Zwischen Glaspalast und Palais des Illusions 9783035600391, 9783035600094

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Zwischen Glaspalast und Palais des Illusions
 9783035600391, 9783035600094

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
Frühe Brücken in England und Frankreich
Die Gewächshäuser von Chatsworth und das Palmenhaus in Kew
Paxton: Der Glaspalast in London
Labrouste: Die Bibliothek St. Genevieve und der Saal der Nationalbibliothek in Paris
Baltard: Die Markthallen von Paris
Saulnier: Erster Eisenskelett-Geschoßbau
Garnier: Die Oper von Paris
Die St. Alberthalle und die Olympiahalle in London
Pariser Ausstellungen bis 1889
Dutert: Maschinenhalle auf der Weltausstellung 1889
Neue Materialien im Sakralbau
Eiffel und sein Werk
Arts and Crafts und Victor Horta
Der Eisenbetonbau im 19. Jahrhundert
Die Pariser Weltausstellung 1900
Schlußbemerkung
Nachweis der Abbildungen
Literaturverzeichnis

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Bauwelt Fundamente 20

Herausgegeben von Ulrich Conrads unter Mitarbeit von Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hansmartin Bruckmann Lucius Burckhardt Gerhard Fehl Herbert Hübner Julius Posener Thomas Sieverts

Erich Schild

Zwischen Glaspalast und Palais des Illusions

Form und Konstruktion im 19. Jahrhundert

IVI Friedr. Vieweg & Sohn

Braunschweig/Wiesbaden

Das B u c h ist eine überarbeitete Fassung der a m 2 8 . 2 . 6 4 bei der Fakultät für B a u w e s e n der T e c h n i s c h e n H o c h s c h u l e A a c h e n vorgelegten u n d g e n e h m i g t e n Habilitationsschrift „ P r o b l e m e v o n K o n s t r u k t i o n u n d F o r m der A r c h i t e k t u r des 19. Jahrhunderts in England u n d Frankreich, dargestellt an den n e u e n Materialien Eisen, Glas u n d B e t o n " .

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schild, Erich: Zwischen Glaspalast und palais des illusions: Form u. Konstruktion im 19. Jh./Erich Schild. — 2. Aufl. — Braunschweig; Wiesbaden: Vieweg, 1983. (Bauwelt-Fundamente; 20) 1. Aufl. im Ullstein-Verl., Berlin, Frankfurt/M., Wien ISBN 3-528-18620-8 NE: GT

1. A u f l a g e 1 9 6 7 2. A u f l a g e 1 9 8 3 © Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1983 Umschlagentwurf: Helmut Lortz Satz: Druckhaus Tempelhof, Berlin Druck: C. W. Niemeyer, Hameln Buchbinderische Verarbeitung: W. Langelüddecke, Braunschweig Alle Rechte an der deutschen Ausgabe vorbehalten. Printed in West Germany

ISBN 3 - 5 2 8 - 1 8 6 2 0 - 8

ISSN 0 5 2 2 - 5 0 9 4

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

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Frühe Brücken in England und Frankreich

9

Die Gewächshäuser von Chatsworth und das Palmenhaus in Kew

30

Paxton: Der Glaspalast in London

43

Labrouste: Die Bibliothek St. Genevifeve und der Saal der Nationalbibliothek in Paris

60

Baltard: Die Markthallen von Paris

67

Saulnier: Erster Eisenskelett-Geschoßbau

78

Garnier: Die Oper von Paris

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Die St. Alberthalle und die Olympiahalle in London

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Pariser Ausstellungen bis 1889

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Dutert: Maschinenhalle auf der Weltausstellung 1889

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Neue Materialien im Sakralbau

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Eiffel und sein Werk

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Arts and Crafts und Victor Horta

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Der Eisenbetonbau im 19. Jahrhundert

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Die Pariser Weltausstellung 1900

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Schlußbemerkung

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Nachweis der Abbildungen

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Literaturverzeichnis

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Vorbemerkung

Konstruktion und Form, Funktion und Gestalt bedingen einander in vielfältiger Wechselbeziehung. Das gilt für die Bauwerke des 19. Jahrhunderts ebenso wie für die heutige Architektur. Diese Feststellung jedoch ist so allgemeiner Art, daß sich daraus schwerlich ein fruchtbarer Ansatz für die Lösung von Bauproblemen ableiten läßt. Nur am konkreten Gegenstand kann sich eine weiterführende Diskussion entzünden, ergeben sich Fragen und — vielleicht — auch Antworten. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich ausschließlich mit Bauten des 19. Jahrhunderts in Frankreich (mit Belgien) und England. Sie führt also scheinbar auf ein rein historisches Feld: Da ist die natürliche Entwicklung des Geschmacks, da sind die zeitgebundenen Stilvorstellungen von ebenso imbestreitbarem Einfluß wie festumrissene wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Entwicklungen, die ihrerseits sich auswirken in tiefgreifenden sozialen Umschichtungen, vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. In einem Punkt aber — und das ist entscheidend — gewinnt das Bauen im 19. Jahrhundert eine über sich selbst hinausweisende Bedeutung, die keiner Bauepoche zuvor in diesem Maße zukommt: Die Baumeister, Architekten und Ingenieure sehen sich einer Fülle neuer Probleme und Aufgaben konfrontiert. Es gibt für diese neuen Bauaufgaben weder Beispiele noch Vorbilder und für diejenigen, die sie zu lösen haben, keine Möglichkeit, sich auf eine zureichende fachliche Ausbildung zu stützen. Neuland war zu betreten. Diese Schritte ins Unbetretene aber führten zu einer großen Zahl von Grundsatzlösungen, die später zwar weitergedacht, weiterentwickelt und differenziert werden konnten, in ihren Grundsätzen jedoch noch nicht in Frage gestellt sind. Neue Bauaufgaben führen zu neuen Raumkonzeptionen, die ihrerseits Einfluß nehmen auf das Verhältnis von Konstruktion, Funktion und Form. Die neuen Konzeptionen werden möglich vor allem durch die Fortschritte der Baustatik, die von rein empirischen Untersuchungen zu exakten Berechnungsmethoden fortschreitet. Erst auf Grund dieser Methoden kommt man zu den großen Spannweiten und kann gleichzeitig die Konstruktionsglieder geringer dimensionieren. Die Fortschritte lassen sich also sowohl in der Gesamtkonzeption als auch am Detail ablesen. Die Ergebnisse verraten prinzipielle und allgemeingültige Konstruktions-, Funktions- und Gestaltungsüberlegungen. 7

