Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2008: Vorträge auf den Zehnten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 5. bis 7. März 2008 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428131235, 3428131231

Der Band dokumentiert die Vorträge, die auf den 10. Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag

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Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2008: Vorträge auf den Zehnten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 5. bis 7. März 2008 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428131235, 3428131231

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 198

Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2008 Vorträge auf den Zehnten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 5. bis 7. März 2008 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Jan Ziekow

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JAN ZIEKOW (Hg.)

Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2008

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 198

Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2008 Vorträge auf den Zehnten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 5. bis 7. März 2008 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Jan Ziekow

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-13123-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der vorliegende Band fasst die Vorträge zusammen, die auf dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag am 5. März 2008 und den Zehnten Speyerer Planungsrechtstagen vom 5. bis 7. März 2008 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer gehalten wurden. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltungen waren Vertreter aller Ebenen der Verwaltung, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Rechtsanwaltschaft, von Planungsträgern und -büros, der Wirtschaft und der Wissenschaft. Meine Sekretärinnen, Frau Erika Kögel und Frau Ruth Nothnagel, haben sachkundig die Formatierung des Bandes übernommen; hierfür sei ihnen gedankt. Darüber hinaus gebührt Frau Dr. Corinna Sicko und den Herren Dr. Alfred Debus, Dr. Thorsten Siegel und Dr. Alexander Windoffer herzlicher Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung. Speyer, im Februar 2009

Jan Ziekow

Inhaltsverzeichnis Regulierung von Flughafenentgelten Von Nikolaus Herrmann, Wiesbaden .................................................................

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Das novellierte Fluglärmgesetz. Struktur, Auswirkungen und Durchführungsbestimmungen Von Rudolf Brüggemann, Bonn .........................................................................

27

Zur Entstehung und Auslegung des Fluglärmschutzgesetzes. Fluglärm in der Diskussion Von Eckhard Bock, Berlin ..................................................................................

43

Aktuelle Entwicklungen des Luftverkehrsrechts im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Von Alexander Jannasch, Leipzig ......................................................................

73

Umweltschadensgesetz – was nun? Weitere Umsetzung des neuen Umweltschadensrechts in den Ländern Von Matthias Weigand, München ......................................................................

95

Die Rückführung fachgesetzlicher Regelungen von Planfeststellungsverfahren in das VwVfG – Stand und Perspektiven Von Lorenz Prell, Berlin .................................................................................... 105 Die Auswirkungen des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes auf die Genehmigungspraxis von Straßenbauvorhaben Von Jutta Schmidt, Mainz .......…....................................................................... 115 Ver- und Entsorgungsleitungen in der Planfeststellung Von Michael Ronellenfitsch, Tübingen .............................................................. 129

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Inhaltsverzeichnis

Die Strukturen des Naturschutzrechts im Entwurf des Umweltgesetzbuches 2009 (UGB III) Von Christian Schrader, Fulda ........................................................................... 145 Wertverluste bei Infrastrukturplanungen Von Wolfgang Baumann, Würzburg ................................................................... 165 Der besondere Artenschutz in der Fachplanung Von Hans Walter Louis, Braunschweig .............................................................. 191 Wasserrecht und Planfeststellung – de lege lata und de lege ferenda Von Annette Guckelberger, Saarbrücken ............................................................ 205 Verzeichnis der Autoren ........................................................................................... 275

Regulierung von Flughafenentgelten Von Nikolaus Herrmann Der geltende Rechtsrahmen für Flughafenentgelte besteht derzeit im Wesentlichen nur aus § 43a LuftVZO und § 315 BGB. Allerdings wird dieser Rahmen aufgrund zu erwartender europarechtlicher Vorgaben in Zukunft voraussichtlich zumindest an Umfang zunehmen. Das geltende Recht ist dabei von einem eigenartigen Nebeneinander von öffentlichem und privatem Recht gekennzeichnet. Flughafenentgelte unterliegen einer behördlichen Genehmigungspflicht, aber Rechtsstreitigkeiten werden, wenn überhaupt, vor den Zivilgerichten ausgetragen.1 In diesen zivilgerichtlichen Rechtstreitigkeiten spielt das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der behördlichen Genehmigung keine Rolle;2 Maßstab ist alleine § 315 Abs. 3 BGB, also die Frage, ob die einseitig durch den Flughafen bestimmten Entgelte der Billigkeit entsprechen. Die Frage der Billigkeit der Entgelte ist aber wiederum nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens – obgleich es dort gerade auch um die Zulässigkeit der Entgelthöhe geht. Bei genauerer Betrachtung beider Regelungsbereiche erschließt sich der Sinn der zivilrechtlichen Regelung leichter. Zwischen dem Flughafen und der ihn anfliegenden Fluggesellschaft besteht ein Vertragsverhältnis. Auch ohne eine ausdrückliche Vereinbarung kommt ein Vertrag dadurch zustande, dass eine Fluggesellschaft mit ihrem Flugzeug den Flughafen tatsächlich nutzt. Der – öffentlich-rechtlichen – Betriebspflicht des Flughafens korrespondiert zivilrechtlich ein Kontrahierungszwang, der auch ein allgemeines Diskriminierungsverbot umfasst. Dies ist inzwischen in § 45 Abs. 2 der Luftverkehrs-

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Der Autor ist Leiter des Referates Grundsatzfragen des Luftverkehrs und der Luftverkehrspolitik, Verkehrsrecht, Fluglärmbekämpfung im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung. Der Vortrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder. 1 Vgl. BGH ZLW 1997, 510; ZLW 1979, 140; MDR 1973, 999; OLG Düsseldorf Kartellsenat, Urt. vom 23.6.2003 – VI-U (Kart) 42/01 (juris); LG Berlin ZLW 2001, 475; zum fehlenden Drittschutz vor den Verwaltungsgerichten BVerwG ZLW 1978, 49. 2 BGH ZLW 1979, 140 (Leitsatz 3).

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Zulassungsordnung ausdrücklich geregelt.3 Die Öffnung des Flughafens für den Verkehr führt also zivilrechtlich zur Abgabe eines Vertragsangebots, das durch konkludentes Handeln angenommen werden kann.4 Damit ist dem Flughafen die Möglichkeit gegeben, einseitig Leistung und Gegenleistung zu bestimmen – mit der Folge, dass die Billigkeitskontrolle des § 315 Abs. 3 BGB Anwendung findet. Die Rechtsprechung nimmt dabei nicht nur die absolute Entgelthöhe und die Rechtfertigung von allgemeinen Entgelterhöhungen in den Blick, sondern auch eventuelle „unbillige“ Ungleichbehandlungen unterschiedlicher Fluggesellschaften.5 Leistung und Gegenleistung werden allerdings nicht individuell bestimmt; das Vertragsverhältnis zwischen Flughafen und Fluggesellschaft wird vielmehr durch Allgemeine Geschäftsbedingungen des Flughafens ausgestaltet – nämlich die Flughafenbenutzungsordnung und die Entgeltordnung. Das Erfordernis solcher Allgemeiner Geschäftsbedingungen ergibt sich nun aber wiederum aus dem öffentlichen Recht. Auf der Ebene der positiven Normen ist dies in §§ 43 und 43a der Luftverkehrs-Zulassungsverordnung geregelt. Dahinter steht aber auch – wie noch zu zeigen sein wird – eine bestimmte ökonomische Struktur des Luftverkehrs. Verglichen mit der zivilrechtlichen Seite des Regelungsrahmens ist der Sinn des – öffentlich-rechtlichen – Genehmigungserfordernisses nach § 43a Luftverkehrs-Zulassungsordnung weniger leicht erkennbar. Schon der Wortlaut der Vorschrift gibt Rätsel auf. Es wird ein Genehmigungserfordernis statuiert, Genehmigungsvoraussetzungen aber sind nicht normiert und ergeben sich auch nicht aus dem Regelungszusammenhang. Immerhin aber hat sich eine Genehmigungspraxis entwickelt, die sich an einigen wenigen Prinzipien orientiert: Erstens gilt ein allgemeines Diskriminierungsverbot; die Entgelte müssen – zweitens – an den Kosten orientiert sein, wobei der Luftverkehr seine Infrastrukturkosten grundsätzlich selbst finanzieren muss. Mit anderen Worten: Die Entgelte müssen grundsätzlich kostendeckend sein, dürfen aber auch nicht zu überhöhten Gewinnen führen, und – drittens – muss die Entgeltordnung die öffentlichen Interessen, insbesondere die Interessen des Umweltschutzes wahren. Das Diskriminierungsverbot verlangt dabei keine Einheitsentgelte, sondern lässt grundsätzlich Raum für eine differenzierte Entgeltstruktur. Unproblematisch sind Differenzierungen aus operativen Gründen oder aus Gründen des Umweltschutzes. So können zum Beispiel Gebäudepositionen und Außenposi___________ 3

§ 45 Abs. 2 LuftVZO, eingefügt durch Art. 1 der 10. VO zur Änderung der LuftVZO vom 5.1.2007, BGBl. I S. 42; vgl. auf der Grundlage bisherigen Rechts auch Giemulla/Schmid, Luftverkehrsverordnungen, Stand 11/2007, § 43 LuftVZO Rn. 2. 4 Vgl. nur BGH ZLW 1997, 510 unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung; BGH ZLW 1979, 140 sieht hingegen die Entgeltordnung als Vertragsangebot an. 5 So etwa LG Kiel, Teilurteil vom 28.7.2006, 14 O Kart 176/04 (juris).

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tionen unterschiedlich bepreist werden und bei den Start- und Landeentgelten können Zuschläge für bestimmte Zeitscheiben erhoben werden.6 Auch Vergünstigungen für Neukunden können entgeltrechtlich durch die damit beabsichtigte wirtschaftliche Steuerung gerechtfertigt sein.7 Ein Problem werden solche Vergünstigungen erst, wenn der Flughafen sich nicht selbst finanziert, sondern Beihilfen aus öffentlichen Mitteln erhält.8 Nur unter diesem beihilferechtlichen Aspekt ist daher das – in der Literatur durchaus behauptete – Kostendeckungserfordernis9 von Bedeutung. Ansonsten ist es jedenfalls nach der derzeitigen Genehmigungspraxis der unternehmerischen Entscheidung des Flughafenbetreibers überlassen, zu welchem Anteil die Flughafeninfrastruktur durch Entgelte finanziert wird und inwieweit auch Einnahmen aus anderen Geschäftsbereichen zur Finanzierung des Flughafens beitragen. Dabei lässt sich eine allgemeine Tendenz beobachten – und das durchaus weltweit: Flughäfen generieren ihre Einnahmen zunehmend aus Einzelhandel, Parkflächen und Vermietung und Verpachtung von Immobilien.10 Welche Konsequenzen sich hieraus für die Entgelte ergeben, ob insbesondere die Fluggesellschaften als „Systempartner“ des Luftverkehrs eine quantifizierte Berücksichtigung dieser Einnahmen bei der Entgeltberechnung verlangen können – ob also statt des in Deutschland praktizierten „dual till“-Prinzips ein „single till“-Prinzip angewandt werden muss –, auf diese Fragen wird zurückzukommen sein. Unter den öffentlichen Interessen spielen die Interessen des Umweltschutzes und dort vor allem die Interessen des Lärmschutzes eine herausragende Rolle. Nachtzuschläge und Entgeltdifferenzierungen nach den Lärmwirkungen unterschiedlicher Flugzeugmuster sind daher ohne weiteres zulässig und als Steuerungsmaßnahme zur Verhinderung vermeidbaren Lärms auch geboten – normativ lässt sich auch dies an § 29b des Luftverkehrsgesetzes anknüpfen. Das Ausmaß solcher Lärmdifferenzierungen kann dabei von Flughafen zu Flughafen unterschiedlich sein – je nach Ausmaß des Fluglärms und Lärmempfindlichkeit der Flughafenumgebung. Umweltbelange sind allerdings nicht auf den Lärmschutz beschränkt: Seit Anfang des Jahres sind am Stickoxid-Ausstoß orientier___________ 6 Vgl. etwa die Entgeltordnung des Flughafens Frankfurt, veröffentlicht auch unter http://www.fraport.de/cms/default/dokbin/272/272785.flughafenentgelte_2008.pdf. 7 Sofern die Vergünstigungen transparent und nichtdiskriminierend sind, LG Kiel, Teilurteil vom 28.7.2006, 14 O Kart 176/04 (juris). 8 Vgl. etwa die Entscheidung der EU-Kommission vom 10.7.2007 zur Eröffnung des beihilferechtlichen Hauptprüfverfahrens für den Flughafen Dortmund, ABl. C 217/25 vom 15.9.2007; s.a. LG Kiel, Teilurteil vom 28.7.2006, 14 O Kart 176/04 (juris). 9 Giemulla/Schmid (Fn. 3), § 43 LuftVZO Rn. 51. 10 Vgl. etwa die Segmentberichterstattung der Fraport AG unter http://www.fraport.de/cms/default/dok/280/280737.segmentberichterstattung_fy_2007.htm.

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te Entgeltkomponenten hinzugekommen, und zwar zunächst in Frankfurt und München, weitere Flughäfen werden folgen.11 Als Zwischenbilanz lässt sich daher feststellen, dass sowohl der zivilrechtliche wie auch der öffentlich-rechtliche Regelungsrahmen der Überprüfung der Entgelthöhe und der Diskriminierungsfreiheit der Entgeltstruktur dienen. Die Regelungsgegenstände überlappen sich damit weitgehend. Die Regelungsmaßstäbe weichen allerdings deutlich voneinander ab; und die Wechselwirkungen zwischen behördlichen und zivilgerichtlichen Entscheidungen sind äußerst begrenzt. Ob sich diese Trennung auch nach der jetzt durch die Europäische Gemeinschaft beabsichtigten Neuordnung des Rechts der Flughafenentgelte aufrechterhalten lässt oder ob die Entgeltrichtlinie eine umfassende Umgestaltung des deutschen Rechts erfordern wird, wird im Folgenden zu erörtern sein. Die für das deutsche Recht so prägende Unterscheidung zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht findet sich jedenfalls im Europarecht des Richtlinienvorschlags nicht wieder. Ein zentraler Diskussionspunkt ist aber auch dort das Maß der staatlichen Einflussnahme auf die Entgelte.

I. Stand des EG-rechtlichen Rechtsetzungsverfahrens Im Rechtsetzungsverfahren befindet sich der „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zu Flughafenentgelten“, den die Kommission Anfang 2007 beschlossen hatte.12 Allerdings ist dieser Richtlinienvorschlag nicht der erste Versuch der Kommission, zu einem europaweit einheitlichen Regelungsrahmen zu kommen. Gegenüber früheren Anläufen, die hier nicht im Einzelnen erörtert werden sollen,13 ist der gegenwärtige Vorschlag aber deutlich abgespeckt worden. Das Regelungsziel beschreibt der Kommissionsvorschlag im zweiten Erwägungsgrund nunmehr so: Es solle ein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen werden, „der die wesentlichen Merkmale von Flughafenentgelten und deren Festsetzung regelt, da in Ermangelung eines solchen Rahmens grundlegende Anforderungen in den Beziehungen zwischen den Leitungsorganen von Flughäfen und den Flughafennutzern möglicherweise nicht eingehalten“ würden. In materieller Hinsicht orientiert sich der Vorschlag weitgehend an den „Policies“ der Internationalen ZivilluftfahrtOrganisation, wie sie im ICAO-Dokument Nr. 9082/7 aus dem Jahre 2004 nie___________ 11

Entgeltordnung des Flughafens Frankfurt (Fn. 6); vgl. a. ICAO-Doc. 9082/7 Amendment No. 1 vom 24.8.2007, http://www.icao.int/icaonet/dcs/9082/9082_7ed_amend_01.pdf. 12 Vom 24.1.2007, KOM(2006) 820 endgültig; BR-Drs. 81/07. 13 Siehe bereits KOM(97)154 endg.; BR-Drs. 514/97.

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dergelegt sind.14 Eine verpflichtende Wirkung haben derartige Policies allerdings – anders als „Standards“ und „Recommended Practices“15 – nicht. Das Rechtsetzungsverfahren ist inzwischen weit fortgeschritten. Der Rat hat Ende 2007 eine Allgemeine Ausrichtung beschlossen16, das Parlament hat im Januar 2008 den Vorschlag in erster Lesung behandelt,17 und inzwischen hat der Rat im Lichte der Parlamentsbefassung auch eine Politische Einigung erzielt.18 Zwar bestehen immer noch deutliche Unterschiede zwischen der Parlamentsbeschlussfassung und der Politischen Einigung des Rates. Denn der Rat hat nur die unproblematischen Änderungsanträge des Parlaments in seine Politische Einigung übernommen, während einige zentrale Punkte den kommenden Verhandlungen zwischen Rat und Parlament vorbehalten worden sind. Dabei bestehen innerhalb des Rates keineswegs in allen Punkten einheitliche Positionen. Allerdings sind diese Differenzen zwischen Rat und Parlament und auch innerhalb des Rates wohl nicht so gravierend, dass sie einer endgültigen Verabschiedung der Richtlinie unüberwindbare Hindernisse bereiten würden. Ein abermaliges Scheitern des Rechtsetzungsvorhabens ist daher wenig wahrscheinlich. Geregelt werden sollen in der Richtlinie insbesondere - die Transparenz des Verfahrens der Entgeltberechnung und -festsetzung;19 - die Einführung von verpflichtenden Vereinbarungen über die Qualität der Flughafendienstleistungen;20 - ein allgemeines Diskriminierungsverbot,21 das aber eine Entgeltdifferenzierung nach unterschiedlichen Qualitätsniveaus der Dienstleistungen des Flughafenunternehmers zulässt;22 - und die Errichtung oder Benennung einer nationalen „Unabhängigen Regulierungsbehörde“ und die Übertragung bestimmter Aufgaben auf diese Behörde.23 ___________ 14

http://www.icao.int/icaonet/dcs/9082/9082_7ed_en.pdf. Vgl. Art. 37 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944 (Chikagoer Abkommen). 16 Ratsdokument 16384/07 vom 11.12.2007. 17 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Januar 2008, P6_TA(2008)0004. 18 Ratsdokument 8017/08 vom 3.4.2008. 19 Art. 4, 5. 20 Art. 7. 21 Art. 3. 22 Art. 8. 23 Art. 10. 15

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Dieser Richtlinienentwurf ist auf Kritik und Änderungswünsche aus unterschiedlichen Richtungen gestoßen. Einzelne Gegenstände des Richtlinienvorschlags sind dabei hoch umstritten. Allerdings verlaufen die Konfliktlinien zwischen den europäischen Organen anders als innerhalb der Luftverkehrswirtschaft. Die ursprünglich hoch streitige Frage des Anwendungsbereichs scheint sich weitestgehend geklärt zu haben. Eine Formulierung auf der Grundlage der Politischen Einigung des Rates ist in Sicht. Danach soll die Richtlinie für alle Flughäfen mit mehr als 5 Millionen Passagieren gelten und zusätzlich für den größten Flughafen jedes Mitgliedstaates. Dies lässt sich wohl nur so interpretieren, dass der bürokratische Aufwand nicht allzu hoch sein soll, dass aber jeder Mitgliedstaat etwas davon abbekommen soll – da ist es dann kein Wunder, dass Luxemburg zur Politischen Einigung einen entsprechenden Vorbehalt erklärt hat. Die übrigen Streitpunkte verdienen allerdings eine nähere Betrachtung. So hatte der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 11. Mai 200724 ausgeführt, dass „in Deutschland ein Rechtsrahmen existiert, dessen Anwendung den in dem Richtlinienvorschlag aufgestellten Grundsätzen weitgehend ebenso entspricht wie den von der International Civil Aviation Organization (ICAO) ausgesprochenen Empfehlungen, auf die sich auch die Kommission bezieht.“ Der Bundesrat – heißt es weiter – sei „daher der Auffassung, dass es einer europäischen Regelung zu den Flughafenentgelten in der vorgelegten Form nicht bedarf.“ Der Bundesrat sehe daher keine Notwendigkeit zur Einrichtung einer nationalen unabhängigen Regulierungsbehörde. Auch weise der Richtlinienvorschlag erhebliche Unklarheiten bei der Bestimmung von Aufgabe und Funktion einer solchen Regulierungsbehörde auf. Außerdem wird – neben einer Reihe von Einzelkritikpunkten – auch betont, dass eine Entgeltdifferenzierung nicht nur nach Qualitätsniveaus erfolgen dürfe, sondern auch nach Umweltgesichtspunkten möglich sein müsse, namentlich nach den Lärmauswirkungen von Flugzeugen sowie zum Schutz der Nachtruhe. Deutlich anders ist die Position der Luftverkehrswirtschaft. So heißt es etwa in einer Veröffentlichung des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften, „die Lage [sei] gekennzeichnet durch die Monopolstellung der Airports bei den Entgeltverhandlungen und eine derzeit nichtfunktionierende Regulierung.“25 Und weiter: „Um einen möglichen Missbrauch dieser Marktmacht zu verhindern, ist eine Regulierung erforderlich.“26 Die Bundesländer stünden „in ihrer Doppelrolle als Eigentümer und Regulierer [...] in einem unlösbaren ___________ 24 25 26

BR-Drs. 81/07(Beschluss). http://www.bdfaero.de/themen/flughaefen.php. http://www.bdfaero.de/downloads/070905_Natuerliches_Monopol.pdf.

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Interessenkonflikt. Die Fluggesellschaften forderten deshalb den Rückzug der Bundesländer aus der Flughafenregulierung und die Einsetzung einer wirklich unabhängigen, effektiv aufgestellten Monopolaufsicht auf Bundesebene.“27 Hierfür wird sodann die Bundesnetzagentur vorgeschlagen. Mit diesem Vorschlag der Regulierung durch die Bundesnetzagentur werden weitere Ziele verknüpft. Dazu heißt es in einer Veröffentlichung der deutschen Lufthansa, dem Politikbrief vom Februar 2008:28 „Mangelnde Transparenz verhindert auch, dass Fluggesellschaften und Airports partnerschaftlich Effizienzpotenziale heben. Eine unabhängige und starke Aufsichtsbehörde bietet einen Ausweg: Ausgestattet mit entsprechenden Überprüfungs- und Entscheidungsbefugnissen kann sie Effizienzanreize setzen und angemessene Flughafenentgelte garantieren. So sollte sie auch darüber befinden, ob an Airports der Single Till Ansatz – demzufolge Erlöse aus Vermietung oder Dienstleistungen in die Berechnung der Flughafenentgelte einbezogen werden – Anwendung findet.“ Um es zusammenzufassen: Aus der Sicht der (deutschen) Fluggesellschaften fehlt es dem Richtlinienentwurf insbesondere an einer materiellen Regulierung der Beziehungen zwischen Fluggesellschaften und Flughäfen – und an einer Aufsichtsbehörde, die diese materiellen Regelungen auch gegenüber den Flughäfen durchsetzt und dies aufgrund ihrer Unabhängigkeit und Stärke auch kann. Aus der Sicht des Bundesrates bedarf es hingegen gerade keiner einheitlichen nationalen Regulierungsbehörde, wohl aber – unter anderem – einer Regelung über Entgeltdifferenzierungen unter Umweltgesichtspunkten. Betrachten werden sollen daher im Folgenden die vorgebrachten Argumente und die daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die jeweiligen Regelungsmodelle und dabei insbesondere die Frage, welche sachlichen Gründe es für den Ruf nach einer „Re-Regulierung“ gibt. Historisch gesehen lässt sich dabei feststellen: Deregulierung hat in Deutschland nicht erst in den letzten Jahren Tradition und die Bilanz ist ganz überwiegend positiv – angefangen mit der weitestgehenden Abschaffung der Preisregulierung bei der Währungsreform des Jahres 1948. Und auch die Entstaatlichung des Luftverkehrs ist durchaus eine Erfolgsgeschichte. Dies ist der Hintergrund, vor dem eine Re-Regulierung bewertet werden muss. Dabei ist zwischen dem Ordnungsrahmen für Marktprozesse und Interventionsmöglichkeiten in Marktprozesse zu unterscheiden. An die Rechtfertigung von Interventionen in den Markt sind weit höhere Anforderungen zu stellen als an die Rechtfertigung für die Regelung eines Ordnungsrahmens. Denn immerhin sind einige wenige verfassungsrechtliche Wegmarken zu beachten: ___________ 27

Ebd. http://konzern.lufthansa.com/de/downloads/presse/politikbrief/02_2008/Lufthansa _Politikbrief_Februar_2008_Entgelte.pdf. 28

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Soweit gesetzliche Regelungen Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit eines Marktteilnehmers bewirken, gehört dies verfassungsrechtlich in den Rahmen der Zulässigkeit von Eigentumsinhaltsbestimmungen, ggf. auch von Berufsausübungsregelungen. In beiden Bereichen gilt, dass Regelungen durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden können und dass sie ihre Grenzen im Verhältnismäßigkeitsgebot finden. Aber auch die Begünstigung von Marktteilnehmern – hier also die angemahnte Stärkung der Stellung der Fluggesellschaften gegenüber den Flughäfen – steht nicht im reinen Belieben des Gesetzgebers – und nicht nur wegen des Reflexes auf nicht Begünstigte. Dem Gesetzgeber ist es sicherlich unbenommen, Wirtschaftspolitik zu betreiben, indem er Chancen und Risiken neu verteilt. Aber auch für die Verminderung von Risiken und die Erhöhung von Chancen muss eine sachliche Rechtfertigung angegeben werden können, wenn der Gesetzgeber sich nicht dem Willkürvorwurf aussetzen will.

II. Rechtfertigung einer Preisregulierung Die übliche sachliche Rechtfertigung für eine erneute Regulierung in deregulierten Sektoren ist die des „Marktversagens“.29 Allerdings ist der Begriff des Marktversagens recht unbestimmt – unbestimmt in dem Sinne, dass tatsächliche Marktergebnisse in mehr oder weniger starkem Maße von den zu erwartenden Ergebnissen eines als Modell vorgegebenen idealen Marktes abweichen können. Für die Beurteilung solcher Abweichungen kommt es dabei auf die volkswirtschaftlichen Ergebnisse von Marktprozessen an, auf die Marktergebnisse für das Gemeinwohl, nicht auf die Ergebnisse für individuelle Marktteilnehmer. Denn die für eine marktwirtschaftliche Ordnung konstitutive unternehmerische Freiheit ist ohne korrespondierendes unternehmerisches Risiko nicht denkbar. Dass es also möglicherweise einzelnen Marktteilnehmern nach einer Deregulierung schlechter geht als vorher, kann einen erneuten gesetzgeberischen Markteingriff nicht rechtfertigen: Nicht jedes für einzelne Marktteilnehmer oder eine Gruppe von Marktteilnehmern unerwünschte Ergebnis konstituiert ein Marktversagen. Und auch im Übrigen rechtfertigen erst unerwünschte Ergebnisse von einigem Gewicht ein staatliches Handeln. Die Regelungsabsicht der Kommission und die weitergehenden Forderungen der Luftverkehrsgesellschaften unterscheiden sich dabei nur graduell: Denn auch die von der Kommission aufgestellte Forderung nach Transparenz ___________ 29

Vgl. zum Folgenden aus jüngerer Zeit René Stahl, Flughafenbetreiber als natürliche Monopolisten, Diplomarbeit, Darmstadt 2007; Florian Müller, Die Bedeutung der Kostenrechnung für die Entgeltregulierung deutscher Flughäfen, Diplomarbeit, Vallendar 2006.

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als „grundlegender Anforderung“ impliziert, dass Intransparenz zu ungerechtfertigten Vorteilen führt. Sofern es um die Transparenz der Preise selbst geht – also um Entgeltstruktur und Entgelthöhe –, ist dies ohne weiteres nachvollziehbar. Der Richtlinienentwurf verlangt aber Transparenz der Preisbildung selbst. Dies ist nur dann verständlich, wenn unterstellt wird, dass in dem relevanten Markt eine Asymmetrie zugunsten desjenigen, dem Transparenz aufgegeben wird, d.h. zugunsten der Flughäfen herrscht. Darüber hinaus reicht jedoch nach Ansicht der Luftverkehrswirtschaft Transparenz alleine nicht aus, um ein Marktgleichgewicht herzustellen. Vielmehr soll ein staatlicher Eingriff nicht nur in Marktprozesse, sondern auch in Marktergebnisse erforderlich sein. 1. Monopol / marktbeherrschende Stellung Näher zu betrachten ist daher das Argument, dass der Markt bei der Bestimmung von Flughafenentgelten nicht funktionierte, weil die Flughäfen eine Monopolstellung hätten. Monopole bestehen allerdings nicht absolut, sondern nur bezogen auf einen bestimmten Markt, in dem sie agieren. Schiere Größe alleine macht noch kein Monopol. Beantwortet werden muss daher die Frage, welches der Markt ist, den die Flughäfen bedienen. Schon in einer ersten Näherung ist diese Frage nicht präzise genug gestellt. Denn Flughäfen bieten durchaus unterschiedliche und nicht gegeneinander austauschbare Produkte, genauer gesagt: Dienstleistungen an. Recht einfach ist die Situation, wenn als angebotene Dienstleistung die Gelegenheit für Fluggesellschaften angesehen wird, an einem bestimmten Ort mit ihren Flugzeugen zu landen. Bei einer solchen Betrachtung ist es offensichtlich, dass ein Flughafen für diese Dienstleistungen quasi „natürlich“ eine Monopolstellung hat. Aber es sieht schon ganz anders aus, wenn das Angebot des Flughafens als Teil einer Reiseleistung betrachtet wird. Hier muss zwingend zwischen Kurz-, Mittel- und Langstrecken unterschieden werden. Als Beispiel möge eine Reise von Hannover nach Frankfurt oder auch von Frankfurt nach Paris dienen. Wenn man Gesamtreisezeiten betrachtet, also auch die An- und Abfahrt zum und vom Flughafen und die Wartezeiten beim Einchecken und bei der Sicherheitskontrolle, und wenn man das mit den Gesamtreisezeiten im Bahnverkehr vergleicht, dann gibt es an einer Monopolstellung der Flughäfen in diesem Markt doch ganz erhebliche und im Ergebnis durchgreifende Zweifel. Denn auf Kurzstrecken und auch auf einzelnen europäischen Strecken steht der Luftverkehr in direkter Konkurrenz mit dem Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn. Etwas anders sehen schlecht an die Bahn angebundene Mittelstrecken und auch Langstrecken aus. Derartige Reiseleistungen werden so gut wie ausschließlich vom Luftverkehr angeboten – die Transsibirische Eisenbahn und die Transatlantik-Schifffahrt bedienen dann eben doch einen anderen Markt. Ein Monopol des Luftverkehrs ist damit nicht bezweifelbar. Aber das ist nicht

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gleichbedeutend mit einem Monopol der Flughäfen. Für den lokalen Ziel- und Quellverkehr der jeweiligen Flughafenregion mag dies zwar so sein. Doch konkurrieren für Passagiere aus einer oder in eine Region mitunter auch mehrere Flughäfen miteinander – jedenfalls für preissensitive Passagiere, die bereit sind, auch eine längere Anreise in Kauf zu nehmen. Anders sieht es aber aus bei Regionen mit geringerem Ziel- und Quellverkehr. Als Beispiel mag wiederum Hannover als Ausgangspunkt dienen und diesmal Singapur oder San Francisco als Endpunkt. Einem Großflughafen kann man bei solchen Verbindungen nicht ausweichen. Aber es muss nicht unbedingt Frankfurt sein. Eine Internetabfrage auf einer der üblichen Suchseiten bietet auch Flüge über Paris, über Amsterdam oder auch über London an – mit unterschiedlichen Reisezeiten und unterschiedlichen Preisen. Auf der Langstrecke herrscht also auch lebhafte Konkurrenz. Und die Auswahl zwischen den Reiseleistungen hängt nicht ausschließlich vom Umsteigeflughafen, sondern in erheblichem Maße auch von der Fluggesellschaft ab. Damit soll eine starke Stellung der großen Flughäfen am Markt für Verkehrsdienstleistungen keineswegs geleugnet werden. Gegenüber dem Endverbraucher ist aber keineswegs ausgemacht, ob diese starke Stellung zu einem guten Teil nicht auch in den Verkehrskonzepten der großen FluggesellschaftsAllianzen begründet liegt. Nimmt man nun noch kleinere Flughäfen in den Blick, so wird eine übermächtige Marktmacht der Flughäfen gegenüber den Fluggesellschaften immer weniger erkennbar. Letztlich bleibt es dabei – Flughäfen sind keineswegs einheitliche und umfassende Monopole, sondern sind auf unterscheidbaren Marktsegmenten tätig und dort jeweils in zwar unterschiedlichem Maße, aber doch teilweise nicht unerheblicher Konkurrenz ausgesetzt. Das Verhältnis zwischen Flughäfen und Fluggesellschaften lässt sich weniger als Abhängigkeit der Fluggesellschaften von den Monopolentscheidungen der Flughäfen verstehen als vielmehr als ein System wechselseitiger Abhängigkeiten, bei der auch die investiven und betrieblichen Entscheidungen der Flughäfen von den Verkehrskonzepten zumindest der Fluggesellschaften abhängen, die den überwiegenden Teil des Verkehrs am jeweiligen Flughafen abwickeln. Zwingende Gründe für eine umfassende ökonomische Regulierung, die auch Eingriffe in Marktergebnisse umfasst, folgen daraus nicht. 2. Netzindustrie Das hat auch Konsequenzen für die Organisation der staatlichen Aufsicht über den Luftverkehrsmarkt. Wenn die Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde ins Spiel gebracht wird, dann muss die Frage nach der strukturellen Vergleichbarkeit des Luftverkehrsmarks mit den von der Bundesnetzagentur regulierten Märkten gestellt und beantwortet werden. Zunächst kann der Luftverkehr dabei durchaus als „Netzindustrie“ begriffen werden. Denn mit Hilfe einer

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im Wesentlichen flächendeckenden Infrastruktur werden Dienstleistungen erbracht, die jedenfalls auch der „Daseinsvorsorge“ dienen – der Begriff der Daseinsvorsorge ist allerdings ein Wenig aus der Mode gekommen: Wahrscheinlich wäre hier der europarechtliche Begriff der Dienstleistungen im allgemeinen beziehungsweise im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse ein brauchbarer Ersatz. Die von der Bundesnetzagentur regulierten Sektoren – also Telekommunikation, Post, Eisenbahninfrastruktur und Strom und Gas – haben dabei eine Reihe gemeinsamer Merkmale. Sie sind in horizontaler Hinsicht dadurch gekennzeichnet, dass trotz Öffnung der Märkte die neuen Konkurrenten des ehemals staatlichen oder im öffentlichen Eigentum stehenden Monopolanbieters gegenüber dessen (noch) bestehender marktbeherrschender Stellung geschützt oder darüber hinaus gefördert werden sollen. In horizontaler Hinsicht soll Dienstleistern diskriminierungsfreier Zugang zu den Netzen des ehemaligen Monopolisten gegeben werden. Die Regulierungsaufgabe ist dabei zentral dadurch geprägt, dass der Netzanbieter gleichzeitig auch Dienstanbieter ist – auch wenn, wie jüngst von einem Stromanbieter zu hören war, einzelne Dienstleister sich von ihren Netzen trennen wollen. Der Luftverkehrsmarkt unterscheidet sich hiervon allerdings grundlegend: Zunächst einmal würde eine Regulierung – anders als ganz prominent in der Telekommunikation – nicht der Förderung neuer Marktteilnehmer gegenüber dem bisherigen staatlichen Monopolisten dienen, und zwar weder im Sinne der Förderung von Konkurrenz als Element der Funktionsfähigkeit des Marktes noch im Sinne eines Aufbrechens von ehemals staatlichen Monopolen. Ganz entscheidend ist aber ein weiterer Unterschied: Anders als in allen anderen der Aufsicht der Bundesnetzagentur unterstellten Branchen bietet hier der Eigentümer der „Netzinfrastruktur“ selbst keine Dienste im Netz an: Flughäfen sind keine „Netzbetreiber“; sie sind nicht selbst Anbieter von Luftverkehrsdiensten; sie stehen nicht in Konkurrenz mit den Fluggesellschaften, sondern sind Marktgegenseite. 3. Schutz der Funktionsfähigkeit des Marktes Zu betrachten ist daher die Transparenzforderung, die Forderung nach Regelungen also, die von den Flughäfen auch Transparenz im Hinblick auf ihre Preisbildung verlangen. Das Modell des vollkommenen Marktes lebt von der Freiheit der Preisbildung. Der Preis ist in diesem Modell ein Datum für die Nachfrageseite und jedenfalls nichts, worüber ein Anbieter einem Nachfrager Rechenschaft abzulegen hätte. Der Preis ist das zentrale Steuerungsinstrument, das den Ausgleich von Angebot und Nachfrage bewirkt. Ein funktionierender Markt setzt aller-

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dings stabile Rahmenbedingungen für unternehmerische Entscheidungen voraus. Einheitliche Regeln für alle Markteilnehmer sind hier von entscheidender Bedeutung. Das Ziel der Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Binnenmarkts auch für den Luftverkehr rechtfertigt damit grundsätzlich die Aufstellung eines einheitlichen europäischen Ordnungsrahmens. Daher sind Transparenzregeln als solche, ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot und die Bestimmung nicht nur der Gegenleistung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen in Form einer Entgeltordnung, sondern auch die Bestimmung der Leistung des Flughafens durch Qualitätsstandards und definierte Dienstleistungsniveaus durchaus vernünftige Regelungen. Allerdings muss damit eine Reihe von Modellen, die exklusive Dienstleistungen für bestimmte Luftfahrtgesellschaften vorsehen, näher betrachtet werden. Der Kommissionsvorschlag sieht auch bei maßgeschneiderten Dienstleistungen einen diskriminierungsfreien Zugang aller Nutzer vor.30 Und weder Parlament noch Rat haben hieran, bei allen Unterschieden im Detail, grundlegende Kritik geübt. Ob danach Exklusiv-Terminals, Joint-Ventures oder von Luftfahrtgesellschaften betriebene Terminals noch ohne weiteres zulässig sind – diese Frage hat erstaunlicherweise in der bisherigen Diskussion noch kaum Aufmerksamkeit gefunden. Sie muss allerdings auch hier offen bleiben. Daher ist auf die Preisbildung zurückzukommen. Aus der Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens, der die Funktionsfähigkeit des Marktes sichert, folgt noch nicht, dass ein Anbieter zur transparenten Darstellung seiner Preisbildung verpflichtet wäre. Hierfür bedarf es einer zusätzlichen Rechtfertigung. Auch wenn von einem monopolistischen Markt für Verkehrsdienstleistungen nicht gesprochen werden kann – dies ist oben ausreichend dargestellt worden: Die Beziehungen zwischen Flughafen und Luftverkehrsgesellschaften sind weit von dem Modell des idealen Marktes entfernt. Betriebspflicht, Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot beschränken die Vertragsfreiheit ganz entscheidend. Soweit daher an einem Flughafenstandort bestimmte Dienstleistungen nicht unter Konkurrenzbedingungen angeboten werden können, können auch die Luftverkehrsgesellschaften nicht individuell die Preise und Leistungen des Flughafens mit dem Flughafenunternehmer aushandeln. Für die Nutzung des Start- und Landebahnsystems gilt dies ohne Weiteres, für Bodenverkehrsdienste, die von dem Richtlinienentwurf ja ausgenommen sind, allenfalls im Bereich der zentralen Infrastruktur.31 Für Terminalleistungen lassen die er___________ 30

Art. 8. Vgl. dazu de lege lata BGHZ 174, 48. Für die Entgelte für die Benutzung von zentralen Infrastruktureinrichtungen existiert neben dem in dieser Entscheidung streitgegenständlichen Modell der Erhebung bei den Flughafennutzern auch das Modell der Erhebung bei den Bodenverkehrsdienstleistern außerhalb der nach § 43a LuftVZO genehmigten Entgeltordnung. 31

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wähnten Exklusivmodelle einen einheitlichen Ansatz fragwürdig erscheinen, aber zumindest dürften die Betriebspflicht des Flughafens und das Diskriminierungsverbot verlangen, dass der Flughafenunternehmer eigene Mindestabfertigungskapazitäten bereithält. Bezogen auf die internen Abläufe des einzelnen Flughafens besteht also durchaus eine ganz erhebliche Asymmetrie der Marktbeziehungen. Die in einer solchen Asymmetrie liegende Marktmacht als solche rechtfertigt allerdings noch nicht aus sich heraus eine staatliche Intervention in das Marktergebnis. Marktungleichgewichte können durchaus auch – und vorrangig – durch Regulierung der Marktprozesse ausgeglichen werden. Ein hervorragendes Beispiel ist die Ausgestaltung des Arbeitsmarktes durch das kollektive Arbeitsrecht: Ungleichgewichten in der Marktmacht wird entgegengewirkt, indem die Verhandlungen dem Regelungsprinzip der „Waffengleichheit“ unterstellt werden. Das kollektive Arbeitsrecht, die Idee der Tarifvertragsverhandlungen für einen Haustarifvertrag,32 könnte daher durchaus Modell stehen für ein Verfahren, das auf einen Ausgleich der genannten Asymmetrien in den Rechtsbeziehungen zwischen Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften zielt. Die Art der Preisbildung selbst bedarf in einem solchen Modell keiner staatlichen Intervention. Die Entgeltstruktur bleibt Verhandlungssache und ist an kein starres Modell der Einzelkostendeckung gebunden, wie dies noch im Kommissionsentwurf33 angeklungen war. Auch die Frage des Maßes der Kostendeckung der Infrastrukturausgaben durch die Entgelteinnahmen, die Frage eines offenen oder versteckten „Single till“ würde so einem zwar strukturierten, aber staatsfernen marktförmigen Verhandlungsprozess überantwortet. Dabei muss natürlich noch die Frage beantwortet werden, was passiert, wenn es zu keiner Einigung kommt. Auf diese Frage wird sogleich zurückzukommen sein. 4. Externe Effekte In materieller Hinsicht bleibt noch die Rechtfertigung staatlicher Intervention in den Markt mit dem Ziel der Internalisierung externer Effekte zu behandeln. Externe Effekte sind Kosten, die von einem Wirtschaftssubjekt verursacht werden, die aber in seine Kostenkalkulation keinen Eingang finden. Grundsätz___________ 32 Der Flächentarifvertrag ist hingegen als Modell ungeeignet: Wegen der unterschiedlichen Kostenstrukturen und der unterschiedlichen Verkehrsstrukturen lassen sich mehrere Flughäfen kaum unter einer einheitlichen Entgeltregelung zusammenfassen – allenfalls abgesehen von der von Parlament und Rat in die Richtlinie aufgenommenen Möglichkeit einer gemeinsamen Entgeltregelung für ein „Flughafennetz“. Die arbeitsrechtliche Analogie wäre hier aber eher der Konzerntarif als der Flächentarif. 33 Mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. d); vgl. hierzu BR-Drs. 81/07(B), S. 4 f.

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lich ist dabei anerkannt, dass eine Internalisierung externer Kosten zu einer volkswirtschaftlich effizienteren Verwendung von Ressourcen führt und dass daher die staatliche Setzung von Regeln mit diesem Ziel gerechtfertigt ist. Zu den Fragen der Internalisierung externer Kosten im Transportsektor hat die EU-Kommission vor kurzem ein Handbuch veröffentlicht, das entsprechende Kostenschätzungen für die verschiedenen Verkehrsträger enthält.34 Unabhängig von der Verlässlichkeit derartiger Kostenschätzungen – unbestreitbar ist, dass die Belastung der Bevölkerung durch Fluglärm ohne staatliche Regelsetzung aus der betriebwirtschaftlichen Kalkulation von Flughäfen oder Fluggesellschaften herausfällt. Internalisierung bedeutet allerdings nicht zwangsläufig einen Finanztransfer von den Verursachern zu den Belasteten, wie dies etwa teilweise durch die Regelungen des novellierten Fluglärmgesetzes35 geschieht. Internalisierung kann auch bedeuten, dass für die Kostenrechung des Verursachers andere Anreize zur Vermeidung von Belastungen gesetzt werden. Weil also gerade nicht anzunehmen ist, dass Entgeltverhandlungen zwischen Flughäfen und Fluggesellschaften quasi automatisch zu einer Berücksichtigung der Lärmauswirkungen der Luftfahrzeuge in der Entgeltordnung führen, sind hoheitliche Regeln in diesem Sinne gerechtfertigt – hoheitliche Regeln, die – vorrangig vor einem Finanztransfer durch Abgabenbelastung – eine Entgeltdifferenzierung aus Umweltgründen verlangen. 5. Zwischenergebnis Die materiell-rechtlichen Argumente lassen sich damit wie folgt zusammenfassen: Die Aufstellung eines allgemeinen Ordnungsrahmens, der insbesondere Marktprozesse ausgestaltet und damit kalkulierbar macht, ist angesichts der unterschiedlichen Regelungsregime in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU ein gerechtfertigtes Anliegen. Für eine Marktintervention im Sinne einer staatlichen Preisfestsetzungskompetenz besteht allerdings kein Bedarf, weder auf nationaler Ebene noch auf EU-Ebene. Dennoch sind Flughafenentgelte ein Instrument, das vorrangig vor einer abgabenrechtlichen Internalisierung externer Effekte Anreize zur Vermeidung von Umweltbelastungen setzen kann und sollte. ___________ 34

http://ec.europa.eu/transport/costs/handbook/doc/2008_01_15_handbook_external _cost_en.pdf. 35 Nach § 12 Abs. 1 FluglärmG trägt der Flughafen die Kosten von baulichen Schallschutzmaßnahmen an von Fluglärm betroffenen Gebäuden innerhalb von durch Rechtsverordnung definierten Schutzzonen.

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III. Regulierungsbehörde Daher stellt sich die Frage nach der organisatorischen Umsetzung des so beschriebenen materiellen Rahmens. Der Kommissionsentwurf sieht hierzu verpflichtend vor, dass die Mitgliedstaaten „eine unabhängige Stelle als ihre unabhängige nationale Regulierungsbehörde“ ernennen oder errichten, „um die ordnungsgemäße Anwendung der Maßnahmen, die zur Umsetzung dieser Richtlinie ergriffen wurden, zu gewährleisten und die nach Artikel 4 und 7 auferlegten Aufgaben zu übernehmen“. Die Aufgaben dieser Behörde bleiben aber seltsam im Unklaren. Denn die genannten Artikel 4 und 7 des Entwurfs sehen nur vor, dass jede Partei die unabhängige Regulierungsbehörde „einschalten“ beziehungsweise „anrufen“ kann. Die Behörde soll sodann nach Artikel 10 Absatz 4 „als Schlichtungsstelle“ tätig werden und eine „Entscheidung“ treffen, die dann „verbindlich“ ist. Welche Inhalte diese Entscheidung haben kann oder soll, wird allerdings nicht ausgeführt. Nach den Vorstellungen des Rates ist der Aufgabenumfang der Behörde allerdings geringer. Artikel 10 Absatz 4 verweist nur auf Artikel 4, wonach die Behörde auf Anrufung einer Partei „die Begründung für die Änderung der Flughafenentgeltregelung oder der Höhe der Flughafenentgelte prüft“. Der im Kommissionsentwurf gewählte Begriff der „Regulierungsbehörde“ selbst führt dabei auch nicht weiter. Er hört sich zwar so an, als ob damit eine ökonomische Regulierung etwa im Aufgabenumfang der Bundesnetzagentur gemeint wäre. Nicht umsonst hat der Rat daher für die Ersetzung dieses Begriffs durch den der „Aufsichtsbehörde“ votiert. Allein – die Schlussfolgerung vom Begriff auf den Aufgabenumfang ist keineswegs zwingend. Zugrunde liegt dabei eine eher unkritische Übernahme der aus dem angelsächsischen Recht stammenden Begriffe der „Regulation“ bzw. des „Regulators“. Diese Begriffe werden aber auch im Englischen einheitlich für den deutschen Begriff der Regelung verwendet – die für das deutsche öffentliche Recht konstitutive Trennung zwischen allgemeiner Regelung und Einzelfallregelung, zwischen Norm und Verwaltungsakt, zwischen Regelung und Vollzug, wird auf der begrifflichen Ebene nicht abgebildet. „Regulator“ ist sowohl der Verordnungsgeber als auch die Behörde, die Einzelfallregelungen trifft. Aus der Bezeichnung der zuständigen Behörde als „Regulierungsbehörde“ folgt daher nicht notwendigerweise, dass dieser Behörde eine umfassende ökonomische Preisregulierung aufgegeben wäre. Damit bleibt weiter offen, welcher Art die Entscheidung sein soll, die die Behörde „als Schlichtungsstelle“ trifft. Soll die Behörde doch nicht wieder in die Rolle einer Regulierungsbehörde schlüpfen oder gedrängt werden, müsste klargestellt werden, welchen materiellen und verfahrensrechtlichen Kriterien eine solche Entscheidung zu genügen hat. Änderungsvorschläge des Parlamen-

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tes und des Rates gehen in diese Richtung. Der Wortlaut dieser Änderungen ist weitgehend identisch, wobei das Parlament eine Regelung durch die Behörde vorschlägt, während der Rat die Regelungskompetenz bei den Mitgliedstaaten sieht. Damit bleibt den Mitgliedstaaten ein inhaltlich weiter Entscheidungsspielraum, der von einer verfahrensabschließenden Entscheidung im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens bis hin zu einer autoritativen Sachentscheidung reicht. Wesentlich kritischer ist aber die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Benennung oder Errichtung einer einheitlichen nationalen Behörde. „Eine“ ist hier als Zahlwort gedacht, bedeutet also nicht, dass die Mitgliedstaaten überhaupt den Vollzug der Richtlinienbestimmungen sicherstellen sollen, sondern dass dies durch nur eine einzige, für den gesamten Mitgliedstaat zuständige Behörde zu geschehen habe. Dass dies so gemeint ist, ergibt sich aus der Position der Kommission zum Beschluss des Europäischen Parlaments in erster Lesung, der gerade eine Regionalisierungsmöglichkeit vorsieht und dem die Kommission, wie zu erfahren war, nicht folgen will. Eine solche Regelung im Europarecht ist äußerst ungewöhnlich. Auch in den anderen Richtlinien für die regulierten Sektoren findet sich derartiges nicht. So heißt es etwa in Artikel 23 der Elektrizitätsrichtlinie:36 „Die Mitgliedstaaten betrauen eine oder mehrere zuständige Stellen mit der Aufgabe als Regulierungsbehörde.“ Wortgleich ist die Gasrichtlinie.37 Und auch die Zugangsrichtlinie im Telekommunikationssektor38 verwendet recht unterschiedslos den Begriff der nationalen Regulierungsbehörde gelegentlich im Singular, aber meist im Plural. Nicht nur, dass damit der Kommissionsentwurf der Entgeltrichtlinie den föderalen Staatsaufbau Deutschlands ignoriert – eine Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft, Behördenorganisation und -zuständigkeit in den Mitgliedstaaten zu regeln, ist den Verträgen nicht unmittelbar zu entnehmen. Und auch wenn man eine solche Kompetenz als Annexkompetenz konstruieren wollte – der Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip des Artikel 5 EGVertrag ist augenfällig. Weniger problematisch ist allerdings die Forderung nach Unabhängigkeit der nationalen Aufsichts- oder Regulierungsbehörde vom Flughafenbetreiber. Dass eine Identität von Kontrolliertem und Kontrolleur eine wirksame Kontrolle zu behindern vermag, versteht sich fast von selbst. Dennoch spricht dies nicht von vorneherein gegen die Zuständigkeit von Landesbehörden auch dort, wo das Land Beteiligungen am Flughafen hält. Denn werden die Beteiligungsverwaltung und die Flughafenaufsicht in verschiedenen Ressorts geführt, ge___________ 36 37 38

Richtlinie 2003/54/EG. Richtlinie 2003/55/EG. Richtlinie 2002/19/EG.

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währleistet das Ressortprinzip39 eine getrennte Verantwortungszuordnung, die formal allenfalls auf Kabinettebene aufgehoben werden kann. Den Anforderungen der Richtlinie an eine „wirksame strukturelle Trennung“ dürfte dies genügen.

IV. Regelungsbedarf im deutschen Recht Abschließend sei die mögliche Bandbreite einer Umsetzung der Richtlinie in das deutsche Recht angesprochen. Nach der derzeitigen Rechtslage ist die behördliche Genehmigung der Entgelte keine verbindliche Preisfestsetzung; sie hat keine bindende Wirkung für das Vertragsverhältnis zwischen Flughafen und Fluggesellschaft. Wollte man im künftigen Recht eine solche Verbindlichkeit herstellen, dann bliebe nur eine umfassende gesetzliche Preisregulierung analog der Regelungen in den Zuständigkeitsbereichen der Bundesnetzagentur. Eine derartig umfassende Intervention auch in Marktergebnisse ist allerdings – wie dargestellt – volkswirtschaftlich nicht geboten und wird auch von der Richtlinie nicht verlangt. Die Frage der Angemessenheit der vertraglichen Gegenleistung für die Nutzung der Flughafeninfrastruktur – die Höhe der Entgelte also – könnte daher durchaus weiterhin in zivilrechtlichen Formen ausgestaltet bleiben. Auch die Einhaltung eines normativ aufgestellten Ordnungsrahmens – d.h. insbesondere die Einhaltung der Transparenzregeln – bedarf keiner ordnungsbehördlichen Kontrolle und kann grundsätzlich einem zivilrechtlich ausgestalteten Verfahren überlassen bleiben. In Betracht käme daher – nahe am Wortlaut des Richtlinienentwurfs – eine Art Schlichtungsverfahren in loser Analogie zum kollektiven Arbeitsrecht. Die mögliche Bandbreite hierfür reicht von einem echten Schiedsgerichtsverfahren unter Ausschluss des weiteren Rechtsweges bis hin zu einem Konsultationsverfahren unter behördlicher Aufsicht, wobei die behördliche Entscheidungskompetenz unterschiedlich stark ausgestaltet sein könnte. Denkbar wäre etwa eine Beschränkung auf die Feststellung der Einhaltung bestimmter materieller Kriterien bei der Entgeltgestaltung oder sogar eine Beschränkung nur auf die Feststellung der Einhaltung von Verfahrensbestimmungen.40 Ein solches Schlichtungsverfahren könnte aber keinesfalls – wie ___________ 39

Vgl. etwa Art. 102 Satz 2 Hessische Verfassung. Letzteres stünde dabei durchaus im Einklang mit dem europäischen Recht. Denn es ist keineswegs zwingend, die Verpflichtung zu einer „verbindlichen Entscheidung“ als Verpflichtung zu einer materiellen Sachentscheidung zu verstehen. Dies wäre eine allzu sehr der deutschen Rechtstradition verpflichtete Interpretation, die der Prägung des Europarechts durch unterschiedliche Rechtstraditionen unangemessen wäre. So wie in der deutschen Tradition die Richtigkeitsgewähr des Verfahrensergebnisses durch mate40

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dargelegt – die gebotene Internalisierung externer Effekte sicherstellen, es kann nicht dafür sorgen, dass die öffentlichen Interessen, und dabei insbesondere die Interessen des Umweltschutzes, in ausreichendem Maße gewahrt würden. Dennoch ist auch hierfür ein Festhalten an dem derzeitigen Genehmigungserfordernis nicht zwingend. Für die öffentlich-rechtliche Seite käme nämlich auch eine Art „Zertifizierung“ in Betracht – auch wenn hierfür ein schöneres Wort gefunden werden sollte. Der Sache nach ginge es um eine behördliche Bestätigung, dass die Entgeltordnung normativ vorgegebenen materiellen Anforderungen im Hinblick auf die öffentlichen Interessen entspricht. Letztlich bietet sich daher für die Umsetzung in das deutsche Recht ein Modell an, das die bestehende Zweigleisigkeit zivilrechtlicher und öffentlichrechtlicher Regelungen nicht aufhebt, wohl aber die Funktionen beider Rechtsbereiche schärfer abgrenzt und konturiert und damit bei weitestgehender Überantwortung der wirtschaftlichen Steuerung an die Marktteilnehmer die öffentlichen Interessen nicht ignoriert.

___________ rielle Endentscheidung im Vordergrund steht – auch unter Hinnahme von Verfahrensfehlern, wie dies insbesondere § 46 VwVfG regelt – so ist insbesondere für das angelsächsische Recht der Gedanke der Richtigkeitsgewähr des Ergebnisses durch Einhaltung eines fairen Verfahrens prägend. Der Wortlaut der Politischen Einigung scheint ein solches Verständnis sogar nahe zu legen: Danach prüft die Behörde die Begründung für die Änderung der Entgelte (Entgeltordnung oder Entgelthöhe), nicht aber die Entgeltordnung oder Entgelthöhe selbst.

Das novellierte Fluglärmgesetz Struktur, Auswirkungen und Durchführungsbestimmungen1 Von Rudolf Brüggemann

I. Einführung Am 7. Juni 2007 trat das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen2 in Kraft, mit dem vor allem das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm novelliert wurde. Kern der Novellierung des in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1971 stammenden Fluglärmgesetzes3 ist eine deutliche und durchgängige Verschärfung der Grenzwerte für die Lärmschutzzonen im Umland der größeren zivilen und militärischen Flugplätze. Damit wurden zeitgemäße Lärmschutzstandards festgelegt. Die neuen Schutzzonengrenzwerte orientieren sich maßgeblich am aktuellen Erkenntnisstand der Lärmwirkungsforschung und an Empfehlungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU).4 Mit der Novelle hat der Gesetzgeber das Regelungskonzept des Fluglärmgesetzes von 1971 im Grundsatz unverändert übernommen, das Schutzniveau aber deutlich verbessert. Damit erfasst das Fluglärmgesetz weiterhin von den vielfältigen Handlungsfeldern des Fluglärmschutzes vorrangig zwei Teilbereiche, nämlich den passiven Schallschutz durch Erstattungsansprüche für bauliche Schallschutzmaßnahmen an Wohngebäuden und schutzbedürftigen Einrichtungen in der Tag-Schutzzone 1 und in der Nacht-Schutzzone sowie Planungsbeschränkungen und abgestufte Bauverbote und Baubeschränkungen im Lärmschutzbereich. Bereits frühzeitig sind die erforderlichen Arbeiten eingeleitet worden, um die bisherigen Vollzugsvorschriften zum Fluglärmgesetz von 1971 durch fortgeschriebene Bestimmungen zu ___________ 1

Der nachfolgende Text gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder. Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 1. Juni 2007 (BGBl. I S. 986). 3 Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 (BGBl. I S. 282). 4 Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen „Umwelt und Gesundheit – Risiken richtig einschätzen“ (BT-Drs. 14/2300, 15.12.1999). 2

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ersetzen, die einen effizienten und einheitlichen Vollzug nach den Vorgaben des novellierten Fluglärmgesetzes unterstützen sollen. 1. Probleme des Fluglärmschutzes Repräsentativen Befragungen zufolge zählt der Fluglärm nach wie vor – hinter dem Straßenverkehrslärm und dem Nachbarschaftslärm – zu den wichtigsten Belästigungsursachen. Im Bereich der Zivilluftfahrt sind gegenläufige Trends festzustellen: Einerseits sind die einzelnen Überflugereignisse deutlich leiser geworden, da in den zurückliegenden Jahrzehnten beträchtliche Geräuschminderungen an den Verkehrsflugzeugen erreichen wurden, andererseits sind die Flugbewegungszahlen stark angestiegen, verbunden mit einer Ausweitung des regelmäßigen Betriebs an den großen Flugplätzen auf lärmsensible Zeiten am frühen Morgen, am Abend, am Wochenende und zum Teil auch in der Nacht. In einigen Bereichen im Umland der großen Flughäfen sind längere fluglärmfreie Zeiten weitgehend weggefallen. Die Lärmwirkungsforschung hat in den zurückliegenden Jahren für Immissionsorte mit etwa gleich bleibendem Fluglärm eine Zunahme der Belästigungsreaktionen der betroffenen Flugplatzanwohner festgestellt. Simulationsrechnungen gehen zudem davon aus, dass es künftig im Umland vieler Flughäfen zu einer Erhöhung des fluglärmbedingten Dauerschallpegels kommen wird, da die weiteren technischen Lärmminderungen an den Flugzeugen voraussichtlich nicht mehr ausreichen dürften, um das Wachstum der Flugbewegungen zu kompensieren. Vor diesem Hintergrund wird in Politik und Gesellschaft intensiv über Maßnahmen zur Verbesserung des Fluglärmschutzes diskutiert. Regelungen zum Schutz vor Fluglärm finden sich in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen. Vorrangig betroffen sind das Luftverkehrsgesetz und die dazu erlassenen Verordnungen, die Vorschriften zu verschiedenen Handlungsfeldern des Fluglärmschutzes enthalten. Diese umfassen insbesondere Vorgaben zur Lärmminderung an den Flugzeugen, fachplanerische Anforderungen an die Genehmigung bzw. Planfeststellung von Flugplätzen im Hinblick auf den Schutz vor Lärm sowie Vorgaben für eine lärmmindernde Abwicklung des Flugbetriebs. Das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm betrifft zwei weitere Bereiche des Fluglärmschutzes, nämlich die Konfliktvorbeugung durch Vorschriften für eine vorausschauende Siedlungsplanung, die einem unverträglich engen Nebeneinander von lärmemittierendem Flugplatz und immissionsempfindlichen Grundstücksnutzungen in dessen Nachbarschaft durch Planungseinschränkungen, Bauverbote und Baubeschränkungen vorbeugen will, sowie die Festsetzung von Ansprüchen auf passiven Schallschutz für bereits existierende Wohngebäude und schutzbedürftige Einrichtungen in den besonders stark belasteten Bereichen des Flugplatzumlandes. Die Rechtsfolgen des novellierten Fluglärm-

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gesetzes betreffen damit einerseits den vorbeugenden Schutz durch planerische Maßnahmen, andererseits den nachsorgenden Schutz am Einwirkungsort des Fluglärms. 2. Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm von 1971 Mit der Gesetzesnovelle von 2007 wurde das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm, das in seiner bislang geltenden Fassung aus dem Jahr 1971 stammte, in verschiedenen wichtigen Punkten geändert und den heutigen Anforderungen des Lärmschutzes angepasst. In den Grundzügen beibehalten wurden die bereits durch das Fluglärmgesetz 1971 getroffenen Regelungen zur Festlegung von Lärmschutzbereichen für die Umgebung der größeren zivilen und militärischen Flugplätze. In den Lärmschutzbereichen galten auch bisher abgestufte Baubeschränkungen und Bauverbote, mit denen eine räumliche Trennung zwischen dem Flugplatz und den schutzbedürftigen Nutzungen gewährleistet werden sollte. Für Wohngebäude, die bei der Festsetzung eines Lärmschutzbereichs bereits in der hoch belasteten inneren Schutzzone 1 vorhanden waren, bestand ein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für die erforderlichen baulichen Schallschutzmaßnahmen durch den Flugplatzhalter. Die Entschädigungsregelung des Fluglärmgesetzes, die einen Geldausgleich relevanter Wertminderungen von Grundstücken für den Fall einer Aufhebung der bislang zulässigen baulichen Nutzungsmöglichkeit vorsah, hat in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle gespielt, da verschiedene gesetzlich festgelegte Ausnahmetatbestände in vielen relevanten Fällen die Ausübung eines bestehenden Baurechts auch in der hoch belasteten inneren Schutzzone 1 weiterhin zuließen. In erster Linie wurde die Schaffung neuer Baurechte in der Schutzzone 1 unterbunden; erst in Folge dieser Planungsbeschränkungen hat das Fluglärmgesetz 1971 den Bau neuer Wohngebäude in der inneren Schutzzone 1 wirksam eingeschränkt. Das seinerzeit durchaus richtungweisende Gesetz blieb seit einiger Zeit mehr und mehr hinter den fortschreitenden Anforderungen des Lärmschutzes in anderen Bereichen und hinter dem neueren Erkenntnisstand der Lärmwirkungsforschung zurück. Zuletzt entfaltete das Fluglärmgesetz 1971 kaum noch Wirkung, da die in den neunziger Jahren neu oder erstmals festgesetzten Lärmschutzzonen für zivile Flughäfen – vor allem wegen der hohen SchutzzonenGrenzwerte des Gesetzes von 1971 und der Lärmminderungsfortschritte bei den modernen Verkehrsflugzeugen – oftmals nur wenig über das Flughafengelände hinausreichten.5 Das Gesetz von 1971 war damit zuletzt weder in der La___________ 5 Etwa: Verordnung über die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den Verkehrsflughafen Leipzig/Halle vom 28. März 1996 (BGBl. I S. 575).

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ge, die Siedlungsentwicklung im Umland der Flugplätze unter Lärmschutzgesichtspunkten wirksam und zukunftsorientiert zu beeinflussen, noch vermittelte es einen aus Sicht der Lärmwirkungsforschung zeitgemäßen Anspruch auf passiven Schallschutz für die fluglärmbelasteten Anwohner.

II. Die Novelle des Fluglärmgesetzes Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass bereits seit Längerem intensiv über eine Modernisierung des Fluglärmgesetzes von 1971 diskutiert worden ist. Nach verschiedenen Vorschlägen und Initiativen fasste der Deutsche Bundestag am 2. September 1998 eine Entschließung zur Verbesserung des Fluglärmschutzes, die sich auch auf das Fluglärmgesetz bezog und mit der die Bundesregierung aufgefordert wurde, Vorschläge für Verbesserungen im Bereich des Schutzes vor Fluglärm vorzulegen.6 Es bedurfte jedoch mehrerer Anläufe und intensiver Beratungen, bis es zur Verabschiedung der Gesetzesnovelle kam.7 Im Mittelpunkt der Novelle steht die Modernisierung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971. Hinzu kommen Anpassungen einiger hiermit inhaltlich eng zusammenhängender Vorschriften des Luftverkehrsgesetzes und der Luftverkehrs-Ordnung, die in erster Linie auf eine engere Verknüpfung beider Regelungsbereiche im Hinblick auf den erforderlichen baulichen Schallschutz im Flugplatzumland abzielen und eine bessere Information von Betroffenen und die frühzeitige Berücksichtigung von Lärmschutzaspekten bei fluglärmrelevanten Entscheidungen erleichtern sollen. 1. Regelungskonzept Nach wie vor stellt das Fluglärmgesetz die nähere Bestimmung des Verhältnisses zwischen lärmverursachendem Flugplatz einerseits und lärmempfindlichen Grundstücksnutzungen in der Flugplatzumgebung andererseits in den Mittelpunkt.8 Dem Regelungsansatz des Fluglärmgesetzes kann – insoweit unverändert – die grundlegende Wertung entnommen werden, dass das Wohnen in der inneren Tag-Schutzzone 1 und in der neu eingeführten NachtSchutzzone aufgrund der hohen Fluglärmbelastungen nur dann weiterhin zumutbar ist, wenn innerhalb einer angemessenen Frist ein qualitativ hochwerti___________ 6 7

BT-Drs. 13/11140 vom 23.6.1998. Schröder, M., Die Novellierung des Fluglärmrechts, Lärmbekämpfung, 1/2006,

S. 9. 8 Wysk, P., Rechtliche Aspekte des neuen Fluglärmgesetzes, Lärmbekämpfung, 6/2007, S. 243.

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ger Schallschutz für Wohnungen erreicht werden kann. Die Novelle verpflichtet daher die Betreiber der größeren zivilen und militärischen Flugplätze, lärmbelasteten Anwohnern die Kosten für die erforderlichen baulichen Schallschutzmaßnahmen an ihren Wohngebäuden, vor allem den Einbau von Schallschutzfenstern, zu erstatten. Die aus heutiger Sicht gebotenen technischen Anforderungen an die erstattungsfähigen Schallschutzmaßnahmen, insbesondere die Schalldämmmaße der Fenster und sonstiger Außenbauteile, und die notwendigen Nebenleistungen sollen in einer neu gefassten Rechtsverordnung zum Fluglärmgesetz im Detail festgelegt werden. Die Neuregelung soll die geltende Schallschutzverordnung zum Fluglärmgesetz von 1971 ablösen.9 Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Flugplatzunternehmen und die Haushaltsbelastungen für den Bereich der militärischen Flugplätze berücksichtigt das novellierte Fluglärmgesetz insbesondere dadurch, dass die Kostenfolgen für bauliche Schallschutzmaßnahmen an Wohngebäuden und schutzbedürftigen Einrichtungen in der Tag-Schutzzone 1 und in der Nacht-Schutzzone auf insgesamt rund sechs Jahre verteilt werden. Dazu werden abgestufte Zeitpunkte für das Entstehen von Erstattungsansprüchen für baulichen Schallschutz in Abhängigkeit von der Höhe der Fluglärmbelastung beginnend bei den am höchsten belasteten Bereichen festgelegt („Ringmodell“). Soweit der durch Fluglärm hervorgerufene äquivalente Dauerschallpegel jeweils im Gesetz festgelegte Zwischenwerte übersteigt, entsteht der Erstattungsanspruch mit der Festsetzung des Lärmschutzbereichs; ansonsten entsteht der Anspruch mit Beginn des sechsten Jahres nach der Festsetzung. Für den Erstattungsanspruch ist es unschädlich, wenn Schallschutzmaßnahmen bereits vorzeitig, jedoch nach der Festsetzung des Lärmschutzbereichs, durchgeführt werden. Für besonders gelagerte Fälle schließt das Gesetz einen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen ausdrücklich aus: Kein Anspruch besteht, wenn Wohnungen bereits bei ihrer Errichtung in der bis zur Neufestsetzung geltenden Tag-Schutzzone 2 den dafür geltenden Schallschutzanforderungen genügen mussten und sich die dabei maßgeblichen Schallschutzanforderungen im Rahmen der nach § 7 erlassenen Rechtsverordnung halten. Ausgeschlossen sind Erstattungsansprüche ebenfalls, wenn bereits bei freiwilligen Schallschutzprogrammen der Flughäfen oder in sonstigen Fällen Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen erstattet wurden und sich die Anforderungen an die Maßnahmen im Rahmen der nach § 7 erlassenen Rechtsverordnung halten. Insoweit liefert die geplante Schallschutzverordnung auch hierfür die relevanten Maßstäbe. ___________ 9 Verordnung über bauliche Schallschutzanforderungen nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (Schallschutzverordnung – SchallschutzV) vom 5. April 1974 (BGBl. I S. 903).

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Neben der Schaffung von Schutzansprüchen für bereits bestehende Wohnungen und für schutzbedürftige Einrichtungen schränkt das novellierte Fluglärmgesetz durch die deutliche Absenkung der Grenzwerte und die Ausweitung der Schutzzonen den Neubau von Wohnungen in der beträchtlich belasteten inneren Tag-Schutzzone 1 und in der Nacht-Schutzzone sowie darüber hinaus die Errichtung von schutzbedürftigen Einrichtungen im gesamten Lärmschutzbereich deutlich ein. Vor allem mit Blick auf die Wahrung der Entwicklungsmöglichkeiten betroffener Gemeinden bestimmt das novellierte Gesetz allerdings, dass die Errichtung von Wohnungen im Geltungsbereich eines nach der Festsetzung des Lärmschutzbereichs bekannt gemachten Bebauungsplans zulässig ist, wenn dieser der Erhaltung, der Erneuerung, der Anpassung oder dem Umbau von vorhandenen Ortsteilen mit Wohnbebauung dient. Diese Regelung eröffnet in begrenztem Rahmen auch die Möglichkeit zur Errichtung von Wohnungen in belasteten Gebieten, wenn ein neuer Bebauungsplan den im Gesetz genannten Zielen dient und keine in Betracht kommenden anderweitigen Planungsmöglichkeiten für die weitere bauliche Entwicklung der Gemeinde bestehen. Eine weitere Neuerung der Novelle bestimmt für den Geltungsbereich eines vor der Festsetzung eines Lärmschutzbereichs bekannt gemachten Bebauungsplans in der Tag-Schutzzone 1 und in der Nacht-Schutzzone einen Wegfall der Ausnahmeregelung für die Errichtung von Wohnungen und damit ein Bauverbot für den Fall, dass dort sieben Jahre nach der Festsetzung des Lärmschutzbereichs noch nicht mit der Erschließung oder der Bebauung begonnen worden ist. In der Tag-Schutzzone 2 dürfen Wohnungen generell errichtet werden, allerdings müssen diese auf Kosten des Bauwilligen mit verbessertem Schallschutz ausgestattet sein. Ebenfalls auf Kosten des Bauwilligen ist Schallschutz bei der Errichtung ausnahmsweise zulässiger schutzbedürftiger Einrichtungen im gesamten Lärmschutzbereich sowie bei ausnahmsweise zulässigem Wohnungsbau in Tag-Schutzzone 1 und in der Nacht-Schutzzone vorzusehen. Die Anforderungen an den in diesen Fällen erforderlichen Schallschutz ergeben sich ebenfalls aus der Schallschutzverordnung nach § 7 des Gesetzes. 2. Weitere Neuregelungen Ein wichtiges Anliegen der Novelle des Fluglärmgesetzes war die Schaffung und die dauerhafte Sicherung eines angemessenen Schutzniveaus im Flugplatzumland durch bauliche Schallschutzmaßnahmen und durch eine vorausschauende Siedlungssteuerung.10 Diesem Ziel dienen vor allem die durchgehend verschärften Grenzwerte für die Lärmschutzzonen um 10 bis 15 Dezibel (Tabelle). ___________ 10

BT-Drs. 16/508 vom 2.2.2006.

Das novellierte Fluglärmgesetz

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Nach dem Fluglärmgesetz von 1971 bestand ein Anspruch auf baulichen Schallschutz für Wohnungen im Flugplatzumland erst, wenn der Fluglärm einen Dauerschallpegel über 75 Dezibel hervorrief. Bei derart hohen Belastungen treten nicht nur massive Störungen und Beeinträchtigungen auf; verschiedene Studien zeigen zudem, dass dauerhaft hohe Lärmbelastungen ein relevantes Gesundheitsrisiko darstellen können. Für Flughäfen mit Nachtflugbetrieb müssen aufgrund der Novelle des Fluglärmgesetzes erstmals spezifische Nacht-Schutzzonen festgelegt werden. Diese Zonen bestimmen sich ausschließlich nach der nächtlichen Fluglärmbelastung. Ein Anspruch auf Schallschutz der Schlafräume – bei zivilen Flugplätzen einschließlich schallgedämmter Belüftungseinrichtungen – besteht in den Bereichen des Flugplatzumlandes, in denen im Gesetz definierte Mittelungspegel für die Nacht überschritten werden oder in denen mit einer bestimmten Häufigkeit laute nächtliche Überflugereignisse (NAT-Kriterium – number above threshold) auftreten. Beim zuletzt genannten Kriterium stellt das Gesetz auf Pegel im Rauminnern ab („am Ohr des Schläfers“) und berücksichtigt eine Pegelminderung von außen nach innen von 15 Dezibel für ein zu Lüftungszwecken gekipptes Fenster.

1. Werte für neue oder wesentlich baulich erweiterte zivile Flugplätze im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2: Tag-Schutzzone 1: LAeq Tag

=

60 dB(A),

=

55 dB(A),

Tag-Schutzzone 2: LAeq Tag Nacht-Schutzzone a) bis zum 31. Dezember 2010: LAeq Nacht

=

LAmax

=

53 dB(A), 6-mal 57 dB(A),

b) ab dem 1. Januar 2011: LAeq Nacht LAmax

= =

50 dB(A), 6-mal 53 dB(A);

2. Werte für bestehende zivile Flugplätze im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2: Tag-Schutzzone 1: LAeq Tag

=

65 dB(A),

=

60 dB(A),

Tag-Schutzzone 2: LAeq Tag Nacht-Schutzzone: LAeq Nacht LAmax

= =

55 dB(A), 6-mal 57 dB(A);

Rudolf Brüggemann

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3. Werte für neue oder wesentlich baulich erweiterte militärische Flugplätze im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 und 4: Tag-Schutzzone 1: LAeq Tag

=

63 dB(A),

=

58 dB(A),

Tag-Schutzzone 2: LAeq Tag Nacht-Schutzzone a) bis zum 31. Dezember 2010: LAeq Nacht LAmax

= =

53 dB(A), 6-mal 57 dB(A),

b) ab dem 1. Januar 2011: LAeq Nacht LAmax

= =

50 dB(A), 6-mal 53 dB(A);

4. Werte für bestehende militärische Flugplätze im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 und 4: Tag-Schutzzone 1: LAeq Tag

=

68 dB(A),

=

63 dB(A),

Tag-Schutzzone 2: LAeq Tag Nacht-Schutzzone: LAeq Nacht LAmax

= =

55 dB(A), 6-mal 57 dB(A).

Abbildung: Werte nach § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm11

Für den Neubau und die wesentliche bauliche Erweiterung eines Flugplatzes gelten eigenständige und – gegenüber den Werten für bestehende Flugplätze – abgesenkte Grenzwerte. Bei den Werten für die Nacht-Schutzzone gilt ab dem Jahr 2011 eine zweite Anforderungsstufe; maßgeblich ist das Datum der Genehmigungserteilung. Mit den spezifischen Anforderungen des Fluglärmgesetzes für den Neubau und die wesentliche bauliche Erweiterung von Flugplätzen wird dem größeren Planungsspielraum beim Neu- und Ausbau Rechnung getragen und die erhöhte Belästigungswirkung von neu auftretenden Lärmquellen berücksichtigt. Das novellierte Fluglärmgesetz stellt dabei zunächst auf eine luftverkehrsrechtliche Genehmigung, Planfeststellung oder Plangenehmigung ab, die nach dem Inkrafttreten der Novelle, also ab dem 7. Juni 2007 für die Anlegung eines neuen Flugplatzes, der dem Anwendungsbereich des Fluglärmgesetzes unterfällt, für den Bau einer neuen Start- oder Landebahn oder für ___________ 11 Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vom 31. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2550).

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eine sonstige wesentliche bauliche Erweiterung erteilt worden ist. Dabei sind sonstige bauliche Erweiterungen nur dann wesentlich, wenn es auf Grund der baulichen Erweitung zu einer Erhöhung der Lärmbelastung um mindestens 2 Dezibel an der Grenze der Tag-Schutzzone 1 (LAeq Tag) oder der NachtSchutzzone (LAeq Nacht) kommt. Analog zur Definition der wesentlichen Änderung von öffentlichen Straßen oder Schienenwegen in der Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV12 – ist dabei auch beim Fluglärmgesetz allein die Lärmzunahme relevant, die adäquat kausal der baulichen Erweiterung zuzurechnen ist. Die allgemeine Verkehrsentwicklung, die auch ohne die bauliche Erweiterung des Flugplatzes eintreten würde, ist dabei auszuklammern. Dies kann etwa dadurch erfolgen, dass zwei Prognosen gegenübergestellt werden, wobei einmal die Entwicklung des Flugbetriebs mit baulicher Erweiterung des Flugplatzes und einmal die Entwicklung ohne bauliche Erweiterung prognostiziert und den Fluglärmberechnungen zugrunde gelegt werden. Die für den Neu- und Ausbau von Flugplätzen getroffenen Anforderungen des novellierten Fluglärmgesetzes an den passiven Schallschutz bei Wohngebäuden sind nunmehr auch für Zwecke der Genehmigung eines Flugplatzes bzw. der Planfeststellung oder der Plangenehmigung von Bedeutung. Die Neuregelung des Fluglärmgesetzes legt allerdings nicht fest, in welchem Umfang die anderen verfügbaren Instrumente des aktiven Fluglärmschutzes, wie sie etwa auch der „Balanced Approach“ der Internationalen ZivilluftfahrtOrganisation (ICAO) auflistet, im Rahmen der jeweils gebotenen Konfliktbewältigung zur Anwendung kommen. Jedenfalls lösen die durch aktive Maßnahmen nicht zu vermeidenden Lärmbelastungen oberhalb der jeweils anzuwendenden Werte des Fluglärmgesetzes Ansprüche auf passiven Schallschutz nach dem novellierten Gesetz aus. Im Ergebnis berücksichtigen die differenzierten Grenzwerte für die Schutzzonen beim Neubau und der wesentlichen baulichen Erweiterung eines Flugplatzes sowohl die Lärmschutzbelange der Betroffenen als auch die Interessen der Flugplatzunternehmen, indem die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte für die Schutzzonen und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen des Fluglärmgesetzes Rechts- und Planungssicherheit vermitteln, ein hohes Maß an Gleichbehandlung gewährleisten und zur vorbeugenden Konfliktvermeidung vorhandene Freiräume um Flughäfen absichern. Für den Fall eines Flugplatzneubaus oder bei der wesentlichen baulichen Erweiterung eines Flugplatzes sieht das novellierte Fluglärmgesetz für Wohngebäude, die sich in der Tag-Schutzzone 1 befinden, zusätzlich einen Entschä___________ 12 Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV) vom 12. Juni 1990 (BGBl. I S. 1036), geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 19. September 2006 (BGBl. I S. 2146).

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digungsanspruch für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs (Terrassen, Balkone etc.) vor, da dieser in aller Regel durch bauliche Maßnahmen nicht angemessen vor Lärm geschützt werden kann. In einer Rechtsverordnung sollen die materiellen Regelungen für die Entschädigungen aufgrund fluglärmbedingter Beeinträchtigungen der Nutzungsmöglichkeiten des Außenwohnbereichs in der Tag-Schutzzone 1 eines neuen oder wesentlich baulich erweiterten Flugplatzes getroffen werden. Abweichend von den ansonsten jeweils identischen Werten für die Festlegung der Lärmschutzbereiche bei zivilen und militärischen Flugplätzen hat der Gesetzgeber für bestehende militärische Flugplätze die Grenzwerte für die TagSchutzzonen um 3 Dezibel höher festgesetzt als die entsprechenden Werte für bestehende zivile Flugplätze. Diese quantitativ eng begrenzte Differenzierung berücksichtigt vor allem die relevanten Unterschiede in der zeitlichen Struktur und Verteilung des Auftretens von Fluglärmimmissionen, insbesondere dass bei den Militärflugplätzen in den lärmsensiblen Tagesrandzeiten am frühen Morgen und am Abend sowie am Wochenende und an Feiertagen normalerweise kein oder nur ein deutlich verminderter Flugbetrieb stattfindet. Diese Unterschiede berücksichtigt das Ermittlungs- und Bewertungsverfahren für Fluglärmimmissionen, das hinsichtlich der Tag-Schutzzonen allein auf den über die 16 Tagesstunden (von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr) gemittelten äquivalenten Dauerschallpegel abstellt, nicht oder nicht in dem wirkungsseitig gebotenen Umfang. Diese Differenzierung der Grenzwerte für die Tag-Schutzzonen trägt zudem dem Umstand Rechnung, dass der Betrieb militärischer Flugplätze und die Durchführung militärischer Übungsflüge auf der Grundlage des grundgesetzlichen Verteidigungsauftrages erfolgen. Hieraus ergibt sich für die in der Umgebung der militärischen Flugplätze auftretenden Fluglärmimmissionen insoweit eine erhöhte Zumutbarkeitsschwelle, die jedoch durch das novellierte Fluglärmgesetz quantitativ eng begrenzt worden ist. Die Fluglärmimmissionen werden rechnerisch ermittelt, da Lärmmessungen allein wegen der enorm hohen Zahl der Messorte und wegen der erforderlichen Langzeituntersuchungen nicht mit vertretbarem Aufwand durchführbar wären.13 Außerdem fordert das Fluglärmgesetz eine Prognose des künftigen Fluglärms. Durch die Novelle des Fluglärmgesetzes wurde das Ermittlungs- und Bewertungsverfahren für Fluglärm modernisiert und wirkungsgerechter ausgestaltet. Die modernisierte Berechnungsmethodik orientiert sich stärker an den auch bei anderen Lärmquellen wie Straße, Schiene und Industrieanlagen benutzten Verfahren, so dass die Vergleichbarkeit der Daten verbessert wird. Die Berechnung der äquivalenten Dauerschallpegel und der Maximalpegel für die Bestimmung der Tag- und Nacht-Schutzzonen erfolgt nach dem in der Anlage ___________ 13 Vogelsang, B./Myck, T., Die Ermittlung von Lärmschutzbereichen nach dem novellierten Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm, Lärmbekämpfung, 4/2007, S. 127.

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zum Gesetz festgelegten Verfahren. Für den Tag und für die Nacht werden getrennte äquivalente Dauerschallpegel mit dem Halbierungsparameter q = 3 bestimmt. Zudem wird das Verfahren zur Ermittlung regelmäßiger Überschreitungen von Maximalpegeln – bezogen auf Innenräume – festgelegt. Das Berechnungsverfahren berücksichtigt durch einen wirkungsgerechten Zuschlag zudem die erhöhte Belästigungswirkung zeitlich schwankender Fluglärmimmissionen aufgrund der wechselnden Betriebsrichtungen am Flugplatz (3 Sigma-Regelung). Damit wird dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass über bestimmte Zeiträume bestehende erhöhte Belastungen eines Immissionsortes durch Fluglärm, die auf Grund der Nutzung einer bestimmten Betriebsrichtung am Flugplatz auftreten, nur in begrenztem Umfang durch sonstige Zeiten mit einer geringeren Lärmbelastung bei einer anderen (in der Regel der entgegen gesetzten) Betriebsrichtung kompensiert werden können. 3. Festsetzung von Lärmschutzbereichen a) Anwendungsbereich Die Festsetzung von Lärmschutzbereichen erfolgt für alle Verkehrsflughäfen mit Fluglinien- oder Pauschalflugreiseverkehr, darüber hinaus auch für die großen Verkehrslandeplätze, an denen Linien- oder Pauschalflugreiseverkehr mit mehr als 25.000 Starts und Landungen im Jahr stattfindet. Der Schwellenwert für Verkehrslandeplätze von 25.000 Flugbewegungen pro Jahr, bei dem Ausbildungsflüge mit Leichtflugzeugen nicht berücksichtigt werden, orientiert sich an der EG-Umgebungslärmrichtlinie (2002/49/EG). Erfasst werden damit alle Landeplätze, die zumindest die Hälfte des Flugbetriebs der von der EGUmgebungslärmrichtlinie erfassten „Großflughäfen“ aufweisen. Insgesamt berücksichtigt das novellierte Fluglärmgesetz im Zivilbereich alle größeren Flugplätze, bei denen auf Grund von Art und Umfang des Flugbetriebs beträchtliche Fluglärmbelastungen in der Flugplatzumgebung zu erwarten sind. Die Bestimmung des Anwendungsbereichs orientiert sich damit vorrangig an den typischerweise bei bestimmten Nutzungsarten und -umfängen zu erwartenden Fluglärmimmissionen im Flugplatzumland und nicht primär am luftrechtlichen Genehmigungsstatus als Verkehrsflughafen oder Verkehrslandeplatz. Nach derzeitigem Kenntnisstand dürften voraussichtlich insgesamt etwa 35 zivile Flugplätze unter den Anwendungsbereich des novellierten Gesetzes fallen. Neben den genannten Verkehrsflugplätzen erfasst das novellierte Fluglärmgesetz auch diejenigen militärischen Flugplätze, an denen Flugzeuge mit Strahltriebwerken stationiert sind oder regelmäßig eingesetzt werden („zu dienen bestimmt sind“), und erstmals auch die militärischen Flugplätze, an denen schwere propellergetriebene Transportflugzeuge stationiert sind und wo mehr als 25.000 Starts und Landungen im Jahr durchgeführt werden. Insgesamt dürf-

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ten etwa 15 militärische Flugplätze vom Anwendungsbereich des novellierten Fluglärmgesetzes erfasst sein. Abhängig von der weiteren Nutzungsplanung können sich jedoch noch Verschiebungen ergeben. Neben den Flugplätzen, bei denen die Festsetzung eines Lärmschutzbereiches obligatorisch ist, sieht das Fluglärmgesetz die Festlegung von Lärmschutzbereichen für weitere Flugplätze vor, sofern im Einzelfall der Schutz der Allgemeinheit dies erfordert. Angesichts der Lärmminderungsfortschritte bei den Strahltriebwerken und der damit einhergehenden Annäherung an die Geräuschemissionen von Flugzeugen mit Propellerantrieb entfiel die frühere Beschränkung auf Flugplätze mit Strahlflugzeugbetrieb. In der Vergangenheit ist von dieser Ergänzungsregelung nur in sehr eingeschränktem Umfang Gebrauch gemacht worden. Ob und inwieweit sich dies aufgrund der Neuregelungen des Fluglärmgesetzes in Zukunft ändern wird, bleibt abzuwarten. b) Vollzug Entsprechend den ansonsten üblichen Modalitäten obliegt der Vollzug des novellierten Fluglärmgesetzes nunmehr den Ländern. Wegen der größeren Sachnähe der Länder wird hiervon eine Vereinfachung und Straffung des früher – vor allem aufgrund der beim Vollzug durch den Bund mehrstufigen Beteiligungsverfahren14 von Ländern und Gemeinden – komplexen Verfahrens und eine Beschleunigung erwartet. Zu den Vollzugsaufgaben zählt zunächst die Festsetzung der neuen Lärmschutzbereiche durch Rechtsverordnung des Landes nach den Vorgaben des novellierten Fluglärmgesetzes. Diese Festsetzungen sollen planmäßig bis zum Ende des Jahres 2009 abgeschlossen sein. Das Artikelgesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen bestimmt, dass die noch auf der Grundlage des früheren Rechtes durch Rechtsverordnung des Bundes festgelegten Lärmschutzbereiche mit den Rechtsfolgen, die sich aus dem Fluglärmgesetz 1971 ergeben, bis zur Festsetzung neuer Lärmschutzbereiche durch die Länder fortgelten. Insbesondere aus Gründen der Klarstellung dürfte es sich aber anbieten, in den nach dem novellierten Fluglärmgesetz zu erlassenden Verordnungen der Länder deklaratorisch auf den Umstand des Wegfalls der durch die Neufestsetzung jeweils ersetzten Lärmschutzbereiche hinzuweisen. Neben der Festsetzung neuer Lärmschutzbereiche nach den Vorgaben des novellierten Fluglärmgesetzes obliegen den Ländern auch die regelmäßigen und die anlassbezogenen Überprüfungen der Schutzbereiche. Im Rahmen der ___________ 14 BT-Drs. 8/2254 vom 7.11.1978 (Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 (BGBl. I S. 282) – Fluglärmbericht –.

