Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2010: Vorträge auf den Zwölften Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 3. bis 5. März 2010 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428535958, 9783428135950

Der Band dokumentiert die Vorträge, die auf den 12. Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag

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Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2010: Vorträge auf den Zwölften Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 3. bis 5. März 2010 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 209

Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2010 Vorträge auf den Zwölften Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 3. bis 5. März 2010 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Jan Ziekow

Duncker & Humblot · Berlin

JAN ZIEKOW (Hrsg.)

Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2010

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 209

Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2010 Vorträge auf den Zwölften Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 3. bis 5. März 2010 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von Jan Ziekow

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-13595-0 (Print) ISBN 978-3-428-53595-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83595-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der vorliegende Band fasst die Vorträge zusammen, die auf dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag am 3. März 2010 und den Zwölften Speyerer Planungsrechtstagen vom 3. bis 5. März 2010 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer gehalten wurden. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltungen waren Vertreter aller Ebenen der Verwaltung, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Rechtsanwaltschaft, von Planungsträgern und -büros, der Wirtschaft und der Wissenschaft. Meine Sekretärinnen, Frau Erika Kögel und Frau Ruth Nothnagel, haben sachkundig die Formatierung des Bandes übernommen; hierfür sei ihnen gedankt. Darüber hinaus gebührt Frau Dr. Corinna Sicko und Herrn Dr. Alfred Debus herzlicher Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung.

Speyer, im Dezember 2010

Jan Ziekow

Inhaltsverzeichnis Chancen für eine Beschleunigung luftrechtlicher Zulassungsverfahren – Bestandsaufnahme, Analyse und Ausblick Von Volker Gronefeld, München ........................................................................ 9 Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz nach der Neufassung des Luftverkehrsgesetzes Von Karsten Baumann, Langen ..........................................................................

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Der Flughafen Frankfurt vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof – Die Urteile vom 21. August 2009 und ihre Perspektiven für das Flughafenplanungsrecht aus Sicht der Luftverkehrswirtschaft Von Markus Deutsch, Frankfurt ........................................................................

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Der Flughafen Frankfurt vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof – Perspektiven für die Entwicklung des Flughafenplanungsrechts Von Bernhard Schmitz, Frankfurt .......................................................................

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Flughäfen als Unternehmen? – Anwendbarkeit des Beihilfenrechts Von Ludger Giesberts, Köln .............................................................................. 101 Offene Fragen zum Fluglärmschutzgesetz und dessen Umsetzung Von Alexandra Fridrich, Freiburg i.Br. ............................................................. 127 Aktuelle Fragen des Luftverkehrsrechts – aus der Sicht der Rechtsprechung Von Alexander Jannasch, Leipzig ...................................................................... 161 Artenschutz in der Planfeststellung Von Ulrich Storost, Leipzig .......................................................................... ..... 185

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Inhaltsverzeichnis

Rechtsschutz von Gemeinden gegen Maßnahmen der Fachplanung Von Jürgen Held, Koblenz ................................................................................. 205 Die Rückführung des Fachplanungsrechts in das VwVfG Von Heribert Schmitz, Berlin ............................................................................. 223 Beweisfragen in gerichtlichen Verfahren zu Planfeststellungsbeschlüssen Von Wolfgang Baumann, Würzburg ............................................................ ...... 239 Fachplanungsvorhaben und Verfahrensrecht Von Tim Uschkereit, München ........................................................................... 255 Veränderungen in der Eisenbahnaufsicht aufgrund europäischer Vorgaben Von Uwe Jürgens, Bonn .............................................................. ...................... 273 Stringente Bearbeitung von Umweltschutzgütern in der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung Von Detlef Kober, Stuttgart ............................................................................ ... 281 Verzeichnis der Autoren ........................................................................................... 307

Chancen für eine Beschleunigung luftrechtlicher Zulassungsverfahren – Bestandsaufnahme, Analyse und Ausblick Von Volker Gronefeld

I. Bestandsaufnahme 1. In der am 7. Dezember 1918 auf der Grundlage der Verordnung des Rates der Volksbeauftragten erlassenen Verordnung betreffend die vorläufige Regelung des Luftfahrtrechtes schreibt der damalige Staatssekretär des Innern, Hugo Preuß, vor, dass „Aufstiegs-, Landungs- und Flugplätze“ nur mit Genehmigung der nach Landesrecht zuständigen Behörde angelegt werden dürfen (§ 6 der Verordnung). Dieser Genehmigungsvorbehalt ist dann in § 7 des Luftverkehrsgesetzes vom 1. August 1922 eingegangen. In dieser ersten Zeit wurde das Recht des Luftverkehrs als Zweig des Rechtes der Polizei (Gewerbepolizei, § 16 GewO) aufgefasst. Die luftrechtlichen Zulassungsverfahren gestalteten sich dementsprechend überschaulich. Daran änderte auch nichts das Luftverkehrsgesetz in seiner Fassung vom 21. August 1936. Voraussetzung der Genehmigung war, dass der in Aussicht genommene Platz zur Anlage eines Flugplatzes geeignet ist und dass der Betrieb zuverlässig geführt werden wird. Auf dieser Grundlage umfasste die luftrechtliche Genehmigung aus dem Jahr 1936 für die Anlage und den Betrieb des Verkehrsflughafens München-Riem eine knappe halbe Seite; Erinnerungen an ein bemerkenswertes oder gar zeitaufwendiges luftrechtliches Genehmigungsverfahren sind nicht überliefert. 2. Das Luftverkehrsgesetz aus dem Jahr 1936 galt einschließlich seiner Änderung aus dem Jahr 1943 auf der Grundlage von Art. 123, 124 GG in der Bundesrepublik Deutschland fort. Die luftverkehrsrechtliche Zulassung von Flughäfen ist dann durch die Änderung des Luftverkehrsgesetzes vom 5. Dezember 1958 grundlegend umgestaltet worden. Die gesetzlichen Zulassungsanforde___________

Die Vortragsform ist beibehalten geblieben. Aus diesem Grunde wurde auf Fußnoten und Nachweise verzichtet.

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Volker Gronefeld

rungen und der Vollzug dieser Anforderungen im Einzelfall wurden auf die verändert fortbestehende Genehmigung und die neu eingefügte Planfeststellung aufgeteilt. Mit dieser Gesetzesänderung erfüllte sich der Satz von LaRoche Foucould, nachdem die beiden, wie in einer Ehe, Lasten zu tragen hätten, die sie, wäre jeder für sich allein geblieben, überhaupt nicht gehabt hätten. Obgleich das Planfeststellungsrecht im Jahr 1958 im Hinblick auf das eisenbahnrechtliche Vorbild (§ 37 des Reichseisenbahngesetzes vom 20. November 1934) nicht unbekannt war, hatte es die Planfeststellung schwer, sich in der luftverkehrsrechtlichen Zulassungspraxis von Flughäfen durchzusetzen. Eine (ausgeprägte) Rechtsprechung zu Fragen des Verhältnisses von luftrechtlicher Genehmigung und Planfeststellung sowie deren Voraussetzungen, ist erst seit Ende der 60er Jahre bekannt. Ein Planfeststellungsantrag der Flughafen München GmbH auf Verlängerung der Start-/Landebahn des mittlerweile aufgegebenen Verkehrsflughafens München-Riem wurde in dieser Zeit zwar von der zuständigen Planfeststellungsbehörde registriert, führte aber nicht zu verwaltungsverfahrensrechtlichen oder gar prozessualen Weiterungen. Die Verlängerung wurde realisiert. Prozesse hierüber waren erst rund 25 Jahre später zu führen; zu diesem Zeitpunkt, wie nicht anders zu erwarten, stand im Mittelpunkt des Prozesses nicht das realisierte Vorhaben, sondern die Verwirkung von Rechten im öffentlichen Recht. Das, wiederum in Anlehnung an die Ehe, formal eindeutige, im Übrigen aber ungeklärte Verhältnis von luftrechtlicher Genehmigung und luftrechtlicher Planfeststellung war das beherrschende Thema jener Zeit; nach allgemeiner Meinung, auch des Bundesverwaltungsgerichtes, war ein Planfeststellungsbeschluss ohne vorausgehendes luftrechtliches Genehmigungsverfahren rechtswidrig. Das luftrechtliche Genehmigungsverfahren wurde – auch bei nachfolgender Planfeststellung – einer vollen Öffentlichkeitsbeteiligung unterstellt und dauerte zu jener Zeit, wie etwa im Verfahren des Verkehrsflughafens München II, fünf Jahre. Derartige (zeitraubende) Verfahrensabläufe gehören dank der Einführung von Abs. 6 in § 8 Luftverkehrsgesetz in der Zwischenzeit der Vergangenheit an. 3. Die DDR beschloss im Jahr 1963 ein Gesetz über die Luftfahrt, das durch das Gesetz vom 27.10.1983 abgelöst worden ist. Ein Planfeststellungsverfahren war unbekannt. Die luftrechtliche Genehmigung zur Zulassung von Anlage und Betrieb von Flughäfen war jeweils auf fünf Jahre begrenzt. Mit dem Einigungsvertrag vom 31.08.1990 ist in der DDR das Luftverkehrsrecht nebst dem Erfordernis luftverkehrsrechtlicher Genehmigung und Planfeststellung mit Wirkung zum Oktober 1990 ohne Einschränkungen in Kraft gesetzt worden. Der (zu diesem Zeitpunkt allerdings hierfür unzuständige) Ministerrat der DDR hat am 20.09.1990, also kurz vor der Übernahme des bundesdeutschen Luftrechtes für die ostdeutschen Verkehrsflughäfen unbeschränkte Genehmigungen

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erlassen, die, soweit sie in der Zwischenzeit nicht geändert worden sind, auf der Grundlage von § 19 Abs. 2 Einigungsvertrag Bestand haben. Durch das 11. Änderungsgesetz zum Luftverkehrsgesetz vom 25.08.1998 ist § 71 in das Luftverkehrsgesetz eingefügt worden, dessen Anlass die Beseitigung von Rechtsunsicherheiten hinsichtlich des Genehmigungs- und Planfeststellungszustandes der Flugplätze in der Bundesrepublik Deutschland wie auch der ehemaligen DDR war. Die weiteren Bemühungen des Gesetzgebers zur Vereinfachung und zur Beschleunigung des luftrechtlichen Zulassungsverfahrens wie auch des anschließenden Gerichtsverfahrens (Planungsvereinfachungsgesetz, Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, Infrastrukturbeschleunigungsgesetz, Neufassung des Luftverkehrsgesetzes vom 10. Mai 2007) sind bekannt. 1. LuftVO/LuftVZO Auf der Grundlage des Luftverkehrsgesetzes ist im Jahr 1936 auch eine „Verordnung über Luftverkehr“ ergangen, die die Klassifizierung der Flughäfen (§ 26) sowie das luftrechtliche Genehmigungsverfahren nebst ihren Voraussetzungen (§ 29 ff.) regelt. Diese Verordnung über Luftverkehr hat sich, wenn auch vielfach geändert und ergänzt, in der Form der Luftverkehrszulassungsordnung bis heute gehalten. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil die Neufassung der Luftverkehrszulassungsordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 10. Juli 2008, wie auch schon zuvor alle erfolgten Änderungen nach 1958, keinerlei Veranlassung gesehen hat, Regelungen über die Inhalte und den Gegenstand des Antrages auf Planfeststellung einschließlich wenigstens der luftverkehrsrechtlich erforderlichen Planfeststellungsunterlagen zu treffen. Es verbleibt also nach wie vor bei dem dritten Abschnitt der Luftverkehrszulassungsordnung und den dort enthaltenen Regelungen für den Antrag auf Erteilung einer luftrechtlichen Genehmigung (auch etwa im Hinblick auf die dem Antrag beizufügenden Gutachten). Diese Vorschriften der Luftverkehrszulassungsordnung werden, meistens ohne jegliche weitere Reflexion, zur Grundlage der Erstellung von Planfeststellungsanträgen und der Führung von Planfeststellungsverfahren gemacht. 2. Richtlinien Im Eisenbahnplanfeststellungsrecht haben Planfeststellungsrichtlinien eine lange Tradition (1934/1955/1979 ff.). Dies gilt auch für die Planfeststellungsrichtlinien im Straßenplanfeststellungsrecht. Diese Richtlinien enthalten Erläuterungen und Hinweise zum Verfahrensablauf, zur Auslegung und Anwendung

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des Planfeststellungsrechtes sowie auch zu den Antragsunterlagen. Im Wasserrecht finden sich im Verordnungswege geschaffene Rechtsgrundlagen über „Pläne und Beilagen in wasserrechtlichen Verfahren“. Im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens für den Verkehrsflughafen München (II) sind für das Land Bayern im Jahr 1975 „Richtlinien für die Planfeststellung nach dem Luftverkehrsgesetz“ nach dem Vorbild der anderen planfeststellungsrechtlichen Richtlinien erlassen worden. Diese Richtlinien jedoch, die wie die anderen Planfeststellungsrichtlinien den Versuch unternommen hatten, Auslegungshilfen zur Anwendung und Auslegung des Luftverkehrsrechtes sowie Hinweise zur Feststellungsbedürftigkeit und Feststellungsfähigkeit von Anlagen wie auch eine an der LuftVZO orientierten Beschreibung der vorzulegenden Planunterlagen zu geben, haben durchschlagenden, etwa im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung, Erfolg nicht gehabt. Sie waren nicht in der Lage, Einfluss auf den Verfahrensablauf zu nehmen und sind schließlich, ohne dass es den Beteiligten groß aufgefallen wäre, aufgehoben worden. Dasselbe Schicksal ereilte die Hinweise des Bundesministers für Verkehr aus dem Jahre 1972/1973 an die Landesverkehrsminister zum Betrieb von Verkehrsflughäfen betreffend die Nachtflugbeschränkungen. Weitere Versuche der Steuerung luftrechtlicher Planfeststellungsverfahren durch Richtlinien und Hinweise sind nicht bekannt geworden.

II. Der Auftrag zur Verfahrensbeschleunigung 1. Das Verwaltungsverfahren, in dem über die planungsrechtliche Zulassung eines luftverkehrsrechtlichen Ausbau- oder Änderungsverfahrens entschieden wird, dient der Ausführung des materiellen Rechtes. Gegenstand des Verfahrens ist die Beurteilung des nachgesuchten Vorhabens anhand der gesetzlichen Anforderungen, der Prüfung des vom Vorhabenträger geltend gemachten Zulassungsanspruches sowie der Prüfung, ob und in welchem Umfang öffentliche Belange oder Rechte Dritter durch das Vorhaben betroffen sind. Dies schließt die Fragen der Ausübung planerischer Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf die Erfüllung der gesetzlichen Planungsaufgabe und die Grenzen planerischer Gestaltungsfreiheit ein. Das dem Verfahren zugrunde liegende Vorhaben ist raumgreifend, komplex, es dient zugleich, wie sich aus dem Gebot der Abwägung der widerstreitenden Interessen ergibt, der Austarierung dieser Interessen, mithin dem Ausgleich. Dies alles deutet im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung, die vorzubereitenden Unterlagen und Gutachten sowie die Klärung des Sachverhaltes nebst Entscheidung auf einen erheblichen Zeitbedarf bei Planung, Verfahren und Entscheidung hin. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass – trotz aller gesetzgeberi-

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scher Anstrengungen sowie auch möglicherweise behördlicher oder richterlicher Bemühungen – der Ruf nach Beschleunigung und ehestmöglicher Planungssicherheit angesichts der bekannten Verfahrensdauern nicht verstummen wird. So sieht die Bundesregierung in ihrem Flughafenkonzept 2009 die Notwendigkeit, die bestehenden Planungs- und Genehmigungsverfahren kontinuierlich unter Wahrung eines hohen Schutzniveaus für Mensch und Umwelt zu straffen und zu vereinfachen, damit Deutschland im europäischen und internationalen Wettbewerb seinen Standortvorteil sichern und weiter ausbauen kann: „Die bisherigen Bemühungen in dieser Hinsicht (z.B. das Inkrafttreten des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes) haben sich nicht als effektiv genug erwiesen. Die Planungsunterlagen werden immer komplexer und umfangreicher und stehen in keinem Verhältnis mehr zu den notwendigen Abwägungsprozessen ökonomischer und ökologischer Belange.“ Die von der Bundesregierung im Flughafenkonzept genannten Probleme sollen jetzt durch ein Expertengremium geklärt werden. 2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat am 24.01.2007 einen „Aktionsplan für Kapazität, Effizienz und Sicherheit von Flughäfen in Europa“ verabschiedet. Dort findet sich unter Nr. 31 der Hinweis der Kommission, dass sie sich zusammen mit Sachverständigen der Mitgliedstaaten und mit Branchenbeteiligten um eine Vereinfachung der Verfahren bemühen und Leitlinien für vorbildliche Praktiken empfehlen wird: „Bei Einhaltung der relevanten Normen und Umweltvorschriften, einschließlich der Leitlinien für die Umweltfolgen und die strategische Umweltbewertung, sollte eine Zeitspanne von fünf Jahren für Planung, Genehmigung und Errichtung angestrebt werden.“

III. Die Analyse 1. Trotz aller gesetzlicher und sonstiger Bemühungen, luftverkehrsrechtliche Zulassungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, sind der Aufwand und die Dauer luftverkehrsrechtlicher Zulassungsverfahren im Laufe der Zeit nicht zurückgegangen, sondern eher gestiegen. Dies legt die Vermutung nahe, dass der Aufwand und die Verfahrensdauer luftverkehrsrechtlicher Zulassungsverfahren nicht nur durch die Ausgestaltung der Verfahrensvorschriften im Luftverkehrsgesetz und im Verwaltungsverfahrensgesetz bestimmt werden. So richten sich die Kriterien der Effizienz des Verwaltungsverfahrens nicht nur an der Verfahrensgestaltung, sondern gerade auch am die begehrte Zulassungsentscheidung dirigierenden materiellen Recht aus. Das Verwaltungsverfahren hat, wie in den Fragen des subjektiven Rechtsschutzes (wenn auch mit anderer Zielrichtung) immer wieder hervorgehoben wird, dienende Funktion

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gegenüber dem materiellen Recht. Das Verfahren dient – neben der Förderung der „richtigen“ Entscheidung – auch der (effizienten) Grundrechtssicherung, also wie im Vorfeld des Erlasses des Verwaltungsverfahrensgesetzes (1976) immer wieder betont worden ist, der Grundrechtssicherung durch Partizipation und Information. Bei diesem Grundverständnis sind allen Bemühungen, eine Beschleunigung luftverkehrsrechtlicher Zulassungsverfahren durch eine Reduktion verfahrensrechtlicher Vorgaben zu bewirken, von vornherein Grenzen gesetzt. Diese Grenzen werden durch die Vorschriften des Umweltrechtsbehelfsgesetzes und des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes, jeweils aus den Jahren 2006 in Umsetzung der EG-Richtlinie 2003/35/EG, nicht gerade aufgehoben. Die materiellen Entscheidungsvorgaben über die schon in tatsächlicher Hinsicht komplexe Infrastruktureinrichtung „Flughafen“ ergeben sich angesichts der auf das Formelle beschränkten Konzentrationswirkung eines luftrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses, § 9 Abs. 1 Luftverkehrsgesetz, aus dem gesamten in Betracht zu ziehenden Rechtsstoff. Der rein verfahrensmäßigen luftverkehrsrechtlichen Betrachtung ist der Zugriff auf die materiell-rechtlichen Anforderungen dieser Entscheidungsvorgaben, die in das luftrechtliche Planfeststellungsverfahren ausstrahlen, verwehrt. Wenn auch die luftverkehrsrechtliche Zulassungsentscheidung mit der dem Vorhabenträger überantworteten Vorhabenplanung auf (verfahrensbeschleunigende) Freiräume zu deuten scheint, obliegt doch diese Planungsentscheidung der an den Vorgaben des Abwägungsgebotes (zunächst luftverkehrsrechtlich) orientierten Nachprüfung der Planfeststellungsbehörde. Darüber hinaus verliert dieser in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes früher mehr als heute hervorgehobene Gestaltungsfreiraum an Glanz, wenn in Betracht gezogen wird, dass die materiellrechtlichen Vorgaben, sei es national-rechtlich oder europarechtlich, weiterer rechtlicher Regelung (und damit Überprüfbarkeit) unterstellt werden. Diese Entwicklung lässt nichts Gutes für den Erfolg etwaiger verfahrensrechtlicher Beschleunigungsversuche des Gesetzgebers erwarten. Ganz abgesehen davon setzt die Zulassungsentscheidung einer Behörde unter Ausschöpfung der verbleibenden planerischen Gestaltungsfreiheit das ausgeprägte Bewusstsein der Behörde voraus, dass es bei der ihr in Vollzug des Luftverkehrsgesetzes zur Eigen- und Letztentscheidung überantworteten Zulassung des Vorhabens verbleibt. Man wird in vielen Verfahren jedoch den Eindruck nicht los, dass die Vorwirkung späterer Verwaltungsgerichtsverfahren und Konsistenzprüfungen im Hinblick auf andere Planfeststellungsverfahren die Gestaltungs- und Entscheidungslust der Behörde dämpfen. Schließlich tritt hinzu, dass Verkehrsinfrastrukturvorhaben, wie Flughäfen, angesichts ihres Raumanspruches und ihrer Auswirkungen auf die Umgebung der gesellschaftlichen Akzeptanz bedürfen. Die Herstellung dieser Akzeptanz

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führt – so lange der Grundkonsens der Beteiligten hält – über Verwaltungsverfahren und die gerichtliche Entscheidung. Bei gesellschaftlicher Unzufriedenheit über Verfahren und gerichtliche Entscheidung verstärkt sich der Druck auf andere Vorgehensweisen außerhalb der gesetzlichen Verfahrensregelung, wie etwa Mediationen oder die Herstellung von Akzeptanz durch basisdemokratische Entscheidungsstrukturen oder – post festum – durch Schlichtung. Alles dies sieht nicht nach Beschleunigung und Planungssicherheit aus.

IV. Ausblick und Anregungen 1. Auch ohne den Ruf nach dem Gesetzgeber könnten schon heute bei voller Ausschöpfung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten die Verfahren beschleunigt werden. x So wäre es durchaus vorstellbar, dass auf der Grundlage von § 10 Abs. 2 Nrn. 5, 6 LuftVG bei einer Änderung eines Flughafens von einem Erörterungsverfahren abgesehen wird. Es ist nicht einzusehen, weshalb etwa in einem vom Bundesverwaltungsgericht aufgegebenen Planergänzungsverfahren (Änderung nach § 76 VwVfG) von vornherein – nach Auslegung der in dem Ergänzungsverfahren nach Maßgabe der Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichtes neu erstellten Unterlagen – Einwendungen gegen das Vorhaben erneut erörtert werden müssen. Viel Neues lässt sich in derartigen Erörterungsverfahren, wie schon aus den Einwendungen ersichtlich, nicht gewinnen. Dennoch werden in solchen Fällen gelegentlich keine Kosten und Mühen gescheut. x Die Auslegung von Unterlagen nach § 73 Abs. 2 VwVfG wird von einer, in einigen Fällen zeitraubenden, Prüfung der eingereichten Planunterlagen auf Vollständigkeit abhängig gemacht. Der Begriff des „vollständigen Planes“ in § 73 Abs. 2 VwVfG ist von § 73 Abs. 1 S. 2 VwVfG abhängig (d.h. von der Anstoßwirkung der Unterlagen zur Erhebung von Einwendungen), nicht aber davon, ob die vorgelegten Unterlagen vollständig im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung sind. Im Übrigen sind die Vorhabenträger und die Fachbehörden gut beraten, im Vorfeld der Antragstellung auf § 25 VwVfG zurückzugreifen. x Nach § 73 Abs. 3a S. 1 VwVfG haben die Behörden ihre Stellungnahme innerhalb einer von der Anhörungsbehörde zu setzenden Frist abzugeben, die drei Monate nicht überschreiten darf. Es sind wenig Fälle bekannt geworden, in welchen die Behörde eine Frist unterhalb von drei Monaten festgesetzt hätte; unbekannt sind auch die Fälle, in welchen die Planfeststellungsbehörde mit der Vorschrift des § 73 Abs. 3a S. 1 VwVfG Ernst gemacht hätte. Dies mag darauf beruhen, dass die Planfeststellungsbehörde im

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Hinblick auf die formelle Konzentrationswirkung des § 9 Abs. 1 LuftVG vom fachlichen Beitrag der Behörde die Entscheidung (materielle Entscheidungsgrundlagen) abhängig ist. x Demgegenüber sind Fälle nicht zu gelten, in welchen die Planfeststellungsbehörde gegen den Wortlaut des Gesetzes von den Fristen des § 73 Abs. 2 VwVfG (Auslegungsfrist) und § 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG (Einwendungsfrist) zugunsten der Betroffenen abgewichen sind. In allen diesen und vergleichbaren Fällen empfiehlt sich nicht eine Änderung des Gesetzes, sondern der schlichte Vollzug des Gesetzes. 2. In folgenden Bereichen könnte zur Beschleunigung des Verfahrens an gesetzliche Präzisierung oder Ergänzung gedacht werden: x Nachdem sich im Wege von Richtlinien eine vollständige Bestimmung von Unterlagen und Gutachten, die der Vorhabenträger mit seinem Antrag vorzulegen hat, nicht erreichen lassen wird, könnte § 25 VwVfG in der Weise präzisiert werden, dass ein Vorhabenträger zur Vorbereitung eines Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsantrages das Vorhaben anzuzeigen hat und mit der Anzeige der Behörde eine Übersicht über die Pläne, Stellungnahmen und Gutachten vorzulegen hat, die den Gegenstand des Vorhabens und seine Auswirkungen darstellen und die er zum Gegenstand des Verfahrens machen will. Der Behörde ist innerhalb einer Frist (etwa vier Wochen nach Zugang der Anzeige) aufgegeben, dem Vorhabenträger mitzuteilen, welche Pläne, Stellungnahmen und Unterlagen vorzulegen sind. Wenn keine Mitteilung der Behörde innerhalb dieser Frist erfolgt, hat sie die vorgelegten Unterlagen innerhalb der Frist des § 10 Abs. 2 Nr. 3 LuftVG auszulegen. x § 10 Abs. 2 Nrn. 5 und 6 LuftVG könnten zur Klarstellung dergestalt ergänzt werden, dass ein Erörterungstermin entfällt, wenn nach dem Ergebnis der eingegangenen Einwendungen keine zusätzliche Aufklärung des Sachverhaltes durch eine mündliche Erörterung zu erwarten ist. Das im Übrigen der Planfeststellungsbehörde insoweit eingeräumte Verfahrensermessen zum Absehen von einem Erörterungstermin bleibt aufrechterhalten. x Es wäre vorteilhaft, in den Vorschriften über den Erörterungstermin den Zweck des Erörterungstermins (weitere Aufklärung des Sachverhaltes auf der Grundlage der zum Vorhaben eingegangenen Stellungnahmen und Einwendungen sowie zum Zwecke der gütlichen Einigung) zu präzisieren. Dies könnte es der Behörde im Erörterungstermin gestatten, den Stoff zu strukturieren und anhand einer insoweit erstellten Tagesordnung zu erörtern. Die aktive (nicht Moderations-)Rolle der Verhandlungsführung könnte gestärkt werden; die Erörterungsfristen des § 73 Abs. 6 VwVfG (Sollvorschrift) bzw. des § 10 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG (Maßvorschrift) werden in nahezu keinem Verfahren eingehalten.

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x Die Trennung zwischen Anhörungsbehörde und Planfeststellungsbehörde hat sich nicht bewährt. Mit der Trennung von Anhörungs- und Entscheidungsbehörde ist im Verfahren ein erheblicher Zeitverlust verbunden. Zudem liegt es nahe, dass sich die Anhörungsbehörde der materiellrechtlichen Entscheidungsgegenstände (zumindest mit Empfehlungen) annimmt; hierzu ist sie jedoch nach der im Gesetz angelegten Kompetenz nicht zuständig. In diesem Zusammenhang sollte auch auf den in § 73 Abs. 9 VwVfG erwähnten Abschlussbericht verzichtet werden, dessen Erstellung durch die Anhörungsbehörde einen im Verhältnis zur Bedeutung des Abschlussberichtes für die Entscheidung unverhältnismäßigen Zeitbedarf bewirkt. Die gesetzlichen Fristen zur Abgabe des Anhörungsberichtes, § 10 Abs. 2 Nr. 5 LuftVG, § 73 Abs. 9 VwVfG werden auch bei kleineren Verfahren regelmäßig nicht eingehalten. x § 40 Abs. 1 Nr. 10b LuftVZO (lärmmedizinisches Gutachten) ist angesichts des Inkrafttretens des Fluglärmgesetzes und der 1. und 2. Fluglärmschutzverordnung zu streichen. x Es ist zu begrüßen und dient der Verfahrenskonzentration ebenso wie der Verfahrensbeschleunigung, wenn § 10 Abs. 2 Nr. 3 LuftVG ebenso wie § 73 Abs. 4 VwVfG und § 2 Abs. 3 des Umweltrechtsbehelfsgesetzes alle Einwendungen im Verwaltungsverfahren wie auch im Gerichtsverfahren ausschließen, die nicht rechtzeitig im Verwaltungsverfahren geltend gemacht worden sind. 3. Nach § 8 Abs. 6 LuftVG ist die Genehmigung nach § 6 LuftVG nicht Voraussetzung für ein Planfeststellungsverfahren oder ein Plangenehmigungsverfahren. Trotz dieser Konzentration der Entscheidung in verfahrensrechtlicher und gerichtlicher Hinsicht auf die Planfeststellung eines planfeststellungspflichtigen Vorhabens verbleiben Fragen: x Die Anpassung der luftrechtlichen Genehmigung Die Entscheidungskonzentration der Planungsentscheidung auf den Planfeststellungsbeschluss bringt es mit sich, dass nach § 6 Abs. 4 S. 1 LuftVG die luftrechtliche Genehmigung zu ergänzen oder zu ändern ist, wenn dies nach dem Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens notwendig ist. Die Anpassung luftrechtlicher Genehmigungen nach § 6 Abs. 4 S. 1 LuftVG wirft jedoch bis heute immer wieder die Frage auf, ob eine Anpassung der Genehmigung nach § 6 Abs. 4 S. 1 LuftVG ebenso der Beteiligung Dritter bedarf wie eine Änderung der Genehmigung nach § 6 Abs. 4 S. 2 LuftVG. Nachdem die abschließende Planungsentscheidung mit der luftrechtlichen Planfeststellung getroffen wird, ist im Rahmen einer Anpassung nach § 6 Abs. 4 S. 1 LuftVG für eine Planungsentscheidung auf der Ebene luftrechtlicher Genehmigung kein Platz mehr. Um dies klarzustellen und weitere

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Diskussionen auszuschließen, sollte in § 8 LuftVG geregelt werden, dass mit dem Planfeststellungsbeschluss im Falle des Erfordernisses zugleich die luftrechtliche Genehmigung zu ändern ist. Dies entspricht der gesetzgeberischen Vorgabe des § 8 Abs. 6 bzw. des § 8 Abs. 4 LuftVG. x Der Bauschutzbereich Zugleich könnte hierdurch sichergestellt werden, dass mit der Planfeststellung (auf der Grundlage der angepassten Genehmigung) auch der Bauschutzbereich nach § 12 Abs. 1 LuftVG festgesetzt werden kann. Bei der gegenwärtigen Rechtslage muss erst die Anpassung der luftrechtlichen Genehmigung nach § 6 Abs. 4 S. 1 durchgeführt werden, um mit der Anpassung der Genehmigung auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 S. 1 LuftVG den Bauschutzbereich festlegen zu können. In diesem Zusammenhang ist auch zu überprüfen, ob § 42 Abs. 3 LuftVZO gestrichen werden kann; nach dieser Vorschrift ist „mit der Genehmigung die Festlegung des Ausbauplanes zu verbinden“. Auch im Hinblick auf den „Ausbauplan“ wird darum gestritten, ob es sich bei der Festsetzung des Ausbauplanes um eine (rechtsmittelfähige) Planungsentscheidung zu Lasten Dritter handelt. Nachdem die Planungsentscheidung verbunden mit der Rechtsfolge der Anpassung der luftrechtlichen Genehmigung (bislang: § 6 Abs. 4 S. 1 LuftVG) und der Ausweisung des (Grundlage des Ergebnisses des Planfeststellungsbeschlusses) zu ändernden Bauschutzbereiches die abschließende Planungsentscheidung ist, konzentriert sich auch insoweit der planungsrechtliche Teil sowie die Rechtsmittelfähigkeit auf den Planfeststellungsbeschluss. Dies hat in verfahrensrechtlicher Hinsicht zur Folge, dass der Planfeststellungsbeschluss alle mit der Ausweisung eines Bauschutzbereiches verbundenen Folgen in seine Abwägung (Problembewältigung) mit einzustellen hat. Demzufolge werden in den bisherigen Planfeststellungsanträgen in den Planfeststellungsunterlagen (nachrichtlich) die Pläne nach § 40 LuftVZO einschließlich des Bauschutzbereiches beigefügt. Wenn aber die Planfeststellungsbehörde die Auswirkungen des Vorhabens durch den Bauschutzbereich in die Abwägung einzustellen hat, sollten auch die Folgen eines Bauschutzbereiches (§ 12, insbesondere § 16 LuftVG) in der Planfeststellung bewältigt werden können. Dies betrifft namentlich Eingriffe, die naturschutzrechtlich oder auch denkmalschutzrechtlich einer Zulassung nach den Fachgesetzen bedürfen und nach diesen auch Auflagen zum Ausgleich unterliegen. x Die Unternehmergenehmigung und ihre Umschreibung Die Bestandteile der luftrechtlichen Unternehmergenehmigung nach § 6 LuftVG, wie sie sich aus den im Gewerberecht nachgebildeten Vorschriften des § 40 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 LuftVZO ergeben, unterliegen nicht der Konzentration der Entscheidung nach § 8, § 9 LuftVG, da sie keine Planungs-

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entscheidung enthalten. Damit aber unterliegen Änderungen der Genehmigung in diesem Bereich einem „normalen“ von den planungsrechtlichen Gehalten unabhängigen Änderungsverfahren. Es kann daran gedacht werden zur Klarstellung § 6 LuftVG auch in seinem verfahrensrechtlichen Gehalt in einen ausschließlich die Unternehmergenehmigung betreffenden Teil einerseits und einen die planerischen Gehalte auf der anderen Seite umfassenden Teil aufzuspalten. Änderungen der Unternehmergenehmigung bedürfen keiner Öffentlichkeitsbeteiligung. x Der gesicherte Bestand Das Bundesverwaltungsgericht leitet in seiner Rechtsprechung aus dem Charakter der luftrechtlichen Planfeststellung als umfassender Planungsentscheidung die Befugnis und die Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde her, auf den Flugbetrieb bezogene luftrechtliche Genehmigungen nach § 6 Abs. 4 S. 1 LuftVG entsprechend dem Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens zu ändern. Damit steht die Betriebszulassung nach § 6 LuftVG unter dem permanenten Vorbehalt einer späteren Planänderung. Immerhin handelt es sich bei einer Betriebszulassung eines Flughafens auf der Grundlage von § 6 LuftVG um eine Planungsentscheidung, auf die – soweit sie bestandskräftig geworden ist – der Flughafenunternehmer vertrauen kann. Gegen den in dieser Weise zugelassenen Verkehr können Klagen auf Teilwiderruf nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nur als Ultima Ratio und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 S. 4 LuftVG Erfolg haben. Wird dies berücksichtigt, sind im Falle einer Planänderung in die Abwägung nach § 8 Abs. 1 S. 2 LuftVG nicht nur die Lärmauswirkungen des zu ändernden Vorhabens einzustellen, das Abwägungsgebot verlangt auch, dass auf den bestandskräftig zugelassenen Flugbetrieb (Position des Flughafenbetreibers) Bedacht genommen wird. Dies muss umso mehr gültig sein, wenn der Fortbestand des bisher zugelassenen Betriebes Grundlage und Planungsziel der Planänderung ist. Der bestandskräftig zugelassene Betrieb als abwägungserheblicher Belang sollte bei einer Novellierung des Luftverkehrsgesetzes in § 8 bzw. § 6 LuftVG besonders erwähnt werden, verbunden mit einer Regelung, dass in eine bestandskräftige Genehmigung auch auf der Grundlage von § 6 Abs. 4 S. 1 LuftVG nur bei dem Vorliegen besonderer Umstände eingegriffen werden kann. Diese Gründe wären, wenn über § 6 Abs. 2 S. 3 LuftVG hinausgegangen werden sollte, zu definieren. Dies ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, da bei der Abwägung der widerstreitenden Belange nach § 8 Abs. 1 S. 3 LuftVG die Abwägungsgrenze nach § 9 Abs. 2 LuftVG, jenseits derer der „Eingriff“ nicht folgenlos bleiben darf, durch § 13 Fluglärmgesetz, also die Maßnahme nach dem Fluglärmschutzgesetz, bestimmt ist. Darüber hin-

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aus macht § 8 Abs. 1 S. 3 LuftVG die Werte des Fluglärmschutzgesetzes zum Gegenstand der Abwägung. Bei dieser Sach- und Rechtslage müssen schon besonders schwerwiegende Umstände vorliegen, die es gestatten, in eine bestandskräftige Betriebszulassung einzugreifen. 4. Die Dauer eines luftverkehrsrechtlichen Zulassungsverfahrens hängt zunächst wesentlich davon ab, wie sich der Vorhabenträger für die Durchführung des Verfahrens organisiert und die von ihm beizubringenden Pläne und Unterlagen vorbereitet. Dem Vorhabenträger ist, ebenso wie der Behörde, der Rechtsstoff einschließlich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes grundsätzlich bekannt. Unklarheiten können auf der Grundlage von § 25 VwVfG und eines Scoping-Termins beseitigt werden. Darüber hinaus liegt es in der Hand der Behörde, ob und in welcher Weise sie die bestehenden verfahrensrechtlichen Grundlagen nebst des ihr eingeräumten Verfahrensermessens ausschöpft. 5. Planungssicherheit und Verfahrensbeschleunigung können auch dadurch erreicht werden, dass Entscheidungsgehalte der luftverkehrsrechtlichen Zulassungsentscheidung vorgelagert werden. x Die Bedarfsfeststellung Für das Luftverkehrsrecht wird nach dem Beispiel des Fernstraßenrechtes erwogen, die Bedarfsfeststellung vor die Klammer zu ziehen. Eine derartige Bedarfsfeststellung kann auf der Ebene des Bundes wie auch auf Länderebene erfolgen. Im Luftverkehrskonzept der Bundesregierung 2009 sind Elemente einer Bedarfssteuerung, jedoch ohne rechtliche Bindungswirkung, enthalten. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Planrechtfertigung ergibt sich – jedenfalls aus heutiger Sicht – keine zwingende Notwendigkeit, einer gesetzlichen Bedarfssteuerung auf Bundesoder Landesebene näher zu treten. x Die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses Regelungsbedarf auf Bundes- oder Landesebene könnte sich dann einstellen, wenn die Anforderungen an die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Wohls im Rahmen einer Abweichungsprüfung von Art. 6 FFH-Richtlinie verschärft werden. Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Wohls können sich aus gesetzlichen Vorgaben, namentlich auch bundesrechtlich oder landesrechtlich gefassten und mit verbindlicher Wirkung ausgestatteten Verkehrsplänen ergeben. x Raumordnung und Landesplanung Die Förderung der leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur (einschließlich Flughäfen) wird vom neu gefassten Raumordnungsgesetz nicht in den Blick

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genommen. Es könnte deshalb erwogen werden, die Grundsätze der Raumordnung in § 2 Abs. 2 des Gesetzes etwa dadurch zu ergänzen, dass die Standortvoraussetzungen für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die wettbewerbsfähige Entwicklung des Gesamtraumes sowie seiner Zentren und Regionen nachhaltig zu sichern und zu entwickeln sind und dass zu diesen Voraussetzungen auch eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur einschließlich der Flughäfen sowie die effiziente Verknüpfung der Verkehrsträger gehört. Eine derartige raumordnerische Vorgabe erleichtert die Abwägung nach § 8 Abs. 1 S. 2 LuftVG auch in raumordnerischer Hinsicht. Der Durchführung eines (obligatorischen) Raumordnungsverfahrens zur Änderung eines Verkehrsflughafens bedarf es schon nach geltendem Recht nicht. x Planreife und Vorarbeiten Weiterhin ist zu prüfen, ob zur Beschleunigung der Realisierung eines Ausbauvorhabens bei Vorliegen der „Planreife“ (auf der Grundlage eines vorläufigen positiven Gesamturteils) dem Vorhabenträger auf der Grundlage von § 8 Abs. 8 i.V.m. § 7 des Luftverkehrsgesetzes ein erweiterter Bereich von Vorarbeiten, auch im Hinblick auf den künftigen Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses gestattet werden kann. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Freimachung des Baugeländes (Spatenverlegung) sowie den vorgezogenen Vollzug von Auflagen, namentlich aus dem Bereich des Naturschutzes.

Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz nach der Neufassung des Luftverkehrsgesetzes Von Karsten Baumann 1

I. Einleitung Die Vorschriften des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) 2 über den Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz (§§ 12–19 LuftVG) stellen seit jeher wichtige Vorbedingungen für die Abwehr von Gefährdungen der Luftverkehrssicherheit dar, wie sie aus fehlender Hindernisfreiheit – vor allem im Nahbereich von Flugplätzen –, Störungen von Flugsicherungseinrichtungen durch die Umgebungsbebauung und fehlenden Informationen über Bauwerke und sonstige Gegenstände unterhalb von bodennah verlaufenden Instrumentenflugverfahren resultieren können. Sie verfolgen zu diesem Zweck ein gestuftes Schutzkonzept, das von besonders strengen Baubeschränkungen im Bauschutzbereich über sonstige Bauverbote bis hin zu bloßen Anzeige- und Informationspflichten (etwa im Hinblick auf die Errichtung von Bauwerken in so genannten Verfahrensschutzbereichen) reicht. 3 Mit dem Gesetz zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29.07.2009 4 haben auch die Bestimmungen über den Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz Neuregelungen erfahren, die in erster Linie mit der durch die gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen über die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums (SES-Verordnungen) gebotenen 5 und vom nationalen Gesetzgeber im Sinne eines Regelungsauftrages aufgegriffenen Trennung der so genannten ___________ 1

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder. Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.5.2007 (BGBl. I, S. 698), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 24.8.2009 (BGBl. I, S. 2942). 3 Vgl. Wysk, in: Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, § 12, Rn. 1. 4 BGBl. I, S. 2424. 5 Vgl. etwa Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 549/2004 zur Festlegung des Rahmens für die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums („Rahmenverordnung“). 2

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„regulativen Aufgaben“ von den „operativen Aufgaben“ der Flugsicherung zusammenhängen. 6 Dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung als nationale Aufsichtsbehörde über Flugsicherungsorganisationen und gesetzgeberisch vorgesehener Träger der regulativen und überwachenden Aufgaben in der Flugsicherung werden seither verschiedene Funktionen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Vorschriften über den Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz übertragen, die zuvor überwiegend dem Flugsicherungsunternehmen als dem seinerzeit umfassend mit hoheitlichen Befugnissen beliehenen Rechtsträger für sämtliche Aufgaben der Flugsicherung 7 zugeordnet waren. Anders als es bei flüchtiger Betrachtung der Neuregelungen erscheint, lassen sich die Rechtsänderungen und die damit verbundenen Rechtsanwendungsfragen jedoch nicht allein auf den Austausch von Zuständigkeiten der Flugsicherungsorganisation gegen neu geschaffene Zuständigkeiten des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung reduzieren. Vielmehr kommt hinzu, dass die auch hinsichtlich der „operativen“ Aufgaben umgestaltete Flugsicherungsarchitektur, die – zumindest im Hinblick auf die örtliche Flugsicherung an Flugplätzen – auf dem Nebeneinander verschiedener zertifizierter Flugsicherungsorganisationen beruht 8 , die Frage nach Zuständigkeitsabgrenzungen und dem bei der Anwendung der §§ 12–19 LuftVG zu beachtenden Verfahren stellt. Darüber hinaus hat die Neuregelung einmal mehr sichtbar gemacht, dass bereits die aufgrund der bisherigen Rechtslage zu praktizierende Aufgabenteilung zwischen den mit dem Vollzug der Vorschriften über den Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz befassten Behörden und sonstigen Stellen Fragen prozeduraler, aber auch materiellrechtlicher Natur aufwirft. Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, nach einem Überblick über die Neuregelungen zum Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz (II.) und der Erörterung der im Zusammenhang mit den Neuregelungen stehenden Einzelfragen (III.) die daraus abzuleitenden Folgerungen im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung bei der Errichtung von Bauwerken und sonstigen Gegenständen mit möglichen Auswirkungen auf die Hindernissituation bzw. die Funktionalität von Flugsicherungseinrichtungen zu diskutieren. Ziel ist es, durch Aufzeigen der gesetzgeberischen Konzeption eine systematische und die divergenten Zuständigkeiten wahrende Abarbeitung der in diesem Kontext zu prüfenden Be___________ 6 Vgl. die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften, BT-Drucks. 16/11608, S. 22 und 28 f. 7 Vgl. § 31b Abs. 1 LuftVG a. F. in Verbindung mit der Verordnung zur Beauftragung eines Flugsicherungsunternehmens vom 11.11.1992 (BGBl. I, S. 1928). 8 Zur verfassungsrechtlichen Ausgangslage vgl. nur Art. 87d Abs. 1 S. 2 GG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 87d) vom 29.7.2009 (BGBl. I, S. 2247). Zur einfachrechtlichen Ausgestaltung vgl. § 31f LuftVG.

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lange zu erleichtern (IV.). Der Beitrag muss sich dabei auf die zivilen Luftfahrt- und Flugsicherungsbelange beschränken und kann nicht auf die bei Betroffenheit militärischer Zuständigkeiten zu beachtenden Besonderheiten eingehen.

II. Überblick über die Neuregelungen zum Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz Die infolge der Errichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung gesetzgeberisch vorgenommenen Änderungen der Bestimmungen zum Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz sind vor allem dort zu verorten, wo bislang Aufgaben mit – nach gesetzgeberischer Auffassung – „regulativem“ Charakter vom Flugsicherungsunternehmen wahrgenommen worden sind und daher nunmehr in den Zuständigkeitsbereich der nationalen Aufsichtsbehörde zu überführen waren. Demgegenüber hat die Gründung der neuen Behörde keinerlei Verschiebungen der auf der Grundlage des Art. 87d Abs. 2 GG durch § 31 LuftVG bewirkten Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Luftverkehrsverwaltung zur Folge. Aus der schon bisher unterschiedlich starken Einbindung der für „regulative“ Flugsicherungsaspekte zuständigen Stelle resultiert demnach eine je nach Aufgabenbereich unterschiedliche Intensität der durch die Neuregelung hervorgerufenen Veränderungen. Quantitativ am unbedeutendsten fallen die Neuregelungen im Bereich des Bauschutzes (§§ 12–16a LuftVG) aus, da die Entscheidungszuständigkeiten in diesem Bereich schon bislang weit überwiegend bei den Luftfahrtbehörden der Länder angesiedelt waren und sich die Tätigkeit des Flugsicherungsunternehmens auf die Anfertigung der gemäß § 31 Abs. 3 LuftVG als Entscheidungsgrundlage dienenden gutachtlichen Stellungnahme beschränkte. Wesentliche Änderungen sind lediglich im Hinblick auf die Vorschrift über die Duldungspflicht im Hinblick auf die Kennzeichnung von Luftfahrthindernissen vorgenommen worden. Nunmehr ist die Zuständigkeit für den Erlass von Duldungsverfügungen beim Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung gebündelt und nicht mehr „der zuständigen Stelle“ übertragen. Daneben kommt dem Bundesaufsichtsamt lediglich eine Zuständigkeit für die Benehmenserteilung gegenüber den Baugenehmigungsbehörden zur Verlängerung der den Luftfahrtbehörden der Länder eingeräumten Frist zur Abgabe von Stellungnahmen in Baugenehmigungsverfahren (§ 12 Abs. 2 S. 3 LuftVG) zu. Erhebliche Änderungen im Hinblick auf Zuständigkeit, aber auch materiellrechtlichen Gehalt haben dagegen in Bezug auf die Vorschrift des § 18a LuftVG über den Schutz von Flugsicherungseinrichtungen stattgefunden. Neben der ausdrücklichen Zuweisung der Zuständigkeit im Hinblick auf eine Entscheidung (und nicht wie bisher lediglich eine Anzeige), ob Flugsicherungsein-

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richtungen durch Bauwerke gestört werden können, an das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (bisher: die für die Flugsicherung zuständige Stelle), bewirkt die Novellierung der Bestimmung – ohne dass dies an der Gesetzesbegründung als solcher abgelesen werden könnte 9 – vor allem materiellrechtliche Änderungen im Hinblick auf Tatbestandsvoraussetzungen und Regelungsausspruch der Norm. Die Vorschrift knüpft die Rechtsfolge des Bauverbotes nun ausdrücklich an eine Entscheidung der zuständigen Behörde und statuiert sie nicht wie bisher als Ergebnis einer bloßen „Anzeige“ einer Störung gegenüber der Luftfahrtbehörde des Landes. Hierauf ist an anderer Stelle vertieft zurückzukommen. 10 Die Neuregelung der Vorschrift des § 18b LuftVG über den Schutz von Instrumentenflugverfahren beschränkt sich demgegenüber im Wesentlichen auf die Anpassung der Zuständigkeiten an die neue Rechtslage, ohne dass bei diesem Anlass materiellrechtliche Änderungen vorgenommen worden sind. Der Überblick über die mit Ausnahme des § 18a LuftVG vom Umfang her eher als geringfügig erscheinenden Novellierungen verschleiert das Ausmaß der auf der Rechtsanwendungsebene auftretenden Fragestellungen, die zum Teil auf den Inhalt der Neuregelung zurückgehen, zu einem anderen Teil aber lediglich bereits seit längerem bekannte Auslegungs- und Handhabungsungewissheiten aktualisieren und – im Hinblick auf partiell geänderte Zuständigkeiten – in ein neues Licht stellen.

III. Einzelfragen des Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutzes Im Folgenden sollen daher exemplarisch wesentliche Einzelfragen aus dem Bereich des Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutzes einer vertieften Betrachtung zugeführt werden. Hierbei wird in einer je nach dem Grad der Einbindung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung abgestuften Reihenfolge vorgegangen.

___________ 9 Vgl. die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften, BT-Drucks. 16/11608, S. 28. 10 Vgl. unter III. 1. a).

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1. Entscheidungen im Rahmen des Schutzes von Flugsicherungseinrichtungen (Anlagenschutz) – § 18a LuftVG Die Vorschrift des § 18a LuftVG über den Schutz von Flugsicherungseinrichtungen zerfällt in drei Regelungskomplexe: Während sich § 18a Abs. 1 LuftVG mit dem Vorgehen im Hinblick auf geplante Bauwerke und andere Gegenstände 11 beschäftigt, betrifft Abs. 2 der Vorschrift die Handlungsoptionen, wenn Flugsicherungseinrichtungen durch bereits vorhandene Bauwerke und andere Gegenstände gestört werden. § 18a Abs. 1a LuftVG betrifft schließlich den Komplex der als Grundlage für die zu treffenden Entscheidungen unabdingbaren Datensammlung und -weitergabe im Hinblick auf Art, Standort und – standardisiert anzugebende – räumliche „Schutzbedürftigkeit“ von Flugsicherungseinrichtungen sowie Art, Standort und Ausführung der in diesen Bereichen geplanten Bauwerke. a) Erster Komplex: Entscheidungen im Hinblick auf geplante Bauwerke Die augenfälligste Änderung des § 18a Abs. 1 LuftVG besteht in der nunmehr bewirkten Koppelung des eindeutigen außenrechtswirksamen Rechtsbefehls an eine luftfahrtbehördliche Entscheidung und nicht mehr – wie bisher – an eine ihrer Rechtnatur nach zweifelhafte 12 „Anzeige“ der für die Flugsicherung zuständigen Stelle gegenüber der obersten Luftfahrtbehörde des Landes. Nunmehr lautet die Bestimmung wie folgt: „Bauwerke dürfen nicht errichtet werden, wenn dadurch Flugsicherungseinrichtungen gestört werden können. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung entscheidet aufgrund einer gutachtlichen Stellungnahme der Flugsicherungsorganisation, ob durch die Errichtung der Bauwerke Flugsicherungseinrichtungen gestört werden können. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung teilt seine Entscheidung der zuständigen Luftfahrtbehörde des Landes mit.“

Mit diesem Wortlaut wird nicht nur die schon bisher nach herrschender Auffassung gegebene Bedeutung des § 18a Abs. 1 LuftVG als materielles Bauverbot 13 gefestigt, sondern zugleich der Rechtscharakter der diese Rechtsfolge auslösenden behördlichen Handlung eindeutiger als nach alter Rechtslage gefasst. Daneben konkretisiert die Novellierung die Tatbestandsvoraussetzung, unter welcher eine luftfahrtbehördliche Entscheidung im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Errichtung des geplanten Bauwerks ergehen kann. ___________ 11 12 13

Vgl. § 18a Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 S. 1 LuftVG. Vgl. dazu Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 18a, Rn. 2. Vgl. Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 18a, Rn. 1 f.

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aa) Voraussetzungen des materiellen Bauverbots Das materielle Bauverbot besteht, wenn durch die Errichtung des geplanten Bauwerks Flugsicherungseinrichtungen gestört werden können. Damit ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift im Hinblick auf lediglich geplante Bauwerke die bloße Möglichkeit einer Störung von Flugsicherungseinrichtungen – insbesondere von Funknavigations- und Radaranlagen – ausreichend. Die Möglichkeit einer Störung ist zwar vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung festzustellen und besteht nicht schon dann, wenn der Bauantragsteller nicht den Nachweis führt, dass Störungen unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen sind. Andererseits braucht nicht dargetan zu werden, dass die Störung und die damit verbundene (partielle) Unbenutzbarkeit der Flugsicherungseinrichtung für Navigations- oder Überwachungszwecke im Falle einer Errichtung des Bauwerks ohne jeden verbleibenden prognostische Zweifel eintreten wird. Ähnlich wie beim polizei- und ordnungsrechtlichen Gefahrenbegriff, der die Möglichkeit des Schadenseintritts für ein geschütztes Rechtsgut kennzeichnet, stehen der Grad der Wahrscheinlichkeit der Störung einer Flugsicherungseinrichtung und das dabei anzunehmende Störungsausmaß in dem Verhältnis einer negativen Korrelation 14 : Je größer das zu prognostizierende Störungsausmaß und die daraus resultierenden Folgen für die Luftverkehrssicherheit sind, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Störungseintritts zu stellen. Dies wird mit Blick auf die durch § 18a Abs. 2 LuftVG nur eingeschränkt eröffneten Möglichkeiten der Reaktion auf Störungen durch einmal errichtete Bauwerke – im Hinblick auf eine bloße Duldung einer Veränderung dieser Bauwerke – deutlich: Gesetzgeberisch ist nicht intendiert, dem Betreiber der Flugsicherungseinrichtung das Risiko aufzubürden, dass die Auswirkungen geplanter Bauvorhaben auf die bereits existente Einrichtung nicht mit der erforderlichen letzten Sicherheit prognostiziert und daher die Bauvorhaben nicht unterbunden werden können, während auf der anderen Seite im Falle eines späteren tatsächlichen Eintritts der Störung keine Möglichkeit mehr besteht, die Störquelle insgesamt zu beseitigen. Eine solche Wertung stünde in einem unauflösbaren Widerspruch zum Gesetzesziel der Vorschriften über den Bau- und Anlagenschutz – nämlich der Privilegierung der Luftverkehrssicherheits- und Flugsicherungsbelange gegenüber der Baufreiheit und anderen Eigentümerinteressen vor allem in flughafen- und anlagennahen Bereichen 15 . ___________ 14 Für das Polizei- und Ordnungsrecht vgl. exemplarisch BVerwGE 62, 36 (39); BVerwGE 88, 348 (351). 15 Vgl. hierzu im Hinblick auf den Bauschutz Wysk, in: Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, § 12, Rn. 4.

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Die Möglichkeit einer Störung muss im Falle einer negativen Entscheidung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung konkret vorliegen. Nicht ausreichend ist die bloß generell-abstrakte Möglichkeit, dass Bauwerke im Nahbereich von Flugsicherungseinrichtungen üblicherweise zu Störungen dieser Einrichtungen zu führen pflegen. 16 Dies bedeutet, dass nicht nur die Nähebeziehung des Bauvorhabens zur betroffenen Flugsicherungseinrichtung als Auslöser einer nicht ausschließbaren Gefahr von negativen Wechselwirkungen von Bedeutung ist 17 , sondern es neben dem Standort insbesondere auch auf die Dimensionierung und Bauausführung des Vorhabens ankommt. Bezugspunkt der konkreten Betrachtung bleibt jedoch die reine Möglichkeit einer Störung als eines potentiellen zukünftigen Zustandes. Diesbezüglich ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 18a Abs. 1 S. 1 LuftVG irrelevant, ob die prognostizierte Einschränkung einer Flugsicherungseinrichtung Funktionalitäten betrifft, die im Rahmen festgelegter Instrumentenflugverfahren im Sinne von § 27a LuftVO erforderlich sind. Dies gilt umso mehr, als Signale von Funknavigationsanlagen auch außerhalb festgelegter Flugverfahren zutreffend sein müssen, weil sie etwa im Rahmen von Einzelfreigaben der Flugsicherung von Bedeutung sind, der Positionsbestimmung in modernen Flächennavigationssystemen dienen und auch im Rahmen des Sichtfluges Verwendung finden. Die Möglichkeit der Störung besteht auch dann uneingeschränkt, wenn das in Frage stehende Bauvorhaben nur in Zusammenschau mit anderen, bereits errichteten Bauwerken zu den zu besorgenden Funktionalitätseinschränkungen der Flugsicherungseinrichtung führt. 18 Es genügt, dass die Umgebung der Flugsicherungseinrichtung durch das hinzu kommende Bauwerk derart verändert wird, dass hieraus die Möglichkeit von Störungen erwächst, die ohne das Vorhaben nicht zu prognostizieren sind. bb) Entscheidung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung – Rechtsnatur und Verfahren Ihrer Rechtsnatur nach stellt die Entscheidung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung ein reines Verwaltungsinternum dar, das keine Verwaltungsakt___________ 16 Dies würde dem Begriff der abstrakten Gefahr im Polizei- und Ordnungsrecht entsprechen. Zur Definition dieses Gefahrenbegriffs vgl. aus der jüngsten Rechtsprechung exemplarisch nur VG Köln, Beschl. vom 4.2.2010 – 20 L 114/10, juris, Rn. 11. 17 Diese begründet lediglich die abstrakte Störungsmöglichkeit, die nach der von den Luftfahrtbehörden der Länder durchzuführenden Vorprüfung Anlass für die Herbeiführung der Entscheidung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung sein kann. Vgl. dazu sogleich unter III. 1. a) bb). 18 Dies ist z. B. bei der Errichtung von Windenergieanlagen in so genannten „Windparks“ von Bedeutung.

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qualität aufweist und nicht selbständig angreifbar ist (vgl. § 44a VwGO). 19 Ausreichender Rechtsschutz steht dem (Bau-)Antragsteller im Hinblick auf die nach dem jeweiligen Fachrecht ergehende Entscheidung über die (Bau-)Genehmigung zu, in welcher die Entscheidung über die Möglichkeit einer Störung von Flugsicherungseinrichtungen aufgeht. Auslöser der unselbständigen Verfahrenshandlung ist die Durchführung eines (Bau-)Genehmigungsverfahrens zur Errichtung des in Rede stehenden Bauwerks, in dessen Rahmen das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung um Entscheidung ersucht wird. Die Äußerung zur Möglichkeit einer Störung wird mithin nur anlassbezogen abgegeben. Der unmittelbare Anlass wird durch eine Unterrichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung von dem Bauvorhaben durch die zuständige Luftfahrtbehörde des Landes gesetzt. Dies ergibt sich eindeutig aus § 18a Abs. 1a S. 3 LuftVG sowie im Umkehrschluss aus § 18a Abs. 1 S. 3 LuftVG wonach das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung seine Entscheidung nicht etwa dem Bauantragsteller oder der Baugenehmigungsbehörde, sondern der zuständigen Luftfahrtbehörde des Landes mitteilt. Mit der Novellierung des § 18a LuftVG werden nicht mehr die „obersten Luftfahrtbehörden“ der Länder, sondern die „zuständigen Luftfahrtbehörden“ der Länder adressiert. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Wahrnehmung der den Ländern übertragenen Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung vielfach den nachgeordneten Landesbehörden zugewiesen ist. 20 Aus dem Vorgenannten sind bereits wichtige Hinweise auf die Verfahrensgestaltung, insbesondere die Zweistufigkeit der von unterschiedlichen Luftfahrtbehörden vorzunehmenden Prüfung abzuleiten: Die zuständige Luftfahrtbehörde des Landes befindet zunächst in eigener Zuständigkeit darüber, welche Bauvorhaben dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung zur Entscheidung über die konkrete Möglichkeit einer Störung vorzulegen sind. Gemäß § 18a Abs. 1 S. 3 LuftVG betrifft dies sämtliche Bauwerke, deren Errichtung in einem vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung gemäß § 18a Abs. 1 S. 1 LuftVG festzulegenden, dreidimensional um die Anlage herum erstreckten Schutzbereich geplant ist. Nach diesem Vorprüfungsverfahren steht hinsichtlich der den Schutzbereich tangierenden Bauvorhaben die abstrakte Möglichkeit der Störung von Flugsicherungseinrichtungen fest, die eine Entscheidung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung über die konkrete Störungsmöglichkeit auslöst. Das zweistufige Verfahren dient dazu, von vornherein solche ___________ 19

Anderer Ansicht zur bisherigen Rechtslage Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 18a,

Rn. 2. 20 So ausdrücklich die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften, BT-Drucks. 16/11608, S. 29.

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Bauvorhaben aus der Prüfung auszuscheiden, bei denen bereits abstrakt keine Möglichkeit einer Störungsverursachung besteht. 21 Die Entscheidung über die konkrete Möglichkeit einer Störung von Flugsicherungseinrichtungen wird vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung gemäß § 18a Abs. 1 S. 2 LuftVG auf der Grundlage einer gutachtlichen Stellungnahme der Flugsicherungsorganisation getroffen. Angesichts des nunmehr gemeinschaftsrechtlich begründeten und verfassungsrechtlich abgesicherten Nebeneinanders unterschiedlicher zertifizierter Flugsicherungsorganisationen bleibt der Wortlaut der Vorschrift die Erklärung schuldig, welche Flugsicherungsorganisation die gutachtliche Stellungnahme abzugeben hat. Da vorliegend mit der Möglichkeit einer Störung der Flugsicherungseinrichtung eine rein technisch-anlagenbezogene Fragestellung zu beantworten ist und es nicht auf Einzelfragen im Hinblick auf das „Wie“ der betrieblichen Nutzung der Einrichtung ankommt, ist die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass mit „Flugsicherungsorganisation“ diejenige Organisation gemeint ist, welche die Einrichtung als die für den Navigations- bzw. Überwachungsdienst im Sinne des § 27c Abs. 2 S. 1 Nr. 3 bzw. 4 LuftVG zuständige Stelle betreibt. Dies kann angesichts der Eigenschaft von Navigations- und Überwachungsdiensten als so genannte Unterstützungsdienste für die Flugsicherung im Sinne von § 27c Abs. 2 S. 2 LuftVG nur der – ggf. mit dem Erbringer der Flugverkehrsdienste personenidentische – so genannte Unterstützungsdienstleister sein, während insoweit 22 unerheblich ist, von welchen Flugsicherungsorganisationen die Einrichtung betrieblich genutzt wird. Hierauf kommt es im Rahmen einer reinen Funktionalitätsprognose nicht an. Ist versäumt worden, die Entscheidung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung herbeizuführen und zeigt sich nach Errichtung des Bauwerks, dass dieses tatsächlich zu Störungen einer Flugsicherungseinrichtung führt, ist das Bauwerk materiell baurechtswidrig errichtet worden. Bestandsschutz kann vom Bauwerkseigentümer oder -berechtigten in diesem Falle nicht in Anspruch genommen werden, so dass sich die betroffene Flugsicherungsorganisation nicht auf die deutlich schwächeren Reaktionsmöglichkeiten des § 18a Abs. 2 LuftVG im Hinblick auf (rechtmäßig errichtete) Bestandsbauwerke verweisen zu lassen braucht. In den Genuss der dadurch verschafften Privilegierung kann das Bauwerk nicht gelangen, da es unter Verstoß gegen das materielle Bauverbot errichtet worden ist. Diese Rechtsfolge geht aus dem Wortlaut des § 18a Abs. 1 ___________ 21

Auch ICAO EUR Doc 015, Europäisches Anleitungsmaterial zum Umgang mit Anlagenschutzbereichen, erste Ausgabe 2004, sieht daher unter Ziff. 4 ein Vorprüfungsverfahren vor. 22 Anders ist dies im Rahmen der gemäß § 31 Abs. 3 LuftVG von den Flugsicherungsorganisationen abzugebenden gutachtlichen Stellungnahmen zu beurteilen. Vgl. dazu unter III. 4. b).

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LuftVG zwar nur unzureichend hervor, ergibt sich aber unschwer aus dem systematischen Kontext der Gesamtvorschrift. b) Zweiter Komplex: Entscheidungen im Hinblick auf bereits existente Bauwerke Mit dem materiellen Bauverbot des § 18a Abs. 1 LuftVG kann lediglich einer unter Anlagenschutzgesichtspunkten drohenden Verschlechterung des Status quo begegnet werden. Insbesondere können damit keine Störungen beseitigt werden, die von einer Bestandsbebauung im Umfeld von Flugsicherungseinrichtungen ausgehen. Konflikte dieser Art unterfallen der Anwendung des § 18a Abs. 2 LuftVG. Die Vorschrift lautet wie folgt: „Die Eigentümer und anderen Berechtigten haben auf Verlangen des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung zu dulden, dass Bauwerke, die den Betrieb von Flugsicherungseinrichtungen stören, in einer Weise verändert werden, dass Störungen unterbleiben. Das gilt nicht, wenn die Störungen durch Maßnahmen der Flugsicherungsorganisation mit einem Kostenaufwand verhindert werden können, der nicht über dem Geldwert der beabsichtigten Veränderung liegt.“

Augenfälliger Unterschied zur Bestimmung des § 18a Abs. 1 LuftVG ist die Tatsache, dass Maßnahmen gegen bestehende Bauwerke und andere Gegenstände sowohl in tatbestandlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die rechtsfolgenseitige Verhältnismäßigkeit besonderen Anforderungen unterliegen, die Ausdruck des grundsätzlich in Rechnung zu stellenden baurechtlichen Bestandsschutzes sind. In tatbestandlicher Hinsicht ist die bloße Möglichkeit einer Störung für ein Einschreiten gegen ein existentes Bauwerk nicht ausreichend. Neben den höheren normativen Rechtfertigungsvoraussetzungen ist hierfür ausschlaggebend, dass bereits keine Notwendigkeit besteht, insoweit auf eine mit prognostischen Unsicherheiten behaftete Entscheidung zurückzugreifen: Im Hinblick auf eine Bestandsbebauung lassen sich etwaige Störungen von Flugsicherungseinrichtungen z. B. durch Messungen nachweisen. Erst wenn Störungen tatsächlich vorliegen, besteht Anlass, Maßnahmen zur Störungsbeseitigung zu ergreifen. Da es nur auf das tatsächliche Vorliegen einer Störung ankommt, ist im Rahmen der Anwendung des § 18a Abs. 2 LuftVG unerheblich, wo das störende Bauwerk belegen ist. Da keine Prognoseentscheidung anzustellen ist, bedarf es keiner Eingrenzung der zu prognostizierenden Sachverhalte durch einen Anlagenschutzbereich. Aus demselben Grund findet keine Vorprüfung der abstrakt konfligierenden Umgebungsnutzungen, sondern sogleich eine anlassbezogene Prüfung der konkret in Frage stehenden Auswirkungsfaktoren durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung statt.

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Auf Rechtsfolgenseite ist der Ausnahmecharakter eines Einschreitens gegen bereits vorhandene Umgebungsnutzungen im Nahbereich von Flugsicherungseinrichtungen zu berücksichtigen. 23 Hieraus folgt zum einen, dass sich die Duldungspflicht des Bauwerkseigentümers oder sonst Berechtigten lediglich auf die Veränderung des Bauwerks, nicht aber dessen Beseitigung erstreckt. Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass eine Duldungsverfügung in besonders gelagerten Fällen nicht auch enteignende Wirkung haben kann, indem die Funktionalität von Bauwerken durch die zu duldenden Veränderungen faktisch aufgehoben wird. Zum anderen konkretisiert § 18a Abs. 2 LuftVG mit dem Vorbehalt, dass die Störungen nicht durch die Flugsicherungsorganisation mit einem den Geldwert der zu duldenden Veränderung nicht übersteigenden Kostenaufwand zu beseitigen sein dürfen, allgemeine Verhältnismäßigkeitsanforderungen. Schließlich ist auch der Umstand, dass sich der an den Bauwerkseigentümer oder Berechtigten gerichtete Normbefehl überhaupt nur auf die Duldung von Veränderungsmaßnahmen, nicht aber auf die Vornahme von Veränderungen erstreckt 24 , Ausdruck der strengen Beschränkung des Eingriffs in die durch den baurechtlichen Bestandsschutz verstärkten Eigentümer- und Berechtigteninteressen auf das zur Störungsbeseitigung Erforderliche. c) 3. Komplex: Datensammlung und gegenseitige Information Das in § 18a Abs. 1 LuftVG intendierte Zusammenwirken von Luftfahrtbehörden der Länder, Flugsicherungsorganisationen und Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung im Verfahren der Entscheidung, ob Flugsicherungseinrichtungen durch Bauvorhaben möglicherweise gestört werden können, setzt eine gegenseitige Kenntnis der relevanten Tatsachen – sowohl im Hinblick auf die Standorte der Flugsicherungseinrichtungen und deren Anlagenschutzbereiche als auch hinsichtlich der Tatsache und genauen Verortung von Bauvorhaben – voraus. Diesem Zweck dienen die in § 18a Abs. 1a LuftVG kodifizierten Unterrichtungs- und Meldepflichten. Dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung kommt im Hinblick auf die Daten über Flugsicherungseinrichtungen sowie die um diese Einrichtungen herum definierten Schutzbereiche eine wichtige Bündelungsfunktion zu: Nach der gesetzgeberischen Konzeption melden die Flugsicherungsorganisationen 25 dem ___________ 23

Vgl. hierzu die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (neuntes Änderungsgesetz) vom 27.11.1979, BT-Drucks. 8/3431, S. 11. 24 Zur Parallelsituation in § 16a Abs. 1 LuftVG vgl. unter III. 3. a). 25 Nach dem oben Genannten ist zu berücksichtigen, dass Flugsicherungseinrichtungen von einer Mehrzahl von Flugsicherungsorganisationen betrieben werden und der gesetzgeberisch verwendete Singular daher irreführend ist.

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Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung die Standorte ihrer Flugsicherungseinrichtungen nebst Schutzbereichen. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung führt diese Informationen zusammen und teilt sie länderspezifisch den zuständigen Luftfahrtbehörden der Länder mit. Die Erfüllung dieser Aufgabe kann durch die Zurverfügungstellung datenbankbasierter Lösungen erheblich beschleunigt und erleichtert werden. Die hierfür erforderlichen technischen Voraussetzungen werden derzeit vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung geprüft. Den zuständigen Luftfahrtbehörden der Länder obliegt ihrerseits die Unterrichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung über die Planung von Bauwerken innerhalb der ihnen mitgeteilten Anlagenschutzbereiche. Auch wenn das LuftVG hierzu schweigt – und mangels gesetzgeberischer Regelungsbefugnis für die nach Landesrecht ablaufenden Baugenehmigungsverfahren schweigen muss –, ist evident, dass die Landesluftfahrtbehörden ihrerseits die Informationen über Bauvorhaben von den zuständigen Bau-Genehmigungsbehörden der Länder erlangen. Dies ist durch eine entsprechende Gestaltung der Bau-Genehmigungsverfahren landesrechtlich sicherzustellen. Das Gesetz äußert sich nicht zu den Einzelheiten des Datenaustausches, insbesondere nicht zur Frage des Datenformats (z. B. Bezeichnung von Einrichtungsstandorten bzw. geplanten Bauwerken durch koordinatenmäßige oder katastermäßige Bestimmung). Sie bleiben der Ausgestaltung des im Zusammenwirken der beteiligten Behörden zu führenden Verwaltungsverfahrens vorbehalten. Aus den Datensammlungs- und Unterrichtungsprozessen ist die deutlich artikulierte gesetzgeberische Vorstellung zu entnehmen, die vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung zu beurteilenden Bauvorhaben im Rahmen einer von den Luftfahrtbehörden der Länder durchzuführenden Vorprüfung dergestalt zu bestimmen, dass nur solche Planungen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen sind, die sich im Schutzbereich einer Flugsicherungseinrichtung befinden und hinsichtlich derer damit zumindest abstrakt die Möglichkeit einer Störung besteht. Diese abstrakte Möglichkeit ist allein aus der Nähebeziehung zwischen Anlage und geplantem Bauwerk herzuleiten. Nach der normativen Konzeption umfasst die Vorprüfung nicht mehr als diesen schematischen Abgleich. Ihr kommt aber eine in praxi wesentliche Filterfunktion zu, die überhaupt erst die sinnvolle, zügige und ressourcenschonende Durchführung der dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung obliegenden eingehenden Prüfung der konkreten Möglichkeit von Störungen ermöglicht. Die Vorprüfung ist damit unverzichtbarer Bestandteil des Verfahrensgangs.

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2. Maßnahmen im Rahmen des Verfahrensschutzes – § 18b LuftVG Die Vorschrift des § 18b LuftVG über den Schutz von Instrumentenflugverfahren verfolgt den Zweck, potentielle Gefahren zu erkennen, die im Hinblick auf die „Fliegbarkeit“ dieser Flugverfahren in flughafennahen Bereichen durch Luftfahrthindernisse drohen, um hierauf ggf. durch Anpassungen der Flugverfahren reagieren zu können. Instrumentenflugverfahren bedürfen dieses Schutzes, weil das Freibleiben von Hindernissen mangels Außensicht nicht vom Luftfahrzeugführer sicherzustellen ist, sondern durch die Ausweisung von Verfahrensbereichen um die mit dem jeweiligen Flugverfahren beabsichtigten Ideallinien herum garantiert werden muss. Die Bestimmung dieser Bereiche ist verfahrensabhängig und wird nach Maßgabe des ICAO Doc 8168 (PANSOPS) 26 vorgenommen. a) Regelungsgehalt des § 18b LuftVG Bereits bei flüchtiger Betrachtung wird deutlich, dass § 18b LuftVG lediglich eine Ergänzungsfunktion zu den Vorschriften über den Bauschutzbereich erfüllt. Mit den durch die Festlegung des Bauschutzbereichs im Sinne des § 12 LuftVG verbundenen Baubeschränkungen in Flughafennähe und vor allem in den An- und Abflugsektoren der Start- und Landebahn(en) werden die Instrumentenan- und -abflugverfahren ganz überwiegend ausreichend geschützt. Lediglich die Verfahrensbereiche einiger Nichtpräzisionsanflugverfahren sind aufgrund der bei diesen Verfahren fehlenden Vertikalführung so groß bemessen, dass sie partiell über den festgelegten Bauschutzbereich hinausreichen. 27 Der Normbefehl des § 18b Abs. 1 LuftVG ist missverständlich formuliert. Die Vorschrift bestimmt: „Bauwerke dürfen in den Bereichen, die für die Einrichtung und Überwachung von Verfahren für Flüge nach Instrumentenflugregeln aus Gründen der Hindernisfreiheit zu bewerten sind, nur errichtet werden, wenn die zuständige Luftfahrtbehörde zuvor über das Vorhaben informiert wurde.“

Wenngleich der erste Halbsatz der Bestimmung wie ein Bauverbot formuliert ist und aus diesem Grunde in der Kommentarliteratur mitunter als Baubeschränkung, d. h. als materielles Baurecht, verstanden wird 28 , wird lediglich ___________ 26 ICAO Doc 8168 Procedures for Air Navigation Services – Volume II: Construction of Visual and Instrument Flight Procedures, fifth edition 2006. 27 Vgl. zum Ganzen die Empfehlungen des Ausschusses für Verkehr und Post, des Finanzausschusses und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten zum Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes, BR-Drucks. 611/97, S. 2 f. 28 In diesem Sinne wohl Giemulla, in: Giemulla/Schmid, LuftVG, § 18b (ohne Rn.).

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eine Informationsverpflichtung des Bauantragstellers gegenüber der zuständigen Luftfahrtbehörde 29 statuiert. Gesetzgeberisch ist nicht intendiert gewesen, über diese Informationspflicht hinaus Einfluss auf die Umgebungsbebauung von Flugplätzen außerhalb der Bauschutzbereiche zu nehmen.30 Dem beabsichtigten Informationszweck genügt jedoch die Einführung einer Handlungspflicht im Sinne einer bloßen Ordnungsvorschrift. Nicht erforderlich ist hierfür die Koppelung des materiellen Baurechts an die Pflichterfüllung, zumal die Information der zuständigen Luftfahrtbehörde in praxi ohnehin nicht durch den Bauantragsteller, sondern die Baugenehmigungsbehörde als Verfahrensbestandteil des jeweiligen Genehmigungsverfahrens erfolgen wird. b) Zuständigkeiten und Verfahren Zur Entgegennahme der Information ist die sachlich und örtlich für den jeweiligen Flugplatz zuständige Luftfahrtbehörde des Landes berufen. Dies ergibt sich bereits aus dem systematischen Vergleich zwischen den Absätzen 1 und 2 der Vorschrift. Wenn die Unterrichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung über die in Verfahrensschutzbereichen geplanten Bauvorhaben gemäß § 18b Abs. 2 S. 2 LuftVG durch die zuständige Landesluftfahrtbehörde erfolgt, ist damit beantwortet, dass diese Behörde die „zuständige Luftfahrtbehörde“ im Sinne des § 18b Abs. 1 LuftVG ist, welche ihrerseits über die Planungen informiert werden muss. Mit der Neufassung des § 18b LuftVG im Rahmen der Errichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung ist – wie bei § 18a LuftVG – dem Umstand Rechnung getragen worden, dass landesrechtlich vielfach nicht die obersten Behörden, sondern nachgeordnete Behörden für derartige Aufgaben zuständig sind. Auch der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden ist an das Modell des § 18a LuftVG angelehnt worden. Gemäß § 18b Abs. 2 LuftVG unterrichtet das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung die zuständigen Luftfahrtbehörden der Länder über die Verfahrensschutzbereiche. Auch wenn es aus dem Wortlaut nicht unmittelbar hervorgeht, erfordert dies – ähnlich wie bei § 18a Abs. 2 LuftVG –, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung seinerseits von den für die Planung (nicht Festlegung 31 ) von Flugverfahren zuständigen Flugsicherungsorganisationen 32 über die Verfahrensschutzbereiche infor___________ 29

Zur Zuständigkeit sogleich unter III. 2. b). Vgl. die Empfehlungen der Ausschüsse (Fn. 25), BR-Drucks. 611/97, S. 2 f. 31 Diese Aufgabe ist gemäß § 27a Abs. 2 S. 1 LuftVO dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung zugewiesen. 32 Die Planung von Flugverfahren wird regelmäßig ausschließlich die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH betreffen, die auf der Grundlage des § 31b Abs. 1 LuftVG in Verbindung mit § 27c Abs. 2 S. 1 Nr. 1 LuftVG und § 1 FS-AuftragsV die Anflugkontroll30

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miert wird. Nur so kann es diese Informationen bündeln und den zuständigen Luftfahrtbehörden jeweils länderspezifisch zur Verfügung stellen. Allein die Flugsicherungsorganisationen verfügen über die notwendigen Kenntnisse über den Zuschnitt der Verfahrensschutzbereiche. 33 Die zuständigen Luftfahrtbehörden der Länder beziehen ihre Informationen über geplante Bauvorhaben von den Baugenehmigungsbehörden der Länder. Auf die entsprechenden Ausführungen zu § 18a LuftVG wird verwiesen. 34 Auch wenn § 18b Abs. 2 LuftVG dies nicht ausdrücklich bestimmt, versteht sich unter Beachtung von Sinn und Zweck der Vorschrift von selbst, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung die von den Landesluftfahrtbehörden erhaltenen Informationen über die in Verfahrensschutzbereichen geplanten Bauvorhaben an die entsprechende Flugsicherungsorganisation weiterleitet. Ansonsten würde die mit der Vorschrift verfolgte Information der die Flugverfahren operationell umsetzenden Flugsicherungsorganisation vereitelt. Dass dieser letzte und entscheidende Informationsweitergabeschritt nicht explizit in § 18b LuftVG erwähnt ist, erklärt sich aus der Tatsache, dass nach bisheriger Gesetzeslage die Flugsicherungsorganisation Empfängerin der Meldungen seitens der Landesluftfahrtbehörden gewesen ist. Einer Weitergabe bedurfte es daher nicht. Die Flugsicherungsorganisation hat als Planungsträger im Hinblick auf Flugverfahren zu entscheiden, ob derartige Verfahren durch die Vorhaben beeinträchtigt werden können und daher ggf. anzupassen sind. 35 Die Planung geänderter Flugverfahren ist dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung zuzuleiten, das gemäß § 27a Abs. 2 S. 1 LuftVO über eine entsprechende Festlegung mittels Durchführungsverordnung zur LuftVO oder Änderungsverordnung entscheidet.

___________ dienste auch im Hinblick auf Flugplätze wahrnimmt, an denen die örtliche Flugsicherung auf der Grundlage des § 31f LuftVG durch eine andere Flugsicherungsorganisation durchgeführt wird. Vgl. dazu eingehend unter III. 4. b). Als Annex zur Durchführung der Anflugkontrolle ist damit auch die Planung der Flugverfahren dieser Flugsicherungsorganisation zuzuordnen. 33 So schon die Empfehlungen der Ausschüsse (Fn. 25), BR-Drucks. 611/97, S. 3, zur Vorgängervorschrift. 34 Vgl. unter III. 1. b). 35 Vgl. die Empfehlungen der Ausschüsse (Fn. 25), BR-Drucks. 611/97, S. 3, zur Vorgängervorschrift.

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3. Entscheidungen im Hinblick auf die Kennzeichnung errichteter Luftfahrthindernisse – § 16a LuftVG Die Zuständigkeiten des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung im Bauschutz (im weiteren Sinne) beschränken sich im Wesentlichen auf den Erlass von Duldungsverfügungen im Hinblick auf die Duldung der Kennzeichnung von Bauwerken und anderen Gegenständen gemäß § 16a Abs. 1 S. 1 LuftVG sowie die Entgegennahme von Anzeigen über die Errichtung, das Bestehen oder den Abbau von Freileitungen, Seilbahnen oder ähnlichen Anlagen unter der Voraussetzung des § 16a Abs. 1 S. 2 LuftVG. a) Normzweck und Reichweite der Bestimmung Normzweck des § 16a Abs. 1 S. 1 LuftVG ist es, außerhalb von Bauschutzbereichen Gefahren für den Luftverkehr abzuwehren, die durch Bauwerke unterhalb der zulässigen Höhen – welche deshalb nicht gemäß § 16 LuftVG abgetragen werden können – verursacht werden. Anlass hierfür besteht vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auch außerhalb der An- und Abflugbereiche Unterschreitungen der Sicherheitsmindesthöhe gemäß § 6 Abs. 4 und 6 LuftVO unter bestimmten Voraussetzungen möglich sind. Dies betrifft vor allem militärische Tiefflüge und Flüge im Such- und Rettungseinsatz. 36 Die inhaltliche Beschränkung der Duldungspflicht auf die Kennzeichnung ist Ausdruck der unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gebotenen Beschränkung des normativ begründeten Eingriffs auf das zur Störungsbeseitigung Erforderliche und Angemessene. Da Unterschreitungen der Sicherheitsmindesthöhe Ausnahmecharakter zukommt, wäre eine (ggf. großflächige) Einkürzung von Bauwerken vor diesem Hintergrund unverhältnismäßig. Die Abtragung von Bauwerken ist daher nur in Fällen von Durchdringungen der zulässigen Höhen unter den Voraussetzungen des § 16 LuftVG zulässig. Die Vorschrift des § 16a LuftVG bezieht sich nur auf bereits existente Bauwerke und andere Gegenstände. Aus ihr ist keine Ermächtigung für etwaige Auflagen im Hinblick auf Bauvorhaben herzuleiten, auch wenn auf die Bestimmung in praxi vielfach zu diesem Zweck zurückgegriffen wird. In diesen Fällen kann eine Verpflichtung des Bauherrn oder sonstigen Vorhabensträgers – die sich im Übrigen auf die Vornahme bestimmter Kennzeichnungsmaßnahmen beziehen würde – allein aus dem jeweils anwendbaren Bau- oder sonsti___________ 36 Vgl. hierzu die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (neuntes Änderungsgesetz) vom 27.11.1979, BT-Drucks. 8/3431, S. 11.

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gen Fachrecht ergeben. Für eine daneben anzuordnende Duldung ist in einer derartigen Konstellation kein Raum. Wenngleich § 16a Abs. 1 S. 1 LuftVG keine Vornahmepflicht im Hinblick auf die Hinderniskennzeichnung entnommen werden kann, räumt § 16a Abs. 2 LuftVG in Verbindung mit § 16 Abs. 2 LuftVG dem Bauwerkseigentümer oder dem sonst Berechtigten allerdings das Recht ein, der Duldungspflicht im Wege der Selbstvornahme der Kennzeichnung zu entgehen. Diese Selbstvornahme kann sich – worauf die Bestimmung ausdrücklich verweist – gerade aus der bau- oder fachrechtlichen Verpflichtung zu einer Durchführung – und nicht nur Duldung – bestimmter Maßnahmen zur Herstellung der Verträglichkeit des Bauwerks mit den Belangen der Luftverkehrssicherheit ergeben. Mit anderen Worten verweist das Luftverkehrsrecht auf aktive Kennzeichnungspflichten aus anderen Rechtsmaterien, begründet sie selbst aber nicht. Auch wenn es aus dem Wortlaut der Bestimmung nur unzureichend hervorgeht, entfällt mit der Durchführung der Kennzeichnungsmaßnahme im Wege der Selbstvornahme die Erforderlichkeit für die Duldung der Kennzeichnung, so dass der Erlass einer Duldungsverfügung mangels Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen ausscheidet. b) Zuständigkeiten und Prüfungsmaßstab Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut lediglich für den Erlass einer Duldungsverfügung im Hinblick auf die Kennzeichnung des Bauwerks oder sonstigen Gegenstandes zuständig. Anlass für eine Befassung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung besteht damit erst, wenn Anordnungen zur Kennzeichnung von Bauwerken und Gegenständen vom Pflichtigen nicht erfüllt werden können, weil sich der Eigentümer oder Berechtigte weigert, entsprechende Maßnahmen zu dulden. Nur in diesem Fall müssen die entgegenstehenden Interessen durch eine Duldungsverfügung überwunden werden. Diese Zuständigkeitsbegrenzung hat Rückwirkungen auf Richtung und Tiefe der vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung vor dem Erlass von Duldungsverfügungen vorzunehmenden inhaltlichen Prüfung: Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wird nicht selbst dergestalt initiativ, dass es aus eigener Veranlassung fachlich untersucht, ob und ggf. welche Vorkehrungen zur Kennzeichnung von Bauwerken getroffen werden müssen, damit von ihnen keine Gefahren für tief fliegende Luftfahrzeuge ausgehen. Dies ist vielmehr Aufgabe der – militärischen oder zivilen – Stelle, welche die Kennzeichnung begehrt und zur Durchsetzung derselben gegenüber dem Bauwerkseigentümer oder Bauwerksberechtigten auf den Erlass der Duldungsverfügung angewiesen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung dem Duldungsverlangen gleichsam mechanisch stattgibt. Vielmehr folgt aus dem Wortlaut des § 16a Abs. 1 S. 1 LuftVG, der mit der Erforderlichkeit für

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die „Sicherheit des Luftverkehrs“ eine Tatbestandsvoraussetzung in Form eines unbestimmten Rechtsbegriffs vorgibt 37 , dass die – entweder von der für die Anordnung der Kennzeichnung zuständigen Behörde oder der sonstigen Stelle, welche die Kennzeichnung begehrt – bereits geprüfte und bejahte fachliche Erforderlichkeit zur Vornahme der Kennzeichnung soweit nachvollzogen werden kann, dass sie den mit der Duldungsverfügung verbundenen Eingriff in das Eigentum trägt. Da eine Duldung der Kennzeichnung auf der Grundlage des § 16a Abs. 1 LuftVG nur im Hinblick auf Bauwerke in Rede steht, welche die zulässigen Höhen nicht überschreiten, prüft das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung in diesem Zusammenhang, ob die vorstehend bezeichneten Stellen hinreichende Tatsachen dafür dargetan haben, dass in dem fraglichen Bereich aufgrund besonderer Umstände mit einer Unterschreitung der Sicherheitsmindesthöhe gerechnet werden muss und daher ein erhöhtes Kollisionsrisiko von Luftfahrzeugen mit dem Bauwerk besteht. Dabei ist das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung nicht auf die von der für die Anordnung der Vornahme zuständigen Behörde vorgebrachte fachliche Argumentation beschränkt, sondern kann die Erforderlichkeit der Duldung auch aus anderen Gesichtspunkten herleiten, sofern diese aus dem von der die Duldung begehrenden Stelle vorgetragenen Sachverhalt heraus ersichtlich sind. Dies führt zu einem Dualismus aus der im Rahmen der Entscheidung über die Vornahme der Kennzeichnung von der zuständigen Fachbehörde durchzuführenden fachlichen Prüfung und der hinsichtlich der Frage der Erforderlichkeit einer Duldung anzustellenden Beurteilung der fachlichen Argumentation durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. Er ist Folge der mit der Neufassung des § 16a Abs. 1 S. 1 LuftVG bewirkten Zuständigkeitszersplitterung. Die alte Rechtslage, wonach die jeweils „zuständige Stelle“ – d. h. die für die Anordnung der Vornahme zuständige Behörde – zugleich die Duldungsverfügung erlassen konnte, kannte diese „Doppelprüfung“ durch zwei unterschiedliche Stellen nicht. c) Anzeigepflichten Die Vorschrift des § 16a Abs. 1 S. 2 LuftVG belastet die Eigentümer von bzw. sonstigen Berechtigten an Freileitungen, Seilbahnen und ähnlichen Anlagen, die in einer Länge von mehr als 75 Metern Täler oder Schluchten überspannen oder Steilabhängen folgen und dabei die Höhe von 20 Metern über der Erdoberfläche überschreiten, mit einer Anzeigepflicht gegenüber dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. Wenngleich aus dem systematischen Zusammenhang mit S. 1 der Vorschrift geschlossen werden könnte, dass die Anzeige___________ 37

So Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 16a, Rn. 2.

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pflicht der effektiven Wahrnehmung der Aufgabe des Erlasses von Duldungsverfügungen dient, widersprechen sowohl die Entstehungsgeschichte der Vorschrift als auch Sinn und Zweck des § 16a LuftVG einer solchen Auslegung. Aus der Gesetzesbegründung zur – im Hinblick auf den Inhalt der Anzeigepflicht unveränderten – Vorgängervorschrift geht hervor, dass die Anzeigepflicht nicht zwingend der Vorbereitung von Duldungsverfügungen dient. Vielmehr nimmt die Begründung die häufige Änderung der in § 16a Abs. 1 S. 2 LuftVG genannten, zum Teil nur temporär errichteten Objekte zum Anlass, dem damit verbundenen Überraschungseffekt für Luftfahrzeugführer vorzubeugen. 38 Ihrer Zweckrichtung nach zielt die Anzeigepflicht damit nicht primär darauf, der für den Erlass von Duldungsverfügungen zuständigen Behörde eine Entscheidungsgrundlage zu liefern, sondern die Weitergabe dieser Informationen an die Flugsicherung bzw. – über Aufnahme der Informationen in Luftfahrtpublikationen – die Luftfahrzeugführer zu ermöglichen. 39 Diese Auslegung wird durch die bereits erwähnte Zweckrichtung des § 16a Abs. 1 S. 1 LuftVG bestätigt. Wird das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung nur anlassbezogen tätig, wenn der zur Vornahme einer Kennzeichnung Verpflichtete seiner Pflicht im Falle der Weigerung des Eigentümers oder Berechtigten nicht entsprechen kann und es daher einer Duldungsverfügung bedarf, setzt dies nicht die lückenlose Kenntnis des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung von sämtlichen potentiell kennzeichnungsbedürftigen Luftfahrthindernissen voraus. Die Anzeigepflicht ist damit nicht notwendige Vorbedingung für die Wahrnehmung der dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung zugewiesenen Aufgabe. Zu hinterfragen ist vor diesem Hintergrund, ob die Zuweisung der Aufgabe, Anzeigen gemäß § 16a Abs. 1 S. 2 LuftVG entgegenzunehmen, an das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung systemgerecht erscheint. Die Begründung der durch die Errichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung erforderlich gewordenen LuftVG-Novelle erblickt hierin ohne nähere Ausführungen eine „Umsetzung der SES-Verordnungen“ und damit offensichtlich eine „regulative“ Aufgabe der Flugsicherung, die nicht mehr – wie bisher – einer mit operativen Flugsicherungsaufgaben befassten Organisation zugewiesen sein kann. 40 Der Aufgabe, Luftfahrer über die errichteten Hindernisse adäquat zu informieren, kann das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung jedoch selbst nicht nachkommen, da die Herausgabe von Luftfahrtinformationen als Teil des ___________ 38 Vgl. die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (neuntes Änderungsgesetz) vom 27.11.1979, BT-Drucks. 8/3431, S. 11. 39 So auch Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 16a, Rn. 3. 40 Vgl. die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften, BT-Drucks. 16/11608, S. 28.

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Flugberatungsdienstes auch nach der Neuordnung der Flugsicherung gemäß § 17 Nr. 1 der Verordnung über die Durchführung der Flugsicherung (FSDurchführungsV) 41 den Flugsicherungsorganisationen zugewiesen ist. Die Flugsicherungsorganisationen – namentlich (vor allem im Hinblick auf die Streckennavigation) die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH – müssen daher Kenntnis von den angezeigten Sachverhalten erlangen und diese – etwa durch Aufnahme in Kartenwerke – umsetzen. Neben dem Informationszweck sind keine weiteren gesetzlichen Zielrichtungen der Anzeigepflicht aus § 16a Abs. 1 S. 2 LuftVG erkennbar. Demgemäß beschränkt sich die Aufgabe des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung hinsichtlich der anzuzeigenden Luftfahrthindernisse auf die Entgegennahme der Anzeigen und die Weiterleitung an die Flugsicherungsorganisation zum Zwecke der Publizierung. 4. Sonstige Entscheidungen und Maßnahmen im Rahmen des Bauschutzes (§§ 12, 14, 15 und 17 LuftVG) Gesetzliche Zuständigkeiten des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung im Hinblick auf Entscheidungen oder Stellungnahmen unter Hindernisgesichtspunkten bei Neuerrichtung von Bauwerken und sonstigen Gegenständen bestehen nicht. a) Luftfahrtbehördliche Zuständigkeiten Innerhalb von („echten“ und beschränkten) Bauschutzbereichen ziviler Flugplätze darf die Bau- bzw. sonstige Genehmigungsbehörde unter den Voraussetzungen der §§ 12 und 17 LuftVG die Errichtung der genannten Vorhaben nur mit Zustimmung der Luftfahrtbehörde genehmigen. Außerhalb von Bauschutzesbereichen gilt für die von den §§ 14 und 15 LuftVG erfassten Bauwerke Entsprechendes. Zuständig für die Erteilung bzw. Nichterteilung der Zustimmung sind gemäß § 31 Abs. 2 Nrn. 7 und 9 LuftVG die Luftfahrtbehörden der Länder. Sie treffen ihre Entscheidung gemäß § 31 Abs. 3 LuftVG auf der Grundlage einer gutachtlichen Stellungnahme der Flugsicherungsorganisation. 42 Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung ist auch insoweit nicht am Verwaltungsverfahren beteiligt. Seine Aufgabe erschöpft sich gemäß § 12 Abs. 2 S. 3 LuftVG in der Erteilung des Benehmens gegenüber der Baugeneh___________ 41 Verordnung vom 17.12.1992 (BGBl. I, S. 2068), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 24.8.2009 (BGBl. I, S. 2942). 42 Zur Frage der zuständigen Flugsicherungsorganisation vgl. die Ausführungen zu III. 4. b).

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migungsbehörde im Hinblick eine Verlängerung der Frist für die luftfahrtbehördliche Stellungnahme. Der Flugsicherungsorganisation selbst sind nach der gesetzgeberischen Konzeption keinerlei Entscheidungsbefugnisse eingeräumt. Vielmehr nimmt sie gemäß § 31 Abs. 3 LuftVG die Funktion einer sachverständigen Beurteilung wahr, die in die abschließende Entscheidung der Luftfahrtbehörde des jeweiligen Landes Eingang findet. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung ist ebenso wenig für die Entscheidung zuständig, ob und ggf. wie die zu errichtenden Bauwerke als Luftfahrthindernisse zu kennzeichnen sind. Diesbezüglich liegt – wie bereits gezeigt worden ist 43 – kein Anwendungsfall des § 16a Abs. 1 S. 1 LuftVG vor, der nur die Duldungspflicht hinsichtlich bereits existenter Bauwerke betrifft. Die Beurteilung, ob die Verträglichkeit des geplanten Bauwerks mit den Sicherheitsanforderungen des Luftverkehrs durch bau- oder fachrechtlich mögliche Auflagen zur (Bau-)Genehmigung – etwa im Hinblick auf eine bestimmte Gestaltung, Kennzeichnung oder Befeuerung des Bauwerks – hergestellt werden kann, ist Bestandteil der Prüfung einer Zustimmung gemäß §§ 12, 14, 15 und 17 LuftVG aufgrund der gutachtlichen Aussagen der Flugsicherungsorganisation. b) Bestimmung der für gutachtliche Stellungnahmen zuständigen Flugsicherungsorganisation Angesichts des Nebeneinanders zertifizierter Flugsicherungsorganisationen stellt sich die Frage, welche Flugsicherungsorganisation im Einzelfall für die Abgabe der gutachtlichen Stellungnahme im Sinne des § 31 Abs. 3 LuftVG zuständig ist. Dies ist insbesondere dann von praktischer Bedeutung, wenn die Beurteilung eines Bauvorhabens im Bauschutzbereich eines Flugplatzes in Rede steht, bei dem das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung keinen Bedarf für Flugsicherungsdienste im Sinne von § 27d Abs. 1 LuftVG anerkannt hat (so genannte „Regionalflughäfen“) und die Flugsicherungsdienste auf der Grundlage des § 27d Abs. 4 LuftVG von einer gemäß § 31f LuftVG beauftragten anderen Flugsicherungsorganisation als der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH durchgeführt werden. Der Begriff der Flugsicherungsorganisation ist in § 31 Abs. 3 LuftVG nicht definiert. Der Wortlaut der Vorschrift gibt insbesondere keinen Aufschluss darüber, ob hiermit nur die Flugsicherungsorganisation im Sinne von § 31b Abs. 1 LuftVG (DFS Deutsche Flugsicherung GmbH) oder zusätzlich – in den Gren___________ 43

Vgl. unter III. 3. a).

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zen des jeweiligen örtlichen Zuständigkeitsbereichs – jede gemäß § 31f Abs. 1 LuftVG mit Flugsicherungsdiensten auf „Regionalflughäfen“ beauftragte Flugsicherungsorganisation gemeint ist. 44 Allerdings kann sowohl aus der Gesetzesbegründung als auch im Hinblick auf Sinn und Zweck des § 31 Abs. 3 LuftVG neuer Fassung gefolgert werden, dass die gutachtliche Stellungnahme von der DFS als der für die An- und Abflugkontrolle (auch) im Hinblick auf „Regionalflughäfen“ zuständigen Flugsicherungsorganisation abzugeben ist. 45 Aus der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 31 Abs. 3 LuftVG 46 geht hervor, dass „für die Beurteilung der Hindernissituation an Flugplätzen … eine Einschätzung der zuständigen Flugsicherungsorganisation im Hinblick auf die Betriebsabwicklung vorzunehmen (ist).“ Die Bestimmung der Zuständigkeit wird mithin ausschließlich an die „Betriebsabwicklung“, d. h. an die Frage geknüpft, wessen betriebliche Verfahren durch die Errichtung der Luftfahrthindernisse möglicherweise beeinträchtigt werden. Dies wird durch die weitere Begründung, wonach die Flugsicherungsorganisation „als die sach- und ortskundige Stelle“ mit der Erstellung von Gutachten zu befassen ist, bestätigt. 47 Die Sachnähe ist im Hinblick auf diejenige Flugsicherungsorganisation gegeben, die für die sichere, geordnete und flüssige Abwicklung des An- und Abflugverkehrs zu bzw. von dem betreffenden Flugplatz zuständig ist. Dies kann – auch soweit „Regionalflughäfen“ betroffen sind – ausschließlich die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH sein, was sowohl unter dem Gesichtspunkt der Erbringung von Flugverkehrsdiensten als auch im Hinblick auf die Planung der vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung gemäß § 27a Abs. 2 S. 1 LuftVO festgelegten und von den Luftfahrzeugführern zu beachtenden Flugverfahren gilt: In betrieblicher Hinsicht ist die Flugsicherungsorganisation im Sinne des § 31b LuftVG für die flugsicherungsmäßige Betreuung des nach Instrumentenflugregeln an- und abfliegenden Luftverkehrs 48 bis in die unmittelbare Nähe des Flugplatzes zuständig. Während die anfliegenden Luftfahrzeuge bis in den ___________ 44 An anderen Stellen nimmt das LuftVG demgegenüber ausdrücklich auf die „nach § 31b Abs. 1 beauftragte Flugsicherungsorganisation“ Bezug und stellt damit klar, dass bestimmte Flugsicherungsaufgaben von der DFS zu erbringen sind. Vgl. etwa § 27c Abs. 2 S. 7 LuftVG. 45 Dies gilt uneingeschränkt jedenfalls, soweit keine Besonderheiten – wie etwa bei grenznahen Flughäfen – vorliegen. 46 Begründung zu Art. 2 Nr. 12 Buchst. c) des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften, BT-Drucks. 16/11608, S. 32. 47 Vgl. die Entwurfsbegründung, a.a.O. (Fn. 45). 48 Nur auf diesen kommt es im Rahmen der gutachtlichen Stellungnahme gemäß § 31 Abs. 3 LuftVG an, da hier Hindernisfreiheit zu garantieren ist, während das Freibleiben von Hindernissen im Verkehr nach Sichtflugregeln vom Luftfahrzeugführer selbst gewährleistet werden muss.