Die Darstellung dieser Ergebnisse zielt also nicht auf die Geschichte des Bauens im 19. Jahrhundert, will auch nicht das Material vollständig ausbreiten, sondern versucht, an einigen typischen Beispielen dasjenige ins Auge zu fassen, was an diesen Bauten Gültigkeit über Ort, Anlaß und Zeit hinaus beanspruchen darf. Die Quellen und die Sekundärliteratur sind nur so weit berücksichtigt, wie sie zum Abschluß der Arbeit Ende Februar 1964 vorlagen. E. Sch.

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Frühe Brücken in England und Frankreich

Die Architekten und Ingenieure des 19. Jahrhunderts, der großen Zeit des Eisens und des Stahls, haben nicht nur die Möglichkeiten dieses Materials auf seine Verwendbarkeit hin erforscht, sondern mit ihm nach einer gewissen Übergangszeit auch schöpferisch zu gestalten versucht. Dabei gelangten sie zu so neuen und fortschrittlichen Raum- und Konstruktionsgebilden, daß unserem Jahrhundert eigentlich nur die Aufgabe blieb, die Systeme weiter zu entwickeln und durch wissenschaftlich exakte Erkenntnisse über das Verhalten des Materials und seine sich daraus ergebenden konstruktiven Verwendungsmöglichkeiten eine maximale statische Beanspruchung zu erreichen. Die Geschichte der Eisenkonstruktionen in der Architektur des 19. Jahrhunderts und die Wechselbeziehungen zwischen Konstruktion und Form können nicht verstanden werden ohne einen Blick auf die Entwicklung der eisernen Brückenbauten. Die Erfahrungen des Brückenbaues beeinflußten zwar den Hochbau in architektonisch-konstruktiver Beziehung nicht unmittelbar, doch wurde das neue Material Eisen — in Form von Gußeisen, Schmiedeeisen und Stahl — auf seine Verhaltensweisen hin zuerst im Brückenbau erprobt und dort auch in seinen gestalterischen Möglichkeiten erstmalig ausgeschöpft. Die Entwicklung der Brückenbaukonstruktionen hinwieder ist ohne einen Rückblick auf die Geschichte der Eisenherstellung nicht zu verstehen. Erst durch die Fortschritte, insbesondere der englischen Eisengewinnung, wurden die konstruktiven und statischen Verwendungsmöglichkeiten des neuen Materials erschlossen. Die Herstellung von Gußeisen war schon sehr früh bekannt, doch war man bis zum 17. Jahrhundert auch bei Hochofenanlagen noch immer auf Holzkohle angewiesen. Erst im Jahre 1700 ist in London die Verwendung von Steinkohle zur Beheizung der Gießereiflammöfen nachweisbar 1 . Das Koksroheisen erleichterte die Benutzung von Sandformen und die Herstellung von dünnwandigem Guß 2 . Uber die Grenzen der 1

Johannsen: Geschichte des Eisens, S. 501. dto. S. 302. Isaac Wilkinson führte das Sandformverfahren bei der Herstellung schwerer Gußstücke ein. E r erhielt 1 7 5 8 ein Patent auf die Herstellung von röhrenförmigen Gußstücken, die er in getrocknetem Sand in geteilten eisernen Formkästen mit Hilfe von eisernen Modellen goß. 1 7 7 5 lieferte Wil2

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Anwendung des Gußeisens im Bauwesen wird an anderer Stelle noch ausführlich zu sprechen sein. Das Schmiedeeisen, im sogenannten Frischverfahren mit Holzkohle gewonnen, war in E n g l a n d vor 1784 so minderwertig, daß es in der englischen Marine nicht benutzt werden durfte. M a n bezog es aus Schweden und Rußland. Z u Bauzwecken w a r es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht verwandt worden. 1784 ließ Henry Cort das von ihm erfundene Puddelverfahren in England patentieren. Es brachte eine Umwälzung f ü r die englische Eisenproduktion, da es die Verwendung der in E n g l a n d reichlich vorhandenen Steinkohle erlaubte und damit dem L a n d eine Vorrangstellung in der Eisenerzeugung Europas sicherte. Dennoch genügte die Produktion dem stark anwachsenden Bedarf bereits nicht mehr, als es 1856 Harry Bessemer gelang, im sogenannten Bessemer-Verfahren hochwertigen flüssigen Stahl auf einfachste Weise im großen herzustellen. Allerdings machte sein Verfahren bei der Verwendung phosphorhaltigen Roheisens Schwierigkeiten. Sie wurden durch das sogenannte Thomas-Verfahren überwunden, das Sidney Η. Thomas und Percy C. Gilchrist 1878 entwickelten und das die Produktion hochwertigen Stahls noch weiter steigerte 1 . Der Entwicklungsweg der Brückenbauten führte über die nur begrenzt anwendbaren Gußeisenkonstruktionen zu kombinierten Ausführungen in Schmiedeeisen und schließlich zu Stahlkonstruktionen mit all ihren Abwandlungen — stets abhängig vom Stand der Forschung in der Eisenherstellung, aber auch vom Fortschritt der industriellen Produktionsmethoden. Das alles spielte sich in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum ab und zwang den Baumeister, sich fortgesetzt mit Materialien auseinanderzusetzen, die neue Möglichkeiten, aber auch unbekannte Risiken in sich bargen. Die Art, wie diese Probleme bewältigt wurden, ist von höchstem Interesse noch f ü r unsere Zeit, wird doch der Architekt heute wieder fast täglich zu Wagnissen mit neuen Baustoffen herausgefordert. M a n sah sich vor A u f g a b e n gestellt, f ü r die es keine Beispiele in der Vergangenheit gab. U m so erstaunlicher ist es, daß man zu Lösungen kam, die in Konstruktion und Form von fundamentaler Bedeutung bis in unser Jahrhundert hinein geblieben sind. kinson für das neue Wasserwerk in Paris Leitungsrohre von 60 km Länge. 1788 führte er weitere Röhrenaufträge in Paris und New York aus. Diese alten Wasserleitungsrohre aus Koksroheisen sind zum Teil heute noch in Gebrauch. 1 Toussaint: Der Weg des Eisens, S. 22/23. 10

