Zwischen der Geschichte von Ereignissen, Phänomenen und Prozessen: Länder, Regionen und Städte und ihre weltlichen und geistlichen Einwohner:innen [1 ed.] 9783737016131, 9783847116134

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Zwischen der Geschichte von Ereignissen, Phänomenen und Prozessen: Länder, Regionen und Städte und ihre weltlichen und geistlichen Einwohner:innen [1 ed.]
 9783737016131, 9783847116134

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Geschichte im mitteleuropäischen Kontext

Band 6

Schriftenreihe herausgegeben von Renata Skowron´ska

Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´

(Polnische Historische Mission an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg)

Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu

(Polska Misja Historyczna przy Uniwersytecie Juliusza i Maksymiliana w Würzburgu)

Editorial Board Caspar Ehlers, Heinz-Dieter Heimann, Tomasz Jasin´ski, Ryszard Kaczmarek, Krzysztof Kopin´ski, Zdzisław Noga, Krzysztof Oz˙óg, Andrzej Radzimin´ski, Stanisław Roszak (Vorsitzender), Andrzej Sokala

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Renata Skowron´ska (Hg.)

Zwischen der Geschichte von Ereignissen, Phänomenen und Prozessen Länder, Regionen und Städte und ihre weltlichen und geistlichen Einwohner:innen

Festschrift für Prof. Dr. Helmut Flachenecker Mit 5 Abbildungen

V&R unipress

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Brill | V&R unipress, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Wo nicht anders angegeben, ist diese Publikation unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 lizenziert (siehe https://creativecommons.org/licenses/ by-nc/4.0/) und unter dem DOI 10.14220/9783737016131 abzurufen. Jede Verwertung in anderen als den durch diese Lizenz zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Siegel von Johann von Beenhausen, Komtur von Thorn, 1442. Archiwum Pan´stwowe w Toruniu [Staatsarchiv von Torun´], Akta miasta Torunia [Akten der Stadt Thorn], Katalog I, Sign. 996. Fot. Rafał Białkowski. Wissenschaftliches Sekretariat und Redaktion: Renata Skowron´ska und Marta Sikorska Wissenschaftliche und philologische Redaktion (Deutsch): Renate Schindler Übersetzung von Abstracts und Schlüsselwörtern: Steve Jones Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2701-9241 ISBN 978-3-7370-1613-1

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In Florida, März 2023. Foto: Petra Flachenecker

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Andrzej Radzimin´ski Gedächtnis und Mangel an Gedächtnis. Zur Manipulation von Vergangenheit und Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

Caspar Ehlers Sternstunden der Ingenieure. Die fränkischen Expansionen und Integrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Heinz-Dieter Heimann Speyer und St. Blasien im »Vaterland« Germania sacra. Ein mittelaltergeschichtlicher Reparaturversuch zur Stärkung historischer Eigenart an Königsgrablegen und Reliquien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki Verzeichnisse der Thorner Bürger und ihrer Waren aus den Jahren 1393– 1394 im Zusammenhang mit einem Schiffbruch vor der Küste von Bornholm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Zdzisław Noga Die Migration der Deutschen nach Krakau in der vorindustriellen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Leszek Zygner Die spätmittelalterliche Liturgie der Diözesansynoden in Krakau, Breslau und Würzburg als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

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8

Inhalt

Krzysztof Kwiatkowski Burgenkrieg an der unteren Memel im Jahr 1369 . . . . . . . . . . . . . . 125 Piotr Olin´ski Memoria über die monastischen Stiftungen in den Annales Colbatzenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Ingrid Ehlers-Kisseler Das Marienpatrozinium und die Marienverehrung bei den frühen Prämonstratensern und Prämonstratenserinnen . . . . . . . . . . . . . . 185 Waldemar Rozynkowski Erscheinungsformen des Kults der Heiligen Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten im Mittelalter im Gebiet des Ordensstaats in Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Michalina Duda / Sławomir Józ´wiak Die Bedeutung der rechten Hand bei der Eidesleistung im spätmittelalterlichen Lateineuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Wojciech Mrozowicz »Rache, rache, crze, crze…«. Zur Frage der Wahrnehmung der Deutschen im spätmittelalterlichen Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Adam Szweda Das Verhältnis zwischen den Königen von Polen und abhängigen Herrschern. Auf der Suche nach einem Modell . . . . . . . . . . . . . . . 283 Roman Czaja Kommunale Dienstämter in Riga und Reval im Mittelalter . . . . . . . . . 301 Autor*innenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

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Vorwort

Die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern steht heutzutage nicht mehr zur Diskussion. Sie ist auch für polnische und deutsche Historiker und Historikerinnen selbstverständlich, insbesondere für diejenigen, die sich auf überregionale Themen spezialisiert haben und vielseitige Kontakte mit ausländischen Forschern in ihrem Alltag pflegen. Historisch betrachtet ist aber die Möglichkeit des freien, unkontrollierten und ungestörten Austausches zwischen Wissenschaftlern unserer beiden Staaten ziemlich »jung«, erst seit 1989 kann er ganz ohne Hindernisse verlaufen. Die bis in diese Zeit herrschende politisch bedingte künstliche Trennung der historischen Forschung in Polen und Westdeutschland wurde durch gegenseitiges wissenschaftliches Interesse auf beiden Seiten der Grenze immer wieder – soweit es den Umständen entsprechend möglich war – ignoriert und aufgebrochen. Jedoch erst nach der Wende konnten die Kontakte richtig geknüpft werden. Von beiden Seiten wurden sie dann sorgfältig weiterentwickelt und gepflegt. Es stand auch nichts mehr im Wege, neue wissenschaftliche Anschlüsse zu suchen und zu finden. Seit dieser Zeit werden zahlreiche Tagungen zusammen veranstaltet, viele gemeinsame Projekte durchgeführt. Polnische und deutsche Historiker kooperieren heutzutage individuell und institutionell auf verschiedene Art und Weise – dank dem persönlichen Engagement vieler Wissenschaftler, die über all die Jahre leidenschaftlich an stabilen Grundlagen für einen umfassenden Austausch gearbeitet hatten. Der Verdienste der etwas älteren Kollegen sind sich junge polnische und deutsche Forscher oft nicht mehr bewusst. Ebenso ist für sie die Leichtigkeit des gegenseitigen Kontakts eine unanzweifelbare Tatsache, der heute dank der modernen Technik auch sehr schnell geschehen kann. Mit dem vorliegenden Band möchten wir die Personen ehren, die seit Jahrzehnten daran arbeiten, institutionelle Rahmen für den wissenschaftlichen Austausch mit (nicht nur) polnischen und deutschen Kollegen zu sichern – darunter vor allem Prof. Otto Gerhard Oexle, Prof. Zenon Hubert Nowak, Prof. Janusz Tandecki, Prof. Andrzej Radzimin´ski, Prof. Helmut Flachenecker. Ihrem Engagement verdanken wir die Gründung und das Bestehen der Polnischen

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Vorwort

Historischen Mission, einer universitären wissenschaftlichen Einrichtung der Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, die seit August 2001 – zuerst in Göttingen und seit 2009 in Würzburg – polnischen und deutschen Forschern Unterstützung bei diversen Anliegen leistet. Insbesondere möchten wir mit diesem Band Herrn Professor Dr. Helmut Flachenecker, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Polnischen Historischen Mission sowie fürsorglicher Betreuer dieser Einrichtung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, unsere höchste Anerkennung und Hochachtung entgegenbringen und tiefe Dankbarkeit bezeugen. Seine persönliche, höchst engagierte und kluge Unterstützung dürfen die Mission und ihre wissenschaftlichen Gäste bei jeder Gelegenheit genießen: bei der Organisation und Durchführung von Forschungsaufenthalten, bei Tagungen und öffentlichen Vorträgen sowie bei der Vorbereitung verschiedener Publikationen und vielen anderen Aktivitäten. Herr Professor Flachenecker feiert in diesem Jahr seinen 65. Geburtstag. Mit diesem ihm zu Ehren vorgelegten Band sagen wir: Er lebe hoch, unser Geburtstagskind! Und wir hoffen, dass die Polnische Historische Mission und ihre wissenschaftlichen Gäste weiterhin unter seiner wohlwollenden Obhut stehen werden, auch nach seiner wohlverdienten Pensionierung, die für den nächsten Frühling geplant ist.

Zur Geschichte der Polnischen Historischen Mission Das gegenseitige Interesse der deutschen und polnischen Historiker an ihren Arbeiten und einem wissenschaftlichen Austausch reicht bis in die Anfänge der modernen Wissenschaft zurück und wird im Laufe der Jahrzehnte immer mehr als ein unerlässlicher Bestandteil einer ernsthaften Werkstatt gesehen. Selbstverständlich hatten insbesondere die Historiker, die sich in den für die beiden Länder wichtigen Themenbereichen spezialisierten, Bedarf an dem Wissenstransfer. Die politischen Spannungen der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und die danach erfolgte politische Aufteilung Europas in zwei feindliche Blöcke erschwerte den Austausch zwischen polnischen und westdeutschen Historikern in verschiedener Art und Weise. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg war das Reisen sehr kompliziert geworden, persönliche Kontakte wurden erschwert, eine langfristige institutionelle Kooperation wurde fast unmöglich. Selbst der Zugang zur neuesten Literatur der »anderen« Seite wurde für Jahrzehnte zum großen Problem. Trotz der politischen Situation und den daraus entstandenen Beschränkungen versuchten einige Forscher schon wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, wissenschaftliche Kontakte aufzubauen. Unter den polnischen »Wegbereitern« zeichneten sich insbesondere die Historiker der Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ (und zugleich Mitglieder der dortigen Wissenschaftlichen Gesell-

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Vorwort

schaft) aus, die die Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen untersuchten. Dieses Forschungsthema ließ sie schon um die Wende der 40er und 50er Jahre in einen Schriftwechsel mit dem Staatsarchiv Göttingen treten, in dem der Bestand des Königsberger Archivs nach dem Krieg vorläufig (bis Ende der 70er Jahre) aufbewahrt wurde. In den nächsten Jahren beschränkten sich die Kontakte jedoch auf Briefwechsel und freundliche Zusendung der gewünschten Reproduktionen der Ordens-Archivalien nach Polen.1 Zu persönlichen Kontakten kam es erst nach der politischen Lockerung in Polen im Oktober 1956, die die Grenze zu Westdeutschland für Vortragsbesuche und kurze Forschungsaufenthalte einen Spalt breit aufgehen ließ. 1958 durfte unter anderen Prof. Karol Górski von der Universität Torun´ in die Bundesrepublik einreisen, um einen Vortrag an der Universität Bonn zu halten und anschließend in dem bereits erwähnten Staatsarchiv Göttingen die Archivalien des Deutschen Ordens zu untersuchen. Mit den von ihm damals geknüpften Kontakten begann ein kontinuierlicher Austausch zwischen den Forschern aus Torun´ sowie Archivaren und Historikern vom Staatsarchiv Göttingen, der Georg-August-Universität und dem im Jahre 1956 gegründeten Max-Planck-Institut für Geschichte.2 Eine neue Ära in der Welt der Deutschordensforscher. Die politische Wende in den Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland – die mit dem Warschauer Vertrag 1970 bestätigt wurde – führte zu weiterer Entwicklung der wissenschaftlichen Kontakte. Auf Initiative der Präsidenten der UNESCO-Kommissionen beider Länder wurde 1972 eine Deutsch-Polnische Schulbuchkommission der Historiker und Geografen gebildet. Eines der besprochenen Themen – die Darstellung des Deutschen Ordens in den Schulbüchern – führte im September 1974 die auf die Geschichte des Ordenslandes spezialisierten Mitglieder dieses Ausschusses nach Torun´. Es bot sich dabei eine gute Gelegenheit, die Kontakte zwischen polnischen und westdeutschen Ordensforschern zu vertiefen sowie neue – konstante und von der Politik unabhängige – Kooperationsmöglichkeiten zu besprechen.3 Nach einigen weiteren Treffen während der Gastvorträge und Tagungen entstand die Idee einer regelmäßig veranstalteten (im Zwei-Jahres-Takt) Fachtagung zur Geschichte der Ritterorden, die bereits 1981 von Dr. Zenon Hubert Nowak von der Universität Torun´ in Zusammenarbeit mit polnischen und deutschen Kollegen erfolgreich verwirklicht wurde. Die Ordines Militares Colloquia Torunensia Historica versammeln seit dieser Zeit – unter der Schirmherrschaft der Wis1 Zygner: Die Zusammenarbeit, S. 286–287. 2 Ebenda, S. 287–289; Sieradzan: Die wissenschaftliche Zusammenarbeit, S. 297–298. 3 Zygner: Die Zusammenarbeit, S. 289–292; Ders.: Die Polnische Historische Mission, S. 21–23; Sieradzan: Die wissenschaftliche Zusammenarbeit, S. 301–203; Arnold: Die Zusammenarbeit, S. 35–37; Bömelburg et al.: Die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission, S. 83– 94. Weiter Guth: Geschichte als Politik.

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Vorwort

senschaftlichen Gesellschaft in Torun´ und des Instituts für Geschichte und Archivkunde der Nikolaus-Kopernikus-Universität – zahlreiche Forscher der Geschichte des Deutschen Ordens sowie weitere Gäste aus verschiedenen Themenbereichen und wissenschaftlichen Fächern (Historiker, Archivare, Kunsthistoriker etc.).4 Torun´ wurde allmählich zu einem Ort der internationalen Begegnung von Historikern, insbesondere Mediävisten und »Frühneuzeitlern«, die während der Tagungen, Gastvorträge sowie bei Forschungsaufenthalten im dortigen Staatsarchiv und den Bibliotheken kommunizieren und gemeinsame Projekte planen konnten. In Westdeutschland genoss Göttingen die Rolle eines besonders gerne besuchten »Treffpunktes« der Historiker: Im dortigen MaxPlanck-Institut für Geschichte fanden polnische Wissenschaftler bis zur Schließung dieser Institution einen äußerst freundlichen Gastgeber. Dank seiner fürsorglichen Unterstützung durften sie in der Max-Planck-Bibliothek, der Universitätsbibliothek sowie im Staatsarchiv frei recherchieren, und es boten sich zugleich viele Möglichkeiten zum wissenschaftlichen Austausch mit den deutschen Kollegen.5 Die politische Wende 1989 eröffnete weitere Möglichkeiten, die polnische und deutsche Forscher sehr gerne ergriffen. Besonderes Interesse an der Entwicklung der Kontakte und der Herstellung eines entsprechenden institutionellen Rahmens zeigte Prof. Otto Gerhard Oexle, einer der zwei Institutsdirektoren des Max-Planck-Instituts für Geschichte (1987–2004) und zugleich Direktor der Abteilung Mittelalterforschung.6 Er folgte um 1989 einer Einladung von Prof. Nowak nach Torun´. Eine Anekdote aus dieser Zeit zeigt deutlich, wie aufgeschlossen und freudig sich die Wissenschaftler aus Polen und Deutschland entgegenkamen. Prof. Nowak hatte entschieden, den Direktor des Göttinger Instituts vom Zug in Poznan´ abzuholen und mit dem Auto nach Torun´ zu fahren (ca. 150 km). Für diesen Einsatz engagierte er seinen jüngeren Kollegen Dr. Janusz Tandecki, den stolzen Besitzer eines Fiats 126p. Zu zweit haben sie sich auf den über drei Stunden dauernden (!) Weg gemacht. Prof. Tandecki erinnert sich heute besonders gerne an die Rückreise und betont das Komische an der Situation: In dem sehr kleinen Wagen fuhren, enthusiastisch gestimmt, »drei seriöse Wissenschaftler« und ein großer Koffer auf dem Rücksitz (der Kofferraum war zu klein). Prof. Oexle konnte die Fahrt nur zusammengekauert erleben, das Auto war ja eindeutig nicht für Menschen seiner (beachtlichen) Größe konstruiert. Die außergewöhnliche Reise hat den deutschen Gast bestimmt begeistert 4 Zygner: Die Zusammenarbeit, S. 292–293; Sieradzan: Die wissenschaftliche Zusammenarbeit, S. 303–304. 5 Informationen von Prof. Janusz Tandecki (Gespräch am 19. 01. 2023), Prof. Leszek Zygner (20. 01. 2023) und Prof. Andrzej Radzimin´ski (23. 01. 2023); Arnold: Die Zusammenarbeit, S. 37–42. 6 Schöttler: Das Max-Planck-Institut, S. 83–87, 160; Tandecki: Otto Gerhard Oexle, S. 165–167.

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Vorwort

– so Prof. Tandecki. Und er ist fest davon überzeugt, dass diese lustige Erfahrung des Direktors des Max-Planck-Instituts für Geschichte einen positiven Einfluss auf die weitere Entwicklung der Beziehungen der von ihm mitgeleiteten Institution zu den Historikern der Universität Torun´ hatte.7 In der Tat wurden in den nächsten Jahren die Kontakte zwischen Torun´ und Göttingen viel intensiver. Bald wurde auch die Idee der Gründung einer wissenschaftlichen »Außenstelle« der Universität Torun´ am Göttinger Max-PlanckInstitut – der Polnischen Historischen Mission – entwickelt. Bei der Verwirklichung des Projektes engagierten sich Prof. Oexle und Prof. Nowak leidenschaftlich, mit freundlicher Unterstützung polnischer und deutscher Historiker. Nach dem plötzlichen und viel zu frühen Tod von Prof. Nowak im Dezember 1999 setzten zwei seiner Kollegen von der Universität Torun´ – Prof. Tandecki und Prof. Radzimin´ski – die Vorbereitungen zur Gründung der neuen Einrichtung fort. Am 1. August 2001 konnte das Büro der Mission am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen eröffnet werden, geleitet von Dr. Dr. Leszek Zygner.8 Die Anfänge der Polnischen Historischen Mission wurden von Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Geschichte freundlich unterstützt. Besonders interessiert an der neuen Einrichtung sowie stets hilfsbereit bei allen (sowohl kleineren als auch größeren) Angelegenheiten zeigte sich Dr. habil. Helmut Flachenecker, Wissenschaftlicher Leiter des kirchengeschichtlichen Forschungsprojektes Germania Sacra. Zwar folgte er schon im Jahr nach der Gründung der Mission – am 1. Oktober 2002 – dem Ruf auf den Lehrstuhl für Fränkische Landesgeschichte der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, gab aber die Kontakte mit dem Göttinger Max-Planck-Institut und der Polnischen Historischen Mission keineswegs auf. Seine Sympathie für unsere kleine polnische Einrichtung blieb nicht unbemerkt: 2005 wurde Prof. Flachenecker zur Mitgliedschaft des gerade konstituierten Wissenschaftlichen Beirates eingeladen. Seit der ersten Sitzung des Gremiums am 23. August 2005 setzt sich Prof. Flachenecker für alle Angelegenheiten der Mission leidenschaftlich ein.9 Wenige Monate danach zogen dunkle Wolken über dem Max-Planck-Institut für Geschichte und zugleich über der jungen polnischen Institution auf: Mit den Plänen der Schließung des Max-Planck-Instituts für Geschichte, die endgültig im März 2006 bestätigt wurden, wurde ebenso die Existenz der Polnischen Historischen Mission in Frage gestellt.10 In dieser schwierigen Situation entschied sich Prof. Flachenecker, energisch und konsequent für den Umzug der Mission nach Würzburg zur dortigen Universität zu werben. Und nun befindet sich das Büro 7 Informationen von Prof. Janusz Tandecki (Gespräch am 19. 01. 2023). 8 Zygner: Die Zusammenarbeit, S. 293–295; Ders.: Die Polnische Historische Mission, S. 21–23; Schöttler: Das Max-Planck-Institut, S. 160. 9 Zygner: Die Polnische Historische Mission, S. 23. 10 Schöttler: Das Max-Planck-Institut, S. 118–123.

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Vorwort

der Polnischen Historischen Mission schon 14 Jahre – seit 1. September 2009 – an der Universität Würzburg, unter der äußerst freundlichen Obhut des von ihm geleiteten Lehrstuhles, der Philosophischen Fakultät und der ganzen Universität. In den ganzen Jahren konnte ich bei allen Angelegenheiten auf Herrn Prof. Flachenecker zählen. Ganz herzlicher Dank, lieber Herr Prof. Flachenecker, für Ihre Unterstützung! Mit diesem Band möchten Ihnen die Freunde der Polnischen Historischen Mission, darunter darf ich auch mich erwähnen, Hochachtung zeigen und Dank aussprechen. Bitte nehmen Sie den Band freundlich entgegen, als Zeichen der deutsch-polnischen Freundschaft, die – wie wir in jeder Begegnung mit Ihnen erfahren können – Ihnen sehr am Herzen liegt.

Beiträge der Festschrift Die vorliegende Festschrift beinhaltet 14 Beiträge von polnischen und deutschen Wissenschaftlern. Sie wird mit der Abhandlung Gedächtnis und Mangel an Gedächtnis. Zur Manipulation von Vergangenheit und Gegenwart von Prof. Andrzej Radzimin´ski – dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates der Mission und sehr guten Bekannten Prof. Flacheneckers aus der »Göttinger Zeit« – eröffnet, in der das Thema der Erinnerung, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik behandelt wird. Es folgen Erwägungen von Prof. Caspar Ehlers, dem Freund sowie (ehemaligen) Kollegen im Max-Planck-Institut und (aktuellen) im Beirat der Mission. In Sternstunden der Ingenieure. Die fränkischen Expansionen und Integrationen analysiert er die Situation der Erschließung eines Raumes im Frühmittelalter, vor allem aus »technischer« Sicht: der Organisation von Flussüberquerungen (Brückenbau) und Wasserstraßen. Auch der nächste Autor ist unserem Jubilar sehr gut bekannt – Prof. Heinz-Dieter Heimann, unser Beiratsmitglied. Die von ihm besprochenen Themen liegen Herrn Flachenecker am Herzen, und sein Beitrag Speyer und St. Blasien im »Vaterland« Germania sacra. Ein mittelaltergeschichtlicher Reparaturversuch zur Stärkung historischer Eigenart an Königsgrablegen und Reliquien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird sicherlich die besondere Aufmerksamkeit unseres »Geburtstagskindes« erwecken. Mit dem Beitrag Verzeichnisse der Thorner Bürger und ihrer Waren aus den Jahren 1393–1394 im Zusammenhang mit einem Schiffbruch vor der Küste von Bornholm möchten wiederum Prof. Janusz Tandecki und Prof. Krzysztof Kopin´ski ihren langjährigen Freund an die Geschichte der Thorner Bürger im Mittelalter heranführen. Sicherlich bleibt Prof. Flachenecker auch bei diesem Thema nicht ungerührt. Die Konkurrenz ist aber stark: Dem Text folgt der Beitrag zur Migration der Deutschen nach Krakau in der vorindustriellen Zeit, der von Prof. Zdzisław Noga verfasst wurde. Auch mit diesem Wissenschaftler trifft sich Prof. Flachenecker regelmäßig während der alljährlichen Sitzungen des

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Vorwort

Beirates. Den ersten Teil des Bandes beschließt ein Beitrag von Prof. Leszek Zygner. Unter dem Titel Die spätmittelalterliche Liturgie der Diözesansynoden in Krakau, Breslau und Würzburg als Beispiel stellt der ehemalige Leiter der Mission (2001–2009) einen Vergleich der Liturgie in drei sich kulturell unterscheidenden Regionen (Polen, Schlesien und Franken) an. Weitere Abhandlungen wurden von den Gästen der Polnischen Historischen Mission beigetragen – von Stipendiaten, Teilnehmern der Tagungen sowie Referenten bei anderen ihrer Veranstaltungen. Die Autorinnen und Autoren sind Prof. Flachenecker meistens auch sehr gut aus anderen »Treffpunkten« der Historiker und Archivare bekannt, vor allem von den Tagungen Ordines Militares und der Zusammenarbeit in der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens (in der Prof. Flachenecker 2022 einstimmig zum Präsidenten gewählt wurde). Eine Ausnahme bildet in dem Kreis der Beitrag Das Marienpatrozinium und die Marienverehrung bei den frühen Prämonstratensern und Prämonstratenserinnen von Dr. Ingrid Ehlers-Kisseler, dessen »Dabeisein« in dem Band die langjährige Freundschaft der Autorin mit Prof. Flachenecker und gemeinsame Forschungsinteressen zugrunde liegen. Die Vielfalt der Themen ist beeindruckend, zugleich fallen diese Themen immer noch in das breite Spektrum der Interessen unseres Jubilars. Und so legt Prof. Krzysztof Kwiatkowski eine detaillierte Quellenanalyse zum Burgenkrieg an der unteren Memel im Jahr 1369 vor. Ein kirchengeschichtliches Thema wird wiederum in Memoria über die monastischen Stiftungen in den Annales Colbatzenses aufgegriffen, in dem Prof. Piotr Olin´ski die Erwähnungen von Klostergründungen analysiert. Prof. Waldemar Rozynkowski fasst in seinem Beitrag Erscheinungsformen des Kults der Heiligen Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten im Mittelalter im Gebiet des Ordensstaats in Preußen zusammen. Zur exakten Betrachtung der schriftlichen und bildlichen Quellen sowie der Bedeutung der dargestellten Personen laden Dr. Michalina Duda und Prof. Sławomir Józ´wiak ein (Die Bedeutung der rechten Hand bei der Eidesleistung im spätmittelalterlichen Lateineuropa). Den Inhalt des Beitrags von Prof. Wojciech Mrozowicz werde ich hier nicht preisgeben, in der Hoffnung, dass der Titel selbst Neugier bei den Lesern weckt: »Rache, rache, crze, crze…«. Zur Frage der Wahrnehmung der Deutschen im spätmittelalterlichen Polen. In der nächsten Abhandlung unter dem Titel Das Verhältnis zwischen den Königen von Polen und abhängigen Herrschern. Auf der Suche nach einem Modell hat Prof. Adam Szweda die Problematik der Lehensbeziehungen polnischer Herrscher bis zum Ende des 15. Jahrhunderts dargestellt. Den Band beschließt ein Beitrag von Prof. Roman Czaja zum Thema Kommunale Dienstämter in Riga und Reval im Mittelalter, in dem Funktionen und Vergütungssystem für nachgeordnete Beamte und Bedienstete der Stadträte von Riga und Reval dargestellt werden.

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Vorwort

Danksagung Mit den letzten Worten möchte ich mich herzlich bei allen Personen bedanken, die bei diesem Band mitgewirkt hatten. Vor allem darf ich den Autoren für die sorgfältige Vorbereitung der Beiträge und geduldige Zusammenarbeit mit der Redaktion danken. Viel Herz und Arbeit widmeten der Festschrift Dr. Marta Sikorska und Dr. Renate Schindler – sowohl bei allen »technischen« Angelegenheiten (die mit der Vorbereitung eines Buches zusammenhängen) sowie bei der redaktionellen Bearbeitung der einzelnen Beiträge. Eure Professionalität ist bewundernswert. Vielen Dank! Ich bedanke mich bei Dr. Janusz Bonczkowski, der die wunderschöne Illustration für den Umschlag ausgesucht hat, sowie dem Staatsarchiv Torun´ für freundliche Einwilligung zur Veröffentlichung und unverzügliche Zusendung eines hochqualitativen Bildes. Den Professoren Janusz Tandecki, Stanisław Roszak und Krzysztof Kopin´ski verdanken wir den sehr gelungenen Titel des Bandes – Zwischen der Geschichte von Ereignissen, Phänomenen und Prozessen – Länder, Regionen und Städte und ihre weltlichen und geistlichen Einwohner:innen. Vielen Dank! Dr. Renata Skowron´ska Würzburg, den 7. Mai 2023

Literatur Arnold Udo: Die Zusammenarbeit der deutschen und polnischen Historiker nach 1945. Das Beispiel der Krzyz˙acy, in: Bulletin der Polnischen Historischen Mission, 15. 2020, S. 31– 47. Bömelburg Hans-Jürgen / Strobel Thomas: Die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission. Bilaterale Zusammenarbeit über Grenzen – aber auch mit Grenzen, in: Cornelißen Christoph / Pezzino Paolo: Historikerkommissionen und Historische Konfliktbewältigung. 2017, S. 83–94. Guth Stefan: Geschichte als Politik. Der deutsch-polnische Historikerdialog im 20. Jahrhundert. 2015. Schöttler Peter: Das Max-Planck-Institut für Geschichte im historischen Kontext 1972–2006. Zwischen Sozialgeschichte, Historischer Anthropologie und Historischer Kulturwissenschaft. 2020. Sieradzan Wiesław: Die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Professor Hartmut Boockmann und Professor Zenon Hubert Nowak, in: Bulletin der Polnischen Historischen Mission, 2. 2004, S. 297–306. Tandecki Janusz: Otto Gerhard Oexle (28 VIII 1939–16 V 2016), in: Zapiski Historyczne, 81/ 2. 2016, S. 165–167. Zygner Leszek: Die Polnische Historische Mission in Göttingen in den Jahren 2001–2009, in: Bulletin der Polnischen Historischen Mission, 13. 2018, S. 22–30.

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Vorwort

Zygner Leszek: Die Zusammenarbeit von Historikern aus Thorn und Göttingen im vergangenen halben Jahrhundert, in: Bulletin der Polnischen Historischen Mission, 2. 2004, S. 285–295.

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Andrzej Radzimin´ski

Gedächtnis und Mangel an Gedächtnis. Zur Manipulation von Vergangenheit und Gegenwart*

Abstract: Memory vs No Memory. Manipulating the Past and the Present The article presents issues related to memory and the culture of memory, the condemnation of memory and the politics of history that often manipulate the resources of memory. Issues related to memory or the lack thereof from the biblical and early Christian times to the present day are analysed. The views of historians, archaeologists, philosophers and writers are presented on issues related to how memory functioned in, and how its absence affected, various historical periods. Keywords: memory; historical politics; condemnation of memory

Das Gedächtnis (memoria) und das kulturelle Gedächtnis, die Verdammung des Andenkens (damnatio memoriae) sowie die historische Politik, die mit den Gedächtnisbeständen manipuliert, sind die grundlegenden Begriffe, die ich in diesem Beitrag aufnehmen will.* Zunächst ist daran zu erinnern, dass der judenchristlichen Zivilisation eine besondere Stellung im Aufbau der europäischen Kultur verliehen wird.1 Die eine beeinflusst die andere, so dass gleichzeitig das Verständnis der Geschichte grundsätzlich geprägt wird. Am Anfang blieb das Volk Israel trotz vieler Widrigkeiten bestehen, zumal es dem Hymnus zur Begrüßung des Sabbat Lekhah Dodi zufolge »hütete und gedachte«.2 Aufgrund dessen etablierten sich die Grundlagen der späteren modernen Nation. Die Gedächtniskultur findet sich u. a. in Bezug auf die Vergangenheit. Nach Jan Assmann, dem deutschen Ägyptologen, Autor des Buchs über das kulturelle Gedächtnis in den antiken Zivilisationen, verbindet sich die Gedächtniskultur eng mit dem kollektiven Gedächtnis. Es gibt jedoch keine Gemeinschaften ohne zumindest kleine Formen des kulturellen Gedächtnisses.3 Andererseits legitiProf. Dr. Andrzej Radzimin´ski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, ORCID: https://orcid. org/0000-0002-9489-031X. * Dieser Beitrag erschien auf Polnisch, vgl. Radzimin´ski: Pamie˛´c i brak pamie˛ci, S. 13–28. 1 Mehr zur historischen Politik siehe Tokarska-Bakir: Ne˛dza polityki historycznej, S. 27–29. 2 Hoffman (Hg.): Kabbalat Shabbat. 3 Assmann: Pamie˛´c kulturowa; siehe auch Pia˛tkowski: Mit – Historia – Pamie˛´c, S. 182–198.

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miert jede Gemeinschaft, und zwar besonders jene, die den Staat bildet, einige Erinnerungen, vergisst andere bzw. schlägt vor, sie zu vergessen. Das kollektive Gedenken an die Vergangenheit ist dabei ein dynamisches Phänomen – immer wieder entdeckt, erinnert, aber auch vergessen.4 Paul Ricœur (gest. 2005), einer der ausgezeichneten französischen Philosophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bestimmte zwei Wege zum Vergessen: passive und aktive. Der erste Weg besteht darin, dass man verweigert, sich nach verschiedenen Themen zu erkundigen, und von keiner dieser Sachen, zum Beispiel von keinem Verbrechen aus dem eigenen Milieu erfährt. Der aktive Weg des Vergessens beschränkt sich darauf, dass man zum Beispiel die Opfer und ihre Leiden, aber auch den eigenen Anteil an der Leidzufügung vergisst.5 Im Bereich eines solchen aktiven Vergessens befindet sich die kontroverse These Hermann Lübbes, eines hervorragenden deutschen Philosophen der Gegenwart, dem zufolge der Akt, die persönliche Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges zu beschweigen, psychologisch, sozial und politisch unentbehrlich ist, um die Deutschen in eine Gemeinschaft von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland zu verwandeln. Nach Lübbe geht es dabei nicht um einen Zwang, gewisse Fakten aus dem Gedächtnis zu verdrängen, sondern um ein kommunikatives Beschweigen, das aus den politischen Prämissen hervorgeht. Mit anderen Worten gesagt kann nur das Beschweigen des deutschen Volks in Bezug auf die Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus ihm die Möglichkeit geben, sich in demokratische Gesellschaft zu verwandeln.6 Christian Meier, der deutsche Altertumshistoriker, der sich auch mit der Gedächtnispolitik auseinandersetzt, bemerkte, dass man die Aufforderung zum Vergessen schon seit der Zeit des antiken Griechenlands kennt. Verschiedene Waffenkonflikte, die gewöhnlich mit Friedenschlüssen abgeschlossen wurden, verlangten das Vergessen, um den Frieden zu erhalten und eine Revanche zu vermeiden. Gerade das Vergessen sollte den Frieden stärken. Erst der Holocaust machte diese Regel ungültig und ersetzte sie durch eine Denkweise, nach der nicht das Vergessen, sondern eben das Gedächtnis vor der Wiederholung einer bestimmten Situation bewahrt.7 Memoria, also das Gedächtnis und Gedenken, gehört nicht nur zu den ungeheuer wichtigen Kategorien in der Religionsgeschichte, zum Beispiel des besagten Judaismus, sondern auch zur breit verstandenen christlichen Zivilisation. Das Abendmahl wurde von den späteren Christen, die sich in brüderlichen Gemeinden in Anwesenheit Christi versammelten, für ein Vorbild für das Andenken gehalten. Christus befahl es ihnen, so der 1. Brief des Paulus an die Korinther: 4 Pia˛tkowski: Mit – Historia – Pamie˛´c, S. 189. 5 Ricœur: Pamie˛´c, S. 547–600. 6 Lübbe: Vom Parteigenossen zum Bundesbürger, S. 20, 32; diese Frage schildert Lavaty: Zapomnienie jako zjawisko kulturowe, S. 133–145. 7 Meier: Das Gebot zu vergessen; Lavaty: Zapomnienie jako zjawisko kulturowe, S. 133–145.

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»Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib für euch; das tut zu meinem Gedächtnis!«.8 Im berühmten Werk Confessiones (Bekenntnisse) formulierte Augustinus einen bedeutenden Satz: »Das ist die große Macht des Gedächtnisses«. Die Rolle und Bedeutung der memoria interpretierte er aber auf zweierlei Weise. Zum einen bedeutete es für ihn die Fähigkeit, sich an das Vergangene zu erinnern und es zu verdeutlichen. Daneben drückte der Begriff memoria auch die Fähigkeit aus, einer nicht mehr vorhandenen Sache zu gedenken. Nach Augustinus besteht die memoria also aus zwei Bereichen im Gedächtnis: das darin enthaltene Potential und die Kraft der Erinnerungen.9 Gerhard Otto Oexle, ein bedeutender deutscher Mediävist, weist nach, dass man eine Brücke zwischen der kollektiven memoria im soziologischen Sinne und dem Begriff der memoria im Sinne des historischen Gedächtnisses aufbauen kann. Der Historiker, der die Anfänge der memoria, also des Gedenkens im Mittelalter analysierte, weist beispielsweise auf eine Handlung hin, wenn man den Namen einer Person spricht, was ihre Anwesenheit verdeutlichen soll. Solche Namensverzeichnisse, die zum Vortragen bestimmt wurden, waren mit der mittelalterlichen, aber auch mit der späteren Liturgie verbunden, obwohl man eben auf den Altären frühmittelalterlicher Klöster umfangreiche Gedenkbücher, libri memoriales, mit Tausenden von Vor- und Nachnamen von Lebenden und Verstorbenen finden konnte. Während der monastischen Offizien gedachte man der verstorbenen Mitglieder einer Klostergemeinschaft, aber auch ihrer Wohltäter aufgrund von Todesanzeigen. Die Memorialüberlieferungen, die in den mittelalterlichen Klöstern entstanden, erlaubten es, nicht nur die Klostergemeinschaften, sondern auch verschiedene weltliche Gruppen, darunter der besagten Wohltäter dieser Einrichtungen oder auch die Bauernbevölkerung, die für sie Dienst leistete, in Erinnerung zu rufen.10 Johann Gustav Droysen (gest. 1884), ein hervorragender deutscher Historiker aus dem 19. Jahrhundert, erkannte, dass die Geschichte weder Beschreibung aller Ereignisse ist noch alle laufenden Prozesse aufnimmt. Sie ist dagegen das Wissen davon, was passiert ist, also was die Geschichte wahrnahm. Ohne dieses Wissen, was passiert ist, also was in der Geschichte verewigt wurde, sind die Ereignisse als nicht existent oder als solche zu behandeln, die bereits vorbei sind. Die Vergangenheit besteht nur, insofern sie im historischen Gedächtnis vorhanden ist. Diese Meinung Droysens beschreibt sicherlich einen der Aspekte der vergessenen Geschichte. Die Frage nach der vergessenen Geschichte lässt uns erkennen, warum die Geschichte sowohl in der 8 Pierwszy list do Koryntian, 11, 23–24, S. 1298. 9 S´wie˛ty Augustyn: Wyznania, S. 237. 10 Oexle: Obcowanie z˙ywych i umarłych, S. 13–44; Ders.: Die Gegenwart der Toten, S. 99–155.

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Vergangenheit als auch heute viele Aspekte des Vergessens beinhaltet. Noch bevor Leopold Ranke (gest. 1886), ein anderer hervorragender deutscher Historiker des 19. Jahrhunderts, in seinem Werk Geschichte der romanischen und germanischen Völker von 1824 die berühmten Worte: »wie es eigentlich gewesen ist?« schrieb, suchte man vergeblich nach der Objektivität in der historischen Forschung. Protestierte Ranke gegen die Fiktion der zeitgenössischen Geschichtsschreibung, so musste er sich dessen bewusst sein, dass er es darin auch mit der vergessenen Geschichte zu tun hatte – selbstverständlich der vergessenen Geschichte, die ihm zufolge dank gründlicher Archivforschung ans Tageslicht gebracht und im Gedächtnis wiederhergestellt werden kann.11 Die Lektüre der historischen Romane Walter Scotts (gest. 1832), des schottischen Romanschriftstellers und Dichters, bewegte Leopold Ranke dazu, die folgenden Schlussfolgerungen zu ziehen: Ich las diese Werke mit Interesse, doch nicht ohne Vorbehalte. Was mir auffiel, war die Art und Weise, wie Karl I. der Kühne und Ludwig XI. betrachtet wurden, denn es schien mir […] völlig im Gegensatz zu den historischen Zeugnissen zu stehen. Ich studierte […] die zeitgenössischen Dokumente und war überzeugt, dass Karl I. der Kühne oder Ludwig XI., die Scott schilderte, nie existierten.12

Vergessene Geschichte entsteht auch infolge eines politischen Befehls, der sich zum Beispiel auf das königliche Recht, zu verzeihen bzw. eine Amnestie zu erlassen, bzw. auf die herrschende Ideologie stützt. Das Recht auf Verzeihen gehört zu den königlichen Hauptprivilegien, die aus der Souveränität des Herrschers hervorgehen und mit der Salbung verbunden sind. Einen anderen Wirkungsbereich hat dagegen die Amnestie, die nach schweren politischen Unruhen, Aufständen, Revolutionen, Religionskriegen die Konflikte und ihre Gewalt unterbricht. Nach den Worten des besagten Paul Ricœur »berührt aber die Amnestie als ein institutionelles Vergessen die Wurzeln der Politik, und dadurch auch die tiefste und innerste Beziehung zur Vergangenheit, die durch das Verbot bestimmt wurde«.13 Das Ziel der Amnestie (d. i. der Anordnung, das Geschehene zu vergessen) ist vor allem die Erlangung des sozialen Friedens. Auf das älteste Beispiel der Amnestie, erwähnt von Aristoteles in der Verfassung von Athen, stößt man im Dekret von 403 v. Chr. nach dem Sieg der Demokratie über die Oligarchie der Dreißig. Es weist darauf hin, dass man an die Schäden, zu welchen es während des Krieges kam, nicht erinnern sollte. Als Grundlage des neuen Lebens soll die Freundschaft gelten, weil die Athenische Demokratie beschloss, die nahe, blutige Vergangenheit zu vergessen. Ein interessantes Modell der 11 Guilland: Modern Germany, S. 68–119. 12 Zitiert aufgrund von Arnold: Historia, S. 46–47; siehe mehr dazu Ranke: The Secret of World History. 13 Ricœur: Pamie˛c´, S. 547–600.

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Amnestie, die auf dem Vergessen gründete, bildete darüber hinaus das berühmte Edikt von Nantes, erlassen 1598 vom König von Frankreich Heinrich IV. Es beendete die seit 30 Jahren in Frankreich wütenden Religionskriege und führte die Bekenntnisfreiheit sowie die Gleichberechtigung der Protestanten und Katholiken ein. Der Abschnitt des ersten Artikels dieses Edikts lautete folgendermaßen: »Erstens sollen alle Angelegenheiten, zu denen es auf beiden Seiten seit dem Anfang März 1585 bis zu unserer Thronbesteigung und während der früheren Unruhen und aus ihrem Anlass kam, vergessen und als nicht existent erkannt werden«.14 In autoritären und totalitären Staaten prägte selbstverständlich der Staat das kollektive Gedächtnis bzw. das soziale Vergessen. Er hielt es für eine seiner grundlegenden Kompetenzen. Um das soziale Vergessen zu pflegen, zensierte der Staat streng alle Informationen über die Zukunft und tilgte bestimmte historische Tatsachen aus seinem Gedächtnis. Gleichzeitig, was eben bedrohend ist, kreierte er neue Fakten und aktualisierte stets die Vorstellungen über die Zukunft. Wenn wir uns kurz an die Zeit der Volksrepublik Polen, der herrschenden kommunistischen Ideologie erinnern, so sehen wir klar, dass es damals nicht erlaubt war, der wichtigen für die Regierung unangenehmen historischen Ereignisse zumindest offiziell zu gedenken. Sie durften auch in den Geschichtshandbüchern nicht berücksichtigt werden. Daher entstanden allmählich gewisse Bereiche der offiziell vergessenen Geschichte, die aber im Bewusstsein zumindest eines Teils der Gesellschaft inoffiziell weiter vorhanden war. Und im Teufelskreis der vergessenen Geschichte waren so wichtige Ereignisse in der Geschichte Polens zu finden, wie zum Beispiel der Massenmord von Katyn, die Wahrheit über den Warschauer Aufstand, die polnische Heimatarmee, die Verstoßenen Soldaten oder der 17. September 1939. Diese im Grunde genommen einfache Wahrheit, dass die Sieger die Geschichte schreiben, wurde zur Grundlage des politischen Notbefehls, die für Polen wichtigen Ereignisse aus der Vergangenheit offiziell zu vergessen. Dabei hatten wir es mit einem gewissen Paradox zu tun, das Marcin Kula, ein Kenner der Gesellschaftsgeschichte, deutlich wahrnahm, als er die bekannten Worte schrieb: Die Kraft, mit welcher man zur Zeit des Kommunismus verschiedene Angelegenheiten aus dem Gedächtnis löschen wollte, zeugte deutlich davon, wie gut man sich im Grunde genommen daran erinnerte. Häufig erwies es sich übrigens, dass das, was getilgt wurde, klar von denen in Erinnerung wach gehalten wurde, die sich daran erinnern sollten.15

Die historischen Konflikte und die damit verbundenen Anordnungen, die Geschichte zu vergessen, finden auch in demokratischen Ländern statt. Die Spanier 14 Ebenda. 15 Kula: Mie˛dzy przeszłos´cia˛ a przyszłos´cia˛, S. 55.

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vermieden etwa im letzten Jahrhundertviertel die Debatte über die Diktatur von General Francisco Franco, und zwar sowohl in den Schullehrbüchern als auch in den öffentlichen Medien. Etliche Jahre der Diktatur wollte man vergessen und erkennen, dass der politische Konsensus nach ihrem Sturz wichtiger ist als das Gedächtnis. Wir nehmen also wahr, dass die Vergangenheit vergessen wird, womit die Zukunft Spaniens gebildet werden sollte. Als die Partei des Premierministers José Luis Zapateros 2007 den Entwurf eines »Gesetzes über die Wiedergewinnung der historischen Erinnerung«, das den Pakt des Vergessens (pacto del olvido) verletzte und die Diktatur von General Franco aburteilte, vorlegte, kam man auf die mit der Amtszeit Francos verbundenen Diskussionen und Kontroversen zurück. An diesem Beispiel sieht man deutlich, dass die Wiederherstellung der Erinnerung an die vergessene Geschichte große gesellschaftliche Turbulenzen und viele politische Konflikte bewirken kann.16 In Polen kann ein solches Phänomen der Wiederherstellung der Erinnerung sicherlich am Beispiel der Beziehung zwischen Polen und Juden oder besonders der Ereignisse in Jedwabne und anderen »Todesstädten« in Ostpolen verdeutlicht werden, wovon im weiteren Teil des Beitrags die Rede ist. Die Aufmerksamkeit fesselt in diesem Zusammenhang der Blick auf die historische Politik Russlands, die sich auf zwei Fundamente stützt: die Großmachtstellung und die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Eben die Erinnerung an den Kampf gegen den Faschismus wurde zu einer der Grundlagen für die Identitätsentwicklung der russischen Gesellschaft. Zum Bereich der vergessenen Geschichte dieser historischen Politik gehört dagegen u. a. die Zeit der Verbrechen Stalins. Einige Bemerkungen sollten sich derzeit auf den Mangel an kollektivem Gedächtnis oder auf die kollektive Amnesie im Zusammenhang mit der Beziehung der Polen zu den Juden, auf besondere Weise mit Jedwabne und anderen »Todesstädten« oder der Beziehung der Deutschen zum Nazismus und Holocaust beziehen. Das Buch von Anna Bikont My z Jedwabnego [Wir aus Jedwabne] schildert klar, wie die Geschichte der Vergessenheit geprägt wird.17 Dies erfolgt durch den realen Mangel an der Erinnerung bei den Zeitzeugen, aber auch durch das Verdrängen der Ereignisse aus ihrem Gedächtnis. Die vergessene Geschichte bilden subjektive, häufig unwahre Interpretationen von Ereignissen oder sogar bewusst falsch angegebene Informationen. Wir setzen uns kurz mit der vergessenen Geschichte als Folge der Verdrängung von traumatischen Ereignissen aus dem Gedächtnis auseinander. Es ist daher daran zu erinnern, dass die Theorie der Verdrängung ursprünglich von Sigmund Freud, dem österreichischen Arzt, Neurologen und Psychiater, Begründer der Psychoanalyse, begründet wurde. Er stellte fest, dass der Prozess des Vergessens seine Gründe hat. Die Verdrängung ist in der Tiefenpsychologie 16 Barton: Historia Hiszpanii, S. 318–319; Miłkowski et al.: Historia Hiszpanii, S. 412–413. 17 Bikont: My z Jedwabnego (Online-Fassung).

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ein Schutzmechanismus der Persönlichkeit, dessen Aufgabe ist, gewisse Erlebnisse, Erfahrungen, Gedanken, Affekte, Impulse, Erinnerungen zum Bewusstsein nicht zuzulassen. Diesen Voraussetzungen zufolge können gewisse unangenehme Erinnerungen verdrängt, also aus dem Bewusstsein beseitigt und nicht mehr wiederhergestellt werden. In der Tat sind sie immer noch im Gedächtnis vorhanden, doch aktiv unterdrückt. Dadurch entsteht der subjektive Eindruck, dass diese Informationen einfach nicht mehr bestehen. Die menschliche Psyche kann auch einfallsreich sein, wenn es darum geht, Schuld zu leugnen. Auf die Frage, die Gott an Kain nach der Ermordung Abels stellte: »Wo ist dein Bruder Abel?«, entgegnete dieser mit der Rechtfertigung: »Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?«.18 Aleida Assmann, eine deutsche Forscherin der Gegenwart, die sich mit der Kulturanthropologie besonders im Zusammenhang mit dem kulturellen Gedächtnis befasst, analysierte einige anschauliche Beispiele für Schuld- und Lastenverschiebungen eines Großteils der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Studie interessiert mich, insoweit die Verdrängung aus dem Bewusstsein einen Einfluss darauf ausübt, die Vergangenheit zu vergessen und den Bereich der vergessenen Geschichte zu erweitern. Sie bezieht sich aber nicht nur auf die Deutschen, sondern auch auf die besagte Beziehung zwischen den Polen und Juden. Das erste, von Aleida Assmann angeführte Beispiel stützt sich auf den Mechanismus der Kompensation, der darin besteht, dass eine Schuld durch eine andere ausgeglichen wird. Hans Frank, der Generalgouverneur des besetzten polnischen Staates, sagte vor dem Nürnberger Strafgerichtshof aus: Große Massenmorde im erschreckenden Ausmaß, die – wie ich jetzt erfahren habe – an den Deutschen vor allem in Ostpreußen, Schlesien, Pommern, im Sudetenland durch Russen, Polen und Tschechen begangen wurden und immer noch werden, löschen schon heute ohne Ausnahme alle möglichen Schulden unseres Volks.19

Eine solche Denkweise führte dazu, dass die Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen geleugnet oder auch vergessen wurde. In diesem Sinne äußerte sich auch Kazimierz Laudan´ski, einer der Beteiligten des Pogroms an den Juden in Jedwabne 1941. Im Gespräch mit Anna Bikont sagte er: »Wir haben nichts gegen Juden, aber hört mit diesem Wundkratzen auf. Und was haben die Juden nach dem Krieg in der Sicherheitsbehörde (UB) gemacht? Schade um jedes Wort, es ist eine Schande, warum sollten wir uns also einander Vorwürfe machen?«20 Saul Padover, ein amerikanischer Jude, Offizier des US-Militärgeheimdienstes, untersuchte am Ende des Zweiten Weltkrieges in Interviews das Verhältnis der Deutschen zum Krieg. Er erstellte einen Sonderbericht, der ein 18 Ksie˛ga Rodzaju, 4, 9–10, S. 26. 19 Assmann: Mie˛dzy historia˛ a pamie˛cia˛, S. 233. 20 Bikont: My z Jedwabnego, S. 88–89 (Online-Fassung).

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sehr interessantes Zeugnis der deutschen Erinnerung an die nicht allzu ferne Vergangenheit darstellt, oder besser gesagt – der deutschen Vergessenheit. Die Schlussfolgerung des Berichts ist erstaunlich: Wir arbeiten hier seit zwei Monaten, haben mit vielen Leuten gesprochen, viele Fragen gestellt, und wir haben keine Nazis gefunden. Jeder ist ein Gegner des Nationalsozialismus. Alle Menschen sind gegen Hitler. Sie waren immer gegen Hitler. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass Hitler dabei ganz allein, ohne Hilfe und Unterstützung der Deutschen wirkte. Er begann den Krieg, eroberte ganz Europa, eignete sich den größten Teil Russlands an, ermordete fünf Millionen Juden, ließ sechs bis acht Millionen Polen und Russen verhungern, organisierte vierhundert Konzentrationslager, schuf die größte Armee Europas und sorgte für die Pünktlichkeit der Züge.21

Selbstverständlich ist, dass Saul Padover belogen wurde, aber diese Lügen zeugen davon, dass die Deutschen willig waren, die nicht allzu ferne Vergangenheit aus dem Bewusstsein zu verdrängen und sie zu vergessen. Wir kommen noch auf Jedwabne und das besagte Buch von Anna Bikont zurück. Sie schildert durch das Prisma vieler Gespräche, die sie mit Zeugen des Verbrechens führte, das Phänomen des kollektiven Vergessens, der kollektiven Amnesie zahlreicher Polen im Zusammenhang damit, was sie den Juden am 10. Juli 1941 angetan haben. Das Buch zeigt deutlich, wie die vergessene Geschichte geprägt wird – durch den Mangel an Gedächtnis bei den Zeugen, einen scheinbaren Gedächtnismangel, durch gewisse Interpretationen der Ereignisse, die die Gesprächspartner in ein positiveres Licht rücken, oder durch bewusst angeführte falsche Informationen, die die wahre Geschichte verfälschen. Tomasz Szarota, ein Historiker des 20. Jahrhunderts, stellte in einem Interview fest: »Wir wussten nicht, dass die Polen auch Täter des Holocausts waren. Und sie waren in Jedwabne. Und es waren nicht einzelne Abweichler, die in jeder Gemeinde zu finden sind, sondern es war eine Gruppe mit der Stadtverwaltung an der Spitze«.22 Mirosław Traczyk, der Autor des großartigen Buchs Miasta ´smierci. Sa˛siedzkie pogromy Z˙ydów. [Todesstädte. Zu nachbarschaftlichen Pogromen der Juden], schilderte, dass Polen auch Täter des Holocausts nicht nur in Jedwabne, sondern auch in Radziłów, Wa˛sosz, Szczuczyn, Gonia˛dz, Rajgród, Kolno, Suchowola und anderen Städten im Umkreis von Białystok waren. Er entdeckte zudem, wie die Behörden der Volksrepublik Polen versuchten, auf der Grundlage dieser tragischen Ereignisse viele Bereiche unwahrer und damit vergessener Geschichte zu schaffen. In den 1960er Jahren hat die Kommission zur Untersuchung von NaziVerbrechen in Białystok Zeugen von polnischen Verbrechen gegen die jüdische 21 Assmann: Mie˛dzy historia˛ a pamie˛cia˛, S. 210–212. 22 Es ist ein Abschnitt des Interviews von Jacek Z˙akowski mit Prof. Tomasz Szarota, der in der Zeitung Gazeta Wyborcza erschien. Zitiert nach: Bikont: My z Jedwabnego, S. 29–30 (OnlineFassung).

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Bevölkerung vorgeladen und sie nur gegen Deutsche wegen dieser Taten aussagen lassen. Es ging darum, den polnischen Anteil am Pogrom gegen die Juden zu vertuschen, was mit der zeitgenössischen historischen Politik nicht nur der Volksrepublik Polen, sondern auch des gesamten kommunistischen Lagers übereinstimmte.23 Und noch ein vielleicht kleiner, doch wichtiger Aspekt der vergessenen Geschichte. Man kann die Geschichte anscheinend auch auf göttlichen Befehl vergessen. Einer der Einwohner Jedwabnes sagte im Gespräch mit Anna Bikont über die Polen, die Juden ermordeten: »Möge Gott ihnen vergeben, ich will es nicht beurteilen, die Geschichte ist von Gott gestaltet, er kann auch befehlen, sie zu vergessen«.24 Nach seiner Vorstellung entscheidet die Vorsehung über die Gestalt der Geschichte, aber anscheinend auch darüber, dass sie vergessen wird. Zum Schluss noch eine wichtige Frage, die mit der Erscheinung der vergessenen Geschichte oder besser gesagt – dem Zwang, sie zu vergessen – eng zusammenhängt. Es geht nämlich um die damnatio memoriae, was bedeutet, den Namen einer Person aus Dokumenten und von Denkmälern zu entfernen und sie aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen.25 Dieses Phänomen war schon im antiken Ägypten bekannt, wo nach lokaler Überzeugung die Zerstörung eines Namens die Vernichtung einer Person bedeutete. Damnatio memoriae war auch ein fester Bestandteil des politischen Lebens im antiken Rom und berührte sowohl die Herrschenden als auch die Vertreter der Machtelite. Die erste offizielle Verdammung der Erinnerung an eine herrschende Person erfolgte nach dem Tode des Kaisers Domitian (gest. 96). Der römische Chronist Sueton beschrieb sie in seinem Werk De vita cesarum: Die Ermordung Domitians wurde vom Volk mit Gleichgültigkeit, und von den Soldaten mit großer Empörung aufgenommen. […] Der Senat; [die Senatoren] waren im Gegenteil so glücklich, dass sie schnell befahlen, Leitern zu bringen und seine Schilde und Bilder vor allen herunterzureißen und sie sofort zu Boden zu werfen. Abschließend beschlossen sie, seine Inschriften überall auszulöschen und alle Erinnerung an ihn zu vernichten.26

Dieser Methode, die Menschen zum Vergessen zu verurteilen, bediente sich schließlich Josef Stalin in der Zeit der Großen Säuberung in den 1930er Jahren. Eine der Möglichkeiten, die Verurteilten zu vergessen, war die Nachbearbeitung von Fotos, auf denen sie sich früher zusammen mit dem Führer des sowjetischen Staates befanden. Als Beispiel dient das Foto von 1937, auf dem man Stalin mit 23 Tryczyk: Miasta ´smierci, S. 5–6. 24 Bikont: My z Jedwabnego, S. 405 (Online-Fassung). 25 Verschiedene Aspekte dieses Phänomens, das als damnatio memoriae bezeichnet wird, findet man in: Markowska (Hg.): Politics of Erasure. 26 Zitiert nach: Mrozewicz: Damnatio memoriae w rzymskiej kulturze politycznej, S. 13–14.

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Kliment Jefremowitsch Woroschilow, Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow und Nikolai Iwanowitsch Jeschow, dem Chef der sowjetischen Geheimpolizei NKWD 1936–1938 und Volkskommissar für die Staatssicherheit, sieht. Nachdem Jeschow 1940 zum Tode verurteilt und erschossen worden war, wurde dieses Foto nachbearbeitet und die Gestalt des ehemaligen Chefs des NKWD entfernt. Zusammenfassend ist zu betonen, dass sowohl die Geschichte als auch die vergessene Geschichte jeden Tag aufs Neue gebildet werden. Einfluss auf die Entstehung der vergessenen Geschichte haben die selektiv erhaltenen historischen Quellen, die häufig dem Präsentismus untergeordnete historische Analyse, Befehle und die politische Notwendigkeit, Angst, ein vereinfachtes Weltverständnis, Gewohnheit, aber auch die kollektive Psychologie. Und leider ist es nicht so, wie Vladimir Jankélévitch (1903–1985), der französische Philosoph und Musikologe, in Bezug auf die Geschichtsphilosophie sagte: »Da es entstanden ist, kann es nicht mehr sein: Die geheimnisvolle und unbegreifliche Tatsache, dass es entstanden ist, wird zu seiner Wegzehrung für die Ewigkeit«.27 Viele Fakten werden leider nie in die Geschichte eingehen, während andere, bewusst verändert oder vergessen, ein völlig verfälschtes Bild erschaffen werden. [Übersetzung: Liliana Lewandowska]

Bibliografie Gedruckte Quellen Ksie˛ga Rodzaju, 4, 9–10, in: Pismo S´wie˛te Starego i Nowego Testamentu. 2021. Pierwszy list do Koryntian, 11, 23–24, in: Pismo S´wie˛te Starego i Nowego Testamentu. 2021. S´wie˛ty Augustyn: Wyznania. 1987.

Literatur Arnold John H.: Historia. Bardzo krótkie wprowadzenie. 2000. Assmann Aleida: Mie˛dzy historia˛ a pamie˛cia˛, in: Saryusz-Wolska Magdalena (Hg.): Antologia. 2014. Assmann Jan: Pamie˛c´ kulturowa. Pismo, zapamie˛tywanie i toz˙samos´c´ polityczna w cywilizacjach staroz˙ytnych. 2008. Barton Simon: Historia Hiszpanii. 2009. Bikont Anna: My z Jedwabnego. 2012. Guilland Antoine: Modern Germany and her Historians. 1915.

27 Zitiert nach: Ricœur: Pamie˛´c, S. 5.

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Gedächtnis und Mangel an Gedächtnis

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Caspar Ehlers

Sternstunden der Ingenieure. Die fränkischen Expansionen und Integrationen

Abstract: Great Moments of the Engineers. The Frankish Expansions and Integrations The article explores the question of the technical achievements of the Frankish army during the wars against the Saxons. The crossing of rivers was as much a part of them as the erection of buildings. The evaluative survey here is based on contemporary written sources. A special role was played by the engineers, whose knowledge made such achievements possible. Finally, the function of such epistemic communities and their influence on the integration of Saxony is discussed. Keywords: Early Middle Ages; Charlemagne; Saxony; engineering; knowledge

Helmut Flachenecker lernte ich 1997 kennen, als er an das damalige Max-PlanckInstitut für Geschichte in Göttingen als wissenschaftlicher Leiter des Langzeitprojektes Germania Sacra gerufen wurde. Zwei Jahre zuvor war ich als soeben Promovierter selbst dorthin gekommen, um das vergleichbare Unternehmen Repertorium der deutschen Königspfalzen zu unterstützen und späterhin zu übernehmen. Mit Lutz Fenske hier und Irene Crusius dort hatten wir alte Kämpen aus den Anfängen dieses Institutes unter Hermann Heimpel beziehungsweise Walter Schlesinger als Vorgänger und mit dem Hermann-Föge-Weg 11 einen ehrwürdigen Arbeitsplatz. Aus dieser gemeinsamen Zeit resultiert die anhaltende freundschaftliche Verbindung zum hier Geehrten, aus vielen gemütlichen Gesprächen in niedersächsischen, fränkischen und hessischen Gärten und gemeinsamen wissenschaftlichen Unternehmungen von Neustadt an der fränkischen Saale bis hin nach Florenz und Florida seit seinem Ruf nach Würzburg 2002 sowie der Schließung des Göttinger Institutes 2006 und des Autors neuer Arbeitsstätte in Frankfurt am Main. Die oftmals gemeinsame oder aufeinander abgestimmte Lehre an der Julius-Maximilians-Universität im beginnenden dritten Jahrtausend ist ein wesentlicher Faktor, und daher soll im Folgenden ein Kapitel fränkischen – nicht: ›fränggischen‹ – Wirkens im frühProf. Dr. Caspar Ehlers, Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main, ORCID: https://orcid.org/0000-0003-0610-1198.

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mittelalterlichen Sachsen beleuchtet werden, das wiederum auf gemeinsamen Interessen beruht, die des technikgeschichtlich bewanderten Nürnberger Hauptfeuerwehrmannes sowie die des Pionieroffiziers der Reserve an Rhein, Weser und Lippe. Und schließlich war bekanntermaßen schon der hl. Bonifatius ein erfolgreicher Holzfäller. Dies alles soll Ansporn für den folgenden Versuch sein. Ad multos annos, lieber Helmut!

Zur technischen Erschließung eines Raumes am Beispiel Sachsens »Terra autem erat inanis et vacua« – Diese Eingangsworte des zweiten Verses des Alten Testamentes mögen den Franken in den Sinn gekommen sein, nachdem sie ihre ersten Erfahrungen in den sächsischen Landschaften zwischen Rhein und Elbe gewonnen hatten und die Räume aus ihrer Sicht »wüst und leer« erschienen. Im Folgenden soll die Frage erörtert werden, wie die Expansion der Franken und ihre Integration der dem Reichsverband eingegliederten Gebiete außerhalb der einst römischen Kultursphäre abgelaufen sein könnte. Wobei die beiden Begriffe so zu verstehen sind, dass Expansion zumeist militärischer Natur ist und Integration zumeist kultivierender. Beide Aktionen erfordern einen Widerpart. Schon bei den frühmittelalterlichen Ausbreitungsbewegungen, etwa der Völkerwanderungszeit, sind sowohl Menschen als auch das von diesen bewohnte und besiedelte Land das Ziel von Unterwerfung und Eingliederung gewesen. Genauer gefragt: Welche, vor allem technischen, Anstrengungen sind nötig gewesen, von denen die Quellen weniger berichten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass weniger nach herausragenden Einzeltaten, wie sie gerade in den Quellen vermeldet werden, gesucht werden muss, sondern mehr nach dem Hintergrund und den Auswirkungen dynamischer Prozesse zu fragen ist, ohne die jene Unterwerfung, Eingliederung und Integration von Großräumen nicht vonstatten gehen kann. Der dafür gewählte Zeitrahmen sind die karolingischen Eroberungszüge bis zum Ende des 8. Jahrhunderts sowie die anschließende Phase der dauerhaften und erfolgreichen Integration jener Gebiete im Laufe des 9. Jahrhunderts. Geographisch beziehungsweise politisch gesehen, wird der Fokus auf Sachsen sowie auf Bayern beschränkt bleiben – dies vor allem wegen der Quellen.

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Die Genese einer europäischen Zentrallandschaft abseits militärischer Aktionen Da es sich bei dem hier untersuchten Zeitraum um eine zentrale Phase der Genese Europas handelt, ist es wenig erstaunlich, dass diverse Thesen formuliert wurden, die jeweils – aus dem Blickwinkel der mediävistischen Geschichtswissenschaft formuliert – mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen die Beurteilung der Integrations- und Schöpfungsleistungen der Karolingerzeit vorgenommen haben. Was also sind für die gegenwärtige Forschung die, gleichsam konsensual, wichtigsten Merkmale für die Verfestigung in der europäischen Geschichte? Die folgenden Absätze verstehen sich als ein knapper Überblick der jüngeren Forschung mit ausgewählten Beispielen. Michael Mitterauer hatte 2003 recht genau beschrieben, was nachhaltig aus der fränkischen Zeit unsere Gegenwart prägt.1 Er nennt es, selbstverständlich die Ergebnisse anderer einbeziehend, »die Agrarrevolution des Frühmittelalters«, die den »Schlüsselfaktor für die ganze europäische Wirtschaftsentwicklung« darstelle. Denn das »weltweit einmalige System der Agrarwirtschaft, im Frankenreich entwickelt, korrespondiert mit der Agrarverfassung«. Es gehen also technische Entwicklungen sozialen voraus und bedingen deren erfolgreiche Institutionalisierung. Daneben betont Mitterauer den Zusammenhang von agrarischer Gesellschaft und einer ›wirksamen‹ Religion, etwa den christlichen Heiligenkulten, wobei er sich auf Arnold Angenendt bezieht. Insgesamt gesehen, liegt also nach Mitterauer das Besondere dieser Prozesse darin, dass sie gerade keine Dynamik auslösen, sondern vielmehr eine bestandserhaltende Statik erzeugen – wie beispielsweise sakrale und wirtschaftliche Ordnungen.2 In den vergangenen Jahren sind weitere Forschungen zur Entstehung des historischen Raumes Europa unternommen worden, die auch weitgefasste Ansätze mit einbeziehen oder auf evolutionshistorischen Ergebnissen der Anthropologie und Kulturwissenschaften aufbauen. Vor allem auf dem Gebiet der Paläogenetik3 von Mensch- und Tierwelt und der Botanik haben sich unser Wissen vertiefende Resultate ergeben, aus der Menschheitsgeschichte kamen Überlegungen zu dem Einfluss von Jäger- und Sammlergesellschaften auf die Entstehung der Hochkulturen4 sowie aus der diese Ansätze aufnehmenden Frühmittelalterforschung beispielsweise Analysen zur Entstehung der ›modernen‹ 1 Mitterauer: Warum Europa? 2 Ebd., S. 275–293. 3 Einführend zur Methode Hummel: Ancient DNA. Einen Überblick bieten Krause et al.: Reise. Sehr kritisch zu dieser Methode Meier et al.: Gene. 4 So etwa Parzinger: Völker, Mühlen; Galor: The Journey, und Assmann: Achsenzeit; Bellah et al. (Hg.): The Axial Age. Inwieweit der moderne Ansatz einer »Deep History« fruchtbar ist, bleibt hingegen abzuwarten, vgl. etwa die Beiträge in dem Sammelband von Shryock et al. (Hg.): Deep History.

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Wirtschaft in Europa.5 Jüngere Arbeiten der Archäologie versuchen ebenfalls mit komparatistischen Methoden Klarheit in schriftlose Überreste zu bringen, um die frühgeschichtlichen/mittelalterlichen Entwicklungen in Deutschland und Europa zu untersuchen.6 Mehr den technischen Aspekten zugewandt sind die Thesen der Kunst-, Bauund Technikhistoriker.7 Daneben wären, der gewählten Fragestellung verpflichtet, noch Untersuchungen zu der militärischen Organisationsstruktur8 zu nennen sowie die Ergebnisse der Historischen Hilfswissenschaften zu den Feldern der Schriftkultur, der Textualität, der Soziogenese sowie schließlich auch die Studien zu dem intellektuellen und vor allem künstlerischen Umfeld beispielsweise Karls des Großen. Unerwähnt blieb bisher die jüngere Forschung zur historischen Genese Deutschlands und Europas.9 Auch auf diesem Feld sind in den letzten Jahren stattliche Publikationen vorgelegt worden, die sich intensiver noch mit den politischen und sozialen Dynamiken auseinandersetzen10 oder einen kulturwissenschaftlichen Ansatz11 vertreten beziehungsweise globalgeschichtliche Zugänge erproben.12 Wenn im Folgenden das Thema anhand einiger Detailfragen angegangen werden wird, so sei zugestanden, dass dabei in erster Linie auf das alte Sachsen geschaut wird, einem Raum außerhalb des prägenden, zivilisierenden Zugriffs der Römer. Diesem Ansatz liegen folgende Überlegungen zu Grunde: Erstens ist die Übernahme von bereits spätantik geformten Strukturen eines Raumes etwas anderes als die Eingliederung und Kultivierung von gleichsam unberührten Gegenden mit dem Ziel der Integration der dort unterworfenen Bevölkerung. Zweitens ist gerade hier das Fragenpotential der Mediävisten an die Technikgeschichte besonders groß, weil aus den Beobachtungen, der Auswertung allein der Schriftquellen, die Rekonstruktion der Abläufe auf einem abstrakten Niveau hängen bleiben muss. Drittens ist zu betonen, dass gerade der Zwang zu einer die

5 Bahnbrechend war die umfangreiche interdisziplinäre Studie von Michael McCormick: Origins. 6 So neben anderen die Sammelbände Sánchez Pardo et al. (Hg.): Churches, und HeinrichTamaska et al. (Hg.): Christianisierung, sowie Brather-Walter (Hg.): Archaeology. Kritisch zur Aussagefähigkeit der archäologischen (Be-)Funde über ethnische Zusammenhänge äußert sich Brather: Identitäten. 7 Lindren (Hg.): Technik; Jacobsen: Pfalzen; Stig Sørensen et al. (Hg.): Knowledge; Walton Steven A.: Fifty Years. 8 Siehe unter anderen Bachrach et al.: Warfare. 9 Vgl. Fried: Weg, sowie Borgolte: Christen, und Padberg: Christianisierung. 10 Siehe dazu bspw. den Sammelband François et al. (Hg.): Europa. 11 Wertheimer: Europa; Csáky: Gedächtnis. 12 Bspw. Borgolte: Welten.

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Disziplinen vereinenden Arbeitsweise den zu erwartenden Erkenntnisgewinn deutlich erhöht.13

Fränkische Akteure in Sachsen Hinzu kommt, dass sich in Sachsen vor allem die Kirche als eine in Räumen denkende Institution hervortut. Insofern ist die Rolle der an den Kriegszügen beteiligte Oberen der Kirche kaum zu unterschätzen, wie wir noch sehen werden, denn es ist zu unterscheiden zwischen der militärischen Eroberung und der zivilisatorischen Durchdringung von R ä u m e n einerseits und zwischen der weltlichen sowie religiösen Integration von P e r s o n e n , als Individuen wie als Gruppen, andererseits. Dieser Prozeß lässt sich anhand der Errichtung einer kirchlichen und weltlichen Infrastruktur für und in Sachsen recht gut nachzeichnen.14

Techniken Vor der Untersuchung der Schriftquellen sei kurz auf die für das Folgende relevanten Eckpunkte der fränkischen Technikgeschichte hingewiesen.15 Es wird schließlich auch um Bautechnik gehen, wobei in erster Linie die Unterscheidung zwischen Bauten aus Holz und aus Stein eine Rolle spielt. Denn die Steinbauweise ist erst durch die Franken in den Gebieten außerhalb des römischen Einflussbereiches eingeführt worden: der sogenannte karolingisch-ottonische »Mauermassenbau« mit Lehm und Kalk als Bindemittel.16 Dennoch sind die frühen Kloster- und Kirchenbauten in Sachsen noch aus Holz ausgeführte Bauten gewesen.17 Die im Holzbau verwendeten Gerätschaften haben eine sehr lange Kontinuität seit der Römerzeit,18 und noch in das 16. Jahrhundert hinein wurde im westfälisch-sächsischen Raum das städtische Haus in Holzbauweise errichtet.19 Das 13 Zu diesen Aspekten hatte im Frühjahr 2010 am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte / Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie ein Projekt mit dem Titel Rechtsräume im Rahmen eines Forschungsschwerpunktes des Institutes seine Arbeit aufgenommen, dessen Ergebnisse seit einigen Jahren vorliegen: Ehlers: Rechtsräume. 14 Vgl. Ehlers: Integration. 15 Vgl. Hägermann: Technik, S. 315–505, sowie Lindren (Hg.): Europäische Technik. 16 Binding: Bautechnik, Steinbau, Kathedralbau, S. 73. Vgl. Ders.: Holzbau, Geräte, sowie Ders.: Holzbau. 17 Hägermann: Technik, S. 444f., 451–456. 18 Binding: Holzbau, Geräte, S. 77. 19 Ders.: Holzbau, S. 81.

