§ 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung: Versuch der Apologie einer Strafnorm [1 ed.] 9783428528875, 9783428128877

Der Autor widmet sich - ausgehend von einer umfassenden Kritik der überkommenen Legitimationskonzepte - dem Unterfangen

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§ 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung: Versuch der Apologie einer Strafnorm [1 ed.]
 9783428528875, 9783428128877

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 220

§ 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung Versuch der Apologie einer Strafnorm

Von

Frank Müller

a Duncker & Humblot · Berlin

FRANK MÜLLER

§ 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (y) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 220

§ 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung Versuch der Apologie einer Strafnorm

Von

Frank Müller

a Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Heribert Schumann, Leipzig Die Juristische Fakultät der Universität Leipzig hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-12887-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Dem Andenken meiner Eltern Vorwort Die strafrechtsdogmatische Untersuchung, die den Inhalt dieses Buches bildet, wurde im Dezember 2006 fertiggestellt und im Jahre 2007 von der Juristenfakultät der Universität Leipzig als Inauguraldissertation angenommen. Später erschienene Literatur habe ich für die vorliegende Fassung berücksichtigt, soweit sie von Bedeutung für die vorgetragenen Argumentationslinien schien. Das Erscheinen der Druckfassung der Arbeit bietet Anlaß und Gelegenheit, meinem Dank Ausdruck zu verleihen – gegenüber jenen, die sich meines Dankes gewiß sein dürfen, aber auch an die Adresse derer, die vielleicht nicht ahnen, daß sie einen bemerkenswerten und tatsächlich bemerkten Beitrag zum Gelingen geleistet haben. Sicher in die erstgenannte Kategorie fällt der Dank, den ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Heribert Schumann M. C. L. schulde. Sein Anteil geht weit über die Unterstützung hinaus, die einem Doktoranden üblicherweise im Rahmen des Dissertationsprojektes durch seinen Betreuer zuteil wird. Zu jeder Zeit nahm er aktiven Anteil am Fortgang der Arbeit, stets hatte er ein offenes Ohr für meine Ideen und Probleme und war doch immer fern davon, mich mit seiner fachlichen Autorität zu erdrücken. Auch im übrigen war die Atmosphäre am Lehrstuhl für Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Jugendschutzrecht der Universität Leipzig, wie ganz allgemein im Fachbereich Strafrecht, harmonisch, konstruktiv und – man sollte nicht scheuen es zuzugeben: von Zeit zu Zeit ausgelassen. Ein Epizentrum der angenehmen Schwingungen am Lehrstuhl bildete Frau Nicola Schurig, deren Wirkbereich da erst richtig begann, wo der durch das Berufsbild einer Sekretärin vorgezeichnete endet. In (nicht nur) fachlicher Hinsicht haben mich vor allem die Gespräche mit den damaligen wissenschaftlichen Mitarbeitern Frau Rechtsanwältin Anja Kalex und Herrn Regierungsrat Michael Ullrich sehr bereichert. Ich danke Frau Rechtsreferendarin Maria Nußmann für die klaglos erduldete und zügig bewältigte Lektüre des Manuskripts und die resultierenden wertvollen Korrekturhinweise. Unabhängig von der Höhe des Rosses, auf dem ich gerade ritt – mit Herrn Dr. Benno Zabel stand stets ein Kollege bereit, mich unter Einsatz seiner schlagfertigen Zunge ohne große Umstände wieder zum Fußgänger zu machen. Daneben bin ich ihm – ebenso wie Herrn Prof. Dr. Michael Kahlo – für die

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Vorwort

Vielzahl konstruktiver Impulse zu größtem Dank verpflichtet, die ich in persönlichen Gesprächen und auf Seminaren, an denen ich als „Lehrstuhlfremder“ teilnehmen durfte, erhalten habe. Unbedingt zu danken habe ich auch demjenigen, der mich vor nunmehr über anderthalb Jahrzehnten mit seiner Vorlesung zum allgemeinen Teil des StGB gegen meinen ursprünglichen Vorsatz in den Bann des Strafrechts gezogen hat und dessen geschriebenes, gesprochenes und gesungenes Werk mir seitdem stets ein Quell der Bildung und der Inspiration geblieben ist: Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schild. Ich hoffe, daß die vorliegende Arbeit trotz ihrer eng gewählten Perspektive in seinen größere Weiten gewohnten Augen Gnade findet. Ein später Dank geht an meinen ehemaligen Klassenlehrer Herrn Werner Seifert, der mich auf die ihm eigene couragierte und geradlinige Weise zu einer Zeit zum eigenständigen Denken ermuntert hat, zu der dies (das Denken, aber auch die Ermunterung) nicht sehr hoch im offiziellen Kurs stand. Nicht hoch genug schätzen kann ich die Motivation und den umfassenden Rückhalt, die mir von meiner Lebensgefährtin Doreen Nagel zuteil wurden. Stellvertretend für alle anderen mir nahestehenden Personen, die das Entstehen der Arbeit mittelbar befördert haben, möchte ich meinen Pateneltern Christl und Walter Schmidt danken, die mir auch in schwierigen Zeiten stets mit Rat und Tat zur Seite standen. Last but not least bedanke ich mich herzlich bei Herrn Prof. Dr. Hendrik Schneider und Herrn Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben für die zügige Erstellung des Zweit- bzw. Drittgutachtens und bei Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder für die freundliche Aufnahme in die Reihe „Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge“. Werdau, im Oktober 2009

Frank Müller

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Legitimationsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbezogene Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Der Strafgrund des § 216 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Die These von der Indisponibilität des Rechtsguts Leben . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Die „Rechtspflicht zum Weiterleben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Die Selbstverfügung als intrapersonaler Pflichtverstoß . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Die relative Unverfügbarkeit des Rechtsgutes Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. § 216 als Schutz vor Mißbrauchsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Die Strafbarkeit der verlangten Tötung zur Fixierung des sozialen Tötungstabus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen zum Schutz des sozialen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. § 216 als Schutz vor einem Dammbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 III. Das Verbot der Tötung auf Verlangen als Instrument paternalistischen Schutzes des Sterbewilligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 IV. Das Verbot der Tötung auf Verlangen als Instrument abstrakten Lebensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. § 216 als Instrument der Gewährleistung der „subjektiven Vollzugsreife“ eines suizidalen Projektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Die Strafbarkeit der verlangten Tötung zur Verhinderung des Vollzugs nicht freiverantwortlich gefaßter Selbsttötungsentschlüsse . . . . . . . . . . . . 120 C. Dogmatische Analyse eines auf der abstrakten Gefahr fehlender Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens basierenden Konzepts des § 216 . . I. Der Begriff der „Freiverantwortlichkeit“ des Tötungsverlangens . . . . . . . . . II. Teleologisch-systematische Aspekte der Normkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Selbstverantwortung . . . . . . . . . . 2. Das Spannungsverhältnis der Norm des § 216 zur Straflosigkeit der Suizidteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Stellung des § 216 innerhalb des Systems der Straftaten gegen das Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Vereinbarkeit der teleologisch-systematischen Struktur des § 216 mit dem Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134 134 152 152 165 178 179

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Inhaltsverzeichnis IV. Die objektiv legitime Norminterpretation und der Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

D. Die anwendungsbezogenen Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216 I. Die Tötung in Unkenntnis des objektiven Vorliegens der Voraussetzungen des § 216 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gerechtfertigte Tötung auf Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rückwirkungen der strukturellen Vorgaben des § 216 auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen fahrlässiger Tötung . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Begehbarkeit des abstrakten Gefährdungstatbestandes des § 216 durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Tötung auf Verlangen im Lichte der Täterlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200 200 201 209 220 226

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

Einleitung Wohl kein Straftatbestand, dessen Wortlaut so knapp und klar, dessen Regelungsgehalt so scheinbar eindeutig ist, hat je eine solche Fülle forensischer Problemfälle in seinem Gefolge gehabt und eine solche Flut unterschiedlichster Stellungnahmen im juristischen Schrifttum ausgelöst, wie der im Zentrum dieser Arbeit stehende § 216 StGB. Derjenige, der sich zur Aufgabe stellt, noch ein weiteres Scherflein zu diesem Papierberg beizusteuern, gerät schnell in einen Rechtfertigungszwang. Er muß die mit einer gewissen Berechtigung gestellte Frage an sich herantragen lassen: Wozu noch eine Publikation? Die Antwort ist so simpel wie verpflichtend: Die bei der Interpretation des § 216 StGB auftretenden Probleme – allen voran die Frage nach der materiellen Existenzberechtigung des dort normierten Verbots der Tötung auf Verlangen – erscheinen, wie eine Analyse der überkommenen Interpretationsmodelle zeigen wird, noch keineswegs gelöst, aber im Grundsatz lösbar. „Im Grundsatz“ heißt, daß alles, was zu gewinnen ist, gewonnen ist, wenn es gelingt, eine materiell legitime, systematisch schlüssige, mit Blick auf den Willen des Gesetzgebers vertretbare und praktisch leistungsfähige Konzeption vorzulegen. Dabei gilt es insbesondere mit Blick auf den letztgenannten Aspekt, nicht der Hybris zu erliegen, die glauben machen will, für jeden einzelnen Fall der strafrechtlich relevanten Beteiligung an autoaggressivem Verhalten könne sich eine in allen Belangen befriedigende Lösung mit ausschließlich juristischen Mitteln finden lassen. Es liegt in der Natur der Sache, daß der abstrahierenden, zuschreibenden, fingierenden (Straf-)Rechtswissenschaft zur Vermessung von erst in den letzten Winkeln ihrer Fraktale transparent werdenden menschlichen Grenzsituationen das rechte Maß fehlt; daß jede noch so kunstgerechte Subsumtion einen „Lebenssachverhalt“ nicht zu fassen vermag, in dem sich die Tragik menschlicher Existenz mit der (nicht nur rechtlichen) Verantwortlichkeit von Personen in unentwirrbarer Weise verflicht oder in dem Liebe und Mitleid über die als materiell verbindlich anerkannten Normen hinwegspülen, als seien sie in den Sand geschrieben. Hier wie auch sonst kann das Recht nicht mehr leisten, als den Rahmen für die Verwirklichung von Freiheit im intersubjektiven Verhältnis zu setzen, und dieser Rahmen mag – dem statischen Charakter allgemeinverbindlicher Normierung geschuldet – im Einzelfall in seinen Randbereichen zu eng oder auch zu weit gesteckt sein. Es leuchtet ein, daß unter solchen Voraussetzungen mehr als nur eine vertretbare Möglichkeit der konkreten gesetzgeberischen Ausgestaltung normativer Mechanismen zur Sicherung der Bedingungen von Freiheit im Zusammenhang

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Einleitung

mit Verfügungen über das eigene Leben existiert. Die vorliegende Arbeit zielt indes nicht vordergründig auf die Analyse dieser Möglichkeiten mit der Intention einer eventuellen Revision bzw. Optimierung der existierenden gesetzlichen Regelung. Wie eingangs schon angedeutet, greift ihr Anliegen kürzer und weist damit, wenn man so will, weniger eine konstruktive denn eine apologetische Tendenz auf (allenfalls könnte man von einer Rekonstruktion sprechen). Gegenstand der unmittelbaren Untersuchung soll einzig die Frage danach sein, ob sich das Verbot der Tötung auf Verlangen in seiner geltenden Form als eine im System des positiven Rechts legitime Vorschrift ausweisen und interpretieren läßt. Daß diese Frage nicht zu beantworten ist, verschafft man sich nicht Klarheit über das mögliche Telos der Norm, wird der in die Problematik einführende Aufriß einiger paradigmatischer Legitimations- bzw. Anwendungsprobleme (unter A.) zeigen. Folglich ist im ersten Hauptteil der Untersuchung (unter B.) eine eingehende kritische Bestandsaufnahme der zahlreichen im Schrifttum vorzufindenden teleologischen Konzeptionen der Norm des § 216 StGB vorzunehmen. Dabei wird jeweils nachzuweisen sein, daß die Validität dieser Modelle durchgreifenden Bedenken unterliegt. Gleichsam als Ergebnis eines Ausschlußverfahrens ist schließlich (unter B. IV. 2.) die Möglichkeit zu erörtern, das Verbot des § 216 StGB auf den Gedanken eines umfassenden Schutzes des Sterbewilligen vor dem Vollzug nicht wirksam geäußerter Sterbeverlangen zurückzuführen. Bereits in diesem Abschnitt soll in einem ersten positiven Begründungsschritt herausgestellt werden, daß mit jenem Aspekt ein dem Ansatz nach legitimer Grund für die Bestrafung der Tötung auf Verlangen benannt ist. Im Zentrum des zweiten Hauptteils der Arbeit (unter C.) muß dann die vertiefende Analyse der rechtlichen Strukturen des vorgestellten Strafgrunds stehen, wobei die Tragfähigkeit des neuen Konzepts vor allem unter dem Blickwinkel teleologisch-systematischer, grammatikalischer und historischer Auslegungskriterien abzusichern ist. Ist damit das mit der vorliegenden Untersuchung verfolgte Vorhaben einer theoretischen Grundlegung der in § 216 StGB normierten Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen abgeschlossen, so soll doch in einem letzten Teil (unter D.) in der gebotenen Kürze noch ein Blick auf die wichtigsten Konsequenzen des entwickelten Normverständnisses für die Rechtsanwendung geworfen werden.

A. Einführung in die Problematik I. Legitimationsprobleme 1. Eine Frage, die nicht unmittelbar die Anwendung, wohl aber die materielle Legitimation der Norm betrifft, drängt sich schon bei abstrakter Betrachtung der Verbotsmaterie des § 2161 auf. Wenn die Tötung eines Menschen trotz seines „ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens“ einen Unrechtstypus erfüllen soll, wie verhält sich dieser zu dem allgemein-strafrechtlichen Institut der Einwilligung und damit zum Selbstbestimmungsrecht des Opfers? Stellt die Forderung, daß der Täter durch das „ausdrückliche und ernstliche Verlangen zur Tötung bestimmt“ wurde, doch ein maius zu den überkommenen Anforderungen an die rechtfertigende Wirkung einer Einwilligung in eine Rechtsgutsverletzung dar. § 216 führt in dieser Hinsicht beim vorsätzlichen Tötungsdelikt also zu einer zweifachen Verschiebung: Zum einen führt die Disposition des Rechtsgutsträgers nicht zur Rechtfertigung des Täters, sondern lediglich zu einer Privilegierung gegenüber der Verwirklichung der §§ 212, 211,2 zum anderen liegen die Anforderungen an die Beachtlichkeit dieser Disposition augenscheinlich höher als bei anderen Unrechtstypen.3 Ohne einer exakten Analyse des Bezugs der Einwilligung in rechtsgutsbeeinträchtigendes Verhalten zur Autonomie der beteiligten Rechtssubjekte vorzugreifen, kann doch zunächst mit der allgemeinen Meinung4 davon ausgegangen werden, daß das Rechtsinstitut der rechtfertigenden Einwilligung der Erweiterung/Optimierung der Freiheit des Rechtsgutsinhabers und möglicherweise ebenfalls des auf das Rechtsgut Zugreifenden dient und daß mithin eine derartige Beschränkung der Legitimation bedarf. Denkbar ist eine Rechtfertigung dieses Ausgreifens der Verbotsmaterie des § 216 in den typischerweise der Autonomie der betroffenen Rechtssubjekte zugeordneten Bereich nur im Wege ei1 Die Paragraphenangaben in dieser Arbeit beziehen sich, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf das StGB. 2 Zumindest handelt es sich nach herrschender Meinung (vgl. Lackner/Kühl, § 216 Rn. 1 m.w. N., aber auch Sch/Sch-Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 7, und BGHSt 13, 162, 165) um eine solche und prima facie scheint dies auch richtig. Diese systematische Einordnung wird indes an späterer Stelle kritisch zu hinterfragen sein. 3 Der Nachweis, daß – entgegen der allgemeinen Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung – auch dieser erste Eindruck täuscht, wird einer späteren teleologisch-systematischen Normexegese (unter C. III.) vorbehalten sein. 4 Vgl. nur Göbel, Einwilligung, S. 21; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 17 ff.; Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, S. 9.

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A. Einführung in die Problematik

ner nach materiellen Gesichtspunkten vorzunehmenden Abwägung, die in einer der Waagschalen das Schutzgut des § 216 sehen muß. Es zeigt sich bereits an dieser Stelle, daß eine rechtliche Verifizierung des § 216 ohne eine gültige Definition des Schutzgutes der Norm nicht erfolgen können wird. 2. Der Befund, daß der Einwilligung die ihr sonst zukommende rechtfertigende Wirkung versagt bleibt, führt im Hinblick auf die materielle Legitimität der Norm zu einem weiteren Problem, richtet man den Blick auf den gesetzessystematischen Kontext des § 216. Nach allgemeiner und richtiger Ansicht5 wird nämlich die Selbsttötung nicht vom Schutzbereich der §§ 211 ff. erfaßt. Da es sich beim Suizid also nicht um eine „rechtswidrige“ Tat im Sinne der §§ 26, 27 handelt, ist eine Beteiligung Dritter jedenfalls unter dem Aspekt der Teilnahme nicht strafbar. Die vom Sterbewilligen organisierte Selbsttötung ist damit immer (nur) dann unter dem Gesichtspunkt des § 216 strafbar, wenn der beteiligte Dritte nach allgemeinen Kriterien als Täter zu qualifizieren ist. Dieses Ergebnis ist so unumgehbar wie – zunächst – formal. Die Frage nach der Richtigkeit der sich aus dem Gesetz ergebenden Differenzierung drängt sich auf; sie ist zugleich die Frage nach der Existenzberechtigung des § 216:6 Bedeutet das Bewirken eines suizidalen Erfolges für sich genommen ein Unrecht, warum ist dann der Suizid(-versuch) und die Beteiligung daran straflos; bedeutet es das nicht, aus welchem Grunde bewirkt dann die Delegation der Herrschaft über das Projekt nach dem Gesetz eine Änderung seines rechtlichen Charakters?7 Es liegt auf der Hand, daß auch diese Frage unmittelbar mit derjenigen nach dem Schutzzweck des § 216 zusammenhängt.

II. Anwendungsbezogene Probleme 1. Diese Legitimationsprobleme mögen in erster Linie den Theoretiker beschäftigen, indes birgt die eben dargestellte Problematik um die systematische Stellung des § 216 ebenso erhebliche Implikationen bei der praktischen Anwendung der Norm. Denn wenn es richtig ist, was das Gesetz formal bestimmt: daß die tätige Teilhabe an der Tötung eines Sterbewilligen erst dort das in § 216 typisierte Unrecht verwirklicht, wo das Maß der Beherrschung der Tatausführung den handelnden Dritten nach allgemeinen Kriterien zum Täter des Gesamt5 Auf eine Auseinandersetzung mit der im Schrifttum weitgehend isoliert gebliebenen abweichenden Auffassung Schmidhäusers, FS Welzel, S. 801 ff., soll hier zunächst verzichtet werden; vgl. aber die ausführliche Darstellung unter B. I. 1. 6 So auch Schroeder, ZStW 106, 565, 567. 7 Wie problematisch diese Differenzierung ist, zeigt sich auch daran, daß sie durch ein Strafrechtssystem, wie das Jakobs’sche (vgl. zu den hier interessierenden Fragen insbesondere AT, 7/104 ff.), das ausschließlich auf Organisationszuständigkeiten abstellt, gar nicht erfaßt werden kann. Auf die Konsequenzen, die das für die Behandlung des § 216 durch Jakobs hat, wird später ausführlich zurückzukommen sein (unten B. IV. 1.).

II. Anwendungsbezogene Probleme

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projekts8 macht (das dadurch erst zum Unrechtsprojekt wird!) – nach welchen Kriterien soll dann die Frage nach der Begehbarkeit der Tötung auf Verlangen durch unechtes Unterlassen geklärt werden?9 Besonders offen tritt die Schwierigkeit dieser Frage zutage, wenn man mit einer im Schrifttum verbreiteten Ansicht vertritt, daß sich das Tatherrschaftskriterium generell zur Charakterisierung des strafrechtlichen Konnexes einer unterlassenen Handlung zu einem tatbestandlichen Erfolg nicht eignet.10 Danach kommt es also nicht lediglich zu einer durch die Verhaltensform bedingten Modifikation des beim Begehungsdelikt für die Strafbarkeit maßgeblichen Merkmals, dieses fällt vielmehr ersatzlos fort. Bei den Bemühungen, das so entstehende normative Vakuum mit aus der Systematik der Beteiligungslehre abgeleiteten Argumenten zu füllen, nimmt das sogenannte „Teilnahmeargument“ eine zentrale Rolle ein.11 Dieses basiert auf der allgemein anerkannten Straflosigkeit aktiver Suizidteilnahmehandlungen: Wenn ein Dritter, selbst wenn er als Garant grundsätzlich für den Nichteintritt des Erfolges einzustehen hat, straflos am (freiverantwortlichen) Suizid teilnehmen könne, sei es widersinnig, den Garanten, der schlicht die Vornahme von erfolgshindernden Handlungen unterlasse, zu bestrafen. Wenn dieser Schluß formallogisch zwingend wäre, handelte es sich bei der Frage der Begehbarkeit des § 216 durch Unterlassen um ein Scheinproblem, dem im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter nachgegangen werden müßte. Deshalb soll jenes Teilnahmeargument hier zunächst auf seine formale Tragfähigkeit hin untersucht werden. Es könnte dann Gültigkeit für sich reklamieren, wenn seine Prämisse, nämlich daß die aktive Teilnahme eines Garanten an einem (freiverantwortlichen) Suizid in jedem Falle straflos – also v. a. nicht als unechtes Unterlassungsdelikt strafbar – ist, ihrerseits (formal) korrekt wäre. Eine Ableitung dieser Prämisse ohne Hinzunahme materieller Erwägungen ist unter zwei Aspekten denkbar. Zum einen könnte es ausgeschlossen sein, die handelnde Teilnahme an der Herbeiführung eines Erfolges als gleichzeitige Unterlassung der Erfolgsvermeidung zu interpretieren.12 Dabei ist zunächst klarzustellen, daß es in diesem Zusammenhang nicht um die Frage gehen kann, ob beide Deliktskategorien sich (normativ) exklusiv zueinander verhalten, ob also ihr konkurrierendes Vorliegen undenkbar ist. Schließlich bezieht sich das „Teilnahmeargument“ ausschließlich 8 Auf Auffassungen, die wegen der Spezifik der Problematik die allgemeinen Regeln für Täterschaft und Teilnahme nicht anwenden wollen, wird sogleich (unten A. II. 2.) noch einzugehen sein. 9 Diese Frage stellten schon Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 294; Grünwald, GA 1959, 111, und Gallas, JZ 1960, 686. 10 Dazu umfassend Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 458 ff., insbesondere S. 462 f. 11 Vertreten u. a. von Roxin, FS Dreher, S. 331, 348; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 161; Hohmann/Sander, BT II, § 3 Rn. 11; MüKo-Schneider, § 216 Rn. 61 m.w. N. 12 In diesem Sinne ist wohl Bottke, GA 1983, 22, 29, zu interpretieren.

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A. Einführung in die Problematik

auf Fälle, die gerade dadurch gekennzeichnet sind, daß der Tatbestand der Teilnahme an einer rechtswidrigen Tat nicht erfüllt ist, in denen eine deliktische Konkurrenz also von vornherein ausscheidet. Das Exklusivitätsverhältnis müßte sich mithin aus der Unvereinbarkeit der den beiden Deliktsformen vorrechtlich vorausliegenden Verhaltensformen ergeben.13 Doch liegt genau das Gegenteil auf der Hand, vergegenwärtigt man sich, daß menschliche Handlungen phänotypisch nicht nur im positiven, sondern auch im negativen eine Stellungnahme des Subjekts zur Veränderung der Wirklichkeit enthalten: Die Vornahme einer Handlung bedeutet immer im selben Zuge die Unterlassung einer Unzahl anderer physisch-real möglicher Handlungen. Dabei stehen im faktischen Vollzug Handlungs- und Unterlassungselement zunächst ohne konstitutive Beziehung nebeneinander;14 für das Unterlassen einer möglichen Handlung ist es bedeutungslos, welche Handlung statt der unterlassenen vorgenommen wird. Bezogen auf das untersuchte Problem heißt dies: Für das Unterlassen einer möglichen (und möglicherweise rechtlich gebotenen) Suizidhinderungshandlung ist es völlig gleichgültig, ob die statt dessen vorgenommene Handlung in einer aktiven Suizidteilnahme oder z. B. in schlichtem Spazierengehen besteht.15 Die vorrechtliche Qualifizierung einer Handlung als aktive Suizidbeteiligung steht also nicht der selbständigen Verifizierung der gleichzeitig vorliegenden Nicht-Handlung entgegen. Das Ergebnis der rechtlichen Betrachtung dieses faktisch vorhandenen Unterlassungsmoments wäre jedoch in der Tat logisch präjudiziert, wenn es zuträfe, daß es in Bezug auf die Teilnahmehandlung so etwas wie eine „Straffreierklärung der Handlung“16 unter jeglichem auf den Suiziderfolg bezogenen Gesichtspunkt gibt. Auf diesen zweiten Aspekt soll bereits an dieser Stelle näher einge13 Vgl. Neumann, JA 1987, 244, 246; auch Bottke sieht, daß es sich um eine „vortatbestandliche“ Frage handelt. 14 Strafjuristisch gesprochen besteht Idealkonkurrenz. Deshalb handelt es sich um ein Mißverständnis, wenn Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 342 ff., bei der Auseinandersetzung mit der Problematik auf den Herzberg’schen Handlungsbegriff rekurriert und offenbar meint, das „Umdeuten“ einer aktiven Teilnahmehandlung in ein Unterlassen sei nur auf der Basis dieses Ansatzes möglich: Herzberg (zuletzt in GA 1996, 1, 9 ff.) sieht das jede strafrechtliche Handlung charakterisierende Unterlassungselement darin, daß es der Täter unterlassen habe, sich selbst an der Vornahme der rechtlich mißbilligten Handlung zu hindern (so daß dieser demnach für den aktiven Akt, der nach überkommener Begrifflichkeit die „Handlung“ ausmacht, lediglich im Wege einer actio libera in causa verantwortlich gemacht wird!). Die hier interessierende Unterlassung besteht aber nicht darin, daß der Täter es unterließ, sich selbst an der Vornahme der Suizidunterstützungshandlung zu hindern, sondern darin, daß er es unterließ, den vom Suizidenten handelnd herbeigeführten suizidalen Erfolg zu verhindern. 15 Nur nebenbei sei die Selbstverständlichkeit angemerkt, daß es darüber hinaus ebenso ohne Belang ist, ob es sich dabei um eine unverbotene Handlung handelt oder ob die statt der gebotenen vorgenommene Handlung für sich bereits eine Straftat darstellt. 16 Roxin, FS Dreher, S. 331, 348.

II. Anwendungsbezogene Probleme

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gangen werden, stellt er doch den Schwerpunkt der Versuche einer formalen Begründung des Teilnahmearguments dar. Zunächst: Das was die Formulierung „Straffreierklärung“ suggerieren will – das Vorhandensein einer positiven Stellungnahme des Gesetzgebers zur Straflosigkeit der in einer aktiven Suizidbeteiligung regelmäßig liegenden passiven Suizidbeteiligung, läßt sich jedenfalls aus dem unmittelbaren normativen Kontext nicht ableiten. Denn aus dem Fehlen einer als Anknüpfungspunkt für die §§ 26, 27 geeigneten Tat folgt nicht etwa die „Straflosigkeit der Teilnahme“ (verstanden als umfassende Straflosigkeit der Handlung im vortatbestandlichen Sinne), sondern lediglich die Straflosigkeit dieser Handlung als Teilnahme. Ob der Gesetzgeber die Handlung auch mit Blick auf die §§ (212, 211,) 216, 13 für „straffrei erklärt“17 hat, ist hingegen die gerade noch zu klärende Frage. Aus eben diesem Grunde erscheint es schon im Ansatz wenig plausibel, wenn die Vertreter des Teilnahmearguments jenes formal aus der allgemeinen Beteiligungslehre abzuleiten suchen. Auf den ersten Blick scheint eine solche Ableitung jedoch immerhin denkbar, wenn man die teilweise im Schrifttum vertretene These zugrundelegt, nach der die aktive Beteiligung an einer Tat stets mindestens genauso schwer wiegen soll, wie die Unterlassung der Erfolgsverhinderung durch einen Garanten.18 Doch selbst wenn diese Lehre zuträfe, verstünde sich der Schluß auf die Straflosigkeit einer in der Teilnahmehandlung liegenden Unterlassung nicht von selbst. Denn zum einen geht es hier wiederum nicht eigentlich um das (straf-) rechtliche Konkurrenzverhältnis beider Teilnahmeformen. Schließlich liegt in den Fällen der Suizidbeteiligung eine Teilnahmehandlung lediglich im phänotypischen, nicht aber im juristischen Sinne vor. Zum anderen ist der Schluß von der Straflosigkeit eines schwerer wiegenden Deliktes auf die Straflosigkeit eines weniger schwer wiegenden Deliktes kein logischer Schluß. Er könnte es nur dann sein, wenn nachgewiesen wäre, daß der Grund der Straflosigkeit des schwereren Deliktes ebenso für das leichtere Delikt gilt – und hier beißt sich

17 Diese Formulierung stellt im übrigen eine merkwürdige begriffliche Verkehrung der Perspektive dar, bedarf es doch in einem liberalen Rechtsstaat einer „Straffreierklärung“ auf tatbestandlicher Ebene prinzipiell nicht; alles was nicht positiv unter Strafnormen zu subsumieren ist, ist a priori straffrei. 18 Roxin scheint dies als selbstverständlich vorauszusetzen, jedenfalls verweist er nicht einmal auf seine in diese Richtung gehenden Ausführungen in TuT [8. Aufl.], S. 499 ff. Grundlegend dazu Grünwald, GA 1959, 111, 112 f., der allerdings klarstellt, daß ein quantitativer Vergleich der in einem aliud-Verhältnis stehenden Beteiligungsformen nur in Bezug auf den Unwertgehalt der Tat möglich ist und in dieser Hinsicht die unechte Unterlassung als minus ansieht. Dieses angebliche Unwertgefälle zwischen aktiver Teilnahme und unechter Unterlassung begründet Grünwald dann allerdings mit einer Differenz hinsichtlich des Grades der Beherrschung des Geschehens und damit – offensichtlich inkonsequent – gerade unter Rückgriff auf jenen Aspekt, der die Fundierung des Unwerts beider Deliktstypen grundlegend unterscheidet und einem quantitativen Vergleich entzieht.

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die Katze in den Schwanz, denn das bedeutet mit anderen Worten, daß die zu begründende „Straffreierklärung“ vorausgesetzt wird. Mehr noch – auch die Prämisse dieses (Zirkel-)Schlusses ist unhaltbar: das Postulat, die aktive Teilnahme sei im Vergleich zum unechten Unterlassungsdelikt eine mindestens gleichwertige, im Konkurrenzfalle die vorrangige Beteiligungsform. Bereits vordergründig unplausibel ist diese These aufgrund der gesetzlich festgelegten Rechtsfolgen (Teilnahmeunrecht/obligatorische Strafmilderung auf der einen, täterschaftlich bewirktes Unrecht/fakultative Strafmilderung auf der anderen Seite). Gar zu merkwürdige Konsequenzen hätte es, machte man wirklich Ernst mit der Forderung Roxins19, eine unechte Unterlassung in jedem Falle hinter eine konkurrierende aktive Beihilfe zurücktreten zu lassen. Dann müßte man jedem, der es entgegen seiner Einstandspflicht nach § 13 unterläßt, gegen eine vorsätzliche, rechtswidrige Tat einzuschreiten, empfehlen, doch dem Begehungstäter noch ein wenig zur Hand zu gehen, um sich dadurch die obligatorische Strafmilderung des § 27 zu sichern.20 Ein Aufgehen der unechten Unterlassungstäterschaft in der aktiven Teilnahme ist aber auch im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen beider Deliktstypen nicht zu begründen. Das wird von den Vertretern der hier kritisierten Lehrmeinung vereinzelt sogar anerkannt,21 ohne allerdings die Konsequenz zu ziehen, daß das Unternehmen einer formalen Begründung des Teilnahmearguments damit gescheitert ist. Auf der anderen Seite verdeckt mit Roxin ein führender Verfechter des hier kritisierten Ansatzes die Inkommensurabilität der beiden Deliktsformen durch eine naturalistische Beschreibung des Unterlassungsunrechts. So schreibt er, daß „(. . .) die Straflosigkeit aktiver Selbstmordteilnahme die Bestrafung der geringerwertigen bloßen Untätigkeit des Außenstehenden ebenfalls verbiete (. . .)“.22 Daß der Unrechtstatbestand eines unechten Unterlassungsdeliktes sich nicht in der Umschreibung einer „bloßen Untätigkeit“ erschöpft, dieser sich vielmehr insbesondere durch eine Garantenstellung des Unterlassenden konstituiert, bleibt dabei völlig außer Blick.23 Diese Ungleichheit läßt sich nicht mit dem Verweis 19

Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 499 ff. In diesem Sinne auch Beckert, Suizidbeteiligung und Sterbehilfe, S. 286. Zugegebenermaßen läßt sich auch vertreten, für den Unterlassenden käme in diesen Fällen a priori nur eine Beihilfestrafbarkeit in Betracht (so Kühl, AT, § 20 Rn. 230; LKJescheck, § 13 Rn. 57 m.w. N.). Diese (schwierige) Frage soll hier nicht weiter vertieft werden, angemerkt sei nur, daß gerade Roxin selbst in TuT [8. Aufl.], S. 483 ff. für eine Bestrafung des Unterlassenden als Täter plädiert. 21 Vgl. die gerade (Fn. 18) erwähnte Position Grünwalds, die damit (unausgesprochen) den formalen Ausgangspunkt der Argumentation verläßt und das Teilnahmeargument auf (an dieser Stelle noch nicht interessierende) materielle Erwägungen stützt. 22 Roxin, FS Dreher, S. 331, 332. 23 Diesen Einwand meint Gallas, JZ 1960, 686, 688, entkräften zu können, indem er den Blick von der allgemeinen Teilnahmelehre wieder dem Spezialproblem der Sui20

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aufheben, auch der eine Garantenstellung innehabende Teilnehmer sei nach §§ 212/211, (216,) 26/27 nicht strafbar. Setzt man nämlich die naturalistische Brille ein weiteres Mal ab, stellt man fest, daß das (faktische) Innehaben einer Garantenstellung für die Strafbarkeit wegen aktiver Teilnahme völlig bedeutungslos, insbesondere also nicht geeignet ist, (normativ) das Teilnahmeunrecht an das eines unechten Unterlassungsdeliktes anzugleichen.24 Es sollte damit hinreichend klar sein, daß die täterschaftliche unechte Unterlassung im Vergleich zu einer aktiven Teilnahme an der Verwirklichung desselben Tatbestandes nicht lediglich eine quantitative Abstufung eines im Kern identischen Unrechts ist. Somit steht auch fest, daß es logisch unter keinem Gesichtspunkt zwingend ist, aus der Straflosigkeit der Suizidteilnahme auf die Straflosigkeit unechten Unterlassens rückzuschließen. Um nicht mißverstanden zu werden: Die vorstehenden Ausführungen wollen noch nichts darüber aussagen, ob die Straflosigkeit der Suizidteilnahme nicht auf einer Wertung basiert, aus der schließlich die Nichtanwendbarkeit des § 13 auf die Fälle der unterlassenen Verhinderung freiverantwortlicher Suizide zu folgern ist, ob also im Ergebnis das Teilnahmeargument nicht doch richtig ist. Und natürlich kann nicht übersehen werden, daß jenes Teilnahmeargument nie unter ausschließlichem Rekurs auf formale Aspekte vertreten wird, sondern sich ganz maßgeblich auf (hier bisher nicht in den Blick genommene) materielle Erwägungen stützen will.25 Richtig erkennt Gallas, daß „kein logischer Widerzidbeteiligung zuwendet: „Die Verletzung der Garantenpflicht bedeutet nicht ein zusätzliches Gewicht in der Waagschale; sie stellt vielmehr die Voraussetzung dar, unter der die bloße Passivität gegenüber dem Selbsttötungsakt überhaupt erst zu strafwürdigem Unrecht (. . .) werden kann.“ Diese Aussage ist aber ungefähr genauso sinnvoll, wie zu behaupten, die „Fremdheit“ der Sache sei für die Bestimmung des Unwertgehaltes einer Diebstahlshandlung außer Ansatz zu lassen, da durch sie eine Wegnahmehandlung erst aus dem Bereich der Straflosigkeit gehoben werde. 24 Dagegen spricht auch nicht, wie Grünwald auf S. 113 meint, daß nach allgemeiner Ansicht der Teilnehmer einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Tat wegen einer nachfolgend unterlassenen Verhinderung des Erfolges der Haupttat nicht als Täter des jeweiligen unechten Unterlassungsdeliktes belangt werden soll. Zwar trifft Grünwalds Folgerung zu, daß in diesem Falle die unechte Unterlassung offenbar als neben der Beihilfe nicht ins Gewicht fallend angesehen wird. Dies hat seinen Grund aber nicht, wie Grünwald meint, darin, daß eine Beteiligung durch Unterlassen generell eine weniger schwerwiegende Beteiligungsform ist als selbst die schwächste aktive Beteiligungsform der Beihilfe. Die Erklärung für die strafrechtliche Bewertung dieser Fallkonstellationen ist vielmehr in den Besonderheiten der Begründung strafrechtlicher Einstandspflichten durch pflichtwidriges Vorverhalten (Ingerenz) zu suchen. Wäre man in Fällen, in denen sich jenes Vorverhalten in der Verwirklichung des in §§ 26, 27 typisierten Unwertgehalts erschöpft, schnell bei der Hand mit der Statuierung einer solchen Einstandspflicht, so liefe man Gefahr, die Beteiligungsstrukturen in einer umfassenden Unterlassungsstrafbarkeit aufzulösen. Es ist also genau andersherum: Der (lediglich) Beteiligte soll vor einer Haftung als Täter bewahrt werden. 25 Vgl. nur Grünwald, S. 119: „(. . .) die Werterwägungen (. . .), die den Gesetzgeber veranlaßt haben, auf die Einführung einer eigenen Strafdrohung für die Teilnahme an

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spruch darin (läge), auf das Verhalten des Garanten den Tatbestand der Fremdtötung anzuwenden. In Wahrheit sind (. . .) schon diese begrifflichen Überlegungen von dem zweiten Argument beeinflußt, auf das sich die hier besprochene Richtung stützt: von dem Gedanken nämlich, daß die Rechtsordnung, indem sie den Selbstmord und die Teilnahme daran straflos lasse, den selbstverantwortlich getroffenen Entschluß zur Selbsttötung respektiere und daher sich selbst widerspräche, wenn sie dem Garanten bei Strafe geböte, dem Lebensmüden bei der Verwirklichung seines Entschlusses in den Arm zu fallen.“26 Indes ist die von Gallas erwähnte Beeinflussung formaler durch materielle Erwägungen durchaus keine einseitige: Erfolgt doch in aller Regel die Diskussion materieller Gesichtspunkte nur noch innerhalb des Rahmens, der zuvor durch das Teilnahmeargument abgesteckt wurde; für manche Autoren scheint es sich lediglich um den wertungsmäßigen Nachvollzug eines formal vorgegebenen Ergebnisses zu handeln. Daß dies den Blick auf Relevantes verstellen kann, zeigt sich paradigmatisch in dem von Gallas referierten Gedankengang: Die dort als Kronzeuge gegen die Strafbarkeit der Suizidbeteiligung durch Unterlassen in den Stand gerufene These, daß die Rechtsordnung, indem sie Suizid(-versuch/-teilnahme) straflos läßt, den selbstverantwortlich getroffenen Entschluß zur Selbsttötung respektiere, steht – und das war immerhin der Ausgangspunkt aller zu diesem Problem angestellten Überlegungen – in einem der Aufklärung bedürftigen Spannungsverhältnis zur Strafnorm des § 216. Gerade diese Aufklärung wird durch das Teilnahmeargument aber nicht betrieben, die Auflösung erfolgt nicht durch eine Synthese der aus der Straflosigkeit der Suizidteilnahme einerseits und der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen andererseits abgeleiteten Wertungen, sondern durch „Wegzaubern“ eines der das normative Spannungsfeld erzeugenden Pole: Indem der Focus des Betrachters durch allerlei formale Kunststückchen ausschließlich auf die Straffreiheit der Suizidbeteiligung gelenkt wird, gelingt es, die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen ungesehen im Hemdsärmel verschwinden zu lassen.27 Wenn hier also das Konglomerat formaler und materieller Aspekte, das das Teilnahmeargument darstellt, auseinanderdividiert wurde um nachzuweisen, daß seine formale Seite nicht einmal dem Anspruch ein „dogmatisches Glasperlenspiel“28 zu sein gerecht wird, diente das in erster Linie dazu, zunächst das Feld, auf dem die Auseinandersetzung um materielle Kriterien geführt werden soll, zu

der Selbsttötung zu verzichten.“; im selben Sinne Klinger, Die Strafbarkeit der Beteiligung an einer durch Täuschung herbeigeführten Selbsttötung, S. 50 f. 26 Gallas, JZ 1960, 649, 652, Hervorhebungen bei Gallas. 27 Ähnlich Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 7, der darauf hinweist, daß das sog. Teilnahmeargument das Ergebnis eines Begründungsganges darstellt und gerade nicht Teil der Begründung ist. 28 So die Kritik von Geilen, JZ 1974, 145.

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klären.29 Eine wichtige Erkenntnis konnte dabei schon gewonnen werden: Zwar wird die Straflosigkeit der Suizidbeteiligung bei dieser Auseinandersetzung eine gewichtige Rolle spielen müssen, sie wird jedoch in ein Verhältnis zur Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen zu setzen sein. Sinnvoll möglich ist dies offensichtlich nur, wenn man sich zuvor Gewißheit über den materiellen Grund der in § 216 normierten Strafbarkeit verschafft hat.30 Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, daß auch andere Versuche, das Problem der Begehbarkeit des § 216 durch Unterlassen mit ausschließlich formalen Argumenten zu lösen, zum Scheitern verurteilt sind. So ist es eine petitio principii, wenn Bottke31 argumentiert, der freiverantwortliche Suizid suspendiere den durch die Tötungsdelikte gewährleisteten Rechtsgüterschutz, denn die §§ 216, 222 erfaßten von vornherein nur die Fremdtötung. Sollte nämlich die Frage nach der Anwendbarkeit des § 13 auf diese Normen in Suizidfällen zu bejahen sein, hieße das ja gerade nichts anderes, als daß es sich normativ um eine Fremdtötung handelt.32 Ebenso im Ansatz verfehlt ist es, auf die Nichthinderung eines Suizids durch einen Garanten die (ihrerseits umstrittenen33) Kriterien zu übertragen, die zur Beurteilung der Strafbarkeit des Garanten, der die Herbeiführung eines tatbestandlichen Erfolges durch einen dritten Begehungstäter nicht hindert, entwikkelt wurden.34 Zwar geht es auch in diesen Konstellationen – wie in den Fällen unterlassener Suizidhinderung – in der Sache darum, inwiefern einem unterlassenden Garanten Verantwortung für einen von einem Dritten verantwortlich herbeigeführten Erfolg zuzuschreiben ist. Es macht indes eine fundamentale Differenz, in welcher Beziehung dieser Dritte zu dem verletzten Rechtsgut steht. 29 In diese Richtung zielt auch die Kritik Schillings in JZ 1979, 159, 161, der in Auseinandersetzung mit Roxin, TuT [3. Aufl.], S. 567 f., völlig richtig feststellt, daß dessen materielle Begründungsversuche nichts anderes sind als „eine Preisgabe des Teilnahmearguments, dieses verstanden als eigenständige, überzeugungskräftige Begründung – und statt dessen den Rekurs auf ein vorgegebenes Ergebnis“. 30 Es ist auffällig und bezeichnend, daß von den Hauptvertretern des Teilnahmearguments dieser Frage kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird, vgl. z. B. Bottke, GA 1983, 22 ff., Roxin, FS Dreher, 331 ff. Auch Gallas, JZ 1960, 649, 653 beschränkt sich auf den Hinweis, daß es „einen guten Sinn (hätte), wenn das Recht zwar dem Lebensmüden die Selbsttötung gestattete, an der Unverbrüchlichkeit des Verbots, einen anderen zu töten, jedoch auch bei Einwilligung des Opfers festhielte.“ Welchen Sinn es haben kann, hält er offenbar in diesem Zusammenhang für keiner Erörterung wert. 31 Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 242; in dieselbe Richtung geht die Argumentation Grünwalds, S. 120: „Die Tötungstatbestände erfassen nicht die Herbeiführung einer Selbsttötung, darum kann man sich für die Bestrafung der Nichtabwendung einer Selbsttötung nicht auf sie berufen.“ 32 Auch Gallas, JZ 1960, 649, 652, stellt fest, daß es sich für den Garanten dabei um den Tod eines anderen handelt. 33 Vgl. dazu Sch/Sch-Cramer/Heine, vor § 25 Rn. 98 ff.; Kühl, AT, § 20 Rn. 230 ff. 34 So aber Sowada, Jura 1985, 75, 79 und (unreflektiert) Gallas.

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Schließlich sind die Kriterien, nach denen die Verantwortung für die Verletzung eines fremden oder eines eigenen Rechtsgutes zugeschrieben wird, je verschieden, schon deshalb, weil es nur im ersteren Falle um die Zuschreibung strafrechtlicher Verantwortung geht.35 Diese axiomatische Differenz bei der Bestimmung des Verantwortungsbereiches des Handelnden trifft den Unterlassenden als Reflex: Das Bestehen einer Handlungspflicht des Garanten und das Ausmaß seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit für deren Verletzung bestimmen sich gerade in Abgrenzung zu dem Verantwortungsbereich des anderen. Wenn also die Werterwägungen, die für die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche bei der Beteiligung an der Verletzung fremder Rechtsgüter durch Unterlassen maßgeblich sind, auch für die hier in Rede stehende Konstellation gelten sollen, so ist auch dies mit schlicht begrifflichen Überlegungen nicht begründbar. 2. Doch auch die praktische Anwendung des § 216 auf die an sich idealtypischen Fälle handelnder Teilhabe eines Dritten an der Tötung eines Sterbewilligen bereitet Wissenschaft und Rechtsprechung schwere Probleme. Dogmatischer Kulminationspunkt ist dabei die Frage, wann diese Teilhabe strafbare täterschaftliche Tötungshandlung und wann sie straflose Suizidteilnahme ist; gesucht ist also nach einer abstrakt-typisierenden Umschreibung der den Tatbestand des § 216 erfüllenden Handlung. Man sollte meinen, daß diese nicht schwerfallen kann, schließlich stellt mit der ganz herrschenden Ansicht im Schrifttum das strafrechtsdogmatische Instrumentarium zu diesem Zweck ein sich zum jeweiligen Straftatbestand komplementär verhaltendes Kriterium zur Verfügung: die Tatherrschaft.36 Daß die Rechtsprechung – jedenfalls begrifflich – zu dieser Methode der Verantwortungszuschreibung keine besondere Affinität hegt, ist nur allzu gut bekannt, indes macht sie für den speziellen Fall der Feststellung von Täterschaft im Sinne des § 216 eine Ausnahme und verbreitert damit den allgemeinen Konsens.37 Das gesuchte Axiom lautet also: Täter ist, wer die Tatbestandsvoraussetzungen des § 216 tatherrschaftlich verwirklicht. Sehr schön, wird man sagen, wo liegt das Problem? Das Problem zeigt sich sofort, konfron35

Vgl. dazu die ausführliche Auseinandersetzung mit der Gegenansicht unter C. I. Dies setzt natürlich voraus, daß man der Tatherrschaft nicht lediglich die Funktion beimißt, die Verantwortung mehrerer an einer fremdverletzenden Handlung Beteiligter gegeneinander abzugrenzen, um sie den Kategorien der §§ 25–27 zuzuschlagen. Auf einer solchen Unterbestimmung des Tatherrschaftsbegriffes basieren die von Murmann, Selbstverantwortung, S. 327 ff., insbesondere S. 331, gegen die grundsätzliche Eignung des Kriteriums der Tatherrschaft zur Bewältigung der in Rede stehenden Problematik vorgebrachten Einwände. 37 Grundlegend dazu BGHSt 19, 135. Dort stellt der BGH auf S. 138 zunächst fest, daß „jedenfalls für den Sonderfall der tatbestandlichen Abgrenzung des § 216 gegenüber der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung subjektiv bestimmte Kriterien (. . .) nicht geeignet (sind), sinnvolle Ergebnisse zu gewährleisten“, um dann (S. 139) zu folgern, daß „es allein darauf ankommen (kann), wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat“. 36

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tiert man diese abstrakte Formel mit einem konkreten Fall. So denke man sich, um ein Beispiel von Herzberg38 zu zitieren, einen Sterbewilligen, der sich unter die Räder eines heranfahrenden Lastkraftwagens wirft und dort den verabredeten, vom Fahrer gezielt mitbewirkten Tod findet. Oder, um ein einfaches, alltägliches Beispiel zu wählen: Ein Arzt injiziert einem Lebensmüden eine tödliche Dosis eines Giftes. Versucht man nun auf diese Fälle die überkommenen, zur Konkretisierung des abstrakten Begriffes der Tatherrschaft entwickelten Regeln/ Formeln/sprachlichen Bilder anzuwenden, stellt man bald fest, daß diese bei der Zuschreibung von Verantwortung für eine vom Opfer mitbewirkte Rechtsgutsverletzung nichts zu leisten vermögen. Wer soll hier die „Zentralgestalt des Geschehens“39 sein, wer hält das Tatgeschehen in den Händen, so daß er über das „Ob“ und „Wie“ der Tat maßgeblich entscheidet? Schließlich beherrschen Täter und Opfer das Tatgeschehen jeweils in entscheidender Weise mit; die den Eintritt des Erfolges bewirkende Kausalkette wird erst durch das Kumulieren der Tatbeiträge in Gang gesetzt. Wirft sich der Lebensmüde nicht vor den Lastkraftwagen, bietet er nicht den Arm zur Injektion dar, vermag der andere den Erfolg nicht herbeizuführen.40 Man kann diese Fälle treffend mit dem von Herzberg41 geprägten Begriff der „Quasi-Mittäterschaft“ umreißen; sie bilden den Idealtypus der Verwirklichung des § 216.42 Damit ist als charakteristisches Moment 38

Herzberg, NStZ 1989, 559. Zwar nicht unmittelbar auf den Tatherrschaftsbegriff zugeschnitten, dennoch für den vorliegenden Zusammenhang gerade auch in terminologischer Hinsicht aufschlußreich ist die treffende Formulierung Zaczyks, Strafrechtliches Unrecht, S. 28, von einem auf „zwei Handlungszentren“ zurückzuführenden einheitlichen Verletzungserfolg. 40 An diesen Beispielen, wie ganz allgemein an der Norm des § 216, läßt sich im übrigen demonstrieren, daß es eine Verkürzung ist, zu behaupten, der Tatherrschaftsbegriff wäre zur Tatbestandsbeschreibung bei der unmittelbaren Täterschaft überflüssig: Täter sei, wer in seiner Person alle Merkmale des Deliktstatbestandes selbst (eigenhändig) erfülle, vgl. Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 127 ff.; BGHSt 38, 315, 317; Sch/ Sch-Cramer/Heine, vor §§ 25 ff. Rn. 75; zutreffend dagegen Schild, Täterschaft als Tatherrschaft. Denn wann der Handelnde in den Fällen einer aktiven Mitwirkung des Opfers den Straftatbestand „selbst“ erfüllt, ist ja gerade die zu klärende Frage und diese ist offenbar normativer Natur: eben die Frage nach der Zuschreibung von Tatherrschaft. Die wohl herrschende Lehre behandelt diese Fragen im Rahmen der Lehre von der objektiven Zurechnung, vgl. Sch/Sch-Lenckner, vor §§ 13 ff. Rn. 100 ff. m.w. N. Ein solches Vorgehen leidet in systematischer Hinsicht darunter, daß die Problematik um ihre subjektive Seite verkürzt wird, auch wenn die Vertreter dieser Lehre bei der Anwendung der Zurechnungskriterien häufig – inkonsequent, aber sachlich richtig – subjektive Aspekte mit einfließen lassen. 41 Vgl. z. B. Herzberg, JuS 1988, 771. 42 Natürlich lassen sich auch andere Fälle bilden, z. B. daß ein Lebensmüder einen Killer beauftragt, ihn zu nicht vorbestimmter Stunde an einem nicht vorbestimmten Ort aus dem Hinterhalt zu töten. Ebenso fehlt es an jeglicher Teilhabe des Opfers an der Tötungshandlung in dem bekannten Fall, in dem ein in einem verunglückten, brennenden Lkw eingeklemmter Fahrer einen Umstehenden um Erlösung durch einen Pistolenschuß bittet. Dies sind jedoch eher Ausnahmen. 39

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A. Einführung in die Problematik

dieser Konstellationen bezeichnet, daß, unterstellt es handelte sich bei dem anvisierten Projekt für jeden der Handelnden um eine Fremdverletzung, die Beteiligten in der Regel über § 25 II als Mittäter haften würden. Die Zuschreibung strafrechtlicher Verantwortung erfolgt in strukturell vergleichbaren Fällen einer gemeinschaftlichen Fremdschädigung also nicht über den Tatherrschaftsbegriff, sondern über eine Norm, die den durch diesen repräsentierten Modus normativer Verantwortungszuschreibung erweitert. Die Frage, ob eine Bestrafung des einen oder anderen Mittäters auch ohne § 25 II auf der Basis der Tatherrschaftslehre möglich wäre, ist in diesen Fällen müßig. Jedoch kann nach allgemeiner und richtiger Ansicht § 25 II keine Anwendung finden, wenn die Tat für einen der Mitwirkenden keine Straftat, sondern eine Selbstverletzung darstellt.43 Damit hat die Tatherrschaftslehre hier eine Aufgabe zu bewältigen, die sonst von ihren Schultern genommen ist. Wie wenig dies bislang ins Bewußtsein der Strafrechtler gedrungen ist, zeigt sich, wenn üblicherweise für den allgemeinen Begriff der Tatherrschaft in den Fällen der unmittelbaren Täterschaft definiert wird, Täter sei, wer in seiner Person alle Merkmale des Deliktstatbestandes selbst (eigenhändig) erfülle.44 Damit wird, ausdrücklich oder stillschweigend, für diesen Bereich auf die Tatherrschaft als eigenständige normative Kategorie verzichtet und auf die alte formal-objektive Theorie zurückgegriffen.45 Das Zusammenwirken von Täter und Opfer beim Ausführungsakt läßt sich so freilich nicht erfassen. Über diesen Befund stolpern auch Hohmann/König46, die den Schritt von der Erkenntnis der mangelnden Eignung eines ausschließlich faktisch geprägten Tatherrschaftsbegriffes zu dessen Normativierung jedoch nicht wagen. Statt dessen versuchen sie – letztlich erfolglos47 – nachzuweisen, daß 43 Vgl. dazu die überzeugenden Ausführungen bei Dencker, Kausalität und Gesamttat, S. 246 f.; Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 238; Roxin, NStZ 1987, 345, 347; anders nur Herzberg, TuT, § 5 III 4; wohl auch noch in JA 1985, 137 f.; revoziert in JuS 1988, 771, 775 zugunsten einer weitgehenden Einbeziehung in den § 25 I 1. Alt. zugrundeliegenden Täterbegriff; vgl. auch Herzberg, NStZ 2004, 1, 3. Ähnlich stellt Otto, Gutachten für den 56. DJT, S. 68 f., auf einen sozialen (Vor-)Begriff von Tatherrschaft ab, mit dessen Hilfe er quasi-mittäterschaftlich herbeigeführte Erfolge als tatherrschaftlich im Sinne des § 25 I 1. Alt. bewirkt qualifiziert. Dabei wird allerdings nicht ganz klar, welche Konsequenzen daraus für die Strafbarkeit nach § 216 erwachsen sollen, immerhin impliziert jene vortatbestandliche Typisierung ja gleichzeitig, daß die Tat für den Suizidenten eine freiverantwortlich ins Werk gesetzte Selbsttötung ist, deren Unterstützung nach Ottos (im Gegensatz zu Herzbergs) Ansicht „nicht als Tötungsdelikt strafbar“ (S. 66) sein soll. 44 Vgl. BGHSt 38, 315, 317; Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 127 ff.; Sch/Sch-Cramer/ Heine, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 75. 45 Dies ist v. a. dogmengeschichtlich zu erklären, diente die Feststellung unmittelbarer Täterschaft anhand formal-objektiver Gesichtspunkte doch als die Basis der Tatherrschaftslehre, von der aus Kriterien zur Behandlung anderer Formen der Tatbegehung entwickelt wurden, vgl. Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 127 ff. – Generelle Kritik an jenem Verharren der Tatherrschaftslehre in naturalistischen Kategorien übt auch Jakobs, AT, 21/33. 46 Hohmann/König, NStZ 1989, 304, 305.

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die §§ 25 ff. und damit das Tatherrschaftskriterium auf § 216 keine Anwendung finden dürfen. Von den hier nicht weiter interessierenden Unzulänglichkeiten der Herleitung dieser These abgesehen, kann schon das anvisierte Ergebnis nicht befriedigen: Soll die Tatherrschaft48 dem ihr verbundenen Anspruch, ein allgemeines Verbrechenselement zu sein, gerecht werden – und dieser Anspruch ist für jeden Begriff von Tatherrschaft konstitutiv –, muß sie sich auch an der Norm des § 216 bewähren. Damit ist die Konsequenz eines möglichen Ungenügens tradierter Formeln vorgezeichnet – sie kann nicht in einer Aufgabe des Erfordernisses der Beherrschung der Tat liegen, sondern nur in einer Überprüfung des sachlichen Gehaltes jenes Verbrechenselementes am konkreten Gegenstand und gegebenenfalls in einer Revision desselben. Wenn Hohmann/König davor zurückschrecken, offenbar aus Angst, sich außerhalb des allgemeinen Konsens zu stellen, weil „eine solche Normativierung des Tatherrschaftsgedankens derzeit allerdings nicht in Sicht“ sei,49 so lassen sie dabei einen wichtigen, durchaus allgemein akzeptierten Aspekt außer acht: die dem Begriff der Tatherrschaft immanente Offenheit. So schreibt beispielsweise der als Begründer des modernen Tatherrschaftsbegriffs geltende Roxin, daß „eine erschöpfende Angabe seiner stets unabdingbaren Merkmale nie möglich sein und er sich der Aufnahme neuer inhaltlicher Elemente nicht verschließen wird“.50 Diese Offenheit ergibt sich logisch bereits aus der Relativität der Tatherrschaft zum jeweils verwirklichten Tatbestand.51 Es stellt also keinen axiomatischen Bruch dar, wenn der Tatherrschaftsbegriff in seiner Anwendung auf einen bestimmten Tatbestand modifiziert und/oder erweitert wird. Wie soll man sich diese Modifizierung im Falle des § 216 nun vorzustellen haben, wie sollen sich konsistente Kriterien zur Beschreibung des täterschaftlichen Unrechts entwickeln lassen? 47

Vgl. die insoweit überzeugende Kritik Herzbergs in NStZ 1989, 559, 560. Es soll hier zugunsten der Verfasser davon ausgegangen werden, daß Hohmann/ König, obschon sie ausdrücklich von einer Abbedingung des § 25 sprechen, nicht eine Tat ohne Täter konstruieren möchten, sondern lediglich gegen die tradierten Zurechnungsregeln – also die Tatherrschaftskriterien – zielen. 49 Hohmann/König, 304 f.; es mutet fast kurios an, daß die Autoren anschließend mit der Abbedingung der §§ 25 ff. eine tatsächliche „Todsünde“ gegen den allgemeinen Konsens begehen. 50 Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 124. An anderer Stelle (NStZ 1987, 345, 347) überträgt Roxin diesen Gedanken ausdrücklich auf § 216, indem er schreibt, daß der Begriff der Tatherrschaft hier „in einer tatbestandsspezifischen Weise“ zu „modifizieren“ sei (vgl. dazu ausführlich unter D. V.). 51 So kann, um ein gebräuchliches Beispiel anzuführen, der vom Täter hervorgerufene Irrtum über die Entgeltlichkeit einer Blutspende zwar Tatherrschaft in Bezug auf § 263 begründen, nach herrschender Meinung (im Anschluß an Arzt, Willensmängel, S. 20 ff.; vgl. die weiteren Nachweise bei Sch/Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 46; kritisch Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, S. 42 ff.) jedoch nicht im Hinblick auf die Verletzung der körperlichen Integrität des Opfers. Vgl. auch Schilling, JZ 1979, 159, 163: Es gibt „keine ,Tatherrschaft an sich‘, sondern nur die Tatherrschaft hinsichtlich bestimmter Taten“. 48

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Es sei hier nochmals der aus der phänotypischen Eigenart der zu untersuchenden Interaktionsstrukturen folgende Befund ins Bewußtsein zurückgerufen: Eine schlichte Anwendung überkommener Kriterien zur Bestimmung unmittelbarer Täterschaft mußte scheitern, weil diese offenbar von dem bei einer Tötung auf Verlangen gerade fehlenden Gegeneinander von Täter und Opfer ausgehen. Schon sprachlich impliziert die Rede von Tatherrschaft, daß es um eine Beherrschung der Erfolgsherbeiführung durch den Täter, mittelbar also um eine Subordination des Inhabers des verletzten Rechtsguts gehen soll. Diese mittelbare52 Beherrschung des verletzten Rechtssubjekts muß aus tatsächlichen Gründen (körperliche Identität von Rechtsgutsobjekt und -subjekt) sogar eine unmittelbare sein, soweit es sich um eine Beeinträchtigung des Rechtsguts Leben handelt. Dieses für die §§ 212, 211 also durchaus passende sprachliche Bild einer Herrschaftsbeziehung läßt sich auf § 216 aber offenbar nicht in unveränderter Form übertragen.53 Es erscheint deshalb an dieser Stelle sinnvoll, einen Schritt in der Ableitungskette zurückzugehen und nach dem dogmatischen Ursprung dieses „Herrschaftskriteriums“ im Tatherrschaftsbegriff zu fragen. Dazu seien einige kurze Ausführungen zum Tatherrschaftsbegriff selbst bzw. dazu, wie er hier verstanden werden soll, vorausgeschickt. Der Begriff der Tatherrschaft bezieht seine Existenzberechtigung aus dem Umstand, daß ein rechtsstaatliches Schuldstrafrecht einen formalen Modus braucht, nach dem ein äußerlich Bewirktes dem in einer Handlung sich manifestierenden Willen zugeschrieben wird. Es geht also dem Grunde nach um die Zuschreibung von Verantwortung;54 nur von dieser Funktion aus läßt sich der Tatherrschaftsbegriff verstehen, schließlich ist diese Funktionalität des Begriffes auch die Ursache dafür, daß die Kriterien, nach denen Tatherrschaft zugeschrieben wird, logisch nicht deduzierbar sind. Es ist nämlich das Dilemma eines strafrechtlichen Verantwortungsbegriffes, daß er ohne den in der Tatherrschaft verkörperten Zuschreibungsmodus nicht auskommt, daß letzterer also ein notwendiges Element des ersteren ist. Damit ist es ausgeschlossen, Tatherrschaft nach logischen Kategorien von strafrechtlicher Verantwortung her zu bestimmen. Umgekehrt kann jedoch auch nicht sinnvoll ausgesagt werden, was Tatherrschaft sein soll, wenn man nicht schon einen strafrechtlichen Begriff von 52 Mittelbar deshalb, weil sie im Regelfall über die Verletzung des die Freiheitssphäre des verletzten Rechtssubjekts repräsentierenden Rechtsgutes vermittelt wird. 53 In diesem Sinne auch Schroeder, ZStW 106, 565, 576. 54 Es ist also nicht mehr als der Austausch zweier Worthülsen, wenn Herzberg, NStZ 2004, 1, 4 f., die hier diskutierten Probleme nicht länger als Tatherrschaftsfragen behandeln will, sondern sie statt dessen unter der Bezeichnung „tatbestandsspezifische Verantwortung“ rubriziert. Die von Herzberg behaupteten sachlichen Konsequenzen dieser (scheinbaren) Umstrukturierung beruhen dabei schlicht auf einer Unterbestimmung des Tatherrschaftsbegriffes durch den Autor.

II. Anwendungsbezogene Probleme

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Verantwortung hat. Diese Aporie läßt sich nur durch einen die Grenzen eines hermetisch gedachten Strafrechtssystems durchbrechenden, mithin (jedenfalls aus intrasystematischer Perspektive) genuin willkürlichen Zuschreibungsakt auflösen. Das heißt natürlich nicht, daß diese Zuschreibung sich im luftleeren Raum vollzieht, sie wird vielmehr vermittelt durch immer schon gewußte, immer schon gelebte soziale Modi der Verantwortungszuschreibung; daß diese die Basis rechtlicher Zuschreibung sind und sein müssen, versteht sich für ein Strafrecht, das faktische Geltung für sich beanspruchen, also verstehbar und lebbar sein will, von selbst. Ebenso versteht sich, daß ein Strafrecht über eine rein soziale Interpretation menschlicher Interaktion hinausgreifen muß; daß es die Basis sozialer Zuschreibung transzendieren muß, indem es normativiert. Die Grundlage dieser Normativierung wurde bereits oben mit der Rede von der Relativität der Tatherrschaft zum jeweils verwirklichten Tatbestand angedeutet: Die weitergehende Überformung der Regeln der Verantwortungszuschreibung durch das (Straf-)Recht nimmt ihren Ausgang in einer – der sozialen Wirklichkeit fremden – Abstraktionsleistung, die eine weitere begriffliche Konkretisierung des Zuschreibungsgegenstandes voraussetzt. Diese, d. i. die Bildung des jeweiligen Unrechtstypus, leistet der strafgesetzliche Tatbestand. Treffend formuliert Gallas: „Als Mittel der Interpretation der tatbestandsmäßigen Handlung ist der Begriff der Tatherrschaft vielmehr überhaupt auf den spezifischen Unwertgehalt des jeweiligen Deliktstypus bezogen.“55 In diesem Sinne ist die Tatherrschaftszuschreibung in ihrem Kern also nichts anderes als die Auslegung des jeweiligen Straftatbestandes.56 Von jenem Punkt aus wird auch die Genese des „Herrschaftskriteriums“ verständlich: Das Wesen des Unrechts einer gegen Individualrechtsgüter gerichteten Straftat besteht substantiell in einer Verletzung des durch das jeweils betroffene Rechtsgut repräsentierten Freiheitsraumes des Opfers, im Grunde also in einer das gegenseitige Anerkennungsverhältnis störenden Herrschaftsanmaßung. Soweit für die tatbestandlich verbotene Handlung jene Anmaßung von Herrschaft ausschlaggebend ist, fehlt es dem Tatherrschaftskriterium in seiner tradierten Form nicht an Plausibilität und Praktikabilität.57 55

Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 139, Hervorhebung im Original. Bei Lichte betrachtet ist die so verstandene Tatherrschaftslehre nicht anderes als eine Zurechnungslehre, die – im Gegensatz zu der heute gebräuchlicheren Lehre von der objektiven Zurechnung – nicht um ihre subjektive Seite verkürzt ist (vgl. bereits Fn. 40; ebenso, wenngleich offenbar als Kritik gemeint, Murmann, Selbstverantwortung, S. 331 f., der feststellt, daß eine solcherart normativierte Tatherrschaftslehre der Sache nach zu einer Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten und der objektiven Zurechnung „mutiert“). Diesen Umstand verkennt Herzberg, NStZ 2004, 1, 4 f., bei seiner Polemik gegen die Heranziehung des Tatherrschaftsbegriffs bei der Bewältigung der in Rede stehenden Probleme. 57 Auch hier sind die Dinge jedoch hin und wieder komplexer als sie gern gesehen werden. Dies läßt sich veranschaulichen an Fällen, die den für § 216 typischen Konstellationen strukturell ähneln. Man denke etwa an den einfachen Fall einer von einer 56

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A. Einführung in die Problematik

Der obige Befund, daß eine derart trennscharfe, von „Herrschaft“ her gedachte Bestimmung der Täterschaft für § 216 nicht möglich ist, läßt sich nun zu zweierlei Konsequenzen führen. Zum einen lassen sich, wie Herzberg dies vertritt, alle zweifelhaften Fälle der zwischen „Täter“ und „Opfer“ geteilten Handlungs- und/oder Erfolgsherrschaft ungeachtet der (Mit-)Verantwortlichkeit des Opfers unter § 216 subsumieren.58 Mit dieser Auffassung meint Herzberg sich von dem – von ihm so bezeichneten – „Exklusivitätsdogma“ der herrschenden Meinung emanzipieren zu müssen.59 Mit jenem „Exklusivitätsdogma“ ist die These gemeint, daß das Vorliegen einer eigenverantwortlichen Selbsttötungshandlung eine den § 216 verwirklichende Fremdtötung durch einen teilnehmenden Dritten ausschließe.60 Offenbar erblickt Herzberg darin eine Art Sonderdogmatik für § 216,61 die einer Zuschreibung von Tatherrschaft auf der Basis gültiger Axiome zuwiderläuft oder doch zumindest nicht kongruent ist. In diesem Zusammenhang sind nun zwei Aspekte auseinanderzuhalten. Zum einen wurde dazu, daß eine Modifikation von Tatherrschaftskriterien für § 216 keine unzulässige „Sonderdogmatik“ darstellt, sondern eine dem Wesen des Tatherrschaftsbegriffes entsprechende Anwendung desselben, bereits oben Stellung genommen. Doch darum geht es hier gar nicht. Denn das „Exklusivitätsdogma“ ist kein Spezifikum des § 216, es ist vielmehr geradezu konstitutiv für den (allgemeinen) Tatherrschaftsbegriff. Dieser definiert sich – wie bereits erwähnt – über seine Funktion als Instrument der Verantwortungszuschreibung. Art und Umfang strafrechtlicher Verantwortlichkeit bestimmen sich jedoch in Abgrenzung von den Verantwortungsbereichen anderer Beteiligter. Dies betrifft nicht nur den dogmengeschichtlichen Ursprung des Krankenschwester abgenommenen (wirksam konsentierten) Blutspende. Auch hier läßt sich eine eindeutige Verantwortungszuordnung aufgrund des Kriteriums der Beherrschung von Handlung und/oder Erfolg nicht sinnvoll vornehmen. Soweit ersichtlich, wird das Tatherrschaftsproblem in dieser Konstellation nicht aufgeworfen, was vor allem den praktischen Grund haben dürfte, daß die Lösung – fehlendes Unrecht – sich ohne weiteres bereits aus der vorliegenden Einwilligung ergibt (so auch Degener, Schutzzweck der Norm, S. 333, Fn. 818). Man sollte sich gleichwohl deutlich machen, daß hier grundlegende Probleme im Verhältnis Tatherrschaft/Einwilligung noch ihrer Lösung harren, zumal gerade in der aufgezeigten Konstellation praktische Konsequenzen für Fälle des § 228 nicht ausgeschlossen sind. 58 Herzberg, JuS 1988, 771, 775; vgl. auch zuletzt in NStZ 2004, 1 ff. 59 Interessant ist, daß sich bereits bei Hälschner, Preußisches Strafrecht, S. 69 f., der Versuch findet, mit einer ganz ähnlichen Konstruktion die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen im Verhältnis zur Straflosigkeit der Suizidteilnahme zu erklären. Hälschner trennt das Projekt der gemeinschaftlich bewirkten Tötung des Sterbewilligen in zwei eigenständig zu beurteilende Projekte auf: Die Selbsttötung des Sterbewilligen, die unter keinem Gesichtspunkt ein Unrecht (also auch kein Teilnahmeunrecht des Dritten) begründen können soll und die Fremdtötung durch den Dritten, die allemal Tötungsunrecht verwirklichen soll (vgl. dazu die Kritik bei Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 17 f.). 60 Vgl. z. B. Neumann, JA 1987, 244, 249; Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 238. 61 So ausdrücklich Herzberg, S. 775.

II. Anwendungsbezogene Probleme

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Tatherrschaftsbegriffs, die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, sondern ganz wesentlich auch die Absetzung der Verantwortlichkeit des Täters gegen die des Opfers.62 Gehört es also zu den elementaren Anforderungen an den Begriff der Tatherrschaft, daß er eindeutige Zuordnungen strafrechtlicher Verantwortlichkeit ermöglicht, ist eine gleichzeitige Zuschreibung bei Täter und Opfer offenbar nicht sinnvoll.63 Sicher ist es denkbar, Verantwortung für einen Erfolg/ eine Handlung in einem umfassenderen, etwa sozialen, Sinne sowohl dem einen wie dem anderen Beteiligten zuzuschreiben; stellt man hingegen die abstrakte Frage nach der Erfüllung eines Straftatbestandes, so sind all jene Faktoren, welche die Tatbestandsmäßigkeit unberührt lassen, außer Betracht zu lassen. Eine Mitverantwortung des Opfers ist auf dieser Ebene also erst dann in den Blick zu nehmen, wenn sie die Qualifizierung des Handelnden als Täter hindert. In der Sache geht auch Herzberg so vor, wenn er in allen Fällen der Quasi-Mittäterschaft die Tatbestandsmäßigkeit für den Fremdverletzer bejaht.64 Ob man die Tat neben dieser Einordnung noch als vollverantwortliche Selbstschädigung des Rechtsgutsinhabers bezeichnen will, verstellt – anders als Herzberg mit seiner Ablehnung der „Exklusivität der Tatherrschaft“ suggerieren will – für jene juristische Wertung nichts. Damit ist aber die scheinbare Auflösung des Spannungsverhältnisses der kollidierenden Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer (zugunsten einer umfassenden Strafbarkeit des in das fremde Rechtsgut Eingreifenden) eine Illusion und die darauf gestützte materielle Lösung leidet unter einem evidenten Begründungsdefizit.65 Ist jener von Herzberg gewählte Weg also nicht gangbar, steht nach dem oben Gesagten fest, daß ein Begriff der Tatherrschaft für § 216 nur zu gewin62 Mit der möglichen Folge, daß ersterer eben kein „Täter“, letzterer kein „Opfer“ ist. Gleichwohl soll im folgenden entsprechend dem tradierten Sprachgebrauch – unter Vernachlässigung dieser begrifflichen Implikation – die Bezeichnung „Täter“ für den – äußerlich betrachtet – eine Fremdverletzung Herbeiführenden, die Bezeichnung „Opfer“ für den in seinem Rechtsgut Betroffenen beibehalten werden. 63 So sieht das für den vorliegenden Kontext auch Neumann, JA 1987, 244, 245, der darin jedoch – dem im Text dargelegten Verständnis diametral entgegengesetzt – eine Abweichung von den allgemeinen Regeln der Täterschaftsdogmatik erblicken will. Ähnlich wie hier argumentiert – ebenfalls gegen Herzberg – Engländer, Jura 2004, 234, 236 f. 64 In einer neueren Publikation (NStZ 2004, 1, 6) will Herzberg davon immerhin die Fälle ausnehmen, in denen die Tat sich nicht mehr sinnvoll als „Tötung“ auffassen läßt bzw. das Opfer nicht mehr unten den Begriff des „Getöteten“ zu subsumieren ist. 65 Vgl. dazu auch die erhellenden Ausführungen Zaczyks, Strafrechtliches Unrecht, S. 28 f.: „Da (. . .) nur die Handlung des Außenstehenden Unrechtsqualität aufweisen kann (. . .), müßte nach üblichem strafrechtlichem Denken allein diese Handlung betrachtet werden. Man kann aber ihre Qualität nicht angemessen bestimmen, wenn man sie aus dem Interaktionszusammenhang löst und isoliert der Frage unterzieht, ob sie etwa die Verhaltensnorm verletzt. Sie muß also gerade vor dem Hintergrund des Gegebenseins eines zweiten Handlungszentrums gewürdigt werden, das ein eigenes, allerdings selbstbezügliches Handlungsprojekt entwirft.“

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A. Einführung in die Problematik

nen sein wird, wenn man die Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer zunächst in ein materiell zu begründendes Verhältnis setzt, das über eine simple Herrschaftsbeziehung hinausgeht. Das „Wesen des Unrechts“ des § 216, das bei diesem Unterfangen in dialektischer Weise zugleich den Grund legt und seine Ausprägung erfährt, läßt sich indes nur bestimmen, indem man sich zunächst Gewißheit über den Grund der Zuschreibung strafrechtlicher Verantwortung in den durch die Strafnorm typisierten Fällen verschafft.66 Gefragt ist also auch hier nach dem Strafgrund/Schutzzweck des § 216.67

66 Es geht demzufolge nicht darum, den aufgefundenen Strafgrund unvermittelt in die rechtliche Bewertung eines Verhaltens als „täterschaftlich im Sinne des § 216“ hineinzutragen, also letztlich ein vorpositives teleologisches Verständnis an die Stelle des gesetzlichen Tatbestandes zu setzen, wie dies beispielsweise Horn in SK, § 216 Rn. 10 tut (mit Recht kritisch Murmann, Selbstverantwortung, S. 349 und 355). Wenn Murmann, S. 357, – scheinbar im diametralen Gegensatz zu dem hier gewählten Ausgangspunkt – vertritt, die Ratio der Norm sei für die Abgrenzung von Täterschaft und (strafloser) Teilnahme überhaupt irrelevant, so muß er sich entgegenhalten lassen, daß die von ihm zur Begründung dieser Auffassung in Anspruch genommenen Prämissen ihrerseits auf einer im Rahmen von Murmanns Untersuchung bereits in allgemeinerem Kontext vollzogenen, sehr weitgehenden teleologischen Negativselektion basieren. 67 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der Umgang Roxins mit dem Problem, immerhin wurde das oben angeführte Beispiel einer Quasi-Mittäterschaft (durch das verabredete Überfahren mit einem Lastkraftwagen) von Herzberg entwickelt, um das von Roxin entwickelte Abgrenzungskriterium der „Herrschaft über den todbringenden Moment“ zu falsifizieren. Nachdem Roxin, FS Pötz, S. 177, 184 f., zunächst – wenig überzeugend – versucht, das abstrakte Problem durch „Zurechtbiegen“ des konkreten Falles zu beseitigen, läßt er sich schließlich doch noch dazu ein, daß als „absoluter Grenzfall“ ein Sachverhalt denkbar sei, in dem die Herrschaft über den todbringenden Moment bei beiden Beteiligten läge. Dann müsse nach teleologischen Gesichtspunkten eine Zuordnung zu einer der beiden Fallgruppen (also derjenigen der Tötung auf Verlangen oder derjenigen der „Teilnahme am Suizid“) vorgenommen werden. Im Ansatz befindet sich Roxin damit auf einer Linie mit den vorstehenden Ausführungen. Ob das Telos der Norm die Last dieser Abgrenzung zu tragen vermag, ist freilich für die vorliegende Untersuchung eine noch offene Frage; vgl. dazu unten D. V.

B. Der Strafgrund des § 216 Im ersten Teil der Untersuchung wurden die grundlegenden Legitimationsund Anwendungsprobleme – mit denen sich das „Problemarsenal“ des § 216 allerdings keineswegs erschöpft – angedeutet, zum Teil auch schon weiter ausgeleuchtet. Dies diente zunächst vor allem dem Nachweis, daß eine rein formaljuristische Interpretation geeignet sein mag, die Strukturen der an die Norm zu stellenden Fragen transparenter zu machen, die ihnen zugrundeliegenden konfligierenden Prinzipien und Wertungen zu Aporien und Paradoxien68 zuzuspitzen, nicht jedoch, diese befriedigend zu lösen. En passant wurde noch ein weiterer Gewinn erzielt. Es konnte der Rahmen der nunmehr in den Blick zu nehmenden Diskussion des Schutzzwecks des § 216 bereits ein Stück weit abgesteckt werden. Schließlich wird sich jedes in diesem Zusammenhang erzielte Ergebnis daran messen lassen müssen, ob und wieweit es zur Lösung der aufgezeigten normativen Konflikte beitragen kann. Dies betrifft in weitaus geringerem Maße die unter A. II. dargestellten Anwendungsprobleme, deren Bewältigung zwar eine Fixierung der Schutzrichtung des § 216 voraussetzt, die ihrerseits für deren Begründung jedoch keine konstitutive Bedeutung haben. Diese Fragen werden erst in den Vordergrund treten, wenn in einem zweiten, nicht weniger wichtigen Schritt sich das durch abstrakte Normanalyse gewonnene Ergebnis daran bewähren müssen wird, ob es in der Konfrontation mit praktisch relevanten Problemstellungen dogmatische Leistungskraft zu entfalten vermag. Hingegen betreffen die unter A. I. an die Norm gestellten Fragen unmittelbar den Strafgrund der Tötung auf Verlangen und den Anspruch, den ein freiheitlich-rechtsstaatlich verfaßtes Strafrecht an jenen zu stellen hat. Es empfiehlt sich deshalb, die dort unter anderem Blickwinkel zunächst fragmentarisch entwickelten Problemstellungen hier wieder aufzunehmen und darauf zu untersuchen, ob sich ihnen weitere verallgemeinerungsfähige Folgerungen für die Diskussion des Schutzzwecks des § 216 abgewinnen lassen.

68 Mit dieser Formulierung ist auf den Titel einer Schrift Engischs in FS Dreher, S. 309 ff. angespielt: „Konflikte, Aporien und Paradoxien bei der rechtlichen Beurteilung der ärztlichen Sterbehilfe“, die – ähnlich der in der vorliegenden Untersuchung verfolgten Vorgehensweise – zunächst die „Aporetik“ (vgl. ebenda, Fn. 1) der sich in erheblichem Umfang mit den hier diskutierten Fragen überschneidenden Problemstellungen exponiert, um sie schließlich einer metaformalen Analyse zu unterziehen.

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B. Der Strafgrund des § 216

Der herauszuarbeitende Schutzzweck muß also zum einen, um den unter A. I. 1. beleuchteten Aspekt wieder aufzugreifen, den Anforderungen einer freiheitlichen Rechtsordnung genügen. Das heißt, die jeder strafrechtlichen Norm immanente Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Adressaten bedarf grundsätzlich der Legitimation. Bereits an dieser Stelle gilt es indes eine Besonderheit der Tötung auf Verlangen gegenüber anderen Straftatbeständen zu beachten. So kann das Interesse eines Rechtssubjekts, einem ihm gleichgeordneten Subjekt die Basis seiner Existenz zu entziehen – isoliert betrachtet – kaum ein nennenswertes normatives Gewicht besitzen; es dem Grundsatz nach unter die allgemeine Handlungsfreiheit zu subsumieren, bedeutet nicht mehr als ein leeres Wort. Hier wird also wohl nicht der Schwerpunkt einer Beantwortung der Frage nach der Legitimität der Norm des § 216 liegen. Viel entscheidender ist, daß dieses Verbot den Sterbewilligen als Reflex trifft, daß es seine Freiheit zu sterben69 jedenfalls in der Auswahl der Mittel beschränkt. Ist dies schon für sich grundsätzlich legitimationsbedürftig, so erst recht dadurch, daß sich jene dem Suizidenten zu Gebote stehenden Mittel aufgrund faktischer Gegebenheiten auf dieses eine – für den notwendig einzubeziehenden Dritten verbotene – reduzieren können und damit aus der Reglementierung des „Wie“ eine Entscheidung über das „Ob“ des suizidalen Projekts werden kann. Daß letzteres vor allem bei gelähmten oder von Krankheit entkräfteten Personen praktisch wird, und damit in als besonders tragisch empfundenen Fällen, wurde im Schrifttum häufig dargelegt und mag hier zunächst nur als Beleg dafür dienen, daß das Verbot des § 216 im Einzelfall für den betroffenen Sterbewilligen einen staatlichen Eingriff von ganz beträchtlichem Gewicht darstellen kann.70 Viel mehr muß ein sich in diesem Zusammenhang aufdrängendes axiomatisches Problem interessieren. Sieht man in § 216 eine individualschützende Norm, was durch die systematische Stellung innerhalb der Tötungsdelikte wie auch durch das soziale Vorverständnis des inkriminierten Verhaltens immerhin

69 Diese soll – da die Explikation ihrer genauen Konturen gerade erst Gegenstand der weiteren Untersuchung sein kann – zunächst im weitesten denkbaren Sinne verstanden werden, also als Element der Willkürfreiheit oder – verfassungsrechtlich gesprochen – der allgemeinen Handlungsfreiheit (bzw. als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts), nicht etwa im Sinne eines speziell ausgeprägten Grundrechts auf den „eigenen“ Tod. Es ist damit also vor allem noch nichts darüber gesagt, ob nicht die Selbsttötung bereits an und für sich ein illegitimes Handlungsprojekt darstellt. 70 Im weiteren Fortgang wird darauf zurückzukommen sein, daß in diesen Fällen das Interesse des Suizidenten sich nicht in dem negativen, tatbestandlich typisierten Nicht-mehr-leben-wollen erschöpft, sondern positiv der Wahrung eines rechtlich geschützten Gutes (regelmäßig: die körperliche Unversehrtheit in ihrer Ausprägung als Schmerzfreiheit) dient. Es liegt nahe, eine derartige Güterkollision nicht als Tatbestands- sondern als Rechtfertigungsfrage zu behandeln (auch das wird bestritten, vgl. nur Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 25 ff.), deshalb dürfte ihre unreflektierte Einbeziehung in die folgende Schutzzweckdebatte kaum zur Erhellung beitragen.

B. Der Strafgrund des § 216

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nahegelegt wird, so ist der geschützte Rechtsgutsträger im selben Zuge auch der durch das Verbot substantiell Beschwerte. Legt man einen solchen „individualistischen“ Interpretationsansatz zugrunde, verschieben sich also die Parameter der Legitimationsfrage gegenüber denjenigen „gewöhnlicher“ individualschützender Straftatbestände. Es geht danach nicht mehr wesentlich um die Rechtfertigung eines staatlichen Eingriffs in die Freiheit willkürlicher Verletzungen der Freiheitssphäre eines anderen zur Erhaltung des intersubjektiven status quo.71 Regelungsmaterie des § 216 ist dann vielmehr ein genuin intrapersonaler Güterkonflikt, dessen Auflösung in einer freiheitlichen Rechtsordnung grundsätzlich der Autonomie des Betroffenen, nicht staatlicher Normierung obliegt. Dieses prima facie freiheitswidrige „Hineinregieren in die inneren Angelegenheiten“ der Person durch § 216 wird mithin durch eine jede individualistisch ausgerichtete Schutzzweckkonzeption erklärt werden müssen. Postuliert man hingegen den Schutz eines Kollektivrechtsguts durch § 216, so wird darzulegen sein, wieso der einzelne in der Verfügung gerade über dasjenige Rechtsgut, das man im umfassendsten denkbaren Sinne ein „persönliches“ zu nennen pflegt, durch Staat oder Gesellschaft in die Pflicht genommen werden darf. Gelingt jenes Unternehmen der Interpretation des § 216 als einer an Freiheit orientierten Norm, so sind an den insoweit als legitim ausgewiesenen Ansatz die unter A. I. 2. angeschnittenen Fragen zu stellen. Das heißt, es ist der unmittelbare normative Kontext des § 216 unter dem Blickwinkel des entwickelten Schutzgedankens auf systematisch-teleologische Widerspruchsfreiheit zu untersuchen. Im Vordergrund wird dabei das erwähnte Spannungsverhältnis der Strafnorm des § 216 zur Straffreiheit des (versuchten) Suizids und der Suizidteilnahme stehen. Es gilt also neben der Begründung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen einen sachlichen Grund aufzuzeigen, warum jene letztgenannten Verhal71 Zumindest mißverständlich ist es daher, wenn Herzberg, JuS 1988, 771, 772, behauptet, die Ratio des § 216 bestehe evident in der Aufrechterhaltung des „Lebensschutzes“ bei gleichzeitiger Privilegierung des Tötungstäters wegen geminderten Unrechts. Die Rede vom Lebensschutz ist zwar vom allgemeinen Sprachverständnis noch gedeckt, soweit man darunter den Schutz eines Rechtsgutsobjekts um seiner selbst willen versteht, also insbesondere von seiner Einbindung in ein Rechtsverhältnis abstrahiert. Darum geht es im Strafrecht aber gerade nicht. Der strafrechtliche „Schutz“ bezieht sich nicht auf die Vermeidung der Dezimierung eines bestimmten Bestandes an Rechtsgutsobjekten, sondern um Verletzungen des personalen Anerkennungsverhältnisses durch ein sich Übergriffe in eine fremde Freiheitssphäre anmaßendes menschliches Verhalten. Der Nachweis, daß es sich bei einem dem § 216 unterfallenden Verhalten um ein solches handelt, obwohl das von Eingreifendem und Rechtsgutsinhaber verfolgte Handlungsprojekt von einer übereinstimmenden Willensrichtung getragen ist, muß also gerade noch erbracht werden. Vgl. dazu auch die zutreffenden Ausführungen Zaczyks, Strafrechtliches Unrecht, S. 20, insbesondere Fn. 109.

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B. Der Strafgrund des § 216

tensweisen legal sein sollen. Dabei geht es wohlgemerkt nicht darum zu fordern, daß die Straflosigkeit einer bestimmten Verhaltensweise positiv begründet wird. Einer Begründung bedarf in einer liberalen Rechtsordnung grundsätzlich das strafgesetzliche Verbot, nicht die Erlaubnis.72 Deshalb werden sich die entsprechenden Ausführungen damit begnügen dürfen (und müssen), ein normatives Gefälle zwischen jenen Sachverhalten nachzuweisen. Dabei läßt sich schon jetzt prognostizieren, daß dieser Nachweis für eine kollektivistisch konzipierte Interpretation des § 216 schwer zu führen sein wird. Liegt der Grund dafür, daß die konsentierte Tötung eines Menschen ein Unrechtsprojekt ist, außerhalb der Freiheitssphäre der dieses Projekt interagierend Betreibenden, wieso soll es dann für dessen rechtliche Qualifizierung als strafbares Unrecht einen Unterschied machen, ob die Verantwortung für das Gesamtprojekt dem Sterbewilligen oder einem Dritten zugeschrieben wird? In den folgenden Abschnitten sollen nun also die wesentlichen zur Begründung der Kriminalstrafe für die Tötung auf Verlangen formulierten Konzeptionen daraufhin untersucht werden, ob sie diesen Mindestanforderungen genügen können.

I. Die These von der Indisponibilität des Rechtsguts Leben Der dogmengeschichtlich wohl einflußreichste Erklärungsansatz für die vom Gesetz getroffene Regelung geht auf den historischen Gesetzgeber selbst73 zurück. Dieser äußert sich in den Motiven zum zweiten Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund74, der zur Reichstagsvorlage und später zum Gesetz wurde, wie folgt: „Aber das unbestrittene Sittengesetz: daß das Leben ein nicht veräußerliches Gut ist, läßt weder Straflosigkeit noch eine niedrig be72 Natürlich gilt dieser Grundsatz nicht ohne Ausnahme und findet seine Grenze spätestens in der Verletzung verfassungsrechtlich begründeter staatlicher Schutzpflichten. 73 Dazu, daß die Rede vom „historischen Gesetzgeber“ in diesem Zusammenhang – wie meist – (mindestens) stark vereinfachend ist, vgl. die umfassende Darstellung der Gesetzgebungsgeschichte bei Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 37 ff., und unten C. IV. 74 Schubert (Hrsg.), Quellen zum Strafgesetzbuch von 1870, S. 71. Soweit ersichtlich handelt es sich um die einzige positive Stellungnahme eines deutschen Strafgesetzgebers zum Strafgrund des § 216 (im Entwurf noch § 211). Daß die Kommission zu jener eine Veranlassung gesehen hat, verwundert im Hinblick darauf, daß eine Bestimmung über die Tötung auf Verlangen im 1. Entwurf von 1869 noch völlig fehlte, mithin also nach preußischem Vorbild (vgl. Hälschner, Preußisches Strafrecht, S. 70, 91) zunächst eine Bestrafung aus dem Totschlags- bzw. sogar Mordtatbestand vorgesehen war. Immerhin hielt selbst die Große Strafrechtskommission 1959 (Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 84) lediglich die Privilegierung, nicht aber die Strafwürdigkeit der Tötung auf Verlangen für begründungsbedürftig.

I. Die These von der Indisponibilität des Rechtsguts Leben

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messene Strafe75 zu.“ Jene Rede von der Unveräußerlichkeit des Lebens76 ist nun ihrerseits interpretations- und präzisionsbedürftig. Eine Klarstellung nimmt die Kommission selbst vor: Durch die Bezugnahme auf das Sittengesetz wird deutlich, daß die statuierte Unverfügbarkeit nicht positivistisch zu verstehen, also kein bloßer Verweis auf die gesetzlich getroffene Regelung sein soll. Es geht um eine dieser vorausliegende, materielle Indisponibilität. Diese läßt sich aber nun in zwei Weisen denken: Zum einen als absolute Indisponibilität, daß heißt als von intersubjektiven Handlungsmodi unabhängiges Verbot der (also auch: eigenhändigen/selbständigen) Selbstverfügung, zum anderen als Verbot der interagierenden Selbstverfügung in Form einer Handlungs-/Verantwortungsdelegation. Dem Verständnis des historischen Gesetzgebers dürfte die erstgenannte Interpretation entsprechen,77 stand dieses doch offenkundig in einer durch Säkularisierung noch weitgehend ungebrochenen, von christlichen Wertvorstellungen geprägten Tradition. In jener ist Ausgangspunkt der Bewertung der Tötung auf Verlangen die Unsittlichkeit der Selbstentleibung, die insoweit den Handlungstypus bildet. Die sittliche Mißbilligung wird dabei im Kern78 durch die Anmaßung des Individuums, ein von Gott geschenktes Leben als nicht lebenswert zurückzuweisen, konstituiert.79 Legt man diese Betrachtungsweise zugrunde, ist eine Übertragung der Ausführungshandlung für die grundlegende sittliche Bewertung indifferent; das Verbot ist absolut. Man könnte den so verstandenen Begründungsansatz des Gesetzgebers also als Dogma80 von der absoluten materiellen Indisponibilität des Lebens bezeichnen.

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Die angedrohte Strafe war damals noch Gefängnisstrafe nicht unter 3 Jahren. Es soll hier an dem – auch heute noch – allgemein üblichen Terminus der „Unveräußerlichkeit“ festgehalten werden, wenngleich Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 16, zu Recht darauf aufmerksam macht, daß die eigentlich aufzuwerfende Frage die nach der Verzichtbarkeit (aus selbstgesetzten Zwecken) ist (die Jakobs unter Verweis auf die Straflosigkeit des Suizids ohne weiteres bejaht; anders Schroeder, ZStW 106, 565, 574), nicht die nach der Veräußerlichkeit (zu fremden Zwecken). Daß die Verfügung eines Dritten über das Leben eines Menschen im letzteren Sinne nicht zu legitimieren ist, dürfte außer Streit stehen (problematisch ist hingegen die begriffliche Grenzziehung; mit Händen zu greifen wird dies gerade im Zusammenhang mit der Schutzzweckkonzeption Jakobs’, in deren Zentrum die Garantie der „eigenen Zweckverfolgung“ des über sein Leben Verfügenden steht, vgl. unten B. IV. 1.). 77 Anders Schroeder, S. 574. 78 Zwar läßt sich ebenso auf einen Verstoß gegen das fünfte Gebot abstellen, doch mutet dies eher formalistisch an und wäre zudem bei der eigenhändigen Selbsttötung grammatikalisch alles andere als eindeutig. 79 Vgl. auch Jakobs, FS Arthur Kaufmann, S. 468; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 104 f., insbesondere Fn. 138; ausführlich Beckert, Suizidbeteiligung und Sterbehilfe, S. 46 ff. 80 Der Begriff „Dogma“ erscheint hier angebrachter als „These/Theorie“, denn der Versuch einer dem rationalen Nachvollzug und theoretischen Disput zugänglichen Begründung wird vom Gesetzgeber nicht unternommen. 76

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B. Der Strafgrund des § 216

Nun bedarf es kaum noch der Erläuterung, daß eine ausschließlich religiös deduzierte Norm auf dem Boden eines Bekenntnisfreiheit garantierenden Grundgesetzes einer legitimen Basis entbehrt.81 Das bedeutet indes nicht, daß es nicht lohnen würde, religiös begründete Verhaltensregeln auf einen vernünftig-allgemeinverbindlichen Kern zu hinterfragen, daß es grundsätzlich ausgeschlossen wäre, die intuitiv gefühlte Pflicht auf eine rationale Grundlage zu stellen. Der Versuch, die gesetzgeberischen Motive auf diese Weise nachträglich zu legitimieren, „grundgesetzlich zu läutern“, wurde im Schrifttum82 mehrfach unternommen.83 Auf diese Bemühungen, die ihrem Selbstverständnis nach zwar nicht unbedingt Apologien der Auffassung des historischen Gesetzgebers sind, aber mit diesem das Axiom einer materiell-absoluten Indisponibilität des Rechtsguts Leben teilen, soll im folgenden eingegangen werden. 1. Die „Rechtspflicht zum Weiterleben“ Ein der ursprünglichen gesetzgeberischen Intention relativ fernstehender, da auf die Vermittlung über die Metaebene des Sittengesetzes verzichtender Begründungsansatz wurde von Schmidhäuser vorgetragen.84 Schmidhäuser erblickt den die Absolutheit der Verfügungssperre über das Rechtsgut Leben begründenden gemeinsamen Nenner von Selbsttötung und konsentierter Fremdtötung in einem Verstoß gegen eine „Rechtspflicht zum Weiterleben“.85 Damit ist seine Deutung des § 216 in der materiellen Grundlegung radikaler als die in den Mo81 Vgl. statt aller Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 51 f.; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 104 f. 82 Der Rechtsprechung stehen derartige Theoreme traditionell eher fern, immerhin verzichtet sie in neuerer Zeit auf die noch in BGHSt 6, 147, 153 anzutreffende unreflektiert-affirmative Berufung auf das Sittengesetz. 83 Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen einer solchen Vorgehensweise siehe unten C. IV. 84 Schmidhäuser, FS Welzel, S. 801 ff. 85 Ebenso Klinkenberg, JR 1978, 441 ff.; ähnlich Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 388: „Die Verletzung der Person ist (. . .) sozialschädlich, denn kein Interaktionssystem kann ohne Personen auskommen.“ Einen verwandten Gedanken hat Eser (in: Eser, Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, S. 392, 397) in die Diskussion eingeführt: In der „Tabuisierung des Lebens“ liege „nicht nur ein Schutz vor individueller Einzelvernichtung, sondern auch die Abwehr tendenzieller Selbstaufgabe der Gesellschaft“ (allerdings soll damit nur ein Abwägungsfaktor minderen Ranges benannt sein; gleichwohl kritisch dazu Murmann, Selbstverantwortung, S. 522 f.). In jüngerer Zeit anerkennt auch Weigend, ZStW 98, 44, 62 ff. eine „Rechtspflicht zum Weiterleben“, bleibt dabei jedoch merkwürdig zurückhaltend und verzichtet im Grunde auf eine positive Begründung, wenn er (ebenda, Fn. 69) geltend macht, die §§ 216, 226a (a. F.) „wären aber ohne die Annahme einer solchen Pflicht nicht sinnvoll erklärbar, es sei denn, man läßt de lege lata die bloße Moralwidrigkeit der einverständlichen Körperverletzung (und dann wohl auch der Tötung auf Verlangen?) als Begründung der Strafbarkeit ausreichen (. . .).“ (Hervorhebung im Original).

I. Die These von der Indisponibilität des Rechtsguts Leben

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tiven des Gesetzgebers gegebene. Geht dieser zunächst nur von einer Unsittlichkeit der Selbstverfügung aus und deduziert aus jener eine Strafrechtswidrigkeit lediglich in den Fällen, in denen ein anderer als der Sterbewillige die Verantwortung für das Projekt trägt,86 so postuliert Schmidhäuser ein genuin rechtliches Verbotensein jeglicher Form der Verfügung über das (auch: eigene) Leben. Dogmatisch unumgängliche Folge einer solchen Konzeption ist eine Erweiterung des tradierten Anwendungsbereiches des § 212 um die Fälle des (versuchten) Suizids. Schmidhäuser zieht diese Konsequenz in der Tat und nutzt dabei die grammatikalische Offenheit des vom Gesetzgeber formulierten Tötungsverbots. Ist z. B. in § 223 von der körperlichen Mißhandlung oder Gesundheitsbeschädigung einer anderen Person die Rede und ist damit die Tatbestandsmäßigkeit der Selbstverletzung vom Wortlaut eindeutig ausgeschlossen, so spricht § 212 neutral von der Tötung eines Menschen. Man wird deshalb zugestehen müssen, daß die Interpretation des § 212 im Sinne einer Strafbarkeit des (versuchten) Suizids nicht bereits sprachlich ausgeschlossen ist.87 Neben den bereits erwähnten historischen Bedenken,88 sieht sich jene Deutung des allgemeinen Tötungsverbots jedoch durchschlagenden systematischen und teleologischen Einwänden ausgesetzt. Sehr naheliegend ist die systematische Frage, wieso Suizid(-versuch oder -beteiligung) aus dem Grundtatbestand des § 212, die jedenfalls nicht weniger schwerwiegende Tötung auf Verlangen jedoch aus dem privilegierten Tatbestand des § 216 bestraft werden soll. Die Notlösung einer Bestrafung der „ausdrücklich und ernstlich verlangten“ Teilnahme am Suizid nur aus dem Strafrahmen des § 216 kommt, wie Schmidhäuser selbst sieht, schon aus faktischen Gründen allenfalls für den Gehilfen in Betracht. Schließlich ist nicht sinnvoll denkbar, daß der (spätere) Suizident vom Anstifter „ausdrücklich und ernstlich verlangt“, dieser möge doch bitte den Suizidentschluß in ihm hervorrufen. Damit verwirklicht, legt man Schmidhäusers Ansatz zugrunde, der Anstifter eines freiverantwortlichen Suizids den Unrechtstypus einer Anstiftung zum Totschlag, also ein 86 Schmidhäuser, S. 815, behauptet allerdings, der historische Gesetzgeber hätte den Suizid (ebenso wie er selbst) im Unrecht des § 212 vertypt gesehen. Wenn er jedoch im selben Zuge konzediert, daß diese Interpretation eine „Abkehr von der traditionellen Sicht bedeutet“, drängt sich die Frage auf, wieso gerade der Gesetzgeber diese traditionelle Sicht nicht gehabt haben soll – einen Beleg oder auch nur ein Indiz dafür bleibt Schmidhäuser schuldig. 87 Noch weitergehend Hoerster, NJW 1986, 1786, 1788, der behauptet, der Wortlaut der §§ 212, 211 bringe eindeutig die Strafbarkeit des Suizids zum Ausdruck. 88 Es sei angefügt, daß gerade auch der nachkonstitutionelle Gesetzgeber jener „traditionellen Sicht“ von § 212 als Fremdverletzungsdelikt angehangen hat. Anders ist insbesondere die von Schmidhäuser selbst angeführte Diskussion der Großen Strafrechtskommission im Jahre 1958 (Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 87 ff.) über eine eigenständige Strafvorschrift für die Suizidteilnahme, die erklärtermaßen strafbegründenden Charakter haben sollte, nicht zu interpretieren.