Die Schnelligkeit, mit der die Ingenieure und Architekten dem technischen Fortschritt in ihren statischen und konstruktiven Überlegungen folgten, verdient in der Geschichte der Konstruktionen des 19. Jahrhunderts eine ganz besondere Würdigung. J m Abschnitt über das Lebenswerk Eiffels werden insbesondere diese Fragen ausführlich dargestellt. Für den größeren Zusammenhang erscheint es jedoch notwendig, vorweg mit einigen typischen Beispielen auf die Gesamtentwicklung einzugehen. Dabei kann alles ausgespart bleiben, was keine neuen Gesichtspunkte zu den im Abschnitt Eiffel behandelten Problemen bringt. In den Jahren 1773—1779 konstruierten die berühmten Schmiedemeister John Wilkinson und Abraham Darby zusammen mit dem Architekten Thomas Farnolls Pritchard aus Shrewsbury die erste Gußeisenbrücke der Welt über den Fluß Severn. Sie wurde 1778 in der örtlichen Gießerei der Darbys in Coalbrookdale gegossen und 1779 montiert. Die Brücke besteht aus einem nicht ganz halbkreisförmigen Bogen (154 0 , 24V2') und hat eine Spannweite von 30,62 m. Sie setzt sich aus fünf Bindern zusammen, die in einem Abstand von 1,49 m nebeneinander angeordnet sind. Jeder Binder besteht aus einem durchlaufenden inneren Bogen, der in zwei Stücken gegossen wurde. Diese beiden Stücke sind im Scheitel des Bogens durch Schlußeisen verklammert. Je zwei parallel gekrümmte Bogenteile begleiten zu beiden Seiten den inneren Bogen, ehe sie unter den Brückenbaum stoßen. Der Brückenbaum, der die Fahrbahn bildet, wird an den Enden außerdem durch senkrechte Stäbe unterstützt, die vor der Ufereinfassung und am A n f a n g des inneren Bogens aufsteigen. Diese Stützen sind im unteren Bereich durch zwei waagerechte Riegel und oben durch einen Bogen in Form eines Eselsrückens verbunden. Den verbleibenden Raum zwischen dem inneren senkrechten Stab, dem Brückenbaum und dem oberen Bogen füllt ein Ring, der alle Teile miteinander verbindet. Unter sich sind die Kreisbögen durch Querriegel gehalten, deren Richtung zum gemeinsamen Mittelpunkt der Bögen weist. Das ganze System ist in gußeiserne Lagerplatten eingezapft, die auf dem plattformartigen Widerlager der Ufereinfassung befestigt sind 1 . Der Brückenbelag besteht aus Sandguß-Eisenplatten. Die Breite des Fahrweges beträgt 7,31 m. Bei dieser Konstruktion ist auf jede dekorative Zutat verzichtet worden, selbst die ornamental wirkenden Ringe im oberen Bogen sind konstruktiv notwendig; sie bestimmen jedoch zugleich den ästhetischen Eindruck. 1

Rondelet: Traite de l'art de batir, S. 349 ff.

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Im Vergleich zu einer Steinbrücke handelt es sich hier bereits um ein feingliedriges, durchsichtiges Gebilde: an die Stelle der körperhaften Masse ist das Gerippe getreten. Der Übergang von Stein zu Eisen ist gestalterisch bereits bewältigt. Ein gebildeter Zeitgenosse, John Byng, der die Brücke im Jahre 1874 sah, schrieb: »Aber was soll ich über die Eisenbrücke über den Severn, die wir überquerten und wo wir eine halbe Stunde verweilten, sagen? Es muß Bewunderung sein, denn es ist eines der Weltwunder 1 .« Die Brücke steht noch heute, inzwischen für den schweren Verkehr gesperrt. Sie ist ein Denkmal für den wagemutigen Unternehmergeist der Eisengießer aus Coalbrookdale. Die Severn-Brücke ist mit ihrem Entstehungsdatum von 1779 zweifellos die früheste ausgeführte Gußeisenkonstruktion dieser Art. Es bleibt jedoch nachzutragen, daß bereits 1755 in Lyon der Versuch gewagt wurde, eine Eisenbrücke zu konstruieren. Dabei gelang es sogar, einen der Bögen auf dem Hof der Baufirma zusammenzusetzen. Anschließend wurde das Projekt jedoch als zu kostspielig aufgegeben und durch eine Holzkonstruktion ersetzt2. Nach dem Muster der Brücke bei Coalbrookdale wurden zahlreiche ähnliche Bogenbrücken in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts gegossen und sogar bis nach Amerika verschifft. Doch trotz der anfänglichen Erfolge mußten die gußeisernen Brückenkonstruktionen schon bald den Schmiedeeisenkonstruktionen weichen, nachdem die neuen Herstellungsverfahren die Voraussetzungen dazu geschaffen hatten. Dem Gußeisen waren vor allem durch seine mangelnde Biegefestigkeit Grenzen gesetzt, während die Überlegenheit des Schmiede- oder besser Schweißeisens dank seiner Zugfestigkeit und Elastizität in Theorie und Praxis immer eindeutiger erkannt wurde. Den ersten reinen Gußeisenkonstruktionen folgten zunächst kombinierte Ausführungen in Guß- und Schmiedeeisen. Die erste nachweisbare Brücke dieses Typs entstand 1793—1796 in Wearmouth bei Sunderland zur Überquerung des Flusses Wear. Die Konstraktionsidee stammte von Thomas Payne, der mehr als revolutionärer Politiker und Schriftsteller denn als Ingenieur bekannt war. Er schuf während eines Amerikaaufenthaltes den Entwurf für eine Brücke, die den 122 m breiten SchuylkillFluß überspannen sollte. Nach seiner Rückkehr nach England ließ er die erforderlichen Gußstücke bei den Eisenwerken in Rotherham herstellen. Er setzte sie auf einem Bowlingplatz in Paddington zusammen, 1 2

