte und Pflichten begründet, die in den Anwendungsbereich einer Richtlinie fallen. Hiervon ausgehend begründet die Richtlinie 2003/88/EG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 GRC eine unmittelbare Handlungspflicht des Arbeitgebers zur Dokumentation der wöchentlichen Arbeitszeit, des täglichen Beginns und des täglichen Endes der Arbeitszeit sowie ihrer Verteilung auf die einzelnen Wochentage, ohne dass dafür ein Handeln des Gesetzgebers erforderlich ist. Folgt man der Rechtsprechung des EuGH, ist diese Dokumentation erforderlich, um die Einhaltung der durch die Richtlinie begründeten Vorgaben in Bezug auf die Wochenarbeitszeit, die Ruhezeiten und den wöchentlichen Ruhetag zu überprüfen. Nur dort, wo der Gesetzgeber durch § 3 ArbZG eine darüber hinausgehende Grenze im Hinblick auf die tägliche Arbeitszeit geschaffen hat, kann deren Erfassung auf der Grundlage von Art. 31 Abs. 2 GRC nicht verlangt werden. In seinem Urteil vom 20.2.202010 schließt sich das ArbG Emden dieser Auffassung einer unmittelbaren Handlungspflicht in Bezug auf die Umsetzung der Dokumentationserfordernisse aus Art. 31 Abs. 2 GRC an. Diese Verpflichtung treffe den Arbeitgeber auch ohne richtlinienkonforme Auslegung des § 16 Abs. 2 ArbZG oder eine weitergehende Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber. Bedauerlicherweise verzichtet das ArbG Emden in den weiteren Feststellungen seiner Entscheidung aber darauf zu begründen, warum etwaige Handlungsvorgaben aus Richtlinie 2003/88/EG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 GRC, die die Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne betreffen, Konsequenzen für die Geltendmachung der Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne haben sollen. Die Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne fällt nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88/EG. Darauf hatte der EuGH bereits in seiner Entscheidung zur Einbeziehung der Reise-

10 ArbG Emden v. 20.2.2020 – 2 Ca 94/19, ZIP 2020, 1094.

133

Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

zeiten im Außendienst in den Begriff der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne hingewiesen11. Folgerichtig steht auch keine Missachtung unionsrechtlicher Handlungspflichten in Rede, die zum Anlass genommen werden kann, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO den dahingehenden Vortrag des Klägers zum Umfang seiner vergütungspflichtigen Arbeitszeit als zugestanden zu betrachten. Vielmehr bleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen des BAG zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zusammenhang mit der prozessualen Geltendmachung von Überstunden12. Denkbar wäre allenfalls, dass der Arbeitnehmer zunächst einmal Klage auf Auskunft über den Umfang der geleisteten Arbeit erhebt, um daran anknüpfend dann Klage auf Auszahlung der sich daraus ergebenden Vergütung zu erheben. Diese Möglichkeit einer Stufenklage hatte das BAG zu § 21 a Abs. 7 ArbZG anerkannt13. Folgt man der Auffassung einer unmittelbaren Handlungspflicht des Arbeitgebers in Bezug auf die arbeitszeitrechtlichen Dokumentationserfordernisse, kann deren Einhaltung auch durch den Betriebsrat im Rahmen von §§ 80 Abs. 1 Nr. 1, 89 BetrVG geltend gemacht werden. Zulässig wäre, insoweit auch die zuständigen Behörden einzubinden. Da sich aus dem Unionsrecht keine Verpflichtung zu einer bestimmten Form der Arbeitszeiterfassung ableiten lässt14, bleibt der Arbeitgeber aber weiter berechtigt, ohne Mitbestimmung des Betriebsrats über die Art der Arbeitszeiterfassung zu entscheiden. Sie muss lediglich objektiv, verlässlich und zugänglich sein. Erst im Anschluss an diese Entscheidung kommen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 6 BetrVG in Betracht. Ausgehend davon, dass der Gesetzgeber jedenfalls eine Pflicht zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Dokumentation der Arbeitszeit der im Geltungsbereich des ArbZG beschäftigten Arbeitnehmer einführen wird, ist der betrieblichen Praxis zu empfehlen, diese Überlegungen kurzfristig einzubeziehen und daran anknüpfend – ggf. auf freiwilliger Ebene – auch eine Beteiligung des Betriebsrats einzuleiten. Denn es ist mit Blick auf den zeitlichen Abstand zum Bekanntwerden der Sichtweise des EuGH nicht zu erwarten, dass der Gesetzgeber – was unionsrechtlich ohnehin unzulässig wäre – eine Übergangsregelung einführt. (Ga)

11 12 13 14

EuGH v. 11.1.2007 – C-437/05 n. v. (Rz. 33) – Vorel. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 573, 577 f. Vgl. BAG v. 28.8.2019 – 5 AZR 425/18, NZA 2019, 1645 Rz. 16. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 417, 420 ff.

134

Präklusion des Arbeitgebers durch die Gründe in der Ablehnung einer Teilzeit

2.

Präklusion des Arbeitgebers durch die Gründe in der Ablehnung einer Teilzeit während der Elternzeit

Der bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres eines Kindes bestehende Anspruch auf Elternzeit (§ 15 Abs. 2 S. 1 BEEG), der zu einem Anteil von bis zu 24 Monaten zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden kann (§ 15 Abs. 2 S. 2 BEEG), führt bei einer fehlenden Teilzeitbeschäftigung zu einem Ruhen der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und der Vergütungspflicht des Arbeitgebers15. Der Gesetzgeber eröffnet jedoch dem Arbeitnehmer während der Elternzeit die Alternative, einer Teilzeittätigkeit nachgehen zu dürfen, die allerdings für mindestens zwei Monate vom Umfang her nicht weniger als 15 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats betragen darf (§ 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 BEEG). Dies gilt unabhängig davon, ob die Teilzeiterwerbstätigkeit bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber wahrgenommen wird. Soweit der Arbeitnehmer die Verringerung seiner Arbeitsverpflichtung bei seinem bisherigen Arbeitgeber – was dem Regelfall entspricht – wahrnehmen will, sieht § 15 Abs. 5 bis 7 BEEG ein gestuftes Verfahren vor, das mit einer Beantragung der Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit beim Arbeitgeber eingeleitet wird und zunächst innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen in einer Konsenslösung enden soll (§ 15 Abs. 5 S. 1, 2 BEEG)16. Führt die vom Gesetzgeber vorrangig vorgesehene Konsenslösung zu keinem Ergebnis, kann nunmehr in einer zweiten Stufe ein durch Klage vor dem Arbeitsgericht durchsetzbarer Anspruch auf Verringerung und entsprechende Verteilung der Arbeitszeit verfolgt werden (§ 15 Abs. 6, 7 BEEG). Soweit der Arbeitnehmer zunächst nur einen Teil der ihm zustehenden Elternzeit für eine Teilzeittätigkeit nutzen will, was vor allem relevant wird, wenn er einen Anteil der Elternzeit auf die Zeit nach dem dritten Geburtstag des Kindes verlegt, kann er erneut (insgesamt zweimal)17 eine Verringerung seiner Arbeitszeit vom Arbeitgeber beanspruchen. Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine einseitige Durchsetzung der Elternteilzeitarbeit hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 7 BEEG geregelt, weil insoweit mangels einer einvernehmlichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber eine entsprechende Leistungsklage nach § 894 ZPO auf Abgabe einer Willenserklärung des Arbeitgebers zu der vom Arbeitnehmer ge15 Ausf. dazu HWK/Gaul, BEEG § 15 Rz. 1 ff. 16 HWK/Gaul, BEEG § 15 Rz. 13 ff. 17 Im Konsensverfahren erzielte Einigungen sind darauf nicht anzurechnen: BAG v. 19.2.2013 – 9 AZR 461/11, NZA 2013, 907 Rz. 19; abl. HWK/Gaul, BEEG § 15 Rz. 13.

135

Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

wünschten Veränderung seiner Arbeitszeit erforderlich ist18. Zu den allgemeinen Voraussetzungen des Anspruchs auf Teilzeitarbeit gehört dabei unter anderem, dass dieser dem Arbeitgeber für den Zeitraum bis zum vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes sieben Wochen und für den Zeitraum zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes 13 Wochen vor Beginn der Teilzeittätigkeit schriftlich mitgeteilt wird (§ 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BEEG). Insoweit bedarf der an den Arbeitgeber zu richtende Vertragsänderungsantrag des Arbeitnehmers einer so genauen Konkretisierung hinsichtlich des verringerten Umfangs und ggf. der Verteilung der Arbeitszeit sowie des Beginns und der Dauer ihrer Inanspruchnahme (§ 145 BGB), dass auch im Falle des Schweigens oder einer verspäteten Ablehnung des Arbeitgebers nach § 15 Abs. 7 S. 4 bis 6 BEEG kein Zweifel über den Inhalt der Vertragsänderung besteht19. Da auch das Ziel der Klage auf eine Vertragsänderung gerichtet ist, muss der Verringerungs- und Verteilungsantrag hinsichtlich seiner Bestimmtheit (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) so konkret formuliert sein, dass eine entsprechende Verurteilung des Arbeitgebers keinen Zweifel über den Inhalt (Umfang und ggf. die gewünschte Verteilung) sowie den Beginn und die Dauer der Vertragsänderung aufkommen lassen darf20. Zu den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen nach § 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BEEG gehört, dass dem Anspruch keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen dürfen. Diese Einschränkung des Anspruchs auf Teilzeit setzt allerdings voraus, dass sich der Arbeitgeber ausdrücklich darauf, spätestens innerhalb von vier Wochen nach Zugang des Antrags bis zum vollendeten dritten Lebensjahr und danach spätestens innerhalb von acht Wochen nach Zugang des Antrags bis zum vollendeten achten Lebensjahr des Kindes, mit einer schriftlichen Begründung beruft und den Antrag des Arbeitnehmers schriftlich ablehnt (§ 15 Abs. 7 S. 4 bis 6 BEEG). Ein derartiges Begründungserfordernis des Arbeitgebers stand im Fokus der Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 24.9.201921. Es ging dabei um die Frage, ob und inwieweit ein Arbeitgeber auch noch während der prozessualen Auseinandersetzung um die Zustimmung zu dem Angebot, das Arbeits18 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 435/18, NZA 2020, 340 Rz. 14 f.; BAG v. 18.7.2017 – 9 AZR 259/16, NZA 2017, 1401 Rz. 10. 19 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 435/18, NZA 2020, 340 Rz. 14; BAG v. 16.4.2013 – 9 AZR 535/11 n. v. (Rz. 14); BAG v. 19.4.2005 – 9 AZR 233/04, NZA 2005, 1354 Rz. 17. 20 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 435/18, NZA 2020, 340 Rz. 14; BAG v. 16.4.2013 – 9 AZR 535/11 n. v. (Rz. 14). 21 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 435/18, NZA 2020, 340.

136

Präklusion des Arbeitgebers durch die Gründe in der Ablehnung einer Teilzeit

verhältnis während der Elternzeit als Teilzeitarbeitsverhältnis fortzuführen, zusätzlich zu den Umständen für das Vorliegen dringender betrieblicher Gründe – hier des vollständigen Wegfalls des Arbeitsplatzes der Klägerin – die Ablehnung des Anspruchs auf Teilzeit vorbringen kann, die nicht Gegenstand seines form- und fristgerechten Ablehnungsschreibens gewesen war. Die Klägerin ist bei der Beklagten, die Kakaobohnen verarbeitete, seit dem 15.9.2008 zuletzt als Senior Operator in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt gewesen. Die Produktion im Betrieb der Beklagten wurde in einem vollkontinuierlichen Schichtsystem mit drei Schichten von 6:00 Uhr bis 14:15 Uhr (Frühschicht), 14:00 Uhr bis 22:15 Uhr (Spätschicht) und von 22:00 Uhr bis 6:15 Uhr (Nachtschicht) des Folgetages vollzogen. Jeder Arbeitnehmer war einer der Schichtgruppen zugeordnet. Mit Schreiben vom 8.4.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass infolge einer Umorganisation des Produktionsprozesses ihr Arbeitsplatz zukünftig wegfallen werde. Am 25.9.2016 wurde das zweite Kind der Klägerin geboren. Mit Schreiben vom 29.9.2016 nahm die Klägerin vom 22.11.2016 bis zum 24.9.2019 Elternzeit in Anspruch und beantragte in einem weiteren Schreiben vom selben Tag, sie während der Elternzeit ab dem 25.9.2017 in Teilzeit mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 20 Stunden, verteilt auf die Wochentage Montag bis Donnerstag von 6:30 Uhr bis 11:30 Uhr zu beschäftigen. Mit Schreiben vom 8.10.2016 lehnte die Beklagte das Teilzeitbegehren der Klägerin ab. Zur Begründung hieß es in dem Schreiben: Wir haben einen rollierenden Schichtbetrieb, der Ihrem Teilzeitwunsch entgegensteht. Die von Ihnen gewünschten Arbeitszeiten sind in dieses Schichtsystem nicht zu integrieren. Die Frühschicht beginnt um 6:00 Uhr und endet um 14:30 Uhr, so dass Sie entweder eine Person zu viel in der Schicht wären oder aber die Schicht wäre für insgesamt 3,5 Stunden unterbesetzt. Die eine Variante würde uns unangemessen wirtschaftlich belasten, die andere Variante würde zu einer Gefährdung der Produktion führen. Eine anderweitige Einsatzmöglichkeit außerhalb des Schichtsystems gibt es für Sie nicht.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten auf Zustimmung zu ihrem Antrag auf Verringerung ihrer vertraglichen Arbeitszeit auf 20 Wochenstunden vom 25.9.2017 bis zum 24.9.2019 und vorrangig auf eine Verteilung der Arbeitszeit auf Montag bis Donnerstag von 6:00 Uhr bis 11:00 Uhr, hilfsweise von 6:30 Uhr bis 11:30 Uhr, in Anspruch genommen. Zur Begründung ihres Abweisungsantrags hat sich die Beklagte unter anderem darauf berufen, dass es die von der Klägerin vertraglich besetzte Position eines Senior Operators seit der Umorganisation im Jahre 2016 nicht mehr gebe. 137

Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

Das ArbG Hamburg22 hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das LAG Hamburg23 das Urteil des ArbG Hamburg abgeändert und die Klage abgewiesen, weil die von der Klägerin gewünschte Verringerung der Arbeitszeit mit Wegfall ihrer konkreten Beschäftigung auf eine unmögliche Leistung gerichtet sei, die unabhängig von der Dauer der Arbeitszeit nicht erbracht werden könne. Hierfür habe es keiner Begründung nach § 15 Abs. 7 S. 4 BEEG bedurft. Im Übrigen sei die Frist für das Ablehnungsschreiben keine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf andere Gründe nicht mehr vorgebracht werden könnten. Dieser Argumentation ist das BAG nicht gefolgt und hat den Rechtsstreit hinsichtlich des Hilfsantrags an das LAG zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Da das Entscheidungsdatum der Entscheidung des BAG auf das Ende der Elternzeit der Klägerin fiel, womit sich der Rechtsstreit eigentlich durch Zeitablauf erledigt hatte, prüft das BAG zunächst, ob für die auf Vertragsänderung gerichtete Leistungsklage noch ein Rechtsschutzbedürfnis bestanden hat24 und bejaht dies, weil die verlangte Elternteilzeit wegen möglicher Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung noch finanzielle Auswirkungen haben kann25. In diesem Zusammenhang übersieht das BAG, dass die für die Vertragsänderung erforderliche Zustimmungserklärung des Arbeitgebers gemäß § 894 ZPO erst mit Rechtskraft des Urteils – wenn auch rückwirkend (§ 311 a BGB) – als abgegeben gilt, so dass keine Ansprüche aus Annahmeverzug (§ 615 S. 1 BGB), sondern ausschließlich Ansprüche auf Nachzahlung der Vergütung für die vorenthaltene Teilzeittätigkeit aus §§ 611 a Abs. 2, 326 Abs. 2 Alt. 1, 275 BGB als Schadensersatz infrage kommen26, weil die unberechtigte Ablehnung des Elternteilzeitantrags durch die Beklagte zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung und damit nach § 275 Abs. 1 BGB zum Ausschluss des Leistungsanspruchs geführt hätte. Unter Hinweis auf § 311 a BGB hat das BAG kein Problem darin gesehen, dass die Klägerin die rückwirkende Verringerung und Neuverteilung ihrer Arbeitszeit verlangt hat und die erstrebte Fiktion der Abgabe der Annahme-

22 ArbG Hamburg v. 17.11.2017 – 1 Ca 44/17 n. v. 23 LAG Hamburg v. 24.5.2018 – 1 Sa 2/18 n. v. 24 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 435/18, NZA 2020, 340 Rz. 16; BAG v. 15.12.2009 – 9 AZR 72/09, NZA 2010, 447 Rz. 25 m. w. N. 25 BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 298/18, NZA 2019, 616 Rz. 18 f.; BAG v. 15.4.2008 – 9 AZR 380/07, NZA 2008, 998 Rz. 16 m. w. N. 26 So auch BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 298/18, NZA 2019, 616 Rz. 21.

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Präklusion des Arbeitgebers durch die Gründe in der Ablehnung einer Teilzeit

erklärung nach § 894 S. 1 ZPO zum Abschluss eines Vertrags führt, der rückwirkend Rechte und Pflichten begründet27. In Übereinstimmung mit der Entscheidung des LAG hält auch das BAG im Ergebnis den Hauptantrag der Klägerin für unbegründet, was jedoch im Gegensatz zur Begründung des LAG nicht auf dem Umstand des Arbeitsplatzwegfalls der Klägerin beruhen kann, der von der Beklagten nicht im Ablehnungsschreiben vom 18.10.2016 genannt worden ist. Der Arbeitgeber kann sich danach in einem gerichtlichen Verfahren nur auf solche Ablehnungsgründe berufen, die er in einem form- und fristgerechten Schreiben i. S. v. § 15 Abs. 7 S. 4 bis 6 BEEG bezeichnet hat. Daraus folgert das BAG, dass der Arbeitgeber im gerichtlichen Verfahren mit anderen als den im Ablehnungsschreiben genannten Gründen präkludiert ist. Dieses Ergebnis entnimmt das BAG dem in § 15 Abs. 7 S. 4 BEEG vorgesehenen Begründungserfordernis, das dem Arbeitnehmer eine tatsachenbasierte Beurteilungsgrundlage für die Erfolgsaussichten einer Klage auf Zustimmung zur begehrten Elternteilzeit verschaffen soll. Dieses Regelungsziel ließe sich nur erreichen, wenn der Arbeitgeber im späteren Prozess die von ihm begehrte Klageabweisung ausschließlich auf solche Gründe stützen kann, die er dem Arbeitnehmer zuvor im Ablehnungsschreiben mitgeteilt hat28. Das BAG hält ungeachtet dessen den Hauptantrag der Klägerin deswegen für unbegründet, weil sie der Beklagten nach Abschluss des Konsensverfahrens ein konkretes Vertragsänderungsangebot unterbreitet hat, das auf eine Ablehnung der Beklagten gestoßen ist, aber mit dem Hauptantrag nicht zum Gegenstand einer Klage vor dem Arbeitsgericht auf Abgabe einer Willenserklärung gemacht worden ist. Hat sich das Konsensverfahren, in dem der Arbeitnehmer noch kein annahmefähiges Vertragsänderungsangebot (§ 145 BGB) auf Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit vornehmen muss, ergebnislos erledigt, ist die vom Arbeitnehmer gewünschte Fortsetzung des Verfahrens nach § 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BEEG mit einem dem Arbeitgeber mitzuteilenden, annahmefähigen schriftlichen Vertragsänderungsangebot verbunden, das nach § 15 Abs. 7 S. 2 BEEG den Beginn, den Umfang und ggf. die gewünschte Verteilung der verringerten Arbeitszeit zu enthalten hat. Bei einer formgerechten und fristgerechten Ablehnung des Arbeitgebers ist damit nach Auffassung des BAG das vorgerichtliche Verfahren abgeschlossen mit der Maßgabe, dass sich dann nur mit diesem Vertragsänderungsangebot das gerichtliche Verfahren zu seiner Durchsetzung anschließt. Diese 27 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 435/18, NZA 2020, 340 Rz. 24; BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 298/18, NZA 2019, 616 Rz. 24. 28 Ebenso bereits HWK/Gaul, BEEG § 15 Rz. 21.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

Schlussfolgerung des BAG überzeugt schon deshalb, weil sich das vorgerichtliche Verfahren als überflüssig erwiese, wenn nunmehr bei der entsprechenden Klage auf Abgabe einer Willenserklärung ein ganz anderes Vertragsänderungsverlangen durchgesetzt werden soll. In Anbetracht dessen erwies sich der Hauptantrag der Klägerin schon deswegen als unbegründet, weil sie ihr Vertragsänderungsverlangen hinsichtlich der mit der Verringerung der Arbeitszeit verbundenen Verteilung der Arbeitszeit gegenüber dem vorgerichtlichen Verfahren von 6:30 Uhr bis 11:30 Uhr auf 6:00 Uhr bis 11:00 Uhr geändert hatte. Wenn sich auch im Übrigen dieser Klageantrag von dem bisherigen Vertragsänderungsangebot nicht unterschied, beurteilt das BAG das Änderungsangebot auf Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit als voneinander abhängige Einheit, die der Arbeitgeber nur einheitlich annehmen oder ablehnen kann (§ 150 Abs. 2 BGB)29. Das BAG will die Zusammengehörigkeit der Komponenten Dauer und Verteilung der Arbeitszeit nur dann hinsichtlich einer Ablehnung voneinander getrennt bewerten, wenn der Arbeitgeber zweifelsfrei erkennen kann, dass der Arbeitnehmer beide Ziele auch separat verfolgt30. Damit war der Hilfsantrag zur Entscheidung des BAG gestellt, der mit dem gerichtlichen Vorverfahren übereinstimmte, so dass es für die Berechtigung der Klage darauf ankam, ob die Beklagte das Vertragsänderungsangebot der Klägerin aus dringenden betrieblichen Gründen abgelehnt hatte. Für diese Gründe trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Beruft sich der Arbeitgeber – wie hier die Beklagte in ihrem Ablehnungsschreiben – auf eine Unvereinbarkeit der vom Arbeitnehmer gewünschten Teilzeitarbeit mit den betrieblichen Arbeitszeitmodellen, so will das BAG das Prüfungsschema anwenden, das bereits zu den betrieblichen Ablehnungsgründen i. S. v. § 8 TzBfG entwickelt worden ist. Danach wird eine Drei-Stufen-Prüfung angestellt, wobei in der ersten Stufe festzustellen ist, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegt. Die zweite Stufe betrifft die Prüfung, ob die für dieses betriebliche Organisationskonzept bestehende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen des Arbeitnehmers tatsächlich entgegensteht. Die dritte Stufe befasst sich mit dem Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe, die im Falle von § 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 BEEG dringend sein müssen, so dass nach Ansicht des BAG geradezu zwingende Hin-

29 So zu § 8 TzBfG: BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 435/18, NZA 2020, 340 Rz. 29; BAG v. 11.6.2013 – 9 AZR 786/11, NZA 2013, 1074 Rz. 9; BAG v. 18.8.2009 – 9 AZR 517/08, NZA 2009, 1207 Rz. 19. 30 BAG v. 19.2.2013 – 9 AZR 461/11, NZA 2013, 907 Rz. 34 zu § 15 BEEG.

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Ausgleich von Arbeitszeitguthaben in gerichtlichem Vergleich

dernisse für die beantragte Verkürzung der Arbeitszeit und ggf. für ihre Verteilung vorliegen müssen, wobei für den Zeitpunkt der Beurteilung der Zugang der Ablehnungserklärung beim Arbeitnehmer maßgeblich ist31. Da das LAG dieser Frage nicht nachgegangen war und in diesem Zusammenhang auch nicht geprüft hatte, ob die Anstrengungen der Beklagten ausreichend waren, eine Ersatzkraft für die Klägerin zu finden, ist der Rechtsstreit vom BAG an das LAG zurückverwiesen worden. Für die betriebliche Praxis ergeben sich aus dieser Entscheidung des BAG wichtige Weichenstellungen für die sehr kompliziert geratene Prozedur des Gesetzgebers zur Umsetzung der Elternteilzeitarbeit. Können sich die Parteien im Konsensverfahren über den Umfang der Elternteilzeit und/oder ihre Verteilung nicht verständigen und schließt sich das außergerichtliche Verfahren an, das der Arbeitnehmer mit einem schriftlichen Vertragsänderungsangebot zu eröffnen hat, dann bleibt der Arbeitnehmer bei frist- und formgerechter Ablehnung des Arbeitgebers im Klageverfahren nach § 894 S. 1 ZPO an sein Vertragsänderungsangebot gebunden, wohingegen der Arbeitgeber im Klageverfahren mit Gründen präkludiert wird, die nicht Gegenstand seiner schriftlichen Ablehnung gewesen sind. Daraus folgt, dass Erfolg und Misserfolg der prozessualen Auseinandersetzung weitgehend davon abhängen, wie genau und sorgfältig die Parteien bereits im Vorverfahren ihre Anliegen formuliert haben. (Boe)

3.

Ausgleich von Arbeitszeitguthaben in gerichtlichem Vergleich

In vielen Unternehmen wird im Zusammenhang mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit ein Arbeitszeitkonto geführt. Einzelheiten hierzu werden im Regelfall mit dem Betriebsrat vereinbart. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Frage, in welchem Umfang Plus- und/oder Minusstunden erworben bzw. innerhalb eines bestimmten Bezugszeitraums ausgeglichen werden können. In seinem Urteil vom 20.11.201932 hat das BAG zunächst einmal die Funktion und Wirkungsweise eines Arbeitszeitkontos deutlich gemacht. Nach seinen Feststellungen hält ein Arbeitszeitkonto im Allgemeinen fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 a Abs. 1 S. 1 BGB erbracht habe oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht erbringen musste und deshalb gleichwohl Vergütung

31 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 435/18, NZA 2020, 340 Rz. 38. 32 BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386.

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Ausgleich von Arbeitszeitguthaben in gerichtlichem Vergleich

dernisse für die beantragte Verkürzung der Arbeitszeit und ggf. für ihre Verteilung vorliegen müssen, wobei für den Zeitpunkt der Beurteilung der Zugang der Ablehnungserklärung beim Arbeitnehmer maßgeblich ist31. Da das LAG dieser Frage nicht nachgegangen war und in diesem Zusammenhang auch nicht geprüft hatte, ob die Anstrengungen der Beklagten ausreichend waren, eine Ersatzkraft für die Klägerin zu finden, ist der Rechtsstreit vom BAG an das LAG zurückverwiesen worden. Für die betriebliche Praxis ergeben sich aus dieser Entscheidung des BAG wichtige Weichenstellungen für die sehr kompliziert geratene Prozedur des Gesetzgebers zur Umsetzung der Elternteilzeitarbeit. Können sich die Parteien im Konsensverfahren über den Umfang der Elternteilzeit und/oder ihre Verteilung nicht verständigen und schließt sich das außergerichtliche Verfahren an, das der Arbeitnehmer mit einem schriftlichen Vertragsänderungsangebot zu eröffnen hat, dann bleibt der Arbeitnehmer bei frist- und formgerechter Ablehnung des Arbeitgebers im Klageverfahren nach § 894 S. 1 ZPO an sein Vertragsänderungsangebot gebunden, wohingegen der Arbeitgeber im Klageverfahren mit Gründen präkludiert wird, die nicht Gegenstand seiner schriftlichen Ablehnung gewesen sind. Daraus folgt, dass Erfolg und Misserfolg der prozessualen Auseinandersetzung weitgehend davon abhängen, wie genau und sorgfältig die Parteien bereits im Vorverfahren ihre Anliegen formuliert haben. (Boe)

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Ausgleich von Arbeitszeitguthaben in gerichtlichem Vergleich

In vielen Unternehmen wird im Zusammenhang mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit ein Arbeitszeitkonto geführt. Einzelheiten hierzu werden im Regelfall mit dem Betriebsrat vereinbart. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Frage, in welchem Umfang Plus- und/oder Minusstunden erworben bzw. innerhalb eines bestimmten Bezugszeitraums ausgeglichen werden können. In seinem Urteil vom 20.11.201932 hat das BAG zunächst einmal die Funktion und Wirkungsweise eines Arbeitszeitkontos deutlich gemacht. Nach seinen Feststellungen hält ein Arbeitszeitkonto im Allgemeinen fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 a Abs. 1 S. 1 BGB erbracht habe oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht erbringen musste und deshalb gleichwohl Vergütung

31 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 435/18, NZA 2020, 340 Rz. 38. 32 BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

beanspruchen könne (Plusstunden) bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte und bereits gezahlte Vergütung erbringen müsse (Minusstunden)33. Abhängig von der zugrunde liegenden Abrede der Vertragsparteien könne ein Arbeitszeitkonto den Vergütungsanspruch verbindlich bestimmen oder für die Höhe eines Anspruchs auf Freizeitausgleich oder die Höhe eines Vorschusses maßgebend sein34. Begehre der Arbeitnehmer die Abgeltung eines Guthabens auf seinem Arbeitszeitkonto, mache er folglich (nur) den Vergütungsanspruch für vorgeleistete Arbeit geltend. Deshalb komme es auch auf die Anspruchsvoraussetzungen „echter“ Überstundenvergütung – nämlich eine ausdrückliche arbeitsvertragliche Vereinbarung der Vergütung von Überstunden oder die Fiktion einer stillschweigenden Vereinbarung nach § 612 Abs. 1 BGB – nicht an. Auch die vom BAG entwickelten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden und deren arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung im Überstundenprozess35, auf die wir im Herbst hingewiesen hatten36, spielen keine Rolle. Denn der Arbeitgeber stelle mit der vorbehaltlosen Ausweisung in einem für den Arbeitnehmer geschützten Arbeitszeitkonto dessen Saldo streitlos und bringe damit regelmäßig zum Ausdruck, dass bestimmte Arbeitsstunden tatsächlich und mit seiner Billigung geleistet worden seien37. Grundsätzlich bestimmt sich die Frage, ob und ggf. auf welche Weise ein Arbeitszeitkonto abgebaut werden könne, nach der zugrunde liegenden Vereinbarung. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Geld- oder Freizeitausgleich erfolgt. Nach den insoweit überzeugenden Feststellungen des BAG geht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses allerdings regelmäßig die Schließung des Arbeitszeitkontos einher. Schließlich ist ein Freizeitausgleich nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers nicht mehr möglich. Wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart werde, enthalte die einvernehmliche Errichtung eines Arbeitszeitkontos deshalb auch die konkludente Abrede, dass das Konto spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen sei. Denn weder wolle der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber vorgeleistete Arbeit „schenken“, noch der mit der Zahlung einer verstetigten Vergütung vor33 Ebenso BAG v. 29.6.2016 – 5 AZR 617/15, NZA 2016, 1152 Rz. 17. 34 BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386 Rz. 12; BAG v. 21.3.2012 – 5 AZR 676/11, NZA 2012, 870 Rz. 26. 35 Vgl. dazu BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18, NZA 2019, 1361 Rz. 39, 44. 36 B. Gaul, AktuellAR 2019, 573 ff., 577 f. 37 So bereits BAG v. 23.9.2015 – 5 AZR 767/13, NZA 2016, 295 Rz. 23.

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Ausgleich von Arbeitszeitguthaben in gerichtlichem Vergleich

leistende Arbeitgeber auf eine finanzielle Erstattung etwaiger Vorschussleistungen verzichten. Gelinge es vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht, ein positives Guthaben des Arbeitnehmers durch entsprechende Freizeit abzubauen, habe der Arbeitgeber deshalb den Positivsaldo finanziell auszugleichen38. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall handelte es sich um ein Kündigungsschutzverfahren, das durch die bei der Beklagten als Sekretärin beschäftigte Klägerin eingeleitet worden war. Nachdem die Klägerin zunächst einmal außerordentlich (fristlos) gekündigt worden war, einigten sich die Parteien im Rahmen eines Vergleichs am 15.11.2016 auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31.1.2017. Auszugsweise hieß es in dem Vergleich weiterhin: Die Beklagten stellen die Klägerin unwiderruflich von der Pflicht der Erbringung der Arbeitsleistung bis einschließlich 31.1.2017 unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung frei. Urlaubsansprüche der Klägerin für 2016 und 2017 werden mit der Freistellung in natura gewährt.

Damit sollte der Rechtsstreit erledigt sein. Eine allgemeine Abgeltungsbzw. Ausgleichsklausel enthielt der Vergleich nicht. Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, dass durch die Freistellung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Ausgleich des auf dem Arbeitszeitkonto vorhandenen Guthabens erfolgt sei. Dabei handele es sich um 67,10 Stunden, die auf dem Arbeitszeitkonto zu ihren Gunsten als Saldo bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch ausgewiesen worden waren. Da – anders als im Hinblick auf den Urlaub – insoweit kein ausdrücklicher Ausgleich vereinbart worden sei, müsse die Beklagte den daraus folgenden Betrag i. H. v. 1.317, 28 € (brutto) zur Auszahlung bringen. In seiner klagestattgebenden Entscheidung hat das BAG klargestellt, dass der streitgegenständliche Abgeltungsanspruch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.1.2017 entstanden und fällig geworden sei. Bis dahin sei der aus dem Guthaben folgende Anspruch der Klägerin auf Freizeitausgleich auch nicht durch Erfüllung erloschen. Denn hierfür wäre erforderlich gewesen, dass die Beklagte die Klägerin zum Abbau des vorhandenen Freizeit-

38 BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386 Rz. 15.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

guthabens an Tagen, die an sich Arbeitstage gewesen wären, von ihrer Pflicht, Arbeitsleistungen zu erbringen, befreit hätte39. Nach Maßgabe der im zugrunde liegenden Fall maßgeblichen Vereinbarungen hätte die Beklagte den Freizeitausgleich zum Zwecke des Abbaus des Arbeitszeitguthabens zwar einseitig festlegen können. Nach Auffassung des 5. Senats des BAG hatte die Beklagte mit der im Vergleich vereinbarten Freistellung aber keinen Abbau des Arbeitszeitkontos bewirkt. Vielmehr hatte sie durch die unwiderrufliche Freistellung nur ihre Verpflichtung erfüllt, die Klägerin zum Zwecke der Erholung von der Pflicht zur Arbeitsleistung freizustellen. Die „bloße Freistellung“ genüge für einen Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos i. S. d. § 362 Abs. 1 BGB nicht. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen, die eine Freistellung haben könne, müsse der Arbeitnehmer erkennen können, dass der Arbeitgeber ihn (auch) zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos von der Arbeitspflicht freistellen wolle. Andernfalls sei nicht feststellbar, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Freizeitausgleichsanspruchs eine Erfüllungshandlung bewirken, (nur) den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers – z. B. weil er an der Weiterarbeit nach Ausspruch einer Kündigung kein Interesse habe – ausschließen oder aus sonstigen Gründen als Gläubiger der Arbeitsleistung auf deren Annahme mit den in § 315 BGB bezeichneten Folgen verzichten wolle40. Eine entsprechende Konkretisierung hatte das BAG bereits im Urteil vom 10.2.201541 für den Fall einer Freistellung unter Anrechnung auf etwaige Resturlaubsansprüche verlangt. Im Ergebnis hat das BAG sein Verständnis für die im Vergleich vereinbarte Freistellungsklausel nicht nur mit den vorstehenden Erfordernissen in Bezug auf eine notwendige Klarstellung begründet. Es hat unter Bezugnahme auf die besonderen Umstände des Einzelfalls auch darauf hingewiesen, dass die im Vergleich im Anschluss an die außerordentliche (fristlose) Kündigung vereinbarte Freistellung der Klägerin auch „Abfindungscharakter“ besessen habe. Der ergänzende Wunsch, auch das Arbeitszeitguthaben durch Freistellung abzubauen, war weder aus den Feststellungen des LAG Hamm42 noch aus dem Vorbringen der Parteien erkennbar. Hinzukam, dass im Vergleich

39 Vgl. BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386 Rz. 17; BAG v. 19.9.2018 – 10 AZR 496/17, NZA 2018, 1555 Rz. 22. 40 BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386 Rz. 20. 41 BAG v. 10.2.2015 – 9 AZR 455/13, NZA 2015, 998 Rz. 19. 42 LAG Hamm v. 19.6.2018 – 12 Sa 218/18 n. v.

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Vergütung von Reisezeiten bei Außendienstmitarbeitern

auch keine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel enthalten war, die einem solchen Ausgleichsanspruch der Klägerin hätte entgegenstehen können43. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass etwaige Ansprüche auf Auszahlung eines Arbeitszeitguthabens nicht innerhalb einer Ausschlussfrist geltend gemacht werden müssen. Denn wenn zu Gunsten des Arbeitnehmers ein Saldo auf dem Arbeitszeitkonto vorbehaltlos ausgewiesen und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch bezahlte Freizeit oder zusätzliches Entgelt abgebaut worden sei, seien – so das BAG – die Guthabenstunden streitlos gestellt. Sie müssten dann nicht innerhalb einer Ausschlussfrist geltend gemacht werden44. Für die betriebliche Praxis folgt daraus, dass bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs oder einer außergerichtlichen Vereinbarung über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses (Aufhebungs-/Abwicklungsvertrag) nicht nur an den Ausgleich etwaiger Resturlaubsansprüche gedacht werden muss. Vielmehr sollte auch klargestellt werden, ob und inwieweit Ausgleichsansprüche aus einem Arbeitszeitkonto bestehen und wie dieser Ausgleich erfolgen soll. Ob ein solcher Ausgleich an die Zustimmung des Betriebsrats geknüpft ist, hängt vom Inhalt der dem Arbeitszeitkonto zugrunde liegenden Regelung ab. (Ga)

4.

Vergütung von Reisezeiten bei Außendienstmitarbeitern

Bereits im Zusammenhang mit der Entscheidung des BAG vom 17.10.201845 hatten wir uns mit der Frage befasst, ob und ggf. in welchen Grenzen Reisezeiten von Arbeitnehmern zu vergüten sind. Ausgangspunkt war dabei die Annahme des BAG, dass die vergütungspflichtige Arbeitszeit grundsätzlich jede Tätigkeit des Arbeitnehmers erfasst, die dieser auf Veranlassung des Arbeitgebers in fremdnütziger Weise erbringt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Reisen zum Kern der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit gehört46. Problematisch an der praktischen Umsetzung dieser Sichtweise des BAG ist, dass die der Vergütung eines Arbeitnehmers zugrunde liegenden Arbeitsoder Tarifverträge häufig keine ausdrückliche Regelung zu der Frage enthal43 BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386 Rz. 23 f. 44 BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386 Rz. 25; BAG v. 20.6.2018 – 5 AZR 262/17, NZA 2018, 1402 Rz. 39. 45 BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159. 46 B. Gaul, AktuellAR 2018, 353 ff., 2019, 130 ff.

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Vergütung von Reisezeiten bei Außendienstmitarbeitern

auch keine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel enthalten war, die einem solchen Ausgleichsanspruch der Klägerin hätte entgegenstehen können43. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass etwaige Ansprüche auf Auszahlung eines Arbeitszeitguthabens nicht innerhalb einer Ausschlussfrist geltend gemacht werden müssen. Denn wenn zu Gunsten des Arbeitnehmers ein Saldo auf dem Arbeitszeitkonto vorbehaltlos ausgewiesen und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch bezahlte Freizeit oder zusätzliches Entgelt abgebaut worden sei, seien – so das BAG – die Guthabenstunden streitlos gestellt. Sie müssten dann nicht innerhalb einer Ausschlussfrist geltend gemacht werden44. Für die betriebliche Praxis folgt daraus, dass bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs oder einer außergerichtlichen Vereinbarung über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses (Aufhebungs-/Abwicklungsvertrag) nicht nur an den Ausgleich etwaiger Resturlaubsansprüche gedacht werden muss. Vielmehr sollte auch klargestellt werden, ob und inwieweit Ausgleichsansprüche aus einem Arbeitszeitkonto bestehen und wie dieser Ausgleich erfolgen soll. Ob ein solcher Ausgleich an die Zustimmung des Betriebsrats geknüpft ist, hängt vom Inhalt der dem Arbeitszeitkonto zugrunde liegenden Regelung ab. (Ga)

4.

Vergütung von Reisezeiten bei Außendienstmitarbeitern

Bereits im Zusammenhang mit der Entscheidung des BAG vom 17.10.201845 hatten wir uns mit der Frage befasst, ob und ggf. in welchen Grenzen Reisezeiten von Arbeitnehmern zu vergüten sind. Ausgangspunkt war dabei die Annahme des BAG, dass die vergütungspflichtige Arbeitszeit grundsätzlich jede Tätigkeit des Arbeitnehmers erfasst, die dieser auf Veranlassung des Arbeitgebers in fremdnütziger Weise erbringt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Reisen zum Kern der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit gehört46. Problematisch an der praktischen Umsetzung dieser Sichtweise des BAG ist, dass die der Vergütung eines Arbeitnehmers zugrunde liegenden Arbeitsoder Tarifverträge häufig keine ausdrückliche Regelung zu der Frage enthal43 BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386 Rz. 23 f. 44 BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386 Rz. 25; BAG v. 20.6.2018 – 5 AZR 262/17, NZA 2018, 1402 Rz. 39. 45 BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159. 46 B. Gaul, AktuellAR 2018, 353 ff., 2019, 130 ff.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

ten, ob und inwieweit auch Reisezeiten vergütet werden. In den Grenzen der Regelungen des MiLoG wäre eine solche Vereinbarung auch im Arbeitsvertrag prinzipiell zulässig, wenn sie in angemessener und transparenter Weise von der grundsätzlichen Vergütungspflicht des Arbeitsverhältnisses abweicht (§§ 305, 307 Abs. 1, 611 a Abs. 2 BGB). Fehlt eine entsprechende Regelung, muss auf der Grundlage der durch das BAG vorgenommenen Kennzeichnung einer vergütungspflichtigen Tätigkeit allerdings regelmäßig von einem Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers ausgegangen werden, soweit die durch den Arbeitgeber veranlassten Reisen von ihrer Dauer im Übrigen erforderlich sind. Anknüpfend an die Diskussion über die Vergütungspflicht bei Umkleidezeiten47 hat die betriebliche Praxis vielfach versucht, etwaige Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern durch ergänzende Regelungen in einer Betriebsvereinbarung einzuschränken. Dabei geht es häufig nicht um einen Ausschluss jedweder Vergütung für solche Tätigkeiten. Vielmehr legen Arbeitgeber und Betriebsrat in solchen Vereinbarungen typischerweise fest, dass entsprechende Tätigkeiten nur bis zu einem bestimmten Umfang vergütet werden bzw. zu einem Zeitguthaben im Rahmen des Arbeitszeitkontos führen. Alternativ werden für solche Tätigkeiten Pauschalen vereinbart, die auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden oder als Zahlbetrag zur Auszahlung kommen. In dem der Entscheidung des BAG vom 18.3.202048 zugrunde liegenden Fall waren die Betriebsparteien entsprechend in Bezug auf die Vergütung der Reise- bzw. Fahrtzeiten von Außendienstmitarbeitern verfahren. Der Kläger war bei der Beklagten als Servicetechniker im Außendienst tätig. Die Beklagte war aufgrund der Mitgliedschaft im vertragschließenden Arbeitgeberverband kraft Gesetzes an die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsens gebunden. Zusätzlich fanden diese Tarifverträge kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Losgelöst von der im Tarifvertrag getroffenen Regelung zur Vergütung von Arbeitszeit, hatten die Betriebsparteien aber bereits 2001 im Rahmen einer Betriebsvereinbarung festgelegt, dass Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden nicht zur Arbeitszeit zählen sollten, wenn sie 20 Minuten nicht überschritten. Lediglich dann, wenn die An- und Abreise mehr als (jeweils) 20 Minuten dauerte, sollte die 20 Minuten übersteigende Fahrtzeit zur Arbeitszeit gerechnet werden. Auf der Grundlage dieses „Differenzmodells“ wurden Fahrtzeiten von der Wohnung des Klägers bis zum ersten Kunden 47 Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2015, 414 ff., 2016, 260 ff., 2017, 131 ff., 2018, 67 ff. 48 BAG v. 18.3.2020 – 5 AZR 36/19 n. v.

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Vergütung von Reisezeiten bei Außendienstmitarbeitern

und vom letzten Kunden nach Hause, wenn sie 20 Minuten nicht überstiegen, bei der Arbeitszeiterfassung nicht berücksichtigt und anschließend auch nicht vergütet. Mit seiner Klage verlangte der Kläger, seinem Arbeitszeitkonto Fahrtzeiten für März bis August 2017 im Umfang von 68 Stunden und 40 Minuten gutzuschreiben, hilfsweise 1.219,58 € (brutto) an ihn zu zahlen. Die Beklagte lehnte dies unter Verweis auf die Betriebsvereinbarung ab. Entgegen der Sichtweise der Vorinstanzen49 hat das BAG den Zahlungsanspruch des Klägers anerkannt. Zwar sei der Beklagten zuzugestehen, dass mit der Betriebsvereinbarung eine Regelung getroffen worden sei, die für die streitgegenständlichen Fahrtzeiten einer Vergütung entgegenstehen sollte. Die entsprechende Regelung stand allerdings im Widerspruch zu den Vorgaben des einschlägigen Manteltarifvertrags, nach dem sämtliche Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht erbrachte, mit der tarifvertraglichen Grundvergütung abzugelten waren. Dazu gehörte bei Außendienstmitarbeitern die gesamte für An- und Abfahrten zu Kunden aufgewendete Fahrtzeit. Da der Manteltarifvertrag keine Öffnungsklausel zu Gunsten abweichender Betriebsvereinbarungen enthielt, war die Regelung durch Betriebsvereinbarung wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre in § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG unwirksam. Denn danach können Arbeitsentgelte, die durch Tarifvertrag geregelt sind, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Diesem Ergebnis ist aus rechtlicher Sichtweise ohne Einschränkung zuzustimmen. Insofern konnte auch unberücksichtigt bleiben, ob die Betriebsvereinbarung darüber hinaus wegen Missachtung des Günstigkeitsprinzips in § 4 Abs. 3 TVG unwirksam war, wovon auszugehen gewesen wäre, wenn der Tarifvertrag auch kraft beiderseitiger (gesetzlicher) Tarifbindung galt. Zu Recht hatte das BAG auch darauf hingewiesen, dass die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG nicht wegen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG beseitigt war. Denn als Folge der gesetzlichen Bindung der Beklagten an den Manteltarifvertrag des Großund Außenhandels Niedersachsens, der die Vergütung für geleistete Arbeit auch in Bezug auf Fahrtzeiten der Außendienstmitarbeiter abschließend regelte, bestand bereits kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG). Damit konnte § 77 Abs. 3 BetrVG nicht durch den Tarifvorbehalt in § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG verdrängt 49 LAG Düsseldorf v. 14.12.2018 – 10 Sa 96/18, NZA-RR 2019, 202; ArbG Düsseldorf v. 18.12.2017 – 9 Ca 5485/17 n. v.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

werden, was zur Folge hatte, dass die Betriebsvereinbarung unwirksam war. Die vom Berufungsgericht noch erörterte Frage, ob mit der Betriebsvereinbarung eine vom Arbeitsvertrag abweichende Vergütungsabrede getroffen werden konnte, weil insoweit eine Betriebsvereinbarungsoffenheit anzunehmen war, war daher nicht zu behandeln. Eine unwirksame Betriebsvereinbarung kann per se keine Ablösung arbeitsvertraglicher Zusagen bewirken. Unabhängig von der arbeitsrechtlich zutreffenden Bewertung des BAG wird sich der streitgegenständliche Lösungsweg in der betrieblichen Praxis gleichwohl immer wieder stellen, wenn die in den Arbeitsverträgen und/oder Tarifverträgen enthaltenen Regelungen über die Vergütung von Arbeitszeit auch außerhalb der arbeitsvertraglichen Hauptpflichten bestehende Tätigkeiten erfassen (z. B. Umkleidezeiten, innerbetriebliche Wegezeiten, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, Reisezeiten). Wenn hier, insbesondere im Zusammenhang mit Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeitflexibilisierung, Regelungen getroffen werden, die bestimmen, in welchem Umfang diese Tätigkeiten zu Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto führen, sind entsprechende Betriebsvereinbarungen ohne eine Öffnungsklausel des Tarifvertrags zwar wegen Missachtung der Tarifsperre in § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Die praktische Erfahrung zeigt aber, dass solche Vereinbarungen, die Arbeitgeber und Betriebsrat treffen, häufig unabhängig von dieser arbeitsrechtlichen Bewertung als angemessen erachtet und akzeptiert werden. Entsprechendes gilt für Regelungen, nach denen Fehltage wegen Krankheit oder Urlaub mit dem durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitszeit-Soll als Guthaben in das Arbeitszeitkonto eingebucht werden. Auch solche Vereinbarungen sind in außerordentlich engen Grenzen durch §§ 77 Abs. 3 BetrVG, 3 f. EFZG, 1, 11, 13 BUrlG zugelassen. Sie können allerdings gleichwohl die Praktikabilität der Arbeitszeitflexibilisierung herstellen und jedenfalls in den Grenzen (wirksamer) Ausschlussfristen auf der betriebspraktischen Ebene für eine zufriedenstellende Lösung sorgen. Ungeachtet der rechtlichen Bedenken wird man sich deshalb mit einer solchen Vorgehensweise befassen müssen, wenn entsprechende Zahlungsforderungen im Raum stehen. (Ga)

5.

Einheit des Verhinderungsfalls bei mehrfacher Erkrankung

Wenn ein Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut arbeitsunfähig erkrankt, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so steht ihm grundsätzlich gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfä-

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

werden, was zur Folge hatte, dass die Betriebsvereinbarung unwirksam war. Die vom Berufungsgericht noch erörterte Frage, ob mit der Betriebsvereinbarung eine vom Arbeitsvertrag abweichende Vergütungsabrede getroffen werden konnte, weil insoweit eine Betriebsvereinbarungsoffenheit anzunehmen war, war daher nicht zu behandeln. Eine unwirksame Betriebsvereinbarung kann per se keine Ablösung arbeitsvertraglicher Zusagen bewirken. Unabhängig von der arbeitsrechtlich zutreffenden Bewertung des BAG wird sich der streitgegenständliche Lösungsweg in der betrieblichen Praxis gleichwohl immer wieder stellen, wenn die in den Arbeitsverträgen und/oder Tarifverträgen enthaltenen Regelungen über die Vergütung von Arbeitszeit auch außerhalb der arbeitsvertraglichen Hauptpflichten bestehende Tätigkeiten erfassen (z. B. Umkleidezeiten, innerbetriebliche Wegezeiten, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, Reisezeiten). Wenn hier, insbesondere im Zusammenhang mit Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeitflexibilisierung, Regelungen getroffen werden, die bestimmen, in welchem Umfang diese Tätigkeiten zu Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto führen, sind entsprechende Betriebsvereinbarungen ohne eine Öffnungsklausel des Tarifvertrags zwar wegen Missachtung der Tarifsperre in § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Die praktische Erfahrung zeigt aber, dass solche Vereinbarungen, die Arbeitgeber und Betriebsrat treffen, häufig unabhängig von dieser arbeitsrechtlichen Bewertung als angemessen erachtet und akzeptiert werden. Entsprechendes gilt für Regelungen, nach denen Fehltage wegen Krankheit oder Urlaub mit dem durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitszeit-Soll als Guthaben in das Arbeitszeitkonto eingebucht werden. Auch solche Vereinbarungen sind in außerordentlich engen Grenzen durch §§ 77 Abs. 3 BetrVG, 3 f. EFZG, 1, 11, 13 BUrlG zugelassen. Sie können allerdings gleichwohl die Praktikabilität der Arbeitszeitflexibilisierung herstellen und jedenfalls in den Grenzen (wirksamer) Ausschlussfristen auf der betriebspraktischen Ebene für eine zufriedenstellende Lösung sorgen. Ungeachtet der rechtlichen Bedenken wird man sich deshalb mit einer solchen Vorgehensweise befassen müssen, wenn entsprechende Zahlungsforderungen im Raum stehen. (Ga)

5.

Einheit des Verhinderungsfalls bei mehrfacher Erkrankung

Wenn ein Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut arbeitsunfähig erkrankt, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so steht ihm grundsätzlich gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfä-

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Einheit des Verhinderungsfalls bei mehrfacher Erkrankung

higkeit bis zur Dauer von sechs Wochen zu. Davon macht der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG eine Ausnahme und beschränkt die Gesamtdauer der Entgeltfortzahlung auf sechs Wochen, wenn sich die neue Erkrankung als eine Fortsetzung der früheren Erkrankung darstellt50. Der Arbeitgeber ist bei einer derartigen Fortsetzungserkrankung nur dann zur Entgeltfortzahlung verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EFZG) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EFZG). Neben dieser im EFZG geregelten Fortsetzungserkrankung hat die Rechtsprechung des BAG51 den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls entwickelt, wonach der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit beschränkt bleibt, wenn während der bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Bei derartiger Sachlage kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die sechswöchige Entgeltfortzahlung nur einmal beanspruchen. Ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur unter der Voraussetzung, dass die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung eine erneute Arbeitsunfähigkeit auslöst52. Die Einheit des Verhinderungsfalls knüpft dabei nicht an die Krankheit, sondern an die krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung an, die für die Leistungsdauer der Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG den Maßstab abgibt. Eine derartige Differenzierung wird auch durch § 48 Abs. 1 SGB V für die Dauer des Krankengeldes vorgenommen. Danach erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nicht verlängert. 50 BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rz. 11; BAG v. 13.7.2005 – 5 AZR 389/04, DB 2005, 2359 Rz. 28 f. 51 BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rz. 13 f.; BAG v. 10.9.2014 – 10 AZR 651/12, NZA 2014, 1139 Rz. 13; BAG v. 13.7.2005 – 5 AZR 389/04, DB 2005, 2359 Rz. 28 f.; BAG v. 12.9.1967 – 1 AZR 367/66, DB 1968, 91. 52 BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rz. 13; BAG v. 10.9.2014 – 10 AZR 651/12, NZA 2014, 1139 Rz. 13.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

Die Darlegungs- und objektive Beweislast für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit und damit für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Arbeitnehmer53. Dies betrifft die Arbeitsunfähigkeit, ihren Beginn und ihr Ende. Dabei kann sich der Arbeitnehmer zunächst auf die ärztliche AU-Bescheinigung berufen, die mit einem hohen Beweiswert versehen ist54. Die ordnungsgemäß ausgestellte AU-Bescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach der auf der Grundlage von § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB V55 geschaffenen Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie56 erfolgt die Attestierung der Arbeitsunfähigkeit auf dem dafür vorgesehenen Vordruck (AUBescheinigung). Die AU-Bescheinigung muss erkennen lassen, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt. Eine Erstbescheinigung ist auszustellen, wenn die Arbeitsunfähigkeit erstmalig festgestellt wird. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Erstbescheinigung angegeben, ist nach Prüfung der aktuellen Verhältnisse eine Folgebescheinigung auszustellen. Folgen zwei getrennte Arbeitsunfähigkeitszeiten mit unterschiedlichen Diagnosen unmittelbar aufeinander, dann ist für die zweite Arbeitsunfähigkeit eine Erstbescheinigung auszustellen. Hat nach dem Ende einer Arbeitsunfähigkeit Arbeitsfähigkeit bestanden, wenn auch nur kurzfristig, ist eine Erstbescheinigung auszustellen. Dies gilt auch dann, wenn eine neue Arbeitsunfähigkeit am Tag nach dem Ende der vorherigen Arbeitsunfähigkeit beginnt. Wenn auch der Arbeitgeber durch die Beschränkung der Entgeltfortzahlung im Falle einer Fortsetzungserkrankung begünstigt wird, muss nach Ansicht des BAG57 der Arbeitnehmer, der innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1, 2 EFZG arbeitsunfähig ist, zunächst darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt und den Arzt von der Schweigepflicht entbinden, wenn der Arbeitgeber den Eintritt einer neuen Krankheit bestreitet.

53 BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rz. 20; BAG v. 13.7.2005 – 5 AZR 389/04, DB 2005, 2359 Rz. 28 f. 54 BAG v. 26.2.2003 – 5 AZR 112/02, DB 2003, 1395 Rz. 33 m. w. N. 55 BGBl. I 2019, 1604: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKVSpitzenverband haben sich darüber verständigt, dass Ärzte vorübergehend bis zum 23.6.2020 in bestimmten Fällen eine AU-Bescheinigung (Muster 1) bis zu 14 Tagen per Telefon ausstellen dürfen, die per Post zugesandt wird. 56 Zuletzt geändert am 20.10.2016, vgl. BAnz AT v. 23.12.2016 B5. 57 BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rz. 18; BAG v. 13.7.2005 – 5 AZR 389/04, DB 2005, 2359 Rz. 28 f.

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Einheit des Verhinderungsfalls bei mehrfacher Erkrankung

Damit steht dem Arbeitgeber das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung. Lässt sich jedoch nicht aufklären, ob eine neue Erkrankung oder eine Fortsetzungserkrankung vorliegt, hat der Arbeitgeber die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung zu tragen, so dass ihn dafür die objektive Beweislast trifft58. Handelt es sich hingegen um den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, geht es nicht um eine vom Arbeitgeber einzuwendende Ausnahme, sondern um eine der Voraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, so dass die für die Anwendung von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG maßgebende Darlegungs- und objektive Beweislast beim Arbeitnehmer liegt59. Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wird akut, wenn sich der Arbeitnehmer in unmittelbarem Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig meldet und der Arbeitgeber in Abrede stellt, dass die neue Krankheit erst nach Beendigung der vorangegangenen Erkrankung eingetreten ist. Bei dieser Sachlage muss sich der Arbeitnehmer auf das Zeugnis des ihn behandelnden Arztes als Beweismittel stützen60. Unter welchen Voraussetzungen ein einheitlicher Verhinderungsfall hinreichend indiziert ist, war Gegenstand einer neueren Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 11.12.201961. Die als Fachkraft in der Altenpflege bis zum 31.7.2017 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin war vom 7.2.2017 fortlaufend wegen eines psychischen Leidens arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete bis einschließlich 20.3.2017 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Anschließend bezog die Klägerin auf der Grundlage einer Folgebescheinigung ihres Hausarztes vom 5.5.2017, die eine weitere Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 18.5.2017 attestierte, Krankengeld. Am 19.5.2017 unterzog sich die Klägerin einer Operation wegen eines gynäkologischen Leidens. Die Gynäkologin bescheinigte am 18.5.2017 als Erstbescheinigung eine Arbeitsunfähigkeit vom 19.5.2017 bis zum 16.6.2017 und durch Folgebescheinigung eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 30.6.2017. Die Klägerin erhielt in der Zeit vom 19.5.2017 bis zum 29.6.2017 weder von der Beklagten Entgeltfortzahlung noch von ihrer Krankenkasse Krankengeld. Für diesen Zeitraum hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von 3.364,90 € (brutto) unter dem rechtlichen Gesichts-

58 BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rz. 18; BAG v. 13.7.2005 – 5 AZR 389/04, DB 2005, 2359 Rz. 28 f. 59 BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rz. 19. 60 BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rz. 22. 61 BAG v. 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, NZA 2020, 446.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

punkt der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unter Hinweis darauf in Anspruch genommen, ihre psychische Erkrankung habe am 18.5.2017 geendet, weswegen sie aufgrund einer erneuten Erkrankung ab dem 19.5.2017 arbeitsunfähig gewesen sei. Die Beklagte hat sich zur Verteidigung darauf berufen, dass den Umständen nach von einem einheitlichen Verhinderungsfall ausgegangen werden müsse. Das ArbG Hannover62 hat der Klage stattgegeben, das LAG Niedersachsen63 die Klage nach einer Beweisaufnahme durch Vernehmung von drei Ärzten abgewiesen. Das BAG hat die Entscheidung des LAG bestätigt und einen Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin für die Zeit vom 19.5.2017 bis zum 29.6.2017 aus § 3 Abs. 1 EFZG verneint. Das BAG bestätigt dabei zunächst die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Einheit des Verhinderungsfalls und weist darauf hin, dass die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung vor Eintritt der erneuten krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung nur dann als beendet anzusehen ist, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden. Maßgebend für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Ende des Verhinderungsfalls ist – wie das BAG ausführt – die Entscheidung des Arztes, der eine Arbeitsunfähigkeit ungeachtet der individuellen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertages bescheinigen wird64. Ungeachtet des hohen Beweiswerts der ärztlichen Erstbescheinigung einer zweiten Arbeitsunfähigkeit, lässt das BAG als hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls regelmäßig genügen, dass die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. Diese Bewertung bezieht das BAG aus der Erwägung, dass es für den Arbeitgeber bei solchen Sachverhalten angesichts fehlender zwischenzeitlicher Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nahezu ausgeschlossen ist, konkrete Anhaltspunkte zur Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Bescheinigung vorzutragen65. Soweit die Krankenkassen nach § 69 Abs. 4 SGB X befugt sind, einem Arbeitgeber mitzuteilen, ob die Fortdauer einer Arbeitsun-

62 ArbG Hannover v. 7.3.2018 – 11 Ca 378/17 n. v. 63 LAG Niedersachsen v. 26.9.2018 – 7 Sa 336/18 n. v. 64 BAG v. 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, NZA 2020, 446 Rz. 13; BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 318/15, NZA 2016, 1076 Rz. 13 m. w. N. 65 BAG v. 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, NZA 2020, 446 Rz. 21; Vossen, DB 2017, 1976.

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Zulässigkeit eines Ermessensbonus für Vorstandsmitglieder

fähigkeit oder eine erneute Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers auf derselben Krankheit beruht, erscheint dem BAG dies nicht als ausreichend, weil die Übermittlung von Diagnosedaten an den Arbeitgeber nicht zulässig ist und der Arbeitgeber die Richtigkeit der Information der Krankenkasse nicht kontrollieren kann. Abgesehen davon wird von dieser Mitteilung nur der Tatbestand der Fortsetzungserkrankung betroffen. Da sich die Klägerin in unmittelbarem Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krankgemeldet und die Beklagte bestritten hat, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin infolge ihrer psychischen Erkrankung vor Eintritt der Arbeitsverhinderung wegen ihres gynäkologischen Leidens beendet war, bestand aus der Sicht des BAG ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls, so dass der Beweiswert der der Klägerin hinsichtlich der gynäkologischen Erkrankung ausgestellten Erstbescheinigung erschüttert war. Damit musste die Klägerin für den Zeitpunkt der Beendigung ihrer Arbeitsunfähigkeit wegen des psychischen Leidens vor Eintritt der neuen Arbeitsverhinderung infolge des gynäkologischen Leidens vollen Beweis erbringen, was ihr nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht gelungen war. Für die betriebliche Praxis hat diese Entscheidung des BAG im Hinblick auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei der Konstellation des einheitlichen Verhinderungsfalls eine weiterführende Qualität, weil zumindest unter bestimmten Voraussetzungen der hohe Beweiswert einer ärztlichen Erstbescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit bereits dann erschüttert werden kann, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. Mit dieser Aussage trägt das BAG der regelmäßig vorliegenden Unkenntnis des Arbeitgebers über die Ursachen der Erkrankung eines Arbeitnehmers Rechnung, so dass bei Zweifeln über das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls eine Aufklärung in einer Beweisaufnahme durch das Zeugnis des behandelnden Arztes möglich ist. (Boe)

6.

Zulässigkeit eines Ermessensbonus für Vorstandsmitglieder

Auf der Grundlage der Entscheidungen des BAG vom 12.10.201166 und vom 19.3.201467 hatten wir uns bereits in der Vergangenheit mit der Frage be66 BAG v. 12.10.2011 – 10 AZR 746/10, NZA 2012, 450.

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Zulässigkeit eines Ermessensbonus für Vorstandsmitglieder

fähigkeit oder eine erneute Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers auf derselben Krankheit beruht, erscheint dem BAG dies nicht als ausreichend, weil die Übermittlung von Diagnosedaten an den Arbeitgeber nicht zulässig ist und der Arbeitgeber die Richtigkeit der Information der Krankenkasse nicht kontrollieren kann. Abgesehen davon wird von dieser Mitteilung nur der Tatbestand der Fortsetzungserkrankung betroffen. Da sich die Klägerin in unmittelbarem Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krankgemeldet und die Beklagte bestritten hat, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin infolge ihrer psychischen Erkrankung vor Eintritt der Arbeitsverhinderung wegen ihres gynäkologischen Leidens beendet war, bestand aus der Sicht des BAG ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls, so dass der Beweiswert der der Klägerin hinsichtlich der gynäkologischen Erkrankung ausgestellten Erstbescheinigung erschüttert war. Damit musste die Klägerin für den Zeitpunkt der Beendigung ihrer Arbeitsunfähigkeit wegen des psychischen Leidens vor Eintritt der neuen Arbeitsverhinderung infolge des gynäkologischen Leidens vollen Beweis erbringen, was ihr nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht gelungen war. Für die betriebliche Praxis hat diese Entscheidung des BAG im Hinblick auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei der Konstellation des einheitlichen Verhinderungsfalls eine weiterführende Qualität, weil zumindest unter bestimmten Voraussetzungen der hohe Beweiswert einer ärztlichen Erstbescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit bereits dann erschüttert werden kann, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. Mit dieser Aussage trägt das BAG der regelmäßig vorliegenden Unkenntnis des Arbeitgebers über die Ursachen der Erkrankung eines Arbeitnehmers Rechnung, so dass bei Zweifeln über das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls eine Aufklärung in einer Beweisaufnahme durch das Zeugnis des behandelnden Arztes möglich ist. (Boe)

6.

Zulässigkeit eines Ermessensbonus für Vorstandsmitglieder

Auf der Grundlage der Entscheidungen des BAG vom 12.10.201166 und vom 19.3.201467 hatten wir uns bereits in der Vergangenheit mit der Frage be66 BAG v. 12.10.2011 – 10 AZR 746/10, NZA 2012, 450.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

fasst, unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung über die Zahlung eines Bonus („Ob“) und die Entscheidung über die Höhe einer solchen Zahlung („Wie viel“) in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt werden kann68. Denn mit einer solchen Vorgehensweise würde vermieden, dass dem Arbeitnehmer auf individual- oder kollektivrechtlicher Grundlage bereits die Zahlung eines Bonus in einer konkreten Höhe zugesagt wird, wenn – ggf. kalenderjährlich wechselnd – bestimmte Ziele erreicht werden. In solchen Fällen hinge die Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie viel“ nur noch davon ab, ob die Ziele erreicht werden. Weitergehende Flexibilität würde hiervon abweichend dadurch erreicht, dass zwar das „Ob“ an bestimmte Voraussetzungen geknüpft wird (z. B. Erreichen individueller oder kollektiver Ziele), der draus resultierende Bonusanspruch aber in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt wird. Allerdings hat das BAG schon in seinem Urteil vom 19.3.201469 aus der AGB-Kontrolle heraus klare Grenzen für die Ermessensentscheidung des Arbeitgebers formuliert. Danach sei ein Freiwilligkeitsvorbehalt, der so verstanden werden könne, dass sich der Arbeitgeber das Recht vorbehalte, auch dann frei über das „Ob“ einer Bonusgewährung zu entscheiden, wenn er durch Abschluss einer Zielvereinbarung ein variables Vergütungssystem für ein Geschäftsjahr anwende, unwirksam, weil er den Arbeitnehmer unangemessen i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nrn. 1, 2 BGB benachteilige. Mit Abschluss einer Zielvereinbarung, die Vergütungsbezug habe, setze der Arbeitgeber Leistungsanreize für den Arbeitnehmer und bestimme damit, wie aus seiner Sicht die Arbeitsleistung in einer bestimmten Periode durch den Arbeitnehmer optimal erbracht werden solle. Die in Aussicht gestellte erfolgsabhängige Vergütung stehe damit im Gegenseitigkeitsverhältnis; sie sei Teil der Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Mit diesem Gegenleistungscharakter sei es nicht zu vereinbaren, wenn sich der Arbeitgeber das Recht vorbehalte, trotz erbrachter Arbeitsleistung und auch dann, wenn der Arbeitnehmer die vereinbarten Ziele erreiche, den Vergütungsanspruch entfallen zu lassen, statt darüber – was aus Sicht des BAG geboten ist – nach billigem Ermessen zu entscheiden. Von diesen Schranken des BAG zum sog. Ermessensbonus ausgehend kommt – wenn der Arbeitnehmer seine durch Zielvereinbarung festgelegten Ziele erreicht hat – eine Festsetzung auf Null nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn ein Arbeitgeber nach § 315 BGB über einen Bonusanspruch zu

67 BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 622/13, NZA 2014, 595 Rz. 36 ff. 68 B. Gaul, AktuellAR 2012, 76 ff., 2016, 464 ff. 69 BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 622/13, NZA 2014, 595 Rz. 48 ff.

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Zulässigkeit eines Ermessensbonus für Vorstandsmitglieder

entscheiden habe, der gleichermaßen auf der Ertragslage des Unternehmens wie auch auf der Leistung des Arbeitnehmers beruhe. Regelmäßig müsse ein festzusetzendes Bonusbudget – in Abhängigkeit von der Ertragslage – eine Größenordnung erreichen, die den Leistungsbezug des Bonussystems beachte und ausreiche, die durch Abschluss von Zielvereinbarungen angestrebten und tatsächlich erbrachten Leistungen angemessen zu honorieren. Missachte der Arbeitgeber eine insoweit bestehende Verpflichtung zu einer ermessensgerechten Leistungsbestimmung, müsse das Arbeitsgericht die Höhe des Bonus gemäß § 315 Abs. 3 BGB festlegen70. In seinem Urteil vom 24.9.201971 hat der BGH deutlich gemacht, dass jedenfalls im Rahmen eines Vorstandsdienstvertrags auch ein weitergehender Freiwilligkeitsvorbehalt zulässig sei. Die der Entscheidung zugrunde liegende Klausel im Anstellungsvertrag des Klägers lautete auszugsweise wie folgt: Der Aufsichtsrat kann nach billigem Ermessen und im Einklang mit geltendem Recht (insbesondere § 87 AktG, soweit anwendbar) zusätzlich zum Jahresbruttogrundgehalt Sonderleistungen, Gratifikationen oder Ähnliches einmalig oder wiederholt gewähren. Bei diesen Sonderleistungen, Gratifikationen oder Ähnlichem handelt es sich in jedem Falle um freiwillige Zuwendungen. Ein Rechtsanspruch kann aus ihnen nicht abgeleitet werden. Solche Sonderzuwendungen, Gratifikationen oder Ähnliches können auch für außerordentliche Leistungen des Vorstandsmitglieds gewährt werden.

Auf der Grundlage dieser dienstvertraglichen Regelung erhielt der Kläger für die Jahre bis 2009 jeweils variable Vergütungen in Form von Boni. 2010 erhielt er eine Vergütung i. H. v. 1,2 Mio. $, die sich aus der Jahresgrundvergütung i. H. v. 325.000 € und einem Bonus zusammensetzte. Der Kläger kündigte sein Dienstverhältnis mit der Beklagten am 31.3.2011 mit Wirkung zum 30.9.2011, um zu einer Wettbewerberin der Beklagten zu wechseln. Ein Bonus für 2011 wurde ihm nicht mehr gewährt. Er erhob deshalb Klage auf Zahlung eines der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Bonus i. H. v. mindestens 600.000 €, der durch das OLG Frankfurt a. M.72 i. H. v. 500.000 € stattgegeben wurde. Nach Auffassung des OLG Frankfurt a. M. stand dem Kläger auf der Grundlage des Vorstandsdienstvertrags ein Anspruch auf eine nach billigem Ermessen zu treffende Entscheidung über die

70 BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 622/13, NZA 2014, 595 Rz. 52, 57 f. 71 BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZA 2020, 244 Rz. 21 ff. 72 OLG Frankfurt a. M. v. 18.4.2018 – 4 U 120/17 n. v.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

Zahlung eines Bonus für das Jahr 2011 zu, den das Gericht nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB mit 500.000 € bestimmte. Der BGH ist dieser Sichtweise nicht gefolgt und hat das angefochtene Urteil aufgehoben. Nach seiner Auffassung begründete die im Vorstandsdienstvertrag enthaltene Regelung keinen Anspruch auf Zahlung einer variablen Vergütung. Ebenso wenig konnte daran anknüpfend eine Ermessensentscheidung des Aufsichtsrats über eine entsprechende Zahlung durchgesetzt werden. Zwar sei eine formularmäßige Vertragsbestimmung unangemessen und daher auch unwirksam, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versuche, ohne von vornherein auf dessen Belange hinreichend Rücksicht zu nehmen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Ungeachtet dessen verstoße die hier in Rede stehende Bestimmung des Vorstandsdienstvertrags entgegen der Auffassung des OLG Frankfurt a. M. nicht gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das OLG Frankfurt a. M. habe zu Unrecht die Rechtsprechung des BAG zugrunde gelegt, wonach ein Freiwilligkeitsvorbehalt den Arbeitnehmer unangemessen benachteilige, wenn er dem Arbeitgeber das Recht zubillige, trotz Abschluss einer vergütungsorientierten Zielvereinbarung nach Ablauf der Beurteilungsperiode frei darüber zu entscheiden, ob eine Vergütungszahlung erfolge. Zum einen bestehen aus Sicht des BGH bereits Bedenken, diese Rechtsprechung, die zu Vergütungsvereinbarungen mit Arbeitnehmern ergangen sei, ohne Weiteres auf Anstellungsverträge von Vorständen einer AG zu übertragen. Zwischen Arbeitsverträgen und Vorstandsdienstverträgen bestünden erhebliche Unterschiede. Insbesondere unterliege der Vorstand nicht dem Direktionsrecht des Arbeitgebers, sondern sei als Organ der AG persönlich unabhängig und leite diese unter eigener Verantwortung (§ 76 Abs. 1 AktG). Anders als bei Arbeitnehmern könnten Zielvereinbarungen mit Vorständen deshalb nicht uneingeschränkt geschlossen werden, sondern nur, soweit sie nicht in unzulässiger Weise auf die Leitungsautonomie des Vorstands Einfluss nähmen, weshalb sie an anderen Kriterien ausgerichtet sein müssten als bei einem Arbeitnehmer73. Darüber hinaus unterliege der Vorstand hinsichtlich seiner Vergütung anders als ein Arbeitnehmer besonderen Treuebindungen und habe deshalb unter Umständen nachträgliche Veränderungen bis hin zur Gehaltskürzung hinzunehmen. Des Weiteren benachteilige der hier in Rede stehende Freiwillig-

73 BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZA 2020, 244 Rz. 25 f.

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Zulässigkeit eines Ermessensbonus für Vorstandsmitglieder

keitsvorbehalt den Kläger schon deshalb nicht unangemessen, weil eine konkrete tätigkeitsbezogene Zielvereinbarung nicht getroffen worden sei. Mit dem Freiwilligkeitsvorbehalt werde daher kein Vergütungsanspruch auf eine bereits erbrachte Sonderleistung nachträglich eingeschränkt74. Dass durch die hier in Rede stehende Regelung im Vorstandsvertrag die Gewährung einer variablen Vergütung zusätzlich zum Jahresbruttogrundgehalt in das freie Ermessen des Aufsichtsrats der Beklagten gestellt worden sei, benachteilige den Kläger auch unter Berücksichtigung der aktienrechtlichen Vorgaben für die Vorstandsvergütung (§ 87 AktG) nicht unangemessen i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. § 87 AktG beinhalte kein dispositives Vertragsrecht, aus dem der Vorstand bei Unwirksamkeit der vertraglichen Regelung einen Anspruch auf angemessene Vergütung herleiten könne. Vielmehr beschränke § 87 AktG das Ermessen des Aufsichtsrats bei Abschluss der zivilrechtlichen Vergütungsabreden, ohne deren Wirksamkeit unmittelbar zu berühren. § 87 Abs. 1 AktG stehe daher auch der Vereinbarung einer reinen Fixvergütung nicht entgegen75. Für die betriebliche Praxis folgt daraus ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum. Denn mit der hier in Rede stehenden Bestimmung ist es jedenfalls bei Organmitgliedern möglich, eine insgesamt diskretionäre Regelung zu schaffen, die dem Gesellschafter bzw. Aufsichtsrat die Möglichkeit eröffnet, jederzeit ohne weitergehende Ermessensvorgaben über die Gewährung einer Zahlung zu entscheiden. Wichtig ist allerdings, dass dabei auch die Schranken beachtet werden, die der BGH bereits in seinem Urteil vom 21.12.200576 aufgestellt hatte. In dieser Entscheidung ging es um die Vorstandsboni, die im Zusammenhang mit der Übernahme der Mannesmann AG durch die Vodafone AG im Jahre 2000 in einer Höhe zwischen 770.000 € und 16 Mio. € zugesagt und gewährt wurden. Danach ist es zwar unschädlich, wenn im Dienstvertrag vereinbart wird, dass eine an den Geschäftserfolg gebundene einmalige oder jährlich wiederkehrende Prämie als variabler Bestandteil der Vergütung gezahlt wird. Grundsätzlich liegt auch dann kein strafrechtlich relevantes Verhalten des Aufsichtsrats vor, wenn bei einer fehlenden Rechtsgrundlage im Dienstvertrag eine nachträgliche Anerkennungsprämie zuerkannt wird, wenn und soweit dem Unternehmen gleichzeitig Vorteile zufließen, die in einem angemessenen Verhältnis zu der mit der freiwilligen Zusatzvergütung verbundenen Minderung des Gesellschaftsvermögens stehen. Hiervon ist nach Auffassung des BGH insbeson74 BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZA 2020, 244 Rz. 27 f. 75 BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZA 2020, 244 Rz. 33. 76 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, DB 2006, 323.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

dere dann auszugehen, wenn die freiwillige Sonderzahlung entweder dem begünstigten Vorstandsmitglied selbst oder zumindest anderen aktiven oder potenziellen Führungskräften signalisiere, dass sich die außergewöhnlichen Leistungen lohnten, von ihr also eine für das Unternehmen vorteilhafte Anreizwirkung ausgehe77. Eine im Dienstvertrag nicht vereinbarte Sonderzahlung für eine geschuldete Leistung, die ausschließlich belohnenden Charakter habe und der Gesellschaft keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringen könne (kompensationslose Anerkennungsprämie), sei demgegenüber als treupflichtwidrige Verschwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens zu bewerten und stelle deshalb eine strafbare Untreue i. S. d. § 266 StGB dar. Sie sei bereits dem Grunde nach unzulässig, ohne dass es auf die Frage ankomme, ob die Gesamtbezüge des begünstigten Vorstandsmitglieds unter Einschluss der Sonderzahlung nach den Grundsätzen des § 87 Abs. 1 S. 1 AktG der Höhe nach noch als angemessen beurteilt werden könnten78. Hiervon ausgehend muss also bei der Zusage einer an den Vorstand zu gewährender Zahlung nicht nur geprüft werden, ob dafür bereits im Arbeitsvertrag eine Rechtsgrundlage geschaffen wurde. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass der Gesellschaft als Folge der damit verbundenen Minderung des Vermögens ein Vorteil für die Zukunft zufließt. Die Leistungen der Vergangenheit, die bereits durch die im Dienstvertrag vorgesehene Vergütung bezahlt werden, bieten ohne weitere Signalwirkung für die Zukunft keine Grundlage, eine zusätzliche Leistung zu erbringen. Darüber könnte allenfalls der Anteilsinhaber selbst – also die Hauptversammlung und/oder die Gesellschafterversammlung – entscheiden. Dem Aufsichtsrat, dessen Entscheidungen eine Verfügung über fremdes Vermögen zur Folge haben, ist dies nicht möglich. (Ga)

7.

