Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen: Neue Erkenntnisse und Praxisbeispiele [1. Aufl. 2019] 978-3-658-27411-5, 978-3-658-27412-2

Dieses Fachbuch vermittelt in insgesamt 13 Einzelbeiträgen die Möglichkeiten und Grenzen der Additiven Fertigung im Hinb

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German Pages X, 227 [237] Year 2019

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Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen: Neue Erkenntnisse und Praxisbeispiele [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-27411-5, 978-3-658-27412-2

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-X
Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile unter Ausnutzung der Potentiale des Laser-Strahlschmelzens (Jan-Peter Brüggemann, Lena Risse, Gunter Kullmer, Hans Albert Richard)....Pages 1-22
Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung (Artjom Dsuban, Johannes Lohn, Jan-Peter Brüggemann, Gunter Kullmer)....Pages 23-34
Einsatz ingenieurmäßiger Methoden zur Lösung chirurgischer Herausforderungen (Lena Risse, Steven Clifford Woodcock, Jan-Peter Brüggemann, Britta Schramm, Gunter Kullmer, Hans Albert Richard)....Pages 35-56
Entwicklung und additive Fertigung zyklisch beanspruchter Strukturen am Beispiel von metallischen Großbauteilen (Maximilian Ley, Bastian Blinn, Christoph Petroll, Tillmann Beck, Roman Teutsch)....Pages 57-70
Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik – PowderGenetics© (Tom Näke, Marion Eiber)....Pages 71-84
Von der Pore zum Gefüge: Die Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur von Nickelbasiswerkstoffen (Bettina Dausend, Marion Eiber)....Pages 85-100
Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten metallischen Strukturen und deren Berücksichtigung bei der Schwingfestigkeitsbewertung (Rainer Wagener, Matilde Scurria, Kai Schnabel, Thilo Bein)....Pages 101-126
Quantitative Untersuchungen der statischen und zyklischen Festigkeitseigenschaften von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg (Martin Hankele, Martin Werz, Stefan Weihe)....Pages 127-144
Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften bei Raum- und Hochtemperatur an additiv gefertigten Miniaturproben (Daniel Kotzem, Felix Stern, Frank Walther)....Pages 145-156
Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung von laserstrahlgeschmolzenen „3D-gedruckten“ Werkstoffen: TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L (Wadim Reschetnik, Gunter Kullmer, Hans Albert Richard)....Pages 157-170
Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen in Abhängigkeit der Einsatzfrequenz (Benjamin Bauer, Gunter Kullmer, Hans Albert Richard)....Pages 171-184
Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Verstärkungsstrukturen unter dynamischer Beanspruchung (André Hirsch, Mark Stefan Paulus, Elmar Moritzer)....Pages 185-198
Numerische Simulation zur Vorhersage von Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug beim selektiven Laserstrahlschmelzen (Moritz Käß, Martin Werz, Stefan Weihe)....Pages 199-222
Back Matter ....Pages 223-227

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Hans Albert Richard Britta Schramm Thomas Zipsner Hrsg.

Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen Neue Erkenntnisse und Praxisbeispiele

Deutscher Verband für Materialforschung und -prüfung e.V.

Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen

Hans Albert Richard · Britta Schramm · Thomas Zipsner (Hrsg.)

Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen Neue Erkenntnisse und Praxisbeispiele

Hrsg. Hans Albert Richard Fakultät für Maschinenbau – FAM Universität Paderborn Paderborn, Deutschland

Britta Schramm Fakultät für Maschinenbau – FAM Universität Paderborn Paderborn, Deutschland

Thomas Zipsner Essenheim, Deutschland Haftungsbeschränkung: Die Herausgeber und die Autoren haben alle Texte, Formeln und Abbildungen mit größter Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Deshalb übernehmen weder die Herausgeber noch die Autoren und der Verlag irgendwelche Garantien für die in diesem Buch abgedruckten Informationen. In keinem Fall haften die Herausgeber, die Autoren und der Verlag für irgendwelche direkten oder indirekten Schäden, die aus der Anwendung dieser Informationen folgen.

ISBN 978-3-658-27412-2  (eBook) ISBN 978-3-658-27411-5 https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

V

Vorwort Additive Fertigungsverfahren gelten als zukunftsweisend und erfreuen sich daher großer Aufmerksamkeit. Der Fertigungsprozess erfolgt schichtweise, was die Herstellung von Bauteilen hoher Komplexität sowie von filigranen und dennoch steifen und hochfesten Strukturen erlaubt. Einzelfertigung und Kleinserienfertigung ist somit möglich, bei nahezu unbegrenzter gestalterischer Freiheit. Dabei werden umfangreiche Anforderungen, wie z. B. Reproduzierbarkeit, Vorhersagbarkeit, Betriebsfestigkeit und Bruchsicherheit an reale additiv gefertigte Bauteile und Strukturen gestellt. Das vorliegende Fachbuch ist entstanden im Anschluss an die zweite und dritte Tagung „Additiv gefertigte Bauteile und Strukturen“ des Deutschen Verbands für Materialforschung und -prüfung (DVM), die am 09. und 10. November 2017 und am 07. und 08. November 2018 in Berlin stattfanden. Zahlreiche Referenten der Tagungen konnten als Autoren für dieses Buchprojekt „Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen – Neue Erkenntnisse und Praxisbeispiele“ gewonnen werden. Die Autoren sind Experten aus verschiedenen Fachgebieten von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Die Inhalte der in diesem Buch berücksichtigten Beiträge gehen dabei z. T. deutlich über die Vortragsinhalte der Tagung hinaus und beschäftigen sich u. a. mit folgenden Schwerpunktthemen: •

Anwendungsgebiete der additiven Fertigung



Praxisbeispiele



Werkstoffkennwerte für Kunststoff- und Metallbauteile



Einfluss der Fertigungsverfahren und der Nachbehandlungsverfahren auf die Materialund Struktureigenschaften



Modellierung der Werkstoffeigenschaften und Bemessungskonzepte



Lebensdauerbeeinflussung mittels additiver Fertigung



Filigrane Leichtbaustrukturen



Schadenstoleranzkonzepte



Leichtbaustrukturen, z. B. aus den Bereichen Verkehrstechnik, Maschinenbau und Medizintechnik.

Das Buch bietet demzufolge viele aktuelle Beiträge zu anwendungsnahen Themen, die unter anderem für Ingenieure und Naturwissenschaftler in der Praxis und für Nachwuchswissenschaftler an den Forschungsinstituten von großem Interesse sind. Auch Ärzte und Medizintechniker aus den Bereichen Radiologie, Chirurgie und Orthopädie können hier Anregungen finden. Geeignet ist dieses Buch auch für Studierende der Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie der Medizin und Medizintechnik und verwandter Gebiete an Universitäten und Fachhochschulen.

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Vorwort

Die Herausgeber bedanken sich herzlich bei den Autoren, die durch ihre wissenschaftlichen und praktischen Beiträge zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben. Dank geht auch an den Deutschen Verband für Materialforschung und -prüfung (DVM) und den Springer Vieweg Verlag für die Unterstützung dieses Buchprojekts. Besonders bedanken möchten sich die Herausgeber bei Frau M. Sc. Lena Risse, Universität Paderborn, für die Erstellung des Gesamtmanuskripts. Das Buch bietet dem Leser die Möglichkeit, sich der Thematik der Additiven Fertigung aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. Es beinhaltet zahlreiche Ansätze und Anregungen für weitere erfolgreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Berlin, Paderborn, Wiesbaden im Juni 2019 Hans Albert Richard, Britta Schramm, Thomas Zipsner

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Inhaltsverzeichnis Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile unter Ausnutzung der Potentiale des LaserStrahlschmelzens

Seite 1-22

Einleitung, Vorgehensweise bei der Entwicklung optimaler Strukturen, Möglichkeiten der Finite-Elemente Methode, Optimierungsstrategien auf Basis der Strukturmechanik, Experimentelle Bauteilprüfung der optimierten Strukturkomponenten, Fazit Jan-Peter Brüggemann, Lena Risse, Gunter Kullmer, Hans Albert Richard

Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung

Seite 23-34

Einleitung, Entwicklung eines Qualitätssicherungskonzeptes für die additive Fertigung, Validierung des Vorgehens anhand eines laserstrahlgeschmolzenen Radträgers, Zusammenfassung und Ausblick Artjom Dsuban, Johannes Lohn, Jan-Peter Brüggemann, Gunter Kullmer

Einsatz ingenieurmäßiger Methoden zur Lösung chirurgischer Herausforderungen

Seite 35-56

Einleitung, CAE-gestützte Planung chirurgischer Eingriffe, Potentiale additiver Fertigungsverfahren zur Strukturoptimierung von Implantaten, Fazit Lena Risse, Steven Clifford Woodcock, Jan-Peter Brüggemann, Britta Schramm, Gunter Kullmer, Hans Albert Richard

Entwicklung und additive Fertigung zyklisch beanspruchter Strukturen am Beispiel von metallischen Großbauteilen

Seite 57-70

Einleitung, Methodisch strukturierte Vorgehensweise zur Identifikation geeigneter Bauteile, Materialkennwerte, Konstruktion/Optimierung, Fertigungsstudie, Validierung des Bauteildesigns und der Fertigungsstrategie, Zusammenfassung und Ausblick Maximilian Ley, Bastian Blinn, Christoph Petroll, Tillmann Beck, Roman Teutsch

VIII

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

Inhaltsverzeichnis

Seite 71-84

Einleitung, Qualitätsrelevante Pulvereigenschaften, Konventionell eingesetzte chemische und physikalische Methoden (Auswahl), Ableitung eines standardisierten Verfahrens - PowderGenetics©, Schlussfolgerungen und Ausblick Tom Näke, Marion Eiber

Von der Pore zum Gefüge: Die Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur von Nickelbasiswerkstoffen

Seite 85-100

Einleitung, Heißisostatisches Pressen (HIP), Gegenstand der Untersuchungen, Fazit, Schlussfolgerungen und Ausblick Bettina Dausend, Marion Eiber

Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten metallischen Strukturen und deren Berücksichtigung bei der Schwingfestigkeitsbewertung

Seite 101-126

Einleitung, Einflussgrößen auf die Schwingfestigkeit, Nachbehandlung von AMBauteilen, Besonderheiten in der Bemessung von additiv gefertigten metallischen Bauteilen, Berücksichtigung der Einflussgrößen in einem Bemessungskonzept, Beispiel eines zu bewertenden AM-Bauteils, Übertragbarkeit bekannter Konzepte auf additiv gefertigter Bauteile, Proben, Prüftechnik, Zyklisches Werkstoffverhalten, AlSi10Mg, Inconel 718, Schlussfolgerungen Rainer Wagener, Matilde Scurria, Kai Schnabel, Thilo Bein

Quantitative Untersuchungen der statischen und zyklischen Festigkeitseigenschaften von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

Seite 127-144

Einleitung, Einflüsse auf die Festigkeit von additiv gefertigten Proben, Versuchsaufbau und -durchführung, Ergebnisse der statischen und zyklischen Festigkeitsuntersuchung, Kritische Bewertung und Diskussion, Fazit Martin Hankele, Martin Werz, Stefan Weihe

Inhaltsverzeichnis

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften bei Raum- und Hochtemperatur an additiv gefertigten Miniaturproben

IX

Seite 145-156

Einleitung, Experimentelle Methoden, Ergebnisse und Diskussion, Zusammenfassung und Ausblick Daniel Kotzem, Felix Stern, Frank Walther

Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung von laserstrahlgeschmolzenen „3D-gedruckten“ Werkstoffen: TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

Seite 157-170

Einleitung, Experimentelle Untersuchungen: Testaufbau und Versuchsdurchführung, Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung, Fazit Wadim Reschetnik, Gunter Kullmer, Hans Albert Richard

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen in Abhängigkeit der Einsatzfrequenz

Seite 171-184

Einleitung, Mechanische Spektroskopie von Polyamid 12, Probenspezifikation und Probenherstellung, Einfluss der Prüfparameter auf das Werkstoffverhalten von Polyamid 12, Ermittlung von Kalibrierkurven, Bruchmechanische Untersuchungen, Zusammenfassung und Ausblick Benjamin Bauer, Gunter Kullmer, Hans Albert Richard

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Verstärkungsstrukturen unter dynamischer Beanspruchung

Seite 185-198

Einleitung, Parametereinflüsse auf die Festigkeiten beim FDM, Experimentelle Untersuchungen, Zusammenfassung und Ausblick André Hirsch, Mark Stefan Paulus, Elmar Moritzer

X

Inhaltsverzeichnis

Numerische Simulation zur Vorhersage von Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug beim selektiven Laserstrahlschmelzen

Seite 199-222

Einleitung, Stand der Technik: Simulation von Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug beim selektiven Laserstrahlschmelzen, Numerische Untersuchungen, Fazit Moritz Käß, Martin Werz, Stefan Weihe

Sachwortverzeichnis DVM – Bauteil verstehen.

Seite 223-226 Seite 227

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Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile unter Ausnutzung der Potentiale des Laser-Strahlschmelzens J.-P. Brüggemann, L. Risse, G. Kullmer, H. A. Richard Fachgruppe Angewandte Mechanik, Universität Paderborn Direct Manufacturing Research Center, Universität Paderborn

Zusammenfassung Unter Berücksichtigung der steigenden Anforderungen an Strukturkomponenten in der industriellen Anwendung und beispielsweise auch im Leistungssport besteht der Bedarf, individuelle oder hinsichtlich verschiedener Anforderungen optimierte Bauteile und Strukturen zu entwickeln. Im Rahmen dieses Beitrags werden Ansätze zur Optimierung von Strukturbauteilen geliefert, die auf den Einsatz von Topologieoptimierungsprogrammen verzichten und somit eine kosteneffiziente Alternative darstellen. Mit dem Fokus der Festigkeits-, Leichtbau- und / oder Steifigkeitsoptimierung werden anhand von realen Strukturbauteilen Optimierungsstrategien erläutert und angewendet. Die Auslegung aller vorgestellten Komponenten berücksichtigt normative Vorgaben zur betriebssicheren Gestaltung und marktübliche Anschlussmaße, die den späteren Praxiseinsatz ermöglichen. Um die Betriebssicherheit zu gewährleisten, werden abschließend experimentelle Bauteilprüfungen für die optimierten Strukturkomponenten durchgeführt.

Stichwörter: Optimierungsstrategie, Strukturmechanik, Leichtbaukonstruktion, Laser-Strahlschmelzprozess

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_1

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Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile

1 Einleitung Die Anforderungen an technische Strukturbauteile haben in den letzten Jahren an Komplexität zugenommen. Zudem steigt die Relevanz des Leichtbaugedankens bei industriellen Anwendungen, die durch klimapolitische Auflagen forciert werden. Daraus resultierend müssen bei deren Auslegung neben der Betriebssicherheit auch Umweltaspekte berücksichtigt werden, um durch Reduktion von Emissionen und durch Ressourceneffizienz nachhaltige Produkte herstellen zu können. Die Entwicklung und Weiterentwicklung dieser Komponenten zielt deshalb auf eine leichtbau- und lebensdaueroptimierte Konstruktion bei gleichzeitig ausreichend hoher Festigkeit und Steifigkeit des Bauteils ab [1]. Zahlreiche Ansätze zur Optimierung von Strukturbauteilen ermöglichen die Generierung völlig neuer Geometrien. Auf Basis einer Produktidee können Anforderungen an das Bauteil, wie beispielsweise Anschlussmaße, der maximal zulässige Bauraum oder die zu ertragenden Belastungen definiert werden. Ein anhand der Anforderungen erstelltes initiales Modell kann anschließend mittels verschiedener Strategien (z. B. rechnergestützte Verfahren) optimiert werden. Daraus entsteht eine Struktur, die im Hinblick auf verschiedene Randbedingungen angepasst und verbessert wird. In dem darauffolgenden Herstellungsprozess wird diese gefertigt, so dass schlussendlich mit dem fertigen Bauteil das Ende des Produktentstehungsprozesses erreicht wird [2]. Da die optimierten Strukturen teilweise komplex aufgebaut sein können, werden neuartige Fertigungsverfahren zur Herstellung der Produkte benötigt. Die additive Fertigung bietet die Möglichkeit der Entwicklung und Optimierung von festigkeitsund leichtbauoptimierten Strukturbauteilen [3]. Durch die gestalterische Freiheit sind während des Optimierungsprozesses nur wenige Restriktionen in Bezug auf die Herstellbarkeit gegeben. Im Zusammenspiel mit dem Einsatz hochfester Werkstoffe wird weiteres Leichtbaupotential geschaffen. Dieser Beitrag liefert Ansätze zur Optimierung von Strukturbauteilen, die auf den Einsatz von Topologieoptimierungsprogrammen verzichten und somit möglicherweise eine kosteneffiziente Alternative darstellen.

2 Vorgehensweise bei der Entwicklung optimaler Strukturen Der Optimierungsprozess ist eine Maßnahme zur Verbesserung eines momentan vorliegenden Zustandes. Dabei kann diese Verbesserung hinsichtlich unterschiedlicher, zuvor definierter Kriterien durchgeführt werden. Der, im Hinblick auf ein zu erreichendes Ziel, bestmögliche Entwurf wird allgemein als „optimal“ bezeichnet [4]. Um einen optimalen Entwurf zu generieren, können bei der Entwicklung technischer, verbesserter Strukturen verschiedene Vorgehensweisen verwendet werden. Mit Hilfe der Strukturmechanik können Optimierungsaufgaben hinsichtlich des Festigkeits-, Steifigkeits- oder des Gewichtsaspektes durch analytische Vorgehensweisen gelöst werden. Dazu zählt beispielsweise die Auswahl eines der Belastung angepassten Grundprofils durch die Kenntnis der resultierenden Beanspruchungen. Komplexere Optimierungsaufgaben erfordern zur erfolgreichen Durchführung ein differenziertes, systematisches Vorgehen. In diesem Zusammenhang gewann die numerische Analyse von Optimierungsherausforderungen in den letzten Jahren immer stärker an Bedeutung [5]. Um die Anwendung einer entsprechenden systematischen Vorgehensweise zu ermöglichen, müssen sowohl der momentan vorliegende Zustand als

Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile

3

auch das Verbesserungspotential beschreibbar sein. Optimierungstypen können grundsätzlich in die drei Arten •

Dimensionierung,



Formoptimierung und



Topologieoptimierung

eingeteilt werden [5]. Die Komplexität der Optimierung nimmt dabei, ausgehend von der Dimensionierung bis hin zur Topologieoptimierung, zu. Bei der Dimensionierung werden einer vorgegebenen Geometrie, wie Querschnittsflächen, Wandstärken und Ähnliches, lediglich Zahlenwerte zugewiesen. Demgegenüber werden bei der Formoptimierung auch grundlegende Änderungen an der Geometrie anhand einer beanspruchungsgerecht angepassten Variation der Außenkontur durchgeführt [5]. Die Topologieoptimierung hingegen beschreibt die Lage und Anordnung von Strukturelementen [6]. Somit werden nicht nur Veränderungen an der Außenkontur vorgenommen, sondern die gesamte Materialanordnung wird auch durch Hohlräume, Löcher oder Verzweigungen modelliert und damit optimiert [5, 7]. Die Definition der auftretenden Entwurfsvariablen ist die Grundlage jeder Strukturoptimierungsaufgabe, die auf Methoden der mathematischen Optimierung zurückgreift [7]. Entwurfsvariablen können in Restriktionen und Zielfunktionen eingeteilt werden. Restriktionen beschreiben in diesem Zusammenhang notwendige physikalisch-technische Anforderungen, die aufgrund der Herstellbarkeit oder der späteren Funktionalität der Strukturkomponente einzuhalten sind [6]. Die Zielfunktionen beschreiben das Optimierungsziel, wobei das Optimum mathematisch als Extremum einer Funktion abbildbar ist [5]. Optimierungsprozesse mit dem Ziel der Entwicklung einer optimierten Leichtbaustruktur verwenden als Zielfunktion die Gewichts- bzw. Massenreduktion. Erforderliche Nebenbedingungen für eine sichere Bauteilauslegung und Gewährleistung der Funktionalität sind Festigkeits- und Steifigkeitskriterien. Grundsätzlich können zwei Vorgehensweisen bei der Entwicklung unterschieden werden, die in Abbildung 1 dargestellt sind. Unabhängig von der gewählten Vorgehensweise müssen vor Beginn des Entwicklungsprozesses die erforderlichen Rand- und Zwangsbedingungen festgelegt werden. Diese umfassen beispielsweise den Werkstoff, die auftretende Belastung sowie den zur Verfügung stehenden Designraum. Bei der ersten Methode, dem klassischen, analytischen Vorgehen, wird zunächst ein Geometrieentwurf, der sich auf die Grundlagen der Technischen Mechanik bezieht, festgelegt. Eine anschließende FE-Analyse detektiert Optimierungspotentiale des aktuellen Entwurfs. Nachfolgend werden hochbelastete Bereiche verstärkt und gering beanspruchtes Material entfernt beziehungsweise reduziert. Dieser iterative Prozess, der mit jedem Schritt einen höheren Detaillierungsgrad annimmt, wird bis zum Erreichen eines zuvor definierten Designziels wiederholt. Eine mögliche optimale Geometrie kann beliebig komplex gestaltet sein, so dass gegebenenfalls konventionelle Herstellungsverfahren ihre Grenzen erreichen [9]. Der Einsatz moderner Fertigungsverfahren mit einem hohen Grad an gestalterischer Freiheit ist zur Vermeidung weiterer fertigungsbedingter Restriktionen notwendig. Die im Rahmen dieses Beitrags angewandte zweite Vorgehensweise nutzt eine Topologieoptimierungssoftware. Die Verwendung eines geeigneten Optimierungsprogramms unterstützt den Optimierungsprozess, indem weitere Designvorschläge für eine optimale Materialanordnung geliefert werden. Dabei muss zu Beginn der maximal zulässige Bauraum definiert werden. Dieser wird mit den Zielfunktionen, Nebenbedingungen und Restriktionen an die Topologieoptimierungssoftware übergeben. Der generierte Designvorschlag wird im Nachgang in eine parametri-

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Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile

sche Konstruktion überführt, um eine anschließende Detailoptimierung durchzuführen. Das Zusammenspiel von computergestützter Konstruktion (CAD) und numerischer Analyse führt zum Zieldesign.

Abbildung 1:

Vorgehensweisen bei der Optimierung [8]

Bei der Strukturoptimierung können beide Vorgehensweisen auch kombiniert angewendet werden, um möglichst viele Vorteile auszunutzen. Die Verwendung der Finite-Elemente Methode (FEM) ist dabei essentiell, um Potentiale für eine erfolgreiche Strukturoptimierung aufzuzeigen.

3 Möglichkeiten der Finite-Elemente Methode Der Einsatz der Finite-Elemente Methode während des Produktentstehungsprozesses trägt zu einer Verkürzung der Entwicklungszeit bei [10]. Das beschleunigt die Markteinführung des entwickelten Produkts, so dass Unternehmen potentielle Marktvorteile gegenüber Mitbewerbern erhalten können. Zudem ist der Einsatz von numerischen Methoden zur sicheren Konstruktion und Auslegung von Bauteilen, möglichst von Beginn des Entwicklungsprozesses an, zu empfehlen [11]. Auf diese Art und Weise können aufwändige, kosten- und zeitintensive Bauteiltests weitestgehend reduziert werden. Aufgrund des durch den verminderten Umfang an realen Bauteiltests eingesparten Materials inklusive der Produktionszeiten werden Umweltaspekte berücksichtigt, da Ressourcen geschont werden. Neben diesem positiven Aspekt wird zusätzlich die Wirtschaftlichkeit für das Unternehmen insgesamt gesteigert. Besonders wirkungsvoll ist die FEM im Zusammenspiel mit einem CAD-Programm [10]. Die FEM visualisiert die auftretende Beanspruchung im Bauteil und gibt so Aufschluss über Optimierungspotential in einem deutlich höheren Umfang als ein Bauteil, welches im experimentellen Test versagt. Mit dem Ziel einer homogenen Werkstoffausnutzung vor dem Hintergrund einer festigkeits- und leichtbauoptimierten Struktur wird im Anschluss an die numerische

Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile

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Analyse die Konstruktion systematisch angepasst. Dieses zielgerichtete Vorgehen ermöglicht die Optimierung der Ingenieurstätigkeit und die Beschleunigung des Strukturoptimierungsprozesses [10]. Die Finite-Elemente Methode ist ein leistungsfähiges Werkzeug mit dessen Unterstützung auch komplexe Anwendungsfälle, bei denen analytische Methoden ihre Grenzen erreichen, berechnet werden können. Die Güte der Ergebnisse der numerischen Analyse ist dabei stark abhängig von der vorab durchzuführenden Ingenieurleistung. Ziel der Simulation ist, dass die Realität durch das Modell möglichst genau abgebildet wird, um im Praxiseinsatz den Betriebsbelastungen entsprechend standzuhalten. Der Fokus liegt dabei auf der korrekten Festlegung sowie der programmtechnischen Implementierung der wirkenden Rand- und Zwangsbedingungen [12]. Sind diese Bedingungen falsch gewählt oder nicht passend in der FE-Simulation umgesetzt, ist die Verwertbarkeit der Berechnungsergebnisse eingeschränkt, da die Rand- und Zwangsbedingungen einen enormen Einfluss auf die Qualität der Resultate der numerischen Analyse besitzen.

4 Optimierungsstrategien auf Basis der Strukturmechanik In diesem Kapitel des Beitrags werden unterschiedliche Herangehensweisen an eine technische Herausforderung aufgezeigt und Strategien zur Leichtbauoptimierung von Strukturen entwickelt. Zunächst werden im Sinne des Produktentstehungsprozesses die erforderlichen Rand- und Zwangsbedingungen, die Lasten sowie der zu Verfügung stehende Bauraum definiert. Auf Basis dessen werden unter zu Hilfenahme der Kenntnisse der Technischen Mechanik geeignete Profilformen ausgewählt und ein initiales Modell für die Optimierung erstellt. Durch das Zusammenspiel von CAD und FEM sowie der Verwendung der entwickelten Optimierungsstrategien werden leichtbauoptimierte Strukturen generiert.

4.1 Definition der Rand- und Zwangsbedingungen Grundlegend für eine Optimierung von Bauteilen und Strukturen ist die Kenntnis der auftretenden Rand- und Zwangsbedingungen. Dazu zählen die Anschlussmaße, der zur Verfügung stehende Bauraum, der Werkstoff sowie die Lagerung und Belastung des Strukturbauteils. Nachfolgend werden diese Rand- und Zwangsbedingungen für die Komponente „überlanger Fahrradvorbau“ definiert. In Abbildung 2 sind die geometrischen Restriktionen dargestellt. Um einen für handelsübliche Fahrräder verwendbaren Fahrradvorbau zu entwickeln, sind die Anschlussmaße für die Durchmesser der Gabelaufnahme (Abbildung 2a) sowie der Lenkeraufnahme (Abbildung 2b) einzuhalten. Der im Rahmen dieses Beitrags zu optimierende Vorbau besitzt eine Länge von 140 mm, die größer ist, als die der auf dem Fahrradmarkt standardmäßig erhältlichen Vorbauten. Die Optimierung wird für zwei verschiedene Designräume durchgeführt: ein runder Querschnitt (Ø50 mm, Abbildung 2c) und ein quadratischer Querschnitt (50x50 mm, Abbildung 2d). Die beiden Designräume sind zu Beginn des Optimierungsprozesses vollständig mit Material gefüllt, nur die Bohrungen zur Aufnahme von Lenker und Gabel sind eingebracht und von der Optimierung ausgeschlossen.

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Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile

Abbildung 2:

Anschlussmaße und Designräume [8] a) Anschlussmaß für Gabelaufnahme und wirksamer Hebelarm b) Durchmesser für die Lenkeraufnahme c) Designraum „rund“ d) Designraum „rechteckig“

Der Werkstoff für die additive Fertigung des Vorbaus ist die Titanaluminiumlegierung TiAl6V4, deren Werkstoffkennwerte für den Zustand nach dem heißisostatischen Pressen (HIP) in Tabelle 1 aufgeführt sind. Tabelle 1:

Mechanische Werkstoffkennwerte der Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 [13]

Werkstoff

Rp0,2 [MPa]

Rm [MPa]

E-Modul [MPa]

TiAl6V4

912

1005

115 000

Die existierende Norm [14], die Prüfverfahren für den Vorbau vorgibt, ist Grundlage für die Definition der Lastfälle, denen das optimierte Strukturbauteil standhalten muss. Der Vorbau ist ein sicherheitsrelevantes Bauteil, das im Betrieb zahlreichen unterschiedlichen Lastsituationen ausgesetzt ist. Diese werden in statischen und zyklischen Prüfungen abgebildet, von denen einige exemplarisch in Abbildung 3 dargestellt sind. Insgesamt schreibt die Norm elf verschiedene Prüfungen vor, die die unterschiedlichen alltäglichen Belastungen des Fahrradvorbaus widerspiegeln sollen. Abbildung 3a visualisiert das statische Prüfverfahren „Biegung vorwärts“. Die zweite statische Prüfung ist die „seitliche Biegung“, die in Abbildung 3b gezeigt ist. Der zyklische Lastfall „Gleichphasige Biegung“ (Abbildung 3c) stellt die Situation des Bremsens dar, wohingegen die „Gegenphasige Belastung“, die in Abbildung 3d illustriert ist, den „Wiegetritt“ beim Bergauffahren nachbildet. Aus diesen Lastfällen resultieren unterschiedliche Beanspruchungsarten im Fahrradvorbau. Diese werden analysiert, da geeignete Geometrien bei Optimierungsaufgaben von den auftretenden Beanspruchungen abhängen.

Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile

Abbildung 3:

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Auszug der Prüfverfahren aus [14] a) Statisches Prüfverfahren „Biegung vorwärts“ b) Statisches Prüfverfahren „Seitliche Biegung“ c) Zyklisches Prüfverfahren „Gleichphasige Belastung“ d) Zyklisches Prüfverfahren „Gegenphasige Belastung“

In Abbildung 4 ist exemplarisch die Analyse auftretender Belastungsarten und -höhen eines Fahrradvorbaus – Verbindung von Gabelschaft und Lenker – dargestellt. Das Strukturbauteil erfährt resultierend aus Vorgaben der entsprechenden Norm [14] sowohl Biege- als auch Torsionsbelastungen, die einzeln oder auch kombiniert auftreten können.

Abbildung 4:

Analyse der auftretenden Belastungen bei dem Fahrradvorbau [15]

Zudem wird bei dem Vergleich der verschiedenen Lastfälle in Abbildung 4 deutlich, dass die maximale Höhe der Belastungen nahezu identisch ist (Lastfall I-II beziehungsweise Lastfall III-IV). Aus den Lastfällen mit den kritischsten Belastungen werden nachfolgend Profilformen beziehungsweise Strukturen abgeleitet und eine adäquate Optimierungsstrategie ausgewählt. Das weitere Vorgehen unterscheidet sich dann entsprechend der gewählten Strategie.

8

Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile

4.2 Strukturmechanische Überlegungen Für die Optimierung eines Vorbaus mit dem Designraum „rund“ werden geeignete Profilformen detektiert, um eine weitere Masseneinsparung durch Detailoptimierungen zu realisieren. In diesem Zusammenhang wird zunächst die relative Materialanordnung analysiert. Diese resultiert aus den Überlegungen der Technischen Mechanik und der damit einhergehenden Kenntnis über die wirkenden Spannungskomponenten, hervorgerufen durch die äußere Belastungssituation. Diese aus der Analyse der Spannungen optimierte relative Geometrie ist werkstoffunabhängig. Nach Bestimmung der relativen Form und Gestalt der Strukturkomponente nach mehreren Iterationsschritten werden die absoluten Maße und Wanddicken unter Einbeziehung der Materialkennwerte und den daraus resultierenden zulässigen maximalen Spannungen festgelegt und durch numerische Unterstützung angepasst. Für die im Fahrradvorbau herrschende Beanspruchungssituation, die sich aus Biegung und / oder Torsion zusammensetzt, stellt das Rohrprofil ein belastungsgerechtes Querschnittsprofil vor allem zur Aufnahme der Torsionsmomente dar [16]. Für die leichtbauoptimierte Auslegung und die damit verbundene Gewichtsreduktion ist die Entfernung von Material ein möglicher Ansatz. Der Werkstoff im Inneren der Struktur trägt nur gering zum Widerstandsmoment der Struktur bei. Diese zur Aufnahme des Biege- und Torsionsmoments notwendigen Widerstands- sowie Flächenträgheitsmomente dürfen bei Verringerung der Wandstärke nicht zu klein werden. Zum einen kann eine sichere Funktionserfüllung nicht mehr gewährleistet werden, da die auftretenden Verformungen zu groß werden oder aber Stabilitätsprobleme (Beulen der Struktur) auftreten können. Zum anderen übersteigen die auftretenden Spannungen die zulässigen Werte, so dass die Festigkeitsnachweise nicht mehr erbracht werden können. Um dennoch eine weitere Massenreduktion in der Struktur zu erzielen, besteht die Möglichkeit, belastungsgerecht angeordnete Ausschnitte in das Rohrprofil einzubringen (Abbildung 5).

Abbildung 5:

Mechanische Ersatzmodelle mit beanspruchungsangepassten Ausschnitten in Anlehnung an [15] a) Normalspannungsbeanspruchte Scheibe mit langlochartigen Ausschnitten b) Schubspannungsbeanspruchte Scheibe mit quadratähnlichen Ausschnitten c) Überlagert beanspruchte Scheibe mit angepassten Ausschnitten, 0 < α < 45° Auf diese Weise werden scharfe Kraftflussumlenkungen und damit einhergehende Spannungsspitzen weitestgehend vermieden. Die Analyse der aus den Belastungen resultierenden Beanspruchungen liefert Aussagen zur optimalen Ausschnittanordnung. Die Richtung der wirkenden Hauptnormalspannung ist entscheidend für die Anordnung beziehungsweise für die Ausrichtung der Ausschnitte. So wirken diese bei reiner Normalbeanspruchung unter einem Winkel α = 0° (Abbildung 5a), reiner Schub bewirkt Hauptspannungen unter α = 45° (Abbildung 5b). Beliebige Überlagerungen dieser beiden Beanspruchungsarten bewirken einen Winkel α zwischen 0°

Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile

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und 45°, wie beispielsweise in Abbildung 5c skizziert ist. Diese theoretischen Vorüberlegungen werden, wie in Abbildung 6 dargestellt, auf die Strukturkomponente „Fahrradvorbau“ übertragen.

Abbildung 6:

Übertragung der Ersatzmodelle auf eine reale Strukturkomponente in Anlehnung an [15] a) Übertragung der Erkenntnisse auf ein normalspannungsbeanspruchtes Bauteil b) Übertragung der Erkenntnisse auf ein schubspannungs- und überlagert beanspruchtes Bauteil

In einem ersten Schritt werden unter verschiedenen Winkeln geneigte Rautengeometrien (siehe Markierungen in Abbildung 6a und 6b) in das Rohrprofil eingebracht und dann mit Hilfe der numerischen Analyse durch Verrundungen so angepasst, dass die Spannungen homogenisiert werden. Die optimale Aufnahme der auftretenden Beanspruchungen Torsion und Biegung wird durch eine über die gesamte Geometrie variable Ausrichtung und Positionierung der Ausschnitte realisiert. Die Erkenntnisse werden auf ein 3D-CAD Modell übertragen, um im Nachgang eine numerische Analyse für die statischen und die zyklischen Lastfälle durchzuführen. Ziel ist dabei, die strukturmechanische Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Dazu werden ein Festigkeits- sowie ein Dauerfestigkeitsnachweis durchgeführt. Die Grundaussage dieser beiden Nachweise ist, dass die wirksamen Beanspruchungen im Bauteil zu jeder Zeit kleiner sein müssen als die Tragfähigkeit des Werkstoffs [17]. In Abbildung 7 sind die numerischen Analysen für die beiden statischen Lastfälle dargestellt.

Abbildung 7:

Numerische Analyse der Beanspruchungssituation für das finale Modell aus dem Designraum „rund“ [8] a) Statischer Lastfall „Biegung vorwärts“ b) Statischer Lastfall „Seitliche Biegung“

Zur Festlegung der werkstoffseitig zulässigen Spannung wird die Rp0,2-Dehngrenze durch einen Sicherheitsfaktor SF gegen Fließen dividiert [18]. Aufgrund des Materialverhaltens der verwendeten Titanaluminiumlegierung wird zur Auswertung der Spannungen die Gestaltänderungs-

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Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile

energiehypothese nach VON MISES herangezogen. Bei dem statischen Lastfall „Biegung vorwärts“ treten keine kritischen Spannungen im Fahrradvorbau auf (siehe Abbildung 7a). Die höchsten Spannungen sind im Biegebalken auf der Oberseite vorzufinden und liegen auf einem niedrigen Spannungsniveau. Die Ergebnisse der numerischen Analyse des statischen Lastfalls „Seitliche Biegung“, die in Abbildung 7b dargestellt sind, liefern höhere Spannungen. Jedoch sind auch diese im mittleren Spannungsniveau, so dass die statischen Prüfungen nicht als kritisch für die Strukturkomponente zu bewerten sind. Da der Vorbau ein zyklisch belastetes Bauteil ist, sind die Prüfungen „Gleichphasige und „Gegenphasige Belastung“ in [14] vorgesehen. Zur Reduktion des experimentellen Aufwands für die Bauteilprüfungen ist in [14] eine zeitfeste Auslegung mit einer zu ertragenden Lastwechselzahl von 1·105 festgelegt. Da das Versagen bei zyklischen Belastungen meist ein Ermüdungsbruch ist, werden die Spannungen nach der Hauptnormalspannungshypothese nach NAVIER ausgewertet, da Risse global betrachtet stets senkrecht zur größten Hauptnormalspannung wachsen [17]. Dementsprechend sind für den Dauerfestigkeitsnachweis in Abbildung 8 die Ergebnisse der FE- Simulation für die zyklischen Lastfälle dargestellt.

Abbildung 8:

Numerische Analyse der Beanspruchungssituation für das finale Modell mit dem Designraum „rund“ [8] a) Zyklischer Lastfall „Gleichphasige Belastung“ b) Zyklischer Lastfall „Gegenphasige Belastung“

Die zulässige Spannung σa,zul resultiert zu 400 MPa. Dabei sind der technologische Größenbeiwert, die Oberflächenrauigkeit sowie ein Sicherheitsfaktor berücksichtigt. Während der zyklische Lastfall „Gegenphasige Belastung“ keine kritischen Beanspruchungen im Fahrradvorbau hervorruft (siehe Abbildung 8b) und die auftretenden Spannungen sowohl für den Zug- als auch für den Druckbereich im unteren Spannungsniveau einzuordnen sind, ist die „Gleichphasige Belastung“ der kritische Lastfall, der eine weitere Materialeinsparung limitiert. Im Ober- und Untergurt treten Spannungen nahe des zulässigen Spannungsmaximums auf (siehe Abbildung 8a). Darüber hinaus ist eine ausreichend hohe Steifigkeit der Komponente essentiell zur sicheren Funktionserfüllung. Das finale, numerisch validierte Modell ist in Abbildung 9a dargestellt. Der zuvor bezüglich relativer Abmessungen festgelegten Geometrie wurden in einem iterativen, numerisch unterstützten Prozess absolute Werte zugewiesen. Somit entsteht eine strukturmechanisch funktionsfähige Leichtbaustruktur. Zum Vergleich wird die Optimierungsaufgabe des Fahrradvorbaus mit rundem Designraum an ein Topologie-Optimierungsprogramm übergeben. Das Ergebnis ist in Abbildung 9b dargestellt. Auch in diesem Modell sind Ausschnitte eingebracht, die den zuvor beschriebenen mechanischen Grundüberlegungen entsprechen.

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Abbildung 9:

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Optimierungsergebnis für den Vorbau mit dem Designraum „rund“ [8] a) Finales Modell nach der Optimierung auf Basis der Strukturmechanik b) Ergebnis eines Topologie-Optimierungsprogramms für den Designraum „rund“

Die händische Optimierung nach dem klassischen Vorgehen kann jedoch eine größere Masseneinsparung (etwa 25 %) bei gleichzeitig zeiteffizienterem Arbeiten erzielen.

4.3 Ausnutzung des Leichtbaupotentials von Fachwerkstrukturen Die zweite Optimierungsstrategie basiert auf der Ausnutzung des Leichtbaupotentials von Fachwerkstrukturen. Ein Fachwerk ist ein aus Stäben aufgebautes und über Knoten verbundenes Gebilde. Das mechanische Element „Stab“ besitzt die aus Leichtbausicht positive Eigenschaft, dass sein Querschnitt immer gleichmäßig beansprucht wird und somit stets eine homogene Werkstoffausnutzung über den Querschnitt auftritt. Fachwerkstrukturen werden daher durch Zug- und Druckkräfte beansprucht und können somit schlank und leichtbauoptimiert ausgeführt werden. Durch eine systematische Anordnung und Ausrichtung der Stäbe in Richtung der wirkenden Hauptnormalspannungen kann das Leichtbaupotential ausgenutzt und eine Leichtbaustruktur generiert werden. Die Applikation dieser grundlegenden Herangehensweise wird an der Strukturkomponente „Fahrradvorbau“ mit rechteckigem Designraum umgesetzt. Zunächst werden Vorüberlegungen zur optimalen Anordnung der Stäbe durchgeführt, so dass die relativen Maße und die Geometrie festgelegt sind. Dabei wird neben analytischen Methoden auch eine Topologie-Optimierungssoftware zur Ideenfindung verwendet. Im Anschluss daran erfolgt die Festlegung der absoluten Maße unter Berücksichtigung der aus den Materialparametern resultierenden zulässigen Maximalspannungen. In Abbildung 10 ist der iterative Entwicklungsprozess des Fahrradvorbaus mit rechteckigem Designraum visualisiert. Ein analytisch, auf Grundlage der Strukturmechanik ausgelegtes Fachwerk ist in Abbildung 10a gezeigt. Die Stäbe besitzen eine konstante Wandstärke und sind so angeordnet, dass ein Ober- sowie ein Untergurt zur Aufnahme des Biegemomentes entstehen. Zur Erhöhung der Stabilität sind Stäbe an den Seiten eingebracht, um den Ober- und den Untergurt kinematisch zu koppeln. An der Ober- und der Unterseite sind zur Erhöhung der Torsionssteifigkeit ebenfalls Stäbe vorgesehen.

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Abbildung 10: Iterativer Entwicklungsprozess des Fahrradvorbaus [8] a) Analytisch ausgelegtes Fachwerk b) Topologieoptimierungsergebnis für den Designraum „rechteckig“ c) Parametrisiertes Modell Um den Entwicklungsprozess fortzuführen, wird eine Topologie-Optimierungssoftware zur Generierung weiterer Designvorschläge hinzugezogen. Das Ergebnis ist in Abbildung 10b dargestellt. Zur anschließenden numerischen Analyse wird das Modell parametrisiert (siehe Abbildung 10c), so dass eine systematische Bewertung und Optimierung der Designvorschläge durchgeführt werden kann. Nach mehreren Iterationen auf Grundlage der initialen Designvorschläge entsteht das finale Modell des Vorbaus mit dem Designraum „rechteckig“, das in Abbildung 11 visualisiert ist.

Abbildung 11: Finales Modell des Vorbaus mit dem Designraum „rechteckig“ [8] a) Isometrische Ansicht des Vorbaus b) Seitenansicht des Vorbaus c) Draufsicht des Vorbaus Abbildung 11a zeigt den Vorbau in isometrischer Ansicht. Das durch den analytischen Vorschlag generierte Prinzip mit Ober- und Untergurt sowie Verbindungsstreben an allen vier Flächen wird beibehalten. Die Streben werden auf Grundlage der Technischen Mechanik unter 45° ausgerichtet, um die Torsion bestmöglich aufnehmen zu können. Der Abstand zwischen Oberund Untergurt nimmt von der Krafteinleitung hin zur Einspannung zu (siehe Abbildung 11b), so dass ein der Beanspruchung angepasstes Widerstandsmoment gegen Biegung erzeugt wird. Auch die Dicke der Stäbe ist über die Länge des Vorbaus variabel der Beanspruchungssituation angepasst. In Abbildung 11c ist im Bereich der Krafteinleitungsstelle ein Versteifungskreuz eingebracht, welches zur Aufnahme der Torsion dient.

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Nachdem eine aus mechanischer Sicht sinnvolle relative Geometrie festgelegt ist, müssen die absoluten Maße in einem numerisch unterstützten Prozess festgelegt werden. In einem iterativen Vorgehen werden die erforderlichen Abmessungen der Stäbe analysiert. Die Ergebnisse der abschließenden, finalen FE-Analyse, die die betriebssichere Auslegung des Fahrradvorbaus bestätigen, sind in Abbildung 12 dargestellt.

Abbildung 12: Numerische Analyse der Beanspruchungssituation für das finale Modell mit dem Designraum „rechteckig“ [8] a) Statischer Lastfall „Biegung vorwärts“ b) Statischer Lastfall „Seitliche Biegung“ c) Zyklischer Lastfall „Gleichphasige Belastung“ d) Zyklischer Lastfall „Gegenphasige Belastung“ Auch zur Überprüfung, dass keine plastische Verformung eintritt, wird für die statischen Lastfälle die Gestaltänderungsenergiehypothese nach VON MISES verwendet. Die zulässige Spannung σzul liegt bei 700 MPa. Durch die Belastung „Biegung vorwärts“, die in Abbildung 12a dargestellt ist, wird bei dem Vorbau auf der Oberseite eine Zugspannung erzeugt, welche durch die beiden Stäbe in Längsrichtung aufgenommen wird. Der Vorbau wird insgesamt auf einem mittleren Spannungsniveau beansprucht. Bei der „Seitlichen Biegung“ wird der Vorbau durch Querkraftbiegung und, aufgrund der außermittigen Krafteinleitung, mit Torsion belastet (Abbildung 12b). Dementsprechend wird nun die gesamte Struktur beansprucht. An den Knotenpunkten sind Spannungen nah am Spannungsmaximum zu erkennen. Bei den zyklischen Lastfällen wird die Normalspannungshypothese nach NAVIER verwendet. Die numerische Analyse des Lastfalls „Gleichphasige Belastung“ ist in Abbildung 12c gezeigt. Da hier, vergleichbar zum statischen Lastfall „Biegung vorwärts“, der Vorbau hauptsächlich durch Zug- und Druckspannungen beansprucht wird, sind der Ober- und der Untergurt belastet. Die Spannungen sind als unkritisch zu bewerten. Nah an dem maximal zulässigen Spannungs-

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ausschlag sind die Spannungen bei dem Prüfverfahren „Gegenphasige Belastung“. Das in Abbildung 12d visualisierte Ergebnis der FE-Simulation weist hohe Werte an den Knotenpunkten, bedingt durch die wegen der Querschnittsübergänge auftretende Kerbwirkung, auf. Zur detaillierten Betrachtung und Veranschaulichung der optimalen Ausrichtung der Stäbe in Richtung der wirkenden Hauptnormalspannungen werden diese exemplarisch für den Lastfall „Gegenphasige Belastung“ ausgewertet und in Abbildung 13a illustriert. Durch die biegesteife Anbindung der Stäbe können diese theoretisch Biegemomente übertragen. Sind diese Biegemomente im Stab klein, so übertragen diese Bauteile tatsächlich nur Normalspannungen. Die optimale Ausrichtung der Stäbe wird durch die Analyse der Richtung der wirkenden Hauptnormalspannungen sichergestellt (Abbildung 13b).

Abbildung 13: Entwicklung einer beanspruchungsangepassten Fachwerkstruktur [15] a) Validierung der betriebsfesten Auslegung mittels FE-Simulation b) Analyse der auftretenden Hauptnormalspannungsrichtungen Die Pfeile stehen hier für die Richtung und den Betrag der wirkenden Hauptnormalspannungen: rote Pfeile symbolisieren Zugspannungen und blaue Pfeile Druckspannungen. An den Knotenpunkten sind Anhäufungen sowohl von roten als auch von blauen Pfeilen zu erkennen. Da aber der Großteil der Pfeile im Werkstoff beziehungsweise von Werkstoff umgeben ist, kann von einer beanspruchungsgerechten Auslegung und damit von einer leichtbauoptimierten Entwicklung der Strukturkomponente „Fahrradvorbau“ ausgegangen werden. Bei Stabstrukturen, die nicht ausschließlich auf Zug belastet sind, besteht die Gefahr des Ausknickens, wenn die Druckkraft einen kritischen Wert überschreitet. Die durchgeführten numerischen Analysen veranschaulichen die Notwendigkeit der Betrachtung der Knickstabilität. Deshalb wird der hinsichtlich des Ausknickens am kritischsten zu bewertende Lastfall „Seitliche Biegung“ numerisch analysiert. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in Abbildung 14 veranschaulicht. Die ersten beiden Eigenwerte mit ihren jeweiligen Eigenmoden (Knickformen) identifizieren die zwei kritischsten Stäbe hinsichtlich des Ausknickens. Dabei symbolisiert der jeweilige Betrag des Eigenwertes den Lastfaktor und das Vorzeichen gibt Aufschluss über die Lastwirkungsrichtung. Der Betrag des Eigenwertes stellt den Faktor dar, um den die Last erhöht werden kann, bevor ein Ausknicken des entsprechenden Stabes eintreten würde. Bei dieser Fachwerkstruktur tritt Knicken nach dem zweiten EULERschen Knickfall auf. Bei einem Fachwerk

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sind die Stäbe idealisiert gelenkig miteinander verbunden und weisen eine konstante Biegesteifigkeit auf, so dass eine sinusförmige Knickform entsteht und die freie Knicklänge der Stablänge entspricht. Die Gefahr des Ausknickens ist bei der Auslegung der Strukturkomponente mit berücksichtigt, indem die freie Knicklänge durch die überkreuzte Gestaltung halbiert ist. Eine betragsmäßige Sicherheit gegen Knicken entsprechend des ersten Eigenwerts ist mit SK = 5,78 gegeben (Abbildung 14a). Die Knicksicherheit des zweiten Eigenwerts, der in Abbildung 14b dargestellt ist, ist nahezu identisch mit einem Sicherheitsfaktor SK = 5,79. Demnach ist der in der Realität als am kritischsten zu beurteilende Stab nicht eindeutig definiert. Die weiteren Eigenwerte mit ihren Eigenmoden sind betragsmäßig deutlich größer und werden deshalb nicht weiter betrachtet.

Abbildung 14: Numerische Analyse des Fahrradvorbaus zur Gewährleistung der Knickstabilität für den kritischsten Lastfall „Seitliche Biegung“ [19] a) Eigenmode zum ersten Eigenwert λ1 b) Eigenmode zum zweiten Eigenwert λ2 Neben dem klassischen Festigkeitsversagen kommt in der Praxis häufig Bauteilversagen in Folge von Ermüdungsrissausbreitung vor. Dieses tritt bereits weit unterhalb der statischen Festigkeitskennwerte auf und beschreibt das kontinuierliche Wachstum von Fehlstellen und Rissen in Folge zeitlich veränderlicher Belastungen bis zum schlagartig auftretenden Bauteilversagen. In diesem Zusammenhang existiert eine Reihe von auf der Finite-Elemente Methode basierenden Rissausbreitungssimulationsprogrammen, die eine rechnergestützte Simulation der Rissbeanspruchung ermöglichen. Im Falle wachstumsfähiger Anrisse können in diesem Zusammenhang zudem Risspfad und Lastwechselzahl bis zum Bauteilversagen vorhergesagt werden. Experimentell ermittelte Rissfortschrittskurven sind die für die numerische Simulation erforderlichen bruchmechanischen Materialdaten. Weitere, für die Simulation notwendige Kennwerte wurden an Normproben [20] ermittelt. Ermüdungsrissausbreitungsvorgänge verlaufen global betrachtet stets normalspannungsgesteuert und sind häufig insbesondere an Orten mit Spannungskonzentrationen zu beobachten [17]. In diesem Zusammenhang wird deshalb die mit dem Finite-Elemente Programm ABAQUS berechnete Verteilung der größten Hauptspannung für den Lastfall „Gegenphasige Belastung“ ausgewertet (Abbildung 15a). Die Analyse der Hauptspannungsverteilung identifiziert den Übergang von der Rahmenstruktur zur Lenkstangenaufnahme als besonders kritisch. In diesem Bereich wird ein halbkreisförmiger Anriss mit der Tiefe von a0 = 0,5 mm angenommen. Für eine derartige Rissgeometrie überschreitet die Rissbeanspruchung durchgängig den Schwellenwert gegen Ermüdungsrissausbreitung entlang der Rissfront. Die Simulation der Rissausbreitung wird mit Hilfe des Computerprogrammes FRANC3D durchgeführt [21]. Das Programm basiert auf der

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FEM und erlaubt die automatisierte Bestimmung der Rissbeanspruchung, der Restlebensdauer sowie des Risspfades. Die Verwendung eines mitbewegten Spezialnetzes und die damit einhergehende große Anzahl von Elementen stellen zwar hohe Anforderungen an die verwendeten Hardwareressourcen, jedoch konnte in zahlreichen Untersuchungen die numerische Genauigkeit dieses Programmes durch den Vergleich der Ergebnisse mit analytischen Referenzlösungen nachgewiesen werden [22]. Abbildung 15b zeigt den Pfad der Rissausbreitung für verschiedene Simulationsschritte. Abknick- und Verdrehvorgänge in Folge der zyklischen, räumlichen Mixed-ModeRissbeanspruchung sind mit zunehmender Rissgröße deutlich erkennbar.

Abbildung 15: Analyse der Hauptnormalspannungen des Fahrradvorbaus mit dem Gestaltungsraum „rechteckig“ für den Lastfall „Gegenphasige Belastung“ a) Schnittdarstellung und Ort der größten Hauptnormalspannung b) Phasen des Rissfortschritts in der vergrößerten Ansicht Die im Rahmen der Rissausbreitungssimulation ermittelten Spannungsintensitätsfaktorverläufe sind Ausgangspunkt zur Bestimmung der Restlebensdauer. Grundlage ist die materialabhängige Rissgeschwindigkeitsgleichung, die inkrementell zu integrieren ist. Eine Gegenüberstellung der numerisch vorhergesagten Lebensdauer mit der experimentell ermittelten Lebensdauer ist in Abschnitt 5 aufgeführt.

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5 Experimentelle Bauteilprüfung der optimierten Strukturkomponenten Zur Validierung der betriebssicheren Auslegung der Strukturkomponenten, die mittels numerischer Methoden dimensioniert und anschließend additiv hergestellt wurden, werden experimentelle Bauteilprüfungen durchgeführt. Der Prüfaufbau ist in Abbildung 16 schematisch dargestellt. Der Elektrozylinder für die aufzubringenden Prüfkräfte ist an einem Säulengestell mit hoher Steifigkeit montiert. Zum Schutz des Motors und der Kraftmessdose vor Querkräften ist eine Linearführung vorgesehen. Die Kraftmessdose übermittelt der Steuereinheit die aktuelle Prüfkraft Fgemessen, so dass ein exaktes Anfahren der vorgesehenen Kraft umgesetzt werden kann.

Abbildung 16: Schematische Darstellung des Prüfaufbaus [23] Die elektrische Energie wird dem Motor von einem Frequenzumrichter zur Verfügung gestellt. Dadurch können sowohl unterschiedliche Kräfte F(t) als auch verschiedene Prüffrequenzen realisiert werden. Die zu untersuchenden Bauteile sind statischen und auch zyklischen Belastungen ausgesetzt. Dementsprechend ist in der Steuereinheit die Möglichkeit gegeben, unterschiedliche Prüfszenarien umzusetzen. Darüber hinaus können für die zyklischen Prüfungen beliebige RVerhältnisse eingestellt werden. Die maximale statische Prüfkraft Fstat beträgt 10 kN und für die zyklische Prüfung kann maximal eine Kraft von Fzyk = 5,3 kN umgesetzt werden. Die Prüfeinheit ist zudem in der Lage, die Verfahrwege des Stempels des Linearmotors aufzunehmen, um die Verschiebungen der Bauteile zu untersuchen. Zur Prüfung der jeweiligen Komponenten müssen produktspezifische Aufnahmevorrichtungen entwickelt werden. Die konstruktive Umsetzung der normativen Vorgaben zur Bauteilprüfung ist nachfolgend beispielhaft an einem Fahrradvorbau veranschaulicht. Abbildung 17 illustriert für je einen statischen und einen zyklischen Lastfall schematisch die Vorgabe in der Norm [14] sowie die daraus entwickelte Prüfkörperaufnahme. Insgesamt sind in der Norm [14] elf verschiedene statische sowie zyklische Prüfungen für den Vorbau vorgesehen. Bei dem Prüfverfahren „Seitliche Biegung“ ist normativ eine am Lenkerende angreifende statische Kraft F1 = F2 = 1000 N vorgese-

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hen, die im Vorbau eine überlagerte Biege- und Torsionsbeanspruchung hervorruft. Dieses Prüfverfahren ist in einer Prinzipskizze in Abbildung 17a illustriert. In Abbildung 17c ist die konstruktive Umsetzung dieses Prüfszenarios dargestellt. Der Vorbau ist über ein den Gabelschaft darstellendes Vollrundprofil auf der Grundplatte des Prüfstands fixiert. Eine Prüfstange, die den Lenker in der normativ vorgegebenen Länge abbildet, wird an ihrem Ende mit dem Stempel des Motors verbunden, so dass dort die vorgeschriebene Prüfkraft eingeleitet und gehalten werden kann. Bei der „Gegenphasigen Belastung“ wird der Vorbau mit einem Torsionsmoment belastet, das aus einem angreifenden Kräftepaar resultiert, siehe Prinzipdarstellung in Abbildung 17b. Die durch den Elektrozylinder bereitgestellte translatorische Bewegung wird in eine rotatorische Bewegung umgesetzt, um den normativen Vorgaben zu entsprechen und eine Torsionsbelastung ohne Biegeanteil zu realisieren. Die Fixierung des Vorbaus auf der Grundplatte ist identisch zum vorherigen Lastfall realisiert. Der Lenker ist mit einer Welle formschlüssig verbunden. Durch die fest-los-gelagerte Welle wird die von dem Prüfstand über einen kraft- und formschlüssig verbundenen Hebel eingeleitete Querkraft aufgenommen. Somit ist gewährleistet, dass der Vorbau nur die vorgeschriebene Torsionsbelastung erfährt.

Abbildung 17: Prinzipskizzen der Prüfverfahren sowie deren Umsetzung [23] a) Prinzipskizze des statischen Prüfverfahrens „Seitliche Biegung“ b) Prinzipskizze des zyklischen Prüfverfahrens „Gegenphasige Belastung“ c) Konstruktive Umsetzung des Prüfverfahrens „Seitliche Biegung“ d) Konstruktive Umsetzung des Prüfverfahrens „Gegenphasige Belastung“ Der statische Festigkeitsnachweis ist erbracht, da keine bleibenden oder unzulässigen Verformungen erkennbar sind. Auch die normativ vorgeschriebenen zyklischen Prüfungen mit einer Lastwechselzahl von 100 000 erträgt die Strukturkomponente ohne erkennbare Schäden oder

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bleibende Verformungen. Die in der Norm vorgeschriebenen Lastfälle wurden an mehreren Bauteilen geprüft und erfüllt, so dass die betriebssichere Auslegung durch die experimentelle Prüfung validiert ist. Nach erfolgreicher Durchführung aller in der Norm [14] geforderten Prüfungen, werden drei Vorbauten mit dem Gestaltungsraum „rechteckig“ so lange mit dem zyklischen Lastfall „Gegenphasige Belastung“ geprüft, bis ein Versagen eintritt. Dieses Vorgehen dient der Verifizierung des numerisch bestimmten Strukturversagens. Die numerisch ermittelten Daten werden bezüglich Rissentstehungsort und Rissverlauf in Abbildung 18 den Ergebnissen der experimentellen Bauteilprüfung gegenübergestellt.

Abbildung 18: Gegenüberstellung des Strukturversagens von Risswachstumssimulation und experimenteller Bauteilprüfung [19] a) Numerisch ermitteltes Versagen für den Lastfall „Gegenphasige Belastung“ b) Mittels der Risswachstumssimulation vorhergesagter Rissverlauf c) Experimentell ermitteltes Versagen für den Lastfall „Gegenphasige Belastung“ d) Vergrößerter Ausschnitt des experimentellen Schadensbildes Der numerisch bestimmte Ort der maximalen Hauptnormalspannung befindet sich in der Kerbe bei der Lenkeraufnahme und ist in Abbildung 18a dargestellt. Der experimentell ermittelte Rissentstehungsort (Abbildung 18c) stimmt bei allen drei geprüften Strukturkomponenten mit dem numerisch vorausgesagten Ergebnis gut überein. Ein Vergleich der Rissverläufe aus Simulation (Abbildung 18b) und Experiment (Abbildung 18d) weist zunächst eine nahezu exakte Übereinstimmung auf. Nachdem der Riss bis etwa zur Hälfte durch den Steg gewachsen ist, tritt im Experiment ein Abknicken des Risses auf, das numerisch nicht zu beobachten ist. Als mögliche Erklärung für die Unterschiede können Materialinhomogenitäten oder die hohe Rissgeschwindigkeit, die an dieser Stelle zu einem vorzeitigen instabilen Risswachstum führt, herangezogen werden. Dennoch ist die grundsätzliche Übertragbarkeit der Ergebnisse numerischer Risswachstumssimulationen auf additiv gefertigte Strukturkomponenten möglich.

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Neben den beiden beschriebenen Vergleichskriterien ist die Ausprägung der Bruchflächen, insbesondere die Größen der Ermüdungs- und der Restgewaltbruchfläche, zu berücksichtigen. Diese wird in Abbildung 19 vergleichend analysiert. Die Ausbreitung des Risses bei inkrementeller Simulation ist in Abbildung 19a dargestellt. Abbildung 19b zeigt die mikroskopische Aufnahme der Bruchfläche, die sich beim realen Bauteilexperiment ausgebildet hat. Die Simulationsergebnisse zeigen ein zunächst teilkreisförmiges Ausbreiten des Risses ausgehend von der Rissinitiierungsstelle, bis der Riss über die gesamte Stegbreite verläuft. Auch zeigt die Simulation den Bruch der Struktur nach erheblichem Ermüdungsrisswachstum bei nur kleiner Restgewaltbruchfläche.

Abbildung 19: Bruchflächenanalyse [19] a) Numerisch berechnetes Risswachstum b) Reale Bruchfläche mit stabilem und instabilem Risswachstum Position und Größe der Restgewaltbruchfläche stimmen nahezu exakt mit der Bruchfläche des realen Experiments überein. Durch die starke Ausprägung des Ermüdungsrisswachstums wird die einsatzsichere Bauteilauslegung bestätigt, da ein schlagartiges Versagen im Betrieb ausgeschlossen werden kann. Die numerisch ermittelten Lastwechsel bis zum Versagen liegen mit 213 444 Lastwechsel in einem ähnlichen Bereich wie die des experimentell am frühsten versagten Vorbaus, der 218 113 Lastwechsel ertrug. Allerdings ist bei der Numerik die Rissinitiierungsphase, die häufig einen großen Anteil an der Gesamtlebensdauer besitzt, nicht berücksichtigt. Die hier nur geringe Differenz zeugt von einer schnellen Rissinitiierung, so dass die gesamte Lebensdauer der Struktur von der Risswachstumsphase geprägt ist.

6 Fazit Im Rahmen dieses Beitrags wurden zwei Fahrradvorbauten mit Hilfe von zwei verschiedenen Optimierungsstrategien festigkeits- und leichtbauoptimiert ausgelegt. Ausgehend von zwei unterschiedlichen Designräumen bedienten sich beide Strategien zunächst der Grundlagen der Strukturmechanik sowie einer darauf aufbauenden Beanspruchungsanalyse. Anschließend wurde bei Nutzung der ersten Optimierungsstrategie eine optimale Profilform für die Belastungssituation ausgewählt. Weitere Masse wurde durch Einbringen beanspruchungsgerecht angeordneter Ausschnitte eingespart. Die Festlegung der absoluten Geometrie und der Maße konnte durch ein Zusammenspiel aus CAD-Konstruktion und FE-Simulation realisiert werden. Die andere Optimierungsstrategie nutzt das Leichtbaupotential von Fachwerkstrukturen. Durch

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eine systematische, beanspruchungsgerechte Positionierung und Dimensionierung der Stäbe konnte eine Version des Vorbaus als leichtbauoptimierte Fachwerkstruktur entwickelt werden. Auch in diesem Fall lieferte die numerische Analyse die erforderlichen Informationen zur Festlegung der absoluten Querschnitte. Zur Validierung der Betriebssicherheit wurden weiterhin ein Stabilitätsnachweis geführt sowie im Rahmen einer Risswachstumssimulation die Lebensdauer bei Vorhandensein eines technischen Anrisses berechnet. Die verfahrensspezifischen Vorteile der additiven Fertigung wurden genutzt, um optimal der Belastung angepasste Geometrien zu erstellen. Ein Vergleich mit anderen handelsüblichen Fahrradvorbauten zeigt die Leistungsfähigkeit des Zusammenspiels der hier vorgestellten Optimierungsstrategien im Einklang mit dem Laserstrahlschmelzprozess. Die zwei additiv gefertigten Vorbauten konnten beide eine teils deutliche Masseneinsparung verglichen mit Produkten von Fahrradkomponentenherstellern aus verschiedenen Preissegmenten erzielen. Beide Optimierungsstrategien konnten eine nahezu gleichwertige spezifische Massenreduktion realisieren. Die betriebssichere Auslegung wurde im Rahmen dieses Beitrags zusätzlich experimentell untersucht und bestätigt. Sowohl die statischen als auch die zyklischen normativen Vorgaben wurden von der Leichtbaustrukturkomponente ohne erkennbaren Schaden ertragen. Erst eine signifikant höhere Lastwechselzahl als in der Norm vorgesehen, führte zu einem Ermüdungsbruch. Ein Vergleich der numerischen und der experimentellen Risswachstumsuntersuchungen zeigte übereinstimmende Ergebnisse sowohl beim Initiierungsort als auch beim Rissverlauf sowie bei der Vorhersage von stabilem und instabilem Risswachstum.

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Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung A. Dsubana, J. Lohna, J.-P. Brüggemannb,c, G. Kullmerb,c a) PROTIQ GmbH, A Phoenix Contact Company b) Fachgruppe Angewandte Mechanik, Universität Paderborn c) Direct Manufacturing Research Center, Universität Paderborn

Zusammenfassung Der Einsatz der additiven Fertigungsverfahren bietet alleinstehend oder in Kombination mit klassischen Herstellungsverfahren viele neue Potentiale. Bedingt durch den direkten schichtweisen Aufbau von Bauteilen, aus 3D-CAD Daten, können die additiven Verfahren nahezu jede Struktur realisieren und dabei häufig Material und Kosten im Vergleich zu der konventionellen Produktion einsparen. Zur Gewährleistung der Bauteilgüte werden auf der DIN EN ISO 9001:2015 aufbauende Qualitätsmanagementnormen in Betracht gezogen, welche von besonderer Relevanz für produzierende Unternehmen sind. Neben den betrachteten Normen des Qualitätsmanagements ist die Reproduzierbarkeit sowie die Nachweisbarkeit einer hohen Produktsicherheit ein wichtiger Punkt der in diesem Beitrag behandelt wird. Hierzu wird dementsprechend ein Qualitätssicherungskonzept mit Hilfe unterschiedlicher Normschriften entwickelt, welches insbesondere bei den pulverbettbasierten Fertigungsverfahren Anwendung findet.