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bedeutet selbstverständlich, dass gerade auf diesem offenbar sehr erfolgreichen und bestandsgarantierenden Gebiet der Bautechnik die meisten Kräfte gebunden waren und vermutlich auch, dass im Holzhandwerk der beste Ausbildungsstand anzunehmen ist. Nicht nur die Häuser und Kirchen waren ja aus Hölzern zusammengefügt, sondern auch die Brücken, die Subkonstruktionen mancher Straßen sowie die für den Wasserverkehr notwendigen Transportmittel und Gerätschaften. Das Folgende bezieht sich also weniger auf taktische oder organisatorische Fragen an die karolingische Militärgeschichte,20 sondern vor allem auf Brückenschläge21 und die Nachrichten der zeitnahen Quellen zu den zentral von Karl organisierten beziehungsweise gar selbst geleiteten Großbauten. Für die Brückenschläge während der Sachsenkriege sei einleitend an einem Beispiel aus den Annales Regni Francorum ad a. 775 die militärische Bedeutung von Flussübergängen überhaupt zu exemplifizieren: »Mit Gottes Hilfe und durch den Sieg der Franken wurden die Sachsen in die Flucht geschlagen, die Franken besetzten beide Ufer [der Weser] und viele Sachsen wurden dort erschlagen«22. Es kam also darauf an, beide Flußufer zu erobern und zu halten, wenn man des Gegners Kraft schwächen wollte. Flüsse stellten somit natürliche Grenzen dar, die sich vor allem bei der Bekämpfung eines Gegners nachteilig auswirkten, weswegen sie zu überwinden waren.

Flussüberquerungen, Brücken- und Wasserstraßenbau Welche Quellen berichten darüber hinaus von der Überwindung von Flüssen mittels Brücken sowie den Initiativen Karls des Großen, die sich wiederum auf Flüsse oder die Organisation von zentral geleiteten Baumaßnahmen beziehen? Durchgesehen wurden dafür die Reichsannalen mit ihren Ableitungen und Fortsetzungen sowie die Berichte bei Einhard und Notker. Flussüberquerungen werden nur dann in das Repertoire aufgenommen, wenn über die reine Tatsache der Überwindung hinaus technische Details zu erkennen sind. In den Quellen sind mit dieser Einschränkung explizit genannt: – Annales Regni Francorum (ad a. 789): Karl der Große »erreichte die Elbe und ließ dort zwei Brücken bauen, für deren eine er an beiden Enden eine Befestigung aus Holz und Erde errichten ließ. Von hier rückte er weiter und unterwarf mit des Herren Güte die genannten Slawen [die Wilzen im Gebiet an 20 Bachrach: Armies; Ders.: Early Carolingian Warfare; Ders.: Warfare; Bachrach: Religion. 21 Vgl. Maschke: Brücke. Zum Brückenbau in späterer Zeit vgl. Hirschmann: Brückenbauten. 22 Kurze (Hg.): Annales regni Francorum, hier ad a. 775, S. 40. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Reichsannalen, S. 31.

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der Peene, der Havel und dem Tollensesee] seiner Herrschaft«23. Diese Quelle berichtet zwar zum sächsischen Raum, aber über eine Aktion der Franken zusammen mit Sachsen gegen Slawen (BM² 302b-i). – Annales Regni Francorum (ad a. 792/793): »Weihnachten und Ostern in Regensburg. […] In diesem Jahre wurde kein Heereszug unternommen. Auf Flussschiffen wurde eine Brücke errichtet, die mit Ankern und Seilen so verbunden war, dass man sie zusammensetzen und wieder auseinandernehmen konnte. Dort wurde Weihnachten und Ostern gefeiert [demnach überspannte der Brückenschlag die Donau]. Und die Jahreszahl änderte sich in 793. Im Herbst kam der König zu Schiff von Regensburg zu dem Großen Graben zwischen Altmühl und Rezat […].«24 Noch in den kolorierten Abschriften der Würzburger Bischofschronik des Lorenz Fries († 1550) ist zu sehen, dass an der Wende zum 17. Jahrhundert das Wissen um diese berühmte Baustelle Karls des Großen lebendig war25: Der Karlsgraben, die »fossa Carolina«.26 Quelle dafür ist der ausführliche Bericht aus den sogenannten Einhardsannalen, den Annales Regni Francorum qui dicuntur Einhardi ad a. 793: »Nun war er [Karl der Große] von etlichen, welche die Sache zu verstehen behaupteten, überzeugt worden, dass, wenn zwischen Rezat und Altmühl ein schiffbarer Graben geführt würde, man ganz bequem von der Donau in den Rhein fahren könnte, da der eine von jenen Flüssen in die Donau, der andere in den Main mündet. Darum begab er sich sogleich mit seinem ganzen Gefolge in die Gegend, ließ eine große Menge Menschen dahin kommen und den ganzen Herbst hindurch daran arbeiten. Es wurde also zwischen diesen beiden Flüssen ein Graben gezogen, zweitausend Schritte lang und dreihundert Fuß breit; jedoch umsonst.«27 Denn der anhaltende Regen erlaubte keine Aushubarbeiten. Es handelt sich demnach um Aktionen der Franken in Bayern ein halbes Jahrzehnt nach der Niederwerfung Tassilos. Mit der chronologisch folgenden Quelle, den Annales Regni Francorum ad a. 808, wird wieder das äußerste Ende 23 Kurze (Hg.): Annales regni Francorum, S. 84. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Reichsannalen, S. 57/59. 24 Kurze (Hg.): Annales regni Francorum, S. 92/94. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Reichsannalen, S. 61. 25 Universitätsbibliothek Würzburg: Sign. M.ch.f. 760: Lorenz Fries: Chronik der Bischöfe von Würzburg (Kopie für Fürstbischof Julius Echter), S. 20R, URL: http://franconica.uni-wuerz burg.de/ub/fries/pages/fries/101.html (23. 03. 2023). Vgl. Wagner et al.: Lorenz Fries. 26 Die Fossa Carolina verbindet die in die Donau mündende Altmühl mit der Schwäbischen Rezat. Diese vereinigt sich mit der Fränkischen Rezat zur Rednitz, die sich wiederum verbindet mit der Pegnitz zur Regnitz, die schließlich in den Main mündet: Werther: Reisen. 27 Kurze (Hg.): Annales regni Francorum, S. 93. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Reichsannalen, S. 61/63.

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Sachsens betreten und die Karolinger beim Kampf gegen Slawen beobachtet: »Aber des Kaisers Sohn Karl schlug eine Brücke über die Elbe und führte sein Heer mit möglichster Schnelligkeit hinüber gegen die Lionen und Smeldinger […]«28 – also in das Gebiet um Lenzen zwischen den Abodriten in Holstein und Mecklenburg und den oben genannten Wilzen.

Karl der Große als Bauherr Diese folgenden Quellen aus dem oben umrissenen Fundus berichten über Bauprojekte Karls des Großen und deren Realisierung: – Einhards Vita Karoli Magni, cap. 17: Karl der Große »unternahm daneben doch noch an verschiedenen Orten sehr viele Bauten zum Schmuck und Nutzen des Reiches und vollendete auch manche. Als die vorzüglichsten unter ihnen dürfen mit Recht angesehen werden die mit staunenswerter Kunst erbaute Kirche der heiligen Mutter Gottes zu Aachen und die fünfhundert Schritte lange Rheinbrücke zu Mainz […]. Ein Jahr jedoch vor Karls Ableben brannte die Brücke ab und konnte ob dieses schnellen Todesfalls nicht wieder hergestellt werden, wiewohl er sich mit dem Gedanken trug, statt der hölzernen eine in Stein auszuführen.«29 – Einhards Vita Karoli Magni, cap. 17: »Auch herrliche Paläste erbaute [Karl der Große], einen nicht weit von der Stadt Mainz bei dem Hofgut Ingelheim, einen zweiten zu Nimwegen […]. Hauptsächlich jedoch befahl er, wo in seinem ganzen Reiche er von verfallenen Gotteshäusern hörte, den Bischöfen und Äbten, denen ihre Unterhaltung oblag, sie wiederherzustellen und ließ durch seine Sendboten die Ausführung seiner Befehle überwachen.«30 Die hier genannten Boten, die »missi regis« stellten das Rückgrat der Kommunikation im Frankenreich dar, sie bewegten sich als königliche Amtleute zwischen den Herrscheraufenthalten und dem gesamten Reich hin und her, überbrachten Befehle und Erlasse Karls und sorgten für deren Durchsetzung beziehungsweise berichteten sie dem Herrscher umgekehrt über die Befindlichkeiten in den Regionen seines Herrschaftsbereiches.31 Einhards Vita Karoli Magni, cap. 32: 28 Kurze (Hg.): Annales regni Francorum, S. 125. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Reichsannalen, S. 89. 29 Holder-Egger (Hg.): Einhardi Vita Karoli Magni, S. 20. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Einhard, S. 187. 30 Holder-Egger (Hg.): Einhardi Vita Karoli Magni, S. 20. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Einhard, S. 187. 31 Kikuchi: Herrschaft.

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Der Säulengang, den er [Karl der Große] zwischen der Kirche und dem Palast [Aachen] mit großer Mühe hatte ausführen lassen, stürzte am Himmelfahrtstage plötzlich bis auf den Grund zusammen. Die Rheinbrücke bei Mainz, ein herrliches Werk, das er in einem Zeitraum von zehn Jahren mit unendlicher Mühe und wunderbarer Kunst so fest aus Holz gebaut hatte, dass man glaubte, es könnte für die Ewigkeit stehen, wurde durch eine zufällig entstandene Feuersbrunst in drei Stunden so vollständig verzehrt, dass außer dem, was vom Wasser bedeckt war, kein Span übrigblieb.32

Beide Ereignisse zählt Einhard zu den Vorzeichen für Karls Tod. Notkers Gesta Karoli I/28: Als der tatkräftige Kaiser Karl einige Ruhe finden konnte, wollte er nicht in der Muße erschlaffen, sondern sich für den Dienst Gottes einsetzen, sodass er sich daran machte, nach eigenem Plan in seinem Heimatland eine Kirche [Aachen] zu erbauen, herrlicher als die alten Werke der Römer, und sich auch in kurzer Zeit am Ziele seiner Wünsche zu sein freute.33

Es fällt schon bei der ersten Lektüre auf, dass Notker einen Zusammenhang herstellt zwischen dem Ende der Eroberungen, dem Beginn der Ruhe also, und dem Entschluss, nun durch Bauwerke die Christianisierung voranzutreiben. Um den Erhalt des Erreichten geht es nun in der folgenden Stelle, auch von Notker (Gesta Karoli I/30 und 31): Zu jenen Zeiten bestand der Brauch: wo nach des Kaisers Gebot eine Arbeit zu verrichten war, z. B. Brücken, Schiffe, Fähren oder schmutzige Wege zu kehren, zu […] pflastern oder Löcher zu füllen, das führten die Grafen durch ihre Stellvertreter und Amtleute wenigstens bei unbedeutenderen Sachen aus; von wichtigen Sachen aber, vor allem von Neubauten, gab es für keinen Herzog oder Grafen, für keinen Bischof oder Abt irgendwelche Entschuldigung. Beweis dafür sind noch heute die Pfeiler der Mainzer Brücke, die ganz Europa in gemeinsamer, aber wohl verteilter Arbeit vollendet, aber die Hinterlist einiger Böswilligen, die von der Beförderung zu Schiff unbilligen Lohn einzustecken wünschten, vernichtet hat.34

Und Notker berichtet weiter, dass die Bischöfe und Äbte wie die Herzöge und Grafen die kirchlichen wie auch die weltlichen Bauten genau nach den Vorgaben Karls zu errichten hatten, was man noch heute an dem Ensemble in Aachen erkennen könne.35 In cap. I/31 fährt er fort: Der sorgsame Karl gab allen Großen der Umgebung die Weisung, dafür Sorge zu tragen, dass sie die von ihnen abgesandten Werkleute mit aller Tatkraft unterhalten und alles Nötige zum Bau beisteuern. Die aus weiterer Ferne Gekommenen überwies er seinem 32 Holder-Egger (Hg.): Einhardi Vita Karoli Magni, S. 36. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Einhard, S. 203/205. 33 Haefele (Hg.): Notker, S. 38. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Notker, S. 365. 34 Haefele (Hg.): Notker, S. 40f. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Notker, S. 367. 35 Haefele (Hg.): Notker, S. 41. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Notker, S. 367; Jacobsen: Pfalzen.

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›praepositus domus‹ Liutfried, damit er sie aus öffentlichen Mitteln [›de publicis rebus‹] unterhalte und kleide, aber auch alles zum Bau Erforderliche aufzuwenden sich stets mit Sorgfalt angelegen sein lasse.36

Dies jedoch habe Liutfried nur dann getan, so berichtet Notker, wenn Karl in der Nähe gewesen sei.

Resümee Auf den ersten Blick ist deutlich, dass wesentlich weniger Brückenschläge erwähnt werden, als tatsächlich stattgefunden haben, wenn man sich die sächsischen Flussläufe (und seien es nur die größeren) vor Augen führt, die das Land von Süden nach Norden durchziehen, also quer zur Marschrichtung der Franken verliefen. Diese Aussage trifft auch auf den Bau von beispielsweise befestigten Lagern zu. Das eröffnet zwei Alternativen: Entweder waren die Historiografen sehr wählerisch, wenn sie von Brückenschlägen berichteten, oder die übliche Methode der Überquerung von Gewässern ist das Durchwaten an einer Furt oder die Benutzung von Fähren37 gewesen. Solche Übergangsstellen sind öfters gerade an hervorgehobenen Plätzen erwähnt, die später oftmals von Klöstern oder Königshöfen markiert werden. Für Sachsen wären Herford und Corvey zu nennen, in Franken natürlich der Pfalzort Frankfurt. Warum, so wäre die Quellensammlung weiter zu befragen, wird ausdrücklich der Umstand erwähnt, dass man die Schiffsbrücke bei Regensburg in einem Jahr gebaut hat, in dem Karl der Große keine Feldzüge angesetzt hatte? Vielleicht wegen eines logistischen Problems, das die Kriegszeiten mit sich brachten: Nur im Frieden hatte man genug Schiffe der Binnenflotte zur Verfügung.Vielleicht aber ist in den Quellen doch ein Schlüssel zur Beantwortung der Fragen nach den Brückenschlägen in Kriegszeiten überhaupt gegeben – könnte es nicht so gewesen sein, dass ein Brückenbau Sicherheit, zumindest an einem Ufer, erforderte? Sehen wir genauer hin: Die überlieferten zwei Bauten über die Elbe sind nicht im Kontext der Auseinandersetzungen mit den Sachsen überliefert, sondern stehen im Zusammenhang mit Feldzügen gegen die ostelbischen Slawen, die von den Karolingern immer dann geführt wurden, wenn sie sich in Sachsen nicht gefährdet sahen. Die anderen Nachrichten beziehen sich auf die Donau in einer Zeit nach der Unterwerfung der bayerischen Herzöge oder auf den sicheren Rheinübergang bei Mainz. Von Brücken über die Weser, die Oker, die Hunte, die Hase und wie die 36 Haefele (Hg.): Notker, S. 42. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Notker, S. 369. 37 Vergleiche dazu die breit angelegte Untersuchung anhand von Schriftquellen und Überresten für das Main-Neckar-Gebiet von Lars Kröger: Fähren.

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Gewässer alle heißen, die in den Sachsenkriegen zu überwinden gewesen waren, erfährt man hingegen nichts. Mithin darf gefolgert werden, dass die Franken nur dann Brücken bauten, wenn sie sich in einer sichereren Lage wähnten. Das Regensburger Manöver hingegen war wohl etwas ganz Singuläres – vor allem aus der Sicht der Ingenieure. Denn eine Brücke aus Schiffen ohne eigenen Antrieb erfordert größte technische Mühe, da, wie in der Quelle explizit berichtet, mit Seilen und/oder Ankern jedes einzelne Wasserfahrzeug gegen die Strömung fest verankert werden muss. Dies ist im Prinzip nur auf zwei Weisen machbar: an einem über den Fluss gespannten, die Zugkräfte aushaltenden Seilsystem oder mittels unverrückbarer Anker jedes einzelnen Bootes oberstrom in einem Flussbett, das durch Geröll und Sedimente naturgemäß einen schlechten Halt bieten kann. Verschiebt sich nur ein Wasserfahrzeug, stürzt die Verbindung ein und die Übersetzenden, vielleicht auch der König selbst, fallen ins Wasser des Flusses. Derartige Manöver sind wahrlich nur in Friedenszeiten zu planen und zu erproben. Es ist ebenso aufwendig und vom Scheitern bedroht wie ein Kanal mit Höhenunterschied zwischen zwei Flussläufen. Selbst wenn man daher annehmen will, dass Brückenschläge und andere auf die Flusssysteme des Reiches bezogene Maßnahmen eher eine Seltenheit darstellten, so bleiben doch weitere Fragen offen, die die zahlreich nachweisbaren Anlagen weltlicher und kirchlicher Infrastruktur sowie deren Ausbau in Sachsen betreffen. Wer beispielsweise errichtete während der Sachsenkriege noch vor dem Jahr 800 die ersten Klöster, wer befestigte die Burgen und die Pfalz in Paderborn? Eine überschlägige Berechnung der steinernen, beziehungsweise aus Holz und Steinen errichten Großbauten im Frankenreich der gesamten Karolingerzeit anhand der zeitgenössischen Quellen ergäbe nach Dieter Hägermann eine Zahl von »rund 300 Kathedralen, 1.200 Klöstern und 30 Königspfalzen«.38 Nicht wenige von diesen stammten ja zumindest in ihren Anfängen aus der Zeit Karl des Großen und zahlreiche lagen in Sachsen. Die naheliegende Frage lautet, staunend im Sinne des lesenden Arbeiters Bertold Brechts formuliert: »Wie hat Karl das alles gemacht?« Vielleicht gibt auch hier eine Quelle Antwort auf die Frage, denn Notker berichtet in seinen Gesta Karoli (II/17), dass Karl während des Krieges gegen die Langobarden Folgendes gesagt und getan haben soll: ›Wir wollen heute etwas Denkwürdiges tun, damit man uns nicht vorwirft, wir hätten die Tage mit Nichtstun verbracht. Wir wollen uns beeilen und ein kleines Bethaus errichten, […]‹. Und als er das gesagt hatte, liefen sie nach allen Seiten auseinander, schafften die einen Kalk und Steine, die anderen Holz und Farbe herbei und trugen es den Handwerkern zu, die ihn immer begleiteten. Diese erstellten von der vierten Stunde des Tages 38 Hägermann: Technik, S. 441. Vgl. Hirschmann: Stadtplanung.

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an noch vor der zwölften eine Kirche mit Mauern und Dächern, Decken und Malereien, unter Mitwirkung der Jungmannschaft und der Krieger [»auxiliante tyronum manum militumque«], dass seitdem jedermann, der sie sieht, glaubt, ihre Erbauung sei nur im Laufe eines ganzen Jahres möglich gewesen.39

Deutlich wird neben aller anzunehmenden Schwärmerei bei den Zeitangaben über den Bau, dass Karls Heer genügend Spezialisten und helfende Kohorten hatte, um mitten in einem Kriegszug eben auch eine Kirche zu errichten. Diese Ingenieurstruppe wurde durch Karls Anweisungen aus den vorhandenen Fachleuten in seinem Reich gebildet und in den koordinierten Einsatz zu Neubauten und Bestandserhaltung geschickt. So waren offenbar Bauleute aus ›ganz Europa‹, also aus dem ganzen Frankenreich, an der Errichtung der eindrucksvollen Mainzer Rheinbrücke beteiligt. Auch innerhalb des Reiches sorgte Karl für den Transfer und die fürsorgliche Aufnahme von spezialisierten Bautrupps, wo immer sie benötigt wurden, wie uns gleichfalls Notker berichtet. In der schon erwähnten Würzburger Chronik des Lorenz Fries ist die Erinnerung auch daran bewahrt, wenn einige Sachsen dargestellt werden, die bei ihrer Neuansiedlung in Franken Holzbauten errichten.40 Und Kleingeister des 9. Jahrhunderts waren es, die solcherart Werke zerstörten, weil sie am eigenen billigen Profit mehr interessiert waren als an gesamtfränkischen – europäischen! – Bauvorhaben. Karl der Große sorgte also mit weitreichenden Anordnungen für die zügige Errichtung einer Infrastruktur nach seinen Vorstellungen. Dies ist ein wichtiger Bestandteil der r e n o v a t i o wie der i n t e g r a t i o , der oftmals von der mediävistischen Forschung übersehen wird, weil er nur Bestandteil, nur ein erster Schritt hin zum Erscheinungsbild des prächtigen Frankenreiches unter Karl dem Großen gewesen ist. Aber er ist eben der Beitrag der Ingenieure gewesen. Sie erbrachten ihre Leistungen ausgehend von zunächst militärischen Notwendigkeiten während der fränkischen Expansion und halfen dann, die Integrationsphase zur vollen Blüte zu bringen. Der Zusammenhang von militärischen Fähigkeiten und zivilisatorischen Maßnahmen erscheint nur auf den ersten Blick paradox. Denn umgekehrt ist oft zu beobachten, dass, wie Michael Mitterauer konstatierte, wegen der äußeren Bedrohungen des Frankenreiches von Südwesten durch die Araber, von Norden durch die Wikinger und von Osten durch die Ungarn, eine Tendenz hin zur Militarisierung aller Lebensbereiche ab dem 9. und 10. Jahrhundert einsetzte.41 Eine Beobachtung, die bereits Marc Bloch zu 39 Haefele (Hg.): Notker, S. 84f. Deutsche Übersetzung: Rau (Hg.): Notker, S. 415/417. 40 Universitätsbibliothek Würzburg: Sign. M.ch.f. 760: Lorenz Fries: Chronik der Bischöfe von Würzburg (Kopie für Fürstbischof Julius Echter), S. 22 V, URL: http://franconica.uni-wuerz burg.de/ub/fries/pages/fries/106.html (29. 03. 2023). 41 Mitterauer: Warum Europa?, S. 211.

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einem früheren Zeitpunkt mit den Fragen nach den Zusammenhängen und Wechselwirkungen verknüpft und somit auch den Grund gelegt hat für die Studien unserer Tage.42

Schluss und Ausblick: Wissenserzeugung »›Die Erde aber war wüst und leer‹ – gewesen« , mögen also die fränkischen Ingenieure, einem Beruf, dem bis heute bekanntlich »nichts ist zu schwere«, dem Bibelvers im Stillen angefügt haben, als sie im 9. Jahrhundert über Sachsen nachdachten, das nunmehr so weit erschlossen war, dass die historiografischen wie urkundlichen Quellen kleinteilige Landschaftsnamen und zahlreiche Ortsangaben überliefern konnten. Diese Franken unterschieden sich damit von ihren Vorgängern zu Beginn der Sachsenkriege. Im Sinne der fränkischen Leistungen auf dem Gebiet der Agrikultur, die eingangs mit Michael Mitterauer hervorgehoben wurden, mag nun das nur einmal und später überlieferte Bonmot terra autem erat inanis et vacca43 (Die Welt war wüst und eine Kuh) zur Geltung gekommen sein. Um aus dem hier nur ansatzweise ausgebreiteten Stoff ein größeres Thema zu weben, wäre ein erfolgversprechender Ansatz die Frage nach der Generierung von Wissen.44 Am Frankfurter Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie ist ein Schwerpunkt der Forschungen der Abteilung »Historische Normativitätsregime« unter der Leitung von Thomas Duve das »Normativitätserzeugungswissen«.45 Darunter wird die Frage nach den Umständen und den beteiligten Individuen oder Gruppen verstanden, die – im weitesten Sinne – Normen entwickeln und durchsetzen sowie den Voraussetzungen für deren erfolgreiches Handeln (oder Scheitern). Unter Normen werden dabei nicht nur Gesetze und Recht verstanden, sondern auch Regeln für das Handeln in allen Lebensbereichen, von Religion bis zu alltäglichen Praktiken.46 Im auf das Mittelalter ausgerichteten Forschungsfeld wird neben anderen dieser Ansatz so umgesetzt, dass unter der Fragestellung nach den Zusammenhängen von Recht und Mission untersucht wird, wenn einzelne Menschen beginnen, andere von ihren Vorstellungen zu überzeugen und sich überdies auf den Weg machen, ihr Wissen in die Welt zu tragen. Das wirft die Frage nach den Beweggründen auf, 42 43 44 45 46

Bloch: Feudalgesellschaft, S. 31–70. Als Parodie auf den Text der Genesis. Schmale (Hg.): Brunos Buch, cap. 15, S. 210/211. Im Sinne unter anderem der Überlegungen von Steckel: Wissensgeschichten. Duve: Rechtsgeschichte. Siehe dazu URL: https://www.lhlt.mpg.de/abteilung2 (23. 03. 2023). Diese Methode, Praktiken sowie Normen und Recht breit gefächert einzubeziehen, liegt der jüngst erschienenen Studie über die Möglichkeiten der Veränderungen innerhalb eines Sets von Regelungsvorgaben durch Cass R. Sunstein: Change, zugrunde.

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warum fühlen sich manche Menschen zur Mission bei anderen berufen? Für das Individuum mag diese Frage, zumal für so ferne Zeiten wie das erste Jahrtausend, kaum zu beantworten sein. Gerade die individuelle Vergangenheit von Menschen einer sich im Laufe der Überlieferung mehr und mehr kollektivierenden Historie im Referenzrahmen von Erinnerung und Vergessen können wir heute nicht mehr erfassen.47 Auch dies ist in letzter methodischer Konsequenz ein Quellenproblem, denn die (notwendige) Analyse der aufgetretenen Interaktionen anhand allein schriftlicher Zeugnisse genügt nicht, um zu rekonstruieren, wie es eigentlich gewesen war. Harry Collins fächert verschiedene Modelle der Interaktion auf: das transferierende, das Gegenstands- oder Sprachgrenzen berührende sowie das multidisziplinäre als Gegensatz zum interdisziplinären und schließlich das vermittelnde Modell.48 Man muss also alle zur Verfügung stehenden Quellengruppen aus den klassischen Kategorien der Traditionen und Überreste berücksichtigen, um sowohl die Wissenserzeugung als auch den Wissenstransfer als historische Prozesse erfassen zu können. Das oben angeführte Beispiel vom Hausbau aus Holz oder aus Stein ist ein gutes Beispiel für eine derartige Fragestellung, denn hier greifen verschiedene Prozesse Hand in Hand oder überlappen sich: Die militärischen und missionierenden Aktionen während der Sachsenkriege, die Konfrontation zweier Kulturen – oder gar mehrerer auf sächsischer Seite – führten zu einer dauerhaften Integration in das fränkische Reich bis zum Königtum der ottonischen Sachsen und über die Zeiten hinweg. Die Christianisierung bedeutete einen Kulturtransfer mit etwa der Einführung des Steinbaues ebenso wie der Übernahme der lateinischen Sprache und der Schrift. Schließlich bot die Organisation des Raumes nach weltlichen und kirchlichen Kriterien den sächsischen Eliten die Chance einer Beteiligung an der Herrschaftsausübung. Das alles führte zu wechselseitigen Translationsprozessen, eben auch von den Sachsen auf die Franken, auf vielen Ebenen der Kultur der Karolingerzeit. Für die Erforschung dieser, wie vergleichbarer Entwicklungen, ist ein interdisziplinärer Ansatz erforderlich, bei dem die Landesgeschichte mit ihren etablierten Methoden des Kulturvergleiches eine zentrale Rolle spielt.

47 Luhmann: Soziale Systeme, S. 229, stellt fest: »Faktisch ist denn auch eine Handlung nie voll durch die Vergangenheit des Einzelmenschen determiniert. Zahlreiche Untersuchungen haben die Grenzen der Möglichkeit psychologischer Handlungserklärung aufgedeckt. Zumeist dominiert […] die Situation die Handlungsauswahl«. Inzwischen überholt ist die einst beliebte Methodik des sogenannten »Behaviorismus«, siehe dazu Danto: Analytische Philosophie, S. 407–418. Allein schon die Ergebnisse der Epigenetik, dass sich das menschliche Erbgut auch spontan und situativ verändern kann, zeigen auf, dass es eine diachrone Unveränderbarkeit des Menschseins nicht geben kann, vgl. Moore: Developing Genome. 48 Collins: Notion, S. 256.

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Bibliografie Archivalische Quellen Universitätsbibliothek Würzburg: Sign. M.ch.f. 760: Fries Lorenz: Chronik der Bischöfe von Würzburg.

Gedruckte Quellen Haefele Hans F. (Hg.): Notker der Stammler, Taten Kaiser Karls des Großen (Notkeri Balbuli Gesta Karoli Magni imperatoris), in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum. Nova Series, 12. 1959 (verbesserter Nachdruck 1980, S. 1–93). Holder-Egger Oswald (Hg.): Einhardi Vita Karoli Magni, in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum. 1911 (Nachdruck 1965, S. 1–41). Kurze Friedrich (Hg.): Annales regni Francorum inde ab a. 741 usque ad a. 829, qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi, ad a. 806, in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi. 1895 (Nachdruck 1950, S. 1–178). Rau Reinhold (Hg.): Die Reichsannalen mit Zusätzen aus den sog. Einhardsannalen, in: Rau Reinhold (Hg.): Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, 1. 1974, S. 10–155. Rau Reinhold (Hg.): Einhard, Das Leben Karls des Großen, in: Rau Reinhold (Hg.): Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, 1. 1974, S. 163–211. Rau Reinhold (Hg.): Notker, Taten Karls, in: Rau Reinhold (Hg.): Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, 3. 1969, S. 322–425. Schmale Franz-Josef (Hg.): Brunos Buch vom Sachsenkrieg, in: Schmale Franz-Josef (Hg.): Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. 1974, S. 191–405. Wagner Ulrich / Ziegler Walter (Hg.): Lorenz Fries. Die Chronik der Bischöfe von Würzburg 742 bis 1495, in: Fontes Herbipolenses, 1–6. 1992–2004.

Literatur Assmann Jan: Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne. 2018. Bachrach Bernard S. / Bachrach David: Warfare in Medieval Europe, c. 400 – c. 1453. 2017. Bachrach Bernard S.: Armies and Politics in the Early Medieval West. 1993. Bachrach Bernard S.: Early Carolingian Warfare. Prelude to Empire. 2001. Bachrach Bernard S.: Warfare and Military Organization in Pre-crusade Europe. 2002. Bachrach David S.: Religion and the Conduct of War, c. 300–1215. 2003. Bellah Robert N. / Joas Hans (Hg.): The Axial Age and Its Consequences. 2012. Binding Günter: Bautechnik, Steinbau, Kathedralbau, in: Lindren Uta (Hg.): Europäische Technik im Mittelalter (800 bis 1400). Tradition und Innovation. Ein Handbuch. ²1997, S. 73–76.

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Caspar Ehlers

Binding Günter: Holzbau, Geräte, in: Lindren Uta (Hg.): Europäische Technik im Mittelalter (800 bis 1400). Tradition und Innovation. Ein Handbuch. ²1997, S. 77–80. Binding Günter: Holzbau, in: Lindren Uta (Hg.): Europäische Technik im Mittelalter (800 bis 1400). Tradition und Innovation. Ein Handbuch. ²1997, S. 81–85. Bloch Marc: Die Feudalgesellschaft. 22019. Borgolte Michael: Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr. 2006. Borgolte Michael: Die Welten des Mittelalters. Globalgeschichte eines Jahrtausends. 2022. Brather Sebastian: Ethnische Identitäten als Konstrukte der frühgeschichtlichen Archäologie, in: Germania, 78. 2000, S. 139–171. Brather-Walter Susanne (Hg.): Archaeology, History and Biosciences. 2019. Collins Harry: The Notion of Incommensurability, in: Blum Alexander / Gavroglu Kostas / Joas Christian / Renn Jürgen (Hg.): Shifting Paradigms. Thomas S. Kuhn and the History of Science. 2016, S. 253–258. Csáky Moritz: Das Gedächtnis Zentraleuropas. Kulturelle und literarische Projektionen auf eine Region. 2019. Danto Arthur C.: Analytische Philosophie der Geschichte. 1980 (Das englische Original erschien 1965: Analytical Philosophy of History). Duve Thomas: Rechtsgeschichte als Geschichte von Normativitätswissen?, in: Rechtsgeschichte – Legal History (Rg), 29. 2021, S. 41–68. Ehlers Caspar: Die Integration Sachsens in das fränkische Reich (751–1024). 2007. Ehlers Caspar: Rechtsräume. Ordnungsmuster im Europa des frühen Mittelalters. 2016. François Étienne / Serrier Thomas (Hg.): Europa. Die Gegenwart unserer Geschichte, 1–3, 2019. Fried Johannes: Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024. 1994. Galor Oded: The Journey of Humanity. Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende. Über die Entstehung von Wohlstand und Ungleichheit. 2022. Hägermann Dieter: Technik im frühen Mittelalter zwischen 500 und 1000, in: Hägermann Dieter / Schneider Helmuth: Landbau und Handwerk (750–1000 n. Chr.). 1997. Heinrich-Tamaska Orsolya / Krohn Niklot / Ristow Sebastian (Hg.): Christianisierung Europas. Entstehung, Entwicklung und Konsolidierung im archäologischen Befund. 2012. Hirschmann Frank G.: Brückenbauten des 12. Jahrhunderts »ad comunem utilitatem«, in: Hirschmann Frank G. / Mentgen Gerd: »Campana pulsante convocati«. Festschrift anläßlich der Emeritierung von Prof. Dr. Alfred Haverkamp. 2005, S. 223–255. Hirschmann Frank G.: Stadtplanung, Bauprojekte und Großbaustellen im 10. und 11. Jahrhundert. Vergleichende Studien zu den Kathedralstädten westlich des Rheins. 1998. Hummel Susanne: Ancient DNA Typing. Methods, Strategies and Applications. 2003. Jacobsen Werner: Die Pfalzen Karls des Großen. Revisionen und neue Fragen. 2017. Kikuchi Shigeto: Herrschaft, Delegation und Kommunikation in der Karolingerzeit. Untersuchungen zu den Missi dominici (751–888). 2021. Krause Johannes / Trappe Thomas: Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. 2020. Kröger Lars: Fähren an Main und Neckar. Eine archäologische und historisch-geographische Entwicklungsanalyse mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Verkehrsinfrastruktur. 2022.

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Lindren Uta (Hg.): Europäische Technik im Mittelalter (800 bis 1400). Tradition und Innovation. Ein Handbuch. ²1997. Luhmann Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. 1987. Maschke Erich: Die Brücke im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift, 224. 1977, S. 265–292. McCormick Michael: Origins of the European Economy. Communication and Commerce AD 300–900. 2001. Meier Mischa / Patzold Steffen: Gene und Geschichte. Was Archäogenetik zur Geschichte beitragen kann. 2021. Mitterauer Michael: Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs. 2003. Moore David Scott: The Developing Genome. An Introduction to Behavioral Epigenetics. 2015. Padberg Lutz E. von: Die Christianisierung Europas im Mittelalter. 22009. Parzinger Hermann: Die frühen Völker Eurasiens vom Neolithikum bis zum Mittelalter. 3 2020. Sánchez Pardo José Carlos / Shapland Michael G. (Hg.): Churches and Social Power in Early Medieval Europe. Integrating Archaeological and Historical Approaches. 2015. Scott James C.: Die Mühlen der Zivilisation. Eine Tiefengeschichte der frühesten Staaten. 2019. Shryock Andrew / Smail Daniel Lord (Hg.): Deep History. The Architecture of Past and Present. 2011. Steckel Sita: Wissensgeschichten. Zugänge, Probleme und Potentiale in der Erforschung mittelalterlicher Wissenskulturen, in: Kintzinger Martin / Steckel Sita (Hg.): Akademische Wissenskulturen. Praktiken des Lehrens und Forschens vom Mittelalter bis zur Moderne. 2015, S. 9–58. Stig Sørensen Marie Louise / Rebay-Salisbury Katharina (Hg.): Embodied Knowledge. Historical Perspectives on Technology and Belief. 2012. Sunstein Cass R.: How Change Happens. 2019. Walton Steven A.: Fifty Years of Medieval Technology and Social Change. 2020. Wertheimer Jürgen: Europa. Eine Geschichte seiner Kulturen. 2020. Werther Lukas: Die Reisen Karls des Großen auf dem Main und der Bau der Fossa Carolina, in: Klein-Pfeuffer Margarete / Mergenthaler Markus (Hg.): Frühe Maingeschichte. Archäologie am Fluss. 2017, S. 217–225.

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Heinz-Dieter Heimann

Speyer und St. Blasien im »Vaterland« Germania sacra. Ein mittelaltergeschichtlicher Reparaturversuch zur Stärkung historischer Eigenart an Königsgrablegen und Reliquien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Abstract: Speyer and St. Blasien in the »Fatherland« Germania Sacra: A Medieval Historical Repair Attempt to Strengthen the Historical Uniqueness of Royal Tombs and Relics in the Second Half of the 18th Century This article uses correspondence and publications by ecclesiastical humanities scholars of the 18th century in the cathedral chapter of Speyer and the monastery of St. Blasien to illuminate the upswing in research into the history of regional culture and historical scholarship as a strategy for asserting ecclesiastical autonomy against claims of state integration. At the centre of this lie disputes about the publicity of new knowledge about the dead and about the interpretation of the Habsburg rulers’ tombs. Linked to this, the collection of relics also shows how thinking in terms of salvation history carried a political piety that aimed at the formation of a transnational spiritual community as a »fatherland«. The normative conflict observed here is inscribed in the history of science of the 19th and 20th centuries. Keywords: rulers’ graves; enlightenment; Habsburg; relics; reception of the Middle Ages

I. »Man tat sich schwer in Speyer mit den Königsgrablegen«, – resümiert der hier zu Ehrende in seiner Untersuchung der hoch- und spätmittelalterlichen Speyerer Bistumschronistik und des humanistischen Stadtlobs aus dem frühen 16. Jahrhundert den Erinnerungswert der Herrschergräber im Dom.1 Demnach erfuhren für Speyer, »altera Roma«, die Reliquien der Heiligen2 im geschichtlichen Selbstverständnis eine weitreichendere Bedeutung als die Herrschergruft. Jenes Fazit bietet eine profunde Anregung, den Bedeutungszuschreibungen nachzugehen, die mittelalterliche Grablegen und Reliquien im 18. Jahrhundert in den von verschiedenen Gelehrten und Gruppen reklamierten gegenwartsgeschichtProf. em. Dr. Heinz-Dieter Heimann, Paderborn. 1 Flachenecker: Königsgräber, S. 196. 2 Ehlers: Gegenwart, S. 27f., 36; Kiddikeit et al.: Dom, S. 133–238; Müsegardes: Patrone, S. 331– 348.

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Heinz-Dieter Heimann

lichen Ansprüchen der Erforschung lokaler und regionaler mittelalterlicher Zeugnisse erfuhren. Für Speyer bietet sich das 18. Jahrhundert deshalb besonders an, da im sogenannten Pfälzer Erbfolgekrieg in den Pfingsttagen 1689 französische Soldaten die Stadt samt Dom und dort einzelne Herrschergruften zerstört hatten, was fast einen Traditionsabbruch zur Folge hatte. Der nachfolgende Wiederaufbau der Stadt gilt zwar als Zäsur in der Bevölkerungs- und Siedlungsgeschichte der Stadt.3 Da aber der Wiederaufbau des Doms in eigener Chronologie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts währte, stellt sich hier im entsprechend erweiterten Kontext die Frage nach dem Interesse an dem Wissen um die Herrschergrablege im Dom. Diese Fragestellung reicht hinein in zeittypische verfassungspolitische Konflikte, in denen gerade kirchliche Institutionen auf die sie bedrängenden Integrationsansprüche des frühmodernen Staates reagierten, und ebenso in die Ansprüche aufklärungszeitlichen Herrschafts- und Geschichtsverständnisses vor dem Hintergrund veränderten Totengedenkens. So überrascht es nicht, wenn das österreichische Kaiserhaus die Herrschergruft in Speyer für sich neu entdeckte und je nach Situation auch die Domkapitel sowie auffällig früh Benediktinerkonvente zum Schutz und Bestand ihrer historischen Eigenart aufriefen und dies fachwissenschaftlich sowie konfessionskulturell auswiesen. Vor diesem Hintergrund sei hier der in der beziehungsreichen Geschichte zwischen dem Speyerer Domkapitel und Fürstbischof und dem im Südschwarzwald gelegenen Benediktinerstift St. Blasien der Moment näher ausgeleuchtet, in dem beide Institutionen in verwandten Konstellationen zum Wiederaufbau ihrer zerstörten bzw. abgebrannten Hauptkirche im Wege gegenseitiger Unterstützung ihre kirchlich-kulturellen Beziehung intensivierten. Am Ende fruchteten ihre politisch und diplomatisch vorgetragenen Initiativen zwar ungleich, aber spannender noch als diese ist der dabei von den Akteuren behauptete Umgang mit den Königsgrablegen und Reliquien und das dabei formulierte Geschichtsdenken katholischer Gelehrter. Die Gegenseitigkeit zwischen Speyer und St. Blasien nahm situativ Formen einer Reparatur zur Stärkung ihrer historischen Eigenarten an. Diese galten jeweils der Verfügungsmacht über die Toten in den Herrschergruften und über die spirituelle Schutzkraft ausgesuchter Reliquien, die man wiederum in gegenwarts- wie heilsgeschichtlicher Sinngebung der Kirchen- und Landeskulturgeschichtsforschung als eigene Gemeinschaftsbildung im »Vaterland« Germania sacra reklamierte. Wie konnte es dazu kommen?

3 Hartwich: Bevölkerungsstruktur; Ders.: Speyer, S. 1–115; Doll: Ansichten.

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Speyer und St. Blasien im »Vaterland« Germania sacra

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II. Ähnlich der Epochenschwelle um 1500 im Verhältnis von »Mittelalter« und »Neuzeit« wird dem weiteren 18. Jahrhundert in der Abgrenzung von »Mittelalter« und »Moderne« eine hohe Bedeutung zugewiesen. Jenseits des Wandels in der politischen Ordnung und der ständisch geprägten Gesellschaft stehen dafür ein veränderter Umgang mit dem bis dahin gesammelten Wissen sowie ein gewandeltes Denken verbunden mit neuen, publizistisch organisierten Öffentlichkeiten.4 Die Dynamik des dabei vermittelten Zeitgefühls vor allem legt es nahe, »Aufklärung« als ein wesentliches Kennzeichen der Entwicklung des 18. Jahrhunderts festzuhalten, nicht zuletzt langfristig verbunden mit der Verwissenschaftlichung historischen Denkens und der Historie.5 Jüngere Forschungen zur Geschichte der Historiographie des 17. Jahrhunderts und der Aufklärungszeit konnten die Entwicklung vom spätmittelalterlichen Humanismus zum Historismus des 19. Jahrhunderts differenzieren und so den vormals betonten Gegensatz zwischen Aufklärungsgeschichte und Historismus gruppenspezifisch revidieren. Entsprechende Studien überwanden auch hergebrachte Vorstellungen einer von den Konfessionen im Norden und Süden des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation eng abhängigen Affinität zur Aufklärung selbst. Neu gewichtet und präzisiert wurden darüber Konfessionalisierungsforschungen und wissenschaftsgeschichtlich das Eigengewicht gerade der Ordensgeschichtsforschung und der Netzwerke institutionenspezifisch aufgenommener Kirchengeschichtsforschung im Anspruch »katholischer Aufklärung«.6 Die damit gekennzeichnete Eigenartigkeit der Geschichtsschreibung in den verschiedenen religiösen Ordensgemeinschaften korrigierte manche Einseitigkeiten in der Forschungspraxis zur Geschichte der Frühen Neuzeit und bestärkte Anstrengungen, die Reichweiten der Geltungsanstrengungen einzelner religiöser Gemeinschaften intensiver in den Blick zu nehmen.7 Den historiographischen Aufschwung zu Beginn des 18. Jahrhunderts trugen indes traditionsbewusst und innovativ Gelehrte aus den Reihen der Benediktiner. »Unter allen Wissenschaften fand keine so liebevolle Pflege durch die Mönche wie eben die Geschichtsschreibung«, bemerkte vor Jahrzehnten P. Philibert Schmitz in der deutschen Übersetzung seiner Geschichte des Benediktinerordens.8 Diese Bewertung gilt insbesondere der methodisch am Vorbild der französischen Mauriner geschulten Historiographie gelehrter Benediktiner in 4 Oexle: Mittelalterforschung, S. 227–253; Jaser: Alteuropa; Heimann: Mittelalter, S. 3–15. 5 Müller: Aufklärung; Fillafer: Aufklärung; Jaumann: Gelehrtenkultur; Engelhard: Kontinuität, S. 23–39; Braun: Mönchskritik, S. 214–222. 6 Hartmann: Kulturgeschichte; Thiessen: Ambiguität. 7 Schlageter: Barocktheologie; Heimann: Franziskanerprovinz; Heimann: Im Banne, S. 213–232. 8 Schmitz: Benediktiner, 2, S. 143.

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Süd- und Südwestdeutschland, die in Editionen und Darstellungen zur mittelalterlichen Geschichte einzelner Institutionen, gern von Bistümern, oder der Kulturgeschichte von Landschaften hervortraten.9 Hieran zeigt sich, wie Klöster als »wichtige Träger der katholischen Kultur in der frühen Neuzeit«10 wirken konnten und wie diese Entfaltung katholischer Intellektualität einem strukturellen Wandel folgte, als mit Formierung des frühmodernen Staates der politische Zugriff auf die Kirche deren Geschichtsverständnis »in eine zunehmende Ineinssetzung von kirchlicher und herrschaftlich-staatlicher Geschichte« führte.11 Dabei war dieser auffällige Aufschwung in der Ordens- und Kirchengeschichtsschreibung, der in den methodischen Vorarbeiten der Mauristen um Jean Mabillon (1632–1707) gründete, mit einer Steigerung landschaftlich oder regional ausgerichteter Geschichtsforschung im Ausweis jeweiliger volks-, kultur-, frömmigkeits- und sakralgeschichtlicher Eigenarten verbunden.12 Zu den früh herausragenden Beispielen dieser Art der Historiographie gehören die Arbeiten von Johann Georg von Eckhardt (1664–1730), der sich auch mit der Geschichte der Habsburger befasste, aber – verbunden mit den Studien des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1649–1716) – nach intensiver Quellenforschung zur Erweiterung der Landesgeschichte in Würzburg 1729 die Commentarii de Rebus Franciae Orientalis Et Episcopatus Wirceburgensis vorlegte. Diesem Werk fehlt es zwar an innerer Stringenz, doch es erwies sich als ein Fundament in der Erforschung der Geschichte des Hochstifts Würzburg.13 Mit noch breiterem Erfassungsanspruch gelang dem in Straßburg als Professor für Geschichte wirkenden Johann Daniel Schöpflin (1694–1771), der darüber auch in engem Kontakt zur Akademie in Mannheim und dem kurpfälzischen Hof stand, eine fast schon ganzheitliche Kulturgeschichtliche des Elsass, eine zweibändige Alsatia illustrata (1751), zu er auch eine Alsatia Sacra und Alsatia Litterata plante.14 Gerade weil seitdem die Landesgeschichtsforschung am Oberrhein und am Main im Erkenntnisfortschritt der Geschichtswissenschaft ihr Selbstverständnis fortgeschrieben hat, bestechen die wissenschaftlichen Arbeiten des hier zu Ehrenden, Inhaber des Lehrstuhls für fränkische Landesgeschichte an der Univer9 Lehner: Aufklärung; Benz: Tradition; Wallnig et al.: Geschichtskulturen; Löffler et al.: Netzwerke; Sohn: Benediktiner; Röcklein: Germania. 10 Hartmann: Klöster, S. 243–255. 11 Flachenecker: Kirchengeschichtsschreibung, S. 42. 12 Bihrer: Erfindung, S. 9–40; Hurel: Histoire, S. 41–52. 13 Wallnig: Eckhardt, S. 189–210; Merzbacher: Franconiae, S. 515–552. 14 Der Geistliche Rat, Bibliothekar und als Professor an der Universität Würzburg Geschichte lehrende Michael Ignaz Schmidt nahm diese landesgeschichtlichen Arbeiten sowie auch die Würzburger und Speyerer Chronistik in seine Geschichtsdarstellung auf. Schmidt: Geschichte, 3, S. 343f.; Voss: Schöpflin, S. 281–321; Voss: Elsaß, S. 334–364; Schmid: Terra, S. 21– 43; Flachenecker: Kirchengeschichtsschreibung, S. 43–47; Tremp: Mabillon, S. 79–98.

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sität Würzburg, mit einem Profil, das – zentriert im Raum der Germania sacra und bisweilen transatlantisch ausgerichtet – quellenorientiert die produktive Verbindung von landes- und landeskulturgeschichtlicher sowie kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlicher Forschung hervorhebt. Sein Erkenntnisinteresse führte ihn immer wieder zur Geschichte der Benediktiner, gelegentlich auch zu der der Bettelorden, durchgängig zu Fragen nach den Aussageabsichten der Verehrung einzelner Heiliger und nach deren gemeinschaftsbildender Bedeutung, sei es für einzelne kirchliche Institutionen, sei es für das Glaubensleben Geistlicher, Ordensleute und Laien.15 Da die von dem hier zu Ehrenden selbst immer wieder erschlossenen kirchlich-soziale Beziehungsgeschichten auch einer Reparatur im Sinne verstärkter Geltungsanstrengungen mittelalterlicher historischer Eigenart gleichen, sei hier in verwandter Weise im späten 18. Jahrhundert den speziellen Verbindungen zwischen dem Benediktinerstift St. Blasien und dem Domkapitel sowie den Fürstbischöfen von Speyer nachgegangen. Beide Seiten wurden ähnlich durch den staatskirchenpolitischen Wandel herausgefordert, an beiden Orten waren der Wieder- bzw. Neuaufbau von Kirchengebäuden bzw. Residenzen zu leisten und beide Institutionen suchten im Wege symbolischer Kommunikation über die Geltung der Herrschergruften und Reliquien in vernetzter Selbstbehauptung wechselseitig Beistand.

III. Nach den Zerstörungen der Stadt und des Doms von 1689 ging das Wissen um die Grablegen im Königschor in Speyer offenbar rasch verloren. Bildliche Erinnerungen an die mittelalterlichen Denkmäler boten allein Kupferstiche in dem 1668 von Johann Jacob Fugger und Sigmund von Birken neu herausgebrachten Spiegel der Ehren des Höchstlöblichen Kayser- und Königlichen Erzhauses Oesterreich sowie die sogenannte Chigi-Zeichnung in der Bibliotheca Vaticana in Rom. Der Wiederaufbau des Doms zog sich auch bedingt durch die Rivalität zwischen dem Domkapitel und dem jeweiligen Fürstbischof um die dazu erforderlichen Baugelder hin. Nach der Zerstörung hatte man erst um 1700 mit den Aufräumarbeiten im Dom auch den Schutt beseitigt, dabei den Boden über den teils zerstörten und auch unentdeckt gebliebenen Gruften im Königschor eingeebnet und sie ohne weitere Kennzeichnung mit Platten abgedeckt.16 15 Kaufmann et al.: Männerklöster; Flachenecker: Mauritius, S. 21–40; Ders.: Identitätsstiftung, S. 385–395; Ders.: Bischöfe, S. 194–214; Ders.: Bonifatius, S. 150–160. 16 Kuhbacher: Dom, Nr. 1390, 1392; Müller et al.: Speyer; Lamm: Hochstift, S. 237–239; Kiddikeit et. al: Dom, S. 148–150.

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Ungleich dessen interessierte sich das Kaiserhaus in Wien aus eigenem Sinn für die Grablegen der Habsburger im Dom zu Speyer. Vor dem Hintergrund der militärischen Erfolge auf dem Balkan und damit des Aufstiegs Österreichs zur Großmacht steigerte sowohl Kaiser Leopold I. (1640–1705, Ks. seit 1658) als auch dessen Nachfolger Kaiser Karls VI. (1685–1740, Ks. seit 1711) im Zeichen der Pietas Austriaca das Selbstverständnis der kaiserlichen Abstammung in repräsentativen Bauwerken und Zeichen symbolischer Kommunikation.17 Eine erweiterte Bedeutung kam dabei den Grablegen nicht mehr allein in den Kirchen zu. Mit dem aufklärungszeitlich neuen Verständnis für die Natur und Geschichte gerieten tradierte Formen der Bestattungs- und die Friedhofkultur unter Druck. Der herkömmliche Platz der Toten bei den Lebenden war neu auszuhandeln.18 Deshalb ließ Kaiser Karl VI. auch durch den Benediktiner Marquard Herrgott (1694–1762)19 als kaiserlich bestelltem Historiographen die Geschichte der Habsburger nach den historischen Quellen neu erarbeiten und publizieren. In diesem Zusammenhang erkundigte sich der Kaiser durch einen Beauftragten 1739 auch nach dem Zustand der Gräber der habsburgischen Ahnen im Speyerer Dom und erreichte, dass man dort eine Graböffnung unter Beteiligung verschiedener Zeugen vornahm. Dies aber geschah mit Zustimmung allein des Domkapitels. Aber obwohl man 1739 bei dieser Grabung einzelne mittelalterliche Gruften entdeckte, musste diese Grabung auf Weisung von Kardinal Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn (1684–1746, Kardinal ab 1715, Bischof von Speyer ab 1719, Bischof von Konstanz ab 1740) beendet werden. Diese bischöfliche Weisung markiert die Behauptung der in der Liturgie und Stiftung begründeten nicht allein religiösen Verantwortung der Kirche für die Obhut über die im Dom bestatteten Könige gegenüber Verfügungsinteressen des Kaisers daran. Die Weisung zeigt also einen normativen Konflikt an und sie verweist eigens auf die Wucht des Wandels in der Bestattungskultur jener Zeit. In weiterer Folge unterblieben auch jegliche Grabungen im Domchor bis ins späte 19. Jahrhundert. Erst jetzt und auf Betreiben von Dr. Johann Praun, Gymnasialprofessor in Speyer, München und Amberg, erfolgte eine aus politischen und fachwissenschaftlichen Umständen merkwürdig aktualisierte Grabung und Öffnung der Gräber, die man – in bezeichnender Weise für die Handlungsabsicht – als »Forderung der Pietät und Gewissenspflicht« bewertete.20 17 18 19 20

Lauro: Grabstätten; Kovàcs: Apotheose, S. 53–78. Brademann et al.: Leben; Dogerloh: Strategien. Moraw: Kaiser; Ortner: Herrgott. Auch unter Kardinal Fürstbischof Franz Christoph von Hutten (1743–1770) machte der Wiederaufbau des Doms keine wesentlichen Fortschritte. Als der Trierer Kurfürst und Speyerer Domdekan Georg Franz von Schönborn (1729–1756) weitere Finanzmittel stiftete, führte das zu intensivierten Sicherungs- und Instandsetzungsarbeiten des Doms. Ab 1751 waren prominente Architekten, darunter Balthasar Neumann, als Gutachter für den Dombau

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Zwar blieben nach 1739 die Gräber im Königschor auf lange Zeit verschlossen, doch die Neugierde nach dem Wissen aus jener Grabung ließ sich tatsächlich so nicht aufhalten. 1749/1751 veröffentlichten gleich zwei Speyerer Honoratioren in verschiedenen Publikationen selbstbezeugend dieses Wissen. Sie waren Augenzeugen der Grabung gewesen: E. C. Baur historische Nachricht von dem kaiserl. Begräbnisse in der Domkirche zu Speier, und Georg Litzel, Gymnasialprofessor in Speyer, titelte seine Veröffentlichung Historische Beschreibung der Kaiserlichen Begraebniß In der des Heil. Reichs Freyen und Kaiserlichen Begraebniß-Stadt […] Allen Verehrern der kaiserlichen Asche, und den Liebhabern der alten und neuen deut // schen Geschichte aus glaubwürdigen Documen // ten und selbst eigener Einsicht an das Licht gestellet.21 Unabhängig voneinander schildern sie aus persönlicher Sicht die physische Geschichte der entdeckten Grablegen, Fundumstände und Zustände einzelner Gebeine und deren historisch-genealogische Zusammenhänge. Um Gewissheit über die Gesamtheit der Gruften zu erlangen, fordert Baur abschließend in seiner Veröffentlichung dazu auf, den »ganzen bezirk des königschores nach seiner weite und tiefe um(zu)graben«. Litzel argumentierte noch deutlicher in aufklärungszeitlicher Denkweise gegen den verbreiteten Aberglauben, gegen »Hirngespinste« im Umgang mit Toten und Gebeinen. Er verwies auf eigene Grabfunde auch antiker Körper im Speyerer Umland und auf sein naturwissenschaftlich und historisch geleitetes Interesse an den Gebeinen und deren Verwahren. Ferner rief er dazu auf, im Dom künftig öffentliche Tafeln mit den Namen der hier ruhenden Herrscherinnen und Herrscher anzubringen, auch um so eine historisch abgeleitete Pietät zu vermitteln. In beiden Publikationen haben die Autoren keinen Platz für die Reliquien und für die Tradition und Geltung katholischer Memoria. Sie zeigten sich als Vermittler der Bedeutung der mittelalterlichen Reichs- und Herrschergeschichte für die Stadt und den Dom. So warben sie für mehr Öffentlichkeit der Herrschergruft im Dom und aus reichspatriotischem Selbstwertgefühl für Speyer als »Begraebniß-Stadt«.22 Erst 20 Jahre später kam nach 1770 mit erneuten Initiativen des Domkapitels und des Fürstbischofs wieder Bewegung in die eigentliche Reparaturgeschichte tätig. Der Bau selbst aber verzögerte sich weiter wegen der Uneinigkeit zwischen Domkapitel und Fürstbischof um den geeigneten Architekten; Praun: Kaisergräber, S. 416–424; Kaufmann: Rudolf, S. 34f. 21 Bauer: Domkirche; Litzel: Begraebniß; Meier: Archäologie. 22 Neben diesen Veröffentlichungen aus Speyer erfuhr das historische Wissen um Zeugnisse und Grablegen der Habsburger um 1750 und bis in die 1780er Jahre durch eindrucksvolle Publikationen sanblasianischer Benediktiner eine größere Öffentlichkeit: Herrgott: Genealogia; Ders.: Monumenta; Ders. et al.: Taphographia; Müller: Geschichtsschreibung, 1, S. 101– 126 und 2, S. 133–141; Hilger: Gelehrte, S. 159–175. Die Zuschreibung Speyers als »Begräbnisstadt« wurde seit dem 19. Jh. mit der Instrumentalisierung mittelalterlicher Herrschergeschichte als »Reichstotenstadt« ideologisch auch missbraucht.

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des Doms und der zu erneuernden Herrschergruft. Auch hier griff man informell auf die Grabung von 1739 zurück, doch setzte man dieses Wissen in Speyer nun taktisch-diplomatisch dazu ein, um darüber das Kaiserhaus um Finanzhilfen zum Wiederaufbau des Doms und die Wiederherstellung der Herrschergruften zu gewinnen. Deshalb fertigte man im Domkapitel ein in den Verhandlungsunterlagen als Pro memoria bezeichnetes Papier über die Umstände der Grabung von 1739 an. Man argumentierte gegenüber dem Kaiserhaus gegen das Vergessen der Herrschergruften und deshalb auch für eine erneute Erkundung, die 1739 aus Mangel an genugsamen Unterrichts nur obenhin geschehen. Dermalen aber finden sich Männer, welche im Stand sind, darüber nähere Erläuterung zu geben. Und das man wirklich im Begriff ist, die […] in ihrem Schutt darnieder liegende Domkirche wieder aufzubauen, so wäre dies die erwünschte Gelegenheit, sothane kaißerliche Denkmal zu prüfen und die Gräber so wie sie vor dem Brand gewesen sind, wieder herstellen zu lassen. Bey der Nachkomenschaft würde es ohnverantwortlich seyn, wenn man länger damit an sich halten, und diesen verehrungswürdigsten Gegenstand der gäntzlichen Vergessenheit aussetzen wolte. Es ist sicher für das Duchlauchtigste Erzhauß Oesterreich so wichtig, […] sich der Sache anzunehmen und dadurch seinen selbst eigenen und seiner durchlauchtigsten Vorvordern Ruhm zu verewigen.23

Als Partner für eine Politik, die sich gegen das Vergessen dynastischer Tradition richtete, bot sich für die Speyerer Domkapitulare in diesem Moment reichsweit kein prominenterer Mitstreiter an als Martin II. Gerbert (1720–1793), Fürstabt des Reichsstifts St. Blasien,24 hoch vernetzt arbeitender geistlicher Landesherr und der kaiserlichen Familie eng verbundener, dabei selbstbewusst agierender Diplomat, profilierter Ordenstheologe und frömmigkeitskulturell wirkender Kirchen- und Landeskulturhistoriker.25 Begleitet von Vorankündigungen in »öffentlichen Zeitungen« war es dem Fürstabt im November 1770 gelungen, die Gebeine von 13 älteren Mitgliedern der Habsburgerdynastie aus der Schweiz in die Stiftskirche von St. Blasien als neuer zentraler Herrschergruft zu überführen und neu beizusetzen.26 Zusammen mit Franz Kreutter sorgte Martin Gerbert dafür, in einem noch 1770 in St. Blasien gedruckten 38-seitigen Bändchen diese Feyerliche Uebersetzung der kaiserlichköniglich- auch herzoglich-oesterreichischen höchsten Leichen aus ihren Grabstätten Basel und Königsfelden in der Schweiz nach dem fürstlichen Stift St. Blasien 23 Stiftsarchiv St. Paul im Lavanttal: 174 /2 (III 255f.); P. Dr. Gerfried Sitar OSB und Mg. Martina Graf danke ich für Archivrecherche; Ammerich: Grablege, S. 197–204. 24 St. Blasien, 1–2. 25 Stein: Herkunft, S. 111–127; Müller: Gerbert, S. 127–134; Deissler: Theologe, S. 134–146; Braun: Fürstabt, S. 10–36. 26 Pfeilschifter: Korrespondenz, 1, Nr. 236, S. 439; Gut: Memorialorte, S. 95–113; Enderlein: Umbettungen, S. 340–347.

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[…] publik zu machen.27 Darauf bezog man sich in Speyer in einem Anschreiben an den Fürstabt und bat ihn in eigener und gemeinsamer Sache sozusagen um Hilfe bei dieser Reparatur. Am 20. März 1772 wandte sich Domdechant Franz von Hutten mit der Bitte an Martin Gerbert um Beistand, wobei er einleitend die Gemeinsamkeit beider Institutionen für die Herrschergrablegen der Habsburger anführt: »Ein Vorzug, welcher […] nur gewissen erhabenen Gotteshäusern vorbehalten ist. Unter diese hat die hiesige hohe Domkirche die Ehre gezählet zu werden, maßen teils aus der Geschichte bekannt, teils aber mit diplomatischen Archivs-Urkunden zu bewähren ist, daß in solcher 12 allerhöchste kaiserliche Personen, und darunter sonderheitlich Rudolphus I habsburgicus und dessen Sohn Albrecht I nach und nach zur Erde bestattet worden seien«.28 Da 1689 in Speyer die »Grabstätten mit ihren Aufschriften« zerstört worden seien und das Domkapitel nun den Wiederaufbau des Doms betreibe, verhandele man mit dem Erzhaus Österreich – im Verweis auf jene Pro memoria-Schrift – »wie es bei der Nachkommenschaft nicht wohl zu verantworten wäre, wenn man nicht zu gleicher Zeit an die Wiederherstellung dieser kaiserlichen Begräbnisse durch thätige Beihilfe gedenken wollte«.29 In diesen laufenden Verhandlungen bittet man den Fürstabt mit dieser Begründung um Unterstützung: E. hf. Gn. seind ein wahrer Kenner der Altertümer und Monumenten […] eben dieses veranlasset mich, Höds. angelegenheitlichst zu ersuchen, womit Sie gnst. geruhen wollten, diesen Gegenstand, der demjenigen, welchen E. hf. Gn. obgedachtermaßen so glücklich ausgeführt haben, fast ähnlich ist, höchsten Orts mit dero geltenden Vorwort zu unterstützen und dadurch der habsburgischen Geschichte einen merkwürdigen Zusatz zu verschaffen.30

Es ging hier wie dort darum, die Gebeine der Habsburger in erneuerten Herrschergruften als Ausweise sichtbar gemachter dynastischer Traditionszusammenhänge zur Stärkung der historischen Eigenart zu sichern – gern unter Beteiligung des Kaiserhauses an den Kosten. Hinzukam eine nicht nur höfliche Geste zwischen den Gelehrten. Der Speyerer Domdechant bekannte, Gerberts »gründlich gelehrte Werke« zu kennen und bat ihn nun darum »mir Höd. opera […] nebst conto zu schicken«, um »eine Selecte Bibliothek zusammenzubringen.«31 Wissen verbindet. Fürstabt Gerbert zeigte sich grundsätzlich bereit, das Anliegen des Domkapitels in Wien zu unterstützen. In seinem Antwortschreiben 27 28 29 30 31

Gerbert et al.: Uebersetzung; Ders.: Translatio. Pfeilschifter: Korrespondenz, 1, Nr. 486, S. 488. Ebd., S. 489. Ebd., S. 489. Ebd. Zur Bibliothek des Domstifts Grünewald: Bücher, S. 1–32.

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vom 8. April 1772 nach Speyer wies er aber nicht nur auf den gerade von ihm herausgegebenen Band Taphographia principum austriacorum auf den Forschungsstand zu den Grablegen der Habsburger hin. Er zweifelte vielmehr an dem Erfolg der Speyerer Wünsche in Wien. Gerbert beendete sein Schreiben mit der skeptischen Bemerkung: »Hätte man zu Speyer anno 1739 bei Carl VI. das dermalige Gesucht gemacht! Allein es waren dazumal die Zeiten nicht, das Dom herzustellen.«32 Der Fürstabt sollte Recht bekommen. Die direkten Unterhandlungen des Domkapitels mit dem Hof und den Ministerien in Wien um Finanzhilfe blieben ohne Erfolg. Jenes Pro memoria-Schreiben hatte dort der Speyerer Domkapitular Wilderich von Waldersdorff in seinen Verhandlungen zwar auch zur Hand, es jedoch nicht eingesetzt.33 Wissen verband nicht in jedem Fall. Folglich unterblieb auch die erbetene diplomatische Hilfestellung Fürstabt Gerberts für Speyer. Die erwünschte Hilfe um Reparatur aus St. Blasien entfiel – mit langer Nachwirkung. Erfolgreich hingegen erwies sich die Bitte um Hilfe bei der »Reparatur« in umgekehrter Richtung aus St. Blasien an das Domkapitel in Speyer.

IV. Zum Schutz der Eigenständigkeit des Reichsstifts St. Blasien und des Wirkens der Benediktiner gegen die als kirchenfeindlich verstandene Reformpolitik des Kaiserhauses, die die Unterordnung der großen Orden in den frühmodernen Staat zum Ziel hatte, ließ Fürstabt Martin Gerbert nicht nur zuvor aus Königsfelden und Basel in der Schweiz überführte Gebeine der Habsburger in der im Bau befindlichen neuen Kirche St. Blasien neu beisetzen. Gerbert suchte auch mit dieser Initiative aus seinem benediktinischen Selbstverständnis und Geschichtsdenken die Geschichtlichkeit und historische Eigenart des Reichsstifts zu stärken und frömmigkeitskulturell dessen Mittelpunktfunktion wirkmächtig zu erneuern. Bei dieser Reparatur erhoffte man sich die Hilfe erbetener Reliquien, auch aus Speyer. Nachdem am 23. Juli 1768 die erst etwa zwei Jahrzehnte zuvor erneuerte Klosteranlage fast vollständig abgebrannt war, beschloss der Konvent einen imposanten und bis heute eindrucksvollen Neubau am tradierten Standort.34 Als 32 Pfeilschifter: Korrespondenz, 1, Nr. 491, S. 494. 33 Andermann: Walderdorff, S. 407–420; Ammerich: Grablege, S. 199. Ab 1772 setzte in Speyer mit Fürstbischof August Graf von Limburg-Styrum (1770–1797) der Wiederaufbau des Doms energisch ein, da vor Ort nun entsprechende Geldmittel verfügbar waren. Um 1790 war der Neubau des Doms abgeschlossen, freilich ohne neuerliche Grabung und ohne erneuerte Herrschergruft. 34 Wörner: Schicksal, S. 87–132 mit Abb.

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sinnfälliges Zeichen für den Bestand des Stifts entstand in St. Blasien ein imposanter Kuppelbau, der für die Belange der Liturgie architektonisch Anklang nahm am römischen Pantheon. Dessen weitere spirituelle Sinndeutung legen die Programmatik der Glasfenster nahe, die die Heiligenfiguren als himmlische Fürsprecher und bildmächtig darin den lokalen Anspruch der communio sanctorum präsentierten.35 »Weilen in der leidigen Brunst alle Reliquienkästen auf denen Altären verbronnen«,36 und um diese Gemeinschaft der Heiligen wirkmächtig zu erneuern, initiierte Fürstabt Gerbert um 1770 die Sammlung von neuen Heiligenreliquien für die neue Kirche in St. Blasien. Gerbert nutzte dazu sein Netzwerk sozialer Kontakte im Orden und in der Kirche und erbat planmäßig von der römischen Kurie bis zum Wiener Hof und in den Nachbardiözesen sowie in anderen Benediktinerklöstern um Heiligenreliquien.37 Die Reparatur des Heiligenhimmels sollte ihm im Verlauf der 1780er Jahren eindrucksvoll gelingen.38 Reliquien und Reliquientranslationen beschreiben mit der Ausbreitung des Christentums und den Kloster- und Pfarreigründungen das Werden des kirchlich organisierten Raums und in den Patrozinien weiter die Vernetzung in der gelebten Frömmigkeitskultur. Reliquien besaßen neben kultischen eine hohe rechtliche Bedeutung. In der Erneuerung der Reliquien für St. Blasien stand Martin Gerbert 1770 bereits in einer langen Tradition, in der Äbte seit Gründung des Stifts für St. Blasien bedeutungsvolle Reliquien als sogenannten Kirchenschatz erworben oder für das Stift in Stiftungen erhalten hatten. Dazu gehörte auch das sogenannte Adelheidkreuz, das die ungarische Königin Adelheid, Tochter Rudolfs von Rheinfelden (1020/30–1080, »Gegenkönig« seit 1077), im späten 11. Jahrhundert nach St. Blasien geschenkt hatte.39 Bei der Erneuerung des Reliquienschatzes orientierte sich Gerbert offensichtlich teils an ordenseigenen Traditionen, teils setzte er darin Impulse, innerhalb der bestehenden territorialen Ordnung die konfessionskulturelle Landkarte der Zeit spirituell-symbolisch zugunsten St. Blasiens zu korrigieren, politische Räume so quasi konfessionell-liturgisch zu harmonisieren. Wie die Reliquien zählten dazu auch die Gebeine von Mitgliedern der Dynastie der Habsburger. Wie der Fürstabt am 21. August 1770 an den ihm vertrauten Kon35 36 37 38

Gut: Fenster, S. 109–159; Kessler: Frömmigkeit, S. 40. Pfeilschifter: Korrespondenz, 2, Nr. 481. Pfeilschifter: Korrespondenz, 1, Nr. 361, 336; Kessler: Frömmigkeit, S. 40. Anders als im Falle St. Blasiens nutzten Klöster und Stifte im 17./18. Jh. den Erwerb von Reliquien aus protestantischen Territorien auch zum Neuaufbau ihrer mittelalterlichen Reliquienschätze, womit sie jetzt teils auch frühe Missionsheilige oder gar Gründerheilige erhielten, so in Corvey oder ähnlich im Frauenstift Gandersheim. Röckelein: Heiligenkult, S. 95f.; Popp: Schatz, S. 129f.; Heilmann: Gandersheim. 39 Fritz: Kirchenschatz, 1, S. 167–248 und 2, S. 231–269; Filitz: Adelheid, S. 213–228.