Höhe des Urlaubsentgelts bei wechselnder Dauer der Arbeitszeit

Nach den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG ist der gesetzliche Urlaubsanspruch – dem Grunde nach – allein vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses abhängig, gleichgültig, ob der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht hat. Der volle Jahresurlaub wird gemäß § 4 BUrlG erstmalig nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben und sodann jeweils am 1. Januar eines Kalenderjahres. Die Dauer des gesetzlichen Urlaubs bestimmt sich nach § 3 Abs. 1 BUrlG und beträgt jährlich 77 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, DB 2006, 323 Rz. 17 f. 78 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, DB 2006, 323 Rz. 19.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

dere dann auszugehen, wenn die freiwillige Sonderzahlung entweder dem begünstigten Vorstandsmitglied selbst oder zumindest anderen aktiven oder potenziellen Führungskräften signalisiere, dass sich die außergewöhnlichen Leistungen lohnten, von ihr also eine für das Unternehmen vorteilhafte Anreizwirkung ausgehe77. Eine im Dienstvertrag nicht vereinbarte Sonderzahlung für eine geschuldete Leistung, die ausschließlich belohnenden Charakter habe und der Gesellschaft keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringen könne (kompensationslose Anerkennungsprämie), sei demgegenüber als treupflichtwidrige Verschwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens zu bewerten und stelle deshalb eine strafbare Untreue i. S. d. § 266 StGB dar. Sie sei bereits dem Grunde nach unzulässig, ohne dass es auf die Frage ankomme, ob die Gesamtbezüge des begünstigten Vorstandsmitglieds unter Einschluss der Sonderzahlung nach den Grundsätzen des § 87 Abs. 1 S. 1 AktG der Höhe nach noch als angemessen beurteilt werden könnten78. Hiervon ausgehend muss also bei der Zusage einer an den Vorstand zu gewährender Zahlung nicht nur geprüft werden, ob dafür bereits im Arbeitsvertrag eine Rechtsgrundlage geschaffen wurde. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass der Gesellschaft als Folge der damit verbundenen Minderung des Vermögens ein Vorteil für die Zukunft zufließt. Die Leistungen der Vergangenheit, die bereits durch die im Dienstvertrag vorgesehene Vergütung bezahlt werden, bieten ohne weitere Signalwirkung für die Zukunft keine Grundlage, eine zusätzliche Leistung zu erbringen. Darüber könnte allenfalls der Anteilsinhaber selbst – also die Hauptversammlung und/oder die Gesellschafterversammlung – entscheiden. Dem Aufsichtsrat, dessen Entscheidungen eine Verfügung über fremdes Vermögen zur Folge haben, ist dies nicht möglich. (Ga)

7.

Höhe des Urlaubsentgelts bei wechselnder Dauer der Arbeitszeit

Nach den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG ist der gesetzliche Urlaubsanspruch – dem Grunde nach – allein vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses abhängig, gleichgültig, ob der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht hat. Der volle Jahresurlaub wird gemäß § 4 BUrlG erstmalig nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben und sodann jeweils am 1. Januar eines Kalenderjahres. Die Dauer des gesetzlichen Urlaubs bestimmt sich nach § 3 Abs. 1 BUrlG und beträgt jährlich 77 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, DB 2006, 323 Rz. 17 f. 78 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, DB 2006, 323 Rz. 19.

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Höhe des Urlaubsentgelts bei wechselnder Dauer der Arbeitszeit

mindestens 24 Werktage, wobei als Werktage alle Kalendertage gelten, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind. § 3 Abs. 1 BUrlG geht von einer an sechs Tagen der Kalenderwoche bestehenden Arbeitspflicht aus und gewährleistet unter dieser Voraussetzung einen gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen im Kalenderjahr. Ist die Arbeitszeit auf weniger oder mehr als sechs Tage in der Kalenderwoche verteilt, vermindert oder erhöht sich der Urlaubsanspruch entsprechend79. Diese nach deutschem Recht bestehenden Urlaubsgrundsätze sind unionskonform i. S. v. Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG auszulegen, soweit der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch in Rede steht. Danach haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Für den unionsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub hat der EuGH darauf erkannt, dass ein Arbeitnehmer Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub gemäß Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG nur für die Zeiträume erwerben kann, in denen er tatsächlich gearbeitet hat, so dass für Zeiten, in denen er nicht gearbeitet hat, kein auf dieser Vorschrift beruhender Urlaubsanspruch entsteht80. Das Ziel, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen, setzt nämlich voraus, dass dieser Arbeitnehmer eine Tätigkeit ausgeübt hat, die es zu dem in der Richtlinie 2003/88/EG vorgesehenen Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit rechtfertigt, dass er über einen Zeitraum der Erholung, der Entspannung und der Freizeit verfügt. Dabei will der EuGH unter bestimmten Voraussetzungen Arbeitnehmer, die in einem Zeitraum die Arbeitsleistung nicht erbringen können, mit Arbeitnehmern gleichstellen, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben. Dies gilt in Bezug auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind und auch für Arbeitnehmerinnen, die wegen Mutterschaftsurlaubs ihre Aufgaben im Rahmen ihrer Arbeitsverhältnisse nicht erfüllen können81. Außerdem hat der EuGH entschieden, dass im Hinblick auf die Entstehung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub die Zeiträume, in denen der Arbeitnehmer nach verschiedenen Arbeitsrhythmen arbeitete, voneinander zu

79 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435 Rz. 23. 80 EuGH v. 13.12.2018 – C-385/17, NZA 2019, 47 Rz. 29 – Hein; EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 28 – Dicu. 81 Nur EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 29 f. m. w. N. – Dicu.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

unterscheiden sind und die Zahl der entstandenen Einheiten an jährlicher Ruhezeit im Vergleich zur Zahl der geleisteten Arbeitseinheiten für jeden Zeitraum getrennt zu berechnen ist und dass dieses Ergebnis nicht durch die Anwendung des in § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit geregelten pro-rata-temporis-Grundsatzes infrage gestellt wird82. Dabei ist der pro-rata-temporis-Grundsatz auf die Gewährung des Jahresurlaubs für eine Zeit der Teilzeitbeschäftigung anzuwenden und für diese Zeit die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub gegenüber dem bei Vollzeitbeschäftigung bestehenden Anspruch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Eine Veränderung, insbesondere die Verringerung der Arbeitszeit beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung, darf indes nicht dazu führen, dass der Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben hat, gemindert werden kann83. Diese vom EuGH zu Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG entwickelten Urlaubsgrundsätze hat sich der Urlaubsenat des BAG84 zu Eigen gemacht und durch unionskonforme Auslegung von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG auf die Entstehung und die Berechnung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs übertragen. Der Berechnungsmodus des gesetzlichen Urlaubsanspruchs erfolgt in Anwendung von § 3 Abs. 1 BUrlG in der Weise, dass die in § 3 Abs. 1 BUrlG genannten 24 Werktage durch die Anzahl der Arbeitstage im Jahr bei einer Sechs-TageWoche geteilt und mit der Anzahl der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitstage im Jahr multipliziert werden (24 Werktage Urlaub × Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht ÷ 312 Werktage)85. Dabei geht das BAG für die Sechs-Tage-Woche von 312 möglichen Arbeitstagen im Jahr aus. Das beruht darauf, dass sich bei sechs Werktagen in 52 Wochen eine Zahl von 312 Werktagen ergibt. Diese Formel vernachlässigt bewusst, dass das Kalenderjahr nicht nur 364 Tage – ausgehend von 52 Wochen zu je sieben Tagen – hat, sondern nach § 191 BGB mit 365 Tagen zu berechnen ist. Der 365. Tag bleibt außer Betracht, weil die Berechnungsvorschrift in § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG auf 13 Wochen für ein Vierteljahr abstellt (13 × 4 = 52)86. Die Umrechnung erfolgt, indem die in § 3 Abs. 1 BUrlG genannten 24 Werktage durch die Anzahl der Arbeitstage im Jahr bei einer Sechs-Tage-Woche ge82 EuGH v. 11.11.2015 – C-219/14, NZA 2015, 1501 Rz. 33, 36 – Greenfield. 83 EuGH v. 13.6.2013 – C-415/12, NZA 2013, 775 Rz. 30 ff. – Brandes; EuGH v. 22.4.2010 – C-486/08, NZA 2010, 557 Rz. 32 f. – Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols. 84 BAG v. 21.5.2019 – 9 AZR 259/18, NZA 2019, 1365 Rz. 13; BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435 Rz. 33. 85 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435 Rz. 30 ff. 86 BAG v. 15.3.2011 – 9 AZR 799/09, DB 2011, 1814 Rz. 25.

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Höhe des Urlaubsentgelts bei wechselnder Dauer der Arbeitszeit

teilt und mit der Anzahl der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitstage im Jahr multipliziert werden87. Die danach maßgebliche Umrechnungsformel lautet: 24 Werktage Urlaub × Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht 312 Werktage

Bei dieser Umrechnungsformel spielt es auch keine Rolle, wie die Arbeitszeit im gesamten Kalenderjahr auf die Wochentage verteilt wird. Bei dem Ausfüllen der Formel zählen gesetzliche Feiertage als Tage mit Arbeitspflicht. Gleiches nimmt das BAG für vorübergehende Verhinderung nach § 616 BGB, krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nach § 1 EFZG oder Suspendierungen nach §§ 2, 3 PflegeZG an88. Sonderregelungen enthalten auch § 24 MuSchG und § 17 BEEG. Der Berechnung der Höhe des Urlaubsanspruchs nach § 3 Abs. 1 BUrlG muss stets die Feststellung vorausgehen, an wie vielen Tagen der Woche eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung im laufenden Kalenderjahr besteht. Das ist unproblematisch, soweit die Arbeitszeit im gesamten Kalenderjahr gleichmäßig auf weniger oder mehr als sechs Wochentage verteilt ist. Bei einer über das Kalenderjahr ungleichmäßigen Verteilung der Arbeitszeit können allerdings Unsicherheiten über den Urlaubsumfang bestehen, wenn im Voraus die Zahl der Arbeitstage nicht geklärt werden kann. Fällt die Anzahl der Arbeitstage geringer aus als angenommen und ist dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung einer angenommenen größeren Anzahl von Arbeitstagen Urlaub gewährt worden, stellt sich die Frage, ob in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 3 BUrlG eine Rückforderung überzahlten Urlaubsentgelts ausgeschlossen ist oder der Anwendungsbereich dieser Regelung auf den darin behandelten Fall des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres begrenzt ist. Dafür würde sprechen, dass nunmehr das BAG aus § 3 Abs. 1 BUrlG das gesetzgeberische Grundverständnis herleitet, den Urlaubsanspruch anhand der arbeitsvertraglich zu leistenden Arbeit zu berechnen89. Die vorstehenden Berechnungsgrundsätze gelten auch für den vertraglichen oder tariflichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien oder Tarifver87 A. A. aber Bayreuther, NZA 2020, 353, der abweichend von § 3 BUrlG die Berechnung auf 260 Arbeitstage bezieht. 88 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435 Rz. 32. 89 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435 Rz. 26 unter Hinweis auf § 208 SGB IX; a. A. aber Bayreuther, NZA 2020, 353, 354, der eine entsprechende Anwendung von § 5 Abs. 3 BUrlG befürwortet.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

tragsparteien für die Berechnung des Mehrurlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichenden Vereinbarungen getroffen haben. Im Gegensatz zum Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, der arbeitsvertraglichen oder tariflichen Dispositionen entzogen ist, die sich zu Ungunsten des Arbeitnehmers auswirken (§ 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG), insbesondere auch hinter den von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten Mindesturlaubsansprüchen zurückbleiben, können die Arbeitsvertragsparteien oder Tarifvertragsparteien den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG übersteigenden Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen frei ausgestalten90. Die betriebliche Praxis muss sich auf diese vollständige Neuorientierung bezüglich der Entstehung und der Berechnung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs einrichten. Es ist Zeit, dass der Gesetzgeber eingreift. Für die unionskonforme Auslegung von § 3 Abs. 1 BUrlG mag folgender Vorschlag dienen: Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 24 Werktage. Der Urlaubsanspruch besteht – von besonderen gesetzlichen Regelungen abgesehen – nur für Zeiträume, in denen der Arbeitnehmer vertraglich zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Die Anzahl der Urlaubstage ist unter Berücksichtigung der für das gesamte Kalenderjahr maßgeblichen Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage zu ermitteln. Wechselt die Anzahl der Arbeitstage unterjährig, ist der gesetzliche Urlaubsanspruch für das betreffende Kalenderjahr unter Berücksichtigung der einzelnen Zeiträume der Beschäftigung und der auf sie entfallenden Wochentage mit Arbeitspflicht umzurechnen. Beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung darf der Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben hat, nicht gemindert werden. (Boe)

8.

Weitere Konkretisierungen der Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers beim Urlaub

Nach der neueren Rechtsprechung des BAG91, die auf die des EuGH92 zurückzuführen ist, erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub

90 EuGH v. 19.11.2019 – C-609/17, C-610/17, NZA 2019, 1631 – TSN, AKT; BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 321/16, NZA 2019, 1043 Rz. 52; BAG v. 14.2.2017 – 9 AZR 386/16, NZA 2017, 655 Rz. 15. 91 BAG v. 22.10.2019 – 9 AZR 98/19, NZA 2020, 307 Rz. 12 m. w. N.; BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 22.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

tragsparteien für die Berechnung des Mehrurlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichenden Vereinbarungen getroffen haben. Im Gegensatz zum Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, der arbeitsvertraglichen oder tariflichen Dispositionen entzogen ist, die sich zu Ungunsten des Arbeitnehmers auswirken (§ 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG), insbesondere auch hinter den von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten Mindesturlaubsansprüchen zurückbleiben, können die Arbeitsvertragsparteien oder Tarifvertragsparteien den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG übersteigenden Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen frei ausgestalten90. Die betriebliche Praxis muss sich auf diese vollständige Neuorientierung bezüglich der Entstehung und der Berechnung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs einrichten. Es ist Zeit, dass der Gesetzgeber eingreift. Für die unionskonforme Auslegung von § 3 Abs. 1 BUrlG mag folgender Vorschlag dienen: Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 24 Werktage. Der Urlaubsanspruch besteht – von besonderen gesetzlichen Regelungen abgesehen – nur für Zeiträume, in denen der Arbeitnehmer vertraglich zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Die Anzahl der Urlaubstage ist unter Berücksichtigung der für das gesamte Kalenderjahr maßgeblichen Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage zu ermitteln. Wechselt die Anzahl der Arbeitstage unterjährig, ist der gesetzliche Urlaubsanspruch für das betreffende Kalenderjahr unter Berücksichtigung der einzelnen Zeiträume der Beschäftigung und der auf sie entfallenden Wochentage mit Arbeitspflicht umzurechnen. Beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung darf der Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben hat, nicht gemindert werden. (Boe)

8.

Weitere Konkretisierungen der Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers beim Urlaub

Nach der neueren Rechtsprechung des BAG91, die auf die des EuGH92 zurückzuführen ist, erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub

90 EuGH v. 19.11.2019 – C-609/17, C-610/17, NZA 2019, 1631 – TSN, AKT; BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 321/16, NZA 2019, 1043 Rz. 52; BAG v. 14.2.2017 – 9 AZR 386/16, NZA 2017, 655 Rz. 15. 91 BAG v. 22.10.2019 – 9 AZR 98/19, NZA 2020, 307 Rz. 12 m. w. N.; BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 22.

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Weitere Konkretisierungen der Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers beim Urlaub

(§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) bei einer mit Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 S. 3, 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Insoweit trifft den Arbeitgeber die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs, deren Einhaltung grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes des § 7 Abs. 3 BUrlG ist. Dabei hat sich der Arbeitgeber bei Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten auf einen konkret bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres zu beziehen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH93 geht das BAG des Weiteren davon aus, dass wegen des Fehlens konkreter gesetzlicher Vorgaben der Arbeitgeber grundsätzlich die Mittel frei wählen darf, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bedienen will. Die Mittel müssen jedoch geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Deshalb darf der Arbeitgeber, will er seinen Mitwirkungsobliegenheiten genügen, den Arbeitnehmer auch nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaub in Anspruch zu nehmen94. Abstrakte Angaben im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung genügen nicht den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung des Arbeitnehmers95. Den Arbeitgeber trifft für die Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten die Darlegungsund Beweislast96. In Anbetracht dieser Rechtsprechung könnte § 7 Abs. 1, 3 BUrlG wie folgt lauten: (1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Stellt der Arbeitnehmer keinen Antrag auf Erfüllung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, hat 92 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 69 ff. – Max-PlanckGesellschaft; EuGH v. 29.11.2017 – C-214/16, NZA 2017, 1591 Rz. 56 – King. 93 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 41 ff. – Max-PlanckGesellschaft; EuGH v. 29.11.2017 – C-214/16, NZA 2017, 1591 Rz. 39, 65 – King. 94 BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 40. 95 Vgl. nur BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 42. 96 BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 40.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret und rechtzeitig aufzufordern, den ihm noch zustehenden Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen. Gleichzeitig ist der Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass der nicht genommene Urlaub am Ende des Kalenderjahres verfällt. Im Falle der zulässigen Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des nächsten Kalenderjahres gelten die S. 2, 3 entsprechend. Im gekündigten Arbeitsverhältnis hat der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch eine vorbehaltlose Freistellungserklärung unter Zahlung oder verbindlicher Zahlungszusage des Urlaubsentgelts zu gewähren. Mit der Zahlung des Urlaubsentgelts wird ein ggf. bestehender Urlaubsabgeltungsanspruch erfüllt. (3) Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Ist ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, verfallen seine Urlaubsansprüche 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Die S. 1 bis 3 gelten nur dann, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung aus Abs. 1 S. 2 bis 4 so rechtzeitig nachgekommen ist, dass der Urlaub des Arbeitnehmers noch innerhalb des Kalenderjahres oder im Falle seiner Übertragung bis zum 31. März vollständig genommen werden kann. Ansonsten wird der noch nicht gewährte und genommene Urlaub mit dem Urlaub des (jeweils) folgenden oder laufenden Kalenderjahres verbunden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 lit. a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen. Dieser Teilurlaub ist nur dann nach S. 1 befristet, wenn der Arbeitgeber im Kalenderjahr seiner Entstehung seinen Mitwirkungsobliegenheiten nach Abs. 1 S. 2, 3 nachgekommen ist.

Ob dem BAG unter Berücksichtigung dieser das Gesetz ergänzenden Regelungen noch gefolgt werden kann, dass es sich hierbei um eine unionskonforme Interpretation handelt, ist eher zweifelhaft und damit verfassungsrechtlich nicht bedenkenfrei. Sicherlich hat der vom BAG eingeschlagene Weg den Vorzug, dass, anders als für § 9 Abs. 1 AGG entschieden97, § 7

97 BAG v. 25.10.2018 – 8 AZR 501/14, NZA 2019, 455 Rz. 24, 32 im Anschluss an EuGH v. 17.4.2018 – C-414/16, NZA 2018, 569 – Egenberger.

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Weitere Konkretisierungen der Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers beim Urlaub

Abs. 1, 3 BUrlG als mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG nicht vereinbar, nicht als Anwendungsnormen ausfällt. Die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Verwirklichung der Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers sind durch eine weitere Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 22.10.201998 überdies konkretisiert worden. Es ging bei dieser Entscheidung zum einen um die Frage, ob die Initiativlast des Arbeitgebers für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs auch dann relevant sein kann, wenn der Arbeitnehmer selbst die Entscheidung über die Realisierung seines Urlaubsanspruchs und Urlaubsantritts treffen darf. Zum anderen war hinsichtlich der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers fraglich, ob diese deshalb entfallen, weil der Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber eingegangen ist. Der Kläger war bei dem Beklagten (e. V.) seit Januar 2012 als Leiter einer Geschäftsstelle beschäftigt. Ihm stand vertragsgemäß ein Jahresurlaubsanspruch von 34 Arbeitstagen zu. Der Arbeitsvertrag der Parteien sah eine Befristung bis zum 31.12.2012 vor. Durch eine vom Kläger erhobene Entfristungsklage wurde mit Urteil des LAG Sachsen-Anhalt vom 3.2.201599 rechtskräftig die Unwirksamkeit der Befristung festgestellt. Ein Angebot des Beklagten vom 20.9.2013, eine Prozessbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen wahrzunehmen, nahm der Kläger zwar an, jedoch ohne dem nachzukommen. Ab dem 1.1.2014 war der Kläger ein neues Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber eingegangen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund einer ordentlichen Kündigung des Klägers mit Ablauf des 31.7.2016. Der Kläger beanspruchte von dem Beklagten noch eine Urlaubsabgeltung i. H. v. 4.779,20 € (brutto) für das Kalenderjahr 2012 und weitere 4.149,60 € (brutto) für das Kalenderjahr 2013. Der Beklagte hat seinen Abweisungsantrag vor allem damit begründet, ein Urlaubsabgeltungsanspruch bestünde schon deswegen nicht, weil der jeweilige Naturalurlaub des Klägers spätestens 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen sei und er die Möglichkeit gehabt habe, selbst den Urlaub zu realisieren. Das ArbG Magdeburg100 hat die Klage abgewiesen, jedoch den Beklagten rechtskräftig verurteilt, für die Monate Januar bis Dezember 2013 die Vergütung aus Annahmeverzug zu zahlen. Das LAG Sachsen-Anhalt101 hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Das BAG hat auf die Revision des Klä98 BAG v. 22.10.2019 – 9 AZR 98/19, NZA 2020, 307. 99 LAG Sachsen-Anhalt v. 3.2.2015 – 6 Sa 480/13 n. v. 100 ArbG Magdeburg v. 26.1.2016 – 1 Ca 1412/15 HBS n. v. 101 LAG Sachsen-Anhalt v. 19.10.2018 – 5 Sa 77/16 n. v.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

gers das Urteil des LAG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Im Gegensatz zum LAG, das vom Verfall des Urlaubsanspruchs des Klägers jeweils 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres ausgegangen war, hat das BAG unter Zugrundelegung seiner neueren Rechtsprechung das Eintreten eines Verlustes des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 S. 1, 2, 4 BUrlG am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verneint, wenn nicht der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Diese Obliegenheitserfüllung hat der Arbeitgeber nachzuweisen. Nur unter dieser Prämisse kann es nach Ansicht des BAG zu einem Verfall des Urlaubsanspruchs kommen. Dabei stellt das BAG klar, dass im Falle einer zulässigen Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des Folgejahres den Arbeitgeber eine erneute Mitwirkungsobliegenheit trifft, den Arbeitnehmer rechtzeitig aufzufordern, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und diese Aufforderung mit dem Hinweis verbindet, dass der Urlaubsanspruch andernfalls erlischt102. In diesem Zusammenhang verweist das BAG auf die mit dem Unterlassen der Mitwirkungsobliegenheit eintretende Rechtsfolge, die darin besteht, dass der nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzutritt, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht und für den die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BUrlG wie für den neu entstandenen Urlaub gelten. Im Ergebnis kann der Arbeitgeber für den verschmolzenen einheitlichen Urlaubsanspruch ein weiteres Kumulieren mit zukünftigen Urlaubsansprüchen nur vermeiden, wenn er nunmehr seinen Mitwirkungsobliegenheiten zur Realisierung des Urlaubs nachkommt. In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung103 überträgt das BAG dieses Ergebnis zugleich auf den vertraglichen Mehrurlaub des Klägers. Eine Einschränkung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers lässt sich nach Ansicht des BAG nicht aus dem Umstand herleiten, dass der Arbeitnehmer – hier der Kläger – seinen Urlaubsanspruch in eigener Regie realisieren konnte. Gleiches gilt für den Streit der Parteien über die Wirksamkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses, weil der Entscheidung des Gerichts nur eine feststellende Wirkung beizumessen sei. Insoweit spielt es – wie im Falle eines Kündigungsschutzprozesses104 – für die Mitwirkungsob102 BAG v. 22.10.2019 – 9 AZR 98/19, NZA 2020, 307 Rz. 15; BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 43. 103 BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 51. 104 BAG v. 19.1.2016 – 2 AZR 449/15, NZA 2016, 1144 Rz. 68.

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Weitere Konkretisierungen der Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers beim Urlaub

liegenheiten des Arbeitgebers keine Rolle, dass die Frage der Wirksamkeit der Befristung und damit das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses noch ungeklärt ist. Auch für diesen Fall verlangt das BAG eine Erklärung des Arbeitgebers, trotz des Streits über die Wirksamkeit der Befristung, bereit zu sein, dem Arbeitnehmer durch eine Freistellung unter Zahlung des Urlaubsentgelts vor Antritt des Urlaubs oder eine entsprechende bindende Zahlungszusage vorbehaltlos bezahlten Urlaub zu gewähren105. Schließlich hält es das BAG für die Urlaubsabgeltungsansprüche aus den Jahren 2012 und 2013 für rechtlich irrelevant, dass der Kläger ab Januar 2014 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist. Dem ist uneingeschränkt beizupflichten. Ob diese Bewertung ebenso ausfallen muss, wenn ein Arbeitnehmer während einer Entfristungsklage oder eines Kündigungsschutzprozesses ein weiteres Arbeitsverhältnis während der Zeit eingegangen ist, für die er eine Urlaubsabgeltung beansprucht, kann zweifelhaft sein. Letztlich lehnt es das BAG ab, die vom LAG in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH106 für die Fälle der durchgehenden Erkrankung auf 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres vorgenommene zeitliche Einschränkung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Da das LAG nicht geprüft hatte, ob der Beklagte durch Erfüllung seiner Obliegenheiten den Kläger in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch aus den Jahren 2012 und 2013 tatsächlich wahrzunehmen und auch zur Höhe eines etwaigen Urlaubsabgeltungsanspruchs keine tatsächlichen Feststellungen getroffen worden waren, hat das BAG den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Abgesehen davon, dass die betriebliche Praxis angesichts einer jahrzehntelangen anderslautenden Rechtsprechung des BAG erst durch die Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018107 auf die den Arbeitgeber treffenden Mitwirkungsobliegenheiten aufmerksam gemacht worden ist, gibt es für die rückwirkende Anwendung dieser Grundsätze – wie auch der vorliegende Fall verdeutlicht – keinerlei Vertrauensschutz108, weil diese Frage bei der Anwendung von Unionsrecht allein vom EuGH zu klären ist. Den Praktiker überrascht es durchaus, dass er möglicherweise erst Jahre später mit Ur105 BAG v. 22.10.2019 – 9 AZR 98/19, NZA 2020, 307 Rz. 28. 106 EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10, NZA 2011, 1333 Rz. 30 – KHS; BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 15. 107 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 – Max-Planck-Gesellschaft. 108 BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 Rz. 34 unter Hinweis auf BVerfG v. 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07, NZA 2015, 375 Rz. 26.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

laubs- oder Urlaubsabgeltungsansprüchen konfrontiert wird, die noch zu erfüllen sind109. (Boe)

9.

Erholungsurlaub bei Altersteilzeit im Blockmodell

Die Verringerung der Arbeitszeit kann im Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ATG als kontinuierliche Teilzeitarbeit (Teilzeitmodell) vereinbart werden mit der Maßgabe, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses mit einer auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit verringerten Arbeitszeit arbeitet und dementsprechend eine reduzierte Vergütung erhält, die durch einen Aufstockungsbetrag nebst zusätzlicher Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a, b ATG) erhöht wird. In diesem Fall entstehen unter urlaubsrechtlichen Gesichtspunkten keine Abweichungen von einem sonstigen durchgehend bestehenden Arbeitsverhältnis. Daneben eröffnet das ATG den Vorgaben in § 2 Abs. 2 S. 1 entsprechend die Alternative eines sog. Blockmodells, wofür der Wechsel zwischen Arbeitsphase und Freistellungsphase kennzeichnend ist. Bei dieser Alternative der Altersteilzeit wird dem Arbeitnehmer während des gesamten Zeitraums der Altersteilzeit, d. h. in der Arbeits- und in der Freistellungsphase, ein verstetigtes Arbeitsentgelt vom Arbeitgeber gezahlt, das sich aus dem Entgelt für die Teilzeitarbeit plus einem Aufstockungsbetrag sowie den vom Arbeitgeber zu entrichtenden zusätzlichen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zusammensetzt110. Dabei stellt das während der Freistellung zu zahlende verstetigte Arbeitsentgelt (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ATG) die Gegenleistung für die während der Arbeitsphase geleistete Arbeit dar, das der Arbeitnehmer abweichend von § 614 BGB erst in der Freistellungsphase beanspruchen kann111. Ob auch zu Gunsten des Arbeitnehmers in der Freistellungsphase ein Urlaubsanspruch entstehen konnte, dessen Realisierung in natura schon daran scheiterte, dass der Arbeitnehmer bereits freigestellt war und nicht ein weiteres Mal zum Zwecke der Urlaubsgewährung freigestellt werden konnte, aber

109 EuGH v. 29.11.2017 – C-214/16, NZA 2017, 1591 – King. 110 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 481/18, NZA 2020, 300 Rz. 19 ff. 111 Vgl. dazu BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 481/18, NZA 2020, 300 Rz. 23; BAG v. 17.12.2015 – 6 AZR 186/14, NZA 2016, 508 Rz. 33.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

laubs- oder Urlaubsabgeltungsansprüchen konfrontiert wird, die noch zu erfüllen sind109. (Boe)

9.

Erholungsurlaub bei Altersteilzeit im Blockmodell

Die Verringerung der Arbeitszeit kann im Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ATG als kontinuierliche Teilzeitarbeit (Teilzeitmodell) vereinbart werden mit der Maßgabe, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses mit einer auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit verringerten Arbeitszeit arbeitet und dementsprechend eine reduzierte Vergütung erhält, die durch einen Aufstockungsbetrag nebst zusätzlicher Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a, b ATG) erhöht wird. In diesem Fall entstehen unter urlaubsrechtlichen Gesichtspunkten keine Abweichungen von einem sonstigen durchgehend bestehenden Arbeitsverhältnis. Daneben eröffnet das ATG den Vorgaben in § 2 Abs. 2 S. 1 entsprechend die Alternative eines sog. Blockmodells, wofür der Wechsel zwischen Arbeitsphase und Freistellungsphase kennzeichnend ist. Bei dieser Alternative der Altersteilzeit wird dem Arbeitnehmer während des gesamten Zeitraums der Altersteilzeit, d. h. in der Arbeits- und in der Freistellungsphase, ein verstetigtes Arbeitsentgelt vom Arbeitgeber gezahlt, das sich aus dem Entgelt für die Teilzeitarbeit plus einem Aufstockungsbetrag sowie den vom Arbeitgeber zu entrichtenden zusätzlichen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zusammensetzt110. Dabei stellt das während der Freistellung zu zahlende verstetigte Arbeitsentgelt (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ATG) die Gegenleistung für die während der Arbeitsphase geleistete Arbeit dar, das der Arbeitnehmer abweichend von § 614 BGB erst in der Freistellungsphase beanspruchen kann111. Ob auch zu Gunsten des Arbeitnehmers in der Freistellungsphase ein Urlaubsanspruch entstehen konnte, dessen Realisierung in natura schon daran scheiterte, dass der Arbeitnehmer bereits freigestellt war und nicht ein weiteres Mal zum Zwecke der Urlaubsgewährung freigestellt werden konnte, aber

109 EuGH v. 29.11.2017 – C-214/16, NZA 2017, 1591 – King. 110 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 481/18, NZA 2020, 300 Rz. 19 ff. 111 Vgl. dazu BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 481/18, NZA 2020, 300 Rz. 23; BAG v. 17.12.2015 – 6 AZR 186/14, NZA 2016, 508 Rz. 33.

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Erholungsurlaub bei Altersteilzeit im Blockmodell

in Gestalt einer Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu gewähren war, wurde uneinheitlich beantwortet112. Mit Urteil vom 24.9.2019113 hat der 9. Senat des BAG erstmalig diese Frage entscheiden müssen. Der Kläger war seit dem 1.10.2012 bei der Beklagten in Vollzeit beschäftigt. Vom 1.12.2014 bis zum 31.7.2017 befand er sich in Altersteilzeit nach dem Blockmodell. Die Arbeitsphase dauerte vom 1.12.2014 bis zum 31.3.2016, die Freistellungsphase vom 1.4.2016 bis zum 31.7.2017. Mit der Freistellungsphase sollten vertragsgemäß alle Urlaubsansprüche erfüllt sein. Im Jahre 2016 gewährte die Beklagte dem Kläger bis zum 31.3.2016 an acht Arbeitstagen Erholungsurlaub. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger, dem ein Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen zustand, von der Beklagten die Abgeltung weiterer 22 Urlaubstage für das Jahr 2016 sowie von 30 Urlaubstagen für das Jahr 2017. Der Kläger war in allen Instanzen mit seinem Klagebegehren unterlegen. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen geht das BAG davon aus, dass dem Kläger zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine offenen Urlaubsansprüche aus den Jahren 2016 und 2017, zu deren Abgeltung die Beklagte nach § 7 Abs. 4 BUrlG verpflichtet gewesen wäre, zugestanden haben. Dabei geht das BAG von der bereits an anderer Stelle näher dargelegten Neuorientierung der Rechtsprechung zum gesetzlichen Urlaubsanspruch114 in unionskonformer Auslegung von § 3 Abs. 1 BUrlG aus, wonach sich die Anzahl der Urlaubstage des gesetzlichen Mindesturlaubs in Abhängigkeit von der Zahl der Tage mit Arbeitspflicht bestimmt. Das BAG wiederholt die in der Entscheidung vom 19.3.2019115 entwickelten Berechnungsgrundsätze, wonach bei einem unterjährigen Wechsel der Anzahl der Arbeitstage der gesetzliche Urlaubsanspruch für das betreffende Kalenderjahr unter Berücksichtigung der einzelnen Zeiträume der Beschäftigung und der auf sie entfal-

112 Verneinend etwa LAG Düsseldorf v. 13.7.2018 – 6 Sa 272/18, NZA-RR 2018, 648; LAG Hessen v. 22.3.2017 – 6 Sa 29/17, ZTR 2017, 534; LAG Saarland v. 22.7.2015 – 1 Sa 39/15 n. v.; ErfK/Rolfs, ATG § 8 Rz. 17; Heilmann/Koch, NZA-RR 2018, 8, 10 ff.; Thüsing/Denzer/Beden, DB 2019, 1445, 1447; bejahend: LAG Niedersachsen v. 18.1.2017 – 13 Sa 126/16, NZA-RR 2017, 288; Hamann, RdA 2019, 137, 139, 141; Heither/Witkowski, NZA 2018, 909. 113 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 481/18, NZA 2020, 300. 114 Boewer, AktuellAR 2020, 159 ff. 115 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/17, NZA 2019, 1435 Rz. 27.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

lenden Wochentage mit Arbeitspflicht umzurechnen ist, wobei folgende Formel den Berechnungsmodus bestimmt116: 24 Werktage Urlaub × Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht 312 Werktage

Dieser Berechnungsmodus ist auch für den übergesetzlichen Urlaub maßgebend, wenn die Arbeitsvertragsparteien für die Berechnung des Urlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben117. Dass nur Tage mit Arbeitspflicht für die Bestimmung der Zahl der Urlaubstage relevant sind, steht unter dem Vorbehalt, dass Arbeitnehmer, die während des Bezugszeitraums ihrer Arbeitspflicht nicht nachkommen können, unter bestimmten Voraussetzungen Arbeitnehmern gleichgestellt werden müssen, die während dieses Zeitraums gearbeitet haben118. Da der Gesetzgeber weder im ATG noch an sonstiger Stelle für den Fall der Altersteilzeit eine besondere Umrechnung des nach § 3 Abs. 1 BUrlG vorgesehenen gesetzlichen Mindesturlaubs vorgenommen hat, überträgt das BAG den allgemeinen Berechnungsmodus zu § 3 Abs. 1 BUrlG gleichermaßen auf die Altersteilzeit im Blockmodell. Im Hinblick darauf, dass bei der Altersteilzeit im Blockmodell allein in der Arbeitsphase, nicht aber in der Freistellungsphase eine Arbeitspflicht besteht, kann der von der Arbeitspflicht entbundene Arbeitnehmer in dieser Phase keinen Urlaubsanspruch erwerben. Nach den vom BAG entwickelten allgemeinen Berechnungsgrundsätzen (24 Werktage × Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht ÷ 312 Werktage) ist die Freistellungsphase mit null Arbeitstagen in Ansatz zu bringen, so dass rechnerisch kein Urlaubsanspruch zu ermitteln ist. Das BAG weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass der Arbeitnehmer mit Altersteilzeit im Blockmodell nicht gleichheitssatzwidrig (Art. 3 Abs. 1 GG) in Relation zu einem Arbeitnehmer im Teilzeitmodell bezüglich des Urlaubsentgelts benachteiligt wird, weil infolge der verstetigten Zahlung auch während der Freistellungsphase sichergestellt wird, dass der Arbeitnehmer für den Urlaub in der Arbeitsphase ein Urlaubsentgelt erhält, das der Vergütung für die geleistete Arbeit entspricht119. Vollzieht sich der Wechsel von der Arbeits- in die Freistellungsphase im Verlauf des Kalenderjahres, muss der Urlaubsanspruch aufgrund der Neuorientierung des BAG nach Zeitabschnitten

116 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 481/18, NZA 2020, 300 Rz. 16; BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 406/07, NZA 2019, 1435 Rz. 30 ff. 117 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 481/18, NZA 2020, 300 Rz. 42 m. w. N. 118 BAG v. 22.1.2019 – 9 AZR 10/17, NZA 2019, 832 Rz. 30. 119 BAG v. 24.9.2019 – 9 AZR 481/18, NZA 2020, 300 Rz. 30.

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Erholungsurlaub bei Altersteilzeit im Blockmodell

entsprechend der vertraglich vorgesehenen Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht berechnet werden. Das BAG sieht sich bei der Annahme, dass während der Freistellungsphase keine gesetzlichen Urlaubsansprüche zu Gunsten des Arbeitnehmers entstehen, in voller Übereinstimmung mit Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG und der Rechtsprechung des EuGH120, wonach für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat, kein auf dieser Vorschrift beruhender Urlaubsanspruch generiert wird. Gleiches gilt für das in § 4 Nrn. 1, 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit geregelte Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften, weil der EuGH121 den in § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit geregelten pro-rata-temporis-Grundsatz in Bezug auf die Gewährung des Jahresurlaubs für eine Zeit der Teilzeitbeschäftigung als objektiv gerechtfertigt angesehen hat. Ausgehend von diesen Grundsätzen waren nach Ansicht des BAG zu Gunsten des Klägers für die Kalenderjahre 2016 und 2017 keine offenen Urlaubsansprüche vorhanden, die von der Beklagten noch hätten abgegolten werden müssen. Die Beklagte hatte den noch für das Kalenderjahr während der Arbeitsphase entstandenen Urlaubsanspruch richtig mit acht Urlaubstagen berechnet und dem Kläger in natura gewährt (§ 362 Abs. 1 BGB). Das BAG hat zur Berechnung die dem Kläger zustehenden 30 Arbeitstage Urlaub im Jahr auf 36 Werktage (30 Arbeitstage ÷ 5 × 6 = 36 Werktage) umgerechnet, anschließend durch die Anzahl der Arbeitstage im Jahr bei einer SechsTage-Woche (312 Werktage) geteilt und mit der Anzahl der für den Kläger maßgeblichen Arbeitstage im Jahr 2016 (65 Arbeitstage in den Monaten Januar bis März 2016) multipliziert (36 Werktage × 65 Arbeitstage ÷ 312 Werktage). Die Berechnung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs für 2017 hat das BAG wie folgt vorgenommen: 24 Werktage × 0 Arbeitstage ÷ 312 Werktage, so dass sich daraus null Urlaubstage ergeben, was gleichermaßen für den Zusatzurlaub gilt. In der betrieblichen Praxis wird die Entscheidung des BAG Zustimmung erfahren, weil nunmehr höchstrichterlich klargestellt ist, dass in der Freistellungsphase der Altersteilzeit mangels Arbeitspflicht kein gesetzlicher Anspruch auf Erholungsurlaub entsteht und damit auch die in der Praxis übliche vertragliche Regelung, den Urlaubsanspruch im Jahr des Wechsels in die Freistellungsphase anteilig zu kürzen, bedenkenfrei möglich ist. (Boe)

120 EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 31 ff. – Dicu. 121 EuGH v. 11.11.2015 – C-219/14, NZA 2015, 1501 Rz. 35 – Greenfield.

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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

10. Gestaltungsspielraum bei freiwilligem (tarif-)vertraglichen Mehrurlaub Der EuGH hat mit Urteil vom 19.11.2019122 auf Vorlage eines finnischen Arbeitsgerichts darüber entscheiden müssen, ob ein dem Arbeitnehmer gesetzlich oder tariflich zustehender Urlaubsanspruch, der über den kalenderjährlichen Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen aus Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG hinausgeht, durch Gesetz oder Tarifvertrag anderen Regelungen unterstellt werden darf, als sie für den Mindesturlaub gelten. Das finnische (gesetzliche und tarifliche) Urlaubsrecht sieht in § 25 Abs. 2 des Jahresurlaubsgesetzes vor: Beginnt während des Jahresurlaubs oder eines Teils davon eine Arbeitsunfähigkeit infolge Geburt, Krankheit oder Unfall, hat der Arbeitnehmer Anspruch darauf, dass die in den Jahresurlaub fallenden Tage der Arbeitsunfähigkeit auf Antrag gutgeschrieben werden, sofern sie sechs Urlaubstage überschreiten. Die vorstehend genannten Karenztage dürfen den Anspruch des Arbeitnehmers auf vier Wochen Jahresurlaub nicht mindern.

Dem Kläger stand ein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Werktagen (hier fünf Wochen) zu. Er trat seinen Urlaub am 22.8.2016 an. Am 29.8.2016 erkrankte er und wurde bis zum 4.9.2016 krankgeschrieben. Entgegen seinem Antrag rechnete der Arbeitgeber die sechs Krankheitstage auf den Urlaub an. Der Kläger war der Meinung, die gesetzliche Urlaubsregelung, die diese Anrechnung erlaubte, verstieße gegen Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG. Das vorlegende finnische Arbeitsgericht wollte wissen, ob Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG eine derartige Anrechnungsmöglichkeit eines über die Richtlinie hinausgehenden Urlaubs (vier Wochen) erlaubt oder gegen Art. 31 Abs. 2 GRC verstößt und ob letztere Bestimmung unmittelbare Wirkung in einem Arbeitsverhältnis zwischen privaten Rechtssubjekten, d. h. eine horizontale unmittelbare Wirkung hat. Der EuGH antwortet zunächst, dass die Richtlinie 2003/88/EG innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, nach denen ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von mehr als den in Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG vorgesehenen vier Wochen besteht123. Zur Begründung verweist der EuGH auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 1, 2 a, Art. 7 Abs. 1, Art. 15 122 EuGH v. 19.11.2019 – C-609/17, C-610/17, NZA 2019, 1631 – TSN, AKT. 123 EuGH v. 13.12.2018 – C-385/17, NZA 2019, 47 – Hein; EuGH v. 20.7.2016 – C-341/15, NZA 2016, 1067 – Maschek.

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Gestaltungsspielraum bei freiwilligem (tarif-)vertraglichen Mehrurlaub

Richtlinie 2003/88/EG, woraus hervorginge, dass die Richtlinie lediglich Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung enthält und das Recht der Mitgliedstaaten unberührt bleibt, für den Schutz der Arbeitnehmer günstigere nationale Vorschriften anzuwenden. In solchen Fällen seien die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die über das in Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG vorgesehene Mindestmaß hinausgingen, nicht durch die Richtlinie geregelt, sondern durch das nationale Recht. Allerdings weist der EuGH – wie bereits in der Entscheidung Hein124 – unmissverständlich darauf hin, dass günstigere nationale Bestimmungen nicht dazu dienen dürfen, eine Beeinträchtigung des durch Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten Mindestschutzes, etwa in Gestalt einer Kürzung des Urlaubsentgelts für den Mindestjahresurlaub, zu kompensieren. Im Hinblick auf diese Ausführungen hat der EuGH auf die Frage des finnischen Arbeitsgerichts geantwortet, dass Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG einer nationalen Rechtsvorschrift oder Tarifverträgen, die für einen die vorgesehene Mindestdauer von vier Wochen überschreitenden Urlaub vorsehen, nicht entgegensteht, Krankheitstage, die während des Urlaubs auftreten, nicht gutzuschreiben. Der EuGH ergänzt diese Aussage dahingehend, dass auch Art. 31 Abs. 2 i. V. m. Art. 51 Abs. 1 GRC an diesem Ergebnis nichts ändert und dementsprechend auf derartige nationale Rechtsvorschriften und Tarifverträge nicht anwendbar ist. Dabei betont der EuGH, dass der Anwendungsbereich durch Art. 51 Abs. 1 GRC festgelegt wird mit der Maßgabe, dass sie ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union zur Anwendung gelangt. Es kam demgemäß nach Auffassung des EuGH darauf an, ob der den Mindesturlaub von vier Wochen aus Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG übersteigende Urlaub, der eine Kompensation mit Krankheitstagen vorsieht, als Durchführung dieser Richtlinie i. S. v. Art. 51 Abs. 1 GRC anzusehen ist, so dass Art. 31 Abs. 2 GRC für derartige Ausgangsfälle gilt. Dies wird vom EuGH im Hinblick auf Art. 15 Richtlinie 2003/88/EG mit der Klarstellung verneint, dass diese Regelung, die den Mitgliedstaaten die Schaffung günstigerer nationaler Vorschriften eröffnet, keine im Recht der Union begründete Rechtsetzungsbefugnis verleiht, sondern die Befugnis anerkennt, im nationalen Recht günstigere Bestimmungen außerhalb des durch die Richtlinie geschaffenen Regelungsrahmens vorsehen zu dürfen.

124 EuGH v. 13.12.2018 – C-385/17, NZA 2019, 47 – Hein: Kürzung des Urlaubsentgelts für den Mindesturlaub bei Überschreitung der Anzahl der Urlaubstage.

173

Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

Mit diesem Hinweis verbindet der EuGH das Ergebnis seiner Erwägungen, dass eine Durchführung der Richtlinie 2003/88/EG i. S. v. Art. 51 Abs. 1 GRC nicht vorliegt, wenn die Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften erlassen oder Tarifverträge gestatten, mit denen der Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG überschreitende Urlaub im Krankheitsfall nicht gutgeschrieben wird. Für die betriebliche Praxis wird mit dieser Entscheidung des EuGH die schon bisher vom BAG125 befürwortete Gestaltungsfreiheit des den gesetzlichen Mindesturlaub überschreitenden Mehrurlaubs auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten bestätigt, wobei allerdings der Mindesturlaub aus Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG keinerlei Einschränkungen erfahren darf und damit ein Günstigkeitsvergleich im Sinne einer Gesamtbetrachtung nicht möglich ist. (Boe)

11.

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei der anteiligen Einbeziehung von Berufsjahren

Zahlreiche Regelungen zur Vergütung knüpfen Entgeltsteigerungen an eine bestimmte Zahl von Berufs- oder Beschäftigungsjahren. Obwohl Teilzeitund Vollzeitbeschäftigte bei einer fehlenden Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich die gleiche Anzahl an Berufs- und Beschäftigungsjahren aufweisen, wird bislang in der Regel unterstellt, dass die Teilzeitbeschäftigten durch ihre Tätigkeit nur eine geringere berufliche Erfahrung erlangen und damit verbundene Kenntnis an Fähigkeiten erwerben. Ausgehend davon, dass eine an Beschäftigungs- oder Berufsjahre geknüpfte Vergütung regelmäßig die durch Ausübung der Tätigkeit gewonnene Erfahrung honorieren soll126, war dies auch als eine sachliche Rechtfertigung für eine entsprechende Unterscheidung zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten angesehen worden127. Konsequenz war, dass die Teilzeitbeschäftigten eine entsprechende Entgeltsteigerung erst erhielten, wenn die Gesamtdauer ihrer Tätigkeit im Rahmen der Teilzeit der Tätigkeitsdauer eines Vollzeitbeschäftigten entsprach, der die für die Entgeltsteigerung erforderlichen Berufs- oder Beschäftigungsjahre erreicht hatte. Anders ausgedrückt: Teilzeitbeschäf125 Etwa BAG v. 14.2.2017 – 9 AZR 386/16, NZA 2017, 655 Rz. 14; BAG v. 15.12.2015 – 9 AZR 747/14, ZTR 2016, 260 Rz. 13. 126 Vgl. BAG v. 6.9.2018 – 6 AZR 836/16, ZTR 2019, 90 Rz. 21; BAG v. 27.1.2011 – 6 AZR 578/09, ZTR 2011, 365 Rz. 34. 127 Vgl. Annuß/Thüsing/Thüsing, TzBfG § 4 Rz. 54; Arnold/Gräfl/Rambach, TzBfG § 4 Rz. 17; Laux/Schlachter/Laux, TzBfG § 4 Rz. 17; offengelassen BAG v. 27.3.2014 – 6 AZR 571/12, ZTR 2014, 475 Rz. 34.

174

Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

Mit diesem Hinweis verbindet der EuGH das Ergebnis seiner Erwägungen, dass eine Durchführung der Richtlinie 2003/88/EG i. S. v. Art. 51 Abs. 1 GRC nicht vorliegt, wenn die Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften erlassen oder Tarifverträge gestatten, mit denen der Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG überschreitende Urlaub im Krankheitsfall nicht gutgeschrieben wird. Für die betriebliche Praxis wird mit dieser Entscheidung des EuGH die schon bisher vom BAG125 befürwortete Gestaltungsfreiheit des den gesetzlichen Mindesturlaub überschreitenden Mehrurlaubs auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten bestätigt, wobei allerdings der Mindesturlaub aus Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG keinerlei Einschränkungen erfahren darf und damit ein Günstigkeitsvergleich im Sinne einer Gesamtbetrachtung nicht möglich ist. (Boe)

11.

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei der anteiligen Einbeziehung von Berufsjahren

Zahlreiche Regelungen zur Vergütung knüpfen Entgeltsteigerungen an eine bestimmte Zahl von Berufs- oder Beschäftigungsjahren. Obwohl Teilzeitund Vollzeitbeschäftigte bei einer fehlenden Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich die gleiche Anzahl an Berufs- und Beschäftigungsjahren aufweisen, wird bislang in der Regel unterstellt, dass die Teilzeitbeschäftigten durch ihre Tätigkeit nur eine geringere berufliche Erfahrung erlangen und damit verbundene Kenntnis an Fähigkeiten erwerben. Ausgehend davon, dass eine an Beschäftigungs- oder Berufsjahre geknüpfte Vergütung regelmäßig die durch Ausübung der Tätigkeit gewonnene Erfahrung honorieren soll126, war dies auch als eine sachliche Rechtfertigung für eine entsprechende Unterscheidung zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten angesehen worden127. Konsequenz war, dass die Teilzeitbeschäftigten eine entsprechende Entgeltsteigerung erst erhielten, wenn die Gesamtdauer ihrer Tätigkeit im Rahmen der Teilzeit der Tätigkeitsdauer eines Vollzeitbeschäftigten entsprach, der die für die Entgeltsteigerung erforderlichen Berufs- oder Beschäftigungsjahre erreicht hatte. Anders ausgedrückt: Teilzeitbeschäf125 Etwa BAG v. 14.2.2017 – 9 AZR 386/16, NZA 2017, 655 Rz. 14; BAG v. 15.12.2015 – 9 AZR 747/14, ZTR 2016, 260 Rz. 13. 126 Vgl. BAG v. 6.9.2018 – 6 AZR 836/16, ZTR 2019, 90 Rz. 21; BAG v. 27.1.2011 – 6 AZR 578/09, ZTR 2011, 365 Rz. 34. 127 Vgl. Annuß/Thüsing/Thüsing, TzBfG § 4 Rz. 54; Arnold/Gräfl/Rambach, TzBfG § 4 Rz. 17; Laux/Schlachter/Laux, TzBfG § 4 Rz. 17; offengelassen BAG v. 27.3.2014 – 6 AZR 571/12, ZTR 2014, 475 Rz. 34.

174

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten

tigte mussten länger warten, bevor die an Berufs- oder Beschäftigungsjahre geknüpfte Entgeltsteigerung wirksam wurde. Bereits mit Blick auf die in vielen Tarifverträgen enthaltene Differenzierung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten in Bezug auf Mehrarbeitszuschläge hatte das BAG deutlich gemacht, dass entsprechende Regelungen gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG unwirksam sind, wenn dafür kein sachlicher Grund gegeben ist128. Wir hatten auf die entsprechende Diskussion im vergangenen Jahr hingewiesen129. In seinem Urteil vom 29.1.2020130 hat das BAG an diese Rechtsprechung zu den Mehrarbeitszuschlägen angeknüpft und die in einem Tarifvertrag des Einzelhandels vorgesehene Regelung zur Differenzierung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten bei der Anerkennung von Berufsjahren als unzulässige Benachteiligung wegen der Teilzeitbeschäftigung angesehen. Entgegen der durch den Arbeitgeber vertretenen Auffassung war damit die nur anteilige Berücksichtigung der einschlägigen Beschäftigungsjahre als Berufsjahre bei Teilzeitbeschäftigten unzulässig. Die durch den Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu den beantragten Eingruppierungen konnte deshalb nicht ersetzt werden. In den Gründen seiner Entscheidung hat das BAG noch einmal darauf verwiesen, dass Teilzeitbeschäftigte nach § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG wegen ihrer Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden dürfen als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigten eine unterschiedliche Behandlung. Eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten könne dabei sachlich gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lasse. Die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung habe sich insoweit an dem mit der Leistung verfolgten Zweck zu orientieren. Dabei komme es nicht auf die denkbaren Leistungszwecke, sondern – bei tariflichen Regelungen – auf diejenigen an, die die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie durch die maßgeblichen Tarifregelungen ausdrücklich festgelegt hätten oder die sich aus diesen Regelungen im Wege der Auslegung ergeben würden. Sachliche Gründe legen allerdings nur vor, wenn die in Rede stehende Ungleichbehandlung einem echten Bedarf entspreche und zur Erreichung des verfolgten Zwecks auch geeignet und erforderlich sei. Allein das unter-

128 BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, NZA 2019, 790 Rz. 49. 129 B. Gaul, AktuellAR 2019, 117 ff. 130 BAG v. 29.1.2020 – 4 ABR 26/19 n. v. (Rz. 27 ff.).

175

Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

schiedliche Arbeitspensum berechtige nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten131. Diesem Maßstab wurde die streitgegenständliche Regelung des Manteltarifvertrags nicht gerecht. Zwar sah der Tarifvertrag vor, dass Teilzeitbeschäftigte, die mit 19 und mehr Wochenstunden eingesetzt wurden, wie Vollzeitbeschäftigte behandelt wurden. Hiervon abweichend wurden allerdings die Berufsjahre von Teilzeitbeschäftigten, die mit weniger als 19 Wochenstunden tätig waren, lediglich anteilig entsprechend der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit berücksichtigt. Damit musste dieser Personenkreis eine längere Zeitspanne tätig werden, um eine höhere Vergütung zu rechtfertigen. In der Auffassung des BAG lag darin eine Ungleichbehandlung, die für § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG relevant war. Denn das Verbot gelte auch dann, wenn teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer untereinander unterschiedlich behandelt würden, sofern eine Gruppe der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer wie vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer behandelt und eine andere Gruppe der Teilzeitbeschäftigten von einzelnen Leistungen ausgeschlossen werde. Deren schlechtere Behandlung entfalle nicht, weil der Arbeitgeber eine andere Gruppe Teilzeitbeschäftigter nicht benachteilige. Verglichen würden dann nicht die unterschiedlichen Gruppen Teilzeitbeschäftigter, sondern eine bestimmte Personengruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer mit Vollzeitbeschäftigten132. Dass die Tarifvertragsparteien diese Ungleichbehandlung vereinbart hatten, konnte aus sich heraus keine Rechtfertigung bieten. Denn das Benachteiligungsverbot aus § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG gilt auch für Tarifverträge (§ 22 TzBfG). Eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten könne daher nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie in einer allgemeinen und abstrakten Norm wie einem Gesetz oder einem Tarifvertrag vorgesehen sei133. Zwar sei zulässig, wenn die Tarifvertragsparteien durch einen Aufstieg nach Berufs- oder Tätigkeitsjahren die durch Ausübung der Tätigkeit gewordene Berufserfahrung honorieren wollten. Die von der konkreten Tätigkeit unab131 BAG v. 29.1.2020 – 4 ABR 26/19 n. v. (Rz. 27 f.); BAG v. 23.7.2019 – 9 AZR 372/18, NZA 2019, 1588 Rz. 23; BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, NZA 2019, 790 Rz. 66. 132 BAG v. 29.1.2020 – 4 ABR 26/19 n. v. (Rz. 30); BAG v. 25.4.2007 – 6 AZR 746/06, NZA 2007, 881 Rz. 22. 133 EuGH v. 1.3.2012 – C-393/10, NZA 2012, 313 Rz. 64 – O’Brien; BAG v. 29.1.2020 – 4 ABR 26/19 n. v. (Rz. 32).

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Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten

hängige, sich allein an der geringeren wöchentlichen Arbeitszeit orientierende Differenzierung zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten bei der Ermittlung der für die Vergütung maßgeblichen Berufsjahre sei aber durch den Zweck der Honorierung der Berufserfahrung sachlich nicht gerechtfertigt. Das Dienstalter – so das BAG – gehe zwar Hand in Hand mit der dienstlichen Erfahrung, jedoch hänge die sachliche Rechtfertigung von allen Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, welche Beziehung zwischen der Art der auszuübenden Tätigkeit und der Erfahrung bestehe, die durch die Ausübung dieser Tätigkeit nach einer bestimmten Anzahl geleisteter Arbeitsstunden erworben werde, also ob ein besonderer Zusammenhang zwischen der Dauer der beruflichen Tätigkeit und dem Erwerb eines bestimmten Kenntnis- und Erfahrungsstandes bestehe134. Ausdrücklich weist das BAG darauf hin, dass es auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz gebe, der die Annahme rechtfertigen könnte, bei allen Arbeitnehmern einer bestimmten Gehaltsgruppe, die mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 19 Stunden beschäftigt würden, sei der Erfahrungsgewinn proportional zur Arbeitszeit geringer als bei Vollzeitbeschäftigten. Eine solche Relation zwischen Erfahrung und Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit sei für diese Angestellten weder offenkundig noch sei anhand objektiver Kriterien erkennbar, dass im spezifischen Kontext der Arbeitsverhältnisse in den Betrieben des Einzelhandels in Niedersachsen, für die die streitgegenständliche Gehaltsgruppe im Tarifvertrag vereinbart worden war, eine Beziehung zwischen der Art der geleisteten Tätigkeit und der Erfahrung bestehe, die nach einer bestimmten Mindestanzahl geleisteter Arbeitsstunden erworben werde. Insofern erschließe sich auch nicht, warum ein solcher Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und erworbener Erfahrung bei den ausschließlich in dieser Gehaltsgruppe maßgeblichen Berufsjahren, nicht aber bei den in anderen Gehaltsgruppen zu durchlaufenden Tätigkeitsjahren bestehen sollte135. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin sei zudem nicht ersichtlich, dass Teilzeitbeschäftigte dieser Gehaltsgruppe nicht das gesamte Spektrum möglicher Tätigkeiten ausüben würden, weil sie nur zu bestimmten Tagen oder Tageszeiten eingesetzt würden136. Konsequenz der Unwirksamkeit der für Teilzeitbeschäftigte getroffenen Sonderreglung für die Anerkennung der Berufsjahre ist, dass sie ohne Rücksicht auf ihre Teilzeitbeschäftigung nach den tatsächlichen Berufsjahren wie

134 EuGH v. 3.10.2019 – C-274/18, NZA 2019, 1485 Rz. 39 – Schuch-Ghannadan; BAG v. 29.1.2020 – 4 ABR 26/19 n. v. (Rz. 34). 135 BAG v. 29.1.2020 – 4 ABR 26/19 n. v. (Rz. 35). 136 BAG v. 29.1.2020 – 4 ABR 26/19 n. v. (Rz. 26).

177

Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub

Vollzeitbeschäftigte behandelt werden. Für die betriebliche Praxis hat diese Entscheidung erhebliche Bedeutung. Zwar lassen die Entscheidungsgründe nicht abschließend erkennen, ob die hier für Berufsjahre getroffene Regelung auch auf Beschäftigungs- oder Tätigkeitsjahre zu übertragen ist. Im Zweifel wird man hiervon allerdings ausgehen müssen, weil allen Regelungen gemeinsam ist, dass durch die Anknüpfung an eine bestimmte Zeitdauer der tatsächlichen Arbeit der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten unterstellt wird. Ausgehend von einer typisierten Betrachtungsweise wird dabei in der Regel angenommen, dass Teilzeitbeschäftigte innerhalb der gleichen Zeitspanne einen geringeren Kenntnis- und Erfahrungszuwachs verzeichnen können. Folgt man dem BAG, ist diese typisierte Betrachtungsweise, die den einzelfallbezogenen Kenntnis- und Erfahrungszuwachs als Konsequenz der individuell ausgeübten Tätigkeit unberücksichtigt lässt, aber kein sachlicher Grund, der die Differenzierung nach § 4 Abs. 1 TzBfG rechtfertigt. Führt man sich vor Augen, dass die damit verbundene Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten häufig auch zu einer Diskriminierung wegen des Geschlechts führt, dürfte es erst recht geboten sein, entsprechende Regelungen in der betrieblichen Praxis zu überprüfen und ggf. anzupassen. Denn die vorstehend gewonnenen Erkenntnisse dürften sich im Zweifel auch auf der Grundlage einer Anwendung von §§ 3 ff. EntTranspG ergeben. (Ga)

178

E.

Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

1.

Aktuelles zum Konsultationsverfahren bei Massenentlassungen

Bereits in den vergangenen Jahren haben wir uns mehrfach mit den tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG und der anschließenden Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 3 KSchG befasst1. Neue Anforderungen der Rechtsprechung als Folge unionrechtlicher Vorgaben haben hier erheblichen Anpassungsbedarf in Bezug auf die frühere Vorgehensweise in der betrieblichen Praxis ausgelöst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Nichtbeachtung der gesetzlichen Pflichten aus § 17 Abs. 2, 3 KSchG nicht nur die Unwirksamkeit einer einzigen Kündigung zur Folge hat. Vielmehr bewirken entsprechende Rechtsfehler, dass alle Entlassungen unwirksam sind. Erschwerend tritt dabei der Umstand hinzu, dass im Wesentlichen ein anfängliches Bestreiten der ordnungsgemäßen Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG und der Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG durch den Arbeitnehmer im Rahmen der Kündigungsschutzklage genügt, um den Arbeitgeber zu zwingen, substantiiert zu seinen Maßnahmen im Vorfeld der Massenentlassung vorzutragen. Für den Arbeitnehmer genügt es im Zweifel, deutlich zu machen, dass die Entlassung im Zusammenhang mit einer Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 KSchG erfolgt ist. Noch immer sind nicht alle Fragen zu § 17 KSchG geklärt. Das zeigen aktuelle Entscheidungen des BAG, die sich mit dem Betriebsbegriff i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG befassen. Hinzutritt die weiterhin höchstrichterlich unbeantwortete Frage, welche Arbeitnehmervertreter als Folge der gesetzlichen Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 KSchG zu beteiligen sind.

a)

Der Betriebsbegriff bei Massenentlassungen nach § 17 KSchG

Gemäß § 17 Abs. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er

1

Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 506 ff., 2018, 383 ff., 2019, 465 ff.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,  in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 % der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,  in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer

innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Den Entlassungen stehen Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlasst werden. In der Vergangenheit sind Rechtsprechung und ganz überwiegende Literatur davon ausgegangen, dass bei der Berechnung der vorstehenden Schwellenwerte an den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff angeknüpft werden muss2. Abweichend von dem kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriff aus § 1 KSchG, der von einem Teil der Literatur für maßgeblich gehalten wurde3, war deshalb auf die Einheiten abzustellen, in denen gemäß §§ 1, 4 Abs. 1 BetrVG bzw. § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3, Abs. 5 BetrVG Betriebsräte gebildet wurden. Für diese Bezugnahme auf den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff sprach nicht nur, dass damit auch die Zuständigkeit des Betriebsrats für die Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG übereinstimmend festgelegt werden konnte. Lediglich bei betriebs- und unternehmensübergreifenden Massenentlassungen, die wegen ihrer Begründung gemäß §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 BetrVG eine Zuständigkeit des Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrats zur Folge hatten, musste eine hiervon abweichende Zuordnung der nach § 17 Abs. 2 KSchG zuständigen Arbeitnehmervertretung erfolgen. Der EuGH hatte bislang keine abschließende Bewertung vorgenommen, auf deren Grundlage eine Entscheidung über die Kennzeichnung des Betriebs nach § 17 Abs. 1 KSchG erfolgen konnte. In seinem Urteil vom 30.4.20154 hatte der EuGH lediglich darauf hingewiesen, dass der unionsrechtliche Betriebsbegriff i. S. d. Richtlinie 98/59/EG die (unterscheidbare) Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität meine, die zur Erledigung einer oder mehrerer Aufgaben bestimmt sei und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur 2 3 4

So vgl. BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, NZA 2012, 1029. So BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831 Rz. 18 m. w. N.; BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, NZA 1988, 32 Rz. 34 m. w. N. EuGH v. 30.4.2015 – C-80/14, NZA 2015, 601 – USDAW und Wilson.

180

Aktuelles zum Konsultationsverfahren bei Massenentlassungen

zur Erfüllung dieser Aufgaben verfüge. Die entsprechende Einheit müsse weder rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen. Sie müsse auch keine Leitung haben, die selbständig Massenentlassungen vornehmen könne. Daran anknüpfend hatte die Bundesagentur für Arbeit bereits in ihrer Weisung zu § 17 KSchG deutlich gemacht, dass als Betrieb in Bezug auf § 17 Abs. 1 KSchG die organisatorische Einheit berücksichtigt werden müsse, der ein Arbeitnehmer zur Erledigung seiner Aufgabe(n) angehöre. Eine entsprechende Einheit sei dauerhaft/stabil eingerichtet und erledige eine oder mehrere Aufgaben. Darüber hinaus sei ihr ein fester Bestand an Arbeitnehmern zugeteilt, sie verfüge über Betriebsmittel und habe eine Organisationsstruktur einschließlich arbeitstechnischer Leitung. Daran anknüpfend könnte auch eine Filiale oder die einem Vorarbeiter zugeordnete Arbeitnehmergruppe als Betrieb i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG zu kennzeichnen sein, selbst wenn diese aus betriebsverfassungsrechtlicher und/oder kündigungsschutzrechtlicher Sicht nur einen Betriebsteil bilden5. Schon diese Bewertung durch EuGH und Bundesagentur für Arbeit hatte es erforderlich gemacht, bei der Vorbereitung einer Massenentlassung nicht allein auf den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff abzustellen. Das zeigen auch die aktuellen Entscheidungen des BAG. In seinen Urteilen vom 21.1.20206 und vom 27.2.20207 hat das BAG unter Abkehr von seiner früheren Bewertung jetzt nämlich eine eigenständige Kennzeichnung des Betriebsbegriffs für Massenentlassungen i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG vorgenommen. Betroffen von diesen Entscheidungen waren Kündigungen des Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit der Einstellung des Betriebs der Air Berlin. Im Vorfeld dieser Kündigungen hatte der Insolvenzverwalter nicht nur mit den jeweils zuständigen Betriebsräten und den auf tarifvertraglicher Ebene für die Bereiche Cockpit und Kabine gebildeten Personalvertretungen wegen eines Interessenausgleichs und Sozialplans verhandelt. Er hatte diese Arbeitnehmervertretungen auch zur Erfüllung der in § 17 Abs. 2 KSchG vorgesehenen Konsultationsverpflichtung eingebunden. Im Anschluss daran hatte er eine Massenentlassungsanzeige für das bundesweit beschäftigte Cockpit- und Kabinenpersonal jeweils bei der für den Sitz der Schuldnerin zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord erstattet. Zur Begründung hatte er auf die tarifvertraglich getrennt organi-

5 6 7

Vgl. BA, Weisung zu § 17 KSchG, 1.1 (5), S. 8. BAG v. 21.1.2020 – 1 AZR 149/19 n. v. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19 n. v.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

sierten Vertretungen für das Boden-, Kabinen- und Cockpitpersonal und die zentrale Steuerung des Flugbetriebs hingewiesen. Das BAG ist dieser Kennzeichnung des Betriebsbegriffs in § 17 Abs. 1 KSchG nicht gefolgt und hat klargestellt, dass die Anzeige deshalb nicht bei der zuständigen Agentur für Arbeit erfolgt sei. Konsequenz war die Unwirksamkeit der Kündigungen. Damit schließt sich der 1. Senat des BAG den Feststellungen des 6. Senats des BAG im Urteil vom 13.2.20208 an. Nach den insoweit übereinstimmenden Feststellungen des BAG handelte es sich bei den einzelnen Stationen, denen das Personal für die Bereiche Boden, Kabine und Cockpit gleichermaßen zugeordnet war, um Betriebe i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG. Unabhängig von der Frage, welche Arbeitnehmervertretung insoweit für die Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG zuständig war, hätte die Massenentlassungsanzeige daher bei der für die jeweilige Station zuständigen Agentur für Arbeit erstattet werden müssen. Denn dort traten – so das BAG – bei „typisierender Betrachtung“ die Auswirkungen der Massenentlassung auf, denen durch eine frühzeitige Einschreitung der zuständigen Agentur für Arbeit entgegengetreten werden soll. Dabei hätte sich die Anzeige zudem nicht auf Angaben zum Cockpit- bzw. Kabinenpersonal beschränken dürfen. Vielmehr hätte das gesamte Boden-, Cockpitund Kabinenpersonal, das einer Station zugeordnet war, erfasst werden müssen. Für den Betriebsbegriff spielt es keine Rolle, dass diese Beschäftigungsgruppen kollektivrechtlich jeweils in unterschiedliche Vertretungsstrukturen eingebettet gewesen seien9. Die Argumentation des BAG in Bezug auf die Kennzeichnung des Betriebsbegriffs erscheint gut vertretbar. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass damit die tätigkeitsbezogene Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern im Bodenbetrieb und solchen des Flugbetriebs, wie sie in § 117 BetrVG erfolgt, auf den Betriebsbegriff des § 17 Abs. 1 KSchG nicht übertragen wird. Eine solche Übertragung der in § 117 Abs. 2 BetrVG vorgenommenen Differenzierung dürfte auch in Bezug auf den kündigungsschutzrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff ausgeschlossen sein. Denn beide Betriebsbegriffe knüpfen an organisatorische Steuerungsstrukturen an, ohne dass dabei allein die Art der Tätigkeit (Boden- oder Flugbetrieb) maßgeblich ist10. Bedenken hinsichtlich der Vorgehensweise des BAG folgen allerdings aus dem Umstand, dass die Kennzeichnung des Betriebsbegriffs i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG schlussendlich eine unionsrechtliche Frage ist. 8 BAG v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19 n. v. 9 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19 n. v.; BAG v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19 n. v. 10 Vgl. eingehend B. Gaul, FS 100 Jahre BetrVG S. 144 ff.

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Aktuelles zum Konsultationsverfahren bei Massenentlassungen

Denn dieser Begriff, den schon Art. 1 Abs. 1 lit. a Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie – MERL) festlegt, ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts, den verbindlich nur der EuGH definieren kann. Darauf hatte der EuGH bereits in seinem Urteil vom 30.4.201511 hingewiesen. Da eine klarstellende Entscheidung des EuGH zu dieser Frage bislang nicht erfolgt ist und das BAG seine Grundsätze deshalb auch nicht allein aus der vorstehend genannten EuGH-Entscheidung ableiten konnte, wäre es deshalb erforderlich gewesen, die Frage nach einer Kennzeichnung des Betriebsbegriffs nach Art. 267 AEUV noch einmal dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Für die betriebliche Praxis folgt aus der aktuellen Rechtsprechung des BAG, dass an der bisherigen Anknüpfung an die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsstrukturen für die Kennzeichnung des Betriebs i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG nicht weiter festgehalten werden kann. Vielmehr wird man, in Übereinstimmung mit den Überlegungen der Bundesagentur für Arbeit und dem BAG, auch kleinere Teileinheiten als Betrieb i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG zu kennzeichnen haben. Damit ist die Rechtsunsicherheit allerdings nicht beseitigt. Denn die unterschiedliche Anknüpfung bei der Kennzeichnung des für § 17 Abs. 1 KSchG maßgeblichen Betriebs kann sowohl zu einem Über- als auch einem Unterschreiten der dort genannten Schwellenwerte führen. Aus Gründen der Vorsorge sollte deshalb nicht nur eine Berechnung dieser Schwellenwerte nach allen denkbaren Einheiten vorgenommen werden, die auf der Grundlage der vorstehenden Überlegungen als Betrieb i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG gekennzeichnet werden könnten. Vielmehr sollte an diese Kennzeichnung anknüpfend vorsorglich auch eine (mehrfache) Anzeige der daraus folgenden Massenentlassungen – ggf. bei unterschiedlichen Agenturen für Arbeit – erfolgen. Erst wenn mit einer Entscheidung des EuGH weitergehende Klarheit geschaffen wird, kann dieser Aufwand entsprechend reduziert werden.

b)

Zuständige Arbeitnehmervertretung

Bereits im Herbst hatten wir uns eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, welche Arbeitnehmervertretung für die Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG zuständig ist. Im Kern dürfte dabei unstreitig sein, dass – abhängig von der betriebsverfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung zwischen Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat – jedenfalls der Betriebsrat, der Personalrat, eine tarifvertragliche Arbeitnehmervertretung ge-

11 EuGH v. 30.4.2015 – C-80/14, NZA 2015, 601 – USDAW und Wilson.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

mäß §§ 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3, 117 BetrVG und eine Mitarbeitervertretung in kirchlichen Einrichtungen zu beteiligen sind. Die Einbeziehung der letztgenannten Arbeitnehmervertretungen folgt bereits aus einem unionsrechtlichen Verständnis der Konsultationserfordernisse in § 17 Abs. 2 KSchG, weil sonst für diese Arbeitnehmer gar keine Einbeziehung der auf nationaler Ebene gebildeten Arbeitnehmervertretung erfolgen würde12. Ob mit dieser Begründung auch der Sprecherausschuss entsprechend § 17 Abs. 2 KSchG zu beteiligen ist13, erscheint weiterhin zweifelhaft. Denn es dürfte ohne Weiteres vertretbar sein, dem Betriebsrat im Rahmen von § 17 Abs. 2 KSchG eine von seinen betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechten abweichende Zuständigkeit zuzuweisen, die dann auch leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG erfassen würde14. Dies würde – wie auch eine eigene Einbindung des Sprecherausschusses – eine Erfüllung der unionsrechtlichen Vorgaben zur Folge haben, die in Bezug auf die Kennzeichnung der zuständigen Arbeitnehmervertretungen eine Festlegung durch den nationalen Gesetzgeber zulassen. In Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung der Literatur wird man allerdings eine Verpflichtung des Arbeitgebers ablehnen müssen, eine Konsultation entsprechend § 17 Abs. 2 KSchG auch mit solchen Arbeitnehmervertretern vorzunehmen, die eine Arbeitnehmergruppe repräsentieren, die bereits durch den Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat oder den Personalrat bzw. die kirchliche Mitarbeitervertretung vertreten werden. Konkret geht es dabei vor allem um die Schwerbehindertenvertretung und den Europäischen Betriebsrat. Eine Konsultation mit diesen Arbeitnehmervertretern im Vorfeld einer Massenentlassung ist nicht erforderlich15. Abzuwarten bleibt, ob das BAG in seinem Urteil vom 27.2.202016 hierzu eigene Feststellungen treffen wird. Die bislang erst vorliegende Pressemitteilung enthält zu dieser Frage keine Ausführungen. Die Kennzeichnung der nach § 17 Abs. 2 KSchG zuständigen Arbeitnehmervertretung ist von erheblicher Bedeutung. Denn die fehlende Einbindung der zuständigen Arbeitnehmervertretung hat – ebenso wie die fehlerhafte

12 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 465 ff.; Schubert/Schmitt, ZESAR 2020, 53. 13 So APS/Moll, KSchG § 17 Rz. 57; DDZ/Deinert/Callsen, KSchG § 17 Rz. 38; Kleinebrink, FA 2000, 366; a. A. KR/Weigand, KSchG § 17 Rz. 88; Krieger/Ludwig, NZA 2010, 919, 923; Wißmann, RdA 1998, 221, 224. 14 So B. Gaul, AktuellAR 2019, 465 ff. 15 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 465 ff.; Ludwig/Kemna, NZA 2019, 1547; Schubert/Schmitt, ZESAR 2020, 53, 56. 16 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19 n. v.

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Kündigungsschutz bei Schwangerschaft

Konsultation – eine Unwirksamkeit der Kündigungen zur Folge, die in den Zuständigkeitsbereich dieser Arbeitnehmervertretung fallen17. Ob darüber hinaus auch Nachteilsausgleichsansprüche bestehen, hängt davon ab, ob in den streitgegenständlichen Kündigungen zugleich auch die Umsetzung einer Betriebsänderung in Bezug auf die durch diese Arbeitnehmervertretung vertretenen Arbeitnehmer liegt, ohne dass darüber mit ihr ein Interessenausgleich abgeschlossen oder jedenfalls versucht wurde. Darauf hat das BAG in seinem Urteil vom 21.1.202018 zu Recht hingewiesen. (Ga)

2.