Gloag: A history of cast iron in architecture, S. 86. a. a. O. S. 82.

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stellte sie gegen Eintrittsgeld aus und ließ sich seine Erfindung patentieren, ohne sie einer Nutzung zuzuführen. Nach dem Ausbruch der Französischen Revolution wurden die Gußeisenteile durch seine Gläubiger verkauft und nach einem von Rowland Burton stammenden abgeänderten Entwurf durch T. Wilson 1796 über dem Fluß Wear bei Sunderland zusammengesetzt 1 . Die hier wiedergegebene Zeichnung und das Konstruktionsblatt stammen von Robert Clark und wurden von ihm 1798 veröffentlicht. In einem flachen Bogen überspannte die Brücke die für damalige Verhältnisse außergewöhnliche Weite von fast 72 m. Sie lag etwa 28 m über dem Fluß, so daß Handelsschiffe mit vollen Segeln durchfahren konnten, und bestand aus sechs nebeneinanderliegenden Bindern, die untereinander durch Querriegel ausgesteift waren. Jeder Binder setzte sich aus einem flachgeneigten unteren Bogen und aufgestellten Ringen und Stäben zusammen, die die Fahrbahn trugen. Die leiterförmigen Bogen wurden aus gußeisernen Rahmenelementen gebildet, die, wie steinerne Gewölbestücke verwandt, untereinander durch Schienen aus Schmiedeeisen verbunden waren. In klarer Erkenntnis der verschiedenen Materialeigenschaften wurden beide Arten von Eisen hier so kombiniert, daß das Gußeisen die Drücke aufnehmen konnte, während an jenen Stellen, wo die Konstruktion auf Zug oder Biegung beansprucht war, Schmiedeeisen verwandt wurde. Das zerbrechliche Gußeisen war durch geschmiedetes Eisen so verbunden und entlastet, daß selbst der Bruch eines oder mehrerer gegossener Konstruktionsteile das Gesamtgefüge nicht hätte gefährden können. Zugleich stellten die Entwerfer als Frucht eigener Überlegung selbst fest, daß sie bewußt eine kombinierte Konstruktion gewählt hätten, da »eine ganz aus Schmiedeeisen errichtete Brücke durch ihre Elastizität zu großen Schwingungen unterworfen gewesen wäre«; ein entscheidender Schritt zur Loslösung vom Denken in den Prinzipien des Steinbaues. Auch bei diesem Brückenbauwerk fehlt jede dekorative Zutat. Die Konstruktionsform mit ihren ablesbaren Gliedern bestimmt deckungsgleich die architektonische Form, die sich durch Leichtigkeit, Durchsichtigkeit und Klarheit auszeichnete. Im gleichen Jahre 1796 wurde in Shropshire eine Gußeisenbrücke errichtet, deren Erbauer einer der namhaftesten Brückenbauer Englands in der ersten Jahrhunderthälfte war: Thomas Telford 2 . 1795 wurde er als GrafGloag: A history of cast iron in architecture, S. 86. Thomas Telford wurde 1757 als Sohn einfacher Eltern in Wasterkirk bei Eskdale (Dumfriesshire) geboren. Er begann mit 15 Jahren sein arbeitsreiches und 1 2

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4 Einzelheiten der Brücke über den Wear: Α Seitenansicht eines Rahmenelements; Β Draufansicht; C Schmiedeeisenstange, die die Rahmenelemente in Rippenform untereinander verband; D Bolzenschraube; Ε Röhre zur horizontalen Verbindung der Rippen; F Schnitt durch eine solche Röhre; G Zusammengebauter Viererblock als Element zweier angrenzender Rippen 15