Das novellierte Fluglärmgesetz

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Novelle des Fluglärmgesetzes hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Überprüfung und die Neufestsetzung eines Lärmschutzbereichs im Wesentlichen beibehalten. Nach § 4 Abs. 6 des Gesetzes hat die regelmäßige Überprüfung des Lärmschutzbereichs spätestens nach Ablauf von zehn Jahren zu erfolgen. Besondere Umstände, etwa relevante Änderungen in der Betriebsabwicklung oder im Nutzungsumfang, können eine frühere Prüfung notwendig machen. Die Neufestsetzung eines Lärmschutzbereichs ist erforderlich, wenn sich bei der Prüfung ergibt, dass sich die Fluglärmbelastung wesentlich verändert oder innerhalb der nächsten zehn Jahre voraussichtlich wesentlich verändern wird. Die Veränderung der Lärmbelastung ist insbesondere dann wesentlich und bietet damit Anlass zur Neufestsetzung, wenn sich die Höhe des äquivalenten Dauerschallpegels um mindestens 2 Dezibel ändert. Die Änderung des äquivalenten Dauerschallpegels LAeq Tag ist zu prüfen an der Grenze der TagSchutzzone 1, die Änderung des Dauerschallpegels LAeq Nacht an der Grenze der Nacht-Schutzzone. In der bisherigen Vollzugspraxis des Fluglärmgesetzes 1971 erfolgte bereits bei einer lokalen Änderung des äquivalenten Dauerschallpegels oberhalb des Schwellenwertes eine Neufestsetzung des Lärmschutzbereichs. Die gesetzlichen Regelung zur Überprüfung und zur Neufestsetzung von Lärmschutzbereichen sollen einerseits die zeitnahe Anpassung der Schutzzonen an sich ändernde Verhältnisse erlauben, andererseits berücksichtigt die Regelung aber auch Aspekte der längerfristigen Planungssicherheit und des Vollzugsaufwandes, so dass nur bei relevanten Änderungen der Fluglärmsituation im Flugplatzumland eine Neufestsetzung des Lärmschutzbereichs erforderlich wird. 4. Verordnungsermächtigungen Das Fluglärmgesetz enthält Ermächtigungen für verschiedene Verordnungen, die der einheitlichen und effizienten Durchführung des Gesetzes dienen sollen. Auf der Grundlage fachlicher Vorarbeiten, die bereits frühzeitig eingeleitet worden sind, werden verschiedene neue Verordnungen zur Durchführung des novellierten Gesetzes vorbereitet. Die Reihenfolge der Rechtsetzungsvorhaben orientiert sich primär am Bedarf im Vollzug. Der Entwurf einer Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (1. FlugLSV), die die Datenerfassung und das Berechnungsverfahren regelt, befindet sich in einem fortgeschrittenem Stadium des Rechtsetzungsverfahrens. Der Verordnungsentwurf nimmt auf zwei technische Regelwerke (Anleitung zur Datenerfassung über den Flugbetrieb – AzD, Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen – AzB) Bezug, die von einer Expertengruppe mit Vertretern der Beteiligten Kreise ausgearbeitet worden sind. Die Verordnung soll die auf der Grundlage der früheren Fassung des Flug-

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lärmgesetzes im Jahr 1975 erlassenen und in der Folgezeit ergänzten Vorschriften zur Datenerfassung (DES15 und DES-MIL16) sowie zum Berechnungsverfahren für Lärmschutzbereiche (AzB17) durch eine spezifische Neuregelung ersetzen. Die geplante Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (2. FlugLSV) soll die Schallschutzmaßnahmen im Lärmschutzbereich, insbesondere die Schalldämmmaße, regeln. Diese Verordnung soll die geltende Schallschutzverordnung18 von 1974 zum Fluglärmgesetz ersetzen. Entsprechend der Ermächtigung in § 7 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm sollen in dieser Verordnung Schallschutzanforderungen einschließlich Anforderungen an Belüftungseinrichtungen unter Beachtung des Standes der Schallschutztechnik im Hochbau festgelegt werden, denen bestimmte bauliche Anlagen genügen müssen, die ausnahmsweise oder unter bestimmten Voraussetzungen im Lärmschutzbereich errichtet werden dürfen. Die Verordnung soll nach § 9 Abs. 4 des Gesetzes auch maßgeblich dafür sein, für welche baulichen Schallschutzmaßnahmen dem Eigentümer eines in der TagSchutzzone 1 oder in der Nacht-Schutzzone gelegenen Wohngebäudes oder einer schutzbedürftigen Einrichtung Aufwendungen erstattet werden. Eine Expertengruppe mit Vertretern der beteiligten Kreise unter Leitung des Umweltbundesamtes hat insbesondere die fachlichen Aspekte des baulichen Schallschutzes intensiv beraten. Weiterhin soll die Höhe des erstattungsfähigen Höchstbetrags, der bisher in einer eigenständigen Verordnung19 zum Fluglärmgesetz festgelegt ist, dem heutigen Erkenntnisstand entsprechend aktualisiert werden. Zu der geplanten Dritten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (3. FlugLSV), die die Außenwohnbereichsentschädigung beim Neu- oder Ausbau von Flughäfen näher regeln soll, sind fachliche Vorbereitungen im Gange.

___________ 15 Datenerfassungssystem für die Ermittlung von Lärmschutzbereichen an zivilen Flugplätzen nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 (BGBl. I S. 282) – DES – (GMBl. 1975, S. 126). 16 Datenerfassungssystem für die Ermittlung von Lärmschutzbereichen an militärischen Flugplätzen nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 (BGBl. I S. 282) – DES-MIL – (GMBl. 1975, S. 145). 17 Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen an zivilen und militärischen Flugplätzen nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 (BGBl. I S. 282) – Anleitung zur Berechnung (AzB) – (GMBl. 1975, S. 162). 18 Siehe Fn. 9. 19 Verordnung zur Änderung des Höchstbetrages der Erstattung von Aufwendungen für Schallschutzmaßnahmen auf Grund des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vom 11. August 1977 (BGBl. I S. 1553).

Das novellierte Fluglärmgesetz

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III. Fazit Mit der Novelle des Fluglärmgesetzes wurde ein wichtiger Beitrag für die Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm geleistet, ohne dabei andere berechtigte Belange, etwa Wettbewerbsfähigkeit und Wahrung der Mobilitätsbedürfnisse einer exportorientierten Industriegesellschaft, aus dem Blick zu verlieren. Nach der ersten Anwendungsphase der Novelle soll dem Deutschen Bundestag über die Auswirkungen des neuen Fluglärmgesetzes berichtet werden, auch im Hinblick auf weiterführende Strategien und Instrumente auf dem fachlich und politisch weiterhin bedeutsamen Themenfeld des Fluglärmschutzes.

Zur Entstehung und Auslegung des Fluglärmschutzgesetzes Fluglärm in der Diskussion

Von Eckhard Bock Das neue Fluglärmschutzgesetz1 (FlugLSG) weckt Erwartungen auf ganz unterschiedlichen Seiten: Die Betroffenen schenken den Aussagen des Gesetzgebers Glauben, dass mit ihm ein besserer Schutz verbunden sei; einige Verkehrsflughäfen, die aktuelle Erweiterungen planen, versuchen, mit dem neuen Gesetz und dem noch ausstehenden untergesetzlichen Regelwerk von nach ihrer Auffassung zu hohen Kosten für Schallschutzmaßnahmen freigestellt zu werden2; Planfeststellungsbehörden sehen die vom Gesetzgeber benannten Werte als verbindlich an und wollen sie als Grundlage für rechtssichere Entscheidungen nehmen. Es ist sogar die Auffassung vertreten worden, dass durch das Gesetz der ewige Streit um die Zumutbarkeit von Lärmbeeinträchtigungen beendet werden könne und insofern „eine enorme volkswirtschaftliche Verschwendung menschlicher Arbeitskraft“ in Zukunft unterbleiben könne.3 Dass beim Ausbau von Verkehrsflughäfen keine gesetzlichen Regelungen, wie sie sich bei Projekten des Schienen- und Straßenverkehrs bewährt haben, existieren, ist hinlänglich kritisiert worden.4 Anders als bei diesen Vorhaben scheiden bei Flughafenprojekten in mehrfacher Hinsicht aktive Problemlösungen aus: Weder kann Fluglärm durch Lärmschutzwände abgeschirmt werden, noch sind Lagevarianten (Tunnellösungen oder Gradientenverschiebungen) ___________ 1 Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm, BGBl. I 2007, S. 2551, im Folgenden abgekürzt FlugLSG; FlugLSG-RE, BMU vom September 2003; www.fluglaerm-eppstein.de/cgi-bin/BMU_0309xx_Entwurf_Fluglaermgesetz.pdf; FlugLSG-RE, BMU vom 22.6.2004 www.fluglaerm-eppstein.de/cgi-bin/BMU_040607_Entwurf_Fluglaerm gesetz.pdf; FlugLSG-E vom 27.5.2005 BMU Referat IG 7 BT-Drs.Nr. 401/05. 2 Die Ergebnisse der vom BMU eingesetzten Arbeitsgruppe für das untergesetzliche Regelwerk (Anleitung zur Berechnung, Schallschutzverordnung etc.) werden seit geraumer Zeit von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen einer „Kritik“ unterzogen. 3 Paetow, Anhörung zum Fluglärmschutzgesetz im Deutschen Bundestag, Sitzung des Umweltausschuss am 8.5.2006, Antworten auf den Fragenkatalog I S. 2. 4 Storost, Das deutsche Lärmschutzrecht aus Sicht eines Richters, Vortrag im Rahmen der Tagung des VCD vom 16.1.2004; Storost, Umweltprobleme bei der Zulassung von Flughäfen, NVwZ 2004, 257 ff.

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möglich. Kleinräumliche Verschiebungen der Start- und Landebahnen können nur im Ausnahmefall fluglärmmindernde Effekte erzielen.5 Die Lage von Flugrouten wird selbst im Rahmen von Ausbauvorhaben nicht unter ein mögliches Vorab-Abwägungsregime der Planfeststellungsbehörde (Festlegung erfolgt über das Luftfahrtbundesamt) gestellt, so dass auch diesbezüglich nur eingeschränkte Hilfe erwartet werden kann. Das Willkürverbot, das bei der Festlegung von Flugrouten einzuhalten ist – so das Bundesverwaltungsgericht –, eröffnet nicht den Weg in eine fundierte Abwägung, obwohl diese fachlich durchaus möglich wäre, wie Untersuchungen der Hessischen Landesanstalt für Umwelt gezeigt haben.6 Zumutbarkeitsgrenzen, wie sie die 16. BImSchV7 kennt, führen zu Restlärmbetroffenheiten bei Grundstücken, die entschädigt werden. Das neue Fluglärmschutzgesetz setzt sich mit der vollen und uneingeschränkten Belastung von Grundstücken überhaupt nicht auseinander, obwohl es – dieses bleibt positiv hervorzuheben – erstmalig in Analogie zu den anderen Verkehrsträgern Außenwohnbereichsentschädigungen ab einem Dauerschallpegel von 60 dB(A) am Tag festlegt.8 Einfache Lösungen sind bei dieser Sachlage im Bereich des Fluglärms kaum zu erwarten. Starre Zumutbarkeitsgrenzen9 sind, gerade weil aufgrund der Natur der Sache kaum ein akzeptabler, durchgreifender Interessenausgleich (Ausnahme bildet die Umsiedlung) gefunden werden kann, kaum adäquat. Gleichwohl haben alle Seiten Interesse an Rechtssicherheit. Notwendige Anpassungen und zukünftige Entwicklungen nicht ausschließen wollend, hat der Gesetzgeber sein eigenes Handeln einer Evaluation unterworfen – ein Verfahren, das als durchaus fortschrittlich zu bezeichnen ist und manch anderem Gesetz zu wünschen wäre. Es ist beabsichtigt, im Abstand von 10 Jahren Grenzwerte anhand aktueller Erkenntnisse anzupassen und im Jahr 2017 die Wirksamkeit des Gesetzes zu überprüfen. Der Gesetzgeber will offen___________ 5 Geringfügige Achsendrehungen sind nur bei einer Start- und Landebahn und wenig verfestigtem Flughafenumfeld denkbar. Leider nicht ausreichend in der Abwägung beim Flughafen Ramstein berücksichtigt. 6 TABUM Flugrouten, Untersuchung der HLUG für die Frankfurter Fluglärmkommission, unveröffentlichtes Manuskript 2004. 7 16.BImSchV vom 12.6.1990 BGBl. I S. 1036. 8 Die vom BMU eingesetzte Arbeitsgruppe zu den Kostenfolgen des Fluglärmschutzgesetzes war einvernehmlich der Auffassung, dass durch die Außenwohnbereichsentschädigung Wertverluste von Grundstücken nicht aufgefangen werden. Die Höhe der Außenwohnbereichsentschädigung soll deshalb relativ niedrig liegen: ÖkoInstitut, Kostenfolgen der Novelle des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm, Dokumentation der Ergebnisse, Darmstadt 2005 S. 30. 9 Hierzu Wysk, Reformbedarf beim Fluglärmschutz aus der Sicht eines Oberverwaltungsrichters, Vortrag im Rahmen des VCD-Workshops am 8.3.2003, S. 6.

Zur Entstehung und Auslegung des Fluglärmschutzgesetzes

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sichtlich mit diesen verfahrensbezogenen Regelungen vermeiden, dass das neue Fluglärmschutzgesetz ähnlich wie das alte über Jahrzehnte hinweg faktisch keine Anwendung findet. Das Fluglärmschutzgesetz von 1971 war – so sagen Fachleute, die den Entstehungsprozess dieses Gesetzes nachvollzogen haben – schon zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung veraltet. Bereits ab 197810 wurde es kaum mehr bei fachplanungsrechtlichen Flughafenentscheidungen angewandt. Ursache hierfür war eine Überschätzung der Kosten für militärische Flugplätze, die den Gesetzgeber aus fiskalischen Gründen veranlasste, viel zu hohe Werte, ab denen Maßnahmen zu ergreifen waren, für alle Flughäfen festzulegen. Ob das neue Fluglärmschutzgesetz an einem ähnlichen Geburtsfehler leidet – der Festlegung von Grenzwerten, die keinen echten Schutz mit sich bringen und im Wesentlichen durch politische Einflussnahme entstanden sind – und dadurch seine Anwendbarkeit von vornherein beschränkt ist, ist zu untersuchen.

I. Zielsetzungen des Gesetzgebers Der Deutsche Bundestag hat in seinem fraktionsübergreifenden Beschluss vom 2. September 199811 eine Verbesserung des Gesamtschutzniveaus (Zumutbarkeitsgrenzen, Schutzzonen, Schutzauflagen, Eingriffsschwellen, Bewertungsverfahren) durch ein zu novellierendes Fluglärmschutzgesetz gefordert. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) hat daraufhin im Eckpunktepapier aus dem Jahr 2000 eine Ausweitung der Schutzzonen und Verbesserungen des Schutzniveaus als zentrale fachliche und politische Anliegen des Novellierungsvorhabens bezeichnet. „Außerdem könne das Gesetz aufgrund der Verkleinerungstendenzen der Schutzzonen in den letzten Jahren seine Planungsfunktion, nämlich die Siedlungsentwicklung in der Umgebung der Flugplätze zu beeinflussen, vor allem bei den Verkehrsflughäfen nicht mehr erfüllen.“12 Es ist erklärte Absicht des BMU gewesen, die Bevölkerung an Lärmreduktionen, die durch den technischen Fortschritt am Fluggerät erzielt werden, teilhaben zu lassen. Weitergehende Vorstellungen, wie z.B. mit dem Gesetzentwurf auch nächtliche Betriebsbeschränkungen zu regeln, stießen auf den Wi___________ 10 BVerwGE 56, 110 (131), Startbahn West Entscheidung mit der Grundsatzfestlegung, dass Schutzauflagen zwingend erforderlich sind. 11 Plenarprotokoll (246. Sitzung) vom 2.9.98 (S. 23016 D). 12 Eckpunktepapier BMU 2000 – siehe www.fluglaerm-eppstein.de/cgi-bin/Flug laermNovelle.pdf.

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derstand des Bundesministeriums für Verkehr und der überwiegenden Zahl der Luftverkehrsbehörden und wurden deshalb sehr schnell fallen gelassen. Im Ergebnis des parlamentarischen Entscheidungsprozesses sind folgende Ziele der abschließenden Beratung des Umweltausschusses13 zu entnehmen: x Der Schutz der Anwohner in der Umgebung größerer ziviler und militärischer Flugplätze vor Fluglärm soll deutlich verbessert werden. x Ein tragfähiger Interessenausgleich zwischen den Belangen der Luftfahrt und den berechtigten Lärmschutzinteressen der betroffenen Menschen durch Regelungen zur vorbeugenden Konfliktvermeidung soll ermöglicht werden. In eben dieser Drucksache wird auch darauf hingewiesen, dass die Beratungen konfliktträchtig waren und Landesregierungen und kommunale Spitzenverbände das Ergebnis des Kompromisses noch in den letzten Monaten stark beeinflusst haben.

II. Das Fluglärmschutzgesetz in der Abstimmung Bevor der erste offizielle Referentenentwurf am 22.6.2004 veröffentlicht wurde, waren bereits 3 Entwürfe in der internen Ressortabstimmung gescheitert. Das BMU hatte sich an den Werten der Studie des Umweltbundesamtes „Fluglärmwirkungen“14 orientiert, in der von erheblichen Belästigungen bei einem Wert eines äquivalenten Dauerschallpegels von über 55 dB(A) am Tage und von Beeinträchtigungen des Nachtschlafes ab einem Pegel von 45 dB(A) ausgegangen wird. Diese Werte wurden von der Flughafenseite vehement bekämpft, obwohl die Mehrzahl ausländischer Studien15 wie auch die umfangreichste und methodisch korrekte Studie zu Belästigungswirkungen am Frankfurter Flughafen die Werte bestätigt haben bzw. sogar noch darunter liegende Werte nahelegen.16 Folgende Punkte wurden aufgrund des Abstimmungsprozesses ersatzlos gestrichen: ___________ 13 Beschlussempfehlung des Umweltausschusses vom 13.12.2006, BT-Drs. 16/3813 S. 12 und 19. 14 Ortscheid/Wende, Fluglärmwirkungen UBA, Berlin 2000. 15 Wirth, Fluglärmstudie 2000, Fluglärmbelastung an dem Flughafen Zürich-Kloten; Brink/Wirth, Lärmstudie 2000, Zürich 2005. 16 Zeus (Schreckenberg, Meis), Belästigung durch Fluglärm im Umfeld des Frankfurter Flughafens, Endbericht 2006, IFOK Bensheim.

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x Die Stärkung der Funktion des Fluglärmschutzbeauftragten; x die Festlegung des im Rahmen der Lärmminderungsplanung gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen Lden – ein Dauerschallpegel, der die Belästigung am Abend und in der Nacht stärker abbildet und dadurch zu ca. 2 dB(A) größeren Schutzzonen führt; x die Nachtschutzzone 2 (ursprünglich ab Werten von 50 dB(A) aequ. Dauerschallpegel und Maximalpegeln von 4 x 55 dB(A)). Zudem hatte das BMU – auch aufgrund der Erfahrung, dass an einigen Verkehrsflughäfen Betroffene über Jahre steigenden Flugbewegungen ausgesetzt gewesen sind, ohne Schutzmaßnahmen beanspruchen zu können – eine Regelung vorgesehen, dass ab der Erhöhung der Flugbewegungszahl um 25 % oder des Dauerschallpegels an den Grenzen der Tag- und Nachtschutzzone 2 um 3 dB(A) der Tatbestand der wesentlichen Erweiterung schon bei baulichen Änderungen erfüllt ist. Unabhängig hiervon sind auch Lärmschutzbereiche neu festzulegen, wenn sich die Parameter ändern. Diese Regelung wurde dahingehend verändert, dass allein die Erhöhung des Dauerschallpegels (Laequ) um 2 dB(A) an der Grenze der Tag- und Nachtschutzzone 1 maßgeblich werden wird. Mit dieser Änderung wird die Verantwortung des Lärmereignisse zulassenden Flughafenbetreibers zunächst auf die engere Schutzzone 1 des jeweiligen Flughafens bezogen. Obwohl die Festlegung nur auf die Veränderung am Rande der Tagschutzzone 1 und Nachtschutzzone abzielt, wirken die Rechtsfolgen auf die kategoriale Einschätzung des jeweiligen Flughafens und führen zur Einordnung des geänderten Flughafens als Neubauflughafen, bei dem abgesenkte Werte und Außenwohnbereichsentschädigungen insgesamt greifen. Es bleibt aber abzuwarten, ob derartige Fälle überhaupt eintreten, da die Zunahme der Bewegungen disproportional zur Steigerung des Dauerschallpegels verläuft.17 Im Regierungsentwurf vom 25.5.2005 wurde eingefügt, dass Neubauvorhaben und Ausbauvorhaben mit wesentlichen Erweiterungen erst ab dem 1.1.2011 die Grenzwerte des nächtlichen Dauerschallpegels von 50 dB(A) und das Maximalpegelkriterium von 6 x 53 dB(A) einhalten müssen. Bis zu diesem Zeitpunkt sind nur erhöhte Werte (nächtlicher Dauerschallpegel von 53 dB(A) und das Maximalpegelkriterium von 6 x 57 dB(A)) einzuhalten. Da in diesen Zeitraum auf jeden Fall das Ausbauvorhaben Frankfurt fällt, wird von einer „Lex Fraport“18 gesprochen.19 ___________ 17

Beckers (Bundesvereinigung gegen Fluglärm; im folgenden: BVF) vertritt die Auffassung, dass sich die Dauerschallpegel in ca. 5 Jahren stark erhöhen. (Unveröffentlichtes Manuskript: „Über die Unverzichtbarkeit weitreichender Betriebsbeschränkungen“, 13.12.2007). 18 www.fluglärm-eppstein.de/BI/index.htm; Datum 5.4.2007.

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In der abschließenden Beratung im Umweltausschuss sind durch die Regierungsfraktionen Änderungen eingebracht worden, die nach Auffassung der Einbringenden Ausweitungen des Lärmschutzes beinhalten sollen. Diese sind im Wesentlichen: x Der Geltungsbereich wird auf alle Verkehrsflughäfen mit Linien- und Pauschalreiseverkehr erweitert. x Verkürzung der Fristen für die Erstattung von Aufwendungen von ca. 10 Jahren auf 5 Jahre. x Weitergehende Lärmschutzregelungen sollen Bestand behalten. x Die Notwendigkeit aktiven Lärmschutzes wird betont: „…würden die im Gesetz vorgeschriebenen Schallschutzwerte definitiv als Grenzwerte festgeschrieben, deren Überschreitung in luftrechtlichen Zulassungsverfahren nicht mehr zulässig sei.“ x Bei der Betriebsrichtungsverteilung wird ein 3 Sigmawert angesetzt (vorher 2 Sigma). x Gerade auch für sensible Bevölkerungsteile werde abgesichert, dass in jedem Fall auch aktive Maßnahmen des Schallschutzes mit abgewogen werden müssen. Trotz dieser Verbesserungen, die auf der „Zielgeraden“ erzielt worden sind, enthält das verabschiedete Fluglärmschutzgesetz wesentlich schlechtere Regelungen (hierzu weiter unten) für Lärmbetroffene als die vorangegangenen Referentenentwürfe.

III. Zur Tragfähigkeit des Interessenausgleichs – die Kostenfolgen für Betroffene und Verkehrsflughäfen Anlässlich der Anhörung zum Gesetzentwurf stellte das Bundesministerium für Umwelt-, Naturschutz und Reaktorsicherheit erhebliche Auffassungs- und Bewertungsunterschiede zwischen den Beteiligten fest. Bereits im Vorfeld hatte die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Verkehrsflughäfen (ADV) die vorgeschlagenen Werte des Fluglärmschutzgesetzes als unrealistisch und als nicht umsetzbar bezeichnet, da sie mit erheblichen Kosten verbunden seien. Das ___________ 19 In der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 2.2.2006 (BTDrs. 16/508) wird missverständlich von einer „übergangsweisen“ Regelung gesprochen; es ist aber kaum vorstellbar, dass kurze Zeit nach Einbau von Schallschutzfenstern verbesserte Schallschutzmaßnahmen greifen sollen.

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Umweltbundesamt (UBA) hatte in einer Kostenschätzung etwa 500 Mio. € weniger als die ADV für die Umsetzung der Maßnahmen des Fluglärmschutzgesetzes errechnet. Um zu einer abstimmungsfähigen Vorlage zu kommen, initiierte das BMU eine Arbeitsgruppe bestehend aus BMVBW, BMdV, BMU, ADV, UBA, einem Vertreter des Frankfurter Flughafens sowie der Hessischen Landesanstalt für Umwelt und der Bundesvereinigung gegen Fluglärm unter der Leitung des ÖKO-Institutes mit der Ausarbeitung einer tragfähigen Kostenschätzung. Nach intensiven Beratungen und detaillierter Kostenabschätzung für jeden Verkehrsflughafen einigte sich die Arbeitsgruppe auf einen Ansatz von 614 bzw. 740 Mio. €. Maßgeblich für die Berechnung war der Novellierungsentwurf vom Juni 2004, der folgende Regelungen enthielt: x Nachtschutzzone 2 mit den Werten 50 dB(A) im Bestandsfall und 45 dB(A)/4 x 52 dB(A) im Ausbaufall; x Berücksichtigung der Ostwindwetterlage durch Ansatz der Betriebsrichtungen (100 %/100 %); x Ansatz der Werte für Neu- und Ausbau bei einer baulichen Änderung, die eine 30% ige Steigerung der Bewegungszahl oder eine Erhöhung des Pegels um 3 dB(A) mit sich bringt; x Bauverbote nach einer Übergangsfrist von 7 Jahren in der Schutzzone 1. Während man sich relativ unkompliziert auf die jeweiligen zu prognostizierenden Bewegungszahlen verständigte, gab es eine Reihe von gravierenden Dissenspunkten, die nur deshalb nicht zu einem Eklat führten, weil die absolute Endsumme nach Auffassung der Mehrzahl der Teilnehmer als sehr niedrig angesehen wurde und insofern die vorgeschlagenen Regelungen zu keiner unzumutbaren finanziellen Belastung der Flughäfen geführt hätten. Die Dissenspunkte waren: x Bei einzelnen Flughäfen (insbesondere Köln) wurde eine Berechnungsmethode angewandt, die eine Umlage der Flugbewegung aller Start- und Landebahnen auf die zu Berechnende vorsah. Dadurch entstanden künstlich vergrößerte Schutzzonen. x Die Anzahl der Wohneinheiten, die maßgeblich den Kostenansatz prägen, wurde „hochgerechnet“, indem man überwiegend eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte annahm, obwohl die exakte Zahl der bereits geschützten und der zu schützenden Wohneinheiten den meisten Verkehrsflughäfen bekannt war und einige (München, Frankfurt, Berlin) auch bereit gewesen waren, auf dieser Basis überprüfbare Annahmen zu treffen.

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x Von dieser hochgerechneten Wohnungszahl wurden keine Abzüge für bauherrnseits vorgenommene Schallschutzmaßnahmen oder für neu errichtete Wohnungen mit ausreichendem Schallschutz vorgenommen. x Es wurden auch keine Abzüge in den Maßnahmebereichen vorgenommen, obwohl bekannt war, dass Lüfterprogramme nur zu einem geringen Prozentsatz nachgefragt werden. (beispielsweise am Hamburger Flughafen nur zu ca. 15%). x Allerdings legten die ADV und der Vertreter des Frankfurter Flughafens Wert darauf „Höchstkostenverordnungen“ vorzuschlagen und den Ausschluss von Schallschutzmaßnahmen gerade bei den Wohnungen vorzusehen, die sie vorher noch in der Kostenschätzung mit erfasst hatten. x Insbesondere aber weigerte sich der Vertreter des Frankfurter Flughafens, das bereits erreichte Schutzniveau im Neu- und Ausbaufall bei anderen Flughäfen (Leipzig, Berlin, München, Hamburg) zu akzeptieren und diese Kosten nicht dem Fluglärmschutzgesetz sondern generell dem Vorhabenträger anzulasten. Eine kartenmäßige Überprüfung, inwiefern die durch das Fluglärmschutzgesetz geplanten Schutzzonen eine faktische Vergrößerung oder Verkleinerung vorhandener Schutzzonen mit sich bringen würde, wurde nicht systematisch vorgenommen. Anhand der Verkehrsflughäfen Leipzig, Schönefeld, München und Hannover wies die BVF daraufhin, dass sich die Schutzzonen – im Vergleich mit den alten bzw. mit den in Ansatz gebrachten – verkleinern würden. Die Auffassung der BVF, dass das Ergebnis der Arbeitsgruppe wie auch die im Rahmen der Diskussion gewonnenen Erkenntnisse eine Absenkung der Werte erforderlich mache, wurde nicht behandelt. Insgesamt ist deshalb davon auszugehen, dass die Kostenschätzung eher eine Hochrechnung, die insbesondere den Interessen des Frankfurter und Kölner Flughafens entgegenkam, darstellt und die real zu erbringenden Kosten nur ein Bruchteil der angesetzten beträgt. Dieser Sachverhalt wäre für die Entstehungsgeschichte des Fluglärmschutzgesetzes von geringem Interesse, wenn nicht kurze Zeit nach der Fertigstellung des Endberichtes der Arbeitsgruppe Kostenfolgen20 die Ministerien massiv seitens der Flughafenseite beeinflusst worden wären, so dass in dem Regierungsentwurf vom 25.5.2005 folgende Änderungen vorgenommen wurden: x Wegfall der Nachtsschutzone 2; x Wegfall des Pegels Lden, stattdessen Laequ; x kein Ansatz von Flugbewegungssteigerungen bei der baulichen Erweiterung; ___________ 20

Siehe Fn. 8.

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x Wegfall der 100 /100 Betrachtung in der Betriebsrichtungsfrage – Einführung einer 2 Sigma Regelung; x Einführung einer Staffelungsregel für neuzubauende Verkehrsflughäfen bis zum 31.12.2010 mit höheren Werten (6x 57 statt 6 x 53 dB(A) sowie ein Dauerschallpegel von 53 dB(A) statt 50 dB(A)) – als „Lex Fraport“ bezeichnet. Dass diese Verschlechterungen zu Lasten der betroffenen Gemeinden und Bürger nicht mit objektiv nachvollziehbaren finanziellen Erwägungen begründet werden können, wird auch vom BMU in der Begründung zum Gesetzentwurf21 reflektiert. Gleichwohl haben sich die Verkehrsflughäfen für weitgehende Ausschlusstatbestände für betroffene Wohneinheiten, „Höchstbetragsverordnungen“ für Schallschutzmaßnahmen und Außenwohnbereichsentschädigungen eingesetzt. Dabei ist das Bundesministerium für Umweltschutz den Verkehrsflughäfen von Anfang an in dem zentralen Punkt der Abwicklung der Schallschutzmaßnahmen (Stichwort Kostenstreckung) weitestgehend entgegengekommen. Bei bestehenden Flughäfen sind Lärmschutzbereiche erst zum Ende des Jahres 2009 neu festzusetzen – während bei neuen und auszubauenden Flughäfen diese erst nach Genehmigung festzulegen sind. Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen soll ein betroffener Grundstücksnutzer erst nach sechs Jahren bei einem bestehenden Flughafen geltend machen können – es sei denn der Dauerschallpegel übersteigt 70 dB(A)22. Bei Lärmsanierung bestehender Flughäfen kann eine Streckung der Finanzlast durchaus erforderlich werden, um z.B. die Wirtschaftskraft von Verkehrsflughäfen nicht „über die Maßen“ zu beanspruchen. Die Verhältnismäßigkeit auch der Lärmsanierung war allerdings bereits durch die Arbeitsgruppe Kostenfolgenabschätzung – mit schärferen Grenzwerten ohne die Notwendigkeit von Streckungen – bestätigt worden. Mit der Fallkonstellation der Lärmsanierung nicht vergleichbar ist die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen für Wohneinheiten, die im Fall von neu- und auszubauenden Verkehrsflughäfen zu erfassen sind. Auch hier beabsichtigt der Gesetzgeber eine Streckung der Finanzlast für die Verkehrsflughäfen – ohne allerdings in diesem Fall dargelegt zu haben, warum durch eine Neu- oder Ausbaumaßnahme Betroffene bis zu 6 Jahre auf jeglichen Schutz verzichten sollen und warum diese Festlegung ange___________ 21

Siehe Fn. 19, BT-Drs. Nr. 16/508, S. 15: „Dabei ergaben sich Verkleinerungen dieser Lärmschutzzonen um etwa 20 bis 30 Prozent gegenüber den Zonen, die der obigen Kostenschätzung zugrunde lagen.“ 22 Der höchste, gemessene Dauerschallpegel liegt z. Zt. bei 65 dB(A) und tritt bei zwei Flughäfen auf.

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sichts des im Vergleich zum Umsatz geringen Kostenrahmens eine Verhältnismäßigkeit auf Seiten der Betroffenen nahe legen soll. Die bisherigen Schallschutzprogramme sind von den betroffenen Flughäfen Stuttgart, Nürnberg, Hannover, München und Hamburg etc. zügig im Rahmen der jeweiligen Ausbauvorhaben durchgeführt worden. Großzügigere passive Schallschutzmaßnahmen wie sie insbesondere beim Flughafen München realisiert worden sind, haben zu einer nachweisbaren Konfliktreduktion geführt. Hierbei sind generell Aufenthaltsräume in Wohngebäuden mit Schallschutz ausgestattet worden, ohne dass „Höchstkostenverordnungen“ einen sinnvollen – weil in den Einzelfällen notwendigen und insgesamt eben auch tragbaren – Aufwand begrenzt hätten. Sonderregelungen für bis zum Jahre 2010 auszubauende Verkehrsflughäfen würden nur dann einen Sinn ergeben, wenn dortige Schutzgebiete im Vergleich zu den Flughäfen, die bereits Schutzmaßnahmen durchgeführt haben, größer sein würden. Das Gegenteil ist aber, wie gezeigt wird, der Fall. Insofern könnte sogar eine gemeinschaftsrechtlich problematische Quersubventionierung der berührten Flughäfen vorliegen. Zudem ergeben sich durch die Sonderregelung verfassungsrechtliche Bedenken, da den erheblichen Auswirkungen, die eine unzureichend geschützte Wohnung in sich birgt, kaum Streckungen einer konstruierten, aber nicht nachweisbaren „Finanzlast“ entgegenzuhalten sind. Aufgrund der sehr umfangreichen Planfeststellungsunterlagen des Frankfurter Ausbauvorhabens23 ist es möglich, die aktuellen Prognosen der Planfeststellung mit den Prognosen, die im Anschluss an die Kostenschätzung zu dem Verhalten des Gesetzgebers geführt haben, eine „Lex Fraport“ einzuführen, zu vergleichen. x Im Rahmen der Kostenschätzung 200524 sind vom Frankfurter Flughafen ca. 3920 Wohneinheiten in der Schutzzone 65 dB(A) und ca. 21 000 WE in der Schutzzone 60 bis 65 dB(A) mit den Parametern: Prognosejahr 2015, neue AzB, 100/100 Betrachtung und x im Planfeststellungsbeschluss 2007 sind in der Schutzzone 65 dB(A) keine Wohneinheiten und in der Schutzzone ab 60 dB(A) ca.13050 WE mit den Parametern: Prognosejahr 2020, neue AzB, 100/100 Betrachtung angegeben. Wie eine derartige Reduktion der Zahl der Wohneinheiten in so kurzer Zeit zustande kommen kann, soll hier nicht hinterfragt werden (es handelt sich um ___________ 23 Planfeststellungsbeschluss „Zum Ausbau des Verkehrsflughafens Frankfurt Main“, unter www.fluglaerm-eppstein.de/Presse/PMit/2008/080104b1/ pdf. 24 Siehe Fn. 8.

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offizielle Zahlen des Flughafens) – allein die Rechtfertigung einer gesetzlichen Sonderregelung erscheint vor diesem Hintergrund kaum verhältnismäßig. Im Zuge der Rechtssicherheit wäre es sicherlich erstrebenswert, wenn derartig fragwürdige Sonderregelungen nicht zur Anwendung kämen und Planfeststellungsbehörden und Flugplatzbetreiber von sich aus die regulären Werte des Fluglärmschutzgesetzes für 2011 sofort anwenden würden.

IV. Das Schutzniveau des Fluglärmschutzgesetzes im Vergleich zu den aktuellen Planfeststellungsvorhaben Flughafen München und Frankfurt Das erklärte Ziel des Gesetzgebers war es, eine Ausweitung der Schutzzonen vorzusehen und damit den Schutz für Betroffene zu verbessern. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint dieses auch gelungen zu sein: Neben der Absenkung der Werte im Vergleich zum alten Fluglärmschutzgesetz sind Nachtschutzzonen vorgesehen worden, die im alten Gesetz nicht enthalten waren. Kritisch ist bereits angemerkt worden, dass das novellierte Fluglärmschutzgesetz weder an das fortschrittliche Konzept der Aufwachwahrscheinlichkeit für Leipzig noch an das erweiterte Schutzkonzept (Betriebsrichtungsbetrachtung in der Nacht 100/100) am Flughafen Berlin Schönefeld anknüpft. Im Konkreten haben sich auch – insbesondere bei den Flughäfen München, Hamburg, Hannover, Leipzig und Berlin – durch Planfeststellungsbeschlüsse und die Rechtsprechung Schutzgebiete ergeben, die wesentlich größer als die durch das Fluglärmschutzgesetz festgelegten Gebiete sind.25 Ein Vergleich der Planfeststellungsunterlagen der beiden Flughäfen München und Frankfurt zeigt zum einen wie unterschiedlich die Besiedelungsdichte bei beiden Flughäfen, und wie sinnvoll es ist, einen Flughafen möglichst weit entfernt von Ballungsräumen anzusiedeln26, zum anderen wie unterschiedlich die beiden Flughäfen „ihr“ Fluglärmproblem zu bewältigen versuchen. Das vorhandene, an den jetzigen Start- und Landebahnen orientierte, kombinierte Tag / Nachtschutzgebiet des Münchner Flughafens umschließt vollständig das Tagschutzgebiet 1 des Fluglärmschutzgesetzes und sogar nahezu vollständig das Tagschutzgebiet 2 des FlugLSG im Ausbaufall. Nur sehr kleine Gebiete sind zusätzlich zu schützen, obwohl mit einer sehr starken Bewegungssteigerung beim Ausbau gerechnet wird. (Karte 3 und Karte 4). Gegenteiliges ist beim Frankfurter Flughafen ___________ 25 Siehe hierzu Wysk, Reformbedarf beim Fluglärmschutz aus der Sicht eines Oberverwaltungsrichters, Vortrag im Rahmen des VCD-Workshops am 8.3.2003, S. 7. 26 Die Planung des Flughafen Berlin Brandenburg International (BBI) zwischen zwei Siedlungsachsen ist vor diesem Hintergrund als sehr problematisch einzuschätzen.

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zu beobachten: Hier umfasst das vorhandene Schutzgebiet (Nachtschutzgebiet mit den Parametern 6 x 75 dB(A) 100/100) knapp das Tagschutzgebiet 1 des FlugLSG. Das Tagschutzgebiet 2 des FlugLSG bleibt vollständig ausgeklammert. Auch bei den Nachtschutzgebieten zeigen sich große ungeschützte Gebiete. (Karte 1 und Karte 2) Angesichts dieser Bestandsaufnahme verwundert es nicht, dass der Frankfurter Flughafen sich für eine Sonderregelung im Fluglärmschutzgesetz eingesetzt hat und niedrigere Werte für nicht erstrebenswert hält.

V. Schutzziele in der wissenschaftlichen Diskussion Da bei der Beurteilung von Fluglärm sowohl objektiv nachprüfbare Maßstäbe (physikalische, mathematische Fragestellungen etc.) als auch Beurteilungen, die notwendiger Weise subjektive Elemente in sich tragen (Einschätzung gesundheitlicher Risiken und von Belästigungswirkungen), zum Tragen kommen und die Interessenlagen unterschiedlich sind, ist der Wunsch nach einer einheitlichen, gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnislage kaum zu erfüllen. Nachdem Maschke die wissenschaftlichen Grundlagen des „Jansen-Kriteriums“ fundiert angegriffen hatte27, war zu erwarten, dass sich die o.a. Werte des Umweltbundesamtes, die auch vom Sachverständigenrat für Umweltfragen als zutreffend angesehen wurden, durchsetzen würden. Der Frankfurter Flughafen (Fraport AG) beauftragte die Lärmwirkungsforscher Griefahn, Spreng, Jansen und Scheuch, um eine zusammengefasste Stellungnahme zu erhalten. Diese veröffentlichten in der Zeitschrift für Lärmbekämpfung (ZfL 49, 2002) einen fünfseitigen Aufsatz „Fluglärmkriterien für ein Schutzkonzept bei wesentlichen Änderungen oder Neuanlagen von Flughäfen/ Flugplätzen.“ Angesichts der intensiven Auseinandersetzungen der Lärmwirkungsforscher haben Richter an Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen diese kurzgefasste Veröffentlichung (Lärmsynopse) begrüßt und ihre Entscheidungen hierauf bezogen. Hier ist einzuwenden, dass eine einseitige Auftragsarbeit schwerlich als gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisstand zu bezeichnen ist. Nicht beachtet wurde, dass bereits kurz nach der Veröffentlichung der anerkannte Lärmwirkungsforscher Guski dezidiert Kritik an der Synopse geübt und festgestellt hat, dass Widersprüche zwischen einer – bis 2005 allein ihm vorliegenden – „Langfassung“ und der veröffentlichten „Kurzfassung“ beste___________ 27 Maschke u.a., 19x99 Dezibel (A) – ein gesicherter Befund der Lärmwirkungsforschung?, Bundesgesundheitsblatt 2001, S. 137 ff.

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hen. Danach treten die gewählten Begriffsdefinitionen „kritischer Toleranzwert“ und „Schwellenwert“ in der Langfassung nicht auf. 28 Die Lärmsynoptiker haben sehr deutlich auf die Rahmenbedingungen ihrer gutachterlichen Tätigkeit hingewiesen: „Deshalb einigten sich die Autoren auf folgende Kriterien für eine solche Synopse: x Weitere Verbesserung des Lärmschutzes der Bevölkerung ...; x ...; x Vermeidung unrealistischer Ziele, um überhaupt eine Veränderung erreichen zu können.“ 29 „Realistische Ziele“ können anhand von konkretem Kartenmaterial oder anhand von Einschätzungen der realen Betroffenheit vorgenommen werden. Es ist deshalb wesentlich, welches Kartenmaterial den Lärmsynoptikern zum damaligen Zeitpunkt (2001; Mediationsverfahren) vorgelegen hat. Ein Vergleich der Schutzgebietszonen, die zum Zeitpunkt der Mediation 2001 erarbeitet worden sind und den Schutzgebietszonen, die im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses 2007 – auf der Basis neuer Berechnungsparameter – öffentlich ausgelegt worden sind, ergibt – bei identischen Dauerschallpegeln – sehr hohe Differenzen. Trotz gleicher Pegelwerte ist festzustellen, dass die Schutzgebiete wesentlich kleiner geworden sind. Die Verkleinerung der Schutzzonen hängt ursächlich damit zusammen, dass laute Verkehrsflugzeuge ausgemustert worden sind und trotz gleichzeitiger, erheblicher Zunahme der absoluten Flugbewegungen diese Zunahme den Dauerschallpegel nicht ausschlaggebend beeinflusst. Es ist unter diesen Aspekten dann auch folgerichtig, dass in einer der größten und fundiertesten Belästigungsstudien Deutschlands, die im Frankfurter Raum erstellt wurde, signifikante Belästigungswerte sogar unter dem Dauerschallpegel von 55 dB(A) am Tage festgestellt wurden.30 Die Differenz zwischen dem als „präventiver Richtwert“ bezeichneten Wert der Synoptiker und dem faktisch festgestellten Belästigungswert beträgt demnach über 5 dB(A). Es steht außer Frage, dass die besonderen Verhältnisse beim Ausbauvorhaben des größten Verkehrsflughafens der Republik, der zudem durch eine relativ große Siedlungsdichte und ein Fluglärmproblem auch aufgrund unzureichender Schallschutzprogramme gekennzeichnet ist, nicht auf andere Flughäfen übertragbar sind und diesbezüglich formulierte „unrealistische Ziele“ in anderen Situationen vollständig anders bewertet werden können. Die Herleitung der Werte des Fluglärmschutzgesetzes aus der „Fluglärmsynopse“ ist deshalb kritisch zu sehen. Bleibendes Verdienst der Fluglärmsynoptiker ist es aber, schutzbe___________ 28 29 30

Zeitschrift für Lärmbekämpfung (im folgenden ZfL) 50 (2003) Nr. 1 S. 16. ZfL 49 (2002) Nr. 5 S. 172. Siehe Fn. 16; ähnliche Aussagen siehe Fluglärmstudie Zürich (Fn. 15).

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dürftige Einrichtungen und besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen besonders betrachtet und für diese Fälle auch besondere Werte vorgesehen zu haben.31

VI. Zur Konzeption des Fluglärmschutzgesetzes Anders als die Lärmschutzverordnungen für Straße und Schiene ist das Fluglärmschutzgesetz nicht in einen gesetzlichen Rahmen eingebettet, der wie das Bundesimmissionsschutzgesetz eine klare Handlungs- und Prüfungsabfolge (Trennungsgebot nach § 50 BImSchG; aktiver Schallschutz vor passivem Schallschutz; Entschädigung bei Vorliegen von Restlärmbetroffenheit)32 bei der Zulassung von Anlagen und Projekten, die erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen auslösen können, beinhaltet. Die methodische Konzeption der Bekämpfung von Fluglärm unterscheidet sich somit gravierend von den gesetzlichen Grundlagen bei anderen Verkehrslärmarten. Explizit beschränkt sich das FlugLSG auf bauliche Nutzungsbeschränkungen und baulichen Schallschutz. Es vermeidet das konkrete Eingehen auf Betriebsbeschränkungen, Nachtflugeinschränkungen und die konkrete Flugbetriebssteuerung am jeweiligen Flughafen und überlässt diese Steuerung dem Fachplanungsrecht. Andererseits nimmt das Fluglärmschutzgesetz indirekt Bezug auf Ziele wie die Lärmvermeidung und das Verschlechterungsverbot einer Umweltsituation, die auch durch das Gemeinschaftsrecht definiert sind. Eine umfassende Schutzkonzeption, die – um eine angemessene Konfliktbewältigung zu erreichen – nicht nur aus Festlegungen zu passiven Schallschutzmaßnahmen, Nutzungsbeschränkungen und Außenwohnbereichsentschädigungen bestehen kann, wird durch diese sehr eingeschränkte Herangehensweise des Gesetzes erschwert. Wenig hilfreich erscheint in diesem Zusammenhang auch die eindimensionale und einseitig wirkende Bindung nach § 13 FlugLSG, die offensichtlich ein Unterschreiten von den jeweils anwendbaren Werten zu Lasten der Betroffenen durch die Luftverkehrsbehörden ausschließen soll. Es wird an keinerlei sonstige Handlungsmaxime angeknüpft und somit keine Korrelation zwischen den örtlichen Anstrengungen eines Flughafens im Bereich des ausgewogenen An___________ 31 Wenn allerdings derartige Werte beliebig seitens der Planfeststellungsbehörde Brandenburg unterschritten werden können und ein derartiges Vorgehen ohne Kritik seitens des Bundesverwaltungsgerichtes akzeptiert wird, stellt sich die Frage der Relevanz von lärmmedizinischen Gutachten. Siehe BVerwG, Urteil vom 16.3.2006 – 4 A 1001.04 – Rdnr. 352 ff. 32 Schulze-Fielitz, Der Straßenverkehrslärm und das Umweltrecht, ZUR 2002, S. 190 ff.

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satzes oder der Lärmvermeidung hergestellt. Dieses würde im Extremfall bedeuten, dass einem Maximum an Lärmausbreitung (lauter Flughafen) und einem Maximum an Lärmvermeidung (nachhaltig angepasster Flughafen) mit dem gleichen Instrument des passiven Schallschutzes begegnet werden würde. Dieses Vorgehen erscheint weder plausibel noch geeignet, eine originäre Schutzkonzeption, die aktive und passive Schutzmaßnahmen miteinander abgleicht und diesbezüglich fachplanerische Abwägungsmaßstäbe entwickelt, zu ersetzen. Das fachplanerische Abwägungsgebot, das seine Handlungsgrundlage im Luftverkehrsrecht findet, kann sich insofern nur bedingt auf Schutzmaßstäbe des Fluglärmschutzgesetzes beziehen. Gleichwohl spricht der Gesetzgeber von Grenzwerten, die im luftrechtlichen Genehmigungsverfahren zu beachten seien. Diese Grenzwerte, denen nicht nur der faktische sondern auch der prognostizierte Flugbetrieb zugrunde zu legen ist, können erst positive Wirkungen entfalten, wenn Lärmschutzbereiche festgesetzt werden.

VII. Verbesserung des Schutzniveaus und Lärmsanierung durch Lärmschutzbereiche Negative Wirkungen sollen die Festlegungen des Fluglärmschutzgesetzes nicht entfalten können, weil nach § 13 FlugLSG weitergehende Regelungen bei genehmigten oder planfestgestellten Flughäfen weiterhin Bestand behalten sollen. Das FlugLSG knüpft demnach nicht an dem Schutzniveau an, das beim Neu- und Ausbau von Verkehrsflughäfen durch höchstrichterliche Entscheidungen erreicht worden ist, will aber bessere Regelungen im Einzelfall bewahren. Das Fluglärmschutzgesetz beabsichtigt allein Verbesserungen des Schutzniveaus (konservativ formuliert: Verschlechterungen sollen vermieden werden) und definiert – vermittelt über die Festlegung von Lärmschutzbereichen – Schwellen, ab denen Rechtsfolgen (Bauverbote, Schallschutzmaßnahmen, Außenwohnbereichsentschädigungen) eintreten, die sich an unterschiedliche Adressaten – Flugplatzbetreiber, Betreiber öffentlicher Einrichtungen, Kommunen und Eigentümer – richten. Inwiefern überhaupt und in welchem Umfang das Schutzniveau des Fluglärmschutzgesetzes zu Lärmsanierungen führen wird, kann im Moment nicht gesagt werden, da erst nach Erlass des untergesetzlichen Regelwerkes – hier sind vor allem die Anleitungen zur Berechnung und Datenerfassung (AzB und AzD), die Schallschutzverordnung sowie Höchstkostenverordnungen für den passiven Schallschutz und die Außenwohnbereichsentschädigung zu nennen – die konkreten Abgrenzungen der Schutzzonen erfolgen können.

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Nach Festlegung der Lärmschutzbereiche lassen sich unterschiedliche Fallkonstellationen nicht nur theoretisch unterscheiden, sondern auch praktisch festmachen: x Das bestehende Schutzniveau ist höher als das des FlugLSG – dann bleibt es bei diesem Niveau. x Das bestehende Schutzniveau ist höher als das des FlugLSG; es basiert aber nicht auf Genehmigungen, sondern auf freiwilligen Schutzprogrammen des Flughafens. Hier hat der Flughafenbetreiber die Möglichkeit, sein bisheriges Programm an die neuen Regelungen anzupassen. Verschlechterungen wären denkbar. x Das bestehende Schutzniveau ist niedriger als das des FlugLSG – dann muss der Flughafenbetreiber Anpassungen, zum Teil über ca. 7 Jahre, gestaffelt vornehmen. x Bei einer vollständig neuen Anlage eines Flughafens oder bei einer Neugenehmigung sind die Werte des Fluglärmschutzgesetzes zu beachten. Schwieriger zu bewerten sind folgende Fälle: Ein Flughafen wird durch den Neubau einer weiteren Start- und Landebahn wesentlich geändert, weist aber ein Schutzniveau auf, das höher als das des FlugLSG liegt. Durch die räumliche Überschneidung der Schutzzonen sind theoretisch eine Fülle von Fallkonstellationen möglich. Faktisch wird aber nur eine Frage zu beantworten sein: Ist es verhältnismäßig und zumutbar, Neubetroffene schlechter zu stellen als Altbetroffene, die in Zukunft von denselben Fluglärmereignissen gestört sein werden? Auch angesichts der wachsenden Lärmempfindlichkeit, die Lärmwirkungsforscher festgestellt haben, birgt diese Frage erheblichen Sprengstoff. Mit diesen Fallkonstellationen ist nur ein Bruchteil der auftretenden Fragestellungen angerissen, da der Gesetzgeber mit dem Begriff „weitergehende Regelungen“ größtmögliche Interpretationsspielräume eröffnet hat. Wenn an einem Flughafen die Lärmschutzkonzeption durch eine 100/100 Betrachtung gekennzeichnet ist, wird man diese wohl kaum bei einer wesentlichen Änderung durch eine 3 Sigma Betrachtung ersetzen können. Noch schwieriger wird es, wenn in Planfeststellungsbeschlüssen das innere Schutzniveau geregelt worden ist und dieses Schutzniveau dem äußeren Schutzzonenniveau des FlugLSG widerspricht. Wahrscheinlich wird man zunächst den Bestandsschutz der bestehenden Schutzgebietszonen bejahen müssen, um von einem gesicherten Rechtsrahmen ausgehend weitere Konsequenzen zu überlegen.33 ___________ 33 Wysk, Behördliches Einschreiten und individuelle Schutzansprüche gegen zugelassenen Luftverkehr, in: Ziekow, Aktuelle Fragen des Luftverkehrs-, Fachplanungsund Naturschutzrechts, 2006, S. 65.

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Diese Probleme würden in dieser Form nicht auftreten, wenn sich der Gesetzgeber an dem fortschrittlichen, durch Entscheidungen der Planfeststellungsbehörden gesetzten und durch Gerichte bestätigten Schutzniveau z.B. des Flughafens München orientiert und die anderen Verkehrsflughäfen stufenweise an dieses Schutzniveau herangeführt hätte. Durch die Definition eines mittleren Schutzniveaus und die Streckung der Finanzlast für einige wenige Verkehrsflughäfen, die bis zum Jahre 2010 ausgebaut werden, entstehen sehr unterschiedlich definierte Schutzniveaus, die zu regen Diskussionen Anlass geben werden. Das Ziel der Vereinheitlichung und der Rechtssicherheit wird in diesem Punkt vom Novellierungsvorhaben zweifellos nicht erfüllt.

VIII. Zumutbarkeitswerte bei Fluglärm Bleibt die entscheidende Frage für den „Normalfall“: Will der Gesetzgeber mit dem Fluglärmschutzgesetz den fachplanungsrechtlichen Zumutbarkeitsbegriff definieren und wo ist dieser zu verorten? Durch die typisierende Unterscheidung in Flughäfen der Kategorie Neubau / wesentliche Änderung, der Kategorie bauliche Erweiterung mit oder ohne Erhöhung der Lärmbelastung um 2 dB(A) und der Kategorie Bestandsflughäfen knüpft der Gesetzgeber am Vorsorgegedanken des Bundesimmissionsschutzgesetzes und die Wertung in jeweils unterschiedlichen Situationen (Verhältnismäßigkeit) an. Nach Auffassung des Gesetzgebers soll Nutzungskonflikten in der Umgebung von Verkehrsflughäfen durch eine vorausschauende Siedlungsplanung, die mit Bauverboten in der Tagschutzzone 1 und der Nachtschutzzone bzw. schalldämmender Bauweise in der Tagschutzzone 2 erreicht werden soll, vorgebeugt werden. Es wird ausgeführt: „Zwar treten auch in der Tag-Schutzzone 2 noch relevante Fluglärmbelastungen und Belästigungsreaktionen bei den Anwohnern auf, gleichwohl erscheint es nicht angezeigt, durch eine bundeseinheitliche Regelung den Neubau von Wohnungen in der Tag-Schutzzone 2 generell zu untersagen.“34 Eine Lärmproblematik und einen damit verbundenen Schutzbedarf bzw. Nutzungsbeschränkungen hat der Gesetzgeber in der gesamten Nachtschutzzone wie auch in den Tagschutzzonen 1 und 2 erkannt. Unzumutbarer Fluglärm tritt demnach in allen Schutzgebieten auf – allerdings belegt der Gesetzgeber jede einzelne Schutzzone mit differenzierten Rechtsfolgen: Um einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Lärmbetroffenen und den nicht unzumutbar finanziell zu belastenden Flughä___________ 34

Siehe Fn. 19, BT-Drs. 16/508 S. 16.

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fen zu finden,35 hat der Gesetzgeber nur in der Tagschutzzone 1 eine Erstattungspflicht für Schallschutzmaßnahmen durch den mittelbaren Lärmverursacher geregelt. Da im luftverkehrsrechtlichen Verfahren dem Flughafenbetreiber nach § 9 Abs. 2 die notwendigen Schutzvorkehrungen auferlegt werden, folgert Wysk36 im Umkehrschluss, dass ausschließlich die Werte der Tagschutzzone 1 als Zumutbarkeits- und damit als Grenzwerte für das luftverkehrsrechtliche Verfahren anzusehen seien, da nur diese einen Schutzanspruch auslösen würden. Dieser Auffassung ist hinsichtlich des Ergebnisses des an den Flughafenbetreiber gerichteten Schutzanspruchs – nicht aber hinsichtlich der Frage der Zumutbarkeitsschwelle – zuzustimmen. Unzumutbare Werte liegen auch in der Tagschutzzone 2 vor – hier trifft den Flugplatzbetreiber „nur“ die Pflicht, aktiven Schallschutz in Form von Betriebsbeschränkungen zu prüfen und im besonderen Fall vorzusehen. Abwägungsmaßstäbe – mit Ausnahme des grundsätzlichen Ziels, Verschlechterungen zu vermeiden – zeigt das Fluglärmschutzgesetz hier nicht auf – diese sind in den luftverkehrsrechtlichen Verfahren zu entwickeln. Leider klärt der Gesetzgeber uns nicht darüber auf, warum er den Eigentümer sowohl mit einer nachträglichen Schallschutzpflicht als auch mit einer Baubeschränkung in der Tagschutzzone mit dem Pegelwert 60 dB(A) – abhängig von den jeweiligen Kategorien – belegt und der Auffassung ist, dass dieses im Vergleich zu dem Kostenrahmen, den der Flughafenbetreiber zu erbringen hat, verhältnismäßig ist.37 Weil aber dem Gesetzgeber ein weiter Entscheidungsspielraum zukommt, wird hiergegen rechtlich nichts einzuwenden sein. Von der Luftfahrtseite wird deshalb aber erst recht Handlungsbereitschaft abzuverlangen sein, um Verschlechterungen der Lärmsituation in den Schutzzonen zu vermeiden. Ein typisierender Lärmausgleich, den das FlugLSG für den Normalfall bindend vorschreibt, wird nur dann möglich sein, wenn der Flugplatzbetreiber nachgewiesen hat, dass er aktive Schutzmaßnahmen geprüft hat, um vermeidbaren Lärm schon in der Entstehung zu bekämpfen. Die Abwägung aktiver und im Einzelfall auch passiver Schallschutzmaßnahmen durch den Flugplatzbetreiber kann bereits in der Tagschutzzone 2 erforderlich werden, zumal auch die betroffenen Grundstückseigentümer sich mit der Beeinträchtigung durch Fluglärm aktiv auseinandersetzen sollen. Unter bestimmten Bedingungen – z.B. wenn sich vorzugswürdige aktive Schutzmaß___________ 35

Siehe hierzu oben III. Wysk, Rechtliche Aspekte des neuen Fluglärmschutzgesetzes, Lärmbekämpfung Bd. 2 2007 Nr. 6, S. 248. 37 „Da die Flugplatzunternehmen bestrebt sein werden, die auf einen Zeitraum von etwa zehn Jahren verteilten Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen in wesentlichen Teilen an die Luftfahrtgesellschaften weiterzugeben, werden substanzielle Einnahmeausfälle nicht erwartet.“ BT-Drs. 16/508 S. 3. 36

Zur Entstehung und Auslegung des Fluglärmschutzgesetzes

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nahmen im konkreten Fall nicht durchsetzen lassen – sind zweifellos auch in der Schutzzone 2 quasi substituierend und nur mittelbar über die Zielfestlegungen des Gesetzes gerechtfertigt passive Schutzmaßnahmen vorzusehen. Dass Zumutbarkeitswerte nicht ohne die Würdigung des konkreten Flugbetriebes festgelegt werden können, soll an einem Beispiel erläutert werden: Am Verkehrsflughafen Hannover ist die direkte Nachbarschaft der neu errichteten Start- und Landebahn durch sehr umfangreiche Lärmschutzprogramme geschützt worden, während die Nachbarschaft der alten Start- und Landebahn ungeschützt geblieben ist. Eine Ausnutzung der Lärmwerte des Fluglärmschutzgesetzes wäre bezogen auf den Nachtflug auf der alten Bahn bis zu einer Zahl von 5 Flügen mit einem Pegel bis zu 72 dB(A) in jeder Nacht möglich, ohne dass überhaupt Schallschutzmaßnahmen erforderlich werden würden. Ein derartiges Handeln würde in mehrfacher Hinsicht unzumutbar sein, auch wenn der Flughafenbetreiber – im „Normalfall“ – nicht verpflichtet werden kann, passive Schutzvorkehrungen vorzusehen. Denn das inhaltliche Ziel des Fluglärmschutzgesetzes besteht nicht darin, möglichst jeden Flugverkehr für unbedenklich und für zumutbar zu erklären, der unterhalb der benannten Schwellenwerte, die allein Rechtsfolgen für den Flugplatzunternehmer auslösen, liegt. Dass Betroffene nicht allein mit passiven Schallschutzmaßnahmen befriedet werden können, sondern auch aktive Schallschutzmaßnahmen im Rahmen der fachplanungsrechtlichen Abwägung zu treffen sind, um unzumutbare Beeinträchtigungen auszuschließen, wird in der Gesetzesbegründung mehrfach betont. Erstaunlich ist, dass der Gesetzgeber gleichzeitig sehr stringent dahingehend beraten worden ist38, auf lärmmedizinische Gutachten in Zukunft zu verzichten und diese mit der Novellierung aus der LuftVZO zu streichen. Dieses Vorgehen deutet daraufhin, dass eine lärmmedizinische Betrachtung in Zukunft für luftverkehrsrechtliche Entscheidungen unerheblich sein soll und Luftverkehrsbehörden ohnehin nicht verpflichtet werden sollen, aktive Schallschutzmaßnahmen durch lärmmedizinische Untersuchungen begründen zu lassen. Auch wenn im Gesetzgebungsverfahren auf die Möglichkeit, lärmmedizinische Gutachten einzuholen, noch verwiesen wurde, liegt nunmehr ein Entwurf des Verkehrsministeriums vor, in dem lärmmedizinische Gutachten gänzlich gestrichen werden.39 ___________ 38 Hierauf verweist das BMVBW in einem Schreiben an die BVF vom 11.12.2007 konkret Bezug nehmend auf eine juristische Arbeitsgruppe, die den Gesetzgeber anlässlich der Novellierung beraten hat. 39 Der Verfasser sieht die Abschaffung lärmmedizinischer Gutachten mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Die z.T. unerträglichen Risikobetrachtungen einzelner Lärmmediziner würden entfallen – andererseits stellt sich die Frage, ob nicht gerade aufgrund der Anstrengungen beim Lärmschutz an der Quelle (Triebswerkbau,

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Es bleibt zu hoffen, dass aktive Maßnahmen mit diesen neuen Maßgaben nicht gänzlich unterbleiben bzw. nicht nur das Notwendigste veranlasst wird. Lärmmindernde Maßnahmen, wie sie nach dem Gemeinschaftsrecht im Rahmen der Lärmaktionsplanung vorgeschrieben sind, werden ab einem Dauerschallpegel tags von 55 dB(A) ohnehin zu prüfen sein und auch – wie Maßnahmen des ausgewogenen Ansatzes40 – angeordnet werden können. Rechtssystematisch bleibt es grundsätzlich bei der Struktur der Abwägung im Planfeststellungsverfahren und in der isolierten Betriebsgenehmigung. Das Fluglärmschutzgesetz ordnet sich dem luftverkehrsrechtlichen Verfahren unter bzw. setzt nur den Rahmen, ab dem Handlungserfordernisse bestehen können. Angereichert wird die bestehende Struktur allerdings in einem Punkt: Das Fluglärmschutzgesetz legt den Flugplatzbetreibern nahe, eine umfassende Lärmschutzkonzeption zu erstellen, die ausschließt, dass es zu einer Verschlechterung der Lärmsituation kommt. Man wird demnach in Zukunft bei sachkundiger Anwendung des neuen Gesetzes noch stärker im Rahmen der fachrechtlichen Abwägung Flugbetriebsfragen klären müssen, um die Duldungspflicht, die sich aus dem erhöhten Bestandsschutz planfestgestellter Flughäfen ergibt und grundsätzlich Ansprüche gegen den Betrieb ausschließt, rechtfertigen zu können. Rechtssystematisch könnte das neue Fluglärmschutzgesetz auch mit dem Luftverkehrsrecht derart verknüpft werden, dass in Zukunft Ansprüche gegen den planfestgestellten Betrieb gerechtfertigt sein könnten, wenn dieser Betrieb die Ziele und Grundsätze des Fluglärmschutzgesetzes verletzt.

IX. Siedlungsbeschränkungen und Bauverbote Die Errichtung von Wohngebäuden im direkten Umfeld von Flughäfen und das Heranwachsen von Siedlungsgebieten ist seit langem als einer der wesentlichen Missstände erkannt worden. Selbst die kommunalen Spitzenverbände wurden im Rahmen der Novellierungsdiskussion eingebunden und räumten ein, dass auch sie das Problem sehen. Die ersten Vorschläge mit einem sehr detaillierten – weil auch die privaten Eigentümer einbeziehenden Lösungsvorschlag – wurde seitens der Bundesvereinigung gegen Fluglärm erarbeitet. Hier wurden ___________ AIRBUS etc.) eine starke deutsche Lärmwirkungsforschung mit allen Facetten zu unterstützen wäre. Darüber hinaus kann nicht von jeder Planfeststellungs- und Luftfahrtbehörde verlangt werden, fremdsprachige Studien durchzuarbeiten. 40 Dass der ausgewogene Ansatz nur sehr begrenzt von den Verkehrsflughäfen umgesetzt worden ist, wird in dem Report from the Commission to the Council and the European Parlament „Noise Operation Restrictions at EU Airports“ COM (2008) 66 final dargelegt.

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auch Entschädigungsfragen gegenüber Kommunen und Eigentümern angesprochen und ein Ausgleich zwischen lärmvermeidendem Flughafen und lärmangepasster Siedlungskulisse entwickelt.41 Auf Initiative des Vorsitzenden des Rates der Sachverständigen für Umweltfragen fand eine Formulierung Eingang in den Referentenentwurf 2004, die sich mit dem sehr schwierigen Problem der Ausschöpfung vorhandener Baurechte knapp und qualifiziert auseinandersetzte: „Die Möglichkeit, Wohnungen in der Schutzzone 1 zu errichten, wenn im Zeitpunkt der Festsetzung des Lärmschutzbereiches ein Bebauungsplan oder die Gebietskategorie nach § 34 Baugesetzbuch dieses zulässt, erlischt entschädigungsfrei 7 Jahre nach Festsetzung des Lärmschutzbereiches.“ Mit dieser Formulierung wären auch die Bemühungen der Länder, Siedlungsbeschränkungen zu erlassen bzw. zu überwachen, gestärkt worden, da mit der Formulierung „Errichtung von Wohnungen“ alle planungsrechtlichen Kategorien erfasst worden wären. Hiergegen wandten sich die kommunalen Spitzenverbände erfolgreich, so dass es nunmehr sogar möglich sein wird, im Vergleich zum alten Fluglärmschutzgesetz erweiterte Siedlungsmöglichkeiten planungsrechtlich festzulegen. Es wird nicht nur das Bauverbot im § 34 BauGB und in vorhandenen Bebauungsplänen aufgehoben, sondern auch eine erweiterte Bauleitplanung ermöglicht. Von Bauverboten ausgenommen sind „Wohnungen im Geltungsbereich eines vor der Festsetzung des Lärmschutzbereiches bekannt gemachten Bebauungsplanes (und) …Wohnungen im Geltungsbereich eines nach der Festsetzung bekannt gemachten Bebauungsplanes, wenn dieser der Erhaltung, der Erneuerung, der Anpassung oder dem Umbau von vorhandenen Ortsteilen mit Wohnbebauung dient ...“. Mit Ausnahme des Wohnungsbaus auf der Grünen Wiese, der ohnehin weitergehender planungsrechtlicher Steuerung unterliegt, können unter diese Formulierungen nahezu alle Siedlungswünsche subsumiert werden. Das Vorgehen des Gesetzgebers widerspricht der langjährigen Praxis der Länder, die im Rahmen von Landesentwicklungs- oder Regionalplänen in der Vergangenheit alle Anstrengungen unternommen haben, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Immerhin sind in Bayern insbesondere auch am Verkehrsflughafen München, Siedlungsbeschränkungszonen mit dem Dauerschallpegel 58 dB(A) nach alter AzB (entsprechend ca. 55 dB(A) neue AzB) festgelegt worden. Ähnliche Zonen finden sich auch an anderen Verkehrsflughäfen (z.B. Berlin Schönefeld). Obwohl das FlugLSG Sonderregelungen in seinem § 13 Abs. 2 für zulässig erklärt, sollten diese Sonderregelungen nicht im Wider___________ 41 Siehe den Tagungsband der BVF vom 22. und 23.9.2004: Fluglärm, Aufgaben und Möglichkeiten für die Kommunen, Düsseldorf 2004; siehe auch Koch, Umweltprobleme des Luftverkehrs, Baden-Baden 2004, S. 243 ff.

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spruch zum Gesetz stehen. Nunmehr steht ein Bundesgesetz mehreren in der Praxis erprobten Landesgesetzen entgegen, ohne überhaupt begründet zu haben, auf welcher kompetenzrechtlichen Grundlage der Bundesgesetzgeber den Ländern ihre Planungshoheit streitig machen kann. Solange das Fluglärmschutzgesetz Gültigkeit hat, wird jeder Eigentümer mit diesem Gesetz argumentieren und erläutern, dass er ja nur auf bundesgesetzlicher Grundlage das verfolgt, was landesrechtlich nicht zulässig ist. Hier bedarf es entweder einer grundlegenden Rechtsentscheidung oder eines klaren Hinweises des Gesetzgebers, dass mit dem Gesetz keineswegs die Aufhebung der Siedlungsbeschränkungszonen beabsichtigt ist. Andernfalls wird das Heranrücken der Wohnbebauung die Folge sein. Flughafenbetreiber und Luftverkehrsbehörden müssen in den Abwägungen damit leben, dass sie mit einem ständig wachsenden Problem nicht nur faktisch zu tun haben, sondern auch rechtlich im Rahmen von Abwägungsentscheidungen damit umgehen müssen, dass der Gesetzgeber offensichtlich die Planungshoheit der Kommunen nicht zu Lasten der Flughäfen einschränken wollte. Alle mit Schallschutz genehmigten Wohnungen und nicht ausgeschöpften Baurechte sind bei Erweiterungen und Ausbauvorhaben zu berücksichtigen. Es kann somit – bei enger Auslegung, die die Luftfahrtseite ja andererseits beim Lärmschutz fordert – nicht entgegen dem Gesetz verlangt werden, dass die benachbarten Kommunen auf den Flughafen Rücksicht zu nehmen haben. Einen Kontrapunkt setzt in diesem Fall eine Initiative aus dem Frankfurter Raum. Der Vorsitzende der Fluglärmkommission, Jühe, hat in einem sehr interessanten Vorschlag (Anti-Lärm-Pakt Plus)42 zusätzliche Siedlungs- und Baubeschränkungen, Absiedlungen und Lärmschutzmaßnahmen, die mit Betriebsbeschränkungen des Flughafens korrelieren, unterbreitet. Diese freiwilligen Vorschläge verlassen in mehrfacher Hinsicht die gerade in diesem Punkt unzureichenden Regelungen des Fluglärmschutzgesetzes.

X. Abschließende und weitergehende Vorschriften Diesen Titel trug der jetzige §13 FlugLSG, der nunmehr schlicht mit „Sonstige Vorschriften“ überschrieben ist. Es ist insbesondere Interesse der Luftverkehrsseite gewesen, die Verknüpfung zwischen FlugLSG und LuftVG abschließend zu gestalten. Die ursprüngliche Formulierung (Entwurf 2006) lautete: „Dieses Gesetz regelt in der ab dem (Datum) geltenden Fassung für die Umgebung von Flugplätzen mit abschließender Wirkung auch für das Geneh___________ 42

Jühe, Das ALP + -Modell, Raunheim 2007, siehe www.fluglaerm-eppstein.de.

Zur Entstehung und Auslegung des Fluglärmschutzgesetzes

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migungsverfahren ... nach LuftVG … die Erstattung von Aufwendungen …“ (Hervorhebung durch Autor). Durch die Initiative der Regierungsfraktionen wurde dieser Passus wie folgt geändert: „Dieses Gesetz regelt in der ab dem 7. Juni 2007 geltenden Fassung für die Umgebung von Flugplätzen mit Wirkung auch für das Genehmigungsverfahren“ (Hervorhebung durch Autor). Zwar wird im neugefassten § 8 Abs. 1 LuftVG ein klarer Bezug zum Fluglärmschutzgesetz begründet und damit ein Unterschreiten der beachtlichen Werte des Fluglärmschutzgesetzes ausgeschlossen, allerdings bleibt offen, ob die Ziele des Gesetzes nicht auch durch weitergehende Regelungen und durch ein besseres Schutzniveau erreicht werden können. Dass der Gesetzgeber in diese Richtung gedacht hat, geht aus der Begründung43 des Gesetzes hervor: „Gerade weil den Anwohnern von Flughäfen im öffentlichen Interesse durch Fluglärm Lärmwirkungen zugemutet werden, muss geprüft werden, ob Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes notwendig sind oder besonders sensible Bevölkerungsteile besonders geschützt werden müssen.“ Hierauf Bezug nehmend hat das Bundesverwaltungsgericht44 ausgeführt, dass es keine Anhaltspunkte dafür sieht, „dass die Neuregelungen im Fluglärmschutzgesetz es der zuständigen Behörde bei der Festsetzung von Lärmschutzbereichen verwehren, diese Lärmgrenzwerte zum Schutz bestimmter Gruppen besonders schutzwürdiger Lärmbetroffener oder Einrichtungen zu unterschreiten.“ Wysk ist ebenso der Auffassung, dass atypische Problemlagen zu berücksichtigen seien, zumal das Gesetz ohnehin nur typische Regelungsmöglichkeiten beinhalte. Er hält es aber für vorzugswürdig, im Rahmen der fachplanungsrechtlichen Abwägung entsprechende Festlegungen zu treffen.45 Obwohl einige Luftfahrt- bzw. Planfeststellungsbehörden in ihren Begründungen weiterhin von „abschließenden Regelungen“ des Gesetzgebers sprechen,46 ist die Absicht des Gesetzgebers eindeutig. Er wollte den Beteiligten mehr Spielraum geben. Diese Intention wird noch verstärkt durch Ausführungen der Regierungsfraktionen in der Gesetzesbegründung, die sich allerdings hauptsächlich auf die Frage der Streckung der Durchführung von Maßnahmen bezieht: „Ein mehrjähriger Stillstand bei der Abwicklung sei dem Rechtsfrieden nicht zuträglich und entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers ... Zu diesem Zeitpunkt werde auch die Rechtsvereinheitlichung eine Rolle spielen, denn es sei davon auszugehen, dass auch in Zukunft Flugplatzbetreiber im Sinne des ___________ 43

Siehe Fn. 13, BT-Drs. Nr. 16/3813 S. 19. BVerwG, Beschluss des 4. Senats vom 13.9.2007 – 4 A 1008.07. 45 Wysk, Rechtliche Aspekte des Fluglärmschutzgesetzes, Lärmbekämpfung Bd. 2 (2007) S. 248. 46 Siehe hierzu Planfeststellungsunterlagen München www.fluglaerm-eppstein.de/ Andere/MUC/PFV/01_01_PFV_Antrag_3SLBahn.pdf, Planfeststellungsbeschluss Frankfurt (Fn. 23) und Planfeststellungsergänzung Berlin www.lubb-lbv.de. 44

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nachbarschaftlichen Friedens weiterhin freiwillige Leistungen des aktiven und passiven Lärmschutzes erbrächten. Die Fraktion der CDU/CSU erwarte dies insbesondere bei der Erstattung der Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen und der Entschädigung für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereiches für die sogenannten „Bestandsflugplätze“. 47 Hier gewinnt man den Eindruck, dass die klare Normensetzung, die das deutsche Verwaltungsrecht auszeichnet zugunsten angelsächsischer Zielbeschreibungen aufgeweitet wird. Offene Fragen, aber in der Praxis ohne den Gesetzgeber zu regelnde Fragen kann man Bezug nehmend auf den Aufsatz von Berkemann48 sagen. Abschließend sei auf Formulierungsvorschläge hingewiesen, die seitens des BMU vorgesehen waren, aber in der endgültigen Formulierung – durch wessen Einfluss auch immer – nicht aufgenommen wurden. Es handelt sich um die Frage der weitergehenden Entschädigungen – also um eine der Kernfragen, wenn man damit die offenen Punkte der Grundstückswertentschädigung identifizieren kann. Im § 13 Abs.1 lautete der ursprüngliche Satz 2, der ersatzlos wegfiel: „Aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls können in dem luftverkehrsrechtlichen Verfahren weitergehende Erstattungen auferlegt werden.“ Im Absatz desselben Paragrafen war im ersten Satz eingefügt: „Vorschriften, die weitergehende Planungsmaßnahmen zulassen oder weitergehende Entschädigungen gewähren bleiben unberührt.“ (Hervorhebung des Autors). Das BMU wollte offenkundig die eigentliche Lücke der Grundstücksentschädigung oder auch andere Möglichkeiten der Erstattung/Entschädigung kenntlich machen und darauf hinweisen, dass diese Kernthemen nicht abschließend im Fluglärmschutzgesetz behandelt worden sind. Obwohl im endgültigen Gesetzestext keine Aussagen zu finden sind, wird in der Begründung auf das Fortgefallene verwiesen: „...bedarf es keiner Erwähnung, dass im Übrigen Vorschriften, die weitergehende Entschädigungen gewähren, ebenfalls unberührt bleiben“.

XI. Fazit Eine abschließende Bewertung des Fluglärmschutzgesetzes ist nicht möglich, da erst nach der Festlegung des untergesetzlichen Regelwerkes eindeutige Aussagen zu treffen sind. Allerdings kann bereits jetzt gesagt werden, dass das ___________ 47 BT-Drs. 16/3813, Ausführungen der CDU- und SPD-Fraktion im Ausschussprotokoll S. 12, S. 14 (Fn. 13). 48 Berkemann, Fluglärm: Offene, aber zu lösende Rechtsfragen, ZUR 2002, S. 202 ff.

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Gesetz den formulierten Zielen nur zum Teil gerecht wird. Dieses Defizit ist nicht dem Bundesministerium für Umwelt anzulasten, das sich über Jahre einem enormen Druck unterschiedlicher Lobbyisten erwehren musste. Es ist dem BMU hoch anzurechnen, dass es dennoch in vielerlei Hinsicht wesentliche Entscheidungsgründe transparent dargestellt hat. Zwei Möglichkeiten des Umgangs mit dem Gesetz zeichnen sich ab: Die Werte der Tagschutzzone 1 und der Nachtschutzzone werden als verbindliche, starre Zumutbarkeitswerte angesehen. Angesichts der Reduktion der Schutzgebiete droht bei dieser Variante dem neuen Fluglärmschutzgesetz das Schicksal seines Vorgängers. Werden die Werte der Tagschutzzone 2 wie dargelegt als bedingte Zumutbarkeitswerte, die den Luftfahrt- und Immissionsschutzbehörden Interpretationsspielraum allerdings auch Entscheidungsspielräume einräumen, aufgefasst, kann das Fluglärmschutzgesetz zur Konfliktbewältigung beitragen.49 Voraussetzung für eine umfassende Konfliktbewältigung wird allerdings ein offener Dialog zwischen allen Beteiligten sein, da die Vielzahl der Verständigungsmöglichkeiten neben oder auch im gerichtlichen Verfahren50 noch gar nicht ausgelotet worden sind. Als vorbildlich ist in diesem Zusammenhang das Dialogverfahren im Frankfurter Raum zu bewerten, das zum Rechtsfrieden beitragen kann, wenn unabhängige und politisch mit Handlungsvollmachten ausgestattete Fachleute (siehe das Mediationsverfahren) zwischen den Interessen des Flughafenbetreibers, der Luftverkehrsgesellschaften, der betroffenen Kommunen und der Bürger weiterhin vermitteln.

___________ 49

Siehe hierzu auch Schmitz, Kommunales Lärmschutzkonzept zum Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main, in: Ziekow, Aktuelle Fragen des Luftverkehrs-, Fachplanungs- und Naturschutzrechts, 2007, S. 52 ff. 50 Zu Möglichkeiten und Grenzen siehe Ziekow, Mediation in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, S. 390 ff.

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Legende Karte 1: Planfeststellungsbeschluss Frankfurt Vergleich Lärmschutzzone IST / FlugLSG Tagschutzzone 1 Lärmschutzzone IST (6 x 75 dB (A) 100/100 neue AzB

mittel grau

Tagschutzzone 1 FlugLSG 60 dB (A)

hell grau

Überschneidung LSZ – IST mit Schutzzone FlugLSG

dunkel grau

Fazit: Tagschutzzone 1 60 dB(A) nach FlugLSG wird durch vorhandenes Schutzgebiet nicht vollständig abgedeckt!! Karte 2: Planfeststellungsbeschluss Frankfurt Lärmschutzzone IST (6 x 75 dB(A) 100/100 neue AzB

hell grau

Tagschutzzone 2 FlugLSG 55 dB(A

mittel grau

Karte 3: Verkehrsflughafen München Planfeststellungsantrag Kombiniertes Tag-Nachtschutzgebiet (identisch mit dem Siedlungsbeschränkungsgebiet (äußere Schutzzone) 60 dB(A) Tagschutzgebiet 1 nach FlugLSG neue AzB Weiteres Schutzgebiet (?) 52 dB(A)

mittel grau hell grau

schwarze Umringslinie

Karte 4: Verkehrsflughafen München Planfeststellungsantrag Vorhandenes kombiniertes Schutzgebiet 55 B(A) Tagschutzgebiet 2 nach FlugLSG neue AzB 56 Noch zu schützende Gebiete

dunkel grau hell grau mittel grau

Fazit: Trotz Ausbau (Hohe Steigerung der Bewegungszahlen) liegt das Schutzgebiet 2 des FlugLSG innerhalb des bestehenden Schutzgebietes

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Karte 1: Planfeststellungsbeschluss Frankfurt

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Karte 2: Planfeststellungsbeschluss Frankfurt

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Karte 3: Verkehrsflughafen München Planfeststellungsantrag

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Karte 4: Verkehrsflughafen München Planfeststellungsantrag

Aktuelle Entwicklungen des Luftverkehrsrechts im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Von Alexander Jannasch

I. Einleitung Während das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet der Fachplanung für die Bundesfernstraßen weiterhin Entscheidungen zu treffen hat, die den Neubau von Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen betreffen – wie beispielsweise die Westumfahrung von Halle1 oder die Autobahn bei HessischLichtenau2 – geht es bei den Flughäfen im Allgemeinen um die Erweiterung und den Ausbau von vorhandenen Anlagen. Die erstmalige Errichtung eines Flughafens auf der grünen Wiese – oder im grünen Erdinger Moos wie beim damals so genannten Flughafen München II – steht nicht an. Nachdem der Eiserne Vorhang aufgerissen worden war und Deutschland das im Grundgesetz verankerte Ziel seiner Wiedervereinigung erreicht hatte, wurde eine Reihe von bis dahin (und in einer nachfolgenden Zeit des Übergangs) militärisch genutzten Flughafenanlagen frei für eine zivile Nutzung. Auch andere teilungsbedingte Einschränkungen fielen weg. Westberliner dürfen ohne Passierschein und Zwangsumtausch nach Schönefeld fahren – und übrigens auch in das weiter südlich liegende Sperenberg. Aber beispielsweise dem früher unmittelbar an einer mit Waffen gesicherten Grenze liegenden Flughafen Lübeck öffnen sich ebenfalls neue Perspektiven. Billigflieger nutzen diesen Flughafen als Alternative zu Hamburg. Das Oberverwaltungsgericht in Schleswig3 und das Bundesverwaltungsgericht4 sind bereits mehrfach mit diesem Flughafen befasst worden.

___________ 1

BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1; die Entscheidungen des BVerwG sind auch unter www.bverwg.de abzurufen. 2 BVerwG, Urt. 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 –. 3 U.a. Beschl. vom 18.7.2005, NordÖR 2005, 377 = NuR 2006, 63. 4 Urt. vom 12.10.2006 – 4 C 12.04 – Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23.

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Mit diesen einleitenden Bemerkungen sollte keine den Speyerer Anforderungen an eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung genügende Studie zu den empirischen Ausgangsbedingungen für luftverkehrsrechtliche Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren vorgelegt werden. Vielmehr wollte ich nur holzschnittartig eine strukturelle Besonderheit hervorheben. Auf andere ist zurückzukommen.

II. Standortwahl und Alternativenprüfung Vor diesem Hintergrund sind in einem ersten Schritt Standortentscheidungen zu treffen. Dabei ist zu beachten, dass Flughäfen einerseits Bestandteil der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur sind, andererseits in einer privatrechtlichen Organisationsform betrieben werden. Wir haben es mit einem Vorhabenträger zu tun, dessen Planungen seinerseits mit den Entscheidungen der staatlichen Stellen in Einklang gebracht werden müssen. Dabei existiert weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene eine rechtsverbindliche Flughafennetz- und Bedarfsplanung, die auftretende Kapazitäts- und Verteilungsprobleme auf der Grundlage einer luftverkehrspolitischen Gesamtkonzeption löst und einen „Verteilungskampf“ der Flughafenbetreiber in geordnete Bahnen lenkt.5 Dies habe ich im vergangenen Jahr im Rahmen der 9. Speyerer Planungsrechtstage näher dargestellt.6 Somit stellt die Wahl eines Flughafenstandorts eine Entscheidung dar, die vorrangig auf der Ebene der Raumordnung zu treffen ist. Die Standortwahl hat weiträumige Auswirkungen auf die Siedlungs- und Freiraumstrukturen des Planungsraums und schafft Nutzungskonflikte, die in der Regel bereits auf der übergeordneten Ebene der Landesplanung ein öffentliches Planungsbedürfnis auslösen. Das gilt im Grundsatz nicht nur für einen internationalen7, sondern auch für einen regionalen Verkehrsflughafen.

___________ 5

BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261, 272 (Betriebsregelungen Flughafen München). 6 Jannasch, Raumordnung und Flughafenplanung, in: Ziekow (Hrsg.) Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungs- und Naturschutzrechts, 2008, S. 127 ff. 7 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116, Rn. 72 (Flughafen Berlin Schönefeld); hierzu jetzt BVerfG, Beschl. vom 20.2.2008 – 1 BvR 2722/06 –, 1 BvR 2389/06 u.a.; die erstinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG beruhte auf dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, vgl. hierzu Paetow, Erstinstanzliche Verfahren vor dem BVerwG, NVwZ 2007, 36.

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Im Fall des Flughafens Berlin-Schönefeld ist eine derartige Entscheidung auf der Ebene der Raumordnung getroffen worden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. März 2006 eingehend dargestellt.8 Beim Flughafen Leipzig/Halle hatte der Landesentwicklungsplan des Landes Sachsen als Ziel der Raumordnung bestimmt, dass dieser für den interkontinentalen Flugverkehr weiter auszubauen sei und die betrieblichen Voraussetzungen, insbesondere für den Luftfrachtverkehr, durch die Optimierung des Start- und Landebahnsystems und die Bereitstellung der erforderlichen Abfertigungseinrichtungen zu schaffen seien. Daraus folgt zwar nicht notwendig die Anlegung eines Parallelbahnsystems, wie es der Planfeststellungsbeschluss vorsieht. Darauf kommt es aber auch nicht an. Es genügt, dass die Verpflichtung zur Optimierung eine solche Konfiguration zulässt. Die Landesplanung kann sich – wie dies hier erfolgt ist – darauf beschränken, in Richtung auf die örtliche Planung Rahmenbedingungen zu schaffen und die weitere Konkretisierung nachfolgenden Planungen zu überlassen.9 Wenn – oder soweit – der Träger der Raumordnung seine Planungsbefugnisse nicht wahrgenommen und keine Standortentscheidung getroffen hat, ist es Sache der luftverkehrsrechtlichen Fachplanung, die Standortwahl des Vorhabenträgers zu überprüfen. Im Fall des regionalen Verkehrsflughafens Allgäu in Memmingen hat das Bundesverwaltungsgericht hierzu in seinem Urteil vom 13. Dezember 2007 hervorgehoben: Die Erteilung einer Änderungsgenehmigung für Konversionsvorhaben (nach § 8 Abs. 5 i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG) setzt nicht voraus, dass der ehemalige Militärflugplatz auf der Ebene der Landesplanung zielförmig als Standort eines regionalen Verkehrsflughafens festgelegt worden ist. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 LuftVG ist vor Erteilung der Genehmigung lediglich zu prüfen, ob die geplante Maßnahme den Erfordernissen der Raumordnung entspricht. Dagegen ist es nicht erforderlich, dass das Vorhaben an dem beantragten Standort positiv einem Ziel der Raumordnung entspricht.10 Im Hinblick auf die Besonderheiten bei derartigen Konversionsvorhaben ist auch kein Raumordnungsverfahren erforderlich.11 In anderen Fällen ist es Aufgabe des Raumordnungsverfahrens, die Übereinstimmung der fachplanungsrechtlich zu treffenden Entscheidung mit den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und Landesplanung sicherzustellen. ___________ 8

Vgl. hierzu auch Jannasch, Raumordnung und Flughafenplanung, a.a.O. BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 (Flughafen Leipzig/Halle). 10 BVerwG, Urt. vom 13.12.2007 – 4 C 9.06 – Rn. 66 (Flughafen Memmingen). 11 Urt. vom 13.12.2007 – 4 C 9.06 – Rn. 45. 9

Alexander Jannasch

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Auch auf der Ebene der Fachplanung erfordert eine sachgerechte Entscheidung über den Standort, an dem eine bestimmte näher umschriebene Aufgabe des Luftverkehrs wahrgenommen werden soll, eine Überprüfung anderer in Betracht kommender Standorte, an denen dieselbe Funktion ebenfalls erfüllt werden könnte. Hierzu zählen allerdings nicht diejenigen Alternativen, die in Wahrheit ein gänzlich anderes Projekt darstellen. Für die Abwägung kann aber durchaus von Gewicht sein, ob ein bestimmter Bedarf an Luftverkehrsdienstleistungen – beispielsweise von Nachtflügen – von anderen Flughäfen nachfragegerecht gedeckt werden könnte. Darauf hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in seinem Urteil zur Nachtflugregelung beim Flughafen München vom 20. April 2005 hingewiesen.12 Im Verfahren zum Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle zum Frachtdrehkreuz haben die Kläger eingewandt, andere Flughäfen – etwa Frankfurt am Main, Köln-Bonn oder Hahn – könnten diese Funktion übernehmen und böten sich dafür auch an. In seinem Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich offen gelassen, ob die Antragsteller bei der Untersuchung des Verkehrsbedarfs im Rahmen der Planrechtfertigung mit Aussicht auf Erfolg derartige Einwände vorbringen können, obwohl das von der Planfeststellungsbehörde zu überprüfende Vorhaben der von der Beigeladenen als Betreiberin beantragte Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle zu einem Drehkreuz des Frachtflugverkehrs ist.13 Denn im Planfeststellungsbeschluss war sorgfältig begründet worden, warum die als Alternativen in Betracht kommenden Flughäfen Frankfurt am Main, Köln-Bonn und Hahn als Standorte für ein Frachtdrehkreuz nicht offenkundig besser geeignet waren. Im Urteil vom 9. November 2006 zu Leipzig/Halle – also im Hauptsacheverfahren – bestand ebenfalls kein Anlass, diese Frage weiter zu vertiefen, da die Kläger der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses nicht substantiiert entgegengetreten waren.14 Mit der auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten interessanten Frage, ob sich das Land Sachsen bzw. die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt auf mögliche Kapazitäten für ein Frachtdrehkreuz der hier vorgesehenen Art in einem anderen Bundesland verweisen lassen müssen und unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten dies zu prüfen ist, brauchte sich das Bundesverwaltungsgericht nicht auseinanderzusetzen. Im Fall des regionalen Verkehrsflughafens Memmingen, mit dem das Bundesverwaltungsgericht im Dezember 2007 befasst war, bestand besonderer An___________ 12

Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – a.a.O. S. 272 f. BVerwG, Beschl. vom 19.5.2005 – BVerwG 4 VR 2000.05 – Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 22 S. 34 (Flughafen Leipzig/Halle). 14 Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – a.a.O. Rn. 59. 13

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lass, die Standortentscheidung zu überprüfen. Denn als Alternative kam die zivile Mitbenutzung des 70 km entfernten militärisch genutzten Flughafens Lagerlechfeld in Betracht. Diese Alternative hatte die Behörde jedoch nicht ernsthaft in Betracht gezogen und nicht abgewogen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs besteht zwischen beiden Flughäfen aufgrund der großen räumlichen Nähe und des nahezu identischen Nutzerkreises ein enger Zusammenhang; beide Flughäfen könnten nicht nebeneinander existieren. Daraus folgt: Die Genehmigungsbehörde hatte diese Alternative nach den Grundsätzen zum Abwägungsgebot zu ermitteln, zu bewerten und eine eigene Abwägungsentscheidung zu treffen. Das gilt – anders als im Raumordnungsverfahren (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 4 ROG) – unabhängig davon, ob der Vorhabenträger die Standortalternative in das Genehmigungsverfahren eingeführt hat. Von einer Alternative in diesem Sinne könnte allerdings nicht mehr gesprochen werden, wenn eine Variante auf ein anderes Projekt hinausliefe, weil die vom Vorhabenträger in zulässiger Weise verfolgten Ziele nicht mehr verwirklicht werden könnten.15 Die Errichtung eines Verkehrsflughafens auf dem Gelände eines ehemaligen Militärflugplatzes ist zwar an den Standort und in der Regel auch an einen bestimmten Vorhabenträger gebunden; die Neuanlage oder der Ausbau eines anderen Flughafens an anderer Stelle ist jedoch jedenfalls dann kein anderes Projekt, wenn beide Flughäfen im Wesentlichen denselben Verkehrsbedarf decken würden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht bezogen auf die Standorte Memmingerberg und Lagerlechfeld bejaht. Denn wie erwähnt liegen beide Flughäfen sehr nahe beieinander und haben einen nahezu identischen Nutzerkreis, so dass sie wirtschaftlich nicht nebeneinander existieren könnten. Die Eignung der beiden Standorte zu vergleichen, war hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil ein Antrag auf Genehmigung der zivilen Mitbenutzung von Lagerlechfeld noch nicht vorlag. Die Alternativenprüfung ist nicht darauf beschränkt zu prüfen, ob durch Zulassung eines Flughafens an einem anderen Standort der Bedarf und damit die planerische Rechtfertigung für das beantragte Vorhaben entfallen. Die Zulassungsbehörde hat – wenn und soweit dies nicht bereits auf der Ebene der Landesplanung geschehen ist – insgesamt zu ermitteln, welcher der ernsthaft in Betracht kommenden Standorte vorzugswürdig ist. Somit litt die planerische Abwägung im maßgebenden Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Genehmigung an einem Mangel bei der Alternativenprüfung, der in diesem Zeitpunkt erheblich, also offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss, gewesen ist. Daher war die Genehmigung rechtswidrig und hätte aufgehoben oder nach den Planerhaltungsvorschriften ___________ 15 Vgl. Beschl. vom 16.7.2007 – BVerwG 4 B 71.06 – Rn. 42; Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1, Rn. 143.