Kündigungsschutz bei Schwangerschaft

Gemäß § 17 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau unzulässig während ihrer Schwangerschaft, bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der 12. Schwangerschaftswoche und bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der 12. Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt ist oder wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Das Überschreiten dieser Frist ist unschädlich, wenn sie auf einem von der Frau nicht zu vertretenen Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass diese Grundsätze entsprechend für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers gelten, die er während der Schwangerschaft im Hinblick auf eine Kündigung der Frau trifft, die im Anschluss an den vorstehend gekennzeichneten Anwendungsbereich des Kündigungsverbots erklärt werden soll. Mit Urteil vom 27.2.202019 hat das BAG noch einmal deutlich gemacht, dass § 17 Abs. 1 MuSchG ein gesetzliches Verbot i. S. d. § 134 BGB enthält. Eine Kündigung, die gegen dieses Verbot verstößt, ist nichtig. In Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung geht das BAG davon aus, dass das Verbot einer Kündigung während der Schwangerschaft (§ 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG) auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme gilt20. Hiervon sei jedenfalls dann auszugehen,

17 18 19 20

BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175 Rz. 37. BAG v. 21.1.2020 – 1 AZR 149/19 n. v. (Rz. 31 ff.). BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 498/19, NZA 2020, 721 Rz. 9. BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 498/19, NZA 2020, 721 Rz. 10 ff.; LAG Düsseldorf v. 30.9.1992 – 11 Sa 1049/92, NZA 1993, 1041; Roos/Bieresborn/Betz, MuSchG § 17 Rz. 13; a. A. APS/Linck, BGB § 622 Rz. 55; KR/Spilger, BGB § 622 Rz. 151.

185

Kündigungsschutz bei Schwangerschaft

Konsultation – eine Unwirksamkeit der Kündigungen zur Folge, die in den Zuständigkeitsbereich dieser Arbeitnehmervertretung fallen17. Ob darüber hinaus auch Nachteilsausgleichsansprüche bestehen, hängt davon ab, ob in den streitgegenständlichen Kündigungen zugleich auch die Umsetzung einer Betriebsänderung in Bezug auf die durch diese Arbeitnehmervertretung vertretenen Arbeitnehmer liegt, ohne dass darüber mit ihr ein Interessenausgleich abgeschlossen oder jedenfalls versucht wurde. Darauf hat das BAG in seinem Urteil vom 21.1.202018 zu Recht hingewiesen. (Ga)

2.

Kündigungsschutz bei Schwangerschaft

Gemäß § 17 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau unzulässig während ihrer Schwangerschaft, bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der 12. Schwangerschaftswoche und bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der 12. Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt ist oder wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Das Überschreiten dieser Frist ist unschädlich, wenn sie auf einem von der Frau nicht zu vertretenen Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass diese Grundsätze entsprechend für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers gelten, die er während der Schwangerschaft im Hinblick auf eine Kündigung der Frau trifft, die im Anschluss an den vorstehend gekennzeichneten Anwendungsbereich des Kündigungsverbots erklärt werden soll. Mit Urteil vom 27.2.202019 hat das BAG noch einmal deutlich gemacht, dass § 17 Abs. 1 MuSchG ein gesetzliches Verbot i. S. d. § 134 BGB enthält. Eine Kündigung, die gegen dieses Verbot verstößt, ist nichtig. In Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung geht das BAG davon aus, dass das Verbot einer Kündigung während der Schwangerschaft (§ 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG) auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme gilt20. Hiervon sei jedenfalls dann auszugehen,

17 18 19 20

BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175 Rz. 37. BAG v. 21.1.2020 – 1 AZR 149/19 n. v. (Rz. 31 ff.). BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 498/19, NZA 2020, 721 Rz. 9. BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 498/19, NZA 2020, 721 Rz. 10 ff.; LAG Düsseldorf v. 30.9.1992 – 11 Sa 1049/92, NZA 1993, 1041; Roos/Bieresborn/Betz, MuSchG § 17 Rz. 13; a. A. APS/Linck, BGB § 622 Rz. 55; KR/Spilger, BGB § 622 Rz. 151.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

wenn die beabsichtigte Tätigkeitsaufnahme innerhalb der Schutzzeiten liege. Auch die psychischen Belastungen der schwangeren Arbeitnehmerin seien keine anderen, wenn das Arbeitsverhältnis, das andernfalls während ihrer Schwangerschaft fortbestünde, bereits vor der in Aussicht genommenen Tätigkeitsaufnahme gekündigt werden könnte. Ob der Kündigungsschutz auch dann Anwendung finde, wenn die Kündigung einen Arbeitsvertrag betreffe, nach welchem der Dienstantritt zu einem Zeitpunkt erfolge solle, zu dem die Schutzzeiten schon wieder abgelaufen sein würden, bedürfe aus Sicht des BAG keiner Entscheidung. Dafür dürfte aus Sicht des BAG sprechen, dass eine psychische Belastung auch daraus erwachsen könne, dass keine wirtschaftliche Absicherung für die Zeit nach Ablauf der Schutzfristen bestehe21. Dafür spricht im Übrigen auch, dass § 17 Abs. 1 S. 3 KSchG eine entsprechende Anwendung des Kündigungsverbots bereits für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers bestimmt, die während der Schwangerschaft erfolgen. Nach Auffassung des BAG ist dieses Verständnis des gesetzlichen Kündigungsverbots auch mit Unionsrecht vereinbar. Außerdem liege darin kein unverhältnismäßiger Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit oder die Handlungsfreiheit, die mit Art. 2 Abs. 1 GG geschützt werde22. Dem ist zuzustimmen. (Ga)

3.

Sachverhaltsaufklärung vor Verdachtskündigung

Der berechtigte Ausspruch einer Verdachtskündigung des Arbeitgebers setzt voraus, dass starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zerstören. Zur Begründung dieses Kündigungsanlasses hat der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen. Er muss insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt haben, um ihm die Chance einer Entlastung einzuräumen23. Um den Beginn der auf zwei Wochen begrenzten Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht mehr als notwendig zu verzögern, verlangt die Rechtsprechung eine zügige Aufklärungsaktivität des Arbeitgebers, um sich eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündi-

21 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 498/19, NZA 2020, 721 Rz. 15, 17. 22 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 498/19, NZA 2020, 721 Rz. 22 ff. 23 BAG v. 18.6.2015 – 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287 Rz. 21; BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 102/12, NZA 2013, 1416 Rz. 20; BAG v. 21.6.2012 – 2 AZR 694/11, NZA 2013, 199 Rz. 21.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

wenn die beabsichtigte Tätigkeitsaufnahme innerhalb der Schutzzeiten liege. Auch die psychischen Belastungen der schwangeren Arbeitnehmerin seien keine anderen, wenn das Arbeitsverhältnis, das andernfalls während ihrer Schwangerschaft fortbestünde, bereits vor der in Aussicht genommenen Tätigkeitsaufnahme gekündigt werden könnte. Ob der Kündigungsschutz auch dann Anwendung finde, wenn die Kündigung einen Arbeitsvertrag betreffe, nach welchem der Dienstantritt zu einem Zeitpunkt erfolge solle, zu dem die Schutzzeiten schon wieder abgelaufen sein würden, bedürfe aus Sicht des BAG keiner Entscheidung. Dafür dürfte aus Sicht des BAG sprechen, dass eine psychische Belastung auch daraus erwachsen könne, dass keine wirtschaftliche Absicherung für die Zeit nach Ablauf der Schutzfristen bestehe21. Dafür spricht im Übrigen auch, dass § 17 Abs. 1 S. 3 KSchG eine entsprechende Anwendung des Kündigungsverbots bereits für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers bestimmt, die während der Schwangerschaft erfolgen. Nach Auffassung des BAG ist dieses Verständnis des gesetzlichen Kündigungsverbots auch mit Unionsrecht vereinbar. Außerdem liege darin kein unverhältnismäßiger Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit oder die Handlungsfreiheit, die mit Art. 2 Abs. 1 GG geschützt werde22. Dem ist zuzustimmen. (Ga)

3.

Sachverhaltsaufklärung vor Verdachtskündigung

Der berechtigte Ausspruch einer Verdachtskündigung des Arbeitgebers setzt voraus, dass starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zerstören. Zur Begründung dieses Kündigungsanlasses hat der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen. Er muss insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt haben, um ihm die Chance einer Entlastung einzuräumen23. Um den Beginn der auf zwei Wochen begrenzten Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht mehr als notwendig zu verzögern, verlangt die Rechtsprechung eine zügige Aufklärungsaktivität des Arbeitgebers, um sich eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündi-

21 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 498/19, NZA 2020, 721 Rz. 15, 17. 22 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 498/19, NZA 2020, 721 Rz. 22 ff. 23 BAG v. 18.6.2015 – 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287 Rz. 21; BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 102/12, NZA 2013, 1416 Rz. 20; BAG v. 21.6.2012 – 2 AZR 694/11, NZA 2013, 199 Rz. 21.

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Sachverhaltsaufklärung vor Verdachtskündigung

gungssachverhalts zu verschaffen. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen eine außerordentliche Kündigung berechtigenden Sachverhalt hat, darf nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB anläuft. Mit der ausreichenden Sachverhaltsaufklärung soll nicht nur die Verhältnismäßigkeit gewahrt, sondern auch im Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG) das hohe Risiko, einen Unschuldigen zu treffen, möglichst ausgeschlossen werden24. Die Recherche muss jedoch mit der gebotenen Eile stattfinden25. Die Anhörungsfrist der regelmäßig notwendigen Anhörung des Arbeitnehmers darf dabei im Allgemeinen – von besonderen Umständen abgesehen – die Dauer einer Woche nicht überschreiten26. Ob die weiteren Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht, spielt für den Anlauf der Kündigungserklärungsfrist dabei keine Rolle27. Nimmt der Arbeitgeber von der Anhörung des Arbeitnehmers Abstand, kann er sich regelmäßig im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens berufen, so dass sich die auf den Verdacht gestützte Kündigung nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit als rechtsunwirksam erweist28. Das Unterbleiben der Anhörung ist nur dann unschädlich, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit war, sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen und nach seinen Kräften an der Aufklärung mitzuwirken29. Gleiches gilt bei einer unterlassenen Anhörung, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer – im Rahmen des Zumutbaren – Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, und sich dieser innerhalb einer gesetzten angemessenen Frist grundlos nicht geäußert hat30. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang die Anhörungsobliegenheit des Arbeitgebers, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt

24 BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, NZA 2019, 893 Rz. 29; BAG v. 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243 Rz. 32 ff. 25 BAG v. 1.6.2017 – 6 AZR 720/15, NZA 2017, 1332 Rz. 66; BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rz. 14. 26 BAG v. 1.6.2017 – 6 AZR 720/15, NZA 2017, 1332 Rz. 66; BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rz. 54; BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rz. 14. 27 Vgl. nur BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rz. 14. 28 BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, NZA 2019, 893 Rz. 21; BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 611/17, NZA 2018, 1405 Rz. 31. 29 BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rz. 25. 30 BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rz. 26.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

ist. Hierzu hat das BAG in einer Entscheidung vom 20.3.201431 ausgeführt, dass im Falle, dass der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht nur an einem persönlichen Gespräch, sondern längerfristig auch an einer schriftlichen Stellungnahme zu ihm vom Arbeitgeber übermittelten Fragen verhindert ist, der Arbeitgeber nicht notwendig die Zeit abwarten muss, zu der sich der Arbeitnehmer wieder äußern kann. Wartet der Arbeitgeber diesen Zeitpunkt nicht ab, führt das nicht automatisch dazu, dass ihm eine Verletzung seiner Aufklärungspflicht vorzuwerfen wäre. Damit kann unfreiwilliges Schweigen des Arbeitnehmers für die Anhörungsobliegenheit genügen, wenn der Arbeitgeber den wegen Krankheit an einer Stellungnahme gehinderten Arbeitnehmer mit konkreten Fragen und der Bitte um Beantwortung innerhalb einer angemessenen Frist konfrontiert hat. Aber auch der Arbeitgeber, der die Gesundung des Arbeitnehmers abwartet, um ihm eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zu ermöglichen, kann sich in der Regel auf hinreichende besondere Umstände berufen, aufgrund derer der Fristbeginn des § 626 Abs. 2 BGB entsprechend lange hinausgeschoben wird32. In einer Entscheidung vom 18.6.201933 hatte die 3. Kammer des LAG Düsseldorf im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung gegenüber einem Arbeitnehmer darüber zu befinden, ob eine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit für den Arbeitgeber einen Hinderungsgrund darstellt, den Arbeitnehmer zu dem dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung schriftlich oder auch im Rahmen eines Personalgesprächs anzuhören, so dass während der Arbeitsunfähigkeit die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Abs. 2 BGB noch nicht anläuft. Der bei der Beklagten als Hausmeister seit dem 21.8.2000 beschäftigte und einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gleichgestellte Kläger war im Februar 2018 in den Verdacht geraten, von seinem Diensthandy 1.487 Mal die Glücksspielhotline von Radio O mit dadurch verursachten Kosten von 1.375 € angerufen zu haben. Die Recherchen der Beklagten waren am 23.2.2018 abgeschlossen. Der Kläger war in der Zeit vom 26.2.2018 bis zum Freitag, dem 9.3.2018, arbeitsunfähig erkrankt. Am 13.3.2018 (Dienstag) hörte die Beklagte den Kläger im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden zu den ihm zur Last gelegten Telefonaten an. Ein weiteres Anhörungsgespräch folgte am 14.3.2018. Am 16.3.2016 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Tat- und hilfsweise zur außerordentlichen Verdachtskündigung. Nach Vorliegen der Zustim31 BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rz. 26. 32 BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rz. 26. 33 LAG Düsseldorf v. 18.6.2019 – 3 Sa 1077/18, NZA-RR 2020, 142.

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Sachverhaltsaufklärung vor Verdachtskündigung

mung am 4.4.2018 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung an, der keine Stellungnahme abgab. Mit Schreiben vom 10.4.2018, dem Kläger am gleichen Tage zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Das LAG hat die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB) für versäumt angesehen. Unter Darlegung der von der Rechtsprechung des BAG entwickelten Grundsätze zur Verdachtskündigung geht das LAG im Hinblick auf die Anhörungsobliegenheit der Beklagten gegenüber dem Kläger davon aus, dass die ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers als solche dessen Anhörung zu dem dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung nicht per se ausschließe, und zwar weder die schriftliche Anhörung noch die Anhörung im Rahmen eines Personalgesprächs, soweit dem erkrankten Arbeitnehmer die Teilnahme daran wegen seiner Erkrankung nicht unmöglich oder unzumutbar sei. Wenn der Arbeitgeber – wie im Streitfall – nicht einmal den Versuch einer Anhörung während einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeitsphase des Arbeitnehmers unternommen habe, sei der Lauf der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gehemmt, so dass die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde verfristet gewesen sei. Die vom LAG zugelassene Revision für die Beklagte ist beim BAG anhängig34, so dass sich das BAG ein weiteres Mal mit der Frage befassen muss, wie mit der Anhörungsobliegenheit des Arbeitgebers während der Dauer der Erkrankung des Arbeitnehmers umzugehen ist. Wie der 10. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 2.11.201635 bereits verdeutlicht hat, bleiben auch während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers leistungssichernde Neben- oder Verhaltenspflichten aus § 241 Abs. 1 BGB sowie wechselseitig bestehende Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB erhalten, so dass – von besonderen Umständen der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit abgesehen – kein Grund besteht, die Aufklärungsobliegenheit bis auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu vertagen, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer innerhalb einer angemessenen Frist zu einer schriftlichen Auskunft zu konkret gestellten Fragen zu veranlassen. Denkbar wäre auch, den Arbeitnehmer, soweit es seine Arbeitsunfähigkeit zulässt, zu einem persönlichen Gespräch in den Betrieb einzuladen. Solange das BAG keine abschließende Stellungnahme zur Anhörungsobliegenheit im Falle der Erkrankung des zu kündigenden Arbeitnehmers vorge34 Az. 2 AZR 442/19. 35 BAG v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

nommen hat, ist der betrieblichen Praxis anzuraten, den erkrankten Arbeitnehmer zügig zumindest zu einer schriftlichen Stellungnahme zu konkret gestellten Fragen zu veranlassen, wobei der möglichst schriftlichen oder in Textform gestalteten Aufforderung zu entnehmen sein muss, mit welchem konkreten Verdacht der Arbeitnehmer konfrontiert wird. (Boe)

4.

Ordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung

a)

Ausgangssituation und Sachverhalt

Das Kernproblem einer verhaltensbedingten Kündigung wegen einer vermeintlichen Beleidigung des Arbeitgebers, von Führungskräften oder anderen Arbeitnehmern ist häufig die Frage, ob die streitgegenständliche Äußerung noch in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) fällt. Dass die Grenzziehung schwierig ist und der Arbeitgeber viele – auch herabsetzende – Erklärungen eines Arbeitnehmers hinnehmen muss, zeigt erneut das Urteil des BAG vom 5.12.201936. In dem Verfahren ging es um die Kündigung der Klägerin, die seit 2001 als kaufmännische Angestellte im Einkauf beschäftigt war. Im Verlaufe des Arbeitsverhältnisses sah sie sich durch ihre Vorgesetzten wegen ihres Geschlechts und ihrer afghanischen Herkunft diskriminiert. In einer E-Mail vom 21.9.2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten gab die Klägerin an, seit einigen Jahren würden „Guerilla-Aktionen“ gegen sie geführt; sie habe eine „himmelsschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit“ vorgefunden. Sie würde es als unfair erachten, wenn der Vorstandsvorsitzende davon aus der amerikanischen Presse oder der „Oprah-WinfreyShow“ erführe. Bei ihrem „Chef“ handele es sich um einen „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“. Am 5.2.2009 teilte sie in einer ebenfalls an den Vorstandsvorsitzenden gerichteten E-Mail erneut mit, dass sie unter Männerherrschaft, Männerwirtschaft und Männersolidarität zu leiden habe. Sie verlangte, nicht mehr mit ihrem bisherigen Vorgesetzten zusammenarbeiten zu müssen. Auszugsweise hieß es in dieser E-Mail wie folgt: Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass sie als CEO von S noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu 36 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

nommen hat, ist der betrieblichen Praxis anzuraten, den erkrankten Arbeitnehmer zügig zumindest zu einer schriftlichen Stellungnahme zu konkret gestellten Fragen zu veranlassen, wobei der möglichst schriftlichen oder in Textform gestalteten Aufforderung zu entnehmen sein muss, mit welchem konkreten Verdacht der Arbeitnehmer konfrontiert wird. (Boe)

4.

Ordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung

a)

Ausgangssituation und Sachverhalt

Das Kernproblem einer verhaltensbedingten Kündigung wegen einer vermeintlichen Beleidigung des Arbeitgebers, von Führungskräften oder anderen Arbeitnehmern ist häufig die Frage, ob die streitgegenständliche Äußerung noch in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) fällt. Dass die Grenzziehung schwierig ist und der Arbeitgeber viele – auch herabsetzende – Erklärungen eines Arbeitnehmers hinnehmen muss, zeigt erneut das Urteil des BAG vom 5.12.201936. In dem Verfahren ging es um die Kündigung der Klägerin, die seit 2001 als kaufmännische Angestellte im Einkauf beschäftigt war. Im Verlaufe des Arbeitsverhältnisses sah sie sich durch ihre Vorgesetzten wegen ihres Geschlechts und ihrer afghanischen Herkunft diskriminiert. In einer E-Mail vom 21.9.2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten gab die Klägerin an, seit einigen Jahren würden „Guerilla-Aktionen“ gegen sie geführt; sie habe eine „himmelsschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit“ vorgefunden. Sie würde es als unfair erachten, wenn der Vorstandsvorsitzende davon aus der amerikanischen Presse oder der „Oprah-WinfreyShow“ erführe. Bei ihrem „Chef“ handele es sich um einen „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“. Am 5.2.2009 teilte sie in einer ebenfalls an den Vorstandsvorsitzenden gerichteten E-Mail erneut mit, dass sie unter Männerherrschaft, Männerwirtschaft und Männersolidarität zu leiden habe. Sie verlangte, nicht mehr mit ihrem bisherigen Vorgesetzten zusammenarbeiten zu müssen. Auszugsweise hieß es in dieser E-Mail wie folgt: Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass sie als CEO von S noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu 36 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647.

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Ordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung

berichten. In keinem Land der Welt, in keinem Unternehmen der Welt habe ich so viel Intrigen erlebt, sei es mit Personal, sei es mit Lieferanten. Das Ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate. Alles in Allem: Was mir bis heute geboten wird – das kann ich doch nicht annehmen: es beleidigt meine Intelligenz.

Mit einer weiteren E-Mail vom 30.3.2009 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Lebenswerk der unfähigen Führungskräfte“ an ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Sie hielt ihm Mobbing, Bossing, unberechtigte Kritik sowie unsachliche und leere Bemerkungen vor, ferner, dass er seine Position nur habe, um einer intellektuellen Frau das Leben zur Hölle zu machen. Mit Schreiben vom 3.4.2009 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass ihre Äußerungen durch ihr Beschwerderecht und das Recht zur freien Meinungsäußerung nicht mehr gedeckt seien. Dies gelte insbesondere für die Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus. Daran anknüpfend wurde sie aufgefordert, alle von ihr gemachten Vergleiche und aufgestellten Behauptungen gegenüber den von ihr informierten Personen und der Gesellschaft schriftlich bis zum 17.4.2009 zurückzunehmen. Darüber hinaus wurde sie aufgefordert, sich bei den betroffenen Personen schriftlich unter qualifizierter Zurücknahme der Behauptungen ebenfalls bis zum 17.4.2009 zu entschuldigen. Die Klägerin nahm zu dem Schreiben mit E-Mail vom 16.5.2009 Stellung. Die Bezeichnung ihres Vorgesetzten als „unterbelichtete(n) Frauen- und Ausländerhasser“ sei „auch für (ihren) Geschmack (…) ein wenig zu scharf geraten“, dessen frauenfeindliches Verhalten habe aber zur Verschärfung des Konflikts beigetragen. Sie habe den Ausdruck nicht zum Zwecke der Beleidigung oder Rufschädigung verwandt. Gegen den Vorwurf, den Abteilungsleiter als „Rassisten“ bezeichnet zu haben, verwahre sie sich. Mit Schreiben vom 21.4.2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur Kündigung an. Nachdem dieser der Kündigung zugestimmt hatte, sprach die Beklagte am 24.4.2009 eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.6.2009 aus.

b)

Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG

In seinem Urteil vom 5.12.201937 hat das BAG noch einmal deutlich gemacht, dass die bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber erforderliche Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG nach ihrem 37 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 42 ff.

191

Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert sei. Der Betriebsrat solle die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können. Der Arbeitgeber müsse daher den Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt hätte. Dem komme der Arbeitgeber jedenfalls dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen – und damit irreführenden – Kündigungssachverhalt schildere, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken könne38. Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz und der Irrelevanz bestimmter Umstände sei – so das BAG – für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber dürfe ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten, dem Betriebsrat nicht schon deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung gewesen seien. In diesem Sinne sei die Betriebsratsanhörung – ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers – auch objektiv, d. h. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert. Bei der verhaltensbedingten Kündigung könne deshalb auf die Mitteilung der „Sozialdaten“ des Arbeitnehmers nicht deshalb verzichtet werden, weil sie für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ohne Bedeutung gewesen seien. Denn der Wirksamkeit einer auf Gründen des Verhaltens des Arbeitnehmers gestützten Kündigung stehe dem Unterlassen der Angabe der genauen „Sozialdaten“ bei der Betriebsratsanhörung deshalb nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber auf diese ersichtlich nicht ankomme und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kenne; er könne dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen39. Hiervon ausgehend hatte die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört. Zwar hatte sie im Anhörungsschreiben selbst den vollständigen Sachverhalt nicht wiedergegeben. Sie hatte, was durch Beweisaufnahme festgestellt wurde, der Betriebsratsanhörung allerdings als Anlage die EMails der Klägerin beigefügt und darauf zur Begründung der Kündigung ausdrücklich Bezug genommen. Zu Recht geht das BAG davon aus, dass

38 So bereits BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 15/15, NZA 2016, 99 Rz. 16; BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 407/13, NZA 2015, 621 Rz. 46. 39 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 44; BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476 Rz. 15.

192

Ordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung

damit eine ordnungsgemäße Anhörung über die Kündigungsgründe erfolgt war. Dass die Beklagte in der Anhörung des Betriebsrats nicht auf die drei Unterhaltspflichten der Klägerin verwiesen hatte, die ihr als Folge eines entsprechenden Hinweises in einer E-Mail an den Vorstandsvorsitzenden bekannt waren, stand der ordnungsgemäßen Anhörung aus Sicht des BAG ebenfalls nicht entgegen. Zwar war der Hinweis auf nur eine einzige Unterhaltspflicht falsch. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand für das LAG Nürnberg40 allerdings fest, dass der Betriebsrat schon aufgrund der mehrfachen Vorbefassung mit der Klägerin über deren Unterhaltspflichten informiert war. Da auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben waren, dass die Beklagte den Betriebsrat bewusst unrichtig oder irreführend unterrichtet hatte, stand dieser Fehler der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen41.

c)

Soziale Rechtfertigung der Kündigung

aa)

Allgemeine Grundsätze

Eine Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Dabei kann auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers berücksichtigt werden. Darauf hat das BAG jetzt noch einmal hingewiesen42. Nach der Feststellung des BAG scheidet eine verhaltensbedingte Kündigung allerdings aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer eine künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedürfe es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar sei, dass eine Verhaltensänderung 40 LAG Nürnberg v. 11.1.2019 – 4 Sa 131/16 n. v. 41 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 68. 42 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 75; BAG v. 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703 Rz. 11.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend sei, dass selbst deren erstmalige Hinnahme des Arbeitgebers nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen sei43. bb)

Kündigung wegen widerrechtlicher Drohung

Vor seiner Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der Beleidigung hat sich das BAG im Urteil vom 5.12.201944 zunächst einmal mit dem Vorliegen einer widerrechtlichen Drohung durch die Klägerin befasst. Drohe der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, könne – je nach den Umständen des Einzelfalls – ein erheblicher, ggf. sogar die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf dessen Interessen gegeben sein. Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setze indes regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unerheblich sei demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfülle45. Aus Sicht des BAG lag in der E-Mail der Klägerin vom 21.9.2008 zwar eine widerrechtliche Drohung. Denn der Hinweis der Klägerin, dass sie es als unfair erachten würde, wenn der Vorstandsvorsitzende der Beklagten von der „Guerilla-Aktion“ gegen sie und einer „himmelsschreiende(n) Ausländerund Frauenfeindlichkeit“ im Unternehmen erst aus der amerikanischen Presse oder der „Oprah-Winfrey-Show“ erführe, war mit dem Hinweis verbunden, die amerikanische Presse und die Medien einzuschalten, sollte die Beklagte ihren Forderungen nicht nachkommen. Eine solche Einbindung der Presse kann zwar in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG fallen und damit durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein. Nicht zu beanstanden war aus Sicht des BAG allerdings die Annahme des LAG Nürnberg, dass es für den von der Klägerin erfundenen Konflikt bezüglich der von ihr behaupteten Diskriminierungen innerbetrieblich zahlreiche Lösungsansätze gegeben habe, die noch nicht abgeschlossen gewesen seien. In einer solchen Situation könne die Einschaltung der Medien auch unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB darstellen46. Ungeachtet dessen ist aber zu prüfen, ob dies – in 43 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 75; BAG v. 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703 Rz. 11. 44 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 76, 81 f. 45 Ebenso BAG v. 19.12.2015 – 2 AZR 217/15, NZA 2016, 540 Rz. 36; BAG v. 13.5.2015 – 2 AZR 531/14, BB 2015, 2682 Rz. 43. 46 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 83 f.

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Ordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung

Ermangelung milderer Mittel zur Konfliktlösung – bereits eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitnehmers bedinge. Diese Prüfung hatte das LAG Nürnberg nicht angestellt. cc)

Kündigung wegen Beleidigung

Zu Recht hat sich das BAG vor diesem Hintergrund mit der Frage befasst, ob die Kündigung der Klägerin als Folge einer Beleidigung gerechtfertigt war. Schließlich stellten grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter, Repräsentanten oder von Arbeitskollegen eine erhebliche Pflichtverletzung dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuteten und sogar eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnten. Denn Arbeitnehmer dürften zwar – auch unternehmensöffentlich – Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen könnten, müsse der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen47. Wichtig ist, dass Schmähkritik nicht durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt wird. Eine Schmähung liegt nach den Feststellungen des BAG unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext jedoch nur dann vor, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe. Wesentliches Merkmal der Schmähung sei deshalb – so das BAG in Übereinstimmung mit dem BVerfG – eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung48. Eine solche Schmähkritik war nach Auffassung des BAG in dem konkret zur Entscheidung stehenden Fall aber nicht gegeben. Zum einen hatte die Klägerin auch auf Äußerungen ihres Vorgesetzten reagiert, in denen ihrerseits sprachliche Entgleisungen enthalten waren (Beispiel: Bezeichnung der Klägerin als „Walross“, Äußerungen wie „Ihr Araber seid alle gleich“ und „Ein Japaner bleibt ein Japaner, auch wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt“). Damit hatten die Äußerungen der Klägerin stets einen Bezug zu Sachthemen erkennen lassen, was der Annahme einer Schmähkritik entgegenstünde. Sie mögen unpassend und maßlos übersteigert sein, thematisierten und bewerteten aber konkrete von der Klägerin behauptete Geschehnisse

47 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 77; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11 n. v. (Rz. 22). 48 BVerfG v. 30.5.2018 – 1 BvR 1149/17, NZA 2018, 924 Rz. 7; BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 87.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

und blieben eng mit dem sie beherrschenden Gedanken verbunden, sie werde als im Ausland geborene Frau diskriminiert. dd)

Kündigung wegen falscher Tatsachenbehauptung

In Anknüpfung an entsprechende Feststellungen des BVerfG weist das BAG in seinem Urteil vom 5.12.201949 dann auch daraufhin, dass ein Arbeitnehmer sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen könne. Solche Behauptungen seien vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst. Anderes gelte allerdings für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthielten. Sie fielen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gelte für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengten, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt seien50. Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt würden und der Überprüfung mittels des Beweises zugänglich seien, handele es sich – so das BAG – bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sei. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen sei, komme es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen könne im Einzelfall schwierig sein, vor allem deshalb, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden würden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachten. In solchen Fällen sei der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengten, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sei, werde sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gelte insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung verfälschte. Ungeachtet dessen wird das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Vielmehr wird es gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Dafür ist eine Interessenabwägung notwendig, die auf Seiten des Arbeitgebers insbesondere durch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit 49 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 93 ff. 50 Vgl. BVerfG v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217 Rz. 18 f.; BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, NZA 2015, 245 Rz. 42.

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Ordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung

(Art. 12 GG), das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) und § 241 Abs. 2 BGB geprägt wird. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet – so das BAG – demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt werden, um der Meinungsfreiheit auch im Anwendungsbereich von § 241 Abs. 2 BGB die gebührende Beachtung sicherzustellen51. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das BAG angenommen, dass die Bezeichnung des Vorgesetzten als „unterbelichtet“ und „Frauen- und Ausländerhasser“ nicht bloße unwahre Tatsachenbehauptungen gewesen seien. Vielmehr müsse man erkennen, dass die Äußerungen im Gesamtkontext eine – wenn auch einseitig und möglicherweise überzogene – Bewertung des von der Klägerin als demütigend empfundenen Verhaltens des Vorgesetzten und damit ein Werturteil darstellten. Daraus resultierte auch, dass eine Pflicht zur „Entschuldigung“ oder „Gegenerklärung“ nicht bestand. Denn damit wäre die Klägerin verpflichtet worden, sich einer anderen Meinung anzuschließen und diese als eigene anzugeben, was mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren sei52. Auch bei den weitergehenden Ausführungen der Klägerin im Zusammenhang mit dem im Vergleich zu ihrer Situation von ihr als weniger groß angesehenen „Leid der Juden“ und der Bezugnahme auf den Film „Der Pate“ hat das BAG noch Erklärungen angenommen, die in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG fielen. Zwar handele es sich bei diesen Aussagen um eine ungehörige, geschmacklose und maßlos übertreibende Beschreibung der von der Klägerin als belastend empfundenen Konfliktsituation. Gleichwohl handele es sich aber erkennbar um eine Wertung, die auf einer von ihr als demütigend empfundenen Verhaltensweise von Vorgesetzten beruhe und damit gerade an dem Sachthema orientiert sei, die Probleme darzustellen. Da die Klägerin ihre Erinnerungen an den Film „Der Pate“ auch in einen deutlichen Bezug zur Führungsstruktur und dem Verhalten der Führungskräfte gestellt hatte, war nach Auffassung des BAG auch insoweit eine Erklärung gegeben, die in ihrer Gesamtheit dem Bereich der Meinungsäußerung zuzuordnen sei. Damit schloss dies ohne weitergehende Feststellung des LAG jedenfalls eine Kündigung wegen falscher Tatsachenbehauptung aus.

51 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 95. 52 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647 Rz. 96, 99.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

d)

Fazit

In der betrieblichen Praxis ist es außerordentlich wichtig, im Vorfeld von verhaltensbedingten Kündigungen nicht nur den Sachverhalt vollständig zu erfassen und in die Betriebsratsanhörung einzubinden. Dazu gehört auch eine ausführliche Darstellung, die erkennen lässt, warum mildere Maßnahmen – insbesondere eine Abmahnung – nicht geeignet sind, künftige Konflikte des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Insbesondere der Arbeitgeberseite muss bei alledem aber bewusst sein, dass die im Zusammenhang mit der verhaltensbedingten Kündigung gebotene Interessenabwägung schlussendlich eine instanzgerichtliche Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten beinhaltet, die mit einem Beurteilungsspielraum verbunden ist, der bei der Vermeidung von Rechtsfehlern auch einer Aufhebung der im Berufungsverfahren getroffenen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts entgegensteht. Im Hinblick darauf wird man in allen Phasen solcher Verfahren prüfen müssen, ob nicht doch eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Abschluss eines Vergleichs möglich ist. (Ga)

5.

Zurückweisung einer Kündigung gemäß § 174 S. 1 BGB

Wer im Zusammenhang mit einer Kündigung einen Vertreter einbindet, hat nicht nur sicherzustellen, dass dieser die materiell-rechtliche Vertretungsbefugnis besitzt. Vielmehr ist auch zu gewährleisten, dass diese Vertretungsbefugnis gegenüber dem Empfänger durch eine entsprechende Vollmachtsurkunde nachgewiesen wird. Denn andernfalls besteht das Risiko, dass dieser die Kündigung wegen der fehlenden Vorlage einer Vollmachtsurkunde mit der Folge unverzüglich zurückweist, dass die Kündigung unwirksam ist (§ 174 S. 1 BGB). Eine solche Zurückweisung ist nur ausgeschlossen, wenn sich die Vollmacht bereits aus dem Handelsregister ergibt oder der Vollmachtgeber den Anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte (§ 174 S. 2 BGB). In seinem Urteil vom 5.12.201953 hat sich das BAG intensiv mit den Voraussetzungen einer solchen Zurückweisung nach § 174 S. 1 BGB befasst. Gegenstand war eine Kündigung der Klägerin durch Schreiben vom 9.11.2016, die sie unter Hinweis auf die fehlende Vorlage einer Vollmachtsurkunde durch Schreiben vom 14.11.2016 zurückgewiesen hatte. Das Rückweisungs-

53 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 147/19, NZA 2020, 505 Rz. 33 ff.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

d)

Fazit

In der betrieblichen Praxis ist es außerordentlich wichtig, im Vorfeld von verhaltensbedingten Kündigungen nicht nur den Sachverhalt vollständig zu erfassen und in die Betriebsratsanhörung einzubinden. Dazu gehört auch eine ausführliche Darstellung, die erkennen lässt, warum mildere Maßnahmen – insbesondere eine Abmahnung – nicht geeignet sind, künftige Konflikte des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Insbesondere der Arbeitgeberseite muss bei alledem aber bewusst sein, dass die im Zusammenhang mit der verhaltensbedingten Kündigung gebotene Interessenabwägung schlussendlich eine instanzgerichtliche Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten beinhaltet, die mit einem Beurteilungsspielraum verbunden ist, der bei der Vermeidung von Rechtsfehlern auch einer Aufhebung der im Berufungsverfahren getroffenen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts entgegensteht. Im Hinblick darauf wird man in allen Phasen solcher Verfahren prüfen müssen, ob nicht doch eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Abschluss eines Vergleichs möglich ist. (Ga)

5.

Zurückweisung einer Kündigung gemäß § 174 S. 1 BGB

Wer im Zusammenhang mit einer Kündigung einen Vertreter einbindet, hat nicht nur sicherzustellen, dass dieser die materiell-rechtliche Vertretungsbefugnis besitzt. Vielmehr ist auch zu gewährleisten, dass diese Vertretungsbefugnis gegenüber dem Empfänger durch eine entsprechende Vollmachtsurkunde nachgewiesen wird. Denn andernfalls besteht das Risiko, dass dieser die Kündigung wegen der fehlenden Vorlage einer Vollmachtsurkunde mit der Folge unverzüglich zurückweist, dass die Kündigung unwirksam ist (§ 174 S. 1 BGB). Eine solche Zurückweisung ist nur ausgeschlossen, wenn sich die Vollmacht bereits aus dem Handelsregister ergibt oder der Vollmachtgeber den Anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte (§ 174 S. 2 BGB). In seinem Urteil vom 5.12.201953 hat sich das BAG intensiv mit den Voraussetzungen einer solchen Zurückweisung nach § 174 S. 1 BGB befasst. Gegenstand war eine Kündigung der Klägerin durch Schreiben vom 9.11.2016, die sie unter Hinweis auf die fehlende Vorlage einer Vollmachtsurkunde durch Schreiben vom 14.11.2016 zurückgewiesen hatte. Das Rückweisungs-

53 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 147/19, NZA 2020, 505 Rz. 33 ff.

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Zurückweisung einer Kündigung gemäß § 174 S. 1 BGB

schreiben wurde einer Mitarbeiterin der Beklagten am späten Nachmittag des 16.11.2016 durch den Sohn der Klägerin überbracht. Bis zu dieser Kündigung war die Klägerin für die Beklagte und drei weitere Grundstücksverwaltungsgesellschaften, die als GbR organisiert waren, tätig. Umstritten mit Blick auf die Kündigung war daher nicht nur, ob die Klägerin in einem einzigen Arbeitsverhältnis mit den vier Grundstücksverwaltungsgesellschaften gestanden hatte oder ob es sich um jeweils getrennte Arbeitsverhältnisse handelte. Vielmehr war auch klärungsbedürftig, ob es Herrn J., der die Kündigung jeweils im Namen der vier Gesellschaften erklärt hatte, gelungen war, das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten – einer der vier Grundstücksverwaltungsgesellschaften – zu kündigen. Herr J. war Gesellschafter der Beklagten, hatte das Vorstellungsgespräch geführt und der Klägerin den Entwurf eines Arbeitsvertrags zugeleitet, der schlussendlich von den Parteien aber nicht unterzeichnet wurde. In den Gründen seiner Entscheidung hat das BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass zwischen der Klägerin und den vier Grundstücksverwaltungsgesellschaften kein „einheitliches Arbeitsverhältnis“ bestanden hatte. Auch seien die einzelnen Arbeitsverhältnisse in ihrem Bestand nicht untrennbar miteinander verbunden gewesen. Vielmehr habe es sich um einzelne Arbeitsverhältnisse gehandelt, die deshalb in Bezug auf ihren Bestand auch eigenständig zu bewerten seien. Hiervon ausgehend bestand das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten auch im Anschluss an die Kündigung fort. Denn die Klägerin hatte die Kündigung rechtzeitig gemäß § 174 S. 1 BGB zurückgewiesen. Nach seinem eindeutigen Wortlaut gilt – so das BAG – § 174 BGB unmittelbar lediglich für das Handeln eines Vertreters aufgrund einer durch Rechtsgeschäft erteilten Vertretungsmacht. Allerdings sei die Vorschrift analog auf Fälle anzuwenden, in denen einerseits für den Erklärungsempfänger eine vergleichbare Unsicherheit über die vom Vertreter in Anspruch genommene Vertretungsmacht bestehe und anderseits die Vertretungsmacht auf einer Willensentscheidung des Vertretenen beruhe, die von ihm gegenüber dem Erklärungsempfänger nachgewiesen werden könne. Während § 174 BGB deshalb auf gesetzliche oder ihnen gleichzustellende Vertreter oder eine organschaftliche Vertretung nicht analog angewendet werden könne, sei eine analoge Anwendbarkeit von § 174 BGB anzunehmen, wenn eine organschaftliche Gesamtvertretungsmacht kraft Ermächtigung eines einzelnen Organmitglieds durch die zusammen mit ihm gesamtvertretungsbefugten Organmitglieder zu einer organschaftlichen Alleinvertretungsmacht erweitert werde. In gleicher Weise erfolge eine analoge Anwendung auf einseitige

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

Rechtsgeschäfte, die ein abweichend von der gesetzlichen Grundregel der §§ 709, 714 BGB gemäß § 710 BGB alleinvertretungsberechtigter Gesellschafter im Namen einer GbR vornehme54. Damit war § 174 BGB im streitgegenständlichen Fall anwendbar. Zu prüfen war, ob die Klägerin die Kündigung rechtzeitig zurückgewiesen hatte. Hiervon ist das BAG ausgegangen. Für die Frage, ob eine Zurückweisung i. S. d. § 174 S. 1 BGB unverzüglich erfolgt sei, sei auf die zu § 121 BGB aufgestellten Grundsätze zurückzugreifen. Die Zurückweisung müsse daher nicht sofort erfolgen. Dem Erklärungsempfänger sei vielmehr eine gewisse Zeit zur Überlegung und zur Einholung des Rats eines Rechtskundigen darüber einzuräumen, ob er das einseitige Rechtsgeschäft wegen fehlender Vorlage eines Vollmachtsbelegs zurückweisen solle. Innerhalb welcher Zeitspanne der Erklärungsempfänger das Rechtsgeschäft damit zurückweisen müsse, richte sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Zurückweisung einer Kündigungserklärung sei nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ohne Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls allerdings nicht mehr unverzüglich i. S. d. § 174 S. 1 BGB. Die Frist beginne mit der tatsächlichen Kenntnis des Empfängers von der Kündigung und der fehlenden Vorlage einer Vollmachtsurkunde55. Von einer solchen Unverzüglichkeit war im konkreten Fall auszugehen. Dazu gehörte auch der Umstand, dass die Klägerin, die aufgrund eines Hexenschusses nicht in der Lage gewesen war, das auf den 14.11.2016 datierte Zurückweisungsschreiben persönlich zu übermitteln, sich ihres Sohnes als Boten bedient hatte. Die Entscheidung, die schriftliche Zurückweisung durch einen Zeugen „des Vertrauens“ und nicht z. B. durch einen Botendienst überbringen zu lassen, begründe jedenfalls dann kein schuldhaftes Zögern, wenn es dadurch – wie hier – nicht zu einer erheblich längeren Übermittlungsdauer komme56. In Übereinstimmung mit dem LAG Berlin-Brandenburg57 ist auch das BAG davon ausgegangen, dass die Zurückweisung nicht gemäß § 174 S. 2 BGB analog ausgeschlossen gewesen war. Nach § 174 S. 2 BGB ist eine Zurückweisung ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den Erklärungsempfänger von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat. 54 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 147/19, NZA 2020, 505 Rz. 34 ff., 39. 55 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 147/19, NZA 2020, 505 Rz. 48; BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11 n. v. (Rz. 67); BAG v. 8.12.2011 – 6 AZR 354/10, NZA 2012, 495 Rz. 33. 56 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 147/19, NZA 2020, 505 Rz. 49. 57 LAG Berlin-Brandenburg v. 15.3.2019 – 9 Sa 445/18 n. v.

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Zurückweisung einer Kündigung gemäß § 174 S. 1 BGB

Für das In-Kenntnis-Setzen ist zwar keine Form vorgeschrieben. Es genüge – so das BAG – eine Mitteilung des Vollmachtgebers, die sich unter anderem an den (späteren) Erklärungsempfänger richte. Ein In-Kenntnis-Setzen liege auch dann vor, wenn der Arbeitgeber bestimmte Mitarbeiter – z. B. durch die Bestellung zum Prokuristen, Generalbevollmächtigten oder Leiter der Personalabteilung – in eine Position berufen habe, die üblicherweise mit dem Kündigungsrecht verbunden sei. Wichtig für die betriebliche Praxis ist aber, dass dabei die bloße Übertragung einer solchen Funktion nicht genügt, wenn diese Funktionsübertragung aufgrund der Stellung des Bevollmächtigten im Betrieb nicht ersichtlich ist und auch keine sonstige Bekanntmachung durch den Arbeitgeber bewirkt wird. In diesen Fällen muss der Erklärungsempfänger auf andere Weise davon in Kenntnis gesetzt werden, dass der Erklärende diese Stellung tatsächlich innehat. Diese Notwendigkeit ergäbe sich – so das BAG – daraus, dass die Berufung eines Mitarbeiters auf die Stelle eines Personalleiters oder eine ähnlichen Stelle zunächst ein rein interner Vorgang sei. Ein In-Kenntnis-Setzen i. S. v. § 174 S. 2 BGB verlange aber begriffsnotwendig auch einen äußeren Vorgang, der diesen inneren Vorgang öffentlich mache und die Arbeitnehmer erfasse, die erst nach einer eventuell im Betrieb bekanntgemachten Berufung des kündigenden Mitarbeiters in eine mit dem Kündigungsrecht verbundene Funktion eingestellt wurden. Eine direkte Kundgabe der „Bevollmächtigung“ und der Person des „Bevollmächtigten“ durch den „Vollmachtgeber“ selbst sei nur bei entsprechender Publizität des Handelsregisters entbehrlich58. Von diesen Grundsätzen ausgehend war die erforderliche Mitteilung an den Kündigungsempfänger vorliegend nicht erfolgt. Zwar hatten die Gesellschafter der Beklagten Herrn J. im Gesellschaftsvertrag die alleinige Geschäftsführungsbefugnis (§ 710 S. 1 BGB) und damit auch die alleinige Vertretungsmacht (§ 714 BGB) übertragen und ihn damit gleichsam in die Stellung eines alleingeschäftsführenden Gesellschafters „berufen“. Doch es fehlte an einer Kundgabe dieses zunächst rein internen „Bestellungsakts“ gegenüber der Klägerin durch die „Vollmachtgeberin“, also durch alle Gesellschafter der beklagten GbR, nicht etwa nur den „Bevollmächtigten“ (Herrn J.) selbst. Dass Herr J. das Vorstellungsgespräch geführt und der Klägerin die Arbeitsverträge übermittelt hatte, stellte keine Mitteilung i. S. d. § 174 S. 2 BGB dar. Dies galt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass im Entwurf des Arbeitsvertrags vorgesehen war, dass Herr J. „in Vollmacht aller Gesell58 BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 147/19, NZA 2020, 505 Rz. 52; BAG v. 14.4.2011 – 6 AZR 727/09, NZA 2011, 683 Rz. 22 ff.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

schafter“ unterzeichnen sollte. Zum einen sei – so das BAG – für die Klägerin nicht zuverlässig ersichtlich gewesen, dass der Vertragsentwurf „mit Wissen“ aller Gesellschafter der Beklagten gestaltet worden war. Zum anderen konnte aus der Befugnis zur Unterzeichnung des Arbeitsvertrags nicht zugleich auf die Befugnis zum Ausspruch einer Kündigung geschlossen werden. Vielmehr sei ebenso möglich, dass Herr J. lediglich bevollmächtigt gewesen war, Arbeitsverträge oder gar nur den einen mit der Klägerin abzuschließen, ohne dass ihm zugleich die Befugnis erteilt worden war, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. In der betrieblichen Praxis ist als Folge dieser Entscheidung darauf zu achten, dass sich die Befugnis zur Vertretung des Arbeitgebers aus dem Handelsregister oder einer Originalvollmacht ergibt, die der Kündigung beigefügt wird. Dies gilt grundsätzlich auch für solche Personen, denen üblicherweise eine solche Vertretungsbefugnis zuerkannt wird. Denn auch unter Berücksichtigung der aktuellen Feststellungen des BAG kann eine Zurückweisung gemäß § 174 S. 1 BGB in diesen Fällen nur dann vermieden werden, wenn eine Berufung in die Funktion des Personalleiters erfolgt und der Arbeitnehmer davon auch konkret in Kenntnis gesetzt wird. Gleichzeitig sollte aber gewährleistet sein, dass der Arbeitnehmer trotz des weitverbreiteten Vier-Augen-Prinzips erkennen kann, dass mit der Funktion ggf. auch die Befugnis zur alleinigen Vertretung des Arbeitgebers bei Ausspruch einer Kündigung verbunden ist. Gelingt dies nicht, sollte weiterhin mit einer Prokura oder der Beifügung einer Originalvollmacht gearbeitet werden. (Ga)

6.

Fristlose Kündigung eines (fehlerhaften) GmbHGeschäftsführervertrags

Das faktische oder fehlerhafte Arbeitsverhältnis, dem eine rechtsgültige Grundlage für die Beschäftigung des Arbeitnehmers fehlt, aber mit Wissen und Willen des Arbeitgebers vollzogen wird, ist dadurch gekennzeichnet, dass es nach seiner Vollziehung und dem dadurch eingetretenen Leistungsaustausch der Parteien keine Abwicklung über die Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) erfährt, sondern für die Vergangenheit wie ein fehlerfreies Arbeitsverhältnis behandelt wird59. Eine Rückabwicklung der erbrachten Leistungen kommt nicht in Betracht. Hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbracht, kann er die ursprünglich 59 BAG v. 27.7.2010 – 3 AZR 317/08, DB 2011, 943 Rz. 24; BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 592/03, NZA 2005, 1409 Rz. 17; BAG v. 15.1.1986 – 5 AZR 237/84, NZA 1986, 561 Rz. 17 m. w. N.

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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

schafter“ unterzeichnen sollte. Zum einen sei – so das BAG – für die Klägerin nicht zuverlässig ersichtlich gewesen, dass der Vertragsentwurf „mit Wissen“ aller Gesellschafter der Beklagten gestaltet worden war. Zum anderen konnte aus der Befugnis zur Unterzeichnung des Arbeitsvertrags nicht zugleich auf die Befugnis zum Ausspruch einer Kündigung geschlossen werden. Vielmehr sei ebenso möglich, dass Herr J. lediglich bevollmächtigt gewesen war, Arbeitsverträge oder gar nur den einen mit der Klägerin abzuschließen, ohne dass ihm zugleich die Befugnis erteilt worden war, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. In der betrieblichen Praxis ist als Folge dieser Entscheidung darauf zu achten, dass sich die Befugnis zur Vertretung des Arbeitgebers aus dem Handelsregister oder einer Originalvollmacht ergibt, die der Kündigung beigefügt wird. Dies gilt grundsätzlich auch für solche Personen, denen üblicherweise eine solche Vertretungsbefugnis zuerkannt wird. Denn auch unter Berücksichtigung der aktuellen Feststellungen des BAG kann eine Zurückweisung gemäß § 174 S. 1 BGB in diesen Fällen nur dann vermieden werden, wenn eine Berufung in die Funktion des Personalleiters erfolgt und der Arbeitnehmer davon auch konkret in Kenntnis gesetzt wird. Gleichzeitig sollte aber gewährleistet sein, dass der Arbeitnehmer trotz des weitverbreiteten Vier-Augen-Prinzips erkennen kann, dass mit der Funktion ggf. auch die Befugnis zur alleinigen Vertretung des Arbeitgebers bei Ausspruch einer Kündigung verbunden ist. Gelingt dies nicht, sollte weiterhin mit einer Prokura oder der Beifügung einer Originalvollmacht gearbeitet werden. (Ga)

6.

Fristlose Kündigung eines (fehlerhaften) GmbHGeschäftsführervertrags

Das faktische oder fehlerhafte Arbeitsverhältnis, dem eine rechtsgültige Grundlage für die Beschäftigung des Arbeitnehmers fehlt, aber mit Wissen und Willen des Arbeitgebers vollzogen wird, ist dadurch gekennzeichnet, dass es nach seiner Vollziehung und dem dadurch eingetretenen Leistungsaustausch der Parteien keine Abwicklung über die Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) erfährt, sondern für die Vergangenheit wie ein fehlerfreies Arbeitsverhältnis behandelt wird59. Eine Rückabwicklung der erbrachten Leistungen kommt nicht in Betracht. Hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbracht, kann er die ursprünglich 59 BAG v. 27.7.2010 – 3 AZR 317/08, DB 2011, 943 Rz. 24; BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 592/03, NZA 2005, 1409 Rz. 17; BAG v. 15.1.1986 – 5 AZR 237/84, NZA 1986, 561 Rz. 17 m. w. N.

202

Fristlose Kündigung eines (fehlerhaften) GmbH-Geschäftsführervertrags

vereinbarte Vergütung verlangen60. Ausnahmen bestehen im Falle eines besonders schweren Mangels. Hier ist die Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses in vollem Umfang zu beachten. Die erbrachten Leistungen werden nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt61. Für ein fehlerhaftes und in Vollzug gesetztes Arbeitsverhältnis gibt es indes mangels einer wirksamen Vertragsgrundlage keinen Bestandsschutz für die Zukunft. Es kann jederzeit von beiden Parteien durch schlichte – auch formlose – Erklärung mit sofortiger Wirkung ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes beendet werden62. Dass eine vergleichbare Problematik auch bei einem Anstellungsvertrag mit einem Fremdgeschäftsführer bei einer GmbH auftreten kann, belegt die Entscheidung des BGH vom 20.8.201963. In dieser Entscheidung musste der BGH unter anderem der Frage nachgehen, unter welchen Prämissen ein fehlerhaft zustande gekommener Geschäftsführerdienstvertrag beendet werden kann. Der Kläger war bei der mit Gesellschaftsvertrag vom 7.11.2006 gegründeten GmbH, der Beklagten zu 1., zunächst auf der Grundlage eines Anstellungsvertrags vom 14.2.2007 zum Geschäftsführer bestellt worden. Seit dem Jahre 1993 bestand bereits eine Geschäftsführerbestellung bei der Beklagten zu 2. Im Anstellungsvertrag vom 14.2.2007 war vorgesehen, dass die Anstellung des Klägers mit seinem Ausscheiden als Geschäftsführer der Beklagten zu 2. enden sollte. Die Beklagte zu 1. hatte nach gesellschaftsvertraglicher Bestimmung einen Aufsichtsrat, dem die Bestellung und Abberufung sowie Einstellung und Kündigung von Geschäftsführern oblag. Mit Vertrag vom 7.1.2010, der auf Seiten der Beklagten zu 1. von dem Landrat G als Vorsitzenden des Aufsichtsrats „für den Gesellschafter“ geschlossen wurde, ist der Anstellungsvertrag des Klägers neu geregelt worden. Dieser Dienstvertrag sollte mit einer Frist von zwölf Monaten erstmalig zum 31.12.2014 kündbar sein. Bereits im Jahre 2010 kam es mit dem neu gewählten Landrat R zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der ohne Mitwirkung des Aufsichtsrats geschlossene Anstellungsvertrag vom 7.1.2010 wirksam war. Nachdem der Kläger mehrfachen Aufforderungen des Landrats R zur Erstellung einer Geschäftsverteilung für die Bestellung eines weiteren Geschäftsführers nicht nachgekommen war, nahm dies die Beklagte zu 1. zum Anlass, in ihrer außerordentlichen Gesellschafterversammlung – deren Zuständigkeit zwischenzeitlich durch Satzungsänderung begründet worden war – vom 17.1.2012 die Abberufung und fristlose, hilfs60 BAG v. 7.6.1972 – 5 AZR 512/71, BB 1973, 291 Rz. 13. 61 BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 592/03, NZA 2005, 1409 Rz. 17. 62 BAG v. 7.12.1961 – 2 AZR 12/61, DB 1962, 242 Rz. 14: Faktisches Arbeitsverhältnis; ErfK/Müller-Glöge, BGB § 620 Rz. 17. 63 BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, NZA-RR 2019, 524.

203

Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

weise ordentliche Kündigung des Klägers zu beschließen, die dem Kläger gegenüber am 17.1.2012 erklärt wurden. Gleichermaßen wurde der Kläger von der Beklagten zu 2. am 17.1.2012 von seiner Organstellung abberufen und der Anstellungsvertrag fristlos und hilfsweise fristgerecht gekündigt. Die Wirksamkeit der Kündigungen und die Fortdauer des Anstellungsverhältnisses bis zum 31.12.2014 sind Gegenstand der prozessualen Auseinandersetzung der Parteien geworden. Während die Klage vor dem OLG Berlin-Brandenburg64 Erfolg hatte, war sie vor dem BGH erfolglos. Das OLG war vom Fortbestand des Anstellungsvertrags bis zum 31.12.2014 unabhängig davon ausgegangen, dass die Beklagte zu 1. bei Abschluss des Vertrags am 7.1.2010 nicht durch den Aufsichtsrat und deshalb nicht wirksam vertreten worden war, weil sie sich auf diesen Vertretungsmangel nach Treu und Glauben nicht berufen könne. Der Kläger sei auf der Grundlage des Dienstvertrags vom 14.2.2007 seit vielen Jahren unbefristet als Geschäftsführer tätig gewesen. Selbst wenn sich die Beklagte zu 1. auf die Unwirksamkeit des Anstellungsvertrags aus Januar 2010 berufen könnte, bliebe die Anstellung des Klägers im Vertrag vom Februar 2007 als wirksame vertragliche Grundlage erhalten. Für eine fristlose Kündigung dieses Vertrags habe kein ausreichender Anlass bestanden, da das Fehlverhalten des Klägers seiner Organstellung zuzurechnen sei. Der BGH hat demgegenüber den Fortbestand des Anstellungsvertrags des Klägers vom 7.1.2010 über den 17.1.2012 hinaus verneint. Dabei folgt der BGH allerdings der Auffassung des OLG, dass der Anstellungsvertrag vom 7.1.2010 mangels ordnungsgemäßer Vertretung der Beklagten zu 1. nicht wirksam abgeschlossen worden ist. Dies konnte nicht durch den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden (Landrat G) ohne besondere Bevollmächtigung durch einen entsprechenden Aufsichtsratsbeschluss geschehen, der nach den gesellschaftsvertraglichen Vorgaben allein für die Einstellung und Kündigung von Geschäftsführern zuständig war. Ohne rechtsrelevante Bedeutung war auch in diesem Zusammenhang der Hinweis des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden, für den Alleingesellschafter zu handeln. Hierzu fehlte bereits eine entsprechende Beschlussfassung durch den Alleingesellschafter, ohne dass es einer Klärung bedurfte, welchen Einfluss die Kompetenzzuweisung an den Aufsichtsrat hatte. Unter sinngemäßer Heranziehung der Grundsätze zum fehlerhaften Arbeitsverhältnis geht der BGH davon aus, dass der fehlerhaft zustande gekomme64 OLG Berlin-Brandenburg v. 5.4.2016 – 6 U 145/14 n. v.

204

Fristlose Kündigung eines (fehlerhaften) GmbH-Geschäftsführervertrags

ne Anstellungsvertrag für die Dauer der Tätigkeit des Klägers wie ein wirksamer Anstellungsvertrag zu behandeln sei65. Dabei reichte die Kenntnis des früheren Vorsitzenden des Aufsichtsrats hinsichtlich der Geschäftsführertätigkeit des Klägers aus, um ein rechtserhebliches Wissen der Beklagten zu 1. im Sinne einer Zurechnung zu begründen. Dieses Anstellungsverhältnis konnte jedoch, wie der BGH ausführt, für die Zukunft grundsätzlich jederzeit auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes aufgelöst werden66, was durch die fristlose Kündigung geschehen ist. Der BGH verwirft anschließend die Begründung des OLG, die Beklagte müsse sich nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als bestünde ein wirksamer Anstellungsvertrag, weil das OLG unberücksichtigt ließe, dass die entsprechende Anwendung der Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses bei einer derartigen Situation bereits das Ergebnis eines Interessenausgleichs zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft sei. Eine andere Beurteilung sei allenfalls dann angezeigt, wenn beide Parteien den fehlerhaften Geschäftsführerdienstvertrag über Jahre hinweg als Grundlage ihrer Rechtsbeziehung anerkannt haben und die Gesellschaft den Geschäftsführer durch weitere Handlungen in seinem Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit des Vertrags bestärkt hat67. Davon konnte im Streitfall schon deshalb keine Rede sein, weil bereits im Jahr des Abschlusses des Anstellungsvertrags Zweifel über seine Wirksamkeit aus Gründen der Vertretungsbefugnis des früheren Landrats aufgekommen waren. Die hilfsweise vom OLG angestellte Erwägung der Wiederherstellung des Anstellungsvertrags vom 14.2.2007 scheitert nach Ansicht des BGH an der in diesem Vertrag zulässigerweise vereinbarten Kopplungsklausel68 an den Geschäftsführerdienstvertrag mit der Beklagten zu 2., der jedenfalls nach Ablauf der Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 BGB beendet worden sei und die Annahme des Fortbestandes des Anstellungsvertrags vom 14.2.2007 bis zum 31.12.2014 nicht rechtfertigen könne. Da der fehlerhafte Anstellungsvertrag vom 7.1.2010 mit Zugang der Kündigung der Beklagten zu 1. beendet worden war, kam es nur noch darauf an, ob die fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde den wirksam abgeschlos-

65 BGH v. 16.1.1995 – II ZR 290/93, DB 1995, 667 Rz. 10 m. w. N.; BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, DB 1964, 302 Rz. 19 f. 66 BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, NZA-RR 2019, 524 Rz. 27; BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, NZA 2000, 945 Rz. 11. 67 BGH v. 8.3.1973 – II ZR 134/71, BB 1973, 723 Rz. 15. 68 BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, NZA-RR 2019, 524 Rz. 32; BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, DB 1989, 1865 Rz. 13.

205

Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags

senen Anstellungsvertrag vom 14.2.2007 am 17.1.2012 mit sofortiger Wirkung aufgelöst hatte. In diesem Zusammenhang hält der BGH die Argumentation des OLG für fehlerhaft, dem Kläger werde nur eine Verletzung organschaftlicher Pflichten zur Last gelegt, die eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags nur bei besonderer Schwere der Pflichtverletzung rechtfertigen könne. Demgegenüber sieht der BGH in der Weigerung des Klägers, Gesellschafteranweisungen zu befolgen, zugleich eine Verletzung dienstvertraglicher Pflichten, die eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde erlauben könnte. Daher hat der BGH den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung in diesem Punkt zurückverwiesen, damit das OLG Gelegenheit hat, die näheren Umstände der Verweigerungshaltung des Klägers aufzuklären und im Hinblick auf den Ausspruch der fristlosen Kündigung neu zu beurteilen. Die Entscheidung des BGH erinnert die Praxis daran, dass bei dem Abschluss von Geschäftsführerdienstverträgen auf die Vertretungsbefugnis des dahinterstehenden Gesellschaftsträgers zu achten ist, um der Problematik eines faktischen Dienstverhältnisses zu begegnen. Außerdem ließe sich erwägen, unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB) einen Anspruch auf Abschluss eines regulären Arbeitsvertrags zu begründen, was vor allem dann eine Rolle spielen kann, wenn ein zunächst als leitender Angestellter beschäftigter Arbeitnehmer in die Organstellung eines Geschäftsführers berufen wird. (Boe)

206

F.

Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

1.

Gestaltungsspielraum bei Veränderungen der betrieblichen Versorgungsordnung

In seiner Entscheidung vom 10.12.20191 war der 3. Senat des BAG mit der Frage befasst, ob und inwieweit die Betriebsparteien berechtigt sind, im Wege einer Stichtagsregelung den Kreis der Versorgungsberechtigten in einer betrieblichen Altersversorgung auf Arbeitnehmer zu beschränken, die ihr Arbeitsverhältnis bei dem Arbeitgeber nach einem bestimmten Stichtag begründet haben, während andere Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich dieser Versorgungsordnung ausgenommen wurden, denen bereits aus einer älteren Versorgungsordnung eine Altersversorgung zustand. Des Weiteren hatte das BAG darüber zu befinden, ob und inwieweit der Arbeitgeber berechtigt ist, das betriebsrentenfähige Einkommen festzulegen und dabei nur bestimmte Entgeltbestandteile einbeziehen zu dürfen. Der im Jahre 1961 geborene Kläger des Rechtsstreits war in der Zeit vom 1.6.1990 bis zum 30.4.2013 bei der beklagten Bank beschäftigt. Ihm war auf der Basis der zum Einstellungszeitpunkt geltenden Versorgungsordnung vom 26.3.1979 (VO 79) eine Altersversorgung zugesagt worden, die eine Altersrente von 0,7 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes für jedes abgeleistete rentenfähige Dienstjahr, höchstens jedoch 21 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes, vorsah. Für den Teil des rentenfähigen Arbeitsverdienstes, der die gültige Beitragsbemessungsgrenze für Monatsbezüge in der Rentenversicherung überstieg, sollte der Prozentsatz von 0,7 % verdreifacht werden. Darüber hinaus war in der Versorgungsordnung der rentenfähige Arbeitsverdienst festgelegt. Die Beklagte informierte mit Schreiben vom 8.4.1994 alle Mitarbeiter darüber, dass die VO 79 für nach dem 30.6.1994 neu eintretende Mitarbeiter wegen des zu großen wirtschaftlichen Gesamtaufwands geschlossen werde, jedoch für die bereits vor diesem Stichtag im Arbeitsverhältnis beschäftigten Mitarbeiter unverändert gültig sei. Im Nachgang schloss die Beklagte mit ihrem Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die Versorgungsordnung 1994 (GBV 1994), die zum 1.7.1994 in Kraft trat und unter dem 10.10.2002 neu gefasst wurde. Diese beinhaltete einen Versorgungsplan A, der die Grundversorgung regelte, sowie einen Versorgungsplan B mit einer Zusatzversorgung, die für alle Mitarbeiter galt,

1

BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 478/17 n. v.

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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

die nach Maßgabe des Versorgungsplans A versorgungsberechtigt waren und deren Bruttojahresgesamtbezüge die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überstiegen. Die GBV 1994 sah ausdrücklich vor, dass die vor dem 1.7.1994 eingetretenen Arbeitnehmer von diesem Versorgungsplan nicht berührt werden. Im Jahre 2000 führte die Beklagte unter Beteiligung des Betriebsrats eine Gehaltsstrukturreform durch, die unter anderem anstelle einer monatlich vorschüssig zu zahlenden Abschlussgratifikation i. H. v. 625,01 DM eine monatliche Zulage und anstelle des bisherigen Weihnachtsgeldes i. H. v. 50 % des monatlichen Festgehalts ein 13. Monatsgehalt auswies. Auf der Grundlage der VO 79 waren die Abschlussgratifikation und die monatliche Zulage nicht betriebsrentenfähig. Im Geschäftsjahr 2001/2002 wurde eine Betriebsvereinbarung über die Zahlung einer variablen Erfolgsvergütung abgeschlossen. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 20.3.2013 mit, dass ihm bei Rentenbeginn zum 1.9.2026 eine monatliche Altersrente i. H. v. 897,91 € (brutto) zustünde. Der Kläger war der Meinung, dass die GBV 1994 seit ihrem Inkrafttreten auch für ihn gelten müsse und sich daraus für ihn eine monatliche Betriebsrente von 2.123,62 € ergäbe. Selbst wenn es für ihn bei der VO 79 bliebe, wäre die monatliche Zulage als rentenfähiges Einkommen zu berücksichtigen. Mit seiner Klage hat der Kläger unter anderem die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn bei Eintritt des Versorgungsfalls eine Versorgung nach der GBV 1994, hilfsweise nach der VO 79 unter Einbeziehung einer monatlichen Zulage, eines 13. Monatsgehalts und einer Erfolgsbeteiligung zu zahlen. Mit diesem Antrag ist der Kläger in allen Instanzen ohne Erfolg geblieben. Soweit es um den Hauptantrag geht, eine Versorgung nach der GBV 1994 beanspruchen zu können, konnte keinem Zweifel unterliegen, dass der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich dieser Gesamtbetriebsvereinbarung nicht erfasst wurde. Daher bedurfte es der Prüfung, ob möglicherweise die Herausnahme des Klägers aus dem Anwendungsbereich der GBV 1994 als rechtsunwirksam anzusehen war. Der insoweit in Betracht zu ziehende Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 75 Abs. 1 BetrVG wird vom BAG unter Hinweis darauf verneint, dass der von den Betriebsparteien zu respektierende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, dem wiederum der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde liegt, eine Gleichbehandlung von Personen bei vergleichbaren Sachverhalten sicherstellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung ausschließen soll, wobei für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrundes

208

Gestaltungsspielraum bei Veränderungen der betrieblichen Versorgungsordnung

vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck maßgebend ist2. Wie das BAG zur Zweckdetermination ausführt, kann eine Stichtagsregelung als „Typisierung in der Zeit“ zur Abgrenzung des begünstigten Personenkreises grundsätzlich in Betracht kommen, wobei die damit verbundenen Härten hinzunehmen sind, wenn die Wahl des Zeitpunkts am Sachverhalt orientiert und somit sachlich vertretbar ist3. Dabei kommt den Betriebsparteien sowohl bei der Gruppenbildung als auch bei der Bestimmung des darauf bezogenen Stichtags ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Bei diesen Prämissen stellen Stichtagsregelungen, die auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhen, einen hinreichenden Sachgrund für eine unterschiedliche Behandlung dar, wie das BAG bereits bei früherer Gelegenheit entschieden hat4. Unter Hinweis darauf hält das BAG die mit der Schließung der VO 79 und der Vereinbarung der GBV 1994 bewirkte Ungleichbehandlung für sachlich begründet, weil diese Maßnahmen der Beklagten einer Verringerung des Gesamtaufwands der betrieblichen Altersversorgung dienen sollten, was sich schon darin ausdrücke, dass die Grundversorgung nach dem Versorgungsplan A geringer als diese nach der VO 79 ausfiele. Diese Bewertung wird nach Ansicht des BAG nicht dadurch beeinflusst, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Betriebsrente nach der GBV 1994 im Vergleich zur VO 79 bei Arbeitnehmern, wie dem Kläger, deren Verdienst zumindest zeitweise nur knapp oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liege, günstiger ausfiele. Denn insgesamt gesehen sei durch die GBV 1994 eine Kostenreduzierung eingetreten. Mit der Ablehnung einer Anwendung der GBV 1994 auf den Betriebsrentenanspruch des Klägers war der hilfsweise vom Kläger zur Entscheidung gestellte Antrag auf Erhöhung der Betriebsrentenzahlung aus der VO 79 zu prüfen. Insoweit ging es um die Frage, ob die Beklagte auf der Grundlage dieser Betriebsrentenzusage – bei Eintritt des Versorgungsfalls – die monatlichen Zulagen, das 13. Monatsgehalt und die Erfolgsbeteiligung bei der Höhe der Betriebsrentenzahlung einzubeziehen hatte. Insoweit gelangt das BAG in Übereinstimmung mit der Vorinstanz zu dem Ergebnis, dass die Beklagte die dem Kläger nach der VO 79 zustehende betriebliche Altersversorgung richtig berechnet hat. Bewertungsansatz für dieses Ergebnis bildet im Hinblick auf die monatlichen Zulagen nach Ansicht des BAG bereits der Umstand, dass diese auf der Grundlage der VO 79 we2 3 4

BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 478/17, BetrAV 2020, 263 Rz. 37; BAG v. 19.4.2016 – 3 AZR 526/14, NZA 2016, 820 Rz. 37 m. w. N. BAG v. 18.5.2010 – 1 AZR 187/09, NZA 2010, 1304 Rz. 16. BAG v. 12.2.2013 – 3 AZR 414/12 n. v. (Rz. 104).

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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

der zum festen monatlichen Grundgehalt gehörten noch von der Beklagten für rentenfähig erklärt worden sind. Dadurch wird der Kläger durch die der AGB-Kontrolle unterliegende VO 79 als Gesamtzusage nicht unangemessen i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB benachteiligt. Dabei lässt das BAG unentschieden, ob eine derartige Inhaltskontrolle angesichts von § 307 Abs. 3 BGB als von Rechtsvorschriften abweichende Bestimmung überhaupt erfolgen kann. Denn für die Beantwortung der Frage einer unangemessenen Benachteiligung, die nur darin ihren Ausdruck finden konnte, dass es der beklagten Bank auf der Grundlage der VO 79 überlassen blieb, einseitig festlegen zu dürfen, welche Zulagen rentenfähig sind, war entscheidend zu gewichten, dass die Festlegung der Entgeltbestandteile des rentenfähigen Einkommens eine freiwillige und der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers überlassene Bestimmung darstellt. Deshalb weist das BAG auch zu Recht darauf hin, dass der Arbeitgeber keineswegs gehalten ist, alle Entgeltkomponenten in die Berechnung der Versorgungsbezüge einzubeziehen5. Das BAG stellt in diesem Zusammenhang auch die Prüfung an, ob die ab April 2000 im Zuge der Gehaltsstrukturreform vorgenommene Ersetzung der bisherigen Abschlussgratifikation durch eine feste Zulage als einseitige Leistungsbestimmung gemäß § 315 Abs. 1 BGB billigem Ermessen entsprochen hat. Auch insoweit musste entscheidend ins Gewicht fallen, dass es der beklagten Bank wegen des Freiwilligkeitscharakters der Versorgungshöhe und der damit verbundenen Festlegung des Versorgungsniveaus zu überlassen war, welche Entgeltbestandteile betriebsrentenfähig sein sollten. Überdies gehörte bereits nach der VO 79 die Abschlussgratifikation nicht zum rentenfähigen Arbeitsverdienst. Da nach der VO 79 als rentenfähiger Arbeitsverdienst (nur) das feste monatliche Grundgehalt zuzüglich der von der Bank für rentenfähig erklärten Zulagen zum Feststellungszeitpunkt zugrunde zu legen waren, hat das BAG die variable Erfolgsvergütung ebenfalls nicht zum rentenfähigen Entgelt gezählt, was gleichermaßen für das 13. Monatsgehalt galt. Diese Vergütungen waren zwar Bestandteile des Gesamtentgelts, gehörten aber nicht zum festen monatlichen Grundgehalt, so dass sie auch nicht rentenwirksam werden konnten. Mit dieser Entscheidung bestätigt das BAG seine bisher aufgestellten Grundsätze zur Stichtagsregelung für die betriebliche Altersversorgung, die dem Arbeitgeber erlaubt, ein bereits bestehendes Versorgungssystem zu schließen und zugleich eine davon getrennte neue Versorgungsordnung für 5

BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 478/17, BetrAV 2020, 263 Rz. 64; BAG v. 19.7.2016 – 3 AZR 141/15, NZA-RR 2016, 604 Rz. 25.

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Ausgleichsanspruch des Arbeitnehmers bei der Reduzierung des Rentenfaktors

nach einem Stichtag eingestellte Arbeitnehmer zu schaffen. Des Weiteren bleibt es dem Arbeitgeber weitgehend vorbehalten, das betriebsrentenfähige Einkommen festzulegen und nur bestimmte Entgeltbestandteile als betriebsrentenfähig zu deklarieren, ohne damit gegen das Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB zu verstoßen. (Boe)

2.

Ausgleichsanspruch des Arbeitnehmers bei der Reduzierung des Rentenfaktors durch Pensionskasse

Nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG6 hat der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG auch dann einzustehen, wenn die Durchführung der Altersversorgung nicht unmittelbar über ihn erfolgt. Voraussetzung für die Einstandspflicht des Arbeitgebers ist damit stets, dass eine betriebliche Altersversorgungszusage gegenüber dem Arbeitnehmer besteht, die nicht nur mittels einer Direktzusage erfolgen kann, sondern auch nach § 1 Abs. 2 BetrAVG die beitragsorientierte Leistungszulage (Nr. 1), die Beitragszusage mit Mindestleistung (Nr. 2), die reine Beitragszusage (Nr. 2 a)7, die Entgeltumwandlung (Nr. 3) sowie die Beitragsleistung mit Eigenbeiträgen und Umfassungszusage (Nr. 4) einschließt. Für die mit Wirkung zum 1.7.2002 durch das HZvNG8 (Art. 3) in das BetrAVG eingefügte Beitragsleistung mit Eigenbeiträgen und Umfassungszusage ist für die Charakterisierung als betriebliche Altersversorgung von entscheidender Bedeutung, dass der Arbeitgeber die Einstandspflicht auch in Bezug auf die Eigenbeiträge des Arbeitnehmers übernimmt. Wird die betriebliche Altersversorgung über den Durchführungsweg der Pensionskasse vollzogen, die als Firmenpensionskassen besonderen aufsichtsrechtlichen Reglementierungen – etwa dem Vorbehalt der Genehmigung ihrer Versicherungstarife durch die Versicherungsaufsicht (regulierte Pensionskassen) – unterliegen, dürfen unter bestimmten Voraussetzungen im Falle einer Unterdeckung satzungsgemäß mit Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen Leistungskürzungen vorgenommen werden, was durch eine Veränderung der Rentenfaktoren bewirkt werden kann. Bei einer wirksamen Leistungskürzung der Pensionskasse ist der Arbeitgeber

6

7 8

Diese Einstandspflicht ist durch das AVmG eingefügt worden und m. W. v. 1.1.2001 in Kraft getreten: BGBl. I 2001, 1310; vgl. dazu BAG v. 29.8.2000 – 3 AZR 201/00, NZA 2001, 163; BT-Drucks. 14/4595 S. 67. Eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 BRSG: BGBl. I 2017, 3214. BGBl. I 2002, 2167.

211

Ausgleichsanspruch des Arbeitnehmers bei der Reduzierung des Rentenfaktors

nach einem Stichtag eingestellte Arbeitnehmer zu schaffen. Des Weiteren bleibt es dem Arbeitgeber weitgehend vorbehalten, das betriebsrentenfähige Einkommen festzulegen und nur bestimmte Entgeltbestandteile als betriebsrentenfähig zu deklarieren, ohne damit gegen das Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB zu verstoßen. (Boe)

2.

Ausgleichsanspruch des Arbeitnehmers bei der Reduzierung des Rentenfaktors durch Pensionskasse

Nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG6 hat der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG auch dann einzustehen, wenn die Durchführung der Altersversorgung nicht unmittelbar über ihn erfolgt. Voraussetzung für die Einstandspflicht des Arbeitgebers ist damit stets, dass eine betriebliche Altersversorgungszusage gegenüber dem Arbeitnehmer besteht, die nicht nur mittels einer Direktzusage erfolgen kann, sondern auch nach § 1 Abs. 2 BetrAVG die beitragsorientierte Leistungszulage (Nr. 1), die Beitragszusage mit Mindestleistung (Nr. 2), die reine Beitragszusage (Nr. 2 a)7, die Entgeltumwandlung (Nr. 3) sowie die Beitragsleistung mit Eigenbeiträgen und Umfassungszusage (Nr. 4) einschließt. Für die mit Wirkung zum 1.7.2002 durch das HZvNG8 (Art. 3) in das BetrAVG eingefügte Beitragsleistung mit Eigenbeiträgen und Umfassungszusage ist für die Charakterisierung als betriebliche Altersversorgung von entscheidender Bedeutung, dass der Arbeitgeber die Einstandspflicht auch in Bezug auf die Eigenbeiträge des Arbeitnehmers übernimmt. Wird die betriebliche Altersversorgung über den Durchführungsweg der Pensionskasse vollzogen, die als Firmenpensionskassen besonderen aufsichtsrechtlichen Reglementierungen – etwa dem Vorbehalt der Genehmigung ihrer Versicherungstarife durch die Versicherungsaufsicht (regulierte Pensionskassen) – unterliegen, dürfen unter bestimmten Voraussetzungen im Falle einer Unterdeckung satzungsgemäß mit Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen Leistungskürzungen vorgenommen werden, was durch eine Veränderung der Rentenfaktoren bewirkt werden kann. Bei einer wirksamen Leistungskürzung der Pensionskasse ist der Arbeitgeber

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Diese Einstandspflicht ist durch das AVmG eingefügt worden und m. W. v. 1.1.2001 in Kraft getreten: BGBl. I 2001, 1310; vgl. dazu BAG v. 29.8.2000 – 3 AZR 201/00, NZA 2001, 163; BT-Drucks. 14/4595 S. 67. Eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 BRSG: BGBl. I 2017, 3214. BGBl. I 2002, 2167.