Stichwörter: Qualitätssicherung, Additive Qualitätsmanagement

Fertigung,

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_2

Bauteilprüfung,

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Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung

1 Einleitung Die additiven Fertigungsverfahren weisen gegenüber den konventionellen subtraktiven (Drehen, Bohren, Fräsen) und formativen Fertigungsverfahren (Schmieden, Gießen, Biegen) viele Vorteile auf. Beispielsweise kann die Produkteinführungszeit durch den direkten Aufbau von Bauteilen aus 3D-CAD Daten signifikant reduziert werden. Zusätzlich bietet der direkte Aufbau aus den Konstruktionsdaten die Möglichkeit der schnellen Prototypengenerierung. Die Herstellung der entwickelten Produkte unterliegt nur wenigen Restriktionen, sodass die Fertigung individueller und komplexer Bauteile ohne zusätzliche Kosten möglich ist. Weiterhin resultiert aus dem Recyceln von Prozessabfällen eine hohe Wirtschaftlichkeit, durch welche die additive Fertigung gekennzeichnet ist. Demzufolge wird beispielsweise der Prozessabfall beim selektiven Laser-Strahlschmelzen um 90% reduziert, da nicht aufgeschmolzenes Pulver aus den Zwischenräumen der Bauteile nach Durchlaufen eines Siebvorgangs erneut zur Fertigung genutzt werden kann [1, 2]. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten wird der additiven Fertigung ein disruptives Potential nachgesagt, da sie durch ihr spezielles Fertigungsverfahren nicht an bestehende konventionelle Produktionsverfahren anknüpft, sondern ein völlig neuartiges Feld der Güterproduktion besetzt [1]. Um das Potential dieser Technologie zukünftig optimal nutzen zu können, müssen noch viele Aspekte näher untersucht werden. Hierzu gehört neben der kontinuierlichen Erweiterung des Werkstoffspektrums auch ein standardisiertes Qualitätssicherungskonzept, das eine reproduzierbare Qualität der gefertigten Bauteile ermöglicht, wodurch das Einsatzspektrum für 3D gedruckte Güter erweitert wird.

2 Entwicklung eines Qualitätssicherungskonzeptes für die additive Fertigung Die Schaffung und Erhaltung von Produkten und Dienstleistungen, die einer definierten Qualität entsprechen, unterliegen unterschiedlichen Qualitätssicherungskonzepten. Dabei ist das letztendliche Anwendungsgebiet der produzierten Güter ein maßgebender Faktor für den Umfang des anzuwendenden Qualitätsmanagements. Aufgrund des hohen Potentials der additiven Fertigungsverfahren für zahlreiche Industriebereiche, wie u. a. der Luft- und Raumfahrt, sind geeignete Qualitätssicherungskonzepte gefragt, die den jeweiligen Anwendungsbereichen entsprechen. Vor diesem Hintergrund werden im weiteren Verlauf eine Reihe von Qualitätssicherungskonzepten vorgestellt, die auf die Erfüllung geforderter Qualitätsstandards abzielen. Die grundlegende Qualitätsmanagementnorm DIN EN ISO 9001:2015 [4] (ISO 9001) soll gewährleisten, dass Unternehmen ein funktionierendes Managementsystem besitzen und ihr Möglichstes tun, um Produkte und Dienstleistungen in hoher Qualität anbieten zu können. Eine Prüfung durch sachkundige Auditoren erfolgt jährlich und wird dem jeweiligen Unternehmen durch die Aushändigung eines Zertifikats bestätigt. Das ISO 9001-Zertifikat hilft Kunden bei der Identifikation von Unternehmen, die sich der Einhaltung von geforderten Standards verpflichtet haben und diese umsetzen. Die geforderten Standards basieren auf den „sieben Grundsätzen des Qualitätsmanagements“: Kundenorientierung, Führung, Einbeziehung von Personen, Prozessorientierter Ansatz, Verbesserung, Faktengestützte Entscheidungsfindung und Beziehungsmanagement [3].

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Die ISO 9001 fordert von dem zu prüfenden Unternehmen die Einhaltung und den Nachweis der im Prozessmodell (Abbildung 1) aufgeführten Punkte.

Abbildung 1:

Prozessmodell mit einzelnen Normkapiteln [4]

Der Nachweis der einzelnen Punkte kann mit Hilfe eines Handbuches erfolgen. Dieses sogenannte „Qualitätsmanagementhandbuch“ kann individuell oder den Normkapiteln nach untergliedert werden. Entsprechend der Normuntergliederung ist in Kapitel 4.1 das Verständnis der Organisation und dessen Kontextes zu beschrieben. Im darauffolgenden Teilkapitel 4.2 sind die interessierten Parteien des Unternehmens zu identifizieren und deren Erfordernisse sowie Erwartungen aufzuführen. In den Kapiteln 4.3 und 4.4 sind der Anwendungsbereich des Qualitätsmanagementsystems und dessen Prozesse zu betrachten. In Kapitel 5 ist die Führungsebene und dessen Aufgaben im Rahmen des Qualitätsmanagements festzulegen und zu charakterisieren. Das Kapitel 6 soll einen Überblick über die Planung im Unternehmen geben. Bei der Planung ist zu beachten, dass Maßnahmen zum Umgang mit Risiken und Chancen definiert sind. Weiterhin sind Qualitätsziele zu benennen und geeignete Maßnahmen zu deren Umsetzung abzuleiten. Im darauffolgenden Kapitel 7 sind die zur Unterstützung des Unternehmens dienenden Ressourcen aufzudecken und zu beschreiben. In Kapitel 8 ist der eigentliche Betrieb des Unternehmens zu verdeutlichen. Hierzu kann auf Unternehmensprozesse eingegangen werden und deren Rolle im wertschöpfenden Prozess genauer definiert werden. Im darauffolgenden Kapitel 9 ist, unter Berücksichtigung der kontinuierlichen Verbesserung, eine ausführliche Analyse der Qualität im Unternehmen durchzuführen. In diesem Zusammenhang sind u. a. die Produkte und Dienstleistungen zu bewerten, auf die Kundenzufriedenheit einzugehen und eine Bewertung des Qualitätsmanagementsystems (QMS) durchzuführen. Abschließend sind in Kapitel 10 die zur Verbesserung des Unternehmens beitragenden Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen [3, 4, 5]. Die IATF 16949 umfasst den Qualitätsmanagementstandard der Automobilindustrie und baut auf [4] auf. Sollte ein Unternehmen bereits ISO 9001 zertifiziert sein, kann ein Upgrade auf die IATF 16949 die Auditdauer um bis zu 50% reduzieren. Sie wurde im Jahr 2016 veröffentlicht und löst seitdem die bis zum 14. September 2018 geltende ISO/TS 16949:2009 ab [6]. Der neue Qualitätsmanagementstandard der Automobilindustrie zielt auf einen besonders ausgeprägten kontinuierlichen Verbesserungsprozess ab. Dieser soll dabei helfen, Fehlerquellen zu entdecken und diese zu vermeiden sowie die Streuung und Verschwendung entlang der Liefer-

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Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung

ketten zu minimieren. Die Kunden werden im Rahmen der IATF 16949 noch weiter in den Fokus gestellt als bei der ISO 9001. Demzufolge müssen kundenspezifische Anforderungen bewertet und im Qualitätsmanagementsystem berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist dem Kunden eine verstärkte Rückverfolgbarkeit der Produkte während des Fertigungsprozesses und nach der Auslieferung, über einen definierten Zeitraum, zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund der Produktsicherheit müssen Mitarbeiter, die an der Herstellung und Prüfung sicherheitsrelevanter Produkte beteiligt sind, die dafür entsprechenden Schulungsbedarfe erfüllen [7]. Die DIN EN 9100:2016 (EN 9100) ist eine Qualitätsmanagementnorm, die auf die Anforderungen an Organisationen der Luftfahrt, Raumfahrt und Verteidigung abzielt. Die EN 9100 beinhaltet den vollen Umfang der ISO 9001 und wird zusätzlich um eine Reihe von Anforderungen erweitert. Diese Anforderungen werden im Normentext in Kursivschrift dargestellt, um eine bessere Differenzierung von den klassischen ISO 9001-Bestandteilen vornehmen zu können. Wesentliche Unterschiede entstehen dabei u. a. durch die Einführung eines Konfigurationsmanagements sowie die Erhöhung der Anforderungen in Hinblick auf die Produktsicherheit und den Umgang mit gefälschten Teilen. Der Qualitätsmanagementstandard setzt weiterhin eine erhöhte Dokumentierung und Auswertung der im Unternehmen ablaufenden Prozesse voraus. In diesem Zusammenhang wird das, der ISO 9001 entsprechende, Risikomanagement ausgedehnt und ein proaktives risikobasiertes Denken und Handeln in allen Tätigkeiten (auch strategische/betriebliche Ebene) des Unternehmens praktiziert. Ein weiterer Punkt, den es verstärkt zu betrachten gilt, ist die Lieferantenüberwachung. Diesbezüglich wird mindestens eine Messung der Produkt- beziehungsweise Dienstleistungskonformität und der Liefertermintreue gefordert. Im Gegensatz zur ISO 9001 sieht die EN 9100 weiterhin einen QM-Beauftragten vor, der die Erfüllung der Normanforderungen operativ durchsetzt [8, 9]. In Anbetracht einer häufig geforderten Produktsicherheit wird die DIN 65124:2018-10 herangezogen. Diese wurde speziell für die Luft- und Raumfahrt konzipiert und legt hohe Anforderungen für die Herstellung metallischer Bauteile durch das selektive Laserschmelzverfahren fest. Die im nachfolgenden Verlauf genannten Anforderungen dienen als Ergänzung und zur besseren Umsetzung eines QM-Standards. Um als Zulieferer im industriellen Bereich additiv gefertigte Bauteile anzubieten, muss ein Unternehmen eine Vielzahl von Faktoren erfüllen. Als Grundlage ist zunächst eine geeignete Betriebsstätte mit konstanten Peripheriebedingungen und zulässiger betrieblicher Ausstattung bereitzustellen. Dies setzt unter anderem den Einsatz von Maschinen voraus, die gemäß den Aufstellbedingungen des Maschinenherstellers installiert und in regelmäßigen Wartungsintervallen von fachkundigem Personal geprüft werden. Die für die Herstellung von Laserstrahlschmelzbauteilen benötigten Ressourcen, wie z. B. das verwendete Metallpulver sind von dem Materialhersteller für den additiven Fertigungsprozess zu qualifizieren und muss den spezifischen Prozessanforderungen entsprechen. Wichtige zu prüfende Einflussfaktoren sind z. B. die Partikelgrößenverteilung und die chemische Zusammensetzung des Pulvers. Die spezifischen Kenngrößen der gelieferten Pulvercharge sind hierbei in einem 3.1-Abnahmeprüfzeugnis zu dokumentieren und dem Kunden bei der Lieferung bereitzustellen. Der Kunde steht anschließend in der Pflicht auf ein verantwortungsvolles Pulverhandling zu achten. Ein Pulverhandling gemäß DIN 65124 setzt dabei eine Handhabung voraus, bei der das Pulver nicht durch Fremdkörper (Staub, Trocknungsmittel, Fremdpulver) verunreinigt werden kann. Zusätzlich gilt die Einhaltung der Präventivmaßnahmen, hinsichtlich der Oxidation und der Feuchtigkeitsaufnahme des Metallpulvers. Um das Pulverhandling möglichst transparent zu gestalten, muss eine Chargendokumentation durchgeführt werden, wodurch das Pulver jederzeit identifiziert und zurückverfolgt werden kann. Diese Dokumentationspflicht gilt auch für Pulvermischungen. Das Metallpulver kann mehrfach für den Bau von

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Laserstrahlschmelzbauteilen verwendet werden solange die Vorgaben der Entwicklungsstelle eingehalten werden [10]. Damit eine Prozessqualifikation entlang des Fertigungsprozesses erfolgen kann, wird vorausgesetzt, dass die in der Fertigungskette angewandten Methoden den erforderlichen Qualifikationsvorgaben entsprechen. In diesem Zusammenhang ist mit dem Auftraggeber im Vorfeld zu definieren, welche Funktion und Anforderung sein Bauteil hat. Demzufolge sind Laserstrahlschmelzbauteile gemäß DIN 65124 in drei Sicherheitsklassen zu kategorisieren [10]: Sicherheitsklasse I:

Ein Versagen unter Betriebsbedingungen hat ein Verlust des Luft- und Raumfahrtgerätes bzw. der Hauptbestandteile zur Folge, sodass Personen geradewegs gefährdet sind.

Sicherheitsklasse II:

Ein Versagen unter Betriebsbedingungen verursacht Funktionsstörungen. Die Transportaufgabe ist jedoch bis zum Abschluss nicht gefährdet.

Sicherheitsklasse III:

Die Sicherheit und Transportfunktion ist nicht von diesem Bauteil abhängig.

Zusätzlich zur Sicherheitskategorisierung sind die Einstellparameter entlang des Wertschöpfungsprozesses festzuhalten. Die Dokumentation dient der besseren Bauprozessüberwachung und muss neben den Belichtungsparametern, den Maschinentyp einschließlich Hardware-/ Softwarestand und Seriennummer, den Aufstellort, die Pulvercharge, die Beschichterart, die Gasspezifikation (Sorte), die Gaseinstellungen sowie den Einfluss aller genannten Faktoren auf das Bauteil beinhalten. Weiterhin sind Angaben zum angewendeten Fertigungsverfahren, der Pulverspezifikation, der Materialspezifikation des generierten Bauteils und der gewählten Nachbehandlungsart festzuhalten. Darüber hinaus müssen Befunde hinsichtlich zulässiger und unzulässiger Bauteilmerkmale sowie zur Bauteilprüfung gemacht werden. Zur Erzielung möglichst reproduzierbarer Bauergebnisse sind anlagenspezifische Daten festzulegen und zu dokumentieren. Diese geben Auskunft über die Bauteilorientierung im Bauraum, die Art und Anordnung der gewählten Stützstrukturen sowie die Anzahl und Positionierung der Bauteile. Bei der Trennung der Bauteile von der Substratplatte und der Entfernung der Stützstrukturen sieht die DIN 65124 Verfahren vor, die keinen negativen Einfluss auf die Bauteilqualität nehmen. Somit können Verfahren wie Drahterodieren und Sägen zur Verwendung kommen. Für die abschließende Oberflächenbehandlung und Erreichung der geforderten Oberflächenrauheit der Bauteile, können u. a. Strahlverfahren (Korund, Glasperlen) und Schleifverfahren angewendet werden. Eine nachträgliche Reparatur der Bauteile oder Ausbesserungen von Fehlstellen ist nur durch die Einhaltung eines entsprechenden Qualifikationsprogramms zulässig. Dieses Qualifikationsprogramm gibt vor, dass die Reparaturen nur unter schriftlicher Zustimmung des Kunden erfolgen dürfen, diese durch entsprechendes Fachpersonal durchzuführen sind und in einem dem Bauteil eindeutig zuordenbaren und ausführlichen Protokoll zu dokumentieren sind. Abschließend sind die in den Bauunterlagen festgelegten Prüfverfahren durchzuführen. An dieser Stelle kann der Kunde zerstörungsfreie und/oder zerstörende Prüfverfahren an den generierten Bauteilen und Begleitproben fordern. Die hierfür zulässigen Prüfverfahren sind in der DIN 65123 aufgeführt. Die Dokumentation der Auftragsunterlagen muss gemäß den Vorgaben der DIN EN 9133 und E DIN EN 9130 erfolgen. Für eine ausreichende Dokumentation sind mindestens folgende Informationen zu dokumentieren: Anordnung und Art der Supportstrukturen, Anordnung des Bauteils im Bauraum, Anordnung und Positionierung einzelner Bauteile, eingesetztes Pulver, verwendete Bauplattform, verwendetes Schutzgas, die in der Fertigungsanweisung festgehaltenen Informationen und die Fertigungsnummer [10].

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3 Validierung des Vorgehens anhand eines laserstrahlgeschmolzenen Radträgers Bevor mit der eigentlichen Bauteilfertigung des Radträgers mittels selektiven LaserStrahlschmelzens (SLM) begonnen werden kann, muss die Baudatenvorbereitung erfolgen. Bei der Baudatenvorbereitung wird das 3D-CAD Modell des Radträgers mit entsprechenden Stützstrukturen versehen (Abbildung 2). Die Art der gewählten Strukturen sowie die Ausrichtung des Radträgers im Bauraum wird zur Reproduzierbarkeit dokumentiert und der erstellte Baujob gespeichert.

Abbildung 2:

Radträger mit Stützstrukturen

Im nächsten Schritt sind die Eigenschaften des zu verwendenden Pulvers zu ermitteln. Auf diese Art und Weise kann sichergestellt werden, dass regelmäßige Qualitätskontrollen des Pulvers stattfinden und dieses für die Verarbeitung mittels des SLM-Verfahrens geeignet ist. Vor diesem Hintergrund wird für das verwendete AlSi10Mg-Pulver zunächst die mittlere Pulverpartikelverteilung ermittelt (Abbildung 3a). Die Partikelverteilung weist einen annähernd normalverteilten Verlauf auf.

Abbildung 3:

Visualisierung relevanter Pulvereinflussgrößen a) mittlere Pulverpartikelverteilung der AlSi10Mg-Legierung b) rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des AlSi10Mg-Pulvers

Darüber hinaus zeigt die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme aus Abbildung 3b, dass die einzelnen Aluminiumpartikel eine sphärische Struktur besitzen und wenige Anhaftungen in

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Form von sogenannten Satelliten aufweisen. Die zusätzlich mit einem InfrarotFeuchtebestimmer gemessene Feuchtigkeit des AlSi10Mg-Pulvers beträgt 0,24%. Insgesamt weist das Pulver gute Eigenschaften auf und ermöglicht das Ablegen einer homogenen Pulverschicht. Für das Ablegen der Pulverschicht wird eine Stahlklinge verwendet die passend zum prozessierten Werkstoff das Pulver auf einer Substratplatte aus Aluminium verteilt. Um eine möglichst gleichmäßige Verteilung des Pulvers entlang der Bauteilgeometrie zu gewährleisten, wird das Bauteil im 45° Winkel zur Beschichtungsrichtung positioniert. Additional werden die für die Durchführung von qualitätssichernden Maßnahmen benötigten Probenkörper ebenfalls auf der Substratplatte gemäß VDI 3405 orientiert (Abbildung 4).

Abbildung 4:

Validierung des Qualitätssicherungskonzeptes anhand eines laserstrahlgeschmolzenen Radträgers des Direct Manufacturing Research Center der Universität Paderborn

Nach der Fertigstellung wird das überschüssige Pulver mit einem materialspezifischen Werkzeug-Set aus dem Bauraum entfernt und die hergestellten Bauteile mit einer Bandsäge von der Substratplatte getrennt. Anschließend erfolgen die Entfernung der Supportstrukturen und die Oberflächenbehandlung. Im darauffolgenden Schritt wird eine Sichtprüfung des Bauteils durchgeführt. Diese optische Kontrolle dient dazu, dass mögliche Defekte am Bauteil möglichst früh erkannt werden können, bevor weitere Schritte im Rahmen der Nachbearbeitung sowie der Qualitätssicherung eingeleitet werden. Zur Unterstützung dieses Prüfprozesses kann ein Messschieber zur Hilfe genommen, um Maßabweichungen zu ermitteln. Im Anschluss an die Sichtprüfung werden noch vorhandene Supportreste vom Radträger entfernt, Funktionsflächen nachgeschliffen und das Bauteil erneut sandgestrahlt. Nachdem die Nachberarbeitungsschritte abgeschlossen sind, wird mit dem Prozess der Qualitätsicherung fortgefahren. In diesem Zusammenhang wird zunächst eine Farbeindringprüfung gemäß ISO 3452 am Radträger durchgeführt, um z. B. Risse oder eine erhöhte Porosität, an der Bauteiloberfläche kenntlich zu machen (Abbildung 5). Nachdem das Eindringmittel in vorhandene Oberflächendefekte eingedrungen ist, wird das überschüssige Farbmittel mit einem Spezialreiniger entfernt. Daraufhin wird der Entwickler aufgebracht, sodass mittels der Kapillarwirkung das in den Ungänzen verbliebende Farbeindringmittel herausgezogen wird. Dabei entsteht ein zweidimensionaler Farbverlauf der Aufschluss über mögliche Fehlstellen gibt. Wie in Abbildung 5 erkenntlich ist, ist der untersuchte

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Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung

Radträger frei von oberflächennahen Defekten. Lediglich die Unterseite des Radträgers weist vereinzelte Farbverläufe auf, welche auf eine verstärkte Porosität zurückzuführen sind.

Abbildung 5:

Farbeindringprüfung gemäß ISO 3452 am Beispiel eines Radträgers

Zur besseren Beurteilung der Oberflächenbeschaffenheit des Radträgers werden mit dem Bauteil zusammen zwei rechteckige Probenkörper (l = 20 mm, h = 30 mm, b = 2 mm) in gleicher Raumorientierung prozessiert und anschließend eine taktile Rauheitsmessung nach DIN EN ISO 4287 im as-built und im sandgestrahlten Zustand durchgeführt. Die hierbei ermittelten Werte weisen eine deutliche Reduzierung der Oberflächenrauheit durch das abrasive Sandstrahlen auf. Demnach konnte der arithmetische Mittenrauwert Ra von 23,4 µm auf 5,7 µm und die gemittelte Rautife Rz von 141,0 µm auf 35,6 µm reduziert werden. Laser-Strahlschmelzbauteile besitzen typischerweise eine relative Dichte von über 99% [11]. Um eine Aussage über die Gesamtporosität des Radträgers zu treffen, werden zusammen mit der Struktur Referenz-Probenwürfel mit einer Kantenlänge von 10 mm prozessiert. Die Würfel werden daraufhin für die Dichtemessung gemäß DIN EN ISO 3369 eingesetzt. Bevor die Auftriebswägung jedoch zur Anwendung kommen kann, müssen die verfahrensbedingten Stützstrukturen sowie die Oberflächenrauheit durch nachträgliches Schleifen entfernt und auf ein Minimum reduziert werden. Wird dieser Arbeitsschritt vernachlässigt, kann die anschließende Wiegung im Prüfmedium durch anhaftende Luftblasen verfälscht werden. Für die statistische Genauigkeit wird die Dichtemessung an fünf unterschiedlichen Probenwürfeln durchgeführt. Zusätzlich wird die Gewichtsmessung in Flüssigkeit als auch in Luft dreimal wiederholt, um durch Bildung des arithmetischen Mittelwertes mögliche Messungenauigkeiten zu verringern. Die Dichte des Isopropanols entspricht bei einer Prüftemperatur von 21°C dabei 0,786 g/cm3. Als Referenzwert für die Materialdichte der AlSi10Mg-Legierung wird 2,67 g/cm3 angenommen [12]. Die Auftriebswägung hat gezeigt, dass die ermittelten Dichtewerte ab der dritten Nachkommastelle Veränderungen aufweisen, was auf eine reproduzierbare Bauteildichte hindeutet. Als Ergebnis kann demnach ein Mittelwert von 2,66 g/cm3 ermittelt werden, woraus eine relative Materialdichte von 99,75% für die Probenwürfel resultiert. Die hohe relative Materialdichte der Probenwürfel kann repräsentativ für den Radträger gewertet werden, sodass von einer hohen Bauteilqualität ausgegangen werden kann. Ein zusätzlich generierter Probenwürfel wird für die Ermittlung der Bauteilhärte eingesetzt. Hierfür wird für den Würfel eine Härtemessung mithilfe des Verfahrens nach VICKERS, durchgeführt. Die Probe wird zuvor in Epoxidharz eingebettet und anschließend geschliffen, sodass eine glatte und waagerechte Prüfoberfläche entsteht. Anschließend wird die Härtemessung auf dieser Fläche mit einer Prüfkraft von 19,61 N (HV2) durchgeführt. Für die statistische Genauigkeit werden fünf Messungen durchgeführt, der jeweils höchste und niedrigste Messwert gestrichen und der Mittelwert aus den verbliebenden drei Werten berechnet. Der ermittelte durchschnittliche Härtewert beträgt ca. 107 HV2. Neben der ermittelten Bauteildichte und -härte sind auch die statischen Festigkeitskennwerte des Bauteils von signifikanter Bedeutung. Für die Ermittlung der Festigkeitskennwerte werden

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Begleitproben in Form von zylindrischen Rohlingen, in drei unterschiedlichen Ausrichtungen gemäß VDI 3405 auf der Substratplatte positioniert. Nach dem additiven Fertigungsprozess werden die Probenkörper gemäß DIN 50125-B auf die entsprechende Probenform abgedreht und nach Norm geprüft. Eine weitere Prüfmethode, die im Rahmen dieses Beitrages durchgeführt wird, ist die Computertomografie (CT). Mit Hilfe der Computertomografie werden dreidimensionale Informationen eines Bauteils generiert. Hierzu wird das zu prüfende Objekt in einem CTScanner auf einem Drehtisch positioniert und eine Vielzahl von Röntgenprojektionen aus verschiedenen Winkeln aufgenommen. Anschließend werden die Projektionsbilder durch ein Rekonstruktionssystem verarbeitet und ein dreidimensionales CT-Bild erstellt. Hierbei können anhand der generierten Informationen maßliche Abweichungen und Defekte, auch in komplexen Bauteilen, detektiert werden. Bei jedem CT-Scan entstehen sogenannte Artefakte, welche das Ergebnis des Scans negativ beeinflussen. Das Auftreten dieser Artefakte hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Die relevantesten Einflussgrößen werden im nachfolgenden Verlauf näher beschrieben. Die Objektgröße ist ein maßgebender Einflussfaktor bei der Durchführung eines CT-Scans. Hierbei stehen die Objektgröße und die generierte Auflösung des CT-Scans in signifikanter Abhängigkeit zueinander (Abbildung 6). Je kleiner das zu scannende Objekt ist, desto näher kann dieses vor der Strahlenquelle positioniert und ein größeres Bild auf dem Detektor projiziert werden. Hieraus werden abschließend die Scandaten generiert.

Abbildung 6:

Objektgrößenabhängigkeit beim CT-Scan

Bei der Durchführung eines CT-Scans ist stets die Wandstärke des Objektes zu berücksichtigen. Je massiver die zu durchstrahlende Fläche ist, umso mehr weichen die erzeugten CAD-Daten vom Originalbauteil ab. Es ist stets zu berücksichtigen, dass ein Objekt beim Scannen um 360° rotiert wird. Aus diesem Grund kann das Bauteil in entsprechender Ausrichtung zur Strahlenquelle eine große zu durchstrahlende Fläche aufweisen. Bei großen zu durchstrahlenden Geometrien entstehen vermehrt Artefakte. Diese Artefakte führen bei der Datenrekonstruktion dazu, dass ein verzerrtes Bild der Realität erzeugt wird. Ein weiterer Einflussfaktor, welcher das Ergebnis bzw. die generelle Realisierbarkeit des CTScans beeinflusst ist das Material des Objekts. Mit zunehmender Materialdichte wird die Bestimmung der Bauteiloberfläche erschwert. Aufgrund der hohen Materialdichten bei Metallen sind schnell die physikalischen Grenzen der Computertomografie erreicht und störende Artefakte treten vermehrt auf. Um diesen Efekt zu veranschaulichen, wurden zwei mittels SLM-Verfahren prozessierte Gyroiden aus Aluminium und Stahl im CT-Scanner aufgenommen. In Abbildung 7 ist dargestellt, inwiefern die Oberflächenbestimmung mit zunehmender Materialdichte erschwert wird.

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Abbildung 7:

Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung

Materialabhängigkeit beim CT-Scan a) CT-Aufnahme eines Gyroiden aus Aluminium mit wenig Artefakten b) CT-Aufnahme eines Gyroiden aus Stahl mit einer Vielzahl an Artefakten

Die Aufnahme in Abbildung 7a zeigt eine homogen ermittelte Oberfläche wohingegen die Aufnahme in Abbildung 7b eine Vielzahl an Artefakten aufweist. Diese Artefakte bilden nicht die realen Eigenschaften des gescannten Bauteils ab und verfälschen somit das Ergebnis des CT-Scans. Aus diesem Grund könnte mit derart verfälschten Daten keine repräsentative Qualitätssicherung mit Hilfe eines Soll-Ist-Vergleichs durchgeführt werden. Für die Erstellung eines Soll-Ist-Vergleichs, werden zunächst dreidimensionale Informationen Informationen eines Bauteils generiert. Die gewonnenen Daten (Ist-Daten) werden anschließend mit den bereitgestellten CAD-Daten (Soll-Daten) über eine bestimmte Ausrichtungslogik, der sogenannten „Best-Fit“ Methode übereinandergelegt (Abbildung 8). Im nächsten Schritt werden vorhandene Abweichungen über ein Falschfarbenmodell dargestellt. Das Falschfarbenmodell visualisiert, in welchen Bereichen die erstellten CAD-Daten des 3Dgedruckten Bauteils von den bereitgestellten Soll-Daten abweichen. Somit ermöglicht die Computertomografie das Vermessen von komplexen oder auch innen liegenden Geometrien und Freiformflächen.

Abbildung 8:

Ablauf eines Soll-Ist-Vergleichs eines laserstrahlgeschmolzenen Gyroiden

Der grüne Bereich zeigt hierbei eine Übereinstimmung der Soll- und Ist-Daten. Bereiche in welchen das Bauteil größer als die Soll-Daten ist, werden rötlich dargestellt und Bereiche in welchen das Bauteil kleiner als die Soll-Daten ist werden bläulich abgebildet. Die nachfolgende Abbildung 9 visualisiert das Falschfarbenmodell des prozessierten Radträgers aus vier unterschiedlichen Ansichten. Die überwiegende Grünfärbung zeigt, dass das Bauteil nur wenig Abweichungen vom ursprünglichen CAD-Modell besitzt.

Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung

Abbildung 9:

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Soll-Ist-Vergleich des Aluminium-Radträgers a) Frontansicht b) Draufsicht c) Rückansicht d) Ansicht von unten

Insbesondere die Frontansicht und die Rückansicht weisen überwiegend grüne Flächen auf, sodass von einer Abweichung von nahezu 0 mm ausgegangen werden kann. Die meisten Abweichungen sind in den Verbindungspunkten zum unteren Querlenker zu verzeichnen. Hier zeigt die Draufsicht eine Abweichung von mehrheitlich 0,15-0,30 mm, welche zum Rand hin auf über 0,45 mm ansteigt. Auf der Unterseite hingegen sind die Abweichungen etwas geringer mit 0-0,15 mm. Lediglich die runden Verbindungsbereiche weisen eine negative Abweichung auf, welche jedoch auf das mechanische Abtragen im Nachbearbeitungsprozess zurückzuführen ist. Insgesamt sind die Abweichungen des prozessierten Radträgers jedoch sehr gering und liegen überwiegend in dem angegebenen Toleranzbereich von 0,7% [13].

4 Zusammenfassung und Ausblick Durch den Einsatz der additiven Fertigung für die direkte und werkzeuglose Produktion von Endprodukten ist ein hohes Qualitätsniveau zu garantieren. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurden in Anlehnung an geltende Normen geeignete Prüfmethoden ausgewählt und exemplarisch angewendet, um die Übertragbarkeit auf die additive Fertigung zu zeigen. Untersucht wurden die Eigenschaften des Pulver-Rohmaterials, die Werkstoffeigenschaften der aufgebauten Bauteile sowie die Geometriegenauigkeit der Bauteile. Um auch zerstörende Prüfungen durchzuführen, wurden stellvertretend für die Bauteileigenschaften Probenkörper in einem Baujob gemäß der Norm VDI3405 mitgefertigt und geprüft. [11] Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, dass auf Basis der ermittelten Kennwerte eine Aussage über die erzielte Bauteilqualität getroffen werden kann. Unregelmäßigkeiten im Bauprozess werden meist unmittelbar durch die Messergebnisse aufgedeckt.

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Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung

Durch das entwickelte Qualitätssicherungskonzept können bereits eine Vielzahl der Einflussgrößen kontrolliert und Grenzwerte definiert werden. Deutlich wurde allerdings, dass eine weitere Optimierung der Maschinen- und Anlagentechnik für eine prozesssichere Produktion mit gleichbleibender Qualität erforderlich ist. Erstrebenswert sind die Integration von zusätzlichen Onlineprozessüberwachungsinstrumenten, wie z. B. Thermografie, optischen Systemen und weiteren Sensoren.

Literatur [1]

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Einsatz ingenieurmäßiger Methoden zur Lösung chirurgischer Herausforderungen L. Risse, S. C. Woodcock, J.-P. Brüggemann, B. Schramm, G. Kullmer, H. A. Richard Fachgruppe Angewandte Mechanik, Universität Paderborn Direct Manufacturing Research Center, Universität Paderborn

Zusammenfassung Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ingenieuren und Ärzten kann einen Beitrag zur Lösung komplexer medizinischer Herausforderungen liefern. Anhand zweier Anwendungsbeispiele werden die Potentiale dieser Interdisziplinarität für den Planungsprozess sowie für die Hilfsmittelversorgung aufgezeigt. Dazu wird zunächst der konventionelle Planungsprozess eines chirurgischen Eingriffs unter Beachtung der Möglichkeiten und Grenzen vorgestellt. Basierend darauf wird erläutert, inwiefern diese Restriktionen durch den Einsatz ingenieurmäßiger Methoden aufgebrochen werden können. Zur Veranschaulichung wird die interdisziplinäre Planung der Durchführung einer Fingergelenksrekonstruktion vorgestellt. Auch in Bezug auf die Hilfsmittelversorgung besteht weiterhin Optimierungsbedarf. Der Einsatz von CAE-Methoden sowie additiver Fertigungsverfahren bietet Ansätze zur Lösung der vorhandenen Fragestellungen. Am Beispiel einer Kurzschaft-Hüftendoprothese werden die bestehende Problematik des „Stress Shielding“ näher erläutert und Möglichkeiten aufgezeigt, die Implantatsteifigkeit bei weiterhin bestehender Einsatzsicherheit zu optimieren und auf diese Weise die Standzeit der Prothese zu erhöhen und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

Stichwörter: Präoperative Planung, CAE-Methoden, Fingergelenkdefekt, Hüftimplantat, Additive Fertigungsverfahren

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_3

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Einsatz ingenieurmäßiger Methoden zur Lösung chirurgischer Herausforderungen

1 Einleitung Ist die Gesundheit eines menschlichen Individuums durch angeborene Fehlstellungen, Unfälle, Krankheiten oder Ähnliches eingeschränkt, wird durch eine adäquate medizinische Versorgung eine Verbesserung des Allgemeinzustandes angestrebt. Ist der passive Bewegungsapparat, also das Skelettsystem, ursächlich für die Beschwerden, ist eine vollständige Rehabilitation oftmals nur durch einen chirurgischen Eingriff möglich [1]. Die Komplexität des erforderlichen Eingriffs kann in Abhängigkeit von der Diagnose stark variieren. Unfallverletzungen sowie seltene Krankheiten oder Fehlstellungen sind in diesem Zusammenhang noch immer als kritisch zu bewerten. Aufgrund der möglichen erhöhten Komplexität sowie des resultierenden Risikos wird von der Durchführung einiger Operationen (OPs) gänzlich abgesehen, während andere nur unter großem Mehraufwand und unter Akzeptanz eines hohen Risikos durchgeführt werden [2]. Im Rahmen dieses Beitrags wird aufgezeigt, inwiefern die Nutzung disziplinübergreifender Methoden zur Lösung dieser medizinischen Herausforderungen beitragen kann. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten und Ingenieuren sowie die Nutzung jeweils geeigneter fachspezifischer Werkzeuge liefert neue Möglichkeiten sowohl für den Planungsprozess eines chirurgischen Eingriffs als auch für die Hilfsmittelversorgung. Nachfolgend werden Potentiale aufgezeigt, ingenieurmäßige Methoden in den Planungsprozess chirurgischer Eingriffe zu integrieren. Der Mehrwert der Interdisziplinarität wird anhand der Planung einer Rekonstruktion eines geschädigten Fingermittelgelenks veranschaulicht. Im Zuge des chirurgischen Eingriffs werden verschiedenartige Hilfsmittel zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation eingesetzt. In diesem Bereich existieren Optimierungspotentiale, die durch den Einsatz ingenieurmäßiger Methoden und additiver Fertigungsverfahren ausgeschöpft werden können. Am Beispiel einer Kurzschaft-Hüftendoprothese werden diese Potentiale erläutert und Lösungsansätze dargestellt.

2 CAE-gestützte Planung chirurgischer Eingriffe Die operative Versorgung komplexer Unfallverletzungen wie auch die Rekonstruktion von Knochen- und Gelenkdefekten sowie Achs- und Längenfehlstellungen setzen eine präzise präoperative Planung voraus. In komplexeren Fällen ist diese Planung aufgrund der Mehrdimensionalität sowie der Interaktion verschiedener Gelenke und Knochen nicht mehr trivial. Im Rahmen dieses Kapitels werden zunächst die Vorteile aber auch die Grenzen der konventionellen, präoperativen Planung aufgezeigt. Weiterhin wird erläutert, welche neuen Potentiale aus dem Einsatz von CAE-Methoden, also verschiedenen Varianten der Rechnerunterstützung von Arbeitsprozessen in der Technik, für den Planungsprozess chirurgischer Eingriffe resultieren. Am Beispiel einer Fingermittelgelenksverletzung werden die neuen Möglichkeiten veranschaulicht und grundsätzliche Anwendungsfelder und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt.

2.1 Möglichkeiten und Grenzen konventioneller medizinischer Planungsmethoden Vor jedem chirurgischen Eingriff erfolgt vorab dessen Planung. Art und Umfang der verwendeten Methoden sind dabei abhängig von der Diagnose und dem Komplexitätsgrad. Das grundsätzliche Ziel der Planung ist die Minimierung unvorhersehbarer Ereignisse. Grundlegend können die Möglichkeiten und Vorteile der Durchführung eines Planungsprozesses in drei Kategorien

Einsatz ingenieurmäßiger Methoden zur Lösung chirurgischer Herausforderungen

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eingeteilt werden. So resultieren Vorteile aus diagnostischer, organisatorischer und psychologischer Sicht, die in Abbildung 1 veranschaulicht sind und im Folgenden näher erläutert werden.

Präoperative Planung

Diagnostik

Abbildung 1:

Festlegung des Handlungsablaufs Vermeidung von Komplikationen Verkürzung der Operationszeit

Organisation

Personalplanung Raumbedarf Bereitstellung der technischen Ausstattung

Psychologie

Verringerung des Stresslevels Steigerung der Akzeptanz für den Eingriff Erhöhung der Sicherheit

Grenzen

Analyse interagierender Komponenten Manipulation der Datensätze Analyse- und Handlungsspielraum begrenzt

Überblick der Möglichkeiten und Grenzen präoperativer Planung

Im Bereich der Diagnostik dient der Planungsprozess zur genauen Analyse der vorliegenden Problematik und des daraus resultierenden Handlungsablaufs für den chirurgischen Eingriff. Durch die genauere Kenntnis der Diagnose können Komplikationen vermieden werden, da mögliche Besonderheiten bereits vorab berücksichtigt werden können und basierend darauf ein alternatives Vorgehen erarbeitet werden kann. Daraus resultiert eine Reduktion der erforderlichen Operationszeit und damit der Zeit, die der Patient in Narkose verbringen muss. Auf Basis der Diagnose und der Handlungsempfehlungen kann anschließend der Eingriff aus organisatorischer Sicht geplant werden, indem Personal, Räume und technische Ausstattung ermittelt und bereitgestellt werden. Weiterhin beeinflusst die Planung die Psyche sowohl des Patienten als auch des OP-Teams positiv. Dem Patienten wird ein Sicherheitsgefühl vermittelt. Zudem wird durch die Aufklärung über den Eingriff die Akzeptanz gesteigert. Durch eine ausreichend gute Planung wird weiterhin das gesamte Stresslevel gesenkt, sodass ein positiver Einfluss auf den Heilungserfolg entsteht. Trotz dieser positiven Aspekte sind komplexere Diagnosen teilweise nicht ausreichend detailliert zu planen, da medizinische Standardmethoden nur eine begrenzte Möglichkeit der Analyse interagierender Komponenten wie beispielsweise Gelenke bieten. Zudem sind die radiologischen Bilddaten nicht veränderbar, sodass insgesamt der Handlungsspielraum begrenzt ist und Unsicherheiten für den Eingriff bestehen bleiben.

2.2 Potentiale des Einsatzes von CAE-Methoden im Planungsprozess chirurgischer Eingriffe Die Integration von ingenieurwissenschaftlichen Methoden in den Planungsprozess bietet Möglichkeiten, einige der Grenzen aufzubrechen und Potentiale zu schaffen, um den Planungsprozess effizienter und genauer zu gestalten. Das Ziel ist die Minimierung des Knochenverlustes sowie die Erhaltung einer physiologischen Gelenkfunktion. Der überlagernde Vergleich von gesunden und geschädigten Strukturen ist ein wirksames neues Werkzeug. Am digitalen Modell können

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folglich Handlungsalternativen erarbeitet und bewertet werden. Somit resultieren zusätzliche Notfallpläne für unvorhersehbare Ereignisse. Durch die Überführung der individuellen CTDaten in 3D-CAD-Volumenmodelle wird patientenindividuell geplant und bewertet. Die Nutzung neuer Technologien bietet somit zusätzlich einen Marketingvorteil, da das Krankenhaus die Offenheit gegenüber technischen Neuerungen signalisiert. Weiterhin können die neuen Planungsmöglichkeiten auch die Psyche des Patienten positiv beeinflussen, der beispielsweise durch individuelle, additiv gefertigte Modelle über seine Diagnose und das chirurgische Vorgehen aufgeklärt wird.

2.3 Rekonstruktion einer Fingermittelgelenksverletzung Die beschriebenen Potentiale der CAE-unterstützten Planung chirurgischer Eingriffe werden nachfolgend am Beispiel einer Fingermittelgelenksverletzung veranschaulicht. Ein Patient mittleren Alters erlitt einen streckseitigen Defekt der proximalen Gelenkfläche des Fingermittelgelenks des Mittelfingers durch ein grobes Sägeblatt. Dabei wurden sowohl die palmare Platte als auch die Seitenbandansätze nicht beschädigt. Die defekten Strecksehnen konnten in einem vorangegangenen Eingriff bereits rekonstruiert werden. Die CT-Daten der linken Hand mit dem Defekt der Fingermittelgelenkfläche sind in Abbildung 2a dargestellt. Die beiden Gelenkenden sind aufgrund der gespannten Gelenkkapsel um das Fingermittelgelenk zusammengezogen, sodass das Ausmaß des Defekts nicht vollständig sichtbar wird.

a)

Abbildung 2:

b)

Überführung der radiologischen Bilddaten in CAD-Volumenkörper a) CT-Daten der linken Hand mit Defekt der Fingermittelgelenkfläche des Mittelfingers (dorsale Ansicht) b) Aus radiologischen Bilddaten abgeleitete CAD-Daten des Fingermittelgliedes mit vergrößerter vollständiger Ansicht des Defektes

Deshalb werden in einem ersten Schritt das Grundglied und das Mittelglied des Mittelfingers aus den CT-Daten in CAD-Daten überführt. Die Gelenkfläche des Mittelgliedes ist intakt, lediglich die Gelenkfläche des Grundgliedes ist durch den Unfall beschädigt. Die defekte Gelenkfläche ist in Abbildung 2b dargestellt. Für den Umgang mit dem Defekt stehen nun verschiedene Therapieoptionen zur Auswahl. Wird das Fingergelenk ohne weitere Therapie so belassen, führt dies zu einer Versteifung des Gelenks in Streckstellung. Durch einen chirurgischen Eingriff kann

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alternativ eine Arthrodese (Gelenkversteifung) in einer Funktionsstellung (leichte Beugung) durchgeführt werden. Beide Behandlungsalternativen würden starke Einschränkungen im Alltag hervorrufen, jedoch kein großes Risiko während der Behandlung bewirken. Weiter besteht die Möglichkeit, ein Zehengelenk zu transplantieren oder aber ein Implantat einzusetzen. Beide Optionen weisen jedoch Nachteile oder Einschränkungen auf, sodass die beste Lösung der Transfer eines autologen (zum selben Individuum gehörenden) Knorpel-Knochen-Transplantates ist. Dieses ist bestenfalls so zu wählen, dass keine merklichen funktionellen Einschränkungen für den Patienten resultieren. Bei Einsatz konventioneller Planungsmethoden besteht jedoch eine große Unsicherheit bezüglich der geometrischen Übereinstimmung von erforderlichem und tatsächlichem Transplantat und dadurch ein hohes Risiko für den chirurgischen Eingriff. Durch Anwendung von CAE-Methoden resultiert nun die Möglichkeit, den Defekt zunächst unter Beachtung der Gelenkkinematik dreidimensional zu rekonstruieren und anschließend unter Abwägung von Nutzen und Risiko eine geeignete Transplantatentnahmestelle zu definieren. Aufgrund des Patientenwunsches nach Wiedergewinnung der Funktionsfähigkeit des Gelenks hinsichtlich Beweglichkeit und Kraft sowie der Unterstützung durch CAE-Methoden und additiven Fertigungsverfahren wird ein Ersatz der Gelenkfläche durch körpereigenes Material als bevorzugte Behandlungsalternative ausgewählt. Der erste Schritt dazu ist die Überführung der CT-Daten der betroffenen Knochen in ein 3D-CAD-Volumenmodell. Die CT-Aufnahmen der gesamten linken Hand liegen vor (Abbildung 2a), sodass zum einen das Mittel- und Grundglied des geschädigten linken Mittelfingers und als Referenz zudem das Mittel- und Grundglied des linken Zeigefingers in ein CAD-Volumenmodell überführt werden. Der anschließende Prozess der Rekonstruktion des fehlenden Gelenks ist in Abbildung 3 veranschaulicht. a)

Abbildung 3:

b)

c)

d)

Prozess der virtuellen Rekonstruktion der Gelenkfläche in Anlehnung an [3] a) Kinematik des gesunden Fingermittelgelenks des Zeigefingers b) Anatomisch korrekte Repositionierung der geschädigten Gelenkenden c) Rekonstruktion der fehlenden Gelenkgeometrie d) Fingergrundglied des linken Mittelfingers mit fehlender Gelenkgeometrie

Zur Analyse der Kinematik des gesunden Gelenks werden vorhandene Studien herangezogen, die die Kinematik der Finger und der Hand sowie insbesondere des in diesem Fall betroffenen Fingermittelgelenks (PIP-Gelenk) untersuchen [4, 5]. In [6] wurde der Gelenkmittelpunkt der Interphalangealgelenke (Fingergelenke) ermittelt. Durch Übertragung dieser Ergebnisse auf den

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vorliegenden Anwendungsfall wird mit Hilfe der CAD-Daten des gesunden Zeigefingers die Kinematik der Fingergelenke des Patienten analysiert (Abbildung 3a), sodass basierend auf der ermittelten Gelenkachse die anatomisch korrekte Position der defekten Fingerknochen bestimmt wird (Abbildung 3b). Auf diese Weise kann das Ausmaß des Defekts festgestellt und anschließend rekonstruiert werden. Dazu wird zunächst eine „optimale Fehlstellengeometrie“ unter Zuhilfenahme der intakten Gegengelenkfläche im Mittelfingergrundglied und der intakten Gelenkflächengeometrie des Zeigefingers modelliert. Während dieses Modellierungsprozesses wird der gesamte Bewegungsausschlag des Fingers untersucht, um Interferenzen der beiden Gelenkflächen zu vermeiden (Abbildung 3c). Dieses modellierte Ersatzteil (Abbildung 3d) spiegelt die zu ersetzende Gelenkflächengeometrie wider, die durch ein körpereigenes Knorpel-Knochen-Transplantat bestmöglich nachgebildet werden sollte. Nach dem erfolgreichen Rekonstruktionsprozess folgt die Planung der Transplantatentnahme und der Transplantation, die wiederum auf die Möglichkeiten des Computer-Aided-Design (CAD) zurückgreift. Abbildung 4 visualisiert das Vorgehen bei der Planung des Eingriffs. a)

defektes Fingermittelgelenk

b)

c)

Vierter Mittelhandknochen als Transplantatgeber geeignetes Gelenk Hakenbein

Abbildung 4:

CAD-gestützte Planung der Transplantatentnahme a) Anatomie der menschlichen Hand b) Vierter Mittelhandknochen mit Entnahmestelle des Knorpel-KnochenTransplantates (radiale Ansicht) c) Vergrößerte Ansicht des vierten Mittelhandknochens mit Entnahmestelle des Transplantates

Die Auswahl einer Knorpelknochenspenderregion ist unter Beachtung der resultierenden funktionellen Beeinträchtigungen so zu wählen, dass diese möglichst gering sind. Zudem ist eine örtliche Nähe zum Defekt anzustreben, damit die OP-bedingten Einschränkungen des Patienten möglichst lokal begrenzt sind. Aus diesen Gründen wird zunächst die Hand als mögliche Transplantatgeberregion untersucht. Die Anatomie der menschlichen Hand ist schematisch in Abbildung 4a dargestellt. Einige der Gelenke entfallen aufgrund der resultierenden Beeinträchtigung direkt als Transplantatgeber. Die Gelenke zwischen Mittelhand und Handwurzelknochen scheinen jedoch geeignet, da sie sogenannte Amphiarthrosen sind. Amphiarthrosen sind von ihrem anatomischen Aufbau her echte Gelenke, die jedoch in ihrer Beweglichkeit stark eingeschränkt

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sind. Die Versteifung eines dieser Gelenke würde demnach keine merklichen Bewegungseinschränkungen für den Patienten verursachen. Dem ärztlichen Rat folgend werden zunächst die Gelenkflächen zwischen dem vierten Mittelhandknochen und dem Hakenbein näher analysiert. Die Entnahmestelle muss so gewählt werden, dass das Transplantat möglichst genau die Geometrie der ursprünglichen Gelenkfläche nachbildet. Auf diese Weise soll die Wiedererlangung des vollen Bewegungsumfangs des linken Mittelfingers erreicht werden. Der Defekt soll zur Steigerung der Heilungschance durch ein einteiliges Transplantat ersetzt werden. Zur Optimierung der Planungsmöglichkeiten werden die Daten von Hakenbein und viertem Mittelhandknochen aus dem CT-Datensatz extrahiert und in 3D-CAD-Volumenkörper zurückgeführt. In Abbildung 4b ist die Analyse der Gelenkflächengeometrien von Hakenbein und viertem Mittelhandknochen dargestellt. Die Kontur der Gelenkfläche des vierten Mittelhandknochens liefert eine große Ähnlichkeit mit der zu ersetzenden Gelenkfläche (Abbildungen 4b und c). Da die räumliche Ausdehnung des Defekts kleiner als die als Transplantatgeber fungierende Gelenkfläche ist, wird der Teil, der dem Defekt geometrisch am ähnlichsten ist, detektiert und in der späteren OP entnommen. Ein Vergleich von Form und Gestalt der Fehlstelle und zu entnehmendem Transplantat weist gute Übereinstimmungen auf. Eine abschließende Überprüfung des Bewegungsumfangs des Gelenks mit dem virtuell entnommenen und in den Defekt eingepassten Transplantat zeigt während des Beugevorgangs minimale Interferenzen mittig auf der Gelenkfläche sowie kleinere geometrische Abweichungen in den Randbereichen des Knochens. Während der OP sind daher kleinere Anpassungen der Transplantatgelenkfläche und des Transplantats notwendig, indem das interferierende und überschüssige Material entfernt wird. Zur Entlastung des Transplantats während der Einheilungsphase und vor allem zur Wiederherstellung der normalen Gelenkbeweglichkeit und zur Aufdehnung der geschrumpften Gelenkkapsel wird eine allmähliche Gelenkaufdehnung durch bilaterale Anbringung zweier gelenkübergreifender, unilateraler, dynamischer Fixateure externe durchgeführt. Deren Anbringung wird ebenfalls vorab virtuell geplant. Die Ergebnisse sind in Abbildung 5 dargestellt. a)

Abbildung 5:

b)

Virtuelle Anbringung der beiden Fixateure externe im CAD a) Bewegungssimulation des Fingermittelgelenks (Beugestellung) b) Bewegungssimulation des Fingermittelgelenks (Streckstellung)

Ein Fixateur externe ist ein außerhalb des Körpers angebrachtes Haltesystem, das zur Stabilisierung von Knochen und Gelenken bei komplexeren Verletzungen des Skelettsystems Anwendung findet [7]. Damit die Wiedererlangung der Gelenkbeweglichkeit trotz Fixateur externe möglich ist, muss dieser so angebracht sein, dass die Gelenkachsen von Fixateur und Fingergelenk übereinstimmen. Um dem Operateur eine Anleitung zu geben und intraoperativ Zeit zu sparen sowie

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zu treffende Entscheidungen zu vermeiden, wird diese Position vorab im CAD nachgebildet. Damit ist bereits vorab festgelegt, wie die exakte Positionierung entsprechend der anatomischen Bewegungsachse des Fingermittelgelenkes als Scharniergelenk durchgeführt werden muss. Zusätzlich wird eine Bewegungssimulation über den gesamten physiologischen Bewegungsumfang des Fingermittelgelenks durchführt, um mögliche erforderliche Änderungen vorzunehmen. Exemplarisch sind die vollkommen gebeugte Position (Abbildung 5a) und die vollständig gestreckte Haltung (Abbildung 5b) veranschaulicht. Zum Abschluss des CAE-unterstützten Planungsprozesses werden Polyamid-Modelle der betroffenen Knochen und des Transplantats additiv hergestellt. Diese sollen zum einen der besseren Visualisierung der durchzuführenden Schritte dienen und zum anderen nach der Sterilisation während des chirurgischen Eingriffs als Muster zur Verfügung stehen. Somit können die wichtigsten Schritte des Eingriffs vorab am Modell simuliert und mögliche Fehlerquellen beseitigt werden. Weiter stehen die Modelle zu jeder Zeit des Eingriffs haptisch und optisch zur Verfügung. Die OP wird durch die additiv gefertigten Modelle, aber auch durch CAD-Modelle verschiedener Körperstrukturen und aufeinanderfolgender Schritte des Eingriffs unterstützt. Zu Beginn wird das Polyamid-Modell des fehlenden Knorpel-Knochen-Fragments in den Gelenkspalt eingelegt und die Gelenkbewegung im vollen Bewegungsumfang auf mögliche Interferenzen überprüft. Somit können mögliche Fehler in der Planung durch zu ungenaue CT-Daten ausgeschlossen werden. Aus dem vierten Mittelhandknochen wird anschließend an der geplanten Stelle das Transplantat entnommen und in Anlehnung an das vorhandene Polyamid-Modell der Defektgeometrie in die Sollgestalt zugeschnitten. Nachdem das Transplantat die Sollgeometrie besitzt, wird es auf dem Fingermittelglied des Mittelfingers positioniert und mit Schrauben fixiert. Die Fixateure externe zur Entlastung des Gelenks wurden bereits in einer vorangegangenen Operation entsprechend des Planungsergebnisses angebracht, sodass der Gelenkspalt vorab schrittweise aufgedehnt werden konnte. Eine abschließende Kontrolle einige Wochen nach dem Eingriff zeigt die erfolgreiche Einheilung des Transplantats und die Wiedererlangung der Gelenkbeweglichkeit jedoch in eingeschränktem Umfang. Diese Einschränkung ist auf gewisse eigenmächtige postoperative Entscheidungen des Patienten zurückzuführen, die den Heilungsverlauf negativ beeinflusst haben. Die vorab virtuell geplanten Handlungsschritte des chirurgischen Eingriffs konnten erfolgreich in die Praxis überführt werden. Die Anwendung ingenieurmäßiger Methoden im Planungsprozess chirurgischer Eingriffe kann demnach beispielsweise zur Steigerung des erzielbaren Rehabilitationsgrades beitragen.

3 Potentiale additiver Fertigungsverfahren zur Strukturoptimierung von Implantaten Im Verlauf eines präoperativen Planungsprozesses werden erforderliche medizinische Hilfsmittel, wie Prothesen, Heilungshilfen und weiteres festgelegt. Nicht immer bietet die verfügbare Auswahl die Möglichkeit einer optimalen Behandlung. Teilweise sind individuelle Hilfen erforderlich, die ohne den Einsatz von CAE-Methoden nicht detektierbar und ohne moderne Herstellungsverfahren, wie der additiven Fertigung, nicht wirtschaftlich produzierbar sind. Doch auch bei Standardprothesen, bei denen aus einem Baukastensystem die am besten geeignete Kombination ausgewählt wird, gibt es Optimierungspotentiale, wobei der biomechanische Gesichtspunkt in der Regel ausreichend gut beachtet ist. Am Beispiel einer Kurzschaft-Hüftendoprothese

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wird nachfolgend die bestehende Problematik in der Prothetik aufgezeigt. Anschließend werden unter Ausnutzung der Potentiale von CAE-Methoden und additiver Fertigungsverfahren Lösungsansätze durch eine Strukturoptimierung aufgezeigt. Mit Hilfe beanspruchungsangepasster Gitterstrukturen werden unter Zuhilfenahme der Finite-Elemente Methode in einem iterativen Prozess steifigkeitsangepasste Varianten einer Kurzschaft-Hüftendoprothese entwickelt. Aus der Analyse von Spannungen und Verformungen in Prothese und Knochen werden stetig weitere Optimierungsschritte abgeleitet. Das Optimierungsziel ist die Reduktion der aktuell bestehenden Steifigkeit sowie die daraus resultierende Erhöhung und Homogenisierung der Beanspruchung im umliegenden Knochen. Weiterhin stehen eine verbesserte Fixierung und Haltbarkeit in Bezug auf die Einsatzdauer sowie eine kompakte, knochensparende Bauweise und die direkte Kraftleitung im Fokus. Schlussendlich wird eine optimierte Prothesenvariante entwickelt, additiv gefertigt und deren Einsatzsicherheit experimentell validiert.

3.1 Analyse der Problematik In Deutschland werden jährlich etwa 210 000 Erstimplantationen von Hüfttotalendoprothesen sowie ca. 30 000 Revisionsoperationen vorgenommen [8]. Somit zählt dieser Eingriff zu einer der häufigsten orthopädischen Behandlungen unserer Zeit [9]. Das Ziel des Eingriffs ist eine Verbesserung der Lebensqualität des Patienten durch Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit und Schmerzminderung [10]. Stetige Forschung auf dem Gebiet der Hüftendoprothetik führte zu Innovationen bezüglich Technologie, Materialwissenschaften, chirurgischer Techniken und Methoden der Fixation und Sterilisierung, die zur Erhöhung der Lebensdauer der Implantate beitrugen. Mittlerweile können 75% der implantierten Hüftendoprothesen bis zu 15 Jahre im Körper verweilen [11, 12]. Trotz dieser stetigen Innovationen bleibt die aseptische Lockerung der Prothese, hervorgerufen durch das so genannte „Stress Shielding“, ein bestehendes Problem. Durch die wesentlich höhere Steifigkeit der Prothese im Vergleich zum Knochen herrscht ein Mangel an Beanspruchung insbesondere im proximalen Bereich der Kontaktzone von Prothese und Femur, sodass ein Knochenabbau im Bereich der Prothese resultiert [12]. Weiter kann der genannte Steifigkeitsunterschied zu Schmerzen beim Patienten führen. Diverse Forschungsprojekte mit dem Ziel die Steifigkeit der Prothese zu reduzieren und die damit verbundenen Komplikationen zu beseitigen sind bereits durchgeführt worden [13]. Im Zuge dieser Optimierungen können komplexere Geometrien, wie Gitterstrukturen oder Porositäten resultieren, sodass moderne Herstellungsverfahren, wie beispielsweise das additive Fertigungsverfahren Selektives LaserStrahlschmelzen (SLM) [14], für die weitere Forschung auf diesem Themengebiet herangezogen werden.

3.2 Vorüberlegungen für den Entwicklungsprozess Um einen zielgerichteten Optimierungsprozess durchführen zu können, sind zunächst einige Vorüberlegungen notwendig. Diese betreffen zum einen die gewünschten Anforderungen an das Implantat sowie die Analyse verschiedener Einflussfaktoren auf die Einsatzdauer als auch die Ableitung weiterer Optimierungsschritte auf Basis von bereits durchgeführten Vorstudien.

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3.2.1 Grundlegende Anforderungen an das Implantat Die Analyse der Biomechanik des gesunden Hüftgelenks liefert die Basis für die Gestaltung und Auslegung eines Implantats. Diese sollte bestmöglich beachtet und beibehalten werden, sodass die Vermeidung größerer Beeinträchtigungen ein primäres Ziel des künstlichen Gelenkersatzes ist. Die biomechanische Funktion der Hüfte ist Bewegungen zwischen Becken und Femur bei gleichzeitiger Gewährleistung einer Kraftübertragung zu ermöglichen [15]. Um eine gute Bewegungsfreiheit des Gelenkes zu realisieren, ist der Durchmesser des Schenkelhalses kleiner als der des Femurkopfes. Weitere mechanische Kennwerte werden durch den Centrum-Collum-Diaphysen-Winkel (CCD-Winkel) beeinflusst. Der CCD-Winkel beschreibt den Winkel zwischen dem Schaft und dem Kopf des Femurs. In Abhängigkeit dieses Winkels ändern sich die auf das Hüftgelenk einwirkenden Belastungen. Im Normalfall beträgt der CCD-Winkel 125° [15]. Weitere biomechanisch relevante Abmessungen sind das Drehzentrum des Hüftkopfes sowie das femorale Offset (Abstand zwischen Drehzentrum und Femurschaftachse) [15]. Der Gruppe der Röhrenknochen zugehörig stellt das Femur den größten Knochen im menschlichen Körper dar [16, 17]. Der rohrähnliche Knochenschaft ist aus einer festen Substanz, der Kompakta, aufgebaut. Die Knochenenden bestehen aus einer schwammartigen Struktur, der Spongiosa [17, 18]. Die Knochenbälkchen der Spongiosa sind trajektoriell, also entlang der größten Druck- und Zugkräfte, ausgerichtet. Die Knochenstruktur ist zur Gewährleistung einer optimalen Kraftaufnahme stets im kontinuierlichen Umbau [19]. Gering beanspruchtes Knochenmaterial wird abgebaut, während höher beanspruchte Bereiche verstärkt werden. Vielfältige alltägliche Belastungssituationen verursachen eine Beanspruchung im Hüftgelenk. Bei der Auslegung eines künstlichen Hüftgelenkersatzes sind diese Belastungssituationen zu quantifizieren, um die Einsatzsicherheit des Implantats gewährleisten zu können. Die verwendeten Lastannahmen beruhen auf einer Studie der Arbeitsgruppe um G. BERGMANN [20]. Zur Datenerfassung wurde in diesem Zusammenhang ein Prothesenschaft entwickelt, der mit entsprechender Messtechnik, inklusive einer telemetrischen Datenübertragung, ausgerüstet wurde [20]. Im Rahmen dieses Beitrags werden aus dieser Untersuchung zwei exemplarische Lastfälle für den Entwicklungsprozess herangezogen. Zum einen wird das „Gehen“ als alltägliche Belastung des Hüftgelenks für die Auslegung gegen Versagen durch Ermüdung betrachtet. Die Kontaktkraft FK zwischen dem Caput Femoris (Hüftkopf) und dem Acetabulum (Hüftgelenkpfanne) beträgt 280% des Körpergewichts. Zum anderen wird zum Ausschluss eines Gewaltbruchs das „Stolpern“ herangezogen, das die höchste Beanspruchung (bis zu 870% des Körpergewichts) hervorruft. Um den Kraftangriffswinkel α festzulegen, wird der Einbeinstand zu Grunde gelegt, da die Beanspruchung des Hüftgelenkes dann am höchsten ist. Der resultierende Kraftangriffswinkel α zur Vertikalen beträgt in diesem Falle 16° [21]. Die Prothese soll für einen männlichen Patienten mittleren Alters mit einem Gewicht von 79 kg ausgelegt werden. Beim Gehen tritt demnach die Kontaktkraft FK,Gehen = 2170 N auf. Beim Stolpern wirkt eine Kraft FK,Stolpern = 6742 N.

3.2.2 Einflussfaktoren auf die Stabilität eines Implantats Drei Faktoren besitzen einen großen Einfluss auf die Stabilität eines Implantats: die Passung, die Fixierung und die Steifigkeit. Hinsichtlich der Stabilität ist zwischen der Primärstabilität unmittelbar nach der Implantation und der Stabilität nach dem Anwachsen zu differenzieren. Eine ungenügende Primärstabilität führt zu Mikrobewegungen der Prothese, sodass Schmerzen für den Patienten entstehen. Eine mangelhafte Stabilität nach dem Anwachsen kann aus einem Knochenabbau resultieren, der durch eine unzureichende Lastübertragung auf den Knochen verursacht wird.

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Eine enge Passung (Formschluss zwischen Prothese und Implantat) wirkt sich positiv auf die Primärstabilität, aber negativ auf die Stabilität nach dem Anwachsen aus. Dementsprechend ist in diesem Zusammenhang ein geeigneter Kompromiss zu wählen. Hinsichtlich der Fixierung im Femur existieren zwei Varianten: die Verankerung mit Knochenzement und eine zementfreie Verankerung. Für jüngere Patienten wird aufgrund zahlreicher Vorteile, wie beispielsweise einer erleichterten Revisionsoperation und der Vermeidung von Gewebeschädigungen durch das Zementpolymer, meist die zementfreie Variante bevorzugt [22]. Die Fixierung mit Knochenzement wirkt sich positiv auf die Primärstabilität aus, mit der Zeit können aber Lockerungserscheinungen auftreten. Die Anpassung der Steifigkeit auf einen ähnlichen Wert wie die des Knochens besitzt positive Auswirkungen auf die Primär- und Langzeitstabilität des Hüftimplantats. Abbildung 6 veranschaulicht die Relevanz der Anpassung der Implantatsteifigkeit auf die mögliche Einsatzzeit des Implantats.

a) M

b) MB

c)

d) MB

B

MB

Abbildung 6:

Einfluss der Implantatsteifigkeit auf die Beanspruchungssituation im Knochen a) Gesunder Knochen ohne Implantat b) Knochen mit zu steifem Implantat („Stress Shielding“) c) Knochen mit zu nachgiebigem Implantat d) Implantat mit angepasster Steifigkeit

Implantate mit verschiedenen Steifigkeiten, die schematisch in einen Knochen implantiert sind, werden einer Biegebelastung MB ausgesetzt und die resultierende qualitative Beanspruchung jeweils der des gesunden Knochens (Abbildung 6a) gegenübergestellt. Blaue Bereiche entsprechen in diesem Zusammenhang einer geringen Beanspruchung, rote einer hohen Beanspruchung.