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im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von 5 Jahren bedrohtes Verbrechen, während derjenige, der die Tötung eines Sterbewilligen eigenhändig ausführt, nur wegen eines Vergehens nach § 216 zur Rechenschaft gezogen werden kann. Zwar mag sich „eine für das Rechtsgefühl der Gegenwart unangemessen harte Bestrafung“ dadurch verhindern lassen, daß „ohne große Schwierigkeit mildernde Umstände i. S. des § 213 StGB angenommen werden können“89, an der Inkonsistenz des Konzepts, bezogen auf die Systematik der Unrechtstypen, ändert das jedoch nichts.90 Dieses Versagen in den Fällen der Anstiftung zum Suizid entzieht einer auf der Analogie zu § 216 basierenden Rechtsfolgenlösung auch in den verbliebenen Konstellationen, namentlich also denen der durch den Suizidenten erbetenen Hilfeleistung, den (theoretischen) Boden. Schließlich kann man nicht die Augen davor verschließen, daß der Umstand, daß ein bedeutender – und: abstrakt zu typisierender! – Bereich der Teilnahme aus tatsächlichen Gründen von der privilegierenden Analogie ausgeklammert bleiben muß, nicht der Willkür einer komplexen Lebenswirklichkeit, die sich in Randbereichen der normativen Kategorialisierung widersetzt, geschuldet ist, sondern auf ein axiomatisches Defizit hinweist. Dieses ist leicht auszumachen: Der § 216 ist nicht nur seinem eindeutigen Wortlaut nach ausschließlich für die Fälle täterschaftlicher Tötung konzipiert, er ist offenbar auch in seiner sachlichen Leistungskraft auf deren Regelung limitiert. Mit anderen Worten ist § 216 für die Fälle der Suizidteilnahme generell nicht analogiefähig. Es bleibt also dabei: Das System der Rechtsfolgen der §§ 212, (211,) 216 ist mit einer Strafbarkeit der Suizidteilnahme nicht in Einklang zu bringen. Reicht dies bereits zur systematischen Widerlegung der These Schmidhäusers hin, so ist doch darauf hinzuweisen, daß auch die Frage nach der Strafbarkeit des Suizidenten selbst (selbstverständlich nur im Falle des Versuchs) kaum lösbare Probleme aufwirft. So läßt sich die von Schmidhäuser selbst propagierte Straffreistellung des Sterbewilligen durch einen außergesetzlichen gewohnheitsrechtlichen Entschuldigungsgrund nicht ohne weiteres in die Systematik der Entschuldigungsgründe einpassen.91 Hinsichtlich dieser Problematik sei auf die erschöpfende Auseinandersetzung Roxins verwiesen.92 89

Schmidhäuser, S. 820. Zugegebenermaßen kann dieses Argument nur uneingeschränkt gelten, wenn man in § 216 einen eigenen Unrechtstypus und nicht etwa lediglich die Typisierung einer schuldmindernden Konfliktlage (so noch Wessels, BT I, Rn. 144; wohl ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 2 Rn. 62) sieht. Von der unten (C. III. 2.) noch darzulegenden Zweifelhaftigkeit letztgenannter Auffassung abgesehen, würde sie nur zu einer Verschiebung, nicht jedoch zu einer Auflösung des systematischen Widerspruchs führen – ist doch selbst der nach § 213 gemilderte Strafrahmen (die Tat bleibt ein Verbrechen!) signifikant höher als der des § 216. 91 Zudem ist es wiederum aus historischer Perspektive schwerlich plausibel, von „Gewohnheitsrecht“ zu sprechen, wenn für den postulierten Entschuldigungsgrund – 90

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Das bedenklichste Element des Ansatzes Schmidhäusers liegt indes bereits in seiner teleologischen Prämisse. Es ist mehrfach im Schrifttum darauf hingewiesen worden, daß eine Rechtspflicht des Individuums, sich zum Nutzen der Gemeinschaft am Leben zu erhalten auf der Basis eines freiheitlichen Rechtsverständnisses schlechthin nicht begründbar ist.93 Das auf diese Weise statuierte Primat des Interesses an der Erhaltung des Kollektivs vor demjenigen an der Existenz der dieses Kollektiv konstituierenden Individuen ist schon logisch nicht plausibel. Begründbar wäre es allein unter der Prämisse, daß der Gemeinschaft eine absolute Werthaftigkeit zukomme, die dem Individuum fehlt. Woraus diese folgen soll, bleibt bei Schmidhäuser indes unklar. Bereits Maatsch hat zutreffend darauf hingewiesen, daß es nicht ohne weiteres einleuchtet, daß die Summe mehrerer relativ werthafter Entitäten von der Rechtsordnung einen absoluten Wert zugewiesen bekommen soll.94 Doch abgesehen von derartigen, durchaus nicht unbedeutenden, eher formalabstrakten Einwänden gegen das von Schmidhäuser eingeführte Telos des § 212, drängt sich ein materieller Kritikpunkt auf. Die eigentlich mit der Umformulierung des Unrechtstypus verfolgte Intention einer Extension des Tatbestandes (eben auf die Fälle des Suizids) hat eine Kehrseite: Die Beschränkung des Schutzzwecks des § 212 auf die Gewährleistung einer „Rechtspflicht zum Weiterleben“ zeitigt (sicher ungewollte) Konsequenzen bei der Behandlung der für § 212 an sich paradigmatischen Fälle angemaßter Fremdtötung. Denn jener Schutzzweck verhält sich zu der jeweiligen Stellungnahme des Rechtsgutsträgers zu dem Tötungsprojekt völlig indifferent. Das bedeutet, die bisher (zu Recht) weitgehend aufrechterhaltene Inkriminierung heteronom veranlaßter Dispositionen über das Leben ist aus dem Schutzzweckgedanken nicht mehr ohne weiteres begründbar. Was ist, wenn die Gemeinschaft am Weiterleben eines ihrer Gemeinschaftsglieder kein Interesse hat, weil dieses z. B. zu keiner dem Ge-

wegen der nach ungebrochen tradierter Ansicht in Rechtssetzung und -anwendung fehlenden Tatbestandsmäßigkeit des zu exkulpierenden Verhaltens – in der Rechtspraxis ein Bedürfnis weder besteht noch je bestand. 92 Roxin, FS Dreher, S. 331, 340 ff.; vgl. auch die Kritik Bringewats in ZStW 87, 623, 643. 93 Am prägnantesten wohl mit Arthur Kaufmanns oft zitiertem Satz: „Gewiß, der einzelne ist der Gemeinschaft verpflichtet, aber nur solange er lebt; er ist der Gemeinschaft indessen nicht verpflichtet zu leben.“ (MedR 1983, 121, 124). Pointiert und sachlich weitergehend (da den Sterbewilligen nicht nur rechtlich, auch sittlich entlastend) Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 10: „Wer nicht zum Essen erscheint, verletzt nicht schon dadurch die Tischsitten.“ Treffend auch der allgemeinere Hinweis von Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 115, auf die ursprüngliche Fassung des Art. 1 I GG im Herrenchiemseer Verfassungsentwurf: Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen. 94 Maatsch, Selbstverfügung, S. 44; ähnlich Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 178 und Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 184.

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meinwohl dienenden Leistung mehr imstande ist, was, wenn die Gemeinschaft gar am Nicht-Weiterleben eines ihrer Mitglieder ein Interesse hat, etwa weil dieses durch Pflegebedarf einen unverhältnismäßigen Kostenaufwand verursacht oder weil es nicht imstande ist, seine kriminellen Neigungen zurückzudrängen?95 Daß das Tötungsverbot auch und gerade in diesen Fällen aufrechtzuerhalten ist, erscheint als gesellschaftspolitische 96 und verfassungsrechtliche97 Selbstverständlichkeit, dieses Ergebnis strafrechtsdogmatisch zu begründen, ist indes vom Ansatz Schmidhäusers aus nicht möglich. Damit bleibt festzuhalten: Der Versuch einer Erklärung des Verbots der konsentierten Tötung über die Fundierung des allgemeinen Tötungsverbots in Kollektivinteressen muß als gescheitert betrachtet werden.98 2. Die Selbstverfügung als intrapersonaler Pflichtverstoß Ein weiterer Ansatz, der sich zur Erklärung der Schutzrichtung des § 216 des Postulats einer absoluten, materiellen Indisponibiliät des menschlichen Lebens bedient, wurde von Köhler99 vorgestellt und von Maatsch100 weiter entfaltet bzw. teilweise modifiziert. Die Deutung der Norm durch beide Autoren lehnt sich – obgleich nicht erklärtermaßen historisierend – in ihren grundlegenden gedanklichen Schritten an den Begründungsgang des historischen Gesetzgebers an und läßt sich damit – anders als der eben referierte Entwurf Schmidhäusers – durchaus als der oben 95 Ähnliche Fragen werfen auch schon Brändel, ZRP 1985, 85, 88, und Maatsch, S. 44 f., auf. 96 Gedacht ist hier nicht zuletzt an die aus der jüngeren deutschen Geschichte erwachsende Verantwortung; nicht zu Unrecht spricht Arthur Kaufmann in seiner Kritik an Schmidhäusers These von einem „bedenklichen Kollektivismus bekannter Provenienz“. 97 Anderenfalls würde der Staat seine aus Art. 2 II 2 und auch Art. 1 I 2 GG folgende Schutzpflicht verletzen; vgl. zu den verfassungsrechtlichen Implikationen auch Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 206 ff. 98 Dies entspricht im Ergebnis der nahezu einhelligen Ansicht im Schrifttum; um so mehr muß es erstaunen, daß der BGH keinerlei Widerspruch geerntet hat, als er in einer jüngeren Entscheidung (BGHSt 49, 166, 173) – zwar im Kontext des § 228, jedoch unter ausdrücklichem Bezug auf § 216 – offenbar eine Renaissance einer solchen kollektivistischen Deutung eingeläutet hat. Dort wird es als eine aus § 216 abzuleitende – und gleichermaßen für § 228 Gültigkeit beanspruchende – gesetzliche Wertung angesehen, daß „das Gesetz ein soziales Interesse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den Willen des Betroffenen verfolgt“. Es werde „im Allgemeininteresse (. . .) die Möglichkeit, existentielle Verfügungen über das Rechtsgut der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder des eigenen Lebens zu treffen, begrenzt.“ (vgl. auch die durchweg wohlwollenden Urteilsbesprechungen von Hirsch, JR 2004, 475 ff.; Arzt, JZ 2005, 103 f. und Stree, NStZ 2005, 40 f.). 99 Köhler, ZStW 104, 3 ff., insbesondere 16 ff. 100 Maatsch, Selbstverfügung, insbesondere S. 57 ff.

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angedeutete Versuch eines rationalen Nachvollzugs der Begründung eines ursprünglich religiös motivierten Verbots interpretieren. Diese Verwandtschaft mit der gesetzgeberischen Interpretation ist bedingt durch eine wichtige strukturelle Gemeinsamkeit beider Ansätze: daß die jeweils vorpositiv gesetzte Legitimation der Tötung auf Verlangen eine genuin sittliche ist.101 Konnte der Gesetzgeber des Norddeutschen Bundes sich dabei noch auf die Plausibilität des Postulats der Unsittlichkeit der Selbsttötung auf dem Boden eines breiten gesellschaftlichen Konsens stützen,102 versuchen Köhler und Maatsch eine Deduktion aus der vernunftgegründeten Philosophie Kants. Ausgangspunkt des Begründungsgangs ist damit die Frage, ob eine pragmatisch-autonome Maxime der Selbsttötung gegen den kategorischen Imperativ verstößt.103 Zu fragen ist also, ob jene Selbsttötungsmaxime zum allgemeinen Gesetz für das Handeln eines jeden Subjekts taugt. Von ebenso großer Bedeutung wie das Ergebnis des Sittlichkeitstests (selbstverständlich nur, falls dieser negativ ausgehen sollte) ist die exakte Herausarbeitung des für die sittliche Bewertung der Maxime maßgeblichen Gesichtspunktes, wird dieser doch im weiteren darauf zu befragen sein, ob er die Transformation des Verbots von der Moralität in die Legalität zu tragen imstande ist. Eine Beantwortung beider Fragen setzt zunächst eine Konkretisierung des Inhalts der Handlungsmaxime, die soeben allgemein als „Selbsttötungsmaxime“ beschrieben wurde, voraus. Für deren Fassung wird durch die Anbindung der Fragestellung an die Materie des Rechts – und damit dem Erfordernis der Eignung der Maxime zu einer quasi-tatbestandlichen Typisierung – vorgezeichnet, daß bei der Formulierung von situativen oder motivationsbezogenen Besonder101 Im Unterschied zum Ansatz Schmidhäusers, der zwar (S. 817) die Kompatibilität seiner These zum Kantischen kategorischen Imperativ behauptet, diesen Befund jedoch lediglich zur ethischen Absicherung seiner bereits im Vorfeld postulierten These von einer Rechtspflicht zum Weiterleben verwendet. Es sei hinzugefügt, daß jene Behauptung Schmidhäusers sachlich falsch ist. Wie er selbst konzediert, wird dem kategorischen Imperativ dabei „freilich (. . .) der Wert einer Fortexistenz der Menschheit“ zugrundegelegt. Das bedeutet indes nichts anderes, als daß der kategorische Imperativ in Relation zu einem bereits vorausgesetzten Wert steht und damit kein kategorischer, sondern nur mehr ein relativer Imperativ sein kann. Mit anderen Worten: Der kategorische Imperativ könnte mit einer gemeinschaftsgegründeten Rechtspflicht zum Weiterleben nur um den Preis der Aufgabe seines (im Sinne der Kantischen Terminologie) analytischen Charakters in Einklang gebracht werden. 102 BGHSt 6, 147, 153 sieht in dieser Hinsicht selbst ein Dreivierteljahrhundert später noch keinen Anlaß zu einer substantiellen Begründung. 103 Sehr ausführlich bei Maatsch, S. 128 ff. Zuvor (S. 58–128) begründet Maatsch – eingehend die Kantische Ableitung nachvollziehend – die Eignung des kategorischen Imperativs als allgemeines Sittengesetz. Eine Auseinandersetzung damit würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen; die sittliche Geltung des kategorischen Imperativs wird im folgenden ebenso unterstellt, wie dessen kritisches Potential bei der Überprüfung des positiven Rechts unter dem Gesichtspunkt vorpositiver materieller Richtigkeit.

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heiten weitmöglich zu abstrahieren ist; zugrunde zu legen ist die allgemeinste denkbare Maxime: „Ich werde mich töten, sobald ein (für mich) zureichender Grund hierfür eingetreten ist.“104 Jene Maxime wäre a priori nicht gesetzestauglich, wenn sie bereits in sich widersprüchlich wäre, wenn sie also nicht einmal als Maxime taugen würde. Da die Selbsttötungsmaxime ihrem Inhalt nach logisch nicht inkonsistent ist,105 kommt dies ernsthaft nur in Betracht, wenn sie als „objektiver“, also insbesondere (für das Subjekt) zeitlich unbeschränkt geltender Grundsatz nicht denkbar ist.106 Immerhin ist aufgrund des notwendig singulären Charakters der erfolgsmächtigen suizidalen Handlung eine Fortexistenz der Maxime über diese Handlung hinaus nicht denkbar. Eine Möglichkeit des Fortbestehens der Maxime über den konkreten Anwendungsfall hinaus ist indes für deren objektive Geltung nicht zu fordern, entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit des (inneren) Habens der Maxime für einen unbestimmten Zeitraum, unabhängig vom (äußeren) Eintritt ihrer Realisierungsbedingungen.107 Eine andere Sichtweise hätte die seltsame Konsequenz, daß beispielsweise das Handeln eines Sterbenden, der (irgend-)eine durch eine (lebenslang innegehabte) Maxime bestimmte Handlung in dem Bewußtsein vollzieht, daß er sie zum letzten Male vornimmt, sich nicht mehr als maximengeleitet qualifizieren ließe.108 Etwas näherliegend ist die mit der gerade diskutierten Ansicht eng verwandte Argumentationsweise, die Suizidmaxime sei zwar nicht in sich, jedoch im Verhältnis zu der sie vollziehenden Handlung inkonsistent. So meint Klesczewski, die suizidale Handlung postuliere einen praktischen Grundsatz, der „die Erhaltung des Lebens zu einem unmöglichen Handlungsziel“ erkläre und der damit der Vornahme der Handlung selbst widerspreche, da diese Handlungsvermögen und damit das Leben des handelnden Subjekts voraussetze.109 Jene Scheinparadoxie der zur Lebensvernichtung vorausgesetzten Lebenserhaltung läßt sich indes durch sachgerechte Interpretation der zugrundeliegenden Maxime auflösen. Einen Widerspruch zum Erfordernis einer den suizidalen Erfolg herbeiführenden Handlung würde schließlich nur eine Maxime postulieren, die das durch sie anvisierte Ziel als absolut werthaften Zustand setzt (eine solche Interpretation 104 So auch die von Maatsch, S. 135, (abweichend von der Kantischen Untersuchung in Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 422, die – zumindest formal – auf die Motivation durch Lebensüberdruß beschränkt ist) schließlich zugrundegelegte Maximenfassung. 105 Vgl. dazu die ausführlichere Darstellung bei Maatsch, S. 169 ff. 106 Dies vertritt König, Autonomie und Autokratie, S. 112. 107 So zutreffend Maatsch, S. 172 ff. 108 Ebenso Murmann, Selbstverantwortung, S. 188, der ausführt, daß ein Vernunftgebrauch, der sich selbst als finaler Vernunftgebrauch weiß, deshalb nicht widersprüchlich, sondern eben nur nicht wiederholbar ist. 109 Klesczewski, ARSP-Bh. 66, S. 77, 81.

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scheint Klesczewski auch im Auge zu haben). Dies übersieht aber, daß Gegenstand der Vergesetzlichung bei der Anwendung des kategorischen Imperativs nicht das Ziel der Handlung (in der strafrechtlichen Terminologie: der Erfolg) ist, sondern die unter bestimmten Voraussetzungen (strafrechtlich würde man von Tatbestandsvoraussetzungen sprechen) durch das Subjekt an sich selbst gerichtete Handlungsaufforderung.110 So wäre es offensichtlich wenig sinnvoll, eine Totschlagshandlung deshalb als selbstwidersprüchlich zu qualifizieren, weil sie eine Maxime postuliere, nach der das Leben des Opfers nicht (unter keinen Umständen) sein soll, eine Handlung jedoch, um das Prädikat „Totschlagshandlung“ zu erlangen, ein lebendes Opfer voraussetzt.111 Ist damit die Selbsttötungsmaxime nicht formal zu disqualifizieren, so fragt sich, ob sie dem Maßstab eines materiell-ethisch richtigen, also über die reine Willkür hinausgehenden „Wollens“ gerecht zu werden vermag. Dies ist nach dem kategorischen Imperativ dann nicht der Fall, wenn sie nicht mit einem oder mehreren anderen durch das zweckstiftende Subjekt verfolgten Handlungszwekken in einer Einheit bestehen kann. Nach Kant liegt ein solcher Konflikt immer schon vor, wenn eine Handlungsmaxime, als Gesetz gedacht, die Bedingungen der Möglichkeit künftigen Wollens vereitelt,112 also in einer Konstellation, für welche die hier thematisierte Suizidsituation geradezu idealtypisch ist. Dagegen stellt Maatsch richtig fest, daß ein Verstoß gegen den kategorischen Imperativ in der hier bislang eingeführten Form durch die Selbsttötungsmaxime nicht zu konstatieren ist, schließlich richtet sich die Selbsttötungsmaxime gerade nicht gegen Existenzbedingungen des Subjekts als vernünftiges endliches Wesen (solange dieses als solches existiert). Die Selbsttötung verstößt demnach zunächst lediglich gegen einen hypothetischen Imperativ der Gestalt: „Wenn Du weitere Zwecke verfolgen willst, so töte Dich nicht!“ Nun wird jedoch dem kategorischen Imperativ allgemein (und auch wiederum bereits auf Kant zurückgehend)113 eine über die hier bisher verwendete sog. „Naturgesetzformel“ hinausgehende Bedeutung beigemessen. Diese Erweiterung ist ihm insofern begriffsimmanent, als der kategorische Imperativ als praktisches Prinzip der Umsetzung durch ein Subjekt in dessen zwecksetzender und -verfolgender Praxis bedarf, schließlich gibt es kein „reines Wollen“ losge-

110 So auch – in weit ausführlicherer Darstellung – Maatsch, S. 176 ff., insbesondere S. 178. Vgl. weitergehend auf S. 179 f. die Auseinandersetzung mit der – hier nicht weiter zu verfolgenden – Frage, ob dieser Interpretation nicht ein unterbestimmter – den Erfolg ausklammernder – Handlungsbegriff zugrunde liegt (mit zutreffender Begründung verneint). 111 Klesczewski scheint dies anders zu sehen, leitet er doch die Unsittlichkeit der Fremdtötung im Wege eines Erst-recht-Schlusses aus der in der eben dargestellten Weise hergeleiteten Unsittlichkeit der Selbsttötung ab. 112 Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 422 f. 113 Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 427 ff.

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löst vom willensbegabten Subjekt und dessen handelnder Praxis. Das durch den kategorischen Imperativ repräsentierte Unbedingte vermag also erst in der Gestalt eines Zwecks zum Inhalt des Willens zu werden. Es liegt dann die Frage auf der Hand, ob nicht der kategorische Imperativ durch seine Verbindung mit einem Zweck – also einem Gegenstand der Willkür – zu einem bloß hypothetischen Imperativ wird. In der Tat läßt sich diese Konsequenz nur durch das Postulat eines das formale moralische Prinzip ausfüllenden absoluten Zwecks, eines bedingungslos zu Wollenden vermeiden. Unterstellt man die Möglichkeit eines solchen absoluten Zwecks,114 so kommt als dessen Gegenstand nur eines in Betracht: Das Subjekt des potentiell reinen Willens selbst, also das vernünftige, unter moralischen Gesetzen stehende (menschliche) Wesen. Daraus ergibt sich, daß der kategorische Imperativ um ein materiales Element zu ergänzen ist, d. i., daß das sittlich handelnde Subjekt, welchen (nach formalen Kriterien) vernünftigen Zweck es auch immer will, stets zunächst sich selbst wollen muß (sog. Selbstzweckformel).115 Es ist nun nicht vordergründig unplausibel anzunehmen, daß die Selbsttötungsmaxime vor dem so formulierten kategorischen Imperativ keinen Bestand haben kann, bedeutet eine Selbsttötung doch, den Sitz der Vernunft, das Subjekt, zu zerstören und damit ein vernünftiges Wollen konstitutionell unmöglich zu machen.116 Die Richtigkeit dieser für den kritisierten Ansatz unabdingbaren Prämisse soll hier unterstellt werden. 114 Diese ist vielfach in Frage gestellt worden und in der Tat scheint hier schon begrifflich eine contradictio in adjecto vorzuliegen. So formulierte bereits Schopenhauer (Preisschrift über die Grundlage der Moral, §§ 5, 8) in Auseinandersetzung mit der Kantischen Deduktion pointiert, der Gedanke eines absoluten Zwecks sei ebenso absurd wie der Begriff eines absoluten Onkels. Jene moralphilosophische Grundfrage muß für die vorliegende (strafrechtsdogmatische) Untersuchung keiner abschließenden Klärung zugeführt werden, es soll vielmehr im Einklang mit dem Ausgangspunkt des referierten und im folgenden zu kritisierenden Ansatzes der kategorische Imperativ als absolutes sittliches Prinzip behandelt werden. Es ist deshalb hier nur festzustellen, daß, wenn der kategorische Imperativ gelten soll, er nur in einer die Selbstzweckformel integrierenden Form gelten kann, diese mithin auf die in sittlicher Hinsicht zu verifizierende Selbsttötungsmaxime anzuwenden ist. 115 Vgl. auch die Ableitung bei Maatsch, S. 189 ff., die (auf S. 192) in der treffenden schlagwortartigen Formulierung: „Der vernünftige Wille begehrt sich selbst (. . .).“ gipfelt. 116 So Maatsch, S. 193 ff.; ebenso der Ausgangspunkt Köhlers, S. 18 f., der die totale Selbstverfügung als selbstwidersprüchliche Negierung substantieller Daseinsbedingungen pragmatisch freier Subjektivität begreift. Vgl. aber auch die Kritik Jakobs’, GA 2003, 65, der meint, zwar entspreche Maatschs Deutung, daß „sämtliche Bedingungen (. . .) der Praxis der je eigenen Vernunft“ absolut zu wollen seien, der Interpretation Kants. Näher liege es indes, nur das Vernunftwesen selbst (also nicht dessen empirisches Substrat, den real vorhandenen Menschen) als unbedingt zu wollenden Zweck einzuführen: „Aber, so drängt sich auf, wieso verfügt in jedem Fall über das Sittengesetz, wer die empirischen Bedingungen seiner Existenz aufhebt? Daß eine Existenz als vernünftige zu führen ist, heißt doch nicht zwingend, sie müsse immer und

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Ausgehend von diesem Befund meint Köhler, bereits zur materiellen Begründung des Verbots des § 216 schreiten zu können: „Aus diesem Grunde ist das Menschenrecht freier Personalität unveräußerlich, zunächst in der ethischen Selbstbeziehung, sodann mit rechtlicher Konsequenz für das Verhältnis zu anderen.“117 Auf welche Weise die Transformation vom Sittenverstoß zur „rechtlichen Konsequenz für das Verhältnis zu anderen“ vollzogen werden soll, bleibt dabei freilich zunächst offen. Der Verweis Köhlers auf das positive Recht (§§ 216, 226 a. F. und das Verfassungsrecht) kann dabei vor dem Hintergrund des Anspruchs, eine vorpositive Legitimation auf der Basis eines materiellen Unrechtstypus aufzuzeigen, jedenfalls kaum überzeugen. Köhler nähert sich diesem Problem im weiteren Fortgang seiner Darlegungen auf eine gleichsam negative Weise, indem er das (zunächst in der geschilderten Weise vorausgesetzte) Unrecht der täterschaftlich bewirkten, einverständlichen Fremdtötung in ein Verhältnis zur lediglich selbstbezogen über das eigene Leben verfügenden Handlung und zur bloßen Mitwirkung an einer solchen selbstbezogenen Handlung setzt. Denn ließe sich materiell begründen, daß eine der beiden letztgenannten Verhaltensweisen ein Unrecht verwirklicht, wäre es in der Tat plausibel (wenn auch nicht logisch zwingend)118, daraus zu schließen, daß auch die Tötung auf Verlangen eine im Kern verwandte Unrechtsstruktur aufweisen müsse. Eine solche Untersuchung setzt, jedenfalls prima facie, die (bisher unterbliebene) Klärung des Rechtscharakters der – ohne Beteiligung Dritter vorgenommenen – Suizidhandlung voraus. Köhler zieht die Möglichkeit einer Transformation des festgestellten Sittenverstoßes in einen Verstoß gegen eine selbstbezogene Rechtspflicht zwar ausdrücklich in Erwägung, meint jedoch, nicht abschließend zu dieser Frage Stellung nehmen zu müssen. Wie er überzeugend

ausnahmslos auch geführt werden.“ Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die in die gleiche Richtung gehenden früheren Ausführungen Jakobs’ in Tötung auf Verlangen, S. 10 f., die in der Feststellung gipfeln, sowohl Kant als auch Hegel schlössen „aus einem äußeren Zusammenhang – kein Subjekt, keine Person ohne Leib – auf den Inhalt eines Begriffs oder einer Idee“. Ähnlich die Kritik Murmanns, Selbstverantwortung, S. 183 f., der ebenfalls schon keinen Verstoß der Selbsttötungsmaxime gegen den Tugendimperativ sieht, denn als Selbstzweck sei nicht der empirische Mensch, sondern die Menschheit in ihm, mithin das Vernünftige, zu achten; danach könne nicht ein bloßer Zweck des Menschen zu existieren gemeint sein (diametral entgegengesetzt die Kant-Interpretation von Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41, 45: „Zweck des Menschen ist es zu existieren.“). 117 Köhler, S. 20. 118 Es wäre für sich wiederum begründungsbedürftig, hier mit einem formalen argumentum a maiore ad minus arbeiten zu wollen. Köhler bewegt sich in seiner Schlußfolgerung auf S. 25 immerhin konsequent auf dem Boden des von ihm entwickelten Verständnisses von Beteiligung (dazu sogleich), wenn er formuliert: „Das Beihilfe-Unrecht unterscheidet sich nicht grundsätzlich von demjenigen der täterschaftlichen Tötung auf ernstliches Verlangen (§ 216 StGB).“

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ausführt, könne ein Pflichtverstoß im reinen Selbstverhältnis – auch soweit man ihn als Rechtsverletzung qualifiziert –, jedenfalls kein Strafunrecht darstellen, da er das äußere, rechtliche Freiheitsverhältnis mit anderen Subjekten nicht antastet.119 Angreifbar wird diese Unentschiedenheit jedoch bei Köhlers Behandlung der (nicht täterschaftlichen) 120 Mitwirkung an einer gegen die Selbstzweckformel verstoßenden Selbstverfügung. Hier ist offenbar der einer strafrechtlichen Reglementierung unzugängliche Bereich rein intrapersonaler Güterdisposition verlassen; eine materielle Typisierung der Handlung des mitwirkenden Dritten im Hinblick auf ein eventuell vorhandenes Unrecht mithin unumgänglich. Da jenes durch den mitwirkenden Dritten begangene Unrecht allenfalls Beteiligungsunrecht sein kann, hängt die Frage nach dessen Vorliegen und Qualität maßgeblich von der (im vorliegenden Zusammenhang selbstredend: vorpositiven) Qualität der Haupttat ab. Doch auch hier vermeidet Köhler eine Stellungnahme hinsichtlich des rechtlichen Charakters der Handlung des Suizidenten121 indem er apodiktisch definiert: „Unrecht ist (. . .) die Negation anderer rechtlich-äußerer Freiheit (Fremdverletzung), auch dadurch, daß in bestimmter Weise zu unvernünftig-freiheitswidrigem Selbstverletzungsverhalten eines anderen mitgewirkt wird.“122 Legt man dies zugrunde, ist es in der Tat konsequent, die Mitwirkung am Suizid allein auf der Basis der festgestellten Inkompatibilität der Suizidmaxime mit der Selbstzweckformel als Unrecht anzusehen. Es drängt sich indes die Frage geradezu auf, in welcher Weise die im letzten Teil der Definition aufgestellte Behauptung aus dem im ersten Definitionsteil gegebenen Axiom folgen soll, stellt doch jene die Beteiligung prägende „Haupttat“ gerade keine „Negation anderer rechtlich-äußerer Freiheit“ dar. Klar ist damit jedenfalls, daß mangels (straf-)„rechtswidriger Haupttat“ eine Teilnahme nach der limitierten Akzessorietätskonzeption des StGB ausscheidet. Köhler nimmt denn auch dezidiert eine vom positiven Recht abweichende Bestimmung des Teilnahmeunrechts in Anspruch123 und beschreibt dieses als „faktische intersubjektive Af119

Köhler, S. 21. Köhler handelt im selben Zuge auch die Beteiligungsformen der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft ab, die an dieser Stelle jedoch nicht näher beleuchtet werden sollen, da sie für den hier interessierenden Begründungszusammenhang nichts ergeben: Erstere stellt ein gegenüber der Tötung auf Verlangen völlig eigenständiges Fremdverletzungsunrecht dar, die Frage nach der Möglichkeit letzterer – wie bereits erwähnt – ein Anwendungsproblem, das der Klärung der Schutzzweckfrage (Verwirklichen Selbstverfügender und Beteiligter dasselbe Unrecht?) nachgelagert ist. 121 Klarstellend soll erwähnt werden, daß einbezogen in Köhlers Ausführungen neben den hier primär interessierenden Suizidtaten auch andere seiner Ansicht nach gegen die Selbstzweckformel verstoßende Selbstverfügungen sind, wie z. B. konsentierte Körperverletzungen nach § 226a (a. F.). 122 Köhler, S. 22. 123 Köhler, S. 22 ff., insbesondere S. 24. Dies ist an dieser Stelle völlig legitim, handelt es sich doch zunächst ausschließlich um die Frage einer vorpositiven Legiti120

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firmation der freiheitswidrigen Maxime“. Es fragt sich, ob diesem Verständnis nicht bereits eine immanente Fehlbestimmung des Begriffs der Teilnahme zugrunde liegt. Zwar ist das vom Gesetzgeber konkret gewählte Modell einer Inkriminierung der Teilnahme bei vorsätzlich-tatbestandsmäßigem, rechtswidrigen Verhalten nicht zwingend. Jedenfalls gewinnt aber eine durch die untergeordnete Beteiligung an einem Verhalten eines anderen charakterisierte Unrechtsform Sinn und Struktur gerade aus ihrem Bezug auf die Haupttat und das bedeutet, daß ihr eine – wie auch immer ausgeformte – Akzessorietät begriffsimmanent ist. Wie soll diese nun aber anders zu denken sein, als bezogen (mindestens) auf den Unwert bzw. das Unrecht der Haupttat? Anders formuliert: Kreiert eine Mitwirkung an fremdem, seinerseits nicht rechtswidrigen Verhalten ein Unrecht, muß es sich dabei dann nicht notwendig um ein originäres Unrecht anstelle eines (die Maxime der Haupttat affirmierenden) Beteiligungsunrechts handeln? Warum Köhlers Definition zu weit faßt, läßt sich gut veranschaulichen, konfrontiert man sie mit Fällen nicht selbstbezogenen, freiheitswidrigen Verhaltens. Ein typisches Beispiel für ein solches Verhalten bildet die einfache Lüge. Diese ist gemessen am kategorischen Imperativ sittenwidrig, d. i. freiheitswidrig, stellt aber für sich genommen kein Strafunrecht dar. Stiftet nun eine Person den Lügner an, so wäre der Tatbestand einer „faktischen intersubjektiven Affirmation der freiheitswidrigen Maxime“ offenbar erfüllt – der Anstifter hätte Beteiligungsunrecht verwirklicht. Eine unsinnige Konsequenz, die Köhler sicherlich ebenfalls nicht zu ziehen bereit wäre und die nochmals deutlich sichtbar macht, daß die materiellen Anforderungen an die „Negation anderer äußerlich-rechtlicher Freiheit“ (die im Falle einer einfachen Lüge noch nicht erfüllt sind) unmittelbar die Anforderungen an die Qualität der im Rahmen der Beteiligung affirmierten Maxime mitbestimmen müssen. Jenes Versagen der gegebenen Definition des Beteiligungsunrechts in dem dargestellten einfachen Fall kompromittiert aber das in den Fällen der Teilnahme an einer sittenwidrigen Selbstverfügung erzielte Ergebnis, denn über die bloße Anwendung seiner Definition hinaus gibt Köhler keine materielle Begründung für die Strafwürdigkeit der Suizidteilnahme. Den Zugang zum Kern der Problematik versperrt dabei wohl eine zu formale Unterscheidung von Intra-/Interpersonalverhältnis. So schreibt Köhler zunächst völlig richtig zur Begründung des fehlenden Unrechtscharakters der ohne Drittbeteiligung vollzogenen totalen Selbstverfügung: „Sonst würde das selbstbezo-

mierbarkeit von Selbstverfügungsverboten. Es sei jedoch angemerkt, daß die dort gewählte Vorgehensweise in einem gewissen Widerspruch zu Köhlers Ausführungen im Rahmen der Legitimation der Bestrafung der Tötung auf Verlangen steht, die, wie bereits erwähnt, in kaum mehr als einem Verweis auf das geltende Recht bestehen.

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gene Rechtspflichtverhältnis124 unvermittelt-grundlos in eine interpersonal-äußere Beziehung transponiert (. . .).“125 Dies scheint indes als rein formaler Befund gemeint: Strafunrecht ist nur in einem intersubjektiven Freiheitsverhältnis denkbar – daran fehlt es hier.126 Dabei legt doch gerade die von Köhler gewählte Formulierung sehr nahe, jenen Gesichtspunkt, der die Suizidmaxime als Gegenstand eines Unrechts disqualifiziert, auf seine materiellen Implikationen zu befragen. Wenn das ausschließlich selbstbezogene Verhältnis im Wege einer – wie auch immer gearteten – Mitwirkung eines Dritten formal verlassen und damit das Verhalten des Dritten dem Grunde nach strafrechtlich verifizierbar ist, bleibt immer noch darzulegen, unter welchem Gesichtspunkt die das gesamte Handlungsprojekt prägende Maxime des Verfügenden in dem Akt interpersonaler Affirmation über den vormals lediglich sittlichen Bezug hinaus (straf-)rechtliche Relevanz erhalten soll.127 Köhlers Ausführungen sind hingegen kaum anders zu interpretieren, als dahingehend, daß er davon ausgeht, daß die (formale) Unmöglichkeit einer Verwirklichung von Strafunrecht im Selbstverhältnis der einzige Grund ist, der eine Qualifizierung der zugrundeliegenden Maxime als strafrechtswidrig hindert und daß dieses Hindernis durch die Transformation des Handlungskontextes in eine Interpersonalstruktur ohne weiteres beseitigt wird. Somit leidet die Annahme einer (vorpositiv begründeten) Verwirklichung von Strafunrecht durch die Teilnahme am Suizid unter einem evidenten Begründungsdefizit, und damit hängt 124 Es soll daran erinnert werden, daß die angesprochene Rechtspflicht für Köhler nur ein Argumentationsinstrument ist; eine Festlegung des Charakters der selbstbezogenen Pflichten bleibt – wie oben bereits erwähnt – offen. 125 Köhler, S. 21. 126 Schon das ist eigentlich zu formal gedacht: Auch eine Handlung, die eine ausschließlich selbstbezügliche Maxime realisiert, vollzieht sich notwendig in demselben Raum, in dem andere Rechtssubjekte sich eingerichtet haben und entbehrt schon allein dadurch, daß der äußerliche Vollzug durch andere Subjekte potentiell wahrgenommen werden kann, nicht von vornherein jeglichen intersubjektiven Bezugs. So könnten sich die im Freiheitsverhältnis verbundenen Mitsubjekte durch die selbstbezogene Handlung zu einer im Rechtsverhältnis begründeten Reaktion veranlaßt sehen, es wäre z. B. eine sanktionsbewehrte Pflicht zum Einschreiten denkbar. Von einem „reinen“ Selbstbezug einer Maxime oder Handlung in dem Sinne, daß dieselbe formal außerhalb des Rechts steht, läßt sich also, da das Subjekt, solange es existiert, dem Interpersonalbezug seiner Existenz nicht entfliehen kann, gar nicht sinnvoll sprechen. Mit dem Attribut „selbstbezüglich“ ist demzufolge eigentlich immer schon eine bestimmte materielle Qualität einer Maxime/Handlung benannt. Selbstverständlich weiß Köhler das, um so rätselhafter muß aber seine Argumentation im vorliegenden Zusammenhang erscheinen. 127 Es sei nochmals daran erinnert: Die durch den hier kritisierten Ansatz angestrebte materiell-vorpositive Legitimation des § 216 verbietet eine Argumentation unter bloßer Berufung auf Vorschriften des geltenden deutschen Strafrechts, wie v. a. § 228, dessen Wortlaut in der Tat nahelegt, daß der Gesetzgeber eine unmittelbare Rückwirkung sittlicher Wertungen auf strafrechtliche Normen für denkbar hält; ebenso Maatsch, S. 197, insbesondere Fn. 835.

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auch die von Köhler zur Explikation des materiellen Strafunrechts der Tötung auf Verlangen an dieses Unrecht gebundene Deduktionskette in der Luft. Obschon sich Maatsch in diesem Punkt nicht dezidiert kritisch mit der Arbeit Köhlers auseinandersetzt, nimmt er doch von dem Versuch, die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen unvermittelt von der Unsittlichkeit der Selbsttötungsmaxime ausgehend zu begründen, deutlichen Abstand.128 Er muß sich deshalb an dieser Stelle die für sein Legitimationsunternehmen kritische Frage nach der rechtlichen Relevanz der diagnostizierten Unsittlichkeit der totalen Selbstverfügung stellen. Zu diesem Zweck nimmt Maatsch zunächst einen Perspektivenwechsel vor und betrachtet die Suizidmaxime von der Tat des auf Verlangen Tötenden her, also aus der Sicht eines (Fremd-)Tötungsprojekts, das sich in seiner rechtlichen Struktur von anderen vorsätzlichen Tötungen gerade durch die im Verlangen des Sterbewilligen betätigte Maxime grundlegend unterscheidet. Jenes Verlangen führt dazu, daß die für eine Straftat typische Kollision von Freiheitssphären jedenfalls auf einer empirisch-psychischen Ebene nicht vorliegt und ganz richtig stellt Maatsch im ersten Schritt fest, daß sich deshalb für die Begründung einer Unrechtsstruktur aus dem Strafunrechtscharakter von nicht konsentierten Fremdtötungen nichts ableiten läßt und folgert daraus: „Stellt dort schon die Willkür des Opfers die Grenze der Willkür des Täters auf, so ist hier nach der Grenze für die Willkür des Betroffenen selbst zu fragen.“129 So richtig dieser Satz ist, so gefährlich offen ist er formuliert, und prompt stellt Maatsch an dieser Stelle eine für den weiteren Begründungsgang entscheidende Weiche falsch. Er begibt sich unvermittelt auf die Suche nach der „Grenze für die Willkür des Betroffenen“. Diese kann – im Unterschied zum eben dargestellten Ansatz von Köhler – nach Maatschs Verständnis nur eine rechtliche Grenze sein. Damit erscheint es auf den ersten Blick durchaus plausibel anzunehmen, notwendige und hinreichende Voraussetzung für die Einschränkung der Dispositionsbefugnis des Sterbewilligen sei, daß das Projekt seiner Tötung für ihn (den Sterbewilligen) ein Unrecht darstellt. Maatsch nimmt also den Verstoß der Selbsttötungsmaxime gegen eine selbstbezogene Tugendpflicht wieder auf und fragt danach, ob dieser sich nicht in einen Verstoß gegen eine Rechtspflicht transformieren läßt, „weil bereits im Selbstverhältnis der Person als solchem rechtliche Verbindlichkeiten existieren“ oder „weil das Rechtssubjekt wenigstens in seinem Verhältnis zu anderen Personen Rechtspflichten nicht nur gegen diese, sondern auch gegen sich selbst zu beachten hat“. Abgesehen von der offensichtlichen Schwierigkeit der Begründung solcher Rechtspflichten, auf die gleich noch zurückzukommen sein wird, bedarf diese 128 Maatsch, S. 197: „Denn anderenfalls, also bei bloßer Unsittlichkeit der Einwilligung in den eigenen Tod, würde eine Tugendpflicht mittelbar zum Gegenstand des Rechts und der ihm eigenen Instrumentarien werden (. . .).“ 129 Maatsch, S. 197.

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Fragestellung schon im Ansatz einer Präzisierung. Gilt es doch über der Formulierung der Frage nach der „Grenze der Willkür des Betroffenen“ den (von Maatsch zunächst richtig gewählten) Ausgangspunkt nicht zu vergessen – das Tötungsprojekt des auf Verlangen Tötenden. Auf dieses bezogen läßt sich die Problemstellung inhaltlich ohne weiteres explizieren, es handelt sich – strafrechtsdogmatisch gesprochen – um die Frage nach einer (objektiven) Einwilligungsschranke.130 Die Frage, die Maatsch im weiteren verfolgt, ist aber eine völlig andere: Ob die Willkür des Sterbewilligen durch ein Ge- oder Verbot begrenzt ist, ob also sein Verlangen ein Unrecht begründet. Daß diese beiden unter das von Maatsch gewählte Axiom „Grenze der Willkür des Betroffenen“ subsumierbaren Fragestellungen grundsätzlich voneinander zu unterscheiden sind, läßt sich an einem einfachen Beispiel veranschaulichen: A und B mögen einen gemeinschaftlichen Versicherungsbetrug begehen, indem B mit Einwilligung des A eine diesem gehörende, versicherte Sache zerstört und A den entstandenen Schaden bei seiner Versicherung geltend macht. Dann bleibt die Wirksamkeit der Einwilligung des A in die Sachbeschädigung des B von der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens unberührt. Dies ist (auch in einem vorpositiven Sinne) materiell zwingend, schließlich ist die Struktur des von A und B begangenen Unrechts gänzlich verschieden von derjenigen des im Falle einer Unbeachtlichkeit der Einwilligung „wiederauflebenden“ Unrechts der Sachbeschädigung.131 Unterstellt also, der Nachweis gelänge, daß die Selbsttötung oder das Tötungsverlangen des Sterbewilligen132 einen Rechtspflichtverstoß darstellt, würde daraus nicht notwendig die Unwirksamkeit der Einwilligung folgen. Es wäre vielmehr die Frage zu stellen, ob der Grund, der das Verlangen zum Unrecht macht, gleichzeitig geeignet ist, der Einwilligung die den Unwert der Tatbestandserfüllung kompensierende Wirkung zu nehmen. Prima facie erscheint indes zweifelhaft, ob dies bei solchen Rechtsgütern, deren strafrechtlicher Schutz ausschließlich im individuellen Interesse des jeweils betroffenen Subjekts erfolgt, überhaupt sinnvoll vorstellbar ist oder ob nicht die Schutzrichtung der Norm, die die Unwirksamkeit der Einwilligungserklärung bestimmt und diejenige der Norm, die das Verhalten des Einwilligenden zum Unrecht macht, immer auseinanderfallen müssen. Immerhin logisch denkbar sind hier zwei Möglichkeiten.

130 So auch die später im Kontext des positiven Rechts von Maatsch (S. 221) gewählte dogmatische Konstruktion. 131 Vgl. dazu auch Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 520. 132 Da Maatsch nur nach einer Begrenzung der Willkür des Rechtsgutsinhabers fragt, differenziert er zwischen diesen beiden Handlungsstrukturen nicht weiter; wenn im folgenden also die Selbsttötung auf ein mögliches Unrecht hin untersucht wird, schließt das immer das an einen Dritten gerichtete Tötungsverlangen mit ein.

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Entweder man interpretiert die den Schutz des Individualrechtsgutes des die Selbstverletzung betreibenden Rechtsgutsinhabers statuierende Strafvorschrift dahingehend, daß ihr substantiell kollektivschützende Wirkung zukommt.133 Dann ist natürlich gut möglich, daß die Beschränkung der Einwilligungsbefugnisse des Verfügenden in demselben kollektiven Interesse erfolgt, das jener durch sein Projekt strafrechtswidrig verletzt. Die Unwirksamkeit der Einwilligung würde sich dann allerdings schon nach allgemeinen Grundsätzen aus dem Umstand ergeben, daß der Disponierende eben nicht (alleiniger) Inhaber des normgegenständlichen Rechtsgutes ist. Beharrt man richtigerweise auf dem individualschützenden Charakter des Tötungsverbots, besteht nur eine Möglichkeit, ein Auseinanderfallen der Schutzrichtungen der beiden in Rede stehenden Formen der Beschränkung der Willkür des Rechtsgutsinhabers zu vermeiden. Das Unrecht des durch den Einwilligenden begangenen Rechtspflichtverstoßes muß sich direkt gegen das durch die Einwilligungsschranke zu schützende Rechtsgut richten, der disponierende Rechtsgutsinhaber muß also nicht nur ein Unrecht verwirklichen, er muß auch gleichzeitig dessen unmittelbares Opfer sein. Der Inhalt des von Maatsch gesuchten intrapersonalen Rechtspflichtverstoßes läßt sich demnach bereits an dieser Stelle konkretisieren. Die verlangte Tötung muß für den Sterbewilligen ein materielles Strafunrecht darstellen, dessen Opfer seine eigene Person bildet; mit anderen Worten, die Tat muß (auch) für den Disponierenden ein Tötungsunrecht darstellen. Diesen Ausgangspunkt gilt es im Auge zu behalten, wenn im folgenden Maatschs Herleitung jenes Rechtspflichtverstoßes kritisch zu beleuchten sein wird.134 Soll erwiesen werden, daß die Betätigung der als unsittlich qualifizierten Selbsttötungsmaxime zur Verwirklichung von Strafunrecht führt, ist es unumgänglich, zunächst die begriffliche Unterscheidung von Recht und Moral zu erinnern. In der Klärung jener kategorialen Differenz wird der Schwerpunkt der Begründungsarbeit liegen müssen, drängt sich doch bereits bei unbefangener Betrachtung die Frage regelrecht auf, wie ein den intrapersonalen Bereich nicht

133 Bezogen auf das Tötungsverbot heißt das, die Argumentation müßte wieder auf die These Schmidhäusers zurückfallen, daß das Leben im Kollektivinteresse geschützt sei. Mit dem von Maatsch verfolgten Anspruch einer freiheitlich orientierten Norminterpretation wäre dies freilich nicht vereinbar. 134 Merkel, Früheuthanasie, S. 396 ff., lehnt schon den Versuch der Konstruktion eines solchen Rechtspflichtverstoßes – unabhängig von dessen materiellen Gehalt – ab. Die Konfusion von Recht und Pflicht in einem Rechtssubjekt stelle, soweit sich diese auf dasselbe Rechtsgut bezögen, ein normenlogisches Paradoxon dar, vgl. insbesondere S. 402 (Fn. 29): „Die Kritik an diesem „ex iure“-Argument lautet also nicht, daß man ein Recht nicht zu einer Pflicht umwandeln sollte, sondern daß dies logisch nicht möglich ist und daher mit diesem Argument gar keine Begründung geliefert wird.“ (Hervorhebung im Original).

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transzendierender Pflichtverstoß135 Rechtsqualität gewinnen können soll. Seinem Begründungsansatz treu bleibend, orientiert sich Maatsch auch an diesem Punkt primär am Kantischen Verständnis. Zunächst stellt er klar, daß eine formale Unterscheidung nach Legalität und Moralität, also danach, ob ein Verstoß gegen eine Tugendnorm äußerlich in Vollzug gesetzt wird oder lediglich als „böser Wille“ im Innern verharrt, zur Grenzziehung nicht hinreicht. Schließlich gibt es sittliche Verbote, deren äußerlicher Vollzug nicht Materie eines rechtlichen Verbots sein soll, weil ihre Befolgung nicht für das Zusammenleben unentbehrlich ist, so z. B. das Verbot der Lüge.136 Immerhin läßt sich festhalten, daß Gegenstand rechtlicher Betrachtung nur jenes äußere Verhalten sein kann, anstelle der Suizidmaxime rückt also nunmehr ausschließlich das suizidale Verhalten selbst in den Blick. Weiterhin stellt Maatsch richtig fest, daß auch die faktische Erzwingbarkeit der Befolgung eines Ge- oder Verbots kein hinreichendes Merkmal für die Begründung der Rechtsqualität einer Norm darstellt. Auch hier fehlt jeglicher Bezug zur materiellen Qualität des Verhaltens – zu fragen ist nicht nach der tatsächlichen Möglichkeit der Anwendung von Zwang (wiewohl diese eine notwendige Bedingung darstellt)137, sondern nach der Zwangsbefugnis. Ein Kriterium für diese Befugnis läßt sich gewinnen aus Kants Definition des Rechts als „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“.138 Implantiert man diese Formel in den bisher als Sittlichkeitskriterium eingeführten kategorischen Imperativ, gewinnt man den kategorischen Rechtsimperativ: „Eine jede Handlung ist recht, die (. . .) mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann.“139 Diese Form des Imperativs führt zwei gegenüber dem Tugendimperativ neue Elemente ein. Zum einen liefert sie ein formales Kriterium zur Bestimmung der materiellen Qualität von Unrecht: Die von einem Verhalten ausgehende Beeinträchtigung muß Willkürfreiheit so beschränken, daß die Betätigung freiheitlich-sittlicher Maximen (mindestens partiell) unmöglich gemacht wird. Und zum zweiten, noch wichtiger für den vorliegenden Kontext: Es geht dem Rechtsimperativ um die Beeinträchtigung der Willkürfreiheit der anderen, das 135 Der Suizid ist an und für sich eine ausschließlich selbstbezogene Handlung, auch wenn selbstverständlich die (akzidentielle) Konstellation denkbar ist, daß bei seinem Vollzug strafrechtlich geschützte Rechtsgüter zurechenbar (mit-)verletzt werden, so z. B. wenn der vom Hochhaus springende Lebensmüde mit seinem Körper einen Passanten erschlägt. 136 In diesem Punkt wird die begriffliche Differenz zu Köhler, S. 21, nochmals deutlich, der bereits der bloßen (äußerlich betätigten) Affizierung einer unsittlichen Maxime ohne weiteres rechtliche Relevanz beimißt. 137 Überzeugend legt Maatsch, S. 203 ff., dar, daß die Befolgung der Selbsterhaltungspflicht bei einer Umformulierung der moralischen Maxime in ein Rechtsgebot ohne weiteres erzwingbar ist. 138 Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 230. 139 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § C.

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Rechtsverhältnis ist also – vollkommen übereinstimmend mit dem Vorverständnis – beschrieben als ein intersubjektives Verhältnis. Dies bekräftigt auch Maatsch zunächst ausdrücklich: „Das Verhältnis der Person zu sich selbst (. . .) muß sich danach frei von Zwang organisieren dürfen; die immanenten Grenzen der Willkür, die namentlich die Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs formuliert, sind offenbar mit verdienstlichen oder Tugendpflichten zu identifizieren.“140 Würde er dabei allerdings stehenbleiben, müßte sein Begründungsunterfangen als gescheitert angesehen werden. Maatsch nimmt deshalb den bei Kant gelegentlich anzutreffenden Begriff der „inneren Rechtspflicht“ auf, der nach dem Gesagten eigentlich als contradictio in adjecto erscheinen muß. Denkbar ist eine aus dem Rechtsimperativ abzuleitende innere Rechtspflicht gleichwohl unter folgendem Aspekt: Soll dieser Imperativ nicht lediglich ein hypothetischer sein, der Willkür des Subjekts anheimgebend, ob es sich ihm entzieht, muß das Recht seine Geltungsbedingungen, auch soweit sie im Innern des vernunftbegabten Subjekts wurzeln, zum Gesetz erheben. Es liegt auf der Hand, welche Geltungsbedingung damit in erster Linie angesprochen sein soll – die Vernunft des Rechtsunterworfenen. Fordert das Recht auch nur äußerliche Befolgung, ist es also insbesondere blind dafür, ob es bei seinen Adressaten aus vernunftgegründeten Motiven Gehör findet, so kann es seinen Appell doch nur an das vernünftige Subjekt richten. Es muß deshalb einem Rechtsimperativ, der den Anspruch haben soll, kategorisch zu gelten, das Verbot immanent sein, daß das vernunftbegabte Subjekt sich durch eine interne Fehlorganisation konstitutionell seiner Fähigkeit, vernünftige Entscheidungen zu treffen, und damit seiner Fähigkeit, sich rechtlich zu verhalten, beraubt. Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich beispielsweise das Verbot des Konsums bestimmter potentiell persönlichkeitszerstörender Rauschmittel legitimieren,141 aber wohl auch die Pönalisierung des „Kurzurlaubs von der Vernunft“ in § 323a. Eine schon auf den ersten Blick andere Lage ergibt sich indes in den Fällen des Suizids eines Rechtsunterworfenen. Hier hebt das Subjekt seine Existenz in ihrer Totalität auf und vernichtet also mit seiner Fähigkeit, sich kraft seiner Vernunft rechtlich zu verhalten, auch seine Potenz, die Willkür seiner Mitsubjekte zu beeinträchtigen. Es scheint also kein Anlaß zu bestehen, diesen Sachverhalt der Regelung des Rechts zu unterwerfen, denn ein Einbruch in eine fremde Rechtssphäre142 steht in keinem Falle zu befürchten.143 Auch eine Sub140

Maatsch, S. 212. In diesem Punkt überzeugend Köhler, insbesondere S. 27 ff. 142 So formuliert Zaczyk, S. 31, jenen zentralen Aspekt des Strafunrechts. 143 Auch hier ließe sich wiederum die pointierte Rede Jakobs’ anführen, wonach nicht gegen die Tischsitten verstoßen kann, wer nicht bei Tisch erscheint, vgl. oben Fn. 93. 141

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sumtion unter den kategorischen Rechtsimperativ bestätigt diesen Befund. Erhebt man das suizidale Verhalten zum allgemeinen Gesetz, so kann es neben dem Verhalten des jeweils anderen bestehen, ohne mit diesem in Konflikt zu geraten. Dieses Ergebnis versucht Maatsch zu erschüttern, indem er den oben angesprochenen Gesichtspunkt konsequent weiterverfolgt: Soll der Rechtsimperativ kategorisch gelten, darf er seine Geltungsbedingungen nicht zur Disposition seiner Adressaten stellen. Und – so paradox dieser Gedankengang auch zunächst anmuten mag – eine dieser Geltungsbedingungen ist auch die wechselseitige Gefährdung der Willkürfreiheit. Diese ist, wie Maatsch schreibt, „nicht nur eine empirisch notwendige conditio humana, sondern, was entscheidend ist, sie hängt auch gerade nicht vom beliebigen Willkürinhalt des einzelnen ab“.144 Damit, so könnte man hinzufügen, ist ein Verhalten, das in seiner Verallgemeinerung zur Eliminierung der wechselseitigen Gefährdung der Willkürfreiheit führt, kein rein selbstbezogenes Verhalten mehr, denn es berührt die Grundlagen des gemeinsamen Rechtsverhältnisses. Die Voraussetzung für Willkürfreiheit ist aber – um nun den Bogen zur Selbsttötung zu schlagen – die faktische Existenz zweckmächtiger Personen. Erhöbe man den Suizid – also die Negation der Existenz der jeweils handelnden Person – zum allgemeinen Gesetz, so hätte dies zwar keine Lädierung des Rechts der jeweils anderen Subjekte zur Folge, wohl aber in letzter Konsequenz das Verschwinden der Rechtspraxis als gelebter Ordnung.145 Es liegt auf der Hand, wie Maatschs Folgerung aus diesem Befund lauten muß, um seine These tragen zu können: „Ist somit das Recht als zur Bewahrung der Willkürfreiheit (. . .) befugt zu denken, (. . .) ist die Willkür im reinen Selbstverhältnis (. . .) auch einer immanenten Grenze aus ihrer eigenen Freiheit (ausgesetzt), der ,disziplinierenden normativen Innenwirkung‘ des Rechts der Menschheit.“146 Hier nun – so läßt sich vor allem vor dem Hintergrund der eminenten Wichtigkeit dieser These für die Validität des gesamten Begrün144

Maatsch, S. 214. Nur so jedenfalls scheinen Maatschs Ausführungen sinnvoll zu interpretieren zu sein. Bedauerlicherweise stehen Begründungsaufwand und Klarheit seiner Ausführungen gerade an diesem für seine Arbeit zentralen Punkt hinter dem hohen Standard des übrigen Textes zurück. So beschränkt sich Maatsch – nachdem er in der oben zitierten Passage dargelegt hat, daß die wechselseitige Gefährdung der Willkürfreiheit nicht vom beliebigen Willkürinhalt des einzelnen abhängt – auf die schlichte Behauptung, es stehe „wie oben dargelegt wurde, gerade nicht zur Disposition der Willkür, ob (ihre eigene) Freiheit sein soll (. . .).“ Es wäre durchaus möglich, daß dieser Verweis – anders als er hier aufgefaßt wurde – an die Darlegungen zur Selbstzweckformel des Tugendimperativs anknüpfen soll. Dann bedeutete der Verweis aber nicht mehr als die Behauptung dessen, was gerade bewiesen werden soll: der strafrechtlichen Relevanz des Verstoßes gegen den Tugendimperativ. Ein solch offenbares Begründungsdefizit soll Maatsch hier indes nicht unterstellt werden. 146 Maatsch, S. 214. 145

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dungsunterfangens einwenden – macht es sich Maatsch ein bißchen einfach. Nicht ohne Grund tat Kant selbst147 sich mit der Frage nach der Einordnung der Pflicht auf Selbsterhaltung in die Tugend- oder Rechtslehre so schwer. Es versteht sich nämlich durchaus nicht von selbst, daß eine den Rechtsimperativ zum Zwecke der Sicherstellung seiner kategorischen Geltung flankierende Pflicht notwendig ihrerseits auch eine Rechtspflicht ist. So würde der Rechtsimperativ seinen kategorischen Charakter nicht dadurch verlieren, daß das Verbot, sich seinem Regiment eigenmächtig zu entziehen, als lediglich sittliche (aber eben auch: kategorische) Pflicht besteht. Betrachtet man die materielle Struktur des Verbots der physischen Selbstaufhebung, so liegt es im Gegenteil nahe, die ihm korrespondierende Pflicht als bloße Solidaritätspflicht in die Tugendlehre einzuordnen.148 Dafür spricht auch der oben bereits angesprochene Umstand, daß die Pflicht zur Selbsterhaltung sich aus dem Wortlaut der Kantischen Rechtsdefinition gerade nicht ableiten läßt.149 Natürlich wäre es vermessen, auf der Basis der hier nur angedeuteten Zweifel bereits ein endgültiges negatives Urteil über die materielle Rechtsqualität des Selbsttötungsverbotes fällen zu wollen.150 Letztlich erweist sich diese schwierige Frage, führt man die im Rahmen dieser Untersuchung vorzutragende Kritik auf ihren Ausgangspunkt zurück, jedoch als von nur sekundärer Bedeutung. Es sei daran erinnert, daß die oben vorgenommene Analyse der dogmatischen Struktur des § 216 ergeben hatte, daß nicht jede als Rechtspflichtverstoß etiket147

Vgl. die Darstellung und Nachweise bei Maatsch, insbesondere S. 215 f. Dezidiert in diese Richtung Ebbinghaus, Die Strafen für die Tötung eines Menschen nach Prinzipien einer Rechtsphilosophie der Freiheit, S. 328 und Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 158 ff. Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang schon die Ausführungen Bindings (Handbuch des Strafrechts, S. 699): „Und so scheint mir die (. . .) Auffassung als die innerlich berechtigtste und folgerichtigste auch die des positiven Rechts zu sein, wonach die Normen auf die Selbstverletzungen nicht erstreckt werden. Der gute Grund dafür besteht darin, daß es dem Rechte als der Ordnung des menschlichen Gemeinschaftslebens widerstrebt, die Scheidung von Rechtssubjekt und Rechtsobjekt auf das Individuum zu übertragen und dieses einem Dualismus untertan zu machen, wonach es auch für sich selbst Güterqualität (. . .) annehmen muss, damit es Rechte an sich selbst und Rechtspflichten wider sich selbst erlangen könne. (. . .) Nicht alle ethischen sind zugleich auch rechtliche Möglichkeiten.“ 149 Anders die Interpretation Maatschs, S. 214, der offenbar das handelnde Subjekt selbst als „jedermann“ im Sinne der zitierten Definition ansehen möchte: „Solches Tun kann mit der Willkür des handelnden Subjekt selbst nicht zusammenbestehen und ist somit nach dem Wortlaut der Rechtsdefinition aus § C der RL Unrecht.“ Dies erscheint besonders dann unplausibel, wenn man diese Definition auf die umfassendere Rechtsdefinition der Metaphysik der Sitten (S. 230) zurückbezieht, die ausdrücklich von der Vereinbarkeit der „Willkür des einen mit der Willkür des anderen“ (Hervorhebung nur hier) spricht. 150 Deutlich unbefangener Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 174: Das Unterfangen, eine Rechtspflicht gegen sich selbst zu postulieren, gleiche „offensichtlich der Quadratur des Kreises“; ebenfalls entschieden gegen eine Rechtspflicht auf Selbsterhaltung votiert (unter Berufung auf Kant) Kühl, Rechtsphilosophie, S. 44. 148

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tierbare Verhaltensform bereits zur Legitimation der in diesem Straftatbestand statuierten Einwilligungssperre hinreichen kann. Hier liegt der eigentlich kritische Punkt des Begründungsunterfangens, und dies scheint Maatsch zu entgehen. Daß er das fehlende Glied in seiner Deduktionskette nicht vermißt, wird spätestens deutlich, wenn er die entscheidende Transformation des Sittenverstoßes in einen Rechtspflichtverstoß mit den Worten einleitet: „Denn ist diejenige Pflicht, die einer totalen Disposition über meinen eigenen Leib Grenzen setzt, ihrer Art nach eine rechtliche, so vermag sie wie gesagt gewiß auch zu verhindern, daß kraft meiner Zustimmung, mich von einem anderen töten zu lassen, aus mir ein ,volens‘ wird, der insoweit in seinen Rechten nicht lädiert wird.“151 Läßt sich dieses fehlende Glied – die Transformation des intrapersonalen Rechtspflichtverstoßes in eine objektive Einwilligungsschranke – bruchlos nachträglich einfügen? Wenn der Maatsch’sche Gedankengang hier eingehend nachvollzogen wurde, so in erster Linie, weil es zur Klärung dieser Frage sinnvoll war, den Strukturen des postulierten Rechtspflichtverstoßes größtmögliche Transparenz zu verleihen. Und so fällt die Antwort auf der Grundlage des Gesagten nicht mehr sehr schwer. Oben wurde nachgewiesen, daß ein durch das Tötungsverlangen bzw. die verlangte Tötung verwirklichtes Unrecht des Sterbewilligen nur dann eine objektive Einwilligungsschranke begründen kann, wenn dieses Unrecht sich wenigstens mittelbar gegen das geschützte Rechtsgut „Leben“ richtet – mit anderen Worten, wenn es Tötungsunrecht darstellt. Mit dem dort im weiteren Fortgang erzielten Erkenntnisgewinn sollte es sich nun von selbst verbieten, dies unter Hinweis darauf, daß der Sterbewillige ja schließlich zurechenbar einen Tod – seinen eigenen – herbeiführt, ohne viel Federlesens zu bejahen. Denn selbstredend kann es nicht darum gehen, ob bei Gelegenheit der Tat ein solcher Erfolg herbeigeführt wurde, nach Art einer simplen Addition von Unrecht und Erfolg. Die Frage muß vielmehr lauten, ob dieser konkrete Erfolg sich in die Struktur des bei Maatsch postulierten Unrechts einpassen läßt, ob also – schlagwortartig formuliert – die Rechtsgutsobjektsverletzung auf einer Rechtsgutsverletzung beruht. Auch dieser Abweg führt also darauf hin, daß es gilt, das Unrecht des von Maatsch ausgemachten intrapersonalen Rechtspflichtverstoßes des Suizidenten in ein Verhältnis zum Unrecht der „klassischen“ vorsätzlichen Tötung zu setzen. Dies führt zu der ungewöhnlichen Vorfrage152: Wie ist die im Rahmen der §§ 212, 211 zurechenbare Herbeiführung eines Todeserfolges materiell zu be151 Maatsch, S. 213. Ganz in dieselbe Richtung gehen Maatschs Ausführungen auf S. 221, wo er zum Abschluß seiner Ableitung einen schlichten a-maiore-ad-minusSchluß zu bemühen sucht: „Wo schon der Träger des in Frage stehenden Rechts selbst durch seine Verfügung einen Unrechtstatbestand verwirklicht, tut dies erst recht der andere, dessen Verhalten sich dem inneren Rechtspflichtverstoß anschließt und ihn, dabei allerdings einer Verbindlichkeit des äußeren Rechts zuwiderlaufend, erst vollendet; denn jenem fehlt es an der Rechtsmacht, dieses Tun zu legitimieren.“

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schreiben, was macht das spezifische Unrecht einer vorsätzlichen (Fremd-)Tötung aus? Ohne zu sehr ins Detail gehen zu müssen, liegt doch deutlich auf der Hand, daß die Tötung eines Mitsubjekts als allgemeines Gesetz in einem Freiheitsverhältnis zueinander stehender Subjekte keinen Bestand haben könnte, also einen unmittelbaren Verstoß gegen den kategorischen Rechtsimperativ darstellt. Die Tat beeinträchtigt nicht nur schlicht die Möglichkeit von Willkürbetätigung als Bedingung der Möglichkeit von Freiheit des Opfers, sie macht diese gar für Gegenwart und alle Zukunft vollständig unmöglich. Damit läßt sich jedenfalls festhalten, daß das Unrecht der vorsätzlichen Tötung einer der denkbar stärksten Übergriffe ist, den ein Subjekt zur Erreichung seiner Zwecke in die Sphäre eines Mitsubjekts unternehmen kann. Läßt sich etwas Vergleichbares über den „intrapersonalen Rechtspflichtverstoß“ des Suizidenten sagen? Wie oben bereits ausführlich dargelegt wurde, stellt dieser (schon begrifflich) gerade keinen Übergriff in eine fremde Freiheitssphäre dar. Der Vorwurf, den das Recht (nach Maatsch) dem Suizidenten machen kann, ist allenfalls der, daß er dem gemeinsamen Rechtsverhältnis aller Subjekte die ideelle Basis entzieht.153 Dieser Vorwurf knüpft zwar an die Vernichtung des Lebens des Sterbewilligen an, hat strukturell zu dieser jedoch keine Beziehung. Stellt man sich den Suizidenten ganz plastisch so vor, wie es die Rede von der „Intrapersonalität“ des Rechtspflichtverstoßes suggeriert – aufgespalten in zwei autonome Persönlichkeitsteile, von denen einer die Täterrolle und einer die Opferrolle übernimmt – so könnte man keine in irgendeiner Form gegenüber der Gemeinschaft aller Rechtssubjekte herausgehobene Stellung des „Opfers“ in Bezug auf die Rechtsverletzung feststellen. In der Sprache der Strafrechtsdogmatik: Es ist – im deutlichen Gegensatz zu jeglicher Form des Tötungsunrechts – keine rechtswidrige Verletzung eines Individualrechtsgutes zu konstatieren.154 Begeht der Suizident also kein Tötungsunrecht155 – und ist 152 Die Antwort darauf scheint allgemein für so selbstverständlich gehalten zu werden, daß sie in der juristischen Kommentarliteratur keinerlei Erwähnung findet, vgl. statt aller NK-Neumann, vor § 211 Rn. 1 ff.; LK-Jähnke, § 212 Rn. 1 und Sch/SchEser, § 212 Rn. 2, die sich ausschließlich der Frage nach dem geschützten Rechtsgut widmen, jedoch auf eine vorpositive Charakterisierung der Struktur des Rechtsgutsangriffs verzichten. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser Frage findet sich neuerdings bei Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 55 ff. 153 Mit einer ganz ähnlich gelagerten Argumentation erspart Merkel, Früheuthanasie, S. 405, der von Kant postulierten Tugendpflicht gegen sich selbst die Kollision mit der von ihm (Merkel) entwickelten These, solcherlei Verpflichtung des Berechtigten selbst stellten ein normlogisches Paradoxon dar. Eigentlicher Gläubiger dieser Pflicht sei eben nicht der Rechtsgutsinhaber selbst, sondern die Menschheit (in der Person des einzelnen). 154 Daß Maatsch dies ebenso sieht, läßt sich ersehen, wenn er an späterer Stelle (S. 224) die Straflosigkeit der Suizidteilnahme damit begründet, daß diese „noch nicht die dem äußeren Recht vorausgesetzte Negation des Anerkennungsverhältnisses durch Erhebung über die Freiheit des anderen“ aufweise.

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er also auch nicht das Opfer eines (selbstverantworteten) Tötungsunrechts –, so läßt sich eine objektive Einwilligungsschranke unter dem Gesichtspunkt des Lebensschutzes156 jedenfalls nicht unter Rekurs auf einen intrapersonalen Rechtspflichtverstoß begründen. Ist damit bereits ausgemacht, daß das Begründungsunterfangen Maatschs – wie schon das Köhlers – dem Anspruch eines vorpositiv konsistenten Erklärungsmodells des Strafgrundes des § 216 nicht gerecht werden kann, so seien der Vollständigkeit halber noch einige Bemerkungen zu den dogmatisch-systematischen Konsequenzen angefügt. Zum einen bleibt sowohl bei Maatsch als auch bei Köhler der Gesichtspunkt unbenannt, der die Tötung auf Verlangen gegenüber der nicht konsentierten Tötung privilegieren soll. Wenn es wirklich richtig sein soll, daß der – wie auch immer qualifizierte – Pflichtverstoß des Sterbewilligen seiner Einwilligung die rechtliche Relevanz nimmt, worauf läßt sich dann die Privilegierung des auf Verlangen Tötenden stützen? Eine graduelle Berücksichtigung des Sterbewillens Auffällig ist in diesem Zusammenhang, daß Maatsch die (vorpositive) Frage der Strafbarkeit der Suizidteilnahme anders beantwortet als Köhler, S. 24 f. Dies verwundert um so mehr, als Köhler dem Suizid als „Haupttat“ lediglich sittliche Relevanz beimißt, während Maatsch durch ihn immerhin ein Unrecht verwirklicht sieht, so daß im Ergebnis eine Strafbarkeit der Teilnahme nach Maatschs Interpretation viel näherliegend schiene. Zwar ist Maatschs Begründung der Straflosigkeit der Teilnahme durchaus für sich genommen überzeugend – konsequent ist sie indes nicht. Fast scheint es, daß er mit seiner These, der Suizident begehe ein strafrechtlich relevantes Unrecht, hier dann doch nicht so recht ernst machen will (vgl. dazu auch die ähnlich gelagerte Kritik Jakobs’ in GA 2003, S. 66 und Ingelfingers, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 174). Freilich ist es logisch durchaus denkbar zu sagen, der intrapersonale Rechtspflichtverstoß gebe zwar keinen hinreichenden Anlaß zu einer Bestrafung des diese Pflicht Verletzenden, bilde also kein Strafunrecht im engeren Sinne, wohl aber bewirke er die Unwirksamkeit einer unter Verstoß gegen die innere Rechtspflicht erteilten Einwilligung. Eine solche formale Konstruktion (die einzige, die Maatschs Ergebnis zu retten gestattet) wäre aber in materieller Hinsicht zu hinterfragen – und gäbe damit gerade einen Anlaß, sich mit der Frage der Tauglichkeit des Pflichtverstoßes zur Begründung einer objektiven Einwilligungsschranke auseinanderzusetzen. 155 Ganz ähnlich Jakobs in FS Arthur Kaufmann, S. 459, 466: „Somit sind weder eine Tötung auf Verlangen noch eine Beteiligung an einer Selbsttötung Organisationsanmaßungen; sollten sie Unrecht sein, so jedenfalls nicht Unrecht eines Verletzungsdelikts gegen die Person.“ sowie in Tötung auf Verlangen, S. 19: „Die Vorschrift des StGB muß also einem anderen Unrecht als einem Tötungsunrecht gelten.“ 156 Es bedarf wohl kaum noch der Erwähnung, daß es für den dargestellten Begründungsansatz nicht in Betracht kommen kann, die objektive Einwilligungsschranke auf den Aspekt der Beeinträchtigung der Grundlagen des gemeinsamen Rechtsverhältnisses und damit auf ein Kollektivinteresse zu stützen. Zwar spricht Maatsch, S. 214, von der „,disziplinierenden normativen Innenwirkung‘ des Rechts der Menschheit“, es bleibt jedoch stets deutlich, daß es dabei nur um eine der Willkür „immanente Grenze aus ihrer eigenen Freiheit“ (ebd., Hervorhebung nur hier) gehen soll. Ganz in diesem Sinne auch Maatschs bereits oben erwähnte Schlußfolgerung: „Solches Tun kann mit der Willkür des handelnden Subjekts selbst nicht zusammenbestehen (. . .).“

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ließe sich in die von beiden Autoren erarbeitete Unrechtsstruktur jedenfalls kaum einpassen. Maatsch meint, Fragen, die im Zusammenhang mit der Privilegierungswirkung des § 216 stehen, offenlassen zu dürfen, „da es für die hier interessierende Fragestellung – gerade umgekehrt – um Grund und Grenzen der ,Einwilligungssperre‘ geht“.157 Eine solche Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes erscheint indes nicht legitim, läßt sich doch schwerlich bestreiten, daß ein konsistentes Erklärungsmodell einer Strafnorm sich nicht in der schlichten Angabe eines plausiblen Strafgrundes erschöpfen darf, sondern auch und gerade den systematischen Kontext des positiven Rechts im Blick behalten muß. Zum anderen – dies ist zum Teil der anders als hier akzentuierten thematischen Stoßrichtung in Köhlers und Maatschs Arbeiten geschuldet158 – bleibt bei der Behandlung der Probleme der verschiedenen Beteiligungsformen am Suizidprojekt manches im Dunkeln. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Köhler und Maatsch die Frage nach dem (vorpositiven) Unrechtscharakter der Suizidteilnahme unterschiedlich beantworten.159 Deutet eine solche Differenz schon auf systematisch-teleologische Schwierigkeiten hin, so kompliziert sich die Lage noch erheblich, läßt man diese materielle Bewertung mit der Systematik des positiven Rechts interferieren. Es lohnt sich, diesen Schwierigkeiten kurz nachzugehen; sie scheinen nicht zufälliger Natur zu sein. Nach beiden Autoren soll der Pflichtverstoß für den Suizidenten selbst kein strafbares Unrecht darstellen. Für Köhler folgt dies schon daraus, daß er prinzipiell am Erfordernis formaler Interpersonalität strafrechtlicher Handlungsformen festhält. Dagegen arbeitet Maatsch mit dem materiell vermittelten Argument, eine originäre Zwangsbefugnis anderer sei abzulehnen, wenn der gegen das Verbot Verstoßende die einzige Person sei, die eine Rechtseinbuße erleidet.160 Ver157

Maatsch, S. 225 f., Fn. 951. Köhler entfaltet die Suizidproblematik nur als Vorfrage zu der von ihm eigentlich beabsichtigten Kritik des geltenden Betäubungsmittelstrafrechts; Maatsch begrenzt seine strafrechtsdogmatischen Ausführungen auf die sog. passive Sterbehilfe. 159 Vgl. Fn. 154. 160 Maatsch, S. 219. Daß diese These vor dem Hintergrund der oben nachgezeichneten Ableitung zweifelhaft ist, muß nicht weiter dargetan werden. Eine gegenüber der Allgemeinheit herausgehobene Stellung des Suizidenten als Opfer seines Rechtspflichtverstoßes konnte dort nicht schlüssig nachgewiesen werden. An dieser Stelle wird im übrigen deutlich, daß Maatsch sich mit der These, der Suizident begehe Tötungsunrecht, nicht wirklich ernst nehmen lassen will. Denn wäre jene These korrekt, dürfte einer akzessorischen Bestrafung des Teilnehmers kein Hindernis im Wege stehen. Ein Mißverständnis scheint hingegen vorzuliegen, wenn Jakobs, GA 2003, 66, gegen Maatschs Annahme einer lediglich inneren Erzwingbarkeit der Befolgung der Rechtspflicht argumentiert, die Tat eines Lebensmüden ließe sich im selben Maße hindern, wie sich ein Mord hindern läßt. Denn Maatsch bestreitet nicht, daß das Verbot der Selbsttötung faktisch erzwingbar ist, er argumentiert lediglich gegen die äußere Zwangsbefugnis. 158

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bindet man diesen Befund mit der Akzessorietätskonzeption des StGB161, so folgt daraus, daß die Anstiftung und Beihilfe zum Suizid straflos sind. Es stellt sich demnach auch für die auf einem Pflichtverstoß des Sterbewilligen fußenden Interpretationen des § 216 das Anwendungsproblem, die straflosen unselbständigen Teilnahmeformen von der strafbaren Tötung auf Verlangen abzugrenzen, daß heißt, die Verantwortung für das Gesamtprojekt entweder dem Sterbewilligen oder dem Dritten zuzuweisen. Ohne an dieser Stelle bereits auf Details dieser Abgrenzung eingehen zu müssen, wird dabei doch folgendes Problem erkennbar. Wenn § 216 eine verbale Verantwortungsübernahme des seinen Tod Verlangenden für unzulässig erklärt, weil der geäußerte Wille auf ein für den Verlangenden sitten-/rechtspflichtwidriges Projekt gerichtet ist und demzufolge keine rechtliche Wirkung entfalten soll, durch welchen Umstand kann dann eben dieser Wille – anderweitig ins Werk gesetzt – die Macht erlangen, einem beteiligten Dritten den Zugang zur Verantwortung für das Projekt zu verwehren? Köhler läßt das Problem in seiner ganzen Schärfe ans Licht treten, indem er die Relevanz des Sterbewillens allemal am Einwilligungsmaßstab mißt und diesen konsequent mit „Selbstbestimmtheit“ im Kantischen Sinne identifiziert. Letzteres bedeutet für die vieldiskutierten Fälle der Beteiligung eines Dritten an einem mit defizitärem Willen162 ausgeführten Suizid eine gegenüber den überkommenen (ihrerseits umstrittenen)163 Maßstäben mittelbarer Täterschaft erheblich erweiterte Strafbarkeit des Beteiligten wegen eines (nicht privilegierten) vorsätzlichen Tötungsdeliktes. Köhler sieht diese Konsequenz164 und billigt sie mit dem Argument, darin zeige der „Gedanke der einheitlichen intellektuellen Urheberschaft, gegen die verfehlte gesetzliche Akzessorietätskonzeption, seine Macht“. Interessant ist nun, diese Argumentationsstruktur auf die hier eigentlich interessierenden Fälle zu übertragen, in denen die Entscheidung des Sterbewilligen den Anforderungen des § 216 genügt. Will man konsequent sein, ist auch in dieser Konstellation bei der Abgrenzung von eigenverantwortlichem Suizid und 161 Welche von Köhler (konsequent) abgelehnt wird – desavouiert sie doch seine These, die Teilnahme am Suizid stelle Unrecht dar. Trotzdem ist gerade er es, der sich um eine Integration seiner vorpositiven Ableitung in die Systematik des geltenden Rechts bemüht, vgl. Köhler, S. 24 ff. 162 Gemeint ist hier selbstredend ein Defizit, das über die nach Köhler dem Sterbewillen a priori anhaftende Unsittlichkeit hinausgeht und damit eine Anwendbarkeit des § 216 zugunsten einer Strafbarkeit nach § 212 ausschließt. 163 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung unter C. I. 164 Köhler, S. 26: „Für die Systematik der gesetzlichen Beteiligungsformen bedeutet das aber, im Bereich beherrschender Mitwirkung an fremder Selbstverletzung praktisch die Anstiftung in der mittelbaren Täterschaft aufzulösen.“ Wie weit die Haftung des Mitwirkenden wegen mittelbarer Täterschaft dann tatsächlich gehen soll, hängt allerdings noch wesentlich davon ab, was man unter „beherrschender“ Mitwirkung verstehen möchte, sollte man hinzufügen.

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Tötung auf Verlangen der Einwilligungsmaßstab zumindest insoweit zu berücksichtigen, als dem Sterbewilligen das Projekt seiner Tötung in einer die Verantwortlichkeit anderer Beteiligter ausschließenden Weise nur zugeschrieben werden kann, wenn sein Wille keinen Defekt aufweist, der eine Einwilligung unwirksam zu machen geeignet wäre. Billigt man im Anschluß an Köhler einer Einwilligung nur Wirksamkeit zu, wenn sie frei, d. h. selbstbestimmt im strengen, sittlichen Sinne, zustande gekommen ist, und sieht man den Suizidentschluß a priori – schon seinem Inhalt nach – als mit einem Willensdefekt behaftet an, so ist die Folgerung unausweichlich, daß eine positive Zuschreibung von Verantwortung für das Suizidprojekt an die Adresse des Sterbewilligen niemals erfolgen kann.165 Ein „eigenverantwortlicher Suizid“, der einem an der Verursachung des Todeserfolges Beteiligten den Zugang zur Verantwortung für diesen Erfolg versperren könnte, existiert damit als rechtliche Kategorie nicht. Das bedeutet, daß die allgemein als für die Fälle des § 216 charakteristisch angesehene Kollision von Verantwortungsbereichen einseitig zugunsten einer Verantwortlichkeit des beteiligten Dritten aufgelöst wird. Bildlich gesprochen, stößt jede von außen für den Todeserfolg gesetzte Ursache in ein Verantwortungsvakuum und füllt dieses gänzlich aus. Damit wird in der dogmatischen Folge nahezu166 jeder ursächliche Beitrag zu einem Suizidprojekt, auch soweit er strukturell einer Anstiftung oder Beihilfe entspricht, nach Art einer Einheitstäterschaft in die Strafbarkeit nach § 216 gehoben.167 Es verwundert, daß Köhler seine Gedanken nicht bis zu dieser Konsequenz geführt hat, entspricht doch diese Interpretation des positiven Rechts seiner vorpositiven Ableitung der Strafwürdigkeit der Teilnahme am Suizid.168 Überzeugend erscheint eine solch 165 Wiederum drängt sich die oben angesprochene Frage auf: Wenn das richtig ist, womit ist dann die in § 216 festgeschriebene Privilegierung desjenigen, der einen Beitrag zur Tötung leistet, überhaupt zu begründen – worin liegt die normative Differenz zu § 212? 166 Etwas anderes wird nur anzunehmen sein, wenn sich der Beitrag des Beteiligten in einer unselbständigen, im Hinblick auf das Risiko des Eintritts des suizidalen Erfolges neutralen Hilfeleistung erschöpft, wenn dieser also beispielsweise dem Sterbewilligen das Wasserglas zum Herunterspülen des von ihm eingenommenen tödlichen Giftes reicht, das er anderenfalls ohne weiteres selbst hätte ergreifen können. In diesen Fällen fehlt es nach allgemeinen dogmatischen Regeln an der Beherrschung des „Werkzeuges“ durch den Außenstehenden. 167 Auch eine Exkulpation auf subjektiver Ebene, wie sie für § 212 häufig möglich sein dürfte, kommt hier nicht in Betracht. Veranlaßt jemand einen unfreien Suizid bzw. wirkt an diesem beherrschend mit, so wird er sich im Hinblick auf eine mittelbare Täterschaft – wie streng man auch die Voraussetzungen an die Freiwilligkeit des Suizids formulieren möchte – häufig damit entlasten können, daß er von dem defizitären Willen des Sterbewilligen keine Kenntnis hatte. Manifestiert sich das für die Unbeachtlichkeit des Willens maßgebliche Defizit jedoch gerade in seinem Inhalt selbst, so hat der den Willen Respektierende notwendig auch Kenntnis von diesem seine Verantwortlichkeit begründenden Umstand. 168 Auch wenn sich vorpositiver Strafgrund und materielles Fundament der dogmatischen Ableitung mitnichten decken. Erblickt Köhler (S. 24) den Grund der Bestra-

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schwerwiegende Verwerfung in der Zuschreibung täterschaftlicher Verantwortung indes nicht.169 Mag man in der Betätigung der Selbsttötungsmaxime einen innerpersonalen Pflichtverstoß erkennen, mag die Person als Vernunftwesen gegen die drohende Vergewaltigung durch die Person als Sinnenwesen zu schützen sein170 – ist dieser Schutz doch primär eine Angelegenheit der Selbstorganisation des Subjekts.171 Dieser grundsätzlichen Zuweisung widerspricht es aber, wenn eine Fehlleistung des Subjekts bei der Befolgung der selbstbezogenen Pflicht im Ergebnis eine Verschiebung seiner Verantwortlichkeit nach außen zur Folge hat. Es mutet merkwürdig an, daß die Dichotomie in der Person des sich selbst Verletzenden – das Innehaben der Position sowohl des Täters als auch der des Opfers – einseitig zugunsten der Opferrolle aufgelöst wird, sobald sein Verhalten in eine Interpersonalstruktur übergeleitet wird. Hingegen wächst danach die Verantwortung, die der Rechtsgutsinhaber bei dem ohne fremde Beteiligung realisierten Selbstverletzungsprojekt trägt, ohne weitere materielle Vermittlung demjenigen zu, dem man – wie Köhler im Rahmen seiner vorpositiven Betrachtungen ganz richtig feststellt – allenfalls den Vorwurf machen könnte, daß er durch sein Verhalten die pflichtwidrige Maxime des anderen affiziert. Es bleibt also festzuhalten, daß der Versuch, die Norm des § 216 über eine absolute Indisponibilität des Rechtsguts Leben zu erklären, die durch einen (rechtlichen oder sittlichen) Pflichtverstoß des Rechtsgutsinhabers bedingt ist, nicht nur an irreparablen immanenten Widersprüchen leidet, sondern überdies zu nicht tragbaren praktischen Ergebnissen führt. Ist damit erwiesen, daß die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen nicht mit einer absoluten, materiellen Indisponibilität begründet werden kann, gilt es im folgenden, anders strukturierte Erklärungsversuche zu beleuchten.172 Dabei lasfung des Teilnehmers in der „intersubjektiven Affirmation der freiheitswidrigen Maxime“, liegt der eben auf der Basis der Interpretation der gesetzlichen Regelung erarbeitete Grund für die Bestrafung des teilnehmenden Dritten in der Zuschreibung der Herrschaft über das Gesamtprojekt. 169 Kritisch auch Jakobs, FS Arthur Kaufmann, S. 459, 465 Fn. 23. 170 Auf diesen Nenner bringt Jakobs, GA 2003, S. 66, den Charakter des intrapersonalen Rechtspflichtverstoßes nach Maatsch. Daß diese griffige Formel eine Verkürzung der oben erläuterten begrifflichen Komplikationen darstellt, insbesondere also der Frage, ob das Subjekt selbst wirklich Opfer des Verstoßes ist, sollte darüber aber nicht aus den Augen verloren werden. 171 In der Sache erkennt auch Maatsch, S. 219 f., dies an, wenn er die Durchsetzung der intrapersonalen Rechtspflicht ausschließlich dem Selbstzwang überantwortet. 172 Über die bereits dargestellten Ansätze hinaus handelt es sich auch bei der von Bringewat in ZStW 87, 623 ff. vorgetragenen These um eine solche, die jedenfalls in ihrer Konsequenz eine absolute, materielle Indisponibilität des Rechtsgutes Leben postuliert. Bringewats Schlüsselargument, das sich auf die medizinisch-empirischen Untersuchungen Ringels (insbesondere: Selbstmordverhütung, S. 51 ff.) zum sog. präsuizidalen Syndrom stützt, lautet: Jeder Entschluß, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, ist pathologischer Natur und damit rechtlich nicht zu beachten. Dabei geht die

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sen sich die im weiteren abzuhandelnden tradierten Lehren des Schrifttums – in Abgrenzung zur Struktur der eben abgehandelten Modelle – in zwei weitere Kategorien einordnen. Dabei handelt es sich zum einen um Begründungsansätze, die von einer relativen Indisponibilität des Rechtsgutes Leben ausgehen, die also die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen mit einem Aspekt begründen, der sich nicht unmittelbar in der Unrechtsstruktur des § 216 auffinden läßt; oft handelt es sich dabei um einen mittelbaren Schutz vor angemaßter Fremdtötung. Zum anderen sind dies sog. paternalistische Modelle, also in erster Linie Auffassungen, die auf der grundsätzlichen Annahme beruhen, daß § 216 die (wohlverstandenen) Interessen des Rechtsgutsträgers gegen seinen aktuellen, unvernünftigen Willen schützt.

II. Die relative Unverfügbarkeit des Rechtsgutes Leben Geht man – im Einklang mit den bisherigen Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung – davon aus, daß das Rechtsgut Leben, wie jedes andere Individualrechtsgut auch,173 grundsätzlich zur freien Disposition seines jeweiligen Inhabers steht, so lassen sich gegen eine umfassende strafrechtliche Freigabe der im Einverständnis mit dem Opfer ausgeführten Fremdtötung weiterhin deren kriminalpolitische Implikationen ins Feld führen.

eigentliche Stoßrichtung der Arbeit Bringewats dahin, den Nachweis einer Strafbarkeit der Teilnahme am Suizid de lege lata zu führen (indem er eine Tatbestandsmäßigkeit des Suizids nach § 212 bei gleichzeitiger gewohnheitsrechtlicher Straflosstellung des Sterbewilligen konstruiert, zu Recht kritisch dazu Roxin, FS Dreher, S. 331, 342 f.). Eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Versuch erübrigt sich an dieser Stelle schon deshalb, weil eine auf die genannte Weise begründete Indisponibilität des Rechtsguts Leben für die Erklärung des Normzwecks des § 216 und seiner Stellung im System der Tötungsdelikte nichts zu leisten vermag, mehr noch: Die bloße Existenz des § 216 falsifiziert bereits die These Bringewats, soweit sie den Anspruch hat, ein Erklärungsmodell für das geltende Recht zu liefern. Denn wenn es wirklich richtig ist, daß jeder auf eine Selbsttötung gerichteten Handlung ein pathologischer Charakter innewohnt, der eine Zuschreibung rechtlicher Verantwortung für das Projekt an die Adresse des Sterbewilligen schlechthin ausschließt, muß es sich bei einer Norm, die bestimmt, daß ein auf diese Weise kompromittiertes Verlangen eine Fremdtötungshandlung privilegiert, evident um materiell unrichtiges Recht handeln (vgl. dazu auch R Schmitt, FS Maurach, S. 113, 118; Schroeder, ZStW 106, 565, 568; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 111; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 180, sowie Bringewat selbst (!) in: Eser, Suizid und Euthanasie als humanund sozialwissenschaftliches Problem, S. 368 ff., die zu dem Schluß kommen, daß § 216 bei pauschaler Pathologisierung des Willens zu sterben kein Anwendungsbereich mehr verbliebe). 173 Die merkwürdige Beschränkung in § 228 sei hier einmal ausgeklammert; sie stellt ein ganz eigenes Problem dar.

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1. § 216 als Schutz vor Mißbrauchsgefahren So wird im Schrifttum teilweise vertreten, § 216 finde seine Legitimation darin, daß die Straflosigkeit der auf Verlangen erfolgten Tötung eventuellen Schutzbehauptungen des Täters einer gegen den Willen des Opfers vollzogenen Tötung Tür und Tor öffnen würde.174 Schließlich sei die Einlassung des wegen eines Tötungsdeliktes Angeklagten, das Opfer habe seine Tötung verlangt, schwer zu widerlegen, denn jenes könne nicht mehr widersprechen. Eine solche Begründung des Normzwecks des § 216 verfolgt zwei unterschiedliche Stoßrichtungen – eine repressive und eine (general-)präventive. Repressiv wirkt die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen insofern, als der durch eine nicht verlangte Fremdtötung verwirkte staatliche Strafanspruch gesichert wird; die nicht beweisbare Tat nach §§ 212, 211 wird bei ihrem Fall in die Straflosigkeit durch § 216 aufgefangen. Aus dieser Funktion läßt sich eine generalpräventive Beeinflussung ableiten, die nicht auf den (formellen) Adressaten des § 216, sondern den der §§ 212, 211 zielt: Der die Tötung eines Menschen ins Auge Fassende soll nicht darauf rechnen können, durch die Behauptung, der Getötete habe die Tat verlangt, völlige Straffreiheit erlangen zu können. Wie schon mehrfach überzeugend dargelegt wurde,175 sind beide Aspekte zur Legitimation der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen nicht hinreichend. Ohne die empirische Richtigkeit der Annahme in Zweifel ziehen zu müssen, daß das Erfordernis des Nachweises des Fehlens der Einwilligung des Opfers eines Tötungsdeliktes die Rechtsprechung vor nicht unerhebliche Beweisschwierigkeiten stellen würde,176 läßt sich doch folgendes einwenden. Es ist unbestritten, daß – 174 So bereits Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, S. 154, der auf der Grundlage seines liberalen Rechtsverständnisses zu dem Schluß kommt, „(. . .) sogar die Ermordung eines andren mit Bewilligung desselben müßte ungestraft bleiben, wenn nicht in diesem letzteren Falle die zu leichte Möglichkeit eines gefährlichen Mißbrauchs ein Strafgesetz notwendig machte.“ Im zeitgenössischen Schrifttum formuliert diesen Gedanken am klarsten Tröndle, 56. DJT, M 29, M 36; ebenso Otto, FS Tröndle, S. 157, 159, dessen Rede von der Notwendigkeit der „Aufrechterhaltung des Tötungstabus“ im Angesicht einer (ex post!) unübersichtlichen Beweislage einen kaum überzeugenden Versuch darstellt, die hier behandelte Schutzzweckkonzeption mit der These zu kombinieren, § 216 diene der Wahrung des sozialen Tabus, mit dem die Tötung eines Menschen belegt ist. Auch Hirsch, FS Lackner, S. 597, 613, verwendet ergänzend das Argument einer „evidenten“ Mißbrauchsgefahr aufgrund von Beweisschwierigkeiten. Nahestehend, wenngleich nicht ganz entschieden Arzt, ZStW 83, 1, 36 f., insbesondere Rn. 97. 175 Zuletzt Maatsch, S. 41 f.; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 260 ff., jeweils m.w. N. 176 Geht man von der Richtigkeit der von Chatzikostas, S. 263, vorgetragenen – aber nicht belegten – Behauptung aus, die gerichtliche Praxis werde kaum je einmal mit einem Fall der Tötung auf Verlangen konfrontiert, läßt sich fragen, ob das praktische Argument nicht vor der Praxis kapitulieren muß: Wenn es denn tatsächlich so naheliegend und einfach (und – aus der Sicht des Rechts – so gefährlich) ist, mit der

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schon aus verfassungsrechtlichen Gründen – ein Strafgesetz eine schuldangemessene Bestrafung eines jeden Normadressaten, der seinen Tatbestand erfüllt, ermöglichen muß. Es liegt aber in der paradoxen Konsequenz der hier behandelten Ansicht, daß § 216 niemals einen dem konkreten Fall gerecht werdenden Strafrahmen zur Verfügung zu stellen in der Lage ist.177 Liegt tatsächlich eine mangelfreie Einwilligung des Getöteten vor, dann ist im konkreten Fall kein Unrecht verwirklicht und nach dem Schuldgrundsatz hat jegliche Bestrafung zu unterbleiben.178 Liegt dagegen tatsächlich eine nicht konsentierte Fremdtötung vor und hat der Täter also das Unrecht der §§ 212, 211 verwirklicht, so kann eine Bestrafung aus dem vergleichsweise niedrigen Strafrahmen des § 216 dem Unrechts- bzw. Schuldgehalt seiner Tat ebensowenig gerecht werden.179 Dieser Einwand trifft das generalpräventive Element des Ansatzes gleichermaßen, (unzutreffenden) Behauptung, das Opfer habe seiner Tötung zugestimmt, Gehör vor Gericht zu finden, wieso machen die Angeklagten dann offensichtlich so zurückhaltend von dieser willkommenen Möglichkeit Gebrauch, ihre Tat nach dem signifikant niedrigeren Strafrahmen des § 216 beurteilen zu lassen? Weniger überzeugend erscheint hingegen der Verweis auf die der Regelung des § 32 immanenten Beweisprobleme, soweit sie die tatsächlichen Grundlagen der These, § 216 diene ausschließlich der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten, anzugreifen sucht (in diese Richtung zielt wohl, wenngleich nicht ganz eindeutig, Chatzikostas, S. 262 f.). Das Argument, jeder, der eine andere Person ermordet hat, könne – anstelle der Einlassung, das Opfer habe seine Tötung verlangt – behaupten, er habe in Notwehr gehandelt, erscheint gerade in den praktisch hauptsächlich relevanten Fällen der (behaupteten) Sterbehilfe im engeren Sinne wenig plausibel. In diesen Fällen ist der Getötete regelmäßig nicht in der Lage, sich selbst den Tod zu geben – die Behauptung, er habe einen die Notwehr gebietenden Angriff verübt, erscheint unter diesen Umständen für den Täter wohl wenig opportun. Auch soweit Chatzikostas die Parallele zur Notwehrregelung ins Normative wendet und als argumentum e contrario gebraucht, kann sie nicht überzeugen. Die Begründung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen mit bloßen Beweisschwierigkeiten könne, so meint Chatzikostas, nicht standhalten, wenn – bei ebenso schwieriger Beweislage – selbst der Angriff auf minderwertige Rechtsgüter die Tötung des Angreifers rechtfertigen kann. Akzeptiert man indes die Prämisse, der Gesetzgeber dürfe strafrechtliche Verbote per se mit Beweisschwierigkeiten begründen, läßt sich die gesetzliche Regelung beider Materien schwerlich kritisieren. Schließlich bedeutet die Möglichkeit, ein Verbot mit der ausschließlichen Intention zu normieren, einen Mißbrauch zu verhindern, nicht, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, ein solches Verbot zu erlassen, ohne dabei nach anderen sachlichen Gesichtspunkten zu differenzieren. Hier drängt sich eine Differenzierung aber förmlich auf: Während die Rechtsordnung an und für sich kein positives Interesse am freiwilligen Ableben ihrer Subjekte haben dürfte, ist ihr an der Gestattung einer Verteidigung der Rechtsordnung durch ein von einem anderen Subjekt angegriffenes Rechtssubjekt (bei allem, was man metapositiv für und wider das Notwehrrecht vorbringen mag) ein Interesse kaum abzusprechen. Die Erlaubnis der Verteidigung in Notwehrsituationen trotz der Mißbrauchsgefahr ist damit zumindest nicht inkonsequent. 177 Siehe dazu auch Maatsch, S. 41 f.; Arthur Kaufmann, MedR 1983, 121, 124 und Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 21. 178 Vgl. jedoch auch Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 107, der Verdachtsstrafen immerhin im Grundsatz für rechtsstaatlich legitimierbar hält. 179 So auch Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 21.

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schließlich darf Prävention im strafrechtlichen Regelungsgefüge niemals Selbstzweck sein, sondern wird durch das Prinzip schuldangemessenen Strafens jedenfalls begrenzt. Als ergänzender Beleg für die Gefahr des Mißbrauchs einer strafrechtlichen Freigabe der Tötung auf Verlangen wird häufig das sozialpräventive Argument ins Feld geführt, daß das Lebensrecht insbesondere von Menschen, deren Dasein für ihre Angehörigen, ihr soziales Umfeld oder gar die Gesellschaft insgesamt eine (z. B. finanzielle) Last darstelle, faktisch ausgehöhlt werden könne. Es sei dann denkbar, daß jenen angesonnen werde, ihre eigene Tötung zu verlangen und es sei nicht ausgeschlossen, daß die in solcher Weise dem Druck einer Rechtfertigung ihrer Existenz Anheimgegebenen diesem Ansinnen schließlich nachgäben, obwohl dies nicht ihrem inneren Willen entspräche.180 Nun dürfte sich zwar kaum bestreiten lassen, daß solche Fälle vorkommen mögen. Bereits Jakobs macht indes darauf aufmerksam, daß es sich hierbei um ein allgemeines, der Gewährung von Freiheit notwendig anhaftendes Phänomen handelt – daß Freiheit immer auch zum Schlechten gebraucht werden kann und gebraucht wird.181 Will man Freiheit mit dieser Begründung verweigern bzw. beschneiden, so wird man wohl den Nachweis einer spezifisch gesteigerten Mißbrauchsgefahr fordern müssen.182 Gerade eine solche ist aber im Falle der Tötung auf Verlangen angesichts der Straflosigkeit der Suizidteilnahme kaum plausibel. Wäre es doch in den meisten derart gelagerten Fällen183 eine mindestens ebenso naheliegende und nicht weniger erfolgversprechende Möglichkeit, den unerwünschten Mitmenschen – straflos – zum Suizid aufzufordern. Daß von dieser Möglichkeit seit Strafloserklärung des Suizids und der Suizidteilnahme – also seit ca. 200 Jahren – offenkundig nicht in einer Weise Gebrauch gemacht wurde, die ein gesetzgeberisches Einschreiten hätte veranlassen können, läßt ernste Zweifel an der empirischen Berechtigung der Geltendmachung einer gesteigerten Mißbrauchsgefahr aufkommen.184 Die Bedeutung dieses Einwandes erschöpft sich nicht im Tatsächlichen, er trifft ebenso die Eignung des kritisierten Arguments, die systematische Konsistenz des § 216 zu belegen: 180

Tröndle, 56. DJT, M 29, M 37; Lindner, JZ 2006, 373, 378. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20 f. 182 Radikaler Herzberg, NJW 1986, 1635, 1642: „Will man die Entscheidung über Recht und Unrecht nicht vom völlig beliebigen Einsatz des Mißbrauchsarguments abhängig machen, bleibt nur der Weg, diesem Gesichtspunkt die Relevanz schlechthin abzusprechen.“ 183 Auszuklammern sind hier nur die wenigen – allerdings gerade für die praktisch bedeutsamen Probleme im Zusammenhang mit der aktiven Sterbehilfe keinesfalls zu vernachlässigenden – Fälle, in denen der am Projekt seiner Tötung Mitwirkende konstitutionell nicht in der Lage ist, sich selbst den Tod zu geben. 184 So auch Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20 f.; Schroeder, ZStW 106, 565, 570 und Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 148. 181

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Wenn die das Unrecht des § 216 substantiell begründende Mißbrauchsgefahr in nahezu gleichem Maße bei der Suizidteilnahme besteht, wieso verzichtet das Gesetz in letzterem Falle auf Strafe?185 2. Die Strafbarkeit der verlangten Tötung zur Fixierung des sozialen Tötungstabus Eine vor allem auf Engisch und Hirsch zurückgehende Ansicht im Schrifttum stellt ebenfalls die materielle Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsinhabers über sein Leben nicht in Abrede, hält das Verbot des § 216 aber ungeachtet dessen für legitim und möchte es mit der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Tabus fremdhändiger Tötung begründet wissen.186 Eine solche Interpretation entbehrt nicht einer vordergründigen Plausibilität und hat den augenfälligen Vorzug, die gesetzliche Differenzierung zwischen (Teilnahme am) Suizid und Tötung auf Verlangen auf frappierend einfache Weise erklären zu können,187 schließlich ist die Fremdhändigkeit der Tötung bereits begriffliches Element des postulierten Schutzzwecks. Das Problematische dieser Ansicht liegt in ihrer Basis, dem archaisch anmutenden Begriff des Tabus. Soll dieser einen eigenständigen Begründungswert 185 Eine aufschlußreiche Randnotiz, die diese Einwände belegt, birgt die von Herzberg in NJW 1986, 1635, 1637 wiedergegebene bzw. interpretierte Anklageschrift im berühmt gewordenen Fall „Hackethal“ (OLG München, NJW 1987, 2940). Dort war ein nach den überkommenen Tatherrschaftskriterien recht eindeutig als bloße Teilnahme am Suizid zu qualifizierendes Verhalten als Tötung auf Verlangen angeklagt worden. Zur Begründung machte die Staatsanwaltschaft u. a. geltend, die Sterbewillige sei nach allem, was der Angeklagte für sie getan habe, in Zugzwang geraten. Das Interesse des Angeklagten am filmisch vorführbaren, die Diskussion bewegenden Fall kennend, habe sie sich gedrängt gefühlt, ihn nicht zu enttäuschen. Unterstellt, diese Darstellung ist zutreffend (was nach den Feststellungen des der Revisionsentscheidung zugrundeliegenden Tatbestandes bezweifelt werden darf, vgl. auch die harsche Kritik bei Herzberg, S. 1637 f.), handelt es sich also um einen der praktischen Fälle, in denen das Ausüben von Motivationsdruck – soweit man nicht den Anwendungsbereich des § 216 bis zur Konturenlosigkeit dehnt – straflos bleiben muß, obwohl eine Bestrafung auf der Basis des hier referierten Normverständnisses teleologisch geboten wäre. 186 Vgl. Engisch, FS H. Mayer, S. 399, 415; Hirsch, FS Lackner, 597, 612; aber auch Otto, FS Tröndle, S. 157, 159; Duttge, GA 2001, 158, 171 ff.; Küpper, Strafrecht BT I, § 1 Rn. 24; NK-Neumann, § 216 Rn. 1, 3; mittlerweile aufgegeben von Jakobs, AT, 14/5; nahestehend BGHSt 32, 367, 379 und Seibert, Indirekte Sterbehilfe, S. 151 ff.; trotz einiger Zweifel im Ergebnis zustimmend Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 117 ff.; eine Teilerklärung der Norm billigt Murmann, Selbstverantwortung, S. 517 ff. dem Tabuargument zu; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 161, nennt die – von ihm kritisierte – Ansicht „(wohl) herrschend“. 187 Selbst dies wird bestritten: Krack, KrJ 1995, 60, 74, meint, eine „Tabuisierung des Rechtsgutes Leben“ erfordere gleichermaßen die Bestrafung der Teilnahme am Suizid; zweifelnd auch Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 19 f.