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stanzer Kardinal Fürstbischof von Rodt schrieb, ging es ihm darum, »all in unserer protestantischen Gegend ruhende hohe Häupter eine katholische Beisetzung in allhiesiger Gruft unter dem Chor, so wirklich aus dem Fundament hervorgeht« in der Hoffnung zu verschaffen, »Gott gebe, mein Gotteshaus damit neue Schirm-Götten«.40 Für diese warb man um neue Öffentlichkeit. Die bei der Feier der Neubeisetzung der habsburgischen Gebeine in St. Blasien gehaltene Predigt, die der Bericht über diese Feyerliche Uebersetzung mitabdruckte, erlaubt Rückschlüsse auf die so auch beworbene religiöse und historische Denkweise Gerberts und die Wertschätzung der habsburgischen Gebeine als Ausweis auch gegenwartspolitisch gemeinter »Beschützer« des Stifts: »ewig verdanke es der gütigsten Vorsehung Gottes, welche die bey deinem grösten Unglücke in diesen Durchlauchtigsten Gebeinen deine alte mildeste Guthäter als neue Beschützer, als Vermehrer des Göttlich = und menschlichen Segens überbracht hat«.41 Demnach folgte die Neubeisetzung der Gebeine himmlischer Vorsehung: »Du bist es Allerdurchlauchtigstes Haus. Du wirst es alle Zeit seyn […] wie gesegnet […] wird aber dieses Gotteshaus sein, denn darin von so vielen anderen Orten die gütigste Vorsehung des Himmels diese durchlauchtigste Asche Deiner Höchstseligen Vor-Ältern bringet«.42 Weiter wird das wiedererrichtete Stift als Wunder gedeutet und die gesamte Christenheit in die Pflicht genommen. So richtet der Prediger das erneuerte Stiftergedenken an das Kaiserhaus und weiter an die Christenheit, womit er wohl auch im Sinne des Historikers Gerbert dem Geschehen in St. Blasien eine überhöhte Deutung zuspricht: Siehe, eben die gütigste Vorsicht schicket dir in diesen höchsten Leichen deine alten mildesten Guttäter aus dem Allerdurchlauchtigsten Hause Österreich: zu einem sichern Unterpfand eines neuen Segens, eines neuen Schutzes, schicket sie dir sie. […] Wir wissen aus der Geschichte aller Völker, daß nichts heiliger jemals seye gehalten worden, als die Denkmale und Ruhestätten der Vorältern: Wir lesen, daß man sogar der Macht eines ganzen Volks aufgeboten, dieselbe vor allem Unfall zu beschützen. Zweifele nicht, geliebtes Gotteshaus, du wirst einem neu gesegnetem Land Israel gleichen, das dann, weil dich eine gütigste Vorsehung des Himmels zur Ruhestatt so vieler Leichen aus dem Allerhöchsten Erzhause Oesterreich gemacht hat. […] Ihr meine Christen! Auch ihr solltet nicht ohne allen Nutzen von hinnen gehen. Lernet endlich so zu leben, so zu sterben, damit ihr bey einstmaliger Eröffnung eurer Gräber auch in jenes glückliste Land der ewigen Verheißung möget übertragen werden.43

Da die Gebeine der frühen Habsburgerinnen und der Habsburger in St. Blasien so eine neue dynastie- und gegenwartspolitische Sinndeutung erfuhren, bat der 40 41 42 43

Pfeilschifter: Korrespondenz, 1, Nr. 384, S. 387. Feyerliche Uebersetzung, S. 37. Ebd., S. 37f. Ebd., S. 38.

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Fürstabt brieflich auch Maria Theresia darum, seinem Stift Reliquien des hl. Leopold, Vorfahre der Habsburger und Patron Österreichs, zu überlassen.44 Maria Theresia, anders als ihr mitregierender und eher klostergegnerisch eingestellter Sohn, ließ daraufhin dem Stift tatsächlich am 21. April 1771 eine größere Reliquie des hl. Leopold aus Klosterneuburg in einem auffällig gestalteten Büstenreliquiar mit dem Hinweis zukommen, sie »in den Altar der diesen Heiligen in dortigen geweihten Toten-Kapelle und Gruft einzulegen«.45 Dieser kanonisierte Habsburger bildete indes nur einen Teil der in den nächsten Jahren nach St. Blasien überführten neuen und dort hoch verehrten Reliquien. Gerberts Wunsch, den Heiligenhimmel für St. Blasien als ein ordens-, kirchen- und zugleich zeit- und staatspolitisches Bekenntnis zu erneuern, erfüllte sich in einem demonstrativen Beistand aus dem Raum der Kirche. Gebert nutzte dazu sein briefliches Netzwerk und die stiftseigene Druckerei, geradezu bekenntnishaft den Erwartungshorizont jener Reparatur und zugleich deren Verwendungszusammenhang als Geltungsausweis der im Vertrauen auf Gott gemeinten streitenden Kirche und damit des benediktinischen Stifts St. Blasien zukunftsgewiss zu verkünden. Eine Reihe der über die Festtage gehaltenen Predigten von Ordensgeistlichen, darunter auch die »Anrede Sr. Hochfürstlichen Gnaden Martins II. Abtes zu St. Blasien, an seine versammelten Ordensgeistlichen am Vorabend der feyerlichen Kirchenweihe«, bilden größtenteils den Inhalt der veröffentlichten Festschrift. Den spirituellen Ton der meisten dieser Predigten bestimmen – verbunden mit Dank und Ankerkennung für ausgewöhnliche Leistungen Gerberts – alttestamentliche Bezüge des aktuellen Geschehens, mit denen die Bedeutung des Stifts und des Ordens heilsgeschichtlich bekräftigt wird. Sie sprechen St. Blasien wie Jerusalem als »heilige Stadt« an, als »ein Denkmal der Wunder des Herrn in seiner immer größeren Verherrlichung«.46 Der Theologe und Historiker Gerbert gab dazu in seiner mitabgedruckten Anrede den selbstbewusst angeschlagenen frommen Ton vor. Er konstruierte eine Kontinuität aus überwundenen Katastrophen, erinnerte an die Brandkatastrophe von 1768, die er in die Reihe erinnerungswürdiger Zerstörungen des Klosters von 1322 und im Bauernkrieg 1526 einordnete. Mit großem Gottvertrauen habe man diese Gefahren überstanden. Als Vorbild für die Zukunft ver44 Markgraf Leopold III. von Österreich (1095/6–1136) aus dem Haus der Babenberger, Stifter von Klosterneuburg, am 2. Februar 1485 heiliggesprochen, wurde seit 1663 landesweit hoch verehrt. Haltich: Heiliger. 45 Pfeilschifter: Korrespondenz, 1, Brief Nr. 423, S. 426; Nr. 434, S. 437; Fritz: Kirchenschatz, 1, Nr. 184, S. 228 mit Abb. – Fürstabt Gerbert erhielt 1772 von Maria Theresia als weitere Geschenke ein Brustkreuz, ein Trauerornat und eine Kasel. Ebd., Nr. 185–187, S. 228–234 (Abb.). 46 Feyerlichkeit […] neue Tempel, S. XXX.

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weist er auf seinen eigenen Namenspatron und auf Propheten des Alten Testaments, wirbt so für sein Geschichtsdenken, dass »der lieb, und gü// tige Gott uns desto näher wäre, je größer die Gefahren seyn. Die Geschichte des alten, und neuen Bundes zeuget zur Gemü// ge von dieser Wahrheit; besonders aber überführt uns hiervon die unter den grausamen Verfolgungen aufwachsende Kirche Je// su Christi, deren Trangsalen, und Bedrückungen der heilige Martin noch lebhaft vor Augen gehabt; Wir aber sehen jenen noch weit gräulichern der letzten Zeiten entgegen, die uns Jesus Christus vorgesagt, und welchen uns sowohl er als seine Apostel, und auch die Väter der Kirche eine beständige Wachsam// keit, und ein unabläßliches Gebet anbefohlen haben«47. Deshalb ruft er dazu auf, Gott für die neuen Tröstungen zu danken und jene nicht zu vergessen, »mit deren heiligen Gebeine dieser neue Tempel durch so viele großmüthige Verehrer derselben ist beschenkt, aus// gezierte, und versehen worden«48. Nicht allein aus Dankbarkeit für das Geschenk machte Gerbert die Spender mit ihren Reliquien, die sie dem Stift hatten zukommen lassen, öffentlich. Er schilderte nicht nur die Geschichte des neuen Reliquienkatalogs des Stifts. Vielmehr zeigte er hier eine spirituell begründete Gemeinschaft an und reklamierte er eine symbolisch-politische Öffentlichkeit, sich mit der so bekundeten Geltung St. Blasiens zu solidarisieren: »Sehet liebste Brüder! Wie reichlich der Verlurst [sic], der in der leidigen Brunst vermißten Heiligthümer ersetzet wurde. Diese kostenbaren Kirchenschätze, die wir von so vielen großmüthigen Freunden, und Gönnern erhalten, bestehen größtentheils aus Ueberbleibseln von solchen Heiligen, die in unserem Vaterland gelebt« haben.49 In seinen Reliquien gehörte zu diesem »Vaterland« der Heiligen, das in St. Blasien sein sichtbares Zentrum hatte, auch die Domkirche und das Kollegiatstift St. Guido in Speyer.50 Nach den Korrespondenzen bat Fürstabt Martin Gerbert im April 1781 auch das Domkapitel in Speyer um Reliquien für St. Blasien, woraufhin man Fürstbischof Graf August von Limburg-Stryrum und das Kollegiatstift St. Guido unterrichtete. Der Fürstbischof entsprach der Bitte und ließ »das Nötige an mein würdiges Domkapitel und Stift zu St. Guidon zur Gehabung der von E. L. verlangten Reliquien gelangen.«51 Am 14. Dezember 1781 übersandte der Fürstbischof Reliquien des hl. Stephanus aus dem Dom und des hl. Abts Guido von Pomposa zusammen mit entsprechenden Authentiken nach St. Blasien.52

47 48 49 50 51 52

Ebd., S. XXXf. Ebd., S. XXXV. Ebd., S. XXXIX. Meier et al: Guido, S. 262–296, zu den Reliquien S. 277. Pfeilschifter: Korrespondenz, 2, Nr. 1159, S. 584 Anm. 2. Ebd., Nr. 1197, S. 620; Müsegardes: Patrone, S. 335–341.

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Geschenke und Gesten können wichtige Signale senden und andere dazu animieren, es ähnlich zu machen und ihrerseits sich diesem »Vaterland« anzuschließen. So gesehen repräsentiert der Reliquienkatalog im Sinne Gerberts das historische Langzeitgedächtnis und die erhoffte Zukunft seines Stifts und die der katholischen Kirche. Diese Hoffnung gründet in Gerberts ausgeprägtem eschatologischen Zeit-, Kirchen- und Geschichtsverständnis. Davon schrieb er in jenen Jahren auch in Korrespondenzen an die Landesherrin Maria Theresia oder Kardinal Migazzi in Wien: Ich habe mitlerweil im Herzen fast verzagt, die üble Umständ und gefährliche letzte Zeiten in der Meinung gesteiffet, daß mit Abgang des 18. Saeculi das a temporibus Pipini angefangene ›Regnum Christi millenarium‹ geh, und in Zukunft ein Weh nach dem andern zu befürchten seie. Es scheinen auch jene Zeiten nicht ebenso weit mehr von Wien, zu welchen, wann es möglich (…), auch die Auserwählten mit der Verderbnuß hinweggezogen werden.53

Kontrastierend zu der in den österreichischen Landesherrschaften greifenden Reformpolitik und der Säkularisierung klösterlicher Lebensformen resignierte hier kein geistlicher Landesherr und Fürstabt. In seiner reflektierten Äußerung zeigte sich Gerbert als ein in seinem Netzwerk anerkannter, konfessionell wehrhaft agierender katholischer Historiker und benediktinischer Gelehrte. Im Lichte seiner kirchlichen und intellektuellen Anstrengungen appellierte er daran, den von ihm als Gefährdung verstandenen Zeitverhältnissen in einer erneuerten Gemeinschaft zu begegnen, die dem Raum folgte, der in den Herkunftsorten der neu in St. Blasien vergegenwärtigten Reliquien und Heiligen gebildet war. In seinem Reliquienkatalog kommen jenseits von Fulda im Norden des Reichsgebiets keine historischen Missionszentren seines Ordens vor. Dabei hatte Gerbert auch nicht die staatsterritoriale Vielheit des Heiligen Römischen Reichs vor Augen. Mit den in Blasien als neuem Zentrum vergegenwärtigten und regional bedeutungsvollen Heiligen stand dem Historiker und Gelehrten eine spirituell gebildete, eigene Öffentlichkeit, ja Gegenöffentlichkeit als »Vaterland« vor Augen. Auf dem Weg in diese Zukunft kleidete Gerbert sein kirchlich-theologisches Wirken selbstbewusst in das Bild eines eine junge Kirche nährenden Adlers, »[…] ubi fuerit corpus, cadaver in cineres redactae ecclesiae, ibi congregatur aquila«.54 Weil Gerbert diese Botschaft – nicht allein – für St. Blasien als bedeutungsvoll erachtete, veröffentlichte er sowohl in der 1784 in St. Gallen hergebrachten Festschrift zur Weihe (21. September 1783) der in St. Blasien neuerrichteten Kirche als auch in seiner Historia Sivae Nigrae Colonia Ordinis S. Benedicti den

53 Pfeilschifter: Korrespondenz, 1, Nr. 550, S. 567f. 54 Gerbert: Historia 2, S. 537.

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neuen Reliquienkatalog St. Blasiens mit allen Gönnern dieses »Vaterlands«.55 Der Reliquienkatalog nennt die Gönner St. Blasiens, angeführt von Maria Theresia, gefolgt von der römischen Kurie, von den historisch bedeutungsvollen Erzbistümern wie Salzburg und Mainz, benachbarten Diözesen wie Freising, Eichstätt, Würzburg und Speyer sowie bedeutungsmächtigen Ordensklöstern von Fulda über Muri bis Cluny. Diese Namen sind verbunden mit einem Atlas der Reliquien, der, Zentren der mittelalterlichen Christianisierung verbindend, das Wirken der Kirche und die kirchlich verantwortete Landeskulturgeschichte vor Augen stellt. Jenes »Vaterland« bildeten etwa aus Mainz Reliquien des hl. Willigis und der hl. Elisabeth56, aus Salzburg Reliquien des Martin von Tours und Ruperts von Salzburg57, aus Cluny solche des hl. Morandus und Odilo58, aus dem Benediktinerkloster St. Jakob in Würzburg Reliquien des hl. Abts Makarios, aus Muri des hl. Ursulus59, aus St. Gallen die des hl. Othmar und Notker60, aus der Abtei Fulda die des hl. Bonifatius und Sturmius61, aus Würzburg Reliquien des hl. Kilian und aus Speyer Reliquien des hl. Stephanus und des hl. Guido.62 Diese Reihe wird landeskulturgeschichtlich überhöht durch die von Maria Theresia miterwirkte Überführung der aus Innsbruck stammenden Reliquie des missionarisch im Bodenseeraum wirkmächtigen Bischofs und Abts Pirmin (gest. 752).63 Mit diesen neu-alten Heiligen ist in der Geschichtlichkeit des Stifts und des Wirkens der Benediktiner die christlich-kultische Zentralität St. Blasiens mehr als repariert, eher neu vernetzt ausgezeichnet und zukunftsweisend demonstriert. Der Reliquienkatalog beschließt den zweiten Band der Geschichte des Schwarzwalds und er weist zurück auf das von Gerbert dieser benediktinischen Landeskulturgeschichte vorangestellte Vorwort. Dort erklärt er, wie die beabsichtigte Stärkung jenes »Vaterlands« sein benediktinisches Selbstverständnis und sein forschendes Anliegen als Kirchen-, Ordens- und Landeshistoriker verbindet: »In adminiculum quoddam historiae patriae, Germaniae sacrae praeprimis, operis nimirum dudum desiderarissimi, adornandam suscepi hanc Nigrae Silvae historiam, animatus etiam exemplo Sodalium Benedictinorum e Congregatione S. Mauri in Mauri in Gallia.«64 55 56 57 58 59 60 61 62 63

Ebd., S. 534–537; Feyerlichkeit […] neuen Tempel, S. XXXVI–XLII. Pfeilschifter: Korrespondenz, 2, Nr. 1131, 1142. Ebd., 2, Nr. 1111. Ebd., 2, Nr. 1207. Ebd., 2, Nr. 1160. Ebd., 2, Nr. 1140. Ebd., 2, Nr. 1140. Ebd., 2, Nr. 1197. Ebd., 2, Nr. 809, 833, 834 u. ö.; im Deckel des Reliquiars des hl. Pirmin befand sich ein Partikel des hl. Florian aus St. Stephan in Wien. Fritz: Kirchenschatz, 2, Nr. 187, S. 234f. (Abb.). 64 Gebert: Historia, 1, Praefatio.

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V. Demnach leitete den grenzübergreifend interdisziplinär forschenden Gerbert ein politisch selbstbezogenes Interesse an der Geschichte eines ihm in der Germania sacra verbundenen »Vaterlands«. Sah darin Gerbert die tradierte Ordnung des Heiligen Römischen Reichs als bedroht an? Das wäre weiter auszuleuchten. Da es im Heiligen Römischen Reich kein einheitliches Wissenssystem gab, bliebe zu klären, inwieweit er dieses »Vaterland« als ein Modell verstand, die katholisch geprägten Bildungslandschaften im Reich zu überhöhen und dort die Bedeutung der Wissenschaften insgesamt zu stärken.65 Festzuhalten ist, dass er an dieses »Vaterland« allgemein appellierte und diese Vorstellung politisch instrumentalisierte. Im Spektrum der im 18. Jahrhundert verhandelten politischen Nationaltheorien verstand Gerbert »Vaterland« als kirchen- und konfessionsgeschichtlich verwurzelte frömmigkeitskulturell aktualisiert zu behauptende Gemeinschaft. Einstweilen erkennbar ist auch, wie die von Gerbert benannten und auch grenzübergreifend angelegten landeskulturgeschichtlichen Ausweise zu dem 1784 publizierten Projekt einer Gesamtkirchengeschichte Deutschlands als einer sanblasianischen Erarbeitung der Germania sacra führten.66 Dieses Projekt Gerberts blieb ein Versuch. Aber gleichwohl zeigen sich Formen erfolgreicher gegenseitiger Förderung der Geltung historischer Eigenarten. Sie sowie die Netzwerkarbeit Gerberts konturierten soweit bereits die Reichweite auch seines »Vaterlands«. Der Fürstbischof und das Domkapitel in Speyer trugen nicht nur Gerberts Wirken zur Wiederherstellung jenes Himmels der Heiligen in St. Blasien mit. Es bliebe zu klären, wie die Domkapitulare ihre Interessen an der Geschichte der Domkirche und des Bistums sowie an den theologischen Diskursen gegenüber dem Bischof und in ihren eigenen Karriereplanungen einsetzen konnten. Nach den Korrespondenzen Gerberts war man in Speyer erkennbar an einer fachlich gut ausgestatteten Bibliothek des Domkapitels interessiert. Vor dem Hintergrund zeittypischer kirchenpolitischer und theologischer Konflikte wusste man hier um die Bedeutung quellenkritischer Erarbeitung der eigenen Kirchengeschichte und um den Wert intellektueller Vernetzung zwischen den katholischen Gelehrten. Deshalb wohl führte der in Gerberts Forschungen engagierte Wormser Weihbischof und Mainzer Historiker Stephan Alexander Würdtwein (1722–1796)67 die gleichgerichteten Interessen des Speyerer Domdekans und 65 Schindling: Bildung, S. 3–9; Schmidt: Vaterland, S. 35–63. 66 Pfeilschifter: Germania; Flachenecker: Kirchengeschichtsschreibung, S. 55. 67 Mathy: Mainz, S. 84–88; Stephan Alexander Würdtwein, URL: http://germania-sacra-daten bank.uni-goettingen.de/index/gsn/037-04640-001 (19. 12. 2022).

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engagierten Büchersammlers Philipp Christoph von Hutten68 sowie Philipp Willibald von Hohenfelds, späterer Generalvikar und Domdekan, gegenüber Gerbert an, die gewillt seien, an dessen Studien zu jenem »Vaterland« Germania sacra mitzuwirken.69 Es blieb allerdings bei dieser Anzeige zur Mitarbeit. Dass schließlich, anders als die wirkmächtige Reparatur der Kirchengebäude und anders als die gemeinsame Sorge um die Sicherung der jeweiligen Herrschergruft, jenes »Vaterland« nicht verwirklicht werden konnte, hatte, wie bekannt, menschliche wie organisatorische Gründe. Die beteiligten Zeitgenossen jedoch verbanden damit offensichtlich ganz andere Gedanken. So gab Fürstabt Gerbert dem Nicht-Gelingen seines Germania sacra-Projekts selbstbewusst eine missions- und heilsgeschichtliche Bedeutung, »daß mit Abgang des 18. Saeculi das […] Regnum Christi millenarium zu Ende gehe, und in Zukunft ein Weh nach dem andern beförchten seie.«70 Tatsächlich endete das aufklärerische Zeitalter im Ausgreifen der Französischen Revolution über den Rhein für Speyer und St. Blasien apokalyptisch mit Kriegen, Vertreibungen, neuer politischer Ordnung, Aufhebung und Säkularisierung kirchlicher Rechte und Vermögen.71 Doch das bedeutete nicht das Ende dieser Geschichte. Gemessen an dem eingangs zitierten mittelalterlichen Geschichtsverständnis tat man sich auch in Zukunft in Speyer durchaus schwer mit Wissen um die Königsgrablegen, auf andere Weise ähnlich auch in St. Blasien bzw. in St. Paul. In Speyer, wo in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts der Abriss des teilzerstörten Doms wesentlich durch Initiativen von Bischof Joseph Ludwig Colmar (1802–1818) verhindert werden konnte72, gewannen nach 1815 mit der Neubildung der politischen Ordnung und des Bistums zunächst die Herrschergräber vor allem als Teil symbolischer Legitimation der Monarchien, schließlich für die Ideologien als Orte übersteigerter nationaler Vergemeinschaftung bedingt kultur- und reichspolitische Bedeutung. Längerfristig wuchs das Wissen um die toten Körper und die Grablegen, von den »letzten Dingen«, den Reliquien, entlang einer Linie, die zwischen den im gewandelten Selbstverständnis fortgeschriebenen Erkenntnisinteressen der Geschichtswissenschaft und der Geltung religiös-ethischer Normen gegenüber den Toten in der Obhut der Kirche zu verhandeln war.73 Die kirchen- und ordensgeschichtliche Forschung ging derweil in und für Speyer und St. Paul früh eigene Wege. Sie zeigen – äußerlich ähnlich wie im späten 18. Jahrhundert – eine in nationalen Anstrengungen gründende Inter68 69 70 71 72 73

Lamm: Hochstift, S. 19, 42. Müller: Briefe, 2, Nr. 108, S. 88 und Nr. 109, S. 89f. Pfeilschifter: Korrespondenz, 1, Nr. 550, S. 567f. Ammerich: Speyer, S. 703–705; Sitar: Erbe, S. 405–413. Lenhart: Colmar, S. 224–239. Ranke et al.: Kaisergräber; Klie et al.: Dinge.

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nationalisierung der Frömmigkeits- und Kirchengeschichtsforschung und darin zugleich eine in neuen Fragestellungen fortdauernde Aktualität mittelalterlicher Geschichte. Seinen wissenschaftsgeschichtlichen Platz findet dort auch das über Speyer und St. Blasien hinaus von Martin Gerbert aufgerufene »Vaterland« Germania sacra.74

Bibliografie Archivalische Quellen Stiftsarchiv St. Paul im Lavanttal: 174 /2 (III).

Gedruckte Quellen Bauer Erhard Christoph: Historische Nachricht von dem kaiserl. Begräbnisse in der Domkirche zu Speier, in: Marburgische Beytraege zur Gelehrsamkeit, 4. 1750, S. 36–50. Feyerlichkeit des in dem fürstlichen Stift St. Blasien auf dem Schwarzwald eingeweihten neuen Tempel. 1784. Gebert Martin / Kreutter Franz: Feyerliche Uebersetzung der kaiserlich-, königlich- auch herzoglich-oesterreichischen höchsten Leichen aus ihren Grabstädten Basel und Königsfelden in der Schweiz nach dem fürstlichen Stift St. Blasien auf dem Schwarzwald. 1770. Gerbert Martin: Crypta San-Blasiana nova principum Austriacorum translatis eorum cadaveribus […]. 1785. Gerbert Martin: De translatis Habsburgo-Austriacorum principum eorumque coniugum cadaveris […] ad conditorium novum monasterii St. Blasii […]. 1772. Gerbert Martin: Historia Nigrae Silvae Ordinis Sancti Benedicti Coloniae, 1–2. 1783 u. 1788. Herrgott Marquard / Heer Rustinus / Gerbert Martin: Taphographia principum Austriae, 1–2. 1772. Herrgott Marquard: Monumenta augustae domus Austriacae, 1. 1750. Herrgott Marquard: Genealogia diplomatica augustae gentis Habsburgicae, 1–2. 1737. Litzel Georg: Historische Beschreibung der Kaiserlichen Begraebniß In der des Heil. Reichs Freyen und Kaiserlichen Begraebniß-Stadt […] Allen Verehrern der kaiserlichen Asche, und den Liebhabern der alten und neuen deut // schen Geschichte aus glaubwürdigen Documen // ten und selbst eigener Einsicht an das Licht gestellet. 1751. Müller Walter (Bearb.): Briefe und Akten des Fürstabts Martin II. Gerbert, 2. 1962. Pfeilschifter Georg (Bearb.): Korrespondenz des Fürstabtes Martin II. Gerbert von St. Blasien, 1–2. 1931 u. 1934.

74 Röckelein: Germania; Flachenecker: Kirchengeschichtsschreibung.

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Literatur Ammerich Hans: Das Bistum Speyer, in: Erwin Gatz (Hg.): Die Bistümer des Heiligen Römischen Reichs von ihren Anfängen bis zur Säkularisation. 2003, S. 703–705. Ammerich Hans: Speyer – Die vergessene Grablege im 17. / 18. Jahrhundert und ihre Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert, in: Ehlers Caspar / Flachenecker Helmut (Hg.): Deutsche Königspfalzen, 6. 2005, S. 197–204. Andermann Kurt: Geistlicher Reichsfürst in einer Zeit des Umbruchs. Wilderich von Walderdorff, letzter Fürstbischof von Speyer, 1797–1802 (1810), in: Jürgensmeier Friedhelm (Hg.): Die von Walderdorff: Acht Jahrhunderte Wechselbeziehungen zwischen Region – Reich – Kirche und einem mittelrheinischen Adelsgeschlecht. 1998, S. 407–420. Benz Stefan: Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich. 2003. Bihrer Andreas: Die Erfindung der ›Germania Sacra‹ im 16. Jahrhundert, in: Röckelein Hedwig (Hg.): Germania Sacra. 2018, S. 9–40. Brademann Jan / Freitag Werner (Hg.): Leben bei den Toten. 2007. Braun Karl-Heinz: Fürstabt Martin Gerbert – Betrachtungen anlässlich seines 200. Geburtstages, in: Linke Guido (Hg.): Der Schatz der Mönche. 2020, S. 10–16. Braun Karl-Heinz: Mönchskritik in der Aufklärung, in: Linke Guido (Hg.): Der Schatz der Mönche. 2020, S. 214–222. Deissler Alfons: Martin Gerbert als Theologe, in: Heidegger Heinrich / Ott Hugo (Hg.): St. Blasien. Festschrift aus Anlass des 200jährigen Bestehens der Kloster- und Pfarrkirche. 1983, S. 134–146. Dogerloh Annette: Strategien des Überdauerns. 2012. Doll Anton Ludwig / Stein Günter (Bearb.): Es ist ein Speier ein alte stat. Ansichten aus vier Jahrhunderten. 1991. Ehlers Caspar: Unendliche Gegenwart. Speyer zwischen Konrad II. und Stefan George, in: Borgolte Michael (Hg.): Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. 2000, S. 11–37. Enderlein Lorenz: Umbettungen. Retrospektive Sepulturen in den Klosterkirchen Schöntal, St. Peter im Schwarzwald und St. Blasien, in: Coers Brigitta / Enderlein Lorenz / Kunz Tobias / Thome Markus (Hg.): Aufklärung und sakraler Raum. 2016, S. 321–356. Engelberg Meinrad von: Kontinuität oder Paradigmenwechsel? Aufklärung und Renovatio, in: Coers Brigitta / Enderlein Lorenz / Kunz Tobias / Thome Markus (Hg.): Aufklärung und sakraler Raum. 2016, S. 23–39. Filitz Hermann: Das Adelheid-Kreuz aus St. Blasien, in: St. Blasien Historische Ausstellung (Hg.): Das Tausendjährige St. Blasien, 200jähriges Domjubiläum, 2. 1983, S. 213–228. Fillafer Franz L.: Aufklärung habsburgisch. 2020. Flachenecker Helmut: Bonifatius und Willibald, in: Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt, 92/93. 1999/2000, S. 150–164. Flachenecker Helmut: Das Bild der Königgräber in der Speyerer Bistumschronistik, in: Ehlers Caspar / Flachenecker Helmut (Hg.): Deutsche Königspfalzen, 6. 2005, S. 183–196. Flachenecker Helmut: Der Heilige Mauritius in Franken, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung, 79/80. 2020, S. 21–40.

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Speyer und St. Blasien im »Vaterland« Germania sacra

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Voss Jürgen: Das Elsaß als Mittler zwischen deutscher und französischer Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, in: Voss Jürgen (Hg.): Historische Forschung im 18. Jahrhundert. 1976, S. 334–364. Voss Jürgen: J. D. Schöpflins Wirken und Werke, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, 119. 1971, S. 281–321. Wallnig Thomas / Stockinger Thomas / Peper Ines / Fiska Patrick (Hg.): Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession. 2012. Wallnig Thomas: Johann Georg von Eckhardt als Verwerter von Leibniz’ historischen Kollektaneen, in: Gädeke Nora (Hg.): Leibnitz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen. 2012, S. 189–210. Wörner Hans Jacob: Das Schicksal der Klostergebäude im Laufe der Jahrhunderte, in: St. Blasien Historische Ausstellung (Hg.): Das Tausendjährige St. Blasien, 200jähriges Domjubiläum, 2. 1982, S. 87–132.

Abb. 1: Dom zu Speyer: Nordseite, um 1650. Unbekannter Künstler. Blei- und Federzeichnung, laviert, aquarelliert. Bildnachweis: Wien, Albertina, Nr. 3525; Katalog IV 1947

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Abb. 2: Dom zu Speyer: Ansicht der Herrschergrablege (16. Jh.), in: Fugger Johann Jakob / Birken Sigmund von: Spiegel der Ehren des Hoechstloeblichen Kayser- und Koeniglichen Erzhauses Oestereich […], Bl. 257. URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10864524?page =313 (15. 01. 2023) Open-Access-Publikation (CC BY-NC 4.0) © 2023 V&R unipress | Brill Deutschland GmbH ISBN Print: 9783847116134 – ISBN E-Lib: 9783737016131

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Abb. 3: Martin II. Gerbert OSB (1720–1793), Fürstabt des Klosters St. Blasien, Theologe und Gelehrter. Graphik um 1780. Bildnachweis: Wikipedia, URL: https://commons.wikimedia.org /w/index.php?curid=51991588 (27. 01. 2023)

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Abb. 4: Dom zu Speyer: Reliquie des Hl. Stephanus. Bildnachweis: Domkapitel Speyer, Foto: Frederike Walter

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Abb. 5: Stift St. Blasien auf dem Schwarzwald (um 1780). Bildnachweis: Gerbert Martin: Historia Nigrae Silvae Ordinis Benedicti coloniae, 1, Bl. 1. URL: http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/gerbe rt_hist_nigr_silv1/0009/image?sid=ffd921d2ee755aeb9b8 fa63896ce35ec#current_page (15. 01. 2023)

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Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki

Verzeichnisse der Thorner Bürger und ihrer Waren aus den Jahren 1393–1394 im Zusammenhang mit einem Schiffbruch vor der Küste von Bornholm1

Abstract: Lists of Torun´ Townspeople and Their Goods from 1393–1394, Created in Connection with a Shipwreck off the Coast of Bornholm The article presents the edition of five messages related to the shipwreck of Arnold Duker near Bornholm around 11 November 1393. These lists contain the names of merchants from Torun´, whose goods from this ship were seized by Kuneke Ysernvord (the head of the archbishop of Lund, Jakub Gerardi) and subsequently transported to Hammerhus castle. The edition contains images of merchants’ marks, used to distinguish goods, and detailed information about cloths transported from Flanders. Keywords: Bornholm; shipwreck; Flemish cloths; merchant marks; Torun´ merchants

Seit der Entstehung Thorns nahm der Handel mit flämischem Tuch eine Sonderstellung im Leben dieser Stadt ein. Schon 1259 errichtete man in Thorn ein Gewandhaus, woraus zu schließen ist, dass die Thorner Kaufleute zu diesem Zeitpunkt direkte Kontakte zu Flandern unterhielten. Aus dem Jahr 1280 stammen dagegen die Angaben zu einem Konflikt zwischen der Kaufmannschaft und Brügge. An seiner Beilegung war auch die Stadt Thorn interessiert, die dabei mit Lübeck eng zusammenwirkte. Den Berichten vom Beginn der 1340er Jahre zufolge erlangten die preußischen und westfälischen Kaufleute verschiedene Zoll- und Handelsprivilegien in den Niederlanden. 1347 findet man Belege für die formale Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der westfälischen und der preußischen Kaufmannschaft. Die Kaufleute gehörten seitdem zum Viertel des Hansekontors in Brügge, das als eines der wichtigsten zeitgenössischen interProf. Dr. Krzysztof Kopin´ski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, ORCID: https://orcid.org/ 0000-0002-4379-9217. Prof. em. Dr. Janusz Tandecki, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, ORCID: https://orcid. org/0000-0003-0484-5847. 1 Die Publikation wurde im Rahmen des vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft aus dem Staatshaushalt finanzierten Nationalen Programms zur Entwicklung der Geisteswissenschaften (poln. Narodowy Program Rozwoju Humanistyki, NPRH) gefördert. Projektnummer: NPRH/DN/SN/507664/2021/11.

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Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki

nationalen Handelszentren galt. Der Handel in Brügge stieß aber manchmal auf Schwierigkeiten, wie etwa 1280 (die Sezession der Kaufleute nach Aardenburg für die Dauer von zwei Jahren) oder auch 1358–1360 und 1388–1391 (Sezessionen der Kaufleute nach Dordrecht). Ein Hindernis für den Handel waren auch die die Piraterie sowie die Schiffbrüche von Frachtschiffen.2 Es scheint aber, dass die Einfuhr vom Tuch aus Flandern nach Preußen und der Handel damit in den polnischen Gebieten, in Schlesien, Masowien und Ruthenien inmitten einer günstigen politischen und wirtschaftlichen Situation eindeutig zu den einträglicheren Tätigkeiten gehörte. Aber auch die ausgeglichene Entwicklung der Handelskontakte zu den besagten Gebieten spielte für die Thorner Kaufleute eine bedeutende Rolle. 1252 unterzeichnete der Deutsche Orden einen Vertrag mit dem kujawischen Herzog Kasimir I., der sowohl Zollfragen in Kujawien als auch die Straßensicherheit regelte. Einige Jahre später, 1286, stellte der Herzog von Kujawien Wladyslaw I. Ellenlang den Thorner Kaufleuten eine ungefährdete und freie Rückkehr aus Ruthenien durch seine Gebiete sicher. In der zweiten Hälfte der 1320er Jahre erlangten die Thorner Kaufleute von Siemowit II. anscheinend auch Handelsprivilegien in Masowien. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich angesichts scharfer politischer Konflikte mit Polen über Masowien nach Ruthenien begaben. Die regen Handelskontakte nach Osten wurden in zahlreichen Verträgen der Ordensritter mit den russischen Fürsten aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bestätigt.3 Der Krieg zwischen Polen und dem Deutschen Orden, der 1327 ausbrach, erschwerte aber den freien Handel der Thorner Kaufleute mit den polnischen Gebieten. Erst der Friedensvertrag von Kalisch von 1343 stellte eine relative Stabilität der Handelsbeziehungen zwischen dem Deutschordensstaat in Preußen und Polen her. 1344 erlegte man den fremden Kaufleuten, die nach Krakau und noch weiter reisten, den Straßenzwang auf. Dieses Privileg entzog den Thornern auch die Möglichkeit, sich mit Waren aus dem Osten zu versorgen, und zwar wegen des Stapelrechts, das nicht nur in Krakau, sondern auch in Sandomir, Lublin und Wis´lica verbindlich war.4 Im Privileg von 1345 erlaubte Kasimir der Große, der König von Polen, fremden Kaufleuten, auf dem Gebiet seines Staates mit Tuch und anderen Waren frei zu handeln.5 Selbstverständlich war das Stapelrecht in den besagten polnischen Städten immer noch gültig. Aufgehoben wurde es aufgrund des Grenzvertrags zwischen 2 Jasin´ski: Torun´ XIII–XIV wieku, S. 157–158; Magdan´ski: Organizacja kupiectwa, S. 34–38; Ders.: Handel Torunia, S. 9–20. 3 Karwasin´ska: Sa˛siedztwo, S. 32, 83; Magdan´ski: Organizacja kupiectwa, S. 46–50; Kopin´ski: Gospodarcze, S. 16–18. 4 Estreicher (Hg.): Najstarszy zbiór, Nr. 3, S. 3; Magdan´ski: Organizacja kupiectwa, S. 59–62. 5 Höhlbaum (Bearb.): Hansisches Urkundenbuch, 3, Nr. 59; Voigt (Hg.): Codex, Nr. 50, S. 50; Jasin´ski: Torun´ XIII–XIV wieku, S. 159.

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Polen und dem Deutschen Orden vom Jahre 1349. Höchstwahrscheinlich blieb jedoch der Straßenzwang für die fremden Kaufleute bestehen.6 Für den Handel der Thorner Kaufleute war auch die Ausrichtung nach Schlesien von Bedeutung. 1318 stellte man ihnen die freie Durchfahrt via Kalisch und Konin sicher, also durch die Städte, die sich auf dem Weg nach Breslau befanden.7 In den Handelskontakten zwischen Thorn und Breslau stößt man viele Jahre hindurch offenbar auf keine größeren Hindernisse. 1385 verbot Breslau den Thornern, Einzelhandel mit Tuch zu betreiben. Die Thorner Kaufleute konnten bis dahin in Breslau ihr Tuch nur während der Jahrmärkte, und außerhalb dieser Zeiten nur in kleinen Mengen (bis vier Laken) verkaufen. Diesen Änderungen widersetzten sich der Hochmeister Konrad Zöllner und die Thorner, die für die preußische Kaufmannschaft vorteilhaftere Bedingungen aushandeln wollten. Im März 1385 entschied der deutsche und böhmische König Wenzel von Luxemburg, dass die Thorner und die übrigen Kaufleute ihre früheren Privilegien und Rechte behalten sollten. Doch änderte der Beschluss des Herrschers die Einstellung der Breslauer Bürger gegenüber den Thornern keineswegs. Noch im April 1385 sollten die Vertreter Thorns und Breslaus Verhandlungen in Kalisch abhalten und ihre Streitsachen klären. Dem geplanten Treffen wohnten aber die Breslauer nicht bei.8 Im Gegenzug zu den Repressionen, die mit dem Tuchhandel der preußischen Bürger in Breslau verbunden waren, entzog der Hochmeister den Breslauern am Anfang von 1390 den Zugang zum Meer, und zwar unter der allgemeinen Zustimmung der preußischen Städte.9 In der zweiten Hälfte des Jahres 1390 wurde auch die polnisch-preußische Grenze gesperrt. Zu diesem Zeitpunkt bildete man auch eine Verbindung von Krakau aus über Sieradz, Posen nach Stettin, was den polnischen Kaufleuten direkte Handelskontakte zu Westeuropa ermöglichen sollte. Offenbar begann diese neue Handlungsrichtung der polnischen Kaufleute seit 1393 allmählich an Bedeutung zu verlieren und man suchte die wirtschaftlichen Beziehungen zur preußischen Kaufmannschaft wieder aufzunehmen. Anschließend schloss man 1397 einen Frieden, der den Handelskrieg beendete und die Grenze zwischen Polen und dem Deutschen Orden öffnete.10 ***

6 Kopin´ski: Gospodarcze, S. 17. 7 Hein et al. (Hg.): Preußisches Urkundenbuch, Nr. 221; Kopin´ski: Gospodarcze, S. 17. 8 Höhlbaum (Bearb.): Hansisches Urkundenbuch, 4, Nr. 813; Koczy: Dzieje wewne˛trzne Torunia, S. 191; Kopin´ski: Gospodarcze, S. 77, 111. 9 Kopin´ski: Gospodarcze, S. 78; Magdan´ski: Organizacja kupiectwa, S. 127. 10 Lesin´ski: Kontakty handlowe, S. 58–60; Magdan´ski: Organizacja kupiectwa, S. 129–130; Kopin´ski: Gospodarcze, S. 28–29; vgl. auch Daenell: Polen und Hanse, S. 324–333.

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Im November 1393 kam es auf der Höhe von Wismar vor der Küste von Dänemark und Bornholm bei stürmischer See zum Schiffbruch von Frachtschiffen, die preußischen und livländischen Bürgern gehörten. Am 8. November 1393 benachrichtigten die preußischen Gesandten Albert Reusse und Tydeman Huxer die preußischen Städte, dass sich in Wismar 4 beschädigte Schiffe aus der Flotte, die Flandern bereits verlassen hatte, befänden.11 Ende November bemühte man sich schon um die Rückgewinnung der Güter aus den Schiffen und verhandelte diesbezüglich mit Königin Margarethe I. Aus dem Brief vom 18. Dezember 1393, den die preußischen Städte an Königin Margarethe I. richteten, erfährt man u. a. vom Schiffbruch bei Bornholm, infolge dessen ein Frachtschiff von Arnold Duker aus Elbing beschädigt wurde. Die Güter aus diesem Schiff wurden von Kuneke Ysernvord, dem Vogt des Erzbischofs von Lund Jakob Gerardis, beschlagnahmt und zur Burg Hammerhus befördert.12 In der Instruktion, die Anfang 1394 anlässlich der Tagfahrt der Hansestädte und des eventuellen Treffens mit den Gesandten der Königin Margarethe I. für die preußischen Gesandten erlassen wurde, liest man, dass der Erzbischof von Lund Tücher und Zubehör besserer Qualität aus dem Schiff Arnold Dukers, das nach dem 11. November 1393 beschädigt wurde, an sich nahm und andere Waren nach seinem Gutdünken unter seinen Untertanen verteilte. Von Bedeutung ist – so die Quelle – dass das Eigentum an allen Gütern, die den Thorner Bürgern gehörten und sich auf dem Schiff Arnold Dukers befanden, sehr gut belegt war.13 Diese Frage wurde in den folgenden Jahren erneut aufgeworfen. 1394 konnte Johann Rubit einen Teil des Tuchs der Thorner Bürger zurückgewinnen (die Überlieferung I dieser Edition). Einige der Tuchlaken, wie beispielsweise die von Johann Nuesleg, wurden in Danzig abgeholt (Überlieferung III). Der Wert der Waren belief sich auf hohe Summen. Eines der Verzeichnisse ermittelt, dass die Waren der Thorner und Elbinger einen Wert von insgesamt 2.026 Preußisch Mark hatten, wovon den Elbinger Bürgern Güter im Wert von 660 Preußisch Mark gehörten (Überlieferung III). Einem anderen Verzeichnis zufolge hatten die Güter der Elbinger aus dem Schiff Arnold Dukers einen Wert von 606 ½ Pfund Grote (Überlieferung IV). Schließlich waren es auch die Thorner Bürger, die ihre Güter aus dem zerstörten Schiff nicht sofort zurückgewinnen konnten und bei den folgenden Verhandlungen wegen deren Rückgewinnung berücksichtigt werden mussten. Der Wert ihrer Waren betrug 1.713 Pfund Grote 16 Schilling und 10 Grote, was 304 ½ Preußisch Mark entsprach (Überlieferung V). Zur endgültigen Regelung der Forderungen der preußischen Bürger gegenüber Jakob Gerardi, dem Erzbischof von Lund, kam es 1403. Der Abrechnung zufolge hatte der Marienburger 11 Koppmann (Hg.): Hanserecesse, Nr. 168–169. 12 Ebd., Nr. 173; Kunze (Bearb.): Hansisches Urkundenbuch, 5, Nr. 138; siehe auch ebd., Nr. 186. 13 Koppmann (Hg.): Hanserecesse, Nr. 185, Pkt. 10.

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Großschäffer auf dem beschädigten Schiff Arnold Dukers Waren im Wert von 821 Preußisch Mark, die Thorner dagegen von 3.404 Mark, die Elbinger von 1.127 Mark, und die Danziger von 263 Mark. Im Zusammenhang mit der schon früher teilweise erfolgten Rückgewinnung der Güter erhielten die Thorner Bürger jetzt 312 Mark und 4 Skot.14 Die letzte Summe erinnert an jene aus der Überlieferung V dieser Edition, und zwar in einer Höhe von 304 ½ Mark. *** 2020 erschien das Gebührenverzeichnis der preußischen Bürger aus derselben Zeitspanne, das an einigen Stellen dieser Überlieferung unter dem Titel Geleitsgeld genannt wird. Das besagte Verzeichnis weist u. a. auf drei Schiffer hin: Jakob Witten, Arnold Duker und Alf von Heren. Im Dezember 1393 wurden sie im Rezess der Hansetagfahrt, die vermutlich in Marienburg abgehalten wurde, erwähnt. In der Einleitung zur betreffenden Edition drückte man die Vermutung aus, dass Grundlage für das Hansetreffen mit der Katastrophe auf der See von 1393 verbunden ist.15 Im vorliegenden Text entschied man sich für die Veröffentlichung von fünf anderen Überlieferungen, die mit dem Schiffbruch Arnold Dukers bei Bornholm um den 11. November 1393 eng zusammenhängen. Es ist dabei zu betonen, dass die Namen der meisten Thorner Kaufleute schon in dem 2020 veröffentlichten Verzeichnis vorkommen. Diesmal werden Informationen berücksichtigt, die von ganz anderer Bedeutung sind. Zum ersten findet man in den herausgegebenen Quellen auch Abbildungen von Kaufmannszeichen, mit denen die beförderten Waren versehen wurden. In Bezug auf die genannten Zeichen in Preußen verfügt man über ein immer noch karges Wissen.16 Daneben enthalten die jetzt veröffentlichten Überlieferungen viele detaillierte Angaben zu den beförderten Waren, vor allem Tüchern, Leinen und Stoffen sowie zu ihrer Herkunft und ihren Preisen. Die Verzeichnisse nennen auch Öl-, Mandel-, Reis-, Kümmel- und Pfeffermengen (Überlieferungen I–III). ***

14 Link et al. (Hg.): Schuldbücher, Nr. 29, S. 364–365 (Beilage). 15 Koppmann (Hg.): Hanserecesse, Nr. 172, Pkt. 15; Kopin´ski et al. (Hg.): Wykaz, S. 68, 70. 16 Engel: Die mittelalterlichen Siegel, nach der Tafel 4 Hausmarken (am Ende der Veröffentlichung); Gumowski: Herbarz, Tafeln 35–39 sowie S. 197–198; Semrau: Geschlechtswappen, S. 87–93; Koczy (Hg.): Materiały, S. 275–331 (hier erschienen 27 Thorner Kaufmannszeichen); vgl. auch Hirsch et al. (Hg.): Caspar Weinreich’s, S. 125–132 (Beilage 4); Roy: Danziger Hausmarken. 12/37/1, S. 1–9 und 12/37/2, S. 36–52; Caune: Hausmarken, S. 109–119.

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Die Überlieferungen, die im Rahmen dieser Veröffentlichung zum Druck vorbereitet wurden, bearbeitete man ohne Kürzungen, das ist als Ganzheit. Die römischen Zahlen wurden durch arabische ersetzt. In den lateinischen Texten bediente man sich der Zeichensetzung, die den Regeln der lateinischen Sprache entspricht, in den altdeutschen wurde dagegen die moderne deutsche Zeichensetzung eingesetzt. Man entschied sich auch für die Einführung von Zeichen an solchen Stellen, wo ihr Mangel gewisse Schwierigkeiten im Verständnis des Quelleninhalts bewirken könnte. Während der editorischen Arbeiten benutzte man auch die folgenden grafischen Symbole, die in den Richtlinien Adam Wolffs für die mittelalterlichen Quellen aus der Zeitspanne bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts vorgeschlagen wurden17: [] /- -/

--// [?]

Ergänzungen der Herausgeber; Streichung; Zusatz; unbeendeter Satz; Seitenende; unklare Stellen.

Alle anderen Angaben zu den herausgegebenen Überlieferungen, die aus quellenkundlicher bzw. archivarischer Sicht wichtig sind, wurden in den Fußnoten aufgeführt. Bei der Vorbereitung dieser Edition zum Druck knüpfte man auch an die Richtlinien Walter Heinemeyers18 wie auch an die Erfahrungen der Herausgeber der Akten der Ständetage des Königlichen Preußens [Akta Stanów Prus Królewskich] an.19 In der vorliegenden Edition verwendete man die folgenden Abkürzungen: den. fird. gr. lb. mr. pr. sc. sol.

denarium firdung grote libra marca, marcae, mark preußisch scotus solidus [in Bezug sowohl auf Preußisch Mark als auch Pfund Grote].

Die Sachanmerkungen belegen einen Teil der in den Quellen genannten Personen sowie geografische Namen und einige Termini. 17 Wolff: Projekt instrukcji, S. 155–184. 18 Heinemeyer: Richtlinien, S. 18–23. 19 Siehe Górski et al. (Hg.): Akta.

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Quellentexte I. Staatsarchiv Thorn [Archiwum Państwowe w Toruniu]: Akten der Stadt Thorn, Urkunden und Briefe [Akta miasta Torunia, Dokumenty i listy], Kat. I, Nr. 172/I. Papierschriftrolle (Rotulus) 21 x 101 cm, entstanden durch das Verbinden von 4 Blättern, auf denen zwei gleiche Filigrane mit Darstellung von drei Hügeln im Kreis, gekrönt von einem Stern, erscheinen. Ein Teil des Textes wurde mit aufgeklebtem Papier während der Konservierung überdeckt. [k. 1] Annoa Domini millesimo trecentesimo nonagesimo tercio circa Martini [11 XI 1393] infrascripta bona naufragata sunt in nave Arnoldi Duͤ ker1 supra Bornholm:2

1. Dominus Johannes de Pute3 1 terling huius signi 5

, in quo 13 breite von Dornen,4 10

6

poprenses, 24 halbe condytes.

2. Dominus Johannes Gelan7 1 terling huius signi 9

10

, in quo 42 harras8 eiusdem signi, 6

11

breves bruselenses, 1 scharlach, 1 cortrisch gro, 1 bettecziche.12 In eodemb frusto Johannes Stangewalt13

12 breves brusilenses, 14 tynenses,14 1 slatuch

dornense.c15 3. Item Johannes Stangewalt huius signi

6 pipen olei.16

4. Dominus Gotfridus Rebber17 huius signi

, in quo sunt 8 latos yprenses,18 20 thomasses.19

20

21

Item 1 vas migdalis et rysi. Item 1 vas komel.22 Tylemannus Wale23 huius signi

14 comusche.24 Item 1 vas piperis25 de eodem signo.

Gerco de Allin longior26 in eodem terlingo huius signi

31 gersberges,27 1 valentinense

slatuch.28

Ia Oben hinzugefügte Sign. 172a. b Daneben /-signo-/. c Darunter mit blauem Buntstift im 19. Jahrhundert hinzugefügt: Zusammenstellung der Thorner Gueter, die in dem Schiffe waren.

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Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki

5. Heynricus Hetuelt29 1 vas berebin huius signi 6. Hartwicus Hetuelt30 huius signi

1 vas cum pipere.

6 hemelbla31 yprenses, 1 satbla32 yprense, 2 grune

33

yprenses, 20 harras, 5 dynandes, 1 halb condite.34 1 vas berebin cum tela35 et aliis diversis secundum, quid in literis continetur. Tilman Hetuelt36 d-in proscripto-d vase: 1/2 bla yprense, 10 ulnum brusilenses, 1 frustum tele, 1 sigillum argentem,37 1 coclear38 prospectibus. 7. Peter vom Nichte39 huius signi

1 terlinge, in quo 30 poprensesf, 9 breves gerdzberges,

1 frustum tele, 1 slatuch valentinenseg. 8. Gotke Vasaen40 1 pipen olei 9. Herman Gezeke huius signi

2 vasa h-cum riis et mandelen-h euisdem signi. 1 terling, in quo 22 valentinenses, 12 comenses.41

10. Conradus Rusoppe42 huius signi

i

10 pipen olei.

11. Johannes Mumhard43 huius signi

1 terling, in quo 20 eydinges,44 20 breves

gerdzberges, 10 halbe condytes, 1 valentinense slatuch. 12. Johannes van der Mersch45 huius signi

1 terling, in quo 19 longos tynenses,46 10

herentales,47 1 slatuch valentinense. Item euisdem signi

1 terling, in quo 90 frusta kerdzei.48 Item 1 vas muczen49 de eodem

signo. 13. Nicolaus Lyndenow huius signi

1 terling, in quo 12 1/2 latos yprenses, 20 dynandes,

12 breves gerdzberges, 1 frustum tele, 1 valentinense. d-d

Übergeschrieben, in den Quellentext nach dem Schriftzeichen hinzugefügt. Wort verschwommen. f Wort verschwommen. g Darunter Nähbindung von dieser und der folgenden Karte. h-h Wörter mit rotem Buntstift unterstrichen. i Übergeschriebenes Kaufmannszeichen. e

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Verzeichnisse der Thorner Bürger und ihrer Waren aus den Jahren 1393–1394

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14. Johannes Barlow50 huius signi

1 terling, in quo 13 eydinges, 1 slatuch dynande.

15. Johannes Bykoln51 huius signi

1 terling, in quo 34 eydinges, 19 breves gerdzberges, 1

slatuch dynande. 16. Liffard Blumental52 huius signi

1 terling, in quo 17 eydinges, 10 halbe delremundes,53

10 dynandes cum slatuch, 4 latos yprenses. 17. Johannes Rubyt54 10 eydinges, 8 dynandes, 6 yprenses, 682 pfunt pfefferis huius signi

18. Johannes Sepperode huius signi

1 terling, in quo 36 dynandes.

Johannes vom Lo55 in eodem terlingo huius signi

10 longos eydinges 10 breves eydinges,

1 slatuch dynande. 19. Domina Kirstan Sternebergis56 huius signi k-

1 terling, in quo 16 breite dornenses, 14

-k

halbe gerdzb[erges], 1 slatuch valentinense . Heynricus Sternebergis in eodem terlingo huius signi 20. Henczil huius signi

15 breves de Aet.57

1 terling, in quo 20 [?] valentinenses, 20 poprenses.

21. Herman Ludenschede58 huius signi

1 terling, in quo 25 dynandes, 8 latos yp[renses].

Domina Anna de Curia in eodem terlingo huius signi Herman von Allen longio59 huius signil

8 latos harras.

6 dynades.

j

Darunter Spuren von zwei gebundenen Blättern, Fehlstellen infolge der Konservierung ergänzt. Wörter mit blauem Buntstift unterstrichen. l Daneben korrigierte und verschwommene Kaufmannszeichen, der Form nach jenem Kaufmannszeichen ähnlich, mit dem das Tuch von Anna de Curia gekennzeichnet war, auf der rechten Seite der Einträge seine richtige Form aus dem Quelleninhalt. k-k

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j

.

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Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki

Johannes Wynter huius signi

12 edinges.

22. Bernd Nysleg huius signi

vel huius

1 terling nixatur continenciam literas

Johannes Nyslegis Heynricus vom Houe in eodem terlingo huius signi

Gocze Konyng60 huiusm signi

8 dynandes vel 6 edinges.

2 pipen olein.

23. Heynricus Buͤ ddink huius signi Wernherus Rote61 huius signi

1 vas mandeleno, 1 vas riisp. 1 terling, in quo sunt 5 yprenses, 11 breves gersberges,

20 edinges. Item in eodem signo taliq

.

Uxor Alberti Rebber62 huius signi

24. Hanneke Russe63 huius signi

9 harras.

1 vas piperisr.

m

Darunter Tintenfleck. Darunter Nähbindung von dieser und der folgenden Karte. o Wort unterstrichen. p Wort unterstrichen. q Daneben korrigierte und verschwommene Kaufmannszeichen, auf der rechten Seite der Einträge seine richtige Form aus dem Quelleninhalt. Weiter /-Albertus Reber huius signi-/. r Wort unterstrichen. n

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Verzeichnisse der Thorner Bürger und ihrer Waren aus den Jahren 1393–1394

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Johannes Konyng 1 vas specieries signo tali videlicet sub signo hu[ius]---t Gryte filia Anne de Camenata 3u pipen olei. v-

Johannes Rubyt est in nave et nescitur quantum habet secum de----v

Arnt Balke

, 4 breves [?] bruslenses.// w-

[k. 1v] 25. Disen ist ir-w gewand widergegebinx, das do funden ist von irem merke unde segil: Johannes Rubit 1 yprense, 6 eydinges. Johannes Stanginwalt 7y korcze von Tyne, 6 korcze von Broselz. Gerken von Allenaa 14or halbe gersberges, der sint 11 besenab [?]. 26. Das inige [?] lake, die dem Thorner gehoren: 29 breite dornigk64 60 poperinges 35 /-aeth-/ 26 comensesac 48 valentinenses 71 breves gerdzberges 132 edinges 113 dinades 97 latos ipernses.//

s

Wort unterstrichen. Die folgenden Einträge mit aufgeklebtem Papier überdeckt. u Ziffer korrigiert. v-v Wörter mit blauem Buntstift unterstrichen. Der Eintrag unvollständig wegen aufgeklebten Papiers. w-w Wort hinzugefügt über /-haben dis-/. x Wort hinzugefügt über /-genomen-/. y Daneben /-breves-/. z Wort teilweise mit aufgeklebtem Papier überdeckt. Darunter hinzugefügt: der sint dry unbesehen. aa Daneben /-9-/. ab Darunter mit Bleistift hinzugefügt 172/I. ac Weiter /-45 pipen ...-/. t

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II. Staatsarchiv Thorn [Archiwum Państwowe w Toruniu]: Akten der Stadt Thorn, Urkunden und Briefe [Akta miasta Torunia, Dokumenty i listy], Kat. I, Nr. 172/IIa. Papierkarte 21 x 30 cm. Sichtbares Filigran mit Darstellung des Ochsenkopfes, gekrönt von einer Kugel. Ein Teil des Textes wurde mit aufgeklebtem Papier während der Konservierung überdeckt. [k. 1] Anno XCIIIIo [1394] subscriptos pannos naufragis periclicatis in navi Arnoldi Duker est restituta importare, clara satisficantes. Johannesa Rubit juravit sibi hiis verbis, das das gewand, das ir von Bornholm bracht und empfangin hat czub uwir und uwer frundec behoff kowfft und unvorwechsilt ist, sunder argelist. Johannesd Rebit hat empfangin 6 yprenses, 10 eydinges, 8 dynandes, et piper. Johannes von der Merse 12 lange von Tyne, 2 1/2 herntalusch. Domina Sternbergynne 9 breyer dornusch,65 tenetur ad huc incolis praescant familium. e-Item 5 halbe breytef gersberges-e. Hinrichg Sternberg 7 aytusche66 juravith. Arnolt Balke 1 korcz von Brosil. i-Item Gerke von Allen 15 halbe gerberichsses-i. Her Johan von Putten 1 breyt dornusch. Her Gotke Rebber 2 thomaschj. Kuncze Berner 6 halbe delremundesch. Her Johan Jelin 1 korcze von Brosel. Dis gewand ist ydermanne underworden, das von Danczk67 brochk. Tyleman Wale 10 komusch.68 Herman Gestke 6 komusch. Mumhard 6 c[on]ditusch.

IIa In der obigen Blattecke hinzugefügte Sign.: 1722. Neben diesem Eintrag ein Strich mit blauem Buntstift, darüber mit derselben Farbe hinzugefügt II a. b Wort übergeschrieben, in den Quellentext hinzugefügt nach dem Schriftzeichen. c Daneben /-gekowfft-/. d Daneben am Rand verschwommen: Juravit. e-e Wörter darunter hinzugefügt, in den Quellentext hinzugefügt nach dem Schriftzeichen. f Wort hinzugefügt, in den Quellentext hinzugefügt anstelle /-eydinges-/. g Früher /-das-/, und ein wenig oben Tintenfleck. h Wort mit blauem Buntstift unterstrichen. i-i Wörter mit einer anderen Hand und hellerer Tinte hinzugefügt. j Daneben hinzugefügt: x. k Daneben am Rand mit Bleistift hinzugefügt: 172 II a.

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Verzeichnisse der Thorner Bürger und ihrer Waren aus den Jahren 1393–1394 Johann de Merse 1 longum de Tyne. Ewirke Zepperode 8 dynandes. Lindenaw 8 dynandes. Hartwic Hetuelt 3 dynandesl. Lipfhart 4or dynandes. Herman Ludensch[eide] 2 dynandes. Johann Mumhard 4or eydinges. Item 3 korcze gersberges. Wernher Rote 5 eydinges, 1 korcze gersberge. Johann de Lo 3 eydinges. Liffhardm Blumental 1 eydinges. Wysse Hensil 5 poprenses. Johann Nuslog 1 valentinense. Herman Gescke 1 korcze valentinense.// [k. 1v] Der ungeczeichnitin dynandes Johannes Lindenaw 9 dynandes Ew[ird] Zeppenrode Herman Ludenscheide Lipphard Blumental Hartwig Hetuelt Johann Nuͤ sleger

9 dynandes.

Johann de Lo Johann Bykoln Johann Barlawe Hinrich de Allin 1 dynande. Johann Bykoln 10 eydinges. Johann Winter Johann Mummehart cum socio 10 eydingesn. Wernher Rote cum socio 10 eydinges. l

Daneben hinzugefügt: x. Früher /-Item Jo-/. Wort teilweise mit aufgeklebtem Papier überdeckt. Darunter /-Liffhard Blumen-/.

m n

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Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki

Item Wernher Rote cum sociis 6 korcze gersbergeso. Her Gotke Reber 1 thomasch. Item Gerken von Allin 1/2 gersberguschp.//

o

Wort teilweise mit aufgeklebtem Papier überdeckt. Darunter mit blauem Buntstift hinzugefügt: Kladde Zusammenstellung das ..., was in Natura den Eigenthümern zurückgegeben wurde. Cf. auch I Vo und II b. Neben dem Wort „Eigenthümern“ mit Bleistift eingesetzte Sign. 172 IIa. p

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III. Staatsarchiv in Thorn [Archiwum Państwowe w Toruniu]: Akten der Stadt Thorn, Urkunden und Briefe [Akta miasta Torunia, Dokumenty i listy], Kat. I, Nr. 172 IIb. Papierblatt, Fehlstellen während der Konservierungsarbeiten ergänzt, 29,5 x 42 cm. Die Einträge in zwei Spalten. Das Blatt wurde ursprünglich ins Format folio fracto gefaltet. An der Stelle der Blattfaltung gibt es zahlreiche Beschädigungen, die es unmöglich machen, einen Teil der Kaufmannszeichen zu erkennen. Man entschied sich daher dafür, sie aufgrund von erhaltenen

Strichen

sowie

anderen

Kaufmannszeichen

in

der

Überlieferung

I

wiederherzustellen. Sichtbares Filigran mit Darstellung des Ochsenkopfes, gekrönt von einem Stern. Ein Teil des Textes wurde auf der Rückseite mit aufgeklebtem Papier während der Konservierung überdeckt. [k. 1] 1. Johannesa Rubit vor 6 yprenses 72 mr. Item vor 10 eydinges 45 mr.

Summa 147 mr.

Item vor 8 dynandes 30 mr. 2. Gerco von Allen vor 15 halbe gersberges 41 mr. 1 fird. 3. Johanni de Merse vor 12 lange von Tyne 90 [mr.] Summa 107 1/2 mr. Item vor 2 1/2 herentales 17 1/2 mr. 4. Domina Sternbergynne vor 9 breite dornusch 54 mr. Item vor 5 halbe gersberges 22 1/2 mr. Item Hinrich Sternberg vor 7 korcze atusch

Summa 108 mr.

31 1/2 mr. per 4 1/2 mr. computis. 5. Arnolt Balke vor 1 1/2 korcz brosslenses 18 mr. 6. Her Johanni von Putten vor 7 breyte von Dorne 42 mr. Summa 57 1/2 mr. Item 6 kondytes vor 12 mr. an gereytem gelde 3 1/2 mr. IIIa Darüber mit blauem Buntstift im 19. Jahrhundert hinzugefügt: II b Was Einzelne in natura zurueck empfingen. Zwischen II b und den folgenden Einträgen mit Bleistift auch hinzugefügt: 1722.

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Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki 7. Hern Gotken Reber vor 2 tomases 15 mr.

8. Hern Jo[hann] Jelyn vor 1 korcz brosslenses 12 mr. Item vor 24 harras 57 mr. Item Conrad Bernher vor 6 halbe

Summa 105 mr.

delremundusch 36 mr.

9. Johanni Stanginwalt vor 6 korcz von brosslenses 72 mr. ad 12 mr. computatis Item vor 7 korcze von Tyne

Summa 143 mr. 3 fird.

37 mr. minus fird. ad 5 mr. fird. Item vor 2 pipen olei 32 mr. 10. Gotkoni Vasan vor 1 brux69 11 mr. 11. Tylen Wale vor 10 komusch 60b mr. ad 6 mr. 12. Hermano de Geseke vor 6 komusch 36 mr. ad 6 mr.

Summa 39 [mr.]

Item vor 1 valentinenses 3 mr. 13. Johanni Mumhard vor 6 condites 12 mr. Item vor 4or eydinges 18 mr.

Summa 88 1/2 mr.

Item vor 3 korcze gersberges 13 1/2 mr. Item vor 10 eydinges cum sociis 45 mr.

b

Ziffer korrigiert.

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14. Girken Sepperode vor 8 dynandes 30 mr. ad 4or mr. minus fird. Item 9 dynandes 34 [mr.] minus fird.

Summa 94 mr. minus fird.

Item Nicolaus Lindenaw vor 8 dynandes 30 mr. 15. Hartwicus Hetuelt vor 2 dynand 7 1/2 mr. 16. Lyffhardes Blumental vor 4or dyna[n]d 15 mr. Item vor 1 eydinges 4 1/2 mr. Summa 19 1/2 mr. 17. Wernheris Roten vor 5 eydinges 22 1/2 mr. Item vor 1 korcz gersberges 4 1/2 mr. Item 10 eydinges cum sociis 45 mr.

Summa 99 mr.

Item vor 6 korcze gersberges 27 mr. 18. Johann vomc Lo vor 2 eydinges 9 mr. 19. Wisse Hensil vor 4or valentinenses 12 mr. 20. Johanni Nuslegis vor 1 valentinense 3 mr. 21. Hermano Ludenscheide cum sociis 9 dynandes 34 mr. minus fird. 22. Hermanno von Allin vor 1 dynand 4or mr. minus fird. 23. Gotkoni Nymagin vor 7 dynandes 26 mr. 1 fird. Item 23 harras 54 mr. 15 sc. Item vor 5 eydinges 22 1/2 mr.

Summa 109 mr. 9 sc.

Item vor dry halbe dornusch 6 mr.

c

Wort korrigiert.

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Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki 24. Johanni Winter vor 10 eydinges 45 mr.d Johanni Bykoln 25. Johann de Puteo Peter de Nichte

3 poprenses 7 1/2 mr.e

Wissehensil 26. Item bobin alle rechinschafft f-so blibin dy vom Elbinge70 scholdig der stat Thorn-f71 11 mr. 11 sc. Summa tota 1366 mr. Summa pariter 2026 mr. Summa de Elbingesis 660 [mr.] Doruff ist gegangen g-czu ungelde 180 mr. 1 fird.-g Dorczu is h-dy stat Thorn scholdig 2 mr. von eynem pferde-h. Uff dy mr. ist gerechint czu 2 sc. und 4or den.i// [k. 1v] 27. Johann Nuͤ sleger hat gewand empfangin czu Danczk, abir man weys nicht wy vilj.//

d

Darunter mit Bleistift hinzugefügte Sign.: 172 II b. Darunter eine Linie über die gesamte Karte gezogen, die die Einträge trennt. f-f Wörter mit blauem Buntstift unterstrichen. g-g Wörter mit blauem Buntstift unterstrichen. h-h Wörter mit blauem Buntstift unterstrichen. i Darunter /-Item 15 1/2 mr. von 6 condites und 3 1/2 mr. gerites [?] geldis das nicht gerechint was von her Johann von Putten wegen und vergessen was=/. j In der obigen Blattecke mit Bleistift hinzugefügte Sign.: 172 II b. e

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IV. Staatsarchiv in Thorn [Archiwum Państwowe w Toruniu]: Akten der Stadt Thorn, Urkunden und Briefe [Akta miasta Torunia, Dokumenty i listy], Kat. I, Nr. 172 IIIa. Papierblatt, stark verschmutzt, 19 x 16,5 cm. Sichtbares Fragment eines Filigrans. [k. 1] Summa 4836 mr. et 1 fird.a// [k. 1v] b-Arnold Duker-b Summa Elbingensis, quamc in universo habuerint in navi Arnoldid Duker 606 1/2 lb. gr. Summa in pecunia prutenis 977 mr., de quibus sustulerinte.//

IVa Darüber mit Bleistift hinzugefügt 172, weiter daneben mit blauem Buntstift III a. Darunter Tintenfleck, darunter mit Bleistift im 19. Jahrhundert hinzugefügt: Ist von einem größeren Blatt übrig, welches, wie es scheint, den Schaden der einzelnen Städte angab. b-b Wörter mit Majuskel hinzugefügt, gegenüber dem restlichen Text um 90° gedreht. c Über dem Wort ein kleines Loch im Papier. d Inmitten des Wortes ein kleines Loch im Papier. e Daneben /-etc.-/ [?].

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V. Staatsarchiv in Thorn [Archiwum Państwowe w Toruniu]: Akten der Stadt Thorn, Urkunden und Briefe [Akta miasta Torunia, Dokumenty i listy], Kat. I, Nr. 172/V. Papierblatt 30 x 45 cm. Sichtbares Filigran mit Darstellung von drei Hügeln, gekrönt von einem Stab. [k. 1]

Dis sint dy luͤ te noch czu achten us Arnd Duker

Johana de Merssche b-79 lb. 30 gr.-b, summa an prusschen gelde 14 mr. c-et 15 den-c. Johannes de Puteo 42 lb. 9 sol., summa 7 1/2 mr. et 1 sc. pr. d-

Domina Sternbergynne-d 33 lb. 5 sol. 4 gr.e, summa 5 ½ mr. et 10 sc. minus 6 den. pr.

Henrichf Sternberg, Johannes Barlaw successit 15 lb. 4or sol. 8 gr., summa 2 ½ mr. 12 sol. pr.g Girke von Allen 26 lb. 8 sol. et 8 gr., summa 4h mr. 11 sc. pr. 14 den. Gotkei Rebber 93 lb. gr., summa 16 ½ mr. et 2 sol. pr. Cuncze Berner 53 lb. 18 sol. et 4or gr.j, summa 9 ½ mr. 2 sc. minus 1 quart pr. Johan Jelin 76 lb. et 10 sol., summa 13 mr. 14 sc. et 1 sol. pr. Tilek Wale 27l lb. gr., summa 4 ½ mr. 7 sc. et 6 den. pr. Hermanm Geske 55 lb., summa 9 mr. 18n sc. et 20 den. pr. Johano Momhard 76 lb. 7 gr., summa 13 ½ mr. pr. Johanp Stanginwald 60 lb. minus 9 sol., summa 10 mr. 14 sc. 6 den. pr. Ewerdq Czeppenrod 37 lb. et 10 sol., summa 6 ½ mr. 4or sc. minus 8 den. pr. Nicolaus Lindenaw 112 lb. r-gr. 14-r sol., summa 20 mr. et 20 den. pr.