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In Abbildung 6b ist die Beanspruchungssituation im Knochen bei Verwendung eines zu steifen Implantats veranschaulicht. Die gesamte Last wird vom Implantat getragen, sodass der proximale Teil des Knochens beanspruchungsfrei ist. Am Ende der Prothese tritt bedingt durch den erheblichen Steifigkeitssprung eine Spannungskonzentration im Knochen auf. Dieser als „Stress Shielding“ bezeichnete Effekt führt zur Lockerung der Prothese, da der unbeanspruchte Knochen nach und nach abgebaut wird. Dieser Fall spiegelt die Situation mit den momentan verwendeten Implantaten wider. Die Ausprägung kann jedoch variieren. Ein zu nachgiebiges Implantat übernimmt zu wenig der einwirkenden Last und ist insbesondere wegen der großen auftretenden Verformungen für die Anwendung nicht geeignet (Abbildung 6c). Ein Implantat mit an den Knochen angepasster Steifigkeit beeinflusst die Beanspruchungssituation verglichen mit dem gesunden Knochen nur gering (Abbildung 6d). Über die gesamte Implantationslänge werden sowohl der Knochen als auch das Implantat annähernd homogen beansprucht. Der Knochenwachstumsreiz erfährt demnach eine permanente Anregung, sodass Lockerungen bedingt durch Knochenabbau reduziert oder gar vermieden werden. Eine Möglichkeit, die Steifigkeit des Implantats zu variieren, liegt unter anderem in der Auswahl des Werkstoffs. Dabei ist zu gewährleisten, dass der ausgewählte Werkstoff neben der gewünschten Steifigkeit auch die Funktionserfüllung durch ausreichend gute mechanische Kennwerte garantiert sowie Biokompatibilität besitzt. Auf diese Weise wird eine Schädigung des umliegenden Gewebes durch eine ausreichende chemische und biologische Verträglichkeit von Implantat und Körper ausgeschlossen [23]. Ein Werkstoff, der die oben genannten Anforderungen erfüllt, ist die Titanaluminiumlegierung TiAl6V4, die mittels selektivem Laser-Strahlschmelzen prozesssicher verarbeitbar ist. Eine Übersicht der mechanischen Werkstoffkennwerte, aufgenommen an lasergeschmolzenen Probekörpern, ist in Tabelle 1 aufgeführt. Tabelle 1: Werkstoff TiAl6V4

Mechanische Werkstoffkennwerte der TiAl6V4-Legierung im SLM-Prozess [24] Rp0,2 [MPa]

Rm [MPa]

A [%]

E [MPa]

912

1005

8,3

115 000

Auffällig ist der im Vergleich zu anderen biokompatiblen, metallischen Werkstoffen geringe E-Modul, der einen positiven Einfluss auf die Steifigkeitsoptimierung von Implantaten besitzt. Ein weiterer vorteilhafter Aspekt dieses Materials ist dessen gute osseogenetische Eigenschaft. Da TiAl6V4 bioinert ist, treten keinerlei schädliche Wechselwirkungen mit körpereigenem Gewebe auf. Um die Einsatzsicherheit des Implantats gewährleisten zu können, werden ein Festigkeits- sowie ein Dauerfestigkeitsnachweis durchgeführt. Die Grundaussage dieser beiden Nachweise ist, dass die wirksamen Beanspruchungen im Bauteil zu jeder Zeit kleiner sein müssen als die Tragfähigkeit des Werkstoffs [25]. Bei der Überprüfung, dass kein Versagen durch plastische Verformung eintritt, wird für den Lastfall „Stolpern“ die Gestaltänderungsenergiehypothese nach VON MISES verwendet. Zur Festlegung der werkstoffseitig zulässigen Spannung wird die Rp0,2-Dehngrenze durch einen Sicherheitsfaktor SF gegen Fließen dividiert [25]. Zyklische Belastungen rufen meist ein Versagen durch Ermüdungsrisswachstum hervor. Aus diesem Grund werden die Spannungen bei der Auslegung der Prothese für den Lastfall „Gehen“ nach der Hauptnormalspannungshypothese nach NAVIER ausgewertet, da Risse global betrachtet stets senkrecht zur größten Hauptnormalspannung wachsen [25]. Die zulässige Spannung σa,zul wird unter Einbeziehung der Dauerfestigkeit des Materials σA, des Oberflächenrauigkeitsbeiwerts b1, des technologischen Größenbeiwerts b2 sowie eines Sicherheitsfaktors SD berechnet.

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3.2.3 Rand- und Zwangsbedingungen für die numerischen Analysen Zur Berücksichtigung des natürlichen anatomischen Aufbaus sind verschiedene Abmessungen sowie die geometrische Gestalt der Prothese von Relevanz. Die Prothese soll das gesunde Femur bestmöglich nachbilden. So ist beispielsweise die Einhaltung des vorhandenen CCD-Winkels von Relevanz. Die entwickelte Grundgeometrie ist für jede Ausprägung des CCD-Winkels anpassbar. Stimmen die Drehzentren von natürlichem Femur und Prothese nicht überein, entstehen Einschränkungen für den Patienten. Dementsprechend sind verschieden ausgestaltete Varianten der Hüftprothese bereitzustellen. Zudem sind der Kopf- und der Halsdurchmesser der Prothese von Relevanz. Im Rahmen dieser Untersuchungen wird ein Konus mit einem Verhältnis von 8,5/11 verwendet, sodass ein Konuswinkel von 5,74° resultiert. Der verwendete Kugelkopf wird mit einem Durchmesser von 24 mm ausgeführt. Der Kopfdurchmesser hat eine direkte Auswirkung auf den Bewegungsfreiraum des Patienten. Grundlegend wird empfohlen, ein Verhältnis von 2:1 zwischen dem Kopf- und dem Halsdurchmesser zu erreichen [15]. Weiter ist der Kopfdurchmesser ein wichtiger Bestandteil, der die Stabilität der Gelenkverbindung beeinflusst. Durch den größer werdenden Luxationsweg (Distanz, die überwunden werden muss, um den Oberschenkel auszukugeln), erhöht sich die Stabilität mit steigendem Kopfdurchmesser [15]. Für einen dauerhaften und stabilen Sitz der Verbindung von Kugelkopf und Prothese wird ein Konus mit einem Winkelbereich von 4-6° verwendet. Gängige Konusabmessungen besitzen Verhältnisse von 8/10, 12/14 und 14/16. Bei der Kompatibilität von Konen und Prothesen ist zu beachten, dass hier keine allgemeingültigen Normen vorliegen. Häufig finden Kopfdurchmesser von 28 mm, 32 mm und 36 mm Anwendung [15], sodass zusammenfassend die im Rahmen dieser Studie gewählten Abmessungen denen standardmäßig verwendeter Produkte entsprechen. a)

b)

A-A FK-z FK-x

FK-z FM-x

FK-x

FM-z FM-x

z

Proximale Epiphyse

FM-z

y

370 mm

x Detail A-A

Diaphyse c)

75 mm



Abbildung 7:

Distale Epiphyse

Draufsicht Femur Kondylenachse 12° Kollumachse

Grundlagen für die numerische Modellbildung a) Rand- und Zwangsbedingungen für das FE-Modell b) Vergrößerte Ansicht der Lasteinleitungsstellen c) Anatomische Ausrichtung des Femurs für die numerische Simulation

Für eine einsatzsichere Auslegung der optimierten Prothese mittels numerischer Methoden sind möglichst realitätsnahe Randbedingungen zu wählen. In Abbildung 7 sind der gewählte Aufbau

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des Simulationsmodells sowie die anatomisch relevanten Abmessungen visualisiert. Zur Erzielung möglichst realitätsnaher Simulationsergebnisse wird der E-Modul des Femurs variabel angenommen, um die jeweils herrschenden Eigenschaften von Kortikalis und Spongiosa bestmöglich abzubilden. Zur Reduktion des Rechenaufwandes werden linear isotrope Materialeigenschaften vorausgesetzt. Der für die Simulation verwendete Femurstumpf wird in der anatomisch korrekten Position an seinem Ende fest eingespannt. Seine Stellung ist in lateraler Richtung um 9° gekippt (Abbildung 7a). Weiter ist die Kollumachse des Femurkopfes in Bezug auf die Kondylenachse des distalen Femurs um 12° in Richtung anterior verdreht (Abbildung 7c) und wird durch den Antetorsionswinkel beschrieben [26]. Über den Kugelkopf der Prothese werden die jeweiligen Kontaktkräfte in x- und z-Richtung (FK-x, FK-z) aufgegeben. Eine zusätzliche Belastung wird durch die Muskelgruppe der Abduktoren eingefügt (FM-x, FM-z) (Abbildung 7b). Gluteus-Abduktoren reduzieren die Dehnungsbelastung in dem proximalen Teil des Schenkelhalses in einem solchen Ausmaß, dass Auswirkungen auf die nachfolgende Auslegung einer Prothese in Bezug auf deren Steifigkeit bestehen [27, 28]. Die Höhe der wirkenden Muskelkraft beträgt das 1,1-fache des Körpergewichts [29].

3.3 Steifigkeitsoptimierung des Hüftimplantats Erste Optimierungsschritte wurden bereits in vorangegangenen Studien [30] durchgeführt. Abbildung 8 veranschaulicht den früheren Optimierungsprozess des Hüftimplantates. Ausgehend von einer Standard-Prothesengeometrie mit nahezu rechteckigem Querschnitt (Abbildung 8a) wird zur Verringerung der Biegesteifigkeit, in diesem Fall des Flächenträgheitsmomentes, die Grundgestalt hin zu einem U-Profil verändert (Abbildung 8b). a)

Abbildung 8:

b)

c)

d)

Erste Ergebnisse zur Anpassung der Prothesengestalt im Hinblick auf eine Steifigkeitsvariation a) Initiales Modell (Rechteck-Vollprofil) im Teilschnitt b) Optimierte Prothese mit U-Vollprofil im Teilschnitt c) Prothese mit U-Hohlprofil im Teilschnitt d) Prothese mit U-Hohlprofil und Ausschnitten zur zusätzlichen Steifigkeitsreduktion im Teilschnitt

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Dass die Torsionssteifigkeit damit ebenfalls abnimmt, ist zu vernachlässigen, da sie im Verbund mit dem Knochen keine wesentliche Rolle spielt. Weiterhin wird die Verdrehsicherheit der Prothese im Knochen durch das gewählte U-Grundprofil gesteigert und durch die vergrößerte Kontaktfläche von Knochen und Implantat eine mögliche höhere Verbindungsfestigkeit erzielt. Die Prothese weist eine nach distal verjüngte Form auf, um das Einsinken der Prothese in den Knochen zu verhindern und einen festen Sitz zu gewährleisten. Im Verlauf des Optimierungsprozesses wird das gewählte U-Profil sowie die gesamte Prothesengeometrie als ein Hohlprofil mit konstanter Wandstärke ausgeführt (Abbildung 8c), dessen weiterhin bestehende Einsatzsicherheit durch numerische Simulationen validiert ist. Zur Gewährleistung einer ausreichenden Verankerung im Knochen wird die Größe des äußeren Querschnitts nicht weiter reduziert. Stattdessen wird der Ansatz einer weiteren Verringerung der Steifigkeit und damit der Erhöhung der Beanspruchung im umliegenden Knochen durch das Einbringen von Ausschnitten (Abbildung 8d) untersucht. Aus Gründen einer vereinfachten Explantierbarkeit ist die Möglichkeit des Hineinwachsens von Knochenmaterial in die Prothese jedoch als ungünstig zu bewerten. Der Optimierungsprozess des Hüftimplantats wird fortgesetzt durch den Einsatz von variablen, der Beanspruchung angepassten Wanddicken und Gitterstrukturen. In einem ersten Schritt werden die homogene Wandstärke des U-Profils variiert beziehungsweise schrittweise reduziert und die Auswirkungen auf die Beanspruchung mittels FE-Simulationen bewertet.

a) t = 0,7...0,6 mm t = 0,6...0,5 mm

t = 0,7 mm

S, Mises (Avg. 75%) 700 642 583 525 467 408

b) t = 1,2...0,5 mm t = 1,2 mm

Abbildung 9:

t = 0,5...0,4 mm

292 233 175 117 58 0

Einfluss der Wandstärke t auf die resultierenden Beanspruchungen a) Numerische Analyse eines Hüftimplantats mit nahezu homogener Wandstärke b) FE-Simulation einer im Halsbereich verstärkten Prothesenvariante

Bei Wahl einer konstanten Wandstärke in der gesamten Geometrie wird deutlich, dass einige Bereiche aufgrund einer geringen lokalen Beanspruchung Spannungsreserven besitzen. Andere jedoch bereits oberhalb der maximal zulässigen Spannung σzul beansprucht sind. Um die Steifigkeit weiter reduzieren zu können und dennoch die Einsatzsicherheit zu gewährleisten, kann in

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einem iterativen Prozess eine möglichst optimale Wandstärkenvariation über den Querschnitt ermittelt werden, wobei fertigungsbedingte Restriktionen bei dem SLM-Prozess stellenweise die weitere Verringerung der Wandstärken verhindern. Der Prozess der Wandstärkenvariation und dessen Einfluss auf die Beanspruchungssituation in der Prothese für den Lastfall „Stolpern“ sind in Abbildung 9 veranschaulicht. Da ein Versagen durch plastische Verformung zu erwarten ist, werden die Spannungen nach der Gestaltänderungsenergiehypothese nach VON MISES ausgewertet. Das in Abbildung 9a dargestellte Modell weist nahezu homogene Wandstärken über den gesamten Querschnitt auf. Die numerische Analyse des Lastfalls „Stolpern“ zeigt auf, dass insbesondere im Halsbereich eine starke Spannungsüberhöhung auftritt, während der distale Bereich nur gering beansprucht ist. Die Anpassung der Wandstärke t an die jeweils herrschende Beanspruchungssituation, im Zuge eines iterativen Prozesses, liefert schlussendlich eine homogener beanspruchte Prothese mit leichten Spannungsüberhöhungen im Halsbereich, die die zulässige Spannung σzul nicht überschreiten (Abbildung 9b). a) Gittergröße: 10 mm Gittergröße: 8 mm Gittergröße: 6 mm S, Mises (Avg. 75%) 700 642 583 525 467 408 292 233 175 117 58 0

b)

Stab-Ø: 0,6 mm

Stab-Ø: 0,4 mm

Stab-Ø: 0,2 mm

S, Mises (Avg. 75%) 700 642 583 525 467 408 292 233 175 117 58 0

Abbildung 10: Untersuchungen zum Einfluss der Gitterstruktur auf die resultierende Beanspruchungssituation a) Einfluss der Gittergröße b) Einfluss des Stabdurchmessers Ein weiterer Ansatz zur einsatzsicheren Gestaltung der Kurzschaft-Hüftendoprothese ist der Einsatz von innenliegenden Gitterstrukturen. Abbildung 10 visualisiert die Ergebnisse der Untersuchungen zum Einfluss von Gitterstrukturen auf die resultierenden Beanspruchungen exempla-

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risch für den Lastfall „Stolpern“. In einem ersten Schritt wird die im Halsbereich verstärkte Prothese (Abbildung 9b) mit Gittern aus unterschiedlich großen Einheitszellen bestehend aus 0,2 mm dicken Streben gefüllt und deren Effekt untersucht. Mit steigender Einheitszellengröße steigen die Beanspruchungen sowohl innerhalb der Gitterstruktur als auch in der Prothesenhülle (Abbildung 10a). Nachfolgend werden Prothesenvarianten mit konstanter Größe des Gitters bzw. der Einheitszelle (6 mm x 6 mm x 6 mm) und unterschiedlichen Stabdurchmessern analysiert (Abbildung 10b). Ein zunehmender Stabdurchmesser reduziert in diesem Zusammenhang die lokalen Beanspruchungen. Das Fazit dieser Untersuchungen ist, dass je höher die Volumenfüllung durch das Gitter ist, desto geringer sind die resultierenden Beanspruchungen. Schlussendlich liefern die Studien zum Einfluss verschiedener Gitterstrukturen die Erkenntnis, dass ein gezielter Einsatz der Gitterstruktur im hochbelasteten Hals- und Kopfbereich der Prothese die lokale Beanspruchung reduzieren kann. Der geringer beanspruchte distale Bereich wird durch das lokale Einbringen von Gitterstrukturen nicht signifikant beeinflusst. Das Ziel des Optimierungsprozesses ist die Anpassung der Prothesensteifigkeit bei gleichzeitig einsatzsicherer Auslegung. Durch die Optimierung wird eine Reduktion der Steifigkeit im Schaftbereich der Prothese erzielt. Weiter sind durch den lokalen Einsatz von Gitterstrukturen im hochbelasteten Halsbereich des Implantats dessen Tragfähigkeit erhöht und die herrschenden Beanspruchungen verringert worden. Zur Validierung des Erfolgs der Steifigkeitsreduktion im Schaftbereich der Prothese werden die Beanspruchungssituationen innerhalb der Kontaktfläche des Femurs zu Beginn des Optimierungsprozesses und zum Ende in Abbildung 11 vergleichend für den Lastfall „Stolpern“ gegenübergestellt. Die erfolgreiche Strukturoptimierung führt zu einer Steigerung der Beanspruchung des die Prothese umgebenden Knochenmaterials.

Ansicht von anterior

Ansicht von posterior

S, Mises (Avg. 75%) 50 46 42 38 33 29

21 17 13 8 4 0

Initiales Modell Finales Modell

Initiales Modell Finales Modell

Abbildung 11: Vergleich der Spannungsverteilungen innerhalb der Kontaktfläche des Femurs Die Ergebnisse verdeutlichen, dass durch den Optimierungsprozess eine Erhöhung der Spannungen im Knochen erzielt werden konnte. Durch die konstruktive Anpassung konnten gezielt spannungsfreie Gebiete sowie Bereiche mit geringer Spannung reduziert werden, sodass eine insgesamt homogenere Beanspruchung der Kontaktfläche resultiert. Die mittels FE-Analyse ermittelte geringste Spannung kann mit einem Wert von 1,3 N/mm² beziffert werden. Somit werden über die gesamte Knochenkontaktfläche Spannungen in den Knochen eingeleitet und der Abbau des Knochens kann verhindert werden.

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3.4 Herstellung von Prothesen mittels selektivem Laser-Strahlschmelzen Zur Herstellung der optimierten Hüftendoprothesen ist unter anderem aufgrund des innenliegenden Gitters ein Verfahren erforderlich, das einen hohen Grad an gestalterischer Freiheit besitzt. Mit Hilfe des SLM-Verfahrens besteht die Möglichkeit, sowohl filigrane, innenliegende als auch komplexe Geometrien zu produzieren [14]. Das Generieren von Bauteilen und Strukturen mittels SLM erfordert einen 3D-Datensatz des Modells. Mit Hilfe einer Datenaufbereitungssoftware wird das Bauteil mit den prozessbedingt benötigten Stützstrukturen versehen. Stützstrukturen dienen zum einen zur Anbindung der Hüftprothese an die Bauplattform und zur Ableitung des prozessinduzierten Wärmeeintrags an die Bauplatte. Zum anderen wird das Einfallen der Bauteilstruktur in Bereichen mit starken Querschnittsüberhängen verhindert [31]. In diesem Schritt werden außerdem die entsprechenden materialabhängigen Prozessparameter festgelegt. Da das SLM-Verfahren ein schichtweises Aufbauverfahren ist, muss das Bauteil noch virtuell in Schichten geteilt werden. Zur Entfernung des im Protheseninnern befindlichen Pulvers nach dem Bauprozess werden Pulverablaufbohrungen in gering beanspruchten Bereichen vorgesehen. Im anschließenden Bauvorgang wird die Hüftprothese durch die Prozessschritte Beschichten, Belichten und Absenken sukzessive Schicht für Schicht aufgebaut [14]. In Abbildung 12 sind Varianten der SLM-gefertigten Hüftprothesen als Prototypen mit Support-Strukturen auf der Bauplatte dargestellt. Sichtbar sind zum einen vollständige Bauteile sowie zur Veranschaulichung auch Varianten mir verschiedenen Gitterstrukturen im Halbschnitt.

Abbildung 12: Additiv gefertigte Prototypen der Kurzschaft-Hüftendoprothese Zur Verringerung der Entstehung von Eigenspannungen werden die Kurzschaft-Hüftendoprothesen „stehend“ aufgebaut. Aufgrund der geringeren zu belichtenden Fläche pro Schicht wird versucht, diese so klein wie möglich zu halten. Des Weiteren wird durch dieses Vorgehen der Anteil an Supportstruktur minimiert. Lediglich zur Anbindung an die Bauplatte wird der Prothesenkopf mit Stützstrukturen versehen. Da der Kopf im Einsatz mit einer Kugel verbunden wird, ist diese Fläche eine Funktionsfläche, die spanend nachbearbeitet wird, sodass durch die Stützen kein Mehraufwand resultiert.

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3.5 Validierung der Einsatzsicherheit durch experimentelle Untersuchungen Zur Validierung der numerisch ermittelten Einsatzsicherheit werden experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Die ISO 7206: „Chirurgische Implantate - Partieller und totaler Hüftgelenkersatz“ beschreibt in insgesamt zehn Dokumenten die Anforderungen an diese experimentellen Untersuchungen. Für die Prüfung der optimierten Kurzschaft-Hüftendoprothese sind insbesondere der Teil 4: „Bestimmung der Dauerwechselfestigkeit und Leistungsanforderungen an Hüftendoprothesenschäfte“ [32] sowie Teil 6: „Dauerschwingprüfung und Leistungsanforderungen für den Halsbereich von Prothesenschäften“ [33] von Relevanz. a) b)

c)

Abbildung 13: Entwickelte Prüfvorrichtungen zur experimentellen Validierung der Einsatzsicherheit a) Gesamtansicht der Universalprüfmaschine b) Prüfvorrichtung für die Ermüdungsfestigkeit des Schaftbereichs c) Prüfvorrichtung für die Ermüdungsfestigkeit des Halsbereichs Basierend auf den Vorgaben aus [32, 33] werden zwei Prüfvorrichtungen entwickelt, die mit der in Abbildung 13a dargestellten Universalprüfmaschine kompatibel sind. Für die Prüfung des Schaftbereichs nach [32] wird die Prothese entsprechend der für verschiedene Prothesentypen definierten Ebenen in zwei Raumrichtungen um 9° bzw. 10° gekippt und eingespannt. Zur bestmöglichen Nachbildung der Eigenschaften, insbesondere der Steifigkeit des Knochens, wird die Prothese für die Prüfung in ein Epoxidharz eingebettet. Kurzschaft-Hüftendoprothesen werden mit einer zyklischen Prüfkraft Fmax = 1200 N und Fmin = 300 N beaufschlagt. Zum erfolgreichen Bestehen der Prüfung sind 5·106 Lastwechsel ohne auftretende Schäden zu ertragen. Zur statis-

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tischen Absicherung müssen mindestens sechs Prothesen erfolgreich geprüft werden. Die Prüfvorrichtung zur experimentellen Validierung der Ermüdungsfestigkeit des Schaftbereichs ist in Abbildung 13b visualisiert. Zur Prüfung der Ermüdungsfestigkeit des Halsbereichs nach [33] wird die Prothese wie in Abbildung 13c dargestellt bis zur Resektionsebene in das Epoxidharz eingebettet. Die erforderliche Ausrichtung der Prothese gegenüber der Lasteinleitung ist ebenfalls eindeutig definiert. Eine zyklische Last mit Fmax = 5340 N und Fmin = 600 N wird aufgebracht und die Prothese muss 1·107 Lastwechsel ohne erkennbare Deformationen und/oder Schädigungen ertragen. Die experimentellen Prüfungen konnten erfolgreich bestanden werden, sodass die einsatzsichere Auslegung der Prothese unter Verwendung numerischer Methoden bestätigt und die Einsatzsicherheit gemäß den experimentellen Prüfungen entsprechend der Norm [32, 33] gewährleistet ist.

4 Fazit Der Einsatz ingenieurmäßiger Methoden im Zusammenspiel mit medizinischem Fachwissen und dem konventionellen chirurgischen Vorgehen bietet eine Möglichkeit, komplexe medizinische Herausforderungen systematisch zu lösen. Anhand eines realen Anwendungsbeispiels einer Fingermittelgelenkverletzung wurde der Mehrwert von CAE-Methoden und additiver Fertigung für den Planungsprozess veranschaulicht. Eine dreidimensionale Begreifbarkeit der Situation ohne umliegendes Gewebe bietet die Grundlage zur Analyse und virtuellen Planung von chirurgischen Eingriffen. Additiv gefertigte Modelle dienen der Planung sowie der intraoperativen Unterstützung. Der Einsatz von FE-Software kann weiter dazu beitragen, biomechanische Auswirkungen von Verletzungen und Behandlungen zu ermitteln und daraufhin fundierte Handlungsempfehlungen aussprechen zu können. Auch die Hilfsmittelversorgung kann durch den Einsatz von CAE-Methoden und additiven Fertigungsverfahren profitieren. Am Beispiel einer Kurzschaft-Hüftendoprothese wurde der resultierende Mehrwert erläutert. Durch gezielte Nutzung der Potentiale des selektiven Laser-Strahlschmelzens, insbesondere der Möglichkeit filigrane innenliegende Gitterstrukturen und variable Wandstärken sowie innenliegende Hohlräume zu erzeugen, wurde eine steifigkeitsangepasste Kurzschaft-Hüftendoprothese entwickelt. Durch numerische Analysen der Beanspruchungssituationen von Knochen und Implantat konnten die Problematik des „Stress Shielding“ und damit potentielle Probleme des Patienten reduziert und die voraussichtliche Standzeit der Prothese erhöht werden.

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Entwicklung und additive Fertigung zyklisch beanspruchter Strukturen am Beispiel von metallischen Großbauteilen Maximilian Leya, Bastian Blinnb, Christoph Petrollc, Tillmann Beckb, Roman Teutscha a) Lehrstuhl für Konstruktion in Maschinenbau und Fahrzeugtechnik, Technische Universität Kaiserslautern b) Lehrstuhl für Werkstoffkunde, Technische Universität Kaiserslautern c) Wehrwissenschaftliches Institut für Werk- und Betriebsstoffe, Erding

Zusammenfassung Klassische Entwicklungsansätze und die konventionell Fertigungsprozess-getriebene Designfindung sind nur bedingt geeignet, die Potentiale additiver Herstellungsverfahren vollumfänglich zu nutzen. Neue und angepasste Lösungen, wie sie im Folgenden dargestellt werden, sollen als Hilfsmittel dienen, zum einen neue Möglichkeiten vor dem Hintergrund additiver Fertigung auszuschöpfen und zum anderen aber auch den, aus dem additiven Fertigungsprozess resultierenden, Herausforderungen adäquat zu begegnen. Gerade für (Nutz-) Fahrzeug-typische Bauteildimensionen und im Falle einer zyklischen Belastung, sind aufwendige und kostspielige Iterationen zwingend zu minimieren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen durch eine methodisch strukturierte Vorgehensweise, den gezielten Einsatz von Simulationswerkzeugen und effiziente Verfahren zur Ermittlung von Werkstoffkennwerten entsprechende Ansätze bereitgestellt werden. Die gesamte Vorgehensweise wurde an einem konkreten Beispiel – vor dem Hintergrund der Ersatzteilbereitstellung mittels additiver Fertigung – entwickelt und erprobt.

Stichwörter: Additive Fertigung, Betriebsfestigkeit, Hybrid-Konstruktion, PhyBaL, Topologieoptimierung

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_4

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Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile

1 Einleitung Angepasste Prozesse und ein gestiegenes gesamtheitliches Verständnis über den eigentlichen Fertigungsprozess hinaus tragen dazu bei, dass additive Fertigungsverfahren vermehrt mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie konventionelle Fertigungstechnologien auch als Option zur Herstellung von Funktionsbauteilen in Betracht gezogen werden. Das Potential dieser Fertigungstechnologie scheint zunächst enorm [1-5], bei genauerer Betrachtung werden jedoch auch Restriktionen ersichtlich [6-9], aus welchen sich u. a. folgende Fragen ableiten lassen: • • • •

Welche Bauteile lassen sich sowohl aus technischen als auch wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll additiv fertigen? Wie wirken sich ggf. abweichende Materialeigenschaften auf das Bauteilverhalten aus? Inwiefern lässt sich ein Mehrwert mittels der additiven Fertigung generieren? In wie weit sind die Annahmen, in Auslegung und Simulation von additiv gefertigten Bauteilen, für Vorhersagen vergleichbar mit den Ergebnissen des experimentellen Versuchs?

Am Beispiel der Ersatzteilbereitstellung für eine Fahrwerkskomponente eines leichten Kettenfahrzeuges der Bundeswehr wurden verschiedene (Produktentwicklungs-) Ansätze hinsichtlich ihrer Eignung für die additive Fertigung untersucht. Des Weiteren wurden angepasste und auf die additive Fertigung optimierte Vorgehensweisen entwickelt. Ziel ist es dabei, für jeden Schritt und insbesondere auch deren Schnittstellen (siehe Abb. 1) Hilfsmittel entlang einer durchgängigen Prozesskette bereitzustellen bzw. bedarfsgerecht einzusetzen. Die Stufen sind dabei in Anlehnung an [10] gewählt.

Abbildung 1:

Prozess-Modell zur gesamtheitlichen Entwicklung einer Komponente für die additive Fertigung

Die nachfolgenden Ausführungen gliedern sich nach den in Abbildung 1 dargestellten Stufen. Zu Beginn steht die methodisch strukturierte Auswahl eines für die additive Fertigung geeigneten Bauteils (Identifikation). Darauffolgend werden mittels sogenannter Kurzzeitmethoden auf effiziente Art und Weise verlässliche Materialkennwerte auf Probenbasis für das zyklische Werkstoffverhalten ermittelt. Diese Kennwerte bilden die Basis für den Designfindungsprozess und die Bauteilauslegung (Konstruktion/Optimierung). Das Bauteil wird schließlich, mit einer definierten Fertigungsstrategie, additiv gefertigt und dessen Design mittels Prüfstandversuchen validiert.

Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile

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2 Methodisch strukturierte Vorgehensweise zur Identifikation geeigneter Bauteile Über einen mehrstufigen Filterprozess (vgl. Abbildung 2) wird ein potenziell für die additive Fertigung geeignetes Bauteil ermittelt. Dabei werden zu Beginn Bauteilinformationen erfasst, was auch automatisiert und effizient aus einem PLM-System heraus erfolgen kann. Anschließend werden die Bauteilinformationen in Bauteilmerkmale übersetzt, wie z. B. die maximalen Abmessungen in drei Raumrichtungen in ein umhüllendes Volumen. Mit einer weiteren Aussage bzgl. des Bauteilgewichts und des Materials (bzw. der Dichte) kann dann ein „Ausnutzungsgrad“ dieses Volumens errechnet werden, welcher in die weitere Bewertung mit einfließt. Darüber hinaus werden u. a. Stückzahlen, bisherige Kosten, rechtliche Aspekte und Lastdaten erfasst und ausgewertet. Diese Informationen werden in ein Datenbanksystem eingepflegt und stehen somit auch für erneute Analysen unter geänderten Randbedingungen zur Verfügung. [10]

Abbildung 2:

Ablauf des Identifikationsalgorithmus nach [10] mit möglichem Ergebnis

Die Filterkriterien, welche letztendlich das Ergebnis des Auswahlprozesses bestimmen, gründen zum einen auf einer Technologiedatenbank und zum anderen auf Nutzer- bzw. Anwendungsfall-

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Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile

spezifischen Vorgaben. In der Technologiedatenbank werden die zur Verfügung stehenden additiven Fertigungsverfahren mit verfügbaren Materialien sowie technischen und monetären Kennzahlen abgelegt. Der Nutzer bzw. Anwender kann dann bspw. weitere unternehmensinterne Randbedingungen vorgeben, wie z. B. vorhandene Anlagen und technisch-wirtschaftliche Zielgrößen. Somit ist sowohl eine allgemeine und grundsätzliche Aussage zu einem Bauteil als auch eine individuelle und zielgerichtete Auswahl für die anschließenden Prozessschritte möglich. Um den stetigen technischen Fortschritt oder andere geänderte Randbedingungen berücksichtigen zu können, wurde ein dynamischer Aufbau des Systems gewählt. Dementsprechend können Änderungen jederzeit eingepflegt werden und für die bereits hinterlegten Bauteile erfolgt erneut eine automatisierte Bewertung. [10] Im Folgenden wird die Fahrwerkskomponente als ein mögliches Ergebnis des beschriebenen Identifikationsalgorithmus betrachtet. Das Bauteil weist eine hohe fertigungstechnische Komplexität auf. Es besteht aus mehr als zehn Einzelteilen, die miteinander verschweißt sind und wird in sehr geringen Stückzahlen produziert bzw. benötigt. Das umhüllende Volumen beträgt ca. 400 mm x 350 mm x 100 mm, was einem vergleichsweise großen Bauteil (bezogen auf weitverbreitete Anlagenbauräume mit Abmessungen von ca. 300 mm x 300 mm x 300 mm) für die additive Fertigung entspricht. Für die identifizierte Komponente wurde für die spätere additive Fertigung eine Materialsubstitution vorgenommen, da das Material der konventionell hergestellten Komponente für die additive Fertigung nicht verfügbar ist. Dabei wurde auf einen rostfreien Edelstahl (AISI 316L) mit der Werkstoffnummer 1.4404 zurückgegriffen. Dieser Werkstoff lässt sich vergleichsweise gut verarbeiten und die Materialeigenschaften kommen dem konventionell verwendeten Material am nächsten. Um Referenzwerte zum konventionellen Material und Materialkennwerte für die Bauteilauslegung und -simulation zu erhalten, wurden im nächsten Schritt Grundlagenuntersuchungen zum Ermüdungsverhalten des additiv gefertigten Werkstoffs (polierte Proben) durchgeführt.

3 Materialkennwerte Die entstehenden Werkstoffeigenschaften aus dem Laser-Strahlschmelzprozess (LBM/SLM) werden von einer Vielzahl von Parametern beeinflusst (z. B. Rohmaterialeigenschaften, Hardware-Setup, Fertigungsparameter etc.). Folglich kann für die Bauteilauslegung nicht auf die Werte des konventionellen Vergleichsmaterials oder andere bereits publizierte Kennwerte zurückgegriffen werden. Aus diesem Grund wurden zu Beginn des Projekts eigene Kennwertfelder auf Probenbasis ermittelt. Alle Probenkörper wurden auf derselben Anlage (Hersteller: 3D Systems, Typ: ProX DMP 320) und mit den zum späteren Bauteilfertigungsprozess identischen Fertigungsparametern hergestellt. Dabei wurde die für additive Fertigungsprozesse typische Anisotropie der Materialeigenschaften über entsprechende Orientierungen der (nachträglich polierten Probenkörper im Anlagenbauraum abgeprüft (vgl. Tab. 1, Schichtaufbau vertikal zur Bildebene). Tabelle 1:

Proben in Abhängigkeit der Bauraumausrichtung in Anlehnung an [11]

Probenart Probenausrichtung im Anlagenbauraum

LBM 0°

LBM 45°

LBM 90°

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Die Ermittlung der Kennwerte wurde mehrstufig durchgeführt. In Tabelle 2 sind die statischen Festigkeitskennwerte sowie die Kerbschlagarbeit zusammengefasst. Dabei wurde ebenfalls ein konventionelles Vergleichsmaterial (Strangguss) aus [12] in die Betrachtung mit einbezogen. Es lassen sich daraus folgende Erkenntnisse ableiten [11-13]: • • •

• •

Der E-Modul und folglich das elastische Werkstoffverhalten ist von der Aufbaurichtung unabhängig. Die quasistatische Festigkeit (Rm und Rp0,2) zeigt eine deutliche Abhängigkeit von der Aufbaurichtung. Vergleicht man die Resultate der additiv gefertigten Strukturen mit den Proben aus konventionell stranggegossenem Material, zeigen sich geringere Bruchdehnungen bei gleichzeitig höheren 0,2%-Dehngrenzen für alle Orientierungen der additiv gefertigten Strukturen. Die 45°- und 90°-Orientierungen weisen im Vergleich zu den 0°-orientierten Proben sowie dem konventionell hergestellten Werkstoff höhere Werte für Rm und Rp0,2 auf Die Kerbschlagarbeit zeigt eine deutliche Anisotropie mit abnehmender Kerbschlagzähigkeit von der 0°- hin zur 90°-Orientierung.

Tabelle 2:

Quasistatische Festigkeitskennwerte und Kerbschlagarbeit von 1.4404 (316L) nach [11,13]

Kennwerte 316L / 1.4404

Konv.

LBM

LBM

LBM



45°

90°

E-Modul in GPA

161 ±6

178 ± 16

187 ± 1

183 ± 13

Zugfestigkeit Rm in MPa

639 ± 2

600 ± 1

662 ± 2

678 ± 1

Streckgrenze R0,2 in MPa

454 ± 4

519 ± 6

583 ± 4

580 ± 8

Bruchdehnung A in %

44,5 ± 1,5

41,2 ± 1

36,4 ± 1

38,7 ± 1

Kerbschlagarbeit KV2 300/10 in J

-

160 ± 9

143 ± 9

131 ± 2

Da die Bauteilbeanspruchung einen zyklischen Charakter aufweist, werden zur Bauteilauslegung auch Kennwerte für die Ermüdungseigenschaften benötigt. Um bei deren Ermittlung den Fertigungs-, Material- und Prüfaufwand möglichst gering zu halten und dennoch eine hohe Aussagekraft bzgl. des zyklischen Werkstoffverhaltens zu erhalten, bieten sich verschiedene Kurzzeitmethoden an [13-15]. Im Rahmen dieser Arbeit wurde das auf zyklischer Eindringprüfung basierende Kurzzeitverfahren PhyBaLCHT [13, 14 ] zur Charakterisierung der Schadenstoleranz sowie die physikalisch basierte Lebensdauerbestimmung PhyBaLLIT [13, 15] zur Wöhlerkurvenermittlung genutzt. Hierbei lag der Fokus auf der vielfach gezeigten Abhängigkeit der Ermüdungseigenschaften von der Aufbaurichtung [13, 15-22].

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Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile

Aus den Ergebnissen der zyklischen Eindringversuche (PhyBaLCHT) konnten folgende Schlüsse gezogen werden [13]: • • •

Für die 0°- Orientierung liegt ein höheres Verfestigungspotential und somit eine geringere Empfindlichkeit gegenüber mikrostrukturellen Defekten, wie beispielsweise Poren, vor. Zwischen der 45°- und 90°- Orientierung konnte kein Unterschied in der Schadenstoleranz mittels PhyBaLCHT festgestellt werden. Die ermittelten Mikrohärtewerte zeigten in Übereinstimmung mit den Zugversuchen einen geringeren Einfluss der Aufbaurichtung.

Die mittels PhyBaLLIT berechneten und mit zusätzlichen Konstantamplitudenversuchen abgesicherten Wöhlerkurven (siehe Abb. 3) zeigen, dass [13]: • • • •

die 0°-Orientierung bei geringeren Beanspruchungen die höchste Ermüdungslebensdauer zeigt, bei höheren Beanspruchungen die 45°- und 90° Orientierung höhere Bruchlastspielzahlen als die 0° orientierten Proben besitzen, die 45° und 90° orientierten Proben ein ähnliches Ermüdungsverhalten aufweisen, wobei die 45° Proben zu höheren Lebensdauern tendieren und die additiv gefertigten Proben im Vergleich zu der in [12] veröffentlichen und konventionell ermittelten Wöhlerkurve des stranggegossenen Materials, eine höhere Lebensdauer bei höheren Beanspruchungen und eine vergleichbare Lebensdauer bei geringeren Beanspruchungen besitzen. Hierbei sind allerdings die deutlichen Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung zwischen stranggegossenen und SLM Proben zu beachten (vgl. [12] und [13]).

Dass sich die Ermüdungslebensdauern der konventionell und additiv gefertigten Proben hin zu kleineren Beanspruchungen angleichen, liegt an der größeren Defektdichte additiv gefertigter Werkstoffe. Bei geringeren Beanspruchungen wird der Defekteinfluss größer und folglich kommt es zu einem deutlicheren Abfall der Lebensdauern des SLM-Werkstoffs. Aufgrund des größeren Defekteinflusses ergeben sich für die 0°-Orientierung die größten Bruchlastspielzahlen bei geringeren Spannungsamplituden, da deren Defekttoleranz am größten ist und folglich bei größerem Einfluss mikrostruktureller Defekte ein deutlicher Anstieg der Lebensdauer im Vergleich zu den anderen Orientierungen zu beobachten ist (siehe Abb. 3 und [13]). In den hier dargestellten Untersuchungen wurde gezielt das Materialverhalten für das additiv gefertigte Werkstoffvolumen ermittelt, weshalb Ermüdungsproben mit polierten Oberflächen in der Messstrecke untersucht wurden Da im Zuge der Bauteilfertigung ein Eigenspannungsarmglühprozess vor dem Entfernen von der Bauplatte durchgeführt wird, wurden zusätzlich die zyklischen Eigenschaften von eigenspannungsarmgeglühten Probekörpern in 0°- und 90°-Orientierung untersucht. Hierbei ergaben erste Untersuchungen für die in 0° orientierten Proben keinen signifikanten Einfluss der Wärmebehandlung auf das Ermüdungsverhalten und für die 90°-Orientierung sogar eine geringfügig höhere Ermüdungslebensdauer, infolge einer erhöhten Schadenstoleranz. Folglich können für die Bauteilauslegung die Werte der nicht nachbehandelten Proben verwendet werden, da durch die komplexe Bauteilgeometrie lokal geringere Wirkungen der Wärmebehandlungen auftreten können. Zusammenfassend konnte durch den Einsatz der beschriebenen Kurzzeitverfahren das zyklische Verhalten des additiv gefertigten Werkstoffs in Abhängigkeit der Aufbaurichtung zuverlässig bestimmt und somit die Grundlage für die nachfolgende Konstruktionsstudie gelegt werden. Dort

Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile

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werden diese Kennwerte in der Strukturoptimierungs- und anschließenden Festigkeitsberechnung zur Verifizierung des Bauteildesigns genutzt.

Abbildung 3:

Mittels PhyBaLLIT ermittelte Wöhlerkurven sowie Ergebnisse der Konstantamplitudenversuche inklusive Angabe der Rissinitiierungsorte für die unterschiedlich orientierten SLM-Proben im Vergleich zu den in [12] publizierten Ergebnissen stranggegossener Referenzproben (konv.) [13]

In weiterführenden Untersuchungen sollen die Auswirkungen des Eigenspannungsarmglühens auf das Ermüdungsverhalten intensiver und zusätzlich der Einfluss der additiv gefertigten Oberfläche sowie potentieller Nachbearbeitungsverfahren (Glasperlen- und Kugelstrahlen, Gleitschleifen etc.) betrachtet werden.

4 Konstruktion/Optimierung In einem vorangegangenen Projekt wurde die additive Fertigung der Fahrwerkskomponente mit möglichst wenigen Änderungen an der Ursprungsgeometrie untersucht (1:1 Teilefertigung) [23, 24]. Zum damaligen Zeitpunkt wurde das Bauteil in einer geteilten Variante realisiert (geteilte Fertigung). Die Ergebnisse haben weiteres technisches und wirtschaftliches Potential aufgezeigt, weshalb das Bauteildesign, unter Beibehaltung der Schnittstellen zu den umgebenden Komponenten, neu überdacht wurde. Hierbei wurden zwei weitere Strategien, welche zum einen eine

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Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile

hybride und zum anderen eine optimierte Fertigung verfolgen, ausgearbeitet und bewertet. Die Ergebnisse sind in Tabelle 3 zusammengefasst und in [24] sowie [25] detailliert beschrieben. Tabelle 3:

Bewertung der Umsetzungsstrategien für die betrachtete Fahrwerkskomponente in Anlehnung an [25]

Umsetzungsstrategie

Nutzung Potentiale konv.

Nutzung Potentiale additiv

Nachbearbeitungsaufwand

Kombinationsmöglichkeit

Summe

3

1

1

0

5

2

2

1

1

6

4

3

2

3

12

1

4

1

3

9

1:1

geteilt

hybrid

optimiert Es wurde eine ungewichtete, fünfstufige Punktebewertung mit einer Skala von 0 bis 4 vorgenommen, wobei 0 dem unteren Skalenende (schlechteste Bewertung) und 4 dem oberen Skalenende (beste Bewertung) entspricht. Des Weiteren wurden vier Kriterien zur Bewertung herangezogen: 1. 2. 3. 4.

Ausnutzungsgrad der Potentiale konventioneller Fertigungsverfahren Ausnutzungsgrad der Potentiale additiver Fertigungsverfahren Nachbearbeitungsaufwand Potential zur Kombinationen von Umsetzungsstrategie untereinander

Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile

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Die Variante „1:1“ ist auf konventionelle Weise herstellbar, die Bearbeitungsreihenfolge ist jedoch mit einem leicht erhöhten Handhabungsaufwand verbunden. Bei einer additiven Fertigung besteht grundsätzlich Potential hinsichtlich einer Integralbauweise, dem entgegen steht der Anpassungsaufwand für diese Fertigungstechnologie. Hinsichtlich der Nachbearbeitung sind die vielen einzusetzenden Verfahren und zu berücksichtigenden Zwischenschritte von Nachteil. Diese Variante ist mit keiner der anderen kombinierbar. Bei der Variante „geteilt“ verschiebt sich die Potentialausnutzung in geringem Maße. Der Nachbearbeitungsaufwand ist durch den benötigten Schritt des wieder Zusammenfügens vergleichbar hoch. Es besteht jedoch das Potential, diese Variante mit einer der folgenden zu kombinieren. Die Variante „hybrid“ zeichnet sich insbesondere durch den vergleichsweise hohen Ausnutzungsgrad der Potentiale beider Fertigungsverfahrensgruppen (additiv gefertigter Mittelteil und gedrehte Wellenstümpfe) aus, woraus sich insgesamt ein reduzierter Nachbearbeitungsaufwand ergibt. Die Kombinationsmöglichkeit zu einer der anderen Strategien ist vergleichsweise hoch. Für eine konventionelle Fertigung eher ungeeignet ist die Variante „optimiert“, jedoch können die Potentiale der additiven Fertigung nahezu gänzlich ausgeschöpft werden. Der Nachbearbeitungsaufwand ist jedoch vergleichbar hoch zu den Varianten „1:1“ und „geteilt“. Es besteht jedoch die Möglichkeit, diesen Ansatz mit der Hybridstrategie zu kombinieren. Die Wahl einer Umsetzungsstrategie oder einer Kombination mehrerer hängt vom jeweiligen Anwendungsfall ab. Aus technisch-wirtschaftlicher Sicht wird im vorliegenden Fall eine hybridoptimierte Umsetzungsstrategie gewählt. Bei dieser Variante können strukturmechanische, fertigungstechnische und ökonomische Kriterien gleichermaßen berücksichtigt werden. Dabei stellen die verschiedenen Fertigungsverfahren und Verbindungstechniken sowie die Generierung einer optimalen Geometrie für die konkrete Beanspruchung zentrale Zielgrößen dar. Im Vergleich zum konventionell hergestellten Ursprungsbauteil wurden weitere konstruktive Modifikationen und Optimierungen vorgenommen. So konnte u. a. ein ungünstiger Kraftverlauf direkter gestaltet werden (vgl. [25]). In der hybrid-optimierten Variante lässt sich das Bauteil in drei Teile untergliedern: Zwei Wellen, die konventionell gefertigt werden und einen additiv gefertigten, topologieoptimierten Mittelteil. Dadurch entstehen neue Schnittstellen, für die passende Verbindungstechniken gewählt werden müssen. Zudem muss eine Auslegung dieser Schnittstellen erfolgen, was in [25] detailliert dargestellt ist. Der Prozess zur Designfindung und Auslegung des topologieoptimierten Bauteilbereichs ist in Abbildung 4 dargestellt. Nachdem über die Topologieoptimierung (TO) ein Designvorschlag für die Geometrie generiert wurde, schließt sich das CAD-Redesign an. Dabei werden u. a. die Schnittstellen auskonstruiert und Restriktionen der additiven Fertigung berücksichtigt. Die Geometrie wird anschließend mittels einer FEM-basierten Festigkeitsberechnung verifiziert. Diese FEM-Rechnung erfolgt zweistufig: An eine erste quasistatische Berechnung auf Grundlage der Extremwerte einzelner Lastfälle schließt sich eine Ermüdungsanalyse zur Bewertung der Bauteillebensdauer an. Dabei werden die zuvor auf Probenbasis ermittelten Kennwerte zugrunde gelegt. An dieser Stelle sind ggf. Iterationen zwischen Konstruktion und Berechnung durchzuführen. Im vorliegenden Fall hat sich u. a. gezeigt, dass an einzelnen Geometrieübergängen hohe kritische Spannungen auftreten, so dass diese Stellen konstruktiv modifiziert wurden. Nachdem über eine erneute Reanalyse die konstruktiven Maßnahmen am Bauteil verifiziert wurden, schloss sich die Studie bezüglich der additiven Fertigung an. In dieser wird die zuvor definierte Bauteilgeometrie weiteren fertigungsspezifischen Maßnahmen unterzogen (wie z. B. die Erzeugung und Dimensionierung von Stützstrukturen).

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Abbildung 4:

Entstehungsprozess des topologieoptimierten Bauteilbereichs

5 Fertigungsstudie Entsprechend der Unterteilung des additiven Fertigungsprozesses in Pre-, In- und Post-Prozess (nach [26]) wird nachfolgend eine exemplarische Auswahl der Arbeitsschritte näher beleuchtet. Bei der Vorbereitung für die Fertigung (Pre-Prozess) kamen u. a. folgende Aspekte zum Tragen: • • • •

Prinzipielle Ermöglichung der Fertigung mit der im Rahmen des Projekts verfügbaren Anlage (effektiver Bauraum: 275 x 275 x 380 mm) Minimierung von Stützstrukturen zur Reduktion des Nachbearbeitungsaufwandes Minimierung von großflächig zusammenhängenden Bereichen innerhalb einer Schicht zur Reduktion thermisch induzierter Eigenspannungen Minimierung der Bauhöhe zur Reduktion des Materialeinsatzes und der Bauzeit.

Die genannten Aspekte stehen stellenweise in einem Zielkonflikt zueinander. So hat bspw. eine Reduktion der maximalen Bauhöhe u. U. einen erhöhten Nachbearbeitungsaufwand (infolge von mehr zu entfernender Stützstrukturen) zur Folge. Als dominierende Zielgröße kann in den meisten Fällen ein stabiler Herstellungsprozess angesehen werden, womit ein eventueller Mehraufwand an der einen oder anderen Stelle gegenüber einer erneuten Fertigung i.d.R. in Kauf genommen wird. Das Bauteil wurde daher wie in Abbildung 5 (links) dargestellt im Bauraum positioniert und orientiert. Es konnten dabei großflächige Stütztstrukturen im Bauteilinnern vermieden werden,

Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile

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ohne die komplett zur Verfügung stehende Bauraumhöhe nutzen zu müssen. Zur Absicherung der Fertigung wurden softwareinterne (hier: 3DXpert) Analysen u. a. bzgl. Eigenspannungen im Vorfeld durchgeführt.

Abbildung 5:

links: Bauteil im Halbschnitt auf der Bauplatte; rechts: Exemplarischer Ausschnitt aus der technischen Zeichnung zur Nachbearbeitung

Insgesamt wurden 1.150 cm³ Material aufgebaut, wobei 350 cm³ auf die Stützstrukturen entfielen (entspricht ca. 30%), was insbesondere der Bauhöhe und der gezielten Vermeidung eines Aufstellens des Bauteils geschuldet ist. Mit 12.000 Schichten bei einer minimalen Schichtdicke von 30 µm beträgt die Fertigungsdauer ca. 150 Stunden. Es wurden zudem Bauteilbegleitproben über die gesamte Höhe von 360 mm mitgefertigt. Diese dienen einer anschließenden Qualitätssicherung. Nach der Fertigung wurde das Bauteil einer Wärmbehandlung unterzogen (Eigenspannungsarmglühen), von der Bauplatte abgetrennt und von den Stützstrukturen befreit, bevor es an den Schnittstellen zu umgebenden Komponenten spanend nachbearbeitet wird (aktueller Projektfortschritt, Ausschnitt der technischen Zeichnung siehe Abb. 5 rechts). Damit die Nachbearbeitung zielführend vorgenommen werden kann, wurde die Strategie bereits im Vorfeld der additiven Fertigung abgestimmt und berücksichtigt (u.a. Aufmaße, Zugänglichkeiten, Positioniermöglichkeiten etc.).

6 Validierung des Bauteildesigns und der Fertigungsstrategie Auf einem Spannfeld wurde der Einbauzustand im Fahrzeug realgetreu nachgestellt. Auch das konventionell hergestellte Bauteil durchläuft einen Prüfzyklus auf einem vergleichbaren Prüfstand, bevor die jeweilige Charge in Serie gebracht wird. Der Prüfzyklus ist durch drei Lasten in unterschiedlichen Raumrichtungen charakterisiert, wovon zwei zyklisch aufgebracht werden.

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Ein exemplarisches Messsignal des idealen Lastzyklus einer bereits durchgeführten Prüfung ist in Abbildung 6 gezeigt.

Abbildung 6: Prüfzyklus für die horizontale (X), quer (Y) und vertikale (Z) Lastkomponente am Beispiel der Schnittstellenvalidierung (Bauteilkoordinatensystem vgl. Abb. 5) In einem ersten Schritt wurden die Schnittstellen mit Hilfe eines konventionell gefertigten Mittelteils auf dem Prüfstand, der auch für die spätere Bauteilprüfung genutzt wird, untersucht [25]. Die Erkenntnisse aus den Versuchen haben in einer Modifikation einer der Schnittstellen resultiert. Dabei wurde eine Flanschverbindung durch eine Polygonverbindung ersetzt.

7 Zusammenfassung und Ausblick Zunächst wurde im Beitrag eine methodisch strukturierte Vorgehensweise zur Identifikation eines für die additive Fertigung geeigneten Bauteils aufgezeigt. Des Weiteren lässt sich festhalten, dass Werkstoffkennwerte für additive Bauteile nicht aus Versuchen mit konventionell gefertigten Proben übernommen werden können. Es müssen vielmehr eigene Kennfelder erstellt werden, die sowohl statische als auch dynamische Belastungen abdecken. Hierbei bieten sich insbesondere Kurzzeitmethoden an, um mit vertretbarem Aufwand das zyklische Werkstoffverhalten zu ermitteln. Da die additive Fertigung einer bereits bestehenden Komponente (z. B. Ersatzteilthematik) oftmals auch mit einer Materialsubstitution verbunden ist, was mit einer entsprechenden Absicherung hinsichtlich der Festigkeit einhergehen sollte (z. B. FEM-Simulation), dienen die ermittelten Kennwerte hierbei als Auslegungskriterien. Darüber hinaus ermöglicht erst eine ausführliche Studie des Bauteildesigns die Potentiale der additiven Fertigung in gesteigertem Maße zu nutzen, was ebenfalls mit einer FEM-Simulation bzw. Strukturoptimierungsberechnung einhergeht. Bei der eigentlichen Fertigung gilt es dann, die Nachbearbeitungsstrategie bereits vorab festzulegen und bei der Positionierung des Bauteils im Bauraum sowie der Auswahl der Stützstrukturen zu berücksichtigen. Die abschließende Validierung des neuen Bauteildesigns (und Materials) erfolgt im hier gezeigten Projekt mittels Prüfstandversuchen unter Realbedingungen.

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Aus der nun anstehenden Bauteilprüfung können Rückschlüsse bzgl. Annahmen in der Festigkeitsberechnung gezogen werden. Zudem wird überprüft, inwiefern sich die auf Probenbasis ermittelten Kennwerte auf das Bauteil übertragen lassen. Damit können Ansätze für Festigkeitsnachweise additiv gefertigter Bauteile geliefert werden. Durch ein gestiegenes gesamtheitliches Prozessverständnis und eine breitere Datenbasis wird es zukünftig möglich sein, einzelne Prozessschritte weiter zu optimieren und Aufwände zu reduzieren.

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Richtlinie VDI 3405 Dezember 2014: Additive Fertigungsverfahren: Grundlagen, Begriffe, Verfahrensbeschreibungen.

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Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics© T. Näke, M. Eiber Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH

Zusammenfassung Die optimale Prozessierbarkeit des Ausgangswerkstoffes ist eine wesentliche Voraussetzung für den stabilen und reproduzierbaren Herstellprozess von Bauteilen mit additiven Fertigungsverfahren. Elementare Kenngrößen und Eigenschaften eines Pulvers haben einen wesentlichen Einfluss auf den Fertigungsprozess und auf die resultierenden Bauteileigenschaften. In der Praxis kommen zahlreiche chemische und physikalische Untersuchungen zum Einsatz, um Merkmalsgrößen zu bestimmen und Pulverqualitäten zu bewerten. Dieser Beitrag beschreibt die konventionelle Vorgehensweise mit den verwendeten, klassischen Analyseverfahren und zeigt deren Unsicherheiten und Risiken auf. Darüber hinaus wird ein Verfahren vorgestellt, welches auf der Anwendung weniger Methoden der instrumentellen Analytik basiert und die Grundlage für eine standardisierte Pulvercharakterisierung darstellt.

Stichwörter: PowderGenetics©, Pulvercharakterisierung, Analytik, Computertomografie

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_5

instrumentelle

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Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

1 Einleitung Der Wirtschaftszweig der additiven Fertigung weist in den letzten Jahren hohe Wachstumsraten von ~ 20 % pro Jahr auf [1]. Dementsprechend vergrößert sich der Markt mit dessen Teilnehmern und Produkten. Der in den letzten Jahren beobachtbare, signifikante Anstieg verkaufter AM-Systeme [2] lässt auf ein Wachstum schließen, welches weit über die derzeitige Zunahme an additiv gefertigten Produkten hinausgeht. Die Einschätzungen reichen von einer variablen Ergänzung konventioneller Produktionsmethoden bis hin zu Zukunftsvisionen, in denen eine weitgehende Verdrängung der etablierten Fertigungstechnologien erfolgt. Mögliche gesellschaftliche und ökonomische Auswirkungen wurden zum Beispiel in einer Innovationsanalyse des KIT, ITS untersucht [3].

Abbildung 1:

Wachstumsaussichten AM-Produkte [1]

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

Abbildung 2:

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Anzahl der verkauften AM-Systeme [2]

Hohe Produktmengen erfordern eine effiziente und standardisierte Fertigung über stabile und repräsentative Prozesse, die in Produkten resultieren, welche werkstoffübergreifend unterschiedlichsten Qualitätsanforderungen genügen müssen. Neben optischen und haptischen Kriterien werden vor allem ausreichende Festigkeitseigenschaften verlangt. Neben statisch beanspruchten und nicht sicherheitsrelevanten Bauteilen, werden vor allem im Metallbereich zunehmend Bauteile gefertigt, die in der Anwendung zyklische Beanspruchungen erfahren, für die eine hohe Schwingfestigkeit erforderlich ist. Fertigungstechnisch wird diese maßgeblich durch die Oberflächengüte und oberflächennahe Defekte bestimmt, die in der additiven Fertigung nicht nur prozessbedingt sind, sondern durch die Eigenschaften des Pulvers signifikant beeinflusst werden. Eine Charakterisierung der eingesetzten Pulver bezüglich ihrer elementaren Kenngrößen ist demnach eine wesentliche Voraussetzung für einen stabilen und reproduzierbaren Bauprozess und für die daraus resultierende Bauteilqualität. Derzeitig eingesetzte Verfahren sind zahlreich und stellen häufig nur eine einzelne Merkmalsgröße und diese als Summenparameter dar.

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Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

2 Qualitätsrelevante Pulvereigenschaften Innerhalb der Prozesskette eines additiven Fertigungsverfahrens ist eine hohe Aussagekraft hinsichtlich der Prozessierbarkeit von Pulvern, sowie die Möglichkeit der Korrelation von Pulverkenngrößen zu erzeugter Bauteilqualität von wesentlicher Bedeutung. Dies bedingt eine Pulvercharakterisierungsmethode mit der elementare Kenngrößen sowohl qualitativ, als auch quantitativ erfasst und statistisch abgesichert ausgewertet werden. In der Abbildung 3 sind die qualitätsrelevanten Eigenschaften und Kenngrößen eines Metallpulvers dargestellt.

Abbildung 3:

Darstellung der wesentlichen Pulvereigenschaften und Kenngrößen

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

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3 Konventionell eingesetzte chemische und physikalische Methoden (Auswahl) 3.1 Dichtebestimmung Die absolute Dichtebestimmung [4] von Pulvern erfolgt pyknometrisch. Dazu wird die Masse der Pulverprobe und des mit einer Flüssigkeit befüllten Pyknometers durch Wägen ermittelt. Anschließend wird in das entleerte Pyknometer die zu untersuchende und gewogene Pulverprobe eingegeben, mit Wasser aufgefüllt und erneut gewogen. Aus der Masse des durch die Probe verdrängten Wassers und dessen Dichte ergibt sich das durch das Pulver verdrängte Volumen. Die Masse der Pulverprobe wird durch das Volumen der Probe dividiert, um die absolute Dichte des Pulvers zu erhalten. Die Schüttdichte [5] wird ermittelt, indem 100 ml der Pulverprobe durch einen Trichter in einen definierten Becher gegeben werden. Dieser wird von überstehendem Pulver befreit, so dass das Pulver mit der Becherwand abschließt. Anschließend wird die Masse des im Zylinder befindlichen Pulvers bestimmt und durch dessen Volumen dividiert, um die Schüttdichte zu erhalten. Die Klopfdichte [6] wird über einen graduierten Messzylinder bestimmt, welcher mit der gewogenen Pulverprobe befüllt ist. Über eine Hubvorrichtung wird verdichtet bis keine Veränderung mehr eintritt und der statische Zustand erreicht ist. Die Klopfdichte ist durch die Division der Masse durch das Volumen zu bestimmen. Die beschriebenen Dichten stellen Summenparameter dar, die von der chemischen Zusammensetzung, den in den Partikeln enthaltenen Hohlräumen und etwaig vorhandenen Verunreinigungen abhängig sind. Die jeweilige Partikelgrößenverteilung und Morphologie der Partikel gehen maßgeblich in die Klopf- und Schüttdichte ein. Für den Prozess der additiven Fertigung haben die so ermittelten Dichten wenig Relevanz. Die Schüttdichte wird standardmäßig angewendet um die für den Bauprozess notwendige Pulvermenge zu ermitteln.

3.2 ICP-OES (inductively coupled plasma optical emission spectrometry) Mittels einem induktiv gekoppeltem Plasma [7] erfolgt die Bestimmung ausgewählter Elemente durch optische Emissionsspektrometrie. Das zu untersuchende Pulver wird in einer wässrigen Lösung aufgeschlossen. Die enthaltenen analysierbaren Elemente werden durch ein Argonplasma geführt und angeregt, wodurch sie Photonen emittieren welche im Anschluss durch ein Spektrometer vermessen werden. Die ICP-OES-Analyse wurde entwickelt, um Elemente im Spurenbereich zu analysieren. Hohe Konzentrationen führen infolge von Interferenzen und einer nichtlinearen Kalibration über mehrere Potenzen zu ungenauen Quantifizierungen. Zudem ist es gängige Praxis, lediglich die Elemente der jeweiligen Werkstoffbezeichnung gezielt zu analysieren. Im Pulver etwaig vorhandenes Fremdmaterial und Verunreinigungen bleiben daher unentdeckt.

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Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

3.3 Fließgeschwindigkeit Die Fließgeschwindigkeit [8] wird mit einem Hall-Flow-Meter, Gustavsson Flowmeter, Carney Funnel oder Scott Volumeter ermittelt. Hierzu wird die Pulverprobe in einen genormten Trichter mit Öffnung gegeben. Es wird die Zeit bestimmt, in der das Pulver den Trichter durchlaufen hat. Die ermittelte Fließgeschwindigkeit eines Pulvers stellt dabei wiederum einen Summenparameter dar, der abhängig ist von der Partikelgröße, dem Wassergehalt und der Temperatur. Wie aus der Abbildung 4 ersichtlich ist, folgt die Fließgeschwindigkeit keiner linearen Abhängigkeit der genannten Parameter. Sehr feine Pulver mit geringen Korngrößen weisen zum Beispiel keine Fließfähigkeit auf.

Abbildung 4:

Einfluss der relativen Luftfeuchte und Temperatur auf die Fließgeschwindigkeit von Kupferpulvern [9]

3.4 Partikelgrößenbestimmung Die Partikelgrößenverteilung wird überwiegend mit einem Lasergranulometer [10] ermittelt. Die Pulverprobe wird in einer Flüssigkeit dispergiert und an einer monochromatischen Lichtquelle vorbeigeleitet (i.d.R. einem Laser). Die Streuung des Lichtes durch die Partikel wird von Detektoren erfasst. Die sich ergebenden Beugungsmuster sind abhängig von der Partikelmorphologie, den optischen Eigenschaften des Materials und können die wahren Größen und Formen verfälschen. Zweidimensional erfasste Beugungsmuster bilden die Basis für eine mathematische Auswertung, daher kann eine verlässliche Aussage über die Partikelgröße nur bei idealen Kugeln mit bekannten optischen Eigenschaften erfolgen.

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

Abbildung 5:

77

Streumuster von Partikeln unterschiedlicher Morphologie (simulierte Bilder) [10]

3.5 Fazit zu konventionellen Methoden Die Ergebnisse der beschriebenen chemischen und physikalischen, konventionell eingesetzten Untersuchungsmethoden von Pulvern stellen häufig Summenparameter und keine elementaren Kennwerte dar. Die erzeugten Summenparameter setzen sich aus den methodenspezifischen Prüfbedingungen und den Eigenschaften des Pulvers zusammen, die nicht mehr aufgeschlüsselt werden können. Alle konventionell eingesetzten Methoden basieren zudem auf einer zweidimensionalen Betrachtung und sind deswegen von signifikanten Unsicherheiten bezüglich der Messgenauigkeit betroffen. Bei einer lichtmikroskopisch untersuchten Schliffprobe werden die Informationen der Partikelstrukturen und der in Partikel häufig enthaltenen Hohlräume ausschließlich als Information einer Ebene ermittelt. Diese zweidimensionale Betrachtung birgt ein hohes Risiko der Fehlinterpretation von Morphologien und geometrischen Ausdehnungen. Aufgrund der geringen Stichprobe ist darüber hinaus eine Übertragung der Ergebnisse auf die vorliegende Pulvercharge deutlich fehlerbehaftet. Lasergranulometrisch ermittelte Partikelgrößen beziehen sich auf Ausdehnungen von Projektionen der Partikel und stellen bei nicht ideal runden Partikeln verfälschte Abmessungen dar. In der chemischen Analyse besteht bei Anwendung des Standardverfahrens ICP/OES ein hohes Risiko, dass etwaig vorhandene Verunreinigungen nicht erfasst werden. Die sehr häufig angewandte Bestimmung diverser Dichten weist eine mangelhafte Aussagekraft hinsichtlich der Prozessfähigkeit von Metallpulvern auf. Für die Durchführung konventioneller Methoden in umfangreicher Anzahl werden große Mengen an Pulvern benötigt. Je nach Werkstoffzusammensetzung werden Gewichte bis zu 750 g angenommen, was in Hinblick auf den Materialwert vor allem bei der Charakterisierung von Pulvern aus Edelmetallen einen signifikanten Kostenfaktor darstellt.

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Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

4 Ableitung eines standardisierten Verfahrens PowderGenetics© Unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, zeitlicher und anwendungstechnischer Aspekte wurde eine Verringerung der eingesetzten Verfahren und der benötigten Untersuchungsgeräte angestrebt. Für die realitätsgetreue Beschreibung von Pulvereigenschaften ist es wichtig, Untersuchungen über dreidimensionale Betrachtungen durchzuführen, die in der Bestimmung elementarer Kenngrößen resultiert. Idealerweise bilden qualitative Informationen eine komplementäre Ergänzung zu quantitativen Informationen, welche eine statistische Absicherung von Ergebnissen gewährleisten. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit einer Automatisierung der Auswertung für einen zukünftigen Einsatz der Methodik im Bereich der Serienprüfung berücksichtigt. Die entwickelte Pulvercharakterisierung umfasst die Anwendung von vier Einzelverfahren zur ganzheitlichen Betrachtung aller relevanten Pulvereigenschaften (Abbildung 6). Ab einer Pulvermenge von ca. 20 g werden statistisch abgesicherte Ergebnisse ermittelt, bewertet und analog zu prozessrelevanten Vorgaben wie zum Beispiel die geplante Schichthöhe in Pulverklassen eingeteilt. Im Folgenden werden die angewandten Einzelverfahren als Bestandteile der Pulvercharakterisierung vorgestellt.

Abbildung 6:

PowderGenetics©, eingesetzte Verfahren und ermittelbare Merkmale im Ablaufschema

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

79

4.1 Makroskopie Die makroskopische Betrachtung aufgeschütteter Pulver ermöglicht einen ersten Überblick über die Beschaffenheit der Probe. So können mehrere Pulverproben hinsichtlich ihrer Körnigkeit und etwaig vorhandener Beläge verglichen werden. Mangelndes Rieseln und grobe Agglomerate weisen auf eine vorliegende Feuchtigkeit hin. Das Verfahren liefert häufig erste Hinweise auf unzulässige Auffälligkeiten, die zu einem vorzeitigen Ausmustern eines Pulvers führen können, womit die Aufwände für die weiterführenden Analysen eingespart werden.