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(§ 10 Abs. 8 Satz 2 LuftVG) oder einem für das Fachplanungsrecht allgemein geltenden Grundsatz jedenfalls für rechtswidrig erklärt werden müssen – mit der Folge, dass sie bis zur Behebung des Mangels der Alternativenprüfung in einem ergänzenden Verfahren nicht vollziehbar gewesen wäre. Neue abwägungserhebliche tatsächliche Entwicklungen wären dann grundsätzlich im Rahmen des ergänzenden Verfahrens zu berücksichtigen. Hier aber hatte sich im Laufe des gerichtlichen Verfahrens herausgestellt, dass die zivile Mitbenutzung des militärisch weiter genutzten Flugplatzes Lagerlechfeld schlechterdings nicht finanzierbar war und ist. Dies ergab sich aus einem Spitzengespräch im Bundesministerium der Verteidigung. Damit war diese Planung nicht mehr realisierbar. Eine derartige Planung scheidet jedoch von vornherein aus, so dass die Prüfung dieses Standorts als Alternative nicht mehr in Betracht kommt und es keiner Abwägung mehr bedarf. Steht aufgrund neuer, nach der Beschlussfassung über die Genehmigung gewonnener Erkenntnisse fest, dass die Alternative, die auf der Grundlage des früheren Erkenntnisstandes in Betracht zu ziehen war, nicht realisierbar ist, hat sich die Alternativenprüfung mangels einer bestehenden Alternative nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich erledigt. Dass ein anderer Standort, der als Alternative nicht mehr in Betracht kommt, im Genehmigungsverfahren nicht geprüft wurde, beschwert die Kläger nicht. Auch der ursprünglich gegebene Anspruch auf Aufhebung oder jedenfalls Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigung hat sich durch die neuen, zum Wegfall der Alternative führenden Erkenntnisse erledigt. Die Entscheidung für einen bestimmten Standort und damit gegen einen Alternativstandort kann im Übrigen auch weitere Folgen nach sich ziehen. Wenn sich die Planfeststellungsbehörde für eine vergleichsweise stadtnahe Lösung ausspricht und darin einen besonderen Lagevorteil sieht, zugleich aber in Kauf nimmt, dass dadurch eine größere Zahl von Betroffenen erhebliche Lärmeinwirkungen hinzunehmen haben, kann dies bei der Abwägung zu berücksichtigen sein.16 Fragen der Standortwahl und der Alternativenprüfung stellen sich somit in dogmatischer Hinsicht auf mehreren Stufen der gerichtlichen Überprüfung eines Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahrens. In der Sache selbst ergeben sich Besonderheiten gegenüber linienförmigen Infrastrukturmaßnahmen, in erster Linie also Fernstraßen und Eisenbahnstrecken, durch die unterschiedliche Art der Inanspruchnahme von Raum sowie die weitergehenden Möglichkeiten, vorhandene Einrichtungen zu ändern und auszubauen.

___________ 16

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 283.

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III. Planrechtfertigung Auch wenn ich im Zusammenhang mit der Standortwahl dogmatisch betrachtet bereits auf Elemente der Abwägungskontrolle eingegangen bin, möchte ich die Stufe der Planrechtfertigung doch nicht überspringen. Die Planrechtfertigung ist ein ungeschriebenes Erfordernis jeder Fachplanung und eine Ausprägung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns, das mit Eingriffen in private Rechte verbunden ist. Das Erfordernis ist erfüllt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben gemessen an den Zielsetzungen des jeweiligen Fachplanungsgesetzes ein Bedarf besteht, die geplante Maßnahme unter diesem Blickwinkel also erforderlich ist. Das ist nicht erst bei Unausweichlichkeit des Vorhabens der Fall, sondern wenn es vernünftigerweise geboten ist. Damit verbinden sich zwei Voraussetzungen. Die erste ist erfüllt, wenn das Vorhaben den Zielen des Luftverkehrsgesetzes entspricht. Das ist das Erfordernis der fachplanerischen Zielkonformität. Die zweite Voraussetzung steht im Zusammenhang mit dem enteignenden Zugriff auf privates Grundeigentum, das für ein Ausbauvorhaben – wie am Standort Schönefeld – benötigt wird. Der Planfeststellungsbeschluss entfaltet enteignungsrechtliche Vorwirkung. Nach § 28 Abs. 2 LuftVG ist der festgestellte Plan dem Enteignungsverfahren zugrunde zu legen und für die Enteignungsbehörde bindend. Die mit dem Vorhaben verfolgten öffentlichen Interessen müssen daher generell geeignet sein, entgegenstehende Eigentumsrechte zu überwinden. Das folgt aus Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, der bestimmt, dass eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist. Erfüllt das planfestgestellte Vorhaben dieses Gemeinwohlerfordernis, steht die Zulässigkeit der Enteignung privater Grundstücksflächen dem Grunde nach fest.17 Auf der Stufe der Planrechtfertigung wirft das die Fragen auf, ob das konkrete Flughafenvorhaben den Zielsetzungen des Luftverkehrsgesetzes genügt und öffentlichen Interessen dient, die dem Grunde nach geeignet sind, das Gemeinwohlerfordernis des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG auszufüllen. Da beim Flughafen Berlin-Schönefeld auch enteignungsbetroffene Eigentümer geklagt hatten, waren beide Elemente der Planrechtfertigung zu prüfen. Das Urteil in der Hauptsache zum Flughafen Leipzig-Halle gab dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit, klarzustellen, dass die Planrechtfertigung im beschriebenen Sinne der Zielkonformität nicht nur zu prüfen ist, wenn Dritte für das planfestgestellte Vorhaben enteignet werden sollen, sondern auch dann, wenn sich Grundeigentümer gegen mittelbare Beeinträchtigungen durch das Vorhaben zur Wehr setzen. Denn auch in diesem Fall erfolgen Eingriffe in die Rechte der Betroffenen. Art. 14 Abs. 1 GG schützt den Eigentümer auch vor mittelbaren Beein___________ 17

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 182 f.

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trächtigungen seines Eigentums durch ein planfeststellungsbedürftiges Vorhaben. Auch derartige Eigentumsbeeinträchtigungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Ein mittelbar in seinem Eigentum betroffener Kläger kann deshalb geltend machen, dass für das beabsichtigte Vorhaben – gemessen an den Zielsetzungen des jeweiligen Fachplanungsgesetzes – kein Bedarf streitet. Nicht verlangen kann er freilich die Prüfung, ob die mit dem Vorhaben verfolgten öffentlichen Interessen generell geeignet sind, entgegenstehende Eigentumsrechte zu überwinden, d.h. insbesondere das Gemeinwohlerfordernis des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG auszufüllen. Die Planrechtfertigung erfordert mithin die Prüfung, ob das Vorhaben mit den Zielen des Gesetzes übereinstimmt (fachplanerische Zielkonformität) und ob das Vorhaben für sich in Anspruch nehmen kann, in der konkreten Situation erforderlich zu sein. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Fachplanungsrecht nicht erst bei Unausweichlichkeit des Vorhabens der Fall, sondern bereits dann, wenn es vernünftigerweise geboten ist.18 Im Beschluss vom 19. Mai 200519 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hatte das Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob die Planrechtfertigung auch zu prüfen ist, wenn die Planung zwar keine enteignungsrechtliche Vorwirkung entfaltet, aber andere Rechtspositionen der Antragsteller betroffen sind, noch offen gelassen.20 Auch im Fall des Flughafens Memmingen, wie erwähnt ein Konversionsvorhaben, spielte die Frage der Planrechtfertigung eine Rolle. Die zivile Nutzung eines ehemaligen Militärflugplatzes ist nur gerechtfertigt, wenn der vom künftigen zivilen Träger geltend gemachte Luftverkehrsbedarf besteht und die zivile Nutzung geeignet und vernünftigerweise geboten ist, diesen Bedarf zu decken.21 Die Anforderungen der Planrechtfertigung gelten im Übrigen auch für die Planfeststellung eines nur privaten Verkehrszecken dienenden Sonderflugplatzes.22 Darauf ist zurückzukommen.

___________ 18

BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – a.a.O. Rn. 33 f. m.w.N. BVerwG, Beschl. vom 19.5.2005 – 4 VR 2000.05 – a.a.O. S. 37. 20 Vgl. auch BVerwG, Beschl. vom 17.6.1998 – BVerwG 11 VR 9.97 – Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 14. 21 BVerwG, Urt. vom 13.12.2007 – 4 C 9.06 – Rn. 50. 22 Urt. vom 26.4.2007 – BVerwG 4 C 12.05 – BVerwGE 128, 358, Rn. 40 (Sonderflugplatz Hamburg-Finkenwerder). 19

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IV. Abwägung – Bedarf für Flugbetrieb Damit sind wir bei einem wichtigen Stichwort: Dem Bedarf. Hierzu möchte ich kurz auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. April 2005 eingehen, das die Neuregelung des Nachtflugbetriebs Flughafen München betraf.23 Mit dieser Regelung wurde die Zahl der Nachtflüge mit Hilfe einer in den Details relativ komplizierten Berechnungsweise deutlich erhöht. Hintergrund war, dass sich der Flughafen München zu einem maßgeblichen Umsteigerflughafen, also einem Hub, entwickelt hatte. Dabei ist von folgenden Rechtsgrundsätzen auszugehen: Lärmbetroffene haben keinen Rechtsanspruch auf Fortbestand der bisherigen Nachtflugregelung. Sie können lediglich beanspruchen, dass bei der Änderung der Regelung die Vorschriften und Grundsätze beachtet werden, die ihrem Schutz dienen. Dabei ist auch das Interesse der Betroffenen an der Erhaltung wesentlicher Bestandteile des bisherigen Lärmschutzkonzepts gegen das Interesse des Flughafenbetreibers an der beabsichtigten Änderung abzuwägen. Lärmbetroffene können ferner beanspruchen, dass ihre Lärmschutzbelange mit dem ihnen zustehenden Gewicht in die planerische Abwägung der Genehmigungsbehörde eingestellt und mit den für das Vorhaben angeführten öffentlichen Verkehrsbelangen in einen Ausgleich gebracht werden, der zur objektiven Gewichtigkeit ihrer Belange nicht außer Verhältnis steht.24 Setzen sie sich gegen eine erweiterte Nachtflugregelung zur Wehr, sind sie nicht auf den Einwand beschränkt, die Genehmigungsbehörde habe ihre Lärmbelastung nicht ordnungsgemäß ermittelt oder unterbewertet. Das Gewicht individueller Lärmschutzbelange und das Maß ihrer Zurückstellung stehen notwendig in einer Wechselbeziehung zu dem Gewicht der für die Neuregelung angeführten öffentlichen Verkehrsinteressen. Mit dem Gewicht der Lärmschutzbelange steigen die Anforderungen an die Darlegung des Verkehrsbedarfs, der eine Erweiterung der Nachtflugmöglichkeiten rechtfertigen soll. Je dringlicher ein bestimmter Nachtflugbedarf tatsächlich ist, desto bedeutsamer ist sein Gewicht im Rahmen der Abwägung. Umgekehrt gilt: Die Zulassung eines erhöhten Nachtflugbetriebs kann sich gegenüber Lärmbetroffenen als unverhältnismäßig erweisen, wenn die Genehmigungsbehörde den Nachtflugbedarf zu hoch angesetzt und überbewertet hat. Auch unter diesem Gesichtspunkt können Lärmbetroffene die gerichtliche Überprüfung einer erweiterten Nachtflugregelung beanspruchen. ___________ 23

Urt. vom 20.4.2005 – BVerwG 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261. BVerwG, Urt. vom 11.7.2001 – BVerwG 11 C 14.00 – BVerwGE 114, 364, 367 (Flugplatz Bitburg). 24

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Im Fall der geänderten Betriebsregelung für den Flughafen München war der Bayerische Verwaltungsgerichtshof25 einerseits im Rahmen der Überprüfung der fachplanerischen Abwägung zu dem Ergebnis gelangt, dem Beklagten könne jedenfalls nicht vorgeworfen werden, er habe „gänzlich am Bedarf vorbei geplant“. Andererseits führte er im Rahmen der Überprüfung anhand der Vorgaben des Regionalplans aus, die Luftverkehrsbehörde habe nicht erwogen, ob aus raumordnerischer Sicht eine maßvollere Erhöhung der Nachtflugbewegungen vorzuziehen gewesen wäre. Ein echter Konflikt zwischen den beteiligten Belangen, der eine so weitgehende Öffnung für den Nachtflugverkehr erzwungen oder auch nur nahe gelegt hätte, sei derzeit nämlich kaum erkennbar. Eine spätere Anpassung an einen etwa gestiegenen Nachtflugbedarf sei jederzeit unschwer möglich. Dies würde gewährleisten, dass eine Abwägung dann stattfinde, wenn ein Konflikt der Belange absehbar sei und nicht nur abstrakt vermutet werde. Auf die den Lärmschutz betreffenden Regelungen des Regionalplans könnten sich die Kläger jedoch nicht berufen, da dieser keine Schutzwirkung zu ihren Gunsten entfalte. Das Bundesverwaltungsgericht war als Revisionsgericht sowohl an die Auslegung des Landesrechts (Regionalplan) als auch die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs gebunden. Es hat das Urteil des Bayerischen VGH jedoch aufgehoben, weil dieser den eigenen erheblichen Bedenken an der Ausgewogenheit der neuen Nachtflugregelung, die er aus raumordnungsrechtlicher Sicht äußert, im Rahmen seiner vorangestellten „allgemeinen“ fachplanungsrechtlichen Abwägungskontrolle nicht auf den Grund gegangen ist.26 Einerseits gilt: Nachtflugbedarf kann sich nicht nur aus einer tatsächlichen, aktuell feststellbaren Nachfrage ergeben, sondern auch aus der Vorausschau künftiger Entwicklungen. Insoweit fließen Einschätzungen und Prognosen in die Planung ein. Nachtflugregelungen für einen Verkehrsflughafen dürfen zukunftsorientiert sein und es dem Flughafenbetreiber im Vorgriff auf künftige Entwicklungen ermöglichen, einer Bedarfslage gerecht zu werden, die zwar noch nicht eingetreten ist, aber bei vorausschauender Betrachtung in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann. Dabei ist zu bedenken, dass Verkehrsflughäfen von privatrechtlich organisierten Unternehmen betrieben werden, die als Anbieter von Flughafenleistungen in einem bundes- und europaweiten, teilweise auch globalen Wettbewerb stehen, in dem es nicht zuletzt um die Sicherung und Förderung von Wirtschaftsstandorten geht. Die Situation ist ferner dadurch gekennzeichnet, dass ___________ 25

Urt. vom 3.12.2002, BayVBl. 2003, 691. Vgl. inzwischen das Urt. des BayVGH vom 28.9.2006 – 8 A 05.40032 – sowie den Beschl. des BVerwG vom 22.2.2007 – BVerwG 4 B 2.07 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 74. 26

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eine rechtsverbindliche Flughafennetz- und Bedarfsplanung, die auftretende Kapazitäts- und Verteilungsprobleme auf der Grundlage einer luftverkehrspolitischen Gesamtkonzeption löst und einen „Verteilungskampf“ der Flughafenbetreiber in geordnete Bahnen lenkt, weder auf europäischer noch nationaler Ebene existiert.27 Unter diesen Rahmenbedingungen kann es einem Flughafenbetreiber nicht von vornherein verwehrt sein, bestehende Nachtflugmöglichkeiten zu erweitern, um sich für einen prognostizierten allgemeinen Anstieg der Nachfrage im Personen- und Frachtflugverkehr „zu rüsten“. Eine Genehmigungsbehörde verhält sich systemkonform, wenn sie über Nachtflugregelungen Einfluss auf die Angebots- und Nachfragestruktur im Luftverkehr nimmt und das Verkehrsangebot auf diese Weise voraussehbaren Entwicklungen anpasst. Andererseits nimmt die Dringlichkeit eines erweiterten „Nachtflugangebots“ in dem Maße ab, in dem die Bedarfsprognose weiter in die Zukunft greift und es zunehmend unsicherer wird, ob und wann das zulässige Lärmvolumen erreicht wird. Vorkehrungen zur Deckung eines ungesicherten Bedarfs sind nicht dringlich. Eine Nachtflugregelung, die im Vorgriff auf einen noch nicht absehbaren Bedarf erlassen wird, ist vorzeitig und kann als reine „Vorratsplanung“ abwägungsfehlerhaft sein. Ein solcher Abwägungsfehler ist nicht davon abhängig, dass ein Raumordnungsplan Lärmschutzvorgaben für die Flughafenumgebung enthält. Der Gesichtspunkt der Vorzeitigkeit einer planerischen Entscheidung verlangt vielmehr schon nach allgemeinen fachplanungsrechtlichen Grundsätzen Beachtung. Die Lockerung von Nachtflugverboten kann das Abwägungsgebot verletzen, weil der Nachtflugbedarf noch nicht konkret absehbar ist und der möglicherweise in Zukunft einmal entstehende Lärmkonflikt im Wege der Abwägung gegenwärtig nicht so bewältigt werden kann, wie dies möglich wäre und geboten sein könnte, wenn die Abwägungsentscheidung erst zu gegebener Zeit auf der Grundlage der dann maßgebenden abwägungserheblichen Gesichtspunkte getroffen würde. Den Betroffenen kann nicht entgegengehalten werden, solange die erweiterten Nachtflugmöglichkeiten nicht voll ausgeschöpft werden, bleibe ihre tatsächliche Beeinträchtigung hinter der Lärmbelastung im genehmigten Endzustand zurück. Denn die Betroffenen setzen sich mit ihrer Klage nicht gegen das derzeitige Bewegungsaufkommen, sondern gegen die Öffnung des Nachtflugverkehrs im genehmigten Umfang zur Wehr. Diesen Angriff müssen sie bei Erlass der Änderungsgenehmigung führen, um den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern. Ihre Rechtsstellung verschlechtert sich nämlich erheblich, wenn sie bis zu dem Zeitpunkt abwarten, in dem sich die Verkehrsprognose der Genehmigungsbehörde – sei es im Prognosejahr oder bereits vorher – erfüllt und die ___________ 27

Vgl. hierzu Jannasch, Raumordnung und Flughafenplanung a.a.O.

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volle Lärmbelastung eingetreten ist. Das Lärmschutzkonzept bestandskräftiger Nachtflugregelungen, die in Form einer allgemeinen Auflage (§ 6 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 4 Satz 1 LuftVG) ergangen sind, kann später nur in beschränktem Umfang mit der Begründung angegriffen werden, es habe sich etwa aufgrund gewandelter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, veränderter Fluglärmpegel (z.B. Anstieg der Bewegungszahlen bei Rückgang besonders lauter Schallereignisse) oder infolge neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung als unzureichend erwiesen. Sehr verkürzt ausgedrückt: Es kommt also nicht nur darauf an, dass irgendwann einmal ein Bedarf bestehen kann. Vielmehr muss dieser Bedarf bereits jetzt durch eine sachgerechte Prognose belegt werden können. Im Übrigen gilt: Je gewichtiger die Lärmschutzinteressen sind, die nach den konkreten örtlichen Verhältnissen auf dem Spiel stehen, desto dringlicher muss der Verkehrsbedarf sein, der als Rechtfertigung für weithin uneingeschränkte Nachtflugmöglichkeiten dient.28 In Anwendung dieser Grundsätze hat das Bundesverwaltungsgericht als Tatsacheninstanz im Verfahren zum Flughafen Berlin-Schönefeld den Planfeststellungsbeschluss beanstandet, soweit er bestimmten Nachflugverkehr ermöglichen wollte. Insbesondere hinsichtlich des angeführten nächtlichen Frachtverkehrs erhob die Planfeststellungsbehörde selbst nicht den Anspruch, einer tatsächlichen, aktuell feststellbaren Nachfrage Rechnung zu tragen. Der Planfeststellungsbeschluss traf auch keine Vorsorge für eine Bedarfslage, die zwar noch nicht eingetreten war, aber bei vorausschauender Betrachtung in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit erwartet werden konnte.29 Auf die weiteren Einzelheiten ist hier nicht einzugehen. Die zuständige Planfeststellungsbehörde ist gegenwärtig mit dem ergänzenden Verfahren beschäftigt.30 Beim Flughafen Leipzig/Halle bestand die Besonderheit, dass alleine der Passagierverkehr das Vorhaben nicht gerechtfertigt hätte. Insbesondere ist dort der Neubau der sanierungsbedürftigen Südbahn vorgesehen; sie wird durch Drehung um einen Winkel von 20° gegen den Uhrzeigersinn parallel zur Nordbahn ausgerichtet und auf 3.600 m verlängert. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber im Rahmen der Prüfung der Planrechtfertigung des Vorhabens die Prognose, dass eine Nachfrage für nächtlichen Frachtflugverkehr besteht, nicht beanstandet. Schon zum Zeitpunkt des Urteils hatte sich diese Prognose im Üb-

___________ 28 Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 279; Urt. vom 20.4.2005 – BVerwG 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261, 268. 29 Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 282. 30 Weitere Informationen können auf der Internetseite des Ministeriums für Infrastruktur und Raumordnung Brandenburg www.mir.brandenburg.de abgerufen werden.

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rigen als zutreffend herausgestellt; die DHL betreibt an diesem Standort ihr Frachtdrehkreuz. Auch im Fall des Flughafens Memmingen hat das Bundesverwaltungsgericht diese Grundsätze wiederholt und erneut herangezogen. Dort war die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, der sich auf entsprechende Bedarfsprognosen stützte, aus der Sicht des Revisionsgerichts nicht zu beanstanden.31 Zur Klarstellung sei noch hervorgehoben: Es ist in diesem Zusammenhang nicht Aufgabe der Gerichte zu überprüfen, ob die Nachfrage nach Nachtflugmöglichkeiten einem berechtigten Anliegen der Flugreisenden oder der Frachtdienstleister und ihrer Kunden entspringt. Eine Bedürfnisprüfung in diesem Sinne, hinsichtlich nächtlicher „Touristikflüge bzw. Pauschalreiseflüge“ oder hinsichtlich der Frage, ob den von der Nachtfluggenehmigung Begünstigten längere Transportzeiten zugemutet werden können, die sich bei einer Verlegung der Nachtflüge in die Tagesrandzeiten oder einer Güterbeförderung auf der Straße oder der Schiene ergäben, findet nicht statt.32

V. Prüfungsmaßstäbe bei wesentlicher Änderung eines Flughafens Änderungen eines Flughafens, die nicht von unwesentlicher Bedeutung sind (vgl. § 8 Abs. 3 LuftVG), bedürfen der Planfeststellung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG). Eine Änderung der Bahnkonfiguration stellt eine wesentliche Änderung dar. Richtung und Länge der Start- und Landebahnen, die in der Genehmigungsurkunde enthalten sein müssen (§ 42 Abs. 2 Nr. 5 LuftVZO), bestimmen maßgebend die Funktion und die Kapazität des Flughafens und das Ausmaß der Beeinträchtigungen Dritter. Wenn auch nur eine Bahn gedreht oder verlängert wird, muss im Planfeststellungsverfahren über den Betrieb und insbesondere die Betriebszeiten nicht nur der geänderten Bahn, sondern des Flughafens insgesamt neu entschieden werden. Altbestand und Änderung können – insbesondere auch mit Blick auf den gebotenen Lärmschutz – nicht isoliert voneinander beurteilt werden. Vielmehr steht das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Gestalt auf dem Prüfstand. Gegebenenfalls ist die luftrechtliche Genehmigung für den Altbestand nach § 6 Abs. 4 LuftVG zu ändern.33 Ein Bestandsschutz für einen Teil des Flughafens besteht also nicht. ___________ 31

Urt. vom 13.12.2007 – 4 C 9.06 – Rn 51. Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – a.a.O. S. 275; Beschl. vom 19.5.2005 – BVerwG 4 VR 2000.05 – a.a.O. S. 44. 33 Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 285; Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – a.a.O. Rn. 70. 32

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Diese Fragestellung spielte sowohl für den Flughafen Berlin-Schönefeld als auch den Flughafen Leipzig-Halle eine wichtige Rolle. Denn in beiden Fällen bestand eine Genehmigung für unbeschränkten Nachtflugbetrieb für eine Startund Landebahn, während die zweite Bahn entweder völlig neu oder in geänderter Form errichtet werden sollte.

VI. Nächtliche Betriebsbeschränkungen Anders als bei Straßen und Eisenbahnen kann den Lärmbelastungen des Luftverkehrs kaum mit aktiven Maßnahmen im herkömmlichen Sinn, also Schallschutzwällen und Wänden, begegnet werden. Dagegen kommen Betriebsregelungen in Betracht. Die Luftverkehrsbehörden haben bei ihren Entscheidungen § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG zu beachten, wonach auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen ist. Auch im Luftverkehrsrecht sind dem Unternehmer – nach § 9 Abs. 2 LuftVG – die Errichtung und Unterhaltung der Anlagen aufzuerlegen, die für das öffentliche Wohl oder zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder Nachteile notwendig sind. Die Regelung verpflichtet somit den Betreiber eines Flughafens, Anlagen des passiven Schallschutzes vorzusehen. In erster Linie werden Entschädigungszahlungen an die Eigentümer der in einem entsprechenden Schutzgebiet liegenden Grundstücke angeordnet. Über die dabei zugrunde zu legenden Maßstäbe und Zumutbarkeitsgrenzen wird heftig gestritten. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Regelungen des neuen Fluglärmgesetzes im Einzelnen auswirken. Auf die Einzelheiten kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.34 Mit dieser Zumutbarkeitsschwelle schreibt der Gesetzgeber aber lediglich eine äußerste, mit einer gerechten Abwägung nicht mehr überwindbare, Grenze fest. Um den Anforderungen des Abwägungsgebots zu genügen, reicht es nicht aus, allein dafür Sorge zu tragen, dass diese Schwelle nicht überschritten wird. Den Lärmschutzinteressen der Anwohner ist im Rahmen der Abwägungsentscheidung unabhängig davon Rechnung zu tragen, ob die Lärmbelastung durch das Qualifikationsmerkmal absoluter Unzumutbarkeit gekennzeichnet ist. Von der planerischen Gestaltungsfreiheit unterhalb dieser Zumutbarkeitsschwelle ___________ 34 Vgl. hierzu eingehend das Urteil vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 247 ff. sowie (zum DLR-Konzept) das Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – a.a.O. Rn. 65 ff.; zum Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 1. Juni 2007, BGBl. I S. 986 sowie BGBl. I S. 2550 (Neufassung des FluglärmG) s. die Beiträge von Brüggemann und Bock in diesem Band.

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mit umfasst sind insbesondere Erwägungen über ein Nachtflugverbot oder sonstige nächtliche Betriebsbeschränkungen.35 Den Nachtschutz ausschließlich oder im Wesentlichen auf Maßnahmen des passiven Lärmschutzes zu beschränken, ist rechtlich nicht von vornherein unzulässig. Macht der Planungsträger von seiner Gestaltungsfreiheit in diesem Sinne Gebrauch, so hat er allerdings der bereits genannten Regelung in § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG Rechnung zu tragen. Diese Vorschrift, für die es im sonstigen Verkehrswegeplanungsrecht nichts Vergleichbares gibt, erlegt nicht zuletzt der Zulassungsbehörde im luftrechtlichen Planfeststellungsverfahren die Verpflichtung auf, auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Sie hat die Qualität einer Gewichtungsvorgabe. Nutzt der Planungsträger seine Gestaltungsfreiheit so, dass er von Nachtflugbeschränkungen weithin absieht, so bedarf die Zurückdrängung des Lärmschutzinteresses der Nachbarschaft vor dem Hintergrund der Anforderungen des § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG gesteigerter Rechtfertigung.36 Im Fall des Flughafens Berlin-Schönefeld gelangte das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, die Planfeststellungsbehörde habe keinen standortspezifischen Nachtflugbedarf aufgezeigt, der im Unterschied zur Mehrzahl der anderen deutschen Flughäfen einen unbeschränkten Nachtflugbetrieb zu rechtfertigen geeignet sei.37 Das Nachtlärmschutzkonzept der Planfeststellungsbehörde erweise sich als unausgewogen. Es beruhe – jedenfalls zu dem hier maßgebenden Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses – auf einer Überbewertung der für und einer Unterbewertung der gegen die Planung sprechenden Gesichtspunkte, die durch die planerische Gestaltungsfreiheit nicht mehr gedeckt werde. Das gelte vor allem für die besonders schutzbedürftige nächtliche Kernzeit von 0:00 bis 5:00 Uhr.38 Nach der Darstellung der Planfeststellungsbehörde diene die Nachtflugregelung, die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegt, dazu, neben dem Linienverkehr vor allem dem Charter- und dem Touristikverkehr optimale Entfaltungsmöglichkeiten während der gesamten Nachtzeit zu bieten. Etwaige Besonderheiten, die es rechtfertigen könnten, die Betreiber- und die Nutzerinteressen auf Kosten der Lärmschutzbelange der Anwohner in ungleich stärkerem Umfang zu fördern, als dies auf anderen deutschen Flughäfen üblich ist, zeige sie nicht einmal ansatzweise auf.39 ___________ 35 36 37 38 39

Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 268. Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 269. Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 271. Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 280. Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 281.

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Auch die Durchführung eines Flugbetriebs in den Nachtrandstunden von 22:00 bis 24:00 Uhr und von 5:00 bis 6:00 Uhr bedarf im Rahmen der Abwägung des für einen solchen Betrieb sprechenden öffentlichen Verkehrsinteresses mit den gegenläufigen Lärmschutzinteressen der Anwohner im Hinblick auf die Gewichtungsvorgabe in § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG einer besonderen Begründung. Ein pauschaler Hinweis auf einen nicht näher dargelegten Verkehrsbedarf würde den Anforderungen des Abwägungsgebots von vornherein nicht gerecht werden. Starts und Landungen dürfen also nicht ohne erkennbare Notwendigkeit gerade in diesen Zeitraum – und damit außerhalb der unter Lärmgesichtspunkten weniger problematischen Tagesstunden – gelegt werden. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass der Lärmschutz in den Nachtrandstunden und hier insbesondere in der Zeit zwischen 22:00 und 23:00 Uhr nicht dasselbe hohe Gewicht wie für den Zeitraum zwischen 0:00 und 5:00 Uhr besitzt. Daraus folgt, dass sich plausibel nachgewiesene sachliche Gründe, weshalb ein bestimmter Verkehrsbedarf oder ein bestimmtes Verkehrssegment nicht befriedigend innerhalb der Tagesstunden abgewickelt werden kann, im Zuge der Abwägung gegen die Belange des Lärmschutzes durchsetzen können. Die entsprechenden Regelungen für den Flughafen Berlin-Tegel, durch dessen Betrieb eine noch größere Anzahl von Anwohnern als in Berlin-Schönefeld betroffen ist, sind ein Beispiel hierfür. Solche für die Nutzung der Nachtrandzeiten sprechenden Gründe können sich z. B. – wie bei vergleichbaren internationalen Verkehrsflughäfen auch – aus den Erfordernissen einer effektiven Flugzeug-Umlaufplanung, aus den Besonderheiten des Interkontinentalverkehrs (Verspätungen, Verfrühungen) oder aus dem Umstand ergeben, dass der Flughafen als Heimatflughafen oder Wartungsschwerpunkt von Fluggesellschaften deren Bedürfnisse nachvollziehbar nicht ausschließlich in den Tageszeiten abdecken kann. All dies müsste in einer etwaigen neuen Regelung des nächtlichen Flugbetriebs belastbar dargelegt und in ein ausgewogenes Verhältnis zu den berechtigten Lärmschutzbelangen der Anwohner gebracht werden. Dabei ist dem Lärmschutz ein umso höheres Gewicht beizumessen, je näher die zuzulassenden Flugbewegungen zeitlich an den Kernzeitraum von 0:00 bis 5:00 Uhr heranrücken würden.40 Die Planfeststellungsbehörde erarbeitet zurzeit eine Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses. Dem Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Leipzig-Halle liegt ein anderes Konzept zugrunde. Der Flughafen soll zu einem Drehkreuz – Hub – für den Frachtverkehr umgebaut werden. Dies rechtfertigt den Ausbau mit zwei parallel verlaufenden Start- und Landebahnen.41 Das öffentliche Verkehrsinte___________ 40 41

Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – a.a.O. Rn. 288. Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – a.a.O. Rn. 40 ff.

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resse an der Schaffung von Kapazitäten für den Expressfrachtverkehr ist zu bejahen.42 Es setzt sich in der Abwägung gegenüber dem gegenläufigen Interesse der Flughafenanwohner am Schutz der Nachtruhe durch.43 Wegen des für den Expressfrachtverkehr besonders wichtigen Nachtsprungs kommt es zu Spitzenbelastungen zwischen 0:00 und 1:30 Uhr durch Anflüge und zwischen 4:00 Uhr und 5:30 Uhr durch Abflüge. Das Bundesverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Planfeststellungsbeschluss mit dem Abwägungsgebot vereinbar ist, soweit es um Flüge zum Transport von Expressgut geht. Insoweit können die Anwohner keine weiteren Einschränkungen verlangen.44 Dagegen sprengt es den Rahmen planerischer Gestaltungsfreiheit, die Betroffenen auch noch zusätzlich und schrankenlos den anderen Verkehren auszusetzen, ohne dass sich gewichtige Gründe dafür ins Feld führen lassen, dass diese Verkehre ebenfalls in der Nacht abgewickelt werden müssen. Dies bezieht sich auf Frachtverkehr, der nicht Expressverkehr ist, sowie Passagierverkehr. Insoweit ist kein standortspezifischer Nachtflugbedarf zu erkennen, der im Unterschied zur Mehrzahl der anderen deutschen Flughäfen einen unbeschränkten Nachtflugbetrieb zu rechtfertigen geeignet ist. Das besondere Gewicht der Lärmschutzbelange ergibt sich in diesem Fall nicht aus der – hier eher geringen – Zahl der Betroffenen sondern daraus, dass den Lärmbetroffenen durch den Expressfrachtgutverkehr schon eine massive Beeinträchtigung ihrer Nachtruhe zugemutet wird.45 Das Regierungspräsidium Leipzig hat inzwischen einen ergänzenden Planfeststellungsbeschluss erlassen,46 gegen den wiederum Klagen erhoben worden sind und über die das Bundesverwaltungsgericht erst noch zu entscheiden hat. Zu berichten ist allerdings von einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Mit Beschluss vom 1. November 2007 hat das Bundesverwaltungsgericht Anträge von Fluggesellschaften auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.47 Diese hatten sich unter anderem darauf berufen, dass die Touristen nachts ab- und anreisen wollten, um schon morgens im Urlaubsgebiet eintreffen zu können und dort erst spät abends abfliegen zu müssen.48 Einen derartigen Verkehrsbedarf hat die Planfeststellungsbehörde durchaus anerkannt. Im Rahmen ihrer Abwägung hat sie das entsprechende Verkehrsinteresse allerdings als nachrangig angesehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag ___________ 42 43 44 45 46 47 48

Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – a.a.O. Rn. 54. Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – a.a.O. Rn. 55. Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – a.a.O. Rn. 68. Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – a.a.O. Rn. 71. Beschl. vom 27.6.2007. Beschl. vom 1.11.2007 – BVerwG 4 VR 3000.07 – Buchholz 442.40 § 8 LuftVG. Im Einzelnen: Rn. 15.

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einer Fluggesellschaft auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und hervorgehoben, ein allgemeines Bedürfnis nach Durchführung gewerblichen Passagierflugverkehrs in der Nachtkernzeit sei nicht geeignet, sich über das Interesse von Flughafenanwohnern am Schutz der Nachtruhe hinwegzusetzen, wenn ihnen schon durch Frachtflugverkehr, der auf die Nachtstunden angewiesen ist, eine massive Beeinträchtigung ihrer Nachtruhe zugemutet wird. Dieses partielle Nachtflugverbot steht auch im Einklang mit der im Rahmen der Liberalisierung des Luftverkehrs in der Europäischen Gemeinschaft ergangenen VO (EWG) Nr. 2408/92 – Streckenzugangsverordnung – vom 23. Juli 1992 sowie der den ausgewogenen Ansatz (balanced approach) vorsehenden Richtlinie 2002/30/EG – Betriebsbeschränkungsrichtlinie –. Dieses Verfahren verdeutlicht erneut die vielfältige multipolare Interessenlage: Die Planfeststellungsbehörde hat es nicht nur mit dem Vorhabenträger und den sich gegen das Vorhaben wendenden Nachbarn und Einwendern (im weitesten Sinn: einschließlich der Gemeinden und Verbände), sondern auch mit den Luftverkehrsgesellschaften zu tun, die sich ebenfalls auf eigene Rechte stützen können und daher klagebefugt sind.

VII. Stilllegung eines Flughafens Die Belange der flughafenansässigen Luftfahrtunternehmen spielten auch eine Rolle bei dem eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zur Stilllegung des Flughafens BerlinTempelhof vom 29. November 2007.49 Die Schließung dieses Flughafens beschäftigt zurzeit die Berliner Landespolitik. Darauf ist hier nicht einzugehen. Auch in diesem Verfahren spielen Fluggesellschaften eine besondere Rolle. Allerdings eher kleinere, die sich auf Spezialverkehre konzentrieren. Mehrere Fluggesellschaften hatten gegen den Widerruf der (im Hinblick auf den Status Berlins gesetzlich fingierten) Betriebsgenehmigung für den Flughafen Tempelhof mit Wirkung zum 31. Oktober 2008 geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat ihre Klage abgewiesen.50 Im Rahmen der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde hatte sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Frage zu befassen, auf welche Rechtsgrundlage eine derartige Schließung eines Flughafens, den der Unternehmer nicht mehr betreiben will, zu stützen ist. Dabei kann zugunsten der Klägerinnen unterstellt werden, dass der Widerruf einer luftrechtlichen Betriebsgenehmigung auf Antrag des Flug___________ 49 50

Beschl. vom 29.11.2007 – BVerwG 4 B 22.07 – Buchholz 442.40 § 6 LuftVG. Urt. vom 12.2.2007 – OVG 12 A 2.05 – ZUR 2007, 251.

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hafenunternehmers einer Ermächtigungsgrundlage bedarf. Denn das Bundesverwaltungsgericht fand eine solche in § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG. Danach ist die Änderung einer luftrechtlichen Genehmigung erforderlich, wenn die Anlage oder der Betrieb eines Flugplatzes wesentlich erweitert oder geändert werden soll. Die Stilllegung des Betriebs eines Flugplatzes lässt sich als dessen weitestgehende Änderung verstehen. Eine Änderung im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG ist immer dann zu bejahen, wenn der Betrieb in seiner bisherigen Form nicht mehr fortgesetzt werden soll. Das ist nicht nur der Fall bei beabsichtigten Beschränkungen des Flugbetriebs, z. B. durch Reduzierung der Kapazität der Anlagen oder Verringerung des Flugbetriebs durch „Streichung“ einer Flugzeugart, sondern auch und in gleicher Weise, wenn der Betrieb ganz aufgegeben werden soll. Der Gegenauffassung, die Stilllegung eines Flughafens sei keine Änderung seines Betriebs, weil eine Änderung voraussetze, dass auch nach der Änderung eine Flughafenanlage fortbestehe und betrieben werde, konnte sich der Senat nicht anschließen. Vielmehr umfasst der Begriff der Änderung jede Abweichung vom genehmigungsrechtlich festgelegten Bestand.51 Dieses Ergebnis wird auch der Interessenlage gerecht: Ermöglichte § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG den vollständigen Widerruf einer Betriebsgenehmigung nicht, wäre der Flughafenunternehmer gezwungen, den Flughafen auf Dauer offen zu halten; denn die Betriebsgenehmigung verpflichtet ihn, den Flughafen in betriebssicherem Zustand zu erhalten und zu betreiben (§ 45 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO). Dies liegt nicht in der Absicht des Gesetzgebers. Da die Betriebsgenehmigung nicht nur Unternehmergenehmigung, sondern auch Planungsentscheidung ist, sind auch bei ihrer Aufhebung die abwägungserheblichen Belange der von der Maßnahme Betroffenen zu ermitteln und die widerstreitenden Interessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszugleichen.52 Zu den schutzwürdigen Belangen zählt auch das Interesse angesiedelter Flugunternehmen auf Aufrechterhaltung und Sicherung der bisher gewährten geschäftlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Damit hatte sich das Oberverwaltungsgericht in der Sache näher auseinandergesetzt.

___________ 51

Beschl. vom 29.11.2007 – BVerwG 4 B 22.07 – Buchholz 442.40 § 6 LuftVG

Rn. 7. 52

249.

Vgl. hierzu bereits Urt. vom 26.7.1989 – BVerwG 4 C 35.88 – BVerwGE 82, 246,

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VIII. Sonderflugplatz Hamburg-Finkenwerder Auch für die Planfeststellung eines nur privaten Verkehrszwecken – hier dem Airbus-Werk – dienenden Sonderflugplatzes gelten die allgemeinen Anforderungen der Planrechtfertigung und des Abwägungsgebots einschließlich der Grundsätze über die Anordnung von Schutzvorkehrungen und Entschädigung nach § 9 Abs. 2 LuftVG und § 74 Abs. 2 VwVfG.53 Private Sonderflugplätze können auf der Grundlage der §§ 8 ff. LuftVG im Wege der Planfeststellung auch dann zugelassen werden, wenn der von dem Flugplatz ausgehende Lärm auf den benachbarten Grundstücken die Schwelle zu einem erheblichen Nachteil (im Sinne der § 9 Abs. 2 LuftVG, § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, § 3 Abs. 1 BImSchG) überschreitet; die Anwohner eines privaten Verkehrszwecken dienenden Sonderflugplatzes dürfen, wenn der Lärm nicht den Grad einer Gesundheitsgefährdung erreicht oder so massiv auf das Wohngrundstück einwirkt, dass es seine Wohnqualität verliert und unbewohnbar wird, grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 2 LuftVG, § 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG auf passiven Schallschutz und gegebenenfalls eine angemessene Entschädigung in Geld für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs verwiesen werden. Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hatte in einem Urteil vom 7. Juli 197854 die Auffassung vertreten, dass Planungen, die im allein privaten Interesse des Flughafenunternehmers liegen, Eingriffe in Rechte Dritter nicht zu rechtfertigen vermögen, sondern vielmehr an entgegenstehenden Rechten Dritter scheitern müssten. Ob damit auch die Fallgestaltung gemeint war, dass eine unzumutbare Lärmbeeinträchtigung Dritter durch passiven Schallschutz und gegebenenfalls eine Außenwohnbereichsentschädigung vermieden werden kann, mag dahinstehen. Für den Fall, dass die Entscheidung in diesem Sinne zu verstehen sein sollte, hält der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts an der damaligen Rechtsauffassung nicht fest. Das Luftverkehrsgesetz regelt umfassend und in einem weiten Sinn den Luftverkehr. Dabei unterscheidet es nicht zwischen privat- und gemeinnützigen Vorhaben. Es differenziert zwischen Flugplätzen, die dem allgemeinen Verkehr, und solchen, die besonderen Zwecken dienen (vgl. § 6 Abs. 3, § 28 Abs. 1 Satz 2 LuftVG; § 38 Abs. 2, § 49 Abs. 2 LuftVZO). Rechtsfolgen für die Planfeststellung knüpft es auch an diese Unterscheidung nicht. § 9 Abs. 2 LuftVG ermächtigt und verpflichtet die Planfeststellungsbehörde nicht nur bei den dem allgemeinen Verkehr dienenden, sondern bei allen planfeststellungs___________ 53 Urt. vom 26.4.2007 – BVerwG 4 C 12.05 – BVerwGE 128, 358, Rn. 40 (Sonderflugplatz Hamburg-Finkenwerder). 54 BVerwG 4 C 79.76 – u.a. – BVerwGE 56, 110, 119.

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bedürftigen Flugplätzen, dem Unternehmer die Errichtung und Unterhaltung der Anlagen aufzuerlegen, die zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder Nachteile notwendig sind. Dass ein Flugplatz zu einem Industriebetrieb gehört, ändert nichts an der Anwendbarkeit und am Inhalt der genannten Vorschrift.55 Auch die Entschädigungsregelung in § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG, die das luftrechtliche Fachplanungsrecht ergänzt, ist auf private Sonderflugplätze anwendbar. Der Entschädigungsanspruch ist ein Surrogat für nicht realisierbare Schutzmaßnahmen. Ein Grund, Anwohner eines privaten Sonderflugplatzes auf Maßnahmen des passiven Schallschutzes zu verweisen, nicht aber auf deren Surrogat, wenn Schutzmaßnahmen unmöglich sind, ist nicht ersichtlich. Übrigens wählt auch das private Nachbarrecht in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB das Mittel des Geldausgleichs, um die Verhältnismäßigkeit der Pflicht zu gewährleisten, Einwirkungen auf ein Grundstück auch dann zu dulden, wenn eine ortsübliche Benutzung des Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt wird.56 Folgerichtig ist eine Planrechtfertigung im oben dargelegten Sinne auch für die Anlegung oder Änderung eines nur privaten Verkehrszwecken dienenden Sonderflugplatzes zu verlangen. Denn die Planfeststellung enthält – anders als z.B. die immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer Industrieanlage – nicht nur die öffentlich-rechtliche Zulassung des Vorhabens, sondern darüber hinaus eine verbindliche Raumnutzungsentscheidung, mit der abschließend über die raumplanerische Zulässigkeit der Bodeninanspruchnahme befunden wird. Ein Luftverkehrsbedarf in Hamburg-Finkenwerder war zu bejahen, weil eine Nachfrage nach Großraumflugzeugen in der Art des A380 bestand, die vorgesehene Endmontage dieser Flugzeuge nur möglich ist, wenn sie dort auch sicher starten und landen können, und die bisherige Länge der Start- und Landebahn hierfür nicht ausreichte. Das Vorhaben war auch geeignet und vernünftigerweise geboten, den durch die Fertigung des A380 entstehenden Verkehrsbedarf zu befriedigen.57 Die Planfeststellungsbehörde konnte ferner davon ausgehen, dass die zum Zeitpunkt der Planfeststellung projektierten Flugzeugmuster des Typs A380 auf einer Start- und Landebahn mit einer Länge von 2.684 m grundsätzlich sicher starten und landen können.58 ___________ 55 Vgl. bereits Beschl. vom 7.12.1998 – BVerwG 11 B 46.98 – Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 11 S. 6. 56 Vgl. auch § 11 LuftVG i.V.m. § 14 Satz 2 BImSchG. 57 Man stelle sich nur vor, die sehr großen für die Endmontage benötigten Flugzeugteile hätten auf öffentlichen Straßen herantransportiert werden müssen. Im Übrigen finden Flüge im Rahmen der Abnahme und Auslieferung statt. 58 Urt. vom 26.4.2007 – BVerwG 4 C 12.05 – BVerwGE 128, 358, Rn. 49.

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IX. Abschließend: Eine unzulässige Feststellungsklage Zwar lautet das Thema: „Aktuelle Entwicklungen des Luftverkehrsrechts im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts“. Abschließend zu berichten ist aber noch von einem Verfahren, das eher als Nicht-Rechtsprechung eingestuft werden könnte. Denn die in einem Hinweis des Gerichts an die Beteiligten geäußerten – und dann im Hinblick auf zahlreiche Nachfragen mit der Pressemitteilung vom 13. Juni 2007 auch der Öffentlichkeit mitgeteilten – Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Klage veranlassten die Klägerin später zur Rücknahme ihrer Klage. Mit der gegen das Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung des Landes Brandenburg gerichteten Klage erstrebte die DB Station & Service AG59 die Feststellung, dass der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld vom 13. August 2004 durch die unbefristete Weiternutzung des Flughafens Berlin-Tempelhof als Sonderflughafen für Privat- und Geschäftsverkehr in seinem rechtlichen Bestand nicht beeinträchtigt würde. Neben Bedenken gegen die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts wies das Gericht darauf hin, es bestünden Zweifel, ob die Feststellungsklage, wie von der Prozessordnung gefordert, ein konkretes feststellungsfähiges Rechtsverhältnis betreffe oder ob vom Gericht in Wahrheit nur eine Art Rechtsgutachten über mögliche künftige Entwicklungen erbeten werde. Nach dem geltenden, als Rechtsverordnung erlassenen und alle öffentlichen Stellen bindenden Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung der Länder Berlin und Brandenburg müssten die Flughäfen Berlin-Tegel und Berlin-Tempelhof mit Inbetriebnahme der Kapazitätserweiterung am Standort Schönefeld geschlossen und ihre Flächen einer anderen Nutzung zugeführt werden. Damit sei nach der derzeitigen Rechtslage eine unbefristete Weiternutzung von Tempelhof auch als eingeschränkter Sonderflughafen ausgeschlossen. Solange diese Regelungen des Landesentwicklungsplanes nicht entsprechend geändert worden seien – was die beiden Landesregierungen bislang abgelehnt hätten – und solange der Umfang und die Gründe einer etwaigen Änderung des landesplanerischen Konzepts nicht bekannt seien, sei völlig ungewiss, welche möglichen rechtlichen Auswirkungen eine Offenhaltung von Tempelhof auf den Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens BerlinSchönefeld haben könnte. Ein Gericht sei derzeit nicht in der Lage, das Feststellungsbegehren der Klägerin verlässlich zu beurteilen.

___________ 59

Eine der Beigeladenen in den Verfahren zum Flughafen Berlin-Schönefeld.

Umweltschadensgesetz – was nun? Weitere Umsetzung des neuen Umweltschadensrechts in den Ländern

Von Matthias Weigand

I. Einführung Im Folgenden werden zunächst in einem ersten Teil rechtssystematische Anmerkungen zum Umweltschadensgesetz dargelegt: Wie ist dieses neue Recht einzuordnen im nationalen Umweltrecht? Zweitens will ich einige Anmerkungen dazu machen, was eigentlich die Kernanliegen dieses Gesetzes sind. Ich sage gleich vorweg – nichts Besonderes. Und drittens werde ich darüber berichten, was in den Ländern vorgeht – mit einem Schwerpunkt auf der Landesgesetzgebung Bayerns. Allerdings diskutieren Bund und alle Länder zu diesem Thema schon seit langem sehr intensiv, und der Befund zur Zeit ist der: Noch kein einziges der 16 Länder hat die Möglichkeit gesehen, eine landesrechtliche Umsetzung vorzunehmen. Warum? Diese Frage stellt sich sehr schnell und völlig berechtigt. Wir würden vorschlagen – rankings sind heutzutage sehr beliebt –, diesem Gesetz die „goldene Zitrone“ zu verleihen. „Goldene Zitronen“ lassen sich derzeit in der Gesetzgebung häufig finden. Das UGB ist ein Kandidat für die nächste „goldene Zitrone“, schon deshalb, weil das Umweltschadensgesetz nahezu unverändert, in wesentlichen Punkten unverändert, auch im Rahmen der Kodifikation wieder erscheint. Wir hätten es für dringend notwendig gehalten, wenigstens bei einem solchen Projekt wie der Verwirklichung des Koalitionsvertrags vom 11.11.2005 zum UGB über die Integration und Neuausrichtung des umweltschadensrechtlichen Teils etwas intensiver nachzudenken. Auch das ist leider nicht geschehen. Insofern Befund zur Gesetzeslage derzeit: ein Umweltschadensgesetz auf Bundesebene ohne wesentlichen neuen Inhalt und keine länderrechtlichen Umsetzungen. Allerdings wird man dem Bund und dem Bundesgesetzgeber insoweit folgen können, als wir uns seine Weigerung, etwas Substanzielles zu regeln, als Beispiel genommen haben und zunächst zu der Entscheidung gekommen sind –

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wieder nur für Bayern –, dass eine landesrechtliche Umsetzung nicht erforderlich ist: Ein „Nichts“ können Sie nicht umsetzen. Das gilt auch für Kostenoder Zuständigkeitsregelungen, die in der EU-Richtlinie und im Bundesgesetz ausdrücklich angesprochen sind: Eine landesrechtliche Umsetzung ist nicht erforderlich.

II. Europarechtliche Grundlagen Hinsichtlich der bestehenden Notwendigkeit der Umsetzung von Europarecht – der sog. Umwelthaftungsrichtlinie (2004/35/EG) vom 21.04.2004 – ist auf Folgendes hinzuweisen: Wir haben in Deutschland schon seit langem ein sehr ausgeprägtes Umweltschadensrecht in den Fachgesetzen, sowohl im Bodenschutzgesetz wie auch im Wasser- und im Naturschutzrecht. Außerdem gibt es mit dem Polizei- und Sicherheitsrecht eine Reaktionsmöglichkeit auf latente Gefahren mit entsprechenden Konsequenzen und Haftungsregelungen. Die genannte Richtlinie wäre für Deutschland also wahrlich nicht nötig gewesen. Es bedarf des neuen Haftungssystems – insofern kann man der Kommission keinen Vorwurf machen – für Griechenland, für Portugal, für Irland, für einige andere europäische Mitgliedstaaten, nicht aber für Deutschland, wo nun auf ein sehr gefestigtes und gut ausgebildetes deutsches Haftungsrecht mit Länderausprägungen etwa im Naturschutzrecht und im Wasserrecht die neue europäische Regelung aufgesetzt werden muss.

III. Regelungsinhalt des USchadG Gegenstand der Richtlinie und des Umweltschadensgesetzes sind ausschließlich Schäden am Gemeingut, die auch in den bisherigen fachgesetzlichen Regelungen erfasst sind. Es geht also um ein öffentlich-rechtliches Haftungssystem, weshalb das Umwelthaftungsgesetz, das sich mit vielerlei Schäden privatrechtlicher Herkunft befasst, nicht betroffen ist. Die Haftung bestimmt sich strikt nach dem Verursacherprinzip. Daran entzünden sich derzeit bei der Frage, ob wir in den Ländern Kostenfreistellungsregelungen entsprechend der Haftungsrichtlinie und dem Umweltschadensgesetz treffen sollen, heftige Diskussionen. Die Wirtschaftsverbände und die Landwirtschaft sind der Meinung, dass das Verursacherprinzip ausgerechnet in diesem Zusammenhang zu weit geht und deswegen durch Freistellung von der Kostentragung relativiert werden sollte. Der Verursachergrundsatz ist ein altes Prinzip des Umweltrechtes, und ebenso geht § 3 Abs. 1 Nr. 1 USchadG von ei-

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ner Gefährdungshaftung aus. Nur für einen kleineren Bereich ist eine Verschuldenshaftung nach Nr. 2 des gleichen Absatzes vorgesehen. Wozu führt diese Gefährdungshaftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1? Geschützt sind die drei Umweltmedien Biodiversität, Wasser und Boden. In das Umweltschadensgesetz mit aufgenommen wurden Verweise auf § 21a Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), einen neuen Paragraphen zum Biodiversitätsschaden, sowie auf § 22a Wasserhaushaltsgesetz (WHG), eine zusätzliche Regelung im Wasserrecht, und für den Bodenschutz wurde eine Regelung im Umweltschadensgesetz selbst getroffen mit dem einschränkenden Hinweis, dass eine Gefahr für die menschliche Gesundheit gegeben sein muss, um das Umweltschadensgesetz anwenden zu können. Verantwortlich sind Verursacher, die einer gewissen beruflichen Tätigkeit nachgehen. Die „berufliche Tätigkeit“ mag u.a. einem Übersetzungsproblem geschuldet sein – wir sind mit diesem für das deutsche Recht untypischen Begriff etwas unglücklich. In Anlage 1 des Gesetzes sind die beruflichen Tätigkeiten aufgezählt. Sie beziehen sich auf das Betreiben von Anlagen nach der IVURichtlinie (2008/1/EG), auf die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln für die Landwirtschaft, auf Abfallbehandlung usw., also im Grunde auf alles das, was uns im Umweltrecht besonders geläufig ist. Der europäische Gesetzgeber hat das als „berufliche Tätigkeiten“ umschrieben. Der deutsche Gesetzgeber ist ihm mit wenig Mut und Erfindungsreichtum gefolgt und hat die Richtlinie auch hier 1:1 umgesetzt. „1:1-Umsetzung“ wird von der Politik sehr oft als wichtiges Prinzip unterstrichen. Manchmal können 1:1-Umsetzungen allerdings auch wenig hilfreich sein. Auf Rechtsfolgen der Haftung müssen wir ebenso nicht allzu intensiv eingehen. Der Verursacher hat eine Informationspflicht gegenüber der Behörde wie zumindest teilweise nach klassischem allgemeinem Verwaltungsrecht auch bisher schon. Er muss einer Gefahrenabwehrpflicht nachkommen und versuchen, den Schaden zu vermeiden, gar nicht erst einzutreten zu lassen, oder – ist er eingetreten – wenigstens zu minimieren. Für entstandenen Schaden an Wasser, an Boden oder an der Biodiversität trifft den Verursacher selbstverständlich eine Sanierungspflicht. Auch das ist nichts Neues. Man fragt sich bei Betrachtung dieser Richtlinie und vor allem des nationalen Gesetzes: Musste das tatsächlich erneut geregelt werden? Wäre es nicht jetzt eine Chance im Rahmen des UGB, eine Integration mit dem Fachrecht herbeizuführen und nicht im allgemeinen Teil diese Regelungen mehr oder weniger 1:1 zu wiederholen? All das ist bereits im nationalen Sicherheitsrecht, im Umweltfachrecht und auch im Verwaltungsvollstreckungsrecht geregelt. In weiten Zügen erinnern die Formulierungen des Umweltschadensgesetzes mehr an Landesverwaltungsvollstreckungsrecht als an Haftungsrecht. Haftung im klassischen Sinne tritt erst bei den Sanierungsmaßnahmen und natürlich bei den Kosten für diese Sanierungsmaßnahmen ein. Bei Ersatzvornahme durch staatliche Behörden sind die

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Kosten dem Staat zu erstatten. Dort erst kommt dann die eigentliche Haftungsregelung zum Ausdruck. Der Begriff „Umwelthaftungsrichtlinie“ ist daher irreführend und „Umweltschadensgesetz“ erscheint uns nicht viel besser. Die Verschuldenshaftung ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG begrenzt auf Biodiversitätsschäden und bezieht sich auf andere als die genannten (Anlage 1 des Gesetzes) beruflichen Tätigkeiten. Der Verursacher haftet für Vorsatz und Fahrlässigkeit, eine normale Konstellation, die eigentlich keiner besonderen Erwähnung bedarf und in der Regel ohnehin Gegenstand des nationalen Rechts ist. Die Rechtsfolgen sind die gleichen wie bei der Gefährdungshaftung. Den Behörden obliegt es – wie immer –, die Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen zu überwachen und – das ist das Neue an dieser Stelle – auch Betroffene und Verbände zu unterrichten, die nach §§ 10, 11 USchadG berechtigt sind, Anträge zu stellen oder Verbandsklage (zu ihr unten IV.) zu erheben. Man erkennt hier die Öffnung zu mehr Partizipation, eine klare Entwicklung des europäischen Rechts, die nachzuvollziehen ist und die auch im nationalen Recht immer mehr Akzeptanz findet. Die „Aarhus-Konvention“ ist das Stichwort. Dort wurde beschlossen, dass die Bürgerbewegung gestärkt, die Partizipation erweitert werden muss. Die Behörde wird also in Zukunft über Schadensereignisse die betroffenen Personen und Verbände unterrichten. Für die Verbände könnte sich daraus die Möglichkeit einer Verbandsklage ergeben. Behördliche Anordnungen beziehen sich wie auch nach bisherigem nationalem Recht nötigenfalls darauf, Informationen vorzulegen, Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen oder Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen einzuleiten. Man kann jedem Schädiger nur raten, möglichst schnell das Notwendige zu tun, um Schäden zu vermeiden, zu begrenzen oder zu sanieren, denn das wird sicherlich die kostengünstigste Alternative einer Regulierung nach Umweltschadensgesetz sein. Wenn erst einmal die Behörde durch Anordnungen oder im Wege der Ersatzvornahme tätig werden muss, ist dem Schadensereignis automatisch ein höheres Gewicht beizumessen. Wir nehmen mit Interesse zur Kenntnis, dass aus Anlass des Umweltschadensgesetzes Forschungsvorhaben durchgeführt werden, die mit großem Aufwand, teils mit schwierigen mathematischen Formeln, Ausgleichsmaßnahmen für Umweltschäden analysieren. Nichts davon ist im Gesetz enthalten, keine Erheblichkeitsschwellen, keine Sanierungsmaßnahmen, keine Schadensumfänge oder -begrenzungen, nichts von alledem ist geregelt. Offensichtlich hat der Bundesgesetzgeber bewusst darauf verzichtet, da auf die bewährte Praxis beim Vollzug bisher geltenden Rechts zurückgegriffen werden kann. Diese Forschungsaufträge hingegen sollen uns eines Besseren belehren. Wir sind allerdings nicht der Meinung, dass wir mit entsprechenden langen Berichten von derartigen Forschungsvorhaben unserem Vollzug wirklich dienen können. Der Inspektor am Landratsamt, der seit vielen Jahren z. B. Eingriffsregelungen

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vollzieht, kommt mit seiner praktischen Erfahrung sicherlich zu besseren Lösungen als mit komplizierten mathematischen Formeln. Im Gegensatz zur behördlichen Anordnung von Vermeidungs- oder Sanierungsmaßnahmen steht die Entscheidung über eine Ersatzvornahme wie auch nach schon bisher geltendem Recht im Ermessen der Behörde. § 8 USchadG verweist auf die Möglichkeit der Ersatzvornahme. Allerdings ist im Gesetz keine wirklich schlüssige Stufenregelung zu erkennen, die zunächst den Verursacher selbst in die Pflicht nähme und nur unter besonderen Umständen die Ersatzvornahme vorsähe. §§ 6, 7 und 8 USchadG vermengen solche Regelungen in einer merkwürdigen Art und Weise. Dies mag durch unklare Vorstellungen des europäischen Gesetzgebers zur Vollstreckung begründet sein. Wir hätten uns vom Bundesgesetzgeber gewünscht, dass er an dieser Stelle die nationalen Vorgaben etwa in den Vollstreckungsgesetzen exakter beachtet.

IV. Verhältnis des Umweltschadensgesetzes zu Umweltfachrecht und sonstigem Recht § 1 USchadG enthält eine klare Subsidiaritätsregelung. Dort, wo das Umweltfachrecht – Bodenschutzgesetz, Wasser- oder Naturschutzrecht – höhere Anforderungen stellt, gilt selbstverständlich weiterhin das Fachrecht. Sind hingegen nach neuem Umweltschadensrecht strengere Standards zu beachten, greift das Umweltschadensgesetz. Wir haben uns die Mühe gemacht, altes und neues Recht nebeneinander zu legen, und kommen zu dem Schluss, dass es letztendlich nur sehr wenige Anwendungsbereiche für das Umweltschadensgesetz gibt. Dies ist absolut konsequent, denn das Europarecht hat a priori mit einem schadensrechtlichen Mindeststandard auf die vorhandenen Regelungen aufgesetzt und bleibt damit naturgemäß größtenteils hinter über lange Zeit entwickeltem nationalem deutschem Recht zurück. Was das für eine nationale Kostenfreistellungsregelung bedeuten muss, werde ich erläutern. Es ist einleuchtend, dass eine Freistellungsregelung für Wirtschaft oder Landwirtschaft von einer subsidiären Kostentragung wenig Sinn macht, wenn gleichzeitig strengeres Umweltfachrecht nach traditionellen nationalen Vorschriften zur Haftung und Kostentragung verpflichtet. Bei genauerem Hinsehen stellen wir fest, dass das Bodenschutzrecht dem neuen Haftungsrecht immer vorgeht, denn, wie bereits betont, ist im Umweltschadensgesetz Voraussetzung für eine Haftung nach Bodenschutzrecht u.a. eine Gefahr für die menschliche Gesundheit, während wir im Bodenschutzgesetz eine Haftungsregelung ohne diese Anforderung haben, d.h., das Bodenschutzgesetz ist die weitergehende Vorschrift, das Umweltschadensgesetz tritt hinsichtlich des Mediums „Boden“ dahinter zurück.

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Für das Wasser kommt es auf die landesrechtlichen Regelungen an. Das Wasserhaushaltsgesetz als Rahmenrecht verweist auf die landesrechtlichen Regelungen. In Bayern gibt es eine wasserrechtliche Haftungsregelung in Art. 68a des Bayerischen Wassergesetzes, die dem Umweltschadensgesetz zumindest nicht nachsteht, d.h., auch dort geht die Haftung nach Wasserrecht vor. Auch bei der Biodiversität müssen wir nach Ländern differenzieren, da ebenfalls bislang Rahmenrecht des Bundes durch landesrechtliche Vorschriften auszufüllen ist. Das bedeutet, in jedem Bundesland gilt mit feinen Differenzierungen zum Teil etwas anderes. Nach der landwirtschaftlichen Privilegierungsklausel in Bayern scheidet z.B. bereits der naturschutzrechtliche Eingriff aus, wenn sich die Landwirtschaft an die Regeln der „guten fachlichen Praxis“ hält. Damit ist auch kein Anwendungsfall für das Umweltschadensgesetz gegeben, weil § 2 USchadG, § 21a BNatSchG deutlich auf die Eingriffsregelungen von Bund und Ländern verweisen. Ebenso stellen genehmigte oder nach FFHRegeln geprüfte Eingriffe nach Definition von § 21a keine Schädigungen im Sinne des Umweltschadensgesetzes dar. Konsequenz: In den Medien lesen wir Schlagzeilen, durch das Umweltschadensgesetz komme eine neue Flut von Haftungsrisiken auf Wirtschaft und Landwirtschaft zu. Tatsächlich kann davon keine Rede sein – eine schlechte Gesetzgebung, die diesen Eindruck unzutreffender Weise entstehen lässt. Vielmehr hätten diese nationalen Besonderheiten vom Bundesgesetzgeber im Umweltschadensgesetz klarer herausgearbeitet werden müssen, statt die europäische Umwelthaftungsrichtlinie 1:1 umzusetzen und die Betroffenen mit einer „black box“ im Unklaren zu lassen. Die Frage des Vorrangs des Umweltschadensgesetzes gegenüber dem Umweltfachrecht ist selbstverständlich für jeden einzelnen Aspekt des Gesetzes zu prüfen. Dabei ist jedenfalls die vorhin schon genannte Partizipation der Öffentlichkeit nach § 8 Abs. 4 USchadG zu erwähnen. Diese Form der Beteiligung Betroffener und von Verbänden ist neu und geht über das Umweltfachrecht hinaus. Ihr entspricht das Klagerecht der Umweltverbände nach § 11 Abs. 2 USchadG – ebenfalls eine neue gesetzliche Regelung. Die Verbandsklage ist politisch aktuell und bleibt nach der „Aarhus-Konvention“ auf der politischen Agenda. Im Umweltschadensgesetz müssen wir den Verweis auf das UmweltRechtsbehelfsgesetz hinterfragen. Seltsamerweise hat dieser Aspekt in der öffentlichen Diskussion bislang nur eine geringe Rolle gespielt. Behörden, die bisher Schäden am Gemeingut gelegentlich nach dem Opportunitätsprinzip behandelt haben, könnten gegebenenfalls in Zukunft durch Verbandsklagen zu bestimmten Aktionen gezwungen werden. Allerdings werden solche Verbandsklagen u. U. weitestgehend ins Leere gehen. Wir sollten uns hier nicht erneut über das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz auseinandersetzen. Dort wird je-

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denfalls ein subjektiv-öffentliches Recht gefordert, auf das die Verbandsklage gerichtet sein muss. Das Umweltschadensgesetz hingegen ist auf Schäden am Gemeingut gerichtet. Insofern erscheint die Verweisung auf das UmweltRechtsbehelfsgesetz in seiner derzeitigen Fassung wenig sinnvoll. Darüber sollten wir auch im Zusammenhang mit Verbandsklage und Schadensrecht im entstehenden Umweltgesetzbuch nachdenken. Noch eine Anmerkung zum Polizei- und Sicherheitsrecht: An sich ist das Polizei- und Sicherheitsrecht gegenüber dem Fachrecht subsidiär. Für das Umweltschadensgesetz – insoweit Fachrecht – gilt das Umgekehrte (§ 1 USchadG). Nicht selten werden in der Praxis Schadensfälle nach Polizei- und Sicherheitsrecht in weitem Umfang gelöst. Auch da kann uns das Umweltschadensgesetz vielfach kaum mehr etwas Zusätzliches bieten. Es bleibt also dabei: Die Umwelthaftungsrichtlinie ist für Europa sicherlich nützlich zur Festlegung eines Mindeststandards für die Verantwortlichkeit bei Umweltschäden. Die Richtlinie wäre aber verzichtbar gewesen für das deutsche Recht, und dies hätte vom Bundesgesetzgeber bei der Umsetzung entsprechend verdeutlicht werden müssen. Unklarheiten, Missverständnisse und eine weitreichende Rechtsunsicherheit in Verbindung mit dem Umweltschadensgesetz hätten durch eine bessere Rechtsetzung vermieden werden können.

V. Kosten, Zuständigkeiten – Regelungen durch die Länder Im letzten Teil ist die Notwendigkeit von Kosten- und Zuständigkeitsregelungen durch die Länder zu betrachten. § 9 USchadG sieht solche Kostenregelungen vor. Zahlreiche Bundesländer waren zunächst der Meinung, sie seien zwingend zum Neuerlass von Kostenrecht verpflichtet. Doch auch das hängt wieder vom geltenden Kostenrecht in den Ländern ab, hinsichtlich Kostenerhebung, hinsichtlich Kostenbefreiung einzelner Tatbestände, hinsichtlich Ausgleich zwischen mehreren Haftenden usw. Wir sind nach näherer Prüfung zu dem Ergebnis gekommen: Auch alle diese Kostenregelungen gibt es für Bayern bereits. Zur Kostenfreistellung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 USchadG komme ich allerdings gesondert. Über die Kostenregelungen nach geltendem Kostengesetz können wir schnell hinweggehen. Die Festsetzungsfrist ist z.B. im bayerischen Kostengesetz sogar strenger geregelt als in der Umwelthaftungsrichtlinie. Die Niederschlagung findet sich im bayerischen Kostenrecht. Bei der Verursachung durch Dritte ergeben sich zivilrechtliche Erstattungsansprüche, für die Verantwortlichkeit von Behörden ist auf Amtshaftungsansprüche und Vollzugsfolgenbeseitigungsansprüche nach klassischem nationalen Recht zurückzukommen. Das Umweltschadensgesetz müsste im Sinne der Rechtsklarheit diese Bezüge über § 9 Abs. 2 und 3 USchadG hinaus deutlich machen.

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Matthias Weigand

Stichwort „Kostenfreistellung“ – ein inzwischen hoch politisches Thema, wie zu erwarten war. Die europäische Umwelthaftungsrichtlinie ermöglicht nach Art. 8 Abs. 4, genehmigte Betriebe, die Schäden verursachen, oder z.B. auch Akteure in der Landwirtschaft, die der „guten fachlichen Praxis“ folgen und trotzdem Schäden verursachen, von einer Kostentragung freizustellen. Es geht wohl gemerkt nicht um eine Haftungsfreistellung. Im Europäischen Parlament wurde versucht, insbesondere auch von deutschen Abgeordneten, die Landwirtschaft bei Anwendung der „guten fachlichen Praxis“ schon von der Haftung freizustellen. Dieser Ansatz bekam aber keine Mehrheit im Parlament. Ein Kompromiss war schließlich die Öffnung für eine Kostenfreistellung auch zu Gunsten der Landwirtschaft. Die Kosten für Umweltschäden in diesen Fällen hätte die öffentliche Hand zu tragen. Gleiches gilt zu Gunsten der Wirtschaft bei Betreiben einer genehmigten Anlage. Ob und in welchem Umfang es zu einer solchen Kostenfreistellung kommt, bleibt weiteren Regelungen vorbehalten. Die Diskussionen sind derzeit in allen Bundesländern in vollem Gang. Bislang gibt es in keinem Bundesland und auch in keiner europäischen Region eine entsprechende Regelung. Da sich Bundeswirtschafts- und -umweltministerium zur Frage der Kostenfreistellung nicht einigen konnten, hat der Bundesgesetzgeber das Problem an die Länder weitergereicht. Nun wird es künftig möglicherweise 16 unterschiedliche Freistellungsregelungen in den Ländern geben. Ansatzpunkte zu differenzierten Regelungen für gewerbliche Wirtschaft, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischereiwirtschaft, den gewerbsmäßigen Gartenbau usw. gibt es genug. Leidtragende wäre u.a. die Versicherungswirtschaft, die sich nicht in der Lage sähe, für das Umweltschadensgesetz deutschlandweit ein Versicherungsmodell anzubieten, sondern je nach Freistellungsregelung die Versicherungsmodelle in den Bundesländern ggf. variieren müsste. Auch hier könnte das Umweltgesetzbuch mit einem harmonisierten Umweltschadensrecht für Abhilfe sorgen, etwa durch den gänzlichen Verzicht auf eine Kostenfreistellung. Kostenfreistellungsregelungen zu subsidiärem Haftungsrecht sind wenig sinnvoll. Natürlich kann man vom Umweltschadensgesetz und seiner Kostentragungspflicht freistellen, man würde aber selbstverständlich in Kauf nehmen müssen, dass z.B. nach Bodenschutzgesetz oder anderem Umweltfachrecht dennoch uneingeschränkt gehaftet wird. Eine Freistellung auch vom Umweltfachrecht steht nicht zur Debatte. Die Freistellungsregelung für das Umweltschadensgesetz würde also ins Leere gehen. Seriöse Rechtsetzung verdeutlicht solche Zusammenhänge und sorgt für Rechtssicherheit. Schließlich überlässt es die europäische Umwelthaftungsrichtlinie auch den Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden für das Umweltschadensrecht festzulegen. In einem föderalen Staat wie Deutschland sind dafür die Länder verantwortlich. Soll es aber wirklich in Deutschland in Zukunft Umweltschadensbehörden geben? Ein derart bürokratieorientierter Vorschlag für zusätzliche

Umweltschadensgesetz – was nun?

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Behördenstrukturen kann nicht richtig sein. Umweltschadensrecht war bisher schon Gegenstand des Vollzugs und wurde als Annex zum Fachrecht mit behandelt, d.h., bei genehmigten Betrieben von der Genehmigungs- und Überwachungsbehörde, bei sonstigen Handlungen oder Unterlassungen, z.B. dem Einbringen von Pflanzenschutzmitteln, von der Behörde, die für den Ausgangstatbestand zuständig ist. Daran hat sich nichts geändert. Neue, zusätzliche Regelungen sind hierfür nicht notwendig.

VI. Fazit Mit diesem gerafften Überblick über das Umweltschadensgesetz ist hoffentlich hinreichend klar geworden, weshalb solche Gesetze gerade in den Bundesländern deutlicher Kritik anheimfallen. Es ist zu bedauern, dass Rechtsetzung immer noch in dieser Weise geschieht und damit auch im Vollzug mehr Probleme bereitet, als es an sich nötig wäre. Die stete politische Forderung nach 1:1-Umsetzung von europäischem in nationales Recht wird so offensichtlich missverstanden. Das Umweltgesetzbuch im Sinne der allgemeinen Zielsetzungen könnte entsprechende Abhilfe schaffen. In den Ländern sollte man nach aktuell herrschender Auffassung von Deregulierung und Entbürokratisierung ohne zusätzliche Regelungen zu den besten Ergebnissen kommen.

Die Rückführung fachgesetzlicher Regelungen von Planfeststellungsverfahren in das VwVfG – Stand und Perspektiven Von Lorenz Prell

Einleitung Am 17. Dezember 2006 ist das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben (Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz – IPBeschlG)1 in Kraft getreten. Es soll die Verwirklichung wichtiger Infrastrukturvorhaben bundesweit beschleunigen und ersetzt das zu Beginn des letzten Jahres außer Kraft getretene Gesetz zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz) vom 16. Dezember 19912, das nur für die neuen Länder und Berlin galt. Als vorerst letztes einer Reihe von Gesetzen zur Beschleunigung von Infrastrukturvorhaben hat es im Fachrecht neue Regelungen für das Planfeststellungsverfahren eingeführt. Betroffen sind das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG), das Bundesfernstraßengesetz (FStrG), das Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG), das Luftverkehrsgesetz (LuftVG), das Magnetschwebebahnplanungsgesetz (MBPlG) und schließlich das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG).

I. Neuregelungen des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes Die wesentlichen verfahrensrechtlichen Änderungen im Planfeststellungsrecht lassen sich wie folgt zusammenfassen:

___________ 1 2

BGBl. I S. 2833. BGBl. I S. 2174.

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Lorenz Prell

x Beschränkung der Pflicht zur Planauslegung auf Gemeinden, in denen sich das Vorhaben „voraussichtlich“ auswirkt; x Beschränkung der Benachrichtigungspflicht gegenüber Ausmärkern auf solche mit bekanntem Aufenthalt, d. h. Einschränkung der Pflicht zur Aufenthaltsermittlung; x Einführung eines einheitlichen Verfahrensregimes für die Beteiligung von anerkannten Natur- und Umweltschutzvereinigungen mit Einwendungspräklusion wie bei privaten Betroffenen und Benachrichtigung über die Planauslegung durch ortsübliche Bekanntmachung; x Fakultativstellung des Erörterungstermins: Durchführung nur noch nach pflichtgemäßem Ermessen; x Einführung zwingender Fristvorgaben für die Anhörungsbehörde bei der Durchführung der Erörterung und zur Abgabe ihrer Stellungnahme; x Einheitliche und verlängerte Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschluss und Plangenehmigung (10 Jahre + 5 Jahre Verlängerungsmöglichkeit auf Antrag); x Legaldefinition des Beginns der Plandurchführung; x Annäherung von Plangenehmigung und Planfeststellung: Zulassung der Plangenehmigung bei nur unwesentlicher Beeinträchtigung der Rechte anderer, Gleichstellung der Rechtswirkung von Planfeststellung und Plangenehmigung einschließlich enteignungsrechtlicher Vorwirkung; x Beschränkung der Plangenehmigung auf nicht UVP-pflichtige Vorhaben.

II. Sektorale Änderung des Planfeststellungsrechts Es ist sicher noch zu früh, eine belastbare Bewertung der mit dem Gesetz tatsächlich erreichten Beschleunigungseffekte vorzunehmen. Der Beitrag befasst sich vielmehr mit einem Mangel, der dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz von Beginn an anhaftete und aus Sicht des Verfahrensrechtlers behoben werden sollte. Anders als etwa das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz – GenBeschlG)3 vom 12. September 1996 beschränkt sich das Gesetz auf eine sektorale Änderung der Fachgesetze, ohne die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren im VwVfG selbst anzupassen. Schon angesichts der umfangreichen Liste Planfest___________ 3

BGBl. I S. 1354.

Die Rückführung fachgesetzlicher Regelungen von Planfeststellungsverfahren 107

stellungsverfahren anordnender Fachgesetze hätte es jedoch nahe gelegen, eine Lösung durch Anpassung des Verwaltungsverfahrensgesetzes anzustreben. Dies gilt umso mehr, als die Neuregelungen in den einzelnen Fachgesetzen weitest gehend wortgleich sind. Trotzdem hat man es bei einer Änderung der Fachplanungsgesetze belassen. Dies ist aber nicht als Abkehr von dem Grundsatz zu verstehen, Verfahrensrecht soweit wie möglich im VwVfG als der zentralen und einheitlichen Kodifikation zu regeln und außerhalb dieses Gesetzes nur soweit dies fachlich unerlässlich ist. Der Gesetzgeber hat den beschrittenen Weg vielmehr selbst als problematisch angesehen. In seiner Beschlussempfehlung vom 25. Oktober 20064 stellt der federführende Verkehrsausschuss fest: „Die Praxis erwartet eine möglichst einheitliche Regelung des Zulassungsrechts über die einzelnen Fachmaterien hinweg. Jede weitere Zersplitterung des Planfeststellungsrechts erhöht die Komplexität der Regelungen, macht die Regelungen für die Anwender schwerer verständlich und handhabbar und erhöht ihre Fehleranfälligkeit verbunden mit der Gefahr von Verzögerungen im Verfahrensablauf. Zugleich hätte eine Verankerung des Beschleunigungsgedankens im allgemeinen Verfahrensrecht den Vorteil, dass nach diesem Vorbild auch einfacher die landesrechtlichen allgemeinen Verfahrensregelungen angepasst werden könnten. Änderungen in einer Vielzahl der landesrechtlichen Fachplanungsregelungen wären so entbehrlich.“

Dennoch wurde der Weg der sektoralen Änderung des Fachplanungsrechts gewählt, um das Gesetzesvorhaben so schnell wie möglich umzusetzen. Die Alternative einer simultanen Änderung der VwVfGe des Bundes und der Länder erschien zu unsicher und langwierig. Dazu heißt es in der zitierten Beschlussempfehlung dann auch: „Der Bund verfügt allerdings nicht bei allen Zulassungsverfahren über die notwendige Gesetzgebungszuständigkeit. Um eine flächendeckende Änderung der Zulassungsverfahren zu gewährleisten, reicht eine Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) des Bundes nicht aus. Vielfach erfolgen die Planungen durch Landesbehörden. Damit kommen die Länderverwaltungsgesetze zur Anwendung. Angesichts des zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung mittlerweile erreichten Verfahrensstandes wird deshalb die Änderung der Fachplanungsgesetze an Stelle einer Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes derzeit noch für vertretbar gehalten. Bund und Länder haben sich zudem darauf verständigt, das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes stets im Zusammenspiel mit der Änderung der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder zu ändern. Dafür notwendig werdende 17 Gesetzgebungsverfahren lassen sich jedoch kurzfristig nicht bewerkstelligen.“

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BT-Drs. 16/3158.

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III. Auftrag zur Rechtsbereinigung durch Bundestag und Bundesrat In seiner Entschließung vom 27. Oktober 20065 hat der Bundestag die Bundesregierung dann auch aufgefordert: „1. Die beschleunigenden Maßgaben des Gesetzentwurfs sind auf den gesamten Anwendungsbereich der Planfeststellungsverfahren auszudehnen und im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) des Bundes sowie der Länder sobald wie möglich in einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren zu verankern. 2. Soweit einzelne Bereiche von den Änderungen nachvollziehbar und begründet nicht betroffen sein sollen, sind entsprechende Ausnahmeregelungen an geeigneter Stelle zu treffen. 3. Die Bundesregierung soll sich bei den Ländern für eine entsprechende Umsetzung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder einsetzen.“

Der Bundesrat hat sich dem angeschlossen und in einer eigenen Entschließung am 24. November 20066 ebenfalls gefordert, die Änderungen aus den Fachgesetzen in das Verwaltungsverfahrensgesetz zu übernehmen.

IV. Vorarbeiten der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten Anfang letzten Jahres hat die Konferenz der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten des Bundes und der Länder begonnen, sich mit dem Vorhaben zu beschäftigen. Ziel war die Erarbeitung eines Musterentwurfs für eine einheitliche Änderung der VwVfGe des Bundes und der Länder. Unter dem Vorsitz des Landes Sachsen-Anhalt wurde eine Arbeitsgruppe damit beauftragt, die notwendigen Vorarbeiten zu leisten. Gedacht war dabei nicht an eine bloße Übernahme der neuen Vorschriften in das VwVfG. Vielmehr sollte sorgfältig geprüft werden, was sich zur Aufnahme in den Regelungskanon zum Planfeststellungsverfahren tatsächlich eignet. Solche Regelungen sollten überführt, im Gegenzug aber auch in den Fachgesetzen gestrichen werden. Die Verfahrensrechtsreferenten haben aber sich darüber hinaus vorgenommen, kritisch zu prüfen, welche Maßgabevorschriften in den Fachplanungsgesetzen verzichtbar sind. Es geht also auch darum, unnötige abweichende Verfahrensregelungen wo immer möglich zugunsten des Vorrangs der allgemeinen Vorschriften zu reduzieren. Ziel ist eine Rechtsbereinigung, mit der abweichende Sonderregelungen in den Fachgesetzen wieder auf das tatsächlich er___________ 5 6

BT-Plenarprotokoll 16/61. BR-Drs. 764/06.

Die Rückführung fachgesetzlicher Regelungen von Planfeststellungsverfahren 109

forderliche Maß beschränkt werden. Damit soll die Leitfunktion des VwVfG als grundlegende Kodifikation des Verfahrensrechts gestärkt werden. Die Verlagerung in das VwVfG muss bei dem gewählten Ansatz auch keine Einbuße an Verbindlichkeit bedeuten, denn die VwVfGe des Bundes und der Länder sollen durch die jeweilige Übernahme des Musterentwurfs gerade einheitlich geändert werden. Für die Anpassung auf der Grundlage eines gemeinsam erarbeiteten Musterentwurfs spricht, dass am Ende tatsächlich sinnvolle und normwürdige Regelungen bestehen bleiben, die auf breite Akzeptanz stoßen.

V. Wesentliche Ergebnisse Die Arbeitsgruppe hat die Neuregelungen hinsichtlich einer Übernahme in das VwVfG, andernfalls ihrer Streichung, geprüft und dazu Vorschläge gemacht, die ich im Folgenden darstellen möchte. Ich beschränke mich dabei angesichts der nicht ganz übersichtlichen Materie auf die wesentlichen Punkte. 1. Verallgemeinerungsfähige Regelungen Zunächst eine Zusammenfassung der Regelungen, bei denen sich die Verfahrensrechtsreferenten für eine Übernahme in das VwVfG und Streichung in den Fachgesetzen aussprechen: x Ausdrückliche Einschränkung der Behördenpräklusion Für eine Übernahme der Regelung aus den fachgesetzlichen Maßgaben in das VwVfG spricht, dass gegen die bisherige Regelung in § 73 Abs. 3a Satz 2 VwVfG ohnehin Bedenken bestanden, die eine verfassungskonforme weite Auslegung erforderlichen machten. x Fakultativstellung des Erörterungstermins Das Verfahrensinstrument „Erörterung“ wird durch die fachgesetzlichen Maßgaben nicht in Frage gestellt. Die Erörterung wird zwar in das Ermessen der Anhörungsbehörde gestellt. Dieser wird damit die Möglichkeit eröffnet, auf den Erörterungstermin zu verzichten, wenn absehbar ist, dass er seine Funktion nicht erfüllen kann und nur zu einer Verfahrensverzögerung führen würde. Es spricht viel dafür, dass die Behörden diese Möglichkeit verantwortungsvoll nutzen werden und der Verzicht nicht zum Regelfall wird. Denn der Erörterungstermin stellt regelmäßig ein auch für die Anhörungsbehörde sinnvolles Verfahrensinstrument dar. Der Erörterungstermin ist keine allgemeine Informationsveranstaltung. Die Erörterung findet nur mit den Betroffenen statt, die

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rechtzeitig Einwendungen erhoben haben. Sinn der Erörterung ist die konzentrierte Befassung mit diesen Einwendungen. Gerade bei weniger rechtskundigen privaten Einwendern ist dabei eine Verständigung zu erreichen, etwa wenn Missverständnisse ausgeräumt werden können. Bei manchen Großvorhaben mit einer großen Zahl von Einwendern dagegen ist der Erörterungstermin in der Praxis oft kaum noch handhabbar und hat in vielen Fällen auch kaum befriedende Wirkung. Hier wird die Erörterung zuweilen auch gezielt (z. B. durch zahlreiche Befangenheitsanträge) gestört. Das dürfte aber wohl nur für den geringeren Teil der Verfahren gelten. Ihre Funktion kann die Erörterung auch dann nicht erfüllen, wenn Vorhaben erkennbar – z. B. von naturschutzrechtlichen Vereinigungen – kategorisch abgelehnt werden. In solchen Fällen kann schon früh abzusehen sein, dass aufwendige Gerichtsverfahren trotz der Erörterung nicht zu vermeiden sind. x Einführung zwingender Fristen für den Abschluss der Erörterung und die Abgabe von Stellungnahmen durch die Anhörungsbehörde Die fachgesetzlichen Maßgaben regeln verbindliche Fristen für die Behörden, verzichten aber auf Sanktionen. Sie haben damit vor allem Appellfunktion. Angesichts des generellen Anliegens der weiteren Beschleunigung und der Vereinheitlichung des Planfeststellungsrechts sollten sie in das VwVfG übernommen werden. Für die fachgesetzlichen Maßgaben zu § 73 Abs. 9 VwVfG gilt das Gleiche. Auch § 73 Abs. 9 VwVfG soll deshalb eine verbindlichere Fristregelung mit entsprechender Appellfunktion erhalten. x Erstreckung der Zustellungsregelung für den Planfeststellungsbeschluss auf die Plangenehmigung und Einführung einer obligatorischen Rechtsbehelfsbelehrung Bei der in den fachgesetzlichen Maßgaben zu § 74 Abs. 4 Satz 1 VwVfG geregelten Verpflichtung zur Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung handelt es sich um eine Obliegenheit der Planfeststellungsbehörden ohne über § 58 Abs. 2 VwGO hinausgehende Rechtsfolgen. Die Rechtsbehelfsbelehrung wird ohnehin im Regelfall beigefügt, um die Geltung der Jahresfrist für die Einlegung des Rechtsbehelfs – anstelle der Monatsfrist – nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu vermeiden und auch dadurch auch eine Verfahrensbeschleunigung zu erreichen. Da auch zunehmend europarechtliche Vorgaben die Beifügung von Rechtsbehelfsbelehrungen verlangen, soll eine generelle Verpflichtung zur Rechtsbehelfsbelehrung in das VwVfG eingeführt werden. Dies soll aber an der systematisch richtigen Stelle erfolgen, nämlich im Rahmen der allgemeinen Vorschriften als Anfügung eines neuen Absatzes 6 in § 37 VwVfG. Für die Plangenehmigung besteht nach dem VwVfG bislang – im Gegensatz zu den fachgesetzlichen Maßgaben – keine Zustellungspflicht. Diese kann aber übernommen werden, und zwar in § 74 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 VwVfG als Ausnahme von der Nichtanwendbarkeit der Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren.