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stabilisierten Endanflug von der DFS-Anflugkontrolle betreut werden, ist diese Kontrollstelle bei Abflügen sogar unmittelbar nach dem Abheben der Luftfahrzeuge für die Flugsicherung zuständig. Der auf dem „Regionalflughafen“ für den Flugplatzkontrolldienst im Sinne von § 27c Abs. 2 Nr. 1, Buchst. a) LuftVG zuständigen Flugsicherungsorganisation verbleibt im Hinblick auf den nach Instrumentenflugregeln im Sinne der §§ 36 ff. LuftVO verkehrenden Luftverkehr demgegenüber nur die Erteilung der Lande- bzw. Startfreigabe, d. h. eine Regelung der Benutzung der Start- und Landebahn, die nicht den Anbzw. Abflug einschließt. Schon unter rein betrieblicher Sichtweise obliegt damit aus Gesichtspunkten des Sachzusammenhangs der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH die gutachtliche Beurteilung von Luftfahrthindernissen im Flugplatzumfeld. Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH aus diesem betrieblichen Kontext heraus für die Planung der (alleine von ihr umzusetzenden) An- und Abflugverfahren zuständig ist. Nur sie als Planungsträger kann beurteilen, ob und ggf. welche negativen Auswirkungen die Errichtung von Bauwerken und sonstigen Luftfahrthindernissen auf die Flugverfahren hat, weil diese Einschätzung von der detaillierten Kenntnis der den Flugverfahren zugrunde liegenden Planungsprämissen möglich ist. Nach alledem bleibt es damit nach der Neufassung des § 31 Abs. 3 LuftVG auch dann bei der Zuständigkeit der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH für die gutachtliche Stellungnahme zu Bauvorhaben, wenn Bauvorhaben im Nahbereich von „Regionalflughäfen“ betroffen sind.

IV. Folgerungen für die Verfahrensgestaltung bei der Errichtung von Bauwerken und sonstigen Gegenständen mit möglichen Auswirkungen auf die Hindernissituation bzw. die Funktionalität von Flugsicherungseinrichtungen Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass im Bereich des Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutzes für die einzelnen Teilaspekte unterschiedlichste Zuständigkeiten etabliert worden sind. Die Errichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und die damit einhergehende Differenzierung zwischen den dieser Behörde zugewiesenen Zuständigkeiten für „regulative“ Flugsicherungsaufgaben in Abgrenzung zu den bei den Flugsicherungsorganisationen verbleibenden „operativen“ Flugsicherungszuständigkeiten haben diese seit jeher bestehende Ausgangssituation weiter verschärft. Dies stellt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ein und derselbe Lebenssachverhalt sowohl unter Bau- als auch Anlagenschutzaspekten zu beurteilen sein kann, erhöhte Anforderungen an die Verfahrensgestaltung. Nur wenn der Sachverhalt zutreffend in die luftrechtlich maßgeblichen Beteiligungserfordernisse „zer-

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legt“ wird, können die jeweils zuständigen Behörden und sonstigen Stellen korrekt eingebunden werden. Im Rahmen von Genehmigungsverfahren zur Errichtung von Bauwerken und sonstigen Gegenständen mit (möglicher) Betroffenheit der Vorschriften über den Bau-, Anlagen- und Verfahrensschutz kommt daher den Luftfahrtbehörden der Länder eine wichtige Vorprüfungs-, Zuordnungs- und Bündelungsfunktion zu. Sie prüfen die von den (Bau-)Genehmigungsbehörden eingehenden Antragsunterlagen im Hinblick auf die mögliche Betroffenheit der §§ 12 ff. LuftVG und treffen – im Hinblick auf die Betroffenheit ziviler Flugsicherungsbelange – entweder selbst eine Entscheidung über die Zustimmung zur (Bau-)Genehmigung auf Grundlage einer anzufordernden gutachtlichen Stellungnahme der Flugsicherungsorganisation – hier: der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH – (Fälle der §§ 12, 14, 15 und 17 LuftVG) oder holen – sofern ein Anlagenschutzbereich betroffen ist – eine Entscheidung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung ein, die wiederum aufgrund einer gutachtlichen Stellungnahme der die Einrichtung betreibenden Flugsicherungsorganisation ergeht (Fälle des § 18a Abs. 1 LuftVG). Dies hat zur Folge, dass der primäre Adressat für die nach Landesrecht zuständigen (Bau-)Genehmigungsbehörden die zuständigen Luftfahrtbehörden der Länder sind. Die (Bau-)Genehmigungsbehörden können und müssen sich in jedem (möglichen) Beteiligungsfall an die Landesluftfahrtbehörden wenden, die entsprechend der eigenen Vorprüfung die ggf. gesetzlich geforderte Einbindung weiterer Stellen (Flugsicherungsorganisation oder Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung) vornehmen. Weitere wesentliche Erkenntnis aus dem Vorstehenden ist der Befund, dass die Flugsicherungsorganisation(en) weiterhin für die betrieblich-technische Beurteilung von Bauvorhaben unter Hindernis- oder Störungsgesichtspunkten zuständig sind. Sie werden im Rahmen der Genehmigungsverfahren jedoch nicht aus eigener Initiative oder auf Anforderung durch die Baugenehmigungsbehörde, sondern ausschließlich auf Veranlassung der zuständigen Luftfahrtbehörde – in Bauschutzfragen durch die Luftfahrtbehörde des Landes und in Anlagenschutzfragen durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung – tätig. Eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Verfahrensgestaltung stellt sicher, dass weder möglicherweise betroffene Luftfahrt- und Flugsicherungsbelange in (Bau-)Genehmigungsverfahren übersehen noch die in diesem Zusammenhang bestehenden Beteiligungserfordernisse unzulässig verkürzt werden.

Der Flughafen Frankfurt vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof – Die Urteile vom 21. August 2009 und ihre Perspektiven für das Flughafenplanungsrecht aus Sicht der Luftverkehrswirtschaft Von Markus Deutsch

Die Urteile des HessVGH vom 21. August 2009 1 stellen eine vorläufige Zäsur in der mittlerweile mehr als zehnjährigen Auseinandersetzung um die Erweiterung des Flughafens Frankfurt am Main dar. Sie sind bemerkenswert, weil sie einerseits den Bau einer neuen Landebahn in dem dicht besiedelten Rhein-Main-Ballungsraum zulassen, andererseits an dem größten deutschen Verkehrsflughafen ein nahezu vollständiges Flugverbot zwischen 23:00 Uhr und 05:00 Uhr verlangen. Wie alle Gerichtsentscheidungen sind auch die Urteile des Hessischen VGH nur vor dem Hintergrund des zu entscheidenden Sachverhalts zu würdigen. Dabei sind aus Sicht der Luftverkehrswirtschaft die Ausführungen zum Nachtflugbetrieb von zentralem Interesse 2 . Der HessVGH stützt das Nachflugverbot vor allem auf einen Raumordnungsgrundsatz aus dem hessischen Landesentwicklungsplan. Weil das Gericht sich der Problematik der Nachtflüge über die ___________

Erweiterte Fassung des Vortrags vom 3. März 2010. Der Unterzeichner hat Luftfahrtunternehmen in dem Prozess vertreten. Die Urteile sollten auf Bitte des Tagungsleiters bewusst aus der Sicht der „Luftverkehrswirtschaft“ kommentiert werden. Der Unterzeichner ist dieser Bitte in dem Bewusstsein nachgekommen, dass einem Prozessbeteiligten angesichts seiner zwangsläufigen Befangenheit eine Kommentierung in einem Vortrag oder einer Veröffentlichung eigentlich nicht zusteht. Der Leser mag beurteilen, ob das Mindestmaß an Distanz und Objektivität gewahrt ist. 1 Insgesamt sind in Musterverfahren vier Urteile ergangen, HessVGH, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 227/08.T, 11 C 312/08.T, 11 321/08.T, 11 C 329/08.T, 11 C 336/08.T, 11 C 359/08.T, 11 C 449/08.T und 11 C 509/08.T – LKRZ 2010, 66 ff. (Kommunen und private Betroffene); HessVGH, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 305/08.T – ZUR 2010, 198 ff. (Störfallbetrieb); HessVGH, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 318/08.T – LKRZ 2009, 434 f. (BUND); HessVGH, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 349/08.T – juris (Deutsche Lufthansa AG und Lufthansa Cargo AG). 2 Die Entscheidungen werfen allerdings noch zahlreiche weitere interessante Fragen auf, wie etwa die Bedeutung des Antrags des Vorhabenträgers auf ein Nachtflugverbot in der Abwägung, die Aussage im Zusammenhang mit der Startbahn 18 West, dass es zu keiner neuen Bahn mehr kommen werde und vieles mehr. Auf sie soll hier nicht eingegangen werden.

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Raumordnung nähert, äußern sich die Urteile – insoweit konsequent – nur verhalten zu den luftrechtlichen Voraussetzungen für den fast vollständigen Ausschluss eines seit Jahrzehnten etablierten Nachtflugverkehrs am größten deutschen Verkehrsflughafen. Die folgende Darstellung skizziert zunächst die Geschichte des Ausbaus. Im Anschluss daran unterzieht sie die Begründung des Nachtflugverbots mit den Vorgaben der Raumordnung einer kritischen Würdigung. Sie bewertet dann die Ausführungen des Senats zu § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG. Abschließend bewertet sie die Entscheidungen im Kontext ihrer Vorgeschichte.

I. Das Ausbauverfahren Anlass des Ausbaus des Frankfurter Flughafens ist das von der Liberalisierung des Luftverkehrs 3 ausgelöste Luftverkehrswachstum. Dieses rasante Wachstum führte ab Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts zu erheblichen Kapazitätsengpässen der Luftverkehrsinfrastruktur in Deutschland. Das galt auch für die Bodeninfrastruktur, also die Flugplätze. In einer solchen Situation ist der Druck auf die etablierten großen Flughäfen mit einem ohnehin schon hohen Verkehrsaufkommen besonders hoch. Die Notwendigkeit eines Ausbaus der Flughafeninfrastruktur wurde immer deutlicher erkennbar und auch politisch bestätigt 4 . 1. „Mediation“ und Nachtflugverbot Obwohl in Frankfurt mit der Startbahn 18 West erst wenige Jahre zuvor zusätzliche Kapazität geschaffen worden war 5 , war auch an diesem Flughafen bereits Mitte der neunziger Jahre absehbar, dass binnen kurzem die Verkehrsnachfrage nicht mehr mit dem vorhandenen System befriedigt werden konnte 6 . ___________ 3 Dazu Deutsch/Kretzschmar, Flugbetrieb als Regelungsgegenstand der Fachplanung, in: Ziekow (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungs- und Naturschutzrechts 2007, 2008, S. 35, 41 ff.; vgl. Flughafenkonzept 2000 der Bundesregierung, (Entwurf) vom 30. August 2000, S. 30. 4 Flughafenkonzept 2000, a.a.O., (Fn. 3), S. 41, 67: Ausbau Frankfurt. 5 Die durch Planfeststellungsbeschluss des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik vom 23. März 1971 (- IV a 3 – 66 m - StAnz. 18/1971, 753 ff.) planfestgestellte Bahn war am 12. April 1984 dem Verkehr übergeben worden, http://www.hronline.de/website/specials/startbahn_west/index.jsp?rubrik =20784&key=standard_document_277 54626 (zuletzt besucht am 11. Mai 2010). 6 Flughafenkonzept 2000, a.a.O., (Fn. 3), S. 36 f. dort insbesondere die Darstellung des Nachfrageüberhangs auf S. 37 (Bild 5).

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Der damalige Vorsitzende der Deutsche Lufthansa AG wies im Jahr 1997 auf die Notwendigkeit hin, weitere Kapazitäten in Frankfurt zu schaffen, um die Funktion des Flughafens als eines der wichtigsten Luftverkehrdrehkreuze der Welt zu erhalten und zu stärken 7 . Zündstoff barg dies nicht zuletzt deshalb, weil die Planfeststellungsbehörde im Jahr 1971 in der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses zum Ausbau der Startbahn 18 West erklärt hatte, die Genehmigung einer weiteren Start- oder Landebahn werde auf keinen Fall erteilt werden 8 . Unter diesen Voraussetzungen musste schon die Diskussion um eine solche weitere Bahn als Wortbruch verstanden werden. a) Das Mediationsverfahren Angesichts der politischen Brisanz des Themas und wegen der gewaltsamen Auseinandersetzungen um den Bau der Startbahn 18 West verordnete der damalige Hessische Ministerpräsident eine Mediation 9 zwischen den Gegnern einer Erweiterung und ihren Befürworter. Unter der Leitung von drei Mediatoren sollten Repräsentanten sämtlicher gesellschaftlich relevanter Gruppierungen und Organisationen als Mediationsgruppe nach einer gemeinsamen Lösung suchen 10 . Ungeachtet der Frage, ob sich derartige Großprojekte überhaupt für eine Mediation eignen 11 , stand das Verfahren von Anfang an unter keinem guten Stern. Die Bürgerinitiativen und die Umweltverbände nahmen nicht teil 12 . Auch ohne sie konnte nach fast zwei Jahren Arbeit keine inhaltliche Einigung erzielt werden, an die sich die Beteiligten binden lassen wollten. Die Mediatoren schlugen dennoch im Januar 2000 ein Fünf-Punkte-Paket vor, das aus den untrennbar miteinander verbundenen Komponenten Optimierung des vorhandenen Systems, Kapazitätserweiterung durch Ausbau, Nachtflugverbot zwischen 23.00 Uhr und 05.00 Uhr 13 (Mediationsnacht), Anti-Lärm-Pakte und ___________ 7

Vgl. etwa in einem Interview in Der Spiegel 47/1997, S. 126 ff. Vgl. den Planfeststellungsbeschluss vom 23. März 1971 a.a.O., (Fn. 5), StAnz. 18/1971, 753, 755 unter E II. 2. a). 9 Zum Konzept einer Mediation vgl. Haft, in: Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation, 2002, S. 75 ff. 10 Die Mediationsgruppe nahm am 18. Juli 1998 ihre Arbeit auf; Hänsch/Niethammer/Oeser, Dokumentation zum Mediationsverfahren Flughafen Frankfurt am Main, 2000, S. 12. 11 Siegel, NuR 2002, 79 ff.; Reimers/Appel, LKRZ 2007, 7 ff. 12 Hänsch/Niethammer/Oeser, a.a.O., (Fn. 10), S. 12. 13 Am Flughafen Frankfurt hat sich die Nachfrage nach Nachtflügen auf einen Jahresdurchschnitt von 150 bis 160 Flügen zwischen 22:00 Uhr und 05:00 Uhr eingependelt, davon fanden in den vergangenen Jahren im Jahresdurchschnitt zwischen 50 und 60 zwischen 23:00 und 05:00 Uhr statt. 8

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Einrichtung eines Regionalen Dialogforums 14 bestehen sollte. Das Protokoll der Abschlusssitzung zeigt, dass unüberwindbare Unterschiede zwischen den Mitgliedern der Mediationsgruppe bestanden. Die kommunalen Vertreter erklärten, sie könnten dem Mediationspaket mit Ausnahme der Ausbauempfehlung zustimmen, gegen die sie mit allen rechtlichen Mitteln vorgehen würden 15 . Die Vertreter der Luftverkehrswirtschaft wandten sich gegen den Vorschlag eines Flugverbots in der Mediationsnacht. Sie verwiesen darauf, dass ein solches Verbot an einem internationalen Verkehrsflughafen der Größenordnung Frankfurts völlig unüblich und wohl auch rechtlich unzulässig sei 16 . Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass die Mediation an diesen Vorbehalten scheitern würde. Trotz des offenkundigen Dissenses nahm die Mediationsgruppe aber den Vorschlag der Mediatoren an. Über die Gründe darf spekuliert werden; klar war, dass sich sowohl die Luftverkehrswirtschaft als auch die vom Ausbau Betroffenen dem Ergebnis nicht verpflichtet fühlten. Dies hinderte die Politik nicht, das Mediationsergebnis in Anhörungen vor dem Hessischen Landtag 17 positiv zu würdigen und durch Beschlüsse des Landtags 18 auch und gerade hinsichtlich der Notwendigkeit eines Nachtflugverbots zu bestätigen. Die entscheidenden Fragen nach den rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Verbots und der Problematik einer entsprechenden Vorfestlegung in einem Planungsprozess gingen in der Diskussion unter. Das Nachtflugverbot galt als politisch zugesagt, zumal auch die Landesregierung ein Junktim zwischen Ausbau und Nachtflugverbot herstellte 19 . b) Das Regionale Dialog Forum (RDF) Angesichts des Dissenses unter den Beteiligten konnte es keine Überraschung sein, dass die Mediation den grundsätzlichen Konflikt nicht löste. Ob sie gewalttätige Auseinandersetzungen wie um den Bau der Startbahn 18 West ___________ 14

Hänsch/Niethammer/Oeser, Bericht Mediation Flughafen Frankfurt/Main, 2000,

178 f. 15

Protokoll der Mediation vom 27.-29.1.2000, S. 18 f. Protokoll der Mediation vom 27.-29.1.2000, S. 18 f. 17 Expertenanhörung vom 10.5 bis 12.5.2000 (Hessischer Landtag, 15. Wahlperiode, Protokoll Anhörung zum Flughafen Frankfurt) und Anhörung der kommunalen Gebietskörperschaften am 5. Juni 2000 (Hessischer Landtag, 15. Wahlperiode, Protokoll Anhörung der kommunalen Gebietskörperschaften zum Flughafen Frankfurt). 18 Hessischer Landtag, Beschl. vom 18.5.2000, LT-Drucks. 15/1279 und 15/1283, Beschl. vom 21.6.2000, LT-Drucks. 15/1393; Beschl. vom 31.8.2000, LT-Drucks. 15/1504, Beschl. vom 21.9.2000, LT-Drucks. 15/1612, Beschl. vom 14.12.2000, LTDrucks. 15/2202. 19 Vgl. etwa die Äußerungen des Ministerpräsidenten Koch in der Plenarsitzung vom 18. Mai 2000, zit. nach SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, Dokumentation des Wortbruchs beim Nachtflugverbot, September 2009, S. 5. 16

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verhinderte, muss angesichts eines geänderten Gewaltpotentials offen bleiben. Politische und rechtliche Auseinandersetzungen – auf sie kommt es hier an – unterband sie jedenfalls nicht. Der Streit um den Ausbau einerseits und das drohende Nachtflugverbot andererseits wurden im Regionalen Dialogforum (RDF) fortgesetzt. Einvernehmen wurde auch in diesem Gremium nicht erzielt. Die Luftfahrtunternehmen forderten ein praktikables Nachtflugverbot 20 . Die Kritiker der Erweiterung hielten an der Ablehnung des Ausbaus fest. Wie verhärtet die Haltungen waren, zeigt etwa die Tatsache, dass das RDF ein Gutachten zur Klärung der Frage einholten musste, ob die Kommunen sich durch die Teilnahme am Forum ihrer Rechte im Planfeststellungs- und Gerichtsverfahren begeben würden 21 . Weitere Gutachten 22 konzentrierten sich insbesondere auf die Frage der rechtlichen und tatsächlichen Realisierbarkeit des Nachtflugverbots. Dessen Umsetzung nahm breiten Raum in der Arbeit des RDF ein. c) Rechtsstreitigkeiten im Vorfeld der Planfeststellung Bereits im Vorfeld der Planfeststellung und parallel zum Planfeststellungsverfahren bestätigte sich, dass die verschiedenen Interessengruppen allenfalls die für sie günstigen Teile des Mediationspakets akzeptieren. Es kam zu zahlreichen Prozessen im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Ausbau. aa) Gerichtsverfahren wurden angestrengt gegen die Vorarbeiten nach § 7 LuftVG 23 , wegen angeblich ungenehmigter Änderungen des Flughafens in der Vergangenheit 24 , gegen die Planfeststellung der A380 Werft 25 und gegen die ___________ 20 Beispielhaft die Pressemeldung des Board of Airline Representatives in Germany (BARIG) vom 22.2.2002. 21 Berkemann, Gutachterliche Stellungnahme zur Beteiligung von Gemeinden im Regionalen Dialogforum (RDF) – Flughafen Frankfurt (Main), Juli 2003, S. 14 ff.; dadurch sollte dem Auszug der Kommunen aus dem RDF vorgebeugt werden. 22 Etwa zu den Rechtsfragen Hobe/Stoffel/Sparwasser/Voßkuhle, Rechtsgutachten über rechtliche Fragestellungen zur Umsetzung eines „Nachtflugverbots“, August 2002; zur praktischen Umsetzbarkeit Fränkle/Flunkert (Airlog GmbH), Praxisorientierte Umsetzungskonzepte zur Verlagerung der Flugbewegungen in den Zeiten des geplanten Nachtflugverbots am Flughafen Frankfurt, Juli 2004. 23 HessVGH, Urt. vom 25.6.2002 – 2 A 246/02, 2 A 748/01, 2 A 1105/01 – n.v.; dazu das Eilverfahren HessVGH, Beschl. vom 12.7.2001 – 2 Q 777/01 – DVBl. 2001, 1863 ff. m. Anm. Deutsch; Giemulla, UPR 2002, 343 ff.; BVerwG, Beschl. vom 27.1.2004 – 9 C 7/03, 9C 8/03, 9 C 9/03 – DVBl. 2004, 657 f. 24 Die sogenannten Bestandsklagen, HessVGH, Urt. vom 2.4.2003 – 2 A 2646/01 – NVwZ-RR 2003, 729 ff.; HessVGH, Urt. vom 23.12.2003 – 2 A 1517/01 – juris; HessVGH, Urt. vom 23.12.2003 – 2 A 2815/01 – ESVGH 54, 191 f.; HessVGH, Urt. vom 3.6.2004 – 12 A 1118/01, 12 A 1521/01 – NVwZ-RR 2005, 805 ff.; HessVGH, Urt. vom 14.7.2004 – 12 A 1517/01 – juris; BVerwG, Beschl. vom 16.12.2003 – 4 B 75/03 – NVwZ 2004, 865 ff.

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Plangenehmigung der sogenannten CCT-Werft 26 . Beklagt wurde die Neuordnung der Flugverfahren durch Verordnung des Luftfahrtbundesamtes 27 . Mindestens ein Luftverkehrsunternehmen ging gerichtlich gegen die Einführung eines Lärmkontingents vor 28 . bb) Die Maßnahmen auf der Ebene der Raumordnung waren ebenfalls Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Gegen die landesplanerische Beurteilung des beabsichtigten Ausbaus im Raumordnungsverfahren durch das Regierungspräsidium Darmstadt vom 10. Juni 2002 29 beschwerten sich Betroffene wegen angeblicher Verstöße gegen das europäische Umweltrecht erfolglos vor der Europäischen Kommission 30 . Das im Landesentwicklungsplan 2000 (LEP 2000) 31 enthaltene Ziel zum Ausbau des Flughafens hob der HessVGH in einem Normenkontrollurteil auf, weil diese Ausbauverpflichtung nicht hinreichend abgewogen sei 32 . Die ebenfalls als Ziel formulierte Festlegung, dass bei der Erweiterung über das bestehende Start- und Landebahnsystem hinaus auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen sei, ordnete der 4. Senat dagegen nicht als Erfordernis der Raumordnung, sondern als allgemeine programmatische Aussage zugunsten der Ergebnisse des Mediationsverfahrens ein, die das Planfeststellungsverfahren nicht binden könne 33 . Aufgehoben hat der HessVGH in einem Rechtsstreit im Zusammenhang mit dem Flughafenausbau auch den Regionalen Raumordnungsplan Südhessen 2000, weil es ihm an einer entsprechenden Genehmigung fehlte 34 . ___________ 25

Exemplarisch für insgesamt fünf Eil- und Hauptsacheverfahren HessVGH, Urt. vom 28.6.2005 – 12 A 8/05 – NVwZ 2006, 230 ff.; vgl. HessVGH, Beschl. vom 13.4.2005 – 4 Q 3637/04 – NVwZ-RR 2005, 683 ff. (Eilantrag gegen die Zulassung einer Abweichung vom Regionalplan), BVerwG, Beschl. vom 31.1.2006 – 4 B 49/05 – NVwZ 2006, 823 ff.; zuletzt noch HessVGH, Urt. vom 23.2.2010 – 11 C 3933/04.T – juris; vgl. Wagner/Emmer, NVwZ 2006, 422 ff. 26 HessVGH, Urt. vom 1.6.2004 – 2 A 3239/03 – juris; BVerwG, Urt. vom 7.12.2006 – 4 C 16/04 – BVerwGE 127, 208 ff. 27 HessVGH, Urt. vom 12.12.2002 – 2 A 717/01 – juris; HessVGH, Urt. vom 11.2.2003 –2 A 1569/01 – ZUR 2003, 298 ff.; HessVGH, Urt. vom 11.2.2003 –2 A 1062/01 – NVwZ 2003, 875 ff.; BVerwG, Urt. vom 24.6.2004 – 4 C 11/03 – BVerwGE 121, 152 ff.; BVerwG, Urt. vom 24.6.2004 – 4 C 15/03 – juris. 28 Das Verfahren (HessVGH, 2 A 1557/01) endete durch Klagerücknahme. 29 StAnz 2002, S. 2554. 30 Vgl. etwa Europäische Kommission, Schreiben vom 30.3.2004 – 2003/5086 C (2004), 1167; vgl. Hendler, LKRZ 2007, 1, 7 Fn. 53. 31 Der LEP wurde durch Rechtsverordnung vom 13.12.2000 festgestellt, GVBl. 2001 I S. 2. 32 HessVGH, Urt. vom 16.8.2002 – 4 N 455/02 – NVwZ 2003, 229, 231; dazu Steinberg/Steinwachs, NVwZ 2004, 530 ff. 33 HessVGH, Urt. vom 16.8.2002 – 4 N 455/02 – NVwZ 2003, 229, 231. 34 HessVGH, Beschl. vom 26.7.2004 – 4 N 406/04 – NVwZ-RR 2005, 11, 14.

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2. Das Planfeststellungsverfahren Diese Vielzahl von Verfahren lässt erahnen, vor welchen rechtlichen Problemen Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde standen. Sie wurden durch das politische Junktim zwischen Ausbau und Mediationsnachtflugverbot noch verschärft. Das Nachtflugverbot war politisch „gesetzt“. a) Der Antrag des Vorhabenträgers Der Vorhabenträger beantragte nicht nur die Erweiterung um eine vierte Landebahn mit dem Ziel, die Drehkreuzfunktion des Flughafens im Passagierund Frachtverkehr zu stärken. Er beantragte auch, nachts zwischen 23:00 Uhr und 05:00 Uhr am gesamten Flughafen keine planmäßigen Flüge mehr zuzulassen 35 . Die Nachfrage nach Nachtflügen in den einzelnen Verkehrssegmenten des Passagierlinienverkehrs, des touristischen Passagierverkehrs und der Fracht hatte er nicht ermittelt 36 . b) Die Einwendungen der Luftfahrtunternehmen Im Anhörungsverfahren wurde dieses Defizit vor allem von den Luftfahrtunternehmen beanstandet. Sie sind sowohl im gewerblichen Passagierluftverkehr, insbesondere aber im Frachtflugverkehr auf Flüge auch während der Mediationsnacht angewiesen 37 .

___________ 35

Der Antrag wirft die Frage auf, ob die Planfeststellungsbehörde nicht schon dadurch gehindert war, überhaupt Nachtflüge zuzulassen; dagegen Deutsch, in: Hobe/von Ruckteschell, Kölner Kompendium Luftrecht Band II, 2009, B. Rn. 263 ff. 36 Die dem Planfeststellungsantrag beigefügte Verkehrsprognose (Intraplan Consult GmbH, G8 Luftverkehrsprognosen 2015 für den Flughafen Frankfurt Main und Prognose zum landseitigen Aufkommen am Flughafen Frankfurt Main, Juli 2004) prognostizierte keinen Nachtflugbedarf in der Mediationsnacht, sondern unterstellte für diesen Zeitraum ein Verbot aller planmäßigen Flugbewegungen; das Gutachten von Jünemann, Verkehrliche Auswirkungen und mögliche Maßnahmen bei Einführung eines Nachtflugverbotes am Flughafen Frankfurt/Main, Dezember 2001 enthielt nur eine Bestandsaufnahme des Jahres 2000, aber keine Verkehrsprognose für die künftig in der Mediationsnacht zu erwartenden Flüge. 37 Vgl. insgesamt zu den Ursachen für Nachtflüge Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) e.V., Planungssicherheit für deutsche Flughäfen – Argumente für den Nachtflugbetrieb an ausgewählten Flughäfen, 2010, S. 3; Deutsch/Kretzschmar, a.a.O. (Fn. 3), S. 35, 48 ff.; vgl. auch Meyer-Rühle u. a. (ProgTrans AG), Begutachtung relevanter Unterlagen zum Planergänzungsverfahren Flughafen Leipzig/Halle, Juni 2007, S. 30 ff.

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aa) Der klassische Passagierlinienverkehr benötigt sowohl an den zentralen Drehscheibenflughäfen, aber auch an den Flughäfen für Zu- und Abbringerverkehre von bzw. zu den Drehscheiben Nachtflüge vor allem in den Nachtrandstunden bis 0:00 Uhr, teilweise auch darüber hinaus. Im touristischen Flugverkehr ergibt sich die Notwendigkeit von Nachtflügen in der Kernnacht (also von 0:00 Uhr bis 05:00 Uhr) durch das sogenannte Verkehrstagekonzept und die hohe Umlaufzahl der Flugzeuge. bb) Einen besonders hohen Anteil machen Nachtflugbewegungen bei den reinen Frachtflügen 38 aus. Nach den Angaben des ADV fanden im Jahr 2008 insgesamt 66 % dieser Flüge in der Nacht statt. 38 % wurden in der Kernzeit zwischen 0:00 Uhr und 05:00 Uhr durchgeführt. Bezieht man noch die Stunde von 23:00 Uhr bis 0:00 Uhr mit 13% der Frachtflüge ein, würde ein bundesweites Flugverbot in der Mediationsnacht 51% aller Frachtflugbewegungen erfassen 39 . Ursache für diese Nachtflüge sind die Anforderungen der Unternehmen und der Speditionen. Vor allem die Just-in-time-Logistikkonzepte führen dazu, dass die termingerechte Zulieferung die kostenintensive Lagerhaltung ersetzt. Fracht, die per Straße, Schiene oder Schifffahrtswege nicht rechtzeitig geliefert werden kann, ist auf Luftfracht angewiesen. Der eiligste Teil dieser Fracht wiederum wird von den Versendern oder Speditionen abends (nach Produktionsende) mit der Vorgabe am Flughafen angeliefert, dass die Auslieferung der Fracht am Zielort am nächsten Morgen erfolgt. Dabei spielt die transkontinentale Zeitverschiebung eine wichtige Rolle. Ware aus Deutschland kann beispielsweise mit Produktionsende den Betrieb verlassen, am Flughafen nach 23.00 Uhr abgeflogen und aufgrund der Zeitverschiebung in den USA am nächsten Morgen ausgeliefert werden. Flüge in der Kernnacht finden dabei vor allem an den Drehscheibenflughäfen statt, auf die auch die Logistikunternehmen ihre Frachtbeziehungen konzentrieren und und an denen deswegen ein so hohes Aufkommen an eiliger, nach den Vorgaben der Versender nachts zu befördernder Fracht haben, dass Nachtflüge wirtschaftlich möglich werden. cc) Eine zentrale Rolle in den Einwendungen der Luftfahrtunternehmen spielte daher der Umstand, dass der Flughafen Frankfurt nicht nur der größte Standort für touristische Flugverkehre in Deutschland ist, sondern insbesondere im Frachtflugverkehr eine führende Funktion, und zwar europaweit, hat. Die Bedeutung des Flughafens Frankfurt als Frachtflughafen zeigt sich schon daran, dass sich auf dem Flughafen bzw. in seiner unmittelbaren Nachbarschaft ca. 240 Logistikunternehmen niedergelassen haben. Sämtliche großen Logistikun___________ 38 Außer in dezidierten Frachtflugzeugen wird Fracht auch noch als Beifracht auf Passagierflugzeugen befördert. Um diese Fracht geht es nicht. Frankfurt zeichnet sich aber dadurch aus, dass hinsichtlich der Frachtbeförderung das Passagierdrehkreuz und das Frachtdrehkreuz miteinander verknüpft sind. 39 ADV, a.a.O., (Fn. 37), S. 2 f.

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ternehmen betreiben am Flughafen bzw. in seiner Nähe sogenannte Consolidation Hubs, in denen sie die Fracht nach Zielorten konsolidieren. Sie sind auf den 24-Stundenbetrieb mit regelmäßigen kontinentalen und interkontinentalen Frachtflügen angewiesen. Diese deutschlandweit einzigartige Dichte an Logistikunternehmen hängt auch damit zusammen, dass nächtliche Frachtflüge von dem größten Frachtanbieter in Frankfurt seit 1957 angeboten werden 40 . Sie schlägt sich im Frachtaufkommen nieder. Im Jahr 2008 wurden an allen 17 Verkehrsflughäfen in Deutschland ca. 3,8 Mio. Tonnen Luftfracht befördert. 2,1 Mio. Tonnen entfielen auf den Flughafen Frankfurt 41 . Das sind ca. 56 %. c) Die Ermittlung des Nachtflugbedarfs Vor diesem Hintergrund war es offensichtlich, dass es am Flughafen Frankfurt eine konkrete Nachfrage nach Nachtflügen auch nach 23:00 Uhr gab und auch in der langfristigen Prognose geben würde. Die Planfeststellungsbehörde forderte deshalb den Vorhabenträger 42 auf, die Nachfrage nach Nachtflügen zu ermitteln. Sie gab gleichzeitig eigene Untersuchungen im Auftrag. Die Gutachten kamen zu einem Bedarf von bis zu 72 planmäßigen Flugbewegungen in der Mediationsnacht, darunter bis zu 29 Frachtflugbewegungen 43 . 3. Die Änderung des LEP 2000 Nachdem der HessVGH das Ziel zur Flughafenerweiterung im LEP 2000 aufgehoben hatte, musste der Träger der Landesplanung parallel zum Planfeststellungsverfahren auch den Landesentwicklungsplan anpassen. Der am 22. Juni 2007 geänderte Plan (LEP-Änderung 2007) 44 sieht im Nordwesten des Flug___________ 40 Angaben der Lufthansa Cargo AG, Präsentation im Erörterungstermin zum Ausbau des Flughafens Frankfurt am 7. März 2006, S. 3. 41 ADV – Monatsstatistik Dezember 2008. 42 Schreiben des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 16.12.2005. 43 Gertz u.a. (Technische Universität Hamburg-Harburg, TUHH), Gutachten zu Fragen eines potentiellen Nachtflugbedarfs am Flughafen Frankfurt am Main im Prognosejahr 2020, September 2007 S. 59; ferner Schubert u.a. (Intraplan Consult GmbH), Prognose des Nachtflugverkehrs am Flughafen Frankfurt Main im Zusammenhang mit dem Ausbau und der geplanten Betriebsbeschränkung zwischen 23:00 und 05:00 Uhr, Juni 2007. 44 Verordnung über die Änderung des Landesentwicklungsplans Hessen 2000 vom 22.6.2007, GVBl. I S. 406 in der Fassung der Berechtigung vom 20.9.2007, GVBl. I S. 578; auch diese Verordnung wurde von betroffenen Kommunen im Normenkontrollverfahren erfolglos angegriffen, HessVGH, Beschl. vom 5.2.2010 – 11 C 2691/07.N, 11 C 2715/07.N, 11 C 38/08.N, 11 C 259/08.N, 11 C 1549/08.N – juris.

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hafens ein als Ziel festgelegtes Vorranggebiet für Flughafennutzungen vor. Eine Ausbauverpflichtung gibt er nicht vor. Anstelle des im LEP 2000 enthaltenen „Ziels“ formulierte er unter Ziff. III.1. folgenden Grundsatz der Raumordnung: „In den Verfahren nach dem Luftverkehrsgesetz ist aus Rücksichtnahme auf die besonders schutzbedürftige Nachtruhe der Bevölkerung ein umfassender Lärmschutz in den Kernstunden der Nacht von herausragender Bedeutung.“ An der zielförmigen Festsetzung eines Nachtflugverbots sah der Träger der Landesplanung sich trotz dahingehender Forderungen 45 durch die Rechtsprechung des BVerwG 46 gehindert. In der der Zustimmung des Landtags vorausgehenden Landtagsanhörung zur LEP-Änderung bestand trotz politisch kontroverser Positionen zum Flughafenausbau ebenfalls Einigkeit, dass diese raumordnerische Festlegung die Planfeststellungsbehörde nicht binden konnte 47 . Die Nachfrage nach Nachtflügen war im landesplanerischen Verfahren nicht ermittelt worden. Die LEP-Änderung beruht vielmehr ausdrücklich auf der „Prämisse“, dass zwischen 23.00 Uhr und 05.00 Uhr keine planmäßigen Flugbewegungen stattfinden 48 . 4. Der Planfeststellungsbeschluss Die Planfeststellungsbehörde war zwischenzeitlich aufgrund der Untersuchungen der Vorhabenträgerin, aber auch nach Maßgabe der von ihr in Auftrag gegebenen Gutachten zum Ergebnis gekommen, dass am Flughafen Frankfurt ein unabweisbarer Bedarf nach Nachtflügen zwischen 23.00 Uhr und 05.00 Uhr in sämtlichen Verkehrssegmenten bestand 49 . Unter Berücksichtigung der Äußerungen der Mediation und der Vorgaben des LEP 50 verfügte sie über ein umfassendes Betriebskonzept zum Lärmschutz: x Luftfahrzeuge ohne Lärmzulassung nach Anhang 16 des ICAOAbkommens wurden nicht zugelassen. ___________ 45

So etwa vom Vorsitzenden des Regionalen Dialogforums, der sich in diesem Punkt auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten von Hermes Rechtsfragen der Verankerung verbindlicher Ziele im Landesentwicklungsplan Hessen, Mai 2006, S. 20 ff. stützte; ferner Hendler, LKRZ 2007, 1 ff. 46 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 64, 155. 47 Vgl. das Stenographische Protokoll der 47. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr und der 50. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, ländlichen Raum, und Verbraucherschutz (WVA/16/47 u. ULA/16/50) vom 13.2.-15.2.2007 sowie die Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (LT-Drucks. 16/7376 vom 22.5.2007) also auch den Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP (LTDrucks. 16/7340 vom 10.5.2007. 48 GVBl. 2007 I, S. 413. 49 Planfeststellungsbeschluss vom 18.12.2007, S. 1089 ff. 50 So ausdrücklich auf S. 1156 des Planfeststellungsbeschlusses vom 18.12.2007.

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x Für Luftfahrzeuge mit Lärmzertifizierung nach Anhang 16 Band 1 Teil II, Kapitel 2 gab es massive Beschränkungen. x Luftfahrzeuge, die die Anforderungen des Anhang 16 Band 1 Teil II, Kapitel 3 nur knapp erfüllen, dürfen an bestimmten Wochentagen in der Zeit von 20:00 Uhr bis 08:00 Uhr nicht starten oder landen. x Sämtliche Flugbewegungen in der Nacht wurden auf durchschnittlich (bezogen auf das Kalenderjahr) 150 Flüge pro Nacht beschränkt. Die Flugzeuge müssen die Lärmzertifizierungsanforderung nach Anhang 16, Band 1, Teil II, Kapitel 4 des ICAO-Abkommens erfüllen und ihre Starts und Landungen müssen am Vortag koordiniert werden. x Zwischen 23:00 Uhr und 05:00 Uhr – also in der Mediationsnacht – sollten pro Nacht nur noch durchschnittlich 17 planmäßige Frachtflugbewegungen (ebenfalls bezogen auf das Kalenderjahr) durchgeführt werden dürfen. Eingesetzt werden dürfen nur noch Kapitel 4-Flugzeuge. Die Nutzung des Kontingents wurde auf Homebase Carrier beschränkt 51 . Soweit die 17 Flüge noch nicht durch Frachtflüge ausgeschöpft werden, dürfen Homebase Carrier auch Passagierflüge zwischen 23:00 Uhr und 05:00 Uhr durchführen, wobei Starts und Landungen zwischen 01:00 Uhr und 04:00 Uhr allerdings unzulässig sind. x Verspätungs- oder Verfrühungslandungen zwischen 00:00 Uhr und 05:00 Uhr wurden untersagt. x Verspätete Starts in einem Betriebsbeschränkungszeitraum dürfen ausnahmsweise zugelassen werden, wenn die Verspätung auf Gründen beruht, die außerhalb des Einflussbereichs des jeweiligen Luftverkehrsunternehmens liegen. x Die Benutzung der neuen Bahn zwischen 23:00 Uhr und 05:00 Uhr wurde generell untersagt. Der Planfeststellungsbeschluss enthält darüber hinaus zahlreiche weitere Regelungen zum Lärmschutz, wie etwa ein grundsätzliches Verbot der Schubumkehr, Vorgaben zu Triebwerksprobeläufen und zum Betrieb von Aggregaten sowie zum Roll- und Schleppverkehr. Von zentraler Bedeutung sind das Bewegungskontingent von 150 Nachtflugbewegungen und 17 Bewegungen in der Mediationsnacht. Im Ergebnis bedeuteten sie eine erhebliche Beschränkung des nächtlichen Flugverkehrs in Frankfurt. Zwar wurden die Flüge in der Mediationsnacht nicht vollständig un___________ 51 Das sind Luftfahrtunternehmen, die am Flughafen einen von der Genehmigungsbehörde anerkannten Geschäfts- und Wartungsschwerpunkt unterhalten; Planfeststellungsbeschluss vom 18.12.2007, S. 22 unter A. II. 4.1.2.

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tersagt, aber erheblich von durchschnittlich 50 bis 60 Flügen in den vergangenen Jahren auf 17 beschränkt. Darüber darf auch die Tatsache nicht hinweg täuschen, dass in der Gesamtnacht nach wie vor die erhebliche Zahl von 150 Flugbewegungen zulässig ist. Diese 150 Flugbewegungen schreiben die langjährige durchschnittliche Bewegungszahl aller Nachtflüge in Form eines Bewegungskontingents fest. Würde das Mediationsnachtkontingent ausgeschöpft, blieben für die Nachtrandstunden noch 133 Flüge. Berücksichtigt man, dass bisher in der Mediationsnacht zwischen 50 bis 60 Bewegungen und damit in den Nachtrandstunden zwischen 90 und 110 Bewegungen stattfanden, und berücksichtigt man weiter, dass nicht alle Bewegungen aus der Mediationsnacht in die Nachtrandstunden verschoben werden können, ist offen, ob (ein Flugverbot in der Mediationsnacht unterstellt) in den Nachtrandstunden wirklich 150 Bewegungen stattfinden werden. 5. Die Entscheidungen des VGH Kassel Politisch war die differenzierte Entscheidung der Planfeststellungsbehörde nicht zu vermitteln. Sie löste den zu erwartenden Sturm der Empörung wegen des angeblichen Bruchs des „bindenden“ Mediationsergebnisses aus 52 . Vor dem Hintergrund, dass die Landespolitik nicht die Kraft gefunden hatte, sich von dem Junktim zwischen Ausbau und Nachtflugverbot zu lösen, ist dies nicht ganz unverständlich. Die Landesregierung ging daher auch nicht politisch auf diese Diskussion ein, sondern argumentierte rechtlich: Ohne diese Ausnahmen sei der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig 53 . Sie verwies dabei auf die Rechtsprechung des BVerwG 54 . So konnte der Eindruck entstehen, diese Rechtsprechung habe das Land gehindert, anders zu entscheiden. a) Die Eilentscheidungen des HessVGH Bereits mit den Beschlüssen vom 15. Januar 2009 55 erteilte der HessVGH dieser Argumentation eine Absage.

___________ 52

Beispielhaft die Aufzählung in der Dokumentation der SPD-Fraktion des Hessischen Landtags, a.a.O. (Fn. 19). 53 Presseerklärung des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 18. Dezember 2007. 54 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 ff.; BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 ff. 55 HessVGH, Beschl. vom 15.1.2009 – 11 B 254/08.T u.a. – ZUR 2009, 151 ff.; HessVGH, Beschl. vom 15.1.2009 – 11 Q 2754/07 u.a.

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Die Entscheidungen ergingen auf die Eilanträge von Kommunen und privaten Betroffenen, die zur Unterbindung sofortiger Baumaßnahmen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss beantragt hatten. Der HessVGH lehnte die Anträge ab, weil er nach summarischer Prüfung zur Rechtmäßigkeit der Ausbauentscheidung gekommen war. In einem nicht entscheidungserheblichen Teil seiner Begründung ging er auch auf die Nachtflüge ein. Insoweit sei der Planfeststellungsbeschluss nach summarischer Prüfung rechtswidrig. Der Grundsatz zur Nachtruhe in Ziff. III.1 der LEP-Änderung 2007 entfalte ein so starkes Gewicht, dass er die Abwägungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde bei der Entscheidung über den Flugbetrieb in der Mediationsnacht praktisch auf Null reduziere. Zugelassen werden dürften allenfalls Flüge, die auf der Ebene der Landesplanung mangels Detailschärfe nicht voraussehbar gewesen seien. Unabhängig davon lagen nach Meinung des HessVGH keine standortspezifischen Gründe im Sinne des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG vor, die die Zulassung von Nachtflügen hätten rechtfertigen können. b) Die Urteile vom 21. August 2009 An dieser Linie hielt der HessVGH in seinen Urteilen vom 21. August 2009 56 fest. Er billigte zwar den Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007, soweit er eine weitere Landebahn im Nordwesten des heutigen Flughafengeländes feststellt. Dagegen beanstandete das Gericht wie in den Eilentscheidungen, dass die Planfeststellungsbehörde den Flugverkehr in der Mediationsnacht nicht ausreichend eingeschränkt habe. Der Grundsatz in Ziff. III.1 der LEP-Änderung 2007 reduziere die Abwägungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde auf annähernd Null. Sie dürfe in einem Planfeststellungsverfahren nur solche Flüge zulassen, die mangels Detailschärfe der Landesplanung nicht vorhersehbar gewesen seien. Nach Auffassung des HessVGH sind die Voraussetzungen des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG für die Zulassung von Flügen in der Nachtkernzeit (die abweichend vom BVerwG den Zeitraum von 23:00 Uhr bis 05:00 Uhr erfassen soll) zwar teilweise gegeben, aber letztlich nicht hinreichend belegt. Das Gericht orientiert sich dabei an der Rechtsprechung des BVerwG zu Nachtflügen, vor allem am Urteil vom 24. Juli 2008 57 . Danach sind Nachtflüge in der Nachtkernzeit nur bei einem standortspezifischen Bedarf zulässig. Für den Passagierverkehr ist nach Meinung des HessVGH am Flughafen Frankfurt kein standortspezifischer Bedarf gegeben. Für Frachtverkehr bejaht das Gericht einen standortspezifischen Bedarf, für ___________ 56

HessVGH, a.a.O., (Fn. 1). BVerwG, Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001/07 – BVerwGE 131, 316 ff. (LeipzigHalle II). 57

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Nicht-Expressfracht allerdings nur, wenn am Flughafen nachts in der Gesamtbilanz weitaus überwiegend Expressfracht geflogen wird, die die Standardfracht mitzieht. Letzteres hatte die Planfeststellungsbehörde nach Meinung des HessVGH nicht ausreichend dargelegt. Das Gericht sah allerdings von einer vertieften Diskussion dieser Anforderungen ab, weil es darauf nach seinem Verständnis nicht ankam. Es beanstandete weiter, dass die Planfeststellungsbehörde die Zahl der in der gesamten Nacht zulässigen Flüge auf 150 im Jahresdurchschnitt beschränkt hatte. Bei einem Jahresdurchschnitt könne es in einzelnen Nächten zu einer viel zu hohen Zahl einzelner Flüge kommen. Auch hier verlangte das Gericht eine Neuregelung.

II. Rechtliche Würdigung Die Ausführungen des HessVGH zum Nachtflugbetrieb sind deswegen so wichtig, weil es am Flughafen Frankfurt um die Beschränkung eines etablierten Nachtflugbetriebes geht. Zwar waren auch an den Flughäfen Berlin-Schönefeld und Leipzig-Halle bereits vor den Anlagenänderungen, die Anlass zu den Urteilen des BVerwG zum Nachtflug gaben 58 , Nachtflüge zulässig. Die dadurch eröffneten Möglichkeiten waren jedoch von den Luftfahrtunternehmen nur sehr begrenzt in Anspruch genommen worden. An den Standorten Berlin und Leipzig-Halle hatte sich kein auch nur annähernd mit Frankfurt vergleichbares Nachtfluggeschehen etabliert. Besonders deutlich sind die Unterschiede bei der Luftfrachtinfrastruktur. Sie ist in Frankfurt schon durch ihre Größe und in ihrer Qualität bundesweit einzigartig. Vor diesem Hintergrund ist zunächst noch einmal das Prüfprogramm zu skizzieren, das die Planfeststellungsbehörde bei der Verfügung von Betriebsbeschränkung durchlaufen muss. In dieses Prüfprogramm sind die Vorgaben der Raumordnung einzubinden. In einem letzten Schritt wird erörtert, wie es sich mit dem für die Zulassung von Nachtflügen von der Rechtsprechung geforderten standortspezifischen Bedarf verhält, wenn Flüge in der Nachtkernzeit nicht erstmals oder in größerem Umfang als bisher zugelassen, sondern eingeschränkt werden sollen. 1. Betriebsregelung als Gegenstand der Abwägung Die Regelung des Flughafenbetriebs durch die Planfeststellungsbehörde ist trotz mancher missverständlicher Formulierungen keine (Schutz-)Auflage im Sinne des § 9 Abs. 2 LuftVG. Sie ist ein Element der Bewältigung der Flug___________ 58

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 ff.; BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 ff.

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lärmproblematik, über die die Planfeststellungsbehörde aus Anlass der Änderung oder Erweiterung des Flughafens im Rahmen der Abwägung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG zu entscheiden hat 59 . Die Vorschrift räumt ihr 60 einen gerichtlich nur beschränkt kontrollierbaren Abwägungsspielraum ein. a) Die Elemente der Abwägung Die Planfeststellungsbehörde muss alle abwägungsbeachtlichen Belange ermitteln, sie anschließend in die Abwägung einstellen und sie dann entsprechend ihrer objektiven Bedeutung gewichten. Im letzten Schritt entscheidet die Planfeststellungsbehörde, welchen Belangen sie zur Durchsetzung verhilft und inwieweit sie Belange zurückstellt. Dabei darf sie weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkennen, noch den Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vornehmen, die zu ihrer objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis steht. Innerhalb dieses Rahmens verletzt sie die Vorgaben des Abwägungsgebots nicht, wenn sie sich in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet 61 . b) Die Steuerung der Abwägung Die Planung wird allerdings durch rechtliche Vorgaben diszipliniert. Sie wird zum einen durch zwingende rechtliche Regeln gesteuert. Diese „Planungsleitsätze“ 62 öffnen nach ihrem Inhalt der Planfeststellungsbehörde keinen ___________ 59

Ausführlich dazu, dass Betriebsregelungen keine Schutzauflagen nach § 9 Abs. 2 LuftVG sind, BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51/89 – BVerwGE 87, 332, 341 ff.; der Problematik, dass bei einer wesentlichen Änderung nach Auffassung des BVerwG die gesamte bisherige, bestandskräftige Betriebsregelung in vollem Umfang erneut zur Überprüfung steht (BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125,116 Rn. 285; BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 Rn. 70) stellt sich in Frankfurt wegen des Antrags des Vorhabenträgers auf eine entsprechende Betriebsbeschränkung nicht. 60 Zu der Frage, ob die Abwägungskompetenz dem Vorhabenträger oder der Planfeststellungsbehörde zukommt, Hoppe/Just, DVBl. 1997, 789 ff.; Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch, Rechtsschutz bei der Planung von Verkehrsanlagen und anderen Infrastrukturvorhaben, 4. Aufl. 2010, Rn. 772 ff.; speziell zum Luftrecht Deutsch, a.a.O. (Fn. 35), B. Rn. 262. 61 Grundlegend BVerwG, Urt. vom 12.12.1969 – IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301 ff.; BVerwG, Urt. vom 14.2.1975 – IV C 120.74 – BVerwGE 48, 56 ff.; BVerwG, Urt. vom 7.7.1978 – 4 C 79.76 – BVerwGE 56, 110, 122 f.; Hoppe, DVBl. 1992, 853 ff. 62 Zu den Begrifflichkeiten Steinberg, NVwZ 2010, 273, 275; ferner Steinberg/Berg/ Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, § 3 Rn. 73 ff.; kritisch dazu Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 326 m.w.N.

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Gestaltungsspielraum und können von ihr nicht durch die planerische Abwägung überwunden werden. Neben diesen zwingenden Vorgaben wird die Abwägung durch generelle Planungsziele oder Planungsleitlinien (Abwägungsdirektiven) beeinflusst. Sie sind in der Abwägung nicht unüberwindbar. Der Gesetzgeber hat sie aber in Einzelfällen mit einem besonderen Gewichtungsvorrang versehen. In einem solchen Fall können sie nur dann durch gegenläufige Belange in der Abwägungsentscheidung überwunden werden, wenn diese in der konkreten Situation ein besonderes, höheres Gewicht haben. An diese Systematik muss sich auch die Entscheidung über Nachtflugbeschränkungen halten. Das gilt sowohl für den Begründungsstrang des HessVGH zur Raumordnung als auch für seine Ausführungen über den standortspezifischen Bedarf, der die Zulassung von Nachtflügen rechtfertigen soll. 2. Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung in der Abwägung Die Beschränkung des Abwägungsspielraums der Planfeststellungsbehörde durch die Festlegungen der LEP-Änderung 2007 ist das eigentlich Neue in den Urteilen des HessVGH. Sie wirft die Frage auf, ob die Raumordnung überhaupt Vorgaben zum Flughafenbetrieb machen kann. Dabei geht es einerseits um die Regelungskompetenz der Raumordnung, andererseits um die Abgrenzung dieser Regelungskompetenz zu der der Fachplanung. Da die Betriebsregelung als einer der zentralen Aspekte der luftrechtlichen Fachplanung bundesgesetzlich geregelt ist, bedarf es weiter der Klärung, inwieweit das Landesrecht über die Raumordnung bundesgesetzlich geregelte Kompetenzmaterien aufgreifen kann. Angesichts der Aussage, dass der vermeintliche Grundsatz in Ziff. III.1 der LEP-Änderung 2007 der Planfeststellungsbehörde kaum einen Abwägungsspielraum eröffnen soll, gilt es schließlich zu erörtern, welchen Grad an Verbindlichkeit solche Grundsätze der Raumordnung haben können. a) Die Aufgabe der Raumordnung Die Aufgabe der Raumordnung beschreibt § 1 Abs. 1 ROG. Raumordnung muss den Gesamtraum der Bundesrepublik und seine Teilräume entwickeln, ordnen und sichern. Dabei muss sie die unterschiedlichen Anforderungen an den Raum aufeinander abstimmen und die auf den unterschiedlichen Planungsebenen auftretenden Konflikte ausgleichen sowie Vorsorge für einzelnen Raumnutzungen und Raumfunktionen treffen. aa) Betrachtet man die Leitvorstellung des § 1 Abs. 2 ROG von einer nachhaltigen Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und so zu einer dauerhaften großräumigen und ausgewogenen Ordnung führen soll, ist es

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bei vordergründiger Betrachtung wenig überraschend, wenn Raumordnung sich als umfassende Planung zur Entwicklung und Ordnung räumlicher Strukturen im Sinne grundgesetzlicher Werte versteht 63 . Sie kann dann Vorgaben zur Energiepolitik 64 oder aber auch zu einem bestimmten Immissionsschutzniveau 65 bei der Bodennutzung – sei es durch Fachplanung, sei es durch Bauleitplanung – machen. Von einem derart weiten Verständnis der Aufgaben der Raumordnung wäre auch die Annahme des HessVGH gedeckt, das in Rede stehende vermeintliche Erfordernis in der LEP-Änderung 2007, auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen, sei ein Grundsatz der Raumordnung, der in der Abwägung der Planfeststellungsbehörde zu berücksichtigen sei. Die Planfeststellungsbehörde hat diese Auffassung im Grunde sogar geteilt, wie der Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007 zeigt, denn sie hat sich zur Begründung der Betriebsregelung auch auf den Grundsatz zur Nachtruhe in Ziff. III. 1 der LEP-Änderung 2007 berufen 66 . bb) Die Planfeststellungsbehörde und das Gericht gehen also beide davon aus, dass der Träger der Raumordnung in einem Raumordnungsplan Erfordernisse festlegen darf, die Vorgaben für den Betrieb eines Flughafens aufstellen. Dafür scheint auf den ersten Blick zu sprechen, dass die Raumordnung nach dem Grundsatz des § 2 Abs. 2 Nr. 6 Satz 6 ROG auch den Schutz der Allgemeinheit vor Lärm sicherzustellen hat. Folgerichtig finden sich entsprechende Vorgaben in Raumordnungsplänen, die von einigen Gerichten nicht beanstandet werden. Nach Auffassung des BayVGH scheint jedenfalls die die speziell flughafenbezogene Zielvorgabe für den Flughafen München „Auf eine nachhaltige Verringerung der Lärmbelastung durch Flugbetrieb soll hingewirkt werden. Die Lärmbelastungen durch den neuen Verkehrsflughafen München sollen nachts so gering wie möglich gehalten werden.“ des maßgeblichen Regionalplans offensichtlich vom Kompetenztitel der Raumordnung gedeckt, denn er hat die Frage ihrer Rechtmäßigkeit nicht thematisiert 67 . In Teilen des Schrifttums werden raumordnerische Erfordernisse mit Vorgaben für den ___________ 63

Goppel, UPR 2000, 431; Peine, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2003, Rn. 125 ff. Vgl. die als Ziele formulierten Erfordernisse unter D. II. 2. des Landesentwicklungsplans Nordrhein-Westfalen. 65 So die Festlegung unter B II. 6.4 des Regionalplans München, die ausweislich der Begründung sogar Vorgaben an den Flughafenbetrieb bis hin zur Wartung machen will: „Zur Minderung der Lärmbelastung durch Flugbetrieb sind auch lärmmindernde Anund Abflugverfahren und ggf. Lande- und Startverbote zur Nachtzeit notwendig. Für lärmstarke Flugzeugtypen und Überschallflugzeuge können grundsätzlich Start- und Landeverbote erlassen bzw. aufrecht erhalten werden. Der interne Betrieb und die Boden-, Prüf- und Wartungsarbeiten sollen so erfolgen, dass die Lärm und Erschütterungsbelastungen möglichst gering gehalten werden können.“ 66 Planfeststellungsbeschluss vom 18.12.2007, S. 1156. 67 BayVGH, Urt. vom 3.12.2002 – 20 AS 01.40067 – juris Rn. 208 ff. 64

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Flughafenbetrieb ebenfalls ohne nähere Begründung als zulässig angesehen 68 . Teilweise wird sogar die Auffassung vertreten, die Raumordnung könne Betriebsbeschränkungen als verbindliche Ziele vorgeben und sie so der Abwägung der Fachplanung entziehen 69 . Einer derartigen Zielfestlegung hat das BVerwG in seinem Urteil zum Flughafen Berlin-Schönefeld 70 allerdings eine klare Absage erteilt: Ziele der Raumordnung könnten keine Betriebsregelungen vorgeben 71 . Sie könnten nur Raumnutzungen und Raumfunktionen festlegen. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass das BVerwG in der gleichen Entscheidung eine Flughafenstilllegung und damit sogar die schärfste Form der Betriebsregelung als Ziel der Raumordnung akzeptiert habe 72 . Dieser Einwand überzeugt nicht. Bei dem Raumordnungsziel der Flughafenstilllegung handelt es sich nicht um eine Betriebsregelung, sondern um eine (negative) Standortentscheidung: Der bisherige Flughafenstandort soll künftig nicht mehr für den Luftverkehr genutzt, sondern für neue Nutzungen oder Raumfunktionen freigemacht werden. cc) Wenn aber Ziele der Raumordnung nur Raumnutzungen und Raumfunktionen festlegen können, stellt sich die Frage, ob das gleiche nicht auch für Grundsätze gelten muss. Beide sind Erfordernisse der Raumordnung. Damit rückt der Gegenstand der Raumordnung in den Mittelpunkt der rechtlichen Würdigung. Versteht man ihn als umfassenden Auftrag zur Entwicklung und Ordnung räumlicher Strukturen im Sinne grundgesetzlicher Werte 73 , gibt es keine Materie, die vor dem Zugriff des Planungsträgers der Raumordnung sicher ist. Ein räumlicher, überörtlicher Bezug der Materie reicht aus, um seine Regelungsbefugnis zu begründen. Ein solcher Bezug lässt sich für eine Vielzahl von Materien herstellen. Der Träger der Raumordnung kann dann bestimmen, dass regional einheimische Rohstoffe bei der Energiegewinnung einzusetzen sind, wo der ICE halten muss oder soll, dass in einer Region ein DreiSparten-Theater oder ein Kammerorchester zu erhalten ist, dass bei der Betonherstellung Kies zunehmend durch Splitt substituiert werden muss oder dass ___________ 68

Giesecke/Wysk, in: Hobe/von Ruckteschell, Kölner Kompendium Luftrecht Band II, 2009, H Rn. 89; Stüer, DVBl. 2007, 610, 614 (allerdings nur als Wiederholung gesetzlicher Vorgaben); Steinberg, DVBl. 2010, 137, 140. 69 Hermes, a.a.O. (Fn. 45), S. 18 ff.; Hendler, LKRZ 2007, 1, 5. 70 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075/04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 155; diese Aussage war der Grund, warum der Träger der hessischen Landesplanung von einer zielförmigen Festlegung eines Nachtflugverbots absah. 71 So auch Hoppe, DVBl. 2001, 81, 85; Gronefeld, Rechtliche Stellungnahme über die Voraussetzungen und die Zulässigkeit der Anordnung eines Nachtflugverbots nach Maßgabe der Empfehlung für die Mediationsgruppe für die Zukunft des Verkehrsflughafens Frankfurt am Main, Gutachten, 2001, S. 40. 72 Hendler, LKRZ 2007, 1, 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 64. 73 Goppel, UPR 2000, 431; Peine, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2003, Rn. 125 ff.

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sich ein Bergbauunternehmen am Waldbrandschutz zu beteiligen hat 74 . Die Raumordnung wird bei diesem Verständnis zu einer Superkompetenz, die sich über sämtliche Gesetzgebungs- und Vollzugszuständigkeiten hinwegsetzen könnte 75 . Die LEP-Änderung 2007 und die Urteile des HessVGH zum Flughafen Frankfurt zeigen, welche Sprengkraft in einem solchen Ansatz liegt: Weil die fachplanerischen Möglichkeiten als unzureichend angesehen wurden, um das politisch vorgegebene Ziel eines Flugverbots in der Mediationsnacht zu erreichen, hat die Landesplanung den in § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG bundesrechtlich geregelten fachgesetzlichen Belang des besonderen Schutzes der Nachtruhe zusätzlich „raumordnerisch“ verstärkt und so die Rolle des Fachplanungsgesetzgebers übernommen. Wie problematisch dies ist, wird deutlich, wenn der Träger der Landesplanung das Erfordernis der Raumordnung dahingehend formuliert hätte, dass beim Ausbau des Flughafens – etwa wegen dessen überragender Verkehrsbedeutung – dem Schutz der Nachtruhe ein deutlich geringeres Gewicht beizumessen ist. dd) Das zwingt zur Klärung, was Raumordnung eigentlich regeln darf. Das BVerfG hat im Baurechtsgutachten verdeutlicht, dass Raumordnung eine überörtliche, überfachliche Planung ist, die die Raumnutzung, die Nutzung des Bodens, zusammenfassend plant und aufeinander abstimmt. Damit ist die eigentliche Aufgabe der Raumordnungsplanung beschrieben. Ihre Aufgabe ist die überörtliche Abstimmung von Raumnutzungsansprüchen und Raumfunktionen 76 . An diesen Gegenstand ist sie auch bei Anwendung der raumordnerischen Instrumente gebunden. Raumordnungspläne können räumliche Festlegungen treffen oder Vorgaben für räumliche Festlegungen – sei es als Ziele, sei es als Grundsätze – machen. Das gilt auch für den Schutz der Allgemeinheit vor Lärm. Er muss ebenfalls durch die Verortung der konfligierenden Raumnutzungen und damit vor allem durch deren räumliche Trennung sichergestellt werden. Das kann dadurch geschehen, dass eine zielförmige Standortfestlegung für lärmsensible oder emittierende Nutzungen getroffen wird. Die Festlegungen können konkret standortbezogen (etwa durch Vorbehaltsgebiete, § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 ROG) erfolgen oder abstrakt Anforderungen an den Standort beschreiben, wie dies etwa bei der raumordnerischen Verortung großflächiger ___________ 74 Dazu die instruktiven Beispiele bei Schulte, Raumplanung und Genehmigung bei der Bodenschätzegewinnung, 1996, S. 56 ff., 214 ff., 257 ff., 277 ff.; ders., NVwZ 1999, 942, 943. 75 Durner, a.a.O. (Fn. 62), S. 254 ff.; vgl. bereits Sachverständigenrat für Raumordnung, Die Raumordnung in der Bundesrepublik Deutschland, 1961; gegen ein solches allgemeinpolitisches Mandat zu Recht Schulte, NVwZ 1999, 942, 943. 76 Durner, a.a.O. (Fn. 62), S. 254 ff.; vgl. auch Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Band 2, Kommentar, Stand: 2008, § 3 Rn. 111, nach dem der Schutz der Allgemeinheit vor Lärm auf der Ebene der Raumordnung „in erster Linie“ durch die räumliche Trennung von lärmintensiven und lärmempfindlichen Nutzungen zu erfolgen hat.

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Einzelhandelsbetriebe durch das Konzentrationsgebot geschieht 77 . Zulässig ist aber auch ein Grundsatz, dass bei Standortentscheidungen für die entsprechenden Nutzungen der Schutz vor Lärm mit einem hohen Gewicht zu berücksichtigen ist. ee) Vorgaben an das Immissionsschutzniveau, etwa, dass in Gewerbegebieten nachts nicht produziert werden darf, betreffen dagegen nicht den Gegenstand der Raumordnung im Sinne einer überörtlichen und überfachlichen Planung. Sie können daher keine Erfordernisse der Raumordnung, und zwar weder Ziele 78 noch Grundsätze 79 sein. Soweit Pläne derartige Aussagen treffen, handelt es sich um programmatische Aussagen oder Aussagen mit Appellfunktion, die nicht als Erfordernis der Raumordnung in die fachplanerische Abwägung eingehen dürfen. Dies hat der 4. Senat des HessVGH in seinem Urteil zu der mit dem streitigen Grundsatz nahezu identischen Zielfestlegung in Ziff. 7.4 des LEP 2000 zutreffend festgestellt 80 . Dann kann aber schon aus diesen Überlegungen heraus für den Grundsatz unter Ziff. III.1 der LEP-Änderung 2007 zur Nachtruhe nichts anderes gelten. Auch bei ihm handelt es sich nicht um ein Erfordernis der Raumordnung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ROG, sondern allenfalls um eine programmatische Aussage oder einen rechtlich unverbindlichen Appell der Landesplanung an die Fachbehörde, diesen Erwägungen Rechnung zu tragen. Weder durfte diese Erwägung als Grundsatz der Raumordnung, also als Abwägungsdirektive in die Planungsentscheidung einfließen, noch durfte sie der HessVGH als solche bewerten. b) Übergriffe in die Kompetenz der Fachplanung Zweifel an der Zulässigkeit eines raumordnerischen Erfordernisses zum Schutz der Nachtruhe beim Flughafenbetrieb ergeben sich aus einem weiteren ___________ 77 Dadurch werden diese Betriebe Orten einer bestimmten Zentralitätsstufe zugewiesen, umfassend Uechtritz, NVwZ 2007, 1337 ff. 78 Hoppe, DVBl. 2001, 81, 85; Gronefeld, a.a.O. (Fn. 71), S. 77 f.; Steinberg/Steinwachs, NVwZ 2004, 530, 535; dazu, dass nach der bundesrechtlichen Kompetenzordnung nicht die Raumordnung zur Entscheidung über Betriebsbeschränkungen berufen ist, BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. vom 20.2.2008 – 1 BvR 2389/06 – NVwZ 2008, 775, 777. 79 So versteht auch Hendler das BVerwG, Hendler, Schriftliche Stellungnahme im Rahmen der Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr und des Ausschusses für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz des Hessischen Landtags zur Änderung des Landesentwicklungsplans Hessen 2000 nach § 8 Abs. 7 HLPG (Erweiterung Flughafen Frankfurt Main), 29.1.2007, S. 5. 80 So HessVGH, Urt. vom 16.8.2002 – 4 N 455/02 – NVwZ 2003, 229, 231 zur nahezu wortgleichen Fassung der Ziff. 7.4 des LEP 2000; vgl. auch BayVerfGH, Entsch. vom 15.7.2002 – Vf. 10 – VII-00-Vf. 12 – VII/00 BayVBl. 2003, 109, 113 für einen Appell zur Realisierung von Straßenbauvorhaben.

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Grund. Es stellt sich nämlich die Frage, ob bei der Vorgabe eines bestimmten Immissionsschutzniveaus oder einer Betriebsregelung als Erfordernis der Raumordnung der Träger der Raumordnung nicht in die Kompetenz der Fachplanungsbehörde eingreift. Es entspricht ganz herrschender Auffassung, dass die Raumordnung nicht die Aufgabe der Fachplanung an sich ziehen darf 81 . Das BVerwG betont gerade im Zusammenhang mit den Kompetenzen der Raumordnung, dass es Sache der Fachplanungsbehörde und nicht der Raumordnung ist, über ein wirksames und finanziell tragbares Lärmschutzkonzept zu entscheiden. Die Fachplanungsbehörde hat dem Vorhabenträger die erforderlichen technischen und betrieblichen Schutzvorkehrungen aufzuerlegen 82 . Danach kann es keine Rolle spielen, ob die betrieblichen Vorgaben als Ziele der Raumordnung festgelegt werden oder ob ein Raumordnungsplan Anforderungen an den Betrieb formuliert, die als Grundsätze in die Abwägung einfließen. Das gilt erst recht, wenn man mit dem HessVGH einen gleichsam abwägungsresistenten, zielähnlichen Grundsatz für zulässig hält. Gerade bei einem solchen Verständnis würde der Planfeststellungsbehörde die ihr über § 8 Abs. 1 LuftVG zugewiesene Planungskompetenz zugunsten des Trägers der Raumordnung weitgehend entzogen. Die Raumordnung könnte dann nicht nur (konkrete oder abstrakte) zielförmige Vorgaben zum Standort machen, an die der Träger der Fachplanung bei seiner Standortentscheidung gebunden ist. Sie könnte bei diesem Verständnis auch den Betrieb des Flughafens durch weitere Erfordernisse einschränken und so die entscheidenden Festlegungen für betriebliche Schutzvorkehrungen treffen. Dem Fachplanungsträger bliebe nicht mehr viel an Planungsbefugnis; er würde im Wesentlichen zu einer Genehmigungsbehörde – mit Schwerpunkt vielleicht noch im Bereich des Naturschutzrechts – reduziert. Dies verträgt sich nicht mit der ihm vom Gesetz – hier dem LuftVG – zugewiesenen Aufgabe, in einer planerischen Entscheidung den Fachplanungsbelangen unter Berücksichtigung aller öffentlichen und privaten Interessen zu einer entsprechenden Durchsetzung zu verhelfen 83 . Auch aus diesem Grund handelt es sich bei der Passage der LEP-Änderung 2007 zum ___________ 81

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 64; BVerwG, Urt. vom 30.1.2003 – 4 CN 14.01 – BVerwGE 117, 351, 358 f.; BayVerfGH, Entsch. vom 15.7.2002 – Vf. 10 – VII-00 u.a. – BayVBl. 2003, 109, 112; Heemeyer, Flexibilisierung der Erfordernisse der Raumordnung, 2006, S. 217; Dafft u.a. (Zentralinstitut für Raumplanung), DVBl 2005, 1149, 1156; Spannowsky, UPR 2000, 418, 422; Schulte, NVwZ 1999, 942, 943; Hoppe, DVBl 2001, 81, 85; Stüer/Hönig, UPR 2002, 333, 336; Jannasch, in: Ziekow, Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungsund Naturschutzrechts, 2007, 2008, S. 127, 139; Giesecke/Wysk, a.a.O., (Fn. 68), Rn. H 88. 82 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 155. 83 Das BVerfG hat diese Kompetenzzuweisung ausdrücklich bestätigt, BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. vom 20.2.2008 – 1 BvR 2389/06 – NVwZ 2008, 775, 777.

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Schutz der Nachtruhe nicht um ein – sei es ein zwingendes, sei es ein „nur“ abwägungsrelevantes – Erfordernis der Raumordnung. c) Landesplanung und bundesrechtliche Fachplanung Das in den Urteilen des HessVGH deutlich werdende Verständnis von den umfassenden Aufgaben der Raumordnung und die damit verbundene potentielle Aufwertung der Raumordnung zu einer überfachlichen Superkompetenz wirft zudem die Frage auf, ob das Land im Hinblick auf Lärmschutzziele für den Betrieb von Flugplätzen eigenständige normative Vorgaben machen darf. aa) Die Festlegung von Lärmschutzzielen für den Betrieb von Flugplätzen ist nämlich Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6, 71 GG). Diese Kompetenz umfasst das gesamte Luftfahrtwesen, insbesondere auch die Anlage und den Betrieb von Flughäfen sowie den anlagenbezogenen Lärmschutz 84 . Der Bundesgesetzgeber hat von seiner Kompetenz mit dem LuftVG und dem FluglärmG Gebrauch gemacht. In beiden Gesetzen fehlt eine Ermächtigung der Länder, eigenständige landesrechtliche Vorgaben für den Betrieb von Flughäfen zu treffen. Aus § 13 Abs. 2 FluglärmG folgt nichts anderes. Danach lässt das FluglärmG Vorschriften, die weitergehende Planungsmaßnahmen zulassen, unberührt. Auf den ersten Blick könnte dies dafür sprechen, dass damit auch raumordnerische Erfordernisse Vorgaben zum Betrieb von Flugplätzen machen können, denn auch Raumordnungspläne sind planerische Maßnahmen. § 13 Abs. 2 FluglärmG ermächtigt den Landesgesetzgeber aber gerade nicht zur Regelung der Flugplatznutzung, sondern gestattet über die Festlegungen des Lärmschutzbereichs (§ 4 FluglärmG) hinaus zusätzliche bodenrechtliche Nutzungsbeschränkungen in der Umgebung des Flughafens 85 . Der Landesgesetzgeber erhält daher durch § 13 Abs. 2 FluglärmG nicht die Befugnis, eigenständige Anforderungen aufzustellen, welcher Fluglärm in der fachplanungsrechtlichen Zulassung zumutbar ist bzw. unter welchen Voraussetzungen ein nächtlicher Betrieb zugelassen werden darf. LuftVG und FluglärmG sind in diesem Punkt abschließend 86 . ___________ 84 Vgl. BVerwG, Urt. vom 3.3.1994 – 4 C 1/93 – BVerwGE 95, 88, 90 f.; BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51/89 – BVerwGE 87, 332, 339; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Kommentar, 10. Aufl. 2009, Art. 73 Rn. 22; Degenhart, in: Sachs, GG, Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 73 Rn. 26; Keller, DÖV 1982, 811, 813; ferner HessStGH, Beschl. vom 15.1.1982 – P. St. 947 – ESVGH 32, 20, 25. 85 Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand: April 2008, § 13 FluglärmG Rn. 32; Giesecke/Wysk, a.a.O., (Fn. 68), H. Rn. 88. 86 Dazu, dass die Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG über § 8 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 LuftVG für die vom FluglärmG erfassten Flugplätze die fachplanungsrechtliche Zumut-

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bb) Wenn aber diese Materie dem Bund zur Regelung zugewiesen ist und er der Landesgesetzgebung auch nicht den begrenzten Zugriff auf diese Materie gestattet, greift die Sperrwirkung des Art. 71 GG ein. Nach zutreffender Auffassung verbietet Art. 71 GG sämtliche Aktivitäten der Länder, die die Wahrnehmung der ausschließenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes beeinträchtigen 87 . Nimmt man mit dem HessVGH an, dass die LEP-Änderung 2007 eine bindende, über § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG hinausgehende Vorgabe für den Nachtflugbetrieb an Flughäfen enthält, regelt die Landesverordnung nichts anderes als einen luftrechtlichen Sachverhalt 88 . Mit ihr greift der Verordnungsgeber der LEP-Änderung 2007 ebenfalls in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG ein, und zwar jedenfalls dann, wenn der Inhalt dieser raumordnerischen Festlegung dem abwägungsbeachtlichen Belang ein höheres Gewicht verleihen soll, als dies nach den Vorgaben des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG – so, wie ihn die Rechtsprechung versteht – der Fall wäre. Der HessVGH hat diesen Kompetenzverstoß verkannt. d) Der Regelungsgehalt von Grundsätzen der Raumordnung Aus praktischer Sicht könnten diese dogmatischen Fragen zu vernachlässigen sein, weil es sich bei der streitigen Festlegung in der LEP-Änderung 2007 nur um einen Grundsatz der Raumordnung handelt. Immerhin scheint die Rechtspraxis mit raumordnerischen Anforderungen an die Erhaltung von DreiSparten-Theatern oder Kammerorchestern gut zu Recht gekommen zu sein. Die Problematik wird aber in aller Schärfe deutlich, wenn man – wie hier der HessVGH – von einem der Abwägung durch die Fachplanungsbehörde entzogenen Grundsatz ausgeht, der der Fachplanungsbehörde in ihrer Abwägung ein Nachtflugverbot vorgibt. Dabei kann offenbleiben, ob diese Auslegung des streitigen Grundsatzes durch den 11. Senat zutreffend ist 89 . Dass die Frage ___________ barkeitsschwelle verbindlich vorgeben, Giesecke/Wysk, a.a.O., (Fn. 68), H. Rn. 88; Deutsch, a.a.O. (Fn. 35), B. Rn. 244 f. 87 BVerfG, Beschl. vom 30.7.1958 – 2 BvF 3/58, 2 BvF 6/58 – BVerfGE 8, 104, 117 f.; HessStGH, Beschl. vom 15.1.1982 – P. St. 947 – ESVGH 32, 27; soweit im Schrifttum eine Sperrwirkung nur gegen formelle Landesgesetzgebung anerkannt wird (vgl. etwa Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 71 Rn. 22, ferner Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Band VI, 3. Aufl. 2008, Rn. 88), ergibt sich dies weder aus dem Wortlaut noch der Funktion des Art. 71 GG. Der propagierte Rückgriff auf den Grundsatz der Bundestreue (nichts anderes würde für den Rückgriff auf Art. 31 GG gelten) ist entbehrlich. 88 HessStGH, Beschl. vom 15.1.1982 – P. St. 947 – ESVGH 32, 27. 89 Der VGH unterstellt, dass der Träger der Landesplanung damit ein Nachtflugverbot regeln wollte. Sowohl der Wortlaut des Grundsatzes (er wiederholt im Wesentlichen § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG) als auch seine Entstehungsgeschichte belegen, dass weder

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nach dem Umfang der Bindungswirkung einer solchen Aussage in einem Raumordnungsplan klärungsbedürftig ist, zeigt sich schon daran, dass der 4. Senat des HessVGH die inhaltlich nahezu identische Festlegung in Ziff. 7.4 des LEP 2000 ausdrücklich als Programmsatz ohne Bedeutung für die Planfeststellung eingeordnet hatte. Es ist zudem bezeichnend, dass der HessVGH dem Fachplanungsträger eine Abweichung von dem Grundsatz in Ziff. III.1 der LEP-Änderung 2007 nur insoweit zugestehen will, als außergewöhnliche Betriebsbedingungen vorliegen, die im Zeitpunkt der Landesplanung wegen fehlender Detailschärfe noch nicht vorhersehbar waren 90 . Das Gericht greift damit bewusst oder unbewusst eine Formulierung auf, die das BVerwG im Zusammenhang mit der Befugnis der Fachplanungsbehörde gewählt hat, von einer zielförmigen Standortvorgabe abzuweichen 91 . Damit gibt es zu erkennen, dass es dem fraglichen Grundsatz die gleiche Verbindlichkeit wie einem Raumordnungsziel beimisst. aa) Das ROG differenziert jedoch hinsichtlich der Bindungswirkung der raumordnerischen Erfordernisse. Ziele der Raumordnung sind verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG). Sie sind unter anderem bei der Fachplanung zu beachten (§ 4 Abs. 1 Satz 1 ROG). Das bedeutet, dass die Fachplanungsbehörde sie zwar konkretisieren kann, wenn die Inhalte eines solchen Ziels eine derartige Ausgestaltung ermöglichen 92 . Sie kann sie aber in der fachplanerischen Abwägung nicht „wegwägen“ 93 . Anders ist dies bei Grundsätzen der Raumordnung. Sie sind nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG als Aussagen zur Entwicklung, Ordnung oder Sicherung des Raums in der Fachplanung zu berücksichtigen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 ROG). Sie binden daher die Fachplanungsbehörde nicht, sondern stellen eine Direktive für nachfolgende Abwägungs- oder

___________ der Träger der Landesplanung (ebenfalls das HMWVL) noch der Hessische Landtag, der der Verordnung zustimmen musste, in dieser Festlegung ein Nachtflugverbot sahen; vgl. Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (LT-Drucks. 16/7376 vom 22.5.2007), Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP (LT-Drucks. 16/7340 vom 10.5.2007); wie hier Steinberg, NVwZ 2010, 273, 276 f. 90 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 349/08.T – juris Rn. 72. 91 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 77. 92 BVerwG, Beschl. vom 20.8.1992 – 4 NB 20.41 – BVerwGE 90, 329 ff.; Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch, a.a.O. (Fn. 60), Rn. 808. 93 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 63 ff.; die Frage, ob die strikte Bindungswirkung des § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG auch in der luftrechtlichen Fachplanung gilt, ist damit im Sinne der Bindungswirkung beantwortet, Berkemann, a.a.O. (Fn. 21), S. 9 m.w.N.; Berkemann/Ortloff, NVwZ 2006, 981, 982 f.

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Ermessensentscheidungen dar 94 . Ob sie sich gegenüber anderen Abwägungsbelangen durchsetzen, entscheidet sich erst auf dieser Ebene. bb) Der Hessische VGH verwischt diesen Unterschied. Er missachtet damit die in der Rechtstheorie fundamentale Unterscheidung zwischen den Normkategorien der Regel und des Prinzips 95 . Eine Regel ist eine zwingende Norm, die entweder erfüllt oder nicht erfüllt ist. Sie gebietet, genau das zu tun, was sie verlangt, nicht mehr, nicht weniger. Prinzipien haben eine andere Wirkungsweise. Ihre Anwendung setzt voraus, dass sie nicht von einem gegenläufigen Prinzip zurückgedrängt oder teilweise relativiert werden. Kommt es zu einer Kollision mehrer gegenläufiger Prinzipien, kann eines dem anderen vorgehen. Unter anderen Umständen kann die Vorrangfrage aber auch anders entschieden werden. Das Prinzip mit dem jeweils größten Gewicht geht vor. Ziele der Raumordnung sind demnach normtheoretisch Regeln. Sie müssen zwingend beachtet werden (§ 4 Abs. 1 Satz 1 ROG). Raumordnungsgrundsätze sind dagegen im normtheoretischen Sinn Prinzipien 96 . Sie müssen berücksichtigt werden (§ 4 Abs. 1 Satz 1 ROG), können also durch andere Grundsätze – Prinzipien – im Einzelfall je nach Gewicht und Situation überwunden werden. Das Ergebnis der Planung wird durch sie – wie das BVerwG ausdrücklich betont hat – in keiner Weise vorgeprägt 97 . cc) Im Kern geht es bei den Urteilen vom 21. August 2009 um die Frage, inwieweit ein Grundsatz – also ein Prinzip – mit einem derartigen Gewicht versehen werden kann, dass er sich gegenüber gegenläufigen Belangen in jedem Fall durchsetzt, wie dies der HessVGH hinsichtlich des Konflikts zwischen dem landesplanerischen Grundsatz der Nachtruhe und der Verkehrsnachfrage der Luftfahrtunternehmen in der Mediationsnacht angenommen hat. Unbestreitbar kann ein Grundsatz durch den Gesetzgeber mit einem besonderen Gewichtungsvorrang versehen werden. Auch ein solcher Grundsatz ist in der Abwägung aber bei Vorliegen entsprechend gewichtiger Gegengründe stets überwindbar 98 . Er macht insbesondere die Abwägung mit gegenläufigen Be___________ 94

Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch, a.a.O. (Fn. 60), Rn. 822 ff. Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch, a.a.O. (Fn. 60), Rn. 802 f.; Hoppe, in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl. 2004, § 5 Rn. 19 ff. m.w.N.; ders., DVBl. 1993, 681, 684 f.; ders., DVBl. 1998, 1008, 1010; vgl. grundlegend dazu Dworkin, Taking Rights Seriously, 16. Aufl. 1997, S. 14 ff.; kritisch Di Fabio, in: Planung – Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 75, 82 f.; vgl. auch Durner, a.a.O. (Fn. 62), S. 315 ff. 96 Hoppe, DVBl. 1993, 681, 684 f.; ders., DVBl. 1998, 1008, 1010. 97 BVerwG, Beschl. vom 17.6.2004 – 4 BN 5/04 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 166, S. 141, 142. 98 So BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 164 zum Trennungsgebot des § 50 BImSchG; Steinberg, NVwZ 2010, 273, 275; Hoppe, DVBl. 1993, 681, 684 f.; Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch, a.a.O. (Fn. 60), Rn. 855. 95

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langen nicht von vorneherein obsolet. Mit einem absoluten abstrakten, in der Abwägung nicht zu überwindenden Gewichtungsvorrang könnte ein Prinzip aus normtheoretischer Sicht nur dann versehen werden, wenn Prinzipien und Regeln einer gemeinsamen Klasse von Normen angehören, der Unterschied zwischen ihnen also fließend wäre. Das ist aber nicht der Fall. Die Unterscheidung zwischen ihnen erfolgt nicht komparativ. Sie gehören vielmehr unterschiedlichen Kategorien an und haben unterschiedliche logische Strukturen 99 . Auch in der Rechtsprechung des BVerwG ist dies anerkannt 100 . Grundsätze der Raumordnung – nichts anderes gilt für andere abwägungsbeachtliche Belange – können daher nicht mit einem Gewichtungsvorrang versehen werden, der die nachgelagerte Abwägung des Fachplanungsträgers auf Null reduziert. Wenn sich ein Belang unabhängig von der Intensität seines aktuellen Betroffenseins durchsetzt, besteht die Gefahr, dass ein alle fachlichen Belange einschließendes Planungsergebnis verhindert wird 101 . dd) Grundsätze mit einem absoluten Gewichtungsvorrang stellen nämlich die Struktur der fachplanerischen Abwägung in Frage. Dafür sind die Urteile des HessVGH ein Beleg. Wenn einem vom Fachgesetzgeber als relevant angesehenen Belang ein raumordnerischer Grundsatz mit absolutem Gewichtungsvorrang entgegenstünde, bräuchte dieser gegenläufige Belang weder ermittelt noch müsste er in die Abwägung eingestellt werden. Bei diesem Verständnis bliebe es dem Träger der Raumordnung überlassen, ob der öffentliche Belang der von den Luftfahrtunternehmen an den Flughafen herangetragenen Nachfrage nach (Nacht-)Flugbewegungen 102 entgegen den Vorgaben des LuftVG überhaupt abwägungsrelevant werden wird. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass dieses Defizit dann durch eine umfassende Abwägung auf der Ebene der Raumordnung kompensiert werden muss. Bei der Aufstellung von Grundsätzen ist eine solche Abwägung anders als bei Zielen gerade nicht vorgesehen, wie ein Vergleich der Legaldefinitionen in § 3 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ROG zeigt. Der HessVGH hat zudem nicht verlangt, dass die für und gegen Nachtflüge sprechenden Belange bei der LEP-Änderung 2007 umfassend abgewogen wurden. Im Gegenteil: Er hat es genügen lassen, dass der Verordnungsgeber ein ___________ 99

Hoppe/Bönker/Grotefels, a.a.O. (Fn. 95), Rn. 20; Hoppe, DVBl. 1993, 681, 685; nach Kment widerspricht eine Gewichtungsvorgabe mit einer derartigen Qualität der Natur eines Grundsatzes Kment, NVwZ 2004, 155, 156. 100 BVerwG, Beschl. vom 17.6.2004 – 4 BN 5/04 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 166, S. 141; BVerwG, Beschl. vom 20.8.1992 – 4 NB 20.91 – BVerwGE 90, 329, 333, ausführlich Hoppe, DVBl. 1993, 681, 684 f. 101 Funke, DVBl. 1987, 511, 515, in die gleiche Richtung Steinberg, NVwZ 2010, 273, 276. 102 Zur Bedeutung dieser Nachfrage gerade bei der Abwägungsentscheidung über die Zulassung von Nachtflügen BVerwG, Urt. v. 20.4.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261, 271.

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Nachtflugverbot zur „Prämisse“ der Flughafenerweiterung gemacht hat. Eine Abwägung der für und gegen den quasi bindenden Grundsatz der Nachtruhe sprechenden Belange ist auf der Ebene der Raumordnung gerade nicht erfolgt. Folglich hat es nach dieser Rechtsauffassung der Träger der Raumordnung in der Hand, die nach den Fachplanungsgesetzen in die Abwägung einzustellenden Belange durch einen solchen verbindlichen Grundsatz der Abwägung zu entziehen. Zu Recht wird in der Literatur aus diesem Umstand geschlossen, dass Grundsätze mit einem abstrakten, absoluten Gewichtungsvorrang mit dem Rechtsstaatsprinzip als Grundlage des Abwägungsgebots 103 nicht zu vereinbaren sind 104 . e) Die Konsequenzen der Rechtsprechung Der auf den Raumordnungsgrundsatz zur Nachtruhe in der LEP-Änderung 2007 gestützte Begründungsansatz des HessVGH in den Urteilen vom 21. August 2009 ist daher letztlich nicht tragfähig. Würde er sich durchsetzen, wären die rechtlichen Konsequenzen für das Verhältnis von Raumordnung und Fachplanung, aber auch für die bundesstaatliche Ordnung der Gesetzgebungskompetenzen weitreichend. Der Träger der Landesplanung, selbst der Träger der Regionalplanung könnte bei einem Verständnis der Raumordnung als umfassende Kompetenz zur Entwicklung und Ordnung räumlicher Strukturen letztlich die Rolle des Ersatzgesetzgebers übernehmen. Dies hätte Folgen weit über die luftrechtliche Fachplanung hinaus. 3. Standortspezifischer Nachtflugbedarf Weil der HessVGH die Beibehaltung von 17 Nachtflügen zwischen 23:00 Uhr und 05:00 Uhr bereits an den Erfordernissen der Raumordnung scheitern ließ, musste er auf die Fragen des standortspezifischen Nachtflugbedarfs nicht im Detail eingehen. Das ist deswegen zu bedauern, weil es der Rechtsprechung zu diesen Fragen noch an Konturen mangelt. Allerdings darf bezweifelt werden, ob der HessVGH die Gelegenheit zur schärferen Konturierung genutzt hätte. Er gibt nämlich zu erkennen, dass die von der Rechtsprechung des BVerwG bisher anerkannten Fälle zulässiger Flüge in der Nachtkernzeit nach

___________ 103 BVerwG, Urt. vom 14.2.1975 – IV C 21.75 – BVerwGE 48, 56, 63; BVerwG, Urt. vom 30.4.1969 – IV C 6.68 – BRS 22 Nr. 3; BVerwG, Urt. vom 11.10.1968 – IV C 55.66 – Buchholz 442.40 § 40 LuftVG Nr. 1. 104 Funke, DVBl. 1987, 511, 515.

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seiner Auffassung abschließend sind 105 . Vor diesem Hintergrund gilt es, sich nochmals zu verdeutlichen, wie das von der Rechtsprechung entwickelte Erfordernis des standortspezifischen Nachtflugbedarfs in die Abwägungsdogmatik eingebunden ist. Anhand der vom BVerwG herausgearbeiteten Kriterien ist dann zu fragen, ob die bisher anerkannten Fälle eines standortspezifischen Bedarfs tatsächlich abschließend sind. Unabhängig davon ist in diesem Zusammenhang auch nochmals die dogmatische Begründung dieser Vorgabe für die Zulassung von Flügen in der Kernnacht kritisch zu würdigen. a) Der standortspezifische Nachtflugbedarf und seine Einbindung in die Abwägung Wie erwähnt, handelt es sich bei der Entscheidung über Zulassung und Umfang des Flugbetriebs und damit auch des Nachtflugbetriebs um eine Abwägungsentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG). Eine die Abwägung ausschließende zwingende gesetzliche Vorgabe, dass nachts nicht geflogen werden darf, kennt die luftrechtliche Fachplanung nicht. Das entnimmt die Rechtsprechung zutreffend dem § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG, der ein besonderes Maß an Rücksichtnahme auf die Nachtruhe der Bevölkerung verlangt 106 . Die Vorschrift geht davon aus, dass nachts Flugbewegungen stattfinden können (wenn auch nicht an jedem Flugplatz zwingend müssen). Das verdeutlicht nochmals, dass ein Erfordernis der Raumordnung, das die Problematik des nächtlichen Flugbetriebs der Abwägung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG entzieht, mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren ist. aa) Für diese Abwägung zu ermitteln und in sie einzustellen sind aus Sicht des Vorhabenträgers und der Nutzer insbesondere die derzeitige und künftige Verkehrsnachfrage, die von den Luftfahrtunternehmen hinsichtlich der Nachtflüge an den Flughafen herangetragen werden 107 , die Verkehrsstrukturen, die Nachtflüge erforderlich machen 108 , die wirtschaftlichen Belange des Flughafenbetreibers, der sich auf den Wettbewerb mit anderen Flughäfen einstellen muss 109 , die wirtschaftlichen Interessen der Luftfahrtunternehmen, die von ih___________ 105 Auf das Problem, dass der HessVGH diese Anforderungen (0:00 Uhr bis 05:00 Uhr) nicht nur für die Kernzeit, sondern auch für die zweite Stunde der Nachtrandzeit (23:00 Uhr und 0:00 Uhr) gelten lässt, kann hier nicht weiter eingegangen werden. 106 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332, 369; Grabherr, in: Grabherr/Reidt/Wysk, Luftverkehrsgesetz, Stand: Oktober 1994, § 29 b Rn. 3; Giesecke/Wysk, a.a.O., (Fn. 68) H. Rn. 118. 107 BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261, 271. 108 Deutsch/Kretzschmar, a.a.O., (Fn. 3), S. 36, 51, 54, 56. 109 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 282; zu den Rahmenbedingungen des Flugverkehrs in einem liberalisierten Umfeld Deutsch/Kretzschmar, a.a.O., (Fn. 3), S. 35, 41 ff.

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nen getätigten Investitionen am Standort und das in der Luftverkehrsnachfrage manifestierte öffentliche Verkehrsinteresse 110 . Wird etablierter Verkehr eingeschränkt, ist das Interesse der Luftfahrtunternehmen am Fortbestand der Betriebsregelung zu ermitteln und in die Abwägung einzubeziehen. Einzustellen ist andererseits der Schutz der Bevölkerung vor nächtlichem Fluglärm. Dabei geht es um das Rechtsgut des Gesundheitsschutzes 111 . Zum Schutz vor Fluglärm gehört auch der Belang der Betroffenen, von nächtlichem Fluglärm völlig verschont zu bleiben, also das Interesse an Nachtruhe. Dieser Belang ist allerdings keine Besonderheit des Fluglärms. Ihn gibt es im Grundsatz genauso in anderen Planungsmaterien, sei es die Straßen- oder Schienenverkehrsplanung, aber auch in der Bauleitplanung. bb) Diese Belange sind nach Ermittlung und Einstellung in die Abwägung zu gewichten. (1) Die Interessen der Luftfahrtunternehmen haben grundsätzlich ein höheres Gewicht, wenn eine bestehende und in Anspruch genommene Betriebsregelung beschränkt werden soll, als wenn es um eine Erweiterung des Nachtflugs geht. Hohes Gewicht verleihen den Belangen der Luftfahrtunternehmen und des Flughafenbetreibers die Investitionen, die sie über die Jahre hinweg im Vertrauen auf den Bestand der Betriebsregelung getätigt haben. (2) Auch die Belange der Lärmbetroffenen sind entsprechend zu gewichten. Ihre Interessen sind insbesondere bei einer Vielzahl Betroffener mit der Qualität eines öffentlichen Belangs 112 und nicht nur als bloßes Individualinteresse zu berücksichtigen. § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG weist zudem darauf hin, dass in der Nacht ein besonderes Schutzbedürfnis vor Fluglärm besteht. Dieses besondere Schutzbedürfnis verleiht den Belangen der Betroffenen ein entsprechend hohes Gewicht. Das ergibt sich unabhängig von § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG bereits daraus, dass der Schutz vor nächtlichem Fluglärm einen gesundheitlichen Aspekt hat. Wegen der höheren Sensibilität bei nächtlichem Lärm liegt die gesundheitlich relevante Reaktionsschwelle 113 nachts niedriger als am Tag. Spätestens dann, wenn durch nächtlichen Fluglärm Gesundheitsgefahren drohen, können diese schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht „weggewo___________ 110

Der HessVGH erkennt diese Interessen nicht nur ausdrücklich an, sondern bestätigt auch, dass hinter diesen das öffentliche Interesse an der Optimierung der Luftverkehrsinfrastruktur steht, HessVGH, Urt. vom 21.9.2009 2009 – 11 C 227/08:T, 11 C 312/08.T, 11 321/08.T, 11 C 329/08 11 C 336/08.T, 11 C 359/08.T, 11 C 449/08.T und 11 C 509/08.T – LKRZ 2010, 66, 70. 111 Giesecke/Wysk, a.a.O., (Fn. 68) H. Rn. 78 f.; ferner BVerwG, Beschl. vom 30.11.2006 – 4 BN 14/06 – juris Rn. 6. 112 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 82. 113 Dazu etwa Basner/Isermann/Samel, ZfL 2005, 109 ff.; de Witt/Gärtner, ZfL 2005, 124 ff.; ferner den Überblick bei Giesecke/Wysk, a.a.O., (Fn. 68) H. Rn. 21 ff., insbesondere Rn. 28 ff.

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gen“ werden 114 . Der Schutz vor Fluglärm stellt daher einen Belang mit einem (relativen) Gewichtungsvorrang dar, der einem allein am Verkehrsbedürfnis orientierten schrankenlosen nächtlichen Flugverkehr entgegensteht 115 . cc) Das wirft die Frage auf, wie der Planungsträger die Problematik nächtlichen Fluglärms in der Abwägungsentscheidung zu bewältigen hat. (1) Unstreitig ist, dass dem Schutzbedürfnis nicht allein durch einen pauschalen Verweis der Betroffenen auf passiven Schallschutz Rechnung getragen werden kann 116 . In die Abwägung sind vielmehr auch Maßnahmen zur Reduzierung des Flugverkehrs, also Betriebsbeschränkungen einzubeziehen. Unstreitig ist aber auch, dass der aktive Schallschutz nicht automatisch Vorrang vor dem passiven Schallschutz hat 117 . Dem steht schon entgegen, dass im Luftverkehr anders als bei anderen Verkehrsinfrastrukturen aktiver Schallschutz nicht durch bauliche Maßnahmen am Verkehrsweg sichergestellt werden kann, sondern nur über die Einschränkung des Verkehrs, dessen Zulassung die luftrechtliche Fachplanung gerade ermöglichen soll. (2) Die Rechtsprechung hat sich vor diesem Hintergrund für ein gestuftes Konzept entschieden. Sie entnimmt § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG einen abgestuften Gewichtungsvorrang für Betriebsbeschränkungen in der Nachtzeit. In der nach lärmmedizinischen Erkenntnissen besonders schutzbedürftigen Nachtkernzeit zwischen 0:00 Uhr und 05:00 Uhr kann die Zulassung von Nachtflügen nur mit einem standortspezifischen Nachtflugbedarf 118 gerechtfertigt werden. In den aus lärmmedizinischer Sicht weniger schutzbedürftigen Nachtrandstunden von 22.00 bis 00.00 Uhr und von 05.00 Uhr bis 06.00 Uhr genügen an internationalen Verkehrsflughäfen plausibel nachgewiesene sachliche Gründe wie die Erfordernisse einer effektiven Flugzeug-Umlaufplanung, die Besonderheiten des Interkontinentalverkehrs (Verspätung, Verfrühung) oder die Nutzung des Flughafens als Heimatflughafen oder Wartungsschwerpunkt von ___________ 114 Das BVerwG spricht von einer absoluten Abwägungsgrenze, BVerwG, Beschl. vom 30.11.2006 – 4 BN 14/06 – juris Rn. 6. 115 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332, 334. 116 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 261, allerdings auch mit dem Hinweis in Rn. 262, dass eine Beschränkung des Schutzes auf passive Maßnahmen zulässig sein kann. 117 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332, 346; vgl. BVerwG, Urt. vom 11.11.1988 – 4 C 11.87 – Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 6. 118 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116, Rn. 271; dort wird hinsichtlich dieser Anforderung noch nicht zwischen den Nachtrand und den Kernzeiten unterschieden. In späteren Entscheidungen hat das Gericht klargestellt, dass es sich bei diesen Gründen nicht um einen standortspezifischen Bedarf handelt; BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 Rn. 73; ausdrücklich dann BVerwG, Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001/07 – BVerwGE 131, 316 Rn. 39.