4.2 Chemische Zusammensetzung 4.2.1 Röntgenfluoreszenzanalyse Die Pulverprobe wird in einer Boratschmelze aufgeschlossen und mit polychromatischer Röntgenstrahlung angeregt. Dabei werden Elektronen von den inneren Schalen des Atoms herausgeschlagen. Elektronen aus höheren Energieniveaus fallen auf die niedrigeren Niveaus zurück. Die dabei freiwerdende Energie wird in Form einer elementspezifischen Fluoreszenzstrahlung abgegeben, die von einem Strahlungsdetektor erfasst und anschließend ausgewertet wird [12]. Die Röntgenfluoreszenzanalyse stellt über mehrere Potenzen eine lineare Kalibration sicher und bestimmt alle Elemente mit einer größeren Ordnungszahl als Natrium. Etwaige Verunreinigungen der Pulverprobe können somit erkannt und bestimmt werden, sofern diese nicht in sehr geringen Spuren unterhalb der Nachweisgrenze (elementabhängig ~ 1 ppm) liegen.

4.2.2 Trägergasheißextraktion Durch Analysatoren werden die Gehalte an Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff und Schwefel ermittelt [13, 14, 15]. Die Pulverprobe wird in ein Reaktionsgefäß gegeben und induktiv in einem Gasstrom über die Schmelztemperatur aufgeheizt. Die dadurch freigesetzten Gase werden durch nachgeschaltete Messzellen mit einer Genauigkeit von ~ 1 ppm quantifiziert.

4.2.3 Karl-Fischer-Titration Das enthaltene Wasser einer Pulverprobe wird durch das Aufheizen in einem Ofen über eine Gaseinleitung in ein Reagenz geleitet. Der Wassergehalt wird anschließend durch die Reaktion mit coulumetrisch erzeugtem Iod bestimmt [16].

4.2.4 Zusammenfassung Die Einhaltung der chemischen Zusammensetzung stellt ein notwendiges Kriterium der Pulverqualität dar. Bei fehlender Einhaltung von Sollvorgaben durch Über- und/oder Unterschreitungen von Grenzwerten kann das Pulver vorzeitig zurückgestellt, aufbereitet, oder für die Herstellung von Bauteilen mit geringeren Qualitäts- und Festigkeitsvorgaben verwendet werden.

80

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

4.3 Rasterelektronenmikroskopie Die Rasterelektronenmikroskopie [17] basiert auf der Abrasterung einer Probenoberfläche durch einen Elektronenstrahl. Der Primärstrahl erzeugt auf der Probenoberfläche Wechselwirkungen in Form von Rückstreuelektronen, Sekundärelektronen und emittierten Photonen. Damit können sowohl Topografie- als auch Materialkontraste dargestellt werden (Abbildungen 7 bis 12). Die durch die Wechselwirkung des Primärstrahles mit den Elektronen der Probe emittierten Röntgenquanten werden in der Mikrobereichsanalyse genutzt, um die elementare Zusammensetzung der Probe zu bestimmen. An wenigen Pulverpartikeln einer Probe werden Topografieuntersuchungen durchgeführt, um qualitative Aussagen über die im Pulver enthaltene Morphologie, die Oberflächenstruktur und etwaige Kontamination zu erhalten. Unter hohen Vergrößerungen werden kleinste Anhaftungen, Subpartikel (Satelliten) und Beläge (Oxide) detektierbar, deren Präsenz und Anteil entsprechende Schlussfolgerungen auf das Verhalten des Pulvers im Bauprozess zulassen. Erfahrungsgemäß nimmt zum Beispiel die Prozessierbarkeit des Pulvers mit zunehmender Oberflächengüte aufgrund zunehmender Wirkung elektrostatischer Effekte ab, weshalb leicht raue, dendritische Strukturen ideal runder Formen angestrebt werden. Diese bilden die optimale Voraussetzung für einen gleichmäßigen Auftrag der Pulver durch den Beschichter, während entartete Strukturen und Anhaftungen zur Störung der Homogenität führen. Durch rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen lassen sich die Partikelgröße, Morphologie, Topografie und die lokale elementare Zusammensetzung qualitativ bestimmen. Quantitative Aussagen sind nicht möglich bzw. wirtschaftlich nicht realisierbar, da diese einen sehr hohen Zeitaufwand bedingen. Auch können über dieses Verfahren Verunreinigungen und Kontaminationen des Pulvers bestimmt werden. Durch eine entsprechende Probenvorbereitung ist hier eine Quantifizierung möglich.

Abbildungen 7 und 8: REM-Übersichtsaufnahmen der Pulverprobe

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

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Abbildungen 9 und 10: REM-Aufnahmen entarteter Partikel

Abbildungen 11 und 12:

REM-Detailaufnahmen der Topografien von Partikeln, dendritische und glatte Strukturen

4.4 Computertomografie Bei der Computertomografie [18] wird durch eine Röntgenröhre ein Bremsspektrum erzeugt, welches durch die im Strahlengang befindliche Probe teilweise absorbiert wird. Ein digitaler Detektor wandelt die transmittierte Röntgenstrahlung durch Szintillatoren in Elektronen und damit in eine Bilddarstellung um. Während die zu untersuchende Probe um 360° rotiert, werden zahlreiche 2D-Röntgenbilder erstellt, die im Anschluss in ein digitales Volumen umgewandelt werden. Die für die Detektion aller Partikelgrößen notwendige pulverspezifische Auflösung wird in der rasterelektronenmikroskopischen Untersuchung ermittelt. Um eine statistisch abgesicherte Messung sicherzustellen, ist eine Mindestanzahl von 1E+5 Partikeln zu analysieren. In der Tabelle 1 und den Abbildungen 13 bis 18 sind die Ergebnisse der beispielhaften Untersuchung eines Ti6Al4V-Pulvers dargestellt. Die Scanauflösung betrug hier 3 µm (Voxelgröße). Mit der computertomografischen Untersuchung metallischer Pulver werden Hohlräume, höherdichte Verunreinigungen, Partikeloberflächen, Partikelgröße, Morphologie und deren Verteilungen quantitativ bestimmt.

82 Tabelle 1:

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics© Ergebnis einer computertomografischen Untersuchung an einer Ti6Al4VPulverprobe

Parameter

Messwert

Anzahl vermessener Partikel

116137

Untersuchtes Partikelvolumen in µm³

4,4553E+09

Partikelgrößenverteilung in µm [d10 / d50 / d90]

35,2 / 50,6 / 64,6

Längenverhältnisverteilung [l10 / l50 / l90]

0,91 / 0,96 / 0,98

Anzahl der Hohlräume in den Partikeln Volumen der Hohlräume in den Partikeln in µm³ Volumengehalt der Hohlräume in den Partikeln in % Anzahl höher dichter Partikel

1267 1.6285E+06 0,036 8

Volumen der höher dichten Partikeln in µm³

49493

Volumengehalt der höher dichten Partikel in %

0,0011

Abbildungen 13 und 14:

CT-Aufnahme der Pulverprobe als 3D-Bild mit Darstellung des Volumens in Falschfarben

Abbildungen 15 und 16:

CT-Aufnahme einzelner Partikel, 3D-Bild rechts unten in den Bildern; Oben und links 2D Schnittbilder durch Partikel

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

Abbildungen 17 und 18:

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CT-Aufnahme eines Hohlraumes in einem Partikel; rechts unten 3D-Darstellung; Oben und links 2D Schnittbilder durch den Partikel; der Hohlraum wurde rot eingefärbt

5 Schlussfolgerungen und Ausblick Es wurde eine Charakterisierungsmethode für metallische Pulver entwickelt, in der die Anzahl der eingesetzten Verfahren gegenüber einer konventionellen Charakterisierung reduziert werden konnte und die Informationstiefe der erhaltenen Ergebnisse durch dreidimensionale Betrachtungen und Bestimmung elementarer Kenngrößen signifikant gesteigert wurde. Die Verwendung einer kleinen Pulvermenge ist ausreichend, um statistisch abgesicherte Ergebnisse zu erzielen, die eine Grundlage bildet, um validierte Aussagen zur Prozessfähigkeit eines Pulvers und daraus erzeugbarer Bauteilqualitäten abzuleiten. Auf Grundlage der elementaren Eigenschaften werden durch die Kombination von Ergebnissen Querverbindungen aufgezeigt, die vielfältige Möglichkeiten einer Korrelation unterschiedlicher Merkmalsgrößen erlauben. So kann beispielsweise der durch die chemische Analyse ermittelte Sauerstoffgehalt ins Verhältnis zu der tomografisch ermittelten Oberfläche der Partikelprobe gesetzt werden, um Alterungsprozesse durch Recyclingmaßnahmen zu verfolgen und zu bewerten. In Abhängigkeit der Anforderungen des Fertigungsprozesses können material-, pulver- und pulverzuführungsspezifische Merkmale durch unterschiedliche Gewichtungen und Einstellung von Grenzwerten gezielt klassifiziert werden. Beispielsweise ist die Bewertung der Morphologie und der Partikelgröße eines Pulvers abhängig von der Schichthöhe des Druckprozesses. Mit steigender Partikelgröße nimmt der Einfluss der Morphologie zu und muss kritischer betrachtet und bewertet werden. Die vorgestellte Methode repräsentiert die effiziente, ganzheitliche Betrachtung der wesentlichen Kenngrößen von Metallpulvern. In den nächsten Schritten wird der Einfluss einzelner Kenngrößen auf die Bauteilqualität hinsichtlich Oberflächengüte und Poren untersucht. Es wird angestrebt, eine Korrelation zwischen einzelnen Pulvermerkmalen und den mechanischtechnologischen Eigenschaften einer additiv gefertigten Probe herzustellen.

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84

Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©

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[6]

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[8]

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[11]

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[12]

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[14]

ASTM E1447-09: Standard Test Method for Determination of Hydrogen in Titanium and Titanium Alloys by Inert Gas Fusion Thermal Conductivity/Infrared Detection Method. West Conshohocken (PA): ASTM International, 2016.

[15]

ASTM E1941-10: Standard Test Method for Determination of Carbon in Refractory and Reactive Metals and Their Alloys by Combustion Analysis. West Conshohocken (PA): ASTM International, 2016.

[16]

DIN 51777-2:1974-09: Prüfung von Mineralöl-Kohlenwasserstoffen und Lösungsmitteln; Bestimmung des Wassergehaltes, nach Karl Fischer, Indirektes Verfahren. Berlin: Beuth Verlag, 1974.

[17]

Peter Fritz Schmidt und 13 Mitautoren: Praxis der Rasterelektronenmikroskopie und Mikrobereichsanalyse. Renningen: expert verlag, 1994.

[18]

DIN EN 16016-2:2012-01: Zerstörungsfreie Prüfung - Durchstrahlungsverfahren Computertomografie - Teil 2: Grundlagen, Geräte und Proben. Berlin: Beuth Verlag, 2012.

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Von der Pore zum Gefüge: Die Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur von Nickelbasiswerkstoffen B. Dausend, M. Eiber Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH

Zusammenfassung Pulvermetallurgisch hergestellte Produkte enthalten in der Regel Defekte in Form von Hohlräumen, welche sich unter statischer und zyklischer Belastung festigkeitsmindernd auswirken können. In der Praxis werden die Defekte durch zerstörungsfreie Prüfverfahren erfasst und analog zu anwendungsspezifischen Vorgaben bewertet. Zur Reduktion von Ausschussquoten werden häufig Nachbehandlungsprozesse angewendet, um durch ein Ausheilen von Fehlstellen die Bauteilqualität nachträglich zu erhöhen. Dieser Beitrag beschreibt die durch heißisostatisches Pressen induzierten Veränderungen von Poren auf der Mikrostrukturebene am Beispiel pulvermetallurgisch hergestellter Turbinenschaufeln aus einem Nickelbasiswerkstoff. Durch computertomografische, licht- und rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen wird der Effekt der Nachbehandlung mit unterschiedlichen Parametern dargestellt und diskutiert.

Stichwörter: Heißisostatisches Pressen, Poren, Mikrostruktur, Computertomografie, Nickelbasiswerkstoffe

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_6

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Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

1 Einleitung Das Anwendungsgebiet pulvermetallurgisch hergestellter Bauteile hat sich in den letzten Jahren vor allem aufgrund der Zunahme der Herstellverfahren enorm ausgebreitet und umfasst mittlerweile alle relevanten industriellen Bereiche. Die beinahe uneingeschränkte Freiheit zur Fertigung von Bauteilen mit sehr komplexen Geometrien, welche mit konventionellen Fertigungsmethoden nicht erzielbar sind, und die Möglichkeit einer Funktionsintegration eröffnen neue Welten hinsichtlich der Bauteilgestaltung. Aufgrund der Erweiterung an möglichen Werkstoffzusammensetzungen kann heutzutage auch Material analog zu Vorgaben bezüglich mechanisch-technologischer Eigenschaften neu gestaltet werden. Die Bandbreite erstreckt sich von konventionellen metallischen Werkstoffen wie Stahl, Aluminium und Titan über Refraktärmetalle und Verbundwerkstoffe bis hin zu speziellen Hochleistungslegierungen. Die erzielbaren Form- und Maßgenauigkeiten erfüllen anspruchsvolle Qualitätsvorgaben und bilden ein weiteres Argument für die vielfältige Anwendung pulvermetallurgischer Herstellverfahren [1]. Unabhängig von der Werkstoffauswahl, dem pulvermetallurgischen Fertigungsprozess und der späteren Anwendung ist das Ausgangsmedium bei diesen Prozessen pulverförmig. Die Erfüllung von Anforderungen an die chemische Zusammensetzung, Korngröße, Morphologie und Topografie der einzelnen Pulverpartikel stellt die Grundvoraussetzung für die Verwendung der Pulver dar, um einen stabilen und reproduzierbaren Fertigungsprozess zu gewährleisten. Die Prozessfähigkeit des Pulvers hat darüber hinaus einen wesentlichen Einfluss auf die erzeugte Bauteilqualität hinsichtlich innerer Defekte und Oberflächengüte [2]. Die Herausforderung an pulvermetallurgische Herstellprozesse liegt darin, aus Pulvern über den Fertigungsprozess Bauteile zu erzeugen, welche eine möglichst defektfreie Mikrostruktur mit geringen Eigenspannungen und hohen Werkstofffestigkeiten aufweisen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass pulvermetallurgisch hergestellte Bauteile nach der Herstellung prozessbedingt Defekte in Form von Poren in unterschiedlichen Volumenausdehnungen enthalten. Je nach Lage und Ausdehnung der Defekte wirken sich diese vor allem unter zyklischer Last nachteilig auf die Lebensdauer eines Bauteils aus. Verfahrensabhängig können zudem Eigenspannungen einen lebensdauerverringernden Einfluss haben. Spannungskonzentrationen und lokale Spannungsüberhöhungen an den Grenzflächen zwischen Werkstoff und Defekt können zu einer Abnahme der Schwingfestigkeiten und zu vorzeitigem Bauteilversagen führen [8]. Aus diesem Grund werden die über zerstörungsfreie Prüfverfahren detektierten Poren eines Bauteils als kritisch bewertet. Enge Vorgaben hinsichtlich Ausdehnung und Lage dieser Defekte führen häufig zu hohen Quoten unzulässiger Bauteilqualitäten und damit zu wirtschaftlichen Verlusten. Um Bauteilqualitäten hinsichtlich innerer Defekte nachträglich zu verändern, werden zunehmend thermische Nachbehandlungsprozesse angewandt. Diese streben ein nachträgliches Schließen von Poren mit gleichzeitiger Verdichtung der Oberfläche an, um geforderte statische und zyklische Bauteilfestigkeiten zu erzielen. In diesem Beitrag werden prozessinduzierte Hohlräume nach Fertigung und nach HIPProzessen unter variablen Temperaturen computertomografisch detektiert, zerstörend untersucht und bezüglich ihrer möglichen Auswirkung auf die statische und zyklische Festigkeit diskutiert. Die Untersuchungen werden am Beispiel von Turbinenschaufeln durchgeführt, welche durch Metal Injection Molding (MIM) hergestellt wurden. Die Art der Herstellung aus Metallpulver und die prozessbedingte Entstehung von Hohlräumen ähnelt den Phänomenen, die im ALM-Prozess beobachtet werden. Unabhängig vom Fertigungsverfahren sind die Mechanismen eines Nachbehandlungsverfahrens durch HIP mit seinen Auswirkungen auf Fehl-

Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

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stellen und Geometrien vergleichbar. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung können demnach als Anhaltswert für Bauteile aus additiven Fertigungsprozessen verwendet werden und bilden die Basis für weiterführende prozessspezifische Untersuchungen.

2 Heißisostatisches Pressen (HIP) Beim heißisostatischen Pressen wird das zu behandelnde Bauteil in einem Kessel, umgeben von einer Schutzgasatmosphäre, unter hoher Temperatur über einen festgelegten Zeitraum mit hohem Druck beaufschlagt. Dieser verteilt sich gleichmäßig über alle zugänglichen Bauteiloberflächen und induziert eine Verdichtung der Oberflächen und der Bauteilquerschnitte. Abhängig von Werkstoff, Größe und Form des Bauteils werden die Parameter für den Prozess ausgewählt. Er wird bei hohen Temperaturen durchgeführt, um entsprechend der werkstoffabhängigen Aktivierungsenergie Diffusionsvorgänge im Werkstoff zu ermöglichen. Die Anwendung des HIP-Prozesses als Nachbearbeitung pulvermetallurgisch hergestellter Bauteile hat zum Ziel, Oberflächen nachzuverdichten und Fehlstellen in Form von Hohlräumen zu verkleinern oder gänzlich zu schließen. Ein weiterer Aspekt ist der Abbau von herstellbedingten Eigenspannungen und das Einbringen von Druckeigenspannungen in die Bauteiloberflächen zur Steigerung von zyklischen Festigkeiten. Die Turbinenschaufeln wurden zwei HIPProzessen unterzogen, die bei gleichbleibenden Parametern für Druck, Zeit und Atmosphäre, unterschiedliche Prozesstemperaturen aufwiesen. Die gewählten Prozessparameter sind in der Tabelle 1 dargestellt. Tabelle 1:

Heißisostatisches Pressen - Darstellung der Prozessparameter

Prozess HIP-Prozess A HIP-Prozess B

Temperatur 900°C 1220°C

Druck 1000bar 1000bar

Zeit 3h 3h

Atmosphäre Argon Argon

3 Gegenstand der Untersuchungen 3.1

Untersuchungsablauf

Die untersuchten Turbinenschaufeln wurden durch Metal Injection Molding (MIM) aus einer Nickelbasislegierung hergestellt. Die Qualitätssicherung erfolgte über eine 2DRöntgenprüfung, mit der Werkstofffehler in Form von Poren und Hohlräumen detektiert, vermessen und bewertet wurden. An einer Auswahl von Schaufeln wurden im Anschluss zerstörende und zerstörungsfreie Prüfungen durchgeführt, um die detektierten Defekte nach der Fertigung umfassend zu beschreiben und die Veränderung von Poren durch ein Nachbehandlungsverfahren mit heißisostatischen Pressen (HIP) zu untersuchen. Die Durchführung der Untersuchungen erfolgte in drei Schritten. Der erste Schritt beginnt mit einer Computertomografie zur exakten Bestimmung der Ausdehnung und Lage von Poren im Bereich des Schaufelblattes. Anschließend wurde eine metallografische Zielpräparation durch

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Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

die Pore gelegt und die Mikrostruktur in der Porenumgebung analysiert. Im Rasterelektronenmikroskop wurden die präparierten Schliffebenen im Bereich der Poren einer Topografieuntersuchung unterzogen. Die Bestimmung der lokalen Festigkeiten erfolgte über eine Härteprüfung nach Vickers. Im zweiten und dritten Schritt wurden computertomografisch untersuchte Proben einem Nachbehandlungsprozess durch heißisostatisches Pressen unterzogen. Der HIP-Prozess A wurde unter einer Prozesstemperatur von 900°C realisiert, während beim HIP-Prozess B eine Temperatur von 1220°C gewählt wurde. An Turbinenschaufeln aus beiden Nachbehandlungsprozessen erfolgten anschließend vergleichende Werkstoffuntersuchungen für die Charakterisierung der Mikrostruktur, Topografie und elementarer Zusammensetzung im Defektbereich. Abbildung 1 zeigt eine Übersicht des Untersuchungsablaufs.

Abbildung 1: Der durchgeführte Untersuchungsablauf in der Übersicht Ziel der nachfolgenden Werkstoffuntersuchungen ist es, die Veränderungen der Mikrostruktur im Defektbereich vor und nach dem HIP-Prozess zu charakterisieren und den Einfluss der zwei Temperaturniveaus auf die Fehlstellenbereiche darzustellen.

Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

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3.2 Eingesetzte Untersuchungsverfahren 3.2.1 Computertomografie Die computertomografische Untersuchung der gefertigten Turbinenschaufeln erfolgte unter Anwendung einer digitalen Röntgenanlage mit einer 180 kV Mikrofokusröhre. Nach Auswahl der bauteilspezifischen Scanparameter rotiert das zu prüfende Bauteil unter einem Kegelstrahl 360° um die eigene Achse. Ein nachgeordneter Detektor erfasst die material- und defektspezifischen Absorptionsunterschiede und generiert während der Durchstrahlung zahlreiche zweidimensionale Schnittbilder. Diese werden unter Anwendung mathematischer Algorithmen zu einem Volumen rekonstruiert. Abweichungen von der Materialmatrix werden anhand unterschiedlicher Grauwerte dargestellt. Elemente mit hohen Ordnungszahlen erscheinen hell, während Elemente niedrigerer Ordnungszahlen, wie nichtmetallische- oder Gaseinschlüsse dunklere Grauwerte aufweisen [3]. Mit der als Defektanalyse bezeichneten Auswertemethode werden Lage und Ausdehnung dieser Fehlstellen in allen drei Raumrichtungen bestimmt (Abbildung 2). Anhand der Oberflächenbestimmung des Bauteilvolumens erfolgt ein Soll/Ist-Vergleich der Oberflächen von nachbehandelten Schaufeln mit den Oberflächen im Fertigungszustand. Geometrische Abweichungen werden in Falschfarben dargestellt (Abbildung 3). Der Geometrievergleich wird vor allem in der Qualitätssicherung von Bauteilen genutzt, um die Einhaltung von Fertigungstoleranzen für innere und äußere Geometrien zu überprüfen [3]. Im vorliegenden Fall wurde der Geometrievergleich angewandt, um festzustellen, ob durch die Nachbehandlung eine Veränderung der Schaufelgeometrie eintritt. Alle computertomografisch ermittelten Messwerte sind dabei abhängig von der Auflösung, mit der gescannt wurde. In der Praxis werden acht zusammenhängende Voxel benötigt, um einen Defekt dreidimensional eindeutig als solchen zu erkennen. Die erreichbare Voxelgröße ist abhängig von der Brennfleckgröße der verwendeten Röntgenröhre und der geometrischen Ausdehnung des Bauteils. Die Schaufelblätter der Bauteile wurden mit einer Auflösung von 23 µm untersucht.

Abbildung 2: Beispiel Defektanalyse

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Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

Abbildung 3: Beispiel Geometrievergleich

3.2.2 Rasterelektronenmikroskopie Die Bestimmung der elementaren Zusammensetzung des Werkstoffgefüges im Defektbereich erfolgte rasterelektronenmikroskopisch an metallografischen Zielpräparationen. Mit Hilfe einer energiedispersiven Mikrobereichsanalyse (EDX) wurden die vorliegenden Elemente im Hohlraumbereich detektiert und als Spektrum oder ortsaufgelöstes Mapping dokumentiert. Des Weiteren wurden im Bereich der Fehlstellen die Oberflächen untersucht und dokumentiert [5] [6].

3.2.3 Lichtmikroskopie In den ausgewählten Defektbereichen wurde jeweils eine metallografische Zielpräparation gelegt und die erhaltene Schliffebene lichtmikroskopisch bei Vergrößerungen bis zu 1000:1 im ungeätzten und geätzten Zustand untersucht. Die Charakterisierung der Mikrostruktur wurde sowohl im gefertigten, als auch im nachbehandelten Zustand der Schaufeln durchgeführt.

3.2.4 Härteprüfung Die metallografischen Schliffproben wurden im Anschluss an die lichtmikroskopische Untersuchung einer Härteprüfung nach Vickers unterzogen. Dazu wurden im Fehlstellenbereich der Probe Eindrücke mit HV0,1 gesetzt und die resultierenden Härtewerte dokumentiert. Die Werkstoffhärte wurde bestimmt, um etwaige Änderungen der Festigkeiten durch den thermischen Nachbehandlungsprozess festzustellen und zu dokumentieren [4].

Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

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3.3 Durchgeführte Untersuchungen 3.3.1 Schritt 1 - Untersuchung der Schaufeln im Fertigungszustand In den ungehippten Schaufeln befinden sich mehrere Defekte in Form von Hohlräumen bzw. Poren. Die jeweils größten Poren erreichen eine Volumenausdehnung von 0,001 bis 0,04 mm³ (Abbildung 4a). Um Aufschluss über die Oberflächenbeschaffenheit der Poren zu erhalten, wurden mehrere dieser Defekte ungehippter Schaufeln metallografisch zielpräpariert und sowohl rasterelektronenmikroskopisch (REM), als auch mit dem Lichtmikroskop untersucht. Die Innenoberflächen der Hohlräume weisen rasterelektronenmikroskopisch kugelförmige, körnige Strukturen auf, die mit dunkel erscheinenden Belägen versehen sind. Diese Morphologie repräsentiert die durch den Fertigungsprozess nicht aufgeschmolzenen Pulverpartikel. Mit der energiedispersiven Mikrobereichsanalyse wurde der Belag als Aluminiumoxid identifiziert und ortsaufgelöst dargestellt (Abbildung 4b und 4c). Lichtmikroskopisch wurden im Defektbereich mehrere feine Poren in einem Größenbereich von 1 µm bis ca. 12 µm festgestellt (Abbildung 4d). Aufgrund der Größe des zu durchstrahlenden Bauteilvolumens lag die maximale Scanauflösung der Computertomografie bei einer Größe von 23 µm, womit Fehlstellen kleiner 50 µm durch Röntgen nicht erfasst wurden. Im geätzten Zustand wird deutlich, dass die Mikrostruktur an der Pore mit derjenigen im Grundwerkstoff vergleichbar ist. Sie besteht aus einer γ - Matrix mit würfelförmigen γ´ - Phasen [7] (Abbildung 4e und 4f). Die Härte des Grundwerkstoffs beträgt 362 HV0,1 und korrespondiert mit dem Härtewert in Porenumgebung (366 HV0,1). a)

b)

Vor HIP

größte Pore

Abbildung 4: Dokumentation von Poren an ungehippten Schaufeln a) CT: 3D-Modell einer Schaufel mit größter Pore im Schaufelvolumen b) REM: Übersicht einer zielpräparierten Pore, körnige Oberflächenstruktur

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Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

c)

d)

e)

f)

Abbildung 4: Dokumentation von Poren an ungehippten Schaufeln c) REM/Mapping: AlO Belag auf Porenstruktur d) LIM: Feine Poren im Grundwerkstoff bis ca. 12 µm e) LIM: Gefüge aus γ und γ´ in Porenumgebung f) LIM: Gefüge aus γ und γ´ im Grundwerkstoff

3.3.2 Schritt 2 - Untersuchung der Schaufeln nach HIP-Prozess A Es wurden zehn Turbinenschaufeln im Anschluss an die Computertomografie bei 900°C gehippt und danach erneut im Schaufelblattbereich computertomografisch untersucht. Ein Vergleich der Volumina zeigt, dass sich die Lage der Poren nicht veränderte, während die Ausdehnung der Poren sich um maximal 31% verringerte (Abbildung 5a und 5b). Ein Geometrievergleich der vor und nach HIP gescannten Schaufelblätter ergab geringfügige Abweichungen bis ca. 73 µm auf der konkaven Schaufelseite (Abbildung 5h). Rasterelektronenmikroskopisch können die Oberflächen innerhalb der Hohlräume in zwei unterschiedliche Bereiche aufgeteilt werden. Kugelförmige, körnige Strukturen, vereinzelt mit Belägen behaftet, sind mit der Porenmorphologie der untersuchten Poren vergleichbar, die nicht nachbehandelt wurden. Darüber hinaus gibt es Zonen, in denen die Pulverkörner miteinander verschmolzen sind und deren Oberflächen dendritenförmige Schmelzstrukturen aufweisen. Daraus kann abgeleitet werden, dass die fertigungsinduzierten Hohlräume mit Anteilen an nicht aufgeschmolzenen Pulverpartikeln innerhalb des HIP-Prozesses eine beginnende Ausheilung erfahren haben. Mit der energiedispersiven Mikrobereichsanalyse wurden Einschlüsse aus Aluminiumoxid detektiert und ortsaufgelöst dargestellt (Abbildung 5c und 5d).

Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

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Mit dem Lichtmikroskop wurden im Grundwerkstoff Einschlüsse festgestellt, die aufgrund ihrer farblichen Darstellung auf Oxide schließen lassen. Sie sind sichelförmig ausgebildet und korrelieren mit der Grenzflächenform von Pulverkörnern (Abbildung 5e). Im geätzten Zustand besteht das Gefüge einheitlich aus einer γ -Matrix mit γ ´- Anteilen, sowohl in Porenumgebung, als auch im Grundwerkstoff [7] (Abbildung 5f und 5g). An der Grenzfläche von Grundwerkstoff zu Pore befindet sich eine Anreicherung von Karbiden an den Porenrändern. Demnach wurden durch den HIP-Prozess die Form und Ausprägung von Poren verändert. Die Werkstoffhärte der Matrix korrespondiert mit 358 HV0,1 mit der in Porenumgebung, in der ein Mittelwert von 360 HV vorliegt. b)

a) Vor HIP: V = 0,03 mm³

Nach HIP: V = 0,02 mm³

größte Pore

d)

c)

d)

Abbildung 5: Dokumentation von Poren an bei 900°C gehippten Schaufeln a) CT: Seitenansicht Schaufel, Porenvolumen vor HIP = 0,03 mm³ b) CT: Seitenansicht Schaufel, Porenvolumen nach HIP = 0,02 mm³ c) REM: Zielpräparation einer Pore nach HIP, Pore nicht geschlossen d) REM / MAP: AlO Belag auf Porenoberfläche, Detailbereich aus c)

94 e)

Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur f)

Karbidanreicherung

g)

h)

Abweichung 0 µm

Abweichung 73 µm

Abbildung 5: Dokumentation von Poren an bei 900°C gehippten Schaufeln e) LIM: Sichelförmige Einschlüsse aus Aluminiumoxid im Grundwerkstoff f) LIM: Gefüge aus γ und γ´ in Porenumgebung, Karbidanreicherung an Porengrenze g) LIM: Gefüge aus γ und γ´ im Grundwerkstoff h) CT: Geometrieabweichungen bis 73 µm

3.3.3 Schritt 3 - Untersuchung der Schaufeln nach HIP-Prozess B Insgesamt wurden zehn Turbinenschaufeln bei einer Temperatur von 1220°C gehippt. Ein Geometrievergleich der computertomografischen Ergebnisse vor und nach dem HIP-Prozess zeigt auf, dass sich die Hohlräume innerhalb der Querschnittsmitte der Schaufeln signifikant verkleinern, beziehungsweise mit ihrer geringen Ausdehnung außerhalb der Scanauflösung liegen und somit mit Röntgen nicht detektiert werden können. Die Abbildung 6a zeigt einen oberflächennahen Hohlraum mit einem Volumen von 0,02 mm³, welcher nach dem HIP Prozess computertomografisch nicht mehr nachzuweisen war. Die prozessinduzierte Verdichtung der Hohlräume führte zu einem Einsinken des Werkstoffes, wodurch an der Bauteiloberfläche oberhalb der Fehlstelle eine Vertiefung entstand (Abbildung 6b). In der Abbildung 6e ist eine Pore nach Fertigung in der Querschnittsmitte des Schaufelblattes dargestellt. Durch die Nachbehandlung wurde diese Pore wesentlich verkleinert und ist im Mittenbereich durch dunklere Grauwerte gekennzeichnet, wodurch Rückschlüsse auf die Präsenz einer niederdichten Materialzusammensetzung, wie zum Beispiel einem nichtmetallischen Einschluss gezogen werden können (Abbildung 6f). Ein Geometrievergleich der extrahierten Schaufeloberflächen vor und

Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

95

nach HIP zeigt eine signifikante Abweichung im Bereich der Schaufelspitzen mit Änderungen der Abmessung bis zu 192 µm, womit der durch den HIP-Prozess bei 1220°C entstandene Bauteilverzug deutlich wird. Nach der Zielpräparation wurden sowohl lichtmikroskopisch als auch rasterelektronenmikroskopisch Agglomerate aus einzelnen Aluminiumoxiden in den ehemaligen Porenbereichen festgestellt (Abbildungen 6c, 6d, und 6g). Diese Oxide orientieren sich vorwiegend an der γ´-Phase des Werkstoffgefüges. Die Mikrostruktur bestehend aus γ und γ´ ist in beiden Werkstoffbereichen vergleichbar [7] (Abbildung 6i). Unterhalb der Vertiefung ist die Korngröße deutlich gröber ausgebildet als im Kernbereich des Schaufelblatts (Abbildung 6h). Die Werkstoffhärte ist mit 368 HV0,1 in der Matrix und 376 HV0,1 in näherer Porenumgebung vergleichbar. Eine Härtemessung im Bereich der Agglomeration aus Aluminiumoxid ergab Werte bis 1047 HV0,1. Da in der Messung der das Oxid umgebende, vergleichsweise weiche Grundwerkstoff mitgemessen wurde, repräsentiert dieser Messwert einen Minimalwert. a)

b) Vor HIP: V = 0,02 mm³

Nach HIP Oberflächenvertiefung = 0,104 mm

Abbildung 6: Dokumentation von Poren an bei 1220°C gehippten Schaufeln a) CT: Seitenansicht einer Schaufel, Porenvolumen vor HIP = 0,02 mm³ b) CT: Seitenansicht einer Schaufel, Oberflächenvertiefung in ehemaliger Porenumgebung

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Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

c)

d)

e)

f) Vor HIP: V = 0,003 mm³

Nach HIP: V = 0,001 mm³

Abbildung 6: Dokumentation von Poren an bei 1220°C gehippten Schaufeln c) LIM: Zielpräparation einer Pore nach HIP, Vertiefung an der Oberfläche und Rückstand im Werkstoff d) REM / MAP: AlO als Rückstand in ehemaliger Porenumgebung e) CT: Seitenansicht Schaufel, Porenvolumen vor HIP = 0,003 mm³ f) CT: Seitenansicht Schaufel, Porenvolumen nach HIP=0,001 mm

Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur g)

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h)

Vertiefung

i)

j) Abweichung 192 µm

Abweichung 191 µm

Abbildung 6: Dokumentation von Poren an bei 1220°C gehippten Schaufeln g) REM / MAP: Rückstand aus Aluminiumoxid in ehemaliger Porenumgebung h) LIM: Gröbere Kornstruktur im Bereich der Oberflächenvertiefung i) LIM: Orientierung der Aluminiumoxide an γ ´-Phase j) CT: Geometrieabweichungen bis 192 µm

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Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

4 Fazit Der HIP-Prozess bei einer Temperatur von 900°C führte im vorliegenden Fall nicht zu einem vollständigen Schließen von Poren mit einer Volumenausdehnung > 0,001mm³. Die Porenvolumina verringerten sich nur geringfügig, die Strukturen der Porenoberflächen sind vergleichbar mit denen, die im Fertigungszustand vorlagen. Poren mit Durchmessern bis zu ca. 20 µm konnten geschlossen werden, der Zusammenschluss der Poreninnenwände ist jedoch formschlüssig und adhäsiv ausgeprägt. Die Mikrostruktur ist in allen untersuchten, ehemaligen Porenbereichen mit Einschlüssen aus Aluminiumoxid versehen. Im Vergleich zu den Schaufeln, die bei 1220°C nachbehandelt wurden, findet eine geringere Geometrieänderung der Bauteile durch Verzug statt. Der durchgeführte HIP-Prozess bei 1220°C führte zu einer Schließung von Poren im Volumenbereich von 0,001 mm³ bis 0,04 mm³. Die ehemaligen Hohlraumbereiche weisen Aluminiumoxideinschlüsse, häufig in Form von Oxidnestern auf. Diese Einschlüsse haben keine chemische Verbindung mit dem Grundwerkstoff, sondern liegen als inkohärente Phase in der Matrix vor. Das an den Korngrenzen oder Partikeloberflächen anhaftende Aluminiumoxid wird in den gewählten Temperaturbereichen nicht aufgeschmolzen, sondern diffundiert im Metallgefüge. Vereinzelt fand an den durch die Nachverdichtung entstandenen Oberflächenvertiefungen ein Kornwachstum statt. Die Zunahme an Karbiden wurde im Bereich der Porenränder beobachtet. Das Grundgefüge der Schaufeln wurde von den Nachbehandlungsverfahren nicht beeinflusst. Die Mikrostruktur des Fertigungszustandes stimmt mit den nach HIP untersuchten Gefügen überein. Die Werkstoffhärte erfuhr keine signifikante Veränderung durch die Anwendung der Nachbehandlungsprozesse, die gemessenen Werte in den Fehlstellenbereichen korrespondieren mit den im Grundgefüge ermittelten Ergebnissen.

5 Schlussfolgerung und Ausblick Die in dieser Studie untersuchten Bauteile wurden nicht additiv hergestellt, sondern durch einen Metal Injection Molding Prozess. Da es sich bei beiden Herstellverfahren um pulvermetallurgische Prozesse handelt, ist die Fehlstellenbildung sehr ähnlich und die Entstehung von Hohlräumen und Poren üblich. Daher sind die Effekte und Auswirkungen einer Nachbehandlung durch heißisostatisches Pressen herstellprozessübergreifend vergleichbar. Die Untersuchungen resultieren in der Erkenntnis, dass Fehlstellen in Form von Poren durch einen HIP-Prozess in einer adhäsiven Verbindung geschlossen werden können. Die gewählten Prozesstemperaturen haben keine Auflösung der Oxide bewirkt, jedoch kann anhand der Ausprägung der Morphologie untersuchter Einschlüsse auf einen Diffusionsprozess geschlossen werden. Die Innenoberflächen von Poren sind nachweislich mit Belägen aus Aluminiumoxid versehen, die erst ab einer Temperatur von ca. 2000 °C aufgeschmolzen werden können. Das bedeutet, dass es beim Ausheilen der oxidbehafteten Poren in den dargestellten Temperaturbereichen nicht zu einer chemischen Verbindung der Poreninnenoberflächen kommen kann. Der durch das HIP-Verfahren initiierte Ausheilungsprozess der Fehlstellen beschränkt sich daher auf eine Verschmelzung und Nachverdichtung der mit Oxid behafteten Porengrenzflächen. In allen untersuchten Fällen konnten in den ehemaligen Hohlraumbereichen nach HIP Einschlüsse aus Aluminiumoxid nachgewiesen werden. Die Ausprägung der Einschlüsse erscheint analog zu den Prozesstemperaturen bei 900°C länglich und sichelförmig, während nach dem Prozess unter 1220°C runde Oxidnester beobachtet wurden. Die Entstehung der detektierten Alumini-

Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur

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umoxideinschlüsse erfolgt bereits beim Urformverfahren, im vorliegenden Fall durch Metal Injection Molding, oder liegt als Kontamination bereits im Pulver vor. Durch Anwendung der Nachbehandlung werden die Oxide nur in ihrer Morphologie und Ausprägung verändert. Unter Berücksichtigung einer späteren Belastung der Bauteile im operativen Einsatz kann es je nach Ausrichtung des Defekts in Bezug zur Hauptspannung zu einem vorzeitigen Bauteilversagen kommen. Insbesondere führen bei ungünstiger Belastungsrichtung die durch Nachbehandlungsprozesse umgeformten länglichen Oxide oder Oxidnester zu deutlich höheren Spannungskonzentrationen als runde Poren. Die hier vorgestellten Untersuchungen beschränken sich auf die Veränderung der Geometrie vorhandener Poren in pulvermetallurgisch hergestellten Bauteilen durch eine HIP Nachbehandlung. Zur Bestimmung des Einflusses der Veränderungen auf die statische und zyklische Festigkeit der betroffenen Bauteile werden Annahmen aufgestellt, die durch systematische Festigkeitsversuche an Proben und Bauteilen untermauert werden müssen [8].

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Literatur [1]

Prof. Dr.-Ing. Bernd Kieback, European Powder Metallurgy Association EPMA, Pulvermetallurgie – Das Verfahren und seine Produkte, dt. Fassung 2010.

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T. Näke, M. Eiber, Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics, IABG mbH, DVM Tagung additiv gefertigter Bauteile und Strukturen, 07.11.2018 Berlin.

[3]

DIN EN 16016-1:2011-12, Zerstörungsfreie Prüfung – Durchstrahlungsverfahren – Computertomografie – Teil 1: Terminologie.

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Metallische Werkstoffe - Härteprüfung nach Vickers, EN ISO 6507-1:2018.

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Frank Eggert, Standardfreie Elektronenstrahl-Mikroanalyse mit dem EDX im Rasterelektronenmikroskop, Books on Demand GmbH, Norderstedt 2005.

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Peter Fritz Schmidt und 13 Mitautoren: Praxis der Rasterelektronenmikroskopie und Mikrobereichsanalyse, expert verlag 1994.

[7]

Herrmann Schumann und Heinrich Oettel: Metallografie 14. Auflage, WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA 2005.

[8]

Matthias Decker, Marion Eiber, Steffen Rödling: Challenges in the fatigue assessment of large components from forged or cast iron. In: Procedia Engineering, Volume 133, 2015.

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Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten metallischen Strukturen und deren Berücksichtigung bei der Schwingfestigkeitsbewertung R. Wagener, M. Scurria, K. Schnabel, T. Bein Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF, Darmstadt

Zusammenfassung Um additive Fertigungsverfahren mit metallischen Werkstoffen für eine industriell nutzbare Serienproduktion verfügbar zu machen, ist es neben der stetigen Verbesserung des eigentlichen technischen Fertigungsprozesses zwingend notwendig, die resultierenden Struktur- und Betriebsfestigkeitseigenschaften als Funktion der Prozessparameter darstellen zu können. Hierfür stehen basierend auf klassischen Fertigungsverfahren unterschiedliche Bemessungskonzepte zur Verfügung, deren Eignung zur Bauteiloptimierung von additiv gefertigten, zyklisch belasteten Strukturen zu überprüfen ist. Zyklische Versuche zeigen, dass bedingt durch die additive Fertigung neue Herausforderungen entstehen, die im Rahmen einer numerischen Lebensdauerabschätzung zu bewältigen sind.

Stichwörter: Zyklisches Werkstoffverhalten, Incremental Step Test, Strukturverhalten, Wärmebehandlung, Anisotropie

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_7

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Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen

1 Einleitung Additive Fertigungsverfahren werden sowohl für die Automobil- als auch für die Luftfahrtindustrie aufgrund des hohen Maßes an Gestaltungsfreiheit beim Konstruieren zunehmend interessanter, insbesondere in Bezug auf die Fertigung metallischer Komponenten. In Folge der sich weiter verbessernden Technologie der additiven Fertigung auf Basis metallischer Pulver und der verstärkten Forschung auf diesem Gebiet wird der Anwendungsbereich verschoben: Neben dem reinen Prototypen- und Designstadium entwickelt sich der Einsatzbereich hin zu lasttragenden und sicherheitsrelevanten additiv gefertigten Strukturen und Bauteilen. Obwohl diese Technologie den Weg für bisher schlicht nicht fertigbare oder höchstkomplexe geometrische Strukturen ebnet, steht diesem noch jungen Fertigungsverfahren die fehlende Standardisierung gegenüber. Eine wesentliche Voraussetzung für eine industrielle Fertigung, im Idealfall mit der Losgröße Eins, ist die Verfügbarkeit eines Bemessungskonzeptes, dass die wesentlichen Einflussfaktoren berücksichtigt und die Lebensdauer zuverlässig abschätzt. Dafür ist es notwendig, die resultierenden Material- und Struktureigenschaften als Funktion der Prozessparameter zu beschreiben. Gegenstand aktueller Forschung ist die experimentelle Charakterisierung der Struktureigenschaften additiv gefertigter Proben. Hierbei werden die Fertigungsparameter, u. a. Aufbaurichtung, Schichtdicke, Scanstrategie, Wärmebehandlung, etc., variiert und deren Einfluss auf die Schwingfestigkeit im zyklischen Versuch quantifiziert. Zusätzlich erfolgen meist begleitende metallographische und fraktographische Untersuchungen, um eine Aussage über die Mikrostruktur und Fehlstellen bzw. den Versagensausgangsort zu erhalten. So lassen sich diesbezüglich bereits einige Arbeiten zu mechanischen Eigenschaften des Inconel 718 unter quasi-statischen Belastungen finden [1, 2]. Schäden an Strukturen entstehen aber häufig durch Materialermüdung. Hervorgerufen werden diese durch wiederholte Be- und Entlastungen, die deutlich unter der Streckgrenze des jeweiligen Materials liegen. Der bisherige Wissensstand über das Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen unter zyklischer Belastungen und die lebensdauerbestimmenden Einflussgrößen, wie beispielsweise den Größeneinfluss, ist noch recht eingeschränkt. Sowohl Materialeigenschaften als auch Ermüdungseigenschaften werden durch diverse Prozessvariablen bestimmt, die zu anisotropen Mikrostrukturen, ungleichmäßigen Spannungsverteilungen oder Porenbildung im Material führen können. In Bezug auf Bemessungskonzepte für zyklisch belastete AM-Bauteile wurden bislang sehr wenige Untersuchungsergebnisse veröffentlicht. Aufgrund der typischerweise vorliegenden Unregelmäßigkeiten in der Struktur bzw. im Randbereich, werden bruchmechanische Ansätze für eine Schwingfestigkeitsbewertung verwendet [3, 4, 5]. Kontinuumsmechanisch ist eine lokale Methode vorzuziehen, um die heterogene Mikrostruktur zu berücksichtigen, damit das Festigkeitspotential additiv gefertigter Strukturen im Sinne des Leichtbaus zielführend ausgeschöpft werden kann.

2 Einflussgrößen auf die Schwingfestigkeit Zur Erfassung der für die Schwingfestigkeit relevanten Eigenschaften von AM-Bauteilen wurden insgesamt 80 Veröffentlichungen aus den letzten 7 Jahren analysiert und ausgewertet. In über 90% der Veröffentlichungen wurde die Schwingfestigkeit von additiv hergestellten, ungekerbten Proben in Versuchen mit konstanter Amplitude ermittelt. An diesen wurde der Einfluss der Fertigung, z. B. der Scan-Strategie, der Schichtdicke und der Aufbaurichtung der Oberfläche oder einer Wärmenachbehandlung auf die Schwingfestigkeit untersucht. Aus diesen Veröffentlichungen lässt sich ein vergleichsweise gutes Bild über die Einflussgrößen und die dahinter

Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen

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verborgenen Wirkmechanismen bilden, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Schwingfestigkeit haben. Ein Verständnis dieser Einflussgrößen ist von eminenter Wichtigkeit und bildet die Grundlage zur Ableitung von zuverlässigen Bemessungskonzepten. Die Eigenschaften von additiv gefertigten Bauteilen werden maßgeblich durch den Fertigungsprozess beeinflusst. Hier sind unter anderem die Schichtdicke, die eingebrachte Streckenenergie, der Abstand der Schweißraupen, die Belichtungsstrategie und Konturläufe zu nennen. Dazu kommt der Einfluss der Atmosphäre und einer potentiellen Vorwärmung des Pulverbetts, die einen großen Einfluss auf die Abkühlgeschwindigkeiten und somit auf die Mikrostruktur und die Eigenspannungen haben. Zusätzlich sind die Stützstrukturen zu nennen, die sowohl stark die Topologie der Oberfläche beeinflussen als auch einen Einfluss auf die Abkühlgeschwindigkeiten in diesem Bereich haben. Alle Parameter können direkt abhängig von der Ausrichtung des Bauteils bzw. der Probe im Bauraum sein. Die Ausrichtung wird durch ihren Winkel oder durch ihre Belastungsrichtung in einem XYZ-Koordinatensystem im Verhältnis zur Aufbaurichtung und der Aufbringungsrichtung des Pulvers bezeichnet, Abbildung 1.

Abbildung 1:

Definition der Probenlage anhand der Aufbaurichtung und der Aufbringungsrichtung des Pulvers mit schematischer Darstellung der entstehenden Schichten in der Probe bzw. im Bauteil

Folgenden Einflussgrößen werden in der Literatur eine hohe Relevanz für die Schwingfestigkeit zugewiesen [6], Abbildung 2: Besondere Relevanz für die Schwingfestigkeit zeigt die Oberflächenbeschaffenheit. Bei nahezu allen Schwingfestigkeitsversuchen an Proben mit unbearbeiteter Oberfläche starten die Risse von Kerben an der Oberfläche (Abbildung 2 a) i)), die durch den Fertigungsprozess eingebracht werden [7, 8, 9, 10]. Die Gestalt der Oberfläche wird durch unterschiedliche Parameter beeinflusst. Insbesondere ist die Größe einer einzelnen Schicht zu nennen, die zu geometrischen Kerben an der Oberfläche und zwischen den einzelnen Lagen auch im Inneren führt (Bild 2 a) ii)) [11]. Diese sind abhängig von der Aufbaurichtung [8] und der Belichtungsstrategie. Zusätzlich kann es vorkommen, dass Pulverpartikel nur angeschmolzen werden (Abbildung 2 a) iii)). Dies führt zu einer weiteren Spannungsüberhöhung [12]. Oberflächenfehler können außerdem z. B. Poren oder Bindefehler zwischen zwei Schichten sein. Besonderes Augenmerk muss zusätzlich auf Oberflächen mit entfernten Stützstrukturen gelegt werden, da es hierbei zu teils starken Oberflächendefekten kommen kann.

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Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen

In AM-gefertigten Bauteilen können unterschiedliche innere Unregelmäßigkeiten beobachtet werden, die unter zyklischer Beanspruchung rissinitiierend wirken. Insbesondere bei einer glatten und vergleichsweise kerbfreien Oberfläche wird typischerweise ein Versagen ausgehend von inneren Unregelmäßigkeiten, z. B. Poren, beobachtet (Abbildung 2 b) i)). Diese treten abhängig von den jeweiligen Fertigungsparametern auf. Sowohl die Größe [13] als auch die Gestalt können stark variieren. Insbesondere große und scharfkantige Unregelmäßigkeiten, z. B. Bindefehler (Abbildung 2 b) ii)) oder Bereiche mit nicht vollständig aufgeschmolzenen Pulverpartikeln (Abbildung 2 b) iii)), führen zu einer starken Spannungsüberhöhung und somit zu einer Reduktion der Schwingfestigkeit im Vergleich zum Unregelmäßigkeiten freien Werkstoffzustand. In einigen Untersuchungen ist ein häufigeres Vorkommen dieser Unregelmäßigkeiten in Bereichen zu sehen, bei denen zwei Belichtungsregionen aneinanderstoßen, z. B. der Konturlauf und die inneren Läufe [14, 2].

Abbildung 2:

Ausgewählte Eigenschaften von additiv gefertigten Bauteilen mit Relevanz für die Schwingfestigkeit

Wie von konventionellen Werkstoffen bekannt, hat die Mikrostruktur einen maßgeblichen Einfluss auf die Schwingfestigkeit. Hier sind insbesondere die Größe der Körner (Abbildung 2 c) i)), die Kristallorientierung (Abbildung 2 c) ii)), und Ausscheidungen (Abbildung 2 c) iii)) zu nennen. Bedingt durch die Textur des Gefüges mit einer stark richtungsabhängigen Kristallbildung verhält sich der Werkstoff anisotrop. Dies kann sich einerseits auf die mechanischen Kennwerte wie den E-Modul [3], aber andererseits auch auf das zyklische Werkstoffverhalten, z. B. die Ver- und Entfestigung, und schlussendlich auf die Schwingfestigkeit auswirken. Der Einfluss der Mikrostruktur wird insbesondere bei hochqualitativen Proben mit glatter Oberfläche und minimalen inneren Unregelmäßigkeiten beobachtet. Wie bei schweißtechnischen Verfahren werden durch den Fertigungsprozess Eigenspannungen eingebracht (Abbildung 2 d)). Im Falle von Zugeigenspannungen kann die Schwingfestigkeit signifikant herabgesetzt werden, insbesondere bei makroskopisch elastischen Beanspruchungen. Eine genaue Quantifizierung des Einflusses fällt schwer, da durch ein Spannungsarmglühen, wie es häufig nach der Fertigung durchgeführt wird, auch die Mikrostruktur beeinflusst werden kann.

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Durch das schichtweise Aufbauen der Bauteile sind die oben genannten Eigenschaften teils stark anisotrop, d. h. richtungsabhängig. Dabei ist innerhalb der Aufbaustrategie zu beachten, dass durch einen Winkel zwischen den einzelnen Schichten und unterschiedlichen Aufbaurichtungen innerhalb einer Schicht diese Anisotropie weiter verstärkt werden kann. Zudem hat der verwendete Werkstoff einen Einfluss auf die Ausprägung der Eigenschaften. Anisotropien bilden sich beispielweise bei der Verwendung von Inconel 718 stärker aus als bei der Verwendung von AlSi10Mg [15]. Zur Bemessung eines Bauteils muss bei spannungsbasierten Bewertungskonzepten neben der Schwingfestigkeit bei einer Spannungsamplitude Sa auch die Neigung k der Wöhlerlinie bekannt sein. Während eine Änderung in der Mikrostruktur meist nur eine Verschiebung (fs) der Spannungswöhlerlinie zur Folge hat, kommt es durch inneren Unregelmäßigkeiten und die Oberflächenbeschaffenheit signifikant zu einer Veränderung der Neigung fk der Spannungwöhlerlinie, Abbildung 3. Ähnliches gilt für dehnungsbasierte Konzepte.

Abbildung 3:

Erwarteter Einfluss typischer Einflussgrößen auf die Schwingfestigkeit von AM-Bauteilen und den Verlauf der Wöhlerlinie

Dies kann u. a. durch eine vergleichsweise frühe Rissinitiierung an Fehlstellen und einer langen Rissfortschrittsphase erklärt werden.

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Eigenspannungen σRS können ebenfalls die Neigung der Wöhlerlinie verändern und sie verschieben. Im Falle von Druckeigenspannung verlängert sich die Lebensdauer, insbesondere bei Beanspruchungen unterhalb der Streckgrenze bzw. hohen Zyklenzahlen. Zugeigenspannungen verkürzen die Lebensdauer.

3 Nachbehandlung von AM-Bauteilen AM-Fertigungsverfahren werden weiterhin optimiert und weiterentwickelt. Zum jetzigen Zeitpunkt sind sowohl ein von Unregelmäßigkeiten nahezu freies Werkstoffvolumen und eine glatte Oberfläche fertigungstechnisch mit vertretbarem Aufwand nur schwer einstellbar. Daher werden additiv gefertigte Bauteile häufig nachbehandelt. Als typische Nachbehandlungsverfahren können hier sowohl Wärme- und Oberflächenbehandlungen als auch das Hot Isostatic Pressing genannt werden. Alle Verfahren wirken sich jeweils auf einen Teil der oben genannten Eigenschaften und somit auf die Schwingfestigkeit aus. In Abhängigkeit von der Temperatur sowie der Haltezeit werden Eigenspannungen im Bauteil abgebaut und die Mikrostruktur verändert. Die typischerweise nach dem AM-Prozess aufgrund der starken Abkühlgeschwindigkeiten vorliegenden feinkörnigen Gefüge und die hohen Härten werden durch eine Wärmebehandlung oberhalb der Rekristallisationsgrenze modifiziert bzw. reduziert. Die Korngröße und die Textur des Gefüges und somit das anisotrope Werkstoffverhalten werden modifiziert. Dies wirkt sich in beiderlei Hinsicht wiederum auf die Schwingfestigkeit des Werkstoffs aus. Zusätzlich sind viele weitere Gefügeveränderungen in Folge einer Wärmebehandlung zu nennen, beispielweise das Bilden von Ausscheidungen. Mit einer meist mechanischen Oberflächenbearbeitung wird die Rauheit der Oberfläche reduziert. Dies führt zu einer Reduktion der Spannungsüberhöhung im Bereich der Oberfläche und somit zu einer Steigerung der Schwingfestigkeit. Zusätzlich können hierdurch Druckeigenspannungen eingebracht werden, die verlängernd auf die Lebensdauer wirken können. Mit dem Verfahren des Hot Isostatic Pressings können die Unregelmäßigkeiten im Inneren des Werkstoffs wesentlich reduziert werden. Durch den hohen isostatischen Druck auf die gesamte Probe bzw. das Bauteil werden die nicht in die Umgebung geöffneten Unregelmäßigkeiten zusammengedrückt. Da das Verfahren bei hohen Temperaturen (bei TiAl6V4 typischerweise bei 900°C bei 1000 bar) abläuft, verändert sich in Abhängigkeit der Parameter zusätzlich die Mikrostruktur des Werkstoffs.

4 Besonderheiten in der Bemessung von additiv gefertigten metallischen Bauteilen Additiv gefertigte Bauteile weisen eine besondere Kombination von Eigenschaften bzw. Charakteristika auf, die bei einer Schwingfestigkeitsbewertung berücksichtigt werden muss. Wie oben erwähnt, sind das die Oberflächenbeschaffenheit, die inneren Unregelmäßigkeiten, die Mikrostruktur sowie die Eigenspannungen. Auf diese Einflussgrößen wird im Folgenden eingegangen. Der Einfluss der Oberflächenbeschaffenheit als auch der inneren Unregelmäßigkeiten auf die Schwingfestigkeit kann prinzipiell analog zu konventionell hergestellten Bauteilen bewertet werden. Die maßgebliche Einflussgröße ist jeweils die Spannungsüberhöhung aufgrund der Kerben, die zu einer Reduktion der Schwingfestigkeit führt. Für eine Berücksichtigung können die Kerben beispielsweise im Detail abgebildet und darauf basierend die Spannungszustände im

Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen

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Kerbbereich ausgewertet werden. Da dies mit einem erheblichen Aufwand verbunden und es an Informationen zur detaillierten Gestalt der Unregelmäßigkeiten mangelt, wird eine Methode benötigt, die zwischen der vermeintlich pragmatischen Bewertung mittels pauschaler Einflussfaktoren, die gewöhnlicher Weise zu einer Überschätzung des Oberflächeneinflusses führen, und der Modellierung der tatsächlichen, jedoch weitgehend unbekannten, Topographie vom Aufwand anzusiedeln ist. Eine große Herausforderung dürfte jedoch sein, vor der Fertigung eine Aussage über die Unregelmäßigkeitsverteilung im Inneren oder die Oberflächenbeschaffenheit zu treffen, um diese bei der Bemessung mit Hilfe von geeigneten Methoden zutreffend berücksichtigen zu können. Zudem fehlen zurzeit noch umfassende Analysen, aus denen quantitative Faktoren in Bezug auf die Schwingfestigkeit abgeleitet werden können. Diese Faktoren können aufgrund der schichtweisen Bauart richtungsabhängig sein. Standardmäßig ist in einer einzelnen Schicht die Richtung der einzelnen Schweißraupen unterschiedlich. Diese Schichten werden, um den Verzug zu beeinflussen, gegeneinander mit einem Drehwinkel um die Achse der Aufbaurichtung gedruckt. Die zweite Herausforderung stellt die Mikrostruktur dar. Zuerst muss eine Aussage über das Gefüge getroffen werden, das nach der Fertigung und eventueller anschließender Wärmebehandlung vorliegt. Auf Basis dieser Information kann eine Abschätzung der Schwingfestigkeit erfolgen. Empfehlungen hierzu sind im Moment noch nicht vorhanden, könnten aber potentiell auf Basis einer umfangreichen Sichtung der vorhandenen Literaturdaten abgeleitet werden. Eine große Herausforderung bringt hier wiederum das anisotrope Werkstoff- bzw. Strukturverhalten mit sich. Neben der richtungsabhängigen Beanspruchbarkeit müssen bei bestimmten Werkstoffen auch richtungsabhängige Werkstoffeigenschaften, wie der E-Modul, abgebildet werden. Die dritte Herausforderung stellen die Eigenspannungen dar. Bei einer Bewertung der Eigenspannung ist zu überprüfen, ob Synergien aus der Herangehensweise bei dem klassischen Fügeverfahren des Schweißens ausgenutzt werden können, da bei Schweißverbindungen typischerweise hohe Eigenspannungen erwartet werden und somit deren Einfluss bei einer Auslegung berücksichtigt werden muss. Trotz jahrzehntelanger Forschung existieren nur bedingt industriell anwendbare Methoden, mit denen eine verlässliche Abschätzung der vorliegenden Eigenspannungen erzielt werden können. Mittels einer Schweißprozesssimulation ist es zwar möglich schweißbedingten Verzug vergleichsweise gut abzuschätzen, für die Berechnung der Eigenspannung ergeben sich aber immer noch hohe Abweichungen zwischen Rechnungen und Messungen. Eine Simulation des AM-Prozesses, die aufgrund der zahlreichen Schichten und der hohen Abkühlgeschwindigkeiten wesentlich aufwändiger ist als die Abbildung einer Liniennaht, kann vermutlich erst auf lange Sicht eine zuverlässige Aussage über die Eigenspannungen liefern.

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Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen

Abbildung 4:

Spannungs-Dehnungsverhalten in Folge unterschiedlicher Baurichtungen (schematisch)

Aus den genannten Einflüssen ergibt sich der auch für die Bemessung und in der Beanspruchungssimulation zu berücksichtigende Unterschied im Zug- und Druckverhalten der Struktur. In Abhängigkeit der Aufbaurichtung können sich die E-Moduln unter Zug- oder Druckbelastung unterscheiden, Abbildung 4. Durch die iterative Berücksichtigung dieser Einflussgrößen in einer Bemessung kann durch eine Rückkopplung in einem späteren Schritt die Anpassung der Prozessparameter im Hinblick auf die Lebensdauer der Bauteile erfolgen, Abbildung 5.

Abbildung 5:

Berücksichtigung der Einflussgrößen auf AM-Bauteile in der Produktentwicklung

Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen

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5 Berücksichtigung der Einflussgrößen in einem Bemessungskonzept Es wäre wünschenswert, möglichst viele Einflussgrößen auf der Beanspruchungsseite bei einer Bewertung abzubilden, sodass die Anzahl der benötigten Bemessungswöhlerlinien für unterschiedliche Parameter klein gehalten werden kann, Tabelle 1. Zur Berücksichtigung der Oberflächenbeschaffenheit können Spannungsgradienten für unterschiedliche Oberflächenrauheiten abgeleitet werden. Eine Modellierung der Oberflächenbeschaffenheit in der Finite-Elemente Simulation kann hier jedoch zu sehr umfangreichen Modellen führen, bei denen die Rechenzeit nicht mehr wirtschaftlich ist. Wie bereits aus anderen Fertigungsarten bekannt, können zur Berücksichtigung innerer Unregelmäßigkeiten Gradienten und Stützeffekte an charakteristischen Poren abgeleitet werden. Eine Modellierung aller vorhandenen Poren in einem Bauteil ist jedoch nicht möglich. Die Mikrostruktur selbst kann in einer Beanspruchungssimulation ebenfalls nicht abgebildet werden, jedoch durch Anpassung eines Materialgesetzes erfasst werden, das gegebenenfalls anisotropes Verhalten abbilden kann. Eigenspannungen können, wenn bekannt, als initiales Spannungsfeld in die Beanspruchungssimulation einfließen. Für alle Einflussgrößen lassen sich jedoch auch, wie oben beschrieben, Verschiebungs- bzw. Neigungsfaktoren ableiten, mit denen die Wöhlerlinien unter Berücksichtigung der Anisotropie beeinflusst werden können. Tabelle 1:

Einflussgrößen, ihre beispielhafte Berücksichtigung und ihre Auswirkungen in der Schwingfestigkeitsbemessung

Oberflächenbeschaffenheit

innere Unregelmäßigkeiten

Mikrostruktur

Eigenspannungen

Beanspruchung Ableitung von Spannungsgradienten in Folge der Oberflächenrauheit Berechnung von Stützwirkungen an Poren, Betrachtung des Spannungsgradienten Anisotrope Materialgesetze in der FE-Simulation Berücksichtigung eines initialen Spannungsfeldes aus der Prozesssimulation

Beanspruchbarkeit Beeinflussung der Steigung und Verschiebung der Wöhlerlinie für unterschiedliche Aufbaurichtungen Beeinflussung der Steigung und Verschiebung der Wöhlerlinie für unterschiedliche Aufbaurichtungen Beeinflussung der Verschiebung der Wöhlerlinie für unterschiedliche Aufbaurichtungen Beeinflussung der Steigung und Verschiebung der Wöhlerlinie für unterschiedliche Eigenspannungszustände

Insbesondere Anisotropien müssen jedoch sowohl auf der Beanspruchungs- als auch auf der Beanspruchbarkeitsseite berücksichtigt werden. Findet eine Berücksichtigung nicht auf der Beanspruchungsseite statt, so muss dies durch eine Änderung der Wöhlerlinien auf der Beanspruchbarkeitsseite ausgeglichen werden.

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Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen

6 Beispiel eines zu bewertenden AM-Bauteils Zu den genannten Herausforderungen im Bereich der Fertigung und der inneren Eigenschaften eines Bauteils kommt zusätzlich die eigentliche große Stärke der additiven Fertigung in Form der großen geometrischen Gestaltungsfreiheit als weitere Herausforderung für die Bewertung hinzu. Im Zuge des generativen Aufbauprozesses bietet sich eine Topologieoptimierung des Bauteils im Designstadium an. Dies hat meist durch die Abbildung des optimalen Lastpfades bei vorgegebem Zielgewicht unregelmäßig verzweigte Strukturen zur Folge, bei denen eine Schwingfestigkeitsberechnung auf Basis von lokalen kritischen Beanspruchungen durchgeführt werden muss, Abbildung 6. Aufgrund lokaler Gefügeunterschiede sowie notwendiger Stützstrukturen und der damit verbundenen lokalen Oberflächenrauheit ist es nicht möglich, eine Bewertung rein auf Basis von Ansätzen des Standes der Technik vorzunehmen.

Abbildung 6:

CAD Modell eines hinsichtlich Schwingfestigkeit zu bewertenden additiv gefertigten Knoten-elements (Entwurf, Quelle: Opel Automobile GmbH / EDAG Engineering GmbH)

7 Übertragbarkeit bekannter Konzepte auf additiv gefertigte Bauteile Zur Bemessung von zyklisch beanspruchten Strukturen gibt es eine Anzahl an unterschiedlichen Bemessungskonzepten, die für subtraktive Fertigungsverfahren entwickelt worden sind. Aufgrund der heterogenen Mikrostruktur ist eine lokale Methode vorzuziehen, damit das Festigkeitspotential additiv gefertigter Strukturen im Sinne des Leichtbaus zielführend ausgeschöpft werden kann. In [16] wird eine Methode vorgestellt, die das Werkstoffverhalten mittels lokaler Spannungs-Dehnungskurven und Dehnungswöhlerlinien abbildet. Damit mit diesem Bemessungskonzept zyklisch beanspruchte Strukturen zuverlässig hinsichtlich ihres Betriebsverhaltens simuliert werden können, müssen die wesentlichen Einflussfaktoren der additiven Fertigung auf das zyklische Werkstoffverhalten bekannt sein.

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8 Proben Aufgrund der anhaltenden Diskussion des Einflusses der Bauposition auf die lokale Mikrostruktur werden für die folgenden Untersuchungen keine Standardwerkstoffproben, sondern verkleinerte Flachproben, Abbildung 7, verwendet. Dies hat zusätzlich den Vorteil, dass die Bauzeit reduziert werden kann. Die neue Probengeometrie hat eine Gesamtlänge von l = 50mm bei einer Breite von b = 3,4mm im Prüfquerschnitt. Der Übergang vom Prüfquerschnitt zur Einspannfläche ist für die additive Fertigung mittels selektiven Laserschmelzens optimiert worden, so dass bei stehenden Proben auf eine Supportstruktur verzichtet werden kann.