Hartwik Hetuelt 96 lb. 9 ½ sol., summa 16 mr. 8 sc. pr. s-10 den.-s Va Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem, und über dem Namen eine Archivsign. V. b-b Wörter übergeschrieben über /-68 lb. minus 3 sol.-/. c-c Wörter übergeschrieben über /-et 8 firchen-/. d-d Wörter übergeschrieben über /-Johannes Barlaw successit-/. Daneben am Rande hinzugefügt und gestrichen sowie wiederholt: ad sanctum Johanem. e Wort übergeschrieben über /-sol-/. f Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. g Darunter ein kleiner Tintenfleck. h Ziffer übergeschrieben über /-4 ½-/. i Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. j Wort übergeschrieben über /-sol-/. k Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. l Früher ein Fragment der Ziffer gestrichen. m Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. n Ziffer korrigiert. o Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. Mitten in und über diesem Text 2 kleine Tintenflecke. p Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. q Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. r-r Wörter übergeschrieben über /-13-/. s-s Text teilweise verschwommen.

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Verzeichnisse der Thorner Bürger und ihrer Waren aus den Jahren 1393–1394

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Liffardt Blumental 75 lb. 8 sol. 6 gr., summa 13 mr. 9 ½ sc. 7 den. pr. Herman Ludenscheide 76 lb. 6u sol. 7 gr., summa 13 ½ mr. et 3 sol. pr. Wernherv Rote 94 lb. 6 sol. et 4 gr., summa 16 mr. 3 sol. et 2 den. pr. Jo[han] vom Lo 34or lb. gr., summa 6 mr. 1 sc. et 2 den. pr. Weyssew Hensil 48 lb. 11 sol., summa 8 mr. 15 sc. 4 den. pr. Johan Nuͤ sleger 11 lb.13 sol. et 4 gr.x, summa 2 mr. 1 loth 5 den. pr. Johan Bykoln 90 lb. 7 sol., summa 16 mr. 42 den. pr. Johany Winther 19 lb. 12 sol., summa 3 ½ mr. minus 1 sol. pr. Herman von Allen 8 lb. et 5 sol., summa 1 mr. 11 sc. 5 den. pr. Tidmanz Hetuelt 2 lb. 16 sol., summa 1/2 mr. minus 8 den. pr. Petiraa vom Nichte 56 ½ lb. gr., summa 10 mr. 1 sc. et 2 den. pr. Dominaab de Curia 8 lb., summa 1ac mr. 10 sc. 4 den. pr. Henricus Hetuelt piper 19 lb. 15 sol., summa 3 ½ mr. 8 den. pr. Gotkead Vasan 5 lb. gr., summa 21 sc. et 10 den. pr. Conrodae Rusopp 20 lb. gr., summa 3 ½ mr. et 40 den. pr. Johannesaf Barlaw 29 lb. 8 sol., summa 5 mr. 5 sc. et 10 den. pr. Clauko de Linda 43 lb. minus 2 sol., summa 7 mr. 15 sc. et 2 den. pr. Hanke Russe 19 lb. 15 sol., summa 3 ag mr. 8 sc.ah Hinrichai vom Hoffe 13 lb. gr., summa 2 mr. 5 sc. 14 den. pr. Gotkeaj Koning 2 pipen olei 10 lb. gr.ak, summa 1 mr. 19 sc. minus 10 den. pr. Johan Rubyt 60 lb. minus 6 sol., summa 10al mr. 15 sc. minus 6 den.

t

Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. Ziffer korrigiert. Am Rande hinzugefügt: dederunt prem suam ad sanctum Johanem. w Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. x Wort übergeschrieben über /-sol.-/. y Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. z Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. aa Daneben am Rande Kreuzchen und hinzugefügt: Hope [?] situm est. ab Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. ac Früher ein Fragment der Ziffer gestrichen. ad Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. ae Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. af Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. ag Ziffer übergeschrieben über /-3 ½-/. ah Wort übergeschrieben über /-den. pr.-/. ai Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. aj Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. ak Weiter /-15 sol.-/. al Daneben /-15-/. u v

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Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki

Grytha filia domine Anne de Caminata 15 lb. gr., summa 2 1/2 4 sc. pr. Hinricham vom Halthern 30 lb. 7 sol. 6 gr.an, summa 5 mr. 9 sc. et 1 sol. pr. Gotke von Nymegin 14ao lb. 3 sol. 10 gr., summa 2 1/2 mr. minus 1 quart pr. Jo[hann] Koning 10 lb. gr., summa 7 fird. et 20 den. pr. Uxorap Alberti Rebber 9 lb. gr., summa 1 1/2 mr. 6 sol.// [k. 1v] Hincze Platten 6 lb. gr., [summa] 1 mr. 4 sol. Ewerd Altich [?] Summa 1713 lb. 16 sol. et 10 gr. und off das lb. ist komen und gerechent 4 sc. et 8 den. Summa an prusschem gelde 304 1/2 mr.aq//

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Fußnoten zur Quellenbeilage: Der Elbinger Bürger beförderte auf seinen Schiffen Waren auch für den Großschäffer aus Königsberg und Sievert Veckinchusen; Heckmann et al. (Bearb.): Das Elbinger Kriegsbuch, S. 265 – prosopografisches Verzeichnis. 2 Bornholm, eine Insel. 3 Schöffe (1379–1381), Ratsherr (1382–1385) und Bürgermeister der Altstadt Thorn (1386–1406); Czaja: Urzędnicy, S. 216. 4 Breites Tuch aus Doornik=Tournay. 5 Poperinger Tuch. 6 Tuch aus Kontich, eine solche Identifizierung in: Stein (Bearb.): Hansisches Urkundenbuch, 8, S. 855. 7 Schöffe (1375–1376), Ratsherr (1377–1386) und Bürgermeister der Altstadt Thorn (1387–1394), gestorben 1394; Czaja: Urzędnicy, S. 206. 8 Arraser Tuch. 9 Kurzes Tuch aus Brüssel. 10 Scharlachrotes Tuch. 11 Graues Tuch aus Kortrijk=Courtrai. 12 Überzug. 13 Ratsherr der Altstadt Thorn (1411–1413); Czaja: Urzędnicy, S. 223. 14 Tuch aus Tienen=Tirlemont. 15 Beim Packen festgestampftes Tuch aus Doornik=Tournay. 16 Olivenöl, Öl. 17 Schöffe (1379–1382), Ratsherr (1383–1387) und Bürgermeister der Altstadt Thorn (1388–1411); Czaja: Urzędnicy, S. 216. 18 Breites Tuch aus Ypern. 19 Tuch aus Saint-Omer. am

Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. Wort übergeschrieben über /-den.-/. ao Ziffer korrigiert. ap Daneben am Rande hinzugefügt: ad sanctum Johanem. aq Daneben im 19. Jahrhundert mit Bleistift hinzugefügt: Das heißt nicht ... das ist ... ist so ... . Unter dem Text mit Bleistift hinzugefügte Sign. 172V sowie etwas weiter unten mit blauem Buntstift: Vertheillung des aus Thorn enthaltenden Antheils an dem Baar Erlostes (nicht in natura zurueckgegebene) Gutes auf die einzelnen Thorner Buerger. Cf. Nr. IV, Bl. 3v. Später ein mittelalterlicher Eintrag: Dampna dacie sowie ein im 19. Jahrhundert eingetragener Titel: 1393 Waaren von Thorner Kaufleuten, die im Schiffe des Arnoln Dueker (aus Elbing) bei Bornholm gestrandet. an

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Verzeichnisse der Thorner Bürger und ihrer Waren aus den Jahren 1393–1394

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Mandeln. Reis. 22 Kümmel. 23 Schöffe (1399–1404), Ratsherr (1405–1408), Richter der Altstadt Thorn (1407), gestorben 1408; Czaja: Urzędnicy, S. 235. 24 Tuch aus Comines. 25 Pfeffer. 26 Vermutlich identisch mit Gerhard III. von Allen genannt Longus, dem Stadtschöffen (1411), Ratsherrn; Mikulski et al.: Herbarz, S. 39. 27 Tuch aus Geraardsbergen=Grammont. 28 Beim Packen festgestampftes Tuch aus Valenciennes. 29 Schöffe (1383), Ratsherr (1384–1390) und Bürgermeister der Altstadt Thorn (1391–1398), gestorben 1398; Czaja: Urzędnicy, S. 205. 30 Schöffe (1424–1433) und Ratsherr der Altstadt Thorn (1434–1444); Ebd. 31 Hellblau. 32 Dunkelblau. 33 Tuch aus Dinant, so Kutrzeba: Finanse Krakowa, S. 96, Fn. 3. 34 Tuch aus Kontich. 35 Leinen. 36 Schöffe (1393–1396) und Ratsherr der Altstadt Thorn (1409–1419); Czaja: Urzędnicy, S. 205. 37 Das Petschaft. 38 Löffel, Schöpflöffel. 39 Schöffe (1383–1399), älterer Schöffe der Altstadt Thorn (1400–1402); Czaja: Urzędnicy, S. 213. 40 Schöffe (1403–1407) und Ratsherr der Altstadt Thorn (1408–1412); Ebd., S. 200. 41 Tuch aus Comines. 42 Schöffe (1397–1398) und Ratsherr der Altstadt Thorn (1399–1410);Czaja: Urzędnicy, S. 220. 43 Schöffe (1398–1403) und Ratsherr der Altstadt Thorn (1404–1407); Ebd., S. 212. 44 Tuch aus Enghien=Edingen. 45 Schöffe (1387–1395), Ratsherr (1396–1408) und Bürgermeister der Altstadt Thorn (1409–1422); Czaja: Urzędnicy, S. 212. 46 Tuch aus Tienen=Tirlemont. 47 Tuch aus Herenthals. 48 Kersei – leichter Kämmstoff, für Kleidung. 49 Mützen, Kopfbedeckung. 50 Ratsherr der Altstadt Thorn (1411–1413);Czaja: Urzędnicy, S. 196. 51 Schöffe (1397–1398), Ratsherr der Altstadt Thorn (1399–1412); Ebd., S. 197. 52 Schöffe (1406–1407), Ratsherr der Altstadt Thorn (1408–1421); Ebd. 53 Tuch aus Dendermonde. 54 Wohl Johan III. Rubit, Schöffe (1398), Ratsherr (1399–1439); Czaja: Urzędnicy, S. 220. 55 Johan III. vom Lo, Schöffe (1381–1382), Ratsherr (1383–1400); Ebd., S. 211. 56 Wohl Ehefrau oder Witwe von Kirstan Stirnberg, dem Schöffen der Altstadt Thorn (1382–1385); Ebd., S. 223. 57 Kurzes Tuch aus Ath. 58 Schöffe (1395), Ratsherr der Altstadt Thorn (1396–1398), gestorben 1398; Czaja: Urzędnicy, S. 211. 59 Schöffe (1386–1388), Ratsherr (1389–1397) und Bürgermeister der Altstadt Thorn (1398–1403); Ebd., S. 195. 60 Schöffe der Altstadt Thorn (1395–1396); Ebd., S. 208. 61 Schöffe (1399–1403) und Ratsherr der Altstadt Thorn (1404–1423); Ebd., S. 219. 62 Witwe von Albrecht Rebber, dem Schöffen (1363), Ratsherrn (1367–1393), Kumpan des Bürgermeisters (1385), gestorben 1393; Ebd., S. 216. 63 Johan II. Reusse, Schöffe (1397–1402), der ältere Schöffe der Altstadt Thorn (1403–1411); Ebd., S. 217. 64 Breites Tuch aus Doornik=Tournay. 65 Breites Tuch aus Doornik=Tournay. 21

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Krzysztof Kopin´ski / Janusz Tandecki

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Kurzes Tuch aus Ath. Danzig, Stadt. 68 Tuch aus Comines. 69 Tuch aus Brüssel. 70 Elbing, Stadt. 71 Thorn, Stadt. 72 Schöffe (1404), Ratsherr der Altstadt Thorn (1405–1411), Bürgermeister (1412–1416), gestorben 1416; Czaja: Urzędnicy, S. 204. 73 Schöffe (1411), Ratsherr der Altstadt Thorn (1420–1421); Ebd., S. 205. 67

[Übersetzung: Liliana Lewandowska]

Bibliografie Archivalische Quellen Archiwum Pan´stwowe w Toruniu: Akta miasta Torunia, Dokumenty i listy, Kat. I, Nr. 172/I; 172/IIa; 172 IIb; 172 IIIa; 172/V.

Gedruckte Quellen Estreicher Stanisław (Hg.): Najstarszy zbiór przywilejów i wilkierzy miasta Krakowa. 1936. Górski Karol / Biskup Marian (Hg.): Akta Stanów Prus Królewskich, 1–2. 1955–1957. Heckmann Dieter (Bearb.) / Kwiatkowski Krzysztof (Mitarb.): Das Elbinger Kriegsbuch (1383–1409). Rechnungen für städtische Aufgebote. 2013. Hein Max / Maschke Erich (Hg.): Preußisches Urkundenbuch, 2: (1309–1335). 1962. Hirsch Theodor / Vossberg Friedrich August (Hg.): Caspar Weinreich’s Danziger Chronik. Ein Beitrag zur Geschichte Danzigs, der Lande Preussen und Polen, des Hansabundes und der nordischen Reiche. 1855. Höhlbaum Konstatin (Bearb.): Hansisches Urkundenbuch, 3. 1882–1886. Höhlbaum Konstatin (Bearb.): Hansisches Urkundenbuch, 4. 1896. Koczy Leon (Hg.): Materiały do dziejów handlu Hanzy pruskiej z Zachodem, in: Rocznik Gdan´ski, 7–8. 1933–1934, S. 275–331. Kopin´ski Krzysztof / Olin´ski Piotr (Hg.): Wykaz opłat mieszczan pruskich z pierwszej połowy lat 90. XIV wieku, in: Skowron´ska Renata / Kopin´ski Krzysztof / Flachenecker Helmut (Hg.): Schriftlichkeit, Beschreibung und Interpretation von Quellen. Festschrift zum 70. Geburtstag von Professor Janusz Tandecki. 2020, S. 67–95. Koppmann Karl (Hg.): Hanserecesse. Die Recesse und andere Akten der Hansetage von 1256–1430, 4. 1877. Kunze Karl (Bearb.): Hansisches Urkundenbuch, 5. 1899. Link Christina / Sarnowsky Jürgen (Hg.): Schuldbücher und Rechnungen der Großschäffer und Lieger des Deutschen Ordens in Preußen, 3: Großschäfferei Marienburg. 2008.

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Verzeichnisse der Thorner Bürger und ihrer Waren aus den Jahren 1393–1394

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Stein Walther (Bearb.): Hansisches Urkundenbuch, 8. 1899. Voigt Johannes (Hg.): Codex diplomaticus Prussicus. Urkunden-Sammlung zur ältern Geschichte Preussens aus dem Königl. Geheimen Archiv zu Königsberg, nebst Regesten, 3. 1848.

Literatur Caune Andris: Hausmarken des 13. und 14. Jahrhunderts in der Hansestadt Riga, in: Pelc Ortwin / Pickhan Gertrud (Hg.): Zwischen Lübeck und Novgorod. Wirtschaft, Politik und Kultur im Ostseeraum vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Norbert Angermann zum Geburtstag. 1996, S. 109–119. Czaja Roman: Urze˛dnicy miejscy Torunia. Spisy, 1: Do roku 1454. 1999. Daenell Ernst Robert: Polen und die Hanse um die Wende des 14. Jahrhunderts, in: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft NF, 2/8. 1897–1898, S. 317–341. Engel Bernhard: Die mittelalterlichen Siegel des Thorner Rathsarchivs: mit besonderer Berücksichtigung des Ordenslandes, 2: Privatsiegel mit Ausschluss der rein polnischen. 1894. Gumowski Marian: Herbarz patrycjatu torun´skiego. 1970. Heinemeyer Walter: Richtlinien für die Edition mittelalterlichen Amtsbücher, in: Heinemeyer Walter (Hg.): Richtlinien für die Edition landesgeschichtlicher Quellen. 2000, S. 19–25. Jasin´ski Tomasz: Torun´ XIII–XIV wieku – lokacja miast torun´skich i pocza˛tki ich rozwoju (1231–około 1350), in: Biskup Marian (Hg.): Historia Torunia, 1: W czasach ´sredniowiecza (do roku 1454). 1999, S. 100–166. Karwasin´ska Jadwiga: Sa˛siedztwo kujawsko-krzyz˙ackie 1235–1343. 1927. Koczy Leon: Dzieje wewne˛trzne Torunia do roku 1793, in: Tymieniecki Kazimierz (Hg.): Dzieje Torunia. 1933, S. 97–209. Kopin´ski Krzysztof: Gospodarcze i społeczne kontakty Torunia z Wrocławiem w póz´nym ´sredniowieczu. 2005. Kutrzeba Stanisław: Finanse Krakowa w wiekach ´srednich, in: Rocznik Krakowski, 3. 1900, S. 27–152. Lesin´ski Henryk: Kontakty handlowe Wielkopolski z Pomorzem Zachodnim w XIV–XV wieku, in: Studia i Materiały do Dziejów Wielkopolski i Pomorza, 4/1. 1958, S. 49–73. Magdan´ski Marian: Handel Torunia na morzu w wiekach ´srednich, in: Roczniki Historyczne, 11. 1935, S. 5–32. Magdan´ski Marian: Organizacja kupiectwa i handlu torun´skiego do roku 1403. 1939. Mikulski Krzysztof / Kopin´ski Krzysztof: Herbarz patrycjatu torun´skiego, 2. 2015. Roy Joachim von: Danziger Hausmarken 1435–1656, in: Ostdeutsche Familien, 12/37/1. 1989, S. 1–9 und 12/37/2, S. 36–52. Semrau Arthur: Geschlechtswappen und Hausmarken an Thorner Privatgebäuden, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für den Regierungsbezirk Marienwerder, 31. 1893, S. 87–91. Wolff Adam: Projekt instrukcji wydawniczej dla pisanych z´ródeł historycznych do połowy XVI wieku, in: Studia Z´ródłoznawcze, 1. 1957, S. 155–184.

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Zdzisław Noga

Die Migration der Deutschen nach Krakau in der vorindustriellen Zeit

Abstract: Migration of Germans to Krakow in the Pre-industrial Period German migration to Krakow continued with varying intensity throughout the discussed period: from before the establishment of the city (1257) until the fall of the Polish-Lithuanian Commonwealth in the 18th century. This article presents an overview of the main directions from which Germans came to Krakow. An attempt was made to estimate the scale and dynamics of the migration by using books of admission to municipal law. Germans are confirmed to have migrated to Krakow consistently over the course of centuries (albeit with varying intensity), which resulted in the predominance of Germans in the city in the Middle Ages, and then a systematic decline in their significance from the 16th century. Krakow is also established to have been an economically attractive city and this was the main reason for the migration. Some cases are also presented regarding successful integration of newcomers into the upper social strata. Keywords: Krakow in the 13th–18th centuries; Poles and Germans in Krakow; migrations; integration

Die Anwesenheit von Deutschen in Krakau ist seit über einem Jahrhundert Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen.1 Sie entfachte auch Emotionen sowohl bei Polen als auch bei Deutschen. Der Mythos Krakaus als uralte deutsche Stadt wurde politisch instrumentalisiert.2 Es lohnt sich jedoch, dieses Thema ohne unnötige Emotionen zu betrachten. Es besteht kein Zweifel, dass Krakau bereits vor der Verleihung des Magdeburger Stadtrechts im Jahr 1257 ein attraktiver Ort für deutsche Kaufleute war. Hier gab es eine deutsche Kolonie, die Eigenständigkeit mit ihrem eigenen Schultheißen Peter genoss, was in Quellen aus den zwanziger und dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts bezeugt ist. Aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts stammen auch andere Erwähnungen von Prof. Dr. Zdzisław Noga, Pädagogische Universität Kraków, ORCID: https://orcid.org/0000-0003 -0061-1808. 1 Kutrzeba et al.: Dzieje handlu, S. 65–92; Ptas´nik: Studia nad patrycjatem, 15, S. 23–95 und 16, S. 1–90; Rajman: Kraków, S. 212–217; Noga: Niemcy w Krakowie, S. 9–24. 2 Małecki: Niemiecka historiografia Krakowa, S. 81–97.

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Zdzisław Noga

Deutschen, darunter von einer blinden Frau (mulier Teutonica), die kein Polnisch konnte. Die Deutschen lebten dort sicherlich weder in einer kompakten territorialen Enklave noch in größerer Anzahl.3 Diese Situation änderte sich mit der Gründung der Stadtgemeinde nach dem Magdeburger Stadtrecht im Jahre 1257. Zwei Lokatoren, Gedko Stilvoyt und Dethmar Wolk (beide aus Breslau) sowie Jacob, einst Richter in Neisse, begannen Siedler aus dem Ausland anzuwerben. Dies geschah, weil der Krakauer Herzog Boleslaus der Schamhafte, der das Privileg zur Gründung der Stadt erteilt hatte, gleichzeitig die Anwerbung neuer Bürger unter den damals dort lebenden Einwohnern Krakaus und sogar unter seinen Untertanen des gesamten Herzogtums verbot.4 Angesichts einer solchen Einschränkung mussten die Lokatoren anderswo Bürger für die neugegründete Stadt suchen. Es war wohl am einfachsten, sie aus ihrer Heimat Schlesien heranzuziehen, sowohl aufgrund der geografischen Nähe als auch früherer Kontakte. Es ist nämlich bekannt, dass es eines der effektivsten Migrationsnetzwerke ist.5 Sicherlich gewann die Einwanderung nach Krakau zu dieser Zeit an Dynamik, weil sich die Stadt schnell entwickelte. Obwohl wir weder das Ausmaß noch die Details dieser ersten Migrationswelle nach der Gründung der Stadt kennen, ist es sicher, dass die Lokatoren der Stadt es nicht geschafft haben, das Versprechen gegenüber dem Fürsten zu halten und die polnische Bevölkerung aus Krakau auszuschließen. Der Zustrom von Deutschen war aber zweifellos erheblich. Dies belegen die deutschen Nachnamen und Vornamen der ältesten Einwohner der Stadt sowie ihre durch Quellen bestätigten Herkunftsorte, die hauptsächlich erst im ältesten erhaltenen Krakauer Stadtbuch (seit 1301) verzeichnet sind. Eine bedeutende Gruppe bildeten Stadtbürger, die (wie einer der Lokatoren) aus Neisse kamen, aber interessanterweise nicht aus Breslau, von wo die anderen beiden stammten. Darüber hinaus ist auch möglich, deutsche oder eingedeutschte Familien zu identifizieren, die aus anderen schlesischen Städten stammten, darunter Brieg, Glogau, Schweidnitz, Oels, Ziegenhals, Grottkau, Groß Wartenberg, Kreuzburg, Pitschen und Sorau. Ein weiterer Faktor, der die Orte der Rekrutierung von Neubürgern Krakaus beeinflusste, war der Handel, was durch die Tatsache belegt wird, dass es bereits im ersten halben Jahrhundert nach der Lokation eine beträchtliche Anzahl von Einwanderergruppen aus den auf dem Handelsweg nach Prag liegenden Städten gab, das damals mit Krakau durch lebhafte Handelskontakte verbunden war (welche später von Krakauer 3 Rajman: Gmina miasta lokacyjnego, S. 62–63; Wyrozumski: Cracovia mediaevalis, S. 38–39. 4 »Hoc eciam nobis iidem advocati promiserunt, quod nullum ascripticium nostrum vel ecclesie seu cuiuscumque alterius vel eciam Polonum liberum, qui in rure hactenus habitavit, faciant suum concivem, ne hac occasione nostra vel episcopalia aut canonicorum vel aliorum predia ruralia desolentur«, Wyrozumska (Hg.): Przywileje, S. 25. 5 Wyz˙ga: Homo movens, S. 27–31.

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Die Migration der Deutschen nach Krakau in der vorindustriellen Zeit

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und Prager Juden dominiert wurden). Neuzugänge aus Katscher, Leobschütz, Teschen, Ratibor, Troppau und Bielitz wurden aufgenommen. Eine große Gruppe bildeten Neuankömmlinge aus dem Herzogtum Oppeln. Es ist interessant, dass bereits unter den ältesten Siedlern Deutsche aus entfernten Gegenden des Reiches angetroffen werden können, darunter aus dem Rheinland, Mecklenburg, Sachsen sowie auch aus Österreich.6 Die Zahl der Deutschen in Krakau kann jedoch erst für das 14. Jahrhundert geschätzt werden. Es wird angenommen, dass es 3.500 von ihnen gab, daneben 5.000 Polen und 800 Juden.7 Der demographische Vorteil der Polen schlug sich jedoch nicht als Einfluss in der Stadt nieder, in deren Behörden die Deutschen eine gewaltige Überlegenheit hatten. Dem Stadtrat, dem höchsten Organ der Selbstverwaltungsbehörde, gehörten hauptsächlich Kaufleute aus deutschen Familien an, und das Erbvogtamt wurde von Deutschen – zu Beginn des 14. Jahrhunderts von Albert – bekleidet. Ihre starke Stellung wird dadurch belegt, dass sie in den Jahren 1311–1312 eine Rebellion gegen den polnischen Herzog Wladislaus Łokietek (Ellenlang) zu entfachen vermochten, die als Aufstand des Vogtes Albert bezeichnet wurde. Der polnische Herzog ging siegreich aus dieser Auseinandersetzung hervor, die Rädelsführer und Teilnehmer der Rebellion wurden bestraft, die Situation der Deutschen in der Stadt änderte sich aber nicht grundlegend, außer dass es (übrigens nicht völlig erfolgreich) verboten wurde, die Stadtbücher auf Deutsch zu führen. Obwohl das Erbvogtamt konfisziert wurde, die Stadtgemeinde die volle Autonomie verlor und der Herzog persönlich und dann durch seine Beamten direkten Einfluss auf die Besetzung des Rates, d. h. des wichtigsten Organs der Selbstverwaltung, nahm, wurden die Rebellen in der Machtelite durch andere Deutsche ersetzt, sowohl aus den bereits in Krakau Ansässigen als auch aus den Reihen der Neuankömmlinge. Die Einwanderung von Deutschen nach Krakau war noch im Gang, und dieser Vorfall hatte darauf keine großen Auswirkungen, zumal seine »nationale« Ausprägung nicht ganz klar ist.8 Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts liegen bereits genaue Daten über die Anzahl der neuen Bürger von Krakau vor. Den seit 1392 erhaltenen zivilrechtlichen Stadtbüchern kann entnommen werden, dass um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert jedes Jahr mehr als 100 Personen das Bürgerrecht erhielten, in späteren Jahren etwa 60, fast genauso viele wie damals in Hamburg.9 Es ist jedoch schwierig, alle Deutschen in dieser Gruppe zu identifizieren und zu beziffern. Viele neue Bürger sind nur mit einem latinisierten Namen und der Berufsangabe, 6 Rajman: Kraków, S. 212–217; Ders.: Przybysze, S. 110–118; Ptas´nik: Studia nad patrycjatem, S. 23–95; Golin´ski: Relacje patrycjatu krakowskiego, S. 34. 7 Mitkowski: Nationality Problems, S. 31–42. 8 Rajman: Raciborzanie, S. 134–139. 9 Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1392–1506, S. XXI.

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aber ohne Herkunftsort eingetragen. Ein weiteres, wenn auch sehr unsicheres Kriterium könnte der deutsche Klang des Nachnamens sein.10 Dieser Hinweis wird dann zuverlässiger, wenn der Kandidat für das Bürgerrecht kein ordnungsgemäßes Dokument von den Behörden des Herkunftsortes vorlegen konnten (in dem unter anderem die eheliche Geburt bescheinigt wurde); andere Krakauer Bürger verbürgten sich für ihn, wobei diese in der Regel durch den Herkunftsort oder durch nationale Zugehörigkeit mit ihm verbunden waren.11 Aus deutschen Familien stammten auch viele Neuankömmlinge aus den außerhalb des Reiches gelegenen Städten, darunter aus Oberungarn (Leutschau, Kaschau), aus Lemberg und preußischen Städten. Daher lohnt es sich, ohne auf detaillierte Schätzungen einzugehen, nur die Geographie der Herkunft aus Städten des Reichs zu betrachten. Das Gebiet, aus dem die Siedler nach Krakau übersiedelten, erstreckte sich von München über Nürnberg, Köln bis Hamburg. Deutsche aus Wien und Magdeburg ließen sich in Krakau nieder.12 Unter den neuen Bürgern von Krakau am Ende des 15. Jahrhunderts treffen wir unter anderem Johannes vom Walde von Köln (1486) und seinen Landsmann Hans Maurer (1496), dann Achacius Schuhmacher von Krems (1480), Gregorius Grubel, Kaufmann von St. Gallen (1483), Pankratz Gaszman aus der Gegend von Bamberg (1495).13 Erwähnenswert sind zwei Städte, aus denen die einflussreichsten Krakauer Familien des späten Mittelalters stammten, nämlich Landau in der Pfalz und Weißenburg. Aus Landau kam 1483 Johann Boner, Ratsherr und königlicher Bankier, nach Krakau. Selbst kinderlos, holte er seine Neffen zu sich, die dank seines Geldes und ihrer eigenen Fähigkeiten den Reichtum vermehrten; sie wurden in den Adelsstand erhoben und standen im 16. Jahrhundert an der Spitze der Protestanten in Kleinpolen.14 Aus Weißenburg kamen neben der Familie Schilling unter anderem der Kaufmann Seyfred Bethman (1466), die Familien Wendelin und Herstein, dann Johann Rapp, der Ratsherr Johann Lemboch sowie Jost Ludwig Dietz, eines der einflussreichsten Mitglieder des Stadtrates, königlicher Sekretär, Chronist und heimlicher Anführer der Reformationsbewegung.15 Unter den schlesischen Städten im 15. Jahrhundert hoben sich Liegnitz, Brieg 10 Rajman: Raciborzanie, S. 138–139. 11 Z. B. 1397 Petrus Girchardisdorf bezeugt für Ulbrecht Heringer, Niclos Kolaczer, für Hanus Sperchin, Andreas Wayner für Hanus Engilman, Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1392–1506, Nr. 787, 795, 797. 12 Manche Informationen in: Kutrzeba et al.: Dzieje handlu, S. 65–95. Auch: Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1392–1506, Nr. 1041. 13 Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1392–1506, Nr. 4662, 8264,7870, 8131, 8751, 8787. 14 Ebd., Nr. 8065; Pociecha: Boner Seweryn, S. 301; Kaussler: Ein Pfälzer, S. 221. 15 Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie: 1392–1506, Nr. 6940, 7602, 8435; Kaußler: Ein Pfälzer, S. 28–30.

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und Beuthen hervor. Bürger aus Glogau und Schweidnitz (aus dieser Stadt stammte die einflussreiche in Krakau Familie der Schweidniczer), aus Brieg und Ohlau ließen sich ebenfalls in Krakau nieder.16 Dies sind nur Beispiele für Städte, aus denen die Bürger von Krakau kamen. Genaue Studien gehen über den Rahmen dieses Textes hinaus, unter anderem, weil eine kurze Erwähnung im Stadtbuch nicht ausreicht, um einige Orte zu identifizieren, insbesondere kleinere und solche, deren Name nicht eindeutig ist.17 Es wäre notwendig, eine Reihe von Fragen zu klären, weitere prosopografische Forschungen durchzuführen, die Kontakte von Neuankömmlingen in Krakau genauer zu betrachten, ihre Testamente zu analysieren, in denen oft Informationen über die Herkunft der Erblasser zu finden sind. Ab dem Ende des Mittelalters erlangte die polnische Bevölkerung zunehmend einen demographischen Vorteil, aber die Einwanderung von Deutschen in der frühen Neuzeit dauerte weiterhin an. Aus den zivilrechtlichen Stadtbüchern von 1507–1611 ist bekannt, dass in dieser Zeit 6.759 Personen das Bürgerrecht annahmen (durchschnittlich 65 pro Jahr), von denen über 70 % Polen und 23 % Deutsche waren (andere Nationen: 5,5 %, darunter 2,5 % Italiener).18 So waren jedes Jahr etwa 10 Deutsche mehr unter den Bürgern von Krakau, während es bei den Polen ca. 45 waren. Zweifellos war Nürnberg einer der Hauptherkunftsorte; vielen Neuankömmlingen aus dieser Stadt wurde das Krakauer Bürgerrecht verliehen, darunter den späteren Krakauer Ratsherren Leonard Beck (1533) und Johann Waxmann (1566), den Kaufleuten Johann Horlemes (1547, Stammvater der späteren Patrizierfamilie), sowie Lybfrid Ritter (1554) und Sebald Kencz (1573), Konradus Bischoff (1612), Laurentius Staber (1614), Petrus Antonius Serta (1631), Kaspar Segnitz (1632). Es kamen die Handwerker Sebalt Singer (Maler, 1519), Hans Holffelder (Seidenhefter, 1530), Johannes Graber (1540), Johann Klein (Ringmacher, 1549) und Benedictus Sauerbeck (1549), Fridericus Lyszner (Täschner, 1557) und Christopherus Czircher (1563), Georgius Flyszmann (Rotgießer, 1557), Sebald Reder (Messermacher, 1573), Alexander Fischer (Klempner, 1574), und aus der Umgebung dieser Stadt Simon Hacker (Ringmacher, 1533).19 Aus Augsburg stammten Frank Gallus (1520), Bartel Fukker 16 Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1392–1506, Nr. 13, 867, 1001, 1199, 4101, 4400, 4903, 5542, 6665, 6853, 7244, 8128. 17 Z. B. Merten de Crosna. Es ist nicht sicher, ob es um die Stadt Krosno in Kleinpolen oder Crossen an der Oder geht. Man kann annehmen, dass er deutscher Herkunft war, weil für ihn Hans Swarcze i Stano Steynbach bürgten, Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1392–1506, Nr. 7069. 18 Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1507–1572; Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1573–1611; Belzyt: Kraków i Praga, S. 202. 19 Archiwum Narodowe w Krakowie: Sign. 1424, S. 4, 32, 194, 269 und Sign. 1425, S. 17; Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1507–1572, Nr. 630, 713, 1613, 1646, 2021, 2458, 2576,

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(1526), Hans Lachenbecke (1538), Petrus Reismoller (1530).20 Aus Bamberg wanderte der Kaufmann Bernard Tuck nach Krakau aus, und bei seinen Bemühungen, das Bürgerrecht zu erhalten, bürgte Hans Lemboch 1530 für ihn (er selbst stammte aus Weißenburg und war erst seit vier Jahren Bürger von Krakau, später wurde er Ratsherr), sowie Heinrich Held.21 Wir fügen gleich hinzu, dass aus Ingolstadt Andreas Königsschmid (1511) nach Krakau gelangte.22 Aus St. Gallen kamen Hektor von Watt, ein reicher Kaufmann, seit 1510 Krakauer Bürger, und Kaufmann Jacob Fogelweder, der 1520 das Bürgerrecht erlangte, wie sechs Jahre später sein Landsmann Andris Fogelweder – für ihn bürgte der Ratsherr Jost Glacz, der selbst in der Nähe der Stadt Heilsbronn in Franken geboren wurde. Die Fogelweder gehörten zusammen mit den mit Nürnberg verbundenen Gutteter zur Krakauer »Elite der Eliten« im 16. Jahrhundert.23 Einen wichtigen Platz auf der Karte der Einwanderung nach Krakau nahm Österreich ein. Aus der Stadt Freistadt stammte Erasmus Aichler, Schneider der Königin Barbara Zapolya, der wenige Monate vor ihrem Tod das Bürgerrecht erhielt und der später dank königlicher Protektion auch Ratsherr wurde. Ein weiterer Ratsherr, Hieronim Krügel, kam aus Eisenstadt und erlangte dieses Amt 1536, elf Jahre nach Erhalt des Bürgerrechts.24 Im 16. Jahrhundert dauerte der Zustrom von Einwanderern aus Schlesien an. Aus Breslau kamen die Krakauer Neubürger Hannes Kaffenbergk (1514), Bartel Behr (1526), Hans Angermyndt (1527), Nicolaus Andris (1532), Hanns Braun (1532), Walenty Braun (1535). Es ist erwähnenswert, dass 1557 Georgius Angermyndt, auch sicherlich aus dieser Stadt, das Bürgerrecht annahm.25 Die meisten von ihnen waren Kaufleute. Etwa ein Dutzend Neubürger aus den Jahren 1507–1611 kamen aus Brieg.26 1547 nahmen zwei Siedler aus Liegnitz27 und zwei aus Neisse das Bürgerrecht an.28

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2590, 2840, 3136, 3162, 3487; Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1573–1611, Nr. 18, 50, 83; Noga: Krakowska rada miejska, S. 167–168. Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1507–1572, Nr. 759, 1093, 1374, 1884. Ebd., Nr. 1082, 1407, 3227; Noga: Krakowska rada miejska, S. 337–340, 343, 346. Für ihn bürgte 1558 Christopher Schilling aus der aus Weißenburg stammenden Familie sowie der mit ihm verschwägerte Petrus Tanigel, Sohn des damals bereits verstorbenen Ratsherrn, Petrus Tanigel, eines Einwanderers aus Erlau. Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1507–1572, Nr. 268. Ebd., Nr. 226, 754, 1090. Ebd., Nr. 446, 1022; Noga: Krakowska rada miejska, S. 292. Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1507–1572, Nr. 395, 1123, 1172, 1571, 1585, 1718, 3167. Merten Koechendorf Rotgerber (1508), Antonius Girlach Schwertner (1509), Foltyn Prebener Rotgerber (1515), Hanus Schmid Gerber (1516), Sebastian Kuncz institor (1519), Fabian Püschel (1529), David Rothermell (1555), Johanes Bolner (1566), Albert Kraft Metzger (1579), Johanes Franczke Weisssgerber (1586), Martin Hillenberger Weisssgerber (1591), Stanislaus

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Beuthen stach ebenfalls unter den schlesischen Städten hervor, nur dass die meisten Einwanderer polnische Nachnamen trugen.29 Im zivilrechtlichen Stadtbuch wurden auch einzelne Neuankömmlinge aus Danzig und aus preußischen Städten Elbing und Thorn vermerkt.30 Die hier aufgeführten Städte sind nur Beispiele für die wichtigsten Herkunftsorte. Aus vielen anderen wurden einzelne Krakauer Bürger geworben, um nur Erasmus Achczennik Gürtler aus Frankfurt an der Oder (1518) und Bartel Schembek aus der Stadt Stendal in Brandenburg – der 1535 Krakau erreichte, 1544 das Bürgerrecht annahm und 1557 Ratsherr wurde – zu nennen.31 Im 16. Jahrhundert wurden auch neue Bürger aus deutschen Familien rekrutiert, die außerhalb der Städte des Reiches lebten, darunter in Oberungarn – in Kaschau und anderen Zipser Städten.32 Auf der Grundlage von den auf dem Kriterium des Namensklanges basierten Forschungen schätzte Leszek Belzyt, dass um 1600 etwa 13.000 Polen (85 %), 1.500 Deutsche (10 %) und 450 Italiener (3 %) in Krakau lebten, die zahlenmäßig nicht stark vertreten waren, aber eine immer stärkere Position sowohl in den Stadtbehörden als auch in kaufmännischen Kreisen erlangten.33 Neue Bürger stellen nur die Spitze des Eisbergs der Migration dar. Es muss deutlich gesagt werden, dass viele Neuankömmlinge etliche Jahre in Krakau verbracht haben und nie das Bürgerrecht angenommen haben. Manche hielten sich hier einige Jahre auf, um ein Handwerk zu erlernen, auf der Wanderschaft, danach zogen sie in eine andere Stadt. Um dieses Phänomen zu veranschaulichen, werfen wir einen Blick auf die Deutschen in der Zunft der Goldschmiede. Einige Meister dieser Zunft an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert trugen einen Nachnamen, der auf eine Herkunft aus Sachsen hinweist (Sachse, Saxo, Sachs, Zax). Gemäß dem in deutscher Sprache geführten Zunftbuch der Goldschmiede kamen Lehrlinge für die vier bis sechs Jahre währende Lehrzeit aus Nürnberg, Augsburg, St. Gallen,

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Schmidt Metzger (1595). Von der Umgebung der Stadt Brieg stammte der Gastwirt Andreas Kerber, genannt Silesius. Ebd., Nr. 153, 440, 490, 682, 1204, 2936, 3644; Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1573–1611, Nr. 416, 904, 1261, 1597, 2322. Kasper Koschwitz i Bartłomiej Gerber, Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1507– 1572, Nr. 2482, 2492. Niclos Andrich Rimer (1521), Mathias Kotter cerdo (1561), Ebd., Nr. 924, 3395. Z. B. 1509 nahm Jan Baran das Bürgerrecht an, Ebd., Nr. 99. Ebd., Nr. 98, 220, 502, 874, 1284, 1441, 2518, 4018. Szembek kam mit zwei Brüdern nach Polen. Einer siedelte sich in Posen an, der zweite in Lemberg, Ebd., Nr. 672, 2189, Noga: Szembekowie krakowscy, S. 77–91. Hannes Bawch (1510), Helias (1511), Wesper doleator (1511) Alexius bewtler (1521), 1535 dr Antonius Johanes (1535). Aber es gab auch Imigranten mit slawischen Nachnamen: Michael Jaskółka (1507), Gregorius Kulig (1517). Ksie˛gi przyje˛´c do prawa miejskiego w Krakowie 1507– 1572, Nr. 13, 184, 287, 292, 556, 847, 1773. Belzyt: Kraków i Praga, S. 223.

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Horb am Neckar, Passau, Köln, Braunschweig, Hamburg, Bremen, Mainz, Erfurt, Zwickau, sowie aus Wien und Oberungarn (Leutschau, Kaschau) nach Krakau. Eine bedeutende Anzahl von Lehrlingen kam aus dem im königlichen Preußen gelegenen und vom deutschen Bürgertum besiedelten Elbing (u. a. Jörg Ceystan (1488), Nykiel Kwnyk (1467), Niclos (1472), Jacob Cnapp (1487), Jörg Crysstan (1488), Merten Brand (1512), Matis (1513), Wolfgang (1525), Adam Grautop (1538), Mauricius (1539), Mathis Cziligersz (1539)) und aus anderen preußischen Städten. Es gab auch Lehrlinge aus Schlesien (Leobschütz, Groß Glogau, Katscher, Crossen). Krakau war ein wichtiger Punkt auf der Karte der Gesellenwanderung. Und so weilten hier 1.533 Gesellen – Goldschmiede aus Hamburg und Nürnberg, später wurden auch Gesellen u. a. aus Hamburg, Köln, Bremen, Lübeck und Wien verzeichnet.34 Ähnlich verhielt es sich in anderen Zünften, wo im Mittelalter deutsche Meister den Ton angaben. Die ältesten Krakauer Uhrmacher kamen aus Nürnberg. Aus dieser Stadt kamen auch Handwerker anderer Berufe, darunter Nagler, Kannengießer und Büchsenmacher. Aus Mainz stammte der Kannengießermeister Mathias Rothenbach.35 In der Zunft der Rotgießer treffen wir Meister, Gesellen und Lehrlinge aus ganz Europa an (Nürnberg, Brünn, Prag, Padua, Ulm, Mainz, Weißenburg).36 Auch die Zusammensetzung der Krakauer Drucker ist interessant. Die wichtigsten von ihnen kamen aus deutschen Ländern. Johan Haller stammte aus Rothenburg ob der Tauber in Franken, er kam 1482 zum Studium nach Krakau und ließ sich dort nieder. Er heiratete eine einheimische Bürgerin und erhielt 1491 das Bürgerrecht; zunächst war er Kaufmann, stieg dann mit großem Erfolg in das Druckereigewerbe ein und erlangte für einige Zeit – trotz enormer Konkurrenz – ein Monopol zum Druck von Büchern in Krakau. Aus Bayern kam 1510 Florian Ungler nach Krakau, wo er die nächsten 26 Jahre Bücher herausgab. Ein weiterer Drucker, Szwajpolt Fiol, stammte aus Neustadt in Franken. 1479 nahm er das Bürgerrecht als Perlhaftir an. In Krakau ging er Beziehungen mit der einflussreichen, aus Leutschau in der Slowakei stammenden Familie Turzon ein und zog für die letzten Jahre seines Lebens von Krakau dorthin. Es ist interessant, dass die kleine Stadt Liebenthal in Schlesien die Heimat von drei herausragenden Krakauer Druckerfamilien war. Von diesen übersiedelte Hieronim Wietor bald nach seinem Baccalaureat an der Universität Krakau (1499) nach Wien, wo er als Verleger und Drucker arbeitete. Nach zehn Jahren kehrte er nach Krakau zurück, 34 Ksie˛ga cechowa złotników krakowskich 1462–1566, Nr. 9, 31, 37, 48, 55, 73, 82, 161, 217, 227, 260, 288, 299, 300, 312, 348, 375, 390, 409, 432, 434, 479, 488, 551, 555, 570, 569, 571, 582, 591, 592, 604, 624, 625, 650, 681, 688, 689, 691, 742, 745; Kiryk: Cechowe rzemiosło, S. 344, 418; Pietrusin´ski: Złotnicy krakowscy, S. 119, 196. 35 Kiryk: Cechowe rzemiosło, S. 28, 180, 204–205, 282, 322, 394. 36 Ders., S. 204–206.

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wo er 1518 einen Verlag eröffnete, den er bis zu seinem Tod 1546 leitete. Sein Vetter war Marek Scharfenberger, der Gründer einer großen Druckerei, dessen zahlreiche Verwandte ebenso wie die Siebeneicher in Krakau tätig waren.37 Diese Übersicht lässt darauf schließen, dass die Einwanderung von Deutschen nach Krakau von der Zeit vor der Gründung der Stadt bis zum Ende der Republik Polen infolge der Teilungen mit unterschiedlicher Intensität andauerte. Krakau bot nämlich eine Chance auf eine schnellen finanziellen Gewinn und brillante Karrieren, was von einem der Einwanderer, Jost L. Dietz, in seiner Chronik übrigens hervorgehoben wurde.38 Die Integration in das einheimische Bürgertum war im Mittelalter einfach, weil sowohl die Elite der Stadt als auch Handwerker in den Zünften Deutsch sprachen. Darüber hinaus erhielten die Neuankömmlinge oft Hilfe von Landsleuten, die sich zuvor in Krakau niedergelassen hatten. Die Integration wurde durch zahlreiche Ehen von Neuankömmlingen mit Krakauerinnen beschleunigt. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts änderte sich die Situation jedoch aufgrund der wachsenden Zahl von Polen in der Stadt sowie unter dem Einfluss des aufkommenden modernen Nationalsinns zum Nachteil der Deutschen, die allmählich ihre beherrschende Stellung in den Stadtbehörden verloren. Es genügt zu erwähnen, dass die Willkür des Stadtrates von 1526, welche die Regeln für die Einberufung und Durchführung von Versammlungen festlegte, noch in deutscher Sprache verfasst wurde, während bereits 1537 die Sprache der Predigten in der Marienkirche von Deutsch zu Polnisch geändert wurde.39 Ein ähnliche Erscheinung kann in den Zünften beobachtet werden, die Statuten in deutscher Sprache aufgaben und sie im 16. Jahrhundert ins Polnische übersetzten, meist auf Initiative jüngerer Meister. Es ist symptomatisch, dass für diejenigen, die die polnische Sprache nicht beherrschten, versucht wurde, bei Zunfttreffen eine Übersetzung ins Deutsche zu organisieren. Dies stoppte jedoch nicht die Einwanderungswelle aus deutschen Ländern, und die Neuankömmlinge waren sowohl in den städtischen Behörden (obwohl sie nie eine solche Position wie im Mittelalter erreichten) als auch in fast allen der über 50 Zünfte bis zum Untergang der Republik am Ende des 18. Jahrhunderts tätig. In einigen Berufsgruppen waren sie sogar in der Überzahl. Als es 1609 zu einem Streit zwischen Büchsenmachern und Büchsenschäftern (welche Kolben und Schäfte für Büchsen erzeugten) kam, hielten erstere ihren Gegnern deren ausländische Herkunft (tatsächlich stammten alle vier aus Braunschweig) und die Tatsache vor, dass sie keinen einzigen Polen ausbildeten. Als Antwort hörten sie, dass alle Schüler der

37 Kawecka-Gryczowa (Hg.): Drukarze, S. 25–27, 140–145, 190, 230, 325–327. 38 Decjusz: Ksie˛ga, S. 114. 39 Piekosin´ski (Hg.): Prawa, przywileje i statuta miasta Krakowa 1507–1795, 1/1, Nr. 30.

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Büchsenschäfter auf Wanderschaft durch deutsche Länder und Italien gingen.40 Ein Beispiel kann auch die Zunft der Klempner sein, welche sich spät ausgliederte, weil sie erst 1666 ihr Statut und erst zehn Jahre später dessen Bestätigung erhielt. Im Jahr 1743 wurden diesem Statut durch das königliche Sechsstädtegericht einige Artikel hinzugefügt, darunter ein Verbot der Aufnahme von Polen in die Zunft, und, was nicht ganz verständlich ist, von Deutschen, obwohl die Zunftbücher auf Deutsch verfasst waren und die Mitglieder der Körperschaft polnische Nachnamen trugen.41 Ein halbes Jahrhundert später wurde auch diese Berufsgruppe polonisiert. 1774, als die Zunft der Messing- und Bronzegießer nach hundert Jahren wieder erstand, wurde das Statut auf Deutsch niedergeschrieben, weil die Meister dieses Handwerks aus Schlesien und deutschen Ländern kamen und Polnisch noch nicht beherrschten. Als Symbole des Deutschtums galten lange der in den Jahren 1477–1489 errichtete Altar von Veit Stoß in der Marienkirche und der vom Stadtschreiber Balthasar Behem gestiftete Kodex der Privilegien der Stadtgemeinde (1505). Diese Meisterwerke, die in der nationalistischen Geschichtsschreibung für aktuelle politische Zwecke instrumentalisiert wurden, gehören zweifellos zum Erbe der Krakauer Stadtgemeinde, und die nationale Zugehörigkeit ihrer Schöpfer war von untergeordneter Bedeutung. Es kann übrigens vermutet werden, dass Veit Stoß nach dem, was ihm in Nürnberg widerfahren war, bedauerte, in seine Heimatstadt zurückgekehrt zu sein, und Behem, obwohl gebürtiger Pole und mit einer polnischen Bürgerin aus Olkusz verheiratet, unterhielt enge Kontakte zu Krakauer Bürgern deutscher Herkunft, er verheiratete seine Tochter mit einem Deutschen, und sein Sohn heiratete die Tochter des bereits erwähnten Druckers Marc Szarfenberg. Kurzum – die Bürger des alten, multikulturellen Krakaus verschiedener Nationen hatten mehr gemeinsam, als sie trennte.

Bibliografie Archivalische Quellen Archiwum Narodowe w Krakowie: Akta miasta Krakowa, Sign. 539. Biblioteka Jagiellon´ska: Sign. 5350.

40 Biblioteka Jagiellon´ska: Sign 5353, II, S. 10–107, 473–474; Kiryk: Cechowe rzemiosło, S. 222, 324. 41 Kiryk: Cechowe rzemiosło, S. 113–114; Noga: Niemcy w Krakowie, S. 16–19.

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Gedruckte Quellen Decjusz Jodok Ludwik: Ksie˛ga o czasach króla Zygmunta. 1960. Die Vadianische Briefsammlung, 2. 1894. Dybas´ Bogusław / Tandecki Janusz (Hg.): Ksie˛ga cechowa złotników krakowskich 1462– 1566. 2000. Kaczmarczyk Kazimierz (Hg.): Ksie˛gi przyje˛c´ do prawa miejskiego w Krakowie 1392–1506 = Libri iuris civilis Cracoviensis 1392–1506. 1913. Kawecka-Gryczowa Alodia (Hg.): Drukarze dawnej Polski od XV do XVIII wieku, 1: Małopolska, 1: wiek XV–XVII. 1983. Kiełbicka Aniela / Wojas Zbigniew (Hg.): Ksie˛gi przyje˛c´ do prawa miejskiego w Krakowie 1507–1572. 1993. Kiełbicka Aniela / Wojas Zbigniew (Hg.): Ksie˛gi przyje˛c´ do prawa miejskiego w Krakowie 1573–1611. 1994. Piekosin´ski Franciszek (Hg.): Prawa, przywileje i statuta miasta Krakowa 1507–1795, 1: (1507–1586), 1. 1885. Wyrozumska Boz˙ena (Hg.): Przywileje ustanawiaja˛ce gminy miejskie wielkiego Krakowa (XIII–XVIII wiek) = Privileges Establishing the Municipal Communities in Greater Krakow (from the 13th to the 18th century). 2007.

Literatur Belzyt Leszek: Kraków i Praga około 1600 roku. Porównanie topograficznych i demograficznych aspektów struktury społecznej i etnicznej dwóch metropolii Europy S´rodkowoWschodniej. 1999. Bieniarzówna Janina / Małecki Jan Marian: Dzieje Krakowa, 2: Kraków w wiekach XVI– XVIII. 1984. Golin´ski Mateusz: Relacje patrycjatu krakowskiego z Wrocławiem w ´sredniowieczu, in: Noga Zdzisław (Hg.): Elita władzy miasta Krakowa i jej zwia˛zki z miastami Europy w ´sredniowieczu i epoce nowoz˙ytnej (do połowy XVII wieku). 2011, S. 33–48. Jerzy Wyrozumski: Dzieje Krakowa, 1: Kraków do schyłku wieków ´srednich. 1992. Kaußler Ernst: Ein Pfälzer in Polen. Die Landauer Boner und ihre Weißenburger Freunde. 1974. Kiryk Feliks: Cechowe rzemiosło metalowe. Zarys dziejów do 1939 r. 1972. Kutrzeba Stanisław / Ptas´nik Jan: Dzieje handlu i kupiectwa krakowskiego, in: Rocznik Krakowski, 14. 1912, S. 65–92. Mitkowski Józef: Nationality Problems and Patterns in Medieval Polish Towns. The Example of Cracow, in: Zeszyty Naukowe UJ. Prace Historyczne, 59. 1978, S. 31–42. Niemiecka historiografia Krakowa w okresie okupacji hitlerowskiej, in: Małecki Jan Marian (Hg.): Historiografia Krakowa i jej twórcy. 2005, S. 81–97. Noga Zdzisław: Krakowska rada miejska w XVI wieku. Studium o elicie władzy. 2003. Noga Zdzisław: Niemcy w Krakowie doby staropolskiej, in: Noga Zdzisław (Hg.): Kraków mie˛dzynarodowy. 2017, S. 9–24.

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Leszek Zygner

Die spätmittelalterliche Liturgie der Diözesansynoden in Krakau, Breslau und Würzburg als Beispiel

Abstract: Late Medieval Liturgy of Diocesan Synods: Krakow, Wrocław, Würzburg as Examples This overview deals with three sources containing a description of the liturgy of diocesan synods from the 15th century concerning Krakow, Wrocław and Würzburg. The most complete record turned out to be the order of the Synod of the Diocese of Krakow (Ordo agendorum in sinodo), dated to the period of the reign of the Bishop of Krakow, Zbigniew Oles´nicki (1423–1455), known to historians for over 100 years, but only recently used in research on the synods of the Gniezno metropolis. The second source concerns the Wrocław synod of Prince-Bishop Konrad Oles´nicki from 1446. The third source contains the agenda of the synod of the Bishop of Würzburg, Gottfried IV. Schenk von Limpurg from 1452. Keywords: synods; late middle ages; liturgy synod

In den Untersuchungen zu den mittelalterlichen Synoden ist der Versuch, den Verlauf / die Ordnung der zeitgenössischen Synoden (ordo synodalis) sowie der sie begleitenden Synodalliturgie wiederherzustellen,1 eine der wichtigen Fragen, was ich in einer meiner früheren Publikationen bereits erwähnte.2 Die Synodalversammlung, die zur Erörterung von wichtigen Angelegenheiten einer Partikularkirche, deren Teilnehmer für sich den Beistand des Heiligen Geistes erflehten, einberufen wurde, galt von Natur aus als eine »heilige Versammlung«, deren wahrer lebensspendender Geist die Liturgie war. Auch der Ort, wo die Synoden stattfanden, und zwar in der Regel die bischöflichen Dome, Stiftskirchen oder andere vom Bischof ausgewählte Kirchen, bildeten einen Sakralraum, in welchem die Liturgie nicht weniger wichtig war als die die Synodensitzungen Univ.-Prof. Dr. Leszek Zygner, Staatliche Ignacy-Moscicki-Fachhochschule in Ciechanów, ORCID: https://orcid.org/0000-0001-9892-7426. 1 Mehr zur Liturgie der mittelalterlichen Synoden vgl. Klöckener: Die Liturgie; Ders.: Eine liturgische Ordnung, S. 109–182. 2 Zygner: Z˙ycie, S. 35–40. Der vorliegende Text erörtert die im zitierten Beitrag aufgeworfenen Fragen.

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begleitenden Rechtsakte und die auf den Synoden erlassenen Statuten. Die die Synoden begleitenden liturgischen Zeremonien wurden zum einen durch liturgische Vorschriften in den zeitgenössischen Pontifikalbüchern (libri pontificales) geregelt, und zwar vor allem in dem im Spätmittelalter verbreiteten Werk von Wilhelm Durand Rationale divinorum officiorum,3 daneben auch durch die lokalen Bräuche der einzelnen Diözesen bestimmt. Da aber die Synodalakten des Spätmittelalters, die gewöhnlich in die Acta episcoporum der Erzbischöfe und Bischöfe, manchmal aber zusammen mit den Synodalstatuten in besondere Synodalbücher (libri synodales)4 eingetragen wurden, bis heute nicht in großer Anzahl vorhanden sind, ist unser Wissen von der Synodalliturgie dieser Zeitspanne auch unvollständig. Zugegebenermaßen erlauben die aus verschiedenen Diözesen bekannten mittelalterlichen Pontifikalbücher5 und andere Handschriften mit der Ordnung der Domliturgie6 festzustellen, wie diese Liturgie verlaufen konnte. Doch haben wir ohne zusätzliche Quellen keine Sicherheit, welche Bücher man während bestimmter Synoden benutzte oder inwieweit von der darin angeführten liturgischen Ordnung aufgrund verschiedener Umstände abgewichen wurde oder auch inwieweit sie modifiziert wurde. Es wundert also nicht, dass die wenigen erhaltenen Quellen, die uns ermöglichen, die Ordnung der Synodalliturgie in einer bestimmten Diözese genau zu untersuchen, für uns besonders wertvoll sind. In diesem Beitrag möchte ich auf drei derartige Quellen aus dem 15. Jahrhundert hinweisen, die aus verschiedenen Diözesen stammen, und zwar Krakau, Breslau und Würzburg. Die älteste dieser Quellen beinhaltet die Synodalordnung der Krakauer Diözese (Ordo agendorum in sinodo), die zusammen mit der Instruktion für die Synodalzeugen (Ista videntur inquirenda per testes sinodales) wie auch den Synodalstatuten der Krakauer Bischöfe aus verschiedenen Jahren in einem der Manuskripte des 15. Jahrhunderts zu finden ist.7 Der uns interessierende Text ist auf die Amtszeit des Krakauer Bischofs Zbigniew Oles´nickis (1423–1455) datiert.8 3 Klöckener: Die Liturgie, S. 34–38. 4 Mehr dazu siehe Alonso et al.: Liber, S. 1–11; Erdö: Synodalbücher, S. 9–36. 5 Als Beispiel dienen die Pontifikalbücher der Krakauer Bischöfe aus dem 15. Jahrhundert. Vgl. Obertyn´ski: Pontyfikały, S. 335–420. 6 Beispielsweise das Buch der Plotzker Domkirche Speculum chori sive Ordinarium Plocense, in der die Ordnung der Gottesdienste in der Domkirche zu finden ist und in die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts auch die Synodalstatuten eingetragen wurden. Es entstand wohl unter dem Einfluss des berühmten Werkes von Wilhelm Durand Rationale divinorum officiorum, dessen Exemplar der Plotzker Bischof Imisław Wron´ski 1359 in Avignon erwarb. Vgl. Vetulani: S´redniowieczne re˛kopisy, S. 420–422. Leider wurde die Plotzker Handschrift des Speculum chori ähnlich wie zahlreiche andere mittelalterliche Manuskripte während des letzten Krieges von den Deutschen aus der Bibliothek des Priesterseminars in Plotzk geplündert und steht der Forschung heute nicht mehr zur Verfügung. 7 Sprawozdania, S. 196–201. 8 Zygner: »Ordo synodalis«, S. 439.

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Die spätmittelalterliche Liturgie der Diözesansynoden

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Obwohl er den Historikern schon seit über 100 Jahren bekannt ist, wurde er erst vor kurzem in Untersuchungen zu den Synoden der Gnesener Metropole berücksichtigt.9 Stanisław Zachorowski zufolge, der die besagte Handschrift als erster beschrieb und analysierte, war der Krakauer Ordo agendorum in sinodo ein Synodalprogramm für den Pfarrklerus, der an der Beratung teilnehmen sollte.10 Dies wird im Text selbst bestätigt, wo mehrmals auf die sacerdotes, beneficiates und plebani eingegangen wird, und zwar im Unterschied zur Kapitelgeistlichkeit aus der nächsten Umgebung des Bischofs, deren Akte während der Synodalliturgie direkt aus den im Pontifikalbuch erwähnten Normen hervorgingen. Die zweite Quelle, auf die ich hinweisen möchte, bezieht sich auf die Breslauer Synode des Fürstbischofs Konrad Oles´nickis aus dem Jahr 1446 und hat eine besondere Bedeutung nicht nur für Kirchenrechtshistoriker. Das erhaltene »Protokoll dieser Synode ist« – so Jakub Sawicki – »in seiner Genauigkeit und Vollständigkeit des darin enthaltenen Aktenmaterials für das Mittelalter unerreicht«,11 und, was für mich wichtig ist, es führt auch zahlreiche Angaben zur Synodalliturgie an. Hinzuzufügen ist, dass die Breslauer Synode an drei Terminen, am 26.–29. Mai, 27. Juni und 1. Juli 1446, tagte.12 Neben der Synode von Bischof Konrad in Breslau wollte ich auch auf die Agenda der um einige Jahre jüngeren Synode (ordo observatus in sacra episcopali Synodo) des Würzburger Bischofs Gottfried IV. Schenk von Limpurg vom 7.–8. März 1452 aufmerksam machen.13 Die in dieser Quelle geschilderte Ordnung der Beratung und der Liturgiezeremonie, auf die Helmut Flachenecker in einer seiner Publikationen einging,14 konnte sich nicht nur auf diese Synode, sondern auch auf die Synodalversammlungen aus früheren Jahren beziehen, weswegen man sie als Zeugnis gewisser lokaler (diözesaner) Bräuche im Spiegel eines etwas längeren Zeitraums betrachten kann. Aus der Analyse der ältesten der hier genannten Quellen, und zwar des Ordo agendorum in sinodo der Krakauer Diözese, erfahren wir, dass alle aufgeforderten Geistlichen, gekleidet in Chorhemden und Stolen, am ersten Synodaltag in den Morgenstunden in einer bestimmten Kirche erscheinen sollten, und der Bischof, begleitet von einer Assistenz, eine feierliche Pontifikalmesse las.15 9 Vgl. Ders.: Z˙ycie, S. 35–36. 10 Sprawozdanie, S. 198. 11 Sawicki: Concilia, 10, S. 136. Hier auch die Edition der Synodalakten von 1446 (Ebd., S. 407– 415). Die Akten dieser Synode veröffentlichte früher Seppelt: Die Breslauer Diözesansynode, S. 3–55. 12 Sawicki: Concilia, 10, S. 130–136; Zygner: Wkład, S. 108. 13 Synodicon, S. 273–302. 14 Flachenecker: Das beständige Bemühen, S. 62. Siehe auch Lang: Die Synoden, S. 73–74; Zygner: Z˙ycie, S. 38. 15 Sprawozdanie, S. 196. Es ist hinzuzufügen, dass u. a. die polnischen Provinzialsynoden an die Verpflichtung erinnerten, während der Synode eine gesungene Messe zu lesen. Vgl. Fijałek et al. (Hg.): Statuty synodalne, S. 31.

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Während der Messe hielt der Prediger, der dem Kreis der Magister und Doktoren der lokalen Universität entstammte, kurz nach dem Credo eine Predigt an den Klerus (sermo ad clerum). Nach der Messe nahm der Bischof seinen Ornat ab und legte den Chormantel an, begann dann kniend, begleitet von den Domherren, ohne Mitra auf dem Kopf, die Antiphon Exaudi nos Domine, quoniam benigna est misericordia sua, die anschließend von der Schola fortgesetzt wurde. Nach der Antiphon sprach er die Aufforderung zum Gebet Oremus, und der Diakon forderte alle zum Niederknien mit den Worten: Flectamus genua, levate. Dann sprach der Bischof das Gebet Omnipotens, sempiterne Deus, und die Schola sang drei Psalmen: Dominus illuminatio mea (Ps 26), Laetatus sum in hiis (Ps 121) und Ecce quam bonum et quam iucundum (Ps 132). Alle Versammelten sprachen ferner die Allerheiligenlitanei, und der Hauptzelebrant, der mit dem Hirtenstab in der Hand stand, segnete sie mit den Worten: Ut hanc congreagacionem istam benedicere digneris. Nach der Segnung sprach der Bischof wieder die Aufforderung Oremus, und der Diakon – Flectamus genua, levate. Dann begann der Bischof das Gebet Da quaesumus Ecclesiae tuae, worauf der Diakon eine Evangelienperikope vorlas, die entweder mit den Worten Homo quidam peregre proficiscens (Mt 25,14) oder Designavit (Lk 10,1) begann. Inzwischen stand der Zelebrant mit dem Bischofstab, aber ohne Mitra auf dem Kopf. Wenn der Diakon mit dem Vorlesen des Evangeliums fertig war, kniete der Bischof und intonierte den Hymnus Veni Creator Spiritus, den die Synodalversammlung kniend sang. Nach dem Hymnus stand der Bischof auf, forderte alle mit den Worten Oremus zum Gebet auf und sprach die Eröffnungsoration Adsumus, Domine Sancte Spiritus. Abschließend hielt er vor der Versammlung noch eine im Pontifikalbuch vorgesehene Rede (Allokution) (ut in ordinali).16 Die besagte Ordnung der Krakauer Synode sah auch vor, dass die Geistlichen in Chorhemden und Stolen am ersten Synodaltag in den Abendstunden in der Domkirche gemeinsam die Vesper singen und danach an einer feierlichen Prozession teilnehmen sollten. Sollte aber die genannte Prozession aus gewissen Gründen am ersten Tag nicht stattfinden, so war sie auf den folgenden Tag zu verschieben.17 Der zweite Synodaltag begann mit einer Morgenmesse in der Wawel-Kathedrale, während der eine von einem der Krakauer Professoren vorbereitete Synodalpredigt gehalten wurde. Die feierliche Prozession begab sich dann vom Wawel zur Marienkirche, wo ein Gottesdienst zu Ehren der Heiligen Jungfrau Maria gefeiert und eine Gelegenheitspredigt an das Volk gehalten wurde. Nach der Predigt ging der Klerus zum Essen und kehrte dann in einer Prozession durch die Straßen der Altstadt zur Wawel-Kathedrale zurück, wo die 16 Sprawozdanie, S. 196–197. Vgl. Klöckener: Die Liturgie, S. 95–99; Zygner: »Ordo synodalis«, S. 439–440. 17 Sprawozdanie, S. 197.

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Synodalgerichte begannen.18 Fand die besagte feierliche Prozession am Abend des ersten Tages auf dem Wawel-Hügel statt, so sah die Ordnung des zweiten Synodaltages ein anderes als das oben beschriebene Prozedere vor. Sie begann dann mit der Pontifikalmesse in der Domkirche, die vom Bischof oder einem von ihm ernannten Prälaten abgehalten wurde, und mit der Synodalpredigt, die ein ausgewählter Professor der Krakauer Universität hielt. Nachdem die Messe beendet worden war, sprach man ähnlich wie am ersten Tag alle im Pontifikalbuch vorgesehenen Gebete, las eine Evangelienperikope vor, sang die Antiphonen und Psalmen und sprach die Litanei, und so bis zur letzten Oration (Gebet) Adsumus, Domine Sancte Spiritus.19 Dann setzte sich der Bischof mit den Domherren in das Chorgestühl im Presbyterium, und andere Geistliche auf die für sie vorbereiteten Plätze im Mittelschiff, woraufhin die Synodalberatung begann. Am Ende der analysierten Quelle wurde darauf hingewiesen, dass die Provinzialstatuten und Konzilsdekrete am zweiten Synodaltag vorzulesen waren.20 Die Untersuchung der besagten Quelle sowie ihr Vergleich mit den zeitgenössischen liturgischen Büchern bewies die Richtigkeit der These Stanisław Zachorowskis, der betonte, dass der Text des Krakauer Ordo agendorum in sinodo in Bezug auf die liturgischen Normen und die darin vorgesehenen Rituale und Gebete direkt an die Synodalliturgie des Pontifikalbuchs (liber pontificalis) anknüpft,21 worauf übrigens der Text selbst hindeutet, in dem die Formel ut in ordinali viermal gebraucht wurde.22 Der Krakauer Text beinhaltet aber auch gewisse Unterschiede im Vergleich zum römischen Synodalritus.23 Sie bezogen sich u. a. auf die Auswahl von Psalmen, die im Krakauer Ordo berücksichtigt wurden (Ps 26, 121, 132), während das römische Pontifikalbuch andere Psalmen für den ersten (Ps 68) und den zweiten Synodaltag (Ps 78) bestimmte. Auch die Evangelienperikopen, die vom Diakon während der Krakauer Synode vorgelesen wurden, unterschieden sich ein wenig von den Perikopen aus der Ordnung der Synodalliturgie im Pontifikalbuch. Die Krakauer Synodalordnung ließ nämlich am ersten Tag die Lektüre eines Abschnittes aus dem Evangelium nach Matthäus mit dem Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Mt 25,14–30) oder dem Evangelium nach Lukas mit dem Text über die Aussendung der Zweiundsiebzig (Lk 10,1–9) zu. Das römische Pontifikalbuch bestimmte für diesen Tag entweder die Perikope über die Aussendung der Zwölf (Lk 9,1–6) oder über den Lohn für die Zweiundsiebzig (Lk 10,16–20); die Perikope über die Aussendung der Schüler

18 19 20 21 22 23

Zygner: »Ordo synodalis«, S. 439–440. Ebd., S. 441. Vgl. Klöckener: Die Liturgie, S. 99–100. Sprawozdanie, S. 198. Ebd., S. 198. Ebd., S. 196–197. Zygner: »Ordo synodalis«, S. 442–443.