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gewinnen, darf man ihn nicht mit dem Begriff des Verbots identifizieren.188 Das bedeutet wohl, daß man das Charakteristische des Tabus in seinem irrationalen Element erblicken muß, das ihn gerade vom rechtlichen, sozialen oder moralischen Verbot absetzt; in der – auch gedanklichen – Unberührbarkeit, im Nichtin-Frage-stellen-dürfen, in der kategorischen Geltung jenseits von Sinn und Unsinn.189 Mehrfach bereits wurde im Schrifttum darauf aufmerksam gemacht, daß ein in einem solchen Sinne zu verstehendes Tabu fremdhändiger Tötung im deutschen Strafrecht schlicht nicht existiert, ist doch wenigstens im Rahmen von Notwehr und Nothilfe die Tötung eines anderen Menschen erlaubt.190 Doch auch darüber hinaus ist der prima facie eingängige Begriff des „Tabubruchs“ durchaus präzisions- und interpretationsbedürftig. So wird die denkbar grundlegende Frage, welcher Akt den Tabubruch bewirken solle – die Tötungshandlung selbst oder die Nichtverurteilung der Tat vor Gericht –, soweit ersichtlich, nirgends explizit aufgeworfen. Stillschweigend wird offenbar von der naheliegenden Interpretation ausgegangen, daß der Bruch des Tabus durch die Tötung des Sterbewilligen geschieht. Indiziert wird dies auch durch den Rekurs der Vertreter der Tabuthese auf die formal-objektive Täterlehre – tatbestandsmä188 Gleichwohl läßt sich an mehreren Stellen beobachten, daß Vertreter der Tabuthese den Begriff des Tabubruchs im Rahmen ihrer Argumentation unvermittelt mit dem Begriff des Rechtsbruchs identifizieren – was unausweichlich in einen klassischen Zirkelschluß münden muß. Exemplarisch hierfür sind die Ausführungen Duttges in GA 2001, 158, 173, der zunächst versucht darzulegen, daß jeder Tötungsakt notwendig die Ordnungs- und Befriedungsfunktion des Rechts untergräbt und dann folgert: „Jeder Vorfall, der (. . .) die Ordnungs- und Befriedungsfunktion des Rechts untergräbt, verlangt zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens eine eindeutige Reaktion der Rechtsgemeinschaft bzw. ihrer dazu eingesetzten Organe – eine Reaktion, die den Rechtsbruch beim Namen nennt (. . .).“ Die Antwort darauf, worin dieser beim Namen zu nennende Rechtsbruch bei der Tötung auf Verlangen bestehen soll, bleibt Duttge freilich schuldig. 189 Dies verkennt Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 127 (vgl. ebenfalls Chatzikostas, S. 238, Fn. 94), wenn dort der Begriff in Abweichung vom tradierten Verständnis „als ein möglicherweise wohl begründeter Ausschluß jeder fremden Intervention am menschlichen Leben“ verstanden wird. Vgl. zu dem hier vorgetragenen Verständnis auch Herzberg, NJW 1986, 1635, 1644. 190 Vgl. nur die aufwendige Auseinandersetzung bei Chatzikostas, S. 241 ff. m.w. N.; dazu, daß das Anerkennen auch nur einer einzigen Ausnahme bereits eine Enttabuisierung bewirkt, also die Tabuthese insgesamt erledigt, vgl. ebenfalls Göbel, Einwilligung, S. 38, Fn. 75. Der letztgenannte Gesichtspunkt schließt es ein, daß auch der Verweis Murmanns, Selbstverantwortung, S. 519 f., auf die Möglichkeit einer differenzierenden gesetzgeberischen Behandlung tabuverletzender Verhaltensweisen die Tabuthese nicht retten kann: Weicht der Gesetzgeber das Tötungstabu an einer Stelle auf, weil ihm die Wahrung anderer Interessen vorgeht, so ist dieses Tabu – als Tabu – insgesamt desavouiert und seine Aufrechterhaltung auch dann nicht mehr sinnvoll – und also illegitim –, wenn ihm in der konkreten Konfliktsituation der Vorzug von einem anderen Interesse (hier also der Freiheit, sich selbst unter Einschaltung anderer Personen zu töten) zugebilligt werden sollte.

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ßig soll schon per definitionem nur die fremdhändige Tötung sein. Diesem Erfordernis der Fremdhändigkeit scheint die plausible Erwägung zugrunde zu liegen, daß der verbotene Tabubruch seiner Natur nach sinnlich ohne weiteres, insbesondere also ohne aufwendige Reflexion, wahrnehmbar sein muß.191 Es ist ein Verdienst Göbels, darauf hingewiesen zu haben, daß eine solche streng äußerliche Qualifikation der Tathandlung des § 216 (d. h. die Einbeziehung der Außenwirkung der Handlung in den Unrechtstypus) auf Probleme stößt.192 Er wendet sich gegen die These, die Bestrafung der Tötung auf Verlangen schütze das Tötungstabu, unter Berufung auf die weitgehend193 anerkannte Möglichkeit intersubjektiver Disposition über bloße Lebensrisiken, die im Ergebnis auf eine Straflosigkeit der „einverständlichen fahrlässigen Tötung“ hinausläuft. Hier wie dort werde das Tötungstabu verletzt, konsequenterweise müßten also die Vertreter der angegriffenen Ansicht beide Verhaltensweisen bestrafen; ob die Tötung fahrlässig oder vorsätzlich geschehe, dürfe dann lediglich eine Frage der Unrechtsquantifizierung sein. Letztere Behauptung schießt ein wenig über das Ziel hinaus – wenn auch der objektive Tatbestand der Tabuverletzung im Falle der fahrlässigen Tötung erfüllt ist, so begründet doch die fehlende Erfolgsvorstellung des Täters (hat der Täter keinen Vorsatz auf Tötung, so fehlt auch der Vorsatz auf ein äußerliches Verhalten, das das Tabu fremdhändiger Tötung bricht) ein qualitativ gemindertes Handlungsunrecht, das eine Strafloserklärung zumindest nicht inkonsequent erscheinen läßt. Aber im Kern bleibt doch richtig: Es ist für den außenstehenden Betrachter eines Verhaltens, das den Tod eines anderen Menschen bewirkt, (also den Adressaten des Tabubruchs) mangels Erkennbarkeit der inneren Tatseite häufig nicht möglich, dieses Verhalten zweifelsfrei als (vorsätzliche) Tötungshandlung zu qualifizieren. Um zur Veranschaulichung nochmals auf Herzbergs Beispiel194 zurückzukommen: Wirft sich ein Sterbewil191 Hier handelt es sich um ein plastisches Beispiel für die oben aufgezeigte Verschränkung von Tatherrschaft und Schutzzweck der jeweiligen Strafnorm im allgemeinen und das Erfordernis einer am postulierten Schutzzweck orientierten Interpretation/ Modifikation des Tatherrschaftsbegriffes bei § 216 im besonderen. Wird der Täter des § 216 lediglich für eine Tabuverletzung bestraft, kann es nicht mehr um die normative Ausformung der (zunehmend ihrerseits bereits differenzierten) Modelle sozialer Zuschreibung von Verantwortung für den Todeserfolg gehen, deren komplexe Strukturen zu dem Erfordernis einer äußerlich ohne weiteres rekogniszierbaren Erscheinungsform des Tabubruchs nicht kompatibel scheinen. Es bleibt also nur, die Begriffe der „Tatherrschaft“ und der (in einem engen Sinne zu verstehenden) „Fremdhändigkeit“ der Tötung in eins zu setzen. Daß eine solche auf das äußere Erscheinungsbild der Tat abhebende Auffassung von Täterschaft gerade mit den von Herzberg aufgezeigten Fällen der Quasi-Mittäterschaft große Probleme haben wird, liegt auf der Hand, läßt sie aber noch nicht ohne weiteres unvertretbar erscheinen. 192 Göbel, Einwilligung, S. 38 f. 193 Gerade auch von Hirsch in LK, Vor § 32 Rn. 95. 194 Dabei soll der Einfachheit halber unterstellt werden, daß in dieser Konstellation nach formal-objektiver Täterschaftslehre der Lkw-Fahrer den Tatbestand des § 216 er-

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liger unter einen Lkw, so ist für den Außenstehenden in der Regel nicht ohne weiteres erkennbar, ob es sich um einen verabredeten quasi-mittäterschaftlichen Tötungsakt handelt oder ob der Fahrer lediglich das Handlungsunrecht einer fahrlässigen Tötung verwirklicht hat oder sich gar sorgfaltsgemäß im Verkehr bewegt hat, so daß es sich ungeachtet der menschlichen Beteiligung um ein „Unglück“ im engeren Wortsinne handelt. Will man sich also nicht dazu versteigen, den Tabubruch in der schlichten Erfolgsverursachung zu erblicken, kommt man nicht umhin festzustellen, daß sich der Handlungstypus einer äußerlich erkennbaren Tabuverletzung durch fremdhändige Tötung nicht sinnvoll bilden läßt. Dem ließe sich – um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen – nur dadurch abhelfen, daß man – wenigstens ergänzend – in die Umschreibung des tabuverletzenden Tatbestandes195 die Nichtverurteilung einer fremdhändigen, vorsätzlichen Tötungshandlung (die ja im Rahmen des Gerichtsprozesses dann immerhin im Hinblick auf ihre innere Tatseite hinreichend bestimmt wurde) einbezieht. Wählt man die forensische Qualifikation einer Tat als vorsätzliche Tötung zum Anknüpfungspunkt der Tabuverletzung,196 erscheint freilich das Erfordernis der Fremdhändigkeit der Tötung obsolet, denn die zu gewährleistende äußere Vermittlung zum „Tabu-Adressaten“ erfolgt ja gerade nicht durch die Tötungshandlung selbst. Ob ein so komplexes, zeitlich gestrecktes – und damit typischerweise von umfassender Reflexion durch die involvierten bzw. konfrontierten Personen begleitetes – Geschehen dann allerdings noch dazu taugt, mit einem dem unmittelbar sinnlichen Eindruck referierenden Etikett, wie dem der „Tabuverletzung“, versehen zu werden, sei einmal dahingestellt.

füllt, worüber man natürlich – je nach den konkreten Umständen – herzlich streiten kann, vgl. gerade Fn. 191 a. E., aber auch die Darlegungen unter D. V. 195 Zur Klarstellung sei hinzugefügt: Es handelt sich bei diesem „Tatbestand“ natürlich lediglich um ein vorpositives, gedankliches Hilfsinstrument mit der ausschließlichen Funktion der Beschreibung eines das Verbot des § 216 legitimierenden Sachverhaltes, dessen Elemente – da die Grundlegung eines Verbots dessen Inhalt transzendieren muß – nicht zwingend mit dem in § 216 positivierten Tatbestand korrespondieren. 196 Wenn Murmann, Selbstverantwortung, S. 519 ff., statt dessen als Träger des Tabus die strafgesetzliche Verbotsnorm selbst, einschließlich der aus ihr abgeleiteten rechtlichen Differenzierungen, ansehen möchte, so läuft dies der mit der Idee einer Tabuisierung verbundenen Intention einer Verschiebung der Wahrnehmbarkeit rechtlicher Strukturen auf eine dem Normadressaten zugänglichere Ebene als diejenige des geschriebenen Rechts zuwider. Läßt sich das Rechtssubjekt einmal auf das Recht in seiner Positivität ein, so ist – dessen materielle Richtigkeit vorausgesetzt – die „Gefahr des Achtungsverlusts vor dem Lebensrecht“ (S. 530) ohnehin nicht zu besorgen. Soweit Murmann eine solche Gefahr aus der Möglichkeit einer Fehlinterpretation konkreter Grenzen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit folgert, muß er sich entgegenhalten lassen, daß dies im selben Maße für die Grenzen des Anwendungsbereiches des § 216 gilt, der zudem nach Murmanns Interpretation erheblichen teleologisch motivierten Modifikationen ausgesetzt und damit alles andere als scharf konturiert ist.

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Auch und gerade eine solche Interpretation setzt sich aber einem weiteren grundlegenden Einwand in Bezug auf die materielle Legitimität des postulierten Schutzzwecks aus. Um zunächst auf dessen empirisch-soziale Komponente zu sprechen zu kommen, die unmittelbar mit den eben erläuterten Implikationen des Tabubegriffs zusammenhängt: Es stellt sich die Frage, ob die Aufrechterhaltung des Respekts vor dem menschlichen Leben tatsächlich die radikale Tabuisierung einverständlicher Fremdtötungen fordert.197 Wenn es richtig ist, daß der Tabubruch sich erst mit dem Ergehen eines Urteils vollzieht, das in einem zur Beurteilung stehenden Sachverhalt eine vorsätzliche Fremdtötung erblickt und gleichwohl den Täter freispricht, so liegt in diesem – den für die Unantastbarkeit des Rechtsgutes gefährlichen Inhalt transportierenden – Medium ja auch schon das Gegengift zur Wiederherstellung des möglicherweise lädierten Respekts vor dem menschlichen Leben bereit. Denn selbstverständlich wird sich die Begründung eines solchen Urteils in ausführlicher und differenzierter Weise mit den Umständen auseinandersetzen müssen, die zur ausnahmsweisen Erlaubtheit einer solchen Handlung führen und wird damit in negativer Form geradezu eine Affirmation des grundsätzlichen Tötungsverbots enthalten. Und wäre es nicht eine Zumutung für einen Richter, dessen Alltag davon geprägt ist, daß er z. T. hoch komplexe rechtliche Strukturen an die Rechtsunterworfenen vermitteln muß und daß er Entscheidungen plausibel machen muß, die womöglich wegen feiner Nuancen gerade gegen das im sozialen Vorverständnis entwickelte Gerechtigkeitsempfinden ausfallen, wenn er in den Fällen der Tötung auf Verlangen kapitulieren und (etwas überspitzt) zum Angeklagten sagen müßte: „Tut mir leid, ich darf sie jetzt nicht (eigentlich: zu Recht) freisprechen, denn es würde mir an der Fähigkeit fehlen, die Gründe für diese Entscheidung so an ihre Mitmenschen zu vermitteln, daß sie sie nicht als Freibrief auffassen, noch am selben Tag loszuziehen und ihren mißliebigen Nachbarn zu erschlagen.“? Schwerer als dies noch wiegt die normative Komponente des Problems, also die Frage, ob das Recht überhaupt legitimiert ist, über das materiell zum Schutz von Rechtsgütern erforderliche Maß Verbotstatbestände zu schaffen, weil es seinen Adressaten nicht zutraut, diejenigen Normen zu befolgen, die zur Gewährleistung dieses Schutzes eigentlich (nur) notwendig sind. Hier läßt sich natürlich verfassungsrechtlich argumentieren,198 mit Art. 2 I GG im Hinblick auf die Verhaltensnorm bzw. mit dem Schuldprinzip im Hinblick auf die verwirkte Strafe. Der entscheidende Aspekt läßt sich aber wohl bereits im einfachen Recht – bzw. einem diesem voraus- und zugrundeliegenden vorpositiven Rechtsprinzip – auffinden: die Illegitimität solcherart Frei197 Zweifelnd auch Merkel, Früheuthanasie, S. 424 und Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 120. 198 So – wenngleich sehr pauschal („widerspricht grundlegenden Verfassungsgarantien“) – Merkel, Früheuthanasie, S. 427.

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heitsbeschränkungen ist unmittelbar aus der Irrtumsregelung des § 17 abzuleiten.199 Mit der Schaffung dieser Norm hat der Gesetzgeber dem Adressaten strafrechtlicher Verhaltensnormen die schwere Bürde auferlegt, rechtmäßige Verhaltensweisen von unrechtmäßigen zu unterscheiden: (Verbots- oder Gebots-) Unkenntnis hindert die Bestrafung wegen eines vorsätzlichen Delikts nicht; die Schuld des sich normwidrig Verhaltenden entfällt nur ausnahmsweise bei Unvermeidbarkeit der Rechtsunkenntnis. Bei der Auslegung dieser an sich schon harten Regelung hat die höchstrichterliche Rechtsprechung ein strenges Regiment geführt, die Unvermeidbarkeit eines Rechtsirrtums wird nur in ganz seltenen Fällen einmal konzediert.200 Insbesondere wird dem Normadressaten auch bei wenig transparenter Rechtslage zugemutet, (bis an bzw. manchmal über die Grenzen des faktisch Realisierbaren) Maßnahmen zur Erlangung der erforderlichen Rechtskenntnisse zu ergreifen. Mag man in den Einzelheiten dazu stehen, wie man will, es läßt sich jedenfalls sowohl der gesetzlichen Regelung als auch ihrer Interpretation durch die Rechtsprechung nicht die Folgerichtigkeit absprechen, mit der sie – gleichsam in ihrer negativen Ausprägung – eine grundlegende, vom Rechtsverständnis des deutschen Idealismus geprägte Wertentscheidung in die Strafrechtsdogmatik transportiert: daß die Erkenntnis des Rechts möglich und daß das Rechtssubjekt (jedenfalls soweit man ihm ermöglicht, sich dabei mit der Krücke des geschriebenen Rechts zu stützen) zu dieser Leistung selbständig befähigt sei. Diese Folgerichtigkeit ginge indes verloren, spräche man dem Normadressaten seine Zuständigkeit zur Rechtserkenntnis wieder ab, wenn es um den positiven Aspekt seiner Verantwortlichkeit geht, also um seine Freiheit. Es sollte ohne weiteres einsichtig sein, daß ein der Freiheitsoptimierung verpflichteter Gesetzgeber sich in dieser Hinsicht durch eine Regelung, wie sie § 17 trifft, eine Selbstbindung auferlegt. Selbst bei Zugrundelegung eines auf schlichte Subordination gegründeten Verhältnisses von Strafgesetzgeber und Normadressaten handelte es sich doch wenigstens um ein – wenn man so will – Gebot der Fairneß, daß man denjenigen, dem man die Last des Risikos einer Fehlleistung aufbürdet, auch die Früchte des sich darin manifestierenden Zutrauens in seine Leistungsfähigkeit genießen läßt.201 199 Auch normenhierarchisch ist dies wohl die korrekte Vorgehensweise, ist § 17 doch als einfachgesetzliche Konkretisierung (eines Aspektes) des verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatzes aufzufassen. 200 Vgl. nur BGHSt 5, 284, 289. 201 So übrigens bereits Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, S. 169: „Jeder Bürger muß ungestört handeln können, wie er will, solange er nicht das Gesetz überschreitet; jeder muß die Befugnis haben, gegen jeden andren und selbst gegen alle Wahrscheinlichkeit, wie ein Dritter dieselbe beurteilen kann, zu behaupten: wie sehr ich mich der Gefahr, die Gesetze zu übertreten, auch nähere, so werde ich dennoch nicht unterliegen. Wird er in

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Verallgemeinernd läßt sich somit sagen, daß jegliches präventive Verbot von materiell nicht freiheitswidrigen Verhaltensweisen, soweit es dem alleinigen Zweck zu dienen bestimmt ist, die Randzonen potentiell kollidierender Freiheitsräume vor Übergriffen zu bewahren, die auf einer Fehlinterpretation des Rechts beruhen, vor dem Hintergrund der grundlegenden Wertung des § 17 nicht legitim erscheint. Das heißt aber nichts anderes, als daß es nicht zur Legitimierung einer Norm beitragen kann, dem Gesetzgeber bei der Interpretation der Norm eine solche Intention zu unterstellen. Zu diesem Ergebnis – daß § 17 eine strenge Kongruenz von materiell freiheitswidrigem und positiv verbotenem Verhalten gebietet und somit für eine Tabuisierung im oben dargestellten Sinne keinen Raum läßt – führt eine weitere Erwägung. Es soll an dieser Stelle wenigstens ergänzend darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Regelung des Verbotsirrtums auf einen sachlogisch vorgegebenen, funktionalen Zusammenhang Bezug nimmt, der zwischen der Fähigkeit zur Erkenntnis des Rechts, dem auf dieser Fähigkeit fußenden Gebot, sein Verhalten auf der Basis des als verbindlich Erkannten einzurichten, und den Grenzen der (straf-)gesetzlichen Beschränkbarkeit individueller Handlungsfreiheit besteht. Akzeptiert man die einigermaßen naheliegende Prämisse, daß die von § 17 vorausgesetzte Intelligibilität des Rechts primär durch die Möglichkeit des subjektiven Nachvollzugs der einer Normierung zugrundeliegenden materiellen Wertungen vermittelt wird,202 so unterliegt jene einer immanenten Grenze; sie ist bedingt bzw. limitiert durch die (selbstredend an objektiven Kriterien zu messende) Nachvollziehbarkeit des positiven Rechts. Ein Mindeststandard jener Nachvollziehbarkeit läßt sich für den einschlägigen Bereich des Strafrechts (jedenfalls abstrakt) eindeutig festlegen: Strafrechtliche Ge- oder Verbote sind dazu bestimmt, dem Rechtsgüterschutz zu dienen203 – eine Norm, deren materieller Gehalt dem nicht entspricht (und sei es nur, daß der Normbedieser Freiheit gekränkt, so verletzt man sein Recht (. . .).“ Kritisch im Hinblick auf einen solchen „Mißtrauensgrundsatz“ auch Jakobs, ZStW 97, 751, 771 f.: „Wer aber wegen zukünftiger Taten straft, hat keinen Grund mehr, Gedanken straffrei zu lassen.“ 202 Ohne eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit einem radikal positivistischen Rechtsverständnis zu führen, sollte doch einleuchten, daß es für ein praktisch lebbares Strafrecht nicht möglich ist, den Normadressaten ausschließlich auf das geschriebene Recht zu verweisen, würde man ihm doch damit zumuten, was selbst ein Jurist – schon aus zeitlichen Gründen – nicht leisten kann: Das Lesen (und Erinnern!) sämtlicher überkommener Gesetze und der jeweils aktuellen Bundes- und Landesgesetzblätter. 203 Es sei angemerkt, daß davon z. B. auch Hirsch, FS Welzel, S. 775, 780 ff. – also einer der führenden Vertreter der Tabuthese – ausgeht; er faßt freilich den Begriff des Rechtsguts (neueren Strömungen folgend, vgl. dazu auch die Nachweise unter Fn. 214) so weit (insbesondere: nicht strafrechtsspezifisch), daß er jegliche materielle Kontur verliert und spricht ihm folgerichtig die Eignung zur Limitierung des strafgesetzgeberischen Handlungsspielraums ab. Damit ist das Problem zwar verlagert, aber nicht beseitigt: Die jeder Strafnorm immanente Beschränkung der Handlungsfreiheit der Normadressaten erfordert als Minimum verfassungsrechtlicher Legitimität die Verfol-

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fehl über das zur Rechtsgutsbewahrung Erforderliche hinausgeht), ermöglicht ihrem Adressaten nicht ohne weiteres, davon Kenntnis zu nehmen, daß er den ihm vom Recht zugebilligten Freiheitsraum204 verläßt.205 Es ist leicht zu sehen, daß durch einen solchen Befund der Mechanismus der Verantwortungszuschreibung auf Schuldebene empfindlich gestört wird; der von § 17 als Ausnahme angesehene Fall der Nichterkennbarkeit von Verhaltensanforderungen wird für eine derartige Strafvorschrift zum (normativen) Regelfall. Dies beruht aber nicht auf einem Fehler im System des § 17, sondern darauf, daß der Gesetzgeber, der solche Strafnormen schafft, sich außerhalb dieses Systems bewegt.206 gung eines legitimen Zwecks und einen solchen dürfte der Schutz eines sozialen Tabus für sich schwerlich abgeben (vgl. dazu auch die Darlegungen unter B. II. 3.). 204 Um mit dem Bezug auf den Begriff der Rechtsgutsverletzung nicht mißverstanden zu werden: Dieser Freiheitsraum schließt auch tatbestandsmäßige, aber erlaubte Verhaltensweisen ein; nicht umsonst spricht man vom Unrechtsbewußtsein. Das bedeutet, daß es um mehr geht, als um die bloße Erkenntnis, daß das Verhalten des Normadressaten ein tatbestandlich geschütztes Rechtsgutsobjekt verletzt – es muß jenem vielmehr möglich sein, ein Unrechtsurteil über sein Verhalten zu fällen. Dies schließt insbesondere die Reflexion über Erlaubnissätze ein. Natürlich weiß der Täter des § 216, daß er in ein tatbestandlich geschütztes Rechtsgut eingreift – Unrechtsbewußtsein kann ihm aber daraus nur erwachsen, wenn darüber hinaus seine Reflexion über Erlaubnissätze zu dem Befund kommen muß, daß ein Eingriff in den materiell vor Beeinträchtigung geschützten Bestand des in Anspruch genommenen Rechtsguts vorliegt. Die verbreitete Rede von der „Appellfunktion der Erfüllung des Tatbestandes“ ist somit im Kontext des § 17 insoweit mißverständlich, als sie nicht eine hinreichende, sondern lediglich eine notwendige Bedingung für die Bildung eines (potentiellen) Unrechtsbewußtseins beschreibt. Man wende nicht ein, daß eine solche Argumentation im vorliegenden Zusammenhang an der rechtlichen Praxis vorbeigeht – schließlich dürfte wegen der nahezu ohne Unterbrechung anhaltenden rechtspolitischen Diskussion über die „Freigabe“ der Tötung auf Verlangen fast jeder Deutsche wissen, daß positivrechtlich ein Verbot konsentierter Fremdtötung besteht. Hier geht es aber nicht um empirische Befunde, sondern um eine prinzipielle, intrasystematische, an sachlogischen Strukturen orientierte Argumentation. Im übrigen ist eine jede empirische Argumentation an diesem Punkt schon deshalb im Ansatz schief, weil bislang im Rahmen dieser Untersuchung noch gar nicht geklärt werden konnte, ob eine solche allgemeine soziale Überzeugung von der Existenz eines positiven Verbots der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen nicht tatsächlich durch eine vorpositiv-materielle Bewertung des Handlungstypus als Unrecht flankiert wird. Überprüft wurde die Tabuthese hier schließlich nur (ihrem eigenen Anspruch entsprechend) auf ihre Tragfähigkeit als eigenständige Begründung für die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, also unter Zugrundelegung der Annahme, ein anderer Strafgrund als die Tabuisierung fremdhändiger Tötungen sei für § 216 nicht einschlägig. 205 In der Sprache der zu § 17 entwickelten Dogmatik würde dies heißen, daß ein diagnostizierter Verbotsirrtum unvermeidbar ist, weil dem Handelnden der „Anlaß“ zur Bildung eines Unrechtsbewußtseins durch Reflexion/Befragung eines Rechtskundigen/Gesetzeslektüre fehlt. 206 So gesehen hat § 17 einen zweifachen Adressaten. Neben dem Rechtsanwender im konkreten Einzelfall wendet er sich an den Schöpfer künftiger Straftatbestände (oder, wie hier, an den Exegeten bestehender Strafnormen) mit einer strukturellen Vor-

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Das bedeutet, wenn es richtig ist, daß der Normzweck des § 216 in der Tabuisierung eines materiell nicht freiheitswidrigen Verhaltens besteht, wenn also Strafgrund nicht eine Rechtsgutsverletzung ist, sondern lediglich eine Tabuverletzung,207 wirkt die Norm ironischerweise gerade auf das Normgeltungsbewußtsein, dem sie dem Ansatz nach ja eigentlich zu dienen bestimmt ist,208 insofern zersetzend, als sie die materiell begründeten Grenzen des Rechtsgutsschutzes verwässert und ein diese Grenzen korrekt reflektierendes Bewußtsein in der Konfrontation mit dem positiven Recht frustriert. Zusammenfassend und theoretisch überspitzt ließe sich also sagen, daß ein Strafrecht, das seinen Subjekten die erfolgreiche Leistung der Reflexion seiner Normen zutraut, diese gar von jenen fordert (§ 17), sich durch die Aufstellung von Tabus in einen zweifachen Selbstwiderspruch setzt: Zum einen nimmt es seine Geltungsgrundlage, die Selbstverantwortung des Rechtssubjekts, nicht ernst, zum anderen macht es seine eigentliche Forderung an das Subjekt unerfüllbar, die Befolgung strafrechtlicher Verbotsnormen auf der Basis eines vernunftgegründeten Nachvollzugs des materiellen Verbotsgrundes. 3. Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen zum Schutz des sozialen Friedens Ist damit erwiesen, daß (allein) der Gedanke der Tabuisierung von Eingriffen in bestimmte Rechtsgüter nicht zur Legitimation von Strafnormen herangezogen werden kann, die den Schutz dieser Rechtsgüter bezwecken, so ist doch für § 216 das aus dem Rekurs auf vorrechtliche Vorstellungen zu gewinnende Begründungspotential noch nicht erschöpft. So ist es denkbar, unter Verzicht auf den für die Tabuthese209 substantiellen Bezug zum Lebensschutz, dem Tabuschutz eine originäre rechtliche Relevanz zuzubilligen, also das Tabu zum Rechtsgut zu erheben. Dieser Weg wird im gabe: Strafnormen müssen so konzipiert sein, daß sie die Bildung eines Unrechtsbewußtseins dadurch ermöglichen, daß sie Unrechtstypen formulieren, also in Rechtsgüter eingreifende Verhaltensweisen beschreiben, die ihrem materiellen Gehalt nach dem Handelnden (oder Unterlassenden) bei korrekter Bewertung der Lage wenigstens Anlaß zu einer Reflexion über die Erlaubtheit seines Verhaltens geben. 207 Auf die sich aufdrängende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Tabuverletzung als solche (ausnahmsweise) eine Rechtsgutsverletzung darstellen kann, wird sogleich (im nächsten Abschnitt) ausführlicher zurückzukommen sein. 208 Dazu, daß das allgemeine Normgeltungsbewußtsein – im Gegensatz zu einem Tabu – grundsätzlich ein legitimes Schutzgut strafrechtlicher Verbote sein kann, vgl. Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 49 f. 209 Diese Bezeichnung soll im Einklang mit dem mittlerweile üblichen (juristischen) Sprachgebrauch für den Begründungsansatz reserviert bleiben„ der hier unter B. II. 2. behandelt wurde, wenngleich sich in der Sache die im folgenden darzustellende These Göbels mit der gleichen oder gar größerer Berechtigung unter diesen Begriff subsumieren ließe.

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B. Der Strafgrund des § 216

juristischen Schrifttum namentlich von Göbel beschritten.210 Göbel argumentiert, es gebe in der Gesellschaft tief verwurzelte Wertvorstellungen, die der Täter einer Tötung auf Verlangen verletze,211 zumindest dokumentiere der Gesetzgeber durch die Strafnorm des § 216, daß er von dieser Einschätzung ausgehe. Eine konkrete inhaltliche Umschreibung jener Wertvorstellungen bleibt Göbel schuldig, über ihre Ableitung äußert er sich sehr vage und räumt ein, es mögen dabei irrationale Gesichtspunkte im Spiel sein. Nun wäre es sehr problematisch, auf einen solchen Befund ohne weiteres eine Strafnorm zu gründen, wenn selbst eine Moralwidrigkeit im engeren Sinne (also ein Verstoß gegen eine rational begründete Tugendpflicht) einer Transformation ins Recht bedarf. Dies sieht auch Göbel so. Bestraft werde mit § 216 aber nicht der Verstoß gegen die gesellschaftlichen Moralvorstellungen an sich, sondern die durch diesen Verstoß hervorgerufene Gefahr für den sozialen Frieden. Die durch eine Tötung auf Verlangen berührten sozialen Kulturnormen seien derart tief verwurzelt, daß ein Verstoß gegen sie eine Desorientierung zur Folge habe, die so weit gehen könne, daß die Bevölkerung diesen Normen im Wege unkontrollierter Selbsthilfe Geltung zu verschaffen suche. Den Versuch einer positiven Begründung für die empirische Plausibilität dieser Behauptung unternimmt Göbel dabei gar nicht erst; er scheint insoweit auf das zu vertrauen, was man die „faktische Kraft des Normativen“ nennen könnte: Da der Gesetzgeber sich für ein Verbot entschieden hat, das normativ (nach der von Göbel vertretenen Schutzzweckkonzeption) nur zu legitimieren ist, wenn das verbotene Verhalten tatsächlich eine Gefahr für das Rechtsgut des sozialen Friedens birgt, ist ohne weiteres davon auszugehen, daß er von der ihm im Hinblick auf faktisch-prognostische Bewertungen zustehenden Einschätzungsprärogative212 in diese Richtung Gebrauch gemacht hat.213 Auch im übrigen verharrt die Argumentation Göbels vollkommen auf einer positivistischen Ebene; die Hauptbegründungslinie besteht in einer Parallele zu bereits bestehenden strafgesetzlichen Verboten, wie dem des Verwandtenbeischlafs (§ 173), des Exhibitionismus (§ 183), der Erregung öf210

Göbel, Einwilligung, S. 39 ff. So auch schon Herzberg, NJW 1986, 1635, 1644 und NJW 1996, 3043, 3047 f. 212 Maatsch, Selbstverfügung, S. 42 Fn. 14, meint indes, daß angesichts der grundsätzlichen Legitimationsbedürftigkeit der Freiheitseingriffe durch das Strafrecht eine „Beweislastumkehr“ nicht vertretbar sei, will damit also anscheinend dem Gesetzgeber für diesen Bereich seine Einschätzungsprärogative absprechen; kritisch dazu Murmann, Selbstverantwortung, S. 521, Fn. 751. 213 Daß dies im Hinblick auf die Begrenzung teleologischer Normexegese durch originär und exklusiv legislative Kompetenzen (und damit letztlich das Gewaltenteilungsprinzip) kritisch ist, liegt auf der Hand. Ohne nähere Begründung bejaht Murmann, S. 520 f. – im Zusammenhang mit der Tabuthese – die Statthaftigkeit eines solchen Vorgehens: „Geht man davon aus, daß es sachgerecht ist, den in einer gesetzlichen Regelung zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen (Bestrafungs-)Willen auch dort zu respektieren, wo die tatsächlich vom Gesetzgeber vorgetragene Begründung verfassungsrechtlich nicht tragfähig ist, so sind solche Erwägungen haltbar, die auch der Gesetzgeber zur Grundlage seiner Entscheidung hätte machen dürfen.“ 211

II. Die relative Unverfügbarkeit des Rechtsgutes Leben

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fentlichen Ärgernisses (§ 183a), der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189) und vor allem dem Verbot der Tierquälerei in § 17 TierSchG, deren Legitimation seiner Ansicht nach ebenfalls nur mit einem Verstoß gegen gesellschaftliche Moralvorstellungen denkbar sei. Die Grundaussage lautet: Da so viele Verbotstatbestände unmöglich falsch sein können, muß ein analog strukturiertes Verbot der Tötung auf Verlangen ebenfalls legitim sein. Insoweit befindet sich Göbel in einer Linie mit neueren Versuchen der Öffnung (etwas tendenziös könnte man von „Aufweichung“ sprechen) des Rechtsgutsbegriffes.214 Auch dort wird sehr pragmatisch vorgetragen: Da es von der Gesellschaft niemals akzeptiert würde, wenn all die (z. T. oben genannten) strafbewehrten Verbote, die man mit einem an klassisch-restriktiven Kriterien gemessenen Rechtsgutsbegriff nicht legitimieren kann, abgeschafft werden müßten, sei der einzig gangbare Weg eine Anpassung der theoretischen Grundlagen des Strafrechts, hier also des Rechtsgutsbegriffs, an die praktischen Anforderungen, denen das Strafrecht gerecht werden muß, um das reibungslose Funktionieren des sozialen Miteinander sicherzustellen. Es sei also Abschied zu nehmen vom „Modell unserer gesellschaftlichen Ordnung als eines bloßen Ensembles von wabenartig aneinandergefügten Freiheitsspielräumen Einzelner“.215 Gesellschaftliche Moralvorstellungen seien schützenswert, soweit die friedenserhaltende Funktion des Strafrechts dies gebiete – unabhängig davon, ob die öffentliche Beunruhigung durch die Verhaltensweisen möglicherweise auf einem Mangel an Aufklärung beruhe.216 Ein aufgeklärtes Strafrecht und eine nicht aufgeklärte Gesellschaft paßten eben nicht zusammen.217 Dagegen läßt sich natürlich einiges einwenden,218 insbesondere ruft Bedenken hervor, daß sich mit dieser Begründung die Freiheit aufgeklärter Minderheiten nahezu nach Belieben beschränken läßt, sobald dies rechtspolitisch opportun erscheint. Darum soll es aber hier nicht gehen. Ein Anlaß, sich mit der vorgetragenen Auffassung inhaltlich auseinanderzusetzen, bestünde dann, wenn seine Prämisse – daß das gesellschaftliche Bedürfnis nach Bestrafung „nicht aufgeklärt“ ist, daß es also nicht auf den Schutz eines materiell schützenswerten Rechtsgutes 214 Vgl. zuletzt Stratenwerth, FS Lenckner, S. 377 ff.; Göbel, S. 42, beruft sich vor allem auf Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 346 und Jakobs, AT, 2/19 ff., insb. 2/21, der meint, es ließe sich zwischen bloß unmoralischem Verhalten und Rechtsgutsverletzung keine absolute Grenze ziehen. 215 Stratenwerth, S. 390. 216 Ähnlich Herzberg, NJW 1996, 3043, 3047: „Denn das Grundgesetz sagt an keiner Stelle, daß die Rechtsordnung den irrationalen Wünschen und Interessen keinen Schutz gewähren dürfe.“ 217 So die Formulierung Jakobs’, 2/20, auf die Göbel, S. 43, sich beruft. Ganz ähnlich auch Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 244, der meint, daß das Strafrecht nicht seiner Zeit voraus sein dürfe, sondern „rational mit dem Irrationalen rechnen“ müsse. 218 Vgl. allgemein dazu Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 106 ff., der die begrenzend-kritische Funktion des Rechtsgutsbegriffs betont.

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gerichtet ist – tatsächlich zuträfe. Ziel dieser Untersuchung ist aber gerade, den Versuch zu unternehmen, einen solchen materiell legitimen Schutzzweck aufzuzeigen. Kann dieses Ziel im weiteren Fortgang der Arbeit erreicht werden, so ist ein Rückgriff auf vorstehenden Ansatz, der – schon seinem Selbstverständnis nach – nicht mehr und nicht weniger als eine Art „Notlösung“ offeriert, obsolet. 4. § 216 als Schutz vor einem Dammbruch Mit dem Gedanken des – wie auch immer zu begründenden – Erfordernisses einer Tabuisierung der fremdhändigen Tötung eng verbunden219 ist die Auffassung, die strafrechtliche Erlaubnis der Tötung auf Verlangen könne auf eine schiefe Ebene führen und Schritt für Schritt eine Aufweichung des Lebensschutzes, auch dort wo er aus Gründen des Rechtgüterschutzes unverzichtbar ist, bewirken, kurz: sie könne einen gesellschaftlichen Dammbruch hervorrufen.220 Es soll hier nicht auf die empirischen Grundlagen dieser These eingegangen werden,221 zu deutlich steht ihre normative Konsistenz in Frage. Ebenso wie die Tabuthese ist das sog. Dammbruchargument geprägt von einem grundsätzlichen Mißtrauen in die Funktionsfähigkeit überkommener rechtlicher Schutzmechanismen – ein Mißtrauen, das sich hier jedoch nicht unmittelbar gegen das Verhalten der einzelnen Normadressaten richtet. Denn jener „nächste Schritt“222 auf dem Weg zur gesellschaftlichen Sanktionierung mate219 Im Schrifttum wird zwischen beiden Ansätzen teilweise nicht differenziert, so offenbar bei Merkel, Früheuthanasie, S. 424 f. 220 Giesen, JZ 1990, 929, 935; Hirsch, FS Lackner, S. 597, 613; Engisch, FS Schaffstein, S. 1 ff., Leonardy, DriZ 1986, 281, 290. 221 Vgl. dazu ausführlich Beckert, Suizidbeteiligung und Sterbehilfe, S. 255 ff.; zu Recht macht Hoerster, NJW 1986, 1786, 1791 auf das Fehlen jeglichen Materials zur Verifizierung der These aufmerksam; ebenso Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 172 („derzeit nicht zu widerlegende, aber auch nicht beweisbare Behauptung“). Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Stellungnahme Hegselmanns in: Merkel/Hegselmann, Zur Debatte über Euthanasie, S. 197, 207, der es angesichts des zum Teil unsachlich geführten Streites um die Auswirkungen einer Freigabe der aktiven Sterbehilfe für nötig erachtet, auf die Selbstverständlichkeit aufmerksam zu machen, daß die bloße Behauptung eines Schiefe-Bahn-Effektes noch kein SchiefeBahn-Argument sei und zur Disziplinierung der Diskussion versucht, konkrete Argumentationsregeln aufzustellen. 222 Der Sprachgebrauch ist hier auf eine recht aufschlußreiche Art verschieden. Während die wohl gebräuchlichere Terminologie, an den anglo-amerikanischen Ursprung („slippery slope arguments“) anknüpfend, von einem „Schiefe-Ebene-Argument“ oder „Schiefe-Bahn-Argument“ spricht, vgl. z. B. Hegselmann, S. 206, wird zum Teil auch die Bezeichnung „Argument des nächsten Schritts“ verwendet, so z. B. von Hirsch, S. 613, insbesondere Fn. 52. Obwohl die jeweiligen Autoren damit ersichtlich keine sachliche Differenz benennen wollen, steckt in diesen sprachlichen Bildern bereits ein guter Teil der Problematik: Ist es so, daß man nach Art einer actio libera in causa bereits mit dem ersten Schritt eine schiefe Ebene betritt, die man dann ohne

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rieller Rechtsgutsverletzungen kann offenbar nicht unmittelbar durch ein Individuum vollzogen werden.223 Das Szenario des Umschlagens einer schleichenden Korrumpierung des kollektiven Normgeltungsbewußtseins in tatsächliche Lebensschutzdefizite ist nur in zwei Weisen denkbar. Zum einen wäre die Etablierung einer gesellschaftlichen Praxis möglich, welche die materiell begründeten und positiv formulierten normativen Grenzen des Erlaubten ignoriert. Zum anderen wäre eine Rücknahme unverzichtbarer (straf-)rechtlicher Schutzvorschriften durch die einem gesellschaftlichen Druck nachgebende bzw. ihrerseits mit einem dem Rechtsgut Leben den Respekt verweigernden Denken „infizierte“ Legislative vorstellbar. Beide Konstellationen sind theoretisch streng zu unterscheiden, auch wenn sie in dem häufig von Vertretern des Dammbrucharguments bemühten historischen Präzedenzfall der „Euthanasie“-Aktionen unter dem NS-Regime in Deutschland in praktisch kaum entwirrbarer Verflechtung auftraten.224 Ersteres Phänomen entzieht sich ersichtlich einer Bewältigung durch die Statuierung von Verhaltensnormen – hier ist das Recht auf die ihm vorausgesetzten und es flankierenden Mittel seiner Durchsetzung verwiesen.225 weiteres Zutun und ohne weitere Einflußmöglichkeit hinunterrutscht, daß also bereits in diesem ersten Schritt das verderbliche Ende irreversibel angelegt ist? Oder ist es nicht vielmehr so, daß man sich (Schritt für Schritt) handelnd vorantastet, wobei jeder dieser Schritte ein verantwortlich gesetzter, selbständig verifizierbarer Akt eines Rechtssubjekts ist, das normativ dafür zuständig ist, nicht der durch die vorausgegangenen Schritte möglicherweise heraufbeschworenen Verführung der Grenzüberschreitung nachzugeben? 223 Jene Rechtsgutsverletzungen, die durch eine Erschütterung des individuellen Normgeltungsbewußtseins und darauf beruhende individuelle Handlungsweisen bewirkt werden, wären auf der Basis der bereits erörterten Tabuthese in den Schutzbereich des § 216 einzubeziehen (in der Tat werden beide Ansätze z. T. kombiniert vertreten, so von Hirsch). Ein Mißverständnis ist es demzufolge, wenn Beckert, S. 255, und Chatzikostas, S. 248, das Dammbruchargument als generalpräventiven Ansatz qualifizieren. 224 Vgl. nur Giesen, der im genannten Zusammenhang nur pauschal von einem „warnende(n) Beispiel, wie pervertiert Denken und Handeln werden können, wenn erst einmal der erste Schritt auf der abschüssigen Bahn getan ist“ spricht, damit aber zwei – gerade für den hier diskutierten Ansatz – grundverschiedene Probleme – Pervertierung des Denkens/des Handelns – nicht auseinanderhält und damit geflissentlich die Frage vermeidet, wie eine Normierung, ohne den ihr vorgegebenen Rahmen des Rechts (also der äußeren Verhaltenssteuerung) zu verlassen, die Bestimmung haben kann, den Effekt einer Pervertierung des kollektiven Denkens (denn das ist nach der Dammbruchthese das die einzelnen Schritte zur Beschneidung des Lebensschutzes vermittelnde Element) zu verhindern. In diesem Zusammenhang drängt sich natürlich auch die Frage nach der Geeignetheit zur Erreichung dieses Zwecks auf; zumindest bedarf es einer Erklärung, wieso das Gegengift der – in der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reiches (jedenfalls formal) unverändert fortgeltenden – Norm des § 216 jene Pervertierung damals nicht verhindern konnte. 225 Zumal man argumentieren könnte, daß jene vorgelagerte Verhaltensnorm (also das Verbot der konsentierten Fremdtötung) keine geringere Gefahr liefe, durch eine gegenläufige Entwicklung der sozialen Praxis faktisch suspendiert zu werden.

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B. Der Strafgrund des § 216

Ebenso illegitim erscheint es, dem § 216 die Funktion der Verhinderung eines legislativen Versagens beizumessen. Zunächst steht zur Überprüfung der Frage, ob der Gesetzgeber seinem aus Art. 2 II 1 GG folgenden Schutzauftrag in hinreichender Weise nachkommt, ein völlig ausreichendes verfassungsrechtliches Instrumentarium zur Verfügung.226 Darüber hinaus erscheint eine solche Schutzkonzeption aufgrund ihrer – fast schon als kurios zu bezeichnenden – normativen Struktur fragwürdig. Wie bereits Merkel zutreffend feststellte, würde § 216 nach dieser Interpretation eine Norm verkörpern, mit welcher der Gesetzgeber dem Normadressaten ein materiell erlaubtes Verhalten verbietet, um sich selbst davor zu bewahren, materiell rechts-/verfassungswidrige Gesetze zu erlassen.227 Nicht nur, daß man dem Gesetzgeber also mit dem Dammbruchargument unterstellen würde, daß er sich selbst nicht zutraue, seiner ureigensten Aufgabe gerecht zu werden. Man ließe ihn zudem dieses Defizit an Selbst-Vertrauen bei der Wahrnehmung seiner Zuständigkeit durch die Inanspruchnahme eines absolut unzuständigen Rechtssubjekts (formal des Normadressaten, materiell wohl eher des Sterbewilligen)228 kompensieren.229 Hier gilt in noch gesteigertem Maße der Einwand, den Maatsch vor allem den Vertretern der Tabuthese entgegenhält: Daß eine Theorie, die einen Normadressaten um der Vermeidung bestimmter Sachverhalte willen, die mit seiner Tat an sich nichts zu tun haben, den Zwangsmitteln des Rechts unterwerfen will, obwohl sie ihm unmittelbar kein Unrecht anlasten zu können meint, diesen als bloßes Objekt staatlicher Gewalt behandelt und damit gegen Art. 1 I GG verstößt.230

226 Auch an dieser Stelle besteht ein wenig die Gefahr, daß die Parallele zur Situation während des Nationalsozialismus den Blick für zulässige Argumentationslinien verstellt: Natürlich schwingt hier immer die Erfahrung des Versagens nahezu des kompletten normativen Apparats mit und so könnte man hier versucht sein, geltend zu machen, daß auch jener verfassungsrechtliche Schutz durch den befürchteten gesellschaftlichen Dammbruch hinweggespült werden könne. Eine solche Entwicklung hätte dann aber einen universalen Charakter und demzufolge mit der spezifischen Problematik des Lebensschutzes nichts mehr zu tun; redlicherweise wird sich die Diskussion also immer innerhalb des Rahmens der geltenden Rechtsordnung halten müssen. 227 Merkel, Früheuthanasie, S. 424 f. 228 Auf letzteren ist Merkels Argumentation ausschließlich zugeschnitten – wohl zu Recht; eine materielle Beschwer desjenigen, dem die Erlaubnis versagt wird, auf Verlangen zu töten, dürfte wohl nicht denkbar sein; vgl. aber auch die formale verfassungsrechtliche Sicht bei Lindner, JZ 2006, S. 376, 377. 229 Ebenso Murmann, Selbstverantwortung, S. 280. 230 Maatsch, Selbstverfügung, S. 41. Pointiert könnte man sagen, der Gesetzgeber schafft gesetzliches Unrecht, um sich selbst davon abzuhalten, anderweitig gesetzliches Unrecht zu schaffen.

III. Das Verbot der Tötung auf Verlangen

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III. Das Verbot der Tötung auf Verlangen als Instrument paternalistischen Schutzes des Sterbewilligen Die Erkenntnis des Scheiterns der unter B. II. zusammengefaßten Versuche der Legitimation des § 216 führt den gedanklichen Faden zurück zu dem Erfolg, dessen Herbeiführung § 216 unmittelbar verbietet: zum Tod des Sterbewilligen. Soll das Verbot einen Sinn haben, so muß dieser offenbar in der rechtlichen Absicherung der Fortführung der konkreten Existenz liegen, deren Beendigung Gegenstand des verbotenen Handlungsprojektes ist. Die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bereits behandelten – und verworfenen – Konzeptionen, die diese Grundlage teilen, sind diejenigen, die eine absolute, materielle Indisponibilität des Rechtsgutes Leben postulieren.231 Diesen Konzeptionen ist gemein, daß sie das mangelnde Interesse des Rechtsgutsträgers an seinem Leben durchaus ernst nehmen (oder genauer gesagt keinen Anlaß haben, es über die Feststellung von Ernstlichkeit bzw. Freiverantwortlichkeit hinaus zu hinterfragen), die darauf gegründete Disposition aber wegen einer dem Lebensrecht immanenten inter- oder intrapersonalen Verbindlichkeit nicht akzeptieren. Vermag man solcherlei Verbindlichkeiten auf rechtlicher Ebene nicht zu erkennen und fehlen demzufolge die Argumente, dem einzelnen die grundsätzliche Freiheit zu versagen, sich seiner physischen Existenz zu entledigen, so tritt indes die Frage nach den Anforderungen an die Qualität einer solchen Disposition in ihrer ganzen Schärfe ins Licht. Klammert man die an dieser Stelle noch zu vernachlässigende Thematik des strafrechtlichen Umgangs mit dem Suizid einmal aus, lautet diese Frage also: Unter welchen Bedingungen soll das Recht die Übernahme der Verantwortung für eine (aktive) Fremdtötung durch den Sterbewilligen anerkennen? Die damit angesprochene Problematik ist keine genuin dogmatische:232 Solange man sich abstrahierend innerhalb des Systems strafrechtlicher Verantwortungszuschreibung bewegt, ist es unbedenklich und sogar naheliegend, den allgemein für die intersubjektive Disposition von Individualrechtsgütern geltenden Maßstab anzuwenden, also die an die Wirksamkeit von rechtfertigenden Einwilligungen gestellten Anforderungen zugrunde zu legen. 231

Vgl. oben B. I. Um nicht mißverstanden zu werden: Selbstverständlich weist das positive Recht gerade in diesem Punkt mit seiner (ungeschriebenen) Regelung der Einwilligung und der Norm des § 216 ein intrasystematisches Spannungsverhältnis auf, das ein dogmatisches Problem darstellt. Diese normative Spannung wird jedoch gerade erst durch die Existenz des § 216 bewirkt, die an dieser Stelle der Untersuchung aber auszublenden ist, da zur Klärung der Existenzberechtigung einer Norm eine Argumentation, welche die Existenz jener Norm bereits voraussetzt, schon aus logischen Gründen nicht beitragen kann. 232

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B. Der Strafgrund des § 216

Dann ließe sich § 216 freilich nicht als systematisch konsistente Norm interpretieren und müßte verworfen werden, schließlich decken sich diese Kriterien grundsätzlich mit denen, die die Ernstlichkeit bzw. Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens in § 216 und damit die bloße Privilegierung der Tötung begründen.233 Das heißt aber nichts anderes, als daß jede von der eben skizzierten Basis aus operierende Apologie der Strafbewehrung der Tötung auf Verlangen genötigt sein wird, den allgemeinen Modus der Verantwortungszuschreibung partiell zu verändern.234 Selbstverständlich wird eine solche Modifikation ihre sachliche Berechtigung ausweisen müssen. Es soll an dieser Stelle jedoch vorerst bei der Analyse des systematischen Kontextes verweilt werden, denn diese wird weiteren Aufschluß über die Möglichkeiten und Grenzen der im Fortgang der Untersuchung zu beleuchtenden materiell-teleologischen Grundlegung geben. Zunächst fällt ins Auge, daß der Verantwortlichkeitsmaßstab keiner einfachen Verschiebung unterliegt, sondern eine paradoxe Doppelung erfährt. Zum einen nötigt der theoretische Ausgangspunkt – die grundsätzliche Freiheit der fremdhändigen Verfügung über das Rechtsgut Leben –, eine äußerste Grenze der Verantwortlichkeit des die Tat Ausführenden im Verhältnis zum Sterbewilligen zu installieren. Neben dieser – wie auch immer zu bestimmenden – Grenze muß aber auch die in § 216 mit dem Kriterium des ernstlichen (freiverantwortlichen) Tötungsverlangens benannte Schwelle einer rechtlichen Transposition der Verantwortlichkeit des Sterbewilligen235 ihre Bedeutung behalten. Eine solche Dichotomie der Verantwortungszuschreibung mutet seltsam an und es fragt sich, ob ihr ein sinnvoller Begriff von Verantwortlichkeit zugrunde liegen kann. An anderer Stelle236 wurde bereits dargelegt, daß wesentliche Funktion eines unrechtstypisierenden Verantwortlichkeitsbegriffs die exklusive Zuweisung von Verantwortung für ein Projekt an „Täter“ oder „Opfer“ ist. Eine 233 Diese Aussage kann natürlich nur Richtigkeit für ein systematisches Verständnis beanspruchen, das § 216 als Tötungsdelikt im engeren Sinne interpretiert und demzufolge veranlaßt ist, die Norm in ein unvermitteltes Verhältnis zu den §§ 212, 211 zu setzen. Dieses Verständnis entspricht indes der fast allgemeinen Auffassung in Schrifttum (vgl. nur Sch/Sch-Eser, Vor § 211 ff. Rn. 7 m.w. N.) und Rechtsprechung (vgl. BGHSt 13, 162, 165), die – ob sie § 216 nun formal als einen eigenen Tatbestand oder eine unselbständige Privilegierung ansieht – doch die Vorschrift ihrem Inhalt nach für eine Strafmilderung zu den §§ 212, 211 hält. 234 Vgl. auch Maatsch, Selbstverfügung, S. 46 f. 235 Natürlich ist diese Verantwortlichkeit des Sterbewilligen nicht unmittelbarer Regelungsgegenstand des § 216. Sie ist jedoch im Gegenschluß aus der Norm abzuleiten, soweit man nicht – mit einer heute kaum noch vertretenen Ansicht (Wessels, BT I, Rn. 144; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 2 Rn. 62) – die Privilegierung ausschließlich auf den Motivationsdruck des Adressaten eines Tötungsverlangen zurückführt. 236 Vgl. oben A. II. 2.

III. Das Verbot der Tötung auf Verlangen

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quantitative Abstufung von Verantwortlichkeit jenseits der Bestimmung des jeweiligen Unrechtstypus ist damit strukturell ausgeschlossen.237 Das bedeutet, wenn das Recht das „Opfer“ als für das Bewirken eines strafgesetzlichen Erfolges verantwortliches Subjekt qualifiziert, kann eine Untersuchung der Verantwortlichkeit eines Dritten für das Bewirken desselben Erfolges nur negativ ausfallen; die Zuschreibung einer Teilverantwortung für dasselbe Handlungsprojekt ist – selbstverständlich: unter demselben rechtlichen Gesichtspunkt – nicht denkbar. Jener Ableitung scheint § 216 zu widersprechen, wenn dort an eine freiverantwortliche Disposition des Sterbewilligen über das eigene Leben in der Form eines ernstlichen Verlangens, also an einen Sachverhalt, der durch die Übernahme der Verantwortung durch das „Opfer“ gekennzeichnet ist (die nach dem eben Gesagten die Verantwortlichkeit des Täters sperrt), eine Strafbarkeit des Täters geknüpft wird. Dieses Dilemma erweist sich als Aporie – akzeptiert man die dargelegten Prämissen, läßt sich die Friktion weder vermeiden, noch mit rein systematischformallogischen Mitteln auflösen. Es bleibt lediglich der Versuch, das Problem gleich dem gordischen Knoten zu zerschlagen, indem man die Bindung der Norm an den ihr zugrundeliegende Verantwortlichkeitsbegriff partiell aufhebt. Dies ist wie folgt zu denken. Da es begrifflich zwingend erscheint, unter der „Freiverantwortlichkeit“ des Verlangens in § 216 diejenigen Voraussetzungen zu verstehen, unter denen die Rechtsordnung die (volle) Verantwortung für das Tötungsprojekt dem Sterbewilligen zuschreibt, läßt sich an der grundsätzlichen Verantwortlichkeit des Sterbewilligen für das Projekt seiner Tötung nicht zweifeln. Wenn das Strafgesetz in § 216 gleichwohl dem die Tötung Ausführenden eine strafrechtliche Verantwortung für das Projekt zuschreibt, indem es ihm die Verwirklichung eines Tötungsunrechts zur Last legt, so bleibt nur eine Deutung: Das Strafgesetz erkennt die Verantwortlichkeit des Sterbewilligen zwar formal an, es nimmt sie aber nicht ernst. Eine solche Nicht-Respektierung einer als verantwortlich getroffen anerkannten Entscheidung läßt sich mit gutem Recht als „paternalistisch“ bezeichnen und in der Tat werden diejenigen Ansichten im strafrechtlichen Schrifttum, die in der Sache jener Sichtweise folgen, unter diesem Attribut rubriziert. Die mit der gerade vorgenommenen Ableitung nachgewiesene systematische Konsistenz (mehr noch, akzeptiert man die oben dargelegten Prämissen: Unausweichlichkeit) einer paternalistischen Interpretation sagt natürlich noch nichts 237 Eine solche Quantifizierung ist erst möglich auf der Basis eines weit weniger abstrakten Begriffs von Verantwortlichkeit – bei der Feststellung der Verantwortung des Täters auf Schuldebene (vgl. nur § 21).

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B. Der Strafgrund des § 216

über ihre materielle Richtigkeit, d. i. die Legitimität einer auf ihrer Basis verfolgbaren Schutzzweckkonzeption, aus. Diese Frage wird im folgenden im Mittelpunkt stehen. Darstellung und Kritik einer paternalistischen Sichtweise des Verbots der Tötung auf Verlangen werden dadurch erschwert, daß es – noch in stärkerem Maße als bei den bereits dargestellten Schutzzweckkonzeptionen – die paternalistische Theorie des Strafgrundes des § 216 nicht gibt. Auszuklammern sind in diesem Zusammenhang zunächst die sogenannten „hart paternalistischen“ Erklärungsmodelle. So werden im Anschluß an den neueren anglo-amerikanischen Sprachgebrauch238 Konzeptionen bezeichnet, die eine Definitionsmacht des Staates bzw. der Gesellschaft für Wert bzw. Unwert von Selbstverfügungen statuieren; die Befugnis zu einer Bewertung also, die keinen Bezug zur Innenperspektive des Verfügenden sucht, sondern originär extern ist.239 Die auf einer solchen Grundlage basierenden Theorien lassen sich allerdings nur „paternalistisch“ nennen, wenn man den Begriff „Paternalismus“ im weitesten denkbaren Sinne definiert als das „Aufzwingen eines Verhaltens, das nicht auf den vom Subjekt frei gesetzten Maximen beruht“. Dies würde indes den Begriff seiner spezifischen Bedeutung als eines äußeren Eingriffs in einen Bereich, für dessen Organisation der Bevormundete kraft seiner Autonomie zuständig ist, berauben und damit seinen Inhalt geradezu beliebig erscheinen lassen.240 Daß der sogenannte „harte Paternalismus“ bei näherer Betrachtung (und unter Zugrundelegung einer sinnvoll konturierten Begriffsbestimmung) gar kein Paternalismus ist, entspricht im übrigen dem der Struktur der vorliegenden Untersuchung zugrundeliegenden Verständnis. Es sei in Erinne238 Die Unterscheidung von „strong and weak paternalism“ bzw. „hard and soft paternalism“ geht auf die Schriften Feinbergs zurück; vgl. dazu die prägnante Darstellung des hier referierten Begriffsverständnisses bei Merkel, Früheuthanasie, S. 409 f. m.w. N.; aber auch Chatzikostas, S. 165 ff. Eine teilweise davon abweichende Bedeutung mißt Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 176, den beiden Elementen jenes Begriffspaars zu. 239 Etwas sonderbar mutet es an, wenn Merkel in seiner Darstellung des „harten Paternalismus“ neben Staat und Gesellschaft auch die Vernunft als „externe Definitionsmacht“ aufführt, läuft das doch dem überkommenen Verständnis der Vernunft als einer – wenngleich an objektive Maßstäbe gebundenen – internen Instanz zuwider. Richtig daran ist (und das ist es sicherlich auch, was Merkel meint), daß auch die Vernunft in den Dienst eines harten Paternalismus gestellt werden kann, wenn sie von einer externen Instanz gegen die Willkür des Subjekts ausgespielt wird, indem das sittliche Urteil der Vernunft zum Anknüpfungspunkt rechtlicher Ge- und Verbote gemacht wird. Träger der externen Definitionsmacht als dem „hart paternalistischen“ Element ist dabei indes der Normgeber (also der Staat), nicht die Vernunft. Eine solche Begründung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen mit der Vernunftwidrigkeit (= Selbstwidersprüchlichkeit) der intern zugrundeliegende Maxime findet sich in den unter B. I. 2. dargestellten Ansätzen Köhlers und Maatschs wieder. 240 Plastisch wird das, wenn man sich vor Augen führt, daß in einem derart weit verstandenen Sinne jegliche (straf-)rechtliche Verhaltensnorm für das einen deliktischen Vorsatz fassende Subjekt einen paternalistischen Charakter trägt.

III. Das Verbot der Tötung auf Verlangen

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rung gerufen, daß Ausgangspunkt der Erwägungen, die schließlich auf das – nur unter Rückgriff auf ein paternalistisches Denkmodell erklärbare – Paradoxon einer scheinbar gespaltenen Verantwortlichkeitszuschreibung hinführten, die Annahme einer grundsätzlichen Disponibilität des Rechtsgutes Leben war. Schon begrifflich ist den „hart paternalistischen“ Schutzzweckmodellen des § 216 aber – bei aller Disparität in der Begründung – eines gemeinsam: Das Indie-Pflicht-Nehmen des Lebens des Individuums zugunsten eines objektiven Werts und damit das Bestreiten der individuellen Verfügbarkeit des eigenen Lebens. Das bedeutet nichts anderes, als daß dem „harten Paternalismus“ im wesentlichen diejenigen Theorien zuzuordnen sind, die bereits unter B. I. und B. II. kritisiert wurden.241 Ebenfalls nicht Gegenstand der folgenden Auseinandersetzung soll die Interpretation des § 216 durch Jakobs242 sein, die zwar mit dem in diesem Abschnitt behandelten Konzept den Ausgangspunkt teilt und an verschiedenen Stellen auch von ihrem Autor selbst als „paternalistisch“ bezeichnet wird, jedoch in der Begründung deutlich andere Akzente setzt, die eine eigenständige Betrachtung verdienen.243 Will man sich der materiellen Grundlegung derjenigen Auffassungen im Schrifttum nähern, deren gemeinsamer Kern im folgenden als das „paternalistische Erklärungsmodell der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen“ diskutiert werden soll,244 so kommt man wohl nicht umhin, diese Theorien als Produkt eines Denkprozesses zu verstehen, der seinen Anstoß – wie sich denken läßt – nicht an dem nackten systematischen Befund der vorstehenden Ableitung genommen hat. Im Gegenteil scheint der primäre Zugang derjenigen, die § 216 eine paternalistische Schutzrichtung beimessen, intuitiver Natur zu sein. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls in Anbetracht dessen auf, daß die hauptsächliche Argumentation anhand stark emotionalisierter Fallbeispiele geleistet wird. Eine dieser in der einen oder anderen Form immer wieder bemühten Konstellationen taucht, soweit ersichtlich, erstmals bei Herzberg auf: Verzweifelte Eltern 241 Zu Recht spricht Merkel, Früheuthanasie, S. 415, in diesem Zusammenhang von einer Fehletikettierung, da der Begriff eines „Paternalismus“ fälschlich suggeriert, daß die Bevormundung durch das Verbot des § 216 zum Wohle des Sterbewilligen selbst geschehe. 242 Jakobs in FS Arthur Kaufmann, S. 459, 467 ff. und in Tötung auf Verlangen, S. 14 ff.; völlig anders noch in AT, 21/58a: § 216 gelte der allgemeinen Garantie des Tötungsverbots. 243 Siehe dazu unten B. IV., vgl. auch Fn. 263. 244 Dabei handelt es sich im wesentlichen um Merkel, Früheuthanasie, S. 395 ff.; ders. in: Hegselmann/Merkel, Zur Debatte über Euthanasie, S. 71 ff.; Herzberg, NJW 1996, 3043 ff.; Hoerster, NJW 1986, 1786, 1789 ff.; nahestehend Stratenwerth, AT, § 9 Rn. 17; (unreflektierte) Anklänge auch bei Brändel, ZRP 1985, 85, 91: „Jemanden von einem (. . .) verantwortungslos begangenen Suizid abzuhalten, ist kein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht, sondern entspringt der Verantwortung für den Mitmenschen.“

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B. Der Strafgrund des § 216

rufen einen Arzt zu Hilfe, damit er ihre mit einem Schlafmittel vergiftete 19jährige Tochter rette. Als der Arzt sich daran macht, ihr den Magen auszupumpen, erfährt er zu seiner Überzeugung, daß die Tochter aus tiefem Liebesleid und eigenverantwortlich den Tod gewollt hat; er bricht daraufhin die Behandlung ab und läßt die Bewußtlose, die ohne gesundheitliche Schäden hätte weiterleben können, sterben.245 Zwar geht es in der konkret angesprochenen Konstellation um eine Strafbarkeit wegen einer Tötung auf Verlangen in der Form eines unechten Unterlassens,246 sie ist jedoch darüber hinaus geradezu idealtypisch für den grundlegenden Wertungskonflikt in den von § 216 erfaßten Fällen. So müßten sich die Bauchschmerzen, die Herzberg beim Leser mit dem Gedanken an eine Straflosigkeit der Beteiligten auszulösen sucht, eher verstärken, bildete man den Fall dahingehend um, daß unter den geschilderten Umständen ein Dritter die junge Frau auf ihr ernstliches Verlangen hin tötet. Nun darf eine Theorie zur Begründung einer Strafnorm natürlich nicht dabei stehenbleiben, ein Unbehagen an der Straflosigkeit eines den Tatbestand erfüllenden Verhaltens zu erzeugen, sie muß vielmehr bestrebt sein, den rationalen Kern dieses Unbehagens zu destillieren. Es ist hauptsächlich das Verdienst Merkels, hier die entscheidenden Gesichtspunkte herausgearbeitet und versucht zu haben, diese zu einem in sich schlüssigen Modell zu formen – auf seine Darlegungen werden sich die folgenden Ausführungen demzufolge in erster Linie zu beziehen haben. Das Problem, auf das Fallkonstellationen, wie die dargestellte, aufmerksam machen wollen, erschließt sich unter einem durch die juristischen Vorgaben unverstellten Blickwinkel ohne weiteres. Eine Bewertung des durch das Strafgesetz zu bewältigenden Konflikts nach Maßgabe eines sozialen Maßstabs, der die Chance auf allgemeine Anerkennung hat, dürfte zwar auf der einen Seite durchaus die Relevanz des eigenverantwortlich gefaßten Sterbeentschlusses anerkennen, würde auf der anderen Seite aber doch zumindest berücksichtigen, daß die Einstellung des Sterbewilligen zu seinem Leben in aller Regel einem zeitlichen Wandel unterliegt. Es ist also denkbar, wenn nicht gar wahrscheinlich, daß der aktuell Sterbewillige im Falle seines Weiterlebens seine Existenz späterhin wieder schätzen würde.247 Muß dieser Aspekt auch für die juristische Bewertung des suizidalen Projekts eine Rolle spielen? Der erste Anschein spricht dagegen, schließlich erfolgt die Verantwortungszuschreibung für ein solches Projekt so245

Vgl. Herzberg, JA 1985, 265, 269. Herzberg geht offenbar davon aus, daß das bloße Aufzeigen der Möglichkeit einer derartigen Konstellation die Ansicht falsifiziert, daß § 216 nicht durch Unterlassen begehbar sei. 247 Dies kann natürlich allenfalls eingeschränkt in Fällen einer Sterbehilfe für Moribunde gelten; auf diese Thematik wird an späterer Stelle noch ausführlicher zurückzukommen sein. 246

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wohl im Falle eines für den Beteiligten straflosen Suizids, als auch im Falle einer strafbaren248 Tötung auf Verlangen ausschließlich unter Rückgriff auf den zum Zeitpunkt der Realisierung des Vorhabens aktuellen Willen des Getöteten. Wenn Merkel mit seiner Interpretation des § 216 dennoch den Versuch unternimmt, die zeitliche Fixierung des Sterbewillens durch Einbeziehung einer in die Zukunft gerichteten Perspektive zu überwinden, so muß er sich, neben den auf der Hand liegenden – und im Schrifttum nahezu ausschließlich diskutierten249 – konstruktiven Problemen, zunächst der grundlegenden Frage nach der sachlichen Berechtigung eines solchen Vorgehens stellen. Die mit dieser Frage zusammenhängenden Probleme sollen hier wenigstens angedeutet werden. Die Zurückhaltung des juristischen Schrifttums dabei, den Aspekt der Schutzrichtung der paternalistischen Konzeption zu hinterfragen, scheint verständlich, leuchtet doch das Anliegen der Bewahrung auch des (nur) potentiell subjektiv lebenswerten Lebens gerade angesichts von Fällen, wie dem oben geschilderten, intuitiv unmittelbar ein. Eben diesen Umstand nutzt Merkel, um seinem Ansatz den Anschein einer rationalen Grundlegung zu verleihen. Dabei greift er auf die legitimationstheoretische Grundfigur des modernen Kontraktualismus zurück, also auf das Modell eines (fiktiven) Gesellschaftsvertrages, dem er unter Verweis auf Dworkin250 (auch) die Verfolgung einer wechselseitigen „social insurance policy“, verstanden als aufgeklärt-egoistische Schutzstrategie zugunsten der Interessen der – als autonom und rational vorausgesetzten – vertragsschließenden Individuen, zubilligt.251 Ohne an dieser Stelle auf die grundsätzliche Legitimität einer kontraktualistischen Argumentation eingehen zu müssen, läßt doch bereits der dargestellte Ausgangspunkt eine Gefahr ahnen: Daß auch irrationale Positionen, soweit sie hinreichend fest im kollektiven Bewußtsein verankert sind, Eingang in einen solchen Gesellschaftsvertrag finden und sich anschließend über ihre Eigenschaft, Bestandteil eines nach einem rationalen Modell begründeten Vertrages zu sein, selbst als rational begründet auszuweisen suchen. Und tatsächlich kommt Merkel mit genau diesem Kunstgriff um eine sachliche Begründung seines Ansatzes herum. Zunächst führt er beiläufig, noch unter Berufung auf Dworkins „insurance policy“, ein Interventionsrecht Dritter gegen eigene Fehlentscheidungen „mit weitreichenden, potentiell gefährlichen und irreversiblen Folgen“ ein, um dann unvermittelt zu folgern: „Der Beschluß zur Selbsttötung und das Verlangen, von fremder Hand getötet zu werden, sind dafür die gewich248 In diesem Falle geht es also (nur) um die Möglichkeit der Zuschreibung einer im Vergleich zu § 212 geminderten Verantwortung. 249 Eine Ausnahme bilden die erhellenden Ausführungen Maatschs, Selbstverfügung, S. 45 ff. 250 Dworkin, Paternalism, S. 19, 31. 251 Vgl. dazu insbesondere die Nachweise bei Merkel, Früheuthanasie, S. 410, Fn. 47 f.

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tigsten Beispiele.“ Letztlich greift Merkel also zur Begründung seiner Schutzzweckkonzeption wieder nur auf die vordergründige Plausibilität eines an langfristigen Interessen des aktuell Sterbewilligen ausgerichteten Lebensschutzes zurück.252 Diese Plausibilität wird allerdings bereits erschüttert, stellt man nüchtern die Frage, ob es Aufgabe des Strafrechts einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft sein kann, den einzelnen vor den Folgen seiner Entscheidungen zu bewahren.253 Dem zeitgenössischen Verständnis bei der Interpretation sonstiger Strafnormen entspricht dies jedenfalls nicht; sonst müßte bei der Frage nach dem materiellen Grund der Inkriminierung der Teilnahme an Straftaten (insbesondere der Anstiftung) die alte Schuldverstrickungslehre254 eine unverhoffte Renaissance feiern (denn auch der Straftäter ruiniert – jedenfalls bei Kapitaldelikten – sein Leben und handelt dabei, oft unbedacht, voreilig und in atypischer psychischer Verfaßtheit,255 gegen seine eigenen langfristigen Interessen). Dabei zeugt Merkels Versuch einer positiven theoretischen Grundlegung seiner paternalistischen Interpretation des § 216 schon von einem Problembewußtsein, das bei Autoren gleicher bzw. ähnlicher Ausrichtung nicht selbstverständlich ist. So spricht Herzberg wiederholt als das Telos des § 216 den „Schutz des Lebens auch sterbewilliger Menschen“256 an, ohne eine Veranlassung zu sehen, die Legitimität eines solchen Schutzes zu begründen. Dabei gäbe doch gerade eine Formulierung, wie die von Herzberg gebrauchte, Anlaß zur Reflexion über die Frage, wie sich das zu schützende Gut abstrakt umschreiben läßt, wenn die Verfügung über das Leben – gerade auch mit ihren langfristigen Konsequenzen – vom Willen des Rechtsgutsträgers gedeckt ist, ohne dabei auf eine Position zurückzufallen, die – zumindest in ihrer Konsequenz – auf eine absolute oder relative Indisponibilität des Rechtsgutes Leben hinausläuft. Argumentiert man hier mit dem Schutz der „wahren“ oder „wohlverstandenen“ Interessen des Ster252 Es ist erstaunlich, daß Merkel die Kurzschlüssigkeit seines Begründungsansatzes nicht auffällt, schließlich macht er selbst auf S. 411 (Fn. 52) darauf aufmerksam, daß sich „die Logik des kontraktualistischen Arguments ganz überspringen“ ließe, denn die „guten Gründe für eine allseitige Zustimmung zu der fraglichen Norm sind einfach gute Gründe für die Norm“. Das kontraktualistische Modell mache also nur, aber immerhin, die Vernünftigkeit dieser Gründe in einem suggestiven Bild anschaulich und einleuchtend. Man sollte meinen, diese zutreffende Analyse der Struktur der eigenen Argumentation hätte Anlaß geben sollen, das Begründungsdefizit eines Legitimationsversuches zu erkennen, der die „guten Gründe“, von denen hier die Rede ist, nicht wenigstens benennt. 253 Ablehnend Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 156. 254 Vgl. dazu die Darstellung bei H. Mayer, FS Rittler, S. 243, 254 ff. 255 Mosbacher, Fn. 42, weist unter Bezugnahme auf Cabanis, FS Schewe, S. 181 ff., auf das „prähomizidale Syndrom“ im Vorfeld einer Fremdtötung hin, das dem im Zusammenhang mit autoaggressivem Verhalten häufig als Beleg für das Erfordernis strafrechtlichen Schutzes zitierten „präsuizidalen Syndrom“ nicht unähnlich ist. 256 So Herzberg in JuS 1988, 771, 775; vgl. auch den Titel seines der Verteidigung des § 216 gegen alternative Gesetzesvorschläge gewidmeten Aufsatzes in JZ 1986, 1021: „Zum strafrechtlichen Schutz des Selbstmordgefährdeten“.

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bewilligen, wie das paternalistische Auffassungen regelmäßig tun,257 muß man sich eines vor Augen führen: Das was damit augenscheinlich gemeint sein soll – der Schutz eines potentiellen Interesses des Sterbewilligen an seinem eigenen Leben – taugt nicht zum Schutzgut einer rechtlichen Norm, denn dieses potentielle Interesse ist eine irreale Größe.258 Hat das suizidale Projekt Erfolg, realisiert sich also der im Tatbestand des § 216 vertypte Unwert, so ist eine nachträgliche affirmative Stellungnahme des Getöteten zu seiner Existenz (für alle Zeiten) ausgeschlossen – deshalb ist es schlicht nicht denkbar, durch die Tötung den Gegenstand einer solchen Affirmation zu verletzen. Mit anderen Worten, das potentielle Überlebensinteresse eines Toten muß mangels eines Subjektes, das ein solches Interesse innehaben kann, eine (als solche nicht zum Schutzgegenstand einer Strafnorm taugende) Fiktion bleiben.259 Wahrscheinlich ist es genau dieser Punkt, an dem sich der Bruch des juristisch legitimierbaren Schutzbereichs mit dem sozialen Verständnis eines schützenswerten Gutes vollzieht, immerhin ist dem Alltagsdenken ein Zurückgreifen auf Fiktionen der dargestellten Art nicht fremd.260 Dagegen wird man jedoch daran festhalten müssen, daß eine (straf-)rechtliche Feststellung individueller Interessen sich der immanenten Logik ihres Begriffs beugen muß, nach der sich das Interesse an einem Rechtsgut nicht von der Existenz seines Trägers lösen läßt. Die Feststellung eines solchen Interesses darf sich demnach – entsprechend der durch die vorstehenden Ausführungen als richtig ausgewiesenen überkommenen Dogmatik – nur an dem jeweils aktuellen Willen des Rechtsgutsträgers orientieren.261 Das bedeutet aber nichts anderes, als daß sich die Strafbarkeit in den Fällen des § 216 nicht (jedenfalls nicht unvermittelt) über den Schutz des Interesses des Sterbewilligen an seinem Leben legitimieren läßt. 257

Vgl. nur Merkel, Früheuthanasie, S. 411. Dies verkennt Hoerster, S. 1789, der von „real vorhandenen, diesseitigen Interessen menschlicher Individuen“ spricht. 259 So auch Maatsch, S. 47 f. 260 Es ist für den vorliegenden Zusammenhang müßig, dieses Phänomen analysieren zu wollen. Immerhin läßt sich vermuten, daß das Empfinden, es dürfe nicht außer Betracht bleiben, wie sich der Verstorbene zu einem späteren Zeitpunkt rückblickend zu seiner Entscheidung, aus dem Leben scheiden zu wollen, verhalten würde, auf die Weise, wie sich unser alltägliches Denken in intersubjektiven Strukturen bewegt, zurückzuführen ist. So bemühen wir uns zu erfahren, was andere in für uns relevanten Angelegenheiten denken, indem wir uns (als Denkmodell) zumindest partiell mit ihnen identifizieren und Abwägungsprozesse stellvertretend für sie vornehmen. Diese Methode der Willenserforschung läßt sich auch bei einem bereits verstorbenen Menschen ohne Modifikation anwenden, so daß unser Denken uns suggerieren mag, dieser „Wille“ sei keine Fiktion und mit dem des Lebenden identisch. 261 Für die an dieser Stelle interessierende Frage nach der Legitimation der Norm, also für die Frage nach dem „Ob“ eines Interesses, ist das zwingend; deutlich dürfte jedoch auch bereits werden, daß darüber hinaus die Frage des „Wie“ der Bestimmung eines solchen (fiktiven) Interesses unter dem aufgezeigten Aspekt Schwierigkeiten aufwerfen muß. Darauf wird sogleich zurückzukommen sein. 258

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Gilt es also, der in der Norm angelegten Nichtrespektierung der verantwortlich getroffenen Entscheidung des Sterbewilligen auf der anderen Seite der Waagschale etwas entgegenzusetzen, so bleibt praktisch nur der Ausweg, dem Rechtsgut Leben einen objektiven, vom Interesse seines Trägers losgelösten – an und für sich als Schutzgut taugenden – Wert beizumessen. In diese Richtung gehende Überlegungen könnten wohl auf der Basis sozial anerkannter Wertvorstellungen immerhin einige Plausibilität für sich reklamieren.262 Schon im Ansatz problematisch ist daran aber, daß eine solche Interpretation der Sache nach ihren eigentlichen Ausgangspunkt – die grundsätzliche individuelle Verfügbarkeit des Lebens – zumindest relativieren, also das „weich paternalistische“ Modell mit Elementen eines „harten Paternalismus“ versetzen müßte.263 Dabei erscheint höchst fraglich, ob eine solche Relativierung ohne 262 Hier dürfte der geistig-kulturelle Hintergrund des christlich inspirierten abendländischen Denkens eine große Rolle spielen, vgl. auch die Darlegungen zu den Motiven des historischen Gesetzgebers unter B. I. 263 Man darf wohl annehmen, daß es sich nicht um eine durch das aufgezeigte teleologische Legitimationsdefizit induzierte Koinzidenz handelt, wenn Merkel, Früheuthanasie, S. 413, Fn. 56 und S. 417 ff., tatsächlich einen solchen Weg beschreitet, indem er sein in der Basis „weich paternalistisches“ Modell um den Aspekt der Wahrung der allgemeinen Garantie des Tötungsverbots ergänzt. Denn da Merkel die oben dargestellte begriffliche Inkonsistenz des Versuchs, die wahren (längerfristigen) Interessen eines Sterbewilligen gegen seinen aktuellen Willen zu bewahren, übersieht und deshalb den „weich paternalistischen“ Ansatz bereits für sich genommen als tragfähig zur Legitimation der Bestrafung der Tötung auf Verlangen ansehen kann, erscheint aus seiner Sicht eine solche Erweiterung des Schutzbereiches zur metapositiven Grundlegung der Norm nicht notwendig. Wenn er trotzdem schreibt: „Ich halte beide Thesen in ihrer jeweiligen Exklusivität nicht, dagegen beide zusammen für richtig (. . .).“, so hat das seinen Grund wohl eher in den dogmatischen Kalamitäten, in die ein exklusiv paternalistischer Ansatz bei der Interpretation des geltenden Rechts kommen muß. Auf diese wird sogleich zurückzukommen sein. Um Mißverständnisse zu vermeiden, soll – obwohl sie im vorliegenden Kontext keine Auswirkungen hat – bereits an dieser Stelle auf folgende Merkwürdigkeit hingewiesen werden: Merkel bezieht sich im dargestellten Zusammenhang als Beleg für das seine Konzeption prägende paternalistische Element auf Jakobs, FS Arthur Kaufmann, S. 467 ff. Dabei verkennt er offenbar, daß dessen Ansatz in einem grundlegenden Punkt von dem seinigen abweicht (weshalb er in der vorliegenden Untersuchung gesondert zu betrachten sein wird). Ohne vorgreifen zu wollen, sei dazu immerhin soviel gesagt: Während Merkel nach dem – objektiv zu ermittelnden – „wahren“ Interesse des Sterbewilligen fragt, interessiert Jakobs in der Schrift, auf die Merkel sich bezieht, nur die Vollständigkeit des Begründungszusammenhangs eines – noch so unvernünftigen – Projekts, deren Fehlen nach seiner Interpretation durch § 216 für den fremdhändigen Vollzug normativ vermutet wird. Während der Paternalismus Jakobs’ also den aktuellen Sterbewillen durchaus ernst nimmt und in § 216 nur ein Instrument erblickt, bestimmte Anforderungen an die Reflexion der zugrundeliegenden Zweckzusammenhänge zu stellen, spricht Merkel diesem Willen im normativen Regelfall die Anerkennung ab. Einen ganz ähnlichen Weg wie Merkel geht Schneider in MüKo, § 216 Rn. 7 f. – auch er hält das paternalistische Modell (wiederum dasjenige Jakobs’) im Ansatz für das einzig tragfähige, sieht seine Vereinbarkeit mit der Systematik des geltenden Rechts aber als problematisch an, was ihn allerdings lediglich veranlaßt, seine Be-

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Preisgabe des Ganzen überhaupt möglich ist. Mit anderen Worten, es bliebe darzulegen, welche Rolle die Autonomie des Sterbewilligen in einem so verstandenen Konzept überhaupt noch spielen kann. Gut veranschaulichen lassen sich diese Probleme anhand des von Herzberg entfalteten Konzepts, das versucht, den „weich paternalistischen“ Schutz des Lebens des Sterbewilligen mit dem „hart paternalistischen“ Aspekt der Wahrung des Tötungstabus zu kombinieren.264 Von den in Fn. 263 genannten Vertretern solcher „Mischkonzeptionen“ nimmt Herzberg am klarsten Stellung zum Problem des Verhältnisses der verschiedenen Schutzrichtungen, die er dem § 216 beilegt. Er hält sich gar nicht erst damit auf, den Versuch der Quadratur des Kreises zu unternehmen und aus offensichtlich heterogenen Aspekten eine begriffliche Einheit zu formen und entwickelt statt dessen ein zweistufiges Modell, in dem der Lebensschutz das Primat hat und der Wahrung des Tötungstabus lediglich eine Komplementärfunktion zukommt.265 Doch damit sind die Schwierigkeiten nur scheinbar behoben, selbst wenn man – wie Herzberg – davon ausgeht, der „weiche Paternalismus“ Merkel’scher Prägung gebe bereits für sich genommen ein tragfähiges Fundament für die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen. Denn auch Herzberg kommt nicht umhin zu konzedieren, daß es dem Anwendungsbereich des § 216 unterfallende Konstellationen gibt, in denen von Lebensschutz nicht sinnvoll die Rede sein kann.266 In diesen Fällen will er (und muß er, wenn er sich im Rahmen der straftatbestandlichen Vorgaben halten will; die Alternative wäre eine teleologische Reduktion des Normwortlauts) die Tat allein wegen der Verletzung des Interesses anderer an der Respektierung des Tötungstabus nach § 216 bestrafen. Das bedeutet aber im Gegenschluß nichts anderes, als daß der in der Norm vertatbestandlichte Unrechtstypus unabhängig trachtungen – unter Verweis auf Merkel – mit dem lapidaren Schluß zu beenden: „Das verbleibende Erklärungsdefizit der individualistischen Rekonstruktion des Schutzzwecks der Norm kann durch Heranziehung generalpräventiv orientierter Tabuschutzaspekte aufgefüllt werden.“ Ebenfalls aus rein anwendungsbezogenen Gründen ergänzt auch Herzberg seine in NJW 1996, 3043, 3046 f. vertretene paternalistische Schutzzweckkonzeption (die in ihrer Struktur vollständig der hier primär referierten Konzeption Merkels entspricht, also das „wahre Wohl“ des Sterbewilligen gegen seinen aktuellen Sterbewillen durchsetzen will) um ein heterogenes, „hart paternalistisches“ Element: das Interesse anderer an der Respektierung des Tabus der Fremdtötung. Ein Legitimationsproblem sieht einzig Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 180: „Eine rein paternalistische Begründung reicht (. . .) zur Erklärung des geltenden § 216 StGB nicht aus. Es muss deshalb zusätzlich ein öffentliches Interesse auffindbar sein, das der Norm eine zweite Grundlage verschafft.“ 264 Herzberg, NJW 1996, 3043, 3046 f. 265 Ähnlich wohl Schneider, vgl. das gerade in Fn. 263 wiedergegebene Zitat, und Merkel, Früheuthanasie, S. 418, der die Frage nach der Legitimität des Schutzes eines Kollektivinteresses durch § 216 gar unter Verweis auf dessen „jedenfalls nur nachrangige Rolle“ offenlassen zu dürfen meint. 266 Zu den Einzelheiten siehe sogleich unten.

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von einem „weich paternalistischen“ Schutz des Sterbewilligen vorliegen können muß.267 Herzberg übersieht wohl schlicht, daß es das schwächste Glied in der Begründung eines (Straf-)Unrechts ist, das die gesamte Konstruktion trägt (tragen können muß!).268 Verdeutlichen läßt sich das, wenn man sich vor Augen hält, daß die Verletzung der – paternalistisch verstandenen – Lebensschutzinteressen des Sterbewilligen bei gleichzeitiger Verletzung des Tötungstabus demselben Unrechtstypus unterfällt, wie der bloße Tabubruch ohne Relevanz für den Lebensschutz. Somit kehrt sich aus dogmatischer Sicht (natürlich nicht unbedingt in der Mehrzahl der in der Lebenswirklichkeit vorkommenden Fälle) die Gewichtung der Elemente einer solchen kombinierten Schutzzweckkonzeption komplett um: Die Wahrung der Interessen des Sterbewilligen erscheint lediglich als ergänzendes, gleichsam schmückendes Beiwerk; zur Begründung des Unrechts der Tötung auf Verlangen ist sie verzichtbar. Es sollte deutlich geworden sein, auf welche – wohl unüberwindlichen – Schwierigkeiten der Entwurf eines konsistenten kombinierten Schutzzweckmodells stößt. Jedenfalls muß man den (naheliegenden) Versuch Herzbergs als gescheitert betrachten, führt er doch zwingend dazu, daß das Paradigma der grundsätzlichen Verfügbarkeit des Rechtsgutes Leben jegliche substantielle Bedeutung verliert und in der Konsequenz erneut ein dem Typus nach „hart paternalistisches“ Modell etabliert wird. Bereits an diesem Punkt läßt sich der Eindruck gewinnen, daß das Unterfangen einer Legitimation des § 216 über ein paternalistisches Erklärungsmodell in eine Sackgasse geraten ist. Doch damit nicht genug, zieht die einmal eingetretene Schieflage in der Grundlegung der Konzeption eine weitere wesentliche Unannehmlichkeit nach sich. Denn versucht man die dargestellten begrifflichen Friktionen vermeiden, indem man dem Rechtsgut Leben (auch) eine objektive Dimension beilegt, handelt man sich selbstredend zugleich die Schwierigkeiten ein, die mit einem solchen („hart paternalistischen“) Verständnis des Rechtsgutes verbunden sind. Das bedeutet nichts anderes, als daß das – gerade von den Vertretern der hier kritisierten Ansicht269 – für die „hart paternalistischen“ Konzeptionen diagnostizierte Legitimationsdefizit qualitativ ungeschmälert als Begründungsvakuum auch in den in der referierten Weise verstandenen „weich paternalistischen“ Ansatz Eingang findet.

267 Darin liegt bereits eine unausgesprochene Aufhebung der These, der paternalistisch motivierte Schutz des Sterbewilligen vor sich selbst gebe bereits eine tragfähige Basis für die Norm ab, vgl. dazu auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 510 f. 268 Die Qualifizierung einer Schutzrichtung als „vorrangig“, der anderen als „nachrangig“ vermag daran grundsätzlich nichts zu ändern. 269 Vgl. nur Merkel, Früheuthanasie, S. 415 ff.; Chatzikostas, S. 238 ff.; Schneider, Rn. 4.

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Es ist auffällig und bezeichnend, daß jener Aspekt, der die Evidenz der materiellen Grundlegung einer paternalistischen Schutzzweckkonzeption des § 216 am gründlichsten zu erschüttern geeignet ist – die Fiktionalität des Schutzgutes des „wahren, längerfristigen Interesses des Sterbewilligen“ – auch in der Anwendung der Norm schwere und wohl unlösbare Probleme aufwirft. Schließlich leuchtet ein, daß ein nicht reales und damit nicht greifbares Schutzgut kaum geeignet sein wird, dem Schutzbereich einer Norm Konturen zu verleihen. Merkel und Herzberg kommen um eine Auseinandersetzung mit diesem Problem auf Tatbestandsebene zunächst noch herum, indem sie sich der teleologischen Interpretation auf gleichsam negative Weise nähern. Beide Autoren stellen übereinstimmend fest, daß es Fallkonstellationen gibt, die nach Wortlaut, gesetzgeberischer Intention und systematischer Struktur unzweifelhaft dem Anwendungsbereich des § 216 unterfallen, in denen aber von einem im wohlverstandenen Interesse des Sterbewilligen – gegen seinen aktuellen Willen – zu wahrenden Interesse an seinem Überleben keine Rede sein kann.270 Zu veranschaulichen ist das an einem Fall, der im Zentrum der Darlegungen Merkels steht: Ein Autofahrer gerät in einen schweren Unfall und wird ausweglos eingeklemmt. Der Wagen fängt Feuer, schließlich beginnt auch der Mann zu brennen. Als alle Löschversuche scheitern, erschießt einer der hilflosen Zeugen den um seine Erlösung flehenden Autofahrer.271

In einer solchen Situation läßt sich wohl kaum glaubwürdig vorbringen, das Tötungsverbot des § 216 sei dazu bestimmt, das wahre, wohlverstandene Interesse des Verbrennenden an seinem – denkbar kurzfristigen und ausschließlich aus Qualen bestehenden – Weiterleben zu schützen. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, daß die lex lata auch in solchen Fällen eine Tatbestandsmäßigkeit der Tötung bestimmt. Es erweist sich also, daß es bei Zugrundelegung des oben entfalteten, ausschließlich paternalistisch orientierten Verständnisses des § 216 in einer Anzahl von Fällen zum Auseinanderfallen von teleologischer Basis und Anwendungsbereich der Norm kommt.272 Allein die begriffliche Möglichkeit eines solchen Auseinanderfallens bewirkt aber die Falsifikation einer Theorie,

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Merkel, Früheuthanasie, S. 415; Herzberg, NJW 1996, 3043, 3047. Merkel, Früheuthanasie, S. 395 unter Berufung auf eine in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4. 9. 1991, S. 12 geschilderte, wahre Begebenheit. Merkel referiert den Fall, wohl um seiner Quelle treu zu bleiben, zunächst ohne auf das Vorliegen eines ausdrücklichen Tötungsverlangens durch den Autofahrer hinzuweisen. Die nachfolgenden Ausführungen machen jedoch deutlich, daß Merkel sich auf eine dem § 216 unterfallende Situation beziehen will, dies ergibt sich auch im Gegenschluß aus der Anmerkung auf S. 429 (Fn. 85). 272 Hier liegt der Grund für die Zurückhaltung Stratenwerths (AT, § 9 Rn. 18) im Umgang mit der paternalistischen Interpretation des § 216, die er dem Grunde nach für plausibel erklärt. 271

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soweit sie sich als Versuch einer Interpretation des geltenden Rechts versteht. Um dieser Konsequenz auszuweichen, sehen sich Herzberg und Merkel gezwungen, ihre Konzeptionen in der oben bereits erwähnten Weise zu öffnen und – quasi reservehalber – einen weiteren Schutzaspekt einzuführen, der auch in den Fällen, in denen der Gedanke des Lebensschutzes zum Wohle des Sterbewilligen versagt, eine teleologische Rechtfertigung der Aufrechterhaltung des Tötungsverbotes zu liefern geeignet ist. Diesen komplementären Schutzaspekt erblicken beide Autoren – wie gesehen – in dem Interesse der Gesellschaft an der Respektierung des Tötungstabus.273 Da die Wahrung eines solchen Tabus das Unterbleiben ausnahmslos jeder (vorsätzlichen) fremdhändigen Tötung erfordern würde,274 läßt sich unter diesem Gesichtspunkt, wie oben bereits gezeigt, der strafrechtliche Unwert eines jeden nach dem Wortlaut des § 216 tatbestandsmäßigen Verhaltens begründen. Für den so modifizierten paternalistischen Ansatz trifft die eingangs getroffene Aussage, daß die Bestimmung der Reichweite des Schutzbereiches des § 216 kaum lösbare Probleme aufwirft, natürlich nicht mehr zu. Denn da der materielle Unrechtstypus alternativ mit paternalistischen Erwägungen oder unter dem Gesichtspunkt des Tabuschutzes begründet werden kann (natürlich werden in der Mehrzahl der Fälle beide Aspekte kumulieren), tritt die Frage, wann – neben dem Tabuschutz – das wohlverstandene Eigeninteresse des Sterbewilligen sein Weiterleben gebietet, auf tatbestandlicher Ebene in den Hintergrund. Damit ist das Problem aber nicht erledigt, sondern nur verlagert. Denn natürlich kann die ihrem Selbstverständnis nach aufgeklärte und liberale paternalistische Konzeption nicht bei dem dargestellten Rückfall auf die „hart paternalistische“ Position der Tabuschutzthese stehen bleiben. Es liegt Merkel und Herzberg fern, in obigem Fall dem verbrennenden Autofahrer die Erlösung von seinen Qualen unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Wahrung des allgemeinen Interesses an der Respektierung des Tötungstabus endgültig zu verwehren. Sie führen vielmehr die Erkenntnis, daß nicht in allen von § 216 erfaßten Fällen das Tötungsverbot der Wahrung der Interessen des Sterbewilligen dient, zu der Konsequenz, daß – im Gegenteil – in diesen Fällen regelmäßig ein rechtlich

273 Während Herzberg, S. 3047, die hier dargestellten Zusammenhänge sehr klar sieht und benennt, führt Merkel, Früheuthanasie, S. 417 ff., das Telos des Tabuschutzes für § 216 geradezu beiläufig und ohne jeden Hinweis auf die dogmatischen Implikationen ein. Es läßt sich jedoch den Ausführungen zur Möglichkeit einer Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen bei bloßer Tabuverletzung (auf S. 425) im Gegenschluß entnehmen, daß Merkel auch in diesen Fällen von einer Tatbestandsmäßigkeit ausgeht, also die Verwirklichung des Unrechtstypus des § 216 unabhängig von der Wahrung eines Lebensinteresses des Sterbewilligen annimmt. Der Sache nach sind die Positionen beider Autoren also in diesem Punkt identisch. 274 Vgl. zu den damit zusammenhängenden Problemen die Darlegungen und Nachweise unter B. II. 2.

III. Das Verbot der Tötung auf Verlangen

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überwiegendes Interesse des Sterbewilligen an der Herbeiführung seines Todes anzuerkennen ist.275 Hier nun zeitigt das vorpositive Postulat der grundsätzlichen Disponibilität des Rechtsgutes Leben schließlich doch praktische Wirkungen. Es ermöglicht, dieses Sterbeinteresse als rechtlich relevante Größe zu behandeln und in ein Verhältnis zu dem kollidierenden Interesse der Allgemeinheit an der Wahrung des Tötungstabus zu setzen. Dogmatisch handelt es sich dabei um eine Frage der Rechtfertigung der verlangten Tötung durch einen rechtfertigenden Notstand nach § 34. Der Sache nach wird damit die bei der Begründung des Unrechtstypus vorgenommene Gleichschaltung zweier heterogener Schutzzwecke korrigiert und eine differenzierende Bewertung auch des tatbestandlichen Unwerts ermöglicht. Was auf Tatbestandsebene entbehrlich war – die exakte teleologische Einordnung des jeweils unter die Strafnorm zu subsumierenden Verhaltens – wird hier nun unumgänglich. Denn natürlich setzt die Beantwortung der sich im Rahmen des § 34 stellenden Frage, ob das Interesse des Sterbewilligen an der Ermöglichung der Herbeiführung seines Todes das Interesse am Unterbleiben eines durch den Tatbestand als Unwert ausgewiesenen Verhaltens wesentlich überwiegt, in jedem Falle eine Verifizierung von Art und Maß der Rechtsgutsbeeinträchtigung des konkret in Rede stehenden tatbestandsmäßigen Verhaltens voraus. Mehr noch: In der vorliegenden Struktur ist diese Bestimmung nicht lediglich zur Quantifizierung des Unwerts als Abwägungsposten erforderlich, sondern bereits zur Klärung der – vorrangigen – Frage, ob eine den Notstand begründende Interessenkollision überhaupt vorliegt. Denn wie bereits die vorpositive Analyse nahelegt, kommt ein im Rahmen des § 34 in Ansatz zu bringendes kollidierendes Interesse des Sterbewilligen an der Vornahme einer tatbestandsmäßigen Handlung von vornherein nur in Betracht, wenn sich der Unwert dieser Handlung in der bloßen Tabuverletzung erschöpft, nicht jedoch, wenn der zweite – eigentlich primäre – Schutzgedanke der paternalistischen Konzeption greift, wenn also ein durch § 216 zu wahrendes wohlverstandenes Eigeninteresse des Sterbewilligen an seinem Weiterleben zu konstatieren ist.276 Das hat seinen Grund darin, daß die Feststellung eines solchen Interesses an der Bewahrung des Lebens das Resultat einer umfassenden – also auch die Gesichtspunkte, auf die sich die Plausibilität des Sterbewunsches gründen mag, einbeziehenden – Abwägung ist. Und wenn im Ergebnis dieser Abwägung das Interesse an der Weiterführung der Existenz „überwiegt“, also ein Schutz des Sterbewilligen vor seinem eigenen unvernünftigen aktuellen Sterbewunsch geboten erscheint, ist selbstredend die normative Anerkennung eines – auf der Grundlage derselben Faktoren festzu-

275 Häufig besteht dieses Interesse in der Beendigung von mit der Fortführung des Lebens notwendig verbundenen Leiden; man führe sich nur wiederum den Fall des verbrennenden Autofahrers vor Augen. 276 Im Ergebnis ebenso Herzberg, S. 3048.