Die Rückführung fachgesetzlicher Regelungen von Planfeststellungsverfahren 111

x Zulassung der Plangenehmigung für Fälle der nur unwesentlichen Beeinträchtigung der Rechte anderer Die Zulassung der Plangenehmigung auch bei – allerdings nur unwesentlicher – Beeinträchtigung der Rechte anderer soll in das VwVfG übernommen werden. In Frage kommen etwa Fälle nur vorübergehender Inanspruchnahme unbedeutender Grundstücksteile im Rahmen einer Straßenbaumaßnahme (z. B. als Logistikfläche) oder die Behinderung einer Grundstückszufahrt, wenn andere Zufahrtsmöglichkeiten ohne unverhältnismäßigen Mehraufwand genutzt werden können. x Zulassung der Plangenehmigung nur bei nicht UVP-pflichtigen Vorhaben, allerdings durch eine allgemeine Regelung bezüglich „gesetzlich vorgeschriebener Verfahren“ Die fachgesetzlichen Maßgaben zu § 74 Abs. 6 VwVfG – das heißt Plangenehmigung nur bei nicht UVP-pflichtigen Vorhaben – und zu § 74 Abs. 7 VwVfG – das heißt die Entbehrlichkeit von Planfeststellung und Plangenehmigung in Fällen unwesentlicher Bedeutung nur bei nicht-UVP-pflichtigen Vorhaben – sollen übernommen und dabei „vor die Klammer gezogen“ werden. Eine Eingliederung als jeweils weitere Voraussetzung in § 74 Abs. 6 und 7 VwVfG unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die UVP-Pflicht wird abgelehnt, weil eine solche Regelung als Fremdkörper im VwVfG erschiene. Vielmehr soll die Einschränkung abstrakt formuliert werden. x Ausdehnung der Heilungsmöglichkeit bei Mängeln der Abwägung auch auf Verfahrens- und Formfehler und Klarstellung der Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften über die Heilung und die Folgen von Verfahrensund Formfehlern In den Fachgesetzen sind unter der Überschrift „Rechtsbehelfe“ Regelungen mit Bezug zur VwGO enthalten, die mit Ausnahme ihres jeweils letzten Halbsatzes mit den Regelungen des § 75 Abs. 1a VwVfG weitgehend identisch sind. Die zusätzliche Klarstellung hinsichtlich der Heilungsmöglichkeit von Verfahrens- und Formfehlern soll übernommen werden. 2. Nicht verallgemeinerungsfähige Regelungen x

Beteiligung von Natur- und Umweltschutzvereinigungen.

Die mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz eingeführten fachgesetzlichen Regelungen zur Beteiligung von Natur- und Umweltschutzvereinigung sind zwar zu begrüßen. Eine unveränderte Übernahme in das VwVfG wird bislang aber abgelehnt, vor allem weil sie sich in die bestehenden Vorschriften nicht recht einfügen würden. Die eingeführten Neuregelungen sollten

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allerdings zumindest in den Fachplanungsgesetzen im Interesse der Übersichtlichkeit und Einfachheit der Regelungen redaktionell überarbeitet und gebündelt werden. Im VwVfG käme jedoch eine abstrakte Regelung in Frage, etwa zur Beteiligung von Institutionen oder Vereinigungen, die aufgrund anderer Rechtsvorschriften zu beteiligen sind. In dieser Frage besteht also sicher noch Bewegungsspielraum. x

Verlängerung der Plangeltung auf 10 Jahre mit der Möglichkeit der Verlängerung um weiter 5 Jahre auf Antrag

Eine generelle Verlängerung der Geltungsdauer des festgestellten Plans, wie es die Maßgabevorschriften zu § 75 Abs. 4 VwVfG vorsehen, wird von den Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten abgelehnt. Diese rein fachspezifischen Fristen haben allenfalls bei Großvorhaben vor dem Hintergrund besonderer haushaltspolitischer oder wirtschaftlicher Bedingungen eine Berechtigung. Bei sonstigen Vorhaben ist eine 10- oder gar 15-jährige Frist für die Betroffenen unzumutbar. Außerdem ginge bei einer so weit reichenden Frist auch ein Anreiz für die Vorhabenträger verloren, mit der Realisierung des Vorhabens so früh wie möglich zu beginnen. 3. Regelungen, die in den Fachgesetzen gestrichen werden sollten Bei den folgenden Maßgabevorschriften scheidet nicht nur eine Übernahme in das VwVfG aus. Sie sollten nach Auffassung der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten auch in den Fachgesetzen gestrichen werden: x

Beschränkung der Pflicht zur Planauslegung auf Gemeinden, in denen sich das Vorhaben „voraussichtlich“ auswirkt

Im VwVfG war in § 73 Abs. 2 der Zusatz „voraussichtlich“ schon enthalten und ist durch das GenBeschlG 1996 gestrichen worden, weil die Einschränkung zu Zweifelsfragen geführt hatte. In das Fachrecht (z. B. in § 17 Abs. 3a FStrG) war die Formulierung 1993 durch das Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz – PlVereinfG)7 vom 17. Dezember 1993 aufgenommen worden. Sie ist dort trotz der Streichung im VwVfG durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz verblieben und wurde dann durch das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz in die parallelen Maßgabevorschriften der Fachgesetze übernommen. Grundsätzlich muss es jedoch Aufgabe der Verwaltung bleiben, anhand objektiver Kriterien zu prognostizieren, in welchen Gemeinden sich ein Vorhaben auswirken wird. Die Einfügung des Zusatzes „voraussichtlich“ erweckt also nur den Anschein einer wesentlichen Entlastung und kann sogar zusätzliche ___________ 7

BGBl. I S. 2123.

Die Rückführung fachgesetzlicher Regelungen von Planfeststellungsverfahren 113

Konflikte provozieren. Eine Verfahrensbeschleunigung ist dagegen kaum zu erwarten, so dass der Zusatz gestrichen werden sollte. x

Beschränkung der Benachrichtigungspflicht gegenüber Ausmärkern auf solche mit bekanntem Aufenthalt, d. h. Einschränkung der Pflicht zur Aufenthaltsermittlung

Die fachgesetzlichen Maßgaben zu § 73 Abs. 5 Satz 3 VwVfG stammen ursprünglich aus dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Dort wurden sie eingeführt, weil die Ermittlung Betroffener in den neuen Bundesländern oft problematisch war. Später wurden sie durch das Planungsvereinfachungsgesetz bundesweit in das Fachrecht übernommen. Sie erwecken den Eindruck, als würden sie einen erheblichen Aufwand vermeiden helfen. Dies wird aber tatsächlich nicht zutreffen. Die Behörde wird sich kaum darauf berufen können, der Aufenthalt eines Ausmärkers sei nicht bekannt gewesen, wenn sie unter Zuhilfenahme für sie erreichbarer Informationsquellen den Aufenthalt hätte feststellen können. Die Auswertung der verfügbaren Unterlagen und Register wird allemal verlangt werden können. Wegen der sonst u. U. drohenden gravierenden Rechtseingriffe für die Betroffenen sollte deshalb auch der Aufenthalt einer Person, der mittels der den Behörden zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten ohne unverhältnismäßigen Aufwand zu ermitteln ist, als „bekannt“ anzusehen sein. Die Maßgabevorschriften bringen bei verfassungskonformer Auslegung also kaum wesentliche Entlastungen. Abgesehen davon ermitteln Vorhabenträger die Betroffenen schon aus eigenem Interesse oft selbst. Die Ermittlung wird in der Regel mit Grundbuch, Steuerlisten und Daten der Einwohnermeldeämter binnen einer Woche möglich sein und dürfte mit zunehmender elektronischer Unterstützung immer leichter werden. In der Praxis zieht folglich die Ermittlung „unbekannter“ Betroffener keinen zeitlich unangemessenen Aufschub nach sich. Die fachgesetzlichen Maßgaben sollten deshalb gestrichen werden. 4. Besonderheiten beim Luftverkehrsgesetz Einer grundlegenden inhaltlichen und systematischen Überarbeitung sollten schließlich die planungsrechtlichen Vorschriften des Luftverkehrsgesetzes unterzogen werden. Im Vergleich zu den anderen Fachplanungsgesetzen besteht hier ein erhöhter Bedarf an inhaltlicher und struktureller Annäherung an die Vorschriften des VwVfG zum Planfeststellungsverfahren. Die eingangs erwähnte Arbeitsgruppe der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten hat sich bei ihrer Untersuchung zunächst auf das AEG, das FStrG, das WaStrG und das LuftVG konzentriert. In einem weiteren Schritt ist nun zu prüfen, welche Maßgabevorschriften in anderen Fachplanungsgesetzen verallgemeinerungsfähig oder im Gegenteil verzichtbar sind.

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VI. Einheitliche Anpassung der VwVfGe des Bundes und der Länder Das sicher aufwendige Verfahren, gemeinsam zwischen Bund und den Ländern notwendigen Änderungsbedarf zu erörtern und sich auf einheitliche Änderungen zu verständigen, hat Vorteile, die den höheren Aufwand rechtfertigen. An dieser Stelle sei nur an § 137 der Verwaltungsgerichtsordnung erinnert. Danach sind Vorschriften der VwVfGe der Länder revisibel, wenn sie in ihrem Wortlaut mit dem VwVfG des Bundes übereinstimmen. Nach wie vor gültig ist auch der Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister aus dem Jahre 1976, nach dem die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder einheitlich fortentwickelt werden sollen. Bisherige Änderungen erfolgten auch weitestgehend nach diesem Grundsatz.

VII. Weiteres Vorgehen Die wesentlichen Eckpunkte für einen gemeinsamen Musterentwurf hat die Konferenz der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten bereits formuliert. Auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat signalisiert, dass es an einer zügigen Umsetzung der Bundestagsentschließung interessiert sei. Auf dem Plan stehen deshalb zunächst eine abschließende Prüfung der anzustrebenden Änderungen und die Ausformulierung des Musterentwurfs. Auf dessen Basis soll dann so schnell wie möglich das VwVfG angepasst werden. Ich hoffe, dass es gemeinsam mit den Ländern gelingt, verstreutes Verfahrensrecht soweit wie möglich wieder dorthin „zurückzuholen“, wohin es eigentlich gehört – in das VwVfG. Der von Bundestag und Bundesrat erteilte Auftrag zur Rechtsbereinigung sollte dabei als Signal zur Stärkung des VwVfG verstanden werden.

Die Auswirkungen des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes auf die Genehmigungspraxis von Straßenbauvorhaben Von Jutta Schmidt Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben (Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz – IPBeschlG) vom 9.12. 20061, das aus elf Artikeln besteht, ist am 17.12.2006 in Kraft getreten. Nach der in § 24 I 1 FStrG enthaltenen Übergangsregelung werden vor dem 17.12.2006 beantragte Planfeststellungsverfahren oder Plangenehmigungsverfahren nach den Vorschriften des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes weitergeführt. Davon ausgenommen sind die Verfahren, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes nach den Vorschriften des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes begonnen wurden und daher noch nach den bisherigen Vorschriften zu Ende geführt werden. Das zentrale Anliegen des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes besteht darin, die Planung und den Bau wichtiger Infrastrukturvorhaben des Bundes zu erleichtern und zu beschleunigen. Das Gesetz zeigt, dass es möglich ist, die „Spreu vom Weizen“ zu trennen, denn es ist gelungen, die europarechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 2003/35/EG über die Beteiligung der Öffentlichkeit2 effizient in Planfeststellungsverfahren einzubinden, verfahrensbeschleunigende Regelungen, die zugleich ein hohes Maß an Rechtssicherheit gewähren, in die Verkehrswegegesetze des Bundes zu integrieren und ein für das gesamte Bundesgebiet einheitliches Planungsrecht zu schaffen. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Genehmigungspraxis werden nachstehend für Planfeststellungsverfahren nach dem Bundesfernstraßengesetz aufgezeigt. ___________ 1

BGBl. I S. 2833. Richtlinie 2003/35 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.5.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten vom 25.6.2003, ABl. Nr. L 156, S. 17. 2

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Gemäß § 17 S. 1 FStrG ist der Neubau oder Ausbau von Bundesfernstraßen nur zulässig, wenn vorher ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt wird. Die Durchführung von Planfeststellungsverfahren ist in den §§ 72 ff. VwVfG geregelt, die jedoch nur dann zur Anwendung kommen, soweit das Bundesfernstraßengesetz keine spezielleren Regelungen enthält. Die danach verbleibenden und grundsätzlich anwendbaren Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes werden wegen der in § 1 III VwVfG verankerten föderalen Subsidiarität verdrängt, soweit entsprechende Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder vorhanden sind. Die Länder haben sämtlich eigene Regelungen auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrens getroffen, teilweise, indem sie eigene Verfahrensgesetze erlassen haben, teilweise, indem sie durch dynamische Verweisung die Bestimmungen des VwVfG des Bundes in Landesrecht übertragen haben. Da demnach alle Länder über ein eigenes Verwaltungsverfahrensgesetz verfügen, findet das VwVfG des Bundes beim Landesvollzug von Bundesfernstraßen keine unmittelbare Anwendung. Im Verhältnis zwischen dem Bundesfernstraßengesetz und den VwVfG der Länder findet Art. 31 GG mit der Folge Anwendung, dass abweichendes Bundesrecht (§§ 17 a bis 17 e FStrG) landesgesetzlichen Bestimmungen vorgeht. In der Praxis bereitet die Umsetzung dieser rechtlichen Vorgaben wegen der weitgehenden Übereinstimmung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder in der Regel keine Probleme.

I. Anhörungsverfahren Mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz wurde das Anhörungsverfahren im Sinne von § 73 VwVfG für die fernstraßenrechtliche Planfeststellung wesentlich geändert. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Anhörungsverfahren erfolgt nunmehr einheitlich im Rahmen der Auslegung des Plans in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkt (§ 17 a Nr. 1 FStrG). Mit der ortsüblichen Bekanntmachung über die Auslegung des Plans werden die in fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren zu beteiligenden anerkannten Naturschutzvereine gemäß § 60 BNatSchG benachrichtigt (§ 17 a Nr. 2 FStrG). Die anerkannten Naturschutzvereine brauchen nicht mehr wie bisher über die Auslegung des Plans informiert und zur Stellungnahme aufgefordert zu werden. Mit Blick auf die Vorgaben aus dem Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz3 und dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz4 werden auch die Vereinigungen, ___________ 3 Gesetz über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG vom 9.12.2006, BGBl. I S. 2819.

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die sich für den Umweltschutz einsetzen und den anerkannten Naturschutzvereinen zur Seite gestellt wurden, durch ortsübliche Bekanntmachung über die Auslegung des Plans benachrichtigt. Eine weitere Vereinfachung des Anhörungsverfahrens wurde für die nicht ortsansässig Betroffenen (Ausmärker) getroffen. Dabei handelt es sich um Eigentümer von Grundstücken, welche in dem vom Vorhaben betroffenen Gebiet liegen, dort aber nicht ansässig sind. Ist der Name und der Aufenthalt (Anschrift) der Ausmärker bekannt, wird ihnen auf Veranlassung der Anhörungsbehörde der Bekanntmachungstext der ortsüblichen Bekanntmachung übersandt (§ 17 a Nr. 4 FStrG i. V. m. § 73 V 2 VwVfG). Sofern deren Name und Anschrift nicht bekannt und insbesondere nicht aus Grundbüchern und Grundsteuertabellen ableitbar ist, besteht in Anlehnung an die Regelung in § 3 II S. 3 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz nicht mehr das Erfordernis, diese Angaben innerhalb „angemessener Frist“ eigens zu ermitteln. Diese Regelung spart Zeit und dient der Rechtssicherheit.

II. Beteiligungsfristen Die Effizienz des Anhörungsverfahrens wird erheblich durch die Einführung von Fristen zur Abgabe von Stellungnahmen und Präklusionsregelungen gesteigert. Gemäß § 17 a Nr. 7 S. 4 FStrG setzt die Anhörungsbehörde den nach § 73 II VwVfG zu beteiligenden anderen Behörden eine Frist zur Abgabe ihrer Stellungnahme, die drei Monate nicht überschreiten darf, und weist zugleich auf die Rechtsfolge der Fristversäumung hin. Die Rechtsvorschrift wurde § 17 Nr. 1 WaStrG a. F. nachgebildet und regelt die sog. begrenzte Behördenpräklusion. Danach löst eine Fristüberschreitung grundsätzlich die Rechtsfolge aus, dass die Planfeststellungsbehörde die Stellungnahme nicht zu berücksichtigen braucht. Während § 73 IIIa 2 VwVfG diese Rechtsfolge erst nach dem Erörterungstermin eintreten lässt, kommt es nach der fernstraßengesetzlichen Regelung auf die Versäumung der von der Anhörungsbehörde gesetzten Frist zur Stellungnahme an. Die an die Fristversäumung geknüpfte Rechtsfolge tritt jedoch dann nicht ein, wenn später von einer Behörde vorgebrachte öffentliche Belange der Planfeststellungsbehörde auch ohne ihr Vorbringen bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen oder für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von Bedeutung sind. Die begrenzte Behördenpräklusion stellt sicher, dass die zu beteiligenden anderen Behörden innerhalb der von der Anhörungsbehörde gesetzten Fristen agieren, aber im Falle einer Fristüberschreitung die Vervoll___________ 4 Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG vom 7.12.2006, BGBl. I S. 2816.

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ständigung des für die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde notwendigen Abwägungsmaterials nicht ausgeschlossen wird. In der ortsüblichen Bekanntmachung über die Auslegung des Plans wird gemäß § 17 Nr. 7 S. 1 und 2 FStrG darauf hingewiesen, dass Einwendungen Betroffener sowie Einwendungen und Stellungnahmen anerkannter Naturschutzvereine und Vereinigungen (§ 3 URG) nach Ablauf der Einwendungsbzw. Äußerungsfrist ausgeschlossen sind. Der Gesetzgeber hat entschieden, dass die anerkannten Naturschutzvereine und die ihnen zur Seite gestellten Vereinigungen nicht wie Träger öffentlicher Belange am Verfahren beteiligt, sondern wie Private5 in das Anhörungsverfahren einbezogen werden. Die Rechtsvorschrift stellt sicher, dass die gewährten Beteiligungsrechte im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens innerhalb der dafür vorgesehenen, hinreichend bemessenen, gesetzlichen Ausschlussfristen ausgeübt werden müssen. Danach eingehende Stellungnahmen und Einwendungen sind ausgeschlossen (formelle Präklusion). Rechtsbehelfe können nicht auf neue Tatsachen gestützt werden (materielle Präklusion). Die Gleichstellung der anerkannten Naturschutzvereine nach § 3 URG und der sonstigen Umweltschutzvereinigungen mit den privaten Einwendungsführern erfolgte, weil die bis dahin gemäß § 61 III BNatSchG vorhandene Besserstellung, nach der Einwendungen anerkannter Naturschutzvereine bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens (Bekanntgabe des Planfeststellungsbeschlusses)6 erhoben werden konnten, nicht nachvollziehbar war. Die Gleichstellung der anerkannten Naturschutzvereine mit den privaten Einwendungsführern besteht nur im Anwendungsbereich des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes. Gegenüber der im Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes enthaltenen Präklusionsregelung des § 73 IV VwVfG geht die naturschutzfachliche Präklusionsregelung des § 61 III BNatSchG vor. Dies hat zur Folge, dass die privaten Einwendungsführer mit ihren Einwendungen ausgeschlossen sind, wenn sie diese nicht innerhalb der Einwendungsfrist im Zusammenhang mit der Offenlage der Planunterlagen erheben. Dagegen müssen die Einwendungen der anerkannten Naturschutzvereine auch noch im weiteren Verlauf des Planfeststellungsverfahrens berücksichtigt werden. Bislang ist noch nicht entschieden, in welchem Verhältnis die in § 2 III URG enthaltene Präklusionsvorschrift für anerkannte Vereinigungen zu den Präklusionsvorschriften des Fachrechts steht. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass § 2 III URG den Einwendungsausschluss ausdrücklich anordnet, so

___________ 5 6

BT-Drs. 16/54, S. 32. BVerwG, Urt. vom 17. Mai 2002 – 4 A 28.01.

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dass sich der Streit über die Anwendbarkeit der Präklusionsvorschriften des Fachrechts erledigt.7

III. Verzicht auf Erörterungstermin Gemäß § 17 a Nr. 5 S. 1 FStrG kann die Anhörungsbehörde auf die Erörterung verzichten. Diese Entscheidung trifft die Anhörungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Abgesehen von § 67 II VwVfG kommt ein Verzicht insbesondere dann in Betracht, wenn aufgrund der eingegangenen Einwendungen und Stellungnahmen absehbar ist, dass diese nicht ausgeräumt werden können und damit der Erörterungstermin seiner Befriedigungsfunktion nicht gerecht werden kann. In diesem Fall soll der Verfahrensaufwand, der insbesondere bei Großverfahren wochenlange Vorbereitungen der Anhörungsbehörde erfordert, erspart werden. Diese Regelung dient der Verfahrensbeschleunigung. Die Sorge, dass beim Verzicht auf den Erörterungstermin ein „Weniger“ an sachdienlichen Ergebnissen erzielt wird, besteht nicht, wenn man sich bewusst macht, dass der Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens seitens der Anhörungsbehörde bei der gerichtlichen Nachprüfung des Planfeststellungsbeschlusses eine entscheidende Bedeutung zukommt, weil Fehler, die auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind, zur Nichtvollziehbarkeit bzw. Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen (§ 17 e VI FStrG). Der Verzicht auf den Erörterungstermin hindert die Anhörungsbehörde nicht, mit denjenigen, die fristgerecht Einwendungen erhoben oder Stellungnahmen abgegeben haben, einen Termin zu vereinbaren, um die Sach- und Rechtslage zu besprechen. Findet keine Erörterung statt, so hat die Anhörungsbehörde ihre Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen nach Ablauf der Einwendungsfrist abzugeben und zusammen mit den für die Planfeststellungsbehörde bestimmten Unterlagen dieser zuzuleiten (§ 17 a Nr. 5 S. 4 FStrG). Wenn die Anhörungsbehörde sich für die Durchführung eines Erörterungstermins entscheidet, muss sie die hierfür maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften beachten und hat die Erörterung innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Einwendungsfrist abzuschließen. Die Anhörungsbehörde gibt ihre Stellungnahme innerhalb eines Monats nach Abschluss der Erörterung ab und leitet sie innerhalb dieser Frist mit dem Plan, den Stellungnahmen der Behörden, den Stellungnahmen der Vereinigungen und den nicht erledigten Einwendungen der Planfeststellungsbehörde zu (§ 17 a Nr. 5 S. 2 und 3 FStrG). ___________ 7 Ewer, Ausgewählte Rechtsanwendungsfragen des Entwurfs für ein UmweltRechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2007, S. 267 (273).

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Nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes hat die Anhörungsbehörde nach Ablauf der Einwendungsfrist die rechtzeitig erhobenen Einwendungen gegen den Plan und die Stellungnahmen der Behörden zu dem Plan mit dem Träger des Vorhabens, den Behörden, den Betroffenen sowie den Personen, die Einwendungen erhoben haben, zu erörtern (§ 73 VI S. 1 VwVfG). Von der Durchführung des Erörterungstermins kann gemäß § 73 VI S. 5 VwVfG nur abgesehen werden, wenn einem Antrag auf Verzicht der mündlichen Verhandlung im Einvernehmen mit allen Beteiligten in vollem Umfang entsprochen wird oder alle Beteiligten auf die mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 67 II Nr. 1 und 4 i. V. m. § 73 VI S. 5 VwVfG). Die den praktischen Vollzug erleichternden Verfahrensregelungen über die Benachrichtigung der anerkannten Naturschutzvereine und Vereinigungen sowie die Möglichkeit auf den Erörterungstermin zu verzichten, sind auch anwendbar, wenn der ausgelegte Plan (§ 17 a Nr. 6 FStrG) oder der festgestellte Plan im Falle einer wesentlichen Änderung vor Fertigstellung des Vorhabens (§ 17 d S. 2 FStrG) geändert werden müssen.

IV. Plangenehmigung Auch die im Bundesfernstraßengesetz geregelte Plangenehmigung (§ 17 b Nr. 1 bis 3 FStrG) unterscheidet sich deutlich von dem im VwVfG des Bundes vorgesehenen Verfahrensinstrument. Die fernstraßenrechtliche Plangenehmigung kann, abgesehen von der befristet anzuwendenden Sonderregelung des § 17 b Nr. 5 FStrG, nur dann an Stelle der Plangenehmigung erteilt werden, wenn nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Mit der fernstraßenrechtlichen Plangenehmigung können auch solche Vorhaben genehmigt werden, durch die die Rechte anderer nur unwesentlich beeinträchtigt werden. Demgegenüber verlangt § 74 VI VwVfG, dass Rechte anderer durch das Plangenehmigungsvorhaben nicht beeinträchtigt werden. In der Praxis besonders bedeutsam ist, dass die fernstraßenrechtliche Plangenehmigung enteignungsrechtliche Vorwirkung8 hat (§ 19 I S. 2 FStrG). Die beschleunigende Wirkung der Plangenehmigung resultiert daraus, dass der nur geringfügig grundstücksmäßig beanspruchte Eigentümer nicht die Möglichkeit haben soll, den zügigen Baubeginn einer verkehrlich wichtigen Maßnahme, z.B. notwendige Kurvenbegradigung zur Beseitigung einer Unfallstelle, langfristig zu verzögern, um den Preis für die Entschädigung in die Höhe zu treiben. Falls ein solcher Eigentümer meint, ___________ 8 BVerwG, Urt. vom 15.12.1995 – 4 A 19/95; VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 6.4.2004 – 8 S 1997/03.

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zu Unrecht grundstücksmäßig beansprucht zu werden, kann er die Rechtmäßigkeit der Plangenehmigung gerichtlich überprüfen lassen. Die enteignungsrechtliche Vorwirkung der Plangenehmigung schließt die Möglichkeit zur vorzeitigen Besitzeinweisung des Trägers der Straßenbaulast ein (§ 18 f FStrG); insoweit dient diese Regelung der Verfahrensbeschleunigung und schafft Investitionssicherheit im Hinblick auf die Kalkulierbarkeit von Verfahren.

V. Geltungsdauer § 17 c Nr. 1 FStrG legt die Geltungsdauer für den Planfeststellungsbeschluss und die Plangenehmigung auf 10 Jahre nach Eintritt der Unanfechtbarkeit mit der Möglichkeit zur Verlängerung um weitere fünf Jahre fest. Bislang9 war die Geltungsdauer für den Planfeststellungsbeschluss und die Plangenehmigung unterschiedlich geregelt. Danach trat die Plangenehmigung fünf Jahre nach Eintritt der Unanfechtbarkeit automatisch außer Kraft, während der Planfeststellungsbeschluss nach Ablauf von fünf Jahren, gerechnet ab dem Eintritt der Unanfechtbarkeit, nochmals um fünf Jahre verlängert werden konnte. Abweichend von den fachgesetzlichen Regelungen legt das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes in den §§ 74 VI 4 und 75 IV VwVfG für die Plangenehmigung und den Planfeststellungsbeschluss eine Geltungsdauer von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit ohne Verlängerungsmöglichkeit fest. Die in § 17 c Nr. 1 FStrG vorgesehene Regelung über die Geltungsdauer des Planfeststellungsbeschlusses und der Plangenehmigung wird kritisch betrachtet. Die Regelung geht auf eine Forderung des Bundesrats zurück, die damit begründet wurde, dass das aufwändige und mit Rechtsunsicherheit behaftete Verlängerungsverfahren mit integrierter Anhörung sich in der Praxis nicht bewährt hatte. Deshalb sollte das Verlängerungsverfahren künftig erspart werden. Diese Regelung dient der Entbürokratisierung und Deregulierung. Materiellrechtlich enthält die Geltungsdauer von 10 Jahren keine Änderung gegenüber der bisherigen Regelung des § 17 VII FStrG; sie steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Einschätzung eines Zeithorizonts der Planfeststellungsbehörde für die Realisierbarkeit von Verkehrsprojekten10. Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens entschied sich der Bundesgesetzgeber dafür, an der bislang vorgesehenen Verlängerungsmöglichkeit um 5 Jah___________ 9

Vgl. § 17 Ia 4 und VII a. F. FStrG. BVerwG, Urt. vom 24.11.1989 – 4 V 41.88 – BVerwGE 84, S. 123; vom 20.5.1999 – 4 A 12.98 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 154. 10

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re (damit mögliche Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen und Plangenehmigungen 15 Jahre) in Anknüpfung an die Regelung des § 17 VII a. F. FStrG festzuhalten. Ausweislich der Gesetzesbegründung wurde die Verlängerungsmöglichkeit u. a. im Lichte der vorstehend genannten Gerichtsentscheidungen und der Aussagen des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts anlässlich einer Expertenanhörung11 zu einem Antrag des Bundesrats zur Änderung des FStrG beibehalten, der ausführte: „Wäre der Zeitraum in § 17 VII FStrG damals [zurzeit der getroffenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts] länger festgesetzt gewesen (z. B. 8 plus 5 = 13 Jahre oder 10 plus 5 = 15 Jahre), hätte das Bundesverwaltungsgericht vermutlich diesen Zeitraum als Anknüpfungspunkt [für seine Entscheidung zur Vorratsplanung] herangezogen.“ In der Praxis wird davon ausgegangen, dass das Verlängerungsverfahren um fünf Jahre wie bisher leer läuft. Bedeutsam ist jedoch die Festlegung der Geltungsdauer von 10 Jahren in § 17 c Nr. 1 FStrG. Aufgrund der eingangs erwähnten Übergangsregelung (§ 24 I FStrG) werden von der Regelung bereits alle Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen erfasst, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes am 17.12.2006 rechtswirksam genehmigt und noch gültig waren. Daher kann in diesen Fällen bereits das Verlängerungsverfahren erspart werden.

VI. Verhältnis zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen Die vorstehend dargestellten, das Planfeststellungsverfahren erleichternden und zugleich verfahrensbeschleunigenden Regelungen enthält das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes bedauerlicherweise (noch) nicht. Bereits im Oktober12/November 200613 wurde die Bundesregierung mit den Beschlüssen des Deutschen Bundestages und des Deutschen Bundesrats gebeten, „die beschleunigenden Maßnahmen des Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben auf den gesamten Bereich der Planfeststellungsverfahren auszudehnen und im VwVfG des Bundes sowie der Länder sobald wie möglich in einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren zu verankern.“

___________ 11

Vgl. Wortprotokoll der 67. Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen des Deutschen Bundestags vom 23.2.2005. 12 Beschl. des Deutschen Bundestages vom 27.10.2006, BT-Drs. 16/3158. 13 Beschl. des Deutschen Bundesrats vom 24.11.2006, BR-Dr. 764/06.

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Ein für die Praxis zufriedenstellendes Ergebnis liegt bislang nicht vor. Da das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes bislang nicht die beschleunigenden Regelungen des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes übernommen hat, werden der Neu- und Ausbau von Straßen nach Landesrecht in Anwendung der bisherigen Gesetzeslage fortgeführt. Bei den Anhörungs- und Planfeststellungsbehörden führt dies zu einem erheblichen Mehraufwand. Bei jedem Handgriff muss überlegt werden, wie nach dem jeweiligen Verfahrensrecht vorzugehen ist. Die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bekannt gegebenen Planfeststellungsrichtlinien 200714, die nicht nur Erläuterungen, sondern auch eine Vielzahl von Mustern für Anschreiben in den einzelnen Verfahrensstadien enthalten, können nicht mehr wie bisher weitgehend einheitlich für Straßen nach dem Bundesfernstraßengesetz und nach dem Landesrecht angewendet werden. An den bisherigen Planfeststellungsrichtlinien 2002 können sich die Bearbeiter der Anhörungs- und Planfeststellungsbehörden nur noch teilweise orientieren, da diese wegen einer Vielzahl aktueller Gesetzesänderungen, zu denen das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz, das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und das Erste Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes gehören, als inhaltlich überholt anzusehen sind. Die Folge ist, dass es vom Geschick des einzelnen Bearbeiters abhängt, ob er in den Verfahren nach Landesrecht die erforderliche Rechtssicherheit erreicht, denn anders als in den Verfahren nach dem Bundesfernstraßengesetz muss er Ermittlungen darüber anstellen, welche anerkannten Vereinigungen nach § 3 Umwelt-Rechts-behelfsgesetz von der Auslegung der Planunterlagen zu benachrichtigen und zur Stellungnahme aufzufordern sind. Das Risiko einer unvollständigen Ermittlung bzw. einer unzureichenden Beteiligung wird dadurch erhöht, dass nach § 3 I Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz auch ausländische in Deutschland anerkannte Vereinigungen beteiligt werden müssen. Hier stellt sich für den Bearbeiter in der Anhörungsbehörde die Frage, in welcher Form er die Benachrichtigung der anerkannten ausländischen Vereinigungen, die ihren Sitz möglicherweise im Ausland haben, vornimmt, um im Falle eines gerichtlichen Verfahrens die ordnungsgemäße Beteiligung nachweisen zu können. Ferner hat der Bearbeiter in Planfeststellungsverfahren nach Landesrecht weiterhin in „angemessener Frist“ Name und Anschrift der nicht ortsansässig Betroffenen (Ausmärker) zu ermitteln. Jede Ermittlung trägt jedoch das Risiko in sich, dass sie nicht vollständig und daher fehlerhaft ist. Auch wenn Verfahrensfehler wegen der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Heilung (§§ 45, 46 VwVfG) bzw. zur Durchführung einer Planergänzung oder eines ergänzenden Verfahrens (§ 17 e VI S. 2 FStrG) nicht immer zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses füh___________ 14 Richtlinien für die Planfeststellung nach dem Bundesfernstraßengesetz (Planfeststellungsrichtlinien 2007 – PlafeR 07), Verkehrsblatt 2008, Seite 30.

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ren müssen, so bewirken sie in jedem Fall ein erneutes Befassen der Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde sowie eine weitere zeitliche Verzögerung des im Interesse des Allgemeinwohls stehenden Vorhabens. Ist in Planfeststellungsverfahren nach Landesrecht absehbar, dass der Erörterungstermin die ihm zukommende Befriedungsfunktion nicht erfüllen wird, muss der Bearbeiter der Anhörungsbehörde diesen gleichwohl durchführen, wenn auch nur ein Einwendungsführer sich nicht mit dem Verzicht auf die mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der dargestellte Mehraufwand führt lediglich zu einer erheblichen Verlängerung des Anhörungsverfahrens, aber eine qualitative Verbesserung, die zu weiteren oder neuen Erkenntnissen im Hinblick auf das Abwägungsmaterial und die zu treffende Entscheidung führen könnte, ist damit nicht verbunden. Abgesehen von dem Mehraufwand bei den Anhörungs- und Planfeststellungsbehörden wegen des unterschiedlichen Verfahrensrechts in straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren nach Bundes- und Landesrecht, ist es auch aus Sicht des Bürgers nicht nachvollziehbar, weshalb in Angelegenheiten mit gleich gelagerter Problematik Unterschiede gemacht werden müssen, die letztlich nur dazu führen, dass der Bürger sich in dem Gesetzeslabyrinth nicht mehr zurecht findet. Für den Bürger ist nicht nachvollziehbar, warum die anerkannten Naturschutzvereine und anerkannten Vereinigungen in Planfeststellungsverfahren für Infrastrukturvorhaben auf Ebene des Bundes mit ihm gleichgestellt sind und sich ebenso wie er innerhalb der Einwendungs- bzw. Äußerungsfrist zur Vermeidung der Präklusion melden müssen, während dieselben Vereinigungen in Planfeststellungsverfahren nach dem Landesrecht neuen Sachvortrag bis zum Termin in der mündlichen Verhandlung vor dem zuständigen Gericht vorbringen können. Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass die Ungleichbehandlung gleich gelagerter Sachverhalte aufgegeben werden muss, wenn die Akzeptanz des Planfeststellungsverfahrens als schnelles, sicheres und effizientes Verwaltungsverfahren wiederhergestellt werden soll. Aus Sicht der Länder kommen hierfür mehrere Möglichkeiten in Betracht. Denkbar ist, dass die Länder durch eine Änderung ihrer Landesstraßengesetze die beschleunigenden Regelungen aus dem Bundesfernstraßengesetz übernehmen. Dieses Vorgehen trägt jedoch die Ungewissheit in sich, dass in den einzelnen Bundesländern keine einheitliche Umsetzung gelingt, weil die jeweils zuständigen Länderparlamente unterschiedlicher Auffassung über den Inhalt der beschleunigenden Regelungen sein können. Sofern sich die Übernahme der beschleunigenden Regelungen nur auf die Landesstraßengesetze beschränken würde, wäre dies aus Sicht des Bürgers und der Anhörungs- und Planfeststellungsbehörden nach anderen landesrechtlichen Vorschriften unzureichend. In den Bundesländern müssten nicht nur die Lan-

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desstraßengesetze, sondern auch das Landeseisenbahngesetz, das Landesseilbahngesetz und die Landesenteignungsgesetze geändert werden. Diese Gesetzesänderungen könnten die Bundesländer ersparen, wenn sie zentral ihre Verwaltungsverfahrensgesetze ändern würden. Diesem Begehren dürften bis Ende 2008 jedoch die Änderungen des Grundgesetzes15, die zum 1.9.2006 in Kraft getreten sind, entgegenstehen. Im Rahmen der Änderung des Grundgesetzes, die auch als Föderalismusreform bezeichnet wird, wurde u. a. Art. 84 GG geändert. Danach soll die Kompetenz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens und der Einrichtung von Behörden grundsätzlich bei den Ländern verbleiben. Gemäß Art. 84 I 2 Hs. 1 GG steht dem Bund die Befugnis zu, das Verfahrensrecht selbst zu normieren, ohne dass es dafür – wie noch unter dem Regime des Art. 84 I GG a. F. – der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Allerdings haben die Länder in solchen Fällen die Befugnis, davon abweichende Regelungen zu treffen (Art. 84 I 2 Hs. 2 GG). Bei einem besonderen Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung kann der Bund das Verwaltungsverfahren mit Zustimmung des Bundesrates auch ohne länderseitige Abweichungsoption regeln (Art. 84 I 5 und 6 GG). Wenn jedoch eine Abweichung von Länderseite nach Maßgabe des Art. 84 I 2 GG erfolgt ist, treten die in dem betreffenden Land hierauf bezogenen späteren bundesgesetzlichen Regelungen frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist (Art. 84 I 3 GG). Insoweit gilt der Anwendungsvorrang mit Blick auf das jeweils später erlassene Gesetz (Art. 84 I 4 i. V. m. Art. 72 II 3 GG). Art. 125 b II GG erlaubt den Ländern, von den bisherigen, auf Art. 84 I GG a. F. gestützten bundesgesetzlichen Regelungen abweichende Bestimmungen zu treffen. Dabei wurde für die davor bestehenden Regelungen über das Verwaltungsverfahren eine Übergangsfrist bestimmt. Deshalb müssen sich insoweit abweichungswillige Länder grundsätzlich bis zum 1.1.2009 gedulden. Nur wenn der Bund schon vor diesem Datum seine Regelungen modifiziert, können länderseitige Abweichungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen. Damit soll dem Bund Zeit für eine Überprüfung seines vorhandenen Normenbestandes gegeben werden, die es ihm ermöglicht, gegebenenfalls eine abweichungsfeste Neuregelung des Verwaltungsverfahrens vorzunehmen, bevor die Länder ihr Abweichungsrecht tatsächlich ausüben können16. Dies bedeutet, dass die Länder bis zum Ablauf der in der Übergangsregelung bestimmten Frist auf ein Tätigwerden des Bundes angewiesen sind und darauf hoffen müssen, dass die Bundesregierung die Beschlüsse des Deutschen Bundestags und des Deutschen Bundesrats vom Oktober/November 2006 realisiert. ___________ 15 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (GGÄndG) vom 28.8.2006, BGBl. I S. 2034. 16 BT-Drs. 16/813 S. 21.

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VII. Eilbedürftigkeit einer Neuregelung Die Zeit drängt. Wenn die dringend notwendigen Anpassungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes noch in der laufenden Legislaturperiode vorgenommen werden sollen, muss der Gesetzentwurf noch vor Beginn der Sommerpause 2008 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Für eine zeitnahe Änderung des VwVfG des Bundes gibt es gewichtige Gründe, denn dem VwVfG des Bundes, das sich über viele Jahre bewährt hat, droht das „Aus“. Derzeit ist offen, ob sich das bewährte Planfeststellungsverfahren dauerhaft gegen die integrierte Vorhabengenehmigung durchsetzen kann. Fest steht, dass der aus sechs Büchern bestehende Entwurf eines Umweltgesetzbuch (UGB 2009), Stand: 19.11.2006, im Internet eingestellt ist. Das Erste Buch (UGB I) enthält die gemeinsamen Vorschriften und das vorhabenbezogene Umweltrecht einschließlich der Regelungen über die integrierte Vorhabengenehmigung. Hinzu kommen die Fachrechtsbücher „Wasserwirtschaft“ (Zweites Buch), „Naturschutz“ (Drittes Buch), „Nichtionisierende Strahlung“ (Viertes Buch) sowie das „Emissionshandelsrecht“ (Fünftes Buch) und das „Recht der Erneuerbaren Energien“ (Sechstes Buch). Daneben wird es ein Einführungsgesetz geben, das die notwendigen Folgeänderungen im Fachrecht und gewisse Übergangsvorschriften enthält. Das Umweltgesetzbuch soll zugleich an die Stelle der umweltrechtlichen Regelungen in den Ländern treten. Betrachtet man den vorliegenden Entwurf des UGB 2009, dann ist festzustellen, dass die im Ersten Buch (UGB I) „Allgemeine Vorschriften und vorhabenbezogenes Umweltrecht“ vorgesehenen Regelungen im Widerspruch zu den vorstehend zitierten Beschlüssen des Deutschen Bundestags und des Deutschen Bundesrats stehen. Der Deutsche Bundestag und der Deutsche Bundesrat haben sich in diesen Beschlüssen dafür ausgesprochen, die im Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz enthaltenen beschleunigenden Maßnahmen auf den gesamten Bereich der Planfeststellungsverfahren auszudehnen. Dies soll in der Weise geschehen, dass die beschleunigenden Maßnahmen in den Verwaltungsverfahrungsgesetzen des Bundes und der Länder verankert werden. Dieses Vorgehen steht im Einklang mit den Zielen des Bürokratieabbaus, weil alle Zulassungsverfahren von den beschleunigenden Maßnahmen profitieren und Rechtszersplitterungen vermieden werden. Eine Änderung der landesrechtlichen Fachplanungsgesetze wäre (weitgehend) entbehrlich. Im Gegensatz zur Intention des Deutschen Bundestags und des Deutschen Bundesrats schafft der vorliegende Gesetzentwurf des UGB I „Allgemeine Vorschriften und vorhabenbezogenes Umweltrecht“ zusätzliches Verfahrensrecht, das zu einer Vermehrung des Normenbestandes und zu komplexeren Genehmigungsverfahren führt. Die darüber hinaus vorgesehene Einführung neuer Begriffe würde dazu führen, dass auf gefestigte Rechtssprechung nicht mehr zugegriffen werden

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könnte. Die Folge wäre eine erhebliche Rechtsunsicherheit im Vollzug, die zur Hemmnis von Investitionen führen würde. Zu bedenken ist ferner, dass die Einführung der integrierten Vorhabengenehmigung nach dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition in dieser Legislaturperiode zunächst für Industrieanlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, bestimmte wasserwirtschaftliche Vorhaben und Abfalldeponien vorgesehen ist, nicht aber für Verkehrswege. Abgesehen davon besteht bei Verkehrswegen kein praktisches Bedürfnis für die Einführung neuer Verfahrensinstrumente, weil mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz die bewährten Planungsinstrumente im Allgemeinen Eisenbahngesetz, im Bundesfernstraßengesetz, im Bundeswasserstraßengesetz, im Luftverkehrsgesetz und im Magnetschwebebahngesetz optimiert wurden. Diese Planungsinstrumente stellen sicher, dass Verkehrsprojekte bei ihrer Zulassung nicht einseitig nach Umweltgesichtspunkten beurteilt und die fachplanerischen Überlegungen mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt werden. Als Fazit ist festzuhalten, dass die bestehende Gesetzeslage mit einem unterschiedlichen Verfahrensrecht für Planfeststellungsverfahren auf Bundes- und Landesebene weder für den Bürger noch für die damit befassten Verwaltungen akzeptabel ist. Eine Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes ist jedoch nur dann zielführend, wenn die beschleunigenden Regelungen des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes weitgehend in das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes überführt werden. Falls dies unterbleibt, ist eine abweichende Gesetzgebung entweder in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Bundesländer oder in den landesrechtlichen Fachgesetzen vorprogrammiert. Dies würde zu einer vollständigen Rechtszersplitterung führen, die mit der Gefahr eines hohen Maßes an Rechtsunsicherheit verbunden wäre. Diese Entwicklung wäre nicht geeignet, die Effizienz des Planfeststellungsverfahrens zu belegen und würde diejenigen unterstützen, die in dem Verfahrensinstrument der integrierten Vorhabengenehmigung eine Lösung für schnelle, sichere und unbürokratische Genehmigungsverfahren zu sehen glauben. Daher bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung noch vor Beginn der Sommerpause 2008 das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes im Sinne der Beschlüsse des Deutschen Bundestags und des Deutschen Bundesrats vom Oktober/November 2006 einleitet und noch in dieser Legislaturperiode zum Abschluss bringt.

Ver- und Entsorgungsleitungen in der Planfeststellung Von Michael Ronellenfitsch

I. Ausgangslage Im Oktober 1995 erörterte der an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer tagende Fachausschuss Straßenrecht die „Folgekosten bei Versorgungsleitungen“.1 Damals ging es um die Nachwirkungen der Wiedervereinigung. Die von den Energieversorgungsunternehmen aufgebotenen Juristen behaupteten ein Sonderrecht aus DDR-Zeiten, wonach der Veranlasser von Änderungen an Leitungen für die damit verbundenen Folgekosten aufkommen muss.2 Demgegenüber vertrat ich für Gesamtdeutschland den Grundsatz, dass derjenige, der unentgeltlich mit seinen Leitungen einen Verkehrsweg nutzen darf, das Kostenrisiko einer Änderung seiner Leitungen als Folge der Änderung des Verkehrswegs zu tragen hat.3 Der Bundesgerichtshof entschied ebenso,4 was die Versorgungsunternehmen anstachelte, alles zu tun, um diese Rechtsprechung zu Fall zu bringen. Beim Bundesverfassungsgericht erlitten sie eine Abfuhr.5 Nunmehr suchen sie ihr Heil bei den Verwaltungsgerichten. Ihre Hoffnungen auf das Planungsrecht sind jedoch vergeblich.

___________ 1

So der Titel meines Vortrags; abgedruckt in: Willi Blümel (Hrsg.), Planungsrechtliche Optimierungsgebote – Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung – Folgekosten, Speyerer Forschungsberichte Bd. 157, 1996, S. 67 ff. 2 Peter J. Tettinger, Zur Kostentragung bei straßenbaubedingten Änderungen an Energieversorgungsanlagen in den neuen Bundesländern nach Maßgabe der energieund straßenrechtlichen Bestimmungen der ehem. DDR, 1996; Helmut Nicolaus, Der Folgekostenstreit in den neuen Bundesländern, 1999; Thomas von Dannwitz, Die Folgekostenpflicht im Spannungsfeld von straßenrechtlicher Sondernutzung und energierechtlicher Mitbenutzung, DVBl. 2000, 1562 ff. 3 Michael Ronellenfitsch, Straße und Energieversorgung im Konflikt, 1996. 4 BGHZ 138, 266; 144, 29; BGH, LKV 2002, 486. 5 Vgl. BVerfG, KB vom 13.7.2005 – 1 BvR 1004/00.

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1. Ver- und Entsorgungsleitungen Versorgungs- und Entsorgungsleitungen sind Leitungen, die der öffentlichen Ver- und Entsorgung dienen. Über die enge Legaldefinition des § 2 Abs. 3 und 4 EnWG hinaus6 handelt es sich um Wasser-, Strom-, Gas- und Mineralölleitungen, Informations- und Telekommunikationsleitungen sowie Gefahrenmeldeleitungen. Der öffentlichen Versorgung dienen nicht allein die Leitungen im engeren Sinne. Zu den Leitungen zählen auch Masten, Transformatoren, Ausleger, Absperrvorrichtungen, Hydranten, Kontrollschächte, Alarmreinrichtungen, wie generell die Betriebsanlagen der Leitungen. Errichtung und Betrieb von Ver- und Entsorgungsleitungen unterliegen speziellen öffentlichrechtlichen und privatrechtlichen Anforderungen. Gemeinsam ist den Ver- und Entsorgungsleitungen, dass sie Leitungsnetze erfordern. Solche Leitungsnetze müssen geplant werden; für sie gelten die Anforderungen des materiellen Planungsbegriffs. Ein eigenes Planfeststellungserfordernis besteht seit 2001 nur für die Errichtung und den Betrieb sowie die Änderung von Hochspannungsleitungen, ausgenommen Bahnstromfernleitungen, mit einer Nennspannung von 110 Kilovolt und mehr7 sowie für Gasversorgungenleitungen mit einem Durchmesser von mehr als 300 Millimeter. 2. Nutzung von Verkehrswegen a) Verkehrswege als Mehrzweckinstitute Leitungsnetze für die Ver- und Entsorgung beanspruchen in großem Umfang private und öffentliche Grundstücke. Am ehesten zugänglich sind die in den Verkehrswegen untergebrachten Leitungsnetze. So lässt sich wegen des weit verzweigten Straßennetzes die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser und Energie nicht ohne die Benutzung von Straßen durchführen. Die Benutzung der Straße erfolgt hier als Längsverlegung. In Betracht kommt aber auch die Kreuzung von Verkehrswegen. Da die Versorgungswirtschaft einen klassischen Fall der Daseinsvorsorge darstellt, sehen die einschlägigen Fachgesetze Mitbenutzungsrechte der Verkehrswege durch Ver- und Entsorgungsleitungen ___________ 6 Ähnlich umfassend die Hinweise des Bundesministers für Verkehr zur Behandlung von Ver- und Entsorgungsleitungen sowie Telekommunikationslinien bei Straßenbaumaßnahmen des Bundes Ausgabe 2006, ARS Nr.37/2006 v. 7.12.2006, VkBl. 2006, 900. 7 Vgl. Norbert Kämper, Neues Planungsrecht für Energieleitung, RdE 2007, 112 ff. Zur früheren Rechtslage Udo Steiner, Der Bau von Energieversorgungsleitungen – Verfahrensrechtliche Voraussetzungen, in: Festschr. f. Fabricius, 1989, S. 271 ff.

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vor, die notfalls durch Enteignungen erzwungen werden können.8 Verkehrswege sind danach Mehrzweckinstitute.9 Der staatliche Infrastrukturauftrag erfasst nicht nur den durch die Widmung festgelegten Primärzweck der Verkehrswege, sondern auch weitere Nutzungszwecke, insbesondere die Benutzung von Verkehrswegen durch Ver- und Entsorgungsleitungen. b) Nutzungsverhältnis Verkehrswege sind öffentliche Sachen. Die öffentliche Sachherrschaft trifft mit privatrechtlichen Eigentumsbefugnissen zusammen. Für die Begründung der Mitbenutzungsverhältnisse kann an die öffentliche Sachherrschaft oder an die privaten Eigentumsverhältnisse angeknüpft werden. Als Regelungsmodelle kommen in Frage: ƒ Nutzung der Verkehrswege für Ver- und Entsorgungsleitungen als Gemeingebrauch, ƒ Nutzung der Verkehrswege für Ver- und Entsorgungsleitungen als Sondernutzung (Berliner Modell), ƒ rechtgeschäftliche Begründung von Nutzungsrechten. § 8 Abs. 10 FStrG und die meisten Landesstraßengesetze ordnen die Mitbenutzung von Bundesfernstraßen durch Ver- und Entsorgungsleitungen, wenn sie den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigt, dem Privatrecht zu. Dies gilt sowohl für die Kreuzung von Straßen10 wie auch für die Verlegung von Längsleitungen. Grundsätzlich sind zur Begründung von Nutzungsrechten vertragliche Regelungen nach Maßgabe der Nutzungsrichtlinien notwendig. Dies ist schon deshalb sinnvoll, weil die Leitungen mit oder ohne dingliche Absicherung des Nutzungsrechts als Zubehör bewegliche Sachen in Eigentum des Ver- oder Entsorgungsunternehmers bleiben. Die Ausgestaltung von Straßenbenutzungsverträgen orientiert sich an dem zwischen der Versorgungswirtschaft und den zuständigen Bundes- und Landesministerien vereinbarten Rahmenvertrag 197411 bzw. dem Bundesmustervertrag 1987.12 Die Berechtigung zur Verle___________ 8

BGH, RdE 1962, 81; BVerwG, RdE 1968, 51; RdE 1984, 7; OVG NW, RdE 1968,

81. 9 Arnold Köttgen, Gemeindliche Daseinsvorsorge und gewerbliche Unternehmerinitiative, 1961, S. 21, 28, 94; Reinhard Mußgnug, Die öffentlichen Straßen als Mehrzweckinstitut, in: Bartlsperger/Blümel/Schroeter (Hrsg.), Ein Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, 1980, S. 81 ff. 10 Jochen Engert, Die Kreuzung öffentlicher Straßen durch unterirdische Fernleitungen nach neuem Wegerecht, NJW 1964, 1300 ff. 11 RS des BMV vom 9.12.1974, VkBl. 1975, 69; Dieter Braun, Rahmenvertrag für die Mitbenutzungsverhältnisse zwischen Straßen und Leitungen der öffentlichen Versorgung, et 1979, 5 ff.; Gerd D. Lochner, Rahmenvertrag zur Regelung der Mitbenut-

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gung und den Betrieb von Versorgungsleitungen beurteilen sich auch dann nach Privatrecht, wenn keine vertraglichen Regelungen getroffen werden.13 Für die Klärung von Streitfragen bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrswegen durch Versorgungseinrichtungen sind insoweit die Zivilgerichte zuständig. Die Mitnutzung setzt allerdings voraus, dass die Ver- und Entsorgungsleitungen rechtmäßig errichtet wurden. Das wiederum ist eine Frage des öffentlichen Rechts. Auf die Leitungsrechte können sich daher auch Entscheidungen der Verwaltungsgerichte über die Gestaltung der öffentlich-rechtlichen Verhältnisse durch Planfeststellungsbeschluss auswirken. c) Nutzungskonflikte Durch die Mitbenutzungsrechte werden die Errichtung, der Betrieb und Fortbestand der Ver- und Entsorgungsleitungen in ihrem Schicksal mit der Errichtung und dem Fortbestand der Verkehrswege verknüpft. Durch das räumlich enge Nebeneinander vom Eigentum an den Verkehrwegen und Eigentum an den Leitungen wird zwischen den Beteiligten ein dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis vergleichbarer Zustand herbeigeführt, der sie zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet. Das bedeutet, dass ƒ bei der erstmaligen Planfeststellung für Verkehrswege die Leitungsrechte mit zu berücksichtigen sind ƒ dass bei der Einziehung und Änderung von Verkehrswegen die Folgen für die Leitungen ebenfalls zu berücksichtigen sind. ƒ Schließlich kommt auch ein echtes Zusammentreffen verkehrsrechtlicher und energierechtlicher Planfeststellungen in Betracht. Wir haben es also mit drei Fallkonstellationen zu tun: – der Berücksichtigung von neuen Ver- und Entsorgungsleitungen bei der Planung von Verkehrsanlagen (Herstellungsproblematik), – der Folgepflichtenproblematik bei der Änderung von Verkehrswegen und – dem Zusammentreffen von Leitungs- und Verkehrwegeplanungen (Konkurrenzproblematik) ___________ zungsverhältnisse zwischen Straßen und Leitungen der öffentlichen Versorgung, Elektrizitätswirtschaft 1975, 233 ff. 12 ARS Nr. 7/1987 vom 27.4.1987, VkBl. 1987, 398. Vgl. auch Dieter Braun, Mustervertrag für die Mitbenutzung von Bundesfernstraßen durch Versorgungsleitungen, et 1969, 89 ff., 159 ff. 13 BGHZ 37, 353; BGH, NJW 1962, 1817; NJW 1969, 1960.

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3. Problemstellung Zur Problemverdeutlichung zwei Sachverhalte: a) BVerwGE 109, 192 Das Bundesverwaltungsgericht hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Im Planfeststellungsbeschluss für den Neubau eines Teilabschnitts der A 38 war vorgesehen, dass die neue Autobahn eine bereits vorhandene Gemeindestraße kreuzt. Dies sollte in der Weise geschehen, dass die Autobahn über die Gemeindestraße hinweggeführt wird. Dadurch wurden zwei Telekommunikationsanlagen der Telekom betroffen, die sich in der Gemeindestraße befanden und als Folge der Baumaßnahmen für die Dauer der Bauarbeiten provisorisch verlegt werden mussten. Das Ministerium wies im Planfeststellungsbeschluss die im Anhörungsverfahren erhobene Forderung der Telekom zurück, die Kosten der notwendigen Änderungen dem Vorhabenträger aufzuerlegen. Stattdessen stellte das Ministerium fest, dass „für die gebotene Änderung der Telekommunikationslinie die Telekom kostenpflichtig (ist)“. Daraufhin erhob die Telekom Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht und beantragte, den Planfeststellungsbeschluss dahin zu ergänzen, dass der Träger des Vorhabens die Kosten der Umverlegung ihrer Leitung zu tragen habe. Mit Urteil vom 1. Juli 1999 – 4 A 27.98 –14 wies das Bundesverwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab. Es gelangte zu diesem Ergebnis durch eine eingehende Interpretation von § 53 Abs.1 TKG a. F. Die mit dieser Vorschrift gleichlautende Bestimmung des § 72 TKG in der aktuellen Fassung besagt: (1) Ergibt sich nach Errichtung einer Telekommunikationslinie, dass sie den Widmungszweck eines Verkehrsweges nicht nur vorübergehend beschränkt oder die Vornahme der zu seiner Unterhaltung erforderlichen Arbeiten verhindert oder der Ausführung einer von dem Unterhaltungspflichtigen beabsichtigten Änderung des Verkehrsweges entgegensteht, so ist die Telekommunikationslinie, soweit erforderlich, abzuändern oder zu beseitigen. (2) Soweit ein Verkehrsweg eingezogen wird, erlischt die Befugnis des Nutzungsberechtigten zu seiner Benutzung. (3) In allen diesen Fällen hat der Nutzungsberechtigte die gebotenen Maßnahmen an der Telekommunikationslinie auf seine Kosten zu bewirken.

Die Entscheidung stützt sich auf folgende Erwägungen:

___________ 14 BVerwGE 109, 192 = Buchholz 442.066 § 53 TKG Nr. 1 = BayVBl 2000, 182 = DÖV 1999, 1052 = DVBl 1999, 1519 = NVwZ 2000, 316 = UPR 2000, 32.

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ƒ Für eine die Folgepflicht auslösende „Änderung des Verkehrsweges“ im Sinne dieser Vorschrift reiche jeder physisch-reale Eingriff in den Straßenkörper aus, der zur Folge hat, dass der Verkehrsweg als technisches Bauwerk umgestaltet wird.15 Dabei komme es nicht darauf an, ob der Verkehrsweg auf Dauer verlegt oder sonst einen anderen Zustand erhält. 16 ƒ Eine „Absicht“ des Unterhaltungspflichtigen zu Änderungen liege auch dann vor, wenn im Wege eines Planfeststellungsverfahrens die Änderung der leitungsführenden Straße als notwendige Folgemaßnahme mitgeregelt werden müsse.17 Im Anwendungsbereich des § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG komme es nicht auf die „eigene“ Absicht des Unterhaltungspflichtigen an. Stelle sich die Änderung des Verkehrsweges als planfeststellungsrechtlich zulässige Folgemaßnahme dar, sei aus der Sicht des Planungsträgers zu beurteilen, ob hieran ein Interesse bestehe.18 ƒ Unerheblich sei auch, ob der Wegeunterhaltungspflichtige der (leitungsführenden) Straße auf eigene Veranlassung hin den Verkehrsweg ändert oder gar ein eigenes Interesse an der Änderung hat. Denn § 72 TKG mache die Folgepflicht nicht davon abhängig, ob der Wegeunterhaltungspflichtige aus eigenem Antrieb oder auf die Initiative eines Dritten hin die Änderung vornimmt.19 Vielmehr sei ausreichend, dass er bei der Änderung des Verkehrsweges als Vorhabenträger in Erscheinung tritt.20 Diese Pflicht zur Befolgung sei durch das Gesetz angeordnet. Änderungen des Verkehrsweges, die tatbestandlich unter § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG fallen, habe der nach der Kompetenzordnung an sich zuständige Unterhaltungspflichtige so hinzunehmen, als hätte er selbst sie veranlasst.21 b) VG Berlin vom 29. November 2006 (Massantebrücke) Im Zusammenhang mit dem durch Beschluss 9. September 199922 festgestellten Neubau eines Teilabschnitt der A 113 und der A 100 in Berlin war die Verbreiterung und Anhebung der in der Straßenbaulast des Landes und im Eigentum der Bundesrepublik stehenden, über den Teltowkanal führenden Massantebrücke erforderlich. Die Änderungen der Brücke hatten ihrerseits Ände___________ 15 16 17 18 19 20 21 22

BVerwGE 109, 192 (197) unter 4. a). BVerwGE 109, 192 (197) unter 4. a). BVerwGE 109, 192 (202) unter 4. a) und b) cc). BVerwGE 109, 192 (202) unter 4 b) cc). BVerwGE 109, 192 (198) unter 4 b) aa). BVerwGE 109, 192 (199) unter 4 b) bb). BVerwGE 109, 192 (202) unter 4 b) dd). XIIB 2/99.

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rungen von Leitungen der Berliner Wasserbetriebe, einer Anstalt des öffentlichen Rechts mit privater Beteiligung, zur Folge. Die Beteiligten streiten über die Kostentragung für diese Folgemaßnahmen in Höhe von ca. 600.000 Euro. Um dem Bau der A 113 nicht im Wege zu stehen, schlossen die Beteiligten einen öffentlich-rechtlichen Vorfinanzierungsvertrag unter Beibehaltung ihrer Rechtsauffassungen ab. Danach sollte die Streitfrage, wer die Folgekosten zu tragen hat, im Verwaltungsrechtsweg entschieden werden. Das VG Berlin wies mit Urteil vom 29. November 200623 die Klage der Wasserbetriebe für die nach dem bindenden Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 9. Mai 200624 der Verwaltungsrechtsweg gegeben war, zurück. Zur Begründung führte es aus, die Folgekostenlast für Leitungsverlegungen richte sich nach den hierfür maßgeblichen objektiv-rechtlichen Regelungen. Einschlägig sei vorliegend § 12 Abs. 6 BerlStrG a.F. Die Vorschrift lautet: Werden im öffentlichen Interesse durch die Änderung oder Verlegung der öffentlichen Straße oder durch Unterhaltsmaßnahmen an ihr Änderungen von Versorgungsanlagen erforderlich, so haben die Versorgungsunternehmen diese Anlagen auf ihre Kosten der Straße anzupassen.

Dies gelte, so das VG, auch für den Fall der Drittveranlassung. Fachplanungsrecht stehe nicht entgegen. Der Planfeststellungsbeschluss enthalte insoweit keine Regelung. Ob eine Regelung der Folgekostenlast im Planfeststellungsbeschluss rechtlich möglich gewesen wäre, möge dahinstehen. Jedenfalls habe eine solche Regelung dem einschlägigen Fachrecht entnommen werden müssen. Dies sei das Berliner Straßengesetz, das eine vergleichbare Regelung wie § 53 Abs.1 TKG a. F. enthalte. Die Wasserbetriebe betreiben gegenwärtig die Zulassung der Berufung gegen diese Entscheidung. Beide Entscheidungen wurden somit auf der Grundlage des Planfeststellungsrechts getroffen.

II. Ver- und Entsorgungsleitungen in der Planfeststellung für Verkehrswege 1. Erfordernis der Planfeststellung Verkehrsvorhaben sind raumrelevant, berühren eine Vielzahl öffentlicher und privater Belange und müssen der Umgebung angepasst werden. Dadurch entsteht Planungsbedarf. Planungen erfordern planerische Gestaltungsfrei___________ 23 24

VG 1 A 18.02. OVG 1 L 16.05.

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heit,25 die durch kollidierende Rechte und Belange Planbetroffener beschränkt wird. Der gebotene Interessenausgleich erfolgt im Rahmen der Planfeststellung. 2. Gegenstand der Planfeststellung Bei der Planfeststellung handelt es sich um die behördliche Feststellung eines einheitlichen Plans zur Errichtung und gegebenenfalls auch zum Betrieb konkreter Anlagen. Der einheitliche Plan setzt sich aus einer Fülle von Plänen zusammen, die einzelne Aspekte des Vorhabens und Anlagenteile betreffen. Den sachlichen Gegenstand der Planfeststellung bilden die in den Fachplanungsgesetzen näher bezeichneten Anlagen. Dem Planfeststellungsvorbehalt unterliegen etwa: – Betriebsanlagen der Eisenbahn (§ 18 Abs. 1 AEG), – Bundesfernstraßen (§ 17 Abs.1 FStrG), – Bundeswasserstraßen (§ 14 Abs.1 WHG), – Betriebsanlagen für Straßenbahnen (§ 28 PBefG) – und Flughäfen sowie Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich (§ 8 Abs. 1 Luft VG). 3. Wirkungen der Planfeststellung Durch die Planfeststellung wird die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt. Der Planfeststellungsbeschluss ersetzt dabei alle für das Vorhaben an sich erforderlichen anderen behördlichen Entscheidungen.26 Ist der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden, sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen.27 Der Planfeststellungsbeschluss entfaltet über die Zulassungswirkung hinaus umfassende Konzentrations-, Gestaltungs- und Ausschlusswirkung. Im Streit um die Reichweite der Konzentrationswirkung hat sich die formelle Theorie durchgesetzt. Ersetzte Ermessens- und Abwägungsentscheidun___________ 25 Grundlegend BVerwGE 34, 301 (304); 45, 309 (313 ff.); 48, 56 (59); 56, 110 (116); 59, 253 (257); Hoppe / Just, Die Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit bei der Planfeststellung und Plangenehmigung, DVBl. 1997, 789 ff. 26 § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG. 27 § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG.

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gen sind dagegen in einem einheitlichen Abwägungsvorgang zusammenzuziehen (materielle Konzentrationswirkung). Die Gestaltungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses betrifft den gegenüber der Feststellung der Zulässigkeit des Vorhaben überschießenden Regelungsgehalt des Planfeststellungsbeschlusses. Der Planfeststellungsbeschluss sanktioniert umfassend die Zulässigkeit des Vorhabens und regelt rechtsgestaltend alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Vorhabenträger und den Planbetroffenen, ändert privatrechtliche Beziehungen jedoch nicht unmittelbar. Die Eingriffswirkung des Planfeststellungsbeschlusses ist beschränkt.28 4. Ver- und Entsorgungsleitungen Ver- und Entsorgungsleitungen dienen nicht dem Verkehr und sind begrifflich nicht Bestandteil des Verkehrswegs.29 Sie sind vielmehr Zubehör des Versorgungsnetzes.30 Das ändert nichts daran, dass die einzelnen Versorgungsanlagen häufig genehmigungsbedürftig sind. Bei der Herstellung neuer Berührungspunkte zwischen Verkehrsweg und Versorgungsleitungen erfolgt die Genehmigung der Leitungen unbeschadet der bauplanerischen Festsetzungen i. d. R. im Rahmen der Planfeststellung für die Verkehrswege. Gemeinhin betrachtet man die Versorgungsanlagen als Teil des Vorhabens und führt sie in dessen Bauwerksverzeichnis auf. Das mag für längs verlegte Leitungen (z. B. Regenentwässerungsrohre für Straßen) sachgerecht sein. Bei nur kreuzenden Leitungen stellt sich dagegen die Frage, ob diese ebenfalls zur Herstellung der planfestzustellenden Anlage gehören oder nicht als Folgemaßnahmen zu qualifizieren sind. Auf alle Fälle gehören die Ver- und Entsorgungsleitungen zum Regelungsgegenstand der Planfeststellung.31 Soweit es in den Leitsätzen etlicher BGH-Urteile heißt: „Die Verlegung und Unterhaltung von Versorgungsleitungen in Straßen beurteilt sich nach bürgerlichem Recht“,32 ist das ungenau. Gemeint sein kann nur das Mitbenutzungsverhältnis an der Straße. Die Zulassung von Versorgungsleitungen richtet sich nach öffentlichem Recht, bei planfeststellungsbedürftigen Verkehrswegen nach Planfeststellungsrecht.

___________ 28 29 30 31 32

644.

BVerwGE 58, 281 (285); vgl. aber auch BVerwGE 55, 220 (226). § 1 Abs. 4 FStrG, § 41 Abs.1 WaStrG; BGHZ 148, 129. BGH, NJW 1980, 771. BGH, NVwZ 1983, 632; NVwZ 1986, 689. BGH, NJW 1969, 1066; 1969, 1960; WM 1969, 1283; RdE 1972, 9; NJW 1974,

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III. Folgemaßnahmen, Folgepflichten und Folgekosten als Regelungsgegenstand von Planfeststellungsbeschlüssen 1. Regelungsgegenstand des Planfeststellungsbeschlusses a) Folgemaßnahmen Was alles in einem Planfeststellungsbeschluss zu regeln ist, bestimmt sich nach § 75 Abs. 1 VwVfG. Danach ist im Planfeststellungsbeschluss auch über notwendige Folgemaßnahmen an anderen Anlagen, also auch an Versorgungsleitungen zu entscheiden. Notwendige Folgemaßnahmen sind alle Regelungen außerhalb der eigentlichen Zulassung des planfestzustellenden Vorhabens, die für eine angemessene Entscheidung über die durch die Baumaßnahme aufgeworfenen Konflikte erforderlich sind. Die Regelung bezieht sich auf die Verursachung der Folgemaßnahmen durch Verkehrswegebaumaßnahmen bei bereits vorhandenen Versorgungsleitungen. Unerheblich ist, wer die Veränderungen oder Sicherungsmaßnahmen an den betroffenen Versorgungsleitungen konkret durchführt. Im Regelfall werden die erforderlichen Arbeiten aus Gründen der Fachkompetenz von den Versorgungsunternehmen selbst oder deren Subunternehmen durchgeführt. Die notwendigen Folgemaßnahmen fallen unter die Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses. „Andere Anlagen“ sind alle Anlagen, die von den Vorhaben betroffen werden. Der Begriff der „notwendigen“ Folgemaßnahmen ist dagegen restriktiv zu handhaben. Die Reduktion des Geltungsbereichs der Planfeststellung beruht auf folgender Erwägung: § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwVfG stellt allein auf das Veranlasserprinzip ab. Veranlassendes Vorhaben ist die Maßnahme, die die Folgemaßnahmen erzwingt und für welches das Planfeststellungsverfahren eingeleitet wurde. Für dieses Planfeststellungsverfahren sieht § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwVfG einen Anwendungsvorrang des maßgeblichen Planfeststellungsrechts vor. Die Konzentrationswirkung nach dieser Vorschrift kann aber nur einen begrenzten Geltungsvorrang für die notwendige Folgemaßnahme bedeuten. Am Geltungsanspruch des spezifischen Genehmigungs- und Planfeststellungsrechts für die anderen Maßnahmen ändert sich nichts. Die Genehmigung der notwendigen Folgemaßnahmen erstreckt sich nicht auf alle nützlichen oder zweckmäßigen Mitentscheidungen im Zusammenhang mit dem planfeststellungspflichtigen Vorhaben, sondern ist auf solche Maßnahmen beschränkt, die erforderlich sind, um nachhaltigen Störungen der Funktionsfähigkeit anderer Anlagen vorzubeugen33. Selbst dann sind notwendige Maßnahmen an anderen Anlagen nicht mehr lediglich Folgemaßnahmen, wenn sie die für diese Anla___________ 33 BVerwGE 109, 192 (201) unter Berufung auf BVerwGE 57, 297 und BVerwG Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 30; Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 11.

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gen bestehende originäre Planungskompetenz antasten34. Das ergibt sich schon daraus, dass das Veranlasserprinzip weder auf die Kompetenzordnung noch auf die Bedeutung des jeweiligen Vorhabens abstellt. Unbedeutende planfeststellungsbedürftige Vorhaben könnten notwendige Maßnahmen an anderen Anlagen nach sich ziehen, die die planerische Konzeption für gewichtigere Vorhaben zunichte machen. Folgemaßnahmen sind somit nur Annexmaßnahmen, die sich einem Vorhaben zuordnen lassen, ohne den originären Funktionszusammenhang der zu verändernden anderen Anlagen zu gefährden. Die Genehmigung der notwendigen Folgemaßnahmen ist auf solche Maßnahmen beschränkt, die erforderlich sind, um nachhaltigen Störungen der Funktionsfähigkeit anderer Anlagen vorzubeugen.35 Selbst dann sind notwendige Maßnahmen an anderen Anlagen nicht mehr lediglich Folgemaßnahmen, wenn sie die für diese Anlagen bestehende originäre Planungskompetenz antasten. Das hängt damit zusammen, dass § 75 Abs.1 Satz 1 VwVfG weder auf die Kompetenzordnung, noch auf die Bedeutung des jeweiligen Vorhabens abstellt. Unbedeutende planfeststellungsbedürftige Vorhaben könnten notwendige Maßnahmen an anderen Anlagen nach sich ziehen, die die planerische Konzeption für gewichtigere Vorhaben zunichte machen. Folgemaßnahmen sind somit nur Annexmaßnahmen, die sich einem Vorhaben zuordnen lassen, ohne den originären Funktionszusammenhang der zu verändernden anderen Anlagen zu gefährden. b) Folgepflicht Die Gründe, die für eine restriktive Auslegung von § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG sprechen, haben nichts mit der Frage zu tun, ob die Konzentrationswirkung von Planfeststellungsbeschlüssen die Folgepflichten und Folgekostenpflichten nach § 72 Abs. 3 TKG mit umschließt. Dies ist fraglos der Fall. Gemeint ist indessen nur die formelle Konzentrationswirkung. § 75 Abs.1 Satz 1 VwVfG sieht lediglich einen Zuständigkeitswechsel für die Genehmigung von Folgemaßnahmen an anderen Anlagen vor. Die Pflicht, dem planfestgestellten Vorhaben zu weichen, kann sich nicht selbstreferenziell aus dem Planfeststellungsbeschluss ergeben, sondern muss dem Planfeststellungsbeschluss vorausgehen. Dies beeinflusst auch die Feststellung der Folgekostenlast im Planfeststellungsbeschluss. Maßgeblich sind i. d. R. die vertraglichen Vereinbarungen.

___________ 34 35

BVerwG, DVBl. 1988, 843; NVwZ 1994, 1002. BVerwG, Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 11.

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c) Folgekostenpflicht Folgekosten sind Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Verlegung, Verbreiterung oder anderen Änderungen eines Verkehrswegs dadurch entstehen, dass an einer den Verkehrsweg nutzenden oder kreuzenden Versorgungsleitung bauliche Veränderungen oder sonstige Sicherungsmaßnahen erforderlich werden. Zu den Folgekosten zählen auch Aufwendungen für die Kreuzung einer neu angelegten Trasse mit einer vorhandenen Versorgungsleitung. Letztere zählen nicht als Teil der Herstellungskosten des später hinzugekommenen Verkehrsweges. Der später hinzukommende Verkehrsweg ist nämlich ebenso planfestzustellen wie die Änderung eines vorhandenen Verkehrswegs. Auf beide Fälle bezieht sich § 75 Abs.1 Satz 1 VwVfG. Umstritten ist allerdings, ob die Folgekostenpflicht überhaupt Regelungsgegenstand des Planfeststellungsbeschlusses sein kann. Das Bundesverwaltungsgericht geht hiervon unter Berufung auf das Gebot der Problembewältigung ohne weiteres aus. Die Hinweise 2006 besagen unter Nummer 1.3.1: „In der Planfeststellung wird darüber entschieden, ob und wie Leitungen sowie Telekommunikationslinien geändert (z. B. verlegt, gesichert) oder beseitigt werden; über die Kosten der Änderung oder Beseitigung von Versorgungsleitungen wird in der Planfeststellung nicht entschieden; anders bei Telekommunikationslinien, in diesen Fällen ist die Folgekostenregelung des § 53 Abs.1 TKG anzuwenden.“

Nr. 32 Abs.1 Planfeststellungsrichtlinie für Bundesfernstraßen 200736 lautet: „Die Mitbenutzung von Straßen für Leitungen der öffentlichen Versorgung und Entsorgung richtet sich nach bürgerlichem Recht, wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs.10 FStrG vorliegen. Das Gleiche gilt für andere im öffentlichen Interesse verlegte Leitungen, z. B. Mineralölfernleitungen … Im Planfeststellungsbeschluss, insbesondere im Bauwerksverzeichnis, sind bezüglich der vorgenannten Leitungen keine Kostenregelungen zu treffen. Es können lediglich Hinweise auf außerhalb des Verfahrens abgeschlossene oder noch abzuschließende Vereinbarungen sowie auf gesetzliche Kostenregelungen gegeben werden. In der Panfeststellung ist jedoch darüber zu entscheiden, ob und wie Leitungen geändert (z. B. ggf. verlegt – einschließlich Grunderwerb – gesichert) oder beseitigt werden …“.

Demgegenüber wird vom BayVGH37 und Teilen des Schrifttums38 die Ansicht vertreten, in einem straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss könne die Kostentragungspflicht des Nutzungsberechtigten für die Verlegung von Ver- und Entsorgungsleitungen überhaupt nicht geregelt werden, für die Kostenregelung in einem Planfeststellungsbeschluss bedürfe es immer einer spe___________ 36

PlafR 07, ARS Nr. 14/2007. BayVBl 1983, 534. 38 Jochen Dürr, in: Kodal / Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl. 1999, Kapitel 34 Rn 50.2; Engert, NJW 1964, 1550 (1551). 37

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ziellen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Dabei werden Regelungskompetenz und Regelungsvoraussetzungen durcheinander gebracht. Dies zeigt sich, wenn man auf die Wirkungen des Planfeststellungsbeschlusses abstellt. Wie ausgeführt, kommt dem Planfeststellungsschluss nur eine eingeschränkte Eingriffswirkung zu. In den Planfeststellungsbeschluss darf nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine einseitige Kostenregelung zu Lasten eines Dritten aufgenommen werden. Im Urteil vom 4. Juni 1982 heißt es39: „Denn eine den gesetzlichen Anforderungen genügende fernstraßenrechtliche Planfeststellung kann sich zwar in dem für die Durchführung des Planvorhabens erforderlichen Maß über Rechte und rechtlich geschützte Belange Dritter bis hin zur Zulassung der Enteignung hinwegsetzen; durch sie können aber, ... ohne eine gesonderte rechtliche Grundlage nicht zu Lasten Dritter positive Leistungspflichten begründet werden. Die Festlegung solcher Leistungspflichten geht über die mit der Planfeststellung erreichbaren Pflicht Dritter zur Duldung von Eingriffen in bestehende Rechtspositionen hinaus und bedarf demgemäß nach dem aus Art. 20 Abs.3 GG und den Grundrechten ableitbaren Erfordernis der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einer gesonderten gesetzlichen Grundlage.“

Die Versorgungsunternehmen vertreten in diesem Zusammenhang demgegenüber ein gewohnheitsrechtliches Veranlassungsprinzip in Anlehnung an § 1023 BGB, wonach die durch eine veränderte Straßenführung entstandenen Kosten von demjenigen getragen werden müssen, auf dessen Verlangen und in dessen Interessen die Veränderungen vorgenommen wurden.40 Der Bundesgerichtshof hat schon 1961 offen gelassen, ob ein derartiges Gewohnheitsrecht bestehe, und entschieden, dass selbst dann das Gewohnheitsrecht durch anderweitige Regelung abgedungen werden könne.41 Eine anderweitige Regelung ist § 8 Abs. 10 FStrG. Die Folgekostenlast kann sich darüber hinaus generell aus Gestattungsverträgen ergeben. Hier genügt es, wenn lediglich die Folgepflicht des Versorgungsunternehmens geregelt wird. Eine derartige Vereinbarung schließt in der Regel die Überwälzung der Folgekostenlast auf das begünstige Versorgungsunternehmen ein.42 Nicht nur im Anwendungsbereich des Bundesfernstraßengesetzes ist das Veranlasserprinzip überholt. Eine anderweitige gesetzliche Regelung treffen vor allem § 72 TKG und in § 12 Abs.6 BerlStrG. § 72 TKG ist mehr als eine spezielle Regelung für Telekommunikationsleitungen. Das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängervor___________ 39

BVerwGE 65, 346 (348 f.). Vgl. Hans Fischerhof, Schnellverkehrsstraßen und Versorgungsleitungen, Zur Frage der Änderungskosten, Elektrizitätswirtschaft 1959, 674 ff.; Rudolf Lukes, Die Benutzung öffentlicher Wege zur Fortleitung elektrischer Energie, 1973. Ebenso noch die amtliche Begründung des Kreuzungsgesetzes (Anz. 1939, Nr. 158 A.); RG, Recht 1904, 140 Nr. 638; OLG Naumburg, JW 1931, 1722. 41 BGHZ 36, 1 (9 f.); NJW 1962, 293; RdE 1962, 81; NJW 1972, 493; RdE 1980, 141; NJW 1982, 1283; NVwZ 1982, 650; NVwZ 1983, 632. 42 BGH, RdE 1963, 79. 40

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Michael Ronellenfitsch

schrift des § 53 TKG ist so allgemein gehalten, dass es auf alle planfeststellungsbedingten Änderungen von leitungsführenden Verkehrswegen bezogen werden könnte. Das ginge aber zu weit. § 72 TKG ist gleichwohl Ausdruck einer verallgemeinerungsfähigen Gewichtung der Interessen des Straßenbaulastträgers und des Nutzungsberechtigten. Das VG Berlin hat zutreffend diese Folgerung gezogen und nicht nur der Besonderheit des Berliner Straßenrechts Rechnung getragen. Gerät der Nutzungszweck des Verkehrswegs – der straßenrechtliche Gemeingebrauch (Primärzweck) – mit anderen Nutzungszwecken in Konflikt, so ist dem straßenrechtlichen Gemeingebrauch grundsätzlich größeres Gewicht zuzumessen. Dem Interesse der Allgemeinheit am Weg als Verkehrsmittler gebührt Vorrang vor dem Interesse des Nutzungsberechtigten am Fortbestand seiner Anlagen. Jedenfalls entspricht es einem zwischenzeitlich gewohnheitsrechtlich verfestigten allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass das unentgeltlich nutzungsberechtigte Versorgungsunternehmen das Kostenrisiko von Veränderungen des belasteten Verkehrswegs zu tragen hat. Die Argumentation der Versorgungsunternehmen mit dem Gewohnheitsrecht ist gar nicht so falsch Mittlerweile hat sich die Lage gedreht. Es ist ein Gewohnheitsrecht auf Entlastung der Verkehrswege von Folgekosten entstanden, das freilich ebenfalls vertraglich abbedungen werden kann. Maßgeblich ist die Interessenabwägung im Einzelfall. Die konkrete Rechtslage ist im jeweiligen Planfeststellungsbeschluss zu berücksichtigen. Fazit: Der Planfeststellungsbeschluss kann Aussagen über die Folgepflicht – und die Folgelast enthalten. Die Regelungsbefugnis folgt aus der Konzentrationswirkung und stützt sich auf materiell-rechtliche Eingriffsbefugnisse.

IV. Zusammentreffen von Planfeststellungen Mein Thema lautet nicht Planfeststellung für Versorgungsleitungen, sondern Ver- und Entsorgungsleitungen in der Planfeststellung (für Plangenehmigungen gelten die Ausführungen sinngemäß), womit fremde Planfeststellungen gemeint sein dürften. Das Zusammentreffen von Planfeststellungen nach dem EnWG mit Planfeststellungen für Verkehrswege nach § 78 VwVfG war nicht zu erörtern. Aus Gründen der thematischen Beschränkung kann ich auch nicht auf das Problem des Zusammentreffens nicht planfeststellungsbedürftiger, aber nichtsdestoweniger großdimensionierter Überlandleitungen mit Verkehrswegen eingehen, das mit Mitteln der Raumordnung nur begrenzt entschärft werden kann. Die Regelungsmodelle ergeben sich hier aus den Kriterien des unechten und echten Zusammentreffens von Fachplanungen.

Ver- und Entsorgungsleitungen in der Planfeststellung

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V. Schluss Der „clash of civilizations“43 ist ein Klacks verglichen mit dem Zusammentreffen von Vertretern der Verkehrsverwaltungen mit Vertretern von Versorgungsunternehmen. Die Entscheidung über die Modalitäten der Mitnutzung von Verkehrswegen durch Ver- und Entsorgungsleitungen kann man getrost den Zivilgerichten überlassen. Über die Herstellung und Veränderung der Leitungen hat aber die für die Verkehrswege zuständige Planfeststellungsbehörde zu entscheiden. In diesem Zusammenhang sind Aussagen über etwaige Folgepflichten und Folgelasten, die grundsätzlich die (unentgeltlichen) Nutzer der Verkehrswege treffen, zulässig. Den Versorgungsunternehmen ist es unbenommen, sich das durch die Verwaltungsgerichte bestätigen zu lassen.

___________ 43

Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations, New York 1996.

Die Strukturen des Naturschutzrechts im Entwurf des Umweltgesetzbuches 2009 (UGB III) Von Christian Schrader

I. Das Vorhaben Umweltgesetzbuch Das deutsche Umweltrecht soll vereinfacht und in einem Umweltgesetzbuch (UGB) zusammengefasst werden1. Ein integrativer, medienübergreifender Ansatz soll die Umwelt in ihrer Gesamtheit erfassen und die Europatauglichkeit des deutschen Umweltrechts verbessern. Das Ziel, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, wird seit drei Jahrzehnten verfolgt2. In diesen 30 Jahren ist das Vorhaben bislang über Vorarbeiten nicht hinausgekommen. Ein Referentenentwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) aus dem Jahr 1999 scheiterte an Bedenken zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes. In der Föderalismusreform wurde 2006 das Grundgesetz geändert mit dem Ziel einer Gesamtkompetenz des Bundes für den Umweltbereich, um damit ein UGB zu ermöglichen. Die Rahmengesetzgebung des Art. 75 GG entfiel, die dortigen Materien Naturschutz und Landschaftspflege sowie Wasserhaushalt wurden in Art. 74 Abs. 1 GG an die Materien der konkurrierenden Gesetzgebung angefügt. Statt des zurückhaltenden Rahmenrechts kann der Bund nun durchgängig ins Detail gehende und unmittelbar geltende Vollregelungen erlassen. Allerdings wurde in Art. 72 GG ein Abs. 3 eingefügt, wonach die Länder dann, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit für Naturschutz und Wasser Gebrauch gemacht hat, durch Gesetz abweichende Regelungen treffen dürfen.

___________ 1 CDU, CSU, SPD: Koalitionsvertrag, www.cducsu.de/upload/koavertrag0509.pdf (24.9.2007). 2 Zum Wandel der Ziele in diesen Jahren: Schrader, ZRP 2008, 60 f.

Christian Schrader

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Seit dem November 2007 liegen nun Referentenentwürfe des BMU für ein UGB vor (UGB RefE)3. Allerdings ergibt sich für den jetzigen Anlauf ein enges Zeitfenster: Eine juristische Frist setzt Art. 125 b Abs. 1 Satz 3 GG. Die Länder können im Naturschutz erst ab dem 1. Januar 2010 von ihrer Abweichungsmöglichkeit Gebrauch machen. Das UGB soll an diesem Tag in Kraft treten. Da derartige Bundesgesetze nach Art. 72 Abs. 3 S. 2 GG frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft treten, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmt ist, muss das UGB bis zum 1.6.2009 verkündet sein. Derzeit bestehen günstige politische Umstände, um dieses Zieldatum zu erreichen. Die Große Koalition der jetzigen 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages verspricht sichere Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat. Aus dem Ablauf der Legislaturperiode im Herbst 2009 ergibt sich allerdings eine politische Frist. Terminlich endet die Arbeit des Bundestages vor der Sommerpause 2009, faktisch sogar früher, um größere Gesetzgebungsvorhaben aus dem heranziehenden Bundestagswahlkampf herauszuhalten. Der UGB-Zeitplan sieht daher die Verabschiedung im Parlament bis Anfang 2009 vor. Angesichts der Verzögerungserfahrungen mit weniger umfangreichen Gesetzesvorhaben ist dies insgesamt ein ehrgeiziger Zeitplan mit recht wenig Luft nach hinten.