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Fluggesellschaften, wenn sich daraus ergibt, dass die entsprechenden Verkehrsbedürfnisse in den Tageszeiten nicht abgedeckt werden können 119 . (3) Den Vorrang der Betriebsbeschränkung begründet die Rechtsprechung mit der Einzigartigkeit des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG, der nicht auf den Nachtschlaf, sondern auf die Nachruhe, also auf die äußeren Bedingungen für den ungestörten Schlaf 120 , abstelle. Dass die Nachtruhe in der Kernzeit nicht an jedem Flughafen, sondern nur an solchen mit einem standortspezifischen Bedarf durchbrochen werden darf, entnimmt die Rechtsprechung dem Umstand, dass Nachtflugverbote oder -beschränkungen an nahezu allen Flughäfen zum allgemeinen Standard gehören, ohne dass dies Flughäfen oder Luftfahrtunternehmen ruiniert hätte 121 , also die Zulassung von Flügen nur dann gerechtfertigt ist, wenn besondere Umstände, eben ein spezifischer Bedarf und nicht nur die allgemeine Verkehrsnachfrage vorliegt. (4) Anerkannt hat die Rechtsprechung einen standortspezifischen Bedarf für Nachtflüge am Flughafen Leipzig-Halle, die der Beförderung von Expressfracht dienen 122 , ferner für Flüge mit Standardfracht, die in dieses Drehkreuz eingebunden sind und bei denen in Gesamtbilanz weitaus überwiegend Expressfracht transportiert wird sowie für Sonderflüge aufgrund militärischer Anforderungen 123 . Der HessVGH hat einen standortspezifischen Bedarf in ähnlicher Weise für vier Expressfrachtflüge pro Nacht am Flughafen Kassel-Calden bestätigt 124 . Abgelehnt hat das BVerwG dagegen den standortspezifischen Bedarf für Flüge in der Nachtkernzeit für Low-Cost-Carrier und Touristikflüge am Flughafen Leipzig-Halle 125 . b) Die Standortspezifik Folgt man dem Ansatz der Rechtsprechung, stellt sich die Frage, was standortspezifischer Bedarf ist und wie er Nachtflüge auslösen kann. aa) Sprachlich liegt es nahe, etwas Spezifisches gerade an dem Flughafenstandort zu verlangen, das es an anderen Flughäfen nicht gibt und das einen besonderen Bedarf an Nachtflügen auslöst. Der Bezug auf den Standort legt einen ___________ 119

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 288. Giesecke/Wysk, a.a.O., (Fn. 68) H. Rn. 118. 121 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 286; BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 Rn. 72. 122 BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 Rn. 54. 123 BVerwG, Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001/07 – BVerwGE 131, 316 Rn. 58 ff. 124 HessVGH, Urt. vom 17.6.2008 – 11 C 2089/07 – juris Rn. 159. 125 BVerwG, Beschl. vom 1.11.2007 – 4 VR 3000.07 – NVwZ 2008, 217, 218 Rn. 18; BVerwG, Beschl. vom 1.11.2007 – 4 VR 3001.07 – juris Rn. 15. 120

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Zusammenhang mit der Flughafeninfrastruktur – der „Hardware“ eines Luftverkehrsstandorts – nahe. Das ist aber nicht zwingend erforderlich. Das Spezifische eines Standorts kann auch das „Betriebssystem“ sein, das auf dieser Hardware läuft. Im Falle des Flughafens Leipzig-Halle war es das Verkehrskonzept eines Integrators 126 , das mit seiner Zielrichtung auf den Expressumschlag und die Expressbeförderung von Fracht gerade in den Nachtstunden zwingend auf Nachtflüge angewiesen ist. (1) Es ist nicht überraschend, dass sich die Rechtsprechung mit diesem Merkmal schwer tut. Der HessVGH hat in seinem Urteil zu Kassel-Calden mit dem Bedarf von drei im Raum ansässigen Speditionen und der Lage des Flughafens an der Schnittstelle der Bundesautobahnen BAB A44 und BAB A7 argumentiert 127 . Berücksichtigt man, dass Kassel-Calden noch einige Kilometer von dieser Schnittstelle entfernt liegt, heben diese Merkmale ihn jedenfalls nicht signifikant von anderen Flughäfen ab. Detaillierter sind die Ausführungen des BVerwG zur Standortspezifik von Sonderverkehren aufgrund militärischer Anforderungen am Flughafen Leipzig-Halle. Die Planfeststellungsbehörde hatte darauf hingewiesen, dass sich diese Flüge nicht planen ließen. Die konkrete Flugplanung orientiere sich an den Anforderungen des weltweiten Einsatzes von Personal und Material, den unterschiedlichen Zeitzonen, den Anforderungsvorgaben für Be- und Entladung der Transportgüter, z.B. Be- und Entladung an Zielflughäfen bei Tageslicht, vorgegebenen Zeitfenstern für Starts und Landungen, an Vorgaben der jeweils zuständigen Luftverkehrsbehörden, den Möglichkeiten gemeinsamer Nutzung der Flugzeuge mit verschiedenen Teilnehmernationen und daraus resultierender Folgeaufträge, an erforderlichen Wartungsarbeiten sowie unabdingbaren Forderungen aus Gründen der Sicherheit am Zielflughafen und der Einsatzbereitschaft. Als standortspezifische Merkmale führte die Planfeststellungsbehörde aus: Anhaltspunkte für einen besser geeigneten Flughafen als Leipzig-Halle gebe es nicht. Die militärischen Sicherheitsexperten hätten die Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen positiv bewertet. Die Start- und Landebahnen des Platzes verfügten über eine ausreichende Länge für die eingesetzten Flugzeuge. Cateringunternehmen am Flughafen ermöglichten eine Versorgung der Passagiere auch nachts. Der Flughafen ___________ 126 BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 Rn. 54 dazu Meyer-Rühle u. a. (ProgTrans AG), a.a.O. (Fn. 37), S. 30 ff. 127 HessVGH, Urt. vom 17.6.2008 – 11 C 2089/07 – juris Rn. 159; wie die Begründung des Planfeststellungsbeschlusses (Planfeststellungsbeschluss des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 18.7.2007, S. 312) zeigt, war die Fracht nicht zwingend auf diesen Flughafen angewiesen. Es handelte sich zum einen um Fracht, die aus dem Raum Freiburg per Straßentransport nach Kassel transportiert und von dort nach Großbritannien weitergeflogen wurde. Andere Fracht wurde aus Großbritannien nach Kassel geflogen und dann per Straße nach Wien abgebracht.

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sei über eine Eisenbahnlinie in die Stadt angebunden und es gebe dort Unterbringungsmöglichkeiten für die Crews in Vier- und Fünf-Sterne Hotels. Die Anfahrtszeiten zum Flughafen seien vergleichweise gering. Nach Meinung des BVerwG ist gegen diese Bewertung nichts einzuwenden 128 . (2) Zwar lässt sich anhand der Rahmenbedingungen dieser Sonderverkehre noch begründen, warum diese an deutschen Flugplätzen in der Nacht starten und landen müssen. Falls diese Flüge etwa auf anderen Kontinenten zu bestimmten Zeiten ankommen sollen, führt dies – abhängig vom eingesetzten Fluggerät – zwangsweise zu nächtlichen Flugbewegungen in Mitteleuropa (was übrigens keine Besonderheit militärischer Verkehre ist). Deutlich schwieriger ist es aber auch hier, in den von der Planfeststellungsbehörde herausgearbeiteten Standortmerkmalen einen Unterschied zu anderen Flughäfen zu finden, der zu Nachtflügen in der Nachtkernzeit führen kann. Immerhin wird man den entschiedenen Fällen aber entnehmen können, dass eine Kombination aus verkehrlichen Anforderungen (Integrator-, Expressfracht- oder militärischer Sonderverkehr) und Standortbedingungen Flüge auch in der Nachtkernzeit rechtfertigen kann. bb) Deswegen greift es zu kurz, wenn der HessVGH bei der Frage des standortspezifischen Bedarfs das Verkehrskonzept betont, nämlich auf die Beförderung von Expressfracht, den Betrieb eines Integratordrehkreuzes und die in einem Intergratordrehkreuz mitgezogene Standardfracht abstellt und diese Konstellationen erkennbar als abschließend ansieht. Eine solche Argumentation droht sehr schnell in eine dem Luftverkehrsrecht fremde Bedürfnisprüfung 129 mit einer Differenzierung nach „vernünftigen“ und „unvernünftigen“ Flugbewegungen abzugleiten. Deswegen kann der Verkehrszweck nicht abschließend über die Standortspezifik des Nachtflugbedarfs entscheiden. Verkehrsbedarf und infrastrukturelle Ausstattung zusammen machen die Standortspezifik aus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung sich bisher vor allem mit der Nachtflugregelung an Flughäfen zu beschäftigen hatte, an denen Nachtflug zwar zulässig, aber – wenn überhaupt – nur in beschränktem Umfang durchgeführt worden war. Anders dagegen am Flughafen Frankfurt: Dort findet Nachtflugverkehr seit Jahrzehnten in allen Verkehrssegmenten statt. Es ist eine Infrastruktur vorhanden, die auf einen 24-Stunden-Betrieb ausgelegt und angewiesen ist (insbesondere im Frachtbereich). Deswegen hätte es nahe gelegen, der „Hardware-Komponente“ des standortspezifischen Bedarfs größere Aufmerksamkeit zu schenken. Ganz übersehen hat dies der HessVGH nicht, wenn er ohne nähere Begründung immerhin einen standortspezifischen Bedarf bei der ___________ 128

BVerwG, Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3000.07 – BVerwGE 131, 316, Rn. 80. Dazu, dass das LuftVG eine solche Bedürfnisprüfung nicht kennt, BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 Rn. 54, BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261, 275. 129

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Fracht bejaht, diesen aber dann – erstens – als nicht hinreichend dargelegt und – zweitens – wegen seiner Auffassung zur bindenden Wirkung des landesplanerischen „Nachtflugverbots“ für irrelevant hält. c) Der Zusammenhang zwischen Standortspezifik und Nachtflugbedarf Daher bleibt nach dem Ansatz der Rechtsprechung zu klären, ob die jeweiligen Besonderheiten des Flughafenstandorts zu Nachtflügen führen. aa) Wie dieser Zusammenhang zwischen Standorteigenschaften und Nachtflug beschaffen sein muss, ist bisher weder in der Rechtsprechung des BVerwG geklärt, noch lässt sich dies – von ihrem tragenden Begründungsansatz her nachvollziehbar – den Urteilen des HessVGH entnehmen. Die Planfeststellungsbehörde am Flughafen Frankfurt hat die Unabweisbarkeit des Bedarfs in der Mediationsnacht (also auch in der Kernnacht) hervorgehoben 130 . Eine solche Unabweisbarkeit verlangt die Rechtsprechung aber weder ausdrücklich noch lässt sich eine derartige Anforderung dem Entscheidungskontext entnehmen. Das zeigt erneut die Zulassung des militärischen Sonderverkehrs am Flughafen Leipzig-Halle. Es ist nicht erkennbar, dass die infrastrukturelle Ausstattung unabweisbar zu solchen Flügen in der Nachtkernzeit führen muss. Vielmehr reicht es aus, dass die Standortspezifika eine besondere Eignung für Nachtflüge mit sich bringen. bb) Dieser Zusammenhang zwischen den Besonderheiten des Standorts und der Durchführung der Nachtflüge lässt sich am Beispiel des Integratordrehkreuzes verdeutlichen. Ein solches Betriebskonzept ist speziell auf Nachtflüge ausgerichtet: Die Fracht muss nachts über die verschiedensten Verkehrsträger zugebracht, umgeschlagen und wieder abgeflogen werden, so dass die Expressgüter auch am nächsten Morgen ausgeliefert werden können. Um diesen Zweck erfüllen zu können, bedarf es einer entsprechenden Bodeninfrastruktur. Sie ist notwendige Voraussetzung für die Realisierung eines solchen Betriebskonzepts. Ganz ähnlich ist es mit dem militärischen Sonderverkehr. Nach dem Verständnis der Planfeststellungsbehörde wies der Flughafen Leipzig-Halle eine Infrastruktur auf, die für die Durchführung solcher Flüge Voraussetzung ist. In keinem der beiden Fälle löst die Infrastruktur zwangsläufig Nachtflüge aus.

___________ 130

Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007, S. 1026, 1079, 1127.

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d) Der standortspezifische Bedarf an anderen Flughäfen Vor diesem Hintergrund lässt sich die für die Urteile vom 21. August 2009 eigentlich zentrale Frage klären, wie es mit der Erfüllung der Vorgaben des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG an einem Flughafen mit etabliertem Nachtflugverkehr bestellt ist, der anlässlich einer Änderung beschränkt – und nicht erst ausgeweitet – werden soll. An einem solchen Flughafen sind die entsprechenden „Hardware-Komponenten“ – Umschlageinrichtungen, Wartungsanlagen, Terminalinfrastrukturen – vorhanden. Es haben sich nachhaltig Verkehre in der Nacht etabliert. Auf diese Nachtflüge haben sich Passagiere und Versender eingestellt, ihre Nachfrage entsprechend ausgerichtet und im Hinblick darauf – etwa im Logistikbereich – ebenfalls investiert. Die „Hardware-Komponenten“ und die jahrzehntelange Durchführung nächtlicher Flugverkehre lassen nicht nur – wie in Leipzig-Halle – die Prognose zu, dass ein standortspezifischer Bedarf sich einstellen wird. Sie bestätigen, dass ein solcher Bedarf bestand und weiter besteht. Er hat – wie dargelegt – zudem ein ganz anderes und höheres Gewicht in der Abwägung als an einem Flughafen, an dem entsprechende Strukturen erst noch aufgebaut werden müssen. Dies lässt sich gerade am Beispiel des Flughafens Frankfurt zeigen. aa) Besonders deutlich wird dies im Frachtbereich, und zwar auch bei der Standardfracht. (1) Zwar wird an jedem deutschen Verkehrsflughafen auch Fracht befördert. Von diesen Flughäfen hebt sich Frankfurt schon durch die – vorhandene und nicht erst noch zu schaffende – einzigartige infrastrukturelle Ausstattung ab. Sie hat zu einer Konzentration von ca. 60% des gesamten Luftfrachtaufkommens in der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Flughafen geführt. Neben einem entsprechend ausgestatteten Frachtzentrum mit Alleinstellungsmerkmalen kommt hinzu, dass auf dem Flughafengelände bzw. in seinem unmittelbaren Umfeld eine sehr hohe Dichte von Logistikunternehmen vorhanden ist. Vor allem haben die internationalen Großspeditionen dort ihre Consolidation Hubs angesiedelt, in denen sie Luftfracht für den Transport konsolidieren. (2) Ein Unterschied zu den Verhältnissen am Flughafen Leipzig-Halle liegt im Betriebskonzept. In Frankfurt betreibt die Lufthansa Cargo AG kein Integratordrehkreuz, sondern ein Drehkreuz für Standardfracht. Es ist anders als das Integratorkonzept nicht spezifisch auf Nachtflüge mit einem Bewegungsschwerpunkt in der Kernnacht ausgerichtet. Das BVerwG hat für Standardfracht – genauer: Für Flüge, die nicht dem Transport von Expressfracht dienen – keine Rechtfertigung für Nachtflüge anerkannt 131 . Das wirft die Frage nach ___________ 131

BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 Rn. 72; BVerwG, Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001/07 – BVerwG 131, 316 Rn. 61.

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dem Unterschied zwischen Standard- und Expressfracht auf. Dem BVerwG stand bei seinen Entscheidungen zum Flughafen Leipzig-Halle ein auf das klassische Kurier-, Express- und Paketfrachtsegment (KEP) ausgerichtetes Expresskonzept vor Augen, bei dem vorwiegend Frachtsendungen in der Größe von 30 kg-Paketen umgeschlagen werden und bei dem sich die Notwendigkeit der „Overnight-“ oder „time definite“-Lieferung für jedermann – nicht nur im Flugverkehr – geradezu aufdrängt. (3) Wie jedoch das Verfahren um den Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss für Leipzig-Halle 132 belegt, werden auch an einem Integratordrehkreuz nicht nur ausschließlich Expressfrachtgüter geflogen. Dazu ist trotz der Konzentration der Expressfracht auf das Drehkreuz, die den Lufttransport dieser Güter überhaupt erst wirtschaftlich macht, das Aufkommen für einen Zielort regelmäßig zu gering, um das jeweilige Frachtflugzeug völlig auszulasten. Das hängt mit den Rahmenbedingungen des Lufttransports zusammen: Gerade bei Interkontinentalflügen ist die Flugzeuggröße (Treibstoffkapazität, Zahl der Triebwerke) eine wichtige Voraussetzung, um eine entsprechende Distanz überhaupt überwinden zu können und termingerecht am Ziel anzukommen. Wenn für die termingerechte Auslieferung von eiliger Fracht wie der Expressfracht ein Nachtflug erforderlich ist, kann der Flug regelmäßig nur dann wirtschaftlich durchgeführt werden, wenn die verbleibende Frachtkapazität durch die Beiladung anderer Luftfracht genutzt wird, die nach den Vorgaben des Versenders zwar immer noch eilig ist (sonst würde er den kostengünstigeren aber langsameren Land- oder Seetransport wählen), aber auch ohne Nachtflug termingerecht ausgeliefert werden könnte. Deswegen lässt das BVerwG das Befördern von Standardfracht in der Kernnacht zu, wenn sie von der Expressfracht „mitgezogen“ wird. (4) Eilbedürftig sind aber in einer modernen arbeitsteiligen Wirtschaft nicht nur die klassischen KEP-Sendungen. Eilbedürftig und nach den Vorgaben des Versenders nur mittels einer Flugbewegung in der Nacht termingerecht ans Ziel zu bringende Fracht kann jedes Frachtgut von der Stahlplatte über das Maschinenersatzteil bis hin zur temperaturgeführten Bakterienkultur sein, die wegen ihrer begrenzten Lebensdauer zwingend am nächsten Morgen im Labor auf der anderen Seite des Atlantiks ankommen muss. Solche Frachten können nur dann wirtschaftlich befördert werden, wenn sie an einem Flughafen zusammengeführt und von dort abgeflogen werden. Das geschieht an einem Standardfrachtdrehkreuz. Auch dann lassen sich aber die Auslastung eines Flugzeuges und die Wirtschaftlichkeit des Fluges für einen bestimmten Zielort nicht allein durch derartige termingebundene Güter sicherstellen. Es muss also (ganz genau wie bei den Integrator-Flügen) weniger eilige Fracht beigeladen werden. Ent___________ 132

BVerwG, Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001/07 – BVerwG 131, 316 Rn. 61.

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sprechend dem Aufkommen an eiliger Fracht muss ein solches Frachtdrehkreuz aber ebenfalls eine bestimmte Anzahl an regelmäßigen Nachtflügen – auch in der Kernzeit der Nacht – bereitstellen. Andernfalls ist das fachplanerische Ziel, ein solches Drehkreuz zu betreiben oder gar zu stärken, gefährdet. Die Speditionen, die ein solches Drehkreuz beschicken, werden nämlich spätestens mittelfristig ihre Consolidation Hubs an Standorte verlagern, die den für den Versender unabdingbaren 24-Stunden-Betrieb bieten. (5) Daher liegen in Frankfurt nicht nur standortspezifische Besonderheiten im Frachtflugverkehr vor, sondern es besteht auch der notwendige Zusammenhang zwischen diesen Besonderheiten und der Durchführung von Flügen in der Nachtkernzeit. Bei genauerer Betrachtung ziehen die Besonderheiten, die anders als in Leipzig-Halle nicht erst noch geschaffen werden müssen, sondern sich über viele Jahrzehnte hinweg etabliert haben, im Frachtbereich Nachtflüge in der Nachtkernzeit zwingend nach sich. Ein Standardfrachtdrehkreuz ist zwar nicht primär auf Nachtflugverkehr ausgerichtet. Es muss aber auch Nachtflüge für eilige Güter (nicht nur KEP-Fracht) ermöglichen. Andernfalls wird es in seiner Funktionsfähigkeit beschränkt. Wenn nämlich die Speditionen ihr Aufkommen an Standorte verlagern, an denen ein 24-Stunden-Betrieb möglich ist, wird sich mittelfristig das gesamte Frachtaufkommen reduzieren. Die Auslastung wird sinken, bestimmte Zielorte werden mangels Aufkommen nicht mehr oder deutlich seltener bedient werden können. Nicht belegt deutlicher den Zusammenhang zwischen Frachtinfrastruktur und der Notwendigkeit von Nachtflügen als diese Entwicklung. bb) Ein ähnliches Bild ergibt sich für die auf Interkontinentalverbindungen und den Betrieb eines Passagierdrehkreuzes ausgerichtete Flughafeninfrastruktur. (1) Ein derartiges Drehkreuz zeichnet sich durch die Konzentration der Flugbewegungen, aber auch die Unterhaltung und Wartung der Flotte an dem Drehkreuzflughafen aus. Auch dies bedingt eine entsprechende infrastrukturelle Ausstattung mit Terminalkapazitäten, Versorgungseinrichtungen und Diensten, über die nicht jeder Flughafen verfügt. (2) Gerade die bei einem solchen Konzept notwendigen Positionierungsflüge – sei es zum Drehkreuz, sei es zu den Zubringerflughäfen – und die Wartung machen jedenfalls Flüge in den Nachtstunden erforderlich. Je größer das Verkehrsaufkommen ist, desto eher werden Flüge für diese Zwecke zumindest auch am Anfang und Ende der Nachtkernzeit notwendig. Zudem müssen – ähnlich wie bei den militärischen Sonderverkehren – Flüge gerade aus der Drehkreuzfunktion heraus so durchgeführt werden können, dass sie etwa in bestimmten Staaten aus Sicherheitsgründen am Tag ankommen bzw. von dort abfliegen. Dies kann dann – wie das Beispiel Leipzig-Halle zeigt – auch zu Flugbewegungen in der Nachtkernzeit führen. Der Bedarf wird sich dabei aber im Regelfall an den Rändern der Kernzeit bewegen.

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cc) Ein wesentlicher betrieblicher Unterschied zum Integratordrehkreuz liegt sowohl beim Drehkreuz für die Standardfracht als auch beim Passagedrehkreuz in der fehlenden Ausrichtung des Betriebskonzepts gerade auf den Nachtflug. Das ist aber keine Voraussetzung für die Zulassung von Nachtflügen. Kennzeichnend für das Integratordrehkreuz ist die Notwendigkeit eines zahlenmäßig unbegrenzten Nachtflugs 133 . Dass diese Notwendigkeit beim Drehkreuz für Standfracht oder Passage nicht gegeben ist, steht der Zulassung der notwendigen Zahl der Nachtflüge nicht entgegen. Für die Betroffenen hat dies den Vorteil, dass sich an solchen Flughäfen die Belange zugunsten der Nachtflüge kaum im Sinne eines zahlenmäßig unbegrenzten Verkehrs durchsetzen können. Die Planfeststellungsbehörde kann vielmehr anders als bei einem Integratordrehkreuz Bewegungs- oder Lärmkontingentierungen festlegen, ohne dass dadurch die Verkehrsfunktion bzw. im Falle Frankfurt das Planungsziel der Stärkung nicht nur des Passagier- sondern auch des Fracht-Hubs verfehlt wird. e) Der standortspezifische Bedarf als Zulassungsvoraussetzung für Nachtflüge Alle diese Überlegungen können nicht darüber hinweg täuschen, dass die Tatbestandsmerkmale des standortspezifischen Bedarfs wenig trennscharf und zudem schwierig zu handhaben sind. Das wirft die Frage auf, ob mit diesem Kriterium ein tragfähiger Begründungsansatz für die Zulassung von Nachtflügen gefunden ist 134 . aa) Die Rechtsprechung stützt den besonderen Rechtfertigungsbedarf für die Zulassung von Nachtflügen auf die Einzigartigkeit des § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG im Verkehrsinfrastrukturrecht, der den Schutz der Nachtruhe herausstelle. Das setzt voraus, dass § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG eine Vorgabe für die Zulassung von Flugbetrieb und nicht nur eine Vorgabe für den zugelassenen Flugbetrieb enthält. Schon der Wortlaut der Vorschrift spricht für letzteres. Verlangt wird eine besondere Rücksichtnahme auf die Nachtruhe bei der Durchführung von Flugbetrieb. Die systematische Stellung des § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG bestätigt dies. Die Vorschrift schließt sich an die Bestimmungen ___________ 133

Das BVerwG weist bei einem solchen gerade auf die Nutzung der Nachtzeit ausgerichteten Betriebskonzept darauf hin, dass eine zahlenmäßige Beschränkung der Flüge das Ziel einer Planung verfehlen würde, die die Voraussetzungen für ein solches Konzept schaffen soll, BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 Rn. 54. 134 Boewe/Geisler/Bues, in: Hobe/von Ruckteschell, Kölner Kompendium Luftrecht Band II, 2009, B. Rn. 967 ff.; Görgens, NVwZ 2009, 432 ff.; zu unionsrechtlichen Fragestellungen Deutsch, a.a.O. (Fn. 35), B. Rn. 290 ff.

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des § 29 LuftVG über die Luftaufsicht, also die Abwehr von Gefahren für oder durch den zugelassenen Luftverkehr an. Dass es um zugelassenen Betrieb geht, zeigt besonders deutlich § 29b Abs. 1 Satz 1 LuftVG, der Anforderungen für den Betrieb von Luftfahrzeugen in der Luft und am Boden gerade im Zusammenhang mit dem Lärmschutz enthält. § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG hat keine andere Bedeutung, als diese Anforderungen an den zugelassenen Betrieb in der Nacht nochmals zu betonen. Schon deshalb ist die Vorschrift nicht singulär im Verkehrsinfrastrukturrecht: Sie ist kein Infrastrukturrecht. Aber auch als Verkehrsvorschrift ist sie nicht einzigartig. Die Verpflichtung, sich bei der Verkehrsausübung rücksichtsvoll zu verhalten, ist keine Besonderheit des Luftrechts. § 29 b Abs. 1 LuftVG ist nichts anderes als das luftverkehrsrechtliche Äquivalent des straßenverkehrsrechtlichen Rücksichtnahmegebots (§ 1 StVO) 135 . Dieses Rücksichtnahmegebot im Straßenverkehr schützt nicht nur die anderen Verkehrsteilnehmer, sondern auch Dritte, etwa die Anlieger, vor Belästigungen Straßenverkehr 136 . Ein spezielles „Lärmverbot“ enthält das Straßenverkehrsrecht in § 30 Abs. 1 StVO. Es verbietet unnötigen Verkehrslärm137 . Das Straßenverkehrsrecht kennt auch den Schutz der „Nachtruhe“. Er ist in § 30 Abs. 2 StVO geregelt. Die Vorschrift unterwirft nächtliche Veranstaltungen mit Kraftfahrzeugen einem Erlaubnisvorbehalt. Nachtruhe wird auch hier als Ausbleiben des Lärmereignisses verstanden. Daher sind derartige Veranstaltungen allenfalls weitab von Wohngebäuden genehmigungsfähig 138 . Die These, § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG sei einzigartig im Infrastrukturrecht, ist daher in zweifacher Hinsicht nicht zutreffend: Weder handelt es sich um Infrastrukturrecht, noch ist das Schutzgut der Nachtruhe ein singuläres Anliegen des LuftVG 139 . bb) Zweifel sind aber auch an dem Argument angebracht, es komme für die Nachtflüge auf standortspezifische Umstände an, die die Zulassung von Nachtflügen rechtfertigen. Das BVerwG leitet dies daraus ab, dass an den meisten deutschen Verkehrsflughäfen Nachtflugbeschränkungen oder Nachtflugverbote Standard sind. Es handelt sich also um einen Umkehrschluss: Weil Flugverbote der Regelfall an allen Flughäfen sind, müssen für die Zulassung von Nachtflü___________ 135 Der Verfasser greift mit diesem Punkt Überlegungen eines der Referenten des Fachgesprächs Luftrecht am 14. April 2010 in Köln auf. 136 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 40. Aufl. 2009, § 1 StVO Rn. 42 f. m.w.N. 137 Vgl. VwV zu § 30, Umweltschutz und Sonntagsfahrverbot, Zu Abs. 1, zitiert nach König, a.a.O. (Fn. 137) § 30 StVO. 138 Vgl. VwV zu § 30, Umweltschutz und Sonntagsfahrverbot, Zu Abs. 2, zitiert nach König, a.a.O. (Fn. 137) § 30 StVO. 139 Auf das Fehlen eines sachlichen Grundes für einen singulären Schutz der Nachtruhe nur hinsichtlich des Luftverkehrs verweisen Deutsch/Kretzschmar, a.a.O., (Fn. 3), S. 35, 67.

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gen besondere Gründe an dem Flugplatz vorliegen, an dem Nachtflug stattfinden soll. Gerechtfertigt wäre dieser Schluss, wenn der Ausschluss jeglicher Flugbewegungen zumindest in der Nachtkernzeit tatsächlich die Regel wäre. Tatsächlich bot und bietet die Praxis aber stets ein höchst unterschiedliches Bild 140 . Zwar gab es bisher an einigen Flughäfen in der Kernnacht Flugverbote. An anderen Flughäfen waren und sind Verkehre in dieser Zeit zulässig, allerdings mehr oder minderstark beschränkt. Dieses Bild rechtfertigt gerade nicht den allgemeinen Schluss, dass die Zulassung von Nachtflugverkehr in der Nachtkernzeit nur bei Besonderheiten des jeweiligen Flughafens zu rechtfertigen ist. Tragfähig wäre allenfalls der Schluss, dass angesichts der Nachtflugbeschränkungen an allen deutschen Flughäfen, die bis hin zu Nachtflugverboten reichen, eine schrankenlose Zulassung von Flügen in der Nachtkernzeit nur mit einer Ausnahmesituation an dem jeweiligen Flughafen gerechtfertigt werden könnte. cc) Wenn § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG keine Vorschrift ist, die anders als im sonstigen Verkehrsinfrastrukturrecht spezielle Vorgaben zum Schutz der Nachtruhe bei der Zulassung von Verkehr macht und andererseits die Standortspezifik kein geeignetes Merkmal ist, um die Zulassung solcher Flüge zu rechtfertigen, bedeutet dies nicht, dass – was die Rechtsprechung wohl unausgesprochen befürchtet – die Planfeststellungsbehörde Flüge nach Belieben zulassen kann. Trotz aller Kritik bleibt es ein wichtiger Verdienst der Rechtsprechung, dass sie die Notwendigkeit einer Rechtfertigung von Nachtflügen deutlich gemacht hat. Der Schutz der Bevölkerung vor nächtlichem Fluglärm ist im Kern verfassungsrechtlich geboten 141 . Er stellt in jedem Fall erhebliche Hürden für die Zulassung von nächtlichem Flugverkehr auf. Dass dieses Rechtfertigungsbedürfnis steigt, je stärker das Schutzbedürfnis der Betroffenen ist, ist ebenfalls eine Selbstverständlichkeit. Nachtflüge dürfen daher nicht beliebig und auch nicht auf Vorrat zugelassen werden 142 . Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr ein entsprechendes Verkehrsbedürfnis. Das Schutzbedürfnis der Bevölkerung und dieses Verkehrsbedürfnis sind dann zu einem

___________ 140 So gibt es an keinem der internationalen Verkehrsflughäfen wie AmsterdamSchipohl, Paris-Charles de Gaulle oder London-Heathrow ein absolutes Nachtflugverbot in der Kernzeit. Auch an den deutschen Verkehrsflughäfen sind Nachtflüge nicht generell ausgeschlossen. In Hannover, Köln-Bonn, Hahn oder Nürnberg sind begrenzt Nachtflüge in der Kernzeit zulässig, in Frankfurt war dies bisher der Fall, ebenso in Berlin-Schönefeld oder Leipzig-Halle, vgl. Deutsch/Kretzschmar, a.a.O., (Fn. 3), S. 35, 68 Fn. 111. 141 BVerwG, Urt. vom 21.3.1996 – 4 C 9/95 – BVerwGE 101, 1 ff. zur 16. BImSchV, BVerwG, Urt. vom 28.6.2000 – 11 C 13/99 – BVerwGE 111, 276, 282; Giesecke/Wysk, a.a.O. (Fn. 68), H. Rn. 79. 142 BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261, 273.

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entsprechenden Ausgleich zu bringen. Ob und in welchem Umfang Flüge zugelassen werden können, hängt von der Verkehrsbedeutung des Flughafens, dem Umfang und der Nachhaltigkeit der Nachfrage, der Zahl der von Nachtflugbewegungen Betroffenen sowie der tatsächlichen und planerischen Vorbelastung der Umgebung ab. Auch diese Kriterien werden regelmäßig einer schrankenlosen Einführung des Nachtflugverkehrs entgegenstehen. Sie können auch die Einschränkung eines bereits vorhandenen Flugbetriebs in der Nacht rechtfertigen. Sie haben aber den Vorteil, rigorose Lösungen und vor allem den sich derzeit abzeichnenden – unzulässigen – Rückgriff auf den Zweck der Flüge zur Rechtfertigung eines Nachtflugverbots zu vermeiden.

f) Die Notwendigkeit der Präzisierung des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG Angesichts der vielfältigen praktischen und dogmatischen Probleme, die die Kriterien des standortspezifischen Bedarfs zur Rechtfertigung der Zulassung von Nachtflügen aufwerfen, ist es mehr als bedauerlich, dass der HessVGH – wenn auch von seinem Ansatzpunkt aus konsequent – von einer detaillierte Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG weitgehend abgesehen hat. Nahe gelegen hätte dies nicht zuletzt deshalb, weil der gleiche Senat in seinem Urteil zu Kassel Calden einen standortspezifischen Bedarf für Expressfrachtflüge bejaht hat, obwohl die dafür angeführten Besonderheiten sich im Vergleich zu Frankfurt eher bescheiden ausnehmen. Angesichts der Bedeutung Frankfurts für den internationalen Luftverkehrs und angesichts der faktischen Vorbildwirkung des Urteils für den Flugbetrieb an anderen deutschen Großflughäfen wäre eine Auseinandersetzung des Gerichts mit den Anforderungen des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG mehr als wünschenswert gewesen.

III. Bewertung Die Urteile des HessVGH – besser die Verfahrensgeschichte, die sich von diesen Entscheidungen nicht trennen lässt – sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, und zwar nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus rechtspolitischer Sicht. Die Vorgeschichte auf dem Weg zum Planfeststellungsbeschluss zeigt, welche Bedeutung ein informelles, demokratisch letztlich nicht legitimiertes und auch in seiner Zusammensetzung nicht repräsentatives Gremium wie die Mediationsgruppe und deren Nachfolger, das RDF, auch in rechtlicher Hinsicht bekommen kann. Die Arbeit der Planfeststellungsbehörde wird durch ein solche

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zusätzliche „Kontrolleinrichtung“ nicht einfacher. Zur immer wieder propagierten Beschleunigung von Verfahren 143 passt eine solche Institution ebenfalls nur beschränkt. Es ist nicht zuletzt staatsrechtlich eine interessante und bisher auch nicht geklärte Frage, inwieweit einer solchen informellen Institution letztlich Einfluss auf Behördenentscheidung eingeräumt werden darf und soll. Auch politisch sind die Urteile ein Lehrstück, zeigen sie doch, dass die Politik nicht immer damit rechnen kann, dass die Gerichte die Probleme lösen, die sie selbst nicht angehen will. Das ist trotz aller Kritik an der Begründung der Urteile ein durchaus positiver Aspekt. Insgesamt setzen sie allerdings eine Tendenz fort, die schon seit einiger Zeit in der luftrechtlichen Fachplanung zu erkennen ist: Die Gerichte akzeptieren zwar die Standortentscheidung. Gerade wenn diese Standortentscheidung aber fraglich ist (so vor allem beim Flughafen Berlin-Schönefeld), scheinen sie dazu zu neigen, die Auswirkungen über einen Eingriff in das Betriebsregime zu korrigieren. Kommen dann noch politische Vorfestlegungen zum Betrieb wie im Falle des Flughafens Frankfurt hinzu, wird die Kontrollaufgabe der Gerichte sehr schwer. Ob dadurch auf Dauer sowohl dem Anliegen der Verkehrsinfrastruktur, aber auch den berechtigten Anliegen der Betroffenen Rechnung getragen werden kann, darf bezweifelt werden. Dass eine Entscheidung letztlich die Erwartungshaltungen aller Beteiligten verfehlt, ist nicht immer Indiz und in keinem Fall Beleg dafür, dass sie zutreffend ist. Der rechtliche Begründungsansatz der Urteile über die Erfordernisse der Raumordnung birgt schließlich immenses Konfliktpotential. Wäre er zutreffend, könnte die Landesplanung unter dem Deckmantel der Raumordnung nahezu jedes raumrelevante Thema mit weitreichenden Konsequenzen für Fachund Bauleitplanung an sich ziehen. Sie könnte nicht nur Vorgaben zum Immissionsschutzniveau vor Anlagenlärm, sondern auch Vorgaben zum Betrieb – etwa dem Einsatz von Brennstoffen – mit dem Argument des raumbezogenen Klima- oder Umweltschutzes machen. Die Liste ließe sich verlängern. Derartige Inhalte mögen der Landesplanung schon bisher nicht fremd gewesen sein. Das war unproblematisch, soweit sie die Rechtsprechung als politische Appelle ohne Bindungswirkung für nachgelagerte Planungen oder Zulassungsentscheidungen verstanden hat. Werden sie allerdings als Raumordnungsgrundsätze interpretiert, denen auch noch eine Bindungswirkung vergleichbar einem Ziel der Raumordnung zukommt, mutiert die Raumordnung zu einer Superkompetenz auf Landesebene. Der Träger der Landesplanung hat dann eine umfassende Gestaltungsmacht. Unliebsame oder unpopuläre Raumnutzungen könnte er über raumordnerisch verpackte Anforderungen an die Ausübung der Nutzung ___________ 143 Vgl. den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP zur 17. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, „Wachstum, Bildung und Zusammenhalt“ vom 29.10.2009, S. 17.

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für sein Territorium einschränken oder gar nach dem Sankt-Florians-Prinzip ausschließen. Dies ist das Gegenteil einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung mit gleichwertigen Verhältnissen in allen Teilräumen.

Der Flughafen Frankfurt vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof – Perspektiven für die Entwicklung des Flughafenplanungsrechts Von Bernhard Schmitz

I. Vorgeschichte Mit dem Abschluss der Mediation zum Ausbau des Flughafens Frankfurt/ Main stand im Jahre 2000 fest, dass der Flughafen großräumig, insbesondere um eine neue Bahn und einen neuen Terminal, ausgebaut werden würde. Teilnehmer der Mediation waren u. a. der Betreiber des Flughafens, die Fraport AG, die Lufthansa AG sowie weitere Nutzer der Infrastruktur und die wichtigsten Umlandgemeinden wie Frankfurt, Offenbach, Raunheim, Kelsterbach und Stadt Mörfelden-Walldorf. Für die meisten Kommunen der bereits stark vorbelasteten Region würde der Ausbau erheblichen Lärmzuwachs und noch gravierendere Einschränkungen in städtebaulicher Hinsicht mit sich bringen. Als Ergebnis der Mediation wurde daher auch ein Nachtflugverbot, gleichsam als Kompensation, vereinbart. Unter „Nachtflugverbot“ wurde gemäß der Empfehlung der Mediationsgruppe der faktische Ausschluss von planmäßigen Starts und Landungen zwischen 23.00 und 05.00 Uhr verstanden. 1 Die Beteiligten gingen von einem Junktim aus, also kein Nachtflugverbot ohne einen Ausbau. In der Folge richteten zahlreiche kommunale und private Betroffene an das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung (HMWVL) Anträge auf aktiven und passiven Schallschutz in der Nacht, da die Zunahme des Nachtflugbetriebs durch technische Maßnahmen zur Emissionsminderung nicht angemessen ausgeglichen werden konnte. Ergebnis waren die Bescheide aus den Jahren 2001 und 2002, die u. a. ein Nacht___________

Zum Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.8.2009 – 11 C 227/08.T u. a. Die Angabe „Hess.VGH“ ohne weiteren Zusatz in den folgenden Fußnoten verweist auf diese Entscheidung. 1 Abschlussbericht der Meditationsgruppe Flughafen Frankfurt/Main vom Juli 2000, Seite 178/179.

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schutzgebiet vorsahen. Damit einher ging die Verpflichtung des Betreibers, Entschädigung für passiven Schallschutz im Wesentlichen durch Lärmschutzfenster zu leisten. Weitergehenden Anträgen, etwa auf ein Nachtflugverbot, kam die Behörde jedoch nicht nach. Einige Kommunen zogen deshalb vor den Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel (VGH). Die Klagen wurden abgewiesen. Zunächst schloss das Gericht Ansprüche auf Teilwiderruf oder Änderung der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung nach § 6 Abs. 2 Satz 4 LuftVG mit dem Ziel der Einschränkung des Flugbetriebs wegen § 9 Abs. 3 LuftVG aus. 2 Bemerkenswert ist sodann das Urteil vom 3.6.2004 12 A 1118/1521/01. 3 Darin lehnt der VGH auch den Anspruch aus § 49 Abs. 2 Nr. 5 HVwVfG auf Teilwiderruf der Genehmigung aus Gründen der Priorität und Verhältnismäßigkeit ab und erklärte den Vorrang des passiven vor dem aktiven Schallschutz. Auch ein Anspruch nach § 75 Abs. 2 HVwVfG scheide aus, da mangels eines neuen gesicherteren Standes der wissenschaftlichen Erkenntnis keine Gesundheitsgefährdung bzw. Nutzungsaufhebung der kommunalen Einrichtungen festzustellen sei. Die ermittelten Werte reichten nachts an 55 db(A) außen heran.

II. Das Urteil vom 21. August 2009 Am 18.12.2007 erging dann nach einem sehr intensiv geführten Planfeststellungsverfahren, der Erörterungstermin dauerte ein halbes Jahr, die eingereichten Unterlagen mussten überarbeitet werden, der Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Flughafens. Zuvor war ebenfalls im Jahr 2007 der Landesentwicklungsplan geändert worden (LEP 2007) und neben Grundsätzen zum Ausbau und Nachtlärmschutz als raumordnungsrechtliches Ziel eine Vorrangfläche für die neue Landebahn im Kelsterbacher Wald festgesetzt worden. Auf die dagegen gerichteten Klagen der Kommunen erkannte das Gericht in seinem Urteil vom 21.8.2009, die Klagen seien begründet, soweit sich die Kläger gegen die Zulassung von 17 planmäßigen Flügen in der Zeit zwischen 23.00 und 05.00 Uhr und dagegen wenden, dass der Durchschnitt der 150 zugelassenen Nachtflüge auf ein volles Kalenderjahr bezogen ist. Insoweit sei der Beklagte zu einer Neubescheidung zu verpflichten. Im Übrigen seien die Klagen abzuweisen. Zudem wurde die Revision zugelassen. 4

___________ 2 3 4

Hess. VGH, Urteil vom 23.12.2003 – 2 A 2815/01 , Juris. NVwZ-RR 2005, 805-812; IR 2004, 232; ZLW 2005, S. 142-167. 11 C 312/08.T u.a.; NVwZ 2010, 334-335 (Leitsatz); Langtext bei Juris.

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Im Folgenden werden drei der Leitsätze herausgegriffen und näher dargestellt, insbesondere weil nach Meinung des VGH sich mit dem Inkrafttreten des neuen FlugLG die Rechtslage grundlegend geändert habe. 1. Leitsatz – Raumordnerische Grundlagen „Wird in dem Landesentwicklungsplan eine Vorrangfläche für die Erweiterung eines Flughafens als Ziel der Raumordnung festgelegt, hat das nicht zur Folge, dass auch die angestrebte Nutzung, die durch den Vorrang gesichert werden soll, selbst in den Rang eines Ziels der Raumordnung gehoben wird.“ 5

Was bedeutet dies nun für die Abwägung in der Planfeststellung? Offensichtlich hatten Kläger bemängelt, dass es an einer hinreichend abgewogenen zielförmigen Standortentscheidung auf der Ebene der Raumordnung fehlen würde. In diesem Zusammenhang ist auf § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG hinzuweisen, der die Legaldefinition enthält, was legitimerweise Ziel der Raumordnung sein kann. Danach handelt es sich um verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. 6 Aus dem Leitsatz könnte sich daher im Umkehrschluss ergeben, dass die Standortentscheidung für eine neue Landebahn im LEP weder als verbindliche Vorgabe noch als abschließend abgewogen angesehen werden kann. Dann stellt sich aber die Frage, wie dieser Leitsatz in Übereinstimmung mit der Ansicht des VGH steht, wonach die Wahl des Flughafenstandorts vorrangig auf der Ebene der Raumordnung zu treffen ist. 7 Denn zwischen der Standortentscheidung nach § 8 Abs. 5 Nr. 1 Nr. 3 a i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG und dem Vorranggebiet nach § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 ROG besteht ein qualitatives Rangverhältnis. Die Gebietsfestsetzungen des § 7 Abs. 4 ROG (a.F.) dienen der Flächenvorsorge und der Sicherung standortgebundener Nutzungen und Funktionen. 8 Es handelt sich also um planerische Mittel zur Steuerung der Entwicklung und Ordnung des Planungsraums. Bei der Standortentscheidung handelt es sich hingegen um den Kerninhalt für Raumordnungspläne in Form von Festlegungen für Infrastrukturstandorte, die in den Plänen enthalten sein müssen. 9 Somit wäre die Standortentscheidung möglicherweise nur dann vor___________ 5

Hess. VGH, Juris, Rn. 433. BVerwGE 90, 329 ff.; Grotefels in: Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, S. 75 m.w.N.; Runkel in: Bielenberg/Erbguth/Runkel, RuL § 3 Rn. 21 ff. 7 BVerwG, Urteil vom 13.12.2007 4 C 9/06 , Juris Rn. 66; Hess. VGH, AU S. 89. 8 Spannowsky, Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnung, § 7 Rn. 94. 9 Spannowsky, a.a.O. 6

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rangig, wenn auch sie als Ziel der Raumordnung ausgewiesen worden wäre. Man könnte aber auch die Ansicht vertreten, dass eine hinreichend vorrangige Standortentscheidung getroffen wurde. Etwa weil die Standortentscheidung nur unter der auflösenden Bedingung einer ablehnenden Nutzungsentscheidung steht. Hierfür spricht, dass vorliegend im LEP die Nutzungsentscheidung bereits als ein raumordnungsrechtlicher Grundsatz zu dem Ziel der Vorrangfläche hinzu getreten ist. Der VGH hält es also demnach für zulässig, dass die verbindliche Nutzungsentscheidung für einen raumbedeutsamen Flughafenausbau erst im Rahmen der planerischen Abwägung getroffen wird. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass für die planerische Abwägung keine der fachplanerischen Abwägung im engeren Sinne vorrangige Standortentscheidung nach § 8 Absatz 5 S. 1 Nr. 3 a i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG erforderlich ist. Damit hat der VGH das Merkmal der „Vorrangigkeit“ jedoch nicht aufgegeben. Vorrangig bedeutet vielmehr, dass es auch ausreicht, die Standortentscheidung als Grundsatz mit einem Ziel zur Flächensicherung zu kombinieren. In jedem Fall dürfte der Abwägungsspielraum der Fachplanungsbehörde aber durch das Merkmal der „Vorrangigkeit“ weiter eingeschränkt sein. Denn es tritt über die Belange des Raumes mit seiner besonderen Gewichtungswirkung 10 in die Abwägung ein. Damit kommt dann aber auch den raumordnerischen Planungsgrundlagen, die hier insbesondere in der Umsetzung eines Nachtflugverbotes bestanden, in der fachplanerischen Abwägung größeres Gewicht zu. Zumal wenn sie wie im Falle des LEP 2007 in einem weiteren Grundsatz zum Nachtlärmschutz zum Ausdruck gebracht werden. 2. und 3. Leitsatz Fluglärmschutzgesetz „Das Fluglärmschutzgesetz (FlugLG) vom 1. Juni 2007 verstößt weder gegen Gemeinschafts- noch gegen Verfassungsrecht.“ 11 „Die in § 2 Abs. 2 FlugLG definierten Grenzwerte gelten über § 8 I 3 LuftVG auch für die planerische Abwägung; die Regelung entbindet die Planfeststellungsbehörden und Gerichte weitgehend von der bisher notwendigen Auseinandersetzung mit der Lärmwirkungsforschung.“ 12

Die Kläger hatten vorgetragen, dass das Lärmschutzkonzept der Planfeststellungsbehörde im Wesentlichen auf eine rechtswidrige Auslegung des FlugLG zurückzuführen und im Ergebnis unzureichend sei. Der VGH geht indes von ___________ 10 11 12

Vgl. etwa den Fall des § 1 Abs. 5 BauGB. Hess. VGH Juris, Rn. 581, Rn. 589. Hess. VGH Juris, Rn. 609.

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einer im zulässigen Gestaltungsrahmen vorgenommenen strengen Typisierung und Pauschalierung des Gesetzgebers aus, welche die von der Behörde getroffene Entscheidung rechtfertige. Die Entscheidung, dass die Belästigung durch Fluglärm am Tag erst ab diesem Wert von 60 dB(A) erheblich ist, ließe sich z. B. nicht unter Hinweis auf die sogenannte RDF-Belästigungsstudie 13 und daran anknüpfende gutachterliche Stellungnahmen der Sachbeistände der Kläger in Frage stellen, so der VGH. 14 Die Folgerung des VGH aus diesen beiden Leitsätzen lautet, dass die Werte des § 2 Abs. 2 FlugLG die fachplanungsrechtliche Unzumutbarkeitsgrenze unabhängig von lärmmedizinischen Einzelfragen bilden. Zur Begründung führt das Gericht aus: „Die (neuen) lärmmedizinischen Erkenntnisse können auch unter besonderen Voraussetzungen im Einzelfall Bedeutung bei der abwägenden Entscheidung über einzelne Betriebsregelungen oder der Ermittlung atypischer Situationen erlangen. Soweit die Werte des § 2 Abs. 2 FLugLG aber nicht überschritten werden, können Lärmbetroffene unter Berufung auf anderweitige Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung keine Ansprüche auf baulichen Schallschutz oder Entschädigung mehr mit Erfolg geltend machen. Die pauschalierende Wirkung der Definition der Grenzwerte schließt es auch aus, entsprechende Ansprüche in Bezug auf einzelne Schutzziele, zum Beispiel auf möglichst ungestörte Kommunikation, durchsetzen zu können.“15

Diese Begründung sieht sich allerdings nur vordergründig in Übereinstimmung mit der allgemeinen Auffassung, dass der Lärm unterhalb der fachplanungsrechtlichen Unzumutbarkeitsschwelle in der planerischen Abwägung gem. § 8 Abs. 1 LuftVG als Belang lediglich zu berücksichtigen sei und daher nicht zwingend zu Schallschutzmaßnahmen führen kann. Dem Betroffenen steht in diesem Zusammenhang das Recht auf fehlerfreie Abwägung seiner Belange zu. Denn man vermisst an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen dem unbestimmten Rechtsbegriff der „erheblichen Belästigung“ auf der Ebene der Unzumutbarkeit und der „Erheblichkeit“ der Belästigung im Sinne der abwägungserheblichen Belange. 16 Das Urteil ist an dieser Stelle jedoch keineswegs widersprüchlich, sondern in sich konsequent. Der Zusammenhang erschließt sich daraus, dass im Urteil zuvor das FlugLG hinsichtlich der dort vorgesehenen Maßnahmen, die den Bereich des sog. passiven Schallschutzes abdecken sollen, als abschließend angesehen wird, soweit sein Anwendungsbereich geht. Insofern stünde der Abwä___________ 13

Gutachten der ZEUS-GmbH, Schreckenberg und Meis, vom 11. September 2006. Hess. VGH A.a.O. 15 Hess. VGH Urteil, AU S. 148 f.; Juris Rn. 609. 16 Vgl. BVerwGE 107, 313, 322; zu den Einzelheiten: Schmitz, Kommunales Lärmschutzkonzept zum Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main, 8. Speyerer Luftverkehrsrechtstag, S. 48. 14

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gung kein Spielraum mehr offen. Es wird ausdrücklich festgestellt, dass die Behörde unterhalb der Werte des § 2 Abs. 2 FlugLG keinen baulichen Schallschutz oder Entschädigung gewähren könne. Eine andere Frage sei es lediglich, ob die Planfeststellungsbehörde im Rahmen der planerischen Abwägung baulichen Schallschutz oder Entschädigungsleistungen unterhalb der Grenzwerte des § 2 Abs. 2 FlugLG in Fällen zu gewähren hat, die von dem Fluglärmschutzgesetz offensichtlich nicht geregelt werden. 17 Diese Begründung führt also zu einem Abwägungsverbot über weitergehenden passiven Schallschutz und wirkt daher einseitig zu Lasten der Lärmbetroffenen. Im Folgenden berücksichtigt der VGH auch die damit nicht in Einklang zu bringende Haltung des BVerwG und führt aus, das Bundesverwaltungsgericht habe zwar unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die zuständige Behörde bei der Festsetzung von Lärmschutzbereichen befugt sein könnte, die Lärmgrenzwerte „zu Gunsten bestimmter Gruppen besonders schutzwürdiger Lärmbetroffener oder Einrichtungen zu unterschreiten.“ 18 Für die Festsetzung der Lärmschutzbereiche durch Rechtsverordnung der Landesregierung dürfte angesichts der strikten Formulierungen in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Sätze 1 und 2 sowie in § 4 Abs. 3 und 4 FlugLG nach Meinung des VGH jedoch kein derartiger Spielraum bestehen. 19 Diese Begründung eines Abwägungsverbots wirft grundsätzliche Fragen auf. Es wurde auch schon vor Erlass des FlugLG mit Typisierungen gearbeitet. Typisierend und damit auch mittelbar einschränkend auf individuelle Lärmschutzansprüche wirkte von je her, dass die konkreten Gegebenheiten im Zusammenhang mit der Unzumutbarkeitsschwelle nicht personenbezogen, sondern bezogen auf Grundstücke zu bestimmen waren. So ist es für die Begründung eines Abwägungsverbots nicht weiterführend, wenn der VGH ausführt: „Für die fachplanerische Bewertung der Lärmschutzbelange kommt es auch nicht auf die individuelle Situation der Betroffenen an. Das teilweise sehr umfangreiche Vorbringen, zum Beispiel aufgrund des Alters, der Gesundheit oder der beruflichen Tätigkeit in besonderem Maße auf Lärmschutz angewiesen zu sein, ist rechtlich unerheblich. Das neue Fluglärmschutzgesetz knüpft an den Begriff der Wohnung an. Es hat also nichts daran geändert, dass dem Fachplanungsrecht insoweit kein personenbezogener, sondern ein grundstücksbezogener Lärmschutz zugrunde liegt. Dem Gesetzgeber steht es frei, im Rahmen der Regelung der Zumutbarkeit von Fluglärm einen pauschalierenden Maßstab anzulegen. Die Grenzwerte des § 2 Abs. 2 FLärmSchG erfassen alle Formen des Wohnens und alle individuellen Besonderheiten der in den Wohnungen lebenden Menschen.“ 20

___________ 17 18 19 20

Hess. VGH Juris Rn. 604. BVerwG, Beschluss vom 13.9.2007 –k 4 A 1007.07, Juris, Rn. 29. Hess. VGH Juris Rn. 604. Hess. VGH AU, S. 223 und S. 148.

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Denn die Rechtslage vor Inkrafttreten des FlugLG war in dieser Hinsicht nur scheinbar eine andere: Die Frage, welche „Nachteile“ im Sinne des § 9 Abs. 2 LuftVG die Anordnung von Schutzanlagen (…) erfordern, sei im allgemeinen nicht aufgrund einer überschauend-regionalen Betrachtung, sondern im Hinblick auf die individuelle Zumutbarkeit der Lärmeinwirkungen auf einzelne Grundstücke zu beantworten. 21 Denn nur soweit die Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ergebe, dass die mit der Planfeststellung zu bewältigenden Probleme für einzelne von Lärmwirkungen betroffene Grundstücke ohne auf deren individuelle Bedürfnisse ausgerichtete Schutzauflagen unbewältigt blieben, bestehe Anspruch auf eine speziell diesen Belangen Rechnung tragende Auflage bzw. eine angemessene Entschädigung. Anders war aber die daraus gezogene Schlussfolgerung. Gerade bei raumgreifenden Großprojekten müsse damit gerechnet werden, dass in der Umgebung die maßgeblich individuelle und relative Zumutbarkeitsgrenze in mannigfacher Weise variiert. Könne die Planfeststellungsbehörde solchen Unterschieden nicht in der gebotenen Weise Rechnung tragen, weil z. B. die Vielzahl der Einzelfälle dies sinnvoll nicht gestattet, so könne sie nach Lage der Dinge gleichartig betroffene Grundstücke zusammen fassen oder nach Art einer Meistbegünstigung allgemein den Lärmschutz gewähren, den die schutzwürdigsten und schutzbedürftigsten Grundstücke der durch Fluglärm beeinträchtigten Umgebung beanspruchen könnten. Bei Ausweisung entsprechender Schutzgebiete habe die Planfeststellungsbehörde einen planerischen Spielraum, dessen gerichtliche Überprüfung sich auf eine Plausibilitäts- und Missbrauchskontrolle beschränken müsse. 22 Aus der Zurücknahme der Berücksichtigung individueller persönlicher Gesichtspunkte durch den Gesetzgeber kann die vom VGH postulierte Änderung der Rechtslage also nicht abgeleitet werden. Diese Auslegung des Gerichts, wonach unterhalb der Unzumutbarkeitsschwelle kein passiver Schallschutz gewährt werden könne, erscheint daher nicht nur wegen der offensichtlichen Divergenz mit dem BVerwG problematisch. Zweifel sind auch im Hinblick auf die grundrechtskonforme Auslegung des Begriffs der Unzumutbarkeit und deren Verhältnis zur planerischen Abwägung angebracht. Denn der bisher vorhandene Abwägungsspielraum hinsichtlich von Lärm oberhalb der Erheblichkeitsschwelle würde zugunsten einer sehr strengen Typisierung und eines Abwägungsverbots aufgegeben. Es käme hinsichtlich passiver Schallschutzmaßnahmen ausschließlich auf die gesetzgeberisch festgesetzte Grenze der fachplanungsrechtlichen Unzumutbarkeitsschwelle an. ___________ 21 22

BVerwGE 56, 110 (130); 87, 322 (377). Storost, GfU 2004 (Bd. 33), S. 153 f.

Bernhard Schmitz

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Es drängt sich vor allem die Frage auf, ob das FlugLG als Anknüpfungspunkt für eine derartig strenge jeglichen Abwägungsspielraum ausschließende Typisierung überhaupt geeignet ist. Gegenstand gesetzgeberischer Typisierung sind grundsätzlich nur diejenigen gesetzlichen Tatbestände, aus denen sich die Kompromisse zwischen Typisierung und Einzelfallgerechtigkeit ergeben. Dies sollte vor allem für den Begriff der (Un-)Zumutbarkeit gelten, zu dem man oft findet, dass darüber „dem Wesen dieses Begriffs entsprechend“ 23 allein für den und im Einzelfall entschieden werden könne. 24 Bisher wurde dementsprechend vertreten, der Begriff der „Unzumutbarkeit“ kennzeichne noch im Vorfeld dessen, was der Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums unter grundrechtlichen Gesichtspunkten fordert, die der einfachgesetzlichen Güterabwägung folgende Grenze, von der ab dem Betroffenen eine nachteilige Einwirkung auf seine Rechte billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann. 25 Das schließe – dem Wesen des Begriffs entsprechend – eine undifferenzierte, für alle Fälle einheitliche Festlegung auf ein bestimmtes Maß der hinzunehmenden Belastung aus. Die Zumutbarkeit müsse vielmehr im Einzelfall anhand der konkreten Gegebenheiten bestimmt werden (…). 26 Somit hätte man erwarten müssen, dass wenn schon keine Abwägung mehr zulässig sein soll, dann wenigstens gesetzgeberisch Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen sind, um im Einzelfall Ausweitungen der Lärmschutzbereiche in das Ermessen der Behörde zu setzen. Das FlugLG kennt aber nur eine Ausnahmeregelung, nämlich in § 5 FlugLG. Danach können von Bauverboten, die aus der Festsetzung von Lärmschutzbereichen entstehen, unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen gemacht werden. Was aber die Lärmbeeinträchtigung als Ursache für passiven Schallschutz anbetrifft, sind vergleichbare Regelungen nicht vorgesehen worden. Auch der Begriff der Atypik hilft in der Lesart des VGH hier nicht weiter, weil er vom Gericht nicht konsequent dem Anwendungsbereich der Normen des FlugLG zugeordnet wird. Davon unabhängig ist auch die Unterstellung fragwürdig, der Gesetzgeber habe den die Notwendigkeit von aktiven und/oder passiven Schallschutzmaßnahmen zwingend auslösenden Bereich der fachplanungsrechtlichen Unzumutbarkeit mit einem Grenzwert bestimmt, der an sich nur für den passiven, also für baulichen Schallschutz, nicht aber für den aktiven Schallschutz geeicht ist. Nur wenn man wie der VGH bei seinen früheren Urteilen von einem Vorrang des passiven vor dem aktiven Schallschutz für den Bereich der Unzumutbarkeit ___________ 23 24 25 26

BVerwGE 56, 110 (131). Weyreuther, DÖV 1997, 521 (525). BVerwGE 87, 332 (383). Storost, GfU 2004 (Bd. 33), S. 151.

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ausgeht, macht dies vielleicht noch Sinn. Ein gesetzlicher Grenzwert, der auf der Ebene der Unzumutbarkeitsschwelle den Vorrang des passiven Schallschutzes voraussetzt und zugleich auf der belastungsärmeren Ebene der Abwägung nur aktiven Schallschutz zulässt, ist aber schon in sich widersprüchlich. Für diese Meinung spricht ferner, dass wenn zwingende Gebote und Verbote zum Zwecke der Folgenbewältigung nur die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens (Teilbereiche, Teilaspekte) betreffen, ihre Anwendung der Abwägung nachgeschaltet ist. 27 Derartige der Abwägung nachgeschaltete Planungsleitsätze ergeben sich insbesondere aus dem FlugLG. Das FlugLG bietet nur einen Erstattungsanspruch und geht somit eindeutig davon aus, dass das Vorhaben realisiert wird. Aus dem Gesetz ergibt sich also nur, dass der Erstattungsanspruch als Rechtsfolge im nachgelagerten Verfahren zwingend ist, wenn der Plan zugelassen worden ist. Damit ist noch nicht die Frage beantwortet, ob diese Rechtsfolge im Wege der planerischen Abwägung erweitert werden muss, damit das Vorhaben überhaupt zugelassen werden kann. Ebenso wenig ist die Frage beantwortet, ob darauf etwaige Schutzansprüche der Nachbarschaft bestehen. § 8 Abs. 1 S. 3 LuftVG verweist ausdrücklich nur auf die „Werte“ des § 2 Abs. 2 FlugLG, welche zu beachten sind. Diese Werte sind wie alle Grenzwerte zwingend einzuhalten und können nicht im Wege der Abwägung ausnahmsweise überschritten werden. Ausdrücklich nicht wird auf die Rechtsfolgen, also Schutzzonenbildung und Entschädigungspflichten verwiesen. Denkt man dies konsequent durch, so ist also auf der dem nachgelagerten Verfahren zur Festsetzung der Schutzzonen und Entschädigungsansprüche vorgelagerten Abwägungsebene des Planfeststellungsverfahrens diese Rechtsfolge nicht zu beachten, sondern nur zu berücksichtigen. 28 Im Ergebnis ist daher die Begründung des VGH für eine neue Rechtslage seit Inkrafttreten des FlugLG unzulänglich. Dies gilt hinsichtlich eines Abwägungsverbots über weitergehenden passiven Schallschutz ebenso wie für die Begründung der fachplanungsrechtlichen Unzumutbarkeitsschwelle.

___________ 27 28

Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 131. Vgl. § 8 Abs. 1 S. 2 LuftVG.

Flughäfen als Unternehmen? – Anwendbarkeit des Beihilfenrechts Von Ludger Giesberts*

I. Infrastrukturinvestitionen an Flughäfen Flughäfen spielen in einer modernen Gesellschaft eine entscheidende Rolle: Neben der Verbesserung der Erreichbarkeit einer Region und der Steigerung ihrer Attraktivität als Gewerbestandort liegt die Bedeutung von Flughäfen allgemein in der Gewährleistung von Mobilität von Personen und Gütern. Öffentliche Investitionen in Flughafeninfrastruktur steigern bzw. sichern daher die Mobilität einer Region und lösen enorme regionalwirtschaftliche Effekte aus. Zugleich sichern sie den Luftfahrtstandort Deutschland im internationalen Gefüge. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht der Begriff der Flughafeninfrastruktur. Zur Verdeutlichung was darunter zu verstehen ist, sollen hier beispielhaft aufgezählt werden: Start- und Landebahnen, Abfertigungsgebäude, Vorfeldflächen, Kontrolltürme, Hangar sowie Befeuerungsanlagen. Die Wege zur Infrastrukturfinanzierung sind mannigfaltig. Es kommen insbesondere in betracht die Finanzierung aus eigenen Mitteln wie Rücklagen, laufende Gewinne, cash flow und Abschreibungen, aus Kapitalerhöhung und Kapitalzuführung, aus Fremdkapitalfinanzierung wie Bankdarlehen, Gesellschafterdarlehen, Bürgschaften und Garantien, aus Verkauf von Unternehmensteilen, aus „Quersubventionierung“ durch Verlustübernahme im Vertragskonzern, aus verlorenen Zuschüssen, aus EU-Fördermitteln und aus diversen weiteren Finanzierungsarten. Die in Deutschland vorherrschende Gesellschafterstruktur an Flughäfen zeichnet weiter ein klares Bild: Die Mehrheit der 23 deutschen Verkehrsflughäfen befindet sich im Anteilseigentum des Staates, regionaler Gebietskörperschaften oder öffentlichen Unternehmen. Und auch in den Fällen, in denen Private Anteilseigentum an den Flughafenunternehmen halten1 , befindet sich – bis ___________ * Dr. Ludger Giesberts, LL.M., ist Rechtsanwalt und Partner im Bereich Öffentliches Wirtschaftsrecht in der Kanzlei DLA Piper in Köln. Dr. Giesberts ist zudem Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln.

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auf die Flughäfen Friedrichshafen, Düsseldorf und Weeze – die Mehrheit der Geschäftsanteile in Öffentlicher Hand. Trotz Privatisierung bzw. Öffnung des Kapitals für die Privatwirtschaft bleibt das Interesse der privaten Wirtschaft überschaubar. Private Investoren scheuen bei Flughäfen mit aus- bzw. umbaubedürftiger Infrastruktur die zumeist umfangreichen Investitionen. 2 Ungeachtet der privatwirtschaftlichen Zurückhaltung besteht weiterhin enormer Investitionsbedarf. Mit Blick auf Europa prophezeite die Europäische Kommission noch im Jahre 2006 den europäischen Flughäfen den Eintritt einer Kapazitätskrise („Capacity Crunch“). 3 Trotz des ökonomisch schwierigen Umfelds in Zeiten der andauernden Wirtschaftskrise dürfte sich an der Bewertung der Kommission wenig geändert haben. Vor diesem Hintergrund ist es von herausragender Bedeutung, Flughafeninfrastrukturinvestitionen auf rechtlich gesichertes Terrain zu stellen. Dieser Beitrag widmet sich daher der Perspektive, die das europäische Beihilfenrecht zu Investitionen in Flughafeninfrastruktur einnimmt. Im Folgenden wird die Beihilfenrelevanz staatlicher Infrastrukturmaßnahmen beleuchtet und die Entwicklung der Bewertung öffentlicher Infrastrukturförderung durch die Kommission nachgezeichnet und anschließend bewertet. Das Augenmerk liegt dabei auf der Einordnung von Flughäfen als Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts.

II. Regelung staatlicher Beihilfen Rechtsgrundlage für die Kontrolle der Vergabe von Beihilfen in den Mitgliedstaaten ist Art. 107 AEUV (ehemals Art. 87 EG). Dieser statuiert in Absatz 1: „Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

Eine diesen Anforderungen unterfallende Beihilfe wird mit dem Binnenmarkt als unvereinbar erklärt und damit grundsätzlich verboten. Die weiteren ___________ 1

Frankfurt, Friedrichshafen, Hamburg, Hannover und Weeze. Das Investitionsvolumen an deutschen Verkehrsflughäfen im Zeitraum von 1998 bis 2005 betrug 8,2 Milliarden EUR, Initiative Luftverkehr, Masterplan zur Entwicklung der Flughafeninfrastruktur, S. 45. 3 Aktionsplan für Kapazität, Effizienz und Sicherheit von Flughäfen in Europa, KOM(2006) 819 endg., Rdnr. 7. 2

Flughäfen als Unternehmen? – Anwendbarkeit des Beihilfenrechts

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Absätze des Art. 107 AEUV enthalten Ausnahmen vom grundsätzlichen Subventionsverbot und legen fest wann eine Subvention dennoch mit dem Binnenmarkt als vereinbar angesehen werden kann. Die Kontrolle wird dadurch gewährleitstet, dass alle Beihilfen der vorherigen Anzeige bedürfen und einem Durchführungsverbot unterliegen bis die Kommission eine abschließende Entscheidung über die Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt getroffen hat. 4 Art 107 Abs. 1 AEUV zählt vier Kriterien für Subventionen auf, bei deren kumulativen Vorliegen diese Subventionen der europäischen Beihilfenkontrolle unter fallen. Es muss dazu (1.) ein Transfer staatlicher Mittel vorliegen, durch welchen ein Unternehmen (2.) begünstigt wird. Die Begünstigung müsste sich weiter auf ein (3.) bestimmtes Unternehmen beziehen und (4.) eine wettbewerbsverzerrende Auswirkung auf den innergemeinschaftlichen Handel haben. Auf die einzelnen Kriterien wird im Verlauf dieses Beitrages noch weitere eingegangen werden. Unabhängig vom Erfüllen dieser Voraussetzungen unterliegen nach der „de-minimis-Regelung“ 5 der Kommission Beihilfen der Anmeldepflicht nicht, wenn sie lediglich für maximal 3 Jahre gewährt werden und die Höchstgrenze von 200.000 € nicht überschreiten. Insoweit besteht also keine Beihilfenkontrolle.

III. Sind Flughäfen als Unternehmen tätig? 1. Ansicht der Kommission Die Anwendbarkeit des Beihilfenregimes nach dem AEUV setzt voraus, dass ein bestimmtes Unternehmen begünstigt wird. Die Kommission muss daher zunächst ermitteln, ob es sich bei dem Begünstigten um ein dem gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht unterliegendes Unternehmen handelt. Dabei ist der funktionale Unternehmensbegriff, des EuGH zugrunde zulegen, wonach der Begriff des Unternehmens im Rahmen des Wettbewerbsrechts jede ein wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit umfasst, unabhängig von ihrer Rechtsform und Finanzierung. 6 Unter einer wirtschaftlichen Tätigkeit wiederum ist jede Tätigkeit zu verstehen, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten. 7 Ausgenommen sind jedoch die Tätigkeiten, die zu den grundlegenden hoheitlichen Aufgaben des Staates ge___________ 4

Vgl. Art. 108 Abs. 3 AEUV (Ex-Art. 88 EGV). Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 vom 10.6.2006, ABl. 2006 C 137, S. 7, Art 2. Abs. 2. 6 EuGH-Rs. C-41/90-Slg.1991, I-1979 Rdnr. 21. 7 EuGH-Rs. 118/85-Slg. 1987, 2599 Rdnr. 7; EuGH-Rs. C-35/96-Slg. 1998, I-3851 Rdnr. 36; EuGH-verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98-Slg. 2000, I-6451 Rdnr. 75. 5

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hören, wie beispielsweise die Flugsicherung. 8 Eine fehlende Gewinnerzielungsabsicht genügt hingegen nicht, um die Wirtschaftlichkeit der Tätigkeit auszuschließen. 9 Es stellt sich daher für eine Anwendbarkeit des Beihilfenrechts auf Investitionen in Flughafeninfrastrukturen die Frage, ob die potenziell durch die Investitionen Begünstigten eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und damit Unternehmen im wirtschaftsrechtlichen Sinne sind. Der Kreis der potentiell Begünstigten umfasst dabei drei Ebenen: die Infrastrukturerrichter, die Infrastrukturnutzer und die Infrastrukturbetreiber. Hinsichtlich der ersten beiden Ebenen wird eine wirtschaftliche Betätigung in der Regel vorliegen. Unklarheiten bestehen hingegen im Hinblick auf die Ebene der Infrastrukturbetreiber. Zu den Ebenen im Einzelnen: Bei den Infrastrukturerrichtern handelt es sich um Bauunternehmer, die die Flughafeneinrichtungen gegen Entgelt erbauen. Darin ist das Anbieten einer bestimmten Dienstleistung auf dem Markt, nämlich Bauleistungen auf dem Baugewerbemarkt, zu sehen, so dass die Errichtung der Infrastruktur als wirtschaftliche Tätigkeit im beihilfenrechtlichen Sinne zu klassifizieren ist. Ein Bezuschussen der Bauunternehmer unterfiele folglich dem Beihilfenrecht. Freilich kommt dies in der Praxis eher selten vor. In erster Linie werden die Flughäfen bezuschusst, die dann wiederum die Bauunternehmer beauftragen und diese mit den staatlich gewährten Mitteln bezahlen. Die Infrastrukturbenutzer setzten sich in erster Linie aus den Luftfahrtunternehmen und den Bodenabfertigungsdienstleistern zusammen, die mittels der Flughafeninfrastruktur ihre Dienstleistungen wie Beförderung oder Abfertigung von Passagiern und Fracht erbringen. Auch hier handelt es sich um Dienstleistungen auf dem Luftverkehrsmarkt und folglich um wirtschaftliche Tätigkeiten im beihilfenrechtlichen Sinne. Für die eingangs skizzierte Problemstellung ist insbesondere die nähere Beleuchtung der Ebene der Infrastrukturbetreiber, also der Flughäfen bzw. Flughafenbetreibergesellschaften, von Interesse. Deren Tätigkeit umfasst dabei die Planung und die Verwaltung des gesamten Ablaufes und Dienstleistungsaufkommen am Flughafen, also insbesondere auch die Regelung der Benutzung der Infrastruktur durch die Infrastrukturbenutzer. Ob diese Tätigkeiten als wirtschaftliche im Sinne des Beihilfenrechtes anzusehen sind, ist nicht derart offensichtlich, insbesondere da die Kommission ihre Meinung diesbezüglich selbst in den letzten Jahren gewandelt hat.

___________ 8 9

Vgl. EuGH-Rs. C-364/92-Slg. 1994, I-43, Rdnr. 30 f. EuGH-verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98-Slg. 2000, I-6451, Rdnr. 117.

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a) Ursprüngliche Sichtweise: Flughäfen als Teil der öffentlichen Verwaltung Ursprünglich galten Flughäfen nach Ansicht der Kommission nicht als Unternehmen im beihilfenrechtlichen Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Flughäfen wurden traditionell als Teil der öffentlichen Verwaltung verstanden, so dass Ausbau, Entwicklung und Betrieb von Flughäfen in den Aufgabenbereich des Staates unter dem Aspekt der Daseinsfürsorge fielen. So erklärte die Kommission in ihren Leitlinien zur Anwendung der beihilferechtlichen Vorschriften auf den Luftverkehr aus dem Jahre 1994 10 hinsichtlich Zuwendungen zugunsten von Luftverkehrsunternehmen: „Der Bau oder Ausbau von Infrastrukturanlagen (z. B. Flughäfen, Autobahnen oder Brücken) ist eine allgemeine wirtschaftspolitische Maßnahme, die von der Kommission nicht gemäß den Vertragsbestimmungen über staatliche Beihilfe kontrolliert werden kann.“ 11

Die Kommission fügte einschränkend hinzu, dass dies allerdings nur für den Bau von Infrastrukturanlagen durch die Mitgliedstaaten gelte: Soweit mit der Nutzung der Infrastruktur eine Bevorzugung bestimmter Unternehmen einherginge, könne durchaus eine Beihilfenkontrolle durch die Kommission stattfinden. 12 Im Ergebnis war damit die Zuwendung staatlicher Mittel für den Ausbau von Flughafeninfrastruktur grundsätzlich der Kontrolle durch die Europäische Gemeinschaft entzogen. Aufgrund ihres allgemein wirtschaftspolitischen Charakters sei den Infrastrukturinvestitionen keine Beihilfenrelevanz zuzumessen. Der Grund für das Ausscheiden öffentlicher Infrastrukturinvestitionen aus dem Beihilfenregime liegt in der fehlenden Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige. Die Kommissionsmitteilung betont den allgemeinen Charakter der Infrastrukturmaßnahme unter der Prämisse, dass der Zugang zur Nutzung der Einrichtung diskriminierungsfrei erfolge. Derartige Investitionen kommen daher nicht bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen zugute, so dass es am Beihilfemerkmal der Spezialität fehlt. 13 Ungezielte oder undifferenzierte Maßnahmen fallen nicht in den Bereich staatlicher Beihilfen. Die Kommission spricht insoweit von dem allgemeinen Grundsatz, dass die öffentliche Finanzierung einer Infrastruktur, die allen potentiellen Nutzern unterschiedslos offen steht und von einer staatlichen Einrichtung betrieben wird, im Allgemeinen nicht in den Anwendungsbereich des Beihilfenrechts falle. Zur Begründung wird angeführt, dass in diesen Fällen keinem Unternehmen, das ___________ 10 11 12 13

Luftverkehrleitlinien ABl. EG Nr. C 350 vom 10.12.1994, S. 5 ff. Luftverkehrleitlinien ABl. EG Nr. C 350 vom 10.12.1994, S. 5 ff., Rdnr. 12. Luftverkehrleitlinien ABl. EG Nr. C 350 vom 10.12.1994, S. 5 ff., Rdnr. 12. Dolde/Porsch, ZLW 2004, S. 1 (8 f.).

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im Wettbewerb mit anderen Unternehmen stehe, ein Vorteil im Sinne der Beihilfenvorschriften gewährt würde. 14 Der Blick der Kommission richtet sich bei dieser Aussage erkennbar auf den Bereich der Infrastrukturnutzung; solange ein diskriminierungsfreier Zugang gewährleistet ist, scheidet das Vorliegen einer Beihilfe aus. 15 Entscheidendes Kriterium der Kommission ist folglich die Allgemeinzugänglichkeit der Flughafeninfrastruktur. 16 Für den Bereich des Luftverkehrs begründet die Kommission diesen Ansatz mit der grundlegenden Bedeutung des Zugangs zu Luftverkehrsdiensten für die ökonomische und soziale Entwicklung einer Region. Es sei daher auch völlig normal, dass der Staat in Gestalt von regionalen Gebietskörperschaften am Eigentum und der Finanzierung von Flughafeninfrastrukturprojekten beteiligt sei. 17 Trotz aller Befürwortung der öffentlichen Infrastrukturfinanzierung, die sich den Aussagen der Kommission entnehmen lässt, schreitet die Kommission im Wege der Beihilfenkontrolle ein, wenn sich die Infrastrukturinvestitionen nicht mehr als allgemeine Maßnahmen und Ausgaben darstellen, für die der Staat im Rahmen seiner Verantwortung für die Planung und Entwicklung eines Verkehrssystems im Interesse der Allgemeinheit zuständig ist. 18 b) Zunehmende wirtschaftliche Bedeutung von Flughäfen wandelt deren Einordnung Der Fokus der Kommission war zunächst vornehmlich auf die Flughafennutzer ausgerichtet, weitete sich aber bald auf die Betreiber der Flughafeninfrastruktur aus. Die Kommission kündigte unter Bezugnahme auf zwei den Leitlinien 1994 entsprechenden Entscheidungen 19 , in denen staatliche Subventionen zugunsten des Infrastrukturausbaus an den Flughäfen Manchester einerseits ___________ 14

Dies gilt allgemein im gesamten Bereich der Infrastrukturförderung: vgl. bzgl. Seilbahnen Entscheidung der Kommission ABl. EU Nr. 183 v. 22.7.2003, S. 18 ff. 15 Entscheidung der Kommission ABl. EG Nr. C 108 v. 17.4.1999, S. 2 (3) – Hafen von Ancona. 16 Entscheidung der Kommission NN 109/98, Rdnr. 4 – Manchester Airport. Für eine verstärkte Anwendung dieses Kriteriums auf Tatbestandsebene bei der beihilferechtlichen Prüfung staatlich geförderter Infrastruktur Karpenstein/Schiller, ZHR 172 (2008), S. 81 (89). 17 Entscheidung der Kommission NN 109/98, Rdnr. 4 – Manchester Airport. 18 In Bezug auf Seehafeninfrastruktur KOM (2001) 35 endg., S. 12 f. Maßgebliches Kriterium ist insoweit die grundsätzliche Unterscheidung zwischen öffentlicher (allgemeiner) und nutzerspezifischer Infrastruktur. Investitionen in die sog. Suprainfrastruktur (Lagerhäuser, Werkstätten, Büros) fallen unter die letztgenannte Gruppe und stellen sich in der Regel als staatliche Beihilfen dar, da sie bestimmten Unternehmen zugute kommen. 19 Entscheidung der Kommission NN 109/98 – Manchester, Entscheidung der Kommission N 638/98 – Aerelba SpA.

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und der Insel Elba andererseits nicht als Beihilfe angesehen wurden, eine Überprüfung des oben beschriebenen traditionellen Ansatzes an. 20 Als Anstoß der sich abzeichnenden Abkehr von der traditionellen Bewertung staatlicher Investitionen in Flughafeninfrastruktur wurde die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung von Flughäfen angeführt. Diesen Aspekt betonte die Kommission ihrer Ankündigung folgend dann auch in ihrer Entscheidung zu den italienischen Flughäfen der Region Piemont. 21 Die Kommission kam zwar letztlich zu dem Ergebnis, dass die Finanzierung der Verbesserung und des Ausbaus der Infrastruktureinrichtungen der verfahrensgegenständlichen Flughäfen von Turin, Cuneo und Biella aus öffentlichen Mitteln nicht als staatliche Beihilfe zu betrachten sei. 22 Allerdings wies sie auf einen Umbruch im Flughafensektor hin, den sie bei der Anwendung der seinerzeit geltenden Leitlinien zu berücksichtigen habe. 23 Bei der Entwicklung des Flughafensektors sei zunehmend Kommerzialisierung und Wettbewerb hinsichtlich der Bereitstellung von Flughafenkapazität zu beobachten. Dies deute auf eine unternehmerische Tätigkeit hin. 24 Konkret rührten die Veränderungen im Flughafensektor aus der Liberalisierung des Luftverkehrs 25 und den Privatisierungstendenzen der Flughafenverwaltung. 26 Die Kommission wies weiter auf eine laufende Untersuchung 27 zu der Situation des Wettbewerbs zwischen den großen Umsteigeflughäfen (hubs) und zwischen den Flughäfen mit sich überschneidenden Einzugsgebieten hin. Trotz Gewährung diskriminierungsfreien Zugangs an die Nutzer der Flughafeninfrastruktur kam das Vorliegen einer Beihilfe nunmehr auch unter dem Aspekt der Vorteilsgewährung an den Infrastrukturbetreiber in Betracht.

___________ 20

Kommission, XXIX. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1999, Rdnr. 299. Entscheidung der Kommission N 58/2000 – Flughäfen Turin, Cuneo und Biella. 22 Konkret sah die Kommission aufgrund der geografischen Lage der Flughäfen keine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. 23 Entscheidung der Kommission N 58/2000 – Flughäfen Turin, Cuneo und Biella, Rdnr. 11. 24 Entscheidung der Kommission N 58/2000 – Flughäfen Turin, Cuneo und Biella, Rdnr. 11. 25 Mit dem 3. Liberalisierungspaket (VO (EG) Nr. 2407/92, VO (EG) Nr. 2408/92, VO (EG) Nr. 2409/92, ABl. EG Nr. L 240 v. 24.8.1992, S. 1 ff.) wurde die Liberalisierung des Luftverkehrs weitgehend abgeschlossen. An diesen Liberalisierungserfolg anknüpfend erfolgte zuletzt eine Anpassung und Konsolidierung durch VO (EG) Nr. 1008/2008, ABl. EU Nr. L 293 v. 31.10.2008, S. 3. 26 Entscheidung der Kommission N 58/2000 – Flughäfen Turin, Cuneo und Biella, Rdnr. 11a. 27 Die Studie lag im September 2002 vor: Cranfield University, Study on competition between airports and the application of State aid rules, Vol. 1 & 2. 21

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c) Flughäfen üben eine wirtschaftliche Tätigkeit aus Die kartellrechtliche Entscheidung der Kommission aus dem Jahre 1998 dürfte die entscheidende Weichenstellung für die Abkehr von der in den Leitlinien 1994 vorgenommenen Beurteilung sein. Die Kommission führte in ihrer Entscheidung Aéroports de Paris 28 erstmals aus, dass sie die Tätigkeit eines Flughafenbetreibers grundsätzlich als wirtschaftliche Betätigung ansehe. Maßgeblich für die Einordnung als wirtschaftliche Tätigkeit sei allein die Art der ausgeübten Tätigkeit. 29 Unter wirtschaftlicher Tätigkeit versteht der EuGH in ständiger Rechtsprechung jede Tätigkeit, die zum Gegenstand hat, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten. 30 Im Falle von Aéroports de Paris, der Betreibergesellschaft der Pariser Flughäfen, umfasst die Tätigkeit den Um- und Ausbau sowie Betrieb und Entwicklung sämtlicher ziviler Luftverkehrseinrichtungen in der Pariser Region, die der Start- und Landehilfe, den Fluglotsendiensten und der Bodenabfertigung von Reisenden Gütern und Luftpostsendungen dienen. Zu den Verwaltungstätigkeiten der Betreibergesellschaft zählt u. a. die Zulassung von Bodenabfertigungsdiensten, für die der Dienstleister eine Umsatzabgabe zahlt. Nach Einschätzung der Kommission lege Aéroports de Paris die Voraussetzungen für die Tätigkeit der Anbieter von Bodenabfertigungsdiensten fest und übe daher eine wirtschaftliche Tätigkeit aus. 31 Das EuG bestätigte im Folgenden die Bewertung der Kommission. Dabei kam es zu der allgemeinen Feststellung, dass das Zurverfügungstellen von Flughafenanlagen an Luftfahrtgesellschaften und verschiedene Dienstleister gegen Zahlung einer Abgabe als eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art anzusehen sei. 32 Als zusätzlicher Anhaltspunkt, der die Einordnung der konkreten Tätigkeit als Unternehmenstätigkeit gestatte, sei der Umstand zu bewerten, dass die Tätigkeit auch durch ein privates Unternehmen ausgeübt werden könne. Im Anschluss verwies das EuG auf die Eigentümerin und Betreiberin des Frankfurter Flughafens, die Flughafen Frankfurt/Main AG 33 , die ein nach deutschem Recht errichtetes privates Unternehmen sei. Die Terminologie des EuG bezieht sich allein auf die Rechtsform. Die Kategorisierung der damaligen Flughafen ___________ 28 Entscheidung der Kommission ABl. EG Nr. L 230 v. 18.8.1998, S. 10 – Alpha Flight Services/Aéroports de Paris. 29 Entscheidung der Kommission ABl. EG Nr. L 230 v. 18.8.1998, S. 10 ff. – Alpha Flight Services/Aéroports de Paris, Rdnr. 50. 30 Vgl. EuGH-Rs C-82/01 P-Slg. 2002, I-9297, Rdnr. 79 m.w.N. 31 Entscheidung der Kommission ABl. EG Nr. L 230 v. 18.8.1998, S. 10 ff. – Alpha Flight Services/Aéroports de Paris, Rdnr. 54 f. 32 EuG-T-128/98-Slg. 2000, II-3929, Rdnr. 121. 33 Nach ihrem Börsengang im Jahre 2001 umbenannt in Fraport AG.

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Frankfurt/Main AG als privates Unternehmen muss allerdings vor dem Hintergrund relativiert werden, dass alle Aktien bis zum späteren Börsengang in Öffentlicher Hand lagen. 34 Bei der Flughafen Frankfurt/Main AG handelt es sich auch heute noch – terminologisch treffender – um ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen mit einer Anteilsmehrheit der Öffentlichen Hand. Die Judikatur des EuG wurde letztlich vom EuGH bestätigt. 35 Aufgrund des funktionalen Ansatzes dieser Rechtsprechung geht es um die Art der ausgeübten Tätigkeit und nicht um die institutionellen Eigenschaften oder die Art der Finanzierung derjenigen, welche sie ausüben. 36 Aus den einschlägigen Kommissionsentscheidungen und der Rechtsprechung der europäischen Gerichte lässt sich eine Kategorisierung von staatlich finanzierten Maßnahmen in hoheitliche, wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Aktivitäten feststellen. 37 Nur im Falle von Tätigkeiten wirtschaftlicher Natur unterliegen diejenigen, die ihr nachgehen, dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft. Die Einordnung in die Kategorie der hoheitlichen Tätigkeit ist dann vorzunehmen, wenn bei Ausübung der Tätigkeit typischerweise von Hoheitsrechten Gebrauch gemacht wird. Namentlich ist dies der Fall bei Ausführung von Sicherheitsmaßnahmen wie beispielsweise der Kontrolle oder Überwachung des Luftraums. 38 Allgemein gesprochen unterliegen daher die Bereiche der Gefahrenabwehr, Flugsicherung, Polizei, Zoll etc. als Tätigkeiten, für die typischerweise der Staat aufgrund hoheitlicher Befugnisse zuständig ist, nicht den Vorschriften über staatliche Beihilfen. 39 Übertragen auf den Bereich der Infrastrukturfinanzierung bedeutet dies, dass die Finanzierung solcher Teile der Infrastruktur, die aus Sicherheitsgründen erforderlich sind (z. B. Schutzstreifen, Einzäunung des Flughafengeländes), sowie der Infrastrukturteile, die für die Kontrolle und Überwachung des Flugverkehrs und des Luftraums von wesentlicher Bedeutung sind (z. B. Kontrollturm, Befeuerungsanlagen) nicht in den Bereich der staatlichen Beihilfe fällt. 40 ___________ 34 Bis zum Börsengang lagen die Anteile bei dem Land Hessen (45,24 %), der Bundesrepublik Deutschland (25,87 %) und den Stadtwerken Frankfurt/Main GmbH (28,89 %). 35 EuGH-Rs. C-82/01 P-Slg. 2002, I-9297. 36 EuGH-Rs. C-41/90-Slg. 1991, I-1979, Rdnr. 21. 37 In der Rechtssache Aéroports de Paris unterschied das EuG zwischen der reinen Verwaltungstätigkeit der Lufthafenbetreiberin, darunter die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben, einerseits und der Tätigkeit des Betriebs der Pariser Flughäfen, die durch umsatzabhängige Abgaben vergütet wurden, Slg. 2000, II-3929, Rdnr. 112. 38 EuGH-Rs. C-364/92-Slg. 1994, I-43, Rdnr. 30. 39 Vgl. Entscheidung der Kommission N 309/2002 – Luftsicherheit – Ausgleich der Betriebsverluste nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001. 40 Vgl. Entscheidung der Kommission K (2007) 650 endg. – Flughafen Memmingen (Allgäu), Rdnr. 22 f.

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Die Kommission ordnet den Betrieb eines Flughafens aufgrund der in der vorgenannten Entscheidungspraxis entwickelten Grundsätze kategorisch der wirtschaftlichen Tätigkeit zu. 41 Dies muss verwundern, betont die Kommission andererseits doch, dass die Aufgaben von Flughafenbetreibern von Flughafen zu Flughafen unterschiedlich sind. 42 Nimmt man den funktionalen Ansatz bei der Beurteilung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ernst, verbieten sich allzu pauschale Aussagen über die Einordnung der Tätigkeiten eines Flughafenbetreibers als wirtschaftliche Tätigkeit. d) Leitlinien 2005 zur Steuerung der Entscheidungspraxis Die Kommission ist letztlich mit der Verabschiedung der Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen und die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen 43 im Jahre 2005 vollends auf ihre heutige Linie eingeschwenkt. Dort formulierte sie, losgelöst von einem konkreten Sachverhalt, ihr Verständnis vom Betrieb von Flughäfen als grundsätzlich wirtschaftliche Tätigkeit. 44 Diesen, aus der Aéroports de Paris-Entscheidung herrührenden, Maßstab legte die Kommission in ihren Leitlinien 2005 nunmehr an alle Flughäfen an. Begründet wird dies mit Entwicklung im Flughafensektor: Dieser durchlief laut Kommission in den Jahren vor 2005 grundlegende organisatorische Änderungen, die sich nicht nur in einem aktiven Interesse von Privatinvestoren an Flughäfen ausdrückten, sondern auch in einer veränderten Haltung der Behörden gegenüber den Beteiligungen des Privatsektors an der Entwicklung der Flughäfen. Dies habe zu einer zunehmenden Vielfalt und Komplexität der Funktionen von Flughäfen geführt. Die Veränderungen der jüngsten Zeit hätten auch einen Wandel der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Flughäfen bewirkt. Während die Flughäfen in der Vergangenheit meist als Infrastruktur im Hinblick darauf verwaltet worden seien, die Zugänglichkeit und räumliche Entwicklung zu gewährleisten, verfolgten in den letzten Jahren immer mehr Flughäfen auch wirtschaftliche Ziele und stünden miteinander im Wettbewerb. 45 Allerdings weist auch die Kommission darauf hin, dass die beschriebene Entwicklung des Flughafensektors die einzelnen Flughäfen unterschiedlich betreffe. Während sich die sieben größten Flughäfen der Gemeinschaft als äußerst leistungsfähige Wirtschaftsakteure präsentierten, befänden ___________ 41

Exemplarisch Entscheidung der Kommission N 644i/2002 – Errichtung oder Ausbau von Regionalflughäfen, Rz. 32. 42 Entscheidung der Kommission ABl. EU Nr. L 137 v. 30.4.2004, S. 1 ff. – Charleroi, Rdnr. 173. 43 Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff. 44 Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 31. 45 Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 6 ff.

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sich die meisten Kleinflughäfen weiterhin in öffentlichem Besitz. 46 Dieser unterschiedlichen Wettbewerbssituation trägt die Kommission im Rahmen der Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens einer Wettbewerbsbeeinträchtigung insoweit Rechnung, als sie die Flughäfen anhand ihrer Passagierzahlen in vier Kategorien unterteilt 47 und bei der kleinsten Kategorie eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs oder des zwischenstaatlichen Handels in der Regel verneint. 48 Mit den Leitlinien legt die Kommission fest, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen sie die Finanzierung von Flughäfen mit öffentlichen Mitteln nach den Vorschriften und Verfahren für staatliche Beihilfen beurteilt. 49 Die Kommission bindet sich mit ihren Leitlinien – in gewissen Grenzen – selbst. 50 Eine Bindungswirkung gegenüber den europäischen Gerichten entfalten die Leitlinien hingegen nicht. 51 Bei staatlichen Infrastrukturinvestitionen, die vor Mitteilung der Leitlinien 2005 beschlossen wurden, stellt sich die Frage der grundsätzlich verbotenen Rückwirkung insoweit, als diese unter Geltung der Leitlinien 1994 als nicht beihilfenrelevant eingestuft wurden. 52 Derartige Bedenken räumt die Kommission jedenfalls hinsichtlich aller nach Erlass des Urteils des EuGH in Sachen Aéroports de Paris beschlossenen Maßnahmen mit dem Hinweis aus dem Weg, dass die Leitlinien 2005 nicht etwa rückwirkend Anwendung fänden, sondern die vom EuGH geleistete Klärung des grundlegenden Konzepts der Beihilfe im Flughafensektor berücksichtigt würde. 53

___________ 46

Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 8. Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 15: Kategorie A „große Gemeinschaftsflughäfen“ (> 10 Mio. p. a.), Kategorie B „nationale Flughäfen“ (5 – 10 Mio. p. a.), Kategorie C „große Regionalflughäfen“ (1 – 5 Mio. p. a.) und Kategorie D „kleine Regionalflughäfen“ (< 1 Mio. p. a.). 48 Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 39. Gleichwohl müssen Zahlungen für kleine Regionalflughäfen (Kategorie D) grundsätzlich notifiziert werden, damit ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb und den zwischenstaatlichen Handel untersucht werden können, Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 40. 49 Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 24. 50 EuGH-Rs. C-288/96-Slg. 2000, I-8237, Rdnr. 62. Näher zur Bindungswirkung von Leitlinien der Kommission Thomas, EuR 2009, S. 423 (426 ff.). 51 Dies stellen die Leitlinien 2005 selbst klar, Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 23. 52 Gegen die Anwendung der Leitlinien 2005 wehrte sich in der Rechtssache DHL und Leipzig/Halle die Bundesrepublik Deutschland mit dem Argument, es handele sich um eine unzulässige Rückwirkung, Entscheidung der Kommission C 48/2006 – DHL und Leipzig/Halle, Rdnr. 42. 53 Entscheidung der Kommission C 48/2006 – DHL und Leipzig/Halle, Rz. 176 unter Hinweis auf EuG-Rs. T-289/03-Slg. 2008, II-81, Rdnr. 157 ff. 47

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e) Praxis der Europäischen Kommission seit den Leitlinien 2005 Die Kommission hat anschließend in ihren nachfolgenden Entscheidungen die in den Leitlinien 2005 geäußerte Auffassung konsequent verfolgt. So wurde in der Entscheidung zum Flughafen City of Derry 54 die geplante Finanzierung zur Errichtung von Sicherheitszonen an der bestehenden Start- und Landebahn als staatliche Beihilfe im Sinne des europäischen Beihilfenrechts eingestuft.55 Ebenso beurteilte die Kommission die (Mit)Finanzierung des Umbaus des ehemaligen Militärflugplatzes Allgäu nahe der Stadt Memmingen in einem Regionalflughafen durch den Freistaat Bayern als staatliche Beihilfe unter Hinweis auf die Leitlinien 2005. 56 Den Gegenstand der Kommissionsentscheidung über Maßnahmen Deutschlands zugunsten von DHL und Flughafen Leipzig/Halle bildeten drei Maßnahmen, von denen hier nur die Kapitalzuführung von rund 350 Mio. EUR an den Flughafen Leipzig zur Finanzierung des Baus der neuen Start- und Landebahn Süd interessiert. 57 Wie bei den anderen genannten Entscheidungen sah die Kommission – unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Aéroports de Paris und den Leitlinien 2005 – in dem Betrieb eines Flughafens eine wirtschaftliche Tätigkeit, so dass der Flughafen Leipzig ein Unternehmen im Sinne des Beihilfenrechts darstellt. 58 Durch die öffentliche Finanzierung der Infrastrukturinvestitionen würde die Position des Unternehmens Flughafen Leipzig gegenüber seinen Wettbewerbern auf dem europäischen Markt für Flughafendienste gestärkt, weshalb die Gefahr einer Wettbewerbsverfälschung und der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten gegeben und folglich das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe insoweit zu bejahen sei. 59 Unter Anwendung des heutigen Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV gelangte die Kommission schließlich dennoch zu dem Ergebnis, dass die staat___________ 54

Entscheidung der Kommission NN 21/2006 – City of Derry Airport. Im Ergebnis genehmigte die Kommission die staatliche Beihilfe nach Art. 107 Abs. 3 lit. a) und c) AEUV (ex Art. 87 Abs. 3 lit. a) und c) EG). 56 Entscheidung der Kommission N 620/2006 – Flughafen Memmingen (Allgäu), Rdnr. 11 ff. Auch hier kam die Kommission letztlich zur Rechtfertigung der Beihilfe über Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV. 57 Entscheidung der Kommission C 48/2006 – DHL und Leipzig/Halle: Die Kommissionsentscheidung behandelte außerdem eine Rahmenvereinbarung zwischen dem Flughafen, seiner Muttergesellschaft und DHL, nach der der Flughafen verpflichtet ist, die neue Start- und Landebahn Süd zu bauen und weitere Verpflichtungen zu erfüllen. Ferner untersuchte die Kommission eine Patronatserklärung des Freistaates Sachsen zugunsten des Flughafens und DHLs, in der DHL Schadensersatz für den Fall garantiert wird, dass DHL den Flughafen nicht mehr wie geplant nutzen kann. 58 Entscheidung der Kommission C 48/2006 – DHL und Leipzig/Halle, Rdnr. 166 ff. 59 Entscheidung der Kommission C 48/2006 – DHL und Leipzig/Halle, Rdnr. 223 f. 55

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liche Beihilfe zur Infrastrukturinvestition mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei. 60 Die Kommission beurteilte u. a. in ihrer Verfahrenseröffnungsentscheidung zum Flughafen Frankfurt-Hahn und der Fluggesellschaft Ryanair vom 17.6.2008 61 die Erhöhungen des Stammkapitals der Flughafenbetreibergesellschaft in den Jahren 2001 und 2004 zur Bereitstellung von ausreichend Kapital für neue Investitionen in Flughafeninfrastruktur als staatliche Beihilfe, gegen deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt derzeit 62 erhebliche Bedenken bestünden. In einer weiteren Entscheidung beschäftigte sich die Kommission mit dem Ausbau des Verkehrslandeplatzes Kassel-Calden zu einem Regionalflughafen mit Linien-, Charter- und Luftfrachtverkehr. 63 Die Eigentümerin und Betreiberin des Flughafens, die Flughafen GmbH Kassel, ist eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft, deren Anteile allesamt in Öffentlicher Hand liegen. 64 Die untersuchten Maßnahmen bestanden in einer im Januar 2000 zugesagten Darlehensgarantie und zwei Kapitalerhöhungen des Landes Hessen bzw. der Anteilseigner, von denen eine im Oktober 2000 und eine nach dem 12.12.2000 zugesagt worden war. Für ihre Beurteilung, ob die Flughafen GmbH Kassel ein Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts darstellt, erklärt die Kommission den 12.12.2000, den Tag der Entscheidung des EuG in der Rechtssache Aéroport de Paris, zum Stichtag, ab dem ein genereller Ausschluss der Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Flughäfen nicht mehr möglich sei. 65 Die beiden vor dem Stichtag zugesagten Maßnahmen unterfielen nach Ansicht der Kommission nicht dem Beihilfenrecht. Die nach dem 12.12.2000 zugesagte Kapitalerhöhung hingegen müsse sich am Beihilfenverbot messen lassen. Soweit mit der zugesagten Kapitalerhöhung keine hoheitlichen Tätigkeiten finanziert würden, erwachse der Flughafen GmbH Kassel ein ___________ 60 Entscheidung der Kommission C 48/2006 – DHL und Leipzig/Halle, Rdnr. 254 ff. Die übrigen staatlichen Maßnahmen (Rahmenvereinbarung und Patronatserklärung) wurden in bestimmtem Umfang für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt. 61 Entscheidung der Kommission ABl. EU Nr. C 12 v. 17.1.2009 – Flughafen Frankfurt Hahn und Ryanair. 62 Entscheidung der Kommission ABl. EU Nr. C 12 v. 17.1.2009 – Flughafen Frankfurt Hahn und Ryanair, Rdnr. 369: Deutschland wurde insoweit aufgefordert, weitere relevante Informationen vorzulegen. 63 Entscheidung der Kommission K(2009) 1084 endg. – Flughafen Kassel-Calden. 64 Konkret sind neben dem Land Hessen (50 %) die Stadt Kassel, der Landkreis Kassel und die Gemeinde Calden (je 16,67 %) beteiligt. 65 Entscheidung der Kommission K(2009) 1084 endg. – Flughafen Kassel-Calden, Rdnr. 31. Dies erscheint rechtstechnisch äußert bedenklich, denn während das EuG seine Entscheidung hinsichtlich des Betreibers zweier internationaler Großflughäfen (Charles de Gaulles und Orly) traf, dehnte die Kommission diesen Ansatz zunächst verhalten und ausdrücklich erst in ihren Leitlinien 2005 auf alle Arten von Flughäfen aus.