211

Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

auch im Hinblick auf die Eigenbeiträge des Arbeitnehmers zum Pflichtbeitrag des pensionsfähigen Arbeitsverdienstes gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG gegenüber dem Arbeitnehmer einstandspflichtig. Grundsätzlich soll sich der Arbeitgeber seiner Verpflichtungen aus der Versorgungszusage nicht dadurch entledigen können, dass er betriebliche Altersversorgung über einen externen Versorgungsträger durchführt9. In diesem Zusammenhang ist für die Einstandspflicht mit Umfassungszusage von entscheidungserheblicher Bedeutung, dass bei Versorgungsversprechen des Arbeitgebers, mit denen beitragsbezogene Leistungen einer Pensionskasse zugesagt worden sind, zusätzlich auch die Leistungen aus den Eigenbeiträgen des Arbeitnehmers eingeschlossen werden10. Für die Anwendung von § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG reicht es daher nicht aus, dass sich der Arbeitnehmer mit seinen Beiträgen zur Pensionskasse an der Finanzierung lediglich beteiligt, vielmehr muss der Arbeitgeber hinsichtlich der auf Arbeitnehmerbeiträgen beruhenden Leistungen die gesetzliche Einstandspflicht übernehmen, wenn eine derartige Umfassungszusage vorliegen soll11. Ob dies der Fall ist, kann dann zweifelhaft sein, wenn hierfür keine ausdrückliche Zusage des Arbeitgebers besteht und konkludent aus den Umständen gefolgert werden muss, ob die Zusage des Arbeitgebers als Umfassungszusage zu verstehen ist12. Indizien dafür können sein, dass sich die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der jeweils gültigen Satzung und den gültigen Leistungsbestimmungen mit der Pensionskasse richten sollen und dass die reguläre Beteiligung des Arbeitnehmers an der Finanzierung nicht seiner freien Entscheidung überlassen bleibt, sondern vielmehr – etwa tarifvertraglich – erzwungen wird. Andererseits können auch die Beteiligungen des Arbeitnehmers an der Finanzierung des Versorgungsversprechens nichts anderes als eine Lastenverteilung und eine Berechnungsweise für die Höhe der Versorgungsleistungen bedeuten13. Die Darlegungs- und objektive Beweislast für eine Umfassungszusage trifft den Versorgungsberechtigten, der den Arbeitgeber aufgrund seiner Einstandspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG in Anspruch nimmt14.

9 BAG v. 12.11.2013 – 3 AZR 92/12, NZA-RR 2014, 315 Rz. 35. 10 BAG v. 15.3.2016 – 3 AZR 827/14, NZA 2016, 1205 Rz. 40. 11 BAG v. 15.3.2016 – 3 AZR 827/14, NZA 2016, 1205 Rz. 40; BAG v. 10.2.2015 – 3 AZR 65/14, BetrAV 2015, 522 Rz. 43. 12 Eine Entscheidung des BAG steht unter dem Az. 3 AZR 157/19 in Aussicht. 13 Vgl. dazu BAG v. 15.3.2016 – 3 AZR 827/14, NZA 2016, 1205 Rz. 44 f. 14 BAG v. 15.3.2016 – 3 AZR 827/14, NZA 2016, 1205 Rz. 42; BAG v. 10.2.2015 – 3 AZR 65/14, BetrAV 2015, 522 Rz. 43.

212

Berücksichtigung von Altersteilzeit in betrieblicher Versorgungsordnung

Der Praxis ist jedenfalls zu empfehlen, zur Vermeidung langwieriger prozessualer Auseinandersetzungen, unmissverständlich in der Altersversorgungszusage, die auch mit Eigenbeiträgen des Arbeitnehmers verbunden ist, die Frage einer etwaigen Umfassungszusage zu regeln. (Boe)

3.

Berücksichtigung von Altersteilzeit in betrieblicher Versorgungsordnung

Die Berechnung einer gehaltsabhängigen betrieblichen Altersversorgung unter Berücksichtigung von Altersteilzeit im Blockmodell war Gegenstand einer Entscheidung des 3. Senats des BAG vom 21.1.202015. Die Parteien stritten darüber, ob bei der Berechnung der Betriebsrente Zeiten der Altersteilzeit mit einem Teilzeitfaktor zu bewerten waren. Der Klägerin war auf der Grundlage einer auf einer Gesamtbetriebsvereinbarung beruhenden Versorgungsordnung aus dem Jahre 1989 eine dienstzeitund gehaltsabhängige Altersversorgungszusage erteilt worden, die für jedes Dienstjahr eine Grundrente von 0,3 % des pensionsfähigen Diensteinkommens, eine gespaltene Rentenformel für Gehaltsbestandteile oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer Zusatzrente von 1,5 %, bei vorzeitiger Inanspruchnahme eine Kürzung um 0,5 % sowie bei zeitweise teilzeitbeschäftigten Mitarbeitern vorsah, dass die aus dem pensionsfähigen Diensteinkommen errechnete Betriebsrente im Verhältnis der persönlichen zur vollen tariflichen Arbeitszeit während der gesamten Dienstzeit erhöht oder gemindert wird. Als pensionsfähiges Diensteinkommen wurde das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, das der Mitarbeiter im Durchschnitt der letzten 36 Monate vor seinem Ausscheiden bezogen hat. Im Februar 2008 vereinbarten die Parteien eine 64-monatige Altersteilzeit im sog. Blockmodell, wonach die hälftige wöchentliche Arbeitszeit 20 Stunden betrug. Mit Ablauf der Altersteilzeit schied die Klägerin am 31.5.2013 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus. Ab dem 1.6.2013 nahm die Klägerin – nach Vollendung ihres 63. Lebensjahres – eine vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch. Von der Beklagten bezog sie seit diesem Zeitpunkt auch die vorgezogene Betriebsrente. Diese teilte der Klägerin mit, dass die ihr zustehende Betriebsrente 995 € betrage. Aus dem beigefügten Renten-Kontrollblatt ergab sich, dass die Beklagte die Betriebsrente wie folgt berechnet hat: Ausgehend von einem Einkommen in den letzten 36 Monaten i. H. v. 252.884,86 € (brutto) legte die Beklagte ein pensionsfähi15 BAG v. 21.1.2020 – 3 AZR 565/18, NZA 2020, 449.

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Berücksichtigung von Altersteilzeit in betrieblicher Versorgungsordnung

Der Praxis ist jedenfalls zu empfehlen, zur Vermeidung langwieriger prozessualer Auseinandersetzungen, unmissverständlich in der Altersversorgungszusage, die auch mit Eigenbeiträgen des Arbeitnehmers verbunden ist, die Frage einer etwaigen Umfassungszusage zu regeln. (Boe)

3.

Berücksichtigung von Altersteilzeit in betrieblicher Versorgungsordnung

Die Berechnung einer gehaltsabhängigen betrieblichen Altersversorgung unter Berücksichtigung von Altersteilzeit im Blockmodell war Gegenstand einer Entscheidung des 3. Senats des BAG vom 21.1.202015. Die Parteien stritten darüber, ob bei der Berechnung der Betriebsrente Zeiten der Altersteilzeit mit einem Teilzeitfaktor zu bewerten waren. Der Klägerin war auf der Grundlage einer auf einer Gesamtbetriebsvereinbarung beruhenden Versorgungsordnung aus dem Jahre 1989 eine dienstzeitund gehaltsabhängige Altersversorgungszusage erteilt worden, die für jedes Dienstjahr eine Grundrente von 0,3 % des pensionsfähigen Diensteinkommens, eine gespaltene Rentenformel für Gehaltsbestandteile oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer Zusatzrente von 1,5 %, bei vorzeitiger Inanspruchnahme eine Kürzung um 0,5 % sowie bei zeitweise teilzeitbeschäftigten Mitarbeitern vorsah, dass die aus dem pensionsfähigen Diensteinkommen errechnete Betriebsrente im Verhältnis der persönlichen zur vollen tariflichen Arbeitszeit während der gesamten Dienstzeit erhöht oder gemindert wird. Als pensionsfähiges Diensteinkommen wurde das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, das der Mitarbeiter im Durchschnitt der letzten 36 Monate vor seinem Ausscheiden bezogen hat. Im Februar 2008 vereinbarten die Parteien eine 64-monatige Altersteilzeit im sog. Blockmodell, wonach die hälftige wöchentliche Arbeitszeit 20 Stunden betrug. Mit Ablauf der Altersteilzeit schied die Klägerin am 31.5.2013 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus. Ab dem 1.6.2013 nahm die Klägerin – nach Vollendung ihres 63. Lebensjahres – eine vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch. Von der Beklagten bezog sie seit diesem Zeitpunkt auch die vorgezogene Betriebsrente. Diese teilte der Klägerin mit, dass die ihr zustehende Betriebsrente 995 € betrage. Aus dem beigefügten Renten-Kontrollblatt ergab sich, dass die Beklagte die Betriebsrente wie folgt berechnet hat: Ausgehend von einem Einkommen in den letzten 36 Monaten i. H. v. 252.884,86 € (brutto) legte die Beklagte ein pensionsfähi15 BAG v. 21.1.2020 – 3 AZR 565/18, NZA 2020, 449.

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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

ges Diensteinkommen i. H. v. 7.025 € (brutto) (252.884,86 € ÷ 36 Monate = 7.024,58 €/Monat) zugrunde. Dabei ging die Beklagte nicht von dem tatsächlichen Gehalt aufgrund der Altersteilzeitvereinbarung aus, sondern von einem fiktiven Vollzeitgehalt. Daraus errechnete sie eine fiktive Vollrente bei Erreichen der festen Altersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahres in Vollzeit i. H. v. 1.242,66 €. Anschließend wandte die Beklagte wegen der insgesamt 64 Monate dauernden Altersteilzeit einen Teilzeitfaktor von 90,909 % bei einer Gesamtdienstzeit von 352 Monaten an. Dies ergab einen Betrag i. H. v. 1.129,69 € (brutto) (1.242,66 € × 0,90909). Davon brachte die Beklagte einen versicherungsmathematischen Abschlag i. H. v. 12 % in Abzug und ermittelte so die Ausgangsbetriebsrente von 995 € (brutto). Diese erhöhte sie entsprechend der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 24.11.1999 zum 1.7.2014 um 1 % auf 1.004,95 € (brutto), zum 1.7.2015 um weitere 1 % auf 1.015 € (brutto), zum 1.7.2016 um 1 % auf 1.025,50 € (brutto) und zum 1.7.2017 um weitere 1 % auf 1.035,76 € (brutto). Die Klägerin beanspruchte von der Beklagten eine höhere Betriebsrente ohne den von der Beklagten angewandten Teilzeitfaktor, weil dieser ihrer Auffassung nach auf eine Altersteilzeit nicht anwendbar sei. Im Hinblick darauf ermittelte die Klägerin eine höhere Betriebsrente, die sie mit ihrer Zahlungsklage verfolgte. Das ArbG Mönchengladbach16 und das LAG Düsseldorf17 haben sich der Rechtsauffassung der Klägerin angeschlossen. Das BAG hat die Klage abgewiesen. Zunächst geht das BAG bei der Einordnung der in der Versorgungsordnung geregelten Teilzeitbeschäftigung davon aus, dass auch die Altersteilzeit im Blockmodell als Form der Teilzeitbeschäftigung zu qualifizieren ist18, unabhängig davon, dass sie in der Versorgungsordnung keine ausdrückliche Erwähnung findet. Für diese Beurteilung war für das BAG unter anderem maßgebend, dass für die Höhe der Altersversorgung das monatliche Arbeitsentgelt der letzten 36 Monate vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis als pensionsfähiges Diensteinkommen neben den Dienstjahren zugrunde zu legen war. Durch diesen Referenzzeitraum und das Abstellen auf das tatsächlich in diesem Zeitraum bezogene monatliche pensionsfähige Arbeitsentgelt werde eine in diesem Zeitraum erfolgte Teilzeitbeschäftigung berücksichtigt, d. h. das pensionsfähige Diensteinkommen knüpfe nicht an ein Vollzeiteinkommen, sondern an das tatsächlich bezogene an.

16 ArbG Mönchengladbach v. 6.4.2018 – 2 Ca 2888/17 n. v. 17 LAG Düsseldorf v. 19.9.2018 – 12 Sa 315/18 n. v. 18 Vgl. dazu BAG v. 23.2.2016 – 3 AZR 44/14, NZA 2016, 961 Rz. 67; BAG v. 17.4.2012 – 3 AZR 280/10, NZA-RR 2012, 489 Rz. 16.

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Berücksichtigung von Altersteilzeit in betrieblicher Versorgungsordnung

Soweit es um den Faktor der Dienstzeit geht, werde bei Mitarbeitern, die während ihrer Dienstzeit zeitweise oder mit unterschiedlichen Arbeitszeiten teilzeitbeschäftigt waren, nach der Versorgungsordnung die aus dem pensionsfähigen Diensteinkommen errechnete Betriebsrente im Verhältnis der persönlichen zur vollen tariflichen Arbeitszeit während der gesamten Dienstzeit erhöht oder gemindert. Damit werde ein Rentenniveau nur in dem Umfang geschuldet, das der während des gesamten Arbeitsverhältnisses erbrachten Arbeitsleistung entspreche. Für dieses Auslegungsergebnis der Versorgungsordnung spricht nach Ansicht des BAG auch der Umstand, dass die die Altersversorgung begründende Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, nachdem bereits mit Wirkung zum 1.1.1989 ein ATG19 geschaffen worden war. Wenn die Betriebsparteien trotz Kenntnis dieser Gesetzesentwicklung der Altersteilzeit keine besondere Regelung in der Versorgungsordnung zuteilwerden ließen, spreche auch dieser Umstand dafür, die Altersteilzeit entsprechend der Regelung für Teilzeit behandeln zu wollen. Dieses Auslegungsergebnis stünde auch nicht im Widerspruch zum ATG, das an keiner Stelle vorschriebe, eine Berücksichtigung der Altersteilzeit als Vollzeit vornehmen zu müssen, was auch für § 4 Abs. 1 TzBfG gelte. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Demgemäß ist nach § 4 TzBfG einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Der pro-rata-temporisGrundsatz erlaubt eine unterschiedliche Abgeltung von Teilzeit- und Vollzeitarbeit in quantitativer Hinsicht, indem er dem Arbeitgeber gestattet, das Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung für Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten verringerten Arbeitsleistung anteilig zu kürzen. Ein Arbeitnehmer, der Teilzeitarbeit leistet, kann nicht die gleiche Vergütung verlangen wie ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer20. Diese Grundsätze gelten – wie das BAG betont – auch für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Teilzeitkräfte können keine gleich hohe betriebliche Altersversorgung fordern wie Vollzeitkräfte; vielmehr ist es zulässig, Altersversorgungsleistungen an-

19 Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des AFG und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand: BGBl. I 1998, 2343. 20 BAG v. 28.5.2013 – 3 AZR 266/11 n. v. (Rz. 23).

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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

teilig nach dem Beschäftigungsumfang im Vergleich zu einem Vollzeitbeschäftigten mit gleicher Dauer der Betriebszugehörigkeit zu erbringen21. Insofern befindet sich das BAG auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH22, der entschieden hat, dass eine Berechnung der Altersversorgung nach dem pro-rata-temporis-Grundsatz vor dem Hintergrund von § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit23 unionsrechtskonform ist. Die Berücksichtigung des Umfangs der von einem Teilzeitbeschäftigten während seines Berufslebens tatsächlich geleisteten Arbeit im Vergleich zum Umfang der Arbeitsleistung eines Beschäftigten, der während seines gesamten Berufslebens in Vollzeit gearbeitet hat, stellt ein objektives Kriterium dar, das eine proportionale Kürzung der Altersversorgung des Teilzeitbeschäftigten zulässt24. In Anbetracht dieser Erwägungen gelangt das BAG zu dem Ergebnis, dass zu Gunsten der Klägerin ein Anspruch über die von der Beklagten tatsächlich geleistete Betriebsrente hinaus nicht besteht, zumal die Beklagte bei der Berechnung der Betriebsrente zu Gunsten der Klägerin von einem Einkommen ausgegangen sei, dass sie in Vollzeit, d. h. ohne Berücksichtigung ihrer Altersteilzeit, verdient hätte. Für die betriebliche Praxis hat das BAG mit dieser Entscheidung eine Klarstellung herbeigeführt, wie sich die Altersteilzeit auf die Berechnung der betrieblichen Altersversorgung auswirkt, wobei sicherlich zur Vermeidung von Missverständnissen ratsam ist, in der Versorgungsordnung selbst die Altersteilzeitproblematik anzusprechen. (Boe)

4.

Schadensersatzanspruch bei fehlerhafter Information über die Sozialversicherungspflicht der betrieblichen Altersversorgung

Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG liegt eine betriebliche Altersversorgung auch vor, wenn künftige Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen umgewandelt werden (Entgeltumwandlung). Insofern kann der Arbeitnehmer nach § 1 a Abs. 1 BetrAVG vom Arbeitgeber verlangen, dass von seinen künftigen Entgeltansprüchen bis zu 4 % der je21 BAG v. 19.4.2016 – 3 AZR 526/14, NZA 2016, 820 Rz. 24; BAG v. 28.5.2013 – 3 AZR 266/11 n. v. (Rz. 24). 22 EuGH v. 13.7.2017 – C-354/16, NZA 2017, 1047 – Kleinsteuber. 23 ABl. EG 1998, L 14, 9. 24 EuGH v. 10.6.2010 – C-395/08, C-396/08, NZA 2010, 753 Rz. 65 m. w. N. – Bruno und Pettini.

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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

teilig nach dem Beschäftigungsumfang im Vergleich zu einem Vollzeitbeschäftigten mit gleicher Dauer der Betriebszugehörigkeit zu erbringen21. Insofern befindet sich das BAG auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH22, der entschieden hat, dass eine Berechnung der Altersversorgung nach dem pro-rata-temporis-Grundsatz vor dem Hintergrund von § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit23 unionsrechtskonform ist. Die Berücksichtigung des Umfangs der von einem Teilzeitbeschäftigten während seines Berufslebens tatsächlich geleisteten Arbeit im Vergleich zum Umfang der Arbeitsleistung eines Beschäftigten, der während seines gesamten Berufslebens in Vollzeit gearbeitet hat, stellt ein objektives Kriterium dar, das eine proportionale Kürzung der Altersversorgung des Teilzeitbeschäftigten zulässt24. In Anbetracht dieser Erwägungen gelangt das BAG zu dem Ergebnis, dass zu Gunsten der Klägerin ein Anspruch über die von der Beklagten tatsächlich geleistete Betriebsrente hinaus nicht besteht, zumal die Beklagte bei der Berechnung der Betriebsrente zu Gunsten der Klägerin von einem Einkommen ausgegangen sei, dass sie in Vollzeit, d. h. ohne Berücksichtigung ihrer Altersteilzeit, verdient hätte. Für die betriebliche Praxis hat das BAG mit dieser Entscheidung eine Klarstellung herbeigeführt, wie sich die Altersteilzeit auf die Berechnung der betrieblichen Altersversorgung auswirkt, wobei sicherlich zur Vermeidung von Missverständnissen ratsam ist, in der Versorgungsordnung selbst die Altersteilzeitproblematik anzusprechen. (Boe)

4.

Schadensersatzanspruch bei fehlerhafter Information über die Sozialversicherungspflicht der betrieblichen Altersversorgung

Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG liegt eine betriebliche Altersversorgung auch vor, wenn künftige Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen umgewandelt werden (Entgeltumwandlung). Insofern kann der Arbeitnehmer nach § 1 a Abs. 1 BetrAVG vom Arbeitgeber verlangen, dass von seinen künftigen Entgeltansprüchen bis zu 4 % der je21 BAG v. 19.4.2016 – 3 AZR 526/14, NZA 2016, 820 Rz. 24; BAG v. 28.5.2013 – 3 AZR 266/11 n. v. (Rz. 24). 22 EuGH v. 13.7.2017 – C-354/16, NZA 2017, 1047 – Kleinsteuber. 23 ABl. EG 1998, L 14, 9. 24 EuGH v. 10.6.2010 – C-395/08, C-396/08, NZA 2010, 753 Rz. 65 m. w. N. – Bruno und Pettini.

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Schadensersatzanspruch bei fehlerhafter Information über die Sozialversicherungspflicht

weiligen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung durch Entgeltumwandlung für seine betriebliche Altersversorgung verwendet werden. Dieser gesetzliche Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltumwandlung besteht seit dem 1.1.2002 auf der Grundlage des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens25. Die Durchführung des Anspruchs des Arbeitnehmers wird durch eine Vereinbarung geregelt. Ist der Arbeitgeber zu einer Durchführung über einen Pensionsfonds oder eine Pensionskasse (§ 1 b Abs. 3 BetrAVG) oder über eine Versorgungseinrichtung nach § 22 BetrAVG bereit, ist die betriebliche Altersversorgung dort durchzuführen; andernfalls kann der Arbeitnehmer verlangen, dass der Arbeitgeber für ihn eine Direktversicherung (§ 1 b Abs. 2 BetrAVG) abschließt. Ob und inwieweit den Arbeitgeber bei Entgeltumwandlungsvereinbarungen Hinweis- und Aufklärungspflichten treffen, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen kann, hatte der 3. Senat des BAG in seinem Urteil vom 18.2.202026 zu entscheiden. Der im Jahr 2014 in den Ruhestand getretene Kläger war bei der Beklagten beschäftigt. Vor dem Hintergrund des zu Beginn des Jahres 2003 in Kraft getretenen Tarifvertrags zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst (TV-EUmw/VKA) schloss die Beklagte mit einer Pensionskasse einen Rahmenvertrag zur betrieblichen Altersversorgung. Im April 2003 nahm der Kläger an einer Betriebsversammlung teil, auf der ein Fachberater der örtlichen Sparkasse die Arbeitnehmer der Beklagten über Chancen und Möglichkeiten der Entgeltumwandlung als Vorsorge über die Pensionskasse informierte. Der Kläger schloss im September 2003 eine Entgeltumwandlungsvereinbarung mit Kapitalwahlrecht ab. Anfang 2015 ließ er sich seine Pensionskassenrente als Einmalkapitalbetrag auszahlen. Für diesen musste der Kläger aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2003 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung entrichten27. Für die Jahre 2015 und 2016 erbrachte der Kläger Beitragsleistungen i. H. v. jeweils 1.253,16 €. Mit seiner Klage begehrte der Kläger im Wege des Schadensersatzes die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge von der Beklagten, weil sie ihn vor Ab25 Eingeführt durch Art. 9 als § 1 a BetrAVG mit dem AVmG: BGBl. I 2001, 1310, 1327. 26 BAG v. 18.2.2020 – 3 AZR 206/18 n. v. 27 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVModernisierungsgesetz): BGBl. I 2003, 2190, das in Art. 1 Nr. 143 die zuvor nicht in der gesetzlichen Sozialversicherung beitragspflichtige Einmalzahlung einer betrieblichen Altersversorgung der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterworfen hat.

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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

schluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung habe über das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Einführung einer Beitragspflicht auch für Einmalkapitalleistungen informieren müssen. In diesem Fall hätte er eine andere Form der Altersvorsorge gewählt. Das ArbG Dortmund28 hat die Klage abgewiesen. Das LAG Hamm29 hat der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem 3. Senat des BAG Erfolg. Im Gegensatz zum LAG geht das BAG davon aus, dass die Beklagte keine Hinweispflichten gegenüber dem Kläger verletzt hat und deshalb kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz in Betracht kommt. Allerdings hat das BAG30 bereits bei früherer Gelegenheit die Auffassung vertreten, dass vom Arbeitgeber erteilte Auskünfte richtig sein müssen. Unzutreffende, irreführende oder unvollständige Angaben können eine Pflichtverletzung sein, die gemäß § 280 Abs. 1 i. V. m. §§ 241 Abs. 2, 249 BGB zu Schadensersatzansprüchen führen kann. Der Arbeitgeber kann zur Vermeidung von Rechtsnachteilen des Arbeitnehmers auch verpflichtet sein, von sich aus geeignete Hinweise zu geben, die den besonderen Umständen des Einzelfalls und dem Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung geschuldet sind31. So hat das BAG eine Hinweispflicht bei drohenden Versorgungsschäden angenommen, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf seine Initiative hin und in seinem Interesse erfolgt32. Dagegen hat das BAG eine Pflicht des Arbeitgebers verneint, den Arbeitnehmer auf den Anspruch auf Entgeltumwandlung nach § 1 a BetrAVG hinweisen zu müssen33. Vom Grundsatz her gilt zunächst, dass jede Partei für die Wahrnehmung ihrer Interessen selbst zu sorgen und sich Klarheit über die Folgen ihres Handelns zu verschaffen hat34. Etwas anderes ist anzunehmen, wenn sich Informationspflichten des Arbeitgebers aus dem Gesetz ergeben, wie sie etwa in § 4 a BetrAVG für die betriebliche Altersversorgung vorgesehen sind.

ArbG Dortmund v. 11.5.2017 – 3 Ca 177/17 n. v. LAG Hamm v. 6.12.2017 – 4 Sa 852/17 n. v. BAG v. 14.1.2009 – 3 AZR 71/07 n. v. (Rz. 26). BAG v. 15.10.2013 – 3 AZR 10/12, NZA-RR 2014, 87 Rz. 49 m. w. N. BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206 Rz. 6, 19 ff.: Da die Klägerin bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bei der Zusatzversorgungskasse nicht mehr pflichtversichert war, erhielt sie keine Versorgungs-, sondern lediglich eine um ein Vielfaches geringere Versicherungsrente; vgl. auch BAG v. 15.10.2013 – 3 AZR 10/12, NZA-RR 2014, 87 Rz. 49 f. 33 BAG v. 21.1.2014 – 3 AZR 807/11, NZA 2014, 903 Rz. 9. 34 Nur BAG v. 15.10.2013 – 3 AZR 10/12, NZA-RR 2014, 87 Rz. 49 m. w. N. 28 29 30 31 32

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Schadensersatzanspruch bei fehlerhafter Information über die Sozialversicherungspflicht

Soweit es um die in § 1 a BetrAVG als Variante der betrieblichen Altersversorgung vorgesehene Entgeltumwandlung geht, hat der Gesetzgeber den Arbeitgeber mit keinen Informationspflichten belastet. Vielmehr werden in dieser Vorschrift – wie das BAG35 bereits entschieden hat – die Verantwortungsbereiche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dahin abgegrenzt, dass der Gesetzgeber die Entscheidung, künftige Entgeltansprüche in eine Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung umzuwandeln, ausschließlich dem Arbeitnehmer zugewiesen hat. Der Arbeitgeber ist erst dann zur Mitwirkung verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer die Entscheidung zur Entgeltumwandlung getroffen und dem Arbeitgeber gegenüber bekundet hat. Diese vom BAG geschlussfolgerten Verantwortungsbereiche finden ihren Grund darin, dass der Arbeitnehmer nach § 1 a Abs. 1 S. 1 BetrAVG vom Arbeitgeber „verlangen“ kann, dass Teile seiner künftigen Entgeltansprüche durch Entgeltumwandlung für seine betriebliche Altersversorgung verwendet werden, d. h. die Initiativlast bei ihm liegt. Rücksichtnahme- und Informationspflichten des Arbeitgebers – etwa über den zu wählenden Durchführungsweg – aus § 241 Abs. 2 BGB (oder i. V. m. § 311 Abs. 2 BGB) können erst relevant werden, wenn sich der Arbeitnehmer zu einer Entgeltumwandlung entschlossen hat, deren Durchführung mit dem Arbeitgeber auf der Grundlage einer Vereinbarung zu regeln ist. Im Streitfall hat das BAG unentschieden gelassen, ob den Arbeitgeber überhaupt Hinweispflichten bezüglich bis zum Abschluss einer Entgeltumwandlungsvereinbarung erfolgender Gesetzesänderungen oder entsprechender Gesetzesvorhaben treffen. In jedem Fall setzte nach Ansicht des BAG eine derartige Informationspflicht voraus, dass der Arbeitnehmer konkret über diejenigen Sachverhalte vom Arbeitgeber informiert wurde, die durch die geplante Gesetzesänderung zu seinen Lasten geändert werden sollten. Da auf der Betriebsversammlung keine Unterrichtung über Beitragspflichten zur Sozialversicherung erfolgt ist, fehlte es bereits an einem Anlass, über vorgesehene Gesetzesänderungen zu informieren. Diese Entscheidung des BAG hält an seinen bisherigen Aussagen zu Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers fest, die nur – von speziell im Gesetz geregelten Vorgaben abgesehen – unter besonderen Umständen des Einzelfalls relevant werden können, was insbesondere der Fall sein kann, wenn der Arbeitgeber im betrieblichen Interesse die Initiative zu vertraglichen Veränderungen ergreift, die mit hohen, für den Arbeitnehmer offenbar nicht durchschaubaren Risiken belastet sind. Ansonsten gilt: „Jeder ist seines Glückes Schmied“. (Boe) 35 BAG v. 21.1.2014 – 3 AZR 807/11, NZA 2014, 903 Rz. 10, 12 f.

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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

5.

Betriebsrentenanpassung bei Leistungen einer Pensionskasse

In seinem Urteil vom 10.12.201936 hat sich das BAG intensiv mit den Voraussetzungen einer wirksamen Anpassung der Betriebsrente nach Eintritt des Versorgungsfalls gemäß § 16 BetrAVG in dem Fall befasst, dass die Leistung über eine Pensionskasse als Versorgungsträger erfolgt (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG). Betroffen war im konkreten Fall der BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a. G. In den Gründen seiner Entscheidung hat das BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass die Anpassungsverpflichtungen aus § 16 BetrAVG nur Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung betreffen. Leiste ein Arbeitnehmer Beiträge aus seinem Arbeitsentgelt zur Finanzierung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an eine Pensionskasse, liege nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG betriebliche Altersversorgung lediglich dann vor, wenn die Zusage des Arbeitgebers auch die Leistungen aus diesen Beiträgen umfasse. Eine solche Zusage könne sich dabei sowohl aus einer ausdrücklichen Erklärung des Arbeitgebers als auch durch Auslegung seiner Zusagen oder stillschweigend – konkludent – aus den Umständen ergeben. Diese müssen allerdings den Schluss darauf zulassen, dass die Zusage des Arbeitgebers auch die auf den Arbeitnehmerbeiträgen beruhenden Leistungen umfassen soll. Dabei gelten insbesondre dann strenge Anforderungen an die Anerkennung einer entsprechenden Zusage, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer etwaige Vereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung bereits vor dem 1.7.2002 getroffen haben. Denn erst mit Inkrafttreten von § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG zum 1.7.2002 gab es eine gesetzliche Regelung, wonach die Zusage auch den arbeitnehmerfinanzierten Teil des Leistungsversprechens umfassen konnte37. Ausgangspunkt der Anpassungspflicht ist zunächst einmal § 16 Abs. 1 BetrAVG. Danach hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Gemäß § 16 Abs. 2 BetrAVG gilt diese Verpflichtung als erfüllt, wenn die Anpassung nicht geringer ist als der im Prüfungszeitraum maßgebliche Anstieg des Verbraucherpreisindexes in Deutschland (§ 16 Abs. 2 Nr. 1 Be36 BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. 37 BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. (Rz. 40 ff.)

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Betriebsrentenanpassung bei Leistungen einer Pensionskasse

trAVG) oder der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG). § 16 Abs. 2 BetrAVG begrenzt daher – so das BAG – materiell die aus § 16 Abs. 1 BetrAVG folgende Anpassungsprüfungspflicht und einen sich daraus ergebenden Anpassungsanspruch. Auch nach der Anpassungsprüfung ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, eine Anpassung vorzunehmen, die höher ist als der Anstieg des Verbraucherpreisindexes oder der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens im Prüfungszeitraum38. Für die Anwendbarkeit von § 16 Abs. 2 BetrAVG kommt es nicht darauf an, dass der Arbeitgeber bewusst eine entsprechende Anpassung der Betriebsrente nach Maßgabe des Verbraucherpreisindexes oder der Nettolohnentwicklung bestimmt. Der Arbeitgeber kann sich jederzeit auf § 16 Abs. 2 BetrAVG berufen, wenn er erkennt, dass seine Anpassung die Schwelle in § 16 Abs. 2 BetrAVG erreicht. Soweit er dabei auf die Entwicklung der Nettolöhne Bezug nimmt, setzt dies allerdings voraus, dass die typischerweise den aktiven Beschäftigten zum Leben verbleibenden Nettobeträge errechnet werden. Wie das BAG in seinem Urteil vom 10.12.201939 deutlich macht, darf der Arbeitgeber dabei die Steuerklasse III ohne Kinderfreibetrag sowie die Kirchensteuer, den Solidaritätszuschlag und eine AOK-Mitgliedschaft zugrunde legen. Gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG entfällt die Anpassungsprüfungspflicht für Betriebsrenten dann, wenn die betriebliche Altersversorgung über eine Pensionskasse durchgeführt wird und ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand (nicht: Anwärterbestand) entfallenden Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden. Wichtig ist allerdings, dass die in § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG genannten Voraussetzungen aufgrund einer gesetzlichen Vorgabe oder vertraglichen Vereinbarung bei Beginn der Betriebsrentenleistungen, dem Eintritt des Versorgungsfalls, unabdingbar rechtlich feststehen. Dafür reicht es – so das BAG – aus, wenn eine dahingehende Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Pensionskasse besteht. Denn dabei handelt es sich um einen Vertrag zu Gunsten des Versorgungsberechtigten, der nicht ohne seine Zustimmung geändert werden kann. Eine bloß praktische Handhabe, aufgrund derer die Pensionskasse so verfährt, wie es § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG voraussetzt, genügt indes nicht40. Dass in der maßgeblichen Versorgungsordnung und/oder den Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Pensionskasse Änderungsvorbehalte enthal38 BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. (Rz. 44). 39 BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. (Rz. 48). 40 BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. (Rz. 58).

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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags

ten sind, steht einer Anwendbarkeit von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG nicht entgegen, wenn – so das BAG – ihre Auslegung oder eine Anwendungskontrolle ergibt, dass die Voraussetzungen dieser Bestimmung gesichert sind. Ausgangspunkt dieser Bewertung ist für das BAG die Annahme, dass Änderungsvorbehalte in Versorgungsregelungen – auch mit Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – keine strukturelle Veränderung der maßgeblichen Bestimmungen erlauben41. Nach den Feststellungen des BAG im Urteil vom 10.12.201942 entfallen Überschüsse i. S. d. § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG auf den Rentenbestand, wenn sie  nach den rechtlichen Verpflichtungen verursachungsorientiert i. S. d. § 153 Abs. 2 S. 1 VVG – auch zu Abrechnungs- oder Gewinnverbänden bzw. Bestandsgruppen – zusammengefasst sind und innerhalb des Bestandes dem einzelnen Vertrag entsprechend seinem rechnerischen Anteil zugeschrieben werden und  innerhalb des Bestandes Betriebsrentner und Anwärter gleichbehandelt werden.

Damit die vorstehend genannten Voraussetzungen erfüllt werden, muss allerdings innerhalb des Bestandes sichergestellt sein, dass Überschussanteile im versicherungsrechtlichen Sinne – wenn solche anfallen – weder dem Arbeitgeber noch der Pensionskasse, sondern den Betriebsrentnern und Versicherten zustehen. Das könne – so das BAG – sich auch aus Versorgungsregelungen zwischen Arbeitgeber und Pensionskasse ergeben. Änderungsvorbehalte in den Versorgungsregelungen ermächtigten – auch mit Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – keine Entziehung der Rechte der Betriebsrentner43. Wenn und soweit Zweifel in Bezug auf eine Erfüllung der vorstehenden Verbindlichkeiten bestehen, können Betriebsrentner die gesetzlichen Vorgaben für die Überschussberechnung unmittelbar gegenüber der Pensionskasse durchsetzen. Insoweit besteht ein unmittelbarer Rechtsanspruch der Betriebsrentner, auch wenn sie selbst nicht Versicherungsnehmer sind44. Wichtig für die Betriebspraxis bei einer Umsetzung der vorstehend wiedergegebenen Grundsätze ist allerdings, dass der 3. Senat des BAG im Urteil

41 42 43 44

BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. (Rz. 68, 78, 108). BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. (Rz. 71 ff.). BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. (Rz. 108). BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. (Rz. 88 ff., 94, 109).

222

Betriebsrentenanpassung bei Leistungen einer Pensionskasse

vom 10.12.201945 keine Stellungnahme dazu abgegeben hat, ob die Änderung von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG durch das Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie vom 21.12.201546 und die Übergangsregelung in § 30 c Abs. 1 a BetrAVG mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Problematisch daran ist, dass auf der Grundlage der Übergangsregelung auch Anpassungszeiträume vor dem 1.1.2016 in den Anwendungsbereich von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG einbezogen werden, wenn nicht zuvor bereits Klage erhoben wurde. Unter den in § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG genannten Voraussetzungen schließt dies einen Anspruch auf Anpassung der Betriebsrente gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG aus. Darin kann eine Schlechterstellung liegen, die mit dem Verschlechterungsverbot in Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2014/50/EU nicht vereinbar ist. Darüber hinaus könnte darin auch ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot liegen. Mit dieser Problematik wird sich jetzt zunächst einmal das Landesarbeitsgericht befassen müssen, wenn es zu dem Ergebnis käme, dass auf der Grundlage von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG jedenfalls ein Teil der an sich auf der Grundlage von § 16 Abs. 1 BetrAVG bestehenden Anpassungsverpflichtung erloschen wäre. (Ga)

45 BAG v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18 n. v. (Rz. 121 ff.). 46 BGBl. I 2015, 2553.

223

G. 1.

Tarifrecht

Tarifvertragliche Änderung der Regelungen zur Anpassung von Versorgungsleistungen

Bereits an anderer Stelle hatten wir aufgezeigt, dass die Tarifvertragsparteien auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 GG einen weiten Spielraum zur Ausgestaltung und Änderung von Regelungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung haben. Vergleichbar mit dem Gesetzgeber müssen sie dabei die grundsätzliche Wertentscheidung der Grundrechte – insbesondere also das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 GG – und die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit beachten1. Dies hat das BAG in seinem Urteil vom 18.2.20202 im Zusammenhang mit einer Änderung tarifvertraglicher Regelungen zur Anpassung von Versorgungsleistungen noch einmal in überzeugender Weise bestätigt. In dem zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien im Arbeitsvertrag vom 5.12.1968 unter anderem festgelegt: §2 Für alle sich aus diesem Vertrag ergebenen Rechte und Pflichten gelten die Bestimmungen des Manteltarifvertrags der DW in seiner jeweils gültigen Fassung. (…) §7 Die DW gewährt – unbeschadet der gesetzlichen Bestimmungen – Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung aufgrund der Versorgungsordnung vom 1.8.1966 in der jeweils maßgebenden Fassung. (…)

Zwischen den Parteien war streitig, ob Veränderungen in Bezug auf die tarifvertraglichen Regelungen zur Anpassung von Versorgungsleistungen, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden waren, eine Verschlechterung der bis dahin zu Gunsten des Klägers geltenden Vorschriften bewirken konnten. Das BAG hat die klageabweisende Entscheidung des LAG Köln bestätigt und die Änderung der tarifvertraglichen Regelungen für wirksam befunden.

1 2

B. Gaul, AktuellAR 2020, 315 ff. BAG v. 18.2.2020 – 3 AZR 258/18 n. v.

225

Tarifrecht

Nach seinen Feststellungen enthielten die im Arbeitsvertrag eingebundenen Klauseln sowohl eine zeit- als auch eine inhaltsdynamische Verweisung auf die bei der Beklagten geltende Versorgungsordnung. Dies war bereits dem Wortlaut nach erkennbar, in dem auf die „jeweils gültige Fassung“ des Tarifvertrags bzw. der Versorgungsordnung verwiesen wurde. Darüber hinaus hat der 3. Senat des BAG noch einmal darauf hingewiesen, dass arbeitsvertragliche Verweisungen auf die für die betriebliche Altersversorgung beim Arbeitgeber geltenden Bestimmungen im Regelfall dynamisch seien. Soweit keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestünden, verwiesen sie daher auf die beim Arbeitgeber jeweils geltenden Versorgungsregelungen, die sich typischerweise auf die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezögen3. Dies gilt – so das BAG – selbst dann, wenn kollektivvertragliche Regelungen nicht Bestandteil der Versorgungsordnung oder des Versorgungstarifvertrags sind. Die Dynamik der arbeitsvertraglichen Bezugnahme und die damit verbundene Offenheit für kollektivvertragliche Änderungen erfasse auch solche Regelungen, die in anderen Tarifverträgen enthalten seien4. Wenn die Tarifvertragsparteien eine Änderung des Tarifvertrags vornehmen, findet das Ablösungsprinzip (Zeitkollisionsregel) Anwendung. Ohne Rücksicht auf eine etwaige Günstigkeit ersetzt damit die neuere Regelung den bis dahin bestehenden Tarifvertrag. Dieser Änderungsvorbehalt sei – so das BAG – immanenter Bestandteil der tarifautonomen Regelung5. Dies gelte auch dann, wenn tarifvertragliche Regelungen – wie hier – Betriebsrentner beträfen. Denn die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien erstrecke sich nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch auf das anschließende Ruhestandsverhältnis. Soweit § 1 Abs. 1 TVG auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 GG Normen über den Inhalt von Arbeitsverhältnissen möglich mache, betreffe dies deshalb auch solche auf das Arbeitsverhältnis bezogene Rechtsnormen, die erst nach dessen Ende wirkten oder wirksam würden. Dazu gehörten auch Normen, die die betriebliche Altersversorgung regelten6. Auch die Tarifvertragsparteien seien aber – so das BAG – bei ihrer Normsetzung an die aus dem Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gebunden.

3 4 5 6

BAG v. 18.2.2020 – 3 AZR 258/18 n. v. (Rz. 26); BAG v. 20.9.2016 – 3 AZR 273/15, NZA 2017, 64 Rz. 19. BAG v. 18.2.2020 – 3 AZR 258/18 n. v. (Rz. 28). BAG v. 18.2.2020 – 3 AZR 258/18 n. v. (Rz. 31). BAG v. 18.2.2020 – 3 AZR 258/18 n. v. (Rz. 34 f.); BAG v. 20.9.2016 – 3 AZR 273/15, NZA 2017, 64 Rz. 23.

226

Tarifvertragliche Änderung der Regelungen zur Anpassung von Versorgungsleistungen

Verschlechternde (ablösende) Tarifregelungen wirkten typischerweise auf die noch nicht abgeschlossenen Rechtsbeziehungen der aktiven Arbeitnehmer oder – wie vorliegend – der Versorgungsempfänger ein. Damit entfalteten sie regelmäßig unechte Rückwirkung. Führe die tarifvertragliche Regelung zu einem Eingriff in Versorgungsrechte oder in laufende Betriebsrenten, bedürften die Tarifvertragsparteien daher für die verschlechternde Ablösung besonderer, den Eingriff legitimierender Gründe. Wie gewichtig diese sein müssten, hänge von den Nachteilen ab, die den Versorgungsberechtigten durch die Änderung der Versorgungsregelung entstünden. Aus Sicht des BAG ließen diese Grundsätze die streitgegenständliche Änderung der für die Anpassung der Versorgungsleistungen im Tarifvertrag enthaltenen Regelungen zu. Die Änderung bewirke nur einen geringfügigen Eingriff. Hiervon sei dann auszugehen, wenn die Veränderung dem Versorgungsempfänger – hätte er mit ihr gerechnet – während des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses vernünftigerweise keinen Anlass gegeben hätte, den damit verbundenen Eingriff durch eine weitergehende private Absicherung auszugleichen. Hinzukomme, dass die Beklagte sachliche Gründe für die Änderung der Regelungen zur Anpassung der Versorgungsleistungen genannt hatte. Aus Sicht der Tarifvertragsparteien bestand Reformbedarf, um eine solide Finanzierungsgrundlage und das Ausufern von Versorgungslasten zu vermeiden. Andernfalls hätte die Gefahr bestanden, dass sonstige Aufwendungen in technische Innovationen, bauliche Modernisierungsmaßnahmen und sonstige Kostensteigerungen nicht mehr hätten erbracht werden können. Dass die Änderung zur Folge hatte, dass der Anstieg der Betriebsrenten nicht mehr dem Anstieg der Arbeitsentgelte aktiver Arbeitnehmer entsprach, war im Rahmen des tarifvertraglichen Gestaltungsspielraums zulässig7. Auch diese Entscheidung zeigt, dass auf der Ebene des Tarifvertrags ein deutlich weitergehender Spielraum für Kosteneinsparungen gegeben ist. Voraussetzung ist natürlich, dass die Gewerkschaft von der Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen überzeugt werden kann. (Ga)

7

BAG v. 18.2.2020 – 3 AZR 258/18 n. v (Rz. 37 ff., 46 ff.).

227

Tarifrecht

2.

Streikmaßnahmen zur Vermeidung einer Betriebsstilllegung

In dem der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 20.2.20198 zugrunde liegenden Fall ging es um Streikmaßnahmen, die im Zusammenhang mit der beabsichtigten Stilllegung einer im städtischen Besitz stehenden Gesellschaft zur Durchführung des Linienbusverkehrs durchgeführt wurden. Die Streikmaßnahmen, die an insgesamt 34 einzelnen Tagen, jeweils ohne (nennenswerte) Vorankündigung durchgeführt wurden, verfolgten das Ziel einer Erzwingung eines „Sozialtarifvertrags“ zur Abfederung der sozialen Folgen für die zu kündigenden Arbeitnehmer. Die Einzelheiten der Forderungen waren zwischen den Parteien streitig. Der Inhalt einer (etwaigen) Beschlussfassung des Bundesvorstands der Beklagten wurde der Klägerin zu keinem Zeitpunkt zugeleitet. Die Klägerin, das Busunternehmen, erlangte Kenntnis über die Streitforderungen der Beklagten hauptsächlich über Streikaufrufe auf Flugblättern und über Pressemitteilungen der Beklagten. Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Streiks seien rechtswidrig gewesen und machte daher Schadensersatzansprüche i. H. v. 1.213.769 € geltend. Sie behauptete, die Gewerkschaft habe vor allem einen Bestandsschutz für die Arbeitnehmer über den Zeitpunkt der beabsichtigten Stilllegung hinaus (31.12.2016) erzielen wollen sowie sozialtarifliche Regelungen, die nach ihrer Auffassung eigentlich durch die aus einem bestehenden Tarifvertrag heraus resultierende Friedenspflicht ausgeschlossen waren. Der Arbeitskampf sei daher auf eine unzulässige Existenzvernichtung gerichtet gewesen. Denn eine Fortführung des Betriebs sei wegen der Vergabe des Linienbusverkehrs an ein Konkurrenzunternehmen mit Ablauf des 10.12.2016 ausgeschlossen gewesen. Eine Erfüllung der Forderung zur Betriebsführung hätte deshalb in kürzester Zeit mangels Einnahmen zur Insolvenz der Klägerin führen müssen. Losgelöst davon beanstandete die Klägerin, dass die Gewerkschaft von der Stadt die verbindliche Bereitstellung von Ersatzarbeitsplätzen gefordert hätte. Dieses Streikziel hätte die Klägerin selbst nicht erfüllen können. Das LAG Baden-Württemberg hat die klageabweisende Entscheidung des ArbG Pforzheim9 bestätigt. Zwar könnten unmittelbare durch Streikmaßnahmen begründete Eingriffe in das durch § 823 Abs. 1 BGB als „sonstiges Recht“ geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Schadensersatzansprüche des betroffenen Arbeitgebers begründen, wenn die Streikmaßnahmen rechtswidrig waren und die Organe der Gewerkschaft ein 8 9

LAG Baden-Württemberg v. 20.2.2019 – 4 Sa 40/18 n. v. ArbG Pforzheim v. 5.4.2018 – 3 Ca 208/17 n. v.

228

Streikmaßnahmen zur Vermeidung einer Betriebsstilllegung

Verschulden treffe10. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall aber nicht gegeben11. Ausgangspunkt für die Rechtswidrigkeit einer Streikmaßnahme sind zunächst einmal die Kampfziele, die die Gewerkschaft verfolgt. Diese ergeben sich grundsätzlich durch den Streikbeschluss der hierfür zuständigen Organe einer Gewerkschaft. Sonstige Verlautbarungen nicht vertretungsberechtigter Mitglieder der Gewerkschaft sind – so auch das LAG Baden-Württemberg – zur Bestimmung des Streikziels schon aus Gründen der Rechtssicherheit und der Unbefangenheit der Meinungsbildung innerhalb der Gewerkschaft unmaßgeblich. Ebenso wenig komme es auf Verlautbarungen der örtlichen Streikleitung oder einzelner Streikbeteiligter an, die den Arbeitskampf nur organisierten, deren Ziele aber nicht bestimmten. Etwas anderen könne nur gelten, wenn so ersichtlich das wahre, rechtwidrige Kampfziel der Gewerkschaft aufgedeckt würde12. Die insoweit bestehende Bekanntgabepflicht der Arbeitskampfparteien in Bezug auf die Kampfziele ihrer Maßnahmen ist allerdings nicht an eine bestimmte Form gebunden. Für einen wirksamen Streikaufruf, dem ein entsprechender Streikbeschluss der zuständigen Gewerkschaft zugrunde liege, genüge deshalb ein von der Gewerkschaft im zu bestreikenden Betrieb verteiltes Flugblatt, aus dem sich die Arbeitskampfmaßnahmen und der Zeitraum des Streiks ergeben würden. Insoweit müsse die Gewerkschaft ihre Unterrichtung noch nicht einmal unmittelbar an den Arbeitgeber richten. Selbst Presseverlautbarungen seien zur Unterrichtung ausreichend, wenn sie hinreichend genau und vollständig darüber informierten, wann und wo und inwieweit die Arbeitskampfmaßnahmen beginnen und enden sollten und wer Urheber des Beschlusses sei13. Nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg waren diese Ziele in dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall erkennbar und zugleich auch rechtmäßig. Zwar habe die Beklagte eine Betriebsfortführung über den 31.12.2016 hinaus bis mindestens Juli 2017 und einen Bestandsschutz der Arbeitnehmer bis dahin erreichen wollen. Damit verbunden war auch die Forderung nach weitergehenden Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung.

10 Vgl. BAG v. 26.7.2016 – 1 AZR 160/14, NZA 2016, 1543 Rz. 57 ff. 11 LAG Baden-Württemberg v. 20.2.2019 – 4 Sa 40/18 n. v. (Rz. 91 ff.). 12 Vgl. BAG v. 26.7.2016 – 1 AZR 160/14, NZA 2016, 1543 Rz. 82; BAG v. 19.6.1973 – 1 AZR 521/72, DB 1973, 1852 Rz. 28; LAG Baden-Württemberg v. 20.2.2019 – 4 Sa 40/18 n. v. (Rz. 92). 13 BAG v. 23.10.1996 – 1 AZR 269/96, NZA 1997, 397 Rz. 31; LAG BadenWürttemberg v. 20.2.2019 – 4 Sa 40/18 n. v. (Rz. 92).

229

Tarifrecht

Diese Arbeitsplatzsicherung sollte nicht durch die Klägerin, sondern auch durch die Stadt Pforzheim als Gesellschafterin durch das Angebot von Ersatzarbeitsplätzen bewirkt werden. Der weitreichende Charakter dieser Forderungen der Gewerkschaft hatte allerdings nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg nicht die Rechtswidrigkeit der Arbeitskampfmaßnahmen zur Folge. Soweit die Klägerin geltend machte, dass ein Teil der Forderungen der Gewerkschaft bereits Gegenstand einer tarifvertraglichen Regelung war, hat das LAG Baden-Württemberg darin keinen Verstoß gegen die Friedenspflicht gesehen. Denn innerhalb des Tarifvertrags war eine Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien vorgesehen, falls die Geschäftsgrundlage für diesen Tarifvertrag entfallen sollte. Ein solcher Wegfall der Geschäftsgrundlage war im Tarifvertrag ausdrücklich für den Fall vorgesehen, dass ein Verlust von Aufträgen drohte oder sonstige gravierende Veränderungen der Geschäftsgrundlage in Rede standen. Ausgehend davon, dass mit der Vergabe des gesamten Linienverkehrs an ein Konkurrenzunternehmen ein entsprechender Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben war, löste dies eine Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien aus. Da ein Tarifabschluss auch als Konsequenz einer solchen Verhandlungspflicht entgegen § 313 Abs. 1 BGB als Folge der Tarifautonomie nicht durchsetzbar ist, rechtfertigt dies aus Sicht der LAG Baden-Württemberg die Anerkennung des Rechts auf Einleitung von Streikmaßnahmen, um als Gewerkschaft Druck in solche Verhandlungen einzubringen. Denn ohne die Möglichkeit des Arbeitskampfes wären – so das LAG Baden-Württemberg – die Arbeitnehmer bei fehlender Kompromissbereitschaft des Arbeitgebers auf „kollektives Betteln“ zurückgeworfen14. Aus Sicht des LAG Baden-Württemberg war das auf eine Verlängerung des Bestandsschutzes der Mitarbeiter über den 31.12.2016 hinaus gerichtete Kampfziel der Befragten auch rechtmäßig. Das Ziel sei grundsätzlich im Tarifvertrag regelbar und auch nicht auf eine unzulässige Existenzvernichtung der Klägerin gerichtet gewesen. Dafür habe nicht nur der Umstand gesprochen, dass die Stadt Pforzheim die Möglichkeit gehabt hatte, als Gesellschafterin eine Fortsetzung des Busbetriebs auf der Grundlage einer entsprechenden Konzession noch bis zum 30.6.2017 zu ermöglichen. Insoweit habe darin nur die Forderung gelegen, die Umsetzung der unternehmerischen Stilllegungsentscheidung zeitlich für einen verhältnismäßig überschaubaren Zeitraum von sechs Monaten zu verzögern.

14 LAG Baden-Württemberg v. 20.2.2019 – 4 Sa 40/18 n. v. (Rz. 127 ff., 139).

230

Streikmaßnahmen zur Vermeidung einer Betriebsstilllegung

Problematisch an den entsprechenden Ausführungen des LAG BadenWürttemberg ist allerdings, dass damit ausdrücklich auch Kampfziele zugelassen werden, die im normativen Teil des Tarifvertrags gar nicht geregelt werden können. Denn die Zusage des Arbeitgebers, auf eine Betriebsstilllegung oder -verlagerung zu verzichten, kann nur als schuldrechtliche Vereinbarung der Tarifvertragsparteien getroffen werden. Der darin liegende Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit und der daraus ausgelöste Zwang einer Fortführung unternehmerischer Tätigkeit dürfte allerdings – entgegen der Auffassung des LAG Baden-Württemberg – die Grenzen der durch § 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie überschreiten15. Entgegen des Verständnisses des LAG Baden-Württemberg sind Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen solche, die Inhalt eines Arbeitsverhältnisses werden können. Die Entscheidung über die Aufrechterhaltung eines Betriebs setzt zwar den Rahmen für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, kann aber nicht Inhalt des Arbeitsvertrags werden und in dieser Form deshalb auch kein rechtmäßiges Ziel von Arbeitskampfmaßnahmen sein. Aus Sicht des LAG Baden-Württemberg war auch die Einbeziehung der Stadt Pforzheim kein Grund, von einer Rechtswidrigkeit der Streikmaßnahmen auszugehen. Dies gelte ohne Rücksicht auf den Umstand, dass die Stadt Pforzheim gar nicht Partei des Tarifvertrags werden sollte. Zwar werde die Auffassung vertreten, dass entsprechende Zusagen Dritter, die eine Investitionsverpflichtung begründeten, nicht als Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu qualifizieren sein und deshalb auch nicht Gegenstand von Arbeitskampfmaßnahmen seien könnten16. Dieser Auffassung folgt das LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 20.2.201917 indes nicht. Vielmehr handele es sich bei einer solchen Regelung um eine „sonstige Kollektivvereinbarung“, die jedenfalls im Verhältnis zum Mehrheitsgesellschafter des Arbeitgebers in den Grenzen von Art. 9 Abs. 3 GG gefordert werden könne. Denn der Mehrheitsgesellschafter könne aufgrund seiner Stellung die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Beschäftigten in der Gesellschaft maßgeblich beeinflussen18. Hiervon ausgehend sei es für die Gewerkschaft im Kern – so das LAG Baden-Württemberg – auch möglich gewesen, tarifliche Sozialplanforderungen gegen die Klägerin zu erheben, die angesichts ih-

15 Vgl. BAG v. 21.6.2000 – 4 AZR 379/99, NZA 2001, 271; LAG Hessen v. 9.9.2015 – 9 SaGa 1082/15, NZA 2015, 1337. 16 So Löwisch/Rieble, TVG § 1 Rz. 1313 ff. 17 LAG Baden-Württemberg v. 20.2.2019 – 4 Sa 40/18 n. v. (Rz. 171 ff.). 18 So Däubler/Däubler, TVG Einleitung Rz. 1003; ders., Arbeitskampfrecht § 13 Rz. 41; ErfK/Linsenmaier, GG Art. 9 Rz. 114.

231

Tarifrecht

rer Höhe nur durch einen Zuschuss von Geldern seitens der Gesellschafter hätten befriedigt werden können. Ergänzend hierzu verweist das LAG Baden-Württemberg auch auf Art. 6 Nr. 4 ESC. Darin werde den Arbeitnehmern das Recht auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts für den Fall von Interessenkonflikten ausdrücklich zugesichert. Auch wenn die ESC nicht unmittelbar anwendbar sei, müsse Art. 9 Abs. 3 GG jedenfalls völkerrechtsfreundlich ausgelegt werden. Damit sei aber ein Streik auch ohne Bezug zu Kollektivverhandlungen denkbar19. Schlussendlich entspricht dies im Ergebnis auch der Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit von Unterstützungsstreiks. Danach unterfallen auch solche Streiks, die der Unterstützung eines in einem anderen Tarifgebiet geführten Hauptarbeitskampfs dienen, der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaft. Voraussetzung sei lediglich, dass – wie bei anderen Arbeitskampfmaßnahmen – die Verhältnismäßigkeit gewahrt werde. Dass ein Dritter Ziel dieser Streikmaßnahmen ist, steht der Rechtmäßigkeit aus Sicht des BAG zunächst einmal nicht entgegen. Von einer Rechtswidrigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme geht das BAG erst aus, wenn der Streik zur Unterstützung des Hauptarbeitskampfs offensichtlich ungeeignet, offensichtlich nicht erforderlich oder unangemessen sei20. Für die betriebliche Praxis hat die Entscheidung des LAG BadenWürttemberg ganz erhebliche Bedeutung. Denn sie bewirkt im Ergebnis eine Beseitigung der bislang auf der Grundlage der Feststellungen des BAG im Urteil vom 21.6.200021 noch vertretene Auffassung, nach der Streikmaßnahmen, die die unternehmerische Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Betriebseinschränkungen, Betriebsverlagerungen oder Betriebsschließungen einschränken sollten, rechtswidrig sind. Der darin liegende Kern der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit sollte weder durch die Gewerkschaft noch den Betriebsrat beeinträchtigt werden können, was auch in der fehlenden Erzwingbarkeit des Abschlusses eines Interessenausgleichs zum Ausdruck kommt. Mit der aktuellen Sichtweise des LAG Baden-Württemberg wird jedenfalls der Gewerkschaft die Möglichkeit eröffnet, durch Streikmaßnahmen Druck auf den Arbeitgeber und die Anteilsinhaber des Arbeitgebers mit dem Ziel auszuüben, auf die Durchführung solcher unternehmerischen Entscheidungen zu verzichten. (Ga) 19 LAG Baden-Württemberg v. 20.2.2019 – 4 Sa 40/18 n. v. (Rz. 181 ff.); EuArbRK/Schubert, ESC Art. 6 Rz. 56 ff. 20 BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055 Rz. 32. 21 BAG v. 21.6.2000 – 4 AZR 379/99, NZA 2001, 271.

232

H. Betriebsverfassung und Mitbestimmung 1.

Der Betriebsrat als verantwortliche Stelle oder als Teil der verantwortlichen Stelle?

Bedauerlicherweise ist mit dem 2. DSAnpUG-EU keine Klarstellung zu der Frage erfolgt, ob der Betriebsrat Teil der verantwortlichen Stelle i. S. d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist1 oder ob er selbst Verantwortlicher i. S. d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist2. Das BAG hatte diese Frage im Urteil vom 9.4.20193, über das wir an anderer Stelle berichtet haben4, ausdrücklich offengelassen. In seinem Urteil vom 7.2.20125 hatte das BAG noch die Ansicht vertreten, dass der Betriebsrat Teil der verantwortlichen Stelle sei, die durch den Arbeitgeber gebildet werde. Dass damit der Betriebsrat selbst zur Einhaltung des Datenschutzrechts verpflichtet ist, folgt hiervon ausgehend bereits aus § 75 BetrVG i. V. m. den Regelungen der DSGVO und des BDSG. Auch bei Vertretern der Auffassung, die den Betriebsrat als Bestandteil der durch den Arbeitgeber gebildeten verantwortlichen Stelle sieht, ist allerdings umstritten, ob und inwieweit er deshalb in die Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten einbezogen wird, den der Arbeitgeber auf der Grundlage von § 38 BDSG bestellt. Denn bereits in seinem Urteil vom 11.11.19976 hatte das BAG darauf hingewiesen, dass die Gewährleistung einer Unabhängigkeit des Betriebsrats an sich einer Überwachung durch den Datenschutzbeauftragten des Arbeitgebers entgegenstehe. An diese Überlegungen anknüpfend hatte ein Teil der Literatur die Auffassung abgeleitet, dass der Betriebsrat selbst als Verantwortlicher i. S. d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO zu qualifizieren sei. Dabei wird vor allem darauf verwiesen, dass der Betriebsrat selbst über die Verwendung der personenbezogenen Daten entscheide, die ihm bei Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben bekannt würden7.

1 2 3 4 5 6 7

So Gola/Gola, DSGVO Art. 4 Rz. 56; Gola/Pötters, DSGVO Art. 88 Rz. 38; Bonanni/Niklas, ArbRB 2018, 371. So Kleinebrink, DB 2018, 2566; Kurzböck/Weinbeck, BB 2018, 1652, 1655; dies., BB 2020, 500; Wybitul, NZA 2017, 413. BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 51/17, NZA 2019, 1055 Rz. 47. Boewer, AktuellAR 2019, 556 ff. BAG v. 7.2.2012 – 1 ABR 46/10, NZA 2012, 744 Rz. 43. BAG v. 11.11.1997 – 1 ABR 21/97, NZA 1998, 385 Rz. 46. Vgl. Fitting, BetrVG § 83 Rz. 18; Wybitul, NZA 2017, 413.

233

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Sowohl die Kennzeichnung des Betriebsrats als verantwortliche Stelle i. S. d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO als auch die Ablehnung einer Zuständigkeit des durch den Arbeitgeber eingesetzten Datenschutzbeauftragten können allerdings nicht überzeugen. Zunächst einmal übersieht die Auffassung, nach der der Betriebsrat verantwortliche Stelle i. S. d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO sei, dass der Betriebsrat keineswegs frei über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten entscheidet. Vielmehr sind die Zwecke und Mittel einer Verarbeitung dieser Daten durch den Betriebsrat durch das Unionsrecht und die gesetzlichen Beteiligungsrechte eines Betriebsrats im BetrVG, KSchG und Spezialgesetzen vorgegeben. Folgerichtig ist das BAG im Beschluss vom 9.4.20198 auch davon ausgegangen, dass der Betriebsrat nur eine solche Übermittlung personenbezogener Daten zum Zwecke einer eigenen Verarbeitung verlangen könne, die zur Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben erforderlich sei. Eine weitergehende Verarbeitung personenbezogener Daten, die nicht mit gesetzlichen Aufgaben gerechtfertigt werden kann, wird dem Betriebsrat deshalb schon durch § 75 Abs. 2 S. 1 BetrVG i. V. m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG und den datenschutzrechtlichen Vorgaben aus DSGVO und BDSG untersagt. Konsequenz der durch den Gesetzgeber vorgegebenen Zwecke und Mittel einer Verarbeitung personenbezogener Daten ist, dass die Kennzeichnung des Betriebsrats als verantwortliche Stelle einer eigenständigen – ausdrücklichen – Entscheidung des Gesetzgebers bedarf. Diese ist allerdings im BDSG und anderweitigen Regelungen nicht erfolgt. Im Gegenteil: § 38 Abs. 1 BDSG spricht lediglich abstrakt-generell von dem Verantwortlichen, der innerhalb einer nichtöffentlichen Stelle einen Datenschutzbeauftragten zu bestellen hat. Es hätte nahegelegen, hier den Betriebsrat zu erwähnen, falls dieser eine eigenständige Befugnis zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten haben soll. Dies gilt umso mehr, als dann auch die Frage zu klären wäre, ob die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten an das Überschreiten einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern des Betriebsrats oder der durch den Arbeitgeber im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer geknüpft ist. Außerdem wäre zu klären, ob ein Datenschutzbeauftragter durch jeden Betriebsrat, Gesamt- oder Konzernbetriebsrat sowie weitergehende Arbeitnehmervertreter (z. B. Sprecherausschuss, Schwerbehindertenvertretung) zu bestellen ist. Weiterhin wäre die Frage zu beantworten, wer für den Fall, dass der Betriebsrat als verantwortliche Stelle die Vorgaben des Datenschutzrechts nicht beachtet, durch die Aufsichtsbehörden zur Verantwortung – ggf. sogar zur Zahlung eines Ordnungsgeldes – angehalten werden kann.

8

BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 51/17, NZA 2019, 1055 Rz. 12 ff.

234

Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz

Führt man sich diese Wertungswidersprüche vor Augen, ist es überzeugender, den Betriebsrat als Bestandteil der verantwortlichen Stelle des Arbeitgebers zu qualifizieren. Hiervon ausgehend ist dann auch der Datenschutzbeauftragte, den der Arbeitgeber bestellt, zuständig. Dass damit die Unabhängigkeit der Betriebsräte nicht gefährdet ist, folgt bereits aus Art. 38 Abs. 3 DSGVO. Danach handelt der Datenschutzbeauftragte weisungsfrei und ist mit einer Verschwiegenheitspflicht auch gegenüber dem Arbeitgeber ausgestattet (Art. 38 Abs. 5 DSGVO i. V. m. §§ 6 Abs. 5 S. 2, 39 Abs. 2 BDSG). Für den Arbeitgeber kann es allerdings geboten sein, bei Anhaltspunkten für eine Missachtung der datenschutzrechtlichen Vorgaben durch den Betriebsrat im Interesse eines wirksamen Persönlichkeitsschutzes diesen auf diese Mängel hinzuweisen. Da die Beseitigung dieser Mängel Ergebnis seiner Pflichten aus §§ 2 Abs. 1, 75 Abs. 2 S. 2 BetrVG ist, kann die beharrliche Missachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben durch den Betriebsrat auch Anlass für ein Verfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG sein. Würde der Arbeitgeber entsprechende Maßnahmen nicht in die Wege leiten, obgleich ihm der Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften bekannt ist oder hätte bekannt sein können, begibt er sich seinerseits als verantwortliche Stelle in die Gefahr von Maßnahmen der Aufsichtsbehörde. Zu wünschen bleibt, dass diese Offenheit der gesetzlichen Regelung möglichst bald durch die höchstrichterliche Rechtsprechung und/oder den Gesetzgeber geschlossen wird. (Ga)

2.

Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz

Bereits an anderer Stelle haben wir darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.3.2020 Beschlussfassungen des Betriebsrats, Gesamt- oder Konzernbetriebsrats im Rahmen von Telefon- oder Videokonferenzen ausdrücklich zugelassen hat9. Die Neuregelung in § 129 BetrVG ist rückwirkend in Kraft getreten und durch entsprechende Regelungen für die Einigungsstelle, den Wirtschaftsausschuss und Arbeitnehmervertreter außerhalb der Betriebsverfassung ergänzt worden. Problematisch an der Neuregelung ist ihre Befristung. Sie gilt nur für die Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020. Vor diesem Hintergrund bleibt es für die betriebliche Praxis wichtig zu wissen, ob Beschlussfassungen, die Arbeitnehmervertreter im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz vor

9

B. Gaul, AktuellAR 2020, 11 ff.

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Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz

Führt man sich diese Wertungswidersprüche vor Augen, ist es überzeugender, den Betriebsrat als Bestandteil der verantwortlichen Stelle des Arbeitgebers zu qualifizieren. Hiervon ausgehend ist dann auch der Datenschutzbeauftragte, den der Arbeitgeber bestellt, zuständig. Dass damit die Unabhängigkeit der Betriebsräte nicht gefährdet ist, folgt bereits aus Art. 38 Abs. 3 DSGVO. Danach handelt der Datenschutzbeauftragte weisungsfrei und ist mit einer Verschwiegenheitspflicht auch gegenüber dem Arbeitgeber ausgestattet (Art. 38 Abs. 5 DSGVO i. V. m. §§ 6 Abs. 5 S. 2, 39 Abs. 2 BDSG). Für den Arbeitgeber kann es allerdings geboten sein, bei Anhaltspunkten für eine Missachtung der datenschutzrechtlichen Vorgaben durch den Betriebsrat im Interesse eines wirksamen Persönlichkeitsschutzes diesen auf diese Mängel hinzuweisen. Da die Beseitigung dieser Mängel Ergebnis seiner Pflichten aus §§ 2 Abs. 1, 75 Abs. 2 S. 2 BetrVG ist, kann die beharrliche Missachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben durch den Betriebsrat auch Anlass für ein Verfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG sein. Würde der Arbeitgeber entsprechende Maßnahmen nicht in die Wege leiten, obgleich ihm der Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften bekannt ist oder hätte bekannt sein können, begibt er sich seinerseits als verantwortliche Stelle in die Gefahr von Maßnahmen der Aufsichtsbehörde. Zu wünschen bleibt, dass diese Offenheit der gesetzlichen Regelung möglichst bald durch die höchstrichterliche Rechtsprechung und/oder den Gesetzgeber geschlossen wird. (Ga)

2.

Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz

Bereits an anderer Stelle haben wir darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.3.2020 Beschlussfassungen des Betriebsrats, Gesamt- oder Konzernbetriebsrats im Rahmen von Telefon- oder Videokonferenzen ausdrücklich zugelassen hat9. Die Neuregelung in § 129 BetrVG ist rückwirkend in Kraft getreten und durch entsprechende Regelungen für die Einigungsstelle, den Wirtschaftsausschuss und Arbeitnehmervertreter außerhalb der Betriebsverfassung ergänzt worden. Problematisch an der Neuregelung ist ihre Befristung. Sie gilt nur für die Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020. Vor diesem Hintergrund bleibt es für die betriebliche Praxis wichtig zu wissen, ob Beschlussfassungen, die Arbeitnehmervertreter im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz vor

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B. Gaul, AktuellAR 2020, 11 ff.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

dem 1.3.2020 getroffen haben oder im Anschluss an den 31.12.2020 treffen werden, wirksam sind. Ausgangspunkt der Diskussion über die Wirksamkeit entsprechender Beschlussfassungen ist im Zweifel § 33 Abs. 1, 2 BetrVG. Danach werden die Beschlüsse des Betriebsrats mit der Mehrheit der „anwesenden“ Mitglieder gefasst. Diese Voraussetzung dürfte bei einer Sitzung, die an verschiedenen Orten mithilfe von technischen Kommunikationsmitteln durchgeführt wird, nicht erfüllt werden10. Dies gilt umso mehr, als bei einer Telefon- oder Videokonferenz oftmals nicht erkennbar ist, ob ein Teilnehmer jeweils anwesend ist. Denn häufig werden auch in der Videositzung nur die Teilnehmer eingeblendet, die einen Wortbeitrag leisten. Insofern ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass auch andere Personen an der Sitzung teilnehmen, also die Nichtöffentlichkeit nicht gewahrt ist. Darin könnte dann auch ein Verstoß gegen § 30 S. 4 BetrVG zu sehen sein, der bestimmt, dass Betriebsratssitzungen nicht öffentlich sind. Konsequenz ist, dass eine solche Beschlussfassung im Zweifel unwirksam ist. Entgegen der von einem Teil der Literatur11 vertretenen Auffassung dürfte daran auch der Beschluss des BAG vom 30.9.201412 nichts geändert haben, nach dem ein Verstoß gegen das Gebot der Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen nicht zwingend zur Unwirksamkeit einer Beschlussfassung führt. An der dortigen Beschlussfassung des Betriebsrats zu einer durch den Arbeitgeber beantragten Zustimmung zu Umgruppierungen nach § 99 BetrVG hatten teilweise auch Ersatzmitglieder teilgenommen, die nicht zu den nachfolgenden Beschlussfassungen herangezogen wurden. Es fehlte insoweit an der Verhinderung des eigentlichen Betriebsratsmitglieds. In der Begründung seiner Entscheidung hat das BAG darauf verwiesen, dass nur Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Betriebsratsbeschlusses als wesentlich anzusehen seien, zu dessen Unwirksamkeit führten. Nicht jeder Verstoß gegen die formel10 BAG v. 24.5.2006 – 7 AZR 201/05, NZA 2006, 1364; DKKW/Wedde, BetrVG § 33 Rz. 11, 17; Fitting, BetrVG § 33 Rz. 21 b (Ausnahmen für Videokonferenzen für schwierigste Bedingungen); GK-BetrVG/Raab, BetrVG § 26 Rz. 12 m. w. N.; Hess u. a./Glock, BetrVG § 33 Rz. 4; HWK/Reichold, BetrVG § 33 Rz. 3 m. w. N; LK/Löwisch, BetrVG § 33 Rz. 3; MünchArbR/Krois, § 293 Rz. 28 f.; Richardi/Thüsing, BetrVG § 33 Rz. 3. 11 So ErfK/Koch, BetrVG § 33 Rz. 3; Fuhlrott/Fischer, NZA 2020, 345, 490; Fündling/Sorber, NZA 2017, 552, 555; Grimm, ArbRB 2020, 129; Krois, DB 2020, 674; Thüsing/Beden, BB 2019, 372 (die auf die aus BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 ableitbare Beanstandungsnotwendigkeit hinweisen). 12 BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370.

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Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz

len Anforderungen einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung bewirke deshalb die Unwirksamkeit eines darin gefassten Beschlusses, sondern nur ein solcher, der so schwerwiegend sei, dass der Fortbestand des Beschlusses von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden könne. Ob die Vernetzung der durch die Verfahrensvorschrift geschützten Interessen stärker zu gewichten sei, als das Interesse an der Aufrechterhaltung des Beschlusses, sei anhand des Regelungszwecks der Norm zu bestimmen13. In diesem Zusammenhang geht der 1. Senat des BAG davon aus, dass die Beachtung des in § 30 Abs. 4 BetrVG normierten Gebots der Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen grundsätzlich als wesentlich für die Wirksamkeit eines in der Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses anzusehen sei. Die Vorschrift – so das BAG – solle die sachgemäße Behandlung der Tagesordnungspunkte in einer Betriebsratssitzung sicherstellen. Eine solche setze die Möglichkeit einer unbefangenen Aussprache unter den Betriebsratsmitgliedern und eine Beschlussfassung frei von Einflüssen Dritter voraus. Durch das Gebot einer Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen werde nicht nur die Amtsführung des Betriebsrats, sondern auch die der einzelnen Betriebsratsmitglieder geschützt. Allerdings könnten diese selbst darüber befinden, ob sie durch die Anwesenheit einer nichtteilnahmeberechtigten Person bei der Wahrnehmung ihres Mandats beeinträchtigt würden. Ein wesentlicher, zur Unwirksamkeit des gefassten Beschlusses führender Verstoß gegen § 30 S. 4 BetrVG liege daher allenfalls vor, wenn zumindest ein Betriebsratsmitglied vor der Behandlung eines Tagesordnungspunktes die Anwesenheit einer nichtteilnahmeberechtigten Person ausdrücklich beanstandet habe und diese gleichwohl anwesend bleibe14. Da eine entsprechende Rüge der anwesenden Betriebsratsmitglieder in Bezug auf die Teilnahme der Ersatzmitglieder vor der Beschlussfassung nicht erfolgt war, musste von seiner formalen Wirksamkeit ausgegangen werden. Entscheidend war damit nur noch, ob der Betriebsrat die für § 99 BetrVG erforderlichen Feststellungen selbst getroffen und damit auch den Zustimmungsverweigerungsgrund konkretisiert hatte15. Auch wenn die gegenteilige Sichtweise wünschenswert erscheint, weil sie praktischen Bedürfnissen im Zusammenhang mit einer modernen Arbeitsweise innerhalb der Betriebsverfassung Rechnung trägt und zu einer stärkeren Einbindung von Teilzeitkräften in die überbetrieblichen Interessenvertre13 BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 50; BAG v. 15.4.2014 – 1 ABR 2/13 (B), NZA 2014, 551 Rz. 23 f. 14 BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 51. 15 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2015, 247 ff., 2017, 50 ff.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

tungen führen würde, wird man für die Zeit bis zum 29.2.2020 und nach dem 31.12.2020 davon abraten müssen, Beschlüsse im Rahmen von Telefon- oder Videokonferenzen zu treffen. Dagegen spricht nicht nur der Umstand, dass der Gesetzgeber davon Abstand genommen hat, die aktuelle Regelung in § 129 BetrVG unbefristet in Kraft zu setzen. Das zeigt, dass er die daraus folgende Rechtslage außerhalb der besonderen Situation der COVID-19-Pandemie nicht in Kraft setzen will. Hinzukommt, dass sich der Gesetzgeber schon bei früherer Gelegenheit mit dem Thema befasst und im Rahmen des Gesetzes zur Verbesserung der Leistungen bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und zur Änderung anderer Gesetze (EM-Leistungsverbesserungsgesetz) eine entsprechende Regelung nur für Seeleute eingeführt hat, die Mitglied eines Europäischen Betriebsrats sind. § 41 a EBRG bestimmt unter anderem wie folgt: (2) Befindet sich ein Besatzungsmitglied auf See oder in einem Hafen, der sich in einem anderen Land als dem befindet, in dem die Reederei ihren Geschäftssitz hat, und kann deshalb nicht an einer Sitzung nach Abs. 1 teilnehmen, so kann eine Teilnahme an der Sitzung mittels neuer Informations- und Kommunikationstechnologien erfolgen, wenn 1. dies in der Geschäftsordnung des zuständigen Gremiums vorgesehen ist und 2. sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.