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(Lk 10,1–9) sollte erst am zweiten Synodaltag vorgelesen werden.24 Während der feierlichen Pontifikalmesse sollte auch die Synodalpredigt, die im Krakauer Ordo agendorum in sinodo beschrieben wurde, gehalten werden. Das Pontifikalbuch legte fest, dass die Predigt während des Synodalgottesdienstes an den Klerus gehalten werden sollte.25 Unabhängig davon ist die im Krakauer Text genannte feierliche Prozession während der Synode von der Wawel-Kathedrale zur Marienkirche zu betrachten.26 Zweifelsohne war sie ein wichtiger Bestandteil der Synodalfeierlichkeiten, der die Teilnahme sowohl der Synodenmitglieder als auch anderer Geistlicher und Weltlicher an ihnen gewährleisten sollte. Dieser Brauch erklärt auch anscheinend den Eintrag im Stadtbuch Krakaus über die Ankündigung der Synode von Bischof Peter Wysz von 1394.27 Die Organisation der Prozession auf den Straßen Krakaus sowie der gemeinsame Gottesdienst in der Marienkirche zusammen mit der feierlichen Mahlzeit zu Ehren der in die Hauptstadt gekommenen Geistlichen begründete die Beteiligung des Stadtrats an den Vorbereitungen eines würdigen Rahmens für die Synodensitzungen. Es handelt sich hier zweifelsohne um einen lokalen Brauch, der sowohl zur Amtszeit des Bischofs Peter Wysz’ (1392–1412) als auch Zbigniew Oles´nickis (1423–1455) einer der festen Bestandteile der Organisation der Krakauer Synoden war.28 Die folgende Quelle, auf die ich hinweisen möchte, sind die Akten der Breslauer Synode von 1446, schon früher analysiert von Emil Brzosek und Jakub Sawicki.29 Daraus ergibt sich, dass die eigentliche Synodalliturgie neben der gemeinsamen Vesper und der Synodalpredigt (sermo ad clerum), die in der Domkirche vom Prior des Breslauer Dominikanerklosters am Fest der Himmelfahrt des Herrn (26. Mai 1446) an den Klerus gehalten wurde,30 am Freitag, den 27. Mai, am frühen Morgen mit dem gemeinsamen Stundengebet und der ersten Messe (Prim) begann.31 Nach der Messe sprachen und sangen die in der Domkirche versammelten Geistlichen unter Leitung des Bischofs die Antiphonen und Gebete zum Beginn der Synode zusammen mit der Allerheiligenlitanei. Dann beteiligte sich der Ordinarius mit dem Weihbischof, den zur Beratung gekommenen Äbten und anderen Synodenvätern an einer feierlichen Prozession zur Stiftskirche zum Heiligen Kreuz. Dabei sang man das Responsorium zum Hochfest der Himmelfahrt des Herrn Ite in orbem universum. Nach der Rückkehr 24 25 26 27 28 29 30 31

Vgl. Sprawozdanie, S. 196; Klöckener: Die Liturgie, S. 96–97, 99–100. Zygner: »Ordo synodalis«, S. 443. Sprawozdanie, S. 197. Piekosin´ski et al. (Hg.): Najstarsze ksie˛gi, S. 114. Zygner: »Ordo synodalis«, S. 441. Brzoska: Die Breslauer Diözesansynoden, S. 39–40; Sawicki: Concilia, 10, S. 136. Sawicki: Concilia, 10, S. 409–410. Ebd., S. 412.

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zur Domkirche Johannes des Täufers sangen alle den Hymnus Veni Creator Spiritus. Anschließend begann eine dem Formular über den Heiligen Geist entnommene und durch den Weihbischof Tilmann Wessel abgehaltene Pontifikalmesse, die vom Gesang der Schüler aus der Domkirche begleitet wurde. Nach dem Credo und noch vor dem Offertorium hielt Jakub Sartoris aus Neisse, der Lektor des Augustinerklosters vor den Mauern von Breslau, die Synodalpredigt an den Klerus (sermo ad clerum). Bischof Tilmann setzte die Messe fort, und nach ihrem Ende begann die erste Synodensitzung, während der man die Entwürfe der Synodalstatuten vorlas.32 Aus den Akten der Breslauer Synode von 1446 erfahren wir wenig von den liturgischen Zeremonien während der folgenden Synodensitzungen. Es ist nur bekannt, dass die dritte Sitzung am Sonntag, dem 29. Mai, mit einer feierlichen Prozession um die Domkirche begann, nach der sich alle zum bischöflichen Palast begaben, wo die Beratung stattfand.33 Es scheint also, dass der erste Synodaltag im Hinblick auf die feierliche Synodalliturgie am wichtigsten war. Ähnlich wie in Krakau war die feierliche Prozession auch in Breslau auf der Dominsel ein unentbehrlicher Bestandteil dieser Liturgie. Sie begab sich von der Domkirche aus zur Stiftskirche zum Heiligen Kreuz, und ihr Ziel war es, nicht nur dieser Veranstaltung äußeren Glanz zu verleihen, sondern auch einem großen Kreis von Geistlichen und Laien aus Breslau die geistliche Teilnahme an der synodalen Liturgie zu ermöglichen. Die dritte der besagten Quellen beinhaltet die Akten der Synode des Würzburger Bischofs Gottfried vom 7. und 8. März 1452.34 Sie führen zwar wenige Angaben zum Verlauf des liturgischen Teils der Synode im St.-Kilians-Dom an, aber aufgrund dieser kann man doch die Ordnung der Synodalliturgie rekonstruieren. Aus der Analyse dieser Quelle erfahren wir grundsätzlich, dass die Synode, die von Bischof Gottfried IV. Schenk von Limpurg einberufen wurde, am Dienstagmorgen, den 7. März 1422, mit dem Offiziumsgesang in der Domkirche begann. Dann intonierte der Domkantor in Choro sancti Kiliani den Hymnus Veni Creator Spiritus, und am Ende sprach man das Gebet an den Heiligen Geist. Nach dem Hymnus feierte der vom Bischof ausgewählte Priester die Heilige Messe, gesungen aus dem Formular über die Verkündigung der seligen Jungfrau Maria, woraufhin zwei Domvikare die Allerheiligenlitanei sprachen und der Priester, der die Messe feierte, sie mit der Oration beschloss.35 Nach dem liturgischen Teil begann die Synodalberatung, während der Johannes Schimmelpfenningk, ein Lizentiat der Heiligen Schrift, eine Synodalpredigt an die versammelten Geistlichen hielt.36 Am zweiten Synodaltag, also am Mittwoch, den 32 33 34 35 36

Sawicki: Concilia, 10, S. 132; Zygner: Z˙ycie, S. 36–37. Sawicki: Concilia, 10, S. 426–427. Himmelstein (Hg.): Synodicon, S. 273–302. Ebd., S. 273. Ebd., S. 275.

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8. März 1452, eröffnete der Domkantor am Morgen beim Klang der großen Glocke den synodalen Gottesdienst mit dem Hymnus Veni Creator Spiritus, woraufhin einer der Priester die Heilige Messe aus dem Formular dieses Tages feierte. Die gesungene Allerheiligenlitanei wurde dagegen in der Liturgie dieses Tages weggelassen. Nach dem liturgischen Teil nahmen alle Synodenväter ihre Plätze ein und die Synode begann.37 Während der Beratung las man die Synodalstatuten vor, und am Ende der Synode erinnerte der Promotor alle an die Pflicht, die erlassenen Statuten innerhalb von zwei Monaten abzuschreiben, und gab den Versammelten das Datum der künftigen Synode an, das auf den Dienstag nach dem dritten Ostersonntag fiel.38 Es ist hinzuzufügen, dass die Akten der folgenden Würzburger Synode von 1453,39 aber auch der späteren von 1548,40 bestätigen, dass die liturgische Ordnung dieser Synoden denen von 1452 ähnelte und wohl auch die viel älteren Rituale widerspiegelte, die bei Synoden in der St.Kilians-Domkirche stattgefunden hatten. Im Unterschied zu Krakau und Breslau finden wir in der analysierten Quelle keinen Eintrag über eine feierliche Prozession, die die Synodalberatung begleiten sollte. Dies schließt aber den Brauch nicht aus, eine solche Prozession oder andere Gottesdienste oder Rituale, die die Synoden begleiteten, zu veranstalten, worüber sicherlich andere Quellen berichten können. Die hier vorgestellten Quellen belegen, dass es neben den Synodalstatuten aus dem Spätmittelalter, auf die Historiker und Kirchenrechtshistoriker schon seit langem hinweisen, ein Desiderat gibt, auch der Synodalliturgie etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Während die Ordnung der Synodalliturgie aus der Zeit nach dem Tridentinum vor allem in der Rezeption der Normen aus dem römischen Pontifikalbuch bestand, wovon zahlreiche Quellen zeugen, so zeichnen sich die Diözesansynoden aus dem 13.–15. Jahrhundert anscheinend durch viel mehr Besonderheiten aus und können für die Untersuchungen zur breit verstandenen Religionskultur sehr interessant sein. [Übersetzung: Liliana Lewandowska]

37 38 39 40

Ebd., S. 298. Ebd., S. 300–301. Ebd., S. 302–303. Ebd., S. 311.

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historyczne ofiarowane Tomaszowi Jasin´skiemu w 65. rocznice˛ urodzin. 2016, S. 437– 443. Zygner Leszek: Wkład Kos´cioła płockiego i wrocławskiego w z˙ycie synodalne metropolii gniez´nien´skiej kon´ca XIV i pierwszej połowy XV wieku, in: Studia Mazowieckie, 10/3. 2015, S. 83–117. Zygner Leszek: Z˙ycie synodalne metropolii gniez´nien´skiej oraz diecezji pruskich i frankon´skich kon´ca XIV i pierwszej połowy XV wieku (uwagi na marginesie najnowszych badan´), 2, in: Saeculum Christianum, 28/2. 2021, S. 32–49.

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Krzysztof Kwiatkowski

Burgenkrieg an der unteren Memel im Jahr 1369

Abstract: A ›Castle War‹ on the Lower Nemunas River in 1369 In 1369, intense acts of war took place on the lower Nemunas River between the Teutonic Order and the Grand Duchy of Lithuania. They consisted primarily in both sides constructing fortified points on the island of Wyrgalle/Gotis(werder) in the form of brick castles, which were then mutually attacked, conquered and destroyed or taken over. This article contains a detailed source analysis of several chronicles forming separate narrative traditions in which the events of 1369 on the lower Nemunas River are represented and, based on this analysis, proposes a comprehensive interpretation of the course of events. Keywords: Teutonic Order; Grand Duchy of Lithuania; military history; castles; war in the Late Middle Ages

Das Jahr 1369 war in den konfrontativen Beziehungen zwischen dem preußischen Zweig des Deutschen Ordens und dem Großfürstentum Litauen ein weiteres in der langen Reihe der 12-monatigen Perioden von gewaltsamen, kriegerischen Auseinandersetzungen, die sich anhand der vorhandenen schriftlichen Quellen einerseits militärgeschichtlich sehr deutlich als eine Kontinuierung der Kriegshandlungen früherer Jahre einordnen lassen,1 andererseits ereignis- und kulturgeschichtlich ein gewisses Potential von Deutungen und Interpretationen Univ.-Prof. Dr. Krzysztof Kwiatkowski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, ORCID: https://orcid.org/0000-0003-1827-3122. 1 Vgl. dazu Krumbholtz: Samaiten, S. 466–473; Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 528–567, der die bis heute beste militärgeschichtliche Analyse der hier erörterten Kriegshandlungen vorgelegt hat, wenn auch nicht ohne viele der Anachronismen, die in der Militärgeschichtsforschung der 2. Hälfte des 19. Jh. üblich waren; früher auch Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 141–166, 168– 173, 175, 178–181, 187–188, 192–193, 204–205, 206–211 ( jedoch ohne vollständige Quellengrundlage); von Kotzebue: Preußens ältere Geschichte, 2, S. 203–206, 207–216 (auch auf unvollständiger Quellenbasis und in vielen Teilen weitgehend unkritisch); vgl. auch Paszkiewicz: Jagiellonowie, 1, S. 408–421, der die damaligen militärischen Tätigkeiten der litauischen Fürsten im breiten Kontext ihrer ruthenischen, nordrussischen und moskauischen Politik darstellt; und Radoch: Walki, S. 59–63 ( jedoch ohne vertiefte kritische Analyse und mit einer daraus resultierenden unklaren Beschreibung des Geschehens).

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aufweisen. Somit sind sie unter beiden Sichtweisen trotz ihrer Berücksichtigung durch die bisherige Forschung2 einer näheren Betrachtung wert, auch wenn in diesem Aufsatz nur auf militärische Aspekte eingegangen wird. Gemäß einer Überlieferung livländischer Provenienz, nämlich der Chronik Hermanns von Wartberge, hatte Hochmeister Winrich von Kniprode um Mitte April 1369 den Bau einer Burg begonnen, die auf einer Memelinsel gelegen war und Gotteswerder genannt wurde.3 Der damals vom preußischen Zweig des Deutschen Ordens geführte Heerzug, den man im lokalen spätmittelalterlichen preußischen Dialekt des Ostmitteldeutschen buunge nannte und der heute als ›Baureise‹ bezeichnet wird,4 ist auch in anderen Schriftquellen, vor allem preußischer Provenienz, direkt bezeugt. Die Errichtung von Gotteswerder wird nämlich in kurzen Notizen in den sogenannten Thorner Annalen (Annales To-

2 Die Kriegshandlungen zwischen dem Deutschen Orden und dem Großfürstentum Litauen im Jahr 1369 sind zwar in zahlreichen Publikationen erwähnt, jedoch nur selten intensiv behandelt worden; allgemeine, kurze Erwähnungen vgl. u. a. bei: von Kotzebue: Preußens ältere Geschichte, 2, S. 215–216; Stadnicki: Olgierd i Kiejstut, S. 13; Lohmeyer: Geschichte, 1, S. 277– 278, 279; Paszkiewicz: Jagiellonowie, 1, S. 420, Anm. 2; Kucˇinskas: Ke˛stutis, S. 52, 54; Krollmann: Politische Geschichte, S. 50; Wagner: Vokiecˇi ordino pilys, S. 65; Sˇapoka (Hg.): Lietuvos istorija, S. 87; Ivinskis: Gotteswerder, S. 398–399; Ders.: Rinktiniai rasˇtai, 1, S. 252; 3, S. 34, 59; Łowmian´ski: Agresja, S. 358–359; Urban: The Samogitian Crusade, S. 158–160 (mit völlig unzutreffender Lokalisierung von Gotteswerder); Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 29 (Tab. 49, Nr. 145, 148), 62, Anm. 160; Nikzˇentaitis: Belaisviai Lietuvoje, S. 513 (eine leicht veränderte englische Version des ursprünglichen litauischen Beitrags: Ders.: Prisoners of War, S. 196); Gudavicˇius: Lietuvos istorija, 1, S. 140; Kiaupa et al.: Lietuvos istorija, S. 123 (sogar mit dem irrtümlichen Datum des Baus von Gotteswerder); Zabiela: Castle Warfare, S. 216; Mugure¯vicˇs: Hermanni de Wartberge, S. 246; Radoch: Walki, S. 62–63; Nikodem: Witold, S. 30; Ders.: Litwa, S. 380; Kwiatkowski: Kapitulacje załóg, S. 125, Anm. 36; zu detaillierteren Analysen vgl. lediglich: Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 207–211; Krumbholtz: Samaiten, S. 472–473; Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 565–567; und Hecht: Die Schlacht, S. 15–21, 34–39. Es gibt auch etliche allgemeine Darstellungen bzw. Übersichten zur Geschichte des Preußenlandes, die die Kriegshandlungen 1369 überhaupt nicht beachten, vgl.: Schumacher: Geschichte, S. 55; Górski: Zakon krzyz˙acki, S. 109–110; Biskup: Die Blüte, S. 387–388; Tandecki: Polityka zewne˛trzna, S. 116; Buschinger et al.: Les chevaliers teutoniques, S. 172–174; Urban: The Teutonic Knights, S. 176–177; Gouguenheim: Les chevaliers teutoniques, S. 440–441. 3 Strehlke (Hg.): Hermanni de Wartberge (weiter: Wartberge), S. 94: »Eodem anno [1369] circa dominicam Misericordias domini [15. April] frater Winricus, magister generalis, cepit edificare in terra Letwinorum castrum in insula dictum Godeswerder […]«. Woher ein livländischer Chronist die Informationen über den Verlauf eines Heerzugs bekommen konnte, an dem livländische Kontingente des Deutschen Ordens nicht teilgenommen haben, wird noch diskutiert werden. Zu dieser Chronik des Kaplans des livländischen Landmeisters Wilhelm von Vrimersheim, an der er wahrscheinlich kurz nach 1366 zu arbeiten begann, vgl. Angermann: Die mittelalterliche Chronistik, S. 14–15; Selart: Die livländische Chronik, S. 59–85 (in beiden Beiträgen die ältere Fachliteratur dazu); daneben kurz Mentzel-Reuters: Deutschordenshistoriographie, S. 325. 4 Vgl. Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 59–60; Kwiatkowski: Zakon niemiecki, 1, S. 261; Ders.: Wojska, S. 224, 227, 282.

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runenses)5 und in der deutschen Fassung der Chronik des Offizials von Pomesanien6 erwähnt. Die Informationen über das Bauunternehmen des Ordens an der unteren Memel wurden wahrscheinlich aus dieser ersten Überlieferung, die in dem Thorner Franziskanerkloster niedergeschrieben worden war, durch den Lübecker Franziskaner Detmar um 1385–1395 übernommen und in seine Chronik der Stadt Lübeck aufgenommen.7 Bezüglich der Nachrichten über die Ereignisse an dem großen litauischen Fluss im Jahr 1369 ist dieses Werk wiederum die Quelle für eine andere Lübecker Chronik geworden, nämlich die nach ca. 1416 verfasste Chronica Novella Hermann Korners.8 Die Thorner Annalen bilden neben der Erzählung Hermanns von Wartberge eine zweite Überlieferungstradition von den Ereignissen im Jahr 1369.9 Die dritte und weitaus längste Narration davon beinhaltete die verschollene Reimchronik Wigands von Marburg, von der nur eine zusammenfassende lateinische Übersetzung Konrad Gesselens10 und eine teilweise paraphrasierende frühneuzeitliche Erzählung von Caspar Schütz in seiner Historia rerum Prussicarum erhalten geblieben ist.11 Diese Überlieferungstradition benutzte nach 1464 auch Jan Długosz, dem sowohl 5 Strehlke (Hg.): Franciscani Thorunensis (weiter: Franciscani Thorunensis), S. 88: »Anno 1369 fuit castrum Godiswerder edificatum et viriliter munitum tam per fratres ordinis quam seculares«. Zu der Quelle vgl. Ekdahl: Die Schlacht, 1, S. 192–205; Wenta: Kierunki, S. 47–73; Ders.: Studien, S. 236–237 (in diesen Werken auch ältere Literatur zum Thema). 6 Strehlke (Hg.): Johanns von Posilge (weiter: Posilge), S. 88: »Anno domini (13)69 buwetin die herrin das hus czu Gotiswerder uf der Memmil«. Über die Chronik vgl. Wenta: Studien, S. 237–239; Päsler: Deutschsprachige Sachliteratur, S. 284–290; Mentzel-Reuters: Deutschordenshistoriographie, S. 324–325 (mit der dort zitierten älteren Forschung und verschiedenen auseinandergehenden Meinungen zur Entstehung der Quelle). 7 Koppmann (Hg.): Detmar-Chronik von 1101–1395, S. 541, Nr. 740 (die sog. ›Ratshandschrift‹ aus Lübeck): »In deme sulven jare wart in Prutzen ghebuͦ wet dat slot Godeswerder«; vgl. auch Koppmann (Hg.): Detmar-Chronik von 1105–1386, S. 175, Nr. 740 (die Handschrift Jakobs von Melle); zu der Chronik, ihren Fassungen und möglichen preußischen Quellen vgl. Sandfuchs: Detmar von Lübeck, Sp. 68–69; Buschinger: Stadtchroniken, S. 452–454; Wenta: Detmar von Lübeck, S. 409–418. 8 Schwalm (Hg.): Die Chronica novella, S. 287 (Fassung D und B, die bezüglich der hier erörterten Narration leicht voneinander abweichen); zu der Chronik und ihren Fassungen vgl. Möhring-Müller: Die ›Chronica Novella‹, S. 27–121; Colberg: Hermann Korner, Sp. 317–320. 9 So schon Theodor Hirsch in: Hirsch (Hg.): Die Chronik Wigands von Marburg (weiter: Wigand (H)), S. 560–561, Anm. 884. 10 Zonenberg et al. (Bearb.): Wigand von Marburg (weiter: Wigand (Z)), Kap. 190, S. 356; auch ältere Edition: Wigand (H), cap. 163, S. 560–561 (mit zahlreichen kommentierenden Anmerkungen des Herausgebers); zu der Quelle und ihrer lateinischen Translation vgl. Zonenberg: Wste˛p, in: Wigand (Z), S. 28–41 (hier auch die ältere Fachliteratur); über die Eigenschaften der Übersetzung vgl. neuerdings Kwiatkowski et al.: Was kann die Translationswissenschaft, S. 315–354. 11 Schütz: Historia (weiter: Schütz), Bl. 89v; zur Chronik vgl. Mentzel-Reuters: Stadt und Welt, S. 126–128, der aber nur einführende Bemerkungen formuliert; auch eine ältere Studie von Gehrke: Das Ebert Ferber-Buch, S. 160–164, ebenso mit nur allgemeinen Erörterungen. Eine analytische Studie zur Geschichtsschreibung von Caspar Schütz steht noch aus.

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die Originalversion der Reimchronik als auch ihre lateinische Übersetzung zur Verfügung standen.12 Auf die Annales des Krakauer Domherren stützte sich der litauische Chronist Maciej Stryjkowski, als er seine zwei miteinander verbundenen historiographischen Werke zur Geschichte Samaitens, Litauens, Rutheniens und Russlands zwischen 1571–1578 und 1574–1582 verfasste (das zweite wurde auch veröffentlicht), in denen die Narration über die Geschehnisse an der unteren Memel im Jahr 1369 auch zu finden ist.13 Die vierte und jüngste Überlieferungstradition scheint in der Chronik Simon Grunaus bewahrt zu sein,14 aus der wiederum Lucas David umfassend schöpfte.15 Zu der ersten, »livländischen«, sollte man die Narration in der sogenannten Älteren Hochmeisterchronik zählen, die viele Abhängigkeiten vom Werk Hermanns von Wartberge aufweist, daneben aber auch einige Ähnlichkeiten mit den Thorner Annalen und der Wigandschen Reimchronik.16 Von den vier hier erwähnten Überlieferungstraditionen bietet nur die von Wigands Reimwerk stammende und in der Gesselenschen Über12 Vgl. Zeissberg: Die polnische Geschichtsschreibung, S. 302; Semkowicz: Krytyczny rozbiór, S. 58. Gegen diese Hypothese hat sich Sławomir Zonenberg geäußert, vgl. Zonenberg: Wste˛p, S. 30; Ders.: Kronika, S. 28–29. Zu weiteren Hinweisen für die Richtigkeit der alten Annahme von Semkowicz s. unten. 13 Radziszewska (Bearb.): Maciej Stryjkowski (weiter: Stryjkowski (R)), S. 285–286; Malinowski (Hg.): Maciej Stryjkowski (weiter: Stryjkowski (M)), S. 42–43. Zu den beiden Werken vgl. Radziszewska: Maciej Stryjowski, S. 54–70, 117–119, 132, 133, 136, 138; Dies.: Maciej Stryjkowski i jego dzieło, S. 13–14, 20–21; Wojtkowiak: Maciej Stryjkowski, S. 41–42, 86–98, 185– 186, 191–211, 236, 238. Dass Stryjowski bei den Arbeiten an seinen beiden großen Narrationen die Ereignisse des Jahres 1369 an der unteren Memel nicht der Chronik Maciejs z Miechowa (Matthias von Miechow) entnahm, sondern direkt die Annales Jan Długosz’ benutzte, geht aus dem Vergleich aller vier Texte hervor. In seinen beiden Narrationen erwähnt nämlich Stryjkowski zwei Heerzüge des Ordensmarschalls, die im Winter 1369/1370 (in Wirklichkeit schon 1370) stattgefunden haben (vgl. Stryjkowski (R), S. 286; Stryjkowski (M), S. 43), die nur von Długosz notiert wurden (vgl. Kozłowska-Budkowa et al. (Hg.): Joannis Dlugossii Annales (weiter: Długosz), S. 344), wenn Maciej z Miechowa nur über eine Kriegsreise spricht, vgl. de Mechovia: Chronicon Polonorum (weiter: de Mechovia), S. CCXLVII. 14 Perlbach (Hg.): Simon Grunau’s Preussische Chronik (weiter: Grunau), Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626–627; zu der Chronik vgl. Zonenberg: Kronika Szymona Grunaua, S. 35–76 (dort weitere, ältere Fachliteratur); auch Dworzaczkowa: Kronika pruska, S. 261–273. 15 Hennig (Hg.): M. Lucas David’s Hof-Gerichts-Raths (weiter: David), S. 67–69; über die Chronik vgl. Mentzel-Reuters: Von der Ordenschronik, S. 633–636. 16 Toeppen (Hg.): Die Aeltere Hochmeisterchronik (weiter: Hochmeisterchronik), Kap. 159, S. 595: »Im jare des herren MCCCLXIX nach ostern meister Weynrich mawerte ym land zcu Littawen mit gewalde eyn hawsz, daz nante her Gotiszwerder, und besatczte is mit brudern und wepenern«. Wenn die letzte Information von Wäpnern auf der neu errichteten Burg entweder von den Thorner Annalen, die aus Sicht des Deutschen Ordens ein ›fremdes‹ Werk waren, oder von der ›ordensinternen‹ Reimchronik Wigands von Marburg stammen könnte, so bleibt doch nur die Wigandsche Narration als einzige heute bekannte Quelle der Nachricht über die Errichtung der Burg unter Gewaltanwendung. Zu der Chronik vgl. Olivier: Une chronique (Ich bedanke mich bei Herrn Olivier für die Bereitstellung des Manuskripts); auch Mentzel-Reuters: Deutschordenshistoriographie, S. 328–330; Wenta: Studien, S. 251–252; Päsler: Deutschsprachige Sachliteratur, S. 290–295 (in allen Werken ältere Fachliteratur).

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setzung (weiterhin auch kurz Wigand/Gesselen bezeichnet) und der Schützschen Bearbeitung (Wigand/Schütz) vorhandene Darstellung längere Narrationen, zuerst über die Bauunternehmung bei Gotteswerder und dann über die darauffolgenden Ereignisse innerhalb von insgesamt drei militärischen Kampagnen. Die frühneuzeitliche Darstellung der Geschehnisse in der Chronik Grunaus bleibt eher anekdotisch und fragmentarisch, wobei sie teilweise auch auf freien Erfindungen des Autors basiert. Eine selbständige Überlieferungstradition bilden russische Letopisi, die aber nur kurze und einfache Notizen über einige Geschehnisse an der unteren Memel im Jahr 1369 beinhalten.17 Andere Aufzeichnungen, die aber keine chronikalische Überlieferung darstellen, sondern in Ausgabennotizen bestehen, sind eine wichtige Quelle für die Analyse der Geschehnisse in der ersten Hälfte des Jahres, nämlich die Rechnungen Jan Tolnaers, des Rentmeisters von Jean II. de Châtillon, dem Grafen von Blois und Dunois, Herrn zu Tholen, Avesnes, Schoonhoven und Gouda, der sich als ein ›Litauenfahrer‹ mit seinem bewaffneten Gefolge und vielen anderen adligen Herren seit Ende Dezember 1368 bis Anfang Juni 1369 in Preußen aufhielt.18 Der Heerzug an die untere Memel wurde durch den Hochmeister Winrich von Kniprode spätestens um Mitte März 136919 angeordnet und von Anfang an als 17 Prodolzˇenie lêtopisi po Voskresenskomu spisku [Продолженіе лѣтописи по Воскресенскому сриску], S. 16: »Togo zˇe lêta sˇedsˇe Nêmci vzjasˇa u Litvy gorodok ›Koven‹.« [»Того же лѣта шедше Нѣмци взяша у Литвы городокъ Ковенъ«]. 18 Nationaal Archief: Den Haag: 3.19.10 (Inventaris van het archief van de Graven van Blois, 1304–1397), Sign. inv. nr. 45 (Rekeningen van Jan Tolnaer, kapelaan, 12 november 1368 – 25 december 1369, afgehoord 1370, februari 4.) (weiter: NADH: Rekeningen), bes. Bl. 1r–55v, wo verschiedene den Aufenthalt des Grafen und seines Gefolges in Preußen betreffende Informationen aufgezeichnet sind; vgl. dazu in vielerlei Einzelheiten Paravicini: Die Preußenreisen, 1, S. 56, 57 (Tab. 4), 59 (Tab. 5), 96 (Tab. 7, Nr. 76), 178–178 (Tab. 24, Nr. 23), 187, 210 (Tab. 32), 259 (Tab. 38, Nr. 4), 262 (Tab. 39, Nr. 4), 264 (Tab. 41, Nr. 4), 267, 269, 272, 278, 281, 282 (Tab. 42, B), 284, 285, 287, 292 (Tab. 45), 299, 304, 305, 308, 309, 314, 336–338, 344; 2, S. 29 (Tab. 49, Nr. 145), 68, 69, 76, 77, 78, 82, 84, 85, 106, 108, 124 (Tab. 57), 125, 126, 127 (Tab. 58), 128, 129, 131–132, 133 (Tab. 59, Nr. 18–24), 139, 140 (Tab. 60, Nr. 12), 147 (Tab. 61, Nr. 7), 169 (Tab. 67), 173 (Tab. 71–72), 174 (Tab. 73), 179 (Tab. 77), 194 (Tab. 82), 208, 211 (Tab. 87, Nr. 6–7), 214–215 (Tab. 88, Nr. 48–53), 220 (Tab. 89), 226, 228–238 (Tab. 92, Nr. 22–24, 171–172, 240, 243–244, 285), 245–246, 255, 265 (Tab. 94, Nr. 25–28). Zum Grafen selbst vgl. Brauers: Der Ordensstaat, S. 191; Neu: Johann, Graf von Blois, S. 486–487. 19 Davon überzeugt eine Notiz in den Rechnungen Jan Tolnaers, in der von der Reise zweier Abgesandter Jeans II. de Châtillon von Königsberg nach Balga in der Woche vom 18.–23. März die Rede ist, wo sie mit dem dortigen Komtur, Ulrich Fricke, von den Schiffen für die ›litauische Reise‹ sprechen sollten, was annehmen lässt, dass der Graf von Blois um diese Zeit die Pläne der Ordensleitung für kommenden Frühling schon kannte, vgl. NADH: Rekeningen, Bl. 45v: »Item doe Heinkin weder ghecomen was reden Jan Breie een Pauwels die Prwsch ter Balghe an den conmandeur om mit hem te spreken van den scepen, die myn her hebben soude op die reise van Lettouwen […]«; vgl. auch Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 82–83. Aus ungewissen Gründen hat Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 208, das Aufgebot des Ordensheeres schon für Januar 1369 angesetzt. In der Tat fand in der 4. Januarwoche eine Kriegsreise nach Litauen statt, höchstwahrscheinlich unter der Führung des Ordensmar-

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eine Baureise vorgenommen. Gemäß der Überlieferung von Wigand/Schütz sei es das Ziel des Hochmeisters gewesen, eine Befestigung zu errichten, die dem Orden die Kontrolle über den Memelstrom gewährleisten und dadurch den litauischen Streifzügen besser entgegenwirken sollte.20 Eine ähnliche Einschätzung habe auch der litauische Fürst Ke˛stutis, Herzog von Trakai, gehabt.21 Durch die Errichtung einer Burg soll Ke˛stutis nämlich das Ziel erreicht haben, unerwartete Streifzüge durch christliche Heere in seinen Ländern zu verhindern. Einer weiteren Narration ist eindeutig zu entnehmen, dass die Litauer im Frühling 1369 einen Wiederaufbau der Burg Neu-Kauen (Novum Cawen, New-Cawen, modern lit. Naujasis Kaunas) planten. Die neu errichtete Befestigung lag auf einer Memelinsel, die in der lokalen litauischen toponomastischen Tradition Wyrgalle bzw. Wirgale (modern lit. Vyrgale˙s) hieß und von Deutschsprachigen Gotis(werder) genannt wurde.22 Sie befand sich bei der Mündung der Nyewescha (lit. Neve˙zˇis) in die Memel23 und war der Ort, an dem Ke˛stutis schon zweimal zuvor, nämlich 136324 und wahrscheinlich 1367,25 eine Burg errichten ließ, die den Namen Neu-Kauen trug.26 Die beiden litauischen Befestigungen wurden nach

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schalls, an der auch die ›Gäste‹ teilgenommen haben, die in Rechnungen Jan Tolnaers bezeugt ist (vgl. NADH: Rekeningen, Bl. 15r–15v; dazu kurz nur Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 84), sie war aber ein ganz anderes militärisches Unternehmen, ähnlich wie ein Geschrei bei Bartenstein am Ende Februar 1369, das ebenfalls nur in den oben erwähnten Rechnungen notiert ist, vgl. NADH: Rekeningen, Bl. 17v–18r; Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 66, 78. Schütz, Bl. 89v: »[…] im willens uber die Memel eine festung zu legen, domitt der orden allezeit den strom in yhrer gewalt haben möchten und auch die Littawen desto besser von der streifferei in des ordens lande hinterhalten kunten«; vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 208. Schütz, Bl. 89v: »[…] gleiches furhabens war auch Kinstoud umb dieselbe gegent eine newe vestung anzulegen, domitt yhme die cristen also fast alle jare ohn einigen abschew in seine lande streiffen solten […]«; vgl. dazu Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 208; Lohmeyer: Geschichte, 1, S. 279. Wigand (Z), Kap. 162, S. 320; vgl. Wigand (H), S. 540, Anm. 650; S. 545, Anm. 706; Wagner: Vokiecˇi ordino pilys, S. 65. Wigand (Z), Kap. 162, S. 320; Schütz, Bl. 88r. Wigand (Z), Kap. 162, S. 320; Schütz, Bl. 88r; vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 538; Krumbholtz: Samaiten, S. 468; Baronas: Kariuomene˙, S. 387; Ders.: Der Kontext, S. 170; Radoch: Walki, S. 60. Vgl. Wartberge, S. 88, 89 (zwei Erwähnungen einer wieder existierenden litauischen Burg Novum Kauve); dazu vgl. Gudavicˇius: Lietuvos istorija, 1, S. 136, der aber irrtümlicherweise zuerst vom Bau Gotteswerders 1363 schrieb, der nach der Zerstörung von Neu-Kauen stattgefunden haben soll, und dann von der Zerstörung dieses Gotteswerders durch die Litauer im Jahr 1363 oder kurz danach, worauf der Wiederbau Veliuonas gefolgt sein soll; vgl. auch Krumbholtz: Samaiten, S. 472; Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 559 (der den Wiederbau NeuKauens in das Jahr 1366 setzt); Radoch: Walki, S. 62 (der die Errichtung Neu-Kauens (II) auf 1367 oder erst 1368 datiert). Die sich auf den Namen Kauen (lit. Kaunas) beziehende Benennung der ersten, 1363 gebauten litauischen Burg (Neu-Kauen (I)) ist dadurch zu erklären, dass die Burg Kauen nach ihrer Belagerung und Zerstörung durch den Deutschen Orden im Frühling 1362 damals in Ruinen lag (vgl. Kwiatkowski: Prolog, S. 249 (dort ältere Fachliteratur)), jedoch die Errichtung einer

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ihrer Errichtung durch die Heere des Deutschen Ordens erobert und zerstört, nämlich 136327 und 1368.28 Auf der Ordensseite vermerkte man die Errichtung der folgenden litauischen Burgen auf der Insel Wyrgalle/Gotis(werder) präzise, was in der Chronik Hermanns von Warteberge einige Spuren hinterlassen hat.29 Man findet nichts, was die Narration von Wigand/Schütz über die Ziele der beiden Machthaber unglaubwürdig erscheinen ließe. Die Vorhaben beider Konfliktparteien stellten sich als Fortsetzungen bzw. Reaktionen beider Seiten auf die Kriegshandlungen der zwei vorausgegangenen Jahre heraus.30 Es war der litauische Fürst, dem es gelang, einige Wochen oder sogar nur Tage früher als der Hochmeister, den neuen Burgenbau im Frühling 1369 zu beginnen.31 Die litauischen Bauarbeiten von Neu-Kauen (III)32 auf der Insel Wyrgalle/Gotis(werder) dürften etwa Ende März oder sogar eher Anfang April 1369 begonnen haben. Denn sie waren nicht weit fortgeschritten,33 als das Deutschordensheer zwischen dem 10.–15. April herannahte.34 Man muss auch in Betracht ziehen, dass sich Ke˛stutis lediglich ca. acht bzw. zehn Wochen zuvor mit seinem Heer noch auf

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neuen Befestigung an einem anderen Ort den Wiederaufbau der alten Burg unter ihrem bisherigen Namen höchstwahrscheinlich nicht ausschließen sollte. Wigand (Z), Kap. 162, S. 322; Wartberge, S. 84; vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 539; Hecht: Die Schlacht, S. 33; Krumbholtz: Samaiten, S. 468; Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 62, Anm. 160; Radoch: Walki, S. 60; Lohmeyer: Geschichte, 1, S. 276 (irrtümlicherweise setzt er die Zerstörung Neu-Kauens (I) in das Jahr 1364). Franciscani Thorunensis, S. 88; Wartberge, S. 92 (dort die Notiz über den zweiten Bau der Burg durch die Litauer); Wigand (Z), Kap. 188, S. 354 ( jedoch sehr unklar, mit unsicheren Zeitangaben und der Erwähnung einer Belagerung); vgl. auch Schütz, Bl. 89v; dazu Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 563; Hecht: Die Schlacht, S. 33; Krumbholtz: Samaiten, S. 472; Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 62, Anm. 160; Radoch: Walki, S. 62. Wartberge, S. 94: »[…] in qua insula rex Keinstut prius ter castrum Kauve construxerat […]«. Vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 204–205, 206–207 (der aber irrtümlicherweise für das Jahr 1368 keine Heerzüge des Ordens erwähnt); Krumbholtz: Samaiten, S. 471–472; Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 560–564. Krumbholtz: Samaiten, S. 472, war damit der Meinung, es sei ein Fehler der Deutschordensführung gewesen, sich 1368 mit Zerstörung Neu-Kauens (II) begnügt und keine eigene Burg auf der Insel errichtet zu haben. Hecht: Die Schlacht, S. 34, hat irrtümlicherweise den Bau der Burg im Frühling 1369 als den vierten interpretiert. Das ist auch denjenigen Notizen zu entnehmen, die die Zerstörung der litauischen Bauanlage mit der Errichtung der Ordensburg zeitlich in eine direkte Reihenfolge setzen (vgl. Wigand (Z), Kap. 190, S. 356); Schütz, Bl. 89v. Das Datum lässt sich nur annährend bestimmen, indem man die Datenangaben zum Itinerarium Winrichs von Kniprode im März 1369 (vgl. unten, Anm. 38 und 39) mit der Angabe Hermanns von Wartberge über den Anfang der Ordensbauarbeiten auf der Insel Gottis(werder) um den 15. April (vgl. Anm. 3) zusammenstellt. Die Annahme von Urban: The Samogitian Crusade, S. 158, dass das Ordensheer erst um Mitte April die Insel Gottis(werder) erreicht hat, ist dementsprechend beinahe korrekt.

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dem Heerzug des Großfürsten Algirdas gegen Moskau befand35 und nicht früher als gegen Ende Januar bzw. Anfang Februar 1369 nach Oberlitauen zurückgekommen sein konnte.36 Unter dem Aspekt, dass der Herzog von Trakai die Vorbereitungen für diese Baureise an der unteren Memel direkt nach der Rückkehr von der militärischen Unternehmung im Osten hat vornehmen müssen, auf der er mindestens ca. 1950–2050 Kilometer mit seinem Heer unter schweren Wetter- und Wegeverhältnisse im Winter zurückgelegt hat, so sind die organisatorischen Fähigkeiten seines Hofkreises als hervorragend zu betrachten. Wollte dagegen die preußische Ordensführung die lange, über dreimonatige Abwesenheit der beiden führenden litauischen Fürsten in der Nähe des geplanten Burgenbaus während der Baureise nutzen, so schlug dieses Vorhaben völlig fehl. Das Deutschordensheer wurde durch den Hochmeister persönlich angeführt.37 Noch am 25.38 und 27. März39 ist seine Anwesenheit in Marienburg bezeugt. Somit kann man annehmen, dass die Hauptkräfte des hochmeisterlichen Heeres an der Wende vom März zum April aufgebrochen sind und, wie erwähnt, um den 10.–15. April die Insel Wyrgalle/Gotis(werder) erreicht haben. Über seine Zusammensetzung geben die Rechnungen Jan Tolnaers genauere Auskunft. Es ist nämlich dort über die Teilnahme »aller Komture des Hochmeisters« die Rede,40 was auf ein allgemeines preußisches Heer hinweisen kann, in das die Mehrheit der Komtureibezirke ihre Kontingente ausgeschickt haben könnte. Einigen weiteren Hinweisen ist zu entnehmen, dass neben dem Kontingent aus der Komturei Marienburg sicherlich auch das der Komturei Königsberg an dem Heerzug teilnahm. Betrachtet man den geographischen Raum der Kriegshandlungen, so ist anzunehmen, dass in erster Linie das Kontingent von Ragnit und die Bewaffneten aus den Komtureien Brandenburg und Balga, an der ›Reise‹ beteiligt waren. Die Rechnungen Jan Tolnaers erwähnen einen »Kommandeur von Saalfeld«, was auf die Teilnahme eines Kontingents aus der Komturei

35 Vgl. Stadnicki: Olgierd i Kiejstut, S. 137–140; Paszkiewicz: Jagiellonowie, 1, S. 415–416; Nikodem: Litwa, S. 392–393; Baronas: Ekspansijos, S. 468–469; Gudavicˇius: Lietuvos istorija, 1, S. 139. 36 In der letzten Dekade Februars 1369 ist Algirdas auf einem Heerzug in der Gegend von Ascheraden (lett. Aizkraukle) und Sisselgal (lett. Madliena) bezeugt, vgl. Wartberge, S. 93–94; dazu Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 567. 37 NADH: Rekeningen, Bl. 21r; Wigand (Z), Kap. 190, S. 356; Wartberge, S. 94; Schütz, Bl. 89v; Hochmeisterchronik, Kap. 159, S. 595; Długosz, S. 343; auch de Mechovia, S. CCXLVII; Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626; Stryjkowski (R), S. 275; Stryjkowski (M), S. 42. 38 Landesbibliothek Hannover: Ms XIX 1083, Bl. 67r (Fol. 39r), Regest: Conrad (Hg.): Preußisches Urkundenbuch, 6/2, Nr. 730, S. 416. 39 Conrad (Hg.): Preußisches Urkundenbuch, 6/2, Nr. 731, S. 416. 40 NADH: Rekeningen, Bl. 21r: »Een waren op die reise die hoofmeister van Prwssen een alle sine commandeurs. Een dor toe alle die riddere een knapen die worghenoemt staen, een veel andere, die daer met ghenoemt en syn«.

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Christburg hinweist.41 Anderen Notizen des niederländischen Rentmeisters ist die Beteiligung der Kontingente der Komtureien Ragnit, Danzig, Elbing und Graudenz zu entnehmen.42 Dieselben Rechnungen bestätigen die Anwesenheit einer ganzen Anzahl von ›Litauenfahrern‹, wie Jean II. de Châtillon und sein Gefolge (darunter sein Bruder Guy, Herr zu Beaumont), Archembaut de Grailly mit seinen Gascognern, der Herr von Putte aus Holland, Philipp der Bastard, Graf von Namur, Walter Lord Fitzwalter, Henry Lord Beaumont und Richard de Pembridge mit wenigstens 22 anderen Edelleuten aus England, Pierre de Genève mit Humbert dem Bastard von Savoyen, dazu auch Edelleute aus dem Königreich Neapel, aus Poitou, Burgund, der Pikardie, Flandern, Seeland, Geldern, Hennegau und Utrecht.43 Allein das Gefolge Jeans II. de Châtillon zählte zwischen 45 und 50 Ritter und Knappen, die ca. 40 ›Lanzen‹ bzw. ›Helme‹ bildeten.44 Werner Paravicini hat die Zahl der ›Gäste‹ vorsichtig auf ca. 200 Lanzen45 (zwischen 500 und 1.000 Bewaffnete) geschätzt. Die Teilnahme der ›Pilger‹ bzw. ›Gäste‹ an dem Heerzug wurde auch bei Wigand/Gesselen erwähnt, jedoch ohne detaillierte Angaben.46 Die obigen Erwägungen mit den Hinweisen auf die Kontingente aus mindestens neun Komtureibezirken, legen die Vermutung nahe, dass die frühneuzeitliche Notiz von Simon Grunau, wonach das ganze hochmeisterliche Heer 5.000 Leute gezählt haben soll,47 wenn sie auch anhand der Quellen nicht verifiziert werden und möglicherweise sogar eine Erfindung des Chronisten sein kann, den realen Zahlenverhältnisse doch ziemlich nahe kommt. Doch rückte das hochmeisterliche Heer nicht als ganzes an die untere Memel vor. Gemäß den Rechnungen Jan Tolnaers verließ die Mehrheit der ›Litauerfahrer‹ Königsberg erst am 15. und 17. April und zog nach Labiau, wenn auch die Versorgung schon am 13. und 14. April von Königsberg abtransportiert worden war.48 Von Labiau aus segelte das Gefolge Jeans II. de Châtillon auf mindestens zwei Schiffen an die untere Memel.49 Somit erschienen die ›Gäste‹-Kontingente,

41 Ebd., Bl. 23r: »Item bi Hermanne ener Jannes Tolnaer iegens den conmandeur van den Zalighenvelde iij osse een ij koeyen om x mrc xx scot«. 42 Ebd., Bl. 24r; vgl. Paravicini: Preußenreisen, 2, S. 127 (Tab. 58), der aber den Komtur von Danzig, Konrad Zöllner von Rotenstein, nicht erwähnt. 43 Ebd., Bl. 21r; vgl. Paravicini: Preußenreisen, 1, S. 26 (Tab. 2, Nr. 61, 62), 28, 75 (Tab. 6), 77, 85, 96–97 (Tab. 7, Nr. 75–83), 108, 125 (Tab. 9, Nr. 60–61), 187, 231, 314. 44 NADH: Rekeningen, Bl. 21r; vgl. Paravicini: Preußenreisen, 1, S. 187; 2, S. 85. 45 Ebd., 1, S. 187. 46 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356. Ihm zufolge auch Długosz, S. 343; vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 207. 47 Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626; vgl. auch ähnlich David, S. 67. 48 NADH: Rekeningen, Bl. 20r. 49 Ebd., Bl. 28r–v; vgl. Paravicini: Preußenreisen, 2, S. 77, 85.

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oder zumindest einige von ihnen, erst ca. 5–10 Tage auf der Insel Wyrgalle/ Gotis(werder) später als die preußischen Hauptkräfte.50 Wigand/Gesselen zufolge zerstörte das hochmeisterliche Heer auf der Insel Wyrgalle/Gotis(werder) alles, was das fürstliche Heer bisher errichtet hatte.51 Zwar transportierte laut Wigand/Schütz das Deutschordensheer die zum Bau benötigten Materialien, wie Ziegel, Kalk und Holz,52 doch übernahm es auch Baustoffe und Gerätschaften von den zurückgedrängten Litauern.53 Das Deutschordensheer hat direkt danach höchstwahrscheinlich seine eigenen bauden, d. h. die in einigen Gebieten des Preußenlandes zu Bauarbeiten gebotenen und an die untere Memel mitgebrachten Scharwerksleute, eingesetzt54 und um den 15. April – so Hermann von Wartberge – die Baukampagne begonnen.55 Alle diese Geschehnisse sind äußerst knapp in der Älteren Hochmeisterchronik mit der Phrase »mit gewalde«56 beschrieben. Die lateinische Übersetzung der Chronik Wigands von Marburg weist darauf hin, dass man die Ordensburg an einer anderen Stelle errichtet hat, als der, wo sich die litauischen Befestigungen befanden.57 Dafür gibt auch die Narration Hermanns von Wartberge einen deutlichen Hinweis, wenn sie für den November 1369 zwei neue Burgen und eine alte Befestigung auf der Insel erwähnt.58 Somit irrte sich Theodor Hirsch, als er annahm, die Burg Gotteswerder sei an der Stelle der zerstörten Burg Alt-Kauen

50 Aus den Rechnungen Jan Tolnaers geht deutlich hervor, dass z. B. der Komtur von Ragnit, Burkhart von Mansfeld, nicht mit dem Kontingent des Grafen Jean II. de Châtillon auf die Reise zog, vgl. NADH: Rekeningen, Bl. 24r (vgl. Zitat in Anm. 52). 51 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356: »[…] superveniuntque preceptores et totam structuram destrucerunt […]«. 52 Schütz, Bl. 89v: »[…] und den flusz auf lies er [Hochmeister] ziegel, holtz, kalck und andere gerettschafft auffuhren […]«; NADH: Rekeningen, Bl. 24r: »Item ghins varende boven Regniten daer men thout hiew daer Goodswaerder of ghetimmert was ghegeven des conmandeurs bode van Regniten, die minen her eenen ree brocht […]«; vgl. auch Długosz, S. 343; de Mechovia, S. CCXLVII; Stryjkowski (R), S. 285; Stryjkowski (M), S. 42; Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626 (»[…] mit aller bereitschafft […]«; David, S. 67; dazu noch Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 208. Hecht: Die Schlacht, S. 15, irrt sich, wenn er von Gotteswerder als einem Holzbau schrieb. 53 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356: »[…] lateres quidem etc. deportant fratres […]«; Schütz, Bl. 89v: »[…] hette er [Ke˛stutis] viel materien und gerettschafft zusammen bringen laszen, welchs dem hochmeister gar wol zu stuer kam, und er nahme es dem seinen zu hulffe […]«; Długosz, S. 343; de Mechovia, S. CCXLVII; Stryjkowski (M), S. 42; vgl. dazu Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 208; Urban: The Samogitian Crusade, S. 158. 54 Vgl. Lohmeyer: Das Wort »Baude«, S. 57–67. 55 Wartberge, S. 94; vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 565; Hecht: Die Schlacht, S. 34; Krumbholtz: Samaiten, S. 472. 56 Hochmeisterchronik, Kap. 159, S. 595. 57 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356: »[…] et Mimila in quodam angulo erigunt domum […]«. 58 Wartberge, S. 95 (vgl. Zitat in Anm. 111).

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errichtet worden.59 Karl Wagner hat in 1930er Jahren die Lage des Gotteswerders in der Umgebung der damaligen, am nördlichen (rechten) Ufer der Nyewescha liegenden Dörfern Sˇilale˙ (modern lit. Sˇilelis, altpoln. Sołomianka) und Borkiai (derzeit Teil von Sˇilelis, altpoln. Borki) gesehen.60 Eine Erwähnung bei Wigand/ Gesselen darf als Hinweis betrachtet werden, dass die Insel Wyrgalle/Gotis(werder) keine sandige Flußinsel war, sondern ein größeres Gelände im Mündungsgebiet des Flusses Nyewescha in die Memel, sogar mit lokalen Siedlungen.61 Darauf hat vor einigen Jahren auch Zigmantas Kiaupa hingewiesen.62 Aus den Aktenquellen des späten 15., dann 16. und besonders des 17. Jahrhunderts kann man schlussfolgern, dass damals eine Insel genannt Gotzwerd(a) zwischen der Memelhauptströmung und ihrem Nebenfluss namens Niemnina gegenüber einem großen Wiesenbereich namens Wedessey lag, der seinerseits den größten Teil einer großen, ca. 2 Kilometer langen Landzunge zwischen der unteren Nyewescha und der Memel bildete.63 Da die ganze Insel im 18. Jahrhundert völlig verschwunden ist, ohne Zweifel infolge von Memelüberflutungen und dem darauffolgendem Rückzug des Niemnina, sind bisher keine Überreste der spätmittelalterlichen Befestigungsanlagen gefunden worden, zumindest über dem Grund, und darüber hinaus kann man zur Lage aller Befestigungen auf der Insel ohne archäologische Arbeiten64 nichts weiteres sagen. Nach dem Bericht Wigands/Gesselens dauerten die Bauarbeiten einen Monat.65 Während dieser Zeit blieb das fürstliche Heer in der Nähe, da sowohl diese Überlieferung als auch die längere Schützsche Paraphrase direkt Auskunft über Kommunikationsakte zwischen dem Hochmeister und dem litauischen Fürsten 59 Wigand (H), S. 540, Anm. 650; S. 561, Anm. 886. Nach ihm ebenso falsch Ernst Strehlke, in: Scriptores rerum Prussicarum, 3, S. 88, Anm. 1; ebenso Wagner: Vokiecˇi ordino pilys, S. 65. 60 Wagner: Vokiecˇi ordino pilys, S. 65; vgl. Wojskowy Instytut Geograficzny (Hg.): Mapa Taktyczna Polski 1:100 000, Blatt P 29 S. 37: Zapyzˇkis (Sapiez˙yszki). 61 Wigand (Z), Kap. 189, S. 356: »[…] in Gotiswerder vulgariter similia in paganos perficiunt et domum interrangantur [sic!] […]«. 62 Kiaupa: Gotesverderis, S. 17–25. 63 Ebd., S. 22–24. 64 Der archäologische Forschungsstand zu Deutschordensbefestigungen an der unteren Memel, sowohl auf dem Gebiet des Oblasts Kaliningrad als auch der Republik Litauen, bleibt trotz zahlreicher litauischer Ausgrabungen weiterhin ungenügend, vgl. dazu Zabiela: Lietuvos medine˙s pilys, S. 62; Ders.: Wooden Structures, S. 338–349. 65 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356: »[…] ad mensem continue edificant […]«. Schütz, Bl. 90r, der wohl nur durch irrtümliche Leseart des Originaltexts Wigands fünf Monate angibt. Nach Angaben von Wartberge, S. 94, soll die ganze Unternehmung ca. fünf Wochen gedauert haben, vgl. auch Hecht: Die Schlacht, S. 15, 34. Długosz, S. 343, schreibt aus unklaren Gründen dagegen von sechs Monaten; ähnlich Stryjkowski (R), S. 285; Stryjkowski (M), S. 42. Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626, spricht ganz falsch von 23 Wochen, was durch David, S. 67, paraphrasiert und als »ein halbes Jahr« dargestellt wurde; vgl. dazu Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 208 (der fünf Wochen angibt); Lohmeyer: Geschichte, 1, S. 277 (mit der richtigen Zeitangabe).

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geben. Es soll zu einer Zusammenkunft und einem Gespräch zwischen beiden Kriegsherren gekommen sein,66 was im Licht der Geschehnisse voriger Jahre möglich erscheint.67 Letztendlich musste sich Ke˛stutis samt seinem Heer aus der Gegend zurückziehen.68 Sowohl Wigand/Gesselen, Wigand/Schütz wie auch Hermann von Wartberge und die Rechnungen Jan Tolnaers führen die direkten und indirekten Informationen über die Bauvollendung um Pfingsten (20. Mai) an.69 An diesem Feiertag wurden auf der neuerbauten Burg die Ordensfahnen gehisst.70 Die chronologischen Angaben in der chronikalischen Überlieferung scheinen auf den ersten Blick nicht gänzlich kompatibel mit einem urkundlichen Zeugnis, dem zufolge der Hochmeister schon am 24. Mai zurück in Marienburg war.71 Doch auch Jean II. de Châtillon, der in Gotteswerder am 20. Mai bezeugt ist,72 befand sich schon am 23. Mai in Königsberg, wo sein Gefolge einen Tag 66 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356: »Rexque ait magistro, quod in vindictam edificaret in terra sua et si posset, vellet prohibere. Responditque magister dicens; ideo venimus«; Schütz, Bl. 90r: »Kinstoud lies dem hohmeister zu entpieten, das er von solchem furnehmen wolte abstehen, dan es gar eine frembde sache were, das der hohmeister in eines andern lande wolte schlöszer und festungen bawen. Der hohmeister antwortete dorauf, er were mit seinem volcke umb bawens willen dohin kommen, wolte yhnen das jemant zu wehren unterstehen, er wolte desselben gerne erwarten«; vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 208. 67 Vgl. Kwiatkowski: Oryginalne fragmenty, S. 138–140 (Fragment X); Wigand (Z), Kap. 142, S. 298; Schütz, Bl. 86v–87v; vgl. dazu Kwiatkowski: Prolog, S. 248. 68 Das Datum des fürstlichen Rückzugs bleibt unbekannt, wie auch des Abzugs aus der Umgebung der Insel, der jedoch hier eine selbstverständliche Annahme bietet, besonders im Kontext des neuen Heerzugs von Ke˛stutis gegen Gotteswerder im August desselben Jahres. 69 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356: »Post Penthecostem magister etc. domum revertuntur«; Schütz, Bl. 90r (vgl. Zitat in Anm. 70); Wartberge, S. 94: »Complevit autem castrum circa festum penthecostes«; NADH: Rekeningen, Bl. 8v: »Item offerde myn her op thws te Goodswaerder op den Pinxterdach j zwaren gulden«; vgl. Długosz, S. 343 (der über die Ankunft des Hochmeisters in Preußen schon zu Pfingsten spricht); de Mechovia, S. CCXLVII (der, anders als Długosz, über Plünderung und Verwüstung der nahegelegenen Gegenden in dieser Zeit spricht); Stryjkowski (R), S. 285; Stryjkowski (M), S. 42 (nach der Narration von Maciej z Miechowa). So auch Hecht: Die Schlacht, S. 34; und Krumbholtz: Samaiten, S. 472. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 565, dagegen nahm aus unbekannten Gründen den 13. Mai als Datum des Bauarbeitenabschlusses an. 70 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356: »[…] vexilla imponunt […]«; Schütz, Bl. 90r: »[…] die creutzherren am heiligen pfingsttage yhre banier auf die zinnen stecketen […]«; vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 208. 71 Landesbibliothek Hannover: Hs. XIX 1083, Bl. 44r (Fol. 15r) (= Regest: Conrad (Hg.): Preußisches Urkundenbuch, 6/2, Nr. 734, S. 418). Eine viertägige Fahrt des Hochmeisters von Gotteswerder zur Marienburg scheint kaum möglich zu sein, wenn auch nicht ganz unwahrscheinlich, jedoch nur dann, wenn es sich um eine Schiffsreise handelte, dazu noch unter vorzüglichen Wetterbedingungen. Radoch: Walki, S. 63, hat diese Tatsache nicht berücksichtigt und die Angaben narrativer Quellen unkritisch angenommen. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass das Datum der Urkundenausstellung vom 24. 05. 1369, die nur in einer Urkundenabschrift überliefert ist, in dieser Kopie inkorrekt niedergeschrieben wurde. 72 NADH: Rekeningen, Bl. 9r: »Item offerde myn her op thws te Goodswaerder op den Pinxterdach j zwaren gulden«.

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später heranrückte.73 Geht man in beiden Fällen von der Benutzung von Schiffen auf dem Rückweg aus, so bleibt die Chronologie durchaus möglich und glaubwürdig. Auf seinem Weg könnte Winrich von Kniprode mit einem kleinen Teil des Heers74 einige Plünderungen, die Długosz erwähnte und möglicherweise dem Original der Wigandschen Chronik entnommen hat, an der unteren Memel westlich von Gotteswerder durchgeführt haben. Die Burg wurde mit einem bewaffneten Kontingent besetzt, das aus 20 Ritterbrüdern, 40 berittenen Wäpnern und 40 Armbrustschützen zusammengesetzt war.75 Gemäß Wigand/Schütz behauptete man, die 100 Bewaffnete zählende Besatzung sei genug stark, sogar den Angriff eines größeren feindlichen Heeres abzuwehren.76 Die Bewaffneten wurden mit Nahrungsvorräten für ein Jahr versorgt.77 In der Burg richtete man einen Konvent ein ( jene 20 Ritterbrüder waren dazu genug an der Zahl), der einem Komtur unterstellt wurde.78 Das Komturamt wurde Kuno von Hattenstein übertragen.79 Die Errichtung eines neuen Konvents 73 Ebd., Bl. 21r, 30r; vgl. Paravicini: Preußenreisen, 1, S. 259 (Tab. 38, Nr. 4). 74 Da die Verleihung vom 24. 05. 1369, die in Marienburg stattgefunden ist, ein Landgut in der Komturei Brandenburg betrifft, dürfte man annehmen, dass zusammen mit dem Hochmeister nicht nur Bewaffnete aus der Komturei Marienburg, sondern auch einige Kontingente aus anderen Komtureien nach Hause zurückkehrten. 75 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356: »[…] cum xx fratribus et aliis sagittariis etc. […]«; Schütz, Bl. 90r: »[…] und versorgte das haus mit zwantzig ritterbrudern, viertzig reisigen und so viel schutzen […]«; vgl. Hochmeisterchronik, Kap. 159, S. 595, die Brüder und Wäpner (ohne Zahlenangaben) in der Besatzung notiert; Długosz, S. 343, der nur von einem »presidium forte militum« spricht; nach ihm auch de Mechovia, S. CCXLVII; Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626, schreibt, dass die Burg »wol besatzt« wurde, ohne Zahlen anzugeben; ähnlich David, S. 67; vgl. dazu Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 209; Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 565–566; Radoch: Walki, S. 62. 76 Schütz, Bl. 90r: »[…] als man erachtete, das zu erhaltung des hauses auch kegenst eine grosze gewalt der unglaubigen genugsam sein solte«; vgl. dazu die Erwägungen von Hecht: Die Schlacht, S. 16–17, 34, die in dieselbe Richtung gehen und die Zustimmung verdienen, obwohl er sie auf einer falschen Quellenbasis und -interpretation aufgebaut hat. Auch die Rechnungen Jan Tolnaers weisen darauf hin, dass auf der Burg einige Ordensbrüder als Besatzung geblieben sind, vgl. NADH: Rekeningen, Bl. 21v: »Een doe men thwswaert varen sonde, hadde myn here ten erene alle die goodsheren, die gheordineert waren te bliven op dat nuwe hws«. 77 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356; vgl. auch David, S. 67 (spricht über »allerlei Nodturfft« für die Besatzung); dazu Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 208; Hecht: Die Schlacht, S. 34. 78 Dazu vgl. Józ´wiak: Centralne, S. 169, Anm. 34 (er schreibt jedoch vom Hauskomtur erst in der Zeit vor 1405); Ders.: Podziały administracyjne, S. 133 (wo er den Komtur dem Ordensmarschall unterstellen will). 79 Wigand (Z), Kap. 190, S. 356; Schütz, Bl. 90r. Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626, nennt einen selbst erfundenen Namen des Komturs, Thimotheus von Dilhausen. Heckmann: Amtsträger, S. 536, schreibt über Kuno (den Jüngeren) von Hattstein, der 1366 Kumpan des Vogtes von Samland gewesen sein soll (Ebd., S. 330), und dann die Ämter des Komturs von Gotteswerder (Ebd., S. 395), des Pflegers von Gerdauen (5. 10. 1375, Ebd., S. 347) des Komturs von Ragnit (hier irrtümlicherweise von August 1374 bis zum 5. 05. 1379, Ebd., S. 429) und des Ordensmarschalls (25. 07. 1379 bis 28. 09. 1382, Ebd. S. 209) bekleiden sollte. Diese Identifikation ist zu akzeptieren, wenn auch nur am Rande anzumerken ist, dass dieser Ordensbruder das

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ist als Zeichen dafür zu betrachten, dass die Deutschordensführung in der neuen gemauerten Befestigungsanlage eine wichtige militärische Einrichtung am östlichen Abschnitt der unteren Memel gesehen hat, die das militärische Potenzial des Ordens in dieser Gegend nach Errichtung der ebenfalls gemauerten Burg Marienburg (Mergenborg) in den zwei vorhergehenden Jahren80 noch wesentlich verstärkte. Gotteswerder wurde 1369 zu der am weitesten nach Osten vorgeschobenen Befestigung des Ordens an der Memel, was ihm ermöglichte, die ›Reisen‹, als kleinere Streifzüge, von diesem fast in Samaiten lokalisierten Stützpunkt zu organisieren. Einerseits konnten solche militärischen Unternehmungen auf dem Feindgebiet jetzt viel länger dauern, da man sich in Gotteswerder bereits direkt neben den feindlichen Gebieten befand und deswegen den Hin- und Rückweg verkürzen konnte. Die drei anderen östlich von Ragnit errichteten und 1369 bestehenden Memelburgen des Deutschen Ordens – Marienburg, Bayerburg und Georgenburg (Jurgenburg) – lagen entsprechend ca. 27,5, ca. 44 und ca. 64,5 Kilometer (Luftlinie) westlich bzw. westnordwestlich von Gotteswerder. Selbst zwischen Ragnit und Gotteswerder waren es ca. 110 Kilometer (Luftlinie). Somit war die geringere Entfernung im Fall einer Unternehmung mit Ausgangspunkt in Gotteswerder im Vergleich zu denjenigen, die von Bayerburg, Georgenburg oder Ragnit ausgingen, nicht unwesentlich. So brauchte man zum Beispiel nun in die Gegend von Wendziagola (lit. Vandzˇiogala, poln. We˛dziagoła) eine Strecke von nur 25–30 Kilometern zurückzulegen, während man zuvor von Bayerburg ca. 55– 60 Kilometer, von Georgenburg ca. 80–85 Kilometer und von Ragnit ca. 130–140 Kilometer reiten musste. Das bedeutete, dass ein kleines Ordensheer, das sich sogar in schwer zugänglichem Gelände relativ schnell bewegte, Wendziagola schon am zweiten Tag der Unternehmung erreichen konnte, wenn es von Gotteswerder aufgebrochen wäre, und einen Tag später, wenn der Ausgangspunkt in Bayerburg gewesen wäre, am vierten Tag, wenn man von Georgenburg aufgebrochen wäre, und erst frühestens am sechsten Tag, wenn die Bewaffneten von

Pflegeramt in Gerdauen schon 1372/1373 innehatte, vgl. Wigand (Z), Kap. 206, S. 378; Wigand (H), S. 554, Anm. 795 (der ihn in das Jahr 1371 setzte); ähnlich auch Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 565; Hecht: Die Schlacht, S. 34; Ke˛stutis Gudmantas in Erläuterungen zur litauischen Übersetzung der Wigandschen Chronik, vgl. Jasas et al. (Hg.): Vygandas Marburgietis, S. 309, Anm. 6. Die Identifikation Marek Radochs, des Hauskomturs von Gotteswerder, mit dem damaligen Komtur von Brandenburg, Kuno (dem Mittleren) von Hattstein (vgl. Heckmann: Amtsträger, S. 211, 255, 329, 428), ist falsch, vgl. Radoch: Walki, S. 62. 80 Wigand (Z), Kap. 185, S. 350; Wartberge, S. 92; Franciscani Thorunensis, S. 87; Posilge, S. 87; vgl. dazu Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 192; Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 561, 562; Krumbholtz: Samaiten, S. 471; Hirsch, in: Wigand (H), S. 558, Anm. 852; Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 28 (Tab. 49, Nr. 142); Radoch: Walki, S. 62.

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Burgenkrieg an der unteren Memel im Jahr 1369

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Ragnit gekommen wären.81 Für die Kriegspraxis, die in hohem Maße aus Verwüstungs- und Plünderungsaktionen bestand,82 die wiederum Plötzlichkeit und Schnelligkeit voraussetzten und dabei stets mit unausweichlichen Versorgungsproblemen verbunden waren, bedeutete ein so nahe an den Kriegsgebieten gelegener Stützpunkt wie Gotteswerder ein enormes ›Handicap‹. Andererseits bekam der Deutsche Orden mit dem Bau von Gotteswerder, das als gemauerte Burg sicherlich über ein nicht unwesentliches defensives Potential verfügte,83 eine befestigte Anlage, die zugleich als vorgeschobener Verteidigungspunkt und als günstig gelegene Flußsperre gegen die erwarteten Kriegshandlungen der Litauer dienen konnte. Die beiden militärischen Aspekte der Bauunternehmung an der unteren Memel sind in dem Schützschen Text präzise dargelegt84 und scheinen zugleich die Auslegungen Wigands von Marburg zu sein, der wiederum die Ansichten der Ordensführung von vor lediglich 25 Jahren (aus der Perspektive des letzten Chronisten) repräsentieren dürfte. Nicht weniger wichtig war auch die Tatsache, dass es dem Deutschen Orden im Frühling 1369 gelungen ist, seine eigene Burg fast genau an der Stelle der feindlichen Befestigung zu errichten, die, falls sie nicht zerstört werden würde, alle gerade besprochenen Vorteile dem Orden im Bereich der Nyewescha-Mündung entziehen würde. Man könnte diese Vorgänge mit der Bezeichnung ›Burgenkrieg‹ versehen, und es wäre nicht unzutreffend, weil es gerade 1369 an der unteren Memel beiden Seiten darum ging, ihre militärische Lage sowohl offensiv als auch defensiv deutlich zu verbessern. Die beiden Konfliktparteien versuchten dies mittels des Burgenbaus zu erreichen. Sie hatten solche Maßnahmen schon seit einigen Jahren ergriffen, doch die im Jahr 1369 waren bisher am umfangreichsten. Die litauische Niederlage im Frühling 1369 war umso größer, als das Ordensheer die Burg Neu-Kauen schon zum dritten Mal innerhalb von sieben Jahren zerstört hatte.85 In Frühlingsmonaten 1369 verfügte Ke˛stutis höchstwahrscheinlich über keine Befestigung im

81 Die Schätzungen basieren auf den Angaben in den sog. Litauischen Wegeberichten, einer Sammlung von Beschreibungen von Reiserouten aus dem 4. Viertel des 14. Jahrhunderts (und teilweise vom Anfang des 15. Jahrhunderts), die von preußischen Deutschordensburgen in verschiedene samaitische, oberlitauische und schwarzruthenische Gegenden führten, vgl. Hirsch (Hg.): Die littauischen Wegeberichte, S. 664–711. Nach ihnen konnten die Ordenstruppen pro Tag sogar vier bis sechs Meilen, d. h. zwischen ca. 31,1 und ca. 46,7 Kilometer, zurücklegen. Die größeren Heere waren nicht so mobil und konnten täglich nur wesentlich kürzere Strecken bewältigen, vgl. Kwiatkowski: Prolog, S. 244–245. 82 Vgl. u. a. Kucˇinskas: Ke˛stutis, S. 45–47; Nikzˇentaitis: Belaisviai Lietuvoje, S. 507–508; Ders.: Prisoners of War, S. 193; Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 56–59, 64; Ekdahl: The Treatment, S. 265; Ders.: Warfare, S. 1245–1246; Gouguenheim: Les chevaliers teutoniques, S. 469. 83 Vgl. Anm. 75 und 76. 84 Schütz, Bl. 89v (Zitate in Anm. 20, 52 und 53). 85 Vgl. oben, Anm. 27 und 28.