II. Das Naturschutzrecht im Gesamtkonzept UGB Das Buch Naturschutz verfolgt zwei Oberziele4: Neben dem Erlass vollzugsfähiger Vollregelungen des Bundes verfolgt es die Einbindung des neuen Naturschutzrechts in das Gesamtregelungssystem des Umweltgesetzbuches. Dieses Gesamtregelungssystem weicht von den Vorarbeiten in den sog. Professoren-5 und Kommissionsentwürfen6 ab. Die Referentenentwürfe sehen keine Gesamtkodifikation mehr vor, die ein und nur ein UGB schafft, das in einem Allgemeinen Teil übergreifende Regelungen vor die Klammer zieht und in dessen Besonderem Teil ein Kapitel Naturschutz erschiene. Das neue Konzept addiert mehrere Bücher. Umweltrechtliche Materien werden als jeweils eigen___________ 3

Abrufbar unter http://www.bmu.de/umweltgesetzbuch/downloads/doc/40430.php (4.3.2008). Dieser Beitrag beruht auf dem Entwurfsstadium November 2007. 4 BMU: Umweltgesetzbuch (UGB). Drittes Buch (III) – Naturschutz und Landschaftspflege, Referentenentwurf vom 20. November 2007, Begründung, (im Folgenden: UGB III RefE Begründung), S. 2 f. 5 Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig: Umweltgesetzbuch, Berichte 7/90, Umweltbundesamt 1991. 6 BMU (Hrsg.): Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998.

Die Strukturen des Naturschutzrechts im Entwurf des UGB 2009 (UGB III)

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ständige Bücher entworfen und eigenständig beschlossen, um sich zu einem Gesamt-UGB zu ergänzen. Statt eines Buches entsteht eine Büchersammlung. Das ist gesetzgeberisch weniger ambitioniert und kann dafür leichter gelingen. Das Sozialgesetzbuch ist in dieser Weise inzwischen auf zwölf Bücher gewachsen. Als Grundstock eines UGB liegen die Referentenentwürfe für die ersten sechs Bücher zum UGB vor7. Das Naturschutzrecht findet sich im Umweltgesetzbuch, Drittes Buch, kurz: UGB III. Zuvor enthält das Erste Buch übergreifende Themen und das UGB II das Wasserrecht. Die UGB-Bücher IV bis VI sind den nicht-ionisierenden Strahlen, dem Emissionshandel und dem Recht der erneuerbaren Energie gewidmet. Selbstverständlich sind die Vereinheitlichung und der medienübergreifende Bezug des Gesamt-UGB weiterhin gewollt. Damit ergeben sich Bezüge des UGB III zu allen anderen Büchern des UGB. Am stärksten sind diese Bezüge zu den Allgemeinen Vorschriften des UGB I. Das UGB I enthält insgesamt 14 Abschnitte mit 140 Paragraphen. Für eine Feinanalyse der Berührungen zum Naturschutzrecht ist hier kein Raum. Herausgegriffen werden einige augenfällige Verbindungen. 1. Ziele, Prinzipien und Begriffe Die Ziele, Prinzipien und Begriffe des UGB I nehmen als gesamthafte Aussagen zum Umweltschutz auch Naturschutzaspekte auf. Nach § 1 des UGB I RefE ist der Zweck des Umweltgesetzbuches der Schutz des Menschen und der Umwelt auch in Verantwortung für künftige Generationen. Der Schutz der Umwelt dient der vorsorgenden und dauerhaften Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere dem Erhalt und der Wiederherstellung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Umwelt einschließlich der Nutzbarkeit der Umweltgüter und sonstiger Ressourcen. Hier klingen bereits viele Ähnlichkeiten zu § 1 BNatSchG an. In der Begriffsdefinition der Umwelt werden Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt genannt, § 4 Nr. 1 UGB I RefE. Das genaue Verständnis dieser Begriffe wiederum wird im § 7 UGB III definiert. So wirken UGB I und UGB III gestaffelt zusammen. Die Zusammenführung ist jedoch begrenzt. So werden als Umweltveränderungen in § 4 Nr. 2 UGB I RefE nur Gewässer-, Luft- und Bodenveränderungen definiert. Veränderungen des Naturhaushalts und der biologischen Vielfalt dagegen sind keine Umweltveränderungen im Sinne des UGB I RefE. Der Naturschutz bleibt im Begriff der Umweltveränderung außen vor. ___________ 7

Zuzüglich eines Einführungsgesetzes zum UGB und zweier Verordnungen.

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2. Strategische Umweltprüfung in der Landschaftsplanung Der UGB I RefE sieht anders als frühere UGB-Entwürfe8 keine integrierte Umweltplanung vor, sondern behält das bisherige System der sektoriellen Fachplanungen des Umweltrechts bei. Es bleibt bei der Landschaftsplanung als Fachplanung des Naturschutzes. Damit stellt sich die Frage, ob die Landschaftsplanung der strategischen Umweltprüfung unterliegt und wie sie in die strategische Umweltprüfung anderer Fachplanungen eingeht. Die ab § 5 UGB I RefE geregelte strategische Umweltprüfung ist weiterhin unselbständiger Teil behördlicher Verfahren zur Aufstellung oder Änderung von bestimmten Plänen und Programmen. Die bisher geltenden Bestimmungen des UVPG zur strategischen Umweltprüfung werden hierzu im Wesentlichen inhaltlich unverändert übernommen9. In der Anlage 2 zum UGB I RefE sind Landschaftsplanungen genannt als Pläne, für die nach § 8 UGB I RefE eine strategische Umweltprüfung durchzuführen ist. Dies gilt nur für die Landschaftsplanungen, die nach dem UGB III RefE erforderlich sind, das sind Landschaftsrahmenpläne und Landschaftspläne nach Maßgabe des UGB III. Die Durchführung der Strategischen Umweltprüfung erfolgt nach den Vorschriften des UGB III und dem entsprechenden Landesrecht, § 18 UGB I RefE. 3. Umweltschadensrecht Bisher regelt das Umweltschadensgesetz die Grundlagen dieses Bereiches. Die Definition des Umweltschadens und seine Sanierung überlässt das USchadG fachgesetzlichen Vorschriften, im Falle von Biodiversitätsschäden dem § 21 a BNatSchG. Der UGB I RefE nimmt das Umweltschadensgesetz in seinen §§ 26 bis 39 auf. Die allgemeinen Regeln des Umweltschadensrechts finden sich damit im UGB I. Die fachgesetzlichen Aspekte finden sich wie bisher im Fachrecht, also künftig im UGB II (Wasser), im UGB III (Naturschutz) und im BBodSchG (Boden)10.

___________ 8

§§ 19 ff. Professorenentwurf, Fn. 5; abgeschwächt in §§ 69 ff. UGB-KomE, Fn. 6. Begründung zum UGB I RefE, S. 67. 10 Siehe Knopp, UPR 2008, 121. 9

Die Strukturen des Naturschutzrechts im Entwurf des UGB 2009 (UGB III)

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4. Mitwirkung von anerkannten Naturschutzvereinigungen Die Mitwirkung von anerkannten Vereinen war früher mit allen Elementen der Anerkennung, der Mitwirkung und der Klage im BNatSchG geregelt. Zur Umsetzung der Öffentlichkeitsrichtlinie der EG musste Deutschland über den Naturschutzbereich hinaus erweiterte Mitwirkungen vorsehen. Dafür wurde ein Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz erlassen, das Anerkennungsvorschriften auch für die naturschutzrechtliche Mitwirkung enthält11. In gleicher Weise regeln die §§ 40 Abs. 2, 42 UGB I RefE die Anerkennung für alle Umweltvereinigungen, einschließlich der Vereinigungen, die nach ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördern. In der Anerkennung ist insbesondere anzugeben, ob die Vereinigung im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördert12. Nur anerkannte Umweltvereinigungen mit dieser Schwerpunktnennung können die besonderen Mitwirkungsrechte und Rechtsbehelfsbefugnisse des Naturschutzrechts in Anspruch nehmen, § 58 UGB III RefE. Diese bisher im BNatSchG verankerte Beteiligung und Klage für den Bereich des Naturschutzes findet sich im UGB III RefE wieder. 5. Vorhabengenehmigung Die Vorhabengenehmigung ist das Kernstück des vereinfachenden, integrierten, medienübergreifenden UGB13. Das UGB soll die Zersplitterung in sektorale Zulassungsgesetze überwinden. Am stärksten kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass es für größere umweltbedeutsame Vorhaben nicht mehr gesonderte immissionsschutz-, wasser- oder abfallrechtliche Zulassungsverfahren geben soll, sondern ein einheitliches und umfassendes Verfahren der Vorhabengenehmigung. Das einheitliche Verfahren ist für planerische Zulassungen wenig aufregend, weil die Planfeststellung seit jeher sämtliche Belange in einem Verfahren bündelt. ___________ 11 Siehe § 3 Abs. 1 S. 4 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz vom 7.12.2006, BGBl. I S. 2816. 12 Dies wird leider in der Liste der nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz anerkannten Umweltvereinigungen nicht ausgewiesen, siehe http://www.umweltbundesamt.de/umweltrecht/umweltvereinigungen.pdf (4.3.2008). 13 Als Beispiel einer Vereinfachung soll es künftig statt dreien eine gemeinsame Vorhabenliste geben. Sie fasst zusammen, ob ein Vorhaben einer Genehmigung und einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bedarf und ob es dem Emissionshandel unterliegt. Bislang ist dies geregelt im Anhang zur 4. BImSchV, in Anlage 1 des UVPG und in Anhang 1 des TEHG.

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Christian Schrader

Der Weg der Bündelung ist, dass der UGB I RefE sich zunächst an der gebundenen Entscheidung des § 6 BImSchG orientiert und in § 54 die Genehmigungsvoraussetzungen so auflistet, dass die Einhaltung von Grundpflichten, von sonstigen umweltrechtlichen Vorschriften und anderen öffentlichrechtlichen Vorschriften sowie den Belangen des Arbeitsschutzes sichergestellt sein muss. Hier bleibt es zunächst dabei, dass der Naturschutz nicht im engsten Kern der Voraussetzungen steht. Der bisherige Kern der BImSchG-Genehmigung sind die über den Immissionsbegriff als Luftverunreinigungen usw. definierten schädlichen Umwelteinwirkungen. Künftig heißt dies schädliche Umweltveränderungen, die übergreifend als gewässer-, boden- und luftbezogene Veränderungen definiert sind, § 4 Nr. 2 UGB I RefE, allerdings ohne den Naturschutz einzuschließen. Auswirkungen eines Vorhabens auf den Naturschutz bleiben als „andere Anforderungen dieses Gesetzbuches sowie sonstiger umweltrechtlicher Vorschriften“, § 54 Abs. 1 Nr. 2 UGB I RefE, in der zweiten Reihe der Aufmerksamkeit. Doch hier gibt es eine Ergänzung. a) Nennung der Eingriffsregelung Zur Erläuterung der Passage heißt es, dass „insbesondere nach Maßgabe des Dritten Buches Umweltgesetzbuch Eingriffe in Natur und Landschaft vermieden, ausgeglichen, ersetzt oder in sonstiger Weise kompensiert werden“. Genannt ist nur die Eingriffsregelung, nicht der Artenschutz oder andere Anforderungen des Naturschutzes. Fraglich ist, ob die Hereinnahme der Eingriffsregelung in die Voraussetzungen der Vorhabengenehmigung damit das Prüfprogramm der Fachplanungen ändert. Schließlich gelten die Voraussetzungen des § 54 nach § 63 UGB I RefE auch für die planerische Vorhabengenehmigung. Hier ist auf drei Gesichtspunkte einzugehen. aa) Begrenzter Anwendungsbereich Zum einen ist der Anwendungsbereich der planerischen Vorhabengenehmigung sehr begrenzt. Mit ihr geht es um die Zulassung konkreter Vorhaben. Vorbereitende Fachplanungen sind davon nicht berührt. Gedacht ist das Instrument als umweltrechtliche Alternative zum Planfeststellungsverfahren. In der Tat soll es bestehende Planfeststellungserfordernisse ersetzen. Der Katalog seines Anwendungsbereichs in § 50 Abs. 3 UGB I RefE enthält Deponien, Rohrleitungsanlagen, künstliche Wasserspeicher, Gewässerausbauten sowie Deich- und Dammbauten. Dies sind einige der im Umweltressort angesiedelten planfeststellungspflichtigen Vorhaben. Anders gewendet bedeutet es: Alle nicht beim Umweltressort angesiedelten Vorhaben fallen nicht unter die Vorschriften über die planerische Vorhabengenehmigung, also nicht der Bau von Straßen, Wasserwegen, Häfen, Flughäfen, Energietrassen und anderem mehr.

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bb) Nennung, nicht Heraushebung Zweitens wiederholt die Einfügung der Eingriffsregelung im UGB I RefE nur „insbesondere“, was ohnehin zu prüfen ist. Nach der Entwurfsbegründung soll die besondere Erwähnung der Eingriffsregelung zwar „auf die besondere Bedeutung dieses Instrumentariums beim Schutz von Natur und Landschaft hinweisen“14. Sie weist der Eingriffsregelung beim Schutz von Natur und Landschaft eine besondere Bedeutung zu, aber nicht im Rahmen der Voraussetzungen der Vorhabengenehmigung. § 54 UGB I RefE führt einen Aspekt beispielhaft vor Augen, ohne dass ihm dadurch bereits eine gesonderte Bedeutung beigelegt wird. cc) Beibehaltung der Abwägung in der planerischen Vorhabengenehmigung Drittens bleibt es bei der planerischen Abwägung. § 63 UGB I RefE formuliert: Die planerische Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn die in § 54 Abs. 1 genannten Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen dürfen dem Vorhaben keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Belange entgegenstehen; diese sind umfassend zu ermitteln, zu bewerten sowie gegeneinander und untereinander abzuwägen. Daraus kann als Neuerung abgeleitet werden, dass sich die Abwägung nicht auf die Gesamtbelange bezieht, sondern erst dann und mit dem Material, das sich aus einer Prüfung der Voraussetzungen des § 54 UGB I RefE ergibt. Für die Eingriffsregelung gilt dies jedoch nicht. Sie enthält nach dem BNatSchG und dem UGB III RefE eine Folgenprüfung, die zunächst die Vermeidung, den Ausgleich und den Ersatz des Eingriffs abprüft. Sodann sieht sie die Frage vor, ob bei verbleibenden Beeinträchtigungen die Belange des Naturschutzes bei Abwägung aller Belange vorgehen. Damit enthält die Eingriffsregelung bereits und weiterhin eine Abwägungsstufe, bevor die Abwägung der planerischen Vorhabengenehmigung einsetzt. b) Ergebnis Es wirft zur Dogmatik der Abwägung Fragen auf, wenn vor der planerischen Abwägung Voraussetzungen einer gebundenen Entscheidung zu prüfen sind, und darin wiederum in der Eingriffsregelung ein Abwägungstatbestand enthalten und ausdrücklich genannt ist. Im Kern ändert die Hereinnahme der Eingriffsregelung in die Genehmigungsvoraussetzungen für planerische Entscheidungen jedoch nichts. Als Akt symbolischer Gesetzgebung soll sie dem Naturschutz einen sichtbareren Platz in der Vorhabenzulassung zuweisen. ___________ 14

UGB I RefE Begründung, S. 108.

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III. Regelungskonzept des UGB III Das andere Oberziel, neben der Einbindung in das Gesamtsystem des UGB, ist der Erlass vollzugsfähiger bundesrechtlicher Regelungen zum Naturschutz auf der Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. 1. Fortbestehende Länderspielräume Als weiteres Ziel nennt der Entwurf die Überführung bisher im Landesrecht normierter Bereiche des Naturschutzrechts in Bundesrecht, „soweit ein Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung besteht“15. Diese Einschränkung steht in eigentümlichem Verhältnis zu dem Bestandteil der Föderalismusreform 2006, dass der Bund für Umweltregelungen keine Erforderlichkeit darzulegen braucht, Art. 72 Abs. 2 GG. Der UGB III RefE geht damit trotz voller Gesetzgebungskompetenz freiwillig auf eine sich rechtfertigende Ebene zurück. Die Prüfung der Erforderlichkeit durch das BVerfG löst er ab durch eine Bedürfniserörterung gegenüber den Ländern. Als Folge regelt der UGB III RefE nicht alle Aspekte bundesgesetzlich. In größerem Umfang verweist er auf Freiräume und Ausgestaltungen durch die Länder. Nach eigener Zählung enthält der UGB III RefE 25 Verordnungsermächtigungen oder andere Möglichkeiten der Länder, das Naturschutzrecht auszugestalten. Im Bund-Länder-Verhältnis springt der UGB III RefE nicht vom Rahmenrecht zur durchgängigen Bundeskodifikation, sondern unternimmt einzelne graduelle Schritte bei großen Freiräumen für das Landesrecht. 2. Orientierung am BNatSchG 2002 Für die Überführung des bisherigen Rahmen- und Landesrechts in unmittelbar geltendes Bundesrecht orientiert sich der Gesetzentwurf an der Struktur und dem Inhalt des Bundesnaturschutzgesetzes 2002. Der Aufbau ist fast identisch, als neuer Abschnitt ist lediglich der Meeresnaturschutz hinzu gekommen. Instrumentell wird nichts Neues entwickelt, das nicht bereits im BNatSchG angelegt ist. Die vielfältigen Regelungsvorschläge für Hauptanliegen des Naturschutzes, etwa handelbare Flächenausweisungsrechte zur Begrenzung des Flächenverbrauchs einzuführen16, werden nicht aufgegriffen. Das Instrument eines integrierten Küstenzonenmanagements in § 59 UGB III RefE für den Küsten___________ 15 16

UGB III RefE Begründung, S. 3. Dazu zuletzt: Senftleben, ZUR 2008, 64.

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und Meeresraum entpuppt sich bei näherem Blick als Appell zu mehr Koordination und Integration ohne organisatorische Ausgestaltung. Grundlage der einzelnen Vorschriften des UGB III bilden die entsprechenden Vorschriften des BNatSchG17. Wo das BNatSchG sich als Rahmenrecht zurückhielt und die Länder zusätzliche Regelungen entwickelten, etwa bei der Eingriffsregelung, nimmt der Entwurf lediglich aus seiner Sicht bewährte Regelungen in das Bundesrecht auf. Grundlegend neue Themen, Strukturen oder Instrumente sind kaum enthalten. Schon rein äußerlich ist das UGB III mit 76 Paragraphen fast genau im Umfang des BNatSchG. Ist das UGB III damit nur neuer Wein in alten Schläuchen? Das Signal des Entwurfs ist, dass eine Zusammenführung des Bestehenden geboten wird. Das Zauberwort ist Fortführung, nicht: Innovation. Dennoch enthält der UGB III RefE an manchen Stellen begrenzte Innovationen und maßvolle Modernisierungen. Gründe hierfür sind: x Im Meeresnaturschutz und im Artenschutzrecht, wo keine Ausfüllung durch die Länder mehr möglich ist, muss der Bund abschließende Regelungen entwickeln. x Die Länder haben im Rahmen des Bundesrechts unterschiedliche Lösungen entwickelt, zum Beispiel in der Ausgestaltung der Eingriffsregelung, die im UGB III zu einem Modell zusammengebracht werden müssen. x Der Bund ist weiter weg von den Bedrängnissen des Vollzugs und kann losgelöstere Vorstellungen entwickeln (wobei die Bewährungsprobe des bisher reinen BMU-RefE in der Abstimmung mit den Ressorts bei Abschluss des Manuskripts noch aussteht). 3. Abweichungsrechte Ein Regulativ vor zu mutigen Bundesregelungen sind die Abweichungsrechte der Länder. Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG ist das Naturschutzrecht grundsätzlich der Abweichungsgesetzgebung der Länder zugänglich. Davon ausgenommen sind die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, sowie der Arten- und Meeresnaturschutz. Noch nicht geklärt ist, in welchem Umfang „allgemeine Grundsätze“ im UGB III enthalten sind. Der RefE benutzt zur Rechtsklarheit eine Kennzeichnungslösung. Jeweils bestimmte Regelungen bezeichnet er ausdrücklich als allgemeine Grundsätze. Meist werden sie jedem Abschnitt vorangestellt, selten auch innerhalb eines Abschnitts so gekennzeichnet, §§ 6 Abs. 1, 31 Abs. 1 ___________ 17

UGB III RefE Begründung, S. 4.

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Christian Schrader

UGB III RefE.18 Inhaltlich wird die Kennzeichnung sehr zurückhaltend eingesetzt. Sie enthält Strukturprinzipien der einzelnen Kapitel und in aller Regel keine Einzelheiten. Juristisch bleibt die Frage, ob der Entwurf die allgemeinen Grundsätze damit richtig traf. Die Kennzeichnung in einem einfachen Bundesgesetz ist bloß deklaratorisch. Denn die Abweichungsrechte der Länder sind in der Verfassung festgeschrieben. „Allgemeine Grundsätze des Naturschutzes“ ist ein Verfassungsbegriff. Er hat einen bestimmten Inhalt, den der RefE treffen oder verfehlen kann. Dem vorangehend sind die Grenzen des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Wenn der Bund europarechtliche Vorgaben 1:1 in Bundesrecht umsetzte, dürfen die Länder nur weitergehend, aber nicht unter Abschwächung des Schutzniveaus abweichen. Zusätzlich wird diskutiert, Inhalte des Naturschutzrechts als abweichungsfest zu bezeichnen, weil sie dem europäischen Recht entsprechen oder für seine Durchführung unabdingbar sein sollen19. Was der Verfassungsbegriff enthält, ist im Übrigen nach allgemeinen juristischen Auslegungsregeln zu bestimmen. Vom Wortlaut20 her erfasst der Begriff allgemeine Grundsätze sicher kaum Details, sondern nur Ziele, Strukturen, eventuell auch einzelne Instrumente. Er ist nicht identisch ist mit den derzeit in § 2 BNatSchG aufgelisteten 15 Grundsätzen des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Diese Grundsätze sollen die Ziele des § 1 BNatSchG verdeutlichen, aber keine Grenze zwischen Bundes- und Landesgesetzgebung ziehen21. Dies ist der Sinn der Liste unmittelbar geltender Vorschriften in § 11 BNatSchG, die indes auf die verflossene Rahmenkompetenz aufbaut und aus diesem Grund nicht heranziehbar ist. Dem Verfassungsgeber stand anderes vor Augen. Die abweichungsfesten Kerne sind in der Begründung der Grundgesetzänderung mit Verweis auf eine Passage in der Koalitionsvereinbarung als „verbindliche Grundsätze für den Schutz der Natur“ erläutert worden, „insbesondere die Erhaltung der biologi___________ 18 Die abweichungsfesten Regelungen zum Arten- und Meeresnaturschutz ergeben sich aus den entsprechenden Abschnitten 5 und 6 des UGB III RefE. 19 So Louis, ZUR 2006, 340, 342 für den Kompensationsgedanken der Eingriffsregelung und Kloepfer, ZG 2006, 250, 262 ff. für mehrere Aspekte des Naturschutzrechts. 20 Die Verfassungssprache klafft auseinander zur juristischen Alltagssprache. Wenn ein juristischer Praktiker etwas grundsätzlich behauptet, so meint er damit „in der Regel“ und will meist auf die Ausnahmen hinaus. Ein abweichungsfester Grundsatz provoziert damit innerjuristisch Missverständnisse wie eine Diskussion zwischen Mathematikern und Juristen über Gesetze. Der eine versteht sie als unverrückbare Wahrheiten, der andere als Ausgangspunkt für vertretbare Argumentationen. 21 Wie hier als nicht abweichungsfest bezeichnet bei UGB III RefE Begründung, S. 3. Anders Kotulla, NVwZ 2007, 489, 492 f.

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schen Vielfalt und zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts. Nicht davon erfasst sind beispielsweise die Landschaftsplanung, die konkreten Voraussetzungen und Inhalte für die Ausweisung von Schutzgebieten, die gute fachliche Praxis für die Land- und Forstwirtschaft und die Mitwirkung der Naturschutzverbände“22. Ein klarer Negativkatalog mit vier Instrumenten soll für Abweichungen offen bleiben. Positiv ergeben sich wiederum nur Umschreibungen. Systematisch ist es schwer, aus den ebenfalls abweichungsfesten Materien Artenschutz und Meeresnaturschutz tragfähige Schlüsse auf die allgemeinen Grundsätze zu ziehen. Nach dem Sinn und Zweck der Rückausnahme „allgemeine Grundsätze“ ist zu fragen, ob ihre bundesweite Verbindlichkeit zum Schutz der Natur erforderlich ist, damit der Naturschutz seine Wirksamkeit entfalten kann23. Stellt man die Frage umfassender nach dem Sinn und Zweck im Gesamtrahmen der Grundgesetzänderung, so ist es schwer, das dem Verfassungsgeber vorschwebende Umweltgesetzbuch und die Abweichungsmöglichkeit als solche in Einklang zu bringen. Das eine soll das zersplitterte Umweltrecht vereinheitlichen, das andere führt die Zersplitterung in neue Dimensionen fort. So haben die Juristen derzeit viele Möglichkeiten, vom Allgemeinen und Grundsätzlichen auf konkrete Grenzlinien zu kommen. Sie nutzen sie, meist von einem weiten Verständnis24 aus, um neben Zielen auch konkrete Instrumente als abweichungsfest darzustellen, von der Landschaftsplanung über die gute fachliche Praxis und das Umweltmonitoring bis hin zur Mitwirkung von Umweltvereinigungen25. Rechtliche Sicherheit wird nur das Bundesverfassungsgericht bringen können. Aus dieser Situation folgen zuvor verfahrensrechtliche und politische Konsequenzen. Ab 2010 können die Länder landesgesetzlich abweichende Fakten schaffen26. Momentan sind sie am UGB beteiligt, weil für das UGB die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist. Auch um die Abweichungsproblematik auszuloten27 sind die Länder bereits in die Erarbeitung der UGB RefE sehr intensiv einbezogen worden. Durch die Unsicherheit in der Reichweite der ___________ 22

BT-Drs. 16/813, S. 11. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249, 257. 24 Kloepfer, ZG 2006, 250; Weinzierl: Erwartungen an die Instrumente des Naturschutzes im Umweltgesetzbuch, 2007, http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/3345.pdf (4.3.2008), S. 7: „wenn für einen wirksamen Naturschutz erforderlich“. 25 Kloepfer, ZG 2006, 250; Louis, ZUR 2006, 340; Fischer-Hüftle, NuR 2007, 78; Hendrischke, NuR 2007, 454; Weinzierl, Fn. 24, S. 7. 26 Noch schwieriger ist die Situation bei vorgeblich innerhalb des UGB III verbleibendem Landesrecht, das jedoch darüber hinausschießende Tendenzen enthält. 27 Zur politischen Prozeduralisierung durch Abweichungsgesetzgebung: SchulzeFielitz, NVwZ 2007, 249, 253. 23

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Bundeskompetenz erhalten die Länder eine starke Verhandlungsmacht. Parteiund personalpolitisch ist das UGB ein zentrales Projekt des zuständigen Ministers, der sich mit einem unter seiner Führung geschaffenen UGB für weitere Aufgaben empfehlen will. Für ihn ist das Ergebnis wichtig, dass überhaupt ein UGB verabschiedet wird, weniger sind es bestimmte Inhalte. Beides erklärt die Zurückhaltung des BMU-Referentenentwurfs, offensiv und anspruchsvoll das Naturschutzrecht zu vereinheitlichen.

IV. Überblick zum UGB III 1. Ziel und allgemeine Bestimmungen Die Zielbestimmung des UGB III RefE geht vom Wortlaut des § 1 Abs. 1 BNatSchG aus und entwickelt sie inhaltlich moderat weiter. Sie nimmt als neuen fachlichen Haupthandlungsgegenstand28 die biologische Vielfalt auf. In den folgenden, nicht mehr als allgemeiner Grundsatz gekennzeichneten Absätzen integriert sie den bisherigen Grundsatzkatalog des § 2 BNatSchG. Ihre juristische Bedeutung bleibt gleich: Eine nicht unmittelbar vollziehbare Norm, die im Wesentlichen auslegungsleitende Funktion hat. Wie bei jeder gesetzlichen Zielbestimmung steht ihre Verwirklichung unter einem Abwägungsvorbehalt und wird durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt29. In ähnlicher Weise ordnet der erste Abschnitt ohne große inhaltliche Änderung manche bisherigen Vorschriften neu um. Das ist in aller Regel gelungen und als rechtssystematischer Fortschritt einer Novelle des Fachrechts anzusehen. Eher zwiespältig fällt die Bilanz des Fortschritts im Rahmen der Kodifikation des Umweltrechts aus. Der UGB III RefE führt im Wesentlichen die allgemeinen Aspekte des BNatSchG fort. Die Einbindung in das Gesamt-UGB ist auf den ersten Blick gering. Es fallen sogar Doppelungen auf, wenn etwa § 1 UGB I RefE und § 1 Abs. 3 erster Anstrich UGB III RefE jeweils die aus einer Bundestags-Enquete30 stammende Formel der Nutzungsgrenzen von sich erneuernden oder nicht erneuernden Umweltgütern aufnimmt – und das mit unterschiedlichem Wortlaut.

___________ 28

UGB III RefE Begründung, S. 5, 38 f. UGB III RefE Begründung, S. 38. 30 Bericht „Die Industriegesellschaft gestalten“ der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“, BT-Drs. 12/8260, S. 29 ff. 29

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2. Landschaftsplanung Der Abschnitt wird mit einem allgemeinen Grundsatz zum Instrument der Landschaftsplanung eingeleitet. Er nennt die Aufgabe, die Ziele des Naturschutzes zu konkretisieren und die Erfordernisse und Maßnahmen darzustellen und zu begründen. Aussagen zur Ausgestaltung und Verbindlichkeit des Instruments enthält der allgemeine Grundsatz nicht. Die Aussagen der jetzigen §§ 13 und 14 BNatSchG zu Aufgaben und Inhalt der Landschaftsplanung werden in § 9 UGB III RefE übernommen. Insbesondere sind die Inhalte der Landschaftsplanung in anderen Planungen und Verwaltungsverfahren weiterhin „zu berücksichtigen“, § 9 Abs. 5 UGB III RefeE, nicht mehr. Neuerungen sind, dass in den Angaben über Umsetzungsmaßnahmen in der Landschaftsplanung Flächen enthalten sein sollen, die für zukünftige Eingriffskompensationen besonders geeignet sind. Ebenfalls in § 9 Abs. 3 findet sich eine Ermächtigung an das Bundesumweltministerium, durch Rechtsverordnung die zu verwendenden Planzeichen zu regeln, um die Planungssprache vereinheitlichen zu können. Wenn dies eine verbesserte Kompatibilität zur Plansprache der Raum- und Bauleitplanung31 ergibt, ist für die Praxis viel gewonnen. Die Landschaftsplanung besteht auf drei Planungsebenen fort. Landesweite Landschaftsprogramme sind nach § 10 UGB RefE fakultativ, Landschaftsrahmenspläne für „Teile des Landes“ sind dagegen zwingend aufzustellen. Nur insoweit wird das Flächendeckungsprinzip fortgeführt. Nach § 11 UGB III RefE sind gemeindeweite Landschaftspläne nicht mehr verbindlich aufzustellen, sondern nur soweit es für Naturschutzerfordernisse und -maßnahmen erforderlich ist. Die bisher in § 16 Abs. 1 BNatSchG festgehaltene Flächendeckung der Landschaftspläne wird nicht aufrechterhalten32. Grünordnungspläne können fakultativ aufgestellt werden. Nach § 11 Abs. 2 UGB III RefE sind Konkretisierungen der Landschafts- und Grünordnungspläne nach Abwägung gemäß § 1 Abs. 6 BauGB als Darstellungen oder Festsetzungen in Bauleitpläne aufzunehmen. Allerdings bleiben abweichende Vorschriften der Länder zum Inhalt und zur Verbindlichkeit von Landschafts- und Grünordnungsplänen unberührt. Der Bund nutzt hier seine Kompetenz nicht für eine Regelung aus, von der die Länder erst später und bewusst abweichen können. Er schafft vielmehr eine zusätzliche, abgeschwächte Kategorie von Abweichungsgesetzgebung: Eine bun___________ 31

UGB III RefE Begründung, S. 51 f. Nach der Begründung, S. 54, soll die Pflicht zur Aufstellung eines für das gesamte Gemeindegebiet gültigen Landschaftsplans auch dann bestehen, wenn für ein Teilgebiet ein Bebauungsplan aufgestellt wird. Allerdings unterliegt die Erforderlichkeit einer Einschätzung der Gemeinde, so dass in der Praxis davon abgewichen werden wird. 32

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desrechtliche Regelung unter dem Vorbehalt abweichenden aktuellen Landesrechts. Insgesamt enthält der Abschnitt, übersetzt in die Terminologie des Planungsrechts, mehr eine Angebotsregelung denn verbindliche Festsetzungen. 3. Eingriffsregelung Bei der Eingriffsregelung setzt der RefE, unter Fortführung der Regelungen im BNatSchG, deutlichere Akzente. § 13 UGB II RefE enthält als allgemeinen Grundsatz, dass „erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft ... vom Verursacher vorrangig zu vermeiden, auszugleichen und zu ersetzen, im Übrigen in sonstiger Weise zu kompensieren“ sind. Hier sind abweichungsfest der Eingriffstatbestand und die Elemente der Folgenprüfung festgeschrieben33. Der Eingriffstatbestand bleibt wie in § 18 BNatSchG34. Positiv- oder Negativlisten zum Eingriffsbegriff enthält der RefE nicht, lässt für Länderlisten aber Raum. Bei der Folgenprüfung bleibt es bei der Abfolge von Vermeidung, Ausgleich, Ersatz, Abwägung und sonstiger Kompensation. Weitergehende Vorstellungen, anstelle von Naturalkompensation durch Ausgleich und Ersatz gleich auf eine Ersatzgeldzahlung zu gehen, fanden keine Aufnahme. Nach dem Wortlaut und der Intention des allgemeinen Grundsatzes könnten die Länder dies auch nicht abweichend einführen. Anforderungen an Ermittlungspflichten des Verursachers im Fall geplanter Beeinträchtigungen35, wie sie die Rechtsprechung für den gemeinschaftsrechtlich geforderten Naturschutz formulierte36, nimmt der UGB III RefE nicht auf. Als vermeidbar werden Beeinträchtigungen definiert, wenn zumutbare Alternativen gegeben sind, den Eingriffszweck am gleichen Ort mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen. Es geht hier nur um Ausführungsvarianten an dem geplanten Standort des Vorhabens37. Eine Prüfung von Alternativen zur Art des Eingriffsvorhabens wird wie im geltenden BNatSchG38 nicht vorgeschrieben. Ebenfalls trifft der Entwurf keine Aussage über ein besonderes Gewicht von Naturschutzbelangen in der Abwägung. ___________ 33

UGB III RefE Begründung, S. 57 mit dem Begriff „Rechtsfolgenkaskade“. Weitergehendes fordert Weinzierl, Fn. 24, S. 8. 35 Dafür Weinzierl, Fn. 24, S. 17. 36 BVerwG vom 17.1.2007, 9 A 20/05, ZUR 2007, 307 (Westumfahrung Halle). 37 UGB III RefE Begründung, S. 58. 38 Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, 2003, § 19 Rn. 119; kritisierend: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 19 Rn. 19. 34

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Neu ist, dass nach der ausführlich geregelten39 Stufenprüfung von Vermeidung, Ausgleich, Ersatz und Abwägung nun bundesrechtlich eine Ersatzzahlung vorgesehen ist. Das Geld ist zweckgebunden für Naturschutzmaßnahmen möglichst in dem betroffenen Naturraum zu verwenden. Die umfangreiche Vorschrift dürfte allerdings erst dann bundeseinheitlich vollziehbar sein, wenn von der neuen Ermächtigung für den Bund, die Ersatzzahlung in einer Verordnung näher zu regeln, Gebrauch gemacht wurde. Es ist bislang nicht geplant, die Verordnung gemeinsam mit dem UGB III zu verabschieden. Bis zum Erlass der Bundesverordnung können die Länder entsprechende Regelungen erlassen bzw. ihre Regelungen gelten, soweit noch stimmig zum UGB III, weiter40. Auch andere Aspekte der Kompensation von Eingriffen kann eine Bundesverordnung regeln, insbesondere zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichsund Ersatzmaßnahmen, und zur Festlegung diesbezüglicher Standards. Es wird eine „TA Eingriff“ möglich, die ähnlich den untergesetzlichen Vorschriften des Immissionsschutz- und Wasserrechts die Eingriffsregelung für die Praxis handhabbarer machen würde. Hinsichtlich der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Ergebnisse ist dies zu begrüßen. In naturschutzfachlicher Sicht wird mit der Standardisierung, und vor allem mit dem Ersatzgeld, ein Stück weiter der Gedanke der realen Kompensation betroffener Naturfunktionen verlassen. Als zweite auffällige Neuerung wurde in § 16 UGB III RefE die Flächenbevorratung durch Ökokonten, Flächenpools oder andere Modelle geregelt. Das Bundesrecht regelt nur die Anerkennungsvoraussetzungen vorgezogener Maßnahmen als Ausgleich oder Ersatz. Es überlässt alle Fragen der Bevorratung, der Genehmigungsbedürftigkeit und Handelbarkeit dem Landesrecht. Zum Verfahren ist festzuhalten, dass das Huckepack-Verfahren bleibt und kein eigenständiges naturschutzrechtliches Verfahren eingeführt wird41. Im Verfahren ist das Benehmen mit der Naturschutzbehörde herzustellen, eventuelle weiterreichende Vorschriften des Landesrechts bleiben unberührt42. Bei ___________ 39 Gegenüber § 20 BNatSchG wuchs § 17 UGB RefE von fünf auf elf Absätze an, um landesrechtliche Verfahrensaspekte aufzunehmen. Bundesrechtlich neu ist unter anderem die ausdrückliche Erwähnung in § 15 Abs. 3 UGB III RefE, dass Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vom Verursacher zu unterhalten und dauerhaft rechtlich zu sichern sind sowie in Abs. 5 die Sicherheitsleistung. Auch die Bindung der Ersatzmaßnahme an den „betroffenen Naturraum“ in § 15 Abs. 2 S. 3 UGB III RefE ist im Vergleich zum BNatSchG neu, siehe UGB III RefE Begründung, S. 58 f., dürfte aber kaum über die bisherige Rechtslage hinausgehen, vgl. BVerwG v. 23.8.1996, 8 A 77/84, NuR 1997, 87; Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 19 Rn. 36; Marzik/Wilrich, Bundesnaturschutzgesetz, 2004, § 19 Rn. 13, 17. 40 Siehe UGB III RefE Begründung, S. 66: „erforderlichenfalls anzupassen“. 41 Lediglich für Eingriffe, die keiner behördlichen Zulassung oder Anzeige bedürfen, führt § 17 Abs. 3 UGB III RefE subsidiär eine Genehmigung der Naturschutzbehörde ein, um ein Trägerverfahren zu schaffen. 42 UGB III RefE Begründung, S. 63.

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Eingriffen aufgrund eines Fachplans bleibt es bei der Darstellung im Fachplan oder einem landschaftspflegerischen Begleitplan. Neu ist, dass Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nach Maßgabe des Landesrechts in einem Kompensationsverzeichnis erfasst werden und deren tatsächliche Durchführung geprüft wird, § 17 Abs. 6 und 7 UGB III RefE. Das Verhältnis zum Baurecht bleibt entsprechend zum § 21 BNatSchG. 4. Umweltschaden In § 19 UGB III RefeE wird, entsprechend dem bisherigen § 21 a BNatSchG, die Konkretisierung des Umweltschadensrechts für das Schutzgut Arten und natürliche Lebensräume vorgenommen. Die Gesetzesstellung unmittelbar im Anschluss an die Eingriffsregelung verdeutlicht die haftungsbefreiende Wirkung, die eine korrekte Handhabung der Eingriffsreglung für mögliche Umweltschäden enthält. Dies sollte auch bei Bauvorhaben im Innenbereich, § 34 BauGB, beachtet werden, siehe § 18 Abs. 4 UGB III RefE. Die Länder haben es in der Hand, diese Haftungsbefreiung aufrecht zu erhalten. Weichen Sie von der Eingriffsregelung in einer Weise ab, die beispielsweise mit bloßer Ersatzgeldzahlung nicht mehr der Realkompensation im Sanierungsbegriff des Umweltschadensrechts entspricht, kann die Haftungsbefreiung nicht mehr aufrecht erhalten werden. 5. Gebietsschutz Der allgemeine Grundsatz des § 20 UGB III RefE enthält Aussagen zum Biotopverbund (mindestens 10 Prozent der Fläche eines jeden Landes) sowie zur Bezeichnung der Schutzgebietstypen, ohne diese näher zu definieren43. Die bisherige Vorschrift zum Biotopverbund, § 3 BNatSchG, wird als § 21 in den Schutzgebietsabschnitt übernommen und mit dem Aspekt der Biotopvernetzung verbunden44. Keine Aussagen enthält der Entwurf, ob mit dem Biotopverbund als solchem Rechtswirkungen auf Planungen oder innerhalb der Eingriffsregelung verbunden sind und ob dies, wie beim Netz Natura 2000, bereits vor der Sicherung der Verbundsbestandteile eintritt. Mangels ausdrückli___________ 43

Lediglich für die Gebietstypen Naturschutzgebiet, Nationalpark und Landschaftsschutzgebiet verweist § 20 UGB III RefE auf deren Maßgaben bzw. Voraussetzungen. Weitergehend fordert Weinzierl, Fn. 24, S. 12 „bundesweite Mindestschutz- und Managementstandards … unbedingt bundeseinheitlich festzuschreiben“. 44 UGB III RefE Begründung, S. 7.

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cher Regelung dürften Rechtswirkungen nur nach Maßgabe der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 4 UGB III RefE eintreten, ohne dass dabei aus dem Hintergrund des Biotopverbundes ein besonderes Gewicht in Abwägungsentscheidungen folgt45. Neu aufgenommen wird eine Vorschrift zum Schutz der Alleen, § 30 UGB III RefE46. Der Gedanke eines gesetzlichen Biotopschutzes wird als abweichungsfester allgemeiner Grundsatz ausgestaltet. Die Bestimmungen über gesetzlich geschützte Biotope wurden anhand landesrechtlicher Vorbilder zu einer Vollregelung ausgeweitet, insbesondere ein Biotopregister eingeführt, § 31 Abs. 6 UGB III RefE. Die Regelungen zum europäischen Netz Natura 2000 entsprechen im Wesentlichen47 den §§ 32 bis 37 BNatSchG48 einschließlich der Änderungen vom Dezember 200749. 6. Artenschutz Im Abschnitt 5 des UGB III RefE wurde der Bestand des bundes- und landesrechtlichen Artenschutzes als Vollregelung zusammengeführt. Neu im Bundesrecht sind Detailregelungen zu invasiven Arten und Zoos. Aus der Schutzintensität prioritärer Arten im EG-Artenschutz ergibt sich eine qualitative Zweiteilung in europäische und nur national geschützte Arten. Als strukturelle Neuheit soll der Schutz von lediglich national geschützten Arten verbessert werden. Hierzu wird eine neue Rechtsverordnungsermächtigung in das Gesetz eingeführt, die bestimmte in ihrem Bestand gefährdete Arten, für die die Bundesrepublik Deutschland in hohem Maße verantwortlich ist, einem Schutzstatus zuführen soll, der den europarechtlich geschützten Arten nahekommt50. So sollen die hier aufgenommenen Arten in die Programme nach § 37 UGB III RefE einbezogen sein, andererseits nehmen sie nicht an den Schutzmechanismen für europäische Arten teil, die nur sehr enge Kriterien und eine Befassung europäischer Stellen vorsehen. Diese Einführung dieser dritten Schutzkategorie, angesiedelt zwischen dem bisherigen nationalen und dem europäischen Schutzregime, widerspricht dem UGB-Oberziel der Vereinfachung. ___________ 45

Dafür: Weinzierl, Fn. 24, S. 15. UGB III RefE Begründung, S. 7. 47 Änderungen treten insbesondere im Vergleich zum § 33 Abs. 5 BNatSchG auf. 48 UGB III RefE Begründung, S. 8. 49 Art. 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des BNatSchG vom 12.12.2007, BGBl. I S. 2873, dazu: Möckel, ZUR 2008, 57; Louis, NuR 2008, 65; Dolde, NVwZ 2008, 121. 50 UGB III RefE Begründung, S. 8. 46

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7. Mitwirkung von anerkannten Naturschutzvereinigungen Die Aufteilung von UGB I und UGB III ist oben dargestellt. Die Vereinigungen, die im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördern, bezeichnet das UGB III als anerkannte Naturschutzvereinigung und gibt ihnen die bislang in den §§ 58 und 61 BNatSchG geregelten Beteiligungs- und Klagerechte. Die Vorschriften sind nicht als allgemeiner Grundsatz bezeichnet, so dass nach der Kennzeichnungslogik des UGB III RefE die Länder abweichende Regelungen bis hin zum völligen Verzicht treffen könnten. Da viele Länder derzeit politisch gegen die Verbandsmitwirkung eingestellt sind, könnte dies ein erster Anwendungsfall für die Frage sein, wie der Verfassungsbegriff „allgemeiner Grundsatz“ auszulegen ist. Hierbei wird einzubeziehen sein, dass die Verbandsklage, § 66 UGB III RefE, auch auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Recht des gerichtlichen Verfahrens) gestützt ist51, der keine Abweichungen der Länder vorsieht. Unklar bleibt allerdings, welche der nach § 42 UGB I RefE anerkannten Vereinigungen den Status und die Rechte einer anerkannten Naturschutzvereinigung besitzen. Klar ist, dass dies für Altverbände gilt, die nach §§ 59, 60 BNatSchG anerkannt wurden, weil deren Anerkennung nach § 44 Abs. 3 UGB I RefE fortgilt. Für neue Anträge sieht § 42 Abs. 1 S. 2 UGB I RefE vor, dass in der Anerkennung insbesondere anzugeben ist, ob die Vereinigung im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördert. § 65 UGB III RefE bezieht sich dagegen nicht auf die Angabe in der Anerkennung, sondern auf den satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Vereinigung. Damit bleibt offen, ob die Bezeichnung in der Anerkennung deklaratorisch oder konstitutiv ist. Eine weitere Zweifelsfrage ergibt sich daraus, dass § 65 UGB RefE im Abs. 1 für die vom Bund anerkannten Vereinigungen Beteiligungsrechte bei Bundesvorhaben eröffnet. Im Abs. 2 steht die Beteiligung in den von Landesbehörden durchzuführenden Verfahren nur den „von einem Land anerkannten“ Naturschutzvereinigungen offen. Unklar bleibt damit, ob sich neue bundesweit tätige Vereinigungen, die vom Bund anzuerkennen sind, an den von Landesbehörden durchzuführenden Verfahren beteiligen können. Da dies wegen der Verwaltungskompetenz der Länder die Mehrzahl der naturschutzbedeutsamen Verfahren darstellt, würde eine Einengung auf reine Landesvereinigungen den Kreis der beteiligungsfähigen Vereinigungen drastisch verkleinern. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren sollten beide Fragen geklärt werden. ___________ 51

UGB III RefE Begründung, S. 11.

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Der Katalog der mitwirkungs- und klagefähigen Rechtsakte wird in § 65 Abs. 2 UGB III RefE übernommen und moderat erweitert52. Zum einen werden solche Plangenehmigungen und Bebauungspläne aufgenommen, die Planfeststellungen ersetzen53. Zum anderen sind anerkannte Vereinigungen auch vor der Erteilung von Befreiungen in Natura 2000-Gebieten einzubeziehen. Dies sollte auch potentielle Schutzgebiete sowie im Vorfeld potentieller Biodiversitäts-schäden erfassen. Eine Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren, z.B. hinsichtlich Übersendung von Unterlagen und Fristen, fehlt, auch für Bundesbehörden. Die möglichen Rechtsbehelfe sind ausgestaltet entsprechend § 61 BNatSchG. Damit wird die Verbandsklage eröffnet gegen Befreiungen, planerische Vorhabengenehmigungen, Planfeststellungsverfahren und den sie ersetzenden Plangenehmigungen und Bebauungsplänen. Der Verband muss geltend machen, dass die Entscheidung Vorschriften des Naturschutzes54 widerspricht. Anders als bei der Verbandsklage im Umweltrecht nach dem UmweltRechtsbehelfsgesetz, jetzt § 41 Abs. 1 Nr. 1 UGB I RefE, muss die geltend gemachte Rechtsvorschrift nicht „Rechte Einzelner begründen“. Die naturschutzrechtliche Verbandsklage bleibt bei der begrenzten Beanstandung objektiven Rechts und folgt nicht der europarechtlich bedenklichen55 Eingrenzung der Umweltklage auf subjektive Rechte im UGB I RefE.

V. Schlussbemerkung Das UGB III erscheint zunächst als eine Umwandlung des BNatSchG. In seiner Struktur, Instrumenten und Inhalten wird das BNatSchG fortgeführt. Das UGB III ist keine durchgehende Vereinheitlichung, sondern zunächst eine engere Vorgabe für ausfüllendes Landesrecht. Ausweitungen geschahen dort, wo das frühere Rahmenrecht für eine unmittelbar geltende Vollregelung ergänzungsbedürftig erschien. Dies ist insbeson___________ 52 Erheblich umfangreicher fordert dies Weinzierl, Fn. 24, S. 18: „alle Entscheidungen mit einer erheblichen Umweltrelevanz“. 53 UGB III RefE Begründung, S. 9 f. 54 Im Detail: Vorschriften des UGB III, die auf Grund des UGB III erlassenen oder fortgeltenden Rechtsverordnungen, Naturschutzrecht der Länder oder anderen Rechtsvorschriften, die bei der Entscheidung zu beachten oder zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind, § 66 Abs. 1 Nr. 1 UGB III RefE. 55 Siehe Genth, NuR 2008, 28, und Schrader/Hellenbroich, ZUR 2007, 289, 293 f. m.w.N.

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dere bei der Eingriffsregelung zu beobachten. Sie unterblieben bei anderen Instrumenten, etwa dem Biotopverbund, wodurch deren Vollziehbarkeit fraglich bleibt. Innovationen über die Zusammenführung von Landesnaturschutzrecht hinaus sind selten, bei der zusätzlichen Artenschutzkategorie aber fragwürdig. Die Verflechtung mit anderen Büchern des UGB ist gering. Insofern ist das UGB III bisher kaum Teil einer Kodifikation56. Die Fortführung des BNatSchG geht so weit, dass der Zweck der Vereinheitlichung kaum erreicht wird. In vielen Aspekten hätte der Bund zupackender eine Vollregelung erlassen können. Typische Länderspielräume wurden belassen. Selbst für den Kern des UGB, die integrierte Vorhabengenehmigung, ergibt sich keine bundeseinheitliche Regelung, da bei der Eingriffsregelung (zunächst) die Länderausgestaltungen von Ersatzgeld und Ökokonto fortbestehen.

___________ 56 Der Kodifikationsgedanke ist bei anderen Büchern noch weniger ausgeprägt, am wenigsten beim UGB VI, das als Novelle des EEG angelegt ist und nicht einmal in ausformulierter Form vorliegt.

Wertverluste bei Infrastrukturplanungen Von Wolfgang Baumann

Einleitung Spätestens seit dem Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 9. Dezember 20061 – Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz – wissen wir, dass der Begriff Infrastruktur rechtlich sämtliche Projekte erfasst, die nach den dort genannten Vorschriften planfestgestellt werden. Das sind – nach den §§ 18 ff. des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vom 27. Dezember 19932: die schienengebundenen Schienenwege, – nach den §§ 2 ff. des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes vom 23. November 19943: die Magnetschwebebahnstrecken, speziell der – vulgär sogenannte – Transrapid, – nach den §§ 17 ff. des Bundesfernstraßengesetzes in der gültigen neu bekannt gemachten Fassung vom 20. Februar 20034: die Autobahnen und Bundesstraßen, – nach den §§ 8 ff. Luftverkehrsgesetz in der neu bekannt gemachten Fassung vom 27.01.19995: insbesondere die Flughäfen und Landeplätze und – nach den §§ 14 ff. Bundeswasserstraßengesetz in der neu bekannt gemachten Fassung vom 4. November 19896: die Binnen- und Seewasserstraßen.

___________

Dank gilt Frau Rechtsanwältin Kunze für die kompetente Mitarbeit bei der Vorbereitung des Beitrags. 1 BGBl. I 2833. 2 BGBl. I 2378, 2396; 1994 I, 2439. 3 BGBl. I 3486. 4 BGBl. I 286. 5 BGBl. I 550. 6 BGBl. I 3294.

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Die nach dem Energiewirtschaftsgesetz – §§ 43 ff. – planfeststellungsbedürftigen Hochspannungsfreileitungen und Gasversorgungsleitungen (größer 300 mm) sind so atypisch, dass sie hier nur erwähnt werden sollen. Dafür könnte man die in einem Planfeststellungsverfahren gem. §§ 28 ff. Personenbeförderungsgesetz (in der zuletzt bekannt gemachten Fassung vom 8. August 1990) zuzulassenden Betriebsanlagen von Straßenbahnen und O-Bussen sowie die nach ihrer Bau- und Betriebsweise ähnlichen Bahnen wie Bergbahnen in ihrer mit den allgemeinen Schienenwegen vergleichbaren flächenhaften Erstreckung und ihren ähnlichen Auswirkungen auf ihre Umgebung in den Begriff Infrastruktur mit einbeziehen. Punktanlagen, wie planfestzustellende Wasserkraftwerke, sind nicht erfasst. Infrastrukturplanungen haben unmittelbare und mittelbare Auswirkungen auf ihre jeweilige Umgebung und zwar sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht. In diesem Vortrag geht es um mittelbare Auswirkungen, also nicht um die unmittelbare Inanspruchnahme von Grundstücken. Positiv kann sich vor allem die infolge eines Infrastrukturprojekts, beispielsweise einer Autobahn oder Bundesstraße, verbesserte Anbindung und Erschließung der angrenzenden Ortschaften auswirken, insbesondere dann, wenn hierdurch eine schnellere Erreichbarkeit einer Agglomeration im Nahbereich hergestellt wird. Speziell dann, wenn einer solchen Attraktivitätssteigerung keine negativen Auswirkungen wie erhöhte Lärm- und Schadstoffbelastung gegenüberstehen, das fragliche Grundstück also lediglich von der verbesserten Infrastruktur profitiert, präsentiert sich das Infrastrukturprojekt für diese Grundstücke als positiv wertbildender Faktor. Problematisch wird es aus Sicht der betroffenen Grundstückseigentümer allerdings regelmäßig dann, wenn die durch eine verbesserte Anbindung des jeweiligen Grundstücks bewirkte Attraktivitätssteigerung durch die gleichzeitig infolge der Planung eintretenden Nachteile aufgezehrt oder gar in eine Attraktivitätsminderung verkehrt wird, die ihren spürbaren Ausdruck in erheblichen Wertverlusten findet. Insbesondere hinsichtlich von Wohngrundstücken sind derartige Nachteile neben Luftbelastungen die negativen Effekte von Lärm auf die Wohnqualität mit den Folgen, die die Lärmwirkungsforschung dokumentiert hat.7 Allerdings sind diese Umwelteinwirkungen zunächst nur die auralen und olfaktorischen Wahrnehmungen, die freilich regelmäßig den Schwerpunkt juristischer Auseinandersetzungen rund um die Zulassung von Infrastrukturvorhaben bilden. Eng hiermit verbunden sind darüber hinaus aber die Auswirkungen der Planung und Realisierung solcher Infrastrukturprojekte auf den ___________ 7

M. Kaltenbach/C. Maschke/R. Klinke, Gesundheitliche Auswirkungen von Fluglärm (Übersichtsarbeit), Deutsches Ärzteblatt, Jg. 105, Heft 31-32, S. 548 ff.; C. Maschke/K. Hecht/U. Wolf, Nächtliches Erwachen durch Fluglärm, Bundesgesundheitsblatt 10-2001, S. 1001 ff.

Wertverluste bei Infrastrukturplanungen

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Wert der Grundstücke in der Nachbarschaft. Diese sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. Hierbei soll zunächst aufgezeigt werden, ob und wie Infrastrukturmaßnahmen die Grundstückssituation in der Nachbarschaft in Bezug auf deren Verkehrs- und Bodenwert beeinflussen (I.). Im Anschluss soll diskutiert werden, wie negative Auswirkungen in Form einer allgemeinen Grundstücksentwertung nach geltender Rechtslage behandelt werden (II.). Den Schwerpunkt der Ausführungen bildet die Analyse der Behandlung so genannter konkreter Planungsschäden. Diese sollen hinsichtlich ihres Ausmaßes und ihrer Auswirkungen untersucht und verfassungsrechtlich bewertet werden (III.).

I. Wertverluste an Grundstücken als Folge von Infrastrukturplanungen Die Entwertung des Grundeigentums betrifft nicht nur den aktuellen Bodenwert und den Wertstatus von Gebäuden, sondern auch deren mögliche Wertentwicklung. Eine umfassende Wertverlustanalyse muss deshalb auch die Wertentwicklung von Grundstücken und Gebäuden in die Betrachtung einbeziehen, um einigermaßen verlässliche Erkenntnisse über die konkrete Dimension der zu erwartenden Wertverluste als Folge eines Vorhabens zu erlangen. Bereits bloße Befürchtungen können zu gravierenden Wertverlusten beim Grundeigentum führen. Aus der Sicht der Betroffenen ist hier regelmäßig zusätzlich problematisch, dass eine ausschließlich vorhabenbezogene Betrachtungsweise erfolgt, indem andere Lärmquellen als das zu genehmigende Vorhaben keine Berücksichtigung finden und dementsprechend eine Summenbetrachtung der Lärmwirkungen gerade nicht vorgenommen wird. Welche Höhe planungsbedingte Wertverluste im Einzelfall erreichen, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für den Flughafen Berlin-Brandenburg International wurde beispielsweise seitens des Instituts für Bodenmanagement untersucht, inwieweit eine Realisierung des Ausbauvorhabens für den Flughafen Berlin-Brandenburg International Auswirkungen auf die Kaufpreis- beziehungsweise Wertentwicklung bebauter und unbebauter Grundstücke im Innen- und Außenbereich hat. Auf Grundlage dieses Gutachtens hatte die Anhörungsbehörde im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens konstatiert, dass negative Sonderentwicklungen im Hinblick auf die Bodenwerte in verschiedenen Ortschaften zu verzeichnen waren, die zumindest teilweise auf das Vorhaben zurückzuführen waren. Aus Sicht der Anhörungsbehörde war völlig ungewiss, ob diese negative Entwicklung nach dem Ausbau kompensiert werden könnte. Die im Gutachten festge-

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stellten Wertverluste bewegten sich in einer Größenordnung von 30 bis 40% bezogen auf den Bodenrichtwert.8 Ein weiteres Gutachten, das sog. KühlingGutachten ermittelte sogar Wertverluste in Höhe von 40 bis 60% bezogen auf das Grund- und Gebäudeeigentum.9 Sämtliche Untersuchungen kamen allerdings zu folgendem Ergebnis: Die Wertschätzung eines Grundstücks und der darauf befindlichen Gebäude ist unmittelbar abhängig von deren Zustand sowie von der sie umgebenden Infrastruktur und Wohnstruktur. Die Bauweise eines Gebäudes kann so sein, dass das Gebäude selbst zwar in bestem Zustand ist und an seinem bisherigen Standort die volle Wertschätzung verdient, aber durch die Veränderung der Umstände, nämlich die dramatische Zunahme der Lärmentwicklung, nun nicht mehr genutzt werden kann. Der Grund für die zukünftig beschränkte Nutzbarkeit eines verlärmten Grundstückes ist oft nicht auf eine schlechte Gebäudequalität zurückzuführen. Gerade besonders individuelle Baugestaltungen, wie beispielsweise eine Holz- oder Glasbauweise, können in besonderem Maße durch den Faktor Lärm betroffen werden, da die Nutzbarkeit des besonders hochwertigen Grundstücks gar nicht mehr möglich ist, ohne dass das Haus vollständig umgebaut oder neu errichtet wird. In solchen Fällen sinkt der Wert des Anwesens schon mit Bekanntwerden der Planung, mit Auslegung der Planfeststellungsunterlagen und dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses im freien Fall. Trotz der Unsicherheiten im tatsächlichen Bereich, insbesondere hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Wertverluste lassen sich jedenfalls für den vorliegend interessierenden Zusammenhang zwei ganz wesentliche Aspekte herauskristallisieren. – Erstens ist die Lärmbelastung von Grundstücken immer ein negativ wertbeeinflussender Faktor, der damit zwangsläufig und typischerweise mit Infrastrukturplanungen einhergeht, gerade keinen Ausnahmefall bildet und jedenfalls über einen bestimmten Zeitraum hinweg zu Wertverlusten im Bereich des Grundeigentums führt. – Zweitens bewegen sich die Wertverluste in einer Größenordnung von 10 bis 60%, abhängig von Ermittlungsmethoden und der Frage, inwieweit positive Werteffekte der Infrastrukturmaßnahme durch die Lärmbelastung aufgezehrt werden. Hierbei gilt, je höher die Lärmbelastung, umso größer ___________ 8 Das später von der Planfeststellungsbehörde im Rahmen der Abwägung zu Grunde gelegte Ergänzungsgutachten ermittelte nur noch Wertverluste von 10 bis 20%. Eine solche Wertminderung von im Schnitt 15% war aus Sicht der Planfeststellungsbehörde als Folge der Flughafenplanung hinzunehmen. Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin-Brandenburg International, 2004, S. 984. 9 Vgl. W. Kühling, Ermittlung von Boden- und Gebäudewertverlusten bei Wohneigentum durch den geplanten Großflughafen Berlin-Schönefeld, Dortmund 2005, S. 41.

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der Wertverfall. Sofern man einen Mittelwert bilden möchte, kann konstatiert werden, dass Infrastrukturplanungen des Luftverkehrs durchschnittliche Wertverluste von ca. 30% auslösen.10 Im Folgenden ist nun zu untersuchen, wie diese Wertverluste rechtlich einzuordnen sind, und vor allem, welche Folgen sich hieraus auf Grundlage der aktuellen Rechtsprechung ergeben.

II. Behandlung von planungsbedingten Wertverlusten im Fachplanungsrecht 1. Kein Ausgleich allgemeiner Verkehrswertverluste Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind mit Änderungen der Grundstücksumgebung, aus denen sich bloße Änderungen der Attraktivität eines Grundstücks und insoweit Chancenverschiebungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Verwertbarkeit aufgrund einer negativen Wertentwicklung der Liegenschaft ergeben können, keine Belange betroffen, für die der Träger des benachbarten Planungsvorhabens eine Entschädigung zu gewähren hätte. Ein Anspruch auf Ausgleich aller Vermögensnachteile, welche ein Infrastrukturvorhaben auslöst, besteht nicht. Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz schützt danach nicht gegen eine Minderung der Wirtschaftlichkeit, nicht einmal jede wirtschaftlich vernünftige Nutzung ist gewährleistet.11 Eine Vorschrift des Inhalts, dass der Planungsträger Betroffene durch die Gewährung einer Entschädigung auch vor jeglichen Beeinträchtigungen und Vermögenseinbußen bewahren muss, ist der Rechtsordnung fremd. Dass insoweit einschlägige (Spezial)Normen nicht existieren, begegnet nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Nicht jede Wertminderung eines Grundstücks, die durch die Zulassung eines mit Immissionen verbundenen Planvorhabens ausgelöst wird, begründe im Sin___________ 10 Diese Aussage gilt für das Beispiel des Fluglärms. Hierbei wurden folgende Analysen berücksichtigt: Institut für Bodenmanagement (IBoMa), Flughafen BerlinBrandenburg-International – Gutachten zur Bodenwertermittlung, 2001 (Wertverluste zwischen 30 und 40%); Institut für Bodenmanagement (IBoMa), Flughafen BerlinBrandenburg-International – Gutachten zur Bodenwertermittlung, Dortmund, 2003, S. 38 und 136 (durchschnittlich 15% unabhängig vom Schallpegel allein infolge der Erwartung der Belastung mit Fluglärm, Schwankungen bis 30%); Hagedorn, Analyse von Immobilienpreisänderungen im Umfeld des Flughafens Frankfurt/Main, Detmold 2007, S. 15 (Wertverluste zwischen 5 und 25%); Kühling, Die Wertverlustanalyse bei Fluglärm – Eine Bewertungsmethode zur großflächigen Ermittlung fluglärmbedingter Wertverluste bei Wohneigentum, S. 51 (Wertverluste zwischen 40 und 60 %). 11 Vgl. nur BVerwG, DVBl. 1996, 916, 919.

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ne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG eine Pflicht zu einem finanziellen Ausgleich. Kein Grundeigentümer könne auf einen unveränderten Fortbestand des von ihm zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgefundenen Wohnmilieus vertrauen. Baue er auf die Lagegunst, so nutze er eine Chance, die nicht die Qualität einer Rechtsposition im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG habe. Aus dem Gewährleistungsgehalt der Eigentumsgarantie lasse sich kein Recht auf bestmögliche Nutzung des Eigentums ableiten. Eine Minderung der Wirtschaftlichkeit sei grundsätzlich ebenso hinzunehmen wie eine Verschlechterung der Verwertungsaussichten. Welcher Wertschätzung sich ein Grundstück erfreue, bestimme sich nicht nach starren unwandelbaren Regeln. Der Verkehrswert werde durch zahlreiche Umstände beeinflusst, die je nach der vorherrschenden Verkehrsauffassung positiv oder negativ zu Buche schlagen. Die Auswirkungen eines Planvorhabens kämen in der Gesamtbilanz lediglich als einer der insoweit maßgeblichen Faktoren zur Geltung. Welches Gewicht der Grundstücksmarkt ihnen beimesse, liege außerhalb der Einflusssphäre des Planungsträgers.12 Daher sei ein Entschädigungsanspruch aufgrund einer allgemeinen Verkehrswertminderung ausgeschlossen. 2. Werterhalt durch Lärmschutzregelungen Ist Lärm ein wesentlicher Faktor für Wertverluste, sind gesetzliche Regelungen zum Lärmschutz in ihrer Wirkung grds. werterhaltend. Der Gesetzgeber hat zur Gewährleistung des Lärmschutzes für die jeweiligen Fachplanungsverfahren nur zum Teil Spezialregelungen getroffen, anders als beim Schutz vor Schadstoffbelastungen, der sich immer nach den allgemeinen immissionsschutzrechtlichen Vorschriften richtet. Die Lärmschutzregelungen sollen neben dem Schutz vor Eingriffen in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gleichfalls den Schutz des Eigentums sicherstellen und damit – zumindest faktisch – auch den Schutz vor Wertverlust gewährleisten. a) Beispiel: Lärmschutzregelungen für Straßen- und Schienenwege aa) Gesetzliche Vorschriften Für den Bau oder die wesentliche Änderung von öffentlichen Straßen sowie von Schienenwegen der Eisenbahnen und Straßenbahnen regelt die Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV)13 verbindliche Immissionsgrenzwerte. ___________ 12 Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.3.2006 – 4 A 1074.04, Rn. 402 der Urteilsausfertigung – Flughafen Berlin-Schönefeld. 13 Vom 12. Juni 1990 (BGBl. I. 1036).

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Die in § 2 der 16. BImSchV geregelten Immissionsgrenzwerte orientieren sich an den Flächenausweisungen der Baunutzungsverordnung. Sie lassen allerdings Beurteilungspegel für Verkehrsgeräusche zu, die gegenüber der TALärm um bis zu 12 Dezibel höher liegen. Dasselbe gilt für die Magnetschwebebahn-Lärmschutzverordnung vom 23. September 199714. Diese Lärmschutzverordnungen beruhen auf § 43 Abs. 1 BImSchG i. V. m. § 41 Abs. 1 BImSchG, der regelt, dass bei dem Bau oder der wesentlichen Änderung öffentlicher Straßen sowie von Eisenbahnen, Magnetschwebebahnen und Straßenbahnen unbeschadet des § 50 BImSchG sicherzustellen (ist), dass durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Diese Regelung steht allerdings unter dem Vorbehalt des § 41 Abs. 2: „Abs. 1 gilt nicht, soweit die Kosten der Schutzmaßnahme außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen würden.“

bb) Aktiver Lärmschutz Unter § 41 BImSchG fallen Maßnahmen an der Quelle (zur Emissionsreduzierung), die Maßnahmen auf dem Übertragungsweg15, wie Schallschutzwände am Verkehrsweg. Nicht gemeint sind passive Schallschutzmaßnahmen an Einrichtungen der Betroffenen16, die von § 42 BImSchG erfasst werden. Denn das Vermeiden schädlicher Umwelteinwirkungen meint generell das Reduzieren von Emissionen und Immissionen, nicht die Begrenzung der Auswirkungen von Immissionen durch passive Schutzmaßnahmen.17 Die in § 41 genannten aktiven Lärmschutzmaßnahmen sind allerdings begrenzt durch den Stand der Technik, der genereller Natur ist, so dass Besonderheiten des konkreten Falles nicht berücksichtigt werden können. Besonders heikel ist die Beantwortung der Frage, wann die Kosten der gebotenen Maßnahme „außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck“ stehen.18 Zwar können wegen des Vorrangs des aktiven Lärmschutzes die Kosten nur in Ausnahmefällen außer Verhältnis stehen19, in der Rechtsprechung wird aber generalisierend auf die Zahl der Betroffenen abgestellt.20 Unverhältnismä___________ 14 15 16 17 18 19 20

BGBl. III./FNA 2129-31. BVerwGE 115, 237, 244 = NVwZ-RR 2002, 178. BVerwG NJW 1995, 2572 ff. Jarass, Rdnr. 42 zu § 41 BImSchG. BVerwGE 110, 370, 382. So Storost, in: Laubinger D5. BVerwGE 110, 370, 383.

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ßig sind die Kosten oft bei Einzelhäusern und im Außenbereich bei Streusiedlungen.21 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts können Überschreitungen nachts eher hingenommen werden als tags, wenn nur der Außenbereich betroffen ist, da dieser ja nachts nicht genutzt werde.22 Zudem kann die Vorbelastung herangezogen werden und der Grenznutzen, d. h. eine aufwändige Erhöhung einer Schallschutzwand dann abgelehnt werden, wenn sich die Lärmbelästigung dadurch nur noch unverhältnismäßig verringern lässt, selbst wenn durch passive Schallschutzmaßnahmen kein Innenraumschutz zu erzielen ist.23 cc) Passiver Lärmschutz Gemäß § 42 Abs. 2 BImSchG hat der Eigentümer bei Überschreitung der durch Rechtsverordnung nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 festgelegten Immissionsgrenzwerte gegen den Träger der Baulast einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld, es sei denn, dass die Beeinträchtigung wegen der besonderen Benutzung der Anlage zumutbar ist. Die Erstattung der Kosten für passive Schallschutzmaßnahmen sind keine (echte) Entschädigung für die Beeinträchtigung durch Verkehrsgeräusche. Vielmehr regelt § 42 die Frage, wie weit die Kosten für passive Schallschutzmaßnahmen zu ersetzen sind; es geht um einen Aufwendungsersatz24, also um einen zweckgebundenen Ausgleichsanspruch. Diese Regelung soll den im gesamten öffentlichen Planungsrecht herrschenden planerischen Nachteilsausgleich in öffentlich-rechtlich gestalteten Nachbarschaftsverhältnissen Rechnung tragen.25 Danach hat jeder in seinem nachbarlichen Recht durch die rechtsstaatliche Planung nachteilig Betroffene als Ausgleich für die ihm auferlegte Duldungspflicht einen Anspruch auf einen angemessenen Nachteilsausgleich in Geld. § 42 BImSchG ist rechtsdogmatisch ein Zwitter: Er gewährt in manchen Fälle eine enteignungsrechtliche, in anderen eine einfachgesetzliche Entschädigung, besteht allerdings unabhängig von einem enteignungsrechtlichen Entschädigungsanspruch.26 Was das Verhältnis zu § 74 Abs. 2 VwVfG angeht, gilt Folgendes: Soweit § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG zu passiven Schallschutzmaßnahmen verpflichtet, ist die Regelung des § 42 – soweit deren Anwendungsbereich ___________ 21 22 23 24 25 26

BVerwGE 110, 370, 382 f. BVerwGE NVwZ 2001, 79. BVerwG NVwZ 2001, 81 f. BGH NVwZ 2003, 1287. BVerwGE 79, 254 ff.; 80, 184 ff. BVerfGE 80, 184 ff.

Wertverluste bei Infrastrukturplanungen

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reicht – im Umkehrschluss zu Abs. 2 S. 2 vorrangig, da die Ansprüche im praktischen Ergebnis die gleiche Wirkung haben. Von § 42 BImSchG nicht verdrängt wird ein Anspruch aus enteignendem Eingriff. Dieser Anspruch kommt nicht nur beim Bau oder der wesentlichen Änderung von Verkehrswegen zum Tragen, sondern bei schon lange bestehenden Verkehrswegen und unabhängig davon, ob ein Planfeststellungsverfahren stattgefunden hat.27 Voraussetzung für diesen Anspruch ist jedoch, dass das Nachbargrundstück schwer und unerträglich betroffen wird.28 Die Überschreitung der enteignungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle wird vom BGH im Allgemeinen bei einem Mittelungspegel ab 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts angesetzt.29 Auf die Regelung des § 74 Abs. 2 S. 3, wonach bei Untunlichkeit bzw. Unverhältnismäßigkeit nur eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen ist, wird noch einzugehen sein. b) Beispiel: Regelungen des Fluglärmschutzgesetzes Auf Grundlage des novellierten Fluglärmschutzgesetzes (FluglSchG) werden folgende Lärmschutzbereiche eingerichtet: aa) Tag-Schutzzone 1 Diejenigen Gebiete, in denen der durch Fluglärm hervorgerufene äquivalente Dauerschallpegel LAeq Tag den Wert von 60 dB(A) überschreitet, werden nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 in die Tag-Schutzzone 1 eingeordnet. Wird ein äquivalenter Dauerschallpegel von LAeq Tag 55 dB(A) überschritten, wird das fragliche Grundstück in die Tag-Schutzzone 2 eingeordnet. Die Nachtschutzzone umfasst ein Gebiet, in dem bis zum 31.12.2010 ein äquivalenter Dauerschallpegel von LAeq Nacht 53 dB(A) – ab dem 1.1.2011 von LAeq Nacht 50 dB(A) – sowie häufiger als 6 Mal ein Maximalpegel (LAmax) von 57 dB(A) – ab dem 1.1.2011 von LAmax 53 dB(A) – überschritten wird. Die Festlegung der Lärmschutzbereiche erfolgt durch Rechtsverordnung der Landesregierung, die vorgenommen werden soll, sobald die Planfeststellung erteilt ist.30

___________ 27

BGH UPR 1988, 143. BGHZ 64, 220, 229 f. = NJW 1975, 1406; 97, 361, 362 f. = NJW 1986, 2421; BGH UPR 1988, 162 f.; BayVGH BayVBl. 1998, 275. 29 BGH NJW 1988, 900 ff.; BGHZ 122, 76, 80 ff. = NJW 1993, 1700. 30 Vgl. § 4 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 3 FluglSchG. 28

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Dem Eigentümer eines in der Tag-Schutzzone 1 gelegenen Grundstücks, auf dem bei Festsetzung des Lärmschutzbereichs Einrichtungen nach § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 oder Wohnungen errichtet sind oder auf dem die Errichtung von baulichen Anlagen nach § 5 Abs. 4 zulässig ist, werden auf Antrag Aufwendungen erstattet. Sofern die Fluglärmbelastung einen Wert von 65 dB(A) übersteigt, entsteht der Anspruch mit der Festsetzung des Lärmschutzbereiches; ansonsten entsteht der Anspruch mit Beginn des sechsten Jahres nach Festsetzung des Lärmschutzbereichs.31 Darüber hinaus wird gemäß § 9 Abs. 5 S. 1 FluglSchG dem Eigentümer eines in der Tag-Schutzzone 1 gelegenen Grundstücks eine angemessene Entschädigung für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs in Geld nach Maßgabe der nach § 9 Abs. 6 zu erlassenden Rechtsverordnung gewährt. Übersteigt die Fluglärmbelastung einen Wert von LAeq Tag 65 dB(A), entsteht der Anspruch auf Erstattung mit der Inbetriebnahme des neuen oder wesentlich baulich erweiterten Flugplatzes; ansonsten entsteht der Anspruch mit Beginn des sechsten Jahres nach Festsetzung des Lärmschutzbereichs. bb) Nacht-Schutzzone Dem Eigentümer eines in der Nacht-Schutzzone gelegenen Grundstücks werden unter den schon genannten Voraussetzungen für Räume, die in nicht nur unwesentlichem Umfang zum Schlafen benutzt werden, Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen einschließlich des Einbaus von Belüftungseinrichtungen erstattet. Übersteigt die Fluglärmbelastung einen Wert von LAeq Nacht 58 dB(A), entsteht der Anspruch mit der Festsetzung des Lärmschutzbereiches; ansonsten entsteht der Anspruch mit Beginn des sechsten Jahres nach Festsetzung des Lärmschutzbereiches.32 cc) Übernahmegebiete Ein Entschädigungsgebiet für Übernahmeansprüche umfasst das Gebiet, das von einem energieäquivalenten Dauerschallpegel (Leq(3), Tag) von 70 dB(A) außen, ermittelt für die Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr nach der AzB, umschlossen wird. Der Eigentümer eines in dem Gebiet für Übernahmeansprüche gelegenen Grundstücks, auf dem zum Auslegungszeitpunkt Wohnungen errichtet waren oder für das zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Errichtung von baulichen Anlagen nach § 5 Abs. 4 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm erfüllt waren, kann anstelle der Schallschutzmaßnahmen aufgrund des Flugl___________ 31 32

Vgl. § 9 Abs. 1 S. 1, 2 und 4 FluglSchG. Vgl. § 9 Abs. 2 FluglSchG.

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SchG eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes des Grundstücks gegen Übereignung des Grundstücks verlangen. Gleiches gilt für Grundstücke, die durch die Grenzlinie nach Abs. 1 angeschnitten werden. dd) Arbeitsschutz Weiterhin kann der Eigentümer eines Grundstücks mit gewerblicher Nutzung, das innerhalb des Entschädigungsgebietes für Übernahmeansprüche gelegen ist und auf dem zum Auslegungszeitpunkt eine gewerbliche Nutzung ausgeübt wird oder deren Ausübung zulässig war, einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen für bauliche oder betriebliche Schallschutzmaßnahmen geltend machen, wenn die zuständige Arbeitsschutzbehörde bestätigt, dass solche Schallschutzmaßnahmen erforderlich sind und diese maßgeblich durch den betriebsbedingten Lärm erforderlich wurden. Soweit bauliche oder betriebliche Schallschutzmaßnahmen untunlich sind, richtet sich der Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld33. ee) Außenbereichsentschädigung Die Vorschrift des § 9 Abs. 6 ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechts-verordnung Regelungen über die Entschädigung für Beeinträchtigung des Außenwohnbereichs zu treffen, insbesondere über den schutzwürdigen Umfang des Außenwohnbereichs und die Bemessung der Wertminderung und Entschädigung, auch unter Berücksichtigung der Intensität der Fluglärmbelastung, der Vorbelastung und der Art der baulichen Nutzung der betroffenen Flächen. Systematisierung. Die geltenden Entschädigungsregelungen werden in der Tabelle 1 verdeutlicht.

___________ 33

Vgl. PFB, A XI 5.1.3 Nr. 1 und 3 zum Flughafen Berlin-Schönefeld.

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Gebiet mit

(1) Übernahmeanspruch

(3) Aufwendungsersatz für Schallschutz

(4) Aufwendungsersatz für Schallschutz an Schlafräumen

(5) Entschädigung für Außenwohnbereich

(6) Wertverlust

alternativ zu (3)

(2) Hilfsweise Übernahmeanspruch alternativ zu (4)

Leq(3),Tag >70 db(A)

+

-

(+)

-

(+)

-

Leq(3),Nacht > 60 dB(A)

-

+

-

+

-

-

LAeq,Tag > 60 dB(A)

-

-

+

-

+

-

LAeq Tag > 55 dB(A)

-

-

-

-

-

-

LAeq,Nacht > 53 dB(A) und LAmax 6 mal 57 dB(A)

-

-

-

+

-

-

LAeq,Tag > 50 dB(A)

-

-

-

-

-

-

Die Tabelle zeigt, dass erst ab einer Fluglärmbelastung mit einem energieäquivalenten Dauerschallpegel von mindestens 60 dB(A) außen die Aufwendungen für Schallschutzmaßnahmen erstattet werden bzw. eine Entschädigung gewährt wird. Der nach dem Fluglärmschutzgesetz vorgesehene Schutz der Tag-Schutzzone 2 (>55dB(A)) beschränkt sich gemäß § 5 Abs. 1 FluglSchG auf die Festlegung eines Bauverbotes für Krankenhäuser, Altenheime, Erholungsheime, Schulen, Kindergärten und ähnliche in gleichem Maße schutzbedürftige Einrichtungen. Für alle Grundstücke, die in der Tag-Schutzzone 2 gelegen sind, wird demzufolge keine Form von Entschädigung gewährt. Alle Beeinträchtigungen, die Grundstückseigentümer insoweit zu erdulden haben, bleiben entschädigungslos. Diejenigen Grundstückseigentümer, die einen Übernahmeanspruch geltend machen können, stehen vor der schwierigen Entscheidung, entweder ihre Grundstücke zu verkaufen und wegzuziehen oder sich mit den in Anbetracht der erheblichen Lärmbelastung in diesen Gebieten sicher unzureichenden Schallschutzmaßnahmen zufrieden zu geben. Entscheidet sich der Grundstückseigentümer dafür, sich die Aufwendungen für Schallschutzmaßnahmen nach Maßgabe des Fluglärmschutzgesetzes erstatten zu lassen, wird eine dar-

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über hinausgehende Entschädigung für Beeinträchtigungen des Wohnens – mit Ausnahme der Beeinträchtigungen des Außenwohnbereiches – nicht gewährt. Im Übrigen wird sowohl für die Tag-Schutzzone 1 als auch für die NachtSchutzzone nur die Erstattung von Aufwendungen für Schallschutzmaßnahmen geregelt, ohne dass dem Fluglärmschutzgesetz zu entnehmen wäre, wie im Falle der Unmöglichkeit oder Untunlichkeit von Schallschutzmaßnahmen zu verfahren sein soll. Insbesondere kann dem Gesetz nicht entnommen werden, ob in diesen Fällen eine Entschädigung zu gewähren ist. Festzustellen ist, dass das Fluglärmschutzgesetz – jedenfalls explizit – eine Entschädigung für Wertverluste an Grundstücken nicht vorsieht. Die Arbeitsgruppe Kostenfolgeabschätzung war im Gesetzgebungsverfahren noch der Auffassung, dass Außenwohnraumentschädigungen keineswegs Wertverlustentschädigungen ersetzen können, sondern dass diese gesondert zu erheben und auszugleichen sind. In der Vorfassung des § 13 Fluglärmschutzgesetz war deshalb eine besondere Öffnungsklausel für Entschädigungen vorgesehen, die im Ergebnis aber nicht in die Gesetzesfassung übernommen worden ist. Wenn man – wie Gronefeld – davon ausginge, dass § 13 Abs. 2 Fluglärmschutzgesetz keine Öffnungsklausel ist, wäre im Fluglärmschutzgesetz abschließend und damit endgültig festgelegt, dass keine Entschädigung für Wertverluste gewährt wird. Die Regelungen im § 74 Abs. 2 i. V. m. S. 3 VwVfG wären dann allerdings für den Schutz gegen Fluglärm bedeutungslos, weil das Fluglärmschutzgesetz insoweit abschließend bestimmte, wann passiver Schallschutz gewährt wird und wann dieser untunlich ist. Wesentlich wird in diesem Zusammenhang insbesondere die geplante Schallschutzverordnung sein, die als Höchstkostenverordnung gedacht ist. Damit würde die aus dem Schönefeld-Verfahren bekannte Kappungsgrenze ständige Rechtslage werden, es würden sozusagen pauschale Aufwendungssätze festgelegt, bis zu denen ein passiver Schallschutzaufwand noch tunlich ist. Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat allerdings in seinem sog. Paetow-Beschluss34 deutlich gemacht, dass § 13 Fluglärmschutzgesetz nicht abschließend ist. „Die Lärmwertgrenze, die das Fluglärmgesetz für die Einrichtung von Lärmschutzbereichen festlegt und die in den luftverkehrsrechtlichen Zulassungsverfahren nunmehr zu beachten sind, stellen Grenzwerte dar, die zu Lasten der Lärmbetroffenen nicht überschritten werden dürfen. Der beschließende Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass die Neuregelungen im Fluglärmgesetz es der zuständigen Behörde bei der Festsetzung von Lärmschutzbereichen verwehren, diese Lärmgrenzwerte zum

___________ 34

BVerwG, Beschl. vom 13. September 2007, BVerwG 4 A 1007.07/4 – A 1006.07.

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Schutz bestimmter Gruppen besonders schutzwürdiger Lärmbetroffener oder Einrichtungen zu unterschreiten. Dies wird auch in der abschließenden Beschlussempfehlung im Bericht des Umweltausschusses vom 13. Dezember 2006 (BTDrucks 16/3813, S. 12, 19) zum Ausdruck gebracht.“

Dies lässt die Annahme zu, dass der Rückgriff auf § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG bzw. auf allgemeine Entschädigungsregelungen nicht ausgeschlossen ist. c) Wertausgleich gemäß §§ 74 Abs. 2 S. 3, 75 Abs. 2 VwVfG? Auch im Verwaltungsverfahrensgesetz vermag das Bundesverwaltungsgericht keine Vorschriften zu entdecken, die einen Ausgleich für planungsbedingte Wertverluste gewähren. Nach § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG hat die Behörde dem Träger des Vorhabens, von dem Immissionen ausgehen können, die Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Auflagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. Ist dies nicht möglich oder untunlich, steht dem Betroffenen nach § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG ein Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld zu. Was im Sinne dieser Bestimmung „angemessen“ ist, ist von § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG her zu beurteilen. Die Geldentschädigung dient, anders als die Enteignungsentschädigung, die dazu bestimmt ist, die Vermögensnachteile auszugleichen, die der Betroffene durch den staatlichen Eingriff erleidet, zumindest nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts einem beschränkten Zweck. Sie sei nicht als Ausgleich dafür gedacht, dass das Planvorhaben mit (zusätzlichen) Lärmbelastungen verbunden ist. Nachteilige Folgen, die im Wege der Abwägung überwindbar sind, weil sie die Grenze der Unzumutbarkeit nicht erreichen, bedürften nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht zwingend eines finanziellen Ausgleichs, auch wenn sie zu Wertminderungen führen.35 § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG gibt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts damit nichts für einen Anspruch auf Entschädigung für infolge einer Planung hervorgerufene Wertminderungen her. Die Norm hat nach Auffassung des Gerichts lediglich Sekundärcharakter. Ihr Anwendungsbereich reicht nach diesem Ansatz nicht weiter als die Primärregelung des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG, die einen Ausgleich nur für den Fall vorsieht, dass die Planung die dort bezeichneten unzumutbaren Nachteile zur Folge hat.36 ___________ 35

Vgl. BVerwG NVwZ-RR 1999, 556, 557. Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.3.2006 – 4 A 1074.04 Flughafen Berlin-Schönefeld, Rn. 402 der Urteilsausfertigung. 36

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3. Zwischenergebnis Insgesamt betrachtet kann als Zwischenergebnis formuliert werden, dass nach geltender Rechtslage allgemeine Planungsschäden, wie beispielsweise Grundstückswertverluste, die flächendeckend in einem größeren Gebiet eintreten, grundsätzlich – jedenfalls bis zu einer noch zu präzisierenden Grenze – nicht zu entschädigen sind. Diese Ausprägung zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen ist beispielsweise auch im Recht der Bauleitplanung allgemein anerkannt und begegnet zunächst auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Anhand der obigen Ausführungen ist des Weiteren Folgendes deutlich geworden: Die Frage, welche Schutzansprüche die von Infrastrukturplanungen Betroffenen geltend machen können, lässt sich von der Frage der funktionalen Nutzbarkeit eines Grundstücks nicht trennen. Dies bedeutet, dass die Schutzansprüche immer darauf gerichtet sind, eine Einschränkung der tatsächlichen Nutzbarkeit des Grundstücks zu kompensieren. Demzufolge ist die Reichweite der Schutzansprüche regelmäßig davon abhängig, welche Einschränkungen der Nutzbarkeit infolge der Lärmbelastung zu besorgen sind. Im Folgenden soll deshalb untersucht werden, inwieweit entschädigungslos hinzunehmende Grundstückwertverluste weitergehende Auswirkungen auf tatsächliche Schutzansprüche und damit über bloße Eigentumsbeeinträchtigungen hinausgehende Wirkungen entfalten. Einfach ausgedrückt, soll nun beurteilt werden, inwieweit allgemeine, nicht ausgleichspflichtige Planungsschäden in konkrete Planungsschäden im Sinne einer besonderen Betroffenheit umschlagen können. Die Ansprüche nach § 74 Abs. 2, § 75 Abs. 2 VwVfG und damit auch die auf Geldentschädigung, die nichts anderes als Ersatz für nicht mögliche Schallschutzmaßnahmen darstellen, sind schon bei Überschreiten der (fachplanungsrechtlichen) Erheblichkeitsschwelle gegeben, nicht erst, wenn auch die deutlich höher liegende enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle erreicht ist,37 die nach der Rechtsprechung des BGH zugleich das zumutbare Maß bezeichnen soll, bis zu dem der Eigentümer Beeinträchtigungen nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB entschädigungslos hinnehmen muss.38 Da folglich die fachplanungsrechtlichen Regelungen einen weitergehenden Schutz gewährten, stünde der Betroffene durch diese Regelungen ohnehin besser, als wenn er sich um zivilrechtlichen Ausgleich bemühen würde, so dass nach Auffassung des BGH für diesen umso weniger ein Bedarf besteht. Es kann also resümiert werden, dass im Recht der Infrastrukturplanungen neben einem Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für passiven Schall___________ 37 38

So BGHZ 140, 285, 298. Vgl. BGHZ 122, 76, 79.

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schutz und einer eventuellen Entschädigung für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereiches weitere Entschädigungen für gleichwohl verbleibende Wertverluste an Grundstücken für die Planungsbetroffenen nicht gewährt werden. Insoweit kann man von einem allgemeinen Planungsschaden sprechen, der nach Ansicht der Rechtsprechung als Ausdruck zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums entschädigungslos hinzunehmen ist.