Mit § 129 BetrVG für die COVID-19-Pandemie und § 41 a EBRG für den Europäischen Betriebsrat hat der Gesetzgeber schlussendlich alle wesentlichen Gesichtspunkte aufgegriffen, die im Zusammenhang mit der Diskussion über die Zulässigkeit einer Telefon- oder Videokonferenz zur Beschlussfassung im Betriebsrat genannt wurden: Einerseits die Sorge um die fehlende Nichtöffentlichkeit und andererseits die Überlegung, den Arbeitnehmervertretern durch entsprechende Regelung innerhalb der Geschäftsordnung die Befugnis zuzuweisen, gemeinsam eine entsprechende Entscheidung über die Voraussetzungen einer solchen Sitzung zu treffen. Bedauerlicherweise wird man diese Überlegungen aber nach dem Wegfall von § 129 BetrVG mit Ablauf des 31.12.2020 nicht mehr zur Anwendung bringen können. Das zeigt schon der Umstand, dass der Gesetzgeber mit § 41 a EBRG schlussendlich nur eine Vorgabe aus der Richtlinie 2015/1794/EU zur Ergänzung von Art. 10 Abs. 3 Richtlinie 2009/38/EG zur Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats umgesetzt hatte. Eine Bereitschaft, diese Modernisierung der denkbaren Kommunikationsmöglichkeiten auch innerhalb der Betriebsverfassung in Kraft zu setzen, hat der Gesetzgeber aber nicht gehabt. Denn 238

Beurteilungszeitpunkt für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern

er hatte mit Art. 6 des EM-Leistungsverbesserungsgesetzes auch das BetrVG in Bezug auf § 80 BetrVG geändert, gleichzeitig aber keine Veränderungen in §§ 30 ff. BetrVG vorgenommen. Daraus muss man schlussfolgern, dass eine Gleichbehandlung des Betriebsrats, Gesamt- oder Konzernbetriebsrats mit dem Europäischen Betriebsrat bis zum Inkrafttreten von § 129 BetrVG am 1.3.2020 nicht gewollt war und es hier bei der Notwendigkeit bleibt, in eine etwaige Beschlussfassung nur anwesende Betriebsratsmitglieder einzubeziehen. Beschlussfassungen in Telefon- oder Videokonferenzen sind daher nur in der Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 erlaubt16. Beschlussfassungen im Rahmen eines Umlaufverfahrens sind generell ausgeschlossen17. Bei Verhinderung wegen Ortsabwesenheit muss ggf. ein Ersatzmitglied eingebunden werden. (Ga)

3.

Beurteilungszeitpunkt für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern

In der Vergangenheit haben wir uns bereits mehrfach mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen die Anpassung der Vergütung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG erfolgen kann18. Danach darf das Arbeitsentgelt eines Betriebsratsmitglieds einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Entscheidend ist daher die Bestimmung der mit dem Betriebsratsmitglied vergleichbaren Arbeitnehmer. Auf welchen Zeitpunkt es hierbei ankommt, ergibt sich aus § 37 Abs. 4 BetrVG hingegen nicht. In ständiger Rechtsprechung stellte das BAG aber auf den Zeitpunkt der Amtsübernahme ab19. In seinem Urteil vom 21.1.202020 hat das BAG diese Auffassung nun nochmals bekräftigt und zugleich klargestellt, dass ein davon abweichender Zeitpunkt, z. B. der der Freistellung, nicht in Betracht kommt. Hierauf hatte das

16 BMAS v. 20.3.2020 – Ministererklärung von Hubertus Heil; DGB, Stellungnahme v. 15.4.2020. 17 Vgl. Hayen, AiB 2017/9, 38; ders., AuR 2017, 394. 18 B. Gaul, AktuellAR 2016, 239 ff., 2017, 554 ff., 2018, 155 ff., 449 ff., 2019, 554 f., 576 ff. 19 St. Rspr. seit BAG v. 17.5.1977 – 1 AZR 458/74, DB 1977, 1562. 20 BAG v. 21.1.2020 – 7 AZR 222/19, NZA 2020, 594.

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Beurteilungszeitpunkt für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern

er hatte mit Art. 6 des EM-Leistungsverbesserungsgesetzes auch das BetrVG in Bezug auf § 80 BetrVG geändert, gleichzeitig aber keine Veränderungen in §§ 30 ff. BetrVG vorgenommen. Daraus muss man schlussfolgern, dass eine Gleichbehandlung des Betriebsrats, Gesamt- oder Konzernbetriebsrats mit dem Europäischen Betriebsrat bis zum Inkrafttreten von § 129 BetrVG am 1.3.2020 nicht gewollt war und es hier bei der Notwendigkeit bleibt, in eine etwaige Beschlussfassung nur anwesende Betriebsratsmitglieder einzubeziehen. Beschlussfassungen in Telefon- oder Videokonferenzen sind daher nur in der Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 erlaubt16. Beschlussfassungen im Rahmen eines Umlaufverfahrens sind generell ausgeschlossen17. Bei Verhinderung wegen Ortsabwesenheit muss ggf. ein Ersatzmitglied eingebunden werden. (Ga)

3.

Beurteilungszeitpunkt für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern

In der Vergangenheit haben wir uns bereits mehrfach mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen die Anpassung der Vergütung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG erfolgen kann18. Danach darf das Arbeitsentgelt eines Betriebsratsmitglieds einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Entscheidend ist daher die Bestimmung der mit dem Betriebsratsmitglied vergleichbaren Arbeitnehmer. Auf welchen Zeitpunkt es hierbei ankommt, ergibt sich aus § 37 Abs. 4 BetrVG hingegen nicht. In ständiger Rechtsprechung stellte das BAG aber auf den Zeitpunkt der Amtsübernahme ab19. In seinem Urteil vom 21.1.202020 hat das BAG diese Auffassung nun nochmals bekräftigt und zugleich klargestellt, dass ein davon abweichender Zeitpunkt, z. B. der der Freistellung, nicht in Betracht kommt. Hierauf hatte das

16 BMAS v. 20.3.2020 – Ministererklärung von Hubertus Heil; DGB, Stellungnahme v. 15.4.2020. 17 Vgl. Hayen, AiB 2017/9, 38; ders., AuR 2017, 394. 18 B. Gaul, AktuellAR 2016, 239 ff., 2017, 554 ff., 2018, 155 ff., 449 ff., 2019, 554 f., 576 ff. 19 St. Rspr. seit BAG v. 17.5.1977 – 1 AZR 458/74, DB 1977, 1562. 20 BAG v. 21.1.2020 – 7 AZR 222/19, NZA 2020, 594.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Gericht bereits in einer früheren Entscheidung vom 18.1.201721 hingewiesen, sich bei der Begründung aber mit dem pauschalen Hinweis auf den Zweck der Vorschrift begnügt, das Betriebsratsmitglied vor finanziellen Nachteilen wegen der Ausübung der Betriebsratstätigkeit schützen zu wollen. Deshalb komme es auf die Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds während der (gesamten) Dauer seiner Betriebsratstätigkeit in Relation zu derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer an. Nunmehr hat das BAG in seiner Entscheidung vom 22.1.202022 seine Auffassung zum Beurteilungszeitpunkt nicht nur bekräftigt, sondern auch begründet, warum ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Freistellung nicht in Betracht kommt. Denn, so die Begründung des bekennenden 7. Senats, bestünde bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern die Möglichkeit, bei der Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer (alternativ) auf den Zeitpunkt der Freistellung abzustellen, läge in der Neubestimmung der Vergleichsgruppe anlässlich der Freistellung eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund gegenüber nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedern. Dabei lehnt das Gericht den Zeitpunkt einer Freistellung des Betriebsratsmitglieds als Beurteilungszeitpunkt selbst dann ab, wenn zwischen den Parteien unstreitig ist, dass das betroffene Betriebsratsmitglied in dem Zeitraum zwischen Amtsübernahme und Freistellung eine betriebsübliche Entwicklung durchlaufen habe. In derselben Entscheidung bestätigt das BAG zudem seine bisherige Rechtsprechung23, wonach sich ein Anspruch auf eine konkrete Vergütung nicht allein aus § 37 Abs. 4 BetrVG, sondern auch aus § 78 S. 2 BetrVG ergeben kann. Die Anforderungen an die jeweilige Darlegungslast sind allerdings unterschiedlich. Die Darlegungslast im Rahmen des § 37 Abs. 4 BetrVG beschränkt sich auf die Darlegung der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer. Zudem gesteht die Rechtsprechung dem Betriebsratsmitglied einen Auskunftsanspruch aus §§ 611 a, 242 BGB i. V. m. § 37 Abs. 4 BetrVG gegenüber dem Arbeitgeber hinsichtlich der Vergütungsentwicklung der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer zu, da diese dem Betriebsratsmitglied regelmäßig nicht bekannt ist24. Ein solcher besteht im Übrigen auch in Bezug auf eine betriebsübliche Beförderungspraxis. Insoweit hat das Betriebsratsmitglied allerdings darzulegen, mit welchen Arbeitneh-

21 22 23 24

BAG v. 18.1.2017 – 7 AZR 205/15, NZA 2017, 935. BAG v. 21.1.2020 – 7 AZR 222/19, NZA 2020, 594. BAG v. 4.11.2015 – 7 AZR 972/13, NZA 2016, 1339. BAG v. 4.11.2015 – 7 AZR 972/13, NZA 2016, 1339; BAG v. 19.1.2005 – 7 AZR 208/04 n. v.

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Beurteilungszeitpunkt für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern

mern es aus seiner Sicht vergleichbar ist und aus welchen Umständen zu schließen ist, dass die Mehrzahl der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer die behauptete Beförderung erfahren hat. Je nach Größe des Betriebs ist der Vortrag zu Referenzfällen, aus denen sich eine betriebsübliche Beförderungspraxis ergibt, ausreichend25. Stützt das Betriebsratsmitglied seinen Anspruch auf Vergütungsanpassung allerdings auf § 78 S. 2 BetrVG, muss es darlegen und im Streitfall beweisen, dass es ohne seine Tätigkeit als Betriebsratsmitglied inzwischen eine Tätigkeit ausüben würde, die entsprechend vergütet wird. Dabei kann es entweder vortragen, dass seine Bewerbung gerade aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist oder es gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit zwar von einer Bewerbung auf eine konkrete Stelle abgesehen hat, im Fall der Bewerbung aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit der (höher vergüteten) Tätigkeit betraut worden wäre. Sofern eine tatsächliche oder fiktive Bewerbung aufgrund fehlender aktueller Fachkenntnisse keinen Erfolg hatte bzw. gehabt hätte, muss das Betriebsratsmitglied darlegen, dass dieses Fehlen auf seine Betriebsratstätigkeit bzw. eine etwaige Freistellung zurückzuführen ist26. Die Ausführungen zum Verhältnis zwischen § 37 Abs. 4 BetrVG und § 78 S. 2 BetrVG sind ebenfalls nicht neu. Da beide Anspruchsgrundlagen unabhängig voneinander eine Vergütungsanpassung des Betriebsratsmitglieds rechtfertigen können, müssen in der Praxis stets die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen sorgfältig geprüft werden. Die Ausführungen zum Beurteilungszeitpunkt für die Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer bringen für die Praxis bei der Prüfung und Anwendung des § 37 Abs. 4 BetrVG ein weiteres Stück Klarheit, wenngleich die konsequente Anwendung dieser Entscheidung auch bedeutet, dass eine etwaige über- oder unterdurchschnittliche Entwicklung eines Betriebsratsmitglieds zwischen seiner Amtsübernahme und einer möglichen Freistellung bei der Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer unberücksichtigt bleibt. Die praktischen Auswirkungen dieser besonderen Konsequenz dürften allerdings gering sein. (Pi)

25 BAG v. 4.11.2015 – 7 AZR 972/13, NZA 2016, 1339. 26 BAG v. 4.11.2015 – 7 AZR 972/13, NZA 2016, 1339; BAG v. 14.7.2010 – 7 AZR 359/09, ZTR 2011, 56.

241

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

4.

Ausschluss der Nachwirkung einer Regelungsabrede

a)

Rechtsnatur und Wirkungsweise der Regelungsabrede

Die Regelungsabrede ist eine formlose Abrede zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat; sie kann auch konkludent zustande kommen27. Bloßes Schweigen oder widerspruchslose Hinnahme arbeitgeberseitiger Maßnahmen genügen nicht28. Es bedarf einer Beschlussfassung des Betriebsrats und einer entsprechenden Verlautbarung durch den Betriebsratsvorsitzenden29. Gegenstand einer Regelungsabrede ist die einvernehmliche Handhabe einer bestimmten – nicht zwingend mitbestimmungspflichtigen – Angelegenheit30. Beispielhaft sei nur die Handhabe der Beteiligung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei der Anordnung von Überstunden in Eilfällen genannt. Durch Regelungsabrede können auch konkretisierende Regelungen über Arbeitsentgelte getroffen werden, wenn solche (üblicherweise) im Tarifvertrag geregelt sind und deshalb nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können (§ 77 Abs. 3 BetrVG). Da die formalen Voraussetzungen einer Betriebsvereinbarung nicht beachtet werden müssen, erleichtert eine Regelungsabrede den Umgang mit Beteiligungsrechten des Betriebsrats. Sie sind mit ihrem Abschluss gewahrt31. Durch Regelungsabreden kann auch eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte vereinbart werden32. Im Gegensatz zur Betriebsvereinbarung entfaltet die Regelungsabrede keine normative Wirkung in Bezug auf einzelne Arbeitsverhältnisse, sondern begründet nur eine schuldrechtliche Verpflichtung von Arbeitgeber und Betriebsrat, sich entsprechend der Vereinbarung zu verhalten33. Ein Vertrag zu Gunsten Dritter liegt darin nicht34. Rechtsansprüche der Arbeitnehmer auf ein abredegemäßes Verhalten des Arbeitgebers begründet die Regelungsab-

27 BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 744/00, NZA 2002, 342 Rz. 55; Richardi/Richardi, BetrVG § 77 Rz. 243. 28 BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 26/17, NZA 2019, 483 Rz. 29. 29 BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 26/17, NZA 2019, 483 Rz. 29; BAG v. 18.3.2014 – 1 ABR 75/12, NZA 2014, 984 Rz. 33; Richardi/Richardi, BetrVG § 77 Rz. 243. 30 Vgl. BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 744/00, NZA 2002, 342 Rz. 55; Kleinebrink, ArbRB 2012, 27; Peterek, FS D. Gaul S. 472. 31 BAG v. 14.2.1991 – 2 AZR 415/90, NZA 1991, 607. 32 BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 744/00, NZA 2002, 342 Rz. 53 ff. 33 BAG v. 12.4.2017 – 7 AZR 446/15, NZA 2017, 1125 Rz. 30 ff.; Kleinebrink, ArbRB 2012, 27. 34 BAG v. 9.12.1997 – 1 AZR 319/97, NZA 1998, 661 Rz. 45; a. A. ErfK/Kania, BetrVG § 77 Rz. 132.

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Ausschluss der Nachwirkung einer Regelungsabrede

rede deshalb nicht35. Wenn als Folge einer Regelungsabrede Rechte oder Pflichten im Rahmen des Arbeitsverhältnisses begründet werden sollen, ist die individualrechtliche Umsetzung durch den Arbeitgeber erforderlich36. Es bedarf also beispielsweise einer einseitigen Leistungszusage, der Vereinbarung einer Vertragsänderung, der Anordnung von Überstunden im Rahmen des Direktionsrechts, des Widerrufs einer übertariflichen Zulage oder einer Änderungskündigung. Wirksam sind diese Maßnahmen ohne Rücksicht auf die vorherige Zustimmung des Betriebsrats indes nur dann, wenn die arbeitsvertraglichen und gesetzlichen Schranken (z. B. §§ 315 BGB, 1, 2 KSchG) berücksichtigt werden37. Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG steht einer bloßen Regelungsabrede nicht entgegen38. Stehen die Regelungsabrede und daran anknüpfende Individualvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Widerspruch zu einer gesetzlichen Tarifbindung des Arbeitgebers, kann die Gewerkschaft aber einen Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG geltend machen39. Arbeitgeber oder Betriebsrat können frei darüber entscheiden, ob Regelungen durch Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede getroffen werden40. Allerdings kann in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten wechselseitig der Abschluss einer Betriebsvereinbarung, ggf. ein Spruch der Einigungsstelle, verlangt werden41. Der Betriebsrat kann im Beschlussverfahren – ggf. sogar im Wege einer einstweiligen Verfügung – eine Verurteilung des Arbeitgebers zur Unterlassung abredewidriger Maßnahmen verlangen42.

35 BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, NZA 2003, 1097 Rz. 48. 36 BAG v. 20.4.1999 – 1 AZR 631/98, NZA 1999, 1059 Rz. 79; Peterek, FS D. Gaul S. 475. 37 BAG v. 3.12.1991 – GS 2/90, NZA 1992, 749 Rz. 46 ff.; BAG v. 14.2.1991 – 2 AZR 415/90, NZA 1991, 607 Rz. 25. 38 BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, NZA 2003, 1097 Rz. 77 ff.; BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, NZA 1999, 887 Rz. 78 ff. 39 BAG v. 30.8.2017 – 4 AZR 95/14, NZA 2018, 255. 40 BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 744/00, NZA 2002, 342 Rz. 55. 41 BAG v. 8.8.1989 – 1 ABR 62/88, NZA 1990, 322 Rz. 14 ff. 42 BAG v. 12.3.2019 – 1 ABR 42/17, NZA 2019, 843; BAG v. 23.6.1992 – 1 ABR 53/91, NZA 1992, 1098.

243

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

b)

Beendigung und Nachwirkung

Die Regelungsabrede endet nach den für die Betriebsvereinbarung geltenden Grundsätzen, nämlich durch Zweckerreichung, Ablauf der vereinbarten Geltungsdauer, Aufhebungsvertrag, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Kündigung oder Ablösung durch anderweitige Vereinbarung43. Insofern kann die Regelungsabrede zwar durch Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Eine Betriebsvereinbarung kann jedoch nur dann durch Regelungsabrede aufgehoben und abgelöst werden, wenn dieser Wille zur Änderung der normativen Vorgabe klar erkennbar ist44. Die Kündigung einer Regelungsabrede ist mit der Drei-Monats-Frist des Abs. 5 möglich, sofern nichts anderes vereinbart wurde oder sich aus dem Zweck der Vereinbarung nichts anderes ergibt45. In Übereinstimmung mit der wohl herrschenden Meinung lehnt das BAG in seinem Beschluss vom 13.8.201946 eine Nachwirkung analog § 77 Abs. 6 BetrVG auch in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten ab47. Nach Auffassung des BAG liegen die Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung durch Analogie nicht vor. Denn die analoge Anwendung einer Norm verlange nicht nur das Vorliegen einer aufgrund konkreter Umstände positiv festzustellenden planwidrigen Lücke des Gesetzes. Vielmehr sei auch erforderlich, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlange wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Im Hinblick darauf verweist das BAG darauf, dass die in § 77 Abs. 6 BetrVG vorgesehene Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nicht nur verhindern solle, dass für die bereits beschäftigten Arbeitnehmer ein regelungsloser Zustand eintrete. Da die nachwirkende Betriebsvereinbarung auch neu angestellte Arbeitnehmer erfasse, bezwecke sie zugleich die Wahrung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte, indem sie den Bestimmungen einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung nach deren Ablauf (weiter) im gesamten Betrieb Weitergeltung verschaffe. Diese Rechtsfolge sei auf Regelungsabreden nicht zu übertragen. Im Gegensatz zu einer Betriebsvereinbarung wirkten diese nicht 43 Vgl. DKKW/Berg, BetrVG § 77 Rz. 166; Richardi/Richardi, BetrVG § 77 Rz. 247 ff. 44 Vgl. HWK/B. Gaul, BetrVG § 77 Rz. 39. 45 BAG v. 23.6.1992 – 1 ABR 53/91, NZA 1992, 1098; BAG v. 10.3.1992 – 1 ABR 31/91, NZA 1992, 952; Peterek, FS D. Gaul S. 492. 46 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 10/18, NZA 2019, 1651 Rz. 46 ff. 47 Ebenso BAG v. 23.6.1992 – 1 ABR 53/91, NZA 1992, 1098 Rz. 26; GKBetrVG/Kreutz, BetrVG § 77 Rz. 22; Richardi/Richardi, BetrVG § 77 Rz. 250.

244

Ausschluss der Nachwirkung einer Regelungsabrede

nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer im Betrieb ein. Um eine rechtliche Wirkung auch gegenüber den Arbeitnehmern zu erzielen, müsse der Arbeitgeber die mit dem Betriebsrat vereinbarte Absprache entweder vertragsrechtlich oder durch Ausübung seines Weisungsrechts umsetzen. Eine „Weitergeltung“ der Regelungsabrede nach ihrem Ablauf könne damit nur schuldrechtlich – also im Verhältnis der Betriebsparteien zueinander – wirken. Darauf aber komme es bei § 77 Abs. 6 BetrVG nicht an. Die gesetzlich vorgesehene Nachwirkung ziele auf die unmittelbare Geltung von Regelungen im Verhältnis zum Arbeitnehmer, nicht jedoch auf die Ausgestaltung des schuldrechtlichen Verhältnisses der Betriebsparteien ab. Soweit der 1. Senat des BAG im Beschluss vom 13.8.201948 den Ausschluss der Nachwirkung auch damit begründet, dass – anders als bei der Beendigung einer Betriebsvereinbarung – nach Ablauf einer Regelungsabrede kein vergleichbarer ungeregelter Zustand eintreten könne, weil die in Umsetzung der Regelungsabrede bereits erfolgten Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch nach deren Ablauf unverändert weitergelten, ist dies zwar zutreffend. Die weitergehende Schlussfolgerung, dass es zur Wahrung oder Sicherstellung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats keiner Nachwirkung einer beendeten Regelungsabrede bedürfe, lässt aber unberücksichtigt, dass genau dieses Regelungsvakuum insbesondere den Arbeitgeber vor ein besonderes Risiko stellt. Denn die Beendigung einer Regelungsabrede beseitigt zwar nicht die Rechtmäßigkeit der auf der Grundlage der Regelungsabrede durchgeführten Maßnahmen. Der Betriebsrat kann aber für die Zukunft (wieder) Mitbestimmungsrechte in den Angelegenheiten geltend machen49, die Gegenstand der Regelungsabrede waren, sofern keine Nachwirkung der Regelungsabrede vereinbart wurde, was zulässig wäre50. Arbeitgeberseitig wird man dieses Risiko im Auge behalten müssen, wenn die Entscheidung über die Frage getroffen wird, ob die Regelung einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit durch Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede angestrebt wird. Denn der Ausschluss der Nachwirkung für den Fall einer Beendigung der Regelungsabrede kann zur Folge haben, dass der Betriebsrat Unterlassungsansprüche – ggf. im Wege der einstweiligen Verfügung – geltend macht, wenn keine Einigung zwischen den Be-

48 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 10/18, NZA 2019, 1651 Rz. 51. 49 Vgl. BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 10/18, NZA 2019, 1651 Rz. 52. 50 LAG Nürnberg v. 21.2.2014 – 6 Sa 588/13 n. v. (Rz. 85)

245

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

triebsparteien über die weitere Handhabe der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit erzielt wird. (Ga)

5.

Bildung eines Wirtschaftsausschusses im Gemeinschaftsbetrieb

a)

Grundsätzliche Betrachtungsweise

Es entspricht ganz herrschender Auffassung in Literatur51 und bisheriger Rechtsprechung52, dass auch in einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen durch den dort bestehenden Betriebsrat ein Wirtschaftsausschuss nach § 106 BetrVG gebildet werden kann. Nicht erforderlich dafür sei, dass jedes der am gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen ständig mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftige. Vielmehr genüge es, wenn in diesem Betrieb insgesamt der Schwellenwert des § 106 BetrVG erreicht werde. Insoweit erfolge also eine wechselseitige Zurechnung der im gemeinsamen Betrieb durch die verschiedenen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer. Konsequenz sei, dass bei einem Überschreiten des Schwellenwerts durch den Betriebsrat ein Wirtschaftsausschuss gebildet würde, der für die in § 106 BetrVG genannten Angelegenheiten jedes einzelnen Unternehmens zuständig sei. Unerheblich dabei sei, welchem Unternehmen die in den Wirtschaftsausschuss bestellten Arbeitnehmer angehörten. Bislang ist von den vorstehenden Grundsätzen nicht nur dann ausgegangen worden, wenn erst durch das Zusammenrechnen der in den beteiligten Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer insgesamt ständig mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Vielmehr ist die Bildung eines Wirtschaftsausschusses mit unternehmensübergreifender Zuständigkeit auch dann für zulässig gehalten worden, wenn der Schwellenwert bereits durch ein einziges Unternehmen, dessen Arbeitnehmer im gemeinsamen Betrieb eingesetzt werden, überschritten wurde.

51 Vgl. Fitting, BetrVG § 106 Rz. 18; WPK/Preis, BetrVG § 106 Rz. 3; krit. Richardi/Annuß, BetrVG § 106 Rz. 8. 52 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, 969 Rz. 12; BAG v. 1.8.1990 – 7 ABR 91/88, NZA 1991, 643.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

triebsparteien über die weitere Handhabe der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit erzielt wird. (Ga)

5.

Bildung eines Wirtschaftsausschusses im Gemeinschaftsbetrieb

a)

Grundsätzliche Betrachtungsweise

Es entspricht ganz herrschender Auffassung in Literatur51 und bisheriger Rechtsprechung52, dass auch in einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen durch den dort bestehenden Betriebsrat ein Wirtschaftsausschuss nach § 106 BetrVG gebildet werden kann. Nicht erforderlich dafür sei, dass jedes der am gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen ständig mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftige. Vielmehr genüge es, wenn in diesem Betrieb insgesamt der Schwellenwert des § 106 BetrVG erreicht werde. Insoweit erfolge also eine wechselseitige Zurechnung der im gemeinsamen Betrieb durch die verschiedenen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer. Konsequenz sei, dass bei einem Überschreiten des Schwellenwerts durch den Betriebsrat ein Wirtschaftsausschuss gebildet würde, der für die in § 106 BetrVG genannten Angelegenheiten jedes einzelnen Unternehmens zuständig sei. Unerheblich dabei sei, welchem Unternehmen die in den Wirtschaftsausschuss bestellten Arbeitnehmer angehörten. Bislang ist von den vorstehenden Grundsätzen nicht nur dann ausgegangen worden, wenn erst durch das Zusammenrechnen der in den beteiligten Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer insgesamt ständig mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Vielmehr ist die Bildung eines Wirtschaftsausschusses mit unternehmensübergreifender Zuständigkeit auch dann für zulässig gehalten worden, wenn der Schwellenwert bereits durch ein einziges Unternehmen, dessen Arbeitnehmer im gemeinsamen Betrieb eingesetzt werden, überschritten wurde.

51 Vgl. Fitting, BetrVG § 106 Rz. 18; WPK/Preis, BetrVG § 106 Rz. 3; krit. Richardi/Annuß, BetrVG § 106 Rz. 8. 52 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, 969 Rz. 12; BAG v. 1.8.1990 – 7 ABR 91/88, NZA 1991, 643.

246

Bildung eines Wirtschaftsausschusses im Gemeinschaftsbetrieb

b)

Einschränkung bei einem gemeinsamen Betrieb von Holding und Tochtergesellschaft

Bereits mit seinem Beschluss vom 22.3.201653 hatte das BAG eine erste Einschränkung vorgenommen. Wir hatten darüber berichtet54. In dieser Entscheidung ging es neben prozessualen und insolvenzrechtlichen Fragen streitentscheidend auch darum, unter welchen Voraussetzungen durch den verfahrensbeteiligten Betriebsrat, der in einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen gebildet worden war, ein Wirtschaftsausschuss gemäß § 106 BetrVG errichtet werden konnte. In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall waren in dem gemeinsamen Betrieb insgesamt etwa 460 Arbeitnehmer beschäftigt. Etwa 400 Arbeitnehmer standen dabei in einem Arbeitsverhältnis zu A, die übrigen wurden durch B beschäftigt. A war alleinige Anteilsinhaberin von B. Fraglich war nun, ob der Betriebsrat des gemeinsamen Betriebs einen Wirtschaftsausschuss nur bei A oder – weil grundsätzlich eine wechselseitige Zurechnung der Arbeitnehmer erfolgen sollte – auch bei B bilden konnte. Das BAG hat die Bildung eines Wirtschaftsausschusses bei der B, die nur mit etwa 60 Arbeitnehmern im gemeinsamen Betrieb vertreten war, abgelehnt55. Dabei hat es zwar zunächst einmal bestätigt, dass von einer Gesetzeslücke auszugehen sei, wenn ein einheitlicher Betrieb mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern mehreren rechtlich selbständigen Unternehmen zuzuordnen sei, bei denen jeweils für sich die Anforderungen an die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach § 106 Abs. 1 S. 1 BetrVG nicht erfüllt seien56. Dies führe im Hinblick auf den Zweck der §§ 106 ff. BetrVG zu deren entsprechender Anwendung und zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses bei den am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen. An einer planwidrigen Gesetzeslücke fehle es aber, wenn – so das BAG – von einem herrschenden Unternehmen sowie einem in seinem alleinigen Eigentum stehenden abhängigen Unternehmen (§ 17 Abs. 1 AktG) ein Gemeinschaftsbetrieb geführt werde57 und die Voraussetzungen zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach § 106 Abs. 1 S. 1 BetrVG allein beim herrschenden Unternehmen vorlägen. Denn dieses sei aufgrund seines beherr53 54 55 56 57

BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, 969 Rz. 11 ff. B. Gaul, AktuellAR 2016, 568 ff. BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, 969 Rz. 11 ff. Ebenso BAG v. 1.8.1990 – 7 ABR 91/88, NZA 1991, 643. A. A. Fitting, BetrVG § 106 Rz. 18; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 39.

247

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

schenden Einflusses auf das abhängige Unternehmen (§ 17 Abs. 1 AktG) zugleich in der Lage, den bei ihm gebildeten Wirtschaftsausschuss auch über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des in seinem Eigentum stehenden abhängigen Unternehmens zu unterrichten, weil es dieses bestimme. Damit sei die über den Wirtschaftsausschuss vermittelte Unterrichtung des Betriebsrats auch in den wirtschaftlichen Angelegenheiten des abhängigen Unternehmens gewährleistet. Hiervon ausgehend war in dem streitgegenständlichen Fall bei B kein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Im Ergebnis erscheint die Einschränkung zwar sinnvoll, zumal sie dem Wirtschaftsausschuss ausreichende Möglichkeiten der Informationsverschaffung belässt. In der Begründung durch das BAG bleibt allerdings unberücksichtigt, dass der Wirtschaftsausschuss an sich auch in Angelegenheiten zuständig ist, die die Struktur des Betriebs in seiner Gesamtheit betreffen (vgl. § 106 Abs. 3 Nrn. 6 bis 9 BetrVG). Damit sind seine Unterrichtungs- und Beratungsansprüche auch auf die Wahrnehmung von Interessen solcher Arbeitnehmer gerichtet, die in Unternehmen mit insgesamt nicht mehr als 100 Arbeitnehmern tätig sind. Wenn in einem gemeinsamen Betrieb insgesamt mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftigt sind, erscheint es dann aber auch geboten, dass sich ein Wirtschaftsausschuss mit allen Unternehmen beraten kann, die die insoweit verantwortliche Entscheidung treffen. Unabhängig davon wirft die Entscheidung des BAG vom 22.3.201658 die Frage auf, wie ein gemeinsamer Betrieb von Holding und Tochtergesellschaft zu behandeln ist, wenn in der Holding zwar weniger als 100 Arbeitnehmer beschäftigt sind, insgesamt jedoch im gemeinsamen Betrieb der Schwellenwert des § 106 BetrVG überschritten wird. Versteht man die Kriterien des BAG als kumulative Voraussetzungen, um eine planwidrige Gesetzeslücke abzulehnen, wäre in dieser Fallkonstellation in Übereinstimmung mit der bislang herrschenden Meinung ein Wirtschaftsausschuss für beide Unternehmen zu bilden. Denn die Tochtergesellschaft, bei der durch den Betriebsrat aufgrund der dort beschäftigten Arbeitnehmer eigenständig ein Wirtschaftsausschuss gebildet werden könnte, besitzt keinen beherrschenden Einfluss auf die Holding und ist deshalb auch nicht in der Lage, mit einem bei ihr gebildeten Wirtschaftsausschuss über wirtschaftliche Angelegenheiten der Holding-Gesellschaft zu beraten. Das Gleiche gilt dann, wenn Schwestergesellschaften eines Konzerns oder Unternehmens, die in keiner Konzernbindung bestehen, einen gemeinsamen Betrieb bilden. Verlangt man für die isolierte Bildung eines Wirtschaftsausschusses allein bei dem Unternehmen eines gemeinsamen Betriebs, das selbst mehr als 100 Ar58 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, 969 Rz. 11 ff.

248

Bildung eines Wirtschaftsausschusses im Gemeinschaftsbetrieb

beitnehmer ständig beschäftigt, einen herrschenden Einfluss auf die übrigen Unternehmen, die am gemeinsamen Betrieb beteiligt sind, müsste in den letztgenannten Fällen jeweils ein Wirtschaftsausschuss bei allen Unternehmen gebildet werden, die am gemeinsamen Betrieb beteiligt sind.

c)

Wirtschaftsausschuss in einem gemeinsamen Betrieb unter Beteiligung eines Tendenzunternehmens

In seinem jetzt vorliegenden Beschluss vom 19.11.201959 musste sich das BAG mit der Frage befassen, ob ein Wirtschaftsausschuss in einem gemeinsamen Betrieb gebildet werden kann, an dem ein Tendenzunternehmen und ein tendenzfreies Unternehmen beteiligt waren. Das Tendenzunternehmen setzte in diesem gemeinsamen Betrieb 214 Arbeitnehmer ein. 20 weitere Arbeitnehmer standen in einem Arbeitsverhältnis zu dem tendenzfreien Unternehmen. Im Ergebnis hat das BAG die Bildung eines Wirtschaftsausschusses bei den beiden beteiligten Unternehmen abgelehnt. Zur Begründung hat es in Bezug auf die Beteiligte zu 1. zunächst einmal auf § 118 Abs. 1 S. 2 BetrVG verwiesen. Danach finden die §§ 106 bis 110 BetrVG auf Unternehmen keine Anwendung, die unmittelbar und überwiegend einen der in § 118 Abs. 1 S. 1 BetrVG genannten Zwecke verfolgen. Dies war in Bezug auf die Beteiligte zu 1. der Fall, da sie karitativen Zwecken diente, ohne dass eine Gewinnerzielungsabsicht bestand. Für die Beteiligte zu 2. konnte das Ergebnis unmittelbar auf § 106 Abs. 1 BetrVG gestützt werden, denn die für einen Wirtschaftsausschuss erforderliche Zahl der in der Regel beschäftigen Arbeitnehmer war nicht erreicht. Auch die Bildung des Gemeinschaftsbetriebs rechtfertigte aus Sicht des BAG nicht die Bildung eines Wirtschaftsausschusses. Zwar sei eine analoge Anwendbarkeit von § 106 BetrVG gerechtfertigt, wenn ein einheitlicher Betrieb mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern mehreren rechtlich selbständigen Unternehmen zuzuordnen sei, bei denen jeweils für sich die Anforderungen an die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach § 106 Abs. 1 S. 1 BetrVG nicht erfüllt seien. Dies gelte jedoch nicht, wenn die an dem Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen in dem Betrieb überwiegend tendenzgeschützte Zwecke verfolgten. In diesem

59 BAG v. 19.11.2019 – 7 ABR 3/18, NZA 2020, 598.

249

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Fall scheide die Errichtung eines Wirtschaftsausschusses in analoger Anwendung von § 106 BetrVG wegen § 118 Abs. 1 S. 2 BetrVG aus60. Grundlage für die entsprechende Betrachtungsweise des BAG sind dabei die für sog. Mischunternehmen entwickelten Grundsätze. Die Arbeitnehmer werden also so behandelt, als seien sie in einem einzigen Unternehmen beschäftigt. Ob sie insgesamt überwiegend tendenzgeschützte Tätigkeiten verrichten, hängt sodann von einer quantitativen Betrachtung ab. Dabei komme es – so das BAG – darauf an, in welcher Größenordnung die beteiligten Unternehmen ihre personellen und sonstigen Mittel zur Verwirklichung der tendenzgeschützten und der nicht tendenzgeschützten Ziele regelmäßig einsetzen. Bei personalintensiven Betätigungen sei in erster Linie auf den Personaleinsatz abzustellen, also auf die Arbeitsmenge, die regelmäßig zu Erreichung der verschiedenen Unternehmensziele aufgewendet werde. Bei der Ermittlung des auf die tendenzgeschützten Bestimmungen entfallenden Personaleinsatzes sei dabei nicht nur auf die Tendenzträger abzustellen. Vielmehr seien auch die übrigen Mitarbeiter zu berücksichtigen, soweit sie mit ihrer Arbeit der Verwirklichung der tendenzgeschützten Bestimmungen dienten, indem sie z. B. die technischen Voraussetzungen für die Tendenzverwirklichung schafften61. Dass die Einbeziehung eines Tendenzunternehmens in einem gemeinsamen Betrieb der Bildung eines Wirtschaftsausschusses auf dieser Grundlage ohne Rücksicht auf die Anzahl der durch die einzelnen Unternehmen im gemeinsamen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer entgegensteht, wenn die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer der tendenzgeschützten Tätigkeit zuzuordnen ist, ist nach Auffassung des BAG auch mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Dabei hat das BAG offengelassen, ob mit dem vollständigen Ausschluss einer Anwendbarkeit der §§ 106 bis 110 BetrVG auf tendenzgeschützte Unternehmen und Betriebe ein Verstoß gegen die Richtlinie 2002/14/EG bewirkt wird62. Denn § 118 Abs. 1 BetrVG könne – so das BAG – nicht unionsrechtskonform dahin ausgelegt werden, dass bei Tendenzunternehmen oder -betrieben ein Wirtschaftsausschuss gebildet werden könne63. Darüber hinaus bestehe auch keine Verpflichtung, § 118 Abs. 1 S. 2

60 BAG v. 19.11.2019 – 7 ABR 3/18, NZA 2020, 598 Rz. 30; Fitting, BetrVG § 1 Rz. 79; Lunke, NZA 2005, 841, 845. 61 BAG v. 19.11.2019 – 7 ABR 3/18, NZA 2020, 598 Rz. 33. 62 So DKKW/Wedde, BetrVG § 118 Rz. 65; abl. Richardi/Forst, BetrVG § 118 Rz. 2; Reichhold, NZA 2003, 289, 293. 63 BAG v. 19.11.2019 – 7 ABR 3/18, NZA 2020, 598 Rz. 37 ff.

250

Bildung eines Wirtschaftsausschusses im Gemeinschaftsbetrieb

BetrVG wegen einer etwaigen Unvereinbarkeit mit Unionsrecht unangewendet zu lassen64. Ausgangspunkt der Ablehnung einer Unanwendbarkeit von § 118 Abs. 1 S. 2 BetrVG ist die Annahme des BAG, dass dies zu einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie 2002/14/EG führe. Handlungspflichten nach Maßgabe einer Richtlinie könnten allerdings nur im Verhältnis zwischen dem Bürger und allen Organisationen und Einrichtungen erfolgen, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder die von einem Mitgliedstaat mit der Erfüllung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe betraut wurden und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet worden sind, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgingen. In einem Rechtstreit zwischen Privaten, wie dies auch für das Beschlussverfahren gelte, könne sich nicht unmittelbar auf Regelungen einer Richtlinie berufen werden. Problematisch an dieser Sichtweise erscheint, dass die fehlende Unanwendbarkeit einer Rechtsvorschrift keineswegs automatisch mit der Forderung verbunden ist, die Richtlinie, deren Missachtung in Rede steht, unmittelbar zwischen Privaten anzuwenden. Vielmehr kann die Unanwendbarkeit einer Vorschrift des nationalen Rechts als Konsequenz des darin liegenden Verstoßes gegen Unionsrecht zunächst einmal (nur) zur Folge haben, dass die verbleibenden Rechtsvorschriften des nationalen Rechts zur Anwendung kommen65. Bei der hier in Rede stehenden Frage wäre also zu prüfen, ob als Konsequenz der fehlenden Anwendbarkeit von § 118 Abs. 1 S. 2 BetrVG die in §§ 106 bis 110 BetrVG getroffenen Regelungen zur Errichtung eines Wirtschaftsausschusses ohne Einschränkung auch im Tendenzunternehmen zum Tragen kommen. Hiervon ausgehend hätte das BAG die Frage einer Vereinbarkeit von § 118 Abs. 1 S. 2 BetrVG mit den Regelungen der Richtlinie 2002/14/EG nicht offenlassen dürfen. Vielmehr hätte es prüfen müssen, ob der darin liegende Ausschluss der Tendenzunternehmen aus dem Anwendungsbereich von § 106 ff. BetrVG mit den Regelungen der Richtlinie vereinbar ist. Dafür spricht, dass der Arbeitgeber auf den betriebsverfassungsrechtlichen Tendenzschutz jedenfalls dann verzichten kann, wenn dieser sich aus einer karitativen oder erzieherischen Zwecksetzung ergibt66. Dagegen spricht, dass in 64 BAG v. 19.11.2019 – 7 ABR 3/18, NZA 2020, 598 Rz. 40 ff. 65 Vgl. EuGH v. 15.1.2015 – C-176/12, NZA 2014, 193 – Association de médiation sociale. 66 So BAG v. 5.10.2000 – 1 ABR 14/00, NZA 2001, 1325 Rz. 43 ff.; Bonin, AuR 2004, 321.

251

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

der Richtlinie 2002/14/EG keine Regelung enthalten ist, die den Mitgliedstaaten erlaubt, Tendenzunternehmen ohne Rücksicht auf die Zahl der dort beschäftigten Arbeitnehmer aus Regelungen auszugrenzen, mit denen die Richtlinie umgesetzt wird. Da Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2002/14/EG eine Unterrichtung und Beratung auch über die jüngste Entwicklung und die wahrscheinliche Weiterentwicklung der Tätigkeiten der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens oder des Betriebs verlangt, könnte jedenfalls ein Teil der Angelegenheiten, die Beteiligungsrechte des Wirtschaftsausschusses auslösen, auch im Tendenzunternehmen umgesetzt werden müssen. Dies gilt insbesondere dann, wenn man – in Übereinstimmung mit dem BAG im Beschluss vom 19.11.201967 – eine Berechtigung des Betriebsrats verneint, selbst entsprechend § 106 Abs. 2 BetrVG beteiligt zu werden, wenn ein Wirtschaftsausschuss nicht gebildet werden kann.

d)

Konsequenzen für die Unternehmensmitbestimmung

Bereits die Entscheidung des BAG vom 22.3.201668 hat ergänzende Fragen in Bezug auf die Konsequenzen für die Unternehmensmitbestimmung aufgeworfen. Denn auch hier war man bislang ganz überwiegend davon ausgegangen, dass bei der Berechnung der Schwellenwerte für die Anwendbarkeit des DrittelbG und des MitbestG jeweils eine wechselseitige Zurechnung der im gemeinsamen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu erfolgen habe69. Hiervon wäre auf der Grundlage der jetzt vom BAG vertretenen Auffassung aber Abstand zu nehmen, wenn am gemeinsamen Betrieb auch die Holding beteiligt wäre und ihr nach den unterschiedlichen Vorgaben im MitbestG bzw. DrittelbG ohnehin auch die Arbeitnehmer der am gemeinsamen Betrieb beteiligten Tochtergesellschaften zugerechnet werden müssen. Ausgehend davon, dass dann im Aufsichtsrat der Holding über die Überwachung der Beteiligungsverantwortung auch die Interessen von Arbeitnehmern der Tochtergesellschaft(en) berücksichtigt werden, würde man in den Tochtergesellschaften eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat nur noch nach den jeweils in den einzelnen Unternehmen selbst beschäftigten Arbeitnehmern vornehmen. Dies könnte zum Wegfall einer solchen Arbeitnehmerbeteiligung, jedenfalls aber zu einem Wechsel von der paritätischen Mitbestimmung zur Drittelbeteiligung, führen.

67 BAG v. 19.11.2019 – 7 ABR 3/18, NZA 2020, 598 Rz. 51 ff. 68 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, 969 Rz. 11 ff. 69 HWK/Seibt, MitbestG § 1 Rz. 11; WKS/Wißmann, MitbestG § 3 Rz. 42 ff.

252

Auskunftsansprüche des Wirtschaftsausschusses im Konzern

e)

Fazit

Es bleibt abzuwarten, ob das BAG in künftigen Entscheidungen diese Konsequenzen noch einmal behandeln und vielleicht auch kritisch bewerten wird. Die Praxis muss dies im Auge behalten, zumal die Errichtung von Wirtschaftsausschüssen und die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat durchaus mit zusätzlichen Kosten und einem erhöhtem Aufwand bei der Umsetzung unternehmerischer Entscheidungen verbunden sind. (Ga)

6.

Auskunftsansprüche des Wirtschaftsausschusses im Konzern

Nach § 106 Abs. 2 BetrVG hat der Unternehmer den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens, die in Abs. 3 dieser Vorschrift unter Nrn. 1 bis 10 beispielhaft aufgeführt sind, unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten, soweit dadurch nicht die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet werden, sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Personalplanung darzustellen. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des § 106 BetrVG sind darauf ausgerichtet, den Wirtschaftsausschuss zu befähigen, gleichgewichtig mit dem Unternehmer über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmers zu beraten und andererseits den Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu unterrichten (§ 106 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Die Wahrnehmung dieser Aufgabe setzt voraus, dass der dem Wirtschaftsausschuss vermittelte Kenntnisstand über die Beratungsgegenstände sicherstellt, dass er und der von ihm unterrichtete Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat Einfluss auf die Gesamtplanung nehmen können70. Außerdem muss der Unternehmer vor geplanten unternehmerischen Entscheidungen den Wirtschaftsausschuss so frühzeitig informieren, dass dieser und der Betriebsrat durch ihre Stellungnahme und durch eigene Vorschläge die Chance haben, auf die entsprechende Beschlussfassung der Unternehmensleitung bezüglich der einzelnen wirtschaftlichen Vorhaben einwirken zu können. Wird eine Auskunft über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens i. S. d. § 106 BetrVG entgegen dem Verlangen des Wirtschaftsausschusses nicht, nicht rechtzeitig oder nur ungenügend erteilt und kommt hierüber zwischen Unternehmer und Betriebsrat eine Einigung nicht zustande, so entscheidet nach § 109 S. 1, 2 BetrVG die Einigungsstelle, deren Spruch die

70 So bereits BAG v. 22.1.1991 – 1 ABR 38/89, NZA 1991, 649 Rz. 23.

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Auskunftsansprüche des Wirtschaftsausschusses im Konzern

e)

Fazit

Es bleibt abzuwarten, ob das BAG in künftigen Entscheidungen diese Konsequenzen noch einmal behandeln und vielleicht auch kritisch bewerten wird. Die Praxis muss dies im Auge behalten, zumal die Errichtung von Wirtschaftsausschüssen und die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat durchaus mit zusätzlichen Kosten und einem erhöhtem Aufwand bei der Umsetzung unternehmerischer Entscheidungen verbunden sind. (Ga)

6.

Auskunftsansprüche des Wirtschaftsausschusses im Konzern

Nach § 106 Abs. 2 BetrVG hat der Unternehmer den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens, die in Abs. 3 dieser Vorschrift unter Nrn. 1 bis 10 beispielhaft aufgeführt sind, unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten, soweit dadurch nicht die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet werden, sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Personalplanung darzustellen. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des § 106 BetrVG sind darauf ausgerichtet, den Wirtschaftsausschuss zu befähigen, gleichgewichtig mit dem Unternehmer über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmers zu beraten und andererseits den Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu unterrichten (§ 106 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Die Wahrnehmung dieser Aufgabe setzt voraus, dass der dem Wirtschaftsausschuss vermittelte Kenntnisstand über die Beratungsgegenstände sicherstellt, dass er und der von ihm unterrichtete Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat Einfluss auf die Gesamtplanung nehmen können70. Außerdem muss der Unternehmer vor geplanten unternehmerischen Entscheidungen den Wirtschaftsausschuss so frühzeitig informieren, dass dieser und der Betriebsrat durch ihre Stellungnahme und durch eigene Vorschläge die Chance haben, auf die entsprechende Beschlussfassung der Unternehmensleitung bezüglich der einzelnen wirtschaftlichen Vorhaben einwirken zu können. Wird eine Auskunft über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens i. S. d. § 106 BetrVG entgegen dem Verlangen des Wirtschaftsausschusses nicht, nicht rechtzeitig oder nur ungenügend erteilt und kommt hierüber zwischen Unternehmer und Betriebsrat eine Einigung nicht zustande, so entscheidet nach § 109 S. 1, 2 BetrVG die Einigungsstelle, deren Spruch die

70 So bereits BAG v. 22.1.1991 – 1 ABR 38/89, NZA 1991, 649 Rz. 23.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt. Die Einigungsstelle entscheidet insoweit nicht über Regelungs-, sondern über Rechtsfragen71 und ist im Hinblick auf die ihr vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben mit einer Primärzuständigkeit ausgestattet72. Ein im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren angebrachtes Begehren, das der Primärzuständigkeit der Einigungsstelle unterfällt, ist nur dann zulässig, wenn zuvor das in § 109 BetrVG vorgesehene Konfliktlösungsverfahren durchgeführt wurde73. Das vorrangige besondere Konfliktlösungsverfahren über den Weg der Einigungsstelle als unternehmensinterne Angelegenheit erfasst sämtliche Meinungsverschiedenheiten der Betriebsparteien über konkrete Modalitäten der Unterrichtungs- und Vorlagepflicht des Unternehmers gegenüber dem Wirtschaftsausschuss74, wozu auch der Konflikt über die Art und Weise der Erteilung von Auskünften, über den Zeitpunkt der Vorlage von Unterlagen sowie über den Adressatenkreis der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses gehören. Nur bezüglich der Streitigkeiten über die Errichtung und die Tätigkeit eines Wirtschaftsausschusses sowie über die Vorfrage, ob überhaupt eine wirtschaftliche Angelegenheit i. S. v. § 106 Abs. 3 BetrVG vorliegt, ist die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts im Beschlussverfahren gem. §§ 2 a, 80 ff. ArbGG gegeben75. In der vom 1. Senat des BAG am 17.12.201976 getroffenen Entscheidung war Gegenstand der prozessualen Auseinandersetzung der Beteiligten die Frage, ob der Wirtschaftsausschuss nur über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens zu unterrichten ist, in dem er nach § 106 Abs. 1 S. 1 BetrVG gebildet ist, oder auch zusätzlich über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des dieses Unternehmen beherrschenden Unternehmens. Bei der Arbeitgeberin, die aus Schrott Stahl produzierte und zu verschiede71 BAG v. 17.12.2019 – 1 ABR 35/18, NZA 2020, 531 Rz. 18; BAG v. 12.2.2019 – 1 ABR 37/17, NZA 2019, 787 Rz. 14. 72 Vgl. BAG v. 17.12.2019 – 1 ABR 35/18, NZA 2020, 531 Rz. 16; BAG v. 12.2.2019 – 1 ABR 37/17, NZA 2019, 787 Rz. 15, 18, 22. 73 BAG v. 12.2.2019 – 1 ABR 37/17, NZA 2019, 787 Rz. 15; vgl. für ein von den Betriebsparteien vereinbartes innerbetriebliches Konfliktlösungsverfahren: BAG v. 23.2.2016 – 1 ABR 5/14, NZA 2016, 972 Rz. 19. 74 BAG v. 12.2.2019 – 1 ABR 37/17, NZA 2019, 787 Rz. 21. 75 BAG v. 17.9.1991 – 1 ABR 74/90, NZA 1992, 418 Rz. 23 f.: Ob monatliche Erfolgsrechnungen einzelner Filialen einen Bezug zu § 106 Abs. 2 BetrVG haben; BAG v. 22.1.1991 – 1 ABR 38/89, NZA 1991, 649 Rz. 22 f.: Ob der notarielle Veräußerungsvertrag über Geschäftsanteile eine wirtschaftliche Angelegenheit i. S. v. § 106 Abs. 3 BetrVG ist. 76 BAG v. 17.12.2019 – 1 ABR 35/18, NZA 2020, 531.

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Auskunftsansprüche des Wirtschaftsausschusses im Konzern

nen Produkten weiterverarbeitete, ist ein Wirtschaftsausschuss gebildet worden. Zwischen der Arbeitgeberin und einem herrschenden Unternehmen, bei dem kein Betriebsrat errichtet war, bestanden ein Gewinnabführungsvertrag und eine steuerrechtliche Organschaft. Im Zusammenhang mit der Durchführung von Kurzarbeit verlangte der Wirtschaftsausschuss von der Arbeitgeberin erfolglos Auskünfte über das herrschende Unternehmen. Eine hierzu gebildete Einigungsstelle hat am 3.11.2016 entschieden, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, laufend monatlich bestimmte Informationen und Unterlagen zu beschaffen und dem Wirtschaftsausschuss zu überlassen, die sich auf Informationen wie Auftragsbestand, Absatzplanung, Gewinn und Verlustrechnung bezogen, die ausschließlich das herrschende Unternehmen betrafen. Mit ihrer Klage hat die Arbeitgeberin um Feststellung nachgesucht, dass sie nicht verpflichtet ist, die im Spruch der Einigungsstelle genannten Auskünfte zu erteilen. Sowohl das ArbG Brandenburg77 als auch das LAG Berlin-Brandenburg78 haben dem Antrag entsprochen. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist erfolglos geblieben. In den Beschlussgründen bestätigt das BAG zunächst, dass § 109 BetrVG eine Primärzuständigkeit der Einigungsstelle für Auseinandersetzungen über Grund, Umfang und Modalitäten der Unterrichtungs- und Vorlagepflicht des Unternehmens nach § 106 Abs. 2 BetrVG vorsieht. Da die Einigungsstelle über den Inhalt gesetzlich definierter Ansprüche entscheidet, befindet sie nicht über Regelungsfragen, sondern wie das BAG ausführt, über Rechtsfragen, woraus sich zugleich ergibt, dass ihr Spruch im Gegensatz zur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle nach § 76 Abs. 5 BetrVG einer umfassenden Rechtskontrolle unterliegt. Das BAG hält in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen den Antrag der Arbeitgeberin für begründet, weil sie nach § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG keine Rechtspflicht trifft, die vom Wirtschaftsausschuss verlangten Angaben über das herrschende Unternehmen erteilen zu müssen, weshalb sich der Spruch der Einigungsstelle als unwirksam erweist. Dabei scheitert die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle nicht schon an ihrer Zuständigkeit, über das Verlangen des Wirtschaftsausschusses entscheiden zu dürfen, wobei nach Ansicht des BAG gleichgültig ist, dass sich das Unterrichtungsbegehren des Wirtschaftsausschusses auf regelmäßig wiederkehrende Informationen über bestimmte Angelegenheiten bezogen hat. Die in § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG vorgesehene rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses kann sich nach § 106 Abs. 3 BetrVG auf einmalige, aber auch auf 77 ArbG Brandenburg v. 9.8.2017 – 3 BV 28/16 n. v. 78 LAG Berlin-Brandenburg v. 19.7.2018 – 21 TaBV 33/18, NZA-RR 2018, 604.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

wiederkehrende oder dauerhafte Sachverhalte erstrecken. An dieser Bewertung ändert nach Ansicht des BAG nichts, dass die unter Vorlage von Unterlagen vorzunehmende Informationspflicht des Arbeitgebers unter dem Vorbehalt stünde, dass hierdurch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens nicht gefährdet werden. Dieser Gefährdungslage habe bereits die Einigungsstelle nachzugehen, soweit sie nicht erst nach Abschluss des Einigungsstellenverfahrens aufgetreten ist. Entscheidend für die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle war jedoch für das BAG, dass § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG lediglich eine Verpflichtung des Unternehmers zur Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens vorschreibt, in dem der Wirtschaftsausschuss nach § 106 Abs. 1 S. 1 BetrVG gebildet ist, nicht aber über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des dieses beherrschenden Unternehmens. Diese Schlussfolgerung zieht das BAG nicht nur aus dem ausdrücklichen Wortlaut des § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG, sondern auch aus den in § 106 Abs. 3 BetrVG vom Gesetzgeber aufgeführten Regelungsbeispielen der unterrichtungspflichtigen wirtschaftlichen Angelegenheiten, die jeden Bezug zu einem beherrschenden Unternehmen vermissen lassen. Dies gilt nach Ansicht des BAG auch für die beschränkte Generalklausel des § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG, wonach auch sonstige Vorgänge und Vorhaben, welche die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berühren können, zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten gehören. Insofern ging es um Fragen, die im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Unternehmens selbst, die Interessen der dort beschäftigten Arbeitnehmer wesentlich berührten und von erheblicher sozialer Auswirkung sein könnten. Dies könne etwa eine Unternehmensaufspaltung in Besitzund Betriebsgesellschaft oder den Übergang eines vom Unternehmen geführten Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber nach § 613 a Abs. 1 BGB betreffen. Schließlich sieht sich das BAG insofern durch den Zweck der Beteiligung des Wirtschaftsausschusses bestätigt, der gerade darin bestünde, dass sowohl er als auch der von ihm unterrichtete Gesamtbetriebsrat oder Betriebsrat auf unternehmerische Planungen oder Vorhaben des Arbeitgebers Einfluss nehmen können. Dieses Argument überzeugt schon deshalb, weil das beherrschte Unternehmen das herrschende Unternehmen nicht dirigiert, sondern von ihm dirigiert wird. In diesem Zusammenhang spielt auch die steuerrechtliche Organschaft keine Rolle, weil diese, wie das BAG zu Recht ausführt, eine steuerrechtliche Qualität aufweist, ohne die rechtliche Eigenständigkeit der Unternehmen aufzuheben. Für eine analoge Anwendung von § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG, dem Wirtschaftsausschuss des beherrschten Unternehmens einen Informationsan256

Auskunftsansprüche des Wirtschaftsausschusses im Konzern

spruch über die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens zu verleihen, sieht das BAG mangels einer planwidrigen Regelungslücke keinen Ansatz. Das BAG sah sich auch nicht veranlasst, ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (acte clair) im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 a Richtlinie 2002/14/EG für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer durchzuführen, weil die darin enthaltene Unterrichtungspflicht ihrem Wortlaut nach auf die Unterrichtung über die jüngste Entwicklung und die wahrscheinliche Weiterentwicklung der Tätigkeit und der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens oder des Betriebs gerichtet ist und die in Art. 2 a Richtlinie 2002/14/EG konkretisierte Begriffsbestimmung des Unternehmens ein öffentliches oder privates Unternehmen betrifft, das eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, ohne dass damit ein Bezug zu einem herrschenden Unternehmen hergestellt wird. In einer weiteren Entscheidung des 1. Senats des BAG vom 17.12.201979 ging es ebenfalls um die Zuständigkeit einer Einigungsstelle nach § 109 BetrVG, die durch Spruch die Arbeitgeberin verpflichtet hatte, bestimmte Budgetabschlüsse mit den Krankenkassen für alle Betriebsteile der Jahre 2015 und 2016 vorlegen zu müssen. Die Arbeitgeberin betrieb drei psychiatrische Fachkrankenhäuser, in denen jeweils ein Betriebsrat gewählt war. Es waren ein Gesamtbetriebsrat und ein Wirtschaftsausschuss errichtet. Die Arbeitgeberin schloss nach Maßgabe der Bundespflegegeldverordnung (BPflV) für jedes Jahr und für jedes ihrer Krankenhäuser mit den zuständigen Krankenkassen schriftliche Vereinbarungen (Budgetvereinbarungen). Die Budgetvereinbarungen wurden nach Genehmigung durch die zuständige Landesbehörde wirksam. In der Vergangenheit legte die Arbeitgeberin diese Budgetvereinbarungen dem Wirtschaftsausschuss vor. Dieser bat im Januar 2017 vergeblich um die Vorlage der Budgetvereinbarungen für die Jahre 2015 und 2016. Die daraufhin vom Gesamtbetriebsrat angerufene Einigungsstelle beschloss eine entsprechende Verpflichtung der Arbeitgeberin. Deren Spruch war vor dem Arbeitsgericht Gegenstand des Feststellungsverfahrens der Arbeitgeberin mit dem Antrag, nicht verpflichtet zu sein, dem Wirtschaftsausschuss die Budgetvereinbarungen vorlegen zu müssen. Der Antrag der Arbeitgeberin blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Zunächst geht auch in diesem Verfahren das BAG von der Primärzuständigkeit der Einigungsstelle für das Auskunftsverlangen des Wirtschaftsausschusses nach § 109 S. 1, 2 BetrVG aus und bestätigt erneut, dass der Spruch der Einigungsstelle in diesem Verfahren über eine Rechtsfrage

79 BAG v. 17.12.2019 – 1 ABR 25/18, NZA 2020, 393.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

ergeht und damit einer umfassenden Rechtskontrolle unterliegt80. Wendet sich der Arbeitgeber gegen die Wirksamkeit eines derartigen Spruchs der Einigungsstelle, dann will er nach Ansicht des BAG nicht nur dieses Ergebnis gerichtlich durchsetzen, sondern auch feststellen lassen, dass für ihn keine gesetzliche Verpflichtung besteht, dem darin ausgesprochenen Verlangen des Wirtschaftsausschusses nachzukommen. Das BAG hält den Antrag der Arbeitgeberin wie bereits die Vorinstanzen für unbegründet, weil die Einigungsstelle die Arbeitgeberin zu Recht verpflichtet habe, die für ihre Fachkrankenhäuser abgeschlossenen Budgetvereinbarungen der Jahre 2015 und 2016 dem Wirtschaftsausschuss vorlegen zu müssen. Dabei erörtert das BAG zunächst die Frage, ob die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle daran leidet, dass er nicht unterschrieben worden war81. Nach § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG sind die Beschlüsse der Einigungsstelle schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten. Das Schriftformgebot in § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG dient vorrangig der Rechtssicherheit. Die Unterschrift des Vorsitzenden beurkundet und dokumentiert nach Ansicht des BAG den Willen der Einigungsstellenmitglieder82. In den Angelegenheiten der erzwingbaren Mitbestimmung hält das BAG die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform für unverzichtbar und damit für eine Wirksamkeitsvoraussetzung des Spruchs einer Einigungsstelle83. Maßgebend dafür ist die Erwägung, dass nicht nur für die Betriebsparteien und die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer durch die Schriftform rechtssicher bestätigt werden soll, was die Einigungsstelle beschlossen hat, sondern vor allem dem Einigungsstellenspruch nur unter der Prämisse der Schriftform die gleiche normative Wirkung wie einer Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG) beizumessen ist. Demgegenüber werde durch den Spruch der Einigungsstelle nach § 109 S. 2 BetrVG kein für die Arbeitnehmer geltendes Regelwerk geschaffen, sondern – wie das BAG betont – nur eine mangelnde Einigung zwischen den Betriebspartnern über ein Auskunftsbegehren des Wirtschaftsausschusses ersetzt, was funktional einer nicht formbedürftigen Regelungsabrede entspreche. Anschließend wendet sich das BAG der Spruchkompetenz der Einigungsstelle zu, die ihr nach der gesetzlichen Konzeption des § 109 BetrVG durch

80 81 82 83

BAG v. 17.12.2019 – 1 ABR 25/18, NZA 2020, 393 Rz. 12, 14. BAG v. 17.12.2019 – 1 ABR 25/18, NZA 2020, 393 Rz. 20. BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 16 m. w. N. BAG v. 17.12.2019 – 1 ABR 25/18, NZA 2020, 393 Rz. 22; BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 16.

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Auskunftsansprüche des Wirtschaftsausschusses im Konzern

das Auskunftsbegehren des Wirtschaftsausschusses vermittelt wird, das allerdings hinreichend bestimmt auf die Erteilung einer Auskunft, die Vorlage bestimmter Unterlagen, deren jeweilige Zeitpunkte oder deren sonstige Modalitäten gerichtet sein muss. Dieser Auffassung ist schon deswegen beizupflichten, weil die Einigungsstelle über einen konkreten Konflikt der Betriebsparteien zu befinden hat, wobei es dem BAG für die erforderliche Spruchkompetenz der Einigungsstelle ausreicht, wenn sie spätestens bei Beschlussfassung der Einigungsstelle vorliegt. Insofern bestehen allerdings Bedenken, wenn sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht über die Einrichtung einer Einigungsstelle verständigen, sondern ein Bestellungsverfahren nach § 100 Abs. 1 ArbGG erforderlich ist. Im letzteren Fall muss aus dem Antrag die Spruchkompetenz der Einigungsstelle ausreichend konkret hervorgehen. In diesem Zusammenhang hat das BAG für unerheblich gehalten, ob vor Aufnahme des Einigungsstellenverfahrens eine besondere Beschlussfassung des Wirtschaftsausschusses über den Gegenstand des Einigungsstellenverfahrens getroffen worden war. Das BAG führt dazu unter Ablehnung anderslautender Rechtsprechung von Instanzgerichten84 aus, dass die Zuständigkeit einer Einigungsstelle nach § 109 BetrVG nicht voraussetzt, dass der Wirtschaftsausschuss über sein an den Unternehmer gerichtetes Auskunfts- oder Vorlageverlangen zuvor einen ordnungsgemäßen Beschluss gefasst hat. Entscheidend für diese Bewertung ist für das BAG zunächst, dass es der alleinigen Entscheidung des Betriebsrats vorbehalten bleibt, ob er die Einigungsstelle anruft. Des Weiteren sei für die Sichtweise des BAG maßgebend, dass der Wirtschaftsausschuss in seiner Funktion als Hilfsorgan des Betriebsrats weder Träger von Beteiligungs- oder Mitbestimmungsrechten sei noch die Befugnis habe, die Erfüllung von Auskunfts- oder Vorlageansprüchen nach § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG vor Gericht einfordern oder im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens austragen zu können. Allerdings darf die Argumentation des BAG nicht dahingehend verstanden werden, dass die Initiative des Betriebsrats (Gesamtbetriebsrats), die Einigungsstelle anzurufen oder das Arbeitsgericht in Anspruch zu nehmen, unabhängig von dem vorhergehenden Verlangen des Wirtschaftsausschusses möglich wäre. Wie § 109 Abs. 1 S. 1 BetrVG unmissverständlich verdeutlicht, kommt der Betriebsrat nur unter der Prämisse zum Zuge, dass der Arbeitgeber ein bestimmtes Auskunftsverlangen des Wirtschaftsausschusses i. S. d. § 106 BetrVG nicht, nicht rechtzeitig oder nur ungenügend erteilt. „Hierüber“ bedarf es zwischen

84 LAG Schleswig-Holstein v. 24.11.2016 – 4 TaBV 40/16 n. v. (Rz. 16 f.); LAG Düsseldorf v. 26.2.2016 – 4 TaBV 8/16, ZTR 2016, 352 Rz. 73 f.; LAG Hamm v. 2.11.2015 – 13 TaBV 70/15 n. v. (Rz. 3 f.).

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Arbeitgeber und Betriebsrat nach § 109 S. 1 Halbs. 2 BetrVG des Versuchs einer Einigung, bevor der Betriebsrat den Weg zur Einigungsstelle suchen kann, wenn er das Auskunfts- oder Vorlageverlangen durchsetzen will. Da der Wirtschaftsausschuss als Gremium entscheidet, muss daher notwendigerweise zunächst eine Meinungsbildung des Gremiums über den Gegenstand und Inhalt des Auskunftsverlangens vorliegen, wobei gleichgültig ist, ob die entsprechende Abstimmung in der Sitzung unter Teilnahme des Arbeitgebers oder in einer vorbereitenden Sitzung stattfindet85. Diese Entscheidung des Gremiums bedarf nur keiner förmlichen, einem Betriebsratsbeschluss entsprechenden Beschlussfassung (§§ 33, 34 BetrVG), die auch für die Sitzungen des Wirtschaftsausschusses nicht vorgesehen ist. Anschließend geht das BAG davon aus, dass die Budgetabschlüsse der Arbeitgeberin mit den Krankenkassen der Jahre 2015 und 2016 als wirtschaftliche Angelegenheiten i. S. v. § 106 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG für die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung des Krankenhausunternehmens von Bedeutung sind, weil die Budgetvereinbarungen für den Finanzierungsrahmen der drei Krankenhäuser entscheidende Vorgaben enthielten. Insofern ginge es auch bei den Budgetabschlüssen um erforderliche Unterlagen i. S. v. § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG, die für die gewünschten Auskünfte geeignet und aussagekräftig seien, und anhand derer die Informationspflichten über die wirtschaftlichen Angelegenheiten erfüllt würden. Deshalb müsse auch deren Vorlage an den Wirtschaftsausschuss erfolgen. Den erstmals in der Rechtsbeschwerde erhobenen Einwand einer Gefährdung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen seitens der Arbeitgeberin, um der Pflicht zur Unterrichtung und zur Vorlage von Unterlagen zu begegnen, lässt das BAG nicht gelten, weil diese Frage gegenständlich von der Einigungsstelle im Rahmen ihrer Primärzuständigkeit zu entscheiden sei. Unterlässt der Arbeitgeber diesen Einwand im Verfahren vor der Einigungsstelle, so ist er nach Auffassung des BAG damit im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren präkludiert, es sei denn, dass die eine Gefährdung auslösenden Umstände erst nach Abschluss des Einigungsstellenverfahrens aufgetreten seien. Beide Entscheidungen des BAG verdeutlichen für die betriebliche Praxis die einzelnen Verfahrensschritte und Zuständigkeitsverteilungen zwischen dem Arbeitsgericht und der Einigungsstelle, wenn der Arbeitgeber und der Wirtschaftsausschuss uneinig darüber sind, ob und in welcher Art und Weise Auskünfte über wirtschaftliche Angelegenheiten unter Vorlage von Unterla85 BAG v. 16.3.1982 – 1 AZR 406/80, DB 1982, 1326 Rz. 33 f.: Zulässigkeit einer Wirtschaftsausschusssitzung ohne Anwesenheit des Unternehmers.

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Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer Versetzung in den „Personalüberhang“

gen i. S. v. § 106 Abs. 2, 3 BetrVG zu erteilen sind. Außerdem enthalten die Entscheidungen wichtige und neue Hinweise für die Spruchkompetenz der Einigungsstelle nach § 109 S. 1, 2 BetrVG, die gerade im Bestellungsverfahren nach § 100 ArbGG von der Spruchpraxis einiger Landesarbeitsgerichte abweichen. Schließlich wird auch das Schriftformgebot der Beschlussfassung der Einigungsstelle für Regelungsfragen aus § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG86 als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Spruch des auf Rechtsfragen ausgerichteten Einigungsstellenverfahrens nach § 109 S. 2 BetrVG relativiert und der fehlenden Unterschrift des Vorsitzenden der Einigungsstelle kein unheilbarer, zur Unwirksamkeit führender Verfahrensfehler beigemessen. (Boe)

7.

Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer Versetzung in den „Personalüberhang“

Die Umstrukturierung eines Unternehmens muss nicht notwendig die Beendigung der Arbeitsverhältnisse zur Folge haben. Vielfach wird arbeitgeberseitig versucht, die vom Wegfall ihres Arbeitsplatzes betroffenen Arbeitnehmer unter Berücksichtigung von Qualifikationsmaßnahmen auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb, Unternehmen oder Konzern einzusetzen. Einige Unternehmen versuchen sogar darüber hinaus, Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung im Unternehmen ausgeschlossen ist, in eine Anschlussbeschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt zu vermitteln. Entsprechende Maßnahmen können – wenn die unternehmensexterne Vermittlung im Vordergrund steht – durch eine Outplacement-Beratung oder den Wechsel in eine Transfergesellschaft gemäß § 111 SGB III unterstützt werden. Denkbar ist, im Zusammenhang damit auch Transfermaßnahmen gemäß § 110 SGB III durchzuführen. Wenn die unternehmensinterne Vermittlung im Vordergrund steht, kommen vor allem Fördermaßnahmen entsprechend § 82 SGB III in Betracht. Hier hatte der Gesetzgeber, wie an anderer Stelle dargestellt87, in diesem Frühjahr nicht nur den Umfang der Fördermaßnahmen erweitert, sondern auch die tatbestandlichen Voraussetzungen abgesenkt.

86 Zu § 76 Abs. 3 BetrVG: BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 45/12, NZA 2014, 862 Rz. 13 f.: Die Unterzeichnung des Einigungsstellenspruchs durch den Vorsitzenden kann nach dem Rechtsgedanken des § 126 Abs. 3 BGB nicht durch die elektronische Form und auch nicht durch die Textform ersetzt werden. 87 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 24 ff.

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Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer Versetzung in den „Personalüberhang“

gen i. S. v. § 106 Abs. 2, 3 BetrVG zu erteilen sind. Außerdem enthalten die Entscheidungen wichtige und neue Hinweise für die Spruchkompetenz der Einigungsstelle nach § 109 S. 1, 2 BetrVG, die gerade im Bestellungsverfahren nach § 100 ArbGG von der Spruchpraxis einiger Landesarbeitsgerichte abweichen. Schließlich wird auch das Schriftformgebot der Beschlussfassung der Einigungsstelle für Regelungsfragen aus § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG86 als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Spruch des auf Rechtsfragen ausgerichteten Einigungsstellenverfahrens nach § 109 S. 2 BetrVG relativiert und der fehlenden Unterschrift des Vorsitzenden der Einigungsstelle kein unheilbarer, zur Unwirksamkeit führender Verfahrensfehler beigemessen. (Boe)

7.

Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer Versetzung in den „Personalüberhang“

Die Umstrukturierung eines Unternehmens muss nicht notwendig die Beendigung der Arbeitsverhältnisse zur Folge haben. Vielfach wird arbeitgeberseitig versucht, die vom Wegfall ihres Arbeitsplatzes betroffenen Arbeitnehmer unter Berücksichtigung von Qualifikationsmaßnahmen auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb, Unternehmen oder Konzern einzusetzen. Einige Unternehmen versuchen sogar darüber hinaus, Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung im Unternehmen ausgeschlossen ist, in eine Anschlussbeschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt zu vermitteln. Entsprechende Maßnahmen können – wenn die unternehmensexterne Vermittlung im Vordergrund steht – durch eine Outplacement-Beratung oder den Wechsel in eine Transfergesellschaft gemäß § 111 SGB III unterstützt werden. Denkbar ist, im Zusammenhang damit auch Transfermaßnahmen gemäß § 110 SGB III durchzuführen. Wenn die unternehmensinterne Vermittlung im Vordergrund steht, kommen vor allem Fördermaßnahmen entsprechend § 82 SGB III in Betracht. Hier hatte der Gesetzgeber, wie an anderer Stelle dargestellt87, in diesem Frühjahr nicht nur den Umfang der Fördermaßnahmen erweitert, sondern auch die tatbestandlichen Voraussetzungen abgesenkt.