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Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern. 66 Allerdings genehmigte die Kommission im Ergebnis die staatliche Beihilfe auch hier in Anwendung des heutigen Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV. Auch in ihrer Entscheidung zur Finanzierung des Flughafens Berlin Brandenburg International verwies die Kommission darauf, dass es sich bei der Flughafenbetreibergesellschaft, einer in Öffentlicher Hand befindlichen GmbH, um ein dem gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht unterliegendes Unternehmen handele. 67 f) Änderung der Flughafenrichtlinien Die Flughafenleitlinien 2005 sollen nach Auskunft der Europäischen Kommission überarbeitet werden. Bislang ist nicht ersichtlich, welcher Zeitplan für eine solche Überarbeitung vorgesehen ist. Auch fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für die Inhalte solcher Änderungen. Einer der Bereiche, der einer näheren Betrachtung unterfallen wird, ist jedoch die Einordnung von Flughäfen oder ggf. von bestimmten Flughäfen als Unternehmen. Die Vielzahl der bei der Europäischen Kommission anhängigen Fälle hat bei der Europäischen Kommission vermutlich zu Zweifeln dahingehend geführt, ob sämtliche Flughäfen als Unternehmen betrachtet werden müssen und daher im Prinzip dem Beihilfenrecht unterfallen. Festzuhalten ist schließlich noch, dass die Zuständigkeit der Beihilfenfälle im Bereich Flughäfen von der Generaldirektion Transport zur Generaldirektion Wettbewerb gewandert ist. Dies wird vermutlich dazu führen, dass die Kommission weniger Raum für Besonderheiten der Betrachtung von Flughäfen im Rahmen des europäischen Beihilfenrechts sehen wird. 2. Bewertung der Entscheidungspraxis und Differenzierung de lege ferenda a) Infrastrukturerrichtung: keine wirtschaftliche Tätigkeit des Flughafenbetreibers Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit ist die konsequente Position der Kommission zwar erfreulich, es stellt sich dennoch angesichts der aufgezeigten Entwicklung ihrer Entscheidungspraxis die Frage, ob die eingeschlagene Linie auch als sachgerecht angesehen werden kann. Die Kommission wird nicht müde zu betonen, dass der Grundstein für ihren Beurteilungswandel in ___________ 66

Entscheidung der Kommission K(2009) 1084 endg. – Flughafen Kassel-Calden, Rdnr. 42 ff. 67 Entscheidung der Kommission K(2009) 3554 endg. – Flughafen BBI, Rdnr. 23 ff.

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der Aéroports de Paris-Entscheidung des EuG zu sehen ist. Dem Argument, dass es dort um die Betreiberin zweier internationaler Großflughäfen 68 ging, setzt die Kommission die Entwicklung auf dem Flughafensektor entgegen. Diese Entwicklung habe sie bewogen, das Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit auf Flughäfen aller Art auszudehnen. Ob das angeführte Fundament der europäischen Rechtsprechung in Sachen Aéroports de Paris die Expansion der Kommission tatsächlich trägt, begegnet allerdings erheblichen Bedenken. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass es in der Aéroports de Paris-Entscheidung ausschließlich um den Betrieb der Pariser Großflughäfen Charles de Gaulle und Orly ging. 69 Soweit dort die Betreibergesellschaft die Flughafeninfrastruktur den Flughafennutzern gegen Entgelt zur Verfügung stellt, lässt sich durchaus von einer wirtschaftlichen Tätigkeit sprechen. Die eigentliche Errichtung der Flughafeninfrastruktur fällt streng genommen nicht unter die Definition von wirtschaftlicher Tätigkeit. Soweit diese jede Tätigkeit umfasst, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten, erfasst dies eigentlich nicht den Fall der Infrastrukturerrichtung durch den Infrastrukturbetreiber. Der Bau oder Ausbau von Flughafenanlagen durch den Flughafenbetreiber beinhaltet nicht das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt. b) Forderung nach eigenfinanzierter Flughafeninfrastruktur erscheint fraglich Die Errichtung von Flughafeninfrastruktur wird auch von der Kommission nicht als wirtschaftliche Tätigkeit des Flughafenbetreibers angesehen. Allerdings fasst sie in der Konsequenz der Einstufung der Tätigkeit des Flughafenbetriebs als wirtschaftliche Tätigkeit auch die Finanzierung der Errichtung benötigter Flughafeninfrastruktur unter den Beihilfenbegriff. 70 Deutlich wird dies durch ihr Postulat, wonach ein Flughafenbetreiber, der eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, u. a. die Kosten der von ihm betriebenen Infrastruktur aus eigenen Mitteln finanzieren sollte. 71 Diese strikte Verzahnung von Infrastrukturerrichtung und -betrieb unter dem Gesichtspunkt der Kostentragung darf angezweifelt werden. So weist die Kommission zwar zum einen darauf hin, dass ___________ 68 So ausdrücklich die Kommission in ihrer Verfahrenseinleitungsentscheidung zum Flughafen Berlin Schönefeld unter Hinweis auf die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Aéroports de Paris, ABl. EU Nr. C 257 v. 30.10.2007, S. 16 ff., Rdnr. 67. 69 Zwar gehörte auch der Um- und Ausbau der Flughafeninfrastruktur zu den Tätigkeiten der Flughafenbetreiberin, das EuG bejahte eine wirtschaftliche Tätigkeit jedoch nur unter dem Aspekt des Zurverfügungstellens von Flughafenanlagen an Flughafennutzer gegen Entgelt. 70 Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 55 ff. 71 Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 57.

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Infrastruktureinrichtungen die Grundlage der wirtschaftlichen Tätigkeit von Flughafenbetreibern darstellen. Andererseits böten sie dem Staat aber auch die Möglichkeit, Einfluss auf regionale Wirtschaftsentwicklung zu nehmen und raumordnungs-, verkehrspolitisch oder in anderer Weise tätig zu werden. 72 Eine eindeutige Zuordnung der gegenständlichen Flughafeninfrastruktur als solcher gelingt der Kommission mithin nicht. Vor diesem Hintergrund wünscht man sich von der Kommission weniger pauschale Aussagen und mehr Präzision bei der Bewertung der Aktivitäten von Flughafenbetreibern. Bei vorzugswürdiger enger Betrachtungsweise würde nur die wirtschaftliche Aktivität – namentlich der laufende Flughafenbetrieb als solches – und nicht der separat zu betrachtende Bau von Flughafeninfrastruktur den Anwendungsbereich des Beihilfenrechts eröffnen. Nur insoweit handelt es sich bei Flughafenbetreibern um Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der – auch von der Kommission betonten – regionalpolitischen Bedeutung von Luftverkehrsinfrastruktur. Die Kommission hingegen befürwortet – freilich ohne nähere Begründung – ein weites Verständnis, indem sie auch die staatliche Förderung der Grundlage der wirtschaftlichen Tätigkeit dem Beihilfenbegriff unterwirft. Zugleich erhöht sie damit die Gefahr, einem zur Abgrenzung bestimmtes Kriterium die Konturen zu nehmen. In ihrem Aktionsplan für Kapazität, Effizienz und Sicherheit von Flughäfen in Europa 73 betont die Kommission die besondere Bedeutung von Regionalflughäfen für die Entwicklung eines integrierten europäischen Luftverkehrsnetzes. Den offensichtlichen Widerspruch zu ihrer restriktiven Haltung im Hinblick auf die staatliche Infrastrukturförderung gerade auch an Regionalflughäfen vermag sie indes auch durch den Hinweis nicht zu vermeiden, dass Kapazitätsausbau nur im Rahmen des europäischen Beihilfenrechts erfolgen darf. 74 Denn in der Praxis ist die öffentliche Finanzierung oftmals die einzige Möglichkeit, das zum Ausbau von Flughäfen benötigte Kapital bereitzustellen. So wird die Befürwortung des Kapazitätsausbaus angesichts des Fehlens privater Investoren zur leeren Worthülse. c) Wirtschaftliche Entwicklung im Flughafensektor steht öffentlicher Infrastrukturförderung nicht entgegen Unbestritten sind die von der Kommission wiederholt zur Begründung herangezogene wirtschaftliche Entwicklung des Flughafensektors und dessen zunehmende Bedeutung. Die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen indes vari___________ 72 73 74

Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 56. KOM(2006) 819 endg. KOM(2006) 819 endg., Rdnr. 12.

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ieren. Als maßgeblichen Aspekt dieser Entwicklung mit dem Ergebnis, dass Flughäfen im heutigen strukturellen und organisatorischen Umfeld auch wirtschaftliche Ziele verfolgen, führt die Kommission die stellenweise erfolgte Übertragung einzelner Flughäfen in die Hände der Privatwirtschaft an. 75 Der (keineswegs flächendeckende) Einstieg Privater ins „Flughafengeschäft“ darf allerdings nicht zu der Annahme verleiten, der Staat wäre aus der Verantwortung zum Ausbau bedarfsgerechter Luftverkehrsinfrastruktur entlassen. Zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen im Rahmen der Daseinsvorsorge muss es der Öffentlichen Hand möglich sein, die erforderlichen Maßnahmen vorzunehmen. Die teilweise Privatisierung des Flughafensektors hat in der Praxis nicht dazu geführt, dass auch der Bau und Ausbau von Flughafeninfrastruktur in private Hände gelegt wurden. Das Interesse der Privatwirtschaft besteht fast ausnahmslos am eigentlichen Betrieb von Flughäfen, nicht in der Schaffung der Flughafeninfrastruktur. So übernahmen im Zuge der Privatisierungsentwicklung private Betreibergesellschaften lediglich bereits ausgebaute Flughafeninfrastrukturen, bei denen die Bewertung der im Flughafenbetrieb zu erwartenden Risiken wesentlich erleichtert ist. 76 Im Bereich des Neu-, Aus- und Umbaus von Flughafeninfrastruktur findet eine nennenswerte private Beteiligung – bis auf wenige Projekte 77 – nicht statt. Das prinzipiell wünschenswerte Engagement des Privatsektors auch bei der Infrastrukturfinanzierung bleibt die absolute Ausnahme. Bewertet man die Entwicklung des Flughafensektors unter diesem Aspekt, erscheint die pauschale Überführung staatlicher Infrastrukturfinanzierung ins Beihilfenregime als überzogen streng. Die Notifizierungspflicht des Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV und die damit einhergehende Bewertung der staatlichen Maßnahme durch die Kommission verlängern ohnehin schon langwierige Infrastrukturvorhaben und dürften so wenig zur Vermeidung der heraufbeschworenen Kapazitätskrise beitragen. Letztlich ist der pauschalisierende Ansatz der Kommission wenig zufrieden stellend. d) Infrastrukturerrichtung als eigene Tätigkeitskategorie Die Kommission weist selbst auf die notwendige Differenzierung zwischen den vielgestaltigen Aktivitäten eines Flughafenbetreibers hin. 78 Diesen Ansatz verfolgt sie jedoch – wie gesehen – nicht in letzter Konsequenz. Unter Zuhilfe___________ 75

Z. B. Entscheidung der Kommission C 48/2006 – DHL und Leipzig/Halle, Rdnr. 166 ff. 76 Soltész/Seidl, EWS 2006, S. 211 ff. 77 Zu nennen wären hier insbesondere der Ausbau des Frankfurter Flughafens und der Bau des im Privateigentum befindlichen Flughafens der Ciudad Real, Spanien. 78 Flughafenleitlinien ABl. EU Nr. C 312 v. 9.12.2005, S. 1 ff., Rdnr. 32.

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nahme des oben beschriebenen funktionellen Ansatzes sollte die jeweilige Tätigkeit betrachtet und eine Einordnung in die Tätigkeitskategorien hoheitlich, wirtschaftlich und nichtwirtschaftlich vorgenommen werden. Indem die Kommission nur die Tätigkeiten aussondert, deren Ausübung mit der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse zusammenhängt, greift sie zu kurz. Gerade die Errichtung von Flughafeninfrastruktur, die aus regionalwirtschaftlichen und verkehrspolitischen Gründen erforderlich ist, gehört zu den originären Aufgaben der Öffentlichen Hand. Es handelt sich um Daseinsvorsorge im Bereich des Flugverkehrs. Nimmt ein Flughafenbetreiber diese Aufgabe unter Inanspruchnahme staatlicher Finanzierung wahr, übt er insoweit keine wirtschaftliche Tätigkeit aus. Die infrastrukturschaffenden Aktivitäten sollten daher trotz ihres Bezugs zu der wirtschaftlichen Tätigkeit des Flughafenbetriebs einer eigenständigen Betrachtung unterzogen und dementsprechend kategorisiert werden. Es bietet sich an, derartige Tätigkeiten des Flughafenbetreibers als Tätigkeiten nicht-wirtschaftlicher Art einer Kategorie „Infrastruktur“ einzuordnen. Wie auch im Bereich der hoheitlichen Tätigkeiten des Flughafenbetreibers sollte sich die staatliche Unterstützung im Bereich „Infrastruktur“ nicht nach den Vorschriften über staatliche Beihilfen beurteilen, sofern die für die Errichtung der Flughafeninfrastruktur vorgesehenen Finanzmittel unbedingt auf den Ausgleich der mit dieser Tätigkeit verursachten Kosten beschränkt bleiben. Durch eine derart differenzierte Betrachtungsweise würde das Beihilfenrecht sachgerecht dort ansetzen, wo Flughafenbetreiber im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit im Wettbewerb miteinander stehen. Nur wo Wettbewerb besteht, können und müssen Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden. Überdies entspräche sie der ökonomischen Realität im weitaus größten Teil des Flughafensektors. Dass sich Infrastrukturprojekte aus eigenen Mitteln des Flughafenbetreibers (z. B. operativer Cashflow, Gewinnrücklagen, Fremdkapital zu Marktkonditionen) finanzieren lassen, wie die Kommission dies verlangt, trifft in den seltensten Fällen zu. Vor diesen Gegebenheiten sollte das europäische Beihilfenrecht nicht die Augen verschließen.

IV. Anwendung des Beihilfenrechts auf Infrastrukturinvestitionen Nach Ansicht der Kommission sind Flughafenbetreiber jedoch nach wie vor Unternehmen im Sinne des Art. 107 AEUV und können somit taugliche Empfänger von staatlichen Beihilfen in diesem Sinne sein. Daher folgt im Weiteren eine Analyse, ob es sich bei der Subventionierung von Flughafeninfrastruktur auch um Beihilfen im europarechtlichen Verständnis handelt. Es wird erläutert, ob bei Infrastrukturinvestitionen regelmäßig neben der Unternehmereigen-

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schaft des Subventionsempfängers auch die weiteren Voraussetzungen des Art. 107 AEUV 79 für eine Beihilfenkontrolle erfüllt sind. 1. Transfer staatlicher Mittel Zunächst muss es sich bei den Subventionen um den Transfer staatlicher Mittel handeln. Staatliche Mittel liegen regelmäßig vor, wenn das staatliche Budget belastet wird 80 und die Vergabe der staatlichen Kontrolle unterliegt 81 . Dies kann problematisch sein, wenn die Investition durch ein privatrechtlich konstituiertes Unternehmen mit öffentlicher Anteilsmehrheit erfolgt, es sich also beispielsweise um eine Kapitalerhöhung für Flughafenbetreiber durch einen Kapitalgesellschaft mit öffentlicher Anteilsmehrheit handelt. Als staatliche Mittel gelten jedoch nicht nur unmittelbar vom Staat gewährte Beihilfen, sondern auch jene, die durch vom Staat benannte oder errichtete, öffentliche oder private Einrichtungen gewährt werden. 82 Werden die Mittel nicht von einer staatlichen Stelle im engeren Sinne, sondern wie im Beispiel oben von einer Kapitalgesellschaft vergeben, so muss die Vergabe dem Staat zurechenbar sein. 83 Die Zurechenbarkeit bemisst sich dabei anhand eines Komplexes von Indizien, wie die Pflicht zur Beachtung behördlicher Richtlinien bei der Vergabeentscheidung, der Rechtsstatuts des Unternehmens, der Umfang der behördlichen Aufsicht oder die Zusammensetzung der entscheidenden Gremien. 84 Einer Anteilsmehrheit kann hier Indizwirkung zukommen. Die Beurteilung muss letztlich in einer Gesamtschau anhand des Einzelfalles vorgenommen werden. Grundsätzlich ist der Transfer staatlicher Mittel als Investition in Flughafeninfrastruktur auf jeder der drei potentiell begünstigten Ebenen (Infrastrukturerrichter, -nutzer, -betreiber) möglich. 2. Wirtschaftlicher Vorteil Durch die staatlichen Mittel müsste ein Unternehmen begünstigt werden, d.h. diesem ein Vorteil unentgeltlich oder gegen Zahlung eines Betrages, der dem zahlenmäßigen Wert des Vorteils nur zu einem Bruchteil entspricht, ge___________ 79 80 81 82 83 84

Vgl. dazu bereits oben unter II. EuGH-Rs. C-345/02-Slg. 2004, I-7139 Rdnr 36. EuGH-Rs. C-345/02-Slg. 2004, I-7139 Rdnr. 37. EuGH-Rs. 82/77-Slg. 1978, 25 Rdnr. 23-25. EuGH-Rs. C-482/99-Slg. 2002, I-4397 Rdnr 52. EuGH-Rs. C-482/99-Slg. 2002, I-4397 Rdnr. 55f.

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währt werden. 85 Ein solcher kann vielgestaltig sein und beispielsweise in Kapitalzuführung, zinsverbilligtem Darlehen, Steuerbefreiungen, Grundstücksveräußerungen unter Marktpreis, Vorzugskonditionen, Darlehnsbürgschaft unter marktüblichem Bürgschaftsentgelt, Garantien oder in einem Forderungsverzicht bestehen. Bei der Beurteilung eines wirtschaftlichen Vorteils folgen Kommission und Gemeinschaftsgerichtsbarkeit dem „Prinzip vom marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber“. 86 Dem Subventionsempfänger erwächst demnach kein wirtschaftlicher Vorteil i.S.d. Beihilfenrechtes, wenn die öffentliche Hand lediglich wie ein privater Investor am Markt gehandelt hat. Zu ermitteln ist dafür, ob ein privater Investor in einer vergleichbaren Lage unter Zugrundelegung der Rentabilitätsaussichten und unabhängig von allen sozialen oder regional politischen Überlegungen oder Erwägungen einer sektorbezogenen Politik eine solche Kapitalhilfe ebenfalls gewährt hätte. In Fällen besonders großer Einsätze öffentlichen Kapitals darf nicht auf das Verhalten eines gewöhnlichen Investors, der Kapital zum Zweck seiner mehr oder weniger kurzfristigen Rentabilisierung anlegt abgestellt werden, sondern wenigstens auf das Verhalten einer Holding oder Unternehmensgruppe, die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten lässt. 87 Berücksichtigung finden bei der Ermittlung der Mittelvergabe nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten allein renditeorientierte Interessen, 88 wie Beschäftigungseffekte oder Steuereinnahmen. Die Beurteilung erfolgt aus einer Ex-ante-Perspektive, d.h. die staatliche Investition muss im Zeitpunkt der Investitionsentscheidung rentabel erscheinen. 89 Für die hier näher zu beleuchtende Ebene der Infrastrukturbetreiber von Flughäfen bedeutet dies, dass es sich um eine der Beihilfenkontrolle durch die Kommission unterliegende staatliche Investition handeln kann, wenn dem Flughafenbetreiber ohne angemessene finanzielle Beteiligung Flughafeninfrastruktur zur Verfügung gestellt oder ein Zuschuss zur Finanzierung von Infrastruktur gewährt wird. Ob es sich in diesen Fällen letztlich um einen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne des europäischen Beihilferechts handelt, richtet sich danach ob bei einer Renditeerwartung anhand aller Einnahmen aus dem Flughafenbetrieb ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber nach oben skizzierten Kriterien ebenfalls diese Investition getätigt hätte. Bei Investitionen in Infrastruktureinrichtungen von Flughäfen ist eine Perspektive von 20 Jahren ___________ 85

Kommission, Bericht über die Wettbewerbspolitik, 2000, Rdnr. 314. EuG-verb. Rs. T-129/95, T-2/96 und T-97/96-Slg. 1999, II-17 Rdnr. 120; Kommission 13.11.93, Abl. 1993 C 307/3 Rdnr. 10 ff. 87 EuGH-Rs. C-305/89-Slg. 1991, I-1603 Rdnr. 19 f.; EuG-verb. Rs. T-228/99 und T-233/99-Slg. 2003, II-435 Rdnr. 245. 88 Kommission 13.11.93, Abl. 1993 C 307/3 Rdnr. 16 f. 89 Kommission 13.11.93, Abl. 1993 C 307/3 Rdnr. 28. 86

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durchaus üblich, so dass hier als spezifizierter Maßstab auf das vergleichbare Verhalten einer privaten Holding oder Unternehmensgruppe abzustellen wäre. Wie eingangs erwähnt werden die wenigsten Flughäfen jedoch unter Rentabilitätsgesichtspunkten betrieben sondern dienen überwiegend der Befriedigung des öffentlichen Bedürfnisses nach Verkehrsanbindung. Eine langfristige Finanzierung der Flughafeninfrastruktur durch die Einnahmen aus dem Flughafenbetrieb und damit eine Rentabilität unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ist regelmäßig nicht erreichbar, so dass man bei einer Beurteilung von Investitionen in die Flughafeninfrastruktur anhand des Prinzips eines marktwirtschaftlichen Kapitalgebers stets zu dem Ergebnis kommen wird, dass der fiktive, private Investor mangels Rentabilitätsaussichten diese Investition nicht vorgenommen hätte, mithin ein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne des Art. 107 AEUV und eine unzulässige Beihilfe vorläge. Das Prinzip des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers stellt sich folglich als unzureichendes Abgrenzungskriterium dar. Es kann stets dort nicht greifen, wo der Privatsektor überwiegend nicht als Kapitalgeber auftritt, also eine vergleichbare Situation zwischen öffentlicher Hand und Privatinvestor bereits naturgemäß nicht vorliegt. Werden Dienste nicht in vollständiger oder ausreichender Form von den am Markt existierenden Anbietern zur Verfügung gestellt, spricht man von Marktversagen. 90 Dass es ein Ausnahmebedürfnis für solche Beihilfenfälle gibt, in denen eine Vergleichbarkeit mit privaten Investoren fehlt, zeigt bereits die Regelung des Art. 106 Abs. 2 AEUV. Dort haben Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, eine Ausnahmeregelung erfahren. Die in diesen Bereichen gewährten Begünstigungen sind lediglich dazu bestimmt, die Nettomehrkosten für die Erfüllung einer gemeinwirtschaftlichen Aufgabe zu kompensieren. Ein wirtschaftlicher Vorteil und damit eine Beihilfe liegen hierbei dann nicht vor, wenn folgende Kriterien des „Altmark Trans“-Urteils des EuGHs erfüllt sind: 91 Das Unternehmen, welches die Zahlung erhält, muss tatsächlich mit der Erfüllung klar definierter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein; die Parameter zur Ausgleichsberechnung müssen vor der Mittelgewährung objektiv und transparent aufgestellt sein; die Ausgleichszahlung darf lediglich die Kosten decken unter Berücksichtigung der erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinnes; das Unternehmen muss im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge ausgewählt worden sein oder, sofern keine Ausschreibung erfolgte, die Höhe des Ausgleichs mittels einer Kostenanalyse am Maßstab eines durchschnittlich gut geführten Unternehmens bestimmt werden. Ausgleichszahlungen für ___________ 90

Vgl. Kommission 19.7.2006, Abl. 2006 C 202/18 Rdnr. 69 a.E.; Kommission 19.7.2006, Abl. 2006 C 204/9 Rdnr. 41. 91 EuGH-Rs. C-280/00-Slg. 2003 I-7747 Rdnr. 89-93.

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Dienstleistung im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse unterfallen dann bereits tatbestandlich nicht dem europäischen Beihilfenbegriff. Die Kommission prüft bei der Beurteilung ob es sich um Dienstleistungen in einem allgemeinen öffentlichen Interesse handelt auch das Vorliegen eines Marktversagens auf entsprechendem Gebiet. 92 Wie in der bisherigen Darstellung gezeigt, dienen Investitionen in Flughafeninfrastruktur ebenfalls der Befriedigung des öffentlichen Interesses nach umfassender Verkehrsanbindung und werden auf einem Sektor getätigt, der von einem Marktversagen gekennzeichnet ist. Insofern könnten also Flughäfen durchaus als Unternehmen, die Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse erbringen, angesehen werden, mit der Folge der Ausnahmebehandlung auch auf Investitionen in Flughafeninfrastruktur. Die Möglichkeit, dass Leistungen an einen Flughafenbetreiber, die die Kriterien des „Altmark Trans-Urteils“ erfüllen, keine Beihilfen i.S.d. Art 107 AEUV darstellen, erkennt die Kommission ebenfalls ausdrücklich an. 93 3. Selektivität Art. 107 AEUV verlangt die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige und dient damit der Abgrenzung von beihilferelevantem Verhalten zu allgemeinen, wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Eine selektive Begünstigung kann regelmäßig auf der Ebene der Infrastrukturnutzer ausgeschlossen werden, wenn der Zugang allen potentiellen Nutzern, wie Fluggesellschaften und Bodenabfertigungsdiensten, im Rahmen der Flughafenkapazität offen steht und diskriminierungsfrei ist. Insbesondere muss die Slotvergabe transparent und diskriminierungsfrei erfolgen 94 und die Entgelterhebung diskriminierungsfrei sein. Auf der Ebene der Infrastrukturerrichter liegt dann keine selektive Begünstigung vor, wenn zuvor eine Ausschreibung erfolgte und vergaberechtliche Vorgaben eingehalten wurden. Allein auf der im Rahmen dieses Beitrags im Vordergrund stehenden Ebene der Infrastrukturbetreiber wird regelmäßig eine selektive Begünstigung zu bejahen sein, wenn die fragliche Investition lediglich an einem Flughafen getätigt wird. In diesem Falle läge eindeutig keine allgemeine, wirtschaftspolitische Maßnahme, sondern eine gezielte Begünstigung eines Unternehmens vor. ___________ 92 Kommission 19.7.2006, ABl 2006 C 202/18 Rdnr. 69 aE; Kommission Abl. C 204/9 Rdnr. 41. 93 Siehe dazu Mitteilung der Kommission „Gemeinschaftliche Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen und die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen“ vom 9.12.2005, ABl. 2005 C 312/1, Rdnr. 36. 94 Verordnung (EWG) NR. 95/93.

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4. Wettbewerbsverzerrung und Auswirkung auf innergemeinschaftlichen Handel Weiter setzt Art. 107 AEUV voraus, dass durch den Einsatz der staatlich gewährten Mittel der Wettbewerb verfälscht wird oder eine solche Verfälschung droht und sich dadurch Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel ergeben, also einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Eine Verfälschung liegt dann vor, wenn die Stellung des begünstigten Unternehmens durch die gewährten Mittel gegenüber seinen Wettbewerbern im innergemeinschaftlichen Handel verstärkt wird. Beurteilt wird dies durch einen Vergleich der Wettbewerbssituation des begünstigten Unternehmens vor und nach Gewährung der Begünstigung. Die Darlegungslast der Kommission wird dadurch erleichtert, dass sie nicht zum Nachweis der tatsächlichen Auswirkungen eines Beihilfevorhabens oder einer geplanten Beihilferegelung verpflichtet ist sondern nur zu prüfen hat, ob dieses Vorhaben geeignet ist, den Wettbewerb zu verfälschen. 95 Danach können öffentliche Zuschüsse an Flughäfen, die nicht als Ausgleichzahlungen für Dienstleistungen im allgemein wirtschaftlichen Interesse angesehen werden, eine unzulässige Beihilfe i.S.d. Art. 107 AEUV sein, wenn sie den Wettbewerb verzerren. Zur Beurteilung der Verzerrung des Wettbewerbs unter Flughäfen hat die Kommission diese in vier Kategorien anhand des Passagieraufkommens unterteilt, um festzulegen inwieweit die Flughäfen miteinander konkurrieren. 96 Die Kategorie A umfasst die „großen Gemeinschaftsflughäfen“ mit über 10 Mio. Passagieren jährlich, Kategorie B die „nationalen Flughäfen“ mit 5 bis 10 Mio. Passagieren jährlich, Kategorie C die „großen Regionalflughäfen“ mit 1 bis 5 Mio. Passagieren jährlich und Kategorie D die „kleinen Regionalflughäfen“ mit weniger als 1 Mio. Passagieren pro Jahr. Von der Kommission wird die Ansicht vertreten, 97 dass öffentliche Zuschüsse zugunsten nationaler und Gemeinschaftsflughäfen (Kategorien A und B) generell die Gefahr einer Wettbewerbsverfälschung oder Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten in sich bergen. Andererseits sollen Zahlungen für kleine Regionalflughäfen (Kategorie D) den Wettbewerb kaum beeinflussen oder den Handel in einem dem Gemeinschaftsinteresse zuwider___________ 95 Zum Vorstehenden: EuGH-Rs. C-298/00 P-Slg. 2004, I-4087 Rdnr. 49; EuGH-Rs. C-372/97-Slg. 2004, I-3679 Rdnr. 44; EuG-Rs. T-171/02-Slg.2005, II-2123 Rdnr.85. 96 Mitteilung der Kommission „Gemeinschaftliche Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen und die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen“ vom 9.12.2005, ABl. 2005 C 312/1, Rdnr. 15. 97 Mitteilung der Kommission „Gemeinschaftliche Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen und die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen“ vom 9.12.2005, ABl. 2005 C 312/1, Rdnr. 39.

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laufenden Ausmaß beeinträchtigen. Neben diesen allgemeinen Indikatoren des Passagieraufkommens gäbe es nach Auffassung der Kommission jedoch keine Bewertungsmethode, die den verschiedenen Situationen, insbesondere in Bezug auf Flughäfen der Kategorien C und D, gerecht würde. 98 Da Auswirkungen auf den Wettbewerb im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden können, müssten Maßnahmen, die möglicherweise eine staatliche Beihilfe für einen Flughafen darstellen, auch in den Kategorien C und D immer notifiziert und zur Überprüfung durch die Kommission gestellt werden.

V. Schlussbetrachtung Die bisherigen Ausführungen haben einen Eindruck von der Beihilfenrelevanz öffentlicher Infrastrukturinvestitionen skizziert. Dies gilt insbesondere für die Ebene der Infrastrukturbetreiber. Das extensive Beihilfenverständnis der Kommission der EU führt jedoch zu einer unpraktikablen Handhabung, da stets jede Finanzhilfe vorsorglich zu notifizieren ist. So werden notwendige Investitionsprozesse verlängert und Rechtsunsicherheiten geschaffen. Insbesondere die einheitliche Beurteilung von Flughafenbetrieb und Flughafeninfrastruktur wird den faktischen Gegebenheiten nicht gerecht. Die von der Kommission zur Beurteilung herangezogenen Privatisierungsinteressen sind vornehmlich auf den Flughafenbetrieb beschränkt. Die einheitliche Beurteilung insbesondere bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Vorteils im beihilfenrechtlichen Sinne bleibt hinter diesen Gegebenheiten zurück. Zu einer realistischeren und handhabbareren Lösung dürfte eine getrennte Betrachtung dieser beiden Bereiche führen. Hinsichtlich der Investitionen in Flughafeninfrastruktur wäre zu bedenken, ob es nicht angebracht ist, ein eigenes Regime zu entwickeln. Die oben aufgeworfenen Probleme, die sich bei der Bestimmung eines wirtschaftlichen Vorteils bei Investitionen auf diesem Gebiet ergeben, zeigen, dass das bisherige Beihilfenrecht nicht recht zu passen scheint. Es handelt sich bei Flughafeninfrastrukturmaßnahmen eben nicht um einen typischen dem Wettbewerb unterliegenden Bereich, sondern auch um die Erfüllung allgemeiner Bedürfnisse, so dass eher eine Vergleichbarkeit mit Unternehmen, die Dienstleistungen im allgemeinen Interesse erbringen, besteht. Andererseits kann nicht dementiert werden, dass durch die Mittelvergabe an Flughafenbetreiber auch die Möglichkeit zur indirekten Einflussnahme der staatlichen Stellen auf die Flughafenunter___________ 98 Mitteilung der Kommission „Gemeinschaftliche Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen und die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen“ vom 9.12.2005, ABl. 2005 C 312/1, Rdnr. 40.

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nehmen besteht, die der Kontrolle und Regelung bedarf. Mangels geeigneter vorhandener Regelungsinstrumente im Beihilfenrecht, könnte ein speziell auf die Förderung von Flughafeninfrastruktur ausgerichtetes Reglement hier zum geeigneten Interessenausgleich zwischen Kontrollbedürfnis einerseits und dem Bedürfnis nach einem „passenden“ Kontrollmaßstab andererseits beitragen. Denkbar wäre die Einführung eines festen Prozentsatzes für die Beteilung der öffentlichen Hand an Flughafeninfrastrukturprojekten von beispielsweise 50 %. Eine hälftige Beteiligung der öffentlichen Hand wäre wohl noch angemessen bei der Erfüllung von dem Allgemeinwohl dienenden Aufgaben. Eine darüber liegende Beteiligung und dementsprechende geringere Eigenleistung der Flughafenunternehmen könnte demgegenüber als unverhältnismäßige Förderung und Begünstigung im beihilfenrechtlichen Sinne angesehen werden. Des Weiteren bietet sich eine Differenzierung bei der Festlegung der Höhe der Beteiligungsquote nach Flughafengrößen an. Kleinere Flughäfen bedürfen regelmäßig einer umfangreicheren Unterstützung durch die öffentliche Hand, um dem öffentlichen Interesse nach ausreichender Verkehrsanbindung zu begegnen. Diesem Bedürfnis könnte durch die Möglichkeit zur umfassenderen Beteiligung der öffentlichen Hand an Infrastrukturprojekten durch eine höhere Beteiligungsquote Rechnung getragen werden. Durch die Koppelung von Förderumfang der Öffentlichen Hand an die Eigenleistung der Flughafenunternehmen würde einer Wettbewerbsverzerrung vorgebeugt und dem beihilfenrechtlichen Regelungszweck genügt. Jedes Unternehmen bekommt soviel Unterstützung wie es an Eigenleistung aufbringen kann. Die vorgefundene Wettbewerbslage wird nicht beeinträchtigt.

Offene Fragen zum Fluglärmschutzgesetz und dessen Umsetzung Von Alexandra Fridrich Das novellierte Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FluglärmG) ist seit ca. zweieinhalb Jahren in Kraft. 1 Seit etwas über einem Jahr existiert mit der 1. Fluglärmschutzverordnung (1. FlugLSV) auch die erforderliche Berechnungsvorschrift. 2 Die Anleitung zur Datenerfassung über den Flugbetrieb (AzD) und die Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen (AzB) datieren vom 19.11.2008. 3 Die sog. Flugplatzschallschutzmaßnahmenverordnung (2. FlugLSV) trat zum 15.09.2009 in Kraft. 4 Die 3. Fluglärmschutzverordnung zur Außenwohnbereichsentschädigung wird derzeit fachlich und konzeptionell vorbereitet. Mit Inkrafttreten des FluglärmG erfolgte zunächst das allseits für erforderlich gehaltene Reformvorhaben der Novellierung des Gesetzes zum Schutz vor Fluglärm vom 30.03.1971. 5 Mit der Novellierung wurde zwar die langjährige Diskussion zunächst beendet. 6 Gleichwohl ist festzustellen, dass das neue Fluglärmschutzgesetz die Probleme des Fluglärms keinesfalls abschließend löst und nach seinem Inkrafttreten sich insbesondere in der praktischen Anwendung ___________ 1 Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 1.6.2007, BGBl. I, 2007, 986 in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.10.2007, BGBl. I, 2007, 2550. 2 Verordnung über die Datenerfassung und das Berechnungsverfahren für die Festsetzung von Lärmschutzbereichen – 1. FlugLSV vom 27.12.2008, BGBl. I, 2008, 2980. 3 Bekanntmachung über die Anleitung zur Datenerfassung über den Flugbetrieb (AzD) und der Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen (AzB) vom 19.11.2008, Bundesanzeiger Nr. 195a vom 23.12.2008. 4 2. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (Flugplatz-Schallschutzmaßnahmenverordnung (2. FlugLSV), BGBl. I, 2009, 2992. 5 Zu dem Reformbedürfnis und den Defiziten des Fluglärmgesetzes vom 30.3.1971 z.B. Berkemann, ZuR 2002, 202; Koch, NVwZ 2003, 1153, 1159; Koch/Wieneke, NuR 2003, 72 ff.; SRU, Umweltgutachten 2002, Erscheinungsdatum 2002, Tz 597 ff.; Storost, NVwZ 2004, 257, 258; SRU, Umweltgutachten 2004, Erscheinungsdatum 2004, Tz 659. 6 Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243: Wysk spricht von einem schier unbeendlichen Zwist um Reichweite und Inhalt dieses allseits als notwendig betrachteten Reformvorhabens, dem nun der überfällige Schlusspunkt gesetzt wurde.

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eine Vielzahl von Fragen stellen, die diskussionsbedürftig sind und eine vertiefte Auseinandersetzung erforderlich machen. 7 Zu einigen sich stellenden Fragen gibt es bereits Rechtsprechung der Obergerichte. Auch in den Urteilen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (HessVGH) zum Ausbau des Flughafens Frankfurt am Main vom 21.08.2009 8 werden einige Fragen, die im nachfolgenden Beitrag zur Diskussion gestellt werden, behandelt. Die Urteile sind nicht rechtskräftig und die aufgeworfenen Fragen zum Teil Gegenstand von Revisionsverfahren. So wird etwa die Frage nach der abschließenden Regelung von Zumutbarkeitsschwellen des FluglärmG über die Verweisung in § 8 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) 9 , insbesondere für besonders schutzbedürftige Einrichtungen, zu klären sein. Die Umsetzung der im Anhang zu § 3 FluglärmG enthaltenen und in der 1. FlugLSV konkretisierten Berechnungsvorschriften wirft ebenfalls Fragen auf. Entsprechendes gilt für die Umsetzung der 2. FlugLSV. Die Festsetzung des Lärmschutzbereichs erfolgt nicht wie bisher durch den Bund, sondern nach der Novelle des FluglärmG durch die jeweilige Landesregierung. Derzeit werden in den Ländern die Verfahren zur Festlegung der Lärmschutzbereiche ausgearbeitet. Für Bestandsflughäfen ist mit Ausnahme der Lärmschutzbereiche für die Verkehrsflughäfen Bremen und WesterlandSylt – soweit ersichtlich – noch kein weiterer Lärmschutzbereich festgesetzt worden. Anlässlich des Vortrags zu den Speyerer Luftverkehrsrechtstagen am 03.03.2010 wurden die nachfolgenden Fragestellungen aufgeworfen und entsprechende Lösungen entwickelt. Die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen gibt die Auffassung der Verfasserin wieder.

I. Frage 1: Sind die Schwellenwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG auch auf Verkehrslandeplätze oder Sonderflughäfen anwendbar, die nicht unter § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FluglärmG fallen? § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG sieht für die Planfeststellung vor, dass zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Fluglärm die jeweils anwendbaren Werte [Hervorhebung durch die Verfasserin] des § 2 Abs. 2 FluglärmG zu beachten sind. Der in Bezug genommene § 2 Abs. 2 FluglärmG verweist in § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 ___________ 7 Z.B. zu den sich stellenden Rechtsfragen u.a. auch Giemulla/Rathgeb, DVBl. 2008, 669 ff.; Ekardt/Schmidtke, DÖV 2009, 187 ff. 8 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T u.a.; Urt. vom 21.8.2009, 11 C 349/08.T. 9 Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.5.2007, BGBl. I, 2007, 698, zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz vom 24.8.2009, BGBl. I, 2009, 2942.

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auf zivile Flugplätze im Sinne des § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FluglärmG. § 4 Abs. 1 FluglärmG regelt, dass ein Lärmschutzbereich nur für Verkehrsflughäfen mit Fluglinien- oder Pauschalreiseflugverkehr (Nr. 1) oder für Verkehrslandeplätze mit Fluglinien- oder Pauschalreiseflugverkehr und mit einem Verkehrsaufkommen von 25.000 Bewegungen pro Jahr, ausgenommen die ausschließlich der Ausbildung dienenden Bewegungen mit Leichtflugzeugen (Nr. 2), festzusetzen ist. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Schwellenwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG auch auf Verkehrslandeplätze oder Sonderflughäfen anwendbar sind, die nicht unter § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FluglärmG fallen. Der Wortlaut und die Verweisungskette in § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG, § 2 Abs. 2 FluglärmG und § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FluglärmG sprechen dafür, das die Schwellenwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG für die vom Anwendungsbereich des FluglärmG ausgenommenen Flugplätze keine normative Festlegung der fachplanerischen Zumutbarkeitsgrenze darstellen. Aus der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 02.02.2006 10 wird zum wesentlichen Inhalt des Gesetzentwurfs ausgeführt, dass die Neuregelung die größeren zivil genutzten Flugplätze erfassen soll, bei denen aufgrund von Art und Umfang des Flugbetriebs beträchtliche Fluglärmbelastungen in der Flugplatzumgebung zustande kommen und wo ein auf Dauer hinreichender Schutz der Flugplatzumgebung durch andere Instrumente des Fluglärmschutzes wie die Landeplatz-Lärmschutz-Verordnung nicht gewährleistet werden könne. Die Festlegung des Anwendungsbereichs orientiere sich in erster Linie an den typischerweise bei bestimmten Nutzungsarten und Umfängen zu erwartenden Fluglärmimmissionen im Flugplatzumfeld und sei weitgehend unabhängig vom luftrechtlichen Genehmigungsstatus als Verkehrsflughafen oder Verkehrslandeplatz. 11 Konkret zu § 4 FluglärmG wird in der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung ausgeführt, dass vom Anwendungsbereich die Verkehrsflughäfen und die größeren Verkehrslandeplätze sowie diejenigen militärischen Flugplätze erfasst werden, bei denen aufgrund von Art und Umfang des Flugbetriebs beträchtliche Fluglärmbelastungen in der Flugplatzumgebung zu erwarten sind. Der festgelegte Schwellenwert für Verkehrslandeplätze von 25.000 Flugbewegungen pro Jahr orientiere sich an der EG-Umgebungslärm-Richtlinie (2002/49/EG). 12 Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird also erst in § 4 Abs. 1 FluglärmG verbindlich präzisiert. Hinzu kommt, dass die Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen an zivilen und militärischen Flugplätzen nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm wenig geeignet ist, die Immissionsverhältnisse an kleineren Flugplät___________ 10 11 12

BT-Drs. 16/508. BT-Drs. 16/508, S. 13. BT-Drs. 16/508, S. 19.

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zen wirkungsgerecht abzubilden. 13 Die in § 2 Abs. 2 FluglärmG vorgenommene Abstufung unterschiedlicher Werte scheint auch für kleinere Flugplätze kein ausreichendes, der konkret vor Ort auftretenden Situation gerecht werdendes Bewertungskriterium darzustellen. 14 Das OVG Rheinland-Pfalz geht ebenfalls davon aus, dass für Flugplätze, die nicht § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FluglärmG unterfallen, eine normative Festlegung der planerischen Zumutbarkeitsgrenze durch die Schwellenwerte des § 2 Abs. 2 des FluglärmG nicht erfolgt ist und damit auch keine gesetzliche Bindung des § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG an die Schwellenwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG besteht. In seinem Urteil vom 08.07.2009 zum Planfeststellungsbeschluss für die Verlegung der Start- und Landebahn des Verkehrslandeplatzes Speyer hat es dies im wesentlichen unter Bezugnahme auf den Gesetzeswortlaut und die bereits zitierten Ausführungen von Wysk bestätigt. 15 Wysk geht sogar davon aus, dass sich die Frage nach dem Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG recht eindeutig beantworten lässt. 16 Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat in seinen Urteilen zur Änderungsgenehmigung für den Sonderflughafen Oberpfaffenhofen dagegen ausdrücklich offen gelassen, ob das Fluglärmschutzgesetz im Rahmen der Änderungsgenehmigung auf den Sonderflughafen Oberpfaffenhofen unmittelbar Anwendung findet. 17 Im Ergebnis ist für kleinere Flugplätze und Verkehrslandeplätze, die vom Anwendungsbereich des FluglärmG nicht erfasst werden, weiterhin eine individuell konkrete Einzelfallbewertung der fachplanerischen Zumutbarkeitsschwelle erforderlich. Die Schwellenwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG sind insofern auch in Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren nicht anwendbar. 18 ___________ 13

Vgl. hierzu Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243, 248. Vgl. hierzu Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243, 248. 15 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 8.7.2009, 8 C 10399/08, Rn. 119, Juris. 16 Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243, 248. 17 Bayerisches Verwaltungsgericht München, Urt. vom 23.10.2009, M 24 K 08.4164, S. 49, 50 des amtlichen Umdrucks. In den Beschlüssen zum einstweiligen Rechtsschutz wurde noch von der unmittelbaren Anwendbarkeit des FluglärmG ausgegangen, vgl. z.B. Beschluss vom 16.3.2009, M 24 S 08.4953. 18 Das OVG Rheinland-Pfalz hat im Urteil zum Ausbau des Verkehrslandeplatzes Speyer unter Bezugnahme auf den dortigen Planfeststellungsbeschluss bei der individuell konkreten Einzelfallbewertung der fachplanerischen Zumutbarkeitsschwelle die Frage aufgeworfen, ob es erforderlich sei, die im Fluglärmgesetz genannten Werte deshalb zu unterschreiten, weil die Festsetzung eines Lärmschutzbereichs für den Verkehrslandeplatz Speyer in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Der Senat gelangte nach eingehender Prüfung der ermittelten Lärmprognosen anhand der Schutzziele des lärmmedizinischen Gutachtens zu dem Ergebnis, dass dies überzeugend von der Planfeststellungsbehörde verneint wurde. Ob dies auch in anderen Fällen so gehandhabt werden kann, bedarf einer jeweils einzelfallbezogenen Entscheidung. 14

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II. Frage 2: Kommt dem FluglärmG hinsichtlich der Gewährung passiven Schallschutzes sowie von Außenwohnbereichsentschädigung eine abschließende Wirkung zu? Zur Bewältigung von Fluglärmbelastungen stehen Maßnahmen des aktiven und passiven Schallschutzes und als Surrogat die Gewährung von Entschädigungen zur Verfügung. Ein zunächst von der Fachplanung unabhängiges gesetzliches Schutzkonzept des passiven Schallschutzes und der Außenwohnbereichsentschädigung enthält das FluglärmG. Gleichwohl sehen §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 2 LuftVG weiterhin eine eigenständige Abwägung vor. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG sind in der Abwägung die von dem Vorhaben berührten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit zu berücksichtigen. Dabei sind nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG die jeweils anwendbaren Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG zu beachten. Der Abwägung vorgelagert ist die Vorschrift des § 9 Abs. 2 LuftVG. Danach ist dem Vorhabenträger die Errichtung und Unterhaltung derjenigen Anlagen aufzuerlegen, die zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder Nachteile notwendig sind. Gegenstand dieser Verpflichtung sind auch die zur Verhinderung oder Minimierung vorhabenbedingter Auswirkungen geeigneten Maßnahmen, insbesondere auch solche des passiven Schallschutzes. Liegen die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 LuftVG vor, sind derartige Vorkehrungen zwingend geboten. Nach der Neufassung des FluglärmG stellt sich deshalb die Frage, ob eine Planfeststellungsbehörde daran gehindert ist, auf Grundlage dieser Vorschriften weitergehende Vorkehrungen des passiven Schallschutzes und ergänzend Außenwohnbereichsentschädigungen anzuordnen. 1. Fest steht zunächst, dass eine Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsbehörde durch die Ergänzung des § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG daran gehindert ist, ihrer Abwägung höhere als die in § 2 Abs. 2 FluglärmG normierten Lärmwerte zu Grunde zu legen. 19 Ebenso ist geklärt, dass Fluglärmbelastungen unterhalb der Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG nach wie vor abwägungsrelevant sind. 20 § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG enthält zwar Vorgaben für die Bewertung und Berechnung der vorhabensbedingten Fluglärmbelastung, regelt aber nicht, in welcher Weise dieser Fluglärmbelastung begegnet werden kann. Die Bezugnahme in § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG auf alle Werte, auch auf die Werte der TagSchutzzone 2, nach der das FluglärmG passiven Schallschutz auf Kosten des Flughafenbetreibers nicht vorsieht, unterstützt diese Auffassung. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 FluglärmG regelt das Gesetz zwar die genannten Ansprüche mit ___________ 19

BVerwG, Beschl. vom 13.9.2007, 4 A 1007/07, Rn. 29, Juris. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, 4 A 1075/04, Rn. 268, Juris; Reidt/Fellenberg, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 57. Ergänzungslieferung, Stand 1.3.2010, § 1 FluglärmG, Rn. 20. 20

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Wirkung auch für ein Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren. Von einer abschließenden Wirkung wird entgegen anders lautender Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren aber nicht gesprochen. Deshalb kann § 13 Abs. 1 Satz 1 FluglärmG auch nicht die Aussage entnommen werden, dass sich das Recht der Behörde zur eigenständigen Anordnung von Ansprüchen auf passiven Schallschutz und Außenwohnbereichsentschädigung unter keinen Umständen zu einer entsprechenden Pflicht verdichten kann. 2. Auffällig ist, dass mit der Neufassung des FluglärmG und der Änderung LuftVG die maßgebliche Rechtsgrundlage des § 9 Abs. 2 LuftVG für die Anordnung passiven Schallschutzes unberührt blieb. Die Grundlage für die Anordnung von passivem Schallschutz und von Außenwohnbereichsentschädigungen findet sich nach wie vor in § 9 Abs. 2 LuftVG, nicht aber im Abwägungsgebot des § 8 Abs. 1 LuftVG. 21 Hätte der Gesetzgeber den passiven Schallschutz im FluglärmG abschließend regeln wollen, wäre eine entsprechende Ergänzung zu erwarten gewesen. 3. Aus der Systematik des Regelungszusammenhangs von FluglärmG und LuftVG ergibt sich ebenfalls nicht, dass eine Planfeststellungs- oder Genehmigungsbehörde daran gehindert sein sollte, über den Mindeststandard des FluglärmG hinaus Ansprüche auf passiven Schallschutz und Außenwohnbereichsentschädigungen zu verfügen. Der Charakter der planerischen Abwägungsentscheidung spricht dafür, dass der Behörde bei der Bewältigung der Folgen eines Vorhabens ein Gestaltungsspielraum verbleiben muss. Dies ergibt sich allein schon aus der allgemein anerkannten Abwägungsrelevanz von Fluglärmbelastungen unterhalb der Werte nach § 2 Abs. 2 FluglärmG. Ist ein Belang aber abwägungserheblich, muss er auch auf der Rechtsfolgenseite Auswirkungen zeigen können. Die Begrenzung auf ausschließliche aktive Schallschutzmaßnahmen, die i.d.R. für die Flughafenbetreiber einschneidender als passive Schallschutzmaßnahmen sind, wäre mit einer partiellen Abkehr von der bisher angenommenen Gleichrangigkeit beider Arten von Schutzvorkehrungen verbunden. 22 4. Die Entstehungsgeschichte des novellierten FluglärmG spricht ebenfalls gegen seine abschließende Wirkung. Das FluglärmG 1971 hat mit der Neufassung durch das Gesetz vom 01.06.2007 seine Grundstruktur beibehalten. Schon für die alte Gesetzesfassung war anerkannt, dass die den Lärmschutzbereichen zugrunde liegenden Lärmwerte unzureichend waren und die Behörden deshalb zur Anordnung weitergehender Schutzvorkehrungen verpflichtet blieben. 23 Ei___________ 21 22 23

BVerwG, Urt. vom 29.1.1991, 4 C 51/89, Rn. 188, Juris. BVerwG, Urt. vom 29.1.1991, 4 C 51/89, Rn. 186 ff., Juris. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, 4 A 1075/05, Rn. 254, Juris.

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ne bewusste Abkehr des Gesetzgebers von der früheren Rechtslage lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 02.02.2006 sah sowohl für § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG als auch für § 13 FluglärmG noch einen anderen Wortlaut vor. Zur Verknüpfung von FluglärmG und LuftVG ist in der Begründung des Regierungsentwurfs nachzulesen, es solle sichergestellt werden, dass im Rahmen der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung bei der Abwägung „ausschließlich“ die nach dem FluglärmG maßgeblichen Grenzwerte zugrunde gelegt werden sollen. Gewährleistet werden solle dadurch Rechtssicherheit und Gleichbehandlung. 24 Die Änderung des § 8 Abs. 1 LuftVG solle außerdem sicherstellen, dass bei der Bewältigung von Fluglärm im Rahmen der Abwägung keine anderen als die nach dem FluglärmG maßgeblichen Werte für die Lärmschutzbereiche zugrunde gelegt werden. 25 § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG, § 13 FluglärmG erhielten nach den Ausschussberatungen des federführenden Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ihre endgültige Fassung. Ziel der Änderungen war, den Lärmschutz bzw. die Rechte der Lärmbetroffenen auszuweiten. 26 Mit der Neufassung des § 13 FluglärmG werde „Rechtssicherheit in Genehmigungsverfahren auch für die Anwohner von Flugplätzen erreicht“. § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG sichere ab, dass „auch gerade für sensible Bevölkerungsteile bei Genehmigungen in jedem Fall auch aktive Maßnahmen Schallschutzschutzes mit abgewogen werden [müssen] und nicht allein auf passiven Schallschutz abgestellt werden [darf]“. 27 In der Begründung zur Neufassung des § 13 FluglärmG wird auf die Planungs- und Rechtssicherheit bei Planfeststellungsverfahren und bei der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung hingewiesen. Dies soll erreicht werden, „indem klargestellt wird, dass die Regelungen des novellierten Fluglärmschutzgesetzes zum passiven Schallschutz und zur Entschädigung der Beeinträchtigungen des Außenwohnbereiches auch mit Wirkung für die luftverkehrsrechtlichen

___________ 24 Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 2.2.2006, BT-Drs. 16/508, S. 14. 25 Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 2.2.2006, BT-Drs. 16/508, S. 24. 26 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drs. 16/508) vom 13.12.2006, BT-Drs. 16/3813, S. 11. 27 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drs. 16/508) vom 13.12.2006, BT-Drs. 16/3813, S. 11.

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Zulassungsverfahren gelten“. 28 Entgegen der ursprünglich noch im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltenen Formulierung wird zur Erlangung der Rechtssicherheit nicht mehr vorausgesetzt, dass in der luftverkehrsrechtlichen Abwägung „ausschließlich“ die Lärmwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG bzw. „keine anderen“ als die dortigen Lärmwerte zugrunde gelegt werden dürfen. In der Einzelbegründung zur Neufassung des § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG wird zudem darauf hingewiesen, dass gerade weil den Anwohnern von Flughäfen im öffentlichen Interesse durch Fluglärm Lärmwirkungen zugemutet werden, geprüft werden müsse, ob „Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes notwendig sind oder besonders sensible Bevölkerungsteile besonders geschützt werden müssen“. 29 Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der in § 2 Abs. 2 FluglärmG normierten Grenzwerte gegen eine abschließende Wirkung des FluglärmG. Die in § 2 Abs. 2 FluglärmG normierten Grenzwerte wurden maßgeblich aus dem Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen vom 15.12.1999 30 sowie aus dem Umweltgutachten 2002 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen vom 15.04.2002 31 abgeleitet. 32 Aus dem Sondergutachten vom 15.12.1999 ergeben sich ausschließlich Zielwerte, die sich allgemein auf Verkehrslärmbelastungen einschließlich der Summationsbelastung beziehen. 33 Spezielle Grenzwerte für Fluglärm wurden nicht vorgeschlagen, ebenso wenig wird zwischen der Fluglärmbelastung von Wohngrundstücken und schutzbedürftigen Einrichtungen differenziert. Das Umweltgutachten aus dem Jahr 2002 enthält zwar konkrete Vorschläge für Lärmgrenzwerte in Bezug auf Fluglärmbelastungen. 34 Die Problematik des Schutzes besonders schutzbedürftiger Einrichtungen vor Fluglärm wird aber nicht behandelt. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 02.02.2006 wird selektiv auf die fachlichen Vorschläge des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen zurückgegriffen. Eine Begründung, weshalb für ___________ 28 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drs. 16/508) vom 13.12.2006, BT-Drs. 16/3813, S. 19. 29 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drs. 16/508) vom 13.12.2006, BT-Drs. 16/3813, S. 19. 30 BT-Drs. 14/2003. 31 BT-Drs. 14/8792. 32 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 22.6.2004, S. 18; Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 2.2.2006, BT-Drs. 16/508, S. 17 f. 33 BT-Drs. 14/2003, S. 31. 34 Vgl. BT-Drs. 14/8792, S. 284.

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den Schutz besonders schutzbedürftiger Einrichtungen die gleichen Grenzwerte herangezogen werden wie für Wohngrundstücke, enthält die Begründung des Gesetzentwurfes nicht, obwohl in der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung bis dato Einigkeit darüber bestand, dass für besonders schutzbedürftige Einrichtungen niedrigere Grenzwerte anzulegen sind. 35 Wenn der Gesetzgeber von dieser bis dahin anerkannten Praxis auch für besonders schutzbedürftige Einrichtungen hätte abweichen wollen, wäre eine entsprechende Begründung zu erwarten gewesen. Aus diesem Schweigen des Gesetzgebers lässt sich entnehmen, dass er gerade für besonders schutzbedürftige Einrichtungen bzw. die in diesen lebenden Personen keine abschließende Entscheidung treffen wollte, sondern vielmehr das Schutzniveau des FluglärmG für besonders schutzbedürftige Einrichtungen als Mindeststandard anzusehen ist, über den eine Behörde auch hinausgehen kann und evtl. auch muss. 5. Die durch Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte belegte Auffassung findet ihren Niederschlag auch in der Literatur: Die Kommentierung in Landmann/Rohmer stellt zunächst fest, dass die vom FluglärmG erfassten Erstattungs- und Entschädigungsansprüche zukünftig ausschließlich in den im FluglärmG geregelten Verfahren auf Grundlage festgesetzter Lärmschutzbereiche abgewickelt werden. 36 Gleichwohl seien abweichende Regelungen zum passiven Schallschutz denkbar „für atypische Problemlagen wie etwa besonders schutzbedürftige Einrichtungen oder auch generell für aus Sicht der Lärmbetroffenen anspruchsvollere und damit weitergehende Schutzkonzepte“. 37 In atypischen Konstellationen komme eine Festsetzung niedrigerer Werte für Vorkehrungen des passiven Schallschutzes in Betracht. 38 Wysk verfolgt in seinem Aufsatz in der Lärmbekämpfung 2007, S. 243 ff. einen ähnlichen Ansatz. Zwar geht Wysk unter Bezugnahme auf § 13 Abs. 1 Satz 1 FluglärmG von einem grundsätzlichen Verbot aus, in Fachplanungsentscheidungen überhaupt passive Schutzansprüche festzulegen. 39 Gleichwohl könne es mit den typisierenden Vorschriften des FluglärmG allein nicht sein Bewenden haben. Atypischen Problemlagen, wie sie sich etwa bei besonders schutzwürdigen Lärmbetroffenen und Einrichtungen ergeben können, müsse ___________ 35

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, 4 A 1001/04, Rn. 352 ff., Juris. Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 57. Ergänzungslieferung, Stand 1.3.2010, § 13 FluglärmG, Rn. 10 f. 37 Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 57. Ergänzungslieferung, Stand 1.3.2010, § 13 FluglärmG, Rn. 11. 38 Reidt/Fellenberg, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 57. Ergänzungslieferung, Stand 1.3.2010, § 1 FluglärmG, Rn. 20. 39 Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243, 247. 36

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gesondert Rechnung getragen werden. 40 Ausgehend vom Abwägungsgebot des § 8 Abs. 1 LuftVG könne „ein Sonderfallschutz sowohl außerhalb wie innerhalb des Lärmschutzbereichs zulässig und erforderlich sein“. 41 Eine noch weitergehende Möglichkeit und ggf. Notwendigkeit der Anordnung passiver Schallschutzvorkehrungen in einer Genehmigungsentscheidung wird von Ekardt/Schmidtke anerkannt. Sie formulieren die These, dass sich dem neuen FluglärmG lediglich ein Mindeststandard entnehmen lasse, über den hinaus Raum für aktiven, aber auch ergänzenden passiven Schallschutz bleibe. Begründet wird dies mit der in § 13 Abs. 2 FluglärmG eröffneten Möglichkeit weitergehender Planungsmaßnahmen und der fehlenden Bezugnahme in § 13 Abs. 1 Satz 1 FluglärmG auf den Nachteilsbegriff in § 9 Abs. 2 LuftVG. Schließlich lägen die Grenzwerte des FluglärmG beispielsweise für die NachtSchutzzone deutlich unter den fachlichen Vorschlägen des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, obwohl die Gesetzesmaterialien hierauf Bezug nehmen. 42 6. Von einer abschließenden Wirkung des FluglärmG hinsichtlich der Gewährung passiven Schallschutzes sowie von Außenwohnbereichsentschädigungen geht allerdings der HessVGH in seinem Urteil zum Ausbau des Flughafens Frankfurt am Main aus. 43 Dagegen wurde vom Bundesverwaltungsgericht anerkannt, dass die Planfeststellungs- oder Genehmigungsbehörde nicht von vornherein an der Anordnung weitergehender Vorkehrungen des passiven Schallschutzes gehindert sei. 44 Selbst wenn das Bundesverwaltungsgericht als zuständige Behörde die ___________ 40

Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243, 245, 248. Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243, 248. 42 Ekardt/Schmidtke, DÖV 2009, S. 187 ff. 43 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T u.a., S. 146, 147 des amtlichen Umdrucks: „Darüber hinaus legt das Fluglärmschutzgesetz – von noch zu erörternden Ausnahmen abgesehen – auch die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung von passivem Schallschutz bzw. von Entschädigungsleistungen fest. Der Auffassung, die Planfeststellungsbehörde sei generell berechtigt und unter weiteren Voraussetzungen auch verpflichtet, die Gewährung baulichen Schallschutzes auch dann anzuordnen, wenn die Grenzwerte des § 2 Abs. 2 FLärmSchG nicht erreicht werden, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Sie lässt sich nicht mit § 13 Abs. 1 FLärmSchG vereinbaren. Satz 1 dieser Bestimmung schreibt unmissverständlich die Maßgeblichkeit der Grenzwerte des § 2 Abs. 2 FLärmSchG für das Planfeststellungsverfahren vor. Das wird auch durch § 13 Abs. 1 Satz 2 FLärmSchG bestätigt, der eine weitergehende Anordnung von Schutzmaßnahmen nur für Zulassungsentscheidungen akzeptiert, die vor dem Inkrafttreten des Fluglärmschutzgesetzes erteilt worden sind (unzutreffend daher Ekardt, DÖV 2009, 187). […]“. 44 BVerwG, Beschl. vom 2.10.2007, 4 A 1009/07 u.a., Rn. 30, Juris: „Die Lärmgrenzwerte, die das FluglärmG für die Errichtung von Lärmschutzbereichen festlegt und die in den luftverkehrsrechtlichen Zulassungsverfahren nunmehr zu beachten sind, stellen Grenzwerte dar, die zu Lasten der Lärmbetroffenen nicht überschritten werden dür41

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für die Festsetzung der Lärmschutzbereiche zuständige Landesregierung anspricht, ergibt sich daraus nicht, dass der Planfeststellungs- oder Genehmigungsbehörde eine Unterschreitung der Lärmgrenzwerte des FluglärmG verwehrt wäre. Wenn schon Abweichungen im Vollzug des FluglärmG von den Grenzwerten des § 2 Abs. 2 FluglärmG möglich sind, muss dies erst recht im Rahmen der planerischen Gestaltungsfreiheit im Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren gelten. Der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich auch das OVG Nordrhein-Westfalen angeschlossen. 45 7. Unter Berücksichtigungen von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und systematischen Zusammenhang sowie der bisher ergangenen überwiegenden Rechtsprechung und veröffentlichter Literatur kann dem FluglärmG auch in seiner novellierten Fassung keine abschließende Wirkung hinsichtlich der Gewährung von passivem Schallschutz und/oder Außenwohnbereichentschädigungen im Rahmen eines Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsverfahrens nicht entnommen werden. Die aufgeworfene Frage 2 ist deshalb dahingehend zu beantworten, dass das neue FluglärmG nicht in dem Sinne abschließend ist, dass die Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsbehörde keinen passiven Schallschutz unterhalb der Werte des neuen FluglärmG anordnen dürfte.

III. Frage 3: Sind innerhalb des Anwendungsbereichs des FluglärmG Ausnahmen zur Bewältigung atypischer Situationen möglich? In engem Zusammenhang mit Frage 2 steht auch die Beantwortung der aufgeworfenen dritten Frage. ___________ fen. Der beschließende Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass die Neuregelungen im FluglärmG es der zuständigen Behörde bei der Festsetzung von Lärmschutzbereichen verwehren, diese Lärmgrenzwerte zum Schutz bestimmter Gruppen besonders schutzwürdiger Lärmbetroffener oder Einrichtung zu unterschreiten. Dies wird auch in der abschließenden Beschlussempfehlung und im Bericht des Umweltausschusses vom 13.12.2006 (BT-Drs. 16/3813, S. 12, 19) zum Ausdruck gebracht.“. 45 OVG NRW, Urt. vom 8.4.2008, 10 D 113/06.NE, Rn. 51, Juris: „Zwar sind anders als nach dem bisherigen Recht nach § 8 Abs. 1 Sätze 3 und 4 LuftVG bei der Genehmigung bzw. der Planfeststellung von Flughäfen die – niedrigeren – gebietsbezogenen Lärmwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG zu beachten, die keine gesonderte Regelung für schutzbedürftige Einrichtungen enthalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es aber der zuständigen Behörde bei der Festsetzung von Schutzbereichen nicht verwehrt, diese Lärmgrenzwerte zum Schutz lärmsensibler Einrichtungen zu unterschreiten.“

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1. Die wesentlichen Aspekte, die aufgrund des Wortlauts, der Systematik und der Entstehungsgeschichte dafür sprechen – selbst bei der grundsätzlichen Annahme, § 2 Abs. 2 FluglärmG komme eine abschließende Wirkung zu – für atypische Fälle weitergehenden passiven Schallschutz zu ermöglichen, wurden bereits dargestellt. § 13 Abs. 2 FluglärmG sieht zudem ausdrücklich vor, dass Vorschriften, die weitergehende Planungsmaßnahmen zulassen, unberührt bleiben. Aus dem Regelungszusammenhang ergibt sich, dass sich die Regelungswirkung des § 13 Abs. 2 FluglärmG auf Vorschriften beziehen kann, die weitergehende Planungsmaßnahmen im Bereich des passiven Schallschutzes zum Gegenstand haben. Zu diesen Vorschriften ist jedoch auch § 9 Abs. 2 LuftVG zu zählen. Die an die Zumutbarkeitsschwelle anknüpfende Regelung muss weitergehende Maßnahmen des passiven Lärmschutzes jedenfalls dann zulassen, wenn vom Vorliegen einer atypischen Sondersituation auszugehen ist. Diese Auffassung vertritt auch Wysk. 46 Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich wie dargestellt entnehmen, dass in besonderen und damit nicht der typisierenden Betrachtungsweise des LuftVG und des FluglärmG gerecht werdenden Fällen weitergehender passiver Schallschutz ermöglicht werden muss. 2. Auch verfassungsrechtliche Aspekte/Erwägungen sprechen gegen eine abschließende Wirkung des FluglärmG, zumindest für atypische Situationen bzw. besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen bzw. Einrichtungen. Das Abwägungsgebot ist nach der Rechtsprechung des BVerwG Ausfluss der Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips. 47 Einschränkungen der Reichweite des Abwägungsgebots bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, die dann gegeben ist, wenn auf der Seite des gesetzlichen Tatbestands eine Beeinträchtigung von Grundrechten durch die Zulassung von gefahrträchtigen Tätigkeiten oder Anlagen ausgeschlossen werden kann. 48 Ein solches Schutzniveau kann den zwingenden Vorschriften des Luftverkehrsrechts nicht entnommen werden, ebenso wenig den Lärmwerten des § 2 Abs. 2 FluglärmG. Sowohl Art. 2 Abs. 2 GG als auch Art. 14 GG verlangen die rechtliche Möglichkeit, in Einzelfällen unzumutbaren Belastungen begegnen zu können. Die Grundrechte und das Rechtsstaatprinzip stehen deshalb Regelungen entgegen, die die Bewältigung von Nutzungskonflikten im Wege einer gerechten Abwägung unter Würdigung des Einzelfalls ausschließen. Daneben genügen die in § 2 Abs. 2 FluglärmG normierten Grenzwerte vor allem hinsichtlich des Schutzes von Menschen in besonders schutzbedürftigen Einrichtungen nicht den Anforderungen des Art. 2 Abs. 2 GG und bei Einrich___________ 46

Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243, 247. BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, Beschl. vom 20.2.2008, 1 BvR 2389/06, Rn. 12 Juris. 48 BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, Beschl. vom 10.11.2009, 1 BvR 1178/07, Rn. 60 Juris. 47

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tungen in kommunaler Trägerschaft dem Art. 28 Abs. 2 GG. Die Grenzwerte in § 2 Abs. 2 FluglärmG werden nicht wissenschaftlich begründet. Wie dargestellt kann der Gesetzesbegründung allerhöchstens eine Ableitung der Werte für den Schutz der allgemeinen Wohlbevölkerung, nicht aber für den Schutz besonders schutzbedürftiger Einrichtungen entnommen werden. Damit entspricht die Begründung nicht den Anforderungen, die die Rechtsprechung hierzu aufgestellt hat. 49 Dem Urteil der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ist jedoch die Frage nach der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung vorgeschaltet. Diese verlangt vorliegend, einer Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsbehörde die Möglichkeit zu eröffnen, insbesondere zu Gunsten besonders schutzbedürftiger Einrichtungen passiven Schallschutz über die Vorgaben des FluglärmG hinaus anzuordnen. 3. Was unter einer atypischen Problemlage zu verstehen ist, lässt auch Wysk offen. 50 Er führt lediglich aus, dass atypischen Problemlagen, „wie sie sich etwa bei besonders schutzwürdigen Lärmbetroffenen und Einrichtungen ergeben können, gesondert Rechnung getragen werden müsse“. 51 Was unter einer von den Werten des Fluglärmschutzgesetzes nicht mehr umfassten atypischen Situation zu verstehen ist, wird immer eine Frage des Einzelfalls sein. Der HessVGH hat in seinen Urteilen zum Ausbau des Flughafens Frankfurt zwar die Fragestellung aufgeworfen, ob innerhalb des Anwendungsbereichs des FluglärmG Ausnahmen zur Bewältigung atypischer Situationen möglich sind.52 Er hat diese Frage allerdings nicht endgültig beantwortet. Eine Definition, unter welchen Voraussetzungen eine atypische Situation vorliegen kann, hat er ebenfalls nicht gegeben. Ausgeführt wurde lediglich, die Situation in der Umgebung des Flughafens Frankfurt Main könne nicht schon wegen der hohen Lärmbelästigung sehr vieler Menschen als atypisch betrachtet werden. 53 Daneben entschied der HessVGH, dass aufgrund des grundstücksbezogenen Anknüpfungspunkts und der pauschalierenden Zielrichtung des FluglärmG die individuelle Situation einzelner Betroffener irrelevant sei. 54 Auch auf S. 222 ___________ 49 Vgl. BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, Beschl. vom 28.2.2003, 1 BvR 1676/01, Rn. 11 Juris; BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. vom 18.2.2010, 2 BvR 2502/08, Rn. 15, 20 Juris; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschl. vom 24.1.2007, 1 BvR 382/05, Rn. 18 Juris. 50 Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243, 248. 51 Wysk, Lärmbekämpfung 2007, 243, 248. 52 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T u.a. S. 147 des amtlichen Umdrucks. 53 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T u.a. S. 147 des amtlichen Umdrucks. 54 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T u.a. S. 148 des amtlichen Umdrucks.

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der Urteilsgründe wird nicht näher ausgeführt, unter welchen „besonderen Voraussetzungen“ gleichwohl „atypische Situationen“ vorliegen könnten. 4. Die aufgeworfene 3. Frage ist dahingehend zu beantworten, dass – unterstellt, den Werten des § 2 Abs. 2 FluglärmG kommt grundsätzlich eine abschließende Wirkung zu – in atypischen Fällen Ausnahmen, insbesondere – aber nicht nur – für besonders sensible Bevölkerungsgruppen möglich sein müssen bzw. zur verfassungskonformen Auslegung des FluglärmG und des LuftVG sogar zwingend erforderlich sind.

IV. Frage 4: Sind die Planfeststellungsbehörden und die Gerichte nach der Definition von Grenzwerten in § 2 Abs. 2 FluglärmG von der bisher gebotenen intensiven Auseinandersetzung mit der Lärmwirkungsforschung entbunden? Mit der Novellierung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm und mit der Verknüpfung des FluglärmG mit dem Luftverkehrsgesetz sollte Rechtssicherheit im Genehmigungsverfahren auch für die Anwohner von Flugplätzen erreicht werden. 55 Sind die Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG zu beachten, stellt sich die Frage, ob und wenn ja welchen Inhalt lärmmedizinische Gutachten nach § 40 Abs. 1 Nr. 10b LuftVZO haben müssen. § 40 Abs. 1 Nr. 10b LuftVZO wurde durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen nicht aufgehoben, obwohl es neben dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm in Art. 3 auch die Änderung des LuftVG umfasste. Eine Änderung der Luftverkehrszulassungsordnung erfolgte nicht. § 40 Abs. 1 Nr. 10b LuftVZO verpflichtet den Vorhabenträger, seinem Antrag auf Erteilung der Genehmigung das Gutachten eines lärmmedizinischen Sachverständigen über die Auswirkungen des Fluglärms auf die Bevölkerung beizufügen. Nach der Neufassung wird man keine allgemeingültigen lärmmedizinischen Gutachten als Grundlage der Planfeststellungs- oder Genehmigungsunterlagen mehr fordern können, da der Gesetzgeber mit der Neufassung gerade Rechtssicherheit schaffen und den von vielen angeprangerten, sich in jedem Verfahren stellenden Streit um die maßgeblichen Lärmwerte und damit die intensive gerichtliche Auseinandersetzung mit der Lärmwirkungsforschung beenden wollte. 56 ___________ 55 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Natur und Reaktorsicherheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drs. 16/508) vom 13.12.2006, BT-Drs. 16/3813, S. 11. 56 Siehe hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drs. 16/508) vom 13.12.2006, BT-Drs. 16/3813, S. 11 f.; HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11

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Verfahrensrechtlich ergänzt werden die Ausführungen der Gesetzesmaterialien zu § 13 FluglärmG und § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG durch den Hinweis, dass mit der Neufassung des Gesetzes zwar keine allgemeingültigen lärmmedizinischen Gutachten mehr erforderliche seien, wohl aber solche lärmmedizinischen Gutachten, „die sich speziellen Problemen im Rahmen von luftrechtlichen Zulassungsverfahren widmen“. 57 Der HessVGH geht ebenfalls davon aus, dass unter besonderen Voraussetzungen im Einzelfall lärmmedizinische Gutachten und Erkenntnisse bei der abwägenden Entscheidung über einzelne Betriebsregelungen oder die Ermittlung atypischer Situationen Bedeutung erlangen können. 58 Frage 4 ist deshalb differenzierend zu beantworten. Planfeststellungsbehörden und Gerichte müssen sich zwar nicht wie bisher mit den allgemeinen Aspekten der Lärmwirkungsforschung intensiv auseinandersetzen. Da der Gesetzgeber § 40 Abs. 1 Nr. 10b LuftVZO nicht aufgehoben hat, müssen sich die Genehmigungsbehörden und die Gerichte aber jedenfalls zur Ermittlung und ___________ C 227/08.T u.a. S. 148 des amtlichen Umdrucks; zum Erfordernis der Festlegung von Grenzwerten für die Gewährung passiven Schallschutzes siehe auch Dr. Paetow in seiner „Stellungnahme für die Anhörung des Umweltausschusses des Bundestags zum Entwurfs des Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen“ vom 24.4.2006, Ausschussdrucksache 16(16)22 zur BT-Drs. 16/508: „Das Fehlen von normativ verbindlich festgelegten Grenzwerten für die Gewährung passiven Schallschutzes (einschließlich Entschädigung) wird seit langem in der öffentlichen Diskussion wie im Fachschrifttum beklagt. Was dieses Defizit für die Praxis bedeutet, vermag nur derjenige wirklich zu ermessen, der einerseits an behördlichen oder gerichtlichen Verfahren um den Bau oder die Änderung von Flughäfen beteiligt war und der andererseits die entsprechende Problematik bei der Zulassung anderer lärmintensiver Infrastruktureinrichtungen (Straßen, Bahnstrecken) oder gewerblicher oder sonstiger Anlagen kennt. Während bei letzteren die Frage der zugrunde zu legenden Grenzwerte wegen der jeweiligen normativen Vorgaben (z.B. Verkehrslärmschutzverordnung, Sportanlagenverordnung, TA Lärm) so gut wie keine Rolle spielt, entwickelt sich in jedem Verfahren um die Neuanlage oder bauliche Änderung eines Flughafens oder Änderung flugbetrieblicher Regelungen aufs Neue ein nicht endend wollender Streit um die maßgeblichen Lärmwerte. Man kann dies nur als eine enorme volkswirtschaftliche Verschwendung von Zeit und menschlicher Arbeitskraft zahlloser Personen in Behörden und Gerichten sowie bei Betreibern, Lärmbetroffenen, Rechtsanwälten und Sachverständigen bezeichnen. Das Planfeststellungsverfahren um den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld und das anschließende Gerichtsverfahren ist ein wahrhaft abschreckendes Beispiel hierfür. Die schon laufenden oder bevorstehenden Verfahren um die neue Start- und Landebahnen in Frankfurt a.M. und München lassen ein ähnliches Schreckenszenario erwarten, wenn sich auf der normativen Ebene nichts ändert. Rechtssicherheit und befriedende Wirkung von Verfahren bleiben hier in unverantwortlicher Weise auf der Strecke.“ 57 Siehe hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drs. 16/508) vom 13.12.2006, BT-Drs. 16/3813, S. 11. 58 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 149 des amtlichen Umdrucks.

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Bewertung atypischer Situationen nach wie vor mit den jeweils aktuellen Ergebnissen der Lärmwirkungsforschung auseinandersetzen.

V. Frage 5: Falls das FluglärmG eine abschließende Wirkung für die Gewährung passiven Schallschutzes und Außenwohnbereichsentschädigungen entfaltet, für welchen flugbetriebsbedingten Lärm gilt dies? Weder das novellierte Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm noch das Luftverkehrsgesetz definieren den Begriff des Fluglärms. § 1 Abs. 2 LuftVG definiert den Begriff der Luftfahrzeuge. Unter Fluglärm kann deshalb der von Luftfahrzeugen verursachte Lärm verstanden werden. Aus den für die Fluglärmberechnung erforderlichen Daten nach der Anlage zu § 3 und der 1. FlugLSV ergeben sich ebenfalls Hinweise, was unter Fluglärm zu verstehen ist. Nicht erfasst werden danach z.B. Triebwerksprobeläufe, der Lärm anderer Verkehrsanlagen sowie Summationswirkungen mit anderen Lärmarten. Im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer eigenständigen Regelung der Planfeststellungsbehörde hat der HessVGH in seinem Urteil zum Ausbau des Flughafens Frankfurt ausdrücklich anerkannt, dass dies dann der Fall ist, wenn der entsprechende Lärm nicht vom FluglärmG erfasst wird. In seinem Urteil vom 21.08.2009 ist folgendes nachzulesen: „Klarzustellen bleibt in diesem Zusammenhang, dass sich die hier diskutierte Frage nach Ausnahmeregelungen für atypische Situationen nur in den Bereichen stellt, in denen das Fluglärmschutzgesetz eine abschließende Wirkung entfalten soll. Das gilt für den Fluglärm im engeren Sinne, das heißt für den Lärm, der von Flugzeugen ausgeht, die sich in der Luft befinden oder am Boden aus eigenem Antrieb rollen. Der sonstige flugbetriebsbedingte Lärm, der am Flughafen verursacht wird, und der von anderen Verkehrsanlagen ausgehende Lärm werden nicht erfasst. Deshalb hat die Planfeststellungsbehörde zu Recht Einzelfallentscheidungen über die Gewährung von baulichem Schallschutz oder von Entschädigungen hinsichtlich der Lärmbelastungen getroffen, die sich aus einer Summation von Fluglärm und anderen Lärmquellen ergeben. Es hängt von der Art des geltend gemachten Anspruchs ab, ob das Fluglärmschutzgesetz eine abschließende bzw. verdrängende Wirkung entfaltet.“ 59

Frage 5 ist also dahingehend zu beantworten, dass das FluglärmG für den sonstigen flugbetriebsbedingten Lärm, der nicht von Flugzeugen ausgeht, die sich in der Luft befinden oder am Boden aus eigenem Antrieb rollen, keine Regelung enthält. In diesen Fällen ist nach wie vor eine Einzelfallentscheidung durch die Planfeststellungs- oder Genehmigungsbehörde zu treffen. ___________ 59

HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 147 f. des amtlichen Umdrucks.

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VI. Frage 6: Ist bzw. war das FluglärmG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG trotz Fehlens der Ausführungsverordnungen anwendbar? VII. Frage 7: Welche Anforderungen sind zu erfüllen, wenn die Grenzwerte des FluglärmG auch ohne untergesetzliches Regelwerk anwendbar sind bzw. waren? Fragen 6 und 7 werden im Zusammenhang behandelt. In Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren, die zwar nach Inkrafttreten des FluglärmG am 07.06.2007, jedoch vor Inkrafttreten der 1. FlugLSV am 27.12.2008 abgeschlossen wurden, stellt sich die Frage, ob trotzdem § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG anwendbar war. Ausgehend von dem zwingenden Zusammenhang zwischen einem Lärmgrenzwert und dem dazugehörigen Berechnungsverfahren 60 fehlte den Werten des § 2 Abs. 2 FluglärmG in diesem Zeitraum noch die erforderliche Bestimmtheit. Die Beachtenspflicht des § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG lief somit in diesem Zeitraum ins Leere. Hinzu kommt in praktischer Hinsicht, dass die ersten vom Umweltbundesamt zugelassenen und zertifizierten Berechnungsverfahren erst im 2. Quartal 2009 verfügbar waren. Gleichwohl waren auch bei der Planfeststellung beispielsweise für einen Flughafenausbau in dieser Zeit gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Mit § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG werden die Maßstäbe der Abwägung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG konkretisiert. Seit der Ergänzung der Vorschrift durch das FluglärmG vom 01.06.2007 hat die zuständige Behörde in einem luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren im Rahmen der Abwägung die jeweils anwendbaren Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG zu beachten. § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG schafft damit eine Verknüpfung zwischen den primär die Rechtsfolgen einer Zulassungsentscheidung regelnden Vorschriften des FluglärmG und dem Zulassungsverfahren selbst. Damit sind bereits bei der Entscheidung über das „Ob“ und ggf. „Wie“ beispielsweise eines Flughafenausbaus die für die späteren Lärmschutzbereiche maßgeblichen Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG von Bedeutung. Aus dem Regelungsgegenstand des § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG lässt sich auch der Gegenstand der Ermittlungspflicht der Planfeststellungsbehörde ableiten. § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG verpflichtet eine Planfeststellungsbehörde dazu, ihre Abwägung der Fluglärmbetroffenheit anhand mehrerer Grenzwerte zu struktu___________ 60

BVerwG, Urt. vom 21.3.1996, 4 C 9/95, Rn. 23, Juris; ebenso bereits BVerwG, Urt. vom 2.10.1989, 4 C 12/87, Rn. 50, Juris.

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rieren. Zwar bleiben einerseits auch Fluglärmbelastungen unterhalb der Werte des § 2 Abs. 2 abwägungserheblich und sind andererseits Fluglärmbelastungen oberhalb der Werte für die Nacht-Schutzzone und die Tag-Schutzzone 1 von vornherein einem „Wegwägen“ entzogen. Unabhängig davon sind Fluglärmbelastungen oberhalb der drei unterschiedlichen Grenzwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG mit einem je spezifischen Gewicht in die Abwägung einzustellen. Zu ermitteln ist die Betroffenheit abwägungserheblicher Belange anhand der strukturierenden Grenzwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG. Eine Behörde muss deshalb gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG ermitteln, wie die Isophonen der jeweils anwendbaren Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG verlaufen, wie die Grundstücke in dem von diesen Isophonen umschlossenen Bereich genutzt werden und wie viele Menschen Fluglärmbelastungen oberhalb der jeweils anwendbaren Werte ausgesetzt wären. Diese Betroffenenzahlen sind mit dem ihnen nach der Wertung des § 2 Abs. 2 FluglärmG zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen. Der HessVGH geht davon aus, dass das Fehlen der Ausführungsverordnung zur Lärmberechnung der Anwendbarkeit des neuen FluglärmG nicht entgegensteht. 61 Der Kern der gesetzlichen Neuregelung – so der HessVGH – bedürfe keiner weiteren Ausführungsvorschriften. Dies gelte insbesondere für die Normierung der „Grenzwerte für die Zumutbarkeit von Fluglärm und die Geltung dieser Richtwerte für luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsverfahren“. Würde man auf die Anwendung der Grenzwerte allein im Hinblick auf das Fehlen einzelner Ausführungsbestimmungen verzichten, stünde dies in einem deutlichen Widerspruch zu der Intention des Gesetzgebers, die Neuregelung zum Schutz gegen Fluglärm mit sofortiger Wirkung in Kraft zu setzen. 62 Dem Gesetzgeber sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes bekannt gewesen, dass noch Ausführungsvorschriften zu § 3 FluglärmG zu erlassen sind. Trotz bzw. in Kenntnis dieses Umstandes habe er das Gesetz mit sofortiger Wirkung in Kraft gesetzt. 63 Der HessVGH vertritt weiter die Auffassung, dass das neue FluglärmG inhaltlich darauf angelegt sei, einzelne Schutzansprüche erst entstehen zu lassen, wenn die gesetzlich vorgesehenen Verfahrensschritte vollzogen seien. So setzten die Ansprüche auf Schallschutz und auf Außenwohnbereichsentschädigung eine Festsetzung der Lärmschutzbereiche durch Rechtsverordnung im Anschluss an das Planfeststellungsverfahren voraus. Daraus ergebe sich, dass über Ansprüche auf passiven Schallschutz und auf Außenwohnbereichsentschädigung nicht mehr im Planfeststellungsverfahren entschieden werde und dass das ___________ 61

HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 143; HessVGH, Urt. vom 17.6.2008, 11 C 2089/07.T, Rn. 137, Juris. 62 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 143 des amtlichen Umdrucks. 63 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 143 des amtlichen Umdrucks.

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Fehlen der Festsetzung des Lärmschutzbereichs der Anwendung des neuen FluglärmG nicht entgegen stehe. 64 Auch das Fehlen der Verordnung über die Einzelheiten der Berechnung der Fluglärmkonturen gemäß § 3 Abs. 2 FluglärmG rechtfertige es nicht, von der Anwendung des FluglärmG „insgesamt“ abzusehen. 65 Letztendlich hat sich der HessVGH aber nicht dem Problem gestellt, in welcher Weise eine Planfeststellungsbehörde § 8 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 2 FluglärmG auch ohne Vorliegen der Berechnungsvorschriften nach § 3 Abs. 2 FluglärmG anwenden kann. Mit der Frage, ob das Fehlen der 1. FlugLSV es rechtfertigt, von der Anwendung des FluglärmG „teilweise“ abzusehen oder ob in der Anwendung des FluglärmG zumindest das Fehlen dieser Verordnung zu berücksichtigen war, haben sich der HessVGH und – soweit ersichtlich – auch andere Obergerichte noch nicht auseinandergesetzt. Die Tatsache, dass das FluglärmG selbst bereits Vorgaben für die Berechnungsmethodik enthält, ändert nichts daran, dass die in § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG angelegte strikte Beachtungspflicht vor Ende 2008 noch nicht umsetzbar war. Selbst wenn man – wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 01.04.2009 66 – davon ausgeht, dass die grundlegenden Entscheidungen hinsichtlich der Berechnungsmethode bereits im Fluglärmschutzgesetz selbst getroffen werden, verbleiben aufgrund des Fehlens der 1. FlugLSV noch Lücken. Einzelheiten der Regelung fehlen. Es verbleibt also noch eine Unsicherheit darüber, in welchem Ausmaß die Fluglärmbelastung die Schwelle des § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG i.V.m. § 2 Abs. 2 FluglärmG überschreitet. In Anlehnung an die ältere Rechtsprechung zu §§ 41, 42 BImSchG 67 wäre die Planfeststellungsbehörde verpflichtet, eigenverantwortlich mit den verbleibenden Unsicherheiten der Berechnungsmethodik umzugehen. Hierzu wäre es denkbar, zunächst eine eigenverantwortliche Entscheidung zur Ermittlung und Bewertung von Fluglärmbelastungen zu treffen und den Unsicherheitsraum des § 3 FluglärmG zu definieren. Als andere Möglichkeit käme eine „worst-caseBetrachtung“ in Betracht. Dabei hätte die Planfeststellungsbehörde die größtmögliche im Rahmen von § 3 FluglärmG noch denkbare Lärmkontur zugrunde zu legen. Dadurch wäre sichergestellt, dass die von § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG ___________ 64 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 143 f. des amtlichen Umdrucks; HessVGH, Urt. vom 17.6.2008, 11 C 2089/07.T, Rn. 138 ff., Juris. 65 HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 144 des amtlichen Umdrucks; HessVGH, Urt. vom 17.6.2008, 11 C 2089/07.T, Rn. 142, Juris. 66 BVerwG, Beschl. vom 1.4.2009, 4 B 61.08, Rn. 34, Juris. 67 BVerwG, Urt. vom 22.3.1995, 4 C 63/80, Rn. 17, 24, Juris; BVerwG, Beschl. vom 7.9.1988, 4 N 1/87, Rn. 26, Juris; BVerwG, Urt. vom 20.10.1989, 4 C 12/87, Rn. 45, Juris; tendenziell ebenso BVerfG, 1. Senat, Beschl. vom 30.11.1988, 1 BvR 1301/84, Rn. 65 ff., Juris.

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i.V.m. § 2 Abs. 2, 3 FluglärmG für rechtlich maßgeblich erachtete Fluglärmbelastung in der Umgebung von Flugplätzen nicht unterschätzt wird. Der HessVGH geht indessen einen anderen Weg und lässt es ausreichen, dass eine bloße Abschätzung „der gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 FluglärmG zu beachtenden Fluglärmbelastung erfolgt“. Die in § 3 FluglärmG nebst Anhang enthaltenen Berechnungsvorgaben erlaubten eine Ermittlung der Lärmwerte mit hinreichender Genauigkeit. 68 Für die Zwecke des § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG sei eine „Abschätzung“ des Ausmaßes der Lärmbetroffenheit ausreichend. Die verbleibenden „Unsicherheiten“ und „Ungenauigkeiten“ stünden der Anwendung des FluglärmG nicht entgegen. 69 Begründet wird dies zunächst mit dem Unterschied zwischen der Festsetzung der Lärmschutzbereiche und der Anwendung der Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG im Rahmen der Abwägung. Die Anforderungen des Abwägungsgebots erforderten es nicht, eine parzellenscharfe Ermittlung der Lärmschutzkonturen vorzunehmen. Eine Abschätzung der Lärmbetroffenheit sei zudem auch deshalb ausreichend, weil die mit dem Ausbau des Flughafens Frankfurt am Main verfolgten öffentlichen Interessen so schwer wögen, dass sie den Ausbau des Flughafens auch dann rechtfertigten, wenn die Lärmschutzbereiche oder die Zahl der betroffenen Personen oder Einrichtungen größer sein sollten, als abschätzend prognostiziert. 70 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Beschluss vom 01.04.2009 nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine „Abschätzung“ der Betroffenheiten ausreicht. Im dort zu entscheidenden Fall hatte das erstinstanzliche Gericht festgestellt, dass der Gutachter die Lärmbelastung zwar grundsätzlich nach der AzB 99 ermittelt habe. Die Abweichungen wirkten sich aber zu Gunsten der Kläger aus, so dass ihre Lärmbelastung eher über-, als unterschätzt werde. Ausgehend von diesen auf der sicheren Seite liegenden Ermittlungen habe das erstinstanzliche Gericht für keinen der Kläger festgestellt, dass die fachplanerische Zumutbarkeitsgrenze überschritten werde. 71 Eine bloße Abschätzung der Fluglärmbetroffenheiten findet im Gesetzeswortlaut jedoch keinen Niederschlag. Aus der Gegenüberstellung der Festsetzung von Lärmschutzbereichen gemäß §§ 4, 2 Abs. 2 FluglärmG und der Abwägung nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG i.V.m. § 2 Abs. 2 FluglärmG lässt sich nicht ableiten, dass an die Genauigkeit der Fluglärmermittlung für die Zwecke der Abwägung geringere Anforderungen zu stellen wären. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Behörden durch § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG gerade zur Beachtung bestimmter Lärmwerte in der Abwägung verpflichtet. Von dieser im ___________ 68 69 70 71

HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 153 des amtlichen Umdrucks. HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 153 des amtlichen Umdrucks. HessVGH, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 227/08.T, S. 145 des amtlichen Umdrucks. BVerwG, Beschl. vom 1.4.2009, 4 B 61.08, Rn. 34, Juris.

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Grundsatz strengen Bindung kann sich eine Planfeststellungsbehörde nicht unter Berufung auf Ungenauigkeiten befreien. Eine abschätzende Vorgehensweise würde dem Gesetzesbefehl in § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG widersprechen. Das unterschiedliche Regelungsziel der §§ 4, 2 Abs. 2 FluglärmG einerseits und des § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG, § 2 Abs. 2 FluglärmG andererseits hat auch nichts mit dem Fehlen der maßgeblichen Berechnungsvorschriften bis Ende 2008 zu tun. Würde das Argument nämlich greifen, wäre auch nach Inkrafttreten der 1. FlugLSV im Rahmen der Abwägung lediglich eine Abschätzung vorzunehmen. Eine solche Vorgehensweise wäre von § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG nicht gedeckt. In Anlehnung an die Rechtsprechung, die zu §§ 41, 43 BImSchG ergangen ist, sind Frage 6 und 7 dahingehend zu beantworten, dass die zu erwartende Fluglärmbelastung bei Fehlen des untergesetzlichen Regelwerks möglichst in einer fachlich begründeten eigenverantwortlichen Entscheidung der Behörde zu ermitteln ist. Jedenfalls ist aber die Behörde zum „Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Fluglärm“ (§ 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG) gehalten, die ihrer Abwägung zugrunde zu legende Fluglärmbelastung im Zweifel eher zu über- als zu unterschätzen.

VIII. Frage 8: Ist es bei der Ermittlung des Sigma-Zuschlags nach Neubau einer Bahn zulässig, die Varianz der Bahnnutzungsverteilungen (bahnbezogene Betriebsrichtungsverteilung) vollständig auszublenden? Gemäß § 3 Abs. 1 FluglärmG sind die maßgeblichen Dauerschall- und Maximalpegel nach der Anlage zum FluglärmG zu ermitteln. Die Anlage zu § 3 FluglärmG sieht vor, dass sich die Fluglärmberechnungen auf die Summe aller Flugbewegungen während der sechs verkehrsreichsten Monate des Prognosejahres – getrennt nach dem Tag- und dem Nachtzeitraum – zu stützen haben. Die prognostizierten Flugbewegungszahlen werden zudem für die einzelnen Betriebsrichtungen jeweils um einen Zuschlag zur Berücksichtigung der zeitlich variierenden Nutzung der einzelnen Betriebsrichtungen erhöht. Für die Tag-Schutzzonen 1 und 2 sowie die Nacht-Schutzzone beträgt der Zuschlag 3x die Streuung der Nutzungsanteile der jeweiligen Betriebsrichtung in den zurückliegenden 10 Jahren (3-Sigma). Die 3-Sigma-Regelung stellt einen Kompromiss zwischen den Berechnungsmethoden unter Berücksichtigung der Realverteilung und der 100/100-Verteilung dar. Es soll sichergestellt werden, dass die festzulegenden Schutzzonen groß genug ausfallen, um die Varianz der Fluglärmbelastung im Vergleich einzelner Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit abzudecken. Die Einzelheiten der 3-Sigma-Regelung sind in § 2 Abs. 3 der 1. FlugLSV näher konkretisiert. Dort findet sich die grundlegende Vorschrift in § 2 Abs. 3 Satz 1 der 1. FlugLSV:

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„Die Daten über den Flugbetrieb eines bestehenden Flugplatzes erfassen die Streuung der Nutzungsanteile der einzelnen Betriebsrichtungen, in dem für jede Start- und Landebahn die Nutzungsanteile in den zurückliegenden 10 Kalenderjahren getrennt für die Zeiträume Tag und Nacht sowie getrennt für Start und Landung angegeben werden.“

Damit ist klargestellt, dass die Streuung der Nutzungsanteile der einzelnen Betriebsrichtungen gesondert für jede Start- und Landebahn anzugeben ist (sog. bahnbezogene Betriebsrichtungsverteilung). D.h. der 3-Sigma-Zuschlag wird ermittelt aus der Varianz der bisherigen bahnbezogenen Betriebsrichtungsverteilung unter Berücksichtigung der zurückliegenden 10 Kalenderjahre. Was für einen Bestandsflughafen, bei dem statistische Werte vorliegen, noch relativ unproblematisch anmutet, führt zu besonderen Schwierigkeiten, wenn es um den Bau einer zusätzlichen, neuen Start- und/oder Landebahn geht. § 2 Abs. 3 der 1. FlugLSV sieht hier folgende Regelung vor: „Sofern für einen Flugplatz keine ausreichenden statistischen Daten zu den Nutzungsanteilen vorliegen, sollen die Nutzungsanteile aufgrund von Daten über die örtliche Windrichtungsverteilung oder aufgrund der Nutzungsanteile vergleichbarer Flugplätze abgeschätzt werden. Satz 4 gilt entsprechend für die Anlegung eines Flugplatzes oder den Bau einer neuen Start- und Landebahn.“

Eine Abschätzung der „Nutzungsanteile“ ist danach nur dann möglich, wenn für einen Flugplatz keine ausreichenden statistischen Daten vorliegen. Sind statistische Daten vorhanden, so sind diese auch im Rahmen von § 2 Abs. 3 Satz 4 1. FlugLSV zu verwenden. Aus der Bezugnahme des § 2 Abs. 3 Satz 5 1. FlugLSV ergibt sich u.a., dass im Falle des Baus einer neuen Start- und Landebahn zumindest die Nutzungsanteile des bisherigen Bahnensystems für die Zwecke der Sigma-Regelung zu verwenden sind. Diese stellen statistische Daten dar, die eine Aussage über die Streuung der Nutzungsanteile zulassen. Zum Zwecke einer realistischen Prognose ist deshalb auch im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 Satz 4 1. FlugLSV eine Varianz der Bahnnutzungsverteilung in die Abschätzung einzustellen. Gestützt werden diese Erwägungen durch die Systematik und Funktion des § 2 Abs. 3 1. FlugLSV. Die 3-Sigma-Regelung soll im Interesse eines effektiven Schutzes der Lärmbetroffenen sicherstellen, dass die tatsächliche Fluglärmbelastung eines Jahresdurchschnitts nur in sehr seltenen Fällen über der errechneten Fluglärmbelastung liegt. Um dies zu erreichen, wurde eine bahnbezogene Betrachtung der Betriebsrichtungsverteilung eingeführt. Die Fluglärmbetroffenen sollen auch vor überdurchschnittlichen Belastungen geschützt werden, die sich nicht aus der reinen Betriebsrichtungsverteilung, sondern aus der Bahnnutzungsverteilung ergeben. Dies gilt für bestehende Flugplätze gleichermaßen wie für Ausbauvorhaben. Eine unterschiedliche Schutzwürdigkeit der Betroffenen lässt sich höchstens in dem Sinne ableiten, dass die Betroffe-

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nen eines Ausbauvorhabens schutzwürdiger sind als die Anwohner eines Bestandsflughafens. 72 Die aufgeworfene Frage 8 ist dahingehend zu beantworten, dass es bei der Ermittlung des Sigma-Zuschlags beim Neubau einer Bahn nicht zulässig ist, die Varianz der Bahnnutzungsverteilung (sog. bahnbezogene Betriebsrichtungsverteilung) vollständig auszublenden.

IX. Frage 9: Wie wird das Verkehrsprognosejahr bestimmt? § 3 Abs. 1 FluglärmG regelt, dass der äquivalente Dauerschallpegel und der Maximalpegel unter Berücksichtigung von Art und Umfang des voraussehbaren Flugbetriebs ermittelt werden. § 2 Abs. 1 1. FlugLSV verpflichtet den Halter eines Flugplatzes und die mit der Flugsicherung Beauftragten, der zuständigen Behörde die für die Ermittlung der Lärmbelastung nach § 3 FluglärmG erforderlichen Auskünfte über den voraussehbaren Flugbetrieb zu erteilen und entsprechende Daten, Unterlagen und Pläne vorzulegen. Diese Unterlagen sind nach § 2 Abs. 4 1. FlugLSV so aufzuarbeiten, dass in diesen die wesentlichen fachlichen Annahmen beschrieben werden, die der Prognose über Art und Umfang des voraussehbaren Flugbetriebs zugrunde liegen. Die Daten über den Flugbetrieb beschreiben, so § 2 Abs. 2 1. FlugLSV, die Flugbewegungen in einem Prognosejahr, das in der Regel 10 Jahre nach der in Abs. 1 genannten Anforderung liegt. Das Prognosejahr wird von der zuständigen Behörde bestimmt (§ 2 Abs. 2 1. FlugLSV). Grundsätzlich ist also von einem Prognosezeitraum von 10 Jahren auszugehen. Dieses Ergebnis stützt auch § 4 Abs. 6 FluglärmG. Danach ist spätestens nach Ablauf von 10 Jahren seit Festsetzung des Lärmschutzbereichs zu prüfen, ob sich die Lärmbelastung wesentlich verändert hat oder innerhalb der nächsten 10 Jahre voraussichtlich wesentlich verändern wird. Die Überprüfung der Lärmschutzbereiche erfolgt also spätestens nach 10 Jahren. Das rechtfertigt es auch, einen Prognosehorizont von 10 Jahren zugrunde zu legen. Da § 2 Abs. 2 Satz 1 1. FlugLSV davon ausgeht, dass das Prognosejahr in der Regel 10 Jahre nach Anforderungen der Daten liegt, eröffnet sich selbstverständlich die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem kürzeren Prognosejahr ausgegangen werden darf, zumal § 2 Abs. 2 Satz 2 1. FlugLSV den Behörden die Bestimmung des Prognosejahrs zugesteht. Wann der Prognosehorizont von 10 Jahren unterschritten werden kann, wird sicher eine Frage des Einzelfalles sein. Nach der Begründung des Verordnungsentwurfs der Bundesregierung vom ___________ 72

Dies ergibt sich schon aus der den differenzierten Grenzwerten des § 2 Abs. 2 FluglärmG zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertung.