III. Rechtliche Behandlung konkreter Planungsschäden Trotz dieses aus Sicht der Betroffenen restriktiven Ansatzes geht die Rechtsprechung aber im Ergebnis nicht davon aus, dass Verkehrswertminderungen, die über den Schutzbereich der Entschädigungsregelungen hinaus durch ein Planvorhaben ausgelöst werden, rechtlich irrelevant sind. Es besteht insoweit die Pflicht, planbedingte Wertverluste gegebenenfalls als private Belange im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen. Dem Planungsträger bleibt es jedoch unbenommen, solche Wertminderungen nach den zum Abwägungsgebot entwickelten Grundsätzen hinter gegenläufige öffentliche Interessen zurücktreten zu lassen. Wie auch sonst ist es ihm allerdings verwehrt, eine äußerste durch Abwägung nicht überwindbare Schwelle zu überschreiten. Die Grenze zur Abwägungsdisproportionalität ist erreicht, wenn die Wertverluste so massiv ins Gewicht fallen, dass dem Betroffenen ein unzumutbares Opfer abverlangt wird. Auch Belastungen, die sich in Wertverlusten äußern, dürfen nicht zur Folge haben, dass die Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz angetastet wird. Das verfassungsrechtlich garantierte Eigentum ist dadurch gekennzeichnet, dass es einen privatnützigen Gebrauch ermöglicht und die grundsätzliche Befugnis umfasst, über den Eigentumsgegenstand zu verfügen. Es soll dem Eigentümer als Grundlage privater Initiative dienen und ihm im eigenverantwortlichen privaten Interesse von Nutzen sein. Es darf dieses Inhalts nicht entleert und wirtschaftlich völlig entwertet werden. Auch wenn Art. 14 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz den eigentumsrechtlich geschützten Rechtspositionen keinen bestimmten Wert verbürgt und deshalb grundsätzlich nicht vor Wertverlusten schützt, für welche die öffentliche Hand verantwortlich zeichnet, darf das Eigentum in seinem Wert nicht soweit gemindert werden, dass die Befugnis, das Eigentumsobjekt nutzbringend zu verwerten, praktisch nur noch als leere Rechtshülle übrig bleibt.39 ___________ 39 Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.3.2006 – 4 A 1074.04, Rn. 404 der Urteilsausfertigung – Flughafen Berlin-Schönefeld.

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Diese Rechtsprechung lässt aus Sicht der Betroffenen die entscheidende Frage nach handhabbaren und greifbaren Kriterien für die Bestimmung der Zumutbarkeit im Einzelfall offen. Wann eine wirtschaftlich betrachtet vollständige Entwertung des Grund- und Gebäudeeigentums infolge von Wertverlusten im Sinne der geschilderten Rechtsprechung vorliegt, ist unklar. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich jedenfalls dahingehend geäußert, dass bei einer Verkehrswertminderung eines Grundstücks um bis zu 20% noch keine Rede davon sein könne, dass das Grundeigentum praktisch funktionslos wird.40 Ob dem in dieser Allgemeinheit generell gefolgt werden kann, mag bezweifelt werden. Nach der Rechtsprechung sind für die Frage, welche Ansprüche die infolge von Infrastrukturplanungen Lärmbetroffenen geltend machen können, verschiedene Stufen der Beeinträchtigung zu unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Ausgleichsansprüche auslösen und allesamt an den Grad der Beeinträchtigung der funktionellen Nutzbarkeit des Grundstückes anknüpfen. 1. Funktionale Nutzbarkeit des Grundstücks Die Zugrundelegung eines rein funktionalen Ansatzes meint, dass allein anhand der Intensität der Lärmbelastung festgelegt wird, inwieweit eine Nutzung des Grundstückes noch zumutbar ist, als zumutbar noch wahrgenommen werden kann. Um diese Zumutbarkeit zu gewährleisten, werden auf Grundlage des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG aktive oder passive Schallschutzmaßnahmen verfügt. Passive Schallschutzmaßnahmen haben dabei regelmäßig das Ziel, bestimmte Lärmwerte im Inneren betroffener Gebäude zu vermeiden. Die äußere Verlärmung eines Grundstückes, die hierdurch bedingte erhebliche Herabsetzung der Wohn- und Lebensqualität und das Fallen des Grundstücksverkehrswertes werden hierdurch nicht vermieden. a) Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs In Bezug auf die funktionale Nutzbarkeit des Grundstücks ist deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zunächst eine Beeinträchtigung der Nutzbarkeit des Außenwohnbereichs zu entschädigen.41 Rechtsgrundlage hierfür ist regelmäßig § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG bzw. die jeweilige inhaltsgleiche Vorschrift der Landesverwaltungsverfahrensgesetze, die ergän___________ 40 Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.3.2006 – 4 A 1074.04, Rn. 406 der Urteilsausfertigung – Flughafen Berlin-Schönefeld. 41 Vgl. beispielhaft BVerwG, Urteil vom 16.3.2006 – 4 A 1074.04, Rn. 396 der Urteilsausfertigung – Flughafen Berlin-Schönefeld.

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zend neben eventuellen Vorgaben des Fachplanungsrechts zur Anwendung kommt. Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs, die von vornherein nicht durch passive Schallschutzmaßnahmen abgefangen werden können, wurden in bisherigen Planfeststellungsverfahren zumeist auf Grundlage des § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG mit einem Entschädigungsanspruch belegt. Allerdings lohnt hier eine Betrachtung der tatsächlich gewährten Höhe der Entschädigung, die sich beispielsweise im Planfeststellungsverfahren für den Flughafen Berlin-Schönefeld bei 2% des Verkehrswertes bewegte und mit der Inbetriebnahme des Flughafens an einen Stichtag anknüpfte, zu dem der Verkehrswert der beeinträchtigten Grundstücke bereits gemindert gewesen war. Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang auch der seitens des Bundesverwaltungsgerichts vertretene Begriff des Außenwohnbereiches. Hiernach muss in jedem Einzelfall festgestellt werden, inwieweit Flächen im Freien tatsächlich zum „Wohnen“ geeignet sind. Freiflächen sind insoweit gegenüber Verkehrslärm nicht allein deswegen schutzbedürftig, weil Immissionsgrenzwerte überschritten sind. Vielmehr müssen die fraglichen Flächen darüber hinaus zum „Wohnen im Freien“ auch geeignet sein. Ein Außenwohnbereich liegt danach insbesondere dann nicht vor, wenn es sich um Vorgärten, die dem regelmäßigen Aufenthalt dienen, Flächen, die nicht zum Wohnen im Freien benutzt werden dürfen, und um Balkone handelt, die nicht dem regelmäßigen Aufenthalt von Menschen zu dienen bestimmt sind.42 Überspitzt formuliert muss man sich hinsichtlich der Bestimmung der schutzwürdigen Außenwohnbereichsflächen an einem sitzenden Menschen orientieren, der bewegungslos an einen bestimmten Platz „wohnt“. Aktivitäten in Vorgärten sind hierbei grundsätzlich zu unterlassen, auch nur gelegentlich frequentierte Balkone sind nicht schutzwürdig. b) Passiver Schallschutz Weiterhin ist auf Grundlage von § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG passiver Schallschutz vorzusehen, so dass die Betroffenen regelmäßig Anspruch auf die Erstattung der Kosten für Schallschutzfenster, Belüftungseinrichtungen und gegebenenfalls Klimaanlagen haben. Solche Ansprüche stehen den Betroffenen nach der Rechtsprechung des BGH unabhängig von § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG aus dem Gesichtspunkt des enteignenden Eingriffs dann zu, wenn Lärmimmissionen von hoher Hand, deren Zuführung nicht untersagt werden kann, sich als ein Eingriff in nachbarliches Eigentum darstellen und die Grenze dessen über___________ 42

Siehe zum Außenwohnbereich BVerwG NVwZ 1989, 255.

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schreiten, was ein Nachbar nach § 906 BGB entschädigungslos hinnehmen muss. Der Anspruch besteht auch hierbei grundsätzlich in einem Geldausgleich für Schallschutzeinrichtungen. Eine Entschädigung für einen Minderwert des Grundstücks kommt erst in Betracht, wenn Schutzeinrichtungen keine wirksame Abhilfe versprechen oder unverhältnismäßige Aufwendungen erfordern. 43 Dieser Entschädigungsanspruch setzt, wenn keine Enteignung von Grundeigentum erfolgt ist, weiter voraus, dass die zugelassene Nutzung des lärmemittierenden Grundstücks die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändert und dadurch das benachbarte Wohneigentum schwer und unerträglich trifft.44 Aus Sicht der Betroffenen ist damit ein Anspruch wegen enteignenden Eingriffs noch weniger wahrscheinlich als Ansprüche auf Grundlage des einfachen Rechts, da das Maß der Lärmbelastung für die Aktivierung des Anspruchs erheblich über der fachplanungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle liegt. c) Untunlichkeit von Schutzvorkehrungen Die Erhaltung der Nutzbarkeit des Grundstücks ist aber vornherein begrenzt, wie unmittelbar aus 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG erhellt. Hiernach ist ein Ausgleich in Form einer angemessenen Entschädigung in Geld zu gewähren, wenn Maßnahmen und Einrichtungen nach § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar wären. Interessant für den hier vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere das Merkmal der Untunlichkeit. Untunlich sind danach Schutzvorkehrungen, wenn es entweder gar keine Vorkehrungen gibt, die einen wirksamen Schutz bieten könnten – dies meint insbesondere die Fälle der Außenwohnbereichsentschädigung – oder wenn die geeigneten Vorkehrungen unzumutbare oder außer Verhältnis zum Schutzzweck stehende, nicht mehr vertretbare Aufwendungen erfordern würden.45 Bedeutsam sind hierbei vor allem die schon oben angesprochenen Fälle einer besonderen Bauweise, die dämmende Maßnahmen nicht zulässt. Nach der Rechtsprechung ist nämlich die Verpflichtung des Vorhabensträgers, eine bestimmte Schutzvorkehrung oder Schutzanlage herzustellen, auch mit Blick auf Umfang und Bedeutung des Vorhabens und unter Berücksichtigung der Relation zwischen Schutzwirkung und finanziellem Aufwand zu beurteilen. Anders ausgedrückt sind all diejenigen Schutzmaßnahmen, die im Ergebnis zu teuer sind, untunlich im Sinne der Vorschrift, so dass die Betroffenen insoweit auf eine „angemessene“ Entschädigung in Geld zu verweisen sind. ___________ 43 44 45

Vgl. nur BGHZ 129, 124, Rn. 6, zitiert nach Juris. Vgl. nur BGHZ 129, 124, Rn. 6, zitiert nach Juris. Vgl. nur Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 74 Rn. 122 f. m.w.N.

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Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, dass nach derzeitiger Rechtslage die Erhaltung der funktionellen Nutzbarkeit der Nachbargrundstücke von Infrastrukturvorhaben von vornherein begrenzt ist. 2. Begrenzte Entschädigung bei beschränkter funktioneller Nutzbarkeit Die Auswirkungen der Beschränkung der funktionellen Nutzbarkeit sollen im Folgenden an einem konkreten Beispiel verdeutlicht werden. So hat namentlich das BVerwG es gebilligt, von einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit dann zu sprechen, wenn die Kosten der passiven Schallschutzmaßnahmen 30% des Verkehrswertes des Grundstückes übersteigen. In einem derartigen Fall sei es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Betroffene lediglich eine Entschädigung in Höhe von maximal 30% des Verkehrswertes des Grundstückes erhalte.46 Diese Fälle sind zwar eher selten, können aber insbesondere dann auftreten, wenn ein von einer Planung Betroffener über besonders individuelle Gebäudesubstanz auf seinem Grundstück verfügt. Spezielle Bauweisen wie reine Holzoder Glasbauten können dazu führen, dass die Kosten für Schallschutzmaßnahmen in die Höhe schnellen und gar die Qualität eines völligen Neubaus erhalten. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Untunlichkeit des Schallschutzes in diesen Konstellationen führt aus Sicht der Betroffenen dazu, dass eine bestimmungsgemäße Nutzung des Grundstückes nicht mehr möglich ist. Der gewährte Geldausgleich reicht nicht aus, um die Gebäude mit adäquatem Schallschutz auszustatten, so dass eine Nutzung, die keine Gesundheitsrisiken in sich birgt, ohne erhebliche Aufwendung von Eigenmitteln nicht mehr realisiert werden kann. Dies hat einerseits zur Folge, dass die betroffenen Anwohner an sich schon einen dramatischen Wertverlust erleiden. Sie werden für die Nachbarschaft zur Infrastrukturplanung dann ein weiteres Mal „bestraft“, indem man ihnen von dem niedrigen Verkehrswert dann 30% erstattet, die noch nicht einmal zu einer Außenrenovierung reichen würden. Diesen Menschen wird zugemutet, dass sie zukünftig in ihren Häusern ohne Schallschutz leben und ihre Gesundheit ruinieren oder wegziehen.

___________ 46 Vgl. beispielhaft BVerwG, Urteil vom 16.3.2006 – 4 A 1074.04, Rn. 421 f. der Urteilsausfertigung – Flughafen Berlin-Schönefeld.

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Bis zum Erreichen der Enteignungs- bzw. enteignungsgleichen Zumutbarkeitsschwelle existiert folglich eine offenkundig klaffende Schutzlücke, die nach hiesigem Dafürhalten allein durch die Erwägung der Sozialbindung des Eigentums nach Art. Art. 14 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden kann. 3. Folgen der begrenzten Entschädigung Wie im folgenden zu zeigen sein wird, zeitigt die begrenzte Entschädigung, die aus der „Untunlichkeitsrechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts resultiert, Folgen, die weit über eine bloße Eigentumsbeeinträchtigung hinausgehen. a) Entwertung des Grundstücks Die oben unter II. als „allgemeiner Planungsschaden“ eingeordnete Wertminderung des Grundstücks führt aufgrund der Verknüpfung mit der Untunlichkeit von Schallschutzmaßnahmen zu konkreten und funktionalen Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit des Grundstücks. Bereits insoweit stellt sich die Frage, ob im Lichte einer die funktionale Nutzbarkeit des Grundstücks beeinträchtigenden Verkehrswertminderung eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG angenommen werden muss. Wie das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen hat, muss der Gesetzgeber bei Regelungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG sowohl der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG als auch dem Sozialgebot des Art. 14 Abs. 2 GG in gleicher Weise Rechnung tragen. Er hat dabei die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Das Maß und der Umfang der dem Eigentümer von der Verfassung zugemuteten und vom Gesetzgeber zu realisierenden Bindung hängt hiernach wesentlich davon ab, ob und in welchem Ausmaß das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht.47 Diesen Anforderungen entspricht es, wenn Eigentumsbindungen stets verhältnismäßig sein müssen. Sie dürfen, gemessen am sozialen Bezug und an der sozialen Bedeutung des Eigentumsobjekts sowie im Blick auf den Regelungszweck, insbesondere nicht zu einer übermäßigen Belastung führen und den Eigentümer im vermögensrechtlichen Bereich unzumutbar treffen.48 ___________ 47 48

Vgl. BVerfGE 58, 137, 148 f. Vgl. BVerfG, aaO., S. 148.

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Es muss beachtet werden, dass unsere Rechts- und Wirtschaftsordnung dazu zwingt, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögenswerten.49 In jedem Fall ist eine Rücksichtnahme auf die Belange anderer, die auf die Nutzung der betreffenden Eigentumsgegenstände angewiesen sind, geboten.50 Diese besondere Bindung des Grundeigentums durch Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz zeigt sich im Zusammenhang mit Infrastrukturplanungen in erster Linie durch die Duldungspflicht, der die Betroffenen dann unterliegen, wenn öffentliche Interessen für das Vorhaben streiten. Hierdurch wird die soziale Bindung des Eigentums bereits hinreichend aktualisiert und den Betroffenen zugemutet, dass sie Einwirkungen auf ihr Grundstück insoweit nicht abwehren können. Die Belastungen, das sollte einmal deutlich gesagt werden, werden durch Gewährung passiver Schutzeinrichtungen nicht gänzlich ausgeschlossen. Diese Einrichtungen haben lediglich den Zweck, unzumutbare Einwirkungen auszuschließen. Mit den verbleibenden, durchaus belästigenden Immissionen haben die Betroffenen zu leben. Hinzu treten diejenigen Beeinträchtigungen infolge von Lärm, die sich einstellen, sobald geschlossene Räumlichkeiten verlassen werden. Zu den Verlusten einer Wohn-, Lebens- und Arbeitsqualität gesellen sich dann noch die Wertverluste. Diese führen dazu, dass Veräußerungen oder Belastungen des Grundstücks erschwert, im schlimmsten Fall unmöglich gemacht werden. Daher muss bedacht werden, dass Verkehrswertverluste sich nicht in einer rechnerischen Minderung des Grundstückswertes erschöpfen, sondern Folgewirkungen entfalten. Wertverluste werden dann konkret und greifbar, wenn der Verkehrswert eines Grundstückes eben nicht nur ein fiktiver Zahlenwert ist, der in einem bloß hypothetischen Verkaufsfall prognostizierbar ist, sondern wenn an den Verkehrswert konkrete negativ eigentumsrelevante und noch darüber hinaus grundrechtsbeeinträchtigende Folgen geknüpft werden. Dies ist im Infrastrukturplanungsrecht eben gerade dann der Fall, wenn der Verkehrswert eines Grundstückes Grundlage für die Beurteilung der Tunlichkeit und Angemessenheit zu gewährender Schallschutzmaßnahmen ist. Ein Grundstückseigentümer erhält diese Ausgleichsansprüche regelmäßig nur, wenn sich diese im Hinblick auf den Verkehrswert seines Grundstückes als wirtschaftlich sinnvoll und zumutbar erweisen. Hierbei wird bisher in der Rechtsprechung nicht berücksichtigt, dass die in den Planungsverfahren regelmäßig festgesetzten Stichtage für die Berechnung des Verkehrswertes so angelegt sind, dass bereits eingetretene, planungsbedingte Wertverluste gerade nicht einkalkuliert werden. ___________ 49 50

Vgl. BVerfGE 21, 73 ff. Vgl. hierzu BVerfGE 37, 132 ff.; 38, 348 ff.

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b) Gesundheitsbeeinträchtigung Die Betroffenen, denen nur eine begrenzte Entschädigung trotz begrenzter Nutzbarkeit ihrer Grundstücke gewährt wird, sehen sich nun in der Situation, dass eine weitere Nutzung des Grundstücks möglicherweise nur noch unter Inkaufnahme von Gesundheitsbeeinträchtigungen möglich ist. Der eigentliche Zweck des § 74 Abs. 2 VwVfG, die zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen notwendigen Vorkehrungen zu Gunsten der Betroffenen zu sichern, wird in dieser Konstellation ganz offensichtlich verfehlt. Der Bürger wird ohne einen Erstattungsanspruch für Schallschutzmaßnahmen mit einem Entschädigungsanspruch alleingelassen, der bei weitem nicht ausreicht, das Grundstück derart gegen Lärm zu isolieren, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen sicher ausgeschlossen werden können. Der Staat hat seine ihm aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz obliegende Schutzpflicht ersichtlich verfehlt. Verkehrswertminderungen, die bisher in der Rechtsprechung ausschließlich im Angesicht des Art. 14 Grundgesetz behandelt werden, haben damit unmittelbare Auswirkungen auf die körperliche Unversehrtheit der Planungsbetroffenen. c) Verlust der Freizügigkeit Soweit die Betroffenen nicht bereit sind, mögliche Gefahren für ihre Gesundheit in Kauf zu nehmen, haben sie regelmäßig nur noch die Möglichkeit, von dem nun lärmbelasteten Ort wegzuziehen. So gesehen besteht durchaus noch ein Wahlrecht, aus Sicht der Betroffenen ist es aber wohl eher die Wahl zwischen Pest und Cholera. Der Einwand, man könne zur Vermeidung der Gesundheitsbeeinträchtigung schließlich umziehen, ist gerade im Lichte des Art. 11 Grundgesetz unzulässig. Im Übrigen ist zu beachten, dass insoweit auch Vorgaben des Art. 8 EMRK maßgeblich sind.

IV. Zusammenfassung Grundstückseigentümer, deren Grundstücke durch Infrastrukturplanungen und insbesondere durch die von diesen ausgehenden Lärmimmissionen entwertet werden, erhalten einen Wertausgleich dann, wenn Schutzeinrichtungen unmöglich oder unverhältnismäßig sind. Die Unverhältnismäßigkeit knüpft dabei unter anderem an die wirtschaftliche Zumutbarkeit an, die dann in der Regel verneint wird, wenn die Aufwendungen für Schutzeinrichtungen einen bestimmten Prozentsatz des Verkehrswertes des Grundstücks überschreiten. Auffallend ist hierbei, dass eine Anknüpfung an den Verkehrswert in der Rechtsprechung zwar dann vorgenommen wird, wenn es um die Frage der wirt-

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schaftlichen Zumutbarkeit von Schutzeinrichtungen geht, der Verkehrswert aber dann als rein fiktive Rechengröße eingeordnet wird, wenn konkreter Ausgleich der Nachteile begehrt wird. Der Eingriff verstärkt sich aus Sicht der Betroffenen dadurch, dass der Berechnungszeitpunkt für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung von Schutzeinrichtungen und damit auch der Zeitpunkt für die Berechnung einer eventuellen Entschädigung in der Regel so gestaltet ist, dass nur noch ein geminderter Verkehrswert in die Berechnung eingestellt wird. Die regelmäßig infolge der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens eintretende Duldungspflicht der betroffenen Grundstückseigentümer ist Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums und stellt insoweit die jeweils betroffenen Grundstücke in den besonderen sozialen Bezug, den das Grundeigentum aufgrund seiner beschränkten Verfügbarkeit aufweist. Aus meiner Sicht ist damit gerade auch im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG eine besondere Belastung der Grundeigentümer verbunden, die intensiv auf die Eigentumsgarantie einwirkt. Bedacht werden muss in diesem Zusammenhang, dass Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG in erster Linie ein Freiheitsrecht verbürgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt Art. 14 GG im Gesamtgefüge der Verfassung zunächst die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts durch Zubilligung und Sicherung von Herrschaft-, Nutzungs- und Verfügungsrechten einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu gewährleisten und ihm damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen; insoweit steht die Eigentumsfreiheit in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit.51 Dieser enge Zusammenhang des Eigentumsrechts mit der Garantie der persönlichen Freiheit bewirkt, dass gerade die Art und Weise der Nutzung des Eigentums grundsätzlich im Belieben des jeweiligen Eigentümers steht. Insoweit weist Art. 14 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz auch einen engen Bezug zur Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz auf, der es erfordert, dass prinzipiell auch Grundstücksnutzungen, die untypisch sind, aber mit der geltenden Rechtslage in Einklang stehen, dem Eigentumsschutz unterfallen müssen. Eine Lösung des Problems kann darin liegen, mit einer konsequenten Anwendung der Grundsätze des Übermaßverbotes und des Gleichheitssatzes die Beeinträchtigungen der Betroffenen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. So hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Mineralölbevorratung, auch wenn diese im Wesentlichen zur Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz ergangen ist, mit der Zulässigkeit der Inanspruchnahme von Pri-

___________ 51

Vgl. BVerfGE 21, 73, 86; 24, 367, 389 ff.

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vatpersonen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben befasst.52 Die Situation einer Indienstnahme Privater unterscheidet sich nicht wesentlich von der Verpflichtung der Grundstückseigentümer, die von im öffentlichen Interesse stehenden Infrastrukturplanungen ausgehenden Immissionen zu dulden. Auch insoweit kann von einer Inanspruchnahme des Eigentums der Betroffenen gesprochen werden. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine gezielte Inanspruchnahme in Form einer Enteignung durch unmittelbare Verwendung der Grundstückssubstanz zum Zwecke der Realisierung des Vorhabens. Doch muss berücksichtigt werden, dass die Infrastrukturplanung notwendig darauf angewiesen ist, – neben der unmittelbaren Inanspruchnahme von Grund und Boden Dritter – Grundstücke in einem Maße zu beanspruchen, das unterhalb der enteignungsrechtlichen Schwelle liegt. Auch hierin ist eine Inanspruchnahme Privater zu erblicken. Es spricht aber kein einleuchtender Grund dafür, dass dann, wenn der Staat zur Verfolgung zulässiger Zwecke Tätigkeiten Privater in Anspruch nimmt und auch nehmen darf, dies automatisch und im Wesentlichen kostenlos geschehen darf.53 Es ist aus meiner Sicht deshalb notwendig, die Rechtsfigur der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung im Interesse der Grundstückseigentümer weiter auszugestalten. Der Überlegung bedarf dabei insbesondere, inwieweit die Ausgleichspflicht bereits an einem Punkt ansetzen kann, der im Vorfeld der Enteignungsschwelle liegt. Hierfür spricht insbesondere, dass mit der Zulassung von Infrastrukturplanungen für den Grundstückseigentümer in der Nachbarschaft permanente und dauerhafte Beeinträchtigungen verbunden sind, auch wenn eine Nutzbarkeit des Grundstücks hierdurch nicht vollkommen ausgeschlossen wird. Im Gegensatz dazu wird im Falle der Enteignung das Eigentumsobjekt vollständig entzogen mit der Folge, dass die Bestandsgarantie sich umwandelt in eine Eigentumswertgarantie, die ihren Ausdruck in einer vollständigen Entschädigungsverpflichtung des Staates findet. Die spürbare und dauerhafte Beschränkung der Ausübung der Eigentümerbefugnisse durch eine Inhalts- und Schrankenbestimmung ist aus Sicht der Betroffenen jedenfalls dann unbillig, wenn die Rechtsordnung eine Entschädigungspflicht bis zur Enteignungsschwelle ausschließt. Es ist nicht einsichtig, wieso nicht ein zumindest anteiliger Ausgleich gewährt werden soll. Dies muss umso mehr gelten, als aus Sicht der von Infrastrukturplanungen Betroffenen und auch anhand der zu konstatierenden Tendenz in der Rechtsprechung davon ausgegangen werden muss, dass das eigentlich primäre Geltung beanspruchende Abwehrrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. GG sich im Verhältnis ___________ 52 Vgl. BVerfGE 30, 292, 311 ff.; zu Übermaßverbot und Gleichheitssatz als Grenze der Inanspruchnahme des Eigentumswertes auch BVerfGE 31, 229, 242 ff.; 49, 382, 399 ff. 53 Vgl. Schulze-Osterloh, NJW 1981, 2537, 2542 m.w.N.

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zur regelmäßig als im öffentlichen Interesse stehend eingeordneten Planungsmaßnahme nur in den wenigsten Fällen durchzusetzen vermag. Den Betroffenen ist mit der jedem geschulten Juristen leicht von der Hand gehenden Argumentation, man habe private Belange abgewogen, im Ergebnis aber weggewogen, nicht gedient, da hiermit weder eine ideelle Befriedigung noch ein materieller Ersatz verbunden sind. Übrig bleibt aus Sicht des Einzelnen vielmehr ein ausgeprägtes Ohnmachtgefühl und die Erkenntnis, dass der einzelne Bürger, der sprichwörtliche „kleine Mann“, und sein Eigentum im wahrsten Sinne des Wortes „nichts wert“ sind. Es tut daher Not, über den Begriff der Untunlichkeit im § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG nachzudenken: Vor allem dann, wenn die Begrenzung der Entschädigung wegen angeblicher Untunlichkeit von Schutzmaßnahmen nach § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG zu Folgewirkungen in Form von weiteren Grundrechtsverletzungen oder -gefährdungen führt, müssen in die notwendig zu treffende Abwägungsentscheidung, inwieweit die Gewährung von passivem Schallschutz noch zulässig ist oder nicht, alle, insoweit auch perspektivisch mittelbar betroffenen Grundrechte eingestellt werden. Insbesondere bedarf die Wertigkeit der insoweit tangierten Grundrechtspositionen offenkundig einer kritischen Überprüfung, da das Verhältnis zwischen dem Schutzbedürfnis der lärmbetroffenen Bürger und den Interessen der Vorhabensträger ersichtlich in eine Schieflage geraten ist. Man sollte sich daran erinnern, dass das Interesse des Vorhabensträgers, von zu teuren Schutzmaßnahmen zu Gunsten der Anwohner verschont zu bleiben, allenfalls unter dem Blickwinkel des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz relevant sein kann, während zu Gunsten der Betroffenen hochrangige Rechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 1 und Art. 11 GG streiten. Werden auf der einen Seite Schutzmaßnahmen als erforderlich angesehen, muss Betroffenen zum Schutz vor weiteren Grundrechtsverletzungen voller Ausgleich gewährt werden.

Der besondere Artenschutz in der Fachplanung Von Hans Walter Louis1 Das Artenschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland basiert auf internationalen und nationalen Regelungen. Die internationalen Regelungen werden durch europäisches Naturschutzrecht umgesetzt oder begründet, so dass zunächst das europäische Artenschutzrecht dargestellt werden soll.

I. Europarechtliche Regelungen des Artenschutzes 1. Artenschutzrechtliche Regelungen der Vogelschutz-Richtlinie (VRL) Die artenschutzrechtlichen Regelungen sind in den Art. 5 bis 9 VRL verankert. Art. 5 VRL stellt für alle Vögel im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, mit Ausnahme Grönlands, Verbote für absichtliche Zugriffe oder absichtliche Störungen auf. Verboten ist das absichtliche – Töten und Fangen, ungeachtet der angewandten Methode, – Zerstören oder Beschädigen von Nestern und Eiern und das Entfernen von Nestern, – Stören, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung der VRL erheblich auswirkt. Verboten sind zudem das Sammeln von Eiern in der Natur und der Besitz dieser Eier auch in leerem Zustand sowie das Halten von Vögeln, die nicht gejagt oder gefangen werden dürfen. Für diese Tatbestände ist keine Absicht erforderlich, doch ist ein unbeabsichtigtes Sammeln von Eiern oder Halten von Vögeln schwer vorstellbar. Art. 6 VRL untersagt den Verkauf von lebenden und toten Vögeln, von deren ohne weiteres erkennbaren Teilen oder von aus ihnen gewonnenen Erzeug___________ 1 Der Verfasser ist Honorarprofessor an der Technischen Universität Braunschweig und der Universität Hannover.

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nissen. Hiervon gibt es Ausnahmen, auf die hier aber nicht eingegangen werden soll. Art. 7 VRL erlaubt die Bejagung der in Anhang II VRL aufgeführten Vögel unter bestimmten Bedingungen, wobei Art. 8 VRL bestimmte Jagdmethoden untersagt. Von besonderer Bedeutung ist Art. 9 VRL, der den Mitgliedstaaten gestattet, von den Verboten des Art. 5 und den Regelungen der Art. 6 bis 8 VRL abzuweichen, wenn dies aus den in Art. 9 VRL aufgeführten Gründen erforderlich ist und es keine andere zufrieden stellende Lösung gibt, bei der keine oder eine geringere Beeinträchtigung der Vögel möglich wäre. Möglich sind solche Ausnahmen a) im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit, im Interesse der Sicherheit der Luftfahrt, zur Abwendung erheblicher Schäden an Kulturen, Viehbeständen, Wäldern, Fischereigebieten und Gewässern, zum Schutz der Pflanzen und Tierwelt; b) zu Forschungs- und Unterrichtszwecken, zur Aufstockung der Bestände, zur Wiederansiedlung und zur Aufzucht im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen; c) um unter streng überwachten Bedingungen selektiv den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen zu ermöglichen. 2. Artenschutzrechtliche Regelungen der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) Der Artenschutz wird gemäß Art. 12 FFH-RL nur den in Anhang IV FFHRL aufgeführten Arten zuteil. Art. 12 FFH-RL stellt wie Art. 5 VRL Zugriffsund Störungsverbote für die Tiere des Anhangs IV FFH-RL auf. Verboten ist danach für Arten des Anhangs IV a) FFH-RL das absichtliche – Fangen und Töten von aus der Natur entnommenen Exemplaren, – Stören dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Überwinterungs- und Wanderzeiten, – das Zerstören und Entnehmen von Eiern aus der Natur. Zusätzlich ist die Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten verboten, wobei Art. 12 Abs. 1 d) FFH-RL nicht auf Vorsatz abstellt. Für Pflanzen des Anhangs IV b) FFH-RL verbietet Art. 13 Abs. 1 a) FFHRL das absichtliche Pflücken, Sammlen, Abschneiden, Ausgraben oder Ver-

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nichten von Exemplaren in deren Verbreitungsräumen in der Natur. Art. 13 Abs. 1 b) FFH-RL regelt Besitz- und Vermarktungsverbote, die hier nicht erörtert werden. Art. 14 FFH-RL regelt die Bedingungen, unter denen eine Naturentnahme von Tieren und Pflanzen wild lebender Arten des Anhangs V FFHRL zulässig ist, und Art. 15 FFH-RL verbietet bestimmte Fang- und Tötungsmethoden für Tiere der Arten des Anhangs V a) FFH-RL und solche des Anhangs IV a FFH-RL, für die eine Ausnahme zum Fangen oder Töten erteilt wurde. Ausnahmen von den Verboten zugunsten der Arten des Anhangs IV FFHRL sind nach Art. 16 FFH-RL möglich, insbesondere auch im öffentlichen Interesse, einschließlich der Interessen sozialer und wirtschaftlicher Art, sofern es keine anderweitige zufrieden stellende Lösung gibt und die Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahme in einem günstigen Erhaltungszustand verweilt. Art. 16 Abs. 1 FFH-RL erlaubt es, von den Verboten des Art. 12, 13, 14 und 15 abzuweichen – zum Schutz der wild lebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume, – zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum, – im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt, – zu Zwecken der Forschung und des Unterrichts, der Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung und der für diese Zwecke erforderlichen Aufzuchten, einschließlich der künstlichen Vermehrung von Pflanzen, – um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tierund Pflanzenarten des Anhangs IV zu erlauben.

II. Das System des deutschen Artenschutzrechts Der Artenschutz in Deutschland basiert auf einem mehrstufigen Schutzsystem. Zunächst wird zwischen allgemeinem und besonderem Artenschutz unterschieden. Innerhalb des besonderen Artenschutzes gibt es dann besonders ge-

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schützte und streng geschützte Arten, wobei Letzteren ein besonders intensiver Schutz zuteil wird. 1. Der allgemeine Artenschutz Der allgemeine Artenschutz ist Ländersache. § 41 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) enthält rahmenrechtliche Vorgaben für diesen Schutz. Er verbietet im Wesentlichen die mutwillige Beunruhigung von Tieren und deren Fang, Tötung oder Verletzung ohne vernünftigen Grund. Für Pflanzen ist das Entnehmen vom Standort, ihre Nutzung und die Verwüstung ihrer Bestände ohne vernünftigen Grund landesrechtlich zu untersagen. Lebensstätten von Tieren und Pflanzen dürfen ohne vernünftigen Grund nicht beeinträchtigt oder zerstört werden. In der Fachplanung spielen diese Verbote keine Rolle, da die Fachplanung selbst immer einen vernünftigen Grund darstellt. Viele Landesnaturschutzgesetze enthalten zudem Verbote, Hecken und Bäume in der freien Landschaft während der Nist- und Brutzeiten, z. B. vom 15. März bis 15. Oktober eines jeden Jahres zu schneiden oder zu beseitigen. Diese Verbote sind zu beachten, solange keine Ausnahme oder Befreiung erteilt wurde. Sie bestimmen aber nicht die Zulässigkeit eines Vorhabens, sondern die Art und Weise und insbesondere den Zeitraum der Bauausführung. Nach § 41 Abs. 2 BNatSchG ist zudem die Ansiedlung von Tieren und gebietsfremden Pflanzen landesrechtlich unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen. Die Naturschutzgesetze der Länder sind nicht einheitlich, so dass das konkrete Landesrecht zu beachten ist. In Bayern verbietet Art. 17 BayNatSchG z. B. die Ansiedlung von gebietsfremden Tieren und Pflanzen. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn eine Gefahr einer Verfälschung der heimische Tierund Pflanzenwelt, eine Gefährdung des Bestandes oder der Verbreitung wild lebender Tier- oder Pflanzenarten der Mitgliedstaaten oder von Populationen davon nicht auszuschließen ist. Diese Regelung ist auch bei der Ausschreibung von Leistungen zu beachten, wenn es z.B. um die Bepflanzung von Verkehrsanlagen oder um sonstiges Straßenbegleitgrün geht. Für Kompensationsmaßnahmen dürfte die Verwendung von Pflanzen außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets ohnehin nicht in Frage kommen. Sofern die Zulassung der Planung keine Konzentrationswirkung hat, also andere erforderliche Zulassungen nicht ersetzt, müssen diese artenschutzrechtlichen Genehmigungen oder Ausnahmen bei der zuständigen Behörde eingeholt werden. Besteht eine Konzentrationswirkung wie z. B. bei einer Planfeststellung und weitgehend auch bei der Plangenehmigung, werden die Ausnahmen oder Genehmigungen in der Planfeststellung oder Plangenehmigung mit erteilt. Auch dann ist zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausnahme oder Genehmigung gegeben sind, sonst ist dieser Teil der Planung zu ändern oder die Planfeststellung bzw. Plangenehmigung insoweit abzulehnen.

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2. Die besonders geschützten Arten Der besondere Artenschutz ist im Wesentlichen in § 42 BNatSchG geregelt. Die Ausnahmen finden sich in § 43 BNatSchG. Zudem kann eine Ausnahme nach § 43 BNatSchG und eine Befreiung nach § 61 BNatSchG erteilt werden. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 10 BNatSchG sind besonders geschützt – Arten des Anhangs A und B der VO (EG) Nr. 338/97 (EG-Artenschutzverordnung), – Arten des Anhangs IV FFH-RL, die nicht in Anhang A und B der VO (EG) Nr. 338/97 aufgeführt sind, – die europäischen Vogelarten nach der VRL und – die in Anlage 1 Spalte 2 Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) aufgeführten Arten. Für die besonders geschützten Arten besteht nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG ein Zugriffsverbot. Sie dürfen nicht gefangen, verletzt oder getötet werden. Ihre Fortpflanzungs- und Ruhestätten dürfen der Natur nicht entnommen, beschädigt oder zerstört werden. Für Pflanzen gilt das Beeinträchtigungsund Zerstörungsverbot des § 42 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG. Für die europäischen Vogelarten gilt zudem das Störungsverbot des § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG, das ansonsten nur streng geschützten Arten zuteil wird. Auf die Besitz- und Vermarktungsverbote nach § 42 Abs. 2 BNatSchG soll hier nicht eingegangen werden. 3. Die streng geschützten Arten Durch das Bundesnaturschutzgesetz von 20022 wurden die „vom Aussterben bedrohten Arten“ zu „streng geschützten Arten“. Das Schutzsystem wurde insofern geändert, als nunmehr alle streng geschützten Arten zugleich als besonders geschützte Arten eingestuft werden. Das führt zu einem etwas unübersichtlichen System, weil diese Arten in § 10 Abs. 2 Nr. 10 BNatSchG zunächst den besonders geschützten Arten zugeordnet werden, um dann durch eine weitere Nennung in § 10 Abs. 2 Nr. 11 BNatSchG als streng geschützt eingeordnet zu werden. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 11 BNatSchG gehören zu den streng geschützten Arten die Arten – des Anhangs A VO (EG) Nr. 338, ___________ 2 Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom 25. März 2002, BGBl. I S. 1193.

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– des Anhangs IV FFH-RL und – der Anlage 1 Spalte 3 BArtSchV. Für diese Arten bestehen neben den Zugriffsverboten des § 42 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG zusätzliche Störungsverbote nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BNatSchG. Zudem unterliegen sie strengen Besitz- und Vermarktungsverboten, die aber im Zusammenhang mit Planungen ohne Bedeutung sind.

III. Die neuen Regelungen zum Artenschutz 1. Zugriffsverbote Durch Urteil vom 10. Januar 20063 hat der Europäische Gerichtshof die Umsetzung der Vogelschutz-Richtlinie (V-RL)4 und der FFH-Richtlinie (FFHRL)5 beanstandet. Bestimmte Freistellungen von den artenschutzrechtlichen Verboten wurden als europarechtswidrig verworfen. Die Korrektur dieser Mängel ist durch die sog. kleine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes erfolgt.6 Nachfolgend werden die Änderungen des Artenschutzrechts vorgestellt. Die unmittelbar geltenden Verbote eines Zugriffs auf Tiere der besonders geschützten Arten und deren Entwicklungsformen bleiben auch im neuen § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG unverändert. Der Lebensstättenschutz ist aus § 42 Abs. 1 Nr. 1 herausgenommen und in § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG abweichend formuliert worden. Während es bisher verboten war, Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten von Tieren der besonders geschützten Arten der Natur zu entnehmen, sie zu beschädigen oder zu zerstören, ist es nunmehr verboten, Fortpflanzungs- und Ruhestätten solcher Tiere aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören. In der Begründung wird dazu ausgeführt: „In Nummer 3 wird der auch bisher vorgesehene Schutz bestimmter Lebensstätten aus dem Individuenschutz herausgelöst und tatbestandlich eigenständig gefasst. Dabei entsprechen die nunmehr gewählten Begriffe „Fortpflanzungs- und Ruhestätten“ dem Wortlaut von Artikel 12 Abs. 1 d) FFH-Richtlinie. Von ihnen umfasst sind aber auch „Nester“ im Sinne von Arti___________ 3

EuGH, Urt. vom 10.1.2006 – C-98/03, NuR 2006, 166. Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2.4.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl. Nr. L 103 S. 1, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20.11.2006, ABl. Nr. L 363 S. 368. 5 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. Nr. L 206 S. 7, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20.11.2006 Nr. L 363 S. 368. 6 Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 12.12.2007, BGBl. I S. 2873. 4

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kel 5 Buchstabe b Vogelschutzrichtlinie.“7 Zu den Fortpflanzungsstätten zählen nicht nur die Orte, an denen konkret eine Fortpflanzung stattfindet, sondern auch Brut- und Aufzuchtbereiche, die Teil der Fortpflanzung sind. Deshalb erwähnt die Begründung „Nester“ ausdrücklich als Fortpflanzungsstätten.8 Dieser Ansatz muss sinnvoller Weise für alle Aufzuchtstätten gelten. Somit ist ein Bereich solange eine Fortpflanzungsstätte, bis die Fortpflanzung zu überlebensfähigen Nachkommen geführt hat. Fortpflanzungsstätten sind die bisher geschützten Nist- und Brutstätten. Wie schon nach der bisherigen Rechtslage sind Nahrungsstätten und -habitate nicht geschützt. Das gilt aber nur, wenn der Fortpflanzungserfolg nicht unmittelbar von der Existenz der Nahrungsstätte abhängt. Führt die Zerstörung einer Nahrungsstätte zum Verhungern der Nachkommen in der Fortpflanzungsstätte, ist das Nahrungshabitat als Teil der Fortpflanzungsstätte anzusehen. Der Begriff der „Ruhestätte“ ist ebenfalls neu. Darunter versteht man Bereiche, in die sich Tiere nach der Nahrungssuche oder nach Auseinandersetzungen mit Artgenossen oder Feinden zurückziehen. Dazu gehören die früher geschützten Zufluchtstätten und Wohnstätten. Geschützt sind zudem die Standorte der Fortpflanzungs- und Ruhestätten. Das war bisher nicht der Fall. Auch wenn die Begründung des Gesetzes dazu nichts ausführt, liegt in der Einbeziehung der Standorte eine sinnvolle Erweiterung. Nunmehr ist es verboten, die Standorte von Fortpflanzungs- und Ruhestätten zu beschädigen oder zu zerstören. Dazu gehören Horstbäume und Nisthilfen, Brutfelsen, aber auch Wandflächen unter Dachrinnen, an denen Mauersegler brüten können. Unzulässig ist es z. B., Balken, auf denen Rauchschwalben immer wieder nisten, von der Außenwelt zu isolieren und für die Vögel unzugänglich zu machen. Hierhin liegt die Zerstörung des Standortes einer Fortpflanzungsstätte. Das Zugriffsverbot für besonders geschützte Pflanzen findet sich in § 42 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG. Es umfasst das Verbot der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung der geschützten Pflanzen. Verboten ist auch die Beschädigung oder Zerstörung der Standorte dieser Pflanzen. Damit werden sämtliche bisher unter § 42 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 BNatSchG a.F. verbotenen Tathandlungen erfasst wie Abschneiden, Abpflücken, Aus- oder Abreißen, Ausgraben, Beschädigen oder Vernichten. Die neue Formulierung ist ein sprachlicher Gewinn.

___________ 7 8

BT-Drs. 15/5100, S. 11 zu Nr. 7. BT-Drs. 16/5100, S. 11 zu Nr. 7.

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2. Störungsverbote Nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG ist es verboten, wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderzeiten erheblich zu stören. Damit werden die Störungsverbote von Lebensstätten, nämlich den Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtstätten, auf bestimmte Zeiten verlagert. Natürlich sind damit auch die entsprechenden Stätten geschützt, wenn die Fortpflanzung, Mauser, Überwinterung oder Wanderung der Tiere an bestimmte Flächen gebunden ist. Allerdings geht der Schutz nun weiter, denn während dieser Phasen sind auch Tiere geschützt, die für die geschützten Lebensphasen keine festgelegten Bereiche benutzen. Zudem sind alle Tiere zu diesen Zeiten geschützt, auch einzelne Tiere, die – aus welchen Gründen auch immer – die geschützten Phasen nicht durchlaufen, also z.B. nicht brüten oder sich nicht mausern. Durch eine Summierung der verschiedenen Schutzzeiten kann es zu einem ganzjährigen Schutz kommen. So kann z.B. Grünland einem ganzjährigen Störungsverbot unterliegen, weil es im Laufe des Jahres als Fortpflanzungs-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderfläche der verschiedenen Vogelarten oder sogar der gleichen Vogelart dient. Anders als nach der bisherigen Rechtslage, muss die Störung erheblich sein. Damit sollen unwesentliche Beeinträchtigungen aus dem Tatbestand ausgenommen werden. Eine erhebliche Störung liegt auf Grund der gesetzlichen Regelungen vor, wenn sich der Erhaltungszustand einer Population verschlechtert. Der Gesetzgeber stellt für den Erhaltungszustand ausdrücklich auf die lokale Population ab, auch wenn Art. 16 FFH-RL sich auf den Zustand im Verbreitungsgebiet bezieht. Es ist lokalen Behörden aber nicht möglich, den Erhaltungszustand von Arten im Verbreitungsgebiet zu beurteilen. Dafür fehlen die erforderlichen Daten. Weisen die lokalen Arten europaweit einen guten Erhaltungszustand auf, folgt daraus ein guter Erhaltungszustand im gesamten Verbreitungsgebiet. Als Population definiert § 10 Abs, 2 Nr. 4 BNatSchG „eine biologisch oder geographisch abgegrenzte Zahl von Individuen“. Eine lokale Population bilden die in einem durch die Lebensraumansprüche einer Art bestimmten Bereich vorkommenden Bestände einer Art, unabhängig vom Bestehen einer Fortpflanzungsgemeinschaft.9 Die Bestimmung lokaler Populationen kann insbesondere bei Arten mit großen Flächenansprüchen wie Greifvögeln oder Fledermäusen schwierig sein. Bei der Beurteilung der Beeinträchtigung der lokalen Population werden vorgesehene Vermeidungsmaßnahmen berücksichtigt, nicht aber sonstige Kompensationsmaßnahmen. ___________ 9

So Gellermann NuR 2007, 783/785.

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3. Freistellungen, Ausnahmen und Befreiungen von den artenschutzrechtlichen Verboten Die artenschutzrechtlichen Verbote des § 42 BNatSchG gelten nicht uneingeschränkt. § 43 BNatSchG sieht gesetzliche Freistellungstatbestände vor, die diese artenschutzrechtlichen Regelungen entfallen lassen. Zudem können spezifische Ausnahmetatbestände greifen, die allerdings einen Antrag voraussetzen. Schließlich gibt es noch einen unspezifischen Befreiungstatbestand, bei dem auf Antrag die artenschutzrechtlichen Verbote wegen Unzumutbarkeit nicht angewendet werden. 4. Die gesetzlichen Freistellungstatbestände Die bisherigen gesetzlichen Freistellungstatbestände des § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. finden sich nunmehr in § 42 Abs. 4 und 5 BNatSchG. Nach § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. entfielen die artenschutzrechtlichen Verbote, wenn eine Ausnahme vom besonderen Biotopschutz nach § 30 Abs. 2 BNatSchG erteilt wurde. Die Ausnahmeentscheidung hatte die artenschutzrechtlichen Wertungen und Einschätzungen zu berücksichtigen. Diese Verbindung der Ausnahme nach § 30 Abs. 2 BNatSchG mit den artenschutzrechtlichen Verboten ist entfallen. Somit bedarf es ggf. einer Ausnahme von den Vorschriften zum Biotopschutz und zugleich einer artenschutzrechtlichen Ausnahme oder Befreiung, wenn neben den Verboten des § 30 Abs. 1 BNatSchG zum Schutz von Biotopen zugleich artenschutzrechtliche Verbote nach § 42 BNatSchG erfüllt werden. Die übrigen Freistellungstatbestände sind geblieben, auch wenn sie variiert werden. Die Freistellung im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung wird nicht mehr für die Durchführung dieser Prüfung gewährt, was ohnehin eher absurd war, sondern nach § 42 Abs. 5 S. 7 BNatSchG für die Vorbereitung einer solchen Prüfung, d.h. für die Tätigkeit im Gelände. Während § 42 Abs. 4 BNatSchG die Freistellung der land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung regelt, stellt § 42 Abs. 5 BNatSchG die nach § 19 BNatSchG zulässigen Eingriffe und Bauvorhaben im Innenbereich von den artenschutzrechtlichen Regelungen frei. Schon die Entscheidung des EuGH10 führte dazu, dass die europäisch geschützten Arten anders als die national geschützten Arten zu behandeln waren. Die Unwirksamkeit der Freistellung der land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung und der zugelassenen Eingriffe galt auf Grund des Urteils nur für europäisch geschützte Arten. Eine weitergehende Kontrollbefugnis der ___________ 10

Vgl. Fn. 3.

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deutschen Rechtsnormen steht dem EuGH nicht zu, so dass die Freistellung des § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. vom Artenschutz für die national geschützten Arten weiterhin galt.11 Diesem Ansatz folgt auch die kleine Novelle. Der bisher einheitliche Artenschutz wird nunmehr auseinandergerissen: Die über Art. 1 Abs. 1 V-RL geschützten wild lebenden europäischen Vogelarten sowie die über Anhang IV FFH-RL geschützten Tiere und Pflanzen werden rechtlich anders behandelt als die nach nationalem Recht geschützten Arten. a) Die Privilegierung der land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung bei europäisch geschützten Arten (§ 42 Abs. 4 BNatSchG) Nach § 42 Abs. 4 BNatSchG ist die land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse von den artenschutzrechtlichen Vorschriften freigestellt, wenn sie den Anforderungen des § 5 Abs. 4 bis 6 BNatschG entspricht sowie den Regeln der guten fachlichen Praxis, die sich aus dem Fachrecht und § 17 Abs. 2 BBodSchG ergeben. Für national geschützte Arten gilt das uneingeschränkt. Handelt es sich um Arten des Anhangs IV FFH-RL oder europäische Vogelarten, entfallen die artenschutzrechtlichen Verbote, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Ist eine Verschlechterung zu erwarten, kann diese durch – anderweitige Maßnahmen des Gebietsschutzes, – Artenschutzprogramme, – vertragliche Vereinbarungen oder – gezielte Aufklärung verhindert werden. Genügen diese Maßnahmen nicht, ordnet die zuständige Behörde gegenüber der verursachenden Land-, Forst- oder Fischereiwirtschaft die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. In der Praxis dürfte es erhebliche Probleme bereiten festzustellen, welcher einzelne Land-, Forst- oder Fischereiwirt die Verschlechterung des Erhaltungszustands verursacht hat. Andererseits darf die Behörde eine Verschlechterung des Erhaltungszustands nicht hinnehmen, will sie nicht mit europarechtlichen Vorgaben in Konflikt geraten. Bei gleichartigem ___________ 11 Im Ergebnis wohl auch BVerwG, Urt. vom 21.6.2006 – 9 A 28.05, NuR 2006, 779/782, Rdnr. 38.

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Verhalten einer Vielzahl von Land-, Forst- oder Fischereiwirten wird die Behörde gegenüber allen Beteiligten Bewirtschaftungsvorgaben anordnen müssen. b) Die Privilegierung von nach § 19 BNatSchG zulässigen Eingriffen und von baurechtlichen Vorhaben nach § 21 Abs. 2 S. 1 BNatSchG für europäisch geschützte Arten (§ 42 Abs. 5 BNatSchG) aa) Verbot der Zerstörung von Lebensstätten Für nach § 19 BNatSchG zulässige Eingriffe oder Vorhaben nach §§ 30, 33 oder 34 BauGB12 (§ 21 Abs. 2 S. 1 BNatSchG) entfallen die Verbote des Artenschutzes für die national geschützten Arten. § 42 Abs. 5 BNatSchG spricht nunmehr von nach § 19 BNatSchG zulässigen Eingriffen und nicht wie bisher von der Ausführung eines nach § 19 zugelassenen Eingriffs. Damit soll klargestellt werden, dass die Verbotstatbestände schon in der Zulassungsentscheidung entfallen und nicht erst bei der Realisierung des zugelassenen Eingriffs. Eingriffe nach § 19 BNatSchG sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung einer Grundfläche, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbilds führen können. Die Vorschrift ist gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 BNatSchG auf den Außenbereich beschränkt. Die Freistellung für den Innenbereich wird erreicht, indem Vorhaben nach den §§ 30, 33 und 34 BauGB von den artenschutzrechtlichen Verboten ausgenommen sind. Dies gilt uneingeschränkt für national geschützte Arten. Bisher waren die artenschutzrechtlichen Verbote im Innenbereich uneingeschränkt anwendbar.13 Da die Eingriffsregelung nach §§ 18 ff. BNatSchG bei Vorhaben nach § 34 BauGB nicht anwendbar war, entfiel auch die Freistellung für Eingriffe nach § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. Auch im überplanten Bereich galten die artenschutzrechtlichen Verbote, da die baurechtliche Eingriffsregelung nach § 1a Abs. 3 BauGB keine Zulassung nach § 19 BNatSchG darstellte. Der Schutz der national geschützten Arten wird damit drastisch reduziert. Für die in Anhang IV FFH-RL aufgeführten Arten und für europäische Vogelarten entfallen die artenschutzrechtlichen Verbote des § 42 BNatSchG hinsichtlich der mit den Vorhaben unvermeidbar einhergehenden Beeinträchtigungen, soweit die betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten ihre ökologischen ___________ 12

Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.9.2004, BGBl. I S. 2414, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21.12.2006, BGBl. I S. 3316. 13 Zu der etwas unklaren Rechtsprechung des BVerwG in dieser Frage vgl. Louis NuR 2001, 388.

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Funktionen im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllen. Dies kann auch durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen erreicht werden. Die artenschutzrechtlichen Verbote entfallen aber nur, wenn diese Ausgleichsmaßnahmen im Zeitpunkt der Realisierung des Eingriffs oder des baulichen Vorhabens funktionsfähig sind. Andernfalls treten die Freistellungen von den artenschutzrechtlichen Verboten nicht ein, und es ist eine Ausnahme oder Befreiung erforderlich. Bei Vorhaben nach § 30 oder § 33 BauGB geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Probleme mit den Fortpflanzungs- und Ruhestätten in der Eingriffsregelung nach § 1a Abs. 3 BauGB abgehandelt werden. Die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Lebensstätten muss im Planaufstellungsverfahren erörtert und sichergestellt werden, um die Anwendung der artenschutzrechtlichen Verbote auszuschließen. Die nach § 42 Abs. 5 S. 4 BNatSchG artenschutzrechtlich erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen sind im Rahmen der Planung festzusetzen oder sonst wie sicherzustellen. Hier stehen die Möglichkeiten des § 1a Abs. 3 BauGB zur Verfügung. Neben der Festsetzung von Flächen nach § 9 Abs. 1 BauGB nach § 3a Abs. 3 S. 4 BauGB kann auch ein städtebaulicher Vertrag geschlossen oder der Ausgleich auf von der Gemeinde bereitgestellten Flächen durchgeführt werden. Erforderlich ist allerdings, dass vor Realisierung der geplanten Bauvorhaben die Funktionsfähigkeit der vorweggenommen Ausgleichsmaßnahmen feststeht. Sonst greifen die artenschutzrechtlichen Verbote, so dass es einer Ausnahme oder Befreiung bedarf. Diese Überlegungen gelten auch für die sog. kleinen Bebauungspläne zur Innenentwicklung mit bis zu 20.000 m2 nach § 13a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauGB, wenn durch die Planung Fortpflanzungs- und Ruhestätten europarechtlich geschützter Tiere beschädigt oder zerstört werden können. Zwar schließt § 13a Abs. 2 Nr. 4 BauGB die Anwendung der Eingriffsregelung für diese Pläne aus. Das ändert aber nichts an der ggf. artenschutzrechtlichen Erforderlichkeit von vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen nach § 42 Abs. 5 S. 4 BNatSchG. Für Vorhaben nach § 34 BauGB muss die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- und Ruhestätten ebenfalls sichergestellt werden, sollen die artenschutzrechtlichen Verbote entfallen. In der Baugenehmigung sind die erforderlichen vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen festzusetzen. Insofern spielt es keine Rolle, dass die Eingriffsregelung nach § 21 Abs. 2 S. 1 BNatSchG nicht anwendbar ist, da es sich um artenschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen handelt. Es besteht allerdings die Möglichkeit, die Anwendung der Eingriffsregelung im unbeplanten Innenbereich zu beantragen, um einer Haftung für eventuelle Biodiversitätsschäden zu entgehen.14

___________ 14 Vgl. dazu Louis, Der Biodiversitätsschaden nach § 21a des Bundesnaturschutzgesetzes, NuR 3/2008, unter Pkt. 7.

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Neben den Verboten des § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG entfällt für die mit dem Eingriff oder dem Vorhaben verbundenen unvermeidbaren Beeinträchtigungen auch das Tötungsverbot nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Insofern scheint das Töten eines Tieres erlaubt zu sein, wenn die Lebensstätte ihre ökologische Funktion beibehält. § 42 Abs. 5 S. 2 BNatSchG eröffnet die Freistellung von den artenschutzrechtlichen Verboten ausdrücklich nur, wenn es sich um eine „unvermeidbare Beeinträchtigung“ handelt. Das gilt auch für das Tötungsverbot, so dass auch bei Erhaltung der ökologischen Funktion der Lebensstätten die Tötung eines Tieres nur zulässig ist, wenn sie nicht vermieden werden kann. 5. Die Ausnahme- und Befreiungstatbestände Die bisherigen Ausnahmetatbestände nach § 43 Abs. 8 Nrn. 1 bis 3 BNatSchG werden durch die Nrn. 4 und 5 um zwei Tatbestände erweitert. Eine Ausnahme ist nach § 43 Abs. 8 Nr. 4 BNatSchG „im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit einschließlich der Landesverteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblichen günstigen Auswirkungen auf die Umwelt“ zulässig. Der Gleichklang mit § 34 Abs. 4 S. 1 BNatSchG, der eine Beteiligung der Kommission bei der Zulassung von Projekten im Abweichungsverfahren vorschreibt, wenn prioritäre Lebensraumtypen oder prioritäre Arten erheblich beeinträchtigen können, ist offensichtlich. Insofern liegen zu diesen Tatbestandsmerkmalen schon Erfahrungen vor. § 43 Abs. 8 Nr. 5 BNatSchG erlaubt eine Ausnahme „aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art“. Auch hier hat die FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG Pate gestanden. Für nationale geschützte Arten gilt weiterhin, dass die artenschutzrechtlichen Verbote des § 42 BNatSchG im Rahmen der ordnungsgemäßen land-, forst und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung, bei der Zulassung von Eingriffen nach § 19 BNatSchG und für bauliche Vorhaben im Innenbereich nach den §§ 30, 33 und 34 BauGB nicht gelten. Daher dürfte kaum Bedarf bestehen, für Maßnahmen oder Vorhaben, die national geschützte Arten betreffen, auf die Ausnahmen zurückzugreifen. Diese Vorschriften werden in erster Linie für die europäisch geschützten Tier- und Pflanzenarten relevant. Für alle Ausnahmen nach § 43 Abs. 8 BNatSchG gilt wie bisher, dass eine Ausnahme nur erteilt werden darf, wenn sich der Erhaltungszustand der Population nicht verschlechtert und Art. 16 FFH-RL keine weitergehenden Anforderungen stellt. Diese Anforderungen dürften aus der Rechtsprechung des EuGH folgen, der eine Anwendung des Art. 16 FFH-RL nur zulässt, wenn sich die betroffene Art

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in einem guten Erhaltungszustand befindet. Ist das nicht der Fall, kann eine Ausnahme nur bei „außergewöhnlichen Umständen“ erteilt werden.15 Eine Ausnahme darf nur erteilt werden, wenn keine zumutbare Alternative gegeben ist. Dieses Tatbestandsmerkmal war bisher in § 43 Abs. 8 BNatSchG a.F. nicht ausdrücklich vorgesehen. Auch hier kann auf Erfahrungen mit § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG zurückgegriffen werden, der im Abweichungsverfahren ebenfalls darauf abstellt, dass es zu dem ein Natura-2000-Gebiet beeinträchtigenden Projekt oder Plan keine zumutbare Alternative gibt. Besteht die Möglichkeit von vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen nach § 42 Abs. 5 S. 3 BNatSchG, darf eine Ausnahme nicht erteilt werden, weil diese Ausgleichsmaßnahmen im Regelfalle eine zumutbare Alternative darstellen. Da die öffentlichen Interessen nunmehr in den Ausnahmen nach § 43 Abs. 8 Nrn. 4 und 5 BNatSchG berücksichtigt werden, wurden diese Tatbestandselemente in § 62 BNatSchG gestrichen. Eine Befreiung kann nach § 62 BNatSchG erteilt werden, wenn die Durchführung der Verbote des § 42 BNatSchG im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Die Norm stellt nunmehr ausschließlich auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ab.

___________ 15 EuGH, Urt. vom 10.5.2007 – C-342/05, NuR 2007, 477, Rdnr. 29; Gellermann NuR 2007, 783/789.

Wasserrecht und Planfeststellung* – de lege lata und de lege ferenda Von Annette Guckelberger

I. Einführung Ende der 1990er Jahre ist bekanntlich das Vorhaben gescheitert, erstmals ein das gesamte Umweltrecht umfassendes Umweltgesetzbuch zu erlassen. Ursächlich dafür war, dass der Bund nur über eine Rahmengesetzgebungskompetenz für den Naturschutz und den Wasserhaushalt verfügte (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3, 4 GG a. F.). Hinzu kamen Ressortwiderstände. So befürchtete das Innenministerium, dass die als Herzstück eines künftigen Umweltgesetzbuchs vorgesehene integrierte Vorhabengenehmigung seinen Einfluss auf die Ausgestaltung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts, respektive des Planfeststellungsrechts, mindern werde.1 Die Föderalismusreform 2006 hat die kompetenzrechtlichen Hürden für ein Umweltgesetzbuch beseitigt.2 Zwar fehlt dem Bund nach wie vor ein allgemeiner Kompetenztitel für das Recht der Umwelt.3 Jedoch wurde die bisherige Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes in einen konkurrierenden Kompetenztitel für den Naturschutz und die Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) sowie für den Wasserhaushalt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG) überführt. Aus diesem Grund kann der Bund nunmehr eine Vollregelung für den Bereich der Wasserwirtschaft erlassen, ohne der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterliegen. Nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 5 GG sind die Länder jedoch zum Erlass abweichender Normen auf dem Gebiet ___________ *

In Anlehnung an den Vortrag liegt der Abhandlung der Referentenentwurf des UGB vom November 2007 zu Grunde. Sie befindet sich auf dem Stand von April 2008. 1 Siehe dazu etwa Bohne, EurUP 2006, 276; Gaentzsch, in: Kloepfer, Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 77, 81; Jarass, ZfU 2006, 1, 7 f.; s. auch Kloepfer, UPR 2007, 161, 163; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 506; Smeddinck, EurUP 2007, 202, 203. 2 Siehe dazu Lottermoser, UPR 2007, 401; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 506; s. allgemein zur Neuregelung der Gesetzgebungskompetenzen Degenhart, NVwZ 2006, 1209 ff.; Koch, in: Kloepfer, Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 21 ff.; Kotulla, NVwZ 2007, 489 ff.; Rengeling, DVBl 2006, 1537 ff.; Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249 ff. 3 Nisipeanu, NuR 2008, 87, 94; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 506.

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des Wasserhaushalts berechtigt, allerdings nur insoweit, als es nicht um stoffoder anlagenbezogene Regelungen geht.4 Aufgrund der so genannten Moratoriumsregelung des Art. 125b Abs. 1 GG dürfen die Länder vor dem 1. Januar 2010 keine abweichenden wasserrechtlichen Vorschriften erlassen. Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf abweichende verfahrensrechtliche Normen (Art. 84 Abs. 1 S. 3 GG), bei denen gemäß Art. 125b Abs. 2 GG das Moratorium aber ein Jahr früher endet.5 Angesichts der sich in der Verfassungsreform widerspiegelnden politischen Erwartung, dass endlich ein Umweltgesetzbuch des Bundes geschaffen werden soll,6 sowie des beschränkten zeitlichen Korridors, in denen die Länder noch keinen Gebrauch von ihrer Abweichungskompetenz nach Art. 72 Abs. 3 GG machen können, besteht das Bestreben, noch in der 16. Legislaturperiode ein Umweltgesetzbuch auf den Weg zu bringen.7 Da sich das Umweltgesetzbuch aus zeitlichen Gründen nur schrittweise verwirklichen lässt, soll ihm wie dem Sozialgesetzbuch ein Bücherkonzept zugrunde liegen.8 Dementsprechend hat das Bundesumweltministerium im November 2007 den verschiedenen Ressorts einen Referentenentwurf eines Umweltgesetzbuchs zugeleitet,9 dessen erster Band die allgemeinen Vorschriften und das vorhabenbezogene Umweltrecht umfasst. Die weiteren Bücher betreffen die Wasserwirtschaft (UGB II), den Naturschutz (UGB III), die nichtionisierende Strahlung (UGB IV), den Emissionshandel (UGB V) und die erneuerbaren Energien (UGB VI). Die Vorteile einer solchen Aufspaltung des UGB in mehrere Bücher werden neben der größeren Anwenderfreundlichkeit in einer damit verbundenen Erleichterung der Gesetzgebung gesehen. Im Bedarfsfall können die einzelnen Bücher während des Gesetzgebungsverfahrens eigene Wege gehen. Spätere Änderungen, die nur einen Bezug zu einem bestimmten Umweltmedium aufweisen, können sich auf das jeweils betroffene Buch des UGB beschränken.10 ___________ 4 Siehe zur Neuordnung der Gesetzgebungskompetenz zum Gewässerschutz Ginzky/Rechenberg, ZUR 2007, 344 ff.; Kotulla, NVwZ 2007, 489, 493; Ruttloff, UPR 2007, 333 ff. 5 Siehe zum Moratorium Lottermoser, UPR 2007, 401 f.; Rengeling, DVBl 2006, 1537, 1547 f.; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 507. 6 Kloepfer, in: ders., Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 9, 11; s. auch die Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin Klug vom 29.10.2007, abrufbar über http://www.bmu.de/reden/parl_staatssekretaerin_astrid_klug/doc/40267.php. 7 Siehe die Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin Klug vom 29.10.2007 (Fn. 6); s. auch Lottermoser, UPR 2007, 401 f. 8 Kloepfer, UPR 2007, 161, 167; Lottermoser, UPR 2007, 401, 403; Sangenstedt ZUR 2007, 505, 508 f. 9 Der Referentenentwurf kann über http://www.bmu.de/umweltgesetzbuch/down loads/doc/40448.php abgerufen werden. 10 Siehe nur Lottermoser, UPR 2007, 401, 403; kritisch gegenüber dem Bücherkonzept Schrader, ZRP 2008, 60, 61.

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Es deutet somit alles darauf hin, dass die bisherigen Regelungen im Wasserhaushaltsgesetz abgelöst werden und der Bund die nunmehr mögliche sowie notwendige Neuordnung des Wasserrechts vornimmt. Aufgrund seiner neuen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz kann er für alle Facetten der Wasserwirtschaft Vollregelungen treffen und Materien aufgreifen, die bislang nur in den Wassergesetzen der Länder geregelt sind.11 Im Unterschied zu bisher ist er nicht mehr auf den Erlass von Rahmenvorgaben beschränkt. Er kann detaillierte Regelungen zum Schutz und zur Nutzung der Gewässer erlassen, die bundeseinheitlich gelten.12 Weil das Wasserrecht zugleich in das Gesamtgefüge des UGB einzubinden ist, muss man sich Gedanken darüber machen, welche Bereiche aus dem gegenwärtig noch geltenden Wasserhaushaltsgesetz den Regelungen des allgemeinen Teils des Umweltgesetzbuchs zu unterstellen und welche im spezifisch auf das Umweltmedium Wasser bezogene UGB II näher auszugestalten sind. Ausweislich der Darlegungen des Referentenentwurfs sollen bestimmte, auch wasserwirtschaftlich relevante Grundsätze und Instrumente, die den staatlichen Umweltschutz als Ganzes und damit auch die verschiedenen Umweltmedien steuern, künftig in den Anwendungsbereich des Ersten Buches des Gesetzbuchs fallen.13 Einerseits sollen so weit wie möglich einheitliche Regelungen zur Anwendung kommen. Andererseits möchte man medialen Besonderheiten so weit wie notwendig Rechnung tragen.14 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen soll deshalb der Frage nachgegangen werden, welche Vorgaben künftig für den bislang in § 31 WHG geregelten Gewässerausbau gelten sollen. Die nachfolgende Betrachtung orientiert sich dabei an dem Referentenentwurf des Bundesumweltministeriums vom November 2007.15 Um die Unterschiede zur bisherigen Rechtslage besser aufzuzeigen, wird zunächst ein kurzer Überblick über die zurzeit geltende wasserrechtliche Planung gegeben und ihr die gegenwärtig diskutierte Konzeption des Gewässerausbaus in einem künftigen Umweltgesetzbuch gegenübergestellt. ___________ 11 Siehe Erläuterung UGB II, abrufbar über http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/ application/pdf/ugb2_wasserwirtschaft_begruendung.pdf, S. 2 f.; Nisipeanu, NuR 2008, 87; s. auch Wendenburg, Überlegungen zur Kodifikation des Wasserrechts in einem Umweltgesetzbuch, abrufbar über http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/ pdf/ugb_kodifikation/wasserrecht/pdf, S. 5. 12 Nisipeanu, NuR 2008, 87, 95; Rede von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel „Umweltrecht unter einem Dach“ am 16.2.2007 abrufbar über http://www.bmu.de/re den/bundesumweltminister_sigmar_gabriel/doc/ 38767.php. 13 Erläuterung UGB II (Fn. 11), S. 3. 14 Erläuterung UGB II (Fn. 11), S. 3; Nisipeanu, NuR 1998, 87, 95; so auch die Wiedergabe des Referates von Berendes im Tagungsbericht des Instituts für Deutsches und Europäisches Wasserrecht zur Veranstaltung vom 5.12.2007 „Der Referentenentwurf zum UGB-Wasser in der Kritik von Ländern und Rechtswissenschaft.“ 15 Siehe bei Fn. 9.

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II. Die wasserrechtliche Planfeststellung de lege lata Nach der Legaldefinition des § 31 Abs. 2 S. 1 WHG versteht man unter einem Gewässerausbau die „Herstellung, Beseitigung oder wesentliche Umgestaltung eines Gewässers oder seiner Ufer.“ Da beim Gewässerausbau dauerhaft bzw. auf längere Sicht ein neuer Gewässerzustand herbeigeführt wird16 und ein derartiges Vorhaben, das unter anderem erhebliche raum- und umweltbedeutsame Auswirkungen zeitigt, erfahrungsgemäß eine Vielzahl öffentlicher und privater Belange tangiert,17 bedarf es grundsätzlich einer Planfeststellung durch die zuständige Behörde. Gleiches gilt für Deich- und Dammbauten, wenn sie den Hochwasserabfluss beeinflussen. Lediglich sofern ein Gewässer nur für einen begrenzten Zeitraum entsteht und keine erheblich nachteilige Veränderung des Wasserhaushalts verursacht, entfällt gemäß § 31 Abs. 2 S. 3 WHG die Planfeststellungspflicht. Da Planfeststellungsvorhaben konfliktträchtige, komplexe Vorhaben sind, deren rechtliche Beurteilung erheblich von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt, werden die Planungsentscheidungen vom Gesetzgeber hauptsächlich final programmiert. Er gibt die Zielrichtung der Planung vor, ohne jedoch den Inhalt der zu treffenden Planungsentscheidung verbindlich festzulegen.18 Deshalb hat die zuständige Behörde im Wege der Abwägung zwischen den konfligierenden Belangen über die Zulassung des konkreten Vorhabens zu entscheiden.19 Für Planfeststellungsentscheidungen ist somit grundsätzlich die von der zuständigen Behörde vorzunehmende Abwägung sowie die Ausübung planerischer Gestaltungsfreiheit kennzeichnend.20 Dieses Planungsermessen beim Gewässerausbau ist vom Bewirtschaftungsermessen bei der Entscheidung über eine Gewässerbenutzung zu unterscheiden. Beim Ausbau wird die Gestalt und künftige Funktion eines Gewässers aufgrund einer Abwägung bestimmt, bei der die Grundzüge der Raumordnung und ___________ 16 BVerwG NVwZ-RR 2007, 750, 751; Czychowski/Reinhardt, WHG, 9. Aufl. 2007, § 31 Rn. 2; Guckelberger, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 2050; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 3. Aufl. 2005, Rn. 3405. 17 Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2050. 18 Siehe dazu BVerwG UPR 1998, 382, 383; Franzius, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2006, § 4 Rn. 13 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 74 Rn. 9; Ziekow, in: ders., Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 583. 19 Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 966; Kopp/ Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 9; Ziekow (Fn. 18), Rn. 583. 20 BVerwGE 55, 220, 225 f.; 56, 110, 116; 87, 332, 341; Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 57; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2050; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 16; Spieth, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 2007, § 31 WHG Rn. 50; Ziekow, VwVfG, 2007, § 74 Rn. 19 f. In jüngerer Zeit hat das BVerwG jedoch entschieden, dass sowohl die berg- als auch atomrechtliche Planfeststellung mit einer gebundenen Entscheidung endet, s. BVerwG NVwZ 2007, 700, 701; NVwZ 2007, 837.

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Landesplanung einzubeziehen und alle öffentlichen und privaten Belange untereinander gerecht abzuwägen sind. Demgegenüber wird das bei der Entscheidung über eine Gewässerbenutzung auszuübende Bewirtschaftungsermessen auf der Grundlage der durch Gestalt und Ausbauzustand des Gewässers vorgegebenen wasserwirtschaftlichen Verhältnisse ausgeübt.21 § 31 WHG enthält mehrere materielle Vorgaben, welche die Planungsentscheidung determinieren, sowie in geringerem Maße verfahrensrechtliche Anforderungen. Wegen der früheren Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes ist § 31 WHG auf landesrechtliche Ergänzungen angelegt.22 Soll ein Gewässerausbau durchgeführt werden, sind deshalb gleich mehrere Vorschriften zu beachten. Die materiellen Kriterien, die für die Entscheidung über die Zulassung eines Gewässerausbaus maßgeblich sind, sind § 31 WHG und dem jeweiligen Landeswassergesetz zu entnehmen. Weil der Gewässerausbau diverse Interessen tangiert, ist daneben auf Vorgaben aus anderen Fachgesetzen zu achten. Hinsichtlich der Verfahrensnormen ist als Erstes zu prüfen, ob das einschlägige Landeswassergesetz spezielle Regelungen zur Planfeststellung enthält. Andernfalls sind die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes heranzuziehen. Insgesamt wird die Rechtslage als sowohl für den Vorhabenträger als auch die rechtsanwendenden Organe schwer überschaubar eingestuft.23 1. Die materiellen Anforderungen an Gewässerausbauten Auch wenn die Behörden bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit bei der Abwägung zu berücksichtigen haben,24 werden ihnen bei ihrer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Fachplanungsvorhabens folgende vier Schranken gesetzt: Zu beachten sind (1.) behördeninterne Bindungen an vorbereitende Planungsentscheidungen auf übergeordneter Stufe, (2.) das Erfordernis der Planrechtfertigung, (3.) zwingende entgegenstehende Rechtsvorschriften

___________ 21 Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 57; Salzwedel/Scherer-Leydecker, in: Hansmann/Sellner, Grundzüge des Umweltrechts, 3. Aufl. 2007, Kap. 8 Rn. 234. 22 Breuer (Fn. 19 ), Rn. 952; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 2; Zeitler, in: Sieder/Zeitler/ Dahme/Knopp, WHG, 25. Erg.-Lfg. Sept. 2002, § 31 Rn. 5. 23 So Breuer (Fn. 19), Rn. 952; Ronellenfitsch, VerwArch 74 (1983), 369, 383 f.; Salzwedel, ZfW 1978, 207, 208 ff. 24 So die Formulierung des § 17 Abs. 1 S. 2 FStrG.

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und (4.) die Anforderungen des Abwägungsgebots.25 Dabei kommt der zuerst genannten Schranke beim Gewässerausbau eher geringe Relevanz zu.26 a) Die Planrechtfertigung und die damit zusammenhängende Unterscheidung zwischen gemeinnütziger und privatnütziger Planfeststellung In seiner grundlegenden Entscheidung im 55. Band hat das Bundesverwaltungsgericht herausgearbeitet, dass zwischen zwei Formen des Gewässerausbaus zu unterscheiden ist. Es gibt Gewässerausbauten, die lediglich im privaten Interesse des Vorhabenträgers erfolgen, wie dies zum Beispiel bei der Errichtung einer privaten Teichanlage27 oder der Entstehung eines Baggersees durch Auskiesungsmaßnahmen allein im wirtschaftlichen Interesse eines Unternehmers der Fall ist.28 Derartige privatnützige Vorhaben seien ihrem wesentlichen Entscheidungsgehalt nach keine Eingriffsakte, da sie wegen des Fehlens eines sie tragenden öffentlichen Interesses keine Eingriffe in Rechte Dritter rechtfertigen könnten. Jedenfalls für den Antragsteller würden sie mehr die Funktion einer Genehmigung einnehmen.29 Daraus zieht das Bundesverwaltungsgericht die Konsequenz, dass bei ausschließlich im privaten Interesse liegenden Ausbauvorhaben die Planrechtfertigung nicht anzuprüfen ist. Vor Eintritt in die Abwägung sei jedoch zu untersuchen, ob dem Vorhaben nicht zwingende Versagungsgründe entgegenstehen.30 Die so genannten gemeinnützigen Gewässerausbauten weisen dagegen einen Allgemeinwohlbezug auf. Als Beispiele seien die Herstellung eines öffentlichen Kanals oder Aufschüttungen an einem See genannt, um ihn der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.31 Derartige Gewässerausbauten stellen sich als Eingriffsakt dar. Denn sie dienen jedenfalls der bis hin zur Zulässigkeit der ___________ 25 BVerwGE 48, 56, 59; 56, 110, 117; VG Neustadt NuR 2008, 276, 277; Guckelberger, NuR 2003, 469, 471; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 20a; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 205; Ziekow (Fn. 18), Rn. 585. 26 Siehe dazu Breuer (Fn. 19), Rn. 987, 990; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2071; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 206; s. allgemein zu den vorgelagerten Bindungen Kupfer/Wuster, Verw. 40 (2007), 239, 240 ff. 27 VG Koblenz NuR 1991, 196, 197; Spieth (Fn. 22), § 31 Rn. 76. 28 BVerwGE 85, 155, 156; VGH München, Urt. v. 3.4.2007, Az. 8 B 05.304; s. auch Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2072; Spieth (Fn. 22), § 31 Rn. 76. 29 BVerwGE 55, 220, 226 f.; gegen die Möglichkeit einer Überwindung von Eingriffen in Rechte Dritter VGH München, Urt. v. 3.4.2007, Az. 8 B 05.304; Stüer (Fn. 16), Rn. 3407. 30 BVerwGE 55, 220, 227 f.; Schenk, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, 30. Erg.-Lfg. Juli 2005, § 31 Rn. 217. 31 Guckelberger, NuR 2003, 469, 471; s. auch BVerwGE 55, 220, 226 f.; VG Schleswig NordÖR 2007, 125, 126.

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Enteignung vordringenden Überwindung von privaten und öffentlichen Belangen, die dem Planungsvorhaben entgegenstehen.32 Lässt man die Kritik des Schrifttums an dieser Entscheidung33 ebenso wie den Umstand außen vor, dass das Bundesverwaltungsgericht in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung jüngst entschieden hat, dass das Luftverkehrsrecht nicht zwischen Flugplätzen zu privaten und gemeinnützigen Zwecken unterscheidet und sie daher denselben Anforderungen unterliegen,34 hat die bislang maßgebliche Rechtsprechung zur wasserrechtlichen Planung zur Folge, dass lediglich bei den gemeinnützigen Gewässerausbauten die Planrechtfertigung zu untersuchen ist.35 Bei der Planrechtfertigung handelt es sich um ein ungeschriebenes Erfordernis der Fachplanung. Sie stellt eine besondere Ausprägung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns dar, die mit Eingriffen in Rechte Dritter verbunden sind.36 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Planrechtfertigung gegeben, wenn für das beabsichtigte Vorhaben gemessen an den Zielsetzungen des einschlägigen Fachplanungsgesetzes ein Bedarf besteht und es unter diesem Blickwinkel erforderlich ist.37 Die Erforderlichkeit bedeutet nicht, dass das jeweilige Planungsvorhaben unausweislich sein muss. Es genügt vielmehr, wenn es vernünftigerweise geboten ist.38 Im Wasserrecht kann sich die Rechtfertigung für einen gemeinnützigen Gewässerausbau unter anderem aus gesetzlichen Ausbauverpflichtungen, Gründen des Hochwasserschutzes oder der Sicherung der Trink- und Wasserversorgung ergeben.39 Alles in allem wird ein Planungsvorhaben nur selten an diesem Kriterium scheitern.40

___________ 32

BVerwGE 55, 220, 226 f.; Stüer (Fn. 16), Rn. 3407. Weitere Nachweise bei Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 209. 34 BVerwG NVwZ 2007, 1074, 1077. 35 BVerwGE 55, 220, 228; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 217; Stüer (Fn. 16), Rn. 3407. 36 BVerwG NVwZ 2007, 1074, 1077; s. auch BVerwGE 71, 166, 168; eingehend zur Planrechtfertigung Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 30; Kupfer/Wuster, Verw. 40 (2007), 238, 246 ff.; Manssen, in: Ziekow, Flughafenplanung, Planfeststellungsverfahren, Planungsentscheidung, 2002, S. 307 ff.; de Witt, LKV 2006, 5 ff.; Ziekow (Fn. 18), Rn. 613 ff. 37 BVerwG NVwZ 2007, 1074, 1078; s. auch Guckelberger, NuR 2003, 469, 473; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 32, 34. 38 BVerwGE 55, 220, 227; BVerwG NVwZ 2007, 1074, 1077; VG Neustadt NuR 2008, 276, 286; VG Schleswig NordÖR 2007, 125, 127; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 34. 39 Guckelberger, NuR 2003, 469, 473; VG Neustadt NuR 2008, 276, 286 f. 40 Näher dazu Ziekow (Fn. 18), Rn. 625; s. auch VG Neustadt NuR 2008, 276, 286; VG Schleswig NordÖR 2007, 125, 127. 33

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b) Zwingende Versagungsgründe Da die Konzentrationswirkung der Planungsentscheidung mangels abweichender gesetzlicher Regelung nicht von der Beachtung anderer für das Vorhaben einschlägiger Bestimmungen entbindet, darf ein Gewässerausbau nur gestattet werden, wenn er nicht gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt.41 Vergleicht man § 31 WHG mit anderen Planungsnormen (z. B. §§ 18 AEG, 17 FStrG, 28 PBefG), fällt auf, dass diese Vorschrift mehrere materielle Kriterien für die Planungsentscheidung vorgibt.42 Diese erhöhte materiellrechtliche Determininierung hat mit großer Wahrscheinlichkeit ihren Grund darin, dass Wasser ein knappes Gut bildet und eine geordnete Wasserwirtschaft sowohl für die Bevölkerung als auch die Gesamtwirtschaft lebensnotwendig ist.43 Weil Planungsleitsätze nur solche Vorgaben sind, die für die Behörden eine äußere, im Wege der Abwägung nicht überwindbare Grenze bilden, ist für jede Regelung gesondert zu bestimmen, ob sie eine für die Planungsentscheidung zwingende und strikte Rechtsvorgabe oder lediglich eine Abwägungsdirektive enthält.44 Bereits aus dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 S. 1 WHG („sollen“) folgt, dass das Erhaltungs- und Renaturierungsgebot keinen Planungsleitsatz bildet.45 Anders verhält es sich mit § 31 Abs. 1 S. 3 WHG, wonach sich Ausbaumaßnahmen an den Bewirtschaftungszielen „ausrichten“ müssen und die Erreichung dieser Ziele nicht gefährden dürfen. Aus der Entstehungsgeschichte und dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts folgt, dass es sich dabei um eine strikt verbindliche Vorschrift handelt.46 Sofern nicht eine Ausnahme von den Bewirtschaftungszielen nach § 25d WHG gewährt werden kann, muss die Verwaltung demzufolge die Zulassung des beantragten Gewässerausbaus ablehnen. Auch § 31 Abs. 1 S. 4 WHG, nach dem die Ausbaumaßnahmen den

___________ 41 BVerwGE 85, 155, 156; BVerwG NVwZ-Beilage I 8/2006, 1, 41; VGH München NVwZ 2007, 1101; VG Neustadt NuR 2008, 276, 288; Guckelberger, NuR 2003, 469, 473; Stüer (Fn. 16), Rn. 3407; s. zur fehlenden materiellen Konzentration Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 41. 42 Siehe auch Breuer (Fn. 19), Rn. 966. 43 So BVerfGE 10, 89, 113; s. zum besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Gewässer auch BVerfGE 58, 300, 341 f.; Guckelberger, in: Reinhardt, Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 69, 70 f. sowie Reinhardt, in: ders., Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 9, 15 f. 44 BVerwGE 56, 110, 118; 71, 163, 164; s. zur Abgrenzung Ziekow (Fn. 18), Rn. 639; s. auch Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 43, 44; Kupfer/Wuster, Verw. 40 (2007), 239, 256 ff. 45 Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 221r. 46 Siehe dazu Guckelberger, NuR 2003, 469, 474; ebenso Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 37e; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 13.

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Anforderungen des Maßnahmenprogramms nach § 36 WHG entsprechen „müssen“, ist zwingender Natur.47 Der Wortlaut des § 31 Abs. 5 S. 1 WHG, wonach beim Gewässerausbau natürliche Rückhalteflächen zu erhalten und unter anderem nachteilige Veränderungen des natürlichen oder naturnahen Gewässerzustands zu vermeiden oder, soweit dies nicht möglich ist, auszugleichen „sind“, spricht auf den ersten Blick für ein striktes Zulassungskriterium. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich jedoch aus dem Vergleich zu § 31 Abs. 5 S. 3 WHG und unter Einbeziehung der Entstehungsgeschichte, dass der Gesetzgeber mit dieser Norm keine für den Gewässerausbau unüberwindbare Schranke begründen wollte.48 Paradebeispiel für einen von der Verwaltung strikt zu beachtenden Planungsleitsatz ist § 31 Abs. 5 S. 3 WHG.49 Danach ist die Planfeststellung zu versagen, wenn von dem Gewässerausbau eine Beeinträchtigung des Wohles der Allgemeinheit, insbesondere eine erhebliche und dauerhafte, nicht ausgleichbare Erhöhung der Hochwassergefahr oder eine Zerstörung natürlicher Rückhalteflächen, zu erwarten ist. Die Verwaltung hat also zu prüfen, ob durch das Ausbauvorhaben das Allgemeinwohl beeinträchtigt wird. Falls dies zu bejahen ist und die Beeinträchtigung weder durch Auflagen verhütet noch ausgeglichen werden kann,50 bleibt ihr nichts anderes übrig, als den beantragten Gewässerausbau abzulehnen. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich strikte Rechtsvorgaben für den Gewässerausbau auch aus anderen Gesetzen ergeben können.51 So kann ein solches Vorhaben, wenn es nicht überörtlicher Natur ist,52 zum Beispiel an entgegenstehenden Festsetzungen in einem Bebauungsplan scheitern.53

___________ 47

Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2084; s. auch Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 37 h. Siehe dazu Breuer (Fn. 19), Rn. 995; Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 49; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2103; Hoppe, DVBl 1992, 853, 855 f.; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 79; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 221; a. A. Kotulla, WHG, 2003, § 31 Rn. 25. 49 VGH München NVwZ 2007, 1101; VG Neustadt NuR 2008, 276, 288; Breuer (Fn. 19), Rn. 992; Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 36; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2079; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 220; wohl auch Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 86. 50 Siehe zu Letzterem Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 63. 51 VGH München NVwZ 2007, 1101; s. näher Breuer (Fn. 19), Rn. 993 ff. 52 Dann gilt § 38 BauGB, s. dazu Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2088; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 90; Stüer (Fn. 16), Rn. 3413 f. 53 VGH München ZfW 1994, 488, 489; Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 92; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2088; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 51; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 90. 48

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c) Planerische Abwägung und Inhalt der Planungsentscheidung Auch wenn § 31 WHG im Unterschied zu anderen Fachplanungsnormen nicht explizit auf die behördliche Abwägungsentscheidung eingeht, ergibt sich diese aus der Übertragung der Planungsbefugnis. Denn nach herrschender Meinung schließt die Befugnis zur Planung notwendigerweise einen mehr oder weniger ausgedehnten Spielraum an Gestaltungsfreiheit ein, weil eine Planung ohne eine solche Freiheit ein Widerspruch in sich wäre.54 Angesichts dieser Gestaltungsbefugnis sowie der in § 1a Abs. 4 Nr. 2 WHG enthaltenen Regelung, dass das Grundeigentum nicht zum Ausbau eines Gewässers berechtigt, steht dem Vorhabenträger kein Anspruch auf Zulassung seines Vorhabens, sondern nur ein subjektives Recht auf gerechte Abwägung zu.55 Es obliegt also der zuständigen Behörde, die im konkreten Fall abwägungsbeachtlichen Belange zu ermitteln, zu gewichten und zueinander in angemessenen Ausgleich zu bringen. Es sind alle planerischen Gesichtspunkte einzubeziehen, die für die möglichst optimale Verwirklichung der Planungsaufgabe und die Bewältigung der durch das Planvorhaben in seiner Umgebung aufgeworfenen Probleme bedeutsam sind.56 Durch die Aufstellung von Abwägungsdirektiven kann der Gesetzgeber steuernd auf die Entscheidungsfindung der Planungsbehörde Einfluss nehmen. Ein Beispiel hierfür bildet § 1a Abs. 1 WHG, welcher den Blick der Behörde auf bestimmte, dem Gesetzgeber wichtig erscheinende Aspekte lenkt.57 Danach sind Gewässer als Bestandteil des Naturhaushalts und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu sichern. Sie sind so zu bewirtschaften, dass sie dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen Einzelner dienen, vermeidbare Beeinträchtigungen ihrer ökologischer Funktionen und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt unterbleiben, damit insgesamt eine nachhaltige Entwicklung gewährleistet wird. Nach dem auf europäische Vorgaben zurückgehenden Konzept des integrierten Umweltschutzes soll die Behörde ihre Entscheidung über die Zulassung eines Vorhabens nicht nur an einem bestimmten Umweltgut ___________ 54

BVerwGE 55, 220, 226; 85, 155, 156; s. auch BVerfG DVBl 2003, 192, 193; VG Neustadt NuR 2008, 276, 288; Guckelberger, NuR 2003, 469, 474; Kupfer/Wuster, Verw. 40 (2007), 239, 273. 55 Siehe zur Ablehnung eines Zulassungsanspruchs aus verfassungsrechtlichen Gründen BVerfGE 58, 300, 347; Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 68 f.; s. auch Guckelberger, NuR 2003, 469, 474; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 16; Stüer (Fn. 16), Rn. 3410 sowie BVerwG NVwZ 2007, 1074, 1075. 56 Siehe dazu Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2090 f. 57 Siehe dazu Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2097; für ein Optimierungsgebot Kopp/ Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 49 f.; dagegen Hasche, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 2007, § 1a WHG Rn. 9.