86 Zu § 76 Abs. 3 BetrVG: BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 45/12, NZA 2014, 862 Rz. 13 f.: Die Unterzeichnung des Einigungsstellenspruchs durch den Vorsitzenden kann nach dem Rechtsgedanken des § 126 Abs. 3 BGB nicht durch die elektronische Form und auch nicht durch die Textform ersetzt werden. 87 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 24 ff.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Soweit Arbeitnehmer während entsprechender Qualifikationsmaßnahmen im Rahmen ihrer bisherigen Aufgaben weiter eingesetzt werden können, kommt eine Versetzung nicht in Betracht. Wenn diese Weiterbeschäftigungsmöglichkeit als Konsequenz der Reorganisationsmaßnahmen aber entfällt, wird insbesondere im Zusammenhang mit größeren Umstrukturierungsmaßnahmen immer wieder versucht, die Einbindung des Arbeitnehmers in notwendige Qualifikations- und Vermittlungsmaßnahmen durch einen Wechsel der hiervon betroffenen Arbeitnehmer in eine entsprechende Einheit zu verstärken. Sobald Arbeitnehmer dem „Personalüberhang“ zugeordnet worden sind, soll durch einen Wechsel in diese Einheit ohne eine Ablenkung durch die bisherigen arbeitsplatzbezogenen Pflichten versucht werden, sie in die Lage zu versetzen, auf einen anderen Arbeitsplatz im Unternehmen oder Konzern zu wechseln. Bei entsprechenden Personalmaßnahmen kommt nicht nur eine Beteiligung des Betriebsrats gemäß §§ 96 ff., 111, 112 BetrVG in Betracht. Wie die Entscheidung des BAG vom 9.4.201988 deutlich macht, dürfte im Zweifel auch die Beteiligung wegen einer Versetzung gemäß §§ 95 Abs. 3, 99 BetrVG erforderlich sein. In dem zugrunde liegenden Fall hatte T-Systems im April 2014 mit dem Gesamtbetriebsrat eine Rahmenvereinbarung zu mehreren „Transformationsprogrammen“ geschlossen. Die Rahmenvereinbarung bestimmte unter anderem das Verfahren, nach dem die Festlegung der Arbeitnehmer erfolgen sollte, die von dem Wegfall ihres Arbeitsplatzes betroffen waren. Ergänzend hierzu war die Vorgehensweise für den Fall einer Teilbetroffenheit vereinbart worden. Auf dieser Grundlage oblag dem Arbeitgeber die Entwicklung eines Vorschlags, der einem Umsetzungsteam zur abschließenden Entscheidung vorgelegt werden sollte. Kam dieses zu einer anderen Einschätzung, war ein Eskalationsmechanismus bestimmt worden. Im Anschluss an eine entsprechende Festlegung der vom Arbeitsplatzwegfall betroffenen Arbeitnehmer wurden diese in die Betreuung des „Job Service and Placement“ (JSP) übergeben. Dabei handelte es sich um eine Einheit, die die Arbeitnehmer bis zur Weitervermittlung auf einem anderen Arbeitsplatz betreute, sie bei der Suche nach anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des Unternehmens unterstützte und ihnen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten vermittelte. Zu diesem Zweck wurden die betroffenen Arbeitnehmer aus den bisherigen operativen Betriebsprozessen herausgenommen; gleichzeitig übernahm ein Placement-

88 BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 25/17 n. v. (Rz. 22).

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Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer Versetzung in den „Personalüberhang“

Verantwortlicher ihre Betreuung und unterbreitete Beschäftigungsangebote. Den Arbeitnehmern selbst oblag es, sich insbesondere durch Bewerbungen, temporäre Projekteinsätze und erforderliche Qualifizierungsmaßnahen aktiv an der Arbeitsplatzvermittlung zu beteiligen. Dem aktuellen Verfahren beim BAG ging eine Entscheidung des Arbeitgebers voraus, mit der die Klägerin zunächst einmal dem Personalüberhang und anschließend der Einheit JSP zugeordnet wurde. Daran anknüpfend wurde der Betriebsrat gebeten, der beabsichtigten Versetzung gemäß § 99 BetrVG zuzustimmen. Als dieser die Zustimmung verweigerte, leitete der Arbeitgeber ein Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG ein und führte eine vorläufige Umsetzung der Personalmaßnahme gemäß § 100 BetrVG durch. Das BAG hat in seinem Beschluss vom 9.4.201989 zwar bestätigt, dass die streitgegenständliche Maßnahme als Versetzung i. S. d. § 95 Abs. 3 BetrVG zu qualifizieren war. Da dem Betriebsrat im Zusammenhang mit der Beteiligung nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht die erforderlichen Informationen zugeleitet wurden, konnte die verweigerte Zustimmung allerdings nicht ersetzt werden. Auf die Gründe, die den Betriebsrat zu seiner Zustimmungsverweigerung bewogen hatten, kam es deshalb nicht an. Gemäß § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG handelt es sich bei einer Versetzung um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Unter dem Begriff des Arbeitsbereichs versteht das BAG dabei die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und die Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs. Der Begriff des Arbeitsbereichs sei dabei räumlich und funktional zu verstehen. Er umfasse neben der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handele es sich daher, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert habe, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen betrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen sei90. Keine zustimmungspflichtige Versetzung liege dagegen vor, wenn dem Arbeitnehmer nur sein bisheriger Arbeitsbereich entzogen und kein neuer zugewiesen werde. Solange der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht zu einer anderen Tätigkeit bestimme, sei deshalb für ei-

89 BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 25/17 n. v. 90 BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 56/14, ZTR 2017, 192 Rz. 13.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

ne Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG kein Raum91. Folgerichtig stellt auch die Freistellung eines Arbeitnehmers von der Pflicht zur Arbeitsleistung keine Versetzung nach § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG dar. Hiervon ausgehend stellte die Zuordnung der Klägerin zum Bereich JSP eine mitbestimmungspflichtige Versetzung i. S. d. § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG dar. Denn mit der Zuweisung in die Betreuung durch die Einheit JSP wurde die Klägerin nicht nur aus ihrem bisherigen Aufgabenumfeld entfernt. Vielmehr sollte ihr auch die Verpflichtung aufgetragen werden, sich aktiv an der Vermittlung auf einen neuen Arbeitsplatz zu beteiligen. Im Gegensatz zu einer mitbestimmungspflichtigen Freistellung war damit die Zuweisung einer veränderten Leistungspflicht verbunden. Für die Klägerin sollte sich also nicht nur die Einbindung in die betriebliche Organisation ändern. Vielmehr sollte ihr auch eine andere Aufgabe und Art der Tätigkeit zugewiesen werden. In Übereinstimmung mit der Einschätzung des Arbeitgebers war daher von einer mitbestimmungspflichtigen Versetzung auszugehen, die einer Zustimmung des Betriebsrats bedurfte. Die nach einer Verweigerung seiner Zustimmung beantragte Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG konnte durch das Arbeitsgericht allerdings nur dann erteilt werden, wenn der Arbeitgeber im Rahmen von § 99 Abs. 1 BetrVG eine ordnungsgemäße Unterrichtung bewirkt hatte. Denn nur diese setzt – so das BAG – die Frist für die Zustimmungsverweigerung in Lauf. Gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über die beabsichtigte personelle Einzelmaßnahme unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen ausreichend unterrichten. Mithilfe der übermittelten Tatsachen müsse der Betriebsrat in die Lage versetzt werden zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe vorliege92. In der betrieblichen Praxis ist es außerordentlich wichtig, dass arbeitgeberseitig die Vollständigkeit der Unterrichtung gewährleistet wird. Erst mit vollständiger Unterrichtung beginnt die Wochenfrist; nur mit vollständiger Unterrichtung kann bei einer Zustimmungsverweigerung eine gerichtliche Ersetzung der Zustimmung gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG bewirkt werden. Dies gilt, wie das BAG im Beschluss vom 9.4.201993 deutlich gemacht hat, 91 BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 25/17 n. v. (Rz. 21); BAG v. 17.2.2015 – 1 ABR 45/13, NZA 2015, 762 Rz. 28. 92 BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 25/17 n. v. (Rz. 28); BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 39/11 n. v. (Rz. 31 f.). 93 BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 25/17 n. v. (Rz. 28).

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Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer Versetzung in den „Personalüberhang“

auch dann, wenn es der Betriebsrat unterlässt, den Arbeitgeber auf die offenkundige Unvollständigkeit der Unterrichtung hinzuweisen. Die Wochenfrist beginne auch dann nicht, wenn der Betriebsrat zum Zustimmungsersuchen in der Sache Stellung nehme und seine Zustimmung in Bezug auf Gründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG verweigere94. Allenfalls dann, wenn der Arbeitgeber habe davon ausgehen können, den Betriebsrat vollständig unterrichtet zu haben, könne es Sache des Betriebsrats sein, innerhalb der Wochenfrist um Vervollständigung der Auskünfte zu bitten. Dies setzt nach den Feststellungen des BAG im Beschluss vom 13.3.201395 aber voraus, dass der Betriebsrat innerhalb einer an sich wirksam verlängerten Zustimmungsverweigerungsfrist die berechtigte Rüge ausspricht, dass die Unterrichtung unvollständig geblieben ist. Hier lag keine ordnungsmäße Unterrichtung gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG vor. Denn der Arbeitgeber hätte den Betriebsrat bei der beabsichtigten Versetzung der Klägerin insbesondere über den Kreis der in die Auswahl einbezogenen (teilbetroffenen) Arbeitnehmer informieren und ihm die Merkmale mitteilen müssen, auf Grundlage derer die Auswahl durch das Umsetzungsteam erfolgt war. Hierzu hätten auch Informationen darüber gehört, von welchen sozialen Gesichtspunkten der in den Kreis einbezogenen Arbeitnehmer und von welcher fachlichen Qualifikation der Beschäftigten in Bezug auf die verbleibenden Arbeitsplätze das Umsetzungsteam ausgegangen war. Dabei hätte der Arbeitgeber dem Betriebsrat auch die Unterlagen vorlegen müssen, die dem Umsetzungsteams im Rahmen des Auswahlverfahrens zur Verfügung gestellt wurden. Ohne diese Informationen war es dem Betriebsrat nicht möglich, die Einhaltung des in der Gesamtbetriebsvereinbarung getroffenen Auswahlverfahrens zu überprüfen. Damit aber konnte er nicht bewerten, ob ein Grund für die Verweigerung der Zustimmung gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG gegeben war. Der Entscheidung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie zeigt noch einmal, wie wichtig vor allem die Vorbereitung einer Beteiligung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen nach § 99 BetrVG ist. Wichtig ist allerdings, dass der Arbeitgeber fehlende Informationen auch im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG „nachliefern“ und dies mit einem erneuten Antrag auf Zustimmung verbinden kann. Mit Zugang dieser Information beim Betriebsrat bewirkt dies den Beginn der Wochenfrist. Ausgeschlossen ist eine solche Nachunterrichtung lediglich 94 BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 25/17 n. v. (Rz. 28); BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 55/03, NZA 2005, 827 Rz. 48. 95 BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 39/11 n. v. (Rz. 34 f.).

265

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

dann, wenn die personelle Einzelmaßnahme ohne jede vorangehende Beteiligung des Betriebsrats durchgeführt wurde. Dann ist der Arbeitgeber zunächst einmal gehalten, sie rückgängig zu machen, bevor erneut auf der Grundlage von §§ 99, 100 BetrVG die Umsetzung bewirkt werden kann. Wir hatten über die entsprechende Vorgabe des BAG in seinem Beschluss vom 12.6.201996 berichtet97. (Ga)

8.

Keine Beteiligung des Gesamtbetriebsrats bei Vorgesetztenwechsel in Matrix-Organisation

Bereits im Herbst hatten wir auf die neue Rechtsprechung des BAG zur Notwendigkeit einer Beteiligung des Betriebsrats im Zusammenhang mit einem Vorgesetztenwechsel in der Matrix-Organisation berichtet98. Im Mittelpunkt stand dabei die Entscheidung des BAG vom 12.6.201999, mit der das BAG im Ergebnis einen wesentlichen Teil seiner Feststellungen im Beschluss vom 13.12.2005100 eingeschränkt bzw. aufgegeben hatte. Nach diesen (veränderten) Feststellungen verlange die für die Einstellung nach § 99 BetrVG notwendige Eingliederung nicht, dass der betroffene Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichte. Maßgebend sei vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs durch weisungsgebundene Tätigkeit verwirkliche. Werde ein Arbeitnehmer, der seinen Dienstsitz in einem bestimmten Betrieb des Unternehmens habe und dort regelmäßig tätig sei, zum Vorgesetzten von unternehmensangehörigen Arbeitnehmern ernannt, die in einem Betrieb arbeiteten, und verwirkliche er durch die Wahrnehmung dieser Führungsaufgaben (auch) den arbeitstechnischen Zweck dieses anderen Betriebs, sei eine Einstellung i. S. d. § 99 BetrVG gegeben. Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass der Arbeitgeber nicht nur den Betriebsrat, in dessen Betrieb der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, mit Blick auf die zusätzliche Aufgabe wegen einer möglichen Versetzung nach §§ 95 Abs. 3, 99 BetrVG zu beteiligen hat. Dieser Betriebsrat kann gemäß § 93 BetrVG auch eine Ausschreibung verlangen. Vielmehr muss der Betriebsrat wegen des Wechsels des Vorgesetzten innerhalb einer Matrix-Organisation auch die Betriebsräte der Einheiten, innerhalb derer die 96 BAG v. 21.11.2018 – 7 ABR 16/17, NZA 2019, 711. 97 B. Gaul, AktuellAR 2019, 241 ff. 98 B. Gaul, AktuellAR 2019, 578 ff. 99 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, NZA 2019, 1288. 100 BAG v. 13.12.2005 – 1 ABR 51/04, NZA 2006, 1369 Rz. 12 ff.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

dann, wenn die personelle Einzelmaßnahme ohne jede vorangehende Beteiligung des Betriebsrats durchgeführt wurde. Dann ist der Arbeitgeber zunächst einmal gehalten, sie rückgängig zu machen, bevor erneut auf der Grundlage von §§ 99, 100 BetrVG die Umsetzung bewirkt werden kann. Wir hatten über die entsprechende Vorgabe des BAG in seinem Beschluss vom 12.6.201996 berichtet97. (Ga)

8.

Keine Beteiligung des Gesamtbetriebsrats bei Vorgesetztenwechsel in Matrix-Organisation

Bereits im Herbst hatten wir auf die neue Rechtsprechung des BAG zur Notwendigkeit einer Beteiligung des Betriebsrats im Zusammenhang mit einem Vorgesetztenwechsel in der Matrix-Organisation berichtet98. Im Mittelpunkt stand dabei die Entscheidung des BAG vom 12.6.201999, mit der das BAG im Ergebnis einen wesentlichen Teil seiner Feststellungen im Beschluss vom 13.12.2005100 eingeschränkt bzw. aufgegeben hatte. Nach diesen (veränderten) Feststellungen verlange die für die Einstellung nach § 99 BetrVG notwendige Eingliederung nicht, dass der betroffene Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichte. Maßgebend sei vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs durch weisungsgebundene Tätigkeit verwirkliche. Werde ein Arbeitnehmer, der seinen Dienstsitz in einem bestimmten Betrieb des Unternehmens habe und dort regelmäßig tätig sei, zum Vorgesetzten von unternehmensangehörigen Arbeitnehmern ernannt, die in einem Betrieb arbeiteten, und verwirkliche er durch die Wahrnehmung dieser Führungsaufgaben (auch) den arbeitstechnischen Zweck dieses anderen Betriebs, sei eine Einstellung i. S. d. § 99 BetrVG gegeben. Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass der Arbeitgeber nicht nur den Betriebsrat, in dessen Betrieb der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, mit Blick auf die zusätzliche Aufgabe wegen einer möglichen Versetzung nach §§ 95 Abs. 3, 99 BetrVG zu beteiligen hat. Dieser Betriebsrat kann gemäß § 93 BetrVG auch eine Ausschreibung verlangen. Vielmehr muss der Betriebsrat wegen des Wechsels des Vorgesetzten innerhalb einer Matrix-Organisation auch die Betriebsräte der Einheiten, innerhalb derer die 96 BAG v. 21.11.2018 – 7 ABR 16/17, NZA 2019, 711. 97 B. Gaul, AktuellAR 2019, 241 ff. 98 B. Gaul, AktuellAR 2019, 578 ff. 99 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, NZA 2019, 1288. 100 BAG v. 13.12.2005 – 1 ABR 51/04, NZA 2006, 1369 Rz. 12 ff.

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Mitbestimmung des Betriebsrats bei außerbetrieblichen Wegezeiten

nachgeordneten Mitarbeiter beschäftigt werden, wegen einer Einstellung nach § 99 BetrVG beteiligen101. Dies führt zu einer erheblichen Erweiterung der gesetzlichen Beteiligungsrechte von Betriebsräten in MatrixOrganisationen. Wichtig ist deshalb, dass das BAG in seinem jetzt vorliegenden Urteil vom 22.10.2019102 deutlich gemacht hat, dass der betriebsübergreifende Charakter der Personalmaßnahme keine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zur Folge hat. Folgerichtig ist der Gesamtbetriebsrat auch nicht in der Lage, auf der Grundlage von § 101 BetrVG eine Aufhebung der Personalmaßnahme zu verlangen. (Ga)

9.

Mitbestimmung des Betriebsrats bei außerbetrieblichen Wegezeiten

Soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, hat der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bei der Festlegung des Beginns und Endes der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen und der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. Kommt eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht zustande, wird diese durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt (§ 87 Abs. 2 BetrVG). In dem Beschluss vom 22.10.2019103 ging es nun um die Frage, ob der Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG auch das Recht ableiten kann, bei der Festlegung von Wegezeiten von der Wohnung oder dem jeweiligen Aufenthaltsort des im Fahrdienst beschäftigten Personals bis zum jeweiligen Ort des Einsatzbeginns (und umgekehrt) mitzubestimmen. Ausgangspunkt war dabei seine These, dass solche Wegezeiten dem Bereich der mitbestimmungspflichtigen Arbeitszeit i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zugeordnet werden müssten. Das BAG ist dieser Sichtweise nicht gefolgt und hat die zum Gegenstand eines Antrags gemachte Rechtsauffassung des Arbeitgebers bestätigt, nach der diese Wegezeiten keine Arbeitszeit im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne sind und nicht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unterliegen. Denn dabei handele es sich um durch die private Lebensführung bestimmte Zeitspannen, deren verteilende Ausgestaltung keiner Mitbestimmung zugänglich sei.

101 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, NZA 2019, 1288 Rz. 16 ff., 34, 40 ff. 102 BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, NZA 2020, 61 Rz. 11. 103 BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, NZA 2020, 325 Rz. 21 ff.

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Mitbestimmung des Betriebsrats bei außerbetrieblichen Wegezeiten

nachgeordneten Mitarbeiter beschäftigt werden, wegen einer Einstellung nach § 99 BetrVG beteiligen101. Dies führt zu einer erheblichen Erweiterung der gesetzlichen Beteiligungsrechte von Betriebsräten in MatrixOrganisationen. Wichtig ist deshalb, dass das BAG in seinem jetzt vorliegenden Urteil vom 22.10.2019102 deutlich gemacht hat, dass der betriebsübergreifende Charakter der Personalmaßnahme keine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zur Folge hat. Folgerichtig ist der Gesamtbetriebsrat auch nicht in der Lage, auf der Grundlage von § 101 BetrVG eine Aufhebung der Personalmaßnahme zu verlangen. (Ga)

9.

Mitbestimmung des Betriebsrats bei außerbetrieblichen Wegezeiten

Soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, hat der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bei der Festlegung des Beginns und Endes der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen und der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. Kommt eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht zustande, wird diese durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt (§ 87 Abs. 2 BetrVG). In dem Beschluss vom 22.10.2019103 ging es nun um die Frage, ob der Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG auch das Recht ableiten kann, bei der Festlegung von Wegezeiten von der Wohnung oder dem jeweiligen Aufenthaltsort des im Fahrdienst beschäftigten Personals bis zum jeweiligen Ort des Einsatzbeginns (und umgekehrt) mitzubestimmen. Ausgangspunkt war dabei seine These, dass solche Wegezeiten dem Bereich der mitbestimmungspflichtigen Arbeitszeit i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zugeordnet werden müssten. Das BAG ist dieser Sichtweise nicht gefolgt und hat die zum Gegenstand eines Antrags gemachte Rechtsauffassung des Arbeitgebers bestätigt, nach der diese Wegezeiten keine Arbeitszeit im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne sind und nicht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unterliegen. Denn dabei handele es sich um durch die private Lebensführung bestimmte Zeitspannen, deren verteilende Ausgestaltung keiner Mitbestimmung zugänglich sei.

101 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, NZA 2019, 1288 Rz. 16 ff., 34, 40 ff. 102 BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, NZA 2020, 61 Rz. 11. 103 BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, NZA 2020, 325 Rz. 21 ff.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Nach den Feststellungen des BAG ist der Begriff der betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitszeit in § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG – ebenso wie der in § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG – nicht gänzlich deckungsgleich mit dem Begriff der vergütungspflichtigen Arbeitszeit, der Arbeitszeit nach dem ArbZG oder dem nach der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie). Er bestimme sich vielmehr nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts. Arbeitszeit i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG sei deshalb die Zeit, während der der Arbeitnehmer die von ihm in einem konkreten zeitlichen Umfang geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich zu erbringen habe. Diese richte sich nach der vertraglichen oder tarifvertraglichen Vereinbarung. Es gehe also um die Festlegung des Zeitraums, während dessen der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer die Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflichten verlangen und dieser sie ihm ggf. mit der Folge des § 293 BGB anbieten könne104. Arbeit in diesem Zusammenhang sei eine Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene105. Wichtig dabei ist zunächst einmal die völlig zutreffende Klarstellung, dass der Umfang des – mitbestimmt zu verteilenden – Arbeitszeitvolumens nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Ein Mitbestimmungsrecht besteht auch nicht in Bezug auf die Rechtsfrage, ob Zeitspannen oder bestimmte Tätigkeiten dem Begriff der betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitszeit zuzuordnen sind und daran anknüpfend ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG auslösen können. Beide Fragestellungen sind – so das BAG – ggf. auch unter Heranziehung und Auslegung einschlägiger tariflicher oder arbeitsvertraglicher Regelungen zu beantworten106. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall machte der Betriebsrat geltend, dass bei der Festlegung von Dienstplänen auch Wegezeiten einzubeziehen seien, die auf den Wegen zwischen der Wohnung (oder einem anderen, selbstgewählten Aufenthaltsort) des Arbeitnehmers zur Arbeitsstelle und zurück verbracht würden. Betroffen hiervon waren Fahrer, die im Bereich des ÖPNV (Busse/U-Bahnen) eingesetzt wurden. Zur Begründung verwies der Betriebsrat darauf, dass das Fahrpersonal auf dem Weg von und zur Arbeit diverse Ausweisdokumente sowie ein von der Arbeitgeberin gestelltes Smartphone, dessen private Nutzung gestattet war, bei sich führte. Darüber hinaus sei das Fahrpersonal verpflichtet, den Dienst mit bestimmten

104 So bereits BAG v. 17.11.2015 – 1 ABR 76/13, NZA 2016, 247 Rz. 24. 105 BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, NZA 2020, 325 Rz. 22; BAG v. 14.11.2006 – 1 ABR 5/06, NZA 2007, 458 Rz. 28. 106 BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, NZA 2020, 325 Rz. 23; BAG v. 22.7.2003 – 1 ABR 28/02, NZA 2004, 507 Rz. 46 f.; Fitting, BetrVG § 87 Rz. 114.

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Mitbestimmung des Betriebsrats bei außerbetrieblichen Wegezeiten

Arbeitsmitteln anzutreten, die die Fahrer mangels von der Arbeitgeberin vorgehaltener Rüststellen auf den Wegen zur und von der Arbeit bei sich trugen. Bei den U-Bahnfahrern umfasste das Fahrer-, Tor- und Dreikantschlüssel, Diensttaschenlampe, Warnweste, Arbeitsschutzhandschuhe und Signalpfeife; bei den Omnibusfahrern ein Fahrerabrechnungsmodul, einen Geldwechsler, 30 € Wechselgeld, Ersatzfahrscheinrollen, Dreikant-/ Vierkant- und Toilettenschlüssel sowie Fahrtbericht und Unfallformular. Wegen dieser Mitnahme der Arbeitsmittel handele es sich um eine mitbestimmungspflichtige Arbeitszeit. Dies gelte unabhängig von der Frage, ob – was durch firmenbezogenen Verbandstarifvertrag vereinbart worden war – der Arbeitgeber für diese Zeiten eine pauschale Vergütung leistete. Dieser Einschätzung ist das BAG nicht gefolgt. Nach seinen Feststellungen erbringt der Arbeitnehmer durch das bloße Zurücklegen des Weges von der Wohnung (oder einem anderen, selbstgewählten Aufenthaltsort) zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit; dies gelte unabhängig von der Frage, ob diese Zeit durch den Arbeitgeber vergütet werden müsse107. Diese Wegezeiten seien nicht Arbeitszeiten, sondern gehörten dem außerdienstlichen Bereich privater Lebensführung an. Ob überhaupt und in welchem Umfang sie anfielen, hänge maßgeblich davon ab, welchen Wohn- und Aufenthaltsort der Arbeitnehmer vor Dienstbeginn bzw. nach Dienstende selbstbestimmt wähle108. Zudem sei er frei in seiner Entscheidung über Beginn und Verlauf der Wegstrecke sowie in der Wahl des Fortbewegungsmittels. Das zwangsläufig variierende Volumen der Wegezeiten sei damit allein von den individuellen und aktuellen Entscheidungen des Arbeitnehmers beeinflusst109. Die zeitlichen Aufwände für das Zurücklegen des Weges von der Wohnung (oder einem anderen Aufenthaltsort) zur Arbeitsstelle und zurück verschlössen sich auch jeglicher Pauschalierung. Denn die sie bestimmenden außerbetrieblichen Umstände unterfielen nicht der Regelungskompetenz der Betriebsparteien. Das Verhalten eines Arbeitnehmers im privaten Lebensbereich stehe grundsätzlich außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers110. Entsprechend ist es auch nicht mitbestimmbar111.

107 Vgl. BAG v. 18.3.2020 – 5 AZR 36/19 n. v.; BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 424/17, NZA 2018, 1211 Rz. 18. 108 So bereits BAG v. 27.7.2016 – 7 AZR 255/14, NZA 2016, 1418 Rz. 19. 109 BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, NZA 2020, 325 Rz. 27. 110 BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, NZA 2020, 325 Rz. 28; BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362 Rz. 58. 111 BAG v. 18.7.2006 – 1 AZR 578/05, NZA 2007, 462 Rz. 24.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Dass Fahrpersonal während der streitgegenständlichen Zeiten Arbeitsmittel bei sich führe, sei – so das BAG – für die Bewertung der Wegezeiten ohne Belang. Das Mitführen rein betrieblicher Mittel beruhe darauf, dass das Fahrpersonal den Dienst mit dieser Ausrüstung anzutreten habe, die Arbeitgeberin aber keine (inner-)betrieblichen Rüststellen vorhalte. Auf solche, die Arbeitnehmer belastenden – ggf. auch unwirksame – Weisungen seitens des Arbeitgebers erstrecke sich das Schutzkonzept des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht. Es sei rein zeitbezogen. Wegezeiten könnten daher nur dann zur verteilungsfähigen Arbeitszeit gehören, wenn sie als zeitliche Komponente durch den Arbeitgeber bestimmt würden. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer bei einer Arbeitsaufnahme im Betrieb innerbetriebliche Wege zum Arbeitsplatz zurücklegen müsse oder wenn er ausgehend vom Betrieb auswärtige Betriebsstätten oder Kunden aufzusuchen habe. Denn in diesen Konstellationen stelle auch die erforderliche Zeit für das Zurücklegen innerbetrieblicher Wege im Zusammenhang mit der Entgegennahme oder der Angabe von arbeitsnotwendigen Betriebsmitteln eine betriebliche Arbeitszeit i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG dar112. Vor diesem Hintergrund spielte es auch keine Rolle, dass die entsprechenden Wegezeiten in Dienstkleidung verbracht wurden113. Zu Recht weist der 1. Senat des BAG in seinem Beschluss vom 22.10.2019114 darauf hin, dass die Vergütungspflicht bestimmter Zeiten und Belastungen für deren Einordnung als Arbeitszeit im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne nicht ausschlaggebend sei. Auch unionsrechtliche Erwägungen führten zu keinem anderen Ergebnis. Soweit der Betriebsrat auf die Entscheidung des EuGH vom 10.9.2015115 abgehoben hatte, dass unter bestimmten Umständen die Fahrtzeit für die täglichen Fahrten zwischen dem Wohnort des Arbeitnehmers und dem Standort des ersten und letzten Kunden eines Arbeitstags Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 Arbeitszeitrichtlinie sein könne, verkenne er, dass das Fahrpersonal während der außerbetrieblichen Wege zum und vom Dienst keinen Anweisungen der Arbeitgeberin unterliege. Unabhängig davon sei der Begriff der Arbeitszeit i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht deckungsgleich mit dem der Arbeitszeitrichtlinie. Allein zu letzterem – arbeitsschutzrechtlichem – Aspekt habe sich der EuGH verhalten.

112 113 114 115

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BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, NZA 2020, 325 Rz. 29. BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, NZA 2020, 325 Rz. 30. BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, NZA 2020, 325 Rz. 31 f. EuGH v. 10.9.2015 – C-266/14, NZA 2015, 1177 – Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras.

Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements

Der Entscheidung ist ohne Weiteres zuzustimmen. Wegezeiten gehören der Sphäre des Arbeitnehmers an und können schon wegen der fehlenden Einflussnahmemöglichkeit des Arbeitgebers grundsätzlich weder ein Vergütungsanspruch noch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auslösen. Allenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer – wie im Außendienst – mit der Anreise zum ersten Kunden und der Rückreise vom letzten Kunden bereits seine arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllt, kann über eine Vergütung und – soweit auch deckungsgleich – ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nachgedacht werden. Die Frage der Vergütungspflicht hatten wir bereits an anderer Stelle behandelt116. (Ga)

10. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements Wenn Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, muss der Arbeitgeber gemäß § 167 Abs. 2 BetrVG mit der zuständigen Interessenvertretung i. S. d. § 176 SGB IX (im Zweifel: Betriebsrat), bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann, klären (betriebliches Eingliederungsmanagement). Die betriebliche Interessenvertretung, insbesondere also der Betriebsrat, hat nicht nur die Verpflichtung, die Einhaltung der dem Arbeitgeber nach § 167 Abs. 2 SGB IX obliegenden Verpflichtungen zu überwachen (§ 167 Abs. 2 S. 9 SGB IX). Vielmehr hat der Betriebsrat auf der Grundlage von § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 7 BetrVG auch das Recht, bei der Ausgestaltung der innerbetrieblichen Regelungen zur Umsetzung der aus § 167 Abs. 2 SGB IX folgenden Verpflichtung mitzubestimmen. Kommt eine Einigung in diesen Fragen nicht zustande, wird sie durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt (§ 87 Abs. 2 BetrVG). Bereits in seinem Beschluss vom 22.3.2016117, über den wir berichteten118, hatte sich das BAG eingehend mit dem Umfang dieses Mitbestimmungsrechts befasst. Schließlich begrenzt das Mitbestimmungsrecht auch die Ent-

116 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 145 ff. 117 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, NZA 2016, 1283; B. Gaul, AktuellAR 2016, 257 ff. 118 B. Gaul, AktuellAR 2016, 593 ff.

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Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements

Der Entscheidung ist ohne Weiteres zuzustimmen. Wegezeiten gehören der Sphäre des Arbeitnehmers an und können schon wegen der fehlenden Einflussnahmemöglichkeit des Arbeitgebers grundsätzlich weder ein Vergütungsanspruch noch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auslösen. Allenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer – wie im Außendienst – mit der Anreise zum ersten Kunden und der Rückreise vom letzten Kunden bereits seine arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllt, kann über eine Vergütung und – soweit auch deckungsgleich – ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nachgedacht werden. Die Frage der Vergütungspflicht hatten wir bereits an anderer Stelle behandelt116. (Ga)

10. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements Wenn Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, muss der Arbeitgeber gemäß § 167 Abs. 2 BetrVG mit der zuständigen Interessenvertretung i. S. d. § 176 SGB IX (im Zweifel: Betriebsrat), bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann, klären (betriebliches Eingliederungsmanagement). Die betriebliche Interessenvertretung, insbesondere also der Betriebsrat, hat nicht nur die Verpflichtung, die Einhaltung der dem Arbeitgeber nach § 167 Abs. 2 SGB IX obliegenden Verpflichtungen zu überwachen (§ 167 Abs. 2 S. 9 SGB IX). Vielmehr hat der Betriebsrat auf der Grundlage von § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 7 BetrVG auch das Recht, bei der Ausgestaltung der innerbetrieblichen Regelungen zur Umsetzung der aus § 167 Abs. 2 SGB IX folgenden Verpflichtung mitzubestimmen. Kommt eine Einigung in diesen Fragen nicht zustande, wird sie durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt (§ 87 Abs. 2 BetrVG). Bereits in seinem Beschluss vom 22.3.2016117, über den wir berichteten118, hatte sich das BAG eingehend mit dem Umfang dieses Mitbestimmungsrechts befasst. Schließlich begrenzt das Mitbestimmungsrecht auch die Ent-

116 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 145 ff. 117 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, NZA 2016, 1283; B. Gaul, AktuellAR 2016, 257 ff. 118 B. Gaul, AktuellAR 2016, 593 ff.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

scheidungsbefugnisse einer Einigungsstelle, die nur für Angelegenheiten in den Grenzen der gesetzlichen Mitbestimmung angerufen worden ist. An seine früheren Feststellungen anknüpfend hat das BAG in seinem Beschluss vom 19.11.2019119 weitere Klarstellungen zum Umfang der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats vorgenommen. Auch der aktuellen Entscheidung des BAG lag ein Spruch der Einigungsstelle zugrunde, den der Betriebsrat angefochten hatte. Ausgangspunkt war ein Verfahren vor der Einigungsstelle, der die Zuständigkeit in Bezug auf den Gegenstand „Regelungen betriebliches Eingliederungsmanagement“ übertragen worden war. Nachdem der erste Spruch dieser Einigungsstelle vom 25.9.2012 mit Erfolg durch den Arbeitgeber angefochten worden war, hatte die Einigungsstelle in dem daraufhin fortgesetzten Einigungsstellenverfahren am 22.6.2017 erneut eine „Betriebsvereinbarung zur Durchführung eines bEM (bEM)“ (BV) beschlossen. Sie lautete – jedenfalls auszugsweise – wie folgt: (1) Nachdem ein Mitarbeiter die Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX erfüllt („bEM-Berechtigter“), wird der bEM-Berechtigte von der Arbeitgeberin mit den im Anlagenkonvolut 1 beigefügten Schreiben zur Teilnahme an einem Informationsgespräch über das bEM eingeladen. (2) Der bEM-Berechtigte hat der Arbeitgeberin mittels des als Anlage 2 beigefügten Schreibens mitzuteilen, ob er an einem bEM teilnehmen möchte. Meldet sich der bEM-Berechtigte nicht bei der Arbeitgeberin, lädt die Arbeitgeberin den bEM-Berechtigten mit dem als Anlage 3 beigefügten Schreiben einmal erneut ein. (3) Teilt der bEM-Berechtigte der Arbeitgeberin auf dem Antwortschreiben (Anlage 2) mit, dass er an einem Informationsgespräch über die Durchführung eines bEM teilnehmen möchte, wird er von der Arbeitgeberin mit dem als Anlage 4 beigefügten Schreiben zu einem Informationsgespräch eingeladen. Erscheint der bEM-Berechtigte zu dem Informationsgespräch nicht, wird er mit dem als Anlage 5 beigefügten Schreiben einmal erneut zu einem Informationsgespräch eingeladen. (4) In dem Informationsgespräch wird der bEM-Berechtigte nach Maßgabe des als Anlage 6 beigefügten Leitfadens über die Durchführung des bEM aufgeklärt. Der bEM-Berechtigte wird darüber informiert, dass mit seinem Einverständnis der Betriebsrat und, im Falle eines schwerbehinderten oder gleichgestellten bEM-Berechtigten, die 119 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 36/18, NZA 2020, 389.

272

Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements

Schwerbehindertenvertretung am bEM-Fallgespräch teilnehmen kann. Wünscht der bEM-Berechtigte die Teilnahme des Betriebsrats bzw. der Schwerbehindertenvertretung (im Falle der Schwerbehinderung bzw. der Gleichstellung des bEM-Berechtigten), stimmt die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat und/oder der Schwerbehindertenvertretung einen Termin für das bEM-Fallgespräch ab. (5) Teilt der bEM-Berechtigte der Arbeitgeberin in dem Antwortschreiben (Anlage 2) mit, dass er ein bEM-Gespräch ohne vorheriges Informationsgespräch wünscht oder stellt sich im Rahmen des Informationsgesprächs heraus, dass ein bEM erforderlich ist, wird der bEM-Berechtigte zu einem bEM-Fallgespräch eingeladen. Die Einladung erfolgt mit dem als Anlage 7 beigefügten Schreiben. Erscheint der bEM-Berechtigte trotz Einladung zu dem bEM-Fallgespräch nicht, wird er mit dem als Anlage 8 beigefügten Schreiben einmal erneut zu einem bEM-Fallgespräch eingeladen. (6) Im Rahmen des bEM-Fallgesprächs klärt die Arbeitgeberin mit dem bEM-Berechtigten und ggf. bei Einverständnis des bEMBerechtigten mit dem Betriebsrat und im Falle eines schwerbehinderten oder gleichgestellten bEM-Berechtigten der Schwerbehindertenvertretung Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Hierbei kann es erforderlich sein, dass die Arbeitgeberin den bEM-Berechtigten bittet, eines oder mehrere der im Anlagenkonvolut 9 erhaltenen Dokumente zu unterzeichnen. Die Ergebnisse des bEM-Fallgesprächs werden in dem als Anlage 10 beigefügten Protokoll dokumentiert und gemeinsam mit sämtlicher Korrespondenz zum bEM für drei Jahre in einer gesonderten Personalakte („bEM-Akte“) aufbewahrt. Diagnosen und sonstige Unterlagen, aus denen sich Einzelheiten zu den Gründen der Arbeitsunfähigkeit des bEMBerechtigten finden, werden in einem verschlossenen Umschlag aufbewahrt, der nur mit Zustimmung des bEM-Berechtigten geöffnet werden darf. Nach Ablauf der drei Jahre werden die Unterlagen vernichtet oder auf Wunsch des Mitarbeiters an diesen übergeben. bEMBerechtigter und Arbeitgeberin können einvernehmlich das bEM beenden. Hierbei ist die Anlage 11 zu nutzen.

Nach Auffassung des Betriebsrats hatte die Einigungsstelle mit dieser BV ihren Regelungsauftrag nicht erfüllt. Er hat deshalb beim Arbeitsgericht beantragt festzustellen, dass der Spruch insgesamt – jedenfalls aber hinsichtlich einzelner Regelungen – rechts- und ermessensfehlerhaft war. 273

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

In seinem Beschluss vom 19.11.2019120 ist das BAG in Übereinstimmung mit der vorangehenden Entscheidung des LAG Hamburg121 davon ausgegangen, dass der verfahrensgegenständliche Spruch der Einigungsstelle tatsächlich unwirksam ist. Dabei bestanden zunächst einmal keine Bedenken in Bezug auf die formelle Wirksamkeit des angefochtenen Einigungsstellenspruchs. Er entsprach – so die Feststellung des BAG – dem Schriftformgebot des § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG. Die zur Akte gereichte Kopie des Beschlusses der Einigungsstelle weise die Unterschrift ihres Vorsitzenden auf. Soweit es bei einem Einigungsstellenspruch, dessen inhaltliche Festlegungen – wie vorliegend – auf Anlagen verweisen, notwendig sei, das Bezugsobjekt der Verweisungen in eindeutiger Form zu bezeichnen, sei dem genügt. Die Bezugnahmen in den Regelungen der im Spruchwege aufgestellten BV auf numerisch aufgeführte Anlagen bzw. Anlagenkonvolute seien eindeutig und unmissverständlich. Außerdem bestünden keine Zweifel daran, dass der Einigungsstellenvorsitzende den Vorgang § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG entsprechend den Spruch beiden Beteiligten vollständig mit Anlagen zugeleitet habe122. Da sich der Einigungsstellenspruch seinem Inhalt nach auch konkret mit Maßnahmen befasste, nach denen ein Eingliederungsmanagement i. S. d. § 167 Abs. 2 SGB IX im Betrieb konkret durchgeführt werden sollte, hatte sich die Einigungsstelle auch grundsätzlich im Rahmen des ihr übertragenen Regelungsauftrags bewegt. Diesem Auftrag lagen auch – so das BAG – Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 6, 7 BetrVG zugrunde123. Ungeachtet dessen war der Spruch der Einigungsstelle allerdings insgesamt unwirksam, weil die mit ihm beschlossene Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements im Hinblick auf Nr. 5 S. 1 Alt. 1 BV im Widerspruch zu § 167 Abs. 2 SGB IX stand und daher gesetzeswidrig war. Nach den Feststellungen des BAG haben die Betriebsparteien – bzw. die Einigungsstelle – bei der Regelung des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu beachten, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 167 Abs. 2 SGB IX bereits von Gesetzes wegen in gewissem Umfang formalisiert sei. Das gelte hinsichtlich der Einleitungsschwelle, der Beteiligungen und des Inhalts der dem Arbeitgeber obliegenden Hinweispflichten. Im Üb-

120 121 122 123

274

BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 36/18, NZA 2020, 389 Rz. 9 ff. LAG Hamburg v. 9.8.2018 – 1 TaBV 4/18 n. v. BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 36/18, NZA 2020, 389 Rz. 16. BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 36/18, NZA 2020, 389 Rz. 18 f.

Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements

rigen entspreche nur ein Verfahren, das die zu beteiligenden Stellen einbeziehe, keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Anpassungs- oder Änderungsmöglichkeit ausschließe und in dem die eingebrachten Vorschläge erörtert werden könnten, den gesetzlichen Anforderungen. Dieser verfahrensmäßigen (Mindest-)Ausstattung dürften – mitbestimmt aufgestellte – allgemeine Regeln zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht widersprechen. Sie dürften auch der gesetzlich vorgegebenen Beteiligung des Betriebsrats und ggf. der Schwerbehindertenvertretung nicht zuwiderlaufen. Die in dem Spruch der Einigungsstelle vorliegend getroffene Regelung entsprach aber nicht den prozeduralen Vorgaben des Gesetzgebers. Denn die formularmäßig in der Anlage zur Betriebsvereinbarung vorbereitete Antwort des Betriebsrats enthielt keine Option für den Arbeitnehmer, eine ausdrückliche Erklärung zur Beteiligung des Betriebsrats und ggf. der Schwerbehindertenvertretung im Rahmen des bEM-Freigesprächs abzugeben. Hierzu sollte sich der Arbeitnehmer erst im Rahmen des Informationsgesprächs, das im Anschluss an die Einladung erfolgen sollte, erklären. Sollte sich der Arbeitnehmer, was nach dem Spruch der Einigungsstelle möglich war, gegen die Durchführung eines Informationsgesprächs entscheiden, hätte er außerhalb seiner Antwort auf die Einladung zum Informationsgespräch von sich aus eine Erklärung abgeben müssen, auf deren Basis der Arbeitgeber über die Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter hätte entscheiden können. Dies aber – so das BAG – widerspricht § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX. Denn danach liege die Beteiligung der Interessenvertretung nicht in der initiativen Verantwortung des betroffenen Arbeitnehmers. Vielmehr habe der Arbeitgeber zusammen mit dem Betroffenen – den er zu informieren und dessen Zustimmung er einzuholen habe – eine an den gesetzlichen Zielen des betrieblichen Eingliederungsmanagements orientierte Klärung mit der zuständigen Interessenvertretung (und ggf. der Schwerbehindertenvertretung) zu unternehmen. Die Initiativlast für die Beiziehung dieser Stellen zum Klärungsprozess liege daher zwingend beim Arbeitgeber. Dieser Aufgabenverteilung muss auch ein etwaiger Spruch der Einigungsstelle Rechnung tragen. Wichtig für die praktische Umsetzung der entsprechenden Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Zusammenhang mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement ist, dass eine detailgenaue Festlegung des Klärungsprozesses über die Gründe der Arbeitsunfähigkeit und etwaige Maßnahmen zu ihrer Verhinderung auch im Spruch einer Einigungsstelle nicht erfolgen muss. Insoweit weist das BAG ausdrücklich darauf hin, dass sich der als verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess zu gestaltende Klärungsprozess abstrakten Vorgaben zur Art und Weise einer Überwindung von Arbeitsunfähig275

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

keit und deren Vorbeugung verschließe124. Soweit der hier in Rede stehende Spruch der Einigungsstelle bereits Regelungen zum Ablauf des betrieblichen Eingliederungsmanagements als betriebliches, dem Gesundheitsschutz dienendes Präventionsinstrument (Kontaktaufnahme, Informationsgespräch, Fallgespräch, Abschluss) getroffen habe, trage dies dem gesetzlichen Mitbestimmungsrecht und der Aufgabenverteilung in § 167 Abs. 2 SGB IX ausreichend Rechnung. Weitergehende Regelungen, insbesondere solche zu einer Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement, sind im Wege des Einigungsstellenverfahrens nicht durchsetzbar. Sie ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (§§ 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG, 167 Abs. 2 S. 7 SGB IX), was einer weiteren Mitbestimmung bereits nach § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG entgegensteht. Voraussetzung für eine Erfüllung des entsprechenden Auskunftsanspruchs ist allerdings, dass der Betriebsrat zur Wahrung der Interessen der von der Datenverarbeitung betroffenen Arbeitnehmer angemessene und spezifische Schutzmaßnahmen trifft, die dem Charakter der in der Rede stehenden Personaldaten entsprechen125. Wir hatten bei früherer Gelegenheit bereits über die ausführliche Begründung dieser Anspruchsvoraussetzung eines Auskunftsanspruchs bei personenbezogenen Daten mit Blick auf den Beschluss des BAG vom 9.4.2019126 berichtet127. Die Entscheidung des BAG macht noch einmal deutlich, dass auch unter Berücksichtigung der Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 6, 7 BetrVG Handlungspflichten im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements bestehen, die der Arbeitgeber ohne Einflussnahmemöglichkeit des Betriebsrats zu erfüllen hat. Gegen seinen Willen ist deshalb auch keine Betriebsvereinbarung durchsetzbar. Ungeachtet dessen hat es sich in der betrieblichen Praxis vielfach als hilfreich erwiesen, wesentliche Grundzüge des betrieblichen Eingliederungsmanagements zwischen den Betriebsparteien einvernehmlich festzulegen. Dies schafft eine breite Akzeptanz der damit verbundenen Maßnahmen des Gesundheitsmanagements innerhalb der Belegschaft und vermeidet Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über den Umfang etwaiger Beteiligungsrechte. (Ga)

124 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 36/18, NZA 2020, 389 Rz. 26; BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, NZA 2010, 639 Rz. 16 ff. 125 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 36/18, NZA 2020, 389 Rz. 28. 126 BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 51/17, NZA 2019, 1055 Rz. 47 ff. 127 Boewer, AktuellAR 2019, 556 ff.

276

Zulässigkeit und Schranken eines Einigungsstellenspruchs

11.

Zulässigkeit und Schranken eines Einigungsstellenspruchs im Bereich der Gefährdungsbeurteilung

a)

Ausgangssituation

Die veränderten Anforderungen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes als Folge der COVID-19-Pandemie, über die wir auch an anderer Stelle berichtet haben128, dürften auch den Fokus des Betriebsrats zunehmend auf seine Beteiligung im Bereich des Arbeitsschutzes verlagern. Dabei geht es nicht nur um die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte aus §§ 89, 90 f. BetrVG, die Überwachungs- und Förderpflicht aus § 80 Abs. 1 Nrn. 1, 9 BetrVG und den damit jeweils korrespondierenden Auskunftsanspruch aus § 80 Abs. 2 BetrVG. Ganz wesentliche Bedeutung hat das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Danach hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und Unfallverhütungsvorschriften mitzubestimmen. Kommt eine Einigung in diesen Angelegenheiten nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 87 Abs. 2 BetrVG). Hiervon ausgehend haben die beiden Beschlüsse des BAG vom 13.8.2019129 und vom 19.11.2019130 erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis. Denn in diesen Entscheidungen hat sich das BAG nicht nur mit formalen Voraussetzungen für einen wirksamen Einigungsstellenspruch befasst. Im Mittelpunkt seiner Entscheidungsgründe steht die Kennzeichnung des Umfangs einer Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG im Zusammenhang mit einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG. Dabei stellt der 1. Senat des BAG nicht nur klar, welche Fragen von einem entsprechenden Regelungsauftrag an die Einigungsstelle erfasst sind. In den beiden Beschlüssen wird auch deutlich gemacht, wie sich die Pflichten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung von den anschließenden Pflichten zur Festlegung und Umsetzung etwaiger Schutzmaßnahmen sowie der Unterweisung der hiervon betroffenen Mitarbeiter nach §§ 3 f., 12 ArbSchG unterscheiden. Diese Unterscheidung ist dann auch maßgeblich für die Kennzeichnung der Entscheidungsbefugnisse einer Einigungsstelle, die – nur – für die Festlegung von Regelungen 128 B. Gaul, AktuellAR 2020, 19 ff. 129 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717. 130 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266.

277

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

in Bezug auf die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung gebildet wurde.

b)

Formale Erfordernisse eines Einigungsstellenspruchs

Gemäß § 76 Abs. 3 BetrVG hat die Einigungsstelle unverzüglich nach ihrer Bildung tätig zu werden. Sie fasst ihre Beschlüsse nach möglicher Beratung mit Stimmenmehrheit. Bei der ersten Beschlussfassung hat sich der Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten; kommt eine Stimmenmehrheit nicht zustande, so nimmt der Vorsitzende nach weiterer Beratung an der erneuten Beschlussfassung teil. Die Beschlüsse der Einigungsstelle sind schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten. Wie das BAG in seinem Beschluss vom 13.8.2019131 noch einmal deutlich gemacht hat, dient das Schriftformgebot in § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG vorrangig der Rechtssicherheit. Die Unterschrift des Vorsitzenden – so das BAG – beurkunde und dokumentiere den Willen der Einigungsstellenmitglieder. Für die Betriebsparteien und die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer werde damit rechtsicher bestätigt, dass das vom Vorsitzenden unterzeichnete Schriftstück das von der Einigungsstelle beschlossene Regelwerk enthalte. Die Beurkundung und Dokumentation sei erforderlich, weil der Einigungsstellenspruch die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetze und ihm erst dann die gleiche normative Wirkung (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG) wie einer von den Betriebsparteien geschlossenen Betriebsvereinbarung zukomme. Die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform sei daher Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs. Maßgeblich sei dabei der Zeitpunkt, in dem der Einigungsstellenvorsitzende den Betriebsparteien den Spruch mit der darauf gerichteten Absicht gemäß § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG zuleite. Bei der Frage einer Einhaltung des Schriftformerfordernisses kommen – so das BAG – die Grundsätze zum Tragen, die bereits zu § 77 Abs. 2 S. 2 BetrVG entwickelt wurden. Dementsprechend sei dem Schutzformerfordernis auch genügt, wenn im Einigungsstellenspruch klar und zweifelsfrei auf – nicht vom Einigungsstellenvorsitzenden unterzeichnete – Schriftstücke verwiesen werde, selbst wenn diese nicht körperlich mit der Urkunde verbunden seien. In diesem Fall müsse ein solches Bezugsobjekt in eindeutiger Form durch einen darauf bezogenen Verweis in der durch den Einigungsstel-

131 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 16 f.

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Zulässigkeit und Schranken eines Einigungsstellenspruchs

lenspruch unterzeichneten Haupturkunde zu bezeichnen sein132. Fehle es sowohl an einer körperlichen Verbindung als auch an einer Unterzeichnung oder Paraphierung einer Anlage, verlange die Wahrung der Schriftform außerdem, dass zweifelsfrei nur eine Fassung der hinzugenommenen, eindeutig bezeichneten Anlage existiere. Andernfalls lasse sich nicht zuverlässig feststellen, welche Normen für die im Betrieb Normunterworfenen gelten sollten133. Diese Voraussetzungen waren in dem der Entscheidung vom 13.8.2019134 zugrunde liegenden Fall nicht erfüllt. Ausgangspunkt war ein Spruch der Einigungsstelle vom 8.9.2016, der beinah acht Jahre nach Errichtung der Einigungsstelle im Anschluss an 16 Sitzungen getroffen worden war. In diesem Beschluss über den Umfang und die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung war auf mehrere Anlagen verwiesen worden, in denen weitere Einzelheiten zum Verfahren, den Einschätzungen in Bezug auf denkbare Gefährdungen (Risikomatrix) sowie die Dokumentation enthalten waren. Der vom Vorsitzenden unterzeichnete Einigungsstellenspruch wurde dem Betriebsrat am 12.10.2016 allerdings ohne die fünf im Spruch genannten Anlagen zugestellt. Eine solche Zusendung der – jetzt einschließlich der nunmehr mittels Heftklammern miteinander verbundenen – Anlagen hatte der Einigungsstellenvorsitzende erst im Januar 2017 bewirkt. Damit waren die Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG nicht erfüllt. Denn ohne die Anlagen konnten die Beteiligten der Einigungsstelle nicht rechtssicher über das Ergebnis in Kenntnis gesetzt werden. An dieser Kenntniserlangung bestand aber beiderseits ein berechtigtes Interesse. Schließlich ist der Einigungsstellenspruch – ungeachtet einer Anfechtung – vom Arbeitgeber nach § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG durchzuführen. Dieser Verpflichtung kann – so das BAG – der Arbeitgeber nur genügen, wenn über den Inhalt des Spruchs ab dem Zeitpunkt seiner Zulassung Rechtsklarheit besteht. Hinzukommt, dass beide Betriebsparteien nur durch die Zuleitung des vollständigen Spruchs in die Lage versetzt werden, innerhalb der gesetzlichen Zwei-Wochen-Frist (§ 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG) über die Anfechtbarkeit des Einigungsstellenspruchs wegen etwaiger Ermessensfehler zu entscheiden.

132 Vgl. BAG v. 18.3.2014 – 1 AZR 807/12, NZA 2014, 736 Rz. 17. 133 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 17; BAG v. 21.9.2011 – 7 ABR 54/10, NZA-RR 2012, 186 Rz. 14. 134 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Damit war der Einigungsstellenspruch bereits aus formalen Gründen wirkungslos135. Dass der Einigungsstellenvorsitzende im Januar 2017 auch die Anlagen den Beteiligten zuleitete, war insoweit ohne Bedeutung. Denn der Verstoß gegen das Schriftformgebot und das Zuleitungsgebot aus § 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG kann – so das BAG – nicht durch eine erneute Zuleitung des Spruchs mit Anlagen geheilt werden. Das Einigungsstellenverfahren sei mit Zugang des mit Zuleitungswillen den Betriebsparteien übermittelten Einigungsstellenspruchs abgeschlossen und lediglich bei einer gerichtlich festgestellten Unwirksamkeit des Spruchs fortzusetzen. Eine rückwirkende Heilung durch erneute Zustellung aller Bestandteile des Spruchs sei daher ausgeschlossen136.

c)

Bedeutung des Regelungsauftrags einer Einigungsstelle

Die Einigungsstelle kann nur im Rahmen ihres Regelungsauftrags tätig werden. Dieser beschreibt die Angelegenheit, in der die Betriebsparteien keine Einigung finden können. Außerhalb des der Einigungsstelle übertragenen Regelungsauftrags kann sie keine verbindliche Entscheidung treffen. Soweit ihr eine Entscheidung in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten übertragen wird, kommt eine Entscheidung darüber hinaus nur in Betracht, wenn und soweit die streitgegenständliche Frage von den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats erfasst wird. Im Übrigen wird die Einigungsstelle nur tätig, wenn beide Seiten es beantragen oder mit ihrem Tätigwerden einverstanden sind. In diesen Fällen ersetzt ihr Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nur, wenn beide Seiten sich dem Spruch im Voraus unterworfen oder ihn nachträglich angenommen haben (§ 76 Abs. 6 BetrVG). Angesichts dieser grundlegenden Bedeutung für die Kennzeichnung der Spruchkompetenz der Einigungsstelle muss der Regelungsauftrag inhaltlich im Zusammenhang mit der Errichtung der Einigungsstelle, jedenfalls aber vor einer etwaigen Beschlussfassung, bestimmt werden. Darauf hat das BAG in seinem Beschluss vom 19.11.2019137 hingewiesen. Ohne die erforderliche Bestimmtheit des Regelungsauftrags ist der gesamte Spruch der Einigungsstelle unwirksam138. Diese Bestimmtheit ist bei einem Regelungsauftrag „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ nicht gegeben. Er lasse – so das BAG – nicht erkennen, welche 135 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 22. 136 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 24; BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 45/12, NZA 2014, 862 Rz. 14, 17. 137 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 19 ff. 138 So bereits BAG v. 28.3.2017 – 1 ABR 25/15, NZA 2017, 1132, Rz. 11 f., 15.

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Zulässigkeit und Schranken eines Einigungsstellenspruchs

vorhandenen Regelungskonflikte einer Lösung zugeführt werden sollten und welche Angelegenheiten in der Einigungsstelle überhaupt behandelt werden müssten. Wenn im Anschluss an eine solche Kennzeichnung des Regelungsauftrags der Einigungsstelle eine Beschlussfassung erfolgen soll, muss zuvor durch Arbeitgeber und Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat eine entsprechende Konkretisierung erfolgen. Die Mitglieder der Einigungsstelle selbst sind zu dieser Konkretisierung nicht befugt139.

d)

Umfang der Mitbestimmung bei Gefährdungsbeurteilungen

aa)

Allgemeine Grundsätze

Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei betrieblichen Regelungen über den Arbeits- und Gesundheitsschutz mitzubestimmen, die der Arbeitgeber auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift zu treffen hat, bei deren Gestaltung ihm aber Handlungsspielräume verbleiben. Das Mitbestimmungsrecht setze – so das BAG – ein, wenn objektiv eine gesetzliche Handlungspflicht bestehe und wegen Fehlens einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlange, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen140. Die gesetzlichen Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung in §§ 5 ArbSchG, 10 MuSchG sind – ebenso wie § 3 Abs. 1 S. 1, 2 ArbSchG – ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften, die in entsprechender Weise ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats begründen. Dies betrifft Regelungen zur Ausgestaltung und Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung141. Insoweit müssen bei entsprechenden Angelegenheiten auch die Dokumentationspflichten aus §§ 6 ArbSchG, 14 MuSchG beachtet werden. Denn auch die Dokumentation der Ergebnisse einer Gefährdungsbeurteilung dient – so das BAG unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung – mittelbar dem Gesundheitsschutz. Wichtig allerdings ist, dass Beteiligungsrechte im Zusammenhang mit der Festlegung von Schutzmaßnahmen gemäß §§ 3 f. ArbSchG, 10 ff. MuSchG i. V. m. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erst gegeben sind, wenn eine konkrete Gefährdung nach Art und Umfang entweder feststeht oder im Rahmen einer

139 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 19 ff.; BAG v. 28.3.2017 – 1 ABR 25/15, NZA 2017, 1132 Rz. 12; HWK/Kliemt, BetrVG § 76 Rz. 47, 84. 140 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 28; BAG v. 28.3.2017 – 1 ABR 25/15, NZA 2017, 1132 Rz. 18. 141 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 27, 30 ff.

281

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

entsprechenden Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber durchgeführten Beurteilung der Arbeitsbedingungen festgestellt wurde142. bb)

Konkrete Regelungsfragen

Auf der Grundlage der vorstehend widergegebenen Grundsätze hat sich das BAG bei den genannten Beschlüssen intensiv mit der Frage befasst, welche Aspekte einer Gefährdungsbeurteilung durch das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erfasst werden und damit auch in die Entscheidungsbefugnis der Einigungsstelle fallen. Methoden und Verfahren: Zunächst einmal ist im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu regeln, mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer Gefährdung sowie die Dringlichkeit eines möglichen Handlungsbedarfs festgestellt werden soll. Dabei sind physische ebenso wie psychische Belastungen zu erfassen. Die mitbestimmte Ausgestaltung der für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung wesentlichen Grundlagen soll – so das BAG – verhindern, dass später Streit über das angewandte Verfahren und die Methoden entsteht143. Gleichartigkeit der Arbeitsbedingungen: Arbeitgeber und Betriebsrat bzw. Einigungsstelle haben darüber hinaus die Rechtsfrage zu klären, ob und inwieweit Arbeitsbedingungen mehrerer Beschäftigter gleichartig sind. Denn bei gleichartigen – nicht notwendig gleichen – Arbeitsbedingungen ist die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreichend (§§ 5 Abs. 2 S. 2 ArbSchG, 10 Abs. 1 S. 2 MuSchG). Es genügt daher, dass die Arbeitsbedingungen im Wesentlichen, nicht aber in allen Einzelheiten übereinstimmen. Dabei kommt den Betriebsparteien – ebenso wie der Einigungsstelle – ein Beurteilungsspielraum zu144. Handlungsbedarf und Dringlichkeit: Im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat auch mitzubestimmen, anhand welcher Kategorien (Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß) im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelt wird, ob angesichts einer vorhandenen Gefährdung ein Handlungsbedarf gegeben ist. Dies betrifft physische ebenso wie psychische Belastungen. Das Ergebnis einer entsprechenden Bewertung kann eine Risikomatrix sein, die im Anschluss an die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und ihr Ergebnis eine bestimmte Einordnung in Bezug

142 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 28; BAG v. 24.4.2018 – 1 ABR 6/16, NZA 2018, 1565 Rz. 37. 143 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 32. 144 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 47.

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Zulässigkeit und Schranken eines Einigungsstellenspruchs

auf Handlungsbedarfe und Dringlichkeit etwaiger Schutzmaßnahmen erlaubt145. Wiederholung der Gefährdungsbeurteilung: Nach § 3 Abs. 1 S. 2 ArbSchG hat der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernde Gegebenheiten anzupassen. Daraus folgt, dass auch Gefährdungsbeurteilungen regelmäßig zu wiederholen sind. Dabei können insbesondere der zeitliche Abstand, aber auch veränderte Belastungen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu bestehenden Belastungen oder Veränderungen des Anforderungsprofils eines Arbeitsplatzes den Zeitpunkt einer Wiederholung bestimmen. Zu Recht hob das BAG deshalb im Beschluss vom 13.8.2019146 hervor, dass die Gefährdungsbeurteilung kein einmaliges Ereignis sei, sondern angesichts der Dynamik von Arbeitsprozessen und der Weiterentwicklung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse als eine dauerhafte Aufgabe zu qualifizieren sei. Die Betriebsparteien bzw. die Einigungsstelle hätten daher Vorgaben zu bestimmen, in welchen zeitlichen Abständen anlassunabhängig die Gefährdungsbeurteilung erneut durchzuführen sei. Der dabei festzulegende Rhythmus hänge von den jeweiligen betrieblichen Umständen ab. Feststellung der bestehenden Arbeitsbedingungen: Nicht zur Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG gehört die Feststellung, welche Arbeitsbedingungen auf den zu beurteilenden Arbeitsplätzen bestehen147. Arbeitgeber und Betriebsrat bzw. die Einigungsstelle legen allenfalls das Verfahren fest, mithilfe dessen die Arbeitsbedingungen festgestellt und gekennzeichnet werden, die aus Sicht der Betriebsparteien für eine Beurteilung der Gefahren für die Beschäftigten maßgeblich sind. Grund und Ausmaß von Gefährdungen: Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erfasst nicht die Feststellung, welchen Gefährdungen Arbeitnehmer nach Grund und Ausmaß durch ihre Arbeit ausgesetzt sind. Insofern ist – so das BAG – auch die Einigungsstelle weder die nach § 13 Abs. 1 ArbSchG verantwortliche Person für die Erfüllung der sich unter anderem aus § 5 ArbSchG ergebenden Pflichten des Arbeitgebers, noch können an die Einigungsstelle Arbeitsschutzpflichten i. S. d. § 13 Abs. 2 ArbSchG delegiert werden. Daher sei es auch nicht ihre Aufgabe, die Beurteilung, ob Gefährdungen vorliegen, selbst vorzunehmen oder diese selbst durch Hinzuziehung von Sachverständigen zu ermitteln. Die Einigungsstelle könne allenfalls Sachverständige hinzuziehen, um die erforderliche Sach145 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 60. 146 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 63. 147 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019. 1717 Rz. 45.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

kunde für das Verfahren zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung zu erlangen148. Hiervon ausgehend kann die Einigungsstelle auch kein Gutachten in Auftrag geben, durch das etwaige Gefahren oder Gefährdungen für Beschäftigte festgestellt werden.

e)

Abgrenzung zur Mitbestimmung bei der Festlegung von Schutzmaßnahmen

Gemäß § 3 Abs. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben. Einen festen Katalog der insoweit erforderlichen Schutzmaßnahmen gibt es nicht. Vielmehr obliegt es dem Arbeitgeber, unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie Vorkehrungen zu treffen, damit die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betriebliche Führungsstruktur beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können (§ 3 Abs. 2 ArbSchG). Dabei sind die allgemeinen Grundsätze aus § 4 ArbSchG zu beachten. Untrennbare Bestandteile der Gefährdungsbeurteilung sind dabei zwar auch die Prüfung, ob Schutzmaßnahmen geboten sind, und die Bewertung der Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs. In seinem Beschluss vom 13.8.2019149 weist der 1. Senat des BAG darauf hin, dass der im Rahmen von § 5 ArbSchG durch die Einigungsstelle auszugestaltende Handlungsspielraum des Arbeitgebers jedoch nicht die Beantwortung der Frage erfasse, welche konkreten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer angesichts einer festgestellten Gefährdung ggf. in Betracht kommen könnten. Dies erfolge vor allem aus der Gesetzessystematik und dem Regelungszusammenhang. Durch die in § 5 ArbSchG vorgesehene Beurteilung der Arbeitsbedingungen („Gefährdungsbeurteilung“) sollten die für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen ermittelt und hinsichtlich ihrer Schwere sowie eines Handlungsbedarfs und einer

148 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 33. 149 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 33, 37.

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Zulässigkeit und Schranken eines Einigungsstellenspruchs

Dringlichkeit beurteilt werden. Seien danach Schutzmaßnahmen erforderlich, habe der Arbeitgeber diese nach § 3 Abs. 1 S. 1 BetrVG zu treffen. Könne eine Gefährdung durch unterschiedliche mögliche Schutzmaßnahmen beseitigt oder zumindest reduziert werden, bestehe im Rahmen dieser Norm ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Entscheidung, welche der möglichen Maßnahmen umgesetzt werden sollten. Systematisch baue die Regelung in § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG damit auf § 5 ArbSchG auf: Welche Schutzmaßnahmen angemessen und geeignet seien, lasse sich erst beurteilen, wenn im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung das von der Arbeit für die Beschäftigten ausgehende Gefährdungspotenzial eruiert worden sei150. Folgerichtig gehöre deshalb zu einem durch § 5 Abs. 1 ArbSchG eröffneten und im Rahmen des Regelungsauftrags der Gefährdungsbeurteilung von der Einigungsstelle auszugestaltenden Handlungsspielraums des Arbeitgebers auch nicht die auf konkrete Schutzmaßnahmen bezogene Kontrolle ihrer Wirksamkeit. Die sich hierauf beziehende Handlungspflicht des Arbeitgebers sei in § 3 Abs. 1 S. 2 ArbSchG niedergelegt. Danach habe der Arbeitgeber, wenn er auf der Grundlage der durchgeführten Gefährdungsbeurteilung eine Maßnahme getroffen habe, diese auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Der systematische Zusammenhang mit § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG zeige, dass – so das BAG – die Wirksamkeitskontrolle an eine konkrete, entweder bereits umgesetzte oder aber zumindest ausgewählte Schutzmaßnahme anknüpfe. Diese sei, gemessen an ihrem Schutzziel, auf ihre Effektivität zu überprüfen. Da sowohl die Methode der Überprüfung als auch deren Zeitpunkt maßnahmenabhängig seien, könnten die hierzu erforderlichen und nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegenden Festlegungen erst dann erfolgen, wenn die nach § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG zu ergreifende konkrete Arbeitsschutzmaßnahme feststehe151. Auf der Grundlage dieser Abgrenzung des Regelungsgegenstands hat es das BAG im Beschluss vom 19.11.2019152 abgelehnt, im Rahmen der im Zusammenhang mit Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung gebildeten Einigungsstelle eine Mindestbesetzung der Pflegekräfte auf einzelne Stationen eines Krankenhauses festzulegen. Die Einigungsstelle ist bei einem solchen Regelungsauftrag nicht für die Klärung von Grund und Ausmaß etwaiger Gefährdungen der Arbeitnehmer zuständig. Ebenso wenig obliegt es ihr, bei 150 Ebenso BAG v. 28.3.2017 – 1 ABR 25/15, NZA 2017, 1132 Rz. 21 f. 151 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 39. 152 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rz. 31 ff.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

einer Einigungsstelle zur Gefährdungsbeurteilung Maßnahmen festzulegen, durch die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleistet werden sollen. Hierzu kann es aber im Rahmen einer Einigungsstelle gehen, die sich mit Schutzmaßnahmen gemäß §§ 3, 4 ArbSchG, 10 ff. MuSchG befasst.

f)

Abgrenzung zur Unterrichtung und Unterweisung von Arbeitnehmern

Abschließend hatte das BAG im Beschluss vom 13.8.2019153 darauf verwiesen, dass Regelungen, die sich mit der Information der Arbeitnehmer über das Ergebnis einer Gefährdungsbeurteilung befassen, nicht vom Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i. V. m. § 5 ArbSchG gedeckt seien. Die im Rahmen von § 5 ArbSchG erforderliche verfahrensmäßige Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung erfasse keine nachträgliche Information der Arbeitnehmer über das Ergebnis derselben. Eine solche Information könne lediglich Teil einer nach § 12 Abs. 1 ArbSchG vorzunehmenden Unterweisung der Arbeitnehmer sein. Soweit dort Gestaltungsspielraum besteht, löst dies allerdings eigenständige Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG aus.

g)

Fazit

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ist außerordentlich umfassend. Es betrifft alle Phasen des Arbeitsschutzes. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitsschutz ganz wesentlich von der Analyse etwaiger Gefahren und Gefährdungen (Schritt 1), ihrer Bewertung und der daran anknüpfenden Festlegung etwaiger Schutzmaßnahmen (Schritt 2) sowie der Einführung, Anwendung und ggf. Anpassung solcher Schutzmaßnahmen (Schritt 3) geprägt ist. Sämtliche Maßnahmen müssen dokumentiert werden. Darüber hinaus müssen die hiervon betroffenen Arbeitnehmer (einschließlich des Fremdpersonals) so unterwiesen werden, dass der Schutzzweck etwaiger Maßnahmen ebenso wie bereits bestehende Vorgaben des Gesetzgebers auch tatsächlich eingehalten werden können. Der Betriebsrat kann in Bezug auf alle Phasen des Arbeitsschutzes Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG geltend machen. Insofern ist es wichtig, ihn frühzeitig mit einem überzeugenden Konzept einzubinden. Maßnahmen, die ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats umgesetzt werden sollen, können nicht nur Unterlassungsansprüche auslösen. Auf der Grundlage der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung besteht darüber

153 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717 Rz. 66.

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Videoüberwachung zur Einhaltung des Social Distancing

hinaus die Gefahr, dass Handlungsanweisungen, die arbeitgeberseitig zur Durchführung eines Arbeitsschutzkonzepts an Arbeitnehmer gegeben werden, keine Verbindlichkeit entfalten können. Dies bewirkt nicht nur, dass das Arbeitsschutzkonzept nicht wirksam eingeführt worden ist. Es hat auch zur Folge, dass eine Missachtung dieser Weisungen durch einzelne Arbeitnehmer nicht sanktioniert werden kann. (Ga)

12. Mitbestimmung des Betriebsrats bei Videoüberwachung zur Einhaltung des Social Distancing Bereits an anderer Stelle hatten wir uns intensiv mit der Frage befasst, welche Beteiligungsrechte dem Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG im Hinblick auf die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung zustehen154. Gegenstand der Entscheidung des ArbG Wesel vom 24.4.2020155 war jetzt die Frage, ob der Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nrn. 6, 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bei einer Videoüberwachung auch dann geltend machen kann, wenn diese im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie mit dem Ziel durchgeführt wird, die innerbetriebliche Einhaltung der Vorgaben zum Social Distancing zu überprüfen. In dem zugrunde liegenden Fall war ein Logistikunternehmen betroffen, das am Standort mehr als 1.600 Arbeitnehmer beschäftigte. Im Rahmen einer Betriebsvereinbarung hatten die Betriebsparteien bereits in den Jahren 2013 und 2016 geregelt, unter welchen Voraussetzungen und zu welchen Zwecken Überwachungskameras installiert und genutzt werden können. Im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19Pandemie entschloss sich der Arbeitgeber, mithilfe der auf dem Betriebsgelände installierten Kameras solche Bereiche zu ermitteln, in denen die im Betrieb anwesenden Personen (Mitarbeiter, Auftragnehmer, Geschäftspartner und andere Besucher) die im Rahmen der COVID-19-Pandemie empfohlenen Sicherheitsabstände nicht einhalten können. Wenn solche Bereiche in einem ersten Schritt identifiziert waren, sollte in einem zweiten Schritt die Ursache für eine etwaige Nichteinhaltung der Abstandsregelungen näher untersucht werden, um dann in einem dritten Schritt durch Anpassung der Arbeitsprozesse oder des Layouts (Laufwege, Fahrwege, Abstellflächen etc.) die Einhaltung der empfohlenen Sicherheitsabstände zu ermöglichen.

154 B. Gaul, AktuellAR 2020, 277 ff. 155 ArbG Wesel v. 24.4.2020 – 2 BVGa 4/20 n. v.

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Videoüberwachung zur Einhaltung des Social Distancing

hinaus die Gefahr, dass Handlungsanweisungen, die arbeitgeberseitig zur Durchführung eines Arbeitsschutzkonzepts an Arbeitnehmer gegeben werden, keine Verbindlichkeit entfalten können. Dies bewirkt nicht nur, dass das Arbeitsschutzkonzept nicht wirksam eingeführt worden ist. Es hat auch zur Folge, dass eine Missachtung dieser Weisungen durch einzelne Arbeitnehmer nicht sanktioniert werden kann. (Ga)

12. Mitbestimmung des Betriebsrats bei Videoüberwachung zur Einhaltung des Social Distancing Bereits an anderer Stelle hatten wir uns intensiv mit der Frage befasst, welche Beteiligungsrechte dem Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG im Hinblick auf die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung zustehen154. Gegenstand der Entscheidung des ArbG Wesel vom 24.4.2020155 war jetzt die Frage, ob der Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nrn. 6, 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bei einer Videoüberwachung auch dann geltend machen kann, wenn diese im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie mit dem Ziel durchgeführt wird, die innerbetriebliche Einhaltung der Vorgaben zum Social Distancing zu überprüfen. In dem zugrunde liegenden Fall war ein Logistikunternehmen betroffen, das am Standort mehr als 1.600 Arbeitnehmer beschäftigte. Im Rahmen einer Betriebsvereinbarung hatten die Betriebsparteien bereits in den Jahren 2013 und 2016 geregelt, unter welchen Voraussetzungen und zu welchen Zwecken Überwachungskameras installiert und genutzt werden können. Im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19Pandemie entschloss sich der Arbeitgeber, mithilfe der auf dem Betriebsgelände installierten Kameras solche Bereiche zu ermitteln, in denen die im Betrieb anwesenden Personen (Mitarbeiter, Auftragnehmer, Geschäftspartner und andere Besucher) die im Rahmen der COVID-19-Pandemie empfohlenen Sicherheitsabstände nicht einhalten können. Wenn solche Bereiche in einem ersten Schritt identifiziert waren, sollte in einem zweiten Schritt die Ursache für eine etwaige Nichteinhaltung der Abstandsregelungen näher untersucht werden, um dann in einem dritten Schritt durch Anpassung der Arbeitsprozesse oder des Layouts (Laufwege, Fahrwege, Abstellflächen etc.) die Einhaltung der empfohlenen Sicherheitsabstände zu ermöglichen.

154 B. Gaul, AktuellAR 2020, 277 ff. 155 ArbG Wesel v. 24.4.2020 – 2 BVGa 4/20 n. v.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Zu diesem Zweck wurden aus den vorhandenen Aufnahmen der im Betrieb installierten Videokameras mittels einer Anonymisierungssoftware in einem Intervall von fünf Minuten automatisiert Standbilder generiert. Soweit auf einem der Standbilder zwei oder mehr Personen erkennbar waren, wurden diese für die weiteren Maßnahmen benutzt. Dafür wurde mithilfe der Software eine Verpixelung vorgenommen. Im Anschluss daran ermittelten Mitarbeiter des Amazon Vision Operation Centers (AVOC-Team), ob ein Sicherheitsabstand von zwei Metern zwischen den abgebildeten Personen eingehalten worden ist. Wenn dies nach ihrer Einschätzung nicht der Fall war, wurde notiert, wann und wo das Bild aufgenommen wurde und wieso ein möglicher Verstoß gegen Abstandsregelungen vorlag. Das Ergebnis dieser Prüfung wurde dem Geschäftsführer/Standortleiter sowie dem zuständigen Loss Prevention Verantwortlichen, der für die Sicherheit am Standort zuständig war, täglich zur Verfügung gestellt. Dafür wurde der Inhalt des bis dahin nur verpixelten Rahmens vollständig geschwärzt; Umrisse und Konturen der im ersten Schritt bereits verpixelten Personen waren im Anschluss daran nicht mehr erkennbar. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung machte der Betriebsrat geltend, dass diese Nutzung der durch die Überwachungskameras erzeugten Bilder seiner Zustimmung nach § 87 Abs. 1 Nrn. 6, 7 BetrVG oder eines die Zustimmung ersetzenden Spruchs der Einigungsstelle bedürfe. Denn in der Betriebsvereinbarung sei dieser Zweck nicht vorgesehen. Darüber hinaus sei das Projekt des Arbeitgebers mit einer Erhebung, Verarbeitung und Auswertung der Bilder durch Dritte verbunden, was ebenfalls im Widerspruch zur Betriebsvereinbarung stünde. Denn diese verpflichte den Arbeitgeber zu einer Verarbeitung der personenbezogenen Daten auf lokalen Netzwerkservern, was bei einer Tätigkeit des AVOC-Teams in Dublin (Irland) nicht der Fall sei. Mit überzeugender Begründung hat das ArbG Wesel dem Antrag des Betriebsrats jedenfalls im Wesentlichen stattgegeben und dem Arbeitgeber aufgegeben, es zu unterlassen, Bilder und Videos von Arbeitnehmern, die mittels Kameras oder anderer technischer Systeme im Betrieb erzeugt werden, aufzunehmen, zu speichern, zu verarbeiten oder an Dritte zu übermitteln, mit dem Zweck, Abstandsmessungen oder Abstandsüberwachungen vorzunehmen, ohne dass zuvor mit dem Betriebsrat über die Einführung und Anwendung eine Einigung erzielt oder die fehlende Einigung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden sei, es sei denn, es lägen Notfälle vor oder es läge ein Sachverhalt vor, der ausschließlich in der Person eines einzelnen Arbeitnehmers liege und keinen kollektiven Bezug habe.