Abbildung 7:

Probengeometrie für zyklische Versuche

8.1 Probenherstellung Die Einflussfaktoren auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten metallischen Strukturen wird für die korrosionsbeständige Nickel-Legierung Inconel 718 und die AluminiumLegierung AlSi10Mg untersucht. Die Ni-Proben werden auf einer EOS M290 mit dem Standardparametersatz IN718_Performance 1.0 für 40 µm Schichtdicke von EOS gefertigt. Um den Einfluss der Oberflächen sowie Stützstrukturen und Orientierung einzeln zu bewerten, wurden verschiedene Konfigurationen gewählt, Abbildung 8, wobei teilweise die Oberfläche im gedruckten Zustand verbleibt und zum anderen Teil diese durch mechanisches Polieren abgearbeitet worden ist. Die Bezeichnung X, Z und XZ der Proben geben die verschiedenen Aufbaurichtungen in Bezug auf die Bauplattform an (θ = 0°, 90° und 45°). Stützstrukturen sind für Flächen mit einem Neigungswinkel θ von weniger als 50° zur Bauplattform erforderlich [17], daher wird der Effekt ihrer mechanischen Entfernung ebenfalls bewertet. Nach dem Entfernen der Stützstrukturen ist die Oberfläche unregelmäßig und weist zahlreiche Defekte, wie Poren und geometrische Kerben auf. Die Stützstrukturen beeinträchtigen außerdem den thermischen Gradienten der belichteten Struktur [18]. Einige Studien zeigen, dass dieser Effekt in Bezug auf den Abstand zwischen den Zinken und der Kontaktoberfläche quantifiziert werden kann [19, 20]. Abbildung 8 zeigt die fünf verschiedenen Konfigurationen, in denen die Ni-Proben hergestellt werden.

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Abbildung 8:

Konfigurationen zur experimentellen Charakterisierung der Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von Inconel 718

In Zusammenarbeit mit der FKM Sintertechnik GmbH wurde für die Proben aus Al-Si10Mg ein Baujob für das selektive Laserschmelzen entwickelt, der sowohl vier Probenaufbaurichtungen mit drei Wandstärken enthält als auch Probenrohlinge, die allseitig poliert werden bzw. im asbuilt Zustand verbleiben. Dieser Job wurde verdoppelt, damit zusätzlich der Einfluss einer anschließenden Wärmebehandlung auf das zyklische Werkstoffverhalten untersucht werden kann. Beim Probenaufbau wird jeder Probe im Probenkopf eine Probennummer zugeordnet. Weiterhin enthält dieser Baujob Dichtewürfel und Zugproben zur Qualitätskontrolle, Abbildung 9. 1 2 3 4

Abbildung 9:

Zugprobe Dichtewürfel Schwingprobe mit unterschiedlichen Orientierungen und Dicken Platten zur Entnahme von Werkstoffproben

Baujob mit Proben für quasi-statische und zyklische Versuche zur Charakterisierung des Werkstoffverhaltens (Quelle: FKM Sintertechnik GmbH)

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Die Probenfertigung erfolgt mit einem von FKM optimierten Parametersatz für den Werkstoff AlSi10Mg, wobei zunächst die Kontur und anschließend der Kernbereich mäanderförmig mit Rotation zwischen den einzelnen 40 μm dicken Schichten belichtet werden. Lichtmikroskopisch sind bereits unterschiedliche Gefügeausprägungen zu erkennen, Abbildung 10. Die Struktur des Kernbereichs lässt auf eine schichtweise rotierende mäanderförmige Belichtung dieses Bereiches schließen. Der Randbereich ist von Poren durchzogen. Zudem ist der Übergang vom Rand zum Kern anhand des Gefügeüberganges zu erkennen.

Abbildung 10: Mikrostruktur der gedruckten AlSi10Mg Proben Aufgrund der unterschiedlichen Mikrostruktur stellt der Übergang vom Konturgefüge zum Kerngefüge eine metallurgische Kerbe dar. Diese kann zu einer lokalen Beanspruchungsüberhöhung führen, die in additiv gefertigten Strukturen und Bauteilen ebenfalls enthalten ist. Ein digitaler Zwilling, der das Werkstoffverhalten beschreibt, muss die Fähigkeit besitzen, auch diese mikrostrukturelle Besonderheit des selektiven Laserschmelzens im Pulverbettverfahren LPBF berücksichtigen zu können. Hierfür bietet es sich an, anstelle eines infinitesimalen Werkstoffvolumens von einem Strukturelement auszugehen. Dieses beschreibt das Spannungs-Dehnungs-Verhalten auf makroskopischer Ebene als integrale Werte, wohl wissend, dass auf mikrostruktureller Ebene noch eine feinere Unterscheidung möglich ist bzw. Eigenschaftsgradienten vorliegen können. Der digitale Zwilling bildet somit auf makroskopischer Ebene das Verhalten des Strukturelementes ab, das zum einen experimentell bestimmt und zum anderen aus Werkstoffkennwerten – sofern erforderlich – auf mikrostruktureller Ebene abgeleitet werden kann. Die Beschreibung eines Strukturelementes bringt weiterhin den Vorteil, dass auch Proben mit gedruckter Oberfläche, sofern diese mit Blick auf die Reproduzierbarkeit ausreichend genau beschrieben werden kann, zur experimentellen Bestimmung von Strukturelement-Kennwerten für das zyklische Verhalten verwendet werden können, so dass kein weiterer Faktor zur Berücksichtigung des Oberflächeneinflusses erforderlich ist. Dementsprechend sind im Folgenden die Spannungen und Dehnungen als lokale Beanspruchungen des Strukturelementes aufzufassen. Die Oberfläche wird nicht abgetragen, sondern liegt im gedruckten Zustand vor. Sofern Stützstrukturen zum

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Bauen der Proben erforderlich sind, werden diese mechanisch entfernt. Die Oberfläche wird anschließend in diesen Bereichen nicht poliert, um möglichst gut den Oberflächenzustand der späteren Strukturen abbilden zu können.

9 Prüftechnik Die zyklischen Versuche werden mit einem am Fraunhofer LBF entwickelten E-ZylinderPrüfsystem durchgeführt. Der E-Zylinder wurde eigens für dehnungs-geregelte zyklische Versuche ausgelegt und ermöglicht die Schwingfestigkeitsuntersuchung bei vorgegebenen Beanspruchungen sowohl mit konstanten als auch variablen Amplituden. Die Dehnungsmessung erfolgt mittels eines Extensometers und wird in die Regelung des Prüfsystems rückgekoppelt. Um ein Ausknicken der Proben unter Druckbelastung zu vermeiden, wird eine Knickstütze eingesetzt. Die Versuchseinrichtung ist in Abbildung 11 abgebildet.

Abbildung 11: E-Zylinder-Prüfsystem und Probeneinspannung mit Probe, Knickstütze und Extensometer

9.1 Beanspruchungszeitfunktion Zur Ermittlung des zyklischen Spannungs-Dehnungs-Verhaltens bzw. der Einflüsse auf dieses wird der Incremental Step Test [21], dessen Beanspruchungszeitfunktion in Abbildung 12 abgebildet wird, eingesetzt. Die Zyklen zwischen zwei Maxima repräsentieren einen Block. Wird der Versuch mit der maximalen Dehnungsamplitude begonnen, so kann neben der zyklischen auch die zügige Spannungs-Dehnungskurve ermittelt werden. Nach der Erstbelastung wird die Amplitude um ein Inkrement von 5% des Kollektivhöchstwertes von Umkehrpunkt zu Umkehrpunkt reduziert, d. h. die Amplitude wird eingewickelt. Anschließend wird die Dehnungsamplitude um das gleiche Inkrement vergrößert bzw. die Dehnungsamplitude ausgewickelt. Der Incremental Step Test ermöglicht die experimentelle Bestimmung der zyklischen SpannungsDehnungskurve mit nur einem Versuch. Die Auswertung kann bei bimodularem Werkstoffverhalten zudem getrennt für die Zug-Beanspruchung, 1. Quadrant des Spannungs-Dehnungs-Diagramms, und die Druck-Beanspruchung, 3. Quadrant, erfolgen. Aufgrund der BeanspruchungsZeit-Funktion sind gewöhnlicher Weise keine Mittelspannungen festzustellen, so dass die Umkehrpunkte die zyklische Spannungs-Dehnungs-Kurve beschreiben. Weiterhin wird in [22, 23]

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gezeigt, dass das modellierte Werkstoffverhalten dem Werkstoffverhalten unter variablen Betriebslasten besser entspricht als das aus den dehnungsgeregelten Wöhlerversuchen abgeleitete Spannungs-Dehnungs-Verhalten.

a)

b)

c)

Abbildung 12: Beanspruchungszeitfunktion des Incremental Step Tests [24] (a), Maximalspannungshistorie (b) und Umkehrpunkte mit Hystereseschleife von einem Block (c) Um den Einfluss des Kollektivhöchstwertes auf das Spannungs-Dehnungs-Verhalten untersuchen zu können, werden die Incremental Step Tests je Probenvariation mit den Dehnungsamplituden εa,t = 0,8%, 0,6% und 0,4% bis zum Versagen durchgeführt. Die Auswertung des Spannungs-Dehnungs-Verhaltens erfolgt anhand des sogenannten stabilisierten Blocks bei halber Anrissschwingspielzahl Ni, die durch einen Abfall der Spannungsamplitude bei maximaler Dehnungsamplitude von 10% definiert ist. Die Umkehrpunkte, Abbildung 12b, des stabilisierten Blocks werden verwendet, um die zyklische Spannungs-DehnungsKurve nach Ramberg-Osgood [25] mittels linearer Regression abzuleiten. Das zyklische Spannungs-Dehnungs-Verhalten des Werkstoffes ist die Grundlage für die numerische Beanspruchungssimulation von Bauteilen und repräsentiert den Ausgangspunkt für eine Bewertung mit elastisch- plastischen Ansätzen bei einem werkstoffbasierten Ermüdungsansatz [26].

10 Zyklisches Werkstoffverhalten Aufgrund der Variationsmöglichkeiten von Baurichtung zur Beanspruchungsrichtung wird das Koordinatensystem nach Abbildung 13 zur einheitlichen Kennzeichnung verwendet. Dabei entsprechen die Z-Richtung der Baurichtung und die X-Richtung der Pulverauftragsrichtung. Bei den Z-Proben sind Baurichtung und Beanspruchungsrichtung identisch, während bei X-Proben die Baurichtung senkrecht zur Beanspruchungsrichtung ist. Die XZ-Proben liegen unter einem Azimutwinkel von θ=45° in der XZ-Ebene.

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Abbildung 13: Koordinatensystem

11 AlSi10Mg 11.1 As-built-Zustand und Glühen Grundlage einer jeden Beanspruchungsanalyse bildet das Spannungs-Dehnungs-Verhalten. Dieses kann abhängig von der maximalen Beanspruchung sein. Neben den transienten Werkstoffeffekten, d. h. zyklische Ver- oder Entfestigung, ist auch der Übergangspunkt von elastischem ins elastisch-plastische Werkstoffverhalten von Interesse, um ggf. den Berechnungsaufwand deutlich reduzieren zu können. In den Abbildungen 14 und 15 sind die resultierenden zyklisch stabilisierten Spannungs-Dehnungskurven, die definitionsgemäß bei halber Anrissschwingspielzahl abgeleitet worden sind, für den Werkstoffzustand direkt nach dem Drucken („as-built“) und nach der standardmäßigen Wärmebehandlung („geglüht“), dargestellt. Gebaut wurden diese Proben in Beanspruchungsrichtung, also in Z-Richtung. Bei Beanspruchung mit maximal εa,t = 0,8%, εa,t = 0,6% und εa,t = 0,4% Gesamtdehnung tritt elastisch-plastisches Spannungs-Dehnungs-Verhalten auf. Eine Ausnahme bildet der as-built Zustand bei εa,t = 0,4%, Abbildung 15. Bei einer Probendicke von t = 2 mm ist das Werkstoffverhalten makroskopische elastisch und bei einer Dicke von t = 3 mm sind die höchsten Beanspruchungen im Übergangsbereich vom makroskopisch elastischem ins elastisch-plastische Spannungs-Dehnungs-Verhalten. Bei einer maximalen Beanspruchungsamplitude von εa,t = 0,8% ist das Werkstoffverhalten unabhängig von der Probendicke, Abbildung 14. Das Glühen führt jedoch zu einer Reduktion der Spannungsamplitude von ca. 40MPa beim Kollektivhöchstwert. Wird die maximale Beanspruchungsamplitude auf εa,t = 0,6% gesenkt, so unterscheidet sich das Spannungs-Dehnungs-Verhalten für den as-built-Zustand im Zug- und Druckbereich etwas. Einen Einfluss der Probendicke kann für diesen Zustand nicht festgestellt werden. Nach dem Glühen hingegen, werden für die Probendicke t = 3 mm im Vergleich zu den t = 2 mm dicken Proben etwa 5% höhere Spannungsamplituden benötigt, um die gleiche Dehnung einzustellen. Bei beiden Dicken ist das Werkstoffverhalten im Zug- als auch im Druckbereich gleich.

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Abbildung 14: Zyklische Spannungs-Dehnungskurven für die maximalen Beanspruchungen εa,t,max = 0,8% und 0,6%

Abbildung 15: Zyklische Spannungs-Dehnungskurven für die maximalen Beanspruchungen εa,t,max = 0,4% mit zugehörigem Lebensdauer-Diagramm für εa,t,max = 0,8%, 0,6% und 0,4% Weist das resultierende Gefüge keine Ungänzen wie Poren auf, so fallen die Lebensdauern unabhängig von der Probendicke bzw. der Wärmebehandlung in ein gemeinsames Streuband.

11.2 Anisotropie Der Fertigungsprozess der additiven Fertigung bietet die Möglichkeit einer gerichteten Erstarrung. Je nach Werkstoff kann es zu einer Vorzugsrichtung bei der Erstarrung und somit deutlichen richtungsabhängigen Ausprägung der Werkstoffeigenschaften kommen. Dabei ist zu beachten, dass neben den Fertigungsparametern auch die Belastungshistorie sowie der Kollektivhöchstwert das zyklische Werkstoffverhalten beeinflussen können. Daher werden in Abbildung 16 die zyklisch stabilisierten Dehngrenzen verglichen.

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Abbildung 16: Zyklische Dehngrenze für unterschiedliche Fertigungsparameter und Kollektivhöchstwerte bei halber Anrissschwingspielzahl Für den geglühten Werkstoffzustand ist das zyklisch stabilisierte Werkstoffverhalten unabhängig vom Kollektivhöchstwert. Für die t = 2mm dicken Proben liegt der Mittelwert der zyklischen Dehngrenzen bei Rp0,2‘ = 199MPa mit einer Standardabweichung von σ = 3,5MPa. Für die t = 3mm dicken Proben stellt sich ein Mittelwert von Rp0,2‘ = 206MPa mit einer Standardabweichung von σ = 4,9MPa ein. Im as-built Zustand hingegen hängt das resultierende Spannungs-Dehnungs-Verhalten von der Baurichtung bzw. von der Belastungsrichtung ab. Aufgrund des zyklisch entfestigenden Werkstoffverhaltens werden bei dem Kollektivhöchstwert von εa,t = 0,4% die höchsten Festigkeiten erzielt. Mit zunehmendem Kollektivhöchstwert nimmt die zyklische Entfestigung zu und somit die resultierende Festigkeit bei gleicher Dehnungsamplitude ab, so dass für eine maximale Beanspruchung mit εa,t = 0,8% die geringsten zyklischen Festigkeiten erzielt werden. Zudem ist die Belastungsrichtung zu beachten. Bei einer maximalen Beanspruchung mit εa,t = 0,8% unterscheidet sich das Spannungs-Dehnungs-Verhalten unter Zug- und Druck-Beanspruchung im as-built Zustand, Abbildung 17. Für die X- und Y-Baurichtung sind diese Unterschiede am stärksten ausgeprägt, wohingegen in ZBaurichtung fast gleiches Werkstoffverhalten vorliegt. Unter reduzierter Beanspruchung, εa,t = 0,6%, nähert sich das Spannungs-Dehnungs-Verhalten im Zug- und Druckbereich an, wobei die Y-Baurichtung eine Ausnahme bildet. Unter dieser Beanspruchungsrichtung verfügt der AlSi10Mg über die geringste Festigkeit. X- und Z-Baurichtung sind festigkeitsmäßig gleich zu bewerten, während sich unter XZ-Baurichtung die höchste Festigkeit einstellt.

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Abbildung 17: Zyklisches Spannungs-Dehnungsverhalten für die Probendicke t = 2 mm und maximale Beanspruchungen εa,t,max = 0,8%, 0,6% und 0,4% für den as-built Zustand, sowie für die Probendicke t = 3mm bei εa,t,max = 0,6% für den geglühten Zustand Bei einem Kollektivhöchstwert von εa,t = 0,4% sind zwei Fälle zu unterscheiden. Im ersten Fall, X- und Y-Baurichtung, ist das Werkstoffverhalten elastisch-plastisch bei gleicher Festigkeit. Im zweiten Fall, XZ- und Z-Baurichtung, zeigt AlSi10Mg makroskopisch elastisches Werkstoffverhalten, wobei wiederum bei XZ-Baurichtung die höchste Festigkeit erreicht wird. Zum Vergleich ist in Abbildung 17 noch das zyklisch stabilisierte Werkstoffverhalten für den geglühten Werkstoffzustand bei t = 3mm Dicke und einem Kollektivhöchstwert von εa,t = 0,6% dargestellt. Hier ist weder ein Unterschied zwischen Zug- und Druck-Verhalten noch eine Richtungsabhängigkeit zu erkennen. Insgesamt scheint der Einfluss der Probendicke beim AlSi10Mg von untergeordneter Bedeutung zu sein.

12 Inconel 718 Nach dem Entfernen von der Bauplattform werden die Proben in einem Ultraschallbad gereinigt und anschließend spannungsarmgeglüht, d. h. in etwa 9h langsam mit 2 Haltestufen bei 250°C und 500°C auf 650°C aufgeheizt, 2h isotherm gehalten, in 4h auf 250°C und gefolgt von einer schnellen Gasabkühlung auf Raumtemperatur abgekühlt. Ein Teil der Proben wird zusätzlich mit

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Zirkoniumdioxid einer mittleren Partikelgröße von 250 μm gestrahlt, bevor die Incremental Step Tests mit maximalen Beanspruchungsamplituden von εa,t = 0,4%, εa,t = 0,6% und εa,t = 0,8% durchgeführt werden. In Abbildung 18 ist ein Beispiel dargestellt, wie sich die Umkehrpunkte während des Versuches verändern. Für jedes der Diagramme, die den drei maximalen Gesamtdehnungen entsprechen, repräsentieren die roten, grünen und braunen Punkte die Umkehrpunkte eines Blockes für den ersten, den stabilisierten und den letzten Block.

Abbildung 18: Umkehrpunkte aus dem ersten, dem stabilisierten und dem letzten Block für die Baurichtung XZ mit Stützstruktur Bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4% ist das Spannungs-Dehnungs-Verhalten makroskopisch elastisch und wird nicht durch transiente Effekte beeinflusst. Die von den Umkehrpunkten beschriebene Spannungs-Dehnungs-Kurve verläuft jedoch nicht durch den Koordinatenursprung, so dass auf vorliegende Mittelspannungen geschlossen werden kann. Mit Steigerung der maximalen Beanspruchung auf εa,t = 0,6% nimmt diese Mittelspannung ab und ist bei εa,t = 0,8% nicht mehr feststellbar. Dieses Verhalten wird durch transiente Effekte während der Erstbelastung sowie dem Memory- und Masing-Verhalten beim Auftreten von plastischen Dehnungsanteilen in der Gesamtdehnung bedingt. Diese führen zu einer Entfestigung des Werkstoffs unter zyklischer Beanspruchung.

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Im Folgenden wird das zyklische Werkstoffverhalten des additiv gefertigten Inconel 718 bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4% detailliert analysiert. Die (elastische) stabilisierte zyklische Spannungs-Dehnungs-Kurve wird ausgewertet, die Ergebnisse werden hinsichtlich Mittelspannung, E-Modul und Anrissschwingspielzahl grafisch in Abbildung 19 verglichen und in Tabelle 2 zusammengefasst.

Abbildung 19: Zyklische Spannungs-Dehnungskurve bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4% bei halber Anrissschwingspielzahl Ergebnisse der Versuche bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4% σ Aufbaurichtung Konfiguration gestrahlt/ungestrahlt m E [GPa]Ni [MPa] B (nat./poliert) ungestrahlt 380 188 16.320 ungestrahlt -12 147 40.800 C X (poliert/Stützstr.) gestrahlt 435 155 4.720 S (poliert) 1 184 115.040 D (natur) gestrahlt 34 168 46.720 Z S (poliert) -9 168 45.200 ungestrahlt -93 198 20.160 E (nat./Stützstr.) gestrahlt -56 202 24.400 XZ S (poliert) 54 219 33.600

Tabelle 2:

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12.1 Mittelspannungen Die durch die Umkehrpunkte beschriebene Spannungs-Dehnungs-Kurve verläuft nicht zwangsläufig durch den Ursprung, Abbildung 20. Hier wird gezeigt, dass sich Mittelspannungen hauptsächlich bei Proben mit einer X-Aufbaurichtung einstellen. Die Ursache für dieses Verhalten hängt von mehreren Einflussfaktoren ab. Zum einen werden aufgrund der Baurichtung entlang der gesamten Unterseite Stützstrukturen zum Aufbau der Probe verwendet. Nach der mechanischen Entfernung dieser Stützstrukturen ist die Kontur unregelmäßig und weist geometrische Kerben auf. Das Abtragen bzw. Einebnen der Oberfläche hilft nur bedingt, da sich das Zusatzmaterial der Stützstruktur auf die lokalen Abkühlraten auswirken und somit das resultierende Gefüge sowie das Werkstoffverhalten beeinflussen kann. Eine dezidierte Validierung steht derzeit noch aus. Zudem kann es in Folge der unterschiedlichen Abkühlraten nach dem Abtrennen der Proben im as-built Zustand von der Bauplattform zum Probenverzug kommen. Demzufolge müssen beim Aufbau der Proben Eigenspannungen induziert worden sein, die nach dem Lösen der Fesselung, d. h. dem Entfernen der starren Anbindung an die Bauplattform, durch Verformung ausgeglichen werden. Bekannt ist der Einfluss der Abkühlreihenfolge in Abhängigkeit der Belichtungsstrategie auf die Entstehung von Eigenspannung unter dem Begriff des Curlings. Aufgrund der Überlagerung einer Vielzahl an Einflüssen auf das zyklische Spannungs-Dehnungs-Verhalten in X-Baurichtung ist dieses Phänomen bislang nicht quantifizierbar.

Abbildung 20: Mittelspannungen für Versuche bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4%

12.2 E-Modul bzw. Steifigkeit Der aus den Versuchen abgeleitete bzw. berechnete Elastizitätsmodul des Werkstoffes liegt zwischen einem Minimum von E = 147GPa und einem Maximum von E = 219GPa, Abbildung 21. Die XZ-Proben haben den höchsten E-Modul mit 198GPa ≤ E ≤ 219GPa, während dieser für die Z-Proben geringer, aber unabhängig von der mechanischen Nachbehandlung stabil bei

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E = 168GPa ist. Für die X-Proben werden die Ergebnisse wiederum von mehreren Faktoren beeinflusst, so dass der E-Modul zwischen E = 147GPa und E = 184GPa variiert.

Abbildung 21: Ermittelte E-Moduln für Proben bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4% Die X-Proben mit ungestrahlten Stützstrukturen (Konfiguration C) zeigt den geringsten E-Modul von E = 147GPa, was sich auf die gegenüber dem Vollmaterial geänderten Mikrostrukturen und Wärmegradienten an den Stützstrukturanhaftungen zurückführen lässt. Dieser ändert sich durch das Strahlen nur unwesentlich zu E = 155GPa. Kann der Einfluss der Stützstruktur durch allseitiges, vollständiges Abtragen der gedruckten Oberfläche im Bereich des untersuchten Werkstoffvolumens ausgeschlossen werden, so steigt der E- Modul auf etwa E = 184GPa an, welcher als Referenzwert des inneren AM-Werkstoffes in X-Richtung betrachtet werden kann.

12.3 Lebensdauer Neben dem Spannungs-Dehnungs-Verhalten wird für eine Lebensdauerabschätzung von zyklisch beanspruchten Strukturen noch der Zusammenhang von Beanspruchung und resultierender Lebensdauer benötigt. Für eine maximale Gesamtdehnung von εa,t = 0,4% ergeben sich im Incremental Step Test die Anrissschwingspielzahlen nach Abbildung 22.

Abbildung 22: Lebensdauern für Proben bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4%

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Bei der X-Baurichtung ist deutlich der Einfluss der Fertigungsparameter zu erkennen. Führen diese zu einer intrinsischen Überlagerung von Zugmittelspannungen, so fällt die resultierende Lebensdauer geringer aus als ohne Zugmittelspannungen. Die größten Lebensdauern werden für Proben aus Kernwerkstoff im polierten Zustand erzielt. Dies bedeutet, dass Oberflächen und Randschichten bei der Betriebsfestigkeit von additiv gefertigten Strukturen und Bauteilen besondere Aufmerksamkeit zu teil werden müssen, damit das Festigkeitspotential des Inconel 718 im Sinne des Leichtbaus ausgeschöpft werden kann. Weiterhin wird hier deutlich, dass bei der verkürzten Prozesskette der additiven Fertigung im Vergleich zu subtraktiven Fertigungsprozessen der Einfluss jedes Fertigungsschrittes auf das Werkstoff- bzw. Bauteilverhalten unter Betriebsbeanspruchung quantifizierbar sein muss, um diesen bei der Bemessung berücksichtigen zu können, damit mögliche Ausfälle im Betrieb vermieden werden.

13 Schlussfolgerungen Für sicherheitsrelevante Bauteile ist eine zuverlässige Bemessung von additiv gefertigten Bauteilen unumgänglich. Aufgrund der vielfältigen Einflussgrößen und des anisotropen Strukturverhaltens ist jedoch eine Übertragung bisher bekannter Vorgehensweisen nicht trivial. Werden die Einflussgrößen jedoch verstanden und sind beschreibbar, so können diese Erkenntnisse in der Konstruktion und in der Produktionsstrategie, hier insbesondere im LPBF Prozess, für bessere Strukturen im Sinne der Betriebsfestigkeit eingesetzt werden. Es wurden unterschiedliche auftretende Herausforderungen aufgezeigt. Aufgrund der unterschiedlichen Mikrostruktur stellt der Übergang vom Konturgefüge zum Kerngefüge eine metallurgische Kerbe dar. Diese kann zu einer lokalen Beanspruchungsüberhöhung führen. Zur Berücksichtigung dieser mikrostrukturellen Besonderheit bietet sich an, anstelle eines infinitesimalen Werkstoffvolumens ein Strukturelement zu betrachten. Dieses beschreibt das Spannungs-Dehnungs-Verhalten auf makroskopischer Ebene als integralen Wert, wohl wissend, dass auf mikrostruktureller Ebene eine noch feinere Unterscheidung möglich ist bzw. Eigenschaftsgradienten vorliegen können. Die additive Fertigung, im Speziellen das Selektive Laserschmelzen im Pulverbettverfahren LPBF bietet neben der Gestaltungsfreiheit auch ein Festigkeitspotential, dass es im Sinne des Leichtbaus auszuschöpfen gilt. Aufgrund der Fertigungstechnologie mit der möglichen Vorzugsrichtung der Körner bei der Erstarrung kann anisotropes Werkstoffverhalten nicht ausgeschlossen, jedoch durch eine anschließende Wärmebehandlung deutlich reduziert werden. Dieser Ausgleichsvorgang geht jedoch zu Lasten der Festigkeit. Soll das Festigkeitspotential ausgenutzt werden, so ist es bei einem digitalen Zwilling als Grundlage für eine Beanspruchungsanalyse nicht ausreichend, nur einen Werkstoffzustand zu beschreiben. Vielmehr ist es zwingend erforderlich, neben der prozessbedingten Betriebsfestigkeit, beeinflusst durch die Fertigungsparameter, auch die Beanspruchungshistorie zu berücksichtigen. Dies erfordert bei der Konstruktion ein Umdenken, sofern das Festigkeitspotential von additiv gefertigten Strukturen ausgeschöpft werden soll.

Danksagung Die diesem Bericht zugrundeliegenden Forschungs- und Entwicklungsprojekte werden mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) innerhalb des Technologieprogramms "PAiCE Digitale Technologien für die Wirtschaft" (Projekt VariKa) und mit Mitteln

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des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb des Themenfeldes “Additive Fertigung – Individualisierte Produkte, komplexe Massenprodukte, innovatiove Materialien” (ProMat_3D-Projekt BadgeB) gefördert. VariKa („Vernetztes Produkt- und ProduktionsEngineering am Beispiel VarIantenreicher, ultraleichter, metallischer FahrzeugKarosserien“) wird vom Projektträger „Gesellschaft, Innovation, Technologie – Informationstechnologien/Elektromobilität“ im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Köln, und BadgeB („Betriebsfestigkeit additiv gefertigter Bauteile) vom “Projektträger Karlsruhe – Produktion und Fertigungs-technologien” betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

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Quantitative Untersuchungen der statischen und zyklischen Festigkeitseigenschaften von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg M. Hankelea,b, M. Werzb, S. Weihea,b a) Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart (MPA) b) Institut für Materialprüfung, Werkstoffkunde und Festigkeitslehre (IMWF), Universität Stuttgart

Zusammenfassung Additive Fertigungsverfahren, wie das selektive Laserstrahlschmelzen, werden in der industriellen Praxis heutzutage hauptsächlich bei der Herstellung von komplexen Einzelteilen sowie bei der Fertigung von Prototypen eingesetzt. Das selektive Laserstrahlschmelzen besticht dabei durch seine Geometrie- und Gestaltungsfreiheit und ermöglicht somit, neue Wege in der Konstruktion von hochkomplexen und bionisch optimierten Leichtbauteilen zu gehen. Allerdings kommt das selektive Laserstrahlschmelzen bei der Fertigung von hochbeanspruchten Leichtbauteilen in sicherheitskritischen Anwendungsbereichen heutzutage noch nicht zum Einsatz. Ein Grund dafür ist das Fehlen von statistisch belastbaren Festigkeitskennwerten bzw. reproduzierbaren Festigkeitseigenschaften. Hierfür muss vor allem die Auswirkung unterschiedlicher, mittelbar wirkender Einflussfaktoren und Störgrößen auf die Festigkeits- und Verformungseigenschaften untersucht werden. Da Bauteile häufig einer zyklischen Belastung unterliegen und additiv gefertigte Bauteile aufgrund der Prozesscharakteristik eine schlechte Oberflächenqualität aufweisen, muss zudem der Einfluss von Oberflächennachbehandlungsverfahren bzw. der resultierenden Oberflächenzustände auf die Schwingfestigkeit bekannt sein. Ziel dieser Arbeit ist es daher, die statischen und zyklischen Festigkeits- und Verformungseigenschaften von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg in Abhängigkeit verschiedener Einflussfaktoren zu ermitteln. Hierfür wird in dieser Arbeit der Einfluss der Probengröße und der Probenanordnung auf der Bauplattform auf die Zugfestigkeit und Bruchdehnung betrachtet. Eine weitere Untersuchung befasst sich mit dem Einfluss von Oberflächennachbehandlungsverfahren auf die erzielbare Oberflächenqualität und damit verbunden auf die zyklischen Eigenschaften. Zusätzlich wird der Einfluss entsprechender Verschmutzungen des Laserschutzglases auf die Festigkeits- und Verformungseigenschaften des damit erzeugten Werkstoffs untersucht.

Stichwörter: Selektives Laserstrahlschmelzen, AlSi10Mg, Festigkeitseigenschaften, Größeneinfluss, Oberflächennachbehandlung © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_8

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Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

1 Einleitung Pulverbettbasierte additive Fertigungsverfahren, wie das selektive Laserstrahlschmelzen, kommen heutzutage hauptsächlich zur Fertigung von hochkomplexen metallischen Bauteilen und strukturoptimierten Leichtbauteilen im Prototypenbau und der Einzelteil- bzw. Kleinserienfertigung zum Einsatz. Aufgrund der durch die Prozesscharakteristik bedingten Geometriefreiheit ermöglicht hierbei der Einsatz von additiven Fertigungsverfahren, neue Wege in der Entwicklung und Konstruktion von komplexen hochbeanspruchten Bauteilen und bionisch optimierten Leichtbauteilen zu gehen. Aktuell finden jedoch mit dem selektiven Laserstrahlschmelzen hergestellte Bauteile in sicherheitskritischen Bereichen keine nennenswerte Verwendung. Bei Verwendung der additiven Fertigungstechnologie werden die Bauteile durch selektives Aufschmelzen des Metallpulvers in einem Pulverbett schichtweise durch einen fokussierten hochenergetischen Laserstrahl hergestellt. Die Werkstoffeigenschaften resultieren beim selektiven Laserstrahlschmelzen aus den prozessbedingten Erstarrungsvorgängen aus dem aufgeschmolzenen Pulver sowie den nachfolgenden Temperaturzyklen. Bedingt durch die komplexe, transiente Interaktion von Laser, Pulver und Prozessparameter und der daraus resultierenden Schmelzbaddynamik kommt es beim selektiven Laserstrahlschmelzen typischerweise zur prozessbedingten Bildung von mikroskopischen Fehlstellen. Dies sind z. B. Poren im Gefüge. Zudem kann es je nach Wahl der Prozessparameter zu makroskopischen Bindefehlern zwischen einzelnen Schichten kommen. Somit hängen die resultierenden Festigkeits- und Verformungseigenschaften der additiv gefertigten Bauteile stark von den gewählten Prozessparametern, wie beispielsweise der Laserleistung Pl, der Scangeschwindigkeit vs oder der Orientierung der Bauteile im Bauraum, ab. Daher ist die Untersuchung der statischen und zyklischen Festigkeitseigenschaften, in Abhängigkeit von unterschiedlich gewählten Prozessparametern, bereits zentraler Gegenstand der aktuellen Forschung [1–8]. Für die Gewährleistung einer sicheren Auslegung und eines sicheren Betriebs hochbeanspruchter additiv gefertigter Bauteile werden somit statistisch belastbare Werkstoffkennwerte bzw. reproduzierbare Festigkeitskennwerte benötigt. Hierzu ist vor allem noch nicht bekannt, welchen Einfluss unterschiedlich große Probenquerschnitte auf die statischen Festigkeitseigenschaften beim selektiven Laserstrahlschmelzen haben. Wird das additiv gefertigte Bauteil zudem einer zyklischen Belastung unterzogen, muss zusätzlich der Oberflächeneinfluss auf die zyklischen Eigenschaften der Bauteile bei der Auslegung berücksichtigt werden. Hierbei muss vor allem beachtet werden, dass additiv gefertigte Bauteile aufgrund der Prozesscharakteristik eine schlechtere Oberflächenqualität als die meisten hochbeanspruchten, konventionell hergestellte Bauteile aufweisen, was wiederum einen negativen Einfluss auf die Lebensdauer hat. Dem negativen Einfluss der hohen Oberflächenrauheit auf die Lebensdauer der Bauteile kann durch eine Anpassung der Dimensionierung entgegengewirkt werden. Dies geht allerdings mit einer Zunahme des verarbeiteten Werkstoffvolumens einher, wodurch die Material- und Fertigungskosten deutlich erhöht werden. Durch eine solche Lösung werden die Chancen bzw. Vorteile der additiven Fertigung, wie beispielsweise leichtbau- bzw. strukturoptimierte Bauteile, zunichtegemacht. Daher ist das Bestreben, die Schwingfestigkeit – und damit einhergehend die Lebensdauer – von additiv gefertigten Bauteilen durch eine verbesserte Oberflächenqualität zu erhöhen. Um dies zu erreichen, werden die Bauteile im Anschluss an den Fertigungsprozess einer Nachbehandlung unterzogen. Beispielsweise werden für die Nachbehandlung spanende oder elektrochemische Prozesse verwendet. Bei der Wahl des Oberflächennachbehandlungsverfahrens ist neben den unterschiedlichen Auswirkungen auf die Schwingfestigkeit auch zu beachten, dass bestimmte Nachbehandlungsverfahren aufgrund ihrer Zugänglichkeitsanforderungen die Vorteile der Konstruktionsfreiheit und Funktionsintegration zunichtemachen können.

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

129

Ziel dieser Arbeit ist daher die Ermittlung und statistische Auswertung von statischen und zyklischen Festigkeitskennwerten von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg. Hierbei wird der Einfluss der Probengröße auf die statischen Festigkeitskennwerte untersucht. Zudem wird auch ein besonderer Fokus auf die Streuung der gemessenen Kennwerte gelegt, da neben dem Mittelwert auch die Streuung einen Einfluss auf die Ausfallwahrscheinlichkeiten von Bauteilen bzw. Proben hat. Darüber hinaus wird der Einfluss unterschiedlicher Nachbehandlungsverfahren auf die Oberflächenqualität und die Schwingfestigkeit quantifiziert. Insbesondere wird in den Untersuchungen die Auswirkung des Zustandes des in der Produktionsanlage eingebauten Laserschutzglases auf die Festigkeits- und Verformungseigenschaften des erzeugten Werkstoffs betrachtet.

2 Einflüsse auf die Festigkeit von additiv gefertigten Proben 2.1 Statische Festigkeitsuntersuchungen In der Literatur wird bereits ausführlich der Einfluss der Prozessparameter des selektiven Laserstrahlschmelzens auf das Prozessergebnis und damit verbunden, auf die Festigkeits- und Verformungseigenschaften diskutiert. So haben beispielsweise die Prozessparameter Laserleistung Pl, Scangeschwindigkeit vs und Spurabstand Δys einen Einfluss auf die Dichte und Härte von additiv gefertigten Proben [1, 2]. Die erzielbaren statischen Festigkeits- und Verformungskennwerte werden durch die gewählte Aufbaurichtung [2–4, 8], Vorwärmtemperatur [2] und nachfolgende Wärmebehandlung [2, 9–11] beeinflusst. Die Zugfestigkeit von AlSi10Mg ist stark von der Aufbaurichtung abhängig. In verschiedenen Untersuchungen wurde daher der Einfluss der Aufbaurichtungen 0° (stehend), 45° und 90° (liegend) auf die Zugfestigkeit ermittelt. Es zeigte sich hierbei, dass die niedrigsten Zugfestigkeiten bei einer Aufbaurichtung von 0° – und damit bei einer zur Zugrichtung senkrecht angeordneten Schichtorientierung – erzielt werden [1–3]. Generell können aber für additiv gefertigte Zugproben aus AlSi10Mg bei den Aufbaurichtungen 0°, 45° und 90° höhere Zugfestigkeiten im Vergleich zu druckgegossenen AlSi10Mg-Proben erzielt werden [1–3, 5]. Auch bei der Bruchdehnung lässt sich eine Abhängigkeit von der Aufbaurichtung erkennen. Hierbei weisen Zugproben bei einer stehenden Aufbaurichtung die geringsten Bruchdehnungen auf [2, 3, 9]. Auch Untersuchungen zum Bruchverhalten bzw. der Bruchfläche sind bereits Gegenstand der aktuellen Forschung [2, 3, 5, 6, 10]. Hierbei haben Untersuchungen von Kempen et al. ergeben, dass der Bruch der Probe durch Defekte und Poren am Rand der Probe initiiert wird. Diese bruchverursachenden Poren treten bei Proben mit einer Aufbaurichtung von 0° häufiger auf, als bei liegend hergestellten Proben [3]. Dagegen führen Read et al. in ihren Untersuchungen von gebrochen Zugproben auf, dass nicht verschmolzene Bereiche bzw. Bindefehler bruchverursachend sind [5]. Die Ursache für diese nicht verschmolzenen Bereiche ist nach [5] nicht verschmolzenes Pulver, welches, aufgrund einer dicken Oxidschicht, keine vollständige Verschmelzung mit anderen Schichten eingeht. Auch Wei et al. zeigen in ihren Untersuchungen der Bruchfläche additiv gefertigter Zugproben, dass die komplex geformte Bruchfläche durch Poren und nichtverschmolzene Bereiche verursacht wird und diese somit die Festigkeit und Duktilität verringern [6]. Nach [10] weist die Bruchfläche von additiv gefertigten Zugproben, die keiner Wärmebehandlung unterzogen werden, zwei unterschiedliche Morphologien auf. Es konnten zum

130

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

einen Anzeichen eines duktilen Versagens, wie feine Waben, und zum anderen Anzeichen für ein sprödes Versagen, wie regelmäßig gestufte Spaltflächen [10], aufgezeigt werden. Durch eine nachträgliche T6-Wärmebehandlung der Proben verschwindet nach [4] der Einfluss der Aufbaurichtung auf die statischen Festigkeitskennwerte. Allerdings weist die Bruchdehnung weiterhin ein anisotropes Verhalten auf [4]. Weitere Untersuchungen über den Einfluss einer nachträglichen Wärmebehandlung auf die Festigkeits- und Verformungseigenschaften zeigen, dass es bei Anwendung einer nachträglichen Wärmebehandlung zu einer erheblichen Steigerung der Duktilität bei gleichzeitiger Reduktion der Festigkeit kommt [9, 10]. Als Ursache wird hierbei die Vergröberung der feinverteilten Siliziumpartikel, die für die hohen Festigkeiten des "asprinted" Zustands verantwortlich sind, aufgeführt [9, 10]. Die Anisotropie, die durch die unterschiedlichen Aufbaurichtungen verursacht wird, wird auch bei der additiven Fertigung von anderen Werkstoffen, wie beispielweise Ti6Al4V, beobachtet [4, 8].

2.2 Zyklische Festigkeitsuntersuchungen Die zyklische Festigkeit additiv gefertigter Schwingproben wird unter anderem durch die Aufbaurichtung, die Scangeschwindigkeit vs, die Wärmebehandlung und die Oberflächenqualität der Probe beeinflusst [2, 7, 8]. Hierbei zeigt sich, dass die besten zyklischen Festigkeitseigenschaften bei einer Aufbaurichtung von 90° erzielt werden. Proben, die stehend hergestellt werden, weisen die geringsten Schwingfestigkeiten auf [2, 7, 8]. Buchbinder zeigt in seinen Untersuchungen zur zyklischen Festigkeit von additiv gefertigten Schwingroben, dass eine hohe Vorwärmtemperatur die Anisotropie der Schwingfestigkeit signifikant reduziert [2]. Weiter stellt er in seinen Experimenten einen Einfluss der Scangeschwindigkeit vs auf die zyklische Festigkeit fest. Hohe Scangeschwindigkeiten vs führen dabei zu einer größeren Anzahl an Fehlstellen in der Probe, was wiederum in einer niedrigen zyklischen Festigkeit resultiert [2]. Schwingproben, die im "as printed" Zustand geprüft werden, weisen aufgrund der starken Kerbwirkung der Oberfläche eine geringere Schwingfestigkeit im Vergleich zu feingedrehten Schwingproben auf [2]. Mower et al. zeigten in ihren Untersuchungen, dass das mechanische Polieren von additiv gefertigten Schwingproben zu unterschiedlichen Ergebnissen führt [8]. Bei einem Teil der Proben führt die verbesserte Oberfläche aufgrund des mechanischen Polierprozesses zu einer Verbesserung der Schwingfestigkeit [8]. Hierbei befindet sich der Bruchausgang an oberflächennahen Fehlstellen im Probeninneren. Jedoch weist der andere Teil der mechanisch polierten Schwingproben trotz der verbesserten Oberflächenqualität keine Verbesserung der Schwingfestigkeit auf [8]. Eine Erklärung dafür ist, dass sich im gesamten Probenquerschnitt eine große Anzahl von Fehlstellen befinden, die infolge des Polierprozesses an die Probenoberfläche gelangen [8]. Diese Fehlstellen haben aufgrund der zusätzlichen Kerbwirkung einen negativen Einfluss auf die Schwingfestigkeit. Im Allgemeinen können als Bruchursache der Schwingproben Oberflächenfehler sowie Poren, nichtverschmolzene Bereiche und getrennte Siliziumpartikel im Inneren der Probe angenommen werden [7, 8]. Werden additiv gefertigte Proben bei einer während dem Prozess vorherrschenden Vorwärmtemperatur von 300 °C hergestellt und anschließend einer T6-Wärmebehandlung unterzogen, bewirkt dies nach [2] und [7] eine Reduzierung der Anisotropie mit gleichzeitiger Verbesserung der zyklischen Festigkeitseigenschaften.

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

131

3 Versuchsaufbau und -durchführung Für die Untersuchung des Größeneinflusses auf die statischen Festigkeitskennwerte sowie für die Bewertung des Einflusses von Oberflächennachbehandlungsverfahren auf die Schwingfestigkeit wurden Zug- und Schwingproben aus AlSi10Mg verwendet. Diese wurden auf einer selektiven Laserstrahlschmelzmaschine SLM 280 HL der Firma SLM Solutions bei der Audi AG in Ingolstadt gefertigt. Da zum Zeitpunkt der Fertigung von Baujob 1 das Laserschutzglas am Ende des Wartungsintervalls war und es nicht ersichtlich war, ob die stark streuenden Ergebnisse aus Baujob 1 auf den Zustand des Schutzglases oder auf die Anordnung der Proben zurückzuführen ist, wurde ein zweiter Baujob gedruckt. Für Baujob 2, der in einem Abstand von 6 Monaten zu Baujob 1 gefertigt wurde, wurde ein neues Laserschutzglas in der Anlage verbaut sowie die Anordnung der Proben im Schutzgasstrom verändert. Im Gegensetz zu Baujob 2 nimmt bei Baujob 1 die Größe der Zugproben mit der Flussrichtung des Schutzgasstromes zu. In Abbildung 1 wird die Anordnung der Proben auf der Bauplattform des jeweiligen Baujobs sowie die Flussrichtung des Schutzgasstroms in Abhängigkeit der Probenanordnung dargestellt. Die Zugund Schwingproben wurden dabei mit einer Aufbaurichtung von 0° (stehend) angeordnet.

Abbildung 1:

Anordnung der in der Arbeit verwendeten Zug- und Schwingproben auf der Bauplattform in Abhängigkeit der Flussrichtung des Schutzgasstromes [12]

Die verwendeten Prozessparameter, die in Tabelle 1 aufgelistet sind, wurden bei beiden Baujobs identisch gehalten. Allerdings wurde, wie oben bereits erwähnt, vor Baujob 2 das Laserschutzglas der additiven Fertigungsanlage ausgetauscht, das sich zwischen Optik und Bauraum zum Schutz der Linse vor Schmauch und Metalldämpfen befindet. Somit ist der Unterschied zwischen Baujob 1 und Baujob 2 zum einen die Anordnung der Proben auf der Bauplattform in Abhängigkeit von der Flussrichtung des Schutzgasstromes und zum anderen der unterschiedliche Zustand des Laserschutzglases bei den beiden Baujobs. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass bei Baujob 1 ein durch Ablagerungen von Schmauch und Metalldämpfen aus vorrangegangen Baujobs getrübtes Laserschutzglas verwendet wurde, wohingegen beim Fertigen der Proben aus Baujob 2 ein neues Laserschutzglas eingesetzt wurde.

132 Tabelle 1:

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg Prozessparameter für die Herstellung der in der Arbeit verwendeten Zug- und Schwingproben [12] Innenfüllung

Randkontur

Scangeschwindigkeit vs [mm/s]

2262

600

Laserleistung Pl [W]

700

350

Prozessparameter

Schichtstärke Ds [µm]

50

Spurabstand Δys [mm]

0,17

Pulverkörnung [µm]

20-63

Plattformtemperatur Tv [°C]

150

Laserspotdurchmesser ds [µm]

80

Prozessgas

N2

3.1 Ermittlung der statischen Festigkeits- und Verformungskennwerte Additiv gefertigte Bauteile bzw. Proben werden häufig mit einer Randkontur gefertigt, bei der im Vergleich zur Innenfüllung andere Prozessparameter verwendet werden. Je nach Größe der Probe hat diese Randkontur einen unterschiedlich starken Anteil an der gesamten Querschnittsfläche und hat somit einen Einfluss auf das Prozessergebnis. Auch verändert eine größere Probe die Wärmeableitung in das umgebende Pulver. Daher ist ein Ziel der Arbeit die Ermittlung des Einflusses der Größe auf die Festigkeits- und Verformungseigenschaften von additiv gefertigten Proben. Die hierzu benötigten Zugproben orientieren sich in ihren Maßen an der Form A aus DIN 50125 [13]. Es wurden hierbei sieben unterschiedlich große Zugproben untersucht. Die zur Untersuchung des Größeneinflusses verwendeten Zugproben sind in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2:

Größenvergleich der eingesetzten Zugproben

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

133

Für eine statistische Absicherung der Ergebnisse wurden je Probengröße mindestens 25 Zugversuche durchgeführt. Wie oben erwähnt, werden Festigkeits- und Verformungskennwerte für unterschiedlich große Zugproben aus zwei verschiedenen Baujobs ermittelt. Es ist hierbei zu beachten, dass zum einen Zugversuche an Zugproben durchgeführt werden, deren Probendurchmesser d0 in Richtung der Schutzgasstromrichtung zunehmen (Baujob 1). Zum anderen werden für diese Untersuchung Festigkeitskennwerte an Zugproben ermittelt, bei denen die Reihen der Zugproben mit jeweils einer Probengröße parallel zum Schutzgasstrom angeordnet sind (Baujob 2). Die Zugversuche wurden nach DIN EN ISO 6892-1 auf einer Zugprüfmaschine Zwick/Roell Z 100 durchgeführt [14].

3.2 Fraktografische Untersuchung Da die Bruchflächen der Proben aus Baujob 1 im Gegensatz zu den Proben aus Baujob 2 auffällig oft metallisch glänzende Stellen aufweisen, die als Bindefehler zu interpretieren sind, werden für die Proben dieses Baujobs zusätzlich fraktografische Untersuchungen durchgeführt. Hierfür wird anhand einer umfassenden Analyse der Bruchfläche die Abhängigkeit der Zugfestigkeit Rm vom Anteil der fehlerbehafteten Fläche aFehler untersucht. Der Anteil der fehlerbehafteten Fläche aFehler wird hierbei nach folgender Formel berechnet:

A aFehler = Fehler Ages

(1)

Die Fehlerfläche AFehler ergibt sich hierfür aus makroskopischen Poren und nicht verschmolzenen Bereichen. Zur Bestimmung der Fehlerfläche AFehler werden Bilder mittels einer Fotokamera mit Makroobjektiv von der Bruchfläche aufgenommen. Anschließend wird das Bild der Bruchfläche in ein Graubild umgewandelt und die Fehlerfläche mit der Software ImageJ ausgewertet. Zur Bestimmung der Fehlerfläche wird die Bruchfläche in drei unterschiedliche Bereiche eingeteilt [15]: •

Bereich 1: eigentliche Bruchfläche (enthält überwiegend Poren als Fehler)



Bereich 2: Bruchfläche mit überwiegend nicht verschmolzenen Bereichen



Bereich 3: Mischbereich (bestehend aus kleinen nicht verschmolzenen Bereichen und Bruchfläche)

Für diese drei Bereiche wird jeweils einzeln die Fehlerfläche AFehler,i bestimmt und anschließend zur gesamten Fehlerfläche addiert. Eine schematische Einteilung einer Bruchfläche wird in Abbildung 3 gezeigt. Die gewählte Einteilung in die drei oben genannten Bereiche erfolgt, da aufgrund der Topologie der Bruchfläche und der daraus resultierenden Beleuchtung der Bruchfläche an einigen Stellen der Bruchfläche die nichtverschmolzenen Bereiche die gleichen Grauwerte im Bild aufweisen wie die eigentliche Bruchfläche. Erfolgt hierbei keine Einteilung der Bruchfläche in die einzelnen Bereiche, kann dies dazu führen, dass Teile der nicht verschmolzenen Bereiche fälschlicherweise als matte Bruchfläche erkannt werden und somit nicht zur Fehlerfläche AFehler hinzugezählt werden. Dadurch kann der Anteil der fehlerbehafteten Fläche nicht hinreichend genau bestimmt werden. [15]

134

Abbildung 3:

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

Schematische Darstellung der Einteilung der Bruchfläche der Zugprobe zur Bestimmung der Fehlerfläche AFehler

3.3 Ermittlung des Einflusses von Oberflächennachbehandlungsverfahren auf die zyklischen Eigenschaften Für die Bewertung des Einflusses unterschiedlicher Oberflächennachbehandlungsverfahren auf die erzielbare Oberflächenrauigkeit – und damit auf die Schwingfestigkeit von additiv gefertigten Bauteilen – wurden Schwingversuche an Schwingproben mit den Oberflächenzuständen „as printed“, „elektrolystisch poliert“ und „feingedreht“ jeweils für Baujob 1 und Baujob 2 nach DIN 50100 durchgeführt [16].

Abbildung 4:

Herstellung der untersuchten Oberflächenzustände

Wie Abbildung 4 zeigt, werden die Schwingproben der Oberflächenzustände „elektrolytisch poliert“ und „feingedreht“ aus additiv gefertigten Rohlingen unter Verwendung des jeweiligen Nachbehandlungsverfahren hergestellt. Die Geometrie der Schwingproben ist in Abbildung 5

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

135

dargestellt. In dieser Untersuchung wurde der Oberflächenzustand „feingedreht“ aus einem zylindrischen Rohling gedreht. Der Oberflächenzustand „elektrolytisch poliert“ wurde dagegen aus einem additiv gedruckten Rohling erzeugt, dessen Geometrie bzw. Form der Endgeometrie der Schwingprobe gleicht. Allerdings wurde in diesem Fall die Schwingprobengeometrie mit einem Aufmaß von 500 µm gedruckt, um nach dem elektrolytischen Polierprozess den geforderten Probendurchmesser von 5,0 mm in der Probenmitte zu erhalten. Als Elektrolyt wurde Perchlorsäure verwendet. Der elektrolytische Polierprozess wurde bei Raumtemperatur mit einer Spannung von 240 V und einer Prozessdauer von 240 s durchgeführt.

Abbildung 5:

Geometrie und Maße der Schwingproben

Für die Bewertung des Oberflächeneinflusses wurden pro Baujob für die jeweiligen Oberflächenzustände Wöhlerlinien im Zeitfestigkeitsbereich mit jeweils 25 Schwingproben erstellt. Insgesamt wurden somit 75 Schwingproben pro Baujob geprüft. Für beide Baujobs wurden die 25 Schwingproben der drei Oberflächenzustände auf je 5 Lastniveaus mit jeweils 5 Proben verteilt. Für Baujob 1 wurden nach einem Vorversuch folgende Lastniveaus ausgewählt: σa = 35, 50, 71, 100 und 141 MPa. Die Schwingversuche zur Ermittlung der Wöhlerlinien erfolgten für Baujob 2 nach Vorversuchen auf erhöhten Spannungsamplituden von σa = 117, 141, 171, 208 und 252 MPa. Die Schwingversuche wurden mit einem Spannungsverhältnis von R = -1 (Zug- / Druckwechselbelastung) auf einer SincoTec Power Swingly 20 kN durchgeführt. Das Abbruchkriterium für die Schwingversuche wird bei einer Schwingspielzahl von N = 107 gesetzt und Proben, die diese Anzahl an Schwingspielen erreichen, als Durchläufer gewertet [16]. Für die Auswertung der zyklischen Untersuchungen werden Wöhlerlinien mit einer 50 % Ausfallwahrscheinlichkeit für die verschiedenen Oberflächenzustände jeweils für beide Baujobs unter Anwendung der Gleichung von Basquin mit Hilfe der Methode der kleinsten Fehlerquadrate an die Messwerte angepasst [17, 18]. Durchläufer werden in die Ermittlung der Wöhlerlinien nicht miteinbezogen. Darüber hinaus werden für die drei Oberflächenzustände jeweils getrennt für Baujob 1 und Baujob 2 die Bruchlastamplitude σa bei N = 105, die Standardabweichung nach [19] sowie die erzielbare Lebensdauersteigerung durch die Oberflächennachbehandlung ermittelt. Die Standardabweichung wird in diesen Untersuchungen deswegen betrachtet, da sie neben dem Mittelwert die zulässige Spannung zu einer geforderten Überlebenswahrscheinlichkeit liefert [18]. Die Bestimmung der Standardabweichung sowie der Lebensdauersteigerung erfolgt allerdings für diese Untersuchungen auf dem jeweiligen Ersatzhorizont bzw. mittleren Lasthorizont. Dies ist damit begründet, dass aufgrund der geringen Anzahl an Schwingversuchen pro Lasthorizont die Standardabweichung eine geringe Aussagekraft je Lastniveau liefert. Daher werden alle gemessenen Bruchlastspielzahlen im Bereich der Zeitfestigkeit parallel zu den angepassten Wöhlerlinien je Baujob auf einen gemeinsamen Ersatzhorizont bzw. in diesem Fall den mittleren Lasthorizont verschoben [19–21]. Aufgrund der unterschiedlich gewählten Lasthorizonte werden für beide Baujobs unterschiedliche Ersatzhorizonte nach [20] und [21] bestimmt. Dabei

136

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

ergibt sich für die in Baujob 1 gewählten Lastamplituden ein Ersatzhorizont bzw. ein mittlerer Lasthorizont von 70,7 MPa. Dagegen wird für Baujob 2 ein Ersatzhorizont bzw. ein mittlerer Lasthorizont von 171,4 MPa berechnet. Zudem wurde zur Bewertung der mit dem jeweiligen Nachbehandlungsverfahren erzielten Oberflächenqualität bzw. zur Bewertung der Oberfläche des „as printed“ Zustands für jeden Baujob getrennt an jeweils zwei Schwingproben je Oberflächenzustand die gemittelte Rautiefe Rz gemessen und daraus der Mittelwert gebildet. Die Rauheitsmessung erfolgte hierfür mit der Messeinheit Hommel T8000 und dem Taster TKU300.

4 Ergebnisse der statischen und zyklischen Festigkeitsuntersuchung 4.1 Ermittelte statische Festigkeits- und Verformungskennwerte Im folgenden Abschnitt wird auf den Einfluss der Probengröße auf die statischen Festigkeitsund Verformungskennwerte bei additiv gefertigten Proben eingegangen. Hierfür werden aus den durch Zugversuche experimentell ermittelten Zugfestigkeiten und Bruchdehnungen die Mittelwerte und Standardabweichungen für jeden Probendurchmesser d0 je Baujob bestimmt. In Abbildung 6 werden für Baujob 1 die Mittelwerte der experimentell ermittelten Zugfestigkeiten sowie die Standardabweichung in Abhängigkeit der Probengröße abgebildet, für Baujob 2 in Abbildung 7. Hierbei zeigt sich für Baujob 1, dass für kleine Zugprobengrößen die Zugfestigkeit zunächst mit größer werdendem Durchmesser abnimmt und sich dann ab einem Probendurchmesser von d0 = 6 mm asymptotisch einem Grenzwert annähert. 400

400

350

350

Zugfestigkeit Rm [MPa]

450

Zugfestigkeit Rm [MPa]

450

300 250 200 150 100

Mittelwert

50 0

0

5 10 Durchmesser d0 [mm]

300 250 200 150 100

Mittelwert

50 15

in Abbildung 6: Zugfestigkeit Rm Abhängigkeit des Probendurchmessers d0 für Baujob 1

0

0

5 10 Durchmesser d0 [mm]

15

in Abbildung 7: Zugfestigkeit Rm Abhängigkeit des Probendurchmessers d0 für Baujob 2

Dagegen ergibt sich für Baujob 2 keine Abnahme der gemittelten Zugfestigkeit mit zunehmender Probengröße. Die gemittelten Zugfestigkeiten weisen für Baujob 2 vielmehr eine geringe Zunahme mit größer werdendem Durchmesser auf. Zudem zeigt sich, dass ab einem Probendurchmesser d0 = 5 mm die Zugproben aus Baujob 2 im Mittel eine höhere Festigkeit im Vergleich zu

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

137

den Zugproben aus Baujob 1 aufweisen. Außerdem kann bei einem Vergleich der ermittelten Standardabweichungen festgestellt werden, dass die gemessenen Zugfestigkeiten aus Baujob 1 stärker um den jeweiligen Mittelwert streuen als die gemessenen Zugfestigkeiten aus Baujob 2. Abbildung 8 zeigt die gemittelten Bruchdehnungen sowie die Standardabweichung als Maß für die Streuung in Abhängigkeit der Probengröße bzw. des Probendurchmessers d0 für Baujob 1. Hierbei zeigt sich, dass, wie bei den gemittelten Zugfestigkeiten, eine Zunahme der Probengröße zunächst zu einer Abnahme der gemittelten Bruchdehnung führt. Ab einem Durchmesser von d0 = 6 mm nähert sich auch die Bruchdehnung im Mittel einem Grenzwert asymptotisch an. In Abbildung 9 ist die Abhängigkeit der Bruchdehnung vom Probendurchmesser d0 für Baujob 2 gezeigt. Im Gegensatz zu Baujob 1 kann für die ermittelten Bruchdehnungen keine Abnahme mit zunehmender Probengröße festgestellt werden. Es zeigt sich allerdings, dass die Bruchdehnungen von Baujob 2 im Mittel deutlich über den Bruchdehnungen von Baujob 1 liegen. Zudem weisen die gemessenen Bruchdehnungen in Baujob 2 eine geringere Streuung im Vergleich zu den Messwerten aus Baujob 1 auf. Ein möglicher Grund für die stärkeren Streuungen der gemessenen Bruchdehnungen und der Zugfestigkeiten in Baujob1 gegenüber Baujob 2 sind Bindefehler bzw. nicht verschmolzene Bereiche, die hauptsächlich auf den Bruchflächen der Zugproben aus Baujob 1 auftreten.

4,0

4,0 Mittelwert

3,5

Bruchdehnung A5 [%]

3,0

Bruchdehnung A5 [%]

3,0 2,5

2,5

2,0

2,0

1,5

1,5

1,0

1,0

0,5 0,0

Mittelwert

3,5

0,5 0

5 10 Durchmesser d0 [mm]

15

Abbildung 8: Bruchdehnung A5 in Abhängigkeit des Probendurchmessers d0 für Baujob 1

0,0

0

5 10 Durchmesser d0 [mm]

15

Abbildung 9: Bruchdehnung A5 in Abhängigkeit des Probendurchmessers d0 für Baujob 2

In Abbildung 10 und 11 wird jeweils für Baujob 1 und Baujob 2 exemplarisch ein Schliff einer Zugprobe senkrecht zur Bruchfläche abgebildet. Im Schliffbild der Zugprobe aus Baujob 1 lassen sich hierbei signifikante Bindefehler bzw. Bereiche in der Mitte der Querschnittsfläche erkennen, in denen eine Schicht nicht mit den darunterliegenden Schichten verbunden ist. Zudem weist diese Zugprobe große Poren im Probeninneren auf. Es wird hierbei davon ausgegangen, dass diese Bindefehler bzw. nicht verschmolzenen Bereiche, die überwiegend und in unter-

138

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

schiedlich großer Form bei Zugproben aus Baujob 1 auftreten, bruchverursachend sind. Im Gegensatz zu den Zugproben aus Baujob 1 finden sich im Schliffbild der Zugprobe aus Baujob 2 überwiegend Poren wieder, die hauptsächlich im Randbereich auftreten.

Abbildung 10: Schliff einer Zugprobe aus Baujob 1 senkrecht zur Bruchfläche

Abbildung 11: Schliff einer Zugprobe aus Baujob 2 senkrecht zur Bruchfläche

4.2 Ergebnisse der fraktografischen Untersuchung Im Folgenden wird auf die Ergebnisse der in Kapitel 3.2 beschriebenen fraktografischen Untersuchung eingegangen. Da, wie schon in Kapitel 3.2 erwähnt, nicht verschmolzene Bereiche überwiegend bei Zugproben aus Baujob 1 auftreten bzw. Zugproben aus Baujob 2 keine oder nur vernachlässigbar kleine Bindefehler aufweisen, wird die Bruchflächenanalyse nur für Zugproben aus Baujob 1 durchgeführt.

Abbildung 12: Zugprobe mit d0 = 4 mm, Rm = 382 MPa, aFehler = 4,8 % (Baujob 1)

Abbildung 13: Zugprobe mit d0 = 4 mm, Rm = 307 MPa, aFehler = 17,5 % (Baujob 1)

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

139

In Abbildung 12 und 13 sind die Bruchflächen von jeweils zwei Zugproben aus Baujob 1 mit einem Durchmesser von d0 = 4 mm abgebildet. Hierbei wird exemplarisch eine Zugprobe mit relativ hoher Zugfestigkeit und kleiner Fehlerfläche gezeigt sowie eine Zugprobe mit einer relativ geringen gemessenen Zugfestigkeit und dementsprechend großer Fehlerfläche. Die nicht verschmolzenen Bereiche werden in den Abbildungen 12 und 13 durch eine dunkelgrau-silberne Oberfläche charakterisiert. Die eigentliche Bruchfläche erscheint dagegen in mattem Hellgrau. In Abbildung 14 wird die Abhängigkeit der Nennzugfestigkeit Rm vom Anteil der fehlerbehafteten Fläche aFehler an der gesamten Querschnittsfläche gezeigt. Hierbei wird erwartungsgemäß gezeigt, dass die Nennzugfestigkeit durch einen größeren Anteil der fehlerbehafteten Fläche abnimmt bzw. verringert wird. Zudem zeigt sich, dass die größeren Zugproben eher kleinere Zugfestigkeiten, und damit verbunden einen größeren Anteil an fehlerbehafteter Fläche, aufweisen.

500

450

450

400

400 Korrigierte Zugfestigkeit Rm,korr. [MPa]

500

Nennzugfestigkeit Rm [MPa]

350 300 250 Probengröße Regression d0 = 4 mm 150 d0 = 5 mm d0 = 6 mm 100 d0 = 8 mm d0 = 10 mm 50 d0 = 12 mm d0 = 14 mm 0 200

0

10

20

350 300 250 200 150 100 50

30

40

50

Anteil fehlerbehafteter Fläche aFehler [%] Abbildung 14: Nennzugfestigkeit Rm der untersuchten Probengrößen in Abhängigkeit des Anteils der fehlerbehafteten Fläche aFehler (Baujob 1)

0

Probengröße Regression d0 = 4 mm d0 = 5 mm d0 = 6 mm d0 = 8 mm d0 = 10 mm d0 = 12 mm d0 = 14 mm

0 10 20 30 40 50 Anteil fehlerbehafteter Fläche aFehler [%] Abbildung 15: Korrigierte Zugfestigkeit Rm,korr. der untersuchten Probengrößen in Abhängigkeit des Anteils der fehlerbehafteten Fläche aFehler (Baujob 1)

Abbildung 15 zeigt im Vergleich dazu den Zusammenhang zwischen der korrigierten Zugfestigkeit Rm,korr. und dem Anteil der fehlerbehafteten Fläche aFehler für Baujob 1. Hierfür wird die

140

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

gemessene Nennzugfestigkeit gemäß Formel 2 um den Anteil der fehlerbehafteten Fläche korrigiert. Die dabei verwendete Formel orientiert sich an dem Schädigungsmodell von Kachanov [22]:

Rm,korr. =

F Ages ⋅ (1 − aFehler )

(2)

Obwohl in die Berechnung der korrigierten Zugfestigkeit Rm,korr. nur der tragende und tatsächlich verbundene Werkstoffanteil einfließt, weist die korrigierte Zugfestigkeit im Mittel eine Abnahme mit zunehmender Fehlerfläche auf. Es wird hierbei angenommen, dass eine mögliche Ursache für die Abnahme der korrigierten Zugfestigkeit eine Verstärkung der Kerbwirkung durch die größer werdende Fehlerfläche ist.