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ausrichten, sondern die Umwelt als Ganzes im Blick behalten.58 Dementsprechend bestimmt § 1a Abs. 1 S. 3 WHG, dass insbesondere mögliche Verlagerungen von nachteiligen Auswirkungen von einem Umweltschutzgut auf ein anderes zu berücksichtigen sind und ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu gewährleisten ist. Da bei der Planfeststellung eine umfassende Abwägung der berührten Belange vorzunehmen ist, eignet sich diese Entscheidungsform in besonderer Weise dazu, den Wechselwirkungen des Vorhabens bei der Entscheidung Rechnung zu tragen.59 Eine weitere Abwägungsdirektive ergibt sich aus § 31 Abs. 1 S. 1 WHG. Danach sollen Gewässer, die sich in einem natürlichen oder naturnahen Zustand befinden, erhalten bleiben (sog. Erhaltungsgebot) und nicht naturnah ausgebaute Gewässer soweit wie möglich in einen naturnahen Zustand zurückgeführt werden, wenn keine überwiegenden Gründe des Allgemeinwohls entgegenstehen (sog. Renaturierungsgebot). Angesichts des verwendeten Vokabulars („sollen“, „soweit wie möglich“) wollte der Gesetzgeber mit dieser Vorgabe wohl nicht nur ein Berücksichtigungsgebot, sondern ein Optimierungsgebot aufstellen.60 Mit einem Optimierungsgebot möchte der Gesetzgeber bestimmten Belangen eine erhöhte Durchsetzungskraft verleihen, ohne sie jedoch der behördlichen Abwägung zu entziehen.61 Wenn die Planungsbehörde in der Abwägung einem anderen Belang den Vorzug geben will, folgt aus der Abweichung vom Optimierungsgebot eine besondere Darlegungslast.62 Beispielhaft für einen solchen, der Geltung des Erhaltungs- und Renaturierungsgebots entgegenstehenden Grund des Allgemeinwohls wird in § 31 Abs. 1 S. 2 WHG die „vorhandene“ Wasserkraftnutzung genannt, die aber trotz dieser Regelung mit den anderen Belangen abgewogen werden muss.63 Im Übrigen lässt sich dieser ___________ 58 Siehe zum Konzept integrierten Umweltschutzes Calliess, in: Kloepfer, Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 35, 48 ff.; Guckelberger (Fn. 43), S. 77 f.; Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 6 ff. 59 Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 29; s. dazu, dass der integrative Umweltschutz gewisse Entscheidungs- bzw. Ermessensspielräume voraussetzt, Calliess (Fn. 58), S. 59; Curtius, Entwicklungstendenzen im Genehmigungsrecht, 2004, S. 208, 214; Gärditz, Verw. 40 (2007), 203, 219; Kugelmann, DVBl 2002, 1238, 1245 f.; Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 67; Volkmann, VerwArch 89 (1998), 363, 393; Wickel, UPR 2000, 92, 95 ff. 60 Breuer (Fn. 19), Rn. 995; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2101; unklar hinsichtlich der Einordnung Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 9; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 221. 61 Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995, 234; Stüer (Fn. 16), Rn. 1201; Ziekow (Fn. 18), Rn. 692. 62 Hoppe, DVBl 1992, 853, 860; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 45; Schenk, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, 33. Erg.-Lfg. Juli 2007, § 31 Rn. 35; Ziekow (Fn. 18), Rn. 692. 63 Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2100; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 17.

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Privilegierungsregel nicht entnehmen, dass eine neue, erst noch zuzulassende Wasserkraftnutzung nicht aus überwiegenden Gründen des Allgemeinwohls geboten sein kann.64 Gemäß § 31 Abs. 5 S. 2 WHG sind in dem behördlichen Verfahren Art und Ausmaß der Ausbaumaßnahmen und die Einrichtungen festzustellen, die im öffentlichen Interesse oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. Gegebenenfalls ist ein Ausgleich von Schäden anzuordnen. Auf diese Weise kann die Planungsbehörde im Rahmen der Abwägung den Interessen des Vorhabenträgers den Vorrang einräumen, aber andere von dem Ausbau tangierte Personen durch die Anordnung von Ausgleichsmaßnahmen vor unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen bewahren.65 Wie man an der Gesetzesabfolge sieht, kommt ein Schadensausgleich nur als ultima ratio in Betracht, wenn Schutzvorkehrungen untunlich oder mit dem jeweiligen Vorhaben unvereinbar sind.66 2. Das Verfahren beim Gewässerausbau a) Bei Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens Aus § 31 Abs. 3, Abs. 5 S. 3 WHG lässt sich mittelbar entnehmen, dass über Gewässerausbauten grundsätzlich in einem förmlichen Verfahren zu entscheiden ist.67 Soweit es sich um einen UVP-pflichtigen Gewässerausbau handelt,68 muss das Verfahren den Anforderungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechen (§ 31 Abs. 2 S. 4 WHG). Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach den landesrechtlichen Bestimmungen.69 Da diese in aller Regel an §§ 73 ff. VwVfG des Bundes angelehnt sind, orientiert sich die nachfolgende kurze Übersicht an den bundesrechtlichen Regelungen. Je nach Bundesland fallen entweder die Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde auseinander oder sind identisch.

___________ 64 Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 12; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2100; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 17. 65 Siehe auch BVerfG DVBl 2003, 192, 193; Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 77; Guckelberger, NuR 2003, 469, 473; s. zu den Schutzvorkehrungen als äußerer Grenze und als Abwägungsaspekt Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 73, 96. 66 Guckelberger, NuR 2003, 469, 473. 67 Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 85; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2120. 68 Siehe dazu § 3 Abs. 1 UVPG i.V.m. Anlage 1 Ziffer 13; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2118; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 62. 69 Siehe auch Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 72; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 58.

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Das Planfeststellungsverfahren wird durch einen Antrag des Vorhabenträgers eingeleitet. Die Unterlagen müssen dabei so gestaltet sein, dass sie Anstoßfunktion entfalten und die Einzelnen den Grad ihrer Betroffenheit und ihr Interesse an einer möglichen Erhebung von Einwendungen beurteilen können.70 Gemäß § 73 Abs. 1 S. 2 VwVfG setzt sich der Ausbauplan aus Zeichnungen und Erläuterungen zusammen, die das Vorhaben, seinen Anlass und die von dem Vorhaben betroffenen Grundstücke und Anlagen erkennen lassen. Bei einem UVP-pflichtigen Gewässerausbau müssen die Unterlagen den Anforderungen des § 6 UVPG genügen.71 Das Anhörungsverfahren dient der Bündelung und dem Ausgleich der Interessen der am Gewässerausbauverfahren beteiligten sowie der von dem Vorhaben betroffenen Personen. Dadurch erhält die federführende Behörde möglichst frühzeitig einen Eindruck von den Auswirkungen des Vorhabens.72 Dieser Verfahrensabschnitt beginnt damit, dass die Gemeinden, in denen sich der Gewässerausbau auswirkt, den Plan und bei einem UVP-pflichtigen Gewässerausbau auch die Unterlagen für die Umweltverträglichkeitsprüfung innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang73 grundsätzlich für die Dauer eines Monats zur Einsicht auslegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müssen zumindest diejenigen Dokumente ausgelegt werden, die der Einzelne benötigt, um ihm den Grad seiner eventuellen Betroffenheit sowie sein Interesse an einer Einwendungserhebung bewusst zu machen.74 Die Auslegung der Unterlagen muss so erfolgen, dass jeder potenziell Betroffene sie innerhalb angemessener Zeit in zumutbarer Weise einsehen kann.75 Gemäß § 73 Abs. 5 VwVfG müssen die Gemeinden die Auslegung vorher ortsüblich bekannt machen und dabei auf die in Satz 2 aufgezählten Punkte hinweisen, insbesondere auf Ort und Zeit der Auslegung. Daneben „sollen“ nicht ortsansässige Betroffene, deren Person und Aufenthalt bekannt sind oder sich innerhalb angemessener Frist ermitteln lassen, auf Veranlassung der Anhörungsbehörde von der Auslegung benachrichtigt werden. Nur wenn der Kreis der Betroffenen bekannt ist und ih___________ 70 BVerwGE 75, 214, 224; 98, 339, 344; VG Neustadt NuR 2008, 276, 285; Breuer (Fn. 19), Rn. 978; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 19; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 74; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 60; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 9. 71 Siehe Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 21. 72 Siehe dazu näher Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 5; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 89; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 1. 73 Gemäß § 73 Abs. 2 VwVfG veranlasst die Planungsbehörde innerhalb eines Monats nach Zugang des vollständigen Plans, dass die Gemeinden, in denen sich das Vorhaben auswirkt, den Plan auslegen. 74 BVerwGE 98, 339, 344; 112, 140, 144; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 45; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 65; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 31; s. auch Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 109, wonach eingegangene behördliche Stellungnahmen und Sachverständigengutachten nicht zu den auszulegenden Unterlagen gehören. 75 Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 49; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 33.

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nen innerhalb angemessener Frist Gelegenheit zur Einsichtnahme gegeben wird, erübrigt sich eine Auslegung (§ 73 Abs. 3 S. 2 VwVfG). Sodann kann jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, regelmäßig bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist schriftlich oder zur behördlichen Niederschrift Einwendungen gegen den Plan erheben. Es handelt sich insoweit um eine Interessentenbeteiligung. Einwendungsberechtigt ist jeder, der durch das Vorhaben in einem eigenen rechtlichen oder sonstigen – etwa wirtschaftlichen – Interesse individuell betroffen ist.76 Die Einwendungen müssen hinreichend substantiiert erhoben werden und erkennen lassen, in welcher Weise die zuständige Behörde bestimmte Belange einer näheren Betrachtung unterziehen soll.77 Regelmäßig wird in Anlehnung an § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG eine materielle Präklusion für solche Einwendungen angeordnet, die nicht fristgemäß erhoben wurden. Die ausgeschlossenen Einwendungen können dann von den Einwendern im weiteren Verlauf des Verfahrens und auch in einem späteren gerichtlichen Verfahren nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden.78 Um eine möglichst frühzeitige Feststellung und Berücksichtigung öffentlicher Belange zu gewährleisten,79 fordert die Anhörungsbehörde innerhalb eines Monats nach Zugang des vollständigen Plans die Behörden zur Abgabe von Stellungnahmen auf, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird (§ 73 Abs. 2 VwVfG). Zu den zu beteiligenden Behörden gehören insbesondere diejenigen, deren Entscheidungszuständigkeit von der Konzentrationswirkung der Planungsentscheidung umfasst wird.80 Gemäß § 73 Abs. 3a VwVfG müssen die Stellungnahmen innerhalb der von der Anhörungsbehörde gesetzten, maximal drei Monate betragenden Frist abgegeben werden. Erst nach dem Erörterungstermin eingehende Stellungnahmen werden materiell präkludiert,81 sofern nicht die vorgebrachten Belange der Planfeststellungsbehörde bereits bekannt sind oder ihr hätten bekannt sein müssen oder für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von Bedeutung sind. ___________ 76 BVerwG ZfW 1996, 308, 309; Breuer (Fn. 19), Rn. 978; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 68 ff.; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 124; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 45. 77 BVerwG NuR 2002, 287; VG Neustadt NuR 2008, 276, 281; Breuer (Fn. 19), Rn. 979; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 84 f.; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 127; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 49. 78 BVerwG NJW 1996, 2113; VG Neustadt NuR 2008, 276, 281; Breuer (Fn. 19), § 31 Rn. 979; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 63, 92; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 130 f.; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 57. 79 Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 26; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 13. 80 Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2121; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 29 f.; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 91; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 16. 81 Siehe dazu Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 33; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 24.

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Nach Ablauf der Einwendungsfrist hat die Anhörungsbehörde die rechtzeitig erhobenen Einwendungen, einschließlich den zur Umweltverträglichkeitsprüfung eingegangenen, sowie die Stellungnahmen der Behörden zu dem Ausbauvorhaben mit dem Vorhabenträger, den Behörden, den Betroffenen und den Einwendern in einem mündlichen Gespräch zu erörtern. Der Erörterungstermin ist mindestens eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen, wobei gemäß § 73 Abs. 7 VwVfG der Termin bereits gleichzeitig mit der Bekanntmachung der Planauslegung ortsüblich bekannt gegeben werden kann. Außerdem sind die Behörden, der Vorhabenträger und die Einwender gesondert zu benachrichtigen; nach Maßgabe des § 73 Abs. 6 S. 4, 5 VwVfG ist eine öffentliche Bekanntmachung möglich. Ein Erörterungstermin ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn dem Antrag im Einvernehmen mit allen Beteiligten entsprochen werden kann bzw. alle Beteiligten und Einwender darauf verzichtet haben (§ 67 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 Nr. 1 und 4 VwVfG). Wegen der Verweisung auf § 68 VwVfG ist der Erörterungstermin grundsätzlich nicht öffentlich. Begründet wird dies zum einen mit der Wahrung der Objektivität der am Planfeststellungsverfahren beteiligten Amtsträger und zum anderen mit dem Schutz der persönlichen Sphäre und Unbefangenheit der Beteiligten.82 Der Verhandlungsleiter kann nach seinem Ermessen einzelnen Personen oder der gesamten Öffentlichkeit die Anwesenheit gestatten.83 Im Übrigen besteht ein weites Ermessen hinsichtlich der Durchführung des Erörterungstermins.84 Jedenfalls müssen die teilnahmeberechtigten Personen die Gelegenheit erhalten, die jeweils berührten Belange in substanzieller Art und Weise zu erörtern.85 Soweit Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde nicht identisch sind, endet das Anhörungsverfahren, indem die Anhörungsbehörde eine Stellungnahme zum Ergebnis des Anhörungsverfahrens abgibt (§ 73 Abs. 9 VwVfG). Im Anschluss daran stellt die Planfeststellungsbehörde gemäß § 74 Abs. 1 VwVfG den Plan fest. Bei einem UVP-pflichtigen Gewässerausbau hat die zuständige Behörde dessen Umweltauswirkungen auf der Grundlage der zusammenfassenden Darstellung des § 11 UVPG zu bewerten und diese Bewertung sodann innerhalb ihrer Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen.86 Im Planfeststellungsbeschluss wird über diejenigen Einwendungen entschieden, die im Rahmen der Erörterung keiner abschließenden Klärung zugeführt werden konnten. Aus § 31 Abs. 5 S. 2 WHG ergibt sich die Möglichkeit, gegenüber dem Vorha___________ 82

Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 71. Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 72. 84 Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 139; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 138; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 59. 85 BVerwGE 75, 214, 227; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 111; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 138; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 70; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 59. 86 Breuer (Fn. 19), Rn. 983. 83

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benträger Schutzvorkehrungen sowie einen Ausgleich von Schäden anzuordnen. Nach § 74 Abs. 3 VwVfG kann die Planfeststellungsbehörde einzelne Bestandteile ihrer Entscheidung unter den Vorbehalt einer abschließenden Entscheidung stellen, sofern dadurch nicht die Wirksamkeit der Planung insgesamt infrage gestellt wird.87 Die Bekanntmachung des Planfeststellungsbeschlusses wird in § 74 Abs. 4, 5 VwVfG geregelt. b) Die Plangenehmigung Nach § 31 Abs. 3 WHG kann bei einem nicht UVP-pflichtigen Gewässerausbau anstelle eines Planfeststellungsbeschlusses eine Plangenehmigung erteilt werden. Beim Plangenehmigungsverfahren handelt es sich um ein nicht förmliches Verwaltungsverfahren (§ 74 Abs. 6 S. 2 VwVfG), bei dem insbesondere keine öffentliche Bekanntmachung und kein Erörterungstermin stattfinden.88 Der Vorteil der Plangenehmigung liegt deshalb in der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung.89 Wie man am Gesetzeswortlaut sieht, entscheidet die zuständige Behörde unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen, ob sie ein Plangenehmigungs- oder förmliches Verfahren durchführen will.90 Nach ständiger Rechtsprechung kann der Ausbauunternehmer mangels eines subjektiv öffentlichen Rechts keine Durchführung eines Plangenehmigungsverfahrens erzwingen.91 Anders verhält es sich im umgekehrten Fall, wenn trotz des begehrten Planfeststellungsbeschlusses eine Plangenehmigung erteilt wird.92 3. Zu den Wirkungen einer positiven Zulassungsentscheidung Erlässt die Behörde den Planfeststellungsbeschluss, wird dadurch die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich notwendiger Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von dem Gewässerausbau berührten öffentlichen ___________ 87 Zum Teil findet § 10 WHG entsprechende Anwendung, s. dazu Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 173; s. zu den vorbehaltenen Entscheidungen auch VGH München DVBl 1990, 114, 120; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 26; Stüer (Fn. 16), Rn. 3418. 88 Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2128; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 155; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 108; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 429a; Ziekow (Fn. 20), § 74 Rn. 67. 89 Breuer (Fn. 19), Rn. 1029; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 1a; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 108. 90 Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2126; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 155, 167; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 106. 91 OVG Münster NVwZ 1986, 231; Breuer (Fn. 19), Rn. 1030; Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 42; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 167. 92 Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 42; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 107.

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Belange festgestellt (§ 31 Abs. 5 S. 2 WHG, § 75 Abs. 1 VwVfG). Die Planungsentscheidung führt zu einer Gestattung des Vorhabens sowie sämtlicher mit ihm verbundenen Folgemaßnahmen.93 Darüber hinaus entfaltet sie Konzentrationswirkung. Der Planfeststellungsbeschluss schließt andere behördliche Entscheidungen, etwa eine Baugenehmigung oder eine Befreiung von naturschutzrechtlichen Vorschriften, mit ein.94 Angesichts der Konzentrationswirkung trifft die Planfeststellungsbehörde also nicht mehrere isolierte Entscheidungen, sondern nur eine einzige Verwaltungsentscheidung.95 Beim Planfeststellungsverfahren werden mehrere Verwaltungsverfahren, in denen eigenständig über bestimmte Aspekte eines Vorhabens entschieden wird, zu einem einzigen Verfahren zusammengeführt.96 Behörden, deren Entscheidungen von dem Planfeststellungsbeschluss umfasst werden, verlieren ihre Entscheidungszuständigkeit.97 Zugleich werden die verfahrensrechtlichen Vorgaben aus anderen Gesetzen, etwa dem Baurecht, durch die für das Planfeststellungsvorhaben geltenden Verfahrensbestimmungen verdrängt.98 Die Konzentrationswirkung trägt regelmäßig zu einer Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung bei. Indem der Vorhabenträger nicht mehrere behördliche Zulassungsentscheidungen bei verschiedenen Stellen einholen muss, spart er sich mühsame Behördengänge sowie eine mehrfache Zusammenstellung von Antragsunterlagen. Außerdem entfällt der mit einer parallelen Verfahrensführung regelmäßig verbundene Zeit- und Kostenaufwand.99 Insgesamt entsteht eine größere Übersichtlichkeit und Rechtssicherheit, da verschiedene Behörden nicht denselben Gesichtspunkt unterschiedlich würdigen können.100 Es kommt sowohl dem Vorhabenträger als auch den Vorhabensbetroffenen entgegen, wenn nur gegen eine einzige Verwaltungsentscheidung gerichtlich vorzugehen ist.101 ___________ 93

Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 75 Rn. 11 ff.; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 335; Ziekow (Fn. 20), § 75 Rn. 4. 94 Breuer (Fn. 19), Rn. 967; Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2115; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 75 Rn. 7; Ziekow (Fn. 20), § 75 Rn. 8. 95 BVerwGE 85, 44, 46; BVerwG NVwZ-Beilage I 8/2006, 1, 41; Breuer (Fn. 19), Rn. 967; Fischer, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 432. 96 BVerwG NVwZ-Beilage I 8/2006, 1, 41; Hoppe/Schlarmann, Die planerische Vorhabengenehmigung, 2000, S. 88; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 11. 97 BVerwG NVwZ-Beilage I 8/2006, 1, 41; Breuer (Fn. 19), Rn. 967; Fischer (Fn. 95), Rn. 432; Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 88; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 11; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 343. 98 Ell, JuS 2005, 497, 499; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 12 f.; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 343. 99 Becker, VerwArch 87 (1996), 581, 582; Guckelberger, in: Kotulla, BImSchG, 11. Erg.-Lfg. Januar 2007, § 13 Rn. 5. 100 Ell, JuS 2005, 497, 499. 101 Guckelberger (Fn. 99), § 13 Rn. 5.

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Manche Landesgesetze sehen vor, dass neben der Planfeststellung des Gewässerausbaus eine wasserrechtliche Erlaubnis oder Bewilligung für eine Gewässerbenutzung einzuholen ist.102 Dabei bestimmt § 3 Abs. 3 S. 1 WHG, dass Maßnahmen, die einem Gewässerausbau dienen, keine Gewässerbenutzungen sind. Weil sich beispielsweise die Herstellung oder wesentliche Umgestaltung eines Gewässers im Einzelfall unter Verwirklichung von Benutzungstatbeständen des § 3 Abs. 1, 2 WHG vollziehen kann, hat der Gesetzgeber angeordnet, dass im Bereich möglicher Überschneidungen von vornherein nur ein Rechtsregime, nämlich dasjenige des Gewässerausbaus, zur Anwendung kommen soll.103 Im Schrifttum wird jedoch zutreffend gesehen, dass es Fälle geben kann, in denen für Benutzungstatbestände, die nicht dem Gewässerausbau „dienen“ oder bei Herstellung eines Gewässers für die nach seiner Errichtung erfolgende Einbringung von Stoffen in das Wasser, eine weitere behördliche Gestattungsentscheidung erforderlich sein kann.104 Unter derartigen Umständen kommt § 14 Abs. 1 WHG zur Anwendung, wonach die Planfeststellungsbehörde über die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis bzw. Bewilligung entscheidet.105 Auch wenn diese Entscheidung in ein und demselben Beschluss ergehen sollte, ging das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zum Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld davon aus, dass die wasserrechtliche Gestattung ein selbständiges Element neben der Planfeststellung ist, die gegenüber ihr ein „rechtliches Eigenleben“ führt. Denn im Gegensatz zu den in hohem Maße änderungsresistenten Planfeststellungsbeschlüssen seien im Wasserrecht flexibel handhabbare Instrumente unverzichtbar. Die wasserrechtliche Erlaubnis und Bewilligung würden unter dem Vorbehalt nachträglicher Anordnungen ergehen. Zudem könne die Erlaubnis unter erleichterten Voraussetzungen widerrufen werden.106 Durch den Planfeststellungsbeschluss werden alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Gewässerausbau Betroffenen rechtsgestaltend geregelt (§ 75 Abs. 1 S. 2 VwVfG).107 Außerdem ist der Planfeststellungsbeschluss mit einer Ausschluss- bzw. Duldungswirkung verbunden. Mehrere Landesgesetze erklären § 11 WHG für ent___________ 102

§ 54 Abs. 1 BlnWG, § 125 Abs. 1 S. 2 LWG SH. BVerwG NVwZ-RR 2007, 750, 751 f. 104 Siehe dazu Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 3 Rn. 79 ff.; Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, Erg.-Lfg. Juni 2006, § 3 Rn. 9 ff. 105 Siehe auch Breuer (Fn. 19), Rn. 968. 106 BVerwG Beilage Nr. I 8/2006, 1, 41 f.; Kahl/Diederichsen, NVwZ 2006, 1107, 1111; s. zur Zuständigkeitskonzentration des § 14 WHG Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 20 f., 43. 107 Siehe dazu Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 89; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 75 Rn. 9; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 54; Ziekow (Fn. 20), § 75 Rn. 9. 103

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sprechend anwendbar.108 Danach kann der von einem Gewässerausbau Betroffene bei einem (unanfechtbaren) Planfeststellungsbeschluss gegen den Vorhabenträger keine Ansprüche mehr geltend machen, die auf Beseitigung der Störung, Unterlassung der Benutzung, Herstellung von Schutzeinrichtungen oder auf Schadensersatz gerichtet sind. Andernfalls kommt die vergleichbare Regelung des § 75 Abs. 2 VwVfG zur Anwendung.109 Geht es um Wirkungen des Gewässerausbaus, die nicht voraussehbar waren, kann die Planfeststellungsbehörde dem Vorhabenträger zum Ausschluss der nachteiligen Wirkungen Vorkehrungen oder die Errichtung bzw. Unterhaltung von Anlagen auferlegen. Lediglich wenn derartige Maßnahmen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind, geht der Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld. Vielfach messen die landesrechtlichen Vorschriften dem Planfeststellungsbeschluss enteignungsrechtliche Vorwirkung bei. Da in diesem Fall die Planungsentscheidung für die Enteignungsbehörde im späteren Enteignungsverfahren bindend ist, wird bereits im Rahmen der Planfeststellung die grundlegende Entscheidung gefällt, welche Grundstücke in welchem Umfang für das jeweilige Vorhaben benötigt werden.110 Der betroffene Eigentümer kann insoweit im späteren Enteignungsverfahren nicht mehr geltend machen, dass die Enteignung wegen fehlender Gründe des Wohls der Allgemeinheit unzulässig sei.111 In aller Regel entfaltet eine Plangenehmigung mit Ausnahme der enteignungsrechtlichen Vorwirkung dieselben Wirkungen wie ein Planfeststellungsbeschluss (§ 74 Abs. 6 S. 2 VwVfG).112 Gemäß § 75 Abs. 4 VwVfG tritt ein Planfeststellungsbeschluss außer Kraft, wenn mit der Durchführung des Planes nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt seiner Unanfechtbarkeit begonnen wird. 4. Änderungen des Vorhabens § 73 Abs. 8 VwVfG regelt die Konstellation, bei der ein bereits ausgelegter Plan noch vor der Planfeststellung geändert werden soll, ohne dass dabei das Gesamtkonzept des Vorhabens infrage gestellt wird.113 Lediglich wenn durch ___________ 108

Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 75 Rn. 55; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 55. Guckelberger (Fn. 16), Rn. 2126; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 55; s. auch BVerwG DVBl 2008, 518. 110 BVerfG 45, 297, 327; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 355; s. dazu etwa Guckelberger, in: Ziekow, Aktuelle Fragen des Luftverkehrs-, Fachplanungs- und Naturschutzrechts, 2006, S. 237, 261 ff.; Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 90; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 14. 111 Breuer (Fn. 19), Rn. 975; Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 90; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 75 Rn. 13; Schenk (Fn. 30), § 31 Rn. 355; Spieth (Fn. 20), § 31 Rn. 57. 112 Siehe dazu Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 172 f.; Zeitler (Fn. 22), § 31 Rn. 428. 113 Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 115; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 61. 109

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die Änderung der Aufgabenbereich einer Behörde oder Belange Dritter erstmalig oder stärker als bisher berührt werden, ist diesen die Änderung mitzuteilen und ihnen innerhalb von zwei Wochen Gelegenheit zu Stellungnahmen und zu Einwendungen zu geben. Unwesentliche Steigerungen der berührten Belange lösen also ebenso wenig wie eine ausschließliche Verbesserung der Situation einen weiteren Verfahrensschritt aus.114 Demgegenüber betrifft § 76 VwVfG den Fall, dass ein Plan nach Feststellung, aber vor Fertigstellung des zugelassenen Vorhabens geändert werden soll.115 Nach § 76 Abs. 1 VwVfG ist hierfür grundsätzlich ein neues Planfeststellungsverfahren durchzuführen. Ebenso wie bei Änderungen eines bereits fertig gestellten Vorhabens ist also ein den Voraussetzungen der §§ 73, 74 VwVfG entsprechendes Verfahren durchzuführen.116 Vorrangig ist jedoch § 31 Abs. 2 S. 1 WHG anzuwenden, wonach die „wesentliche Umgestaltung eines Gewässers oder seiner Ufer“ ein planfeststellungspflichtiges Vorhaben ist. 5. Zulassung vorzeitigen Beginns und in Teilen Gemäß § 31 Abs. 4 WHG kann ein Gewässerausbau einschließlich notwendiger Folgemaßnahmen, die wegen ihres räumlichen oder zeitlichen Umfangs in selbständigen Abschnitten oder Stufen durchgeführt werden, nach pflichtgemäßem Ermessen in Teilen zugelassen werden. Voraussetzung ist, dass dadurch die erforderliche Einbeziehung der erheblichen Umweltauswirkungen des gesamten Vorhabens nicht ganz oder teilweise unmöglich wird. Nach der Rechtsprechung müssen darüber hinaus sachliche Gründe die Planfeststellung in Abschnitten oder Stufen gebieten und eine vom Unternehmer so gewollte Planung zum Inhalt haben.117 Zudem wird auf die Vorschrift des § 9a WHG über die Zulassung des vorzeitigen Beginns verwiesen. Erforderlich ist, dass mit einer Entscheidung zugunsten des Unternehmers gerechnet werden kann. Des Weiteren muss ein öffentliches Interesse oder berechtigtes Interesse des Unternehmers an dem vorzeitigen Beginn bestehen. Schließlich muss sich der Unternehmer dazu verpflichten, alle bis zur endgültigen Entscheidung verursachten Schäden zu ersetzen und im Falle der späteren Ablehnung des Gewässerausbaus den früheren Zustand wieder herzustellen. Nach bisheriger Rechtsprechung ist für die Zulassung des vorzeitigen Beginns keine gesonderte Um-

___________ 114

Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 61. Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 76 Rn. 1; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 1; s. auch BVerwG DVBl 2008, 518, 519. 116 Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 76 Rn. 10; Ziekow (Fn. 20), § 76 Rn. 6. 117 BVerwG NVwZ 1996, 896, 897; s. auch Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 29a. 115

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weltverträglichkeitsprüfung erforderlich.118 Da sie zu einer restriktiven Handhabung des vorzeitigen Beginns neigt,119 kommt eine vorzeitige Gestattung umso eher in Betracht, als die infrage stehende Ausbaumaßnahme reversibel ist.120

III. Die wasserrechtliche Planung de lege ferenda Im Koalitionsvertrag vom 18.11.2005 haben sich die Regierungsparteien zum Ziel gesetzt, ein Umweltgesetzbuch zu erlassen. Von einem solchen verspricht man sich zugleich mehrere Vorteile: Das gegenwärtige Umweltrecht setzt sich aus einer Vielzahl von Normen zusammen, die in terminologischer und sachlicher Hinsicht oft Unterschiede aufweisen und selbst für Fachleute nur schwer zu überblicken sind.121 So datiert das Wasserhaushaltsgesetz mit seinen Begrifflichkeiten und Instrumenten, aber auch seiner Systematik aus einer Zeit vor der Entstehung der modernen Umweltschutzgesetze.122 In einem Umweltgesetzbuch könnten die umweltrechtlichen Normen „aus einem Guss“ zusammengeführt und harmonisiert werden,123 indem der Kodifikation konsistente und einheitliche Begriffe, Regeln und Institute zugrunde gelegt werden.124 Die Verwendung einer einheitlichen Terminologie wird dazu beitragen, dass gleiche oder vergleichbare Umweltauswirkungen im Wasser- wie im Immissionsschutzrecht, im Bodenschutz- wie im Naturschutz- oder Abfallrecht gleich bezeichnet werden.125 Mit der Aufnahme der wichtigsten Umweltmaterien in ein Umweltgesetzbuch werden den Rechtsanwendern die Bezüge zwi-

___________ 118

BVerwG NVwZ 1991, 994; Breuer (Fn. 19), Rn. 1035; Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 47. 119 BVerwG NVwZ 1991, 994, 995; VGH Kassel DÖV 1989, 775, 776; Breuer (Fn. 19), Rn. 1035; Czychowski/Reinhardt (Fn. 16), § 31 Rn. 46. 120 BVerwG NVwZ 1991, 994, 996; OVG Münster ZfW 1996, 399, 401; Breuer (Fn. 19), Rn. 1035. 121 Erläuterung UGB I abrufbar über http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/appli cation/pdf/ugb1_allgem_vorschriften_begruendung.pdf, S. 6; Bohne, EurUP 2006, 276, 277; Gaentzsch (Fn. 1), S. 78; Jarass, ZfU 2006, 1 f.; Kloepfer, UPR 2007, 161; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402. 122 Bohne, EurUP 2006, 276, 277; Kloepfer, UPR 2007, 161. 123 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 35; s. auch Bohne, EurUP 2006, 276, 277; Jarass, ZfU 2006, 1 f.; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 507. 124 Kahl, Umweltrechtliche Instrumente im Umweltgesetzbuch, Forum Umweltgesetzbuch, 2007, S. 6. 125 Wendenburg (Fn. 11), S. 3; s. auch Nisipeanu, NuR 2008, 87, 94.

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schen den verschiedenen Regelungen deutlicher und verständlicher.126 Das durch die bisherige Kompetenzverteilung und wegen des hohen Grades an Technisierung besonders kompliziert wirkende Wasserrecht lässt sich durch eine stärkere Systematisierung und Vereinheitlichung besser erfassen und vollziehen.127 Durch die Beseitigung obsoleter Regelungen und die Ersetzung diverser fachgesetzlicher Vorgaben durch einheitliche übergreifende Vorschriften lässt sich der umweltrechtliche Normenbestand reduzieren und straffen (Deregulierung).128 Dadurch soll das Umweltrecht übersichtlicher, klarer, transparenter und praktikabler werden. Dies kommt den Bürgern und gesetzesvollziehenden Behörden ebenso wie den Gerichten zugute.129 Es wird eine Stärkung der Wirksamkeit und Transparenz des Umweltrechts insgesamt prognostiziert.130 Weiterhin erwartet man von der Kodifikation des Umweltrechts ein stabilisierendes und strukturbildendes Potenzial. Durch die Harmonisierung des umweltrechtlichen Normenbestands entstehe ein homogenes Regelungsgefüge, das für künftige Gesetzesänderungen sowie den Erlass untergesetzlicher Rechtsvorschriften richtungsweisend sei.131 Eine Kodifikation sei im Vergleich zu den heutigen einzelnen Fachgesetzen gegenüber tagespolitischen Änderungswünschen änderungsresistenter.132 Wenn Änderungen notwendig würden, würde man sich vermehrt um Lösungen bemühen, die sich harmonisch in das Gesamtsystem des UGB einfügen.133 Die Schaffung eines Umweltgesetzbuchs wirkt einer weiteren Zerfaserung des Umweltrechts entgegen134 und ermöglicht eine Schaffung bundesweit einheitlicher Umweltanforderungen.135 Je nachdem, wie die Länder in den Gesetzgebungsprozess eingebunden werden, lässt sich ___________ 126

Bohne, EurUP 2006, 276, 278; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 507; Steinkemper, in: Kloepfer, Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 13, 15; s. auch Kloepfer, UPR 2007, 161, 164. 127 Berendes (Fn. 14). 128 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 17; Kahl (Fn. 124), S. 6; Kloepfer, UPR 2007, 161, 164; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 507 f.; kritisch Schrader, ZRP 2008, 60, 61. 129 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 17; Kahl (Fn. 124), S. 6; Kloepfer, UPR 2007, 161, 164; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 508. 130 Bohne, EurUP 2006, 276, 278; Kahl (Fn. 124), S. 6. 131 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 18; Bohne, EurUP 2006, 276, 278; Kahl (Fn. 124), S. 6 f.; Kloepfer, UPR 2007, 161, 166; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 507. 132 Bohne, EurUP 2006, 276, 278; Kahl (Fn. 124), S. 7; Kloepfer, UPR 2007, 161, 166; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 507. 133 Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 507. 134 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 18; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402. 135 Lottermoser, UPR 2007, 401, 402; Nisipeanu, NuR 2008, 87, 94; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 507.

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verhindern, dass sie in denjenigen Bereichen, in denen sie über eine Abweichungskompetenz verfügen, von dieser Befugnis Gebrauch machen. Durch eine Kodifikation des Umweltrechts verspricht man sich, dass seine Wahrnehmung insgesamt gefördert wird. Indem sich Theorie und Praxis vermehrt damit auseinander setzen, wird das politische und rechtliche Profil des Umweltrechts gestärkt.136 Da in Deutschland das Umweltrecht über viele Einzelgesetze verteilt ist – das Immissionsschutzrecht wird im BImSchG, das Abfallrecht im KrW-/AbfG und das Wasserrecht im WHG geregelt –, gerät bei diesen Fachgesetzen leicht ein einzelnes Umweltmedium unter Vernachlässigung anderer Umweltgüter in den Blick.137 Diese Ausrichtung des deutschen Umweltrechts lässt sich nur schwer mit dem europäischen Konzept des integrierten Umweltschutzes in Einklang bringen, wonach sich Maßnahmen zum Schutz der Umwelt nicht nur isoliert auf ein Medium, etwa die Reinhaltung der Luft oder des Wassers, konzentrieren sollen. Vielmehr sind bei der Betrachtung stets zugleich die Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Umweltmedien und mögliche Belastungsverlagerungen von einem Umweltgut auf ein anderes einzubeziehen.138 Indem im Umweltgesetzbuch die verschiedenen Fachmaterien unter einem Dach vereint werden, lässt sich der gesamthaften ökologischen Sichtweise besser Rechnung tragen als bei getrennten Regelungen in verschiedenen Fachgesetzen.139 Wegen der medienübergreifenden Ausrichtung des EG-Umweltrechts ist zu erwarten, dass sich bei einer derartigen Neuausrichtung des deutschen Umweltrechts künftig die europäischen Vorgaben schneller und unkomplizierter in das nationale Recht transformieren lassen.140 Dann müssten die fachübergreifenden europäischen Vorgaben nicht mehr wie bisher getrennt und unter Auflösung etwaiger Zusammenhänge in den einzelnen Fachgesetzen umgesetzt werden.141

___________ 136 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 18 f.; Kahl (Fn. 124), S. 7; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402. 137 Bohne, EurUP 2006, 276, 277; Calliess, NuR 2006, 601, 609; Gönner, Anforderungen an das Umweltgesetzbuch aus der Sicht eines Landes, 2008, abrufbar über http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-I/3434.pdf, S. 8; Kloepfer, UPR 2007, 161; Steinkemper (Fn. 126), S. 13; Wirtz, Zulassung und Überwachung von Industrieanlagen im Umweltgesetzbuch, 2007, abrufbar über http://www.bmu.de/files/pdfs/allge mein/pdf/schriftenreihe_ugb3_wirtz.pdf, S. 7 f. 138 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 19; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402. 139 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 19; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 508. 140 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 19 f.; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402; s. auch Kloepfer, UPR 2007, 161, 165; Nisipeanu, NuR 2008, 87, 94. 141 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 19 f.; s. auch Gönner (Fn. 137), S. 11.

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Gerade am Beispiel des Wasserrechts lassen sich die Vorteile bei der Umsetzung des EG-Rechts gut demonstrieren.142 Bislang musste jedes einzelne Bundesland die entsprechenden Vorgaben, z. B. der Wasserrahmenrichtlinie, im Landeswassergesetz umsetzen. Zum Teil geschah dies verspätet, zum Teil wurde die Europarechtskonformität einzelner Umsetzungen bezweifelt.143 Im Falle eines Umweltgesetzbuchs liegt es nahe, dass nur noch der Bund die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen in der gebotenen Regelungsdichte erlässt. Da die Spielräume bei der Umsetzung von EG-Richtlinien ohnehin nicht allzu groß sind, können sich die Bundesländer die Zeit und Mühe, die sie bislang auf die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts verwendet haben, sparen.144 Schließlich wird die Erwartung geäußert, Deutschland könne seine bis Ende der 1980er Jahre bestehende Vorreiterrolle in der europäischen Umweltrechtsentwicklung durch das Umweltgesetzbuch wiedergewinnen und durch sein Gesetzesvorhaben die Ausgestaltung ausländischer Rechtsordnungen sowie des europäischen Gemeinschaftsrechts beeinflussen.145 Auch wenn diese Erwägung nicht fern liegt, wird die Vorbildfunktion des deutschen Rechts erheblich von seiner inhaltlichen Ausgestaltung abhängen. Je mehr Deutschland auf dem Modell einer gebundenen integrierten Vorhabengenehmigung beharren wird, desto geringer ist wohl die Chance seiner Rezeption durch andere. Denn der Genehmigungsanspruch lässt sich, wie mehrfach im deutschen Schrifttum betont wurde, nicht optimal mit dem integrierten Umweltschutzkonzept in Einklang bringen.146 Darüber hinaus bietet eine Kodifikation die Gelegenheit, nicht nur Bestehendes zusammenzufassen, sondern Modernisierungsimpulse für die Fortentwicklung des Rechts zu geben („Innovationspotenzial“).147 Da nur wenig Zeit bis zur Verabschiedung des Umweltgesetzbuchs verbleibt und im Übrigen das heutige Umweltrecht erheblich durch europäische Vorgaben determiniert wird, wird man ohne weiteres der Aussage beipflichten können, dass die neue Ord___________ 142 Siehe auch Ginzky/Rechenberg, ZUR 2007, 344, 350; Reinhardt zitiert nach Tagungsbericht des Instituts für Deutsches und Europäisches Wasserrecht zur Veranstaltung vom 5.12.2007 „Der Referentenentwurf zum UGB-Wasser in der Kritik von Ländern und Rechtswissenschaft.“ 143 Siehe Gönner (Fn. 137), S. 11; allgemein zu den Problemen bei der Umsetzung europäischen Gemeinschaftsrechts in das nationale Recht Calliess (Fn. 58), S. 35, 38. 144 Nach Bohne, EurUP 2006, 276, 287 sind die Länder keineswegs erpicht, EGrechtlich und politisch umstrittene Umweltbereiche an sich zu ziehen. 145 Bohne, EurUP 2006, 276, 279; Calliess, NuR 2006, 601, 614; Kahl (Fn. 124), S. 7; Kloepfer, UPR 2007, 161, 166. 146 Bohne, in: ders., Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002, S. 359, 364; Calliess (Fn. 58), S. 54, 58 f.; Curtius (Fn. 59), S. 208, 217; Kugelmann, DVBl 2002, 1238, 1246; Scheidler, WiVerw 2008, 1, 67; Volkmann, VerwArch 89 (1998), 363, 389 ff. 147 Gönner (Fn. 137), S. 12; Kahl (Fn. 124), S. 6; Kloepfer, UPR 2007, 161, 165 f.; s. auch Barth/Ziehm/Zschiesche, ZUR 2007, 295 ff.

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nung des Umweltgesetzbuchs keine „Revolution“, sondern eine „Evolution“ im deutschen Umweltrecht bewirken wird.148 Im Moment herrscht weitgehend Konsens, das hohe Schutzniveau des deutschen Umweltrechts beizubehalten.149 Bewährte Regelungskonzepte sollen daher in das Umweltgesetzbuch übernommen werden. Wenn Vorschriften überarbeitet und neu gefasst werden, soll dies nicht zu einem Abbau anspruchsvoller Umweltstandards führen.150 1. Zum Verhältnis zwischen UGB I und UGB II Ähnlich wie man es vom Bürgerlichen Gesetzbuch her kennt, soll dem Umweltgesetzbuch ein Allgemeiner Teil vorangestellt werden. Dieser soll diejenigen Rechtsvorschriften enthalten, die für sämtliche Bücher des UGB gleichermaßen Geltung beanspruchen, oder einen übergreifenden Charakter haben.151 Weil das UGB schrittweise realisiert werden soll und für die 17. Legislaturperiode weitere Bücher geplant sind, wird der Allgemeine Teil voraussichtlich kein so hohes Abstraktionsniveau wie im Zivilrecht aufweisen.152 Trotzdem ist der Allgemeine Teil nach herkömmlichem deutschem Rechtsverständnis für das Gelingen einer Kodifikation von immenser Bedeutung. Der Allgemeine Teil soll die inhaltliche Gesamtstimmigkeit und systematische sowie inhaltliche Verbundenheit des Umweltgesetzbuchs fördern. Zugleich trägt er zur „Verschlankung“ des Umfangs der Gesamtkodifikation bei.153 Das Erste Kapitel des UGB I enthält nach dem Referentenentwurf für alle Bücher des Umweltgesetzbuchs gemeinsam geltende Vorschriften (Zweck des Umweltgesetzbuchs, Prinzipien zum Schutz von Mensch und Umwelt, wie das Verursacher- und Vorsorgeprinzip, Begriffsbestimmungen). Es folgen Rege___________ 148

So Berendes (Fn. 14), S. 6; Reinhardt (Fn. 142), S. 9. Gönner (Fn. 137), S. 11; Lottermoser, UPR 2007, 401, 402; s. auch Kloepfer, in: ders., Das kommende Umweltgesetzbuch, S. 9, 11. 150 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 20. 151 Lottermoser, UPR 2007, 401, 403; s. auch Gaentzsch (Fn. 1), S. 77, 80 f.; Jarass, ZfU 2006, 1, 9. 152 Kloepfer, UPR 2007, 161, 167 f., der im Allgemeinen Teil zugleich einen bevorzugten Träger innovativer Ideen erblickt; ebenso Sellner, in: Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 91, 107; Lottermoser, UPR 2007, 401, 403. Bohne, in: ders., Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002, S. 359, 371 hält eine zu große Neustrukturierung angesichts zu erwartender politischer Widerstände sowie möglicher Akzeptanzprobleme der überwiegend naturwissenschaftlich-technisch ausgebildeten Rechtsanwender für nicht ratsam. 153 Kloepfer, UPR 2007, 161, 168; s. auch Bohne, EurUP 2006, 276, 288; Gaentzsch (Fn. 1), S. 77, 81 f.; kritisch gegenüber derartigen Abstraktionsbestrebungen Spoerr, in: Kloepfer, Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 95, 98. 149

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lungen zur Strategischen Umweltprüfung, zum betrieblichen Umweltschutz (Umweltschutzbeauftragte), zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden sowie zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten. Hauptinstrument für die Vereinheitlichung der verschiedenen Vorschriften bei der Zulassung umweltrelevanter Maßnahmen ist die im zweiten Kapitel des Ersten Buches geregelte integrierte Vorhabengenehmigung (iVG).154 Sie soll die unterschiedlichen Zulassungsregelungen für Vorhaben in den verschiedenen Teilbereichen des Umweltrechts ersetzen. Infolgedessen ist für die Zulassung von immissionsschutzrechtlichen Anlagen, Deponien, Gewässerausbauten künftig nicht mehr auf gesonderte Verfahrensregelungen, sondern nur noch den Allgemeinen Teil zu rekurrieren.155 Demgegenüber sind die nachfolgenden Bücher des Umweltgesetzbuchs auf die einzelnen Fachgebiete zugeschnitten. Als Richtschnur für die Verteilung der Rechtsmaterie gilt das Prinzip: „Einheitliche Regelungen so weit wie möglich, Berücksichtigung medialer Besonderheiten so weit wie nötig.“156 Nach dem Eckpunktepapier vom 5. Juli 2006 setzt sich das Umweltgesetzbuch aus einem „fachübergreifenden“ Regelungsteil und fachbezogenen Regelungsteilen zusammen.157 Diese Unterscheidung zwischen Regelungen, welche die Umwelt als Gesamtsystem betreffen, und Regelungen, welche den Schutz einzelner Umweltbereiche bezwecken sowie zum Schutz vor bestimmten Umweltbeeinträchtigungen dienen, dürfte ohne weiteres einleuchten.158 Ist man sich dieser Regelungsstruktur bewusst, folgt daraus ohne weiteres, dass für wasserrechtlich relevante Fragestellungen je nach tangiertem Bereich entweder das UGB I, das UGB II oder beide Gesetzbücher einschlägig sind. Bestimmte, auch wasserwirtschaftlich bedeutsame Grundsätze und Instrumente, die einen Bezug auf die Umwelt als Ganzes haben und für die Steuerung der verschiedenen Umweltmedien bedeutsam sind, werden künftig im Allgemeinen Teil geregelt.159 Deshalb werden die Regelungen zum Betriebsbeauftragten für Gewässerschutz in §§ 21a ff. WHG durch die allgemeinen Vorschriften zu den Umweltschutzbeauftragten, die Regelung des § 21h WHG hinsichtlich der auditierten Betriebsstandorte durch eine Regelung im Allgemeinen Teil abgelöst.160 Das komplizierte System aus einer Vielzahl behördlicher Gestattungsformen im Wasserrecht soll vereinfacht werden. Künftig soll es neben der in___________ 154

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 22. Siehe dazu Jarass, ZfU 2006, 1, 9 f. 156 Erläuterung UGB II (Fn. 11), S. 3; Nisipeanu, NuR 2008, 87, 96. 157 Siehe dazu Bohne, EurUP 2006, 276, 288. 158 Siehe dazu Bohne, (Fn. 146), S. 371 f. 159 Erläuterung UGB II (Fn. 11), S. 3. 160 Erläuterung UGB II (Fn. 11), S. 4. Des Weiteren werden einzelne Grundsätze des § 1a WHG sowie die Vorschriften über Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe in den allgemeinen Teil überführt. 155

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tegrierten Vorhabengenehmigung des UGB I für bestimmte Vorhaben nur noch die wasserrechtliche Erlaubnis, also keine wasserrechtlichen Bewilligungen, alten Rechte und alten Befugnisse mehr geben.161 Während für die wasserrechtliche Erlaubnis der zweite Teil des Umweltgesetzbuchs maßgeblich ist, unterfallen besonders umweltrelevante Vorhaben in Form von Gewässer-, Deich- und Dammbauten162 der im Allgemeinen Teil verorteten integrierten Vorhabengenehmigung. Dies bedeutet aber nicht, dass die UGB-Vorschriften zum Wasserrecht für derartige Vorhaben keinerlei Relevanz entfalten. Weil das UGB I hauptsächlich die allgemeinen Regelungen zum Modell und Prüfprogramm der integrierten Vorhabengenehmigung enthält, ist ein Teil der materiellen Anforderungen, etwa die Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens einer schädlichen Gewässerveränderung, dem UGB II zu entnehmen.163 Vergleicht man die bisherige Rechtslage mit den erwogenen Änderungen ergibt sich folgendes Bild: Die spezielle wasserrechtliche Vorschrift des § 31 WHG zum Gewässerausbau wird abgeschafft. Gewässerausbauten als besonders sensible Vorhaben dürfen künftig nur noch aufgrund einer integrierten Vorhabengenehmigung hergestellt, beseitigt oder wesentlich umgestaltet werden. Darüber hinaus ist § 75 RE-UGB I zu beachten, der besondere Vorgaben für den Gewässerausbau enthält. Die materiellen Anforderungen an derartige Vorhaben ergeben sich teils aus dem Ersten und teils aus dem Zweiten Buch des Umweltgesetzbuchs. Konnten bislang die wesentlichen materiellen Anforderungen an Gewässerausbauten einer einzigen Vorschrift (§ 31 WHG) entnommen werden, sind künftig eine Vielzahl von Normen daraufhin durchzusehen, ob sie für die rechtliche Beurteilung des jeweiligen Vorhabens bedeutsam sind. Insoweit „verkompliziert“ sich zumindest in materieller Hinsicht die Rechtsanwendung. Allerdings ist davon auszugehen, dass nach einer ersten Gewöhnungszeit und der Herausarbeitung der materiellen Prüfkriterien sich diese Schwierigkeiten bewältigen lassen werden. Da es künftig Vorhaben gibt, die dem UGB I unterfallen, und solche, für die eine wasserrechtliche Erlaubnis einzuholen und daher ausschließlich das UGB II einschlägig ist, wird mancherorts befürchtet, dass dadurch materiell-rechtlich zwei unterschiedliche Wasserrechtsregimes entstehen könnten.164 Diese Gefahr ist wohl gering zu veranschlagen.165 Weil die verschiedenen Bücher zusammen das UGB bilden, ist bei der Handhabung und Auslegung der Normen den Zielen der Kodifikation ___________ 161 Erläuterung UGB II (Fn. 11), S. 16 ff.; Lottermoser, UPR 2007, 401, 404; Nisipeanu, NuR 2008, 87, 96; s. auch Gönner (Fn. 137), S. 13. 162 Siehe §§ 48 Nr. 1 lit. b, c, 50 Abs. 3 Nr. 3 RE-UGB I. 163 Berendes (Fn. 14), S. 4. 164 Munk im Tagungsbericht des Instituts für Deutsches und Europäisches Wasserrecht zur Veranstaltung vom 5.12.2007 „Der Referentenentwurf zum UGB-Wasser in der Kritik von Ländern und Rechtswissenschaft“, S. 8. 165 Ebenso Berendes (Fn. 14), S. 10.

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Rechnung zu tragen und auf ein in sich konsistentes Rechtsgebilde hinzuwirken. Letztlich ist die Verortung der materiellen Anforderungen an Gewässerausbauten an verschiedenen Stellen des Umweltgesetzbuchs anscheinend der Preis dafür, dass man den Anwendungsbereich der integrierten Vorhabengenehmigung für eine Vielzahl von Vorhaben und Tätigkeiten öffnet und sich so auf die Aufstellung eines allgemeinen Verfahrensregimes beschränken kann. Die Bündelung führt zu einer Deregulierung des Fachrechts, insbesondere dem Fortfall von Parallelregelungen zu den Genehmigungsverfahren und anderen ordnungsrechtlichen Instrumenten.166 Nur schwer lässt sich abschätzen, ob die Überführung bestimmter wasserrechtlicher Vorhaben in das Erste Buch des Umweltgesetzbuchs zu einem Bedeutungsverlust des Wasserrechts – insbesondere auch in seiner Wahrnehmung – führen wird. Dafür spricht, dass die besonders umweltrelevanten Maßnahmen künftig der integrierten Vorhabengenehmigung unterfallen. Andererseits ist für weniger bedeutsame Gewässerbenutzungen weiterhin eine wasserrechtliche Erlaubnis erforderlich und ist ein Teil der gesetzlichen Anforderungen für den Schutz und die Nutzung von Gewässern auch bei Vorhaben aufgrund einer integrierten Vorhabengenehmigung weiterhin dem UGB II zu entnehmen.167 2. Die integrierte Vorhabengenehmigung als ‚Herzstück‘ des UGB I und künftige Gestattungsform für Gewässerausbauten Im Mittelpunkt des Referentenentwurfs168 zum UGB I steht die integrierte Vorhabengenehmigung, die als einheitliche und medienübergreifende Zulassungsentscheidung mit umfassender Konzentrationswirkung zur Vereinfachung und Beschleunigung der Zulassungsverfahren beitragen soll.169 Für sie ist charakteristisch, dass eine Behörde in einem Verfahren eine einheitliche Zulassungsentscheidung trifft.170 Besonders gut lässt sich diese Neuerung am Bei___________ 166

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 22. Wendenburg (Fn. 11), S. 7. 168 Siehe zur Bezeichnung als „Herzstück“ Kahl (Fn. 124), S. 11; ders., in: Kloepfer, Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 113, 129; so auch schon Michler, DVBl 1999, 816, 819. 169 Siehe dazu die Rede des Bundesumweltministers Gabriel (Fn. 12); s. auch Diederichsen, in: Ziekow, Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungs- und Naturschutzrechts 2007, 2008, S. 369, 370; Kahl/Diederichsen, NVwZ 2006, 1107, 1108. 170 Diederichsen (Fn. 169), S. 371; Lottermoser, UPR 2007, 401, 405; Kloepfer, UPR 2007, 161, 169; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 510; s. zum unterschiedlichen Verständnis, was eine „integrierte“ Vorhabengenehmigung sein kann, Bohne, in: Rengeling, Integrierter und betrieblicher Umweltschutz, 1996, S. 105, 107; Calliess (Fn. 58), S. 50 f.; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 510; s. zu den verschiedenen Modellen einer in167

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spiel der Zulassung einer Industrieanlage aufzeigen. Wegen der beschränkten Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG muss der Vorhabenträger bislang für sein Vorhaben neben einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung eine wasserrechtliche Erlaubnis beantragen. Sofern nicht nach dem Landesrecht Immissionsschutz- und Wasserbehörde identisch sind,171 muss er also mit zwei Behörden kommunizieren und bei beiden Antragsunterlagen einreichen. Es sind zwei Verfahren durchzuführen, wobei für das eine die Vorschriften des § 10 BImSchG und der 9. BImSchV und für das andere die Vorgaben des Landeswassergesetzes, oft mit Verweisen auf das Verwaltungsverfahrensgesetz, gelten. Heute bezweifeln unter anderem Teile der Wirtschaft die Notwendigkeit einer integrierten Vorhabengenehmigung wegen der Koordinierung der beiden Verfahren durch die Immissionsschutzbehörde nach § 10 Abs. 5 BImSchG.172 Dabei wird vernachlässigt, dass sich die – aus welchen Gründen auch immer – „verspätete“ Erteilung einer benötigten wasserrechtlichen Erlaubnis negativ auf die geplante Inbetriebnahme einer Anlage auswirken kann.173 Die koordinierende Verfahrensweise ist in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht aufwändig und insoweit unbefriedigend, als die Immissionsschutzbehörde nach momentanem Recht kaum über Möglichkeiten verfügt, um verfahrensbeschleunigend oder im Falle von Meinungsverschiedenheiten auf die andere Behörde einzuwirken.174 Außerdem wird bezweifelt, ob bei mehreren Zulassungsentscheidungen durch verschiedene Behörden tatsächlich die vom Gemeinschaftsrecht geforderte medienübergreifende Gesamtbetrachtung erfolgt, weil für die entscheidende Behörde das in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Umweltmedium besonders wichtig sei.175 Demgegenüber steht dem Antragsteller bei der integrierten Vorhabengenehmigung nur noch die Zulassungsbehörde als Ansprechpartner gegenüber. Er braucht nur noch einmal Antragsunterlagen einzureichen und zu erstellen. Für den weiteren Ablauf des Verfahrens gilt ein einziges Verfahrensregime.176 Ver___________ tegrierten Vorhabengenehmigung auch Bohne, EurUP 2006, 276, 289. Kritisch, weil zu wenig umweltrechtliche Zulassungen einbezogen werden, Schrader, ZRP 2008, 60, 61. 171 Siehe dazu Calliess, in: FS für Eckard Rehbinder, 2007, S. 143, 157; Horst Meierhofer, Ist ein Umweltgesetzbuch sinnvoll?, abrufbar über http://www.bmu.de/files/ pdfs/allgemein/application/pdf/schriftenreihe_ugb2_meierhofer.pdf. 172 Siehe die Stellungnahme der Deutschen Industrie zu den Arbeitsentwürfen des Umweltgesetzbuchs, BDI vom 20.8.2007; s. auch Munk, WuA 2007, 40, 41 sowie zu diesem Einwand Gönner (Fn. 137), S. 8. 173 Wirtz (Fn.137 ), S. 11 mit Hinweisen auf S. 18 f. zur Rechtslage vor der Koordinierungsregel. 174 Siehe dazu Calliess (Fn. 58), S. 65; Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 511; Wirtz (Fn. 137), S. 19. 175 Siehe dazu Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 511; Wirtz (Fn. 137), S. 21. 176 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 17.

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fahrensschritte, die bislang sowohl für die immissionsschutzrechtliche als auch wasserrechtliche Entscheidung – etwa ein Erörterungstermin – erforderlich waren, sind künftig nur noch einmal durchzuführen.177 Weil nur noch eine Zulassungsentscheidung ergeht, verringert sich die Zahl der Gerichtsverfahren.178 Neben den positiven Auswirkungen auf den Vorhabenträger führt die integrierte Vorhabengenehmigung zu Vereinfachungen für die Behörden. Doppel- und Mehrfachprüfungen entfallen. Des Weiteren vereinfache sich künftig der behördliche Prüf- und Abstimmungsprozess.179 Durch die Aufstellung einheitlicher Zulassungsanforderungen für die Genehmigung soll diese nicht nur formal aus einer Hand ergehen, sondern auch inhaltlich eine Entscheidung aus einem Guss bilden. Insgesamt geht man davon aus, dass behördliche Entscheidungen nach einem im Kern einheitlichen Prüf- und Entscheidungsprogramm transparenter und nachvollziehbarer sind als bei Beibehaltung eines parallelen Rechtsregimes.180 Da die wasserrechtliche Planfeststellung schon heute eine sehr weitgehende Konzentrationswirkung zeitigt, drängt sich die Frage auf, ob bei den Gewässerausbauten die mit den Schlagworten „eine Behörde, ein Verfahren und eine Entscheidung“ umschriebene Vorhabengenehmigung wirklich eine so gravierende Neuerung ist. Letztlich wird man dies wohl bejahen müssen. Denn – wie noch zu zeigen ist – werden bei der zurzeit in Erwägung gezogenen Vorhabengenehmigung sowohl die verfahrensrechtlichen als auch materiell-rechtlichen Anforderungen an Kontrollerlaubnisse und planerische Entscheidungen soweit wie möglich auf einen gemeinsamen Nenner gebracht.181 Indem die planerische Vorhabengenehmigung eine besondere Variante der Vorhabengenehmigung darstellt, muss man sich wohl von dem vorherrschenden Verständnis der Planungsentscheidungen als aliud gegenüber den Kontrollerlaubnissen verabschieden.182 Künftig sollen für die Zulassung bisher planfeststellungsbedürftiger Vorhaben grundsätzlich die gleichen Regeln gelten wie auch sonst bei der integrierten Vorhabengenehmigung.183 ___________ 177

Siehe dazu MdB Meierhofer (Fn. 171). Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 17. 179 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 17; Wirtz (Fn. 137), S. 10. 180 Lottermoser, UPR 2007, 401, 406. 181 Diederichsen (Fn. 169), S. 371 f.; Gönner (Fn. 137), S. 9; Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 66; s. auch Bohne (Fn. 170), S. 111; Scholten, DÖV 1997, 701, 702. 182 Siehe zur Unterscheidung zwischen Planung und Kontrollerlaubnis Hoppe/ Schlarmann (Fn. 96), S. 180 ff.; Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 72 f.; Schlarmann, in: FS für Hoppe, 2000, S. 837, 843 f.; Sellner, in: Rengeling, Integrierter und betrieblicher Umweltschutz, 1996, S. 79, 87 f.; für eine Überwindung dieser Differenzierung Bohne (Fn. 170), S. 114 ff. 183 Rede der Staatssekretärin Klug (Fn. 6). 178

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3. Gewässerausbauten als iVG-pflichtige Vorhaben Gemäß § 47 RE-UGB I dient die integrierte Vorhabengenehmigung dem Zweck, einheitlich und umfassend über die Zulassung eines Vorhabens zu entscheiden. Unter Vorhaben im Sinne dieser Bestimmung fallen nach § 48 Nr. 1 lit. c RE-UGB I prinzipiell die Herstellung, Beseitigung oder wesentliche Umgestaltung eines Gewässers einschließlich seiner Ufer (Gewässerausbau) sowie von Deichen und Dämmen, die den Hochwasserabfluss beeinflussen (Deichund Dammbauten). Gemäß § 75 Abs. 1 RE-UGB I ist eine Genehmigung entbehrlich, wenn ein Gewässer nur für einen begrenzten Zeitraum entsteht und der Wasserhaushalt dadurch nicht erheblich beeinträchtigt wird. Der Referentenentwurf greift insoweit die bisherige Rechtslage auf. Eine geringfügige Modifizierung könnte möglicherweise daraus resultieren, dass in § 31 Abs. 2 S. 3 WHG das Entfallen der Planfeststellung von keinen erheblichen „nachteiligen“ Veränderungen des Wasserhaushalts abhängig gemacht wird, bei § 75 Abs. 1 RE UGB I jedoch nur auf nicht erhebliche Beeinträchtigungen abgestellt wird. Da § 48 RE-UGB I nur Begriffsbestimmungen enthält, ergibt sich erst aus § 49 RE-UGB I, welche dieser Vorhaben iVG-pflichtig sind. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 RE-UGB I bedürfen Vorhaben einer integrierten Vorhabengenehmigung, die aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes erhebliche Umweltauswirkungen haben können und für die deshalb die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder Vorprüfung des Einzelfalls vorgeschrieben ist. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass bei Vorhaben, bei denen eine Umweltverträglichkeitsprüfung oder eine UVP-Vorprüfung erforderlich ist, ein angemessenes Trägerverfahren vorhanden ist.184 Weiterhin ist eine Genehmigung einzuholen für Vorhaben, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umweltveränderungen oder sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder Nachbarschaft hervorzurufen (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 RE-UGB I). Der Begriff der „Umweltveränderungen“ ist nunmehr medienübergreifend konzipiert.185 Nach der Legaldefinition des § 4 Nr. 2 RE-UGB I versteht man darunter Gewässerveränderungen, auf Mensch oder Umwelt einwirkende Luft- und Bodenveränderungen sowie Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Einwirkungen auf Mensch oder Umwelt, wobei die „Schädlichkeit“ in § 4 Nr. 6 RE-UGB I erläutert wird. Bei Gewässerausbauten stehen hauptsächlich die sog. „Gewässerveränderungen“ im Mittelpunkt, die § 4 Nr. 4 RE-UGB I als Veränderungen von Gewässereigenschaften umschreibt. Damit sind die auf die Wasserbeschaf___________ 184 185

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 100. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 64.

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fenheit, die Wassermenge und die Hydromorphologie bezogenen Eigenschaften von Gewässern und Gewässerteilen gemeint (§ 3 Nr. 5 RE-UGB II). „Schädliche Gewässerveränderungen“ liegen nach § 3 Nr. 8 RE-UGB II bei Veränderungen von Gewässereigenschaften vor, die das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die öffentliche Wasserversorgung, beeinträchtigen oder nicht den Anforderungen aus dem UGB, auf dessen Grundlage erlassener oder sonstiger wasserrechtlicher Vorschriften entsprechen.186 Aus kompetenzrechtlichen Gründen187 darf nach § 49 Abs. 1 S. 2 RE-UGB I bei Vorhaben,188 die „nicht gewerblichen Zwecken dienen“ und „nicht im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden“, eine integrierte Vorhabengenehmigung nur vorgeschrieben werden, wenn diese Vorhaben in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umweltveränderungen durch Luft-, Gewässer- oder Bodenveränderungen oder Geräusche hervorzurufen. Es obliegt der Bundesregierung, die iVG-pflichtigen Vorhaben in einer Rechtsverordnung mit konstitutiver Wirkung189 festzulegen (§ 49 Abs. 3 RE-UGB I). Vergleicht man die bisherige mit der geplanten Rechtslage, stimmen die Vorhaben, welche einer besonderen behördlichen Vorabkontrolle unterliegen, weitestgehend mit denen des § 31 Abs. 2 WHG überein.190 Zusätzlich wird die Genehmigungspflicht jedoch in Zusammenhang mit einer UVP-Prüfung bzw. der Auslösung schädlicher Umweltveränderungen gebracht. Dies geht auf die Erwägung zurück, dass die integrierte Vorhabengenehmigung die zentrale Umweltgenehmigung für alle Vorhaben mit einem besonderen Gefährdungspotenzial sein soll.191 Da bislang schon für UVP-pflichtige und nicht UVPpflichtige Ausbauvorhaben eine Zulassungsentscheidung benötigt wird, dürfte es nur geringfügige Unterschiede im Bereich derjenigen Ausbauvorhaben geben, bei denen ein aufwändigeres Zulassungsverfahren zu durchlaufen ist. Die zusätzlichen Merkmale nach dem Referentenentwurf führen im Ergebnis nicht zu einer Verlängerung des Prüfverfahrens oder damit zusammenhängenden Unsicherheiten. Denn in der Vorhaben-Verordnung der Bundesregierung wird der Kreis der iVG-pflichtigen Vorhaben konstitutiv umschrieben werden.192 Es genügt also im Grunde ein Blick in diese Verordnung, um festzustellen, ob für

___________ 186 187 188 189 190 191 192

Siehe dazu näher Erläuterung UGB II (Fn. 11), S. 12. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 101. Im Sinne des § 49 Abs. 1 S. 1 RE-UGB I. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 102. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 99, 136. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 27. Siehe zur konstitutiven Wirkung Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 102.

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das jeweilige Vorhaben eine integrierte Vorhabengenehmigung einzuholen ist.193 Wie bereits erwähnt, soll das komplizierte wasserrechtliche Zulassungsinstrumentarium vereinfacht werden.194 Deswegen wird an die Stelle der in § 31 WHG vorgesehenen Planfeststellung und Plangenehmigung künftig die integrierte Vorhabengenehmigung als Zulassungsform treten.195 Nach dem gegenwärtigen Referentenentwurf wird es die integrierte Vorhabengenehmigung in zwei Varianten geben. Gemäß § 50 Abs. 1 RE-UGB I ist sie entweder als Genehmigung oder als planerische Genehmigung zu erteilen. Die Genehmigung ist für standortbezogene Vorhaben vorgesehen, bei welchen die Minimierung negativer Umweltveränderungen durch technische Vorkehrungen im Vordergrund steht. Dies trifft insbesondere auf solche Maßnahmen zu, die bislang nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtig sind, teilweise auch für wasserrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen nach §§ 7, 8 WHG.196 Bei dieser Genehmigungsart steht dem Antragsteller nach § 54 Abs. 1 RE-UGB I ein Anspruch auf Zulassung seines Vorhabens zu, wenn es den materiellen Vorgaben entspricht. Lediglich wenn das Vorhaben eine Gewässerbenutzung ist oder eine Gewässerbenutzung Teil des Vorhabens ist, steht die Erteilung der Genehmigung insoweit – also hinsichtlich der Gewässerbenutzung – im pflichtgemäßen Ermessen der Genehmigungsbehörde. Aus verfassungsrechtlichen Gründen wird also in wasserrechtlicher Hinsicht am so genannten Bewirtschaftungsermessen festgehalten.197 Die planerische Genehmigung wird dagegen für bestimmte raumbedeutsame Vorhaben zur Verfügung gestellt, die mit erheblichen Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind, und bei denen eine planerische Abwägung erforderlich ist, die gegebenenfalls auf einen Ausgleich der verschiedenen Interessen hinwirkt und im Zuge derer bestimmte entgegenstehende Interessen überwunden werden können, wenn ausreichend gewichtige Belange für das Vorha___________ 193 Siehe dazu die in Ziffer 13 des Entwurfs der Verordnung über Vorhaben nach dem Umweltgesetzbuch aufgezählten wasserwirtschaftlichen Vorhaben mit Benutzung oder Ausbau eines Gewässers, abzurufen über http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/ application/pdf/ugb_vorhabenverordnung.pdf. 194 Erläuterung UGB II (Fn. 11), S. 17. 195 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 30: Die planerische Genehmigung wird die bisherigen Planfeststellungen und Plangenehmigungen nach dem WHG ablösen. 196 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 29 f.; s. auch Jarass, ZfU 2006, 1, 12. 197 Siehe zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines wasserrechtlichen Bewirtschaftungsermessens BVerfG 58, 300, 346 f.; s. zu den Erwägungen, ob und wie man das Bewirtschaftungsermessen mit der Rechtsfigur der integrierten Vorhabengenehmigung in Einklang bringen kann, Kahl/Diederichsen, NVwZ 2006, 1107 ff.; Knopp, in: Reinhardt, Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 37, 46 f.; Munk, WuA 2007, 40 ff.; Reinhardt (Fn. 142), S. 18 ff.; Smeddinck, EurUP 2007, 202, 205.

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ben sprechen.198 Gemäß § 50 Abs. 3 Nr. 3 RE-UGB I ist für Gewässerausbauten sowie Deich- und Dammbauten eine planerische Genehmigung erforderlich. Damit sind auch nach dem künftigen Recht bei derartigen Vorhaben die für und gegen sie sprechenden öffentlichen und privaten Belange zu ermitteln, zu bewerten sowie gegeneinander und untereinander abzuwägen (§ 63 S. 2 REUGB I). Demnach wird also bei der wasserrechtlichen Planung weiterhin an den traditionsreichen Entscheidungsstrukturen der Planfeststellung festgehalten.199 Nach dem Willen der Entwurfsverfasser stellt die planerische Genehmigung aber nicht mehr wie bisher ein eigenständiges Zulassungsinstrument dar. Wegen der noch aufzuzeigenden Gemeinsamkeiten wird sie vielmehr als Sonderfall der „normalen“ Genehmigung ausgestaltet und baut deshalb auf den für sie geltenden Vorschriften auf.200 4. Zur Integrationswirkung der geplanten Vorhabengenehmigung Es gibt verschiedene Vorstellungen, wie die Integrationswirkung einer Vorhabengenehmigung aussehen soll. Teilweise finden sich Stimmen, wonach die Genehmigung auf der Grundlage einer Zusammenschau der inhaltlich unverändert zu übernehmenden Zulassungstatbestände insbesondere des Immissionsschutz- und Wasserrechts erfolgen soll.201 Andere befürworten demgegenüber die Schaffung eines neuen übergreifenden Genehmigungstatbestands.202 Diese Linie verfolgt der Referentenentwurf. Die Genehmigungsanforderungen für die Erteilung einer Vorhabengenehmigung sollen in einem zentralen Umweltgenehmigungstatbestand zusammengefasst werden, der die bisherigen fachrechtlichen Zulassungstatbestände ablösen soll.203 Durch die Begriffswahl der „integrierten“ Genehmigung soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die neue Gestattungsform eine materiell-rechtliche Vereinheitlichung des Zulassungsrechts einschließt.204 Mit dieser Neuerung geht eine verbesserte Integrationsleistung einher. Ein einheitliches Prüf- und Entscheidungsprogramm soll zu einer frühzeitigen ganzheitlichen Betrachtung der mit einem Vorhaben verbundenen Auswirkungen auf alle Umweltschutzgüter samt der Wechselwirkungen ___________ 198 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 30, 103; s. auch Jarass, ZfU 2006, 1, 12; Sellner (Fn. 146), S. 95 f. 199 Siehe dazu Stüer, DVBl 2007, 1544, 1545. 200 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 36. 201 Munk, WuA 2007, 40, 42; s. dazu Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 510. 202 Siehe dazu Sangenstedt, ZUR 2007, 505, 510; s. auch Diederichsen (Fn. 169), S. 371. 203 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 30. 204 Siehe dazu Bohne (Fn. 170), S. 110 f.; s. auch Diederichsen (Fn. 169), S. 371; Gönner (Fn. 137), S. 9; Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 66.

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zwischen ihnen beitragen.205 Angesichts dessen, dass die Bewertung des integrierten Umweltschutzes eine sehr komplexe und schwierige Aufgabe ist, soll diese künftig nur noch einer Behörde verantwortlich zugeschrieben werden.206 Zugleich geht mit dieser Konzeption eine Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften für die Vorhabengenehmigung einher.207 5. Die voraussichtlichen materiellen Anforderungen an Gewässerausbauten Nach § 63 RE-UGB I darf die planerische Vorhabengenehmigung nur erteilt werden, wenn die in § 54 Abs. 1 RE-UGB I genannten Voraussetzungen vorliegen. Weil nach § 62 RE-UGB I ohnehin die Vorschriften des zweiten Abschnitts des Kapitels über die Vorhabengenehmigung für die planerische Genehmigung entsprechend gelten, kann man sich fragen, warum nochmals explizit auf den allgemeinen Zulassungstatbestand verwiesen wird. Der Grund dürfte wohl darin liegen, dass nur auf § 54 Abs. 1 RE-UGB I verwiesen wird und abweichend von § 54 RE-UGB I der dort vorgesehene Zulassungsanspruch „abbedungen“ wird. Da der Zulassungstatbestand des § 63 RE-UGB I nach den Erläuterungen des Referentenentwurfs als „abschließende Spezialregelung“ für planerische Vorhaben ausgestaltet ist, ist keine entsprechende Anwendung des § 54 RE-UGB I nach Maßgabe des § 62 RE-UGB I nötig.208 Indem sich aufgrund der Verweisung die Anforderungen an die planerische Vorhabengenehmigung aus § 54 Abs. 1 RE-UGB I ergeben, wird der Genehmigungstatbestand deutlich an das bisherige Modell der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung angenähert.209 a) Einführung von Grundpflichten für genehmigungsbedürftige Vorhaben Zunächst muss sichergestellt sein, dass die Pflichten erfüllt werden, die sich aus § 52 RE-UGB I und der aufgrund des § 53 Abs. 1 RE-UGB I erlassenen Rechtsverordnung ergeben. Aus wasserrechtlicher Perspektive handelt es sich hierbei um eine grundlegende Neuerung.210 Denn nunmehr werden die iVGpflichtigen wasserwirtschaftlichen Vorhaben in das bislang lediglich im Immis___________ 205

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 30 f.; s. auch Gönner (Fn. 137), S. 9. Wirtz (Fn. 137), S. 21. 207 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 31. 208 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 117. 209 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 108; s. auch Gönner (Fn. 137), S. 9. 210 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 104; Berendes (Fn. 14), S. 4; s. zur Neuartigkeit gegenüber dem Planfeststellungsrecht Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 122. 206

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sionsschutzrecht geltende Grundpflichtenmodell einbezogen. Gewässerausbauten können gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 RE-UGB I nur noch gestattet werden, wenn sichergestellt ist, dass die Herstellung, Beseitigung oder wesentliche Umgestaltung eines Gewässers211 keine schädlichen Umweltveränderungen sowie sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft hervorrufen kann. Bei den Gewässerausbauten wird vor allem zu prüfen sein, ob damit nicht schädliche Gewässerveränderungen einhergehen. Ein Gewässerausbau muss demzufolge bei Veränderungen von Gewässereigenschaften unterbleiben, die das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die öffentliche Wasserversorgung, beeinträchtigen oder nicht den Anforderungen entsprechen, die sich aus dem Umweltgesetzbuch, aus aufgrund dieses Gesetzbuches erlassenen Rechtsvorschriften oder aus sonstigen wasserrechtlichen Normen ergeben (§ 3 Nr. 8 RE-UGB II). Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage besteht insoweit, als nach dem Planungsleitsatz des § 31 Abs. 5 S. 3 WHG ein das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigender Gewässerausbau zu unterbleiben hat. Durch die Verweisung auf weitere entgegenstehende Rechtssätze ist eine ganze Reihe von Rechtsvorschriften aus dem UGB II in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.212 Während bislang nur vorgegeben wird, dass ein gemeinwohlschädliches Ausbauvorhaben nicht zugelassen werden darf, heißt es nunmehr, dass es keine sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteile und erheblichen Belästigungen verursachen darf. Im Rahmen der Erläuterung zu § 75 RE-UGB I wird der Fortfall des bisher in § 31 Abs. 5 S. 1 WHG vorgesehenen Erfordernisses, dass sonstige erhebliche nachteilige Veränderungen des natürlichen oder naturnahen Zustands des Gewässers zu vermeiden oder, soweit dies nicht möglich ist, auszugleichen sind, damit begründet, dass sich dies im Wesentlichen bereits aus der Grundpflicht des § 52 Abs. 1 Nr. 1 RE-UGB I ergebe.213 Im Unterschied zu Nummer 1 setzt die in § 52 Abs. 1 Nr. 2 RE-UGB I enthaltene Grundpflicht unterhalb der Gefahrenschwelle ein.214 Das Vorhaben kann nur gestattet werden, wenn Vorsorge gegen schädliche Umweltveränderungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, indem insbesondere Maßnahmen ergriffen werden, die dem „Stand der Technik“ entsprechen. Der Vorsorgegrundsatz wird wiederum ___________ 211 So die Interpretation des Terminus „Durchführung“ nach der Erläuterung des UGB I (Fn. 121), S. 105. 212 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 106 erwähnt die §§ 24 Abs. 1, 2, 25, 26, 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 28 S. 1, 37 Abs. 1, 2, 40 Abs. 1, 2, 49 Abs. 1 Nr. 2, 50 Abs. 2 Nr. 2, 51 Abs. 1 S. 2 RE-UGB II. 213 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 136. 214 Siehe dazu Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 40. Erg.-Lfg. Mai 2003, § 5 Rn. 36; Jarass, BImSchG, 7. Aufl. 2007, § 5 Rn. 46; Kotulla, in: ders., BImSchG, Erg.-Lfg. Januar 2004, § 5 Rn. 63 f.

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in diversen Vorschriften der UGB-Bücher konkretisiert. Als Beispiele für spezielle wasserrechtliche Ausprägungen werden in der Begründung des Referentenentwurfs §§ 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2, S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1, 50 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 54 Abs. 2, 62 Abs. 1 Nr. 2-9 UGB II angegeben.215 Angesichts der Anknüpfung an die bestehende Rechtslage im Immissionsschutzrecht wird die Vorsorgepflicht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt.216 Die Grundpflicht des § 52 Abs. 1 Nr. 3 RE-UGB I betrifft die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen. Aus dem letzten Halbsatz dieser Ziffer folgt, dass die Einleitung von Abwasser in ein Gewässer und in Abwasseranlagen nicht dieser Regelung, sondern der Schutz- und Vorsorgepflicht nach Nr. 1 und Nr. 2 unterliegt. Mit § 52 Abs. 1 Nr. 4 RE-UGB I wird eine spezifisch auf den Wasserhaushalt bezogene Grundpflicht normiert. Die Regelung baut auf § 1a Abs. 2 Altern. 2 WHG auf und verlangt eine mit Rücksicht auf den Wasserhaushalt gebotene sparsame Wasserverwendung.217 § 52 Abs. 1 Nr. 5 RE-UGB I knüpft an § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BImSchG an. Danach sind die Vorhaben so durchzuführen, dass Energie sparsam und effizient verwendet, insbesondere die entstehende Wärme in eigenen oder fremden Anlagen genutzt wird. Nach der Grundpflicht des § 52 Abs. 2 RE-UGB I sind schädliche Umweltveränderungen auch nach Einstellung des Vorhabens zu vermeiden. Die Erstreckung der Grundpflichten auf bislang planfeststellungspflichtige Vorhaben führt im Ergebnis dazu, dass die zuständige Behörde vermehrt materielle Anforderungen bei ihrer Genehmigungsentscheidung zu beachten hat. Auch wenn der Grundpflichtenkatalog des § 52 RE-UGB I auf den ersten Blick übersichtlich erscheint, ist wegen seiner Konkretisierung durch eine Vielzahl anderer Normen letztlich ein Sammelsurium an Rechtsvorschriften maßgeblich.218 Für Außenstehende wird es dadurch eher schwierig, die Rechtslage zu durchschauen. So lässt sich die Begrenzung der Vorsorgepflicht durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht direkt dem Gesetzestext entnehmen. Auch wird nicht jeder die Differenzierung zwischen den sog. Grundpflichten und den sonstigen, in § 54 Abs. 1 RE-UGB I genannten Genehmigungsvoraussetzungen durchschauen. In Anlehnung an das bisherige Immissionsschutzrecht unterscheiden sich die Grundpflichten von den anderen, ebenfalls für die Vorha___________ 215

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 106. So Jarass (Fn. 214), § 5 Rn. 60 ff.; Kotulla (Fn. 215), § 5 Rn. 76. 217 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 32. 218 Siehe zu den Gründen für die Einführung allgemeiner Grundpflichten neben speziellen Konkretisierungen Sellner (Fn. 152), S. 97 ff.; kritisch Fluck, in: Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse für die Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 125, 128; Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1467; s. zu den Schwierigkeiten bei der Ermittlung der einschlägigen Normen Hansmann, in: Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 115, 120. 216

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benszulassung bedeutsamen Vorschriften dadurch, dass sie zugleich unmittelbar für den Vorhabenträger geltende Rechtspflichten enthalten,219 die der Adressat unmittelbar, d. h. grundsätzlich ohne weitere behördliche Anordnung, während der Betriebsphase und noch über die Betriebseinstellung hinaus zu beachten hat.220 Allerdings wird diese Sichtweise sogleich wieder durchbrochen, weil es Grundpflichten geben soll, die wegen zwingender Sachgesetzlichkeiten auf Konkretisierungen angewiesen sind.221 Im UGB-KomE aus dem Jahre 1998 wurde die Erstreckung der Grundpflichten auf alle Vorhaben mit ihrer Bewährung im Immissionsschutzrecht begründet. Sie würden einen „dynamischen“ Umweltschutz ermöglichen. Es könne „insgesamt gesehen kein Zweifel bestehen, daß vor allem die Gefahrenabwehr und die Risikovorsorge allgemeingültige Ziele sind, die für alle umweltbedeutsamen Vorhaben gelten.“222 In der jetzigen Begründung des Referentenentwurfs heißt es, dass es durch die Inbezugnahme des § 54 Abs. 1 RE-UGB I zu einer Gleichstellung der materiellen Vorhabensanforderungen komme, deren Ziel es sei, „im Rahmen der Harmonisierung des Zulassungsrechts durch einheitliche Bindung der integrierten Vorhabengenehmigung an bestimmte Anforderungen ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt sicherzustellen.“223 b) Vereinbarkeit mit anderen gesetzlichen Vorschriften Nach § 63 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 RE-UGB I wird die Vorhabenszulassung des Weiteren von der Sicherstellung abhängig gemacht, dass andere Anforderungen dieses Gesetzbuchs sowie sonstige umweltrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen, insbesondere nach Maßgabe des UGB III Eingriffe in Natur und Landschaft vermieden, ausgeglichen, ersetzt oder in sonstiger Weise kompensiert werden. Im Rahmen dieses Merkmals sind also insbesondere diejenigen rechtlichen Vorgaben zu prüfen, die keine Grundpflichten sind.224 Darunter fallen unter anderem Vorgaben, die sich nicht unmittelbar an den Vorhabenträger, sondern primär an die Behörden wenden. Als Beispiele für derartige wasserrechtliche Vorschriften wird in der Begründung etwa auf die Vorschriften ___________ 219 Siehe dazu Jarass (Fn. 214), § 5 Rn. 1; Kotulla (Fn. 215), § 5 Rn. 2; Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 25; Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1468. 220 Jarass (Fn. 215), § 5 Rn. 1; Kotulla (Fn. 215), § 5 Rn. 1. 221 Kotulla (Fn. 215), § 5 Rn. 1; s. auch Dietlein (Fn. 215), § 5 Rn. 9 f.; Jarass (Fn. 215), § 5 Rn. 1. 222 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), UGB-KomE 1998, S. 625; s. zur Dynamik der Grundpflichten auch Kotulla (Fn. 215), § 5 Rn. 6 f.; Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 27. 223 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 117. 224 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 109.

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über die Bewirtschaftungsziele (§§ 19, 36, 39 RE-UGB II) und die allgemeine Sorgfaltspflicht des § 5 RE-UGB II verwiesen.225 Auch wenn künftig nicht mehr wie bisher in § 31 Abs. 1 S. 3, 4 WHG angeordnet wird, dass bei Gewässerausbauten die Bewirtschaftungsziele zu erreichen und die Anforderungen des Maßnahmenprogramms einzuhalten sind, hat die entscheidende Behörde diese aufgrund § 54 Abs. 1 Nr. 2 RE-UGB I zu beachten.226 Weiterhin soll das dem bisherigen § 31 Abs. 1 S. 1 WHG wortgleich korrespondierende Erhaltungs- und Renaturierungsgebot in § 6 Abs. 2 RE-UGB II bei der Erteilung planerischer Genehmigungen für Gewässerausbauten im Rahmen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 RE-UGB I zu beachten sein.227 Da das Erhaltungs- und Renaturierungsgebot aber bislang als Abwägungsdirektive eingestuft wird und keine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage intendiert ist, sprechen gute Argumente dafür, diese Vorschrift weiterhin der Abwägung zuzuordnen. Als andere aus dem UGB I für Gewässerausbauten relevante Vorschrift ist § 75 Abs. 2 RE-UGB II zu erwähnen, der eine besondere Vorschrift für Gewässerausbauten, Deich- und Dammbauten enthält. Vorbehaltlich der Anforderungen des § 63 RE-UGB I darf für derartige Vorhaben eine planerische Genehmigung nur erteilt werden, wenn nicht vermeidbare Beeinträchtigungen natürlicher Rückhalteflächen, des natürlichen Abflussverhaltens oder naturraumtypischer Lebensgemeinschaften ausgeglichen werden. Ausweislich der Entwurfserläuterung soll diese Regelung die Vorgaben des § 31 Abs. 5 S. 1 und 3 WHG in gestraffter Form zusammenführen.228 Diese Erklärung ist auf den ersten Blick erstaunlich, da bislang § 31 Abs. 5 S. 1 WHG als Abwägungsdirektive, Satz 3 dagegen als Planungsleitsatz eingestuft wurde. Die im Referentenentwurf angenommene Gemeinsamkeit basiert wohl darauf, dass beide Normen einen Bezug zur Ausgleichung bestimmter Phänomene enthalten. Nach dem Wortlaut des § 75 Abs. 2 RE-UGB I handelt es sich um eine strikt verbindliche Regelung. Soweit unvermeidbare Beeinträchtigungen natürlicher Rückhalteflächen, des natürlichen Abflussverhaltens oder naturraumtypischer Lebensgemeinschaften nicht ausgeglichen werden, darf der Gewässerausbau nicht zugelassen werden. Durch die Verwendung des Begriffspaars „nicht vermeidbare“ wird im Vergleich zur bisherigen Rechtslage weniger deutlich ausgedrückt, dass vor einem Ausgleich stets zu prüfen ist, ob sich die genannten Effekte nicht vermeiden lassen. Während sich § 54 Abs. 1 Nr. 2 RE-UGB I auf Regelungen aus dem Umweltgesetzbuch bzw. mit umweltrechtlichem Gehalt bezieht, dürfen nach § 54 ___________ 225 226 227 228

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 109. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 135. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 135. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 136.

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Abs. 1 Nr. 3 RE-UGB I dem Vorhaben keine anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes entgegenstehen. Weil die Vorhabengenehmigung andere Zulassungsentscheidungen einschließt, muss die zuständige Behörde die für diese Zulassungen geltenden materiell-rechtlichen Vorschriften, etwa aus dem Baurecht, prüfen.229 Da bei der Aufstellung eines Bebauungsplans umweltrechtliche Vorgaben durchaus eine Rolle spielen, kann die Abgrenzung zwischen § 54 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 RE-UGB I unter Umständen Schwierigkeiten bereiten.230 Insgesamt dürfte es sich hier jedoch um ein eher theoretisches Problem handeln, da der Prüfungsmaßstab, das NichtEntgegenstehen anderer Regelungen, bei § 54 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 RE-UGB I gleich ist. Aus dem Konnex der anderen Rechtsvorschriften zu dem jeweiligen Vorhaben folgt, dass personenbezogene Regelungen anderer Rechtsgebiete nicht zu berücksichtigen sind.231 Da die Rechtsprechung bei der Planfeststellung immer nur von einer formellen und keiner materiellen Konzentrationswirkung ausgegangen ist, war im Rahmen der Zulassungsentscheidung schon bislang zu prüfen, ob das Vorhaben den Anforderungen anderer gesetzlicher Vorschriften entspricht. c) Die planerische Abwägung Gemäß § 63 S. 2 RE-UGB I dürfen dem Vorhaben keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Belange entgegenstehen. Ausweislich des Normtexts sind diese Belange umfassend zu ermitteln, zu bewerten sowie gegeneinander und untereinander abzuwägen. Dem liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass die Vorhaben, für welche eine planerische Vorhabengenehmigung benötigt wird, raumbedeutsamer Art sind und sich bei ihnen die zu erwartenden Zielkonflikte mit öffentlichen und privaten Auswirkungen regelmäßig nur im Wege der Planung bewältigen lassen.232 In Anlehnung an das bisherige Fachplanungsrecht unterscheidet sich die planerische Vorhabengenehmigung von der „gewöhnlichen“ Vorhabengenehmigung durch ihre Abwägungsstruktur.233 Wie bisher wird also über die Zulassung von Gewässerausbauten, Deich- und Dammbauten auch künftig im Wege der Abwägung entschieden. Durch die Abwägungsklausel in § 63 S. 2 RE-UGB I wird der Genehmigungsbehörde für die anstehende Entscheidung explizit ein Planungsermessen bzw. die planerische Ge___________ 229

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 33; s. auch UGB-KomE (Fn. 223), S. 629; Sellner (Fn. 152), S. 95, 105. 230 Siehe zu den Zuordnungsschwierigkeiten beim geltenden Immissionsschutzrecht Dietlein (Fn. 215), § 6 Rn. 16. 231 Jarass (Fn. 214), § 6 Rn. 10; Kotulla (Fn. 215), § 6 Rn. 16. 232 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 116 f. 233 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 116.