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08.08.2008 sollen Abweichungen von diesem Regelfall insbesondere bei geplanten Ausbaumaßnahmen infrage kommen oder bei absehbaren Besonderheiten im Betrieb des Flugplatzes. 73 Die Festsetzung eines Prognosezeitraums von 10 Jahren für den Regelfall soll einerseits dem Ziel Rechnung tragen, die Lärmschutzbereiche unter Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklung der Fluglärmbelastung im Flugplatzumland – auch im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Gesetzes – festzulegen. Andererseits könne der Prognosezeitraum wegen der bei längeren Zeiträumen zunehmenden Prognoseunsicherheiten und wegen der eingeschränkten Aussagekraft längerfristiger Prognosen im Normalfall auch nicht weiter ausgedehnt werden. Dem träge das FluglärmG dadurch Rechnung, als es eine anlassbezogene und eine regelmäßige Prüfung von Lärmschutzbereichen vorsieht. 74 Die aufgeworfene Frage 9 ist dahingehend zu beantworten, dass das Verkehrsprognosejahr von der Behörde bestimmt wird und in der Regel 10 Jahre ab Anforderungen der erforderlichen Daten beträgt. Ausnahmen sind insbesondere bei geplanten Ausbaumaßnahmen oder bei absehbaren Besonderheiten im Betrieb des Flugplatzes denkbar.

X. Frage 10: Wie können die Schallschutzanforderungen in § 3 Abs. 1 2. FlugLSV angewandt werden, wenn bei Erlass des Lärmschutzbereichs nach der 1. FlugLSV die jeweiligen Bereiche in den Tag-Schutzzonen und der Nacht-Schutzzone nicht festgelegt werden? Welches Bauschalldämm-Maß bei der Errichtung baulicher Anlagen einzuhalten ist, regelt § 3 Abs. 1 2. FlugLSV. Für die Tag-Schutzzonen 1 und 2 werden in § 3 Abs. 1 Isophonen-Bänder mit weniger als 60 dB(A) sowie oberhalb von 60 bis 75 dB(A) und mehr jeweils in 5 dB(A)-Schritten festgelegt. Für die Nacht-Schutzzone bestimmen Isophonen-Bänder beginnend ab weniger als 50 dB(A) sowie zwischen 50 und 65 dB(A) und mehr wiederum jeweils in 5 dB(A)-Schritten das resultierende bewertete Bauschalldämm-Maß für Schlafräume. § 3 Abs. 3 2. FlugLSV verweist wegen der in Abs. 1 Satz 1 genannten Isophonen-Bänder für den Tag und für die Nacht auf § 4 der Verordnung über die Datenerfassung und das Berechnungsverfahren für die Festsetzung von Lärmschutzbereichen, also die 1. FlugLSV. Danach sollen diese ermittelt und in den Listen und Karten nach § 4 Abs. 4 der 1. FlugLSV dargestellt werden. ___________ 73 74

BR-Drs. 566/08, S. 10 f. BR-Drs. 566/08, S. 11.

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Entsprechendes gilt für die Gebiete, die allein aufgrund des HäufigkeitsMaximal-Pegelkriteriums nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der 1. FlugLSV zur Nacht-Schutzzone gehören (§ 3 Abs. 3 Satz 2 2. FlugLSV). Der Wortlaut des § 3 Abs. 3 Satz 1 2. FlugLSV geht von seinem Wortlaut her also von einer „Darstellung“ unter anderem der jeweiligen Isophonen-Bänder aus. Von einer „Darstellung“ spricht auch § 4 Abs. 4 1. FlugLSV. Danach sind die Ergebnisse der Berechnung in Form von Karten darzustellen. § 4 Abs. 2 FluglärmG sieht hingegen vor, dass die Festsetzung des Lärmschutzbereichs durch Rechtsverordnung der Landesregierung erfolgt. Von einer Festsetzung der IsophonenBänder geht § 4 Abs. 2 FluglärmG ersichtlich nicht aus. Unterstützt wird diese Auffassung auch durch Ziff. 8.5.5 der AzB. Dort wird die Darstellung des Lärmschutzbereichs näher beschrieben. Nach der Erläuterung der Darstellungsregeln werden als zwingend zu erstellende Karten die Übersichtskarte Lärmschutzbereich, die Übersichtskarte Tag-Schutzzonen und die Übersichtskarte Nacht-Schutzzone genannt. 75 Nicht verpflichtend können allerdings für andere Zwecke – u.a. für den baulichen Schallschutz – weitere Karten der Tag-Schutzzonen 1 und 2 mit Isolinien in 1 dB(A)-Schritten sowie die Nacht-Schutzzone mit Isolinien in 1 dB(A)-Schritten und der Isolinie NAT erstellt werden. 76 Aus der Begründung zur 2. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm der Bundesregierung ergibt sich nicht, ob es sich bei der Wortwahl in § 3 Abs. 3 2. FlugLSV um eine bewusste Abweichung gegenüber § 4 Abs. 2 FluglärmG handelt. Die 1. FlugLSV basiert auf der Ermächtigungsgrundlage des § 3 Abs. 2 FluglärmG. Danach wird die Bundesregierung ermächtigt, nach Anhörung der beteiligten Kreise durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Art und Umfang der erforderlichen Auskünfte der nach § 11 Verpflichteten und die Berechnungsmethode für die Ermittlung der Lärmbelastung zu regeln. Insoweit stellt sich, selbst wenn die entsprechenden Isophonen-Bänder in der Festsetzung des Lärmschutzbereichs durch Rechtsverordnung der Landesregierung enthalten sind, die Frage, ob diese Ermächtigungsgrundlage ausreicht um eine Verbindlichkeit für die Schallschutzanforderungen nach § 3 Abs. 2 2. FlugLSV zu begründen. Zunächst spricht hierfür, dass auch die 2. FlugLSV auf die Verordnungsermächtigung des § 3 Abs. 2 und der §§ 7 und 9 Abs. 4 Satz 2 des FluglärmG gestützt wird. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass im ___________ 75

Bekanntmachung der Anleitung zur Datenerfassung über den Flugbetrieb (AzD) und der Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen (AzB) vom 19.11.2008, Bundesanzeiger vom 23.12.2008, Nr. 195a, Anlage 2, S. 137, 138. 76 Bekanntmachung der Anleitung zur Datenerfassung über den Flugbetrieb (AzD) und der Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen (AzB) vom 19.11.2008, Bundesanzeiger vom 23.12.2008, Nr. 195a, Anlage 2, S. 138.

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sogenannten Pflichtprogramm der Festsetzung des Lärmschutzbereichs die in der 2. FlugLSV für die Beurteilung der Schallschutzanforderungen zwingend erforderlichen Isophonen-Bänder nicht „festzusetzen“ sind. Aus Rechtssicherheitsgründen ist allerdings zu empfehlen, dass in der Verordnung nach § 4 Abs. 2 FluglärmG auch die Isophonen-Bänder nach § 3 Abs. 1 2. FlugLSV beinhaltet sind. Frage 10 ist deshalb dahingehend zu beantworten, dass eine Darstellung der Isophonenbänder in der Festsetzung des Lärmschutzbereichs zu empfehlen ist um Rechtsunsicherheiten entgegenzuwirken.

XI. Frage 11: Welche Anforderungen sind an „freiwillige Schutzprogramme“ oder in sonstiger Weise erfolgte Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen nach § 5 Abs. 3 2. FlugLSV zu stellen, die zu einer weiteren Reduzierung des Schutzniveaus führen? Nach § 5 Abs. 3 2. FlugLSV werden Aufwendungen für weitere bauliche Schallschutzmaßnahmen nach Maßgabe des Absatzes 2 bei baulichen Anlagen nach § 1 Satz 2, die vor dem 15.09.2009 schon bei ihrer Errichtung den Schallschutzanforderungen genügen mussten oder für die vor dem 15.09.2009 bereits im Rahmen freiwilliger Schallschutzprogramme oder in sonstiger Weise Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen erstattet worden sind oder ein Anspruch auf die Erstattung solcher Aufwendungen bestand, nur erstattet, wenn die Bauschalldämm-Maße der früheren Schallschutzmaßnahmen um mehr als 8 Dezibel unter dem Bauschalldämm-Maßen für die Errichtung baulicher Anlagen nach § 3 2. FlugLSV liegen. Aus der Begründung der Bundesregierung ergibt sich, dass bei der Marge von 8 Dezibel bei Wohnräumen die Innenpegel tags zwischen 42 und 47 dB(A) – im Mittel bei 45 dB(A) – und für Schlafräume nachts zwischen 32 und 37 dB(A) – im Mittel bei 35 dB(A) – liegen können. Unter Einhaltung dieser Toleranzmarge hielten sich gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 des FluglärmG die früheren Schallschutzmaßnahmen „im Rahmen“ dieser Verordnung. Die Regelung soll der Vermeidung nicht sachgerechter Aufwendungen für den Austausch von Schallschutzfenstern, die nur zu nicht erheblichen Verbesserungen des Schallschutzes führen würden, dienen. Mit der Frage, welche Anforderungen an „freiwillige Schallschutzprogramme“ zu stellen sind, beschäftigt sich die Verordnungsbegründung allerdings nicht. Bei freiwilligen Schallschutzprogrammen stellt sich in der Regel bereits die Frage, ob die Betroffenen von dem entsprechenden Programm ausreichend Kenntnis erlangt haben. Anders ist dies bei behördlich angeordneten Maßnahmen zu beurteilen. In der Regel werden diese öffentlich bekannt gemacht, so dass der Betroffene auch die Möglichkeit hat, von den durchzuführenden Maß-

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nahmen Kenntnis zu erlangen. Bei den freiwilligen Schallschutzprogrammen kommt hinzu, dass diesen die Betroffenen in der Regel mit einer entsprechenden Zurückhaltung gegenüberstehen, da diese nicht von der Behörde angeordnet, sondern vom Flughafenbetreiber selbst angeboten werden. Die Ableitung des um 8 dB(A) niedrigeren Bauschalldämmaßes wird vom Verordnungsgeber ebenfalls nicht weiter begründet. Es verbleibt bei Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten. Zudem begründet der Verordnungsgeber nicht, weshalb den Betroffenen angesichts des vom Gesetzgeber intendierten besseren Schutzes der Bevölkerung in der Umgebung von Flughäfen ein um 8 dB(A) niedrigeres Schalldämmmaß zugemutet werden kann. Dies ist umso gravierender, als in § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FluglärmG die Werte für bestehende zivile Flugplätze im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FluglärmG bereits um 5 dB(A) in den Tag-Schutzzonen und um 2 dB(A) (bis zum 31.12.2010) bzw. um 5 dB(A) (ab dem 01.01.2011) in der Nacht-Schutzzone höher liegen als bei Neu- oder Ausbauflughäfen. Damit werden diejenigen, die bereits Fluglärm ausgesetzt sind, doppelt benachteiligt. Dies wirft nicht nur die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der sog. Toleranzmarge auf. Gleichzeitig ist die Frage aufzuwerfen, inwieweit die in § 5 Abs. 3 2. FlugLSV festgelegte Toleranzmarge noch von der Verordnungsermächtigung in § 7 FluglärmG gedeckt ist. § 7 FluglärmG lässt es zwar zu, in der Verordnung Schallschutzanforderungen einschließlich Anforderungen an Belüftungseinrichtungen festzusetzen. Davon, dass von den Schutzzielen des FluglärmG quasi durch die Hintertür abgerückt werden kann, ist aber dort nicht die Rede. Hinzu kommt, dass aus den Verordnungsmaterialien nicht zu entnehmen ist, warum der Austausch von Schallschutzfenstern in Fällen, in denen – auf welcher Basis auch immer – bereits durch den Flughafen Schallschutz gewährt wurde, keine erhebliche Verbesserung des Schallschutzes bewirken kann. Dies ist auch insofern zu kurz gegriffen, als eine Differenzierung in Tag- und Nachtzeiträume nach dem alten Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm nicht erfolgte. Wie weit der durch § 9 Abs. 3 Satz 2 FluglärmG eröffnete „Rahmen“ reicht und welche Maßstäbe hierfür anzulegen sind, wird nicht begründet. Auf die Anforderungen an Art. 2 Abs. 2 GG und insbesondere Art. 3 GG wird nicht eingegangen. Frage 11 ist dahin zu beantworten, dass Anforderungen an freiwillige Schallschutzprogramme oder in sonstiger Weise erfolgte Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen nicht zu stellen sind, da die Reduzierung des Schutzniveaus in § 5 Abs. 3 2. FlugLSV weder von der Verordnungsermächtigung in § 7 FluglärmG gedeckt, noch mit dem verfassungsrechtlich verankerten Grundrechtsschutz auf körperliche Unversehrtheit und Gleichbehandlung vereinbar ist.

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XII. Frage 12: Wie wird die „Wohnfläche“ nach § 5 Abs. 4 Satz 1 und § 5 Abs. 1 2. FlugLSV definiert und gilt diese für die gesamte Wohnung oder nur für einen einzelnen Raum der Wohnung? § 5 Abs. 4 2. FlugLSV legt einen Höchstbetrag für die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen in Höhe von 150,00 € je Quadratmeter Wohnfläche fest 77 . Für die Berechnung der Wohnfläche gelten die Vorschriften der Wohnflächenverordnung vom 25.11.2003 entsprechend (§ 5 Abs. 5 Satz 1 2. FlugLSV). Beheizbare und unbeheizbare Wintergärten, Schwimmbäder u.ä. nach allen Seiten geschlossene Räume sowie Balkone, Loggien, Dachgärten und Terrassen werden nicht angerechnet (§ 5 Abs. 5 Satz 2 2. FlugLSV). § 5 Abs. 4 und Abs. 5 2. FlugLSV beziehen sich auf den Quadratmeter Wohnfläche. § 5 Abs. 1 Satz 1 2. FlugLSV bezieht sich auf die bauliche Verbesserung des Schallschutzes von Umfassungsbauteilen von Aufenthaltsräumen nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Flug LSV. Es stellt sich aufgrund der unterschiedlichen Wortwahl in § 5 Abs. 1 und § 5 Abs. 4, 5 2. FlugLSV die Frage, ob sich die Wohnfläche auf die gesamte Wohnung bezieht, d.h. beispielsweise auch auf Flure, Bäder etc., die selbstverständlich unter die Vorschriften der Wohnflächenverordnung vom 25.11.2003 fallen, oder ob nur die Wohnfläche von Aufenthaltsräumen in § 5 Abs. 1 Satz 1 2. FlugLSV gemeint ist 78 . Aus dem Wortlaut selbst lässt sich diese Einschränkung nicht entnehmen. Insbesondere § 5 Abs. 4 Satz 1 2. FlugLSV geht von der Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen aus, begrenzt diese aber nicht auf Aufenthaltsräume. § 5 Abs. 5 2. FlugLSV enthält ebenfalls keine einschränkende Auslegung des Begriffs der Wohnfläche. Im Gegenteil: In § 5 ___________ 77 In dem Höchstbetrag sind auch die Kosten für die erstattungsfähigen Nebenleistungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 2. FlugLSV, also die Ermittlung der erforderlichen Bauschalldämm-Maße der einzelnen Umfassungsbauteile, die für den Aus- und Einbau erforderlichen Arbeiten einschließlich der Putz- und Anstricharbeiten sowie für Belüftungseinrichtungen enthalten. 78 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Nichtannahmebeschluss vom 29.7.2009 mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Beschränkung des Geldausgleichs bei teuren Schallschutzmaßnahmen mit der Verfassung vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die im Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld vorgesehene Höchstgrenze für Schallschutzeinrichtungen von 30% des Verkehrswerts von Grundstück und Gebäude mit zu schützenden Räumen als Maßstab für die Begrenzung des Anspruchs auf Entschädigung akzeptiert. Weder das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG noch Art. 14 Abs. 1 GG sei verletzt. Mit der Frage der Bestimmung der Wohnfläche und einer darauf bezogenen Höchstgrenze hat es sich aber nicht beschäftigt. Vgl. BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, Beschl. vom 29.7.2009, 1 BvR 1606/08, Orientierungssatz 3, Rn. 9, 31, Juris.

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Abs. 5 Satz 2 2. FlugLSV sah sich der Verordnungsgeber sogar veranlasst, bestimmte Räume, die den Vorschriften der Wohnflächenverordnung unterfallen, von der Berechnung der Wohnflächen auszunehmen. Wäre hier nun ausschließlich die Wohnfläche der Aufenthaltsräume gemeint gewesen, wäre es nicht nachvollziehbar, warum § 5 Abs. 5 2. FlugLSV keine entsprechende, weitergehende Einschränkung enthält. In den Verordnungsmaterialien wird in der Begründung zu § 5 Abs. 5 Satz 2 2. FlugLSV ausgeführt, dass die in Satz 2 genannten Räume und Einrichtungen bei der Ermittlung der Wohnfläche nicht berücksichtigt werden. Für die Einschränkung, dass mit der Wohnfläche nur Aufenthaltsräume im Sinne des § 2 2. FlugLSV gemeint sind, ergeben sich keine Hinweise. 79 Anzusprechen ist bei der Festlegung des Höchstbetrags für die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen in § 4 Abs. 4 Satz 1 2. FlugLSV außerdem die Frage, inwieweit die dort festgelegte Höchstgrenze von 150.- € je Quadratmeter Wohnfläche ausreichend ist. In der Begründung zum Verordnungsentwurf ist nachzulesen, dass die Regelung der SchallschutzerstattungsV 77 vom 11.08.1977, die aufgrund des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Fassung von 1971 erlassen wurde, den heutigen Gegebenheiten angepasst werden soll. Der neue Höchstkostenbetrag von 150.- € pro Quadratmeter Wohnfläche berücksichtige, dass sich gegenüber dem seinerzeitigen Höchstkostenbetrag von 130.- DM die erforderlichen Aufwendungen für Schallschutzmaßnahmen allgemein wesentlich erhöht haben. Der Betrag werde daher entsprechend der in der Zwischenzeit erfolgten Preisentwicklung (Baukostenindex) fortgeschrieben. 80 Eine weitere Indexierung ist in § 5 Abs. 4 Satz 1 2. FlugLSV jedoch nicht vorgesehen. Dies ist umso gravierender, als Ansprüche auf Erstattung von Schallschutzaufwendungen, sofern sie zur Tagzeit nicht über 70 dB(A) liegen, erst mit Beginn des 6. Jahres nach Festsetzung des Lärmschutzbereichs (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 2. HS FluglärmG, § 9 Abs. 5 Satz 2 FluglärmG) entstehen. Die überwiegende Zahl der Betroffenen wird also erst im 6. Jahr nach Festsetzung der Lärmschutzbereiche einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen haben – vorausgesetzt die sonstigen Voraussetzungen liegen vor. Ob dann der Höchstbetrag von 150,00 € je Quadratmeter angesichts der zu erwartenden weiteren Baukostenentwicklung noch ausreichend ist, erscheint fraglich. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn entweder eine Überprüfungspflicht der entsprechenden Kosten mit einer ggf. Anpassungspflicht oder eine Indexierung vorgesehen worden wäre. Frage 12 ist dahingehend zu beantworten, dass sich die Wohnfläche nach § 5 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5, Abs. 1 2. FlugLSV auf die gesamte Wohnung, mit ___________ 79 80

BR-Drs. 521/09, S. 15. BR-Drs. 521/09, S. 14, 15.

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Ausnahme der in § 5 Abs. 5 Satz 2 2. FlugLSV genannten Räumlichkeiten bezieht.

XIII. Frage 13: Sind im Verfahren zur Festsetzung der Lärmschutzbereiche Gemeinden, Private und sonstige Dritte zu beteiligen? Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 FluglärmG sind die Landesregierungen zuständig für die Festsetzung der Lärmschutzbereiche. Das Verfahren zum Erlass des Lärmschutzbereichs ist mit Ausnahme der Verkündung im FluglärmG nicht näher geregelt. Es stellt sich deshalb die Frage, ob im Verfahren zur Festsetzung des Lärmschutzbereichs die betroffenen Gemeinden, Private und sonstige Dritte zu beteiligen sind. Die Beteiligung der betroffenen Kommunen war bereits nach der alten Rechtslage des FluglärmG von 1971 umstritten. Während das Bundesverwaltungsgericht ein Beteiligungsrecht abgelehnt hat, sah es das Bundesverfassungsgericht als erforderlich an, die betroffenen Gemeinden im Verordnungsverfahren zu beteiligen. Maßgeblich hierfür waren unterschiedliche Auffassungen bezüglich des Gestaltungsspielraums bei der Festsetzung des Lärmschutzbereichs. Während das Bundesverwaltungsgericht einen Gestaltungsspielraum weder hinsichtlich der Abgrenzung der Schutzzonen noch hinsichtlich der Grenzen der Lärmschutzbereiche anerkannte 81 , bejahte das Bundesverfassungsgericht einen solchen. Letzteres ging davon aus, dass die Pflicht des Verordnungsgebers, bei der Ermittlung des äquivalenten Dauerschallpegels den voraussehbaren Flugbetrieb auf der Grundlage des zu erwartenden Ausbaus des Flughafens zu berücksichtigen, einen Prognosespielraum enthalte, innerhalb dessen ausreichender Raum für die wertende Abwägung sei, welcher Nutzungsgrad des Flugplatzgeländes nach Art und Umfang die Obergrenze des für die Bevölkerung und die gemeindliche Entwicklung Zumutbaren darstelle. Der Verordnungsgeber könne zudem nach Durchführung einer ersten Berechnung die Ausdehnung der Lärmschutzzonen prüfen und gegen die betroffenen öffentlichen Interessen abwägen, ob im Hinblick auf die negativen Folgen der Festsetzung für die Entwicklung der betroffenen Gemeinden im Einzelfall durch Veränderung der zugrunde zu legenden Fachplanungsannahmen eine Verminderung oder Verlagerung der Lärmimmissionen erreicht werden kann, damit die Lärmschutzzonen verkleinert oder in einer die Planung der betroffe-

___________ 81

BVerwG, Beschl. vom 15.9.1981, 4 B 171/81, Juris.

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nen Gemeinden weniger beeinträchtigenden Weise verlegt werden könnten. 82 Bei der Festsetzung der Lärmschutzbereiche handele es sich außerdem nicht um ein rein technisch-mathematisches Verfahren der Verarbeitung vorgegebener Daten. 83 Der Verordnungsgeber treffe vielmehr eine Abwägungsentscheidung, die dazu führe, dass er innerhalb des gesetzlichen Rahmens eine gewisse Gestaltungsfreiheit und damit Entscheidungsmöglichkeit, auch über das Ausmaß des Eingriffs in die Planungshoheit der Gemeinden, habe. 84 Nach der Neufassung des § 4 FluglärmG stellt sich die Frage, ob die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die neue Rechtslage übertragbar ist. Reidt/Fellenberg sehen keine Verpflichtung zur Beteiligung der betroffenen Gemeinden. 85 Zum einen erfolge die Festsetzung des Lärmschutzbereichs auf Grundlage der in § 2 Abs. 2 Satz 2 FluglärmG genannten Werte. Es bestehe damit kein Abwägungs- oder planerischer Gestaltungsspielraum mehr. Eine Abwägung gegenläufiger Interessen im Sinne einer planerischen Gestaltungsfreiheit gebe es nicht. Es verblieben allerhöchstens noch Prognosespielräume bei der Ermittlung der Lärmbelastung nach Maßgabe von § 3 FluglärmG, die allerdings im Rahmen des Monitorings nach § 4 Abs. 6 FluglärmG aufgefangen werden könnten. Zudem bestünden zahlreiche Ausnahmen von den Bauverboten in § 5 Abs. 1 Satz 3, § 5 Abs. 3 FluglärmG. Damit sei ein Verstoß gegen das Übermaßverbot, das noch vom Bundesverfassungsgericht zur alten Rechtslage problematisiert wurde, nicht erkennbar. Auch seien beim Neubau oder der wesentlichen Änderung von Flughäfen und Landeplätzen mit beschränktem Bauschutzbereich nach § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG und in anderen Fällen nach § 6 Abs. 2 Satz 1 LuftVG die gemeindlichen Belangen abzuwägen. Hierbei seien auch die gemeindlichen Planungsmöglichkeiten und deren gänzlicher oder teilweiser Entzug zu prüfen. Reidt/Fellenberg empfehlen allerdings zur sicheren Vermeidung von rechtlichen Risiken, die Gemeinden vor Erlass der Verordnung einschließlich etwaiger Änderung des Verordnungsentwurfs anzuhören, zumindest dann, wenn deren Gemeindegebiet ganz oder teilweise innerhalb des Lärmschutzbereichs liegt. Für die Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur alten Rechtslage und für das Vorliegen eines gewissen Gestaltungsspielraums sind ebenfalls gewichtige Gründe anzuführen. Zunächst hat das Bundes___________ 82

BVerfG, 2. Senat, Beschl. vom 7.10.1980, 2 BvR 584/76, 2BvR 598/76, 2 BvR 599/76, 2 BvR 604/76, Rn. 5, 53, Juris. 83 BVerfG, 2. Senat, Beschl. vom 7.10.1980, 2 BvR 584/76, 2BvR 598/76, 2 BvR 599/76, 2 BvR 604/76, Rn. 49, Juris. 84 BVerfG, 2. Senat, Beschl. vom 7.10.1980, 2 BvR 584/76, 2BvR 598/76, 2 BvR 599/76, 2 BvR 604/76, Rn. 53, Juris. 85 Reidt/Fellenberg, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 57. Ergänzungslieferung, Stand 1.3.2010, § 4 FluglärmG, Fn. 9, 38 ff.

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verwaltungsgericht es für möglich erachtet, die Grenzwerte des § 2 Abs. 2 FluglärmG bei der Festsetzung von Lärmschutzbereichen zu unterschreiten.86 Können aber bei der Festsetzung von Lärmschutzbereichen die Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG unterschritten werden, muss den Landesregierungen auch ein entsprechender Gestaltungsspielraum zur Seite stehen, der dann unter Anlegung der Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht zur alten Rechtslage aufgestellt hat, zu einer Beteiligung der Gemeinden führt. Die Beteiligung der Gemeinden ist aber auch unter dem Gesichtspunkt der ausreichenden und vollständigen Ermittlung des für Lage und Umfang der einzelnen Lärmschutzzonen erheblichen Sachverhalts empfehlenswert. Auch das Argument, die Gemeinden könnten die Beeinträchtigung ihrer gemeindlichen Planungsmöglichkeiten in Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren geltend machen, greift insofern zu kurz, als die Neuausweisung von Lärmschutzbereichen auch bei bestehenden Flugplätzen vorzunehmen ist. Gerade dann, wenn aktuell kein solches Verfahren der Neufestsetzung der Lärmschutzbereiche vorausgegangen ist, ist eine entsprechende Anhörung der Gemeinden angezeigt. Für die betroffenen Gemeinden ist die aufgeworfene Frage 13 dahingehend zu beantworten, dass eine Beteiligung erforderlich, zumindest aber aus Rechtssicherheitsgründen geboten ist. Für die Beteiligung Privater oder sonstiger Dritter liegt eine der Rechtslage bei den Gemeinden vergleichbare Rechtsprechung nicht vor. Eine Beteiligung auf Basis der Plan-UP-Richtlinie 87 ist nicht erforderlich, da die Festsetzung von Lärmschutzbereichen und die hieraus resultierenden Bauverbote keine Pläne und Programme nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie sind. Für eine Beteiligung spricht unter Zugrundelegung eines Gestaltungsspielraums, dass die Festsetzung der Lärmschutzbereiche aufgrund der Bauverbote weitreichende Konsequenzen für das Eigentum aus Art. 14 GG hat. Die Bauverbote treffen nicht nur die Gemeinden, sondern auch private Grundstückseigentümer im Umfeld der Flughäfen. Hinzu kommt, dass nach Inkrafttreten des FluglärmG nicht alle Privaten in Verfahren nach §§ 6, 8 LuftVG zu beteiligen waren (vgl. § 4 Abs. 4 FluglärmG), sofern es z.B. um die Auswirkung des Lärmschutzbereichs bei Bestandsflughäfen geht. Auch gesellschaftspolitische Argumente sprechen dafür, Private zu beteiligen. Können sich Private im Verordnungsverfahren entsprechend einbringen, erhöht dies ggf. die Akzeptanz der Lärmschutzbereiche. Gleichwohl wird insofern nicht verkannt, dass sich die Beteiligung in solchen Verfahren in der Regel als sehr schwierig darstellt, da die dem Verordnungser___________ 86 BVerwG, Beschl. vom 13.9.2007, 4 A 1008.07, Rn. 30, Juris unter Bezugnahme auf die abschließende Beschlussempfehlung des Umweltausschusses vom 13.12.2006, BT-Drs. 16/3813, S. 12, 19. 87 Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkung bestimmter Pläne und Programme vom 27.6.2007, Richtlinie 2001/42/EG, ABl. EG L 197/30.

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lass zugrunde liegenden Daten ohne entsprechenden Sachverstand für den Durchschnittsbürger wohl kaum nachvollziehbar sind. Für die Privaten und sonstigen Dritten ist die aufgeworfene Frage 13 dahingehend zu beantworten, dass auch hier eine Beteiligung zumindest empfehlenswert ist.

Aktuelle Fragen des Luftverkehrsrechts – aus der Sicht der Rechtsprechung Von Alexander Jannasch

I. Tatsächlicher Hintergrund Zunächst einige Bemerkungen zum tatsächlichen Hintergrund: Die Rechtsprechung ist zurzeit mit zahlreichen größeren und kleineren Flughäfen befasst, bei anderen Vorhaben steht die gerichtliche Überprüfung noch bevor. Das zuständige Ministerium in Brandenburg hat den Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss zum Flughafen Berlin Schönefeld erlassen. Gegen diesen Beschluss sind mehrere Klagen erhoben worden, über die das Bundesverwaltungsgericht (noch) in erster Instanz zu urteilen hat. 1 Über die neue Landebahn für den Flughafen Frankfurt/Main hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden 2 ; beim Bundesverwaltungsgericht sind Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden anhängig. Der Flughafen München soll erweitert werden; ein Planfeststellungsbeschluss ist noch nicht erlassen. Über die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Nachtflugregelung an diesem Flughafen (vom 20. April 2005) 3 ist bei früheren Luftverkehrs- und Planungsrechtstagen bereits eingehend referiert worden. Mit dem Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss zum Flughafen Leipzig war das Bundesverwaltungsgericht im Juli 2008 befasst; 4 die Verfassungsbeschwerden wurden mit Beschlüssen vom 15. Oktober 2009 nicht zur Entscheidung angenommen. 5 Die Gerichte waren überdies unter anderem mit den vergleichsweise kleineren Flughäfen Braunschweig und Münster/Osnabrück – darauf komme ich zurück –, Kassel-Calden – wobei für das Bundesverwaltungsgericht Fragen des

___________ 1 2 3 4 5

Nach dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Hess. VGH, Urteile vom – 11 C 318/08.T – u.a. BVerwG 4 C 18.03, BVerwGE 123, 261. Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001.07 –, BVerwGE 131, 316. Beschl. vom 15.10.2009 – 1 BvR 3474/08 –, NVwZ 2009, 1489.

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Artenschutzes 6 eine besondere Bedeutung hatten –, 7 aber beispielsweise auch mit dem Verkehrslandeplatz Speyer 8 befasst. In absehbarer Zeit ist auch die Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz zu den Flugrouten zu erwarten, die über deutsches Gebiet zum Flughafen Zürich führen. 9 Das Bundesverwaltungsgericht hat zu diesem Sachverhalt mehrere Klagen – des Flughafens und der Fluggesellschaft – in einem ausführlich begründeten Beschluss ausgesetzt. 10 In diesem Beschluss hat es sich zur Rechtslage nach nationalem Recht und völkerrechtlichen Grundsätzen geäußert, im Hinblick auf die europarechtlichen Fragen indes das Verfahren ausgesetzt. Nur am Rande sei erwähnt: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss vom 31. August 2009 die Rechtsstellung eines Flughafenbetreibers gestärkt, der erreichen möchte, dass der Flugplatz zum Zollflugplatz bestimmt wird. 11 Wenn ich die Anonymisierung – muss ein Flughafenbetreiber eigentlich anonymisiert werden? – richtig aufgelöst habe, handelt es sich um den Flughafen Lahr, mit dem die Verwaltungsgerichte bereits in einem früheren Stadium befasst waren. 12

II. Reichweite der Rechtsgebiete Ebenso wie bei den anderen Bereichen des Fachplanungsrechts sind Behörden und Gerichte auch im Luftverkehrsrecht neben den Fachgesetzen im engeren Sinn – hier also insbesondere dem Luftverkehrsgesetz sowie dem Fluglärmschutzgesetz nebst den hierzu ergangenen Verordnungen – mit zahlreichen weiteren Rechtsgebieten vom Allgemeinen – Verwaltungsverfahren und ver___________ 6

Vgl. hierzu den Beitrag von Storost auf der Tagung. Hess. VGH, Urt. vom 17.6.2008 – 11 C 2706/07.T –, UPR 2008, 455 = ZUR 2008, 93; BVerwG, Beschl. vom 1.4.2009 – 4 B 61.08 –, NVwZ 2009, 910 = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 34 m. Anm.; Gatz, juris-PR 18/2009 Anm. 3. 8 OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 8.7.2009, NuR 2009, 882. 9 Rs. T-319/05. 10 Beschl. vom 4.5.2005 – 4 C 6.04 –, BVerwGE 123, 322. 11 BVerfG, Beschl. vom 31.8.2009 – 1 BvR 3275/07 –, DVBl. 2009, 1440. 12 VGH Bad.-Württ., Urt. vom 28.2.2005 – 8 S 2004/04 –, VBlBW 2005, 351; die vom BVerwG zugelassene Revision hat sich allerdings erledigt; vgl. auch Jannasch, Raumordnung und Flughafenplanung, in: Ziekow (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungs- und Naturschutzrechts, Vorträge auf den Neunten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 14. bis 16. März 2007 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 2008, S. 127 ff. 7

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waltungsgerichtliches Verfahren sowie ihr Verhältnis zueinander – zum Besonderen befasst. Zum Besonderen Teil zählen in neuerer Zeit zunehmend das nationale und das Europäische Naturschutzrecht, das die Planungsrechtstage bereits häufig beschäftigt hat, und auf das ich in Einzelaspekten ebenfalls eingehen werde. Damit ist das Recht der Europäischen Union angesprochen, das uns als höherrangige Ebene bindet. Wir verfolgen die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union mit großer Aufmerksamkeit und prüfen stets sorgfältig, ob eine Vorlage nach Art. 267 AEUV (Art. 234 EG a.F.) geboten ist. 13 Allerdings kommt eine Vorlage nur dann in Betracht, wenn die noch der Klärung bedürftige Frage auch entscheidungserheblich ist. Selbstverständlich stellen sich der Rechtsprechung der Fachgerichte regelmäßig auch verfassungsrechtliche Fragen. Häufig werden Verfassungsbeschwerden erhoben. Auf eines dieser Verfahren werde ich näher eingehen.

III. Vereinbarkeit von Präklusionsregelungen mit dem Europarecht In einem den Flughafen Braunschweig betreffenden Verfahren 14 warf der klagende Verband die Frage auf, ob die Präklusionsregelung in § 2 Abs. 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – URG – der durch Art. 10a Abs. 1 UVP-RL und Art. 15a Abs. 1 IVU-RL angeordneten umfassenden Prüfungsbefugnis und dem gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz entspricht. Nach § 2 Abs. 3 URG ist eine Vereinigung, die im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung gehabt hat, im Verfahren über den Rechtsbehelf mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verwaltungsverfahren nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können. Der Kläger warf die Frage auf, ob Europarecht Präklusionsvorschriften überhaupt zulässt. Er thematisierte dagegen nicht, welche Anforderungen das Europarecht im Einzelnen an diese Vorschriften stellt. Diese Frage rechtfertigte nicht die Zulassung der Revision. Zwar ist – soweit ersichtlich – bis zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit nationaler Präklusionsvorschriften ergangen. Es besteht jedoch kein Anlass zu vernünftigen Zweifeln im Sinne der acte-

___________ 13

Vgl. kürzlich den Beschluss des 4. Senats des BVerwG vom 3.12.2009 – 4 C 5.09 – juris (zu Art. 12 der Seveso II Richtlinie). 14 Beschl. vom 11.11.2009 – 4 B 57.09 –, UPR 2010, 103.

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claire-Doktrin, 15 dass das Europarecht einer solchen Regelung nicht entgegensteht. 16 Nach Art. 10a Unterabs. 1 UVP-RL und dem insoweit wortgleichen Art. 15a Unterabs. 1 IVU-RL stellen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaates dies als Voraussetzung fordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten. Die Einschränkung, dass das Recht auf Zugang zu Gerichten „im Rahmen innerstaatlicher Rechtsvorschriften“ verliehen wird, stellt klar, dass die Ausgestaltung des Verfahrens, das den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten soll, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist. 17 Die Mitgliedstaaten sind bei der Ausgestaltung ihrer „innerstaatlichen Rechtsvorschriften“ allerdings nicht völlig frei. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 18 dürfen das nationale Verfahrens- und Prozessrecht nicht ungünstiger gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen, und sie dürfen – was hier allein in Rede steht – die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Der Europäische Gerichtshof hat anlässlich der Prüfung der Gemeinschaftsrechtskonformität einer Bestimmung, nach der Klagen mit einem bestimmten Begehren innerhalb einer Ausschlussfrist erhoben werden müssen, den Rechtssatz betont, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Rechtsbehelfen dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich genügt, da sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist. 19 Auch Präklusionsvorschriften dienen ___________ 15

Vgl. EuGH, Urt. vom 6.10.1982 – Rs. C-283/81 –, Slg. 1982, 3415 Rn. 16. So auch Halama, in: Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, S. 766 Rn. 327. 17 Vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 2.7.2009 in der Rechtssache C-263/08 Rn. 45. 18 Urt. vom 16.12.1976 – Rs. 33/76 –, NJW 1977, 495; Urt. vom 14.12.1995 – Rs. C-312/93 –, Slg. 1995, I-C-4615 Rn. 12 und Urt. vom 14.12.1995 – Rs. C-430/93 und 431/93 –, Slg. 1995, I-4728 Rn. 17. 19 EuGH, Urt. vom 16.5.2000 – Rs. C-78/98 –, Slg. 2000, I-3240 Rn. 33. 16

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u.a. der Rechtssicherheit, 20 namentlich dem gesteigerten Bedürfnis des Vorhabenträgers nach Schutz und Beständigkeit der unter einer Drittbeteiligung zustande gekommenen Zulassungsentscheidung. 21 Nach der Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs ist für die Anwendung des Effektivitätsgebots jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens zu prüfen. 22 Das Bundesverwaltungsgericht hatte bei Anwendung dieser Maßstäbe keinen Zweifel daran, dass die Präklusion des § 2 Abs. 3 1. Alt. URG „angemessen“ begrenzt ist. Zwar tritt im Gegensatz zu Klagefristen, von deren Einhaltung der nationale Gesetzgeber den Zugang zu den Gerichten abhängig machen darf, 23 der Ausschluss verfahrensrelevanten Vorbringens bereits vor einem anfechtbaren Rechtsakt ein. Dies ist aber ohne Bedeutung, 24 weil das Einwendungsrecht als Anknüpfungspunkt für die Präklusion einem vorgezogenen Rechtsschutz gleichkommt. Dieser Rechtsschutz ist nicht unzureichend; denn er liegt auch im wohlverstandenen Interesse der Einwendungsberechtigten, weil sie durch ihr Vorbringen die Chance der Einflussnahme wahren können, bevor eine Art planerische Verfestigung eingetreten ist. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass der nationale Gesetzgeber derartige Präklusionsvorschriften vor dem Hintergrund als notwendig angesehen hat, dass es sich um Entscheidungen handelt, bei denen unterschiedliche ineinander greifende Sachfragen und Interessen zu berücksichtigen und miteinander abzuwägen sind. Diese Komplexität und Multipolarität erfordern nach der gewonnenen Erfahrung Regelungen, nach denen die Behörde nach Ablauf einer vorgesehenen Frist, auf die hingewiesen wird, nicht mehr mit neuen bisher nicht erkennbaren und bestimmte Einzelheiten betreffenden neuen Tatsachen konfrontiert wird, mit denen sie sich dann von Amts wegen näher zu befassen hat. 25 ___________ 20 Vgl. BVerfG, Beschl. vom 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80 –, BVerfGE 61, 82 (114, 116 f.) zu § 3 Abs. 1 der inzwischen außer Kraft getretenen Atomanlagen-Verordnung; BVerwG, Urt. vom 24.5.1996 – BVerwG 4 A 38.95 –, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 119 und vom 30.1.2008 – BVerwG 9 A 27.06 –, NVwZ 2008, 678 Rn. 29, jeweils zu § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG a.F. 21 BVerwG, Urt. vom 17.7.1980 – 7 C 101.78 –, BVerwGE 60, 297 (307). 22 Vgl. EuGH, Urt. vom 27.2.2003 – Rs. C-327/00 –, Slg. 2003, I-1907 Rn. 56. 23 Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 2. Juli 2009 in der Rechtssache C-263/08 Rn. 45. 24 Ebenso Stüer/Rieder, EurUP 2004, 139 (146). 25 Vgl. bereits BVerwG, Beschl. vom 29.6.2004 – 4 B 34.04 –, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 182.

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Dem stehen die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 2. Juli 2009 in der Rechtssache C-263/08 nicht entgegen. Nichts anderes gilt für das (erst nach dem hier zu referierenden Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts bekannt gegebene) Urteil des EuGH 26 vom 15. Oktober 2009. 27 Im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof ging es nicht um die (in Art. 10a Unterabs. 4 UVP-RL in bejahendem Sinne entschiedene) Frage, ob die vorherige Beteiligung am Verwaltungsverfahren zur Voraussetzung für den Zugang zu Gericht gemacht werden darf, sondern um die Frage, ob Art. 10a UVP-RL der betroffenen Öffentlichkeit, die am Genehmigungsverfahren beteiligt war, erlaubt, unmittelbar und ohne Einschränkungen die Gerichte anzurufen, ob also die Beteiligung am Verwaltungsverfahren die Klagebefugnis zur Folge hat. Nur damit beschäftigte sich die Generalanwältin, die mit der Fallgestaltung konfrontiert war, dass eine Umweltorganisation sich an einem Verwaltungsverfahren beteiligt hatte, aber nach dem maßgeblichen schwedischen Recht nicht klagebefugt ist, weil sie nicht mindestens 2.000 Mitglieder hat, in ihren Schlussanträgen. Der Gerichtshof hebt hervor, dass durch die schwedische Regelung den auf lokaler Ebene organisierten Vereinigungen jede Möglichkeit der gerichtlichen Anfechtung genommen werde. 28 Ferner sei bisher bei nur zwei Vereinigungen anerkannt, dass sie mehr als 2.000 Mitglieder hätten. Die Möglichkeit, dass sich die auf lokaler Ebene organisierten Vereinigungen an eine dieser beiden Vereinigungen wenden können, sieht er aus mehreren Gründen als unzureichend an. Eine vergleichbare Einschränkung des Klagerechts auf wenige Vereinigungen sieht das deutsche Recht nicht vor. 29

IV. Abweichungsentscheidung nach der FFH-Richtlinie – öffentliches Interesse Auch das den Flughafen Münster-Osnabrück betreffende Urteil vom 9. Juli 2009 30 behandelt Fragen des Europarechts, und zwar der FFH- Richtlinie. Die Start- und Landebahn dieses Flughafens wurde in den 1970er Jahren auf die heutige Länge von 2.170 m ausgebaut. Auf dem Flughafen werden derzeit Linienflüge im innerdeutschen und europäischen Verkehr sowie Charterflüge mit Zielen vorwiegend im Mittelmeerraum durchgeführt. Nunmehr soll die ___________ 26

Zugänglich über curia.europa.eu. Ebenso Gatz in jurisPR-BVerwG 1/2010 Anm. 3. 28 Rn. 50. 29 Der zweite Leitsatz des EuGH bezieht sich auf die Besonderheit, dass die Stelle, die die angegriffene Entscheidung erlassen hat, mit der über die Genehmigung eines Antrags entschieden worden ist, der Gerichtsbarkeit angehört. 30 BVerwG – 4 C 12.07 –, BVerwGE 134, 166. 27

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Start- und Landebahn verlängert werden, um einen restriktionsfreien Mittelstreckenverkehr sowie Interkontinentalverkehr zu ermöglichen. Östlich des Flughafengeländes verlaufen der Dortmund-Ems-Kanal und die Bundesautobahn A 1, die eine Erweiterung nach Osten ausschließen. Nach Westen muss für eine Verlängerung der Start- und Landebahn ein Bach überquert werden. Dieser Bereich ist als FFH-Gebiet in die Liste der Kommission aufgenommen worden. Als erstes stellte sich die Frage, ob der Maßstab des Artikel 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 oder der strengere Maßstab des Unterabsatz 2 der FFH-Richtlinie heranzuziehen ist, bei dem unter anderem die Kommission einzuschalten ist. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte zu dem Ergebnis, dass eine Stellungnahme der Kommission gemäß Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 FFH-RL nicht bereits dann einzuholen ist, wenn in einem FFH-Gebiet – wie hier – ein prioritärer Lebensraumtyp lediglich vorhanden ist; nur wenn sich nach dem Ergebnis der FFHVerträglichkeitsuntersuchung nicht ausschließen lässt, dass das Vorhaben gerade einen prioritären Lebensraumtyp oder eine prioritäre Art beeinträchtigt, dürfen andere als die benannten Gründe für eine Abweichung nur geltend gemacht werden, wenn die Kommission zu den Voraussetzungen für eine Abweichung Stellung genommen hat. Zwar ist der Wortlaut insoweit unklar; danach kommt es darauf an, ob das Gebiet einen prioritären Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art „einschließt“. Eine allein am Wortlaut orientierte Auslegung wird aber dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gerecht. Die verfahrensrechtliche Einbeziehung der Kommission dient dem besonderen Schutz prioritärer Lebensräume und Arten. Die Kommission soll für den Fall, dass eine FFH-Verträglichkeitsuntersuchung zu dem Ergebnis kommt, das Vorhaben könne ein FFH-Gebiet erheblich beeinträchtigen (Art. 6 Abs. 3 FFH-RL), ihrerseits eine Bewertung der möglicherweise beeinträchtigten ökologischen Werte vornehmen können. Wie bereits die Interpretationshilfe der Kommission „Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikel 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG“ aus dem Jahr 2000 hervorgehoben hat, soll der Umstand, dass ein Projekt, welches einen prioritären Lebensraum und/oder eine prioritäre Art in keiner Weise beeinträchtigt, keine Rechtfertigung dafür sein, dass ein Gebiet unter das schärfere Regime des Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 FFH-RL fällt. 31 Ferner hat das Bundesverwaltungsgericht hervorgehoben: Die Gewichtung des öffentlichen Interesses muss den Ausnahmecharakter einer Abweichungsentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-RL berücksichtigen. Nicht jedem Vor___________ 31

Die Kommission hat diese Auffassung im aktuellen Auslegungsleitfaden vom Januar 2007 bestätigt. Dort legt sie dar, Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 FFH-RL sei so zu verstehen, dass er für alle Gebiete Anwendung findet, sobald prioritäre Lebensräume und/oder Arten in Mitleidenschaft gezogen werden (S. 25).

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haben, das das Erfordernis der Planrechtfertigung erfüllt, kommt ein besonderes Gewicht zu. Als Abweichungsgründe kommen für Vorhaben, die nur nicht prioritäre Lebensraumtypen und/oder Arten erheblich beeinträchtigen, neben solchen sozialer oder wirtschaftlicher Art sowie den benannten Abweichungsgründen des Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 FFH-RL auch vielfältige andere Gründe in Betracht. Damit sich die Gründe gegenüber dem Belang des Gebietsschutzes durchsetzen können, müssen keine Sachzwänge vorliegen, denen niemand ausweichen kann; Art. 6 Abs. 4 FFH-RL setzt lediglich ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln voraus. 32 Erforderlich ist eine Abwägung: Das Gewicht der für das Vorhaben streitenden Gemeinwohlbelange muss auf der Grundlage der Gegebenheiten des Einzelfalls nachvollziehbar bewertet und mit den gegenläufigen Belangen des Habitatschutzes abgewogen worden sein. 33 Dabei handelt es sich nicht um eine fachplanerische, sondern um eine bipolare, den spezifischen Regeln des FFHRechts folgende Abwägung. 34 Ein Vorhaben, das im Sinne der Planrechtfertigung den Zielsetzungen des Luftverkehrsgesetzes entspricht und Zwecken der Zivilluftfahrt dient, liegt im öffentlichen Interesse und ist damit grundsätzlich auch geeignet, entgegenstehende FFH-Belange zu überwinden; ob das öffentliche Interesse die FFHBelange überwiegt, hängt aber von dem Ergebnis der im Weiteren erforderlichen konkreten Abwägung im Einzelfall ab. Die berücksichtigungsfähigen Abweichungsgründe sind sodann zu gewichten. Im Grundsatz überlässt das Gemeinschaftsrecht die Definition öffentlicher Interessen und deren Gewichtung allerdings den Mitgliedstaaten. Die FFHRichtlinie enthält zwar differenzierte Vorgaben für die Bewertung des Integritätsinteresses, nicht aber für die Gewichtung der öffentlichen Interessen. Der Spielraum der Mitgliedstaaten ist jedoch nicht unbegrenzt. Sie dürfen ihre öffentlichen Interessen nicht in einer Weise definieren und bewerten, die praktisch jedem Vorhaben, das das Erfordernis der Planrechtfertigung erfüllt und nach dem Muster der Abwägungsregeln des deutschen Planungsrechts vertretbar ist, von vornherein ein hohes Gewicht beimisst mit der Folge, dass es allenfalls bei schweren Beeinträchtigungen der Schutzziele hinter dem Interesse an der Integrität des FFH-Gebiets zurücktreten müsste. Die Gewichtung des öffentlichen Interesses muss vielmehr den Ausnahmecharakter einer Abwei___________ 32 Urt. vom 27.1.2000 – BVerwG 4 C 2.99 –, BVerwGE 110, 302 (314 f.) und vom 12.3.2008 a.a.O. Rn. 153. 33 Urt. vom 17.1.2007 a.a.O. Rn. 131. 34 Vgl. Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 C 1.06 –, BVerwGE 128, 76 Rn. 22 zur naturschutzrechtlichen Abwägung.

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chungsentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-RL berücksichtigen. Aufgrund seines Ausnahmecharakters begründet Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ein strikt beachtliches Vermeidungsgebot, das zu Lasten des Integritätsinteresses des durch Art. 4 FFH-RL festgelegten kohärenten Systems nicht bereits dann durchbrochen werden darf, wenn dies nach dem Muster der Abwägungsregeln des deutschen Planungsrechts vertretbar erscheint, sondern nur beiseite geschoben werden darf, soweit dies mit der Konzeption größtmöglicher Schonung der durch die Habitat-Richtlinie geschützten Rechtsgüter vereinbar ist. 35 Diese zur Alternativenprüfung entwickelten Grundsätze gelten auch für die Prüfung zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses. Welche Faktoren für das Gewicht des öffentlichen Interesses an einem Vorhaben maßgebend sind, lässt sich nicht abschließend bestimmen. Zu berücksichtigen ist in jedem Fall der im Planfeststellungsverfahren prognostizierte Verkehrsbedarf. Maßgebend ist aber auch, ob die mit dem Vorhaben verfolgten Ziele normativ oder politisch vorgegeben sind und wie konkret die jeweiligen Zielvorgaben sind. Dabei entfalten gesetzliche Vorgaben – wie etwa im Fall der gesetzlichen Bedarfsfeststellung – ein höheres Gewicht als politisch wirkende Planungsdirektiven, die in der Regel von eher allgemein gehaltenen Bedarfsvorstellungen geleitet sind. Die Dringlichkeit eines Infrastrukturprojekts bemisst sich in erster Linie nach der verkehrlichen Bedeutung des Vorhabens. Zur verkehrlichen Bedeutung eines Ausbauvorhabens gehört der tatsächlich zu erwartende Bedarf, wie er sich auf der Grundlage der Gutachten zum prognostizierten Verkehrsbedarf darstellt. Auch die Planung eines Vorhabens, das eine noch nicht vorhandene Nachfrage erst „stimulieren“ soll, kann fachplanerisch zulässig sein. Der Bedarf für einen Flughafen kann sich nicht nur aus einer tatsächlichen, aktuell feststellbaren Nachfrage ergeben, sondern auch aus der Vorausschau künftiger Entwicklungen. 36 Ein Vorhabensträger ist nicht darauf beschränkt, nur den absolut sicher zu erwartenden Bedarf abzudecken. Solange weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene eine verbindliche verkehrspolitische Gesamtkonzeption für den Ausbau von Flughäfen existiert und deshalb die Anbieter von Flughafenleistungen in einem globalen Wettbewerb stehen, kann es ihnen nicht verwehrt werden, sich für einen prognostizierten allgemeinen Anstieg der Nachfrage „zu rüsten“. 37 Dass ein solches Vorhaben die Hürde der Planrechtfertigung nimmt und damit ein Abweichungsgrund vorliegt, sagt indes noch ___________ 35 Urt. vom 27.1.2000 – 4 C 2.99 –, BVerwGE 110, 302 (310) und vom 17.5.2002 – BVerwG 4 A 28.01 –, BVerwGE 116, 254 (263). 36 Urt. vom 20.4.2005 – BVerwG 4 C 18.03 –, BVerwGE 123, 261 (271 f.); vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 –, BVerwGE 125, 116 Rn. 282 und vom 13.12.2007 – BVerwG 4 C 9.06 –, BVerwGE 130, 83 Rn. 50. 37 Urt. vom 20.3.2005 a.a.O. S. 272.

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nichts über das Gewicht aus, mit dem der Abweichungsgrund in die Abwägung einzustellen ist. Bei der Gewichtung der Abweichungsgründe sind daher auch die mit der Planung verbundenen Prognoseunsicherheiten zu bewerten. Reichen die Prognoseunsicherheiten weiter als in anderen Fällen, bedarf es der Darlegung, warum dem Vorhaben gleichwohl ein besonderer Stellenwert zukommt. Das kann etwa der Fall sein, wenn mit normativer Verbindlichkeit die besondere Dringlichkeit des Vorhabens angeordnet ist. Mit welchem Gewicht Prognoseunsicherheiten zu Buche schlagen, beurteilt sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalls. Als Faustregel lässt sich lediglich festhalten: Je weiter die Unsicherheiten reichen, desto geringer wiegt das öffentliche Interesse an dem Vorhaben und desto konkreter und verbindlicher müssen die das Vorhaben stützenden Zielvorgaben sein, wenn ihm trotz des unsicheren Bedarfs ein hohes Gewicht beigemessen werden soll. Im konkreten Fall stellte das Ziel, den Flughafen als internationalen Flughafen für den direkten interkontinentalen Flugverkehr unter gleichzeitiger besserer Positionierung in Bezug auf eine restriktionsfreiere Nutzung im Bereich des langen Mittelstreckenverkehrs zu ertüchtigen, einen tragfähigen Abweichungsgrund dar. Der bedarfsgerechte Bau und Ausbau von Verkehrsflughäfen liegt im öffentlichen Interesse, weil diese dem Bedarf des allgemeinen Verkehrs i.S.d. § 6 Abs. 3 LuftVG und § 38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO dienen. Auch das allgemeine strukturpolitische Ziel, die Dezentralisation des Luftverkehrs zu fördern und eine Wettbewerbsstärkung der Region zu erreichen stellt einen tragfähigen Abweichungsgrund dar. Der Gesichtspunkt der Strukturförderung vermag als wirtschaftlicher Grund ein öffentliches Interesse zu begründen. Bei der Entscheidung über den Standort eines Flughafens kann eine Rolle spielen, welche wirtschaftlichen Impulse von dem Flughafen für die Region zu erwarten sind. Bei der Gewichtung der Abweichungsgründe hatte das Oberverwaltungsgericht jedoch den Zielen des Vorhabens ein von der Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung unabhängiges Eigengewicht und damit eine Durchschlagskraft gegenüber dem Interesse an der Integrität des FFH-Gebiets beigemessen, die dem Ausnahmecharakter des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nicht gerecht wurde. Das Oberverwaltungsgericht hatte zunächst darauf abgestellt, dass das Vorhaben landesplanerisch vorgesehen und zugleich raumordnungsrechtlich abgesichert sei. Das vermittelt einem Vorhaben indessen nicht schon an sich einen besonderen Stellenwert. Ziele der Raumordnung enthalten zwar verbindliche, abschließend abgewogene Vorgaben, die öffentliche Stellen bei der Entscheidung über planfeststellungsbedürftige Vorhaben zu beachten haben. Mit einer gesetzlichen Bedarfsfeststellung, die dem Vorhaben einen besonderen Stellenwert verleiht, ist die zielförmige Festlegung eines Flughafenausbaus jedoch

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nicht zu vergleichen. Bei der gesetzlichen Bedarfsfeststellung ist die der Bedarfsermittlung zugrunde liegende Prognosebasis grundsätzlich einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Diese Bindungswirkung präjudiziert eine auf der Ebene der Planfeststellung erforderliche Abweichungsprüfung allerdings nicht in jeder Hinsicht; in diesem Zusammenhang ist vielmehr zusätzlich zu fragen, ob den für das Vorhaben streitenden Gemeinwohlbelangen ein derartiges Gewicht zukommt, dass sie sich gegenüber den widerstreitenden Belangen des Habitatschutzes durchsetzen. 38 Dagegen umfasst bereits das luftverkehrsrechtliche Abwägungsgebot die Ermächtigung, die raumordnerischen Gründe, die die Zielfestlegung tragen, zugunsten höher gewichteter gegenläufiger Belange zurückzustellen. 39 Anders als bei der Zielbindung in der Bauleitplanung (§ 1 Abs. 4 BauGB) besteht kein striktes Anpassungsgebot. In diesem Sinne können zielförmige Standortentscheidungen der Landesplanung nicht nur aus spezifisch fachplanerischen Erwägungen „überwunden“ werden, sondern auch bei der abwägenden Beurteilung i.S.d. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL an Gewicht verlieren. Die zielförmigen Vorgaben der Landesplanung verpflichten zwar normativ, das beschriebene Vorhaben planerisch weiter zu verfolgen, sie müssen jedoch keine abgesicherte Bedarfsfeststellung enthalten. Je nach dem Umsetzungsspielraum, den das Ziel belässt, kann für Zielfestlegungen eine relativ grobe Bedarfsabschätzung genügen. Welches Gewicht sich mit einer zielförmigen Festlegung verbindet, hängt daher davon ab, ob die Vorgaben konkrete Aussagen etwa zum zeitlichen Rahmen der Umsetzung oder auch beispielsweise zur Vernetzung mit anderen Infrastrukturprojekten enthalten, aus denen sich die Dringlichkeit des Vorhabens ergibt. Der Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1995 legt lediglich fest, dass der internationale Verkehrsflughafen Münster/Osnabrück langfristig zu einem Verkehrsflughafen für den interkontinentalen Verkehr zu entwickeln ist. Dem Gebietsentwicklungsplan ist nur zu entnehmen, dass der Flughafen bedarfs- und funktionsgerecht der wachsenden Bedeutung des Flugverkehrs anzupassen ist. Beschränken sich die landesplanerischen und raumordnungsrechtlichen Vorgaben – wie hier – auf die Aussage, dass ein Flughafen langfristig bedarfsgerecht auszubauen ist, kommt der aus Anlass des Vorhabens erstellten Bedarfsprognose besondere Bedeutung bei der Gewichtung der Abweichungsgründe zu. Die Unsicherheiten einer Bedarfsprognose sind hierbei zu berücksichtigen. Das gilt auch, soweit das Oberverwaltungsgericht auf das NRW-Luftverkehrskonzept 2010 abstellt. Ein Flughafenkonzept – wie es auf Bundesebene auch die Bundesregierung beschlossen hat – kann eine rechtsverbindliche Flug___________ 38 39

Urt. vom 17.1.2007 a.a.O. Rn. 134. Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 –, BVerwGE 125, 116 Rn. 79.

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hafennetz- und -bedarfsplanung, die weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene existiert, 40 nicht ersetzen. Es kann allerdings Prioritäten setzen, indem es ein Vorhaben – wie im Flughafenkonzept der Bundesregierung von August 2000 für den Flughafen Münster/Osnabrück geschehen – als „besonders dringlich“ einstuft. Derartige Aussagen zur Dringlichkeit von Vorhaben an bestimmten Standorten können von Bedeutung für das Gewicht des Vorhabens im Verhältnis zu anderen Vorhaben sein. In diesem Sinne mag ein nationales Flughafenkonzept den Ansatz einer Verbindlichkeit in sich tragen. Als politisch wirkendes Konzept steht es aber unter dem Vorbehalt, dass die auf der weiteren Planungsstufe im Planfeststellungsverfahren vorgelegten Bedarfsprognosen die dem Konzept zugrunde liegende Bewertung bestätigen. Gleiches gilt für die Stellung eines Flughafens im transeuropäischen Flughafennetz. Der Flughafen Münster/Osnabrück ist zwar Teil des transeuropäischen Flughafennetzes, aber weder ein internationaler noch ein Gemeinschaftsnetzpunkt, sondern lediglich ein regionaler Netzpunkt. 41 Schließlich stellte das Oberverwaltungsgericht auf das allgemeine politische Ziel ab, den Luftverkehr zu dezentralisieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Standortregionen zu stärken. Auch dieses Ziel ist nicht geeignet, den Planungszielen „an sich“ ein erhebliches Gewicht zu verleihen. Den genannten Zielen fehlt nicht nur die rechtliche Verbindlichkeit, sondern, weil sie allgemein, d.h. für den gesamten Zuständigkeitsbereich gelten, auch der Bezug zum konkreten Vorhaben. Ob und inwieweit das in Rede stehende Vorhaben geeignet ist, den internationalen Luftverkehr zu dezentralisieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Region Münster zu stärken, hängt maßgebend davon ab, ob sich der prognostizierte Verkehrsbedarf auch tatsächlich einstellen wird. Entscheidend für das Gewicht des Vorhabens war mithin, wie die Wahrscheinlichkeit zu bewerten war, dass die erwartete Nachfrage nach Interkontinentalverbindungen auf dem Flughafen Münster/Osnabrück tatsächlich entsteht. Da nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ein Unterschied bestand zwischen der Bedarfsprognose für den Mittelstreckenverkehr, dessen Entwicklung nach den Gutachten als solide und günstig beurteilt wird, und den Aussichten für den Interkontinentalverkehr, dem nach den Gutachten nur eine realistische Entwicklungschance eingeräumt wird, bedurfte es auch der Gewichtung dieses Unterschieds. Es genügte nicht, darauf hinzuweisen, dass sich die verbleibenden Prognoseunsicherheiten im Bereich des Interkontinentalverkehrs im Rahmen dessen hielten, was im Grunde jeder lang___________ 40

Urt. vom 20.4.2005 – BVerwG 4 C 18.03 –, BVerwGE 123, 261 (272). Art. 13 Abs. 2 i.V.m. der Übersichtskarte 6.1 der Entscheidung Nr. 1692/96/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, ABl EG L Nr. 228 S. 1. 41

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fristigen Verkehrsprognose mehr oder weniger immanent sei, wenn zugleich die Unsicherheiten hier weiter reichten als in anderen Fällen. Das Oberverwaltungsgericht hatte sich für eine differenzierte Betrachtung bei der Gewichtung gleichsam den Blick verstellt, als es davon ausgegangen ist, dass den Vorhabenszielen bereits für sich ein erhebliches Gewicht zukomme. Daher war die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Das Bundesverwaltungsgericht hebt in diesem Urteil ferner hervor, dass Kohärenzsicherungsmaßnahmen das Gewicht des Integritätsinteresses mindern können. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sie einen Beitrag auch zur Erhaltung der Integrität des FFH-Gebiets leisten. Darauf ist hier nicht weiter einzugehen.

V. Begrenzung der Geldentschädigung für teure Schallschutzeinrichtungen Auch Fragen der Entschädigung haben das Bundesverwaltungsgericht sowie das Bundesverfassungsgericht in jüngster Zeit beschäftigt. Ausgangspunkt ist die Regelung in § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG. Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG hat die Planfeststellungsbehörde dem Träger des Vorhabens Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. 42 Sind solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so hat der Betroffene nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld. Mit diesen Regelungen war das Bundesverwaltungsgericht im Musterverfahren sowie in mehreren Verfahren von sog. Passivklägern zum Flughafen Berlin-Schönefeld befasst. Die Vorschriften des novellierten Fluglärmgesetzes sowie der darauf beruhenden Verordnungen waren in diesem Zusammenhang noch nicht heranzuziehen. Der Planfeststellungsbeschluss zum Flughafen Schönefeld enthält in seinem verfügenden Teil zahlreiche Auflagen, unter anderem zum Lärmschutz. Passiver Lärmschutz wird durch eine Kombination von Dauerschallpegeln und Maximalpegeln gewährt, die nicht überschritten werden dürfen. Innerhalb des Tag- und Nachtschutzgebiets haben die Träger des Vorhabens auf Antrag des Eigentümers eines Grundstücks für geeignete Schallschutzvorrichtungen an den Räumen, im Nachtschutzgebiet einschließlich geeigneter Belüftung, zu sorgen. Entscheidend ist sodann folgender Passus: Überschreiten die Kosten ___________ 42

Eine ähnliche Regelung enthält § 9 Abs. 2 LuftVG.

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für Schallschutzeinrichtungen 30 % des Verkehrswertes von Grundstück und Gebäuden mit zu schützenden Räumen, hat der Betroffene einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 30 % des Verkehrswertes. Mehrere Kläger wandten sich gegen diese Kappungsgrenze. Im Urteil vom 16. März 2006 hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsnatur des Entschädigungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG näher erläutert: 43 Die Planfeststellungsbehörde geht davon aus, dass Kosten i.H.v. mehr als 30 % des Verkehrswertes „außer Verhältnis zum angestrebten Schutzzweck stehen“. In Erläuterung und Ergänzung dieser Aussage stellt sie fest, dass „in den Fällen, in denen aufgrund der schlechten Bausubstanz der Einbau von Schallschutzfenstern nicht zu einer wesentlichen Verbesserung der Lärmsituation in Innenräumen führt, die Durchführung von Schallschutzmaßnahmen unter Kostengesichtspunkten unverhältnismäßig sein“ kann. Dass die Planfeststellungsbehörde es mit einer Entschädigung i.H.v. 30 % des Verkehrswertes von Grundstück und Gebäude bewenden lässt, hält sich in dem durch § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg abgesteckten rechtlichen Rahmen. Obwohl dies im Wortlaut, anders als in § 41 Abs. 2 BImSchG, nicht zum Ausdruck kommt, können Kostengesichtspunkte auch im Anwendungsbereich dieser Bestimmung eine Rolle spielen. Das in der Vorschrift genannte Merkmal der „Untunlichkeit“ ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers eine Ausprägung eines allgemeinen Grundsatzes des Inhalts, dass Schutzmaßnahmen nicht in Betracht kommen, wenn sie wirtschaftlich nicht vertretbar sind. 44 Anstatt Kosten aufbringen zu müssen, die außer Verhältnis zu dem mit § 9 Abs. 2 LuftVG verfolgten Schutzziel stehen würden, hat der Vorhabenträger eine „angemessene“ Entschädigung in Geld zu zahlen. Soweit sich aus § 74 Abs. 2 VwVfGBbg ein Anspruch auf Vorkehrungen des passiven Schallschutzes ableiten lässt, hat die Vorschrift von ihrer Zweckbestimmung her von vornherein ein begrenztes Anwendungsfeld. Ein Gebäude soll durch technisch-reale Maßnahmen soweit ertüchtigt werden, dass das Gebäudeinnere gegen unzumutbare Lärmeinwirkungen abgeschirmt wird. Der Ausgleich nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg ist ein Surrogat für Lärmschutzeinrichtungen und nicht als Äquivalent für Maßnahmen konzipiert, die einer Gebäudesanierung gleich oder nahe kommen. Dem Planungsträger ist es nicht verwehrt, mit Hilfe einer Kappungsgrenze zu verhindern, dass die Entschädigung dafür genutzt wird, die Bausubstanz eines Bauwerks, das sich in einem schlechten Zustand befindet, durch Verbesserungen an den verschiedensten Umfassungsbauteilen so nachhaltig zu verändern, dass das Gebäude seine ursprüngliche Identität verliert. Die im Planfeststellungsbe___________ 43 Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – Rn. 375 ff., BVerwGE 125, 116 (249 f.). 44 Vgl. die Begründung zu § 70 Abs. 2 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 7/910 S. 89.

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schluss getroffene Regelung schießt über dieses Ziel nicht hinaus. Sie trägt den Interessen der Betroffenen dadurch hinreichend Rechnung, dass sie nicht bloß auf den Gebäudewert abstellt, sondern als Wertfaktor auch das Grundstück berücksichtigt. Hiergegen haben sich Kläger in mehreren weiteren Verfahren (Passivverfahren) gewandt. Sie haben sich dabei auf grundrechtliche Gewährleistungen und die Europäische Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) berufen und erneut in grundsätzlicher Weise die Festsetzung der Kappungsgrenze in Frage gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht ist ihren Einwänden nicht gefolgt. 45 Vorschriften dieser Art sind als ausgewogene, die Belange des Vorhabenträgers wie des Betroffenen gleichermaßen wahrende Regelungen verfassungsrechtlich unbedenklich. Denn die Pflicht zur Duldung der nachteiligen Wirkungen gegen Entschädigung entfällt, wenn diese Wirkungen die Zumutbarkeitsgrenze überschreiten, die den Übergang zu einer Gefährdung verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter markiert und deshalb einen Anspruch auf Übernahme des Grundstücks begründet. Diese Grenze ist bei Geräuschimmissionen dann überschritten, wenn die Lärmbelastungen so schwerwiegend sind, dass ein Wohngrundstück seine Wohnqualität einbüßt und unbewohnbar wird oder wenn die Einwirkungen den Grad der Gesundheitsgefährdung erreichen. Sind die Beeinträchtigungen geringer, bewegen sie sich also innerhalb des Rahmens der sogenannten einfachrechtlichen Unzumutbarkeit, muss der Betroffene nach der gesetzgeberischen Entscheidung in § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG unter den dort genannten Voraussetzungen mit einer Kompensation durch Geld vorlieb nehmen. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Annahme der Planfeststellungsbehörde gebilligt, dass die verfassungsrechtlichen Schutzanforderungen bei einer Lärmbelastung durch Mittelungspegel (außen) von 70 dB(A) einsetzen. Diese Grenzmarke wurde bei den Klägern eindeutig nicht überschritten. Nicht zu folgen vermochte das Bundesverwaltungsgericht auch dem Argument der Kläger, das von ihnen bewohnte Haus lasse sich in rechtserheblicher Weise nicht vergleichen mit den Gebäuden, die der Planfeststellungsbeschluss und die Ausführungen in den Musterurteilen zur Rechtfertigung der Kappungsgrenze von 30 % im Auge gehabt hätten. Denn die betreffende Regelung erfasst auch solche Gebäude, die – wie die Kläger es für ihr Haus vorgetragen haben – trotz ihres guten baulichen Zustands infolge ihrer besonderen Bauwei___________ 45

Beschl. vom 7.5.2008 – 4 A 1009.07 –, Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 74 = NVwZ 2008, 1007.

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se nur unter besonders hohen Kosten mit wirksamen Schallschutzeinrichtungen versehen werden könnten. Der Geldausgleich ist ein Surrogat für Lärmschutzeinrichtungen und nicht als Äquivalent für Maßnahmen konzipiert, die einer grundlegenden Gebäudesanierung gleich oder nahe kommen mit der Folge, dass das Gebäude praktisch seine ursprüngliche Identität verlöre. Dabei handelt es sich um einen objektiven Maßstab, der an die Beschaffenheit des Gebäudes unabhängig davon anknüpft, auf welche Ursache diese besonders hohe Kosten erfordernde Gebäudeeigenschaften zurückzuführen sind. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Eigentümer den Zustand des Gebäudes in dem Sinne verantworten muss, dass er die gebotene Instandhaltung vernachlässigt hat und er nunmehr versucht, diese Versäumnisse durch eine entsprechende Entschädigung wettzumachen. Konkret handelte es sich um ein ursprünglich als Wohnlaube errichtetes Haus, das mit der Zeit immer weiter umgebaut wurde. Das Gebäude zeichnete sich durch eine spezifische Holzständer-Leichtbauweise aus, die im Fall des Einbaus wirksamer Schallschutzmaßnahmen (nach dem Vortrag der Kläger) außerordentlich umfangreiche bauliche Veränderungen im Bereich der Außenwände, des Dachaufbaus sowie der Fenster und Türen notwendig machte. Im Hinblick darauf, dass Bemessungsgrundlage nicht nur der Verkehrswert des Gebäudes, sondern der des gesamten Grundstücks ist, wird auch den Interessen der Betroffenen hinreichend Rechnung getragen. In aller Regel wird dies – im Einzelfall abhängig von der Relation zwischen Wert des Grundstücks und des Gebäudes – dazu führen, dass die Unverhältnismäßigkeit der zu erwartenden Aufwendungen erst bei solchen Kosten für Schallschutzmaßnahmen einsetzt, die deutlich mehr als die Hälfte des Gebäudewerts betragen. Angesichts der begrenzten Schutzrichtung der Vorschrift, die nicht eine generelle Entschädigung etwaiger Wertverluste oder sonstiger Einbußen bezweckt, sondern ein finanzielles Surrogat für die unterbleibende Anordnung von Schutzvorkehrungen vorsieht, stellt dies keine unangemessene Begrenzung dar. Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Fall entschieden, in dem geltend gemacht wurde, dass die Schwierigkeiten, mit baulichen Mitteln einen wirksamen Schallschutz zu erreichen, sich auf die Wintergärten beschränkten. Derartige Wintergärten zeichnen sich jedoch durch eine für sie typische Bauweise aus, bei der das für Wohngebäude im Übrigen maßgebliche Schalldämmmaß weder angestrebt noch erreicht wird und deren bauliche Verstärkung nicht ohne weiteres möglich ist oder auf einen Neubau des entsprechenden Gebäudeteils hinausläuft. 46

___________ 46

Gerichtsbescheid vom 31.8.2009 – 4 A 1008.07 – Rn. 22.

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Zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung konnte sich das Bundesverwaltungsgericht überdies bereits auf einen Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2009 47 stützen. Im grundsätzlichen Ansatz hebt das Bundesverfassungsgericht hervor: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt den Einzelnen nicht nur als subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Es beinhaltet auch die staatliche Pflicht, sich schützend und fördernd vor die in ihm genannten Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. Dabei lässt das Bundesverfassungsgericht offen, ob sich die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht ausschließlich auf einen Schutz der körperlichen Unversehrtheit in biologisch-physiologischer Hinsicht beschränkt oder ob sie sich auch auf den geistig-seelischen Bereich, also das psychische Wohlbefinden erstreckt oder sogar das soziale Wohlbefinden umfasst. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch selbst für den Fall, dass der Begriff der „körperlichen Unversehrtheit“ im engen Sinne auszulegen wäre, festgestellt, dass sich die staatliche Schutzpflicht mit Blick auf Fluglärm nicht schon mit der Begründung verneinen lasse, dass der durch den Betrieb von Verkehrsflughäfen entstehende Fluglärm keinerlei somatische Folgen haben könne, sondern sich in einer Beeinträchtigung des psychischen und sozialen Wohlbefindens erschöpfe. Denn zumindest in Gestalt von Schlafstörungen lassen sich Einwirkungen auf die körperliche Unversehrtheit schwerlich bestreiten. Darüber hinaus steht – so das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Musterurteil zum Flughafen Schönefeld – nach heutigem Forschungsstand fest, dass Fluglärm ab einer bestimmten Einwirkungsintensität gesundheitsgefährdende Auswirkungen hat. Daher erfordert die sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende Schutzpflicht die Ergreifung von Maßnahmen zum Schutz vor gesundheitsschädigenden und gesundheitsgefährdenden Auswirkungen von Fluglärm. 48 Dass auch eine auf Grundrechtsgefährdungen bezogene Risikovorsorge von der Schutzpflicht der staatlichen Organe umfasst werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits mehrfach zum Ausdruck gekommen. 49 Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht kann eine solche Ausgestaltung der rechtlichen Regelungen gebieten, dass auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt; ob, wann und mit welchem Inhalt eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen geboten ist, hängt von der Art, der Nähe ___________ 47

1 BvR 1616/08, NVwZ 2009, 1494. Vgl. BVerfGE 56, 54 (73 ff.); BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20.2.2008 – 1 BvR 2722/06 –, juris Rn. 78. 49 Vgl. BVerfGE 49, 89 (140 ff.); 53, 30 (57); 56, 54 (78). 48

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und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab. Grundsätzlich kommt dem Gesetzgeber bei der Erfüllung von Schutzpflichten allerdings ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum lässt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen. 50 Die Entscheidung, welche Maßnahmen geboten sind, kann deshalb nur begrenzt nachgeprüft werden. Das Bundesverfassungsgericht kann hier erst dann eingreifen, wenn der Gesetzgeber die Schutzpflicht evident verletzt hat. Nur unter besonderen Umständen kann sich diese Gestaltungsfreiheit in der Weise verengen, dass allein durch eine bestimmte Maßnahme der Schutzpflicht Genüge getan werden kann. 51 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber das Untermaßverbot zu beachten. Die Vorkehrungen des Gesetzgebers müssen für einen – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen. Die Verfassung gibt den Schutz als Ziel vor, nicht jedoch seine Ausgestaltung im Einzelnen. Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob der Gesetzgeber seinen Einschätzungsspielraum vertretbar gehandhabt hat Ist die Lärmbekämpfung nach wissenschaftlichen Erkenntnissen im Interesse der körperlichen Integrität der Bürger geboten und ist sie deshalb eine grundrechtliche Pflicht, dann kann deren Erfüllung nicht ausschließlich davon abhängen, welche Maßnahmen gegenwärtig technisch machbar sind. Maßgebliches Kriterium kann in einer am Menschen orientierten Rechtsordnung letztlich nur sein, was dem Menschen unter Abwägung widerstreitender Interessen an Schädigungen und Gefährdungen zugemutet werden darf. Eine andere Beurteilung ließe sich auch nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbaren Bei Anwendung dieser Maßstäbe gelangt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung der sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Schutzpflicht durch die in Teil A II 5.1.7 Nr. 2 des Planfeststellungsbeschlusses enthaltene Beschränkung des Geldausgleichs bei teuren Schallschutzmaßnahmen sowie ihre Billigung durch das Bundesverwaltungsgericht nicht festgestellt werden kann. Wie es sich gehört, hebt das Gericht dabei hervor, dass die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen unter Würdigung eines konkreten Sachverhalts nach ständiger Rechtsprechung in erster Li___________ 50

Vgl. jüngst zum Nichtraucherschutz: BVerfGE 121, 317 (360). Vgl. BVerfGE 56, 54 (80 f.); 77, 170 (214 f.); 79, 174 (202); BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20.2.2008 – 1 BvR 2722/06 –, juris Rn. 78. 51

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nie den dafür zuständigen Fachgerichten obliegen. Das sehen die Richter des Bundesverwaltungsgerichts ebenso. Vor diesem Hintergrund erhebt das Bundesverfassungsgericht zunächst keine Einwände gegen das System des abgestuften Lärmschutzes, den das Bundesverwaltungsgericht den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Regelungen entnimmt. Allerdings findet sich in dem Beschluss eine zumindest terminologische Klarstellung, auf die ausdrücklich hingewiesen werden soll: Wenn das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen dieses Schutzkonzeptes von einer „verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle“ ausgeht, die erst bei der Gesundheitsgefährdung einsetzt, kann nicht angenommen werden, dass die darunter angesetzte Stufe der einfachrechtlichen Zumutbarkeit sowie die Berücksichtigung der Lärmschutzbelange im Rahmen der Abwägung nicht auch dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit dienen. Dies ergibt sich aus den Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach unter bestimmten Umständen auch eine auf Grundrechtsgefährdungen bezogene Risikovorsorge von der Schutzpflicht der staatlichen Organe umfasst werden kann. 52 Wenn das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf Gefährdungen der Gesundheit durch Fluglärm von einer „verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle“ spricht, kann dies nur als eine grundsätzlich im Wege der Abwägung mit gegenläufigen Belangen nicht übersteigbare Grenze verstanden werden. Eine Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für darunter angesiedelte Lärmbelästigungen – insbesondere wenn sie Schlafstörungen hervorrufen können – wurde damit nicht ausgeschlossen. Dieser Interpretation der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch das Bundesverfassungsgericht ist zuzustimmen. Das Bundesverfassungsgericht hebt sodann nochmals hervor, dass hinsichtlich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Lärmgrenzwerte des Planfeststellungsbeschlusses eine grundsätzliche Verkennung der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht festgestellt werden kann. 53 Auch die vom Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf die Beschränkung der Entschädigung im Planfeststellungsbeschluss gebilligte Abwägung der Schutzinteressen der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit den von Art. 14 GG geschützten Interessen der vom Planfeststellungsbeschluss begünstigten Flughafenbetreiberin lässt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keinen verfassungsrechtlich relevanten Fehler erkennen.

___________ 52

Vgl. BVerfGE 49, 89 (140 ff.); 53, 30 (57); 56, 54 (78). Dabei konnte das Gericht auf seinen das Musterurteil zum Flughafen Schönefeld betreffenden Beschluss vom 20.2.2008 – 1 BvR 2722/06 – verweisen. 53

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Dabei hebt das Bundesverfassungsgericht zunächst hervor, dass der Planfeststellungsbeschluss und das Bundesverwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen sind, dass die Beschwerdeführer, deren Grundstück nicht im Entschädigungsgebiet „Übernahmeanspruch“ liegt, keinem Fluglärm ausgesetzt sein werden, der den Grad einer Gesundheitsgefährdung erreicht und deshalb die so genannte „verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle“ übersteigt. Vielmehr liegt das Grundstück der Beschwerdeführer im Tag- und Nachtschutzgebiet des Planfeststellungsbeschlusses. Die für dieses Gebiet festgesetzten Vorkehrungen zielen für die Tagzeit innerhalb eines Gebäudes auf die Abwehr unzumutbarer Kommunikationsbeeinträchtigungen sowie für die Nachtzeit auf die Vermeidung von Schlafstörungen in Form von Aufweckreaktionen und relevanten Stresshormonveränderungen. Damit dient jedenfalls die Festsetzung des Nachtschutzgebiets dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Es ist mit der sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Schutzpflicht zu vereinbaren, dass die genannten Lärmschutzziele gegen die ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen der Flughafenbetreiberin abgewogen werden. Die auf der Grundlage von § 9 Abs. 2 LuftVG erlassene, von den Vorhabenträgern zu beachtende Auflage, den betroffenen Eigentümern im Tag- und Nachtschutzgebiet passiven Schallschutz zu gewähren, knüpft an die Nutzung des Flughafengrundstücks an und berührt die Flughafenbetreiberin daher in ihrem von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrecht. 54 Die auf § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg beruhende Beschränkung der Gewährung von Schallschutzeinrichtungen für den Fall, dass die Kosten hierfür 30 % des Verkehrswertes des Grundstücks und der Gebäude überschreiten, auf einen Entschädigungsanspruch in dieser Höhe dient dem Schutz der genannten Nutzungsinteressen der Flughafenbetreiberin. Der Planfeststellungsbehörde und dem Bundesverwaltungsgericht sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bei der Abwägung dieser widerstreitenden Rechtspositionen keine verfassungsrechtlich relevanten Fehler unterlaufen. Die Beschwerdeführer werden durch die Beschränkung der von der Vorhabenträgerin zu tragenden Kosten für die Schallschutzmaßnahmen zwar erheblich in ihren finanziellen Interessen betroffen. Denn nach ihren Angaben ist davon auszugehen, dass ihnen aufgrund der angegriffenen Regelung des Planfeststellungsbeschlusses nur etwa 30.000 € er___________ 54

Dieser kurze Hinweis auf eine Grundrechtsposition des Flughafenbetreibers löste in der anschließenden Diskussion in Speyer eine kontroverse Debatte aus. Sicherlich wäre noch die Frage zu erörtern, welcher Stellenwert dieser Position im Rahmen der Abwägung zukommt.

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stattet werden, wohingegen sie für eine vollständige Lärmsanierung einen weiteren Betrag von mindestens 50.000 bis 60.000 € aufbringen müssen und das bebaute Grundstück einen Wert von etwa 105.000 € hat. Dass Aufwendungen in diesem Umfang für die Erzielung des erforderlichen Lärmschutzes erforderlich sind, beruht jedoch auf der besonderen Bauweise – in diesem Fall einer Holzständer-Leichtbauweise – des Wohnhauses der Beschwerdeführer. Der mit dieser Bauweise im Vergleich zur Regelbauweise verbundene geringere Lärmschutz ist damit im Eigentum der Beschwerdeführer von vornherein angelegt. Das Bundesverfassungsgericht sieht es nicht als zu beanstanden an, wenn das Bundesverwaltungsgericht und die Planfeststellungsbehörde davon ausgegangen sind, dass der Geldausgleich als Surrogat für Lärmschutzeinrichtungen und nicht als Äquivalent für Maßnahmen konzipiert ist, die einer grundlegenden Gebäudesanierung gleich oder nahe kommen mit der Folge, dass das Gebäude praktisch seine ursprüngliche Identität verlöre. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der fraglichen Regelung des Planfeststellungsbeschlusses ist ferner zu Recht berücksichtigt worden, dass der Wert der zugestandenen Entschädigung in der Regel deutlich mehr als die Hälfte des Gebäudewertes betragen wird, weil als Bemessungsgrundlage nicht nur der Verkehrswert der Gebäude mit zu schützenden Räumen, sondern auch der des Grundstücks herangezogen wird. Das Bundesverwaltungsgericht habe bei der Abwägung das Gewicht der Lärmschutzinteressen der Beschwerdeführer angemessen berücksichtigt. Es hätte ihnen angesichts der vorgenannten Umstände nicht Vorrang vor den Interessen der Vorhabenträgerin einräumen müssen. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass sogar der von den Beschwerdeführern auf ihrem Grundstück für die Tagzeit prognostizierte Dauerschallpegel (außen) von 65,7 dB(A) unterhalb der so genannten „verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle“ von (außen) 70 dB(A) liege und dass zusätzlich noch die Dämmwirkung, die das Gebäude der Beschwerdeführer auch ohne zusätzliche Schallschutzmaßnahmen habe, berücksichtigt werden müsse, so dass von einem gesundheitsgefährdenden Innenpegel keine Rede sein könne. Es ist nicht erkennbar, dass diese Annahme des Bundesverwaltungsgerichts unzutreffend ist, zumal sich die konkreten Lärmwerte, die für den Innenbereich des Gebäudes der Beschwerdeführer ohne die Durchführung von Lärmschutzmaßnahmen tagsüber prognostiziert werden, aus der Verfassungsbeschwerde nicht ergeben. Für die Nachtzeit, hinsichtlich derer hier die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen der Verhinderung von Schlafstörungen größeres Gewicht hat als für die Tagzeit, in der im hier relevanten Lärmbereich mit den Lärmschutzmaßnahmen vor allem Kommunikationsstörungen vermieden werden sollen, liegen keine konkreten Prognosen über die Höhe des Fluglärms auf dem Grundstück der Beschwerdeführer vor. Daher kann mit Blick hierauf auch keine Unverhältnismäßigkeit der angegriffenen Beschränkungsregelung festgestellt werden. Bezüglich des Nachtschutzes ist zudem zu berücksichtigen, dass das Bundes-

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verwaltungsgericht im hier angegriffenen Beschluss den Beklagten verpflichtet hat, über weitere Einschränkungen des Nachtflugbetriebes zu entscheiden. Auch eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG verneint das Bundesverfassungsgericht. Vorschriften, die den in der Folge einer luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung auf einem Wohngrundstück hinzunehmenden Fluglärm regeln, sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Als solche müssen sie der verfassungsrechtlich garantierten Eigentumsstellung und dem Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung tragen. Die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten sind dabei in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen 55 . Entsprechendes gilt auch für Einzelmaßnahmen der Verwaltung, wenn die Verwaltung einen Spielraum bei der Anwendung eigentumsbestimmender Normen hat. 56 Damit ist auch ein luftverkehrsrechtlicher Planfeststellungsbeschluss an den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen. Bei Anwendung dieser Vorgaben verletzt die im Planfeststellungsbeschluss enthaltene Beschränkung des Geldausgleichs bei teuren Schallschutzmaßnahmen sowie ihre Billigung durch das Bundesverwaltungsgericht nicht Art. 14 Abs. 1 GG. Die von der Eigentumsgarantie geschützten Interessen der Beschwerdeführer – insbesondere ihr Interesse an der ungestörten Nutzung ihres Wohnhauses – sind von der Planfeststellungsbehörde mit den ebenfalls von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Flughafenbetreiberin in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht worden. Die hinsichtlich Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG angestellten Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Regelung gelten insoweit entsprechend. Abschließend verneint das Bundesverfassungsgericht ferner eine Verletzung sowie Art. 13 Abs. 1 GG. Dabei verweist es zugleich auf Art. 8 EMRK und bemüht sich um den Gleichklang mit dem Recht der Menschenrechtskonvention.

VI. Schluss Die Rechtsprechung zum Fachplanungsrecht im Allgemeinen und Luftverkehrsrecht im Besonderen wirft weiterhin zahlreiche interessante Fragen auf. Der Einfluss des Europarechts nimmt immer mehr zu. In neuerer Zeit sind einige wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergangen; auf eine ___________ 55

Vgl. BVerfGE 79, 174 (191 ff., 198) in Bezug auf Straßenverkehrslärm. Vgl. BVerfGE 53, 352 (357 f.); 68, 361 (372); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 14 Rn. 51. 56

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bin ich ausführlicher eingegangen. 57 Die Materie gäbe noch reichlich Gelegenheit zu weiteren Darlegungen. Die, wie stets, auch hier vorzunehmende Abwägung gebietet jedoch, die Zuhörer – und die Leser – nicht weiter zu strapazieren.

___________ 57

Auf den erst nach dem Vortrag bekannt gewordenen Beschluss des BVerfG vom 23.2.2010 – 1 BvR 2736/08 – kann hier nicht eingegangen werden.

Artenschutz in der Planfeststellung Von Ulrich Storost

I. Einleitung „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Art. 20a GG normiert dieses Rechtsprinzip mit Verfassungsrang und weist die Aufgabe seiner Konkretisierung den Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung zu. Ich will Ihnen berichten, wie die Rechtsprechung sich bemüht, dieser Aufgabe im Konflikt zwischen dem, was wünschenswert und dem, was realistisch ist, mit ihren Mitteln gerecht zu werden. Dabei werde ich mich auf einen Ausschnitt des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen beschränken, nämlich den Artenschutz. Mit diesem juristischen Begriff bezeichnet man die Gesamtheit der Vorschriften, die dem Schutz und der Pflege der wild lebenden Tier- und Pflanzenarten in ihrer natürlichen und historisch gewachsenen Vielfalt dienen. Auch dieser Ausschnitt ist allerdings noch zu grob, um Ihnen in der mir zur Verfügung stehenden Zeit einen nützlichen Einblick in die Konkretisierungsarbeit der Rechtsprechung zu vermitteln. Ich muss ihn deshalb auf die Anwendung der artenschutzrechtlichen Vorschriften durch die planende Verwaltung im Rahmen der Planfeststellung für Infrastrukturvorhaben beschränken. Für die Infrastrukturplanung kann der gemeinschaftsrechtlich gebotene Habitatschutz im Einzelfall eine sehr hohe Hürde bilden, die auch durch „nachhaltige Trauerarbeit mit echten Krokodilstränen“ 1 nur schwer zu überwinden ist 2 . Etwas niedriger liegt die Hürde des Artenschutzrechts, die erst in den letzten Jahren in den Blickpunkt des Fachplanungsrechts gerückt ist. Dabei stehen die ___________ 1 Vgl. Krautzberger/Stüer, DVBl 2004, 914 ff., 924; Hien, in: Dokumentation zur 28. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e.V. Leipzig 2004, S. 13 ff., 19 f. 2 Vgl. Vallendar, UPR 2008, 1 ff., 2; Storost, DVBl 2009, 673 ff .

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rechtlichen Anforderungen des Habitatschutzes und des Artenschutzes grundsätzlich selbständig nebeneinander und dürfen – was oft übersehen wird – nicht miteinander vermengt werden 3 . Rechtspolitisch ist dies unbefriedigend, da der Habitatschutz bereits selbst in erheblichem Maße dem Artenschutz dient. Ohne eine dahin gehende Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union wird man jedoch den Habitatschutz nicht als speziellere und damit abschließende Regelung ansehen können 4 .

II. Europarechtliche Vorgaben Damit sind wir beim Kern des Problems angelangt, das den Verwaltungen und Gerichten soviel Kopfzerbrechen bereitet: Das Artenschutzrecht steht nicht mehr allein in der Kompetenz des Bundes- oder gar Landesgesetzgebers, sondern unterliegt zum Schutz des gemeinsamen Erbes der Mitgliedstaaten der Europäischen Union strengen Mindestvorgaben des Europarechts. Diese sind in zwei Richtlinien enthalten, die inhaltlich aus verschiedenen Entwicklungsstadien der europäischen Rechtsetzung stammen und dementsprechend nur unzureichend aufeinander abgestimmt sind, nämlich der Habitatrichtlinie von 1992 5 und der Vogelschutzrichtlinie von 1979, die jetzt in einer Neufassung von 2009 gilt 6 . Für die verbindliche Auslegung dieser Richtlinien sind nicht die deutschen Gerichte zuständig, sondern allein der Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg. Wird eine Frage der Auslegung dieser Richtlinien in einem schwebenden Verfahren bei einem deutschen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können, und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so ist dieses Gericht nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht nur dann nicht, wenn bereits eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs vorliegt oder die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt 7 . Das darf bei der kritischen Beurteilung von Entscheidun___________ 3

Vgl. BVerwG, Urt. vom 9.7.2008 – BVerwG 9 A 14.07 –, BVerwGE 131, 274 ff., Rn. 57. 4 So aber Dolde, NVwZ 2008, 121 ff., 125; Philipp, NVwZ 2008, 593 ff., 595. 5 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7). 6 Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 20 vom 26.1.2010, S. 7). 7 EuGH, Urt. vom 6.10.1982 – Rs. 238/81 –, Slg. 1982, 3415 ff.

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gen deutscher Gerichte zum Habitat- und Artenschutz nicht aus dem Blick verloren werden: Es hat keinen Sinn, den Sack zu schlagen, wenn man den Esel treiben will. Der Verlust nationaler Souveränität im Artenschutzrecht ist in Deutschland erst durch ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 10. Januar 2006 8 ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt. Diesem Urteil kommt für den Artenschutz ähnlich grundlegende Bedeutung zu wie dem Urteil vom 7. September 2004 9 zur Herzmuschelfischerei für den Habitatschutz. Gegenstand der Entscheidung von 2006 war die damalige Ausnahmeregelung des § 43 Abs. 4 BNatSchG. Danach galten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote des § 42 Abs. 1 und 2 BNatSchG a.F. u.a. nicht für den Fall, dass die danach verbotenen Handlungen bei der Ausführung eines nach § 19 BNatSchG a.F. zugelassenen Eingriffs vorgenommen werden, soweit hierbei Tiere einschließlich ihrer Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten und Pflanzen der besonders geschützten Arten nicht absichtlich beeinträchtigt werden. Bereits 2005 hatte der Gerichtshof eine britische Ausnahmeregelung beanstandet, nach der Handlungen, die den Tod von Tieren oder geschützten Arten oder die Beschädigung oder Zerstörung ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten verursachen, zulässig waren, wenn diese Handlungen als solche rechtmäßig waren: Eine solche Ausnahme, die auf der Rechtmäßigkeit der Handlung beruht, laufe Geist und Zweck der Habitatrichtlinie und dem Buchstaben von Art. 16 dieser Richtlinie zuwider 10 . Im Urteil vom 10. Januar 200611 stand dann § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. aufgrund einer Vertragsverletzungsklage der Kommission auf dem Prüfstand des Gerichtshofs. Dabei bekräftigte er seine bereits im genannten Verfahren zum britischen Recht geäußerte Auffassung, dass das in Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie normierte Verbot jeder Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten der in Anhang IV Buchst. a dieser Richtlinie genannten Tierarten nicht nur absichtliche, sondern auch unabsichtliche Handlungen erfasse 12 . Damit war § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. offensichtlich unvereinbar. Ebenso bekräftigte der Gerichtshof seine Auffassung, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Habitatrichtlinie, die komplexe und technische Regelungen auf dem Gebiet des Umweltschutzrechts enthalte, in besonderer Weise dafür sorgen müssten, dass ihre der Umsetzung dieser Richtlinie dienenden Rechtsvorschriften klar und bestimmt seien. § 43 Abs. 4 ___________ 8

Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53 ff. Rs. C-127/02, Slg. 2004, I-7405 ff. 10 EuGH, Urt. vom 20.10.2005 – Rs. C-6/04 –, Slg. 2005, I-9017 ff., Rn. 113. 11 Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53 ff. 12 Ebd., Rn. 55. 9

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BNatSchG sei damit unvereinbar, weil er für den Fall, dass Handlungen bei der Ausführung eines nach § 19 BNatSchG zugelassenen Eingriffs vorgenommen werden, nicht die Erfüllung aller Voraussetzungen des Art. 16 der Richtlinie sicherstelle 13 . Durch diese Rechtsprechung wurde zur Überraschung der deutschen umweltrechtlichen Öffentlichkeit klargestellt, dass das europäische Artenschutzrecht nicht nur für Jäger, Fallensteller und Strandurlauber 14 , sondern auch für die staatliche Genehmigungspraxis bei artenschutzrelevanten Vorhaben Geltung beansprucht. Das galt nunmehr auch für die sonstigen zu diesem Rechtsgebiet ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs, die bis dahin die Planungsrechtler kaum interessiert hatten. Danach ermächtigt Art. 2 der Vogelschutzrichtlinie mit seiner Bezugnahme auf die wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernisse die Mitgliedstaaten nicht, von den Verboten des Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie abzuweichen 15 . Vielmehr unterliegt die Möglichkeit einer solchen Abweichung drei Bedingungen 16 : Erstens muss der Mitgliedstaat die Abweichung auf den Fall beschränken, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt. Zweitens muss die Abweichung mindestens auf einem der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a, b und c abschließend aufgeführten Gründe beruhen. Drittens muss die Abweichung den in Art. 9 Abs. 2 genannten strengen Formkriterien entsprechen, die Abweichungen auf das unbedingt Notwendige beschränken und ihre Überwachung durch die Kommission ermöglichen sollen. Entsprechend geht der Gerichtshof davon aus, dass Art. 16 der Habitatrichtlinie die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten von den Art. 12 bis 15 Buchst. a und b dieser Richtlinie abweichen dürfen, genau festlegt und daher restriktiv auszulegen ist 17 . Danach ist jede Maßnahme, durch die von den Verboten der Richtlinie abgewichen wird, erstens davon abhängig zu machen, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt 18 . Zweitens ist der günstige Erhaltungszustand der Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet eine unabdingbare Voraussetzung für die Zulassung der in Art. 16 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen 19 . Drittens muss ___________ 13

Ebd., Rn. 61. Dazu – noch ohne Bildung von Obersätzen – EuGH, Urt. vom 30.1.2002 – Rs. C103/00 –, Slg. 2002, I-1147 ff., Rn. 36. 15 EuGH, Urt. vom 8.7.1987 – Rs. 247/85 –, Slg. 1987, 3029 ff. Rn. 8, 42; Urt. vom 8.7.1987 – Rs. 262/85 –, Slg. 1987, 3073 ff., Rn. 8. 16 EuGH, Urt. vom 8.7.1987 – Rs. 247/85 –, Slg. 1987, 3029 ff. Rn. 7; Urt. vom 8.7.1987 – 262/85 –, Slg. 1987, 3073 ff., Rn. 7; Urt. vom 7.3.1996 – Rs. C-118/94 –, Slg. 1996, I-1223 ff., Rn. 21. 17 EuGH, Urt. vom 20.10.2005 – Rs. C-6/04 –, Slg. 2005, I-9017 ff., Rn. 111. 18 EuGH, Urt. vom 10.5.2007 – Rs. C-508/04 –, Slg. 2007, I-3787 ff., Rn. 111. 19 Ebd., Rn. 115. 14

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die Abweichung einem der in Art. 16 Abs. 1 Buchst. a bis e abschließend aufgeführten Zwecke dienen. Wenn eine Abweichung von den artenschutzrechtlichen Verboten der Richtlinien in einem Planfeststellungsbeschluss zugelassen werden soll, muss dieser Beschluss hiernach mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sein, in der auf die in Art. 9 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie bzw. Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie genannten Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird 20 . Noch nicht abschließend geklärt ist in diesem Zusammenhang die in Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie genannte Bedingung, „dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen“. Der Wortlaut scheint beim Fehlen eines günstigen Erhaltungszustands jede Abweichung von Art. 12 der Richtlinie auszuschließen. Einem solchen absoluten Schutz wollen die maßgeblichen Exegeten in Brüssel und Luxemburg jedoch nicht das Wort reden. Kommission, Generalanwältin und der Gerichtshof selbst neigen in Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit wohl der Annahme zu, dass der Richtlinientext insoweit eine Lücke aufweist, die durch eine am Ziel des günstigen Erhaltungszustands orientierte teleologische Reduktion geschlossen werden muss. Der Gerichtshof hält dann, wenn die genannte Bedingung nicht erfüllt ist, die in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen für „unter außergewöhnlichen Umständen“ zulässig, „wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass sie den ungünstigen Erhaltungszustand der Populationen der betroffenen Art nicht verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindern können“ 21 . Zur Begründung dieses reichlich sibyllinischen Obersatzes bezieht er sich auf Erwägungen der Kommission in den Nrn. 47 bis 51 des Abschnitts III ihres Leitfadens zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der Habitatrichtlinie 22 , wonach die Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit auf Ausnahmeregelungen nur im Rahmen von klaren und detaillierten Artenschutzmaßnahmen erfolgen kann. In einem Urteil vom 18. Mai 2006 23 stellte der Gerichtshof zudem fest, dass das Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Habitatrichtlinie nur verwirklicht sein könne, wenn nachgewiesen sei, dass der Handelnde den Fang oder die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tier___________ 20 Vgl. EuGH, Urt. vom 7.3.1996 – Rs. C-118/94 –, Slg. 1996, I-1223 ff., Rn. 21; Urt. vom 16.10.2003 – Rs. C-182/02 –, Slg. 2003, I-12105 ff., Rn. 13; Urt. vom 8.6.2006 – Rs. C-60/05 –, Slg. 2006. I-5083 ff., Rn. 34; Urt. vom 14.6.2007 – Rs. C342/05 –, Slg. 2007, I-4713 ff., Rn. 25. 21 EuGH, Urt. vom 14.6.2007 – Rs. C-342/05 –, Slg. 2007, I-4713 ff., Rn. 29. 22 Endgültige Fassung Februar 2007. 23 Rs. C-221/04 (Kommission ./. Spanien), Slg. 2006, I-4515 ff.