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B. Der Strafgrund des § 216

stellenden – Interesses an der Herbeiführung seines Todes logisch ausgeschlossen.277 Umgekehrt wird man wohl davon ausgehen können, daß ein nach objektivem Maßstab anzuerkennendes Sterbeinteresse das (lediglich) entgegenstehende Interesse der Allgemeinheit an der Wahrung des Tötungstabus in nahezu jedem Fall wesentlich überwiegt, so daß in den Fällen, in denen der Unwert der Tötung auf Verlangen sich in der Tabuverletzung erschöpft, die Rechtfertigung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens nach § 34 vom Ausnahme- zum Regelfall wird.278 277

Der „pneumatische“ Charakter dieses Exklusivitätsverhältnisses eröffnet übrigens die theoretische Möglichkeit, den Schutz des „wahren Wohls“ des Sterbewilligen aus dem Unrechtstypus zu eliminieren: Erstreckt man den Schutzbereich des Tatbestandes ausschließlich auf den Gesichtspunkt der Wahrung des gesellschaftlichen Tabus der fremdhändigen Tötung, so läßt sich auf dieser Basis natürlich gleichermaßen über eine Rechtfertigung nach § 34 wegen eines das Interesse an der Nichtvornahme der tabuverletzenden Handlung wesentlich überwiegenden Sterbeinteresses nachdenken. Und da ein solches Interesse an der Vornahme einer lebensbeendenden Handlung aus paternalistischer Perspektive immer nur zu bejahen sein kann, wenn nicht das wahre Wohl des Sterbewilligen in seinem Weiterleben liegt, ist – völlig unabhängig von dem § 216 eigentlich beigemessenen Schutzzweck – die positive Bewertung der Entscheidung des Sterbewilligen in jedem Falle negative Voraussetzung der Erlaubtheit einer verlangten Tötung. Natürlich wäre das ein kompletter (wenngleich keine praktischen Auswirkungen zeitigender) Etikettenschwindel. Es ist durchaus möglich, daß Merkel ein solches Modell im Auge hat, wenn er auf S. 426 ausführt: „Das autonomeigenverantwortliche Sterbeverlangen zieht die Grenze, an der die Reichweite des subjektiven Rechts zwingend endet. Das allein wäre noch kein hinreichender Grund für die Erlaubnis, einem solchen Tötungsverlangen umstandslos nachzukommen. Gerade dies stellt § 216 StGB zweifelsfrei klar.“ Das liest sich in der Tat so, als wolle Merkel sagen, das einzige, was man über § 216 verläßlich aussagen könne, sei, daß die Norm festschreibt, daß die Tötung auf Verlangen (irgend-)einen Unrechtstypus verwirklicht, daß dieser sich indes keinesfalls auf die Verletzung eines subjektiven Rechts des Sterbewilligen an seinem Leben gründen kann (mit der Folge, daß dieses subjektive Recht erst auf Rechtfertigungsebene in den Blick genommen werden kann). Eine solche Interpretation dürfte aber kaum mit Merkels teleologischer Ableitung auf S. 410 ff. in Einklang zu bringen sein, die den Tatbestand des § 216 als legislative Ausprägung einer aufgeklärten, intersubjektiven Schutzstrategie zur Wahrung des individuellen Interesses des momentan Sterbewilligen an seinem Weiterleben ansieht. 278 Wie auch die Ausführungen Merkels (Früheuthanasie, S. 427) nahelegen, wird gerade in den praktisch brisanten Fällen der sog. aktiven Sterbehilfe nahezu ausnahmslos eine Erlaubtheit der Tötung auf Verlangen zu konstatieren sein. Dabei mag es zwar etwas zu weit gehen, wenn Merkel meint, „daß ein echtes, objektivierbares Sterbensinteresse des Einzelnen an existentiellem Gewicht für diesen selbst dem prinzipiellen Lebensinteresse eines (beliebigen anderen) Menschen gleichkommt“, kaum bestreitbar ist jedoch sein Schluß, daß „die Opferung dieses Interesses zugunsten eines Schutzes der Tötungsverbotsnorm vor dem schwer greifbaren Risiko ihrer Erosion“ nicht in Betracht kommen darf. Richtig folgert Merkel: „In allen Fällen der Unmöglichkeit einer Selbsttötung bedeutet diese Opferung im Ergebnis den Oktroi eines unbedingten Lebenszwanges.“ Damit dürfte der Rahmen für die Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen auf der Basis der dargestellten Konzeption zutreffend abgesteckt sein: Bei Vorliegen eines Sterbeinteresses und der Unmöglichkeit der eigenhändigen Vornahme der Tötung durch den Sterbewilligen entspricht die Tötung auf Verlangen in jedem Falle

III. Das Verbot der Tötung auf Verlangen

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Damit erweist sich im Ergebnis doch der paternalistische Schutzgedanke als für die Frage nach Erlaubtheit oder Unerlaubtheit der Tötung auf Verlangen entscheidender Aspekt. Erscheint der Schutz des Sterbewilligen vor seinem aktuellen, aber unvernünftigen Sterbewillen nicht angezeigt, so stellt die Tötung trotz Verwirklichung des Unrechtstypus durch den Bruch des Tötungstabus regelmäßig kein Unrecht dar. Mit etwas bösem Willen könnte man sagen, daß das Telos der Bewahrung des gesellschaftlichen Tötungstabus für die Vertreter der paternalistischen Schutzzweckkonzeption lediglich ein (austauschbares) Vehikel darstellt, um die mangelnde Übereinstimmung ihres Konzepts mit dem Wortlaut des Tatbestandes zu beheben. Ist also – wenngleich nicht im engeren Sinne als Problem des Schutzbereiches des § 216 –279 die Frage, ob das „wahre Wohl“ des Sterbewilligen in seinem Überleben oder der Ermöglichung seines Sterbens liegt, als zentrale Schnittstelle für die strafrechtliche Beurteilung einer verlangten Tötung ausgewiesen, so stellt sich in der Folge die bereits eingangs aufgeworfene Frage neu: Nach welchen Kriterien ist zu beurteilen, ob das wahre, wohlverstandene Interesse eines Sterbewilligen – gegen seinen aktuellen Willen – auf die Fortführung seiner Existenz gerichtet ist? Die Schwierigkeit einer Antwort auf diese Frage wird deutlich, führt man sich vor Augen, daß ihr die Beantwortung der diffizi-

der Wahrung des überwiegenden Interesses im Sinne des § 34. Besteht hingegen die Möglichkeit der (nicht tabuverletzenden) Selbsttötung, wird man ein legitimes Interesse an der Ausführung des suizidalen Projektes durch einen Dritten nachweisen müssen. Ein solches Interesse kommt beispielsweise in Betracht, wenn die Ausführung der Tötung durch einen Mediziner die terminalen Schmerzen zu lindern geeignet ist; es wird sich hingegen sicher nicht begründen lassen, wenn ein Unfall vorgetäuscht werden soll, um die Angehörigen in den Genuß der Lebensversicherungssumme kommen zu lassen. 279 Wenigstens gilt das für die an dieser Stelle noch ausschließlich interessierende aktive Tötung auf Verlangen. Es läßt sich denken, daß ein paternalistisches Schutzkonzept ein Strafbedürfnis auch für bestimmte Fälle der passiven Beteiligung an einem Selbsttötungsprojekt anerkennt. So ist unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des wohlverstandenen Interesses eines Sterbewilligen nicht ohne weiteres einzusehen, wieso eine aktive Herbeiführung des Todes strafbar, das tatenlose Geschehenlassen eines Suizids durch einen Garanten jedoch straflos sein soll. Folgerichtig kritisiert Merkel, S. 419 und 578 ff., die herrschende Lehre, die eine Begehbarkeit des § 216 durch Unterlassen prinzipiell ablehnt, und meint, ob die Unterscheidung von Tun und Unterlassen die Last einer solchen Differenz auf der Rechtsfolgenseite tragen könne, sei mehr als zweifelhaft. In jenen Fällen, die phänotypisch als Unterlassen der Erfolgsabwendung zu qualifizieren sind, greift der Aspekt des Schutzes des Tabus der fremdhändigen Tötung natürlich nicht mehr, so daß der Unrechtsgehalt eines solchen Verhaltens nur noch in der mangelnden Wahrung des wohlverstandenen Interesses des Sterbewilligen bestehen kann. Damit definiert für die passive Sterbehilfe die Frage nach dem wahren Wohl des aktuell Sterbewilligen schließlich doch unmittelbar den Schutzbereich des § 216 (in Verbindung mit § 13) – dieser endet dort, wo jenes nach paternalistischen Gesichtspunkten bestimmte Interesse des aktuell Sterbewilligen an der Weiterführung seines Lebens endet.

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len allgemeineren Frage vorgelagert ist, wie sich überhaupt der Wert280 eines Rechtsgutes bemessen lassen soll, an dessen Bewahrung das Subjekt, dem dieses Rechtsgut exklusiv zugewiesen ist, kein Interesse hat.281 Diese Problematik verschärft sich für die konkrete Fragestellung noch dadurch, daß dem in Rede stehenden Rechtsgut Leben von der Rechtsordnung ein absoluter Wert282 zugewiesen wird.283 Es ließe sich also – mathematisch überspitzt – sagen, daß das 280 Es versteht sich von selbst, daß der (normative) Wert eines Rechtsgutes die Basis einer Bestimmung des objektiven Interesses an der Wahrung dieses Rechtsgutes ist. 281 Hier handelt es sich – losgelöst von der konkreten Problematik, insbesondere von den spezifischen Eigenheiten des Rechtsgutes Leben – um die Grundfrage, die sich ein jeder Paternalismus vorzulegen hat. 282 An dieser Formulierung soll Einklang mit der im strafrechtlichen Schrifttum gängigen Diktion im folgenden festgehalten werden. Sie ist gleichwohl problematisch, denn der Begriff des „Wertes“ trägt in sich ein relativierendes, quantifizierendes Element, das in einem Spannungsverhältnis zu dem Attribut „absolut“ steht. Richtiger als die Rede vom „absoluten Wert“ wäre es also, von einem „absoluten Rechtsgut“ zu sprechen. 283 Dies dürfte in der Sache wohl der allgemeinen Ansicht entsprechen, wenngleich in dieser Hinsicht in weiten Teilen des strafrechtliches Schrifttums ein bemerkenswertes begriffliches Chaos herrscht. Verschiedentlich wird dem Rechtsgut Leben lediglich ein „Höchstwert“ (vgl. Lindner, JZ 2006, 373, 379; MüKo-Schneider, Vor §§ 211 ff., Rn. 29) oder ein „Höchstrang“ (vgl. die Ausführungen Merkels, S. 425) beigemessen, im Kontext der Darlegungen der jeweiligen Autoren wird jedoch deutlich, daß diese damit gerade keine Relativierung/Quantifizierung des Wertes des Rechtsgutes Leben zum Ausdruck bringen wollen. Daß es sich um nicht mehr und nicht weniger als einen sprachlichen Lapsus handelt, zeigt am deutlichsten die Kommentierung Schneiders, der meint, aus dem „Postulat des Höchstwertes“ sei die „Inkommensurabilität des Lebens“ abzuleiten. Obzwar gleichfalls dem mißverständlichen/falschen Terminus vom „Höchstwert“ des Lebens verhaftet, geht auch die Rechtsprechung in der Sache von einem absoluten Wert des Rechtsguts Leben aus; in BGHSt 35, 350 gipfelt das – an sich löbliche – Bemühen um Klarstellung in der grotesk anmutenden Formulierung eines „absoluten Höchstwerts“ des Lebens, vgl. auch Sch/Sch-Lenckner/Perron, § 34 Rn. 23. Weit mehr Verwirrung stiftet die in diesem Zusammenhang verbreitete Rede vom „absoluten Schutz des Lebens“, vgl. nur Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 2; Schneider, Rn. 27; Arthur Kaufmann, FS Roxin, S. 841 ff. Eine so weitgehende Formulierung muß überraschen, sind doch Einschränkungen des staatlichen Lebensschutzes allenthalben geläufig, man denke nur an § 32 und den polizeilichen Rettungsschuß. Zu dieser Erkenntnis kommt auch Arthur Kaufmann auf S. 852 seiner umfassenden Untersuchung, meint aber im Ergebnis gleichwohl einen „Grundsatz des absoluten Lebensschutzes“ postulieren zu müssen. Dies kann – der wohlmeinenden Absicht des Autors zum Trotz – schon deshalb nicht überzeugen, weil sich das Postulat eines bloßen (beschränkbaren) „Grundsatzes“ schon begrifflich nicht mit der „Absolutheit“ seines Gegenstandes verträgt, kurz: es handelt sich um eine contradictio in adjecto. Anders als in der in dieser Hinsicht durchaus reflektierten Schrift Arthur Kaufmanns scheint das Postulat des absoluten Lebensschutzes in den meisten übrigen Fällen auf der mangelnden begrifflichen Unterscheidung zwischen dem absoluten Wert des Rechtsguts Leben und einem absoluten Schutz dieses Rechtsgutes zu beruhen (vgl. nur Gropp, FS Brauneck, S. 285 f.; im Ansatz korrekt differenziert hingegen Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 15 ff.). Ganz deutlich wird das wiederum in den Ausführungen Schneiders, Rn. 27: „Die Tötungsdelikte gewährleisten nicht nur umfassenden, sondern auch absoluten Lebensschutz. Absolutheit be-

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wahre Wohl eines Sterbewilligen zu ermitteln ist, indem von einem absoluten Wert das subjektive Interesse seines Trägers subtrahiert wird. Eine solche abstrakte Formel wäre gleichermaßen (im Ansatz) unbestreitbar richtig wie unsinnig. Und doch lassen sich anhand eines solchen müßig anmutenden Gedankenexperiments wichtige Folgerungen gewinnen bzw. deren strukturelle Voraussetzungen veranschaulichen. Zunächst zeigt sich gerade in der mathematisierten Form die (logische) Unmöglichkeit einer weitergehenden positiven Ableitung, denn diese würde offenbar eine Subtraktion inkommensurabler, für sich nicht weiter zu zergliedernder Elemente (absoluter Wert und subjektives Interesse) voraussetzen. Das bedeutet, daß sich auf analytischem Wege ein Axiom für die Bestimmung des wohlverstandenen Interesses des Sterbewilligen an seinem Leben nicht finden lassen wird. Die Entwicklung von Kriterien für diese Bestimmung kann demnach allenfalls auf induktive Weise erfolgen, also auf der Basis der Zusammenstellung einer von paradigmatischen Konstellationen ausgehenden Kasuistik. Natürlich bedarf auch ein solcher Versuch eines normativen Rahmens; sollen Kriterien auf der Grundlage von Fallkonstellationen entwickelt werden, in denen man die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit der Tötung auf Verlangen als gesichert oder wenigstens einem allgemeinen Konsens zugänglich betrachtet, so setzt das voraus, daß diese Zuordnung – über die womöglich vorhandene Evidenz hinaus – einen rationalen, abstrahierbaren Kern besitzt.284 Mit anderen Worten, auch deutet, dass das Leben in jeder Phase in gleicher Weise als Rechtsgut angesehen wird.“ (Hervorhebung im Original). Problematisch wird dieses Fehlverständnis dort, wo man versucht, daraus dogmatische Folgerungen zu ziehen. So meinen beispielsweise Wessels/Hettinger, unter schlichtem Rückgriff auf das Postulat eines absoluten Lebensschutzes eine absolute Indisponibilität des Rechtsgutes Leben statuieren zu können. Noch bedenklicher ist der Fehlschluß Schneiders, Rn. 29, der erkennt, daß ein absoluter Schutz des Lebens durch die Rechtsordnung nicht gewährleistet wird und auch nicht zu gewährleisten ist und den (offenkundig unlogischen) Schluß zieht, daß ein solcher Befund „freilich mit dem Postulat des Höchstwertes und der daraus abgeleiteten Inkommensurabilität des Lebens kaum vereinbar“ ist und nun offenbar meint, wegen dieser „Aporie“ an der Absolutheit des Wertes des menschlichen Lebens zweifeln zu müssen. Dagegen ist mit Arthur Kaufmann, S. 852, daran festzuhalten, daß sich auch aus der Perspektive eines nur relativen Lebensschutzes jede Überlegung in der Richtung, was das Leben eines Menschen (noch) wert sei, verbietet, denn: „Jede Relativierung des menschlichen Lebens im Hinblick auf seinen Wert ist ein Schritt in den Abgrund.“ 284 Das bedeutet nichts anderes, als daß auch hier die Interessen des Sterbewilligen einem normativen Regiment unterworfen werden. Es ist also unrichtig, wenn Merkel in Merkel/Hegselmann, Zur Debatte über Euthanasie, S. 71, 85 meint, die Interessenfrage sei allein in die Innenperspektive des individuellen Suizidenten zu stellen, so daß von einem echten Paternalismus nicht die Rede sein könne (vgl. dazu schon Roxins Kritik in FS Pötz, S. 177, 181). Merkel relativiert diesen Standpunkt denn auch in Früheuthanasie, S. 420 f., ohne jedoch dem Einwand entgehen zu können, daß es sich bei der – nunmehr konzedierten – Delegation der Vernunfthoheit auf eine externe Instanz nicht lediglich – wie auf S. 421 behauptet – um einen „unerledigten und nicht

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eine an Fallgruppen orientierte Herangehensweise findet ihre Grenze, wo der Gegenstand der Untersuchung sich prinzipiell einer äußerlichen, allgemeinverbindlichen Bewertung entzieht. Für die konkrete Fragestellung heißt das: Eine Feststellung des Interesses des Sterbewilligen an seinem Weiterleben setzt eine normative Festsetzung des Wertes seines Lebens voraus. Diese wäre allerdings von vornherein ausgeschlossen, wenn das Dogma von der Absolutheit des Wertes des Lebens auch für das von seinem Träger nicht mehr erwünschte Leben gelten würde. Letzteres scheint für einen Ansatz, der von der grundsätzlichen Disponibilität des Rechtsgutes Leben ausgeht, nicht besonders naheliegend zu sein. Denn gemeinhin wird die Absolutheit des Wertes des Lebens in erster Linie als normatives Postulat aufgefaßt, das dem Schutz des menschlichen Lebens vor mißbräuchlichen Zugriffen von dritter – insbesondere staatlicher – Seite zu dienen bestimmt ist.285 Eines Schutzes vor heteronom veranlaßter Disposition bedarf das Leben in den Fällen, in denen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 216 erfüllt sind, jedoch gerade nicht. Ein solcher Gedanke würde aber zu kurz greifen. Die Absolutheit des Wertes des Rechtsgutes Leben beruht neben und vor jenem kriminalpolitischen Aspekt auf einer immanenten Ableitung. Unternimmt man den Versuch, das Rechtsgut Leben zum Zwecke der Bestimmung seines Wertes in seiner Eigenart zu erfassen und zu charakterisieren, es in irgendeiner Weise zu materialisieren, so greift man ins Leere. Denn das Leben als die (bloße) Existenz eines menschlichen Wesens ist nicht mehr, aber auch nicht weniger, als die reine Potenz des vernünftigen Subjekts – und damit für sich genommen mit noch keinerlei substantiellem Gehalt versehen. Für das Recht stellt sich das menschliche Leben also als die biologische Basis von etwas dar, das seinem eigentlichen (wertprägenden) Inhalt nach unbestimmt bleibt – unbestimmt bleiben muß, denn die Bestimmung dessen, was das Leben (sein Leben) für das Individuum sei, obliegt in einer freiheitlich-individualistischen Rechtsordnung nur dem Individuum selbst, es handelt sich um den Kernbereich dessen, was man im eigentlichen Wortsinne Selbst-Bestimmung nennen kann.286, 287 Hierin unterscheidet sich das zu erledigenden Problemrest“ handelt, sondern um ein dem weich paternalistischen Ansatz immanentes Strukturelement. Der Paternalismus ist demnach durchaus „echt“ (vgl. auch Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 112, Fn. 53, der – in anderem Zusammenhang – treffend feststellt, daß „fremddefinierte Vernünftigkeit aus Selbstbestimmung Fremdbestimmung macht“). 285 Vgl. nur das gerade (Fn. 283 a. E.) wiedergegebene Zitat von Arthur Kaufmann. 286 Diesem Verständnis entspricht es, wenn das Bundesverfassungsgericht den Verfassungsauftrag zum Schutz des Lebens nicht – wie es an sich nahe läge – aus Art. 2 II 1 GG ableitet, sondern primär auf Art. 1 I GG gründet, vgl. BVerfGE 88, 203, 251. 287 Demnach geht es nicht weit genug, wenn Hoerster, NJW 1996, 1786, 1790, dem Träger des Rechtsgutes Leben lediglich die „letzte“ Entscheidung darüber, ob sein individuelles Leben in einer bestimmten Phase noch lebenswert ist, überlassen will.

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menschliche Leben als Rechtsgut strukturell von allen anderen (Individual-) Rechtsgütern, die menschliche Selbst-Verwirklichung immer in jeweils spezifischen, typisierten Ausprägungen erfassen. Das Leben ist also die unbestimmte conditio sine qua non dieser spezifischen Formen von Freiheit, ist somit deren Voraussetzung, trägt diese aber umgekehrt auch bereits (als Anlage) in sich.288 Das bedeutet zum einen, daß diese anderen Rechtsgüter nicht normativ vom menschlichen Leben getrennt oder als von ihm abgegrenzt gedacht werden können.289 Aus diesem Grunde läßt sich das Rechtsgut Leben nicht in ein äußeres Verhältnis zu diesen anderen Rechtsgütern setzen, und damit läßt es sich nicht in die bestehende rechtliche Wertehierarchie einordnen. Zum anderen führt die normative Unbestimmbarkeit dessen, was das Leben für das Subjekt bedeutet, wozu es von seinem Träger für wert befunden wird, dazu, daß das Recht mit seiner Außenperspektive eine wertmäßig differenzierende Relation zwischen dem Leben des einen oder des anderen Rechtssubjekts nicht herstellen kann.290 Das Leben läßt sich somit weder in eine äußere Relation zu anderen Rechtsgütern setzen, noch läßt sich ein konkretes menschliches Leben in eine Relation zu einem anderen menschlichen Leben setzen, man könnte also formulieren, daß das menschliche Leben als Rechtsgut in jeder denkbaren Hinsicht nichtrelativ ist; und das ist es, was das strafrechtliche Dogma von der Absolutheit (Durchaus weitreichende) Konsequenzen hat dies vor allem für die Eröffnung der Möglichkeit einer Rechtfertigung vorsätzlicher Tötungen ohne den erklärten Willen des Rechtsgutsinhabers nach Maßgabe der Kriterien der mutmaßlichen Einwilligung, vgl. dazu unten D. II. 288 In diesem Sinne definiert auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 70, das Leben als „die umfassende Totalität der äußerlichen Thätigkeit“. 289 Abgrenzung setzt immer Bestimmung (und damit Beschränkung) voraus, genauer gesagt liegt das Wesen der Bestimmung in der Abgrenzung; das wird gerade im Kontext menschlicher Selbst-Bestimmung anschaulich: Das Individuum kann sich als solches nur selbst definieren, indem es sich eine Identität gibt. Voraussetzung für die Ausbildung einer Identität ist die Möglichkeit einer Abgrenzung von anderen Individuen – eine solche Abgrenzung ist jedoch nur möglich, wenn es von der im schlichten Da-Sein liegenden reinen Potenz Gebrauch macht und sich selbst bestimmt, indem es sich für die Realisierung seiner Freiheit in einer bestimmten Weise entscheidet (und darin liegt immer auch – negativ – die Entscheidung gegen eine andere Bestimmung, also eine Abgrenzung gegen diese andere Bestimmung hin – damit eine Selbst-Beschränkung). 290 Hier liegt der eigentliche Ansatz für die Lösung des häufig (in Abwandlungen) zitierten, veranschaulichenden Falles, in dem das Leben eines jungen Menschen, dessen Lebensspanne mutmaßlich noch zum größten Teil vor ihm liegt, gegen das Leben eines älteren Menschen steht, „der sein Leben gelebt hat“. Gewiß gibt es gewichtige kriminalpolitische Gründe, welche die bei der Lösung des Falles – in allgemeinem Konsens – postulierte Unzulässigkeit einer Abwägung „Leben gegen Leben“ zu tragen vermögen. Diesen Erwägungen kommt aber allenfalls eine nachrangige, komplementäre Rolle neben der Tatsache zu, daß das zur Disposition stehende Gut sich für das Recht nur als „biologische Basis für etwas, das seine Bestimmung durch das Subjekt erhält“ verstehen läßt und daß diese begrifflich vorgegebene Abstraktionshöhe für eine Differenzierung nach Lebenserwartung/-qualität keinen Raum läßt.

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des Wertes des Lebens meint. In diesem Sinne kann das Rechtsgut Leben schon begrifflich (vor jeder strafrechtlichen/kriminalpolitischen Bewertung) nur absolut gedacht werden. Vor dem Hintergrund dieser Analyse fällt die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, ob die Absolutheit des Rechtsgutes Leben auch für das von seinem Träger nicht mehr gewünschte Leben gilt, leicht. Wenn jene Absolutheit darauf beruht, daß sich der Wert des Rechtsgutes nur durch das – der normativen Bestimmung und Bewertung entzogene – subjektive Interesse seines Inhabers materialisieren läßt, so ergibt sich im Vergleich zu heteronom veranlaßten Tötungshandlungen für die Fälle des § 216 lediglich ein – nur auf den ersten Blick – bedeutsamer Unterschied. Hier hat der Träger des Rechtsgutes durch sein Tötungsverlangen eine hinreichende Bestimmung über sein Leben nach außen hin getroffen; diese Bestimmung ließe sich durch das Recht grundsätzlich aufgreifen.291 Ein solcher Ausweg bleibt für den paternalistischen Ansatz jedoch verschlossen, besteht doch sein Ausgangspunkt gerade darin, diese Bewertung seiner Existenz durch den Sterbewilligen nicht ohne weiteres zu akzeptieren, nicht ernst zu nehmen. Auf der Basis der Prämissen der paternalistischen Konzeption läßt sich also auch dasjenige menschliche Leben, über das sein Träger durch ein Tötungsverlangen oder eine suizidale Handlung disponiert, nur als absolutes Gut im oben dargestellten Sinne denken.292 Dieses Leben entzieht sich damit einer bewertenden Betrachtung, so daß eine normative Feststellung des Interesses an seiner Bewahrung schlechterdings ausgeschlossen ist.293 Es kommt also nicht von ungefähr, daß Merkel in den von ihm zur Veranschaulichung seiner These gewählten Beispielen bei der Ermittlung des jeweili291 Der selbstbestimmte Wert des Lebens des Sterbewilligen wäre dann regelmäßig – wiederum mathematisiert – mit Null anzusetzen, klammert man die seltenen Fällen aus, in denen die Hinnahme des Todes ein positives Ziel verfolgen soll, in denen der Sterbewillige also seine Existenz einem selbstbestimmten, von ihm höher veranschlagten Zweck opfert. 292 Hier zeigt sich übrigens nochmals positiv – quasi als Nebenprodukt der vorstehenden Darlegungen –, daß sich Absolutheit und Disponibilität eines Rechtsgutes durchaus nicht ausschließen (so aber – jedenfalls der Sache nach – Wessels/Hettinger; vgl. zu den begrifflichen Wurzeln der Entstehung dieses Mißverständnisses bereits oben Fn. 283). 293 Dies verkennt Merkel, S. 433 f., der die (absolute) Qualität des Rechtsgutes unreflektiert mit der Qualität des am Rechtsgut bestehenden subjektiven Rechts (das nach Merkels Interpretation bei der Sterbehilfe nicht tangiert sein soll) identifiziert und in ihrem Bedeutungsgehalt auf letztere beschränkt – und deshalb folgern kann, „daß die (. . .) Blockade gegen eine abwägende Beurteilung jedes konkreten einzelnen Lebens in Sterbehilfefällen auch rechtlich verfehlt ist. Es ist ein prinzipieller Irrtum zu meinen, daß Fragen, die im Geltungsbereich eines subjektiven Rechts keinen Sinn haben bzw. unzulässig erscheinen, in Interessenkollisionen jenseits dieses Bereichs ebenfalls nicht gestellt werden dürfen.“; vgl. auch die in dieselbe Richtung gehenden Ausführungen in JZ 1996, 1145, 1151.

III. Das Verbot der Tötung auf Verlangen

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gen „wohlverstandenen Interesses des Sterbewilligen“ (bzw. bei der Vermittlung des gefundenen Ergebnisses) in Schwierigkeiten gerät. So meint er einerseits, den auf einem – noch so abstrusen und für den Außenstehenden unverständlichen – religiösen Dogma beruhenden Sterbewunsch respektieren zu müssen.294 Andererseits sei der Suizidentschluß eines vollsinnigen Erwachsenen inakzeptabel, wenn er lediglich einen Ehebruch des Partners zum Motiv habe.295 Mit Recht wendet schon Roxin gegen diese Bewertung ein, daß sie zwar eine gewisse Plausibilität für sich habe, daß sich jedoch mit demselben Maß an Plausibilität jeweils die diametral entgegengesetzte Entscheidung treffen ließe.296 Auch er kommt deshalb zu dem Schluß, daß einleuchtende und objektivierbare Lösungen auf der Basis des paternalistischen Modells nicht zu erzielen seien, denn „es gibt keinen Maßstab, mit Hilfe dessen man zu respektierende unvernünftige und ,inakzeptable‘, besonders unvernünftige Selbstmordentschlüsse ,vollsinniger Erwachsener‘ unterscheiden könnte“.297 Nicht ganz konsequent ist Roxins Kritik indes, wenn sie an Merkels Lösung ausdrücklich die „Normativität ihrer Kriterien“ lobt und sie nur deshalb verwerfen zu müssen glaubt, weil sie aus dem gerade aufgeführten Grunde praktisch nicht durchführbar erscheint.298 Denn etwas zu messen, für das man kein Maß besitzt, bedeutet gerade das Gegenteil von Normativität, nämlich Willkür. Die – von Roxin zutreffend kritisierte – fehlende Handhabbarkeit von Merkel aufgestellter Kriterien, wie Plausibilität, Verständlichkeit, Akzeptabilität des Sterbewillens, ist also nicht etwa ein Ärgernis, das ein an sich theoretisch konsistentes Modell am leidigen Praxistest scheitern läßt, sondern gerade die Folge und das Symptom des vollständigen Fehlens eines verbindlichen (normativen) Maßstabs, das den paternalistischen Ansatz auch und gerade als theoretisches Konzept zur Legitimation des § 216 desavouiert.

294

Merkel in: Merkel/Hegselmann, Zur Debatte über Euthanasie, S. 71, S. 84 f. Merkel, ebd., S. 85. 296 Roxin, FS Pötz, S. 177, 182. 297 Engisch, FS Schaffstein, S. 1, 11, nennt die Einführung einer „objektiven Indikation“ (in Analogie zum Schwangerschaftsabbruch) für die Legitimität eines Selbsttötungsprojektes gar „absurd“. Vgl. auch Jakobs, FS Arthur Kaufmann, S. 459, 463, der feststellt, „daß der Staat über das Material, mit dem sich eine Selbsttötung beurteilen läßt, nicht mehr verfügt. Ob eine Selbsttötung vernunftgemäß oder vernunftwidrig ist, kann er nicht beurteilen.“ Diese Bemerkung richtet sich zwar eigentlich gegen die Konzeption Köhlers, trifft jedoch – da eine reine Beurteilung des Sterbewunsches aus der Innerperspektive des Sterbewilligen, wie gesehen, für das Recht nicht möglich ist – den Paternalismus Merkels ebenso und weist damit nochmals auf die oben erwähnte axiomatische Differenz zwischen den Konzeptionen Merkels und Jakobs’ hin. 298 Roxin, S. 181. 295

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IV. Das Verbot der Tötung auf Verlangen als Instrument abstrakten Lebensschutzes Es hat den Anschein, daß mit dem Scheitern des paternalistischen Erklärungsansatzes das Vorhaben der Legitimation der Regelung des § 216 in eine Sackgasse gelangt und der Rahmen des dogmatisch Konstruierbaren ausgeschöpft ist. Wenn es sich auf der einen Seite nicht begründen läßt, das Rechtsgut Leben der individuellen Verfügbarkeit zu entziehen, sich andererseits die Verantwortlichkeit des Sterbewilligen für seinen Tod in den von § 216 erfaßten Konstellationen nicht leugnen läßt, ohne einen Antagonismus zum tatbestandlichen Erfordernis der „Freiverantwortlichkeit“ des Tötungsverlangens zu kreieren – muß dann eine Norm, die gleichwohl die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen bestimmt, nicht als Stellungnahme der Rechtsordnung aufgefaßt werden, daß sie den Sterbewilligen in seiner Verantwortung nicht ernst nimmt, ihn trotz seiner Verantwortung nicht als Verantwortlichen behandelt? So lautete jedenfalls der im Zusammenhang mit der Herleitung der paternalistischen These als einzige logische Möglichkeit aufgezeigte Ausweg aus dem – dort als Aporie der Verantwortlichkeitszuschreibung gekennzeichneten – systematischen Spannungsverhältnis der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 216 zu seiner Rechtsfolge. Es lohnt sich jedoch, diese „Aporie“ nochmals in Augenschein zu nehmen. Zunächst sei auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen, daß die Zuschreibung von Verantwortung für ein strafrechtlich relevantes Handlungsprojekt niemals in absoluter Weise erfolgt, sondern stets in Relation zu den je verwirklichten Unrechtstypen299 steht. Deshalb wurde oben das Dogma von der Exklusivität der Verantwortlichkeit für ein solches Projekt mit der einschränkenden Bedingung versehen, daß diese Verantwortlichkeit jeweils denselben rechtlichen Aspekt betreffen muß. Im vorliegenden Zusammenhang bedeutet das: Von einer systemwidrigen Überschneidung von Verantwortlichkeiten kann bei der fremdhändig bewirkten Tötung eines Sterbewilligen nur die Rede sein, wenn die Verantwortung des auf Verlangen Tötenden gerade auf das Verursachen des von dem Sterbewilligen verantworteten Erfolges bezogen sein soll. Damit basiert also die Annahme, der Verantwortlichkeitsbegriff werde durch die Regelung des § 216 vor eine Aporie gestellt, auf einer hier bislang noch unzureichend reflektierten Prämisse: daß die Verantwortlichkeit des Täters einer Tötung auf Verlangen sich auf den konkret durch das Tatprojekt bewirkten Tötungserfolg bezieht, mit anderen Worten, daß das Unrecht der Tötung auf Verlangen Tötungsunrecht ist.300 299 Die Charakterisierung als „Unrechtstypus“ gilt selbstredend nur für den Täter, die Verantwortlichkeit des Opfers nimmt diesen lediglich in seiner negativen Ausprägung auf. 300 Hier liegt auch das Defizit des jüngsten Vorstoßes Herzbergs in NStZ 2004, 1, 2 f. gegen das von ihm so genannte „Exklusivitätsdogma“ bei der Zuschreibung von

IV. Das Verbot der Tötung als Instrument abstrakten Lebensschutzes

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Läßt sich daran sinnvoll zweifeln? Will man nicht auf eine „hart paternalistische“ Position zurückfallen und die strafgesetzliche Beschränkung der Verfügung über das Rechtsgut Leben in den Dienst von Interessen stellen, die nicht unmittelbar jene des Inhabers des Rechtsgutes sind, liegt es in der Tat nicht besonders nahe, die Frage nach dem durch die Tat des auf Verlangen Tötenden angegriffenen Rechtsgut überhaupt zu stellen. Worum soll es dem Recht gehen, wenn nicht um die Bewahrung des konkret zur Disposition stehenden menschlichen Lebens? Für eine solche Interpretation spricht auch die systematische Einordnung des § 216, der im Verhältnis zu § 212 bzw. § 211 verbreitet als Privilegierung, jedenfalls aber als Spezialfall der vorsätzlichen Tötung angesehen wird.301 Daran ist zunächst richtig, daß eine individualistische Schutzzweckkonzeption das Telos des § 216 schon aus sachlogischen Gründen nicht völlig vom Lebensschutz ablösen können wird. Mit diesem Gesichtspunkt ist allerdings lediglich eine Schutzrichtung benannt, die Struktur des Rechtsgutsangriffs aber noch nicht in vollem Umfang bestimmt. 1. § 216 als Instrument der Gewährleistung der „subjektiven Vollzugsreife“ eines suizidalen Projektes An diesem Punkt setzt die von Jakobs vorgestellte Interpretation des § 216 an.302 Der durch die Strafandrohung der Norm bewirkte Schutz des Sterbewilligen gelte, so Jakobs, nicht unmittelbar dessen Leben, denn die konkrete Tat vernichte wegen der im Verlangen gegebenen Organisation des Lebensmüden kein geschütztes Leben.303 Es gehe der Norm also nicht um die Erfassung von Tötungsunrecht, sondern nur um einen abstrakteren Zusammenhang: Die für Verantwortlichkeiten. Herzberg geht von der – im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bereits bestätigten – Annahme aus, daß der (mindestens durch sein Verlangen) an dem Projekt seiner Tötung beteiligte Sterbewillige die Verantwortung für seinen Tod trägt und folgert nun aus der bloßen Existenz des § 216, daß eine gleichzeitige Zuschreibung der Verantwortung an die Adresse eines anderen grundsätzlich möglich bleiben muß. Ein solcher Schluß läßt aber die im folgenden beleuchtete Möglichkeit, daß die Strafe des § 216 einer anderen Verantwortlichkeit als derjenigen für den konkret herbeigeführten Tod gilt, ebenso unberücksichtigt, wie den Umstand, daß die bloße Positivität einer Regelung noch nicht ihre materielle Richtigkeit garantiert – so daß der Verstoß gegen allgemein-begrifflich als verbindlich ausgewiesene Vorgaben nicht das Theorem, sondern die Norm falsifiziert. 301 Diese Einordnung entspricht der kaum je in Frage gestellten herrschenden Lehre, vgl. nur Sch-Sch-Eser, § 216 Rn. 1 f.; LK-Jähnke, § 216 Rn. 2. 302 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 14 ff.; in systematischer Hinsicht identisch, jedoch mit Abweichungen in der teleologischen Grundlegung ders., FS Arthur Kaufmann, S. 459, 467 ff. (vgl. dazu die Ausführungen weiter unten in diesem Abschnitt); völlig anders noch ders. in AT, 21/58a. 303 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 19.

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§ 216 charakteristische Handlungssituation böte keine hinreichende Gewähr für das Vorliegen der „subjektiven Vollzugsreife“ des Selbsttötungsprojekts.304 Eigenhändige Selbsttötung und arbeitsteilige in Gestalt der Tötung auf Verlangen unterschieden sich gerade darin, daß allein bei ersterer nie Zweifel an der subjektiven Vollzugsreife aufkommen können,305 während bei letzterer die Vollzugsreife immerhin bezweifelt werden möge. Dieser Befund gebe dem Gesetzgeber die Berechtigung, eine Verwirklichung des an sich erlaubten Projekts in der das Risiko von „Vollzugsdefiziten“ bergenden arbeitsteiligen Handlungsform prophylaktisch zu verbieten; § 216 sei strafrechtsdogmatisch gesehen also ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Zentral für das Verständnis der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen nach Jakobs ist demnach der Begriff der „subjektiven Vollzugsreife“. Gemeint soll damit nicht etwa die „Ernstlichkeit“ des Tötungsverlangens sein, wie Jakobs ausdrücklich klarstellt; auch das nicht vollzugsreife Verlangen entspringe nicht passageren Zuständen, sondern einer dauernden Haltung des Verlangenden.306 Kennzeichnend für das Fehlen der Vollzugsreife sei vielmehr, daß der Sterbewillige das Projekt seiner Tötung nicht (oder nicht ausschließlich) zur Verfolgung eigener Zwecke betreibe. Der Selbsttötungswille des Lebensmüden müsse vollständig aus einer Zwecksetzung des Lebensmüden begründet sein, die keiner Überprüfung durch andere mehr bedürfe. Im Falle der Tötung auf Verlangen resultiere die abstrakte Gefahr für das Vorliegen eines Mangels bei der Herstellung des Zweckzusammenhangs durch den Sterbewilligen daraus, daß dieser wisse, daß sich nach seinem Verlangen der Adressat zum Vollzug der Tötung entschließen muß, und deshalb jenem die Prüfung oder gar Findung der Gründe für die Tötung zuschieben mag. Die Struktur des Handlungsablaufs bei der Tötung auf Verlangen mache es also möglich, daß der Lebensmüde sich als Verlangender geriere, ohne den Todeswunsch für sich aus einer eigenen Zwecksetzung heraus begründet zu haben. Den naheliegenden Einwand, daß auch derjenige, der sich eigenhändig tötet, in Wahrheit (freiwillig) die Zwecke eines anderen verfolgen mag, nimmt Jakobs 304

Jakobs, S. 21. Wenn Maatsch, Selbstverfügung, S. 51, diese Feststellung unter Berufung auf Jakobs’ eigene Ausführungen zu widerlegen sucht, so beruht das auf einem Mißverständnis des Begriffs der „subjektiven Vollzugsreife“, vgl. dazu sogleich im Text und Fn. 316. 306 Jakobs, S. 22. Die Äußerung ist wohl auch als nachträgliche Präzisierung der in dieser Hinsicht offenen Darlegungen in FS Arthur Kaufmann, S. 459, 467 f. aufzufassen. Die dort gewählte Formulierung, § 216 stelle eine Norm gegen eventuelle Voreiligkeiten im Umgang mit dem eigenen Leben dar; es ginge darum, daß der Sterbewillige die endgültige Entscheidung selbst fällt, ließe sich durchaus auch in Richtung eines Schutzes vor der Realisierung nicht ernstlich gefaßter Sterbeentschlüsse auffassen. Zu dem hier von Jakobs nicht im Sinne der herrschenden Meinung (sondern beschränkt auf den Gesichtspunkt der faktischen „Ernsthaftigkeit“) gebrauchten Begriff der „Ernstlichkeit“ des Tötungsverlangens vgl. i. ü. die Erläuterungen unter C. I. 305

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vorweg und nutzt ihn zur Präzisierung des entwickelten Schutzgegenstandes. Der entscheidende Unterschied zwischen eigen- und fremdhändigem Vollzug einer solchen Unterwerfung unter einen fremden Willen bestünde darin, daß bei ersterer die fremde Zwecksetzung immerhin noch als eigene übernommen werde, während die Unterwerfung bei der arbeitsteiligen Selbsttötung unter ein Abstraktum erfolge – den noch zu bildenden Willen eines anderen – und somit auf eine eigene Zwecksetzung überhaupt verzichtet werde.307 Auf einen knappen Nenner gebracht, soll also das Verbot der Handlungsdelegation in § 216 nach Jakobs im Kern nicht die Handlungsform als solche treffen, sondern die hinter dem äußeren Vollzug vermutete Delegation der Reflexion des Für und Wider des suizidalen Projekts. Ein solches Konzept fordert die Frage regelrecht heraus, ob es denn für das Recht einen Anlaß gibt, sich in dieser drastischen Weise – unter Anwendung der Ultima ratio der Inkriminierung eines Verhaltens – um die Genese eines Willensentschlusses zu sorgen. Selbstredend läßt sich das – jedenfalls im Grundsatz – bejahen, soweit die vom Schutzbereich einer solchen Norm erfaßten Defizite in der Willensbildung des über seine Rechtsgüter Verfügenden eine Qualität erreichen, die geeignet ist, die auf diesen Willen gegründete Disposition nach allgemeinen dogmatischen Kriterien unwirksam zu machen. Denn dann bedeutete die Vornahme einer diesem fehlerhaften Willen entsprechenden, in den strafrechtlich geschützten Bestand der Rechtsgüter des Disponierenden eingreifenden Handlung die Verwirklichung von Fremdverletzungsunrecht, mithin einen Tatbestand, der das Recht sehr wohl etwas angeht.308 Doch darum scheint es Jakobs – jedenfalls bei „objektiv-systematischer Auslegung“ des von ihm entfalteten Konzepts – nicht zu gehen. Dafür spricht bereits, daß die zum Schutzgut erhobene „eigene Zweckverfolgung“ des Verfügenden nach keiner der im Schrifttum vertretenen Auffassungen positives Element der an die Wirksamkeit einer Verfügung über Individualgüter zu stellenden Anforderungen ist. Nach allgemeiner Anschauung hat eine solche Verfü307 Insoweit zielt die Kritik bei Maatsch, Selbstverfügung, S. 51, ins Leere, welche die Differenzierung Jakobs’ mit dem Hinweis zu falsifizieren sucht, daß Jakobs selbst einräume, daß auch bei einem Selbstmord kaum je auszuschließen sei, daß nicht in Wahrheit die Zwecksetzung eines Dritten den Ausschlag für die Ausführung des Vorhabens geben mag. Denn Jakobs macht mit obiger Präzisierung klar, daß die Übernahme einer fremden Zwecksetzung gerade nicht zum Fehlen der „subjektiven Vollzugsreife“ führen soll. Die Konstellationen, aus denen sich seiner Ansicht nach die Legitimation des § 216 speist, sind viel spezifischer: (Nur) beim fremdhändigen Vollzug sei es denkbar, daß die Zwecksetzung des Dritten in dem Zeitpunkt, in dem der Sterbewillige das Projekt seiner Tötung durch sein Verlangen ins Werk setze, überhaupt noch ihrer Bildung bzw. ihres Abschlusses harre. Was noch nicht existiere, könne der Sterbewillige sich aber nicht zueigen machen und deshalb fehle es in diesen Fällen an einer eigenen Zwecksetzung und damit an der „subjektiven Vollzugsreife“. 308 Vgl. dazu ausführlich B. IV. 2.

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gung (typischerweise in der Form einer Einwilligung in ein fremdes straftatbestandsmäßiges Handeln)309 bereits dann rechtlichen Bestand, wenn der Disponierende Art und Ausmaß der Lädierung seiner Rechtsgüter überschaut hat und wenn die Fakten, die dem Entschluß ihrer Preisgabe wesentlich zugrunde liegen, der Wirklichkeit entsprechen.310 Es geht dem Recht also nur – negativ – um die Mangelfreiheit tatsächlich vorhandener Begründungszusammenhänge, nicht jedoch darum, – positiv – bestimmte formale oder inhaltliche Anforderungen an jene Begründungszusammenhänge zu stellen. Zur Veranschaulichung: Gestattet der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn, er möge einen nahe der Grenze auf seinem Grund befindlichen Baum doch einfach umsägen, falls dieser ihn irgendwann einmal in irgendeiner Weise störe; ihm sei das Gewächs gleichgültig, käme niemand ernsthaft auf den Gedanken, an der unrechtsausschließenden Wirkung der Einwilligung in die Sachbeschädigung zu zweifeln. Gleichwohl kann in diesem Fallbeispiel von einem nicht der Vervollständigung bedürftigen und damit – im Sinne der von Jakobs entwickelten Lehre – ausschließlich auf eigene Zwecke zurückzuführenden Begründungszusammenhang bei der Bildung des Willens zur Preisgabe der Sache nicht die Rede sein. Es ist indes nicht mit letzter Sicherheit auszumachen, ob Jakobs mit seiner teleologischen Konzeption des § 216 diesen allgemeinen Maßstab zur Beurteilung der Wirksamkeit von Verfügungen über eigene Rechtsgüter – für den Bereich der Tötungsdelikte – modifizieren will, ob er also die „eigene Zweckverfolgung“ bzw. „subjektive Vollzugsreife“311 in den Kanon ihrer Voraussetzungen aufnehmen will. Zunächst plausibel erscheint die Interpretation Maatschs, der dies – unter anderem gestützt auf die bereits oben zitierte Passage: „Die konkrete Tat vernichtet nun einmal wegen der im Verlangen gegebenen Organisation des Lebensmüden kein geschütztes Leben (. . .)“312 – verneint und die Position Jakobs’ auf dieser Grundlage kritisiert.313 Es gibt allerdings Rätsel auf, daß 309 Diesem Typus entspricht die Tötung auf Verlangen; bei einem (äußerlich) selbstbezüglichen Handeln können jene Kriterien im übrigen Relevanz für die Frage gewinnen, ob einem (äußerlich untergeordnet) Beteiligten an diesem Selbstverletzungsgeschehen (mittelbare) Tatherrschaft zuwächst. 310 Wann letzteres der Fall ist, steht wiederum in Streit, vgl. umfassend Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, S. 183 ff.; Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, S. 42 ff. und unten C. I. 311 Jakobs scheint diese Begriffe (auf der Grundlage der eben nachvollzogenen Begriffsklärung konsequent) synonym zu verwenden. 312 Jakobs, S. 19. 313 Maatsch, Selbstverfügung, S. 52 f.; die Einschränkung „allem Anschein nach“ legt allerdings nahe, daß auch er sich in diesem Punkt nicht ganz sicher ist. Vgl. auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 528: „Das mangelnde Durchdenken des Tötungsverlangens stellt also unter Individualgüterschutzaspekten nicht die Rechtlichkeit der bewilligten Tötung in Frage (. . .).“ Für Murmann ergibt sich diese Interpretation indes bereits mit Notwendigkeit aus seinem kollektivistisch orientierten Verständnis der Konzeption Jakobs’, vgl. ebd., S. 526 ff.

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Jakobs nur wenig später offenbar den diametral entgegengesetzten Standpunkt einnimmt, wenn er meint, daß bei der fremdhändigen Tötung auf Verlangen „die Vollzugsreife bezweifelt werden mag, weil die Unterwerfung – sofern es um eine solche gehen sollte – unter ein Abstraktum erfolgt, eben unter einen noch zu bildenden Willen eines anderen, und deshalb die Gefahr besteht, daß nicht die fremde Zwecksetzung immerhin noch als eigene übernommen, sondern auf eigene Zwecksetzung überhaupt verzichtet wird; die „arbeitsteilige Selbsttötung“ würde sich zu ,Fremdtötung unter Mitwirkung des Opfers‘, also zum Totschlag, wandeln“314. In dieser Aussage steckt, neben dem offensichtlichen Widerspruch zu der bei Maatsch zitierten Passage, gar noch ein zweiter Bruch mit den bislang eingeführten Begrifflichkeiten der Schutzzweckkonzeption. Während nach den bisherigen Ausführungen Jakobs’ die Vollzugsreife schon dann fehlen sollte, wenn das Herstellen des Zweckzusammenhangs „zumindest zum Teil“ dem die Tötungshandlung Ausführenden überlassen bleibt, bzw. wenn das Sterbeverlangen unter der Voraussetzung steht, „daß der Ausführende den Zweckzusammenhang ergänzt, zumindest aber überprüft und bestätigt“, soll dies nunmehr – deutlich enger – zur Voraussetzung haben, daß „auf die eigene Zwecksetzung überhaupt verzichtet wird“.315 Vor diesem Hintergrund könnte sich der Eindruck aufdrängen, daß Jakobs’ Konzept ein wenig unausgegoren und nicht bis ins Letzte durchdacht ist; daß der Autor sich weder der begrifflichen Konturen des dem von ihm postulierten abstrakten Gefährdungstypus zugrundeliegenden Schutzgegenstandes, noch der Rechtsfolgen seiner tatsächlichen Verletzung sicher ist. Ihn deshalb der Oberflächlichkeit zu zeihen, ginge jedoch am Kern der Sache vorbei und hieße Ursache und Wirkung zu verwechseln. Denn jene Unstimmigkeiten bei der Interpretation des Begriffs der „subjektiven Vollzugsreife“ sind nicht – jedenfalls nicht in erster Linie – das Resultat handwerklicher Mängel bei der Ausformulierung der Konzeption; sie haben ihre Wurzel bereits darin, daß sich der mit diesem Begriff benannte Schutzgegenstand, die „eigene Zweckverfolgung“ des über seine Güter Disponierenden, offenbar nicht ungebrochen in das System strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes einpassen läßt.

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Jakobs, S. 22. Während man bei einem nur teilweise hergestellten bzw. unter dem Vorbehalt einer Ergänzung stehenden Zweckzusammenhang wohl schon von einem Fehlen einer eigenen Zweckverfolgung sprechen kann (denn offenbar reichen die Gründe, die der Sterbewillige sich selbst vorgelegt hat, in dessen eigener Perspektive noch nicht aus, um den Vollzug des Vorhabens zu rechtfertigen; es fehlt also gerade noch an dem die eigene Zweckverfolgung charakterisierenden „Begründungszusammenhang“), wird man bei dem bloßen Vorbehalt der Überprüfung und Bestätigung nicht davon sprechen können, daß auf eine eigene Zwecksetzung überhaupt verzichtet wurde; zumindest in diesem Punkt lassen sich die Formulierungen Jakobs’ zur Klärung des Begriffs der „subjektiven Vollzugsreife“ also nicht harmonisieren. 315

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So liegen die Gründe, warum Jakobs offenbar nicht in letzter Konsequenz an der Deutung festhalten will, auch bei fehlender „subjektiver Vollzugsreife“ vernichte die (freiverantwortlich bzw. ernstlich) verlangte Tötung kein geschütztes Leben, einigermaßen offen zutage. Denn eine solche Interpretation würde den Schutzzweck des § 216 vollständig vom Lebensschutz entkoppeln: Selbst im Falle der Realisierung der abstrakten Gefahr läge keine Verletzung geschützten Lebens vor. Erklären ließe sich das nur damit, daß § 216 die „eigene Zweckverfolgung“ des Sterbewilligen um ihrer selbst willen schützen soll. An diesem Punkt schließt sich der Kreis zur oben gestellten Ausgangsfrage. Warum sollte sich das Recht, solange die Kautelen der Übernahme der Verantwortung für die Erfolgsherbeiführung durch den Sterbewilligen eingehalten sind, um diesen Tatbestand kümmern? Der Umstand, daß Jakobs nicht einmal versucht, eine Antwort auf diese Frage zu geben, legt nahe, daß auch seine Intention nicht dahin geht, die „eigene Zweckverfolgung“ im Rahmen eines Selbsttötungsprojektes zum Rechtsgut zu stilisieren.316 316 Maatsch, Selbstverfügung, S. 53, der, wie bereits erwähnt, davon ausgeht, daß Jakobs die Verfolgung eigener Zwecke durch den Sterbewilligen nicht zur Wirksamkeitsvoraussetzung der Disposition über das Leben machen will, kritisiert die so verstandene Position unter einem formalen Aspekt. Er weist darauf hin, daß kein Straftatbestand existiert, der die tatsächliche Verletzung des Erfordernisses der „eigenen Zweckverfolgung“ unter Strafe stellt. Damit sei die These, bei § 216 handele es sich um ein bloßes Gefährdungsdelikt, im Grunde widerlegt, denn im Falle der tatsächlichen Verletzung des Rechtsguts wäre eine Bestrafung wiederum nur aus dem Gefährdungstatbestand möglich – dies stelle aber eine „einzigartige Gleichbehandlung vollkommen verschiedener Intensitätsgrade von Unrecht“ dar. Dieser Einwand trifft jedoch nicht den Kern. Offenbar geht Maatsch davon aus, daß Gefährdungsdelikte eine Existenzberechtigung nur als komplementäres Schutzinstrument im Vorfeld von Verletzungstatbeständen haben. Ohne an dieser Stelle die (zur erschöpfenden Klärung dieser Frage erforderliche) rechtstheoretische Grundsatzdiskussion über die Bedeutung des tatsächlichen Eintrittes der Verletzung eines Rechtsgutsobjektes für das Unrecht führen zu können, sei darauf hingewiesen, daß eine solche Argumentation vor dem geltenden Recht kapitulieren muß. Um nur zwei (willkürlich herausgegriffene) Beispiele zu nennen: Sowohl im Rahmen der Aussagedelikte (§§ 153 ff.) als auch bei der Urkundenfälschung (§ 267) werden abstrakt gefährliche Verhaltensweisen bestraft, ohne daß eine tatsächliche Verletzung der geschützten Rechtsgüter ihrem Typus nach straftatbestandlich erfaßt wäre. So führt weder die tatsächliche Beeinträchtigung der Rechtspflege durch ein auf einer Falschaussage beruhendes Fehlurteil, noch die tatsächliche Irreführung des Rechtsverkehrs durch eine verfälschte Urkunde notwendig zur Verwirklichung eines über den Unwert des verwirklichten abstrakten Gefährdungsdeliktes hinausreichenden Unrechtstypus. Der Punkt, auf den Maatsch vermutlich hinaus will, ist folgender: In den beiden genannten Fällen wäre es dem Gesetzgeber, falls er dies für opportun hielte, grundsätzlich möglich, eine die tatsächliche Verursachung des Erfolgseintrittes pönalisierende Norm zu erlassen; die Legitimität einer Norm, die eine verlangte Tötung bei tatsächlichem Fehlen der Verfolgung eigener Zwecke durch den Sterbewilligen eigenständig unter Strafe stellt, müßte hingegen bezweifelt werden. Dies veranschaulicht, daß es sich hier in Wahrheit nicht um eine formale Frage handelt. Entscheidend ist vielmehr der im Text hervorgehobene Aspekt, daß es dem postulierten Rechtsgut der „eigenen Zweckverfolgung“ schlicht an der materiellen Rechtsgutsqualität fehlt (was auch Maatsch in einem

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Aber auch die Deutung, ein Mangel an „subjektiver Vollzugsreife“ mache die verlangte Tötung zur Fremddisposition, also zur nicht privilegierten vorsätzlichen Tötung, setzt sich durchgreifenden Einwänden aus, wie im folgenden nachgewiesen werden soll. Zunächst ist mit einer solchen Aufwertung der Vollzugsreife zu einer Voraussetzung der Wirksamkeit der Verfügung über das Leben die oben aufgeworfene Frage – warum das Recht auf einer bestimmten positiven Qualität der Reflexion über einen Sachverhalt, der seiner rechtlich relevanten Dimension nach ansonsten mangelfrei erfaßt wurde, insistieren soll – nicht erledigt, sondern nur verlagert. Denn natürlich ist die Statuierung einer bei anderen Deliktsgruppen nicht üblichen Einwilligungsvoraussetzung ihrerseits der Legitimation bedürftig. Jakobs selbst unternimmt – möglicherweise bedingt durch seine (hier unterstellte) Unentschiedenheit bei der dogmatischen Einordnung der „subjektiven Vollzugsreife“ – keinen Versuch, ein solches Verständnis argumentativ zu untermauern. Immerhin lassen sich, wie noch zu zeigen sein wird, aus den allgemeinen Ausführungen des Autors zur Legitimität seines Schutzzweckmodells einige wichtige Rückschlüsse gewinnen. Interessant ist in diesem Zusammenhang zunächst ein Blick auf die – hier bislang im Hintergrund stehende – erste grundlegende Auseinandersetzung Jakobs’ mit der Thematik.317 Diese Arbeit entfaltet das kritisierte Konzept bereits in seinen wesentlichen Zügen318 und benennt dabei als Schutzzweck des § 216 den paternalistischen „Schutz gegen eventuelle Voreiligkeiten beim Umgang mit dem eigenen Leben“. Durch die Unmöglichkeit der Delegation der endgültigen Entscheidung solle dem Sterbewilligen das Gewicht seines Verlangens drastisch vor Augen geführt, bzw. „schwer aufs Herz gelegt“ werden.319 So gesehen handelt es sich bei § 216 letztlich doch um eine Norm, der es um die Bewahrung des konkreten, nicht mehr erwünschten Lebens geht: Zum Zweck des paternalistischen Schutzes vor seiner eigenen – vom Recht zwar grundsätzlich zu akzeptierenden, aber doch skeptisch betrachteten – Entscheidung soll der Lebensmüde eine zusätzliche Hürde bei der Umsetzung seines Entschlusses passieren müssen. Versteht man dies im Lichte der späteren Klarstellung Jakobs’, daß sein Konzept nicht auf die Sicherstellung der Ernstlichkeit des Sterbeverlangens abziele, so wird deutlich, daß es dabei nicht um einen Test der Festigkeit des EntNebensatz zumindest andeutet: „[. . .] Verletzung des geschützten Gutes, dessen Natur allerdings bei dieser Auslegung nicht völlig einsichtig wird [. . .]“). 317 Jakobs, FS Arthur Kaufmann, S. 459 ff., zu den hier interessierenden Fragen vgl. insbesondere S. 467 ff. 318 Wenngleich die zentralen Termini der „subjektiven Vollzugsreife“ bzw. der „eigenen Zweckverfolgung“ noch keine Rolle spielen. 319 Ähnlich Schroeder, ZStW 106, 565, 574: Der Gesetzgeber sehe die Entscheidung über den eigenen Tod als so existentiell an, daß er eine Abschiebung des Vollzuges auf einen anderen nicht zulassen wolle.

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schlusses des Sterbewilligen gehen kann.320 Vielmehr soll ihm die Notwendigkeit, die endgültige Entscheidung321 selbst zu fällen, einen Anlaß geben, sich im Angesicht der unmittelbar greifbaren Konsequenzen seiner Handlungsweise nochmals selbst Rechenschaft über das Für und Wider seines Vorhabens abzulegen – und gegebenenfalls von ihm Abstand zu nehmen. Ein solches Verständnis läßt sich mit aller Berechtigung „paternalistisch“ nennen, versucht es doch, das Leben gegen eine bereits verantwortlich getroffene Entscheidung seines dispositionsbefugten Trägers zu bewahren. Vergleicht man diesen Paternalismus indes mit dem der bereits vorgestellten und kritisierten Konzeptionen Merkels oder Herzbergs,322 so fällt sein wesentlicher Vorzug ins Auge. Während jene die Dispositionsfreiheit, die sie mit der einen Hand gegeben haben, mit der anderen Hand wieder nehmen, indem sie die verantwortlich getroffene Entscheidung, den eigenen Tod herbeiführen zu wollen, mit einer nicht in der Selbstbestimmung des Sterbewilligen wurzelnden Bewertung konfrontieren und diese damit letztlich überspielen, bleibt Jakobs dem Axiom treu, daß die Antwort auf die Frage, ob ein menschliches Leben es wert ist, (weiter) gelebt zu werden, außerhalb der Grenzen der Bestimmungsmacht des Rechts liegt. Auf den ersten Blick scheint es, daß das Recht sich mit dieser Sichtweise jeglicher Mittel begibt, die Entscheidung des Lebensmüden in paternalistischer Sorge um sein Wohl einer Überprüfung zu unterziehen, doch darf man sich von Jakobs eines Besseren belehren lassen. Zwar trifft es zu, daß eine inhaltliche Überprüfung anhand äußerlich-rechtlicher Kriterien an der exklusiven Definitionsmacht des Rechtsgutsträgers scheitert. Das bedeutet indes nur, daß das Recht zur materiellen Beurteilung des Sachverhaltes nicht zuständig ist – nicht ausgeschlossen ist mit dieser Beschränkung aber die Festschreibung einer formalen Kompetenz des Rechts, die Sache zur Überprüfung an die (einzig) zuständige Instanz zu verweisen: den Sterbewilligen selbst. Damit ist ein (wenn auch bescheiden kleiner) gemeinsamer Nenner für den Respekt vor der Autonomie des Rechtsgutsträgers auf der einen und ein eventuell vorhandenes paternalistisches Interesse des Rechts an der Bewahrung des Rechtsguts auf der anderen Seite gefunden; Jakobs’ (früheres) Konzept ist bis zu diesem Punkt in sich durchaus schlüssig. Wie läßt sich aber für die dargestellte Betrachtungsweise die eingangs gestellte Frage nach den Konsequenzen der tatsächlich erfolgten Verletzung des Schutzgutes beantworten? Eine solche Verletzung läge vor, wenn die erfolgte Tötung auf Verlangen tatsächlich „voreilig“ gewesen wäre, wenn also der Le320

So aber z. B. Roxin, TuT, [8. Aufl.] S. 569; vgl. dazu unten C. I. Es sollte nicht übersehen werden, daß bereits diese Formulierung Jakobs’ (FS Arthur Kaufmann, S. 459, 467) eine Weichenstellung in Richtung einer naturalistischen Betrachtungsweise enthält, denn normativ betrachtet liegt selbstverständlich auch in der Einwilligung bzw. dem Verlangen des fremdhändig über seine Güter Disponierenden eine endgültige Entscheidung; anders wäre die Rückführung der Verantwortung für ein solches Projekt auf den Rechtsgutsinhaber nicht denkbar. 322 Vgl. oben B. III. 321

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bensmüde, wäre er mit der Notwendigkeit des eigenhändigen Vollzugs konfrontiert worden, den Begründungszusammenhang seines Projektes tatsächlich für ergänzungsbedürftig befunden und aus diesem Grunde Abstand von der Ausführung genommen hätte. Ist in einer solchen Situation die im Verlangen zu erblikkende Verantwortungsübernahme durch den Sterbewilligen ohne weiteres zu negieren? Soll die Vereitelung der nochmaligen Überprüfung eines bereits verantwortlich hergestellten Begründungszusammenhanges durch einen Dritten aus der arbeitsteilig vollzogenen Selbsttötung eine (zumindest fahrlässig begangene) nicht privilegierte Fremdtötung machen? Das erscheint kaum begründbar, schließlich soll durch das Verbot der Handlungsdelegation in § 216 nach Jakobs’ Interpretation gerade keine Verantwortung delegiert werden; der durch den aufgezwungenen eigenhändigen Vollzug vermittelte Appell nimmt lediglich Bezug auf eine bereits vorausgesetzte Verantwortlichkeit: „Das ist dein Leben und also deine Verantwortung, niemand kann sie dir abnehmen!“ Es wäre in systematischer Hinsicht nicht folgerichtig, würde demjenigen, der dem Sterbewilligen behilflich ist, einen außerhalb des Systems der Verantwortungszuschreibung installierten Schutzmechanismus zu umgehen, die Verantwortung nicht nur für diese Umgehung, sondern für das gesamte Projekt aufgebürdet. Es läßt sich also konstatieren, daß jener erste Entwurf einer Schutzzweckkonzeption für § 216 durch Jakobs zwar gekennzeichnet ist durch eine ausgeprägt paternalistisch-lebensschützende Tendenz, die es gestattet, ernsthaft die Frage zu stellen, ob der Zugriff eines Dritten auf den Schutzgegenstand nicht zur Folge haben muß, daß die Disposition des Lebensmüden durch das Recht nicht mehr anerkannt werden kann. Gleichwohl ist im Ergebnis nicht zu sehen, wie – selbst im Falle einer tatsächlichen „Voreiligkeit“ im dargestellten Sinne – je eine Fremdbestimmtheit der durch das Verlangen des Sterbewilligen vermittelten Verfügung über sein Leben zu begründen sein soll. Ohne diesen Nachweis wird die Verwirklichung des Unrechts einer Fremdtötung jedoch schon durch das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 216 ausgeschlossen. Hinzu kommt, daß sich gegen die empirische Basis der normativen Konstruktion – gerade an ihrem kritischem Punkt, der Differenz von fremd- und eigenhändigem Vollzug – gewichtige Einwände geltend machen lassen. So drängt es sich geradezu auf, den bei Jakobs recht unvermittelt hergestellten Konnex von Eigenhändigkeit des Vollzugs und Vollständigkeit des Begründungszusammenhangs einer Selbsttötung kritisch zu hinterfragen. Der dahinter stehende Gedanke, der Sterbewillige solle nicht die Augen vor den Konsequenzen seines Handelns verschließen können und aus deren unmittelbarer Wahrnehmung solle ihm ein Anlaß erwachsen, seine Zwecksetzung nochmals kritisch zu überprüfen, entbehrt gewiß nicht der vordergründigen Plausibilität. Es gilt jedoch, nicht aus den Augen zu verlieren, daß auch der fremdhändig seine Tötung Betreibende in Kenntnis der Herbeiführung seines Todes handelt und bereits darin einen permanent aktuellen Anlaß zur Rekonstruktion seiner Zwecksetzung findet. Gegen-

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über dieser normativ begründeten Gemeinsamkeit beider Konstellationen stellt sich das alleinige Abheben auf die Eigenhändigkeit der Ausführung der Tat als in sachlicher Hinsicht nicht hinreichend ausgewiesener Naturalismus dar. So hat bereits Maatsch zutreffend auf die Ambivalenz der eigenhändigen Vornahme der Selbsttötung im Hinblick auf den Reflexionsgrad der Begründungzusammenhänge hingewiesen.323 Es dürfte kaum zu leugnen sein, daß in vielen Lebenssituationen die Gefahr der Realisierung nicht bis ins Letzte durchdachter Suizidvorhaben gerade dann besonders hoch ist, wenn der Sterbewillige die Ausführung selbst übernimmt. Vor allem mit Blick auf die (nicht notwendig einen pathologischen Grad erreichende) affektive seelische Verfaßtheit, die autoaggressives Verhalten typischerweise begleitet, gilt es zu bedenken, daß beim Handlungsvollzug durch das auf sich selbst zurückgeworfene Subjekt jegliche äußere Instanz fehlt, die eine Überprüfung des Entschlusses wenigstens anzumahnen in der Lage wäre. Wie klein ist in manchen Situationen der Schritt, der einen Menschen vom Leben zum Tode bringt! Wie kurz muß die Frist spontaner Entschlossenheit nur sein, um den in schwerem Gemütszustand, aber ohne fest vorgefaßte Intention eine Brücke Betretenden dazu zu bringen, dem Impuls nachzugeben, sich über das Geländer zu stürzen – und dies womöglich schon im Fall wieder zu bereuen! Solche Szenarien sind bei der Tötung auf Verlangen kaum denkbar; einerseits läßt die durch die Arbeitsteiligkeit bedingte Mehrstufigkeit der Ausführung des Vorhabens hier regelmäßig genügend Zeit, das Für und Wider gründlich zu bedenken. Relevanter noch dürften für die Vermeidung der in Rede stehenden inhaltlichen Begründungsdefizite die (in den allermeisten Fällen positiven) Effekte der in der intersubjektiven Handlungsstruktur angelegten Transformation des Begründungsprozesses vom lediglich psychischen zum sozialen Phänomen sein. Was sich bei einer lediglich selbstbezüglichen Handlung allzu oft umgehen läßt – Entschluß und zugrundeliegende Motive im sozialen Diskurs transparent zu machen –, wird bei einer Tötung auf Verlangen kaum unterbleiben können. Immerhin muß der Sterbewillige den Beteiligten dazu motivieren, ihm bei seinem Selbsttötungsprojekt behilflich zu sein. Dabei wird dieser schon im eigenen Interesse Rechenschaft über die Gründe eines so schwerwiegenden Vorhabens fordern – weil nach gelungener Tat er, der Überlebende, es sein wird, der Rede und Antwort stehen und die Verantwortlichkeit des dann Verstorbenen für seinen Tod plausibel machen muß. Ist der Lebensmüde aber genötigt, seine Gründe kommunikativ zu vermitteln, so setzt das voraus, daß er sich diese zuvor selbst vorgelegt hat.324 Es gibt also gute Argumente dafür, daß gerade die arbeitsteilige Form der Selbsttötung eine hohe Gewähr für ein vollständiges Durchdenken des Zweckzusammenhangs bietet.325 323

Maatsch, S. 51. Ausgenommen ist hier der allerdings atypische Fall, daß der Sterbewillige den Ausführenden über seine Gründe täuscht bzw. das Vorhandensein von Gründen vortäuscht. 324

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Der von Jakobs offenbar unterstellte gegenteilige Effekt326 scheint überhaupt nur dann denkbar, wenn der um die Vornahme der Tötung ersuchte Dritte seinerseits ein Interesse am Erfolg hat und aus diesem Grunde in maliziöser, verschleiernder Manier einen bestärkenden Einfluß ausübt. Doch um diese Seite der Medaille muß es hier im Detail noch nicht gehen. Denn entscheidend für die Validität der gesetzlichen Differenzierung ist nach jener früheren Norminterpretation Jakobs’ nicht die eventuell destruktive Kraft eines von außen zum Vorhaben beigesteuerten Handlungsbeitrags, sondern das konstruktive Potential des eigenhändigen Vollzugs im Hinblick auf die Vervollständigung des Begründungszusammenhangs für das suizidale Projekt. Wie die vorstehenden Ausführungen deutlich gemacht haben sollten, ist jedoch die Annahme eines regelhaft positiven Einflusses der Eigenhändigkeit einer Selbsttötung auf den ihr vorausliegenden Motivationsprozeß nicht gerechtfertigt.327 Wird man ganz allgemein aus der bloßen äußeren Form des Vollzugs eines Projekts im besten Falle Indizien, nie aber die von Jakobs in Anspruch genommene sichere Gewähr für eine bestimmte Beschaffenheit des im Hintergrund stehenden geistigen Prozesses gewinnen können, so wird man den gerade nachgezeichneten spezifischen Zusammenhang noch nicht einmal für plausibel halten können. Es scheint, daß Jakobs selbst nachträglich erkannt hat, daß das Recht einen bestimmten Reflexionsgrad einer als verantwortlich getroffen akzeptierten Entscheidung nicht positiv gewährleisten oder auch nur sinnvoll anstreben kann. Jedenfalls greift er in seinem späteren Entwurf328 diesen Gedanken nicht mehr auf und führt – bei ansonsten unveränderter Struktur des Konzepts – einen modifizierten Schutzgegenstand ein: eben die hier bereits vorgestellte „subjektive Vollzugsreife“ bzw. „eigene Zweckverfolgung“.329 Damit wendet sich der Blick 325 So auch Maatsch, der hier sogar – über die von Jakobs geforderte Qualität des Begründungszusammenhangs hinausgehend – die Chance eines „echten Objektivierungsprozesses“ sieht. 326 Diese Unterstellung tritt stärker in der zweiten Bearbeitung des Themas durch Jakobs (Tötung auf Verlangen, insbesondere S. 21 ff.) hervor, auf die sogleich zurückzukommen sein wird, während sie für die Argumentation in FS Arthur Kaufmann, S. 459 ff. zumindest nicht konstitutiv ist: Hier geht es noch lediglich um das Ausbleiben der mit der eigenhändigen Vornahme der Selbsttötung in Verbindung gebrachten positiven Effekte für den Reflexionsgrad der Begründung des Vorhabens, nicht jedoch (jedenfalls nicht erklärtermaßen) um den Verdacht heteronomen Einflusses auf diese Begründung. 327 Vgl. dazu auch die Auseinandersetzung unten (C. I.) mit der gleich strukturierten, aber anders akzentuierten Lehre Roxins, nach der aus der Eigenhändigkeit des Handlungsvollzuges (unwiderleglich) die Ernstlichkeit des Sterbewunsches zu folgern sein soll. 328 Jakobs, Tötung auf Verlangen, insbesondere S. 21 ff. 329 Jakobs nimmt dabei von seiner früheren Interpretation nicht ausdrücklich Abstand – mit der Folge, daß der geringfügig anmutende, jedoch durchaus folgenreiche Paradigmenwechsel im Schrifttum bis heute weitgehend unbemerkt geblieben ist, vgl. exemplarisch MüKo-Schneider, § 216 Rn. 7 f., wo (in durchaus verzeihlichem Mißver-

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von der positiv-substantiellen zu einer negativ-formalen Qualität der dem suizidalen Projekt zugrundeliegenden Begründungszusammenhänge, der Freiheit von äußerer Zwecksetzung. Mag die Rechenschaft, die der Sterbewillige vor sich selbst über sein Vorhaben ablegt, also noch so rudimentär und ergänzungsbedürftig sein: Hauptsache, sie ist „hausgemacht“! Daß ein so verstandener Schutzgegenstand nicht dazu bestimmt sein kann, Lebensmüde in paternalistischer Manier vor den Folgen übereilter und unplausibler Selbsttötungsbestrebungen zu bewahren, dürfte deutlich sein. Diese Konsequenz erkennt – wenngleich in der Formulierung äußerst zurückhaltend – wohl auch Jakobs an, wenn er eine aus dem von ihm auf diese Weise interpretierten § 216 erwachsende paternalistische Schutzwirkung mehr oder weniger als willkommenen Nebeneffekt ansieht, den eigentlichen Zweck der Norm jedoch in der Wahrung des „allgemeine(n) Interesse(s) an Klarheit daran, daß der Zweckzusammenhang vollständig vom Lebensmüden durchdacht wurde“ sehen möchte.330 So betrachtet, geht es in § 216 um – wie Jakobs selbst es formuliert – den „Verstoß gegen eine Formvorschrift“331; das auf den vom Recht anerkannten Willen des Getöteten zurückzuführende Projekt leidet also lediglich daran, daß es nicht in der gehörigen Form vollzogen wurde. Damit ist sicherlich nicht gemeint, daß dieser Formzwang bloßer Selbstzweck sein soll;332 er ist sinnvoll nur als äußeres Substrat eines materiellen Schutzgegenstandes zu denken. Dabei würde es wenig einleuchten, wenn dieser Gegenstand das von Jakobs benannte allgemeine Interesse an Klarheit über die Beschaffenheit des Zweckzusammenhangs selbst sein sollte;333 es scheint schon kaum begründbar, ein solches Interesse (um seiner selbst willen) überhaupt anzuerkennen.334 Jakobs verfolgt diesen Gedanken denn auch nicht weiter; er ständnis) die beiden von Jakobs vorgestellten Schutzgegenstände aufeinander bezogen und damit vermengt werden. Dezidiert unterschieden werden die Ansätze beider Arbeiten, soweit ersichtlich, nur bei Vöhringer, Die Abgrenzung des § 216 StGB zur straflosen Beihilfe zum Suizid, S. 65. 330 Jakobs, S. 23. Ergänzend zu dem gerade in Fn. 329 Gesagten sei darauf hingewiesen, daß auch der Umstand, daß die „geltende Fassung“ der Schutzzweckkonzeption Jakobs’ sich nicht als vordergründig paternalistisch geriert, im Schrifttum bislang noch nicht zur Kenntnis genommen wurde, vgl. statt aller nur wiederum Schneider. 331 Jakobs, S. 23. 332 Insofern trifft es nicht den Kern, wenn Maatsch, Selbstverfügung, S. 51 (Fn. 42), meint, es seien Zweifel angebracht, ob der Verweis auf eine bloße „Formvorschrift“ hinreiche, die Andersbehandlung der Tötung auf Verlangen gegenüber dem Selbstmord zu rechtfertigen. 333 So aber die Interpretation Murmanns, Selbstverantwortung, S. 526, der allerdings (S. 527) selbst die Richtung zu einem (wohl) authentischeren Verständnis weist, wenn er ausführt: „Dunkel bleibt so vor allem, was dieses überindividuelle Interesse mehr sein soll als das Interesse jedes Einzelnen, in bestimmten Situationen vor der Exekution unzureichend bedachter, voreiliger Entscheidungen mit Rücksicht auf die Unwiederbringlichkeit seines Lebens geschützt zu werden.“ 334 So auch die Kritik Murmanns, Selbstverantwortung, S. 527 f.

IV. Das Verbot der Tötung als Instrument abstrakten Lebensschutzes

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würde sich im übrigen nicht in sein Konzept von der abstrakten Gefährdungsstruktur der Tötung auf Verlangen einfügen. Der Formzwang muß demnach, entgegen der gerade zitierten, etwas in die Irre führenden Ausführungen Jakobs’, ausschließlich der Wahrung des Interesses des Sterbewilligen selbst gelten, indem er garantiert, daß sein Selbsttötungswille nur dann verwirklicht wird, wenn er aus eigener Zwecksetzung heraus begründet ist. Wie allerdings läßt sich diese Garantie in den bei Jakobs offenkundig vorausgesetzten, aber nicht näher erläuterten Bezug zum Lebensschutz bringen, wenn sie – wie die bisherige Analyse ergeben hat – gerade nicht dazu bestimmt sein kann und soll, diese Zwecksetzung in paternalistischer Manier qualitativ auf Vernünftigkeit, Plausibilität oder Voreiligkeit hin zu überprüfen? Einzig in Betracht scheint die Deutung zu kommen, das Fehlen einer eigenen Zwecksetzung mache die Selbsttötung zu einem in Wahrheit fremdbestimmten Projekt. Immerhin würde dies zu der hier auf dem Prüfstand stehenden Behauptung Jakobs’ passen, das Fehlen der „subjektiven Vollzugsreife“ wandele die Selbstverfügung zur Fremdverfügung, also zum Totschlag. Unterstellt man zunächst die Richtigkeit dieser Einordnung, so bleibt doch in systematischer und teleologischer Hinsicht die Frage klärungsbedürftig, warum der Schutzgegenstand des § 216 nur auf die abstrakte Gefahr einer durch das Fehlen einer eigenen Zwecksetzung bedingten mangelnden Selbstbestimmtheit des Sterbewillens beschränkt sein soll. Immerhin sind eine Reihe anderer, näherliegender Ursachen für Autonomiedefizite der Entscheidung des Sterbewilligen denkbar. Wieso also das Fehlen der „subjektiven Vollzugsreife“ herausgreifen? Jakobs würde vermutlich antworten: Weil diese Form eines Mangels des Sterbewillens die einzige ist, die für die spezifische Vollzugsform der Tötung auf Verlangen charakteristisch ist. So kann, um ein Beispiel zu nennen, ein die Verantwortlichkeit ausschließender konstitutioneller Mangel auch im Falle einer eigenhändigen Selbsttötung vorliegen. Der Vornahme einer solchen im engeren Sinne selbstbezüglichen Handlung hat das Recht aber nichts entgegenzusetzen.335 Aus diesem Grunde – so jedenfalls müßte die Konsequenz des Jakobs’schen Gedankenganges lauten – würde es wenig Sinn machen, dasselbe Projekt in seiner arbeitsteiligen Form zu verbieten. Anderes gilt hingegen nach Jakobs für die Frage der Zweckverfolgung. Hier besteht nach seiner Interpretation das Risiko einer Verletzung des Schutzgutes, also das Risiko der Verfolgung fremder Zwecke, ausschließlich bei der arbeitsteiligen Umsetzung des Vorhabens, wogegen „Zweifel an der Vollzugsreife (. . .) bei eigenhändigem Vollzug jedenfalls ausgeräumt sind“.336

335 336

Jakobs, S. 22. Jakobs, S. 23.

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Jene für die systematische Konsistenz des vorgetragenen Normverständnisses maßgebliche Aussage unterliegt jedoch in zweierlei Hinsicht schwerwiegenden Zweifeln. Zum einen versteht es sich durchaus nicht von selbst, daß es in dem von Jakobs als Beleg für die Richtigkeit seiner Differenzierung herangezogenen Fall einer in der fremdhändig vollzogenen Selbsttötung liegenden „Unterwerfung unter ein Abstraktum“, also unter einen (noch) nicht konkretisierten Zweckzusammenhang, tatsächlich an einer eigenen Zweckverfolgung fehlt. Schließlich ist dem Sterbewilligen ja auch in einer solchen Konstellation bewußt, daß er sich dem noch zu bildenden fremden Willen unterwirft – und was sollte daran hindern, in der Affirmation dieses Sachverhaltes die Verfolgung eines eigenen Zwecks zu erblicken? Mit anderen Worten, warum sollte sich der Sterbewillige nicht den (noch) abstrakten fremden Zweck zueigen machen können, wenn er diesen bewußt, gerade auch im Hinblick auf seine Abstraktheit und Offenheit, seinem Vorhaben zugrundelegt? Aus der maßgeblichen Perspektive des Zweckzusammenhangs des Lebensmüden bedeutet dann das „Zuschieben der Gründe“ für die Tötung an eine andere Instanz nicht mehr und nicht weniger als eine Frage inhaltlicher Präzisierung. Es leuchtet aber im Hinblick darauf, daß auch ausschließlich selbstbezogene Reflexionsprozesse in höchstem Grade reduzierte und/oder offene Begründungszusammenhänge zum Ergebnis haben mögen, nicht ein, diese Unbestimmtheit als eine spezifische Form intersubjektiv generierter Zwecksetzungsdefizite anzusehen und daran eine qualitative Abstufung in der rechtlichen Bewertung zu knüpfen. Wenn Jakobs das anders sieht, mag darin ein verschwommener Rest des Paternalismus seines früheren Ansatzes liegen, vor allem aber scheint das Bedenken eine Rolle zu spielen, der Sterbewillige werde durch den Mitausführenden zum Instrument seiner Zweckverfolgung gemacht. Hier beißt sich die Katze aber in den Schwanz: Wenn der von dem Lebensmüden gestiftete Zweckzusammenhang eine solche Möglichkeit eröffnet, wird man die Verantwortung dafür wiederum auf diesen zurückführen müssen; von einer Instrumentalisierung kann demzufolge nicht die Rede sein. Dieser Einwand betrifft weit mehr als nur die systematische Schlüssigkeit des Konzeptes, schließlich ist es gerade die eben thematisierte Konstellation, die nach Jakobs den einzig denkbaren Fall einer verlangten, aber nicht von einer eigenen Zwecksetzung des Sterbewilligen getragenen Tötung bildet. Kommt man also zu dem Ergebnis, daß ein auf die geschilderte Weise zustande gekommenes Vorhaben letztlich ebenfalls auf einem durch den Lebensmüden gestifteten Zweckzusammenhang beruht, so heißt das, daß jeglicher verantwortlich gefaßte Entschluß (ungeachtet der Art seiner Umsetzung) notwendig auch im Sinne Jakobs’ „subjektiv vollzugsreif“ ist. Damit gerät dem auf der Gefahr des Fehlens der „subjektiven Vollzugsreife“ basierenden abstrakten Gefährdungskonzept der Schutzgegenstand abhanden.

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Dementsprechend hat der zweite hier vorzutragende Einwand, der sich unmittelbar gegen die im Hinblick auf die Genese des Zweckzusammenhangs vorgenommene Differenzierung zwischen eigen- und fremdhändiger Selbsttötung richtet, eher sekundäre Bedeutung. Läßt man sich (hypothetisch) so weit auf den Gedankengang Jakobs’ ein, daß man seinen Ausgangspunkt akzeptiert, es sei von Relevanz für die Wirksamkeit einer Disposition über das Leben, wenn der Sterbewillige die „Zweckfindung“ in der dargestellten Weise einem anderen überläßt, so bleibt im weiteren die oben wiedergegebene Behauptung zu überprüfen, daß dieses Phänomen beim eigenhändigen Vollzug schlechterdings ausgeschlossen sei. Vordergründig entbehrt eine solche Aussage nicht der Plausibilität, schließlich besteht aufgrund der Eigenart des zeitlichen Ablaufs nur bei der fremdhändigen Ausführung die Möglichkeit, daß die „eigentliche“ (also die durch den Ausführenden vervollständigte) Zwecksetzung im für die Entscheidung des Sterbewilligen maßgeblichen Zeitpunkt (dem seines Verlangens) noch überhaupt nicht existiert und deshalb lediglich ein „Abstraktum“ bildet. Dabei läßt Jakobs indes außer acht, daß der beschriebene psychische Sachverhalt nicht notwendig mit der (objektiven) Existenz oder Nichtexistenz eines komplettierten Zweckzusammenhangs verknüpft ist. So macht es für die Qualität der Zwecksetzung des Sterbewilligen keinen Unterschied, wenn die Begründung durch einen anderen bereits vervollständigt wurde (also zum Zeitpunkt der Entscheidung objektiv existiert), dem Disponierenden inhaltlich jedoch nicht bekannt ist. Ein solches Szenario ist auch und gerade beim eigenhändigen Vollzug möglich. So wäre ohne weiteres denkbar, daß eine ohne die Beteiligung Dritter ausgeführte Selbsttötung auf einem Entschluß beruht, der erst durch die (straflose) vorsätzliche „Anstiftung“ eines anderen geweckt wurde. Wenn dieser kommunikativ lediglich die nackte Aufforderung zur Ausführung der Tat ohne Angabe von Gründen vermittelt hat (z. B. einfach „Ich an deiner Stelle würde mich umbringen!“) und der nunmehr Lebensmüde (mit der von Jakobs auch für die Fälle arbeitsteiliger Selbsttötung vorausgesetzten Naivität)337 in schlichtem Vertrauen auf die Autorität des anderen zur Tat schreitet, so unterwirft er sich einer zwar existenten, aber intransparenten fremden Zwecksetzung, die für ihn gleichermaßen ein „Abstraktum“ darstellt. Eine Differenz im Hinblick auf die Qualität des Defizits des Begründungszusammenhangs ist zwischen einer solchen Konstellation und der von Jakobs aufgezeigten nicht erkennbar. Damit aber kann sein Modell dem selbstgesetzten Anspruch nicht genügen, eine Erklärung des Strafbarkeitsgefälles zwischen der Beteiligung an einer Selbsttötung und der Tötung auf Verlangen zu leisten.338 337 Murmann, Selbstverantwortung, S. 527: „psychologisch ausgesprochen fernliegend“. 338 Dagegen wähnt Schneider in MüKo, § 216 Rn. 8 das Konzept Jakobs’ vor allem deshalb allen anderen Ansätzen zur Interpretation des § 216 überlegen, weil es die Ungleichbehandlung von Suizidteilnahme und Tötung auf Verlangen friktionslos zu

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Ist somit bereits die teleologisch-systematische Invalidität einer auf den Ausschluß der Gefahr eines Mangels an „subjektiver Vollzugsreife“ des Sterbewillens ausgerichteten Konzeption des § 216 erwiesen, so bleibt nur noch ergänzend darauf hinzuweisen, daß die in einem solchen Normverständnis zutage tretende skeptische Bewertung des Einflusses sozialer Interaktion auf die Autonomie menschlicher Entscheidungen sowohl in empirischer als auch in normativer Hinsicht zweifelhaft erscheinen muß.339 Jakobs unterstellt offensichtlich, daß das Blankett eines Zweckzusammenhangs, das bei fehlender „subjektiver Vollzugsreife“ dem um den Vollzug der Tötung Ersuchten zur Ausfüllung bzw. Ergänzung überantwortet wird, von diesem mißbräuchlich in einer den tatsächlichen Interessen des Lebensmüden zuwiderlaufenden Weise vervollständigt wird.340 Eine solche Form der inhaltlichen Fehlkonstruktion des Begründungszusammenhanges – soweit man von einer solchen unter den gegebenen Umständen sprechen mag – kann jedoch nur dann überhaupt eine Rolle spielen, wenn man dem Recht konzediert, daß es an die inhaltliche Qualität der Begründung positive Anforderungen stellen darf. An dieser Stelle schließt sich der Kreis zu dem oben bereits widerlegten früheren Entwurf Jakobs’, von dem sich das hier analysierte spätere Konzept – offenbar schon aus logischen Gründen – letztlich nicht zu emanzipieren vermag. Deutlich tritt dieser dem Schutz der „eigenen Zweckverfolgung“ (schließlich doch) anhaftende Charakter einer der Sicherung der Qualität bzw. Plausibilität der Begründung des Todeswunsches dienenden Maßnahme hervor, wenn Jakobs eine teleologisch fundierte Beschränkung des Anwendungsbereiches des § 216 in Fällen objektiv vernünftiger Sterbewünsche befürwortet.341 Denn selbstverrechtfertigen vermöge. Dabei ist jedoch höchst zweifelhaft, inwiefern sich dieses Lob auf die gerade im Text kritisierte teleologische Struktur bezieht; die in unmittelbarem Zusammenhang gebrauchte Rede vom „Schutz vor übereilter Lebensbeendigung“ (einem Begriff, den Jakobs ausschließlich im Rahmen seines früheren Schutzzweckmodells verwendet) läßt dies eher nicht vermuten. 339 Vgl. dazu die bereits angesprochene Kritik Maatschs, S. 51. 340 Es sei nochmals daran erinnert, daß es hier nicht um eine Einflußnahme auf die Bildung derjenigen Inhalte des Willens geht, die nach überkommener Lesart die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Verfügung über eigene Rechtsgüter konstituieren. 341 Jakobs, S. 25 ff., vgl. dazu auch die eingehende Kritik bei Roxin, FS Jakobs, S. 574 ff. Mit dieser Beschränkung lädt sich Jakobs nun doch noch das Problem auf, definieren zu müssen, wann ein Sterbewille als „objektiv vernünftig“ anzusehen sein soll. Ausgehend davon, daß die Festschreibung eines öffentlich verbindlichen Lebenssinns in einer säkularisierten Gesellschaft nicht möglich ist, nähert er sich dieser Frage gleichsam auf eine negative Weise im Wege eines a-maiore-ad-minus-Schlusses: Es sei im Ergebnis allgemein anerkannt, daß die sog. passive Sterbehilfe und die sog. indirekte Sterbehilfe straflos sein sollen. Dies müsse auch für eine bloß gemutmaßte Einwilligung gelten, denn es sei ein „Akt schierer Grausamkeit“, einwilligungsfähige Patienten im Wissen um das üblicherweise Gewollte in ihrem Elend zu belassen. Aus der Zulässigkeit der Vornahme lebensverkürzender (bzw. des Unterlassens lebensverlängernder) Maßnahmen selbst bei Fehlen einer Willensäußerung müsse jedoch ge-

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ständlich korrespondieren objektive Vernünftigkeit und subjektive Zwecksetzung nicht notwendig miteinander, so daß durch eine solche Auslegung die Möglichkeit eröffnet wird, daß subjektiv nicht vollzugsreife Vorhaben (eben immer dann, wenn die fremdgesetzten Zwecke nach einem objektiv zu bestimmenden Maßstab dem Interesse des Sterbewilligen entsprechen) der Tatbestandslosigkeit anheimfallen.342 Angesichts dessen muß sich der Eindruck aufdrängen bzw. verstärken, daß die „subjektive Vollzugsreife“ nicht um ihrer selbst willen den Schutzgegenstand des § 216 bildet, sondern lediglich wegen einer durch sie zu vermittelnden Gewähr für die Vernünftigkeit der dem Sterbewunsch zugrundeliegenden Motive.343 Wenn es Jakobs tatsächlich nur darum gehen sollte, hätte schlossen werden, daß das Bewirken des Erfolges in diesen Fällen ein vernünftiges Vorgehen darstelle und insoweit einen verbindlichen Standard setze. Mithin gebe es bestimmbare Situationen, in denen – nicht nur gemäß einer subjektiv willkürlichen Entscheidung – der baldige Tod dem Weiterleben vorzuziehen sei. Selbst wenn man diese zirkulär anmutende Ableitung einmal akzeptiert, ist doch festzuhalten, daß in den beiden von Jakobs in Anspruch genommenen Konstellationen die Straflosigkeit mitnichten das Ergebnis einer positiven Stellungnahme des Rechts zur bewirkten Lebensverkürzung (bzw. unterlassenen Lebensverlängerung) ist, sondern in der jeweiligen Spezifik der Handlungssituation wurzelt. Besonders deutlich ist das bei der sog. indirekten Sterbehilfe, zu deren Voraussetzungen es nach der (noch) herrschenden Doktrin, auf die sich Jakobs bezieht, gehört, daß die Lebensverkürzung durch den Handelnden nicht angestrebt oder als sicher vorausgesehen wird. Eine objektive Wertung, daß der baldige Tod dem Weiterleben vorzuziehen sei, kann darin gewiß nicht erblickt werden – im Gegenteil: der Täter, der eine solche Bewertung zur Grundlage seiner Aktion macht, geht eventuell gar der Straflosigkeit verlustig. Ebensowenig wird man aus der – ihrerseits durchaus nicht unbestrittenen – Straflosigkeit der passiven Sterbehilfe folgern können, daß das Recht dem Tod den Vorzug vor der Lebensverlängerung gibt. Der nach dem Selbstverständnis der herrschenden Lehre die strafrechtliche Bewertung tragende Gesichtspunkt ist viel eher darin zu erblicken, daß in der Regel die Erfolgsabwendung mit einem massiven, aktiven Eingriff in Autonomie und körperliche Integrität des Sterbenden verbunden ist, der ohne den Willen des Rechtsgutsinhabers nicht zu legitimieren ist (vgl. dazu ausführlich unten D. IV.). Dieser Aspekt ist aber für das sich in einem bloßen Unterlassensgebot erschöpfende Verbot der Tötung auf Verlangen nicht geltend zu machen. 342 Jakobs, S. 29, bleibt bei der Analyse der systematischen Implikationen seiner Tatbestandsreduktion auf halbem Wege stehen, wenn er sich auf den Gefährdungsaspekt beschränkt und lediglich feststellt, daß bei „einem objektiv vernünftigen Verlangen rechtlich zu vermuten ist, daß es Bestand habe, nicht aber, daß ihm die Vollzugsreife fehle“. Offen bleibt dabei die vorrangige und für die Konsistenz der Jakobs’schen Norminterpretation grundlegende Frage, ob der Wille auch dann Bestand haben soll, wenn die fehlende „subjektive Vollzugsreife“ positiv erwiesen, das Projekt jedoch gleichwohl als „objektiv vernünftig“ zu qualifizieren ist. Da Jakobs sich bei der Herleitung der tatbestandlichen Reduktion maßgeblich auf die grundsätzliche Möglichkeit einer mutmaßlichen Einwilligung bezieht (vgl. die vorige Fn.), läßt sich indes (a maiore ad minus) vermuten, daß er diese Frage bejahen will. 343 Jakobs meidet eine Stellungnahme zu diesem, möglicherweise von ihm als problematisch erkannten Zusammenhang, indem er seine teleologische Reduktion nicht positiv materiell, sondern lediglich im Wege des in Fn. 341 kritisierten formalen Rückschlusses aus der Straflosigkeit anderer Verhaltensweisen begründet. Maatsch, S. 54 f., kritisiert den Versuch Jakobs’, den Tatbestand des § 216 einzuschränken als „im Grunde unabgeleitet“. Auch er weist im besonderen darauf hin, daß

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er sich indes – trotz einer kolossalen Ausholbewegung – de facto keinen Schritt vom Paternalismus eines Merkel oder Herzberg fortbewegt. 2. Das Verbot der Tötung auf Verlangen als Mittel zur Verhinderung des Vollzugs nicht freiverantwortlich gefaßter Selbsttötungsentschlüsse Wenn die im vorigen Abschnitt vorgenommene Analyse zu dem Ergebnis kommen mußte, daß der Versuch Jakobs’, die Strafbestimmung des § 216 zu legitimieren, sowohl aus teleologischen als auch (in deren Gefolge) aus systematischen Gründen nicht zu befriedigen vermag, so gilt es nun, die Aufmerksamkeit den sachlichen Grenzen dieser Kritik zuzuwenden. Dreh- und Angelpunkt aller Einwände gegen das von Jakobs vorgestellte Konzept war der von ihm postulierte Schutzgegenstand, die „subjektive Vollzugsreife“ bzw. „Verfolgung eigener Zwecke“. Das heißt aber, es ist gerade noch nicht gesagt, daß der Gedanke, § 216 sei in systematischer Hinsicht als abstraktes Gefährdungsdelikt zu qualifizieren, für sich genommen in eine Sackgasse führt. Es soll daher im folgenden versucht werden, die für den vorliegenden Kontext erstmals von Jakobs in das juristische Schrifttum eingeführte abstrakte Gefährdungsstruktur für eine – auch in teleologisch-systematischer Hinsicht – schlüssige Interpretation des Strafgrundes des § 216 fruchtbar zu machen. Dabei wird die Richtung für ein solches Vorhaben durch eine Erkenntnis gewiesen, die bereits in der Auseinandersetzung mit den zahlreichen im Schrifttum vertretenen Interpretationsmodellen gewonnen werden konnte. Dort wurde gleichsam im Ausschlußverfahren erwiesen, daß im Zentrum einer legitimierbaren Zweckkonzeption des § 216 der Schutz individueller Lebensschutzinteressen stehen muß – wie gerade gesehen, scheiterte insbesondere der Entwurf Jakobs’ letztlich daran, daß es ihm nicht überzeugend gelang, den Bezug der Norm zum Lebensschutz zu vermitteln. Nicht nur die Stellung der Bestimmung innerhalb des sechzehnten Abschnitts des StGB legt demzufolge nahe, daß der als abstraktes Gefährdungsdelikt begriffene Tatbestand des § 216 sinnvoll nur als Komplementärnorm im Vorfeld der „eigentlichen“ Tötungsdelikte (§§ 211, 212, 222) zu denken ist. Es ergibt sich somit folgende Ausgangslage: Auf der einen Seite muß ein teleologisch konsistentes Schutzzweckmodell der Norm des § 216 eine Funktion im System des strafrechtlichen Lebensschutzes zuweisen. Auf der anderen Seite hat sich aber erwiesen, daß es für das Recht keinen Grund gibt, dem die Voraussetzungen der Privilegierung des § 216 erfüllenden Verlangen die Anerkennung als – den Unwert der vorsätzlichen Tötung kompensierende – rechtfertigende Einwilligung zu versagen. Ein unter dem Aspekt des Lebensschutzes das Verhältnis von „objektiver Vernunft“ und „subjektiver Vollzugsreife“ bei Jakobs letztlich ungeklärt bleibt.