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Videoüberwachung zur Einhaltung des Social Distancing

In der Begründung seiner Entscheidung macht das ArbG Wesel zunächst einmal deutlich, dass bereits aus § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG ein Anspruch des Betriebsrats folge, rechtswirksame Betriebsvereinbarungen durchzuführen. Daraus ergebe sich auch ein Anspruch auf Unterlassung vereinbarungswidriger Maßnahmen156. Losgelöst davon könne der Betriebsrat auch zur Sicherung seiner Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG einen allgemeinen Unterlassungsanspruch geltend machen, wenn die Gefahr bestehe, dass seine Mitbestimmungsrechte durch Maßnahmen des Arbeitgebers verletzt werden157. Nach der Auffassung des BAG waren diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt. Dabei ist das ArbG Wesel nicht nur davon ausgegangen, dass die Einführung und Nutzung einer Videoüberwachung im Betrieb einer Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bedarf. Dies gelte jedenfalls dann, wenn – was vorliegend der Fall war – eine bestehende Betriebsvereinbarung den hier in Rede stehenden Verwendungszweck nicht erlaube und zudem Voraussetzungen einer Verarbeitung festlege (hier: Speicherung auf lokalen Servern), die durch die streitgegenständlichen Maßnahmen des Arbeitgebers nicht beachtet würden. Zu diesem Zeitpunkt sei deshalb auch eine Zuordnung der übermittelten Leistungs- und Verhaltensdaten im Hinblick auf einzelne Arbeitnehmer möglich. Losgelöst davon war nach Auffassung des ArbG Wesel auch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG gegeben. Denn bei der Auswertung der Videoaufnahmen handelte es sich um eine Maßnahme der Gefährdungsbeurteilung, wegen derer – wie an anderer Stelle ausgeführt158 – angesichts des bestehenden Gestaltungsspielraums ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gegeben ist159. In Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist das ArbG Wesel davon ausgegangen, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 BetrVG auch in Eilfällen besteht160. Daran sei auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie festzuhalten. Lediglich in sog. Notfällen, in denen sofort gehandelt werden müsse, um von dem Betrieb oder den Arbeitnehmern Schäden abzuwenden 156 BAG v. 16.11.2011 – 7 ABR 27/10, NZA-RR 2012, 579; HWK/B. Gaul, BetrVG § 77 Rz. 6. 157 ArbG Wesel v. 24.4.2020 – 2 BVGa 4/20 n. v. (Rz. 74). 158 B. Gaul, AktuellAR 2020, 277 ff. 159 ArbG Wesel v. 24.4.2020 – 2 BVGa 4/20 n. v. (Rz. 89 ff.). 160 BAG v. 9.7.2013 – 1 ABR 19/12, NZA 2014, 99 Rz. 19; BAG v. 17.11.1998 – 1 ABR 12/98, NZA 1999. 662 Rz. 37; HWK/Clemenz, BetrVG § 87 Rz. 21 f.; Richardi/Richardi, BetrVG § 87 Rz. 55.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

und in denen entweder der Betriebsrat nicht erreichbar sei oder keinen ordnungsgemäßen Beschluss fassen könne, werde ein Recht des Arbeitgebers auf einseitige Anordnungen diskutiert. Hier könne bereits dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) entnommen werden, dass in solch extremen Notsituationen der Arbeitgeber das Recht habe, vorläufig zur Abwendung akuter Gefahren oder Schäden eine Maßnahme durchzuführen, wenn er unverzüglich die Beteiligung des Betriebsrats nachhole161. Auch wenn die COVID-19-Pandemie mit gravierenden Bedrohungen für die Gesundheit von Betriebsangehörigen und Dritten einhergehe und die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Betriebe immens seien, liege aber aus Sicht des ArbG Wesel kein Notfall in diesem Sinne vor. Denn ein solcher setze jedenfalls eine akute Gefahr, die es abzuwenden gelte, voraus. Davon ausgehend könne die Maßnahme zur Abstandsüberwachung zwar geeignet und erforderlich sein, um die Ausbreitung des Coronavirus im Betrieb zu vermeiden und damit den Schutz der Arbeitnehmer zu bezwecken. Allein die kontinuierliche Ausbreitung des Virus führe jedoch nicht dazu, dass er bereits als akute Gefahr für den Betrieb und damit als extremer Notfall anzusehen sei162. Unter Berücksichtigung der hier in Rede stehenden Maßnahmen des Arbeitgebers ist dieser Bewertung zuzustimmen. Allerdings wird man unter bestimmten Voraussetzungen durchaus einzelne Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers im Rahmen der aktuellen Pandemie als so eilbedürftig ansehen können, dass sie ausnahmsweise auch ohne vorangehende Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt werden. Je eher es mit zunehmender Dauer der Pandemie aber möglich ist, unter Berücksichtigung der aktuellen Handlungsvorgaben im Bereich des Arbeitsschutzes, auf die wir an anderer Stelle hingewiesen haben163, insbesondere für die Zeit der Rückkehr aus dem Shutdown rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Gefährdungsbeurteilung und daran anknüpfende Schutzmaßnahmen festzulegen und deren Umsetzung einzuführen, kann auch der Betriebsrat beteiligt werden. Dies gilt erst recht, nachdem die etwaig erforderlichen Beschlussfassungen des Betriebsrats nach dem Inkrafttreten von § 129 BetrVG auch in Form von Video- und Telefonkonferenzen getroffen werden können164. Im Hinblick darauf ist es wichtig, dass die Betriebsparteien frühzeitig gemeinsam die erforderlichen Schritte besprechen und versuchen, einvernehmlich die notwendigen Maß161 BAG v. 17.11.1998 – 1 ABR 12/98, NZA 1999. 662 Rz. 37; BAG v. 19.2.1991 – 1 ABR 31/90, NZA 1991, 609 Rz. 30; Richardi/Richardi, BetrVG § 87 Rz. 62. 162 ArbG Wesel v. 24.4.2020 – 2 BVGa 4/20 n. v. (Rz. 87 f.). 163 B. Gaul, AktuellAR 2020, 19 ff. 164 B. Gaul, AktuellAR 2020, 11 ff.

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Einsetzung einer Einigungsstelle „Mobiles Arbeiten“

nahmen festzulegen. Dies gilt umso mehr, als ein Einigungsstellenverfahren nach § 87 Abs. 1 Nrn. 6, 7, Abs. 2 BetrVG im Zweifel zu spät zu einem Ergebnis kommt, um den Interessen der Mitarbeiter an einem wirksamen Arbeitsschutz Rechnung zu tragen. (Ga)

13. Einsetzung einer Einigungsstelle „Mobiles Arbeiten“ Der Shutdown der deutschen Wirtschaft und die Verlagerung einer Vielzahl von Arbeitsplätzen in das sog. Homeoffice hat noch einmal vor Augen geführt, dass eine Vielzahl von Tätigkeiten ohne Weiteres im Rahmen einer mobilen Arbeit erledigt werden können. Vorbehalte, die arbeitgeberseitig in der Vergangenheit geltend gemacht wurden, sind während der COVID-19Pandemie im beiderseitigen Einverständnis beseitigt worden. Vielfach haben Mitarbeiter trotz der besonderen Belastung, die durch die Schließung von Kindertagesstätten und Schulen verursacht wurde, ihre bisherige Arbeit in den eigenen Räumlichkeiten fortgesetzt. Dass dort vielfach gar keine eigentlichen Arbeitsplätze (mehr) bestehen, sondern Küche, Wohn- oder Esszimmer zu häuslichen Arbeitsbereichen umfunktioniert wurden, ist arbeitgeberseitig dankbar aufgenommen worden. Gleichzeitig hat die damit verbundene Flexibilität geholfen, das Infektionsrisiko für alle Beteiligten abzusenken und körperliche Nähe, die mit betrieblicher Arbeit verbunden gewesen wäre, zu vermeiden. Es steht zu erwarten, dass Arbeitnehmer auch in Zukunft interessiert sind, häufiger ihre Arbeit im Homeoffice zu verrichten. Dies verschafft Flexibilität in Bezug auf die Lage und Verteilung der Arbeitszeit und vermeidet zugleich Belastungen als Folge der Wegezeiten. Insofern gibt es auch gewichtige ökologische und ökonomische Gründe, die aus Arbeitnehmersicht für eine Ausweitung der Möglichkeit sprechen, im Homeoffice tätig zu werden. Bereits an anderer Stelle hatten wir deutlich gemacht, dass die Frage des Arbeitsschutzes im Homeoffice derzeit noch weitgehend ungeklärt ist. Hintergrund ist vor allem der Umstand, dass die Regelungen der ArbStättV nur den Telearbeitsplatz, wohingegen die grundsätzlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers im Bereich des Arbeitsschutzes, wie sie beispielhaft durch §§ 3 ff. ArbSchG konkretisiert werden, jede Form der mobilen Tätigkeit erfassen. In vielen Unternehmen ist deshalb bereits heute zu beobachten, dass Betriebsräte – wie auch Arbeitgebervertreter – bestrebt sind, klare und transparente Regelungen für die mobile Arbeit zu finden. Damit sollen nicht nur Regelungen geschaffen werden, auf deren Grundlage eine Verlagerung von Arbeitsplätzen in die mobile Arbeit bzw. das Homeoffice erfolgen kann. 291

Einsetzung einer Einigungsstelle „Mobiles Arbeiten“

nahmen festzulegen. Dies gilt umso mehr, als ein Einigungsstellenverfahren nach § 87 Abs. 1 Nrn. 6, 7, Abs. 2 BetrVG im Zweifel zu spät zu einem Ergebnis kommt, um den Interessen der Mitarbeiter an einem wirksamen Arbeitsschutz Rechnung zu tragen. (Ga)

13. Einsetzung einer Einigungsstelle „Mobiles Arbeiten“ Der Shutdown der deutschen Wirtschaft und die Verlagerung einer Vielzahl von Arbeitsplätzen in das sog. Homeoffice hat noch einmal vor Augen geführt, dass eine Vielzahl von Tätigkeiten ohne Weiteres im Rahmen einer mobilen Arbeit erledigt werden können. Vorbehalte, die arbeitgeberseitig in der Vergangenheit geltend gemacht wurden, sind während der COVID-19Pandemie im beiderseitigen Einverständnis beseitigt worden. Vielfach haben Mitarbeiter trotz der besonderen Belastung, die durch die Schließung von Kindertagesstätten und Schulen verursacht wurde, ihre bisherige Arbeit in den eigenen Räumlichkeiten fortgesetzt. Dass dort vielfach gar keine eigentlichen Arbeitsplätze (mehr) bestehen, sondern Küche, Wohn- oder Esszimmer zu häuslichen Arbeitsbereichen umfunktioniert wurden, ist arbeitgeberseitig dankbar aufgenommen worden. Gleichzeitig hat die damit verbundene Flexibilität geholfen, das Infektionsrisiko für alle Beteiligten abzusenken und körperliche Nähe, die mit betrieblicher Arbeit verbunden gewesen wäre, zu vermeiden. Es steht zu erwarten, dass Arbeitnehmer auch in Zukunft interessiert sind, häufiger ihre Arbeit im Homeoffice zu verrichten. Dies verschafft Flexibilität in Bezug auf die Lage und Verteilung der Arbeitszeit und vermeidet zugleich Belastungen als Folge der Wegezeiten. Insofern gibt es auch gewichtige ökologische und ökonomische Gründe, die aus Arbeitnehmersicht für eine Ausweitung der Möglichkeit sprechen, im Homeoffice tätig zu werden. Bereits an anderer Stelle hatten wir deutlich gemacht, dass die Frage des Arbeitsschutzes im Homeoffice derzeit noch weitgehend ungeklärt ist. Hintergrund ist vor allem der Umstand, dass die Regelungen der ArbStättV nur den Telearbeitsplatz, wohingegen die grundsätzlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers im Bereich des Arbeitsschutzes, wie sie beispielhaft durch §§ 3 ff. ArbSchG konkretisiert werden, jede Form der mobilen Tätigkeit erfassen. In vielen Unternehmen ist deshalb bereits heute zu beobachten, dass Betriebsräte – wie auch Arbeitgebervertreter – bestrebt sind, klare und transparente Regelungen für die mobile Arbeit zu finden. Damit sollen nicht nur Regelungen geschaffen werden, auf deren Grundlage eine Verlagerung von Arbeitsplätzen in die mobile Arbeit bzw. das Homeoffice erfolgen kann. 291

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Gleichzeitig soll allerdings gewährleistet werden, dass die Arbeitsabläufe trotz räumlicher Entfernungen funktionieren und die wechselseitige Ansprechbarkeit innerhalb des Unternehmens aber auch für Dritte garantiert ist. In dem dem Beschluss des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 25.2.2020165 zugrunde liegenden Fall hatte der durch einen örtlichen Betriebsrat beauftragte Gesamtbetriebsrat dem Arbeitgeber den Entwurf einer Betriebsvereinbarung vorgelegt, auf deren Grundlage Regelungen zu mobilen Arbeiten getroffen werden sollten. Die Arbeitgeberin, das DLR, lehnte eine Regelung hierzu ab und bestritt eventuelle Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Sie verwies stattdessen auf individualrechtliche Regelungen im Einzelfall. Der Gesamtbetriebsrat hat die Ablehnung von Verhandlungen über diese Betriebsvereinbarung zum Anlass genommen, die Einigungsstelle anzurufen. Als über deren Einsetzung ebenfalls kein Einvernehmen erzielt wurde, beantragte er beim ArbG Stralsund166 ihre Einsetzung zum Thema „Mobiles Arbeiten“, die als Regelungsgegenstand die Ausgestaltung des mobilen Arbeitens – vor allem Regelungen zum Arbeitsschutz und zur Arbeitssicherung, zur Arbeitszeit und zur Arbeitsstätte – haben sollte. Das ArbG Stralsund hat dem Antrag stattgegeben und die Anzahl der Beisitzer auf jeweils drei festgelegt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Arbeitgebers hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das LAG Mecklenburg-Vorpommern darauf verwiesen, dass Anträge auf Einsetzung einer Einigungsstelle gemäß §§ 76 Abs. 2 S. 2, 3 BetrVG durch das Arbeitsgericht nur zurückgewiesen werden können, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist (§ 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG). Eine Unzuständigkeit der Einigungsstelle könne sich daraus ergeben, dass eine Beilegung der Meinungsverschiedenheit durch die Betriebsparteien selbst noch möglich sei, ein Mitbestimmungsrecht, das die Anrufung der Einigungsstelle ermögliche, nicht bestehe, oder das Mitbestimmungsrecht nicht dem antragstellenden, sondern einem anderen Betriebsrat zustehe. Vorliegend ist das LAG Mecklenburg-Vorpommern nicht nur davon ausgegangen, dass eine Beilegung der Meinungsverschiedenheit durch die Betriebspartner angesichts der Weigerung des Arbeitgebers, Verhandlungen aufzunehmen, nicht mehr möglich war. Es hat auch zu Recht angenommen, dass die Mitbestimmungsrechte durch den Gesamtbetriebsrat geltend ge-

165 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 25.2.2020 – 5 TaBV 1/20, NZA-RR 2020, 257. 166 ArbG Stralsund v. 30.12.2019 – 14 BV 4/19 n. v.

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Einsetzung einer Einigungsstelle „Mobiles Arbeiten“

macht werden konnten, nachdem ihm der örtliche an sich zuständige Betriebsrat das Mandat gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG übertragen hatte. Eine Zurückweisung des Antrags auf Einsetzung der Einigungsstelle wäre damit nur in Betracht gekommen, wenn es offensichtlich an einem betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrecht gefehlt hätte. Dies aber hatte das LAG Mecklenburg-Vorpommern abgelehnt167. Offensichtlich sei – so das LAG Mecklenburg-Vorpommern – die Unzuständigkeit, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht auf den ersten Blick erkennbar sei, dass eine Zuständigkeit des Antragstellers in dieser Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt infrage komme. Zweifel an der fehlenden Zuständigkeit genügten nicht. Vielmehr sei eine klare und eindeutige Rechtslage notwendig, die eine Einigungsstelleneinsetzung von vornherein sinnlos erscheinen lasse. Hiervon sei allerdings nicht auszugehen. Denn der Betriebsrat habe, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht bestehe, unter anderem mitzubestimmen bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG), bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt seien, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) und bei Regelungen über die Vergütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG). Die mobile Arbeit, so wie sie auch die Arbeitgeberin verstehe, unterfalle diesen Mitbestimmungstatbeständen. Denn mobiles Arbeiten setze regelmäßig die Nutzung eigener oder dienstlich beschaffter (elektronischer) Endgeräte voraus. Die hiermit produzierten Daten ließen es typischerweise zu, das Verhalten und die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Darüber hinaus könnte sich aus den Anforderungen und Gegebenheiten des mobilen Arbeitens ein zusätzlicher Regelungsbedarf in Bezug auf die Arbeitszeit ergeben. Außerdem stellten sich Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, z. B. im Hinblick auf das zeitliche Ausmaß der Erreichbarkeit, die Gewährleistung der Arbeitssicherheit außerhalb des Betriebsgeländes oder eines eingerichteten Heimarbeitsplatzes. Keinesfalls seien diese Mitbestimmungsrechte jedenfalls von vornherein klar und eindeutig erkennbar auszuschließen. Nur darauf komme es im Rahmen des Verfahrens nach § 100 Abs. 1 ArbGG allerdings an.

167 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 25.2.2020 – 5 TaBV 1/20, NZA-RR 2020, 257 Rz. 37, 42 ff.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Hiervon ausgehend hat das LAG Mecklenburg-Vorpommern die Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Mobiles Arbeiten“ eingesetzt. Es obliegt jetzt der Einigungsstelle selbst, noch einmal ihre Zuständigkeit in Bezug auf den Regelungsgegenstand zu überprüfen. Dazu gehört auch die Frage, ob einzelne Angelegenheiten bereits abschließend durch bestehende Betriebs- oder Gesamtbetriebsvereinbarungen geregelt sind. (Ga)

14. Vergütung externer Einigungsstellenbeisitzer Der Vorsitzende und die Beisitzer der Einigungsstelle, die nicht dem Betrieb des Arbeitgebers angehören, haben gegenüber dem Arbeitgeber Anspruch auf Vergütung ihrer Tätigkeit (§ 76 a Abs. 3 BetrVG). Solange keine die Honorarhöhe regelnde Rechtsverordnung besteht, kann ein außerbetrieblicher Einigungsstellenbeisitzer den Umfang der Vergütung mit dem Arbeitgeber vereinbaren oder durch eine einseitige Erklärung bestimmen. Diese Leistungsbestimmung hat er nach billigem Ermessen nach §§ 315, 316 BGB vorzunehmen. Dabei hat er die Bemessungsgrundsätze des § 76 a Abs. 4 S. 3 bis 5 BetrVG zu beachten, nach denen insbesondere der erforderliche Zeitaufwand, die Schwierigkeit der Streitigkeit sowie ein Verdienstausfall zu berücksichtigen sind, die Vergütung der Beisitzer niedriger als die des Vorsitzenden zu bemessen und den berechtigten Interessen der Mitglieder der Einigungsstelle und des Arbeitgebers Rechnung zu tragen ist. Das BAG sieht dafür als Bezugsgröße oder Bemessungsgrundlage regelmäßig das dem Einigungsstellenvorsitzenden gezahlte Honorar an, soweit es nicht seinerseits unangemessen ist oder sich durch Besonderheiten erklärt, die in den Verhältnissen oder der Person des Beisitzers nicht erfüllt sind168. Dabei hält sich eine Bestimmung der Beisitzervergütung i. H. v. sieben Zehnteln der Vorsitzendenvergütung beim Fehlen besonders zu berücksichtigender individueller Umstände im Rahmen billigen Ermessens169. Für eine gerichtliche Festsetzung der Vergütungshöhe ist nur Raum, wenn die vom Einigungsstellenmitglied getroffene Vergütungsbestimmung nicht der Billigkeit entspricht (§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB). Ob eine Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 S. 2 BGB.

168 BAG v. 18.9.2019 – 7 ABR 15/18, NZA 2020, 458 Rz. 33; BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225 Rz. 19; BAG v. 12.2.1992 – 7 ABR 20/91, NZA 1993, 605 Rz. 21 f. 169 BAG v. 18.9.2019 – 7 ABR 15/18, NZA 2020, 458 Rz. 34; BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225 Rz. 21 f.; BAG v. 12.2.1992 – 7 ABR 20/91, NZA 1993, 605 Rz. 23.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Hiervon ausgehend hat das LAG Mecklenburg-Vorpommern die Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Mobiles Arbeiten“ eingesetzt. Es obliegt jetzt der Einigungsstelle selbst, noch einmal ihre Zuständigkeit in Bezug auf den Regelungsgegenstand zu überprüfen. Dazu gehört auch die Frage, ob einzelne Angelegenheiten bereits abschließend durch bestehende Betriebs- oder Gesamtbetriebsvereinbarungen geregelt sind. (Ga)

14. Vergütung externer Einigungsstellenbeisitzer Der Vorsitzende und die Beisitzer der Einigungsstelle, die nicht dem Betrieb des Arbeitgebers angehören, haben gegenüber dem Arbeitgeber Anspruch auf Vergütung ihrer Tätigkeit (§ 76 a Abs. 3 BetrVG). Solange keine die Honorarhöhe regelnde Rechtsverordnung besteht, kann ein außerbetrieblicher Einigungsstellenbeisitzer den Umfang der Vergütung mit dem Arbeitgeber vereinbaren oder durch eine einseitige Erklärung bestimmen. Diese Leistungsbestimmung hat er nach billigem Ermessen nach §§ 315, 316 BGB vorzunehmen. Dabei hat er die Bemessungsgrundsätze des § 76 a Abs. 4 S. 3 bis 5 BetrVG zu beachten, nach denen insbesondere der erforderliche Zeitaufwand, die Schwierigkeit der Streitigkeit sowie ein Verdienstausfall zu berücksichtigen sind, die Vergütung der Beisitzer niedriger als die des Vorsitzenden zu bemessen und den berechtigten Interessen der Mitglieder der Einigungsstelle und des Arbeitgebers Rechnung zu tragen ist. Das BAG sieht dafür als Bezugsgröße oder Bemessungsgrundlage regelmäßig das dem Einigungsstellenvorsitzenden gezahlte Honorar an, soweit es nicht seinerseits unangemessen ist oder sich durch Besonderheiten erklärt, die in den Verhältnissen oder der Person des Beisitzers nicht erfüllt sind168. Dabei hält sich eine Bestimmung der Beisitzervergütung i. H. v. sieben Zehnteln der Vorsitzendenvergütung beim Fehlen besonders zu berücksichtigender individueller Umstände im Rahmen billigen Ermessens169. Für eine gerichtliche Festsetzung der Vergütungshöhe ist nur Raum, wenn die vom Einigungsstellenmitglied getroffene Vergütungsbestimmung nicht der Billigkeit entspricht (§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB). Ob eine Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 S. 2 BGB.

168 BAG v. 18.9.2019 – 7 ABR 15/18, NZA 2020, 458 Rz. 33; BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225 Rz. 19; BAG v. 12.2.1992 – 7 ABR 20/91, NZA 1993, 605 Rz. 21 f. 169 BAG v. 18.9.2019 – 7 ABR 15/18, NZA 2020, 458 Rz. 34; BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225 Rz. 21 f.; BAG v. 12.2.1992 – 7 ABR 20/91, NZA 1993, 605 Rz. 23.

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Vergütung externer Einigungsstellenbeisitzer

Im Hinblick auf die Beisitzervergütung hat das BAG170 bei einem außerbetrieblichen Einigungsstellenmitglied bereits geklärt, dass auch ohne vorherige Vereinbarung mit dem Arbeitgeber die Mehrwertsteuer als Teil der Honorarforderung, die aufgrund umsatzsteuerrechtlicher Bestimmungen lediglich gesondert auszuweisen ist (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 8 UStG), geltend gemacht werden kann. Mit Beschluss vom 18.9.2019 musste der 7. Senat des BAG171 erneut der Frage nachgehen, ob der Anspruch eines außerbetrieblichen und umsatzsteuerpflichtigen Beisitzers einer Einigungsstelle gegenüber dem Arbeitgeber auf Vergütung seiner Tätigkeit nach § 76 a Abs. 3 BetrVG einen Anspruch auf Erstattung der auf die Vergütung entfallenden Umsatzsteuer einschließt. Der hauptberuflich als Gewerkschaftssekretär tätige Antragsteller, der mit selbstständigen Tätigkeiten Umsätze von unter 17.500 € pro Jahr erzielte, war Beisitzer einer Einigungsstelle, die an drei Tagen tagte. Eine Vereinbarung über die Vergütung des Antragstellers wurde zwischen den Beteiligten nicht getroffen. Nach Abschluss der Einigungsstelle übersandte der Vorsitzende der Arbeitgeberin eine Rechnung von über 8.000 € nebst 19 % Mehrwertsteuer i. H. v. 1.520 €, so dass sich der Rechnungsbetrag auf 9.520 € belief. Der Antragsteller stellte der Arbeitgeberin als Beisitzer ein Honorar von sieben Zehnteln des Honorars des Vorsitzenden in Rechnung, das neben dem Nettohonorar von 5.600 € außerdem 19 % Mehrwertsteuer i. H. v. 1.064 € auswies, so dass der Rechnungsbetrag insgesamt 6.664 € ausmachte. Nachdem der Antragsteller diesen Betrag zum Gegenstand einer Klage vor dem ArbG Oldenburg172 gemacht hatte, weil die Arbeitgeberin die Rechnung nicht bezahlte, leistete die Arbeitgeberin ein Honorar i. H. v. 6.000 € an den Antragsteller, der nunmehr seine Forderung auf 557,98 € (netto) zuzüglich 19 % Umsatzsteuer i. H. v. 106,02 €, insgesamt 664 € (brutto) nebst Zinsen, reduzierte. Das ArbG Oldenburg173 wies den Antrag zurück. Das LAG Niedersachsen174 wies die Beschwerde zurück, weil dem Antragsteller keine Umsatzsteuer gegenüber der Arbeitgeberin zustünde. Das BAG hat den Rechtsstreit zurückverwiesen. Zunächst bestätigt das BAG seine frühere Rechtsprechung175, dass ein umsatzsteuerpflichtiger Beisitzer einer Einigungsstelle einen An-

170 171 172 173 174 175

BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225 Rz. 23. BAG v. 18.9.2019 – 7 ABR 15/18, NZA 2020, 458. ArbG Oldenburg v. 15.2.2017 – 3 BV 1/16 n. v. ArbG Oldenburg v. 15.2.2017 – 3 BV 1/16 n. v. LAG Niedersachsen v. 30.11.2017 – 15 TaBV 38/17 n. v. BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225 Rz. 23.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

spruch auf Erstattung der auf die Vergütung entfallenden Umsatzsteuer hat. Allerdings entsteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers auf Erstattung der Umsatzsteuer allein dadurch, dass sie in Rechnung gestellt wird. Vielmehr muss der Rechnungsteller nach Ansicht des BAG auch der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Im Streitfall ging es daher um die Frage, ob der Antragsteller Kleinunternehmer war und deshalb nach § 19 Abs. 1 S. 1 UStG der Umsatzsteuerpflicht nicht unterlag oder von der Option des § 19 Abs. 2 UStG Gebrauch gemacht und durch Erklärung gegenüber dem Finanzamt auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung verzichtet hatte. Hierzu hatte das LAG keinerlei Feststellungen getroffen (§ 83 Abs. 1 S. 1 ArbGG). Dabei weist das BAG darauf hin, dass die Option nach § 19 Abs. 2 UStG nach der Rechtsprechung des BFH176 möglicherweise gegenüber dem Finanzamt auch durch schlüssiges Verhalten wahrgenommen werden kann. Zudem hatte das LAG nicht aufgeklärt, ob die seitens der Arbeitgeberin geleistete Zahlung von 6.000 € inklusive Umsatzsteuer Gegenstand eines außergerichtlichen Vergleichs zur Erledigung des Rechtsstreits war. Bezüglich der Höhe der Honorarforderung des Antragstellers wiederholt das BAG die bereits entwickelten Grundsätze zur Angemessenheit der Leistungsbestimmung der Honorarforderung eines Beisitzers der Einigungsstelle nach billigem Ermessen, wenn das Abstandsgebot der sog. Sieben-ZehntelRegelung in Relation zum Honorar des Vorsitzenden gewahrt bleibt. Ohne besondere Umstände ist nach Ansicht des BAG die Sieben-ZehntelRegelung auch dann nicht zu modifizieren, wenn sich etwa Arbeitgeber und der Vorsitzende der Einigungsstelle über eine Stundenvergütung geeinigt haben177. Einen Stundensatz von 250 € hält das BAG in diesem Zusammenhang für angemessen. Unabhängig davon, ob der Stundenaufwand des Vorsitzenden der Einigungsstelle, was vor allem die Vorbereitungszeit betreffen kann, über dem des Beisitzers liegt, wird dem unterschiedlichen Zeitaufwand bei der Sieben-Zehntel-Regelung bereits durch das Abstandsgebot nach Ansicht des BAG ausreichend Rechnung getragen, so dass der Stundenaufwand des Beisitzers nicht festgestellt werden muss. Es bleibt nach dieser Entscheidung des BAG für die betriebliche Praxis verlässlich dabei, dass ein außerbetrieblicher Einigungsstellenbeisitzer bis zum Erlass einer die Honorarhöhe regelnden Rechtsverordnung berechtigt ist, den Umfang der Vergütung mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren oder durch eine einseitige Erklärung nach billigem Ermessen nach §§ 315, 316 BGB unter Beachtung der Bemessungsgrundsätze des § 76 a Abs. 4 S. 3 bis 5 Be176 BFH v. 24.7.2013 – XI R 14/11, DB 2014, 161 Rz. 20. 177 BAG v. 18.9.2019 – 7 ABR 15/18, NZA 2020, 458 Rz. 39 f.

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Vergütung externer Einigungsstellenbeisitzer

trVG zu bestimmen, wobei regelmäßig – von besonderen Umständen abgesehen – die Sieben-Zehntel-Abstandsregelung zum Honorar des Vorsitzenden nicht zu beanstanden ist. Eine weitere Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 11.12.2019178 behandelt die Vergütung des Vorsitzenden einer Einigungsstelle im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers und geht der Frage nach, ob ein betriebsfremdes Mitglied der Einigungsstelle an die Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts hinsichtlich der ihm zustehenden Vergütung gebunden bleibt. Die Beteiligten stritten über einen Vergütungsanspruch des Antragstellers für seine Tätigkeit als Einigungsstellenvorsitzender sowie über Rechtsverfolgungskosten zur Durchsetzung dieses Anspruchs. Der Antragsteller (Beteiligter zu 1.), ein Rechtsanwalt, war vom ArbG Mainz179 zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle über eine Sozialplanregelung bestellt worden. Nach der ersten Einigungsstellensitzung am 30.5.2016, die ohne Beteiligung der Arbeitgeberseite stattfand, wurde am 1.6.2016 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet und der Beteiligte zu 2. zum Insolvenzverwalter bestellt. Daraufhin bezifferte der Antragsteller gegenüber dem Beteiligten zu 2. mit Schreiben vom 8.6.2016 seinen Honoraranspruch mit „5.000 € zuzüglich Mehrwertsteuer und Spesen“ und erbat einen Vorschuss i. H. v. 3.000 €. Daraufhin ließ der Beteiligte zu 2. dem Antragsteller per EMail mitteilen, dass er nicht sagen könne, ob die Forderung im Range des § 38 oder aber des § 55 InsO anzusehen sei und er die Forderung dem Grunde und der Höhe nach bestätigen könne. Nach zwei weiteren Sitzungen der Einigungsstelle wurde in der dritten Sitzung, die ohne Beteiligung des Beteiligten zu 2. stattfand, durch die anwesenden Mitglieder ein Sozialplan beschlossen. Anschließend übersandte der Antragsteller dem Beteiligten zu 2. seine Rechnung, die sich aus einem Honorar von 5.000 €, 120 € für Porto, Telefon, Kopien und der auf diese Beträge anfallenden Umsatzsteuer zusammensetzte und sich auf insgesamt 6.092,80 € belief. Eine Zahlung lehnte der Beteiligte zu 2. ab, weil er von einer Insolvenzforderung ausging. Der Beteiligte zu 2. zeigte kurze Zeit später am 17.10.2016 bei dem Amtsgericht Masseunzulänglichkeit an. Mit der anschließend gegen den Beteiligten zu 2. gerichteten Klage machte der Antragsteller im Beschlussverfahren vor dem ArbG unter Berechnung eines Stundensatzes von 300 € einen Honoraranspruch i. H. v. 8.025 € zuzüglich Umsatzsteuer sowie Rechtsverfolgungskosten i. H. v. 1.819,27 € geltend und beantragte die Feststellung, dass ihm eine Masseforderung i. H. v. 11.369,02 € zusteht. Der Beteiligte zu 2. verteidigte 178 BAG v. 11.12.2019 – 7 ABR 4/18, NZA 2020, 526. 179 ArbG Mainz v. 8.12.2016 – 11 BV 14/16 n. v.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

sich vor allem damit, dass es sich bei der Forderung des Antragstellers um eine Insolvenzforderung, jedenfalls aber um eine Altmasseverbindlichkeit handele. Das ArbG Mainz180 hat dem Antrag entsprochen. Das LAG RheinlandPfalz181 die Beschwerde des Beteiligten zu 2. zurückgewiesen. Das BAG hat festgestellt, dass dem Antragsteller eine Altmasseforderung i. H. v. 7.162,37 € gegen die Insolvenzmasse zusteht und im Übrigen den Antrag abgewiesen. Das BAG gelangt zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller für seine Tätigkeit als Vorsitzender der Einigungsstelle nur ein Honoraranspruch i. H. v. 5.000 € zuzüglich der Umsatzsteuer i. H. v. 950 € zusteht. Ausgangspunkt für den Honoraranspruch bildet dabei für das BAG § 76 a Abs. 3 BetrVG, wonach einem betriebsfremden Mitglied einer Einigungsstelle ein gesetzlicher Anspruch auf Vergütung zusteht182, der entweder durch eine einseitige Erklärung nach billigem Ermessen nach §§ 315, 316 BGB unter Beachtung der Bemessungsgrundsätze des § 76 a Abs. 4 S. 3 bis 5 BetrVG zu bestimmen ist, oder Gegenstand einer einzelvertraglichen Absprache über eine anderweitige Vergütungsregelung sein kann183. Keiner besonderen Vereinbarung bedarf es bei einem umsatzsteuerpflichtigen Mitglied einer Einigungsstelle, so dass die auf die Vergütung entfallende Umsatzsteuer, die lediglich gesondert auszuweisen ist (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 8 UStG), zusätzlich anfällt184. Dabei lässt das BAG offen, ob sich die Höhe der Vergütung bereits aus einer Vereinbarung der Beteiligten ergibt, oder ob der Antragsteller die Höhe des Vergütungsanspruchs nach § 315 Abs. 2 BGB durch Ausübung seines Bestimmungsrechts festgelegt hat. Dem Schreiben des Antragstellers vom 8.6.2016, in welchem er seinen Honoraranspruch mit 5.000 € beziffert hat, und der darauf erteilten Antwort des Beteiligten zu 2. lässt sich nach Ansicht des BAG durchaus die Vereinbarung eines Pauschalhonorars in dieser Größenordnung entnehmen. Ungeachtet dessen müsste sich der Antragsteller im Falle einer einseitigen Leistungsbestimmung an der Höhe der von ihm bestimmten Vergütung von 5.000 € festhalten lassen, weil ein einmal ausgeüb-

180 181 182 183 184

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ArbG Mainz v. 8.12.2016 – 11 BV 14/16 n. v. LAG Rheinland-Pfalz v. 19.6.2017 – 3 TaBV 3/17, ZIP 2017, 2320. BAG v. 22.11.2017 – 7 ABR 46/16, NZA 2018, 732 Rz. 10. BAG v. 11.12.2019 – 7 ABR 4/18, NZA 2020, 526 Rz. 18 m. w. N. BAG v. 18.9.2019 – 7 ABR 15/18, NZA 2020, 458 Rz. 15 m. w. N.; BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225 Rz. 23.

Vergütung externer Einigungsstellenbeisitzer

tes Gestaltungsrecht verbraucht und damit unwiderruflich sei185. Insofern hat das BAG auch keine Bedenken, dass die Vergütung i. H. v. 5.000 € in Einklang mit den Vorgaben des § 76 a Abs. 4 S. 3 bis 5 BetrVG steht und die darauf zu entrichtende Umsatzsteuer i. H. v. 950 € umfasst. Diese Forderung hat das BAG als Altmasseverbindlichkeit i. S. v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO als berichtigungsfähig angesehen, weil sie nicht bereits mit der Übernahme des Amts des Einigungsstellenvorsitzenden, die vor der Insolvenzeröffnung vorgelegen hat, vollständig entstanden ist186, sondern vielmehr die gesamte Tätigkeit erfasst, die sich erst nach Durchführung der Einigungsstelle exakt feststellen lässt. Da das Einigungsstellenverfahren nach der Insolvenzeröffnung fortgeführt wurde und den Insolvenzverwalter als Beteiligten zu 2. eine Pflicht zur Mitwirkung an der Aufstellung des Sozialplans durch die Einigungsstelle traf (§ 123 InsO i. V. m. §§ 111 bis 113 BetrVG), gehörte diese Pflicht nach Ansicht des BAG zur Geschäftsführung des Beteiligten zu 2. als Insolvenzverwalter gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und damit zur Verwaltung der Insolvenzmasse, wobei der Insolvenzmasse die Leistung des Einigungsstellenvorsitzenden als Äquivalent für das Honorar zugutegekommen sei. Überzeugend weist das BAG in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die Leistung des Vorsitzenden der Einigungsstelle nicht in eine Tätigkeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und danach aufteilen ließe, sondern vielmehr eine einheitliche Gesamtleistung darstelle. Die Einordnung der Honorarforderung als Altmasseverbindlichkeit (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) ergäbe sich daraus, dass die Voraussetzungen für den Honoraranspruch mit dem Abschluss des Einigungsstellenverfahrens nach der Insolvenzeröffnung, aber vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit i. S. v. § 208 InsO vorlagen. Das BAG hält auch unter Berücksichtigung eines Vergütungsanspruchs i. H. v. 5.950 € die vom Antragsteller geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten i. H. v. 1.212,37 € unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verzugsschadens aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 3, 249 Abs. 1 BGB als Altmasseverbindlichkeit für begründet und legt dabei die gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren (RVG) zugrunde. Dabei verneint das BAG eine Entlastung des Beteiligten zu 2. nach § 286 Abs. 4 BGB, wonach der Schuldner

185 Vgl. dazu BAG v. 11.12.2019 – 7 ABR 4/18, NZA 2020, 526 Rz. 26; BAG v. 12.10.2011 – 10 AZR 649/10, NZA 2012, 464 Rz. 40. 186 BAG v. 14.3.2019 – 6 AZR 4/18, NZA 2019, 567 Rz. 13 m. w. N.; ebenso BGH v. 22.9.2011 – IX ZB 121/11 n. v. (Rz. 3): Eine Insolvenzforderung i. S. d. § 38 InsO liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

nicht in Verzug gerät, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Der Beteiligte zu 2. habe insoweit keinem unverschuldeten Rechtsirrtum unterlegen, weil er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht habe darauf vertrauen dürfen, dass dem Antragsteller nur eine Insolvenzforderung und keine Masseforderung zustünde. Abgesehen von den insolvenzrechtlichen Besonderheiten ist der Entscheidung des BAG vor allem deshalb praktische Bedeutung beizumessen, weil sie Klarstellungen bezüglich der Vergütungsansprüche externer Teilnehmer vornimmt, wenn diese möglicherweise bereits vor Abwicklung der Einigungsstelle ihre Honoraransprüche durch Bezifferung gegenüber dem Arbeitgeber im Sinne einer Leistungsbestimmung vorgenommen haben. Überdies ist von Bedeutung, dass im Falle eines Verzugs des Arbeitgebers mit der Begleichung berechtigter Honorarforderungen der externen Mitglieder einer Einigungsstelle die dadurch entstehenden Rechtsverfolgungskosten übernommen werden müssen, was etwa bei einer klageweisen Durchsetzung eines abgetretenen Kostenfreistellungsanspruchs durch den Betriebsrat an seinen Verfahrensbevollmächtigten als nach § 280 Abs. 1 BGB erstattungsfähiger Schaden vom BAG187 abgelehnt wird. Soweit nichts anderes im BetrVG geregelt ist, hat jeder Beteiligte eines Beschlussverfahrens seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen. (Boe)

15. Mitbestimmungsstatut bei der Gründung einer SE durch formwechselnde Umwandlung Bereits vor einigen Jahren hatten wir über die zunehmende Zahl von Europäischen Aktiengesellschaften (Societas Europaea – SE) in Deutschland berichtet. Dabei geht es nicht nur um das Ziel, eine international anerkannte und kapitalmarktfähige Gesellschaftsform zu verwenden. Ein Vorteil der SE besteht vor allem in einem erheblichen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Leitungs- und Kontrollstrukturen sowie der Corporate Governance. Des Weiteren finden die nationalen Rechtsvorschriften und Regelungen in Bezug auf die Arbeitnehmerbeteiligung in den Unternehmensorganen keine Anwendung (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG). Folgerichtig wird die SE auch nicht in §§ 1 MitbestG, 1 DrittelbG als Unternehmen genannt, auf das die Regelungen dieser Gesetze Anwendung finden können. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und/oder Arbeitnehmervertreter auf der Ebene der Aufsichts- und Verwaltungsorgane einer SE hängt vielmehr davon ab, welche 187 BAG v. 1.8.2018 – 7 ABR 41/17, NZA 2018, 1574 Rz. 9, 12.

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Betriebsverfassung und Mitbestimmung

nicht in Verzug gerät, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Der Beteiligte zu 2. habe insoweit keinem unverschuldeten Rechtsirrtum unterlegen, weil er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht habe darauf vertrauen dürfen, dass dem Antragsteller nur eine Insolvenzforderung und keine Masseforderung zustünde. Abgesehen von den insolvenzrechtlichen Besonderheiten ist der Entscheidung des BAG vor allem deshalb praktische Bedeutung beizumessen, weil sie Klarstellungen bezüglich der Vergütungsansprüche externer Teilnehmer vornimmt, wenn diese möglicherweise bereits vor Abwicklung der Einigungsstelle ihre Honoraransprüche durch Bezifferung gegenüber dem Arbeitgeber im Sinne einer Leistungsbestimmung vorgenommen haben. Überdies ist von Bedeutung, dass im Falle eines Verzugs des Arbeitgebers mit der Begleichung berechtigter Honorarforderungen der externen Mitglieder einer Einigungsstelle die dadurch entstehenden Rechtsverfolgungskosten übernommen werden müssen, was etwa bei einer klageweisen Durchsetzung eines abgetretenen Kostenfreistellungsanspruchs durch den Betriebsrat an seinen Verfahrensbevollmächtigten als nach § 280 Abs. 1 BGB erstattungsfähiger Schaden vom BAG187 abgelehnt wird. Soweit nichts anderes im BetrVG geregelt ist, hat jeder Beteiligte eines Beschlussverfahrens seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen. (Boe)

15. Mitbestimmungsstatut bei der Gründung einer SE durch formwechselnde Umwandlung Bereits vor einigen Jahren hatten wir über die zunehmende Zahl von Europäischen Aktiengesellschaften (Societas Europaea – SE) in Deutschland berichtet. Dabei geht es nicht nur um das Ziel, eine international anerkannte und kapitalmarktfähige Gesellschaftsform zu verwenden. Ein Vorteil der SE besteht vor allem in einem erheblichen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Leitungs- und Kontrollstrukturen sowie der Corporate Governance. Des Weiteren finden die nationalen Rechtsvorschriften und Regelungen in Bezug auf die Arbeitnehmerbeteiligung in den Unternehmensorganen keine Anwendung (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG). Folgerichtig wird die SE auch nicht in §§ 1 MitbestG, 1 DrittelbG als Unternehmen genannt, auf das die Regelungen dieser Gesetze Anwendung finden können. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und/oder Arbeitnehmervertreter auf der Ebene der Aufsichts- und Verwaltungsorgane einer SE hängt vielmehr davon ab, welche 187 BAG v. 1.8.2018 – 7 ABR 41/17, NZA 2018, 1574 Rz. 9, 12.

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Mitbestimmungsstatut bei der Gründung einer SE durch formwechselnde Umwandlung

Regelungen hierzu in der bei Gründung abzuschließenden Beteiligungsvereinbarung getroffen werden oder als Folge der gesetzlichen Auffangregelung zur Anwendung kommen. Insbesondere bei der Gründung einer SE durch Umwandlung einer AG ist umstritten, ob bei der Anwendbarkeit der Auffangregelung gemäß §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 SEBG auf den rechtlich gebotenen Soll-Zustand oder auf den tatsächlich praktizierten Ist-Zustand in Bezug auf die Unternehmensmitbestimmung zum Zeitpunkt der Umwandlung der Gesellschaft von einer AG in eine SE abgestellt werden muss. Das haben die divergierenden Entscheidungen des LG Frankfurt vom 23.11.2017188 und des LG München I vom 26.6.2018189 auf der einen Seite und des BGH vom 23.7.2019190 auf der anderen Seite deutlich gemacht. Wir hatten über diesen Streit unter Einbeziehung der instanzgerichtlichen Entscheidung des OLG Frankfurt vom 27.8.2018191 bereits bei früherer Gelegenheit berichtet192. Gemäß Art. 2 Abs. 4 Verordnung 2157/2001/EG (SEVO) kann eine AG, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden ist und ihren Sitz sowie ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft hat, in eine SE umgewandelt werden, wenn sie seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft hat. Auch in diesem Zusammenhang müssen allerdings Verhandlungen mit dem besonderen Verhandlungsgremium über den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung geführt werden, die sich insbesondere mit der Mitbestimmung der Arbeitnehmer und/oder Arbeitnehmervertreter auf der Ebene der Verwaltungs- und Aufsichtsorgane der SE befassen. Entgegen dem bei anderen Gründungsformen bestehenden Gestaltungsspielraum muss mit dieser Beteiligungsvereinbarung bei einer durch Umwandlung gegründeten SE in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll. Dies gilt auch bei einem Wechsel der Gesellschaft von einer dualistischen zu einer monistischen Organisationsstruktur und umgekehrt (§ 21 Abs. 6 SEBG). Entsprechendes gilt für den Fall, dass die gesetzlichen Auffangregelungen zur Anwendung kommen. Dies ist der Fall, wenn die Parteien ihre Anwendung vereinbaren oder bis zum Ende des in § 20 SEBG angegebenen Zeitraums keine Beteiligungsvereinbarung zustande

188 189 190 191 192

LG Frankfurt v. 23.11.2017 – 3-05 O 63/17, ZIP 2018, 932. LG München I v. 26.6.2018 – 38 O 15760/17, ZIP 2018, 1546. BGH v. 23.7.2019 – II ZB 20/18, DB 2019, 2120. OLG Frankfurt v. 27.8.2018 – 21 W 29/18, DB 2018, 2488. B. Gaul, AktuellAR 2018, 437 ff.

301

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

gekommen ist und das besondere Verhandlungsgremium keinen Beschluss über die Nichtaufnahme oder den Abbruch der Verhandlungen getroffen hat (§ 22 SEBG). Denn auch in diesem Fall bleiben bei einer durch Umwandlung gegründeten SE, wenn in der Gesellschaft vor der Umwandlung Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan galten, diese erhalten (§§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 SEBG). Entsprechend der im Teil 3 Richtlinie 2001/86/EG getroffenen Vorgaben gilt dies für alle Komponenten der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Entgegen der durch das LG Frankfurt und das LG München I vertretenen Auffassung, die sowohl für den Fall des Abschlusses einer Vereinbarung (LG München I), als auch für den Fall einer Anwendbarkeit der gesetzlichen Auffangregelung (LG Frankfurt) die tatsächlich gehandhabte Praxis in Bezug auf die Unternehmensmitbestimmung vor dem Wirksamwerden der Umwandlung für maßgeblich hielten193, hat sich das OLG Frankfurt in seiner Entscheidung vom 27.8.2018194 der Auffassung angeschlossen, dass es auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben jedenfalls im Anwendungsbereich der gesetzlichen Auffangregelung nach §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1 SEBG bei dem für die SE maßgeblichen Mitbestimmungsstatut auf den rechtlichen Soll-Zustand im Vorfeld der Umwandlung ankommt195. In den Gründen seiner Entscheidung hat das OLG Frankfurt zunächst einmal auf den Wortlaut der §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1 SEBG verwiesen. Danach komme es bei der Festlegung des Mitbestimmungsstatuts in der SE auf die „Regelung zur Mitbestimmung“ an, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung „bestanden“ habe. Die Verwendung des Wortes „Regelung“ in § 35 Abs. 1 SEBG deute darauf hin, dass nicht der von der Gesetzeslage unabhängige, allein tatsächlich bestehende Zustand fortgeschrieben werden solle, sondern die auf die Gesellschaft vor ihrer Umwandlung anzuwendenden Regeln weiterhin Gültigkeit beanspruchen sollten. Dies entspreche auch § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG. Danach fänden die §§ 35 ff. SEBG bei einer durch Umwandlung gegründeten SE Anwendung, wenn in der Gesellschaft vor der Umwandlung „Bestimmungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan galten“. Wieder stünden die „Bestimmungen“ bzw. Normen vom Wortlaut her im Vordergrund, wohingegen das

193 Ebenso HWK/Hohenstatt/Dzida, SEBG § 34 Rz. 48; LHT/Oetker, SEBG § 34 Rz. 15; MüKoAktG/Jacobs, SEBG § 34 Rz. 5. 194 OLG Frankfurt v. 27.8.2018 – 21 W 29/18, DB 2018, 2488. 195 Ebenso GLF/Forst, SEBG § 34 Rz. 464; Grambow, BB 2012, 902; Grobys, NZA 2005, 84, 90; Kienast, DB 2018, 2487; Ziegler/Gey, BB 2009, 1750, 1756.

302

Mitbestimmungsstatut bei der Gründung einer SE durch formwechselnde Umwandlung

Wort „bestanden“ keine Verwendung finde, sondern an dieser Stelle – insoweit eindeutig – von „gelten“ die Rede sei. Soweit das LG Frankfurt und das LG München I zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung auf das aus § 96 Abs. 4 AktG folgende Kontinuitätsprinzip verwiesen hatten, lehnt es das OLG Frankfurt ab, daraus auf die Maßgeblichkeit des Ist-Zustands zu schließen. Zutreffend sei zwar, dass der Aufsichtsrat gemäß § 96 Abs. 4 AktG nach anderen als den zuletzt angewandten Vorschriften nur nach Abschluss des in § 97 AktG geregelten außergerichtlichen oder des in §§ 98 f. AktG normierten Statusverfahrens besetzt werden könne. Gerade dies werde aber durch ein entsprechendes Statusverfahren gewährleistet, das gemäß § 17 Abs. 3, 4 SEAG auch innerhalb der SE zulässig sei. Entsprechend führe die Anwendung von § 96 Abs. 4 AktG auf die SE – wie bei anderen Gesellschaftsformen auch – zur Perpetuierung des Zustands bis zum Abschluss des Statusverfahrens, gebe aber nicht dessen Ergebnis vor und könne auch keine Zementierung des rechtswidrigen Zustands, wie er vor der Umwandlung bestanden habe, über die Dauer des Statusverfahrens hinaus und losgelöst davon begründen. Schon im Leitsatz seines Urteils vom 23.7.2019196, mit dem der BGH die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des OLG Frankfurt zurückgewiesen hatte, hat der 2. Senat klargestellt, dass sich die im Statusverfahren festzulegende Zusammensetzung des Aufsichtsorgans der SE bei Anwendbarkeit der Auffangregelung über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) danach bestimme, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften richtigerweise zusammenzusetzen war. Allerdings hatte der BGH diese Auffassung ausdrücklich nur für den Fall angenommen, dass vor der Eintragung einer durch formwechselnde Umwandlung gegründeten, dualistisch aufgebauten SE in das Handelsregister ein Statusverfahren eingeleitet worden ist. Ob auch in anderen Konstellationen auf den Ist- oder den Soll-Zustand abgestellt werden muss, hat er ausdrücklich offengelassen. Ausreichend für die Anknüpfung an den Soll-Zustand in Bezug auf das streitgegenständliche Verfahren war der Umstand, dass das Statusverfahren bereits vor der Eintragung der SE in das Handelsregister und damit vor dem für den Vollzug der formwechselnden Umwandlung maßgebenden Zeitpunkt (§ 202 UmwG) eingeleitet worden war. Infolge dieses Umstandes käme es auch unter der Prämisse, dass grundsätzlich auf den „Ist-Zustand“ abzustellen sei, entscheidend darauf an, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften richtigerweise zusammenzusetzen gewesen sei. 196 BGH v. 23.7.2019 – II ZB 20/18, DB 2019, 2120 Rz. 23.

303

Betriebsverfassung und Mitbestimmung

Denn wenn ein Statusverfahren vor der Eintragung der SE in das Handelsregister eingeleitet worden sei, präge dieser tatsächliche Umstand den vor der Umwandlung bestehenden „Ist-Zustand“ mit. Das anhängige Statusverfahren nehme der bis dahin praktizierten Regelung ihre Verbindlichkeit für den Mitbestimmungsstatus der SE und öffne die bisherige Handhabung für eine Korrektur nach Maßgabe der einschlägigen Mitbestimmungsregeln197. Mit einer solchen Anerkennung des zutreffenden Status der Mitbestimmung im Vorfeld der Umwandlung werde auch einer „Flucht aus der Mitbestimmung“ entgegengewirkt. Dieser könnte nämlich Vorschub geleistet werden, wenn ein Mitbestimmungsstatut dauerhaft festgeschrieben würde, obwohl dessen Übereinstimmung mit den anwendbaren Mitbestimmungsvorschriften durch die Einleitung eines Statusverfahrens bereits auf den Prüfstand gestellt wurde. Da die Einleitung eines Statusverfahrens die Gründung der SE durch Eintragung in das Handelsregister nicht hindere198, könnte mit der Eintragung der SE einem bis dahin noch nicht rechtskräftig beendeten Statusverfahren der Prüfungsgegenstand entzogen und die weitere gerichtliche Überprüfung vereitelt werden. Dieser Sichtweise hat sich das OLG München in seinem Beschluss vom 26.3.2020199 angeschlossen und damit die gegenteilige Entscheidung des LG München I200 aufgehoben. Auch nach seiner Auffassung richtet sich die im Rahmen eines gerichtlichen Statusverfahrens nach §§ 98, 99 AktG festzulegende Zusammensetzung des Aufsichtsorgans bei einer durch formwechselnde Umwandlung gegründeten, dualistisch aufgebauten SE danach, wie der Aufsichtstrat vor der Umwandlung richtigerweise zusammenzusetzen war. Die darin liegende Anknüpfung an den rechtlich gebotenen SollZustand gelte grundsätzlich nicht nur bei Anwendung der Auffangregelung über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§ 34 ff. SEBG), sondern auch in Konstellationen, in denen eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer i. S. d. § 21 SEBG geschlossen worden sei. Auch das OLG München knüpft allerdings nicht bedingungslos an den SollZustand im Vorfeld der Umwandlung an. Vielmehr verlangt das OLG München, dass vor der Eintragung ein gerichtliches Statusverfahren eingeleitet worden ist oder hätte eingeleitet werden können. Dazu müsste schon zum

197 BGH v. 23.7.2019 – II ZB 20/18, DB 2019, 2120 Rz. 35; Habersack, AG 2018, 823, 829; a. A. Mückl, BB 2018, 2868, 2871. 198 BGH v. 23.7.2019 – II ZB 20/18, DB 2019, 2120 Rz. 38; Habersack, AG 2018, 823, 828. 199 OLG München v. 26.3.2020 – 31 Wx 278/18, ZIP 2020, 1017. 200 LG München I v. 16.7.2018 – 38 O 12212/17 n. v.

304

Mitbestimmungsstatut bei der Gründung einer SE durch formwechselnde Umwandlung

damaligen Zeitpunkt Streit oder Ungewissheit i. S. d. § 98 Abs. 1 AktG bestanden haben. Nach seiner Auffassung hätte auch dieser Streit bzw. die Ungewissheit über die rechtliche Zusammensetzung einen den zum damaligen Zeitpunkt bestehenden „Ist-Zustand“ prägenden Umstand dargestellt, so dass die Unterscheidung zwischen der Anknüpfung an dem Ist-Zustand und dem Soll-Zustand praktisch obsolet wird. Aus Sicht des OLG München liegt eine Ungewissheit nicht nur dann vor, wenn der Vorstand sich selbst nicht sicher sei, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen sei. Die entsprechende Ungewissheit sei auch dann anzunehmen, wenn der Vorstand sich zwar seiner eigenen Auffassung gewiss sei, jedoch damit rechne, dass im zeitlichen Nachgang zu seiner Bekanntmachung eine nach § 98 Abs. 2 AktG antragsberechtigte Person eine gerichtliche Entscheidung beantragen werde, also die konkrete Möglichkeit zukünftiger Streitigkeiten bestehe. Insofern genüge es, wenn bereits außergerichtliche Auseinandersetzungen über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats geführt würden. Andernfalls wäre es möglich, die in §§ 97, 98 AktG vorgesehene Korrekturmöglichkeit als Folge eines Statusverfahrens durch Eintragung der SE zu vernichten. Insofern solle die Umwandlung in die SE zwar die Möglichkeit eröffnen, das geltende Mitbestimmungsstatut, nicht aber einen (bekannten) rechtswidrigen Zustand „einzufrieren201. Dieser Sichtweise ist zuzustimmen. Hiervon ausgehend dürfte es für eine Anknüpfung an den „richtigen“ Mitbestimmungsstatus der Gesellschaft vor dem Wirksamwerden der Umwandlung bereits dann ankommen, wenn im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Beteiligungsvereinbarung eine entsprechende Auseinandersetzung über das Mitbestimmungsstatut geführt wird. Für die betriebliche Praxis haben die aktuellen Entscheidungen des BGH und des OLG München erhebliche Bedeutung. Denn sie beschreiben die Grenzen, innerhalb derer die Umwandlung in eine SE genutzt werden kann, um langfristig eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat auszuschließen oder jedenfalls auf der Ebene des DrittelbG festzuschreiben. Werden diese Grenzen überschritten, besteht die Gefahr, dass auch nach Eintragung der Umwandlung im Rahmen eines Statusverfahrens nach Art. 97 f. AktG die Notwendigkeit einer solchen Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat (dualistische SE) oder im Verwaltungsrat (monistische SE) durchgesetzt wird. (Ga)

201 OLG München v. 26.3.2020 – 31 Wx 278/18, ZIP 2020, 1017 Rz. 41 ff., 53 ff., 57.

305

I.

Betriebsänderung und Betriebsübergang

1.

Neue Kriterien zur Kennzeichnung eines Betriebsoder Betriebsteilübergangs

a)

Reduzierung der Bedeutung von Betriebsmitteln bei betriebsmittelintensiver Tätigkeit

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH liegt ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vor, wenn die für den Betrieb verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber dem Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt und die in Rede stehende Einheit nach der Übernahme durch den neuen Inhaber ihre Identität bewahrt. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche, den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden. Dazu gehören vor allem die Art des Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten. Dabei kommt den für das Vorliegen eines Übergangs maßgebenden Kriterien je nach der Art des betroffenen Unternehmens oder Betriebs, je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu1. Von diesen Grundsätzen ausgehend haben wir bereits in der Vergangenheit vier Kriterien entwickelt, an denen die Anwendbarkeit von § 613 a BGB überprüft werden kann2.

1

2

EuGH v. 20.7.2017 – C-416/16, NZA 2017, 1175 – Piscarreta Ricardo; EuGH v. 15.12.2005 – C-232/04, C-233/04, NZA 2006, 29 Rz. 35 m. w. N. – Güney-Görres; BAG v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13 n. v. (Rz. 37); BAG v. 22.8.2013 – 8 AZR 521/12 n. v. (Rz. 40 ff. m. w. N.). Vgl. B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 6 Rz. 122 ff.

307

Betriebsänderung und Betriebsübergang

Danach ist zunächst einmal festzustellen, ob beim bisherigen Betriebsinhaber eine organisatorische Einheit gegeben ist, die Gegenstand des Übertragungsvorgangs sein kann3. Voraussetzung für das Vorliegen eines Betriebsoder Betriebsteilübergangs ist, dass der potenzielle Erwerber durch Rechtsgeschäft die für die innerhalb dieser Einheit ausgeübte Tätigkeit wesentlichen Ressourcen übernommen hat und ohne wesentliche Unterbrechung tatsächlich im Rahmen der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit in eigener Regie zum Einsatz bringt. Dabei genügt es, wenn im Wesentlichen die gleiche Organisationsstruktur oder der Funktionszusammenhang der übernommenen Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel gewahrt wird4. Bereits in seinem Urteil vom 25.1.20015 hatte der EuGH deutlich gemacht, dass eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen dem bisherigen Betriebsinhaber und dem potenziellen Erwerber nicht erforderlich ist. Die Übertragung der wesentlichen Ressourcen könne auch in mehreren Schritten unter Einschaltung eines Dritten (z. B. Eigentümer, Verpächter) erfolgen. Entscheidend sei, dass die rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen eine Übernahme der auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Einheit zur Folge hätten. Ausdrücklich hatte der EuGH in diesem Zusammenhang bereits zwischen einer betriebsmittelarmen und einer betriebsmittelintensiven Tätigkeit unterschieden. Hiervon ausgehend hatte er deutlich gemacht, dass in Branchen, deren Tätigkeit ohne nennenswerte materielle oder immaterielle Betriebsmittel erfolgt, die Wahrung der Identität einer solchen Einheit nicht von der Übertragung von Betriebsmitteln abhängig sei. Hier genüge es, wenn der potenzielle Erwerber den nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernehme, das der bisherige Betriebsinhaber gezielt für diese Tätigkeit eingesetzt habe. Etwas anderes gelte aber dort, wo die Ausübung einer Tätigkeit in erheblichem Umfang Material und Einrichtungen erforderlich mache. Hier könne der Umstand, dass keine materiellen Güter, die für den Betrieb der betreffenden Einheit eingesetzt worden sind, durch Rechtsgeschäft übernommen worden sind, dem Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs entgegenstehen. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat der EuGH noch im Urteil vom 25.1.20016 einen Betriebsübergang im Zusammenhang mit der Neuaus-

3 4 5 6

Vgl. EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 – Amatori; BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, NZA 2014, 436 Rz. 11 ff. EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251 Rz. 48 – Klarenberg; BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 52 ff. EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249 – Liikenne. EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249 Rz. 39 ff. – Liikenne.

308

Neue Kriterien zur Kennzeichnung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs

schreibung eines Linienverkehrs mit Bussen abgelehnt, weil der potenzielle Erwerber zwar 33 der 45 Fahrer übernommen hatte, aber die Fahrleistungen mithilfe von 22 Bussen erbrachte, die er neu angeschafft hatte. Von den 26 Bussen, die der bisherige Betriebsinhaber im Rahmen des Liniendienstes eingesetzt hatte, waren durch den potenziellen Erwerber nur zwei Busse für eine Übergangszeit von zwei bis drei Monaten angemietet worden. Für den EuGH stand dies der Annahme eines Betriebsübergangs entgegen. In einem Bereich wie dem des öffentlichen Linienbusverkehrs, in dem die materiellen Betriebsmittel von erheblicher Bedeutung für die Ausübung der Tätigkeit sind, schließe die Tatsache, dass die für den ordnungsgemäßen Betrieb der Einheit unerlässlichen Mittel nicht in nennenswertem Umfang vom alten auf den neuen Auftragnehmer übergingen, aus, dass diese Einheit im Anschluss an die Auftragsnachfolge ihre Identität bewahrt habe. In seinem Urteil vom 27.2.20207 hatte sich der EuGH erneut mit einem vergleichbaren Sachverhalt der Auftragsnachfolge bei der Neuvergabe von Linienverkehren mit Bussen zu befassen. Im Rahmen des der Vorabentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts hatte der Auftragsnachfolger keine Busse des bisherigen Betriebsinhabers übernommen. Er hatte ebenfalls festgelegt, dass Werkstätten, die der bisherige Betriebsinhaber betrieben hatte, für etwaige Reparaturen nicht benutzt werden sollten. Der ganz überwiegende Teil der Busfahrer und ein Teil der Führungskräfte wurde allerdings übernommen. Ein Arbeitnehmer, der nicht übernommen wurde, und ein weiterer Arbeitnehmer, dessen frühere Beschäftigungszeiten im Anschluss an seine Übernahme nicht anerkannt wurden, erhoben daraufhin Klage mit dem Ziel, Ansprüche aus § 613 a BGB durchzusetzen. In den Gründen seiner Entscheidung hat der EuGH zunächst einmal deutlich gemacht, dass eine bloße Funktions- oder Tätigkeitsnachfolge noch nicht zur Anwendbarkeit von § 613 a BGB führe. Denn die bloße Übernahme der Tätigkeit einer wirtschaftlichen Einheit durch eine andere wirtschaftliche Einheit lasse nicht darauf schließen, dass diese Einheit ihre Identität bewahrt habe. Die Identität einer solchen Einheit dürfe nämlich nicht auf deren Tätigkeit reduziert werden. Die Identität ergebe sich aus mehreren, untrennbar zusammenhängenden Faktoren wie dem Personal der Einheit, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. Problematisch an der hier in Rede stehenden Fallgestaltung war, dass zwar einerseits eine betriebsmittelintensive Tätigkeit vorlag. Gleichzeitig aber

7

EuGH v. 27.2.2020 – C-298/18, NZA 2020, 443 – Grafe und Pohle.

309

Betriebsänderung und Betriebsübergang

hatte sich der potenzielle Erwerber entschlossen, diese wesentlichen Betriebsmittel nicht zu übernehmen. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des EuGH im Urteil vom 25.1.20018 wäre deshalb an sich davon auszugehen, dass wegen der fehlenden Übernahme der wesentlichen Ressourcen kein Betriebsübergang gegeben war. Der EuGH will diese Bewertung in der aktuellen Entscheidung vom 27.2.20209 indes einschränken. Hintergrund für seine insoweit abweichende Bewertung ist der Umstand, dass die fehlende Übernahme der Busse durch den potenziellen Erwerber eine Konsequenz der Ausschreibung war. Denn nach den Ausschreibungsvorgaben durften die Busse ein maximales Alter von 15 Jahren nicht überschreiten und mussten zumindest die Umweltschutznormen „Euro 6“ erfüllen. Da die Busse, die der bisherige Auftragnehmer verwendete, im Durchschnitt 13 Jahre alt waren und nur die Umweltschutznormen „Euro 3“ bzw. „Euro 4“ erfüllten, entschloss sich der Auftragsnachfolger, die Fahrdienste mit eigenen (neuen) Bussen zu betreiben. Für den EuGH war die Entscheidung des potenziellen Erwerbers, keine Betriebsmittel zu übernehmen, damit durch „äußere Zwänge“ diktiert. Denn der Umstand einer fehlenden Übernahme der Busse hatte sich aus rechtlichen, umweltrelevanten und technischen Vorgaben ergeben. Aus seiner Sicht schränkt dies die Bedeutung einer Übernahme der Betriebsmittel im Rahmen der Gesamtbetrachtung ein und macht erforderlich, auch die Bedeutung der übrigen Faktoren noch einmal neu zu bewerten. Da insoweit zu berücksichtigen sei, dass der potenzielle Erwerber die gleichen Buslinien betrieb und dabei das Know-how der erfahrenen Busfahrer nutzte, waren aus seiner Sicht durchaus gewichtige Anhaltspunkte dafür gegeben, dass von einem Übergang einer wirtschaftlichen Einheit auszugehen war. Hiervon ausgehend kommt der EuGH im Tenor seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass ein Übertragungsvorgang i. S. d. Richtlinie 2001/23/EG vorliegen kann, wenn im Zusammenhang mit der Übernahme einer Tätigkeit, deren Ausübung nennenswerte Betriebsmittel erfordert, aus rechtlichen, umweltrelevanten und technischen Vorgaben des Auftraggebers keine Betriebsmittel übernommen werden, gleichwohl ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vorliegen kann, wenn andere Tatsachen, wie die Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft und die Fortsetzung der Tätigkeit ohne Unterbrechung, die Feststellung zuließen, dass die betreffende wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahre. 8 9

EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249 – Liikenne. EuGH v. 27.2.2020 – C-298/18, NZA 2020, 443 Rz. 32 ff. – Grafe und Pohle.

310

Neue Kriterien zur Kennzeichnung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs

Wichtig ist, dass diese veränderte Sichtweise in Bezug auf die Anwendbarkeit von § 613 a BGB im Zusammenhang mit betriebsmittelintensiven Tätigkeiten in der Zukunft berücksichtigt wird. Zwar dürfte die aktuelle Entscheidung des EuGH nicht zur Folge haben, dass grundsätzlich eine Übernahme wesentlicher Betriebsmittel erforderlich ist, um eine Anwendbarkeit von § 613 a BGB auszulösen. Wenn allerdings auf eine solche Übernahme aus Gründen verzichtet wird, die auch den bisherigen Betriebsinhaber potenziell zu einem Austausch der Betriebsmittel gezwungen hätten, können weitere Gesichtspunkte, zu denen insbesondere die Übernahme des Personals und die ununterbrochene Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit gehören dürften, das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nahelegen.

b)

Betriebsübergang trotz der Zerschlagung eines Betriebs

Nach bisheriger Sichtweise kann ein Betriebsteilübergang i. S. d. § 613 a BGB auch dann vorliegen, wenn einzelne Betriebsteile des Betriebs als Rechtsträger nach ihrer Übertragung auf einen anderen Rechtsträger mit den übrigen Betriebsteilen des bisherigen Betriebs als gemeinsamer Betrieb des übertragenden und des/der übernehmenden Rechtsträger(s) weitergeführt werden10. Hiervon gehen §§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG, 322 UmwG ausdrücklich aus. Entscheidend ist, dass das Vermögen bzw. die Arbeitnehmer, die zuvor einem anderen Rechtsträger zugeordnet waren und von diesem übernommen wurden, auf der Grundlage einer eigenständigen Entscheidung des übernehmenden Rechtsträgers zur Verwirklichung seines Unternehmenszwecks im gemeinsamen Betrieb der beteiligten Rechtsträger eingesetzt werden. Dass der übernehmende Rechtsträger insoweit auf die eigene Wahrnehmung der Leitungsbefugnis verzichtet, spielt keine Rolle, denn ihm ist die Wahrnehmung der Leitungsmacht hinsichtlich seiner Arbeitnehmer im gemeinsamen Betrieb der Unternehmen als eigene Leitungsmacht zuzuordnen. Dies unterscheidet den Einsatz eigener Arbeitnehmer im gemeinsamen Betrieb von dem Einsatz eigener Arbeitnehmer im Wege der Arbeitnehmerüberlassung. Bei letztgenannter Form des Personaleinsatzes besteht von Seiten des Verleihers kein Einfluss mehr auf die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts11. Hiervon ausgehend kann ein Betrieb an sich auch dadurch übertragen werden, dass einzelne Teile durch verschiedene Rechtsträger übernommen und von diesen sodann als gemeinsamer Betrieb fortgeführt werden12. Da der 10 A. A. Schmalenberg, NZA-Beil. 3/1989, 14. 11 Vgl. BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, NZA 1998, 876. 12 LAG Düsseldorf v. 30.8.2016 – 14 Sa 274/16 n. v.

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Betriebsänderung und Betriebsübergang

gemeinsame Betrieb nur als Innen-GbR der beteiligten Rechtsträger gegründet wird, werden die beteiligten Unternehmen nach dem hier vertretenen Verständnis aber nicht als Gesamtheit Arbeitgeber. Ausgangspunkt ist dabei die bislang vertretene Auffassung, nach der § 613 a BGB die Übernahme eines Betriebs- oder Betriebsteils durch einen einzigen Rechtsträger notwendig macht13. Voraussetzung für den Übergang von Arbeitsverhältnissen auf einzelne Rechtsträger ist nach diesem Verständnis aber, dass der Übergang der einzelnen Betriebsteile auf die jeweiligen Rechtsträger bei isolierter Betrachtung als Betriebsteilübergang im Anwendungsbereich von § 613 a Abs. 1 BGB qualifiziert werden kann. Aus dieser Kennzeichnung der Betriebsteile folgte dann auch die Zuordnung der vom Übertragungsvorgang betroffenen Arbeitnehmer. Unerheblich ist dabei, ob der Übergang im Wege der Einzelrechtsnachfolge oder beispielsweise als Spaltung nach § 123 UmwG erfolgt. Entscheidend ist, dass die übernehmenden Rechtsträger miteinander vereinbaren, mit den jeweiligen Betriebsteilen, die sie übernommen haben, die bisherige Betriebsstruktur unter Wahrung ihrer organisatorischen Identität im Wesentlichen ohne Veränderung fortzusetzen. Bislang war man davon ausgegangen, dass eine Anwendbarkeit von § 613 a BGB ausgeschlossen ist, wenn Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel, die aus einem bestehenden Betrieb heraus übernommen werden, mangels organisatorischer Abgrenzbarkeit nicht als Betriebsteil gekennzeichnet werden können14. Relevant wird dies insbesondere dann, wenn der Übergang von Arbeitsverhältnissen in Rede steht, die wegen ihrer übergeordneten (leitenden) Funktion keinem der einzelnen Betriebsteile, die von einem Übergang betroffen sind, zugeordnet werden können. Von dieser bisherigen Sichtweise wird man wohl mit Blick auf das Urteil des EuGH vom 26.3.202015 Abstand nehmen müssen. Denn in dieser Entscheidung hält es der EuGH für möglich, dass die Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag, wenn der bisherige Betrieb durch mehrere Rechtsträger übernommen wird, auf jeden der Erwerber anteilig entsprechend der vom betroffenen Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben übergehen, sofern die daraus folgende Aufspaltung des Arbeitsvertrags möglich ist und weder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach sich zieht noch

13 Vgl. BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307 Rz. 38 ff.; a. A. LAG Rheinland-Pfalz v. 6.10.2005 – 6 Sa 461/05 n. v. (Rz. 72), das den Übergang auf die beiden Rechtsträger annimmt, die den gemeinsamen Betrieb nach dem Ausscheiden eines weiteren Rechtsträgers fortführen (hier: Notariat). 14 B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 6 Rz. 122 ff. 15 EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18, NZA 2020, 503 – ISS Facility Services.

312

Neue Kriterien zur Kennzeichnung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs

die Wahrung der durch die Richtlinie 2001/23/EG gewährleisteten Ansprüche berührt. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Neuvergabe eines Auftrags über Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten, die durch die Stadt Gent in Bezug auf die Museen und historischen Gebäude (Los 1), die Bibliotheken und Gemeindezentren (Los 2) und die Verwaltungsgebäude (Los 3) bislang an einen einzigen Auftragnehmer (ISS) vergeben waren. Im Zuge einer Neuausschreibung wurde ISS nicht mehr mit diesen Arbeiten beauftragt. Vielmehr erhielt die Firma Atalian den Auftrag für die Lose 1 und 3. Das Los 2 wurde an Cleaning Masters vergeben. Den damit verbundenen Verlust ihres Auftrags nahm ISS zum Anlass, nicht nur der Klägerin (Frau Govaerts) mitzuteilen, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der Beendigung der Beauftragung von ISS ende. Vielmehr teilte ISS Frau Govaerts und der Firma Atalian darüber hinaus mit, dass das Arbeitsverhältnis mit Frau Govaerts dort als Folge eines rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs fortgeführt werde. Als ISS daran anknüpfend eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Frau Govaerts erklärte, erhob sie Klage und machte geltend, dass die Kündigung unwirksam sei. Nach ihrer Auffassung war von einem rechtsgeschäftlichen Übergang ihres Arbeitsverhältnisses i. S. d. Richtlinie 2001/23/EG auszugehen. Auch der EuGH hält einen Übertragungsvorgang im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23/EG für möglich. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass grundsätzlich ein Übergang des Arbeitsverhältnisses auf alle Rechtsträger erfolge, durch die – wenn auch getrennt – die bisherige (wirtschaftliche) Einheit fortgeführt würde. Im Gegensatz zu dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nur auf einen einzigen Arbeitgeber, habe die Einbeziehung aller Erwerber den Vorteil, dass der Fortbestand des gesamten Arbeitsverhältnisses gesichert sei. Dies sei gegenüber der Lösung zu bevorzugen, bei der ein Erwerber in das Vollzeitarbeitsverhältnis eintrete, obwohl der betroffene Arbeitnehmer nur Aufgaben im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung innerhalb des ihm zugeordneten Teils wahrnehme. Hinzukomme, dass ein solches Verständnis die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt lasse, den Arbeitsvertrag bzw. das Arbeitsverhältnis nach dem einzelstaatlichen Recht festzulegen. Insofern sei es Sache des nationalen Gerichts, die Einzelheiten einer etwaigen Aufteilung des Arbeitsvertrags festzulegen. Dabei könne es den wirtschaftlichen Wert der Lose berücksichtigen, bei denen der Arbeitnehmer zum Einsatz kommt. Ebenso könne die Zeit berücksichtigt werden, die der betroffene Arbeitnehmer für das jeweilige Los verwende.

313

Betriebsänderung und Betriebsübergang

Dass das bisherige Vollzeitarbeitsverhältnis auf diese Weise in mehrere Teilzeitbeschäftigungen aufgespalten würde, sei mit dem Schutzzweck der Richtlinie 2001/23/EG vereinbar. Im Gegenteil: Die Mitgliedstaaten seien gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. a Richtlinie 2001/23/EG gar nicht berechtigt, Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse allein deshalb vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen, weil nur eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden geleistet werde oder zu leisten sei. Die Aufspaltung könne deshalb nicht allein mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass sie den Übergang eines weniger Arbeitsstunden umfassenden Arbeitsvertrags auf einen der Erwerber zur Folge hat. Lediglich dann, wenn sich die Aufspaltung des Arbeitsvertrags als unmöglich herausstelle oder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen oder der durch die Richtlinie 2001/23/EG gewährleisteten Rechte der Arbeitnehmer nach sich zöge und es deshalb zu einer Beendigung des in Rede stehenden Arbeitsvertrags komme, sei in Übereinstimmung mit Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2001/23/EG davon auszugehen, dass diese Beendigung durch den oder die Erwerber erfolgt sei, auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte16. Zunächst einmal dürfte die vorstehende Sichtweise des EuGH noch nicht im Widerspruch zu der Annahme stehen, dass bei der Übernahme eines Betriebs und seiner Fortführung als gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen nur der Übergang auf einen einzigen Rechtsträger in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer auch nur diesem Betriebsteil angehörte. Hier besteht kein Bedarf, das Arbeitsverhältnis aufzuspalten. Im Übrigen aber bewirkt die vorstehende Entscheidung des EuGH im Ergebnis eine Abkehr von der Notwendigkeit, Arbeitnehmer einer bestimmten organisatorischen Struktur zuzuweisen, um von einem Übergang des Arbeitsverhältnisses im Anwendungsbereich des § 613 a BGB auszugehen. Vielmehr genügt es für den Übergang des Teils eines Arbeitsverhältnisses, wenn der betroffene Arbeitnehmer eine Tätigkeit verrichtet hat, die jedenfalls im Teil auch den Arbeiten zuzuordnen ist, die im Anschluss an den streitgegenständlichen Übertragungsvorgang von einem anderen Rechtsträger wahrgenommen werden. Das wiederum beseitigt die bisherige Notwendigkeit, dass der Arbeitnehmer „in“ der vom Übergang betroffenen Einheit arbeiten muss, um eine Anwendbarkeit von § 613 a BGB anzuerkennen17. Denn es scheint jetzt hier zu genügen, dass der wirtschaftliche Wert der Tätigkeit und/oder das Ergebnis dieser Arbeit einem Teilbereich zugeordnet werden kann, der auf der Grundlage 16 EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18, NZA 2020, 503 Rz. 27 ff., 32 f., 37 – ISS Facility Services. 17 So noch BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370; B. Gaul, AktuellAR 2018, 212 ff.

314

Ablösung einer Versorgungsordnung durch Betriebsübergang

eines Rechtsgeschäfts durch einen anderen Rechtsträger fortgeführt wird. Insbesondere bei betriebsteilübergreifenden Tätigkeiten dürfte dies vielfach eine entsprechende Aufspaltung von Arbeitsverhältnissen zur Folge haben. Es bleibt zu wünschen, dass der EuGH künftige Entscheidungen zum Anlass nimmt, diese Rechtsprechung noch einmal kritisch zu überprüfen und in ihrer Wirkungsweise einzuschränken. Andernfalls besteht die Gefahr, dass von einem Übergang gemäß § 613 a BGB ohne Rücksicht auf organisatorische Zuordnungen bereits bei der klassischen Funktionsnachfolge ausgegangen werden muss, die bislang aus dem Anwendungsbereich des § 613 a BGB auszugrenzen war. (Ga)

2.