schaftslandmesser von Shropshire gebeten, Entwürfe für eine neue Brücke über den Severn bei Buildwas auszuarbeiten. Zweifellos von der Brücke in Coalbrookdale beeinflußt, war er wesentlich sparsamer im Material und errichtete einen einzigen Bogen von nahezu 40 m Spannweite. Das System der Brücke ist im Grunde genommen ein Zweigelenkbogen, der auf Konsolträgern aufruht. Im mittleren Bereich trägt nur der Bogen. Die Fahrbahn ist aufgehängt. Vermutlich ist der Bogen mit der größeren Pfeilhöhe nach der Stützlinie geformt. Der Bogen mit der kleineren Pfeilhöhe stellt an seinen Enden mit der fachwerkartigen Vergitterung zum anderen Bogen eine Verstärkung dar, die sich vor allem günstig auf die Knicksteifigkeit des tragenden Bogens auswirkt. Das bemerkenswerteste an dieser Konstruktion ist, daß sich Telford nicht wie die früheren Brückenbauer darauf beschränkte, zwar die materialmäßigen Vorteile des Gußeisens zu nutzen, dabei aber im Konstruktionsprinzip die Formen einer Steinbrücke nachzuahmen. Es gelang ihm, die neuen Möglichkeiten voll zu nutzen, eine Tatsache, die ihm durchaus bewußt war, wie einer seiner Aussprüche beweist1. In Frankreich setzt die Entwicklung des Eisenbrückenbaues nur wenig später ein. Sie läßt sich mit zwei typischen Beispielen ausreichend belegen. Die erste französische Brückenkonstruktion aus Eisen ist der »Pont des Arts« in Paris, eine Fußgängerbrücke, die in ihrer Grundkonstruktion den Dachstuhlkonstruktionen der Zeit sehr verwandt ist. Die Brücke wurde 1803 von de Cessart entworfen und von Dillon ausgeführt 2 . Die Eisenteile wurden auf der Hütte von Baudry und Mercier bei Touroude gegossen. Neun gußeiseme Bogen von je 18,25 111 Öffnungsbreite spannen sich in fünf Reihen nebeneinander über acht gemauerte Flußpfeiler. Sie werden über den Auflagern durch kürzere Bogenstücke, die durch senkrechte und schräge Stäbe nach unten abgestützt sind, in der Mitte gefaßt und abgestrebt. Lotrechte gußeiserne Pfosten, in gleichen Abständen auf die erfolgreiches Schaffen als Maurer, um später einer der bedeutendsten Erbauer von Brücken, Straßen, Kanälen und H ä f e n Englands zu werden. Außer den besprochenen Brücken baute er u. a. die Craigellachie-Brücke bei Banff (1814), die Waterloo-Brücke bei Bettws-y-Coed (1815), die Mythe-Brücke bei Tewkesbury (1823—1826), die Stokesay-Brücke in Shropshire (1823), die Galton-Brücke in Smethwick (1829) und die Ickneild-Brücke in Birmingham (1828), außerdem schuf er 1801 einen Plan für den Ersatz der alten London-Brücke, der unausgeführt blieb. 1

Gloag: A history of cast iron in architecture, S. 92.

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Nur die linken Pfeiler tragen auf Bild 6 die ausgeführte Konstruktion. Die sich nach rechts anschließende Variante stammt von Rondelet.

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6 Paris, Pont des Arts J%v>t J.·.· . Irr.' /.• ./Hit

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Haupt- und Verstrebungsbogen aufgesetzt, tragen hölzerne Pfetten, auf denen die Bohlen und der Brückenbelag ruhen. Die ganze Länge der Brücke beträgt, von Ufer zu Ufer gemessen, rund 165 m, ihre Breite rund 9,25 m. Das Konstruktionsprinzip ist noch ganz dem traditionellen Brückenbau entlehnt und zeigt, in Gußeisen ausgeführt, alle Mängel einer solchen Ausführung. So wundert es nicht, daß Schwingungen zum Bruch eines Bogens führten. Bemerkenswert ist jedoch die einfache klare Struktur der Brücke, die ohne dekorative Zutat allein durch ihre konstruktiven Glieder gestaltet wirkt. Wenige Jahre später vollendete Lamande 1806 die 1800 begonnene Brücke »Pont du Jardin du Roi«, eine kombinierte Gußeisen-Schmiedeeisen-Konstruktion, die Beachtung verdient und, nach ihrem Entwicklungsstadium zu urteilen, der Sunderlandbrücke ( 1 7 9 3 — 1 7 9 6 ) nahesteht 1 . Im Gegensatz zur Sunderlandbrücke, die sich in einem einzigen Bogen von 72 m Spannweite von Widerlager zu Widerlager spannte, überwand der Pont du Jardin du Roi den Fluß mit fünf Bogen von etwa je 24 m Länge, die auf vier Steinpfeilern ruhten. Vergleichbar mit Sunderland ist hingegen die Konstruktion des unteren tragenden Bogenbereichs. Er besaß gleichfalls die Gestalt einer gekrümmten Doppelleiter und war aus 21 rahmenförmigen Gewölbestücken zusammengesetzt. In die Fugen hatte man dicke Kupferplatten gelegt, welche unter dem Druck nachgeben und die Ungleichheiten des Gußeisens ausgleichen sollten. Im ersten, anfänglich genehmigten Projekt waren die Gewölbestücke mit Schienen aus geschmiedetem Eisen verbunden, also in der gleichen Form wie in Sunderland. Dieser Plan wurde verworfen, weil seine Ausführung zu teuer geworden wäre. Im »Traite de la construction des ponts« von M. Gauthery wird berichtet, daß unmittelbar nach Entfernung der Gerüste Setzungen der Bogen um 7 bis 11 m m eintraten. Diese Setzungen nahmen nach und nach bis auf 54,5 m m zu. An einigen die Bogen verbindenden senkrechten Stäben traten Brüche auf. M a n hat diese gebrochenen Stäbe nachträglich mit Schienen aus geschmiedetem Eisen belegt. Neu gegenüber der Brücke Sunderland — weil dort nicht erforderlich — war die Ausbildung der Bogenauflager auf den Tragpfeilern. Sie bestanden aus dreieckigen Gußstücken, die die Gliederung der anstoßenden Bogenteile noch einmal aufnahmen und in einem senkrechten Stab enden ließen. Dieser Dreiecksrahmen ruhte in einem Schuh aus Gußeisen, der in 1

Die Binderkonstruktion links des Pfeilers in Bild 7 zeigt die tatsächliche Ausführung; die rechte stellt einen Verbesserungsvorschlag Rondelets dar.