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rechtlich verbotenes Geschehen kann somit grundsätzlich nur vorliegen, soweit es dem Verlangen an jenen Voraussetzungen mangelt, soweit also der Tatbestand der Tötung auf Verlangen gerade nicht erfüllt ist. Dieser scheinbare Widerspruch führt auf eine erste systematisch relevante Schlußfolgerung hin: Gegenstand einer eventuell in § 216 tatbestandlich typisierten Gefährdung strafrechtlich zu schützenden menschlichen Lebens kann nicht der in der Norm beschriebene Erfolg einer auf der Basis eines ernstlichen/freiverantwortlichen Verlangens bewirkten Tötung sein.344 Wenn die Tat aber nicht um ihres Erfolges willen verboten ist, bleibt nur die Deutung, daß das Gefährdungspotential der Tötung auf Verlangen in der Spezifik der für die Herbeiführung eines solchen – an und für sich strafrechtlich indifferenten – Erfolges charakteristischen Handlungssituation wurzelt.345 Die Gefahr einer Beeinträchtigung strafrechtlich geschützten Lebens 344 Im selben Sinne Murmann, Selbstverantwortung, S. 360: „§ 216 setzt ein fremdschädigendes Verhalten voraus, ohne daß die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift bei nicht-defizitärer Bewilligung dieses Verhaltens aus dem fremdschädigenden Charakter als solchem zu legitimieren wäre.“ 345 Hier vollzieht sich ein erster, wesentlicher Bruch zur Konzeption Murmanns, Selbstverantwortung, S. 493, der § 216 ähnlich dem im folgenden zu entwickelnden Normverständnis als Gefährdungsverbot begreift, an dieser Stelle aber vom selben Ausgangspunkt zum entgegengesetzten Ergebnis kommt: „Mit dem Erfordernis des ernstlichen Tötungsverlangens stellt § 216 StGB Anforderungen an die Freiheit von Defiziten des Todeswunsches, deren Erfüllung nach den allgemeinen, für die Wirksamkeit von Einwilligungen entwickelten Grundsätzen es ausschließen würde, eine Einwilligung als defizitär einzustufen. Der Versuch, § 216 StGB als eine Vorschrift zu interpretieren, mit der das Opfer vor der Realisierung von (möglicherweise) defizitären Entscheidungen geschützt werden soll, setzt damit notwendig voraus, daß es sich um das Risiko solcher defizitären Entscheidungen handelt, deren (mögliches) Vorliegen nicht die Anwendung von § 216 StGB gerade ausschließt.“ Murmann hält es also für unmöglich, einen Gefährdungstatbestand zu formulieren, dessen Verwirklichung die materielle Verletzung des geschützten Rechtsgutes nachgerade ausschließt und sieht sich deshalb unter konstruktiven Gesichtspunkten gezwungen, die Möglichkeit einer zwar objektiv unter § 216 fallenden, gleichwohl in das Lebensrecht des Getöteten eingreifenden Tötung offenzuhalten (daß dies gravierende Auswirkungen auf die Konturierung der Anforderungen an eine strafrechtlich wirksamen Disposition über das eigene Leben haben muß, liegt auf der Hand; vgl. dazu ausführlich unter C. I.). Dem ist zuzugeben, daß eine Gefährdungsnorm, deren objektiver Tatbestand dem Wortlaut nach nur dann erfüllt ist, wenn (jedenfalls in dubio pro reo) davon auszugehen ist, daß der Gefährdungssachverhalt, der ihren Schutzgegenstand bildet, sich nicht in einer Verletzung des mittelbar geschützten Rechtsguts realisiert hat, im deutschen Strafrecht offenbar ein Unikum darstellt. Andererseits ist nicht zu sehen, was es dem Gesetzgeber verwehren sollte, einen der materiellen Rechtsgutsverletzung vorgelagerten Verhaltensunwert über seinen finalen Bezug zu einem für sich genommen strafrechtlich indifferenten, äußeren Sachverhalt zu typisieren. Konstruktiv sinnvoll ist dies gerade für die vorliegende Konstellation, in der – wie gleich zu zeigen sein wird – das präventiv zu bekämpfende Verletzungsrisiko ausnahmslos durch ein Irrtumsrisiko vermittelt wird. Auch Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 124 f., der den Sinn des Verbots verlangter Tötungen – unter Berufung auf Jakobs – teilweise im Schutz vor dem Vollzug defizitärer Tötungsverlangen sieht, stößt sich an dem Befund, daß im Rahmen des Anwendungsbereichs des § 216 eine fehlende Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens

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beim Vollzug der verlangten Tötung erscheint in der Tat denkbar: Der die Tat vollziehende Dritte kann bei der Vornahme der Tötungshandlung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer nach strafrechtlichen Kategorien wirksamen Disposition irren. Leistet er einem dem äußeren Anschein nach den Anforderungen des § 216 entsprechenden, in Wahrheit jedoch defizitären Verlangen Folge, so bewirkt er einen Eingriff in das Lebensrecht des Getöteten, der im praktischen Ergebnis dem eines Tötungsdeliktes nach §§ 211, 212, 222 entspricht.346 Es dürfte kaum zu bezweifeln sein, daß die Rechtsordnung grundsätzlich ein Interesse daran hat, solches Geschehen so wirksam wie möglich (aber natürlich auch nur – wie nötig!) zu unterbinden.347 Ebenso wie die prinzipielle Legitimität eines solchen Schutzanliegens sollte ohne weiteres einleuchten, daß die Handlungssituation bei einer Tötung auf Verlangen eine spezifische Gefährdungslage für Irrtümer des Handelnden über das Vorliegen der den Unwert der vorsätzlichen Tötung aufhebenden Umstände birgt. Diese beruht zum einen darauf, daß die vom Täter zu ermittelnden Umstände zu ihrem wesentlichen Teil im Inneren der Person des Verlangenden wurzeln und sich damit seiner unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung entziehen. Ohne besondere Schwierigkeiten feststellen läßt sich für den die Tat Ausführenden im Grunde nur die nackte Tatsache, daß durch den Sterbewilligen ein auf Vornahme der Tötung gerichtetes Verlangen geäußert wurde. Ob der Verlangende sich in einer seelischen Verfassung befindet, die es ihm konstitutionell erlaubt, wirksam über sein Leben zu verfügen, ob er die für seine Entscheidung relevanten Tatsachen hinreichend überschaut und schließlich, ob er sich an seinem Verlangen tatsächlich festhalten lassen will, läßt sich hingegen für den Handelnden regelmäßig nicht mit letzter Gewähr einschätzen, oft gar nur mutmaßen.348 Diese generell in der Handlungsstruktur angelegte Schwierigkeit wird noch erheblich verstärkt durch die Komplexität der die rechtliche Bewertung tragenden empirischen Faktoren. Selbst die sachverständig beratene forensische Praxis muß sich bei der Einordnung eines geäußerten Sterbewillens häufig genug un(objektiv) ausgeschlossen ist und kommt deshalb zu dem (schwer nachvollziehbaren) Schluß, die Norm diene nicht dem Schutz des konkret Getöteten, sondern den Interessen Dritter. 346 Diese Einordnung betrifft wohlgemerkt allein den Aspekt des verwirklichten Erfolgsunrechts, bedeutet also vor allem keine strafrechtliche Bewertung des Verhaltens des Tötenden (mit Blick auf ein vollständig oder teilweise korrespondierendes Handlungsunrecht). 347 Ebenso, wenngleich mit einer deutlich abweichenden Akzentuierung im Hinblick auf Gegenstand und Syndrom des verbotenen/zu verbietenden Risikos, Murmann, Selbstverantwortung, S. 495 f.; vgl. dazu im einzelnen unter C. I. 348 Ebenso Murmann, Selbstverantwortung, S. 489: „Das Defizit als psychischer Sachverhalt (. . .) ist vielmehr grundsätzlich unmittelbarer Wahrnehmung entzogen; die Unsicherheit über sein Vorliegen entspricht damit den Besonderheiten ihres Gegenstandes.“

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sicher tastend in den Grenzbereichen des medizinisch und rechtlich Verifizierbaren fortbewegen, sei es im zivilistischen Verfahren bei der Auslegung von Patiententestamenten, sei es im Strafverfahren gegen einen aktiv oder passiv an einem suizidalen Projekt Beteiligten. Ein Hauptproblem im rechtlichen Umgang mit – eigenhändig oder fremdhändig betriebenen – Selbsttötungsvorhaben bildet hierbei die empirische Häufigkeit einer pathologischen Bedingtheit autoaggressiver Verhaltensweisen. Während es sonst im sozialen Miteinander üblich und angemessen ist, den jeweils anderen grundsätzlich für die von ihm geplanten oder verwirklichten Handlungen verantwortlich zu halten und während gegen ein solches Vertrauen in die Verantwortlichkeit anderer in der Regel auch unter rechtlichen Gesichtspunkten (typischerweise bei der Befolgung im Interaktionszusammenhang zu konkretisierender Verhaltensnormen) nichts einzuwenden sein wird,349 sieht sich dieses Verständnis im vorliegenden Zusammenhang mit einer massiven medizinischpsychologischen Gegenindizierung konfrontiert. Bei dieser handelt es sich nicht lediglich um ein statistisches Phänomen ohne materiellen Bezug zu dem durch das Recht zu regelnden Lebenssachverhalt, über dem rechtliche Strukturprinzipien350 unbeeindruckt thronen dürften. Es gibt vielmehr gute Gründe, das Vorhandensein solcherart körperlich-seelischer Defizite zu den Faktoren zu rechnen, welche die durch die normative Bewertung einzuholende Typizität von Selbsttötungsprojekten ausmachen. Das beruht zum einen darauf, daß die Entscheidung, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, einen extremen Schritt darstellt, der fast ausnahmslos den (Not-) Ausweg aus extremen Lebensumständen bildet, also Lebensumständen, die psychisch krank machen.351 Ein solcher Schritt ist also häufig nur zu verstehen als Endpunkt einer – langen oder kurzen – Leidensgeschichte, die den Sterbewilligen bereits im Vorfeld seiner Entscheidung so stark geprägt hat, daß die durch sie bewirkte Erschütterung des Persönlichkeitsgefüges – dauerhaft oder vorübergehend – pathologischen Charakter trägt.352 Neben (oder in Verbindung mit) 349 Dazu daß es sich hierbei um einen in Rechtsprechung und Schrifttum bislang weitgehend unreflektiert gebliebenen Aspekt des Vertrauensgrundsatzes handelt, vgl. ausführlich unten C. II. 1. 350 Konkret also der eben erwähnte Vertrauensgrundsatz bzw. – allgemeiner – das Verantwortungsprinzip. 351 Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei darauf hingewiesen, daß die Begriffe „krank“, „Krankheit“ oder „krankhaft“ hier in einem umfassenden, medizinischen Sinne gebraucht werden und nicht etwa in Anlehnung an den im Rahmen des § 20 verwendeten engen Krankheitsbegriff, der sich neben den somatisch-pathologisch begründeten seelischen Störungen allenfalls noch auf endogene Psychosen bezieht (vgl. Sch/Sch-Lenckner/Perron, § 20 Rn. 10 m.w. N.) – und damit also, um nur ein Beispiel zu nennen, selbst hochgradigen Affekten keinen Krankheitswert zuspricht, soweit sie nicht organisch bedingt sind. 352 Zu der (für die hier interessierenden normativen Probleme nur sehr eingeschränkt relevanten) statistischen Frage der prozentualen Häufigkeit pathologisch be-

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diesen Auswirkungen auf die konstitutionelle Seite der Autonomie können jene die Genese eines Suizidentschlusses typischerweise kennzeichnenden Umstände einen destruktiven Einfluß auf den Willensbildungsprozeß selbst zeitigen; häufig bewirken sie eine Verzerrung der Perspektive, eine Verengung des Entscheidungshorizonts, die eine in Wahrheit nicht vorhandene Ausweglosigkeit suggeriert. Es ist eben regelmäßig nicht (allein) die so gern pathetisch beschworene Kraft des freien Willens, die sich in der Überwindung des Schutzmechanismus des natürlichen Selbsterhaltungstriebes manifestiert, sondern (vor allem) die ungleich drangvollere, reflexhafte Kapitulation der Leiblichkeit vor einem inneren Leidensdruck.353 In der Folgerung, daß das Recht diesen empirischen Aspekt nicht grundsätzlich unberücksichtigt lassen darf, liegt im übrigen der zutreffende Kern der auf Ringels Untersuchungen zum präsuizidalen Syndrom fußenden (zu weit gehenden) Lehre Bringewats, nach der ausnahmslos jeder Sterbewille als pathologisch induziert zu betrachten und deshalb unbeachtlich sein soll.354 Ein nicht minder schwieriges Problem bei der Qualifizierung einer Verfügung über das eigene Leben als freiverantwortlich herbeigeführte bzw. veranlaßte Selbsttötung stellt sich mit der Frage, ob der Erfolg des Vorhabens durch den (äußerlich) Sterbewilligen tatsächlich ernsthaft355 beabsichtigt oder auch nur in Kauf genommen ist. Auch hier lehrt die Erfahrung, daß der allgemeine soziale und rechtliche Standard, einen geäußerten oder betätigten Willen ernst zu nehmen, in der Mehrzahl (oder jedenfalls einer beträchtlichen Anzahl) der Fälle an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen würde. Dies gilt vor allem für die nicht seltenen sog. Konfliktsuizide oder Appellsuizide, die dadurch gekennzeichnet sind, daß eine suizidale Handlung im Grunde als kommunikatives Mittel „zweckent-

dingter Suizide bzw. Suizidversuche vgl. ausführlich Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 119 ff. und Herpertz/Erkwoh/Saß, in: Pohlmeier, Suizid zwischen Medizin und Recht, S. 1 ff., jeweils m.w. N.; letztgenannte Autoren gehen von 90 bis 100 (!) aus. 353 Vgl. dazu aus medizinisch-psychologischer Sicht die bereits erwähnten Studien Ringels, v. a. in Selbstmordverhütung, S. 51 ff.; zahlreiche in diese Richtung weiterführende Nachweise finden sich auch bei Geilen, JZ 1974, 145, 148 (Fn. 33), dessen insbesondere auf S. 148 f. eindringlich dargelegte Bewertung der empirischen Grundlagen der hier behandelten rechtlichen Fragen sich weitgehend mit dem Verständnis deckt, das den Ausführungen im obigen Text zugrunde liegt. 354 Bringewat, ZStW 87, 623 ff.; zur Kritik dieser Sichtweise vgl. oben Fn. 172. Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß Bringewats normative Konstruktion über das von Ringel formulierte Ergebnis hinausgreift, der – ganz im Sinne der hier vertretenen Position – resümiert: „Ist vielleicht somit die Formulierung, wonach jeder Selbstmord Ausdruck psychischer Erkrankung sei, etwas zu verallgemeinernd, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß psychopathologische Faktoren in der Mehrzahl aller Selbstmordfälle eine entscheidende Rolle spielen.“ (vgl. HWbK, S. 125, 130). 355 Dazu daß das Erfordernis der „Ernsthaftigkeit“ ein Element der „Freiverantwortlichkeit“ eines betätigten Selbsttötungsentschlusses ist und zu dessen begrifflicher Einordnung im Verhältnis zu dem Erfordernis der „Ernstlichkeit“ des Sterbeverlangens bei § 216 siehe unten C. I.

IV. Das Verbot der Tötung als Instrument abstrakten Lebensschutzes

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fremdet“ wird, daß sie als „hysterische Demonstration“356 das Ziel verfolgt, eine Reaktion (Solidarität, Mitgefühl, Freundschaft oder gar Liebe) bei anderen hervorzurufen, nicht jedoch eigentlich mit der Intention vorknüpft ist, den eigenen Tod zu bewirken. Treffend formuliert Ringel, daß nicht jeder Selbstmordversuch als mißglückter Selbstmord bewertet werden darf.357 Wie man sich denken kann, sind auch und gerade in diesem Bereich die Grenzen fließend, häufig wird selbst der (gerettete) Suizident nach der Tat nicht mehr sagen können, ob er nun wirklich sterben wollte oder nicht.358 Weniger charakteristisch für die dem Vollzug einer verlangten Tötung anhaftenden Risiken, im Grundsatz aber durchaus in den dargelegten Zusammenhang gehörig ist die (selten zuverlässig auszuschließende) Möglichkeit, daß der geäußerte Sterbewille unerkannt mit kognitiv bedingten Defiziten behaftet ist.359 Diese Gefahr besteht zwar prinzipiell im selben Maße auch bei Dispositionen über andere Rechtsgüter, ohne daß der Gesetzgeber sich durch diesen Umstand zu einer allgemeinen Beschränkung der Erlaubtheit der konsentierten Beeinträchtigung von Individualrechtsgütern veranlaßt gesehen hat (noch sich dazu veranlaßt sehen sollte). Eine Sonderbehandlung des Rechtsgutes Leben im Hinblick auf solcherlei ubiquitäre Risiken läßt sich gleichwohl sachlich legitimieren. Ist sonst das Risiko des Vollzugs fehlmotivierter Rechtsgüterdispositionen als Ausfluß des allgemeinen Lebensrisikos ohne weiteres hinzunehmen, erscheint es angesichts der fundamentalen Bedeutung des Rechtsgutes Lebens und der daraus folgenden verschärften staatlichen Schutzpflicht, wie auch mit Blick auf die Irreversibilität der Folgen irrtümlicher Verfügungen angemessen, hier einen strengeren Maßstab anzulegen.360 356

Ringel, HWbK, S. 125, 131. Ringel, ebd.; ebenso Geilen, JZ 1974, 145, 153. 358 In vielen Fällen wird der Suizident seinen Überlebenswillen mehr oder weniger mit dem Eintritt der (bewußt oder unbewußt) erwünschten Reaktion der Adressaten seines verzweifelten Appells verknüpfen; nicht selten – und mit rechtlichen Kategorien ganz schwer zu fassen – sind auch suizidale Akte, deren Erfolg oder Mißerfolg vom Handelnden als Verdikt mit dem Charakter eines Gottesurteils empfangen wird. 359 Grundsätzlich anderer Auffassung ist in diesem Punkt Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 156 f.: Die prinzipielle Möglichkeit einer fehlmotivierten Entscheidung sei ein guter Grund, von dem Vorhaben abzuraten, jedoch begründe sie nicht die Möglichkeit der Bestrafung dessen, der auf mangelfreie Bestimmung hin tötet. Es sei Sache des einzelnen, sich selbst von der Richtigkeit der Entscheidungsgrundlage zu versichern. Daß dies zu pauschal gedacht ist, wird die nähere Konturierung des Schutzgegenstandes unter C. I. erweisen. Zuzugeben ist Mosbacher indes, daß ein Gefährdungsverbot in Bezug auf defizitäre Rechtsgüterdispositionen nur dort geboten sein kann, wo eine Realisierung jenes Risikos in den rechtlichen Verantwortungsbereich desjenigen fällt, der die tatbestandliche Handlung vornimmt. Wann dies der Fall sein kann, ist für den gesamten Bereich der Beteiligung an suizidalem Verhalten, aber auch für die Tötung auf Verlangen selbst (siehe dazu Fn. 404) stark umstritten, vgl. wiederum C. I. 360 So auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 493. 357

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Eine Zusammenschau der genannten Faktoren macht deutlich, wie heikel die Feststellung und Evaluierung der Tatsachenbasis für die rechtliche Einordnung eines Selbsttötungsprojektes im Einzelfall sein kann. Demzufolge wird man das Urteil eines an einem solchen Projekt beteiligten Dritten über das Vorhandensein eines wirksamen Sterbewillens nicht ohne weiteres als zutreffend akzeptieren dürfen. Es liegt im Gegenteil nahe, die Verläßlichkeit einer solchen Bewertung generell in Frage zu stellen.361 Als Beleg für die Omnipräsenz der dargestellten Feststellungsschwierigkeiten mag ein oben bereits in anderem Kontext zitiertes Fallbeispiel Herzbergs dienen: Ein Arzt wird von den Eltern einer 19jährigen, die sich aus tiefem Liebesleid mit Schlafmitteln vergiftet hat, herbeigerufen, um ihr den Magen auszupumpen und dadurch das Leben zu retten. Als er zu seiner Überzeugung erfährt, daß die Patientin „eigenverantwortlich“ ihren Tod gewollt habe, bricht er die bereits eingeleitete Behandlung ab und läßt die Bewußtlose sterben.362

Herzberg möchte anhand dieses Falls demonstrieren, daß es nicht richtig sein kann, wenn das Recht einen eigenverantwortlich gebildeten Selbsttötungsentschluß in jedem Falle unbesehen akzeptiert. Er stellt den Fall ans Ende seiner Ausführungen und läßt ihn unkommentiert, offenbar in der Überzeugung, das Unbehagen, das die Entscheidung des Arztes beim Leser auslöst (bzw. seiner Auffassung nach auslösen sollte), spräche – in dem von Herzberg suggerierten Sinne – für sich selbst. So verhält es sich jedoch nicht; die Fallkonstellation bedarf ohne Zweifel einer differenzierten Analyse. Es soll an dieser Stelle nicht um die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens des Arztes gehen, für die selbstverständlich die – im vorliegenden Zusammenhang noch nicht interessierende – strafrechtliche Bewertung einer durch bloßes Unterlassen gekennzeichneten Beteiligung an der Herbeiführung des Erfolgs der Suizidtat eine entscheidende Rolle spielt.363 Es ist jedoch aufschlußreich, einen Blick auf die mit der rechtlichen Einordnung des Sterbeentschlusses der 19jährigen Tochter zusammenhängenden Besonderheiten zu werfen. Zunächst sei Herzberg zugegeben, daß die Entscheidung des Arztes, diesen Entschluß seiner Patientin ohne weiteres als verbindlich zu betrachten und also

361 Diese Sichtweise dürfte sich im Einklang mit der Position Lagodnys (Grundrechte, S. 442) befinden, der die Legitimation der mit abstrakten Gefährdungsverboten einhergehenden Beschränkung der Befugnis des Subjekts, die von seinem Verhalten ausgehende konkrete Gefahr von (nicht erlaubten) Beeinträchtigungen fremder Rechtsgüter zu beurteilen, aus verfassungsrechtlichen Gründen an enge Voraussetzungen knüpfen will: „Das Rechtsgut muß von solchem Gewicht sein, daß der Staat gewissermaßen das ,Nachdenken‘ über die konkrete Gefährlichkeit ausschalten darf, weil der einzelne die Gefahren nicht in genügendem Umfange einschätzen kann.“ 362 Vgl. Herzberg, JA 1985, 265, 269. 363 Vgl. dazu unten D. IV.

IV. Das Verbot der Tötung als Instrument abstrakten Lebensschutzes

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seinem Verhalten zugrunde zu legen, dem intuitiven, von dogmatischen Subtilitäten unverstellten Judiz tatsächlich nur schwer einleuchten will. Das hat selbstverständlich auch und vor allem damit zu tun, daß es nach allgemeinem sozialen Verständnis ein Gebot mitmenschlicher Solidarität ist, ein junges Leben vor einer willkürlichen (Selbst-)Zerstörung zu bewahren. Hier gilt es jedoch Vorsicht walten zu lassen: Natürlich ersetzt ein durch sozialpsychologische Mechanismen beim Leser induziertes Unbehagen keine normativ fundierte Begründung, insbesondere dort nicht, wo es gerade um den Nachweis der rechtlichen Relevanz eines sozial etablierten Prinzips (hier: der Legitimität von Eingriffen in die Selbstbestimmung mit paternalistisch-fürsorglicher Tendenz) geht.364 Die Bedenken gegenüber der Entscheidung des Arztes speisen sich indes noch aus einer anderen Quelle, die Herzberg ungenannt und unberücksichtigt läßt. Muß man sich in Anbetracht der konkret geschilderten Umstände nicht unwillkürlich fragen, ob die Entscheidung der Tochter zur Einnahme des Schlafmittels wirklich eine freiverantwortlich getroffene und ernst gemeinte Stellungnahme zur Herbeiführung ihres Todes beinhaltet? Zumindest zwei der oben genannten Gesichtspunkte legen es nahe, daran ernsthaft zu zweifeln. Zum einen stellt sich die Frage, ob die an Liebeskummer leidende Tochter in dem Augenblick, in dem sie das Schlafmittel zu sich nahm, konstitutionell in der Lage war, eine vom Recht als wirksam anzuerkennende Disposition über ihr Leben vorzunehmen. Immerhin steht zu bedenken, daß der Zustand akuten Liebesleidens nicht selten eine pathologische Relevanz entwickelt, insbesondere ist es nicht atypisch, daß sich die mit einer solchen Verfassung einhergehende extreme emotionale Anspannung in einer Affekttat entlädt. Zum anderen gilt es zu berücksichtigen, daß in zwischenmenschliche Beziehungen gesetzte und enttäuschte Hoffnungen, die im „Liebeskummer“ ihre wohl stärkste Ausprägung haben, häufig den Boden für Appellsuizide (genauer wohl: Appell-Suizidversuche) bereiten. Liegt der Gedanke nicht nahe, daß es der 19jährigen nicht ernsthaft darum ging, den Tod zu finden, sondern daß sie nur den Schein der Ernsthaftigkeit erwecken wollte, um in der deutlichsten ihr zur Verfügung stehenden Form auszudrücken, wie weh ihr getan wurde und wieviel der geliebte Mensch ihr bedeutet? Ob es sich nun so verhält oder nicht – woher soll man das wissen, woher soll der handelnde (oder unterlassende) Dritte das wissen? Herzberg beschränkt sich in seiner Schilderung des Falles darauf mitzuteilen, daß der Arzt „zu seiner Überzeugung (erfährt), daß die Patientin aus tiefem Liebesleid und ,eigenverantwortlich‘ den Tod gewollt hat“. Diese Formulierung deutet sehr plastisch auf den kritischen Punkt dieser und ähnlicher Konstellationen hin. Wie soll denn der Arzt davon erfahren, daß die Patientin die Herbeiführung ihres Todes eigen364 Zur Kritik eines rechtlichen Paternalismus im Zusammenhang mit Dispositionen über das eigene Leben vgl. bereits oben B. III.

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B. Der Strafgrund des § 216

verantwortlich betrieben hat? Er wird davon keine positive Kenntnis erlangen, nur unter Zugrundelegung bestimmter Umstände mehr oder minder verläßlich mutmaßen können. Nicht umsonst ergänzt Herzberg, daß der Arzt von der Qualität des Willens seiner Patientin „zu seiner Überzeugung“ erfährt. Denn genau darum geht es – um eine Überzeugungsbildung im Vollsinne des Wortes, um eine urteilende Bewertung; nicht lediglich um die Erkenntnis nackter Fakten und das Erfassen ihrer Bedeutung. Aus diesem Umstand erwächst die – weder von Herzberg, noch sonst im juristischen Schrifttum in dieser Deutlichkeit gestellte – Kardinalfrage für die Behandlung der Beteiligung an Suizidprojekten: Soll bzw. darf das Recht grundsätzlich akzeptieren, daß jeder mit einem suizidalen Verhalten konfrontierte Normadressat seine eigene, subjektive Überzeugung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer wirksamen Selbstverfügung zur Grundlage seines Handelns macht? Die These, deren prinzipielle teleologische Tragfähigkeit hier zu entfalten versucht wurde und die es im folgenden (insbesondere in systematischer Hinsicht) zu verifizieren gilt, lautet, daß das Gesetz in § 216 eine Stellungnahme gerade zu dieser Frage enthält, wenn es dem Adressaten eines Tötungsverlangens die Ausführung der Tötung auch dann verbietet, wenn nach seiner Überzeugung das Verlangen als unter rechtlichen Gesichtspunkten mangelfrei zu bewerten ist. Obzwar in der juristischen Literatur bislang nicht der Versuch unternommen worden ist, diesen Gedanken für eine geschlossene teleologische Konzeption des § 216 fruchtbar zu machen,365 läßt sich keineswegs sagen, daß die angesprochenen Probleme völlig unbemerkt geblieben sind. Wohl am deutlichsten benennt Brändel den Aspekt der Feststellungsschwierigkeiten bei der Ermittlung des Sterbewillens als einen seiner „Einwände gegen das Selbstbestimmungsrecht zur Lebensbeendigung“:366 „Am gewichtigsten 365 Am nächsten kommt dem die in jüngster Zeit erschienene, in ihrer Stoßrichtung mit der vorliegenden Arbeit übereinstimmende Untersuchung Murmanns, Selbstverantwortung, insbesondere S. 488 ff., der allerdings den hier als die Ratio des § 216 vorgestellten Aspekt ausdrücklich nur für eine Teilerklärung der Norm ausreichen lassen will (S. 492 und 499 ff.), was seinen Grund darin hat, daß er die Konturen sowohl des durch das Gefährdungsverbot zu vermeidenden Sachverhaltes, wie auch des zu verbietenden riskanten Verhaltens anders als hier zeichnet. Darauf wird im weiteren Fortgang noch ausführlicher zurückzukommen sein, vgl. vor allem die Darlegungen unter C. I. Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 124 ff., stellt bei seinem Versuch der Legitimation des durch § 216 ausgesprochenen Verbots maßgeblich auf die abstrakte Gefahr fehlender Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens ab, kommt jedoch schnell zu dem Ergebnis, dass eine konsistente Konzeption unter ausschließlichem Rückgriff auf diesen Schutzgedanken nicht zu entwickeln ist. 366 Brändel, ZRP 1985, 85, 90 f. Es erscheint indes nicht ganz überzeugend, in diesem Zusammenhang von einem „Einwand gegen das Selbstbestimmungsrecht zur Lebensbeendigung“ zu sprechen, denn der vorgebrachte Einwand richtet sich gerade ge-

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ist ohne Zweifel der Einwand, daß es außerordentlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, den wirklichen Willen des Kranken, Sterbenden mit Sicherheit zu ermitteln. Hier tritt wohl überhaupt die größte Gefahr zutage: daß nämlich unter dem Mantel des Selbstbestimmungsrechts letztlich fremdbestimmte Eingriffe in das Leben von Menschen vorgenommen werden, ohne daß dies ihrem wahren Willen entspricht. Viele Beispiele zeigen, wie schwer, ja geradezu unmöglich es ist, den wahren, wirklichen Willen eines schwer verletzten oder schwer kranken Menschen zu erforschen. Selbst wenn der Arzt die Gewißheit erlangt hat, daß der Patient bei klarem Verstand ist und die Tragweite seines Entschlusses voll zu übersehen vermag, muß er damit rechnen, daß augenblickliche Stimmungen die Entschlüsse seines Patienten beeinflussen. Die letzte Willensäußerung braucht nicht die zu sein, zu der der Kranke innerlich wirklich steht. (. . .) Wie soll der Arzt, der um aktive Sterbehilfe gebeten wird, wissen, daß der Patient seine Meinung nicht noch ändern wird? Ein Irrtum wäre irreparabel.“ Brändel schlußfolgert: „Diese Unmöglichkeit, den Freitodwillen eines anderen verläßlich zu ermitteln, ist eine überzeugende Begründung für die Ablehnung aktiver Sterbehilfe.“ Ebenso konstatiert Verrel: „Es soll nicht verkannt werden, daß im Fall des Suizids die Schwierigkeiten des befürworteten Selbstbestimmungsprinzips darin bestehen herauszufinden, ob ein ernsthafter und endgültiger Todeswunsch vorliegt.“367 Er räumt im Fortgang seiner Ausführungen ein, daß „dies in der Mehrzahl der Suizidfälle für die damit konfrontierten Personen nicht möglich sein wird“. In eine ganz ähnliche Richtung gehen zunächst auch die Ausführungen Schmitts zur Legitimität des § 216: „In Wahrheit kann der Versuch, § 216 systemgerecht zu machen, nur bei der Überprüfung der Einwilligung einsetzen. (. . .) Wenn ein Wesen, das normalerweise so zäh am Leben hängt wie der Mensch, in seine Tötung einwilligt, so liegt der Gedanke an eine pathologische Ursache dieser Einwilligung nahe. Letztlich dürften auch die Regelungen der Landes-Polizeigesetze über das Einschreiten gegen Selbstmörder auf die gleiche Erwägung zurückzuführen sein.“368 Im folgenden sieht Schmitt jedoch offenbar keine andere Möglichkeit des normativen Umgangs mit dem aufgezeigten Problem, als auf die Position Bringewats zurückzufallen, die er dann – zu Recht – verwirft: „Man müßte die These aufstellen, daß der in seine Tötung Einwilligende stets einwilligungsunfähig ist. (. . .) Doch kann man diesen Gedanken eben nicht derart verallgemeinern; in seiner letzten Konsequenz müßte er zugen die Zulässigkeit eines Verhaltens, das ein solches Selbstbestimmungsrecht zu verletzen geeignet ist. Richtiger müßte man also von einem „Einwand gegen eine bestimmte (das abstrakte Risiko der Fremdbestimmung in sich bergende) Form der Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts zur Lebensbeendigung“ sprechen. 367 Verrel, JZ 1996, 224, 230. 368 Schmitt, FS Maurach, S. 113, 118.

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dem zur Unanwendbarkeit des § 216 führen, jedenfalls wenn man das Tatbestandsmerkmal „ernstlich“ streng interpretiert.“ Sehr klar erkennt Wagner die rechtliche Relevanz der im Kontext eines suizidalen Verhaltens auftretenden Schwierigkeiten bei der Einordnung bzw. Beurteilung des zugrundeliegenden Willens: „Die Frage, ob bei einem Selbstmörder die Willensfreiheit ausgeschlossen ist oder nicht, ist also eine Frage des Einzelfalls. Sie zu beantworten, erfordert eine Zusammenarbeit von Psychologen, Psychiatern und Juristen. Ein Urteil wird ihnen häufig erst nach einer eingehenden psychologisch-psychiatrischen Begutachtung des Suizidenten und einer sorgfältigen rechtlichen Bewertung dieser Befunde möglich sein. Für die Beurteilung eines Rechts bzw. einer Pflicht zur Selbstmordverhinderung entstehen daraus erhebliche Schwierigkeiten. Der potentielle Retter eines Selbstmörders kann nur relativ selten beurteilen, ob der Selbstmörder freiverantwortlich handelt oder nicht und daher auch nur selten wissen, ob er eingreifen darf oder aber den Willen des Selbstmörders zu respektieren hat. Aus dieser Unmöglichkeit, den psychischen Hintergrund des Selbstmordes im Augenblick des Selbstmordversuchs rechtlich richtig zu beurteilen, erwächst zwangsläufig die Notwendigkeit, nach einer rechtlichen Lösungsmöglichkeit Ausschau zu halten, die sich zunächst nicht an einer Einzelfallbeurteilung orientiert.“ 369 Es dürfte auf der Hand liegen, daß diese Probleme nicht nur unmittelbar für die von Wagner vordergründig thematisierte Frage der Anwendbarkeit des § 216 in Fällen unterlassener Erfolgsabwendung bei freiverantwortlich vollzogenen suizidalen Handlungen Bedeutung gewinnen, sondern ebenso für Fälle, in denen die Strafbarkeit eines solchen Unterlassens nach Maßgabe des § 323c im Raum steht. Auch für diesen Rahmen wurde im juristischen Schrifttum bereits darauf aufmerksam gemacht, daß es auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, die Hilfspflicht an das Nichtvorliegen eines freiverantwortlichen Sterbewillens zu knüpfen. So diagnostiziert Dölling: „Vielfach vermag freilich der mit einem Selbsttötungsversuch Konfrontierte die Hintergründe des Suizids nicht mit ausreichender Sicherheit zu erkennen.“ 370 Er folgert deshalb: „Da meistens nur eine schnelle Rettung Erfolg verspricht, bedarf es einer möglichst klaren Regelung über das Bestehen einer Hilfspflicht. Hierbei sollte dem Schutz des Lebens im Zweifel Vorrang vor der Respektierung eines freien Selbsttötungsentschlusses eingeräumt werden, denn in der Regel handelt es sich bei Suiziden nicht um Abwägungs-, sondern um Verzweiflungstaten.“ Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat in der Vergangenheit gerade im Zusammenhang mit dem Straftatbestand des § 323c Anlaß gefunden, sich mit den hier dargelegten Problemen auseinanderzusetzen. So begründet der Große

369 370

Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 111. Dölling, MedR 1987, 6, 10 f.

IV. Das Verbot der Tötung als Instrument abstrakten Lebensschutzes

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Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs in BGHSt 6, 147 das Bestehen einer Hilfspflicht im Rahmen des § 330c (a. F.) zwar in erster Linie mit der Unbeachtlichkeit des „sittlich mißbilligten Willen(s) des Selbstmörders zu seinem eigenen Tode“,371 fügt dann jedoch noch als Hilfsargument an: „Im übrigen wäre in der Wirklichkeit eine Gesetzesauslegung gar nicht durchführbar, wenn sie dem hilfepflichtigen Dritten, der den Selbstmörder in Lebensgefahr oder in Todesnot vor sich sieht, ansinnen würde, erst langwierige und in der Regel fruchtlose Überlegungen darüber anzustellen, ob er seine Tat zu Recht oder zu Unrecht, kraft freier Entschließung oder in geistiger Umnachtung gewagt hat, ob er noch an ihr festhält oder ob er nicht mehr an ihr festhält, ob er mit dem weiterwirkenden Willen zum Tode bewußtlos geworden ist oder ob sich in ihm ein triebhafter Lebensdrang regte. Alle diese Überlegungen hat der Hilfepflichtige gerade nicht anzustellen (. . .).“ 372 Diesen Gedanken greift der 3. Strafsenat in seiner berühmt gewordenen, richtungsweisenden Entscheidung im „Fall Wittig“ 373 auf. In den Stellungnahmen des Schrifttums vielfach unbemerkt bzw. unterschätzt,374 wird er hier gar zu einem tragenden Element für das Urteil und die über den konkret zur Entscheidung stehenden Sachverhalt hinausgehenden Leitlinien des BGH für die forensischen Umgang mit der sog. passiven Sterbehilfe. Denn der Senat distanziert sich von der einst für die Begründung der Hilfspflicht maßgeblichen Argumentationslinie (rechtliche Unbeachtlichkeit des Sterbewillens wegen Verstoßes gegen das Sittengesetz), indem er ihre Tragfähigkeit ausdrücklich dahinstehen läßt, hält aber am Ergebnis mit folgenden Ausführungen fest: „Denn wenn § 323c StGB seine dem solidarischen Lebensschutz dienende Funktion auch in Selbstmordfällen erfüllen soll, kann die jedermann treffende allgemeine Hilfspflicht nicht davon abhängig gemacht werden, ob im konkreten Einzelfall der Selbstmörder aufgrund eines freiverantwortlich gefaßten oder eines auf Willensmängeln beruhenden Tatentschlusses handelt oder gehandelt hat. Dies kann innerhalb der kurzen Zeitspanne, die für die unter Umständen lebensrettende Entscheidung am Unglücksort zur Verfügung steht, kaum jemand ohne psychiatrisch-psychologische Fachkenntnisse und ohne sorgfältige Abklärung der äußeren und inneren Motivationsfaktoren zuverlässig beurteilen.“ 375, 376 371

BGHSt 6, 147, 153. BGHSt 6, 147, 153 f. 373 BGHSt 32, 367 ff. 374 Eine Ausnahme bildet hier nur Sowada, der in Jura 1985, 75, 86 treffend ausführt: „Letzten Endes spricht für die BGH-Lösung nur das (im jetzigen Urteil als einziges angeführte) Argument, daß es dem Hinzutretenden in der kurzen eine Entscheidung fordernden Zeit regelmäßig unmöglich sein dürfte, die Freiverantwortlichkeit des Suizidwillens zu beurteilen.“ 375 BGHSt 32, 367, 376. 376 Der Sache nach erkennt wohl auch Rudolf Schmitt in seiner Urteilsbesprechung (JZ 1984, 866, 869) die grundsätzliche Berechtigung dieser Überlegung an, wenn er – 372

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B. Der Strafgrund des § 216

Diese Erwägungen gewinnen Bedeutung auch für die Antwort des BGH auf die Frage nach der Begehbarkeit des § 216 durch unechtes Unterlassen. Zwar geht das Gericht nicht den an sich naheliegenden377 direkten Weg einer Begründung der Anwendbarkeit des § 216 unter Rückgriff auf den Aspekt der Schwierigkeit der Feststellung des Vorliegens eines die Hilfspflicht (nach §§ 212, 211, 13 bzw. §§ 222, 13) suspendierenden, freiverantwortlich gebildeten Sterbewillens. Es scheint vielmehr davon auszugehen, daß die Heranziehung des § 13 im Rahmen der Tötung auf Verlangen einer positiven Begründung nicht bedürfe und daß einer Begehbarkeit des § 216 durch Unterlassen allein das im Schrifttum so häufig strapazierte Teilnahmeargument378 im Wege stehen könne. Diesem Einwand – daß es inkonsequent sei, die aktive Hilfeleistung zur suizidalen Handlung zu erlauben, dem Helfer jedoch zu gebieten, die Folgen dieser Handlung rückgängig zu machen, sobald der Sterbewillige das Bewußtsein (oder, allgemeiner ausgedrückt, die Herrschaft über den todbringenden Verlauf) verloren hat – hält der BGH nun entgegen, daß eine seiner Prämissen nicht korrekt sei. Denn es treffe mitnichten zu, daß es sich bei der Teilnahme am Suizid um ein grundsätzlich erlaubtes Verhalten handele. Zwar hindere die Entscheidung des Gesetzgebers, die Hilfe gegenüber einem freiverantwortlich handelnden Selbstmörder straflos zu lassen, die Entstehung einer unmittelbar aus § 216 folgenden Garantenpflicht zur Abwendung des Todeserfolges für den Zeitraum vor dem (vom BGH so genannten) „Tatherrschaftswechsel“. Da für den Bestand der Hilfspflicht aus § 323c jedoch das Vorliegen eines freiverantwortlich gefaßten Sterbewillens keine Rolle spiele, erwachse aus dieser Norm bereits im Vorfeld eine allgemeine Pflicht zur Suizidverhinderung, gegen die der dem Suizidenten zur Hand Gehende selbstredend verstoße. An der grundsätzlichen rechtlichen Bewertung (= Mißbilligung) des Verhaltens des Teilnehmers an einem suizidalen Projekt ändere sich also durch den „Tatherrschaftswechsel“ nichts, von einem Wertungswiderspruch könne keine Rede sein.379 freilich unter komplett anderen Vorzeichen – für eine personenspezifische Differenzierung votiert (behandelnden Ärzten soll die Eingriffsberechtigung zur Abwendung der Folgen eines freiverantwortlich unternommenen Suizidversuchs fehlen, anderen Personen hingegen nicht) und dabei ausführt: „Denn der behandelnde Arzt kann aufgrund seiner Sachkunde und seiner Kenntnis des Patienten beurteilen, ob der Todeswille mangelfrei und daher ernst zu nehmen ist. Eine solche Unterscheidungsmöglichkeit hat jedoch der Bürger, der zufällig eines Selbstmordversuchs ansichtig wird, nicht; darum muß ihm das Recht zur Verhinderung der Selbsttötung uneingeschränkt zustehen.“ 377 Damit soll keinesfalls etwas darüber ausgesagt werden, ob eine solche Interpretation im Ergebnis richtig wäre (vgl. zu dieser komplexen Frage unten D. IV.), „naheliegend“ ist sie nur, soweit man den grundsätzlichen Zugang des BGH zur Problematik der passiven Sterbehilfe teilt. 378 Vgl. dazu ausführlich unten A. II. 1. 379 Vgl. sinngemäß BGHSt 32, 367, 374 f.; dagegen halten beispielsweise Eser, MedR 1985, 6, 12, und Gropp, NStZ 1985, 97, 100, in ihren Besprechungen des Urteils an der Richtigkeit des Teilnahmearguments auch auf dem Boden der Prämissen des BGH fest.

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Mithin läßt sich konstatieren, daß nach der vom BGH im „Fall Wittig“ begründeten Rechtsprechung die Hilfspflicht des § 323c – und damit die im Rahmen ihrer Begründung anerkannte rechtliche Beachtlichkeit der jedem Selbsttötungsvorhaben anhaftenden Gefahr fehlender Freiverantwortlichkeit – die dogmatische Ableitung der (grundsätzlichen) Strafbarkeit der passiven Sterbehilfe nach §§ 216, 13 und damit einen wesentlichen Teil des für die forensische Praxis relevanten Anwendungsbereichs des § 216 trägt. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Gedanke, die in § 216 normierte Strafbarkeit der täterschaftlichen Mitwirkung an einer Verfügung über eigenes Leben auf den Aspekt der abstrakten Gefahr des Fehlens der Voraussetzungen einer rechtlich wirksamen Disposition des Rechtsgutsinhabers zurückzuführen, eine kaum zu bestreitende sachliche Legitimation besitzt. Die Plausibilität dieser hier entwickelten These wird durch den Umstand erhärtet, daß der ihr maßgeblich zugrundeliegende Gesichtspunkt der Feststellungsschwierigkeiten bei der Ermittlung des Sterbewillens durch einen beteiligten Dritten in der Vergangenheit sowohl im Schrifttum als auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung verschiedentlich zur Begründung der Strafbarkeit eines Verhaltens nach § 216 herangezogen worden ist. Für die Entfaltung einer theoretisch umfassend abgesicherten Schutzzweckkonzeption der Strafnorm des § 216 ist damit freilich nur ein Anfang bereitet. Die Tragfähigkeit der vorgestellten These wird sowohl in teleologisch-systematischer als auch in grammatikalischer und historischer Hinsicht einer detaillierteren Untersuchung zu unterziehen sein, in deren Rahmen auch ihre bislang noch recht grob umrissenen inhaltlichen Konturen weiter zu explizieren sind. Der Klärung der zahlreichen in diesem Zusammenhang noch offenen Fragen soll der nächste Teil der Arbeit gewidmet sein.

C. Dogmatische Analyse eines auf der abstrakten Gefahr fehlender Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens basierenden Konzepts des § 216 I. Der Begriff der „Freiverantwortlichkeit“ des Tötungsverlangens Der Terminus der „Freiverantwortlichkeit“ des Tötungsverlangens charakterisiert nicht nur eine wesentliche tatbestandliche Voraussetzung der Tötung auf Verlangen, er ist darüber hinaus der Bezugspunkt des hier vorgestellten Schutzgegenstandes des § 216. Diese zentrale Bedeutung des Begriffs gebietet es, seine Konturen und dogmatischen Implikationen möglichst scharf zu zeichnen. Deshalb und weil die allgemeine Sprachregelung im juristischen Schrifttum in diesem Punkt teilweise uneinheitlich und durch sachliche Präferenzen vorbelastet ist, erscheinen zunächst einige klarstellende Bemerkungen angezeigt. Bei unbefangenem Verständnis ließe sich der Begriff der Freiverantwortlichkeit einer Verfügung über das eigene Leben als „Inbegriff der inneren Voraussetzungen der Wirksamkeit380 der Disposition des Rechtsgutsinhabers“ bzw. (negativ formuliert) als „Nichtvorhandensein normativ beachtlicher Willensmängel“ definieren. In der Tat gebrauchen ihn Rechtsprechung und Schrifttum im Zusammenhang mit der Verantwortungszuschreibung bei (eigenhändigen) Suiziden in genau dieser Weise. Dieses Verständnis des Begriffs verändert sich jedoch in den Fällen der fremdhändigen Selbsttötung, also im Rahmen des § 216. Dort wird die „Freiverantwortlichkeit“ des Sterbeverlangens nach verbreiteter Lesart lediglich als ein dem strafgesetzlich positivierten Erfordernis der „Ernstlichkeit“ des Verlangens untergeordnetes Element aufgefaßt.381 Plastisch wird 380 (In einem relativen Sinne) „wirksam“ läßt sich die Disposition – unabhängig von der an späterer Stelle noch zu klärenden gesetzlichen Bewertung des Willens des Rechtsgutsträgers – auch in den Fällen des § 216 nennen, denn immerhin schenkt ihr das Recht dadurch Beachtung, daß bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen die Anwendbarkeit der anderenfalls einschlägigen §§ 212, 211 gesperrt ist. 381 Vgl. exemplarisch BGH NJW 1981, 932, der in einem typischen Fall des Fehlens eines freiverantwortlichen Sterbeverlangens ausführt: „Es kommt (. . .) auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Lebensmüden an. Ist dieser zu freier Selbstbestimmung über sein Leben entweder allgemein oder in der konkreten Situation nicht imstande, z. B. als Geisteskranker oder Jugendlicher, der nicht die entsprechende Verstandesreife besitzt, so fehlt es an dem in § 216 StGB vorausgesetzten ernstlichen Verlangen.“; vgl. stellvertretend für die gleichlautende, in der juristischen Literatur herrschende Interpretation NK-Neumann, § 216 Rn. 14 f. Anders z. B. SK-Horn, § 216 Rn. 10, der feststellt, daß „als ,Selbstmörder‘ nur gelten kann, wer zumindest diejenigen Kriterien aufweist, die auch an das ernstliche Ver-

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das so interpretierte Verhältnis von Ernstlichkeit und Freiverantwortlichkeit des Sterbeverlangens in der die herrschende Auffassung repräsentierenden Darstellung Neumanns: „Die Ernstlichkeit des Verlangens setzt nicht nur voraus, dass die Entscheidung frei von Willensmängeln ist, die zur Unwirksamkeit einer Einwilligung führen würden. Erforderlich ist vielmehr, dass das Verlangen Ausdruck eines überlegten Entschlusses des frei verantwortlich handelnden Opfers ist.“382 Ein solches Begriffsverständnis fordert zwei verschiedene, miteinander zusammenhängende Fragen geradezu heraus. Erstens: Wie soll ein solcher „überlegter Entschluß“ inhaltlich näher zu qualifizieren sein, das heißt, was soll ihn gegenüber einem „gewöhnlichen“, den subjektiven Anforderungen an eine Rechtsgüterdisposition genügenden Willensakt auszeichnen, der ja seinerseits auch das Resultat eines Denkprozesses und somit ein „überlegter Entschluß“ ist? Und zweitens: Wie ist das mit der dargestellten begrifflichen Differenzierung statuierte normative Gefälle auf der subjektiven Seite der Voraussetzungen der Übernahme von Verantwortung sachlich zu rechtfertigen, wenn sich die Projekte, auf die sie sich jeweils beziehen soll, einzig und allein in der Form ihres äußeren Vollzugs unterscheiden? Die erste Frage wird von den Vertretern der herrschenden Auffassung weitgehend einheitlich damit beantwortet, daß ein Sterbeverlangen dann nicht als „ernstlich“ zu bewerten sein soll, wenn es einer vorübergehenden Stimmung entspringt, also nicht das Ergebnis eines längeren Reflexionsprozesses ist.383 Diese Aussage bedarf ihrerseits wiederum weiterer Interpretation. Soweit damit gemeint sein soll, daß das Sterbeverlangen nur dann rechtliche Beachtung finden kann, wenn es wirklich ernst gemeint ist, wenn der Sterbewillige also tatsächlich zu dem geäußerten Verlangen stehen will, spricht sie eine langen des Lebensmüden i. S. des § 216 geknüpft werden, daß m. a. W. Straffreiheit (wegen Beteiligung am Selbstmord) oder Strafmilderung (wegen Tötung auf Verlangen) nur erlangen kann, wer an der Tötung eines ,frei Verantwortlichen‘ mitwirkt“ und Sch/Sch-Eser, § 216 Rn. 8, der zwar formal zwischen Ernstlichkeit und Freiverantwortlichkeit unterscheidet, dieser Unterscheidung jedoch im übrigen keine inhaltliche Relevanz beimißt; trotz mißverständlicher Formulierung („die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten ist eine notwendige Bedingung dafür, daß ein ernstliches Verlangen im Sinne von § 216 zur Anwendung eines milderen Strafrahmens führt“) in der Sache wohl ebenso Gropp, Suizid zwischen Medizin und Recht, S. 15. 382 NK-Neumann, § 216 Rn. 14; ähnlich Lackner/Kühl, § 216 Rn. 2: „Ernstlich schließt unüberlegte Äußerungen aus (. . .).“ 383 Vgl. stellvertretend MüKo-Schneider, § 216 Rn. 19; Tröndle/Fischer, § 216 Rn. 7; M.-K. Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 223; LK-Jähnke, § 216 Rn. 7 fordert zusätzlich, daß das Verlangen nicht „einem leichtfertigen Tändeln mit dem Tode“ entspringen darf; auf jegliche diesbezügliche Einschränkung verzichten (allerdings unreflektiert und z. T. unter Verweis auf die vorstehenden Autoren) u. a. Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 156 f.; Küpper, BT I, § 1 Rn. 63, und Kindhäuser, BT I, § 3 Rn. 10.

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bare Selbstverständlichkeit aus. Tatsächlich gehört eine gewisse (wenn auch begrifflich kaum zu fassende und zudem häufig faktisch schwer überprüfbare) Festigkeit des Entschlusses zu den unbestreitbaren Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Disposition über ein Rechtsgut und natürlich muß das in besonderem Maße für ein Vorhaben von so existentieller Tragweite gelten, wie es das der willkürlichen Beendigung des eigenen Lebens ist.384 Dasselbe ist jedoch auch für die „Freiverantwortlichkeit“ einer eigenhändigen Selbsttötung zu fordern, schließlich läßt sich dem Lebensmüden die Verantwortung für seinen Tod nur dann in vollem Umfange zuschreiben, wenn dieser sich an seiner Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, auch festhalten lassen will, wenn er also – in der Terminologie des § 216 – „ernstlich“ zu sterben beabsichtigt.385 Eine Differenzierung zwischen eigenhändigem und fremdhändigem Vollzug einer Verfügung über das eigene Leben scheint demzufolge im Hinblick auf die Anforderungen an die Festigkeit des ihr zugrundeliegenden Entschlusses nicht sinnvoll denkbar. Dieser in theoretischer Hinsicht unbestrittene Befund wird jedoch von einigen Vertretern des Schrifttums im Ergebnis dadurch konterkariert, daß sie der äußeren Vollzugsform einer Selbsttötung unmittelbare Rückwirkungen gerade auf den genannten Aspekt des psychischen Tatbestandes zuschreiben. Die prinzipiell erforderliche Ernsthaftigkeit des Sterbewunsches, so eine auf Roxin386 zurückgehende Argumentationslinie, werde beim eigenhändigen Vollzug bereits durch die Vornahme der den tödlichen Verlauf ins Werk setzenden Handlung demonstriert. Daß jemand wirklich sterben wolle, daß er diesen Entschluß unmißverständlich durchhalte, werde durch die eigenhändige Selbsttötung „mit zweifelausschließender Gewißheit“ bewiesen.387 Dagegen habe „der Begriff der ,Ernstlichkeit‘ beim Verlangen nach der Tötung durch einen anderen einen sehr guten Sinn“, er sei aber „schlechthin nicht geeignet, Selbstmorde, für die das Opfer die Verantwortung trägt, von anderen, für die es nicht verantwortlich ist, halbwegs klar abzugrenzen.“388 In der Konsequenz wird durch diese Auffassung 384 Sch/Sch-Eser und Gropp formulieren, daß das Verlangen „zielbewußt auf Tötung gerichtet sein“ muß. 385 Verkannt bei Brandts/Schlehofer, JZ 1987, 442, 444. 386 Ihren historischen Ursprung hat die im folgenden referierte Ansicht wohl in einer eher beiläufig fallengelassenen Äußerung Engischs in FS Hellmuth Mayer, S. 399, 412: „Eher möchte vielleicht einleuchten der Gedanke, daß die natürlichen starken Hemmungen, sich selbst das Leben zu nehmen, bei der Tötung auf Verlangen beim Getöteten fehlen und daher im letzteren Falle Gegenmotive bei dem Tötenden in Gestalt rechtlicher Reprobierung dringend vonnöten sind.“ 387 Roxin, FS Dreher, S. 331, 345. 388 Roxin erblickt gar in der Vermutung, der die Ausführung einer Selbsttötung Delegierende sei nicht in der Lage, seine natürliche Hemmung vor einer eigenhändigen Beendigung des eigenen Lebens zu überwinden und stehe deshalb in letzter Konsequenz nicht zu seiner Entscheidung, den „Grundgedanken des § 216“ (vgl. NStZ 1987, 345, 347; TuT [8. Aufl.], S. 569; ebenso Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 265 ff., Dölling, NJW 1986, 1011, 1012; ähnlich Schroeder,

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in den Fällen eigenhändiger Selbstverfügung die „Ernstlichkeit“ (verstanden als „Ernsthaftigkeit“) des Sterbewunsches als dogmatisches Erfordernis durch die Eigenhändigkeit der Tatausführung substituiert und damit als eigenständiges Erfordernis eliminiert. Problematisch wird dies vor allem in den Fällen der schon erwähnten „Konfliktsuizide“, in denen nicht selten ein für den Ausführenden nicht oder nicht ohne weiteres reversibler Kausalverlauf in Gang gesetzt wird – in der Hoffnung oder gar im Vertrauen darauf, sein Hilferuf werde gehört. Will man je einem in Kenntnis der möglichen Folgen betriebenen Projekt die „Ernstlichkeit“ absprechen, so wird man es sicher in derart gelagerten Fällen tun müssen.389 Ohne ins Detail gehen zu müssen, zeigt sich hier in aller Deutlichkeit, daß eine auf den äußeren Modus der Ausführungshandlung fixierte Betrachtungsweise ein mechanistisch verzeichnetes Bild entwirft, das den komplexen psychischen Vorgängen, die es im Zusammenhang mit autoaggressiven Verhaltensweisen zu bewerten gilt, nicht gerecht werden kann. Die durch Teile des juristischen Schrifttums im Gefolge Roxins an die Vollzugsform einer Disposition über das eigene Leben geknüpfte Ungleichbehandlung der inneren Voraussetzungen der Verantwortlichkeit des Sterbewilligen erschöpft sich indes nicht im Verzicht auf die Prüfung der Ernsthaftigkeit eines eigenhändig ausgeführten Suizids. Wie die pauschalisierte Form der oben wiedergegebenen Kritik Roxins an der Eignung des Kriteriums der „Ernstlichkeit“ bereits nahelegt, möchte er noch einen Schritt weiter gehen und plädiert folglich dafür, auch die übrigen Elemente der „Freiverantwortlichkeit“ des Selbsttötungswillens axiomatisch unabhängig von denen der „Ernstlichkeit“ des Tötungsverlangens in § 216 zu bestimmen. Statt in der Selbstbezogenheit des Projekts sei das für die dogmatische Einordnung der Suizidtat wesentliche Merkmal in der quasi-täterschaftlichen Beherrschung der Herbeiführung des Erfolges zu erblikken. Damit weise die Selbsttötung einen gemeinsamen Nenner mit der täterschaftlichen Verwirklichung eines (Straf-)Unrechts auf, der es rechtfertige, bei der Verantwortungszuschreibung den gleichen Maßstab, also den für die SchuldZStW 106, 565, 574). Noch einen Schritt weiter geht Arzt, der dieses – von ihm so genannte – „psychologische Kriterium“ verselbständigt und in vollem Umfange die Abgrenzung von Suizid und Tötung auf Verlangen tragen läßt: „§ 216 sind die Fälle zuzuweisen, in denen der potentielle Selbstmörder die Hemmung, Hand an sich zu legen, dadurch überwindet, daß er sich in die Hand eines anderen begibt.“ (Arzt/Weber, Strafrecht BT, LH 1, Rn. 215). Dieser Position scheint auch Horn (SK, § 216 Rn. 10 f.) nahezustehen, jedenfalls plädiert er in den Fällen des einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmords dann für eine straflose „Beihilfe“, wenn der sich unterordnende Beteiligte psychisch in der gleichen Weise zur Ausführung der Tötungshandlung disponiert gewesen wäre, wie jener, der sie tatsächlich vorgenommen hat. 389 Man wird einen solchen Selbstmordversuch auch nicht ohne weiteres als „simuliert“ bezeichnen können, wie es Roxin offenkundig tun möchte, der in FS Dreher, S. 331, 345 die Termini „simuliert“ und „nicht ernsthaft“ als Synonyme versteht, wenn er formuliert: „Was sollte ein nicht simulierter, also ernsthafter Selbstmordversuch anderes sein als – ernstlich?!“

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haftigkeit von Straftaten geltenden, anzulegen.390 Daß die Prinzipien der Zuschreibung von Verantwortung für Dispositionen über eigene Rechtsgüter und für straftatbestandsmäßige Eingriffe in fremde Rechtsgüter nicht nur wegen der Verschiedenheit der je an sie geknüpften rechtlichen Konsequenzen, sondern auch, weil nur in letzterem Falle verhaltenssteuernde, den Entscheidungsspielraum des sich rechtstreu gerierenden Subjekts beschränkende Normen existieren, grundsätzlich eigenständig zu bestimmen sind,391 stört Roxin dabei wenig. Er reduziert die hinter dieser kategorialen Differenz stehenden normativen Erwägungen auf die Frage der Höhe der durch den Handelnden jeweils zu überwindenden Hemmschwelle392 und befürwortet schließlich die analoge Anwendung der strafrechtlichen Exkulpationsregeln mit dem lapidaren Schluß, daß „der Mensch in aller Regel weit lieber andere als sich selbst schädigt“.393 Entscheidendes Argument gegen die systemgerechte Heranziehung des dem § 216 zugrundeliegenden Einwilligungsmaßstabes scheint für Roxin indes die Unsicherheit der damit benannten Kriterien zu sein; er fürchtet offenbar die durch deren willkürliche Handhabung zu bewirkende Verengung des Bereichs strafloser Teilnahme am Suizid.394 Unabhängig von der (zweifelhaften) Berechtigung einer solchen Annahme ist jedoch ausgeschlossen, daß sie die Suspendierung der An-

390 Vgl. Roxin, FS Dreher, S. 331, 346 f.; ebenso Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 250 ff.; Klinger, Die Strafbarkeit der Beteiligung an einer durch Täuschung herbeigeführten Selbsttötung, S. 82 ff.; Beckert, Suizidbeteiligung und Sterbehilfe, S. 144 ff.; Dölling, GA 1984, 71, 76 f.; Charalambakis, GA 1986, 485, 491; Jakobs, AT, 21/ 97 f.; Arzt, Rn. 199 ff.; Simson, Die Suizidtat, S. 80 ff.; Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 169 f. 391 Völlig ins Leere geht deshalb der Einwand Simsons (S. 81) und Klingers (S. 88), daß es einen Wertungswiderspruch darstelle, wenn es möglich sei, daß ein Mensch in ein und derselben psychischen Verfassung für eine Straftat verantwortlich gemacht werde, nicht jedoch als für seine Selbsttötung verantwortlich erachtet werde. Grundlegend abgeleitet und voll entfaltet wird die im Text vertretene Position bei Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 18 ff. (mit der Schlußfolgerung „daß es in den Fällen von bewußter Selbstverletzung um etwas auch für das Recht qualitativ anderes geht als bei der Verletzung anderer“ auf S. 37); vgl. auch die treffende Analyse bei Neumann, JA 1987, 422, 451 f.; ebenso Otto, Gutachten für den 56. DJT, S. 64. 392 Im Anschluß an die hier wiedergegebene Passage zieht Roxin (S. 346) den unmittelbaren Konnex der empirischen Stärke vorhandener „hemmender Gegenmotive“ zur Freiheit der sie mißachtenden Handlung in Zweifel – dabei hat er zuvor selbst die zutreffende und im Ansatz durchaus weiterreichende Argumentation Herzbergs (JuS 1974, 374, 378), auf die er sich bezieht, in diese Richtung zurechtgestutzt. 393 Roxin, S. 346. 394 Roxin, S. 347; nochmals bekräftigt in FS Pötz, S. 177, 179. Hier scheint auch der Grund dafür zu liegen, daß im Schrifttum immer wieder – meist unreflektiert – davon ausgegangen wird, daß die Kriterien für die Wirksamkeit einer Einwilligung den im Vergleich zu den Exkulpationsregeln deutlich strengeren Maßstab darstellen, was vor allem im Hinblick auf Situationen, in denen der Sterbewillige einem äußeren, seinen Handlungsspielraum verengenden Zwang nachgibt (z. B. in den für die Sterbehilfe relevanten Fällen eines durch Krankheit bedingten Leidensdrucks), keineswegs ausgemacht ist, vgl. dazu Herzberg, NJW 1986, 1635, 1636 f.

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wendung der unter diesem Verdikt stehenden Regeln tragen kann. Denn natürlich gäbe ein solcher Befund nicht mehr und nicht weniger als einen Anlaß, den Kriterien der „Ernstlichkeit“ eines Sterbewillens im Zuge einer kritischen Revision präzise Konturen zu verleihen.395 Dies gilt um so mehr, als diese Kriterien in jedem Falle für § 216 ihre Geltung behalten, in dessen Rahmen sie – im Gegensatz zur Situation bei der Suizidbeteiligung sogar unmittelbar396 – die Grenze zu den §§ 212, 211 (bzw. im Irrtumsfalle § 222) ziehen.397 Mit einer anders akzentuierten Argumentation kämpfen einige der oben genannten Autoren398 gegen die weitreichende Pönalisierung untergeordneter Formen der Beteiligung am Suizid nach §§ 212/211, 25 I 2. Alt. (bzw. wiederum § 222) an, die sie (ebenso wie Roxin) befürchten, wenn die Freiverantwortlichkeit einer Selbstverletzung anhand der für die Wirksamkeit einer Einwilligung geltenden Kriterien beurteilt wird. Es bestünde die unmittelbare Gefahr einer Ausweitung oder gar einer partiellen Abbedingung399 des Tatherrschaftsbegriffes, die daraus resultiere, daß die Fälle, in denen nach jenen Kriterien die Verantwortung auf den Suizidbeteiligten verlagert werde, nicht mit den Fallgruppen korrespondieren, in denen die Tatherrschaftslehre einem Hintermann die Beherrschung des Verhaltens einer als sein „Werkzeug“ fungierenden Person zuschreibt. Letzteres beurteile sich für die thematischen Konstellationen „anerkanntermaßen“ danach, ob dem Verhalten des Tatmittlers nach allgemeinen Regeln die Schuldhaftigkeit abzusprechen sei. Dies ist zunächst natürlich insofern zirkulär, als gerade nicht ausgemacht ist, daß die Qualität eines potentiell herrschaftsvermittelnden Defizits beim tatbestandslos (gegen sich selbst) handelnden Werkzeug in derselben Weise zu bestimmen ist, wie in den Fällen, in denen das Werkzeug einen Unrechtstypus verwirklicht.400 Insbesondere Bottke scheint hier einer bestimmten Interpretation des Tatherrschaftsbegriffes (namentlich der auf Roxin zurückgehenden) – offenbar nach Maßgabe des Prioritätsprinzips – gesetzesgleiche Wirkung beimessen zu wollen.401 Vor allem aber geht eine solche Argumentation von der 395 So auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 230; ähnlich Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 300: die Unsicherheit der Einwilligungsregeln ist ein Problem der ganzen Strafrechtsordnung. 396 Dazu daß die fehlende Freiverantwortlichkeit für die Verlagerung der Verantwortung für einen Suizid auf einen beteiligten Dritten nur notwendige, nicht hinreichende Bedingung ist, siehe sogleich unten. 397 Vgl. dazu auch Brandts/Schlehofer, JZ 1987, 442, 443 f. 398 Dies sind namentlich Bottke, insbesondere S. 252 ff.; vgl. auch ders. in GA 1983, 22, 31; Klinger, S. 87 f.; Dölling; Jakobs, Rn. 98; wohl auch Charalambakis. 399 Bottke, S. 253, spricht von einer Wiedereinführung des extensiven Täterbegriffs. 400 Zu Recht spricht Herzberg in JA 1985, 336, 340 von einer petitio principii. 401 Vgl. Suizid und Strafrecht, S. 252 f., insbesondere S. 253, wo Bottke ausführt, daß de lege ferenda (sic!) denkbar sei, den numerus clausus tatherrschaftsbegründender Situationen zu erweitern.

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falschen Prämisse aus, daß es sich bei dem Begriff der „Freiverantwortlichkeit“ um das alleinige Scharnier der Verantwortungszuschreibung bei Selbstverletzungen handelt, daß sich also im Falle des Fehlens der Voraussetzungen der Freiverantwortlichkeit einer Verfügung über eigene Rechtsgüter die Verantwortlichkeit für diese Verfügung ohne weiteres vom Rechtsgutsinhaber auf den beteiligten Dritten „verlagert“.402 Bereits Roxin, auf dessen Tatherrschaftskonzept sich die kritisierte Lehrmeinung ja immerhin zu beziehen sucht, hat jedoch – gerade für den vorliegenden Zusammenhang – festgestellt, daß allein das Vorliegen eines normativ erheblichen Defizits auf Seiten des eine Tat Ausführenden noch nicht notwendig eine Tatherrschaft des „Hintermannes“ begründet.403 Erforder-

Bottke scheint der von ihm goutierten Ausgestaltung des Tatherrschaftsbegriffs derart ergeben, daß er sich selbst durch das offen eingestandene eigene Ungenügen an den damit erzielbaren Ergebnissen nicht von ihr abbringen läßt. So vermißt er (S. 320) die zuvor mit so großer Vehemenz verbaute Möglichkeit, denjenigen, der „einen suizidauslösenden ,schlichten‘ Motivirrtum erregt, unterhält oder ausnützt, der dem Sterbewilligen den fehlenden Todes-Sinn seines Tuns verschleiert“ als mittelbaren Täter zu bestrafen und bemüht sich, die entstandene „Strafbarkeitslücke“ notdürftig zu flicken, indem er versucht, kognitiv bedingte Willensmängel weitgehend in konstitutionelle Defekte umzudeuten: „Wer so labil ist, daß er todbringenden Insinuationen erliegt, wird häufig schon nach den §§ 3 JGG, 19, 20 StGB analog freitodunfähig (. . .) sein.“ 402 Damit kommt es zu einer Vermengung zweier zwar aufeinander bezogener, gleichwohl theoretisch streng zu unterscheidender Fragestellungen – derjenigen nach dem Vorhandensein eines defizitären Willens und derjenigen nach der Beherrschbarkeit des auf diesem defizitären Willen beruhenden Verhaltens durch Außenstehende. Symptomatisch für diesen erstaunlich ubiquitären axiomatischen Fehler ist der Versuch Neumanns in JA 1987, 244, 253 ff., die Relevanz eines Motivirrtums des Suizidenten für die rechtliche Einordnung seines Verhaltens als „freiverantwortlich“ unter Einbeziehung seiner äußeren Genese (konkret: des Grades der Beherrschung des Entstehens des jeweiligen Irrtums durch einen anderen Beteiligten) zu ermitteln. 403 So kommt nach Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 237, regelmäßig eine Bestrafung wegen eines Tötungsdelikts in mittelbarer Täterschaft nicht in Betracht, wenn der Handelnde in vollem Bewußtsein der Konsequenzen unter einem krankhaften Zwang zum Selbstmord leidet, den Tatentschluß allein faßt und ein Außenstehender ihm in irgendeiner Weise beim Vollzug hilft. Kompliziert wird die Deutung der Position Roxins indes dadurch, daß er bei normativ relevanten, auf kognitiven Defiziten basierenden Defekten (und um solche Fälle dürfte es hier ausschließlich gehen, vgl. sogleich Fn. 404) eines im Rahmen einer Fremdverletzung eingesetzten Werkzeuges auf jenes komplementäre Erfordernis der Handlungslenkung vollständig verzichten will. Das dafür bemühte (zweifelhafte) Argument, ein im Hinblick auf den Erfolg nicht finales Handeln eines Menschen sei als bloßer Kausalfaktor zu behandeln (S. 173), geht jedenfalls für die Umsetzung eines (lediglich) mit Willensmängeln behafteten Selbsttötungsentschlusses ins Leere. Vgl. hierzu auch die grundlegenden und präzisen Ausführungen Zaczyks, S. 38 f. und S. 44: „Entscheidend ist festzuhalten, daß im Falle eines Willensmangels des Opfers einem anderen die Handlungsherrschaft nicht gleichsam automatisch zuwächst.“; in der Sache ebenso zutreffend Murmann, Selbstverantwortung, S. 466 ff. (wenngleich dieser seine Kritik an der Interpretation der (wohl) herrschenden Ansicht dahin führt, generell die Eignung des Tatherrschaftskriteriums zu bestreiten, womit er dessen Potential, als Rahmen für relevante materielle Erwägungen zu dienen, wiederum unterschätzt, vgl. bereits oben Fn. 36); verkannt u. a. von Krey, BT I, Rn. 91: „Dass die

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lich hierfür ist zusätzlich ein steuerndes Element, an dem es in den praktisch vor allem relevanten Fällen, in denen der Beitrag des Dritten strukturell einer Beihilfehandlung entspricht, nicht selten fehlen wird. Wird hingegen der mit einem – nach dem Einwilligungsmaßstab relevanten – kognitiven Willensmangel behaftete Entschluß zum Suizid404 durch den in Kenntnis der tatsächlichen Sachlage befindlichen Hintermann erst geweckt, so ist nicht einzusehen, wieso dessen Bestrafung den Strukturprinzipien der mittelbaren Täterschaft zuwiderlaufen sollte.405 Beteiligung am unfreien, nichtverantwortlichen Suizid Mord oder Totschlag in mittelbarer Täterschaft begründet, ist unstrittig (. . .).“ 404 Praktisch besteht der Unterschied der hier vertretenen Position zur kritisierten „Exkulpationslösung“ darin, daß sie neben den konstitutionell bedingten auch kognitiv bedingte Willensmängel als grundsätzlich tatherrschaftsrelevant anerkennt. Wann genau eine solche irrtumsbehaftete Verfügung über das eigene Leben als unfrei zu qualifizieren sein soll, ist freilich eine schwierige Frage, deren abschließende Klärung für den vorliegenden, abstrakten Zusammenhang indes nicht erforderlich ist. Nur soviel: Das Problem besteht darin, daß die von der heute herrschenden Lehre als allgemeines Unterscheidungskriterium herangezogene „Rechtsgutsbezogenheit“ eines Motivirrtums (grundlegend Arzt, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 15 ff.; kritisch dazu Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, S. 42 ff. m.w. N.) bei Verfügungen über das Leben prinzipiell nicht als Maßstab taugen kann. Denn die äußerlichrechtliche Bewertung eines spezifischen Aspekts der dem geschützten Subjekt zugewiesenen Freiheit als „rechtsgutsbezogen“ verbietet sich bei einem in dem oben (B. III.) dargestellten Sinne „absoluten“ Rechtsgut schon aus begrifflichen Gründen (darauf bezieht sich der Sache nach wohl auch die Kritik Roxins in FS Dreher, S. 331, 347 an der Handhabbarkeit des Einwilligungsmaßstabs). Es liegt in der Konsequenz der obigen Erkenntnis: daß allein dem Subjekt die Definitionsmacht darüber zukommt, was ihm sein Leben (noch) wert ist, auch den Maßstab für die Relevanz von Motivirrtümern in vollem Umfang zu subjektivieren (ebenso – mit einer der hier vertretenen Auffassung verwandten Argumentation – M.-K. Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 233 ff. und Mitsch, JuS 1995, 888, 891 f.). Legt der Sterbewillige also seinem Suizidentschluß irrtümlich einen (beliebigen) Umstand in der Weise zugrunde, daß mit ihm das Selbsttötungsvorhaben steht und fällt, so ist der Entschluß allein wegen dieses Irrtums nicht freiverantwortlich gefaßt. Gebraucht der Hintermann seine überlegene Kenntnis über einen solchen Umstand in einer Handlungsherrschaft begründenden Weise (dies setzt insbesondere voraus, daß er weiß oder doch zumindest greifbare Gründe für die Prognose hat, daß der Betroffene seinen Suizidentschluß von diesem Umstand abhängig macht), so handelt er als mittelbarer Täter. Der Sache nach scheint dies auch Zaczyk so zu sehen, der (S. 45) danach fragt, ob der vom Opfer gestiftete Zusammenhang von Wille, Handlung und Erfolg durch das Verhalten des Täters gelöst und eine Verengung der Entscheidungssituation bewirkt wurde, die es dem Täter ermöglicht hat, das Opfer als Entscheidungsinstanz zu überspielen. Nicht konsequent scheint es indes, wenn Zaczyk anschließend in dem vom BGH in GA 1986, 580 entschiedenen Fall eines vorgetäuschten Doppelselbstmords – im Einklang mit der Lösung des BGH – eine über die Beherrschung des die Tat motivierenden Irrtums hinausgehende Herrschaft über die äußere Tatgestaltung für maßgeblich erachtet (mit Recht kritisch Neumann, JA 1987, 244, 249). 405 Ganz grundsätzlich stellt es einen Zirkelschluß dar, wenn beispielsweise Roxin in FS Pötz, S. 177, 179 und Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 170, meinen, daß mit einem solchen Ergebnis die Entscheidung des Gesetzgebers, die Teilnahme am Suizid von Strafe freizustellen, unterlaufen würde – denn natürlich gilt diese Entschei-

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Es bleibt damit festzuhalten, daß es keiner der kritisierten Auffassungen gelungen ist, die Suspendierung des für die Wirksamkeit eines fremdhändig vollzogenen Sterbewillens geltenden Maßstabs in den Fällen der Selbsttötung auch nur plausibel zu machen. Auf weitere Argumente gegen eine solche Sichtweise, die in der Vergangenheit vor allem von Geilen, Herzberg und Krey vorgetragen wurden,406 sei hier im übrigen verwiesen. Eine im Verhältnis zu der gerade kritisierten, verbreiteten Lehrauffassung eigenständige Differenzierung der im Außenverhältnis an die Anerkennung von Verfügungen über eigene Rechtsgüter (im allgemeinen) bzw. über das eigene Leben (im speziellen) zu knüpfenden Anforderungen wird neuerdings von Murmann vertreten.407 Murmann faßt die jeweilige Verfügung normativ nicht als die einseitige personale Äußerung auf, die sie zunächst unbestreitbar darstellt, sondern nimmt seinen Ausgang bereits bei dem konkreten (mindestens) zweiseitigen Rechtsverhältnis, in das sie gestellt ist. Der einer Disposition über eigene Rechtsgüter zugrundeliegende psychische Sachverhalt, der bislang allenthalben im Zentrum der Diskussion stand, interessiert ihn demzufolge nur insoweit, als ein Defizit auf dieser Ebene eine notwendige Bedingung für ein mit normativer Relevanz ausgestattetes Entscheidungsdefizit bildet. Entsprechend weitherzig kann Murmann hier definieren: Defizitär ist eine Verfügung über Rechtsgüter dann, wenn der Entscheidende in seiner prinzipiellen Qualität als Vernunftperson seine eigenen Maßstäbe verfehlt (ohne sie mit der konkreten Entscheidung modifizieren zu wollen) und wenn ein den Maßstäben des Entscheidenden entsprechender Entscheidungsvorgang zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.408 Mit anderen Worten: Es kommt ohne Einschränkung auf den „wahren“ Willen des Entscheidenden an. Dem Umstand, daß das Strafrecht eine so weitgehende Gewähr für die Authentizität von Selbstbestimmung im Interpersonalverhältnis nicht leisten kann, trägt Murmann dann erst im Rahmen der Ausgestaltung der Verantwortungsbereiche im je konkreten Rechtsverhältnis Rechnung; hier wird die Entscheidung des Rechtsgutsinhabers also erstmals auf ihre normative Qualität hin befragt. Diese Vorgehensweise hat ohne Zweifel ihre Vorzüge gegenüber dem oftmals etwas grobkantig und unflexibel wirkenden Bemühen der herrschenden Lehre, bereits im Vorfeld einen Katalog normativ zu berücksichtigender Willensmängel festzuschreiben, indem deren Bezug zum jeweils zur Disposition stehenden Rechtsgut in den Blick genommen wird.409 Auf der anderen dung des Gesetzgebers nur für die Fälle, die juristisch tatsächlich (lediglich) als Teilnahme am Suizid zu bewerten sind. 406 Geilen, JZ 1974, 145, 150 ff.; Herzberg, JuS 1974, 374, 378 f.; JA 1985, 336 ff.; NJW 1986, 1635, 1636 f.; Krey, BT I, Rn. 86 ff. 407 Murmann, Selbstverantwortung, S. 433 ff. 408 Murmann, S. 443. 409 Grundlegend Arzt, Willensmängel, S. 15 ff.; vgl. auch Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, S. 278 ff.

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Seite darf nicht übersehen werden, um welchen Preis diese Vorzüge erkauft werden. Indem Murmann die Kriterien für die strafrechtliche Relevanz von Entscheidungsdefiziten unmittelbar aus der situativ bedingten Berechtigung wechselseitiger Verhaltenswartungen abzuleiten sucht, setzt er dabei im Grunde schon die den Umfang strafrechtlicher Verantwortlichkeit bestimmenden Verhaltensnormen voraus, deren äußeren Gegenstand er gerade im Begriff ist zu definieren. Normativ relevant ist danach ein Defizit in der Selbstbestimmung des über eigene Rechtsgüter Disponierenden, wenn sich eine Verhaltensnorm begründen läßt, die das konkrete rechtsgutsbeeinträchtigende Verhalten des Außenstehenden deshalb verbietet, weil sich in der Zusammenschau einer komplexen Vielzahl zu berücksichtigender Faktoren ergibt, daß es jenem (dem Außenstehenden) rechtlich obliegt, das jeweilige Defizit zu erkennen bzw. in Rechnung zu stellen.410 Letztlich verliert damit die Frage nach der rechtlichen Beachtlichkeit eines Willensmangels ihr Potential, die Strafbarkeit des an einer Selbstverfügung Beteiligten bereits auf objektiver Ebene zu limitieren. Im Ergebnis dürfte sich das indes kaum einmal auswirken, schließlich behalten die in diesem Zusammenhang diskutierten sachlichen Gesichtspunkte ihre Bedeutung für die Begründung der nunmehr allein in den Vordergrund gerückten Verhaltensnorm. Nun versteht es sich, daß die Verhaltensanforderungen im Interpersonalverhältnis maßgeblich durch den äußerlichen Charakter der Interaktion mitbestimmt werden. So müssen für den unmittelbaren Zugriff auf das Rechtsgut des Disponierenden mit Rücksicht auf den äußerlichen Verletzungscharakter dieses Verhaltens grundsätzlich andere Regeln gelten als für ein Verhalten, das sich darauf beschränkt, eine Selbstverfügung hervorzurufen, zu ermöglichen oder zu begünstigen und dem selbst im Falle eines Entscheidungsdefizits des Rechtsgutsinhabers nicht ohne weiteres die Qualität einer Rechtsgutsverletzung beizumessen ist.411 Murmann legitimiert diese zunächst nur im äußeren Handlungsmodus begründete Differenzierung in materieller Hinsicht zutreffend, indem er darauf aufmerksam macht, daß das Interesse an der Vornahme einer äußerlich nicht in den Bestand fremder Rechtsgüter eingreifenden Handlung prinzipiell schutzwürdiger ist, als das Interesse an einer Erweiterung des rechtlich garantierten Freiheitsraumes durch konsentierte Übergriffe in die Sphäre anderer Rechtssubjekte. Infolgedessen kann es mit Blick auf die Interessenlage im betroffenen Zweipersonenverhältnis unter vergleichsweise geringeren Voraussetzungen zulässig sein, eine der dem letztgenannten Typus zuzuordnenden Handlungen wegen des Risikos zu verbieten, daß der Rechtsgutsinhaber bei seiner 410 So könnte man das auf S. 459 ff. festgehaltene Ergebnis der Überlegungen Murmanns zusammenfassen. 411 Diesem Befund ist auf der Grundlage der tradierten Lehre – jedenfalls für die Vorsatzdelikte – durch die entsprechenden Ausprägungen des Tatherrschaftsbegriffes Rechnung getragen; vgl. dazu bereits oben in diesem Abschnitt.

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Disposition einem Selbstbestimmungsdefizit unterlag, bzw. – was sachlich gleichbedeutend ist – ein solches Risiko (aus dem Handlungskontext abgeleitet) normativ für erkennbar zu halten. Da Murmann aber, wie gesehen, die auf diese Weise begründete Erkennbarkeit eines Entscheidungsdefizits mit dessen Qualifizierung als „normativ relevant“ gleichsetzt, kann die Konsequenz nur lauten, daß die Kriterien der Wirksamkeit einer zu fremden Händen erfolgenden Verfügung über ein eigenes Rechtsgut grundsätzlich nicht identisch sind mit denen einer eigenhändig unter fremder Beteiligung vorgenommenen Verfügung über dasselbe Rechtsgut.412 Im Kontext suizidalen Verhaltens bedeutet dies, daß nach Murmann die Festlegung der Kriterien für die Freiverantwortlichkeit einer Selbsttötung zwar ihren Ausgang bei dem der Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens zugrundeliegenden Einwilligungsmaßstab zu nehmen hat, dabei jedoch bestimmten, aus der Eigenart des äußeren Vollzuges abzuleitenden Modifikationen unterliegt. Das steht auf den ersten Blick im Widerstreit zu der hier verteidigten Ansicht, nach der die rechtliche Beachtlichkeit von Willensmängeln unabhängig davon zu beurteilen ist, ob der zur Beurteilung stehende Entschluß, das eigene Leben zu beenden, eigen- oder fremdhändig in die Tat umgesetzt wird. Die Differenz beider Betrachtungsweisen ist jedoch nicht notwendig eine sachliche. Wenn Murmann auf den äußeren Modus des Vollzugs eines suizidalen Projekts Rücksicht nehmen muß, dann liegt das daran, daß er – im Gegensatz zu den oben dargestellten Spielarten der herrschenden Lehre – in seinem System keinen Begriff für ein „an und für sich normativ relevantes Defizit“ hat und statt dessen, wenn er einen Entscheidungsmangel qualitativ einordnet, stets bereits die endgültige Konturierung von Verantwortungsbereichen betreibt. Oder anders herum: Wenn die herrschende Lehre eine Suizidentscheidung als „nicht freiverantwortlich“ qualifiziert, bedeutet dies eben nicht – wie bei Murmann – automatisch die Zuweisung strafrechtlicher Verantwortung an die Adresse eines Beteiligten.413 Die als defizitär etikettierte Opferentscheidung ist vielmehr in einem weiteren – entscheidenden – Schritt darauf zu untersuchen, ob sie Bezugsgegenstand einer von einem außenstehenden Beteiligten verletzten Verhaltensnorm ist, wofür (mindestens) die Erkennbarkeit eines auf die Rechtsgutsverletzung weisenden Syndroms unerlaubten Risikos vorausgesetzt ist. Die normative Frage, wann ein vom Handelnden gekanntes oder zu kennendes Risiko das erlaubte Maß überschreitet, bestimmt sich indes – und hier kommen die von Murmann als sachlich bedeutsam ausgewiesenen Gesichtspunkte wieder ins Spiel – nach der Risikoverteilung zwischen den interagierenden Parteien, also nach der Reichweite der jeweiligen Verantwortungsbereiche.414 Damit ergibt 412

Murmann, S. 478. Vgl. weiter oben in diesem Abschnitt dazu, daß dieser Aspekt allerdings – bedingt vor allem durch abweichende Interpretationen der Tatherrschaftslehre – weit davon entfernt ist, allgemein anerkannt zu sein. 413

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sich – anders als Murmann meint415 – in der Summe der jeweiligen Haftungsvoraussetzungen kein Unterschied zwischen der die Anwendung des Maßstabs des § 216 auf die eigenhändige Selbsttötung befürwortenden Lehre und der von Murmann entwickelten Konzeption; Abweichungen in Detailfragen – denen hier nicht weiter nachgegangen werden kann – folgen jedenfalls nicht mit Notwendigkeit aus der formal vorhandenen axiomatischen Differenz. Gravierende Auswirkungen hat dagegen das Bemühen Murmanns, das Merkmal der „Ernstlichkeit“ des Tötungsverlangens seinem Verständnis der teleologischen Struktur der Norm anzupassen. Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, daß Murmann im Einklang mit der hier entwickelten Auffassung davon ausgeht, daß § 216 der Verhinderung des Vollzuges defizitärer Opferentscheidungen dient, dabei indes meint, dies komme „nur unter der Voraussetzung in Betracht, daß die Wirksamkeit einer Einwilligung in eine Fremdtötung das Vorliegen einer von Defiziten freien Entscheidung in einem Umfang voraussetzen würde, der noch über die Voraussetzungen eines ernstlichen Tötungsverlangens hinausgeht“.416 Daß eine solche Möglichkeit in konstruktiver Hinsicht offenstehen soll, muß allerdings vor dem Hintergrund der gerade referierten Darlegungen Murmanns zu seinem Verständnis des Begriffs der „Ernstlichkeit“ eines Tötungsverlangens – gelinde gesagt – überraschen, immerhin hatte derselbe Autor jenes Merkmal dort noch mit dem Einwilligungsmaßstab identifiziert.417 Dabei trägt es nichts zur Klärung bei, wenn Murmann in diesem Zusammenhang – sachlich vollkommen zu Recht – auf die erhöhte Schutzbedürftigkeit des Rechtsgutes Leben verweist, die eine „Verschiebung der Verantwortungsbereiche zu Lasten des Außenstehenden“ legitimiere. Denn es versteht sich, daß dieser Gesichtspunkt im selben Maße bereits bei der Festlegung der Kriterien, anhand deren ein Tötungsverlangens als „ernstlich“ zu qualifizieren ist, Berücksichtigung erheischt. Im übrigen kann eine Differenzierung nach solchen Entscheidungsdefiziten, die schon die Ernstlichkeit des Tötungsverlangens in Abrede stellen, und solchen, die den Bezugsgegenstand des Gefährdungstatbestandes des § 216 bilden, in materieller Hinsicht nicht einleuchten. Denn ein Verbot der Tötung auf Ver414 Zur Begründung und Begrenzung einer Haftung für den Vollzug defizitärer Opferentscheidungen durch das Verantwortungsprinzip vgl. sogleich unten C. II. 1. 415 Murmann, S. 483. 416 Murmann, S. 493; vgl. bereits oben Fn. 345. 417 Murmann, S. 483 f., polemisiert in diesem Zusammenhang gar noch gegen eine Übertragung dieses Maßstabs auf eigenhändig vollzogene Selbsttötungen, indem er auf dessen dem dortigen Handlungskontext nicht angemessene Strenge verweist. So solle „unstreitig“ schon das bloße „Überreden“ durch den späteren Täter einem Verlangen seine Ernstlichkeit nehmen (wobei unklar bleibt, was Murmann mit „Überreden“ meint, jedenfalls schadet es nach herrschender Ansicht auch im Rahmen des § 216 keineswegs, daß der Anstoß zu dem suizidalen Vorhaben vom Außenstehenden kommt; vgl. dazu unten C. III.).

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C. Dogmatische Analyse

langen unter dem Gesichtspunkt der Gefahr eines Vollzugs defizitärer Verfügungen über das Leben läßt sich, wie bereits dargelegt, allein durch seinen Bezug zu dem durch die §§ 211, 212, 222 gewährleisteten strafrechtlichen Lebensschutz als legitim ausweisen. Dieser Bezug ist aber nur gewahrt, soweit die Gefahr eines echten Eingriffs in das Lebensrecht des Getöteten besteht. Ein solcher Eingriff kann wiederum ausschließlich dann vorliegen, wenn der Willensmangel des Disponierenden eine Qualität aufweist, die seine Einwilligung in die Tötung objektiv unwirksam macht – und also, in der Terminologie des § 216, sein Verlangen nicht ernstlich erscheinen läßt. Wie dagegen nach Murmanns Auffassung die Defizite beschaffen sein sollen, auf die das durch § 216 statuierte Gefährdungsverbot bezogen ist, bleibt – jedenfalls im Ergebnis – weitgehend im Dunkeln. Murmann läßt sich bei der Klärung dieses Teilaspekts seiner Konzeption schon im Ansatz von dem Bestreben leiten, Telos und Anwendungsbereich der Norm in einer Weise zur Deckung zu bringen, die es erlaubt, die spezifische äußere Form der in § 216 verbotenen Interaktion zwischen Täter und Opfer als maßgeblichen Bezugspunkt des Gefährdungstatbestandes zu begreifen.418 Soll dies möglich sein, „so muß das Indiz für das Vorliegen eines Entscheidungsdefizits offenbar in dem Umstand erblickt werden, daß das Opfer seinen Entschluß, aus dem Leben zu scheiden, durch die Bewilligung einer Fremdtötung realisieren will“.419 Damit stellt sich die Frage, für welche Art von Entscheidungsdefiziten der Umstand, daß der Sterbewillige die Ausführungshandlung delegiert, als Indiz gewertet werden kann. Murmann gibt darauf eine zweigeteilte Antwort, deren Teile weder so recht zueinander, noch zu den dargelegten Prämissen passen wollen. Die (aufgrund der Verbreitung dieser These im strafrechtlichen Schrifttum) naheliegende (Teil-)Antwort lautet: Es besteht die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, daß die Delegation der Ausführung der Tötungshandlung Ausdruck einer Unfähigkeit der Überwindung der natürlichen Selbsttötungshemmung durch den Sterbewilligen ist, die ihrerseits auf eine Schwäche des zugrundeliegenden Selbsttötungsentschlusses deutet.420 Eine solche Entschlußschwäche würde aber – soweit sie eine Qualität erreicht, die ihr normative Relevanz verleiht – dem Tötungsverlangen bereits seine „Ernstlichkeit“ nehmen – was die Grundthese Murmanns falsifiziert, daß die Entscheidungsdefizite, die vom Ge-

418 Solcherlei Bestrebungen, die augenscheinlich dem Bedürfnis geschuldet sind, die Differenz in der strafrechtlichen Bewertung der Tötung auf Verlangen und der Teilnahme am Suizid auf vordergründig plausible Weise zu erklären, haben im strafrechtlichen Schrifttum sehr weite Verbreitung gefunden, vgl. dazu und zu den Konsequenzen der hier vertretenen Sicht unten C. II. 2., aber auch D. V. 419 Murmann, S. 496. 420 In diesem Punkt trifft sich Murmanns Interpretation also mit dem oben bereits unter anderem Blickwinkel kritisierten Verständnis Roxins in NStZ 1987, 345, 347.

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fährdungstatbestand des § 216 anvisiert werden, andere sind als diejenigen, die ein Verlangen nicht „ernstlich“ erscheinen lassen. Gar noch mehr mit Händen zu greifen ist dieser Bruch im Zusammenhang mit dem angesprochenen zweiten Teilaspekt, um den Murmann den dargelegten Risikozusammenhang ergänzt: Der Delegation des Vollzugs eines Selbsttötungsvorhabens sei die rechtliche Anerkennung auch deshalb zu versagen, weil „als relevante Defizite zu erfassende Motivirrtümer sich für den nur begrenzt den Hintergrund der Entscheidung erfassenden Erklärungsempfänger vielfach nicht in anderer Weise objektivieren werden“. Auch die solchermaßen behauptete Gefährdungslage bezieht sich auf – von Murmann selbst – als relevant ausgewiesene Entscheidungsdefizite, also solche Defizite, die bei ihrem tatsächlichen Vorliegen dazu führen, daß das Tötungsverlangen nicht mehr als „ernstlich“ zu bewerten ist.421 Über diesen konstruktiven Mangel hinaus kann auch die Bildung des Gefährdungstypus – jedenfalls im Hinblick auf den letztgenannten Teilaspekt: schon auf den ersten Blick – nicht überzeugen. Daß sich das Vorliegen (unspezifischer) relevanter Willensmängel nach außen hin gerade in der Delegation des Vollzugs des Selbsttötungsvorhaben objektivieren soll, ist eine Behauptung, die jeglicher sachlichen Grundlage entbehrt: Warum sollte der Außenstehende in der Bitte, eine Spritze mit einem tödlich wirkenden Gift zu injizieren, ein stärkeres Indiz für mögliche Fehlvorstellungen des Sterbewilligen finden, als in der Bitte, dieses Gift zum Zwecke der späteren eigenhändigen Begehung eines Suizids zu beschaffen? Aber auch der Gedanke, in der Übertragung des Vollzugs eines Selbsttötungsprojekts auf einen anderen manifestiere sich typischerweise 421 Der einzig denkbare – vom Autor selbst allerdings nirgends explizierte – Erklärungsversuch für diesen offensichtlichen Widerspruch müßte bei der von Murmann postulierten Verankerung des Einwilligungsmaßstabs im intersubjektiven Verhältnis ansetzen und den Begriff der „Ernstlichkeit“ des Verlangens demzufolge nicht zunächst objektiv, sondern bereits unter Rückgriff auf die (normativ zu bestimmende) Erkennbarkeit des Defizits definieren. Dies würde es erlauben, bestimmte objektive Entscheidungsdefizite, die als „von außen nicht erkennbar“ einzustufen sind, als „normativ nicht relevant“ zu kennzeichnen und also das Tötungsverlangen trotz des objektiv vorhandenen Defizits im intersubjektiven Kontext als „ernstlich“ einzuordnen. Selbst nach dieser Interpretation müßte allerdings – wenn man unterstellt, Murmanns skeptische Deutung des Phänomens der Handlungsdelegation sei richtig und der darauf basierende Gefährdungstypus demzufolge richtig formuliert – konsequenterweise die für den Außenstehenden aus der Handlungsdelegation abzuleitende Risikoindikation eine Disqualifikation des Tötungsverlangens als Handlungsgrundlage schon unter dem Aspekt fehlender „Ernstlichkeit“ zur Folge haben. Daß dies eigentlich auch Murmann so sieht, wird durch den Umstand belegt, daß er auf S. 488 die Regelungen der §§ 216, 228 gerade als positivrechtliche Stütze dafür anführt, daß die im Einwilligungsfall unter Umständen größere Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von Entscheidungsdefiziten eine Modifizierung des Einwilligungsmaßstabs (den Murmann, wie gezeigt, im Merkmal der „Ernstlichkeit“ des Verlangens repräsentiert sieht) im Vergleich zu den Fällen der Selbstschädigung bzw. -gefährdung zur Folge haben kann.

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ein Mangel an Entschlußfestigkeit, kann bei näherem Hinsehen nicht weit tragen.422 Selbst wenn man dieses schon nach laienhaftem psychologischem Verständnis wenig plausible, geschweige denn durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte Postulat zunächst grundsätzlich akzeptieren will, bleiben – wie Murmann selbst einräumt423 – eine Reihe von Fallkonstellationen, in denen ein Zusammenhang zwischen Vollzugsform und psychischem Defizit nachgerade ausgeschlossen erscheint. Besonders auf der Hand liegt das dann, wenn dem Sterbewilligen die physischen Möglichkeiten zur Realisierung seines Wunsches fehlen. Murmann möchte in diesen Fällen den Tatbestand des § 216 teleologisch reduzieren und konzediert, daß sein Modell nur eine „Teilerklärung“ der Norm leisten könne. In Wahrheit dürften jene aus dem Gefährdungstypus auszuschließenden Konstellationen – auf deren Vielfältigkeit und Ubiquität wiederum bereits Murmann selbst verweist – weit eher die Regel, denn die Ausnahme bilden.424 Das erhellt sich schon daraus, daß der mit der Vornahme der Tötungshandlung Betraute im Regelfall von dem Sterbewilligen handfeste und nachvollziehbare Gründe dafür fordern wird, daß ihm eine solche weder alltägliche noch angenehme Verrichtung aufgebürdet werden soll. Unter diesen Umständen wird sich Murmann ernsthaft fragen lassen müssen, ob die von ihm gezogene Konsequenz einer teleologisch motivierten Einschränkung des Normbereichs des § 216 im Ansatz weit genug geht, oder ob nicht schlicht zu konstatieren ist, daß es dem postulierten Gefährdungszusammenhang bereits generell an der behaupteten Typizität mangelt. Nicht unkritisch zu betrachten ist schließlich der weitere Umgang Murmanns mit der nach seinem Verständnis gelieferten „Teilerklärung“ der Strafbestimmung des § 216. Wie auch eine Reihe anderer Autoren, die mit einem nach eigener Erkenntnis nicht vollständig konsistenten Schutzzweckmodell aufwar-

422 Man bedenke auch, daß hier eine zweifache Vermittlung vonnöten ist: Zunächst ist plausibel zu machen, daß die Delegation des Vollzugs mit einer gewissen Regelmäßigkeit Ausdruck einer Vollzugshemmung ist. Diese ist für sich genommen jedoch noch keineswegs gleichbedeutend mit einem Mangel an Entschlußfestigkeit, wie die – an dieser Stelle wohl einmal legitime – Parallele zu den Fällen der Fremdverletzung veranschaulichen mag: Bringt es die Ehefrau nicht übers Herz, den mißliebig gewordenen Gatten eigenhändig zu töten und engagiert deswegen einen Killer, käme niemand auf den Gedanken, die Ernsthaftigkeit ihrer Tötungsabsicht in Zweifel zu ziehen. Auch der Schluß vom Vorliegen einer Vollzugshemmung auf einen Mangel an Entschlußsicherheit bedarf mithin einer eigenen Begründung. 423 Murmann, S. 499. 424 Tatsächlich sucht man in der Fülle der in der Praxis entschiedenen oder als Lehrbeispiele in der strafrechtlichen Literatur gebildeten Fälle vergeblich nach auch nur einem, in dem ein solcher Konnex zwischen Handlungsdelegation und Vollzugshemmung naheliegt; im Gegenzug findet sich aber eine beachtliche Anzahl von Fällen, in denen er ausgeschlossen ist – und sei es nur, wie in dem von Herzberg, NStZ 1989, 559, gebildeten Beispielsfall, daß ein Unfall vorgetäuscht werden soll, um die Versicherung zu betrügen.

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ten, ist Murmann bestrebt, unter Rückgriff auf komplementäre Legitimationsaspekte eine im Ergebnis befriedigende Klärung der Existenzberechtigung der Norm zu leisten. Konkret erkennt er eine – für sich wiederum beschränkte – Berechtigung des Gesichtspunkts einer der strafrechtlichen Freigabe der Tötung auf Verlangen innewohnenden Mißbrauchsgefahr wie auch des Tabuisierungsgedankens an.425 Nun ist bereits426 anhand der paternalistisch fundierten „Mischkonzeption“ Herzbergs exemplarisch nachgezeichnet worden, auf welche Schwierigkeiten eine solche Kombination heterogener Legitimationsansätze stößt, insbesondere natürlich dann, wenn jeder von ihnen für sich nicht als tragfähige Basis für eine Strafnorm ausgewiesen werden konnte. Im Gegensatz zu anderen Autoren427 sieht Murmann sehr wohl, „daß die Diskussion um die verschiedenen rationes von § 216 StGB nicht geführt werden kann, ohne sich der Angemessenheit der Zusammenfassung dieser rationes unter einem einheitlichen Tatbestand zu vergewissern“.428 Dabei greift es indes zu kurz, wenn er die Problematik auf die Frage reduziert, „inwieweit diese rationes je für sich (oder nur in Verbindung mit anderen) eine Bestrafung innerhalb des in § 216 StGB vorgesehenen Strafrahmens erlauben“. Denn die Angemessenheit des Strafrahmens ist ein der vordergründig zu leistenden Vermittlung der verschiedenen der Norm beigemessenen Schutzrichtungen zu einem teleologisch und systematisch schlüssigen Gesamtkonzept (eben einem Unrechtstypus) nachgelagerter, sekundärer Topos. Gerade jene Vermittlung bleibt Murmann letztlich schuldig. So ist auch auf dem Boden seiner Interpretation unklar, wieso in jenen (zahlreichen) Fällen, in denen es ausgeschlossen erscheint, daß die Delegation der Tötungshandlung Ausdruck einer Vollzugshemmung ist (und in denen aus denselben Gründen das Mißbrauchsargument regelmäßig ins Leere läuft) gerade die Tabuthese in die Bresche springen und die Last der Unrechtsbegründung tragen soll. Eine (noch so beschränkte) Wechselbezüglichkeit dieser Aspekte wird von Murmann nicht dargelegt und läßt sich auch nicht ausmachen. Mehr noch: Just in den Konstellationen, in denen sich ein Interesse an der Vornahme der Tötungshandlung durch einen anderen darlegen läßt (beispielsweise in den Fällen der aktiven Sterbehilfe an Moribunden, die physisch nicht in der Lage sind, sich selbst den Tod zu geben), soll nach Murmanns Verständnis auch der Gedanke der Tabuisierung des Vollzugs von Tötungshandlungen entscheidend an Kraft verlie425

Murmann, S. 514 ff.; vgl. auch die umfassende Kritik unter B. II. 1. und B. II. 2. Siehe oben B. III. 427 Murmann selbst übt in dieser Hinsicht Kritik an Hirsch, FS Lackner, S. 597, 612 ff.; exemplarisch für die verbreitet fehlende Wahrnehmung der kritischen Dimension eines solchen Verfahrens sind die bereits (Fn. 263) zitierten Ausführungen Schneiders in MüKo, § 216 Rn. 8, der das Modell Jakobs’ (vgl. B. IV. 1.) im Kern für treffend hält und abschließend lapidar feststellt: „Das verbleibende Erklärungsdefizit (. . .) kann durch Heranziehung generalpräventiv orientierter Tabuschutzaspekte aufgefüllt werden.“ 428 Murmann, S. 532. 426

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C. Dogmatische Analyse

ren.429 Selbst wenn man also akzeptieren wollte, daß sich ein Unrechtstypus durch die schlichte Addition verschiedener, je für sich nicht vollständig tragfähiger Strafbegründungen gewinnen läßt, bleibt der durch die Einbeziehung der von Murmann in Anspruch genommenen Legitimationsaspekte gegenüber der obigen „Teilerklärung“ der Norm erzielte Gewinn mindestens vage. Haben die im bisherigen Verlauf angestellten Überlegungen keinen Anhaltspunkt dafür gegeben, daß die mit „Freiverantwortlichkeit“ und „Ernstlichkeit“ des auf Lebensbeendigung gerichteten Willens angesprochenen inneren Merkmale als normativ verschieden zu begreifen sind, so läßt sich abschließend die oben offengebliebene Frage stellen, ob der von weiten Teilen der Lehre im Rahmen der Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens herausgehobene „überlegte Entschluß“ einen bestimmten, gegenüber dem freiverantwortlichen Suizidentschluß qualifizierten Reflexionsgrad fordert. Inwiefern eine solche Konsequenz von den Vertretern der fast ausschließlich aus Lehrbuch- und Kommentarliteratur formierten und entsprechend verknappt erläuterten herrschenden Auffassung gezogen wird, läßt sich freilich schwer ausmachen. Die immer wieder zu findende negative Bestimmung, das Verlangen dürfe nicht einer bloßen Augenblicksstimmung entspringen,430 läßt kaum Rückschlüsse darüber zu, ob das damit offenbar verbundene Erfordernis einer (zeitlich nicht näher bestimmten und wohl auch nicht abstrakt zu bestimmenden) Überlegungsfrist nicht letztlich nur als Indikator für die oben angesprochene (minimale) Beständigkeit des Sterbeentschlusses dienen soll. Wie dem auch sei, die obigen Ausführungen zu Schutzzweckmodellen des § 216 mit paternalistischer Ausrichtung431 sollten deutlich gemacht haben, daß es weder Angelegenheit des Strafrechts ist, bestimmte positive Anforderungen an die inhaltliche Qualität der einer autonomen Entscheidung zugrundeliegenden Begründungszusammenhänge zu stellen, noch es in seiner Macht liegt, den über seine Rechtsgüter Verfügenden durch Statuierung normativer Schutzmechanismen zu nötigen, sich selbst gegenüber eine qualifizierte Rechenschaft über sein Vorhaben abzulegen. Einer in diese Richtung über den an die Freiverantwortlichkeit einer Selbsttötung angelegten Maßstab hinausgehenden Interpretation des Merkmals der Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens wäre mithin von vornherein die Legitimität abzusprechen.432

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Vgl. Murmann, S. 530 f. Siehe bereits oben; offenbar zurückgehend auf Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 285. 431 Siehe vor allem B. IV. 1. 432 Fast schon scheint es müßig darauf hinzuweisen, daß auch insoweit bislang noch von niemandem plausibel gemacht wurde, warum eine für die Tötung auf Verlangen für unverzichtbar gehaltene Qualität des Willens des Rechtsgutsinhabers für die rechtliche Einordnung des Willens eines eigenhändig über sein Leben Verfügenden keine Rolle spielen soll. 430

I. Der Begriff der „Freiverantwortlichkeit‘‘ des Tötungsverlangens

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Es bleibt also dabei: Obgleich die inneren Anforderungen an die rechtliche Verbindlichkeit des Sterbewillens beim Suizid und bei der Tötung auf Verlangen in der überkommenen Terminologie mit den Begriffen der „Freiverantwortlichkeit“ bzw. „Ernstlichkeit“ verschieden benannt werden, erweist sich doch bei sachgerechter Interpretation der Katalog ihrer juristischen Merkmale als identisch. Wenn also im folgenden die Validität einer an dem Gesichtspunkt der abstrakten Gefahr des Fehlens der Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens orientierten Schutzzweckkonzeption des § 216 untersucht wird, so gilt es in Erinnerung zu behalten, daß der damit in den Mittelpunkt gerückte strafrechtsdogmatische Begriff der „Freiverantwortlichkeit“ im Einklang mit dem hier dargelegten Verständnis als Synonym zu dem im Kontext der Tötung auf Verlangen gebräuchlicheren Terminus der „Ernstlichkeit“ aufgefaßt wird. Die schon mit der Überschrift zu diesem Kapitel zum Ausdruck gebrachte Präferenz für die Bezeichnung „Freiverantwortlichkeit“ ist demzufolge zu einem gewissen Grade willkürlich. Für eine solche Sprachregelung spricht indes, daß sie deutlich macht, daß es nicht – wie die Rede von der „Ernstlichkeit“ suggerieren mag – vordergründig um die Ernsthaftigkeit des Sterbewillens geht,433 sondern – viel umfassender – darum, diesen Willen auf seine Qualität als freie434, das heißt als Basis für die Zuschreibung von Verantwortung taugende Entscheidung hin zu befragen.