Ablösung einer Versorgungsordnung durch Betriebsübergang

Bereits im Herbst hatten wir über das Urteil des BAG vom 22.10.201918 berichtet, das sich unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH im Urteil vom 6.9.201119 intensiv mit der Frage befasst hatte, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen im Zusammenhang mit dem rechtsgeschäftlichen Übergang eines Betriebs- oder Betriebsteils die beim bisherigen Betriebsinhaber bestehende Versorgungsordnung durch eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag zur betrieblichen Altersversorgung, die beim Erwerber bestehen, zum Nachteil der vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer abgelöst werden kann20. Ausgangspunkt ist dabei § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB. Danach endet die Fortgeltung der bis zum Übergang für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags bzw. einer Betriebsvereinbarung nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB, wenn diese Rechte und Pflichten beim Erwerber durch einen für das Arbeitsverhältnis verbindlichen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung geregelt sind. Ein Günstigkeitsvergleich ist dabei im Gesetz nicht vorgesehen. Allerdings gelten die für eine Ablösung von Kollektivvereinbarungen auch außerhalb des Betriebsübergangs entwickelten Grundsätze und Rechtsschranken21.

18 19 20 21

BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 – Scattolon. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 621 ff. B. Gaul, AktuellAR 2019, 617 ff.

315

Ablösung einer Versorgungsordnung durch Betriebsübergang

eines Rechtsgeschäfts durch einen anderen Rechtsträger fortgeführt wird. Insbesondere bei betriebsteilübergreifenden Tätigkeiten dürfte dies vielfach eine entsprechende Aufspaltung von Arbeitsverhältnissen zur Folge haben. Es bleibt zu wünschen, dass der EuGH künftige Entscheidungen zum Anlass nimmt, diese Rechtsprechung noch einmal kritisch zu überprüfen und in ihrer Wirkungsweise einzuschränken. Andernfalls besteht die Gefahr, dass von einem Übergang gemäß § 613 a BGB ohne Rücksicht auf organisatorische Zuordnungen bereits bei der klassischen Funktionsnachfolge ausgegangen werden muss, die bislang aus dem Anwendungsbereich des § 613 a BGB auszugrenzen war. (Ga)

2.

Ablösung einer Versorgungsordnung durch Betriebsübergang

Bereits im Herbst hatten wir über das Urteil des BAG vom 22.10.201918 berichtet, das sich unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH im Urteil vom 6.9.201119 intensiv mit der Frage befasst hatte, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen im Zusammenhang mit dem rechtsgeschäftlichen Übergang eines Betriebs- oder Betriebsteils die beim bisherigen Betriebsinhaber bestehende Versorgungsordnung durch eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag zur betrieblichen Altersversorgung, die beim Erwerber bestehen, zum Nachteil der vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer abgelöst werden kann20. Ausgangspunkt ist dabei § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB. Danach endet die Fortgeltung der bis zum Übergang für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags bzw. einer Betriebsvereinbarung nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB, wenn diese Rechte und Pflichten beim Erwerber durch einen für das Arbeitsverhältnis verbindlichen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung geregelt sind. Ein Günstigkeitsvergleich ist dabei im Gesetz nicht vorgesehen. Allerdings gelten die für eine Ablösung von Kollektivvereinbarungen auch außerhalb des Betriebsübergangs entwickelten Grundsätze und Rechtsschranken21.

18 19 20 21

BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 – Scattolon. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 621 ff. B. Gaul, AktuellAR 2019, 617 ff.

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Betriebsänderung und Betriebsübergang

In seinem Urteil vom 22.10.201922 hat der 3. Senat des BAG diese Grundsätze auf die Ablösung von Versorgungsordnungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang übertragen. In dem zugrunde liegenden Fall war dem Kläger bei seinem ursprünglichen Arbeitgeber eine betriebliche Altersversorgung nach Maßgabe einer Betriebsvereinbarung zugesagt worden. Im Jahre 1998 kam es zu einer Verschmelzung mit der Betriebserwerberin, bei der zu diesem Zeitpunkt zwei bereits geschlossene Ruhegeldordnungen (RGO I und II) sowie ein nicht geschlossenes Versorgungswerk (BV VO) in Form von Gesamtbetriebsvereinbarungen bestanden. Im Jahre 2000 schloss die Erwerberin mit den zuständigen Gewerkschaften einen Tarifvertrag (TV 2000), in dessen Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung auch das Arbeitsverhältnis des Klägers einbezogen wurde. Danach sollten die RGO I und II einmalig geöffnet und die übernommenen Arbeitnehmer in diese Versorgungsordnungen so einbezogen werden, als hätten sie ihre gesamte Betriebszugehörigkeit beim Erwerber verbracht. Der Tarifvertrag ermächtigte die Betriebsparteien zur ergänzenden Regelung von Einzelheiten. Daraufhin schlossen Arbeitgeberin und Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung für die von der Verschmelzung betroffenen Arbeitnehmer (BV Überleitung). Der Kläger erhielt auf dieser Grundlage ein Altersruhegeld. Im Juni 2014 teilte die Beklagte dem Kläger – wie auch einer Vielzahl anderer ehemaliger Mitarbeiter der ursprünglichen Arbeitgeberin – mit, dass sein Ruhegeld fehlerhaft berechnet worden sei. Sie zahlte ab Juli 2014 das von ihr neu ermittelte (niedrigere) Ruhegeld. Damit war der Kläger nicht einverstanden. Er begehrte mit seiner Klage ein Altersruhegeld in der bisher gezahlten Höhe. Zur Begründung vertrat er die Auffassung, dass die Ablösung der beim ursprünglichen Arbeitgeber geltenden Versorgungsordnung durch die Kollektivvereinbarungen des Erwerbers keine Wirkung entfalte. Das BAG hat die klageabweisende Entscheidung des LAG Niedersachsen23 aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. In den Gründen seiner Entscheidung hat das BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB nicht nur die Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch eine neue Betriebsvereinbarung erfasst. Vielmehr kann auch eine vom Gesamtbetriebsrat innerhalb seines gesetzlichen Zuständigkeitsbereichs abgeschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung die Zuständigkeit der einzelnen Betriebsräte und somit grundsätzlich auch die von diesen abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen verdrängen. Diese Wirkung könne auch übernommene 22 BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571. 23 LAG Niedersachsen v. 12.6.2018 – 3 Sa 1272/16 B n. v.

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Ablösung einer Versorgungsordnung durch Betriebsübergang

Betriebe erfassen. Maßgeblich ist insoweit natürlich der Geltungsbereich, den Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat bestimmt haben24. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall fiel der Kläger vor dem Betriebsübergang in den Geltungsbereich einer Betriebsvereinbarung „Ruhegeldvereinbarung für Mitarbeiter bis Eintrittsdatum 31.12.1990“ (Ruhegeldvereinbarung). Zu entscheiden war, ob und inwieweit sich die Ansprüche des Klägers auf betriebliche Altersversorgung im Anschluss an den Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB jedenfalls auch nach den Regelungen einer mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen „Betriebsvereinbarung Altersversorgung – Überleitung“ (GBV Überleitung) in Verbindung mit der RGO I bestimmten, die ebenfalls mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossen worden war. Mit einer Anwendung dieser Regelungen wäre eine Verschlechterung gegenüber dem unveränderten Fortbestand der bis zum Betriebsübergang maßgeblichen Ruhegeldvereinbarung verbunden gewesen. Grundsätzlich gilt das Ablösungsprinzip, wenn mehrere zeitlich aufeinander folgende Betriebsvereinbarungen denselben Gegenstand regeln. Auch wenn das Ablösungsprinzip prinzipiell auch für Betriebsvereinbarungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung zur Anwendung kommt, hat das BAG unter Berücksichtigung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit Schranken für etwaige Eingriffe in bestehende Besitzstände entwickelt, die seit vielen Jahren durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert werden. Darauf verweist auch das BAG in der vorstehend genannten Entscheidung. Danach seien den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen. Der unter der Geltung der bisherigen Ordnung und in dem Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdiente und entsprechend §§ 2 Abs. 1, 2 a Abs. 1 BetrAVG ermittelte Teilbetrag kann hiernach nur in seltenen Ausnahmefällen entzogen werden. Dies setze zwingende Gründe voraus. Zuwächse, die sich – wie etwa bei endgehaltsbezogenen Zusagen – dienstzeitunabhängig aus dynamischen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik), können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden. Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe25.

24 Vgl. BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 49; BAG v. 19.3.2019 – 3 AZR 201/17, DB 2019, 1964 Rz. 79; BAG v. 27.6.1985 – 6 AZR 392/81, NZA 1986, 401. 25 BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 62; BAG v. 19.3.2019 – 3 AZR 201/17, DB 2019, 1964 Rz. 28.

317

Betriebsänderung und Betriebsübergang

Nach den überzeugenden Feststellungen des BAG gelten diese Grundsätze auch bei der Ablösung einer bisher im Veräußererbetrieb geltenden Betriebsvereinbarung durch eine im Erwerberbetrieb bereits vorhandene Betriebs- oder Gesamtbetriebsvereinbarung. Zwar trete die beim Erwerber geltende Gesamtbetriebsvereinbarung in diesen Fällen kraft Gesetzes an die Stelle der noch beim Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarung. Das beruhe auf der Regelungsmacht der Betriebsparteien auf Unternehmensebene. Wenn diese Regelungsmöglichkeiten aber rechtlich begrenzt seien, was als Folge der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit im Bereich der betrieblichen Altersversorgung angenommen werden müsse, gelte dies allerdings ebenfalls für die gesetzlichen Rechtsfolgen bereits geschlossener Gesamtbetriebsvereinbarungen. Da die Gesamtbetriebsparteien lediglich unter Beachtung der Voraussetzungen des dreistufigen Prüfungsschemas berechtigt seien, Betriebsvereinbarungen über die betriebliche Altersvorsorge abzulösen, könne auch die gesetzliche Wirkung einer bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB nicht weitergehen, als es sonst bei der Ablösung außerhalb eines Betriebsübergangs der Fall wäre26. Im Unterschied zu der Ablösung einer Betriebsvereinbarung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung im Vorfeld des Betriebsübergangs komme es bei der Ablösung gemäß § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB allerdings auf die tatsächlichen Verhältnisse beim Erwerber und nicht beim Veräußerer an. Eine beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung entfalte daher gegenüber einer beim Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarung nur insoweit nach § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB ablösende Wirkung, als dies einer Überprüfung nach dem dreistufigen Prüfungsschema standhalte27. Insofern gewähre § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB dem Erwerber dieselben Möglichkeiten, wie sie auch der Veräußerer gehabt hätte. Damit müsse auch der Erwerber den besonderen Schutz der betrieblichen Altersversorgung, der sich auf das gesamte Arbeitsverhältnis bis zum Eintritt des Versorgungsfalls beziehe, berücksichtigen. Ein reines „Entgeltprinzip“, das es rechtfertige, für Zeiten nach dem Betriebsübergang voraussetzungslos eine Versorgungsregelung abzulösen, bestehe nicht. Vielmehr seien auch dienstzeitabhängige (künftige) – nach dem Ablösungsstichtag liegende – Zuwächse durch das Erfordernis sachlich–proportionaler Gründe für den Fall einer Veränderung geschützt28. Das bloße Vereinheitlichungsinteresse 26 Vgl. BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 63; BAG v. 11.5.1999 – 3 AZR 21/98, NZA 200, 322 Rz. 57. 27 BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 64 f. 28 BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18 ZIP 2020, 571 Rz. 70 f.; BAG v. 19.3.2019 – 3 AZR 201/17, DB 2019, 1964 Rz. 32 f.

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Ablösung einer Versorgungsordnung durch Betriebsübergang

genüge für sich genommen nicht, um entsprechende Eingriffe auch auf der dritten Stufe zu rechtfertigen29. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass das BAG in seinem Urteil vom 22.10.201930 diese Schranken des Drei-Stufen-Modells bei der Ablösung von Versorgungsordnungen durch Tarifverträge nicht zur Anwendung bringt. Vielmehr sei in diesen Fällen unmittelbar auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zurückzugreifen. Dies beruhe auf der Tarifautonomie, die als Teil der Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützt sei. Den Tarifvertragsparteien stehe daher bei der inhaltlichen Gestaltung ihrer Regelungen ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Tarifverträge unterlägen deshalb keiner Billigkeitskontrolle. Die Gerichte hätten sie nur daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen das Grundgesetz oder anderes höherrangiges Recht verstießen. § 19 Abs. 1 BetrAVG räume den Tarifvertragsparteien sogar die Möglichkeit ein, den Wert erdienter Anwartschaften abweichend von § 2 BetrAVG festzusetzen sowie abweichend von §§ 5, 16 BetrAVG Regelungen über die Auszehrung laufender Betriebsrenten zu treffen. Allerdings seien die Tarifvertragsparteien wie der Gesetzgeber an die aus dem Rechtstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gebunden. Werde nicht in den erdienten Besitzstand eingegriffen und seien die mit der Änderung verbundenen Nachteile für die Arbeitnehmer nicht schwerwiegend, reichten sachliche Gründe zur Rechtfertigung der Veränderung grundsätzlich aus31. Wie gewichtig diese sein müssten, hänge von den Nachteilen ab, die den Versorgungsberechtigten durch die Änderung der Versorgungsregelungen entstünden32. Wenn dieser Mechanismus im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang genutzt werden soll, ist allerdings zu beachten, dass die damit verbundene Einschränkung des Prüfungsmaßstabs durch das BAG an die Voraussetzung geknüpft wird, dass Inhalt, Voraussetzungen und Umfang der betrieblichen Altersvorsorge tarifvertraglich geregelt werden, also der Tarifvertrag selbst die unmittelbare Grundlage für die Rechte der Arbeitnehmer auf betriebliche Altersversorgung darstellt und es keiner inhaltlichen Ausgestaltung durch eine Betriebsvereinbarung mehr bedarf33. Insofern ist es ausgeschlossen,

29 30 31 32 33

BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 80. BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 101. Eingehend BAG v. 18.9.2012 – 3 AZR 382/10 n. v. (Rz. 42 ff.). BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 101. BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 102; BAG v. 11.7.2017 – 3 AZR 513/16, NZA 2017, 1471 Rz. 43 ff.

319

Betriebsänderung und Betriebsübergang

materiell-rechtliche Regelungen ergänzend und insoweit auch zum Nachteil der hiervon betroffenen Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung beim Erwerber festzulegen. Dies dürfte auch dann gelten, wenn der Tarifvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel enthält. Nach Auffassung des BAG waren die vorstehenden Grundsätze in dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall prinzipiell gewahrt. Insbesondere lag ein sachlicher Grund für den Eingriff in die Höhe der Versorgungsanwartschaft des Klägers vor, nachdem ergänzend zu den vorstehend bereits genannten Gesamtbetriebsvereinbarungen auch eine tarifvertragliche Regelung beim Erwerber mit inhaltlicher Ausgestaltung der Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung abgeschlossen worden war, in deren Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis fiel. Von dieser Regelung konnte wegen des Vorrangs tarifvertraglicher Regelungen durch die Gesamtbetriebsvereinbarung nicht abgewichen werden. Allerdings wird das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage einer Zurückverweisung zu prüfen haben, in welcher Höhe die verbleibenden und noch wirksamen Regelungen der Gesamtbetriebsvereinbarung einen Anspruch des Klägers auf betriebliche Altersversorgung begründeten. Auf der Grundlage dieser sehr grundsätzlichen und inhaltlich überzeugenden Entscheidung des 3. Senats des BAG besteht damit auch im Zusammenhang mit dem rechtsgeschäftlichen Übergang von Betrieben oder Betriebsteilen – ggf. auch im Zusammenhang mit einer Umwandlung – ein weitreichender Gestaltungsspielraum, der insbesondere auch eine Vereinheitlichung von Ansprüchen auf betriebliche Altersversorgung beim übernehmenden Rechtsträger erlaubt. Wichtig allerdings ist, dass dabei das Vorliegen der aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit entwickelten Voraussetzungen sichergestellt ist. Wenn die Änderungen auf der Ebene der Betriebsvereinbarung erfolgen, hat dies im Zweifel zur Folge, dass etwaige Änderungen ganz bewusst auf Einschränkungen in Bezug auf den Erwerb weiterer Versorgungsanwartschaften im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses begrenzt werden. Hierfür müssen (nur) sachlich-proportionale Gründe gegeben sein. Sollen weitergehende Änderungen durchgeführt werden, wird man zu prüfen haben, ob hierfür nicht der entsprechende Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien genutzt wird. (Ga)

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Betriebsübergang: Kündigung einer Betriebsvereinbarung

3.

Betriebsübergang: Kündigung einer Betriebsvereinbarung

Wenn ein Betrieb unter Wahrung seiner Identität auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird, gelten die im Betrieb bestehenden Betriebsvereinbarungen ohne Rücksicht auf den Regelungsgegenstand kollektivrechtlich als Betriebsvereinbarung fort. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Übertragungsvorgang im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge vorgenommen wird. Mit dem Fortbestand des Betriebs unter Wahrung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Identität ist unmittelbar der Fortbestand des Betriebsrats und der Betriebsvereinbarungen verbunden34. Etwaige Änderungen und/oder Ergänzungen können mit den Mitteln des Kollektivarbeitsrechts so vorgenommen werden, wie dies bis zum Übergang des Betriebs der Fall war. Dies gilt insbesondere für eine Kündigung der Betriebsvereinbarung oder ihre Änderung35. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch dann, wenn nur ein Bestandteil übertragen wird, sofern der Betriebsteil beim übernehmenden Rechtsträger als eigenständiger Betrieb fortgeführt wird. Im Ergebnis hat dies zur Folge, dass die bisherige Betriebsvereinbarung in beiden Betrieben als Betriebsvereinbarung fortbesteht. Der Betriebsteil ist allerdings zunächst einmal ohne einen eigenen Betriebsrat. Der für den bisherigen Betrieb gebildete Betriebsrat hat allerdings ein Übergangsmandat gemäß § 21 a BetrVG. Umstritten war bislang, ob und inwieweit der Arbeitgeber berechtigt ist, Rechte und Pflichten abzuändern, wenn der von einem Übergang betroffene Betriebsteil im Anschluss an den Übertragungsvorgang nicht mehr als eigenständiger Betrieb fortgeführt wird. In diesem Fall kommt es zu einer Fortgeltung nach § 613 a S. 2 BGB. Danach gelten Rechte und Pflichten, die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses durch Betriebsvereinbarung geregelt waren, als Inhalt des Arbeitsverhältnisses fort und dürfen für die Dauer eines Jahres nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden. Bereits bei früherer Gelegenheit war darauf hingewiesen worden, dass diese Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung gemäß § 613 a S. 2 BGB kollektivrechtlicher Natur sein muss36. Eine entsprechende Sichtweise hatte das BAG 34 Vgl. BAG v. 13.8.2019 – 1 AZR 213/18, NZA 2020, 49 Rz. 32; BAG v. 19.3.2019 – 3 AZR 201/17, DB 2019, 1964 Rz. 25; BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/13, NZA 2015, 1331 Rz. 47; BAG v. 19.7.1957 – 1 AZR 420/54 n. v. 35 Vgl. ErfK/B. Gaul, BGB § 613 a Rz. 114 ff.; HWK/B. Gaul, BetrVG § 77 Rz. 69 ff.; B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 25 Rz. 5 ff. 36 Vgl. B. Gaul, FS Bauer S. 339 ff.

321

Betriebsänderung und Betriebsübergang

bereits in den Urteilen vom 22.4.200937 und 26.8.200938 in Bezug auf Rechte und Pflichten entwickelt, die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses durch Tarifvertrag geregelt waren. Konsequenz der kollektivrechtlichen Fortgeltung der Rechte und Pflichten einer Betriebsvereinbarung als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses ist, dass insoweit auch die Gestaltungsmöglichkeiten des Betriebsverfassungsrechts zum Tragen kommen. Dies gilt insbesondere für eine Änderung oder Beendigung der Regelungen39. Der vorstehenden Sichtweise einer kollektivrechtlichen Fortgeltung der Rechte und Pflichten einer Betriebsvereinbarung mit entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten hat sich jetzt das BAG in seinem Urteil vom 19.11.201940 angeschlossen. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger ursprünglich bei der E AG beschäftigt. Bei dieser galt seit August 2007 eine mit dem Betriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Kleindarlehen (BV Kleindarlehen). Diese sah vor, dass ein zweckgebundenes, zinsloses Kleindarlehen i. H. v. 1.000 bis 2.450 € bei der „Personalbetreuung“ beantragt und begründet werden konnte. Grundlage für die Auszahlung des Darlehens sollte nach der BV Kleindarlehen der Abschluss eines Darlehensvertrags sein. Im Zusammenhang mit einer Auflösung der Betriebsorganisation wurde die Abteilung Personalmanagement, in der der Kläger tätig war, zum 1.9.2009 von der E AG abgespalten und – zusammen mit den Vertriebsabteilungen zweier weiterer Konzernunternehmern – auf die V AG übertragen. Die V AG führte die Vertriebsgeschäfte sowie das Portfoliomanagement mit den Mitarbeitern der drei Unternehmen in einem neu gegründeten Betrieb fort. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging infolge des Betriebsübergangs gemäß § 123 UmwG auf die V AG über. Antragsgemäß wurden dem Kläger im Februar 2012 sowie im Januar 2014 auf Grundlage der BV Kleindarlehen Darlehen eingeräumt. Mit Schreiben vom 12.5.2015 kündigte die V AG sowohl gegenüber dem Betriebsrat als auch gegenüber dem bei ihr errichteten Gesamtbetriebsrat die BV Kleindarlehen zum 31.12.2015 und wies darauf hin, dass sie nach diesem Zeitpunkt eingehende Anträge auf Gewährung von Darlehen ablehnen werde.

37 38 39 40

BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41. BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238. B. Gaul, FS Bauer S. 339 ff. BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 15 ff.

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Betriebsübergang: Kündigung einer Betriebsvereinbarung

Im April 2016 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen eines weiteren Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Als der Kläger im Juni 2016 einen Antrag auf Gewährung eines weiteren Darlehens i. H. v. 2.450 € stellte, lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die BV Kleindarlehen zum 31.12.2015 beendet worden sei. Ein Übergang der daraus folgenden Rechte und Pflichten gemäß § 613 a BGB sei deshalb ausgeschlossen. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat auch das BAG die auf die Gewährung eines solchen kleinen Darlehens gerichtete Klage abgewiesen und ergänzend hierzu bestätigt, dass die BV Kleindarlehen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung mehr findet. In der Begründung seiner Entscheidung hat das BAG darauf verwiesen, dass sich die in § 613 a S. 2 BGB angeordnete Transformation nur auf die in einer Betriebsvereinbarung geregelten „Rechte und Pflichten“ der Arbeitsvertragsparteien beschränke. Dazu gehörten nur solche Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen, die – entsprechend tariflichen Inhaltsnormen i. S. d. § 1 Abs. 1 TVG – den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gestalten. Wichtig für die hier in Rede stehende Frage ist aber, dass – so das BAG – die Transformation dieser Inhaltsnormen nicht zur Folge habe, dass diese nunmehr Bestandteil der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zwischen dem vom Betriebs- oder Betriebsteilübergang erfassten Arbeitnehmer und dem Erwerber würden. Vielmehr bleibe der kollektivrechtliche Charakter der transformierten Normen erhalten. Die als „Inhalt des Arbeitsverhältnisses“ fortwirkenden Inhaltsnormen der Betriebsvereinbarung würden, da sie kollektiven Ursprungs seien, mit dem – jeder kollektivrechtlichen Norm innewohnenden – Vorbehalt ihrer nachfolgenden Abänderbarkeit mit kollektivrechtlichen Mitteln transformiert. Dies zeige § 613 a S. 3 BGB. Danach seien die transformierten Bestimmungen vor einer Ablösung im Erwerberbetrieb nicht in einem weiteren Umfang geschützt als bei einer kollektivrechtlichen Weitergeltung. Solche Inhaltsnormen seien daher einer Neuregelung durch eine ablösende Betriebsvereinbarung zugänglich, die nach dem Betriebsübergang abgeschlossen werde41. Komme keine Einigung mit dem im Betrieb neu gebildeten oder bereits bestehenden Betriebsrat zustande, könne er, um sein Veränderungsinteresse durchzusetzen, in den Angelegenheiten der erzwingbaren Mitbestimmung auch die Einigungsstelle nach § 87 Abs. 2

41 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 16; BAG v. 28.6.2005 – 1 AZR 213/04 n. v. (Rz. 22).

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Betriebsänderung und Betriebsübergang

BetrVG anrufen, deren Spruch die Einigung der Vertragsparteien ersetze und damit die Ablösung nach § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB bewirke42. In seiner überzeugenden Begründung macht das BAG deutlich, dass dieser im Interesse des Betriebserwerbers in § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB angelegte (kollektivrechtliche) Ablösungsmechanismus nicht greifen könne, wenn es sich bei den transformierten Normen um solche einer nur teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung handele, deren finanzielle Leistung der Erwerber vollständig und ersatzlos einstellen wolle. Schließlich könne der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen bei einer Betriebsvereinbarung über finanzielle Leistungen mitbestimmungsfrei vorgeben. Nur die weitere Ausgestaltung unterfällt dann der Mitbestimmung unter § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Wolle der Erwerber die Gewährung der freiwilligen Leistungen vollständig beenden, könnte eine Ablösung nach Maßgabe des in § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB geregelten Mechanismus nur herbeigeführt werden, wenn der bei dem Erwerber gebildete Betriebsrat mit dem Abschluss einer die transformierenden Bestimmungen aufhebenden Betriebsvereinbarung einverstanden wäre; eine (einseitige) Anrufung der Einigungsstelle scheide mangels erzwingbaren Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus. Wenn der Arbeitgeber die bislang durch teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung geregelte Leistung vollständig einstellen wolle, rechtfertige der den transformierten Inhaltsnormen der teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen innewohnende Vorbehalt ihrer Abänderbarkeit den Betriebserwerber, eine Kündigung dieser Rechte und Pflichten gegenüber dem Betriebsrat auszusprechen43. Damit soll verhindert werden, dass die Inhaltsnormen einer nur teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung weitergehend geschützter als die einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung sind. Zu Recht verweist das BAG darauf, dass in dem entsprechenden Verständnis keine Benachteiligung der von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer zu sehen ist. Vielmehr werden dem Erwerber nur solche Gestaltungsoptionen zugestanden, die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses bei dem bisherigen Betriebsinhaber gegolten haben. Dies entspricht nicht nur den Zielsetzungen des deutschen Gesetzgebers44. Auch Art. 3 Abs. 3 Uabs. 1 Richtlinie 2001/23/EG wolle die sich aus einem Kollektivvertrag ergebenden Arbeitsbedingungen nicht weitergehend schützen als dies ohne einen Betriebsübergang der Fall gewesen wäre. Kollektivrechtlich festgeleg-

42 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 17. 43 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 18; B. Gaul, FS Bauer S. 339, 345; Bauer/v. Medem, DB 2010, 2560, 2563. 44 Vgl. BT-Drucks. 8/3317 S. 6 ff.

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Eingeschränkte Haftung des Erwerbers bei Betriebsübergang aus der Insolvenz

te Arbeitsbedingungen, die für die betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang gegolten hätten, könnten danach sogar unmittelbar ab dem Zeitpunkt des Übergangs nicht mehr gelten, sofern einer der in Art. 3 Abs. 3 Uabs. 1 Richtlinie 2001/23/EG genannten Fälle – namentlich die Kündigung dieses Kollektivvertrags – eintrete45. Eine entsprechende Kündigung ist auch dann unmittelbar gegenüber dem Betriebsrat zu erklären, wenn dieser erst im Anschluss an den Betriebs- oder Betriebsteilübergang gewählt wird. Dass der für den Erwerber zuständige Betriebsrat diese Betriebsvereinbarung nicht selbst abgeschlossen hat, spielt – so das BAG – berechtigterweise keine Rolle46. Hiervon ausgehend hatte die V AG, auf die das Arbeitsverhältnis des Klägers im Anschluss an den ersten Betriebsübergang übergegangen war, eine wirksame Kündigung der BV Kleindarlehen vorgenommen. Denn diese Kündigung war dem für diesen Betrieb zuständigen Betriebsrat gegenüber erklärt worden. Da sie mit dem unmissverständlichen Hinweis verbunden war, dass im Anschluss an den Ablauf der Kündigungsfrist keine weiteren Anträge auf die Gewährung von Darlehen mehr bewilligt würden, war auch eine Nachwirkung ausgeschlossen47. Für die betriebliche Praxis ist mit dieser Entscheidung in einer sehr wichtigen Frage Rechtssicherheit geschaffen worden. Gleichzeitig gewährleistet das BAG, dass für den Erwerber die gleichen kollektivrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gegeben sind, wie sie bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses für die bisherigen Betriebsinhaber bestanden. Diese Rechtsfolgen sind auch bei der Vorbereitung von Unterrichtungsschreiben gemäß § 613 a Abs. 5 BGB zu berücksichtigen. (Ga)

4.

Eingeschränkte Haftung des Erwerbers bei Betriebsübergang aus der Insolvenz

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG findet § 613 a BGB zwar bei der rechtsgeschäftlichen Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwendung. Der Er-

45 Vgl. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 73 – Scattolon; EuGH v. 27.11.2008 – C-396/07, NZA 2008, 1405 Rz. 34 – Juuri; BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 20 f. 46 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 22. 47 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 24; BAG v. 5.10.2010 – 1 ABR 20/09, NZA 2011, 598 Rz. 26.

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Eingeschränkte Haftung des Erwerbers bei Betriebsübergang aus der Insolvenz

te Arbeitsbedingungen, die für die betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang gegolten hätten, könnten danach sogar unmittelbar ab dem Zeitpunkt des Übergangs nicht mehr gelten, sofern einer der in Art. 3 Abs. 3 Uabs. 1 Richtlinie 2001/23/EG genannten Fälle – namentlich die Kündigung dieses Kollektivvertrags – eintrete45. Eine entsprechende Kündigung ist auch dann unmittelbar gegenüber dem Betriebsrat zu erklären, wenn dieser erst im Anschluss an den Betriebs- oder Betriebsteilübergang gewählt wird. Dass der für den Erwerber zuständige Betriebsrat diese Betriebsvereinbarung nicht selbst abgeschlossen hat, spielt – so das BAG – berechtigterweise keine Rolle46. Hiervon ausgehend hatte die V AG, auf die das Arbeitsverhältnis des Klägers im Anschluss an den ersten Betriebsübergang übergegangen war, eine wirksame Kündigung der BV Kleindarlehen vorgenommen. Denn diese Kündigung war dem für diesen Betrieb zuständigen Betriebsrat gegenüber erklärt worden. Da sie mit dem unmissverständlichen Hinweis verbunden war, dass im Anschluss an den Ablauf der Kündigungsfrist keine weiteren Anträge auf die Gewährung von Darlehen mehr bewilligt würden, war auch eine Nachwirkung ausgeschlossen47. Für die betriebliche Praxis ist mit dieser Entscheidung in einer sehr wichtigen Frage Rechtssicherheit geschaffen worden. Gleichzeitig gewährleistet das BAG, dass für den Erwerber die gleichen kollektivrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gegeben sind, wie sie bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses für die bisherigen Betriebsinhaber bestanden. Diese Rechtsfolgen sind auch bei der Vorbereitung von Unterrichtungsschreiben gemäß § 613 a Abs. 5 BGB zu berücksichtigen. (Ga)

4.

Eingeschränkte Haftung des Erwerbers bei Betriebsübergang aus der Insolvenz

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG findet § 613 a BGB zwar bei der rechtsgeschäftlichen Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwendung. Der Er-

45 Vgl. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 73 – Scattolon; EuGH v. 27.11.2008 – C-396/07, NZA 2008, 1405 Rz. 34 – Juuri; BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 20 f. 46 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 22. 47 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297 Rz. 24; BAG v. 5.10.2010 – 1 ABR 20/09, NZA 2011, 598 Rz. 26.

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Betriebsänderung und Betriebsübergang

werber tritt also in das zwischen Arbeitnehmer und Insolvenzverwalter bestehende Arbeitsverhältnis ein. Zur Vermeidung einer Begünstigung der Arbeitnehmer als Gläubiger der aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Ansprüche wird die Haftung des Erwerbers allerdings auf Verbindlichkeiten begrenzt, die im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Dies betrifft auch den Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Versorgungsanwartschaften, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, können deshalb nur gegenüber dem PSV geltend gemacht werden. Der Erwerber haftet seinerseits nur für solche Anwartschaften, die im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind48. Bereits am 16.10.201849 hatte das BAG den EuGH um Vorabentscheidung ersucht. Dabei geht es schlussendlich um die Frage, ob die eingeschränkte Haftung des Erwerbers im Anschluss an einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der damit verbundene Eintritt des PSV mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (Zahlungsunfähigkeitsrichtlinie) und der Richtlinie 2001/23/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (Betriebsübergangsrichtlinie) vereinbar ist. Eine Entscheidung des EuGH liegt zwar noch nicht vor. Am 5.3.2020 hat der Generalanwalt Tanchev allerdings seine Schlussanträge vorgelegt50. Sein Ergebnis lautet wie folgt: 1. Werden durch das Recht eines Mitgliedstaats die betrieblichen Zusatzversorgungsleistungen von Arbeitnehmern, für die ein Erwerber eines Unternehmens haftet, aufgrund der Insolvenz des Veräußerers beschränkt, so werden die Ansprüche dieser Arbeitnehmer gegenüber dem Erwerber in erster Linie durch Art. 5 Richtlinie 2001/23/EG (…) geregelt. 2. Das in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Insolvenzverfahren fällt in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 2 lit. a Richtlinie 2001/23/EG.

48 Vgl. BAG v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, NZA 2010, 568; BAG v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, NZA-RR 2006, 373; HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, BGB § 613 a Rz. 366. 49 BAG v. 16.10.2018 – 3 AZR 139/17 (A), ZIP 2018, 2179. 50 Generalanwalt EuGH v. 5.3.2020 – C-674/18 n. v.

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Eingeschränkte Haftung des Erwerbers bei Betriebsübergang aus der Insolvenz

3. Art. 5 Abs. 2 lit. a Richtlinie 2001/23/EG lässt eine Einschränkung nach dem Recht eines Mitgliedstaats dahin zu, dass ein Erwerber nicht für Zusatzversorgungsleistungen haftet, die auf vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zurückgelegten Beschäftigungszeiten beruhen, wenn die betreffenden Leistungen rechtlich bindend sind, in dem Sinne, dass die betroffenen Arbeitnehmer nach dem Recht des Mitgliedstaats berechtigt sind, vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats diese Ansprüche geltend zu machen, um die Zahlung der fraglichen Versorgungsleistungen durch den Veräußerer zu erlangen. Ob der Mitgliedstaat, wenn er das ihm durch Art. 5 Abs. 2 lit. a Richtlinie 2001/23/EG eingeräumte Ermessen im Wege der Rechtsprechung ausgeübt hat, dies mit der Genauigkeit und Klarheit getan hat, die zur Gewährleistung der Rechtssicherheit erforderlich sind, ist vom nationalen Gericht zu prüfen. 4. Die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG (…) ist Voraussetzung für die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 lit. a Richtlinie 2001/23/EG. Eine Kürzung der einem ehemaligen Arbeitnehmer gezahlten betrieblichen Altersvorsorge wegen der Zahlungsunfähigkeit seines ehemaligen Arbeitgebers ist als offensichtlich unverhältnismäßig anzusehen, wenn der ehemalige Arbeitnehmer weniger als die Hälfte der sich aus seinen erworbenen Rentenansprüchen ergebenden Leistungen erhält oder infolge der Kürzung unterhalb der von Eurostat für den betreffenden Mitgliedstaat ermittelten Armutsgefährdungsgrenzen lebt oder leben müsste, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

In der Regel folgt der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts. Ob dies auch hier mit der Folge der Fall ist, dass die Rechtsprechung des BAG weitestgehend fortgeführt werden kann, bleibt abzuwarten. Wir werden darüber berichten. (Ga)

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J.

1.

Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht Syndikuszulassung für Leiter Personal

Mit seinen Urteilen vom 3.4.20141 hatte das BSG die bisherige Praxis einer Zuordnung der Syndikusrechtsanwälte zu den anwaltlichen Versorgungswerken im Wesentlichen infrage gestellt und daran anknüpfend eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung abgelehnt. Wir hatten über die diesbezügliche Diskussion und das anschließende Gesetzgebungsverfahren berichtet. Es hatte zur Folge, dass grundlegende Veränderungen in Bezug auf die Kennzeichnung der angestellten Rechtsanwälte und Syndikusrechtsanwälte in § 46 BRAO erfolgt sind. Betroffen hiervon waren vor allem die Syndikusrechtsanwälte und die für ihre Zulassung erforderlichen Voraussetzungen. Dazu gehört, dass sie anwaltlich tätig sind. Dies ist nach § 46 Abs. 3 BRAO dann der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis durch folgende fachlich unabhängige und eigenverantwortlich auszuübende Tätigkeiten sowie durch folgende Merkmale geprägt ist: • die Prüfung von Rechtsfragen, einschließlich der Aufklärung des Sachverhalts, sowie das Erarbeiten und Bewerten von Lösungsmöglichkeiten, • die Erteilung von Rechtsrat, • die Ausrichtung der Tätigkeit auf die Gestaltung von Rechtsverhältnissen, insbesondere durch das selbständige Führen von Verhandlungen, oder auf die Verwirklichung von Rechten und • die Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten.

Gemäß § 46 Abs. 4 BRAO wird keine fachlich unabhängige Tätigkeit ausgeübt, wenn sich der Betroffene an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Darüber hinaus ist die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung des Syndikusrechtsanwalts vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten.

1

BSG v. 3.4.2014 – B 5 RE 3/14 R n. v.; BSG v. 3.4.2014 – B 5 RE 9/14 R n. v.; BSG v. 3.4.2014 – B 5 RE 13/14 R, NZA 2014, 971.

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Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht

Damit ein Syndikusrechtsanwalt auf der Grundlage dieser gesetzlichen Neuregelung von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden kann, muss eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erfolgen. Geschieht dies nicht oder wird eine entsprechende Zulassung als Folge eines Widerspruchs der gesetzlichen Rentenversicherung rechtskräftig aufgehoben, hat dies erhebliche Bedeutung für die Altersversorgung des Betroffenen. Insofern ist es nicht überraschend, dass über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt und einen entsprechenden Widerspruch der gesetzlichen Rentenversicherung vor dem Anwaltsgerichtshof gestritten wird. Grundlage der Entscheidung des entsprechenden Senats für Anwaltssachen beim BGH vom 30.9.20192 waren Verfahren über die Zulassung des als Personalleiter angestellten Beigeladenen. Nachdem die beklagte Rechtsanwaltskammer den Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt zugelassen hatte, erhob die Deutsche Rentenversicherung zunächst einmal Widerspruch und im Anschluss daran Klage gegen den Zulassungsbescheid. Nach ihrer Auffassung waren die Anforderungen des § 46 Abs. 3 Nrn. 1 bis 4 BRAO, die kumulativ vorliegen müssten, jedenfalls in Hinblick auf § 46 Abs. 3 Nr. 4 BRAO nicht erfüllt. Der Beigeladene – sowie die Deutsche Rentenversicherung – verfüge nämlich nicht über die erforderliche Befugnis, für seinen Arbeitgeber nach außen verantwortlich aufzutreten. Insoweit sei im Außenverhältnis eine Einzelvertretungsbefugnis notwendig. Es gäbe indessen keinen Tätigkeitsbereich, in welchem der Beigeladene ohne Rücksprache mit anderen und „ohne Wenn und Aber“ für seinen Arbeitgeber verbindlich hätte entscheiden können. Im Rahmen des Berufungsverfahrens hat der BGH das Urteil des AGH Stuttgart3 abgeändert und die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung lag in Bezug auf den Beigeladenen die nach § 46 Abs. 3 Nr. 4 BRAO erforderliche Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten, vor. Hierfür sei weder Alleinvertretungsbefugnis noch auch nur Gesamtvertretungsbefugnis des Syndikusrechtsanwalts im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit für seinen Arbeitgeber erforderlich. Dass keine Alleinvertretungsbefugnis zu fordern sei, habe er bereits bei früherer Gelegenheit unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte von § 46 Abs. 3 Nr. 4 BRAO deutlich gemacht4. Auch Gesamtvertretungsbefugnis sei zur Erfüllung des gesetzlichen Merkmals nicht ausnahmslos erforderlich. Denn die Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten, könne sich im Einzelfall auch aus der selbständigen Führung

2 3 4

BGH v. 30.9.2019 – AnwZ (Brfg) 63/17, DB 2019, 2624. AGH Stuttgart v. 2.10.2017 – AGH 17/16 (I) n. v. Vgl. BGH v. 14.1.2019 – AnwZ (Brfg) 25/18, NJW 2019, 927 Rz. 12 ff.

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Syndikuszulassung für Leiter Personal

von Verhandlungen oder der Wahrnehmung vergleichbarer Tätigkeiten ergeben. Ausschlaggebend ist nach Auffassung des Senats ein Vergleich des im Einzelfall ohne förmliche Vertretungsbefugnis tätigen Syndikusrechtsanwalts mit einem externen Rechtsanwalt, der mit der Führung außergerichtlicher Verhandlungen beauftragt wird. Letzterer werde – so der BGH – regelmäßig seine Verhandlungsergebnisse vor Abschluss verbindlicher Vereinbarungen dem Arbeitgeber vorstellen und sich dessen Zustimmung versichern. Ob der Auftraggeber im Anschluss hieran selbst oder aber der beauftragte externe Rechtsanwalt für diesen als Vertreter die ausgehandelte Vereinbarung verbindlich abschließe, könne die Bewertung der Tätigkeit des externen Rechtsanwalts bei der vorherigen Aushandlung des Entscheidungsvorschlags rückwirkend nicht mehr beeinflussen. Hiervon ausgehend lag die erforderliche Eigenverantwortlichkeit bei der selbständigen Führung von Verhandlungen und der Wahrnehmung vergleichbarer Tätigkeiten in Bezug auf den Beigeladenen vor. Dies galt insbesondere für den Abschluss von internen Betriebsvereinbarungen sowie externen Vereinbarungen mit Verbänden, Gerichtspartnern oder der IHK. Hinzukam, dass der Beigeladene umfangreiche Verhandlungen über den Abschluss eines Sanierungstarifvertrags „maßgeblich“ bzw. „federführend“ geführt habe. Diese Tätigkeit hatte dem Arbeitsverhältnis des Beigeladenen auch das für § 46 Abs. 3 BRAO erforderliche Gepräge gegeben. Denn der anwaltliche Anteil der Tätigkeit des Klägers betrug 65 %. Auch wenn ein solcher Anteil „am unteren Rand“ des für eine anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen liege, genüge dies, um von den vorliegenden, in § 46 Abs. 2, 3 BRAO genannten Voraussetzungen auszugehen. Denn damit werde das Arbeitsverhältnis anwaltlich geprägt, was auch die Anerkennung einer anwaltlichen Tätigkeit i. S. d. § 46 Abs. 2 S. 1 BRAO zur Folge habe. Soweit die Deutsche Rentenversicherung darauf verwiesen hatte, dass bei der Frage der Prägung nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Aspekte eine Rolle spielten, ergebe sich daraus keine abweichende Beurteilung. Anwaltliche Tätigkeit stelle grundsätzlich keine geringwertige Tätigkeit dar. Sei das Arbeitsverhältnis bereits quantitativ von der anwaltlichen Tätigkeit geprägt, könne für die qualitative Prägung regelmäßig keine andere Beurteilung gelten5.

5

BGH v. 30.9.2019 – AnwZ (Brfg) 63/17, DB 2019, 2624 Rz. 14 ff., 18.

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Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht

Wichtig dürfte sein, dass in der betrieblichen Praxis nicht nur die tatsächliche Ausprägung in der Tätigkeit entsprechend § 46 Abs. 3 BRAO gewährleistet wird. Es ist auch darauf zu achten, dass die erforderliche Selbständigkeit des Syndikusrechtsanwalts auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber sichergestellt wird. (Ga)

2.

Vorübergehende Erhöhung der Arbeitsentgeltgrenzen bei geringfügiger Beschäftigung

Grundsätzlich liegt eine nicht versicherungspflichtige, geringfügige Beschäftigung, ein sog. Minijob, vor, wenn das monatliche Arbeitsentgelt regelmäßig 450 € nicht überschreitet (§§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, 7 SGB V). Überschreitet der Jahresverdienst eines Minijobbers 5.400 €, liegt nicht automatisch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor. Hierfür gibt es regelmäßig Ausnahmeregelungen. Bei gelegentlicher Überschreitung, d. h. bei nicht mehr als drei Monaten innerhalb eines Jahres, und wenn die jährliche Entgeltgrenze von 5.400 € nicht vorhersehbar überschritten wurde, bleibt der Minijob bestehen6. Die Höhe des Mehrverdienstes ist insofern nicht entscheidend. Einer Verlautbarung der Spitzenorganisation der Sozialversicherung vom 30.3.20207 zufolge liegt ein gelegentliches Überschreiten der Verdienstgrenze zwischen März bis Oktober 2020 auch dann noch vor, wenn hiervon fünf Monate betroffen sind. Dies wurde parallel zur Erhöhung der Zeitgrenzen für kurzfristige Beschäftigungen von drei auf fünf Monate entschieden, um so den Folgen der COVID-19-Pandemie bei geringfügig und kurzfristig Beschäftigten entgegenzuwirken. (Kr)

6 7

GKV-Spitzenverband, Geringfügigkeits-Richtlinien v. 18.11.2018. GKV-Spitzenverband, Veröffentlichung v. 30.3.2020.

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Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht

Wichtig dürfte sein, dass in der betrieblichen Praxis nicht nur die tatsächliche Ausprägung in der Tätigkeit entsprechend § 46 Abs. 3 BRAO gewährleistet wird. Es ist auch darauf zu achten, dass die erforderliche Selbständigkeit des Syndikusrechtsanwalts auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber sichergestellt wird. (Ga)

2.

Vorübergehende Erhöhung der Arbeitsentgeltgrenzen bei geringfügiger Beschäftigung

Grundsätzlich liegt eine nicht versicherungspflichtige, geringfügige Beschäftigung, ein sog. Minijob, vor, wenn das monatliche Arbeitsentgelt regelmäßig 450 € nicht überschreitet (§§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, 7 SGB V). Überschreitet der Jahresverdienst eines Minijobbers 5.400 €, liegt nicht automatisch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor. Hierfür gibt es regelmäßig Ausnahmeregelungen. Bei gelegentlicher Überschreitung, d. h. bei nicht mehr als drei Monaten innerhalb eines Jahres, und wenn die jährliche Entgeltgrenze von 5.400 € nicht vorhersehbar überschritten wurde, bleibt der Minijob bestehen6. Die Höhe des Mehrverdienstes ist insofern nicht entscheidend. Einer Verlautbarung der Spitzenorganisation der Sozialversicherung vom 30.3.20207 zufolge liegt ein gelegentliches Überschreiten der Verdienstgrenze zwischen März bis Oktober 2020 auch dann noch vor, wenn hiervon fünf Monate betroffen sind. Dies wurde parallel zur Erhöhung der Zeitgrenzen für kurzfristige Beschäftigungen von drei auf fünf Monate entschieden, um so den Folgen der COVID-19-Pandemie bei geringfügig und kurzfristig Beschäftigten entgegenzuwirken. (Kr)

6 7

GKV-Spitzenverband, Geringfügigkeits-Richtlinien v. 18.11.2018. GKV-Spitzenverband, Veröffentlichung v. 30.3.2020.

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Stichwortverzeichnis Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen Ablösungsprinzip - betriebliche Altersversorgung 226 - Tarifvertrag 226 AEntG - Änderung 28 ff. - Arbeitsentgelt 29 - Betriebsrente 33 - Branchen 32 - Entsendedauer 29 - Entsendezulage 30 - Leiharbeitnehmer 30 f. - Tarifvertrag 31 f. - Verwirkung 32 f. - Verzicht 32 f. - zusätzliche Arbeitsbedingungen 33 f. - zwingende Arbeitsbedingung 29 f. AGB-Kontrolle, Ausschlussfrist 97 ff. Altersteilzeit - Betriebsrente 213 ff. - Erholungsurlaub 168 f. Alt-Vertrag, Ausschlussfrist 102 ff. Annahmeverzug, Ausschlussfrist 110 Arbeitnehmerbegriff - ambivalente Merkmale 84 - Arbeitsort 84 - Arbeitsrecht 81 - Arbeitszeit 84 - Betriebsmittel 84 - Gesamtwürdigung 82 - Merkmale 81 ff. - Sozialversicherungsrecht 81

Arbeitnehmerbegriff - Weisungsgebundenheit 83 f., 85 Arbeitnehmerdatenschutz  Datenschutz Arbeitnehmerüberlassung - AEntG 30 - Bezugnahmeklausel 118 f. - Entsendung 30 - Equal-Pay 118 f. - Equal-Treatment 118 f. - Kurzarbeit 6 Arbeitsentgelt, geringfügige Beschäftigung 332 Arbeitsgericht - Bildübertragung 16 f. - Öffentlichkeit 16 - Pandemie 16 f. - Sozialschutz-Paket II 16 - Tonübertragung 16 f. Arbeitskampf, Betriebsstilllegung 228 ff. Arbeitsordnung - Ausschlussfrist 112 ff. - Bezugnahmeklausel 115 Arbeitsschutz - Fleischwirtschaft 66 ff. - Homeoffice 293 - Mitbestimmung Betriebsrat 277 ff. - organisatorische Maßnahmen 21 f. - Pandemie 19 ff. - personenbezogene Maßnahmen 22 f. - SARS-CoV-2Arbeitsschutzstandards 19 ff. 333

Stichwortverzeichnis

Arbeitsschutz - Schutzmaßnahmen 284 f. - technische Maßnahmen 20 f. - Unterweisung 286 Arbeitsschutzstandards 19 ff. Arbeitsunfähigkeit, krankheitsbedingte  Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Arbeitsverhältnis - einheitliches 199 - fehlerhaftes 205 Arbeitsvertrag - Arbeitsordnung 115 - Ausschlussfrist 97 ff. - Betriebsvereinbarung 147 - Bezugnahmeklausel 115 - Homeoffice 293 - Reisezeit 145 ff. - Vergütung 145 ff. - Wegezeiten 267 ff. Arbeitszeiterfassung - Beweislast 133 f. - biometrische 122 ff. - Darlegungslast 133 f. - Datenschutz 123 ff. - Delegation 131 - EuGH-Entscheidung 122 ff., 131 ff. - Handlungspflicht 133 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 122 ff., 132 f. - opt-in/opt-out 132 - Personenkreis 131 f. - Pflichtverletzung 133 f. - Vertrauensarbeitszeit 132 Arbeitszeitflexibilisierung 7 - Kurzarbeit 2 f. - Pandemie 7 Arbeitszeitguthaben, Ausgleich 141 ff. Arbeit-von-morgen-Gesetz I 24 ff. 334

Armutsgefährdungsgrenze, Betriebsrente 327 ARUG II 44 ff. - Aufsichtsratsbeschluss 44 - Aufsichtsratsvergütung 46 f. - Hauptversammlungsbeschluss 47 f. - Interessenkonflikt 48 - Vergütungsbericht 47 - Vergütungsbestandteile 45 f. Arztbesuch - AU-Bescheinigung 119 ff. - Pandemie 8 AU-Bescheinigung - Arztbesuch 119 ff. - Beweiswert 119 f. - Ferndiagnose 121 f. - Pandemie 17 ff., 120 f. - WhatsApp 121 Aufhebungsvertrag - Arbeitszeitguthaben 141 ff. - Freistellung 141 ff. Aufsichtsrat - Ermessensbonus 154 ff. - Frauenquote 37 - grenzüberschreitende Umwandlung 74 ff. - Interessenkonflikt 48 - Strafbarkeit 158 - Vergütung 46 f. - Zielgröße 37 ff. Ausbildungsförderung, Strukturwandel 25 Ausgleichsanspruch, Pensionskasse 211 ff. Ausgliederung  Betriebsübergang Auskunftsanspruch, Wirtschaftsausschuss 253 ff. Ausschlussfrist - AGB-Kontrolle 97 ff. - Alt-Vertrag 102 ff.

Stichwortverzeichnis

Ausschlussfrist - Annahmeverzug 110 - Arbeitsordnung 112 ff. - Arbeitsvertrag 97 ff. - Beschäftigungsklage 108 ff. - Betriebsvereinbarung 99 - Fälligkeit 99 ff. - Fristbeginn 99 ff. - HGB-Kontrolle 97 ff. - MiLoG 99, 106 f. - Tarifvertrag 99 - Transparenzgebot 98, 107 - Vorsatzhaftung 104 f. - Wirksamkeit 97 ff. - Wirkweise 97 ff. Außendienst, Reisezeiten 145 ff. Außerordentliche Kündigung - Beleidigung 190 - faires Verfahren 62 - Geschäftsführer 202 ff. - Kündigungserklärungsfrist 186 ff. - Zwei-Wochen-Frist 186 ff. Befristeter Arbeitsvertag - Dauer 35 - Existenzgründung 90 - Kettenbefristung 35 f., 94 ff. - Kleinunternehmen 35 - Koalitionsvertrag 34 f. - Konzern 89 ff. - Neugründung 89 ff. - öffentlicher Dienst 94 ff. - sachgrundlose Befristung 35, 86 ff. - sachlicher Grund 94 ff. - Schwellenwert 35 - Umstrukturierung 90 - Vorbeschäftigung 86 ff. Beleidigung, Kündigung 190, 195 f.

Benachteiligungsverbot, Tarifvertrag 176 Berufsjahre, Diskriminierung 174 ff. Berufskrankheit, Homeoffice 293 Beschäftigtendatenschutz 57 Beschäftigungsjahre, Diskriminierung 174 ff. Beschäftigungsklage, Ausschlussfrist 108 ff. Betriebliche Altersversorgung - Ablösungsprinzip 226 - AEntG 33 - Altersteilzeit 213 ff. - Änderung Versorgungsordnung 207 ff., 315 ff. - Anpassungspflicht 220 - Armutsgefährdungsgrenze 327 - Ausgleichsanspruch 211 ff. - Betriebsrentenanpassung 220 ff. - Betriebsübergang 315 ff. - Bezugsentgelt 210 - Drei-Stufen-Theorie 317 - Erwerberhaftung 325 ff. - EU-Mobilitätsrichtlinie 223 - Gleichbehandlungsgrundsatz 208 - Günstigkeitsvergleich 315 - Informationspflicht 216 ff. - Insolvenzsicherung 41 ff. - Pensionskasse 41 ff., 211 ff., 220 ff. - PSV 43 - Rentenfaktor 211 ff. - sachlich-proportionale Gründe 317 - Schadensersatz 216 ff. - Sozialversicherungspflicht 216 ff. - Stichtagsregelung 208 f. - Tarifautonomie 227 335

Stichwortverzeichnis

Betriebliche Altersversorgung - Teilzeitbeschäftigung 214 - triftige Gründe 317 - Überschussanteile 221 - Verbraucherpreisindex 220 - Zahlungsunfähigkeit 326 - Zahlungsunfähigkeitsrichtlinie 41 ff. - Zeitkollisionsregel 226 - zwingende Gründe 317 Betriebliches Eingliederungsmanagement - Auskunftsanspruch 276 - Betriebsvereinbarung 275 - Einigungsstelle 271 ff. - Einleitung 274 f. - Fallgespräch 276 - Hinweispflichten 274 - Mitbestimmung Betriebsrat 271 ff. - Schwerbehindertenvertretung 275 - Verfahren 272 ff. Betriebsbegriff, Massenentlassung 179 ff. Betriebsrat - Datenschutz 233 ff. - Digitalisierung 52 ff., 237 f. - Kurzarbeitergeld 5 - Telefonkonferenz 235 ff. - Telefonsitzung 11 ff. - verantwortliche Stelle 233 ff. - Videokonferenz 235 ff. - Videositzung 11 ff. Betriebsratsanhörung - Fehler 193 - Schriftformerfordernis 192 f. - subjektive Determination 192 Betriebsratsbeschluss - Anwesenheit 11, 236 - Ministererklärung 11 336

Betriebsratsbeschluss - Öffentlichkeit 11, 236 - Pandemie 12 - Protokollierung 13 - Telefonkonferenz 11 ff., 235 ff. - Umlaufverfahren 239 - Videokonferenz 11 ff., 235 ff. Betriebsratsmitglied - Begünstigungsverbot 240 f. - Benachteiligungsverbot 240 f. - betriebsübliche Entwicklung 239 - Freistellung 240 - vergleichbarer Arbeitnehmer 239 ff. - Vergütung 239 ff. Betriebsrente  Betriebliche Altersversorgung Betriebsstilllegung - Arbeitskampf 228 ff. - Streik 228 ff. Betriebsteilübergang  Betriebsübergang Betriebsübergang - Ablösung Versorgungsordnung 315 ff. - Auflösung Betrieb 311 ff. - Aufteilung Arbeitsverhältnis 312 ff. - Betriebsmittel 307 ff. - betriebsmittelintensive Tätigkeit 307 ff. - Betriebsrente 315 ff., 325 ff. - Betriebsvereinbarung 315 ff., 321 ff. - Betriebszerschlagung 311 ff. - Busbetrieb 308 ff. - Erwerberhaftung 325 ff. - Gesamtbetrachtung 307 - grenzüberschreitender 71 ff. - Günstigkeitsvergleich 315 - Insolvenz 325 ff.

Stichwortverzeichnis

Betriebsübergang - Kriterien 307 - Tarifvertrag 315, 319 f. - teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung 323 f. - Übergangsmandat 321 - Zeitkollisionsregel 315 ff. Betriebsvereinbarung - Arbeitszeit 147 - Ausschlussfrist 99 - Betriebsübergang 315 ff., 321 ff. - Fortbildungsmaßnahmen 148 - Reiszeiten 148 - Tarifvorrang 147 - Umkleidezeiten 148 - Vergütung 148 - Weiterbildungsmaßnahmen 148 Betriebsversammlung, audiovisuelle Einrichtung 12 Beweisverwertungsverbot, Verdachtskündigung 62 f. Bezugnahmeklausel, Arbeitsvertrag 115 Biometrische Arbeitszeiterfassung 122 ff. Bonus  Sonderleistung Brexit 69 ff. - Arbeitnehmerfreizügigkeit 69 ff. - Dienstleistungsfreiheit 69 ff. Compliance, Arbeitnehmerbegriff 85 Corona  Pandemie COVID-19  Pandemie COVID-19-ArbZV 8 Datenschutz - Arbeitszeiterfassung 123 ff. - Betriebsrat 233 ff. - biometrische Erfassung 123 ff. - Einwilligung 125

Datenschutz - Interessenabwägung 124 f. - Künstliche Intelligenz 56 f. Dienstreise, Pandemie 21 Digitalisierung - Betriebsrat 237 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 52 ff. Direktionsrecht, Schadensersatz 126 ff. Diskriminierung - Berufsjahre 174 ff. - Beschäftigungsjahre 174 ff. - Geschlecht 174 ff. - Künstliche Intelligenz 56 - Mehrarbeitszuschlag 175 - Tarifvertrag 174 ff. - Teilzeitbeschäftigung 174 ff. DrittelbG, gemeinsamer Betrieb 252 Drohung, Kündigung 194 f. Eingliederungsmanagement, betriebliches  Betriebliches Eingliederungsmanagement Einheit des Verhinderungsfalls 148 ff. Einigungsstelle - Beisitzer Vergütung 294 ff. - Dokumentation 278 - Formalerfordernisse 278 ff. - Homeoffice 291 ff. - Matrix 266 f. - mobiles Arbeiten 291 ff. - Regelungsauftrag 280 - Schriftformerfordernis 278 - Telefonkonferenz 12 - Umsatzsteuer 298 - Vergütung 294 ff. - Videokonferenz 12 - Wirtschaftsausschuss 254 ff. 337

Stichwortverzeichnis

Einigungsstelle - Zwei-Wochen-Frist 279 Einwilligung, Datenschutz 125 Elterngeld, Pandemie 23 Elternzeit - Erholungsurlaub 161 - Teilzeitbeschäftigung 135 ff. Entgelttransparenz - Auskunftsanspruch 64 - Evaluation 63 Entschädigung - Entsenderichtlinie 28 ff. - Infektion 8 f. - Kinderbetreuung 9 ff. - Pandemie 8 ff. Entsendezulage 30 Entsendung - Arbeitsbedingungen 29 f. - Branchen 32 - Leiharbeitnehmer 30 - Tarifvertrag 31 Equal-Pay, Leiharbeitnehmer 118 Equal-Treatment, Arbeitnehmerüberlassung 118 f. Erholungsurlaub - Altersteilzeit 168 ff. - Arbeitspflicht 170 - Berechnung 162 f. - Elternzeit 161 - EU-Richtlinie 172 ff. - Formel 161, 170 - Freistellungsphase 168 ff. - krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit 167 f. - Mehrurlaub 172 ff. - Mitwirkungspflicht 163 ff. - Mutterschutz 161 Ermessensbonus 154 ff. Ethik, Künstliche Intelligenz 57 EU-Richtlinie - Arbeitszeit 131 ff. 338

EU-Richtlinie - Betriebsübergang 325 ff. - Entsenderichtlinie 28 ff. - Erholungsurlaub 159 ff., 172 ff. - Formwechsel 71 ff. - grenzüberschreitende Umwandlung 71 ff. - Massenentlassung 180 ff. - Mobilität 223 - Spaltung 71 ff. - Verschmelzung 71 ff. - Zahlungsunfähigkeit 41 ff., 326 ff. Europäischer Betriebsrat - Massenentlassung 184 f. - Telefonkonferenz 14, 238 - Videokonferenz 14, 238 Faires Verfahren, VerSanG 62 Fehlerhaftes Arbeitsverhältnis 205 Feiertagsarbeit, Pandemie 8 Ferndiagnose, AU-Bescheinigung 121 f. Fiebermessung, Pandemie 21 Fleischwirtschaft, Arbeitsschutz 66 ff. Formwechselnde Umwandlung - grenzüberschreitende 71 ff. - SE-Gründung 300 ff. Frauenquote 36 ff. - Aufsichtsrat 37 - GmbH 39 - Unternehmensführung 40 - Vorstand 36 Freelancer  Arbeitnehmerbegriff Freie Mitarbeiter  Arbeitnehmerbegriff Freistellung, Betriebsratsmitglied 240 Freistellungsphase, Erholungsurlaub 168 ff.

Stichwortverzeichnis

Friedenspflicht, Streik 228 Fristlose Kündigung  Außerordentliche Kündigung Führungsebenen, Zielgröße 37 ff. Führungsposition, Frauenquote 36 ff. Gefährdungsbeurteilung - Arbeitsbedingungen 282 - Dringlichkeit 282 - Gefährdungen 283 - Methoden 282 - Mitbestimmung Betriebsrat 277 ff., 281 ff. - Unterrichtung 286 - Verfahren 282 - Wiederholung 282 Gemeinsamer Betrieb - DrittelbG 252 - MitbestG 252 - Unternehmensmitbestimmung 252 - Wirtschaftsausschuss 246 ff. Geringfügige Beschäftigung - Arbeitsentgeltgrenze 332 - COVID-19 332 Gesamtbetriebsrat - Massenentlassung 184 - Matrix-Organisation 266 f. Geschäftsführer - außerordentliche Kündigung 202 ff. - VerSanG 58 Geschäftsführervertrag - fehlerhafter 202 ff. - Kündigung 202 ff. Gleichstellungsgrundsatz, Leiharbeitnehmer 118 f. GmbH, Frauenquote 39 Gratifikation  Sonderleistung

Grenzüberschreitende Spaltung 71 ff. Grenzüberschreitende Verschmelzung 71 ff. Grenzüberschreitender Formwechsel 71 ff. Grenzüberschreitender Rechtsformwechsel 71 ff. Hinweisgeberrichtlinie  Whistleblower-Richtlinie Höchstarbeitszeit, Pandemie 7 Homeoffice - Arbeitsschutz 293 - Arbeitszeit 293 - Berufskrankheit 293 - Einigungsstelle 291 ff. - Pandemie 20 Infektion, Entschädigung 8 f. Informationspflicht, Schadensersatz 216 ff. Insolvenz - Betriebsrente 325 ff. - Erwerberhaftung 325 ff. Interessenkonflikt - Aufsichtsrat 48 - Vorstand 48 Interim-Manager  Arbeitnehmerbegriff Kettenbefristung - Koalitionsvertrag 35 - Rechtsmissbrauch 94 ff. Kinderbetreuung, Entschädigung 10 f. Kita-Schließung, Entschädigung 10 f. Koalitionsvertrag, Umsetzung 49 f. Konsultationsverfahren, Massenentlassung 179 ff. 339

Stichwortverzeichnis

Konzern - befristeter Arbeitsvertrag 89 ff. - Wirtschaftsausschuss 253 ff. Konzernbetriebsrat, Massenentlassung 184 Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit - Arztbesuch 8 - COVID-19 8 f. - Einheit Verhinderungsfall 148 ff. - Erholungsurlaub 167 f. - IfSG 8 - mehrfache 148 ff. - Pandemie 8 f. KugBeV 3 KugV 2 Kündigung - Beleidigung 190, 195 f. - Betriebsratsanhörung 191 ff. - Drohung 194 f. - falsche Tatsachenbehauptung 196 f. - fehlerhafter Geschäftsführervertrag 202 f. - Funktionsübertragung 201 - Mutterschutz 185 f. - Originalvollmacht 198 - Schwangerschaft 185 f. - Tatsachenbehauptung 196 f. - verhaltensbedingte 193 f. - Vertretung 198 ff. - Vollmachtsurkunde 198 - widerrechtliche Drohung 194 f. - Zurückweisung 198 ff. Künstliche Intelligenz - Datenschutz 56 f. - Diskriminierung 56 - Ethik 57 - Mitbestimmung Betriebsrat 57 - Personalauswahl 56 f. - Personalentwicklung 56 f. 340

Künstliche Intelligenz - Personalverwaltung 56 f. Kurzarbeit - Anspruchsvoraussetzungen 2 f. - Arbeitnehmerüberlassung 6 - Arbeitsausfall 2 - Arbeitszeitflexibilisierung 2 f. - Entgeltminderung 2 - Erholungsurlaub 2 f. - Pandemie 1 ff. - Strukturwandel 27 f. - Vermeidbarkeit 2 f. - Weiterbildung 27 f. Kurzarbeitergeld - anderweitiger Verdienst 4 f. - Aufstockung 5 f. - Dauer 3 - geringfügige Beschäftigung 4 f. - Höhe 3 f. - Konzern 5 - Leiharbeitnehmer 6 - Lohnsteuer 5 f. - Sozialversicherungsbeiträge 5 - Stellungnahme Betriebsrat 5 - systemrelevante Tätigkeit 4 Kurzarbeitergeldverordnung  KugV Leiharbeit  Arbeitnehmerüberlassung Leiharbeitnehmer, Bezugnahmeklausel 118 f. Leitender Angestellter, VerSanG 58 f. Massenentlassung - Arbeitnehmervertretung 183 ff. - Betriebsbegriff 179 ff. - Betriebsrat 183 ff. - EU-Richtlinie 180 ff. - Europäischer Betriebsrat 184 f.

Stichwortverzeichnis

Massenentlassung - Fluggesellschaft 181 f. - Gesamtbetriebsrat 184 - Gesetzesänderung 50 f. - Kirche 184 - Konsultationsverfahren 179 ff. - Konzernbetriebsrat 184 - Mitarbeitervertretung 184 - Schwellenwert 180 - Schwerbehindertenvertretung 184 f. - Sprecherausschuss 184 - zuständige Agentur 181 f. Matrix-Organisation - Einstellung 266 f. - Gesamtbetriebsrat 266 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 266 f. - Vorgesetztenwechsel 266 f. Meeting, Pandemie 21 Mehrarbeitszuschlag, Diskriminierung 175 Mehrurlaub, Gestaltungsspielraum 172 ff. Meldestellen, externe 51 f. MiLoG, Ausschlussfrist 99, 106 f. Mitarbeitervertretung, Massenentlassung 184 MitbestG, gemeinsamer Betrieb 252 Mitbestimmung Betriebsrat - Arbeitsschutz 277 ff. - Arbeitszeiterfassung 122 ff., 132 f. - COVID-19 277 ff. - Digitalisierung 52 ff. - Eingliederungsmanagement 271 ff. - Einigungsstelle 278 ff. - Gefährdungsbeurteilung 277 ff., 281 ff. - Homeoffice 291 ff.

Mitbestimmung Betriebsrat - Kündigung 191 ff. - Künstliche Intelligenz 57 - Massenentlassung 183 ff. - Matrix-Organisation 266 f. - Outplacement 261 - Pandemie 22 - Personalüberhang 261 ff. - Qualifikationsmaßnahme 262 - Schutzmaßnahmen 284 f. - Social Distancing 22, 287 ff. - technische Einrichtung 288 - Übergangsmandat 321 - Vermittlungsmaßnahme 262 - Versetzung 261 ff., 263 - Videoüberwachung 287 ff. - Wegezeiten 267 ff. Mitbestimmungsstatut, SEGründung 300 ff. Mitwirkungspflicht, Erholungsurlaub 163 ff. Mobiles Arbeiten - Arbeitsschutz 293 - Arbeitszeit 293 - Berufskrankheit 293 - Einigungsstelle 291 ff. Mutterschutz - Erholungsurlaub 161 - Kündigung 185 f. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot, vertragswidriges Verhalten 50 Nachwirkung, Regelungsabrede 242 ff. Öffentlicher Dienst, befristeter Arbeitsvertrag 94 ff. Pandemie - Abstand 20 341

Stichwortverzeichnis

Pandemie - Arbeitsgericht 16 f. - Arbeitsrecht 1 ff. - Arbeitsschutz 19 ff. - Arbeitszeitflexibilisierung 7 - AU-Bescheinigung 17 ff., 120 f. - Betriebsratsbeschluss 12 - Dienstreise 21 - Elterngeld 23 - Entschädigung 8 ff., 10 f. - Feiertag 8 - Fiebermessung 21 - geringfügige Beschäftigung 332 - Höchstarbeitszeit 7 - Homeoffice 20 - IfSG 8 ff., 10 f. - Kinderbetreuung 10 f. - Kurzarbeit 1 ff. - Meeting 21 - Mitbestimmung Betriebsrat 22 - Pandemieplan 21 - Personalratswahlen 15 - Risikogruppe 23 - Ruhezeit 7 - Schutzmaßnahmen 284 f. - Social Distancing 22 - Sonntag 8 - Verdachtsfälle 21 Pandemieplan 21 Pensionskasse - Ausgleichsanspruch 211 ff. - EU-Mobilität 223 - Insolvenzsicherung 41 ff. - Rentenanpassung 220 ff. - Rentenfaktor 211 ff. Personalauswahl, Künstliche Intelligenz 56 f. Personalleiter, Syndikusrechtsanwalt 329 ff. Personalrat - Digitalisierung 52 ff. 342

Personalrat - Telefonkonferenz 15 - Videokonferenz 15 Personalratswahlen, Pandemie 15 Personalüberhang, Mitbestimmung Betriebsrat 261 ff. Personalverwaltung, Künstliche Intelligenz 56 f. Pflegebranche - Arbeitsbedingungen 65 f. - Kennzeichnung 65 - Mehrurlaub 66 - Mindestentgelte 65 f. Präklusion, Ablehnung Teilzeit 135 ff. Prokurist, VerSanG 58 Qualifikation, Strukturwandel 24 ff. Qualifizierungschancengesetz 25 Rechtsformwechsel, grenzüberschreitender 71 ff. Rechtsmissbrauch - befristeter Arbeitsvertrag 94 ff. - Kettenbefristung 94 ff. Rechtsnachfolge, Unternehmenskriminalität 59 Regelungsabrede, Nachwirkung 242 ff. Regelungsauftrag, Einigungsstelle 280 Reisezeit - Arbeitszeit 145 ff. - Außendienst 145 ff. - Vergütung 145 ff. Ruhezeit, Pandemie 7 SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandards 19 ff. - organisatorische Maßnahmen 21 f.

Stichwortverzeichnis

SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandards 19 ff. - personenbezogene Maßnahmen 22 f. - Rechtsnatur 19 - technische Maßnahmen 20 f. - Umsetzung 20 SCE-Betriebsrat - Telefonkonferenz 15 - Videokonferenz 15 Schadensersatz - Informationspflicht 216 ff. - Versetzung 126 ff. Schutzmaßnahmen, Mitbestimmung Betriebsrat 284 f. Schwangerschaft, Kündigung 185 f. Schwerbehindertenvertretung - betriebliches Eingliederungsmanagement 275 - Massenentlassung 184 f. SE-Betriebsrat - Telefonkonferenz 15 - Videokonferenz 15 SE-Gründung - Formwechsel 300 ff. - Ist-Zustand 300 ff. - Mitbestimmungsstatut 300 ff. - Soll-Zustand 300 ff. Social Distancing - Mitbestimmung Betriebsrat 287 ff. - Pandemie 22 Solo-Selbstständige 81 Sonderleistung - Ermessen 154 ff. - Rechtsgrund 158 - Strafbarkeit 158 - Vorstand 154 ff. Sonntagsarbeit, Pandemie 8 Sozialschutz-Paket 4

Sozialversicherungspflicht, Betriebsrente 216 ff. Spaltung  Betriebsübergang Sprecherausschuss - Massenentlassung 184 - Telefonkonferenz 14 - Videokonferenz 14 Sprechstunden, Videokonferenz 15 Streik - Arbeitsbedingungen 230 ff. - Betriebsstilllegung 228 ff. - Friedenspflicht 228 - Kampfziel 229 Strukturwandel - Kurzarbeit 27 f. - Qualifikation 24 ff. Syndikusrechtsanwalt - Personalleiter 329 ff. - Zulassung 329 ff. Tantieme  Sonderleistung Tarifvertrag - Ablösungsprinzip 226 - AEntG 31 f. - Änderung Versorgungszusage 225 ff. - Ausschlussfrist 99 - Benachteiligungsverbot 176 - Betriebsrente 225 ff. - Betriebsübergang 315, 319 f. - Diskriminierung 174 ff. - Entsendung 31 - Rückwirkung 227 - Zeitkollisionsregel 226 Tarifvorrang, Betriebsvereinbarung 147 Technische Einrichtung, Mitbestimmung Betriebsrat 288 Teilzeit - Ablehnung 135 ff. - Elternzeit 135 ff. 343

Stichwortverzeichnis

Teilzeit - Präklusion 135 ff. Teilzeitbeschäftigung - Betriebsrente 214 - Diskriminierung 174 ff. - Urlaubsentgelt 159 ff. Telefonkonferenz - Einigungsstelle 12 - Europäischer Betriebsrat 14, 238 - Personalrat 15 - SCE-Betriebsrat 14 - SE-Betriebsrat 14 - Sprecherausschuss 14 - Wirtschaftsausschuss 12 Telefonsitzung, Betriebsrat 11 ff. Tendenzunternehmen, Wirtschaftsausschuss 249 ff. Transferkurzarbeit, Weiterbildung 28 Transparenzgebot, Ausschlussfrist 98, 107 Übergangsmandat, Betriebsübergang 321 Umlaufverfahren, Betriebsratsbeschluss 239 Umwandlung  Betriebsübergang Unternehmensführung, Frauenquote 40 Unternehmenskriminalität 57 ff. - Sanktionen 60 - Strafzumessung 61 ff. Unternehmensmitbestimmung - gemeinsamer Betrieb 252 f. - grenzüberschreitende Umwandlung 74 ff. Urlaubsentgelt - Teilzeitbeschäftigung 159 ff. - Vollzeitbeschäftigung 159 ff. - Wechsel Arbeitszeit 159 ff.

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Verantwortliche Stelle, Betriebsrat 233 ff. Verbandssanktionengesetz  VerSanG Verdachtskündigung - Anhörungsobliegenheit 189 - Aufklärungsmaßnahme 62, 186 ff. - außerordentliche  Außerordentliche Kündigung - Beweisverwertungsverbot 62 f. - Erkrankung Arbeitnehmer 189 - faires Verfahren 62 - VerSanG 61 f. - Zwei-Wochen-Frist 186 ff. Vergleich - Arbeitszeitguthaben 141 ff. - Freistellung 141 ff. Vergütung - Aufsichtsrat 46 f. - Betriebsratsmitglied 239 ff. - Einigungsstelle Beisitzer 294 ff. - Reisezeiten 145 ff. - Vorstand 44 ff. - Wegezeiten 270 Verhaltensbedingte Kündigung 193 f. Verhinderungsfall, Einheit 148 ff. VerSanG 57 ff. - Akteneinsicht 63 - Aufklärungsmaßnahmen 61 ff. - Ausfallhaftung 59 - Beweisantrag 63 - faires Verfahren 62 - Geschäftsführer 58 - leitender Angestellter 58 f. - Leitungsperson 58 - Prokurist 58 - rechtliches Gehör 63 - Rechtsnachfolge 59 - Sanktionszumessung 61 ff.

Stichwortverzeichnis

VerSanG 57 ff. - Verbandssanktionen 60 - Verbandstat 59 - Verteidigerwahl 63 - Vorstand 58 Versetzung - Mitbestimmung Betriebsrat 261 ff. - rechtswidrige 126 ff. - Schadensersatz 126 ff. Versorgungsordnung, Änderung 207 ff. Vertragswidriges Verhalten, Wettbewerbsverbot 50 Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeiterfassung 132 Verwirkung, AEntG 32 f. Verzicht, AEntG 32 f. Videokonferenz - Einigungsstelle 12 - Europäischer Betriebsrat 14, 238 - Personalrat 15 - SCE-Betriebsrat 15 - SE-Betriebsrat 15 - Sprecherausschuss 14 - Wirtschaftsausschuss 12 Videositzung, Betriebsrat 11 ff. Videoüberwachung, Mitbestimmung Betriebsrat 287 ff. Vollzeitbeschäftigung, Urlaubsentgelt 159 ff. Vorstand - Ermessensbonus 154 ff. - Frauenquote 36 f. - Interessenkonflikt 48 - Sonderleistung 154 ff. - Strafbarkeit 158 - Vergütung 44 ff. - VerSanG 58 - Zielgröße 37 ff.

Wegezeiten - Arbeitszeit 267 ff. - Mitbestimmung Betriebsrat 267 ff. - Vergütung 270 Weihnachtsgratifikation  Sonderleistung Weiterbildung - Kurzarbeit 27 f. - Transferkurzarbeit 28 Weiterbildungsmaßnahmen 26 f. Wettbewerbsverbot, nachvertragliches  Nachvertragliches Wettbewerbsverbot WhatsApp, AU-Bescheinigung 121 Whistleblower-Richtlinie - Geltungsbereich 79 - Inkrafttreten 51, 79 - Meldestellen 51 f. - Umsetzung 79 Wirtschaftsausschuss - Auskunftsanspruch 253 ff. - Einigungsstelle 254 ff. - Gemeinschaftsbetrieb 246 ff. - Konzern 253 ff. - Telefonkonferenz 12 - Tendenzunternehmen 249 ff. - Videokonferenz 12 Zeitkollisionsregel - betriebliche Altersversorgung 226 - Tarifvertrag 226 Zielgröße, Führungsebenen 37 ff.

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