4.3 Ergebnisse der Untersuchung des Einflusses von Oberflächennachbehandlungsverfahren auf die zyklischen Eigenschaften Auf den Einfluss von unterschiedlichen Oberflächennachbehandlungsverfahren auf die zyklischen Eigenschaften wird im nachfolgenden Kapitel eingegangen. Hierzu werden die ermittelten Wöhlerlinien für jeden Oberflächenzustand jeweils für die beiden Baujobs vergleichend betrachtet. Zudem wird, wie bereits in Kapitel 3.3 erwähnt, auf die gemittelte Rautiefe Rz, die Bruchlastamplitude σa bei N = 105, die Standardabweichung Slog,N auf dem jeweiligen Ersatzhorizont sowie die erzielbare Lebensdauersteigerung durch die Oberflächennachbehandlung auf dem jeweiligen Ersatzhorizont eingegangen. Die in den Schwingversuchen ermittelten Bruchlastspielzahlen der einzelnen Proben der drei Oberflächenzustände für beide Baujobs sowie die daran angepassten Wöhlerlinien mit einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 50 % werden in Abbildung 16 gezeigt. Hierbei wird deutlich, dass sich mit den Schwingproben aus Baujob 2 deutlich höhere Schwingspielzahlen erzielen lassen als mit den Schwingproben aus Baujob 1. Sowohl bei Baujob 1 als auch bei Baujob 2 zeigen die Wöhlerlinien, dass Schwingproben ohne Oberflächennachbehandlung, also im „as printed“ Zustand, im Mittel die geringsten Schwingspielzahlen im Vergleich zu den nachbehandelten Proben ertragen. Durch elektrolytisches Polieren der additiv gefertigten Proben kann bei beiden untersuchten Baujobs die Wöhlerlinie zu höheren ertragbaren Schwingspielzahlen bei gleichbleibender Spannungsamplitude verschoben werden. Die Wöhlerlinien für den Oberflächenzustand „feingedreht“ weisen für beide Baujobs, im Vergleich zu den anderen beiden Oberflächenzuständen, die besten Schwingfestigkeiten auf. Diese guten zyklischen Eigenschaften, die durch eine zerspanende Nachbehandlung erzielt werden, können jedoch für beide Baujobs nicht durch elektrolytisches Polieren erzielt werden. Es muss hierbei allerdings noch beachtet werden, dass die Schwingproben des Oberflächenzustandes „feingedreht“ aus additiv gefertigten Zylindern zerspanend gefertigt wurden. Dadurch fällt bei diesen Schwingproben die Randkontur weg, die häufig einen überproportional großen Anteil an Poren aufweist (Abbildung 11).

log. Spannungsamplitude σa [MPa]

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

141

3x

100

Messwerte "as printed" Baujob 1 Messwerte "elektrolytisch poliert" Baujob 1 Messwerte "feingedreht" Baujob 1 Wöhlerlinie "as printed" Baujob 1 Wöhlerlinie "elektrolytisch poliert" Baujob 1 Wöhlerlinie "feingedreht" Baujob 1

10 1E+03

1x 1x 5x

Messwerte "as printed" Baujob 2 Messwerte "elektrolytisch poliert" Baujob 2 Messwerte "feingedreht" Baujob 2 Wöhlerlinie "as printed" Baujob 2 Wöhlerlinie "elektrolytisch poliert" Baujob 2 Wöhlerlinie "feingedreht" Baujob 2

1E+04

1E+05

1E+06

1E+07

log. Schwingspielzahl NB

Abbildung 16: Ermittelte Bruchlastspielzahlen und die daraus abgeleiteten Wöhlerlinien für die Oberflächenzustände „as printed”, „elektrolytisch poliert“ und „feingedreht“ für Baujob 1 und Baujob 2 In Tabelle 2 werden jeweils für die drei Oberflächenzustände für beide Baujobs die gemittelte Rautiefe Rz, die anhand der Wöhlerlinien ermittelten Spannungsamplituden σa bei N = 105 und die Lebensdauersteigerung durch Nachbehandlung sowie die Standardabweichung Slog,N vergleichend gegenübergestellt. Es wird hierbei, wie auch schon anhand der Wöhlerlinien gezeigt, verdeutlicht, dass eine geringe Rautiefe Rz – und damit verbunden eine bessere Oberflächengüte – zu höher ertragbaren Spannungsamplituden bei N = 105 bzw. zu einer deutlichen Steigerung der Lebensdauer auf dem Ersatzhorizont führt. Es zeigt sich somit, dass Oberflächennachbehandlungsverfahren aufgrund der Verbesserung der Oberflächeneigenschaft die zyklischen Eigenschaften von additiv gefertigten Bauteilen erheblich verbessern können. Allerdings zeigen Tabelle 2 und Abbildung 15 auch, dass die zyklischen Eigenschaften von additiv gefertigten Schwingproben nicht nur durch die Oberflächenbeschaffenheit beeinflusst werden, sondern auch durch innere Fehler, wie Poren und großflächige Bindefehler. Werden innere Fehlstellen, wie Poren oder Bindefehler, reduziert, kann dadurch die ertragbare Spannungsamplitude sowie die Lebensdauer deutlich gesteigert werden. Bei einer Schwingspielzahl von N = 105 lassen sich die ertragbaren Spanungsamplituden der drei Oberflächenzustände nahezu verdoppeln.

142 Tabelle 2:

Baujob

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg Vergleichende Gegenüberstellung der gemittelten Rautiefe Rz, der Spannungsamplituden σa bei N = 105, der Lebensdauersteigerung durch Nachbehandlung und der Standardabweichung Slog,N der drei Oberflächenzustände für Baujob 1 und Baujob 2 Oberflächenzustand

SpannungsLebensdauersteigeGemittelte amplitude σa bei rung durch NachbeRautiefe NB = 105 [MPa] handlung [%] Rz [µm]

Standardabweichung Slog,N auf dem Ersatzhorizont

1

As printed

66,99

64,9

-

0,18

1

Elektrolytisch poliert

13,91

74,2

149

0,11

1

Feingedreht

4,11

89,9

265

0,24

2

As printed

46,63

141,2

-

0,12

2

Elektrolytisch poliert

14,31

152,8

147

0,11

2

Feingedreht

4,03

178,9

314

0,21

5 Kritische Bewertung und Diskussion Die in den obigen Untersuchungen aufgezeigten signifikanten Unterschiede in den ermittelten Festigkeits- und Verformungskennwerten, den erstellten Wöhlerlinien sowie in den Schliffbildern zwischen Baujob 1 und Baujob 2 gehen weit über die erwarteten Einflüsse der Probenanordnung im Schutzgasstrom hinaus. Der Grund, auf den die Unterschiede in den ermittelten Zugfestigkeiten, Bruchdehnungen und Wöhlerlinien zurückzuführen sind, ist hierbei die Trübung des Laserschutzglases bei Baujob 1 durch Schmauch und Metalldampf aus vorrangegangen Baujobs. Hierbei ist davon auszugehen, dass durch die Ablagerung von Schmauch und Metalldampf aus vorherigen Baujobs dem eigentlichen Laserstrahlschmelzprozess nicht die volle Laserleistung zur Verfügung stand. Diese Annahme wird insbesondere durch eine aufgrund der reduziert wirkenden Laserleistung verringerten Aufschmelztiefe, die zu den in Abbildung 9 gezeigten nicht vollständig aufgeschmolzenen Schichten und damit zu großflächigen Bindefehlern in der Innenkontur der Proben aus Baujob 1 führt, gestärkt. Die durchgeführten Untersuchungen haben somit ergeben, dass Qualitätssicherungsmaßnahmen zur Steigerung der Reproduzierbarkeit der Prozessergebnisse und zur Erhöhung der Qualität des eigentlichen Druckprozesses unumgänglich sind. Bei Baujob 1 und Baujob 2 zeigt sich ein unterschiedlicher Einfluss der Probengröße auf die Zugfestigkeiten und Bruchdehnungen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei dem in Baujob 1 und 2 verwendeten (identischen) Parametersatz jeweils die Randkontur und die Füllung mit unterschiedlichen Parametern gedruckt wurden. Die Randkontur wurde mit einer deutlich höheren Streckenenergie gedruckt als die Innenfüllung der Zugproben. Hierbei ist zu beachten, dass mit zunehmender Probengröße die Innenfläche gegenüber der Randkontur zunimmt und sich somit auch der Einfluss der Füllung auf die Festigkeits- und Verformungskennwerte erhöht. Die durch das getrübte Laserschutzglas verringerte Laserleistung führt bei den Zugproben aus Baujob 1 dazu, dass bei geringer Scangeschwindigkeit der Randkontur diese noch mit verhältnismäßig guter Qualität gedruckt wird. Auf der Innenfläche, die mit deutlich höherer Scangeschwindigkeit gedruckt wurde, kommt es dagegen zu Fehlern, wie nichtverschmolzenen Bereichen. Bei den Zugproben aus Baujob 2 kommt es dagegen im Randbereich zu einer verstärkten Porenbildung,

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

143

sodass der Randbereich eine geringere Qualität als die Füllung aufweist, die mit höherer Scangeschwindigkeit und damit geringerer Streckenenergie gefertigt wurde. Somit ergibt sich für die Zugproben aus Baujob 1 eine Abnahme der untersuchten Zugfestigkeiten und Bruchdehnungen mit zunehmender Probengröße, wohingegen sich dieses Verhalten für die Zugproben aus Baujob 2 invers darstellt. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass – unabhängig von der Druckqualität – durch eine Nachbehandlung der Oberfläche die erzielbaren Schwingfestigkeiten deutlich verbessert werden können und somit die erzielbare Schwingfestigkeit nicht ausschließlich von inneren Defekten beeinflusst wird.

6 Fazit Für die Ermittlung und statistische Auswertung von statischen Festigkeits- und Verformungskennwerten sowie der Untersuchung des Größeneinflusses wurden Zugversuche an unterschiedlich großen Zugproben durchgeführt. Da bei Baujob 1 das Laserschutzglas zwischen Bauraum und der Scanneroptik am Ende des Wartungsintervalls war und keine sichere Aussage über die stark streuenden Ergebnisse getroffen werden konnte, wurde ein zweiter identischer Baujob (Baujob 2) gefertigt. Hierbei wurde zum einen zwischen dem Fertigen von Baujob 1 und Baujob 2 das Laserschutzglas aufgrund der Trübung durch Schmauch und Metalldampf ausgetauscht bzw. erneuert. Zum anderen wurde zusätzlich die Anordnung der Proben im Schutzgasstrom geändert, um auszuschließen, dass die stark streuenden Werte aus Baujob 1 aus der Anordnung der Proben resultieren. Hierbei ändert sich bei Baujob 1 die Größe der Zugproben in Flussrichtung des Schutzgases. Dagegen nimmt die Zugprobengröße bei Baujob 2 senkrecht zur Flussrichtung des Schutzgasstromes zu. Die in dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen haben gezeigt, dass die für Baujob 1 ermittelte Zugfestigkeit und die Bruchdehnung eine Abnahme mit zunehmender Probengröße aufweisen. Dagegen führt bei den Zugproben aus Baujob 2 eine größere Probengröße zu einer Zunahme der Zugfestigkeit. Allerdings lässt sich für die für diesen Baujob ermittelten Bruchdehnungen keine eindeutige Abhängigkeit von der Probengröße erkennen. Zudem hat sich gezeigt, dass die in der Arbeit ermittelten Festigkeits- und Verformungskennwerte in Baujob 1 eine stärkere Streuung aufweisen als in Baujob 2. Dies lässt sich durch die nicht verschmolzenen Bereiche bzw. signifikanten Bindefehler erklären, die vorwiegend in den Proben aus Baujob 1 auftreten. Darüber hinaus wurde in dieser Arbeit der Einfluss einer Oberflächennachbehandlung auf die Schwingfestigkeit von additiv gefertigten Schwingproben untersucht. Hierfür wurden für beide Baujobs Schwingversuche mit Schwingproben der Oberflächenzustände „elektrolytisch poliert“ und „feingedreht“ durchgeführt und mit den Ergebnissen von Schwingversuchen mit „as printed“ Schwingproben aus Baujob 1 und Baujob 2 verglichen. Es konnte hierbei nachgewiesen werden, dass bei beiden Baujobs die Verbesserung der Oberflächenqualität durch Nachbehandlungsverfahren auch zu einer Verbesserung der Schwingfestigkeit führt. Zudem konnte gezeigt werden, dass die Proben aus Baujob 2 deutlich höhere Schwingspielzahlen erreichen als die Proben aus Baujob 1 und somit innere Defekte einen Einfluss auf die erzielbaren Schwingfestigkeiten haben. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die signifikanten Unterschiede in Zugfestigkeit, Bruchdehnung und Schwingfestigkeit zwischen Baujob 1 und Baujob 2 nicht mit der unterschiedlichen Anordnung der Proben im Schutzgasstrom erklären lassen. Es ist davon auszugehen, dass die aufgezeigten signifikanten Unterschiede in den Festigkeits- und Verformungseigenschaften hauptsächlich auf die Trübung des Laserschutzglases bei Baujob 1 bzw. auf die Erneuerung des Schutzglases bei Baujob 2 zurückzuführen sind. Die Untersuchungen haben somit

144

Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg

ergeben, dass der Zustand des Laserschutzglases bzw. die Stärke der Trübung durch Schmauch und Metalldampf einen erheblichen Einfluss auf die Prozessstabilität und damit auf die Reproduzierbarkeit der Prozessergebnisse haben. Die in dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen haben somit gezeigt, dass weitere Forschungsarbeiten zur Bestimmung des Einflusses des Anlagenzustandes auf die Prozessqualität sowie die Entwicklung und Erstellung von aufeinander abgestimmten Qualitätssicherungsmaßnahmen für hochbeanspruchte Bauteile zwingend notwendig sind.

Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22]

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145

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften bei Raum- und Hochtemperatur an additiv gefertigten Miniaturproben D. Kotzem, F. Stern, F. Walther Fachgebiet Werkstoffprüftechnik (WPT), TU Dortmund

Zusammenfassung Die additive Fertigung hat sich im letzten Jahrzehnt besonders rasant entwickelt und eröffnet aufgrund ihrer spezifischen Vorteile, wie einer großen geometrischen Designfreiheit oder der endkonturnahen Fertigung viele neue Möglichkeiten für die Industrie im Hinblick auf neuartige Leichtbaukonstruktionen wie beispielsweise periodische Gitterstrukturen. Aktuell stehen besonders die Verarbeitung neuer Legierungen, sowie die Ermittlung und Optimierung von geeigneten Prozessparametern im Fokus der Forschung. Dies erfordert mitunter die Herstellung einer größeren Anzahl von Proben zur umfänglichen Charakterisierung des additiv gefertigten Werkstoffs. Dies ist jedoch mit hohen Material- und Fertigungskosten verbunden. Erste Untersuchungen zur Bewertung des Einflusses unterschiedlicher Prozessparameter, Scanstrategien oder Wärmebehandlungsverfahren auf die Mikrostruktur erfolgen vorwiegend an kleinen Werkstoffwürfeln mit geringen Bauhöhen. Um neben der unverzichtbaren Mikrostrukturanalyse und ersten begleitenden Härtemessungen auch quasistatische Kennwerte bestimmen zu können, entstehen immer neue Anforderungen an die Werkstoffprüfung für additiv gefertigte Proben. In dieser Arbeit wird vorgestellt, wie mittels zylindrischer Miniaturproben, die eine Höhe von ca. 6 mm aufweisen, quasistatische Druckeigenschaften bei Raum- und Hochtemperatur bestimmt werden. Der vorgestellte Versuchsaufbau ermöglicht die Bestimmung charakteristischer Kenngrößen und weist dabei eine sehr gute Genauigkeit und Reproduzierbarkeit auf. Unabhängig vom zu prüfenden Werkstoff und der Prüftemperatur können Größen, wie Stauchgrenze und Druckspannung bei entsprechender plastischer Verformung ermittelt werden, die einen direkten Vergleich miteinander ermöglichen und dazu geeignet sind, für Parameterstudien als Kenngrößen zur Bewertung der mechanischen Eigenschaften zu dienen.

Stichwörter: Additive Fertigung, Quasistatische Druckeigenschaften, Hochtemperaturdruckeigenschaften, Miniaturproben © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_9

146

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

1 Einleitung Seit den 1970er Jahren entwickelte sich die additive Fertigung kontinuierlich vom Rapid Prototyping zum Rapid Manufacturing [1]. Während durch Rapid Prototyping noch simple Prototypen gefertigt wurden, die meist nur zu Anschauungszwecken genutzt wurden, können heute bereits Kleinserien von einbaufertigen Komponenten gefertigt werden. Gerade in der Kleinserienfertigung eignen sich besonders pulverbettbasierte Verfahren, wie das selektive Laser- und Elektronenstrahlschmelzverfahren, die heute eine verlässliche und werkzeuglose Fertigung von Bauteilen ermöglichen [2], [3]. Entscheidende Vorteile gegenüber subtraktiven Fertigungsverfahren, wie dem Fräsen oder Drehen, sind eine hohe geometrische Designfreiheit, geringerer Materialverbrauch und kurze Entwicklungszeiten von der Planung bis zur Bauteilfertigung [1]. Dadurch ist die additive Fertigung schon heute ein unverzichtbarer Baustein im Bereich der Medizintechnik, da sie dort zur Fertigung von individualisierten Implantaten bei Patienten eingesetzt wird, die aufgrund ihrer medizinischen Ausgangssituation nicht mit konventionellen Implantaten versorgt werden können [4]. Ebenso wächst die Nachfrage nach neuen Leichtbaukonstruktionen, sowie Topologieoptimierungen in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Dafür stehen besonders Stahl-, Titan-, Aluminium-, und Nickelbasis-Legierungen im Fokus [5]. Allerdings limitieren bisweilen fertigungsbedingte Defekte wie Porosität, Anbindungsfehler und hohe Oberflächenrauheiten die Einsatzgebiete. Dies hat zur Folge, dass häufig eine umfangreiche Nachbearbeitung notwendig ist, um definierte Materialeigenschaften zu erreichen und die gestellten Qualitätsanforderungen zu erfüllen. Im Zuge der weiteren Entwicklung besteht eine Herausforderung darin, für neue und bestehende Werkstoffe Prozessparameter zu finden, die zu einem dichten und defektfreien Bauteil führen. Aus diesem Grund sind für praktisch alle Werkstoffe in der additiven Fertigung Parameterstudien notwendig [6], [7]. Dabei werden häufig Gefügeproben mit einer Geometrie von z.B. 10×10×10 mm³ gefertigt, um daran die Dichte und Härte zu ermitteln und die Mikrostruktur mittels Licht- und Rasterelektronenmikroskopie analysieren zu können [8]. Für die Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften werden zumeist Zugversuche durchgeführt, die jedoch im Allgemeinen eine relativ große Probengeometrie voraussetzen, die nicht nur eine höhere Menge an Pulver benötigt, sondern auch vergleichsweise viel Platz auf der Bauplattform einnimmt. Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass Faktoren, wie eine Modifikation des Pulvers, z. B. durch Dekorieren der Pulverpartikel mit Nano-Partikeln [9], sowie hohe Kosten des benötigten Pulvermaterials dazu führen können, dass nur eine begrenzte Menge an Ausgangsmaterial zur Verfügung steht, wodurch nur Proben mit geringem Volumen realisiert werden können. Durch die Notwendigkeit, die Ergebnisse der mechanischen Untersuchungen statistisch abzusichern, muss zusätzlich eine Mindestanzahl an Proben vorausgesetzt werden. Mit der DIN EN ISO 6892 und DIN 50106 stehen zwei Normen zur Verfügung, die die Probengeometrien und die Durchführung von Zug- und Druckversuchen zur Bestimmung materialspezifischer Kennwerte definieren. Ein Großteil aller Versuche, da meist anwendungsbezogener, entfällt dabei auf die Zugversuche. DIN 65123, die Verfahren zur Prüfung additiv gefertigter Bauteile in der Luft- und Raumfahrt aufführt, verweist ebenfalls sowohl auf den Zug- als auch den Druckversuch als mögliches zerstörendes Prüfverfahren. Ohne Zweifel müssen zur Minimierung der Herstellungskosten additiv gefertigter Bauteile, neue Probengeometrien entworfen werden, die geringe Pulvermengen und kleine Bauteilhöhen benötigen, aber dennoch eine aussagekräftige Charakterisierung und eine Korrelation der Prozess-Struktur-Eigenschafts-Beziehungen ermöglichen. So sind in DIN 50125 lediglich für die Form D eine minimale Mindest-

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

147

länge von 38 mm bei einem Prüfdurchmesser von d0 = 4 mm anzufinden. Insbesondere für aufrecht stehende Proben, deren Belastungsrichtung parallel zur Baurichtung ist, wird so eine große Pulvermenge benötigt, um die entsprechende Bauhöhe zu erreichen. Nur wenige Untersuchungen befassen sich mit der Bestimmung von Druckeigenschaften additiv gefertigter Werkstoffe. Dabei treten Druckbelastungen in medizintechnischen Anwendungen, wie z. B. in Dentalimplantaten [10] oder in Wirbel-Fixateur-interne [11] häufiger auf als Zugbelastungen. Auch bei der von Hochtemperaturlegierungen, die besonders für den Luft- und Raumfahrtbereich interessant sind, wurden die Druckeigenschaften bisweilen in nur geringem Umfang erforscht [12]. Im Bereich der quasistatischen Druckversuche, speziell in der additiven Fertigung, sind die Untersuchungen von Hitzler et al. [13] zu nennen. Dabei wurden die Druckeigenschaften der mittels SLM gefertigten Aluminiumlegierung AlSi10Mg untersucht. Quasistatische und dynamische Druckversuche am additiv gefertigten austenitischen Stahl AISI 316L (1.4404) wurden von Gray et al. [14] an Vollmaterial und von Yan et al. [15] an additiv gefertigten Gitterstrukturen durchgeführt. Erste Ergebnisse von Druckversuchen bei Raum- und Hochtemperatur an einem additiv gefertigten und mit Nanopartikeln modifizierten Stahl finden sich in den Untersuchungen von Doñate-Buendía et al. [16]. Hier konnte gezeigt werden, dass sich verschiedene Parameter und Modifikationen, wie z. B. Zusammensetzung und Art der Nanopartikel, auf die mechanischen Eigenschaften bei verschiedenen Temperaturen auswirken und mithilfe der mittels Druckversuchen bestimmten Kenngrößen eindeutig identifizieren lassen. In weiteren Untersuchungen von Junker et al. [8] wurde der Einfluss von Wärmebehandlungsverfahren auf die Werkstoffeigenschaften des laserauftragsgeschweißten Warmarbeitsstahl X37CrMoV5-1 mittels Druckversuchen untersucht. Auch additiv gefertigte Ti-Legierungen für die Medizintechnik, speziell die SLM gefertigte Ti-42Nb Legierung wurde von Schulze et al. [17] untersucht. Dabei wurden zur Bestimmung geeigneter Prozessparameter ebenfalls quasistatische Druckversuche durchgeführt. Die in den aufgeführten Untersuchungen verwendeten Probengeometrien, sowohl Quader als auch Zylinder, reichen dabei von Durchmessern bzw. Kantenlängen zwischen 10 mm und 25 mm bei einer Höhe von 10 mm bis 33 mm. Wie gezeigt werden konnte, werden die quasistatischen Druckeigenschaften bisweilen nur in einem geringen Maß untersucht. Vorhandene Normen können zur Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften bei Raum- und Hochtemperatur in der additiven Fertigung nur bedingt adaptiert werden und zukünftig bedarf es einer einheitlichen Regelung, um diese Lücke zu schließen. Insbesondere für Druckversuche bei Hochtemperatur existiert auch für konventionelle Werkstoffe keine europäische oder deutsche Norm. Es kann hier lediglich auf die ASTM E 209 verwiesen werden. Die vorliegende Arbeit zeigt einen Versuchsaufbau auf, mit Hilfe dessen quasistatische Druckeigenschaften additiv gefertigter Werkstoffe mittels Miniaturproben sowohl bei Raum- als auch Hochtemperatur bestimmt werden können. Dabei wird besonders auf die Problematik hinsichtlich hoher Fertigungskosten und gleichzeitiger Berücksichtigung einer hohen Reproduzierbarkeit der ermittelten Kennwerte eingegangen. Im Detail wird der verwendete experimentelle Aufbau beschrieben und anhand vorliegender Ergebnisse bewertet. Weiterhin wird aufgezeigt, wie der Versuchsaufbau zukünftig erweitert werden kann.

148

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

2 Experimentelle Methoden 2.1 Untersuchte Werkstoffe Für die durchgeführten Versuche wurden zylindrische Proben aus drei Werkstoffen untersucht, die mit jeweils unterschiedlichen additiven Fertigungsverfahren hergestellt wurden. Dabei wurde eine Titanaluminidlegierung (Ti-48Al-2Cr-2Nb) mittels Elektronenstrahlschmelzen, eine Nickelbasis-Superlegierung (Inconel 625) mittels Lichtbogenauftragsschweißen sowie eine Stahllegierung (Fe-20Cr-4,5Al-0,5Ti) mittels Laserauftragsschweißen [16] verarbeitet. Aufgrund der geringen Menge an vorhandenem und prüfbarem Material, wie bereits im vorhergehenden Kapitel erläutert, wurden für die Legierung Fe-20Cr-4,5Al-0,5Ti lediglich zwei Proben und für die Legierungen Ti-48Al-2Cr-2Nb sowie Inconel 625 jeweils drei Proben bei den jeweiligen Prüfbedingungen untersucht.

2.2 Versuchsaufbau Im Folgenden wird der experimentelle Aufbau zur Durchführung der Druckversuche beschrieben. Grundlage für die Versuche ist die in Abbildung 1 dargestellte zylindrische Miniaturprobe sowie der gezeigte Versuchsaufbau in Abbildung 2. Die Druckproben besitzen einen Durchmesser von d0 = 4 mm und eine Höhe von h0 = 6 mm. Für die Probenfertigung lag unterschiedliches Ausgangsmaterial vor, das entweder die Fertigung lediglich einer Probe für einen Zugversuch oder sogar gar keine Probenfertigung aufgrund der Abmaße von ca. 12×9×14 mm³ für den untersuchten Stahl ermöglicht hätte. Die Proben für den Stahl wurden mittels Mikrowasserstrahlschneiden und die Proben für die Titanaluminid- sowie die Nickelbasis-Superlegierung mittels Drahterodieren aus dem Vollmaterial gefertigt.

Abbildung 1:

Probengeometrie: a) im Ausgangszustand, b) nach dem Druckversuch

Die Abmessungen der Proben wurden auf Basis der DIN 50106 gewählt, in der das HöhenDurchmesserverhältnis für Proben zur Durchführung von Druckversuchen folgendermaßen festgelegt ist: 1





2

(1)

Bei Überschreitung des Verhältnisses steigt die Gefahr versuchstechnischer Probleme, wie z. B. ein Biegen oder Knicken der Probe. Daraus resultierende Ergebnisse können nur bedingt genutzt werden.

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

Abbildung 2:

149

a) Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus bei Raumtemperatur b) Experimenteller Aufbau für Hochtemperaturversuche.

In Abbildung 2 ist der schematische und experimentelle Aufbau für die Druckversuche bei Raum- (Abb. 2a) und Hochtemperatur (Abb. 2b) dargestellt. Für die Druckversuche wurden servohydraulische Prüfsysteme der Fa. Schenck (Schenck PC63M mit einer 45 kN Kraftmessdose und Schenck PSB100 mit einer 70 kN Kraftmessdose, jeweils mit Instron 8800 Controller) verwendet. Zum Erreichen der gewählten Temperaturniveaus wurde ein 2-Zonen-Hochtemperaturofen der Fa. MTS (MTS 653) verwendet, der Temperaturen von bis zu 1100°C ermöglicht. Für die Hochtemperaturversuche wurden spezielle Druckstempelaufnahmen aus Inconel 602 gefertigt, die eine Einsatztemperatur bis knapp 800°C aufweisen. Die ausgewählten Prüftemperaturen für die drei untersuchten Werkstoffe richten sich nach den jeweiligen Einsatzgrenzen und sind in Tabelle 1 angegeben. Die Temperaturüberwachung erfolgte mithilfe zweier Thermoelemente, die an den Druckstempeln befestigt wurden. Tabelle 1:

Übersicht der Prüftemperaturen.

Material

Temperatur 1

Temperatur 2

Temperatur 3

Ti-48Al-2Cr-2Nb

23 °C

400 °C

650 °C

Inconel 625

23 °C

400 °C

650 °C

Fe20Cr4,5Al0,5Ti

23 °C

300 °C

600 °C

Vor der Versuchsdurchführung wurden die Stirnflächen der Proben geschliffen und poliert (vgl. Abb. 1a) und mit Hilfe einer Zentriervorrichtung (vgl. Abb. 3) positioniert, um eine Ausrichtung der Proben- mit der Druckstempelachse zu gewährleisten und eine gleichmäßige Krafteinleitung zu ermöglichen. Eine nachträgliche Bearbeitung der Mantelfläche der Prüfzylinder nach der Probenfertigung erfolgte nicht. Auf Grundlage der DIN 50106 müssen die Druckstempel eine höhere Härte als das zu untersuchende Material aufweisen . Um dies versuchstechnisch umzusetzen, wurden Druckstempel aus Wolframkarbid-Kobalt Hartmetall (WC-Co) verwendet. Die Druckversuche wurden weggeregelt bei einer konstanten Prüfgeschwindigkeit (vc = 0,0025 mms-1) durchgeführt. Dabei wurde die Verformung über die Aufnahme des Traversenwegs sowie die wirkenden Druckkräfte

150

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

zur Berechnung der Druckspannung erfasst. Die Berechnung der Stauchung erfolgte auf Basis des Traversenwegs.

Abbildung 3:

Dreidimensionale Darstellung der Zentriervorrichtung.

Zusätzlich wurden die Stirnflächen mit einem Schmierstoff aus Molybdänsulfid (Molykote®, Dow Corning Inc.) benetzt, um die Reibung zwischen den Druckstempeln und den Probenstirnflächen während des Versuchs zu minimieren. Bei den Hochtemperaturversuchen wurde eine hochtemperaturresistente Keramik Paste (Liqui Moly) verwendet.

3 Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse der Druckversuche in Form von Druckspannungs-Stauchungs-Kurven sind in Abhängigkeit von der Temperatur für die untersuchten Werkstoffe in Abbildung 4 dargestellt. Hierbei werden die gemittelten Kurven von mindestens zwei geprüften Proben bis zu einer Stauchung von 20% angegeben. Zu beachten ist, dass die Dehnung auf Basis des Traversenwegs berechnet wurde. In den Untersuchungen von Hitzler et al. [13] wurden Proben mit einem Höhen-Durchmesserverhältnis von 5:1 verwendet. Dabei konnte das Knicken einiger Proben während des Versuchs nicht vermieden werden. Aufgrund des gewählten Höhen-Durchmesserverhältnis von 1,5:1 konnte kein Knicken beobachtet werden, sodass die Einhaltung des HöhenDurchmesserverhältnisses der Proben sichergestellt war. Die Ergebnisse weisen dabei die typischen Bereiche der elastischen und elastisch-plastischen Verformung auf, wie es auch im klassischen Zugversuch der Fall ist. Dabei ist sehr gut zu erkennen, dass mit steigender Prüftemperatur bei den drei untersuchten Werkstoffen eine reduzierte Steigung des elastischen Bereichs festgestellt werden kann. Die Spannungen im elastischplastischen Bereich liegen in jedem Fall erwartungsgemäß unterhalb der Spannungs-Stauchungs-Kurve bei Raumtemperatur aufgrund der zu erwartenden Abnahme der Festigkeit unter Hochtemperatur. Im Gegensatz zur Titanaluminidlegierung Ti-48Al-2Cr-2Nb können für die Legierungen Inconel 625 und Fe-20Cr-4,5Al-0,5Ti geringe Abweichungen in den mechanischen Kennwerten bei erhöhten Temperaturniveaus festgestellt werden. Auffällig ist, dass keine der Proben bis zu der angegebenen Stauchung versagt und somit keine fraktografischen Untersuchungen durchgeführt werden konnten. Ebenso konnte keine Druckfestigkeit RdB ermittelt werden, da ein linear ansteigender Verlauf für Inconel 625 und Ti-48Al2Cr-2Nb und ein asymptotischer Verlauf für die Legierung Fe-20Cr-4,5Al-0,5Ti beobachtet werden. Dies lässt auch auf sehr unterschiedliche Werkstoffverhalten schließen, da die Legierungen Inconel 625 und TiAl eine deutliche Verfestigung aufweisen.

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

Abbildung 4:

151

Spannungs-Stauchungs-Kurven für die Legierungen a) Ti-48Al-2Cr-2Nb, b) Inconel 625 und c) Fe20Cr4,5Al0,5Ti.

Als Alternative dazu ermöglicht die Norm die Definition von Kennwerten bei einer oder mehreren wählbaren plastischen Stauchungen. Diese werden analog zur Dehngrenze Rp0,2 mit einer Geraden parallel zum elastischen Bereich ermittelt. In dieser Arbeit werden die Kennwerte Rdp0,2, Rdp2 und Rdp10 mit entsprechend 0,2%, 2% und 10% plastischer Stauchung als Kenngrößen verwendet. In Tabelle 2 sind die absoluten Werte der Stauchgrenzen bei definierten plastischen Verformungen mit Standardabweichungen für die unterschiedlichen Temperaturniveaus tabellarisch aufgelistet und in Abbildung 5 grafisch dargestellt. Tabelle 2:

Stauchgrenzen mit Standardabweichung bei definierter plastischer Verformung.

Material Ti-48Al-2Cr-2Nb

Temperatur

Rdp0,2 (MPa)

Rdp2 (MPa)

Rdp10 (MPa)

RT

774 ± 82

1021 ± 52

1466 ± 65

400°C

673 ± 13

870 ± 23

1446 ± 27

650°C

684 ± 43

890 ± 48

1457 ± 75

152

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften Material Inconel 625

Fe-20Cr-4,5Al-0,5Ti

Temperatur

Rdp0,2 (MPa)

Rdp2 (MPa)

Rdp10 (MPa)

RT

427 ± 4

488 ± 5

652 ± 24

400°C

318 ± 12

380 ± 14

558 ± 24

650°C

316 ± 6

377 ± 5

562 ± 15

RT

638 ± 17

711 ± 15

806 ± 19

300°C

516 ± 28

591 ± 22

657 ± 17

600°C

441 ± 2

484 ± 12

507 ± 6

Bei genauer Betrachtung der Standardabweichungen wird deutlich, dass die ermittelten Kennwerte eine geringe Streuung aufweisen. Die größte Abweichung kann bei der Titanaluminidlegierung gefunden werden und beträgt maximal ca. 11%.

Abbildung 5:

Stauchgrenzen bei plastischen Verformungen für die Werkstoffe in Abhängigkeit von der Prüftemperatur a) Ti-48Al-2Cr-2Nb, b) Inconel 625 und c) Fe20Cr-4,5Al-0,5Ti.

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

153

Im Folgenden wird der Einfluss verschiedener Temperaturniveaus untersucht. Hier ist erkennbar, dass die Standardabweichung nicht von der Prüftemperatur beeinflusst wird. Maximale Standardabweichungen treten bei RT für Ti-48Al-2Cr-2Nb auf, sinken bei höheren Temperaturniveaus jedoch auf maximal 6% ab. Ebenso treten für den Stahl Fe20Cr4,5Al0,5Ti bei 300°C größere Abweichungen auf, die jedoch bei einem höheren Temperaturniveau wieder deutlich geringer ausfallen. Die Abweichungen bei erhöhten Temperaturen können auf eine mögliche nicht vollständige Durchwärmung der Probe oder Unterschiede bei den vorliegenden prozessinduzierten Defekten im Inneren der Probe zurückgeführt werden. Ein weiterer zu betrachtender Faktor ist die Größe der plastischen Verformung, die zur Bestimmung der Stauchgrenzen gewählt wurde. Auch hier wird deutlich, dass die einzelnen Proben sehr vergleichbare Ergebnisse liefern und unabhängig von der gewählten plastischen Verformung sehr reproduzierbare Kenngrößen bestimmt werden können. Zusammenfassend kann herausgestellt werden, dass sich die Streuung der Kennwerte unabhängig vom Material, der Prüftemperatur und dem Maß der plastischen Verformung in akzeptablen Grenzen befindet. Dies lässt Rückschlüsse darauf zu, dass durch die verwendete Zentriervorrichtung, die hochfesten Druckstempel und die Bearbeitung der Druckproben eine hohe Genauigkeit bei gleichzeitiger Reproduzierbarkeit erzielt wird. Allerdings muss besonders bei Hochtemperaturversuchen darauf geachtet werden, dass die untersuchten Proben ausreichend lang durchgewärmt werden, bevor der Versuch gestartet wird. Weitere Werkstoffdaten, wie beispielsweise der Elastizitätsmodul im Druckbereich, können durch die Verwendung eines taktilen Extensometers oder Wegaufnehmers an den Druckplatten ermittelt werden, wenn von einer idealen Steifigkeit der WC-Co-Druckstempel ausgegangen wird. Aktuell kann der elastische Bereich noch nicht dafür ausgewertet werden, da unterschiedliche Prüfmaschinen für die Durchführung der Versuche genutzt wurden und die unterschiedliche Maschinensteifigkeit nicht vernachlässigt werden kann. Die konsequente Einbindung eines Extensometers, sowohl für Raum- als auch Hochtemperatur, stellt damit eine Herausforderung für zukünftige Versuche dar. Darüber hinaus ermöglicht die kleine Probengeometrie auch eine effiziente Untersuchung von sehr teuren Werkstoffen bei geringem Materialbedarf, wie z. B. von refraktären Hochentropielegierungen mit teuren Legierungselementen [18]. Durch die Verwendung des Hochtemperaturofens können ebenso die Eigenschaften bei erhöhten Temperaturen untersucht werden, die insbesondere für Werkstoffklassen interessant sind, die als Ersatzwerkstoffe für Nickelbasis-Superlegierungen in Betracht gezogen werden. Dies ist besonders interessant für die Luft- und Raumfahrttechnik aber auch für den Automobilbereich. In einem weiteren Schritt können die quasistatischen Kennwerte aus Zug- und Druckversuchen genutzt werden, um diese auf komplexere Geometrien und mehrachsige Spannungszustände zu übertragen, damit alle Vorteile der additiven Fertigung ausgenutzt werden können. Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt für weiterführende Untersuchungen im Bereich quasistatischer Druckversuche liefern die Untersuchungen von Cyr et al. [19]. Dort konnte gezeigt werden, dass additiv gefertigte Werkstoffe im Gegensatz zu konventionellen Werkstoffen unterschiedliche Zug- und Druckeigenschaften aufweisen können. Als Grundlage für die Untersuchungen diente ein martensitaushärtender Stahl, der im geschmiedeten Zustand ein symmetrisches Werkstoffverhalten im Zug- und Druckbereich zeigt, im additiv gefertigten Zustand jedoch Unterschiede aufweist. Dies wurde ebenfalls von Longhitano et al. [20] anhand der Titanlegierung Ti-6Al-4V nachgewiesen. In diesem Kontext wird von einer Zug-Druck-Asymmetrie bei additiv gefertigten Werkstoffen gesprochen. Auch in der Untersuchung der quasistatischen Eigenschaften der hier aufgeführten Titanaluminidlegierung (Ti-48Al-2Cr-2Nb) konnte an ersten Untersuchungen im Zugversuch ein anderes Werkstoffverhalten als im Druckversuch festgestellt werden. Die untersuchten Proben brachen unter Zugbeanspruchung, ohne dass eine plastische

154

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

Verformung erfasst werden konnte. Dieses spröde Materialverhalten konnte im Druckversuch nicht bestätigt werden. Folglich ist die Untersuchung dieser Asymmetrie bei additiv gefertigten Bauteilen besonders entscheidend für komplexe mehrachsige Belastungsfälle und bedarf daher einer eingehenden Betrachtung im Hinblick auf sicherheitsrelevante Bauteile im Personen- und Güterverkehr. Weiterhin wird auch bei der Modellierung von Werkstoffeigenschaften bisher von identischen Eigenschaften bei Zug- und Druckbeanspruchungen ausgegangen. Dies muss auf Basis der Untersuchungen von Cyr et al. [19] und Longhitano et al. [20] hinterfragt werden.

4 Zusammenfassung und Ausblick In dieser Arbeit wurde ein experimenteller Versuchsaufbau vorgestellt, der die Bestimmung von quasistatischen Druckeigenschaften sowohl bei Raum- als auch Hochtemperatur ermöglicht. Wie anhand der Ergebnisse gezeigt werden kann, können aussagekräftige und vergleichbare Werkstoffkennwerte an additiv gefertigten Miniaturproben ermittelt werden. Durch die geringen Abmaße ist die gewählte Probengeometrie besonders ressourcenschonend und benötigt nur eine kurze Fertigungszeit, sodass auch Sonderwerkstoffe, wie beispielsweise High Entropy Alloys kostengünstig untersucht werden können. Der Druckversuch dient hierbei als erste Einschätzung und/oder Ergänzung zu klassischen Zugversuchen, gerade im Hinblick auf mögliche ZugDruck-Asymmetrien, die bei additiven Werkstoffen auftreten können. Die Ergebnisse streuen unabhängig vom zu untersuchenden Werkstoff, der Prüftemperatur und der Größe der plastischen Verformung nur gering, wodurch quasistatische Kennwerte mit hoher Genauigkeit und gleichzeitig hoher Reproduzierbarkeit bestimmt werden können. Aufgrund der geringen Probenabmaße ist es, verglichen mit Proben für den Zugversuch, einfacher, mit nur geringer Pulvermenge und damit Ausgangsmaterial eine ausreichende Anzahl an Proben zu erhalten. Dies wäre bei der Durchführung von Zugversuchen aufgrund des größeren Materialbedarfs nur eingeschränkt möglich. Anhand der Bestimmung der Kennwerte Rdp0,2, Rdp2 und Rdp10 können gute Vergleichswerte gebildet werden, um schnell und relativ einfach z. B. den Einfluss von Pulvermodifikationen, Prozessparametern, Scanstrategien oder einer nachgeschalteten Wärmebehandlung für additiv gefertigte Werkstoffe zu bestimmen. Des Weiteren soll der vorhandene Aufbau anhand der Prüfung weiterer Werkstoffgruppen validiert und ggf. weiterentwickelt werden. Für die Betrachtung des elastischen Bereichs wird der Aufbau in zukünftigen Untersuchungen mit einem (Hochtemperatur-)Extensometer oder einem induktiven Wegaufnehmer erweitert, um neben der Stauchgrenze des untersuchten Werkstoffs auch den Elastizitätsmodul im Druckbereich bestimmen zu können.

5 Danksagung Die Autoren danken Herrn Dr. Bilal Gökce (Universität Duisburg-Essen), Herrn Dr. Jörg Hildebrand (Technische Universität Ilmenau), Frau Dr. Vera Jüchter (Universität Nürnberg-Erlangen) und Herrn Markus B. Wilms (Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT) für die Bereitstellung der Probenmaterialien.

Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

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Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften

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Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung von laserstrahlgeschmolzenen „3D-gedruckten“ Werkstoffen: TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L W. Reschetnika, G. Kullmerb,c,d, H. A. Richardb,c,d a) REALIZER GmbH / Bielefeld b) Fachgruppe Angewandte Mechanik / Universität Paderborn c) Direct Manufacturing Research Center / Universität Paderborn d) Westfälisches Umweltzentrum / Paderborn

Zusammenfassung Dieser Beitrag stellt das Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung von laserstrahlgeschmolzenen also „3D-gedruckten“ Werkstoffen vor. Hierbei werden drei Materialien: die Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 / Ti-6-4, die Aluminiumlegierung AlSi10Mg und der nichtrostende Stahl X2CrNiMo17-12-2 mit der Werkstoffnummer 1.4404 bzw. 316L im Hinblick auf ihre bruchmechanischen Eigenschaften charakterisiert. Dabei wird zunächst der Einfluss von experimentellen Versuchsparametern, wie der Absenkrate, auf das Ermüdungsrisswachstumsverhalten und somit auf die bruchmechanischen Kennwerte überprüft. Um den Einfluss zweier unterschiedlicher pulverbettbasierter Herstellsysteme auf die resultierenden Bauteileigenschaften zu spezifizieren, werden Rissfortschrittskurven der additiv verarbeiteten Werkstoffe TiAl6V4 und X2CrNiMo17-12-2 gegenübergestellt. Des Weiteren wird die Auswirkung des Spannungsverhältnisses R auf das Ermüdungsrissausbreitungsverhalten der Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 und der Einfluss einer Wärmebehandlung sowie der Aufbaurichtung der Aluminiumlegierung AlSi10Mg aufgezeigt.

Stichwörter: Rissfortschrittskurve, Additive Fertigung, Titanaluminiumlegierung TiAl6V4, Aluminiumlegierung AlSi10Mg, Edelstahl 1.4404 316L X2CrNiMo17-12-2

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_10

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Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

1 Einleitung Technische Strukturen unterliegen im Betrieb häufig neben statischen Lasten auch zyklischen Beanspruchungen. Dabei können durch Materialermüdung Risse im Bauteil entstehen [1]. Zur Prädiktion der Restlebensdauer rissbehafteter Strukturen müssen die bruchmechanischen Kennwerte – Schwellenwert gegen Ermüdungsrissausbreitung / Threshold-Wert sowie die Risszähigkeit – ermittelt werden [2]. Durch neuartige Fertigungsverfahren, wie beispielsweise dem selektiven Laserstrahlschmelzen, müssen aufgrund von Prozesseinflüssen die verarbeiteten Werkstoffe in Bezug auf eine betriebssichere Auslegung mechanisch sowie bruchmechanisch charakterisiert werden [3]. Dabei stellt die werkstoffspezifische Rissfortschrittskurve mit den dazugehörigen Kennwerten ein wichtiges bruchmechanisches Merkmal dar. Zur Beschreibung des Ermüdungsrissausbreitungsverhaltens werden im Rahmen dieses Beitrags bruchmechanische Untersuchungen exemplarisch an den additiv verarbeiteten Werkstoffen TiAl6V4, X2CrNiMo17-12-2 sowie AlSi10Mg durchgeführt und vorgestellt. Eine Gemeinsamkeit dieser Materialien stellt die gute Verarbeitbarkeit mittels der additiven Fertigung dar, wohingegen das Materialverhalten signifikante Unterschiede aufweist. TiAl6V4 besitzt ein hochfestes und eher sprödes Materialverhalten während der korrosionsbeständige Stahl 316L ein deutlich duktileres Materialverhalten bei mittlerer Festigkeit aufweist. AlSi10Mg verfügt im Vergleich zur TiAl6V4 und dem hochlegierten Edelstahl 316L über eine geringere Streckgrenze und Zugfestigkeit, wird jedoch aufgrund der geringen Dichte dementsprechend als Leichtbauwerkstoff in Betracht gezogen. Um den Einfluss von Versuchsparametern sowie die Auswirkung des Spannungsverhältnisses R auf die Rissfortschrittskurve dieser Werkstoffe spezifizieren zu können, werden Rissfortschrittskurven bei unterschiedlichen Parametern experimentell ermittelt. Neben diesen Aspekten wird ein möglicher Einfluss des verarbeitenden Herstellungssystems untersucht. Die Motivation hierfür liegt in der unterschiedlichen Umsetzung der drei grundlegenden Prozessschritte durch die Anlagenhersteller. Der Ablauf bei dem selektiven Laserstrahlschmelzen wird prinzipiell in die folgenden drei Prozessschritte eingeteilt: Beschichten: Bei diesem Prozessschritt wird der pulverförmige, metallische Ausgangswerkstoff entweder direkt auf die Bauplatte bei der Erstbeschichtung oder auf eine zuvor abgelegte und bereits lokal aufgeschmolzene Pulverschicht bei allen weiteren Beschichtungsschritten aufgetragen. Belichten:

Die bei dem Prozessschritt „Beschichten“ aufgetragene Pulverschicht wird in den Bereichen des Bauteilvolumens durch den Laserenergieeintrag beim „Belichten“ lokal aufgeschmolzen.

Absenken:

Um Raum für den folgenden Prozessschritt „Beschichten“ zu generieren wird die Bauplatte in diesem Schritt um genau eine Schichtdicke abgesenkt.

Mit dem wiederholten Durchlaufen dieser drei Prozessschritte wird das Bauteil iterativ Schicht für Schicht aufgebaut [4]. Durch eben diesen schichtweisen Aufbau und den gezielten Abtransport der Wärmeenergie besteht die Gefahr der Ausbildung eines anisotropen Verhaltens im Material. Demzufolge werden abschließend in diesem Beitrag unterschiedliche Aufbaurichtungen sowie die mögliche Steigerung der Werkstoffperformance durch verschiedene Werkstoffzustände analysiert. Die verschiedenen Werkstoffzustände können durch eine gezielte Wärmebehandlung eingestellt werden.

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

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2 Experimentelle Untersuchungen: Testaufbau und Versuchsdurchführung Die experimentellen Untersuchungen für die Ermittlung des bruchmechanischen Werkstoffverhaltens werden mit additiv gefertigten Kompaktzugproben in der Endkontur durchgeführt. Die Kompaktzugproben (CT-Probe: aus dem engl. für Compact Tension Specimen) entsprechen dem ASTM E 647-08 Standard [5] und sind in Abbildung 1 mit den unterschiedlichen Aufbaurichtungen (AR), die in diesem Beitrag untersucht werden, dargestellt. Zunächst ist die Rissausbreitungsrichtung (RR) senkrecht zur Aufbaurichtung, bei der der Riss in der Schichtebene wachsen kann (Abbildung 1a), gezeigt. Demgegenüber steht in Abbildung 1b die Aufbaurichtung parallel zur Rissausbreitungsrichtung. Hier muss der Riss durch die Schichten hindurchwachsen.

Abbildung 1: Kompaktzugprobe als Versuchsprüfkörper für die experimentellen Untersuchungen und die unterschiedlichen Aufbaurichtungen der CT-Probe zur Detektion einer möglichen Anisotropie beim Ermüdungsrisswachstum [6] a) Aufbaurichtung senkrecht zur Rissausbreitungsrichtung (AR⟘RR) b) Aufbaurichtung parallel zur Rissausbreitungsrichtung (ARǁRR) Der Testaufbau zur Charakterisierung des Ermüdungsrissausbreitungsverhaltens ist in Abbildung 2 schematisch dargestellt. Dabei erfolgt die bruchmechanische Analyse mit den additiv hergestellten Kompaktzugproben unter Verwendung der Elektropotentialmethode, die eine kontinuierliche Risslängenmessung ermöglicht. Die Bestimmung der Risslänge a wird mit Hilfe des Risslängenmesssystems DCM-2 des Unternehmens Matelect Ldt. [7] realisiert. Hierbei wird ein konstanter Storm I in die Testprobe sowie in die Referenzprobe eingeleitet (rot dargestellt in Abbildung 2). Mit zunehmender Risslänge der zyklisch belasteten CT-Probe ändert sich das Restligament. Damit erhöht sich der elektrische Widerstand, so dass eine Änderung der Potentialdifferenz entsteht, messtechnisch erfasst und ausgewertet werden kann. Die Steuerung der Zugprüfmaschine ElectroPulsTM E10000, hergestellt von der Firma Instron GmbH, wird mittels der Software FAMControl durchgeführt. Dieses Programm wurde an der Fachgruppe Angewandte Mechanik / Universität Paderborn entwickelt und ermöglicht eine automatisierte Versuchsdurchführung. Bei der Wahl der CT-Probe für die Versuchsdurchführung

160

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

sind zwei wesentliche Aspekte auschlaggebend. Zum einen besitzt diese Probenvariante eine einfach zu erstellende Geometrie und zum anderen, neben der Kompaktheit, werden relativ niedrige Prüfkräfte benötigt.

Abbildung 2: Schematische Darstellung des Testsaufbaus zur Ermittlung von Rissgeschwindigkeitskurven [8] Eine zyklische Belastung im rissbehafteten Bauteil führt zu einem Spannungsfeld, welches einen zyklischen Spannungsintensitätsfaktor ΔKI bewirkt. Mit Hilfe des Spannungsintensitätsfaktors kann die Gefährlichkeit des Risses abgeschätzt werden. Diese Kenngröße beschreiben die Art und Intensität des Spannungsfeldes an der Rissspitze, jedoch nicht deren Verteilung [1]. Der mathematische Zusammenhang zwischen den physikalischen Größen ist in Gleichung 1 abgebildet:

ΔK I = K I,max − K I,min = Δσ ⋅ π ⋅ a ⋅ YI

(1)

Der zyklische Spannungsintensitätsfaktor ΔKI kann mit Hilfe der maximalen und minimalen Spannungsintensitätsfaktoren KI,max und KI,min (Abbildung 3b und d) beschrieben werden. ΔKI ist von der äußeren Belastung, wie der Schwingbreite Δσ, der Risslänge a sowie von der Geometrie des Risses und des Bauteils, welche mittels der dimensionslosen Funktion YI (Geometriefaktor) zusammengefasst wird, abhängig. Neben der zyklischen Spannungsintensität wird zusätzlich das Spannungs- bzw. Beanspruchungsverhältnis R für eine eindeutige Beschreibung der schwingenden Belastung benötigt. Das R-Verhältnis für das Ermüdungsrisswachstum wird in Gleichung 2 formelmäßig dargestellt.

R=

K I,min K I,max

(2)

Zur Ermittlung der Rissfortschrittskurven (da/dN-ΔK-Kurve) werden zwei Versuchsarten unterschieden, Abbildung 3. Der obere Bereich der Rissfortschrittskurve wird aus einem kraftgesteuerten Versuch mit einer konstanten Kraftamplitude ΔF (Abbildung 3a) ermittelt. Gleichzeitig

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

161

resultiert dabei eine Zunahme des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors ΔK an der Rissspitze (Abbildung 3b) mit steigender Risslänge. Für den unteren Bereich der da/dN-ΔK-Kurve wird hingegen die Kraftamplitude ΔF soweit exponentiell abgesenkt (Abbildung 3c), bis der Threshold-Wert ΔKth erreicht wird (Absenkversuch). Aufgrund der sukzessiven Kraftreduktion verringert sich der zyklische Spannungsintensitätsfaktor ΔK an der Rissspitze (Abbildung 3d). Aus den Ergebnissen dieser beiden Versuchsarten entsteht die in Abbildung 3e dargestellte Rissfortschrittskurve mit den charakteristischen bruchmechanischen Kennwerten, wie der zyklischen Risszähigkeit ΔKC und dem ThresholdWert ΔKth.

Abbildung 3: Unterschiedliche Versuchsarten zur Ermittlung von Rissfortschrittskurven a) Versuchsart mit konstanter Kraftamplitude ΔF aus Fmax und Fmin b) Zunahme der Spannungsintensitätsfaktoren Kmax, Kmin sowie des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors ΔK infolge des Risswachstums c) Versuchsart mit abnehmender Kraftamplitude ΔF d) Abnahme der Spannungsintensitätsfaktoren Kmax, Kmin sowie des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors ΔK mit der Absenkrate C infolge der abnehmenden Kraftamplitude bis zum Threshold-Wert ΔKth e) Resultierende da/dN-ΔK-Kurve, ermittelt mit beiden Versuchsarten, mit der Risszähigkeit ΔKC und dem Threshold-Wert ΔKth

3 Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung Der Einfluss des experimentellen Versuchsparameters „Absenkrate C“ auf die bruchmechanische Charakterisierung anhand von Rissfortschrittskurven wird im Folgenden näher betrachtet. Dazu werden bei 800 °C spannungsarmgeglühte, laserstrahlgeschmolzene TiAl6V4-CT-Proben bei einem R-Verhältnis von R = 0,1 mit der zuvor beschriebenen Versuchseinrichtung in Bezug

162

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

auf die Absenkrate C überprüft. Hierbei werden Absenkversuche mit verschiedenen Absenkraten C im Wertebereich von -0,08 mm-1 bis -0,64 mm-1 durchgeführt, um mögliche Reihenfolgeeffekte ausschließen zu können. In Abbildung 4 sind die experimentellen Ergebnisse für den unteren Bereich der Rissfortschrittskurven dargestellt.

Abbildung 4: Einfluss des experimentellen Versuchsparameters „Absenkrate C“ im Wertebereich von -0,08 bis -0,64 mm-1 auf die Rissausbreitungskurven Die ermittelten Rissgeschwindigkeitskurven weisen nahezu identische Verläufe auf. Wird der Threshold-Wert gegen das Ermüdungsrisswachstum verglichen, so sind die Unterschiede marginal. Eine genaue Auflistung der Schwellenwerte gegen Ermüdungsrissausbreitung in Abhängigkeit der Absenkrate C ist in Tabelle 1 dargestellt. Tabelle 1:

Experimentell ermittelte Threshold-Werte in Abhängigkeit der Absenkrate

Werkstoff TiAl6V4 800 °C-Zustand AR⟘RR R = 0,1

Absenkrate C [mm-1]

Threshold-Wert ΔKth [MPa·m1/2]

-0,08

3,4

-0,20

3,5

-0,32

3,3

-0,64

3,4

Mit Hilfe der Tabelle 1 wird ein Mittelwert von ΔKth = 3,4 MPa·m1/2 mit einer Standardabweichung von ±0,08 MPa·m1/2 berechnet. Diese Erkenntnisse werden in der Literatur [9] und [10] bestätigt. Die Absenkrate weist somit keinen signifikanten Einfluss auf das Ermüdungsrisswachstumsverhalten auf. Das Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung und somit die grundlegende Aussagen über die Gefährlichkeit des Risses in einer Struktur bei einer vorliegenden Beanspru-

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

163

chungssituation wird mittels der Rissfortschrittskurven beschrieben. Diese Rissfortschrittskurven, die somit die bruchmechanische Charakterisierung des Werkstoffs darstellen, müssen in der Regel experimentell ermittelt werden. In Abbildung 5 sind derartige Rissausbreitungskurven von den in diesem Beitrag untersuchten laserstrahlgeschmolzenen Materialien TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L illustriert. Diese Ergebnisse sind aus der Literatur [11] entnommen und gelten für den Bauzustand mit eine Aufbaurichtung parallel zur Rissausbreitungsrichtung AR∥RR. Mit Hilfe dieser Rissfortschrittskurven und den Beanspruchungsdaten eines additiv gefertigten Bauteils kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob der betrachtete Riss ausbreitungsfähig ist oder ob das Risswachstum stabil oder instabil verläuft Des Weiteren ermöglichen diese Kurven bei einer stabilen Rissausbreitung eine Abschätzung der Restlebensdauer, also der möglichen Anzahl an Lastwechseln bis zum technischen Versagen. Die Gegenüberstellung der experimentell ermittelten Rissausbreitungskurven in Abbildung 5 veranschaulicht die deutlichen Unterschiede im bruchmechanischen Verhalten von TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L.

Abbildung 5: Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung anhand von Rissausbreitungskurven von laserstrahlgeschmolzenen bzw. „3D-gedruckten“ Werkstoffen: TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L, für alle experimentellen Untersuchungen liegt hier der Bauzustand, eine Aufbaurichtung parallel zur Rissausbreitungsrichtung AR∥RR, ein R-Verhältnis von R = 0,1 und eine Prüffrequenz von 40 Hz vor [11] Die experimentell ermittelten bruchmechanischen Kennwerte, wie der Schwellenwert gegen Ermüdungsrissausbreitung ΔKI,th und zyklische Risszähigkeit ΔKIC, sind in Tabelle 2 zusammen-

164

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

gefasst. Hierbei fällt auf, dass der Schwellenwert gegen Ermüdungsrissausbreitung für die Prüfkörper im Bauzustand mit einer Aufbaurichtung parallel zur Rissausbreitungsrichtung des Werkstoffs 316L im Vergleich zu der Titan-Aluminium-Legierung mehr als doppelt so hoch ist. Tabelle 2:

Experimentell ermittelte Schwellenwerte gegen Ermüdungsrissausbreitung ΔKI,th und zyklische Risszähigkeit ΔKIC

Werkstoff

Threshold-Wert ΔKI,th

zyklische Risszähigkeit ΔKIC (abgelesen)

1,7 MPa·m1/2

~ 31 MPa·m1/2

AlSi10Mg Bauzustand

1,3

MPa·m1/2

~ 9 MPa·m1/2

316L Bauzustand

3,8 MPa·m1/2

~ 49 MPa·m1/2

TiAl6V4 Bauzustand

Die Aluminiumlegierung AlSi10Mg weist gegenüber 316L und TiAl6V4 sowohl den geringsten Threshold-Wert und dementsprechend den geringsten Widerstand gegen Ermüdungsrissausbreitung als auch die geringste zyklische Risszähigkeit ΔKIC auf. Die Rissfortschrittskurven in Abbildung 5 und die Kennwerte in der Tabelle 2 veranschaulicht die wesentlichen Unterschiede des Ermüdungsrissausbreitungsverhaltens zwischen den hier untersuchten 3D-gedruckten Materialien. Diese Rissfortschrittskurven können zur Prognose der Restlebensdauer von rissbehafteten Strukturen verwendet werden und bieten die Möglichkeit additive gefertigte Bauteile bruchmechanisch zu optimieren. Damit können auch sicherheitsrelevante Strukturen unter Verwendung der additiven Fertigung individuell und hochkomplex ausgeführt werden.

3.1 Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 Um den Einfluss des verarbeiteten Herstellungssystems auf das bruchmechanische Verhalten zu untersuchen, werden CT-Proben an einer EOSINT M 280 von dem Maschinenhersteller EOS GmbH (Electro Optical Systems) produziert. Diese werden Literaturwerten [12] gegenübergestellt, bei denen Rissgeschwindigkeitskurven an Kompaktzugproben gleicher Geometrie aufgenommen wurden, welche mit einer SLM 250HL Anlage des Unternehmens SLM Solutions Group AG generiert wurden. Darüber hinaus werden die Rissgeschwindigkeitskurven zur grundsätzlichen Einschätzung der ermittelten Schwellenwerte gegen Ermüdungsrisswachstum mit einer aus der Literatur [12] erhältlichen da/dN-ΔK-Kurve verglichen, die für konventionell hergestelltes TiAl6V4 aufgenommen wurde. Des Weiteren wird der Einfluss einer Wärmebehandlung auf die bruchmechanischen Kennwerte untersucht. Dabei wird ein an den Bauprozess nachgeschaltetes Spannungsarmglühen bei einer Temperatur von 800 °C für 2 Stunden dem „Bauzustand“ gegenübergestellt. „Bauzustand“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Proben direkt nach dem Fertigungsprozess ohne jegliche Wärmenachbehandlung entnommen und geprüft werden. Die Gegenüberstellung der beiden Aspekte – Herstellungssystem und nachträgliche Wärmebehandlung – ist in Abbildung 6 und Tabelle 3 dargestellt. Die experimentell ermittelten Rissgeschwindigkeitskurven verdeutlichen die Verbesserung des Materialverhaltens aufgrund der Wärmebehandlung. Durch diese Maßnahme werden die prozessinduzierten Eigenspannungen [13, 14] abgebaut. Das Spannungsarmglühen verschiebt die Rissfortschrittskurve in den bruchme-

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

165

chanisch besseren Bereich und erhöht den Threshold-Wert um den Faktor 2,5, so dass das Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung vergleichbar ist mit den Materialkennwerten des konventionell hergestellten TiAl6V4.

Abbildung 6: Einfluss des verarbeitenden Herstellungssystems und der Wärmebehandlung 800 °C auf das Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung der 3D-gedruckten Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 Bei der Gegenüberstellung der beiden verschiedenen Herstellungssysteme sind sowohl die Schwellenwerte gegen Ermüdungsrisswachstum als auch die Kurvenverläufe nahezu deckungsgleich. Dies wird ebenfalls mittels Tabelle 3 und den relativ geringen Standardabweichungen der Threshold-Werte verdeutlicht. Somit kann die Schlussfolgerung abgeleitet werden, dass bei einer richtigen Wahl der Prozessparameter das pulverbettbasierte additive Fertigungssystem keinen relevanten Einfluss auf die resultierenden bruchmechanischen Bauteileigenschaften des TiAl6V4 aufweist. Tabelle 3:

Experimentell ermittelte Threshold-Werte für TiAl6V4, AR∥RR, R = 0,1

Herstellungssysteme

Zustand

Threshold-Wert ΔKI,th

Standardabweichung

Bauzustand

1,7 MPa·m1/2

±0,05 MPa·m1/2

SLM

Bauzustand

MPa·m1/2

±0,04 MPa·m1/2

EOS

wärmebehandelt

4,2 MPa·m1/2

±0,08 MPa·m1/2

SLM

wärmebehandelt

4,1 MPa·m1/2

±0,50 MPa·m1/2

EOS

Blech gewalzt

Grundmaterial

1,7

3,3

MPa·m1/2

Das Spannungsverhältnis R (Gleichung 2) stellt eine weitere Einflussgröße auf das Rissausbreitungsverhalten dar. Dementsprechend wird im Folgenden bei lasergeschmolzenen TiAl6V4-CT-

166

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

Proben das Werkstoffverhalten bei unterschiedlichen, positiven R-Verhältnissen im Wertebereich von R = 0,1 bis 0,8 untersucht. Der Einfluss des R-Verhältnisses für die Titanaluminiumlegierung im 800 °C-Zustand mit einer Aufbaurichtung orthogonal zur Rissausbreitungsrichtung ist in Abbildung 7 und Tabelle 4 visualisiert.

Abbildung 7: Einfluss des R-Verhältnisses auf die Rissfortschrittskurven des additiv verarbeiteten Werkstoffs Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 im wärmebehandelten Zustand Die Rissfortschrittskurven werden mit steigendem R-Verhältnis zu kleineren ΔK-Werten verschoben. Diese Tatsache wird in Tabelle 4 besonders deutlich. Der mittlere Bereich von der Rissfortschrittskurve weist in der doppellogarithmischen Darstellung für alle untersuchten R-Verhältnisse einen linearen Verlauf mit einer nahezu unveränderten Steigung auf. Ähnliche Erkenntnisse sind in der Literatur [1, 15-17] zu finden. Tabelle 4:

Experimentell ermittelte Threshold-Werte in Abhängigkeit des R-Verhältnisses

Werkstoff TiAl6V4 800 °C-Zustand AR⟘RR

R-Verhältnis

Threshold-Wert ΔKI,th

0,1

3,4 MPa·m1/2

0,3

2,7 MPa·m1/2

0,5

2,4 MPa·m1/2

0,8

1,9 MPa·m1/2

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

167

3.2 Nichtrostender Stahl 1.4404 / 316L / X2CrNiMo17-12-2 Vergleichbar zu den Untersuchungen mit der Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 wird der Einfluss der beiden bereits erwähnten Herstellungssysteme an dem nichtrostenden Stahl 1.4404 beziehungsweise 316L / X2CrNiMo17-12-2 experimentell ermittelt, da der Werkstoff X2CrNiMo17-12-2 ein deutlich anderes Materialverhalten [18] aufweist. Für die experimentelle Analyse werden CT-Proben mit einer Aufbaurichtung parallel zur Rissausbreitungsrichtung im Bauzustand verwendet. In Abbildung 8 ist die Auswirkung des verarbeitenden Herstellungssystems auf die Rissfortschrittskurven dargestellt.

Abbildung 8: Einfluss des verarbeitenden Herstellungssystems auf das bruchmechanische Verhalten des nichtrostenden Stahls X2CrNiMo17-12-2 Dabei weisen die Kurvenverläufe beider Varianten insbesondere im mittleren Bereich aber auch im Bereich der Risszähigkeit gute Übereinstimmungen auf, wohingegen im Bereich des Threshold-Wertes größere Abweichungen vorliegen. Da der Schwellenwert aus der Literatur [12] deutlich höheren Streuungen unterliegt und im Vergleich der Mittelwerte um 20 % niedriger ist, wird der Einfluss des verarbeitenden Laserstrahlschmelzsystems als unwesentlich eingestuft.

3.3 Aluminiumlegierung AlSi10Mg Die bruchmechanische Performance der lasergeschmolzenen AlSi10Mg-Legierung ist in Abbildung 9 für unterschiedliche Werkstoffzustände (Bauzustand und 480 °C-Zustand) und Orientierungen veranschaulicht. Der 480 °C-Zustand wird durch ein Lösungsglühen bei 480°C für eine

168

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

Haltezeit von 1,5 Stunden mit anschließendem Abschrecken (Wasser) und Warmauslagern (6 Stunden bei 170 °C) realisiert. Diese Wärmebehandlung führt zu einer Verbesserung des bruchmechanischen Verhaltens, so dass die Rissgeschwindigkeitskurve weiter rechts angeordnet ist. Der Schwellenwert gegen Ermüdungsrissausbreitung bei dem 480 °C-Zustand ist ungefähr doppelt so groß im Vergleich zum Bauzustand. Der Einfluss der Aufbaurichtung bei dem Laserstrahlschmelzen wird durch parallel und orthogonal zur Rissausbreitungsrichtung orientierten CT-Proben, mit denen Rissfortschrittskurven aufgenommen werden, charakterisiert. Die Ergebnisse der Untersuchung weisen für die CTProbe mit einer Orientierung AR∥RR einen Threshold-Wert von ΔKth = 2,4 MPa·m1/2 auf. Dieser ist in Bezug auf AR⊥RR um 0,4 MPa·m1/2 beziehungsweise um ca. 15 % geringer.