433 Das Element der Ernsthaftigkeit der Entscheidung des Sterbewilligen ist – wie oben bereits angesprochen wurde – gleichwohl in dem Begriff der Freiverantwortlichkeit aufgehoben, denn natürlich läßt sich von einer verantwortlichen Entscheidung für die Aufgabe eines Rechtsguts nur sprechen, wenn diese dem Disponierenden ernst ist, er sich an ihr festhalten lassen will. 434 Achenbach, Jura 2002, 542, 543 (Fn. 10), plädiert dafür, den Terminus „Freiverantwortlichkeit“ durch den bei der Konkretisierung von Verhaltenspflichten im Spannungsfeld der Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer geläufigen Begriff der Eigenverantwortlichkeit zu ersetzen, um so der Gefahr einer Vor-Festlegung des Inhalts dieses strafrechtsdogmatischen Merkmals auf ein ungeklärtes Freiheitsverständnis entgegenzuwirken. Einem solchen Anliegen läßt sich die prinzipielle Berechtigung nicht absprechen, es sei nur an die dogmatischen Kalamitäten erinnert, in die Köhlers Versuch führen mußte, das Merkmal der Freiverantwortlichkeit mit Freiheit/Selbstbestimmtheit im (zwar nicht „ungeklärten“, aber doch vom abstrakteren strafrechtlichen Begriffsverständnis abweichenden) Sinne der Kantischen Philosophie zu identifizieren (vgl. oben B. I. 2.). Gegen den von Achenbach vorgeschlagenen Sprachgebrauch ist indes einzuwenden, daß der Begriff der Eigenverantwortlichkeit mit einer über den Topos der Freiverantwortlichkeit hinausreichenden juristischen Bedeutung belegt ist. Während es bei letzterem lediglich um die Rückführung einer Rechtsgutsbeeinträchtigung auf den (freien) Willen des Rechtsgutsinhabers geht und mithin um einen der Verantwortungszuschreibung vorgelagerten Schritt, greift der Terminus der Eigenverantwortlichkeit bereits das Resultat dieser Zuschreibung auf und bezeichnet somit eine Alleinzuständigkeit des über eigene Rechtsgüter Verfügenden, die im Zusammenhang mit der Regelung des § 216 gerade in Frage steht (mit derselben Begründung halten auch Hohmann/König, NStZ 1989, 304, 308, an der Differenzierung zwischen beiden Begriffen fest – hingegen faßt beispielsweise Freund, AT, 5/73, Fn. 93, beide Termini als Synonyme auf).

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C. Dogmatische Analyse

II. Teleologisch-systematische Aspekte der Normkonzeption 1. Die Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Selbstverantwortung Im Rahmen der bei der Grundlegung des nun näher zu untersuchenden Normzwecks des § 216 angestellten Erwägungen wurde recht apodiktisch festgestellt, daß das Recht, auch wenn es prinzipiell von der Verantwortlichkeit der ihm unterworfenen Subjekte für die von ihnen ins Werk gesetzten Projekte ausgeht, nicht die Augen davor verschließen darf, daß sich diese normative Wertung im Bereich suizidalen Verhaltens mit einer empirisch fundierten Gegenindizierung konfrontiert sieht. Es versteht sich indes, daß eine solche Behauptung, will sie nicht in den Ruch eines naturalistischen Fehlschlusses kommen, nicht unvermittelt Geltung beanspruchen kann. Sie ist deshalb im folgenden zu spezifizieren und zu verifizieren, indem das nach der hier vertretenen Konzeption der Regelung des § 216 immanente Mißtrauen des Gesetzgebers in die Verhaltenssteuerung des seine Tötung Verlangenden auf normativer Ebene in ein Verhältnis zum Prinzip der Selbstverantwortung gesetzt wird. Dazu ist es zunächst sinnvoll, die Strukturen dieses Rechtsprinzips, soweit sie für den vorliegenden Zusammenhang relevant sind, in ihren groben Konturen nachzuzeichnen. Die klassische Formel des schon seit dem 19. Jahrhundert dem Grunde nach anerkannten, im Hinblick auf seine Entfaltung und Konkretisierung jedoch – trotz deren enormer praktischer Bedeutung – erstaunlich lange Zeit stiefmütterlich behandelten Selbstverantwortungsprinzips läßt sich in den Worten Max Ernst Mayers wiedergeben: „Der Mensch ist dem Recht verantwortlich (. . .) nicht für das, was ein anderer thut, sondern für das, was er thut.“ 435 Damit ist zunächst – jedenfalls vordergründig – nicht mehr gesagt als die (heute als solche aufgefaßte) Selbstverständlichkeit, daß das durch eine Person verwirklichte Unrecht einem anderen nicht ohne einen in dessen Personalität wurzelnden Grund zugerechnet werden darf.436 Bei jener formal-negativen Bestimmung kann man es jedoch nicht belassen. Denn das in der Mayerschen Definition als simple Antinomie gekennzeichnete Verhältnis dessen „was der Mensch tut“ zu dem „was ein anderer tut“, läßt sich in der durch vielfältige Interaktionen geprägten Wirklichkeit nicht (jedenfalls nicht als Regelfall) in solch klar vonein435

M. E. Mayer, Der Causalzusammenhang, S. 104. Bereits hieraus ergeben sich gewisse, der Wirkkraft des Prinzips immanente Begrenzungen, die also keine Ausnahmen im eigentlichen Sinne bilden. So weist häufig ein und derselbe rechtlich relevante Sachverhalt Bezüge zur personalen Verantwortlichkeit mehrerer Personen auf, so daß für die Zuschreibung einer Verantwortlichkeit im Rechtssinne, d. i. die Abgrenzung sich überlagernder Verantwortungsbereiche, ein gewisser Spielraum verbleibt, den das positive Recht ausfüllen darf und muß. In diesem Rahmen ist durchaus auch ein Kumulieren von Verantwortlichkeiten denkbar, ohne daß dies einen Widerspruch zum Prinzip der Selbstverantwortung darstellen würde. 436

II. Teleologisch-systematische Aspekte der Normkonzeption

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ander zu scheidenden Kategorien vorfinden. Das „was der Mensch tut“, kann in seiner sozialen und rechtlichen Bedeutung vielfach nur in Zusammenschau mit dem, „was ein anderer tut“, erfaßt werden, mit anderen Worten läßt sich seine originäre Verantwortlichkeit nur im Kontext der Verantwortlichkeit anderer ergründen. Es verbietet sich demnach ganz offensichtlich, die Aussage, daß der Mensch nicht für das verantwortlich sei, was ein anderer tut, dahingehend zu verallgemeinern, daß es den Menschen überhaupt nichts angehe, was andere tun437 – soweit er im praktischen Handlungskontext genötigt ist, Aktionen oder Reaktionen anderer in die Orientierung seines Verhaltens an Rechtsnormen einzubeziehen, muß ihn das sehr wohl etwas angehen. Dies bedeutet aber, daß den vom Recht statuierten Verhaltensregeln ein abstrakt-normatives Instrumentarium zur Seite zu stellen ist, mit dessen Hilfe ein jeder Normadressat in die Lage versetzt wird, sein Verhalten nach Maßgabe der jeweils einschlägigen Norm(en) an dem Verhalten des/der anderen auszurichten. In diesem Zusammenhang gewinnt das Prinzip der Selbstverantwortung schließlich positive Begründungskraft: Wenn das Recht grundsätzlich davon ausgeht, daß der einzelne dafür verantwortlich gemacht werden kann, daß er sein Verhalten normgemäß gestaltet, wenn es ihn also in dieser Verantwortlichkeit ernst nimmt, dann wäre es widersprüchlich, den Rechtssubjekten im Verhältnis zueinander nicht ein selbiges zu gestatten, es ihnen also zu versagen, sich wechselseitig in ihrer im Rechtsverhältnis gründenden Verantwortlichkeit ernst zu nehmen. Daraus folgt, daß der Adressat einer Rechtsnorm bei der Überprüfung eines beabsichtigten Verhaltens auf dessen Normkonformität ein sich mit diesem überlagerndes Verhalten eines Dritten als seinerseits normgemäß unterstellen darf, gegebenenfalls sogar soll.438 437 Genau auf diese Fehlinterpretation des Verantwortungsprinzips (vgl. dazu auch die vorhergehende Fußnote) stützt sich jedoch die von Brinkmann, Vertrauensgrundsatz, S. 134 f., vorgetragene Kritik an der Lehre von den Verantwortungsbereichen. 438 Diese Ambivalenz ist in dem Aspekt der Wechselbezüglichkeit des Vertrauens bereits angelegt; letzterer wird insbesondere im Straßenverkehr plastisch: Kommt dem Fahrzeugführer A der Fahrzeugführer B auf dessen Fahrspur entgegen, der es im Anschluß an einen Überholvorgang unterlassen hat, sofort wieder einzuscheren, und wechselt der A mit seinem Fahrzeug daraufhin die Fahrspur in der Sorge, der B seinerseits würde dies auch in der Folge nicht tun, so kommt es – wenn B schließlich doch pflichtgemäß auf seine Spur zurückwechselt – zum (von A strafrechtlich zu verantwortenden) Unfall. Hier zeigt sich auch die Rückwirkung des normativ gebotenen Vertrauens des anderen auf den eigenen Pflichtenkreis: Die Pflicht des B, in der konkreten Verkehrssituation wieder auf seine Fahrspur zurückzuwechseln, generiert sich daraus, daß er seinem Verhalten den Umstand zugrundelegen darf/muß, daß A davon ausgehen darf/muß, daß er sich in dieser Weise verhalten wird. Es erweist sich damit, daß die Statuierung eines allgemeinen Vertrauensgrundsatzes nicht etwa eine Beschränkung des Umfangs von Verhaltenspflichten zum Gegenstand hat, sondern lediglich deren Konkretisierung. Die in diesem Zuge begründete Erlaubtheit empirisch riskanten Verhaltens stellt sich also bereits als Element der primären Typisierung der rechtlichen Verhaltenserwartung dar; es handelt sich keineswegs um eine Zurückdrängung an und für sich geltender Sorgfaltsanforderungen im Rahmen einer Güterabwä-

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Dieser Sichtweise entspricht der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung439 in der Form einer primär pragmatisch fundierten und zunächst auf den Bereich des Straßenverkehrs begrenzten440 Kasuistik entwickelte Vertrauensgrundsatz, der sich mithin als eine spezifische Ausprägung des Prinzips der Selbstverantwortung erweist.441 Auch das grundsätzlich als rechtlich legitim ausgewiesene Vertrauen unterliegt Schranken, die aus der Struktur seiner Begründung folgen. Neben den bereits im Selbstverantwortungsprinzip angelegten Beschränkungen,442 kommt hier vor allem die Erschütterung des Vertrauens durch äußerlich wahrnehmbare Tatsachen in Betracht.443 Diese Beschränkung ist dem Vertrauensgrundsatz insofern immanent, als dieser zwar partiell auf einer Abstraktion, nicht aber auf einer vollkommenen Fiktion beruht, so daß er dem Anspruch, das je konkrete interpersonale Verhältnis in seiner Realität zu erfassen, wenigstens im Grundsatz gerecht werden können muß.444 Dies schließt aber (mindestens) die Möglichkeit einer Desavouierung des auf einem recht hohen normativen Abstraktionsniveau gewonnenen Vertrauens durch konkrete gegenläufige Tatsachen ein. Ohne gedanklichen Bruch läßt sich eine solche Möglichkeit in ein Konzept institutionalisierten Vertrauens nur integrieren, begreift man sie nicht eigentlich im Sinne einer äußeren Begrenzung, sondern als Ausprägung eines echten Strukturmerkmals.445 Der Vertrauensgrundsatz ist demzufolge nur zu denken gung zwischen Handlungsfreiheit einerseits und Rechtsgüterschutz andererseits (so aber AK-Zielinski, §§ 15, 16 Rn. 103, unter Berufung auf die Rechtsprechung) oder gar einer „notstandsähnlichen Lage“ (vgl. zu diesem Begründungsansatz ausführlich Brinkmann, S. 122 ff. m.w. N.). 439 Grundlegend BGHSt 7, 118. 440 Daß eine solche Begrenzung aus der Perspektive der obigen Ableitung willkürlich erscheint, bedarf wohl kaum einer Erwähnung, vgl. auch MüKo-Hardtung, § 222 Rn. 33); daß die Rechtsprechung auf die hier behandelten dogmatischen Probleme zunächst ausschließlich im Zusammenhang mit Unfällen im Straßenverkehr aufmerksam wurde, ist wohl am ehesten mit der praktischen Häufigkeit dieser Art von Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu erklären, aber sicher auch damit, daß hier der Interpersonalbezug strafrechtlicher Verhaltensnormen besonders augenfällig wird. 441 Vgl. dazu grundlegend Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 6 ff.; anders Brinkmann, Vertrauensgrundsatz, S. 138 ff.: Erfahrungsregel; umfassende Nachweise zu weiteren abweichenden Erklärungsansätzen ebenfalls bei Brinkmann, S. 117 ff. 442 Vgl. oben, insbesondere Fn. 436. 443 Vgl. dazu Schumann, S. 12 ff. 444 In dieselbe Richtung gehen die Ausführungen Murmanns, Nebentäterschaft, S. 274, der wohl noch einen Schritt weiter gehen will, wenn er die Begründung des Vertrauens nicht als weitgehend abstrakten Vorgang begreift: „Das Vertrauen als ein normativer Sachverhalt, der eine Wirklichkeit der Person beschreibt, erfährt seine Begründung und seine Begrenzung im je konkreten Verhältnis. Das normativ berechtigte Vertrauen ist so kein bloß abstrakter Sachverhalt, sondern als Wirklichkeit im je konkreten Verhältnis von dessen konkreter Ausgestaltung abhängig.“ 445 Dies ist auch der kritische Punkt, an dem sich Brinkmann, S. 135 ff., veranlaßt sieht, das Kind mit dem Bade auszuschütten, also den Gedanken an eine Normativität

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als ein auf der dialektischen Verschränkung normativer und faktischer Elemente beruhender, offener Ordnungsentwurf intersubjektiver Verhaltenserwartungen.446 Mit dieser Konkretisierung des Selbstverantwortungsprinzips ist für den vorliegenden Zusammenhang freilich noch nichts Unmittelbares gewonnen, denn das in § 216 manifestierte Mißtrauen des Rechts in die Validität des im Tötungsverlangen eines Lebensmüden betätigten Willens speist sich natürlich nicht aus dem Verdacht einer potentiellen Nichtberücksichtigung (die Rechtsgüter anderer schützender) strafrechtlicher Verhaltensnormen. Um den Bezug zu dem hier interessierenden Problem herzustellen, muß noch ein Schritt in der Ableitungskette zurückgegangen werden. Die an Rechtssubjekte herangetragene bzw. heranzutragende Erwartung normgemäßen Verhaltens (im speziellen) wie auch das Prinzip der Selbstverantwortung (im allgemeinen) bildet nach dem eben skizzierten Selbstverständnis der Rechtsordnung keine von der Lebenswirklichkeit abgelöste und ihr übergestülpte Fiktion, sondern wurzelt in der grundlegenden Annahme, der Mensch sei dazu befähigt, seine Verhaltensmaximen an allgemeinen Gesetzen auszurichten, mit anderen Worten: er sei vernunftbegabt.447 Treffend formuliert Murmann zum Vertrauensgrundsatz: „So vertraut die Person nicht allgemein in das Ausbleiben von Verletzungen durch Dritte, sondern darein, daß der Vordermann qua seiner Vernunft sich rechtlich richtig motiviert und entscheidet; also handelnd das Verhältnis rechtlich gestaltet. So wie die Handlung vom vernünftigen Willen ausgeht, so ist auch das Vertrauen zunächst auf die Vernunft des anderen bezogen und erst davon abgeleitet auf eine entsprechende Wirklichkeitsveränderung.“448 Das rechtlich anzuerkennende wechselseitige Vertrauen der Rechtssubjekte erstreckt sich also nicht lediglich darauf, daß der jeweils andere sein Verhalten im Ergebnis einwandfrei steuert, es umfaßt gleichermaßen die personale Basis eines solchen fehlerfreien Verhaltens, also das, was die strafrechtliche Schuldlehre „Einsichts- und Steuerungsfähigkeit“ nennt. des Vertrauensprinzips gänzlich zu verwerfen und dieses lediglich als schlichte Erfahrungsregel aufzufassen (dazu S. 138 ff.). 446 Er ist damit in seiner Struktur am ehesten dem – von Roxin gleichfalls als „offenen Begriff“ charakterisierten – Tatherrschaftsbegriff (der damit also kein „Begriff“ im strengen Wortsinne mehr ist) vergleichbar (vgl. dazu Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 122 ff.). Es versteht sich, daß die damit verbundenen Probleme im beschränkten Rahmen der vorliegenden Arbeit nur angedeutet werden können; im Detail bleibt hier noch viel Raum für weitere Untersuchungen und Präzisierungen. 447 Darüber besteht im Ergebnis Einigkeit, vgl. Schumann, S. 1, der betont, daß es sich um eine normative Grundentscheidung handelt, wenn „unsere Rechtsordnung sich – ungeachtet der seinswissenschaftlichen Unlösbarkeit der Freiheitsfrage – für ein Menschenbild entschieden hat, nach dem der Mensch grundsätzlich zu freier Selbstbestimmung fähig und demzufolge im Guten wie im Bösen für sein Handeln selbst verantwortlich ist“, aber auch die grundlegende vorpositive Ableitung dieser These aus der praktischen Philosophie Kants bei Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 18 ff. 448 Murmann, Nebentäterschaft, S. 275 f.

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Obgleich diese Implikation des Vertrauensgrundsatzes als solche bislang kaum in den Focus der Strafrechtswissenschaft geraten ist, findet sie bei der Behandlung konkreter dogmatischer Fragen durchaus ihren Niederschlag. Veranschaulichen läßt sich das anhand der im Rahmen des § 32 zu bewältigenden, durch die interpersonale Prägung der von diesem Erlaubnissatz aufgegriffenen Handlungsstruktur bedingten Anwendungsprobleme. Zunächst läßt sich auch hier – fernab des „angestammten“ Wirkungsbereichs im Straßenverkehr – die Geltung des Vertrauensgrundsatzes in Bezug auf das äußere Verhalten eines anderen nachweisen. Namentlich muß auf der subjektiven Seite des Rechtfertigungstatbestandes die Bestimmung der Angriffsqualität einer aktuellen oder unmittelbar bevorstehenden Handlung erfolgen, die eine prognostische Beurteilung der Normkonformität des Verhaltens eines anderen Menschen auf oftmals höchst unsicherer Tatsachenbasis einschließt. Auch hier behält die Regel ihre Verbindlichkeit, daß ein für die rechtliche Qualität des eigenen Verhaltens erhebliches Verhalten eines anderen als rechtmäßig zu unterstellen ist, soweit nicht eine der dem Vertrauensgrundsatz immanenten Schranken greift – konkret: das institutionalisierte Vertrauen durch äußerlich wahrnehmbare Tatsachen zerstört wird.449 Nimmt also ein besonders ängstlicher Mensch ohne zureichenden Grund, „ins Blaue hinein“ an, daß ein anderer ihn angreifen wolle und verletzt diesen in vermeintlicher Notwehr, so haftet er – weil sein Tatsachenirrtum auf einer verhaltensnormwidrigen internen Rekonstruktion der Wirklichkeit beruht – wegen fahrlässiger Körperverletzung. Aufschlußreich für die vorliegende Problemstellung ist in diesem Zusammenhang jedoch vor allem folgender Aspekt. Ein uneingeschränktes Notwehrrecht ist dem Verteidiger nach allgemeiner Ansicht im Rahmen des § 32 nur zuzubilligen, soweit der Angreifer seinerseits für die Angriffshandlung verantwortlich gemacht werden kann.450 Damit ist also der Notwehr Übende genötigt, sich auch in dieser Hinsicht ein Bild von der Wirklichkeit zu machen, für das ihm häufig eine äußerlich wahrnehmbare Tatsachengrundlage fehlen wird. Hier kommt nun der Vertrauensgrundsatz in seiner eben abgeleiteten Ausprägung zum Tragen: Weil davon auszugehen ist, daß jeder Mensch grundsätzlich für sein auf das Rechtsverhältnis zu anderen bezogenes Verhalten verantwortlich ist, muß der mit einem rechtswidrigen Angriff Konfrontierte Umstände, die geeignet sind, die Verantwortlichkeit des Angreifers in Frage zu stellen, selbst dann nicht aktiv recherchieren, wenn ihm dies faktisch ausnahmsweise einmal möglich sein sollte. Das Recht fordert von ihm lediglich – wiederum als Ausfluß

449 Wiederum gewinnt der Vertrauensgrundsatz hier imperative Gestalt (vgl. schon Fn. 438): Es geht nicht lediglich um ein Vertrauen-Dürfen, sondern um ein von strafrechtlicher Sanktionsandrohung flankiertes Vertrauen-Sollen. 450 Vgl. die zutreffende Rückführung dieser Einschränkung auf das Verantwortungsprinzip bei Rudolphi, GS Armin Kaufmann, S. 371, 395.

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der immanenten Schranken des Vertrauensgrundsatzes –, daß er die Augen nicht vor einer sich aufdrängenden positiven Gegenindizierung verschließt.451 Was auf den ersten Blick nach einer Ungleichbehandlung zweier subjektiver Merkmale ein und desselben Rechtfertigungstatbestandes aussieht – im einen Falle muß der sich auf den Erlaubnissatz Berufende seine Vorstellung vom tatsächlichen Vorliegen einer bestimmten Voraussetzung plausibel machen können, im anderen nicht –, läßt sich somit zwanglos aus dem Prinzip der Selbstverantwortung ableiten.452 Nun wäre es aber offenkundig widersprüchlich, wenn sich Menschen als vernunftbegabte und demzufolge verantwortliche Subjekte begreifen dürfen, soweit es um die Befolgung rechtlicher Ge- und Verbote durch den jeweils anderen geht, es ihnen jedoch im übrigen nicht ohne weiteres gestattet wäre, ihre Willensäußerungen wechselseitig als in ihrer Autonomie gründend zu akzeptieren.453 Für das Strafrecht relevant wird diese im Vertrauensgrundsatz angelegte Weiterung vor allem, soweit Verfügungen eines Rechtssubjekts über eigene, strafrechtlich geschützte Güter zur Beurteilung stehen. Und auch hier läßt sich konstatieren, daß die überkommene Dogmatik zum einschlägigen Rechtsinstitut der Einwilligung mit der soeben abgeleiteten Deutung des Verantwortungsprinzips korrespondiert. Erteilt also beispielsweise ein Patient seine Zustimmung zur Vornahme eines bestimmten operativen Eingriffs, so ist der operierende Arzt nicht verpflichtet, um auf die Wirksamkeit der darin liegenden Einwilligung in eine Körperverletzung vertrauen zu dürfen, die Einwilligungsfähigkeit des Patienten kritisch zu begutachten oder dessen Willenserklärung auf even-

451 Dem entspricht es, wenn häufig (freilich unter Vermengung objektiver und subjektiver Rechtfertigungsmerkmale) von einer Notwehrbeschränkung nur gegenüber Angriffen von „Kindern, ersichtlich Irrenden oder sonst schuldlos Handelnden“ (Wessels/ Beulke, AT, Rn. 344, Hervorhebung nur hier) die Rede ist; vgl. auch die neuere Entscheidung des BayObLG in StV 1999, 147, das eine Beschneidung des Notwehrrechts davon abhängig macht, „ob eine etwa für jeden erkennbare erhebliche Alkoholisierung (des Angreifers) vorlag“. 452 Damit soll allerdings nicht geleugnet werden, daß sich die aufgezeigte Differenzierung ebenso überzeugend auf „profanere“ Gründe zurückführen läßt – wohl weniger auf die ihrerseits wiederum begründungsdürftige formale Gestaltung der Norm: „Angriff“ als positives Element des Rechtfertigungstatbestandes, die fehlende Verantwortlichkeit des Angreifers als bloßes (ungeschriebenes) Ausschlußmerkmal, als vielmehr darauf, daß die Tatsachen, auf denen letztere beruhen kann, selten äußerlich wahrnehmbar sind und eine diesbezügliche Prüfungspflicht demzufolge für den Handelnden regelmäßig nicht erfüllbar wäre, so daß bei Umkehrung der Zweifelsregel das Notwehrrecht weitgehend leerlaufen müßte. 453 Dies dürfte auch in der Konsequenz der begrifflichen Bestimmung des Selbstverantwortungsprinzips durch Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 22 f., liegen, der „Selbstverantwortung im Rechtssinn“ zunächst als „ein auf Freiheit gegründetes Segment aus dem umfassenden Raum von Selbstbestimmung und Selbstsein“ definiert und in der Folge dieses Segment dadurch gekennzeichnet sieht, „daß es die Selbstbestimmung des einzelnen in ihrem Verhältnis zu anderen Menschen umfaßt“.

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tuelle Inhalts-, Erklärungs- oder gar Motivirrtümer zu untersuchen.454 Natürlich ist der Vertrauensgrundsatz gerade in diesem Bereich mit vielen Einschränkungen durchsetzt, die ihrerseits auf dem Verantwortungsprinzip basieren. So darf der Arzt selbstredend nur dann von der Wirksamkeit der Einwilligung ausgehen, wenn die zu behandelnde Erkrankung nicht gerade einen erodierenden Einfluß auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Patienten hat oder die Fähigkeit des Patienten, eine verantwortliche Entscheidung zu treffen, gerade deshalb in Frage steht, weil der Arzt der aus seiner überlegenen Einsicht in Krankheit und Heilungschancen erwachsenden Pflicht zur Aufklärung nicht oder nur unzureichend nachgekommen ist. Damit ist aber auch klar, daß das an einen anderen Menschen herangetragene Ansinnen, bei der Herbeiführung des eigenen Todes mitzuwirken, ebenfalls einen dem Vertrauensgrundsatz unterfallenden Topos darstellt. Prinzipiell dürfte der Adressat einer solchen Aufforderung also davon ausgehen, daß der Lebensmüde durch seine Erklärung rechtswirksam die Verantwortung für seinen Tod übernimmt, insbesondere dürfte er, soweit dem nicht konkrete Anhaltspunkte entgegenstehen, auf das Nichtvorhandensein von rechtlich relevanten Willensmängeln vertrauen. Dieses Vertrauen wird indes nach der hier vertretenen Norminterpretation für den Anwendungsbereich des § 216 als Handlungsgrundlage disqualifiziert. Steht § 216 damit aber im Widerspruch zum Prinzip der Selbstverantwortung? Die Beantwortung dieser Frage kann wiederum nur unter Einbeziehung der sich aus dem Verantwortungsprinzip selbst ergebenden Schranken erfolgen. Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß aus dem Prinzip der Selbstverantwortung lediglich ein „weicher“ Vertrauensgrundsatz folgen kann, daß das normativ postulierte Vertrauen also der Rechtswirklichkeit nicht als monolithischer Block gegenübertritt, von dem konkrete, eine gegenläufige Indikation begründende Umstände abprallen, ohne Spuren zu hinterlassen. In dieser Hinsicht sind nun aber gerade die im Zusammenhang mit suizidalem Verhalten auftretenden Situationen von singulärer Spezifik. Obzwar, wie oben bereits ausführlich dargelegt wurde,455 die empirische Wahrscheinlichkeit, daß der Suizidwille defektbehaftet ist, als sehr hoch zu veranschlagen ist, werden sich – über diesen Umstand hinaus – konkrete Anzeichen für eine Unwirksamkeit der Disposition nur unverhältnismäßig selten finden lassen. Mit anderen Worten: Der Indikator für die fehlende Verantwortlichkeit des die Herbeiführung seines eigenen Todes Betreibenden ist in solchen Fällen regelmäßig der Sterbewunsch

454 Den Zusammenhang solcher Fallkonstellationen zum Selbstverantwortungsprinzip und einem daraus abgeleiteten prinzipiellen Vertrauen-Dürfen in die Wirksamkeit der Einwilligung stellt bereits Bichlmeier, JZ 1980, 53, 54 f., heraus. 455 Vgl. B. IV. 2.

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selbst.456 Es spricht also viel dafür, bereits die Äußerung des ernsthaften Verlangens, von einem anderen getötet zu werden, als einen Tatbestand anzusehen, der generell geeignet ist, das Vertrauen des Adressaten dieses Verlangens in den rechtlichen Bestand der darin liegenden Rechtgüterdisposition zu erschüttern.457 Im Unterschied zu den bislang vorgestellten Konstellationen, in denen die Zerstörung des Vertrauens in die Verantwortlichkeit des Verhaltens anderer immer in der jeweils konkreten Handlungssituation begründet lag, würde eine solche Generalisierung indes auch Situationen erfassen, in denen aufgrund konkreter Umstände die Freiverantwortlichkeit des Sterbewillens nicht ernsthaft in Frage steht.458 Insofern handelt es sich beim Mißtrauensgebot des § 216 um mehr als die lediglich klarstellende Fixierung einer immanenten Beschränkung des Vertrauensgrundsatzes. Dieses partielle Auseinanderfallen von ungeschriebener, den Vertrauensgrundsatz konkretisierender Verhaltensregel und positiver Norm ist aber gerade nicht als Modifikation der oben entfalteten Strukturen des Vertrauensprinzips aufzufassen, sondern ist der Eigenart des Ordnungsinstruments einer abstrakt-generellen Regelung geschuldet. Unschärfen im Randbereich des Normgegenstandes – um nicht mehr und nicht weniger als das handelt es sich hier – sind der Preis, der für die abstrahierende Typisierung bei der generalisierenden Normierung konkreter Lebenssachverhalte zu zahlen ist; insbesondere für die strafrechtliche Deliktskategorie abstrakter Gefährdungsdelikte sind derartige Vergröberungen bekanntermaßen geradezu unvermeidlich.459 Die angesprochenen Abweichungen stellen mithin keine echten Ausnahmen vom Vertrauensprinzip dar, sondern sind notwendige Folge der gesetzgeberischen Entscheidung, die Materie überhaupt einer gesetzlichen Regelung zuzuführen. 456 Ebenso – allerdings begrenzt auf das Tötungsverlangen – Murmann, Selbstverantwortung, S. 496; zustimmend Schroth, GA 2006, 549, 563. 457 Daß bereits das Äußern eines Willens, der auf die Realisierung eines an und für sich rechtlich nicht zu beanstandenden Vorhabens gerichtet ist, das Vertrauen in die Verantwortlichkeit der Person für dieses Vorhaben zu erschüttern vermag, hat der BGH bereits in der berühmt gewordenen Entscheidung aus NJW 1978, 1206 deutlich gemacht, in der er (viel zu weitgehend) allein aus der Einwilligung in einen medizinisch nicht indizierten Eingriff das objektive Fehlen der Einsichtsfähigkeit des Patienten folgert und dann (konsequent) dem Vertrauen des Arztes in die Wirksamkeit der Einwilligung die Anerkennung verweigert. 458 Dies wird häufig in Fällen von Sterbehilfe im engeren Sinne vorkommen, in denen der Wille, aus dem Leben zu scheiden, zwar nicht als objektiv vernünftig, jedoch immerhin als nach allgemeinen sozialen Vorstellungen plausibel zu gelten haben wird; auf die damit zusammenhängenden Probleme wird sogleich unten ausführlicher zurückzukommen sein. 459 So auch Lagodny, Grundrechte, S. 442: „Es liegt (. . .) in der Struktur abstrakter Gefährdungsdelikte, daß sie notwendigerweise auch konkret ungefährliche Verhaltensweisen erfassen.“ (Hervorhebung im Original). Die in Schrifttum und Praxis am häufigsten diskutierten, aber bei weitem nicht einzigen in dieser Hinsicht problematischen Fälle finden sich im Bereich der Brandstiftungsdelikte, vgl. BGHSt 26, 121 ff. und BGH in NJW 1982, 2329 m.w. N. zum Schrifttum.

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Wie in ähnlich gelagerten Fällen gesetzgeberischer Prävention durch Schaffung abstrakter Gefährdungsverbote unter Inkaufnahme der Pönalisierung vereinzelter objektiv ungefährlicher Verhaltensweisen läßt sich auch hier die Frage nach der Legitimität einer solchen Vorgehensweise stellen.460 Wäre es nicht im Sinne einer Optimierung von Freiheitsspielräumen sachgerechter, den Adressaten der Tötungsverbote die Konkretisierung der an sie gerichteten Verhaltensnormen in der jeweils konkreten Handlungssituation zu überlassen – immerhin tragen sie ja im Falle einer Fehlleistung das Irrtumsrisiko461? Für die Entscheidung, die von Rechtssubjekten bei der Interpretation von Willensäußerungen anderer Rechtssubjekte zugrundezulegenden sozial-normativen Deutungsmuster gerade im Umgang mit dem Rechtsgut Leben gesetzlich zu reglementieren, sprechen indes eine Reihe guter Gründe.462 Da ist zunächst der einigermaßen offenkundige Umstand, daß aus dem absoluten Rang des Rechtsgutes und der Irreversibilität der Folgen seiner Aufgabe463 eine verschärfte Schutzpflicht des Staates folgen muß.464 Wie auch in anderen Lebenszusammenhängen erscheint es opportun, bestimmte Verhaltensweisen, denen eine spezifische Gefährdung der Vernichtung geschützten Lebens anhaftet, bereits im Vorfeld der Erfolgsherbeiführung präventiv zu verhindern, soweit dadurch die Handlungsfreiheit des Normadressaten nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird.465 Die durch das Verbot des § 216 bewirkte Beeinträch460 Vgl. umfassend zu den Grenzen der Legitimierbarkeit von „Abstraktionsüberschüssen“ bei abstrakten Gefährdungsdelikten Lagodny, S. 480 ff. 461 Das heißt, geht der Adressat eines Tötungsverlangens entgegen einer nach dem Vertrauensgrundsatz zu beachtenden Gegenindizierung von der Freiverantwortlichkeit des diesem Verlangen zugrundeliegenden Selbsttötungswillens aus, so haftet er für diesen vermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum (also den Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen einer – jedenfalls bei Hinwegdenken der Regelung des § 216 – rechtfertigend wirkenden Einwilligung in die tatbestandsmäßige vorsätzliche Tötung) nach § 222; vgl. dazu unten D. III., insbesondere Fn. 621. 462 Vgl. auch schon B. IV. 2. 463 Vgl. Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 33 ff., der – allerdings gänzlich unvermittelt – in der Irreversibilität der Verletzung des Rechtsguts Leben gar den alleinigen Strafgrund des § 216 erblicken will; berechtigt deshalb die Kritik Schroeders in ZStW 106, 565, 568 f. 464 In dieselbe Richtung gehen die sachlich weitergehenden (insbesondere auch für § 228 Geltung beanspruchenden) Überlegungen Murmanns, Selbstverantwortung, S. 490, der „bei der Verfügung über hochwertige Rechtsgüter bereits geringere Zweifel am Vorliegen einer selbstbestimmten Entscheidung zum Anlaß für ein Verhaltensverbot ausreichen (. . .) lassen“ will „als bei Rechtsgütern, die für die personale Entfaltung weniger zentral sind“. 465 Dabei kann für die vorliegende Untersuchung dahingestellt bleiben, inwiefern hier gar eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zur Vorfeldkriminalisierung besteht; vgl. allgemein zu dieser schwierigen Frage im Spannungsfeld von Untermaßverbot und Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Lagodny, Grundrechte, S. 445 ff.; für den vorliegenden Zusammenhang bejaht dies Lindner, JZ 2006, 373, 380 f., freilich unter Zugrundelegung eines deutlich weiter gefaßten teleologischen Normverständnisses.

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tigung der Freiheit desjenigen, an den das Verlangen der Tötung herangetragen wird, ist dabei denkbar gering, schließlich dürfte ein aus eigenen Rechten folgendes Interesse an der Vornahme einer solchen Handlung schwerlich begründbar sein. Echte Eingriffe in rechtlich anzuerkennende Freiheit kann es demzufolge nur auf Seiten des Lebensmüden selbst geben, den das gesetzliche Mißtrauen in die Freiverantwortlichkeit seines Sterbewillens als Reflex trifft.466 Damit sind wiederum in erster Linie Fälle der Sterbehilfe im engeren Sinne angesprochen. Die – durchaus nicht praxisferne – kritische Konstellation dürfte ungefähr folgendermaßen aussehen: Ein sterbenskranker und vollkommen bewegungsunfähiger Patient bittet den Arzt oder einen Angehörigen um Verkürzung seiner Qualen durch Injizierung eines schmerzfrei zum Tode führenden Gifts.467 In derart gelagerten Fällen ist der Sterbewillige zur Umsetzung seines Selbsttötungsentschlusses auf eine den Tatbestand des § 216 erfüllende Mitwirkung Außenstehender angewiesen. Müßten jene, um sich rechtstreu zu verhalten, das Ansinnen des Moribunden in jedem Falle zurückweisen, so wäre diesem die Möglichkeit, von seiner „letzten Freiheit“ Gebrauch zu machen, vollständig verbaut.468 Das Interesse des Kranken daran, daß ihm die Realisierung eines solchen Selbsttötungsprojekts durch das Recht nicht vollständig verwehrt wird, ist jedoch schon deshalb von Relevanz, weil hier nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG auf dem Spiel steht – das (faktische) Aufzwingen eines Weiterlebens unter physischen (oder evtl. auch psychischen) Qualen stellt darüber hinaus einen Eingriff in den Schutzbereich des durch Art. 2 II 1 GG geschützten Bestimmungsrechts über den eigenen Körper dar,469 der sich jedenfalls im Falle starker, einen Verfall der Persönlichkeit bewirkender Schmer-

466 Ein Legitimationsbedarf wird in der Strafrechtslehre denn auch nur in diese Richtung gesehen, vgl. die breite Darstellung bei Merkel, Früheuthanasie, S. 395 ff.; anders aus (betont formaler) verfassungsrechtlicher Sicht Lindner, S. 377. 467 Ebenso treffend wäre hier das bereits oben wiedergegebene Beispiel Merkels von dem in einem brennenden Lkw ausweglos eingeklemmten Fahrer, der um den Gnadenschuß fleht. 468 Vgl. auch Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, S. 165, der hierin ein zentrales Problem der Legitimation der Regelung des § 216 sieht; hingegen hält BGH NJW 2003, 2326, 2327 eine solche Folge – auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – dezidiert für hinnehmbar. 469 Vgl. aus dem neueren verfassungsrechtlichen Schrifttum Hufen, NJW 2001, 849, 851; Lindner, S. 380 (der allerdings die spezifische grundrechtliche Verankerung des Eingriffes nicht benennt); gegen diese Position wendet sich aus der strafrechtlichen Literatur namentlich Eser (in: Eid, Euthanasie oder Soll man auf Verlangen töten?, S. 45, 63), der geltend macht, daß die Zubilligung eines solchen Rechts zu einem normlogischen Widerspruch führe, da die betreffende Person den erstrebten schmerzfreien Zustand nicht mehr erleben könne. Dagegen ist völlig zu Recht geltendgemacht worden, daß das Erreichen eines status negativus (Abwesenheit von Schmerzen) nicht notwendig an das Bewirken eines an dessen Stelle tretenden positiven Zustands (Weiterleben ohne Schmerzen) gekoppelt ist, vgl. Hoerster, NJW 1986, 1786, 1791; Merkel, Früheuthanasie, S. 197 ff.

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zen470 gar als eine Mißachtung der Menschenwürde des auf diese Weise zur Fortführung einer weitgehend auf bloße biologische Funktionen reduzierten Existenz Verdammten darstellen kann.471 Hinzu kommt, daß gerade in Konstellationen, wie der oben dargestellten, in denen sich das Bestehen eines rechtlich objektivierbaren Interesses des Sterbewilligen an der Durchführung seines Selbsttötungsvorhabens für den Außenstehenden geradezu aufdrängt, aus dem Verlangen nach einer Lebensverkürzung sicher nicht ohne weiteres darauf zu schließen ist, daß der einer solchen Äußerung zugrundeliegende Wille im rechtlichen Sinne defizitär ist.472 Ohne die Regelung des § 216 dürfte also der Adressat des Verlangens nach dem Vertrauensprinzip wohl grundsätzlich von der Wirksamkeit der Verfügung des Sterbewilligen ausgehen. Die so charakterisierten Fälle zeichnen sich somit durch das Kumulieren zweier Faktoren aus, die ein Aufrechterhalten des Verbots des Vollzuges verlangter Tötungen unter dem Gesichtspunkt der abstrakten Gefahr fehlender Freiverantwortlichkeit des Verlangens nicht legitim erscheinen lassen: einen Eingriff in grundgesetzlich garantierte Freiheiten des Sterbewilligen auf der einen und ein weitgehendes Leerlaufen des Schutzzwecks (soweit dieser noch mit dem Verantwortungsprinzip korrespondiert) auf der anderen Seite. Mit anderen Worten: Ließe sich eine Bestrafung des die Tötungshandlung Ausführenden in diesen Fällen nicht vermeiden und würde mithin der Sterbewillige zum Ausharren in seiner qualvollen Existenz genötigt, müßte die hier vertretene Interpretation des § 216 – und damit die Norm selbst – verworfen werden. Eine sachgerechte Behandlung dieser kritischen Konstellation erscheint jedoch auch unter dem Regiment des § 216 möglich, ohne dabei das dogmatische Instrumentarium überstrapazieren zu müssen. Naheliegend ist in diesem Zusammenhang zunächst, die in ähnlichen Problemlagen häufiger aufgeworfene, allgemeine Frage nach der Möglichkeit einer teleologischen Reduktion des Anwendungsbereichs eines abstrakten Gefährdungsdelikt für den Fall des Ausschlusses 470 Weniger strenge Anforderungen stellt u. a. Hufen; sehr pauschal und daher deutlich zu weit gehend Birkner, ZRP 2006, 52, 53, der meint, der freiverantwortliche Wille, aus dem Leben zu scheiden, müsse respektiert werden, solle der Betroffene nicht zum reinen Objekt staatlichen Handeln werden. 471 Natürlich sind auch weniger spektakuläre Fälle denkbar, in denen das aufgezeigte Interesse in abgestufter Form existiert, so z. B. wenn der Lebensmüde zwar grundsätzlich in der Lage ist, sich selbst den Tod zu geben, die ihm dabei zu Gebote stehenden Mittel aber einen Sterbevorgang herbeiführen würden, der entweder nicht der Vorstellung des Sterbewilligen von einem würdigen Tod entspricht oder aber mit weiteren, vermeidbaren Leiden verbunden ist. Selbst wenn ein solcher Fall nicht vorliegt, unterfällt die Wahl des Sterbewilligen immer noch dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit (bzw. des allgemeinen Persönlichkeitsrechts) des Art. 2 I GG (vgl. dazu die umfassenden Nachweise – auch zur Gegenansicht – bei Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 162 ff.). 472 Es handelt sich also um einen jener oben erwähnten Fälle, in denen der abstrakte Gefährdungstypus über den Bereich der denkbaren (bzw. nach dem Verantwortungsprinzip legitimerweise zu unterbindenden) konkreten Gefährdung hinausreicht.

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einer tatsächlichen Gefährdung zu stellen.473 Obwohl hier nicht der Ort ist, einen solchen Ansatz grundsätzlich zu verwerfen, gilt es doch zu bedenken, daß eine Öffnung des abstrakten Gefährdungstypus für konkrete Gefährdungsaspekte gerade den strukturellen Vorzug dieser Form deliktischer Typisierung, der in der Klarheit und Anwendungssicherheit der zugrundeliegenden Verhaltensnormen liegt, in den kritischen Fällen, in denen der Anwender ihrer besonders bedarf, wieder negiert.474 Nicht zuletzt würde eine solche einschränkende Interpretation dem klaren Wortlaut des § 216 zuwiderlaufen und sollte schon aus diesem Grunde eine Ultima ratio bilden. Genau das ist sie aber nicht. Der Umstand, daß ein ausnahmsloses Verbot der Tötung auf Verlangen eine Interessenverletzung des Sterbewilligen bewirken kann, soweit dieser ein positives Interesse gerade an der Beendigung seines Lebens hat, führt darauf hin, daß der Kern der Problematik in der Kollision verschiedener rechtlich geschützter Interessen besteht – und demzufolge systematisch der Rechtfertigungsebene, konkret: der Norm des § 34 zuzuordnen ist. Wie noch an anderer Stelle detailliert zu zeigen sein wird, bietet gerade das hier vorgestellte Schutzzweckkonzept die Möglichkeit, die dargestellten Problemfälle im Rahmen der Rechtfertigung einer sachgerechten, im Einklang mit allgemeinen strafrechtsdogmatischen Lehren stehenden Lösung zuzuführen.475 Wenn aber auf diese Weise sichergestellt werden kann, daß die Regelung des § 216 nicht über das Ziel hinausschießt und die Freiheit des Sterbewilligen über ein legitimes Maß hinaus beeinträchtigt, dürfte gegen das Vorgehen des Gesetzgebers grundsätzlich nichts einzuwenden sein. Der zweite wichtige Gesichtspunkt, der für die Berechtigung einer Regelung, wie sie § 216 trifft, spricht, ist folgender. Wie eben bereits angedeutet wurde, hat der statische Charakter einer auf der tatbestandlichen Ebene unwiderleglichen Mißtrauensregel, der für die dargestellten Inkohärenzen zum Vertrauensgrundsatz verantwortlich ist, eine nicht zu unterschätzende positive Kehrseite. Gerade im Umgang mit einem Rechtsgut, dessen objektiv unerlaubte Beeinträchtigung, nicht nur strafrechtlich, gravierende Folgen für die Beteiligten zeitigt, wird man ein gesteigertes Interesse der Normadressaten an Rechtsklarheit und -sicherheit konstatieren müssen. Dieses Bedürfnis nach einer klaren Grenzziehung wird noch zusätzlich untermauert durch den Umstand, daß von einer für die Praxis gesicherten Antwort auf die Unwägbarkeiten der Feststellung in der Person anderer wurzelnder Verhaltensvoraussetzungen nicht die Rede sein kann – wie die obige Darstellung offengelegt hat, ist die einschlägige Materie des Vertrauensgrundsatzes, insbesondere in ihren für den vorliegenden Kontext 473 Auf dieser Ebene sucht Murmann, Selbstverantwortung, S. 499 f., die Lösung in den im Text umrissenen Fallkonstellationen. 474 Vgl. auch Lagodny, Grundrechte, S. 480 ff., der darin eine Mißachtung der Intention des Gesetzgebers und letztlich einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip erblickt. 475 Vgl. unten D. II.

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relevanten Implikationen, von Rechtsprechung und Lehre bislang nur sehr unvollkommen durchdrungen. Diesem Bedürfnis nach gesetzgeberischer Klarstellung einer für den Anwender anderenfalls schwer durchschaubaren, von einer Vielzahl ungeschriebener Regeln geprägten Rechtslage wird das an klare, äußerlich ohne weiteres wahrnehmbare Voraussetzungen gekoppelte Verbot des § 216 grundsätzlich gerecht.476, 477 Daß im Gefolge dieser Normierung wiederum andere schwer zu handhabende Rechtsprobleme auftauchen,478 spricht nicht gegen die Norm, sondern eher für die Berechtigung des, insbesondere für den Bereich der Sterbehilfe,479 immer häufiger laut werdenden Rufs nach weiterer gesetzlicher Regulierung.480 476 Das durch § 216 statuierte strikte Handlungsverbot läßt es auf den ersten Blick nicht abwegig erscheinen, die Norm als Konkretisierung eines (ungeschriebenen) Grundsatzes „in dubio pro vita“ aufzufassen, wie dies im juristischen Schrifttum vereinzelt getan wird (vgl. insbesondere die ausführliche Darstellung bei Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 175 m.w. N.). Worauf ein solches allgemeines Rechtsprinzip zu stützen sein soll, bleibt dabei jedoch ebenso unklar, wie dessen Konturen und Reichweite. Immerhin besteht unter den Befürwortern einer solchen Rechtsfigur insoweit inhaltlicher Konsens, als sie sich auf die Kernaussage stützen, daß der Gesetzgeber durch die Regelung des § 216 zum Ausdruck gebracht habe, daß im Kollisionsfalle dem Lebensschutz der Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht des Sterbewilligen gebührt (vgl. wiederum Chatzikostas, S. 177, aber auch Laufs, NJW 1986, 1571, 1573). Wie die Ausführungen im obigen Text bereits deutlich gemacht haben sollten, handelt es sich dabei jedoch um eine Fehlinterpretation des Regelungsgehalts der Norm, die eine Kollision von Selbstbestimmungsrecht und Lebensschutz gar nicht im Auge hat, sondern ausschließlich dazu dienen soll, den seine Tötung Verlangenden vor der Verwirklichung eines nicht in seiner Autonomie wurzelnden Selbsttötungsvorhabens zu bewahren (vgl. ganz allgemein dazu, daß das „Recht auf Selbstbestimmung über ein Gut keinen Wert darstellt, der dem Wert eines vom Rechtsgutinhaber abstrahierten Rechtsguts gegenüberzustellen und hiermit abzuwägen wäre“, Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 58). Es geht in § 216 also gerade im selben Maße um den Schutz der Selbstbestimmung des Sterbewilligen, wie es um die Bewahrung seines Lebens geht (mit Recht kritisch zur Tauglichkeit des Grundsatzes „in dubio pro vita“ als Argumentationsinstrument auch Merkel, Früheuthanasie, S. 539 f.). 477 Zugegeben sei, daß die Schaffung wirklicher Rechtssicherheit de lege lata nicht vollständig gelingen kann – gerade in den geschilderten Fällen der auf Leidensverkürzung gerichteten Sterbehilfe wird man spätestens auf Rechtfertigungsebene nicht ohne den subjektiven Nachvollzug (in den Grenzbereichen schwer zu fassender und im Hinblick auf ihre forensische Interpretation schwer vorausberechenbarer) komplexer rechtlicher Wertungen auskommen. 478 Es sei nur an die unter A. II. – keineswegs abschließend – dargestellten Anwendungsprobleme erinnert. 479 Gerade für diesen Bereich dürfte das Bedürfnis nach einer die grundlegenden Wertungen bei der Abwägung der unvermeidlich konfligierenden Interessen vorzeichnenden bzw. klarstellenden und die Rechtsanwendung vereinfachenden gesetzgeberischen Stellungnahme auf der Hand liegen, sollen die durch die Typisierung eines abstrakten Gefährdungstatbestandes beseitigten Anwendungsschwierigkeiten nicht lediglich auf die nächste Ebene des Straftatbegriffes verschoben werden. 480 Vgl. stellvertretend die – von einer partiell abweichenden Interpretation des geltenden Rechts ausgehenden – Ausführungen Sternberg-Liebens, Einwilligung, S. 113: „Angesichts der kontroversen Beurteilung, die das Thema ,Sterbehilfe‘ bei seiner zu-

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Zusammenfassend läßt sich also konstatieren, daß die Norm des § 216 in der hier vorgestellten Interpretation auf einer unter den Gesichtspunkten des Rechtsgüterschutzes und der Rechtsanwendungssicherheit legitimen und hinreichend an den Vorgaben eines aus dem Selbstverantwortungsprinzip abgeleiteten Vertrauensgrundsatzes orientierten Konkretisierung ungeschriebener sozial-normativer Verhaltensdeutungsmuster basiert. 2. Das Spannungsverhältnis der Norm des § 216 zur Straflosigkeit der Suizidteilnahme Bei der Analyse der dogmatischen Validität der bislang im Schrifttum vertretenen Schutzzweckmodelle des § 216 hat sich erwiesen, daß eine der hauptsächlichen Schwierigkeiten – auch und gerade für eine dem Grunde nach legitime teleologische Konzeption – darin besteht, die gesetzliche Differenzierung zwischen dem durch die Norm verpönten Verhalten und der straflosen (Quasi-) Teilnahme an einer Selbsttötung in sachlicher Hinsicht plausibel zu machen.481 Die Frage, ob und inwieweit die Tötung auf Verlangen einen Unwert verwirklicht, der anderen Formen aktiver Beteiligung an der Herbeiführung eines vom Rechtsgutsinhaber gewollten Todes fehlt, bildet nicht nur wegen ihrer grundlegenden theoretischen Relevanz einen der traditionellen Hauptkampfschauplätze im Ringen um eine systematisch schlüssige Interpretation des geltenden Rechts,482 sie ist ebenso von zentraler Bedeutung für den Wert des im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um die Strafbarkeit der Nichtabwendung vom Sterbewilligen selbst herbeigeführter Lebensverkürzungen stehenden sog. „Teilnahmearguments“.483 Auch für das hier vorgestellte Konzept erklärt sich das gesetzliche Bewertungsgefälle zwischen Tötung auf Verlangen und Teilnahme am Suizid keineswegs von selbst. Schließlich besteht die abstrakte Gefahr, daß die Verfügung des Sterbewilligen über sein Leben nicht auf einem freiverantwortlich gefaßten Entschluß beruht, in nahezu gleicher Weise bei einem – mit Unterstützung eines weilen undifferenzierten Behandlung in der Öffentlichkeit findet, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, im Bereich dieser Grenzfragen von Lebensschutz und Individualfreiheit klärend tätig zu werden.“ Deutlich darüber hinaus geht die Kritik Czerners, Das Euthanasie-Tabu, S. 31, der die Regelung des § 216 für „generalklauselartig“ und demzufolge „defizitär“ hält, sich dabei allerdings mit der Möglichkeit einer differenzierenden Lösung auf Rechtfertigungsebene nicht auseinandersetzt. 481 Vgl. dazu schon die einführenden Bemerkungen unter A. I. 2. 482 Es ist zu mutmaßen, daß der Versuch einer Lösung speziell dieser Problematik in einigen Fällen gar den Ausgangspunkt der Entwicklung neuer telelogischer Konzepte bildete; sehr wahrscheinlich verdankt beispielsweise die oben (unter B. II. 2.) kritisierte Tabuthese ihre Entstehung hauptsächlich dem Streben, ein Element in der Unrechtsstruktur des § 216 nachzuweisen, das der Beteiligung am Suizid fehlt. 483 Vgl. dazu bereits ausführlich unter A. II. 1.

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Dritten – von diesem selbst ausgeführten Suizid. Der Erfolgsunwert, auf den sich beide Verhaltensformen beziehen, ist demnach grundsätzlich identisch.484 Dies ist insofern bemerkenswert, als sich die Bemühungen des juristischen Schrifttums, eine materielle Differenz zwischen strafbaren und nicht strafbaren Beteiligungsformen an suizidalen Projekten aufzuzeigen, fast ausschließlich auf jenen Teilaspekt des Unrechts konzentrieren. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist die Vorgehensweise Jakobs’, der davon absieht, sein dem hier entwickelten Konzept strukturell eng verwandtes Modell des § 216 als eines abstrakten Gefährdungsverbotes allgemein auf Autonomiedefizite des Sterbewunsches zu beziehen. Statt dessen führt er als mittelbar durch den Tatbestand geschütztes Gut die „subjektive Vollzugsreife“ des Selbsttötungsvorhabens, i. e. die „Verfolgung eigener Zwecke“ durch den Sterbewilligen, ein.485 Eine positive Begründung für dieses ein wenig willkürlich anmutende Herausgreifen eines Gesichtspunktes, dessen Bezug zur Selbstbestimmung des Sterbewilligen noch nicht einmal geklärt wird, gibt Jakobs nicht – der Grund wird jedoch augenfällig, wenn er dazu ansetzt, die normative Kluft zwischen Tötung auf Verlangen und Teilnahme am Suizid zu erklären. Hier hebt Jakobs im Besonderen den Umstand heraus, daß eine Gefährdung der von ihm zum Schutzgegenstand des § 216 erhobenen „subjektiven Vollzugsreife“ bei eigenhändiger Umsetzung des Selbsttötungsentschlusses schlechterdings ausgeschlossen sei, m. a. W. daß der Täter einer Tötung auf Verlangen einen Erfolgsunwert verwirkliche, auf den sich das Verhalten des lediglich an einem Suizid Beteiligten nicht beziehe.486 Auf der anderen Seite erkennt Jakobs, daß sich die Gefahr des Vollzugs nicht autonom gefaßter Selbsttötungsentschlüsse durch Verbote nicht generell unterbinden läßt, denn jedenfalls der eigenhändigen Umsetzung eines solchen Entschlusses kann das Recht nichts entgegensetzen. Es scheint, daß er deshalb davon ausgeht, daß es nicht sinnvoll sein kann, ein Verhalten überhaupt unter dem Gesichtspunkt der Herbeiführung jenes (letzteren) Gefährdungserfolges zu verbieten, zumindest aber scheint ihm offenbar die gesetzliche Ungleichbehandlung von Tötung auf Verlangen und Suizidteilnahme unter diesem Aspekt nicht begründbar zu sein. Wenn das richtig ist, verdankt die Schutzzweckkonzeption Jakobs’ in ihrer konkreten Ausprägung wohl primär dem Umstand das Leben, daß ihr Autor der Auffassung ist, ein in systematischer Hinsicht legitimer Normzweck müsse eine Differenz zwischen täterschaftlicher und nicht-täterschaftlicher Beteiligung an fremdem suizidalen Verhalten bereits auf Erfolgsebene ausweisen können.

484 Der Erfolg, auf den sich der tatbestandliche Unwert bezieht, ist selbstredend nicht der Erfolg des Todes des Sterbewilligen, sondern der Erfolg des Eintritts der durch die Norm typisierten abstrakten Gefährdungssituation. 485 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 21 ff.; vgl. zum folgenden auch schon B. IV. 1. 486 Zur Kritik dieser These siehe oben B. IV. 1.

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Ein in frappierender Weise ähnliches Bild ergibt sich, wirft man einen Blick auf Roxins Umgang mit dem Thema. Auch die von ihm gegebene Begründung der Strafbedürftigkeit bzw. -würdigkeit der Tötung auf Verlangen scheint ihre Prägung maßgeblich durch den Versuch zu erfahren, den Grund der Straflosigkeit der Suizidteilnahme schon in der teleologischen Struktur des § 216 festzumachen. Bereits an früherer Stelle ist gezeigt (und kritisiert) worden, daß Roxin die komplexe Frage nach der Selbstbestimmtheit einer Verfügung über das eigene Leben weitgehend auf den Aspekt der Festigkeit des Sterbewillens reduziert.487 Es sei der „Grundgedanke des § 216“, daß an der Ernsthaftigkeit des Sterbewunsches desjenigen zu zweifeln sei, der durch die Delegation der Ausführung einer Selbsttötung demonstriere, daß er nicht imstande sei, seine natürliche Hemmung, Hand an sich zu legen, zu überwinden.488 Akzeptiert man nun noch Roxins Ansicht, daß diese Ernsthaftigkeit umgekehrt „mit zweifelausschließender Gewißheit“ erwiesen sein soll, wenn der Sterbewillige die Tötungshandlung eigenhändig ausführt,489 so ist in der Tat eine Verletzung des Rechtsgutes des § 216 durch die bloße Teilnahme an einer solchen Handlung schon begrifflich ausgeschlossen. Jenseits der bereits dargelegten sachlichen Einwände kann man sich allerdings des Eindrucks nicht recht erwehren, daß jener teleologische Rahmen von vornherein mit einem kaum verhohlenen Seitenblick auf die zum Zwecke der Erklärung der Normsystematik gewünschte Folge gesteckt worden ist. Wie steht es aber um die Richtigkeit der den konstruktiven Bemühungen Jakobs’ und Roxins augenscheinlich zugrundeliegenden und auch im übrigen die Richtung der strafrechtsdogmatischen Diskussion unterschwellig mitbestimmenden Prämisse, daß die Legitimation der gesetzgeberischen Differenzierung zwischen Tötung auf Verlangen und Suizidteilnahme gerade im Bezug der jeweiligen Vollzugsform des gemeinschaftlich betriebenen Projekts der Tötung des Sterbewilligen zur Verletzung des durch § 216 geschützten Rechtsguts zu suchen ist? Taugt das hier entwickelte Normkonzept schon deshalb nicht zur Interpretation der lex lata, weil unter seinem Regiment nicht zu leugnen ist, daß die bloße untergeordnete Beteiligung an einem Suizid grundsätzlich das gleiche rechtsgutsbezogene Gefährdungspotential (also den gleichen Erfolgsunwert) aufweist, wie auch die Tötung auf Verlangen? Die Antwort hierauf scheint auf den ersten Blick einigermaßen trivial. Daß das deutsche Strafrecht nicht jede (im weitesten denkbaren Sinne) zurechenbare Erfolgsverursachung gleich gewichtet, zeigt schon die Regelungssystematik der §§ 25–27 mit ihrer nach typisierten Interaktionsstrukturen abgestuften Verantwortungszuschreibung. Genau die in diesen Normen verankerte allgemeine 487 488 489

Siehe oben C. I. Vgl. Roxin, NStZ 1987, 345, 347; ebenso TuT [8. Aufl.], S. 569. Roxin, FS Dreher, S. 331, 345.

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Lehre von Täterschaft und Teilnahme liefert zunächst auch auf formal-begrifflicher Ebene eine eindeutige Lösung für die hier aufgeworfene Frage. Ausgangspunkt ist dabei die Selbstverständlichkeit, daß das Gesetz dem Handelnden die ungeschmälerte Verantwortung für das Bewirken eines straftatbestandlichen Erfolges – schon dem Grunde nach – nur dann zuschreibt, wenn dieser jenen Erfolg täterschaftlich im Sinne des § 25 herbeiführt. Darüber hinaus wird eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des aktiv an der Herbeiführung des Erfolges Partizipierenden lediglich unter den Voraussetzungen der §§ 26, 27 begründet, also dann, wenn sein Tatbeitrag unter Vermittlung fremden, vorsätzlich verwirklichten Unrechts in eine Rechtsgutsverletzung mündet. Da von letzterem nach der hier vertretenen Auffassung (wie auch nach der Mehrzahl der überkommenen Interpretationen des § 216)490 bei der Beteiligung an einem lediglich selbstverletzenden, also an und für sich rechtlich indifferenten Verhalten nicht die Rede sein kann, muß es folglich dabei bleiben, daß strafrechtlich verantwortlich für die Herbeiführung des Gefährdungserfolges des § 216 (der phänotypisch mit dem Erfolg der Tötungshandlung identisch ist) nur derjenige sein kann, der selbst 491 die Tötungshandlung vornimmt, i. e. nach allgemeinen Kriterien als Täter zu qualifizieren ist. Zusammengefaßt heißt das, der Grund für die Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid besteht schlicht darin, daß das so charakterisierte Verhalten492 – im Gegensatz zur Tötung auf Verlangen – im Hinblick auf die Verwirklichung des Erfolgsunwertes keinem der allgemeinen, im StGB abschließend katalogisierten Typen strafrechtlicher Verantwortlichkeit zuzuordnen ist.

490 Eine Ausnahme bilden nur die hier unter B. I. abgehandelten Theoreme, die von einer absoluten Indisponibilität des Rechtsgutes Leben ausgehen (uneinheitlich beantwortet wiederum von den unter B. I. 2. zusammengefaßten Lehrmeinungen, vgl. dazu insbesondere Fn. 154). 491 Bzw. – eine im Rahmen des § 216 wohl kaum je praktisch werdende Konstellation – durch einen anderen im Sinne des § 25 I 2. Alt. oder gemeinschaftlich handelnd im Sinne des § 25 II, wobei in letzterem Falle Mittäter nicht der Sterbewillige selbst sein kann. 492 Da der Suizid gerade keine „rechtswidrige Tat“ im Sinne der §§ 26, 27 ist, nimmt die Rede von der „Teilnahme am Suizid“ keinen Bezug auf einen von der Strafrechtsdogmatik begrifflich positiv zu konturierenden Topos; die einzige fixe Trennlinie besteht zur Tötung auf Verlangen hin, so daß man die „Teilnahme am Suizid“ im Grunde nur negativ definieren kann, als „ein Handeln, daß trotz seines Bezugs zu einem suizidalen Projekt keine täterschaftliche Verwirklichung des § 216 darstellt“. An dieser Stelle wird auch klar, daß Bestrebungen, den Bereich der Suizidteilnahme in der praktischen Anwendung zu verengen oder gar durch die partielle Installation eines extensiven Täterbegriffes weitgehend zu eliminieren (darauf läuft jedenfalls im Ergebnis die Auffassung Herzbergs, JuS 1988, 771, 775, hinaus, vgl. dazu die ausführliche Kritik unter A. II. 2.), nichts an der im Text beschriebenen formalen Unterscheidung und deren begrifflichen Konsequenzen zu ändern vermögen, sondern lediglich durch eine Grenzverschiebung den (hier bislang im Abstrakten gebliebenen) materiellen Gehalt beider Seiten des Begriffspaares verändern.

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Wo liegt also das Problem, möchte man fragen. Das Problem liegt jenseits dieser formal nicht angreifbaren Zuordnung und geht auf eine (mögliche) Verwerfung in der Systematik strafrechtlicher Verantwortungszuschreibung zurück. Jene ist bedingt durch die traditionelle verbrechenssystematische Einordnung der Einwilligung (und damit auch des „Verlangens“ im Sinne des § 216) auf Rechtfertigungsebene, also außerhalb des Bereiches, in dem die eben dargestellte primäre Typisierung der Strukturen strafrechtlicher Verantwortlichkeit durch die Täterlehre erfolgt. Diese Einordnung – und insbesondere die durch sie bewirkte Isolierung des disponierenden Willens des Rechtsgutsinhabers von der Bestimmung der Qualität täterschaftlichen Verhaltens – läßt sich jedoch mit einiger Berechtigung in Frage stellen, bedenkt man, daß das Erteilen einer Einwilligung, wie das Äußern eines Verlangens, nichts anderes ist, als die (verbale) Übernahme der Verantwortung für die Beeinträchtigung des straftatbestandlich geschützten Gutes und daß einer Verantwortungsübernahme durch das Opfer in anderen Fällen493 ohne weiteres unmittelbare Rückwirkungen auf die Qualifizierung eines an der Herbeiführung des Erfolges Beteiligten als Täter zugebilligt werden.494 Nun könnte man die Frage nach der Verortung des Konsens zwi493 Beispielhaft seien hier Fälle genannt, in denen das Opfer durch ein dem Ingangsetzen des zur Rechtsgutsschädigung führenden Kausalverlaufs zeitlich nachgelagertes Verhalten für den Eintritt des Erfolges (mit-)verantwortlich wird. Daß diese Konstellationen verbreitet bereits unter dem Aspekt fehlender objektiver Erfolgszurechnung aus dem objektiven Tatbestand ausgeschieden (und damit formal um ihre subjektive Seite verkürzt) werden (vgl. nur Roxin, AT I, § 11, Rn. 111 ff.), verschlägt nichts für den Befund, daß hier nach allgemeiner Ansicht die Verantwortungsübernahme durch das Opfer die täterschaftliche Verwirklichung eines Straftatbestandes hindern soll. 494 Es geht hier wohlgemerkt nicht darum, der seit einigen Jahrzehnten stark vertretenen Auffassung das Wort zu reden, nach der die Autonomie des Rechtsgutsinhabers als das eigentliche (jedenfalls aber als kumulatives) Schutzgut aller Individualrechtsgüter schützenden Tatbestände aufzufassen ist (grundlegend Kientzy, Einwilligung, insbesondere S. 65 ff.). Es geht lediglich darum klarzustellen, daß die dogmatischen Anforderungen an ein individualrechtsgutsverletzendes Verhalten ihr Gepräge von vornherein durch eine bestimmte Qualität der (unmittelbaren oder mittelbaren) Interaktion von Opfer und Täter erhalten, vgl. dazu bereits Fn. 57. In dieselbe Richtung gehen die Überlegungen Heinrichs, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, S. 72, der jedoch meint, die angestrebte Homogenisierung von Täterschafts- und Einwilligungslehre nicht mit dem klassischen dogmatischen Instrumentarium bewältigen zu können und deshalb beide in der neu kreierten Kategorie der „Entscheidungsträgerschaft“ aufhebt, die sachlich weitgehend einem in dem hier angedeuteten Sinne normativierten Tatherrschaftsbegriff entspricht. Obgleich er in mancherlei Hinsicht von dem oben dargelegten Verständnis abweicht (insbesondere das Problem nicht in der Täterlehre verortet), vertritt Jakobs, AT, 7/112, in der Sache wohl denselben Standpunkt, wenn er meint, daß es „nur bei einer naturalistischen Bestimmung der tatbestandlichen Erfolge (. . .) auf den Willen des Gutsinhabers für die Tatbestandsverwirklichung nicht an(käme) (. . .); denn wenn das Verhalten dem Willen des Gutsinhabers entspricht, so wird dadurch nicht ein an sich gegebener sozialer Konflikt (Tatbestand erfüllt!) als ausnahmsweise tolerierbar erklärt (also gerechtfertigt!), sondern allein wegen des Willens, ohne Blick auf seine Gründe, wird der Bereich des Konflikthaften nicht erreicht.“

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C. Dogmatische Analyse

schen Täter und Opfer innerhalb des Unrechtsbegriffs – bei einer sachgerechten, dem Umstand der relativen Willkürlichkeit dieser Einordnung Rechnung tragenden Lösung der dogmatischen Folgeprobleme (z. B. des Irrtums über das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen einer Einwilligung) – getrost als eine scholastische Haarspalterei ohne wirkliche praktische Relevanz ansehen.495 Indes gewinnt die sich im Gefolge der (noch) herrschenden Ansicht ergebende Dichotomie der dogmatischen Behandlung der Verantwortungsübernahme durch das Opfer dadurch eine (wenngleich sachlich begrenzte) handfeste Bedeutung, daß der Gesetzgeber sie im Rahmen der Regelung des § 216 ganz offenbar aufgegriffen und mit Rechtsfolgen versehen hat – und dies in einer grammatikalisch-systematisch eindeutigen, d. h. einer korrigierenden Auslegung nicht zugänglichen Weise. Denn während die Norm die Zurechnungsstrukturen der Täterlehre formal unmodifiziert übernimmt (der Wortlaut „Erfolgt die Tötung [. . .]“ nimmt klaren Bezug auf das allgemeine Verbot vorsätzlicher Tötung), also insoweit keine erweiterte Verantwortlichkeit begründet und demzufolge insbesondere die mechanisch (über eine Beherrschung der Erfolgsherbeiführung) vermittelte Übernahme der Verantwortung durch das Opfer grundsätzlich akzeptiert, verweigert sie der in (lediglich) kommunikativer Form erfolgenden Verantwortungsübernahme die Anerkennung – und macht damit im Umkehrschluß deutlich, daß der Gesetzgeber diese nicht zum Kanon der täterschafts-/tatbestandsrelevanten Faktoren rechnet. Hat somit die überkommene Dogmatik auf diese Weise ihren Niederschlag in der gesetzlichen Differenzierung gefunden, so könnte die systematische Rechtfertigung jener Differenzierung vor deren Hintergrund ungefähr wie folgt lauten: Da derjenige, der auf ein Verlangen hin tötet, immerhin eine vorsätzliche Tötungshandlung vollzieht und also tatbestandsmäßig handelt, erreicht ihn doch jedenfalls die (potentielle) Appellwirkung, die das Gesetz dem Wissen bzw. der Vorstellung, die Merkmale eines Straftatbestandes zu verwirklichen, zuschreibt. Daraus erwächst ihm ein rechtlicher Anlaß, sich mit der (ausnahmsweisen) Erlaubtheit der Verwirklichung dessen, was typischerweise Unrecht darstellt, auseinanderzusetzen. Mit der Kenntnis der Tatbestandsmäßigkeit seines Handelns fällt ihm also – wie jedem sich auf einen Rechtfertigungssatz Berufenden – eine (zunächst subjektive) Begründungslast für die Erlaubtheit seines Handelns zu. An diese, die Grenzlinie zwischen Tatbestand und Rechtfertigung kennzeichnende Unterscheidung scheint der Normappell des § 216 anknüpfen zu können, indem er auf der – durch die Verwirklichung des Tatbestandes begründeten – primären Verantwortlichkeit des Tötenden beharrt und die Willensäußerung des Sterbewilligen – wegen des norAuch Murmann, Selbstverantwortung, S. 369, nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Frage, „inwieweit bei der Konturierung des Tatbestandes zustimmendes Opferverhalten zu berücksichtigen ist“, reduziert diese dann allerdings auf die oben angesprochene Diskussion des Rechtsgutsbegriffs. 495 In diesem Sinne auch Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 59.

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mativen Mißtrauens in deren autonomen Ursprung – als Handlungsgrundlage verwirft.496 Auf der anderen Seite fehlt es dem lediglich am Suizid Beteiligten an einer solchen positiven Vorstellung von Umständen, die eine rechtlich typisierte Verantwortlichkeit begründen; verfehlt er eine ihm im Hinblick auf die (aktive) Herbeiführung des Todes des Sterbewilligen durch das Recht etwa aufgebürdete Reflexionsleistung (indem er entgegen der normativen Regelbewertung auf den rechtlichen Bestand des Sterbewillens vertraut), tut er dies immerhin nicht in dem Bewußtsein, die (strafrechtliche) Verantwortung für den Tod eines Menschen auf sich zu laden.497 Seine Bestrafung unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlichen Tat könnte dann nur im Wege einer umfassenden Vorfeldkriminalisierung durch Schaffung eines neuartigen Unrechtstypus geschehen; von dieser hat der Gesetzgeber aber bewußt Abstand gehalten.498 Es läßt sich mithin als Zwischenergebnis festhalten, daß nach jener „klassischen“ Interpretation die Legitimation für die Unterscheidung des Gesetzgebers zwanglos aus der dogmatischen Struktur der jeweiligen Beteiligungsform folgt. § 216 ist danach aufzufassen als das Verbot, die exklusive Verantwortung für den Tod eines anderen Menschen zu übernehmen; eine solche strafrechtliche Verantwortung übernimmt aber schon aus begrifflichen Gründen nur der, der bei der Herbeiführung des Todeserfolges täterschaftlich handelt. Wenn man nun aber – wofür einiges spricht – mit der oben referierten, im Vordringen befindlichen Minderauffassung jegliches vom Rechtsgutsinhaber konsentierte Verhalten bereits aus dem Tatbestand heraushalten will oder immerhin der im Schrifttum wohl überwiegend für richtig gehaltenen Ansicht folgt, daß allein aus dem Umstand, daß das Rechtsinstitut der Einwilligung keinen Fensterplatz im Unrechtsbegriff abbekommen hat, keine weiterreichenden materiellen Konsequenzen erwachsen dürfen,499 wird man sich die Frage, ob der Anknüpfungspunkt für die Differenzierung des Gesetzgebers richtig gewählt und seine Verhaltenstypisierung in materieller Hinsicht legitim ist, komplett neu vorlegen müssen. Jedenfalls die gerade nachvollzogene Argumentation geriete 496 Exemplarisch für eine solche Deutung ist die Denkweise Paehlers, MDR 1964, 647, 648, der den nach außen getretenen Willen des Suizidenten nicht – wie oben zugrundegelegt – im Wege einer normativen Bewertung disqualifiziert, sondern im Rahmen einer rein mechanistischen Betrachtung mehr oder weniger ignoriert, um dann (konsequent) weiter zu folgern, daß mit dem so begründeten „Verschieben der Tatherrschaft“ auf den Helfer die Alleinverantwortung auf diesen überspringe – und auf diese Weise zu der auch im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehenden Kernfrage vorzudringen: „Kann der Helfer diese Verantwortung tragen?“ 497 In diese Richtung argumentiert Murmann, Selbstverantwortung, S. 360, der (konsequent) die Fälle der Tötung auf Verlangen von denen der straflosen Beteiligung an suizidalem Verhalten abgrenzt, indem er danach fragt, ob das Verhalten ohne die konkrete Opferentscheidung (straf-)rechtlich verboten wäre. 498 Vgl. zuletzt die Beratungen der Großen Strafrechtskommission 1959 (Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 87 ff.). 499 Vgl. stellvertretend Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 59 m.w. N.

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C. Dogmatische Analyse

durch jene bescheidene Modifizierung der systematischen Prämissen in eine Schieflage. Denn wenn man in einer mit dem Willen seines Inhabers vorgenommenen Beeinträchtigung eines Rechtsgutsobjektes schon dem Grunde nach keinen Tatbestand sieht, der eine strafrechtliche Verantwortlichkeit zu begründen geeignet ist, dann ist die den Tatbestand des § 216 erfüllende Handlung normativ nicht das, was sie ihrem vom Gesetz beschriebenen äußeren Erscheinungsbild nach ist: eine Tötungshandlung.500 Damit entfällt natürlich auch der sich aus der Verwirklichung der Merkmale dieses Unrechtstypus speisende normative Appell. Betrachtet man die Dinge aus dieser Perspektive, so versagt die Begründung bzw. Konturierung des der Strafnorm der Tötung auf Verlangen (vorpositiv) zugrundeliegenden Unrechtstypus (d. h. in erster Linie seine Absetzung zur „Teilnahme am Suizid“ hin) unter grundlegendem Rekurs auf den Unwert der vorsätzlichen Tötung nach §§ 212, 211.501 Es bleibt demnach nichts anderes, als diesen Typus unmittelbar aus dem oben entwickelten Schutzgedanken des § 216 selbst zu generieren. Freilich ist dies ein eher unbequemer Weg, der zudem den Nachteil hat, daß er dem Verständnis des historischen Gesetzgebers zuwiderläuft, der mit § 216 keinen eigenständigen Unrechtstypus zu formulieren gedachte, sondern lediglich eine privilegierte Form eben jener vorsätzlichen Tötung im Sinne der §§ 212, 211.502 In einem zweiten Schritt wird der so gefundene materielle Unrechtstypus auf seine Kompatibilität mit der bestehenden Gesetzeslage zu untersuchen sein. Hier wird es, wie oben bereits klargestellt worden ist, von vornherein nicht um die Frage gehen können, ob der Gesetzgeber diese vorpositiv aus teleologischen und systematischen Gesichtspunkten formierte Struktur eines Verbots bestimmter aktiver Beteiligungsformen an fremder Selbsttötung optimal, gleichsam ohne 500 Vgl. auch die Ausführungen von Arzt in: JZ 2005, 100, 104 zur analogen Problematik bei § 228, die zu dem Schluß kommen: „Diese Verschiebung der Einwilligung von der Rechtfertigung zum Tatbestandsausschluss müsste eigentlich auf die teilnahmetheoretische Rollenverteilung zwischen Einwilligungsgeber und Einwilligungsempfänger zurückwirken, lässt doch der Tatbestandsausschluss auf der strafrechtlichen Bühne nur noch einen Einwilligungsgeber zurück, der nichts sein kann als Quasi-Alleintäter einer Selbstverletzung.“ 501 Es sei darauf hingewiesen, daß das oben (A. II. 2.) beschriebene Phänomen der praktischen Ungeeignetheit tradierter Parameter der Tatherrschaftslehre bei der Bestimmung täterschaftlichen Verhaltens im Zusammenhang mit Rechtsgutsbeeinträchtigungen, die der Täter im Einvernehmen mit dem Opfer herbeiführt, hier seine Entsprechung auf der unmittelbar übergeordneten Begriffsebene findet. Auch dies spricht übrigens für die Richtigkeit einer Interpretation, die der Disposition des Rechtsgutsinhabers bereits tatbestandliche Relevanz zuspricht; schließlich müßten anderenfalls die gerade aufgezeigten, durch die Verantwortlichkeit des Opfers in den Tatbestandsbegriff hineingetragenen Spannungen mangels eines dogmatischen Bezugspunktes unaufgelöst bleiben. 502 Zur methodischen Rechtfertigung einer solchen, den Intentionen des Normgebers zuwiderlaufenden Interpretation siehe unten C. IV.

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Reibungsverluste, in das positive Recht transformiert hat. Es ist lediglich zu prüfen, ob sich die lex lata im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes hält, ob sich also die durch sie getroffene Unterscheidung strafbarer und strafloser Verhaltensweisen überhaupt auf sachlich vertretbare Gründe zurückführen läßt. Zu verwerfen wäre § 216 demnach nur, wenn sich der Kreis der durch das Verbot erfaßten Handlungsweisen vor dem Hintergrund des Normzwecks als mehr oder weniger willkürlich festgelegt darstellt. Wie läßt sich aber der spezifische Unrechtsgehalt der nach dem oben entwikkelten Verständnis in einer Tötung auf Verlangen zu erblickenden abstrakten Gefährdungshandlung begrifflich erfassen, also vor allem nach außen hin begrenzen? Zunächst dürfte einigermaßen klar sein, daß es zu weit ginge, dem Tatbestand die Aufgabe beizumessen, allein wegen der abstrakt bestehenden Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins von Autonomiedefiziten, jegliche Handlung mit kausalem und finalem Bezug zur Herbeiführung eines vom Rechtsgutsinhaber gewollten Todes zu unterbinden. Der Wirkbereich des Verbotes muß vielmehr dort enden, wo selbst im Falle einer fehlenden Verantwortlichkeit des Sterbewilligen die Verantwortlichkeit des aktiv beteiligten Dritten endet.503 Dies wird insbesondere bei untergeordneten Unterstützungshandlungen regelmäßig der Fall sein. Wenn also, um ein Beispiel zu nennen, ein Anwesender dem fest zur Selbsttötung Entschlossenen lediglich ein Glas Wasser reicht, in dem dieser ein tödliches Gift auflöst und anschließend trinkt, so ist jene Form der Mitwirkung selbst dann nicht als eine das allgemeine Verbot (aktiver!) Fremdtötung verletzende Handlung zu qualifizieren, wenn der Suizident für seine Selbsttötung im rechtlichen Sinne nicht verantwortlich ist und der „Wasserträger“ von diesem Umstand Kenntnis besitzt.504 Wendet man den diese Negativselektion tragenden Gesichtspunkt ins Positive und bildet so einen gemeinsamen Nenner derjenigen Verhaltensweisen, die sich nicht auf die genannte Weise als Verbotsmaterie ausgrenzen lassen, schält sich das abstrakte Kriterium heraus, das ihnen eine substantielle, rechtsgutsbezogene Typizität verleiht: All jenen zum Erfolg eines suizidalen Projekts beitragenden 503

So auch Murmann, Selbstverfügung, S. 493. Dies ist, wie oben bereits erwähnt, nicht ganz unumstritten; anders Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 172 ff., der eine Verhaltenslenkung in den Fällen sog. Irrtumsherrschaft für entbehrlich hält (und damit den obigen Fall als mittelbare Täterschaft einstufen würde), weil ein im Hinblick auf die Erfolgsherbeiführung nicht final handelndes Wesen „als ein blinder, den außermenschlichen Mitursachen gleichzusetzender Bedingungsfaktor in den determinierenden Tatplan hineinverwoben“ werde; grundlegend für die hier vertretene Auffassung Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 73 ff. mit weiteren Nachweisen zur Gegenauffassung, an der er (S. 80, Fn. 32) zu Recht kritisiert, daß sie „die ,Tatherrschaft‘ einseitig als Problem der ,Werkzeugqualität‘, der Unterlegenheit des Vordermannes betrachtet, die sein Handeln für den Hintermann berechenbar macht, grundsätzlich jedoch keine besondere, herrschaftsbegründende Vorgehensweise des Hintermannes verlangt“; ähnlich Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 45. 504

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C. Dogmatische Analyse

Handlungen haftet das Risiko an, daß der außenstehende Beteiligte durch ihre Vornahme (äußerlich betrachtet) zum Täter einer vorsätzlichen Fremdtötung avanciert – nämlich genau dann, wenn der Fall eintritt, daß der Sterbewillige für sein Vorhaben in Wahrheit nicht verantwortlich ist. Damit läßt sich aus dem Schutzgedanken, der dem hier entwickelten Verständnis des § 216 zugrunde liegt, die folgende, an die Kenntnis des beschriebenen Risikosyndroms anknüpfende, freilich recht abstrakte Verhaltensnorm entfalten: „Handele nicht in einer Weise, die Dich für den Fall eines (möglichen – und wegen des normativ angeordneten Mißtrauens in die Mangelfreiheit des Sterbewillens grundsätzlich zu unterstellenden) Wegfalls der Verantwortlichkeit des Sterbewilligen für seinen eigenen Tod objektiv zu einem für diesen Erfolg straftatbestandliche Verantwortung Tragenden machen würde!“ Allgemeiner formuliert, handelt es sich um das Verbot, durch sein Verhalten die Verantwortung für den Bestand der (projektbezogenen) Verantwortlichkeit des Sterbewilligen auf sich zu nehmen. Es ist recht offensichtlich, daß der Geltungsanspruch einer solchen Verhaltensnorm über den Bereich des nach § 216 verbotenen Verhaltens hinausgreift. Ist das strafgesetzliche Verbot seinem Wortlaut nach nur einschlägig, wenn der Beteiligte maßgebenden Einfluß auf den Vollzug der Tötung selbst hat, bezieht die vorpositive Typisierung abstrakt gefährlicher Verhaltensweisen eine Reihe von Handlungen ein, deren Bezug zum Erfolg lediglich durch eine Interaktion mit dem Suizidenten vermittelt wird, die also de lege lata dem Bereich der straflosen „Teilnahme am Suizid“ zuzuordnen sind. So dürfte das Hervorrufen eines später in die Tat umgesetzten Suizidentschlusses (also die „Quasi-Anstiftung zur Selbsttötung“) in dem – aus der Handlungsperspektive des beteiligten Dritten normativ zu prognostizierenden505 – Falle fehlender Verantwortlichkeit des Suizidenten regelmäßig eine handlungslenkende Qualität gewinnen und also bei entsprechendem Vorsatz einen geradezu idealtypischen Fall mittelbarer Tatherrschaft des Impulsgebers vorstellen. Gleiches gilt für die schwerer wiegenden Formen der tätigen (oder auch verbalen) Hilfe bei der Vornahme des Suizids, insbesondere dann, wenn der Sterbewillige den Vollzug seines Vorhabens erkennbar von der konkreten Mitwirkung des Außenstehenden abhängig macht, wie dies beispielsweise beim ärztlich assistierten Suizid die Regel sein wird. In beiden Fällen würde der Außenstehende mit seiner Handlung in das von einem nicht freiverantwortlich Verfügenden zurückgelassene Verantwortungsvakuum stoßen, so daß sein Verhalten den äußeren Tatbestand einer Fremdverletzung verwirklicht. Demnach ist auch ein solches (nach der Tatbestandsfassung nicht dem § 216 unterfallendes)506 Verhalten dem hier beschriebenen abstrakten Gefährdungstypus zuzuschlagen. 505 Siehe aber sogleich unten zu einer Relativierung dieses Postulats gerade für die angesprochene Konstellation.

II. Teleologisch-systematische Aspekte der Normkonzeption

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Es ergibt sich mithin der – nach dem oben zur prinzipiellen Gleichwertigkeit der verschiedenen Formen der Verantwortungsübernahme durch das Opfer Ausgeführten wohl wenig überraschende – Befund, daß die aus dem hier entwickelten teleologischen Konzept resultierenden materiellen Grenzen der Verantwortlichkeit des an einem Selbsttötungsprojekt Beteiligten nicht mit denen des in § 216 festgeschriebenen Verbots korrelieren. Handelt es sich also um ein auf die Legitimität der Regelung des § 216 zurückfallendes Versäumnis des Gesetzgebers, daß er es unterlassen hat, die unter materiellen Gesichtspunkten gefährlichen Formen der Teilnahme an einer Selbsttötung unter Strafe zu stellen? Dies wird man aus zwei verschiedenen, je für sich hinreichenden Gründen verneinen dürfen. Der erste Gesichtspunkt, der die legislative Entscheidung für eine Begrenzung strafbarer Verhaltensweisen auf die dem § 216 unterfallenden Konstellationen plausibel zu machen geeignet ist, trägt primär gesetzestechnischen Charakter. Wirft man einen zweiten Blick auf die oben hergeleitete vorpositive Form einer umfassenden, sämtliche gefährlichen Beteiligungsformen an einer Selbsttötung verbietenden Verhaltensnorm, so wird deutlich, daß diese wegen ihres hohen Abstraktionsgrades507 als eine verstehbare und praktikable Handlungsanleitung schlicht untauglich ist. Es ist jedoch gerade ein Charakteristikum abstrakter Gefährdungstatbestände, daß sie aus der Fülle von Verhaltensweisen, die das geschützte Rechtsgut zu gefährden geeignet sind, jene herausgreifen, die nicht nur typischerweise besonders riskant sind, sondern deren Gefährdungspotential darüber hinaus mit einer Evidenz ausgestattet ist, die dem Normadressaten einen (potentiellen) Zugang zur Erkenntnis der Verbotswidrigkeit seines Handelns vermittelt, welcher bei einem Verstoß gegen die Norm den qualifizierten Vorwurf, vorsätzlich Schuld auf sich geladen zu haben (§ 17), unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu legitimieren vermag. Letzteres muß um so mehr gelten, bedenkt man, daß der Unrechtstypus eines vorsätzlichen abstrakten Gefährdungsdeliktes strukturell den vom Erfolg isolierten Handlungsunwert (bzw. das Handlungsunrecht) des jeweils nachgelagerten fahrlässigen Verletzungsdeliktes verkörpert.508 Insofern wirkt es überaus einleuchtend, wenn der Gesetzgeber mit dem Verbot des § 216 an einen bereits straftatbestandlich vorgeformten Handlungstypus anknüpft, der zudem durch seinen äußerlichen Verletzungscha506

Zu den diesbezüglichen Abgrenzungsfragen vgl. im einzelnen unten D. V. Immerhin beinhaltet diese Verhaltensnorm das mit dem Resultat einer komplexen prognostischen Gesamtbewertung auszufüllende normative Blankett einer zunächst nicht unmittelbar auf den aktuell verwirklichten (Gefährdungs-)Unrechtstypus bezogenen (hypothetischen) Form von Täterschaft/Tatherrschaft. 508 Vgl. ausführlich Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 156 ff. Dies gilt jedenfalls im Regelfall. Ausnahmen sind dort denkbar (und praktisch vorhanden, vgl. nur § 131), wo der Gesetzgeber in Ausübung seiner Einschätzungsprärogative präventiv ein bestimmtes Verhalten mit einem wahrscheinlichen, aber empirisch nicht gesicherten Gefährdungspotential verbietet. 507

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C. Dogmatische Analyse

rakter dem Handelnden einen Grund zur Auseinandersetzung mit dem Risiko des Nichtvorliegens der Voraussetzungen der vorgestellten Handlungserlaubnis bietet, vor dem sich schwerlich die Augen verschließen läßt.509 Es bleibt allenfalls die Frage zu stellen, ob sich darüber hinaus weitere dem materiellen Unrechtstypus zuzuordnende Verhaltensweisen auf der Basis etablierter rechtlicher Strukturen zu einer den Normadressaten in ähnlicher Weise ansprechenden Verbotsmaterie formieren lassen. Zwar eignet sich die Struktur einer „Beihilfe zum Suizid“ offenbar nicht als Bezugspunkt für eine solche Verbotsnorm, weil – wie gerade gesehen – die Grenzen des materiellen Unrechtstypus quer durch diese Fallgruppe verlaufen. Gleiches gilt jedoch nicht für das als „(Quasi-)Anstiftung zum Suizid“ zu bezeichnende Verhalten, dessen potentiell handlungslenkende Qualität eine prinzipiell dem vorpositiven abstrakten Gefährdungstypus zuzuordnende Interaktionsstruktur prägt. Hinzu kommt, daß das kommunikativ vermittelte Hervorrufen eines Suizidentschlusses – ebenso wie das dem § 216 unterfallende Verhalten – einen positiv formulierbaren und sinnvoll darstellbaren Handlungstypus bildet, wie schon die Tatsache belegt, daß in anderen Rechtsordnungen, die der unseren verwandt sind, ähnlich ausgerichtete Verbotstatbestände existieren.510 Damit ist aber sicher noch nicht ausgemacht, daß es dem Gesetzgeber auch obliegt, ein solches Verbot zu erlassen; gerade wenn es nicht möglich ist, den vorpositiv gebildeten Unrechtstypus ungebrochen ins positive Recht zu transferieren, spricht viel für einen breiten legislativen Gestaltungsspielraum bei der Frage, ob und wie weitgehend eine Strafbarkeit ausgewählter Bruchstücke des materiell strafwürdigen Verhaltens begründet werden soll. Entscheidend dürfte in diesem Zusammenhang jedoch sein, daß sich die im Vergleich zur Tötung auf Verlangen geringere Strafwürdigkeit511 der „Anstiftung zum Suizid“ ohne weiteres sachlich begründen läßt. Denn es besteht gerade zwischen jenen beiden Handlungsformen ein – hier bislang unberücksich509 Hier fällt die Parallele zu einer Reihe anderer abstrakter Gefährdungstatbestände ins Auge. So greift beispielsweise § 316 aus der Anzahl denkbarer physischer und psychischer Defizite des Führers eines Kraftfahrzeugs, die geeignet sind, dessen Fahrverhalten zu einem Risiko für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer werden zu lassen, mit der alkohol- bzw. rauschbedingten Fahruntauglichkeit gerade einen Sachverhalt auf, der einer leicht faßlichen, homogenen Typisierung zugänglich ist und dessen Gefährdungspotential im sozialen Bewußtsein so fest verankert ist, daß ein Verstoß mehr als nur eine bloße Unachtsamkeit im Hinblick auf den Bestand der mittelbar geschützten Rechtsgüter darstellt. 510 So etwa in Art. 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuches und § 78 des Österreichischen Strafgesetzbuches, die jedoch daneben das „Hilfeleisten“ unter Strafe stellen und damit in ihrem Regelungsgehalt über das nach dem hier entwickelten Verständnis verbietbare Verhalten hinausgreifen. 511 Bzw. – was für die vorliegende Problemstellung keinen Unterschied macht – ein gänzliches Fehlen derselben.

II. Teleologisch-systematische Aspekte der Normkonzeption

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tigt gebliebenes – Gefälle im Hinblick auf den Grad bzw. die Qualität der durch sie bewirkten tatbestandlich relevanten Gefährdung. Das Vorhandensein einer das Verbot der Tötung auf Verlangen rechtfertigenden Gefährdungslage wurde oben maßgeblich damit begründet, daß dem Willen, aus dem Leben zu scheiden, ein aus empirischer Sicht signifikant erhöhtes Risiko des Bestehens rechtlich relevanter Defizite anhaftet. Es macht jedoch eine Besonderheit der Handlungsstruktur einer „Anstiftung zum Suizid“ aus, daß sie gerade nicht auf einen solchermaßen „infizierten“ Willensinhalt trifft, schließlich kann dieser – schon begrifflich – erst die Folge der Einwirkung des Anstiftenden auf den Willensbildungsprozeß sein. Der zur Selbsttötung noch nicht Entschlossene gibt damit zum Zeitpunkt der Vornahme der Anstiftungshandlung nicht generell Anlaß, der Potenz seines Willens, Verfügungen über eigene Rechtsgüter von rechtlichem Bestand zu treffen, in einem Maße zu mißtrauen, das es ohne weiteres ermöglicht, ein Verbot der „Anstiftung zum Suizid“, ebenso wie das Verbot der Tötung auf Verlangen, als eine Positivierung immanenter Schranken des Vertrauensgrundsatzes zu begreifen. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß es dem Hervorrufen eines Suizidentschlusses jeglichen Bezugs zu dem oben charakterisierten Gefährdungssachverhalt mangelt, immerhin materialisiert sich die erfolgreiche Anstiftung in der Bildung eines Willens, dessen Beschaffenheit von Rechts wegen wiederum zu mißtrauen wäre. Durch eine Pönalisierung würde aber der Schutz des Lebens um eine weitere Vermittlungsstufe ins Vorfeld der eigentlichen Verletzung verlagert. Es erscheint – auch mit Rücksicht auf das eben zur Legitimität abstrakter Gefährdungstatbestände Ausgeführte – sinnvoll, daß der Gesetzgeber darauf verzichtet hat. Der zweite Gesichtspunkt, unter dem die differenzierte Behandlung der verschiedenen den dargestellten Gefährdungstypus verwirklichenden Verhaltensweisen durch den Gesetzgeber (zumindest) vertretbar erscheint, ist materieller Natur und knüpft in gewisser Weise an das zuletzt Gesagte an. Wie oben ausführlich dargelegt wurde, handelt es sich bei der strafgesetzlichen Typisierung potentiell freiheitswidriger Formen der Selbstverfügung immer um eine Kompromißlösung: zwischen der Gefahr einer Vernachlässigung staatlicher Schutzpflichten bzw. -interessen durch das Zulassen des Vollzugs letztlich nicht in der Autonomie wurzelnder Dispositionen über das Leben auf der einen Seite und der ebenso realen Möglichkeit der Beeinträchtigung der Selbstbestimmung durch einen legislativen Eingriff in das „Wie“, in manchen Fällen gar in das „Ob“ der Umsetzung eines tatsächlich autonom gebildeten Selbsttötungsentschlusses auf der anderen Seite. Ein Totalverbot jeglicher dem vorpositiv gebildeten Unrechtstypus zuzuordnenden Beteiligung an einem suizidalen Projekt hat demzufolge eine rechtspolitisch ins Kalkül fallende Kehrseite: Eine zu intensiv betriebene staatliche Sorge um die Vermeidung von Gefahren der erstgenannten Art könnte einen unverhältnismäßigen Eingriff in die grundsätzliche Freiheit der Disposition über die eigene physische Existenz bedeuten. Der Sterbewillige

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C. Dogmatische Analyse

würde durch ein zu weit ausgreifendes Bestreben nach Risikominimierung nicht nur bei der unmittelbaren Umsetzung seines Vorhabens in seiner Freiheit beschnitten,512 sondern möglicherweise – im Falle des Verbots der Verursachung oder Bestärkung eines Selbsttötungsentschlusses – bereits in dessen Vorfeld mit seinen Belangen in eine Art sozialer Isolation getrieben.513 Zusammenfassend läßt sich demnach festhalten, daß sich auf der Basis des hier vorgelegten teleologischen Modells des § 216 auch dann hinreichende sachliche Gründe für die gesetzliche Differenzierung zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und straffreier „Suizidteilnahme“ benennen lassen, wenn man die Diskussion vom formalen Ballast systematischer Präjudizien der überkommenen Verbrechenslehre befreit. 3. Die Stellung des § 216 innerhalb des Systems der Straftaten gegen das Leben Nach der im bisherigen Verlauf der Untersuchung geleisteten Vorarbeit bedarf die Entscheidung der im Schrifttum514 seit langem virulenten Frage nach der systematischen Einordnung der Tötung auf Verlangen keiner großen Worte mehr. Es wurde nachgewiesen, daß das durch die Norm des § 216 erfaßte Verhalten zwar mit der vorsätzlichen Herbeiführung eines Todeserfolges einhergeht, seiner materiellen Unrechtsstruktur nach indes einen dem allgemeinen Tötungsverbot vorgelagerten abstrakten Gefährdungstypus verkörpert. Das bedeutet, daß es sich bei § 216 nicht, wie von der herrschenden Auffassung im juristischen Schrifttum angenommen,515 um eine privilegierte Form der vorsätzlichen Tötung handelt, sondern um einen – freilich ebenfalls dem Lebensschutz ver512 Gerade der ärztlich assistierte Suizid, der regelmäßig dadurch gekennzeichnet sein dürfte, daß die Ausführung des konkreten Selbsttötungsvorhabens mit der Unterstützung des Mediziners steht und fällt (ohne daß diesem dabei schon die Täterrolle zuwächst, vgl. nur den bekannten Fall „Hackethal“, OLG München NJW 1987, 2940), könnte damit – vorbehaltlich einer möglichen Rechtfertigung (siehe dazu unten D. II.) – weitgehend in die Illegalität gedrängt werden. 513 Man stelle sich vor, wie es sich auf die Atmosphäre eines Gesprächs unter engen Freunden oder im Familienkreis auswirken muß, wenn die Vertrauten des mit einer fatalen Diagnose konfrontierten Ratsuchenden nicht sicher sein können, ob sie diesen auf die aus ihrer Sicht vorzuziehende Möglichkeit einer schmerzlosen Lebensverkürzung hinweisen oder ihn auch nur in seinen bereits bestehenden suizidalen Absichten bestärken dürfen. 514 Der historische Gesetzgeber ging ganz offensichtlich davon aus, mit § 216 eine Privilegierung zu den §§ 212, 211 geschaffen zu haben (vgl. bereits oben B. I.). Dieses Verständnis stand auch im Rahmen der Beratungen der Großen Strafrechtskommission von 1959 (Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 84 ff.) ersichtlich nicht in Frage, deren Niederschriften die letzte überlieferte Stellungnahme einer in legislativem Rahmen tätigen Arbeitsgruppe zu grundlegenden die Norm des § 216 betreffenden Fragen bilden. 515 Vgl. SK-Horn, § 216 Rn. 2; Lackner/Kühl, § 216 Rn. 1.

III. Die Vereinbarkeit der teleologisch-systematischen Struktur

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pflichteten – tatbestandlichen Typus eigener Art, der strukturell einem abstrakten Gefährdungsdelikt entspricht.516 Auf der anderen Seite heißt das – und diese Feststellung sollte ebenfalls nur noch klarstellenden Charakter tragen –, daß die in dem Verlangen des Getöteten (a maiore ad minus) enthaltene Einwilligung ihre institutionell begründete rechtfertigende Wirkung im Rahmen der §§ 212, 211 prinzipiell ungeschmälert entfaltet.517, 518 Daran kann grundsätzlich auch der Umstand nichts ändern, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 216 und die allgemeinen Anforderungen an die Wirksamkeit einer rechtfertigenden Einwilligung in die Verletzung eigener Rechtsgüter – bedingt in erster Linie durch die von der hier vertretenen Auffassung abweichende Sichtweise des historischen Gesetzgebers519 – auf den ersten Blick teilweise disharmonieren. Letzteres gilt selbstredend unter dem Vorbehalt, daß die aus dieser Disharmonie erwachsenden Anwendungsschwierigkeiten sich im Rahmen der anerkannten Auslegungsmethoden beseitigen lassen. Dieser – gerade in jüngster Zeit wieder verstärkt in den Focus der Praxis geratene – Punkt soll Gegenstand der Erörterungen des folgenden Abschnitts sein.