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Mündungsbereich der Nyewescha und der Neris (Nerge) in die Memel,86 die durch ihre geographische Lage im südlichen Teil der Übergangszone zwischen Samaiten und Oberlitauen (Aukschtaitien, lit. Auksˇtaitija) militarisch von großer Bedeutung war. Nach dem Misserfolg des Fürsten Ke˛stutis konnte der Deutsche Orden einen litauischen Gegenschlag erwarten. Es dauerte nicht allzu lange, bis der Herzog von Trakai an die untere Memel kam. Um Mitte August 1369, also nach kaum drei Monaten, zogen zwei litauische Heere vor Gotteswerder heran. Sie standen unter der Führung von Ke˛stutis und seinem Bruder Algirdas, dem Großfürsten von Litauen.87 Die Anwesenheit des letzteren bedeutete, dass die Unternehmung in 86 Die Chronologie der Burgen in Bairias und Eiguliai, die von G. Zabiela verzeichnet wurden und in der hier besprochenen Gegend lagen, bleibt ungewiss, vgl. Zabiela: Defensive Systems, S. 203, Fig. 4; S. 204. Die erste von ihnen ist dabei in seiner früheren Monographie über litauische Holzburgen gar nicht erwähnt, vgl. Ders.: Lietuvos medine˙s pilys, S. 222–261. Die der Insel Wyrgalle/Gotis(werder) am nächsten gelegene Befestigung, die im Spätfrühling 1369 unter der Macht des litauischen Fürsten stand, war die Burg Pasten (dt. Pocztow, lit. Pasˇtuva), ca. 19 km flussabwärts von Gotteswerder (in der Luftlinie 15 km nord-nordwestlich von Gotteswerder). Radoch: Walki, S. 63, irrt sich, wenn er die Eroberung und darauffolgende Zerstörung von Pasten schon in den Sommer 1369 datiert; ähnlich irrtümlich Baronas: Der Kontext, S. 170. Die Burg wurde erst Anfang Februar 1370 durch ein Ordensheer erobert, vgl. Wigand (Z), Kap. 193, S. 360, 362, 364. Dagegen Krumbholtz: Samaiten, S. 472, hat fälschlich Veliuona (dt. Welun, poln. Wielona) als eine 1369 existierende litauische Burg bezeichnet, die für die Gotteswerder eine Gefahr gebildet haben soll. Diese letzte Burg wurde 1367 für die nächsten paar Jahrzehnte vom Deutschen Orden zerstört, vgl. Wigand (Z), Kap. 187, S. 352; dazu Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 560. 87 Wartberge, S. 94, erwähnt »reges Letwinorum«, was im Kontext der damaligen Machtverhältnisse in Litauen in erster Linie Algirdas und Ke˛stutis bedeuten musste; ebenso Hochmeisterchronik, Kap 159, S. 595 (»dy konige von Littawen«). Schütz, Bl. 90r, schreibt direkt von Algirdas und Ke˛stutis. Die Übersetzung von Gesselen erwähnt nur den letzten Herrscher, vgl. Wigand (Z), Kap. 191, S. 358, was wohl auf der Ungenauigkeit der Übersetzung beruht. Da Długosz, S. 343, die beiden Fürsten erwähnt (»Lithuanorum autem duces Olgerth et Keÿstuth«), resultiert daraus, dass er auch das Werk Wigands im Original benutzt hat. Nach Długosz auch de Mechovia, S. CCXLVII. Interessanterweise erwähnt Maciej Stryjkowski in der ersten, ungedruckten Fassung seiner Chronik von 1571–1578 (vgl. Stryjkowski (R), S. 285) neben Algirdas und Ke˛stutis auch einen Sohn des Großfürsten, nämlich Vladimir (Włodzimierz), der 1369 möglicherweise Herzog von Witebsk (weissruss. Wizebsk) war (vgl. Te˛gowski, Kilka uwag, S. 131–132; Ders.: Pierwsze pokolenia, S. 81), und zwei andere Herzöge – Patirg (bei Stryjkowski »Patryk«) und Vytautas (bei Stryjkowski »Witołt«), beide Söhne Ke˛stutis’ (vgl. Nikodem: Patirg, S. 133–150; Ders.: Witold, S. 41). Diese Angaben, die keine Bestätigung in der älteren Quellenüberlieferung finden, können nicht verifiziert werden, obwohl sie im Lichte der Forschungen von J. Te˛gowski und J. Nikodem nicht ganz unwahrscheinlich sind. Wenn Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626 (und nach ihm auch David, S. 68), über einen einleitenden Angriff eines Sohnes Ke˛stutis’ schreibt, den er mit dem falschen Namen Svitrigaila (»Swittrigaylo« bei Grunau und »Swidrigailo« bei David) versieht und »ein[en] geschworne[n] feindt der brüder« nennt, so kann es sich hier entweder um eine der vielen Erfindungen des Danziger Dominikaners oder eben eine Spur von mündlicher Tradition handeln, in der die Namen der Herzöge, nämlich Vytautas’ und Svitrigailas, vermischt wurden, wie auch andere Angaben, wobei jedoch der Kern der Narration über den Burger-

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großem Umfang organisiert war und Kontingente aus vielen Teilen des Reiches daran beteiligt waren. Die Bezeichnung potens exercitus in der lateinischen Übersetzung von Konrad Gesselen,88 der die Phrase »grose macht« bei Schütz entspricht89 und die auch im originalen Text Wigands in einer äquivalenten mittelhochdeutschen Sprachform verwendet wurde, kann nicht nur als rhetorische Wendung verstanden werden, sondern könnte auch den realen Ereignissen entsprochen haben. Bald fingen aktive Belagerungsarbeiten an. Wigand/Gesselen notieren die Verwendung von Belagerungmaschinen durch die Litauer, in der Schützschen Paraphrase als Bliden und Rammböcke bezeichnet.90 Hermann von Wartberge erwähnt neben anderen Belagerungsgeräten auch 18 machinas,91 hinter denen sich höchstwahrscheinlich jene Wurfmaschinen und auch mindestens ein bei Wigand/Gesselen erwähnter Belagerungsturm verbergen. Stellt man diese Angaben mit denen der Thorner Annalen zusammen, die 15 machinas und fünf Rammböcke (tomeler) verzeichnen,92 so kommt man zu zwei alternativen Schlußfolgerungen. Entweder wurde die Zahl der Belagerungsgeräte in zwei separaten Überlieferungstraditionen unterschiedlich wahrgenommen, was bei der möglichen Menge von mehr als zehn Stück durchaus verständlich wäre, auch wenn die Informationen sehr ähnlich sind, oder die unterschiedlichen Angaben zur Zahl der Belagerungsgeräte sind durch die Unvollständigkeit der Informationen bei beiden Chronisten zu erklären.93 Unabhängig davon, ob die Litauer bei

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oberungsversuch eines Sohnes des Heerführers den realen Ereignissen von Mitte August 1369 entsprechen könnte. Eine marianische Wundergeschichte, die gemäß Grunau auf der Burg nach der Angriffsabwehr stattgefunden werden soll, könnte man zu derartigen mündlich überlieferten Volkserzählungen zählen, vgl. Zonenberg: Kronika Szymona Grunaua, S. 75–76, 90–91. Wigand (Z), Kap. 191, S. 358. Schütz, Bl. 90r. Wigand (Z), Kap. 191, S. 358: »[…] et potenti exercitu cum machinis variis […]«; Schütz, Bl. 90r: »[…] mit groszer macht der uncristen und allerlei gewehr, bliden und tumler […]«; ganz allgemein dazu Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 209. Wartberge, S. 94; nach ihm auch Hochmeisterchronik, Kap. 159, S. 595, die die Belagerungsgeräte als »bleiden« bezeichnet; vgl. dazu Hecht: Die Schlacht, S. 35. Franciscani Thorunensis, S. 88; vgl. dazu Batu¯ra: Karine˙ organizacija, S. 96; und Radoch: Walki, S. 63, der nur die Notizen der Thorner Quelle berücksichtigt, die anderen Überlieferungen aber nicht. Der Autor der Thorner Annalen konnte zwar alle fünf Rammböcke aufzählen, doch unter den 15 »machinas« hat er nur die Wurfmaschinen berücksichtigt, ohne die Belagerungstürme hinzuzuzählen. Wenn wiederum Hermann von Wartberge unter seinen 18 »machinas« Wurfmaschinen und Belagerungstürme zusammen erwähnte, ohne die fünf Rammböcke anzuführen (was übrigens nicht verwunderlich ist, da in dem damaligen lateinischen Sprachgebrauch Mauerbrecher häufig ( jedoch nicht immer) separat klassifiziert, genannt und entsprechend in Zusammensetzungen neben anderen Kriegsgeräten erwähnt wurden, vgl. Kwiatkowski: The Informativeness, S. 267, 281–283), wäre anzunehmen, dass die Litauer bei Gotteswerder insgesamt 23 Belagerungsgeräte hatten. Doch alle diese Schätzungen müssen nur als Interpretationsmöglichkeiten betrachtet werden.

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Gotteswerder über 18, 20, 23 oder noch mehr große Belagerungsmaschinen verfügten, muss die Anzahl von großen Kriegsgeräten als beträchtlich angesehen werden. Gemäß Wigand/Gesselen wurden die Sturmangriffe bei Tag und Nacht fortgeführt.94 Die Litauer brachten einen Belagerungsturm an die Burgmauer heran, nachdem es ihnen gelungen war, die Burggräben zuzuschütten. Die dabei angewendete Belagerungsmaschine hatte die gleiche Höhe wie die angegriffene Mauer,95 wovon ihr mittelhochdeutscher Name, ëbenhöhe,96 abgeleitet war. Aus einem weiteren Fragment der Gesselenschen Übersetzung darf man schlussfolgern, dass die Angreifer ganz zu Anfang der Belagerung die Vorburg erobert hatten und erst danach die Hauptburg stürmten. Denn man liest in dem lateinischen Text über christiani angustiati, die nec poterant manducare cum quiete,97 d. h. die Christen, die sich in solchem Gedränge befanden und keine Speise in Ruhe einnehmen konnten. In der Narration von Caspar Schütz ist auch von Sturmangriffen auf die Burg die Rede. Diesem Text ist auch zu entnehmen, dass infolge der intensiven, fünf Wochen andauernden Aktivität des Belagerungsheeres die Besatzung von Gotteswerder immer mehr erschöpft wurde.98 Die Unmöglichkeit, eine Ruhepause zu finden und sich während der fünfwöchigen Belagerung erholen zu können, ist auch bei Wigand/Gesselen erwähnt.99 Die Dauer der Belagerung bezeugt ebenso die Narration Hermanns von Wartberge.100 Sie ist auch durch die Thorner Annalen belegt, die das Tagesdatum der Eroberung von Gotteswerder angeben, nämlich den 12. September.101 Die hier vorhandene dritte Überlieferungstradition von den Geschehnissen auf Gotteswerder bestätigt

94 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358: »[…] die et nocte umpugnant eam […]«; ebenso Hochmeisterchronik, Kap. 159, S. 595; Długosz, S. 343; de Mechovia, S. CCXLVII; Stryjkowski (R), S. 285; Stryjkowski (M), S. 42. 95 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358: »[…] machinam eciam eque altam rex adduxit, fossam equavit […]«. 96 Vgl. Lexer (Hg.): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, 1, Sp. 502; Müller (Bearb.): Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Sp. 697b; auch Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566; Hecht: Die Schlacht, S. 35; Ekdahl: The Siege Machines, S. 34. 97 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358. 98 Schütz, Bl. 90r: »[…] und sturmeten das newe hausz funf gantze wochen lang, so das sie den cristem in der besatzung bei nacht und tags zeiten wenig ruhe liessen, welche doruber auch dermassen abgemattet und ermudet worden, das es yhnen unmuglich lenger auszustehen«; ähnlich auch David, S. 68–69 (Quellenzitat in Anm. 105). 99 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358: »[…] nec in 5 septimanis quiescere […]«; vgl. Hecht: Die Schlacht, S. 35. 100 Wartberge, S. 94: »[…] laborantes in quintam hebdomadam […]«; vgl. auch ähnliche Angaben bei Hochmeisterchronik, Kap. 159, S. 595; Długosz, S. 343; de Mechovia, S. CCXLVII; Stryjkowski (R), S. 285; Stryjkowski (M), S. 42; vgl. dazu Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566; Lohmeyer: Geschichte, 1, S. 277. 101 Franciscani Thorunensis, S. 88: »Eodem anno II idus Septembris fuit idem castrum per Lituanos non sine labore magno expugnatum […]«.

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den großen Aufwand der fürstlichen Heere bei den Belagerungsarbeiten102 und dadurch die große Intensität der Kämpfe.103 Von den vorhandenen Quellen enthält nur die Chronik des Offizials von Pomesanien eine Notiz über die grosi[n] schaden der Litauer, die dort viele Leute verloren haben sollen.104 Die durch lange Abwehrkämpfe erschöpfte und möglicherweise auch unter Mangel an Geschossen leidende Besatzung von Gotteswerder entschied sich, die Waffen zu strecken, was am 12. September stattfand.105 Gemäß der Narration Hermanns von Wartberge wurden nach der Kapitulation die auf der Burg von den siegreichen Litauern vorgefundenen Ordensbrüder und andere Bewaffnete gefangen genommen.106 Diese Information wird von der Überlieferung der Thorner Annalen bestätigt. Sie berichten nämlich von gefangenen Menschen und allerlei Dingen, die aus der Burg weggeführt wurden.107 Im Lichte der beiden Überlieferungstraditionen sollte man auch die dritte traditio interpretieren, die in der Schützschen Paraphrase der Reimchronik Wigands von Marburg erhalten ist. In diesem Text ist nämlich von der Tötung eines Teils der Besatzung von Gotteswerder die Rede, während ein anderer Teil von Eroberern gefangen genommen und nach Litauen weggeführt worden sein soll.108 Dieser Vorgang kann nicht als Ermordung von bereits gefangen genommenen Personen verstanden werden, sondern vielmehr als Töten im Kampf. In der Gesselenschen Übersetzung ist das Schicksal der Burgbesatzung nicht erwähnt, doch eine darauffolgende Notiz gibt ein starkes Indiz für die Richtigkeit der gerade formulierten Interpretation. Sie be102 Franciscani Thorunensis, S. 88 (Zitat in Anm. 101). Über die Heftigkeit der Kämpfe vgl. auch Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626; David, S. 68; Stryjkowski (R), S. 285; vgl. dazu Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 209. 103 Die von Długosz, S. 343, angegebene Notiz über Hinterziehung der Deutschordensbrüder von dem Kampf sollte als seine Erfindung betrachtet werden, da sie in der anderen Quellenüberlieferung nicht vorkommt. 104 Posilge, S. 88: »[…] adir [sic!] mit grosim erim schaden, wend sie vil lute dovor verloren […]«. 105 Von allen Quellenüberlieferungen findet sich nur in der Chronik von Lucas David eine Notiz darüber, dass der Mangel an Pfeilen und Steinen ein Grund für die Kapitulation der Ordensbesatzung gewesen sein könnte, auch wenn er es nur für eine mögliche und keine sichere Erklärung hielt, vgl. David, S. 68–69: »[…] und ob wol die Deutsch Ordens Bruͤ der sich gar manlich und sehr lange hewehrt, begunde es Ihnen doch zu letzt an Pfeilen und Steinen zu mangeln. In solchem kan nicht eigentlichen davon sagen, ob von wegen derer und anderen Mangel die Bruͤ der und die bei Ihnen waren mit Bedingung Ihres Lebens das Schloß und vielleicht auch sich selbst ergeben, oder obs Kynstudt mit stormen eroͤ bert und eingenommen habe […]«. 106 Wartberge, S. 94: »[…] fratres aliosque repertos ceptos abducendo«; ähnliche Angaben in der Hochmeisterchronik, Kap. 159, S. 595, die von den Ordensbrüdern und ihrem Gesinde spricht; vgl. Hecht: Die Schlacht, S. 35. 107 Franciscani Thorunensis, S. 88: »[…] et omnia, que fuerunt in castro, cum hominibus capta et abducta«. 108 Schütz, Bl. 90r: »Also wart das haus erobert und der mehrern teil der cristen erschlagen, die ubrigen gefangen und nach Littawen weggefüret«.

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zieht sich auf die Gefangenen, die von beiden Seiten gegeneinander ausgetauscht werden sollten, und unter denen sowohl »gute« (boni), als auch »schlechte« (mali) Menschen erwähnt wurden. Gerade die Anwesenheit von Personen mit niedrigem sozialen Status unter den Gefangenen, die eher getötet wurden, weil für sie nur wenig Lösegeld, wenn überhaupt, zu erlangen war, spricht gegen die Ermordung eines Teils der sich ergebenden Besatzung von Gotteswerder. Auch die mündliche Tradition, die von Simon Grunau Anfang des 16. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde, weist auf die Gefangennahme des Teils der Burgbesatzung, der die Belagerung überlebt hatte.109 Möglicherweise war die Zusicherung, nicht getötet zu werden, für die Burgbesatzung eine Bedingung ihrer Kapitulation.110 Es sind keine Zahlen von Getöteten und Gefangenen auf der Ordensseite überliefert. Die eroberte Befestigung wurde von den siegreichen fürstlichen Heeren nicht zerstört, sondern mit eigener Besatzung bemannt. Die Quellenüberlieferung ist hier eindeutig.111 Hermann von Wartberge gibt aber in diesem Kontext einen weiteren Hinweis, der für die folgenden Erwägungen von großer Bedeutung ist. Zwar erwähnt er die Verschonung der Besatzung des eroberten Gotteswerder durch die Litauer, doch fügt er einen Vermerk hinzu, wonach die Sieger auf der Insel Wyrgalle/Gotis(werder) eine andere Burg errichtet haben sollen.112 Berücksichtigt man, dass Neu-Kauen und Gotteswerder zwar auf derselben Insel, aber – wie oben angegeben – an zwei verschiedenen Orten angelegt wurden, drängt sich die Vermutung auf, dass diese neue litauische Burg, deren Name nicht überliefert ist, an der Stelle der im April zerstörten Burg Neu-Kauen (III) gebaut worden sein dürfte. Eine der weiteren Notizen Hermanns von Wartberge macht aber diese Annahme unwahrscheinlich und veranlasst zu einer anderen Interpretation. In der Narration, die eine Darstellung späterer Ereignisse des Jahres 1369 beinhaltet, notiert nämlich der livländische Chronist, dass der Ordensmarschall mit seinem Heer zwei neuerrichtete Burgen auf der Insel vorge109 Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626: »[…] gewan er es [die Burg] und er niemandt totte, sonder sie alle gefangen nam und hielt sie also gefangen, damit ein iglicher den seinen schreiben muszte, die Preussen erloseten die iren, sonder die brüder musten pleiben«. 110 So David, S. 69: »Achte doch gleublicher, weil fuͤ r gewiß gesatzt wird, daß Kynstudt von denen, so im Schloß gewesen, keinen ertoͤ dtet noch beledigt habe, daß sie sich mit Bedingung werden Ihnen ergeben haben«. Weshalb Jan Długosz von der Tötung des größten Teils der Besatzung durch die Eroberer berichtet, muss ungeklärt bleiben, vgl. Długosz, S. 343; ihm zufolge de Mechovia, S. CCXLVII; Stryjkowski (R), S. 285; Stryjkowski (M), S. 42. 111 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358: »[…] tandem vi vicerunt eam [die Burg] et tenuerunt cum potencia […]«; Schütz, Bl. 90r: »[…] Kinstoud dovon gezogen und das haus mit seinen Littawen besetzt hatte«; Posilge, S. 88: »[…] und bemannetin is weder wol mit eren luten«; Hochmeisterchronik, Kap. 159, S. 595: »Do bemanten sy is stark […]«; vgl. auch Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626: »Kynstoto Gottiszwerder besatzte unnd zogk wegk«. 112 Wartberge, S. 94: »[…] illud [die Burg] non destruentes, sed eciam aliud in eadem insula edificantes […]«.

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Burgenkrieg an der unteren Memel im Jahr 1369

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funden habe, die später von den Litauern verlassen wurden, und die alte, also eine andere Burg, besetzt wurde.113 Diese Nachricht ist kaum anders zu interpretieren als ein Zeugnis für den Wiederaufbau der Burg Alt-Kauen (III) durch die Litauer nach der Eroberung von Gotteswerder und die Errichtung einer weiteren – neben Alt-Kauen (III) und Gotteswerder – nämlich einer dritten Befestigung auf der Insel in der Nähe der zwei genannten Burgen.114 Die Gründe dafür müssen wegen Quellenmangel bzw. undeutlicher Quellenaussagen ungeklärt bleiben. Man darf nur vermuten, dass Gotteswerder nach den schweren Kämpfen im August und September dermaßen beschädigt war, dass die Eroberer eine Verstärkung der Befestigungsanlage beabsichtigten, indem sie in der unmittelbaren Nähe etwa in der zweiten Hälfte des Septembers bzw. im Oktober eine weitere Fortifikation erbauten. Dies bleibt aber nur eine Vermutung. Die späteren Geschehnisse an der unteren Memel, die in den nächsten Herbstmonaten 1369 stattfanden, bleiben schwerer zu fassen und zu analysieren als die bisherigen. Lassen die drei ältesten Überlieferungstraditionen für die Ereignisse der Frühlings- und Sommerzeit eine hohe Übereinstimmung der Narrationen erkennen, so weisen sie eine bedeutende inhaltliche Inkongruenz für die Vorgänge der Herbstzeit auf.115 Dabei weist selbst die lateinische Übersetzung der Wigandschen Chronik bedeutende innere Unstimmigkeiten in der Erzählung auf. Da die Thorner Annalen und die Chronik des Offizials von Pomesanien nur kurze Notizen zu diesen Ereignissen beinhalten und Schützsche Paraphrase einige falsche Informationen anzugeben scheint, bleibt die livländische Überlieferung Hermanns von Wartberge die beste Quelle, mit der man die Analyse anfangen sollte. Bevor eine möglichst kohärente Konstruktion der Geschehnisse an der unteren Memel im Herbst 1369 entstehen kann, scheint es notwendig, eine separate Aufstellung der einzelnen chronikalischen Berichte über die Vorgänge zu geben. Der Einfachheit halber werden hier die drei wichtigsten Narrationen verglichen. In der Textzusammenstellung wurden die entsprechenden Abschnitte in der möglichen chronologischen Reihenfolge nebeneinander gestellt und die bekannten bzw. wahrscheinlichen Zeitangaben angeführt. Die inhaltlichen Kongruenzen zwischen Wigand/Gesselen und der 113 Ebd., S. 95: »In qua [Insel Wyrgalle/Gotis(werder)] reperit duo nova castra erecta. Quos cum Letwini vederent, reliquerunt illa duo castra et pro conservacione antiqui castri in illud ascenderunt, accensis illis duobus novis«. 114 So auch Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566 (obwohl er eher keine dieser zwei Befestigungsanlagen mit Alt-Kauen (III) identifizierte); vgl. Lohmeyer: Geschichte, 1, S. 278. Hecht: Die Schlacht, S. 35, dagegen sah diese zwei Befestigungsanlagen nur als kleinere Befestigungen an, die zur Sicherung eines Flussübergangs (über die Memel oder die Nyewescha?) dienen sollten. 115 Darauf hat schon Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 210, Anm. 1, hingewiesen; später auch Hecht: Die Schlacht, S. 17–19. Die beiden Geschichtsforscher haben die Inkongruenzen aufgezeigt, wenn auch mit analytischen Schlussfolgerungen, die so nicht mehr haltbar sind.

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Schützschen Paraphrase der originalen Reimchronik sind durch einzelne Unterstreichungen, die Ähnlichkeiten zwischen Wigand/Gesselen und der livländischen Chronik durch fette Hervorhebung gezeichnet. Für die eindeutige Zitierweise wurde eine Zeilennummerierung eingeführt. Wigand/Gesselen, S. 358, 360

{S. 358} 1 […] tandem vi vicerunt eam et tenuerunt cum potencia, donec magister cum suis, 5 quia ei et toto ordini displicuit, cum rege tractaret, quomodo captivos suos bonos et malos etc. per commutationem solveret. 10 Marschalkus veniens ad regem, totam diem tractant, donec alii preceptores supervenissent et iterum tractantes; et manserunt 15 inimici. Rexque commotus ait bayoribus suis, huiusmodi protraxionem sibi displicere.

Wigand/Schütz

Wartberge, S. 95

Chronologie

1

Als dem hohmeister verkuntschafftet war, das die heiden mit so groszer macht das hausz beleget hatten, schickte er 5 den marschalch mit allem volcke widder zurucke das haus zu entsetzen; aber er kunte seine reise so balt nicht vollenden, das nicht albereit fur seiner 10 ankunft das haus erobert, Kinstoud dovon gezogen und das haus mit seinen Littawen besetzt hatte.

12. September 1

Eodem anno circa festum Omnium Sanctorum frater Henningus Schinnekop, 5 summus marscalcus ordinis, tractavit cum regibus Letwinorum pro redemptione captivorum, quos in expugnatione 10 castri Godeswerder ceperant.

Der marschalch war gleichwol 15 in deme fro, das sie das haus gantz behalten und nicht geschleift odder verbrant hatten; dorumb er dasselbe mit gleichem ernst, wie die feinde 20 zuvor gethan hatten, angieng und tag und nacht sturmete, und bis in den funften tag eben so viel verrichtete, als zuvorn die feinde in funf wochen gethan 25 hatten; dan die Littawen waren nicht gewohnet solche

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ca. 1. November

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Marschalkus interim rediens 20 missis sagittariis in subsidium populi. Marschalkus tulit victualia de Beieren necessaria exercitui et processerunt ad 25 castrum. Rex de eo nunciat marschalko displicentia; qui seriose accessit, vicit et armavit cum custodia cum 30 viris magistri. Et revertitur in Ragnitam, equos transnatando in angustia et panis penuria. Rex festinans alloquitur 35 marschalkum, dicens: dic capitaneo, quod velim cito revincere domum.

kegenwehr zu thun gleichs den Deutschen. Dorumb wart das haus am funften tage diser 30 belagerung abermals aufgegeben und den christen widder zu handen gelifert. Der marschalch bevall niemanden umbzubringen, sondern behielte 35 sie alle lebendig, in hoffnung die vorigen gefangenen christen mit diesen zu verpeuten und auszzulösen; und nachdem er das haus widder zur 40 erheischenden notturfft fur allen anlauf besetzet und versorget,

[ca. 6. (?) November]

His peractis cum marscalcus rediisset usque Ragniten, occurrit 15 ei ex preordinatione generalis magistri copiosus exercitus. ruckte er dem Kinstoud fur eine andere festung Beyery genant, die starck und wol besatzet war. Der marschalch aber brauchte in kurtzem solchen ernst und engstigte die in der besatzung dermaszen, das es 50 nahe an dem war, wie sie sich ergeben wolten, schickten auch zu Kinstouden, der in dem nechsten gepiete lag entweder sie zu entsetzen oder die 55 aufgebung zu bewilligen. Kinstoud lies dorauf dem marschalch zu entpieten, er solle sich des hauses gentzlich enthalten, dan er wolte es fur 60 yhm vertedigen und unverdorben wiszen. Der marschalch wart zornig, do er nurt blosz drewworte hörete und niemanden sahe, der das haus 65 entsetzen odder vertedigen wolte, und als sich die in der 45

Regressus igitur cum his ac redemptis captivis, in 20 die S. Martini prospere ad insulam eandem rediit. In qua reperit duo nova castra erecta. Quos cum 25 Letwini viderent, reliquerunt illa duo castra et pro conservacione antiqui castri in illud 30 ascenderunt, accensis illis duobus novis.

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[ca. 7. . (?) November]

11. November

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Marschalkus vero ordinat muratores ad demoliendum 40 murum celeriter succenditque, et vento flante igne omnino destructa est; et revertuntur. Quo audito rex cum magna 45 turba venit, cupiens a marschalko precibus obtinere, ut saltim caperet populum tantis flammis circumdatum.

50

Nec voluit marschalkus, ut aliquis regi responderet in tantis angustiatum, unde 109 viri sunt {S. 360} combusti, capitaneusque 55 simul preter occisos; a rege sic perturbato transit marschalkus ad casulam suam, rex vero ad suos mortuos. Tandem 60 marschalkus legit nomina captivorum regi, quorum vocabula novit; statuunt diem placiti pro captivorum salute, venerunt 65 quoque captivi de Wilna, de Traken ad redempcionem; quo peracto quilibet ordinavit captivos in exercitum suum. 70 Rex Kynstut minabatur marschalko, quomodo in hyeme vellet esse hospes eius futuri anni, et respondit: Ordo obviabit et 75 conteret caput tuum; et sic abiit marschalkus.

besatzung auch auf yhres herren hulffe verliessen und ferner von der aufgebung nichts sprachen 70 noch hörren wolten, lies der marschalch das haus an einem orte, do der wint dorauf stiesz, mit fewer belegen und anzunden; doruber das haus in 75 kurtzem fast gantz mit dem brande begriffen wart. Kinstoud kam eilent herzugerennet, do er den schaden fur augen sahe und 80 bate gar fleissig {Bl. 90v} umb gesprech, und das man seine leute wolte gefangen nehmen und nicht so jemerlich in feures nott verderben laszen. 85 Der marschalch aber, der sich fur einem hinterlistigem anschlag befurchtete, lies bei leibesstraff seinem volcke gepieten, das sie von dem 90 angefangenen wercke nicht solten abstehen, auch des Kinstoudes boten widder rede noch antwort geben. Also wart das haus mit neunhundert 95 mannen, die in der besatzung waren, smapt allem andern in den grunt gebrant. Do der schade nuhn geschehen war, gab allererst Kinstoud bessere 100 worte

und kam so weit mit dem marschalch in beredung, das die gefangen beider seits betedingt und kegen einander 105 losz gegeben wurden.

Attamen antiquum fuit tunc expugnatum, captis cccix bellatoribus viris, 35 liiij occisis; alii cum capitaneo in igne perierunt. Reperte fuerunt ibi vj machine et iiij alia instrumenta 40 bellica, que simul concremarunt. Que damna reges Letwinorum ex adverso littore attoniti perspexerunt.

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22. November (Datum aus den Thorner Annalen)

[ca. Anfang Dezember]

Burgenkrieg an der unteren Memel im Jahr 1369

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Hermann von Wartberge berichtet von Verhandlungen zwischen dem Ordensmarschall und den »Königen der Litauer« (regibus Letwinorum), die die Auslösung der Gefangenen von Gotteswerder betroffen und um das Fest Allerheiligen (1. November) stattgefunden haben sollen.116 Nachdem die Gefangenen freigekauft worden waren, sollte sich der Ordensmarschall nach Ragnit zurückziehen, wo er auf ein auf Anordnung des Hochmeisters versammeltes und geschicktes Heer stieß, mit dem er sich dann wieder nach Osten wandte und Gotteswerder am 11. November erreichte.117 Hier kommen die schon erwähnten Informationen vom Verlassen der zwei »neuen Burgen« und Besetzung der »alten Burg« durch die Litauer vor.118 Die letztere wurde vom Deutschordensheer angegriffen und am 22. November erobert.119 Die Angaben von Wigand/Gesselen und Wigand/Schütz ergänzen teilweise die Informationen des livländischen Chronisten, weichen aber – teilweise auch stark – von seinen Nachrichten ab. In der lateinischen Übersetzung der Reimchronik liest man, dass der Hochmeister, nachdem die Litauer Gotteswerder erobert hatten, mit ihnen Verhandlungen begonnen habe, die den Gefangenenaustausch betreffen sollten (dabei sollten sowohl die »guten« als auch die »schlechten« Leute ausgetauscht werden).120 Zu diesem Zweck habe der Hochmeister den Ordensmarschall geschickt, der mit dem litauischen »König«, also mit Ke˛stutis, einen ganzen Tag verhandelte. Nach der Ankunft von weiteren Ordensgebietigern hätten die Gespräche angedauert.121 Der Text gibt keine Informationen über die Ergebnisse der Verhandlungen, nur eine Notiz besagt, dass die beiden Seiten danach weiter verfeindet blieben.122 Darauf, dass es damals nicht zum Gefangenenaustausch gekommen ist, könnte die nächste Notiz hinweisen, in der von der Empörung des litauischen Monarchen die Rede ist. Dem Text zufolge habe er die Gespräche für eine vom Orden gezielte Handlung gehalten, die den Zweck gehabt haben soll, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen.123 Die darauffolgende Narration der Gesselenschen Übersetzung bleibt sehr undeutlich. Der Ordensmarschall soll nämlich bei seiner Rückkehr vom Treffen mit Ke˛stutis eine Gruppe von Armbrustschützen »dem Volk zu Hulfe« geschickt haben.124 Wohin aber und wem genau, wird nicht erklärt. Die nächsten Nach116 117 118 119 120 121 122 123 124

Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 1–11). Ebd., S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 12–22). Ebd., S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 23–31). Ebd., S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 32–33): »Attamen antiquum [castrum] fuit tunc expugnatum […]«. Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 4–9). Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 10–14). Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 14–15). Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 15–18). Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 19–21).

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richten sind ebenfalls unklar. Henning Schindekop habe die vom Heer benötigten Lebensmittel von Bayerburg mitgebracht und sei vor eine (nicht genannte) Burg gezogen.125 Auf diese Handlungen habe der litauische Fürst reagiert, indem er dem Ordensmarschall seine Unzufriedenheit ausdrückte. Danach habe das Deutschordensheer die Burg angegriffen und erobert. Die Befestigung wurde von den Siegern bemannt. Nach dem Bericht soll sich Henning Schindekop nach der Burgeroberung nach Ragnit zurückgezogen haben. Während einer nicht näher dargestellten Interaktion zwischen dem Ordensmarschall und dem litauischen Fürsten soll der letztere die Absicht geäußert haben, die Burg wiederzugewinnen.126 In dem nächsten Teil der Narration ist von der Brandstiftung auf einer nicht genannten Burg durch das Ordensheer die Rede, die zur völligen Zerstörung der Befestigung geführt haben soll. Als Reaktion auf den Brand soll Ke˛stutis mit seinem Heer vor die Burg gezogen sein und den Ordensmarschall um ein Gespräch gebeten haben, doch ohne Erfolg.127 Die Zahl der Bewaffneten, die auf der Burg in den Flammen ums Leben gekommen sind, soll 109 Menschen erreicht haben, ohne andere Getötete. Nach der Burgeroberung habe der Ordensmarschall dem litauischen Fürsten die Namen von Gefangenen angegeben. Die beiden Kriegsherren sollen auch einen Tag für den Gefangenaustausch festgelegt haben, der dann nach kurzer Zeit erfolgreich stattgefunden habe. Ke˛stutis soll auch dem Ordensmarschall während eines persönlichen Gesprächs seinen »Besuch« im bevorstehenden Winter angekündigt haben.128 Geht man zur Schützschen Paraphrase der Originalchronik Wigands von Marburg über, so stellt man sowohl einige Übereinstimmungen mit dem lateinischen Text Gesselens als auch zahlreiche Abweichungen fest.129 Laut der Narration des Danziger Chronisten soll Winrich von Kniprode, nachdem er von der Belagerung von Gotteswerder erfahren hatte, den Ordensmarschall mit der Aufgabe nach Osten geschickt haben, die belagerte Burg zu entsetzen. Aus nicht bekannten Gründen konnte aber Henning Schindekop den Heerzug nicht so schnell wie nötig vorbereiten. Bevor der Ordensmarschall mit seiner Macht vor Gotteswerder angekommen sei, habe Ke˛stutis die Befestigung eingenommen und mit litauischer Besatzung bemannt.130 Trotz des Misserfolges soll Henning Schindekop sich gefreut haben, weil die Litauer die Burg nicht zerstörten. Sobald er auf die Insel angekommen sei, habe das Ordensheer mit den Angriffen auf die Befestigung begonnen und nach harten, Tag und Nacht andauernden Kämpfen

125 126 127 128 129 130

Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 22–25). Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 25–37). Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 38–52). Ebd., Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 53–76). Vgl. Anm. 115. Schütz, Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 1–13).

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Gotteswerder am fünften Tag der Belagerung erobert.131 Dem Gebot des Ordensmarschalls zufolge sollten die litauischen Gefangenen nicht getötet, sondern für einen künftigen Austausch verschont bleiben.132 Nachdem Henning Schindekop das wiedergewonnene Gotteswerder mit einer Ordensbesatzung bemannt hatte, soll er sich mit seinem Heer an die andere fürstliche Burg begeben haben, die Schütz Beyery nennt. Sehr schnell unternahm der Ordensmarschall dort intensive Belagerungsarbeiten, die die Burgbesatzung dazu veranlasst haben soll, Ke˛stutis eine Nachricht zu schicken, in der sie entweder um Entsatz oder um die Erlaubnis baten, die Befestigung aufzugeben. Wieder soll es zu einem Meinungsaustausch gekommen sein, der diesmal durch den Ordenmarschall als eine Art Verzögerung seitens des litauischen Fürsten angesehen worden sein soll.133 Da sich die Besatzung nicht ergeben wollte, habe Henning Schindekop einen Sturmangriff angeordnet und die Burg an einer Stelle in Brand setzen lassen. Wegen des günstigen Windes wurde bald die ganze Befestigung von den Flammen erfasst. Die Bitte von Ke˛stutis um ein Gespräch, die durch Boten überbracht wurde und durch die der Fürst die Burgbesatzung vor dem sicheren Tod retten wollte, wurde vom Ordensmarschall abgeschlagen. Der letztere soll einen Entsatzangriff des litauischen Fürsten gefürchtet und deswegen sein Heer während des Brandes unter Androhung der Todesstrafe auf dem Posten vor der belagerten Burg gehalten haben.134 Infolge dieser Kriegshandlungen ist die Burg samt 900 Mann Besatzung völlig verbrannt. Erst danach sollte Ke˛stutis seine Haltung ändern und mit dem Ordensmarschall ins persönliche Gespräch gekommen sein, in dem die beiden Kriegsherren einen Gefangenenaustausch verabredeten. Während des Treffens habe der Monarch dem Ordensgebietiger seinen »Besuch« in Preußen im nächsten Jahr angekündigt.135 Welche Interpretation von den Geschehnissen und Kriegshandlungen an der unteren Memel in den Herbstmonaten 1369 lässt sich aus diesen untereinander nicht ganz kohärenten chronikalischen Überlieferungen herstellen? Der Schützschen Paraphrase ist zu entnehmen, dass schon während der Belagerung von Gotteswerder durch die Heere der beiden litauischen Fürsten im Sommer 1369 die Nachrichten darüber nach Preußen und auch zum Hochmeister kamen. Winrich von Kniprode entschied sich, zweifellos nach einer Beratung mit den Großgebietigern, den Ordensmarschall mit einem Entsatzheer an die untere Memel zu schicken.136 Einige indirekte Quellenvoraussetzungen, die

131 132 133 134 135 136

Ebd., Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 14–32). Ebd., Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 32–38). Ebd., Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 38–66). Ebd., Bl. 90r–v (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 66–93). Ebd., Bl. 90v (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 93–105). So auch Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 209.

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später analysiert werden,137 weisen darauf hin, dass das Heer, das Henning Schindekop führen sollte, nur aus einem Teil des Preußenlandes aufgeboten wurde. Es bleibt unklar, warum die Ordensführung nur eine solche Teilreaktion auf die litauische militärische Initiative unternahm. Könnte der Konflikt des Ordens mit dem Bischof von Ermland hier von Bedeutung sein, der gerade im Sommer dieses Jahres durch affektives Verhalten des Hochmeisters seine Eskalation erreichte?138 Das scheint sehr gut möglich zu sein. Vielleicht waren auch die Gebietiger zusammen mit dem Hochmeister davon überzeugt, die Besatzung könne sogar die Belagerung durch ein großes Heer überstehen, wovon eine oben erwähnte Notiz von Wigand/Schütz zeugen könnte.139 Später stellte sich heraus, dass selbst Henning Schindekop seine Kräfte aus den östlichen Teilen des Preußenlandes nicht schnell genug aufbringen konnte. Die Ursachen dafür bleiben im Dunkeln.140 Nach der Eroberung von Gotteswerder, also ca. Mitte September, sind die Heere der litauischen Fürsten nach Hause abgezogen.141 Die Narration Hermanns von Wartberge weist darauf hin, dass es vor Mitte Oktober 1369 zum Informationsaustausch zwischen dem Hochmeister und dem Fürsten von Trakai gekommen sein muss, infolge dessen die beiden Seiten einen Tag für den Gefangenenaustausch festgelegt haben. Zwar erwähnt der Text des livländischen Chronisten nur die Übergabe (redemptio) von Gefangenen aus Gotteswerder um Anfang November,142 doch ist darin bloß die Ordensperspektive erkennbar. Bei Wigand/Gesselen ist über einen gegenseitigen Austausch (commutatio) der Gefangenen zu lesen.143 Nach den Forschungen von Alvydas Nikzˇentaitis war es der erste in den Quellen bezeugte Gefangenenaustausch zwischen beiden Kriegsparteien und daher solle man diese Handlung als Anzeichen einer Veränderung in den Kriegsbräuchen auf beiden Seiten betrach137 Vgl. unten, Anm. 146 und 147. 138 Vgl. Toeppen: Die Theilung, S. 645; Röhrich: Die Theilung, S. 256–257; Radzimin´ski: Podziały kos´cielne, S. 118; Kwiatkowski: Budownictwo warowne, S. 101–102. 139 Vgl. oben, Anm. 76. 140 So auch Hecht: Die Schlacht, S. 35. 141 Auch wenn der Abzug der litauischen Fürsten von der Insel Wyrgalle/Gotis(werder) nur von Grunau, Tract. 13, Cap. IV, § 2, S. 626, expressis verbis erwähnt wird, so ist nicht zu bezweifeln, dass diese Notiz (woher auch immer sie kommt) den realen Vorgängen entspricht. Die fürstlichen Heere konnten kaum mehrere Wochen, ohne einen wichtigen Grund, d. h. Teilnahme in Kämpfen, im Feld verbracht haben. Nach der Eroberung Gotteswerders gab es so einen Grund für die Heere der beiden litauischen Monarchen nicht mehr. 142 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 1–11); vgl. Krumbholtz: Samaiten, S. 472–473, der von der Auslieferung der Gefangenen allein durch den litauischen Fürsten berichtet; auch Ekdahl: The Treatment, S. 267. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 210, setzt dagegen den Gefangenenaustausch fehlerhaft erst auf die Zeit nach der Eroberung von Gotteswerder an. 143 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 5–9); vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566, der den Austausch genau auf den 1. November datiert.

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ten.144 Dass es der Hochmeister war, der dabei die Initiative ergriff, ist durchaus verständlich. Es ist anzunehmen, dass es mindestens zwei Briefexpeditionen gab, da der Hochmeister auf die Nachricht von der Eroberung Gotteswerders zuerst Boten mit seinen Briefen an Ke˛stutis schicken musste, um den litauischen Monarchen um Informationen über die Gefangenen zu bitten und seinen Terminvorschlag für einen gegenseitigen Austausch vorzubringen, und dann musste Ke˛stutis seine Zustimmung dem Hochmeister brieflich mitteilen. All das hat höchstwahrscheinlich zwischen Mitte September und Mitte Oktober stattgefunden. Das um Mitte Oktober aufgebotene Heer des Ordensmarschalls konnte ohne größere Schwierigkeiten bis Ende des Monats irgendwo an der unteren Memel angekommen sein.145 Dafür, dass es nur aus den Kontingenten der Komturei von Königsberg und möglicherweise von Ragnit bestand und damit nicht aus dem ganzem preußischen Niederland zusammengezogen wurde, gibt die Handfeste des Komturs von Balga, Ulrich Vrickes, ein starkes Indiz; sie wurde am 20. Oktober an einem unbekannten Ort ausgestellt,146 doch sicherlich nicht in einem Heereslager auf dem Heerzug,147 sondern irgendwo im Gebiet der Komturei Balga, was ein direktes Zeugnis für Abwesenheit dieses Ordensgebietigers von der Kriegsreise des Ordensmarschalls bildet. Zwischen dem 21. Oktober und dem Ende des Monats hätte er zu wenig Zeit gehabt, mit einem militärischen Kontingent aus seinem Komtureigebiet an die untere Memel zu gelangen. Bleibt das Datum des Gefangenenaustausches dank der Angabe Hermanns von Wartberge annähernd bekannt, d. h. der Allerheiligentag bzw. – wie noch gezeigt wird – ein bis zwei Tage zuvor, so weiß man vom Ort des Zusammentreffens gar nichts. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist in diesem Fall auf eine Memelinsel hinzuweisen,148 aber eher nicht auf Wyrgalle/Gotis(werder). Gemäß der Narration von Wigand/Gesselen kam es zu einem persönlichen Treffen des 144 Nikzˇentaitis: Belaisviai Lietuvoje, S. 508–515; Ders.: Prisoners of War, S. 195–197; vgl. auch Ekdahl: The Treatment, S. 266–268; Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 101–104 (hier auch ältere Fachliteratur), die aber von Gefangennahme und Kriegsgefangenen ohne detaillierte zeitliche Differenzierung beider Phänomene schreiben (vgl. auch Ekdahl: Die Preußischlitauischen Beziehungen, S. 41). 2022 wurde an der Universität Vilnius eine Studie zum Thema Gefangene angefertigt, vgl. Petrilionis: Belaisviai Lietuvos Didzˇiosios Kunigaiksˇtyste˙s (unveröffentlichte Dissertation). 145 Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566, Anm. 4, nahm an, Henning Schindekop habe die »Stellung« wahrscheinlich bei Marienburg (Mergenborg) genommen, was unverifiziert bleiben muss. 146 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: Berlin, XX. Hauptabteilung: PergamentUrkunden, Sign. Schiebl. XXVI, Nr. 106/7 (= Regest: Conrad (Hg.): Preußisches Urkundenbuch, 6/2, Nr. 759, S. 431–432). 147 Weil die durch die Komture ausgestellten Handfesten niemals während der Heerzüge außerhalb des Gebietes, das sie betrafen, verfasst worden sind. 148 Vgl. oben, Anm. 145.

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Ordensmarschalls und dem Herzog von Trakai.149 Der unklare Abschnitt der lateinischen Übersetzung scheint darauf hinzuweisen, dass anfänglich nur Henning Schindekop mit Ke˛stutis ins Gespräch gekommen ist, sich dann am Ende des Tages auch andere Ordensgebietiger in die Verhandlungen eingeschaltet haben. Wie oben angedeutet, müssen es nicht viele gewesen sein. Wartberge schreibt dagegen von der Anwesenheit der litauischen »Könige«, d. h. sowohl Ke˛stutis’ als auch Algirdas’.150 Zieht man in Betracht, dass während der siegreichen Belagerung von Gotteswerder im Sommer die beiden Fürsten und die Bewaffneten aus ihren Heeren Gefangene machen konnten, so ist anzunehmen, dass auch die beiden Söhne von Gediminas an dem Treffen teilgenommen haben könnten. Wenn Wigand/Gesselen keine Auskunft über die Ergebnisse des Zusammentreffens angeben, so weist Wartberge deutlich auf einen erfolgreichen Gefangenenaustausch hin.151 Doch im Lichte des Endabschnitts der Gesselenschen Translation muss man annehmen, dass es damals zur gegenseitigen Übergabe nur eines Teils der Gefangenen kam, weil die anderen, von der Ordensseite, die aus verschiedenen Orten in Oberlitauen mitgebracht werden mussten, erst nach der dritten Kampagne des Jahres, im Dezember, ausgetauscht wurden.152 Vielleicht spiegelt ein kurzer Satz des lateinischen Textes die nur zum Teil gelungenen Verhandlungen wider: et manserunt inimici.153 Eine weitere Notiz von Wigand/Gesselen zeigt auch die Unzufriedenheit des Herzogs von Trakai, der die Handlungen des Ordensmarschalls und anderer Ordensgebietiger für eine Anspiel hielt, um die Verhandlungen in die Länge zu ziehen.154 Abgesehen von den detailliert berichteten tatsächlichen Ereignissen darf man mit Sicherheit feststellen, dass das Endergebnis der Begegnung für keine der Seiten befriedigend war. Die darauffolgenden Geschehnisse scheint nur die Schützsche Narration darzustellen. Das Hauptproblem der Interpretation der drei Quellenüberlieferungen, die sowohl Kongruenzen als auch Verschiedenheiten aufweisen, bleibt die Bestimmung der Zahl der durch das Ordensheer im November eroberten Burgen auf der Insel Wyrgalle/Gotis(werder). Wartberge, der insgesamt drei Burgen erwähnt, schreibt über die Belagerung und Eroberung nur einer von 149 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 10–11). 150 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 5–7); nach ihm auch Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 567; Krumbholtz: Samaiten, S. 472; anders Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 209; Hecht: Die Schlacht, S. 37; die nur die Anwesenheit von Ke˛stutis annehmen. 151 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 10–15); Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 5–11); so auch Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566; Hecht: Die Schlacht, S. 36; und Lohmeyer: Geschichte, 1, S. 277, der von »[der] Auswechslung der bisherigen Gefangenen« schreibt. 152 Vgl. unten, Anm. 208 und 209. 153 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 14–15). 154 Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 15–18).

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ihnen, nämlich der »alten« (antiqui), da die beiden anderen angesichts des heranziehenden Ordensheeres durch Litauen verlassen werden sollten.155 Die lateinische Übersetzung der Reimchronik Wigands von Marburg erwähnt zweimal die Eroberung einer Befestigung,156 was sich wegen der Unklarheit der Übersetzung nicht eindeutig interpretieren lässt, ob es sich um die Einnahme einer oder zwei verschiedener Burgen handelt. Dass das Ordensheer im November 1369 nicht eine, sondern zwei Befestigungen erobert hat, ist aber mit aller Deutlichkeit der Schützschen Paraphrase zu entnehmen. Danach hat das Heer des Ordensmarschalls zuerst eine Burg belagert,157 die man im Kontext der ganzen Narration ohne Zweifel als Gotteswerder identifizieren kann. Die folgende Nachricht über den Angriff auf Bayerburg scheint eine durch Caspar Schütz falsch verstandene und paraphrasierte Narration Wigands zu sein.158 Auf dieser Grundlage kann man annehmen, dass Henning Schindekop, bevor die Ordenskontingente zum Ansturm gekommen waren, angeboten hat, Lebensmittel von der benachbarten Bayerburg mitzubringen und höchstwahrscheinlich auch eine Anzahl von Armbrustschützen zum Heer herbeizuholen, wovon Wigand/Gesselen berichten.159 Betrachtet man die oben festgestellte begrenzte Größe des Heeres, das dem Ordensmarschall Anfang November zur Verfügung stand, so scheinen diese Maßnahmen, die teilweise nur durch Wigand/Gesselen, teilweise nur durch Wigand/Schütz notiert wurden, den realen Geschehnissen entsprochen zu haben. Der Angriff auf Gotteswerder soll sehr intensiv gewesen sein, da die Befestigung erst nach fünftägiger Bestürmung erobert wurde.160 Die Dauer der Belagerung, bei der in der Schützschen Paraphrase offensichtlich auf den fünfmonatigen Zeitraum der früheren Belagerung durch die Litauer rhetorisch Bezug genommen wurde, konnte etwas kürzer, aber eher nicht länger gewesen sein und sich im Kontext der ganzen Chronologie der damaligen Geschehnisse zwischen zwei bis drei Tagen (zwischen dem 2.–3. und 4.–5. November) belaufen haben. Im Lichte der bisherigen Erwägungen zu dem nicht ganz erfolgreichen Gefangenenaustausch nimmt die Narration über das Gebot Henning Schindekops, keinen der Verteidiger von Gotteswerder, nachdem sie sich ergeben hatten, zu töten, damit man sie gegen eigene Gefangene austauschen 155 156 157 158

Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 23–27). Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 24–30, 38–55). Schütz, Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 14–32). Ihr folgte aber Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 209–211, dem es entging, dass es keine Voraussetzungen gab, die Inbesitznahme von Bayerburg durch die Litauer anzunehmen, da erst dann der Ordensmarschall diese Befestigung bestürmt und erobert haben könnte. 159 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 19–25). Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566, hat angenommen, der Ordensmarschall habe sich selbst mit dem Heer nach Bayerburg begeben, was eher erst auf dem Weg nach Ragnit stattgefunden haben konnte, wie unten angedeutet wird, vgl. Anm. 167 und 168. 160 So auch Lohmeyer: Geschichte, 1, S. 277.

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könne,161 an Glaubwürdigkeit zu. In der zurückgewonnenen Burg beließ der Ordensmarschall eine Besatzung, die mit den nötigen Lebensmitteln versorgt wurde, wovon sowohl Wigand/Gesselen als auch Wigand/Schütz berichten.162 Die beiden litauischen Fürsten wurden durch die kurze Belagerung und Erstürmung von Gotteswerder überrascht. Wiederum bleibt hier die Narration der lateinischen Übersetzung der Wigandschen Reimchronik glaubhaft, wenn man die oben erwähnten begrenzten Handlungsmöglichkeiten des Ordensheeres berücksichtigt. Wahrscheinlich hat Ke˛stutis (oder beide Fürsten) durch Boten dem Ordensmarschall noch während der Belagerung sein (ihr) »Missbehagen« (displicentia) wegen der feindlichen Handlungen mitgeteilt.163 Direkt nach der Einnahme von Gotteswerder kehrte Henning Schindekop mit dem Rest seiner Kontingente und mit den vor einigen Tagen zum Teil freibekommenen Gefangenen ca. 5.–6. November nach Ragnit um, was sowohl Wigand/Gesselen, als auch Hermann von Wartberge notieren.164 Nimmt man den Text von Wigand/Schütz ernst, wonach die eroberte Burg mit der »erforderlichen Ausstattung und Besatzung für jede Umstände bemannt und versorgt« wurde,165 so darf man vermuten, dass der Ordensmarschall den Rückzug nach Preußen angeordnet und deswegen die zurückgewonnene Befestigung so gut wie möglich für eine längere Zeit (nur in diesem Kontext ist die Phrase »fur allen anlauf« verständlich), zweifellos für den bevorstehenden Winter, ausgestattet hat. Hätte er eine baldige Rückkehr geplant, so hätte man Gotteswerder nicht »für jegliche Umstände« versorgen müssen. Im Heer, trotz seiner nicht allzu großen Stärke, gab es Versorgungsmängel, besonders was die Pferde anging, und was in der Herbstperiode eine nicht unübliche Situation war. Die Nachricht davon, die man bei Wigand/Gesselen findet,166 steht in völliger Kongruenz zu der oben erwähnten Notiz über den früheren Transport von Proviant zur Bayerburg und über die Belieferung von Gotteswerder mit Lebensmitteln.167 Das Heer des Or161 Schütz, Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 33–38). 162 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 29–30); Schütz, Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 38–42). 163 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 25–27). 164 Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 31); Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 12–14); vgl. Hecht: Die Schlacht, S. 36; und Krumbholtz: Samaiten, S. 473, die aber die Rückkehr des Ordensmarschalls direkt nach den unabgeschlossenen Verhandlungen mit Ke˛stutis ansetzten. 165 Schütz, Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 38–42). 166 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 33–34). 167 Hecht: Die Schlacht, S. 36, der nur eine Burgerstürmung während der Herbstkampagne annahm, konnte die Nachricht über die Versorgungslieferung von Bayerburg nicht sinnvoll in die Ereigniskette einfügen, und setzte sie in die Zeit des erneuten Zuges des Ordensmarschalls von Ragnit nach Wyrgalle/Gotis(werder), indem er behauptete, dass das Ordensheer bald nach dem Verlassen von Ragnit wieder unter Mangel an Lebensmitteln gelitten hat, was unwahrscheinlich (nach zwei–drei Tagen?) ist.

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densmarschalls zog entlang der unteren Memel und zwar auf ihrem rechten, nördlichen Ufer und setzte erst in Ragnit über den Fluss, nicht ohne Schwierigkeiten der Berittenen bei Überquerung.168 In Ragnit traf Henning Schindekop um den 7./8. November auf das Ordensheer, das gegen Ende Oktober bzw. Anfang November in Preußen gesammelt wurde und dann nach Nord-Osten gezogen sein muss. Laut Hermann von Wartberge war es ein »großes Heer« (copiosus exercitus), geboten auf Anordnung des Hochmeisters.169 Die vorhandene Quellenüberlieferung berichtet nichts darüber, wer die preußischen Kontingente angeführt hat. Die Notizen von Wigand/Gesselen und Wigand/Schütz, die eindeutig auf eine weitere Führung durch den Ordensmarschall hinweisen, lassen mit großer Sicherheit annehmen, dass Winrich von Kniprode an diesem Heerzug nicht teilgenommen hat, sonst hätte er die Führung des versammelten Heeres übernommen. Nur mit Vorsicht kann man vermuten, dass das zweite Heer unter dem Befehl des Großkomturs, Wolframs von Bellersheim (Baldersheim) gestanden hat.170 Mittlerweile waren die Boten von Ke˛stutis bei Henning Schindekop angekommen, durch die der Herzog von Trakai die Wiedereroberung Gotteswerders angekündigt und den Ordensmarschall gebeten hat, dies dem dortigen Hauptmann (capitaneo) mitzuteilen.171 Ob nur allein aufgrund dieser Nachricht oder eher nach Beratungen mit anderen Ordensgebietigern, die sich in beiden Ordensheeren befanden, entschied sich Henning Schindekop, nach Gotteswerder zurückzukehren, diesmal mit viel stärkeren Kräften als vor ca. 10 Tagen. Hermann von Wartberge notiert, dass auf dem Weg nach Osten auch die freibekommenen Gefangenen mitgebracht wurden.172 Ob sie inzwischen aus den in Ragnit aufbewahrten Rüstungsvorräten173 bewaffnet worden waren? Brauchte der Ordensmarschall weiterhin jeden waffenfähigen Mann in seinem gerade wesentlich vergrößerten Heer? Diese Fragen müssen unbeantwortet bleiben. 168 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 31–33). 169 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 14–17). Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566, hat irrtümlicherweise lediglich von »Verstärkungen von Ragnit« geschrieben; richtige Interpretation bei Hecht: Die Schlacht, S. 36; und Krumbholtz: Samaiten, S. 473. 170 Er hat als Großkomtur bis 1369 mindestens an zwei Kampagnen, in den Jahren 1362 und 1363, teilgenommen, wenn auch nicht als Heerführer, vgl. Wigand (Z), Kap. 138, S. 288; Kap. 146, S. 304; dazu auch Paravicini: Die Preußenreisen, 2, S. 27 (Tab. 49, Nr. 120, 122); Heckmann: Amtsträger, S. 207; Militzer: Bellersheim, Wolfram von, S. 2005. Während des zweiten Heerzugs wurde die Burg Neu-Kauen zum erstenmal erobert und zerstört, somit hatte der Großkomtur im Herbst 1369 zweifellos entsprechende militärische Erfahrungen und verfügte dabei über gute Kenntnisse der lokalen Geländebedingungen auf der Insel Wyrgalle/Gotis(werder). 171 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 34–37). 172 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 18–22). 173 Vgl. Ziesemer (Hg.): Das Grosse Ämterbuch, S. 257, Z. 15–20. Im Sommer 1374, also kaum fünf Jahre später, stellten sie sich als wesentlich dar.

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Das vereinte Heer Henning Schindekops rückte am 11. November an die Insel Wyrgalle/Gotis(werder) heran.174 Die Geschwindigkeit der Kontingente war jetzt, ebenso wie vorher, von großer Bedeutung. Höchstwahrscheinlich müssen dabei Flussschiffe auf der Memel benutzt worden sein, auf denen die nötige Versorgung für Bewaffnete und Pferde, wie auch Waffen und andere Kriegsgeräte transportiert wurden. Ohne Belastung durch Wagen konnte das berittene Heer die ca. 120 Kilometer lange Strecke in drei bzw. vier Tagen ((8.), 9., 10. und 11. November) zurücklegen, die Schiffe sogar noch schneller. Versucht man eine kohärente Interpretation der zweiten Phase der Herbstkampagne des Jahres 1369 an der unteren Memel anhand der drei voneinander abweichenden Quellennarrationen zu konstruieren, muss man annehmen, dass in zwei von ihnen fehlerhafte Angaben vorkommen, die durch eine Vereinfachung bzw. ein Missverständnis entstanden sind. Im Lichte der Schützschen Paraphrase, die eine eindeutige Narration über die Belagerung der zweiten Burg enthält und zweifellos auf dem Originaltext der Reimchronik basiert, müssen die Angaben Hermanns von Wartberge über das Verlassen von Burgen durch die Litauer und ihren Rückzug in die »ältere Burg« (antiquum castrum)175 als nicht gänzlich den realen Geschehnissen entsprechend betrachtet werden. Vielleicht ist die Erstürmung der ersten der »zwei Burgen« (duo castra) auf der Insel Wyrgalle/ Gotis(werder), d. h. der Gotteswerder und einer unbenannten Befestigungsanlage, schnell abgelaufen und hat nicht etwa jene fünf Tage gedauert, wie Wigand/ Schütz, rhetorisch bedingt, angeben, so dass dieses Ereignis von vielen Beteiligten auf der Seite der Angreifer bloß als Verlassen durch die Burgverteidiger wahrgenommen wurde. Der Rückzug der litauischen Besatzung von der zweiten, unbenannten Burg wurde höchstwahrscheinlich sogar in der originalen Reimchronik Wigands von Marburg nicht thematisiert, da er möglicherweise kampflos verlief. Eine viel intensivere Wahrnehmung fand dagegen die Belagerung und Einnahme der letzten Burg auf der Insel Wyrgalle/Gotis(werder), nämlich NeuKauens, wahrscheinlich wegen der großen Intensität der Kämpfe und einer gewissen Ungewöhnlichkeit der darauffolgenden Ereignisse.176 Sie wurden in längeren und detaillierten Narrationen geschildert, sowohl in der Reimchronik Wigands von Marburg, als auch der lateinischen Überlieferung Hermanns von 174 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 20–22); vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566; Hecht: Die Schlacht, S. 36. 175 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 24–31); nach dieser Quelle ganz unkritisch Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566, der den Angriff auf nur eine Befestigungsanlage annahm, die aber von ihm nicht klar identifiziert wurde. 176 Von den älteren Forschern hat nur Lohmeyer: Geschichte, 1, S. 278, die Kämpfe um »noch zwei andere Burgen, welche die Littauer unlängst in der Nähe errichtet hatten« berücksichtigt, indem er die Narration Hermanns von Wartberge richtig interpretiert hat. Hecht: Die Schlacht, S. 36, schreibt irrtümlich vom Verlassen der zwei »kleinen Befestigungen« durch die Litauer.

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Wartberge. Auch in den anderen Quellen, darunter denjenigen aus der dritten Überlieferungstradition mit den Thorner Annalen an der Spitze, sind diese militärischen Vorgänge notiert worden, wenn auch infolge einer Vereinfachung nur als Eroberung einer Burg statt zweier dargestellt, und zwar der, die von dem Deutschen Orden einige Monate zuvor erbaut, genannt und von den Autoren jener Chroniken erwähnt wurde, d. h. Gotteswerder. Eine größere Auswirkung auf die Wahrnehmung der Geschehnisse, die sich während der Belagerung NeuKauens abgespielt haben, kommt besonders dadurch zum Vorschein, dass man in den Thorner Annalen das genaue Tagesdatum der Burgeinnahme, den 22. November, angab, als die letzte Befestigung auf der Insel erobert wurde. Dagegen wurden andere Angaben, wie die Verluste der Burgverteidiger, im Text von Wartberge mit denen, die die zuerst eingenommene Befestigung betreffen, vermischt.177 Wahrscheinlich machte sich das vereinte Ordensheer unter der Führung Henning Schindekops relativ kurz nach dem Erreichen der Insel Wyrgalle/ Gotis(werder) an die Belagerung von Neu-Kauen. Caspar Schütz veränderte irrtümlicherweise den Namen der Befestigung und nannte sie Beyery178 (Bayerburg). Den Namen entnahm er dem originalen Text der Chronik Wigands von Marburg einige Verse zuvor, in denen vom Transport von Versorgungsmaterial aus Bayerburg für das Ordensheer die Rede war,179 und die Konrad Gesselen über hundert Jahre früher viel treffender verstanden und übersetzt hatte. Ließ der Danziger Geschichtsschreiber die ganze Narration über die Rückkehr des Ordensmarschalls nach Ragnit aus, so verfasste er eine lange paraphrasierende Erzählung über die Belagerung und Erstürmung von Neu-Kauen, das er nur jedoch falsch benannt hat. Diese Narration Wigands hat wiederum Caspar Schütz viel besser verstanden als Gesselen, der nur einige Ausschnitte aus den originalen Reimversen übersetzte. Gemäß Wigand/Schütz traf das Ordensheer auf die letzte litauische Burg auf der Insel, die stark bemannt war.180 Die Ordenskontingente begannen entschlossen mit der Belagerung, was ganz schnell dazu führte, dass die Burgbesatzung entweder auf die Hauptburg (wenn Neu-Kauen als eine zweiteilige Burganlage errichtet wurde) oder in einen Teil der Befestigung zusammengedrängt wurde.181 Die Verteidiger sollten dann dazu gebracht werden, sich zu ergeben. Sie schickten Boten zu Ke˛stutis, der in einem benachbarten Gebiet mit seinem Heer lagerte, wobei sie ihn entweder um einen möglichst baldigen Entsatz 177 Franciscani Thorunensis, S. 88: »Eodem anno X Kalendas Decembris fuit idem castrum per dominum marscalcum revictum virili pugna et fere IIIC Lituani capti et occisi«. 178 Schütz, Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 44). 179 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 22–25). 180 Schütz, Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 45–46). 181 Ebd., Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 47–49).

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oder die Erlaubnis zur Kapitulation gebeten haben.182 Die darauffolgende Gesandtschaft des litauischen Fürsten an Henning Schindekop wurde vom Ordensmarschall für eine Taktik gehalten, wobei es nur darum ging, Zeit zu gewinnen.183 Im Laufe der Zeit war die Burgbesatzung immer mehr zum Kampf entschlossen, was den Ordensmarschall dazu bewegte, aktive Belagerungsarbeiten zu beginnen.184 Höchstwahrscheinlich am 21. oder 22. November ordnete er einen Angriff an, bei dem es Handwerkern (muratores), zweifellos unter Schutz von Bewaffneten, gelang, an einer Stelle die Burgmauer zu brechen und wahrscheinlich die hölzernen Elemente der Burggebäude in Brand zu stecken. Der Bereich der Burganlage, in dem der Angriff stattfand, war absichtlich so gewählt, dass die Windverhältnisse möglichst effektiv genutzt werden konnten. Der Wind war so stark, dass die Burganlage in kurzer Zeit fast völlig in Flammen stand.185 Die Handwerker und Bewaffneten wurden von der Mauer zurückgerufen (doch nicht von ihren Belagerungsposten und -geräten),186 ohne Zweifel, um Verluste während des andauernden Brandes zu vermeiden. Die Flammen dürften auch aus großer Ferne sichtbar gewesen sein. Entweder in Reaktion darauf oder nach Erhalt von Nachrichten durch Boten aus der gestürmten Burg zog Ke˛stutis mit seinem (ganzen?) Heer in die Nähe der Befestigung, bis an das nördliche Memelufer, und schickte zugleich dem Ordensmarschall eine Gesandtschaft mit der Bitte um ein persönliches Gespräch.187 Sowohl laut der lateinischen Übersetzung Gesselens als auch der Schützschen Paraphrase soll der Herzog von Trakai durch seine Boten für die Verteidiger von Neu-Kauen auch gebeten haben, dass sie die Waffen niederlegen und sich in Gefangenschaft ergeben dürften.188 Ke˛stutis wollte damit den Kampf einstellen, um möglichst vielen noch lebenden Verteidigern das Verlassen der brennenden Burg zu ermöglichen und sie dadurch vor dem Flammentod zu retten. Henning Schindekop, der zuvor die fürstlichen Boten empfangen hatte und dann wahrscheinlich eine Beratung mit anderen Gebietigern abgehalten hat, entschied sich, keinen der Vorschläge Ke˛stutis’ anzunehmen. Der Schützschen Paraphrase zufolge soll er sich vor einem hinter182 Ebd., Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 49–55). 183 Ebd., Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 56–66); vgl. Hecht: Die Schlacht, S. 37. 184 Ebd., Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 66–74). 185 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 38–42); Schütz, Bl. 90r (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 74–76). 186 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 43). 187 Ebd., Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 44–47); Schütz, Bl. 90r–v (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 77–81); vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 210–211; Hecht: Die Schlacht, S. 38. 188 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 47–49); Schütz, Bl. 90v (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 81–84); vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 210–211.

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listigen Angriff gefürchtet haben.189 Es hätte sich um einen Anschlag der Burgbesatzung handeln können, die zuerst den Willen zur Kapitulation hätte vorgeben und dann nach Verlassen der brennenden Burg die Bewaffneten des Ordens angreifen können. Mit Rücksicht darauf verbot der Ordensmarschall seinen Leuten, von den Belagerungsarbeiten abzusehen, und zwar unter Androhung der Todesstrafe.190 Diese Notiz von Wigand/Schütz veranlasst zur Vermutung, dass die fürstliche Gesandtschaft kein quasi-heimliches Erscheinen von ein paar Boten gewesen war, sondern vielmehr ein öffentliches Geschehen, wobei sich die Vorschläge des Herzogs von Trakai schnell in dem Belagerungsheer verbreiteten. Letztendlich gab Henning Schindekop der fürstlichen Gesandtschaft keine Antwort und nahm sogar von den Boten keinen Abschied.191 Der Überlieferung ist nicht zu entnehmen, wie lange der Brand der Burg andauerte. Am 22. November war die Belagerung von Alt-Kauen beendet.192 Die Burgverteidiger, die nicht zuvor im Kampf gefallen waren, kamen in den Flammen ums Leben.193 Sowohl die lateinische Übersetzung Gesselens als auch Hermanns von Wartberge sind sich darüber einig, dass sich unter verbrannten Bewaffneten auch der Burghauptmann befand.194 Sein Name ist aber nicht überliefert. Die Zahl der Toten des Brandes beträgt bei Wigand/Gesselen 109 Menschen195 und scheint in ihrer Detailliertheit glaubwürdig zu sein. Die in der Narration von Caspar Schütz angegebene Zahl von 900 verbrannten Personen196 ist ohne Zweifel das Ergebnis eines Lesefehlers, infolge dessen die im Wigandschen Text erwähnte Zahl »neunundhundert« als »neunhundert« gelesen und wiedergegeben wurde.197 Daneben erwähnen sowohl Wigand/Gesselen als auch Wigand/Schütz den Tod von weiteren Verteidigern, die im Kampf ums Leben gekommen sind, ohne ihre

189 Schütz, Bl. 90v (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 85–87). 190 Ebd., Bl. 90v (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 87–91). 191 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 50–52); Schütz, Bl. 90v (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 91–93); vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 211. 192 Franciscani Thorunensis, S. 88 (Quellenzitat in Anm. 177); vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566. 193 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358, 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 53–54); Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 35–37). 194 Wigand (Z), Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 55); Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 35–36); vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566; Hecht: Die Schlacht, S. 19, 38. 195 Wigand (Z), Kap. 191, S. 358 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 53; vgl. dazu Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 211; Hecht: Die Schlacht, S. 19–20, 38. 196 Schütz, Bl. 90v (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 94–95). 197 Auch Jan Długosz gibt die richtige Zahl von 109 verbrannten Menschen an, vgl. Długosz, S. 344. Zu der fehlerhaften Änderung der Zahl vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 211, Anm. 1; Hecht: Die Schlacht, S. 20.

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Zahl anzugeben.198 Diese wird von Hermann von Wartberge angegeben, nämlich 54 Menschen.199 Hingegen scheint die in dieser Chronik erwähnte detaillierte Zahl von 309 Gefangenen200 nicht nur diejenigen zu umfassen, die sich eventuell vereinzelt in Neu-Kauen während der Kämpfe ergeben haben, sondern vor allem die Verteidiger von Gotteswerder, die einige Tage früher gefangen genommen wurden. Selbstverständlich können diese Angaben den realen Verlusten der litauischen Verteidiger nicht gänzlich entsprechen, da zweifellos nicht alle getöteten Menschen nach den Kämpfen von den Siegern aufgefunden wurden. Die Gesamtzahl von mindestens 473201 getöteten, verbrannten und gefangengenommenen Menschen, denen man vielleicht noch die in Gotteswerder gefallenen Bewaffneten hinzufügen sollte, ist etwa so groß wie die Besatzungsgröße der drei nebeneinander liegenden litauischen Befestigungen auf der Insel Wyrgalle/ Gotis(werder). Hermann von Wartberge erwähnt auch sechs machinas und vier andere Belagerungsgeräte, die in Neu-Kauen gewonnen und dann mit den Verteidigern verbrannten.202 Ihm zufolge sollen die beiden litauischen Fürsten das Schicksal von Neu-Kauen von dem gegenüberliegenden Memelufer beobachtet haben.203 Nachdem der Brand die Befestigung zerstört hatte, ließ Henning Schindekop dem Herzog von Trakai die Leichen der Burgverteidiger zeigen.204 Sollte man es als einen Beweis von Milde des Ordensmarschalls gegenüber dem besiegten Gegner interpretieren? Die lateinische Übersetzung der Wigandschen Chronik scheint darauf hinzuweisen, dass Henning Schindekop während der Leichenschau den Fürsten nicht begleitete, sondern er begab sich in seine Lagerunterkunft (casula, Hütte).205 Später (am nächsten Tag?) wurden dem litauischen Monarchen im Beisein des Ordensmarschalls die zuvor verzeichneten Namen der Gefangenen bekannt gegeben.206 Die beiden Kriegsherren verabredeten einen Tag

198 Wigand (Z), Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 55); Schütz, Bl. 90v (= Textzusammenstellung, Wigand/Schütz, Z. 96). 199 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 35); vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566; Hecht: Die Schlacht, S. 20. 200 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 33–34); vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566; Hecht: Die Schlacht, S. 20. 201 Hecht: Die Schlacht, S. 21, gab nur 472 Getötete an, weil er den Burghauptmann nicht hinzugerechnet hat. 202 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 37–41); vgl. Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 566; Hecht: Die Schlacht, S. 38. 203 Wartberge, S. 95 (= Textzusammenstellung, Wartberge, Z. 41–44). 204 Wigand (Z), Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 58–59). 205 Ebd., Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 56–58). 206 Wigand (K), Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 59–62); vgl. Hecht: Die Schlacht, S. 39.