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7 Paris, Pont du Jardin du Roi

den Pfeilerkopf eingepaßt war. Anders als bei der englischen Brücke w a r auch die Gestaltung der Zwickel, die zwischen dem Bogenrahmen und dem Fahrbahnkörper verblieben. Bei dem Pont du Jardin du Roi nahmen je zwei parallel zum Hauptbogen gekrümmte Bogenstücke jenen R a u m ein, den bei der Sunderlandbrücke die sich zur Mitte verjüngenden Ringe füllten. Riegel, die in ihrer Richtung und L a g e der Leiterteilung des unteren Bogens entsprachen und mit seinem Rücken durch schmiedeeiserne Bolzen verbunden waren, schufen die Querverbindung. Im Scheitel eines jeden Brückenfeldes wurde die Fahrbahn vom Bogenrahmen selbst getragen. Die Fahrbahn bestand aus Holzbohlen auf starken Balken. Durch schmiedeeiserne Binder in Form von Andreaskreuzen wurden diese Balken in L a g e und Abstand gehalten; das Konstruktionsgefüge der ganzen Brücke erhielt so eine zusätzliche Aussteifung 1 . Trotz der beiden hier beschriebenen bemerkenswerten Beispiele des frühen Brückenbaues in Frankreich halten die Leistungen der Franzosen nicht mit denen der englischen Brückenbauer Schritt: In der Logik der Konstruktion und in den Spannweiten waren die Engländer überlegen. Sie übernehmen fortan die Führung; ihre Leistungen bleiben bis etwa 1

Rondelet: Trait6 de l'art de batir, S. 356 ff. 19

zur Mitte des ig. Jahrhunderts richtungweisend für den europäischen Kontinent. Drei große Gruppen von Konstruktionssystemen sind neben den Bogenbriicken für diesen Zeitabschnitt in England festzustellen: ι. die flachen Trägerbrücken 2. die Kragträgerbrücken und 3. die Hängebrücken. Bei allen drei Gruppen — jede soll hier durch ein typisches Beispiel oder auch deren zwei belegt werden — handelt es sich um Eisentragwerke, die mit ihren Prinzipien des konstruktiven Aufbaues direkt oder indirekt die eisernen Hochbaukonstruktionen beeinflußten, in einigen Fällen sogar unverändert in den Hochbau übernommen wurden. Die Gruppe der flachen Trägerbrücken repräsentiert als ein bezeichnendes Beispiel die kastenförmige Britannia-Brücke für die Eisenbahn von Chester und Holyhead über die Menai Straits in Wales, erbaut 1846 bis 185ο 1 . Diese Brücke scheint das erste größere Beispiel einer erfolgreichen Zusammenarbeit von Brückenbauingenieur und Architekt — von Robert Stephenson und Francis Thompson — zu sein. Thompson war zugleich aucb der Entwerfer zahlreicher Bahnhöfe der gleichen Eisenbahnlinie, die die Brücke in Auftrag gab. Die Grundkonstruktion der Britannia-Brücke besteht aus doppelten Walzstahlträgern, die Seite an Seite verlegt sind und je eine durchlaufende rechteckige Röhre von rund 460 m Länge bilden. Die marmorbekleideten Türme, von denen die mittleren etwa 70 m hoch sind, wurden als Stützen für Hilfsketten entworfen, die aber schließlich aus konstruktiven Überlegungen entfallen konnten. Die Konstruktion war für ihre Zeit revolutionär und stellt die erste große Bewährung des flachen Trägers im modernen Brückenbau dar. Die besonders glückliche Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur erkennt man vor allem in den wichtigen Übergängen von der Waagerechten zur Senkrechten, von Stahl zu Mauerwerk. Die Proportionen sind harmonisch und ausgewogen, die Materialien sauber getrennt, nichts ist mit Ornamenten überspielt. Stephenson hatte zunächst an eine reine Kettenbrückenkonstruktion gedacht. Er beabsichtigte, einen hohlen eisernen Kastenträger an Ketten 1 Die Britannia-Brücke ist eine der Sonderfälle in der Reihe der Kastenträgerbrücken, die seit etwa 1830 im Eisenbahnbau Englands in großer Zahl errichtet wurden. Sie waren zumeist von geringer Spannweite und ohne Anspruch auf formale Durchgestaltung errichtet worden. Damit sind sie für unsere auf den Zusammenhang von Konstruktion und Form zielende Betrachtung belanglos.

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aufzuhängen. Erst später änderte er diesen Plan aus Furcht vor Orkanen und plante in einer zweiten Fassung die Verwendung von Röhren zylindrischen oder elliptischen Querschnitts, weil diese den Winden die geringste Angriffsfläche bieten. Gleichzeitig sollten die Ketten nicht an den Ufern, sondern an den über die beiden Eckpfeiler hinaus verlängerten Röhren selbst befestigt werden, um die Hebewirkung und das Nachlassen der Ketten bei Temperaturschwankungen zu verringern. Stephenson hoffte, daß die Ketten in dem Maße sich dehnen oder schwinden würden wie die zwischen ihnen liegenden Rohrstrecken. Dieser zweite Entwurf fand zwar den vollen Beifall der beiden Mitarbeiter, des Maschinen- und Kesselfabrikanten Fairbairn aus Manchester und des Theoretikers Professor Hodgkinson aus London, wurde aber nicht verwirklicht, obwohl das Parlament ihn 1845 genehmigt hatte. Bei der weiteren Entwicklung der zweiten Fassung erwies sich schließlich der rechteckige Querschnitt als der zweckmäßigste. Auch zeigte sich, daß der Kastenquerschnitt des Balkens in sich allein genügend Tragfähigkeit besaß und sich die Ketten somit erübrigten. Auf Anregung von Hodgkinson wurden 1847 entsprechende Modellversuche vorgenommen, die schließlich zur endgültigen Form des Kastenquerschnitts führten 1 . Unabhängig von der bemerkenswerten Ingenieurleistung und den harmonischen Anschlüssen und Verbindungen der Konstruktionselemente aus Eisen und Mauerwerk waren die Elemente der Gestaltung ein eigentümlich unentschiedener Kompromiß zwischen den neuen industriellen Baustoffen und dem traditionellen Mauerwerk. Die Verwendung antiker Architekturformen — hier pseudo-ägyptisch — sollten dem Bauwerk ein Aussehen dekorativer Würde und Stärke geben. Zur Konstruktionsgruppe der flachen Trägerbrücken gehören auch die Brücken, die aus gewalztem Eisenblech zusammengesetzt und mittels Nieten verbunden wurden. Zeitlich nach der beschriebenen BritanniaBrücke beginnt in Frankreich mit den Brücken von Clichy und d'Asnieres für die Eisenbahn von Saint Germain im Jahre 1852 die Entwicklung der Brücken aus Eisenblech. M. Flachat, damals technischer Leiter dieser Eisenbahn, ist Urheber der Konstraktionen, die in größerem Maßstab im Süden Frankreichs Verwendung fanden 2 . Ein Beispiel für die zweite Gruppe der Brücken-Systeme — die Kragträgerbrücken — ist die Brücke über den Firth of Forth in Schottland. Sie wurde in den Jahren 1883—1889 von den Ingenieuren John Fowler 1 8