Abbildung 9: Einfluss von Wärmebehandlung und Aufbaurichtung auf die Rissausbreitungskurven des laserstrahlgeschmolzenen Werkstoffs AlSi10Mg

4 Fazit Im Rahmen dieses Beitrags wurden laserstrahlgeschmolzene Werkstoffe TiAl6V4, X2CrNiMo17-12-2 und AlSi10Mg im Hinblick auf ihre bruchmechanischen Eigenschaften charakterisiert. Dabei wurde im Vorfeld kein signifikanter Einfluss des experimentellen Versuchsparameters „Absenkrate C“ auf das Ermüdungsrisswachstumsverhalten aufgezeigt. Um den Einfluss zwei unterschiedlicher pulverbettbasierter Herstellsysteme auf die resultierenden Bauteileigenschaften zu spezifizieren, wurden Rissfortschrittskurven der additiv verarbeiteten Werkstoffe TiAl6V4 und X2CrNiMo17-12-2 gegenübergestellt. Das Ergebnis ist, dass durch die experimentellen Untersuchungen kein signifikanter Einfluss der Fertigungsanlagen der beiden Anlagenhersteller EOS und SLM ausgemacht werden konnte. Auch das Spannungsverhältnisses R in Bezug auf eine Beeinflussung der Rissfortschrittskurven wurde anhand der TiAl6V4Legierung analysiert und weist einen Einfluss auf. Hierbei wird eine für metallische Werkstoffe

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

169

typische Auswirkung des R-Verhältnisses auch bei der additiv verarbeiteten TiAl6V4-Legierung verdeutlicht. Darüber hinaus konnte durch eine gezielte Wärmebehandlung das bruchmechanische Werkstoffverhalten sowohl des TiAl6V4 als auch des AlSi10Mg deutlich verbessert werden. Die Wärmebehandlung verschiebt die Rissfortschrittskurve der beiden Materialien in den bruchmechanisch besseren Bereich und erhöht den Threshold-Wert um mehr als den Faktor 2. Ebenfalls wurden bei der Aluminiumlegierung AlSi10Mg die Auswirkungen der unterschiedlichen Aufbaurichtungen näher betrachtet mit der Erkenntnis, dass die Aufbaurichtung einen geringen Einfluss auf die Rissfortschrittskurven aufweist.

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170

Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L

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Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen in Abhängigkeit der Einsatzfrequenz B. Bauer, G. Kullmer, H. A. Richard Fachgruppe Angewandte Mechanik, Universität Paderborn DMRC – Direct Manufacturing Research Center, Universität Paderborn

Zusammenfassung Mit Hilfe der additiven Fertigung können heutzutage neuartige Kunststoffprodukte hergestellt werden, welche sowohl individuelle, als auch komplexe Designanforderungen erfüllen. Der darüber hinaus zunehmende Einsatz solcher Bauteile in mechanisch tragenden Strukturen setzt die Durchführung von Lebensdaueruntersuchungen voraus, da Bauteile dieser Art oftmals zyklischen Betriebsbelastungen ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang spielen vor allem die Aspekte der Rissbildung und des Risswachstums eine bedeutende Rolle. Beim Einsatz von Kunststoffwerkstoffen sind ebenfalls die zeit- und temperaturabhängigen Materialkennwerte wesentlich für die erreichbare Lebensdauer verantwortlich, sodass diese bei der Durchführung von experimentellen Untersuchungen zu berücksichtigen sind. Eine wichtige Kenngröße, welche das Risswachstum in Werkstoffen beschreibt, ist die Risswachstumsrate, zu deren Ermittlung eine kontinuierliche Risslängenmessung eine wesentliche Voraussetzung ist. In diesem Beitrag wird daher zunächst ein Verfahren zur Risslängenmessung in additiv gefertigten Kunststoffen auf Basis von Steifigkeitsänderungen vorgestellt. Im Anschluss werden auf dieser Grundlage experimentelle Risswachstumsuntersuchungen durchgeführt, mit denen die Ermittlung von bruchmechanischen Kennwerten (Threshold ΔKth, zyklische Risszähigkeit ΔKC, Rissfortschrittskurve) des verwendeten Kunststoffes ermöglicht wird. Die Risswachstumsversuche erfolgen unter Variation der Prüffrequenz, um eine bruchmechanische Charakterisierung für unterschiedliche Anwendungsprofile umzusetzen.

Stichwörter: Kunststoffe, Additive Fertigung, Rissfortschrittskurve, Prüffrequenz

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_11

Risslängenmessung,

172

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

1 Einleitung In der heutigen Zeit findet durch eine stärkere Verbreitung des Leichtbaus eine kontinuierliche Anpassung zwischen Material und dem Verwendungszweck technischer Komponenten statt [1]. In diesem Zusammenhang spielen insbesondere kunststofftechnische Systemlösungen eine wesentliche Rolle. Diese erfüllen einerseits die Anforderung nach geeigneten optischen Lösungen durch geometrisch anspruchsvolle Formgebung, wie sie z. B. im Bereich der Innen- sowie der Außenausstattung von Kraftfahrzeugen gefordert wird [2]. Dieser klassische Einsatzbereich wird gegenwärtig jedoch durch den vermehrten Einsatz der sogenannten technischen Kunststoffe, wie bspw. Polyamid (PA) erweitert [3]. Diese bieten aufgrund ihrer hervorragenden technischen Eigenschaften, bei gleichzeitig geringem spezifischem Gewicht, ebenfalls Anwendungsmöglichkeiten in mechanisch tragenden Strukturen (Abbildung 1) oder als Sicherheitskomponente und dienen somit als wirtschaftliche Leichtbaulösung [4]. a) b)

Abbildung 1: Anwendungsbeispiele von Kunststoffwerkstoffen in technischen Strukturen a) Hochbelastete Drehmomentstütze (PA 66) (Quelle: Opel) b) Leichtbau-Pendelstütze (Quelle: Porsche AG) Der Anwendungsbereich für Kunststoffe dieser Art ist dabei jedoch nicht nur auf die Massenfertigung von einfachen Geometrien beschränkt. Vielmehr kommt vermehrt der Wunsch auf, individuell gefertigte Bauteile herzustellen, um spezifische Systemlösungen für Kleinstserien oder Einzelstücke wirtschaftlich umzusetzen. Ein Lösungsansatz dafür bieten generative Fertigungsverfahren [5], insbesondere das technologische Prinzip des Selektiven Laser Sinterns (SLS), welches ein häufig verwendetes Verfahren beim Einsatz von technischen Kunststoffen ist. Eine schichtweise und werkzeuglose Formgebung charakterisiert dieses Fertigungsverfahren und führt als Technologietreiber zu einer Reihe von Vorteilen gegenüber traditionellen Fertigungsverfahren. Die individuelle Herstellung von Bauteilen mit hoher Komplexität (Freiformflächen, Hinterschnitte, Hohlräume etc.), die Möglichkeit der Funktionsintegration, die Produktpersonalisierung (individuelle Medizintechnik) und die wirtschaftliche Herstellung kleiner Losgrößen sind nur einige Aspekte generativer Fertigungsverfahren [6]. Das Einsatzprofil dieser Kunststoffe in der industriellen Anwendung ist im Regelfall durch eine Betriebsbelastung gekennzeichnet, weshalb eine Aussage zur Lebensdauer solcher Bauteile erforderlich ist. Diesbezüglich ist es notwendig, dass entsprechende Kennwerte zur Werkstoffcharakterisierung bekannt sind [7]. Häufig liegt in derartigen Fällen eine zyklische Bauteilbelastung vor, welche sich oftmals durch einen periodischen Verlauf der Beanspruchung äußert. Vor dem Hintergrund des eingesetzten Kunststoffs spielt diesbezüglich ebenfalls die Frequenz der vorliegenden periodischen Beanspruchung eine westliche Rolle. Infolge des zeitabhängigen Werkstoffverhaltens von Kunststoffen kann dies in Kombination mit Erwärmungseffekten zu einer nicht zu vernachlässigen Änderung der erreichbaren Lebensdauer führen. In Bezug auf eine zyklische Belastungssituation ist Materialermüdung (Rissbildung & Risswachstum) eine der Hauptversagensursachen,

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

173

δ=

v(a/w) Fmax

Nachgiebigkeit δ

F(t), v(a/w)

Nachgiebigkeit δ

weshalb bruchmechanische Untersuchungen erforderlich sind, um Lebensdauerhypothesen aufstellen zu können. Eine Aussage bezüglich des Ermüdungsrisswachstums innerhalb von Bauteilen und Strukturen sowie zur Lebensdauerabschätzung bietet die Rissgeschwindigkeitskurve mit ihren beiden charakteristischen Kennwerten (Threshold ΔKth & Risszähigkeit KC) [8]. Die Ermittlung dieser bruchmechanischen Kennwerte wird dabei anhand von experimentellen Untersuchungen (Risswachstumsversuchen) umgesetzt. Um diese Kennwerte zu bestimmen, werden einige grundlegende Anforderungen an den experimentellen Aufbau gestellt. Wesentlich ist dabei die Sicherstellung einer kontinuierlichen Messung der fortschreitenden Risslänge innerhalb der Prüfungsphase [8]. Für die Umsetzung dieser Notwendigkeit stehen unterschiedliche Messsysteme zur Verfügung [9], wobei z. B. das bei metallischen Werkstoffen häufig eingesetzte Elektropotentialverfahren aufgrund der nicht vorhandenen elektrischen Leitfähigkeit bei additiv gefertigten Kunststoffen nicht geeignet ist. Ein Konzept, das eine kontinuierliche und automatisierte Risslängenmessung ermöglicht, ist die Compliance Methode, deren grundlegendes Prinzip Abbildung 2 zeigt.

F(t), v(a/w) Risslänge a Lastwechselzahl N CT-Probe Abbildung 2: Schematische Darstellung der Risslängenmessung mittels Compliance Methode

Die Compliance Methode beruht auf dem physikalischen Zusammenhang, dass die Probennachgiebigkeit δ (engl.: compliance) mit zunehmender Risslänge a ansteigt [10]. Die Vorteile dieses Verfahrens sind neben der flexiblen Einsatzmöglichkeit bzgl. des Probenwerkstoffes vor allem in der Einfachheit und der kostengünstigen Realisierung gegeben. Jedoch setzt dieses Risslängenmesskonzept voraus, dass einerseits die Rissöffnungsverschiebung Δv und die zugehörige Kraftänderung ΔF messtechnisch korrekt erfasst werden können und andererseits, dass die Wechselbeziehung zwischen der Nachgiebigkeit und der Risslänge bekannt ist. Die vorliegende Thematik dieses Beitrags besteht somit darin, zunächst das Funktionsprinzip der ComplianceMethode auf additiv gefertigte Kunststoffproben anzuwenden, um damit eine automatisierte Versuchssteuerung zu ermöglichen. Weiterhin soll das Ermüdungsrisswachstum additiv gefertigter Kunststoffe unter dem Einfluss der Prüffrequenz f analysiert werden. Darauf aufbauend sollen eine Einschätzung bzgl. der Lebensdauer solcher Werkstoffe gegeben und anschließend, unter Anwendung des Messsystems sowie unter Variation der Prüffrequenz, automatisiert bruchmechanische Werkstoffkennwerte aufgenommen werden.

174

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

2 Mechanische Spektroskopie von Polyamid 12 Zur Analyse des Ermüdungsrissverhaltens von additiv gefertigten Kunststoffen muss neben der Analyse des grundsätzlichen mechanischen Verhaltens dieses Werkstoffes ebenfalls das Materialverhalten in Abhängigkeit von der Zeit und Temperatur untersucht werden. Der grundlegende strukturelle Aufbau von Kunststoffen besteht aus einer Aneinanderreihung von tausenden Monomeren, welche die Grundbausteine jedes Polymers repräsentieren. Die dadurch entstehenden Makromolekülketten bilden eine lineare Kettenabfolge und besitzen die Eigenschaft, sich mit weiteren Molekülketten untereinander zu verbinden. Die Bauform sowie der Grad der Vernetzung dieser Molekülabfolge bestimmen die mechanischen Eigenschaften des Kunststoffes [11]. Ein in industriellen Anwendungen häufig verwendeter Kunststoff, welcher zudem bei additiven Fertigungsverfahren eingesetzt werden kann, ist Polyamid 12 (PA12). Dieser Kunststoff entsteht mittels Polykondensationsreaktion und gehört zur Gruppe der teilkristallinen Thermoplaste. Diese Werkstoffgruppe weist einen geringen Vernetzungsgrad zwischen den Makromolekülen sowie eine partielle, faltenförmige Ordnung (Abbildung 3a) der Molekülketten auf. Durch diese problemlos zu kristallisierende Molekülanordnung ist PA12 einfach plastisch verformbar. Dies bedeutet, dass sich oberhalb der Schmelztemperatur ein viskoelastischer Zustand der Schmelze einstellt [12]. Dadurch kann beim Lasersinterprozess beim Vorhandensein eines Zwei-Phasen-Mischgebiets (Kunststoffschmelze – gesintertes Pulver) eine Kristallisation stattfinden und ein Zusammenhalt zwischen den Schichten sichergestellt werden. b)

teilkristalline Bereiche (lammellenartig)

amorphe Bereiche

Spannung σ, Dehnung ε

a)

Glasübergangstemperatur TG

Kristallitschmelzbereich zähhart

hart, spröde

thermoelastisch

σB

εB

Temperatur T

Abbildung 3: a) Molekularer Aufbau eines teilkristallinen Thermoplasten [11] b) Zustandsdiagramm eines teilkristallinen Thermoplasten [11] Thermoplastische Kunststoffe, wie PA12, besitzen im Vergleich zu metallischen oder auch keramischen Werkstoffen ein anderes Materialverhalten, was auf die physikalischen Eigenschaften der Polymere zurückzuführen ist. Diesbezüglich spielt besonders die Einflussgröße Temperatur eine wesentliche Rolle. PA12 besitzt bei Raumtemperatur ein hart/sprödes Materialverhalten. Bei einer Temperaturänderung hingegen werden die kovalenten Bindungen zwischen den Ato-

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

175

men und die Nebenvalenzkräfte zwischen den Makromolekülen abgeschwächt und eine Verschiebung bzw. ein Fließen der Moleküle untereinander ermöglicht, was den Werkstoff duktiler macht. Dieser Wechsel der Materialeigenschaften wird bei teilkristallinen Thermoplasten durch den Glasübergangstemperatur-/ und den Kristallitschmelzbereich (Abbildung 3b) definiert. Von mechanischer Bedeutung ist hierbei jedoch nur die Glasübergangstemperatur, da oberhalb dieser Grenze ein Einsatz des Kunststoffes noch möglich ist, weil zunächst nur die amorphen Bereiche eine Erweichung erfahren. Demgegenüber werden beim Überschreiten des Kristallitschmelzbereiches die zwischenmolekularen Kräfte vollständig aufgehoben und der Werkstoff erweicht zunehmend, was einen Einsatz für technische Strukturen nicht mehr zulässt [3]. Das Verformungsverhalten dieser Kunststoffe ist ebenfalls von der vorherrschenden Temperatur (Abbildung 4) und der Belastungsgeschwindigkeit abhängig. Dies ist dem strukturellen Aufbau der Polymere geschuldet, da die Makromoleküle auf eine Beanspruchung nur zeitversetzt reagieren können. Das anschließende Bestreben, die durch die Beanspruchung hervorgerufene Unordnung zu kompensieren, wird durch Umlagerungsprozesse bis zum Eintreten eines Gleichgewichtszustandes realisiert. Kann eine Umlagerung der Makromoleküle aufgrund hoher Beanspruchungsgeschwindigkeit nicht erfolgen, verhalten sich Thermoplaste überwiegend spröde mit einem Bruch kurz nach Erreichen der maximalen Spannung. Niedrige Temperaturen begünstigen diesen Effekt, da die Molekülbeweglichkeit weiter reduziert wird. Erfolgt die Beanspruchung langsam, kann ein stabiler Zustand für die Spannung erreicht werden und der Thermoplast weist ein zähes bzw. duktiles Materialverhalten auf. Auch hierbei kann die vorliegende Temperatur den Prozess beeinflussen [4].

Spannung σ [MPa]

v = 50 mm/min

PA12 Additiv (20°C) PA12 Additiv (60°C) PA12 Additiv (-40°C)

Dehnung ε [%]

Abbildung 4: Spannungs-Dehnungs-Kurven von PA12 in Abhängigkeit der Prüftemperatur Diese Abhängigkeit der Werkstoffeigenschaften von der Temperatur und der Belastungsgeschwindigkeit hat einen direkten Einfluss auf die Gebrauchseigenschaften von PA12. Folglich muss, je nach Einsatzprofil, eine mögliche Eigenschaftsänderung des Kunststoffes berücksichtigt werden [13]. Bei PA12 liegt die Glasübergangstemperatur TG bei ca. 45°C [14], was bei bestimmten Einsatzbereichen (bspw. Motoraufhängungen, Abbildung 1a) vergleichsweise schnell erreicht wird. Darüber hinaus führen erhöhte Einsatzfrequenzen zu einer Eigenerwärmung des Werkstoffs aufgrund der schnell stattfindenden Umlagerungsprozesse der Molekülketten, sodass dort ebenfalls mit einer nicht zu unterschätzenden Eigenschaftsänderung zu rechnen ist.

176

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

3 Probenspezifikation und Probenherstellung Für die Analyse der Temperaturerhöhung innerhalb der Probenkörper und die Ermittlung der notwendigen Kalibrierkurve für den späteren Einsatz der Compliance-Methode auf additiv gefertigte Proben werden experimentelle Untersuchungen zum Ermüdungsrisswachstum unter zyklischer Belastung durchgeführt. Die Probenspezifikationen sowohl für die Untersuchungen der Probenerwärmung als auch für die Versuche zur Kalibrierungsfunktion werden dabei an die nach ASTM E647-13 [15] standardisierte Definition angelehnt. Als Prüfkörper kommen Kompaktzugproben (CT-Proben) zum Einsatz. Die zu untersuchenden CT-Proben werden mittels des SLS-Verfahrens [6] am Direct Manufacturing Research Center (DMRC) in Paderborn hergestellt. Die Aufbaurichtung der Proben liegt senkrecht zur Risswachstumsrichtung. Das Ausgangsmaterial ist ein Polyamid 12 Pulver [14] des Unternehmens EOS GmbH. Dieser Werkstoff wird als Probenwerkstoff ausgewählt, da er im Bereich des SLS-Verfahrens der am häufigsten verwendete Kunststoff und gleichzeitig aufgrund seines mechanischen Eigenschaftsprofils im Bereich des Maschinenbaus weit verbreitet ist [16]. Die Form- sowie die Partikelgrößenverteilung des in diesem Beitrag verwendeten PA12 Pulvers stellt die Abbildung 5 dar. Die Rasterelektronenmikroskopaufnahme (REMAufnahme) (Abbildung 5a) zeigt die mittels chemischer Ausfällung hergestellten PA12 Partikel mit der für diesen Herstellprozess typischen kartoffelartigen Form. Das Pulver weist abgerundete Partikel mit hoher Sphärizität auf, jedoch ohne etwaige Anhaftungen von Kleinstpartikeln, wodurch die Fließfähigkeit deutlich verbessert wird. Der ermittelte Hausner Faktor für dieses Pulver liegt bei HF = 1,176, wodurch das Pulver ebenfalls als gut fließfähig einzustufen ist. Die Darstellung der Untersuchungsergebnisse für die Partikelgrößenverteilung des PA12-Pulvers erfolgt anhand der logarithmischen Normalverteilungsfunktion, Abbildung 5b. Die Volumenverteilungskurve wurde trockendispersiv mittels Laserbeugungsverfahren unter Anwendung des Messgeräts Mastersizer 2000 der Firma Malvern Instruments ermittelt. Kennzeichnend sind der gleichmäßig normal verteilte Verlauf sowie die schmale Bandbreite der Partikelgrößenverteilung. Die mittlere Partikelgröße liegt bei dem untersuchten Pulver bei d(0,5) = 56,6 µm. a) b)

Polyamid 12

100µm

PA12

Abbildung 5: Pulverpartikelform und Partikelgrößenverteilung des verwendeten PA12 Kunststoffpulvers a) REM-Aufnahme der kartoffelartigen Partikelform des PA12-Pulvers b) Verteilung der Partikelgröße für PA12 mit Angabe der Partikelgröße für das 10 %, 50 % und 90 % Perzentil

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

177

4 Einfluss der Prüfparameter auf das Werkstoffverhalten von Polyamid 12 Vor der Durchführung der experimentellen Untersuchungen zur bruchmechanischen Charakterisierung des Polyamidwerkstoffes werden Vorversuche durchgeführt, um das Werkstoffverhalten bei unterschiedlichen Prüfparametern zu analysieren. Dabei steht neben den erreichbaren Lastwechselzahlen vor allem die Wärmeentwicklung der Proben in Abhängigkeit der Prüffrequenz im Fokus der Untersuchungen. Um die Ergebnisse der Vorversuche auf die späteren experimentellen Untersuchungen übertragen zu können, werden bereits bei den Vorversuchen einheitliche Rahmenbedingungen geschaffen. Daher wird der in Abbildung 6a symbolisierte Versuchsaufbau verwendet. Dieser beinhaltet das elektrodynamische Prüfsystem ElectroPulsTM E10000 der Firma INSTRON GmbH und eine Wärmebildkamera [17], welche direkt vor der in der Prüfmaschine eingespannten Probe installiert ist. Ein Controller mit integrierter Elektronik schafft die Möglichkeit einer Regelung und Steuerung der Prüfmaschine über einen angeschlossenen Computer. Die Steuerung des bruchmechanischen Versuchsablaufs wird durch die eigens weiterentwickelte Steuerungssoftware FAMPolymers auf Basis von [18] umgesetzt.

a)

b) Mode I Instron E-Puls 10000

F(t) F(t)

Thermographiekamera

F(t)

y

x z

PC mit Steuerungssoftware

F(t)

a

c) Mikroskop

Abbildung 6: a) Schematische Darstellung des verwendeten Versuchsaufbaus b) Mode-I Rissbeanspruchung [8] c) Optische Risslängenmessung mittels Lichtmikroskop Da in diesem Beitrag zunächst das Materialverhalten sowie die Steifigkeitsänderung unter Ermüdungsrisswachstum analysiert werden sollen, werden alle Rissfortschrittsuntersuchungen unter reiner Mode I Belastung (Abbildung 6b) durchgeführt. Für die spätere Ermittlung der Kalibrierkurve sowie zur Verifizierung der Risslänge bei den Risswachstumsversuchen wird zusätzlich eine optische Risslängenmessung mittels Lichtmikroskop während der experimentellen Untersuchungen durchgeführt (Abbildung 6c). Die CT-Proben werden bei allen durchzuführenden Risswachstumsversuchen durch eine periodische Kraft belastet, wobei ein konstantes R-Verhältnis von R = Fmin/Fmax = 0,1 vorliegt. Durch die fortlaufend aufgebrachte Zugbelastung wird ein Berühren der sich gegenüberliegenden Rissflanken verhindert, wodurch eine bessere optische Auswertung ermöglicht wird. In einer ersten Vorversuchsreihe wird der Einfluss der Maximalkraft auf die erreichbare Lastwechselzahl der additiv gefertigten PA12 CT-Proben untersucht. Diesbezüglich werden Risswachstumsversuche unter Variation der Maximalkraft durchgeführt und die Lastwechselzahl bis zum Bruch registriert. Beginnend bei Fmax = 1,7 kN wird die Maximalkraft in den nachfolgenden

178

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

Versuchen kontinuierlich in 0,1 kN-Schritten reduziert. Während dieser Vorversuchsreihe werden alle Proben mit einer Belastungsfrequenz von f = 10 Hz geprüft. Diese Frequenz ergibt sich aus vorangegangenen Versuchen, in denen sie als obere Versuchsgrenze aufgrund des Erreichens der Regelgrenze der Prüfmaschine identifiziert wurde. Ebenfalls erfolgt während der Durchführung der Versuche eine Analyse der Temperaturentwicklung, indem mittels Wärmebildkamera die Temperatur an der Oberfläche der CT-Proben gemessen wird. Der Temperaturbereich der Wärmebildkamera ist so eingestellt, dass dieser zwischen Tmin = 20°C und Tmax = 45°C Temperaturen unterscheiden kann. Tmin spiegelt dabei die Raumtemperatur TR und Tmax die Glasübergangstemperatur TG des PA12 Werkstoffes wider (Abbildung 7). Bereiche oberhalb von Tmax werden als rote Fläche dargestellt, um eine einfache Detektion des Überschreitens der Glasübergangstemperatur sicherzustellen.

1,7kN

Letzte Aufnahme vor Bruch 45°C TG

F(t)

Temperaturmessbereich

1,4kN

75 % der Prüfzeit

F(t)

1,1kN

Maximale Prüfkraft Fmax

50% der Prüfzeit

Einspannbolzen TG = GlasübergangsTR temperatur 20°C TR = Raumtemperatur

Abbildung 7: Verlauf der Probenerwärmung in Abhängigkeit der maximalen Prüfkraft und der Prüfzeit für f = 10 Hz Die Ergebnisse dieser experimentellen Untersuchungen zeigen eine Zunahme der erreichbaren Lastwechselzahlen bei sinkender Maximalkraft Fmax. Dabei konnte festgestellt werden, dass unterhalb einer Maximalkraft von Fmax = 1,1 kN keine Rissinitiierung mehr einsetzte. Die erreichten Lastwechselzahlen bis zum Bruch liegen zwischen 361.000 LW (Fmax = 1,7 kN) und 1.862.000 LW (Fmax = 1,1 kN). Des Weiteren zeigt die Temperaturanalyse, dass bei der vorliegenden Prüffrequenz von f = 10 Hz die Glasübergangstemperatur TG in einem ausgedehnten Bereich der Probe während der Prüfung überschritten wird. Der Einflussbereich wird zwar mit abnehmender Maximalkraft zu Beginn der Untersuchung geringer, jedoch ist nach Vorhandensein einer gewissen Risslänge, kein wesentlicher Unterschied im Temperaturfeld zu erkennen (Abbildung 7). Kurz vor einsetzendem instabilem Risswachstum und damit bei identischer Spannungsintensität ist der Bereich mit überschrittener Glasübergangstemperatur bei allen untersuchten Kräften gleichmäßig groß ausgebildet. Insgesamt kann damit die Erkenntnis abgeleitet werden, dass bei gleicher vorliegender Spannungsintensität und Frequenz, das Temperaturprofil bzw. der Bereich in indem die Glasübergangstemperatur überschritten wird identisch groß ist.

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

179

In einer zweiten Versuchsreihe wird der Einfluss der Prüffrequenz f auf die Temperaturentwicklung der Probenoberfläche untersucht. Dazu werden Rissfortschrittsuntersuchungen mit einer konstanten Maximalkraft von Fmax = 1,7 kN unter Variation der Prüffrequenz durchgeführt. Verwendet werden Prüffrequenzen von f = 5 Hz sowie von f = 1 Hz. Die Ergebnisse werden mit den Ergebnissen der vorrangegangenen Voruntersuchungen mit f = 10 Hz verglichen, Abbildung 8. Dabei kann festgestellt werden, dass mit einer Reduzierung der Prüffrequenz die Probenerwärmung ebenfalls deutlich verringert wird. Bei einer Prüffrequenz von f = 5 Hz kann ein Überschreiten der Glasübergangstemperatur erst kurz vor Probenversagen festgestellt werden. Bei einer Prüffrequenz von f = 1 Hz kommt es zu keiner Zeit der Prüfung zu einem nennenswerten Überschreiten dieser Temperatur. 50% der Prüfzeit

75 % der Prüfzeit

Letzte Aufnahme vor Bruch

Temperaturmessbereich

5 Hz

F(t)

F(t)

Einspannbolzen TG = GlasübergangsTR temperatur 20°C TR = Raumtemperatur

1 Hz

Prüffrequenz f

10 Hz

45°C TG

Abbildung 8: Verlauf der Probenerwärmung in Abhängigkeit der Prüffrequenz und der Prüfzeit

5 Ermittlung von Kalibrierkurven Die Compliance Methode ist ein indirektes Messverfahren, d.h. die Risslänge wird nicht unmittelbar abgelesen oder bestimmt, sondern wird durch Messen einer weiteren Größe ermittelt, die zu der Risslänge in einem eindeutigen Zusammenhang steht. Bei der Compliance-Methode ist dies das normierte Nachgiebigkeitsverhältnis δ/δ0. Hierbei ist δ die aktuelle Nachgiebigkeit und δ0 die zu Beginn des Versuches vorhandene Nachgiebigkeit. Das Nachgiebigkeitsverhältnis wird über der Risslänge a, bezogen auf die Probenbreite w (siehe Abbildung 2), in Form einer Kalibrierkurve dargestellt. Die Probennachgiebigkeit wird ermittelt, indem sowohl während der Risswachstumsversuche, als auch vor Beginn der experimentellen Untersuchungen die Probenaufweitung v und die zugehörige Kraft F gemessen werden. Zwischen der Probennachgiebigkeit δ und den anderen Größen (Abbildung 2) gilt der folgende formelmäßige Zusammenhang:

δ ( a, w ) =

v F

(1)

180

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

Die in den Vorversuchen deutlich gewordene Probenerwärmung in Abhängigkeit der Prüffrequenz erfordert die Bestimmung von frequenzabhängigen Kalibrierkurven. Diesbezüglich werden für die drei bereits in den Voruntersuchungen verwendeten Prüffrequenzen Kalibrierkurven ermittelt. Der eindeutige Zusammenhang zwischen der Risslänge a und der entsprechenden Probennachgiebigkeit δ erfolgt durch das Einbringen von Überlasten während der Versuchsdurchführung. Mit Hilfe der entstehenden Rastmarken werden im Anschluss die Risslängen auf der Bruchfläche bestimmt und den entsprechenden Nachgiebigkeiten zugeordnet [19]. Eine zusätzliche Verifikation der Risslänge während des Versuchs wird durch den Einsatz eines Messmikroskops umgesetzt. Dabei erfolgt die Ausmessung des entstandenen Risses auf der Probenoberfläche. Abbildung 9 illustriert die experimentell ermittelten Kalibrierkurven für die drei unterschiedlichen Prüffrequenzen. 0,7

0,6

a/w

0,5 Rastmarken f = 1 Hz Rastmarken f = 5 Hz Aufbaurichtung

0,4

0,3

0,2

1

2

3

4

Rastmarken f = 10 Hz Kalibrierkurve f = 1 Hz Kalibrierkurve f = 5 Hz Kalibrierkurve f = 10 Hz 5

6 δ/δ0

7

8

9

10

11

Abbildung 9: Experimentell ermittelte Kalibrierkurven in Abhängigkeit der Prüffrequenz Die drei Kalibrierkurven weisen einen ähnlichen Trend auf und verlaufen bis zu einem Nachgiebigkeitsverhältnis von δ/δ0 = 2 nahezu identisch. Erst bei zunehmenden Nachgiebigkeitsverhältnissen weisen die Kurven eindeutige Unterschiede auf. Dabei ist festzustellen, dass mit steigender Frequenz einerseits insgesamt geringere Nachgiebigkeitsverhältnisse erreicht werden und andererseits ebenfalls die zugehörigen a/w-Verhältnisse niedriger liegen im Vergleich zu kleineren Prüffrequenzen. Diese Entwicklung zeigt sich fortwährend mit sinkender Prüffrequenz. Dieses Verhalten ist voraussichtlich auf die Eigenerwärmung der Proben bei größeren Prüffrequenzen zurückzuführen. Mit steigender Temperatur im Bereich rund um die Rissspitze sinkt der E-Modul des Polyamids und weist damit gleichzeitig ein duktileres Materialverhalten auf. Als Folge dessen werden geringere Steifigkeitswerte in Kombination mit kürzeren Risslängen registriert. Bei geringeren Prüffrequenzen erfolgt weitestgehend keine Eigenerwärmung des Kunststoffes, was in höheren Steifigkeitswerten resultiert.

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

181

6 Bruchmechanische Untersuchungen Unter Anwendung der aufgenommenen Kalibrierkurven werden anschließend bruchmechanische Untersuchungen durchgeführt. Die bruchmechanische Charakterisierung anhand von Rissfortschrittskurven für den ausgewählten Polyamidwerkstoff unterliegt einer zweiteiligen Versuchsdurchführung, bei welcher jeweils ein Teil der Rissfortschrittskurve ermittelt wird. Beide Versuchsarten erfolgen dahingehend unter einem konstanten Spannungsverhältnis von R = 0,1. Die Ermittlung des mittleren und unteren Bereichs der Rissfortschrittskurve, inklusive des Schwellenwertes ΔKth, erfolgt ausgehend von einer Anrisserzeugung von a0 = 2 mm bei einer Beanspruchung im mittleren Rissgeschwindigkeitsbereich. Nachdem eine stabile Rissausbreitung eingesetzt hat, wird die Spannungsintensität sukzessive gemäß Gleichung (2) reduziert, bis das Risswachstum zum Stillstand kommt und der Schwellenwert ΔKI,th gegen Ermüdungsrissausbreitung erreicht ist.

ΔK I = ΔK I,0 ⋅ e

C ⋅( a − a0 )

(2)

Darin berücksichtigt der Faktor ΔKI,0 die vorliegende Spannungsintensität für die Initialrisslänge a0 und der Faktor C die Absenkrate des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors. Nach den Bestimmungen von [15] wird der Wert für die Absenkrate für die in dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen auf den Wert C = -0,08 mm-1 festgelegt, um damit mögliche Reihenfolgeeffekte zu minimieren. Für die Bestimmung des oberen Teils der Rissfortschrittskurve wird eine Versuchsart verwendet, bei welcher nach der Anrisserzeugung die maximale und die minimale Kraft konstant gehalten werden. In diesem Fall steigt bei konstanter Kraftschwingbreite (ΔF = const.) die zyklische Spannungsintensität ΔK mit wachsender Risslänge a an. Die erreichbare Lastwechselzahl repräsentiert die endliche Lebensdauer der Proben und der letzte aufgenommene Wert für die Spannungsintensität vor dem Versagen kann als zyklische Risszähigkeit ΔKIC identifiziert werden. Die mittels der Compliance-Methode aufgenommenen Rissfortschrittskurven für die drei Prüffrequenzen zeigt Abbildung 10. Die drei Rissfortschrittskurven (Datensätze 1, 2 & 3) sind durch einen charakteristischen Kurvenverlauf gekennzeichnet, welche beim Übergang vom PARIS-Bereich in den thresholdnahen Bereich einen signifikanten Abfall der Rissfortschrittsrate aufweisen. Die Kurvenverläufe besitzen darüber hinaus keine nennenswerten Schwankungen der Datenpunkte. Anhand der Kurvenverläufe zeigt sich ein signifikanter Einfluss der Prüffrequenz. Allgemein ist beobachtbar, dass mit sinkender Prüffrequenz die Risswachstumsrate da/dN ansteigt. Besonders im niedrigen und hohen Rissgeschwindigkeitsbereich ist dieser Effekt deutlich ausgeprägt. Für eine Risswachstumsrate von da/dN = 10−7 mm/Lastwechsel, welche nach [15] dem Threshold ΔKI,th zugeordnet werden kann, liegt für eine Prüffrequenz von f = 10 Hz der Threshold im Mittel bei ΔKI,th = 1,26 MPam1/2. Eine Prüffrequenz von f = 5 Hz führt zu einem mittleren Threshold, von ΔKI,th = 1,17 MPam1/2 und für die niedrigste Prüffrequenz von f = 1 Hz liegt der niedrigste Schwellenwert mit ΔKI,th = 1,04 MPam1/2 vor. Somit führt eine Reduzierung der Prüffrequenz von 10 Hz auf 1 Hz zu einer Verschlechterung des Thresholds um ca. 20 %.

182

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

PA12 additiv R = 0,1 Fmax= 1,7 kN C = -0,08 Kmax,0 = 100 N/mm3/2 Raumtemperatur

Rissfortschrittsrate da/dN [mm/LW]

1,0E-01 1,0E-02 1,0E-03 1,0E-04

Aufbaurichtung

1,0E+00

Datensatz 1 (f = 1 Hz) Datensatz 2 (f = 5 Hz)

1,0E-05

Datensatz 3 (f = 10 Hz)

1,0E-06 1,0E-07 1,0E-08

1

10 zyklischer Spannungsintensitätsfaktor ΔK [MPa•m1/2]

100

Abbildung 10: Experimentell ermittelte Rissfortschrittskurven für PA12 Darüber hinaus weisen alle Rissfortschrittskurven einen geradlinig ausgeprägten mittleren Bereich auf, welcher als ein Indikator für ein stabiles sowie kontrolliertes Risswachstum gilt und mithilfe der PARIS-Gerade [8] beschrieben werden kann. Offenkundig zeigt sich auch im mittleren Bereich der Einfluss der Prüffrequenz, die wesentlich die Steigung des PARIS-Bereichs bestimmt. Die Reduzierung der Prüffrequenz bewirkt einen signifikant steileren Kurvenverlauf, was sich ebenfalls durch das Erreichen von höheren Rissfortschrittsraten äußert. Weiterhin ist bei den Kurven für eine Prüffrequenz von 5 Hz und 10 Hz ein leicht gekrümmter Verlauf der Rissfortschrittskurve kurz vor Einsetzen des instabilen Risswachstums erkennbar, wobei dieser Effekt mit sinkender Prüffrequenz weniger stark ausgeprägt ist. Diese abfallende Tendenz für die Risswachstumsrate kurz vor Versagen der Probe, die bei metallischen Werkstoffen nicht auftritt, ist vermutlich auf die sich ändernden Werkstoffeigenschaften des Polyamids durch eine Erwärmung des Kunststoffes zurückzuführen. Wie Abbildung 8 anschaulich darstellt, findet bei höheren Prüffrequenzen eine deutliche Erwärmung der Rissspitzenumgebung statt, wodurch der Werkstoff duktiler wird. Als Konsequenz daraus wird die wirksame Spannungsintensität an der Rissspitze reduziert, was eine Verringerung der Risswachstumsrate zur Folge hat. Die ermittelten Werte für die zyklische Risszähigkeit ΔKIC zeigen eine Herabsetzung der erreichbaren zyklischen Risszähigkeit von ca. 30 %. zwischen der höchsten und der geringsten Prüffrequenz. Für eine Prüffrequenz von 10 Hz liegen die Werte im Mittel bei ΔKIC = 14,97 MPam1/2. Eine zyklische Risszähigkeit von ΔKIC = 9,83 MPam1/2 wird für die geringste Frequenz mit f = 1Hz erzielt.

Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen

183

7 Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wurde untersucht, inwieweit eine Änderung der Prüffrequenz einen Einfluss auf das bruchmechanische Verhalten von additiv gefertigten Kunststoffen besitzt. Dazu wurde zunächst ein Verfahren zur Risslängenmessung in Kunststoffen auf Basis von Steifigkeitsänderungen vorgestellt, mit dessen Anwendung eine automatisierte bruchmechanische Charakterisierung ermöglicht wird. Darauf aufbauend wurde anhand von Vorversuchen das Materialverhalten additiv hergestellter PA12-Proben analysiert. Dabei stand der Fokus vor allem auf dem Einfluss der Prüfparameter (Prüffrequenz f, Kraftschwingbreite ΔF) auf die erreichbare Lebensdauer sowie auf die Probenerwärmung. Eine Erwärmung führt beim Überschreiten der Glasübergangstemperatur zu einer Änderung der Materialeigenschaften aufgrund der zunehmenden Bewegungsmöglichkeit der Kettenmoleküle. Die Ergebnisse der Voruntersuchungen zeigten, dass bei einer Frequenz von f = 1Hz auch bei höheren Maximalkräften keine wesentliche Erwärmung der Probe stattfand. Mit steigender Frequenz nimmt die Probenerwärmung stark zu. Bei der höchsten untersuchten Frequenz von 10 Hz wird in einem weiten Bereich der Probe schon nach kurzer Prüfzeit die Glasübergangstemperatur überschritten. Des Weiteren wurden im Anschluss an die Vorversuche bruchmechanische Untersuchungen durchgeführt. In diesem Zusammenhang wurden Rissfortschrittsuntersuchungen sowohl mit abnehmender als auch mit zunehmender Spannungsintensität unter Variation der Prüffrequenz durchgeführt, entsprechende Rissfortschrittskurven ermittelt und typische bruchmechanische Kennwerte (Threshold ΔKI,th & zyklische Risszähigkeit ΔKIC) identifiziert. Es konnten für die jeweiligen Versuchsreihen charakteristische Kurvenverläufe ermittelt werden, welche einen signifikanten Einfluss der Prüffrequenz aufzeigen. Dahingehend führt eine Verringerung der Prüffrequenz von 10 Hz auf 1 Hz zu einer Reduzierung des erzielbaren Thresholds um ca. 20 Prozent. Darüber hinaus konnte für diesen Sachverhalt ebenfalls ein steilerer Kurvenverkauf in Kombination mit höheren Rissfortschrittsraten aufgezeigt werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffen wesentlich von den eingesetzten Prüfbedingungen abhängt, da Veränderungen im Materialverhalten infolge von Erwärmungen auftreten. Obgleich kann, wie in diesem Beitrag gezeigt, bei Beachtung der spezifischen Eigenschaften von Kunststoffen eine Aussage zur Lebensdauer infolge Risswachstum getroffen werden. Ebenfalls traten Fragestellungen auf, welche weitere Forschungsarbeit erfordern. Von besonderer Bedeutung ist die Identifizierung der Besonderheit des Verlaufs der Rissfortschrittskurve im oberen Bereich. Nicht zuletzt sollte die Bedeutung der Einsatztemperatur als weiterer wesentlicher Prüfparameter, auf das bruchmechanische Verhalten untersucht werden, um ein vollständiges Einsatzprofil für additiv gefertigte Kunststoffe aufstellen zu können.

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185

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Verstärkungsstrukturen unter dynamischer Beanspruchung A. Hirscha, b, S. Paulusc, E. Moritzera, b a) Kunststofftechnik Paderborn (KTP), Universität Paderborn b) Direct Manufacturing Research Center (DMRC), Universität Paderborn c) Universität Paderborn, D-33098 Paderborn

Zusammenfassung Das Fused Deposition Modeling (FDM) ist ein etabliertes additives Fertigungsverfahren zur Herstellung von thermoplastischen Kunststoffbauteilen. In dem vorliegenden Beitrag sind FDMVerstärkungsstrukturen aus dem Material Ultem 9085 dynamischen Langzeituntersuchungen unterzogen worden. Dabei wurde die innere Struktur der Probekörper über eine Parametervariation verändert, sodass anschließend die signifikanten Einflussfaktoren auf die Langzeitfestigkeit unter dynamischer Belastung identifiziert und analysiert werden konnten. Mit dieser Vorgehensweise sollte gleichzeitig eine Optimierung der FDM-Verstärkungsstrukturen hinsichtlich der dynamischen Langzeiteigenschaften bei Biege- und Druckbelastungen vorgenommen werden. Des Weiteren sind anhand der Probekörper die auftretenden Bruch- und Rissausbreitungsmechanismen analysiert worden. Anhand der ermittelten Wöhlerkurven kann die Lebensdauer unter dynamischer Belastung abgeschätzt werden. Außerdem zeigen die Untersuchungen, dass Fehlstellen durch eine hohe Strangbreite und Überfüllungen im Bauteil für Schwachstellen in den FDMVerstärkungsstrukturen sorgen, an denen Risse bei Druckbelastung entstanden sind und sich dadurch schneller ausbreiten konnten.

Stichwörter: Kunststoffe, Additive Fertigung, Fused Deposition Modeling, Dauerschwinguntersuchungen, Rissausbreitungsanalyse

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_12

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Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

1 Einleitung Bei dem additiven Fertigungsverfahren Fused Deposition Modeling (FDM) erfolgt die Bauteilerzeugung durch die schichtweise Ablage eines zuvor aufgeschmolzenen, thermoplastischen Kunststoffstrangs. Das FDM-Verfahren ermöglicht die Herstellung von komplexen Geometrien ohne die Verwendung von bauteilspezifischen Werkzeugen [1], [2], [3], [4], [5]. Dünnwandige Kunststoffbauteile können mit individuell angepassten FDM-Strukturen partiell verstärkt werden. Das resultierende Verbundsystem besteht aus zwei Polymeren, die im Zuge ihrer unterschiedlichen Eigenschaften, im Verbund und in Abhängigkeit der Gestalt der Verstärkungsstruktur, zu einer Erhöhung der Festigkeit oder Steifigkeit führen. Durch die gezielte Wahl der Aufbauparameter der FDM-Verstärkungsstrukturen wird die Hybridstruktur (Verbundsystem) für bestimmte Belastungsfälle verstärkt. Eine beispielhafte Hybridstruktur ist in Abbildung 1 dargestellt. Die verwendete FDM-Verstärkungsstruktur wird aus dem thermoplastischen Hochleistungskunststoff Ultem 9085 auf einer Fortus 400mc der Firma Stratasys hergestellt. Für die Herstellung der Hybridstruktur wird die im ersten Schritt erzeugte FDM-Verstärkungsstruktur als Einlegeteil in den GITBlow-Prozess eingebracht. Das GITBlow-Verfahren ist ein an der Kunststofftechnik Paderborn entwickeltes zweistufiges Spritzgießsonderverfahren. Es stellt eine Kombination aus dem Gasinjektionsverfahren (GIT) und dem Blasformen im Spritzgießwerkzeug dar [6].

Abbildung 1:

Schematische Darstellung des erweiterten GITBlow-Prozesses durch Einbringen einer FDM-Verstärkungsstruktur

In diesem Beitrag werden die dynamischen Langzeiteigenschaften der FDM-Verstärkungsstrukturen untersucht. Dabei wird die innere Struktur der Probekörper über eine Parametervariation verändert, sodass anschließend die signifikanten Einflussfaktoren auf die Langzeitfestigkeit unter dynamischer Belastung identifiziert und analysiert werden können. In den Untersuchungen werden die Lastfälle Druck und Biegung betrachtet. Die experimentellen Untersuchungen liefern zudem die Grundlage für die Analyse der Bruch- sowie Rissausbreitungsmechanismen. Anhand dieser Analyse werden die Schwachstellen von FDM-Verstärkungsstrukturen bei dynamischer Dauerbelastung ausfindig gemacht.

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

187

2 Parametereinflüsse auf die Festigkeiten beim FDM Eine Vielzahl der FDM-Prozessparameter beeinflussen die innere Struktur und damit auch die Eigenschaften eines FDM-Bauteils. Bei der Herstellung jeder einzelnen Bauteilschicht wird zwischen der Kontur und der Füllung unterschieden. Die Kontur entsteht durch das Abfahren der Außengeometrie des Bauteils. Standardmäßig wird genau eine Kontur abgelegt, es können jedoch auch mehrere Konturen je Schicht erzeugt werden. Bezüglich der Füllung stellt der Rasterwinkel einen wichtigen Prozessparameter dar [7]. Standardmäßig ist dieser auf 45° eingestellt und alterniert um 90° bei den nachfolgenden Schichten. Dies wird auch als Rasterfolgewinkel bezeichnet. Daraus entsteht das charakteristische Füllmuster. In der Software können diese beiden Winkel beliebig eingestellt und theoretisch für jede Schicht neu variiert werden. Weitere variable Prozessparameter sind die Strangbreite und der Strangabstand. Der Strangabstand zählt zu den wichtigsten Prozessparametern. Dieser beschreibt den Abstand zwischen den Strängen innerhalb einer Schicht. Ein positiver Wert bedeutet, dass zwischen den Strängen ein Luftspalt entsteht. Ein negativer Wert führt zum Überlappen der Stränge. Bei einem Wert von Null liegen die Stränge genau aneinander. Es kann zwischen dem Strangabstand der Kontur zur Kontur, der Kontur zur Füllung und dem Abstand zwischen den Rasterlinien der Füllung unterschieden werden [7]. Abbildung 2 fasst die genannten Parameter zusammen.

Abbildung 2:

Parameter der Strangablage, in Anlehnung an [8]

Neben den aufgeführten Prozessparametern hat die Bauteilorientierung im Entstehungsprozess einen entscheidenden Einfluss auf die resultierenden mechanischen Eigenschaften von FDMBauteilen. Bei Bauteilen mit einer Z-Orientierung befindet sich die Längsachse des Bauteils in die Z-Richtung der Anlage. In diese Z-Richtung wird die Bauplattform nach jeder erzeugten Schicht abgesenkt. Bauteile in Z-Orientierung weisen im Vergleich zur XY-Orientierung geringere Festigkeiten auf, wobei die XY-Orientierung Bauteile beschreibt, die liegend auf der Bauplattform positioniert werden. Der Grund für diese unterschiedlichen Festigkeiten liegt in der Strangorientierung. Die Kunststoffstränge haben eine höhere Materialfestigkeit im Vergleich zu den Schweißfestigkeiten der einzelnen Schichten, sodass die Z-Orientierung mit vielen belasteten Schweißnähten die geringste Zugfestigkeit aufweist. Probekörper mit XY-Baurichtung hingegen beinhalten sehr viele Stränge in Belastungsrichtung, sodass die Materialfestigkeit bei dieser Orientierung besser ausgenutzt werden kann [7], [9]. Abbildung 3 zeigt das schematische Bruchverhalten der verschiedenen Baurichtungen bei Zugbelastung.

188

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

Abbildung 3:

Schematisches Bruchverhalten der verschiedenen Bauorientierungen bei Zugbelastung [10]

Bei der quasistatischen Biegebelastung sind ähnliche Einflüsse zu beobachten. Die maximale Biegespannung für die Z-Orientierung ist im Vergleich zur XY-Orientierung deutlich geringer [11]. Bei der quasistatischen Druckbelastung hingegen sind Probekörper, die in Z-Richtung aufgebaut wurden, widerstandsfähiger und weisen eine höhere Druckspannung beim Bruch auf als in der XY-Richtung. Probekörper in XY-Richtung brechen bei geringerer Last, da die Belastung in Strangrichtung erfolgt und dadurch ein Ausknicken der Stränge gefördert wird. Die Stränge in Z-Richtung werden hingegen vertikal belastet, wodurch ein Abgleiten der Schichten erfolgt. Damit lässt sich die Anisotropie bei Druckbelastung mit dem höheren Kraftaufwand, der mit dem Abgleiten gegenüber dem Ausknicken verbunden ist, erklären [10]. Abbildung 4 veranschaulicht die genannten Effekte.

Abbildung 4:

Schematisches Bruchverhalten der verschiedenen Bauorientierungen bei Druckbelastung [10]

Bezüglich einer dynamischer Zugbelastung für den Werkstoff ABS ist bekannt, dass sich eine Rasterfolge von 45°/90° erhöhend auf die erreichbare Zyklusanzahl auswirkt. Auch eine Erhöhung der Anzahl von Strängen in Belastungsrichtung durch einen Rasterfolgewinkel von 0° wirkt sich positiv auf die erreichbare Zyklusanzahl aus [12]. Alternierende Rasterfolgen zwischen 0° und 90° steigern hingegen die Biegefestigkeit [13]. Durch einen negativen Strangabstand kann die quasistatische Zugfestigkeit von FDM-Bauteilen erhöht werden. Der negative Strangabstand bewirkt eine Überlappung der Stränge, wodurch ein sehr engmaschig gefülltes Bauteil entsteht. Für die X- und Y-Richtung werden auf diese Weise beinahe die Zugfestigkeiten von Spritzgussbauteilen erreicht. Hinsichtlich der Biegebelastung wird mit einem positiven Strangabstand die resultierende Biegefestigkeit reduziert, da die Anbindung zwischen den Strängen verringert wird. Die durch einen negativen Strangabstand hervorgerufene Überlappung wirkt sich positiv auf die Biegefestigkeit aus. Bezüglich der Druckfestigkeit konnte kein Einfluss durch die Variation des Strangabstandes festgestellt werden. Die

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

189

Einflüsse der Bauteilorientierung im Entstehungsprozess sowie des Rasterwinkels sind diesbezüglich wesentlich wirkungsvoller [7], [13].

3 Experimentelle Untersuchungen Bei den zu untersuchenden Probekörpern handelt es sich um eine FDM-Verstärkungsstruktur für einen Grundträger, der im GITBlow-Verfahren hergestellt wird. Die Verstärkungsstruktur wurde im Fused Deposition Modeling Verfahren aus dem Material Ultem 9085 hergestellt. Abbildung 5a zeigt die Maße der FDM-Verstärkungsstruktur. Die verwendete Bauteilorientierung im FDM-Prozess ist in Abbildung 5b dargestellt. Der Probekörper wird liegend mit dem dickwandigen Bereich auf der Bauplattform positioniert. a)

Abbildung 5:

b)

Probekörpergeometrie (FDM-Verstärkungsstruktur)

Die Biege- und Druckversuche werden an der dynamischen Prüfmaschine des Herstellers Zwick/Roell (Typ HC 10) durchgeführt. Bei dieser Prüfmaschine wird die Kolbenbewegung durch ein Hydraulikaggregat hervorgerufen. Alle Untersuchungen werden bei Raumtemperatur und einer Frequenz von 5 Hz durchgeführt. Es werden jeweils fünf Probekörper für jeden Belastungsfall getestet. Vor den experimentellen Untersuchungen werden die zu verwendenden Laststufen festgelegt. Diese Festlegung wird unter Betrachtung der Aussagefähigkeit einer möglichen Darstellung der Ergebnisse in Wöhlerkurven sowie unter dem zeitlichen Aspekt getroffen. Belastungen von mehreren Tagen sollen dabei ausgeschlossen werden.

Abbildung 6:

Definition der dynamischen Belastungsarten [14]

Je nach Versuchsdurchführung können dynamische Lasten auf verschiedene Arten aufgebracht werden (vgl. Abbildung 6). Am häufigsten wird ein sinusförmiger Verlauf gewählt. Es kann zwischen spannungs- und dehnungsgesteuerten Schwingversuchen unterschieden werden. Definiert wird die Schwingung über die Mittelspannung bzw. Mitteldehnung und dem Spannungsbzw. Dehnungsausschlag. Außerdem werden drei Beanspruchungsfälle unterschieden. Im

190

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

Druckschwellbereich ist die Summe aus Mittelspannung und Spannungsausschlag kleiner oder gleich Null, während bei dem Zugschwellbereich die Differenz aus Mittelspannung und Spannungsausschlag größer oder gleich Null ist. Im Wechselbereich ändert sich das Vorzeichen der Spannung [15]. Für die nachfolgenden Untersuchungen wird ein spannungsgesteuerter Schwingversuch mit einem sinusförmigen Verlauf verwendet. In Tabelle 1 sind die gewählten Laststufen in Abhängigkeit der quasistatischen maximal erzielbaren Belastungen für die beiden Beanspruchungsarten aufgeführt. Die quasistatischen Festigkeiten sind in Voruntersuchungen ermittelt worden. Es wurde eine dynamisch schwellende Belastung mit einer konstanten minimalen Last von 20 N verwendet. Dies ist notwendig, um eine Überlagerung der Beanspruchung durch andere Belastungsarten bei ungenauer Maschinensteuerung ausschließen zu können. Da die vorliegende FDM-Verstärkungsstruktur im realen Einsatz insbesondere biegebeansprucht wird, werden bei der Biegebelastung insgesamt fünf Laststufen und bei der Druckprüfung drei Laststufen untersucht. Tabelle 1:

Laststufen und Kräfte in Abhängigkeit der maximalen Last Lastfall [%]

Quasistatische Maximallast bei Belastungsart

Mittelspannung [N]

70 60 50 40 30 70 65 60

Biegung 1.550 N

Druck 6.977 N

Spannungsausschlag [N]

542,50 465,00 387,50 310,00 232,50 2.441,95 2.267,53 2.093,10

522,50 445,00 367,50 290,00 212,50 2.421,95 2.247,53 2.073,10

3.1 Druckbelastung Tabelle 2 zeigt die verwendeten Prozessparameterkombinationen für die Druckbelastung. Die für die dynamischen Untersuchungen verwendeten Prozessparameter sind auf Grundlage von umfangreichen quasistatischen Festigkeitsuntersuchungen gewählt worden. Bei den Voruntersuchungen sind im Vorfeld die Haupteinflussfaktoren auf die quasistatischen Festigkeitswerte in Abhängigkeit des jeweiligen Lastfalls mit Hilfe der statistischen Versuchsplanung detektiert worden. Tabelle 2:

Variationen der Bauparameter für Druckbelastung Konturanzahl

V1-D

4

Strangbreite [mm] 0,5064

Rasterwinkel [°] 90

Rasterfolge- Strangabstand winkel [°] [mm] 90 -0,03

V2-D

4

0,5064

30

0

-0,03

V3-D

4

0,8064

90

90

-0,03

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

191

3.1.1 Dynamische Langzeiteigenschaften unter Druckbelastung Die experimentellen Untersuchungen liefern die in Abbildung 7 dargestellten Wöhlerkurven für die Druckbelastung der FDM-Verstärkungsstruktur. Ein signifikanter Unterschied bei den niedrigeren Spannungen ist deutlich erkennbar, während bei hohen Spannungen kaum Unterschiede sichtbar sind. Eine statistische Auswertung der Messdaten mit dem Programm Minitab ergibt eine Normalverteilung der Ergebnisse. Für eine detaillierte Betrachtung wird eine Analysis of Variance (ANOVA) durchgeführt. Diese Methodik testet, ob sich die Mittelwerte mehrerer Stichproben signifikant voneinander unterscheiden. Anhand der ANOVA-Analyse ist ein Prozessparametereinfluss ausschließlich bei 60 % der Maximalkraft statistisch erwiesen (p < 0,001), da ein signifikanter Unterschied zwischen V1-D zu V2-D und V3-D besteht. Zwischen V2-D und V3-D kann hingegen kein statistischer Parametereinfluss nachgewiesen werden. Es lässt sich daraus ableiten, dass erst bei geringeren Lasten und einer damit verbundenen hohen Zyklusanzahl, die Bauparameter einen entscheidenden Einfluss auf die Druckfestigkeit haben.

Wöhlerdiagramm Druckbelastung

Spannung in Prozent der Maximallast

70%

V1 V1-D V2 V2-D

65%

V3 V3-D

60% 0 Abbildung 7:

50000

100000 Erreichte Zyklen Wöhlerdiagramm für Druckbelastungen

150000

200000

3.1.2 Analyse der Versagensmechanismen unter Druckbelastung Anhand weiterer Untersuchungen werden nachfolgend die innere Aufbaustruktur der Probekörper sowie das Bruchverhalten und die Rissausbreitungsmechanismen untersucht. Unter Druckbelastung versagt ein Großteil der Probenkörper nach dem gleichen Muster (vgl. Abbildung 8a). Zunächst löst sich durch die Dauerschwingbewegung am Übergang zwischen den Strängen im dünnwandigen Randbereich des Probekörpers ein kleiner Bauteilbereich, wodurch dieser ausknickt (vgl. Abbildung 8a, 1). Nach vielen weiteren Zyklen entsteht ein Querriss oberhalb der Mitte des Prüfkörpers (vgl. Abbildung 8a, 2). Dieser Riss verringert die Stabilität der Probe und sorgt damit für ein leichtes Ausknicken der gesamten Verstärkungsstruktur. Das Ausknicken führt zu weiteren Längsrissen im Probekörper und letztendlich zum Versagen der Probe (vgl. Abbildung 8a, 3). Für die hohen Belastungen bei 70 % der Maximallast stellt sich hingegen häufig ein anderes Bruchverhalten heraus. Bei dieser Laststufe zerbrechen die Probekörper häufig in kleinere Einzelteile, sodass eine Analyse erschwert wird. Außerdem handelt es sich bei dem zweiten Riss

192

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

tendenziell um ein Umbiegen der Stränge. Eine Untersuchung dieses Bereichs bestätigt den Eindruck, dass sich das Material an dieser Stelle im Vergleich zum restlichen Probekörper durch innere Reibung deutlich stärker erwärmt. Durch die Erwärmung wird der Probekörper lokal weich und anstelle eines Risses bildet sich eine Wulst. Für den Versagensmechanismus hat diese Umformung unter Temperatureinfluss allerdings den gleichen Effekt wie ein Riss. Durch die lokale Schwächung verliert der gesamte Probekörper seine Steifigkeit. Dadurch wird das Ausknicken unter Druckbelastung erleichtert und letztendlich versagt der Probekörper. Die verwendeten Prozessparameter spielen dabei eine entscheidende Rolle. a)

b) 1

2 3

Abbildung 8:

Versagensmechanismen bei Druckbelastung: a) Äußerlich sichtbare Risse; b) Wulst an den Probekörpern

Bei allen Probekörpern ist eine Fehlstelle an den Rändern zu erkennen. An dieser Stelle reichen zwei nebeneinander abgelegte Stränge nicht aus, um die definierte Geometrie des Probekörpers zu füllen. Durch die Ablage von drei Strängen würde zu viel Material abgelegt werden. Durch das fehlende Material im Bauteilinneren entsteht eine Fehlstelle. Abbildung 9a zeigt diese Fehlstelle beispielhaft anhand der Bauvariante V2-D. Diese Art der Fehlstelle ist abhängig von der verwendeten Bauteilgeometrie und bei allen untersuchten Probekörpern sichtbar. a)

b)

3 Stränge

Abbildung 9:

Fehlstellen im Übergangsbereich von zwei auf drei Stränge: a) Fehlstelle im Probekörper; b) Riss durch die Schweißnähte

Im Bereich der Fehlstelle ist die Schweißnahtfestigkeit zwischen den einzelnen Strängen sehr gering. Es ist zu erkennen, dass die Stränge an dieser Stelle nur an ihrer Längsseite verschweißt sind, während sie in den übrigen Bereichen idealerweise nahezu umlaufend miteinander verbunden sind. Die erste äußerlich sichtbare Fehlstelle entsteht genau im Bereich dieser Fehlstelle. In Abbildung 9b ist der resultierende Bruch in dem Übergangsbereich von zwei auf drei Stränge zu erkennen.

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

193

Durch die Problematik, dass die Wandstärke lediglich durch ein Vielfaches der Strangbreite realisiert werden kann, ergibt sich ein weiterer kritischer Bereich. Abbildung 10 zeigt die Überfüllung des Bauteils beim Übergang von drei auf vier Stränge. Es wird deutlich, dass die einzelnen Stränge nicht wie vorgesehen abgelegt werden können, da zu wenig Platz vorhanden ist. An einigen Stellen liegen einzelne Stränge außerhalb der vorgesehenen Bauteilkontur. Die dadurch hervorgerufene Überfüllung führt zu einer weiteren Schwachstelle. Es ist davon auszugehen, dass der zweite Riss (vgl. Abbildung 8a, 2) in diesem Bereich des Bauteils entsteht.

Abbildung 10: Überfüllung des Bauteils am Übergang Abbildung 11a zeigt eine Detailaufnahme an der Stelle des zweiten Risses. Der dargestellte Probekörper wurde bei 70 % der Maximallast bis kurz vor das Versagen dynamisch belastet. In diesem Fall ist keine Rissbildung, sondern eine thermische Umformung zu erkennen. Es sind keine einzelnen Stränge zu beobachten und das Licht wird überwiegend weiß reflektiert, was für eine glatte Oberfläche spricht. Die in Abbildung 10 abgebildete Überfüllung ist an dieser Stelle ebenfalls zu erkennen. Wie bereits bei der hohen Laststufe ist auch hier davon auszugehen, dass der Energieeintrag durch innere Reibung in Wärme umgewandelt und das Material im Bereich der Überfüllung aufgeschmolzen wird. a)

b)

Abbildung 11: a) Aufgeschmolzenes Material an der Stelle des zweiten Risses; b) Fehlstellen am Übergang der Füllung zur Kontur bei Bauvariante V3-D

194

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

Durch diesen Effekt wird die Stabilität des Bauteils negativ beeinflusst und der dritte Riss entsteht (vgl. Abbildung 8a, 3). Der Riss entsteht möglicherweise beim Übergang von der Kontur zur Füllung des Bauteils. Auch dort sind Fehlstellen zu sehen, die das Risswachstum erleichtern. Abbildung 11b zeigt die Fehlstellen beim Übergang der Füllung zur Kontur beispielhaft an der Bauvariante V3-D. Insgesamt sind bei allen Bauvarianten die gleichen Versagensmechanismen zu erkennen. Bei 60 % der Maximallast ist jedoch ein signifikanter Unterschied bei den erreichbaren Zyklen festzustellen. Dies ist mit den unterschiedlichen Prozessparametern zu erklären (vgl. Tabelle 2). Der Unterschied zwischen V1-D und V3-D liegt in der Strangbreite. Durch die höhere Strangbreite bei Bauvariante V3-D werden weniger Stränge abgelegt. Dies führt zu größeren Fehlstellen in der Füllung im Vergleich zu Bauvariante V1-D. Diese Fehlstellen ermöglichen ein einfacheres Ausknicken und Versagen. Bauvariante V2-D hingegen besitzt durch den alternativen Rasterwinkel von 30° ein anderes Füllmuster. Auch dort sind einige Fehlstellen zu erkennen. Durch den Rasterwinkel von 30 % werden bei V2-D die Stränge schräg abgelegt, sodass ein Ausknicken im Gegensatz zu V1-D erleichtert wird. Der Einfluss der Strangablage ist im Vergleich zum Einfluss der Strangbreite geringer.

3.2 Biegebelastung Tabelle 3 zeigt die verwendeten Prozessparameterkombinationen für die Biegebelastung. Auch für diesen Lastfall sind die Prozessparameter auf Grundlage der Ergebnisse aus den quasistatischen Voruntersuchungen bestimmt worden. Für die dynamischen Untersuchungen werden zum einen der Rasterfolgewinkel sowie der Strangabstand variiert. Diese beiden Prozessparameter hatten in den quasistatischen Voruntersuchungen den größten Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften. Tabelle 3:

Variationen der Bauparameter für Biegebelastung Konturanzahl

V1-B

1

Strangbreite [mm] 0,5064

Rasterwinkel [°] 0

Rasterfolge- Strangabstand winkel [°] [mm] 90 -0,03

V2-B

1

0,5064

0

0

-0,03

V3-B

1

0,5064

0

90

0

3.2.1 Dynamische Langzeiteigenschaften unter Biegebelastung Die Ergebnisse aus den experimentellen Untersuchungen sind in Abbildung 12 in Form von Wöhlerkurven für die Biegebelastungen zusammengefasst. Es wird deutlich, dass mit Bauvariante V2-B bei niedrigeren Lasten mehr Zyklen bis zum Versagen der Probekörper erreicht werden als mit den beiden alternativen Varianten. Eine statistische Auswertung der Messdaten mit dem Programm Minitab ergibt eine Normalverteilung der Ergebnisse. Ausnahme dabei bildet Bauvariante V2-B beim 30 % Lastfall. Mit Hilfe der ANOVA-Analyse können weitere Aussagen getroffen werden. Ein signifikanter statistischer Unterschied zwischen den einzelnen Bauvarianten kann nachgewiesen werden. Ausgenommen davon ist der 70 % Lastfall. Bei 70 % der Maximallast ist kein statistischer Unterschied zwischen V1-B und V2-B festzustellen.