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art gewollt oder zumindest in Kauf genommen hat 24 . Wer also trotz Hinweisen auf geschützte Arten diese in der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie aufgeführten Weise schädigt, wird sich nicht damit verteidigen können, die Beeinträchtigung sei nicht absichtlich erfolgt 25 . Bei der behördlichen Zulassung eines Vorhabens dürfte entscheidend sein, ob die Behörde von dem Risiko einer solchen Schädigung ausgehen muss. Ist dies der Fall, darf sie sich nicht ohne weitere Ermittlungen darüber hinwegsetzen. Das gilt erst recht für die durch Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie ohne das Erfordernis der Absicht verbotene Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungsoder Ruhestätten. Dass diese Rechtsprechung nur für die Habitatrichtlinie, nicht aber für Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie gelten sollte, liegt eher fern26 .

III. Bundesrechtliche Umsetzung 1. Verbotstatbestände Den Beanstandungen des Gerichtshofs im Urteil vom 10. Januar 2006 hat der deutsche Bundesgesetzgeber durch ein Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Rechnung tragen wollen, das insoweit am 18. Dezember 2007 in Kraft getreten ist. Die entsprechenden Regelungen wurden inhaltlich im wesentlichen unverändert in das seit dem 1. März 2010 geltende neue Bundesnaturschutzgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landespflege vom 29. Juli 2009 übernommen. Dazu gehört der rechtspolitisch wenig befriedigende Versuch, den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben durch ein unterschiedliches Schutzniveau für europäisch geschützte Arten einerseits und rein national geschützte Arten andererseits nachzukommen 27 : Sind nur letztere betroffen, liegt gemäß § 44 Abs. 5 Satz 5 BNatSchG n.F. bei Handlungen zur Durchführung eines nach § 15 BNatSchG n.F. zulässigen Eingriffs in Natur und Landschaft oder eines nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs zulässigen Vorhabens im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, während der Planaufstellung und im unbeplanten Innenbereich kein Verstoß gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote des § 44 BNatSchG n.F. vor. Im Ergebnis bleibt damit die Privilegierung solcher Eingriffe durch § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. insoweit in Kraft und ___________ 24

Ebd., Rn. 71. Vgl. Sobotta, NuR 2007, S. 642 ff., 643. 26 Vgl. Philipp, NVwZ 2008, 593 ff., 595. 27 Kritisch dazu etwa Louis, NuR 2008, 65 ff., 66; Czybulka, EurUP 2008, 20 ff., 24; Lau/Steeck, NuR 2008, 386 ff., 395. 25

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wird sogar noch ausgeweitet, was sicher kein Beitrag zur Rechtsvereinfachung ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zur Neufassung der Verbotstatbestände inzwischen mehrfach geäußert, so dass es Zeit wird, insoweit Bilanz zu ziehen. Zunächst hat es die allgemeine Aussage getroffen, dass sich die für den Habitatschutz geltenden strengen Anforderungen an die Ermittlung der FFHVerträglichkeit nicht ohne Abstriche auf den allgemeinen Artenschutz übertragen lassen. Ein den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie vergleichbares formalisiertes Prüfungsverfahren kenne der allgemeine Artenschutz nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend sei eine am Maßstab praktischer Vernunft ausgerichtete Prüfung. Wegen des individuumsbezogenen Ansatzes der Verbotstatbestände benötige die Planfeststellungsbehörde jedenfalls Daten, denen sich in Bezug auf das Plangebiet die Häufigkeit und Verteilung der geschützten Arten sowie deren Lebensstätten entnehmen ließen. Das verpflichte die Behörde nicht, ein lückenloses Arteninventar zu fertigen. Art und Umfang, Methodik und Untersuchungstiefe der erforderlichen Untersuchungen ließen sich mangels normativer Festlegung nur allgemein umschreiben. Diese müssten so weit gehen, dass Intensität und Tragweite der Beeinträchtigungen erfasst werden könnten, und hingen maßgeblich von den naturräumlichen Gegebenheiten im Einzelfall sowie von Art und Ausgestaltung des Vorhabens ab 28 . Regelmäßig erforderlich seien die Auswertung bereits vorhandener Erkenntnisse und eine Bestandserfassung vor Ort, deren Methodik und Intensität von den konkreten Verhältnissen im Einzelfall abhänge. Erst durch eine aus beiden Quellen gewonnene Gesamtschau könne sich die Planfeststellungsbehörde regelmäßig die erforderliche hinreichende Erkenntnisgrundlage verschaffen. Ließen allgemeine Erkenntnisse zu artspezifischen Verhaltensweisen, Habitatansprüchen und dafür erforderlichen Vegetationsstrukturen sichere Rückschlüsse auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter Arten zu, sei es nicht zu beanstanden, wenn die Planfeststellungsbehörde daraus entsprechende Schlussfolgerungen ziehe. Diese bedürften der plausiblen, naturschutzfachlich begründeten Darlegung. Ebenso sei es zulässig, mit Prognosewahrscheinlichkeiten, Schätzungen und, sofern der Sachverhalt dadurch angemessen

___________ 28 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 –, BVerwGE 130, 299 ff., Rn. 243; Beschl. vom 13.3.2008 – BVerwG 9 VR 9.07 –, Buchholz 451.91 Europ.UmweltR Nr. 33 Rn. 31; Urt. vom 9.7.2008 – BVerwG 9 A 14.07 –, BVerwGE 131, 274 ff., Rn. 54 ff.; Urt. vom 18.3.2009 – BVerwG 9 A 39.07 –, BVerwGE 133, 239 ff., Rn. 43, 52; Urt. vom 9.7.2009 – BVerwG 4 C 12.07 –, NVwZ 2010, 123 ff., Rn. 44 f.; Urt. vom 12.8.2009 – BVerwG 9 A 64.07 – Rn. 37.

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erfasst werden kann, mit „Worst-Case-Betrachtungen“ zu arbeiten, also konkrete negative Auswirkungen des Vorhabens als wahr zu unterstellen 29 . Sowohl die Bestandserfassung als auch die daran anschließende Beurteilung, ob und inwieweit naturschutzrechtlich relevante Betroffenheiten vorliegen, seien auf ökologische Bewertungen angewiesen, für die normkonkretisierende Maßstäbe und verbreitet auch gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Standards fehlten. Deshalb stehe der Planfeststellungsbehörde insoweit eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu. Deren gerichtliche Kontrolle sei darauf beschränkt, ob die auf fachgutachtliche Stellungnahmen gestützten Annahmen der Planfeststellungsbehörde im Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem unzulänglichen oder gar ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen 30 . Der Gedanke eines nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Beurteilungsspielraums der zuständigen innerstaatlichen Stellen ist eine spezifisch deutsche Zauberformel für richterliche Selbstbeschränkung. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist diese Formel leider noch nicht verankert 31 . Es handelt sich um eine Gratwanderung zwischen dem, was den Gerichten verfassungs- und europarechtlich geboten, und dem, was ihnen nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung tatsächlich möglich ist. Wegen der hohen Komplexität und Dynamik der in Rede stehenden Materie stößt die Rechtsprechung hier an ihre Funktionsgrenzen. Art. 19 Abs. 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip gewährleisten zwar die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Dazu gehört, dass der Richter hinreichende Prüfungsbefugnis über die tatsächliche und rechtliche Seite eines Rechtsschutzbegehrens hat und über zureichende Entscheidungsmacht verfügt, um einer erfolgten oder drohenden Rechtsverletzung wirksam abzuhelfen. Jedoch kann die gerichtliche Überprüfung nicht weiter reichen als die materiellrechtliche Bindung der Exekutive. Die gerichtliche Kontrolle endet also dort, wo das materielle Recht der Exekutive in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Entscheidungen abverlangt, ohne dafür hinreichend bestimmte Entscheidungsprogramme vorzugeben 32 . In welchem Fall das materielle Recht das Entscheidungsverhalten der Verwaltung nicht vollständig determiniert, sondern dem Entscheider einen begrenzten Ein___________ 29 BVerwG, Urt. vom 9.7.2008 – BVerwG 9 A 14.07 –, BVerwGE 131, 274 ff., Rn. 59 ff.; Urt. vom 18.3.2009 – BVerwG 9 A 39.07 –, BVerwGE 133, 239 ff., Rn. 44 f.; Urt. vom 12.8.2009 – BVerwG 9 A 64.07 – Rn. 38. 30 BVerwG, Urt. vom 9.7.2008, a.a.O., Rn. 64 f.: Urt. vom 18.3.2009, a.a.O., Rn. 45; Beschl. vom 28.12.2009 – BVerwG 9 B 26.09 – Rn. 18. 31 Skeptisch dazu deshalb Vallendar, UPR 2010, 1 ff., 5 f. 32 BVerfG, Beschl. vom 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 –, BVerfGE 88, 40 ff., 61; Urt. vom 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 –, BVerfGE 103, 142 ff., 156 f.; Beschl. vom 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 –, BVerfGE 116, 1 ff., 18.

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schätzungs- und Auswahlspielraum belässt, ist durch Auslegung der betreffenden gesetzlichen Regelung 33 zu ermitteln. Allerdings kann sich auch dann die Letztentscheidungsbefugnis der Behörde nur auf die konkrete Rechtsanwendung – die Subsumtion – und nicht auf die Beurteilung der rechtlichen Maßstäbe, das heißt deren Auslegung und deren Rechtmäßigkeit, beziehen. Die Interpretation der generell-abstrakten Rechtsnorm und der in ihr enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe ist originäre Funktion der rechtsprechenden Gewalt, nicht Aufgabe der Verwaltung 34 . Deshalb entbindet die Zurücknahme der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte durch Einräumung einer naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative die Verwaltung im Streitfall nicht von der nachprüfbaren Darlegung, dass sie den rechtlichen Vorgaben und dem für deren Konkretisierung wesentlichen Erkenntnis- und Erfahrungsstand Rechnung getragen hat. Zu den einzelnen Verbotstatbeständen hat das Bundesverwaltungsgericht folgende Grundsätze herausgearbeitet: Der Tatbestand des Tötungsverbots (jetzt § 44 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BNatSchG) ist trotz seines Individuenbezugs bei der Gefahr von Kollisionen im Straßenverkehr nur dann erfüllt, wenn sich durch das Straßenbauvorhaben das Kollisionsrisiko in einer für die betroffene Tierart signifikanten Weise erhöht 35 . Davon könne nur ausgegangen werden, sofern es – erstens – um Tiere solcher Arten geht, die aufgrund ihrer Verhaltensweisen gerade im Bereich des Vorhabens ungewöhnlich stark von den Risiken des dadurch verursachten Verkehrs betroffen sind, und – zweitens – diese besonderen Risiken sich nicht durch die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens einschließlich der geplanten Vermeidungs- oder Minderungsmaßnahmen beherrschen lassen 36 . Auch insoweit stehe der sachverständig beratenen Planfeststellungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, die nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle zugänglich sei37 . Das Störungsverbot verbietet in seiner Neufassung gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG, wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwin___________ 33 Z.B. der Planungsermächtigung des § 17 FStrG in den Grenzen der §§ 44, 45 BNatSchG. 34 BVerfG, Beschl. vom 10.12.2009 – 1 BvR 3151/07 –. 35 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 –, BVerwGE 130, 299 ff., Rn. 219; Urt. vom 9.7.2008 – BVerwG 9 A 14.07 –, BVerwGE 131, 274 ff., Rn. 90 f.; Urt. vom 18.3.2009 – BVerwG 9 A 39.07 –, BVerwGE 133, 239 ff., Rn. 58; Urt. vom 13.5.2009 – BVerwG 9 A 73.07 –, NVwZ 2009, S. 1296 ff., Rn. 86; Urt. vom 12.8.2009 – BVerwG 9 A 64.07 – Rn.56. 36 BVerwG, Urt. vom 18.3.2009, a.a.O., Rn. 58. 37 BVerwG, Urt. vom 13.5.2009, a.a.O., Rn. 87; Beschl. vom 28.12.2009 – BVerwG 9 B 26.09 – Rn. 18.

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terungs- und Wanderungszeiten 38 erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert. Zweifeln an der Europarechtskonformität dieser populationsbezogenen Erheblichkeitsschwelle hat das Bundesverwaltungsgericht eine Absage erteilt 39 : Mit den Vorgaben der Habitatrichtlinie stehe die neue Rechtslage in Einklang, weil auch der entsprechende Störungstatbestand des Art. 12 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie nur Störungen der „Art“ verbiete im Gegensatz zur Tötung von „Exemplaren dieser Arten“ in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und daher ebenfalls einen art- bzw. populationsbezogenen Ansatz aufweise 40 . Nichts anderes gelte für den Störungstatbestand des Art. 5 Buchst. d der Vogelschutzrichtlinie, der eine Störung nur verbietet, sofern sie sich auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirkt; das sei mit Blick auf das Ziel der Erhaltung der wildlebenden Vogelarten sowie auf das Verschlechterungsverbot des Art. 13 der Richtlinie nicht der Fall, wenn der aktuelle Erhaltungszustand der betroffenen Arten sichergestellt ist 41 . Dies setze europarechtlich nicht den Schutz jeder lokalen Population voraus, sondern bedürfe einer „gebietsbezogenen Gesamtbetrachtung“, bei der der Planfeststellungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zustehe 42 . Bewirke eine Störung keine Verschlechterung des Erhaltungszustands der lokalen Population, so folge daraus, dass sich die Störung nicht auf die Zielsetzung der Vogelschutzrichtlinie auswirke 43 . Der Störungstatbestand selbst kann nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur durch bau- oder betriebsbedingte akustische oder optische Störwirkungen auf die geschützten Tiere 44 , sondern auch durch Trennwirkungen erfüllt werden, die – unter Berücksichtigung der vorgesehenen Schadensvermeidungs- und -minderungsmaßnahmen – von der vorgesehenen Trasse ausgehen 45 . ___________ 38 Zweifel an der Europarechtskonformität dieser zeitlichen Beschränkung des Störungsverbots äußern Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 ff., 349 sowie Lau/Steeck, NuR 2008, 386 ff., 393. 39 BVerwG, Urt. vom 18.3.2009, Rn. 83; Urt. vom 12.8.2009 – BVerwG 9 A 64.07 – Rn. 89. 40 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008, a.a.O., Rn. 237; Urt. vom 9.7.2008, a.a.O., Rn. 104; Urt. vom 13.5.2009, a.a.O., Rn. 92; Urt. vom 12.8.2009, a.a.O., Rn. 89. Kritisch dazu Gellermann, NuR 2009, 8 ff., 12. 41 BVerwG, Urt. vom 21.6.2006 – BVerwG 9 A 28.05 –, BVerwGE 126, 166 ff. Rn. 44; Urt. vom 12.3.2008, a.a.O., Rn. 248; Urt. vom 9.7.2008, a.a.O., Rn. 104, 117; Urt. vom 12.8.2009, a.a.O., Rn. 89. 42 BVerwG, Urt. vom 21.6.2006, a.a.O., Rn. 44. 43 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008, a.a.O., Rn. 249, 260. 44 BVerwG, Urt. vom 12.8.2009, a.a.O., Rn. 90. 45 BVerwG, Urt. vom 9.7.2008, a.a.O., Rn. 105. Ähnlich Sobotta, NuR 2007, 642 ff., 644 (Störung durch Beeinträchtigung für den weiteren Bestand eines Vorkommens

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Zur Konzeption des Gesetzgebers, dem in § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG enthaltenen Verbot, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, durch § 44 Abs. 5 Satz 1 bis 3 BNatSchG eine funktionsbezogene Erheblichkeitsschwelle einzuziehen, hat sich das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls geäußert. Nach dieser Regelung soll bei nach § 15 BNatSchG zulässigen Eingriffen, zu denen auch Straßenbauvorhaben gehören, soweit streng geschützte Arten der wild lebenden Tiere oder europäische Vogelarten betroffen sind, ein Verstoß gegen das Verbot des Abs. 1 Nr. 3 und im Hinblick auf damit verbundene unvermeidbare Beeinträchtigungen auch gegen das insbesondere den Fang, die Verletzung oder die Tötung von Individuen betreffende Verbot des Abs. 1 Nr. 1 46 nicht vorliegen, soweit die ökologische Funktion der von dem Eingriff betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird; hierfür können, soweit erforderlich, auch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen festgesetzt werden. Im Anwendungsbereich dieser Regelung hat die Verbotsprüfung demnach zweistufig zu erfolgen: Auf der ersten Stufe stellt sich die Frage, ob auf eine Fortpflanzungsoder Ruhestätte mit einer der genannten Tathandlungen eingewirkt wird. Ob und inwieweit auch mittelbare Einwirkungen – z.B. durch Straßenlärm oder den Verlust essentieller Nahrungshabitate oder Wanderkorridore – aufgrund funktionaler Erwägungen den Beschädigungs- oder Zerstörungstatbestand erfüllen können, hat das Bundesverwaltungsgericht bisher nicht ausdrücklich entschieden 47 . Auf der zweiten Stufe sind die Konsequenzen in den Blick zu nehmen, die mit der Einwirkung für die Funktion verbunden sind, die die betroffene Lebensstätte für die sie nutzenden Tiere erfüllt. Das Beschädigungs- und Zerstörungsverbot schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch nach der Neuregelung nicht den Lebensraum besonders geschützter Arten insgesamt, also nicht etwa ihr gesamtes Jagd- oder Nahrungsrevier, sondern nur die ausdrücklich bezeichneten Lebensstätten, die durch bestimmte Funktionen für die jeweilige Art geprägt sind, einschließlich der Lebensstrukturen und am Standort vorhandenen besonderen Gegebenheiten, deren es zur Erfüllung dieser Funktionen bedarf 48 . In zeitlicher ___________ notwendiger Lebensräume). Ablehnend Gellermann, NuR 2009, 85 ff., 87; Louis, NuR 2009, 31 ff., 95. 46 Kritisch dazu insbesondere Sobotta, NuR 2007, 642 ff., 645; Gellermann, NuR 2007, 783 ff., 788; Möckel, ZUR 2008, 57 ff., 60, 63; Lau/Steeck, NuR 2008, 386 ff., 394. Differenzierend de Witt, in: Handbuch des öffentlichen Baurechts, Z III, Rn. 45. 47 Vgl. BVerwG, Urt. vom 12.8.2009, a.a.O., Rn. 72. Bejahend de Witt, in: Handbuch des öffentlichen Baurechts, Z III, Rn. 37. Verneinend Louis, NuR 2009, 91 ff., 95. 48 Vgl. BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 –, BVerwGE 130, 299 ff., Rn. 222; Beschl. vom 13.3.2008 – BVerwG 9 VR 9.07 –, Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 33 Rn. 29; Urt. vom 18.3.2009 – BVerwG 9 A 39.07 –, BVerwGE 133, 239 ff., Rn. 66.

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Hinsicht betreffe die Verbotsnorm primär die Phase aktueller Nutzung der Lebensstätte. Unter Berücksichtigung des Zwecks, die Funktion der Lebensstätte für die geschützte Art zu sichern, sei dieser Schutz auszudehnen auf Abwesenheitszeiten der sie nutzenden Tiere einer Art, sofern nach den Lebensgewohnheiten der Art eine regelmäßig wiederkehrende Nutzung zu erwarten ist 49 . Bloß potentielle, d.h. nicht genutzte, sondern nur zur Nutzung geeignete Lebensstätten fielen nicht unter den Verbotstatbestand, weil es an dem insoweit vorausgesetzten Individuenbezug fehle 50 . Entsprechendes gelte für Lebensstätten nicht standorttreuer Arten, nachdem sie von diesen verlassen worden sind 51 . Der Individuenbezug auch dieses Verbotstatbestandes bleibe von der Neuregelung unberührt. Geschützt ist danach der als Ort der Fortpflanzung oder Ruhe dienende Gegenstand, z.B. einzelne Nester oder Höhlenbäume, und zwar allein wegen dieser ihm zukommenden Funktion. Der in § 44 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG vorausgesetzte volle Funktionserhalt sei nicht schon dann gegeben, wenn der Eingriff keine messbaren Auswirkungen auf die Reproduktionsbedingungen bzw. Rückzugsmöglichkeiten der lokalen Population als ganzer hat, sondern erst dann, wenn für die mit ihren konkreten Lebensstätten betroffenen Exemplare einer Art die von der jeweiligen Lebensstätte wahrgenommene Funktion vollständig erhalten bleibt, also z.B. dem in einem Brutrevier ansässigen Vogelpaar weitere geeignete Nistplätze in seinem Brutrevier zur Verfügung stehen oder durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen ohne zeitlichen Bruch bereitgestellt werden 52 . Dasselbe gelte z.B. für Fledermausarten, die einen Verbund von mehreren Höhlenbäumen nutzen, zwischen denen sie regelmäßig wechseln, wenn im Falle der Rodung einzelner Bäume dieses Verbundes deren Funktion von den verbleibenden Bäumen oder durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen im räumlichen Zusammenhang weiter erfüllt werden kann 53 . Die Vereinbarkeit der Neuregelung mit dem Europarecht hat das Bundesverwaltungsgericht „jedenfalls in wesentlichen Anwendungsbereichen“ bejaht 54 . Mit der funktionsbezogenen Regelung des § 44 Abs. 5 Satz 2 und 3 BNatSchG habe sich der Gesetzgeber an für die Auslegung des Europarechts ___________ 49

Vgl. BVerwG, Urt. vom 21.6.2006 – BVerwG 9 A 28.05 –, BVerwGE 126, 166 ff., Rn. 33; Urt. vom 12.3.2008, a.a.O., Rn. 222; Beschl. vom 13.3.2008 a.a.O. Rn. 28 f.; Urt. vom 18.3.2009, a.a.O., Rn. 66. 50 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 a.a.O.; Urt. vom 9.7.2008, a.a.O., Rn. 100; Urt. vom 18.3.2009, a.a.O., Rn. 73; Urt. vom 12.8.2009 – BVerwG 9 A 64.07 – Rn. 68. 51 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008, a.a.O., Rn. 222. 52 BVerwG, Urt. vom 18.3.2009, a.a.O., Rn. 67. 53 BVerwG, Urt. vom 12.8.2009, a.a.O., Rn. 68. 54 BVerwG. Urt. vom 9.7.2008 – BVerwG 9 A 14.07 –, BVerwGE 131, 274 ff., Rn. 98; Urt. vom 18.3.2009, a.a.O., Rn. 68; Urt. vom 13.5.2009 – BVerwG 9 A 73.07 –, NVwZ 2009, S. 1296 ff., Rn. 90 f.; Urt. vom 12.8.2009, a.a.O., Rn. 69.

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gewichtige Überlegungen der Europäischen Kommission in deren Leitfaden zum Artenschutz 55 angelehnt. Diesen Überlegungen zum entsprechenden Verbot des Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie liegt eine eher weite Auslegung des Begriffs der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten zugrunde, wobei artspezifischen Ansprüchen und Verhaltensweisen Rechnung zu tragen ist. Danach ist die Gesamtheit mehrerer im Dienst der betreffenden Funktion stehender Plätze, sofern diese im räumlichen Zusammenhang einen Verbund bilden, als geschützte Lebensstätte zu begreifen, so dass Flexibilität bei der Beurteilung von Eingriffen gewonnen wird und funktionserhaltende Maßnahmen berücksichtigt werden können. Dieses Normverständnis kann nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts bei einer den Sinn und Zweck der Richtlinie beachtenden Auslegung keinen Zweifeln unterliegen. Was als Fortpflanzungsoder Ruhestätte anzusehen sei, sei danach eine in erster Linie naturschutzfachliche Frage, die je nach den Verhaltensweisen der verschiedenen Arten unterschiedlich beantwortet werden könne. Dieser Verweisung des Gemeinschaftsrechts auf naturschutzfachliche Begriffe trage die deutsche Regelung der Sache nach jedenfalls dann uneingeschränkt Rechnung, wenn es bei einer Tierart um den Schutz eines von ihr als „Ruhestätte im weiteren Sinne“ genutzten funktionalen Verbundkomplexes von „Ruhestätten im engeren Sinne“ – z.B. im ständigen Wechsel genutzter Tagesquartiere von Fledermäusen – gehe. Zwar unterscheide sich hiernach der Begriff der „Fortpflanzungs- oder Ruhestätte“ in Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie von demjenigen in § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG dadurch, dass der erstere bereits selbst durch funktionale Erwägungen geprägt sei, während diese im deutschen Recht noch nicht im Rahmen des engeren Grundtatbestandes, sondern erst auf der zweiten, durch § 44 Abs. 5 Satz 2 und 3 BNatSchG gesteuerten Prüfungsstufe Bedeutung gewännen. Für das vom Europarecht vorgegebene Schutzziel spiele dies jedoch keine Rolle 56 . Zur Vereinbarkeit mit dem entsprechenden Verbot des Art. 5 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie hat das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren zur A 44 zwischen Ratingen und Velbert Stellung genommen und diese „in Fällen der vorliegenden Art“ bejaht 57 : Schutzobjekt dieser Regelung seien „Nester und Eier“; geschützt sei daher dem Wortlaut nach das selbstgebaute, aktuell belegte Nest. Nester, die nicht mehr genutzt werden und auch nicht der wiederkehren-

___________ 55

Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, Endgültige Fassung, Februar 2007, S. 45 ff. unter II.3.4.b und d. Vgl. auch die Hinweise der LANA vom 29. Mai 2006 zur Anwendung des europäischen Artenschutzrechts bei der Zulassung von Vorhaben und bei Planungen, S. 3 f. 56 BVerwG, Urt. vom 18.3.2009, a.a.O., Rn. 70. 57 BVerwG, Urt. vom 18.3.2009, a.a.O., Rn. 71.

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den Nutzung dienen, würden vom Verbotstatbestand nicht erfasst 58 . Der Regelungszweck möge dafür sprechen, den Schutz der Regelung für Vogelarten, die von ihnen gebaute Nester regelmäßig wiederverwenden oder ohne eigenen Nestbau geeignete Baumhöhlen, Felsvorsprünge oder ähnliche spezifische Strukturen regelmäßig wiederkehrend als Brutplatz nutzen, in funktionaler Betrachtung auf die aktuell nicht genutzten Nester bzw. die das Nest ersetzenden Strukturen auszudehnen. Gründe des Funktionsschutzes könnten dies aber allenfalls dann rechtfertigen, wenn die konkret betroffenen Vögel artbedingt auf die Wiederverwendung des Nestes bzw. der Baumhöhle oder der sonstigen nestersetzenden Struktur angewiesen seien. Daran fehle es, falls sie auf – natürlich vorhandenen oder künstlich geschaffenen – Ersatz ausweichen könnten 59 . 2. Ausnahmen Den europarechtlichen Voraussetzungen für eine Abweichung von den Verbotstatbeständen des Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie bzw. der Art. 12 und 13 der Habitatschutzrichtlinie soll die Ausnahmeregelung des § 45 Abs. 7 BNatSchG Rechnung tragen. Danach darf eine Ausnahme im Einzelfall zugelassen werden, wenn sie  einem der in Satz 1 dieser Vorschrift aufgeführten Zwecke dient,  zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und  sich der Erhaltungszustand der Populationen der betroffenen Art nicht verschlechtert,  soweit nicht Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie weitergehende Anforderungen enthält;  Art. 16 Abs. 3 der Habitatrichtlinie und Art. 9 Abs. 2 der Vogelschutzrichtlinie sind zu beachten. Europarechtliche Bedenken könnten sich daraus ergeben, dass auch Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie weitergehende Anforderungen stellt 60 , ein ent___________ 58 BVerwG, Urt. vom 21.6.2006, a.a.O., Rn. 43; Urt. vom 12.3.2008, a.a.O. Rn. 247; Urt. vom 9.7.2008, a.a.O., Rn. 116. 59 BVerwG, Urt. vom 18.3.2009, a.a.O., Rn. 71. 60 Eine allgemeine Rechtfertigung durch Gründe sozialer oder wirtschaftlicher Art ist dort – anders als in Art. 16 Abs. 1 Buchst. c der Habitatrichtlinie – nicht vorgesehen und kann auch nicht auf der Grundlage von Art. 2 der Vogelschutzrichtlinie erfolgen; vgl. EuGH, Urt. vom 8.7.1987 – Rs. 247/85 –, Slg. 1987, 3029 ff., Rn. 8, 42. Außerdem kennt Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie nicht den in § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG normierten allgemeinen Abweichungsgrund zur Abwendung „erheblicher wirtschaftlicher Schäden“; vgl. EuGH, Urt. vom 12.7.2007 – Rs. C-507/04 –, Slg. 2007, I-5939 ff., Rn. 312 f.

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sprechender Vorbehalt in § 45 Abs. 7 BNatSchG jedoch fehlt 61 . Das Bundesverwaltungsgericht hat hierauf bereits in seinem Urteil vom März 2008 zur A 44 bei Hessisch Lichtenau hingewiesen, ohne dass es damals entscheidungserheblich war 62 . Die Zulassung einer Ausnahme setzt damit zunächst voraus, dass einer der in § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG normierten Ausnahmegründe objektiv vorliegt und die ggf. erforderlichen Abweichungsvoraussetzungen gemäß Art. 16 der Habitatrichtlinie bzw. Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie gegeben sind (objektive Ausnahmelage). Darüber hinaus erforderlich ist eine hinreichende Begründung, namentlich zur Ausübung des der Behörde eingeräumten Ermessens, wobei ggf. auf die in Art. 9 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie bzw. Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie genannten Gründe, Bedingungen und Anforderungen für eine Abweichung Bezug zu nehmen ist. Hiernach müssen neben den in § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG normierten Ausnahmegründen zwei Voraussetzungen vorliegen, unter denen – unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 63 – Ausnahmen von den artenschutzrechtlichen Verboten zugelassen werden können: Zum einen ist eine Alternativenprüfung erforderlich, die das Fehlen einer anderen zufriedenstellenden Lösung zum Ergebnis hat. Die dazu ergangene Rechtsprechung folgt vergleichbaren Grundsätzen wie bei dem entsprechenden Erfordernis für eine Abweichung vom Gebietsschutz 64 . Danach braucht sich ein Vorhabenträger auf eine Alternativlösung nicht verweisen zu lassen, wenn sich die maßgeblichen Schutzvorschriften am Alternativstandort als ebenso wirksame Zulassungssperre erweisen wie an dem von ihm gewählten Standort. Er darf von einer Alternativlösung Abstand nehmen, die technisch machbar und rechtlich zulässig ist, ihm aber Opfer abverlangt, die außer Verhältnis zu dem mit ihr erreichbaren Gewinn für Natur und Umwelt stehen. Eine Alternativlösung darf schließlich ggf. auch aus naturschutzexternen Gründen als unverhältnismäßig verworfen werden 65 . Ob eine andere zufriedenstellende Lösung fehlt, ist anhand des richtlinienkonform auszulegenden Schutzzwecks des Gesetzes in vol-

___________ 61 Kritisch dazu insbesondere Hellenbroich, EurUP 2008, 237 ff., 243; Gassner, NuR 2009, 325 ff. 62 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008, a.a.O., Rn. 262. 63 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 13.3.2008, a.a.O., Rn. 42. 64 Vgl. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 –, BVerwGE 125, 116 ff., Rn. 567; Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 –, BVerwGE 130, 299 ff. Rn. 240; Urt. vom 9.7.2008 – BVerwG 9 A 14.07 –, BVerwGE 131, 274 ff., Rn. 119; Beschl. vom 1.4.2009 – BVerwG 4 B 61.08 –, NVwZ 2009, S. 910 ff. Rn. 59. 65 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, a.a.O., Rn. 567.

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lem Umfang gerichtlich überprüfbar; ein Abwägungsspielraum wird dem Planungsträger nicht eingeräumt 66 . Als weitere Voraussetzung für eine Ausnahme müssen, wenn von dem Schutz einer in Anhang IV der Habitatrichtlinie genannten Art abgewichen werden soll, „die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen“ (Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie i.V.m. § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG). Insoweit unterscheidet sich die artenschutzrechtliche Abweichungsprüfung nach Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie von der in Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie vorgesehenen Abweichungsprüfung im Gebietsschutz, die eine solche Voraussetzung nicht kennt. Bei der Bewertung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist der Behörde nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ein naturschutzfachlicher Einschätzungsspielraum eingeräumt 67 . Der 4. Senat hat es zudem gewagt, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften dahin zu interpretieren, dass „außergewöhnliche Umstände“, die eine Ausnahme von den Verboten des Art. 12 Abs. 1 der Habitatrichtlinie auch bei ungünstigem Erhaltungszustand der Populationen der betroffenen Art rechtfertigen können, nicht nur bei unmittelbarer Gefährdung höchster Güter, wie z.B. des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, vorliegen und auch nicht nur in den gesetzlich zulässigen Planungszielen gesehen werden können. Der ungünstige Erhaltungszustand stehe einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie jedenfalls dann nicht entgegen, wenn nicht nur ausgeschlossen sei, dass sich der Ist-Zustand infolge des Projekts verschlechtern oder die erteilte Befreiung einer günstigen Entwicklung entgegenstehen wird, sondern wenn das Vorhaben darüber hinaus konkrete positive Auswirkungen für die Populationen der betroffenen Arten haben wird 68 . Der Wortlaut der Vogelschutzrichtlinie weicht hiervon ab, indem sie in Art. 13 nur vorschreibt, dass die Anwendung der aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen – also auch Abweichungen von den Verboten des Art. 5 –„in Bezug auf die Erhaltung aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten nicht zu einer Verschlechterung der derzeitigen Lage führen“ darf. Dies entspricht der Sichtweise des Bundesgesetzgebers in § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG. Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seinem Urteil vom 16. März 2006 69 allerdings angenommen, dass die Schutzanforderungen der Vogel___________ 66 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 13.3.2008 – BVerwG 9 VR 9.07 –, Buchholz 451.91 Europ.UmweltR Nr. 33 Rn. 40. 67 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 –, BVerwGE 130, 299 ff., Rn. 242; Beschl. vom 13.3.2008, a.a.O., Rn. 45. 68 BVerwG, Beschl. vom 1.4.2009 – BVerwG 4 B 61.08 –, NVwZ 2009, S.910 ff., Rn. 53, 55. Kritisch dazu insbesondere Steeck, NuR 2010, 4 ff., 6 f. 69 A.a.O., Rn. 570.

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schutzrichtlinie insoweit nicht hinter denen der Habitatrichtlinie zurückbleiben. Art. 13 knüpfe an Art. 2 der Richtlinie an, wonach die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Bestände aller unter Art. 1 fallenden Vogelarten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird. Das damit aufgerichtete Schutzregime stelle nicht auf den Erhalt jedes einzelnen Exemplars oder jedes vorhandenen Reviers einer Vogelart ab. Ob die Ausnahmevoraussetzungen vorliegen, sei vom Erhaltungszustand der Art her zu beurteilen. Dieser werde in dem als Orientierungshilfe auch für die Vogelschutzrichtlinie brauchbaren Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie als die Gesamtheit der Einflüsse definiert, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten auswirken können. Der hier verwendete Begriff der Population ist Art. 2 Buchst. l der Verordnung EG Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels 70 entnommen und findet sich wortgleich in § 7 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG wieder. Er umfasst eine biologisch oder geographisch abgegrenzte Zahl von Individuen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie derselben Art oder Unterart angehören und innerhalb ihres Verbreitungsgebiets in generativen oder vegetativen Vermehrungsbeziehungen stehen. Wie aus Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie zu ersehen ist, bestimmt sich die Güte des Erhaltungszustands insbesondere danach, ob aufgrund der Daten über die Populationsdynamik anzunehmen ist, dass die Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird und ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich auch weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen der Art zu sichern. Vor diesem Hintergrund sei es im Rahmen des Artenschutzes nicht zulässig, den Verlust einzelner Exemplare oder Siedlungsräume im Zuge der Verwirklichung eines Planvorhabens zwangsläufig mit einer Verschlechterung des Erhaltungszustands der betroffenen Vogelart gleichzusetzen. Denn ein solcher Verlust schließe nicht aus, dass die Population als solche in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet, das über das Plangebiet hinausreicht, als lebensfähiges Element erhalten bleibt. Andernfalls wäre jedes Großvorhaben, bei dem sich negative Einwirkungen im Sinne des Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie schlechterdings nicht verhindern lassen, aus artenschutzrechtlichen Gründen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dies liefe ersichtlich den Intentionen des Europarechts zuwider, das nicht allein auf die Wahrung umweltrechtlicher Belan___________ 70

ABl EG Nr. L 61 S. 1.

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ge fixiert ist, sondern auch einen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur leisten soll. Das natürliche Verbreitungsgebiet einer Population kann hiernach definiert werden als das gesamte Gebiet, das aufgrund seiner ökologischen Gegebenheiten üblicherweise von dieser Population genutzt wird. Werden einer betroffenen Population aufgrund naturschutzrechtlicher Ausgleichsmaßnahmen Ausweichhabitate mit diesen ökologischen Gegebenheiten zur Verfügung gestellt, so ist ein Maß an Kontinuität gewahrt, das genügend Gewähr dafür bietet, dass diese Population in einem günstigen Erhaltungszustand verbleibt 71 . Den artenschutzrechtlichen Anforderungen der Vogelschutzrichtlinie ist sogar unabhängig von der Durchführung naturschutzrechtlicher Kompensationsmaßnahmen genügt, wenn die Möglichkeit besteht, dass die betroffenen Vogelpopulationen auf Landschaftsteile ausweichen, die ohne gezielte Aufwertung aufgrund ihrer naturräumlichen Ausstattung die Voraussetzungen für eine Besiedlung bieten. Diese Sichtweise entspricht den Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie. Weder aus Art. 5 noch aus Art. 9 i.V.m. Art. 13 dieser Richtlinie lässt sich die Verpflichtung ableiten, Ausweichhabitate zu schaffen. Anders als Art. 6 Abs. 4 Satz 1 der Habitatrichtlinie, der unter den dort genannten Voraussetzungen verlangt, dass „der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen (ergreift), um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist“, stellt die Vogelschutzrichtlinie ausschließlich ergebnisorientiert darauf ab, dass sich der Erhaltungszustand der betroffenen Arten nicht verschlechtert. Zwar können sich nicht ausgleichbare Lebensraumverluste oder sonstige Beeinträchtigungen insbesondere für seltene Vogelarten als existenzielle Bedrohung erweisen, wenn eine Ansiedlung an anderer Stelle daran scheitert, dass die Lebensräume, die hierfür in Betracht kommen, bereits anderweitig besetzt sind. Ist aber trotz Verwirklichung der Verbotstatbestände des Art. 5 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie davon auszugehen, dass ein genügend großer Lebensraum verbleibt, um langfristig ein Überleben der betroffenen Population zu sichern, so richtet das Artenschutzrecht außer den ausdrücklich normierten Anforderungen keine weiteren Schranken auf 72 .

IV. Entscheidungserheblichkeit artenschutzrechtlicher Mängel Weder die Vogelschutzrichtlinie noch die Habitatrichtlinie noch das Bundesnaturschutzgesetz verleihen einem einzelnen das Recht, einen Planfeststel___________ 71

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, a.a.O., Rn. 573. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 –, BVerwGE 125, 116 ff., Rn. 575. 72

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lungsbeschluss vor Gericht mit der Rüge anzugreifen, er verstoße gegen artenschutzrechtliche Vorschriften 73 . Jedoch können anerkannte Naturschutzvereinigungen einen solchen Verstoß mit einem Rechtsbehelf gegen den Planfeststellungsbeschluss nach § 64 BNatSchG rügen. Dasselbe gilt für von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses betroffene Dritte; denn diesen steht aufgrund von Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG das Recht zu, von einer Entziehung oder Belastung ihres Grundeigentums verschont zu bleiben, die nicht zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich, insbesondere nicht gesetzmäßig ist 74 . Kann der Rechtsmangel durch schlichte Planergänzung – etwa um zusätzliche Vermeidungs- oder Ausgleichsmaßnahmen – behoben werden, so schließt allerdings die Fehlerfolgenregelung des § 17e Abs. 6 Satz 2 FStrG die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit durch das Gericht auch auf die Klage einer anerkannten Naturschutzvereinigung oder eines enteignungsrechtlich betroffenen Dritten hin aus 75 . In diesem Fall ist die Naturschutzvereinigung zur Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Planergänzung befugt 76 , während dies für den enteignungsrechtlich betroffenen Dritten nicht gilt. Sein allein aus Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG herzuleitender Anspruch auf gerichtliche Überprüfung des Plans auf seine objektive Rechtmäßigkeit endet dort, wo der geltend gemachte Rechtsfehler aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für seine Eigentumsbetroffenheit nicht erheblich, insbesondere nicht kausal ist. Dies schränkt die Möglichkeit schlüssiger Thematisierung des Artenschutzrechts in Klageverfahren privater Betroffener gegen Planfeststellungsbeschlüsse auf Fälle ein, in denen ein Verstoß gegen das Artenschutzrecht für die Planungsentscheidung insgesamt von so großem Gewicht ist, dass dadurch die Ausgewogenheit der Gesamtplanung oder eines abtrennbaren Planungsteils – etwa hinsichtlich der Trassierung – in Frage gestellt wird. In der Regel nicht entscheidungserheblich ist dagegen in solchen Verfahren der von den Parteien häufig geführte Streit, ob bei einer Bestandsaufnahme ein konkretes Nest oder ein bestimmter Höhlenbaum erfasst oder übersehen worden ist. Um zuvor nicht ___________ 73 Vgl. BVerwG, Urt. vom 26.4.2007 – BVerwG 4 C 12.05 –, BVerwGE 128, 358 ff., Rn. 29 ff. 74 Vgl. BVerwG, Urt. vom 18.3.1983 – BVerwG 4 C 80.79 –, BVerwGE 67, 74 ff., 76 f., vom 21.3.1986 – BVerwG 4 C 48.82 –, BVerwGE 74, 109 ff., 110 f., vom 6.3.1987 – BVerwG 4 C 11.83 –, BVerwGE 77, 86 ff., 91, vom 10.4.1997 – BVerwG 4 C 5.96 –, BVerwGE 104, 236 ff., 238, vom 27.10.2000 – BVerwG 4 A 18.99 –, BVerwGE 112, 140 ff., 143, vom 16.3.2006, a.a.O., Rn. 509 f., vom 9.11.2006 – BVerwG 4 A 2001.06 –, BVerwGE 127, 95 ff., Rn. 21 und vom 12.8.2009 – BVerwG 9 A 64.07 – Rn. 23. 75 Vgl. BVerwG, Urt. vom 9.6.2004 – BVerwG 9 A 11.03 –, BVerwGE 121, 72 ff., 82 f.; Urt. vom 9.7.2008, a.a.O., Rn. 130; Urt. vom 12.8.2009 – BVerwG 9 A 64.07 – Rn. 26, 93. 76 Vgl. BVerwG, Urt. vom 9.6.2004, a.a.O., S. 82.

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ermittelte oder nicht vorhandene, aber wegen des stetigen Wechsels der Natur mögliche artenschutzrechtliche Betroffenheiten beim Vollzug einer Planfeststellung zu erkennen und einer Problembewältigung anhand des unions- und bundesrechtlichen Artenschutzregimes zuzuführen, reicht es nämlich regelmäßig aus, ein naturschutzfachliches Monitoring oder eine qualifizierte begleitende ökologische Bauüberwachung vorzusehen und erforderlichenfalls ergänzende Vermeidungs- oder Ausgleichsmaßnahmen anzuordnen 77 . Auf solche artenschutzrechtlichen Mängel oder Unsicherheiten gestützte Anfechtungsklagen gegen den Planfeststellungsbeschluss können dann keinen Erfolg haben.

___________ 77

BVerwG, Urt. vom 12.8.2009, a.a.O., Rn. 91, 93.

Rechtsschutz von Gemeinden gegen Maßnahmen der Fachplanung Von Jürgen Held

I. Einleitung Planungsentscheidungen zu größeren Infrastrukturvorhaben werden neben betroffenen Bürgern und Umweltschutzverbänden nicht selten auch von Gemeinden angegriffen. Dabei fällt auf, dass die Gemeinden den Umfang der ihnen nach der Rechtsprechung zustehenden subjektiven Rechtsstellung häufig überschätzen. Dies führt oft schon zu unzureichendem Vorbringen im Planfeststellungsverfahren, das wegen der Präklusionsregelungen im späteren Klageverfahren nicht geheilt werden kann. Sehr oft fühlen sich die Vertreter von Kommunen berechtigt, jedwede Auswirkung der Fachplanung auf ihr Gemeindegebiet oder auf Gemeindebürger abwehren zu dürfen. Gelegentlich erlebt man auch Fälle einer besonders verfehlten Prozesstaktik. So hatte ein Ortsbürgermeister im Verwaltungsverfahren für sich als Lärmbetroffener Einwendungen gegen – seines Erachtens unzureichende – Lärmschutzauflagen bei einer eisenbahnrechtlichen Planfeststellung vorgebracht und umfangreich das Berechnungsverfahren nach der Richtlinie zur Berechnung der Schallimmissionen von Schienenwegen – Schall 03 – bei Hochgeschwindigkeitszügen kritisiert. Dasselbe Vorbringen wurde im Planfeststellungsverfahren auch für die Gemeinde wiederholt, u.z. textidentisch und ohne Hinweis auf irgendeine gemeindliche Planung oder Einrichtung. Die Klage wurde dann aber nur noch von der Gemeinde erhoben mit dem Ergebnis der Klageabweisung: Die im Klageverfahren noch nachgeschobene Betroffenheit gemeindlicher Planungen war präkludiert; die möglicherweise unzureichende Bewältigung der Lärmbeeinträchtigungen für einzelne Bürger, einschließlich des Ortsbürgermeisters, war für die Rechtsposition der Kommune unerheblich. 1 ___________ 1 Zum nicht unerheblichen Prozesskostenrisiko für die Kommunen vgl. den im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Ziffer 34.3 i.V.m. Ziffer 2.3, NVwZ 2004, 1327 empfohlenen Streitwert von 60.000,00 €.

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Diese Erfahrungen in der gerichtlichen Praxis lassen es sinnvoll erscheinen, sich noch einmal über den Umfang der Rechtsschutzmöglichkeiten von Gemeinden gegenüber Fachplanungen und die hierzu vorliegende Rechtsprechung zu vergewissern. 2 Anlass hierzu besteht auch deshalb, weil kürzlich erneut ein Vollüberprüfungsanspruch der Gemeinde bei enteignungsrechtlich vorwirkender Betroffenheit gefordert wurde. Schließlich ist auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einzugehen, wonach Gemeinden auch Beeinträchtigungen bereits verwirklichter Baugebiete als eigenen Belang geltend machen können. Hier stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang die Kommunen damit über einen Hebel verfügen, etwa Lärmbeeinträchtigungen für ihre Bürger und an deren Stelle abzuwehren.

II. Mitwirkungslasten im Planfeststellungsverfahren Die Vertreter der Kommunen verkennen oft, dass sie bei der Geltendmachung von Beeinträchtigungen gemeindlicher Belange derselben Präklusionsregelung unterliegen wie betroffene Bürger oder auch Umweltschutzverbände. Gemeinden haben eine Doppelstellung: einmal als Träger öffentlicher Belange, zum anderen als in eigenen Rechten Betroffene. Die ihre subjektive Rechtsstellung ausmachenden gemeindlichen Belange muss eine Gemeinde im Rahmen und nach den Regeln der Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 73 Abs. 4 VwVfG artikulieren. 3 Wie alle sonstigen Betroffenen ist auch eine Kommune mit Einwendungen ausgeschlossen, die sie nicht innerhalb der Einwendungsfrist vorgebracht hat. Zur Vermeidung der Ausschlusswirkung, muss die Gemeinde die ihr zustehende Rechtsposition bzw. ihr abwägungsbeachtliches Interesse innerhalb der Einwendungsfrist zumindest thematisieren. Die Gemeinde ist hinsichtlich ihrer Planungen und deren Konkretisierungsstadium darlegungspflichtig. 4 Dies verlangt zumindest, die als beeinträchtigt angesehenen ___________ 2

Hierzu Kirchberg/Boll/Schütz, NVwZ 2002, 550; Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, § 6 Rn. 74 ff.; Kühling/Hermann, Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 2000, Rn. 456 und 661 ff.; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 74 Rn. 105 ff und Rn. 268, § 75 Rn. 31; Dürr, in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2010, § 74 Rn. 116 ff. und Rn. 143; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, Verwaltungsverfahrensgesetz 2010, § 74 Rn. 77 ff.; Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz 2006, § 73 Rn. 48. 3 BVerwG, Urt. vom 12. Februar 1997 – 11A 62/95 –, BVerwGE 104, 79, 81; Ziekow, a.a.O., § 73 Rn. 47 f.; zur Möglichkeit einer „Gesamtstellungnahme“ als Trägerin öffentlicher Belange und Betroffene: BVerwG, Urt. vom 9. Februar 2005, NVwZ 2005, 813, 815. 4 BVerwG, Beschl. vom 5.11.2002 – 9 VR 14/02 –, NVwZ 2003, 207.

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Plangebiete räumlich zu bezeichnen und darzutun, worin eine nachhaltige Störung der Bauleitplanung gesehen wird. 5

III. Betroffenheit als Eigentümerin von Grundstücken Die Gemeinden können ihre Einwendungs- und Klagebefugnis darauf stützen, dass die in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke von dem Fachplanungsvorhaben nachteilig betroffen werden. Dabei müssen die unmittelbare und die bloß mittelbare Betroffenheit unterschieden werden. 1. Unmittelbare Betroffenheit Soweit etwa landwirtschaftlich genutzte Grundstücke oder Wirtschaftswegeparzellen im Eigentum der Gemeinde für das Bauvorhaben in Anspruch genommen werden, können die Kommunen nach bisheriger Rechtsprechung des BVerwG nur rügen, ihre Nutzungsinteressen seien nicht oder nicht mit dem ihnen gebührenden Gewicht in die Abwägung eingestellt worden. 6 Das Gewicht dieser zivilrechtlichen Eigentümerstellung der Gemeinde in der Abwägung ist allerdings eher gering. Wenn nicht besondere Interessen an der Nutzung des Grundstücks geltend gemacht werden, kann die Gemeinde nur eine relativ pauschale Auseinandersetzung beanspruchen. 7 Die unmittelbare und enteignungsrechtlich vorwirkende Betroffenheit verschafft der Gemeinde anders als einem privaten Grundstückseigentümer keine – im Grundsatz – umfassende gerichtliche Kontrolle auf Vereinbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses mit den Vorschriften des objektiven Rechts. Dies beruht darauf, dass dieser sog. Vollüberprüfungsanspruch aus Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG hergeleitet wird, „der eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässt und damit eine dem objektiven Recht nicht entsprechende Enteignung ausschließt.“ 8 Da eine Gemeinde nicht Trägerin des Eigentumsgrundrechts ist 9 , kommt ihr auch nicht der Schutz des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zugute. 10 ___________ 5

OVG RP, Urt. vom 23. April 2009 – 8 A 11025/08.OVG –, ESOVGRP und juris. BVerwG, Urt. vom 26. Februar 1999 – 4 A 47/96 –, NVwZ 2000, 560. 7 BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1001.04 – (Berlin-Schönefeld), NVwZ 2006, 1055, 1058, Rn. 227 f. 8 BVerwG, Urt. vom 11. Januar 2001 – 4 A 12/99 –, NVwZ 2001, 1160, 1161. 9 BVerfG, Beschl. vom 8. Juli 1982 – Sasbach –, BVerfGE 61, 82. 10 BVerwG, Urt. vom 21. März 1996 – 4 C 26/94 –, BVerwGE 100, 388; Urt. vom 11. Januar 2001 – 4 A 12.99 –, NVwZ 2001, 1160. 6

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Dem wird nun entgegengehalten, der Vollüberprüfungsanspruch ergebe sich nicht nur aus Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, sondern auch bereits aus dem einfachrechtlichen Eigentumsschutz, der ebenfalls eine Enteignung verbiete, die nicht zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich sei. 11 Für eine solche „Herabzonung“ des Abwehrrechts des enteignungsrechtlich vorwirkend Betroffenen hat sich jüngst auch Paetow ausgesprochen: 12 Auch wenn der Enteignungsvorgang in zwei Phasen aufgeteilt werde, nämlich die (vorwirkende) Planfeststellung und die anschließende eigentliche Enteignungsmaßnahme, müsse die Rechtsbetroffenheit einheitlich bewertet werden. Für den Grundstückseigentümer stelle sich der Zugriff auf sein Eigentum insgesamt als belastender Verwaltungsakt dar. Bereits von daher könne er verlangen, dass der Eigentumsentzug entsprechend den objektiv-rechtlich geregelten Voraussetzungen erfolge. 13 Auch die Gemeinde könne als Inhaberin ihrer zivilrechtlichen Eigentümerstellung 14 , den einfachrechtlichen Schutz des Eigentums beanspruchen. Ob sich eine solche einfachrechtliche Aufwertung des Eigentumsschutzes von Gemeinden gegenüber Planfeststellungen durchsetzen wird, erscheint fraglich. 15 Denn auch der Schutzcharakter der einfach-gesetzlichen Enteignungsvoraussetzungen ist vor dem Hintergrund des zu schützenden Grundrechts zu ermitteln. Auch die dem Adressaten belastender Verwaltungsakte zuerkannte umfassende Rügekompetenz beruht letztlich auf grundrechtlichen Erwägungen („Freiheit von ungesetzlichem Zwang“). 16 Nach der Sasbach-Entscheidung des BVerfG schützt Art. 14 GG aber nur das Eigentum Privater, nicht das Privateigentum. 17 Gemeinden sind Teil der öffentlichen Gewalt, auch soweit sie als Fiskus über Eigentum an Grundstücken verfügen. 18

___________ 11

Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 75 Rn. 31. Paetow, Die Klagebefugnis des von einer Planung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung Betroffenen, in: Dolde/Hansmann/Paetow/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Festschrift für Sellner, 2010, S. 509 (518 und 521). 13 A.a.O., S. 517. 14 Hierzu: BVerwG, Urt. vom 27.März 1992 – 7 C 18/91 –, BVerwGE 90, 96 (101) und juris, Rn. 23. 15 Auch das BVerwG unterscheidet zwischen der aus dem einfachen Recht hergeleiteten umfassenden Rügekompetenz der Gemeinde gegen Enteignungsakte (bergrechtliche Zulegung) und deren eingeschränkter Klagebefugnis als Drittbetroffene gegenüber Planungsentscheidungen: BVerwG, Urt. vom 20.11.2008 – 7 C 10/08 –, BVerwGE 132, 261 und juris, Rn. 25 f. 16 Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VWGO, 18. Aufl. 2009, § 42 Abs. 2, Rn. 48 f. 17 BVerfG, Beschl. vom 8. Juli 1982 – Sasbach –, BVerfGE 61, 82 (108 f). 18 BVerwG, Urt. vom 11.1.2001 – 4 A 12.99 –, NVwZ 2001, 1160, 1161 und juris Rn. 29. 12

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2. Mittelbare Betroffenheit Wirkt sich das Fachplanungsvorhaben mittelbar auf gemeindliches Eigentum aus, etwa durch Lärmbeeinträchtigungen für im Eigentum der Kommune stehende Häuser oder Wohnungen, so kann die Gemeinde zum einen wiederum eine abwägungsfehlerfreie Berücksichtigung ihres Interesses an Fortsetzung einer ungestörten Nutzung des Hauseigentums beanspruchen. Das Gewicht dieses Abwägungsbelangs erhöht sich, sofern das gemeindliche Eigentum unmittelbar der Erfüllung kommunaler Aufgaben dient, es sich also zum Beispiel um eine gemeindliche Einrichtung wie einen Kindergarten oder eine Schule handelt. Insofern genießt das Eigentum der Gemeinde verfassungsrechtlichen Schutz nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. 19 Die Rechtsstellung der Kommune als mittelbar Betroffene wird ferner dadurch nicht unerheblich gestärkt, dass sie auch Nachbarin im Sinne des Immissionsschutzrechts ist, sie sich also auch auf nachbarschützende Immissionsschutzansprüche berufen kann. Dazu gehört etwa der – zwingende – Anspruch nach § 41 BImSchG auf Beachtung der fachplanungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle. Ebenso wie andere private Eigentümer kann auch die Gemeinde verlangen, dass im Planfeststellungsbeschluss dem Vorhabenträger die zur Einhaltung dieser Zumutbarkeitsschwelle erforderlichen Maßnahmen auferlegt werden. 20

IV. Betroffenheit im Recht auf Selbstverwaltung Neben der Beeinträchtigung ihres Eigentums wenden Gemeinden gegen ihr Gebiet berührende Fachplanungen in aller Regel eine unzulässige Beeinträchtigung ihrer Selbstverwaltungsautonomie ein. Ihre Vertreter sind nicht selten überrascht, wenn die Betroffenheit des Gemeindegebiets oder von Bürgern der Gemeinde als solche von ihnen nicht mit Erfolg verteidigt werden kann. Sie halten dies für nicht vereinbar mit ihrer Befugnis, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu regeln.

___________ 19

BVerwG, Urt. vom 16. März 2006, a.a.O., NVwZ 2006, 1055, 1058, Rn. 228. OVG RP, Urt. vom 23. April 2009 – 8 C 11025/08.OVG –, ESOVGRP; Jarass, BImSchG, 7. Aufl. 2007, § 3 Rn. 35 m.w.N. 20

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1. Grundlagen Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. 21 Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind nach der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen.“ 22 Regelung bedeutet jede allgemein zulässige Art der Aufgabenerledigung; umfasst ist die gesamte Palette rechtlicher Handlungsmöglichkeiten privat- und öffentlich-rechtlicher ebenso wie hoheitlicher oder leistender Art. 23 Von dem Recht der Selbstverwaltung ist die Befugnis umfasst, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft anzunehmen, wozu auch bislang „unbesetzte“ Aufgaben in ihrem Bereich gehören. 24 Aus dieser grundsätzlich umfassenden Wahrnehmungsbefugnis für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wird oft vorschnell ein Abwehrrecht gegenüber allen das Gemeindegebiet berührenden Auswirkungen von Fachplanungen hergeleitet. Dabei wird verkannt, dass das Recht auf Selbstverwaltung unter Gesetzesvorbehalt steht. 25 In den Fachplanungsgesetzen ist indes auch den staatlichen Behörden die Befugnis eingeräumt, mit ihren raumbedeutsamen Planungen auf Gemeindegebiet zuzugreifen. 26 Bezogen auf dasselbe Gebiet besteht also eine Konkurrenz zwischen staatlicher und kommunaler Aufgabenwahrnehmung. Die Abwehrposition der Gemeinde gegenüber der Fachplanung erwächst deshalb nicht bereits aus der Betroffenheit des Gemeindegebiets oder auch von einzelnen, in der Gemeinde ansässigen Bürgern. Abwehrrechte rühren vielmehr daher, dass die Kommune sich einer Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft in einer mit der Fachplanung kollidierenden Art und Weise angenommen hat. Lediglich dann, wenn sich eine Fachplanung gravierend auf den Charakter und die Struktur eines Ortes auswirkt, wird man zu erwägen ha___________ 21

BVerfG, Beschl. vom 23. November 1988, – Rastede –, BVerfGE 79, 127 [143]. BVerfG, a.a.O., S. 151 f. 23 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, 10. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 16; Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 28 Rn. 117; Löwer, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, 3. Aufl. 1995, Art. 28 Rn. 82. 24 BVerfGE 79, 127, 146 f. 25 Einschränkungen müssen durch entsprechend gewichtige Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt sein: vgl. BVerfGE 79, 127, 153; Pieroth (Fn. 23), Rn. 23 m.w.N. 26 Löwer (Fn. 23), Rn. 77. 22

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ben, ob der Gemeinde nicht auch ohne vorherige planerische Aktivitäten eine Abwehrposition zusteht. 2. Umfang der subjektiven Rechtsmacht der Gemeinden Die in der Selbstverwaltungsautonomie wurzelnde Rechtsstellung der Gemeinde beschränkt sich im Kern auf den Anspruch auf fehlerfreie Berücksichtigung ihrer abwägungsbeachtlichen Belange in der fachplanerischen Abwägung. Ein Abwägungsfehler zu Lasten der Gemeinde kann dann die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses (oder zumindest die Feststellung dessen Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit) rechtfertigen, wenn die Möglichkeit einer anderen Standortwahl oder einer anderen Trassierung im Raum steht. Ist dies auszuschließen, kommen immer noch Ansprüche auf ergänzende Schutzauflagen, zumindest Ansprüche auf ergänzende Entscheidung in Frage. 27 Ein sog. Vollüberprüfungsanspruch 28 , d.h. ein Anspruch, die Vereinbarkeit der Planung mit dem gesamten objektiven Recht zu verlangen, steht den Gemeinden auch nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 11. Januar 2001 entschieden hat. 29 Hintergrund ist, dass die Gemeinden sich andernfalls über die Anrufung der Verwaltungsgerichte zum Kontrolleur anderer staatlicher Behörden in Bezug auf die Wahrung des objektiven öffentlichen Rechts „aufschwingen“ könnten. 30 Einen Anspruch auf objektiv-rechtliche Kontrolle des Planfeststellungsbeschlusses hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil zum Flughafen BerlinSchönefeld allerdings in zweierlei Hinsicht angenommen, nämlich hinsichtlich der landesplanerischen Standortentscheidung und der luftverkehrsrechtlichen Planrechtfertigung. Beide Gesichtspunkte weisen jedoch enge Bezüge zum Abwägungsgebot auf, so dass sich diese Rechtssprechung als Ergänzung der bisherigen Judikatur darstellt. Im Übrigen sei noch auf § 7 BauGB hingewiesen. Danach unterliegen die Fachplanungsträger einer rechtlich zwingenden Anpassungspflicht an die Flächennutzungsplanung, wenn sie ihr nicht widersprochen haben und nicht eine Änderung der Sachlage eine abweichende Planung erforderlich macht (§ 7 ___________ 27

BVerwG, Urt. vom 17. März 2005 – 4 A 18/04 –, BVerwGE 123, 152, 158. BVerwG, Urt. vom 12. August 2009 – 9 A 64.07 – (A 33 Bielefeld-Steinhagen), Rn. 24. 29 BVerwG, Urt. vom 11. Januar 2001 – 4 A 12/99 –, NVwZ 2001, 1160, 1161 und juris, Rn. 30; für einen Anspruch auf Vollprüfung: Kirchberg/Boll/Schütz, a.a.O., S. 554. 30 BVerwG, a.a.O., NVwZ 2001, 1160, 1161, Rn. 26. 28

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Satz 3 BauGB). Die Anpassungspflicht bedeutet, dass der Fachplanungsträger seine Fachplanung so zu gestalten hat, dass sie als aus dem Flächennutzungsplan entwickelt gelten kann. 31 § 7 BauGB betrifft aber nur Fälle einer unmittelbaren Konkurrenz divergierender Planungen für dieselbe Fläche, hingegen nicht die – tatsächlich wohl häufigeren – Fälle mittelbarer Auswirkungen der Fachplanung auf benachbarte Bauleitplanungen. Schwierigkeiten kann die Konkurrenz zur Darstellung einer landwirtschaftlichen Fläche im Flächennutzungsplan bereiten. Handelt es sich lediglich um die rein deklaratorische Bestätigung des Außenbereichscharakters des Gebiets ohne positive planerische Konzeption, wird man in der auf den Außenbereich angewiesenen Fachplanung durchaus eine „planerische Fortentwicklung der im Flächennutzungsplan dargestellten Grundkonzeption der Gemeinde“ und damit keinen Verstoß gegen das Anpassungsgebot sehen können. 32 Die Wertung wird anders ausfallen, wenn die Darstellung als Fläche für die Landwirtschaft bewusst gewählt wurde, etwa um sie für landwirtschaftliche Betriebe freizuhalten.33 3. Abwägungsbeachtliche Belange Betrachtet man die unter dem Gesichtspunkt der Selbstverwaltungsautonomie in Frage kommenden gemeindlichen Belange und die hierzu ergangene Rechtsprechung etwas genauer, so erweisen sich die Grundsätze zum Schutz gemeindlicher Einrichtungen und zum Schutz hinreichend konkreter Planungsabsichten als relativ gesichert. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, in welchem Umfang der Schutz der Wohnverhältnisse in verwirklichten Baugebieten auch eine Angelegenheit der Gemeinde ist. Schließlich ist die Rechtsprechung zu sichten, bei der die Betroffenheit der Gemeinde unabhängig von konkreten Planungen als abwägungsbeachtlicher Belang angesehen wird. a) Betreiben kommunaler Einrichtungen Zum Interesse einer Gemeinde an der ungestörten Weiternutzung eines Kindergartens, einer Schule oder anderer kommunaler Einrichtungen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass „eine wehrfähige, in die Abwägung einzube-

___________ 31 Bielenberg/Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 91. Aufl. 2009, § 7 Rn. 10. 32 Zum Inhalt der Anpassungspflicht nach § 7 BauGB: Bielenberg/Runkel, ebenda m.w.N. 33 Kirchberg/Boll/Schütz, a.a.O., S. 553.

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ziehende Rechtsposition gegen eine fremde Fachplanung [dann] besteht ..., wenn das Vorhaben gemeindliche Einrichtungen erheblich beeinträchtigt.“34 Erheblichkeit liegt vor, wenn die Funktionsfähigkeit der Einrichtung beeinträchtigt wird. 35 Hierzu wird man darauf abstellen müssen, ob durch das Fachplanungsvorhaben die für die Einrichtung beachtliche fachplanerische Zumutbarkeitsschwelle überschritten wird. b) Planungshoheit Als Kernbestand gemeindlicher Selbstverwaltungsautonomie gilt seit jeher die Planungshoheit, das heißt die Befugnis der Kommunen, über die Art und Weise der Bodennutzung in der Gemeinde eigenverantwortlich zu bestimmen. 36 aa) Schutz beabsichtigter Planungen Hinsichtlich des Schutzes zukünftiger Planungen der Gemeinde sind die Grundsätze in der Rechtsprechung ebenfalls seit langem anerkannt. Danach „vermittelt die Planungshoheit einer Gemeinde eine wehrfähige, in die Abwägungsentscheidung einzubeziehende Rechtsposition gegen fremde Fachplanungen nur dann, wenn eine eigene hinreichend konkrete und verfestigte Planung, die allerdings noch nicht verbindlich zu sein braucht, vorliegt und die Störung nachhaltig ist, das heißt unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf ihre Planung hat.“ 37 „Die Planfeststellungsbehörde muss auf noch nicht verfestigte, aber konkrete Planungsabsichten einer Gemeinde abwägend in der Weise Rücksicht nehmen, dass durch die Fachplanung von der Gemeinde konkret in Betracht gezogene städtebauliche Planungsmöglichkeiten nicht unnötigerweise verbaut werden.“ 38

___________ 34 BVerwG, Urt. vom 27. März 1992 – 7 C 18/91 –, BVerwGE 90, 96, 100 und juris Rn. 20. 35 BVerwG, Urt. vom 16. März 2006, a.a.O., NVwZ 2006, 1055, 1058, Rn. 194. 36 Pieroth, a.a.O., Art 28 Rn. 13; Löwer, a.a.O., Art. 28 Rn. 74. 37 BVerwG, Gerichtsbescheid vom 27. Juli 1998 – 11 A 10/98 –, UPR 1998, 459 und juris Rn. 18. 38 BVerwG, Urt. vom 9. Februar 2005 – 9 A 62/03 –, NVwZ 2005, 813, 816 und juris Rn. 44.

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(a) Hinreichend konkrete Planung Eine „hinreichend konkrete“ Planung liegt eindeutig bei einem bereits in Kraft getretenen Bebauungsplan, aber auch bei einem planreifen Entwurf im Sinne von § 33 BauGB vor. 39 Das Gewicht dieser Planung ist freilich dann von vornherein gemindert, wenn sie sich als offensichtlich rechtswidrig erweist, etwa weil es sich um eine reine Verhinderungsplanung ohne jede positive Planungskonzeption handelt. 40 Das BVerwG hat bislang offen gelassen, ob auch bereits ein Aufstellungsbeschluss für die Abwägungsbeachtlichkeit ausreicht. 41 Die Frage dürfte sich nicht eindeutig beantworten lassen. Vielmehr wird man auf den Grad der zum Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses bereits erreichten Konkretisierung der Planungsvorstellungen abstellen müssen. 42 Steht einer Gemeinde zur Erweiterung eines Wohngebiets praktisch nur eine Fläche zur Verfügung, so kann ein darauf bezogener Konzeptbeschluss ein größeres Gewicht haben als eine weiter ausgearbeitete Planung, deren Ziel auch an anderer Stelle verwirklicht werden könnte. Im Übrigen dürfte es sich oft als müßig erweisen, bei der Frage der Abwägungsbeachtlichkeit eine eindeutige Grenzziehung zu versuchen, wenn sich leicht feststellen lässt, dass die Fachplanung im Ergebnis ein Zurückdrängen der kommunalen Planungsabsichten ohne weiteres rechtfertigt. (b) Nachhaltige Störung Eine Planung ist nach dem BVerwG „nachhaltig gestört“, wenn das Fachplanungsvorhaben „unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art“ auf die gemeindliche Planung hat. 43 Auch hier lässt der Obersatz des BVerwG Raum für die Würdigung der jeweils besonderen Umstände des Einzelfalls. Nachhaltigkeit der Beeinträchtigung liegt sicherlich dann vor, wenn die kommunale Planung nicht mehr verwirklicht werden könnte oder nachträglich geändert werden müsste. 44 Im Übrigen wird man auf die für das vorgesehene Baugebiet gel___________ 39

Bonk/Neumann, a.a.O., § 74 Rn. 107; Dürr, a.a.O., § 74 Rn. 72. Kirchberg/Boll/Schütz, a.a.O., S. 553; zur Negativplanung: BVerwG, Beschl. vom 10. Oktober 2007 – 4 BN 36/07 –, ZfBR 2008, 70. 41 BVerwG, Urt. vom 27. August 1997 – 11 A 18/96 –, NVwZ-RR 1998, 290, 292 und juris, Rn. 33 bis 35 (Aufstellungsbeschluss zur Änderung eines Flächennutzungsplans). 42 So: Dürr, a.a.O., § 74 Rn. 72. 43 BVerwG, Gerichtsbescheid vom 27. Juli 1998 – 11 A 10/98 –, UPR 1998, 459 und juris Rn. 18. 44 Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, § 6 Rn. 79. 40

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tenden Immissionsrichtwerte abzustellen haben. 45 Würden sie bei Realisierung des Fachplanungsvorhabens überschritten, so ist von einer nachhaltigen Störung der gemeindlichen Planung auszugehen. (c) Abwägungsfehler Wird eine hinreichend konkrete gemeindliche Planung durch ein Fachplanungsvorhaben nachhaltig gestört, ist die Planungsabsicht der Kommune also abwägungserheblich, folgt daraus allerdings nicht, dass sich der Belang in der Abwägung auch tatsächlich durchsetzt. 46 Gerade bei der Frage, ob die Standort-/Trassenwahl für das Fachplanungsvorhaben abwägungsfehlerfrei erfolgt ist, wird sich die Gemeinde nicht selten mit einem erheblichen öffentlichen Interesse an der Verwirklichung der Fachplanung konfrontiert sehen. Andere öffentliche Belange, etwa solche des Naturschutzes, können die Möglichkeit von Standortvarianten einschränken. Den Gemeinden wird ein Zurückstellen ihrer Planungsabsichten umso mehr zugemutet, je weniger konkret ihre Planung ist und je mehr Ausweichmöglichkeiten für sie bestehen: Beim Autobahnring München (BAB A 99) ist der klagenden Stadt entgegengehalten worden, dass eine Fachplanung nur so konkret auf die Bauleitplanung einer Gemeinde Rücksicht nehmen könne, wie diese konkret sei; die städtische Planung treffe auf eine bereits vorher konkretisierte und verfestigte Fachplanung; planerische Erschwernisse und planerischer Anpassungsbedarf für die Bauleitplanung seien von der Stadt ebenso hinzunehmen wie mögliche Reduzierungen der als Wohnbauland geeigneten Fläche. 47 Bei der A 71 wird der Gemeinde zugemutet, sich bei ihrer weiteren Planung auf die wichtigen überörtlichen Belange zugunsten der Bundesautobahn einzustellen; ihr verblieben noch ausreichende Reserven für Wohnbauflächen; falls die Gemeinde in der Nähe der Trasse Bebauungspläne aufstellen möchte, könne sie in diesen selbst Lärmschutzmaßnahmen vorsehen. 48 Im Verfahren von fünf Städten gegen den Ausbau des Flughafens Frankfurt führt der HessVGH aus, dass die zu erwartenden Siedlungsbeschränkungen nicht zu Lasten der Kommunen abwägungsfehlerhaft seien, u. zw. wegen des Vorhabeninteresses und weil den Städten insgesamt noch ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten verblieben; im Üb___________ 45

BVerwG, Beschl. vom 3. September 1997 – 11VR 20/96 –, NVwZ-RR 1998, 289, 290 und juris, Rn. 21. 46 BVerwG, Beschl. vom 15. April 1999 – 4 VR 18/98, 4 A 45/98 –, NVwZ-RR 1999, 554, 555 und juris, Rn. 10. 47 BVerwG, Urt. vom 21. März 1996 – 4 C 26/94 –, BVerwGE 100, 388, 394 f und juris, Rn. 27 f. 48 BVerwG, Urt. vom 11. Januar 2001 – 4 A 12/99 –, NVwZ 2001, 1160, 1163 und juris, Rn. 44 bis 46.

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rigen verlange die Garantie gemeindlicher Planungshoheit nicht, dass Siedlungsbeschränkungen im Gebiet der jeweiligen Kommune ausgeglichen werden müssten; bei entsprechendem Gewicht des Fachplanungsvorhabens – wie hier – könne der Ausgleich der Siedlungsbeschränkungen eventuell auch nur auf regionaler Ebene hergestellt werden. 49 Erweist sich die Standort-/Trassenwahl auch als abwägungsfehlerfrei bzw. hat sich ein evtl. Abwägungsdefizit insofern nicht kausal auf die Planung ausgewirkt, so kann die Fachplanung immer noch deshalb zu Lasten der Gemeinde abwägungsfehlerhaft sein, weil die Intensität des Eingriffs in die Planungshoheit nicht oder nicht in ausreichendem Maße durch geeignete Schutzauflagen abgemildert wurde. Der Abwägungsfehler muss durch Planergänzung behoben werden. Hier ist insbesondere an das Auferlegen aktiver oder passiver Schallschutzeinrichtungen zu denken. Gerade im Bereich der Flughafenplanung kommen betriebsbeschränkende Maßnahmen hinzu. So hat das BVerwG wegen festgestellter Mängel des Nachtflugkonzepts beim neuen Flughafen BerlinSchönefeld auch den Umlandgemeinden einen Anspruch auf erneute Entscheidung über diese Betriebsregelung zuerkannt. 50 bb) Schutz bereits verwirklichter Planungen Das BVerwG hatte bereits 1988 festgestellt, dass eine Gemeinde von dem Fachplanungsträger auch Rücksicht auf bereits vorhandene Baugebiete verlangen könne, was gegebenenfalls die Anordnung von (Lärm-)Schutzauflagen zur Folge haben müsse. 51 Diese Ausführungen erfolgten allerdings im Zusammenhang mit einer Klage auf nachträgliche Schutzauflagen wegen nicht voraussehbarer Wirkungen des Vorhabens (vgl. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG), weshalb sie wohl zunächst nicht ins allgemeine Bewusstsein getreten sind. Neuere Entscheidungen des BVerwG lassen aber keinen Zweifel, dass eine Gemeinde als abwägungsbeachtlichen Belang auch ihr Interesse am Schutz bereits verwirklichter Baugebiete geltend machen kann. (a) Ausschluss kommunalrechtlicher Verbandsklage Abgrenzungsprobleme bereitet diese Rechtsprechung deshalb, weil die Gemeinde mit dem Eintreten für den Fortbestand der Wohnverhältnisse in verwirklichten Baugebieten zugleich auch die Interessen der dort wohnhaften ___________ 49 50

HessVGH, Urt. vom 21. August 2009 – 11 C 227/08 u.a. –, juris, Rn. 471 f. BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1001/04 –, NVwZ 2006, 1055, 1159, Rn.

241. 51

BVerwG, Urt. vom 1.7.1988 – 4 C 49/86 –, BVerwGE 80, 7, 9 und juris Rn. 17.

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Bürger wahrnimmt und das Eintreten für die Interessen der Gemeindebürger als solche in ebenfalls ständiger Rechtsprechung des BVerwG nicht als abwägungsbeachtlicher Belang der Kommune angesehen wird. Danach sind Gemeinden nicht befugt, die planbedingte Betroffenheit von Anwohnern durch Lärm oder Schadstoffe als eigenen abwägungsbeachtlichen Belang geltend zu machen. 52 Sie dürfen die grundrechtlich geschützten Abwehrinteressen ihrer Einwohner nicht bei sich bündeln und als Sachwalterin der örtlichen Gemeinschaft einfordern. 53 Es bleibt der Initiative der insoweit nachteilig Betroffenen überlassen, sich gegen Einwirkungen dieser Art zur Wehr zu setzen. 54 Dieses Verbot einer „kommunalen Verbandsklage“ ist berührt, wenn man die Rechtsprechung des BVerwG zum Schutz verwirklichter Baugebiete betrachtet. (b) Bewahrung der bauleitplanerischen Ordnung Im Urteil zur A 73 (Suhl-Lichtenfels) führt das BVerwG aus, dass „Gemeinden ihr Interesse an der Bewahrung der in der Bauleitplanung zum Ausdruck gekommenen städtebaulichen Ordnung vor nachhaltigen Störungen als eigenen abwägungserheblichen Belang geltend machen können.“ 55 Die klagende Kommune blieb zwar mit ihrem Begehren auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses ohne Erfolg. Mit ihrem Hilfsantrag erreichte sie jedoch eine Neubescheidung im Hinblick auf Lärmschutzmaßnahmen. Auch im Urteil zum Flughafen Berlin-Schönefeld wurde die Rücksichtnahme auf bestehende bauplanungsrechtliche Nutzungsstrukturen als abwägungserheblich anerkannt. 56 (c) Abgrenzung der Einwohner- von den Gemeindeinteressen Die Abgrenzung der individuellen Interessen der Einwohner von den der jeweiligen Gemeinde zustehenden Belangen mag aus Sicht der Planfeststellungsbehörde irrelevant sein, weil sie ohnehin gehalten ist, die aus Sicht der be___________ 52 BVerwG, Urt. vom 26. Februar 1999 – 4 A 47/96 –, NVwZ 2000, 560, 562 und juris, Rn. 39. 53 BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1001/04 –, NVwZ 2006, 1055, 1058, Rn. 193. 54 So ausdrücklich: BVerwG, Beschl. vom 15. April 1999 – 4 VR 18/98 –, NVwZRR 1999, 554, 555 und juris, Rn. 6. 55 BVerwG, Urt. vom 17. März 2005 – 4 A 18/04 –, BVerwGE 123, 152, 157 f.; vgl. zuletzt: BVerwG, Beschl. vom 11. November 2008, Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 51 und juris, Rn. 3. 56 BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1001/04 –, NVwZ 2006, 1055 – Leitsatz 3 und Rn. 241.

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troffenen Anwohner gerechte Abwägung zu treffen, gegebenenfalls unter Anordnung der notwendigen Schutzauflagen. Auf die Umgrenzung der Rechtsposition der Gemeinden kommt es indessen an, wenn im gerichtlichen Klageverfahren der Planfeststellungsbeschluss von der Gemeinde angegriffen wird und die Nichteinhaltung der Immissionsgrenzwerte für bestimmte Bereiche im Raum steht. Fasst man die neuere Rechtsprechung zum Schutz verwirklichter Baugebiete zusammen, so ist das Interesse einer Gemeinde an der Aufrechterhaltung der Wohnqualität in ihrem Siedlungsbereich von vornherein nur dann ein von ihr zu vertretender Belang, wenn die Bebauung Ausdruck ihrer Bauleitplanung ist, es sich also nicht bloß um unbeplanten Innenbereich handelt. Die Gemeinde soll sich nicht nur davor schützen können, dass Planungsabsichten unnötig verbaut werden. Sie soll auch eine nachträgliche Entwertung ihrer – inzwischen bereits verwirklichten – Planung als eigenen abwägungsbeachtlichen Belang einbringen dürfen. Dabei deckt sich die Rechtsposition der Gemeinde allerdings nicht in vollem Umfang mit den Abwehrrechten der planbetroffenen Bürger. 57 So kann die Gemeinde die Betroffenheit von bereits verwirklichten Baugebieten nur dann als ihren Belang einwenden, wenn sich diese Beeinträchtigung als quantitativ erheblich darstellt, das heißt sich „auf wesentliche Teile von Baugebieten“ auswirkt; Defizite des Lärmschutzes im Hinblick auf einzelne Grundstücke müssen die jeweiligen Eigentümer selbst geltend machen. 58 Eine die Abwägungsbeachtlichkeit auslösende nachhaltige Störung liegt vor, wenn die fachplanungsbedingten Immissionen zu einem Überschreiten der für das Baugebiet geltenden Zumutbarkeitsschwellen führen. 59 Ob dieser Belang Auswirkungen auf die Standort-/Trassenwahl des Vorhabens hat oder jedenfalls die Anordnung von Schutzauflagen verlangt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. 60

___________ 57

So aber noch BVerwG, Urt. vom 1. Juli 1988, BVerwGE 80, 7, 9 und juris, Rn.

16. 58 BVerwG, Urt. vom 9. Februar 2005 – 9 A 62/03 –, NVwZ 2005, 813, 816 und juris, Rn. 45; auch: HessVGH, Urt. vom 21. August 2009 – 11 C 227/08 u.a. – (Ausbau Flughafen Frankfurt), juris, Rn. 1243. 59 BVerwG, Beschl. vom 3. September 1997 – 11 VR 20/96 –, NVwZ-RR 1998, 289, 290 und juris, Rn. 21. 60 Zur Pflicht zur Auferlegung von Schutzauflagen zugunsten einer Wohnbebauung beim Überschreiten der für Dorf- oder Mischgebiete geltenden Grenzwerte: BVerwG, Beschl. vom 11. November 2008, Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 51 und juris, Rn. 3.

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c) Sonstige Auswirkungen auf die Gemeinde In der bisherigen Übersicht wurden Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft betrachtet, denen sich die Gemeinden angenommen hatten, etwa durch das Betreiben gemeindlicher Einrichtungen oder durch die Entwicklung oder Verwirklichung von Vorstellungen zur Bauleitplanung. Es gilt deshalb noch den Blick auf diejenigen Fälle zu richten, in denen sich das Fachplanungsvorhaben allgemein auf das Gemeindegebiet, auf das Ortsbild der Gemeinde oder auf die in ihr vorhandenen Strukturen auswirkt, ohne dass die Gemeinde insofern bereits planerisch oder in anderer Art und Weise konkret tätig geworden wäre. Hier stellt sich die bereits oben angesprochene Frage, ob der Schutz kommunaler Selbstverwaltungsautonomie auch bei solchen allgemeinen Auswirkungen eine Abwehrposition der Gemeinden begründet. Die Rechtsprechung ist hier zurückhaltend, will die Abwägungsbeachtlichkeit indes nicht gänzlich ausschließen. In den bisher entschiedenen Fällen konnte – soweit ersichtlich – ein Abwägungsfehler im Ergebnis jedenfalls immer verneint werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Judikatur wie folgt einordnen: aa) Entzug der Planungsmöglichkeit Die Betroffenheit des Gemeindegebiets als solche ist regelmäßig kein von der Gemeinde mit Erfolg geltend zu machender Abwägungsbelang, weil sich diese Betroffenheit zwangsläufig bei jeder Planung in jeder Kommune ergibt. Abwägungsbeachtlich können deshalb nur Besonderheiten sein, die sich von der Situation in anderen Kommunen unterscheidet. Dies kann der Fall sein, wenn sich ein Fachplanungsvorhaben derart auf das Gemeindegebiet auswirkt, dass der Kommune die Möglichkeit zur Steuerung der Bodennutzung in ihrem Gebiet inhaltlich ausgehöhlt oder praktisch genommen wird. 61 So ist auch in der Rechtsprechung des BVerwG anerkannt, dass eine Gemeinde eine abwägungsbeachtliche Betroffenheit in ihrer Planungshoheit rügen darf, „wenn ein großräumiges Vorhaben der Fachplanung wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung der Gemeinde entzieht.“ 62 Das Gewicht dieses Belangs hängt naturgemäß von den Umständen des einzelnen Falles ab. Im Verfahren zum Flughafen Berlin-Schönefeld hat das BVerwG zwar ganz erhebliche Eingriffe in die Planungshoheit der benachbarten Kommunen festgestellt (Siedlungsbeschränkungen für zum Teil 80 % des ___________ 61

Steinberg/Berg/Wickel, a.a.O., § 6 Rn. 85. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 27. Juli 1998 – 11 A 10/98 –, UPR 1998, 459 und juris, Rn. 18. 62

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Gemeindegebiets) und dennoch entschieden, dass die für den Flughafen sprechenden öffentlichen Belange diese Eingriffe rechtfertigten. 63 bb) Auswirkungen auf die „Wirtschaftsstruktur“ der Gemeinde Nicht selten wenden die Gemeinden in Fachplanungsverfahren ein, das Vorhaben beeinträchtige eine Vielzahl landwirtschaftlicher- oder fremdenverkehrlicher Betriebe, was zwangsläufig Folgen für die Struktur der Gemeinde habe, die sie wiederum als eigenen Belang geltend machen dürften. Das BVerwG hat diese Argumentation zunächst in einer Eilentscheidung zum Planfeststellungsbeschluss für die BAB A 7 (Füssen) akzeptiert. 64 In der Hauptsacheentscheidung hat es daran nicht mehr festgehalten. Die Wirtschaftsstruktur einer Gemeinde werde von vielfältigen Faktoren bestimmt und beeinflusst, die jedoch nicht sämtliche speziell dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde zugeordnet seien. 65 Dass diesem Belang die Abwägungsbeachtlichkeit aber nicht gänzlich abgesprochen wird, zeigt das Urteil des BVerwG zum Planfeststellungsbeschluss für einen Abschnitt der BAB A 14 (Magdeburg-Halle/Saale). Dort werden zunächst die gerade dargelegten Grundsätze wiederholt. Für den Fall gravierender Auswirkungen auf die vorhandenen Strukturen wird jedoch ein Vorbehalt eingeräumt: Danach sei die Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts in Betracht zu ziehen, wenn „die Auswirkungen eines Autobahnbaus die Wirtschaftsstruktur und Leistungsfähigkeit einer durch Landwirtschaft und Fremdenverkehr geprägten Gemeinde massiv und nachhaltig“ verschlechterten. Darüber hinaus könnten die Gemeinden als abwägungsbeachtlichen Belang rügen, dass ihnen die Entwicklung zu Orten der Naherholung und des Fremdenverkehrs durch das Bauvorhaben „verbaut werde“. Im konkreten Fall wurden derart massive Folgen der Fachplanung indes aus tatsächlichen Gründen verneint. 66

___________ 63

BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1001/04 –, NVwZ 2006, 1055, 1056, Rn.

175 f. 64 BVerwG, Beschl. vom 31. Oktober 1990 – 4 C 25.90, 4 ER 302/90 –, juris, Rn. 18. 65 BVerwG, Urt. vom 12. Dezember 1996 – 4 C 14/95 –, NVwZ 1997, 904, 905 und juris Rn. 15; Bonk/Neumann, a.a.O., § 74 Rn. 112; OVG RP, Urt. vom 28.10.2004 – 1 C 10517/04 – (Schleusenneubau), NVwZ-RR 2005, 404 (406) und juris Rn. 38. 66 BVerwG, Urt. vom 26. Februar 1999 – 4 A 47/96 –, NVwZ 2000, 560, 562 und juris, Rn. 41; ebenfalls: BVerwG, Gerichtsbescheid vom 27. Juli 1998 – 11 A 10/98 –, UPR 1998, 459.

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cc) Betroffenheit des Ortsbildes (Selbstgestaltungsrecht) Auch bei der Betroffenheit des Ortsbildes macht das BVerwG die Abwägungsbeachtlichkeit davon abhängig, wie intensiv die Fachplanung auf die gemeindlichen Strukturen einwirkt: Danach können solche Auswirkungen der Fachplanung abwägungsfehlerhaft sein, die das Ortsbild entscheidend prägen und damit nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken. 67 Im Ergebnis ist auch unter diesem Gesichtspunkt – soweit ersichtlich – noch kein Abwägungsfehler angenommen worden. Auch im Eilrechtsschutzverfahren einer Moselgemeinde gegen die Planfeststellung zum Hochmoselübergang hat der 1. Senat des OVG Rh-Pf. ausgeführt, dass die einen Teil des Ortes in 150m überspannende Brücke zwar dessen Struktur als Fremdenverkehrsgemeinde und dessen Ortsbild berühre, die Abwägungsentscheidung indes wegen des gewichtigen Vorhabeninteresses nicht fehlerhaft sei. 68

V. Fazit Gemeinden können sich durchaus mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Fachplanung wenden. Als Eigentümerinnen von Grundstücken (einschließlich gemeindlicher Einrichtungen) haben Gemeinden dieselben gesetzlich zwingenden Ansprüche auf Immissionsschutz wie andere von dem Fachplanungsvorhaben mittelbar betroffene Nachbarn. Im Übrigen vermittelt das Eigentum den Gemeinden eine Abwägungsposition. Aus der enteignungsrechtlich vorwirkenden Betroffenheit der Kommunen ergibt sich kein Vollüberprüfungsanspruch. In der Konkurrenz mit der Fachplanung haben gemeindliche Planungsabsichten ein umso größeres Gewicht, je weiter fortgeschritten sie sind, je weniger Planungsalternativen bestehen und je intensiver das Vorhaben die beabsichtigte städtebauliche Ordnung entwerten wird. Entsprechendes gilt für den Schutz bereits verwirklichter Baugebiete. Die Ansprüche zielen neben der Planaufhebung zumindest auf die Anordnung der notwendigen Schutzauflagen.

___________ 67 BVerwG, Beschluss vom 29.12.1994 – 7 VR 12/94 –, Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr.9 und juris, Rn. 21. 68 OVG Rh-Pf, Beschl. vom 16. August 2001 – 1 B 10456/01 –, juris; auch: Beschl. vom 16.8.2001 – 1 B 10286/01 –, NuR 2002, 234 und juris Rn. 8.

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Bei sonstigen Auswirkungen auf das Gemeindegebiet oder auf Ortsbild und Struktur der Gemeinde kann eine Kommune indes nur in Extremfällen eine Abwehrposition gegen die Fachplanung reklamieren.

Die Rückführung des Fachplanungsrechts in das VwVfG Von Heribert Schmitz

I. Verwaltungsverfahrensgesetz: aktueller Stand In der vergangenen Wahlperiode hat das Verwaltungsverfahrensgesetz wesentliche Änderungen erfahren, die im Zusammenhang mit der Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie stehen. Nach der Einführung neuer Verfahrensinstrumente im VwVfG durch das 4. VwVfÄndG 1 – Verfahren über einheitliche Stelle, Genehmigungsfiktion – folgten Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften 2 – Europäische Verwaltungszusammenarbeit –. Die Umsetzung der DLRL im Verwaltungsverfahrensgesetz zeigt, dass die deutsche Rechtsordnung in der Lage ist, vom europäischen Recht ausgehenden Regelungsbedarf systembildend zu implementieren. 3 Der aktuelle Novellierungsbedarf im Bereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist damit noch nicht erschöpft.

II. Verwaltungsverfahrensgesetz: Planung 17. Wahlperiode Zwei Vorhaben, die in der 16. Wahlperiode nicht abgeschlossen werden konnten, sollen wieder aufgegriffen werden: Die beschleunigenden Maßgaben aus dem Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben sollen in das Verwaltungsverfahrensgesetz überführt werden; 4 die Arbeit an der Novellierung des Vertragsrechts im Verwaltungsverfahrensgesetz ___________ 1

Hierzu Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1; Prell, apf 2009, 65. Hierzu Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1121. 3 Dies hoffte Ziekow, GewArch 2007, 217 (225); ders., FS Bartlsperger, 2006, S. 247 (257 f.); zum Verhältnis deutsches/europäisches Recht prägnant Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 94 ff. 4 Vgl. Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 (12). 2

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soll abgeschlossen werden. 5 Ein neues Vorhaben betrifft das Genehmigungsverfahren: Neben den allgemeinen Vorschriften zum Verwaltungsverfahren enthält das Verwaltungsverfahrensgesetz als besondere Verfahrensart mit eigenständigem Regelungskonzept u.a. das Planfeststellungsverfahren (§§ 72 ff. VwVfG). Mit dem 4. VwVfÄndG vom 12.12.2008 wurde im Zusammenhang mit der Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie als weitere besondere Verfahrensart das „Verfahren über eine einheitliche Stelle“ (§§ 71a ff. VwVfG) eingeführt. Anders als das Planfeststellungsverfahren, das sich in der Praxis außerordentlich bewährt hat, bewirkt das neue Verfahren über eine einheitliche Stelle keine Verfahrenskonzentration. Dessen Kern liegt darin, dass der Antragsteller eine Vielzahl von unabhängig voneinander durchführbaren Verwaltungsverfahren verschiedener Behörden über eine Stelle abwickeln kann. Vermisst wird vor allem die fehlende Kodifizierung der förmlichen Genehmigungsverfahren. 6 Neben den besonderen Verfahrensarten des Verwaltungsverfahrensgesetzes haben sich in den Fachgesetzen dann auch eine Reihe bereichsspezifischer Sonderverfahrensregelungen entwickelt. Schon seit längerem wird gefordert, das Verwaltungsverfahrensgesetz als zentrale Kodifikation des Verfahrensrechts zu stärken und den Bedarf der Praxis an passenden zusätzlichen Verfahrenskonzepten hier zu befriedigen. Dieser Forderung nach Vereinfachung und Beschleunigung von Verwaltungsverfahren kann durch Einführung eines neuen Verfahrenstyps im Verwaltungsverfahrensgesetz nachgekommen werden. In einem einheitlichen Zulassungsverfahren – mit Regelungen zu Öffentlichkeitsbeteiligung, Verfahrensarten, Rechtswirkungen der Genehmigung sowie deren Bestandkraft – ließe sich die Zulässigkeit eines Vorhabens insgesamt regeln. Zugleich können dann überflüssige Sonderregelungen im Fachrecht abgeschafft werden. Die Implementierung dieses Verfahrenstyps in die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder kann so einer weiteren Rechtszersplitterung vorbeugen. Der Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern 7 bereitet hierzu Empfehlungen vor.

___________ 5 Hierzu Schmitz, DVBl 2005, 17; zuletzt Burgi, Gutachten D zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, S. 92 f. (111 f.); Schmitz, in: Bauer/Büchner/Brosius-Gersdorf, Verwaltungskooperation, 2008, S. 51. 6 Vgl. nur Wahl, NVwZ 2002, 1192 m.w.Nachw. 7 Zum Beirat Verwaltungsverfahrensrecht vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 1 Rn. 276.

Die Rückführung des Fachplanungsrechts in das VwVfG

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III. Überführung der Regelungen aus dem Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben in das VwVfG Das schon angesprochene Vorhaben zur Überführung der Regelungen aus dem Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 9.12.2006 steht heute im Mittelpunkt. Der Gesetzgeber hat 2006 nicht das Verwaltungsverfahrensgesetz geändert, sondern – weil schneller zu realisieren – die Fachplanungsgesetze, die für die wesentlichen Verkehrsvorhaben einschlägig sind. In seiner Beschlussempfehlung vom 25.10.2006 hat der federführende Verkehrsausschuss darauf hingewiesen, dass die Planungen vielfach durch Landesbehörden erfolgen und damit die Länderverwaltungsgesetze zur Anwendung kommen. Eine Änderung der Fachplanungsgesetze sei schneller möglich wegen der Vereinbarung von Bund und Ländern, das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes stets im Zusammenspiel mit der Änderung der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder zu ändern. Dafür notwendig werdende 17 Gesetzgebungsverfahren ließen sich jedoch kurzfristig nicht bewerkstelligen. 8 Der Hinweis auf 17 Gesetzgebungsverfahren ist zwar nicht ganz zutreffend, da 6 Länder Verweisungsgesetze haben. 9 Dem Gesetzgeber war jedenfalls bewusst, dass damit die Zersplitterung des Verwaltungsverfahrensrechts weiter zunimmt. 10 Er hat deshalb am 27.10.2006 mit dem Gesetzesbeschluss die Bundesregierung aufgefordert, die beschleunigenden Maßgaben des Gesetzentwurfs auf den gesamten Anwendungsbereich der Planfeststellungsverfahren auszudehnen und im Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes sowie der Länder sobald wie möglich mit einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren zu verankern. 11 Eine entsprechende Entschließung hat auch der Bundesrat gefasst. 12 Wenn Sie fragen, warum wir hier seit 2006 noch nicht ins Ziel gekommen sind, kann ich nur darauf hinweisen, dass die genannten Novellen des Verwaltungsverfahrensgesetzes wegen des Umsetzungstermins der Dienstleistungsrichtlinie vorrangig waren. Jetzt soll der Auftrag zügig abgearbeitet werden.

___________ 8

BT-Dr 16/3158 vom 25.10.2006. Dynamische Verweisung: Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt; statische Verweisung: Niedersachsen. 10 Vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (o. Fußn. 7), § 1 Rn. 269. 11 BT-Dr 16/3158 vom 25.10.2006, S. 53 f. 12 BR-Dr 764/06 (B) vom 24.11.2006, S. 1 unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Entschließung des Bundestags. 9

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Bereits vor zwei Jahren hatte Prell das geplante Vorhaben hier (10. Speyerer Planungsrechtstage) vorgestellt. 13 Inzwischen ist eine entscheidende Konkretisierung erfolgt. Die Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten von Bund und Ländern haben in der vergangenen Woche in Stuttgart einen Bund-/LänderMusterentwurf beschlossen, den ich Ihnen hier näher erläutern möchte. Nicht eingehen werde ich auf Folgeänderungen in den betroffenen Fachgesetzen. Prinzipielle Einigkeit mit den Fachressorts besteht, dass auftragsgemäß nicht nur das Verwaltungsverfahrensgesetz angereichert, sondern zugleich die Fachgesetze entlastet werden sollen. Betroffene Fachgesetze sind das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG), das Bundesfernstraßengesetz (FStrG), das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), das Luftverkehrsgesetz (LuftVG) und das Magnetschwebebahnplanungsgesetz (MBPlG). Die folgenden Texte geben den in Stuttgart am 24.2.2010 beschlossenen Musterentwurf der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten von Bund und Ländern wieder. 14 Die Änderungen zum bisher geltenden Text sind markiert (Unterstreichung = neuer Text, Durchstreichung = wegfallender Text). § 73 Anhörungsverfahren (1) Der Träger des Vorhabens hat den Plan der Anhörungsbehörde zur Durchführung des Anhörungsverfahrens einzureichen. Der Plan besteht aus den Zeichnungen und Erläuterungen, die das Vorhaben, seinen Anlass und die von dem Vorhaben betroffenen Grundstücke und Anlagen erkennen lassen. (2) Innerhalb eines Monats nach Zugang des vollständigen Plans fordert die Anhörungsbehörde die Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, zur Stellungnahme auf und veranlasst, dass der Plan in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben auswirkt, ausgelegt wird. Sie veranlasst innerhalb der Frist nach Satz 1, dass 1. die Gemeinden, in denen sich das Vorhaben auswirken wird, den Plan auslegen und 2. die nach anderen gesetzlichen Vorschriften zu beteiligenden Vereinigungen von der Auslegung des Plans benachrichtigt werden und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Die Benachrichtigung erfolgt durch die ortsübliche Bekanntmachung der Auslegung nach Absatz 5.

___________ 13 Prell, in: Ziekow, Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planungsfeststellungsund Umweltrechts 2008, 2009, S. 105. 14 Berücksichtigt werden nachträgliche redaktionelle Verbesserungen bis Mitte 2010, die die Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten im e-Mail-Verfahren (hierzu Schmitz, in Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 677, 690) abgestimmt haben. Dabei wurde auch beschlossen, die Streichung des Worts „voraussichtlich“ vorzusehen in §§ 63 Abs. 3 Satz 2, 67 Abs. 1 Satz 4, 69 Abs. 2 Satz 4 und 72 Abs. 2 Satz 3 VwVfG.