Mehrtens: Eisenbrücken und ihre geschichtliche Entwicklung, S. 523 ff. Eiffel: Les grandes constructions metalliques.

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ίο Brücke über den Firth of Forth (Zustand während des Baues)

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und Benjamin Baker entworfen und ausgeführt 1 und besteht aus drei turmartigen Gebilden in Bohrkonstruktion, deren Stützglieder, nach unten auseinandergespreizt, auf je zwei vierpfostigen Pfeilerpaaren ruhen. Seitlich gehen sie fließend in dreiseitige Auskragungen über, die durch kurze, waagerechte Gitterträger verbunden sind. Die Gesamt-Spannweite beträgt 5 1 8 m. Die großen Türme mit ihren seitlichen Auslagen sind von einer schwingenden Fülle und erhalten durch die weich konturierten Bohrprofile trotz der gewaltigen Ausmaße eine schwebende Leichtigkeit, die heute noch besticht. Die dritte und letzte Konstruktionsgruppe, die der Hängebrücken, soll dieses Kapitel beschließen. Große Hängebrücken erlangen leichter ein gewisses M a ß an ästhetischem Beiz als Brücken anderer Systeme, da sie mit weniger Masse auskommen. Das gibt ihnen von vornherein den Anschein extremer Leichtigkeit und damit Eleganz. Dennoch bestehen auch bei ihnen deutliche 1

Mock: The architecture of bridges. S. 31 ff. Die Idee des Kragträgers war im Orient schon früh bekannt (Wandipore-Brücke zwischen Indien und Tibet) und im Holzbau erprobt. 23

Unterschiede in der Qualität, bedingt durch einen mehr oder weniger gefälligen Verlauf der Seilkurve, durch das Verhältnis zwischen der Hauptspannweite und den kleineren Spannweiten, zwischen dem Teil des Turms oberhalb der Hauptfahrbahn und dem Teil darunter, vor allem aber durch eine gute Proportion der Türme zu dem Gesamtbau der Brücke. In diesem letzten Punkt sind viele frühe Hängebrücken des 19. Jahrhunderts nicht vollkommen. Erst der Ubergang vom Steinturm zur Stahlstütze vollendete die Entwicklung von der Masse zur Linie und verbannte das letzte Überbleibsel der althergebrachten Vorstellungen, die Gewicht mit Kraft und Masse mit Schönheit gleichsetzten. Dennoch sind in der Praxis die Folgen und Folgerungen, die dieser Wechsel des Materials für die Gestalt des Bauwerks mit sich brachten, weder immer willkommen gewesen noch immer verstanden worden. Der Verlust der einfachen monumentalen Möglichkeiten des soliden Mauerwerks wurde bedauert. Weil man oft genug in dem neuen Material nur einen »Ersatz« sah, dem man ästhetisch unsicher gegenüberstand, verfiel so mancher Entwerfer von Stahltürmen auf ein hoffnungsloses Durcheinander von konstruktiven und ornamental-historisierenden Formen. Die Geschichte einfacher Hängebrückenkonstruktionen in Holz reicht weit zurück. Die erste englische Hängebrücke aus Eisen entstand jedoch erst 1741/42. Es ist die Brücke über den Tees; sie überwand eine Uferentfernung von 22 m. Ihr Steg ruhte unmittelbar auf den Seilen, die sich von Ufer zu Ufer spannten, und war an den Drittelpunkten durch diagonal verlaufende Ketten gegen Auftrieb und Pendelbewegungen gesichert. Dem englischen Ingenieur Samuel Brown gebührt das Verdienst, an Stelle der ersten, aus Vierkant- oder Rundeisen geschmiedeten Gliederketten solche aus hochkant stehenden, durch Bolzen verbundenen Flacheisengliedern eingeführt zu haben. Solche Flacheisenketten verwendete er zum ersten Male 1814 für den Bau eines Fußgängerüberweges von 32 m Spannweite. Aber erst 1818 erhielt er ein Patent, dessen Anspruch er auf Versuche stützte, die er von 1808 an unternommen hatte, besonders aber auf den eben erwähnten Brückenbau1. Gegen 1820 wurde dann in England das erste große Beispiel des Brownschen Systems ausgeführt: die Brücke von Berwick über den Tweed. Mit einer Spannweite von 110 m stellte sie eine aufsehenerregende Konstruktion dar, die erst vier Jahre später bei der Uberbrückung der Meeresstraße von Menai mit einer Spannweite von 177 m überboten wurde. Die Brücke war die erste englische Hängebrücke, die auch dem Wagen1 Mehrtens: Eisenbrücken und ihre geschichtliche Entwicklung. S. 255 ff. 24

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12 Konstruktive Einzelheiten des Patents von Samuel Brown 1818: Μ, Ν gekuppelte Hauptkettenglieder; S Verbindung von Kettenstäben mittels Hohlmuffen; V Verbindungskonstruktion der Kettenglieder durch Verzahnung