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung Wöhlerdiagramm Biegebelastung

70% Spannung in Prozent der Maximallast

195

60% V1-B V1 V2 V2-B

50%

V3 V3-B 40%

30% 0

10000

20000

30000 40000 50000 Erreichte Zyklen

60000

70000

Abbildung 12: Wöhlerdiagramm für Biegebelastungen

3.2.2 Analyse der Versagensmechanismen unter Biegebelastung Aufbauend auf diesen Ergebnissen werden für diese Belastungsart ebenfalls die innere Aufbaustruktur der Probekörper und die Rissausbreitungsmechanismen mit Hilfe von Schliffbildern detailliert untersucht. Abbildung 13a zeigt das Schliffbild der Bauvariante V3-B. Durch den bei dieser Bauvariante gewählten Strangabstand von 0 mm entsteht die sogenannte Zwillingsbildung zwischen den Strängen. Dieses Phänomen ist im FDM-Prozess bekannt. Die Stränge streben einen energetisch günstigeren Zustand an, wodurch der neu abgelegte Strang zu dem zuvor abgelegten hingezogen wird. Bei der Ablage des nachfolgenden direkt benachbarten Strangs ist der Abstand für diese Anziehungskraft jedoch zu groß, sodass eine Lücke entsteht. Die dadurch entstandenen Fehlstellen in den Probekörpern begünstigen das Risswachstum. Abbildung 13b zeigt dazu im Vergleich die Bauvariante V1-B. Für diese Bauvariante wurde ein negativer Strangabstand von -0,03 mm gewählt. Die Zwillingsbildung wird verhindert und es entstehen deutlich weniger Fehlstellen. Dadurch sind die Probekörper stabiler und das Risswachstum wird erschwert. Für das Risswachstum stellen die einzelnen Materialstränge im Vergleich zu den vielen Schweißnähten innerhalb eines FDM-Probekörpers ein größeres Hindernis dar. Schweißnähte oder Lufteinschlüsse sind für Risse leichter zu durchdringen, da sie nicht durch das volle Material hindurch müssen. Dies ist auch in Abbildung 14a zu erkennen. Obwohl in den quer abgelegten Strängen an dieser Stelle noch kein Riss vorhanden ist, sind die Schweißnähte teilweise bereits voneinander getrennt.

196

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung b)

a)

Zwillingspaar

Abbildung 13: a) Bauvariante V3-B mit Zwillingsbildung; b) Bauvariante V1-B ohne Zwillingsbildung Mit der Bauvariante V2-B können im Vergleich zu den anderen beiden Bauvarianten deutlich mehr Zyklen erreicht werden. Die innere Aufbaustruktur scheint hierbei das Risswachstum zu hemmen. Im Gegensatz dazu wird in Abbildung 14b deutlich, dass bei Bauvariante V3-B der Riss nur bei jeder zweiten Schicht durch den Strang hindurch verläuft. Ansonsten ist ein Verlauf des Risses durch die schwachen Schweißnähte bzw. im Bereich der Fehlstellen der anderen Schichten zu verzeichnen, sodass der Riss deutlich schneller wächst. Da sich Bauvariante V1-B und V3-B nur durch den Strangabstand unterscheiden, ist von einem gleichen Rissausbreitungsmechanismus bei beiden Bauvarianten auszugehen. Der Unterschied in der erreichten Zyklusanzahl ist dann mit mehr bzw. größeren Fehlstellen bei einem Strangabstand von 0 mm zu erklären. a)

b)

Abbildung 14: a) Versagen einer Schweißnaht ohne vorherigen Riss durch den benachbarten Strang; b) Riss durch die Schweißnähte und durch die Stränge bei Bauvariante V3-B Bei hohen Lasten (70 % der quasistatischen Maximallast) wird mit Bauvariante V1-B die maximale Zyklusanzahl erreicht. Bauvariante V1-B erreicht bei den quasistatischen Untersuchungen

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

197

ebenfalls die höchste Festigkeit. Deshalb ist von ähnlichen Versagensmechanismen bei hohen dynamischen und quasistatischen Belastungen auszugehen. Bei dynamischen Langzeitbeanspruchungen mit niedrigeren Belastungen wird mit Bauvariante V2-B die höchste Zyklusanzahl erreicht. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass unterschiedliche Versagensmechanismen unter Biegebelastung auftreten. Die beiden Bauvarianten V1-B und V3-B weisen einen alternierenden Rasterfolgewinkel auf und die Untersuchungen zeigen, dass das Risswachstum durch die Schweißnähte der quer liegenden Stränge verläuft. Demgegenüber ist die Bauvariante V2-B mit einem Rasterwinkel von 0° deutlich besser für die dynamische Biegebelastung geeignet, da das Risswachstum ausschließlich durch die Stränge stattfinden muss.

4 Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen dieses Beitrags wurden die dynamischen Langzeiteigenschaften von einer FDMVerstärkungsstruktur untersucht. Ziel war die Ermittlung von Wöhlerkurven zur Abschätzung der Lebensdauer unter Berücksichtigung unterschiedlicher Laststufen. Für die Druckbelastung konnte festgestellt werden, dass ab 60 % der quasistatischen Maximallast ein Parametereinfluss auf die dynamischen Langzeiteigenschaften nachgewiesen werden kann. Bei einer um 90° alternierenden Rasterfolge und einer Strangbreite von 0,5064 mm wurde die höchste Zyklusanzahl von ungefähr 132.000 Zyklen erreicht. Eine alternative Rasterfolge hatte dabei weniger Einfluss als eine höhere Strangbreite. Dies liegt insbesondere an den Fehlstellen, die bei einer erhöhten Strangbreite vermehrt vorlagen. Außerdem konnte ein Versagensmechanismus mit drei unterschiedlichen Rissen detektiert und anhand von Schliffbildern erklärt werden. Bei den Biegeuntersuchungen erreichte die Bauvariante mit einem Rasterwinkel von 0° und einem negativen Strangabstand von -0,03 mm die höchste Zyklusanzahl von ungefähr 64.000 Zyklen bei 30 % der quasistatischen Maximallast. Nur bei sehr hohen Kräften (70 % der quasistatischen Maximallast) erreichte die Bauvariante mit einem um 90° alternierenden Rasterwinkel und einem negativen Strangabstand von -0,03 mm mehr Zyklen. Als weiterführende Untersuchungen bieten sich weitere Prozessparameteroptimierungen an. Insbesondere für die druckbelasteten Probekörper ist eine schichtweise Optimierung anzustreben, bei der die Füllstrategie an die einzelnen Schichten angepasst wird. Auf diese Weise können die Fehlstellen im Randbereich und die Überfüllung der Probekörper verhindert werden. Dabei muss auch die Wärmeentwicklung während der Versuchsdurchführung überwacht werden. Auf diese Weise soll das lokale Aufschmelzen von Bereichen im Inneren der Probekörper verhindert werden.

198

Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung

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Schmiedel, H.: Handbuch der Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag. München/Wien, 1992.

199

Numerische Simulation zur Vorhersage von Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug beim selektiven Laserstrahlschmelzen M. Käßa,b, M. Werza, S. Weihea,b a) Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart (MPA) b) Institut für Materialprüfung, Werkstoffkunde und Festigkeitslehre (IMWF), Universität Stuttgart

Zusammenfassung Additive Fertigungsverfahren wie das selektive Laserstrahlschmelzen ermöglichen die Herstellung komplexer, individueller Bauteile aus metallischen Werkstoffen. Zur Definition geeigneter Fertigungsparameter sind jedoch häufig verhältnismäßig aufwändige experimentelle Parameteranpassungen notwendig. Eine Vermeidung dieser experimentellen Anpassungen könnte durch eine simulative Vorhersage der Bauteileigenschaften bei bestimmten Prozessparametern und Bauteilgeometrien ermöglicht werden. Ziel der Simulationen ist die numerische Berechnung von Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug, wie sie in realen Bauteilen während des additiven Fertigungsprozesses auftreten. Problematisch bei einer Simulation laseradditiver Fertigungsprozesse sind jedoch die unterschiedlichen Größenordnungen von Prozess und Bauteil. In dieser Arbeit wird daher untersucht, welche Möglichkeiten zur Simulation des additiven Fertigungsprozesses unter Berücksichtigung der vorliegenden physikalischen Effekte bestehen und welche Herausforderungen sich dabei ergeben. Dazu wird beispielhaft die Fertigung einfacher Geometrien im Finite-Elemente-Programm Abaqus 2017 simuliert, um die Eignung von Modellvereinfachungen und den Einfluss verschiedener Prozessparameter zu untersuchen. Dabei werden eine schichtweise Elementaktivierung, eine gaußverteilte Wärmequelle und thermische sowie mechanische Randbedingungen im Modell verwendet, um den realen additiven Fertigungsprozess abzubilden. Zunächst wird an einem Modell der Einfluss von Elementgröße und Zeitschrittweite auf berechnete Temperaturen, Eigenspannungen und Verzug untersucht. Dabei zeigt sich, dass eine Abhängigkeit der berechneten Ergebnisse von der Elementgröße im Modell und der verwendeten Zeitschrittweite besteht. An einem weiteren Modell wird außerdem der Einfluss der Scanstrategie auf den resultierenden Eigenspannungszustand untersucht. Die Untersuchungen zeigen hier, dass Richtungsänderungen der Scanpfade zwischen den Ebenen sowie innerhalb der Ebenen zu einem gleichmäßigeren Spannungszustand beitragen.

Stichwörter: Selektives Laserstrahlschmelzen, Numerische Simulation, Eigenspannungen, Verzug © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_13

200

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

1 Einleitung Additive Fertigungsmethoden bieten im Vergleich zu konventionellen Verfahren neue Möglichkeiten in Bezug auf Konstruktionsfreiheit und Funktionsintegration. Außerdem ermöglichen additive Fertigungsmethoden eine schnelle Realisierung von individuellen Ausführungen und Kleinserien, da eine direkte Herstellung der Bauteile aus CAD-Daten erfolgt. Das selektive Laserstrahlschmelzen stellt dabei ein pulverbettbasiertes additives Verfahren dar, welches die Herstellung metallischer Bauteile erlaubt. Hierbei wird ein pulverförmiges Ausgangsmaterial Schicht für Schicht aufgetragen und lokal durch stark fokussierte Laserstrahlung aufgeschmolzen. Beim anschließenden Erstarren entsteht eine feste Verbindung mit dem darunterliegenden Material, sodass schichtweise das zu fertigende Bauteil entsteht. Die hohe lokale Wärmeeinbringung im Fertigungsprozess kann jedoch zur Entstehung von Eigenspannungen und zu einem Bauteilverzug führen. Ursache für Eigenspannungen sind behinderte thermische Ausdehnungen und Schrumpfungen des Werkstoffs beim Aufheizen und Abkühlen [1]. Die Höhe dieser thermischen Dehnungen hängt von transienten und örtlich verschiedenen Temperaturen im Bauteil ab. Erfolgt eine Erwärmung der oberen Schichten eines Bauteils im Fertigungsprozess, wird deren thermische Ausdehnung durch darunterliegende steifere Bereiche im Bauteil oder die Bauplatte verhindert. Durch die Behinderung dieser thermischen Ausdehnungen oder Schrumpfungen kann es zu einer lokalen Überschreitung der Streckgrenze und damit zu plastischen Verzerrungen kommen. Fließen tritt dabei bevorzugt in den oberen, wärmeren Schichten auf, da das Material hier temperaturbedingt eine geringere Streckgrenze besitzt [2]. Durch das plastische Fließen ist eine Voraussetzung zur Entstehung von Eigenspannungen gegeben [1]. Ein Eigenspannungszustand kann sich dabei negativ auf die im Betrieb ertragbaren Lasten auswirken [1] und zu Rissen im additiv gefertigten Bauteil führen [3]. Außerdem kann ein aus thermischen Dehnungen resultierender Verzug zu unerwünschten Formabweichungen oder sogar zu Kollisionen mit dem pulverauftragenden Mechanismus während der Fertigung führen [3], [4]. Dies bedeutet, dass Eigenspannungen und Verzug zum Prozessabbruch und zur Entstehung von Ausschussteilen führen können. Um zeit- und kostenintensive iterative experimentelle Parameteranpassungen zu umgehen, wird daher angestrebt, eine Vorhersage von Eigenspannungen und Verzug in Abhängigkeit der Prozessparameter mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode (FEM) durchzuführen. Damit wird einerseits die Sicherheit von Bauteilen im Betrieb erhöht und andererseits der Anteil von Ausschussteilen in der Produktion reduziert. Als besondere Herausforderung für eine Simulation des Fertigungsprozesses zeigen sich die unterschiedlichen zu betrachtenden zeitlichen und örtlichen Größenordnungen in Prozess und Bauteil, was eine detaillierte und zugleich ökonomische Vorhersage unmöglich macht. In dieser Arbeit wird daher untersucht, welche Vereinfachungen möglich sind, um realistische Ergebnisse für Verzug und Eigenspannungszustand erzielen zu können. Die Vereinfachungen sollen zukünftig zu einem vertretbaren Rechenaufwand bei Finite-Elemente-Simulationen ganzer Bauteile führen. Dabei wird auf den Einfluss der räumlichen und zeitlichen Diskretisierung eingegangen. Außerdem wird untersucht, wie mit einem thermomechanischen Simulationsansatz ein Einfluss der Bauteilabtrennung von der Bauplatte sowie verschiedener Scanstrategien auf Eigenspannungen und Verzüge berücksichtigt werden kann.

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

201

2 Stand der Technik: Simulation von Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug beim selektiven Laserstrahlschmelzen Die wesentlichen Herausforderungen bei der numerischen Simulation des additiven Fertigungsprozesses sind die unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Größenordnungen, die im realen Prozess auftreten. So liegt die Breite einer einzelnen Schmelzspur in der Größenordnung von 100 µm, während die Größe der Bauteile im Bereich einiger Zentimeter bis Dezimeter liegen kann. Die Länge der Mikroschweißnaht für 1 cm³ Werkstoff liegt dabei in einer Größenordnung von 100 m. Die Geschwindigkeit des Laserstrahls liegt in einer Größenordnung von bis zu 1000 mm/s, sodass ein Baujob durchaus mehrere Tage dauern kann. Abbildung 1 stellt diese Unterschiede in der räumlichen und zeitlichen Dimension dar.

Abbildung 1:

Verhältnis von Bauteilgröße zu Prozessgrößen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

Um die Effekte des Mikroschweißprozesses mit hoher Detailgenauigkeit im Modell abbilden zu können, wäre die Verwendung einer hohen räumlichen und zeitlichen Auflösung in der Simulation sinnvoll. Jedoch führt die Berechnung ganzer Bauteile mit hochaufgelösten Modellen auch bei Verwendung leistungsfähiger moderner Rechner zu enormen Rechenzeiten, was eine ökonomische Vorhersage von Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug erschwert. Dem Problem der verschiedenen Größenordnungen wird in der Literatur dabei auf unterschiedliche Weise Rechnung getragen. Häufig werden Temperaturfeld und Eigenspannungen nur für ein kleines Volumen mit hoher räumlicher Auflösung berechnet. Bekannte Ansätze zur Simulation von selektiven Strahlverfahren werden im Folgenden vorgestellt.

202

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

2.1 Verbreitete Ansätze zur Simulation von Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug Zahlreiche Ansätze zur numerischen Simulation der Temperaturfelder bei selektiven Strahlverfahren wurden bereits von verschiedenen Autoren erarbeitet [5], [6], [7]. Zur Berechnung von Eigenspannungen und Verzug finden thermomechanisch gekoppelte Rechnungen Anwendung [8], [9], [10], [11]. Zur detaillierten Modellierung des Wärmeeintrags wurde von Goldak [12], [13] eine Wärmequelle mit Gaußscher Intensitätsverteilung für Schmelzschweißverfahren entwickelt. Zur numerischen Simulation des Laserstrahls bei selektiven Strahlverfahren in der additiven Fertigung, werden in der Literatur verschiedene Formen von Wärmequellen beschrieben. Dabei werden von einigen Autoren kreisförmige Oberflächenwärmequellen [7], [14] und kreisförmige Volumenwärmequellen [15], [16] mit Gaußscher Intensitätsverteilung verwendet. Außerdem kommen Wärmequellen mit einer gleichmäßig verteilten Intensität zum Einsatz [6], [17]. Um die Prozesse im Schmelzbad mit ausreichender Genauigkeit abbilden zu können, sollte die Elementgröße den Durchmesser der Wärmequelle nach [5] nicht übersteigen. Die Kantenlänge der verwendeten Elemente beträgt in [6] ein Drittel, in [7] ein Viertel und in [17] ein Neuntel des Strahldurchmessers. Für die Simulation von Schweißprozessen und prozesstechnisch verwandten additiven Fertigungsprozessen stehen unterschiedliche Ansätze in der Finite-Elemente-Methode zur Verfügung: Ist nur das beim (Mikro-) Schweißprozess auftretende Temperaturfeld von Interesse, kann eine rein thermische Analyse (= „uncoupled heat transfer analysis“ [18]) durchgeführt werden. Sollen zusätzlich mechanische Größen, wie Spannungen, Dehnungen und Verformungen, berechnet werden, bieten sich verschiedene Arten von gekoppelten Methoden an. Eine sequentiell gekoppelte thermomechanische Analyse (= „sequentially coupled thermalstress analysis“ [18]) setzt sich dabei aus zwei Simulationsschritten zusammen. Zunächst wird hier in einer rein thermischen Analyse ein transientes Temperaturfeld berechnet, welches als Eingangsgröße für eine darauffolgende rein mechanische Analyse dient. Diese Methode eignet sich, wenn im zu simulierenden Prozess keine Beeinflussung der thermischen Größen durch mechanische Größen, wie es beispielsweise bei starken Verformungen der Fall ist, auftritt. Es wird davon ausgegangen, dass bei Schweißprozessen und additiven Fertigungsprozessen eine solche Rückkopplung der mechanischen Größen auf thermische Größen vernachlässigt werden kann, weshalb sich die sequentiell gekoppelte Methode anbietet. Diese hat den Vorteil des geringeren Rechenaufwandes, verglichen mit einer voll gekoppelten thermomechanischen Analyse (= „fully coupled thermal-stress analysis“ [18]). In einer voll gekoppelten thermomechanischen Berechnung werden Temperaturfeld und mechanische Größe gleichzeitig berechnet. Dies bietet sich an, wenn thermische und mechanische Größen sich gegenseitig beeinflussen [18]. Eine Möglichkeit zur schnellen Berechnung von Spannungen und Verformungen beim Schweißen und der additiven Fertigung ist eine rein mechanische Analyse unter Verwendung der „Methode der bleibenden Dehnungen“ (= „inherent strains“) [19]. Um der Problematik der verschiedenen Größenordnungen gerecht zu werden, haben einige Autoren verschiedene Mehrskalenansätze entwickelt: Als Gesamtkonzept zur Berücksichtigung der verschiedenen Größenordnungen bei selektiven Laserschmelzverfahren stellt Keller [9], [19] einen dreistufigen Ansatz zur Berechnung von Eigenspannungen und Verzug vor. Darin können in einem mikroskopischen Modell die Parameter einer Goldak-Wärmequelle kalibriert werden. Ein zweites, sogenanntes „Hatching Model“ dient

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

203

dazu, in einer thermomechanischen Rechnung die Scanstrategie abzubilden. Als Scanstrategie wird beim selektiven Laserstrahlschmelzen der Pfad der bewegten Wärmequelle bezeichnet. Dabei wird der zuvor im mikroskopischen Wärmequellenmodell ermittelte Energieeintrag gleichmäßig als Volumenwärmequelle in einem Element aufgebracht. In beiden Modellen ist ein temperaturabhängiges Umschalten der Werkstoffeigenschaften von Pulver zu Feststoff realisiert. Die im „Hatching Model“ berechneten Dehnungen werden nun direkt in einem mehrschichtigen makroskopischen Modell als Input verwendet. Keller [9] bezeichnet dieses Vorgehen als „Methode der bleibenden Dehnungen“. Im mehrschichtigen Modell mit schichtweiser Elementaktivierung wird nur eine rein mechanische Simulation durchgeführt, die im Vergleich zu einer thermomechanischen weniger zeitaufwändig ist [9]. Um den Rechenaufwand zu reduzieren, fasst Neugebauer [10] in einem makroskopischen Modell mehrere Schichten eines selektiven Laserschmelzprozesses zusammen, sodass Elemente mit einer größeren Höhe verwendet werden können. Außerdem werden ganze Schichten oder Teilbereiche davon gleichzeitig durch eine Wärmequelle beheizt, anstatt den Laserpfad genau abzubilden. Die auf die Fläche eingebrachte Wärmemenge ist dabei identisch zur Energie, welche durch einen hochaufgelösten Laserpfad ins Bauteil eingebracht würde. Nach der zeitgleichen Belichtung einer Ebene wird die restliche Zeit abgewartet, die der Laser zum Nachfahren des Pfades benötigen würde, um ein Abkühlen zu ermöglichen. Neugebauer [10] gibt an, die Scanstrategie durch die Belichtung halber Ebenen zumindest teilweise berücksichtigen zu können.

2.2 Methoden zur Vereinfachung durch räumliche Diskretisierung Eine Möglichkeit, eine hohe räumliche Auflösung der Wärmequelle und gleichzeig die Berechnung größerer Bauteilbereiche mit vertretbarem Rechenaufwand zu realisieren, bietet die lokale Netzverfeinerung. Dabei kann zwischen statischer und dynamischer Netzverfeinerung unterschieden werden. Bei der statischen Netzverfeinerung ist ein kleines Volumen, welches im direkten Wirkungsbereich der Wärmequelle liegt, feiner vernetzt. Bereiche, welche nicht direkt durch die Wärmequelle beheizt werden, werden gröber vernetzt [6], [7], [17]. Diese Methode stößt bei großen Bauteilen jedoch schnell an ihre Grenzen, da auch hier eine zu hohe Anzahl von Elementen erreicht wird. Zur weiteren Reduzierung der Anzahl der Elemente bei gleichzeitig hoher Auflösung der Wärmequelle kann die dynamische Netzverfeinerung Abhilfe schaffen, da bei dieser Methode stets nur ein Bereich um die Wärmequelle fein vernetzt ist. Der restliche Bauraum kann mit größeren Elementen vernetzt werden als zur Auflösung der Wärmequelle notwendig ist. Andersen [20] unterscheidet dabei zwischen einer vordefinierten „dynamischen Netzverfeinerung“ und einer „adaptiven Netzverfeinerung“, die aufgrund einer Fehlerabschätzung während der Berechnung automatisch durchgeführt wird. Bei dynamischer bzw. adaptiver Netzverfeinerung muss durch Randbedingungen oder Interpolation Information zwischen den verschieden fein vernetzten Bereichen ausgetauscht werden [21]. Diese Methoden sind in den meisten kommerziellen FE-Programmen jedoch nicht so realisierbar, wie sie für die Simulation eines additiven Fertigungsprozesses benötigt werden [8]. Dies schränkt den Einsatz der dynamischen bzw. adaptiven Netzverfeinerung ein, wenn keine eigene oder spezielle Software zur Verfügung steht.

204

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

2.3 Methoden der Zeitintegration Zur Diskretisierung zeitabhängiger Probleme wird bei der Finite-Elemente-Methode grundsätzlich zwischen einer expliziten und einer impliziten Zeitintegration unterschieden. Diese Methoden unterscheiden sich in einigen wesentlichen Punkten [22]: Eine explizite Zeitintegration zeichnet sich durch eine sehr kleine Zeitschrittweite aus. Wird eine kritische Zeitschrittweite überschritten, kommt es zu Instabilität in der Rechnung. Die gesuchten Größen des Zeitschrittes n werden aus bekannten Ergebnissen des vorherigen Schrittes n-1 berechnet. Daher ist weder ein Invertieren einer Steifigkeitsmatrix noch eine Konvergenzüberprüfung notwendig. Demzufolge sind explizite Berechnungen geeignet für kurze Prozesse mit hohen Nichtlinearitäten. Dagegen beinhaltet bei impliziter Zeitintegration das Gleichungssystem auch (noch unbekannte) Größen des aktuellen Zeitschrittes, sodass ein iteratives Lösen dieses Gleichungssystems bzw. ein Invertieren einer Steifigkeitsmatrix notwendig ist. Dabei kann jedoch eine verhältnismäßig große Zeitschrittweite verwendet werden. Implizite Rechnungen sind somit für lange Zeiten und mäßige geometrische Nichtlinearität geeignet [22]. Beim selektiven Laserstrahlschmelzen treten einerseits sehr schnelle Vorgänge mit hohen Gradienten über eine andererseits vergleichsweise lange Zeitspanne auf. In einer mechanischen Rechnung mit expliziter Zeitintegration ergibt sich eine maximale stabile Zeitschrittweite aus der Elementgröße, repräsentiert durch die minimale Elementlänge lmin, und der Wellenausbreitungsgeschwindigkeit cd im Modell [23]:

Δt ≈

l min cd

(1)

Eine vereinfachte Definition der Größe cd für bestimmte Elemente [24] verdeutlicht die Abhängigkeit der Wellenausbreitungsgeschwindigkeit von der Dichte:

cd ≈

E

ρ

(2)

Darin sind E der Elastizitätsmodul und ρ die Dichte des Werkstoffs. Aufgrund dieses Zusammenhangs kann die maximale stabile Zeitschrittweite durch eine Erhöhung der Dichte im Modell vergrößert und damit die benötigte Rechenzeit verkürzt werden. Um bei Anwendung dieser Massenskalierung keine falschen Ergebnisse zu erhalten, muss jedoch darauf geachtet werden, dass Trägheitskräfte nicht die Rechnung dominieren [23]. Da im Falle der Berechnung eines AMProzesses dynamische Kräfte keine Rolle in Bezug auf die im Bauteil wirkenden Spannungen spielen, könnte die Massenskalierung ein geeignetes Mittel sein, um die Zeitschrittweite in einer expliziten Rechnung zu vergrößern.

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

205

3 Numerische Untersuchungen Die numerischen Untersuchungen zur Simulation von Temperaturfeldern, Verzug und Eigenspannungen bei der Fertigung durch selektives Laserstrahlschmelzen werden an zwei geometrisch verschiedenen Modellen durchgeführt. Zunächst wird in einer Voruntersuchung die Fertigung eines Quaders simuliert, um den Einfluss von Elementgröße und Zeitschrittweite auf berechnete Temperaturen, Eigenspannungen und Verzüge zu untersuchen. In einer weiteren Untersuchung werden anschließend am Modell eines Würfels der Einfluss der Bauplattenabtrennung sowie verschiedener Scanstrategien auf Eigenspannungen und Verzug betrachtet. Dazu wird Abaqus 2017 mit einem speziell für additive Fertigungsprozesse entwickelten PlugIn genutzt. Dieses Plug-In wurde von Dassault Systèmes (Simulia) zur Verfügung gestellt und ermöglicht eine unkomplizierte Umsetzung der schichtweisen Elementaktivierung. Außerdem kann der Laser durch eine bewegte Wärmequelle mit Gaußscher Intensitätsverteilung abgebildet werden. Die zu einer entsprechenden Scanstrategie gehörende Bewegung der Wärmequelle kann durch tabellarische Eingabe der Bahnen realisiert werden. In beiden Modellen wird der Werkstoff AlSi10Mg verwendet. Aufgrund unvollständiger und streuender Daten wurden die entsprechenden Materialparameter aus [25] und [26] abgeleitet und durch eigene Annahmen und Vereinfachungen ergänzt. Die verwendeten Werte sind in Tabelle 1 und 2 dargestellt. Die temperaturabhängigen Materialkennwerte für den Feststoff dienen zur Berücksichtigung abnehmender Festigkeiten bei steigenden Temperaturen. Innerhalb des in Tabelle 1 und 2 angegebenen Temperaturbereichs führt Abaqus eine lineare Interpolation zwischen den dargestellten Kennwerten durch. Außerhalb des Temperaturbereichs wird mit konstanten Kennwerten gerechnet. Für die Modellierung des Pulvers werden eine nach [17] verringerte Wärmeleitfähigkeit und verringerte mechanische Eigenschaften verwendet. Tabelle 1: Wärmeleitfähigkeit, Wärmekapazität und Wärmeausdehnungskoeffizient für Pulver und Feststoff in Abhängigkeit von der Temperatur (abgeleitet aus [25], [26]) 20 °C

600 °C

Wärmeleitfähigkeit Feststoff

110 W/(m*K)

150 W/(m*K)

Wärmeleitfähigkeit Pulver

1,1 W/(m*K)

1,5 W/(m*K)

Wärmekapazität

900 J/(kg*K)

1200 J/(kg*K)

Wärmeausdehnungskoeffizient

21*10-6

Temperatur

26*10-6 1/K

1/K

Tabelle 2: Streckgrenze und E-Modul für Pulver und Feststoff in Abhängigkeit von der Temperatur (abgeleitet aus [25], [26]) Temperatur

20 °C

500 °C

Fiktive Streckgrenze Pulver

1 MPa

Fiktiver E-Modul Pulver

10 GPa

Streckgrenze Feststoff E-Modul Feststoff

580 °C

250 MPa

20 MPa

1 MPa

72 GPa

10 GPa

10 GPa

206

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

Alle Simulationen werden in Abaqus als sequentiell gekoppelte thermomechanische Analyse durchgeführt. Abbildung 2 zeigt den schematischen Ablauf einer sequentiell gekoppelten thermomechanischen Analyse. Dazu werden zwei geometrisch identische Modelle mit jeweils identischer Vernetzung verwendet. Zunächst wird dabei in einer impliziten thermischen Rechnung, unter Verwendung einer volumetrischen Wärmequelle, ein zeitlich veränderliches Temperaturfeld berechnet. In einer darauffolgenden impliziten mechanischen Rechnung wird dieses Temperaturfeld eingelesen und zur Berechnung eines temperaturabhängigen Materialverhaltens sowie thermischer Ausdehnungen und Schrumpfungen verwendet. In dieser mechanischen Simulation werden Spannungen, Dehnungen und Verschiebungen berechnet.

Abbildung 2:

Sequentiell gekoppelte thermomechanische Simulation

Auf der Oberseite des Bauteils kommen in der thermischen Berechnung Randbedingungen zur Modellierung von Konvektion und Strahlung in den Bauraum zum Einsatz. Daneben wird an den seitlichen Außenflächen der Pulverschicht eine Randbedingung zur Berücksichtigung von Wärmeleitung in das umgebende Pulverbett verwendet. Da die modellierte Bauplatte in ihrer Größe nicht den Dimensionen einer realen Bauplatte entspricht, wird eine thermische Randbedingung an der Unterseite der Bauplatte im Modell verwendet, um eine weitere Fortsetzung dieser nach unten abzubilden. In der mechanischen Berechnung werden alle Knoten an der Unterseite der Bauplatte im Modell fixiert, um eine feste Einspannung zu simulieren. Im thermischen und mechanischen Modell wird die Verbindung zwischen Bauplatte und dem additiv gefertigten Bauteil mit einer Kontaktbedingung modelliert.

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

207

3.1 Voruntersuchung zu Elementgröße und Zeitschrittweite Da aus der Literatur durchaus stark unterschiedliche Ansätze zur räumlichen und zeitlichen Auflösung zur Simulation des selektiven Laserstrahlschmelzens zu finden sind, wird deren Einfluss auf die Genauigkeit der Ergebnisse untersucht [27]. Ziel dieser Untersuchung ist, eine Einschätzung treffen zu können, welche Vereinfachungen möglich sind, ohne die Qualität der Ergebnisse maßgeblich zu verschlechtern. Hintergrund ist, dass durch Vereinfachung von räumlicher und zeitlicher Auflösung der Rechenaufwand reduziert und damit die Berechnung größerer Bauteile ermöglicht werden kann.

3.1.1 Modellaufbau Als Rechenbeispiel wurde ein Quader gewählt, der mit einer Bauplatte fest verbunden und seitlich von Pulver umgeben ist. Entsprechend eines realen Fertigungsprozesses wird der schichtweise Aufbau in der Simulation berücksichtigt. Insgesamt wird die Fertigung des Quaders aus 20 Schichten mit einer Höhe von jeweils 0,05 mm berechnet. Diese Höhe entspricht der Dicke einer Schicht im realen Prozess. Eine Darstellung des FE-Modells zeigt Abbildung 3. Die Bauplatte hat im Modell eine Größe von 5 x 8 x 2 mm³ und ist stets mit 10.000 Hexaeder-Elementen mit einer Kantenlänge von 0,2 mm vernetzt. Der gefertigte Quader ist durch eine Kontaktbedingung auf der Bauplatte fixiert und hat eine Größe von 1 x 4 x 1 mm³. Um diesen Quader ist seitlich eine Pulverschicht mit einer Breite von 0,2 mm angeordnet.

Abbildung 3:

Modell zur Herstellung quaderförmiger Bauteile

Tabelle 3 und Abbildung 4 zeigen, wie die Elementgröße von Bauraum und Pulverschicht im Rahmen einer Parameterstudie variiert wurde. Zum Vergleich der Größenordnung ist in Abbildung 4 die Schichtdicke und der Durchmesser des simulierten Laserstrahls dargestellt. Tabelle 3 zeigt, wie mit zunehmender Größe der Elemente von Quader und Pulverschicht die Anzahl der Elemente in diesem Bereich abnimmt.

208

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

Tabelle 3: Modellvariationen Elementgröße Quader & Pulverschicht

Elementanzahl Quader & Pulverschicht

Modell 1/ Elementgröße 1

0,05 x 0,05 x 0,025 mm³

98560

Modell 2/ Elementgröße 2

0,1 x 0,1 x 0,05 mm³

12320

Modell 3/ Elementgröße 3

0,2 x 0,2 x 0,05 mm³

3080

Elementgröße 1

Elementgröße 2

Elementgröße 3

Schichtdicke 0,05 mm Laserdurchmesser 0,2 mm

Abbildung 4:

Wärmequelle mit Gaußverteilung

Schematische Darstellung der untersuchten Elementgrößen im Vergleich zur Schichtdicke (0,05 mm) und zum Durchmesser des Laserstrahls (0,2 mm)

Eine Aktivierung der Elemente des zu fertigenden Quaders und der umgebenden Pulverschicht erfolgt schichtweise. Zur Modellierung des Laserstrahls wird ein zeitlich veränderlicher Wärmestrom jeweils in die oberste Schicht eingebracht. Dazu wird im Modell eine halbkugelförmige Volumenwärmequelle mit Gaußscher Intensitätsverteilung mit einem Durchmesser von 0,2 mm verwendet. Die modellierte Laserquelle hat eine Scangeschwindigkeit von vs = 1000 mm/s und eine Leistung von 300 W. Abbildung 5 zeigt die Scanstrategie, entlang welcher sich die Wärmequelle im Modell über jede der 20 Schichten des Quaders bewegt.

Abbildung 5:

Modellierte Scanstrategie

Eine diskrete Zeitschrittweite ∆t, wie sie in einer FE-Rechnung Anwendung findet, führt dazu, dass die Wärmequelle in dieser Zeit den Weg ∆s = vs·∆t zurücklegt. Anhand der Laserleistung und des Laserpfades ermittelt Abaqus die eingebrachte Wärmemenge für jeden in einem Zeitschritt durch die Wärmequelle überstrichenen Punkt. Daraus wird für jeden Punkt die durch die Wärmequelle eingebrachte Energie über die Dauer des Zeitschrittes integriert und als gemittelter, konstanter Wärmestrom innerhalb eines Zeitschritts aufgebracht, um dieselbe eingebrachte Wärmemenge im Modell zu erzielen. Diese Zusammenfassung der Belichtung von Bereichen in Abhängigkeit des Zeitinkrements ist eine Funktion des verwendeten Abaqus Plug-Ins und kann zur Umsetzung verschieden starker Vereinfachungen der Scanstrategie im Modell genutzt werden.

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

209

Dies wird neben der Variation der Elementgröße durch die Parameterstudie untersucht. In Tabelle 4 sind die untersuchten Zeitschrittweiten sowie der in dieser Zeit zurückgelegte Weg im Modell angegeben. Tabelle 4: Angabe der untersuchten Zeitschrittweiten ∆t und der in dieser Zeit zurückgelegte Weg ∆s der Wärmequelle – außerdem ist angegeben, welcher Dimension im Modell diese Länge entspricht ∆t [s]

∆s [mm]

Entspricht im Modell

0,04

40

Scanpfad über ganze Ebene

0,02

20

Scanpfad über halbe Ebene

0,01

10

Scanpfad über viertel Ebene

0,005

5

5 Bahnlängen in Querrichtung

0,001

1

Bahnlänge in Querrichtung

0,0005

0,5

halbe Bahnlänge in Querrichtung

0,0002

0,2

Laserdurchmesser

0,00005

0,05

Schichtdicke

Wie sich die Verwendung der verschieden großen Zeitinkremente im Modell auswirkt, ist anhand der Abbildungen 6 bis 9 dargestellt. Gezeigt ist die resultierende Temperaturverteilung um die Wärmequelle als Momentaufnahme in einem Zeitschritt während der Belichtung von Schicht 10. Für ein sehr kleines Zeitinkrement von 0,0002 s kann in der Simulation der spothafte Charakter des Lasers berücksichtigt werden. Die Größe des im Modell gleichzeitig belichteten Bereichs innerhalb einer Schicht nimmt mit steigender Größe des Zeitinkrementes zu. Bei Verwendung eines Zeitinkrementes von 0,04 s kommt es zu einer Belichtung der gesamten Ebene am Stück.

Abbildung 6: Wärmequelle bei ∆t = 0,0002 s [27]

Abbildung 7: Wärmequelle bei ∆t = 0,001 s [27]

Abbildung 8: Wärmequelle bei ∆t = 0,01 s [27]

Abbildung 9: Wärmequelle bei ∆t = 0,04 s [27]

210

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

3.1.2 Ergebnisse Abbildung 10 zeigt einen Schnitt durch das Modell nach Abkühlung auf Raumtemperatur und den resultierenden Eigenspannungszustand. Zusätzlich sind die Pfade eingezeichnet, entlang welcher die in Abbildung 11 bis 15 dargestellten Größen ermittelt wurden.

Abbildung 10: Exemplarischer Spannungsplot nach Abkühlung auf Raumtemperatur mit Pfaden zur Auswertung – Modell 2 mit ∆t = 0,005 s Abbildung 11 zeigt die während der gesamten Fertigung entlang Pfad 1 maximal erreichte Temperatur. Demnach führt eine Zunahme der Zeitschrittweite dazu, dass die in den Elementen maximal erreichte Temperatur abnimmt. Dies lässt sich damit erklären, dass zur Erreichung der benötigten Energiemenge im Zeitschritt der Wärmestrom über eine längere Zeit gemittelt wird und somit geringer ausfällt. Für kleine Zeitschrittweiten ist ebenfalls ein Einfluss der Elementgröße zu erkennen. Hier zeigt sich, dass bei Verwendung kleiner Elemente höhere Spitzentemperaturen berechnet werden. Dies kann mit einer räumlichen Mittelung der Gaußverteilung der Wärmequelle bei Verwendung großer Elemente begründet werden. Problematisch könnte dabei sein, dass in einigen Bereichen des Modells, bei Verwendung einer großen Zeitschrittweite, die Schmelztemperatur des Werkstoffs in der Simulation nicht mehr erreicht wird. Inwieweit dies die physikalischen Vorgänge bei der Berechnung von Eigenspannungen beeinflusst, muss weiter untersucht werden.

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 1.800

211

Modell 1 (fein) Modell 2 (mittel) Modell 3 (grob)

1.600 1.400

Temperatur [°C]

1.200 1.000 800 600 400 200 0

Zeitschrittweite ∆t [s]

Abbildung 11: Während des Prozesses entlang Pfad 1 maximale erreichte Temperatur Für eine hohe Vereinfachung der Scanstrategie durch eine große Zeitschrittweite können in Abbildung 12 und 13 ebenfalls Unterschiede der berechneten Eigenspannung festgestellt werden. Für ∆t ≤ 0,001 s zeigen die Eigenspannungen einen ähnlichen Verlauf. Ein Vergleich in Abbildung 13 zeigt, dass nur geringe Abweichungen der erreichten Eigenspannungen für die drei Netzvariationen auftreten.

200 150 100 ∆t = 0,04 s ∆t = 0,01 s ∆t = 0,001 s ∆t = 0,0002 s

50 0 0

v. Mises Vergleichsspannung [MPa]

v. Mises Vergleichsspannung [MPa]

250 300 250

Modell 1 (fein) Modell 2 (mittel) Modell 3 (grob)

200 150 100 50 0

1 2 3 4 y-Position im Bauteilschnitt [mm] Zeitschrittweite ∆t [s]

Abbildung 12: Eigenspannung entlang Pfad 1 Abbildung 13: Maximale Eigenspannung entnach Abkühlung (Modell 3) lang Pfad 1 nach Abkühlung

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

y-Verschiebung [mm]

0,03

∆t = 0,04 s ∆t = 0,01 s ∆t = 0,001 s ∆t = 0,0002 s

0,02

0,006

0,01 0 0 -0,01

1

2

3

y-Position [mm]

4

y-Verschiebung [mm]

212

0,005

Modell 1 (fein) Modell 2 (mittel) Modell 3 (grob)

0,004 0,003 0,002 0,001 0

-0,02 Zeitschrittweite ∆t [s]

Abbildung 14: y-Verschiebung entlang Pfad 2 Abbildung 15: y-Verschiebung an Position nach Abkühlung (Modell 3) y = 2 mm von Pfad 2 nach Abkühlung Die berechneten Verschiebungen, dargestellt in Abbildung 14 und 15, zeigen ebenfalls eine Abhängigkeit von der Vereinfachung der Scanstrategie. Bei einer symmetrischen Belichtung der gesamten Ebene (∆t = 0,04 s) treten in der Mitte des Bauteils keine Verschiebungen auf. Dadurch entsteht eine Abweichung des Ergebnisses im Vergleich zu einer genauen zeitlichen Auflösung der Wärmequelle. Für kleine ∆t kann der Pfad der Laserquelle, und damit die zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Energieeinbringung in eine Schicht, dagegen besser berücksichtigt werden. Insgesamt fällt auf, dass für einen Aluminiumwerkstoff verhältnismäßig hohe Eigenspannungen berechnet wurden. Für eine Einschätzung, inwieweit die Höhe der berechneten Eigenspannungen realistisch ist, sind experimentelle Eigenspannungsmessungen an realen Bauteilen notwendig. Auf diese Weise können notwendige Anpassungen für das Modell ermittelt werden.

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

213

3.2 Untersuchung verschiedener Scanstrategien An einem weiteren Modell werden Untersuchungen von Eigenspannungen und Verzug in Abhängigkeit von der Bauplattenabtrennung und verschiedener Scanstrategien durchgeführt.

3.2.1 Modellaufbau Zur Untersuchung der Bauplattenabtrennung und verschiedener Scanstrategien wird das Modell eines Würfels mit einer Kantenlänge von 3 mm verwendet (siehe Abbildung16).

Abbildung 16: Modell des Würfels mit Bauplatte und umgebender Pulverschicht Auch die Simulation der Fertigung eines Würfels wird in Abaqus 2017 unter Verwendung des Plug-Ins als sequentiell gekoppelte thermomechanische Analyse durchgeführt. In der thermischen Rechnung wird dabei eine halbkugelförmige volumetrische Wärmequelle mit einer Gaußschen Intensitätsverteilung genutzt, um einen Laserstrahl mit 0,2 mm Durchmesser, einer Geschwindigkeit von 1000 mm/s und einer Leistung von 300 W zu modellieren. Um den schichtweisen Aufbau des Würfels abzubilden, wird auch in diesem Modell eine schichtweise Elementaktivierung verwendet. Dabei werden für den Würfel Elemente mit einer Größe von 0,15 x 0,15 x 0,05 mm³ verwendet. Die Elementhöhe von 0,05 mm entspricht dabei der Schichtdicke des simulierten realen Prozesses. In der Bauplatte kommen Elemente mit einer Größe von 0,3 x 0,3 x 0,3 mm³ zum Einsatz. Für alle durchgeführten Rechnungen wird eine Vorwärmung von Pulver und Baukammer auf 50 °C vorgegeben. Nachdem in der Simulation der Bauprozess aller 60 Schichten des Würfels fertiggestellt ist, schließt sich eine Abkühlphase an, bei welcher Würfel und Bauplatte auf Raumtemperatur (20 °C) abgekühlt werden. Dies wird umgesetzt, indem alle oben beschriebenen

214

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

Randbedingungen mit einer Umgebungstemperatur von 20 °C so lange aktiv sind, bis diese Temperatur im gesamten Modell weitgehend vorliegt. Nach der Fertigung und Abkühlung wird im realen Prozess das Bauteil von der Bauplatte abgetrennt, dies erfolgt häufig durch Sägen oder Funkenerodieren. Um diesen Abtrennvorgang zu simulieren, wird, wie in [28] beschrieben, die oberste Elementschicht der Bauplatte durch Löschen der Elemente schrittweise entfernt. Dazu werden die Elemente der obersten Schicht streifenweise zu Sets zusammengefasst und, wie in Abbildung17 gezeigt, nacheinander aus dem Modell entfernt.

Abbildung 17: Bauplattenabtrennung durch Elementlöschung Zur Simulation verschiedener Scanstrategien wird im Modell der Pfad der Wärmequelle auf der Oberfläche der zu fertigenden Schichten variiert. Abbildung 18 zeigt dazu fünf verschiedene untersuchte Scanstrategien. Die beiden Darstellungen zeigen jeweils die Scanstrategie für Schicht n und Schicht n + 1, welche stets abwechselnd im Modell zum Einsatz kommen. Die lineare Scanstrategie mit 0° Verdrehung zwischen den Schichten, die mäanderförmige sowie die schneckenförmige Scanstrategie sind für jede der 60 Schichten identisch. Bei der linearen Scanstrategie mit 90° Verdrehung sowie der Inselscanstrategie wechseln sich die beiden gezeigten Muster ab. Der in der Darstellung eingezeichnete Pfad beginnt für die beiden linearen Scanstrategien sowie für die mäanderförmige Scanstrategie in allen Schichten jeweils oben links und endet unten rechts.

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

215

y x

lineare Scanstrategie 0°

lineare Scanstrategie 90°

1

7

2

1

6 4

6 4

3

8

7

3

9

9

5

2

8

5

Inselscanstrategie

mäanderförmige Scanstrategie

schneckenförmige Scanstrategie

Abbildung 18: Untersuchte Scanstrategien

3.2.2 Ergebnisse Um einen qualitativen Vergleich der berechneten Eigenspannungen und Verzüge zu ermöglichen, wurden diese Größen entlang der in Abbildung 19 dargestellten Pfade im Modell ausgewertet. Pfad 1

Pfad 2a und 2b Z

Y X Pfad 3a und 3b

Abbildung 19: Schematische Darstellung des Würfels mit entsprechenden Pfaden, entlang welcher die Auswertung von Spannungen und Verformungen stattfindet

216

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

Die Verzüge werden stets als Differenz aus den Positionen entlang der Pfade auf gegenüberliegenden Seiten des Würfels errechnet. Entlang der Pfade 2a und 2b werden Verschiebungen in zRichtung und entlang der Pfade 3a und 3b in x-Richtung ausgewertet. Abbildung 20 und 21 zeigen Spannungen und Verzüge im Modell für die lineare Scanstrategie 0° vor und nach der Bauplattenabtrennung. 0

σxx, abgetrennt σzz, fixiert

100

Verschiebung / mm

Spannung / MPa

0,00

σxx, fixiert

200

σzz, abgetrennt

0 -100

-0,01

Position entlang Pfad / mm 1 2

3

Ux, fixiert (Pfad 3) Ux, abgetrennt (Pfad 3) Uz, fixiert (Pfad 2) Uz, abgetrennt (Pfad 2)

-0,02

-200 -0,03 0

1

2

3

z-Position entlang Pfad / mm

Abbildung 20: Spannung in Abhängigkeit der Bauplattenabtrennung entlang Pfad 1 für lineare Scanstrategie 0° (Δt = 0,001 s)

Abbildung 21: Verzug in Abhängigkeit der Bauplattenabtrennung entlang Pfad 2 & 3 für lineare Scanstrategie 0° (Δt = 0,001 s)

Insbesondere in den tieferen Bereichen des Würfels in Bauplattennähe zeigt sich, dass eine Veränderung des Spannungszustandes durch die Abtrennung auftritt. Im oberen Bereich des Würfels zeigen die Diagramme dagegen nur geringfügige Spannungsänderungen. Der Verzug wird in Abbildung 21 als Abweichung von der idealen Würfelgeometrie dargestellt. Hier zeigt sich, dass durch die Bauplattenabtrennung eine Ausdehnung in z-Richtung und eine Schrumpfung in xRichtung auftritt. Da, wie bereits in Kapitel 3.1 gezeigt, die räumliche Auflösung der Scanstrategie im Modell von der Zeitschrittweite Δt abhängt, wird auch am Würfelmodell zunächst eine Konvergenzstudie zur Untersuchung der Zeitschrittweite durchgeführt. Dazu zeigen Abbildung 22 bis 24 die berechneten Eigenspannungen in x-, y- und z-Richtung.

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 250

150 100 50 0 -50

150 100 50 0 -50

-100

-100

-150

-150 0

Δt: 0,1 s Δt: 0,01 s Δt: 0,003 s Δt: 0,001 s Δt: 0,0005 s Δt: 0,0002 s

200 Spannung / MPa

200 Spannung / MPa

250

Δt: 0,1 s Δt: 0,01 s Δt: 0,003 s Δt: 0,001 s Δt: 0,0005 s Δt: 0,0002 s

1

2

3

0

z-Position entlang Pfad / mm

2

3

Abbildung 23: Spannung in y-Richtung entlang Pfad 1 für lineare Scanstrategie 0° nach Abtrennung

Δt: 0,1 s Δt: 0,01 s Δt: 0,003 s Δt: 0,001 s Δt: 0,0005 s Δt: 0,0002 s

200 Spannung / MPa

1

z-Position entlang Pfad / mm

Abbildung 22: Spannung in x-Richtung entlang Pfad 1 für lineare Scanstrategie 0° nach Abtrennung 250

217

150 100 50 0 -50 -100 -150 0

1

2

3

z-Position entlang Pfad / mm

Abbildung 24: Spannung in z-Richtung entlang Pfad 1 für lineare Scanstrategie 0° nach Abtrennung------Eine Zeitschrittweite von Δt = 0,1 s entspricht der Zeit, die die Wärmequelle zum Belichten einer ganzen Ebene benötigt, sodass hier eine starke Mittelung des eingebrachten Wärmestroms stattfindet. Bei Δt = 0,0002 s wird hingegen innerhalb eines Zeitschrittes eine Distanz zurückgelegt, die dem Durchmesser der Wärmequelle entspricht, sodass der spothafte Charakter des Laserstrahls im Modell berücksichtigt werden kann. Die Konvergenzstudie zeigt, dass zwischen Δt = 0,1 s und Δt = 0,001 s eine starke Variation der Ergebnisse auftritt. Diese Änderung der

218

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

berechneten Spannungsverhältnisse ist darauf zurückzuführen, dass die physikalischen Effekte durch die starke Mittelung nicht mehr ausreichend abgebildet werden können. Die Ergebnisse mit Zeitinkrementen zwischen Δt = 0,001 s und Δt = 0,0002 s zeigen dagegen nur geringfügige Unterschiede. Aus Gründen des Rechenaufwands wird daher für die weiteren Untersuchungen ein Zeitinkrement von Δt = 0,001 s verwendet. In Abbildung 25 bis 30 ist die Spannung in x- und y-Richtung entlang Pfad 1 für die fünf untersuchten Scanstrategien dargestellt. Die um 0° verdrehte lineare und die mäanderförmige Scanstrategie zeigen dabei einen Unterschied der berechneten Eigenspannungen in x- und y-Richtung. In Pfadlängsrichtung (x-Richtung) treten im oberen und unteren Bereich des Würfels somit größere Zugspannungen und in der Mitte größere Druckspannungen als quer zur Pfadrichtung auf. Dagegen zeigen die um 90° verdrehte lineare, die schneckenförmige und die inselförmige Scanstrategie nur geringfügige oder keine Richtungsabhängigkeit der berechneten Eigenspannungen. Die in Abbildung 30 dargestellten Verschiebungen in x-Richtung zeigen eine starke Abhängigkeit von der Scanstrategie. Dabei hebt sich die Inselscanstrategie durch die geringsten Abweichungen von der Sollgeometrie in x-Richtung hervor. Die Ergebnisse zeigen, dass mit der Simulationsmethode qualitative Vergleiche der Scanstrategien bezüglich der berechneten Eigenspannungen und Verzüge möglich sind.

250 200 150 100 50 0 -50

100 50 0 -50 -100

-150

-150 1

2

3

z-Position entlang Pfad / mm

Abbildung 25: Spannung in x- und y-Richtung entlang Pfad 1 für lineare Scanstrategie 0° nach Abtrennung (Δt = 0,001 s)

σyy

150

-100

0

σxx

200

σyy

Spannung / MPa

Spannung / MPa

250

σxx

0

1

2

3

z-Position entlang Pfad / mm

Abbildung 26: Spannung in x- und y-Richtung entlang Pfad 1 für lineare Scanstrategie 90° nach Abtrennung (Δt = 0,001 s)

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 250 200 150 100 50 0 -50

100 50 0 -50 -100

-150

-150 1

2

σyy

150

-100

0

σxx

200

σyy

Spannung / MPa

Spannung / MPa

250

σxx

0

3

Abbildung 27: Spannung in x- und y-Richtung entlang Pfad 1 für mäanderförmige Scanstrategie nach Abtrennung (Δt = 0,001 s)

3

z-Position entlang Pfad / mm 1 2 3

0,00

σxx σyy

150

Verschiebung / mm

Spannung / MPa

2

Abbildung 28: Spannung in x- und y-Richtung entlang Pfad 1 für Inselscanstrategie nach Abtrennung (Δt = 0,001 s)

0 200

1

z-Position entlang Pfad / mm

z-Position entlang Pfad / mm

250

219

100 50 0 -50

-0,01 -0,02 -0,03

-100

linear 0° linear 90° Mäander Insel Schnecke

-0,04

-150 0

1

2

3

z-Position entlang Pfad / mm

Abbildung 29: Spannung in x- und y-Richtung entlang Pfad 1 für schneckenförmige Scanstrategie nach Abtrennung (Δt = 0,001 s)

Abbildung 30: Verzug in x-Richtung entlang der Pfade 3a-3b für verschiedene Scanstrategien nach Abtrennung (Δt = 0,001 s)

220

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

Abbildung 31 zeigt den Würfel nach der Simulation der schichtweisen Fertigung, der Abkühlung auf Raumtemperatur und der Abtrennung von der Bauplatte. Die geometrische Verformung ist hier mit einem Skalierungsfaktor von 20 dargestellt, um die berechneten Verzüge zu verdeutlichen.

Abbildung 31: Spannungsplot des Würfels nach Abtrennung – Verformung dargestellt mit Skalierungsfaktor 20 – für die schneckenförmige Scanstrategie (links) und die mäanderförmige Scanstrategie (rechts)

4 Fazit Am Beispiel der Fertigung einfacher Geometrien, wie Quader und Würfel, wurde untersucht, wie mit Hilfe der Methode der finiten Elemente eine Vorhersage von Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug beim selektiven Laserstrahlschmelzen getroffen werden kann. Dazu wurde ein sequentiell gekoppelter thermomechanischer Simulationsansatz im FE-Programm Abaqus 2017 mit einem für additive Fertigungsprozesse entwickelten Plug-In verwendet. In den Modellen werden eine schichtweise Elementaktivierung, eine gaußverteilte Wärmequelle und thermische sowie mechanische Randbedingungen verwendet, um den additiven Fertigungsprozess abbilden zu können. Die Wärmequelle dient zur Modellierung des Wärmeeintrags, welcher im realen Fertigungsprozess durch den Laserstrahl erfolgt. Mit dem Plug-In ergibt sich die Möglichkeit, längere Bereiche der Scanstrategie zusammenzufassen und gleichzeitig zu belichten, was zu einer räumlichen und zeitlichen Mittelung des durch die Wärmequelle eingebrachten Wärmestroms führt. Dies stellt eine Methode der Vereinfachung im Modell dar, welche zur Reduzierung des Rechenaufwandes genutzt werden kann. An einem ersten Modell wurde der Einfluss von Elementgröße und Zeitschrittweite auf berechnete Temperaturen, Eigenspannungen und Verzüge untersucht. Die Ergebnisse dieser Voruntersuchung am Modell des Quaders zeigen, dass eine Abhängigkeit der berechneten Ergebnisse von der Elementgröße im Modell und der verwendeten Zeitschrittweite besteht. Dies ist auf die räumliche und zeitliche Mittelung des im Modell eingebrachten transienten Wärmestroms zurückzuführen. Insbesondere die im Modell berechneten maximalen Temperaturen variieren je nach Größe des verwendeten Zeitinkrements. Werden hier sehr große Vereinfachungen gewählt, ist es möglich, dass die Schmelztemperatur des Materials im Modell teilweise nicht mehr erreicht

Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen

221

wird. Dies bedeutet, dass die physikalischen Vorgänge beim Aufschmelzen und Erstarren des Werkstoffs nur noch bedingt im Modell berücksichtigt werden können. Die Höhe der berechneten Eigenspannungen hängt ebenfalls von der räumlichen und zeitlichen Diskretisierung ab, jedoch stellt sich für kleiner werdende Elementgrößen bzw. Zeitschrittweiten eine Konvergenz ein. Auf den berechneten Verzug hat insbesondere die Größe der zusammengefassten Bereiche der Scanstrategie einen Einfluss. Werden ganze Schichten gleichzeitig belichtet, gehen Asymmetrien aus einer transienten Bewegung der Wärmequelle im Modell verloren. An einem zweiten Modell wurde der Einfluss der Bauplattenabtrennung und der Scanstrategie auf den resultierenden Eigenspannungszustand untersucht. Ein Ergebnis dieser Untersuchungen am Modell des Würfels ist, dass die Abtrennung des Bauteils von der Bauplatte zu einer Umverlagerung der Eigenspannungen führt. Auch an diesem Modell wurde die Größe der Zeitschrittweite, und damit die Vereinfachung der Scanstrategie, untersucht. Es zeigt sich eine Konvergenz der berechneten Eigenspannungen für kleiner werdende Zeitschrittweiten. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Berechnungen dabei Zugeigenspannungen in oberen Bauteilbereichen, welche im Bauteilinneren in Druckeigenspannungen übergehen, was sich qualitativ mit den in [2] und [3] beschriebenen Verläufen deckt. Die Untersuchungen der Scanstrategien zeigen, dass mit dem Simulationsmodell qualitative Unterschiede berechnet werden können. Scanstrategien mit langen linearen Pfaden, die über die Bauteilhöhe nicht in ihrer Richtung verändert werden, zeigen dabei die größte Richtungsabhängigkeit der Eigenspannungen und des Verzugs. Richtungsänderungen zwischen den Ebenen (lineare Scanstrategie mit 90° Verdrehung) sowie innerhalb der Ebenen (insel- und schneckenförmige Scanstrategie) tragen zu einem gleichmäßigeren Spannungszustand bei. Um eine experimentelle Untersuchung von Eigenspannungen und eine Validierung der numerischen Modelle durchführen zu können, sind geeignete Verfahren zur Eigenspannungsmessung notwendig. An der Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart wird daher momentan untersucht, inwieweit sich etablierte Verfahren, wie beispielsweise die Bohrlochmethode und die Konturmethode, für eine Anwendung auf additiv gefertigte Metallbauteile eignen.

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223

Sachwortverzeichnis A Additive Fertigung 23, 35, 57, 72, 145, 157, 171, 185 AlSi10Mg 28, 111, 113, 116, 127, 157, 167, 205 Analytik 71 Anisotropie 101, 117 Anwendungsbeispiel -, Fahrradvorbau 7, 12 -, Fahrwerkskomponente 64 -, Fingergelenkdefekt 35, 38 -, Großbauteil 57 -, Hüftimplantat 35, 48 -, Implantat 42 -, Prothese 52 -, Radträger 28, 33 -, Turbinenschaufel 88 As-built-Zustand 116 Aufbaurichtung 103, 168

B Baujob 112 Bauteil 66, 110 Bauteilprüfung 17, 19, 23, 53 Beanspruchung 9, 10, 13, 14 -,zyklisch 57, 101, 112, 114, 157, 161, 189 Beanspruchungs-Zeit-Funktion 114 Bemessungskonzept 109 Betriebsfestigkeit 57 Bewegungssimulation 41 Biegebelastung 194 Bruchdehnung 61, 137 Bruchfläche 20, 134 Bruchlastspielzahl 141 Bruchmechanik 171, 181

C CAD 38 CAE-Methode 35, 36 Chirurgie 35, 36 Computertomographie (CT) 31, 71, 81, 85, 89

Compliance Methode 173

D Defekt 89 Dehngrenze -, zyklisch 118 Design 67 Designraum 6, 12 Diskretisierung 203 DMRC 29 Druckbelastung 145, 188, 190

E E-Modul 61, 122, 205 Edelstahl 316L 61, 157, 167 Eigenspannung 104, 199, 201, 211 Einsatzsicherheit 53 Elementgröße 207 Entstehungsprozess 66 Entwicklung 2, 57 Entwicklungsprozess 12, 43 Ermüdungsriss 20, 157, 161 Ersatzmodell 8 Experiment 17, 23, 53, 148, 159, 189

F Fachwerk 11, 14 Fahrradvorbau 7 Fahrwerkskomponente 64 Farbeindringprüfung 30 Fe-20Cr-4,5Al-0,5Ti 148 Fertigungsstrategie 67 Fertigungsstudie 66 Festigkeit 129, 187 Festigkeitseigenschaften 127 Festigkeitskennwert 132 Fingergelenkdefekt 35, 38 Finite-Elemente Methode 4, 10, 47, 199, 207 Fixateur externe 41 Fließgeschwindigkeit 76 Fraktografie 133, 138

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2

224 Fused Deposition Modeling (FDM) 185, 187

Sachwortverzeichnis

M

Gefüge 85 Gitterstruktur 50 Glühen 116 Größeneinfluss 127 Großbauteil 57

Makroskopie 79 Materialkennwert siehe Werkstoffkennwert Mikrostruktur 85, 104, 113 Miniaturprobe 145 Mittelspannung 122 Modell 207 -, Mechanisches Ersatzmodell 8 -, Prozessmodell 58

H

N

Hauptnormalspannung 16 Härteprüfung 90 Heißisostatisches Pressen (HIP) 85 Hochtemperatureigenschaften 145 Hochtemperaturversuch 149 Hüftimplantat 35, 48 Hybrid-Konstruktion 57

O

G

I ICP-OES 75 Identifikation 59 Implantat 42 Inconel 111, 119, 148 Incremental Step Test 101

K Kalibrierkurve 180 Kerbschlagarbeit 61 Kinematik 39 Knoten-element 110 Konstruktion 63 Kontakt 51 Knickstabilität 15 Kunststoff 171, 185

L Laserauftragsschweißen 148 Lebensdauer 123 Leichtbau 1 Leichtbaukonstruktion 1 Leichtbaupotential 11 Laser-Strahlschmelzen 1, 52, 127, 199 Lichtmikroskopie 90

Nachbehandlung 106, 127, 134, 140, 142 Nickelbasiswerkstoff 85 Numerische Analyse 9, 10, 13, 15, 47, 49, 199, 205

Oberflächenbeschaffenheit 104 Oberflächennachbehandlung 127, 134, 140 Optimierung 1, 3, 4, 57, 63 Optimierungsstrategie 1, 5, 11

P Parameter 187 Partikelgrößenbestimmung 76, 176 PhyBal 57, 63 Polyamid 174 Pore 85, 91 PowderGenetics© 71, 78 Präoperative Planung 35, 36 Probe 111, 129, 134, 176, 189 Probenerwärmung 178 Produktentwicklung 108 Prothese 52 Prozessparameter 87, 132 Prüfaufbau 17 Prüffrequenz 171 Prüfparameter 177 Prüftemperatur 175 Prüfverfahren 7, 18, 114 Pulvercharakterisierung 71, 176 -, chemische Methode 75 -, physikalische Methode 75 Pulvereigenschaften 74 -, chemische Zusammensetzung 79 Pulverpartikelverteilung 28, 176

Sachwortverzeichnis

225

Q

T

Qualitätsmanagement 23 Qualitätssicherung 23 Qualitätssicherungskonzept 24

Temperatur 145, 175, 199, 201, 211 Thermoplast 174 Thermomechanik 206 Thresholdwert 162, 165 TiAl6V4 6, 46, 82, 157, 164 Ti-48Al-2Cr-2Nb 148 Topologieoptimierung 3, 57, 65, 110 Turbinenschaufel 88

R R-Verhältnis 166 Radträger 28, 33 Radiologie 38 Randbedingung 5, 47 Rasterelektronenmikroskopie 80, 90 Rekonstruktion 39 Restgewaltbruch 20 Rissausbreitung 185 Rissfortschritt 16, 157 Rissfortschrittskurve 157, 160, 171, 182 Risslängenmessung 171, 173 Risswachstum 20 Risswachstumssimulation 19 Risszähigkeit 164

S Scanstrategie 208, 213 Schweißnaht 196 Schwingfestigkeit 101, 105, 185 Schwingprobe 135 Selektives Laser-Strahlschmelzen siehe Laser-Strahlschmelzen Sicherheitsklasse 27 Spannungs-Dehnungsverhalten 108, 175 , -zyklisch 117, 121 Spannungsintensitätsfaktor 162, 182 Spannungs-Stauchungs-Kurve 151 Spannungsverteilung 51 Spektroskopie 174 Stabilität 44 Statische Belastung 129, 132 Stauchgrenze 151 Steifigkeit 45, 48, 122 Strategie 64 Streckgrenze 61, 205 Struktur 1, 2, 101 Strukturbauteil 1 Strukturmechanik 1, 5, 8 Strukturoptimierung 42 Stützstruktur 28

U Unregelmäßigkeit 104

V Validierung 28, 53, 67 Verformung 132 Versagen 196 Versagensmechanismus 191 Verstärkungsstruktur 185 Versuchsaufbau 131, 149, 159 Versuchsdurchführung 131, 159 Verzug 199, 201

W Wärmebehandlung 101, 168 Wärmeausdehnungskoeffizient 205 Wärmekapazität 205 Wärmeleitfähigkeit 205 Werkstoffkennwert 6, 46, 60 Werkstoff -, 316L (1.4404) 61, 157, 167 -, AlSi10Mg 28, 111, 113, 116, 127, 157, 167, 205 -, Fe-20Cr-4,5Al-0,5Ti -, Inconel 111, 119,148 -, Nickelbasiswerkstoff 85 -, Polyamid 174 -, TiAl6V4 6, 46, 82, 157, 164 -, Ti-48Al-2Cr-2Nb 148 Werkstoffverhalten 101, 112, 177 Wirtschaftszweig 72 Wöhlerkurve 63, 105, 141, 191, 195

226

Z Zeitintegration 204 Zeitschrittweite 207 Zugbelastung 188 Zugfestigkeit 61, 136

Sachwortverzeichnis Zugprobe 134 Zwangsbedingung 5, 47 Zyklische Belastung 57, 101, 112, 114, 127, 130, 134, 140, 157, 161

227

DVM – Bauteil verstehen. Unter diesem Slogan unterstützt der gemeinnützige Verband für Materialforschung und -prüfung e.V. Wissenschaft und Wirtschaft in Fragen der Strukturintegrität. Die Bearbeitung relevanter Themen erfolgt in insgesamt zwölf Arbeitskreisen (siehe Grafik).

Diese Arbeitskreise organisieren gemeinsam mit der DVM-Geschäftsstelle: • • • •

nationale Tagungen internationale Konferenzen Workshops Fortbildungsseminare.

Nehmen Sie an DVM-Veranstaltungen teil, informieren Sie sich über Vorteile einer Mitgliedschaft im DVM oder werden Sie aktiv in einem unserer Arbeitskreise! Kontakt: DVM - Deutscher Verband für Materialforschung und -prüfung e.V. Gutshaus Schloßstraße 48 12165 Berlin Tel.: +49 (0)30 8113066, Fax: +49 (0)30 8119359 [email protected], www.dvm-berlin.de Zur Information: Die Tagungen des Arbeitskreises „Additive gefertigte Bauteile und Strukturen“ finden jährlich im November in Berlin statt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2