Die Rückführung des Fachplanungsrechts in das VwVfG

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(3) Die Gemeinden nach Absatz 2 haben den Plan innerhalb von drei Wochen nach Zugang für die Dauer eines Monats zur Einsicht auszulegen. Auf eine Auslegung kann verzichtet werden, wenn der Kreis der Betroffenen und der Vereinigungen nach Absatz 2 Satz 2 bekannt ist und ihnen innerhalb angemessener Frist Gelegenheit gegeben wird, den Plan einzusehen. (3a) Die Behörden nach Absatz 2 haben ihre Stellungnahme innerhalb einer von der Anhörungsbehörde zu setzenden Frist abzugeben, die drei Monate nicht überschreiten darf. Stellungnahmen, die nach Ablauf der Frist nach Satz 1 eingehen, sind zu berücksichtigen, wenn die vorgebrachten Belange der Planfeststellungsbehörde bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen oder für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von Bedeutung sind; im Übrigen können sie berücksichtigt werden. Nach dem Erörterungstermin eingehende Stellungnahmen werden nicht mehr berücksichtigt, es sei denn, die vorgebrachten Belange sind der Planfeststellungsbehörde bereits bekannt oder hätten ihr bekannt sein müssen oder sind für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von Bedeutung. (4) Jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, kann bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Anhörungsbehörde oder bei der Gemeinde Einwendungen gegen den Plan erheben. Im Falle des Absatzes 3 Satz 2 bestimmt die Anhörungsbehörde die Einwendungsfrist. Mit Ablauf der Einwendungsfrist sind alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Hierauf ist in der Bekanntmachung der Auslegung oder bei der Bekanntgabe der Einwendungsfrist hinzuweisen. Die Sätze 1 bis 4 gelten entsprechend für Stellungnahmen von Vereinigungen nach Absatz 2 Satz 2. (5) Die Gemeinden, in denen der Plan auszulegen ist, haben die Auslegung vorher ortsüblich bekannt zu machen. In der Bekanntmachung ist darauf hinzuweisen, 1. wo und in welchem Zeitraum der Plan zur Einsicht ausgelegt ist; 2. dass etwaige Einwendungen oder Stellungnahmen von Vereinigungen nach Absatz 2 Satz 2 bei den in der Bekanntmachung zu bezeichnenden Stellen innerhalb der Einwendungsfrist vorzubringen sind; 3. dass bei Ausbleiben eines Beteiligten in dem einem Erörterungstermin auch ohne ihn verhandelt werden kann; 4. dass a) die Personen, die Einwendungen erhoben, oder die Vereinigungen, die Stellungnahmen abgegeben haben, von dem einem Erörterungstermin durch öffentliche Bekanntmachung benachrichtigt werden können, b) die Zustellung der Entscheidung über die Einwendungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden kann, wenn mehr als 50 Benachrichtigungen oder Zustellungen vorzunehmen sind. Nicht ortsansässige Betroffene, deren Person und Aufenthalt bekannt sind oder sich innerhalb angemessener Frist ermitteln lassen, sollen auf Veranlassung der Anhörungsbehörde von der Auslegung mit dem Hinweis nach Satz 2 benachrichtigt werden. (6) Nach Ablauf der Einwendungsfrist kann die Anhörungsbehörde die rechtzeitig gegen den Plan erhobenen Einwendungen, die rechtzeitig abgegebenen Stellungnahmen von Vereinigungen nach Absatz 2 Satz 2 sowie die Stellung-

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Heribert Schmitz nahmen der Behörden zu dem Plan mit dem Träger des Vorhabens, den Behörden, den Betroffenen sowie denjenigen, die Einwendungen erhoben haben, erörtern. Nach Ablauf der Einwendungsfrist hat die Anhörungsbehörde die rechtzeitig erhobenen Einwendungen gegen den Plan und die Stellungnahmen der Behörden zu dem Plan mit dem Träger des Vorhabens, den Behörden, den Betroffenen sowie den Personen, die Einwendungen erhoben haben, zu erörtern. Der Erörterungstermin ist mindestens eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen. Die Behörden, der Träger des Vorhabens und diejenigen, die Einwendungen erhoben oder Stellungnahmen abgegeben haben, sind von dem Erörterungstermin zu benachrichtigen. Sind außer der Benachrichtigung der Behörden und des Trägers des Vorhabens mehr als 50 Benachrichtigungen vorzunehmen, so können diese Benachrichtigungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Die öffentliche Bekanntmachung wird dadurch bewirkt, dass abweichend von Satz 2 der Erörterungstermin im amtlichen Veröffentlichungsblatt der Anhörungsbehörde und außerdem in örtlichen Tageszeitungen bekannt gemacht wird, die in dem Bereich verbreitet sind, in dem sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkten wird; maßgebend für die Frist nach Satz 2 ist die Bekanntgabe im amtlichen Veröffentlichungsblatt. Im Übrigen gelten für die Erörterung die Vorschriften über die mündliche Verhandlung im förmlichen Verwaltungsverfahren (§ 67 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Nr. 1 und 4 und Abs. 3, § 68) entsprechend. Die Anhörungsbehörde schließt die Erörterung soll innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Einwendungsfrist abgeschlossen werden. (7) Abweichend von den Vorschriften des Absatzes 6 Satz 2 bis 5 kann der Erörterungstermin bereits in der Bekanntmachung nach Absatz 5 Satz 2 bestimmt werden. (8) Soll ein ausgelegter Plan geändert werden und werden dadurch der Aufgabenbereich einer Behörde oder einer Vereinigung nach Absatz 2 Satz 2 oder Belange Dritter erstmalig oder stärker als bisher berührt, so ist diesen die Änderung mitzuteilen und ihnen Gelegenheit zu Stellungnahmen und Einwendungen innerhalb von zwei Wochen zu geben; Absatz 4 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend. Wirkt Wird sich die Änderung auf das Gebiet einer anderen Gemeinde auswirken, so ist der geänderte Plan in dieser Gemeinde auszulegen; die Absätze 2 bis 6 gelten entsprechend. (9) Die Anhörungsbehörde leitet ihre Stellungnahme zum Ergebnis des Anhörungsverfahrens innerhalb eines Monats nach Abschluss der Erörterung mit dem Plan, den Stellungnahmen der Behörden und Vereinigungen nach Absatz 2 Satz 2 und den nicht erledigten Einwendungen der Planfeststellungsbehörde zu. Findet keine Erörterung statt, so leitet die Anhörungsbehörde ihre Stellungnahme zusammen mit den sonstigen in Satz 1 aufgeführten Unterlagen innerhalb von sechs Wochen nach Ablauf der Einwendungsfrist der Planfeststellungsbehörde zu. Die Anhörungsbehörde gibt zum Ergebnis des Anhörungsverfahrens eine Stellungnahme ab und leitet diese möglichst innerhalb eines Monats nach Abschluss der Erörterung mit dem Plan, den Stellungnahmen der Behörden und den nicht erledigten Einwendungen der Planfeststellungsbehörde zu.

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§ 73 Abs. 2 Satz 1 VwVfG-E – Planauslegung, in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben auswirkt In Absatz 2 Satz 1 finden Sie keine Änderung. Der Zusatz „voraussichtlich“ in den Fachgesetzen soll ersatzlos gestrichen werden, denn er führt zu keiner wesentlichen Entlastung und provoziert eher zusätzliche Konflikte. Im VwVfG war der ursprünglich enthaltene Zusatz „voraussichtlich“ schon durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz 1996 15 gestrichen worden. Grundsätzlich muss es Aufgabe der Verwaltung bleiben, anhand objektiver Kriterien zu prognostizieren, in welchen Gemeinden sich ein Vorhaben auswirken wird. § 73 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG-E – Beteiligung von Vereinigungen Die mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz eingeführten Regelungen zur Beteiligung von Natur- und Umweltschutzvereinigung werden in Form einer abstrakten Regelung übernommen. Diese Vereinigungen sind von der Anhörungsbehörde über die Planauslegung im Wege der öffentlichen Bekanntmachung zu benachrichtigen, sie erhalten zugleich Gelegenheit zur Stellungnahme. § 73 Abs. 3a Satz 2 VwVfG-E – ausdrückliche Einschränkung der Behördenpräklusion Die bisherige Regelung in § 73 Abs. 3a Satz 2 VwVfG war problematisch und führte nicht immer zu sachgerechten Ergebnissen. Wegen der Fakultativstellung des Erörterungstermins wird die Präklusion nicht mehr an diesen, sondern an das Ende der Frist zur Stellungnahme geknüpft. Zugleich wird der Behörde ein Ermessen eingeräumt, nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten auch verfristete Stellungnahmen zu berücksichtigen, die sich nicht auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung auswirken würden. § 73 Abs. 4 Satz 5 VwVfG-E – Präklusion von Vereinigungen In Folge der Einfügung der abstrakten Beteiligungsregelung in § 73 Abs. 2 Satz 2 VwVfG sollen auch für die danach zu beteiligenden Vereinigungen die für die sonstigen Einwender geltenden Präklusionsvorschriften gelten.

___________ 15

Hierzu Schmitz/Wessendorf, NVwZ 1996, 955.

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§ 73 Abs. 5 Satz 3 VwVfG – Benachrichtigungspflicht gegenüber Auswärtigen Die fachgesetzlichen Maßgaben zu § 73 Abs. 5 Satz 3 VwVfG sollen gestrichen werden. Sie wurden ursprünglich mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz eingeführt vor dem Hintergrund, dass Ermittlung Betroffener in den neuen Bundesländern oft problematisch war. Die Maßgabevorschriften bringen bei verfassungskonformer Auslegung kaum wesentliche Entlastungen. § 73 Abs. 6 Satz 1 bis 3 VwVfG-E – Fakultativstellung des Erörterungstermins Die Erörterung wird in das Ermessen der Anhörungsbehörde gestellt. Dieser wird damit die Möglichkeit eröffnet, auf den Erörterungstermin zu verzichten, wenn absehbar ist, dass er seine Funktion nicht erfüllen kann und nur zu einer Verfahrensverzögerung führen würde. Regelmäßig ist der Erörterungstermin ein auch für die Anhörungsbehörde sinnvolles Verfahrensinstrument. Die Behörden wissen, dass gerade bei weniger rechtskundigen privaten Einwendern oft Missverständnisse ausgeräumt und Verständigungen erreicht werden können. Hingegen ist der Erörterungstermin in der Praxis bei manchen Großvorhaben mit einer großen Zahl von Einwendern kaum noch handhabbar, wenn Vorhaben erkennbar kategorisch abgelehnt werden. Eine befriedende Wirkung kann dann nicht erzielt werden. Das dürfte aber wohl nur für den geringeren Teil der Verfahren gelten. Ihre Funktion kann die Erörterung auch dann nicht erfüllen. Das Verfahrensinstrument „Erörterung“ wird also nicht in Frage gestellt; der Verzicht nicht zum Regelfall. § 73 Abs. 6 Satz 5 VwVfG-E/§ 73 Abs. 2 VwVfG – keine Beschränkung der öffentlichen Bekanntmachung des Erörterungstermins nur auf Gemeinden, in denen sich das Vorhaben „voraussichtlich auswirken wird“ Es handelt sich hier um eine Anpassung an den Wortlaut des § 73 Abs. 2 Satz 1 VwVfG–E. Die fachgesetzliche Maßgabe „voraussichtlich auswirken wird“ soll gestrichen werden. Im Verwaltungsverfahrensgesetz war in § 73 Abs. 2 der Zusatz „voraussichtlich“ schon enthalten und ist durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz 1996 gestrichen worden, weil die Einschränkung zu Zweifelsfragen geführt hatte. In das Fachrecht (z. B. in § 17 Abs. 3a FStrG) war die Formulierung 1993 durch das Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz – PlVereinfG) vom 17.12.1993 aufgenommen worden. Sie ist dort trotz der Streichung im Verwaltungsverfahrensgesetz durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz verblieben und wurde dann durch das Infra-

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strukturplanungsbeschleunigungsgesetz in die parallelen Maßgabevorschriften der Fachgesetze übernommen. Grundsätzlich muss es jedoch Aufgabe der Verwaltung bleiben, anhand objektiver Kriterien zu prognostizieren, in welchen Gemeinden sich ein Vorhaben auswirken wird. § 73 Abs. 6 Satz 7 VwVfG-E – fristgebundener Abschluss der Erörterung Die Regelung ist zwar verbindlich, hat aber vor allem Appellfunktion. Eine Fristüberschreitung ist nicht mit Sanktionen verbunden. Die entsprechenden fachgesetzlichen Maßgaben sollen gestrichen werden. § 73 Abs. 8 VwVfG-E – Einwendungspräklusion bei Änderung eines ausgelegten Plans Die lediglich klarstellende Regelung zur Einwendungspräklusion durch Verweis auf Absatz 4 Satz 3 bis 5 (Ausschluss der Einwendungen Dritter bei erstmalig oder nachträglich stärker berührten Belangen im vereinfachten Nachtragsverfahren zum Anhörungsverfahren – ohne Auslegung) wird übernommen. Die entsprechenden fachgesetzlichen Maßgaben sollen gestrichen werden. § 73 Abs. 9 VwVfG-E – fristgebundene Stellungnahme der Anhörungsbehörde Wie bei der Änderung in § 73 Abs. 6 Satz 7 VwVfG-E handelt es sich um eine verbindlichere Regelung mit Appellfunktion; eine Fristüberschreitung ist nicht mit Sanktionen verbunden. Die entsprechenden fachgesetzlichen Maßgaben sollen gestrichen werden. § 74 Planfeststellungsbeschluss, Plangenehmigung (1) Die Planfeststellungsbehörde stellt den Plan fest (Planfeststellungsbeschluss). Die Vorschriften über die Entscheidung und die Anfechtung der Entscheidung im förmlichen Verwaltungsverfahren (§§ 69 und 70) sind anzuwenden. (2) Im Planfeststellungsbeschluss entscheidet die Planfeststellungsbehörde über die nicht erledigten Einwendungen. Im Planfeststellungsbeschluss entscheidet die Planfeststellungsbehörde über die Einwendungen, über die bei der Erörterung vor der Anhörungsbehörde keine Einigung erzielt worden ist. Sie hat dem Träger des Vorhabens Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. Sind solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so hat der Betroffene Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld. (3) Soweit eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich ist, ist diese im Planfeststellungsbeschluss vorzubehalten; dem Träger des Vorhabens ist dabei auf-

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zugeben, noch fehlende oder von der Planfeststellungsbehörde bestimmte Unterlagen rechtzeitig vorzulegen. (4) Der Planfeststellungsbeschluss ist dem Träger des Vorhabens, den bekannten Betroffenen und denjenigen, über deren Einwendungen entschieden worden ist, zuzustellen. Eine Ausfertigung des Beschlusses ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung und einer Ausfertigung des festgestellten Plans in den Gemeinden zwei Wochen zur Einsicht auszulegen; der Ort und die Zeit der Auslegung sind ortsüblich bekannt zu machen. Mit dem Ende der Auslegungsfrist gilt der Beschluss gegenüber den übrigen Betroffenen als zugestellt; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. (5) Sind außer an den Träger des Vorhabens mehr als 50 Zustellungen nach Absatz 4 vorzunehmen, so können diese Zustellungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Die öffentliche Bekanntmachung wird dadurch bewirkt, dass der verfügende Teil des Planfeststellungsbeschlusses, die Rechtsbehelfsbelehrung und ein Hinweis auf die Auslegung nach Absatz 4 Satz 2 im amtlichen Veröffentlichungsblatt der zuständigen Behörde und außerdem in örtlichen Tageszeitungen bekannt gemacht werden, die in dem Bereich verbreitet sind, in dem sich das Vorhaben voraussichtlich auswirken wird; auf Auflagen ist hinzuweisen. Mit dem Ende der Auslegungsfrist gilt der Beschluss den Betroffenen und denjenigen gegenüber, die Einwendungen erhoben haben, als zugestellt; hierauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Nach der öffentlichen Bekanntmachung kann der Planfeststellungsbeschluss bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist von den Betroffenen und von denjenigen, die Einwendungen erhoben haben, schriftlich angefordert werden; hierauf ist in der Bekanntmachung gleichfalls hinzuweisen. (6) An Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses kann eine Plangenehmigung erteilt werden, wenn 1. Rechte anderer nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt werden oder die Betroffenen sich mit der Inanspruchnahme ihres Eigentums oder eines anderen Rechts schriftlich einverstanden erklärt haben, und 2. mit den Trägern öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich berührt wird, das Benehmen hergestellt worden ist und 3. nicht ein Verfahren gesetzlich vorgeschrieben ist, das den Anforderungen des Planfeststellungsverfahrens entsprechen muss. Die Plangenehmigung hat die Rechtswirkungen der Planfeststellung mit Ausnahme der enteignungsrechtlichen Vorwirkung; auf ihre Erteilung finden die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren keine Anwendung mit Ausnahme von Absatz 4 Satz 1 und Absatz 5, die entsprechend anzuwenden sind. Vor Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage bedarf es keiner Nachprüfung in einem Vorverfahren. § 75 Abs. 4 gilt entsprechend. (7) Planfeststellung und Plangenehmigung entfallen in Fällen von unwesentlicher Bedeutung. Diese liegen vor, wenn 1. andere öffentliche Belange nicht berührt sind oder die erforderlichen behördlichen Entscheidungen vorliegen und sie dem Plan nicht entgegenstehen, und 2. Rechte anderer nicht beeinflusst werden oder mit den vom Plan Betroffenen entsprechende Vereinbarungen getroffen worden sind und. 3. nicht ein Verfahren gesetzlich vorgeschrieben ist, das den Anforderungen des Planfeststellungsverfahrens entsprechen muss.

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§ 74 Abs. 2 Satz 1 VwVfG-E – nicht erledigte Einwendungen bei fehlendem Erörterungstermin Hier ist eine Folgeänderung zur Fakultativstellung des Erörterungstermins notwendig (vgl. § 73 Abs. 9 VwVfG-E). Im Planfeststellungsbeschluss entscheidet die Behörde über die – ob mit oder ohne Erörterungstermin – nicht erledigten Einwendungen. § 74 Abs. 4 Satz 1 VwVfG-E – Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses Der Planfeststellungsbeschluss muss neben dem Vorhabenträger nicht mehr jedem einzelnen Betroffenen, sondern nur denjenigen zugestellt werden, über deren Einwendungen entschieden worden ist. § 74 Abs. 5 Satz 2 VwVfG-E – öffentliche Bekanntmachung des Planfeststellungsbeschlusses im Bereich, in dem sich das Vorhaben auswirkt Es handelt sich um eine Anpassung an § 73 Abs. 2 Satz 1 VwVfG-E. Der Zusatz „voraussichtlich“ und die entsprechenden fachgesetzlichen Maßgaben werden gestrichen (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 5 VwVfG-E). Zudem dürfte nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses der Bereich, in dem sich das Vorhaben auswirkt, bekannt sein. § 74 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und 3 VwVfG-E – Voraussetzungen für eine Plangenehmigung Nr. 1: Die Plangenehmigung wird bei nur „unwesentlicher“ Rechtsbeeinträchtigung zugelassen. Die entsprechenden fachgesetzlichen Maßgaben sollen gestrichen werden. Nr. 2: Die zusätzliche Voraussetzung der „UVP-Freiheit“ eines Vorhabens wird in Form einer abstrakten Regelung eingeführt; ein erläuternder Hinweis auf die Umweltverträglichkeitsprüfung wird in die Gesetzesbegründung aufgenommen. Die entsprechenden fachgesetzlichen Maßgabevorschriften sollen gestrichen werden. Eine Eingliederung als jeweils weitere Voraussetzung in § 74 Abs. 6 und 7 VwVfG unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die UVP-Pflicht wird vermieden, weil eine solche Regelung als Fremdkörper im Verwaltungsverfahrensgesetz erschiene. Für die Plangenehmigung besteht nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz bislang – im Gegensatz zu den fachgesetzlichen Maßgaben – keine Zustellungspflicht. Diese kann aber übernommen werden, und zwar in § 74 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 VwVfG als Ausnahme von der Nichtanwendbarkeit der Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren.

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§ 74 Abs. 6 Satz 2 VwVfG-E – Rechtswirkungen und Formvorschriften einer Plangenehmigung Die irreführende Ausnahme der enteignungsrechtlichen Vorwirkung wird gestrichen; auch in den fachgesetzlichen Maßgabevorschriften soll dies geschehen. Im Falle einer erforderlichen Enteignung liegt eine nicht nur unwesentliche Beeinträchtigung vor und fehlt es regelmäßig an dem Einverständnis des Betroffenen als Zulässigkeitsvoraussetzung der Plangenehmigung. § 74 Abs. 7 Nr. 3 VwVfG-E – Entfallen von Planfeststellung und Plangenehmigung bei unwesentlichen nicht UVP-pflichtigen Vorhaben Vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und 3 VwVfG-E.

§ 75 Rechtswirkungen der Planfeststellung (1) Durch die Planfeststellung wird die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt; neben der Planfeststellung sind andere behördliche Entscheidungen, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, Zustimmungen und Planfeststellungen nicht erforderlich. Durch die Planfeststellung werden alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt. (1a) Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Erhebliche Mängel bei der Abwägung oder eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften führen nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können; die §§ 45 und 46 bleiben unberührt. (2) Ist der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden, so sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen. Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen erst nach Unanfechtbarkeit des Plans auf, so kann der Betroffene Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen. Sie sind dem Träger des Vorhabens durch Beschluss der Planfeststellungsbehörde aufzuerlegen. Sind solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so richtet sich der Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld. Werden Vorkehrungen oder Anlagen im Sinne des Satzes 2 notwendig, weil nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens auf einem benachbarten Grundstück Veränderungen eingetreten sind, so hat die hierdurch entstehenden Kosten der Eigentümer des benachbarten Grundstücks zu tragen, es sei denn, dass die Veränderungen durch natürliche Ereignisse oder höhere Gewalt verursacht worden sind; Satz 4 ist nicht anzuwenden.

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(3) Anträge, mit denen Ansprüche auf Herstellung von Einrichtungen oder auf angemessene Entschädigung nach Absatz 2 Satz 2 und 4 geltend gemacht werden, sind schriftlich an die Planfeststellungsbehörde zu richten. Sie sind nur innerhalb von drei Jahren nach dem Zeitpunkt zulässig, zu dem der Betroffene von den nachteiligen Wirkungen des dem unanfechtbar festgestellten Plan entsprechenden Vorhabens oder der Anlage Kenntnis erhalten hat; sie sind ausgeschlossen, wenn nach Herstellung des dem Plan entsprechenden Zustands 30 Jahre verstrichen sind. (4) Wird mit der Durchführung des Plans nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen, so tritt er außer Kraft. Als Beginn der Durchführung des Plans gilt jede erstmals nach außen erkennbare Tätigkeit von mehr als nur geringfügiger Bedeutung zur plangemäßen Verwirklichung des Vorhabens; eine spätere Unterbrechung der Verwirklichung des Vorhabens berührt den Beginn der Durchführung nicht.

§ 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG-E – Folgen der Verletzung von Verfahrensoder Formvorschriften Die fachgesetzlichen Regelungen zur Beachtlichkeit von Verfahrens- oder Formfehlern werden übernommen. Die entsprechenden fachgesetzlichen Maßgabevorschriften sollen gestrichen werden. § 75 Abs. 4 VwVfG-E – Außerkrafttreten von Planfeststellungsbeschlüssen – Definition des Beginns der Plandurchführung Die fachgesetzliche Maßgabe zur Verlängerung der Plangeltung wird nicht übernommen. Die Verlängerungsmöglichkeit erscheint nicht zur Aufnahme als allgemeine Regelung in das Verwaltungsverfahrensgesetz geeignet. Der Begriff des Beginns der Plandurchführung wird legaldefiniert. Eine weitere Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes soll mit diesem Vorhaben verbunden werden. Die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung für Bundesbehörden nach § 59 VwGO soll auf alle Behörden erweitert und in das Verwaltungsverfahrensgesetz übernommen werden. Der Konsens zu dieser Änderung wurde in Stuttgart von einem Land in Frage gestellt. Einige Länder haben weitgehend die Widerspruchsverfahren aufgegeben. Für manche Behörden erwachsen daraus Probleme. Sie haben durchaus ein Interesse daran, nach Gegenvorstellung des Bürgers Fehler im Bescheid zu beheben. Die Zeit hierfür finden sie in der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Ob hier der notwendige Konsens zur einheitlichen Fortentwicklung der Verwaltungsverfahrensgesetze noch erzielt werden kann, ist noch nicht zu prognostizieren.

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§ 37 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes ... (6) Einem schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt, der der Anfechtung unterliegt, ist eine Erklärung beizufügen, durch die der Beteiligte über den Rechtsbehelf, der gegen den Verwaltungsakt gegeben ist, über die Stelle, bei der der Rechtsbehelf einzulegen ist, und über die Frist belehrt wird (Rechtsbehelfsbelehrung). Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch der schriftlichen oder elektronischen Bestätigung eines Verwaltungsaktes und der Bescheinigung nach § 42a Abs. 3 beizufügen.

§ 37 Abs. 6 VwVfG-E – Einführung einer obligatorischen Rechtsbehelfsbelehrung Bei der in den fachgesetzlichen Maßgaben zu § 74 Abs. 4 Satz 1 VwVfG geregelten Verpflichtung zur Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung handelt es sich um eine Obliegenheit der Planfeststellungsbehörden ohne über § 58 Abs. 2 VwGO hinausgehende Rechtsfolgen. Die Rechtsbehelfsbelehrung wird ohnehin im Regelfall beigefügt, um die Jahresfrist für die Einlegung des Rechtsbehelfs – anstelle der Monatsfrist – nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu vermeiden und auch dadurch auch eine Verfahrensbeschleunigung zu erreichen. Da auch zunehmend europarechtliche Vorgaben die Beifügung von Rechtsbehelfsbelehrungen verlangen, soll eine generelle Verpflichtung zur Rechtsbehelfsbelehrung in das VwVfG eingeführt werden. Dies soll aber an der systematisch richtigen Stelle erfolgen. Eine generelle Verpflichtung zur Rechtsbehelfsbelehrung wäre deshalb durch Anfügung eines neuen Absatz 6 in § 37 VwVfG zu regeln.

IV. Ausblick In jüngster Zeit werden Stimmen lauter, die weitergehende Änderungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes fordern. So hat Burgi bei einer Veranstaltung in Düsseldorf 16 im September 2009, in einem Beitrag in der FAZ 17 im Dezember 2009 sowie einem Aufsatz 18 im Februar 2010 Themenbereiche benannt. Huber (derzeit Innenminister in Thüringen) hat nun ein Eckpunktepapier vorgelegt, das ebenfalls weitreichende Änderungen des Verwaltungsverfahrensge___________ 16

„Zukunftswerkstatt Verwaltungsverfahren“. Ordnung muss sein – Zum Schutz der Bürger: Das in die Jahrzehnte gekommene „Grundgesetz des Verwaltungsrechts“ muss dringend reformiert werden, FAZ, 3.12. 2009, Nr. 281, S. 8. 18 Verwaltungsverfahrensrecht zwischen europäischem Umsetzungsdruck und nationalem Gestaltungswillen, JZ 2010, 105. 17

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setzes anregt. Diese Vorschläge greifen entsprechende Ideen aus der Wissenschaft 19 auf. Danach sollen insbesondere  der Aufbau und die systematische Gliederung des Verwaltungsverfahrensgesetzes grundlegend überarbeitet werden,  sämtliche Formen des Verwaltungshandelns (einschließlich Rechtssetzung, informellen Verwaltungshandelns und verwaltungsinternen Vorgänge) gesetzlich geregelt werden,  ein allgemeines Informationsrecht für jedermann geschaffen werden,  die der Verfahrensbeschleunigung dienenden Möglichkeiten der Heilung von Verfahrensfehlern mit der Tendenz zur Einschränkung überprüft werden,  die Öffentlichkeitsbeteiligung ausgeweitet werden und  Regelungen zur Verteilung von öffentlicher Leistungen und Güter geschaffen werden. Daneben werden die bereits laufenden Vorhaben zur Übernahme fachrechtlicher Beschleunigungsvorschriften sowie einer einheitlichen Genehmigung ins Verwaltungsverfahrensgesetz sowie die Überarbeitung der Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag aufgegriffen und unterstützt. Anders als Burgi fordert Huber nicht, ggfs. auch die Einheitlichkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern aufzugeben. Die Vorschläge werden noch zu erörtern sein. In aller Kürze kann hier nur auf Folgendes hingewiesen werden: Zu beachten ist stets das generelle und vorrangige Ziel der Deregulierung. Neue Gesetze sind danach nur dann gerechtfertigt, wenn für sie ein unabweisbares Bedürfnis besteht und das Gewollte nicht auch ohne gesetzliche Regelung erreicht werden kann. Für das Verwaltungsverfahrensrecht kommt hinzu, dass Regelungen der Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren dienen müssen und nicht einer weiteren Bürokratisierung und Verkomplizierung (etwa durch zu weitgehende Verrechtlichung von Abläufen und Verlust von Handlungsflexibiltät) Vorschub leisten dürfen. Ebenso wenig dürfen Änderungen die Rechtssicherheit gefährden, die in Anwendung des seit fast 40 ___________ 19 Vertreter der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft, die einen umfassenden Steuerungsansatz verfolgt. Die traditionelle Verwaltungsrechtswissenschaft konzentriert sich im Verwaltungsverfahrensrecht auf (nach außen gerichtete) Rechtsakte; die Anforderungen des Rechtsstaatsgebots und des Grundrechtsschutzes durch Verfahren standen und stehen im Mittelpunkt. Demgegenüber strebt der neue (steuerungswissenschaftliche) Ansatz (vertr. v.a. von Schmidt-Aßmann, Hoffmann-Riem, Voßkuhle) eine stärkere Verrechtlichung des Verfahrens selbst und der Verwaltungsabläufe an. Gegenstand des Verwaltungsverfahrensrechts sollen auch verwaltungsinterne Vorgänge und informelles Verwaltungshandeln sein.

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Jahren in seinen Grundstrukturen weitgehend unverändert gebliebenen Verwaltungsverfahrensgesetzes gewachsen ist. Und schließlich ist auch die nicht nur für die Verwaltung selbst, sondern auch für den Bürger und für die Wirtschaft bedeutsame Einheitlichkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern zu wahren und eine Partikularisierung des Verfahrensrechts, wie sie etwa Burgi befürwortet, zu verhindern.

Beweisfragen in gerichtlichen Verfahren zu Planfeststellungsbeschlüssen Von Wolfgang Baumann

I. Einleitung

Gerichtsverfahren zu fachplanerischen Entscheidungen scheinen eigenen Gesetzen zu folgen: Dies mag der Komplexität der Projekte geschuldet sein; es hat wohl auch damit zu tun, dass bei Vorhaben wie Flughäfen, Autobahnen, Eisenbahntrassen 1 jeweils umfangreiche Antragsunterlagen mit Begutachtungen vorliegen, die zudem in einem Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren mit frühzeitiger Bürgerbeteiligung, sozusagen in einem Verfahren des vorgezogenen Verwaltungsrechtsschutzes überprüft worden sind. Bevor die Besonderheiten gerichtlicher Verfahren zu Planfeststellungsbeschlüssen des Fachplanungsrechts dargestellt werden sollen, möchte ich einige Grundsätze der verwaltungsrichterlichen Sachverhaltsaufklärung und Entscheidungsfindung vergegenwärtigen. 2

II. Grundsätze der Sachverhaltsaufklärung und der verwaltungsrichterlichen Entscheidungsfindung Gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen und hat hierbei die Beteiligten heranzuziehen. Das Gericht ist dabei an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. ___________

Für die kompetente Mitarbeit von Frau Rechtsanwältin Franziska Heß bei der Vorbereitung des Vortrags bin ich ihr zu Dank verbunden. 1 Zu den Anwendungsbereichen der Planfeststellung und ihren Besonderheiten: Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, S. 59 ff. 2 Ronellenfitsch, Fachplanung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Festschrift f. Blümel, 1999, 497 ff.; Burgi, Planfeststellung umweltrelevanter Vorhaben im Schnittpunkt von Planung und Verhaltenssteuerung, JZ 1994, 654; Baumann, Die Feststellungs- und Konzentrationswirkung von luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsbeschlüssen.

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1. Amtsermittlungsprinzip Im Verwaltungsprozess gilt das Amtsermittlungsprinzip, also der Untersuchungsgrundsatz auch Inquisitionsmaxime genannt. 3 Der grundsätzliche Vorrang richterlicher Ermittlung vor etwaigen Mitwirkungspflichten der Beteiligten steht im Gegensatz zum Beibringungs- oder Behandlungsgrundsatz des Zivilprozesses. Dementsprechend ist das Prinzip, dass unstreitiger Vortrag als zugestanden gilt und für das Gericht Verbindlichkeit erlangt, dem Verwaltungsprozess grundsätzlich wesensfremd, geht es hier doch immer um die Kontrolle staatlicher oder anderer öffentlicher Gewalt. Wegen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Ausdruck des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips ist, besteht ein öffentliches Interesse an der sachlichen Richtigkeit der Entscheidung. Öffentlicher Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ist daher grundsätzlich die Herbeiführung einer richtigen Sachentscheidung ohne Bindung an das Verhalten der Beteiligten. 4 2. Bildung der richterlichen Überzeugung a) Grundlage: vollständiger Sachverhalt Zum Untersuchungsgrundsatz gehört die Verpflichtung des Gerichts zur vollständigen und objektiven Sachaufklärung und das damit verbundene Verbot der Auswahl und Selektion von Beweismitteln 5 . Das Tatsachengericht ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich gehalten, bis an die Grenze der Zumutbarkeit jede mögliche Aufklärung des Sachverhalts zu versuchen und, soweit Grundrechtseingriffe inmitten stehen, alle verfügbaren Erkenntnisquellen vollständig auszuschöpfen 6 . Die Bildung der richterlichen ___________ 3

Zum Ganzen: Jauernig, Verhandlungsmaxime, Inquistitionsmaxime und Streitgegenstand, 1967; Johlen, Der Anwalt im Verwaltungsprozess, DÖV 2001, 582; M. Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2002; Arntz, Untersuchungsgrundsatz und anwaltliche Mitwirkung im Verwaltungsprozess, DVBl. 2008, 78; Geiger, Amtsermittlung und Beweiserhebung im Verwaltungsprozess, BayVBl 1999, 321; Manssen, Untersuchungsgrundsatz, Aufklärungspflicht und Mitwirkungsobliegenheiten im Verwaltungsprozess, in: Verwaltungsgerichtsbarkeit und öffentliches Recht – Aufbau und Bewährung in Mecklenburg-Vorpommern, Festgabe für Haak, 1997, 63. 4 Kuntze, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albidyll, VwGO-Kommentar anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 3. Aufl. 2005. 5 BVerwGE 85, 82 = NVwZ 1990, 243. 6 BVerwG, NVwZ 1992, 270 m.w.N., BVerfGE 76, 143, 161 = NVwZ 1988, 237, 240.

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Überzeugung nach § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO setzt also eine ausreichende Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO voraus. Die freie Überzeugungsbildung betrifft nicht die Feststellung des Sachverhaltes, sondern die Würdigung der ermittelten Tatsachen. Die Aufklärung des entscheidungserheblichen Streitstoffes kann nicht durch richterliche Überzeugung ersetzt werden. Geht das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt aus, ist § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO verletzt, auch wenn die Würdigung des so erhobenen Sachverhaltes als solche nicht zu beanstanden ist. 7 Die Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung muss von der der Sachverhaltsfeststellung getrennt werden. b) Vorgehen beim Erforschen des Sachverhalts im Einzelnen Das genaue Vorgehen bei der Erforschung des Sachverhalts liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. aa) Beiziehung von Behördenunterlagen (1) Unzulässig ist es dabei, die weitere Aufklärung des Sachverhalts einer Verwaltungsbehörde zu überlassen oder aufzutragen. Dagegen wird es als unbedenklich angesehen, wenn das Gericht die von der Behörde getroffenen Tatsachenfeststellungen (Erhebungen, Dokumentationen, etc.) auch für seine Entscheidung übernimmt, soweit sie überzeugend sind und auch durch den Vortrag der Beteiligten nicht in Zweifel gezogen oder sonst erschüttert werden. (2) Entsprechendes gilt für von der Behörde eingeholte Gutachten und für Parteigutachten, die im Auftrag eines Beteiligten im Zusammenhang mit dem Prozess erstattet werden, soweit deren Richtigkeit von den Beteiligten nicht substantiiert bestritten wird und auch sonst Zweifel hinsichtlich der Sachkunde oder der Unabhängigkeit nicht bestehen beziehungsweise die Notwendigkeit weiterer Beweiserhebungen sich dem Gericht nicht aufdrängen muss 8 .

___________ 7 Grundsätzlich: Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, Untersuchungsgrundsatz und Beteiligungsmitwirkung im Verwaltungsprozess, 1989; vgl. auch: Redeker, Beweislast und Beweiswürdigung im Zivil- und Verwaltungsprozess, NJW 1966, 1777; ders, Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkung der Beteiligten im Verwaltungsprozess, DVBl 1981, 83 und Reinhardt, Die Umkehr der Beweislast aus verfassungsrechtlicher Sicht, NJW 1994, 93. 8 BVerwGE 69, 73; 74, 223.

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bb) Sachverständigenbeweis (a) Gerichtliche Beiziehung von Sachverständigen Das Gericht muss gegebenenfalls auch selbst Sachverständige zuziehen, die Hinzuziehung unterliegt allerdings der Ermessensfreiheit des Gerichts. Diese endet dort, wo das Gericht sich eigene Sachkunde zuschreibt, über die es nicht verfügt oder wo sich dem Gericht aus anderen Gründen die Notwendigkeit einer (weiteren) Beweisaufnahme durch ein Sachverständigengutachten aufdrängen musste. Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens ist erst dann verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht sich in einer Angelegenheit für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es für die Beteiligten und für das Revisionsgericht überzeugend darlegt, dass ihm das erforderliche Fachwissen in genügendem Maße zur Verfügung stand 9 . Bei schwierigen technischen Fragen muss das Gericht die Unterlassung der Hinzuziehung eines Sachverständigen im Urteil in nachprüfbarer Weise näher begründen und darlegen, dass und wieso es selbst die erforderliche Sachkunde besessen beziehungsweise wie sich diese verschafft hat 10 . (b) Beweisanträge Die in der Rechtsprechung angenommene Beschränkung der Ermittlungspflicht darauf, dass das Gericht Beweise nur erheben müsste, wenn die Beteiligten entsprechende Anträge gestellt haben oder es mindestens angeregt haben, oder wenn die Notwendigkeit weiterer Aufklärung sich dem Gericht aufdrängen musste, gilt unmittelbar nur für die Frage der Zulässigkeit von Revisionsrügen, hingegen nicht für die insoweit umfassendere originäre Verpflichtung des Gerichts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO 11 . (c) Beigezogene Sachverständigengutachten aus anderen Verfahren Gutachten, die von einer Behörde in einem anderen Verfahren, während des anhängigen Prozesses oder im vorangegangenen Verwaltungsverfahren eingeholt worden sind, kann das Gericht im Wege des Urkundsbeweises verwerten. Wird allerdings im Prozess die Richtigkeit eines im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachtens substantiiert bestritten, so verletzt das Gericht seine Aufklä___________ 9

BVerwG, DVBl. 1999, 1206; NJW 2002, 455. BVerwG, DVBl. 1999, 1206. 11 Kopp/Schenke, VwGO, § 86 Rn. 5 m.w.N. auch zur Gegenansicht; Kopp, DÖV 1981, 557. 10

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rungspflicht, wenn es das Gutachten trotzdem als Beweismittel verwendet, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen 12 . Bei der Verwertung derartiger Gutachten einschließlich der so genannten Privatgutachten, die also weder vom Gericht noch von einer Behörde eingeholt wurden, gilt generell, dass diese allen Beteiligten zugänglich sind beziehungsweise zugänglich gemacht werden und sie im Rahmen des rechtlichen Gehörs dazu Stellung nehmen können. Privatgutachten sind primär als Parteivorbringen zu bewerten. (d) Überprüfung von Sachverständigengutachten Bei Sachverhalten, zu denen in wissenschaftlichen Kreisen beziehungsweise unter Fachleuten und Sachverständigen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, darf das Gericht sich nicht auf die „herrschende Meinung“ und deren Feststellung als solcher allgemein oder in Bezug auf die zu beurteilenden Tatsachen beschränken, sondern muss grundsätzlich alle vertretenen oder vertretbaren Auffassung in Erwägung ziehen und berücksichtigen 13 . Das Gericht darf die Ergebnisse einer Begutachtung nicht ungeprüft und ohne selbstständiges Nachvollziehen der Überlegungen des Sachverständigen übernehmen 14 . Die Verwertung von Sachverständigengutachten ist nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung unzulässig, wenn 1. das Gutachten unvollständig, widersprüchlich oder aus anderen Gründen nicht überzeugend ist, 2. das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, 3. sich die tatsächlichen Voraussetzungen maßgeblich geändert haben, 4. der Sachverständige erkennbar nicht über die notwendige Sachkunde verfügt oder Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen bestehen, 5. es sich um besonders schwierige und umstrittene Fragen handelt, 6. sich durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder durch eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Bedeutung der vom Sachverständigen zu klärenden Fragen verändert, 7. ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder über größere Erfahrung verfügt, 8. einander widersprechende Gutachten vorliegen, ___________ 12 13 14

Kopp/Schenke, VwGO, § 86 Rn. 15a. BVerwGE 72, 316; BVerwGE 74, 316. BFH, NJW 1982, 1608; BGH, NJW 1984, 1408.

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9. das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert wird. Ist das Gericht hingegen von der Richtigkeit der dem Gutachten zu Grunde gelegten Tatsachen und der gezogenen Schlussfolgerungen aufgrund einer eigenverantwortlichen und nachvollziehenden Prüfung überzeugt, so kann es Anträge auf Einholung weiterer Gutachten ablehnen 15 . Hinsichtlich dieser Gutachten gilt das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht 16 .

III. Besonderheiten im öffentlichen Fachplanungsrecht Aus dem eingangs beschriebenen Untersuchungsgrundsatz ergibt sich, dass die Beteiligten im Verwaltungsprozess grundsätzlich keine Darlegungslast und auch keine Beweisführungspflicht trifft, sondern nur die materielle Beweislast. Nur im Falle einer Non-Liquet-Situation stellt sich wegen der grundsätzlich umfassenden Ermittlungspflicht des Verwaltungsgerichts die Frage, zu wessen Lasten die Nichterweislichkeit einer Tatsache sich auswirkt. Diese Frage ist regelmäßig anhand des materiellen Rechts zu beantworten. Der Vorhabensträger und die Planfeststellungsbehörde stehen grundsätzlich in der Pflicht zum Nachweis, dass die rechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für das geplante Projekt erfüllt sind. 17 1. Besonderheiten des Planfeststellungsrechts Im Klageverfahren gegen fachplanungsrechtliche Planfeststellungsbeschlüsse entwickeln sich allerdings mehr und mehr Verfahrensreglements, die den Eindruck erwecken, dass die Kläger tendenziell eine formelle Beweislast haben zu beweisen, dass die planfestgestellten Projekte nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechen, allerdings ohne hierfür eine materielle Beweislast zu tragen. Bei diesen größeren Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung insbesondere bei Fachplanungsverfahren gibt es regelmäßig in erheblichem Umfang Privatgutachten des Vorhabensträgers zur Antragsbegründung für das geplante Projekt sowie darüber hinaus behördlich eingeholte Gutachten, die aufgrund der jüngeren Gerichtspraxis zunehmende Bedeutung für das Gericht haben. Soge___________ 15

BVerwGE 82, 90. BVerwGE 71, 45. 17 Vgl. hierzu Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, 1980, S. 71 ff. 16

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nannte Drittbetroffene sind in diesen Verfahren gezwungen, diese bereits vorhandenen Gutachten durch substantiierten Tatsachenvortrag zu erschüttern, um nicht ihrer materiellen Rechte verlustig zu gehen. Dies hat in einigen Gerichtsverfahren dazu geführt, dass zu jedem Gutachten, das der Vorhabensträger eingereicht hat, von den Klägern ein Gegengutachten mit der Klage ins Gerichtsverfahren eingebracht wurde. Ziel dieser Vorgehensweise ist es, in die Gutachtensphalanx der Antragsunterlagen an entscheidenden Punkten, nämlich bei Planungsdirektion oder auch bei abwägungserheblichen Belangen mit hohem Gewicht eine Bresche zu schlagen und damit den behördlichen Entscheidungsprozess, speziell auch den Abwägungszusammenhang in Frage zu stellen. Auf diese Weise wäre man nach der bisherigen Dogmatik dem Ziel näher gekommen, das Gericht zu einer eigenständigen Beweisaufnahme zu veranlassen oder durch Beweisanträge zu einer Beweisaufnahme zu zwingen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, das dieser Weg nicht nur schwierig, sondern nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts immer unüberwindbarer ist. Die Möglichkeiten der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Planfeststellungsbeschlüssen erweist sich als begrenzt. a) Abwägung als Ermessensentscheidung Ein Grund für die begrenzte Überprüfbarkeit liegt bei Planfeststellungsverfahren zunächst in der Qualität der Abwägungsentscheidung. Soweit es nicht um die Einhaltung der verbindlichen gesetzlichen Planungsleitsätze geht, sondern um mögliche Fehler in der Abwägungsentscheidung, hat die Behörde eine exekutivische Entscheidungsprärogative: Ist die Entscheidung unter Beachtung des Gebots willkürfreier Abwägung vertretbar, endet die Nachforschungspflicht des Richters. Er beschränkt sich dann darauf, das formalisierte Standardprüfungsprogramm abzuwickeln, das da lautet: 18 1. Hat überhaupt eine Abwägung stattgefunden? 2. Ist in die Abwägung an Belangen eingestellt worden, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden musste? 3. Wurde die Bedeutung der betroffenen Belange nicht verkannt? 4. Wurde der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Weise vorgenommen, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange nicht außer Verhältnis steht? ___________ 18

BVerwG, Urt. vom 14.2.1975, DVBl. 1975, 713.

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Insoweit stellt sich der Planfeststellungsbeschluss als planerische Ermessensentscheidung dar. b) Begrenzte Überprüfbarkeit von Prognoseentscheidungen Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt tritt hinzu: Fachplanung ist nur aufgrund von Prognosen möglich. Die gerichtliche Überprüfbarkeit von Prognosen wird von der Rechtsprechung aber aufgrund der Natur der Sache beschränkt. Die Möglichkeiten, bereits vorliegende Gutachten infrage zu stellen, werden durch die Rechtsprechung der beiden für das Fachplanungsrecht zuständigen Senate zudem noch zusätzlich erheblich begrenzt, indem die gerichtliche Überprüfbarkeit von Prognosen beschränkt wird. aa) Rechtsprechung des 4. Senats des Bundesverwaltungsgerichts zur beschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit von Prognosen im Fachplanungsrecht 19 Für die Plausibilitätsüberprüfung eines prognostizierten nachfrageorientierten Nachtflugbedarfs gilt wie allgemein für die Kontrolle von Verkehrsprognosen im Fachplanungsrecht: Das Gericht hat (nur) zu prüfen, ob die Prognose nach einer geeigneten Methode durchgeführt wurde, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde und ob das Ergebnis einleuchtend begründet ist 20 Diese Rechtsprechung wurde in jüngerer Zeit bestätigt durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.04.2007, 4 C 12/05 21 und durch Urteil vom 13.12.2007, 4 C 9/06 22 und ist seitdem ständige Rechtsprechung. Im Urteil vom 09.11.2006, 4 A 2001/06 23 (Flughafen Leipzig „I“), hat das Bundesverwaltungsgericht noch ergänzt, dass eine Prognose fehlerhaft ist, wenn sie auf willkürlichen Annahmen oder offensichtlichen Unsicherheiten be___________ 19

Urt. vom 20.4.2005, 4 C 18/03, abgedruckt in NVwZ 2005, 933-939 = DVBl 2005, 1046-1054 = UPR 2005, 356-360 – „Flughafen München II“. 20 BVerwG, Urt. vom 11.7.2001 – BVerwG 11 C 14.00 –, a.a.O. S. 378; vom 27.10.1998 – BVerwG 11 A 1.97 –, a.a.O. S. 326; vom 5.12.1986 – BVerwG 4 C 13.85 –, BVerwGE 75, 214 (234); vom 7.7.1978 – BVerwG 4 C 79.76 u.a. –, a.a.O. S. 121. 21 BVerwGE 128, 358-382 = NuR 2007, 546-553 = NVwZ 2007, 1074-1080 = ZUR 2007, 479-485 – Juris Rn. 55 (Mühlenberger Loch/A 380). 22 Abgedruckt in BVerwGE 130, 83-112 = DVBl 2008, 525-531 = NVwZ 2008, 563-571 = NuR 2008, 334-343 – Juris Rn. 50 – (Memminger Berg). 23 BVerwGE 127, 95-142 = NVwZ 2007, 445-459 = UPR 2007, 182-186.

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ruht, in sich widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht nachvollziehbar ist. 24 Methodische Mängel eines Gutachtens lassen sich – nach der Rechtsprechung des 4. Senats – zudem nicht mit einem Verweis auf Messergebnisse bzw. Lärmparameter begründen, die einem andersartigen Ansatz folgen, als die der Entscheidung zugrunde gelegten gutachterlichen Stellungnahmen. Es bedarf vielmehr der Darlegung, dass das Gutachten in sich, d.h. unter Zugrundelegung des dortigen methodischen Ansatzes widersprüchlich ist, oder dass sich aus dem Gutachten selbst Zweifel an der Sachkunde oder Unabhängigkeit des Gutachters ergeben oder dass es sich um besonders schwierige Fachfragen handelt, die ein spezielles, bei den bisherigen Gutachtern nicht vorausgesetztes Fachwissen erfordern 25 . bb) Rechtsprechung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von Prognosen im Fachplanungsrecht Nach der ständigen Rechtsprechung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts setzt eine ordnungsgemäße Untersuchung der von einem Straßenbauvorhaben voraussichtlich ausgehenden Geräuschimmissionen voraus, dass die ihr zugrunde liegende Verkehrsprognose mit den zu ihrer Zeit verfügbaren Erkenntnismitteln unter Beachtung der dafür erheblichen Umstände sachgerecht, ___________ 24 BVerwG, Beschl. vom 5.10.1990 – BVerwG 4 CB 1.90 –, Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 10 = NVwZ-RR 1991, 129. BVerwG, 16.3.2006, 4 C 1075.04, Rn. 243.Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht gegen eine nach Meinung eines Beteiligten sachlich unrichtige Ablehnung eines Beweisantrags (Beschl. vom 7.10.1987 – BVerwG 9 CB 20.87 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 31). Art. 103 Abs. 1 GG ist nur dann verletzt, wenn die Ablehnung eines als sachdienlich und erheblich angesehenen Beweisantrags im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, Beschlüsse vom 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 –, BVerfGE 69, 141 [143 f.] und vom 26.6.2002 – 1 BvR 670/91 –, BVerfGE 105, 279 [311]; BVerwG, Beschl. vom 24.3.2000 – BVerwG 9 B 530.99 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308). Das Tatsachengericht kann sich ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen stützen, die von einer Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt wurden (Urt. vom 7.7.1978 – BVerwG 4 C 79.76 u.a. –, BVerwGE 56, 110 [127], Beschl. vom 4.12.1991 – BVerwG 2 B 135.91 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 238, S. 67). 25 BVerwG, Urt. vom 14.5.2008 – 4 B 41/07 Juris Rn. 17 – Flughafen Düsseldorf; Die Einholung zusätzlicher Sachverständigengutachten oder gutachterlicher Stellungnahmen liegt nach § 98 VwGO i.V.m. § 404 Abs. 1, § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Tatsachengerichts (Urt. vom 23.5.1989 – BVerwG 7 C 2.87 –, BVerwGE 82, 76 [90], Beschl. vom 7.3.2003 – BVerwG 6 B 16.03 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 55). Das Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (stRspr. vgl. nur Urt. vom 26.4.2007 – BVerwG 4 C 12.05 –, BVerwGE 128, 358 Rn. 71).

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d.h. methodisch fachgerecht erstellt worden ist. Die Überprüfungsbefugnis des Gerichts erstreckt sich allein darauf, ob eine geeignete fachspezifische Methode gewählt wurde, ob die Prognose nicht auf unrealistischen Annahmen beruht und ob das Prognoseergebnis einleuchtend begründet worden ist. 26 2. „Weiterentwicklung“ dieser Rechtsprechung durch den VGH Kassel (Flughafen Frankfurt Main) Das Bundesverwaltungsgericht beschränkt die Überprüfbarkeit von Prognosen im Fachplanungsrecht zunächst auf die Geeignetheit der Methode. Soweit nicht aus gesetzlichen Bestimmungen selbst sich Anhaltspunkte für eine geeignete Methode oder zwingend vorgegebene Methode ergeben, muss die Geeignetheit der vom Gutachter gewählten Methode im Einzelfall festgestellt werden. Im übrigen wurde aber bisher davon ausgegangen, dass zumindest die drei vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigten Anforderungen, die an die Verwertbarkeit einer Prognose im Fachplanungsrecht zu stellen sind, je für sich betrachtet vorliegen müssen und deshalb sowohl eine fehlerhafte Methodik, als auch unrealistische Annahmen und eine fehlende Nachvollziehbarkeit jeweils die Belastbarkeit einer Prognose infrage stellen. a) Flughafen Frankfurt-Urteil des VGH Kassel vom 21.8.2009 Erstaunlicherweise hat der VGH Kassel in seinem Urteil zum Flughafen Frankfurt Main vom 21.8.2009 27 eine Art Verknüpfung zwischen diesen drei Erfordernissen hergestellt, indem er davon ausgegangen ist, dass eine besonders gute Erfüllung der einen Voraussetzung Defizite bei einer anderen kompensieren könne. Ich möchte dies gerne erläutern. Der VGH Kassel stellt in seinem Urteil zunächst fest, dass einzelne Prognoseschritte in der dem Vorhaben zu Grunde liegenden Luftverkehrsprognose nicht nachvollzogen werden können, vor allem weil die methodisch verwendete Quelle-Ziel-Matrix nicht offen gelegt wird und die Daten von Fluggastbefragungen nicht zugänglich sind. Allerdings sei von dem seitens der Planfeststellungsbehörde zur Qualitätssicherung beauftragten Gutachter bestätigt worden, ___________ 26 Dies wurde zuletzt im Urt. vom 12.8.2009 – 9 A 64/07 – Juris Rn. 96 – A 33 sowie im Urt. vom 23.6.2009 – 9 VR 1/09, abgedruckt in NVwZ-RR 2009, 753-756 = NuR 2009, 708-711 = UPR 2009, 346-347 – Juris Rn. 14 und im Urt. vom 18.3.2009 – 9 A 39/07, abgedruckt in BVerwGE 133, 239-280 = NuR 2009, 776-789 = UPR 2010, 29-33 – Juris Rn. 105, bestätigt, bei denen es sich ebenfalls um Entscheidungen zu straßenrechtlichen Planfeststellungen handelt. 27 VGH Kassel, Urt. vom 21.8.2009, 11 C 359/08.T.

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dass die in der Luftverkehrsprognose angewendete Methode, insbesondere auch die Arbeit mit einer Quelle-Ziel-Matrix, geeignet und sachgerecht sei. Dass auch der Qualitätssicherung die verwendeten Eingabedaten nicht offen gelegt worden waren und damit auch das Kontrollgutachten nicht nachvollziehen konnte, mit welchen Daten die Matrix gefüllt wurde, hielt das Gericht für unschädlich. Der Vorteil des Verkehrsmodells liege jedenfalls in der Berücksichtigung auch konkurrierender Verkehrsträger. Dieser Vorteil könnte daher in Verbindung mit der bestätigten Plausibilität der Prognoseprämissen und Prognoseergebnisse die Defizite bei der Nachvollziehbarkeit der Prognose hinreichend „ausgleichen“. Maßgeblich sei für den Senat nur, dass in der Qualitätssicherung die Plausibilität der Prognoseprämissen und Prognoseergebnisse bestätigt wurde. Hieraus zieht das Gericht dann die eigene wertende Schlussfolgerung, dass auf diese Weise die Defizite bei der Nachvollziehbarkeit der Prognose hinreichend ausgeglichen werden 28 . b) Bewertung Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass ein Gutachten auch dann verwertbar sein soll, wenn vollkommen unbekannt ist, welche Eingangsdaten in dem Prognosemodell verwendet wurden, aus welchen Quellen die Daten auf welche Art und Weise ermittelt wurden und welchen Einfluss einzelne Parameter auf das Prognoseergebnis hatten. Auch unter Berücksichtigung des nur beschränkten Prüfungsumfangs bei Prognosen im Fachplanungsrecht sind die vom VGH Kassel zu Recht festgestellten Defizite bei der Nachvollziehbarkeit eines so beschaffenen Gutachtens unverkennbar. Die nun vom VGH Kassel angenommene Ausgleichbarkeit dieser Defizite findet in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine Stütze. Insbesondere ist unklar, wie eine solche Ausgleichsmöglichkeit einzelner Defizite einer Prognose untereinander praktisch gehandhabt werden soll: Ist es auch ausgleichbar, wenn in einer Prognose die zu Grunde liegenden Daten offen gelegt werden und die Prognose folglich nachvollziehbar ist, gleichzeitig der Prognose aber unrealistische Grundannahmen zugrunde liegen? Dies wäre völlig absurd und gleiches muss deshalb insgesamt für die Annahme gelten, dass eine Prognose, welche die Rechtfertigung für ein Vorhaben bildet, das in erheblichem Umfang in Rechte Dritter eingreift, nur einzelne, der ohnehin schon begrenzten Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts, die ___________ 28

FN 26, amtlicher Umdruck, S. 57.

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Gerichte im Einzelfall zu prüfen haben, erfüllen muss. Hier ist zu fordern, dass zumindest die vom Bundesverwaltungsgericht bisher aufgestellten Anforderungen an Prognosen umfassend erfüllt werden, anderenfalls ist die Prognose nicht verwertbar.

IV. Folgen der Rechtsprechung zur Überprüfbarkeit fachplanungsrechtlicher Prognosen für die Darlegungslast Drittbetroffener 1. Zwingende Erforderlichkeit der Zuziehung von Sachverständigen durch Kläger Wie bisher dargestellt können nach der Rechtsprechung Prognosen im Fachplanungsrecht nur begrenzt überprüft werden, Betroffene der Planung sind also gehalten, im gerichtlichen Verfahren die Methodik, die Plausibilität der Grundannahmen oder aber die Nachvollziehbarkeit der Begründung der Prognose infrage zu stellen, um überhaupt eine Überprüfung der Prognose zu erreichen. Für Drittbetroffene bedeutet dies praktisch, dass substantiierter Vortrag von vornherein nur mit Hilfe eines geeigneten Fachgutachters möglich ist, der in der Lage ist, für die zu Grunde liegende, zumeist technische Frage, eine Aussage über geeignete Methoden ihrer Beantwortung zu treffen. Gleiches gilt regelmäßig auch für die der Begutachtung zu Grunde liegenden Annahmen und die Möglichkeit einer Beurteilung, inwieweit diese Annahmen realistisch sind. Das Erfordernis einer nachvollziehbaren Begründung kann in der Regel hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit überhaupt nur in Frage gestellt werden, wenn sachverständiger Beistand vorhanden ist. Die Einschaltung eines Gutachters ist somit zwingend erforderlich, damit der Kläger überhaupt in die Lage versetzt wird, eine eigenständige gerichtliche Beweisaufnahme durch Stellung fundierter und substantiierter Beweisanträge zu erreichen. Nur mit Hilfe eines eigenen Gutachters ist es i. d. R. möglich, die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an eine Erschütterung bereits vorhandener Gutachten des Vorhabensträgers oder der Behörde zumindest theoretisch erfüllen zu können. 2. Projektgutachten als Sachverständigengutachten Gleichzeitig werden die Chancen, tatsächlich eine weitere Beweisaufnahme durch Erhebung eines sachverständigen Beweises zu erreichen dadurch verschlechtert, dass die bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten regelmäßig die Grundlage für eine bereits vor der mündlichen Verhandlung gebildete Überzeugung der Gerichte stellen, so dass die von den Drittbetroffe-

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nen beantragten „weiteren Gutachten“ stets als so genannte „Obergutachten“ angesehen werden, für die das Verbot der Vorwegnahme der Beweiswürdigung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht gilt. 29 Ein Charakteristikum der gerichtlichen Auseinandersetzungen im Fachplanungsrecht ist damit eine bereits bei Prozessbeginn einsetzende erhebliche Darlegungslast zulasten der Betroffenen von Infrastrukturplanungen, die nur im Falle einer sofortigen Zuziehung von Sachverständigen bewältigt werden kann. Dies zwingt den Bürger, neben den Kosten für eine anwaltliche Betreuung ganz erhebliche finanzielle Mittel aufzubringen, um überhaupt eine Aussicht auf eine erfolgreiche Prozessführung zu haben. Wir haben es damit mit einem faktischen Zwang zur Einholung von Privatgutachten im gerichtlichen Verfahren im Fachplanungsrecht zu tun. 3. Strengere Voraussetzungen für Beweisaufnahme Ein weiteres Charakteristikum dieser gerichtlichen Verfahren ist eine signifikante Steigerung der Voraussetzungen für das Erreichen einer eigenständigen gerichtlichen Beweisaufnahme. Da das Verbot der Vorwegnahme der Beweiswürdigung – wie eben aufgezeigt – nicht gilt, ist die gerichtliche Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten auf Antrag Drittbetroffener hin im gerichtlichen Verfahren die absolute Ausnahme. Es dürfen Zweifel angemeldet werden, dass diese erweiterte Darlegungslast verbunden mit der gleichzeitigen Beschränkung der möglichen Beweisthemen und der Möglichkeit der Vorwegnahme der Beweiswürdigung bei Prognosen im Fachplanungsrecht noch mit dem Untersuchungsgrundsatz, vor allem aber mit den Geboten des effektiven Rechtsschutzes, des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit übereinstimmt. Schon die mit zahlreichen Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzen eingeführten zusätzlichen Erfordernisse erschweren einen effektiven und bürgerfreundlichen Zugang zu Gerichten zusätzlich. Zu der materiellen Präklusion im Einwendungsverfahren, der gesteigerten Bindung der Klageberechtigung an erhobene Einwendungen, der Einführung immer kürzerer Begründungsfristen im Eil- und Hauptsacheverfahren und den hier dargestellten erschwerten Bedingungen für eine Beweisaufnahme bei Projekten der Infrastrukturplanung kommt neuerdings hinzu, dass die Gerichte die Erstattungsfähigkeit von Gutachten der am Gerichtsverfahren beteiligten Vorhabensträger und der Planfeststellungsbehörde unter erleichterten Bedingungen anerkennen. ___________ 29

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 –; BVerwG, Beschl. vom 23.8.2006 – 4 A 1067.06 (4 A 1075.04) –.

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V. Neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Erforderlichkeit von Privatgutachten des Vorhabensträgers in fachplanungsrechtlichen Klageverfahren 1. Bis 2006: Gutachten von Vorhabensträger nicht erstattungsfähig Bis zu den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den Flughäfen Berlin-Schönefeld und Leipzig-Halle im Jahre 2006 wurde davon ausgegangen, dass Privatgutachten des Vorhabensträgers prozessual nicht erforderlich und damit nicht erstattungsfähig sind, da auf Seiten der Behörde und des Vorhabensträgers regelmäßig von einer bestehenden Sachkunde auszugehen sei. 30 Diese Linie hat das Bundesverwaltungsgericht zwischenzeitlich aufgegeben und die Erstattungsfähigkeit von Gutachten der am Gerichtsverfahren beteiligten Behörde und des Vorhabensträgers in mindestens zwei luftverkehrsrechtlichen Klageverfahren anerkannt. Die Entscheidungen betrafen die Kostenfestsetzungsverfahren im Anschluss an die Klageverfahren gegen den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld 31 und den Ausbau des Flughafens Leipzig-Halle 32 . 2. Folgen der Erstattungsfähigkeit Für die Betroffenen bedeutet dies, dass zusätzlich zu den ohnehin im Planfeststellungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren aufzuwendenden Mitteln für gerichtliche und sachverständige Betreuung damit gerechnet werden muss, dass auch die Kosten für die Privatgutachten von Behörde und Vorhabensträger im Unterliegensfalle getragen werden müssen. Dies führt notwendig zu einer prozessualen Zwangslage, da einerseits die Hinzuziehung eigener Sachverständiger zwingend erforderlich ist, deren Hinzuziehung aber gleichzeitig die Erforderlichkeit der Sachverständigen der Gegenseite bedingt und damit der eigene substantiierte Vortrag vollkommen unabschätzbare Kostenfolgen nach sich ziehen kann. Das ohnehin schon bestehende strukturelle Ungleichgewicht zwischen den personellen und finanziellen Möglichkeiten von Behörde und Vorhabensträger einerseits und Drittbetroffenen andererseits wird hierdurch ___________ 30 OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. vom 20.10.1999 – 7 C 10727/93.OVG –; Beschl. vom 31.7.2001 – 7 C 11695/90.OVG –; in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Einholung eines Privatgutachtens dann notwendig i.S.d. § 162 I VwGO ist, wenn es sich um schwierige technische Fragen handelt, zu denen eine nicht genügend sachkundige Partei Stellung nehmen muss (vgl. BayVGH, Urt. vom 16.1.1973, BayVBl. 1973, 193); Beschl. vom 21.11.1996 – 22 A 94.40014 u. a –. 31 Beschl. vom 4.9.2008 – BVerwG 4 KSt. 1010.07 (4 A 1078.04) –. 32 Beschl. vom 2.12.2008 – BVerwG 4 KSt. 3000.09 und BVerwG 4 A 3001.07 –.

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verstärkt, indem der Bürger für den Fall des Beschreitens des Rechtsweges mit Kostenfolgen konfrontiert wird, die notwendig abschrecken und damit vom Nachsuchen gerichtlicher Hilfe abhalten. Es ist deshalb mittlerweile tägliche anwaltliche Erfahrung, dass Rechtsschutz suchende Bürger aus Kostengründen von einer Prozessführung absehen. Die derzeit zur Überprüfung anstehenden Planfeststellungsverfahren werden den Gerichten ausreichend Gelegenheit verschaffen, diese Zwangslage zu erkennen und in ihre Überlegungen einzubeziehen. Mit der Frage der Erstattungsfähigkeit von Privatgutachten wird in absehbarer Zeit der VGH Kassel in den Kostenfestsetzungsverfahren für den Flughafen Frankfurt Main befasst sein. Die Betreibergesellschaft Fraport hat in den Musterverfahren gut 412.000 € allein für schriftliche Äußerungen von Privatgutachtern geltend gemacht 33 . Bereits diese unglaubliche Summe zeigt, dass die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor allem zu Verängstigung und Resignation auf Seiten der Betroffenen und zu offensichtlicher Maßlosigkeit auf Seiten der Vorhabensträger führt. Diese Rechtsprechung muss deshalb dringend korrigiert werden, um dem Bürger den gebotenen Rechtsschutz nicht in unvertretbarer Weise zu beschränken.

VI. Schlussbetrachtung Die heute aufgezeigte prozessuale Situation von Klägern, die zur Wahrung ihrer Rechte gegen Planfeststellungsbeschlüsse im Bereich der Infrastrukturplanung vorgehen, sollte Anlass zum Überdenken einiger Teile der fachgerichtlichen Rechtsprechung geben. Als Vorbild kann in Bezug auf die Waffengleichheit möglicherweise die Rechtsprechung des BGH 34 zu (ärztlichen) Gutachten dienen, wo es heißt: Der Tatrichter hat Einwendungen einer Partei gegen (ärztliche) Gutachten auch eines gerichtlichen Sachverständigen ernst zu nehmen und sich sorgfältig damit auseinanderzusetzen 35 . Dies gilt erst recht, wenn die Partei ein (medizinisches) Privatgutachten vorlegt, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlichen Sachverständigen steht 36 . In diesem wie im Fall widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger darf das Gericht, ohne ___________ 33

Kostenfestsetzungsverfahren Flughafen Frankfurt/Main, Az.: 11 C 359.08.T. Urt. vom 11.5.1993 – VI ZR 243/92 –, MDR 1993, 797 = VersR 1993, 899-901 = DAR 1993, 292-294 = NZV 1993, 346-347 – Juris Rn. 11 und 17. 35 BGH, Urt. vom 2.6.1987 – VI ZR 174/86 –, VersR 1987, 1238. 36 BGH, Urt. vom 19.5.1981 – VI ZR 220/79 –, VersR 1981, 752 und vom 10.12.1991 – VI ZR 234/90 –, VersR 1992, 722. 34

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seinen Ermessensspielraum zu überschreiten, den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass es ohne einleuchtende und logisch nachzuvollziehende Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt. 37 Der Tatrichter darf ein Privatgutachten zwar durchaus verwerten, hierbei aber nicht außer acht lassen, dass es sich grundsätzlich nicht um ein Beweismittel, sondern um (qualifizierten) substantiierten Parteivortrag handelt 38 ; eine eigene Beweisaufnahme des Gerichts, insbesondere die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, wird durch ein Privatgutachten allenfalls dann entbehrlich gemacht, wenn der Tatrichter allein schon aufgrund dieses substantiierten Parteivortrags ohne Rechtsfehler zu einer zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage gelangen kann. 39

___________ 37 BGH, Urt. vom 23. September 1986 – VI ZR 261/85 –, VersR 1987, 179, 180; vgl. auch BGH, Urt. vom 9. Juni 1992 – VI ZR 222/91 –, VersR 1992, 1015, 1016. 38 BGH, Urt. vom 14.4.1981 – VI ZR 264/79 –, VersR 1981, 276, 577 und vom 10.12.1991 – VI ZR 234/90 – a.a.O. m.w.N. 39 Diese Rechtsprechung wurde 2004 fortgeführt (vgl. BGH, Urt. vom 22.9.2004 – IV ZR 200/03 –, NJW-RR 2004, 1679-1680 = ZfSch 2005, 93-94 – Juris Rn. 17) und in 2008 erneut bestätigt (vgl. BGH, Urt. vom 24.9.2008 – IV ZR 250/06 –, VersR 2008, 1676-1677 = NJW-RR 2009, 35-36 – Juris Rn. 11).

Fachplanungsvorhaben und Verfahrensrecht Von Tim Uschkereit 1

I. Einleitung Verfahrensrecht im Sinne des Vortragstitels soll als Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht verstanden werden; der Vortrag beschränkt sich daher nicht auf die Befassung mit Verfahrens- und Formfehlern. Fachplanungsvorhaben sind bekanntlich komplexe Planungsprozesse, die spezialgesetzlich geregelt sind und raumbedeutsame Vorhaben betreffen, wie die Errichtung bzw. Erweiterung von Straßen, Eisenbahnen, Flughäfen, Abfalldeponien und anderer großer Infrastrukturvorhaben. In verfahrensrechtlicher Hinsicht steht bei diesen Planungsprozessen das Planfeststellungsverfahren im Vordergrund. 2 Im Unterschied zu anderen Planungsformen ist für das Planfeststellungsverfahren der Vorhabensbezug charakteristisch; die originäre Planung wird vom Vorhabenträger durchgeführt, und die Planfeststellungsbehörde ist auf eine nachvollziehende Planung beschränkt. 3 Kennzeichnend für Fachplanungsvorhaben ist der planerische Gestaltungsspielraum, Abwägungsspielraum bzw. das Abwägungsermessen der Exekutive. 4 Dieser Spielraum beruht auf der Erkenntnis, dass eine „Planung“ ohne Gestaltungsspielraum ein Widerspruch in sich wäre. Dies hat auch das Bundesverwaltungsgericht frühzeitig hervorgehoben. 5 Der Gestaltungsspielraum zeichnet sich dadurch aus, dass im Verhältnis zur Judikative eine gewisse Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfangs bzw. der gerichtlichen Kontrolldichte eintritt. Die Verwaltungsgerichte sollen die Rechtmäßigkeit der Pla___________ 1

Der Autor ist Rechtsanwalt der überörtlichen Sozietät Noerr in München. Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Juli 2009, § 42 Abs. 2 Rn. 250; Kühling/Herrmann, Fachplanungsrecht, 2. Aufl., 2000, Rn. 2 ff. 3 BVerwG, Urt. vom 17.1.1986 – 4 C 6, 7/84 –, BVerwGE 72, 365, 367; Ziekow, VerwArch 2008, 559, 560. 4 Jarass, DVBl 1998, 1202, 1202 f. 5 BVerwG, Urt. vom 14.2.1975 – IV C 21/74 –, NJW 1975, 1373, 1374. 2

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Tim Uschkereit

nung prüfen, jedoch nicht selbst planen oder prüfen, wie rechtsfehlerfrei hätte geplant werden können. 6 Ziel dieses Vortrags ist es, anhand einiger Beispiele darzustellen, welche Einschränkungen de lege lata bestehen, diese kurz zu beurteilen und zur Diskussion zu stellen, ob die rechtsstaatlich geforderte Grenze bereits durch die zurückliegenden Gesetzgebungsverfahren zur Beschleunigung der Fachplanungsverfahren überschritten wurde oder davon auszugehen ist, dass diese Grenze noch nicht ausgereizt ist. Im Rahmen des Vortrags erfolgt zunächst eine Bestandsaufnahme. Hierbei werden als Erstes die speziellen fachplanerischen Regelungen, dies sind die Präklusionsvorschriften, Klagebegründungsfristen und Vorschriften zur Verkürzung der Tatsacheninstanzen (dazu unter II. 1. a) bis c)), sodann die allgemeinen Regelungen mit besonderer Bedeutung für Fachplanungsvorhaben, dies sind die Heilungs- und Unerheblichkeitsvorschriften und die Vorschrift zur Durchführung von Musterverfahren gem. § 93a VwGO (dazu unter II. 2. a) und b)) und schließlich der Bereich der Planerhaltung, hierunter wird die Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln, der Verweis auf die Planergänzung bzw. auf das ergänzende Verfahren und die Frage der Planerhaltung bei der Sachverhaltsermittlung (dazu unter II. 3. a) bis c)) dargestellt. Anschließend folgen eine Beurteilung der Beschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs (dazu unter III.) und ein abschließendes Fazit (dazu unter IV.).

II. Bestandsaufnahme 1. Spezielle fachplanerische Regelungen a) Präklusionsvorschriften In § 73 Abs. 4 VwVfG sowie in den fachplanerischen Fachgesetzen finden sich sogenannte Präklusionsvorschriften, die eine Mitwirkungslast des durch das Fachplanungsvorhaben betroffenen Bürgers begründen, wonach innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist Einwendungen gegen den Plan erhoben werden müssen. Mit Ablauf der Einwendungsfrist sind alle Einwendungen ausgeschlossen und es tritt eine materielle Präklusion ein. Dies hat zur Folge, dass bei Verstreichenlassen der Einwendungsfrist die entsprechen-

___________ 6

Vgl. BVerwG, Urt. vom 31.3.1995 – 4 A 1/93 –, NVwZ 1995, 901, 902 f.; OVG Lüneburg, Urt. vom 21.10.2009 – 7 KS 32/08 –, AUR 2010, 58 ff.

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den Einwendungen im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen sind und dem Kläger bereits die Klagebefugnis abgesprochen wird. 7 Die angesprochenen Präklusionsvorschriften gelten grundsätzlich für alle Verfahren in gleicher Weise, d. h. beispielsweise sowohl für Miniflughäfen als auch für Großflughäfen wie den Frankfurter Flughafen. Am Beispiel des Flughafens Frankfurt am Main lässt sich der mitunter gewaltige Umfang der Planunterlagen verdeutlichen, die im Fall des Ausbaus des größten deutschen Verkehrsflughafens aus etwa 60 Leitzordnern mit etwa 20.000 Textseiten bestehen. Als Rechtsanwalt auf Klägerseite steht man vor der Schwierigkeit, alles vortragen zu müssen, um die Rechtsfolge einer materiellen Präklusion zu vermeiden. Dies begründet für die klägerischen Rechtsanwälte eine erhebliche Eile und einen erheblichen Druck. Der mit solchen Verfahren befasste Rechtsanwalt muss auch berücksichtigen, dass er bei Nichterhebung von Einwendungen unter Umständen einer Haftung gegenüber seinem Mandanten ausgesetzt sein kann. Auf der anderen Seite gelten die Vorschriften einer materiellen Präklusion für den Vorhabenträger nicht; dieser hat vielmehr unbegrenzt Zeit, seinen Planantrag zu verteidigen. Die Verfassungsmäßigkeit und Gemeinschaftsrechtskonformität wird überwiegend angenommen, ist jedoch im Hinblick auf die Einschränkung eines effektiven Rechtsschutzes jedenfalls nicht unbedenklich. 8 b) Klagebegründungsfristen In § 17e Abs. 5 FStrG, § 18e Abs. 5 AEG, § 10 Abs. 7 LuftVG, § 29 Abs. 7 PBefG und § 14e Abs. 5 WaStrG sind Klagebegründungsfristen vorgesehen, wonach der Kläger innerhalb einer Frist von sechs Wochen die zur Begründung seiner Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben hat. Die zitierten gesetzlichen Begründungsfristen können gem. § 173 VwGO i. V. m. § 224 Abs. 2 a. E. ZPO grundsätzlich nicht verlängert werden. Durch die Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 87b Abs. 3 VwGO kann klägerischer Vortrag als verspätet zurückgewiesen und die Klage allein aus diesem Grund abgewiesen werden. Gleichwohl ist ein späterer vertiefender Vortrag durch den Kläger nicht ausgeschlossen. 9 Sinn und Zweck der zitierten einfach-

___________ 7

Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., 2008, § 73 Rn. 63. Vgl. Kment, Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften und Europäisches Recht, 2005, S. 38 ff.; Solveen, DVBl 97, 803, 807 f.; v. Danvitz, UPR 1996, 325 ff. 9 BVerwG, Urt. vom 30.8.1993 – 7 A 14/93 –, NVwZ 1994, 371, 372. 8

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gesetzlich geregelten Klagebegründungsfristen ist die Beschleunigung von Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen durch ein gestrafftes Verfahren. 10 Nicht geregelt ist der Fall einer Geltung der Klagebegründungsfristen auch für eine Verpflichtungsklage des Antragstellers. Eine Verpflichtungsklage des Vorhabenträgers kann in Betracht kommen, wenn die beantragte Planfeststellung oder Plangenehmigung durch die Planfeststellungsbehörde abgelehnt wird. Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Klagebegründungsfristen sprechen jedoch gegen eine Anwendung auch auf die Verpflichtungsklage des Vorhabenträgers. Die zuvor zitierten Vorschriften sprechen ausschließlich von dem „Kläger“ und den näher statuierten Vorgaben für „seine Klage“. Zweck der Beschleunigungsgesetzgebung ist, durch eine Straffung der Rechtsbehelfe des Klägers zu einer Verkürzung der Verfahren beizutragen. Daher gelten die zitierten Klagebegründungsfristen ausschließlich im Fall einer Anfechtungsklage Dritter gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung, nicht jedoch bei einer Verpflichtungsklage des Vorhabenträgers nach Ablehnung seines Antrags auf Planfeststellung bzw. Plangenehmigung. 11 Teilweise wird – was jedoch zweifelhaft sein dürfte – die Nichtgeltung der Klagebegründungsfristen bei einer Verpflichtungsklage des Vorhabenträgers auch deshalb als nicht sachgerecht bezeichnet, weil der klagende Antragsteller, anders als der anfechtende Dritte, die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung der Planfeststellung oder Plangenehmigung vollumfänglich darzulegen habe. 12 Im Hinblick auf die damit lediglich einseitig geltenden Klagebegründungsfristen fragt es sich, ob die Grundsätze eines fairen Verfahrens und einer prozessualen Gleichbehandlung noch gewahrt sind. c) Verkürzung der Tatsacheninstanz Die Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen ist traditionell den in erster Instanz zuständigen Verwaltungsgerichten vorbehalten. Entsprechend war für die Erweiterung des Frankfurter Flughafens um eine Startbahn West im Jahre 1972 beispielsweise das Verwaltungsgericht Darmstadt erstinstanzlich zuständig. Da eine Vielzahl der Fälle im Sachverhalt gewonnen bzw. verloren werden, ist die Durchführung einer sorgfältigen und umfassenden Tatsachenermittlung für den Kläger von besonderer Bedeutung. Eine Änderung dieser Grundsätze wurde durch das Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren vom 04.07.1985 eingeleitet. Nach ___________ 10

Wiedemann, BayVBl 2009, 555. Für das Luftverkehrsrecht ebenso Hofmann/Grabherr, LuftVG, Stand: 2010, § 10 Rn. 48. 12 Vgl. Wiedemann, BayVBl 2009, 555. 11

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dem neu gefassten § 48 Abs. 1 VwGO soll das Oberverwaltungsgericht für bestimmte Großvorhaben als erste und einzige Tatsacheninstanz nunmehr für Streitigkeiten zuständig sein, die ursprünglich nach § 45 VwGO noch den Verwaltungsgerichten zugewiesen waren. 13 Nach dem 1985 geänderten § 48 Abs. 1 Nr. 6 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht als einzige Tatsacheninstanz etwa über das Anlegen, die Erweiterung oder Änderung und den Betrieb von Verkehrsflughäfen und von Verkehrslandeplätzen mit beschränktem Bauschutzbereich (Nr. 6), Planfeststellungsverfahren für den Bau oder die Änderung neuer Strecken von Straßenbahnen, Magnetschwebebahnen und von öffentlichen Eisenbahnen sowie für den Bau oder die Änderung von Rangierund Containerbahnhöfen (Nr. 7), Planfeststellungsverfahren für den Bau oder die Änderung von Bundesfernstraßen (Nr. 8) und Planfeststellungsverfahren für den Neubau oder Ausbau von Bundeswasserstraßen (Nr. 9). Die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte für diese Streitigkeiten soll der Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Vermeidung zweier Tatsacheninstanzen mit teilweiser Wiederholung umfangreicher Beweisaufnahmen und einer generellen Abkürzung der Verfahrensdauer dienen. 14 Durch das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 09.12.2006 wurde § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO eingefügt, der das nach der Wende für die neuen Bundesländer geschaffene Verkehrswegebeschleunigungsgesetz (VerkPBG) ersetzt und eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts im ersten und letzten Rechtszug begründet für sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben betreffen, die in dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG), dem Bundesfernstraßengesetz (FStrG), dem Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG) oder dem Magnetschwebebahnplanungsgesetz (MBPlG) bezeichnet sind. In seinem Anwendungsbereich geht § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO der Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 vor und schränkt deren Bedeutung mithin umfangreich ein. 15 Die Vorschrift des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO beruht auf den in den neuen Bundesländern mit § 5 VerkPBG gemachten positiven Erfahrungen und soll zu einer Verkürzung des Zeitraums bis zur Bestandskraft von bestimmten Planfeststellungsbeschlüssen führen. Die Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben und die Verkürzung der Verfahrensdauer stehen im Vordergrund. 16 Kritisch wird im Hinblick auf § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO angemerkt, dass sich gerade die erfassten Großvorhaben durch eine erdrückende Fülle an Tatsa___________ 13 14 15 16

Kopp, VwGO, 10. Aufl., 1994, § 48 Rn. 2. BT-Drs. 10/171; Meyer-Ladewig, NJW 1985, 1985, 1986 ff. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., 2009, § 50 Rn. 8b. BT-Drs. 16/54, S. 27.

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chenmaterial auszeichnen, die sorgfältige Ermittlung und Würdigung des Tatsachenstoffs durch das Bundesverwaltungsgericht nicht sichergestellt werde und dem Bundesverwaltungsgericht mit der Vorschrift eine sehr zeit- und arbeitsaufwendige Kompetenz zugewiesen werde, die mit der ihm sonst obliegenden Tätigkeit als Revisionsgericht nicht in Einklang zu bringen sei. 17 Dementsprechend konstatiert auch der Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Handhabung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, der vom Deutschen Bundestag mit Verabschiedung des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes gefordert worden war 18 , dass sich gegen die weitere Verkürzung des Instanzenzugs durchaus gewichtige Argumente anführen lassen. Hingewiesen wird in dem Erfahrungsbericht zunächst darauf, dass der Evaluierungszeitraum sehr kurz war. Weiter ist in dem Erfahrungsbericht dargestellt, mit welchen Verfahren sich das Bundesverwaltungsgericht bisher erstinstanzlich befasst hat. Diese Darstellung zeigt, dass bislang überwiegend Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse zum Autobahnbau zur Anwendung des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO geführt haben. Nach der Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts ist der befürchtete „Flaschenhalseffekt“ eingetreten und bei dem Bundesverwaltungsgericht besteht bereits eine erhebliche Staugefahr durch aufwendige Tatsachenermittlungen. Es wird weiter darauf hingewiesen, dass die Aufgabenwahrnehmung des Bundesverwaltungsgerichts als Revisionsgericht durch die hohe Belastung mit der Tatsachenermittlung gefährdet werde. Aus diesen Gründen wird die Rückkehr zum vormals zweitinstanzlichen Verfahren gefordert. 19 Gegen die Verkürzung des verwaltungsgerichtlichen Instanzenzuges lassen sich im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtliche Bedenken anführen. 20 2. Allgemeine Regelungen mit besonderer Bedeutung vor allem für Fachplanungsvorhaben a) §§ 45, 46 VwVfG Nach § 45 VwVfG können bestimmte Verstöße gegen Verfahrens- und Formfehler bekanntlich im Interesse der Verfahrensökonomie durch Nachholung der fehlenden oder fehlerhaften Verfahrenshandlungen rückwirkend ge___________ 17

Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., 2009, § 50 Rn. 8b; Paetow, NVwZ 2007, 36,

37 f. 18 19 20

BT-Drs.16/3158, S. 28. BT-Drs. 16/13571, S. 4 ff. Paetow, DVBl 1994, 94, 99 f.

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heilt werden. Nach § 46 VwVfG führen bestimmte Verstöße gegen Verfahrensund Formfehler bei deren Unerheblichkeit – mit anderen Worten, wenn die Entscheidung ohne Fehler genauso ausgefallen wäre – nicht zur Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts. Auch in § 46 VwVfG findet sich der prozessrechtliche Gedanke der Verfahrensökonomie wieder, wonach ein vermeidbarer Verfahrensleerlauf vermieden werden soll. Voraussetzung für die Anwendung des § 46 VwVfG und den Ausschluss einer Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes ist, dass der Verfahrens- oder Formfehler „offensichtlich“ ohne Einfluss auf das Entscheidungsergebnis war. Die Last des sog. non-liquet bei Nichterweislichkeit trägt die Behörde. Hintergrund für die Anordnung einer Nichtaufhebbarkeit ist, dass bei Unerheblichkeit der Verwaltungsakt formell fehlerfrei jederzeit erneut erlassen werden könnte. 21 Durch das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz 1996 ist eine zeitliche bzw. inhaltliche Erweiterung des Anwendungsbereichs von §§ 45, 46 VwVfG hinzugetreten. Während die Möglichkeit einer Heilung von Verstößen gegen Verfahrensvorschriften ursprünglich durch § 45 Abs. 2 VwVfG a. F. auf die Zeit bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens begrenzt war, ist eine Heilung nach der Änderung durch das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz 1996 bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zulässig. Nach § 46 VwVfG a. F. konnte von einer Nichtaufhebbarkeit des Verwaltungsakts nur in Fällen ausgegangen werden, in denen der Verwaltung rechtlich kein Entscheidungsspielraum zustand, also gebundene Entscheidungen bzw. eine Ermessensreduzierung auf Null vorlagen. Diese Einschränkung wurde durch das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz 1996 gestrichen. Offensichtlichkeit der fehlenden Kausalität bedeutet, dass die fehlende Kausalität für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten und verständigen Beobachter ohne Weiteres ersichtlich sein muss. 22 Zielsetzung des Genehmigungsbeschleunigungsgesetzes 1996 ist es, zur Steigerung der Attraktivität des Standortes Deutschland im internationalen Wettbewerb eine substanzielle Beschleunigung der Genehmigungsverfahren herbeizuführen. Das Gesetz dient zudem der Verfahrensökonomie. 23 Aufgrund der Gefahr einer Degradierung von Verfahrens- und Beteiligtenpositionen zu bloßen Formalien werden gegen die Erweiterung der Vorschriften der §§ 45, 46 VwVfG rechtspolitische, darüber hinaus im Hinblick auf die besondere Be___________ 21 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., 2008, § 45 Rn. 1; § 46 Rn. 1; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., 2008, § 46 Rn. 2; Kraft, in: Ziekow, Beschränkung des Flughafenbetriebs. Planfeststellungsverfahren. Raumordnungsrecht, 2004, 105, 120. 22 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., 2008, § 46 Rn. 36; Ziekow, VwVfG, 2006, § 46 Rn. 10. 23 BT-Drs. 13/3995, S. 1, 8.

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deutung des Verfahrens im Gemeinschaftsrecht auch europarechtliche und in Bezug auf Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. In verfassungsrechtlicher Hinsicht wird insbesondere darauf hingewiesen, dass die Bedeutung des Verfahrensrechts über eine rein dienende Funktion gegenüber dem materiellen Recht hinausreiche und eine weitere Einschränkung vor allem in Verfahren, die für die Geltendmachung grundgesetzlicher Gewährleistungen bedeutsam sind, bedenklich sei. Aus den genannten Gründen wird in der herrschenden Literatur eine verfassungskonforme Auslegung gefordert, wonach beispielsweise die Offensichtlichkeit des Einflusses auf das Entscheidungsergebnis bei § 46 VwVfG eng auszulegen sei. 24 b) Bildung von Musterverfahren nach § 93a VwGO – Möglichkeit des Verzichts auf eine mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme Von der mit dem 4. VwGO-Änderungsgesetz eingeführten und durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz erweiterten Vorschrift des § 93a VwGO wurde in der Rechtspraxis lange Zeit kein Gebrauch gemacht und aus diesem Grund bereits ihre praktische Daseinsberechtigung angezweifelt. 25 Neuerdings haben die Verwaltungsgerichte jedoch ihre bisherige Zurückhaltung bei der Anwendung des § 93a VwGO aufgegeben und das Bundesverwaltungsgericht sowie der Verwaltungsgerichtshof Kassel haben die Vorschrift des § 93a VwGO in Zusammenhang mit dem Verfahren um den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld, den Ausbau des Verkehrsflughafens Leipzig-Halle und der Erweiterung des Flughafens Frankfurt am Main zur Anwendung gebracht. 26 Die Vorschrift des § 93a VwGO dient der Beschleunigung und Vereinfachung und soll zur Erleichterung für das gerichtliche Verfahren in Massensachen beitragen. Der Gesetzgeber möchte durch eine Straffung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und eine Vermeidung von Verfahrensverzögerungen die schnellere Realisierung von infrastrukturellen Großvorhaben erreichen, die sich

___________ 24

Ziekow, VwVfG, 2006, § 45 Rn. 1, § 46 Rn. 2; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., 2008, § 45 Rn. 13 ff.; § 46 Rn. 4 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., 2008, § 46 Rn. 5; Kment, Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften und Europäisches Recht, 2005, S. 36 ff. 25 Kuntze, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, 3. Aufl., 2005, § 93a Rn. 1 f.; Meier, NVwZ 1998, 688, 694. 26 BVerwG, Beschl. vom 19.12.2006 – 4 A 1053/06 –, Juris; BVerwG, Beschl. vom 18.4.2007 – 4 A 1003/07 –, Juris; BVerwG, Beschl. vom 1.11.2007 – 4 A 1009/07 –, Juris; BVerwG, Beschl. vom 7.5.2008 – 4 A 1009/07 –, NVwZ 2008, 1007 ff.; BVerwG, Beschl. vom 19.8.2008 – 4 A 1001/01 –, Juris; BVerwG, Beschl. vom 2.5.2007 – 4 A 2000/07 –, Juris; BVerwG, Beschl. vom 31.5.2007 – 4 A 2006/07 –, Juris; VGH Kassel, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 227/08.T u. a. –, Juris.

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durch einen besonders umfangreichen und komplexen Streitstoff auszeichnen. 27 Während das Bundesverwaltungsgericht bei der Anwendung des § 93a VwGO in Zusammenhang mit den Ausbauvorhaben am Flughafen BerlinSchönefeld und am Flughafen Leipzig-Halle bei der Auswahl geeigneter Musterverfahren verstärkt und frühzeitig auf eine Kooperation und Einigung mit den verschiedenen Klägern gesetzt hat und hierdurch auch tatsächlich einverständliche Lösungen erreichen konnte 28 , scheint der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Zusammenhang mit dem Verfahren zum Ausbau des Flughafens Frankfurt am Main bei der Auswahl von geeigneten Musterverfahren die Grenzen des § 93a VwGO ausreizen zu wollen. Wie das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.8.2009 zeigt, wurden zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung über den Ausbau des größten deutschen Verkehrsflughafens lediglich fünf Kommunen und zwei Privatklägerfamilien sowie zwei Luftverkehrsgesellschaften, ein Tanklager, ein Krankenhaus und ein Naturschutzverband ausgewählt. 29 Um den mit § 93a VwGO verfolgten Zweck der Beschleunigung und Vereinfachung von Massenverfahren zu erreichen, ist Voraussetzung für die Auswahl geeigneter Musterverfahren i. S. v. § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO, dass in dem bzw. in den ausgewählten Verfahren möglichst alle rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen auftreten, so dass die Entscheidung in diesem bzw. in diesen Musterverfahren als Muster für die Entscheidung in den ausgesetzten Verfahren dienen können. 30 Auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geht – wohl zu Recht – davon aus, dass die ausgewählten Musterverfahren gewährleisten müssen, dass alle die Gesichtspunkte geprüft werden können, die für die – in nahezu allen Klagen – geltend gemachten Ansprüche auf Planaufhebung oder Planergänzung wesentlich sind. 31 Auch diese Anforderungen an die Auswahl geeigneter Musterverfahren werden in neuerer Zeit sehr weit ausgelegt und mitunter verstärkt auf Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie abgestellt. ___________ 27

BT-Drs. 11/7030, S. 28; BT-Drs. 12/8553, S. 8, 12 f.; BT-Drs. 13/3093, S. 9. BVerwG, Beschl. vom 18.4.2007 – 4 A 1003/07 –, Juris Rn 4; BVerwG, Beschl. vom 2.5.2007 – 4 A 2000/07 –, Juris Rn. 4 ff.; BVerwG, Beschl. vom 1.11.2007 – 4 A 1009/07 –, Juris Rn. 2; Kothe, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, 14. Aufl., 2004, § 93a Rn. 3. 29 VGH Kassel, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 227/08.T u. a. –, Juris Rn. 6; VGH Kassel, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 305/08.T –, Juris; VGH Kassel, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 349/08.T –, Juris; VGH Kassel, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 318/08.T –, Juris. 30 Geiger, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., 2006, § 93a Rn. 18; Garloff, in: Posser/Wolff, Beck’scher Online-Kommentar VwGO, § 93a Rn. 5; Paetow, NVwZ 2007, 36, 39. 31 BVerwG, Beschl. vom 19.8.2008 – 4 A 1001/08 –, Juris Rn. 11. 28

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In der Praxis führt die Anwendung der Regelung des § 93a VwGO dazu, dass im Rahmen einer Art „Marathonverhandlung“ über die ausgewählten Musterverfahren extensiv mündlich verhandelt wird, über das Ausbauvorhaben des Flughafens Berlin-Schönefeld beispielsweise innerhalb von 9 Verhandlungstagen und im Zusammenhang mit dem Verkehrsflughafen Frankfurt am Main innerhalb von 13 Verhandlungstagen. Für die Mehrzahl der nicht ausgewählten Kläger findet überhaupt keine mündliche Verhandlung statt und im Nachverfahren nach § 93a Abs. 2 VwGO ist ein Beweistransfer möglich und tatsächlich auch sehr wahrscheinlich. Vor allem im Hinblick auf den möglichen Verzicht auf die mündliche Verhandlung und den zulässigen Beweistransfer, aber auch im Hinblick auf die mit der Anwendung des § 93a VwGO verbundenen Einbußen rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze (Art. 19 Abs. 4 GG) werden verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. 32 Verfassungsrechtliche Zweifel werden auch in Bezug auf den Gesichtspunkt eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens und auf das Gebot der Waffengleichheit geltend gemacht. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass die Übertragung von in Musterverfahren erhobenen Beweisen und die Ablehnung neuer Beweisanträge nach § 93a Abs. 2 VwGO für Kläger im Nachverfahren, bei denen die Sachverhalte abweichen können, die Gefahr inhaltlich falscher Urteile bzw. Beschlüsse entstehen lasse. 33 3. Planerhaltung a) Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln Nach § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG und den einzelnen Fachgesetzen 34 kann es zu einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nur kommen, wenn Abwägungsmängel im Hinblick auf die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Vorbild dieses fachplanungsrechtlichen „Relevanzfilters“ für Abwägungsmängel ist die nahezu gleichlautende Vorschrift des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB. 35 ___________ 32

Schmid, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., 2006, § 93a Rn. 19 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., 2009, § 93a Rn. 2; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., 2006, § 93a Rn. 24. 33 Johlen, NVwZ 1989, 109, 110. 34 Vgl. § 17e Abs. 6 FStrG, § 18e Abs. 6 AEG, § 10 Abs. 8 LuftVG, § 29 Abs. 8 PBefG, § 14e Abs. 6 WaStrG. 35 Vgl. Kraft, in: Ziekow, Beschränkung des Flughafenbetriebs. Planfeststellungsverfahren. Raumordnungsrecht, 2004, 105 ff.

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Nach der vom Bundesverwaltungsgericht zu § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB entwickelten und mittlerweile im Fachplanungsrecht allgemein anerkannten Auffassung sind offensichtlich solche Abwägungsfehler, die auf der äußeren Seite des Abwägungsvorgangs beruhen, ihren Ursprung also in objektiv fassbaren Sachumständen wie Akten, Protokollen, der Planbegründung und nicht in lediglich subjektiven Motiven Einzelner haben. 36 Jedoch soll allein das Fehlen bestimmter Hinweise in der Planbegründung und den Aufstellungsunterlagen keine indizielle Bedeutung dafür haben, dass der Gemeinderat sich nicht mit den nicht genannten Umständen abwägend befasst hat. Lücken in der Dokumentation sollen demzufolge nicht den Schluss auf ein Unterlassen und damit einen Abwägungsausfall oder ein Abwägungsdefizit rechtfertigen. Erforderlich sind vielmehr konkrete Umstände, die positiv und klar auf einen derartigen Mangel hindeuten. In Betracht kommen daher insbesondere solche Fehler, die die Zusammenstellung und Aufbereitung des Abwägungsmaterials, die Erkenntnis und Einstellung aller wesentlichen Belange in die Abwägung oder die Gewichtung der Belange betreffen. 37 Für einen Einfluss des Abwägungsmangels auf das Abwägungsergebnis fordert die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass in Anlehnung der Umstände des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel im Abwägungsvorgang die Planung anders ausgefallen wäre. 38 Eine Einflussnahme auf das Abwägungsergebnis wird beispielsweise angenommen, wenn sich der Planungsträger von einem unzutreffend angenommenen Belang hat leiten lassen und andere Belange, die das Abwägungsergebnis rechtfertigen könnten, weder im Planungsverfahren angesprochen noch sonst berücksichtigt wurden. 39 Dadurch, dass sich aus den für das Gericht allein relevanten offensichtlichen Quellen eine Planungsalternative konkret abzeichnen muss, wird die Last des non liquet implizit dem Kläger zugeschoben. 40 Die Vorschrift des § 75 Abs. 1a VwVfG und die entsprechenden Regelungen in den verschiedenen Fachplanungsgesetzen wurden durch das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz bzw. die Planungsvereinfachungsgesetze eingeführt und sollen die Planfeststellungsverfahren dadurch entlasten, dass unerhebliche und nachträglich behebbare Abwägungsmängel nicht zur Aufhebung ___________ 36

BVerwG, Urt. vom 21.8.1981 – 4 C 57.80 –, BVerwGE 64, 33, 37 f.; BVerwG, Beschl. vom 7.11.1997 – 4 NB 48.96 u. a. –, DVBl 1998, 331, 333 f. 37 BVerwG, Beschl. vom 20.1.1992 – 4 B 71.90 –, NVwZ 1992, 663, 664; Kraft, in: Ziekow, Beschränkung des Flughafenbetriebs. Planfeststellungsverfahren. Raumordnungsrecht, 2004, 105, 109. 38 BVerwG, Urt. vom 21.8.1981 – 4 C 57.80 –, BVerwGE 64, 33, 39; BVerwG, Urt. vom 13.5.2009 – 9 A 74/07 –, Juris Rn. 62. 39 BVerwG, Beschl. vom 29.1.1992 – 4 B 71.90 –, NVwZ 1992, 662, 663. 40 Kraft, in: Ziekow, Beschränkung des Flughafenbetriebs. Planfeststellungsverfahren. Raumordnungsrecht, 2004, 105, 110.

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des Planfeststellungsbeschlusses führen. Sie dienen daher dazu, die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses zu verstärken. 41 Im Hinblick darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht zu § 1 Abs. 6 BauGB a. F. entschieden hat, dass die Verletzung des Abwägungsgebots grundsätzlich zur Nichtigkeit des Plans führt, wird die Anordnung der Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG kritisiert. 42 Auch mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung erscheint jedenfalls nicht unproblematisch, dass die Verwaltungsgerichte prüfen sollen, ob die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne Mangel im Abwägungsvorgang anders ausgefallen wäre, bzw. ob sich andere Planungsalternativen konkret abzeichnen; wird hiermit doch nahezu zwangsläufig in den planerischen Gestaltungsspielraum der Verwaltung eingegriffen. b) Verweis auf die Planergänzung und das ergänzende Verfahren Als sozusagen zweiter „Relevanzfilter“ ist die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses wegen eines – auf erster Stufe – nach § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG erheblichen Mangels nach § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG und den entsprechenden Regelungen in den Fachgesetzen ausgeschlossen, wenn die Planfeststellungsbehörde den Mangel durch Planergänzung bzw. ein ergänzendes Verfahren – etwa durch Schutzauflagen – beheben kann. Um die vollständige Wiederholung des zeitlich und finanziell sehr aufwändigen Planfeststellungsverfahrens zu vermeiden, soll eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nur dann möglich sein, wenn eine Planergänzung bzw. das ergänzende Verfahren im Ergebnis zu einer „anderen Planung“ führen würde. Diese Grenze soll erreicht sein, wenn die Abwägungsfehler von solchem Gewicht sind, dass ihre Behebung das Grundgerüst des Planungskonzepts und die Ausgewogenheit der Abwägungsentscheidung insgesamt in Frage stellen würde. 43 Die Möglichkeit einer Planergänzung bzw. eines ergänzenden Verfahrens dienen dem Grundsatz der Planerhaltung durch Fehlerreparatur und ermöglichen eine Fehlerbehebung

___________ 41 BT-Drs. 13/3995, S. 10; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, Beck’scher OnlineKommentar VwVfG, Stand: 1.1.2010, § 75 Rn. 23; zur Bestandskraft von luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsbeschlüssen Ziekow, VerwArch 2008, 559, 566 ff. 42 BVerwG, Beschl. vom 28.7.1994 – 4 B 94.94 –, NVwZ 1995, 598; Kraft, in: Ziekow, Beschränkung des Flughafenbetriebs. Planfeststellungsverfahren. Raumordnungsrecht, 2004, 105, 112. 43 BVerwG, Urt. vom 18.4.1996 – 11 A 86/95 –, BVerwGE 101, 73, 85; BVerwG, Urt. vom 18.3.1998 – 11 A 55/96 –, NVwZ 1998, 1071, 1072; OVG Koblenz, Urt. vom 9.1.2003 – 1 C 10187/01 –, NuR 2003, 441, 446.

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anstelle der Durchführung eines vollständigen neuen Planfeststellungsverfahrens. 44 In Zusammenhang mit dem Ausbau des Flughafens Frankfurt am Main hat der Verwaltungsgerichtshof Kassel zum Beispiel entschieden, dass die Zulassung von 17 planmäßigen Flügen in der Kernzeit der Nacht einen erheblichen Abwägungsfehler darstelle, der jedoch nicht die Ausgewogenheit der Planung insgesamt berühre, da bereits ursprünglich durch den Vorhabenträger eine Planfeststellung ohne planmäßige Flüge in der Kernzeit der Nacht beantragt worden war. Daher sei eine Ausräumung des Abwägungsfehlers in einem ergänzenden Planfeststellungsverfahren möglich. 45 Zusätzlich wurde durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz 1996 die Vorschrift des § 114 Satz 2 VwGO eingeführt, nach der Verwaltungsbehörden ihre Ermessenerwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen und damit materiell-rechtliche Mängel ausräumen können. c) Planerhaltung bei der Sachverhaltsermittlung? Nach den dargestellten Grundsätzen zur Planerhaltung bei materiellen Fehlern stellt sich die Frage, ob es auch schon bei der Feststellung des relevanten Sachverhalts einen Grundsatz der Planerhaltung gibt. Diese Frage ist – soweit ersichtlich – bisher völlig unbeleuchtet. Die Vorschrift des § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO schreibt vor, dass das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht. Tatsächlich drängt sich den mit Planfeststellungsbeschlüssen befassten Rechtsanwendern oftmals der Eindruck auf, dass der Plan des Vorhabenträgers bzw. der Planfeststellungsbeschluss der zuständigen Behörde zunächst gewissermaßen „gesetzt“ ist bis dem Kläger ein substantiierter Angriff gelingt. Hierbei ist das Merkmal der „Substantiierung“ im Fachplanungsrecht nahezu ungeklärt. Es existiert keine Rechtsprechung oder ausdifferenzierte Kasuistik zu der Voraussetzung der Substantiierung. Auch im Schrifttum lässt sich hierzu kaum etwas finden. Der Rechtsprechung lässt sich jedoch der Schluss entnehmen, dass beispielsweise an klägerische Sachverständigengutachten sehr hohe Anforderungen gestellt werden, für den Kläger grundsätzlich die Schwierigkeit besteht, Gutachten des Vorhabenträgers erschüttern zu können, und Prognosen durch ___________ 44

BVerwG, Urt. vom 1.4.2004 – 4 C 2/03 –, BVerwGE 120, 276, 238; Fischer, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 475; Jarass, Grundfragen des ergänzenden Verfahrens und der Planänderung bei Planfeststellungen, in: Wirtschaft und Gesellschaft im Staat der Gegenwart, Gedächtnisschrift für Peter J. Tettinger, 2007, 465, 470. 45 VGH Kassel, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 227/08.T u.a. –, Juris, Rn. 776 f.