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staltungsfreiheit eingeräumt.234 Aus § 4 Abs. 3 Nr. 2 RE-UGB II ergibt sich, dass das Grundeigentum nicht zum Ausbau eines oberirdischen Gewässers berechtigt. Nach der Entwurfsbegründung sind keine Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage beabsichtigt, da mit § 63 S. 2 RE-UGB I „im Wesentlichen die zur Abwägung im Fachplanungsrecht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze aufgenommen“ werden. Während mit dem ersten Halbsatz die Anforderungen an das Abwägungsergebnis beschrieben werden, betrifft der zweite Halbsatz die Anforderungen an den Abwägungsvorgang.235 Bei Letzterem werden drei Schritte unterschieden und zwar die ordnungsgemäße Einstellung, Gewichtung und Ausgleichung der Belange.236 Eine gewisse Verschärfung der Anforderungen könnte daraus resultieren, dass nach dem zurzeit erwogenen Gesetzesvorschlag die Belange „umfassend“ zu ermitteln sind. Nach bisheriger Rechtsprechung können jedoch bei der Abwägung alle betroffenen Interessen außen vor bleiben, die objektiv geringwertig,237 nicht schutzwürdig238 oder für die planende Stelle nicht erkennbar sind.239 Dem liegen Praktikabilitätserwägungen und wohl die Erkenntnis zugrunde, dass diesen Belangen für das Abwägungsergebnis keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Insoweit sollte die Ausformulierung des zweiten Halbsatzes noch einmal überdacht werden. Was das Abwägungsergebnis anbetrifft, darf die planerische Genehmigung nur erteilt werden, wenn dem Vorhaben auch unter Einschluss möglicher Ausgleichs- und Schutzvorkehrungen nach Einschätzung der Genehmigungsbehörde keine überwiegenden öffentlichen und privaten Belange entgegenstehen. Die Genehmigungsbehörde verfügt somit über eine entsprechende Gestaltungsfreiheit, die lediglich auf das Vorliegen bestimmter Abwägungsfehler überprüft werden kann.240 Vergleicht man die beabsichtigte Gesetzesformulierung mit den üblichen Abwägungsregelungen in den Fachplanungsgesetzen, wird ein davon abweichender Wortlaut verwendet. Regelmäßig wird in den Fachplanungsgesetzen davon gesprochen, dass bei der Planfeststellung die von dem ___________ 234

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 117. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 117 f. 236 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 118. 237 BVerwGE 59, 87, 102; 90, 96, 101; s. dazu Kopp/Ramsauer Rn. 61; Wahl, in: Hansmann/Sellner, Grundzüge des Umweltrechts, Kap. 4 Rn. 86; Ziekow (Fn. 18), Rn. 662. 238 BVerwGE 59, 87, 102; 90, 96, 101; s. dazu Kopp/Ramsauer Rn. 61; Wahl (Fn. 238), Kap. 4 Rn. 86; Ziekow (Fn. 18), Rn. 663. 239 BVerwGE 59, 87, 102; 90, 96, 101; s. dazu Kopp/Ramsauer Rn. 61; Wahl (Fn. 238), Kap. 4 Rn. 86; Ziekow (Fn. 18), Rn. 662. 240 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 118. 235

(Fn. 18), § 74 3. Aufl. 2007, (Fn. 18), § 74 (Fn. 18), § 74

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Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange in der Abwägung zu berücksichtigen sind.241 Erste Äußerungen im Schrifttum entnehmen der anders formulierten Abwägungsklausel die Wertung, dass den Vorhaben, die der planerischen Genehmigung unterfallen, grundsätzlich zur Durchsetzung verholfen werden soll.242 Soweit nicht nachweislich andere Belange überwiegen, geht die Abwägung bei einer „Pattsituation“ zugunsten des Vorhabens aus.243 Insoweit bleibt ebenfalls abzuwarten, ob diese Regelung im Gesetzgebungsverfahren beibehalten wird. Da andere, als die der planerischen Vorhabengenehmigung unterfallenden Planungsentscheidungen nach wie vor dem bewährten Abwägungsregime unterfallen, ist kritisch zu hinterfragen, ob es wirklich eines derartigen Sonderwegs bedarf. Als Argument dafür ließe sich möglicherweise anführen, dass im UGB die materiellen Anforderungen an die Zulassung planerischer Vorhaben verschärft werden und man deshalb zumindest bei der Abwägung die Position des Vorhabenträgers etwas verbessern will. Letztlich handelt es sich bei der konkreten Ausgestaltung um eine politische Entscheidung. Nach der Begründung des Referentenentwurfs soll durch die spezielle Regelung zur Abwägung nichts an den ergänzenden rechtlichen Bindungen geändert werden, wie sie sich aus den in langjähriger Praxis entwickelten allgemeinen Grundsätzen für planerische Entscheidungen ergeben. Es sollen daher insbesondere die Grundsätze zur Planrechtfertigung, zur planerischen Gestaltungsfreiheit, zum Gebot der Konfliktbewältigung, zur Alternativenprüfung und zum Abwägungsgebot einschließlich der daraus entwickelten Abwägungsfehlerlehre des Bundesverwaltungsgerichts zur Anwendung kommen.244 Auch wenn dem grundsätzlich beizupflichten ist, hätte zum Beispiel eine allgemeine Regelung dazu, ob bei den bislang als privatnützig qualifizierten Vorhaben die Planrechtfertigung zu prüfen ist oder nicht, zu einem Mehr an Klarheit und Rechtssicherheit beitragen können. Auch unter dem neuen Rechtsregime stellt sich die Frage, ob beim Ausbau eines Gewässers zusätzlich über eine Gewässerbenutzung zu entscheiden ist. In diesem Punkt wird an die bisherige Rechtslage angeknüpft. Nach § 9 Abs. 3 S. 1 RE-UGB II sind Maßnahmen, die dem Ausbau eines oberirdischen Gewässers dienen, keine Benutzungen. Bei Gewässerbenutzungen, die nicht einem Gewässerausbau „dienen“, muss die Behörde also über diesen Aspekt mit___________ 241

Siehe §§ 18 Abs. 1 S. 2 AEG, 17 S. 2 FStrG. Diederichsen (Fn. 169), S. 379; in § 102 Abs. 1 Nr. 3 UGB-KomE (Fn. 223) war die Abwägungsklausel umgekehrt formuliert – s. zu deren Bedeutung Hoppe/Schlarmann (Fn. 69), S. 108 f.; Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1466. 243 In diese Richtung Diederichsen (Fn. 169), S. 379 f., wonach dies möglicherweise zugleich Konsequenzen für die gerichtliche Überprüfung der Abwägungsentscheidung nach sich ziehen könnte. 244 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 118. 242

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entscheiden. Im Unterschied zu § 14 WHG, der eine gesonderte wasserrechtliche Erlaubnis für die Benutzung verlangt, sollen künftig diejenigen Belange, die bisher im Rahmen des Bewirtschaftungsermessens von Bedeutung sind, ausschließlich in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden. Begründet wird dies mit dem Konzept der integrierten Vorhabengenehmigung, das auf eine ganzheitliche Betrachtung aller vorhabenbedingten Umweltauswirkungen angelegt ist. Neben einem einheitlichen materiellen Prüfprogramm auf Tatbestandsebene sollen künftig die umweltbezogenen Entscheidungen über das „Ob“ und „Wie“ des Vorhabens nicht auf verschiedenen Ermessensebenen, sondern im Rahmen einer einheitlichen und umfassenden Abwägungsentscheidung gefällt werden.245 In dieser Hinsicht kommt es ebenfalls zu Friktionen. Erst kürzlich betonte die Rechtsprechung die Selbständigkeit der wasserrechtlichen Erlaubnis und Bewilligung wegen des Bedürfnisses nach flexiblen Instrumenten im Wasserrecht.246 Auch wenn die gegenwärtige Aufspaltung der behördlichen Entscheidungen nur auf die einfachgesetzliche Rechtslage und nicht das Verfassungsrecht zurückgeht,247 müsste dem besonderen Bedürfnis nach einer gewissen Flexibilität bei der Gewässerbewirtschaftung auf andere Weise Rechnung getragen werden, etwa indem die Änderungsresistenz der planerischen Entscheidung in dieser Hinsicht lockerer ausfällt.248 Bislang ist jedoch insbesondere bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung dogmatisch nicht abschließend geklärt, ob in ihr solche behördlichen Entscheidungen „zusammengefasst“ werden können, für die unterschiedliche materielle Anforderungen hinsichtlich ihres Fortbestands gelten.249 Durch die Einbeziehung der Benutzungsentscheidung in die Abwägung wird auf jeden Fall dem verfassungsrechtlichen Anliegen entsprochen, dass die Nutzung des Grundwassers nicht dem freien Belieben des Einzelnen mit einem diesbezüglichen Genehmigungsanspruch überlassen werden kann.250 Vor diesem Hintergrund wird für das künftige Rechtsregime die Einführung einer relativen Vorrang- oder Präferenzregel postuliert, wonach bei der Abwägung in besonderem Maße auf die nachhaltige Bewirtschaftung von Gewässern zum Wohl der Allgemeinheit Rücksicht zu nehmen ist.251 Gegebenenfalls ergibt sich jedoch unmittelbar aus der Verfassung, dass ___________ 245

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 118. BVerwG NVwZ Beilage Nr. I 8/2006, S. 1, 41 f.; s. auch Diederichsen (Fn. 169), S. 384. 247 Siehe dazu Diederichsen (Fn. 169), S. 385; Kahl/Diederichsen, NVwZ 2006, 1107, 1112. 248 So der Vorschlag von Diederichsen (Fn. 169), S. 385; Kahl/Diederichsen, NVwZ 2006, 1107, 1112. 249 Siehe dazu Guckelberger (Fn. 99), § 13 Rn. 89. 250 BVerfGE 58, 300, 341. 251 So Diederichsen (Fn. 169), S. 388. 246

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die wasserrechtlichen Belange mit dem ihnen gebührenden hohen Gewicht bei der Abwägung zu berücksichtigen sind. d) Stellungnahme zu den materiell-rechtlichen Anforderungen an die planerische iVG Betrachtet man die materiellen Anforderungen an die planerische Vorhabengenehmigung, erweist sie sich strukturell als eine Symbiose aus Kontrollerlaubnis und Planfeststellung.252 Der Genehmigungstatbestand setzt sich aus den Anforderungen, die auch für die „gewöhnliche“ Vorhabengenehmigung gelten, sowie der Abwägungsklausel für die planerische Vorhabengenehmigung zusammen.253 Insbesondere die Bezugnahme auf § 54 Abs. 1 RE-UGB I, der auf die Grundpflichten, andere umweltrechtliche und sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften als Zulassungsanforderungen verweist, führt zu einer komplexen Regelungsstruktur der planerischen Genehmigung.254 Dabei drängt sich die Frage auf, wie sich die allgemeinen Zulassungsanforderungen und die Abwägungsklausel zueinander verhalten. Bereits aus der Systematik des § 63 REUGB I folgt, dass zuerst die Anforderungen des § 54 Abs. 1 RE-UGB I zu prüfen sind, bevor „im Übrigen“ auf die im zweiten Satz geregelte Abwägung überzugehen ist.255 Der Zulassungstatbestand der planerischen Genehmigung unterscheidet demnach zwischen den Genehmigungsvoraussetzungen als zwingenden Rechtsvorschriften einerseits und dem Erfordernis der Abwägung andererseits. Diejenigen Belange, die schon innerhalb des Prüfprogramms des § 54 Abs. 1 RE-UGB I abgearbeitet wurden, sollen nach der Begründung des Referentenentwurfs bei der nachfolgenden Abwägung nicht mehr berücksichtigt werden.256 Obwohl das geplante Prüf- und Entscheidungsprogramm bei der planerischen Vorhabengenehmigung zunächst einleuchtet, wird es in der Praxis mit großer Wahrscheinlichkeit in der Anfangszeit zu Unsicherheiten führen. Denn man muss sich darüber klar werden, welche konkretisierenden Vorschriften insbesondere aus dem Umweltgesetzbuch den Genehmigungsvoraussetzungen des § 52 Abs. 1 RE-UGB I und welche der anschließend vorzunehmenden Abwägung zuzuordnen sind. Regelungen, die unter Zugrundelegung der herkömmlichen Doktrin eine Abwägungsdirektive enthalten und inhaltlich nicht ___________ 252

Diederichsen (Fn. 169), S. 376; a. A. wohl Wahl (Fn. 238), Kap. 4 Rn. 23. Siehe auch Diederichsen (Fn. 169), S. 376; s. auch schon Michler, DVBl 1999, 816, 827. 254 Siehe auch Diederichsen (Fn. 169), S. 376; Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1469. 255 Siehe Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 117; s. zum KomE Michler, DVBl 1999, 816, 819; Schlarmann (Fn. 183), S. 843; Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1467. 256 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 117. 253

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geändert werden, dürfen meines Erachtens nicht bei den Genehmigungsvoraussetzungen des § 52 RE-UGB I eingeordnet werden. Der Genehmigungstatbestand des § 54 Abs. 1 RE-UGB I verweist in mehrfacher Hinsicht auf andere Rechtsvorschriften. Bei korrekter Rechtsanwendung muss deshalb bestimmt werden, ob die infrage stehende Norm den Grundpflichten, den umweltrechtlichen oder den sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften unterfällt. Eine ausgefeilte Dogmatik zu den Grundpflichten steht jedoch bis heute aus.257 Möglicherweise wird es auf der Tatbestandsseite Überschneidungen geben und ein und dieselbe Frage sowohl unter dem Blickwinkel der Grundpflichten als auch sonstiger entgegenstehender Vorschriften geprüft werden.258 Der herkömmlichen Abwägung sind mit der Frage nach der Planrechtfertigung und den zwingenden Planungsleitsätzen gewisse rechtliche Prüfschritte vorgelagert. Es spricht vieles dafür, die Planungsleitsätze künftig den Genehmigungsvoraussetzungen zuzuordnen. Unklar bleibt, wo die Planrechtfertigung zu prüfen ist. Wegen des engen Zusammenhangs zur Abwägung liegt es nahe, sie weiterhin diesem Prüfschritt zuzurechnen. Der neue Zulassungstatbestand wird mit großer Wahrscheinlichkeit Veränderungen der Dogmatik zur planerischen Abwägung nach sich ziehen. Die Zuordnung der Prüfschritte, wie sie in langjähriger Praxis gehandhabt wurde, ist neu zu überdenken. Da das Abwägungsgebot dem Entscheidungsprogramm der Vorhabengenehmigung aufgesetzt bzw. übergestülpt wird,259 führt die Konzeption des Referentenentwurfs dazu, dass der behördliche Gestaltungsspielraum bei Gewässerausbauten verringert wird.260 Die Genehmigungsvoraussetzungen für die gebundene Vorhabengenehmigung gelten grundsätzlich auch für die planerische Genehmigung, die zusätzlich um das Abwägungsgebot ergänzt wird.261 Indem mehr normative Vorgaben auf der Tatbestandsseite zu prüfen sind, werden sachliche Konflikte künftig wohl vermehrt als Normkonflikte ausgetragen werden.262 Soweit die Genehmigungsanforderungen subjektiv-rechtlichen Charakter haben, kann ihre Einhaltung im Gerichtsweg erzwungen werden. Sofern der zuständigen Behörde auf der Tatbestandsseite nicht normativ ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, können die Gerichte die behördliche Zulassungsentscheidung voraussichtlich mit einer größeren Prüftiefe als bisher kontrollieren. ___________ 257

Siehe dazu Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1468 sowie Dietlein (Fn. 215), § 5 Rn. 9 f. Siehe auch den Einwand von Munk wiedergegeben im Tagungsbericht von Heuser, NuR 2008, 99, 100. 259 Michler, DVBl 1999, 816, 819; Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1469. 260 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 117; s. auch Diederichsen (Fn. 169), S. 377; zum UGB-KomE Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 109 ff.; Michler, DVBl 1999, 816, 819; Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1469. 261 Schlarmann (Fn. 183), S. 843; s. auch Michler, DVBl 1999, 816, 818; Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1467. 262 Siehe auch Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1470. 258

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Die zurzeit erwogene planerische Vorhabengenehmigung wird erheblich durch die Anlehnung an das Modell der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung geprägt. Da bei den privatnützigen Gewässerausbauten die Rechtsprechung schon immer zu einer besonderen Nähe zu den Kontrollerlaubnissen tendierte, stellt in diesem Bereich die Einführung einer anderen Gestattungsform keine so einschneidende Änderung wie bei anderen planfeststellungspflichtigen Vorhaben dar. Nach wie vor bleibt die Entscheidung über die Zulassung eines Gewässerausbaus eine Abwägungsentscheidung.263 Dem Gesetzgeber obliegt unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben die Entscheidung, inwieweit er die bislang überwiegend final determinierten Planungsentscheidungen mit Konditionalprogrammen verbinden will. Bislang wurde den Behörden eine große Gestaltungsfreiheit eingeräumt, damit sie eine den Umständen des jeweiligen Einzelfalls angemessene Entscheidung treffen können. Je mehr die Planungsentscheidung von zwingenden Kriterien determiniert wird, desto mehr verliert die Abwägung an Bedeutung. Die materiellen Zulassungsanforderungen dürfen deshalb nicht so eng gezurrt werden, dass es nachher kaum noch etwas abzuwägen gibt. Tendenziell nehmen die Stimmen zu, wonach die Unterschiede zwischen der klassischen Kontrollerlaubnis und der Planung nicht so groß sind, wie man bisher angenommen hat. Nach jüngeren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts sind die atomrechtliche und bergrechtliche Planfeststellung gebundene Entscheidungen ohne Gestaltungsspielraum der Planfeststellungsbehörde.264 Vor diesem Hintergrund verwundert das Fehlen aktueller wissenschaftlich fundierter Untersuchungen, die sich mit den Unterschieden zwischen Kontrollerlaubnissen und Planfeststellungen befassen.265 Die Verengung der behördlichen Gestaltungsfreiheit bei der Abwägung könnte möglicherweise dadurch relativiert werden, dass der Verwaltung bei der Beurteilung der Genehmigungsvoraussetzungen Entscheidungsspielräume zugestanden werden. Allerdings hält sich der Referentenentwurf des UGB in dieser Hinsicht bedeckt. Denkbar wäre auch, dass man solche Umweltbelange, die nicht bereits zu einer Versagung der planerischen Genehmigung führen, bei der späteren Abwägungsentscheidung nicht einfach ausblendet, sondern weiterhin in die Abwägung einbezieht. Schon bisher war es so, dass über Umweltaspekte, die nicht zu einer Versagung des Gewässerausbaus aus Gründen des Allgemeinwohls führen konnten, trotz ihrer Prüfung gemäß § 31 Abs. 5 S. 3 WHG in die Abwägungsentscheidung eingeflossen sind. Zudem sollte überlegt wer___________ 263

Siehe dazu auch Michler, DVBl 1999, 816, 819. BVerwG NVwZ 2007, 700, 701; NVwZ 2007, 837. 265 Siehe dazu Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 180 ff.; Schlarmann (Fn. 183), S. 843 f.; Sellner (Fn. 183), S. 87 f.; gegen dermaßen gravierende Unterschiede Bohne (Fn. 170), S. 114 ff.; für eine Beibehaltung der Unterscheidung Scheidler, WiVerw. 2008, 1, 72 f. 264

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den, ob die anders formulierte Abwägungsklausel bei der planerischen Vorhabengenehmigung notwendig ist. Letztlich würde sie dazu führen, dass je nachdem, ob ein UGB- oder sonstiges Planungsvorhaben vorliegt, andere Anforderungen für die Abwägung gelten, mögen die Modifizierungen auch nur gering sein. Sind die Vorteile, die man sich von derartigen Modifizierungen verspricht, so gewichtig, um die Beschneidung des bislang überwiegend konsistenten Planungsrechts in Kauf zu nehmen? Da man zur Abwägung erst nach Bejahung der materiellen Genehmigungsvoraussetzungen gelangt, ist die Regelung des § 63 S. 3 RE-UGB I konsequent, wonach die Ergebnisse einer durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung sowohl im Rahmen der Genehmigungsvoraussetzungen als auch bei der Abwägung zu berücksichtigen sind. Es wird sich allerdings erst in der Praxis herausstellen, ob sich diese beiden Facetten der planerischen Vorhabengenehmigung tatsächlich so klar voneinander separieren lassen, wie man es im Moment annimmt. 6. Die Verfahrensvorgaben bei der planerischen Vorhabengenehmigung Entsprechend den Zielsetzungen des Umweltgesetzbuchs werden im Allgemeinen Teil des UGB die Verfahrensanforderungen für die integrierte Genehmigung und ihr planerisches Pendant weitgehend vereinheitlicht. Dadurch möchte man den Vorschriftenbestand deutlich reduzieren und die Rechtsanwendung erleichtern.266 Gemäß § 109 RE-UGB I kommen für die planerische Genehmigung die für die gewöhnliche Vorhabengenehmigung geltenden Verfahrensbestimmungen des 5. Abschnitts zur Anwendung, soweit sie nicht in den §§ 110-115 RE-UGB I im Hinblick auf die Besonderheiten dieser Genehmigungsart punktuell modifiziert werden.267 Grund für die Modifizierungen ist die Komplexität des behördlichen Prüf- und Entscheidungsprogramms, weil bei der planerischen Vorhabengenehmigung eine Abwägung stattfindet. Zudem erlaubt diese Zulassungsform den Eingriff in Rechte Dritter.268 Künftig soll es zwei Verfahrensarten geben, die sowohl auf die gebundene als auch die planerische Genehmigung anwendbar sind: Je nach der Umweltrelevanz des Vorhabens269 wird die integrierte Vorhabengenehmigung entweder in einem förmlichen Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung oder in einem vereinfachten Verfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung erteilt.270 Als neue Verfahrensvariante kann in besonders einfach gelagerten Fällen gemäß § 118 RE-UGB I ein ver___________ 266

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 37, 151. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 37. 268 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 40. 269 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 38, 152. 270 Das vereinfachte Verfahren gilt gemäß § 118 Abs. 1 RE-UGB I für Vorhaben nach § 50 Abs. 2 Nr. 1 RE-UGB I; Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 37. 267

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einfachtes Verfahren mit verkürzten Fristen für die Genehmigung von Anlagen durchgeführt werden. Letzteres spielt jedoch beim Gewässerausbau keine Rolle.271 a) Der Ablauf des förmlichen Verfahrens aa) Antrag Am Anfang des Abschnitts über das Verfahren bei der integrierten Vorhabengenehmigung steht der Verfahrenskomplex „Antrag.“272 Da im Planfeststellungsverfahren bislang die Vorschriften über die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren keine Geltung beanspruchen,273 stellt die Vorschrift zur Antragsberatung eine Neuerung dar. § 84 RE-UGB I baut ansatzweise auf § 2a 9. BImSchV auf. Die spezielle Vorschrift zur Antragsberatung beruht auf der Erkenntnis, dass sich dieses Verfahrenselement in der Praxis als ein wirksames Instrument zur Förderung zügiger Genehmigungsverfahren erwiesen hat.274 Indem die neue Norm der verfahrensführenden Behörde Freiräume belässt, z. B. hinsichtlich der Art und Weise der Beratung, bleibt trotz der Verrechtlichung ein flexibles Agieren möglich. Die Beratung dient der Unterstützung des Vorhabenträgers bei der Antragsvorbereitung. Im Zuge dieses Verfahrensschritts kann darauf hingewirkt werden, dass er alles Erforderliche zur Vermeidung von Verzögerungen und unnötigem Aufwand unternimmt. Außerdem ermöglicht die Antragsberatung der Genehmigungsbehörde die frühzeitige Planung und Vorbereitung des Verfahrensablaufs einschließlich etwaiger Abstimmungen mit anderen Behörden und Dritten.275 Gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 RE-UGB I berät die Genehmigungsbehörde den Träger des Vorhabens aufgrund geeigneter Angaben zum Vorhaben entsprechend dem Planungsstand hinsichtlich der Antragstellung, wenn sie von diesem darum ersucht wird oder sie dies für zweckmäßig erachtet. Die Antragsberatung ist weit konzipiert. Sie erstreckt sich auf „alle für eine sachgerechte und zügige Durchführung des Genehmigungsverfahrens erheblichen Fragen.“ Dazu zählen der Inhalt und Umfang der Antragsunterlagen, der zeitliche Ablauf des Genehmigungsverfahrens, die Klärung der zu beteiligenden Behörden, die Ein___________ 271 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 153 f.; s. zum informellen Charakter der bislang geführten Gespräche Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 12; s. auch Ziekow (Fn. 20), § 71a Rn. 3. 272 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 152. 273 Gemäß § 72 Abs. 1 VwVfG gelten die §§ 71a-71e VwVfG nicht im Planfeststellungsverfahren. 274 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 153. 275 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 153.

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holung von Sachverständigengutachten sowie Hinweise auf bestehende Möglichkeiten zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens.276 Im Rahmen der Beratung soll auf die Möglichkeit eines freiwilligen Dialogverfahrens mit der Öffentlichkeit hingewiesen werden. Diese Regelung ist deshalb interessant, weil im Planungsrecht immer wieder bemängelt wurde, dass der zur Ausräumung der Probleme vorgesehene Verfahrenschritt des Erörterungstermins zeitlich zu spät einsetze.277 Durch den Hinweis auf das nicht näher konkretisierte Dialogverfahren soll Art. 6 Abs. 5 Aarhus-Konvention Rechnung getragen werden. Zugleich wird zum Ausdruck gebracht, dass Nachbarschaftsdialoge und ähnliche informelle Dialogprozesse systematische und strukturierte Ansätze bieten, um den Vorhabenträger und die Betroffenen frühzeitig miteinander ins Gespräch zu bringen, nach einer Verständigung zu suchen und Konfliktpotenziale möglichst im Vorfeld auszuräumen.278 Während nach den gegenwärtig geltenden Bestimmungen andere Behörden bei der Antragsberatung fakultativ hinzugezogen werden können,279 „sind“ die im integrierten Genehmigungsverfahren voraussichtlich zu beteiligenden Behörden bei der Antragsberatung einzubeziehen. Dadurch wird eine umfassende Unterrichtung des Vorhabenträgers über die beizubringenden Antragsunterlagen gewährleistet. Er und die Genehmigungsbehörde werden frühzeitig auf zulassungsrelevante Gesichtspunkte für das weitere Prüfverfahren aufmerksam gemacht.280 Aus ähnlichen Erwägungen „können“ Sachverständige, Standort- und Nachbargemeinden, nach § 104 Abs. 1 RE-UGB I zu beteiligende Behörden, anerkannte Umweltvereinigungen sowie sonstige Dritte bei der Beratung hinzugezogen werden. § 84 Abs. 2 RE-UGB I enthält eine spezielle Regelung zur Antragsberatung bei UVP-pflichtigen Vorhaben. Dadurch wird den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Rechnung getragen. Über die eigentliche Beratungspflicht hinaus ergibt sich für die Behörden aus § 84 Abs. 3 RE-UGB I eine ergänzende Mitwirkungs- und Unterstützungspflicht.281 Zur Entlastung des Vorhabenträgers „sollen“ die Behörden ihn auf bei ihnen vorhandene Informationen hinweisen, die für die Beibringung der Antragsunterlagen zweckdienlich sind, und ihm diese zur Verfügung stellen. Die Antragsberatung ist verfahrensbegleitend konzi___________ 276 Siehe dazu Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 154. Der Vorhabenträger muss dem Einsatz des Projektmanagers zustimmen, dessen Tätigkeitsbereich nicht mehr näher eingegrenzt wird. 277 Siehe dazu §§ 71c Abs. 2 S. 2 VwVfG, 2 Abs. 2 S. 2 9. BImSchV. 278 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 154 f. 279 Hoffmann-Riem/Rubbert, Atomrechtlicher Erörterungstermin und Öffentlichkeit, 1984, S. 30; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 817; Würtenberger, Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, 1996, S. 170. 280 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 155. 281 Siehe dazu näher Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 156.

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piert.282 Gemäß § 84 Abs. 4 RE-UGB I berät die Behörde den Vorhabenträger auch nach der Antragstellung, soweit dies für eine zügige und sachgerechte Durchführung des Verfahrens zweckmäßig ist. § 85 RE-UGB I enthält eine gegenüber dem bisherigen Planfeststellungsrecht ausführlichere Regelung zur Antragstellung. Nach Absatz 1 muss der Vorhabenträger einen schriftlichen Antrag stellen. Unter Rekurs auf § 3a Abs. 2 S. 2 VwVfG kann der Antrag auch elektronisch gestellt werden, wenn er mit einer qualifizierten Signatur versehen wird.283 Bedient sich der Antragsteller der elektronischen Form kann die Genehmigungsbehörde Mehrfertigungen sowie die Übermittlung der dem Antrag beizufügenden Unterlagen in schriftlicher Form verlangen. Im Interesse einer zügigen und effizienten Verfahrensabwicklung284 kann die Genehmigungsbehörde bei einer schriftlichen Antragstellung fordern, dass ihr der Antrag mit den dazu gehörigen Angaben und Unterlagen zusätzlich auf elektronischem Weg übermittelt wird oder Vordrucke verwendet werden (§ 85 Abs. 6 RE-UGB I). Der Antrag muss die in der Anlage 8 aufgeführten Angaben enthalten. Dazu zählen u.a. die Bezeichnung des Antragstellers, die Art des Antrags, Standort, Art und Umfang des Vorhabens sowie bestimmte zeitliche Angaben, wie den Beginn der Durchführung. Gemäß Absatz 2 sind dem Antrag alle Unterlagen beizufügen, welche die Genehmigungsbehörde für ihre Entscheidung benötigt. Die wesentlichen Unterlagen, die ein Antrag enthalten muss, sind der Anlage 9 zum UGB I zu entnehmen.285 Absatz 3 sieht eine Verfahrenserleichterung für UVP-pflichtige Vorhaben vor, deren Umweltauswirkungen bereits in einem früheren Verfahren einer Umweltprüfung unterzogen wurden. Dann ist das Ergebnis dieser Prüfung darzustellen und die Angaben zu den Umweltauswirkungen können sich auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen sowie auf erforderliche Aktualisierungen und Vertiefungen beschränken. § 85 Abs. 4 RE-UGB I greift die Regelung des § 10 Abs. 2 S. 1 BImSchG auf. Danach sind Unterlagen zu kennzeichnen und getrennt vorzulegen, soweit sie Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten. Sofern dies ohne Preisgabe des Geheimnisses geschehen kann, ist ihr Inhalt in einer gesondert vorzulegenden Darstellung so ausführlich zu beschreiben, dass die Öffentlichkeit beurteilen kann, ob und in welchem Umfang sie von den Auswirkungen des Vorhabens betroffen werden kann. Entsprechendes gilt unter den in Absatz 5 genannten Voraussetzungen für Unterlagen mit sicherheitsempfindlichen Angaben. Insgesamt fallen die Vorgaben an die Antragsunterlagen gegenüber der bisherigen Rechtslage im Planungsrecht detaillierter aus, tragen aber zu mehr Klarheit für den Antragsteller bei. ___________ 282 283 284 285

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 157. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 157. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 161. Siehe dazu näher Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 158 f.

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Im Anschluss folgt die Prüfung der Unterlagen. Dem Antragsteller ist der Eingang des Antrags mit den Unterlagen unverzüglich zu bestätigen (§ 86 REUGB I). Dieser Verfahrensschritt ist für die Bestimmung des Ablaufs der Regelfrist für die Vollständigkeitsprüfung nach § 87 RE-UGB I bedeutsam. Die Genehmigungsbehörde hat unverzüglich, regelmäßig innerhalb eines Monats,286 die Vollständigkeit der Unterlagen zu prüfen. Bei Unvollständigkeit ist der Antragsteller unverzüglich zur Ergänzung seiner Angaben innerhalb angemessener Frist aufzufordern. Teilprüfungen sind auch schon vor Vorlage aller Unterlagen vorzunehmen, sobald dies nach den vorgelegten Unterlagen möglich ist. Die Genehmigungsbehörde kann die Nachreichung von Unterlagen, deren Einzelheiten für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit nicht unmittelbar von Bedeutung sind, bis zum Beginn der Errichtung oder der Inbetriebnahme des Vorhabens gestatten. Bei Vollständigkeit der Unterlagen ist dies dem Antragsteller unverzüglich zu bestätigen. Zugleich ist er über die zu beteiligenden Behörden sowie den geplanten zeitlichen Ablauf des Genehmigungsverfahrens zu unterrichten. Der Umgang mit dem Genehmigungsantrag wird im Referentenentwurf weiter verrechtlicht und an Zeitvorgaben gebunden. Die Regelung des § 87 RE-UGB I fällt gegenüber § 73 Abs. 2 VwVfG deutlich konkreter aus.287 § 88 RE-UGB I enthält eine spezielle Regelung zu Sachverständigengutachten. Die Genehmigungsbehörde holt nach Anhörung des Antragstellers Sachverständigengutachten ein, soweit dies für die Entscheidung erforderlich ist. Daran fehlt es, wenn die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen bei EMAS-Standorten durch die Umwelterklärung bzw. den Umweltbetriebsprüfungsbericht oder durch ein vom Antragsteller in Abstimmung mit der Genehmigungsbehörde eingeholtes Sachverständigengutachten nachgewiesen ist (§ 88 Abs. 3 RE-UGB I). Die Einholung eines Gutachtens ist des Weiteren nicht erforderlich, wenn die Genehmigungsbehörde selbst über den nötigen Sachverstand verfügt oder sich durch Hinzuziehung anderer Behörden oder Dritter auf einfacherem und kostengünstigerem Wege die Kenntnis verschaffen kann.288 Der Auftrag für ein Sachverständigengutachten soll möglichst bis zum Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung erteilt werden. Mit Einwilligung des Antragstellers können Sachverständige auch herangezogen werden, wenn davon eine Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens zu erwarten ist. Zwar ist es der Planfeststellungsbehörde schon bislang möglich, Sachverständige ___________ 286

In Ausnahmefällen kann die Frist einmalig um zwei Wochen verlängert werden. Nach Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 38 ergibt sich gegenüber dem bestehenden Recht kein praktischer Unterschied, weil aus § 73 Abs. 2 VwVfG indirekt zu entnehmen sei, dass die Unterlagen innerhalb eines Monats nach Zugang auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen sind. S. zur Vollständigkeitsprüfung nach geltendem Recht Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 12, 23 f. 288 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 163. 287

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beizuziehen.289 Im UGB I wird dieser Verfahrensschritt jedoch wiederum verrechtlicht. bb) Behördenbeteiligung Im nächsten Unterabschnitt wird die Behördenbeteiligung geregelt. In diesem Bereich gibt es nur geringfügige Änderungen gegenüber dem geltenden Planfeststellungsrecht zu verzeichnen. Während nach diesem innerhalb eines Monats nach Zugang der vollständigen Planunterlangen die Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, innerhalb einer von der Anhörungsbehörde zu setzenden, maximal dreimonatigen Frist zur Abgabe von Stellungnahmen aufzufordern sind, werden nach § 89 Abs. 1 RE-UGB I diese Behörden „spätestens gleichzeitig mit der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens“ unterrichtet. Im Unterschied zur gebundenen Vorhabengenehmigung liegt die Stellungnahmefrist nicht bei einem Monat, sondern kann angesichts der Komplexität der Entscheidung wie im geltenden Recht bis zu drei Monate betragen (§ 110 RE-UGB I).290 Zur zügigen Befassung mit dem Vorhaben wird zusätzlich angeordnet, dass die Antragsunterlagen sternförmig an die zu beteiligenden Behörden versendet werden sollen.291 Die Präklusionsregel für nach dem Erörterungstermin eingehende behördliche Stellungnahmen entspricht weitestgehend § 73 Abs. 3a VwVfG. Während dieser davon spricht, dass verspätete Stellungnahmen nicht berücksichtigt werden, ist § 89 Abs. 2 RE-UGB I etwas weicher formuliert, als derartige Stellungnahmen unberücksichtigt bleiben „sollen“. An die Stelle einer obligatorischen materiellen Behördenpräklusion tritt also eine intendierte bzw. Soll-Präklusion.292 Sofern bedeutsame öffentliche Belange nicht bereits aufgrund der Ausnahmetatbestände zwingend zu berücksichtigen sind, kann bei dieser Präklusionsart eine verspätete Stellungnahme ausnahmsweise trotz Fristablaufs berücksichtigt werden.293 § 90 RE-UGB I zur Koordination mit anderen Verfahren erfasst zwei unterschiedliche Fallgestaltungen: Einerseits geht es um Fälle, in denen für ein Vorhaben wegen § 58 RE-UGB I eine weitere behördliche Zulassungsentscheidung erforderlich ist, und andererseits um Konstellationen, in denen ein iVGpflichtiges Vorhaben in einem unmittelbaren räumlichen oder betrieblichen Zusammenhang mit einem oder mehreren anderen zulassungsbedürftigen Vorha___________ 289

Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 41; s. auch Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 73 Rn. 19a. 290 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 189 f. 291 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 164. 292 Siehe dazu Siegel, Die Verfahrensbeteiligung von Behörden und anderen Trägern öffentlicher Belange, 2001, S. 198 ff.; s. auch Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 33. 293 Siehe dazu Siegel (Fn. 292), S. 200.

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ben steht, deren Umweltauswirkungen für die beantragte Genehmigung bedeutsam sein können.294 Beide Male muss die Genehmigungsbehörde eine vollständige Koordinierung der Zulassungsverfahren sowie der Inhalts- und Nebenbestimmungen sicherstellen. cc) Öffentlichkeitsbeteiligung Für die Öffentlichkeitsbeteiligung sind nach dem momentanen Referentenentwurf neun Paragrafen vorgesehen. Ein gegenüber dem bisherigen Recht bedeutsamer Unterschied resultiert daraus, dass künftig für die Öffentlichkeitsbeteiligung die Genehmigungsbehörde und nicht mehr die Gemeindeebene zuständig ist.295 Dies führt zum Entfallen der bisherigen Einmonatsfrist, innerhalb der die Gemeinden zur Auslegung aufgefordert werden sollen, sowie der DreiWochen-Frist, innerhalb der sie den Plan auszulegen haben.296 § 91 RE-UGB I regelt mit der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens den ersten Schritt der Öffentlichkeitsbeteiligung. Künftig obliegt es der Genehmigungsbehörde, das Vorhaben „unverzüglich“ nach der vollständigen Einreichung der Planunterlagen bekannt zu machen. In Abweichung zum Verwaltungsverfahrensgesetz wird verbindlich die kumulative Bekanntmachung in einem Print- und einem elektronischen Medium vorgeschrieben. Durch beide Medien kann sich die Öffentlichkeit in einfacher und effektiver Weise über das Vorhaben unterrichten.297 Sodann werden dreizehn Punkte aufgezählt, welche die Bekanntmachung umfassen muss. Der Inhalt der öffentlichen Bekanntmachung geht über die Inhalte des jetzigen § 73 Abs. 5 VwVfG hinaus, beispielsweise soll der erste und letzte Tag der Einwendungsfrist bezeichnet werden. Manche dieser Erweiterungen werden mit der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben begründet.298 Hinsichtlich der Benachrichtigung der von dem Vorhaben Betroffenen enthält § 111 RE-UGB I eine spezielle Regelung für die planerische Vorhabengenehmigung, wobei an das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz und nicht an § 73 Abs. 5 S. 3 VwVfG angeknüpft wird.299 Ergänzend zur öffentlichen Bekanntmachung hat die Genehmigungsbehörde nur noch solche im Auswirkungsbereich des Vorhabens nicht ansässige Personen zu be-

___________ 294 295 296 297 298 299

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 165 f. Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 41. Siehe auch Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 42. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 168. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 168. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 190.

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nachrichtigen, die durch das Vorhaben in ihren rechtlichen Interessen betroffen sind und deren Name und Aufenthalt bekannt sind.300 § 92 RE-UGB I betrifft die öffentliche Auslegung von Antrag und Unterlagen. „Frühestens eine Woche“ nach der öffentlichen Bekanntmachung hat die Genehmigungsbehörde den Antrag mit den dazu gehörigen Unterlagen nach § 85, gegebenenfalls das Ergebnis früherer Umweltprüfungen sowie die das Vorhaben betreffenden entscheidungserheblichen Berichte und Empfehlungen, die der Genehmigungsbehörde zum Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung vorgelegen haben, für die Dauer eines Monats auszulegen. Unter die Berichte und Empfehlungen fallen auch Sachverständigengutachten und frühzeitig abgegebene behördliche Stellungnahmen.301 Während sich die Auslegung von Unterlagen nach § 73 VwVfG daran orientiert, ob ihre Kenntnis für die Bewertung der individuellen Betroffenheit erforderlich ist,302 dürfte die auf die Entscheidungserheblichkeit abstellende Auslagepflicht des UGB weiter gehen. Erst nach der öffentlichen Bekanntmachung vorliegende entscheidungserhebliche Unterlagen müssen nicht ergänzend ausgelegt werden, sondern sind der Öffentlichkeit nach den Regeln über den Zugang zu Umweltinformationen grundsätzlich auf Antrag zugänglich zu machen.303 Die Auslegung erfolgt vorrangig bei der Genehmigungsbehörde. Soweit dies für eine wirksame Öffentlichkeitsbeteiligung notwendig ist, sind die Unterlagen gemäß § 92 Abs. 2 REUGB I an weiteren geeigneten Stellen im voraussichtlichen Auswirkungsbereich des Vorhabens öffentlich auszulegen. Wurden die Unterlagen elektronisch übermittelt, werden sie zusätzlich im Internet veröffentlicht. Zwar entspricht diese Veröffentlichung im Internet bei größeren Vorhaben bereits der heutigen Behördenpraxis.304 Jetzt wird sie jedoch verbindlich vorgeschrieben. § 93 RE-UGB I regelt das Einwendungsverfahren. Die „Öffentlichkeit“ kann innerhalb der Auslegungsfrist und bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Ende der Auslegungsfrist bei der in der Bekanntmachung bezeichneten Stelle schriftlich oder zur Niederschrift Einwendungen gegen das Vorhaben erheben. Während der Einwendungszeitraum mit § 73 Abs. 4 VwVfG übereinstimmt, ist der Kreis der Einwendungsberechtigten weiter gezogen. Anders als im Planfeststellungsrecht ist keine Interessentenbeteiligung vorgesehen, sondern eine ___________ 300

Siehe zum Unterschied zu § 73 Abs. 5 S. 3 VwVfG Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 190; s. auch Heckmann, in: Ziekow, Bewertung von Fluglärm – Regionalplanung – Planfeststellungsverfahren, 2003, S. 287 ff.; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 62; Laubinger, in: Festschrift für Klaus König, 2004, S. 517, 525. 301 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 170. 302 BVerwGE 75, 214, 224 f.; 98, 339, 344 f.; 112, 140, 144 f. 303 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 170. 304 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 171; s. dazu auch Guckelberger, VerwArch 97 (2006), 62, 64; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 43.

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Popularbeteiligung. Denn unter „Öffentlichkeit“ sind gemäß § 4 Nr. 10 REUGB I einzelne oder mehrere natürliche oder juristische Personen sowie deren Vereinigungen zu verstehen. Die Meinungen über diese Erweiterung dürften geteilt ausfallen. Einerseits kann man argumentieren, dass dadurch das Verfahren verzögert werde, was insbesondere im Erörterungstermin spürbar werde.305 Andererseits kann die Erweiterung durchaus beschleunigende Effekte haben: Denn die Genehmigungsbehörde wird von der Prüfung des Vorliegens der Einwendungsberechtigung entbunden.306 Wie im gegenwärtigen Planfeststellungsrecht wird für verspätete Einwendungen eine formelle und materielle Präklusion angeordnet.307 Aus planungsrechtlicher Sicht „neu“ ist § 93 Abs. 2 RE-UGB I, der die Regelung des § 12 Abs. 2 9. BImSchV aufgreift. Danach sind die erhobenen Einwendungen dem Antragsteller und den in ihrem Aufgabenbereich berührten Behörden bekannt zu geben, wobei gegebenenfalls Name und Anschrift des Einwenders unkenntlich zu machen sind. Die anschließenden Regelungen betreffen den Erörterungstermin. Da in diesem Verfahrensschritt nach wie vor ein wichtiges Instrument zur Gewinnung entscheidungserheblicher Erkenntnisse, zur Ausräumung von Konflikten und zur Akzeptanzsteigerung gesehen wird, wird an ihm auch im UGB festgehalten.308 Aus Gründen der Verfahrensökonomie wird er von der Genehmigungsbehörde selbst durchgeführt.309 Gemäß § 94 Abs. 1 RE-UGB I werden die form- und fristgerecht erhobenen Einwendungen erörtert, die für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen von Bedeutung sein können. Auffällig ist, dass gegenüber dem bisherigen Planfeststellungsrecht die behördlichen Stellungnahmen nicht als Erörterungsgegenstand erwähnt werden und hinsichtlich der zu erörternden Einwendungen explizit eine gewisse Entscheidungsrelevanz verlangt wird. Im Erörterungstermin sollen nach § 94 Abs. 1 S. 1 RE-UGB I die Einwender Gelegenheit erhalten, ihre Einwendungen vorzutragen und öffentlich zu erläutern. Entsprechend dem bestehenden Recht entfällt ein Erörterungstermin, wenn keine (rechtzeitigen) Einwendungen gegen das Vorhaben erhoben bzw. diese zurückgenommen wurden oder ausschließlich auf privatrechtlichen Titeln erhobene Einwendungen eingegangen sind. Ein Novum ist das Entfallen der Erörterung, wenn die zuständige Behörde allen Einwendern ihre Absicht mitgeteilt hat, keine Erörterung vorzunehmen, und niemand innerhalb von zwei Wochen widersprochen hat (§ 94 Abs. 2 Nr. 4 RE-UGB I). Da___________ 305

So Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 43. So für das Raumordnungsrecht Grotefels/Uebbing, NuR 2003, 461, 464; Ziekow, NuR 2002, 701, 706; s. zur gegenwärtigen Praxis Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 97. 307 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 172. 308 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 173; s. zu den Motiven für den Erörterungstermin Cancik, DÖV 2007, 107 ff.; Guckelberger, DÖV 2006, 97 ff.; Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 98; Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 55. 309 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 173. 306

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durch soll für zusätzliche Flexibilität im Verfahren gesorgt werden.310 Zu denken wäre etwa daran, dass sich die Behörde mit den Einwendern darauf verständigt, anstelle des Erörterungstermins eine andere geeignete Form der Anhörung durchzuführen.311 Das UGB verfolgt insoweit einen anderen Regelungsansatz als das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz vom Dezember 2006,312 wonach die Anhörungsbehörde nach ihrem Ermessen auf eine Erörterung verzichten kann. Die Bekanntmachung des Erörterungstermins nach § 95 RE-UGB I entspricht weitgehend den geltenden planungsrechtlichen Bestimmungen.313 Gewisse Modifizierungen ergeben sich aber hinsichtlich der Durchführung des Erörterungstermins (§ 96 RE-UGB I). Abweichend vom geltenden Planungsrecht wird der Termin öffentlich durchgeführt. Nur aus besonderen Gründen kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Insoweit wird die immissionsschutzrechtliche Rechtslage im Interesse der Herstellung größtmöglicher Transparenz und Förderung der Akzeptanz des Vorhabens übernommen.314 Die weiteren Regelungen dienen der Straffung und Strukturierung des Erörterungstermins. Die Verhandlungsleitung kann die zusammenfassende Erörterung von Einwendungen bestimmen und für einen bestimmten Zeitraum das Recht auf Teilnahme am Termin auf diejenigen Personen beschränken, deren Einwendungen zusammengefasst erörtert werden sollen. Sie erteilt das Wort, kann eine Redezeit festsetzen und bei Überschreitung der Redezeit oder unsachlichen Äußerungen das Wort entziehen. Außerdem übt die Verhandlungsleitung die sitzungspolizeilichen Befugnisse aus. Gemäß § 96 Abs. 4 RE-UGB I wird der Erörterungstermin bei Zweckerreichung beendet. Er kann für beendet erklärt werden, wenn er auch nach einer erfolgten Vertagung aus dem Kreis der Teilnehmer erneut so gestört wird, dass keine ordnungsgemäße Durchführung mehr gewährleistet ist. § 97 RE-UGB I enthält Vorgaben zur Niederschrift über den Erörterungstermin. In Anlehnung an § 73 Abs. 6 S. 7 VwVfG bestimmt § 112 RE-UGB I, dass der Termin innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Einwendungsfrist abgeschlossen werden „soll“. Die Norm dient einerseits der Straffung und Beschleunigung des Verfahrens, will aber andererseits Spielräume für eine längere Frist in atypischen Sonderfällen lassen.315 Friktionen verbleiben zum Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz,316 bei welchem ___________ 310

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 173. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 174. 312 BGBl 2006 I S. 2833; s. dazu Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 101. 313 Unterschiede ergeben sich vor allem daraus, dass die Bekanntmachung auch elektronisch erfolgt. Für die Fristberechnung kommt es nach der gesetzlichen Regelung auf das Print- und nicht auf das elektronische Medium an. 314 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 176. 315 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 190. 316 BGBl 2006 I, S. 2833. 311

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die Behörde die Erörterung innerhalb von drei Monaten abzuschließen „hat.“ Insgesamt greifen die UGB-Regelungen zum Erörterungstermin gewisse planungsrechtliche Vorschriften auf, modifizieren sie aber teilweise. Das weite Ermessen der Verwaltung bei Durchführung des Erörterungstermins wird normativ etwas eingeschränkt.317 Auch die Regelung des § 98 RE-UGB I zu den Änderungen im Laufe des Verfahrens weicht vom Pendant in § 73 Abs. 8 VwVfG ab, indem die Notwendigkeit einer erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung in Verbindung zu den Umweltauswirkungen des Vorhabens gebracht wird. Bei einer Änderung der Antragsunterlagen „kann“ die Genehmigungsbehörde von einer weiteren Öffentlichkeitsbeteiligung absehen, wenn kumulativ keine zusätzlichen oder anderen erheblichen Umweltauswirkungen und keine nachteiligen Auswirkungen für Dritte zu besorgen sind. Ergänzend bestimmt § 113 RE-UGB I, dass dies auch im Hinblick auf sonstige abwägungserhebliche Belange gilt. Werden durch die Änderung abwägungserhebliche öffentliche Belange nachteilig berührt, ohne erhebliche Umweltauswirkungen zu sein, sind lediglich die betroffenen Behörden, nicht aber die Öffentlichkeit erneut zu beteiligen.318 Sind ausschließlich nachteilige Auswirkungen für Dritte (und keine zusätzlichen Umweltauswirkungen) zu besorgen, kann von einer Öffentlichkeitsbeteiligung abgesehen werden, wenn entweder die Nachteile einer Änderung für Dritte im Verhältnis zu den jeweils vergleichbaren Vorteilen für sie319 gering sind oder in Anlehnung an § 73 Abs. 3 S. 2 VwVfG320 der Kreis der Dritten bekannt ist und ihnen individuell innerhalb angemessener Frist Gelegenheit zur Einsichtnahme der Unterlagen und zur Einwendungserhebung gegeben wird. Bei einer weiteren Öffentlichkeitsbeteiligung beschränkt sich die Einwendungsmöglichkeit und Erörterung auf die vorgesehenen Änderungen (§ 98 Abs. 3 RE-UGB I). dd) Abschluss des Verfahrens Sofern eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, erarbeitet die Genehmigungsbehörde möglichst innerhalb eines Monats nach Beendigung des Erörterungstermins eine zusammenfassende Darstellung der zu erwartenden Umweltauswirkungen des Vorhabens. Auf dieser Grundlage hat sie die Umweltauswirkungen im Hinblick auf eine wirksame Vorsorge zum Schutz von Mensch und Umwelt zu bewerten, wobei zusammenfassende Darstellung und Bewertung in die Begründung der Entscheidung einfließen (§ 100 RE-UGB I). ___________ 317 318 319 320

Siehe dazu Ziekow (Fn. 20), § 73 Rn. 59. Siehe auch Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 191. Siehe dazu Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 179. So die Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 179.

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Abweichend zur gebundenen Genehmigung hat die Genehmigungsbehörde bei der planerischen Vorhabengenehmigung ohne Bindung an eine bestimmte Frist „unverzüglich“ über den Antrag zu entscheiden (§ 114 Abs. 1 RE-UGB I). Gemäß § 101 Abs. 2 RE-UGB I ist die Entscheidung schriftlich zu erlassen und zu begründen. Sie muss die in Anlage 10 genannten Angaben enthalten. Aus dem Immissionsschutzrecht wird die Regelung zur Antragsablehnung übernommen. Sobald die Prüfung ergibt, dass die Genehmigung nicht erteilt werden kann, ist der Antrag abzulehnen. Kommt der Antragsteller einer Aufforderung zur Ergänzung der Unterlagen nicht nach, „soll“ der Antrag abgelehnt werden. § 102 RE-UGB I regelt die Bekanntgabe der Entscheidung, wobei diese Norm nach § 114 Abs. 2 RE-UGB I in Anlehnung an § 74 Abs. 4 S. 1 VwVfG321 bei der planerischen Genehmigung mit der Maßgabe gilt, dass die Zustellung auch gegenüber den bekannten Betroffenen zu erfolgen hat. Neu hinzugekommen ist die Vorgabe, dass die beteiligten Behörden zu benachrichtigen sind. Dies wird mit der gängigen Praxis sowie dem Interesse dieser Behörden am Verfahrensausgang begründet.322 Speziell für die planerische Genehmigung sieht § 114 Abs. 3 RE-UGB I in Anlehnung an das Planfeststellungsrecht die Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens vor Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage vor. Begründet wird diese schon nach geltendem Recht bestehende Lage mit der Verfahrensausgestaltung und der Abwägungsstruktur der Entscheidung, die ihr allgemein eine erhöhte Gewähr für die Recht- und Zweckmäßigkeit verleihe.323 § 115 RE-UGB I enthält eine Sonderregelung für das Zusammentreffen mehrerer Vorhaben. Durch diese Vorschrift soll eine einheitliche Zulassungsentscheidung sichergestellt werden, soweit für mehrere selbstständige Vorhaben mehrere Planungsentscheidungen in Form der planerischen Genehmigung bzw. Planfeststellung vorgeschrieben sind. In einer solchen Situation ist für die Zulassung nur eine Zulassungsentscheidung erforderlich. Inhaltlich wurde § 115 RE-UGB I § 78 VwVfG nachgebildet.324 b) Die planerische Vorhabengenehmigung im vereinfachten Verfahren Aus § 116 Abs. 2 RE-UGB I ergibt sich, unter welchen Voraussetzungen für Gewässerausbauten sowie Deich- und Dammbauten im Sinne des § 50 Abs. 3 Nr. 3 RE-UGB I die planerische Vorhabengenehmigung im vereinfachten Ver___________ 321 322 323 324

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 192. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 184. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 192. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 192.

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fahren erteilt werden kann. Inhaltlich stellt sich die Regelung als eine Kombination zwischen der Möglichkeit einer Plangenehmigung bei fehlender UVPPflicht gemäß § 31 Abs. 3 WHG und den Anforderungen an eine Plangenehmigung nach § 74 Abs. 6 VwVfG dar. Gemäß § 116 Abs. 2 RE-UGB I kann die Genehmigung in einem vereinfachten Verfahren erteilt werden, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen vorliegen: Zunächst darf für das Vorhaben keine UVP-Pflicht bestehen, weil in diesem Fall kein geeignetes Trägerverfahren für die Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist.325 Weiterhin ist erforderlich, dass Rechte anderer nicht oder „nicht wesentlich“ beeinträchtigt werden, mithin keine spürbare Beeinträchtigung von Belangen Dritter vorliegt.326 Bei einer wesentlichen Rechtsbeeinträchtigung kann dennoch ein vereinfachtes Verfahren durchgeführt werden, wenn sich die Betroffenen mit der Inanspruchnahme ihres Eigentums oder eines anderen Rechts schriftlich einverstanden erklären. Außerdem muss mit den Trägern öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich berührt wird, das Benehmen hergestellt werden. Zur Wahrung der durch sie vertretenen öffentlichen Belange müssen sie zu dem Vorhaben Stellung beziehen können.327 Wie man am Wortlaut sieht („kann“), entscheidet die Genehmigungsbehörde nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen, ob sie sich dieser Verfahrensart bedienen will. Dadurch kann sie auf die Besonderheiten des Einzelfalls Rücksicht nehmen, etwa wenn trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten zu erwarten sind.328 Die Ermessensausübung hat sich am Sinn und Zweck des § 116 RE-UGB I auszurichten. Vor allem in einfach gelagerten Fällen soll der erhebliche Zeit- und Kostenaufwand vermieden werden, der mit einer Öffentlichkeitsbeteiligung verbunden ist.329 Auf Antrag des Vorhabenträgers ist ein Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen. Insoweit wird die Optionsmöglichkeit des § 19 Abs. 3 BImSchG auf Durchführung eines förmlichen Verfahrens aufgegriffen.330 Hinsichtlich der in § 116 Abs. 4 RE-UGB I aufgezählten wasserwirtschaftlichen Vorhaben wird den Ländern ermöglicht, diese kraft Landesrechts ganz von der Genehmigungsbedürftigkeit auszunehmen. In § 117 RE-UGB I werden sodann diejenigen Vorschriften aufgezählt, die im vereinfachten Verfahren nicht zur Anwendung kommen. Es handelt sich dabei um den Ausschluss von Einwendungen beim Vorbescheid und der Teilgenehmigung (§ 55 Abs. 5 RE-UGB I), die Ausschlusswirkung der Genehmi___________ 325 326 327 328 329 330

Siehe zu diesem Aspekt Kopp/Ramsauer (Fn. 18), § 74 Rn. 160. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 193. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 193. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 193. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 193. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 193.

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gung hinsichtlich privatrechtlicher Ansprüche (§ 58 Abs. 2 RE-UGB I), die Regelungen zur getrennten Vorlage bestimmter sensibler Antragsunterlagen (§ 85 Abs. 4, Abs. 5 RE-UGB I), den gesamten Abschnitt über die Öffentlichkeitsbeteiligung (§§ 91-100 RE-UGB I), § 102 Abs. 1 S. 3-5, Abs. 2, 3 sowie §§ 103-107 RE-UGB I. Gemäß § 117 Abs. 2 RE-UGB I „soll“ über den Gewässerausbau im vereinfachten Verfahren innerhalb von drei Monaten entschieden werden. c) Stellungnahme zu den verfahrensrechtlichen Anforderungen Eine Gesamtbetrachtung der Verfahrensregeln für die planerische integrierte Vorhabengenehmigung ergibt, dass die Struktur der Entscheidungsfindung, wie sie aus dem bisherigen Planungsrecht bekannt ist, beibehalten wird. Die zentralen Verfahrensschritte der Behördenbeteiligung, der Öffentlichkeitsbeteiligung durch Auslegung und der Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen und ihrer anschließenden Erörterung bleiben im Umweltgesetzbuch erhalten.331 Die Rechtsanwendung wird gegenüber dem bisherigen Planfeststellungsrecht komplizierter. Da die Verfahrensvorschriften des Umweltgesetzbuchs an der gebundenen integrierten Vorhabengenehmigung ausgerichtet sind, ist immer ein Blick auf die §§ 109 ff. RE-UGB I zu werfen, inwieweit diese Normen hinsichtlich der planerischen Vorhabengenehmigung modifiziert werden. Die bislang im Planfeststellungsrecht anzutreffende Trennung von Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde wird im Referentenentwurf des UGB I aufgehoben.332 Das gesamte Verfahren wird vor und von der Genehmigungsbehörde durchgeführt. In Abweichung von dem geltenden Planungsrecht, das die Bekanntmachung und Auslegung der Unterlagen den Gemeinden zuweist, obliegen diese Verfahrensschritte künftig der Genehmigungsbehörde. Unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung ist dies positiv zu bewerten.333 Es macht Sinn, wenn die Anhörung unmittelbar durch diejenige Behörde erfolgt, die später die Entscheidung trifft.334 So gewinnt sie einen eigenen, unvermittelten Eindruck von dem Vorhaben. Je weniger andere Träger öffentlicher Belange mit der Wahrnehmung bestimmter Verfahrensschritte betraut werden müssen, desto geringer ist regelmäßig der Verwaltungsaufwand.335 Die Verfahrensbeschleunigung ist ein wichtiges Anliegen des Referentenentwurfs, da häufig Fristvor___________ 331

Siehe zum UGB-KomE Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 36; Schlarmann (Fn. 183), S. 840. 332 Siehe zum UGB-KomE Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 37. 333 So zur Behördenidentität auch Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 37; s. auch Kopp/ Ramsauer (Fn. 18), § 73 Rn. 14. 334 Siehe zum UGB-KomE Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 37. 335 Siehe dazu auch Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 37.

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gaben für einzelne Verfahrensschritte bzw. ein unverzügliches Handeln vorgeschrieben werden. Die Verfahrensvorschriften stellen insgesamt eine Mixtur der bisherigen Normen aus dem Immissionsschutzrecht und den verwaltungsverfahrensrechtlichen Normen zur Planfeststellung dar. In geringem Maße werden auch Ansätze aus dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz übernommen. Auch wenn das Umweltgesetzbuch nach Vereinheitlichung und Vereinfachung strebt, wird die Einheit der Rechtsordnung insgesamt nicht verbessert. Künftig gibt es Planungen, für welche das Verfahrensregime des VwVfG, die Sonderregelungen aus dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz oder diejenigen des Umweltgesetzbuchs gelten. In allen drei Bereichen gibt es in Details voneinander abweichende Verfahrensvorgaben. Insoweit wäre zu überlegen, ob sich keine größere Übereinstimmung erzielen lässt. Gegenüber der bisherigen Rechtslage werden bestimmte Verfahrensschritte, die in der Praxis bislang ohne normative Regelung durchgeführt werden, etwa die Prüfung der Antragsunterlagen, nunmehr rechtlich durchformt.336 Teilweise, etwa bei der Vorschrift zur Antragsablehnung, ist kritisch zu hinterfragen, ob derartige normative Anweisungen wirklich benötigt werden. Durch das Mehr an Regeln wird die „Freiheit“ der Genehmigungsbehörde, wie sie verfahren will, eingeengt. Andererseits können damit aber auch positive Effekte einhergehen. Für die Verwaltungsbeamten, aber auch den Einzelnen wird die Struktur des Verfahrens klar festgelegt.337 Insoweit gilt es, einen gelungenen Mittelweg zu finden zwischen der Anleitung der Genehmigungsbehörde einerseits und dem unabweisbaren Bedürfnis andererseits, in gewissen Situationen ausreichend flexibel agieren zu können. Infolge der stärkeren Durchnormierung des Verfahrens werden zum Teil neue Verfahrenselemente verbindlich vorgeschrieben. Vor allem die Verfahrensanforderungen im Zusammenhang mit der Antragstellung sind deutlich gestiegen. Hier sei nur an die Antragsberatung, die detaillierteren Vorgaben hinsichtlich der Antragsunterlagen, die Notwendigkeit der Eingangsbestätigung und der zu prüfenden und zu bestätigenden Vollständigkeit der Unterlagen erinnert. Neu wird die Einholung der Sachverständigengutachten geregelt. Bei der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung sind insbesondere folgende Gesichtspunkte hervorzuheben: Die bislang obligatorische materielle Behördenpräklusion soll durch eine SollPräklusion ersetzt werden. An die Stelle der Interessentenbeteiligung tritt eine Popularbeteiligung. Sofern das Verfahrensrecht nicht durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben determiniert wird, ist die Entscheidung zwischen diesen ___________ 336

Siehe zum UGB-KomE Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 37. Siehe dazu, dass gesetzliche Regelungen zu einem Mehr an Beschleunigung führen können, daneben aber stets andere Umstände zu beachten sind, Ziekow/Ortel/Windoffer, Dauer von Zulassungsverfahren, 2005, S. 344 ff.; dies., DVBl 2006, 1469, 1477. 337

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Modellen hauptsächlich politischer Natur. Hinsichtlich des Erörterungstermins ist zu klären, ob man sich hier nicht auf ein durchgängiges Modell verständigen könnte, das bei allen Vorhaben, seien sie im UGB oder anderswo geregelt, zur Anwendung kommt.338 Auch wenn das Ziel des UGB in einer Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften besteht, sollte dieses Gesetzesprojekt nicht dazu führen, dass die Rechtslage insgesamt weiter „zersplittert“ wird. 7. Zur Genehmigungsentscheidung einschließlich nachträglicher Maßnahmen a) Die Regelungen des Referentenentwurfs Die planerische Genehmigung kann mit Nebenbestimmungen versehen werden. Weil § 65 RE-UGB I auf § 57 Satz 1 RE-UGB I verweist, ist eine Beifügung von Nebenbestimmungen zur Sicherstellung der zwingenden Genehmigungsvoraussetzungen zulässig.339 Da die planerische Genehmigung eine Abwägungsentscheidung ist, können zusätzlich Nebenbestimmungen aufgenommen werden, soweit dies zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf öffentliche oder private Belange erforderlich oder zweckmäßig ist. In Anlehnung an landeswasserrechtliche Bestimmungen kann die Genehmigungsbehörde entsprechend § 57 Abs. 1 S. 2 RE-UGB I auch eine Sicherheitsleistung für Gewässerbenutzungen verlangen, die mit dem planerischen Vorhaben verbunden sind.340 Da § 65 Abs. 1 RE-UGB I die Anwendbarkeit des § 57 Abs. 2 REUGB I gerade nicht ausschließt, kann die planerische Genehmigung auf Antrag, für Gewässerbenutzungen auch von Amts wegen, für einen bestimmten Zeitraum erteilt werden. Darin liegt möglicherweise der Weg, die bei einer Benutzung des Gewässers gebotene Flexibilität herzustellen. Allerdings ist bislang die Zulässigkeit der Befristung einzelner Aspekte einer in einer Konzentrationsentscheidung enthaltenen Gestattung noch nicht abschließend geklärt.341 Denkbar wäre dies, wenn man die umschlossenen behördlichen Entscheidungen nicht als Gesamtes, sondern isoliert für sich betrachtet. Mit Fristablauf würde dem Vorhabenträger die Erlaubnis für die Gewässerbenutzung fehlen. Eine derartige isolierte Betrachtung könnte angebracht sein, wenn eine erneute, möglicherweise aber im Umfang modifizierte Gestattung in Betracht kommt oder das Vorhaben als solches auch bei Wegfall der wasserrechtlichen Gestattung weiterhin Sinn macht. ___________ 338 339 340 341

Siehe dazu auch Gönner (Fn. 137), S. 12. Siehe auch Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 72. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 121. Guckelberger (Fn. 99), § 13 Rn. 89 f.

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§ 65 Abs. 2 RE-UGB I entspricht § 74 Abs. 2 S. 2, 3 VwVfG bzw. der vergleichbaren Vorschrift des § 31 Abs. 5 S. 2 WHG.342 Danach „sind“ dem Vorhabenträger die Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Einrichtungen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. Auf diese Weise werden die Vorhabensbetroffenen vor nachteiligen Wirkungen des Vorhabens auf ihre Rechte geschützt.343 Im Unterschied zu anderen Belangen, die in der planerischen Abwägung überwindbar sind, sind Rechtsbeeinträchtigungen Dritter grundsätzlich durch geeignete Vorkehrungen zu vermeiden.344 Nur wenn derartige Vorkehrungen oder Einrichtungen unverhältnismäßig sind oder sich mit dem Vorhaben nicht vereinbaren lassen, wandelt sich der primäre Anspruch auf Kompensationsmaßnahmen in einen Anspruch auf angemessene Entschädigung um.345 § 65 Abs. 3 RE-UGB I greift die Regelung des § 74 Abs. 3 VwVfG auf.346 Soweit eine abschließende Entscheidung über Einzelheiten des Vorhabens noch nicht möglich ist, kann diese in der planerischen Genehmigung vorbehalten werden. Dabei wird explizit klargestellt, dass ein solcher Vorbehalt ausscheidet, wenn ohne den ausstehenden Teil kein gerechtes Abwägungsergebnis möglich ist. Die Rechtswirkungen der planerischen Genehmigung sind § 66 RE-UGB I zu entnehmen. Inhaltlich entspricht die Vorschrift § 75 Abs. 1, 1a, 2 S. 1 VwVfG.347 Die Genehmigung entscheidet über die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich nötiger Folgemaßnahmen an anderen Vorhaben im Hinblick auf alle berührten öffentlichen Belange (Genehmigungswirkung). Sie hat gestaltende Wirkung,348 da im Umfang der Entscheidung alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Vorhabenträger und den Vorhabensbetroffenen rechtsgestaltend geregelt werden. Gemäß § 66 Abs. 2 RE-UGB I entfaltet die planerische Genehmigung eine umfassende Konzentrationswirkung, indem sie sämtliche anderen, das Vorhaben betreffenden behördlichen Entscheidungen ersetzt.349 Aus wasserrechtlicher Sicht ist besonders hervorzuheben, dass die Entscheidung über die Zulassung von Gewässerbenutzungen abweichend vom derzeitigen § 14 Abs. 1 WHG künftig integraler Bestandteil der planerischen Genehmigung sein wird.350 Die bestandskräftige planerische Genehmigung ent___________ 342 343 344 345 346 347 348 349 350

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 72. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 121. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 121. Siehe auch Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 121 f. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 122. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 122. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 123. Siehe dazu Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 123. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 123.

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faltet gegenüber der gebundenen Vorhabengenehmigung eine weitergehende Ausschlusswirkung. Dies wird dadurch ausgedrückt, dass § 58 Abs. 2 S. 1 REUGB I mit der Maßgabe gilt, dass auch Ansprüche auf Schutzvorkehrungen oder Schadensersatzansprüche ausgeschlossen sind. Deshalb sind nicht nur Abwehransprüche gegen das Vorhaben selbst, sondern auch Ansprüche auf Schutzvorkehrungen oder Schadensersatz mit Unanfechtbarkeit der Genehmigung präkludiert. Indem § 120 Abs. 2 RE-UGB I jedoch „unberührt“ bleibt, wird klar gestellt, dass die Ausschlusswirkung nicht für die dort geregelten unvorhersehbaren nachteiligen Wirkungen gilt.351 In § 66 Abs. 4 RE-UGB I wird die enteignungsrechtliche Vorwirkung der planerischen Genehmigung geregelt. Danach ist die Enteignung zulässig, soweit das Vorhaben dem Wohl der Allgemeinheit dient und sie zur Ausführung einer planerischen Genehmigung notwendig ist. Ausweislich der Erläuterung des Referentenentwurfs unterfallen dieser Regelung nicht nur ausschließlich gemeinnützige Vorhaben, sondern auch privatnützige Vorhaben, „die maßgeblich zugleich dem Allgemeinwohl dienen.“352 Auf diese Weise sollen die vergleichbaren landesrechtlichen Vorschriften für Gewässerausbauten ersetzt werden.353 Während bislang der Plangenehmigung nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz keine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt, soll die planerische Genehmigung enteignungsrechtliche Vorwirkung unabhängig davon haben, ob sie in einem Verfahren mit Beteiligung der Öffentlichkeit oder in einem vereinfachten Verfahren erteilt wurde. „Die Einbeziehung der planerischen Genehmigung auch im vereinfachten Verfahren in die enteignungsrechtliche Vorwirkung erfolgt vor dem Hintergrund, dass gemäß § 116 Abs. 2 das vereinfachte Verfahren auch bei nicht wesentlichen Rechtsbeeinträchtigungen zulässig ist. Korrespondierend dazu sind enteignungsrechtliche Wirkungen denkbar, die hauptsächlich formalen Charakter haben und sich materiell kaum spürbar auf die Rechtsposition auswirken, etwa bei Grunddienstbarkeiten für Nutzungen tief unterhalb einer privaten Grundstücksfläche. Die Vorteile des vereinfachten Verfahrens sollen auch diesen einfach gelagerten Fällen mit geringfügiger enteignungsrechtlicher Vorwirkung zukommen.“354 Die planerische Genehmigung ist später für die Enteignungsbehörde hinsichtlich des „Ob“ der Enteignung bindend.355 § 66 Abs. 5 RE-UGB I entspricht der Regelung des § 75 Abs. 1a VwVfG zu den fehlerhaften Planungsentscheidungen. Mängel bei der Abwägung sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich auf das Abwägungsergebnis von Einfluss ___________ 351 352 353 354 355

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 123. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 124. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 124. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 124. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 124.

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gewesen sind. Eine Aufhebung der planerischen Genehmigung wegen eines derartigen Mangels erfolgt lediglich, wenn er sich nicht durch eine Ergänzung der Genehmigung oder durch ein ergänzendes Verfahren beheben lässt. In Anlehnung an das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz sind für die Planergänzung und das ergänzende Verfahren die Vorschriften über die Änderungen von Vorhaben entsprechend anzuwenden. Begründet wird dies damit, dass zur Heilung des Fehlers im Ergebnis die planerische Genehmigung geändert oder ergänzt werden müsse, was der Situation bei Änderungsvorhaben gleichkomme.356 § 67 RE-UGB I befasst sich mit dem Erlöschen und der Aufhebung der planerischen Genehmigung. Nach Absatz 1 erlischt die Genehmigung, wenn mit der Durchführung des Vorhabens nicht innerhalb von acht Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen wird, wobei diese Frist unter den Voraussetzungen des § 59 Abs. 2 RE-UGB I um höchstens fünf weitere Jahre verlängert werden darf. Die planerische Genehmigung erlischt also spätestens nach dreizehn Jahren, wenn nicht bis dahin mit der Durchführung des Vorhabens begonnen wird.357 Im Vergleich zum allgemeinen Planfeststellungsrecht ist diese Rechtslage für den Vorhabenträger vorteilhafter, da dort die Erlöschensfrist bei fünf Jahren liegt und keine Verlängerungsoption besteht.358 Im Übrigen erlischt die Genehmigung gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 2-4 RE-UGB I bei einer Unterbrechung des fristgemäß begonnenen Vorhabens für einen Zeitraum von drei Jahren, bei Aufhebung des Genehmigungserfordernisses oder bei Verzicht auf die Genehmigung.359 Die Regelung des § 67 Abs. 2 RE-UGB I zur Aufhebung der Genehmigung entspricht § 77 VwVfG.360 Für die Änderung von Vorhaben gilt grundsätzlich § 68 RE-UGB I. Wird aber ein Gewässerausbau nach seiner Fertigstellung geändert, soll diese Regelung nicht zur Anwendung kommen. Denn bei einem abgeschlossenen Gewässerausbau ist die Beurteilung weiterer Eingriffe unter Änderungsgesichtspunkten aufgrund des Zusammenhangs mit anderen Gewässern unpraktikabel. Deshalb bleibt es für Gewässerausbauten bei der bisherigen Rechtslage, dass Eingriffe in ein Gewässer nach Fertigstellung des Ausbaus bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen als Neuvorhaben zu bewerten sind.361 Weil sich ___________ 356

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 125. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 126. 358 Nach dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz gilt demgegenüber für die Rechtwirkungen der Planfeststellung, dass der Plan außer Kraft tritt, wenn mit seiner Durchführung nicht innerhalb von zehn Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen wird, sofern er nicht vorher von der Planfeststellungsbehörde auf Antrag des Vorhabenträgers um höchstens fünf Jahre verlängert wird. 359 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 126. 360 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 126. 361 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 127. 357

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§ 68 Abs. 1 RE-UGB I nach seinem Wortlaut nicht auf Deich- und Dammbauten bezieht, sind für diese Vorhaben wegen ihres eher anlagenbezogenen Charakters die §§ 60, 61 RE-UGB I entsprechend heranzuziehen, sofern § 68 REUGB I keine abweichende Sonderregelung enthält.362 Schließlich ist die Vorschrift des § 120 RE-UGB I zu nachträglichen Anordnungen bei planerisch genehmigten Vorhaben zu beachten. Nach Absatz 1 Satz 1 gelten für Vorhaben nach § 50 Abs. 3 RE-UGB I, worunter auch Gewässerausbauten sowie Deich- und Dammbauten fallen, die Regelungen des § 119 Abs. 1, 2, und 4 bis 8 entsprechend. Gemäß § 119 Abs. 1 RE-UGB I können zur Erfüllung der sich aus diesem Buch ergebenden Pflichten nach Erteilung der Genehmigung Anordnungen getroffen werden. Diese Regelung knüpft an § 17 BImSchG an. Sie ist vor allem hinsichtlich der Einhaltung der Grundpflichten des § 52 RE-UGB I von Bedeutung, die über die Genehmigungsentscheidung hinaus gelten und damit die Grundlage für eine Dynamisierung der Umweltanforderungen durch nachträgliche Anordnungen bilden.363 Erfüllt ein Vorhabenträger seine Grundpflichten nicht, kann die zuständige Behörde nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen eine nachträgliche Anordnung erlassen.364 Sie „soll“ so verfahren, wenn sich nach Erteilung der Genehmigung herausstellt, dass die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umweltveränderungen oder sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen geschützt ist. Weiterhin können nachträgliche Anordnungen zur Gewährleistung einer recht- und zweckmäßigen Planungsentscheidung getroffen werden (§ 120 Abs. 1 S. 3 RE-UGB I). Nach § 119 Abs. 4 RE-UGB I darf keine nachträgliche Anordnung getroffen werden, wenn sie unverhältnismäßig ist. In diesem Fall „soll“ die zuständige Behörde die Genehmigung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften widerrufen. Während mit § 120 Abs. 1 RE-UGB I für Planungsvorhaben Neuland betreten wird, greift Absatz 2 die Regelung des § 75 Abs. 2, 3 VwVfG auf.365 Wenn nach Unanfechtbarkeit der planerischen Genehmigung nachteilige, nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens auf das Recht eines Dritten auftreten, kann er die nachträgliche Ergänzung der planerischen Genehmigung verlangen. Der Antrag kann nur innerhalb von drei Jahren nach dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene Kenntnis von den nachteiligen Wirkungen erlangt hat, gestellt werden und ist ausgeschlossen, wenn nach Herstellung des der planerischen ___________ 362

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 127. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 32; s. zu dieser Dynamisierung auch Hoppe/ Schlarmann (Fn. 96), S. 123; Michler, DVBl 1999, 816, 826; Spoerr, DVBl 1999, 1463, 1468. 364 Siehe zum UGB-KomE Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 124. 365 Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 200. 363

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Genehmigung entsprechenden Zustands mehr als dreißig Jahre verstrichen sind. b) Stellungnahme Die meisten Regelungen zu den Wirkungen der planerischen Genehmigung stimmen weitestgehend mit denjenigen des geltenden Planfeststellungsrechts überein. Dies sieht man insbesondere daran, dass hinsichtlich der Wirkungen der planerischen Genehmigung in der Erläuterung des Referentenentwurfs regelmäßig auf die planungsrechtlichen Normen rekurriert wird und das Immissionsschutzrecht keinerlei Erwähnung findet. Als Neuigkeiten sind vor allem die Erstreckung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung auf die in einem vereinfachten Verfahren erteilte planerische Genehmigung und die im Vergleich zum geltenden Planfeststellungsrecht deutlich verlängerte, gegenüber den Vorhaben des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes aber kürzere Erlöschensfrist zu nennen. Die neuen Vorschriften lassen sich manchmal nur mühsam erschließen, weil sie auf die allgemeinen Vorschriften zur gebundenen integrierten Vorhabengenehmigung Bezug nehmen. Als Exempel dafür sei die in § 66 RE-UGB I geregelte Ausschlusswirkung genannt. Ein relevanter Unterschied zur geltenden Rechtslage ergibt sich daraus, dass künftig auch bei Planungsvorhaben nachträgliche Anordnungen vorgesehen werden. Dies beruht darauf, dass in diesem Punkt eine Parallele zum Immissionsschutzrecht gezogen wird. Dadurch wird die Bestandskraft der Planungsentscheidung eingeschränkt.366 Soweit der Vorhabenträger drittschützende Grundpflichten nicht befolgt, können diese gerichtlich eingefordert werden.367 Begrenzend wirken insoweit nur noch das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie die einengenden Anforderungen an den Widerruf der Planungsentscheidung. 8. Zulassung vorzeitigen Beginns und in Teilen Der UGB-Referentenentwurf enthält auch Vorschriften zur Zulassung des vorzeitigen Beginns und zur Teilgenehmigung. An die Stelle der in § 55 REUGB I vorgesehenen Teilgenehmigung tritt die in § 64 RE-UGB I vorgesehene planerische Genehmigung in Abschnitten. Motiv für diese Vorschrift ist die vergleichbare Regelung in § 31 Abs. 4 WHG, wobei im Referentenentwurf davon ausgegangen wird, dass bei allen planerischen Entscheidungen ein entsprechender Bedarf für eine solche Zulassungsform besteht.368 Nach § 64 Abs. 1 ___________ 366 367 368

Siehe auch Michler, DVBl 1999, 816, 826. Hoppe/Schlarmann (Fn. 96), S. 124 f. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 119.

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RE-UGB I dürfen Vorhaben einschließlich notwendiger Folgemaßnahmen, die wegen ihres räumlichen oder zeitlichen Umfangs in selbstständigen Abschnitten durchgeführt werden, vorbehaltlich der Anforderungen des § 63 RE-UGB I nur unter den Voraussetzungen des § 55 Abs. 1, 2 RE-UGB I zugelassen werden. Nach der Erläuterung des Referentenentwurfs ist die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte eigene sachliche Rechtfertigung für den jeweiligen Abschnitt als ungeschriebener Grundsatz einer rechtsstaatlichen Planung auch bei § 63 RE-UGB I zu prüfen.369 Das vorläufige positive Gesamturteil wird nun in § 55 RE-UGB I geregelt. Dieser lässt eine Teilgenehmigung bei berechtigtem Interesse auf Antrag des Vorhabenträgers zu, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen des Prüfungsgegenstandes vorliegen und eine vorläufige Prüfung ergibt, dass der Durchführung des Vorhabens keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen. Das Gesamturteil ist dabei sowohl auf die Genehmigungsvoraussetzungen als auch die erkennbaren Umweltauswirkungen des Gesamtvorhabens zu beziehen.370 Wegen der Verweisung auf § 55 Abs. 2 RE-UGB I darf die abschnittsweise Genehmigung bei UVP-pflichtigen Vorhaben nur nach Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung ergehen. Ausweislich des Normtexts ist die Umweltverträglichkeitsprüfung hinsichtlich der Umweltauswirkungen, über die endgültig entschieden wird, abschließend und hat sich im Rahmen der vorläufigen Gesamtbeurteilung auf die nach dem jeweiligen Planungsstand erkennbaren Umweltauswirkungen des Gesamtvorhabens zu erstrecken. Außerdem schreibt § 64 Abs. 1 S. 2 RE-UGB I wegen des erweiterten Prüfprogramms der planerischen Vorhabengenehmigung vor, dass die vorläufige Prüfung auch die von vornherein unüberwindlichen Hindernisse hinsichtlich entgegenstehender öffentlicher und privater Belange erfasst.371 Nach § 64 Abs. 2 RE-UGB I entfaltet das vorläufige positive Gesamturteil bei der planerischen Genehmigung keine Bindungswirkung für die nachfolgenden Abschnitte.372 Für die Zulassung des vorzeitigen Beginns gilt § 56 RE-UGB I ohne Anordnung von Modifizierungen. Danach kann die Genehmigungsbehörde auf Antrag vorläufig zulassen, dass bereits vor Erteilung der Genehmigung mit der Errichtung einer Anlage oder mit der Benutzung eines Gewässers begonnen wird, wenn (1.) mit einer Entscheidung zugunsten des Vorhabenträgers gerechnet werden kann, (2.) an dem vorzeitigen Beginn ein öffentliches Interesse oder berechtigtes Interesse des Vorhabenträgers besteht und sich (3.) der Vorhabenträger dazu verpflichtet, alle bis zur Entscheidung durch das Vorhaben verursachten Schäden zu ersetzen und, falls die Genehmigung nicht erteilt wird, den frü___________ 369 370 371 372

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 119. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 119. Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 120. Siehe dazu Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 120.

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heren Zustand wiederherzustellen. Die Zulassung kann jederzeit widerrufen oder mit Nebenbestimmungen versehen werden (§ 56 Abs. 3 RE-UGB I). Insoweit bestehen keine Unterschiede zu § 9a WHG. Ein Novum stellt die explizite Regelung dar, dass für UVP-pflichtige Vorhaben die Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 1 nur dann vorliegen, wenn die Genehmigungsbehörde auf Grundlage der Antragsunterlagen, der behördlichen Stellungnahmen sowie der Einwendungen der Öffentlichkeit die zu erwartenden Umweltauswirkungen für diejenigen Teile des Vorhabens bewertet, die Gegenstand der Zulassung des vorzeitigen Beginns sein sollen, und dieses Ergebnis bei der Entscheidung nach Nr. 1 berücksichtigt wird. Bei UVP-pflichtigen Vorhaben kann also der vorzeitige Beginn nur relativ spät gestattet werden, wenn die vorgeschriebene Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt wurde.373

IV. Fazit Nach der Konzeption des Referentenentwurfs wird die wasserrechtliche Planung an das Modell der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung herangerückt. Dies zeigt sich unter anderem an den Genehmigungsvoraussetzungen und bei der Möglichkeit nachträglicher Anordnungen. Das Mehr an materiellen Voraussetzungen wird im Ergebnis dazu führen, dass die behördliche Abwägung an Bedeutung verliert. Auf jeden Fall sollte man sich vergewissern, ob bei einer vermehrten materiell-rechtlichen Anreicherung der Zulassungsentscheidung noch ausreichend Raum bleibt, um eine den Umständen des jeweiligen Planvorhabens angemessene Lösung zu finden. Dem Referentenentwurf liegt ein Kombinationsmodell zu Grunde, bei welchem den Genehmigungsvoraussetzungen eine Abwägungsklausel aufgesetzt wird. Dabei scheint man davon auszugehen, dass sich diese beiden Bereiche einerseits ohne weiteres separieren und andererseits addieren lassen. Erst die Praxis wird jedoch erweisen, ob sich diese beiden Seiten der Zulassung von Gewässerausbauten tatsächlich so klar voneinander abschichten lassen. Da die Rechtsprechung bei privatnützigen Gewässerausbauten eine gewisse Nähe zu den Kontrollerlaubnissen ausgemacht hat, stellt der Übergang zur planerischen Genehmigung in diesem Bereich noch keinen so großen Umbruch wie möglicherweise bei anderen fachplanerischen Entscheidungen dar. Im Moment wird die integrierte planerische Vorhabengenehmigung nur für solche planfeststellungsbedürftige Vorhaben vorgesehen, die in den Zuständigkeitsbereich des Bundesumweltministeriums fallen.374 Mit den Worten von Rainer Wahl werden von der planerischen ___________ 373 374

Erläuterung UGB I (Fn. 121), S. 111. Siehe dazu Stüer, DVBl 2007, 1544, 1545.

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Vorhabengenehmigung nur fünf, für das eigentliche Fachplanungsrecht eher periphere Vorhabensarten erfasst.375 Langfristig sollte man sich über die Sinnhaftigkeit der Implementierung einer weiteren Zulassungsform mit planerischen Zügen Gedanken machen. Zum einen kann man die Gewässerausbauten als Vorhaben zur Erprobung der neuen Zulassungsformen sehen, um daraus Rückschlüsse für andere Planungsentscheidungen zu ziehen. Zum anderen hat sich die bisherige Planungsdogmatik bewährt, so dass die neue Genehmigungsform möglicherweise nur neue Spannungen hervorrufen wird. Vergleicht man die aktuelle Rechtslage zu den Gewässerausbauten mit derjenigen des Referentenentwurfs, wird die Rechtsanwendung durch die UGBRegelungen nicht einfacher, sondern schwieriger. Bislang konnte man die wesentlichen materiellen Anforderungen für Gewässerausbauten § 31 WHG entnehmen. Künftig muss man sich diese mühsam zusammensuchen. So ergibt sich aus § 75 Abs. 2 RE-UGB I, dass bei Gewässerausbauten nicht vermeidbare Beeinträchtigungen natürlicher Rückhalteflächen, des natürlichen Abflussverhaltens oder naturraumtypischer Lebensgemeinschaften auszugleichen sind. Das Renaturierungs- und Erhaltungsgebot ist in § 6 Abs. 2 RE-UGB II verortet und aus § 3 Nr. 8 RE-UGB II ergibt sich, was schädliche Gewässerveränderungen sind. Da die gewöhnliche Vorhabengenehmigung das Grundmodell des Referentenentwurfs bildet, ist stets zu prüfen, inwieweit die für sie geltenden Vorschriften durch Normen zur planerischen Genehmigung modifiziert werden. Da die Regelungen zur planerischen Genehmigung mit den Basisnormen meistens über Verweisungen verzahnt werden, entstehen zum Teil schwer lesbare Normengebilde. Auch wenn das Umweltgesetzbuch nach Vereinheitlichung und Vereinfachung strebt, wird insgesamt die Einheit der Rechtsordnung nicht verbessert. Künftig gibt es planerische Entscheidungen, für welche das Verfahrensregime des Verwaltungsverfahrensgesetzes, des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes oder des Umweltgesetzbuchs gilt, deren Normen alle in Details voneinander abweichen. Es bleibt abzuwarten, welchen weiteren Verlauf das UGB-Vorhaben nehmen wird, insbesondere welche Gestalt der integrierten Vorhabengenehmigung letztlich in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht gegeben wird.

___________ 375 Wahl (Fn. 238), Kap. 4 Rn. 23; s. zur Frage, ob der Anwendungsbereich der planerischen Vorhabengenehmigung auf weitere Vorhaben ausgedehnt werden soll, Diederichsen (Fn. 169), S. 373 f.; für eine Ausdehnung Gönner (Fn. 137), S. 9.

Verzeichnis der Autoren Wolfgang Baumann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Baumann Rechtsanwälte, Würzburg Eckhard Bock, Dipl.-Ingenieur, Stadtplaner SRL, Berlin Dr. Rudolf Brüggemann, Regierungsdirektor, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bonn Dr. Annette Guckelberger, Univ.-Prof., Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Nikolaus Herrmann, Prof., Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, Wiesbaden Dr. Alexander Jannasch, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig Dr. Hans Walter Louis, Prof., LL.M., Ministerialrat, Braunschweig Lorenz Prell, Bundesministerium des Innern, Berlin Dr. Michael Ronellenfitsch, Univ.-Prof., Universität Tübingen Jutta Schmidt, Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, Mainz Dr. Christian Schrader, Prof. Hochschule Fulda Dr. Matthias Weigand, Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, München