III. Die Vereinbarkeit der teleologisch-systematischen Struktur des § 216 mit dem Normtext Die Frage nach den konkreten Voraussetzungen der Anwendbarkeit des § 216 zu stellen, bedeutet vom Standpunkt des überkommenen und noch herrschenden systematischen Verständnisses in erster Linie, die Bedingungen aushandeln, unter denen dem Täter eines (rechtswidrigen) Totschlages oder gar Mordes die „Rechtswohltat des § 216“ 520 zuteil wird. Man könnte meinen, daß sich diese Vorzeichen verkehren, faßt man die Norm mit der hier entwickelten teleologischen Konzeption als einen Straftatbestand mit eigenem Unrechtsgehalt auf, dessen Merkmale demzufolge formal strafbegründenden Charakter tragen. Wenngleich letzteres unbestreitbar richtig ist, ändert das im Ergebnis nichts 516

So auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 501. Exemplarisch für das abweichende, im übrigen juristischen Schrifttum herrschende Verständnis der lex lata ist die lapidare Feststellung Neumanns in NK, § 212 Rn. 22: „Eine Rechtfertigung der Tötung durch Einwilligung des Opfers kommt nicht in Betracht (arg. § 216).“ 518 Damit ist zugleich die verschiedentlich aufgeworfene Frage beantwortet, ob bei Vorliegen von Mordmerkmalen § 211 die „Privilegierung“ der Tötung nach § 216 zu verdrängen vermag (vgl. dazu LK-Jähnke, § 216 Rn. 2 m.w. N.), denn natürlich fehlt in diesen Fällen der grundlegende Anknüpfungspunkt für den Mordtatbestand: das Unrecht einer vorsätzlichen Tötung. 519 Da der Gesetzgeber das Rechtsinstitut der Einwilligung generell nicht für einschlägig hielt, fühlte er sich natürlich bei der Formulierung der Voraussetzungen der intendierten Privilegierung in dieser Hinsicht von systematischen Rücksichten frei. 520 MüKo-Schneider, § 216 Rn. 10. 517

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C. Dogmatische Analyse

daran, daß die tatsächlich kritischen Aspekte der Interpretation der geschriebenen Voraussetzungen des § 216 sich nicht im Zusammenhang mit der positiven Typisierung des Unrechts der Tötung auf Verlangen ergeben,521 sondern aus dem zwischen der Erfüllung des Tatbestandes und der Entlastung des Täters durch die Suspendierung des Unrechts einer vorsätzlichen Tötung bestehenden sachlichen Konnex erwachsen. Ein solcher Sachzusammenhang läßt sich daraus ableiten, daß der Anwendungsbereich des § 216 nach der dem Gesetz zugrundeliegenden Systematik522 nahtlos an den der übrigen vorsätzlichen Tötungsdelikte anschließen soll. Aus diesem Grund muß, sieht man in der Tötung auf Verlangen eine Form deliktischen Verhaltens, die gerade durch die Rechtfertigung der vorsätzlichen Herbeiführung des Todes eines Menschen kraft Einwilligung des Getöteten gekennzeichnet ist, die Festlegung der Reichweite dieses Tatbestandes (also insbesondere dessen Beschränkung) unmittelbare Rückwirkungen auf die Voraussetzungen für die rechtliche Anerkennung einer solchen rechtfertigenden Einwilligung zeitigen. Nicht zuletzt wäre es auch unter teleologischen Gesichtspunkten nachgerade widersinnig, resultierte aus dem Umstand, daß die Anforderungen an eine Tötung auf Verlangen strenger formuliert sind, als die allgemeinen, gewohnheitsrechtlich statuierten Voraussetzungen einer Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Individualrechtsgutes, eine (noch so kleine) Fallgruppe vorsätzlicher Tötungen, die durch Einwilligung gerechtfertigt sind, aber nicht dem Tatbestand des § 216 unterfallen. Die Voraussetzungen der Norm zu erörtern, bedeutet demnach nichts anderes, als – im selben Zuge – die Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung in eine vorsätzliche Tötung zu diskutieren. Nun handelt es sich bei jener Rechtfertigung kraft Einwilligung aber nicht um eine durch die Rechtsordnung gnädig zu gewährende „Rechtswohltat“, sondern um die rechtliche Konsequenz des Umstandes, daß eine Verletzung des geschützten Rechtsgutes in einem materiellen Sinne nicht vorliegt. Das bedeutet, daß es keineswegs im freien Belieben des dem Schuldprinzip verpflichteten Gesetzgebers steht, die Voraussetzungen einer solchen Rechtfertigung im Wege der Ausformung des § 216 zu verschärfen. Man wird vielmehr für jegliche diesbezügliche Modifikation eine Legitimation fordern müssen, die sich sachlich – unter Einbeziehung eventuell zu berücksichtigender Spezifika des Rechtsgutes Leben – an den grundlegenden Prinzipien des Instituts der rechtfertigenden Einwilligung messen läßt. 521 Schwierigkeiten bereitet unter diesem Blickwinkel fast ausschließlich die oben (A. II. 2.) bereits angesprochene – nicht unmittelbar ein Problem des Normtextes des § 216 darstellende – Frage nach den Kriterien für die Zuschreibung täterschaftlicher Verantwortung. 522 Und dem Wortlaut der Norm: „die Tötung“ bezieht sich unzweifelhaft auf den Tatbestand des § 212 (bzw., je nach dem, wie man das Verhältnis der beiden Normen zueinander auffaßt, auch auf den des § 211).

III. Die Vereinbarkeit der teleologisch-systematischen Struktur

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Unter diesem Blickwinkel werden im folgenden die beiden Elemente des Tatbestandes des § 216 zu untersuchen sein, deren Gehalt nach nahezu einhelliger Ansicht in Schrifttum und Rechtsprechung eine Verschärfung der Anforderungen dieser Norm gegenüber denjenigen, die an eine rechtfertigende Einwilligung zu stellen sind, bewirken soll. Dabei handelt es sich zum einen um das Erfordernis eines „Verlangens“ des Getöteten (im Vergleich zur bloßen „Einwilligungserklärung“), zum anderen um die Forderung, der Täter müsse durch dieses Verlangen zur Tötung „bestimmt worden“ sein. 1. Im Rahmen einer grammatikalischen Norminterpretation zunächst durchaus einleuchtend ist die allenthalben im Schrifttum anzutreffende Behauptung: „Das Tötungsverlangen ist mehr als bloßes Einverständnis.“523 Erforderlich soll vielmehr – im Unterschied zu der für Einwilligung bzw. Einverständnis hinreichenden einverständlichen, duldenden Hinnahme des Vorgehens des Täters524 – eine aktive Willensbetätigung des Opfers mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen sein.525 Es fragt sich indes, wodurch die so charakterisierte „aktive Willensbetätigung“ des Opfers sich konkret von der auch im anderen Falle notwendigen (mindestens konkludenten) Erklärung der Einwilligung/des Einverständnisses unterscheiden soll. Kaum weiterführend scheint die in diesem Zusammenhang immer wieder gezogene Parallele zu dem Erfordernis des „Bestimmens“ im Sinne des § 26526 zu sein, mag sie auch grundsätzlich zutreffen. Denn auch die durch eine schlichte Einwilligung ausgedrückte Übereinstimmung der eigenen inneren Stellungnahme mit der des anderen ist durch die – für die Anstiftung nach § 26 charakteristische – Vorstellung des Rechtsgutsinhabers gekennzeichnet, damit maßgeblichen Einfluß auf die Willensbildung des Adressaten auszuüben, also eine notwendige Bedingung für dessen Willensentschluß zu setzen.527, 528 Das Fehlen einer materiellen, über sprachliche Prononcierungen mit symbolischem Wert 523 LK-Jähnke, § 216 Rn. 4; nahezu identisch formulieren u. a. Sch/Sch-Eser, § 216 Rn. 5; NK-Neumann, § 216 Rn. 10; MüKo-Schneider, § 216 Rn. 13; Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 248, jeweils m.w. N.; vgl. auch zuletzt BGH NJW 2005, 1876, 1879. 524 Vgl. RG DR 1945, 21. 525 RGSt 68, 306; BayObLG NJW 1957, 1245; LK-Jähnke; NK-Neumann; Sch/ Sch-Eser. 526 Siehe MüKo-Schneider; Sch/Sch-Eser; der Sache nach auch Beckert, Suizidbeteiligung und Sterbehilfe, S. 182. 527 Selbstredend läßt sich nicht von einer Einwilligung sprechen, wenn der Rechtsgutsinhaber davon ausgeht, daß der andere den Zugriff auf das ihm zugeordnete Rechtsgutsobjekt unabhängig von seiner Erklärung (namentlich ungeachtet einer Verweigerung der Zustimmung) ausführen wird. 528 Ganz ähnlich argumentiert auch Mitsch, FS Weber, S. 49, 59, Fn. 68, der dabei allerdings nicht auf den (objektiv verstandenen) Begriff der Einwilligung abhebt, sondern auf die Kenntnis des Täters von der Einwilligung, also auf das subjektive Rechtfertigungselement.

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hinausgehenden Differenz zwischen dem so verstandenen „Verlangen“ und einer Einwilligung wird weiterhin dadurch belegt, daß nach allgemeiner Ansicht529 – entgegen dem mit der Inpflichtnahme des Begriffs des „Bestimmens“ suggerierten, von einseitiger Willensbeeinflussung des Täters durch das Opfer geprägten Interaktionstypus – der erste Anstoß für die Äußerung eines Tötungsverlangens vom späteren Täter kommen darf.530 Nicht überzeugen kann es, wenn in solchen Fällen – offenbar als Kompensation für dieses „Erstinitiativrecht“ – für unabdingbar erachtet wird, daß die Zustimmung des Getöteten „nachdrücklich“ zu erfolgen habe,531 bzw. wenn ganz allgemein für ein Tötungsverlangen eine „deutlich das Singuläre der Situation betonende Willenskundgebung“532 oder gar (offenbar als Ausschlußtatbestand) „kein leidenschaftsloses Todesbegehren“533 gefordert wird. Soweit eine so oder ähnlich charakterisierte emotionalaffirmative Stellungnahme des Verlangenden in ihrer Intensität über das (sehr beschränkte) Maß hinausgehen soll, das es ermöglicht, die Erklärung als (im Sinne der gängigen Terminologie) „ernstlich“ anzusehen,534 dürfte es schwerfallen, in ihr einen Tatbestand zu erblicken, der das Recht etwas angeht; ganz zu schweigen davon, daß nicht zu sehen ist, wie es gelingen soll, einem solchen Merkmal die für einen Rechtsbegriff (bzw. dessen Elemente) unabdingbaren begrifflichen Konturen zu verleihen. Alles in allem scheinen die verschiedenen bislang in Schrifttum und Rechtsprechung unternommenen Versuche, das „Mehr“, das ein Verlangen gegenüber einer Einwilligung aufzuweisen haben soll, Wesen und Inhalt nach zu benennen, in sachlicher Hinsicht kaum fruchtbar.535 Um die zweifellos vorhandene sprachliche Differenz zwischen dem Verlangen der Tötung und einer Einwilligung in die Tötung adäquat und in juristisch handhabbarer Weise zu erfassen, wäre allenfalls zu überlegen, ob sich nicht die durch die Vorsatzlehre traditionell genutzte Unterscheidung bestimmter Intensitätsgrade menschlichen Wollens aufgreifen läßt. So scheint es dem Wortsinn nach plausibel, von einem „Verlangen“ nur dann zu sprechen, wenn der Verlangende den Eintritt des Erfolges (wenigstens als notwendiges Zwischenziel) unmittelbar erstrebt und nicht lediglich (um anderer Ziele willen oder aus Indifferenz) in Kauf nimmt. Letzteres scheint außerhalb bestimmter Notstandssituatio529

Vgl. u. a. MüKo-Schneider, § 216 Rn. 15; Sch/Sch-Eser. Vgl. auch A/W-Arzt, BT, § 3 Rn. 12, der in diesem Zusammenhang ebenfalls zu dem Schluß kommt, daß es nicht konsequent erscheint anzuerkennen, daß die Initiative vom Täter ausgehen darf, ohne einzuräumen, daß damit Verlangen und Einwilligung gleichgesetzt werden. 531 Sch/Sch-Eser. 532 LK-Jähnke; M.-K. Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 224. 533 Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 249 Fn. 6. 534 Vgl. dazu ausführlich oben C. I. 535 Zu diesem Ergebnis kommt auch Mitsch, FS Weber, S. 49, 58 f. 530

III. Die Vereinbarkeit der teleologisch-systematischen Struktur

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nen (in denen die Strafbarkeit des Täters regelmäßig nicht mit der rechtlichen Anerkennung der Willensäußerung des Getöteten steht und fällt) kaum vorstellbar. Hier hat indes – wie so oft – die (jüngste) Rechtspraxis der Dogmatik einen Fall an die Hand gegeben, dessen Merkwürdigkeit selbst das von phantasievollen Akademikerhirnen zu Ersinnende in den Schatten stellt; gemeint ist der bekannte, vom BGH entschiedene Fall des „Kannibalen von Rothenburg“.536 In diesem Fall basierte die Einwilligung des Getöteten auf einer wahrhaft absurd anmutenden Art von Tauschgeschäft:537 Der masochistisch veranlagte Getötete erwartete sich höchste sexuelle Befriedigung davon, daß der spätere Angeklagte Meiwes ihm den Penis amputierte. Der von einer starken kannibalistischen Neigung getriebene Meiwes sagte den Vollzug dieser Handlung zu und bat den anderen im Gegenzug darum, sich von ihm anschließend schlachten und verspeisen zu lassen. Das Opfer war so sehr auf die Amputation fixiert,538 daß ihm sein Weiterleben nach jenem als Höhepunkt gedachten „finalen Akt“ bedeutungslos erschien – obwohl er weder am Vorgang seiner Schlachtung, noch am Erfolg seines eigenen Todes ein (sexuelles) Interesse hatte, willigte er ein. Das Vorhaben kam in der vereinbarten Weise zur Ausführung; das Opfer hielt dabei während des gesamten Tötungsvorganges seine Zustimmung erkennbar aufrecht.

Unter rein sprachlichen Gesichtspunkten scheint es hier in der Tat naheliegend, mit der oben angedeuteten Unterscheidung das Vorliegen eines „Verlangens“ zu verneinen.539 Erstaunlicherweise hat der BGH dieser Möglichkeit keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt,540 um sich statt dessen auf die Frage zu konzentrieren, ob der Angeklagte durch das Verlangen des Getöteten zur Tat bestimmt worden ist (dazu sogleich unter 2.). 536

BGH NJW 2005, 1876; auch – nach dem Angeklagten – „Fall Meiwes“ ge-

nannt. 537 Vgl. auch Kreuzer, MschrKrim 2005, 412, 421: reziprok-pervers-sadistisch-masochistische Symbiose. 538 Was es nahelegt, an der Einwilligungsfähigkeit des Opfers zu zweifeln; in der Tat geht der BGH davon aus, daß der Getötete „die Tragweite seines späteren Entschlusses, sich töten und schlachten zu lassen, nicht vollends rational überblickte“, stützt allerdings die Verurteilung aus dem vorsätzlichen (nicht privilegierten) Tötungsdelikt nicht auf diesen Umstand – wohl um sich eine Auseinandersetzung mit einem denkbaren Irrtum des Angeklagten über das tatsächliche Vorliegen einer wirksamen Erklärung (also einem Irrtum nach § 16 II, wenn man die Sicht des BGH und der herrschenden Ansicht in der juristischen Literatur zugrundelegt, bzw. – nach der hier vertretenen Auffassung – einem Erlaubnistatbestandsirrtum) zu ersparen. 539 So verfährt Otto, JZ 2005, 799, 800, allerdings ohne den Versuch einer sachlichen Begründung. 540 Immerhin erwähnt der BGH auf S. 1879 ausdrücklich den Umstand, daß das Opfer lediglich auf das Vorhaben seiner Tötung eingegangen ist, um das von ihm erstrebte Ziel einer Penisamputation zu erreichen und daß es ihm keineswegs darum ging, selbst getötet zu werden – dies allerdings im Zusammenhang mit der Frage, ob das (ohne Begründung als solches anerkannte) Verlangen für den Täter handlungsleitend gewesen ist, für deren Beantwortung die Motivationslage des Einwilligenden jedenfalls keine unmittelbare Rolle spielen dürfte, vgl. dazu aber auch Fn. 564.

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C. Dogmatische Analyse

Im Ergebnis geschah diese Unterlassung des Gerichts wohl zu Recht, denn nach dem oben Ausgeführten bedarf auch eine solche normtextkonforme Beschränkung der Anerkennung von Willensäußerungen des Rechtsgutsinhabers sachlicher Legitimation – und worauf diese zu gründen sein soll, ist nicht ersichtlich. Zwar ist zuzugeben, daß die Anwendung des § 216 anstelle der §§ 212, 211 in einem Fall, wie dem geschilderten, ein intuitives Unbehagen auslösen mag. Dieses dürfte (neben den – nach den Feststellungen des Gerichts begründeten – Zweifeln an der Freiverantwortlichkeit eines solchen Verlangens) darauf zurückzuführen sein, daß die bloße billigende Gestattung der Herbeiführung des Todes für eine Situation kennzeichnend ist, in der das dominierende Interesse an der Tat nicht der Sterbewillige selbst, sondern eine andere Person hat – so daß man den Eindruck gewinnen kann, daß das Leben eines Menschen unter das Regiment und in den Dienst der Verfolgung der (im konkreten Fall noch dazu den Sittlichkeitsvorstellungen der Gesellschaft widerstrebenden, ein archaisch verwurzeltes Tabu verletzenden) Zwecke eines anderen Rechtssubjekts gestellt wird. Es wurde jedoch schon in Auseinandersetzung mit der diesen Aspekt in den Mittelpunkt stellenden Schutzzweckkonzeption Jakobs’ nachgewiesen, daß eine reine Unterwerfung unter fremde Zwecke nicht denkbar ist, daß selbst ein Verhalten, das eine fremde Zwecksetzung scheinbar ungebrochen affirmiert, notwendig mit der Verfolgung eigener Zwecke einhergeht.541 Wenn also von Strafjuristen in Abrede gestellt wird, daß ein Sterbewilliger eigene Zwecke verfolgt, dürfte dies dahingehend zu übersetzen sein, daß die tatsächlich durch jenen verfolgten Interessen für rechtlich nicht anerkennenswert gehalten werden, sei es aus inhaltlichen Gründen, sei es, weil sie im Verhältnis zu dem auf Seiten des Täters bestehenden Interesse nicht hinreichend gewichtig erscheinen. Eine solche Bewertung der im Spiel befindlichen Interessen trüge indes wiederum paternalistischen Charakter; bestraft würde der Täter letztlich dafür, daß die Gründe, die der Rechtsgutsinhaber für die Aufgabe seines Lebens hat, nicht ein Mindestmaß an „objektiver“ Vernünftigkeit aufweisen. So einleuchtend eine solche Bewertung auch erscheinen mag, gerade in einem Fall, in dem das Leben als Tauschwert bei einem der Erreichung rechtsgutsfremder Zwecke dienenden Geschäft eingesetzt wird – man wird zu akzeptieren haben, daß aus ihr keine unmittelbaren rechtlichen, sondern allenfalls moralische Konsequenzen erwachsen können.542 Es liegt in der Konsequenz der äußeren Unbestimmbarkeit des je individuellen Wertes des Rechtsgutes Leben,543 daß auch eine moralisch angreifbare oder dem „wohlverstandenen“ Eigeninteresse zuwi541

Siehe B. IV. 1. Letzteres wird von der Art der durch die Verfügung über das Leben verfolgten Ziele abhängen; auch auf dieser Ebene darf die negative Bewertung keinen Automatismus darstellen, vgl. nur den von Mitsch, FS Weber, S. 49 ff., mitgeteilten Fall. 543 Vgl. zu dieser wesensbestimmenden Implikation der „Absolutheit“ des Rechtsgutes Leben bereits oben B. III. 542

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derlaufende selbstgesetzte Definition des Rechtsgutsinhabers durch das Recht anzuerkennen ist, wenn sie nur freiverantwortlich gefaßt wurde. Diese schon in der Auseinandersetzung mit paternalistischen Interpretationen des Strafgrundes des § 216 gewonnene Erkenntnis gilt um so mehr, als es im vorliegenden Zusammenhang – anders als dort – um die vollständige Negierung des Willens des Getöteten und damit im engen Sinne um die Verwirklichung des Unrechts einer vorsätzlichen Fremdtötung geht. Im übrigen würde sich eine solche Unterscheidung in vernünftige/plausible und unvernünftige/unplausible verbale Rechtsgutsdispositionen auch insofern vom Ausgangspunkt der vorstehenden Überlegungen, dem Begriff des „Verlangens“, entfernen, als auf der anderen Seite auch mit direktem Sterbewillen geäußerte, im engsten denkbaren Sinne „verlangte“ Tötungen auf objektiv unvernünftigen bzw. unplausiblen Motiven beruhen können.544 Vor dem Hintergrund des Dargelegten leuchtet – jedenfalls dem Ansatz nach – am ehesten die auf Arzt zurückgehende Deutung ein, nach der die Sonderstellung des Verlangens im Vergleich zur Einwilligung kriminalpolitisch zu erklären ist.545 Arzt will dabei „die Figur des ernstlichen Verlangens“ als einen Sicherungsmechanismus verstehen, den zu installieren auch ein Gesetzgeber, der die Verfügungsbefugnis des einzelnen grundsätzlich anerkennen will, angesichts der Bedeutung des Rechtsguts Leben mehr oder weniger verpflichtet sei. Dessen Legitimation und Ausformung beschreibt Arzt so: „Der häufig bestehende Verdacht, daß Freiwilligkeit und Ernsthaftigkeit der Einwilligung in Wirklichkeit nicht vorlagen, könnte zu einer die Beweislast für die Einwilligung zum Nachteil des Täters verändernden Beschränkung auf das ernstliche Verlangen führen.“ Das geht allerdings in verschiedener Hinsicht zu weit. Zum einen kann 544 Soweit ersichtlich wird die aus dem vorstehend diskutierten gedanklichen Ansatz abzuleitende Konsequenz, daß unvernünftige Willensäußerungen bei normativer Betrachtung nicht als „Verlangen“ einzustufen sind und demzufolge darauf gegründete Tötungshandlungen per se nicht dem Anwendungsbereich des § 216 unterfallen, nur von Mitsch, S. 60 f., gezogen. Mitsch liefert dafür keine materielle Begründung, sondern argumentiert formal mit einem (nicht ganz sauberen) a-fortiori-Schluß aus den Regelungen der §§ 2 I, 4 I 2 KastrG, 8 I TPG, 40 I AMG: Da diese Normen einer Einwilligung nur unter Hinzunahme weiterer unrechtsmindernder Faktoren eine rechtfertigende Wirkung zubilligten, dürfe die bloße Willensäußerung des Rechtsgutsinhabers im Rahmen der Tötungsdelikte für sich genommen erst recht keine Wirkungen entfalten. Diese auf rein positivistischer Ebene verharrende Argumentation überzeugt um so weniger, als Mitsch das geschriebene Recht selbst nicht ernst nimmt, indem er den Anwendungsbereich des § 216 gleich von zwei Seiten einer Erosion aussetzt: Zum einen sollen nach dem Wortsinn eindeutig „verlangte“ Tötungen, soweit sie unvernünftig sind, nicht unter § 216 fallen, sondern nach §§ 212, 211 zu bestrafen sein. Auf der anderen Seite vertritt Mitsch, daß die mit einem bestimmten, gehobenen Maß an Vernünftigkeit ausgestattete verlangte Tötung der völligen Straflosigkeit anheimfällt, also nicht einmal unter § 216 zu subsumieren ist. Der Anwendungsbereich der Norm würde bei dieser Auslegung (je nach Abstufung der verschiedenen „Vernünftigkeitsgrade“) marginalisiert. 545 Arzt, ZStW 83, 1, 36.

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der bloße Verdacht des Fehlens von Einwilligungsvoraussetzungen nicht bereits das Strafunrecht einer vorsätzlichen Tötung begründen.546 Zum zweiten ist nicht zu sehen, wie die Einlassung des Täters, der Getötete habe die Tötungshandlung verlangt, im Vergleich zu der Behauptung, es habe eine Einwilligung vorgelegen, einen solcherart erschwerten Eingang in die Überzeugungsbildung des Richters finden sollte, daß in der praktischen Konsequenz von einer Veränderung der Beweislast die Rede sein könnte.547 Für das Bestehen einer über solcherart reflexhafte Beweiserschwernisse hinausgehenden generellen Beweispflicht des Täters für das Vorliegen der Willensäußerung des Getöteten gibt die gesetzliche Formulierung der (materiellen!) Voraussetzungen des § 216 jedenfalls nichts her.548 Man wird sich wohl die kriminalpolitische Funktion des gesetzlich festgeschriebenen Erfordernisses eines „Verlangens“, auf die Arzt zu Recht den Blick gelenkt hat, vielmehr bescheiden klein vorstellen müssen. Letztlich dürfte sich die Bedeutung der Verwendung des Begriffes „Verlangen“ in einem dem Normadressaten die Singularität der Handlungssituation vor Augen führenden Appell erschöpfen, der vor zu leichtfertigem Akzeptieren eines geäußerten Sterbewunsches warnen will. Es handelt sich insoweit um eine „weiche“, auf repressiver Ebene folgenlose Form der Prävention; findet der durch den Normwortlaut vermittelte Appell nicht das erwünschte Gehör, vermag dieser Umstand die nachträgliche Etikettierung einer mit ausdrücklichem Willen des Getöteten vollzogenen Tötung als „Tötungsunrecht“ nicht zu tragen. Eine solche Reduzierung eines gesetzlichen Erfordernisses auf eine praktisch ausschließlich rhetorische Bedeutung ist in einer durch die stetige Zunahme des Umfangs mehr oder minder symbolischer Strafgesetzgebung gekennzeichneten Epoche nichts Ungewöhnliches und hat immerhin den Charme des Zeitgemäßen für sich.

546 Das versteht sich für die vorliegende Konzeption ganz von selbst, muß aber auch nach den von Arzt gesetzten Prämissen gelten, der (S. 37 Fn. 97) davon ausgeht, daß § 216 eine reine Verdachtsstrafe wegen des Verdachts, daß eine Einwilligung in Wirklichkeit nicht vorlag, generiert. Wenn ein solcher Verdacht aber gerade den Unrechtstypus des § 216 prägen soll, kann er natürlich nicht zur Begründung einer Beweislastverschiebung im Hinblick auf die §§ 212, 211 gebraucht werden – mit der möglichen Folge, daß aus diesen Tatbeständen verurteilt wird. 547 Das gilt insbesondere, wenn man bedenkt, daß die Plausibilität des tatsächlichen Vorliegens einer Einwilligung für den Richter mit schwindender Intensität der durch den Getöteten kommunizierten Dringlichkeit seines Wunsches abnehmen dürfte. Gerade der sich böswillig wahrheitswidrig Einlassende dürfte also in der Praxis ein besonders emphatisches Verlangen behaupten und nicht bloß die im Regelfall minder glaubhafte Einwilligung. 548 Eine gesetzlich ausdrücklich festzuschreibende Abwälzung der Beweislast für das Vorliegen eines Verlangens auf den Täter wurde von der Großen Strafrechtskommission 1959 (Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 85) erwogen, aber schließlich nicht weiterverfolgt.

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2. Eine zweite Besonderheit der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 216 im Vergleich zu den allgemeinen Merkmalen der rechtfertigenden Einwilligung ist nach nahezu einhelliger Ansicht aus der gesetzlichen Formulierung abzuleiten, nach welcher der Täter durch das Verlangen zur Tötung „bestimmt worden“ sein muß.549 Dieser Passus wird insofern als eine verschärfende Modifizierung der Einwilligungsvoraussetzungen angesehen, als das schlichte Handeln in Kenntnis eines den Anforderungen des § 216 entsprechenden Verlangens noch nicht die Abbedingung einer Strafbarkeit nach den §§ 212, 211 (und die Anwendung des § 216) zur Folge haben soll. Erforderlich ist nach dem herrschenden Verständnis vielmehr, daß das Verlangen des Opfers für den Täter „handlungsleitend“ gewesen ist, mit anderen Worten muß das Verlangen bzw. die diesem zugrundeliegende verzweifelte Situation den bestimmenden Tatantrieb für den Täter gebildet haben.550 Die Forderung des Gesetzes, daß der Täter durch das Verlangen bestimmt worden sein muß, wird also nicht als lediglich klarstellender Hinweis auf das allgemeine Erfordernis eines dem objektiven (Erlaubnisbzw. Privilegierungs-)Tatbestand kongruenten subjektiven Elements verstanden,551 sondern als Statuierung eines (besonderen persönlichen) Merkmals von eigenständiger, für die Suspendierung der Strafbarkeit nach §§ 212, 211 konstitutiver Bedeutung. In der weiteren Konsequenz ist bei Fehlen dieses Merkmals nicht lediglich wegen eines versuchten Delikts nach §§ 212, 211 zu bestrafen, sondern wegen Vollendung,552 da das Gesetz, interpretiert man es auf diese Weise, dem Vorliegen der Handlungssituation des § 216 für sich genommen offenbar noch keinerlei entlastende Wirkung zuschreibt.553 Vor diesem Hintergrund ist die von Literatur und Rechtsprechung gepflegte Norminterpretation kaum anders zu verstehen denn als Relikt der im strafjuristischen Schrifttum554 ansonsten weitgehend überholten Sicht, nach der ei549 Hin und wieder werden die beiden dargestellten Aspekte nicht hinreichend voneinander geschieden, so auch in der oben referierten Entscheidung BGH NJW 2005, 1876, wo diese Oberflächlichkeit in der kuriosen Begriffsvermengung gipfelt: „,Bestimmen‘ i. S. von § 216 I StGB setzt mehr voraus als die bloße Einwilligung des Opfers.“ (ebd., S. 1879). In der weiteren Folge beschäftigt sich der BGH dort dann allerdings ausschließlich mit der Frage, ob der Täter durch das Verlangen „bestimmt worden“ ist. 550 BGH NJW 2005, 1876, 1879; Bernsmann, JZ 1983, 45, 52; MüKo-Schneider, § 216 Rn. 26; NK-Neumann, § 216 Rn. 16; LK-Jähnke, § 216 Rn. 8. 551 Ähnlich etwa dem Passus „um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden“ im Rahmen des § 34 (dem allerdings z. T. ebenfalls eine gewisse eigenständige Bedeutung zugesprochen wird, wenn ihm das Erfordernis eines „Rettungswillens“ i. S. zielgerichteter Absicht entnommen wird). 552 Auch dies entspricht allgemeiner Ansicht, vgl. statt aller Gössel/Dölling, BT I, § 5 Rn. 9 f.; SK-Horn, § 216 Rn. 5. 553 Diese Konsequenz zieht auch SK-Horn, § 216 Rn. 3. 554 Anders das (wohl noch) herrschende verfassungsrechtliche Schrifttum, das sich in seinen Begründungsversuchen allerdings weitgehend auf die gebetsmühlenartige Bekräftigung des Dogmas von der Unverfügbarkeit des Rechtsgutes Leben (unter Bezug-

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ner Disposition des Rechtsgutsinhabers über sein Leben im Grundsatz die rechtliche Anerkennung zu verweigern ist. § 216 läßt sich danach nur begreifen als tatbestandliche Vertypung einer minder schweren (im Unrechtskern indes nicht verschiedenen) Form des Totschlags,555 wobei die Besserstellung des Täters maßgeblich556 auf den Aspekt einer Schuldminderung aufgrund der (typischerweise) vorliegenden, die Tat motivierenden Konfliktlage zurückzuführen ist. Es dürfte einigermaßen offensichtlich sein, daß eine solche Betrachtungsweise mit der im Rahmen dieser Untersuchung entwickelten Konzeption des § 216 nicht vereinbar ist. Bewirkt ein freiverantwortlich geäußertes Tötungsverlangen die Rechtfertigung der sich in dessen Rahmen haltenden Tat unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlichen Tötung und gilt demzufolge die Strafbarkeit des § 216 einem eigenständig zu begründenden Unrecht, so ist nicht einzusehen, wieso für diese Bewertung des Unrechts der Tat die – allenfalls auf der systematisch nachgeordneten Schuldebene relevante – Motivlage des Täters eine Rolle spielen sollte. Dies gilt natürlich ebenso für eine Reihe anders begründeter, aber verwandt strukturierter Normkonzeptionen des § 216.557 So dürfte es wenig verwundern, daß sich zahlreiche Vertreter der herrschenden Auffassung mit ihrer Normauslegung auf offenem Kollisionskurs zu den von ihnen im Rahmen der Klärung der Unrechtsstruktur des § 216 vertretenen Positionen befinden. Exemplarisch dafür

nahme auf dessen absoluten Rang) beschränkt, vgl. dazu die neueren, kritischen Untersuchungen bei Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 100, und Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 177, mit umfassenden Nachweisen auch zur tradierten Lehre; s. auch Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 164 ff. 555 Dezidiert so vertreten von Horn in SK, § 216 Rn. 2. 556 Daß die Rechtsfolgenregelung des § 216 ausschließlich auf eine verminderte Schuld des Täters zurückzuführen ist (so noch Wessels, BT I, Rn. 144; wohl ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 2 Rn. 62), wird heute kaum mehr vertreten. Ein nicht unerheblicher Teil der Lehre verfolgt indes eine kombinierte Lösung, die den Grund für die Privilegierung gerade im Zusammentreffen einer Minderung des Unrechts der Tat wegen des Rechtsgutsverzichts des Opfers mit den genannten schuldrelevanten Aspekten sucht, vgl. Lackner/Kühl, § 216 Rn. 1 m.w. N. Dabei läßt sich jedoch nicht übersehen, daß auch nach einem solchen Verständnis der Gesichtspunkt der Unrechtsminderung nicht das Gewicht besitzt, die Beurteilung der Tat zu verändern – daß die Disposition des Sterbewilligen letztlich also keine Anerkennung finden soll; es bleibt beim Totschlag oder Mord, wenn es an der entsprechenden Schuldminderung fehlt. Unter welchem Gesichtspunkt die in Anspruch genommene Unrechtsminderung überhaupt zu begründen sein soll, wenn man der Willensäußerung des Sterbewilligen die rechtliche Anerkennung verweigert („ein bißchen“ Wirksamkeit scheint hier wohl kaum sinnvoll denkbar) und inwieweit sich also die moderne Auffassung unter dem Strich von der erstgenannten Position zu emanzipieren vermag, bleibt dabei freilich eine offene Frage. 557 Wie aus dem im Text Gesagten bereits deutlich geworden sein dürfte, handelt es sich namentlich um sämtliche Modelle, die von einer echten Unrechtsdifferenz zwischen § 216 und den §§ 212, 211 ausgehen.

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ist die – hier mehr oder minder willkürlich herausgegriffene – Kommentierung des § 216 durch Neumann. Zunächst führt dieser aus, daß die Legitimität des § 216 sich aus dem gesellschaftlichen Interesse an der Stabilität lebensschützender sozialer Normen speise;558 konsequent geht er davon aus, daß eine qualitative Unrechtsdifferenz im Verhältnis zu § 212 besteht.559 Wenn Neumann dann an späterer Stelle vertritt, daß § 216 keine Anwendung finden soll, wenn das Verlangen des Opfers bzw. dessen dem Verlangen zugrundeliegende verzweifelte Situation für den Täter nicht der bestimmende Tatantrieb gewesen ist,560 muß er sich fragen lassen, wieso das Fehlen einer bestimmten (eventuell schuldrelevanten, für das Unrecht der Tat jedoch strukturell indifferenten) Motivation dazu führen soll, daß sich das Unrecht der verlangten Tötung, das er zuvor als qualitativ andersgeartet gekennzeichnet hat, wieder in dasjenige einer vorsätzlichen Tötung „zurückverwandelt“. Der durch die herrschende Auffassung praktizierten Tatbestandsauslegung haftet noch ein weiteres Problem an, dessen Virulenz bei der Bewertung des Verhaltens des Täters im oben referierten „Fall Meiwes“ durch den BGH anschaulich geworden ist. Es handelt sich schlicht darum, daß es ganz offenbar nicht möglich ist, willkürfrei zu bestimmen, wann das Tötungsverlangen in dem oben geschilderten Sinne „handlungsleitend“ gewesen ist. Denn wie soll entschieden werden, wann ein Verlangen, das condition sine qua non für die Tatausführung durch den Täter ist, das bestimmende unter mehreren Tatmotiven bildet und wann einen Beweggrund, der „im Motivbündel lediglich mitläuft“561?562 Recht aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die – insgesamt leider reichlich undurchsichtigen und sich weitgehend auf die Wiedergabe der im Tatbestand des Urteils getroffenen Feststellungen beschränkenden – Ausführungen des BGH im „Fall Meiwes“.563 Diese gipfeln in dem Passus, die Erlaubnis und der ihr entsprechende Vollzug könne nur als „Ausführung der bereits vorher zwischen Täter und Opfer getroffenen gegenseitigen Vereinbarung 558

NK-Neumann, § 216 Rn. 3. Neumann, Rn. 2. 560 Neumann, Rn. 16. 561 So beschreibt Jähnke in LK, § 216 Rn. 8 die Konstellation, in der § 216 keine Anwendung finden soll. 562 Siehe dazu die treffenden Ausführungen bei Scheinfeld, GA 2007, 695, 698 ff. In dieselbe Richtung gehen bereits die von Lackner im Rahmen des Sitzungen der Großen Strafrechtskommission 1959 vorgebrachten Bedenken, vgl. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 85. Mit der Ursächlichkeit des Verlangens für die Ausführung der Tat wollen sich offenbar neuerdings auch Kudlich, JR 2005, 342 f., und Otto, JZ 2005, 799, 800, bescheiden (unklar Schiemann, NJW 2005, 2350 f., die den Täter im „Fall Meiwes“ als „bereits entschlossen“ qualifiziert, was – soweit es als Stellungnahme zur Kausalität des Verlangens zu verstehen sein soll – in offenem Widerspruch zu den Feststellungen des Tatbestandes des Urteils steht). 563 BGH NJW 2005, 1876, 1879. 559

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C. Dogmatische Analyse

verstanden werden, die beiden Beteiligten dazu dienen sollte, jeweils ausschließlich die eigenen Interessen zu verwirklichen“, der offenbar die sich unmittelbar anschließende Schlußfolgerung tragen soll, daß das Verlangen des Opfers für den Täter nicht handlungsleitend war. Der für das Gericht in diesem Zusammenhang entscheidende Gesichtspunkt scheint also das jeweilige Interesse von Täter und Opfer gerade an der Herbeiführung des Todes des Sterbewilligen zu sein, das isoliert von den übrigen, die Handlungssituation aus der Sicht der Beteiligten prägenden Faktoren betrachtet wird.564 Tatsächlich sind andere Differenzierungskriterien nicht in Sicht. Es wurde indes bereits mehrfach darauf aufmerksam gemacht, daß ein solches Interesse prinzipiell auf beiden Seiten nachzuweisen sein wird565 – es kann also letztlich nur auf die Gewichtung dieser Interessen ankommen. Hiergegen sprechen bereits – in abgeschwächter Form – jene Argumente, die oben (im Rahmen der Klärung des Begriffs des „Verlangens“) gegen eine prinzipielle Negierung des nicht mit unmittelbarem Interesse auf die Herbeiführung des eigenen Todes zielenden Willens vorgebracht wurden. Vor allem aber ist festzuhalten, daß bei einer externen Gewichtung von Interessen immer die Gefahr der Willkürlichkeit, insbesondere die Gefahr einer für das Recht unstatthaften inhaltlichen Bewertung dieser auf dem Spiel stehenden Interessen besteht. Das veranschaulicht eine naheliegende Parallele: In nahezu identischer Weise machte (bzw. macht)566 die Rechtsprechung in Fällen mit mehreren Tatbeteiligten den tatbestandlichen Charakter eines Ver564 Das „ausschließlich eigene Interesse“, das immerhin auch das Opfer nach den Feststellungen des BGH mit der durch die Tötungserlaubnis affirmierten Vereinbarung verfolgt hatte, bleibt also gänzlich unberücksichtigt (anders Kudlich, JR 2005, 342 f., der in dem „aktiven Hinwirken auf den ersten Akt“ – also die Amputation – „zugleich ein hinreichend intensives Verlangen auch hinsichtlich des zweiten“ – also der Schlachtung – erblicken will). Damit läuft die Position des BGH im praktischen Ergebnis schließlich doch auf die oben (C. III. 1.) diskutierte und verworfene Interpretation hinaus, nach der ein „Verlangen“ nur vorliegen soll, wenn der Sterbewillige seinen Tod i. S. eines dolus directus 1. Grades erstrebt. Fehlt es an dieser Willensqualität, wird der BGH das Interesse des Sterbewilligen an der Herbeiführung des Taterfolges, falls er es nicht gänzlich leugnet, als so gering einstufen, daß er das bei Vorliegen einer derartigen Interaktionsstruktur regelmäßig bestehende Eigeninteresse des Täters für das dominante halten muß – mit der Folge, daß das Verlangen als nicht handlungsleitend einzustufen ist. 565 Dies gilt auch im „Fall Meiwes“: Wenn das Opfer dem Täter die „Schlachtung“ gestattet hat, obwohl es wußte, daß der Täter eine Rücknahme der Einwilligung in die Tötung respektieren würde, muß auch diesem Verhalten die Verfolgung eines – freilich nachträglich von außen kaum feststellbaren oder benennbaren – Interesses zugrundegelegen haben; vgl. dazu auch Kudlich, JR 2005, 342 f. Gerade der Umstand, daß dieses Interesse seiner Art und seinem Inhalt nach für den Außenstehenden noch nicht einmal zweifelsfrei kommunizierbar ist, macht jedoch deutlich, daß es im Grunde eine Anmaßung ist zu behaupten, man könne seine Intensität zuverlässig ermitteln. 566 Obzwar die Rechtsprechung zunehmend im Rahmen einer sich nach wie vor als subjektive Theorie verstehenden Täterlehre auf Tatherrschaftsgesichtspunkte zurückgreift, ist der Gebrauch der Vergangenheitsform angesichts nicht seltener und ex ante kaum prognostizierbarer „Rückfälle“ wohl eigentlich verfrüht.

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haltens vom jeweiligen Grad des Interesses der Beteiligten am Eintritt eines bestimmten Erfolges abhängig, wenn sie Täterschaft (bzw. Teilnahme) auf der Grundlage der subjektiven Beteiligungslehre in ihrer ursprünglichen Gestalt567 feststellt(e). Die einhellige Kritik, welche die Rechtsprechung für dieses Vorgehen in der juristischen Literatur geerntet hat,568 steht in einem merkwürdig anmutenden Gegensatz zu der Einmütigkeit, mit der das Schrifttum die auf eine solche Form der Interessenbewertung hinauslaufende Interpretation des § 216 billigt.569 Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß der Versuch, der Norm des § 216 auf der Grundlage der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung, nach welcher der Täter durch das Verlangen zur Tötung „bestimmt worden“ sein muß, eine überschießende subjektive Tendenz zu implementieren, in erster Linie aus systematischen Gründen zu verwerfen ist. Gegen eine solche Interpretation spricht außerdem die ihr bereits axiomatisch immanente Anwendungsunsicherheit. Der erörterte Passus des Wortlautes der Norm ist demzufolge als ein lediglich klarstellender Verweis auf das Erfordernis eines Handelns in Kenntnis der Voraussetzungen des § 216 (also nach dem hier vorgestellten Verständnis: der Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung in die Tötung) zu bewerten. Diese Auslegung scheint im übrigen näher an einem sprachlich sinnvollen Verständnis des Bedeutungsgehaltes des Normtextes als diejenige der herrschenden Meinung bzw. des BGH, nach der im Ergebnis nur derjenige durch ein Verlangen zur Tötung „bestimmt worden“ sein kann, dessen Interesse am Vollzug im Verhältnis zu dem des Getöteten als das nachrangige einzustufen ist.570 Es erweist sich also, daß bei systemgerechter Auslegung die durch § 216 statuierten Voraussetzungen in ihrer Gesamtheit denen einer rechtfertigenden Einwilligung in die vorsätzliche Tötung entsprechen (müssen) und daß demgegenüber den Eigenheiten der Gesetzesformulierung ein lediglich rhetorischer Charakter beizumessen ist. Das hierbei in Referenz genommene systematische Verständnis des § 216 als eines Straftatbestandes mit eigenständigem Unrechts567 In dieser auch als „Interessentheorie“ bezeichneten Lehre sind die Auswüchse der sog. „extrem-subjektiven Theorie“ (vgl. RGSt 74, 85: „Badewannenfall“; BGHSt 18, 87: „Stachinskyfall“) bereits angelegt; vgl. insgesamt zur Entwicklung der subjektiven Beteiligungslehre Sch/Sch-Cramer/Heine, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 56 ff. m.w. N. 568 Sch/Sch-Cramer/Heine, Rn. 59 mit umfassenden Nachweisen. 569 An der grundsätzlichen Berechtigung dieser Kritik kann auch der Umstand nichts ändern, daß die im konkreten Fall durch den BGH vorgenommene Gewichtung der im Hinblick auf die Herbeiführung des Erfolges bestehenden Interessen intuitiv so stark einleuchtet, daß man sich scheuen wird, von einer Willkürlichkeit der Interessenbewertung zu sprechen. 570 Da diese in die Grenzbereiche des möglichen Wortsinns vorstoßende Interpretation für den Normadressaten ungünstige Folgen zeitigt, muß sie sich zudem am Maßstab des Art. 103 II GG messen lassen, dessen Wahrung immerhin zweifelhaft erscheint.

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gehalt widerspricht indes – wie sogleich genauer zu belegen und auf seine Konsequenzen hin zu untersuchen sein wird – dem Verständnis des für die so interpretierte Fassung des Wortlautes verantwortlich zeichnenden historischen Gesetzgebers.

IV. Die objektiv legitime Norminterpretation und der Wille des Gesetzgebers Wurde im bisherigen Verlauf der Untersuchung deutlich, daß das strafrechtliche Verbot der Tötung auf Verlangen in einer teleologisch an den Maßstäben einer freiheitlich orientierten Rechtsordnung ausgerichteten und dabei systematisch schlüssigen Weise interpretiert werden kann, so bedeutet dies für sich genommen noch nicht, daß § 216 auch tatsächlich eine legitime Norm ist. Schließlich genügt es für den Bestand einer Norm vor der Verfassung nicht, daß sich diese als materiell legitim (also materiell verfassungskonform) interpretieren läßt; die grundgesetzliche Zuständigkeitsordnung im Zusammenspiel mit dem Gewaltenteilungsprinzip fordert darüber hinaus, daß sich der tatsächliche Regelungsgehalt der Norm – also nicht nur deren Wortlaut – formell auf einen Akt des zuständigen Gesetzgebungsorgans zurückführen läßt. Jener Regelungsgehalt wird aber maßgeblich durch das grammatikalische, teleologische und systematische Verständnis der jeweiligen Norm geprägt – was die Gefahr birgt, daß der Normexeget sich in seinem Streben nach einer materiell legitimen Interpretation im Ergebnis mehr oder minder an die Stelle des Gesetzgebers setzt und diesem quasi ein Gesetz „unterschiebt“, das mit einem solchen Inhalt nicht zustande kommen sollte.571 Das BVerfG hat zu diesem Problem mehrfach im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung einfachgesetzlicher Normen Stellung bezogen und dabei in BVerfGE 8, 28 ff. eine wichtige methodenhierarchische Grenze zugunsten der historischen Auslegung gezogen: „Keinesfalls darf jedoch eine solche verfassungskonforme Auslegung das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkte verfehlen oder verfälschen.“572 Diese Grenzziehung erfuhr eine weitere Präzisierung in BVerfGE 54, 277: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf im Wege der Auslegung einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt nicht grundlegend neu bestimmt, das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden“.573 571 Insofern verkürzt Murmann, Selbstverantwortung, S. 513, die Problematik um ihre grundlegend kritische Dimension, wenn er sich im vorliegenden Zusammenhang darauf zurückzieht, daß der Wille des historischen Gesetzgebers nach der herrschenden Methodenlehre nur als Indiz bedeutsam, aber nicht ausschlaggebend sei. 572 BVerfGE 8, 28, 34. 573 BVerfGE 54, 277, 299.

IV. Die objektiv legitime Norminterpretation und der Wille des Gesetzgebers 193

Im folgenden wird zu untersuchen sein, ob die hier vertretene – und als objektiv einzig legitim befundene574 – Interpretation des § 216 den genannten Anforderungen entspricht. Das erste und wohl zentrale Problem, das sich einem solchen Unterfangen stellt, ist die Festlegung des Bezugspunktes der historischen Auslegung, also des für diese maßgeblichen Willens des Gesetzgebers. Dieser „Wille“ ist zu ermitteln aus den im Gesetzgebungsverfahren zutage getretenen Absichten und Motiven der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaft bzw. denjenigen Vorstellungen, die in den zuständigen untergeordneten Ausschüssen oder den für den Gesetzesentwurf verantwortlich zeichnenden Kommissionen oder Ministerien zum Ausdruck gebracht und ohne Widerspruch geblieben sind.575 Es liegt nun nahe – und wird vielfach unreflektiert praktiziert576 – dabei auf die eigentliche Entstehungsgeschichte der Norm zurückgreifen, also ihren historischen Ursprung im bis heute fortgeltenden Reichsstrafgesetzbuch von 1871, zumal, wie bereits erwähnt, sich hier die einzige577 verwertbare Stellungnahme zum Strafgrund des heutigen § 216 findet: diejenige aus der von Kommissionsmitgliedern verfaßten Motivsammlung zum – später Reichsgesetz gewordenen – zweiten Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund.578 Bei Lichte betrachtet kann die Genese der vom Reichstag verabschiedeten Norm für die historische Auslegung aber keine unmittelbare Rolle spielen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die heute geltende Norm sich tatsächlich formell auf diesen historischen Gesetzgeber zurückführen ließe, wenn es sich bei § 216 also um (heute noch) nach Art. 123 I GG fortgeltendes vorkonstitutionelles 574 Es sollte keiner näheren Darlegung bedürfen, daß eine materiell illegitime Norm im grundrechtssensiblen Bereich des Strafrechts gleichbedeutend mit einer verfassungswidrigen Norm ist; mithin handelt es sich bei dem im bisherigen Verlauf der Untersuchung – quasi im Ausschlußverfahren – entwickelten Normverständnis ebenfalls um das Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung. 575 Vgl. dazu, daß auch solche Vorarbeiten von Personen oder Personengruppen, die nicht mit originären Kompetenzen im Gesetzgebungsverfahren ausgestattet sind, im Rahmen der historischen Auslegung als Erkenntnisquellen heranzuziehen sind, u. a. Larenz, Methodenlehre, S. 328 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 449. 576 Zuletzt Murmann, Selbstverantwortung, S. 514. 577 Nicht unterschlagen werden soll dabei die in der Reichstagsdebatte vorgetragene Stellungnahme des Abgeordneten und Kommissionsberichterstatters Evelt, in der dieser einen kollektivistisch fundierten Ansatz vertrat; es ist jedoch ungeklärt, ob damit einer für die Verabschiedung der Norm relevanten Strömung im Reichstag Ausdruck verliehen wurde oder ob es sich nur um eine vereinzelte persönliche Meinung handelte; vgl. dazu Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 44 f. 578 Vgl. oben B. I., insbesondere Fn. 74. Auch diese Stellungnahme läßt sich indes nicht uneingeschränkt mit einer „Willensäußerung des historischen Gesetzgebers“ identifizieren – jedenfalls den Mitgliedern des Bundesrates des Norddeutschen Bundes standen jene Niederschriften vor ihrer Abstimmung über das Gesetz nicht zur Verfügung – es ist also fraglich, inwiefern sie eine Rolle bei deren Meinungsbildung gespielt haben können, vgl. Große-Vehne, S. 40.

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C. Dogmatische Analyse

Recht handeln würde. Ursprünglich vorkonstitutionell in Geltung gesetzte Normen werden jedoch dann dem nachkonstitutionellen Gesetzgeber, also dem Bundestag, zugerechnet, wenn dieser sie in seinen Willen aufgenommen oder wesentlich modifiziert hat.579 Beides ist im Falle des § 216 geschehen: Die Regelung mußte sich kriminalpolitisch des öfteren auf dem Prüfstand legislativer Reformbestrebungen bewähren580 und wurde zudem auf der Rechtsfolgenseite zunächst durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz von 1953 und schließlich durch das Erste Strafrechtsreformgesetz von 1969 gewichtigen Modifikationen581 unterzogen. Im Rahmen einer historischen Auslegung der geltenden Fassung des Verbots der Tötung auf Verlangen sind die der Norm des Reichsstrafgesetzbuches zugrundeliegenden gesetzgeberischen Intentionen demzufolge nur zu berücksichtigen, soweit davon auszugehen ist, daß der nachkonstitutionelle Gesetzgeber sich ganz oder teilweise auf sie beziehen wollte. Bedenkt man, daß eine der bundesdeutschen Legislative zuzurechnende Stellungnahme zum Strafgrund des § 216 nicht existiert, liegt in der Tat die Deutung nahe, daß diese sich mit dem jeweiligen Akt der Affirmation bzw. Modifikation das überlieferte Verständnis zueigen gemacht hat.582 Gleichwohl wird man davon – aus inhaltlichen Gründen – nicht ausgehen können. Es sei daran erinnert, daß die der Regelung des Reichsstrafgesetzbuches maßgeblich zugrundeliegende Auffassung die Inkriminierung der Tötung auf Verlangen unter unvermitteltem Rekurs auf einen der Verfügung über das Leben anhaftenden Verstoß gegen das Sittengesetz begründete. Eine solche Sichtweise ist aber insofern anachronistisch, als sie die im säkularen Rechtsstaat herrschende strikte Grenzziehung zwischen Recht und Moral ignoriert und sich demzufolge unter dem Regiment des Grundgesetzes als nicht mehr haltbar erweist.583 Eine Interpretation, auf deren Grundlage sich § 216 nicht als verfassungskonforme Norm ausweisen läßt, darf dem Gesetzgeber indes nicht ohne weiteres unterstellt werden.584

579

Vgl. Wolff, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 123 Rn. 24 ff. m.w. N. Hervorzuheben sind hierbei die Bemühungen der Großen Strafrechtskommission von 1959 (Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 84); vgl. i. ü. zu den nach 1945 auf legislativer Ebene ausgetragenen Reformdiskussionen die Darstellung bei Große-Vehne, S. 164 ff. 581 1953 wurde ein neuer Absatz 2 eingefügt, der vorsah, bei Vorliegen von mildernden Umständen das Mindestmaß der Strafe auf Freiheitsstrafe nicht unter 6 Monaten herabzusetzen (der Regelstrafrahmen blieb bei einer Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahren); 1969 wurde dann der heute geltende Regelstrafrahmen eingeführt. 582 Hier käme es nun auch nicht mehr auf die tatsächliche Authentizität der Deutung der für den zweiten Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund zuständigen Kommission an, sondern nur mehr darauf, ob der bundesdeutsche Gesetzgeber diese für die historisch maßgebliche gehalten hat. 583 Vgl. bereits oben B. I.; ebenso (u. a.) Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 51 f.; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 104 f. 580

IV. Die objektiv legitime Norminterpretation und der Wille des Gesetzgebers 195

Somit steht die historische Gesetzesauslegung im Zusammenhang mit der Aufklärung des Strafgrundes der Tötung auf Verlangen vor dem ein wenig paradox anmutenden Problem, daß es sich bei § 216 in diesem Punkt um eine Norm ohne (verwertbare) gesetzgeberische Intentionen bzw. Motive handelt.585 Immerhin scheint damit die oben aufgeworfene Ausgangsfrage geklärt: Wo eine gesetzgeberische Absicht nicht faßbar ist, kann sie auch nicht durch eine objektiv sachgerechte Norminterpretation in ihr Gegenteil gewendet oder sonst verfälscht werden. Ganz so einfach liegt der Fall aber doch nicht. Wenn auch nicht klar ist, worin der nachkonstitutionelle Gesetzgeber den Strafgrund des § 216 erblicken möchte, so ist doch immerhin evident, daß er die hier für einzig legitim gehaltene Sichtweise nicht teilt, mehr noch, daß das legislative Normverständnis dieser Sichtweise in vielen Punkten widerspricht.586 Es ist hier nicht der Ort, dies im Detail nachzuzeichnen, es sei nur exemplarisch auf die Erwägungen der Großen Strafrechtskommission 1959 verwiesen, deren offenkundiger, nicht in Frage gestellter Ausgangspunkt war, daß § 216 eine Privilegierung eines vorsätzlichen Tötungsdelikts darstellt, die wesentlich durch eine Schuldminderung bedingt ist.587 Die aus dieser Einordnung für die praktische Normanwendung folgenden Konsequenzen, insbesondere für die Frage, wann von einem „Verlangen“ zu sprechen ist und wann der Täter durch dieses „bestimmt worden“ ist, aber auch für die Möglichkeit einer Rechtfertigung der Tat wurden oben bereits ausführlich dargelegt; sie sind vom Gesetzgeber jedenfalls in ihren wesentlichen Zügen gesehen und gebilligt worden.

584 Dies ist als Ausfluß einer normativ fundierten Bewertung zu verstehen und nicht etwa als eine Antwort auf die – wohl kaum aufklärbare – empirische Frage, ob sich der Gesetzgeber tatsächlich in der Ausrichtung seiner Selbstregulierung in jener Hinsicht auf der Höhe der Verfassung befand – was man immerhin bezweifeln könnte, bedenkt man, daß sich selbst die Judikative mit BGHSt 6, 147, 153 einen (später korrigierten) Fehltritt in die genannte Richtung leistete. 585 Damit soll nicht gesagt sein, daß die in diesem Zusammenhang mit legislativen Aufgaben betrauten Personen tatsächlich in jener Hinsicht gedankenlos gewesen sind, obwohl auch dies nicht völlig auszuschließen ist: So wehrt, um eine belegtes Beispiel für eine solche Haltung zu benennen, Koffka in den Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 86 den Gedanken einer Streichung der Vorschrift unter schlichtem Verweis auf deren erwiesene Praktikabilität ab. 586 Dies wird offenbar von Murmann, Selbstverantwortung, S. 516 f., sogar mit Blick auf schwerwiegende interpretatorische Konsequenzen, für prinzipiell unbedenklich gehalten: „Ist aber die Begründung für eine gesetzgeberische Entscheidung mit der verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsfreiheit nicht kompatibel, dann kann auch die auf diesem nicht tragfähigen Grund aufbauende Vorschrift nicht den Maßstab bilden, an dem andere Schutzzweckkonzeptionen deshalb zerbrechen, weil sie die positivrechtliche Vorschrift nicht in vollem Umfang legitimieren.“ 587 Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 7, S. 84 ff. Immerhin wurde der in der vorliegenden Untersuchung für zentral erachtete Aspekt der Gefahr des Fehlens der Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens auch dort gesehen und offenbar für relevant erachtet, vgl. die Ausführungen Skotts, S. 85 f.

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C. Dogmatische Analyse

Muß die Norm aber wegen dieser Diskrepanz zwischen objektiv legitimem und tatsächlichem gesetzgeberischen Verständnis verworfen werden? Man scheint diese Frage unter den konkreten Gegebenheiten verneinen zu dürfen. Verantwortlich hierfür ist vor allem der Umstand, daß der Gesetzgeber seinerseits den § 216 offenbar stets unter einem in erster Linie pragmatischen Blickwinkel betrachtet hat. Gerade wenn man die in den Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtsreform fixierten Stellungnahmen in ihrer Gesamtheit in den Blick nimmt, schält sich bei aller Disparität als ein grundlegender Konsens heraus, daß – ungeachtet des theoretisch nicht abschließend gesicherten Fundaments der Norm und ungeachtet der Heterogenität denkbarer und vertretener Ansätze zu ihrer Legitimation588 – eine möglichst umfassende Strafbarkeit von im Einverständnis mit dem Opfer vollzogenen Tötungshandlungen zu gewährleisten sei – und zwar deshalb, weil dies kriminalpolitisch geboten bzw. opportun erscheint. Es kann unter diesen Umständen keinesfalls als eine Verbrämung gesetzgeberischer Intentionen erscheinen, hält man die Norm unter einem Gesichtspunkt aufrecht, den der Gesetzgeber allem Anschein nach nicht für den maßgeblichen gehalten hat – wenn doch erwiesen ist, daß das zentrale Anliegen des Gesetzgebers war, daß sie aufrechterhalten wird. Dieser Gedanke trägt auch, soweit die Unterschiede in der dogmatischen Grundlegung zu Verschiebungen im praktischen Anwendungsbereich des § 216 führen. Das ist darauf zurückzuführen, daß – soweit es tatsächlich zu Abweichungen kommt – das hier vertretene Normverständnis eine im Vergleich zu den Vorstellungen des Gesetzgebers durchweg restriktivere Linie bei der Begründung der Strafbarkeit eines den Normbereich des § 216 berührenden Verhaltens bedingt. Wenn jener beispielsweise, wie eben schon angedeutet, das Merkmal des „Verlangens“ (ebenso wie das Erfordernis, daß der Täter durch dieses zur Tötung „bestimmt worden“ sein muß) axiomatisch enger interpretiert, als das auf dem Boden einer objektiv vertretbaren legislativen Zwecksetzungskonzeption legitim erscheint,589 so geschieht dies selbstredend nicht mit der Tendenz, den Täter von der Strafbarkeit nach § 216 freizustellen, sondern um die Möglichkeit zu eröffnen, diesen nach §§ 212, 211 zu bestrafen. Muß diesem – wie auch immer zu rationalisierenden – kriminalpolitischen Wunsch die Erfüllung versagt bleiben, so kann kein Zweifel bestehen, daß es dann dem gesetzgeberischen Willen entspricht, wenn die Tat „wenigstens“ nach § 216 abgeurteilt wird.

588 Daß diese Fragen dabei noch nicht einmal ausdrücklich als problematisch gekennzeichnet werden, muß den Eindruck verstärken, daß der Gesetzgeber sie für zweitrangig hält. 589 Im Ergebnis korreliert diese gesetzgeberische Vorstellung vom Anwendungsbereich der Norm mit der oben kritisierten herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und juristischem Schrifttum, vgl. C. III.

IV. Die objektiv legitime Norminterpretation und der Wille des Gesetzgebers 197

Auf einen kurzen allgemeinen Nenner gebracht läßt sich also sagen, daß das hier vorgestellte Konzept des § 216 in Randbereichen Strafbarkeitseinschränkungen zur Folge haben kann,590 die nicht den ursprünglichen Absichten des Gesetzgebers entsprechen. Diese ergeben sich indes aus den materiellen Grenzen gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit und unterliegen mithin nicht der legislativen Disposition. Die Anerkennung dieser Grenzen ist zunächst unabhängig von der Frage der Fortgeltung des § 216. Nimmt man sie als gegeben hin, wird deutlich, daß der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers: dem Vollzug der fremdhändigen Tötung so weit wie möglich „Steine in den Weg zu legen“, am ehesten mit der vorgeschlagenen moderaten Anpassung an das teleologischsystematisch (und verfassungsmäßig) Legitime gerecht zu werden ist; jedenfalls weit eher als mit einem Außer-Geltung-Setzen des Verbots der Tötung auf Verlangen. Ein kritischer Punkt soll dabei indes nicht verschwiegen werden. Die bisherigen Ausführungen drehten sich nahezu ausschließlich um das „Ob“ der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, nicht um die „Wie“ – also die konkret in § 216 getroffene Rechtsfolgenregelung. Es dürfte ohne weiteres einleuchten, daß auch diese von der Rekonstruktion des Normzwecks unmittelbar betroffen ist: Schließlich bestimmt das tatbestandlich geschützte Rechtsgut maßgeblich den Charakter der Rechtsgutsverletzung, also das Unrecht der Tat, das wiederum die Basis für die Bestimmung der Schuld des Täters und mithin das Maß der verwirkten Strafe ist. Damit kann eine Veränderung der teleologischen Grundlegung einer Norm im schlimmsten Falle bewirken, daß der existierende Strafrahmen bereits objektiv nicht mehr geeignet ist, die auf das so definierte Unrecht bezogene Schuld adäquat zu erfassen. Das wird man im Falle des § 216 sicherlich nicht sagen können. Zwar wirkt es auf den ersten Blick befremdlich, daß die Mindeststrafe des abstrakten Gefährdungsdeliktes des § 216 (Freiheitsentzug von 6 Monaten) gegenüber der des komplementären Verletzungsdelikts des § 222591 (Geldstrafe) erhöht ist. Dies erklärt sich jedoch, bedenkt man, daß § 222 quasi als Auffang590 Zu den weiteren praktischen Implikationen des hier vorgestellten Konzepts des § 216 vgl. Teil D. Es sei bereits vorausgeschickt, daß sich dort der (hier noch provisorische) Befund bestätigt finden wird, daß das im Rahmen der Untersuchung entfaltete Verständnis der Norm keine Erweiterung des Normbereiches über das vom Gesetzgeber (mutmaßlich) Gewollte hinaus in seinem Gefolge hat. 591 Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei nochmals daran erinnert: Selbstverständlich bezieht sich § 216 auf eine vorsätzliche Tötungshandlung, jedoch handelt der Täter in dem Falle, in dem sich die verbotene Gefährdung in einem Verletzungserfolg realisiert, in der fälschlichen Vorstellung des Vorliegens eines freiverantwortlichen Tötungsverlangens. Dieses Verlangen würde, läge es in mangelfreier Form vor, die vorsätzliche Tötung als solche rechtfertigen, der Täter handelt somit im Hinblick auf seinen Verstoß gegen das Verbot vorsätzlicher Tötung im Erlaubnistatbestandsirrtum und verwirklicht demzufolge lediglich das Unrecht einer fahrlässigen Tötung, vgl. bereits oben Fn. 461, aber auch unten Fn. 621.

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C. Dogmatische Analyse

norm für qualitativ und quantitativ z. T. völlig disparate Formen sorgfaltswidrigen Verhaltens fungiert – bis hin zu marginalen und fast schon unvermeidlichen Unachtsamkeiten im Grenzbereich strafwürdigen Unrechts. Demgegenüber bezieht sich die dem § 216 zugrundeliegende Verhaltensnorm auf einen klar umrissenen Lebenssachverhalt, der durch ein für jedermann mit Händen zu greifendes Risikosyndrom gekennzeichnet ist – wer sich anschickt, das Leben eines anderen zu beenden, wird nicht umhin können, sich über die daran geknüpfte potentielle Verantwortlichkeit klarzuwerden. Mit anderen Worten weist das § 216 unterfallende Verhalten ein im Mindestmaß gegenüber der einfachen fahrlässigen Tötung deutlich gesteigertes Handlungsunrecht auf.592 Es bleibt indes die Frage, ob der geltende, nach objektiven Maßstäben als angemessen zu bewertende Strafrahmen auch vom Gesetzgeber als angemessen erachtet würde, betrachtete dieser § 216 entgegen seiner bisherigen Sichtweise als abstrakten Gefährdungstatbestand. Immerhin besteht gerade bei der Festsetzung der Rechtsfolgen einer Straftat ein nicht ganz unbeträchtlicher, vornehmlich durch kriminalpolitische Erwägungen auszufüllender gesetzgeberischer Spielraum. Und es ist natürlich nicht auszuschließen, daß der Gesetzgeber seine die Strafandrohung tragenden kriminalpolitischen Erwägungen der geänderten Unrechtsstruktur anpassen und im Ergebnis den Strafrahmen modifizieren würde. Sehr naheliegend erscheint dies indes nicht. Wirft man einen Blick auf die der letzten diesbezüglichen Änderung durch das Erste Strafrechtsreformgesetz von 1969 zugrundeliegenden Erwägungen, so findet sich kein Hinweis darauf, daß eine Reflexion des Zusammenhangs von Normzweck bzw. Charakter der inkriminierten Rechtsgutsverletzung und Strafzumessung Eingang in diese gefunden hat. Der Anlaß für die immerhin nicht unbedeutende Absenkung des Regelstrafrahmens fand sich vielmehr – und dies scheint bezeichnend für die oben beschriebene pragmatische Haltung des Gesetzgebers im Umgang mit § 216 – in der technischen Notwendigkeit einer Anpassung der Norm an ein neuformiertes Sanktionensystem, bei deren Gelegenheit dann durch den zuständigen Sonderausschuß lediglich lapidar festgestellt wurde, daß die bestehende Strafdrohung „ohnehin nicht recht angemessen zu sein“ scheine.593 Unter diesen Umständen dürfte es nicht verfehlt sein anzunehmen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Rechtsfolgen des § 216 auch für den Fall Bestand haben sollen, daß der – vorsichtig ausgedrückt: – schwach rationalisierte

592 Man wird auch nicht ohne weiteres sagen können, daß eine Mindeststrafe von 6 Monaten Freiheitsentzug generell für ein abstraktes Gefährdungsdelikt zu hoch ist (in diese Richtung aber Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 23), immerhin existieren im StGB abstrakte Gefährdungstatbestände mit Verbrechenscharakter, wie beispielsweise § 306 a I. 593 Vgl. Protokolle der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, V. Wahlperiode, 118. Sitzung, S. 2363.

IV. Die objektiv legitime Norminterpretation und der Wille des Gesetzgebers 199

Konnex von Unrechtsstruktur und Sanktionsanordnung durch eine geltungserhaltende verfassungskonforme Norminterpretation aufgetrennt werden sollte. Trotz der aufgezeigten kleineren Unwägbarkeiten, die zu einem Gutteil der generellen Unsicherheit der historischen Auslegungsmethode geschuldet sind, wird man im Ergebnis also festhalten können, daß sich die hier vorgestellte teleologisch-systematisch legitime Norminterpretation nicht in einen unbehebbaren Widerspruch zu den legislativen Intentionen gesetzt sieht. Damit ist die im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehende theoretische Grundlegung für eine Neustrukturierung des Verbotes der Tötung auf Verlangen abgeschlossen. Es hat sich erwiesen, daß sich die Strafnorm des § 216 unter dem Gesichtspunkt der abstrakten Gefahr fremdverantwortlicher Lebensbeendigung aufgrund von Willensdefiziten des seine Tötung Verlangenden als dem Zweck nach legitime Strafvorschrift ausweisen läßt. Es konnte zudem herausgestellt werden, daß sich eine solche Zweckkonzeption bei grammatikalisch vertretbarer Auslegung des Normwortlautes sowohl in die Systematik der Delikte gegen Leib und Leben, als auch insgesamt in das System strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes auf der Basis personaler Verantwortlichkeit einpaßt und – zuletzt – daß sie nicht gegen den Willen des Gesetzgebers steht. Im folgenden Kapitel soll nun abschließend ein Blick auf die Rückwirkungen des in dieser Arbeit entwickelten Normverständnisses auf die Lösung einiger praktisch relevanter, hier bislang nicht bzw. nur unvollkommen beleuchteter Probleme geworfen werden. Zwar handelt es sich dabei naturgemäß um Fragestellungen, die keinen unmittelbaren Bezug zu der im Vordergrund dieser Untersuchung stehenden Klärung der theoretischen Validität der teleologischen Konzeption des § 216 aufweisen. Es ist jedoch von gewiß nicht gering zu veranschlagendem Interesse, in welchem Maße der im Zuge jener Klärung bereitete Boden ein belastbares begriffliches Fundament bei der Formulierung von Lösungsansätzen für die im Zusammenhang mit der Beteiligung an suizidalem Verhalten kritischen Fallkonstellationen bildet. Schließlich ist der Rechtswissenschaft als praktischer Wissenschaft mit der Kreation normativer Strukturen wenig gedient, die sich – insgesamt oder in Teilbereichen – nur unter dogmatischen Verrenkungen handhaben lassen.

D. Die anwendungsbezogenen Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216 Bei der Entfaltung und kritischen Prüfung des hier vorgelegten teleologischen Konzepts des § 216 hat es sich als notwendig erwiesen, bereits einige Anwendungsprobleme der Norm bzw. ihres systematischen Umfelds anzureißen und ihre Lösung bis zu einem bestimmten Punkt voranzutreiben. In den ersten Abschnitten dieses Kapitels sollen nun zunächst die dort fallengelassenen Fäden wieder aufgenommen und offengebliebene Fragen einer Klärung zugeführt werden. Darüber hinaus ist die Arbeit bislang den Versuch schuldig geblieben, die in der Einführung unter A. II. angeschnittenen Problemfelder weiter aufzuklären. Dieser Versuch soll in den beiden das Kapitel abschließenden Abschnitten unternommen werden. Dabei wird zum einen zu klären sein, inwieweit es möglich ist, aus dem Schutzzweckgedanken ein Kriterium zur Feststellung der Täterschaft bei § 216 zu generieren, zum anderen ist die Frage zu stellen, ob das Verbot der Tötung auf Verlangen, so wie es hier verstanden wird, durch Unterlassen verletzt werden kann.

I. Die Tötung in Unkenntnis des objektiven Vorliegens der Voraussetzungen des § 216 Im vorigen Kapitel wurde herausgearbeitet, daß der Versuch, die privilegierende Wirkung des § 216 von einer überschießenden subjektiven Tendenz beim Täter abhängig zu machen – hauptsächlich aus systematisch-teleologischen Gründen – fehlgeht. Im Unterschied zu der von herrschender Lehre, Rechtsprechung und Gesetzgeber für richtig gehaltenen Interpretation ist der Täter schon dann als „durch das Verlangen zu Tötung bestimmt“ anzusehen, wenn er in Kenntnis des Tötungsverlangens und in der Vorstellung handelt, daß der zugrundeliegende Sterbeentschluß freiverantwortlich gefaßt wurde. Nach dem oben Ausgeführten bedarf es für den vorliegenden Kontext wohl kaum mehr als eines klarstellenden Hinweises, daß diese Divergenz auch in dem Falle Konsequenzen zeitigt, in dem es – bei Vorliegen der objektiven Voraussetzungen des § 216 – an jenem subjektiven Tatbestand mangelt. Knüpft sich die privilegierende Wirkung des § 216 gerade an die innere Beziehung des Täters zu den Umständen, die seine Tat gegenüber der gewöhnlichen vorsätzlichen Tötung auszeichnen, so ist klar, daß ihm auch das (bloße) objektive Vorliegen dieser Umstände nicht helfen kann: Die Tat ist dann konsequenterweise allein nach den §§ 212, 211 zu beurteilen.

II. Die gerechtfertigte Tötung auf Verlangen

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Betrachtet man die Norm des § 216 hingegen mit der hier entwickelten Auffassung als eigenständigen Tatbestand, der an die Stelle des durch die Einwilligung des Getöteten gerechtfertigten vorsätzlich verwirklichten Tötungsdeliktes tritt, so ist – ebenso selbstverständlich – zu berücksichtigen, daß durch das objektive Vorliegen rechtfertigender Umstände der Erfolgsunwert einer nach § 212 bzw. § 211 tatbestandsmäßigen Handlung kompensiert wird. Es liegt m. a. W. eine jener (praktisch seltenen, dogmatisch indes geläufigen) Fallkonstellationen vor, deren Rechtsfolgen im strafrechtlichen Schrifttum unter dem Begriff des „umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtums“ diskutiert werden. Diese Diskussion kann hier nicht im Detail nachvollzogen werden. Es soll lediglich in aller Kürze festgehalten werden, daß die herrschende Ansicht mit Recht auf die parallele Unrechtsstruktur des beendeten Versuchs verweist (voll verwirklichtes Handlungsunrecht bei mangelndem Erfolgsunrecht) und konsequent – trotz formaler Tatvollendung – die Rechtsfolgen der Tat dem jeweiligen Versuchstatbestand entnimmt.594 Der nicht durch ein – objektiv mangelfrei vorliegendes – Verlangen des Getöteten bestimmte Täter ist danach lediglich gemäß §§ 212/211, 22, 23 I, 12 I zu bestrafen.595

II. Die gerechtfertigte Tötung auf Verlangen Es ist bereits an mehreren Stellen deutlich geworden, daß eine Reihe von Situationen denkbar sind, die einwandfrei dem Anwendungsbereich des § 216 unterfallen, in denen eine Bestrafung des Täters unter dem Gesichtspunkt einer abstrakt bestehenden Gefahr des Vollzugs nicht freiverantwortlich gefaßter suizidaler Absichten jedoch nicht sachgerecht erscheinen will. Paradigmatisch hierfür ist der bereits angesprochene Fall eines schwer leidenden, um Sterbehilfe bittenden Moribunden, der physisch nicht in der Lage ist, sich selbst den Tod zu geben. Ähnlich gelagert ist auch der unter B. III. angeführte Fall des rettungslos in einem brennenden Wagen eingeschlossenen Autofahrers, der um Erlösung durch einen Gnadenschuß fleht. In der strafrechtlichen Literatur wird für solche Fälle häufig – in Abhängigkeit vom jeweils zugrundegelegten teleologischen Normverständnis – eine teleologische Reduktion des Tatbestandes des § 216 ins Auge gefaßt. Insbesondere für diejenigen Autoren, die generelle Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Sterbe594

Vgl. Sch/Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 15 mit umfassenden Nachweisen. § 216 ist in diesen Fällen hingegen nicht verwirklicht: Zwar verwirklicht das Handeln des Delinquenten auch in subjektiver Hinsicht (a maiore ad minus) einen abstrakten Gefährdungstypus in Bezug auf das Lebensrecht des Getöteten (der Täter handelte gar mit Verletzungsvorsatz). Der dem Verletzungsvorsatz logisch immanente abstrakte Gefährdungsvorsatz korrespondiert jedoch nicht mit dem in § 216 fixierten Risikosyndrom, so daß insoweit nach dem Gesetzlichkeitsprinzip eine Bestrafung zu unterbleiben hat. 595

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

wunsches des den Vollzug der Selbsttötung delegierenden Suizidenten hegen und darin den Strafgrund des § 216 erblicken wollen, liegt dieser Umgang mit einer Fallgruppe nicht fern, in der an der Ernsthaftigkeit des Sterbewillens jedenfalls kein aus der gewählten Vollzugsform zu schließender Zweifel möglich scheint. Für die hier vertretene Norminterpretation bietet sich eine solche Lösung weit weniger an. Neben den oben bereits vorgebrachten allgemeinen Bedenken gegen eine partielle Aufhebung der Abstraktheit des Gefährdungstypus spricht gegen sie, daß die Gefahr des Bestehens allgemeiner Willensdefizite in den angeführten Fällen zwar möglicherweise verringert, nicht aber grundsätzlich aufgehoben ist. Das diese Fälle wesentlich kennzeichnende Merkmal besteht vielmehr darin, daß es zu einer echten Kollision des individuellen Interesses an der selbstbestimmten Herbeiführung des eigenen Todes mit dem Interesse desselben Individuums kommt, wo möglich vor dem Risiko einer nicht in seiner Selbstbestimmung wurzelnden Herbeiführung seines Todes bewahrt zu werden. Damit liegt eine für die Rechtfertigungsnorm des § 34 charakteristische Kollision rechtlich geschützter Interessen vor; diese Norm muß demzufolge den Rahmen stellen für die Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein nach § 216 tatbestandsmäßiges Verhalten wegen eines überwiegenden Interesses an der Vornahme der Tötungshandlung erlaubt sein kann.596 596 Dabei scheint es (jedenfalls) in diesem Zusammenhang eine akademische Frage ohne praktische Konsequenzen zu sein, ob man das einschlägige Rechtfertigungsinstrument unmittelbar in § 34 sehen will oder statt dessen den ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung für einschlägig hält (vgl. dazu ausführlich Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 299 ff.). Schließlich liegt der Anlaß dafür, daß letzterer bei der Auflösung intrapersonaler Interessenkollisionen weithin als lex specialis angesehen wird, darin, daß die Autonomie des Rechtsgutsinhabers nicht durch einen objektiven Wertmaßstab überspielt werden darf, wie er § 34 zugrunde liegt (vgl. Roxin, AT I, § 16 Rn. 101; Jakobs, AT, 13/34; SK-Samson [1995], § 34 Rn. 12, der darüber hinaus zutreffend auf den § 34 zugrundeliegenden Gedanken einer passiven Solidaritätspflicht verweist). Daß die Autonomie des Rechtsgutsinhabers für die Rechtfertigungsfrage im konkreten Kontext keine Rolle spielen kann, zeigt indes schon der Umstand, daß § 216 gerade eine wirksame Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes des Sterbewilligen voraussetzt (so auch Jakobs; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 113, Fn. 193; im Ergebnis ebenso Roxin, Rn. 102, freilich mit der – selbst nach seinem eigenen Ansatz – falschen Begründung, daß das Leben nicht zur freien Verfügung des einzelnen stehe). Damit ist die Feststellung eines hypothetischen Willens des Rechtsgutsinhabers auch im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung obsolet; zum Zuge kommt ausschließlich das sonst subsidiäre Prinzip „objektiver Vernünftigkeit“ (Lackner/Kühl, Vor § 32 Rn. 21), dessen Maßstab grundsätzlich dem des § 34 entspricht. Zu bedenken gilt es in jedem Falle (also insbesondere bei der Anwendung des § 34), daß ein qualitativ oder quantitativ gesteigertes, „wesentliches“ Überwiegen des gewahrten Interesses nicht zu fordern sein wird, schließlich geht es nicht – wie das bei der Kollision von Interessen verschiedener Personen der Fall ist – um einen durch die Grenzen der Solidaritätspflicht zu beschränkenden Eingriff in den status quo der Zuordnung von Rechtsgütern im intersubjektiven Verhältnis (so auch SK-Samson, Rn. 13).

II. Die gerechtfertigte Tötung auf Verlangen

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Faßt man im Einklang mit dem überkommenen Verständnis die Strafnorm des § 216 als echtes Tötungsdelikt auf, so muß ein Abwägen des Interesses am Unterbleiben der tatbestandsmäßigen Handlung mit einem (beliebigen) gegenläufigen Interesse notwendig in Konflikt mit dem Dogma von der Absolutheit (= Abwägungsfeindlichkeit) des Rechtsgutes Leben geraten.597 Hier ist auch der Grund dafür zu suchen, daß sich viele Autoren mit der Möglichkeit einer Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen so schwer tun und Problemlösungen auf Tatbestandsebene präferieren.598 Dieser Schwierigkeit sieht sich das hier entfaltete Verständnis des § 216 nicht ausgesetzt, wie die Exposition des am Unterbleiben der tatbestandsmäßigen Handlung bestehenden Interesses bereits deutlich gemacht haben sollte. Gegenstand des tatbestandlich vertypten Unwerts ist danach gerade nicht die vollzogene konkrete Disposition über das Leben, die in der Selbstbestimmung des Rechtsgutsträgers wurzelt und von der Rechtsordnung schon aus diesem Grunde zu akzeptieren ist. Statt dessen zielt das strafgesetzliche Verbot (nur) auf die Vermeidung einer abstrakt definierten Gefährdungslage für den selbstbestimmten Umgang mit dem Leben, und so bedeutet ein Dispens von diesem Verbot gerade keine Stellungnahme zum Wert des konkret zur Disposition stehenden Lebens. Denn jenes Leben wird keineswegs der Bewahrung vor heteronom veranlaßten Verfügungen für unwert befunden. Es bedeutet keine Relativierung des Wertes eines Rechtsgutes, wenn das Recht seine Gefährdung in bestimmten Situationen zugunsten der Wahrung anderer Interessen ausnahmsweise toleriert.599 So würde – selbst vor dem Hintergrund verheerender Opferzahlen in den jährlichen Unfallstatistiken – niemand auf den Gedanken kommen, in der Zulassung des motorisierten Straßenverkehrs durch den Gesetzgeber eine axiologisch motivierte Entscheidung zu Lasten des Rechtsgutes Leben zu sehen. Dasselbe gilt im Bereich des § 34. Nicht anders ist es auch zu erklären, wenn nach allgemeiner und richtiger Ansicht bei der Abwägung der durch die Notstandshandlung betroffenen Interessen die unterschiedlich große Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens an den widerstreitenden Rechtsgütern zu einer Bewertung führen kann, die dem abstrakten Wert der Güter entgegengesetzt ist.600 So kann eine für das Leben anderer Verkehrsteilnehmer abstrakt gefährliche Trunkenheitsfahrt schon dann nach § 34 gerechtfertigt sein, wenn sie der Sicherstellung 597 Vgl. auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 257: „Ohne Blick auf das zu erwartende Leben, seine Dauer und seine Qualität, lassen sich die anerkannten Maßnahmen der Sterbehilfe inhaltlich nicht begründen.“ 598 Exemplarisch Tröndle, ZStW 99, 25, 30; vgl. auch Jäger, ZStW 115, 765, 770 Fn. 15; LK-Jähnke, Vor § 211 Rn. 15 ff. 599 Lenckner, Notstand, S. 96 f.; Chr. Schneider, Tun und Unterlassen, S. 250, der allerdings anschließend mißverständlich von einer „einzelfallbezogenen Höherwertigkeit des Selbstbestimmungsrechts gegenüber dem Rechtsgut Leben“ spricht. 600 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 69 f.; Lenckner; LK-Hirsch, § 34 Rn. 53; zweifelnd Baumann/Weber, AT [9. Aufl.], S. 351.

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

der medizinischen Notversorgung eines nicht lebensbedrohlich Verletzten dienen soll, wenn das Erhaltungsgut also lediglich in der Gesundheit eines Menschen besteht, dieses aber einer konkreten Gefährdung ausgesetzt ist.601, 602 Das Beispiel weist strukturell eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den hier interessierenden Konstellationen auf: In beiden Fällen steht auf der einen Seite die abstrakte Gefahr einer Verletzung des Rechtsgutes Leben, der auf der anderen Seite eine (sichere oder konkret zu befürchtende) Beeinträchtigung der körperliche Integrität entgegentritt (im Kontext der Sterbehilfe besteht diese in der Aufrechterhaltung eines Leidenszustandes). In den Fällen der Tötung auf Verlangen zur Vermeidung terminaler Leidenszustände kommt gar noch ein weiterer für das Überwiegen des Interesses an der Vornahme der Handlung sprechender Gesichtspunkt hinzu: Zwar wird man auch dort, wie bereits erwähnt, das Fehlen der Freiverantwortlichkeit des Tötungsverlangens nicht völlig ausschließen können. Insbesondere ist immer die Möglichkeit konstitutioneller Entscheidungsdefizite in Rechnung zu stellen (in Wahrheit verschärfen sich die Probleme sowohl der abstrakten Grenzziehung, wie auch der empirischen Feststellbarkeit, falls der seine Tötung Verlangende „vor Schmerzen von Sinnen ist“). Andererseits wird man in den beschriebenen Situationen in der Regel nicht ernsthaft an der erforderlichen Festigkeit des Entschlusses des Sterbewilligen zweifeln können. Ebensowenig liegt es nahe, daß der Wille, aus dem Leben zu scheiden, auf normativ relevante Irrtümer zurückzuführen ist, die für den Außenstehenden nicht erkennbar sind, schließlich wird jener Sterbewille entscheidend durch die sich objektiv manifestierende Leidenssituation motiviert sein.603 Damit erweist sich, daß in den eingangs geschilderten oder ähnlich gelagerten Fällen sehr häufig aus den potentiell rechtfertigenden Umständen gleichzeitig eine Gegenindizierung in Bezug auf bestimmte Gefährdungsmomente erwächst und damit das im Rahmen des § 34 zu berücksichtigende Interesse an der Aufrechterhaltung des tatbestandsmäßigen Verbotes tendenziell für die konkrete Abwägung an Gewicht verliert. Man wird deshalb wohl ohne überzogene Pauschalisierung sagen können, daß die Tötung auf Verlangen, wenn sie das einzige (bzw. das einzig adäquate)604 Mittel zur Beendigung erheblicher körperlicher 601 OLG Hamm VRS 20, 232 f.; OLG Celle VRS 63, 449, 451; Küper, Notstand, S. 131 f.; Mitsch, JuS 1989, 964, 966; Sch/Sch-Lenckner/Perron, § 34 Rn. 28 m.w. N. 602 Hier zeigt sich erneut, daß es einen grundlegenden Unterschied bedeutet, einen absoluten Schutz des Rechtsgutes Leben zu propagieren (einen solchen gibt es nicht und kann es nicht geben) oder dieses Rechtsgut (bzw. – nach dem gängigen juristischen Sprachgebrauch – dessen Wert) absolut zu setzen; vgl. dazu schon oben B. III., insbesondere Fn. 283. 603 Auch hier lassen sich freilich Ausnahmen denken, z. B. im Falle (krasser) medizinischer Fehldiagnosen: Der vermeintlich zum schnellen Tode führende, bereits starke Schmerzen verursachende Tumor ist in Wahrheit operabel. 604 Gedacht ist hierbei insbesondere an ärztlich assistierte Selbsttötungsvorhaben, soweit – ausnahmsweise – der ärztliche Beitrag die Qualität eines nach § 216 tatbestandsmäßigen Verhaltens erreicht.

II. Die gerechtfertigte Tötung auf Verlangen

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(oder evtl. auch psychischer) Leiden darstellt, regelmäßig als (im Sinne des § 34) das überwiegende Interesse des Sterbewilligen wahrende Handlung zu qualifizieren sein wird. Dies darf und soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Prüfung der Voraussetzungen des § 34 im Einzelfall schwierige Wertungsprobleme aufwerfen kann – zu denken ist hier gerade an jene Fälle, in denen positive Indizien für konstitutionell bedingte Mängel der Entscheidung des Lebensmüden das tatbestandlich typisierte Risikosyndrom verdichten. Aus diesem Grunde und im Interesse der (generellen) Rechtsklarheit wäre es grundsätzlich zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber sich in nicht ferner Zukunft der – ausgesprochen heiklen – Aufgabe stellen würde, für den Bereich der Sterbehilfe eine die Wertungen des § 34 konkretisierende und möglicherweise auch in bestimmten Punkten präzisierende Regelung zu treffen.605 Dessen ungeachtet darf hier zunächst festgehalten werden, daß gerade die vorgestellte teleologische Konzeption des § 216 es ermöglicht, die Probleme im Zusammenhang mit der (verlangten) Beendigung durch Leid und Schmerz gezeichneten Lebens einer differenzierenden und sachlich befriedigenden Lösung auf der Basis der Regelung des rechtfertigenden Notstandes zuzuführen. Zugleich ist für den Anwendungsbereich des § 216 die verbreitete, strafrechtsdogmatisch nicht legitimierbare Sonderbehandlung der Fallgruppe der sog. „indirekten Sterbehilfe“ obsolet geworden. So werden jene Fälle rubriziert, in denen die ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation bei einem tödlich erkrankten Patienten nur im Wege einer unausweichlich (oder möglicherweise) das Leben verkürzenden Behandlung sichergestellt werden kann. Dabei entspricht es im Ergebnis fast allgemeiner Ansicht, daß die Vornahme einer solchen Medikation bei sterbenden Patienten606 zulässig sein soll, wenn die Todesfolge zwar in Kauf genommen, aber nicht beabsichtigt wird.607 Daß jene an die Vorsatzform geknüpfte Differenzierung – unabhängig davon, worauf man den Unrechtsausschluß bei der indirekten Sterbehilfe konkret stützen will – einer 605 In diesem Rahmen können auch die Ergebnisse der rechtspolitischen Diskussion über die Notwendigkeit der Installation verfahrensmäßiger Sicherungen ihren Niederschlag finden, vgl. zuletzt Lindner, JZ 2006, 373, 381. 606 So noch BGHSt 42, 301, 305 mit zustimmender Anmerkung Dölling, JZ 1998, 160, 162; offener in BGHSt 46, 279, 284 f. Die mit dieser Formulierung zum Ausdruck gebrachte Beschränkung der Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe auf einen – wie auch immer einzugrenzenden – Zeitraum unmittelbarer Todesnähe wird im Schrifttum mit Recht zunehmend fallengelassen, vgl. NK-Neumann, Vor § 211 Rn. 95 m.w. N. 607 Umstritten ist dabei lediglich, ob der Bereich erlaubter indirekter Sterbehilfe auf die mit dolus eventualis bewirkte Tötung begrenzt bleiben soll (so die bis vor kurzem herrschende Meinung, vgl. Schöch, NStZ 1997, 409, 411, Dölling; Kutzer, NStZ 1994, 110, 115) oder ob eine schmerzlindernde Medikation auch dann für zulässig zu halten ist, wenn sie in dem sicheren Wissen vorgenommen wird, damit eine Lebensverkürzung zu bewirken (so NK-Neumann, Vor § 211 Rn. 95 m.w. N.; nun auch BGHSt 46, 279, 284 f.; noch offengelassen in BGHSt 42, 301, 305).

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

sachlichen Grundlage entbehrt, wurde in der strafrechtlichen Literatur bereits überzeugend dargelegt und muß hier nicht wiederholt werden.608 Dieser Befund deckt sich mit den zu den Anwendungsvoraussetzungen des § 34 im Kontext der Tötung auf Verlangen gewonnenen Erkenntnissen. Danach ist selbst die zielgerichtete Herbeiführung eines vom Erkrankten gewünschten Todes erlaubt, soweit es nach dem Prinzip des überwiegenden Interesses angemessen erscheint, die nur durch Lebensbeendigung zu erreichende Vermeidung bzw. Abkürzung körperlicher Leidenszustände unter Inkaufnahme des Risikos, daß der geäußerte Sterbewille unerkannt defizitär ist, anzuvisieren. Unbedingt klarzustellen ist indes die sachliche Begrenzung der befürworteten Rechtfertigungslösung. Diese bezieht sich ausschließlich auf den in § 216 verkörperten Unrechtstypus und setzt demzufolge eine auf die Herbeiführung bzw. Inkaufnahme des eigenen Todes gerichtete Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch den Getöteten voraus.609 Fehlt es an einer solchen, so ist die strafrechtliche Rechtfertigung einer Verkürzung menschlichen Lebens – wie auch immer man diese dogmatisch verankert – ohne eine äußere, heteronome Bewertung des am verbleibenden Lebensrest bestehenden Interesses nicht möglich und kollidiert demzufolge mit dem Theorem von der Absolutheit des Rechtsgutes Leben, so wie es hier begründet und bislang zugrundegelegt wurde. Es muß deshalb im Ansatz falsch sein, wenn Rechtsprechung und herrschende Lehre610 die durch eine Einwilligung gedeckte indirekte Sterbehilfe und diejenige, die sich nur auf einen mutmaßlichen Willen des Kranken berufen kann, von vornherein und ohne sachlichen Ausweis demselben Axiom unterwerfen.611 Denn es kann nicht deutlich genug betont werden, daß die mutmaßliche Einwilligung ihre rechtfertigende Kraft nicht aus dem Willen des Rechtsgutsinhabers gewinnt – ist doch ihr hervorstechendstes Merkmal gerade die Abwesenheit einer Stellungnahme des Rechtsgutsinhabers.612 So kann es 608

Vgl. die umfassende Auseinandersetzung bei Merkel, Früheuthanasie, S. 166 ff. Insofern trifft es für die hier vertretene Auffassung zwar formal, nicht aber in der Sache zu, wenn Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 113, Fn. 193, meint, der Konsens des Opfers sei aus der Abwägung des § 34 prinzipiell auszuscheiden: Der Konsens des Opfers prägt bereits entscheidend das in die Abwägung gelangende tatbestandlich geschützte Interesse. Umgekehrt leidet die – im Ergebnis richtige – Behauptung Döllings (vgl. MedR 1987, 7 und JR 1998, 160, 161; ebenso Schöch, NStZ 1997, 409, 410), die Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe sei auf eine Kombination von Elementen der Einwilligung und des rechtfertigenden Notstandes zu stützen, darunter, daß dieser (wie auch Schöch) es unterläßt, beide – prima facie ohne Bezug nebeneinander stehenden – Elemente in ein Verhältnis zueinander zu setzen. 610 BGHSt 42, 301, 305; 46, 279, 284 f.; stellvertretend für das Schrifttum NK-Neumann, Vor § 211 Rn. 96; MüKo-Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 95; Dölling, JZ 1998, 160, 162; Kutzer, NStZ 1994, 110, 115. 611 Zweifelnd auch Seitz, ZRP 1998, 417, 418. 612 Im selben Sinne Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 206: „Anders als im Falle einer ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck gebrachten Einwilligung fehlt es 609

II. Die gerechtfertigte Tötung auf Verlangen

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auch nicht verwundern, daß der BGH in seinen Ausführungen zur Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe nicht ohne die wertmäßige Relativierung des Rechtsgutes Leben durch eine äußere Bestimmung auskommt: „Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen (. . .) ist ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen.“613 Auf der anderen Seite kann nicht übersehen werden, daß die Position des BGH (und des herrschenden Schrifttums) eine intuitive Plausibilität besitzt und daß für die praktisch ebenso relevante wie heikle Problematik der aktiven Sterbehilfe bei nur gemutmaßtem Sterbewillen ein statisches Festhalten am Tötungsverbot im Einzelfall zu nachgerade unmenschlichen Ergebnissen führen mag. Dies betrifft in erster Linie Fälle, in denen dem Leidenden die Äußerung eines wirksamen Tötungsverlangens konstitu-

gerade an einer Rechtsgutspreisgabe durch den Rechtsgutsträger.“; a. A. ist ganz offensichtlich der BGH, der beispielsweise in BGHSt 40, 257, 262 die Beachtlichkeit eines nur gemutmaßten Willens ummittelbar damit begründet, daß das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten sei. An dieser Stelle wird auch deutlich, wie der im Schrifttum herrschende Streit über die Einordnung der sog. Patiententestamente zu entscheiden ist (vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Schroth, GA 2006, 549, 552 ff., und NK-Neumann, Vor § 211 Rn. 108 ff.). Soweit in den so bezeichneten schriftlichen Verfügungen von Patienten die Preisgabe von Rechtsgütern, insbesondere des eigenen Lebens, antizipiert wird, liegt darin ohne jeden Zweifel eine Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, die dogmatisch als rechtfertigende Einwilligung zu erfassen ist (a. A. die wohl h. M.: Indizwirkung für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung, vgl. u. a. Fröschle, JZ 2000, 72, 76; Laufs, NJW 1998, 3399, 3400; SK-Samson, § 212 Rn. 24; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 8). Das eigentliche Problem besteht nicht in der rechtlichen Einordnung eines sich einwandfrei auf die konkret vorliegende Situation beziehenden Willens (mag dessen Äußerung auch zeitlich zurückliegen), sondern in der jeweiligen praktischen Klärung der Frage, ob dieser Wille das auf dem Prüfstand stehende rechtsgutsbeeinträchtigende Verhalten deckt – also in der Auslegung der Patientenverfügung (so auch sinngemäß MüKo-Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 126; ebenso wohl Verrel, MedR 1999, 547, 548 f.). Daß diese regelmäßig mit besonderen Schwierigkeiten – insbesondere im Hinblick auf die Grenzen der Antizipierbarkeit künftiger Lebenslagen – verbunden sein wird (vgl. dazu exemplarisch den bei Merkel, JZ 1999, 502, 506 ff., erörterten Fall), vermag an der grundsätzlichen dogmatischen Zuordnung nichts zu ändern (siehe auch die überzeugenden Ausführungen Sternberg-Liebens in NJW 1985, 2734 ff.). Die zu konstatierenden Feststellungsunsicherheiten mögen im Gegenteil als Beleg für die Berechtigung des mit der hier entfalteten Schutzzweckkonzeption des § 216 verfolgten Anliegens dienen. Sie können im Einzelfall zu einer Erhöhung des Gewichts des Gefährdungsaspektes im Rahmen einer Abwägung nach § 34 führen. Der Rekurs auf eine bloße mutmaßliche Einwilligung kommt (als eine der dogmatischen Klärung bedürftige Option) erst dort in Betracht, wo die Auslegung der schriftlichen Verfügung zu dem Ergebnis führen muß, daß die darin enthaltene Willensäußerung mit der konkret zur Disposition stehenden Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht zur Deckung zu bringen ist. Dies ist selbstredend auch dann der Fall, wenn ersichtlich ist, daß der Patient zu der schriftlichen Verfügung nicht mehr stehen wollte. 613 BGHSt 42, 301, 305 unter Berufung auf Kutzer, NStZ 1994, 110, 115.

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

tionell unmöglich ist.614 Festzuhalten ist indes, daß eine Öffnung des einschlägigen § 212 für eine Rechtfertigung im Wege einer reinen Güter- bzw. Interessenabwägung (unter Einbeziehung hypothetischer individueller Präferenzen) einen gegenüber den hier behandelten Fällen des § 216 eigenständigen Begründungsansatz erfordert. Diese Begründung kann in der vorliegenden Untersuchung nicht geleistet werden; sie würde – auch in thematischer Hinsicht – ihren Rahmen sprengen. Dennoch soll wenigstens kurz angedeutet werden, in welche Richtung nach einer Möglichkeit zu suchen sein wird, die Verkürzung der Dauer einer auf das Ertragen von Leid und Schmerz reduzierten menschlichen Existenz zu rechtfertigen, ohne sich durch die dabei unumgängliche qualitative Bewertung dieser Existenz in Widerspruch zum Dogma von der Absolutheit des Rechtsgutes Leben zu setzen. Ausgangspunkt muß dabei die oben615 nachvollzogene Ableitung des absoluten Charakters des Rechtsgutes des menschlichen Lebens sein: dieser beruht nicht auf einer bestimmten biologischen Qualität, sondern folgt aus der Eigenschaft menschlichen Lebens, reine (absolute) Potenz der Selbstbestimmung des Subjekts zu sein. Eine solche Bestimmung verliert jedoch dort ihren Sinn, wo es an der für die Möglichkeit selbstbestimmten Verhaltens bzw. Daseins substantiellen Voraussetzung reflektierter Selbst-Wahrnehmung nicht nur gegenwärtig mangelt, sondern diese für alle Zukunft ausgeschlossen ist.616 Zudem kann sich in diesem Falle eine äußere (rechtliche) Bewertung des Rechtsgutes bzw. des an seiner Erhaltung bestehenden Interesses aus faktischen Gründen nicht in Konflikt mit der exklusiven Definitionsmacht des Subjekts begeben. Damit wird eine nach objektiven Maßstäben vorzunehmende Abwägung des verbleibenden Lebensinteresses gegen ein anderes Interesse (und die damit einhergehende Relativierung dieses Lebensinteresses) prinzipiell denkbar.617 Die so zu charakterisierenden Fallkonstellationen sollten in etwa deckungsgleich mit derjenigen Gruppe von Fällen sein, in denen die Möglichkeit der auf 614 Besonders problematisch sind hier die Fälle der sog. Früheuthanasie (vgl. dazu die eindrücklichen Beispiele bei Merkel, JZ 1996, 1145 f.), aber auch die praktisch häufigeren Fälle eines irreversiblen Verlusts der Fähigkeit zur Selbstbestimmung am Lebensende (z. B. im Falle von Demenz oder verletzungsbedingten irreversiblen Cerebralschäden) bei Fehlen einer die konkret intendierte ärztliche Entscheidung deckenden Patientenverfügung. 615 Siehe die Ausführungen unter B. III. 616 In diese Richtung scheinen sich auch die (auf der Grundlage anderer Prämissen operierenden, vgl. B. I. 2.) Ausführungen Maatschs, Selbstverfügung, S. 225 ff., interpretieren zu lassen, in deren Zentrum ebenfalls die Erhaltung der Person als vernünftiges Subjekt steht (die das Telos der Dispositionssperre bilden soll). 617 Selbstredend bleibt es dabei, daß auch die Fortexistenz des Menschen in seiner bloßen Kreatürlichkeit dem Schutzbereich der §§ 211 ff. unterfällt, allenfalls rückt nach dem im Text Dargelegten eine Rechtfertigung der Verkürzung seines Daseins nach dem Prinzip des überwiegenden Interesses in den Bereich des Diskutablen.

III. Die Rückwirkungen der strukturellen Vorgaben

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einen lediglich gemutmaßten Willen gestützten aktiven Lebensverkürzung überhaupt in Frage steht. Wo dies nicht der Fall ist, wo also davon auszugehen ist, daß der aktuell nicht zu einer rechtsgutsbezogenen Stellungnahme fähige Leidende die Selbstbestimmungsmacht nicht dauerhaft verloren hat,618 dürfte es schwerfallen, eine auf bloßen Indizien basierende Entscheidung über Leben und Tod, die dann tatsächlich über seinen Kopf hinweg erfolgte, sachlich zu legitimieren.619 Daß in den übrigen Fällen die Möglichkeit der Verkürzung menschlichen Lebens im Wege einer Interessenabwägung gedanklich offensteht, bedeutet indes nicht notwendig, daß es rechtspolitisch wünschenswert ist, umfassend von ihr Gebrauch zu machen. Hier ist es ausnahmsweise einmal berechtigt, die vielbeschworene Gefahr eines Dammbruchs in den Stand zu rufen. Immerhin gilt es zu bedenken, daß auf derselben Grundlage nicht nur ein fürsorglich-paternalistisch motiviertes Handeln im wohlverstandenen Interesse des Patienten legitimierbar ist, sondern unter bestimmten Umständen ebenso die Tötung zur Bewahrung medizinischer oder ökonomischer Ressourcen. Gleichwohl scheint dieser heikle und insbesondere im Hinblick auf seine Begrenzung diskussionsbedürftige Ansatz den einzig gangbaren Weg zu eröffnen, die rechtliche Sanktionierung der heute schon unter Berufung auf die „Rechtsfigur“ der indirekten Sterbehilfe für zulässig gehaltenen Verhaltensweisen in theoretischer Hinsicht abzusichern.