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für den Gefangenenaustausch.207 Da die Quellen nicht die Rückkehr des Ordensheeres nach Preußen erwähnen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu vermuten, dass diese wechselseitige Übergabe der Gefangenen ca. zwei bzw. drei Wochen später (Ende November bzw. Anfang Dezember 1369) in der Nähe des letzten Kriegsschauplatzes in der Umgebung von Gotteswerder stattfand, sobald die Gefangenen von litauischer Seite aus Trakai und Vilnius herbeigebracht worden waren, wovon Wigand/Gesselen berichten.208 Dies bestätigt eine andere Notiz in der lateinischen Übersetzung der Wigandschen Reimchronik, nämlich dass nach Abschluss des Austausches die Abgesandten beider Seiten mit den Gefangenen zu ihren eigenen Heeren zurückkehrten.209 Es waren sicherlich dieselben Heere, die einige Wochen zuvor an den Kriegshandlungen teilgenommen hatten. Die Narration von Wigand/Gesselen lässt vermuten, dass es während des Gefangenaustausches zu einer erneuten Begegnung Henning Schindekops mit Ke˛stutis gekommen sein könnte. Bei einem Gespräch soll der Fürst dem Ordensgebietiger einen erneuten Heerzug nach Preußen angekündigt haben.210 Eine solche Interaktion ist nicht unwahrscheinlich, entzieht sich jedoch einer eindeutigen Verifizierung. Spätestens um Mitte Dezember war die dritte Kampagne des Jahres 1369 zu Ende. Der Großkomtur Wolfram von Bellersheim, der, wie oben erwähnt, an der zweiten Phase des Heerzugs teilgenommen haben könnte, ist am 14. Dezember in Stuhm zusammen mit dem Hochmeister und dem Obersten Trappier Werner von Rundorf bezeugt.211 Wirft man einen zusammenfassenden Blick auf die oben analysierten Geschehnisse an der unteren Memel im Jahre 1369, hat man es mit einigen militärischen Handlungen zu tun, die sich in der folgenden Reihenfolge abgespielt haben: Beginn der Errichtung der Burg I (Neu-Kauen) durch die Seite I (Litauer) → Zerstörung dieser Burg I durch die Seite II (den Deutschen Orden) → Errichtung der Burg II (Gotteswerder) durch die Seite II in der Nähe der zerstörten Burg I → Belagerung und Eroberung der Burg II durch die Seite I → Bau der Burg III (ungenannt) durch die Seite I → Belagerung und Eroberung der Burg II durch die Seite II → Belagerung und Eroberung der Burg I durch die Seite II – insgesamt zwei Burgenbauten mit drei Burgbelagerungen, unterbrochen sowohl durch eine 207 Wigand (K), Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 63–64); Schütz, Bl. 90v (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 99–105); vgl. Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 211; Hecht: Die Schlacht, S. 39. 208 Wigand (K), Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 64–67). 209 Ebd., Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 67–69). 210 Ebd., Kap. 191, S. 360 (= Textzusammenstellung, Wigand/Gesselen, Z. 70–76); so auch Voigt: Geschichte Preussens, 5, S. 211; Köhler: Die Entwicklung, 2, S. 568; Hecht: Die Schlacht, S. 21, 39, der dabei auf einen Bibelverweis in der Gesselenschen Übersetzung dieser Narration hingewiesen hat. 211 Conrad (Hg.): Preußisches Urkundenbuch, 6/2, Nr. 780, S. 449–450.

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Periode der Vorbereitung bzw. des Wartens als auch von Verhandlungen, des Gefangenenloskaufes und Gefangenenaustausches. All das während und zwischen drei Kriegskampagnen, die innerhalb von acht bis neun Monaten stattgefunden haben. Man kann hier von Kriegshandlungen von großer Intensität sprechen. Keine Feldschlachten, wahrscheinlich keine Scharmützel und nicht einmal Streifzüge haben diesen drei Kampagnen ihren Akzent verliehen. Die Kriegshandlungen haben sich fast ausschließlich um Burgenbau, Burgenbesetzung und Burgenzerstörung gedreht. Und all das in einem Flussinselraum, der sich höchstens über 2–3 Kilometer erstreckte. Im Jahre 1369 dauerte an der unteren Memel eine militärische Konfrontation an, die alle Facetten eines ›Burgenkrieges‹ aufweist. Sie zeigt dabei die völlige militärische Symmetrie zwischen dem Deutschen Orden und dem Großfürstentum Litauen, in der die beiden Konfliktparteien zu denselben militärischen Mittel griffen. Der hier in Betracht gezogene ›Burgenkrieg‹ ist auch als Argument gegen die noch gelegentlich vorgetragene These zu betrachten, dass Burgen und ein intensiver Burgenbau als Mittel des Krieges nur in dicht besiedelten und intensiv bewirtschafteten Gebieten Bedeutung hatten und überhaupt nur dort als eine Form der Kriegsführung angewendet werden konnten. 1369 war es nicht das erste und nicht das letzte Mal in dem Krieg, der in der Übergangszone zwischen Preußenland, Samaiten, Oberlitauen und Schwarzruthenien über ein Jahrhundert andauerte, dass die militärischen Handlungen um Burgen und auf Burgen das Bild und den Verlauf dieses gewaltsamen Konflikts bestimmten.

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Burgenkrieg an der unteren Memel im Jahr 1369

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Piotr Olin´ski

Memoria über die monastischen Stiftungen in den Annales Colbatzenses

Abstract: Memoria of Monastic Endowments in the Annales Colbatzenses The article analyses mentions of monastic foundations recorded in the Annals of Kolbacz. The main issue was to check whether the mentioned foundations belonged to the Clairvaux line or other Cistercian lines. It turned out that initially, the monasteries of the Clairvaux line prevailed. It was not until 1170 that monasteries of the Morimond line began to be mentioned. In total, 15 Clairvaux foundations are mentioned in the Annals, seven from the Morimond line and four from the Cîteaux line. Keywords: annals; memory; Cistercians; medieval culture

Klöster zählen zu den wichtigsten Institutionen der mittelalterlichen Welt.1 Auch heute ziehen sie das Forschungsinteresse auf sich.2 Zu den wichtigen Forschungsgebieten gehört unter anderem monastische Schriftlichkeit. In der Staatsbibliothek Berlin ist eine überaus interessante Handschrift aus dem 12. Jahrhundert erhalten geblieben. Sie trägt die Signatur Theol. Lat. Fol. 149, und von einer Notiz am Rande der Karte 1r ist bekannt, dass sie sich im Mittelalter im Besitz der Zisterzienser von Kolbatz (heute: Kołbacz) befand (Liber sancte Marie in Colbaz). Verfasst wurde sie jedoch außerhalb Pommerns. Ihr wahrscheinlichster Entstehungsort liegt in Dänemark. Die Handschrift besteht aus zwei Hauptteilen. Der erste ist verhältnismäßig differenziert aufgebaut und enthält u. a. die sog. Annales Colbazenses, einen Kalender, einige Miniaturen und HinUniv.-Prof. Dr. Piotr Olin´ski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, ORCID: https://orcid.org/ 0000-0003-3512-1948. 1 Der Beitrag wurde im Rahmen eines Projektes vorbereitet und durchgeführt mit Mitteln von Narodowe Centrum Nauki (Nationales Zentrum für Wissenschaft), die aufgrund des Bescheids Nr. 2019/33/B/HS3/00347 für das Projekt Edycja z´ródeł memoratywnych z klasztoru oliwskiego w Oliwie. Cze˛´sc´ 1: Edycja nekrologu oliwskiego [Edition von memorativen Quellen des Klosters in Oliwa. Teil 1: Edition der Olivaer Nekrologe] gewährt wurden. 2 Einer der auf diesem Gebiet Arbeitenden ist Prof. Dr. Helmut Flachenecker, der dem Mönchtum viele seiner Publikationen gewidmet hat. Für den Autor dieser Zeilen war die Lektüre seiner Monografie Schottenklöster ein wichtiger Anstoß und eine Bestärkung des Wunsches, sich selbst mit dem mittelalterlichen Mönchtum zu beschäftigen.

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weise für Schriftlesungen im liturgischen Kalender u. dgl. Den zweiten Teil bilden die Predigten von Maurice de Sully.3 Am häufigsten wurden bisher die sog. Kolbatzer Annalen analysiert.4 Das liegt vor allem an der zentralen Bedeutung, die sie für die Annalistik in Dänemark haben.5 An dieser Stelle konzentrieren wir uns auf diejenigen Eintragungen der Kolbatzer Annalen, die die Gründung verschiedener Zisterzienserklöster betreffen. Da die Annalen, ebenso wie die ganze Handschrift, höchstwahrscheinlich für die Bedürfnisse der Zisterzienserklöster entstand – vor Kolbatz war dies Esrum –, zeugen die sicherlich von Angehörigen dieses Ordens verfassten Eintragungen von ihrem Interesse am allgemeinen Ordensleben auch außerhalb ihrer Klostermauern. Bekanntlich waren Zisterzienserklöster stets Tochterklöster des Mutterklosters Cîteaux bzw. der vier Primarabteien: La Ferté, Pontigny, Clairvaux und Morimond. Alle nach und nach in Europa entstehenden Zisterzienserklöster wurden einer dieser Filiationslinien zugeordnet. Die meisten Tochterklöster wies die Linie von Clairvaux auf, nämlich 355 oder 356.6 Esrum in Dänemark und das pommersche Kolbatz gehörten ebenfalls zur Filiationslinie von Clairvaux, und mit diesen beiden Klöstern ist unsere Chronik in erster Linie verbunden. Prüfen wir zunächst, ob die Erwähnungen von Klostergründungen in den Kolbatzer Annalen nur Klöster der Linie von Clairvaux betreffen oder auch die anderen Filiationen. Je nach dem Ergebnis, das wir erzielen werden, werden wir der Frage nachgehen, ob man für diese Quelle annehmen kann, dass sie die Erinnerung an nur eine Filiationslinie von Zisterzienserklöstern pflegt, oder ob 3 Beschreibungen der Handschrift finden sich in Rose: Verzeichnis der lateinischen Handschriften, 2, S. 1007–1011; Fingernagel: Die illuminierten lateinischen Handschriften, S. 148– 150. 4 Die Annalen sind auch mehrfach ediert worden, allerdings nicht immer vollständig. Vgl. Arndt (Hg.): Annales et Notae Colbazienses, S. 710–720; Waitz (Hg.): Annales Danici Colbazenses, S. 174–176; Jørgensen (Hg.): Annales Danici, S. 39–43 (ausgewählte Aufzeichnungen bis 1181); Kroman (Hg.): Danmarks Middelalderlige Annaler, S. 1–11 (bis 1181); erschienen ist auch ein Faksimile des ersten Teils der Handschrift: Kroman (Hg.): Codices scriptorum, S. 1–68. Grundlage des vorliegenden Textes ist die Edition in: Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 474–492. 5 Der deutsche Historiker Rudolf Usinger, der im 19. Jahrhundert die dänische Chronistik bis 1861 erforschte, hat sie noch nicht berücksichtigt. Vgl. Usinger: Die dänischen Annalen; die Untersuchung dieser Chronik hat im Grunde erst mit der Edition durch den erwähnten Wilhelm Arndt in den Monumenta Germaniae Historica 1866 begonnen. Später haben sich mit den Kolbatzer Annalen u. a. beschäftigt: Jørgensen: Bidrag til Nordens Historie, S. 202–206; Schäfer: Dänische Annalen, S. 115–118; Weibull: Annalerne og Kalendariet, S. 170–187; Jørgensen (Hg.): Annales Danici, S. 5–8; Kristensen: Danmarks ældste Annalistik, S. 25–27; Kroman (Hg.): Codices scriptorum, S. XIII–XIV; Szacherska: Rola klasztorów, S. 14–16; McGuire: The Cistercians in Denmark, S. 19; Dziedzic-Król: Rocznik kołbacki, S. 57–72; Jurkiewicz: Pomorski szlak cystersów, S. 96; Jamroziak: Survival and Success, S. 101; Wejman: Rola zakonu cysterskiego, S. 221. 6 Eberl: Cystersi, S. 51, 70.

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in diesem Fall vielleicht andere Kriterien dafür ausschlaggebend waren, welche Klostergründungen erwähnt wurden. Denkbar sind solche Kriterien wie örtliche Nähe, politische Verbindungen und Ereignisse oder noch andere Gründe. Die erste Erwähnung des Zisterzienserordens betrifft dessen Gründung im Jahre 1098.7 Weitere Eintragungen notieren den Eintritt Bernhards von Clairvaux in den Orden 11138 sowie die Gründung des Klosters Clairvaux 1115.9 Dagegen wurden die Gründungen La Ferté, Pontigny und Morimond übergangen; dies würde bedeuten, dass das Interesse der Autoren der Annalen von Anfang an auf die Linie von Clairvaux innerhalb des Ordens beschränkt war. Nach diesen Erwähnungen aus der Frühzeit des Ordens gibt es eine längere Pause, bis schließlich zum Jahr 1143 eingetragen ist: »Conventus missus est in Aluastrum et in Nouam Uallem«.10 Der Ausdruck »missus est« findet sich in den weiteren Eintragungen synonym mit der Wendung »venit in«. Es geht um zwei Klöster in Schweden: Alvastra in der Provinz Östergotland und Nydala in der Provinz Småland. Beide Klöster gehörten zur Filiationslinie von Clairvaux, und als ihre Gründungsjahre gelten in der Forschung die Angaben in den Annales Colbazenzes.11 Als nächste Neugründung wird im kommenden Jahr 1144 Herrevad in Schonen12 genannt. Dieses Kloster wurde eines der mächtigsten in Dänemark und gehörte zur Gruppe derjenigen Klöster, die dank dem großen Engagement von Erzbischof Eskil entstanden waren, wobei es wohl eher eine wesentlich spätere Überlieferung ist, die ihn als Gründer des Klosters nennt.13 Dieses Kloster gehörte nicht zur Filiationslinie von Clairvaux, sondern zu der von Cîteaux. In diesem Fall kann man sowohl auf den territorialen Aspekt verweisen, als auch auf die Bedeutung der Anlage für die Zisterzienserklöster im Skandinavien von Erzbischof Eskil.14 7 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 480. 8 Ebenda, S. 480. 9 Ebenda, S. 481. Das Wort »destructa« in der Eintragung beruht offenkundig auf einem Lesefehler von Prümers. Es muss »constructa« heißen, und so steht es auch in der Handschrift. Vgl. Staatsbibliothek Berlin: Theol. Lat. Fol. 149, K. 20v. 10 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 482. 11 Janauschek: Originum, S. 73–74; France: Zisterzienserobere in Skandinavien, S. 14; Andersson: Cistercian Monasteries, S. 582. Das Datum ist nicht unbestritten. Die Annalen des Klosters Ryd geben 1142 als Stiftungsjahr des Klosters Alvastra und 1144 als Stiftungsjahr von Nydal an. Vgl. Kroman (Hg.): Danmarks Middelalderlige Annaler, S. 164–165. Dagegen bestätigt die Ältere Seeländische Chronik 1143 als Gründungsjahr von Alvastra. Vgl. Gertz (Hg.): Vetvs Chronica Danorvm, S. 35. 12 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 482. 13 Janauschek: Originum, S. 80; Zu den Umständen der Stiftung vgl. u. a. Lorenzen: De danske Klostres, S. 211ff.; France: The Cistercians in Scandinavia, S. 44–46; Mc Guire: The Cistercians in Denmark, S. 38ff.; Eberl: Cystersi, S. 45; Green-Pedersen: De danske cistercienserklostres, S. 44–45. 14 Letztens Olschowski: Das grenzüberschreitende wirtschaftliche Handeln, S. 39–40.

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Unter dem Jahr 1153 findet sich in den Annalen von Kolbatz die Erwähnung von Esrum. Es war eine Filiale von Clairvaux und wurde seinerseits zum Mutterkloster für Kolbatz.15 Der Eintrag wurde allerdings von späterer Hand hinzugefügt. Das Jahr 1153 wird oft als wirkliches Gründungsjahr angenommen und oft mit dem 1153 eingetretenen Tod von Bernhard von Clairvaux assoziiert. Da allerdings das päpstliche Privileg für das Kloster bereits auf den 29. Dezember 1151 datiert ist, wirft diese Datierung nach wie vor Diskussionsstoff auf. Als Erklärung für die Diskrepanz wurde entweder die Möglichkeit eines bereits früher existierenden Benediktinerklosters vermutet, oder der Versuch, das Verbot des Landbesitzes zu umgehen, oder schließlich Probleme mit der Bestätigung des Klosters oder Verzögerungen im Stiftungsprozess.16 Auch für diese Stiftung war Erzbischof Eskil tätig geworden, auch wenn die wichtigere Rolle für die Schaffung des Klostervermögens u. a. der dänische König Waldemar gespielt hatte.17 Die nächste Klosterstiftung in den Annalen von Kolbatz findet sich zum Jahr 1158 mit dem Kloster »Vite Scola«.18 Gemeint ist das Kloster Vidtsköl in Jütland, die erste Tochtergründung von Esrum, also ebenfalls der Filiationslinie von Clairvaux zugehörig. Das in den Annalen genannte Datum ist nicht völlig sicher, wird allerdings von der großen Mehrheit der Forschung akzeptiert. Es sei hier aber erwähnt, dass einige Historiker eine etwas frühere Entstehung des Klosters vermuten.19 Eine spätere Quelle aus dem 13. Jahrhundert, die höchstwahrscheinlich aus der schwedischen Zisterzienserabtei Varnhem stammt, unterstreicht die Rolle von Erzbischof Eskil bei dieser Stiftung, gibt aber auch das Jahr 1158 als Gründungsjahr der Abtei an.20 Die nächste in den Annalen von Kolbatz erwähnte zisterziensische Gründung ist unter dem Jahr 1160 das Kloster »Sabba«.21 Es handelt sich dabei um das Kloster Julita, das ursprünglich in Viby nördlich von Stockholm angesiedelt war und ein Tochterkloster von Alvastra war, also der Linie von Clairvaux zuzu-

15 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 482. 16 Janauschek: Originum, S. 136–137; Weibull: Den skånska kyrkans äldsta historia, S. 100; Koch: De ældste danske Klostres Stilling, S. 525; McGuire: Property and Politics, S. 125; GreenPedersen: De danske cistercienserklostres, S. 45–46. 17 Zur zahlreichen Literatur über diesen Aspekt vgl. McGuire: The Cistercians in Denmark, S. 59–60; Olschowski: Das grenzüberschreitende wirtschaftliche Handeln, S. 39–40. 18 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 482. 19 Janauschek: Originum, S. 141–142; bei Svend E. Green-Pedersen finden sich verschiedene Standpunkte der Forschung gesammelt und diskutiert. Vgl. Ders.: De danske cistercienserklostres, S. 46–47. 20 Gertz (Hg.): De fundatione Vitaescholae, S. 134–142; McGuire: The Cistercians in Denmark, S. 58–59. 21 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 482.

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rechnen ist.22 Die Hauptrolle bei dieser Stiftung spielte König Knut Eriksson.23 Dieses Kloster wurde 1180 oder 1181 nach Säby an den Öljaren-See verlegt.24 Zum Jahr 1162 sind zwei neugegründete Klöster erwähnt: »Sora« und »Tuta Vallis«. Das Kloster Sorø war zuvor eine Benediktinerabtei gewesen, wurde aber von Mönchen aus Esrum übernommen.25 Zu dieser Umgestaltung des Klosters trug Bischof Absalon von Roskilde bei, wobei das Jahr 1161 als das Jahr dieser Veränderung wahrscheinlicher ist.26 Hinter der zweiten der erwähnten Abteien verbirgt sich Tvis unweit von Holsterbo in Jütland, ein von Herzog Buris Henriksson gestiftetes Kloster.27 Es war ein Filialkloster von Herrevad, gehörte also zur Linie von Cîteaux. Meist wird 1162 als das Gründungsjahr angenommen, manchmal auch 1163.28 Zum Jahr 1166 verzeichnen die Annalen von Kolbatz das Kloster »Ghutualia«; hierzu bemerkt Prümers, dass diese Eintragung aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammt, also mit Sicherheit bereits in Kolbatz entstanden ist.29 Es geht um das Kloster Gudvala (Gutnalia) auf Gotland, wohin Mönche aus dem Kloster Nydvala übersiedelten. Als Jahr ihrer Ankunft wird 1164 angenommen.30 Es handelt sich also um ein weiteres Kloster der Linie von Clairvaux. Die zum Jahr 1165 erwähnte Ankunft neuer Zisterziensermönche in »Cara insula« bezeichnete den Zeitpunkt der Stiftung von Kloster Øm in Jütland.31 1165 ist das früheste in der Literatur genannte Gründungsdatum; andere Angaben lauten 1166, 1170 und 1172.32 Øm wurde von Mönchen aus Vitskøl besiedelt, gehörte also ebenfalls zur Linie von Clairvaux. Nach einer mehrjährigen Pause verzeichnen die Annalen für das Jahr 1170 die Gründung des Klosters Doberan in Mecklenburg.33 Die Mönche kamen aus Amelungsborn. In diesem Fall haben wir es also mit der ersten Erwähnung eines 22 Janauschek: Originum, S. 144; France: The Cistercians in Scandinavia, S. 137–138; Andersson: Cistercian Monasteries, S. 582. 23 France: The Cistercians in Scandinavia, S. 40. 24 Janauschek: Originum, S. 144. 25 Ebenda, S. 146. 26 Kristensen: Danmarks ældste Annalistik, S. 112–113; McGuire: Patrons, S. 35ff.; Green-Pedersen: De danske cistercienserklostres, S. 47; von diesem Datum gehen auch andere Forscher aus; vgl. France: The Cistercians in Scandinavia, S. 54, 64 (auf S. 138 gibt er allerdings das Jahr 1162 an); McGuire: The Cistercians in Denmark, S. 74. 27 France: The Cistercians in Scandinavia, S. 76. 28 Ebenda, S. 138 (Jahr 1162), S. 64 (Jahr 1163). 29 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 482. 30 Janauschek: Originum, S. 152; France: The Cistercians in Scandinavia, S. 41. Dieser Autor gibt fälschlich an, dass die Annalen von Kolbatz und Ryd das Jahr 1164 angäben. Dieses Datum figuriert z. B. in den Annales Lundenses. 31 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 482. 32 Janauschek: Originum, S. 154–155; Lorentzen: De danske Klostre, S. 105–130; France: The Cistercians in Scandinavia, S. 65–66. 33 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 483.

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Klosters der Linie von Morimond in den Annalen des Klosters Kolbatz zu tun. Als Stiftungsjahr wird 1180 angenommen, aber auch hier geben andere Quellen andere Stiftungsdaten an: 1169, 1171 oder 1172 und sogar 1160 oder 1164.34 Einen etwas komplizierteren Inhalt hat die Eintragung zum Kloster Dargun für das Jahr 1172.35 Der Herausgeber vertritt die Ansicht, die Eintragung stamme von einer jüngeren Hand, die die zisterziensischen Gründungen bis zum Jahr 1233 nachgetragen habe.36 Die Aufzeichnung des Annalisten spricht von der Ankunft von Mönchen aus Esrum und ihrer Verlegung nach Hilda (dem späteren Eldena) zum Ende des 12. Jahrhunderts.37 Stifter von Dargun war Bischof Berno von Schwerin. Das Datum der Klostergründung weckt keine Zweifel, auch wenn in verschiedenen Quellen auch andere Stiftungsdaten genannt werden.38 Bekannt ist, dass Dargun, nachdem die ersten Gründungsmönche nach Hilda verlegt worden waren, etwas später, 1209, durch Mönche aus Doberan erneut besetzt wurde. Damit ging der Übergang des Klosters auf die Filiationsliste von Morimond einher.39 Dieselbe Eintragung der Kolbatzer Annalen zum Jahr 1172 erwähnt auch die Ankunft von Mönchen auf der »Insula Dei«, also in Holme auf der dänischen Insel Fünen. Diese Mönche kamen aus der Abtei Herrevad in Schonen, also aus der Filiationslinie von Cîteaux.40 Zum Jahr 1173 ist die Ankunft von Mönchen zum »Locum Dei«41 verzeichnet. Die Abtei Løgum wurde gestiftet von Bischof Stefan von Ribe. Ihr erster Standort war Seem, etwas östlich von Ribe im Nordwesten Jütlands, und ab 1175 südlich von Ribe in Løgum. Die besiedelnden Mönche kamen aus Herrevad.42 Es war also die nächste Erwähnung eines Klosters aus der Linie von Cîteaux. Schließlich wird für 1174 das Kloster Kolbatz selbst erwähnt.43 Das Datum ist nicht unzweifelhaft. Als Jahr der Stiftung wird auch das Jahr 1173 angenommen.44 Die Mönche kamen 34 Janauschek: Originum, S. 161–162; Wichert: Das Zisterzienserkloster Doberan, S. 14–17; Wichert et al.: Doberan, S. 220; Compart: Geschichte des Klosters Doberan, S. 1–5; Olschowski: Das grenzüberschreitende wirtschaftliche Handeln, S. 43–44. 35 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 483. 36 Ebenda, S. 483, Anm. 2. 37 Schlegel: Das Zisterzienserkloster Dargun, S. 197–200; Kratzke et al.: Das Zisterzienserkloster Dargun, S. 189–205; Reimann: Zur Rolle des Klosters Dargun, S. 273–278; Ders.: Die historische Bedeutung, S. 51–52; Mangelsdorf: Kloster Eldena, S. 301–303; Reimann: Die Rolle des Klosters Dargun, S. 193–200; Reimann et al.: Dargun, S. 146. 38 Janauschek: Originum, S. 165–166; zu den Anfängen des Klosters vgl. Reimann: Die historische Bedeutung, S. 48–49. 39 Winter: Die Cistercienser, 1, S. 130; Reimann: Die historische Bedeutung, S. 52–53; Chłopocka et al.: Die Ausbreitung, S. 96. 40 Lorentzen: De danske Klostre, S. 105–130; Hansen: Vom Holmekloster zu Rantzausholm, S. 43. 41 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 483. 42 Janauschek: Originum, S. 168–169; France: The Cistercians in Scandinavia, S. 66–67. 43 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 483. 44 Chłopocka: Powstanie i rozwój, S. 32–34; Jarzewicz et al.: Kołbacz, S. 135.

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aus Esrum. Es handelte sich folglich um das nächste Kloster der Clairvaux-Linie. Für 1183 ist dann das Kloster in Lehnin erwähnt.45 Dies ist das Jahr, in dem sich Mönche aus Sittichenbach dort niederließen. Als Stiftungsjahr wird 1180 angenommen.46 Das Kloster gehörte zur Filiationslinie von Morimond. Die Gründung des Klosters Oliwa ist unter dem Jahr 1186 verzeichnet.47 Gewöhnlich wird diese Datierung als zuverlässig akzeptiert.48 Die endgültige Bestätigung der Abtei erfolgte demnach zwei Jahre später 1188. Als Stifter des Klosters trat die lokale Dynastie der Samboriden in Erscheinung, die hier eingesetzten Mönche kamen aus Kolbatz, gehörten also zur Linie von Clairvaux. Unter diesem Jahr findet sich auch der erste Eintrag, der eindeutig auf einen Zusammenhang mit Kolbatz verweist. Er betrifft den Bischof Konrad, der dem Kloster umfangreiche Ländereien schenkte und ihm das Recht auf den Zehnten daraus verlieh.49 Für das Jahr 1188 wird die Verlegung von Mönchen aus Dargun nach Hilda (später: Eldena) notiert50, die in Wirklichkeit erst später – 1199, 1200, 1203, 1207 stattfand.51 Der Eintrag stammt von einer jüngeren Hand. Als nächstes neugegründetes Kloster erscheint zum Jahr 1190 der Konvent von Reinfeld im südlichen Schleswig.52 Das Kloster wurde mit Mönchen aus Loccum besetzt, es zählte also zur Linie von Morimond. Hier wird allerdings generell ein früheres Stiftungsdatum angenommen, nämlich 1186. Stifter war Graf Adolf III. von Schauenburg.53 Dass der Konvent sich im Kloster »Rus Regis« einrichtete, ist zum Jahr 1192 verzeichnet.54 Das Kloster Rüde wurde infolge einer Reform als Abspaltung vom älteren Kloster St. Michael in Schleswig gegründet.55 Seine Stiftungsgeschichte ist also eher untypisch. Das Kloster war mit der Linie von Clairvaux verbunden. Für 1194 wurde das Kloster »Asilum« verzeichnet,56 nicht weit von der Mündung des Flusses Viskan ins Kattegat in der schwedischen Provinz Halland. Die große Mehrheit der Quellen gibt dieses Stiftungsdatum an.57 Die Bewohner des Klosters in Ås kamen aus dem Kloster Sorø, gestiftet wurde es von Bischof Absalon, und den Grundstock des Klostervermögens steuerte der spätere däni45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 483. Warnatsch: Lehnin, S. 764. Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 483. Dekan´ski et al.: Oliwa, 2, S. 269. Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 483. Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484. Janauschek: Originum, S. 203; Viesner: Geschichte von Pommern und Rügen, S. 402–403; Mangelsdorf: Kloster Eldena, S. 301–303. Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484. Janauschek: Originum, S. 192; Schröter: Reinfeld, S. 484. Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484. Newig: Rude, S. 509; Kuhlmann: Das Rudekloster, S. 82. Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484. Janauschek: Originum, S. 197–198; France: The Cistercians in Scandinavia, S. 74.

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sche König Waldemar II. bei. Für 1207 ist dann die Einrichtung eines Konvents auf der »Insel Tuta« verzeichnet.58 Die Abteil Tuterø (Tautra) wurde durch Mönche aus dem Kloster Lyse unweit von Bergen besiedelt. Es gehörte zur Linie von Clairvaux, stand mit ihr jedoch über England in Verbindung. Denn das Mutterkloster von Lyse war die Abtei Fountains in Yorkshire, die ihrerseits von Zisterziensern aus Clairvaux besiedelt worden war.59 Dass dieses Kloster in den Annalen von Kolbatz erwähnt wird, ist recht unerwartet angesichts der großen geographischen Entfernung, da dieses Kloster noch jenseits von Trondheim auf der norwegischen Insel Tautra lag. Bei der Anlage von Zisterzienserklöstern in Norwegen mag der Erzbischof von Lund, Eskil, eine gewisse Rolle gespielt haben, aber es ist schwierig, den Eintrag zum Kloster der Allerheiligsten Jungfrau Maria in Tautra für 1207 oder später in den Annalen von Kolbatz damit zu begründen. Die wahrscheinlichste Erklärung für die Entstehung dieses Eintrags in Kolbatz scheinen Kontakte mit dänischen Klöstern zu sein – in erster Linie sicherlich Esrum –, bei denen die Entstehung eines räumlich so fernen Klosters notiert worden sein kann. Vielleicht war diese Information aber auch nicht aus Norwegen, sondern aus Clairvaux nach Dänemark gekommen. Für 1209 ist die Ankunft von Mönchen aus Doberan in Dargun verzeichnet.60 Dies bedeutet, dass die zweite Stiftung des Klosters Dargun im Rahmen der Filiationslinie von Morimond erfolgt ist.61 Das nächste Kloster, das in den Annalen von Kolbatz verzeichnet ist, ist Kloster »Cena« im Jahr 1227.62 Gemeint ist Kloster Zinna, besiedelt vermutlich von Mönchen aus Altenkamp im Rahmen der Filiationslinie von Morimond. Nach den Annales Cistercienses erfolgte diese Neugründung 1226.63 Für das Jahr 1233 ist die Ankunft eines Konvents in Neuenkamp verzeichnet.64 Gestiftet wurde das Kloster vom Rügener Fürsten Wisław I. Auch hier kamen die ersten Mönche aus Altenkamp. Der Stiftungsprozess hatte bereits 1231 begonnen, als Gründungsdatum gilt 1232 bzw. 1234.65 Die vorletzte der in den Annalen von Kolbatz verzeichneten Klosterstiftungen betrifft das Kloster »Parsent« im Jahr 1255.66 Das war der Name eines Dorfs, das einst den Prämonstratensern übertragen worden und später in die Hände der

58 59 60 61 62 63 64 65

Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484. Janauschek: Originum, S. 213; Eberl: Cystersi, S. 54–55. Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484. Reimann et al.: Dargun, S. 146. Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484. Janauschek: Originum, S. 163–164; Schmidt: Kloster Zinna, S. 50–51; Schmidt: Zinna, S. 1360. Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484. Niemeck: Die Zisterzienserklöster, S. 12–54; Hoogeweg: Die Stifter, 2, S. 123–126; Bulach et al.: Höfe und sonstige Besitzungen, S. 1270, 1272, 1296; Wichert et al.: Rügens Mittelalter, S. 17–31. 66 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484.

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Zisterzienser gelangt war.67 Das Kloster, das Parsent besaß, war das in Chorin. Aber schon im 12. Jahrhundert hatte Otto I., ein Markgraf aus der Dynastie der Askanier, am Parsteiner See ein Kloster errichten lassen. Als Filialkloster von Lehnin gehörte es der Linie von Morimond an. Es wurde später an den Choriner See verlegt. Nach der Mitte des 13. Jahrhunderts tritt eine längere Pause bei den Klostergründungen ein. Die letzte in den Annalen von Kolbatz verzeichnete Gründung betrifft das Jahr 1294 und das Kloster Marienwalde (poln. Bierzwnik). In diesem Fall wurde sogar der Tag der Ankunft des Konvents angegeben: der Tag des heiligen Barnabas, also der 11. Juni.68 Kolbatz soll bereits 1286 Besitzungen an die Neugründung abgetreten haben. Als Stifter traten Otto IV. »mit dem Pfeile«, sein Bruder Konrad und dessen Sohn Johannes aus der askanischen Dynastie aus Brandenburg in Erscheinung.69 Es fällt auf, dass in den Annalen von Kolbatz anfangs Klöster der Linie von Clairvaux entschieden in der Überzahl sind. Die einzige Ausnahme hiervon war in den ersten Jahren die Nachricht über die Stiftung des Klosters Heerevad durch Cîteaux 1144. Weitere Stiftungen aus dieser Linie sind für die Jahre 1162, 1172 und 1173 erwähnt. Erst nach und nach erwähnen die Annalen auch Klöster der Morimonder Linie. Das erste Beispiel hierfür ist die Erwähnung von Doberan 1170. Später kamen einige weitere Klöster der Morimonder Linie in Mecklenburg und Brandenburg hinzu. Insgesamt erwähnen die Annalen 15 Stiftungen der Linie von Clairvaux, 7 der Linie von Morimond und vier aus der Linie von Cîteaux. In territorialer Hinsicht fällt auf, dass die ersten erwähnten Klöster die im schwedischen Alvastra und Nydala sind. Danach folgt eine ganze Gruppe von Klöstern in Dänemark selbst, Schonen und Jütland. Die dänischen Zisterzienserstiftungen sind im Prinzip ausnahmslos erwähnt. Einen Sonderfall bildet die Erwähnung des weit entfernten Klosters auf Tuterø, zumal weitere norwegische Klöster wie Lyse oder Hovedö, die weiter südlich lagen, nicht genannt sind. Man gewinnt den klaren Eindruck, dass nach der Verbringung der Handschrift nach Kolbatz begonnen wurde, auch Klöster der Morimonder Linie zu erwähnen, namentlich in Mecklenburg und Brandenburg. Dabei ist allerdings zu bemerken, dass die Aktivität von Clairvaux in Dänemark zu jener Zeit eingestellt wurde und so keine weiteren Klöster dieser Filiation gegründet wurden. Bei der Erinnerung an die zisterziensischen Stiftungen in den Annalen von Kolbatz kann man also zwei Perioden unterscheiden: die anfängliche Dominanz der Klöster nach der 67 Janauschek: Originum, S. 253. 68 Prümers (Hg.): Pommersches Urkundenbuch, 1/2, S. 484. 69 Janauschek: Originum, S. 265–266; Wyrwa: Opactwa, S. 62; Rymar et al.: Bierzwnik, S. 18–19; Gahlbeck: Marienwalde, S. 860.

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Filiation von Clairvaux und die hieran anschließende Vorherrschaft von Klöstern der Morimonder Linie. Dies hing mit weiteren Etappen in der Expansion der Zisterzienser in den betreffenden Teilen Europas zusammen: Zuerst entstanden die Clairvaux affiliierten Klöster in Dänemark und den mit Dänemark im 12. Jahrhundert verbundenen Nachbarterritorien, später die Filialgründungen von Morimont im Nordosten Deutschlands. Dass sich die Autoren der Annalen von Kolbatz anfangs auf die Linie von Clairvaux konzentrierten, zeigt sich daran, dass zum Beispiel die Gründung des Mutterklosters erwähnt wurde, die der übrigen frühesten Zisterzienser-Abteien jedoch nicht. Wahrscheinlich spielte diese Perspektive während der ersten Phase, in der die Annalen in Dänemark entstanden, noch einer Rolle. Später rückte dann der territoriale und der auf den gesamten Zisterzienserorden bezogene Blick in den Vordergrund. [Übersetzung: Edyta Grotek, Elz˙bieta Marszałek und Reinhard Lauterbach]

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Ingrid Ehlers-Kisseler

Das Marienpatrozinium und die Marienverehrung bei den frühen Prämonstratensern und Prämonstratenserinnen

Abstract: Patronage and the Cult of Mary Among Male and Female Premonstratensian Orders It is likely that Mary was initially the patron of all Premonstratensian foundations. In order to distinguish them, terms referring to the location and character of a given place (e. g. mountain, valley) or epithet of Mary were added to the nomenclature. The names of other patrons were often added to the name of the foundation. In addition to the preferences of individual superiors and adaptation to local traditions, the naming of a given Marian monastery may have been somewhat influenced by the fact that not every one had Marian relics. Four Marian feasts seem to have been celebrated relatively early on. The importance of Mary to the order is also evident in the Masses, feasts celebrated, hymns, antiphons and sequences, as well as in the important works produced by its members (e. g., Lucas of MontCornillon and Philip of Harvengt). Reports of Norbert’s visions seem to have been circulating as early as the mid-12th century, several of them included in the two Vitae dedicated to him. Later, they were combined with the legend of the passing of the rule by St. Augustine and the habit of the Order by Mary herself. Keywords: Marian patronage; Marian cult; Premonstratensian male and female orders

Helmut Flachenecker hat sich vielfach mit Patrozinien beschäftigt – den heiligen Kilian als Würzburger Patron hier nicht eingerechnet – genannt seien hier nur die Arbeiten zum heiligen Mauritius, zu Jakob dem Älteren und zu den Heiligen Willibald und Walburga.1 Zudem war vor allem während seiner Zeit in Göttingen sein Augenmerk auch auf die Prämonstratenser gerichtet, die einen Themenschwerpunkt der Germania Sacra ausmachten.2 Was liegt da näher, als sich mit dem Patrozinium zu beschäftigen, dem sich der Orden der Prämonstratenser

Dr. Ingrid Ehlers-Kisseler, Bad Nauheim. 1 Flachenecker: Der Heilige Mauritius; Ders.: Jakobusverehrung; Ders.: Kirchliche Identitätsstiftung; Ders.: Die Kartierung; Ders.: Patrozinienforschung. 2 Vgl. vor allem die zwei von ihm 2003 und 2006 mitherausgegebenen Bände: Crusius et al.: Studien und Flachenecker et al.: Oberzell.

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unterstellte und das sich bei den meisten Stiften des Prämonstratenserordens nachweisen lässt, nämlich dem Mariens. Es steht außer Frage, dass die Marienverehrung im 12. Jahrhundert bereits bedeutend war. Zwei Beispiele seien genannt: Die Kanoniker von Laon konnten die Reliquien der heiligen Maria von Laon nach Frankreich und nach England geleiten und bedeutende Summen Geldes einwerben, damit sie ihre durch einen Brand geschädigte Kathedrale Sainte-Marie wiedererrichten konnten.3 Ausführlich berichtet Hermann von Tournai in seinem drei Bücher umfassenden Werk über die Wunder der Reliquien der Gottesmutter von Laon auf diesen Reisen.4 Auch Guibert von Nogent berichtet von diesen Reisen, kennt aber noch eine kurze erste Reise durch die Umgebung von Laon noch vor der Wahl des Bischofs Bartholomäus durch die Kanoniker von Laon, die vermutlich unter Führung des Scholasters Anselm zum Wiederaufbau Laons beitragen wollten.5 Das andere Beispiel stammt aus der Zeit der Bischofsvakanz in Utrecht (1112– 1114), wo sich in einem Teil der Diözese der Wanderprediger Tanchelm (†1115) und seine Anhänger ebenso durchgesetzt hatten wie in Antwerpen.6 Die Utrechter Domkanoniker schrieben an den Kölner Erzbischof Friedrich I., der Tanchelm festgesetzt hatte, und bezichtigten ihn der Häresie, da er behaupte, er habe sich Maria vermählt: Er habe nämlich ein Bildnis aufstellen lassen, seine Hand darauf gelegt und gesagt: »Meine Geliebtesten, ich habe mich mit der Jungfrau Maria vermählt, ihr sollt nun die Brautgeschenke besorgen und für die Hochzeitskosten aufkommen«.7 Und damit hatte er offenbar bei der Bevölkerung solchen Erfolg, dass er die Utrechter Kanoniker gegen sich aufbrachte. Deren Interessen und was von dieser Schilderung ihrer Polemik geschuldet ist, hat Miriam Czock sehr anschaulich herausgearbeitet.8 In Utrecht hatte der Papst dem reformfreudigen Bischof Johann I. (von Warneton) von Thérouanne (†1130), der vorher Kanoniker in Lille gewesen und dann in Saint-Eloi eingetreten war, Zeeland für die Zeit der Vakanz übertragen. Dieser regulierte zunächst die Abtei Beatae Mariae Virginis in Middelburg auf der Insel Walcheren und setzte dann seit 1127 Prämonstratenser aus der von Norberts Freund, Bischof Burchard von Cambrai, mit Prämonstratensern be3 Saint-Denis (Hg.): Hériman de Tournai: Les miracles de Sainte Marie, S. 27–30. 4 Ebd.: Liber I–II beschreiben die Wunder, die sich auf den Reisen der die Reliquien der Maria von Laon (zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Domkirche von Laon) in Gallien (Buch I) und Britannien (Südengland) (Buch II) einstellten. 5 Kaiser et al. (Hg.): Guibert von Nogent: Monodiae, hier 2, S. 558–560, lib. III, cap. 12 (schildert die ersten beiden Reliquienfahrten), hier Nr. 34–44. Ebd., III, cap. 13 (England-Reise). 6 Epistola Traiectensis, S. 521–524, Nr. 309 mit der Datierung auf die Zeit der Bischofsvakanz in Utrecht: 1112, nach Mai 16–1114, nach Mai 20. 7 Epistola Traiectensis, S. 523, Z. 16–17: »›En‹, inquit, ›dilectissimi, virginem M. mihi desponsavi, vos sponsalia et sumptus ad nuptias exhibite‹«. 8 Czock: Tanchelm als Antichrist, S. 69–88.

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setzten Abtei St. Michael in Antwerpen dort ein.9 Vier Präbenden aus der SintMichielskerk in Antwerpen waren Norbert nämlich übergeben worden, während das Kapitel der Säkularkanoniker mit der Dotation der anderen acht Präbenden in eine Saalkirche im Zentrum in Antwerpen, die heutige Onze-Lieve-VrouweKathedrale, umzog.10 Als Hauptpatrozinium schloss Maria sich in der prämonstratensischen Niederlassung folglich aus, aber von der Sint-Michielskerk in Antwerpen aus wurde nicht nur 1127 die Onze-Lieve-Vrouwe-Abdij in Middelburg (in der gleichnamigen Gemeinde und Hauptstadt der niederländischen Provinz Zeeland),11 sondern auch um 1130 die Abteikirche Beatae Mariae Virginis in Tongerlo im Bistum Cambrai (bei Antwerpen in Westerlo)12 und um 1134/1135 die Abteikirche Beatae Mariae Virginis in Averbode (Teilgemeinde der flämischen Stadt Scherpenheuvel-Zichem) besiedelt.13 Nach der Sedisvakanz ist unter Bischof Godebold von Utrecht (1114–1127) nichts mehr von Tanchelm und seinen Gefolgsleuten zu hören. Norbert war nicht nur am Hof des Kölner Erzbischofs, als das Schreiben der Utrechter Kanoniker eintraf,14 er war auch nach seiner Bekehrung vom Siegburger Abt Cuno von Raitenbuch (1106–1126), dem späteren Bischof von Regensburg (1126–1132) unterwiesen worden.15 Cuno, der enge Mitarbeiter des Erzbischofs war ein glühender Anhänger der Marienverehrung, wie Rupert von Deutz attestiert.16 Auch in Klosterrath, das Norbert aufsuchte, ehrte man die Gottesmutter besonders.17 Und Norbert kam nach Laon, als dort die Kathedrale der heiligen Maria von Laon zu neuem Glanz kam.18 Diese Anmerkungen wurden hier an den Eingang der Untersuchung gestellt, um die Einflüsse deutlich zu machen, in deren Umfeld die Anfänge der prämonstratensischen Bewegung entstanden sind. 9 10 11 12 13 14 15 16

Dekker: De komst van Norbertijnen, S. 182–184. Van Moolenbroek: Een pastoral offensief, S. 7–24. Hendrikx: De geschiedenis, S. 26–63. Koyen et al.: Abbaye de Tongerlo, S. 263–375. Janssens: De stichtingsoorkonde, S. 5–47; Ders.: De stichting, S. 19–37. Ehlers-Kisseler: Die Ausbreitung der Prämonstratenser, Abb. 3, S. 76f.: Karte mit dem Itinerar. Sinderhauf: Cuno I., S. 1–125. Deutz et al.: Rupertus Tuitiensis: Commentaria, S. 86, Prolog: Z. 11–18: »Haec interim transisse videbantur et inveterata mihi erat memoria horum, cum ecce quidam de amatoribus Verbi Dei, ex te, o B. Virgo, incarnati, Cuno pater coenobii Sigebergensis, qui me paene dormitare volentem, nonnunquam excitavit et multis invigilare fecit, quam nescio per occasionem opportune importune mihi insistere coepit, ut scriberem aliquid huiusmodi, quale est hoc, quod nunc proposui«. 17 Deutz: Geistliches und geistiges Leben, S. 106–135. Vgl. zur Marienverehrung dort im Register: Marienoffizium. Die zahlreichen Einträge in den Consuetudines zeigen nicht nur, dass an Marienfesten besondere Vorkehrungen getroffen wurden, auch Gebete zu Ehren Mariens werden angeordnet, vgl. z. B. S. 131, 141–145 und öfter. 18 Ehlers-Kisseler: 900 Jahre Prémontré, S. 199–242.

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Dass der prämonstratensischen Marienverehrung aber ein besonderer Stellenwert zukommt, soll im Folgenden in drei separaten Betrachtungen gezeigt werden: Erstens werden die Marien-Patrozinien einzelner Stifte untersucht, zweitens beschäftigt uns der Ausdruck der Marienverehrung in Messen, Gebeten, Antiphonen und Hymnen und den Schriften der Prämonstratenser und drittens sollen besonders die Marien-Legenden, die in Zusammenhang mit Prämonstratenserkirchen stehen, in Augenschein genommen werden.

1.

Patrozinium

Von den ersten neun 1126 von Papst Honorius II. bestätigten Prämonstratenserstiften Sainte-Marie in Prémontré, Saint-Martin in Laon, beide im Bistum Laon, Sainte-Marie in Vivières (später Valsery) im Bistum Soissons, Sainte-Marie in Floreffe in der Diözese Lüttich, St. Maria, St. Peter und Paul in Cappenberg und St. Maria in Varlar, beide im Bistum Münster, St. Maria in Ilbenstadt im Bistum Mainz und St. Arnual in der Metzer Diözese sowie Sint-Michiels in Antwerpen im Bistum Cambrai, hatten folglich sechs bereits ein Marienpatrozinium,19 wobei die meisten Stifte durch Umwandlung bereits bestehender geistlicher Institute oder Kapellen entstanden waren. Auch in der Auflistung der Patrozinien der Prämonstratenser, die Norbert Backmund vorgenommen hat und die keineswegs vollständig ist, nimmt das Marienpatrozinium als Haupt- und als Nebenpatrozinium den größten Raum ein.20 Auch im alten Erzbistum Köln wiesen die meisten Stifte ein Marienpatrozinium auf, auch wenn es sich nicht überall nachweisen lässt.21 Das Problem des Nachweises resultiert daraus, dass zur Unterscheidung der Stifte Beinamen nötig waren, die dazu führten, dass in den Urkunden diese Namen genannt werden und nicht unbedingt das Patrozinium (siehe unten). Die bei Backmund genannten Haupt- und Nebenpatrozinien erscheinen oft erst viel später als die Gründung selbst – auch hier stehen weitere lokale Forschungen aus.22 Maria wurde die Patronin von Norberts erster Stiftung Prémontré23 (die allerdings bei einer Johann-Baptist-Kapelle entstanden war) und die Magdeburger 19 1126, Februar 16: Regest: Jaffé et al.: Regesta Pontificum, 1, Nr. 7244. Vgl. Felten: Norbert von Xanten, S. 113–115. 20 Backmund: Monasticon, 3, S. 505f. Zu den zahlreichen Marienstiften in der Gascogne und in Spanien vgl. Abadie: Prémontrés et frontières, S. 7–19; Ders.: Les abbayes, S. 21–92; Ders.: La circulation. 21 Ehlers-Kisseler: Die Anfänge, S. 156. 22 Flachenecker: Patrozinienforschung, S. 147, der anregt, verstärkt auch die Siegel und Wappen der Gründungen zu berücksichtigen. 23 Ehlers-Kisseler: 900 Jahre Prémontré, S. 199–242.

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Kirche, die Norbert unbedingt mit Prämonstratensern besetzen wollte, ist die Kirche Unser Lieben Frauen beim Bischofspalast.24 Norberts Verehrung Mariens, die auf dem Ideal der Urkirche, der Versammlung der Apostel um die Gottesmutter beruhte, ist unbestritten. Nach Bernard Ardura legte Norbert bei der Weihe der Kirche von Prémontré fest, dass auch alle weiteren Kirchen nach der Richtung von Prémontré Maria zur Patronin haben sollten.25 Im Folgenden geht es darum, dies zu belegen. Im Segensgebet bei der Professfeier im Prämonstratenserorden wird Maria als »in besonderer Weise Patronin unseres Ordens« (»nostrae religionis patrona praecipua«) bezeichnet.26 Und als solche wurde Maria von Beginn an gesehen. In diese Richtung weist auch die jüngere Vita Norberti B, die zwischen 1152 und 1155 entstanden ist, in der davon die Rede ist, dass Norbert, der einen Besessenen in Vivières exorzieren soll, sich mit der Bitte um erbarmende Fürsprache an die Gottesmutter wendet, die Patronin von Vivières, nachdem er den Besessenen mit dem Kreuzzeichen bezeichnet und durch Gebete zu exorzieren versucht hat.27 Zur Unterscheidung der zahlreichen Marien-Orte wurde weniger auf unterschiedliche Benennungen Mariens als Jungfrau (beatae Mariae virginis) oder Herrin bzw. Herrscherin (Frau/fruwe/domina) oder Gottesmutter (mater Dei / Redemptoris) und Gottesgebärerin (seltener genetrix) zurückgegriffen. Zwar erscheint bei dem flandrischen Stift St. Maria in Drongen (Provinz Oost-Vlaan24 Vita Norberti Archiepiscopi (weiter: Vita Norberti B), cap. 15, Nr. 94, Sp. 1325D: »Erat ante palatium episcopale haud longe sita ecclesia quaedam in honore sanctae Dei genitricis Mariae, in qua viginti canonici saeculares sub praeposito antiquitus constituti«. – Vgl. auch Hugo: Sacri et Canonici, 2, Sp. 169–186. 25 Ardura: Prämonstratenser. 26 Wolf: Trado meipsum ecclesiae, S. 240f (nach der Vorlage aus Prémontré, 14. Jh.): »Domine Iesu Christi, aeterni patris unigenite, qui nostrae mortalitatis tegimen in beatae Mariae virginis utero induere, et mundum a peccatis inveteratum per tuae incarnationis mysterium renovare dignatus es: te suplices exoramus, ut ipsa intercedente genetrice Maria, huius nostrae religionis patrona praecipua, super hunc famulum tuum N., abrenuntiationem saeculi profitentem, clementer respicere digneris, per quam in spiritu mentis suae renovatus, veterem hominem cum actibus suis exuat, et novum hominem, qui secundum deum creatus est, induere mereatur. Qui vivis et regnas cum deo patre in unitate spiritus sancti, deus in saecula saeculorum.« Vgl. Wolf: Trado meipsum ecclesiae, S. 241, mit Anm. 131. – Große Teile des Gebets sind schon in Schäftlarner Vorlage aus dem 12. Jh. enthalten. Vgl. die bei der Profess beim Ablegen des Zivilkleides und Anlegen des Ordenskleides nach dem Formular aus Schäftlarn geäußerten Worte: »Exuat te deus veterem hominem cum actibus suis, et induat te novum, qui secundum deum creatus est in iustitia et sanctitate veritatis«, Ebd., S. 32 mit Verweis darauf, dass dieses Gebet schon im Römischen Pontificale des 12. Jhs. zu finden ist, Ebd. S. 241. 27 Zur Datierung vgl. demnächst die Einführung in die Übersetzung der Vita Norberti B von Norbert Rebmann und Ingrid Ehlers-Kisseler. Vita Norberti B, cap. 13, Nr. 78, Sp. 1310B: »Tunc coepit hominem signare et exorcizare, donec quiesceret et sana verba proferret. Regabat siquidem orando sanctam Dei Genitricem, in cuius honore erat ecclesia consecrata, ut eius misereretur.«

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deren, Kanton Gent), wo schon 944 ein Kloster gewesen war, das dann Graf Iwein von Aalst, Herr vom Waasland und von Drongen, und der Säkularkanonikerpropst Odger um 1138 an die Prämonstratenser anschlossen, in erzählenden Quellen mit der Benennung nach der Gottesgebärerin bzw. Gottesmutter (Dei genitricis Marie monasterium Truncinensi).28 Aber eine Urkunde von 1145 spricht einfach von der Kirche der seligen Maria in Drongen (ecclesie Beate Marie Trunciniensis).29 Vier vornehmlich von den Prämonstratensern genutzte Möglichkeiten, die verschiedenen Marienkirchen zu unterscheiden, seien im Folgenden aufgeführt:

1.1.

Maria und die Ortsbezeichnung

Man konnte das Marienpatrozinium mit dem Ortsnamen kombinieren. In den Urkunden wurde dann abgekürzt und die Kirchen nur nach dem Ortsnamen angesprochenen, wie in den bereits genannten Marienkirchen in Middelburg, Tongerlo und Averbode – was geschah, um Verwechslungen zu vermeiden: Dadurch ist aber das Marienpatrozinium nicht immer sofort ersichtlich. Zu nennen wären hier auch das Marienstift in Berne, das der Stifter Folcold zunächst 1132 dem Abt von Klosterrath/Rolduc für eine Stiftsgründung übergeben, aber nach dessen Scheitern 1134 wieder entzogen hatte; anschließend übertrug Folcold sein Grundstück Gott und der seligen Jungfrau Maria zur Stiftsgründung durch den Abt von Marienweerd.30 Auch die frühen pfälzischen Gründungen St. Maria in Hane in Bolanden (Donnersbergkreis), das 1129 als »cella que vocatur Bonlande sancte Marie ad honorem« gegründet wurde, aber in der Folgezeit schlicht als Bonlanden/Bolanden oder Hane bezeichnet wurde,31 ebenso der Männerkonvent in Rothenkirchen, der 1227 als »beate Marie in Rotenkirchen« erschien.32 Auch erwähnt sei das Marienstift in Enkenbach (Landkreis Kaiserslautern), das 1254 ausführlich »ecclesie sancte dei genitricis Marie in Enkinbach«, meist aber nur nach dem Ort Enkenbach hieß,33 oder dasjenige in Gommersheim, das auch erst 1263 »ecclesiam sancte Dei Genitricis et Virginis Marie sancique Joannis Evan-

28 Meijns: De vestiging, S. 147. 29 Pycke et al.: Les actes, Nr. 360: 1145, März 7, Noyon: »Gosuino venerabili abbati ecclesie Beate Marie Trunciniensis«. 30 Vgl. Pertz (Hg.): Annales Rodenses, S. 710, Z. 9–23 – zu 1132; Boeren et al.: Annales Rodenses, S. 76. Die Gründungsurkunde für Berne von Bischof Andreas von Utrecht von 1134, Muller et al.: Oorkondenboek, 1, S. 321, Nr. 350; Van Rij (Hg.): Het stichtingskroniekje, cap. 2, S. 120 und cap. 8, S. 126. Später hatte Berne das Patrozinium Johannes des Täufers. 31 Burkhart et al.: Hane, S. 43–73. 32 Dies.: Rothenkirchen, S. 697–734. 33 Keddigkeit et al.: Enkenbach, S. 378–404.

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geliste in Gummersheim« tituliert wurde, sind hier zu nennen.34 Zu erwähnen sei auch das Marienstift in Heinsberg (»cenobium […] sancte Marie prope castrum«), das folglich meist »Hinsperga« bzw. »Haynes/Haimsberg« hieß.35 Zuletzt vorgestellt sei das Marienstift in Bedburg, »ecclesiae beate Marie de Betebur«, das schlicht »Bedbur(e)« oder »Bedburg« genannt wurde.36

1.2.

Maria und die umgebende Landschaft

Häufig wurde – zumal wenn kein bereits bekannter Ort in der Nähe zu finden war – auf die unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten hingewiesen. Nach dem Wald benannten sich beispielsweise das wohl noch unter Norbert gegründete lothringische Sainte-Marie-au-Bois lat. Sancta Maria in Nemore, später auch Sancta Maria Mussipontana (weil es dann dorthin verlegt worden war), im Tal bei Pont-à-Mousson, zwischen Metz und Nancy und in der Diözese Toul gelegen (Département Meurthe-et-Moselle, Arrondissement Nancy, Kanton Pont-à-Mousson, Gemeinde Prény). Der mit Norbert bekannte Herzog Simon I. von Lothringen soll vor seinem Tod im Januar 1139 die Gründung der Abtei Sainte-Marie-au-Bois bei seinem Schloss in Prény beschlossen und Riéval unterstellt haben.37 Die Kanoniker verließen später den Ursprungsort und zogen 1140 ins Stift Nôtre-Dame et Saint-Etienne in Sainte-Marie-au-Bois.38 Nach dem Wald hieß auch das von Scheda aus gegründete Stift Mariawald in Berentrop in Westfalen, das als »Silva Sanctae Mariae, que vulgo Bertelindorp dicitur« erscheint, und vor 1217 schon bestand.39 Zu unterscheiden ist es von Frauenwald in Thüringen, »Silva Dominarum« bzw. »Frauen auffm Wald«, dem Tochterstift von Veßra, das 1218 fassbar wird.40 Das erst seit 1229 mit dem Nebenpatronat St. Nikolaus bezeichnete Dünnwald41 wurde um 1160 vom Kölner Propst Gott34 35 36 37 38 39 40

Schnabel et al.: Gommersheim, S. 613–632. Preuss: Heinsberg; Peters: Klosterrath, S. 7–17. Ehlers-Kisseler: Die Anfänge, S. 44–48, S. 142. Vgl. auch Lieven: Adel, S. 101. Parisse: Naissance, S. 5. Ardura: Abbayes, S. 489–491. Ehlers-Kisseler: Die Anfänge, S. 155. Backmund: Monasticon, 1/1–2, 1983, S. 131; Wölfing: Das Prämonstratenserkloster, Nr. 320, S. 178f (1348, Februar 3). 41 1229: Regest: Korth: Zur Geschichte, 20, Nr. 32, S. 66: Kunegundis, Äbtissin, und der Konvent von Rolandswerth verpachten dem Stift Dünnwald (ecclesia beati Nicolai) 28 Morgen Rottland, die zu ihrem Freihof Vuenheim (Owinheym) gehören, gegen einen jährlichen Zins von einem Denar für den Morgen mit der Verpflichtung, beim Tode des Steinfelder Abtes Macharius und seiner Nachfolger Kurmede in der Höhe der Pacht zu zahlen. – 1244: Regest: Korth: Zur Geschichte, 20, Nr. 39, S. 67: Magistra und Konvent von St. Maria und St. Nikolaus zu Dünnwald beurkunden, dass die nun verstorbene Elisabeth von Santkulen dem Stift siebzehneinhalb Morgen zu Remagen im Werte von fünfundzwanzig Mark unter der Be-

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fried von St. Gereon in Köln eindeutig als Marienstift Dünnwald, »ecclesia sancte Marie in Dunwalt«, angesprochen und ebenso in weiteren Urkunden der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts und im darauffolgenden Jahrhundert.42 Und zu den Waldbezeichnungen zählt auch der des Marienbusch bzw. »rubus sanctae Mariae« genannten, 1224 von Anastasia, der Witwe des Herzogs Bogislaw I., auf ihrem Gut (heute polnisch Wyszkowo) bei Trzebiatów (Treptow an der Rega) im heutigen Powiat Gryficki (Kreis Greifenberg) der polnischen Woiwodschaft Westpommern gegründeten und dann 1286 nach Treptow (St. Maria und Nikolaus) transferierten Stifts, das bis 1573 bestanden hat. Das Stift war aus Friesland mit Frauen aus Bethlehem besiedelt worden.43 Mit einer Rodung kombinierte man mehrere Marienstifte: Mariaroth hieß auch »Mariae rode« bzw. »cella Rode iuxta Mosellam«, im damaligen Erzbistum Trier (heute in Dieblich in Rheinland-Pfalz), das vielleicht schon als Doppelstift zwischen 1121 und 1132 für Prämonstratenser als Tochter von Floreffe gegründet wurde.44 Ganz ähnlich klingt Frauenroth nördlich von Bad Kissingen, was aber wohl von Beginn an zisterzienisch war.45 Ebenfalls konnte eine Lichtung, Wiese und Ähnliches mit Maria verknüpft werden. Nach Sandra Groß hieß Königsbreitungen aber erst seit frühestens 1285 Frauenbreitungen.46 Nach dem Tal benannten sich Marienthal im alten Erzbistum Mainz (in Rockenhausen, Donnersberg-Kreis, Rheinland-Pfalz), das von Ludwig von Arnstein gestiftet wurde und 1215 als »cenobio sororum in valle sancte Marie« erscheint.47 Außerdem Mariatal/Maisental in Ravensburg im alten Bistum Konstanz.48 Und das von Mathilde von Hombourg, Tochter des Grafen von Dabo und Gattin des Grafen von Metz, 1156/57 errichtete Nôtre-Dame de Salival, Salva Vallis oder

42

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dingung geschenkt habe, dass ihrem Sohne Gerhard Albus oder dessen Bevollmächtigten jährlich fünfzehn Solidi zur Auszahlung einer Rente an seine beiden in Dünnwald lebenden Schwestern Gertrud und Elisabeth übergeben werden. – 1244, Mai 21: Regest: Korth: Zur Geschichte, 20, Nr. 40, S. 68: Magistra Elisabeth und der Konvent von Dünnwald verkaufen dem Stift Sayn einen Morgen Ackerland bei Thür (»ego Elisabet magistra et conventus sancte Marie et sancti Nicolai in Dunewalt abbati et conventui Seynensibus ordinis Praemonstr. iornalem terre ararbilis apud Thure vendidimus de communi consensu pro XXX solidis«). O. D. (ca. 1160): Regest: Korth: Zur Geschichte, 20, Nr. 10, S. 59f. – O. D. (ca. 1158–1168): Druck: Hoeniger: Die Kölner Schreinsurkunden, 2, 1, S. 84: »St. Marie in Dunewalt et fratribus et sororibus ibidem congregatis«. – o. D. (ca. 1163–1168): Druck: Ebd., 2, 1, S. 83: »ecclesie s. Marie in Dunewalt«. – (ca. 1170–1182): Druck: Ebd., 1, S. 251: »fratres et sorores s. Marie in Dunewalt«. – (1197): Regest: Korth: Zur Geschichte, 20, Nr. 19, S. 62–63; Druck: Lacomblet: Urkundenbuch, 1, Nr. 560, S. 396: »ecclesie beate Marie in Dunwalt«. – (ca. 1207–1212): Druck: Hoeniger: Die Kölner Schreinsurkunden, 2, 1, S. 190–191: »conventus s. Marie de Dunewalt«. Conrad: Pommersches Urkundenbuch, 1, Nr. 222; Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34. Müller: Vir religious, S. 292–295; Backmund: Monasticon, 1/1–2, 1983, S. 229f. Backmund: Monasticon, 1/1–2, 1983, S. 163 (bei den Praetermissa). Groß: Frauen- und Männerstifte, S. 29. Backmund: Monasticon, 1/1–2, 1983, S. 129–131. Schnabel et al.: Marienthal, S. 39–59. Wieland: Prämonstratenserinnen, S. 73–97.

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Salina Vallis (Dép. Moselle, arr., can. Château-salins, comm. Morville-lés-Vic).49 Außerdem wird auch Lidlum (Pfarrei Osterbierum, Baaradeel in der Provinz Friesland, gegr. vor 1162/1182? gestiftet, Bistum Utrecht) zugleich als »Vallismariae, Vallis Sancte Marie, Mariendal oder Vrouwendal« bezeichnet.50 Und Cappelkin oder Zoetendaal hieß »Vallis Beatae Mariae Virginis, Vallis Dulcis« oder einfach nach dem Dorf Serooskerke, 1215 gegründet in Zeeland, nicht weit von Middelburg im Bistum Utrecht. Im Totenbuch von Ninove wird der Abt Nikolaus von Middelburg (1246–1302) als Gründer Zoetendals zum 12. Oktober genannt: »Nicholai fundatoris Vallis Sanctae Mariae«.51 Das Tal erscheint ebenso in Nôtre-Dame de Belval (Val-Sainte-Marie) in der Reimser Diözese (Département Ardennes, Arrondissement und Kanton Vouziers, Gemeinde Belval-Boisdes-Dames), das zwischen 1120 und 1130/1133 von Raoul, dem Abt von SaintPierremont, unter Bischof Albero (von Chiny) von Verdun für Augustinerchorherren des Verbandes von Pierremont gegründet wurde, dann bald darauf die Gewohnheiten von Prémontré annahm.52 Und auch Beatae Mariae Virginis in Leliendaal in Hombeck bei Mecheln, auch »Vallis Liliorum«, in der Diözese Cambrai gelegen und vor 1233 gegründet, ist hier zu nennen. Die ersten Frauen kamen aus Gempe.53 Liliental verweist auf das Attribut der Lilie, das nach der Deutung des Hohelieds auf Maria hin ihr zugeordnet worden war. Nach dem Berg hießen Hopels, auch »Mons Sanctae Mariae in Happelsa« genannt, bei Dokkum (Bistum Bremen, um 1290, Priorat in Friesland),54 und auch das erst 1435 prämonstratensisch gewordene Harlungerberg/Marienberg wurde »Sancta Maria in Monte Harlungo« genannt.55 Das von Schorn in der Eiflia Sacra genannte Marienburg56 beruht wohl auf einer Verwechslung mit dem in der Lütticher Diözese gelegenen Verofle, auch Mariembourg (heute Belgien, Wallonien, Provinz Namur, wallonisch Mariyambour), im westlichen Teil der belgischen Ardennen. Vermutlich wurde 1134 von Mathilde de Verofle auf Bitten Bischof Alexanders von Lüttich Gut zur Gründung gegeben, auf dem Abt Gerland von Floreffe um 1175–1178 ein Frauenstift einrichtete, das bis um 1270 blühte, danach wurde es ein von Floreffe abhängiges Priorat.57

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Parisse: Naissance, S. 6. Ardura: Abbayes, S. 234f. Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34. Van de Perre (Hg.): Het necrologium, S. 153. Parisse: Naissance, S. 4 (Parisse geht von 1133 für die Augustinerchorherren und 1135 für die Prämonstratenser aus); Albert: Bistum Verdun, S. 799; Ardura: Abbayes, S. 120–124. Houtman: Prieuré de Leliendaal, S. 397–418. Schäfer: Hopels, S. 820–822. Seebacher et al.: Brandenburg / Havel, S. 307–325, Karten bis 328. Schorn: Eiflia Sacra, 2, S. 135: »Castrum St. Marie, Kreis Zell, Diözese Trier«. Backmund: Monasticon, 2, S. 402.

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Nach der Insel wurden Marienweerd, »Insula Beatae Mariae Virginis«, bei Kuilenburg in Gelderland, im Bistum Utrecht, 1129 benannt,58 ebenso Zennewijnen, »Sinus Sancte Marie«, die Propstei bei Tiel in Geldern in den Niederlanden im Bistum Utrecht, gegründet nach 1214, durch Aussiedlung der Frauen von Marienweerd (1229 kamen Frauen aus Füssenich dazu).59 Und nach der Insel Walcheren benannte man »Sancta Maria de Wallacria« nämlich das Stift Middelburg in Middelburg, der Hauptstadt von Zeeland, im Bistum Utrecht, 1127.60 Da die Urkunden meist Rechtsgeschäfte festhalten, geht es bei den Benennungen um eine eindeutige Bezeichnung einer Institution, die verhindert, dass es mit anderen gleichnamigen Stiften verwechselt werden könnte. Deswegen lösen Benennungen nach Orten und natürlichen Beschaffenheiten meist die einfache Bezeichnung ›Sancta Maria‹ ab.

1.3.

Epitheta Mariens

Zur Unterscheidung von anderen Marienkirchen griff man auch gerne auf Epitheta Mariens zurück. Sie beruhten einerseits auf Formulierungen, die beispielsweise in Antiphonen, Hymnen und anderen liturgischen Texten auf Maria gedeutet werden, andererseits auf der Ausdeutung des Hohelieds auf Maria hin. Sie zeigen zugleich, wie eingebunden die Prämonstratenser in den theologischen Diskurs ihrer Zeit waren. Nicht nur Philipp von Harvengt, der spätere Abt von Bonne-Espérance, verfasste einen Hohelied-Kommentar (Commentaria in Canticum Canticorum),61 in dem er das Hohelied als Dialog Christi mit Maria interpretierte, und zwar in dem zwei Gruppen mit verteilten Rollen sprechen, nämlich einerseits der Bräutigam, das ›Wort‹ (verbum), also Christus mit seinem Gefolge, und andererseits die Braut (sponsa), die Jungfrau Maria und die Jungfrauen in ihrem Anhang,62 wobei Maria zugleich die Braut des Schöpfergotts ist und damit Schwester (soror) und Mutter Christi, die im Dialog mit ihrem Sohn und zugleich dem Bräutigam stand.63 »Mit seiner mariologischen Interpretation schließt Philipp sich an die so revolutionierende wie wirkmächtige Deutung an, die Rupert von Deutz be-

58 1129 (vor September 13): Druck: Muller et al.: Oorkondenboek, 1, Nr. 327. Vgl. Van Bavel: Beknopte geschiedenis, S. 261. 59 Backmund: Monasticon, 2, S. 338f.; vgl. jetzt: Van der Velden: Het voormalige, S. 7–69. 60 Backmund: Monasticon, 2, S. 306–211; Hendrikx: De geschiedenis, S. 26–63. 61 Lucas von Mont Cornillon: Moralitates, Sp. 181–490. Vgl. Sijen: Les oeuvres, S. 143–146. Zu Philipp vgl. Wouters: Filip, S. 41–43. 62 Stiene: Drei Augustinus-Biographien, S. 116f. und 145. 63 Antry et al.: Norbert, S. 222.