13 Brücke über den Tweed bei Norhamford

verkehr diente. Brown hatte sechs Kettenpaare in drei Reihen übereinander angeordnet; je drei Paare auf jeder Seite trugen die 1 1 0 m lange und 5,5 m breite Brückenbahn. An dem einen Ufer ruhten die Ketten auf gemauerten Stützpfeilern von 18 m Höhe und 10 m Breite, auf dem anderen waren die Pfeiler nur 6 m hoch und in die Uferfelsen eingelassen. Über den Stützpfeilern lagerten die Ketten auf Rollen und liefen dann in gerader Richtung zu den im Untergrund angebrachten Verankerungen 1 . Dort waren sie durch starke Bolzen ovalen Querschnitts an Gußeisenplatten befestigt 2 . Die geringen Querschnitte und die mit kleinstem Aufwand gelösten Details geben der Brücke den Anschein eleganter Schwerelosigkeit, der durch den Kontrast der massiven Stützpfeiler noch verstärkt wird. Die Clifton Bridge über den Avon von Brunei ist durch Spannweite und Höhe noch bemerkenswerter und stellt ein reifes Beispiel dieser Konstruktionsgruppe dar. Das erste Projekt f ü r diese Brücke war das Ergebnis eines Wettbewerbes, den Ingenieur Brunei im Jahre 1829 gewann. Der Bau konnte nach großen Verzögerungen erst 1856 begonnen und nach sehr langer Bauzeit 1863 vollendet werden. In der Zwischenzeit erfuhr das Projekt zahlreiche Veränderungen. In der heutigen Gestalt besticht das Bauwerk durch seine Höhe und durch die Leichtigkeit, mit der die Ketten in einer flachen Kurve über die dünne Linie der Fahrbahn schwingen, durch die Türme stoßen und in die Verankerungen im Felsen auslaufen. Die strenge, nur noch schwach an historische Vorbilder erinnernde Gestalt der Pfeiler ist allerdings nicht Bruneis Verdienst, sondern ein Resultat der Planänderung durch andere. Brunei hatte, wie fast alle Entwerfer größerer Hängebrücken, auch seinen Türmen eine reiche Durchgestaltung zugedacht. E r plante mächtig ausladende Pylonen in ägyptischen Formen, an die in der ausgeführten Fassung nur noch die Böschung des Pfeilerkörpers und das Dachgesims erinnern. Ein Gegenbeispiel ist die Albert-Brücke bei Chelsea. Sie wurde von Ordish entworfen und 1873 fertiggestellt. Ihre Gußeisentürme sind offensichtlich der Gotik nachempfunden, vom Gesamtbild her aber kann nichts die Entstehungszeit des Bauwerks verleugnen 3 . Während England im Bau von Kettenhängebrücken bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts führend war — solche Konstruktionen wurden sogar exportiert —, wurden die Kabelhängebrücken zuerst in 1 2 8

Mehrtens: Eisenbrücken und ihre geschichtliche Entwicklung. S. 243. a. a. O. S. 244. Mock: The architecture of bridges, S. 57.

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Frankreich und in der Schweiz entwickelt. Als Beispiel f ü r viele kann hier ein französisches Projekt stehen: die von Seguin erbaute Brücke bei Bry-sur-Marne (1832). Sie hatte mit 76 m keine bemerkenswerte Spannweite, war aber in ihren konstruktiven Einzelheiten sehr gut durchgearbeitet. Im Gegensatz zu den Kettenbrücken wurde ihre Bahn von Kabeln getragen. Die Drähte brachte man an Ort und Stelle auf und zog sie von einer Seite über die Stützen zur anderen und von dort wieder zurück zum Ausgangspunkt. Die Stützen waren gußeiserne Pendelsäulen mit kreuzförmigem Querschnitt und in diesem Fall — wie bei den meisten entsprechend kleinen Brücken des Kettensystems auch — nicht vorsätzlich im Sinne der Zeit »gestaltet«. Hängebrücken sehen nicht nur leichter aus als eiserne Brücken anderer Konstruktionsarten, sie sind es auch. Die Ursache liegt darin begründet, daß zugbeanspruchte Ketten und Kabel die besonderen Eigenschaften des Schmiedeeisens und Stahls besser zu nutzen vermögen als Bauglieder, die auf Druck beansprucht werden. Deshalb ist die Hängebrücke besonders f ü r große Spannweiten eine optimale Konstruktionsform. Sie bietet die Möglichkeit, das Prinzip der Konstruktion als alleiniges Gestaltungselement gelten zu lassen und dennoch zu befriedigenden Lösungen zu gelangen. Bezeichnenderweise ist diese Eigenart bei den Brücken des 19. Jahrhunderts zumeist nur dort genutzt worden, wo es sich um Anlagen geringerer Größe oder Bedeutung handelte. Das bedeutet, daß der Reiz, den uns jene »ungestalteten« Bauwerke heute bieten, von den Baumeistern jener Jahre nicht erkannt und kaum empfunden wurde. Die frühen Brückenbauten des 19. Jahrhunderts in England und Frankreich gaben eine erste Gelegenheit, bei ingenieurmäßigen Bauaufgaben Eisen zu verwenden, erste Erfahrungen über Anwendungsbereiche von Guß-, Schmiedeeisen und Stahl zu sammeln und die statischen und sonstigen Eigenschaften dieser Materialien zu erkennen oder sich zumindest ihrer Erforschung in Theorie und Praxis verstärkt zuzuwenden. Zugleich stellten diese Bauwerke zum erstenmal Gestaltungsaufgaben, die nur in einem neuen Sinn, nämlich im Hinblick auf die konsequente Einheit von Konstruktion und Form, zu lösen waren. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, daß diese Bauaufgaben zu jener Zeit selten als Architekturschöpfungen, sondern als technisch-ingenieurmäßig zu lösende Sonderaufgaben jenseits der eigentlichen Baukunst angesehen wurden. Das 19. Jahrhundert blieb von diesen Fragen, die einen wechselvollen nnd vielschichtigen Einfluß auf die gestalterische und konstruktive Entwicklung nahmen, noch lange bewegt.