III. Die Rückwirkungen der strukturellen Vorgaben des § 216 auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen fahrlässiger Tötung Die oben geleistete Strafbegründung hat erwiesen, daß das Verbot der Tötung auf Verlangen seine Legitimation nicht unmittelbar aus dem Bezug der Tat zum Unrecht der in tatbestandlicher Hinsicht realisierten vorsätzlichen Tötung erlangt. Der in § 216 repräsentierte Gefährdungstypus gewinnt seine Bedeutung vielmehr im Vorfeld der Verwirklichung des § 222. So leuchtet es ein, daß seine Verwirklichung nicht ohne jegliche Bedeutung für die Anwendung jener Strafnorm bleiben kann. Tatsächlich beinhaltet das Verbot der Tötung auf Verlangen, wie sich zwanglos aus dem oben620 zum Vertrauensgrundsatz Ausgeführten ergibt, eine partielle Konkretisierung des Handlungsunrechts der fahrläs618 Daß die Rechtsanwendung in diesem Zusammenhang sowohl in abstrakt-normativer, wie auch in konkret-empirischer Hinsicht mit der Notwendigkeit konfrontiert werden wird, schwierige Prognoseentscheidungen auf unsicherer Tatsachengrundlage zu treffen, ist ebenso offensichtlich wie unvermeidlich. 619 In der Sache ebenso Maatsch, Selbstverfügung, S. 231; ganz ähnlich auch Otto, Gutachten für den 56. DJT, S. 62 f. 620 Siehe C. II.

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

sigen Tötung. Vollzieht der Täter eine nach § 216 tatbestandsmäßige Handlung, so kann ihm ein Verstoß gegen eine aus § 222 folgende Verhaltensnorm (also ein Sorgfaltspflichtverstoß) nur dann zur Last gelegt werden, wenn er nicht davon ausgehen durfte, daß der Getötete durch sein Verlangen wirksam die Verantwortung für die Herbeiführung seines Todes übernommen hat.621 In diesem Zusammenhang ist bereits nach den bei der Konturierung des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes entwickelten Kriterien zu berücksichtigen, daß das grundsätzliche, normativ sanktionierte Vertrauen in die Selbstbestimmtheit von Rechtsgüterdispositionen im Bereich suizidalen Verhaltens durch eine empirisch begründete Kontraindikation umfassend erschüttert wird. In deren Folge kehren sich die Vorzeichen für die intersubjektiven Verhaltensbewertungsparameter komplett um, mit der Folge, daß die Verbindlichkeit dieser Verfügungen jedenfalls nicht unreflektiert unterstellt werden darf. Zweifelhaft bleibt aber auch danach, unter welchen Umständen die Vermutung, der Sterbewille sei in Wahrheit nicht vorhanden oder nicht freiverantwortlich gebildet worden, als entkräftet zu betrachten sein soll, denn schließlich wird sich wirkliche Gewißheit in diesem Punkt niemals erlangen lassen. Genau an dieser Stelle setzen die Rechtswirkungen des § 216 ein. Die Norm präzisiert jene durch den allgemeinen Vertrauensgrundsatz nicht abschließend vorgegebenen Konturen, indem sie für ihren Anwendungsbereich klarstellt, daß die in jedem Falle verbleibenden Restzweifel am Vorhandensein eines freiverantwortlichen Sterbeentschlusses in Anbetracht des auf dem Spiel Stehenden unter keinen Umständen als ausgeräumt betrachtet werden dürfen. 621 Wie bereits erwähnt, beruht die Anwendung des § 222 in den hier interessierenden Fällen auf dem Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums (eines Irrtums über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung in die Tötung), so daß sich der Sorgfaltspflichtverstoß nicht auf die Herbeiführung des objektiv-tatbestandlichen Unwerts des Tötungsdelikts beziehen kann (insofern handelt der Täter ja gar vorsätzlich), sondern nur auf das Verkennen des Fehlens der vom Täter vorgestellten rechtfertigenden Umstände. Letzteres wird vereinzelt im Schrifttum (dort – dem herrschenden systematischen Verständnis entsprechend – im Kontext des § 16 II) nicht anerkannt. So meinen Sch/Sch-Eser, § 216 Rn. 14; SK-Horn, § 216 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, Rn. 62, eine Haftung nach § 222 komme wegen der Vorsätzlichkeit der Herbeiführung des Todes des (vermeintlich) Sterbewilligen auch dann nicht in Betracht, wenn der Irrtum des Täters über das Vorliegen eines wirksamen Tötungsverlangens auf Fahrlässigkeit beruht. Vertreten läßt sich eine solche Argumentation nur, wenn man unter dem (höchst zweifelhaften) Postulat, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit in einem exklusiven aliud-Verhältnis stehen (vgl. dazu ausführlich Mylonopoulos, ZStW 99, 685 ff.), die Möglichkeit einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit eines von Tatbestandsvorsatz getragenen Verhaltens umfassend leugnet – also insbesondere in fahrlässiger Verkennung des Nichtvorliegens rechtfertigender Umstände vollzogene Rechtsgutsbeeinträchtigungen für straflos erachtet. Gerade im Rahmen des § 16 II läßt sich indes aus einer solchen Annahme nur ein Ausschluß der fahrlässigen Verhaltensform folgern, sieht man in der Tötung auf Verlangen das ungeschmälerte Unrecht eines Tötungsdeliktes verwirklicht – anderenfalls beziehen sich Vorsatz- und Fahrlässigkeitstatbestand nicht auf denselben Unrechtssachverhalt und können sich demzufolge nicht wechselseitig ausschließen.

III. Die Rückwirkungen der strukturellen Vorgaben

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Das bedeutet, daß nach der gesetzlichen Wertung jede den Tatbestand des § 216 erfüllende Handlung als sorgfaltspflichtwidrig im Hinblick auf ein eventuelles Bestehen von Entscheidungsdefiziten anzusehen ist und also das Handlungsunrecht des § 222 verwirklicht. Realisiert sich das so begründete unerlaubte Risiko – beruht die Tötung also tatsächlich auf einer unwirksamen Disposition –, so haftet der auf Verlangen Tötende dafür wegen fahrlässiger Tötung. Im praktischen Ergebnis dürfte dies eine eher untergeordnete Bedeutung besitzen, schließlich geht der Strafrahmen des § 222 nicht über den des § 216 hinaus.622 Gleichwohl ist die ideal konkurrierende Verwirklichung des Tötungsunrechts schon aus Klarstellungsgründen in den Urteilstenor aufzunehmen, zudem dürfte das gesteigerte Erfolgsunrecht der Tat in der Regel Einfluß auf die Strafzumessung gewinnen. Selbstredend stellt sich auch über den Kreis der dem § 216 unterfallenden Verhaltensweisen hinaus die Frage einer Haftung nach § 222 wegen der Beteiligung an suizidalem Verhalten. Die in Schrifttum und Rechtsprechung geführte Diskussion der in diesem Zusammenhang zu klärenden Probleme ist schon im Ansatz stark geprägt durch die Annahme, § 216 begründe für den Bereich vorsätzlich auf die Tötung zielenden Verhaltens eine Einwilligungssperre und also eine Begrenzung der Eigenverantwortlichkeit des Sterbewilligen. Daraus wird zum Teil weitergehend gefolgert, daß der Umstand, daß der Sterbewillige den eigenen Tod freiverantwortlich herbeiführe, es nicht ausschließe, daß sich ein Außenstehender in Bezug auf diesen Sachverhalt sorgfaltswidrig verhalte.623 Deutlich wird das in der Leitcharakter tragenden Entscheidung des BGH in dem bekannten „Dienstpistolenfall“: Der in diesem Fall Angeklagte hatte mit einer engen Freundin einen Gaststättenbesuch unternommen, von der er wußte, daß sie oft – vor allem nach dem Genuß von Alkohol – plötzlich bedrückt und schwermütig wurde und bereits mehrere Selbstmordversuche unternommen hatte. Gleichwohl hatte er, nachdem beide massiv alkoholisiert die Gaststätte verlassen hatten, seine geladene Dienstpistole der Gewohnheit entsprechend auf dem Armaturenbrett seines Pkw abgelegt. Während einer 622 § 216 liegt auch in diesen Fällen in vollendeter (nicht etwa nur in versuchter) Form vor, obwohl es objektiv an der vom Tatbestand formal vorausgesetzten wirksamen Disposition des Rechtsgutsinhabers fehlt: Dem fehlenden Tatbestandsmerkmal kommt ausschließlich die Funktion zu, den Anlaß der Bestrafung des Täters auf seine Verantwortlichkeit für einen bloßen Gefährdungssachverhalt zu begrenzen. Daß sich die inkriminierte Gefährdung gar in einer tatsächlichen materiellen Rechtsgutsverletzung niedergeschlagen hat, kann unter teleologisch-systematischen Gesichtspunkten natürlich nichts verschlagen. Da die lediglich straflimitierende Eigenschaft des formal nicht erfüllten Tatbestandsmerkmals sich einer verständigen Gesetzeslektüre ohne weiteres erschließt, steht auch das Gesetzlichkeitsprinzip einer Bestrafung nicht entgegen. 623 Hauptvertreter dieser These im Schrifttum ist Herzberg, vgl. zuletzt in Jura 2004, 670, 671: „Eigene und eigenverantwortliche Selbsttötungstäterschaft des Sterbewilligen schließt nicht aus, dass ein Mitverursacher seinerseits den Sterbewilligen rechtswidrig getötet hat.“

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

Fahrtunterbrechung nahm die Freundin die Pistole unbemerkt an sich und erschoß sich.624

Der BGH hat versucht, diesen Fall unter Rückgriff auf eine rein formale Argumentation zu lösen, indem er das „Teilnahmeargument“ gleichsam in den Bereich fahrlässigen Verhaltens hineinerweiterte.625 Da die Beteiligung an einem Suizid im Sinne der §§ 26, 27 in Ermangelung einer rechtswidrigen Haupttat straflos sei, dürfe a fortiori ein vorsatzloses Verhalten, das diesen Beteiligungsformen äußerlich entspreche, ebenfalls nicht bestraft werden.626 Die Fragwürdigkeit eines solchen Schlusses ist im Schrifttum bereits mehrfach überzeugend nachgewiesen worden; es besteht kein Anlaß, die Argumente hier erneut vorzutragen.627 Das eigentliche Manko der Entscheidung liegt in ihrer unausgesprochen und unreflektiert gebliebenen Prämisse: Ganz offensichtlich geht der Bundesgerichtshof davon aus, daß die unvorsätzliche erfolgsursächliche Beteiligung an einem suizidalen Verhalten, soweit sie nicht der „Sperrwirkung“ des Teilnahmearguments unterfällt, ohne weiteres unter den Tatbestand des § 222 zu subsumieren ist.628 Dabei drängt sich einer nicht durch den Versuch formaler Rückschlüsse aus der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen verstellten Betrachtung die grundlegende Frage nach einem materiellen Grund für die Bestrafung von Beiträgen zu selbstbezüglichen Verhaltensweisen geradezu auf. Will man nicht dem („hart paternalistischen“) Postulat anhängen, daß der Mensch prinzipiell nicht frei über sein Leben verfügen dürfe, bzw. (in „weich paternalistischer“ Manier) in den Verantwortungsbereich des Rechtsgutsinhabers – und damit in den seiner Selbstbestimmung vorbehaltenen Bereich – hineinreichende positive Schutzpflichten Außenstehender statuieren, kommt eine strafrechtliche Verantwortlichkeit Dritter in diesem Zusammenhang nur in Betracht, soweit sich die jeweilige Verfügung nicht als eigenverantwortlich ins Werk gesetzt begreifen läßt. Anknüpfungspunkt eines nach § 222 tatbestandsmäßigen Verhaltens kann mit anderen Worten von vornherein nur der Vollzug eines nicht freiverantwort624

BGHSt 24, 242 ff. Vgl. dazu die ausführliche Kritik bei Murmann, Selbstverantwortung, S. 320 ff. 626 So auch Gallas, JZ 1960, 686, 690; Bockelmann, ZStW 66, 111, 117; Roxin, TuT [1. Aufl.], S. 545 f. (aufgegeben in FS Gallas, S. 241, 244); Spendel, JuS 1974, 749, 750 f.; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 65. Hecker/Witteck, JuS 2005, 397, bezeichnen diese These gar als „gesichert“. 627 Am schwersten dürfte dabei der Einwand der formalen Inkommensurabilität von Fahrlässigkeitsbegriff und (auf die vorsätzliche Begehungsweise ausgerichteter) Beteiligungslehre wiegen, vgl. Welp, JR 1972, 427, 428; Neumann, JA 1987, 244, 248; Klinger, Die Strafbarkeit der Beteiligung an einer durch Täuschung herbeigeführten Selbsttötung, S. 160; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 48 f.; Degener, Schutzzweck der Norm, S. 292; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 229; kritisch ebenso Geilen, JZ 1974, 145, 146; Sax, JZ 1975, 137, 145. 628 Dies ergibt sich jedenfalls aus einer Zusammenschau mit der Entscheidung des Ferienstrafsenats des BGH in JR 1955, 104 f., auf die in den Urteilsgründen Bezug genommen wird. 625

III. Die Rückwirkungen der strukturellen Vorgaben

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lich gefaßten Selbsttötungsentschlusses sein. Eine Strafbarkeit nach dieser Norm setzt demnach zweierlei voraus. Einerseits muß auf objektiver Ebene das den Gegenstand des Fahrlässigkeitsvorwurfs bildende autoaggressive Verhalten tatsächlich als defizitär zu qualifizieren sein.629 Andererseits muß dem außenstehenden Beteiligten gerade in Bezug auf diesen Sachverhalt ein Sorgfaltspflichtverstoß zur Last fallen. Dies deckt sich mit den im Anwendungsbereich des § 216 gewonnenen Erkenntnissen: Selbst bei einem vorsätzlich-täterschaftlich den Tod des Sterbewilligen herbeiführenden Verhalten ist danach das Fehlen eines freiverantwortlichen Tötungsverlangens Voraussetzung der Haftung nach § 222; die erforderliche Sorgfaltspflichtverletzung liegt dort in der Verwirklichung des in der Norm fixierten abstrakten Gefährdungstypus. Freilich bereitet die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes bei der bloßen fahrlässigen Beteiligung an vom Opfer nicht zu verantwortenden Selbstverletzungen vergleichsweise größere Schwierigkeiten. Ausgangspunkt muß auch hier das Verantwortungsprinzip bzw. der auf diesem fußende Vertrauensgrundsatz sein.630 Danach muß der am Rechtsverkehr Teilnehmende schon deshalb nicht mit der 629 Anderenfalls realisiert sich in der Todesfolge nicht das durch den Täter gekannte, die Sorgfaltspflichtwidrigkeit seines Handelns begründende Risikosyndrom, sondern der Sterbewille des Suizidenten (vgl. nur MüKo-Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 86; a. A. mit undurchsichtiger Begründung Küpper, JuS 2004, 757, 759 f.), so daß es am erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Erfolg fehlt (vgl. dazu grundlegend Struensee, GA 1987, 97 ff.). Daran vermag, wie gesehen, auch das Gefährdungsverbot des § 216 nichts zu ändern. Die in jüngster Zeit insbesondere von Herzberg, NStZ 2004, 1 ff., vehement verteidigte Gegenansicht reduziert das nach § 222 tatbestandsmäßige Handeln auf eine schlichte Erfolgsverursachung bei Gelegenheit eines sorgfaltswidrigen Verhaltens. Anschaulich wird das gerade auch anhand des von Herzberg (S. 7, ebenso in Jura 2004, 670, 671 f.) als Beleg für die Unrichtigkeit der hier vertretenen Interpretation ins Feld geführten Parallelfalls, in dem der Fahrer eines Automobils aufgrund einer Unachtsamkeit eine auf der Straße stehende lebensmüde Frau überfährt. Natürlich wird hier das Verhalten des Autofahrers durch den (aus seiner Sicht) zufälligen Umstand, daß die Frau sich nicht verkehrsbedingt auf der Fahrbahn befand, sondern sterben wollte, um keinen Deut besser. Darum geht es aber auch gar nicht: Es ist bekanntlich eine Grundentscheidung des Gesetzgebers, fahrlässiges Verhalten nur dort unter Strafe zu stellen, wo dieses sich in einem tatbestandlichen Erfolg niedergeschlagen hat. Freilich wird damit die Haftung in einem hohen Maße vom Zufall abhängig gemacht (wovon der Autofahrer im Fall profitiert). Doch liegt hier ein Grundgedanke der gesetzlichen Regelung: Gibt der Täter das Rechtsgut eines anderen dem Zufall preis, so hat er auch dafür einzustehen, wenn dieser Zufall zuschlägt – aber eben nur dann. Hier ist der Tod der Frau jedoch nicht Resultat eines Zufalls, sondern wird von dieser selbst – unter Ausnutzung des sorgfaltswidrigen Verhaltens des Autofahrers – verantwortlich herbeigeführt. Diesen Aspekt vernachlässigt auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 343, wenn er aus der (zutreffenden) Aussage: „Die einer mittelbaren Täterschaft entsprechende Herrschaft des Opfers über den Außenstehenden vermag diesen nicht von den Sorgfaltspflichten zu befreien, die im Umgang mit fremdem Leben bestehen.“ unmittelbar folgert: „Die Möglichkeit einer Erfüllung des Tatbestandes des § 222 StGB bleibt damit offen.“ 630 Vgl. zu dessen Konturen die Ableitung unter C. II. 1.

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

Möglichkeit selbstverletzenden Verhaltens anderer rechnen, weil ein solches grundsätzlich keine Bezugspunkte zu seinem eigenen Verantwortungsbereich aufweist.631 Diese Bewertung kann sich erst dort ändern, wo die Verantwortlichkeit des Rechtsgutsinhabers für die Bewahrung seines Rechtsguts im Selbstverhältnis im je konkreten Falle endet. Daß der Außenstehende sein Verhalten mit Blick auf eine solche Möglichkeit einrichten muß, ist unter zwei – sich teilweise überschneidenden – Gesichtspunkten denkbar. Zum einen können qualifizierte rechtliche Einstandspflichten bewirken, daß eine Person ihren Verantwortungsbereich gerade mit Rücksicht auf nicht in der Autonomie des Rechtsgutsinhabers wurzelnde selbstverletzende Verhaltensweisen auszugestalten hat. Dies trifft auf den Pfleger in einer psychiatrischen Klinik ebenso zu, wie unter bestimmten Umständen auf die Mutter oder den Vater eines nicht volljährigen Kindes. Zum anderen unterliegt das institutionalisierte Vertrauen in die Autonomie des Verhaltens anderer Rechtssubjekte auch im vorliegenden Kontext dem immanenten Vorbehalt des Fehlens einer positiven Gegenindizierung. Unter welchen Voraussetzungen sich eine solche Gegenindizierung zu einem normativ relevanten Risikosyndrom verdichtet, ist dabei freilich eine Frage, deren Beantwortung im Einzelfall sowohl den Rechtsanwender als auch den Normadressaten vor schwierige Probleme stellen kann. Hier gilt es jedenfalls zu berücksichtigen, daß Gegenstand jenes Risikosyndroms nicht lediglich das Bevorstehen einer Suizidtat, sondern ebenso deren fehlende Selbstbestimmtheit sein muß. Auch für diesen Zusammenhang erlaubt die dem Verbot der Tötung auf Verlangen zugrundeliegende gesetzliche Formierung bzw. Konkretisierung abstrakter Gefährdungstypen partielle Rückschlüsse: Wie gesehen ist nach dieser der Umstand, daß ein Mensch beabsichtigt, sich um das Leben zu bringen, als ein das Vertrauen in die Freiverantwortlichkeit seines Vorhabens erschütternder Faktor einzustufen.632 Konsequenterweise muß also die positive Kenntnis von einem solchen Vorhaben bereits die Kenntnis eines Risikosyndroms im Hinblick auf die fehlende Freiverantwortlichkeit der Selbsttötung vermitteln. Das bedeutet, daß die vorsätzliche erfolgsursächliche (aber nicht den Tatbestand des § 216 erfüllende) Beteiligung an einem suizidalen Projekt grundsätzlich633 bereits das 631

Vgl. dazu ausführlich Murmann, Selbstverantwortung, S. 333 ff., 473 ff. Wendet man die im Text referierte formale Argumentation des BGH ins Materielle, so zeigt sich, daß das Gericht offenbar vom Gegenteil ausgeht und aus der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen eine generelle (mit weitreichenden formalen Einschränkungen durch das „Teilnahmeargument“ versehene) Verpflichtung der Rechtsunterworfenen folgert, ihr Verhalten so einzurichten, daß es Selbsttötungen nicht zu begünstigen geeignet ist. 632 Vgl. im einzelnen C. II. 1. 633 Im Gegensatz zu den der statischen Regelung des § 216 unterfallenden Konstellationen wird hier wohl Raum für eine ausnahmsweise Falsifizierung dieses Urteils durch gegenläufige tatsächliche Umstände sein.

III. Die Rückwirkungen der strukturellen Vorgaben

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Handlungsunrecht einer fahrlässigen Tötung erfüllt. Im (nur bei oberflächlicher Betrachtung überraschenden) Ergebnis befindet sich also gerade die vielzitierte „straflose Suizidteilnahme“ in vielen Fällen im Widerstreit mit strafrechtlichen Verhaltensnormen und begründet bei entsprechendem Erfolgsunrecht (also bei tatsächlichem Vorliegen von Autonomiedefiziten) eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Tötung. Hier zeigt sich erneut eindrucksvoll die Kurzschlüssigkeit des „Teilnahmearguments“ in der von der Rechtsprechung im Anschluß an BGHSt 24, 242 verwendeten Form: Die Straflosigkeit eines solchen Verhaltens nach Maßgabe der §§ 26, 27 kann schon deshalb nichts über Strafbarkeit oder Straflosigkeit der fahrlässigen Beteiligung am Suizid nach § 222 besagen, weil sie keine Aussage über Strafbarkeit bzw. Straflosigkeit der vorsätzlichen Beteiligung am Suizid im Hinblick auf § 222 trifft.634 In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Sachverhalt kommt es demzufolge maßgeblich auf die – in den Urteilsgründen wegen der Bindung an die dem Vorlagebeschluß zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen635 vollkommen ausgeklammerte – Frage an, ob die mit der Dienstpistole vollzogene Selbsttötung der Frau tatsächlich als eine freiverantwortliche Verfügung zu qualifizieren ist. Unterstellt man, daß diese Frage negativ zu beantworten ist, so wird man unter den konkreten Gegebenheiten eine Haftung des Angeklagten nach § 222 wohl bejahen müssen. Die geschilderten Umstände formieren ein derart massives Risikosyndrom im Hinblick auf die Gefahr der Vornahme einer defizitären Selbstverfügung, daß ein Vertrauen auf deren Ausbleiben nicht mehr gerechtfertigt erscheint und demzufolge die den Vollzug ermöglichende Handlung als sorgfaltspflichtwidrig zu bewerten ist.636 Wirkte sich die im Ansatz verfehlte Fallösung des BGH im „Dienstpistolenfall“ wegen der bindend festgestellten Freiverantwortlichkeit des Suizids nicht auf das Ergebnis der Strafbarkeitsprüfung aus, läßt sich dergleichen nicht über zwei vieldiskutierte neuere Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung sagen, von denen sich die erstere als Fortschreibung der durch BGHSt 24, 242 begründeten Judikatur versteht. Dabei handelt es sich um einen Beschluß des OLG Nürnberg, das in folgendem Fall einer sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens stattgab.637 Die Angeschuldigte hatte mit einer Pistole, die sie ungeladen glaubte, auf den Kopf ihres Ehemannes geschossen, nachdem dieser sie dazu aufgefordert hatte. Dadurch wurde der Mann (seinem frei gefaßten Entschluß entsprechend) getötet. Zuvor hatte er der Frau das leere Magazin der Waffe gezeigt, um sie von deren Ungefährlich634

Dies verkennen Roxin, FS Schreiber, S. 399, 402; NK-Neumann, § 216 Rn. 9. Ungerechtfertigt deshalb die – in der Sache naheliegende – diesbezügliche Beanstandung des Urteils durch Freund, AT, § 5 Fn. 93. 636 Ebenso Freund, AT, § 5 Rn. 73 f. 637 OLG Nürnberg NJW 2003, 454 f. 635

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

keit zu überzeugen, dabei aber verschwiegen, daß sich im Lauf noch eine Kugel befand.

Das OLG Nürnberg stützt seine Auffassung, daß das Verhalten der Ehefrau den Tatbestand der fahrlässigen Tötung verwirklicht habe, auf eine formale, in ihren tragenden Elementen ausschließlich an den in BGHSt 24, 242 entwickelten Leitlinien ausgerichtete Argumentation – und erliegt dabei (im Grunde forciert) einer überaus bezeichnenden Fehldeutung. Das Gericht fragt danach, ob die Angeschuldigte bei unterstelltem vorsätzlichen Handeln als Täterin zu qualifizieren gewesen wäre und bejaht dies unter Verweis darauf, daß sie eigenhändig die entscheidende Ursache für den Tod des Ehemannes gesetzt hat. Dagegen ist mit Recht eingewandt worden, daß das Gericht außer Betracht läßt, daß dem Ehemann eine Beherrschung des zu seinem Tode führenden Geschehens kraft überlegenen Wissens zukommt.638 Daß dieser Umstand darauf hin zu befragen ist, ob er einer Zuschreibung der Verantwortung für den Erfolgseintritt an die Adresse der Ehefrau im tatsächlich zur Beurteilung stehenden Fall im Wege steht, liegt auf der Hand.639 Das Problem ist nur, daß die Rekonstruktion des Falles auf Vorsatzebene, die das OLG Nürnberg nach den Vorgaben der Rechtsprechung des BGH betreibt, gerade jenen Aspekt mit begrifflich vorgegebener Notwendigkeit eliminieren muß. Denn indem man der Angeschuldigten hypothetisch einen Vorsatz auf Tötung ihres Ehemannes unterstellt, beseitigt man im selben Zuge das kognitive Defizit, das die Subordiniertheit ihres Tatbeitrages im Verhältnis zum Handeln des Mannes begründet. Allgemeiner formuliert, wird durch die Transformation des fahrlässigen in ein vorsätzliches Handeln ein für die Zuschreibung von Tatherrschaft maßgebliches Moment modifiziert. Daß dies gar nicht anders sein kann, sollte unmittelbar einleuchten, wenn man bedenkt, daß sich die Zuschreibung von Täterschaft nach der Tatherrschaftslehre gerade darin von der (auch nach dem Gesetz) veralteten formal-objektiven Lehre abhebt, daß sie nicht von den das jeweilige Interaktionsverhältnis prägenden subjektiven Faktoren abstrahiert. Verändert man diese subjektiven Faktoren, so läuft man Gefahr, das Ergebnis der Tatherrschaftszuschreibung zu verfälschen.640 Damit aber erweist sich – wie die Entscheidung des OLG Nürnberg 638 Engländer, Jura 2004, 234, 237, Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 65a; NK-Neumann, § 222 Rn. 4; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 11. 639 Anders nur Herzberg, NStZ 2004, 1, 2 f. Dabei ist der von Herzberg geübten Kritik immerhin zuzugeben, daß in der Konstruktion einer „mittelbaren Selbsttötungstäterschaft“ des Ehemannes (Engländer, JZ 2003, 747) nicht der Königsweg einer sinnvollen Strukturierung des Problems liegt. Im Vordergrund aller Überlegungen hat vielmehr stets die Frage zu stehen, ob und ggf. unter welchem Gesichtpunkt sich eine Fahrlässigkeitshaftung des den Erfolgseintritt herbeiführenden Beteiligten positiv begründen läßt. Hierbei stellen die Fälle der „mittelbaren Selbsttötungstäterschaft“ des verantwortlich handelnden Sterbewilligen nur einen kleinen Ausschnitt jener Konstellationen dar, in denen dies nicht gelingt. 640 Diese Erkenntnis hatte schon Bockelmann im Jahre 1954 (vgl. ZStW 66, 111, 117).

III. Die Rückwirkungen der strukturellen Vorgaben

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eindrücklich belegt – die von der Rechtsprechung zur Konturierung des Bereichs strafbaren fahrlässigen Verhaltens herangezogene Differenzierung (zu allem Überfluß) als nicht praktikabel. Einige Monate später hatte der 5. Strafsenat des BGH einen strukturell ähnlich gelagerten Fall zu entscheiden, in dem er im Ergebnis ebenso den Straftatbestand des § 222 verwirklicht sah.641 Dort hatte ein Schwerstbehinderter, der sich physisch nicht in der Lage sah, die erstrebte Selbsttötung zu vollziehen, einen Zivildienstleistenden gebeten, ihn bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, verpackt in Müllsäcke und weitgehend geknebelt, in einen Müllcontainer zu legen. Dabei hatte er dem Angeklagten geschickt vorgespiegelt, daß dies seinen sexuellen Vorlieben entspräche und demzufolge für ihn kein ungewöhnlicher oder neuer Vorgang sei und daß er einige Stunden später von speziell instruierten Personen geborgen würde. Tatsächlich hatte der Sterbewillige Sorge getragen, nicht vorzeitig gefunden zu werden. Einige Zeit nachdem ihn der Angeklagte wunschgemäß in den Container verbracht hatte, starb er an Unterkühlung und/oder mangelnder Luftzufuhr.

Hat man erwartet, daß der BGH in diesem Fall die (den von ihm selbst gesetzten Prämissen folgende) Argumentation des OLG Nürnberg übernimmt und ohne viel Federlesens auf die eigenhändige Vornahme der erfolgsursächlichen Handlung durch den Angeklagten abstellt, so sieht man sich getäuscht. Offenbar klug aus Schaden geworden, nimmt das Gericht von der unmittelbaren Heranziehung des Teilnahmearguments in der durch BGHSt 24, 242 in die Rechtsprechung eingeführten Gestalt642 Abstand; es scheint aber ebenso die offene Revokation der dort aufgestellten Grundsätze zu scheuen. So wählt das Gericht einen Umweg über die zu den Fällen der Selbst- bzw. einverständlichen Fremdgefährdung entwickelte Rechtsprechung643, um in diesem Zusammenhang schließlich doch wieder die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme in den Mittelpunkt zu stellen. Dies muß insofern verwundern, als es offensichtlich von vornherein nicht um einen Fall der Selbstgefährdung geht, immerhin wollte sich das Opfer nicht lediglich gefährden, sondern wirkte final auf seinen Tod hin. Die Pointe jenes Vorgehens liegt darin begründet, daß der BGH sich durch seinen „Kunstgriff“ in die Lage versetzt sieht, die Frage nach der Täterschaft auf eine niedrigere Ebene zu transferieren: Gefragt wird in der Entscheidung nicht mehr nach der Tatherrschaft im Vollsinne (also der Herrschaft über die Herbeiführung des Erfolges), sondern lediglich nach einer Gefährdungsherrschaft. Dadurch erspart sich der BGH die leidige Feststellung der auf § 216 bezogenen Täterschaft im parallelen Vorsatzfall, die er sich mit BGHSt 24, 242 auferlegt hatte und die das

641 642 643

BGH NJW 2003, 2326 ff. Bezeichnenderweise wird die Entscheidung an keiner Stelle zitiert. Leitentscheidung auf diesem Gebiet ist BGHSt 32, 262 („Heroinspritzenfall“).

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

OLG Nürnberg so unglücklich aussehen ließ. Der statt dessen in den Blickpunkt gerückte Gefährdungsvorsatz entspricht hingegen der Sache nach dem subjektiven Tatbestand des untersuchten Fahrlässigkeitsdelikts,644 so daß eine hypothetische Modifizierung des Sachverhaltes zum Zwecke der Festlegung (quasi-)täterschaftlicher Verantwortlichkeit unterbleiben kann. Mit anderen Worten prüft der BGH das Vorliegen von Täterschaft und Teilnahme am tatsächlich vorliegenden Fahrlässigkeitsfall.645 Hier nun eröffnet sich dem Gericht die Möglichkeit, die Frage nach einer eventuellen kognitiven Überlegenheit des Sterbewilligen in seine Erwägungen einzubeziehen. Eine eigenhändig vollzogene einverständliche Fremdschädigung soll danach straflos sein, soweit der Handelnde lediglich das Werkzeug des sich selbst Schädigenden verkörpert (gemeint ist offenbar auch hier eine Analogie zu den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft).646 Der BGH prüft diesen Punkt jedoch – seinem Ausgangspunkt treu bleibend – von vornherein nur bezogen auf den durch die Tat verwirklichten Gefährdungssachverhalt, das heißt, er abstrahiert vollständig von der eigentlichen Erfolgsdimension des Geschehens. Dadurch gelingt es ihm, den Umstand auszublenden, daß der Sterbewillige mit einer beim Außenstehenden fehlenden Erfolgsvorstellung tätig wird, und eine kognitive Überlegenheit des Getöteten im Sinne der mittelbaren Täterschaft zu verneinen.647 Im Ergebnis begründet der BGH also eine Strafbarkeit wegen des Erfolgsdelikts einer fahrlässigen Tötung unter ausschließlichem Rückgriff auf Gefährdungsaspekte (die ihrerseits an keiner Stelle in ein materielles Verhältnis zum Prinzip der Selbstverantwortung gesetzt werden); eine Erfolgszurechnung findet nicht einmal der Form nach statt. 644

Vgl. dazu Struensee, JZ 1987, 53, 57; AK-Zielinski, §§ 15, 16 Rn. 87 ff. Daß eine solche Unterteilung im Rahmen einer dem Einheitstäterprinzip unterfallenden Deliktskategorie ein dogmatisches nullum benennt und demzufolge für sich genommen den Ausweis eines materiellen Differenzierungskriteriums schuldig bleibt, wird dadurch freilich noch offensichtlicher. Dieser Einwand trifft die Entscheidungen des BGH in den Fällen der Selbst- bzw. einverständlichen Selbstgefährdung im Gefolge von BGHSt 32, 262 nicht minder. 646 Diese Einschränkung verkörpert immerhin ein Novum; sie wäre auf der Basis der den Entscheidungen BGHSt 24, 242 und OLG Nürnberg NJW 2003, 454 zugrundegelegten Prämissen – wie gesehen – nicht begründbar gewesen. 647 Insofern trifft die Kritik Engländers in Jura 2004, 234, 237 f. nicht ganz den Punkt, wenn er dem BGH vorwirft, verkannt zu haben, daß bereits eine Differenz hinsichtlich der Vorstellungen über den Erfolgseintritt mittelbare Tatherrschaft begründen kann. Weit schwerer wiegt demgegenüber sein Einwand, der BGH berücksichtige den Umstand nicht angemessen, daß der Angeklagte aufgrund der Täuschung durch den Sterbewilligen davon ausging, daß dieser nach einigen Stunden geborgen würde (Engländer, S. 238). Es liegt sehr nahe anzunehmen (letztlich handelt es sich hier um eine Tatfrage), daß gerade jener Aspekt das Gefährdungsmoment der Handlung des Angeklagten maßgeblich beeinflußt hat, so daß die in dieser Hinsicht bestehende kognitive Überlegenheit des Sterbewilligen grundsätzlich das Potential besitzen sollte, eine mittelbare Gefährdungsherrschaft desselben zu begründen. 645

III. Die Rückwirkungen der strukturellen Vorgaben

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Im Gesamtbild vermitteln die beiden jüngsten Entscheidungen den Eindruck, daß sich die höchstrichterliche Rechtsprechung zunehmend in den von ihr ausgeworfenen Fallstricken formaler Argumentationstopoi verheddert, so daß es an der Zeit erscheint, die verwendeten Kriterien einer kritischen Revision zu unterziehen und auf ein materielles Fundament zu stellen. Es versteht sich, daß die Annahme einer Strafbarkeit der Angeschuldigten/ des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung durch beide Gerichte mit der hier entwickelten Position schon deshalb nicht vereinbar ist, weil in beiden Fällen von einer die Erfolgszurechnung hindernden freiverantwortlichen Selbsttötung der Opfer auszugehen war. Die damit an sich obsolete Frage, ob die jeweiligen Handlungen gegen eine aus § 222 folgende Verhaltensnorm verstoßen haben, verdient gleichwohl eine kurze Betrachtung. Vergleichsweise leicht fällt die Antwort im Fall des OLG Nürnberg: Hier fehlte es bereits an einem normativ beachtlichen Risikosyndrom im Hinblick auf eventuelle suizidale Absichten des Ehemannes. Der vom OLG ins Feld geführte Gesichtspunkt, daß derjenige, der eine Schußwaffe in Richtung eines Menschen betätigt, für deren Ungefährlichkeit einzustehen hat, greift nicht. Der generelle Anlaß, sich mit diesem Aspekt ihres Handeln auseinanderzusetzen, entfiel für die Angeschuldigte aufgrund der Erklärung ihres Mannes, auf deren Wahrheit sie nach den oben dargelegten Grundsätzen vertrauen durfte. Mit der Unwahrheit der Angabe ihres Mannes mußte sie nach rechtlichen Maßstäben schon deshalb nicht rechnen, weil es keine rechtliche Pflicht gibt, sein Verhalten so einzurichten, daß andere außerstande gesetzt werden, es als Mittel einer Selbstverletzung in einen selbstgesetzten Zweckzusammenhang einzubinden.648 Dagegen handelte es sich bei dem vom BGH entschiedenen Fall recht eindeutig um eine jener Konstellationen, in denen die suizidalen Absichten des Opfers derart zutage lagen, daß man die Möglichkeit eines autoaggressiven Verhaltens durch das Opfer als für den Angeklagten grundsätzlich erkennbar ansehen müssen wird. Ein rechtlich relevantes Risiko für eine Fremdschädigung, das Eingang in die Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflichten des Angeklagten finden mußte, ist allein mit diesem Umstand jedoch nicht benannt; hierfür müßte sich das von ihm gekannte Risikosyndrom gerade auf eine nicht freiverantwortliche Autoaggression beziehen. Für Defizite des Getöteten in Bezug auf den verantwortlichen Umgang mit seinem Leben gab es jedoch nach den dem Urteil zugrundeliegenden Feststellungen keine positiven Anhaltspunkte. Insbesondere folgt aus einem nur als riskant einzustufenden Vorhaben nicht dieselbe Indizwirkung, die einem positiv als suizidal herausgestellten Projekt nach der hier vertretenen Interpretation beizumessen wäre. Auch in diesem Fall führt 648 Für diese Bewertung ist – entgegen der Auffassung der Rechtsprechung – die zeitliche Abfolge der zum Selbstverletzungserfolg führenden Handlungsbeiträge grundsätzlich unerheblich.

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

also der Umstand, daß § 222 dem Normadressaten nicht die Pflicht auferlegt, sein Verhalten im Hinblick auf freiverantwortliche Dispositionen anderer über ihr Leben besonderen Vorkehrungen zu unterwerfen, zur (rechtlichen) Bewertung des Handelns des Angeklagten als nicht sorgfaltspflichtwidrig.

IV. Die Begehbarkeit des abstrakten Gefährdungstatbestandes des § 216 durch Unterlassen Nach wie vor eines der umstrittensten Probleme im Zusammenhang mit der Anwendung des § 216 bildet die Frage, ob der Tatbestand durch Unterlassen verwirklicht werden kann. Die hauptsächliche Auseinandersetzung wird dabei auch hier um die Validität der verbreitet aus dem Teilnahmeargument gezogenen Schlußfolgerungen geführt. Bereits im Rahmen der einführenden Darstellung der in diesem Zusammenhang verwendeten Argumentationstopoi wurde nachgewiesen, daß jeder allein auf formaler Ebene verharrende Lösungsansatz – wie eben das Teilnahmeargument – die Problematik um ihren entscheidenden Aspekt verkürzt: die Frage, ob der Strafgrund des § 216 auch einem Verhalten gelten kann, das sich darin erschöpft, den Erfolg eines freiverantwortlich ins Werk gesetzten Selbsttötungsprojekts nicht abzuwenden.649 Nachdem nun die Frage nach dem Telos der Norm einer Klärung zugeführt ist, lassen sich auch für die vorliegende Folgeproblematik erste Schlußfolgerungen ziehen. Zunächst liegt auf der Hand, daß sich die für das Verbot der (aktiven) Tötung auf Verlangen maßgeblichen Feststellungsschwierigkeiten hinsichtlich des Vorliegens eines freiverantwortlichen Selbsttötungsentschlusses in einer Situation, in welcher der Normadressat das Vorliegen der Voraussetzungen einer Hilfspflicht (aus §§ 212/211 bzw. § 222 in Verbindung mit § 13) reflektieren muß, ebenso ergeben, wie in der unmittelbar von § 216 erfaßten Situation, in der er sich über die Voraussetzungen der Erlaubtheit seiner Handlung Gedanken machen muß.650 Daß damit noch nicht über die Anwendbarkeit der Vorschrift entschieden sein kann, zeigt schon der Umstand, daß die (Quasi-)Teilnahme am Suizid selbst dort nicht dem Bereich des nach § 216 strafbaren Verhaltens zugehört, wo ein solches Verhalten den Schutzgedanken der Norm anspricht. Die Klärung der Frage bedarf demzufolge der über eine derart isolierte teleologische Betrachtung hinausgehenden Bewertung der Gründe, die für und wider eine Erstreckung der Regelung auf den Bereich unterlassener Rettungsbemühungen sprechen. Dabei fällt zunächst auf, daß der Wortlaut des § 216 mit seinem Bezug auf ein Tötungsverlangen nicht so recht auf die einschlägigen Konstellationen pas649 650

Fall.

Vgl. oben A. II. 1. Man denke etwa an den unter B. IV. 2. diskutierten, von Herzberg gebildeten

IV. Die Begehbarkeit des abstrakten Gefährdungstatbestandes

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sen will. Häufig wird es hier an einem ausdrücklichen Verlangen fehlen, da der Sterbewillige nicht mit dem Hinzukommen einer zur Abwendung des Erfolges bereiten oder ggf. gar verpflichteten Person rechnet bzw. weil eine Kommunikation mit dem potentiell Hilfeleistenden in der konkreten Situation schon aus faktischen Gründen nicht möglich ist. Der Verzicht auf rechtsgutsbewahrende Aktivitäten anderer ergibt sich in diesen Konstellationen ausschließlich aus der bei äußerlicher Betrachtung als ernstgemeint aufzufassenden bzw. aufgefaßten Vornahme des suizidalen Aktes. Hält man die §§ 216, 13 in Fällen unterlassener Erfolgsabwendung durch Garanten prinzipiell für einschlägig, so folgt daraus im Gegenzug, daß ohne einen Verzicht des Rechtsgutsträgers auf Hilfeleistung, der äußerlich den Voraussetzungen der Norm des § 216 genügt, die §§ 212, 211, 13 Anwendung finden müssen – auch wenn es sich ersichtlich um einen freiverantwortlich vollzogenen, ernsthaft den Erfolg anstrebenden Suizidversuch handelt. Daß dies dem Unrechtsgehalt einer solchen Unterlassung in keinem Falle gerecht werden kann, dürfte kaum ernsthaft zu bestreiten sein.651 Was also bleibt, ist eine harmonisierende Interpretation des Wortlautes des § 216, die auch solche im Wortsinne unverlangten Unterlassungen in den Normbereich des Tatbestandes einbezieht. Daß dabei die teleologisch-systematisch gebotene Auslegung die grammatikalischen Grenzen der Norm sprengt, bildet freilich bereits ein starkes Indiz dafür, daß die Grundannahme einer Strafbarkeit unterlassener Erfolgsabwendung bei freiverantwortlichen Suizidvorhaben nach §§ 216, 13 nicht der dem Gesetz zugrundeliegenden Auffassung entspricht. Gewichtiger als dies ist jedoch die materielle Frage, ob es unter dem Blickwinkel der legislativ zu gewährleistenden Sicherung der Bedingungen wechselseitiger Freiheit im intersubjektiven Verhältnis legitim und angemessen erscheint, an das in § 216 statuierte abstrakte Gefährdungsverbot eine positive Handlungspflicht zu koppeln. Der für deren Beantwortung entscheidende Ge651 Es widerspricht zudem den allgemeinen Grundsätzen der Unterlassungshaftung nach § 13, vgl. nur Sch/Sch-Stree, § 13 Rn. 22. Gleichwohl macht MüKo-Schneider, § 216 Rn. 61 ff., die Privilegierung des § 216 von einer konkret an den Unterlassenden gerichteten Aufforderung zum Untätigbleiben abhängig, ohne sich allerdings damit aufzuhalten, das materielle Unrecht einer solchen dem Willen des Trägers des gefährdeten Rechtsguts gemäßen Unterlassung herauszustellen. So soll das Geschehenlassen einer Tötung auf Verlangen für einen Garanten, an den keine ausdrückliche Aufforderung zum Untätigbleiben gerichtet war, gemäß § 28 II den Tatbestand der §§ 211, 212, 13 erfüllen (Rn. 62 a. E.). Um so rätselhafter muß es erscheinen, wenn derselbe Autor an anderer Stelle (MüKo-Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 77) ausführt: „Die freiverantwortliche Willensentscheidung des Lebensmüden hebt die Rechtspflicht des Lebensschutzgaranten auf, zur Wahrung der Rechtsgüter seines Schützlings aktiv werden zu müssen. Der während eines Suizids anwesende oder hinzustoßende Garant bleibt nach §§ 211, 212, 13 straflos, wenn er gegen den Suizidversuch nicht einschreitet oder aber den Erfolg nach Eintritt der Bewußtlosigkeit des Lebensmüden nicht abwendet. In derartigen Fällen darf der Garant mangels gegenteiliger Anhaltspunkte vom Fortbestehen des freiverantwortlich gefassten und in die Tat umgesetzten Todeswunsches ausgehen.“ (Hervorhebung im Original).

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

sichtspunkt wird von der im Schrifttum herrschenden Lehre zutreffend darin erkannt, daß ein situationsunabhängig an jeden Garanten adressiertes Gebot des Tätigwerdens zum Zwecke der Unterbindung (auch) freiverantwortlich betriebener Selbsttötungsprojekte, jenen zu mehr oder minder schwerwiegenden aktiven Eingriffen in den der Autonomie des Suizidenten zugewiesenen Umgang mit dem eigenen Körper verpflichtet.652 Es versteht sich, daß darin ein grundsätzlich legitimationsbedürftiger mittelbarer staatlicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht sterbewilliger Personen zu erblicken ist, wie es sich ebenso versteht, daß die durch eine solche Norm je konkret zur Bewahrung des Lebens gebotenen Maßnahmen einer Rechtfertigung bedürfen, soweit sie in straftatbestandlich geschützte Rechtsgüter des Lebensmüden eingreifen. Auf den letztgenannten dieser beiden problematischen Aspekte wird traditionell die Argumentation gegen eine nach § 216 strafbewehrte Hilfspflicht in Suizidfällen hauptsächlich gestützt; sie besitzt auch für das hier vorgestellte Normkonzept Gültigkeit. Faktische Basis dieser Überlegungen ist die sicher nicht unzutreffende Annahme, daß die Hinderung eines fest zum Suizid Entschlossenen an der Herbeiführung des eigenen Todes idealtypisch mit der Verwirklichung von Straftatbeständen, namentlich der Vornahme nötigender und/oder körperverletzender Handlungen einhergeht. Den Präzedenzfall (der wohl zugleich der praktisch am häufigsten auftretende Fall sein dürfte) bildet hier die ärztliche Zwangsbehandlung sterbewilliger Patienten. Daß eine (mindestens) nach § 223 straftatbestandsmäßige ärztliche Behandlung gegen den (defektfreien) Willen des Patienten – auch wo sie den einzigen Weg bildet, einer Lebensverkürzung entgegenzuwirken – einer Rechtfertigung nicht zugänglich ist, kann als eine in Schrifttum und Rechtsprechung weitgehend gesicherte Erkenntnis gelten.653 Mit 652

Vgl. ausführlich NK-Neumann, Vor § 211 Rn. 71 ff. m.w. N. Vgl. u. a. OLG München NJW 1987, 2940, 2944; Schroth, GA 2006, 549, 551; Antoine, Sterbehilfe, S. 75; Merkel, Früheuthanasie, S. 241 f.; Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 22; Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 311 f. (im Kontext des § 323c); Sternberg-Lieben, FS Lenckner, S. 349, 352 ff.; MüKo-Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 75; NK-Neumann, Vor § 211 Rn. 71 m.w. N. Dies wird grundsätzlich auch von Kutzer, NStZ 1994, 111, 114 akzeptiert (der als Vorsitzender des 3. Strafsenats maßgeblich an der Grundsatzentscheidung BGHSt 32, 367 [„Fall Wittig“] beteiligt war und gewissermaßen die Sicht der neueren BGHRechtsprechung repräsentiert). Er sieht jedoch gerade in Bezug auf die in Rede stehenden Konstellationen eine qualitative Differenz zwischen „Normalpatienten“ und sog. „Suizidpatienten“ und will letzteren (im wahrsten Sinne des Wortes) eine Sonderbehandlung zukommen lassen. Diese Unterscheidung kann jedoch schon deshalb nicht überzeugen, weil man auch einen „Normalpatienten“, der (verbal) aktiv wird, um durch die Ablehnung einer medizinisch indizierten Behandlung sein Leben zu verkürzen (oder die Möglichkeit der Lebensverkürzung zumindest in seinen Willen aufgenommen hat) im Grunde einen „Suizidpatienten“ nennen müßte. Eine nach normativen Kriterien ausgewiesene Differenz läßt sich hier jedenfalls nicht ausmachen (vgl. dazu auch OLG München NJW 1987, 2940, 2944; Gropp, NStZ 1985, 97, 103, Fn. 65; Eser, MedR 1985, 6, 15; Schmitt, MDR 1986, 617, 619; Verrel, JZ 1996, 224, 229 f.; Chr. Schneider, Tun und Unterlassen, S. 240 f.; MüKo-Schneider). Auch Jähnke in 653

IV. Die Begehbarkeit des abstrakten Gefährdungstatbestandes

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anderen Worten handelte es sich bei einem aus §§ 216, 13 abgeleiteten Suizidabwendungsgebot um ein in der weiten Mehrzahl der Fälle aus rechtlichen Gründen unerfüllbares Gebot.654 Auch eine allgemeinere Betrachtung läßt eine mögliche gesetzgeberische Entscheidung für die Installation einer allgemeinen Suizidabwendungspflicht für Garanten in zweifelhaftem Licht erscheinen. Es wurde bereits im Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung des Verbots der aktiven Tötung auf Verlangen dargelegt, daß die Freiheit, seinem Leben ein Ende zu setzen, grundsätzlich in die von willkürlichen staatlichen Eingriffen freizuhaltende Sphäre individueller Lebensentscheidungen fällt – daß Eingriffe in diese Freiheit demzufolge, auch soweit sie legitimen Zwecken zu dienen bestimmt sind, jedenfalls in verhältnismäßiger Weise erfolgen müssen. Im vorliegenden Kontext gilt es hierbei zu berücksichtigen, daß im Unterschied zu dem Verbot, aktiv eine verlangte Tötung zu vollziehen, das den Sterbewilligen im Regelfall nur im Hinblick auf die Auswahl der Mittel zur Verwirklichung seines Willens beschränkt, eine strafbewehrte Pflicht zur Verhinderung von Selbsttötungen typischerweise einen schweren mittelbaren Eingriff (mindestens) in dessen Handlungsfreiheit bedeutet.655 Dessen Angemessenheit zur Bekämpfung eines lediglich abstrakt bleibenden Risikos des Geschehenlassens einer nicht freiverantwortlichen Selbsttötung erscheint mehr als fraglich. Letztlich wird der Sterbewillige mit seinem ernsthaft auf die Herbeiführung des eigenen Todes zielenden Vorhaben aus der Intersubjektivität verbannt; gerade die ihm regelmäßig am meisten nahestehenden Personen muß er tunlichst aus der Konfrontation mit seinen Plänen und deren Vollzug heraushalten. Daß man damit, neben allem anderen, der allgemeinen Suizidprophylaxe, wie auch der auf die Verhinderung des Vollzugs nicht freiverantwortlich gefaßter Selbsttötungsentschlüsse gerichteten Prävention im Ergebnis einen Bärendienst erweist, sollte auf der Hand liegen.656

LK, Vor § 211 Rn. 33 geht von einem grundsätzlichen Behandlungsrecht in Suizidfällen aus. Er versucht, dieses aus der Polizeiwidrigkeit des Suizids abzuleiten. Ein Verhalten, das darauf gerichtet sei, einen polizeirechtswidrigen Zustand zu beseitigen, könne nicht gegen Strafnormen verstoßen. Ein solcher Schluß setzt sich indes in offenkundigen Widerspruch zum Institut eines staatlichen Gewaltmonopols, das – gerade auf dem Gebiet polizeilicher Tätigkeit – die Träger staatlicher Gewalt zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit Sonderkompetenzen ausstattet, die dem einfachen Normadressaten gerade nicht zukommen. 654 Mit Recht macht allerdings Merkel, Früheuthanasie, S. 241 f., darauf aufmerksam, daß dies für sich genommen noch kein durchschlagendes Argument gegen die prinzipielle Möglichkeit einer Strafbarkeit aus § 216, 13 ist, schließlich verbleiben einzelne Fälle, in denen eine Intervention mit legalen Mitteln möglich bleibt. 655 Vgl. dazu bereits oben C. II. 1. 656 Vgl. dazu auch Roxin, FS Dreher, S. 331, 353 ff. Dieser Einwand wiegt um so schwerer, als es gerade die Suizidprävention ist, der sich die Vertreter der Ansicht, daß § 216 auch auf unterlassene Rettungsbemühungen anzuwenden sein soll, verpflichtet fühlen.

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

In engem sachlichen Zusammenhang mit diesen Einwänden steht die häufig vorgebrachte Kritik, eine Erstreckung des § 216 auf Unterlassensfälle beachte das Selbstbestimmungsrecht des Sterbewilligen im Umgang mit seinem Leben nicht in ausreichendem Maße.657 Deren dogmatische Berechtigung versteht sich auf dem Boden des tradierten Verständnisses des § 216 als einer Einwilligungssperre aber nicht von selbst, schließlich begründet die Norm nach dieser Sichtweise in ihrem Anwendungsbereich gerade eine Beschränkung der rechtlichen Akzeptanz selbstbestimmter Dispositionen über das Rechtsgut Leben. Anders verhält es sich, betrachtet man § 216 mit dem hier zugrundegelegten Normverständnis lediglich als ein Instrument des Gesetzgebers zur Sicherung des Umgangs des Rechtsgutsinhabers mit seinem Leben vor in Wahrheit nicht selbstbestimmten Dispositionen. Danach bleibt es objektiv, also aus der Sicht des Rechts, dabei, daß Verfügungen über das Leben grundsätzlich als Gegenstand des Selbstbestimmungsrechts zu akzeptieren sind und demnach in den Verantwortungsbereich des Rechtsgutsträgers fallen. Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit, im intersubjektiven Kontext Feststellungen über die konkrete Verantwortlichkeit des über sein Leben Verfügenden zu treffen, verbietet das Recht jedoch seinen Subjekten, diese Bewertung zur positiven Grundlage seiner Verhaltensmaximen zu machen. Darin erschöpft sich aber der Inhalt der im Verbot der Tötung auf Verlangen manifestierten legislativen Stellungnahme. Insbesondere schließt ein solches Verbot weder mit logischer noch mit axiologischer Notwendigkeit das Gebot ein, in jedem Falle vom gegenteiligen Befund, also von der fehlenden Verantwortlichkeit des Sterbewilligen auszugehen. Mehr noch, man wird sagen müssen, daß eine die Selbstbestimmung seiner Subjekte im Grundsatz respektierende Rechtsordnung eine so weitreichende Anordnung nur um den Preis eines Selbstwiderspruches treffen könnte. In der Sache liefe diese auf das (lediglich in sachlicher Hinsicht begrenzte) Gebot hinaus, die jeweils andere Rechtsperson nicht als Vernünftige zu achten. Der in der Regelung des § 216 seinen Ausdruck findende Normbefehl kann demzufolge nur lauten, sich im Zusammenhang mit Dispositionen über das Leben aus dem (äußerlich-abstrakt umrissenen) Verantwortungsbereich seiner Mitsubjekte herauszuhalten – sowohl mit aktiven Beiträgen, die potentiell geeignet sind, eine eigene Verantwortlichkeit des Außenstehenden zu begründen, als auch mit aktiven Interventionen.658, 659 657

Vgl. nur wiederum NK-Neumann, Rn. 69 ff. und die dortigen Nachweise. Entsprechendes gilt mutatis mutandis für § 323c. 659 Einige Autoren möchten davon abweichend die Pflicht des nach § 13 Einstandspflichtigen begründen, eine vom Schutzbefohlenen verlangte Tötung durch einen Dritten abzuwenden, so Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 236; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 162; LK-Jähnke, vor § 211 Rn. 9; MüKo-Schneider, § 216 Rn. 62; NK-Neumann, § 216 Rn. 9; vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 1973, 2215. Gleiches soll auch gelten im Falle einer Tötung, die vom Sterbewilligen einer Person angetragen wurde, für deren Verhalten der Garant einzustehen hat (vgl. Verrel, JZ 1996, 224, 227, Fn. 48). Es ist jedoch – jedenfalls aus der Perspektive der im obigen Text entfalteten Überlegungen – nicht einzusehen, wieso es für die Begründung 658

IV. Die Begehbarkeit des abstrakten Gefährdungstatbestandes

225

Steht damit fest, daß der Rechtsgedanke des § 216 der Statuierung einer auf diese Norm zu stützenden Handlungspflicht entgegensteht, so ist damit allerdings noch keine abschließende Aussage über eine eventuelle Strafbarkeit eines unterlassenden Garanten nach §§ 222, 13 für den Fall getroffen, daß sich eine von jenem nicht verhinderte Selbsttötung als unerkannt mit Willensmängeln behaftet erweist. Es versteht sich, daß die eben entfalteten Wertungen auch in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben können. Jene würden geradewegs konterkariert, wäre aus §§ 222, 13 (wegen der abstrakten Gefahr einer nicht freiverantwortlichen Verfügung über das Leben) eine auf Suizidverhinderung gerichtete Verhaltenspflicht schon bei bloßer Kenntnis suizidaler Absichten eines Schutzbefohlenen zu generieren. Andererseits wird man das Bestehen einer solchen Pflicht nicht von vornherein und für jede Situation ausschließen können, man denke nur an das Aufsichtspersonal einer psychiatrischen Klinik, das dem Versuch einer Selbsttötung einer der Patienten natürlich weder tatenlos zuschauen (dann dürfte im Regelfall – wegen Kenntnis des Entscheidungsdefizits – sogar eine vorsätzliche Tötung durch Unterlassen vorliegen), noch einen solchen durch mangelnde Vorkehrungen ermöglichen darf. Es würde Zielsetzung und Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen, einen Versuch zu unternehmen, die genauen Voraussetzungen für eine solche Suizidverhinderungspflicht festzulegen bzw. eine diesbezügliche Kasuistik zu entwickeln. Es sollen lediglich kurz die Eckpunkte angedeutet werden, die ein solches Unterfangen zu berücksichtigen haben wird. Zum einen folgt aus dem eben Dargelegten, daß eine Pflicht zur Verhinderung von Selbsttötungen wohl vom Bestehen mindestens konkreter Anhaltspunkte für die Gefahr einer mangelnden Fundierung des Projekts im frei gebildeten Willen des Sterbewilligen abhängig zu machen sein wird. Auf der anderen Seite stellt sich natürlich auch in diesem Zusammenhang die höchst problematische Frage nach einer möglichen Rechtfertigung von rechtsgutsbeeinträchtigenden suizidhindernden Eingriffen, deren positive Beantwortung im Einzelfall Voraussetzung für die endgültige Statuierung einer Suizidhinderungspflicht sein muß. Der letztgenannte Aspekt, bei dem es in der Sache um einen Spezialfall der noch wenig geklärten allgemeinen Problematik der Rechtfertigung tatbestandsmäßiger Handlungen auf unsicherer Tatsachenbasis geht,660 wird dabei wohl den zentralen Punkt einer künftig zu führenden Diskussion bilden müssen.

einer Interventionspflicht darauf ankommen soll, ob der Vollzug des suizidalen Vorhabens eigen- oder fremdhändig stattfindet. Freilich mag man dies auf der Basis eines Schutzzweckverständnisses des § 216 anders sehen, das der Norm den alleinigen Zweck beimißt, den Sterbewilligen daran zu hindern, durch die Delegation der Tötungshandlung den biologischen Schutzmechanismus seiner natürlichen Selbsttötungshemmung zu umgehen. 660 Vgl. dazu die umfassenden, das Thema jedoch gewiß noch nicht erschöpfenden Abhandlungen von Reip, Täterhandeln bei ungewisser Rechtfertigungslage, und Müther,

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

V. Die Tötung auf Verlangen im Lichte der Täterlehre Bereits die einführende Darstellung der in diesem Zusammenhang diskutierten Probleme hat deutlich gemacht, daß die Bestimmung bzw. Konkretisierung eines Typus des täterschaftlichen Verhaltens nach § 216 untrennbar mit der Frage nach der teleologischen Deutung der Norm verflochten ist.661 Es ist deshalb sinnvoll zu eruieren, inwiefern die oben aufgezeigte Lösung dieser Frage einen anderen Zugang auch zu jenen Problemen eröffnet. Richtungsweisende Vorarbeiten hierfür wurden bereits bei der Klärung des zwischen der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen und der Straflosigkeit der (Quasi-)Teilnahme am Suizid – augenscheinlich – bestehenden Spannungsverhältnisses geleistet.662 Dort hatte sich erwiesen, daß die Materie des unter rein teleologischen Gesichtspunkten verbietbaren Verhaltens schon in abstracto nicht mit dem durch § 216 tatsächlich erfaßten Handlungstypus in Deckung zu bringen ist.663 Das hat seinen Grund darin, daß die Anzahl der dem (vorpositiv gebildeten) abstrakten Gefährdungstatbestand unterfallenden Verhaltensweisen offenkundig über den Bereich des unter den Begriff der „Tötung“ subsumierbaren Verhaltens hinausreicht. Auf der anderen Seite ist aber jede Handlung, die sich als „Tötung“ auffassen läßt, ohne weiteres jenem Gefährdungstatbestand zuzuordnen. Damit gilt es als Ertrag der bisherigen Untersuchung zunächst ein negatives Ergebnis zu verzeichnen: Es erweist sich, daß der Schutzgedanke des § 216 nicht über das kritische Potential verfügt, den Kreis täterschaftlicher Verhaltensweisen nach außen hin zu begrenzen. Somit verbleibt die Last der Abgrenzung auf den Schultern der grammatikalischen und systematischen Tatbestandsauslegung. Es erscheint gleichwohl möglich, mit diesem beschränkten dogmatischen Instrumentarium eine umfassende Konturierung des täterschaftlichen Verhaltens im Rahmen des § 216 – insbesondere auch in den kritischen Fällen der sog. „Quasi-Mittäterschaft“ – zu leisten. Mit der Verwendung des Begriffes der „Tötung“ und dessen Bezug auf die §§ 212, 211 zeigt das Gesetz, daß nach seinem Verständnis grundsätzlich nur derjenige Täter des § 216 sein soll, der in einer entsprechenden nach §§ 212, 211 zu beurteilenden Situation als Täter zu qualifizieren wäre.664 Umgekehrt aber macht die Gesetzesfassung deutlich, daß die bloße (durch das Opfer kundgegebene) Willensübereinstimmung zwischen Handelndem und Getöteten diese Möglichkeitsvorstellungen im Bereich der Notrechte des Strafgesetzbuches, aber auch Schroth, FS Arthur Kaufmann, S. 595, 604 ff. 661 Vgl. oben A. II. 2. 662 Siehe oben C. II. 2. 663 Darin unterscheidet sich der hier vertretene Ansatz von allen übrigen Konzepten, die den Zusammenhang von Telos der Norm und Typus täterschaftlichen Verhaltens thematisieren; vgl. die Nachweise unter C. II. 2. 664 Ähnlich Herzberg, NStZ 2004, 1, 6 f.

V. Die Tötung auf Verlangen im Lichte der Täterlehre

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Einordnung nicht hindern soll.665, 666 Täter im Sinne des § 216 ist demnach derjenige, der – ohne Rücksicht auf den Willen des Getöteten – durch seinen aktiven Beitrag zu einem suizidalen Projekt die Herbeiführung des vom Vorsatz der Beteiligten umfaßten Erfolges beherrscht. Die Tatherrschaft des handelnd eine Ursache für den Tod des Sterbewilligen Setzenden entfällt also nur, wenn das Opfer die Möglichkeit behält, dessen Beitrag durch sein eigenes Verhalten zu überdeterminieren. Es ist kein Zufall, daß sich diese Bestimmung mit der durch Murmann vorgenommenen trifft, der seinerseits die Typisierung täterschaftlicher Verantwortung im Kontext des § 216 a priori von teleologischen Erwägungen freihält. So fragt er – ganz im hier vertretenen Sinne – danach, „ob das Verhalten ohne die konkrete Opferentscheidung (straf-)rechtlich verboten wäre“.667 Übrigens widerspiegelt ein solches Axiom gewissermaßen den teleologischen Leitgedanken der Norm: Da als ungewiß zu betrachten ist, ob der Wille des Opfers nach rechtlichen Maßstäben anzuerkennen ist, darf auch die Frage nach der Täterschaft nicht positiv auf diesen Willen Bezug nehmen; die Zuschreibung von Tatherrschaft muß, mit anderen Worten, von der potentiell kontaminierten Entscheidung des Rechtsgutsträgers abstrahieren. Umgekehrt versteht es sich, daß dies dann nicht mehr gelten kann, wenn der Rechtsgutsträger seinen Willen zur Rechtsgutsaufgabe in einer Weise handelnd betätigt, die ihm bei rein äußerlicher Betrachtung – also wiederum von der konkreten Qualität seines Willens abstrahierend – die Herrschaft über die Herbeiführung des Erfolges vermittelt.668

665 Nicht anders will sich wohl auch Herzberg verstanden wissen, wenn er darauf hinweist, es sei im Auge zu behalten, „daß der Aspekt der Eigenverantwortung nicht zur Annullierung des § 216 StGB führen darf“. 666 Damit wird deutlich, daß die oben (C. II. 2.) angesprochene Frage nach den Auswirkungen einer Einwilligung des Opfers in die rechtsgutsbeeinträchtigende Handlung des Täters auf die Zuschreibung von Tatherrschaft sich jedenfalls im Rahmen des § 216 nicht stellt. Darin mag – je nach dem, wie man sich zu diesem Problem positioniert – eine Modifikation des Tatherrschaftsbegriffes im Vergleich zu den Tötungsdelikten i. e. S. liegen. 667 Murmann, Selbstverantwortung, S. 360. Nicht zutreffend ist es nach der hier vertretenen Schutzzweckkonzeption indes, wenn Murmann seine Differenzierung in materieller Hinsicht damit begründet, daß das Verhalten des Außenstehenden anderenfalls durch das Recht nicht verbietbar sei. Es wurde oben bereits nachgewiesen, daß der Bereich des Verhaltens, das die erkennbare (abstrakte oder gar konkrete) Gefahr birgt, eine Bedingung für den eigenhändigen Vollzug eines nicht verantwortlich gefaßten Selbsttötungsentschlusses zu setzen, über den Bereich des nach § 216 tatbestandsmäßigen Verhaltens (also eines Verhaltens, das sich bei äußerlich-formaler Betrachtung unter den Begriff „Tötung“ fassen läßt) hinausgeht. Ein solches Verhalten ist nicht nur „verbietbar“, sondern tatsächlich – nach § 222 – verboten. 668 Diese Bestimmung deckt sich mit dem oben herausgehobenen Normappell des § 216: Nur in den erstgenannten Fällen muß dem Außenstehenden ohne weiteres klar sein, daß er mit seiner Handlung unmittelbar die Verantwortung für den Tod des Sterbewilligen übernimmt.

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

Um den idealtypischen Fall fehlender Täterschaft nach § 216 handelt es sich demzufolge, wenn der Sterbewillige den zeitlich vorgelagerten Handlungsbeitrag eines Außenstehenden aktiv aufgreift und in einen selbstgesetzten Handlungszusammenhang einbindet. Nicht ganz unumstritten ist hingegen in diesem Zusammenhang die Behandlung derjenigen Fälle, in denen dem Opfer lediglich die Möglichkeit offenbleibt, die Folgen der schließlich erfolgsursächlichen Handlung nach deren Vornahme zu revozieren, in denen also das für den Erfolg mitursächliche Verhalten des Opfers in einem (zeitlich nachgelagerten) Unterlassen besteht. In dem (nicht praxisfernen)669 Schulfall zu diesem Problemfeld öffnet der Täter einen Gashahn und verläßt den Raum, während das Opfer freiwillig dort verharrt und sich auf diese Weise der tödlichen Wirkung des Gases aussetzt.670 Auch hier beherrscht der Täter das zum Erfolg führende Geschehen nicht ohne Rücksicht auf das Verhalten des Opfers, so daß eine Täterschaft des Handelnden nach der obigen allgemeinen Bestimmung ausscheidet.671 Gegen diese Deutung werden im Schrifttum Einwände recht verschiedener Provenienz geltend gemacht. So wendet Schneider ein, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb Passivität dem Lebensmüden Tatherrschaft über das Geschehen vermitteln solle.672 Gemeinhin sei anerkannt, daß man durch Nichtstun nichts beherrschen könne. Das ist durchaus richtig – es handelt sich jedoch um die richtige Antwort auf eine falsche Frage. Denn die von Schneider in der Sache behandelte Frage nach einer die Zuschreibung von Täterschaft hindernden (Mit-)Beherrschung der Ausführung des suizidalen Vorhabens durch das Opfer konvergiert keineswegs mit dem verbal aufgegriffenen Topos der (deliktischen) Tatherrschaft. Letzterer umschreibt die positiven Voraussetzungen der (aktiven!) täterschaftlichen Verwirklichung eines Straftatbestandes und dient also – im Gegensatz zu der Feststellung der „Tatherrschaft“ des Opfers, von der Schneider spricht – der Aufgabe, die durch Strafnormen angesprochene Verantwortlichkeit eines Subjekts zu begründen.673 Daß man durch bloße Passivität nicht Täter eines Begehungsdelik669

Vgl. nur RG JW 1921, 579. Je nach Interpretation des dort zugrundeliegenden Sachverhalts entspricht diese Konstellation dem bekannten „Gisela-Fall“ (BGHSt 19, 135), vgl. dazu die treffenden Darlegungen bei Murmann, Selbstverantwortung, S. 339 ff., 361 ff. 671 So auch Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 24; Murmann, Selbstverantwortung, S. 366 f.; Roxin, FS Pötz, S. 177, 185; Herzberg, NStZ 2004, 1, 6; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 232. Die beiden letztgenannten Autoren wollen allerdings täterschaftliches Handeln nach § 216 annehmen, wenn die Rettungsoption des Sterbewilligen lediglich darin besteht, den (hierzu bereitstehenden) Suizidbeteiligten zur Hilfeleistung zu animieren; dagegen zutreffend Murmann, Fn. 199. 672 MüKo-Schneider, § 216 Rn. 43; ähnlich Degener, Schutzzweck der Norm, S. 333 f. 673 Es ist deshalb ungenau oder zumindest mißverständlich, wenn man im Zusammenhang mit der Bestimmung einer Opferverantwortlichkeit den Terminus einer durch den Rechtsgutsinhaber ausgeübten „Tatherrschaft“ gebraucht. Es handelt sich nämlich 670

V. Die Tötung auf Verlangen im Lichte der Täterlehre

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tes werden kann, ist dabei eine schon in der Verhaltensmodalität gründende Selbstverständlichkeit. Daß hingegen eine obliegenheitsverletzende Passivität im Umgang mit eigenen Rechtsgütern die Zuschreibung der Verantwortung für einen dadurch ermöglichten Erfolgseintritt an die Adresse eines Dritten zu hindern vermag, ist weitgehend anerkannt.674 Es handelt sich keineswegs um ein Spezifikum der vorliegenden Materie.675 So wird man generell nicht behaupten können, der einen straftatbestandlichen Erfolg Verursachende habe den Tatablauf beherrscht, wenn der Inhaber des geschädigten Rechtsgutes den Erfolg trotz Kenntnis der Gefährdung nicht abgewendet hat, obwohl ihm dies ohne weiteres (insbesondere ohne anderweitige Risiken oder unzumutbare Mühen) möglich war. Daß der Rechtsgutsinhaber eine solche Handlung unterläßt und so den Erfolgseintritt ermöglicht, stellt sich normativ als bloßes (nicht dem Einfluß/der Herrschaft des Handelnden unterliegendes) Akzidens dar. Ein weiterer Kritikpunkt trifft die hier vorgestellte Sichtweise nicht unmittelbar. In bereits spezifizierter Form vorgetragen lautet dieser: Wenn hinter § 216 das Mißtrauen des Gesetzgebers gegenüber der Validität des Sterbeentschlusses, der einer nicht eigenhändig vollzogenen Selbsttötung zugrunde liegt, stehen soll, wieso soll dann bloße Passivität des Sterbewilligen die Tatbestandsmäßig-

nicht, wie dieser Sprachgebrauch suggeriert, um einen der Täterschaft gleichgeordneten Begriff; die so bezeichnete Beherrschung der Herbeiführung des Erfolges durch das Opfer ist vielmehr ein nach eigenständigen Kriterien zu bestimmendes, negatives Element des Begriffes der (deliktischen) Tatherrschaft. Auf dieser Basis die Täterschaft des auf ein Rechtsgut Zugreifenden zu verneinen, bedeutet also nicht, wie Degener, S. 334, meint, das sich passiv verhaltende Opfer zum „übermächtigen Konkurrenten“ aufzubauen. Nach einer „Übermacht“ des Opfers ist von vornherein nicht gefragt; es geht – genau umgekehrt – darum, positiv eine Überlegenheit des Täters im Hinblick auf den vollendeten Rechtsgutszugriff zu begründen. 674 Vgl. dazu die Nachweise bei Sch/Sch-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 100. Häufig wird die Frage als ein der objektiven Erfolgszurechnung zugeordneter Topos behandelt. So meint Herzberg, NStZ 2004, 1, 6, (ähnlich Murmann, Selbstverantwortung, S. 366 f.) gar, die (auch) hier vertretene Lösung ließe sich nur auf dem Boden der Lehre von der objektiven Zurechnung erzielen. Dem ist (wieder einmal) entgegenzuhalten, daß ein entsprechend normativierter Tatherrschaftsbegriff in der Lage ist, alle Aspekte der objektiven Erfolgszurechnung in adäquater Weise (insbesondere unter Einbeziehung subjektiver Faktoren) zu erfassen. Es sollte einleuchten, daß die von der Tatherrschaftslehre gestellte Frage, ob eine Person durch ihre Handlung das erfolgsrelevante Geschehen (in normativer Perspektive) beherrscht hat, der von der Zurechnungslehre gestellten Frage, ob der Erfolg sich als das Werk des Handelnden begreifen läßt, ihrem sachlichen Gehalt nach entspricht. 675 So aber offenbar Degener, Schutzzweck der Norm, S. 333. Freilich wird dies kaum einmal im Rahmen der §§ 212, 211 praktisch. Anerkannt ist ein solcher Zurechnungsausschluß aber beispielsweise im Rahmen des § 226 I Nr. 3 (für die Fälle, in denen das Opfer es unterläßt, die schwere Folge der „dauernden Entstellung“ durch eine zumutbare ärztliche Heilbehandlung zu verhindern); vgl. dazu die zahlreichen Nachweise bei LK-Hirsch, § 226 Rn. 9 und 20.

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

keit entfallen lassen können?676 Die Antwort der Anhänger des damit angesprochenen Schutzzweckverständnisses müßte lauten: Weil der Wortlaut der Norm („Tötung“) deren Schutzbereich bestimmt,677 jedenfalls aber begrenzt.678 Hinter jener Kritik steht jedoch ein Einwand von allgemeiner Tragweite, der sich in seinen verschiedenen Ausprägungen als eine Art Allzweckwaffe im Diskurs um die treffende Bestimmung täterschaftlichen Verhaltens im Rahmen des § 216 etabliert hat. Die Argumentationsstruktur ist dabei immer dieselbe: Neben einen Fall unzweifelhaft tatbestandlichen Verhaltens wird ein möglichst ähnlicher Fall gestellt, der nach der kritisierten Auffassung nicht dem § 216 unterfällt, um auf diese Weise die materielle Unterscheidungskraft der je zugrundeliegenden Differenzierungskriterien in Frage zu stellen.679 In der Sache geht es also immer darum, die jeweilige Unterscheidung von Tötung auf Verlangen und „Suizidteilnahme“ am konkreten Fall als formal, äußerlich und unter teleologischem Blickwinkel nachgerade willkürlich zu überführen. Es sollte nicht allzusehr überraschen, daß auch das oben abgeleitete Abgrenzungskriterium dagegen nicht immun ist. So läßt sich beispielsweise mit Degener einwenden, das Untätigbleiben des Sterbewilligen sei in materieller Hinsicht nichts anderes als der Fortbestand der erteilten (tatbestandsformenden) Einwilligung.680 Natürlich stimmt das. Gleichwohl kann derlei Kritik die vorstehende Ableitung nicht treffen: Daß im Rahmen des § 216 eine Abgrenzung von strafbarem und straflosem Verhalten nicht nach ausschließlich materiellen Gesichtspunkten erfolgen kann, war schließlich der Ausgangspunkt aller Überlegungen. Daß der aufgefundene Zuschreibungsmodus äußerlich-formale Züge trägt, ist der Preis, der für eine praktikable Konturierung des Unrechtstypus zu zahlen ist.681 Man wird es grundsätzlich akzeptieren müssen, wenn man von dieser Basis aus in Regionen vordringt, in denen der „Schmerz der Grenze“ fühlbar wird. Jedenfalls kann es kein probates Heilmittel darstellen, die Strafbarkeit des Suizidbeteiligten in

676 Vgl. wiederum MüKo-Schneider, § 216 Rn. 45; ähnlich NK-Neumann, Vor § 211 Rn. 54. 677 So Herzberg, NStZ 2004, 1, 6, der das Argument freilich mit einer anderen Tendenz verwendet – er richtet es gegen den Versuch Roxins, den Anwendungsbereich der Norm unterhalb der Wortlautgrenze teleologisch einzuschränken; dazu sogleich. 678 Daß in dem Eingeständnis des Auseinanderfallens von Schutzzweck und Schutzbereich der Norm gleichzeitig das Scheitern des Unterfangens begründet liegt, das Telos des § 216 die Erklärung des Strafbarkeitsgefälles zwischen Tötung auf Verlangen und Suizidteilnahme tragen zu lassen, steht freilich auf einem anderen Blatt (vgl. dazu grundlegend oben C. II. 2.). 679 Exemplarisch Schroeder, ZStW 106, 565, 578; Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 272 ff.; Merkel in: Merkel/Hegselmann, Zur Debatte über Euthanasie, S. 71, 80 f.; kritisch zu dieser „fallvergleichenden“ Methode auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 362, Fn. 182. 680 Degener, S. 333 f. 681 Vgl. auch die metapositiven Erwägungen unter C. II. 2.

V. Die Tötung auf Verlangen im Lichte der Täterlehre

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Richtung der materiellen Grenzen des Unrechtstypus auszudehnen, indem man den durch das positive Recht vorgegebenen formalen Rahmen sprengt. Mit den vorstehenden Überlegungen ist bereits gedanklich der Weg für die Behandlung der Fälle sog. „Quasi-Mittäterschaft“ zwischen Täter und Opfer bereitet. Wirken Täter und Opfer im Ausführungsstadium gemeinschaftlich auf die Herbeiführung des Erfolges hin, so ist, wie in allen anderen Fällen auch, zu fragen, ob der Täter im für den Erfolgseintritt entscheidenden Moment die alleinige Herrschaft über das Geschehen hatte. Was die in Rede stehenden Konstellationen dabei einzig auszeichnet, ist der Umstand, daß sich in ihnen die mit einer exakten Bestimmung der Grenzen der Täterschaft verbundenen Schwierigkeiten (ebenso wie die angesprochenen Äußerlichkeiten und Zufälligkeiten) verschärfen. Das läßt es sinnvoll erscheinen, die Bedingungen, unter denen dem handelnden Außenstehenden die Herrschaft über das erfolgsursächliche Geschehen im oben beschriebenen Sinne abzusprechen ist, möglichst präzise zu definieren. An einer Tötungshandlung im Sinne des § 216 fehlt es danach, wenn das Verhalten des Opfers (Handlung oder Unterlassen) eine conditio sine qua non für die Herbeiführung des suizidalen Erfolges bildet, deren kausales Wirken nicht über eine noch ausstehende Handlung des Täters vermittelt wird.682 Für das oben bereits zitierte Beispiel Herzbergs, in dem ein Sterbewilliger sich vor die Räder eines fahrenden Lastkraftwagens wirft und dort den verabredeten Tod findet,683 bedeutet das: Fehlt dem Fahrer des Wagens im Zeitpunkt der Aktion des Sterbewilligen die Möglichkeit, den Zusammenprall durch Bremsen oder Ausweichen zu vermeiden, so handelt er nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 216.684 Befindet sich der Suizident hingegen schon auf der Straße, während der Führer des Lastkraftwagens auf ihn zusteuert, so beginnt dessen Tatherrschaft dort, wo die Möglichkeit des Suizidenten endet, sich der Kollision noch zu entziehen.685 682 Dies deckt sich mit der Bestimmung Jakobs’, Tötung auf Verlangen, S. 24, wonach immer dann eine „eigenhändige Selbsttötung“ vorliegt, wenn der Lebensmüde die letzte Entscheidung darüber trifft, ob die Tat stattfinden soll. 683 Vgl. oben A. II. 2. 684 So auch Roxin, FS Pötz, S. 177, 185; Murmann, S. 364 f. 685 Grundsätzlich im selben Sinne Murmann, S. 365 f., der diese Lösung jedoch mit einer in die Irre gehenden Überlegung modifiziert: Verliere das Opfer die Vermeidemacht hinsichtlich des Erfolges nach dem Täter, so knüpfe sich an das anschließende Überfahren des Opfers ein „Urteil rechtlicher Mißbilligung“. Denn das Überfahren einer hilflosen Person sei eine „rechtlich mißbilligte Gefahrschaffung“ auch dann, wenn die Hilflosigkeit daraus resultiere, daß das Opfer frühere Rettungsmöglichkeiten nicht ergriffen habe. Sei es aber verboten, den hilflosen Suizidenten zu überfahren, dann sei es konsequent, auch solches Verhalten zu verbieten, mit dem sich der Fahrer außer Stand setzt, das verbotene Verhalten zu vermeiden. Diese Ausführungen verkennen indes den Umstand, daß das Überfahren des Hilflosen in der geschilderten Situation selbstredend kein verbotenes Verhalten darstellt, denn wer einen Erfolg bewirkt,

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

Deutlich sollte damit auch die Lösung derjenigen Fälle sein, in denen keine zeitliche Differenz zwischen den von Täter und Opfer gesetzten, jeweils für den Erfolgseintritt notwendigen Bedingungen besteht, wie beispielsweise in folgendem Schulfall: Der Sterbewillige und sein Helfer verwenden zur Tötung eine Bombe, deren Zündungsmechanismus gleichzeitig von zwei räumlich entfernten Punkten ausgelöst werden muß; die Explosion erfolgt also erst, nachdem beide am suizidalen Projekt beteiligten Personen den Zünder betätigt haben. Auch hier beherrscht der Außenstehende den zum Erfolg führenden Kausalverlauf nicht ohne Rücksicht auf das Verhalten des Getöteten, er trifft nicht die Letztentscheidung über die Lebensbeendigung durch den Vollzug einer erfolgsmächtigen Handlung.686, 687 Es mag der Veranschaulichung dienen, wenn man diese Form der Feststellung von Täterschaft als „Herrschaft über den point of no return“ bzw. „Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt“688 beschreibt, eine sachliche Modifikation des Tatherrschaftsbegriffes begründet diese Formel – wie gesehen – nicht,689 noch ist sie mit dogmatischem Gewinn verbunden.690 Schließlich läßt sich die eigentlich problematische Frage, wer die Herrschaft über jenen unmittelbar lebensbeendenden Akt in den Fällen geteilter Handlungsherrschaft innehaben soll, damit nicht – jedenfalls nicht ohne Hinzunahme weiterer Erwägungen – beantworten.691 Sachlich unrichtig wird der Umgang mit jenen Schlagdessen Vermeidung außerhalb seiner physischen Möglichkeiten liegt, verhält sich überhaupt nicht zu diesem Erfolg (und kann erst recht kein auf den Erfolgseintritt bezogenes Verbot verletzen). Ein „Verhalten“, dessen Folgen sich menschlicher Beeinflussung entziehen, ist vielmehr einem natürlichen Kausalfaktor gleichzuachten. Dann muß es aber dabei bleiben, daß das Handeln des Fahrers zum Zeitpunkt der (für ihn) letzten Möglichkeit, Einfluß auf den Erfolgseintritt zu nehmen, lediglich das Eröffnen der Möglichkeit zu einer Selbsttötung durch passives Verharren im Wirkbereich dieser Handlung bedeutet. 686 Ebenso Engländer, Jura 2004, 234, 236. 687 Fast scheint es überflüssig, nochmals den Blick darauf zu lenken, daß mit jenem formalen Modus keine „Zauberformel“ gefunden ist, die den Rechtsanwender der Bewältigung heikler Abgrenzungsschwierigkeiten enthebt, die insbesondere bei der Bewertung dynamischer Handlungssituationen auftreten werden. Besonders plastisch wird dies in dem von Murmann, Selbstverantwortung, S. 363, referierten Fall des Erwürgens des Sterbewilligen. An welchem Punkt des Geschehens hier die Möglichkeit des Opfers endet, sich dem Tode zu entziehen und wann genau sich der Handelnde seinerseits des Einflusses auf dessen Eintritt begibt, dürfte häufig nicht ohne weiteres feststellbar sein. 688 Zurückgehend auf Roxin, TuT [8. Aufl.], S. 570 f. 689 Dies wird im Schrifttum verbreitet anders gesehen, vgl. nur die Darstellung bei Hillenkamp, 40 Probleme aus dem Strafrecht BT, 2. Problem, der diesen Ansatz als „modifizierte Tatherrschaftslösung“ bezeichnet und einer „allgemeinen Tatherrschaftslösung“ gegenüberstellt. 690 Dies wiederum scheint Roxin, der Urheber jener Formel, anders zu sehen, der in NStZ 1987, 345, 347 für sich in Anspruch nimmt, ein „neues Abgrenzungskriterium“ eingeführt zu haben.

V. Die Tötung auf Verlangen im Lichte der Täterlehre

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worten, löst man die „Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt“ begrifflich aus dem Kontext des strafgesetzlich umschriebenen Geschehens, wie dies Roxin beim Versuch der Lösung des bekannten „Scophedal-Falles“ praktiziert.692 Dort ging es um folgenden Sachverhalt.693 Der 70jährige, bettlägerige Onkel des Angeklagten, der unter seinem schlechten Gesundheitszustand litt, hatte den (defektfreien) Willen gefaßt, aus dem Leben zu scheiden. Dies wollte er eigenhändig durch die Injektion einer Überdosis des Narkoanalgetikums Scophedal bewerkstelligen. Zuvor weihte er seinen Neffen ein und bat diesen um Hilfe für den Fall, daß er selbst es nicht aus eigenen Kräften schaffen sollte, sich eine letale Dosis zu spritzen. Der Angeklagte sagte dies nach anfänglichem Zögern zu. Einige Tage später setzte der Lebensmüde seinen Plan in die Tat um und fiel sogleich in tiefen Schlaf. Der hinzukommende Neffe befürchtete, der Selbstmordversuch werde möglicherweise mißlingen und injizierte, um das Leben seines Onkels mit Sicherheit zu beenden, weitere Mengen Scophedal und Dolantin. Das führte etwa eine Stunde später zum Tod des Onkels, der möglicherweise auch an der von ihm selbst gesetzten Spritze gestorben wäre, ohne das Eingreifen des Angeklagten aber mindestens eine Stunde länger gelebt hätte.

Der BGH hat in dieser Konstellation, ganz auf der Linie der auch hier für zutreffend erachteten Grenzziehung, eine durch den Neffen begangene Tötung auf Verlangen verwirklicht gesehen. Schließlich hatte dieser die alleinige Herrschaft über die Umstände innegehabt, die konkret zur Verkürzung des Lebens des Onkels geführt hatten; die durch den Onkel in Gang gesetzte Ursachenkette war durch die Handlung des Neffen im Hinblick auf den Eintritt jenes konkreten Erfolges überdeterminiert worden. Dem tritt Roxin unter Berufung auf den „Grundgedanken des § 216“ entgegen. Seinen Sinn und seine sachliche Grenze erfahre das Verbot der Tötung auf Verlangen darin, daß der Sterbewillige demonstrieren solle, daß er „im kritischen Augenblick, jenseits dessen ein Zurück nicht mehr möglich ist, die Entscheidung über sein Leben in eigener Hand“ zu halten vermöge, daß er „die Grenzlinie, die beim Eintritt der Handlungsunfähigkeit liegt, selbst überschreitet“.694 Dies aber habe der Onkel im vorliegenden Falle getan, so daß die Tat des Neffen sich aus normativer Sicht nur als Beihilfe zur Selbsttötung des Onkels darstelle. Neben den bereits vorgebrachten Einwänden gegen das dieser Argumentation zugrundeliegende teleologische Verständnis sieht sich Roxins Lösung grundsätzlichen dogmatischen Bedenken ausgesetzt. Die vorgeschlagene Interpretation mißt der „Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden

691 In diese Richtung geht auch die treffende Kritik Schroeders in ZStW 106, 665, 675 ff. 692 Roxin, NStZ 1987, 345, 347 f. 693 BGH NJW 1987, 1092. 694 Roxin, S. 347.

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D. Anwendungsbezogene Konsequenzen der Neuinterpretation des § 216

Akt“ eine Bedeutung bei, der ihr im tatbestandlichen Kontext nicht zukommt und die das tatsächlich erfolgsursächliche Geschehen zugunsten einer psychologisierenden Evaluation des Opferverhaltens aus dem normativen Blickfeld rückt. Korrekt müßte man von der „Beherrschung des aus der subjektiven Sicht des Sterbewilligen lebensbeendenden Akt“ sprechen. Bereits Ingelfinger hat darauf aufmerksam gemacht, daß es unter diesen Vorzeichen nur konsequent wäre, prinzipiell auf eine die objektiven Tatbeiträge der Beteiligten einbeziehende Betrachtung zu verzichten und die Antwort auf die Frage nach der Täterschaft – im Anschluß an eine im Schrifttum vereinzelt vertretene Ansicht695 – einzig von der Beantwortung der hypothetischen Frage abhängig zu machen, ob der Suizident psychisch in der Lage gewesen wäre, sich selbst den Tod zu geben.696 Diesen Weg scheint Roxin jedoch nicht beschreiten zu wollen, vermutlich weil er sich damit evident außerhalb des durch den äußeren Tatbestand der Norm vorgegebenen Rahmens bewegen würde. Doch für seine Lösung des „Scophedal-Falles“ gilt nichts substantiell anderes. Auch hier wird das der Norm zugeschriebene Telos im Grunde an die Stelle des Tatbestandes gesetzt. Wenn Roxin für dieses Vorgehen das Prädikat einer „tatbestandsspezifischen Modifikation des Tatherrschaftsbegriffs“ reklamiert, so verliert er dabei die immanenten Grenzen einer solchen Modifizierung aus den Augen. Schließlich kann auch ein normativ verstandener Tatherrschaftsbegriff nicht mehr sein als ein Instrument der Normauslegung;697 er gestattet mithin keineswegs eine vom Tatbestand der Strafnorm isolierte, freihändige Umsetzung teleologisch induzierter Zielvorgaben. Wollte man also im „Scophedal-Fall“ die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens des Angeklagten verneinen, so würde man dies allenfalls über eine teleologische Reduktion des Tatbestandes begründen können, nicht jedoch, indem man in Abrede stellt, daß eine tatherrschaftlich bewirkte Tötung des Onkels vorgelegen hat. Die Forderung Roxins nach einem Freispruch des Angeklagten im „Scophedal-Fall“ erscheint im Ergebnis gleichwohl berechtigt. Dies zu begründen, bereitet auf der Grundlage des in der vorliegenden Untersuchung entwickelten Verständnisses des § 216 keine größeren Schwierigkeiten: Danach ist zunächst zu akzeptieren, daß das Verhalten des Neffen den Tatbestand des § 216 verwirklicht hat. Der Umstand, daß der Sterbewille des Onkels durch einen beträchtlichen Leidensdruck motiviert war und daß zudem seine Bitte um Unterstützung den objektiven Erfordernissen im Rahmen der von ihm gewählten schmerzlosen und wirkungsvollen Selbsttötungsmethode entsprach, lenkt dann den Blick unweigerlich auf den Kern des Falles – die Frage nach einer Rechtfertigung des

695

SK-Horn, § 216 Rn. 10; Arzt/Weber, Strafrecht BT, LH 1, Rn. 215. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 226 f. 697 Vgl. auch Schilling, JZ 1979, 159, 163: Tatherrschaft ist Tatbestandsverwirklichungs-Herrschaft. 696

V. Die Tötung auf Verlangen im Lichte der Täterlehre

235

Verhaltens des Neffen nach § 34.698 Diese scheint (bei überschlägiger Prüfung) schon nach der vom Sterbewilligen ins Auge gefaßten Ausgangslage positiv zu beantworten. Hierfür spricht neben der sich offen manifestierenden Leidenssituation des Onkels auch der (den Unwert der tatbestandsmäßigen Handlung quantifizierende) Gesichtspunkt, daß insgesamt nur sehr wenig Raum für abstrakte (Rest-)Zweifel an der Wirksamkeit der Selbstverfügung bestand. Für den Sachverhalt, der schließlich zur Entscheidung des BGH stand, muß dies um so mehr gelten, als nach den dem Beschluß des Gerichts zugrundeliegenden Feststellungen in der konkreten Handlungssituation für den Angeklagten klar war, daß sein Onkel wegen der bereits eingetretenen schweren Vergiftung seines ohnehin geschwächten Körpers im Falle seines (jedenfalls kurzfristigen) Überlebens zur intensiv-medizinischen Behandlung und wegen dauernder Pflegebedürftigkeit ins Krankenhaus hätte überführt werden müssen, was er unter keinen Umständen gewollt hatte.

698

Vgl. dazu ausführlich unter D. II.

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Sachwortverzeichnis Abgrenzung der Verantwortungsbereiche 152 ff, 169 ff., siehe auch Tatherrschaft absoluter Zweck siehe Zweck, absoluter Absolutheit (des Wertes) des Rechtsgutes Leben 96 ff., 184, 203 f., 206, 208 f. abstraktes Gefährdungsdelikt siehe Gefährdungsdelikt, abstraktes Akzessorietät, limitierte 44 ff., 58 allgemeine Handlungsfreiheit 11, 30, 69, 160 ff., 223 allgemeines Persönlichkeitsrecht 30 Anstiftung zum Suizid 174, 176 f., siehe Teilnahme am Suizid Aporie 25, 29, 81, 102 Appellsuizid 124 f., 127 Argument der schiefen Ebene siehe Dammbruchargument Autonomie siehe Selbstbestimmung

Einwilligungsmaßstab 58 f., 79, 106, 134 ff., 157 ff., 179 ff. Einwilligungsschranke 48, 53 ff., 224 Einwilligungssperre siehe Einwilligungsschranke Entscheidungsdefizit siehe Willensmangel Entschuldigungsgrund 36 Erlaubnistatbestandsirrtum 210 (Fn. 621) Erlaubnistatbestandsirrtum, umgekehrter 201 Ernstlichkeit 80, 104, 109 f., 134 ff. Exklusivität (der Tatherrschaft) 26 f., 102 Exkulpationsregeln 134 ff.

Bärendienst 223 Beihilfe zum Suizid 174, 176, siehe Teilnahme am Suizid Bestimmen 181 f., 187 ff., 196 Beteiligung am Suizid siehe Teilnahme am Suizid Beweislast 185 f.

Garantenpflicht 12 ff., 84, 95 (Fn. 279), 132, 220 ff. Gefährdungsdelikt, abstraktes 104, 114 f., 120 ff., 159, 174 ff., 178 f. Gefährdungstypus 120 ff., 145 ff., 172 ff., 202, 213, 226 Gefährdungsverbot siehe Gefährdungstypus Gesellschaftsvertrag siehe Kontraktualismus Gesetzgeber 32 f., 39, 104, 192 ff. Grundrechtseingriff 78 Güterkollision 30 (Fn. 70), vgl. auch Notstand

Dammbruchargument 76 ff. Eigenverantwortlichkeit 151 (Fn. 434), siehe Verantwortungsprinzip Einschätzungsprärogative (des Gesetzgebers) 74, 172 ff. Einwilligung 9 f., 25 f. (Fn. 57), 106, 120, 121 (Fn. 345), 157, 169 ff., 179 ff., 187 ff. Einwilligung, mutmaßliche 118 f. (Fn. 341 f.), 202 (Fn. 596)

fahrlässige Tötung 197 f., 209 ff., 225 Freiheit zum Sterben 30 Freiverantwortlichkeit 80 f., 134 ff., siehe auch Ernstlichkeit

Handlungsdelegation 33, 136 ff., 146 ff., 167, 224 f. (Fn. 659) Hilfspflicht 130 ff., siehe unterlassene Hilfeleistung, siehe Garantenpflicht

Sachwortverzeichnis Indisponibilität (des Rechtsgutes Leben) 32 ff., 79, 82 f., 86 innere Rechtspflicht siehe selbstbezogene Rechtspflicht Interessenabwägung 203 ff., siehe rechtfertigender Notstand Interpersonalverhältnis 43 ff. intrapersonale Rechtspflicht siehe selbstbezogene Rechtspflicht Intrapersonalverhältnis siehe Selbstverhältnis Irrtum (über das Vorliegen eines wirksamen Tötungsverlangens) 121 ff., 160, 209 ff. kategorischer Imperativ 39 ff. Kollektivinteressen 31 Kollektivrechtsgut 34 ff. Kontraktualismus 85 körperliche Unversehrtheit 30 (Fn. 70) Krankheit, seelische 123 f. Lebensschutz 56, 76 ff., 84 ff., 102 f., 115, 120 f., 130 f., 170, 178 f. Legalität 43 ff., 49 ff. limitierte Akzessorietät siehe Akzessorietät, limitierte Maxime 39 ff., 59 f., 155 Menschenwürde 78 Mißbrauchsargument 62 ff., 161 f. mittelbare Täterschaft siehe Täterschaft, mittelbare Moral 39 ff., 49 ff., 194 Moralität siehe Moral Motivirrtum siehe Einwilligungsmaßstab mutmaßliche Einwilligung siehe Einwilligung, mutmaßliche Naturalismus 16 f., 112 Normgeltungsbewußtsein 73, 77 Notstand, rechtfertigender 66, 93 f., 163, 201 ff., 234 f. Notwehr 62 f. (Fn. 176), 66, 156 f.

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objektive Zurechnung siehe Zurechnung, objektive Paternalismus 79 ff., 102, 109 ff., 126 f. – harter P. 82 f., 88 ff., 92 – weicher P. 89 f. pathologischer Sterbewille siehe Sterbewille, pathologischer Patiententestament 206 f. (Fn. 612) präsuizidales Syndrom 86 (Fn. 255), 124 Prävention 62 ff. Prinzip der Eigenverantwortung siehe Verantwortungsprinzip Prinzip der Selbstverantwortung siehe Verantwortungsprinzip Privilegierung 11, 56 f., 80, 103, 172, 178 f., 195, 200 f., 221 (Fn. 651) „Quasi-Mittäterschaft“ 20 ff., 226 ff. Rechtfertigung 11 f., 92 ff., 179 ff., 187 ff., 201 ff., 222 f., 225, 234 f. Rechtsgut 71 f., 73 ff. (insb. 75), 102 f., 108 f., 169 (Fn. 494) Rechtsgüterschutz 71 f. Risikosyndrom 121 ff., 209 ff. Schuldgrundsatz 62 ff., 69 f. (Fn. 199), 180 Schutzpflicht (des Staates) 160 Selbstbestimmtheit 58, 115, 134 ff. Selbstbestimmungsrecht 11 f., 110, 128 f., 134 ff., 164 (Fn. 476), 166 f., 169 (Fn. 494), 177 f., 206 ff., 224 selbstbezogene Rechtspflicht 38 ff. Selbsttötung siehe Suizid Selbstverhältnis 42 ff. Selbstzweckformel (des kategorischen Imperativs) 42 ff. Sittengesetz 32 f., 34 (Fn. 82), 39, 131 Sittlichkeit siehe Moral Sorgfaltspflicht(en) 153 (Fn. 438), 213 ff. sozialer Friede 74 ff. Sterbehilfe, aktive 160 ff., 201 ff.

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Sachwortverzeichnis

Sterbehilfe, indirekte 118 f. (Fn. 341), 205 ff. Sterbehilfe, passive 118 f. (Fn. 341), 205 ff. Sterbewille, pathologischer 123 ff. Strafandrohung 197 ff. Strafrahmen 197 ff. subjektive Vollzugsreife siehe Vollzugsreife, subjektive Subordination 24 Suizid (-versuch) 12, 31 f., 35 Suizidprophylaxe 223

Unterlassen 228 ff. Unterlassen, unechtes siehe Garantenpflicht unterlassene Hilfeleistung 130 f., 220 ff., 224 (Fn. 658) Unveräußerlichkeit (des Rechtsgutes Leben) 32 f. Unverfügbarkeit (des Rechtsgutes Leben) siehe Indisponibilität Verantwortung, strafrechtliche 24 ff., 79 ff., 167 ff.

Tabu der fremdhändigen Tötung 62 (Fn. 174), 65 ff., 73 f., 78, 89 f., 92 ff. Täter 12 f., 20 ff., 167 ff., 226 ff. Täterlehre, formal-objektive 66 Täterlehre, subjektive 190 f. Täterschaft, mittelbare 58 f., 139 ff., 173 (Fn. 504) Tatherrschaft 12 f., 20 ff., 58 ff., 67 (Fn. 191), 139 ff., 215 ff., 226 ff., vgl. auch Exklusivität Tatherrschaftsbegriff 22 ff., 139 ff., 228 f. (Fn. 673) „Tatherrschaftswechsel“ 132 Teilnahme am Suizid 12 ff., 20 ff., 31 f., 35 f., 43 ff., 57 f., 64 f., 132, 134, 165 ff., 212 ff., 226 ff. „Teilnahmeargument“ 13 ff., 132, 165, 212, 215, 220 teleologische Reduktion 89, 162 f., 201 f., 234 Tötungsunrecht 35 ff., 49, 54 ff., 102 ff., 178 f., 185 f., 187 ff.

Verantwortungsbereich 142 ff., 152 ff., 169 ff., 213 f., 224

Unrechtsbewußtsein 69 ff. Unsittlichkeit (der Selbsttötung) 33, 35, 37 (Fn. 93), 39, 131

Zweck, eigener 33 (Fn. 76)

Verantwortungsprinzip 123, 152 ff., 213 f. Verbotsirrtum 69 ff. Verhaltensnorm 143 f., 153 ff., 172 ff., 198, 224 Vernunft 42, 51, 82 (Fn. 239), 155 Vertrauensgrundsatz 123, 153 (Fn. 438), 154 ff., 176 f., 210, 213 f. Vollzugsreife, subjektive 103 ff., 113 ff., 166 Voreiligkeit 103 ff. Willensmangel siehe Einwilligungsmaßstab Zurechnung, objektive 21 (Fn. 40), 25 (Fn. 56), 229 (Fn. 674) Zwangsbehandlung 222 f. Zweck, absoluter 42 Zweckverfolgung, eigene 104 ff., 113 ff., 166