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den Kläger praktisch kaum angreifbar sind. Zudem werden in der Praxis Beweisanträge der Kläger gegen Planfeststellungsbeschlüsse oftmals zu Hunderten abgelehnt. In der Rechtsprechung finden sich entsprechend Formulierungen, dass eine weitere Sachverhaltsermittlung sich „aufdrängen“ muss, Prognosen nicht dadurch in Zweifel gezogen werden, dass sich die Dinge anders entwickeln als prognostiziert oder die dem Planantrag zugrunde gelegte Verkehrsnachfrage jedenfalls nicht „unvertretbar gewichtet“ wurde. Auch finden sich Aussagen, dass es dem Kläger nicht gelungen sei, die Gutachten des Vorhabenträgers zu erschüttern und bestehende Zweifel in der wissenschaftlichen Erforschung zu Lasten des Klägers gingen. 46 Diese Beispiele zeigen, dass von den Gerichten die Hürden für die Widerlegung des Sachverhaltsvortrags des Vorhabenträgers sehr hoch angesetzt werden. Es lässt sich daher vertreten, dass es auch bei der Feststellung des relevanten Sachverhalts bei Planfeststellungsverfahren eine Art Grundsatz der Planerhaltung gibt.

III. Beurteilung Die dargestellte Bestandsaufnahme zeigt, dass durch die zitierten Regelungen und die Praxis der Verwaltungsgerichte eine Einschränkung des Rechtsschutzes gegenüber Maßnahmen der Exekutive im Bereich von Fachplanungsvorhaben eintritt. Nach allgemeiner Ansicht stellt das subjektive Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG eine Strukturentscheidung zu Gunsten des effektiven Individualrechtsschutzes dar. 47 Die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG wird als Grundpfeiler des Rechtstaatsprinzips und als „Krönung des Rechtstaats“ bezeichnet. 48 Art. 19 Abs. 4 GG konkretisiert die Aufgabe der Richter, Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Exekutive zu gewähren, indem er dem Einzelnen einen möglichst lückenlosen und effektiven gerichtlichen Schutz gegen Verletzungen seiner Rechtsphäre durch Eingriffe der vollziehenden Gewalt einräumt. Damit gewährt der Rechtsschutzanspruch des Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung

___________ 46 Vgl. etwa BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1001/04 –, Juris, Rn. 97, 116, 125, 301, 504, 514; VGH Kassel, Urt. vom 21.8.2009 – 11 C 227/08. T u.a. –, Juris, Rn. 320, 334, 336 f., 341, 383, 392, 405, 525, 535, 1075. 47 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 2. Aufl., 2004, Art. 19 IV Rn. 8, 60 ff.; Maurer, in: Badura/Dreier, Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2. Band, 2001, 467, 474 ff. 48 Vgl. Maurer, in: Badura/Dreier, Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2. Band, 2001, 467, 473.

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des Streitgegenstands. 49 Das Bundesverfassungsgericht betont, dass dem Rechtsschutzsuchenden keine unangemessenen verfahrensrechtlichen Hindernisse in den Weg gelegt werden dürfen und ein Gericht nicht durch die Art und Weise der Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzen darf. 50 Gleichzeitig wird zu Recht darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber auch den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen hat. 51 Der Vorsitzende Richter des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts, Herr Dr. Ulrich Storost, hat bereits vor etwa 12 Jahren – wie ich meine vollkommen zutreffend – darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf das bestehende System beschränkter gerichtlicher Überprüfungen von Planungsentscheidungen weitergehende Einschränkungen nicht möglich seien und die verfassungsrechtlich zulässige Grenze erreicht sei. 52 In diesem Zusammenhang wurde von Prof. Rainer Pitschas aus Speyer auf die Gefahr hingewiesen, dass bei weiteren Einschränkungen der verwaltungsgerichtlichen Prüfungsbefugnis darauf geachtet werden müsse, dass „die Gerichte nicht nur noch ein legalistisches Trugbild [verkörpern], um dem gemeinen Volk den Schein eines demokratischen Rechtstaats zu vermitteln, hinter dessen Fassade sich in Wahrheit ein von unkontrollierten gesellschaftlichen Mächten gesteuerter technokratischer Verwaltungsstaat verbirgt“. 53 Es ist kritisch zu hinterfragen, ob der Gesetzgeber bei seinen zahlreichen Novellen und Änderungen im Zusammenhang mit der Beschleunigungsgesetzgebung, die er regelmäßig mit der Verteidigung des Wirtschaftsstandorts Deutschland begründet, in ausreichender Weise die Summe und das Zusammenspiel der einzelnen Einschränkungen im Blick hatte. Ich meine, dass die von dem Vorsitzenden Richter des 9. Senats am Bundesverwaltungsgericht, Dr. Ulrich Storost, beschriebene Grenze durch die in der Vergangenheit geänderten Einzelvorschriften zwar noch nicht überschritten wird und daher die im Rahmen der Bestandsaufnahme genannten Einzelnormen wohl für sich noch verfassungsgemäß sind, möchte jedoch erhebliche Bedenken äußern, ob – ___________ 49 BVerfG, Beschl. vom 12.11.1958 – 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57 – , NJW 1959, 475, 477; BVerfG, Beschl. vom 27.10.1999 – 1 BvR 385/90 –, NJW 2000, 1175, 1176; Storost, NVwZ 1998, 797, 798. 50 BVerfG, Beschl. vom 16.1.1980 – 1 BvR 127/78, 1 BvR 679/78 –, BVerfGE 53, 115, 128; BVerfG, Beschl. vom 23.10.2007 – 2 BvR 542/07 –, Juris Rn. 14. 51 Gaentzsch, DVBl 2000, 741, 742. 52 Storost, NVwZ 1998, 797 ff. 53 Pitschas, in: Blümel/Pitschas, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess im Wandel der Staatsfunktionen, 1997, 27, 51; vgl. auch Berkemann, DVBl 1998, 446, 461, der darauf hinweist, dass Vielen die Bewahrung des effektiven Rechtsschutzes nur noch als lästige Pflichtübung gelte.

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wenn man die Gesamtheit der eingeführten Rechtsschutzbeschränkungen dem Bundesverfassungsgericht vorlegen könnte – sich eine Verfassungsmäßigkeit noch rechtfertigen ließe. Bildlich gesprochen lässt sich die Historie der Beschleunigungsgesetzgebung mit der Behandlung eines alten Patienten mit einer Vielzahl von Wirkstoffen vergleichen. Bereits das alte Eisenbahnrecht kannte eine Entscheidungskonzentration zur Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens. Seinen Ursprung hatte dieser Gedanke in § 4 Preußisches Gesetz über die EisenbahnUnternehmungen 1835, wonach nicht jeder Landwirt eine Eisenbahnplanung aufhalten können sollte. Diesem „alten Patient“ hat mit der Zielrichtung einer weiteren Beschleunigung und Vereinfachung der Fachplanungsverfahren Gesetzgeber für Gesetzgeber und Bundestag für Bundestag einen neuen „Wirkstoff“ verschrieben, sich jedoch niemand Gedanken über das Zusammenwirken der verschiedenen „Wirkstoffe“ gemacht. Es fehlt ein gesetzgeberischer Toxikologe, der das Zusammenwirken der verschiedenen „Wirkstoffe“ im Blick hat.

IV. Fazit Es spricht viel dafür, dass der Gesetzgeber und die Fürsprecher für noch mehr Beschleunigung die Gesamtheit und das Zusammenwirken bereits erfolgter Beschränkungen der Rechtsschutzmöglichkeiten bei der Überprüfung von Fachplanungsentscheidungen verstärkt in den Blick nehmen sollten. Eine – wenn sie denn angestrebt ist – weitere Beschleunigung sollte nicht ausschließlich durch weitere Einschränkungen der Rechtsschutzmöglichkeiten der Kläger betrieben werden, da im Zusammenspiel bereits erfolgter Einschränkungen insgesamt die verfassungsrechtlich hinnehmbare Grenze erreicht sein dürfte. Für mit Fachplanungsverfahren befasste Rechtsanwälte stellt sich die Frage, ob potentiellen Klägern vermehrt vor Klagen gegen große Infrastrukturvorhaben abgeraten werden muss, da eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses aufgrund der Gesamtheit dargestellter Einschränkungen fast aussichtslos erscheint. In diesem Zusammenhang erscheint fraglich, ob ein effektiver Rechtsschutz bei der gerichtlichen Überprüfung von Planungsentscheidungen praktisch noch gegeben ist. Auf der anderen Seite lässt sich ebenfalls mit guten Gründen einwenden, dass Planungsverfahren für bedeutsame Infrastrukturanlagen in Deutschland immer noch viel zu lange dauern. In Bezug auf den letztgenannten Umstand ist die Wirksamkeit der Beschleunigungsgesetzgebung kritisch zu hinterfragen, zumal beispielsweise das Ausbauvorhaben des Flughafens Frankfurt am Main zusammen mit der Mediation nunmehr bald 12 Jahre andauert. Als Ursache dieser Entwicklung lässt sich möglicherweise der Umstand anführen, dass – oftmals bedingt durch gemeinschaftsrechtliche Vorga-

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ben – die materiell-rechtlichen Anforderungen immer umfangreicher und komplexer werden, was eine weitere Verzögerung nach sich zieht. Als Beispiel für die zunehmende Fülle und Komplexität in Fachplanungsverfahren relevanter Regelungen seien die Vorschriften im Naturschutz- und besonderen Lärmschutzrecht genannt. In den genannten Rechtsbereichen erschweren zudem häufig ausufernde Gutachterstreitigkeiten einen schnelleren Verfahrensabschluss. Abschließend lässt sich die Frage aufwerfen, ob anstelle bzw. neben einer Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Kläger eine Beschleunigung der Verwaltungsverfahren nicht jedenfalls auch durch Gesetzesvereinfachungen, einen straffen Verwaltungsvollzug, eine optimale Organisation der Verwaltungsgerichte und eine hohe Qualität des Planfeststellungsantrags des Vorhabenträgers erreichen könnte.

Veränderungen in der Eisenbahnaufsicht aufgrund europäischer Vorgaben Von Uwe Jürgens Das weitere Zusammenwachsen Europas und die für die Zukunft zu erwartenden Verkehrszuwächse machen es immer schwieriger, die Mobilität der Menschen sicherzustellen und die Bedürfnisse der Wirtschaft nach einem effektiven Verkehrssystem zu erfüllen. Die Europäisierung und Liberalisierung des (grenzüberschreitenden) Schienenverkehrs nimmt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle ein. Die nachfolgenden Ausführungen sollen die hierdurch bedingten Veränderungen in der Eisenbahnaufsicht näher beleuchten.

I. Gegenstand der Eisenbahnaufsicht In der Eisenbahnaufsicht hat sich in den letzten 25 Jahren ein grundlegender Wandel vollzogen. Neben den europäischen Liberalisierungsbemühungen ist die Eisenbahnaufsicht in Deutschland im erheblichen Maße durch die sogenannte Bahnreform von 1994 geprägt. Sie ist seitdem nicht mehr Staatsaufsicht über eine Einrichtung der Staatsverwaltung, sondern Aufsicht über privatrechtlich organisierte Unternehmen, die ihren Sitz auch im Ausland haben können. Durch die Eisenbahnaufsicht wird die Beachtung der die Eisenbahnen betreffenden und tangierenden Gesetze und Rechtsverordnungen sichergestellt. Die Aufgaben der Eisenbahnaufsicht sind in den §§ 5 und 5a AEG definiert und lassen sich auf einen Satz reduzieren: Die Eisenbahnaufsicht hat die Aufgabe, Gefahren, die sich für die öffentliche Sicherheit aus dem Eisenbahnbetrieb ergeben, abzuwehren. In diesem Kontext nimmt das EisenbahnBundesamt klassische Gefahrenabwehraufgaben als Sonderordnungsbehörde des Bundes wahr. Die behördliche Durchsetzung der Sicherheitsstandards ist in erster Linie Gegenstand präventiver Kontrollinstrumente. Sie ist darüber hinaus wesentlicher Inhalt der allgemeinen repressiven Eisenbahnaufsicht. Dabei dienen die präventiven Maßnahmen wie zum Beispiel die Unternehmensgenehmigung nach § 6 AEG oder die Inbetriebnahmegenehmigung nach der Transeuropäischen-Eisenbahn-Interoperabilitätsverordnung (TEIV) nicht nur dazu, eine

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rechtzeitige Kontrolle rechtmäßiger Zustände zu Beginn eines potentiell gefährlichen Vorhabens sicherzustellen, sondern sie haben auch die Funktion, die rechtlichen Anforderungen an ein Unternehmen oder an ein Vorhaben über die generellen Anforderungen einzelfallbezogen zu präzisieren. Als wesentliche Eckpfeiler der Aufsicht sind exemplarisch die Durchsetzung des Eisenbahnrechts und – das ist besonders hervorzuheben – die Überprüfung der Wahrnehmung der Sicherheitsverpflichtung der Eisenbahnunternehmen nach § 4 Abs. 1 AEG zu nennen. Nach dieser Vorschrift sind die Eisenbahnen verpflichtet, ihren Betrieb sicher zu führen und die Eisenbahninfrastruktur, Fahrzeuge und Zubehör sicher zu bauen und in betriebssicherem Zustand zu halten. In diesem Zusammenhang möchte ich hervorheben, dass das Eisenbahn-Bundesamt keine unmittelbare Verantwortung für den sicheren Bahnbetrieb übernimmt. Die gesetzlichen Vorgaben sind hier eindeutig. Damit soll allerdings nicht der Eindruck erweckt werden, das Eisenbahn-Bundesamt entziehe sich seiner gesetzlichen Aufgabenstellung als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde. Rechtmäßiges Verwaltungshandeln ist nichtsdestoweniger gewährleistet. Das Eisenbahn-Bundesamt überwacht folglich im Rahmen der Eisenbahnaufsicht, ob die Eisenbahnunternehmen ihrer Betreiberverantwortung in geeigneter Weise gerecht werden. Da diese Überwachung in der Regel nicht allumfassend erfolgen kann, wird ein anhand einer Stichprobenkontrolle (Schwerpunktkontrolle – Unternehmensaufsicht; Einzelkontrolle – proaktiv und reaktiv) versucht, ein repräsentatives Bild zu erhalten.

II. Der europäische Grundgedanke Die heutige nationale Eisenbahngesetzgebung und damit auch die Eisenbahnaufsicht sind entscheidend bestimmt durch europarechtliche Vorgaben. Ausgehend von dem primären Gemeinschaftsrecht, welches in den Art. 70-80 EGV besondere Vorschriften für den Verkehrsbereich enthält, die jedenfalls für Beförderungen im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsverkehr Geltung beanspruchen, ist die Gemeinschaft zur Umsetzung der Vertragsziele seit Anfang der 90er Jahre verstärkt sekundärrechtlich tätig geworden. Europa verfolgte in erster Linie das Ziel, die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger des Eisenbahnmarktes anzugleichen. Dies sollte durch Liberalisierung und Regulierung auf der einen Seite und Harmonisierung auf der anderen Seite verwirklicht werden. Insbesondere das Erste Eisenbahnpaket stellt einen Meilenstein in der Entwicklung eines einheitlichen europäischen Schienensystems dar. Es ermöglichte einzelnen Schienenverkehrsunternehmen, das Netz der Nachbarbahnen im grenzüberschreitenden Verkehr tatsächlich für eigene Rechnung zu nutzen. Al-

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lerdings offenbarte die Umsetzung des Ersten Eisenbahnpaketes Hürden, insbesondere bei der Harmonisierung der europäischen Bahnen. Daher stellte die Europäische Kommission 2002 mit dem Zweiten Eisenbahnpaket ein weiteres Maßnahmenbündel vor, das 2004 angenommen wurde. Neben Vorgaben zur Harmonisierung der Eisenbahnsicherheit und zur Interoperabilität im konventionellen bzw. transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystem wurde der europäische Güterverkehr ab 2007 für alle Eisenbahnunternehmen komplett geöffnet. Bisher von den europäischen Vorgaben nicht geregelte Eisenbahnbereiche wurden schließlich im Herbst 2007 verabschiedeten Dritten Eisenbahnpaket aufgefangen. Den Schwerpunkt bildete hierbei das mit der RL 2007/58/EG verfolgte Ziel der Öffnung des grenzüberschreitenden Schienenpersonenverkehrs zum 01.01.2010 (für diese Richtlinie sind nationale Ausnahmeregelungen bis zu 15 Jahren möglich). Schon anhand dieser Ausführungen lässt sich als Zwischenergebnis festhalten: Europa hat den Eisenbahnverkehr fest im Griff! Diese These findet eine verlässliche Stütze im „Europäischen Eisenbahn-Haus“: Beginnend mit der EG-Zertifizierung und Inbetriebnahmegenehmigung nach TEIV über die Erteilung einer Unternehmenskonzession bis hin zum Netzzugangsvertrag gründen die eisenbahnrechtlichen Instrumentarien auf europäischem Recht. Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen einheitlichen Eisenbahnraum zu schaffen und den Schienenverkehr in Europa zu stärken. Die angestrebte Harmonisierung des Rechts ist dazu geeignet, noch vorhandene unterschiedliche Vorgaben der Mitgliedstaaten nachhaltig zu überwinden. 1. Die Interoperabilitätsrichtlinien 96/48/EG und 2001/16 EG Den Schwerpunkt der folgenden Ausführungen bilden die Interoperabilitätsrichtlinien 96/48/EG und 2001/16/EG. Während die erstgenannte der beiden Richtlinien das Hochgeschwindigkeitsbahnsystem und letztere das konventionelle Bahnsystem im Blick haben, verfolgen beide Richtlinien ein gemeinsames Ziel: Zum einen die Verknüpfung und Interoperabilität der einzelstaatlichen Netze und die Förderung des Zugangs zu diesen Netzen, zum anderen die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt durch einen offenen, wettbewerbsorientierten Markt in Europa. Beide Richtlinien sind durch RL 2004/50/EG geändert und in Deutschland mit der Transeuropäischen-Eisenbahn-Interoperabilitätsverordnung umgesetzt worden. Die RL 2004/50/EG ist mittlerweile durch die RL 2008/57/EG ersetzt worden, deren nationale Umsetzung allerdings noch aussteht. Dessen materieller Kern ist in den sog. Technischen Spezifikationen für Interoperabilität (TSI) enthalten. Die TSI dienen zur technischen Ausgestaltung der Vorgaben, die den Interoperabilitätsrichtlinien zugrunde liegen. Konkret wird in den TSI von der Europäischen Kommission

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festgelegt, welche technischen Eigenschaften zum Nachweis der Eignung für den europaweit interoperablen Eisenbahnverkehr gefordert werden und wie der Nachweis der Einhaltung der TSI zu erbringen ist. Wie gestaltet sich nun die Umsetzung der europäischen Vorgaben in der Praxis? Diese Frage möchte ich mit einem Blick auf das Inverkehrbringen von Interoperabilitätskomponenten und die Inbetriebnahme von strukturellen Teilsystemen beantworten. Bei der Zertifizierung einer Interoperabilitätskomponente (z. Bsp. Radsatz, Puffer, Bremsbeläge) oder eines Teilsystems (z. Bsp. Güterwagen, Triebfahrzeug) stellt der Hersteller oder Betreiber den Antrag auf Durchführung eines EG-Prüfverfahrens entsprechend den Vorgaben der jeweiligen TSI an eine sog. Benannte Stelle. Benannte Stellen sind neutrale und unabhängige Organisationen der Europäischen Union, die von einem EU-Mitgliedstaat akkreditiert sind, die Konformitätsbewertung von Produkten des freien Warenverkehrs durchzuführen, sofern dies für das betreffende Produkt gemäß den EU-Richtlinien vorgesehen ist. Zur Wahrnehmung der Aufgaben einer Benannten Stelle nach der TEIV wurde beim Eisenbahn-Bundesamt in Bonn das Eisenbahn-Cert (EBC) als eigenständige und fachlich unabhängige Organisationseinheit eingerichtet. Stellt die Benannte Stelle nach Durchführung des vorbezeichneten Verfahrens die Konformität mit den Anforderungen der TSI fest, werden die entsprechenden Zertifikate mit den zugehörigen technischen Dossiers ausgestellt. Mit diesen Unterlagen kann der Hersteller einer Interoperabilitätskomponente die EG-Konformitäts- bzw. Gebrauchstauglichkeitserklärung ausstellen und die Komponente in Verkehr bringen oder in Teilsysteme einbauen. Das Eisenbahn-Bundesamt als Genehmigungsbehörde ist bei diesem Verfahren nicht beteiligt. Bei Teilsystemen kann der Auftraggeber auf Basis des Zertifikats und des Technischen Dossiers die EG-Prüferklärung für die nationale Behörde ausstellen und bei den Mitgliedstaaten, in denen das Teilsystem eingesetzt werden soll, die Inbetriebnahme beantragen. Im Gegensatz zu den bisher von den nationalen Behörden vorgegebenen Genehmigungs- und Zulassungsverfahren, die sich in Umfang und Vorgehen teilweise gravierend unterscheiden und in jedem Mitgliedstaat erneut durchlaufen werden mussten, ist beim europäischen Prozess nur noch ein einziges, harmonisiertes Verfahren erforderlich. 2. Die Sicherheitsrichtlinie 2004/49/EG Die Sicherheitsrichtlinie ist Bestandteil des Zweiten Eisenbahnpakets. Sie verfolgt das Ziel, das in den TSI festgelegte einheitliche Mindestmaß an Sicherheit mit dem Systemgedanken der Eisenbahn und seiner starken Verzahnung der einzelnen Teilsysteme weiter zu verknüpfen. Die Sicherheitsrichtlinie gilt für das Eisenbahnsystem in den Mitgliedstaaten und umfasst für das Ge-

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samtsystem geltende Sicherheitsanforderungen, die auch das sichere Management von Infrastruktur und Verkehrsbetrieb sowie das Zusammenwirken von Eisenbahnunternehmen und Fahrwegbetreibern betreffen. Die Schwerpunkte der Sicherheitsrichtlinie lassen sich thesenartig wie folgt zusammenfassen: x Harmonisierung des gesetzlichen Rahmens im Bereich Sicherheit sowie des Inhalts von Sicherheitsvorschriften x Verringerung der Hindernisse im Hinblick auf die Öffnung des Eisenbahnverkehrsmarktes x Verbesserung der Transparenz und Informationsflusses im Sicherheitsbereich x Untersuchung von schweren Unfällen und Unregelmäßigkeiten Durch die Sicherheitsrichtlinie hat auch die Eisenbahnaufsicht Erweiterungen erfahren. Im Rahmen der Aufsicht überprüft das Eisenbahn-Bundesamt, ob die strukturbezogenen Teilsysteme entsprechend den einschlägigen Anforderungen betrieben und instand gehalten werden. Dazu zählt auch die Überwachung, ob die Interoperabilitätskomponenten den grundlegenden Anforderungen genügen. Neben der Erteilung von Sicherheitsbescheinigungen für Eisenbahnverkehrsunternehmen ist das Eisenbahn-Bundesamt nunmehr auch für die Erteilung von Sicherheitsgenehmigungen für Eisenbahninfrastrukturunternehmen zuständig – und damit alleinige Sicherheitsbehörde. In diesem Kontext verdient die Sicherheitsbescheinigung einer genaueren Betrachtung. Ohne Sicherheitsbescheinigung dürfen Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland nicht am regelspurigen öffentlichen Eisenbahnbetrieb teilnehmen. Regionalbahnen, die nur im Inland verkehren, sind hiervon ausgenommen. Die Sicherheitsbescheinigung ist für nach Art und räumliche Ausdehnung festgelegte Eisenbahnverkehrsleistungen auf schriftlichen Antrag für die betreffenden Schienennetze oder Schienenwege öffentlicher Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu erteilen, wenn seitens des Eisenbahnverkehrsunternehmens der Nachweis erbracht wird, dass es ein Sicherheitsmanagementsystem (SMS) eingerichtet hat, das mindestens die Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 und 3 der Sicherheitsrichtlinie erfüllt (SiBe Teil A) und die besonderen Anforderungen für den sicheren Verkehrsbetrieb für Personal und Fahrzeuge auf dem betreffenden Schienennetz oder den einzelnen Schienenwegen erfüllt (SiBe Teil B). Die Sicherheitsbescheinigung besteht hiernach aus zwei wesentlichen Elementen, namentlich aus der Bescheinigung des Sicherheitsmanagementssystems (Teil A, EU-weit gültig) und aus der Zulassung der Vorkehrungen für den sicheren Betrieb der Züge (Teil B, netzbezogen). Hieraus resultiert

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zugleich nachfolgende Zweistufigkeit: Zunächst erteilt der jeweilige Heimatstaat dem Unternehmen eine europaweit gültige Bescheinigung für die Einrichtung eines Sicherheitsmanagementsystems – diesem liegt ein einheitliches Verfahren und einheitliche Prüfkriterien zugrunde –, für das jeweilige Territorium erteilt der betroffene Mitgliedstaat sodann eine netzbezogene Zulassung. Dieses Verfahren ermöglicht der Sicherheitsbehörde die größtmögliche Kontrolle aller mit dem Betrieb verbundenen Risiken und dadurch die Gewährung eines sicheren Eisenbahnbetriebs. Wie ich zuvor bereits ausgeführt habe, müssen Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Erlangung des Teils A der Sicherheitsbescheinigung nachweisen, dass ein Sicherheitsmanagementsystem eingeführt, verwirklicht und aufrechterhalten wird, mit dem sie die in Anhang III der Sicherheitsrichtlinie niedergelegten Anforderungen genügen und insbesondere in der Lage sind, alle Risiken einschließlich Instandhaltungsarbeiten, Materialbeschaffung und die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen zu kontrollieren. Europa fordert also ein Managementsystem, das sich an die Begriffswelt und Verfahrensweisen von Qualitätsmanagementsystemen anlehnt. Durch die Sicherheitsbehörde festgestellte Mängel können aufgrund des komplexen Aufbaus von Managementsystemen auch Teilprüfungen in Form von Audits vor Ort in den Unternehmen erfolgen. Als Audit (von lat. „Anhörung“) werden allgemein Untersuchungsverfahren bezeichnet, die dazu dienen, Prozesse hinsichtlich der Erfüllung von Anforderungen und Richtlinien zu bewerten. Das Eisenbahn-Bundesamt als nunmehr alleinige Sicherheitsbehörde nimmt in diesem Zusammenhang folgende Aufgaben wahr: x Inbetriebnahmegenehmigung nach RL 9/48/EG, 2001/16/EG und für Fahrzeuge außerhalb der TSI x Erteilung und Widerruf von Sicherheitsbescheinigungen für Eisenbahnverkehrsunternehmen x Erstellung und Pflege des nationalen Fahrzeugregisters x Beobachtung, Förderung und Weiterentwicklung des rechtlichen Rahmens im Bereich der Sicherheit x „Aufsicht“ und Überwachung der Interoperabilitätskomponenten

III. Grundlegende Änderungen in der Aufsicht? Ein grundlegender Wandel hat sich durch die europäischen Vorgaben in der Eisenbahnaufsicht wohl nicht vollzogen, das Aufgabenspektrum des Eisen-

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bahn-Bundesamtes hat vielmehr in erster Linie eine quantitative Weiterung erfahren. Die Sicherheitsverantwortung für den sicheren Eisenbahnbetrieb obliegt nach wie vor zunächst den Eisenbahnunternehmen. Die durch die europäische Entwicklung beschriebenen Neuerungen führen im Ergebnis zu einem Ausbau der unternehmerischen Eigenverantwortung. Dies belegt das vorgestellte Verfahren der Erteilung einer Sicherheitsbescheinigung. Hierdurch wird die unternehmerische Eigenverantwortung formalisiert und durch Erteilung der Sicherheitsbescheinigung zertifiziert.

IV. Schlussbetrachtung Die nationalen Neuregelungen sind ganz überwiegend europarechtlichen Vorgaben geschuldet. Zudem resultieren sie überdies aus den Erfahrungen mit mittlerweile über 15jährigem Wettbewerb im Eisenbahnsektor. Die Liberalisierung verläuft nicht widerspruchslos, der Weg zu einer vollumfänglichen Liberalisierung ist vermutlich noch lang. Das Eisenbahnrecht wird auch weiter in Bewegung bleiben und sich ständigem Reformdruck aus Brüssel ausgesetzt sehen. Die neben der rechtlichen Marktöffnung unabdingbare technische Harmonisierung wird mit der in den der neuen Interoperabilitätsrichtlinie vorgesehenen Ausweitung des Geltungsbereiches der TSI über die transeuropäischen Netze hinaus auf das gesamte europäische Eisenbahnsystem deutlich ausgeweitet. Das Eisenbahnrecht wird dadurch nicht nur für den Anwender anspruchsvoller. Vor diesem Hintergrund sollte die Gemeinschaft auch in Anbetracht der Notwendigkeit gemeinsamer einheitlicher Regelungen dafür Sorge tragen, einer Überregulierung (nicht zuletzt zulasten der Eisenbahnunternehmen) im Grundsatz entgegenzuwirken.

Stringente Bearbeitung von Umweltschutzgütern in der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung Von Detlef Kober

I. Einleitung

Der Bearbeitung von Umweltaspekten kommt innerhalb von planungsrechtlichen Zulassungsentscheidungen ein bedeutender Stellenwert zu. Dies spiegelt sich auch in den Antragsunterlagen wider, in denen Angaben zu den Umweltwirkungen des Vorhabens in aller Regel unverzichtbar sind und zu denen häufig auch abgegrenzte Gutachten und Planunterlagen wie die Umweltverträglichkeitsuntersuchung, die besondere artenschutzrechtliche Prüfung oder der landschaftspflegerische Begleitplan zählen. Obgleich die generelle Notwendigkeit der Integration von Umweltaspekten unbestritten ist, treten in der Bearbeitungspraxis häufig Probleme auf. Einer der Gründe hierfür ist die Komplexität der Materie. Der hier dargestellte Ansatz geht in diesem Kontext von der These aus, dass eine stringente, von den normativen Vorgaben geleitete Bearbeitung der Umweltaspekte nicht nur die Rechtssicherheit in der Planfeststellung steigert, sondern auch zu einer inhaltlichen Stärkung des Belangs Umwelt führt. Dabei wird der sonst häufig eingenommene Standpunkt insoweit variiert, als in der Betrachtung nicht von den Umsetzungsinstrumenten, sondern vom Handlungsgegenstand, den Umweltgütern, ausgegangen wird. Eine dem geltenden Recht entsprechende Berücksichtigung der einzelnen Schutzgüter erfordert eine spezifische Auseinandersetzung mit den das jeweilige Umweltgut betreffenden und insbesondere schützenden Normen, soweit es durch das Planungsrecht in die Zulassungsentscheidung integriert wird. In der Sache führt dies dazu, dass sowohl eine Beschäftigung mit dem schutzgutbezogenen Umweltrecht als auch mit dem Planfeststellungsrecht zu erfolgen hat.

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Als Anschauungsbeispiel dient dabei das eisenbahnplanungsrechtliche Zulassungsverfahren nach § 18 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) 1 . Im Weiteren erfolgt ein kurzer Überblick zu den zu behandelnden Umweltgütern, wobei zwei Schutzgüter, die Grünlandgesellschaften als Ausschnitt der Flora und Fauna sowie die Landschaft, näher betrachtet werden (Kap. B I). Im Zentrum stehen die Rechtsnormen, durch die diese Schutzgüter im Kontext von Zulassungsverfahren erfasst werden (Kap. B II). Zudem wird am Beispiel der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung veranschaulicht, inwieweit Umweltaspekte dort integriert werden. Insoweit sind materiell-rechtliche, formellrechtliche sowie verwaltungsprozessuale Aspekte zu betrachten. Zudem soll der Blick in die Verwaltungspraxis dadurch geschärft werden, indem die entsprechenden Verwaltungsvorschriften bzw. Leitfäden des EisenbahnBundesamtes in einigen wesentlichen Aspekten dargestellt werden (Kap. B III). Ein Fazit schließt die Ausführungen ab (Kap. C).

II. Schutzgüter und deren Integration in die Planfeststellung 1. Umweltbegriff und Umweltschutzgüter Für die Behandlung der Umwelt in Zulassungsverfahren ist es zunächst erforderlich, sich die normative Ausprägung des Handlungsgegenstandes zu vergegenwärtigen. Nach dem erneuten Scheitern eines integrierten Umweltgesetzbuches ist insoweit weiterhin eine Bezugnahme auf diverse Umweltgesetze erforderlich, die jeweils spezifische Handlungsgegenstände umfassen. So gibt es Gesetze, die auf mehrere Schutzgüter ausgerichtet sind (z.B. UVPG, BNatSchG), und solche, die auf einzelne Schutzgüter ausgerichtet sind (z.B. Bundes-Bodenschutzgesetz). Die diesbezüglichen Unterschiede können durch einen kurzen Vergleich von UVPG und BNatSchG veranschaulicht werden: Der weite Umweltbegriff des § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG 2 zeigt dabei die Spannbreite des normativen Umweltgüterschutzes. Dieser umfasst den x Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt (Nr. 1), x Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft (Nr. 2), ___________ 1

Allgemeines Eisenbahngesetz vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2396; 1994 I S. 2439), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542). 2 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94).

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x Kultur- und sonstige Sachgüter (Nr. 3) sowie x die Wechselwirkungen zwischen den vorgenannten Schutzgütern (Nr. 4). Auch das Bundesnaturschutzgesetz geht auf eine Reihe von Umweltgütern ein. Da das Gesetz jedoch nicht die Umwelt, sondern gem. § 1 BNatSchG 3 Natur und Landschaft schützt, kann auch nur dieser Teil der Umwelt näher definiert werden. Erst über eine Konkretisierung des Begriffs Natur und Landschaft wird der spezifische Handlungsgegenstand des Gesetzes klar. Bereits diese Gegenüberstellung zeigt, dass es für eine stringente Bearbeitung von Umweltschutzgütern erforderlich ist, die einschlägigen Normen der Umweltgesetze daraufhin zu prüfen, welche Schutzgüter davon erfasst werden. Zudem sind Art und Umfang des Schutzes einschließlich des planungsrechtlichen Bezugs nachzuvollziehen. Einem grundlegenden Verständnis dient auch eine kategoriale Zuordnung der Schutzgüter. Insoweit ist zunächst auf die Umweltmedien einzugehen. Der Begriff umfasst die Schützgüter Boden/Gestein, Luft/Klima sowie das Wasser. Die Umweltmedien stellen die Grundbedingungen dar, auf denen die weiteren Umweltbestandteile aufbauen. Zu diesen gehören die in der Umwelt vorkommenden Lebensformen, wie Tiere, Pflanzen sowie der Mensch mit seinen ihm eigenen Besonderheiten. Damit allein ist jedoch die Umwelt noch nicht ausreichend beschrieben. Konkrete Ausprägungen der Umwelt im Raum zeigen sich erst in einer Zusammenschau und aufgrund einer Wechselwirkung der einzelnen Schutzgüter. Als solche komplexe Ausprägungen der Umwelt können etwa Biotope differenziert werden, die wiederum zu Biotoptypen zusammengefasst werden können. In den Biotopen lebt jeweils eine bestimmte Zusammensetzung der Tier- und Pflanzenwelt, etwa in Lebensgemeinschaften etc. Bei einer gesamthaften Betrachtung der Umwelt auf einer größeren Maßstabsebene, insbesondere auch unter Betrachtung des menschlichen Einflusses, können Landschaften unterschieden werden. Für die folgenden Betrachtungen wurden zwei Komplexschutzgüter für eine nähere Betrachtung ausgewählt: auf der Ebene der Pflanzengesellschaften die Grünlandgesellschaften sowie das Schutzgut Landschaft. a) Grünlandgesellschaften Unter Grünland versteht man eine dauerhafte, von zumeist zahlreichen Pflanzenarten gebildete Vegetation mit relativ geschlossener Narbe aus Gräsern und Kräutern, die i.d.R. durch mehr oder weniger regelmäßige Mahd und/oder ___________ 3 Bundesnaturschutzgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), in Kraft getreten am 1.3.2010.

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Beweidung kurz gehalten wird und zumeist der Futter- oder der Streugewinnung in der Landwirtschaft dient. Zu Grünland zählen im engeren Sinne Wiesen und Weiden, also Wirtschaftsgrünland, das sich im Wesentlichen aus Frisch- und Fettwiesen, Fettweiden, Feuchtwiesen sowie Trocken- und Halbtrockenrasen, Borstgrasrasen und Magerweiden zusammensetzt. Als Grünland im weiteren Sinne werden auch Flächen zur Streugewinnung (Streuwiesen) sowie grünlandähnliche Vegetationstypen wie Zwergstrauchheiden, Klein- und Großseggenriede, Land- und Verlandungsröhrichte, nitrophile Staudenfluren, aber auch von Natur aus gehölzfreie Pflanzenformationen wie etwa Quellfluren, subalpine und alpine Vegetation oder Vegetation der Küsten verstanden. 4 Zu den Grünlandtypen gehören bzw. in enger Verbindung mit Grünlandtypen stehen auch Säume, Brachen und Gebüsche. 5 Grünland nimmt einen bedeutenden Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Europa ein. Es ist Lebensraum für typische Wiesenpflanzen und -tiere (z.B. Wiesenbrüter, Schmetterlinge und Heuschrecken), erfüllt neben materiellen Funktionen im Naturhaushalt auch ästhetische Funktionen und trägt zur Identität und Unverwechselbarkeit von Landschaften durch landschaftstypische Ausprägung von Grünland bei. 6 Wiesen und Weiden sind ein wichtiges Reservoir an bedrohten Pflanzenarten. Im Hinblick auf die Artenzahl ist Grünland sowohl für die Pflanzen wie auch die Tierwelt von großer Bedeutung. So kommen in Deutschland ca. 460 Pflanzenarten dort vor und zahlreiche Tierarten hängen direkt von bestimmten Futterpflanzen ab, wie z.B. die Raupenstadien vieler Schmetterlinge. 7 b) Landschaft Das Schutzgut Landschaft unterscheidet sich von anderen Umweltschutzgütern insbesondere durch seine abweichende Maßstabsebene und die stärkere Integration anthropogener Bestandteile. Als Landschaft wird ein als Einheit abgrenzbarer Teilraum der Erdoberfläche bezeichnet, der sich durch das äußere Bild wie durch die inneren Strukturen und das Wirkungsgefüge von anderen Teilräumen unterscheidet. 8 Es existieren diverse Landschaftstypen, wobei die ___________ 4

Briemle/Eckhoff/Wolf, Mindestpflege und Mindestnutzung unterschiedlicher Grünlandtypen aus landschaftsökologischer und landeskultureller Sicht, 1991, S. 6 ff. 5 Vgl. Nitsche/Nitsche, Extensive Grünlandnutzung, 1994, S. 40 f. 6 Oppermann, Artenreiches Grünland, 2003, S. 11. 7 Raehse, Veränderungen in der Kulturlandschaft, Lebensraum Grünland, 1996, 10 f. 8 Mengel, Aufgabenbestimmung und Zielkonkretisierung im Naturschutzrecht, in: Führ/Wahl/von Wilmowsky (Hrsg.): Umweltrecht und Umweltwissenschaft, Festschrift für Eckard Rehbinder, 2007, 472.

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Bodengestaltung und die Bodenart, der Pflanzenbewuchs und die Gewässer Hauptmerkmale sind, die die Eigenheit einer Landschaft bestimmen. 9 Neben dem Landschaftshaushalt, der die ökologischen Aspekte erfasst, sind der Landschaftsraum einschließlich der Landschaftsstruktur (struktureller Aspekt), das Landschaftsbild (physiognomischer Aspekt), die Landschaftsgeschichte (historisch-genetischer Aspekt) und die Realnutzung des Landschaftsraumes (sozioökonomischer Aspekt) zu unterscheiden. 10 Landschaften sind in ihrer jeweiligen Individualität einzigartig, d.h. individuell vorhanden, nicht ersetzbar und in ihren Wechselwirkungen der auf sie wirkenden Kräfte komplex angelegt.11 2. Normativer Schutz von Grünland und Landschaft Der normative Schutz von Pflanzen, Pflanzengesellschaften bzw. Grünlandgesellschaften ist auf mehrere Einzelgesetze verteilt. Materiell-rechtlich zentral im Kontext Zulassungsverfahren sind für das Grünland die Naturschutzgesetze 12 . Dies gilt im Wesentlichen auch für das Schutzgut Landschaft, für das jedoch, wenn auch nur bezüglich spezifischer Ausprägungen und nicht als primäres oder gar alleiniges Schutzgut, ergänzend die Denkmalschutzgesetze zu beachten sind. Die wesentlichen Normen werden im Folgenden aufgezeigt. a) Naturschutzrecht aa) Aufgaben-, Zweck- und Zielbestimmungen (a) Aufgaben- und Zweckbestimmung gem. § 1 Abs. 1 BNatSchG In § 1 Abs. 1 BNatSchG sind Aufgabe und Zweck des Naturschutzrechts bestimmt. Danach sind Natur und Landschaft so zu schützen, dass 1. die biologische Vielfalt, 2. die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter sowie ___________ 9

Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl., 2003, § 6 Rn. 8 f.; Appold, in: Hoppe, UVPG, 3. Aufl., 2007, § 2 Rn. 37. 10 Gassner/Winkelbrandt, UVP, 4. Aufl., 2005, 29. 11 Broggi, Eckpunkte einer europäischen Kulturlandschaftsforschung, DLR, 2005, Heft 77, 108-112. 12 Die Darstellung erfolgt anhand der Bundesnormen, da ein Eingehen auch auf landesrechtliche Regelungen den gesetzten Rahmen sprengen würde.

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3. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind. Dabei werden Grünlandgesellschaften sowohl vom Begriff „Natur und Landschaft“ erfasst als auch durch die Einzelaspekte des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG. Insoweit können sämtliche drei Zieldimensionen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die Diversitätssicherung, der Schutz der materiellphysischen Funktion und der immateriellen Funktionen, auf das Schutzgut Grünland bezogen werden. Dagegen bezieht sich die biologische Vielfalt nicht direkt auf das Schutzgut Landschaft. § 1 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG ist bereits klarer auf die Landschaft ausgerichtet. Den stärksten Landschaftsbezug weist § 1 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG mit den Einzelbegriffe der Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie dem Erholungswert auf. Zum näheren Verständnis des Schutzgegenstands ist eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Begriffspaar „Natur und Landschaft“ sowie den in § 1 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG genannten Einzelbegriffen erforderlich. 13 (b) Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege gem. § 1 Abs. 2 bis 6 BNatSchG Die gesetzlichen Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege, die einen Bezug zu den hier untersuchten Schutzgütern Pflanzengesellschaften und Landschaft aufweisen, werden – unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG – in § 1 Abs. 2 bis 4 BNatSchG dargelegt sowie ergänzend in § 1 Abs. 5 und Abs. 6 BNatSchG. § 1 Abs. 2 BNatSchG bezieht sich auf die biologische Vielfalt. Danach sind lebensfähige Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten zu erhalten und ein Austausch zwischen den Populationen ist zu gewährleisten (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG), Gefährdungen von natürlich vorkommenden Ökosystemen, Biotopen und Arten ist entgegenzuwirken (Nr. 2) und Lebensgemeinschaften und Biotope mit ihren strukturellen und geographische Eigenheiten sind in einer repräsentativen Verteilung zu erhalten (Nr. 3 Hs. 1). Sämtliche dieser Einzelziele sind auch auf die Pflanzen/Pflanzengesellschaften anzuwenden. Demgegenüber ist der Bezug zum Landschaftsbegriff lediglich indirekt. § 1 Abs. 3 BNatSchG bezieht sich auf die materiellen Funktionen gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG im Hinblick auf Einzelkompartimente von Natur und ___________ 13 Vgl. hierzu Gassner, in: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl., 2003, § 1 Rn. 20 ff.

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Landschaft. Dabei sind für die hier betrachteten Schutzgüter insbesondere § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 5 BNatSchG zu nennen. § 1 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG ist von genereller Bedeutung. Danach sind die räumlich abgrenzbaren Teile des Wirkungsgefüges des Naturhaushalts im Hinblick auf die prägenden biologischen Funktionen, Stoff- und Energieflüsse sowie auch landschaftlichen Strukturen zu schützen. Naturgüter, die sich nicht erneuern, sind sparsam und schonend zu nutzen, sich erneuernde Naturgüter dürfen nur so genutzt werden, dass sie auf Dauer zu Verfügung stehen. Im Einzelnen sind hier als Teil des Naturhaushalts auch die Grünlandgesellschaften geschützt sowie Landschaftsteile, wenn auch nicht die Landschaften selbst. Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 5 BNatSchG sind die wild lebenden Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften sowie ihre Biotope und Lebensstätten auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Funktionen im Naturhaushalt zu erhalten. Hiervon sind wiederum zwar auch die Grünlandbiotope erfasst, nicht jedoch die Landschaft als Ganzes. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass die konkreten Landschaften mit ihren individuellen Ausstattungsmerkmalen auch mit spezifischen Funktionsausprägungen verknüpft sind. Im Bereich der immateriellen Funktionen gem. § 1 Abs. 4 BNatSchG wird benannt, dass Naturlandschaften und historisch gewachsene Kulturlandschaften, auch mit ihren Kultur-, Bau- und Bodendenkmälern, vor Verunstaltung, Zersiedelung und sonstigen Beeinträchtigungen zu bewahren sind (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 BNatSchG). Zum Zweck der Erholung in der freien Landschaft sind geeignete Flächen vor allem im besiedelten und siedlungsnahen Bereich zu schützen und zugänglich zu machen (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 BNatSchG). Hierbei ist zu bemerken, dass mit der Erholung des Menschen ein eigenes Schutzgut benannt wird, das jedoch mit dem Schutzgut Landschaft verknüpft ist. Zudem ist festzustellen, dass § 1 Abs. 4 BNatSchG deutlicher auf das Schutzgut Landschaft ausgerichtet ist als § 1 Abs. 2 und 3 BNatSchG. Als Kehrseite profitieren von § 1 Abs. 4 BNatSchG viele andere Schutzgüter lediglich indirekt. Ein besonderer Blick lohnt auf den Rechtsbegriff der historisch gewachsenen Kulturlandschaften gem. § 1 Abs. 4 BNatSchG als spezifische Ausprägung von Landschaft. Danach sind die historischen Kulturlandschaften sowohl als eigenständige Größen sowie auch als dienende Größen im Kontext Kultur-, Bau- oder Bodendenkmäler geschützt. 14 Die Kulturlandschaft ist die sinnlich wahrnehmbare Ausstattung eines mehr oder weniger stark durch das Wirken des Menschen geprägten Landschaftsraumes und deren Beschaffenheit. 15 Kulturlandschaften sind Ausdruck des Mensch- und Naturverhältnisses einer be___________ 14

Gassner, in: Bundesnaturschutzgesetz, a.a.O., § 1 Rn. 62 sowie § 2 Rn. 98. Wagemer, Schutz der Kulturlandschaft – Erfassung, Bewertung und Sicherung schutzwürdiger Gebiete und Objekte im Rahmen des Aufgabenbereiches von Naturschutz und Landschaftspflege. - zugl. Saarbrücken, Univ. Diss. (1996), 1999. 15

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stimmten Zeit- und Stilepoche. In ihnen spiegelt sich der Jahrhunderte lange Umgang des Menschen mit der Landschaft in seinen gesellschaftliche Verhältnissen und Technologien. 16 Historische Kulturlandschaften im Speziellen sind räumlich abgrenzbare Teile der Landschaft, die durch Aspekte geprägt sind, welche Zeugnis von einem bestimmten geschichtlichen Ereignis oder einer bestimmten geschichtlichen Entwicklungsstufe ablegen. Historische Kulturlandschaften gibt es in vielfältigen Ausprägungen, die Wirtschaftsformen betreffen können ebenso wie historische Siedlungsformen, Garten- und Landschaftsdenkmäler oder Verkehrswege. Die Elemente der traditionellen oder historischen Kulturlandschaft können nach flächenhaften, linienhaften und punktuellen Elementen differenziert werden. Beispiele sind etwa Dorfformen, Herrensitze mit Gärten, Parks, Ackerterrassen, Streu- oder Streuobstwiesen, Hecken, Alleen oder Lesesteinhaufen. Es werden somit auch Aspekte angesprochen, die über die ökologischen Landschaftsfunktionen hinausgehen. Im Kontext von Kulturlandschaften sind jedoch auch die natürlichen Gegebenheiten von Bedeutung, da diese es häufig sind, die in der jeweiligen Landschaft ganz eigene kulturelle Elemente nach sich ziehen. 17 Weitere landschaftsbezogene Aspekte werden in § 1 Abs. 5 und 6 BNatSchG formuliert, die bestimmte Anforderungen des Naturschutzes im Verhältnis zu anderen Ansprüchen an die Landschaft betreffen. So betrifft § 1 Abs. 5 BNatSchG den Schutz vor weiterer Zerschneidung. Danach sollen großflächige, weitgehend unzerschnittene Landschaftsräume vor weiterer Zerschneidung bewahrt werden. Verkehrswege, Energieleitungen und ähnliche Vorhaben sollen landschaftsgerecht geführt, gestaltet und so gebündelt werden, dass die Zerschneidung und die Inanspruchnahme der Landschaft sowie Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes vermieden oder so gering wie möglich gehalten werden. Die Norm steht somit in Wechselwirkung mit den Fachgesetzen, so auch der Planfeststellung nach § 18 AEG. Soweit die Bündelung von linearen Projekten angesprochen ist, wird, insbesondere bei Abweichung von dieser Anforderung, eine stärkere Begründungslast als Folge des § 1 Abs. 5 BNatSchG entstehen. 18 Zudem geht von der Norm durch den Verweis auf die natürlichen Landschaftsstrukturen eine Intensivierung der diesbezüglichen Pflicht zur Zusammenstellung des Entscheidungsmaterials, z.B. für die Abwägung, aus. Auch aus § 1 Abs. 6 BNatSchG, der den Schutz von Freiräumen im ___________ 16

Ewald, Traditionelle Kulturlandschaften: Elemente und Bedeutung, in: Konold (Hrsg.): Naturlandschaft – Kulturlandschaft, 1996, S. 99. 17 Konold, Von der Dynamik einer Kulturlandschaft. Das Allgäu als Beispiel, in: Konold (Hrsg.): Naturlandschaft – Kulturlandschaft, 1996, S. 121. 18 Vgl. Gassner, in: Bundesnaturschutzgesetz, a.a.O., § 2 Rn. 87.

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besiedelten und siedlungsnahen Bereich fordert, kann insbesondere ein Bezug zu dem Schutzgut Landschaft hergestellt werden. bb) Normen des Naturschutzrechts mit planerischem Charakter (a) Zielkonkretisierungen durch Landschaftsplanung Für den Landschaftsschutz, aber auch für viele weitere Einzelschutzgüter des Naturschutzrechts einschließlich der Pflanzengesellschaften, hat die Landschaftsplanung eine hohe Bedeutung. Der Landschaftsplanung kommt gem. § 9 Abs. 1 BNatSchG die Aufgabe zu, die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege für den jeweiligen Planungsraum zu konkretisieren und die Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele und Grundsätze des Naturschutzes auch für die Planungen und Verwaltungsverfahren aufzuzeigen, deren Entscheidungen sich auf Natur und Landschaft im Planungsraum auswirken können. Inhalte der Landschaftsplanung sind gem. § 9 Abs. 2 BNatSchG die Darstellung und Begründung der konkretisierten Ziele des Naturschutzes und der ihrer Verwirklichung dienenden Erfordernisse und Maßnahmen. Gemäß § 8 BNatSchG erfolgt die Landschaftsplanung auf überörtlicher und örtlicher Ebene, wobei die – bedeutsamste – regionale Ebene in § 10 Abs. 2 BNatSchG grundsätzlich bindend festgeschrieben wird. Gemäß § 9 Abs. 3 BNatSchG sollten die Landschaftspläne die Erfordernisse und Maßnahmen zur Umsetzung der konkretisierten Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege darstellen, insbesondere x zur Vermeidung, Minderung oder Beseitigung von Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft; x zum Schutz bestimmter Teile von Natur und Landschaft; x auf Flächen, die für künftige Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege geeignet sind, x zum Aufbau des Biotopverbundes, der Biotopvernetzung und des Netzes „Natura 2000“; x zur Erhaltung und Entwicklung von Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie des Erholungswertes von Natur und Landschaft. Insoweit werden neben vielen anderen auch Aspekte angesprochen, die die hier betrachteten Schutzgüter betreffen. Sowohl die unterschiedlichen Maßstabsebenen wie auch die räumliche Konkretisierung einschließlich der damit verbundenen planerischen Darstellung sind wichtige Elemente, um den öffentlichen Belang des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu stärken und in fachplanungsrechtlichen Zulassungsentscheidungen eine konkrete Ausgestaltung zu verleihen. Dies aufgreifend ist die

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Landschaftsplanung gem. § 9 Abs. 5 BNatSchG auch bei Planungen und in Verwaltungsverfahren heranzuziehen und somit für die eisenbahnrechtliche Planfeststellung bedeutsam. (b) Biotopverbund §§ 20 Abs. 1, 21 BNatSchG regeln den Biotopverbund. Gemäß § 20 BNatSchG ist ein Netz verbundener Biotope zu schaffen, das mindestens 10 Prozent der Fläche eines jeden Landes umfassen soll. Dieses dient gem. § 21 BNatSchG der dauerhaften Sicherung der Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten, Biotope und Lebensgemeinschaften sowie funktionsfähigen ökologischen Wechselbeziehungen. Er soll länderübergreifend erfolgen und besteht aus Kernflächen, Verbindungsflächen und Verbindungselementen. Die Elemente sind durch Erklärung zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft, durch planungsrechtliche Festlegung, durch vertragliche Vereinbarung oder andere Maßnahmen rechtlich zu sichern. Auf regionaler Ebene sind insbesondere in von der Landwirtschaft geprägten Landschaften zur Vernetzung von Biotopen erforderliche lineare und punktförmige Elemente zu erhalten und zu schaffen. Zu den Flächen des Biotopverbundes zählen auch Grünlandlebensräume, die häufig auch mit dem nach der FFHRichtlinie zu schaffenden Lebensräumen verknüpft sein werden. 19 Nach Sinn und Zweck der §§ 20 Abs. 1, 21 BNatSchG ist es erforderlich, die ökologischen Ziele im Kontext eines bestimmten Netzausschnittes zu konkretisieren und die Flächenbewirtschaftung mit den konkreten ökologischen Zielen des Biotopverbundes in Einklang zu bringen. 20 Diese Ziele können auch auf grünlandbezogene Netze und Netzausschnitte und die damit verbundenen Tier- und Pflanzenarten ausgerichtet sein. Bei Inanspruchnahme von Flächen ist jeweils zu prüfen, inwieweit diese Flächen für den potenziellen oder bereits konkretisierten Biotopverbund in Anspruch genommen werden bzw. werden können und in welcher Form bereits Festlegungen und Sicherungen zur Erreichung des Ziels des Biotopverbundes getroffen worden sind. Für das Schutzgut Landschaft ist festzustellen, dass sich die Flächen des Biotopverbundes zwar auf die Gestaltung der Landschaft auswirken, jedoch ist der Landschaftsschutz nicht Ziel der Norm. Die Anforderungen des Biotopverbundes können mit konkreten Eisenbahninfrastrukturprojekten konfligieren. Die entstehenden Konflikte sind (auch) in den Planfeststellungsverfahren zu lösen. ___________ 19 20

Vgl. Gassner, in: Bundesnaturschutzgesetz, a.a.O., § 3 Rn. 5a f. Gassner, in: Bundesnaturschutzgesetz, a.a.O., § 3 Rn. 7.

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cc) Schutzinstrumente des Naturschutzrechts (a) Schutzgebiete und Schutzobjekte Ein spezifischer Schutz von bestimmten Teilen von Natur und Landschaft ergibt sich durch ihre Erklärung zum Schutzgebiet gem. §§ 20, 22 bis 29 BNatSchG. Gem. § 20 Abs. 2 BNatSchG können Teile von Natur und Landschaft zum Naturschutzgebiet, Nationalpark, Nationalen Naturmonument21 , Biosphärenreservat, Landschaftsschutzgebiet, Naturpark sowie zum Naturdenkmal oder geschützten Landschaftsbestandteil erklärt werden. Schutzgegenstand, Schutzzweck, die notwendigen Ge- und Verbote und eventuelle Pflege-, Entwicklungs- und Wiederherstellungsaßnahmen werden in einer Schutzgebietserklärung bestimmt (§ 22 Abs. 2 S. 1 BNatSchG), darüber hinaus in den Grundzügen bereits gesetzlich durch die Einzelnormen zu den Schutzgebietskategorien (§§ 23 bis 29 BNatSchG) vorbestimmt, wobei das Schutzniveau differiert. Vom Grundsatz her sind alle Schutzgebietskategorien relativ offen für die Einbeziehung von diversen Schutzgütern und Schutzgutaspekten in den Schutzzweck des Gebietes. Der Schutzzweck füllt dabei die Unterschutzstellung inhaltlich aus und bestimmt, was mit der Unterschutzstellung konkret erreicht werden soll. 22 Dieser Schutzzweck kann auf den Arten- und Biotopschutz gerichtet sein und so potenziell auch auf den Schutz von Grünlandflächen, aber auch andere Aspekte mit einbeziehen, zu denen etwa auch Belange des Bodenschutzes oder des Landschaftsschutzes gehören können. Es ist somit auf die konkreten Schutzgebietserklärungen, die häufig in der rechtsverbindlichen Form von Rechtsverordnungen erlassen werden 23 , abzustellen. Im Hinblick auf die Grünlandgesellschaften zeigt sich, dass grundsätzlich alle Objekt- und Gebietsschutzkategorien zur Integration derselben in die Gebiete und zur Ausrichtung des Schutzzwecks gerade auf sie geeignet sind. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist unter Heranziehung der Schutzgebietserklärungen nachzuvollziehen. Im Kontext Landschaft ist festzustellen, dass die bundesrechtlichen Gebietsschutzkategorien überwiegend gut geeignet sind, landschaftsbezogene Aspekte in erheblichem Umfang als Ausweisungsgrund heranzuziehen und in die Schutzgebietsausweisungen zu integrieren. Besonders relevant sind dabei die großräumigen Schutzgebietskategorien des Landschaftsschutzgebiets, des Bio___________ 21

Die Kategorie des Nationalen Naturmonuments wurde mit der Novelle zum 1.3.2010 neu eingeführt. 22 Schmidt-Räntsch, in: Bundesnaturschutzgesetz, a.a.O., § 22 Rn. 23. 23 Möglich ist auch die Unterschutzstellung durch Gesetz oder kommunale Satzung; vgl. Schmidt-Räntsch, in: Bundesnaturschutzgesetz, a.a.O., § 22 Rn. 16.

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sphärenreservats, aber auch des Nationalparks. Soweit derartige Schutzgebiete betroffen sind, ist bei der Prüfung der Schutzwirkung der einzelnen Kategorie auf den Einzelfall unter Hinzuziehung der jeweiligen Schutzgebietsverordnung einzugehen und die unterschiedliche Schutzintensität der jeweiligen Kategorie zu berücksichtigen. (b) Gesetzlicher Biotopschutz Insbesondere vom Gebiets- und Objektschutz abzugrenzen ist der Pauschalschutz bzw. sind die gesetzlich geschützten Biotope gem. § 30 BNatSchG. Die dort genannten Biotope stehen wegen ihres Werts für Natur und Landschaft unmittelbar unter Schutz und bedürfen keiner nachgesetzlichen Unterschutzstellung. 24 Der Schutz gilt für die in § 30 BNatSchG genannten sowie jeweils landesweit für die nach Landesrecht ergänzten Biotoptypen. § 30 BNatSchG knüpft dabei an die rein tatsächlichen Verhältnisse an, auf die Entstehungsweise kommt es nicht an, so dass auch so genannte Sekundärbiotope, die aufgrund menschlicher Einwirkung entstanden sind, darunter fallen. Einige der in § 30 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 BNatSchG genannten Biotoptypen sind auch Biotope bzw. haben Bestandteile des Extensivgrünlandes im engeren und weiteren Sinne. Hierzu zählen etwa: x Nr. 2: Moore, Sümpfe, Röhrichte, seggen- und binsenreiche Nasswiesen, x Nr. 3: Zwergstrauch-, Ginster- und Wacholder-Heiden, Borstgrasrasen, Trockenrasen, Schwermetallrasen, x Nr. 5: alpine Rasen, x Nr. 6: Küstendünen und Strandwälle sowie Salzwiesen im Küstenbereich. Landesrechtliche Ergänzungen werden auch im Hinblick auf Grünlandbiotoptypen vorgenommen. So sind etwa gem. § 31 Abs. 1 Nr. 7 HENatG Streuobstbestände im Außenbereich oder gem. § 28 b Nds. NatSchG bestimmtes Feuchtgrünland in die Liste der gesetzlich geschützten Biotope aufgenommen worden. Gemäß § 30 Abs. 2 BNatSchG sind Handlungen verboten, die zur Zerstörung oder sonstigen erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung der Biotope führen. Hierzu gehören insbesondere direkte Einwirkungen, wie sie auch durch Eisenbahninfrastrukturprojekte erfolgen können. 25 Mögliche Ausnahmen von diesem Beeinträchtigungsverbot sind gem. § 30 Abs. 3 BNatSchG auch daran gebunden, dass die Beeinträchtigung der Biotope ausgeglichen werden ___________ 24 Schmidt-Räntsch, in: Bundesnaturschutzgesetz, a.a.O., § 30 Rn. 3; OVG Münster, Beschl. vom 15.8.1994 – 7 A 2883/92, NuR 1995, 301 (304). 25 Vgl. Schmidt-Räntsch, in: Bundesnaturschutzgesetz, a.a.O., § 30 Rn. 9.

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können. Für Grünland ist somit der gesetzliche Biotopschutz ein wichtiges Schutzinstrument. Die Landschaft als solche ist dagegen nicht Schutzgut des § 30 BNatSchG. (c) Natura 2000-Gebiete, Artenschutzrecht und Eingriffsregelung Weitere Schutzinstrumente finden sich im Artenschutzrecht, in den Normen zum Netz „Natura 2000“ (FFH- und Vogelschutzgebiete) und in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung. Da diese Instrumente breit diskutiert werden, sollen an dieser Stelle nur einzelne, für die Thematik wichtige Aspekte aufgeführt werden. (1) Netz „Natura 2000“ (FFH- und Vogelschutzgebiete) Gem. §§ 31 ff. BNatSchG ist das europäische ökologische Netz „Natura 2000“, insbesondere die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gem. Richtlinien 92/43/EWG und die Europäischen Vogelschutzgebiete gem. Richtlinie 79/409/EWG, aufzubauen und zu schützen. Der Schutz dient definierten Lebensraumtypen gem. Anlage I und definierten Arten gem. Anlage II der FFH-Richtlinie sowie den Europäischen Vogelarten. Zu den natürlichen Lebensräumen von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesen werden müssen, zählen auch Lebensraumtypen mit starker Prägung durch Grünlandgesellschaften. Zu diesen gehören insbesondere die unter Nr. 6 (Nr. 61 bis 65) des Anhangs I der FFH-Richtlinie genannten natürlichen und naturnahen Graslandlebensräume. Als Beispiele für nicht prioritäre Typen stehen etwa die Schwermetallrasen (Nr. 6130), naturnahe Kalktrockenrasen und deren Verbuschungsstadien (Nr. 6110), Pfeifen-Graswiesen auf kalkreichem Boden, torfigen und tonig-schluffigen Böden (Nr. 6410) oder magere FlachlandMähwiesen (gem. Nr. 6510). Auch die Lebensräume in Küstenbereichen und halophytische Vegetation gem. Nr. 1 wie Atlantische Salzwiesen (Nr. 1330) oder Salzwiesen im Binnenland als prioritärer Lebensraum (* Nr. 1340), Dünen an Meeresküsten und im Binnenland, die gemäßigte Heide- und Buschvegetation gem. Nr. 4 sowie die Hoch- und Niedermoore der Nr. 7 des Anhangs I beinhalten insbesondere Lebensraumtypen mit unterschiedlich hohem Anteil von Grünlandpflanzengesellschaften. Anhang II der FFH-Richtlinie listet die Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Der Bezug zu Grünland kann hier einerseits direkt über Pflanzenarten bestehen, die vorwiegend oder ausschließlich in Grünlandgesellschaften vorkommen und für die Schutzgebiete mit Grünlandlebensräumen ausgewiesen werden. Als Beispiel wäre etwa die Arnika (Arnica montana) zu

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nennen, die auf sauren und mageren Wiesen in Höhenlagen vorkommt und u.a. Charakterart von Borstgrasrasen ist. Andererseits kann der Schutz mittelbar über gelistete Tierarten wirksam werden, die zu ihrem Schutz auch Bestände von Grünland benötigen (indirekter Schutz). Beispiele sind hier etwa die Schmetterlingsarten Dunkler bzw. Heller Wiesenknopf-Ameisenbläuling (glaucopsyche nausithous und glaucopsyche teleius), die an den Wiesenknopf gebunden sind und in der Regel auf Feuchtwiesen in Höhenlagen vorkommen. Ähnliches gilt für Vogelschutzgebiete, bei denen etwa Wiesenbrüter den Hauptschutzzweck ausmachen können. 26 Im Ergebnis ist es möglich, dass Grünlandlebensräume in Natura 2000Gebieten je nach Erhaltungsziel vom Schutzprofil erfasst werden. Dagegen ist die Landschaft als solche nicht Schutzgegenstand des Natura 2000-Regimes, diese profitiert allenfalls mittelbar von den Vorschriften. (2) Artenschutzrecht Betrachtet man die hier untersuchten Schutzgüter im artenschutzrechtlichen Kontext, ist festzustellen, dass sowohl die Landschaft als auch die Grünlandlebensräume nur mittelbar von dem Schutzregime profitieren, da die Arten eine andere, weniger komplexe Schutzebene betreffen. Dennoch bestehen Zusammenhänge mit diesen Schutzgütern. Der mittelbare Bezug ist bei den Grünlandgesellschaften enger als bei der Landschaft, denn insbesondere (Grünland)Pflanzenarten sind auch Schutzgegenstand der artenschutzrechtlichen Bestimmungen. Insoweit kann der Schutz der entsprechenden Einzelarten auf die Gesamtgesellschaft ausstrahlen. Aber auch über Tierarten kann ein Schutz der Pflanzengesellschaften bewirkt werden, wenn die Tierarten als Teillebensräume Grünland nutzen. Von besonderer Bedeutung bei eisenbahnrechtlichen Zulassungsverfahren sind die Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG für besonders und/oder streng geschützte Arten einschließlich der gesetzlichen Befreiung gem. § 44 Abs. 5 BNatSchG sowie die behördliche Ausnahmeregelung gem. § 45 Abs. 7 BNatSchG. Daneben können auch einzelne Bestimmungen des allgemeinen Artenschutzrechts in der Planfeststellung wirksam werden. Hierzu zählt insbesondere die Regelung über Verbotszeiträume für Rückschnitte von Gehölzen und Röhrichtbeständen, die in der Regel vom 1. März bis 30. September jeden ___________ 26

Weitere Einzelheiten zu Unterschutzstellung, Schutzzweckbestimmung, Veränderungs- und Störungsverboten, zur für Verkehrsinfrastrukturprojekte der Eisenbahn bedeutsamen Verträglichkeitsprüfung einschließlich der Ausnahmeregelung sollen hier nicht angesprochen werden. Die enorme Bedeutsamkeit dieses Instruments in der Planfeststellung wird damit nicht in Zweifel gezogen werden.

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Jahres greift 27 . Gerade in Projekten, bei denen der Vorhabenträger bereits konkrete Zeitvorstellungen zu deren Verwirklichung entwickelt hat, können diese Verbotszeiträume zu Eckpunkten in der Projektsteuerung werden. (3) Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung gem. § 13 ff. BNatSchG ist als wichtiges Instrument zum Schutz und zur Folgenbewältigung im Zusammenhang mit Umweltschutzgütern anerkannt und ein zentrales Instrument in der Planfeststellung. Anwendungsgegenstand sind gem. § 14 Abs. 1 BNatSchG Eingriffe in Natur und Landschaft bzw. konkret Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen und bestimmten Grundwasserbereichen, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können. Damit ist ein sehr weitreichender Anwendungsbereich eröffnet, der sowohl die hier betrachteten Grünlandlebensräume als auch die Landschaft, daneben aber auch viele weitere Aspekte, erfasst. Zugleich verweist die Eingriffsdefinition auf die konkrete Betrachtung vor Ort, weil in der Regel nur anhand dessen die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts erfasst und bewertet werden kann. Die Grundstruktur der Eingriffsregelung ist die sogenannte Eingriffskaskade gem. §§ 13, 15 BNatSchG, die mit den Schlagworten „Vermeidung/ Verminderung vor Ausgleich/ Ersatz vor Abwägung vor Ersatzgeld“ skizziert werden kann. Das Vermeidungsgebot gem. § 15 Abs. 1 BNatSchG fordert zeitliche und baulich-technische Alternativen, etwa im Hinblick auf den Zeitpunkt der Ausführung, die Gestaltung, die Materialverwendung u.a. 28 Hierbei handelt es sich bereits um eine kritische Stufe der Eingriffsregelung, da bei der Gestaltung der Antragsunterlagen die wesentlichen Voraussetzungen zur optimierten Berücksichtigung des Vermeidungsgebots geschaffen werden. Hierfür bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit der technischen und betrieblichen Projektplaner der Eisenbahninfrastrukturunternehmer mit den Umweltplanern. Auf behördlicher Seite ist diese Interdisziplinarität durch Bündelung entsprechender Fachkompetenz zu schaffen. Dies geschieht im Eisenbahn-Bundesamt dadurch, dass die Projektprüfungen in der Regel durch einen Ingenieur als technischen Sachbearbeiter sowie einen Juristen durchgeführt wird. Im Einzelfall kann jedoch auch landschaftspflegerischer Sachverstand durch entsprechende Mitarbeiter vor Ort oder der eingerichteten Fachstelle Umwelt herangezogen werden. ___________ 27 28

§ 39 Abs. 5 S. 1 Ziff. 2 und 3, S. 2 Ziff. 3, S. 3 BNatSchG. Vgl. Lorz/Müller/Stöckel, BNatSchR, 2003, § 19 Rn. 4.

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Sind Beeinträchtigungen nicht vermeidbar, sind sie auszugleichen oder zu ersetzen. Danach sind Maßnahmen durchzuführen, mit denen eine konkrete, beeinträchtigte Funktion des Naturhaushalts und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet wird. Der funktionale und räumliche Zusammenhang ist unverzichtbar, weil sonst keine nachvollziehbare Ableitung aus dem Eingriff möglich und das Ziel des Verschlechterungsverbots nicht erreichbar wäre. Der Funktionsbezug stellt zugleich sicher, dass die Kompensation vom Grundsatz her diejenigen Schutzgüter betrifft, in die eingegriffen wird, also etwa auch das Grünland oder die Landschaft. Die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen schließen Maßnahmen zur Sicherung des Erfolges, also die Herstellungs-, Entwicklungs- und Unterhaltungspflege ein. Deren Dauer ist in der Projektgenehmigung festzulegen (§ 15 Abs. 4 S. 2 BNatSchG). Gem. § 17 Abs. 4 S. 3 BNatSchG ist bei Vorliegen eines öffentlich-rechtlich geregelten Fachplanes i.d.R. ein landschaftspflegerischer Begleitplan (LBP) zur Abarbeitung der Eingriffsregelung auch in Text und Karte zu erstellen. Der Begleitplan ist gem. § 17 Abs. 4 S. 5 BNatSchG Bestandteil der planfestzustellenden Unterlagen. Seine umfassende und sorgfältige Erstellung und die Abarbeitung der Eingriffsregelung insgesamt wirken sich nicht nur positiv auf die Verfahrensdauer und die Rechtmäßigkeit der planungsrechtlichen Zulassungsentscheidung aus, sondern tragen insbesondere zur Effektivierung des projektbezogenen Umweltschutzes bei.

b) Denkmalschutzrecht Die bisherigen Betrachtungen waren auf das Naturschutzrecht gerichtet. Im Folgenden wird gezeigt, dass für das Schutzgut Landschaft auch die landesrechtlichen Denkmalschutzgesetze bedeutsam sein können. Aufgabe des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege ist es, Denkmäler (vgl. § 1 DSchG MV) bzw. Kulturdenkmäler (vgl. § 1 DSchG HE, § 1 DSchG SA), z.T. unter Verweis auf ihre Eigenschaft als Quellen und Zeugnisse menschlicher Geschichte und Entwicklung, zu schützen und zu erhalten sowie darauf hinzuwirken, dass sie in die städtebauliche Entwicklung, Raumordnung und Landschaftspflege einbezogen werden. Der Kultur-/Denkmalbegriff umfasst Sachen, an deren Erhaltung aus künstlerischen, wissenschaftlichen, technischen, geschichtlichen oder städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht. Zu den Kulturdenkmälern zählen gegebenenfalls auch Straßen, Plätze und Ortsbilder einschließlich der verbundenen Pflanzen, Frei- und Wasserflächen sowie auch Nebenanlagen. 29 Zudem existiert die Kategorie der Bodendenkmäler, die hier nicht beleuchtet wird.

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In Sachsen zählt auch die Umgebung eines Kulturdenkmals, soweit sie für dessen Bestand oder Erscheinungsbild von erheblicher Bedeutung ist, zum Gegenstand des Denkmalschutzes (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 DSchG SA). Unter den Kulturdenkmalbegriff können Werke der Garten- und Landschaftsgestaltung fallen (§ 2 Abs. 5c DSchG SA). Gemäß § 21 DSchG SA können die Gemeinden Gebiete, etwa Straßen-, Platz- und Ortsbilder, an deren Erhaltung aus geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen, städtebaulichen oder landschaftsgestalterischen Gründen ein besonderes öffentliches Interesse besteht, sowie ihrer Umgebung, soweit sie für deren Erscheinungsbild von Bedeutung ist, durch Satzung unter Schutz stellen (Denkmalschutzgebiete). In Schleswig-Holstein werden die historischen Kulturlandschaften auch sprachlich berücksichtigt. 30 Es zeigt sich, dass prägende Elemente der Kulturlandschaft i.S.d. Naturschutzgesetze zugleich auch als Kulturdenkmal im Sinne der Denkmalschutzgesetze geschützt sind/sein können, wobei die landesrechtlichen Unterschiede zu beachten sind. Gemäß einigen Landesgesetzen können vom Menschen gestaltete Landschaftsteile ausdrücklich geschützt werden. Ein verengter Schutzgegenstand gegenüber dem Landschaftsbegriff bzw. dem Begriff der historischen Kulturlandschaften nach dem Naturschutzrecht besteht insoweit, als die Denkmaleigenschaft stärker an vom Menschen geprägte Gegenstände anknüpft und auch ein stärkerer Bezug zur historischen Bedeutung besteht. Im Hinblick auf Gefährdungen von Denkmälern durch Vorhaben können denkmalschutzrechtliche Genehmigungen erforderlich werden. So bedarf es der Genehmigung der Denkmalschutzbehörde, wenn ein Kulturdenkmal oder Teile davon zerstört oder beseitigt werden sollen. 31 Zudem kann die Anlagenerrichtung, -veränderung oder -beseitigung in der Umgebung eines unbeweglichen Kulturdenkmals, beispielsweise nach hessischem Landesrecht, genehmigungspflichtig sein, wenn sich dies auf den Bestand oder das Erscheinungsbild des Kulturdenkmals auswirken kann. 32 Gemäß § 12 Abs. 2 DSchG SA dürfen auch bauliche oder garten- und landschaftsgestalterische Anlagen in der Umgebung eines Kulturdenkmals, soweit sie für dessen Erscheinungsbild von erheblicher Bedeutung sind, nur mit Genehmigung der Denkmalschutzbehörde errichtet, verändert oder beseitigt werden. Gerade über die Einbeziehung der

___________ 29

Z.B. gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 DSchG HE. § 1 Abs. 2 DSchG S-H; vgl. auch Hönes, Rechtliche Aspekte zum europäischen und deutschen Kulturlandschaftsschutz, in: Bauerochse/Haßmann/Ickerodt: Kulturlandschaft – administrativ – digital – touristisch, 2007, S. 64. 31 Vgl. § 16 Abs. 1 DSchG HE, § 12 Abs. 1 DSchG SA, § 7 Abs. 1 DSchG M-V. 32 Vgl. § 16 Abs. 2 DSchG HE. 30

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Beeinträchtigungen des Erscheinungsbildes des Denkmales sowie der Umgebung der Denkmäler in die Genehmigungspflicht werden Schutzmechanismen etabliert, die Landschaften und Landschaftsteile in einer mehr als auf die Objektsubstanz bezogenen Weise schützen und in Zulassungsverfahren wirksam werden können. Die jeweiligen Genehmigungsvoraussetzungen, etwa ein überwiegendes öffentliches Interesse (z.B. § 7 Abs. 3 DSchG M-V), sind innerhalb des Planfeststellungsverfahrens abzuarbeiten. c) Ergebnisse zu Grünland und Landschaft schützenden Normen Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass eine adäquate Berücksichtigung von Schutzgütern in der Planfeststellung nur dann gelingen kann, wenn eine umfassende, detaillierte Kenntnis der normativen Vorgaben bei den Bearbeitern vorhanden ist. Dabei genügt es nicht allein, die Normen der klassischen Umweltprüf- und -folgenbewältigungsinstrumente anzuwenden. Diese stehen u.a. auch im Abhängigkeits- und Wechselwirkungsverhältnis zu den Aufgaben-, Ziel- und Zweckbestimmungen eines Gesetzes, wie etwa § 1 BNatSchG, oder zu den Planungsnormen, etwa betreffend die Landschaftsplanung. Zielnormen und Landschaftsplanung konkretisieren die Schutzrichtung abstrakt auf gesetzlicher Ebene oder raumkonkret in der jeweiligen Landschaft. Insgesamt ist eine große Palette von Schutzinstrumenten bzgl. des Grünlandschutzes vorhanden. Neben dem Artenschutzrecht, der Eingriffsregelung sowie den Regelungen zum europäischen Schutzgebietssystem Natura 2000 sind insbesondere die Regelungen des Gebiets- und Objektsschutzes sowie des Pauschalschutzes zu beachten. Viele der naturschutzrechtlichen Normen, die die Pflanzengesellschaften schützen – etwa die Eingriffsregelung oder die Regelungen zu Schutzgebieten und -objekten –, integrieren auch das Schutzgut Landschaft. Am Beispiel der Landschaft und des Denkmalschutzrechtes zeigt sich, dass teilweise auch Rechtsgrundlagen heranzuziehen sind, die nicht im Fokus der breiten Fachöffentlichkeit stehen. 3. Integration von Umweltnormen in das eisenbahnrechtliche Zulassungsverfahren Die zuvor genannten Normen entfalten in der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung nur dann ihre Kraft, wenn und soweit sie in das fachplanerische Zulassungsprogramm eingebunden sind. Daher werden entsprechende Verknüpfungen im Folgenden in aller Kürze dargestellt. Die eisenbahnrechtliche Planfeststellung ist insbesondere in §§ 18 bis 18e Allgemeines Eisenbahngesetz geregelt. Deren hier relevante Wirkungen sind die Genehmigungs- und die Konzentrationswirkung gem. § 18c AEG, § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Die Konzentrationswirkung ist nur formeller Natur, d.h. es

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findet eine Zuständigkeitsverlagerung statt 33 sowie eine Verlagerung auf die Verfahrensregeln nach dem Planfeststellungsrecht. Die materiell-rechtlichen Vorschriften werden grundsätzlich in ihrer Geltung durch die Konzentrationswirkung nicht berührt und müssen von der Planfeststellungsbehörde im selben Umfang beachtet werden wie durch die Behörden, deren Entscheidungen durch die Planfeststellung ersetzt werden 34 , soweit das materielle Recht nicht selbst seine Geltung für bestimmte fachplanerische Vorhaben ausschließt. a) Materiell-rechtliche Voraussetzungen und Integration von Umweltnormen in die Planfeststellung Alleinige fachgesetzliche Zulassungsvoraussetzung für die Planfeststellung von Betriebsanlagen einer Eisenbahn nach § 18 S. 2 AEG ist die abwägende Berücksichtigung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit. Hinzu kommen die von der Rechtsprechung formulierten ergänzenden Anforderungen. Danach ist gemäß den allgemein anerkannten Grundsätzen über die fehlerfreie Ausfüllung des planerischen Gestaltungsspielraums eine Planungsentscheidung nur rechtmäßig, wenn darüber hinaus eine entsprechende Planrechtfertigung vorhanden ist und das außerhalb der Abwägung zu beachtende materielle Recht, sei es strikt bindend oder ermessensgebunden einschließlich der Ausnahme- und Befreiungsvorschriften, eingehalten ist. Nach diesen Vorgaben kann das schutzgutbezogene Umweltrecht entweder als zu beachtendes oder als zu berücksichtigendes Recht in die Planungsentscheidung eingehen. Als striktes Recht sind etwa innerhalb der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung das Vermeidungs- und Kompensationsgebot zu beurteilen sowie auch der Vorrang der Naturalkompensation vor der Ersatzzahlung. Weiterhin sind bestimmte Elemente der Regelung zur FFH-Verträglichkeitsprüfung mit strengen Bindungswirkungen verbunden, etwa die Pflicht zur Alternativenprüfung im Falle einer voraussichtlichen erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des jeweiligen Natura 2000-Gebietes sowie die Pflicht zur Ergreifung von Kohärenzsicherungsmaßnahmen im Falle der Ausnahmezulassung trotz Beeinträchtigung des Gebiets. 35 Auch die gesetzlichen Verbote des Arten-, Gebietsund gesetzlichen Biotopschutzes haben vom Grundsatz strikten, bindenden Charakter. Sie sind jedoch in der Regel mit gesetzlichen Ausnahmen oder mit ___________ 33 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., 2010, § 75 Rn. 7c; Knack, VwVfG, 8. Aufl., 2004; § 75 Rn. 11. 34 Kopp/Ramsauer, VwVfG, a.a.O., § 75 Rn. 7d mit weiteren Nachweisen. 35 § 34 Abs. 3, 5 BNatSchG.

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Entscheidungsprogrammen für solche Ausnahmen versehen und können so im Einzelfall überwunden werden. Neben zwingenden Normen können, ebenfalls zusätzlich zum Abwägungsgebot, auch Ermessensentscheidungen bzw. die Anwendung von Ausnahmeoder Befreiungsvorschriften erforderlich werden. Ein Beispiel sind die Ausnahmetatbeständen vom Beeinträchtigungsverbot des gesetzlichen Biotopschutzes gem. § 30 Abs. 3 S. 1 BNatSchG (Kann-Bestimmung). Ergänzende zwingende Voraussetzung ist hierbei, dass die Beeinträchtigung der Biotope ausgeglichen werden kann. Häufig sind auch in den konkreten Schutzgebietsausweisungen Ausnahmetatbestände vom grundsätzlich statuierten Schutzniveau vorhanden. In diesem Kontext steht auch die Ausnahmezulassung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG bei Gebieten des europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“. Auch die dargestellten Genehmigungen bei Beeinträchtigungen von Denkmälern und ggf. der Umgebung oder der betroffenen Landschaftsteile fallen in der Regel in diese Kategorie. Insoweit gilt, dass jeweils anhand der einschlägigen Regelungen konkret zu prüfen ist, ob die entsprechenden Ausnahmen oder Befreiungen erteilt werden können. Dieser Ermessensvorgang kann zwar mit den jeweils in der Abwägung gegenüberzustellenden Belangen identisch sein, in der Regel dürften jedoch nur spezifische Belange gegeneinander zu stellen sein. Die Prüfung kann im Einzelfall auch zu Änderungen der beantragten Vorhaben, zur Erteilung von Schutzauflagen oder, sicher selten, auch zur Ablehnung der beantragten Planfeststellung führen. Bei der Abwägung ist auf die öffentlichen sowie die rechtlich geschützten Belange der Betroffenen abzustellen. Die Anforderungen an eine gerechte Abwägung betreffen dabei das Ob und Wie der Abwägung, das Abwägungsmaterial, den Abwägungsvorgang sowie das Abwägungsergebnis. Hinsichtlich der Umweltbelange ist akzeptiert, dass diese zwar generell einen erheblichen Stellenwert in der Abwägung einnehmen, es einen generellen Vorrang von Umweltbelangen jedoch nicht gibt. Aufgrund dieser bloßen Berücksichtigungspflicht sind die betreffenden Belange in der Konkurrenz mit anderen Belangen grundsätzlich in der Abwägung überwindbar, sofern sich nicht aus den spezifischen Instrumenten des Naturschutzrechtes erhöhte oder gar bindende Anforderungen ergeben 36 . Ohne dies hier weiter vertiefen zu können, ist davon auszugehen, dass das Entscheidungsprogramm der Planfeststellung die aufgezeigten Umweltnormen vollständig integriert.

___________ 36

BVerwG, Urt. vom 7.3.1997 – 4 C 10.96, UPR 1997, 329 (330).

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b) Verfahrensrechtliche und prozessuale Aspekte der Planfeststellungsverfahren Im Folgenden wird in aller Kürze darauf eingegangen, inwieweit verfahrensrechtliche sowie verfahrensprozessuale Aspekte für die Qualität der Bearbeitung von Umweltbelangen bedeutsam sind. Verfahrensrechtlich sieht § 73 Abs. 1 VwVfG vor, dass der Träger des Vorhabens den Plan zur Durchführung des Anhörungsverfahrens einreicht. Daran schließt das Anhörungsverfahren an, in dem die betroffenen Träger öffentlicher Belange und die Öffentlichkeit einschließlich der anerkannten Umweltvereinigungen Gelegenheit zur Stellungnahme und zu Einwendungen erhalten. Diese Grundkonstellation weist dem Vorhabenträger als Antragsteller eine wesentliche Rolle im Verfahren zu. Er entwickelt das Vorhaben und stellt die Planunterlagen auf. Insofern sind gerade auch Fragen des Entwurfes von optimierten Lösungen im Hinblick auf die öffentlichen Belange zunächst dem Vorhabenträger sowie dessen Gutachterbüros überantwortet, die dann in weiteren Schritten von der Planfeststellungsbehörde, der Anhörungsbehörde sowie weiteren Beteiligten reaktiv geprüft werden. Diesen Umstand aufgreifend ist zu fragen, welche Vorstrukturierungen für das Planaufstellungsverfahren vorgesehen sind. Die gesetzlichen Strukturierungsvorgaben sind insoweit lückenhaft. AEG und VwVfG sehen keine diesbezüglichen Konkretisierungen vor. Näheres ergibt sich jedoch aus dem UVPG für mit Umweltverträglichkeitsprüfung verbundene Planfeststellungsverfahren. Wichtigste Regelung ist diesbezüglich § 5 UVPG zur Unterrichtung über die voraussichtlichen beizubringenden Unterlagen (Scoping). Einschränkend ist dabei darauf hinzuweisen, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht bei allen eisenbahnrechtlichen Zulassungsentscheidungen durchzuführen ist. Stets durchzuführen ist diese gem. Anlage 1 Nr. 14.7 UVPG beim Bau eines Schienenweges von Eisenbahnen mit den dazu gehörigen Betriebsanlagen einschließlich der Bahnstromfernleitungen. Hingegen ist beim Bau einer sonstigen Betriebsanlage gem. Anlage 1 Nr. 14.8 gem. § 3c UVPG im Wege einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls unter Heranziehung der Kriterien der Anlage 2 zum UVPG über die Durchführung einer UVP zu entscheiden (Screening-Verfahren). Dabei ist durch das Eisenbahn-Bundesamt festzustellen, ob erhebliche nachteilige Umwelteinwirkungen durch das Projekt entstehen würden, die gem. § 12 UVPG zu berücksichtigen wären. Der Entscheidung kommt damit zugleich eine wesentliche Bedeutung zu hinsichtlich der Frage, ob das Einzelverfahren von den formellen Vorgaben des UVPG profitieren kann oder ob die Qualitätssicherung ohne derartige ergänzende Verfahrensanforderung vorgenommen werden muss. Aber auch bei Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung kann die strukturierende Hilfestellungen gemäß dem UVPG nur dann entsprechend den

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normativen Vorgaben frühzeitig aktiviert werden, wenn der Vorhabenträger bereits im Vorfeld der Einreichung der Antragsunterlagen an die Zulassungsbehörden herantritt. Nur dann kann er von dem Abstimmungsprozess gem. UVPG profitieren und die Sichtweise des Eisenbahn-Bundesamtes sowie ggf. der Umweltbehörden rechtzeitig in sein Projekt einbeziehen. Dies vermeidet auch, Zeitplanungen aufzustellen, die durch erforderliche Umweltuntersuchungen unrealistisch sind. c) Verfahrensleitende Vorgaben des Eisenbahn-Bundesamtes Da somit die verwaltungsrechtlichen Vorgaben zur Strukturierung der Umweltbelange in eisenbahnrechtliche Zulassungsentscheidungen nur schwach ausgeprägt sind bzw. nicht in allen Verfahren greifen, wird im Folgenden noch auf wichtige nachgesetzliche Hilfestellungen eingegangen. Zur Gestaltung der Umweltprüfungen in der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung kann auch auf Vorgaben des Eisenbahn-Bundesamtes zurückgegriffen werden. Dabei handelt es sich insbesondere um die Planfeststellungsrichtlinien 37 sowie den Umweltleitfaden 38 . Die Richtlinien und der Umweltleitfaden haben behördenintern den Charakter einer Verwaltungsvorschrift, für Dritte dienen Sie als Leitfaden. Die Planfeststellungsrichtlinien sollen zu einer einheitlichen Rechtsanwendung sowie einer rationellen Arbeitsweise beitragen sowie verdeutlichen, dass bereits im Planungsstadium vom Vorhabenträger sowohl die öffentlichen als auch privaten Belange in umfassender Weise zu berücksichtigen sind. 39 Die Planfeststellungsrichtlinien beinhalten Ausführungen zum kompletten Zulassungsverfahren sowie Musterschreiben. Die umweltbezogenen Vorgaben sind dabei genereller sowie punktueller Art. So existieren Erläuterungen zur Umweltverträglichkeitsprüfung 40 etwa im Hinblick auf die Veröffentlichungspflicht der UVP-Screening-Entscheidung. Unter verfahrensprozessualen Aspekten von besonderer Bedeutung ist Ziff. 10 PF-RL, die die Vorbereitung der Planunterlagen durch den Vorhabenträger aufgreift. Insoweit wird darauf verwiesen, dass der Vorhabenträger zur Vorbereitung seiner Planung auch eine ___________ 37

Planfeststellungsrichtlinien (PF-RL): Richtlinien für den Erlass planungsrechtlicher Zulassungsentscheidungen für Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes nach § 18 AEG sowie für Betriebsanlagen von Magnetschwebebahnen nach § 1 MBPlG; Ausgabe 01/2010. Bearbeitet durch die Arbeitsgruppe „Planfeststellungsrichtlinien“ des Eisenbahn-Bundesamtes. 38 Umwelt-Leitfaden zur eisenbahnrechtlichen Planfeststellung und Plangenehmigung sowie für Magnetschwebebahnen, bearbeitet in der Arbeitsgruppe des EisenbahnBundesamtes „Umweltleitfaden“ bzw. von Mitgliedern der Fachstelle Umwelt. 39 Jeweils Vorwort der Planfeststellungsrichtlinien, S. 11. 40 Ziff. 9 PF-RL, S. 24 ff.

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Abstimmung mit den in ihrem Aufgabenbereich berührten und somit auch den im Umweltbereich tätigen Behörden durchführen soll. Ziffer 10 Abs. 7 PF-RL verweist darauf, dass auch ein Kontakt mit dem Eisenbahn-Bundesamt vor Antragstellung empfehlenswert sein kann. Muster 12.1 in Anhang 3 der PF-RL enthält ein Merkblatt zur Beantragung von eisenbahnplanungsrechtlichen Zulassungsentscheidungen, das sich an die Vorhabenträger richtet. Darin wird, im Kontext von Umweltverträglichkeitsprüfungen, auch auf das Erfordernis einer Umwelterklärung bzw. einer Bagatellfallerklärung nach Umweltleitfaden Teil II verwiesen. Diesbezüglich legt Ziff. 3 in Muster 12.1 dem Vorhabenträger nahe, sobald der erkennt, dass eine UVP durchzuführen ist, möglichst bald den Kontakt mit dem EBA aufzunehmen, um das Scopingverfahren nach § 5 UVPG mit dem EBA abzustimmen. Neben diesen eher allgemeinen Hinweisen der Planfeststellungsrichtlinien ist für die Abarbeitung der Umweltbelange insbesondere der Umweltleitfaden anzuwenden. Dieser besteht aus fünf Teilen: x Teil I: Einführung – Überblick über die umwelt- und naturschutzrechtlichen Instrumente in der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung 41 , x Teil II: Einzelfallprüfung nach § 3c UVPG (Screening) 42 , x Teil III: Umweltverträglichkeitsprüfung, naturschutzrechtliche Eingriffsregelung 43, x Teil IV: FFH-Verträglichkeitsprüfung und Ausnahmeverfahren 44 , x Teil V: Behandlung besonders und streng geschützter Arten in der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung 45 . In Teil I werden die wichtigsten umweltrechtlichen Instrumente in der Planfeststellung – UVP, naturschutzrechtliche Eingriffsregelung sowie FFH-Verträglichkeitsprüfung – im Überblick dargestellt und charakterisiert. Teil II bezieht sich im Kontext UVP auf die Einzelfallprüfung nach § 3c UVPG (Screening). Einerseits werden darin wichtige Fragen zum Screening beantwortet, andererseits werden Bearbeitungsformulare zur Verfügung gestellt. Als Standardformulare existieren die so genannte Bagatellfallerklärung gem. Anhang II-1 sowie für den Regelfall das Formular zur Umwelterklärung gem. Anhang II-2. In letzterem wird in sieben Themenkomplexen und insgesamt ca. 30 Einzelfragen die Erforderlichkeit einer UVP konkretisiert. Daneben enthält Anhang II-3 Bearbeitungshinweise für den Vorhabenträger sowie Entscheidungshinweise für Mitarbeiter des Eisenbahn-Bundesamtes. ___________ 41 42 43 44 45

5. Fassung, Stand: Juli 2005; derzeit in Überarbeitung. Stand: Oktober 2008. 5. Fassung, Stand Juni 2005; derzeit in Überarbeitung. Stand: Juli 2010. Stand: Juni 2010.

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Der mit über 120 Seiten umfangreichste Teil III des Umweltleitfadens beschäftigt sich mit der UVP und der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung. Dabei werden zum einen die einzelnen Verfahrensstationen der UVP und zum anderen einzelne Elemente der Eingriffsregelung konkretisiert. Besondere Bedeutung hat insoweit Kapitel B „Prüfung der Unterlagen“, das die formale Vollständigkeit und inhaltliche Prüfung der Darstellung der Unterlagen für UVP und Eingriffsregelung abhandelt. Dabei erfolgt etwa hinsichtlich der Planunterlagen zur UVP eine Abprüfung, ob die Schutzgüter nach § 2 UVPG kartographisch dargestellt sind einschließlich der Auswirkungen des Projekts auf die Schutzgüter. Dies bezieht sich auch auf alle untersuchten Varianten. Neben zahlreichen anderen Aspekten werden auch Konkretisierungshilfen zur Abarbeitung der schutzgüterbezogenen Teile gegeben, etwa hinsichtlich der Abgrenzung oder der Beschreibung des Untersuchungsraumes. Zur Illustrierung des Detaillierungsgrades dient die Frage nach der Aufarbeitung der Bedeutung der Schutzgüter. 46 Insoweit wird gefordert, dass für alle Schutzgüter die folgenden Sachverhalte zu ermitteln sind: Ausprägung des Schutzgutes und seiner Funktionen, planerischer Status und rechtlicher Schutzstatus der Flächen bezogen auf das einzelne Schutzgut sowie eventuelle Vorbelastung des Schutzgutes durch andere als die aktuelle bestimmungsgemäße Flächennutzung, wobei gleichfalls Überreste ehemaliger Nutzung (Altlasten) sowie rechtlich bereits gesicherte, jedoch noch nicht realisierte Nutzungen von Bedeutung sein können. Auf dieser Grundlage ist dann anhand schutzgutbezogener gesetzlicher und sonstiger – untergesetzlicher bzw. umweltfachlicher – Beurteilungskriterien unter Berücksichtigung der regionalen Verhältnisse und Umweltqualitätsziele die Bedeutung des Schutzgutes abzuleiten. Hierbei sind die planerischen Zielvorgaben aus Landschaftsplänen, Landschaftsrahmenplänen sowie Schutzgebietsfestsetzungen zu beachten. Anhand dieser Beurteilung sind bereits erste Rückschlüsse auf die voraussichtliche Umweltrelevanz eines Vorhabens möglich, da eine bedeutsame Schutzgutausprägung bei Inanspruchnahme ein erhebliches Konfliktpotenzial erwarten lassen. 47 In ähnlicher Weise werden die weiteren wesentlichen Aspekte zu UVP und Eingriffsregelung abgearbeitet. Ebenfalls bedeutsam für die Bearbeitung sind die Anhänge zu Teil III des Umweltleitfadens. So werden etwa in Anhang III-2 die bau-, anlagen- und betriebsbedingten Wirkfaktoren für eisenbahnbezogene Vorhabenstypen sowie Kriterien für die Einschätzung der qualitativen und quantitativen Dimension benannt. Anhang III-4 konkretisiert Einzelaspekte zur Bestandserfassung und -bewertung von Natur und Landschaft, indem schutzgutbezogen Erfassungskriterien, Kriterien zur Einschätzung der Bedeutung oder zur Empfindlichkeit ge___________ 46 47

Umwelt-Leitfaden des Eisenbahn-Bundesamtes, Teil III S. 20 f. Ebenda.

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genüber Wirkfaktoren des Vorhabens ausgewiesen werden. Anhang III-6 liefert schutzgutbezogen Beispiele für Wert- und Funktionselemente mit besonderer Bedeutung. Anhang III-15 zeigt schutzgutbezogen Bewertungsmaßstäbe für die einzelnen Schutzgüter auf, wobei sowohl fachgesetzliche Bewertungsmaßstäbe, Ausführungsvorschriften des Fachrechts sowie fachwissenschaftliche Bewertungsmaßstäbe aufgezeigt werden. Im Hinblick auf fachliche Konkretisierungen wird etwa auf die Roten Listen oder die Biotopkartierungen der Länder verwiesen. Eine ähnlich detaillierte Bearbeitungshilfe wird in Teil IV des Umweltleitfadens zur FFH-Verträglichkeitsprüfung sowie in Teil V zur Behandlung besonders und streng geschützter Arten in der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung geliefert. Der Umweltleitfaden kann zusammenfassend als fachlich fundierte, auf die Projektzulassung des Eisenbahnwesens zugeschnittene Handlungsanleitung angesehen werden, die sowohl den Bearbeitern im Eisenbahn-Bundesamt wie auf Vorhabenträgerseite als Konkretisierungshilfe dienen kann.

III. Ergebnis

Die komplexe Bearbeitung der Umweltthematik in der eisenbahnrechtlichen Fachplanung erfordert von allen Beteiligten eine umfassende Kenntnis der bestehenden normativen Grundlagen. Die entsprechenden Regelungen sind schutzgutbezogen zu betrachten. Für das Schutzgut Pflanzengesellschaften zeigt sich, dass die darauf bezogenen Rechtsnormen vorrangig dem Naturschutzrecht zu entnehmen sind. Dabei sind sowohl die Zweck- und Zielbestimmung, die Planungsnormen wie auch die diversen Einzelinstrumente zu berücksichtigen. Neben dem Naturschutzrecht ist es jedoch für andere Schutzgüter erforderlich, auch weitere Gesetze in den Blick zu nehmen, um den Rahmen der Schutzgut schützenden Normen vollständig zu erfassen. Am Beispiel der Landschaft konnte gezeigt werden, dass auch das Landesdenkmalschutzrecht Instrumente zur Verfügung stellt. Die entsprechenden Normen werden als Teil der Abwägungsentscheidung oder als darüber hinaus zu beachtendes oder zu berücksichtigendes Recht Bestandteil der eisenbahnrechtlichen Zulassungsentscheidung gem. §§ 18 ff. AEG. Gerade der wichtige Bereich der Erarbeitung der Antragsunterlagen ist gesetzlich wenig strukturiert. Hierbei kommt der Umweltverträglichkeitsprüfung sowie insbesondere dem Verfahrensschritt Scoping nach § 5 UVPG eine besondere Bedeutung zu.

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Auf der untergesetzlichen Ebene werden für den Vorhabenstyp eisenbahnrechtliche Planfeststellung vom Eisenbahn-Bundesamt praxisbedeutsame Konkretisierungshilfen zur Verfügung gestellt. Hierzu zählen die Planfeststellungsrichtlinien und insbesondere der Umweltleitfaden Teil I bis V. Letzterer stellt eine an rechtlichen und fachlichen Maßstäben orientierte, detaillierte Arbeitshilfe dar.

Verzeichnis der Autoren Dr. Karsten Baumann, Referatsleiter, Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, Langen Wolfgang Baumann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, BAUMANN Rechtsanwälte, Nürnberg Dr. Markus Deutsch, Rechtsanwalt, Gleiss Lutz, Frankfurt a.M. Alexandra Fridrich, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Rechtsanwälte Schotten Fridrich Bannasch, Freiburg i.Br. Dr. Ludger Giesberts, LL.M., Rechtsanwalt, DLA Piper UK LLP, Köln Dr. Volker Gronefeld, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Rechtsanwälte Dr. Gronefeld, Thoma & Kollegen, München Dr. Jürgen Held, Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht, Koblenz Dr. Alexander Jannasch, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig Dr. Uwe Jürgens, Eisenbahn-Bundesamt, Bonn Detlef Kober, Eisenbahn-Bundesamt, Stuttgart Bernhard Schmitz, Rechtsanwalt, Schmitz Rechtsanwälte, Frankfurt a.M. Dr. Heribert Schmitz, Ministerialrat, Bundesministerium des Innern, Berlin Dr. Ulrich Storost, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig Dr. Tim Uschkereit, Rechtsanwalt, Nörr Stiefenhofer Lutz, München