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gründet und Honorius Augustodunenesis nach ihm aufgenommen hat«.64 Rupert hatte gerade, weil er nicht »die vorliegenden Deutungen« einfach wiederholen sondern »jeden einzelnen Vers neu befragen« wollte, Skrupel gehabt, sein Werk zu verfassen, hatte aber dem Drängen Cunos von Siegburg nachgegeben.65 Ganz ähnlich ging es auch Abt Lucas von Mont-Cornillon († 1182), dem bescheidenen Schriftsteller dieser Prämonstratenserabtei, der sich selbst im Prolog als »schlechtesten unter den niedrigsten Dienern Gottes, als gebrechlich, schwach im Ausdruck und verachtenswert vor Gott« bezeichnet, der »von sich aus keine Weisheit besitze«;66 nur im Vertrauen auf Gott nahm er die Arbeit in Angriff und weil Bischof Milo von Thérouanne (1130–1159) ihn darum gebeten hatte, schrieb er seine Auslegung zum Hohelied nieder.67 Besonders viele friesische Stifte trugen Marien-Epitheta – beispielsweise Schildwolde mit dem Epitheton der Gnade ›Mariengenade‹ oder ›Gratia Sancte Marie‹ genannt, nach der Gnade, die Maria nach der Botschaft des Engels zukam: ›Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir‹68 – von denen Wittewierum, Bloemhof bzw. »Hortus Floridus«, Schildwolde und Heiligerlee wie Marienweerd allesamt von den theologisch versierten Pfarrern Feiko von Hallum, Emo von Huizinge und Herderic van Schildwolde gegründet und mit einer Pfarrei betraut worden waren.69 Mariengaarde, (H)Ortus Sanctae Mariae (unweit Hallum, Provinz Friesland Bistum Utrecht, 1163), die Gründung des Pfarrers Friedrich Feiko von Hallum, und ebenso das Schwesternstift Bloemhof, Floridus (H)Ortus, in Wittewierum in Friesland (Provinz Groningen), weisen auf das Epitheton des ›geschlossenen Gartens‹ (hortus conclusus) hin und knüpfen damit an das Hohelied an, das auf Maria hin gedeutet wurde.70 Friedrich Feiko soll unentwegt an die jungfräuliche 64 Ohly: Hohelied-Studien, S. 208–210. 65 Rupertus: Commentaria, hier: Einleitung, S. 14 und 23f. 66 Von Lucas von Mont Cornillon verfasst, fälschlich unter Philipps Namen ediert: Moralitates in Cantica Canticorum, Sp. 489–585, hier Sp. 490C: »Quibus inquam: Ego quidem, sicut supra dixi, pejor et ultimus sum servorum Dei, persona corporis infirma, sermo contemptibilis, vita satis coram Deo despicabilis, sapientia vero mea nulla est«. – Vgl. Petit: La spiritualité, S. 53, Anm. 1; Ders.: Spirituality, S. 57f, Anm. 21. 67 Milo ist der Text gewidmet, vgl. Petit: La spiritualité, S. 53; Ders.: Spirituality, S. 57f. 68 Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34, nennen: »Mariengaarde, Bethlehem (Vita Frederici cap. 33 mit verklaring); Mariendal (Lidlum), Mariengenade (Schildwolde), Marienbusch (Wischow), Mariengraf (Buweklooster) en Marienhof (Bakkeveen)«. Vgl. auch Lambooij: Sibrandus Leo, S. 130; Backmund: Monasticon, 2, S. 163; Jansen et al.: Kroniek. – Vgl. Biblia Sacra Vulgata, Lc 1,28: »[…] et ingressus angelus ad eam dixit have gratia plena Dominus tecum benedicta tu in mulieribus.« 69 Lambooij et al.: Vitae abbatum, Vita Sibrandi, Iarici, Ethelgeri, cap. 2, S. 354–356; cap. 58, S. 462–468; cap. 63, S. 472–478; cap. 66, S. 482; Lambooij: Sibrandus Leo, S. 154f. 70 Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34, 62, 65–68 (Einleitung), Vita Fretherici, cap. 29, S. 180, Z. 26–28: »Appelavitque nomen loci sui, cui circumduxerat fossatum iam in giro, Ortus Sancte marie, propter illius orti commendationem, cuius mentiototiens in Canticis Canticorum

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Gottesmutter gedacht und selbst im Schlaf das Ave Maria gebetet (Vita Fretherici, cap. 11) sowie jeden Samstag eine Votivmesse zu ihren Ehren gehalten haben. Und sie bewirkte ein Wunder auf seine Bitten hin (cap. 12). Als er bei einem Besuch der Frauengemeinschaft in Bethlehem (die er nach der Menschwerdung Christi durch die Gottesmutter so benannt hatte) erkrankte, wandte er sich voll Dankbarkeit an sie (cap. 41).71 Das vor 1230 in Friesland gestiftete Priorat Bakkeveen in Friesland im Bistum Utrecht, vor 1230, das dem Abt Siard von Mariengaarde unterstellt wurde, wird ebenso »Curia Sancte Marie« genannt,72 wie auch der Außenhof Marken (curia Mariae) auf der Insel, der in der Amtszeit Abt Sibrands (1230–1238) an Mariengaarde kam.73 Das friesische Stift Marne selbst hieß auch »Camera Sanctae Mariae«.74 Der Hof Mariens (curia), wie auch das Gewölbe (camera), die Kammer oder Zelle Mariens (cella), weisen einerseits auf den Raum hin, in dem Maria die Botschaft des Engels empfangen hatte, andererseits bezeichnete es das Brautgemach der Braut und weist damit auf das Hohelied hin. Im Hohelied ist an Stelle von curia oder camera von cellaria oder cella die Rede.75 Vom Brautgemach der Braut, die hier als Maria selbst gesehen wird, spricht Philipp von Harvengt in seinem Kommentar zum Hohenlied, das Johannes der Evangelist sieht: »Er schaute das Wort, das da Fleisch geworden im jungfräulichen Brautgemach der Mutter. Er schaute die Schätze der Weisheit und Wissenschaft, für ihn in durchsichtiger Klarheit erhellt, für die Klugen und Weisen der Welt durch einen darüber hängenden Schleier ins Dunkel gehüllt«.76 So wie Christus als Mensch von Maria geboren wurde, so trat er durch sie in die Welt ein: So ist auch die Pforte (porta) als Marienepitheton gängig, kommt seit dem 7. Jahrhundert in Marienhymnen vor77 und erscheint auch im Hohelied.78

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replictur«; cap. 40, S. 203–206 (Qualiter Steenvelt pro paternitate domus sue advenit). – Maria als Garten (hortus conclusus) ist eine Beschreibung Mariens in Anlehnung an das Hohe Lied vgl. Biblia Sacra Vulgata, Cant 4,12: »hortus conclusus soror mea sponsa hortus conclusus fons signatus«. Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34 (Einleitung). Vgl. Vita Fretherici, cap. 6, S. 142–144, cap. 11, S. 150, cap. 12, S. 150–152 und cap. 41, S. 206–208. Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34, 47. Lambooij: Sibrandus Leo, S. 123, 165f, vgl. Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 359 mit Anm. 23. Ders.: Sibrandus Leo, S. 122, 155. Biblia Sacra Vulgata, Cant 1,3: »[…] trahe me post te curremus introduxit me rex in cellaria sua exultabimus et laetabimur in te memores uberum tuorum super vinum recti diligunt te; Cant 2,4: …introduxit me in cellam vinariam ordinavit in me caritatem«. Schreiber: Die Prämonstratenser, S. 14. Porta coeli / caeli / celi ist eine Bezeichnung Mariens als Mutter des Erlösers und Himmelskönigin und erscheint so in den Sequenzen und Antiphonen Ave maris stella, dei mater alma, atque semper virgo, felix caeli porta… (8. Jh.) oder Alma redemptoris mater, quae pervia caeli porta manes… (von Hermann von Reichenau, 1054) und Ave regina caelorum,

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Eines der Frauenstifte, das nach Emos von Wittewierum initiierter und von seinen Nachfolgern Menko und Folkert bis 1296 weitergeführten Chronicon abbatum in Werum, der Chronik von Wittewierum, 1204 von Marne gegründet wurde, hieß Porta Sanctae Mariae.79 Himmelspforte, »Porta Coeli« in GrenzachWyhlen in der Konstanzer Diözese80 oder Himmelspforten in Wien, »Porta Coeli Vindobonae«81 nehmen darauf Bezug. Das bei Neheim in Westfalen nahe bei der Prämonstratenserabtei Wedinghausen in Arnsberg (Hochsauerlandkreis) gelegene Himmelpforten an der Möhne (Kreis Soest) war wohl von Beginn an als Zisterzienserinnenkloster geplant.82 Auch Maria Engelport, »Porta angelica beatae Mariae virginis«, an der Mosel (Trais-Karden, Kreis Cochem-Zell), das 1272 prämonstratensisch wurde, ist hier zu nennen.83 Da im Hohelied auch der Weiher (piscina) erscheint,84 könnte das 1197/1198 gegründete Kölner Weiherstift, dessen Gründungsgut vor den Kölner Stadtmauern am Teich, der vom Gleueler Bach gespeist wurde, lag, zusätzlich auch daher seinen Namen bezogen haben: »conventualis ecclesia ad Piscinam in honore perpetue virginis Marie«.85 In der Diözese Verdun hieß ein Stift Nôtre-Dame de Annunciation oder L’Étanche, mit lateinischem Namen auch Piscina oder Stagnum (im Département Meuse, Arrondissement Commercy, Kanton Vigneulles-lès-Hattonchatel, in der Gemeinde Lamorville).86 Nach der Tradition holte der Verduner Bischof Albero III. (von Chiny) um 1135/1140, vielleicht auch erst 1144, Prämonstratenser aus Belval.87 Zum Verwechseln ähnlich das in der Diözese Metz um 1190 gegründete und 1215 den Prämonstratensern übergebene

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ave domina angelorum, salve radix, salve porta… (12. Jh.), sie ist eine der Anrufungen Mariens in der Lauretanischen Litanei, die zwar in der heutigen Form von 1531 stammt, aber auf mittelalterliche Wurzeln zurückgeht. – Bernt: Maria, Sp. 262f, verweist auf Fit porta Christi pervia (7. Jh.) und Salve porta perpetua. Biblia Sacra Vulgata, Cant 7,4: »[…] collum tuum sicut turris eburnea oculi tui sicut piscinae in Esebon quae sunt in porta filiae multitudinis nasus tuus sicut turris Libani quae respicit contra Damascum.« Jansen et al.: Kroniek, S. 7: »Surrexit etiam coenobium in Porta Ste. Mariae, per quendam bone memorie, qui tunc prefuit familie in Berethe, olim abbatem in Doccum.« 1304, April 14: Gmelin: Das Kloster, S. 359, Nr. 10. Backmund: Monasticon, 1/1–2, 1983, S. 386–388; Schedl: Klosterleben. Leidinger: Himmelpforten; Backmund: Monasticon, 1/1–2, 1983, S. 272 unter den Dubia/ Praetermissa. S. 170–172 zu Arnsberg-Wedinghausen. Backmund: Monasticon, 1/1–2, 1983, S. 202f. Biblia Sacra Vulgata, Cant 7,4: »[…] collum tuum sicut turris eburnea oculi tui sicut piscinae in Esebon quae sunt in porta filiae multitudinis nasus tuus sicut turris Libani quae respicit contra Damascum«. Lacomblet: Urkundenbuch, 1, Nr. 564, S. 393–396: »Iam dicta vero Rigmuodis post obitum mariti sui Gerardi divina inspiratione monita conventualem ecclesiam ad Piscinam in honore perpetue virginis Marie construxit«. Vgl. Ehlers-Kisseler: Die Anfänge, S. 89f. Nicht zu verwechseln mit dem Zisterzienserkloster L’Etanche bei Toul, 1148 von der lothringischen Herzogswitwe als Tochter von Tart gestiftet. Parisse: Naissance, S. 6.

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Nôtre-Dame de Belletanche/Belle-Tanche oder »Bellum Stagnum« (Dép. Moselle, arr., can et, comm. Metz), das von Salival abhängig war, dessen Frauengemeinschaft dort wohl lebte.88 Auch Verbindungen mit Stern, die das Epitheton Meerstern (maris stella) aufgreifen, wie z. B. Marienstern (in Swisttal-Essig, Rhein-Sieg-Kreis) im Kölner Erzbistum, das aus einem bestehenden Hospital am Pilgerweg hervorging, aber erst eine neuzeitliche Gründung ist,89 oder das französische Étoile, ecclesia de Stella, in der Diözese Chartres (Dep. Loire-et-Cher, arr. Vendôme, cant. SaintAmand-Longpré), das durch Umwandlung einer Benediktinerabtei um 1130 von Prämonstratensern besetzt wurde.90 ›Schöner Stern‹ hieß das in der Diözese Bayeux um 1190 gegründete und 1215 den Prämonstratensern übergebene Nôtre-Dame de Belle Étoile oder Bella Stella (Dép. Orne, arr. Argentan, can. Flers, comm. Cerisy-Belle-Étoile).91 Das Epitheton Stern ist der mit zwölf Sternen bekränzten Jungfrau der Offenbarung entnommen, die mit Maria gleichgesetzt wurde,92 der Stern des Meeres (stella maris), Meerstern, erscheint in den ältesten Mariensequenzen.93 Sogar Norberts erste Neugründung im Magdeburger Bistum, die mit Hilfe Ottos von Röblingen geschah und den Namen Gratia Dei erhielt, kann mit diesem Namen auch auf Maria angespielt haben (Lc 1,28),94 denn die Gründungsgeschichte dieses Stifts, die Fundatio Monasterii Gratiae Dei, die auf ca. 1180/1190 datiert wird, aber ältere Ursprünge hat, erzählt: »Darüber hinaus verständigten sie sich« – nämlich Erzbischof Norbert von Magdeburg (1126–1134) und Graf Otto von Röblingen – »dass an einem geeigneten Ort eine Konventskirche zu Ehren der Gottesmutter, der heiligen Thebäer, Viktor, Gereon und ihrer Gefährten errichtet werden sollte« – es handelt sich hier um das 1131 gegründete Prämonstratenserstift Gottesgnaden bei Calbe an der Saale – »da der ehrwürdige Erzbischof die Reliquien des seligen Viktor, weil dieser sein persönlicher Patron sei (cum patronus suus esset) aus Xanten mitgebracht habe einerseits als Schutzpatron und andererseits, weil er ihm und seinen Gefährten, der Thebä88 89 90 91 92

Ebd., S. 13f, Karte S. 9. Backmund: Monasticon, 1/1–2, 1983, S. 231. Ardura: Abbayes, S. 245–248. Ebd., S. 108–113. Apc 12,1–2: »et signum magnum paruit in caelo mulier amicta sole et luna sub pedibus eius et in capite eius corona stellarum duodecim (2) et in utero habens et clamat parturiens et cruciatur ut pariat«. 93 Beispielsweise in der Sequenz Ave maris stella, dei mater alma, atque semper virgo, felix caeli porta… (8. Jh.). 94 Biblia Sacra Vulgata, Lc 1,28: …et ingressus angelus ad eam dixit have gratia plena Dominus tecum benedicta tu in mulieribus [,,,] Lc 2,40: …puer autem crescebat et confortabatur plenus sapientia et gratia Dei erat in illo. – 1Cor 15,10: …gratia autem Dei sum id quod sum et gratia eius in me vacua non fuit sed abundantius illis omnibus laboravi non ego autem sed gratia Dei mecum. – und öfter.

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ischen Legion, durch heiligste Memoria Ehre erweisen wollte«.95 Das Epitheton der Gnade wurde bereits bei Schildwolde (Mariengnade) angesprochen und wurde beispielsweise durch Abt Adam von Dryburgh (1140–1212) in seiner Weihnachtspredigt ausformuliert.96 Vor allem aber drückte der Name die Dankbarkeit Gott gegenüber aus: Schon bei der Gründung Prémontrés soll Norbert nach Hermann von Tournai Bischof Bartholomäus gegenüber betont haben, dass an diesem Ort viele »durch die Gnade Gottes gerettet werden«.97 So wie Gratia Dei kann sich auch Bona Spes, wie die frühe im Hennegau liegende Gründung Bonne-Espérance (zunächst um 1125/1127 in Ramignies gegründet) im Bistum Cambrai hieß, auch auf Maria beziehen – die auch in der Antiphon Salve Regina mit dem Epitheton der Hoffnung98 angerufen wurde – und zu deren Ehren der Kanoniker Heinrich aus Bonne-Espérance die ganze Bibel abgeschrieben hatte.99 Die zeitgenössische Interpretation des Hoheliedes auf Maria hin (einzelne Verse wurden schon von den Kirchenvätern auf Maria hin gedeutet) – zunächst

95 Pabst (Hg.): Fundatio, S. 687, Z. 25–30: »Super his ergo ordinandis consilium inter se capientes in eo convenerunt, ut ecclesiam conventualem in loco competenti in honorem beatae Mariae virginis et sanctorum Thebeorum martirum, Victoris, Gereonis et sociorum eorum construeret, quia venerabilis archiepiscopus beati Victoris reliquias, cum patronus suus esset, de Xanto secum transportaverat, eiusque sanctissimam memoriam cum ratione patrocinii tum etiam sociorum Thebee legionis honorari volebat.« 96 Adamus Scotus: Sermones: Sermo 24: Item in die natali domini, 198, cap. 13, Sp. 233D: »diebus impletis, his videlicet virtutibus renuntiantes, pariet Maria filium: ostendet gratia, quam hic erga (91) nos occultam habuit sententiam pacis, et immobile nostrae electionis propositum. Quod quidem propositum, quoniam pacificum hic erga nos habuit, tunc plene monstrabit, quando gaudio nos aeterno remunerabit. Unde et hic dicitur: Et pannis eum involvit, et reclinavit eum in praesepio (Lc 2,7). Sp. 234A: Quod tunc quodammodo fiet, ut videlicet quod in utero portavit Maria pannis involvat, et praesepio reclinet; quando, prout de nobis in praesenti mater gratia cogitat delectabilibus aeternae felicitatis suavitatibus, et suavibus nos circumdabit delectationibus, in supernae nos illo patriae reponens secreto Ad hoc pertinere videtur verax illa beati Joannis assertio, et laeta promissio, quae talis est: Nunc filii Dei sumus, et nondum apparuit quod erimus; scimus quoniam cum apparuerit, similes ei erimus, quoniam videbimus eum sicuti est (1Jo 3,2); hoc est dicere: nunc de Galilaea ad Judaeam, de Nazareth conscendimus ad Bethlehem, quicunque de domo sumus ac familia David.« 97 Saint-Denis (Hg.): Hériman de Tournai: Les miracles, lib. III, cap. 4, S. 208: »Ille [scil. Norbertus] pre nimio gaudio exhilaratus, ›Hic, inquit, domine Pater, remanebo, quoniam ipsum locum istum michi scio a Deo esse destinatum. Hic requies et sedes michi erit, hicque per Dei gratiam salvabuntur multi.‹« 98 Salve regina, Mater misericordiae, / vita dulcedo / et spes nostra salve. / Ad te clamamur exules filii eve. / Ad te suspiramus gementes et flentes / in hac lacrimarum valle. / Eia ergo advocata nostra, / illos tuos misericordes oculos ad nos converte / et Iesum, benedictum fructum ventris tui, / nobis post hoc exsilium, ostende. / O clemens, o pia, / o dulcis Virgo Maria. 99 Macarenko: Ego, S. 139–141.

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in Ruperts von Deutz etwa 1125/1126 entstandenem Kommentar100 – dann aber in weiteren Werken, fußt auf der Aufnahme von Versstellen des Hohelieds in die Liturgie der Marienfeste, »insbesondere seit dem 9. Jahrhundert in die Lesungen der Nokturnen und die Antiphonen des Offiziums zum Fest Mariae Himmelfahrt am 15. August und im 12. Jahrhundert in das Offizium zum Fest Mariae Geburt am 8. September«.101

1.4.

Zubenennung nach Nebenpatronen

Im Ganzen gesehen zeigt sich, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass alle Kirchen zumindest ein Nebenpatrozinium der Gottesmutter aufwiesen. Aber so wie bei den ersten Stiftsgründungen Stifte mit einem anderen Hauptpatrozinium als dem Mariens waren, wie Saint-Martin in Laon Laon – in Laon gab es bereits die eingangs genannte Kathedrale mit dem prominenten Marienpatrozinium – oder in Sint-Michiels in Antwerpen, so nahmen viele Stifte Nebenpatrone zum Hauptpatrozinium hinzu. Auch in Antwerpen gab es bereits eine Kirche mit Marienpatrozinium. Einerseits konnte diese Hinzunahme erfolgen, weil ein Vorsteher die Verehrung seines persönlichen Patrons auch der Gemeinschaft ans Herz legte, wie Otto von Cappenberg die Verehrung Johannes des Evangelisten.102 In vielen mit Hilfe Cappenbergs initiierten Stiftsgründungen lässt sich das Johannespatrozinium nachweisen. Auch ein örtlicher Kult konnte die Hinzunahme eines Nebenpatrons fördern. Die allmähliche Betonung der anderen Patrone im Namen war möglicherweise eine der vielen Möglichkeiten, die vielen Marienkirchen zu unterscheiden. Dies geschah vor allem, wenn die Kirche oder Kapelle, die durch Umwandlung prämonstratensisch geworden war, bereits anderen Heiligen als Maria geweiht worden war, wie es in der Urkunde von 1126 von Cappenberg heißt: St. Maria, St. Peter und Paul in Cappenberg (vermutlich das Patrozinium der Burgkapelle – oder Petrus als Kölner und Paulus als Münsteraner Bistumspatrone).103 Zur Unterscheidung empfing auch das bereits genannte Gottesgnaden weitere Patrone und die andere frühe Gründung im Osten in Leitzkau zusätzlich zu St. Maria auch die Heiligen Peter und Eleutherius zu Patronen.104

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Deutz et al.: Rupertus Tuitiensis: Commentaria, Einleitung, S. 12 zur Datierung. Ebd., Einleitung, S. 19. Ehlers-Kisseler: Zum Patrozinium. 1126, Februar 16: Regest: Jaffé et al.: Regesta Pontificum, 1, Nr. 7244. Vgl. Ehlers-Kisseler: Zum Patrozinium, S. 8f. 104 Backmund: Monasticon, 1/2 1983, S. 298 (Leitzkau, Beatae Mariae virginis, Sancti Petri et Eleutherii). Vgl. auch Backmund: Monasticon, 3, S. 503.

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Zudem dürfte nicht jedes Marienstift auch Marienreliquien besessen haben, und da in zunehmendem Maße auch mit Hilfe der Reliquien Schutz und Hilfe erbeten wurde,105 könnte die Hinzunahme weiterer Patrone auch vor diesem Hintergrund erfolgt sein. Otto von Cappenberg zumindest vermachte seiner Stiftung ein bedeutendes Kopfreliquiar mit Johannesreliquien.106

2.

Marienverehrung in Messfeiern, Festen und Schriften der Prämonstratenser

Die Marienverehrung drückte sich auch in der Liturgie der Vigilien und Messfeiern, der Antiphonen, Hymnen und in den Gebeten sowie in zahlreichen Schriften des Prämonstratenserordens aus.

2.1.

Marienverehrung in Messfeiern

Für die Heilige Jungfrau Maria hatte Norbert in Moustier-sur-Sambre eine Messe gehalten, neben dem Totenoffizium, das er abhielt, »weil der Grund für den Hass, den Norbert dort beenden wollte, die durch die Fehde Getöteten sei«, wie die Vita Norberti B berichtet.107 Schon der Gregor dem Großen zugeschriebene Liber Sakramentorum betont anlässlich des Festes Mariae Verkündigung und Mariae Geburt, dass Maria im Jüngsten Gericht eine große Fürsprecherin sei.108 Und so wird in der Vita Norberti B betont, dass von Norberts ersten Begleitern der Subdiakon in der Maria geweihten Kirche in Valenciennes bestattet werden konnte, die Laien aber auf dem Friedhof von St. Peter vor den Mauern verbleiben mussten.109

105 Flachenecker: Patrozinienforschung, S. 146. 106 Görich: Cappenberg. 107 Vita Norberti B, cap. 6, Nr. 32, Sp. 1279C: »Sed tamen non post multum surgens ab oratione ecclesiam ingreditur et sacris vestibus praeparatus primo missam beatae Virginis Mariae, ut in Sabbatis fieri solet, celebrat; deinde missam illorum defunctorum, quorum mors extitit causa odii, quod pacificare volebat«. 108 Gregorius I: Liber sacramentorum, Sp. 52A: »Deus, qui in beatae Mariae virginis utero Verbum tuum, angelo annuntiante, carnem suscipere voluisti, praesta supplicibus tuis, ut qui vere eam Genitricem Dei credimus, ejus apud te intercessionibus adjuvemur […]«. Vgl. auch Sp. 52C–Sp. 53A). 109 Vita Norberti B, cap. 4, Nr. 24, Sp. 1274A: »Remansit itaque homo ad custodiendum infirmos suos, qui sequentibus infra octavam Paschae diebus beato fine in Domino quieverunt, e quibus duo laici sepulti iacent in suburbio apud Valentianas in ecclesia beati Petri iuxta forum in sinistro latere ad occidentem. Subdiaconus vero monachus effectus iacet sepultus in ecclesia Sanctae Mariae, quae in eodem oppido sita est«.

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Die tägliche Feier des Marienoffizium De Beata bezeugt Abt Lucas von MontCornillon. Denn in seinen Moralitates in Cantica Canticorumschreibt Abt Lucas: »So wie die heilige Kirche in ihrem täglichen Gebet spricht: ›Quasi cedrus exaltata sum in Libano‹ (Sir 24,7)« – im Wort ›täglich‹ wird das deutlich110 – und Lucas schreibt weiter: »So wie der Libanon als Schneeberg interpretiert werden kann, so wird er verglichen mit der Jungfräulichkeit Mariens. So nämlich wie die zur Materie gehörende Zeder im Libanon wird auch Maria durch Gott erhöht und glorifiziert und vorerwählt in ihrer Jungfräulichkeit«.111 Ende des 12. Jahrhunderts ist in Bedburg bei Kleve explizit von einer täglichen Messe zu Ehren Mariens die Rede (missa sanctae Domini matre in eadem aecclesia cottidie celebraretur).112 Und von Friedrich Feiko aus Friesland heißt es, er habe jeden Samstag eine Votivmesse zu Ehren Mariens in seiner Stiftung Mariengaarde mit dem zugehörigen Frauenstift Bethlehem gefeiert.113 Die sonntägliche Prozession endete mit einem Gesang zu Ehren der Gottesmutter.114 Und schon die ersten prämonstratensischen Schwestern beteten das kleine Marienoffizium.115 Von der Gräfin Guda von Arnstein, die als Inkluse in Arnstein, das sie mit ihrem Gatten Graf Ludwig von Arnstein gegründet hatte, lebte, ist ein Gebetbuch erhalten, das ein Mariengebet in deutscher Sprache mit Bitten für alle Mitglieder des Verbandes von Arnstein enthält und wohl von ihr selbst stammt.116 Die intensive Marienverehrung teilten auch die Regularkanoniker von Klosterrath, die ebenfalls das Marienoffizium zusätzlich zu den Horen beteten.117 Auch bei den Zisterziensern und ebenso bei Kartäusern, Eremiten, und vor allem bei den Cauliten, stand Maria im Zentrum.118 Mit allen diesen Reformern hatte Norbert in Verbindung und im Austausch gestanden.

110 Vgl. Petit: La spiritualité, S. 47, Anm. 1; Ders.: Spirituality, S. 49, Anm. 8. 111 Lucas von Mont Cornillon: Moralitates, Sp. 513B: »Sic enim sancta Ecclesia dicit in eius quotidiano servitio: ›Quasi cedrus exaltata sum in Libano‹ (Sir 24,7). Et quia Libanus, candidatio interpretatur, non immerito virginitati beatae Mariae comparatur. Sicut enim materialis cedrus in Libano fuit exaltata, sic beata Maria ob singulare privilegium suae virginitatis apud Deum est glorificata et praeelecta.« – Die Interpretation des Libanon als weißer Berg oder Schneeberg fußt auf Augustinus. 112 O. D. (1188–1190), August 13: Regest: REK II, Nr. 1370, S. 275 (zu 1188–1190); Druck: Sloet: Oorkondenboek, 1, Nr. 372, S. 368f. 113 Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34 (Einleitung) mit Verweis auf cap. 11 und 41. 114 Ebd., S. 34. 115 Van Waefelghem: Les premier statuts, S. 63f. Vgl. Krings: Weiblicher Zweig, S. 78. 116 Krings: Arnstein, S. 226–230. 117 Weinfurter et al.: Consuetudines, 1, Einleitung, S. 90. 118 Zauner: Zur Frühgeschichte, S. 328; Sonntag: Die Gesetzgebung, S. 34.

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Das Marienpatrozinium und die Marienverehrung

2.2.

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Marienverehrung in Festen

Drei Marienfeste wurden wohl von Beginn an als festum duplex im Prämonstratenserorden besonders gefeiert, nämlich neben Mariae Himmelfahrt (15. August) und Mariae Geburt (8. September), beide mit Oktav, feierlicher Prozession und Hochamt, noch Mariae Reinigung/Mariä Lichtmess (2. Februar). »Das vierte Fest, die Verkündigung (25. März) galt immer schon mehr als Herrenfest denn als Fest seiner Mutter (Annuntiatio Domini), und wurde von den Prämonstratensern auf den 13. Mai gelegt (Fest: S. Maria a martyribus; Weihegedächtnis des in eine christl. Kirche umgewandelten Pantheons)«.119 Nach Augustinus war der 25. März aber zugleich der eigentliche Sterbetag Christi.120 1297 wurden in Allerheiligen bei Oppenau im Schwarzwald diese vier Marienfeste feierlich begangen und denen, die das Stift besuchten, ein vierzig-tägiger Ablass gewährt.121 Sowohl Verkündigung wie Heimsuchung Mariens mit Schriftzitaten (Lk 1,28 und 1,45f) ließ der prämonstratensische Propst Johannes Magistri von Allerheiligen 1488 in der Wallfahrtskirche Mariae Krönung in Lautenbach in Glasfenstern darstellen.122 Die Wichtigkeit des Festes Mariae Geburt und die bedeutende Stellung, die Maria – auch in Bezug auf das Endgericht – bei den Prämonstratensern schon früh zukam, wie die Vita Norberti B bereits deutlich machte,123 wird auch von 119 Ardura: Prämonstratenser, S. 289–291. – In Friesland lassen sich die Feiern weiterer Marienfeste nachweisen, nämlich neben Mariae Reinigung/Lichtmess (Vita Siardi, cap. 23) und der eben genannten Maria Verkündigung auch Maria Heimsuchung: Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34. 120 Schreiner: Maria, S. 34. 121 1297: Generallandesarchiv Karlsruhe 34 Nr. 106 Pergament Ausfertigung 5 Siegel und 7 Siegel abgefallen: Als Transfix ist die Urkunde von 1352 Dez. 8 bestätigt (s. GLA 34 Nr. 107): Mehrere genannte Erzbischöfe und Bischöfe erteilen allen denjenigen, die an genannten Herrenfesttagen (Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten) und Marienfesttagen (Himmelfahrt, Geburt, Reinigung, Verkündigung) und dem Fest der Apostel Petrus und Paulus und aller anderen Apostel und Johannes des Täufers und des Evangelisten, der Märtyrer Stephan und Laurentius, des Erzengels Michael, der Bekenner Martin und Nikolaus, seligen Jungfrauen Margarethe, Katharina und Cäcilie und der heiligen Maria Magdalena das Stift Allerheiligen (Monasterium de omnibus sanctis ordinis premonstratensis argentinen. dioc.) einen vierzigtägigen Ablass. 122 Das Achsenfenster enthält die Reste einer ehemals auf zwölf Felder ausgedehnten partiellen Farbverglasung mit Stiftern, Wappen und Szenen der Verkündigung an Maria und der Heimsuchung Marias. Verloren sind das Stifterbild des Straßburger Bischofs Albrecht von Pfalz-Mosbach und das flankierende Wappen des Propstes von Kloster Allerheiligen, Johannes Magistri (1477–1492), der Propst selbst ist knieend zu sehen. Seine Fürbitte ist an die Jungfrau Maria gerichtet und lautet: Esto salutata virgo cu(m) prole beata / Et genetrix pia michi succurre maria (Sei gegrüßt selige Jungfrau mit dem Kind / und stehe mir bei fromme Mutter Maria): Johannes Magistri. 123 Siehe oben den Bericht, dass Norbert die Marienmesse zusätzlich zur Totenmesse feierte: Vita Norberti B, cap. 6, Nr. 32, Sp. 1279C.

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Lucas von Mont-Cornillon betont. Gemeinhin wird nämlich der Beginn des sechsten, des gegenwärtigen Zeitalters in der Weltgeschichte seit den Kirchenvätern mit der Geburt Christi bzw. Ankunft des Herrn (adventu domini) bezeichnet – so beispielsweise von Augustinus. Aber Lucas lässt es in den Moralitates noch davor beginnen: Während nämlich das fünfte Zeitalter von der Geburt Davids bis Mariä Geburt (ad nativitatem beatae Mariae) währte, »wie der König der Könige und ewige Priester nach der Ordnung Melchisedeks (Ps 110,4) bildlich angekündigt hat, dass er unter die Könige und Priester komme«, habe das folgende gegenwärtige sechste Zeitalter »mit der Entstehung Mariens (ab ortu beatae Mariae Virginis) begonnen und schließt mit dem Jüngsten Gericht«.124 Ab Entstehung Mariens heißt folglich Empfängnis Mariens (sonst zumindest Geburt Mariens), folglich nicht erst Weihnachten. Und an späterer Stelle schärft er den Zusammenhang erneut ein.125 Zwar lässt Anselm von Havelberg in seinem sechsten Kapitel des Anticimenons, das er dem Übergang vom Alten zum Neuen Testament widmet, das letzte Zeitalter traditionell mit Christi Geburt anfangen,126 aber auch Anselm betont gleich darauf die Überschattung der Jungfrau, Mariens, durch den heiligen Geist, also die Bedeutung der Empfängnis Mariens für das Heilswerk.127 So zeigt es auch ein Arnsteiner Glasfenster aus dem West124 Von Lucas von Mont Cornillon verfasst, fälschlich unter Philipps von Harvengt Namen: Moralitates in Cantica Canticorum, Sp. 489–585, hier Sp. 511B: »Recapitulatio a superioribus de throno eburneo quem fecit Salomon, quomodo referri debeat ad personam Christi […]« Sp. 514A: »In prima siquidem aetate quae Adam usque Noe exstitit, se venturum spopondit quando mulieri denuntiavit, dicens: Semen tuum conteret caput serpentis (Gen. III). In secunda vero aetate quae a Noe usque ad Abraham fuit, venturum se indicavit, quando filiis Noe dixit: Crescite et multiplicamini (Gen. VIII). In tertia autem aetate quae ab Abraham usque ad Moysen decurrit, adfuturum se praefiguravit, quando eiusdem prophetae proli benedixit, dicens: In semine tuo benedicentur omnes gentes (Gen. XXII). In quarta vero aetate quae erat a Moyse usque ad David, in multiplici sacrificiorum religione adfore se insinuavit. In quinta autem aetate quae erat a David usque ad nativitatem beatae Mariae floruit, quia ipse est Rex regum et sacerdos in aeternum secundum ordinem Melchisedech (Psal. CIX), in regibus et sacerdotibus figuraliter se venturum esse denuntiavit. (Sp. 514B) Sexta aetas, ipsa est quae nunc agitur ab ortu beatae Mariae Virginis usque ad diem iudicii, in qua ad incarnationem suam clementer dignatus est venire Filius Dei, sicut sexto gradu perveniebatur ad illud gloriosum sedile quod erat in medio throni aurei et eburnei (III Reg. X)«. 125 Ebd., Sp. 523A: »Perseverantiam in sancto proposito et in bonis operibus quam Beata Maria habuit, facili judicio possumus ostendere, quia illam constat remota omni ambiguitate ab ortu suo usque ad finem hujus mortalis vitae per omnia Deo placuisse«. 126 Salet (Hg.): Anselme de Havelberg: Dialogues, Livre I, Chapitre 6, S. 62–66; Sieben (Hg.): Anselmus Havelbergensis: Anticimenon, S. 55f: Kap. VI. 127 Salet (Hg.): Anselme de Havelberg, Dialogues, Livre I, S. 62 (Sp. 1148B): »Attamen ipse quoque Spiritus sanctus ubique in Evangelio Filio comparatur: Filius generatur, Spiritus sanctus praecurrens in concipiendo Virginem obumbrat: Filius baptizatur, Spiritus sanctus in specie columbae cum attestatione Patris adest: Filius tentatur, Spiritus sanctus ducit et reducit: Filius virtutes facit, Spiritus sanctus ubique consequitur, et credentibus se ingerit: Filius in coelum ascendit, Spiritus sanctus ad docendam et supplendam omnem veritatem

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chor der Kirche mit der Darstellung der Wurzel Jesse, das um den jugendlichen Christus die sieben Gaben des heiligen Geistes in Medaillons gruppiert und die Unterschrift: ›Maria Mater Domini‹ trägt.128 Das Fest Mariae Himmelfahrt war der Weihetag der Cappenberger Kirche. Die höchste Verehrung Mariens (»beatissima virgo Maria, qua summa nobis est sollempnitas«) und die Begehung des Festes betont der Autor der Cappenberger Gottfriedvita, die zwischen Ende 1149 und 1156 entstand. Er berichtet nämlich, dass Gottfried anlässlich des Weihefestes versuchte, den Grafen von Arnsberg milde zu stimmen.129 Und in Dünnwald wird 1328 Maria Himmelfahrt ausdrücklich in einer Schenkung für Lichterspenden genannt.130 1314 ist von vier Marienfesten die Rede, die in Dünnwald gefeiert werden.131 Also wohl Mariae Himmelfahrt (15. August) und Mariae Geburt (8. September), Mariae Reinigung/ Mariä Lichtmess (2. Februar) und Mariae Verkündigung (25. März oder 13. Mai). In Dünnwald stifteten 1220 die Konventualin Blyza Rost und Leo, der Pförtner von Dünnwald, gemeinsam den Ertrag eines für fünfzig Mark gekauften Weinbergs bei Remagen für eine Lampe vor dem Marienbild sowie zu einer Pitanz für

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succedit. […] Proinde ab adventu Christi usque ad diem judicii, quae sexta aetas distinguitur, et in qua una eademque Ecclesia, praesente jam Filio Dei, innovatur, nequaquam unus aut uniformis, (Sp. 1148C) sed multi et multiformes status inveniuntur«. Krings: Arnstein, S. 476 und Tafelteil Tafel I/5. Niemeyer et al.: Die Viten Gottfrieds, Vita Godefridi I, cap. 16, S. 123, Z. 10–18: »In die vero assumptionis beatissime virginis Marie, que summa nobis est sollempnitas, quando huius loci ambitus ab antistite consecratus est, quis digne commemoret, quales temptationum impetus, quantos inpulsionum fluctus evicerit, aliis eum hinc trahentibus, aliis inde retrahentibus ac mira improbitate suggerentibus, ne tante honestatis, tanteque spectabilitatis castrum desereret, cum et ipse antistes carnem sapiens et cor in terra trahens alterius ei masionis concambium repromitteret?«, vgl. auch cap. 29, S. 134, Z. 9–16. 1328, Juni 30: Regest: Korth: Zur Geschichte, 22, Nr. 133, S. 116: Die Dünnwalder Konventualin Hadewigis von Lennep kauft von Johann Moir für 44 Mark für sich und ihre Verwandten Berta, Gertrud von Flittard und Gertrud Garrath (Garderode), sämtlich Konventualinnen zu Dünnwald, eine Holzgewalt im Rheindorfer Wald zur Leibrente, wovon nach ihrem Tod eine halbe Mark der Konventualin Bela von Rodele zufallen soll, während nach dem Tod aller fünf Nutzniesserinnen das Stift in den Besitz tritt mit der Verpflichtung, von Gründonnerstag bis Ostern, auf Christi Himmelfahrt und auf Fronleichnam eine Kerze, am Dreikönigstag und auf St. Potentin ein Pfund Wachs, auf Mariä Himmelfahrt eine Mark zu liefern, den etwaigen Überschuss aber zum Ankauf von Kohl zu verwenden. 1314, Mai 31 Köln: Druck: Korth: Das Kloster, S. 79–80 (zu 1314, März 31 Köln): Bruder Johannes, Bischof von Skopelo und Weihbischof des Erzbischofs Heinrich II. von Köln, verlegt das Kirchweihfest des Stiftes Dünnwald (dilectis priori ac magistre totique conventui dominarum monasterii in Dunwalt) auf Bitten des Stiftes hin vom 12. November, dem Tag des Hl. Kunibert, auf den Sonntag nach der Oktav von Peter und Paul mit allen Gnaden und Ablässen, und erteilt allen, die das Stift an der Kirchweihe, Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, an den vier Marienfesttagen, am Fest Johannes des Täufers und Johannes des Apostels und aller Apostel, die das Stift besonders verehrt, andächtig besuchen, einen vierzigtägigen Ablass.

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den Konvent auf das Fest St. Mariä Geburt.132 Etwas mehr als zwanzig Jahre später ist dort von dem Marienaltar (»super altare sancte Marie in Doenwalt«) die Rede und von einem Marienbild auf dem Chor (»ecclesie in Doenwalt ad luminaria sancte Marie supra chorum«).133 Daneben gab es einen Leuchter vor einem Marienbild in einer Kapelle – vielleicht identisch mit demjenigen, der in Richtung der Ahrberge stand.134 Wenn die Zeugnisse auch lückenhaft sind, so ist doch die Bedeutung nicht zu unterschätzen, denn es handelt sich um Wirtschaftsurkunden, die Rechtliches regelten und nicht in der Absicht verfasst wurden, etwas über die Marienverehrung in Dünnwald zu berichten. 1322 wurde das Fest der »Unbefleckten Empfängnis« vom Generalkapitel als eigenes Fest aufgenommen und auf den 8. Dezember festgelegt.135 Im Jahr 1513 schrieben die Schwestern des Prämonstratenserinnenstifts Wenau in Langerweihe in der Eifel (Kreis Düren), welche zahlreiche durch Zierbuchstaben geschmückte Handschriften produzierten, einen ›Rosenstrauß für die fünf Feste Mariens ab‹, der sich heute im archäologischen Museum in Namur befindet.136 Auch die Feier von Maria Heimsuchung (2. Juli) lässt sich nachweisen.137

132 1220, Juli 25: Druck: Korth: Das Kloster, S. 70f. 133 1248 (1247), Januar (Osterzählung): Regest: Korth: Zur Geschichte, 20, Nr. 44, S. 68–69. – 1273, März 8: Druck: Lacomblet: Urkundenbuch, 2, Nr. 658, S. 386–387: »super altare in dicta ecclesia beate Marie in Donwalt conulimus«. – 1322, Januar 29/Juni 14?: Reg.: Korth: Zur Geschichte, 22, Nr. 122, S. 113; Druck: Korth: Das Kloster, S. 80–81 (zu 1322, Januar 28?): »Graf Adolf VIII. von Berg bestätigt die von seinen Verwandten dem Stift Dünnwald gemachte Schenkung von Roggen für die Lampe des Marienbildnisses auf dem Chor«. Ebd. zur Datierung. – Marienbild auf dem Chor auch in: 1329, Januar 5: Historisches Archiv der Stadt Köln (weiter: HAStK): Kartular Kloster Dünnwald, 15. Jh., M 7, fol. 45; Reg.: Korth: Zur Geschichte, 22, Nr. 135, S. 117. Und 1329, März 24: HAStK: Kartular Kloster Dünnwald, 15. Jh., J 9, fol. 36; Reg.: Korth: Zur Geschichte, 22, Nr. 136, S. 117. 134 1334, Mai 29: HAStK: Kartular Kloster Dünnwald, 15. Jh., E 3, fol. 24b; Reg.: Korth: Zur Geschichte, 22, Nr. 148, S. 120–121: Gerhard genannt Greve und seine Frau verkaufen der Dünnwalder Cellerarin eine Rente zum beständigen Geleucht für das Marienbild in der Kapelle sowie zur Unterhaltung einer Öllampe vor den Bildern des Evangelisten Matthäus und des Bischofs Martin an den Festen dieser Heiligen. – 1337 August 14: HAStK: Kartular Kloster Dünnwald, 15. Jh., J 7, fol. 36; Reg.: Korth: Zur Geschichte, 22, Nr. 155, S. 123: Prior, Magistra und Konvent des Stifts Dünnwald nehmen von der Konventualin Druda Rost drei Morgen Acker, die diese dem Peter von Umbelagen abgekauft hat, zu einer Rente entgegen, die dem Leuchter des Muttergottesbildes yn der Arinbergh (in Richtung der Ahr liegende Berge) und des Bildes der heiligen Maria Magdalena zufallen soll. Als Arenberg wird eine 623 Meter hohe Basaltkuppe am oberen Lauf der Ahr bezeichnet, vgl. Neu: Das Herzogtum Arenberg, S. 7. 135 Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34; Ardura: Prämonstratenser, S. 290. 136 Candels: Wenau, S. 137–139. 137 In Friesland wurden neben Mariae Reinigung/Lichtmess (Vita Siardi, cap. 23) und Maria Verkündigung auch Maria Heimsuchung gefeiert: Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34.

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Das Marienpatrozinium und die Marienverehrung

2.3.

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Marienverehrung in Schriften

Nun sind aber mit Maria ganz besonders auch die Herrenfeste Weihnachten und Ostern verbunden. Weihnachten ist ein Quellgrund der Marienverehrung – die Darstellung der bethlehemitischen Szene zentriert sich um Maria und das Kind. Fußend auf der Christusverehrung entstand der Wunsch, durch Beschäftigung mit Maria das Wunder der Fleischwerdung Christi besser zu verstehen. Rupert von Deutz († 1129) hatte im Prolog zu seinem Hoheliedkommentar geschrieben, dass er sich schon lange mit der Inkarnation näher beschäftigen wollte138 und dasselbe betonte der Benediktinerabt Ernald/Arnold von Bonneval († 1158) in seinem Libellus de laudibus B. Mariae Virginis.139 Ernald war mit Wilhelm von Saint-Thierry († 1148) und mit Bernhard von Clairvaux bekannt und verfasste mit Wilhelm Bernhards erste Vita,140 von der sich ein Exemplar beispielsweise im friesischen Prämontratenserstift Mariengaarde befand.141 Auch vom Prämonstratenser Frowin aus Cappenberg ist überliefert, dass er sich neben weiteren theologischen Themen mit der Inkarnation beschäftigte.142 Die enge Verbindung, die Prémontré zu den Benediktinerabteien der Nachbarschaft pflegte, legt nahe, dass man auch Schriften austauschte. Der mit Norbert befreundete Abt Guibert 138 Deutz et al.: Rupertus, Prolog, S. 84, Z. 14–17: »Ante annos aliquot cum essem junior, cingere me volueram, et huius nominis opus aggredi, scilicet de Incarnatione Domini, per occasionem huiusmodi«. 139 Ernaldus Abbatis Bonaevallis: Libellus, 189, Sp. 1725C–1734A, hier Sp. 1725C–1726C: »Quia et si illud antiquum consilium de incarnato in sancta Virgine Verbo, quod Deus apud Deum erat (Jo I), palam factum sit mundo, tamen hujus tam insolitae actionis modum (quia res miraculi est et ordinem non sequitur naturae) sensus humanus timet attingere, et haeret ancipiti affectu, quia et stupori est majestas operis, et ingratitudinis foret praeterire silentio laudes auctoris. Res mira et inaudita! Mater virgo, Verbum caro, Deus homo: quis in tam celebri miraculo sileat? item quis haec praedicare sufficiat? Scimus quidem supra nos esse hoc aggredi; (Sp. 1726C) sed illa in cujus sacratissimo utero Verbum caro factum est, locuturis de Verbo conciliat verbum. Nec fas est muta esse gaudia Ecclesiae, ubi, implente nos Verbo, hoc habemus in mente quod mater in utero […]«. 140 Costello (Übers.): Guilelmus. 141 Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 22. 142 Vgl. Stadtmann: Annales Cappenbergenses, S. 55: »Subijcio etiam infulatos Nobilissimam virtute ac Sanctitate virginem Hadewigem olim in Monasterio ad pedem Montis Capenbergensis sito et vulgariter im Wascheberg nuncupato sic enim primaevum ordinis Institutum exigebat, ut contigua virginum Monasteria virorum Coenobijs construerentur dignissimam Priorissam. Qua postmodum uti cuidem ejusdem conventus virgini divinitus revelatum fuit, ob insignem Sanctitatis famam ad Ecclesiae Monasteriensis Transaquas regimen sub Abbatissae nomine assumpta est. ubi sicut et hic, singulari vitae integritate et miraculis claruit. Qua autem ratione haec translatio facta sit, praesertim cum illic Praemonstratensis ordo non viguerit, nondum legi. Praedictorum tamen testis est Dominus Frowinus vir longe doctissimus, huius quondam loci Canonicus et ex primis (S. 56) B. Norberti Sodalibus unus, qui praeter varia de sanctissima Trinitate, de Incarnatione verbi, deque variis alijs theologiae mysterijs conscripta Subtilia opuscula hujus venerandae virginis vitam et miracula perito stylo Posteritati reliquit«.

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von Nogent-sous-Coucy, dessen Abtei Prémontré benachbart lag, hatte Norbert sein Werk Tropologiae in Osee, Lamentationes Jeremiae et Amos gewidmet, das er zwischen 1122 und 1125 fertiggestellt hatte.143 Guibert hatte zudem das Marienlob De laude S. Mariae verfasst, dem er 1119 den Rhythmus ad B. Virginem et S. Johannem evangelistam anhängte.144 Norbert hatte ein enges Verhältnis zu den Benediktinerabteien im Umfeld von Laon, eine Beeinflussung durch ihre Spiritualität ist anzunehmen.145 Anschaulich wird das, wenn Lucas von Mont-Cornillon den elfenbeinernen Thron Salomos, mit dem Adjektiv ›elfenbeinern‹ im Hohelied verknüpft und auf Jesus und Maria bezieht, was vor ihm Guibert von Nogent in seinem Marienlob146 getan hatte und vermutlich nach ihm Petrus von Celle, seit 1145 Abt von Montier-la-Celle (südwestlich von Troyes in der Champagne), in einer Marienpredigt.147 Lucas verknüpfte das erste Buch der Könige (1Reg 10,18)148 mit dem Hohelied (Hld 7,4)149 und ist damit einer derjenigen, die neue Beischreibungen Mariens in die Hohelied-Interpretation einführen.150 143 Guibertus de Novigento: Tropologiae in Osee, Sp. 337–488. So schon Grauwen: Guibert von Nogent, S. 206f. 144 Guibertus S. Mariae de Novigento: De laude, Sp. 537–577, Sp. 577–578: Rhytmus. 145 Ehlers-Kisseler: 900 Jahre Prémontré, S. 199–242. 146 Guibertus S. Mariae de Novigento: De laude, cap. 3, Sp. 542A: »Thronus est eburneus Salomonis. Haec est thronus quem fecit Salomon de ebore grandem: et vestivit eum auro fulvo nimis (III Reg. X, 19). Sapientia Dei Patris primum, juxta apostolum, pacifica (Jac. III, 17), ipsa est Salomon, quae thronum de ebore sibi facit, dum sedem in Virgine, qua nil unquam fuit castius, sibi ponit. Elephas enim, cujus ossa sunt ebur, continentis ac mundae naturae est. Porro grandem, nimirum ex Filio coelis, terris, et inferis praesidentem. Hunc auro fulvo nimis vestit, cum eam non virtutum scintillis ut alios, sed ipsa substantialiter propria divinitate interius exteriusque infercit. Qui habebat sex gradus, et summitas throni rotunda erat in parte posteriori (III Reg. X, 19) […]«. 147 Petrus Cellensis: Sermones, Sp. 806B–C: Sermo 70: »De Assumptione beatissimae Virginis Mariae, cap. 4. Reginae coeli, cui totius vitae meae dedicari exopto obsequia, solito devotius me famulaturum in ejus assumptione exhibeo; nil autem sumpturus de nostris promptuariis, necessaria in opus tantae solemnitatis de thesauris sapientiae refundi supplico impendia. Adeundus itaque, et adorandus Agnus qui in medio throni sedet, erogaturus de throno gratiae, unde refiguremus Salomonis grandem thronum de ebore: assumpta enim et translata est gloriosa domina hodie de throno gratiae ad thronum gloriae, et de eburneo castitatis, migravit ad sidereum claritatis, pia in primo, neminem judicans, piissima in secundo, reos liberans, propitiatrix in primo, reconciliatrix in secundo«. Vgl. zu ihm: O’Carroll: Petrus von Celle, S. 176f. 148 Biblia Sacra Vulgata, 3Reg 10,18: »[…] fecit etiam rex Salomon thronum de ebore grandem et vestivit eum auro fulvo nimis«. 149 Biblia Sacra Vulgata, Cant 7,4: »[…] collum tuum sicut turris eburnea oculi tui sicut piscinae in Esebon quae sunt in porta filiae multitudinis nasus tuus sicut turris Libani quae respicit contra Damascum«. 150 Lucas von Mont Cornillon: Moralitates, Sp. 514C: »Haec, inquam, sunt spiritualia ubera Sponsi in Canticis canticorum, duae manus quae tenent sedile throni aurei et eburnei in libro Regum, scilicet clementia et misericordia, quae fecerunt ut Deus homo fieret, et nos ad gaudia paradisi, quae per Adam perdidimus, mirabiliter reduceret«.

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Das Marienpatrozinium und die Marienverehrung

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Von der Rolle Mariens als Gottesmutter und dadurch als Mittlerin spricht Philipp von Harvengt im fünften Kapitel des vierten Buchs seines Hoheliedkommentars, nämlich von der Braut [Maria] »unserer Mittlerin (mediatrix), die als Mutter nicht zu Unrecht Herrscherin (imperatrix) genannt werde, denn sie bitte den Sohn, befehle (imperans) dem Sohn, den Groll in Gnade, den Zorn in süßeste Liebe zu wandeln […]«.151 Das Weihnachtsgeschehen war auch deshalb zentral für die Männer und Frauen des Prämonstratenserordens, weil die ersten Prämonstratenser am Weihnachtstag in Prémontré die Profess abgelegt hatten, wie die Vita Norberti B im neunten Kapitel im Abschnitt Nr. 51 berichtet:152 »sie schrieben sich alle und jeder einzelne153 schon am Weihnachtsfest, das kurz bevorstand, ähnlich wie die Einschreibung des Herrn (vgl. Lk 2,1–2)154 in die Stadt seliger Ewigkeit ein (vgl. Hebr 12,23),155 um da zu bleiben und nach dieser Regel zu leben«. Christi Geburt und damit Mutter und Kind stehen im Zentrum der Gründungsgeschichte. Beispielhaft für die Gruppierung um die Krippenszene sei auf ein Stifterbild verwiesen, das die prominentesten Stifter, deren international gedacht wurde, in Stichen und Gemälden darstellt.156 151 Philipp von Harvengt: Commentaria: Lucas von Mont Cornillon: Moralitates, Sp. 360D, lib. IV, cap. 5: »[…] longe tamen a convivio Salomonis jacent tanquam penitus destitutae, si non Virginis interventu velut mensa offertoria sint adjutae. Ideo ipsa Sponsa recte nostra omnium mediatrix, ipsa mater non incongrue dicitur imperatrix, quia sponsum rogans, imperans filio, furorem ejus in gratiam, in amorem suavissimum iram vertit, amaros in dulcorem precis suae farinula nos convertit«. 152 Vita Norberti B, cap. IX, Nr. 51, Sp. 1292C: »[…] statim in die Natalis Domini, quae instabat, ad instar Dominicae descriptionis, sub eadem et stabilitatis in loco, et professioneis gratia ad illam beatae perennitatis civitatem singuli seipsos conscripserunt«. 153 Zu ›conscripserunt‹ und zur Frage nach Professurkunden zur Abfassungszeit der Viten vgl. Wolf: Trado meipsum ecclesiae, S. 87, Anm. 259. 154 Zu ergänzen ist »damals in Bethlehem«. – Die Anlehnung daran beruht auf dem Termin, dem ersten Weihnachtstag, 25. Dezember 1121. Der Vergleich der ersten Profess mit der Szene, die der Geburt Christi vorausging und der Eingang in die prämonstratensische Ikonographie fand, in der diese erste Profess mit der Weihnachtsszene an der Krippe verknüpft wurde, fehlt in der kürzeren Vita Norberti prior bzw. Vita Norberti A: Wilmans (Hg): Vita Norberti Archiepiscopi (weiter: Vita Norberti A), cap. 12, S. 683. 155 Gemeint ist das neue Jerusalem, dessen Abbild die Gemeinschaft in Prémontré in ihrer Lebensweise nach dem Vorbild der Urkirche sein will. Vgl. Hebr 12,22–23: sed accessistis ad Sion montem et civitatem Dei viventis Hierusalem caelestem et multorum milium angelorum frequentiae et ecclesiam primitivorum qui conscripti sunt in caelis et iudicem omnium Deum et spiritus iustorum perfectorum. So schon Vita Norberti A, cap. 12, S. 683. – Vgl. vorne Abschnitt Nr. 4: Norbert als Einwohner Babylons, dem Gegenort zum himmlischen Jerusalem, vgl. Off 18,21. 156 Man sieht auf der rechten Seite Fürst Hayto, Neffe des Königs Hayto I. (Makarius) von Armenien, der Laienbruder in der Prämonstratenserabtei Bellapais auf Zypern und Kreuzzugsteilnehmer war (und hier mit seinem Onkel, der Franziskaner wurde, verwechselt worden ist). Ihm gedachte man am 12. September. Dann Dominikus, wohl ein illegitimer Bruder des Königs Alphons VI. von Kastilien, Mitbegründer von La Vid in Spanien, dessen

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So wie Maria, die Mutter Jesu, im Weihnachtsevangelium in direkter Zuordnung zu Jesus steht, so ist es auch im Evangelium der Kreuzigung: Sie steht mit Johannes unter dem Kreuz, von welchem aus Jesus Johannes anwies, Maria zu sich zu nehmen (Io 19,25–27). Maria stand unter dem Kreuz und trauerte. Und so interpretierte Lucas von Mont-Cornillon den Vers aus dem Hohelied »Schwarz bin ich, doch schön« (Hld 1,5)157 in Bezug auf die Leidensthematik. Rupert von Deutz hatte die Aussage schon auf Maria hin gedeutet und erklärt, sie sei schwarz, weil sie schwanger sei, und die Umwelt wohl über sie urteilen würde, weil sie schwanger geworden sei, bevor sie es von Josef sein könnte: »›schwarz‹, sage ich, ›das heißt, schwanger bin ich geworden‹«.158 Das ›schön‹ beziehe sich darauf, dass sie unbefleckt, also vom Heiligen Geist schwanger geworden sei. Während Rupert ›schwarz‹ also als ›befleckt‹ deutet, wenn er auch betont, dass dieses Urteil zu Unrecht fällt, ist die Interpretation bei Lucas eine völlig neue: Lucas betont, Maria sei schön als Tochter des himmlischen Jerusalems (›sed formosa, filiae Hierusalem‹), aber sie sei schwarz (verdunkelt) »wegen der Schmerzen, die ihr in der Welt zugefügt wurden durch das Leiden und Sterben ihres Sohnes« (»nigra sum in praesenti saeculo, hoc est contemptibilis et despecta et moerore confecta, dum video filium meum invidia Iudaeorum crucifixum, sanguine suo perfusum«). »›Dunkel, sage ich, aus anwesender Traurigkeit, weil der Schmerz der Angst meines Sohnes mich berührt bis zum Schmerz meines Herzens‹« (»nigra, inquam, prae tristitia praesenti sum, quia dolor anxietatis filii mei pertingit usque ad dolorem cordis mei«).159 Lucas bezieht dabei auch die Weissagung Simeons ein, dass ihr ein Schwert durch die Brust gestoßen werde (Lk 2,35).Und damit habe Simeon gleichsam gesagt: »Der Schmerz der Passion und der Tod Christi, deines Sohnes schmerzt dich und man am 30. Juni, und Graf Gottfried von Cappenberg, Stifter von Cappenberg, dessen man am 13./14. Januar gedachte, dann auf der linken Seite ist der böhmische Adelige Hroznata, Stifter von Tepl, dessen Jahrtag am 14. Juli war, Graf Ludwig von Arnstein, der Stifter von Arnstein, dessen Jahrtag am 25. Oktober, und Graf Folcold (Fulko) von Teisterband, Stifter von Berne in den Niederlanden, dessen Jahrtag am 12. April gefeiert wurde, zu sehen: Als Stich um 1625 von Charles de Mallery: Abb. Krings: Arnstein, Tafelteil, Tafel II/5b. – Als Ölgemälde von Mattheus Lehner genannt Jarwick (?) signiert, 1. Hälfte 17. Jh., Öl auf Leinwand, Kath. Pfarrgemeinde St. Johannes Evangelist in Cappenberg, Abbildung im Katalog: Welt und Zeit gestalten, S. 58f. – Dasselbe Stifterbild in Averbode, Abb. in: Howe: Gottfried, S. 20. – Auch als Glasbild im Kreuzgang von Park von ca. 1635/40: Janssens: Als de Bliksem, S. 19. 157 Biblia Sacra Vulgata, Cant 1,4: nigra sum, sed formosa. 158 Deutz et al.: Rupertus, S. 146, Z. 12: »›nigra‹, inquam, ›id est praegnans inventa sum‹«. 159 Lucas von Mont Cornillon: Moralitates, Sp. 572A: »Dicat ergo et ipsa beata Maria: Nigra sum, sed formosa, filiae Hierusalem, id est: ego filia coelestis Hierusalem quae sursum est mater nostra (Gal. IV); nigra sum in praesenti saeculo, hoc est contemptibilis et despecta et moerore confecta, dum video filium meum invidia Iudaeorum crucifixum, sanguine suo perfusum; nigra, inquam, prae tristitia praesenti sum, quia dolor anxietatis filii mei pertingit usque ad dolorem cordis mei«.

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verwundet dich im Innersten deines Herzens; und so wirst du dich als wahre Mutter erweisen, indem du mit ihm, der am Kreuz stirbt, mitleidest in der innersten Bewegung des Herzens« (»Dolor passionis et mortis Christi Filii tui pertinget et vulnerabit intima penetralia cordis tui; sicque veram eius genitricem te esse comprobabis, cum ei in cruce morienti intimo cordis affectu compatieris«).160 Und während sie dunkel sei »vor Schmerz und Kummer, weil ich meinen Sohn am Kreuz sterben sehe« (»Nigra sum prae dolore et tristitia, quia video filium meum in cruce morientem«), sei sie doch »schön, so dass ich mich freue und erhebe, weil ich bedenke, dass er vom Tode auferstehen wird« (»sed formosa sum, id est gaudeo et exsulto, quia considero illum a morte iam resurgentem«).161 Damit hat Lucas nicht nur eine ganz andere Deutung als Rupert von Deutz, sondern auch eine ganz andere als die sonst vorherrschende, die Honorius Augustodunensis wiedergibt, dass, wenn Maria von sich sage, sie sei schwarz, sie darauf verweise, dass sie die Tochter armer Leute sei, Jesus, die Sonne der Gerechtigkeit habe aber die Demütige zu seiner Mutter gewählt.162 Oder die des Bernhard von Clairvaux, wie Abt Wilhelm von Saint-Thierry sie überliefert. Denn Bernhard sieht in ›nigra‹ das Dunkel der Tochter Adams (wohl der Erbsünde, die über Adam und Eva auf sie gekommen sei), in der Schönheit ›formosa‹ aber ihren Glauben.163 Auch die Antiphon zum Simeonischen Canticum ›Nunc dimittis‹ am Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens (8. Dezember) im Brevier des Prämonstra160 Ebd., Sp. 572A: »Unde et Simeon ad beatam Mariam dixit: ›Et tuam ipsius animam pertransibit gladius‹ (Lc 2,35); quasi diceret: Dolor passionis et mortis Christi Filii tui pertinget et vulnerabit intima penetralia cordis tui; sicque veram eius genitricem te esse comprobabis, cum ei in cruce morienti intimo cordis affectu compatieris«. 161 Ebd., Sp. 572B: »Dicat ergo beata Maria: Nigra sum prae dolore et tristitia, quia video filium meum in cruce morientem; sed formosa sum, id est gaudeo et exsulto, quia considero illum a morte iam resurgentem. Sicut tabernacula Cedar nigra sum, sed sicut pellis Salomonis formosa sum. Per tabernacula, quae portando de loco ad locum mutantur, transitoria et mutatoria praesentis vitae tristitia intelligitur; per pellem vero, id est per tabernaculum Salomonis, coelestis gloria quam Deus inhabitat, designatur. Dicat ergo beata Maria: Ego quidem transitoria et temporali tristitia pro morte filii mei modo afficior, sed post paululum illi resurgenti, et ad coelos ascendenti, et in coelesti gloria regnanti, congratulabor«. 162 Honorius Augustodunensis: Sigellum, cap. 1, Sp. 500D: »Ubera Mariae fuerunt castitas et humilitas, in his delectatur justorum societas. Super vinum, id est super humanam gloriam, recti diligunt te, id est angeli honorant te. Nigra sum, hoc est nata a pauperibus. Ut tabernacula Cedar, id est aliqua de peccatricibus. Formosa sicut pellis Salomonis, id est ego sum pellis veri pacifici, qui texit arcam, id est Christum. Et ideo filia Jerusalem, id est consors visionis verae pacis. Nolite me considerare, quod fusca sim, quia decoloravit me sol, hoc est, quamvis ab humilibus sim orta, tamen Sol justitiae elegit me humilem sibi matrem. Ideo filii matris meae pugnaverunt contra me, id est prophetae filii Synagogae praedicaverunt de me. Vel apostoli, filii gratiae matris, pugnaverunt contra me, id est pro me contra haereticos«. 163 Guillelmus abbas: Commentatio, Sp. 423B: »Poterat enim dicere Mater Domini Maria, mirantibus de se filiabus Ierusalem: Nigra sum ex natura Adae, sed formosa ex fide, id est, ex pelle Salomonis«.

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tenserordens nimmt die Deutung auf: Sei gegrüßt, Jungfrau, die du durch Vorsorge des Heiligen Geistes ohne Schaden triumphiert hast über die so große Sünde des ersten Menschen.164 Das Mitleiden unterstrich ebenfalls der Benediktiner Ernald von Bonneval, der zunächst Christi Schmerzen durch Nägel und Lanze in Händen und Füßen, die Galle im Mund, die Dornen im Kopf und des ganzen Körpers durch das Kreuz schilderte und den dann bewegte, dass Maria unter dem Kreuz »vom Schwert des seelischen Schmerzes durchbohrt, in der Seele verwundet und im Mitleiden mitgekreuzigt wurde und das was Nägel und Lanze im Fleisch Christi zustande brachten, das hätten in ihrem [Marias] Gemüt das natürliche Mitleid und die Angst mütterlicher Liebe getan«.165 Ernalds intuitive Zubilligung einer Beteiligung Mariens am Erlösungswerk bleibt für ihn im Widerspruch zu seiner Überlegung, dass Maria als Erlöste nicht zugleich Anteil am Werk des Erlösers haben kann. Eine Auflösung gelingt ihm nicht.166 Auch Lucas hat kein stringentes theologisches Konzept: Lucas möchte den Hörer oder Leser bewegen, ihn selbst mitleiden lassen und so durch meditative Passion dem Erlösungswerk Christi näher kommen lassen. Lucas will aber auch dazu anregen, sich von der Freude anstecken zu lassen, dass jeder Beter Maria als Fürsprecherin hat: »Freue dich, sage ich, weil die Königin der Himmel und die Herrin der Engel zu Deinem Schutz aufgestellt ist. Du nämlich bist der geistliche Weinberg des Herrn Sabaoth, das heißt sein Heer: Dir ist als Herrscherin der Schutz der Welt aufgetragen, du bist erhöht über den Chor der Engel«.167 Und er ruft die Kirche auf, die glorreiche Gebärerin (gloriosa genetrix), die Mutter des Erlösers (mater redemptoris) zu loben, zu ehren und zu preisen, da sie die Verteidigerin, die Fürsprecherin bzw. Schutzmacht (advoca164 Zák: St. Norbert, S. 191 mit dem Hinweis, dass sie im Orden Norbert zugeschrieben wird. 165 Ernaldus Abbatis Bonaevallis: Libellus, 189, Sp. 1725C–1734A, hier Sp. 1731A–B: »Nec mortuo Christo quievit invidia, nec saturata est cruentae plebis malitia, cum pedibus et manibus clavi, cum lancea lateri, fel ori, spinae capiti, et totum corpus haereret cruci. Observabant (Sp. 1731B) milites crucifixum, irridebant Judaei, nec extorquebant responsum. Fugientibus apostolis, in faciem filii se opposuerat mater et gladio doloris animae ejus infixo, vulnerabatur spiritu, et concrucifigebatur affectu: et quod in carne Christi agebant clavi et lancea, hoc in ejus mente compassio naturalis et affectionis maternae angustia. Stabat ante crucem (Joan. XIX), nom minor quam [forte non miror, quia] matrem Christi decebat. Fortasse autem quia in morte filii intelligebat redemptionem mundi, et jam sua ipsa morte se aliquid aestimabat publico muneri addituram«. Zur deutschen Übersetzung vgl. Schreiner: Maria, S. 103f. 166 Stegmüller: Arnald, S. 243f. 167 Lucas von Mont Cornillon: Moralitates, Sp. 572C: »Posuerunt me custodem in vineis, vineam meam non custodivi. Exsulta et lauda, habitatio Sion (Is 12), id est Ecclesia de gentibus congregata, quae a tanta custode custodiris et gubernaris. Laetare, inquam, quia Regina coelorum et Domina angelorum posita est custos tui. Tu es enim spiritualis vinea Domini Sabaoth, id est exercituum: tibi praelata est custos mundi imperatrix, quae exaltata est super choros angelorum«.

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trix) der Kirche sei, denn die Mutter werde den Sohn im Himmel wohlwollend stimmen, wenn er zum Jüngsten Gericht in seiner Herrlichkeit mit Engeln und Erzengeln komme (»ipsum nobis benevolum faciet et in coelis, et venientem ad iudicium placabilem sua maiestate cum angelis et archangelis«).168 Damit knüpft Lucas an die eingangs zitierte Berufung auf Maria als Fürsprecherin an und führt den neuen Terminus advocatrix für Maria in die Hohelied-Exegese ein, der die Verteidigungs- und Schutzmacht der Gottesmutter ausdrückt. Während schon im Salve Regina von der advocata gesprochen wird,169 kennt den Terminus der advocatrix auch das Psalterium Dominae nostrae, das Anselm von Canterbury zugeschrieben wird.170 Guibert von Nogent, der enge Kontakte zu den Prämonstratensern unterhalten hatte, war von Anselm unterrichtet worden.171 Aber auch der Benediktiner Franco, der zweite Abt von Affligem (1109–1130, † 1135), pries Maria bereits um 1125 als advocatrix in seinem Werk De gratia Die.172 Man sieht hier den prämonstratensischen Autor unter den treibenden Kräften bei der Suche nach einer Verortung Mariens in der liturgischen Verehrung: Maria als Fürsprecherin, Verteidigerin und Schützerin.173 Er verarbeitet die Aussagen anderer Theologen, setzt aber eigene Akzente. Deshalb verwundert es nicht, dass Bischof Milo ihn bat, seine Betrachtungen schriftlich zu fixieren. Die gefühlvolle 168 Ebd., Sp. 574A: »Lauda, inquam, Ecclesia, Deum qui dedit tibi tantam advocatricem, videlicet suam gloriosam genitricem, quam idcirco Iudaei despiciunt, quia illam fuisse suam sororem secundum carnem dicunt. Nos igitur Iudaeorum perfidia et impietate depulsa a cordibus nostris, honoremus et magnificemus debita cum laude Matrem nostri Redemptoris. Hoc scientes pro certo, quia honor et laus, et gloria, et magnificentia, quam exhibemus eius genitrici in terris, ipsum nobis benevolum faciet et in coelis, et venientem ad iudicium placabilem sua maiestate cum angelis et archangelis«. 169 Salve, Regina, mater misericordiae, vita, dulcedo, et spes nostra, salve. Ad te clamamus exsules filii Evae. Ad te suspiramus, gementes et flentes in hac lacrimarum valle. Eia, ergo, advocata nostra, illos tuos misericordes oculos ad nos converte. Et Jesum, benedictum fructum ventris tui, nobis post hoc exsilium ostende. O clemens, O pia, O dulcis Virgo Maria. Amen. – Vgl. auch Scheffczyk: Erlösung, S. 387. 170 Cantuariensis Anselmus: Hymni, 158, Sp. 1036–1049, hier Sp. 1037: »Ave nostra advocatrix, Atque vitae reparatrix: Cujus partus super ipsos Dominus est coeli thronos […] sultavit cor meum, etc. Ave nostra advocatrix, Captivorum liberatrix, De qua Sion Emmanuel Salutare fit Israel […] Sp. 1039: Manducaverunt etc. Ave nostra advocatrix, Cujus partus mensa Patris Est nobis consolatio, Ne frangat tribulatio Parasti in conspectu, etc. Ave Regina gratiae, Cujus partus Rex gloriae Rex est virtutum Dominus, Lux de luce Christus Deus. Quis est iste, etc. Ave, cujus virgineo Processit ex sacrario, Una salus omni mundo, Dulcis Deus, rectus homo. Dulcis et rectus, etc. Ave nostra advocatrix, Atque vitae reparatrix: Cujus partus super ipsos Dominus est coeli thronos […]«. 171 Kaiser et al. (Hg.): Guibert von Nogent: Monodiae, 1, S. 271, lib. I, cap. 17, 19–20. Vgl. auch Einleitung, S. 17. 172 Franco Affligemensis: De gratia, 166, lib. VI, Sp. 750A: »Maria virgo sancta, mater Deo digna, benignissima consolatrix, piissima reconciliatrix, potentissima suorum advocatrix«. 173 Zum Begriff der advocatrix vgl. Lyon: Advocata, S. 143–166, bes. S. 143f. – In den Nekrologen der Prämonstratenserstifte Windberg, Ursberg und Mildenfurth (Ebd. S. 147, 149f. und 154) wird eine weibliche Person als advocata, advocatrix, advocatissa benannt.

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Verehrung Mariens und auch die Ehrerbietung gegenüber der Schar der Engel wird in seinem Kommentar zum Hohelied überall spürbar. Lucas war ein Mystiker, der im Teilen der Schmerzen Mariens, in der Annäherung an den Menschen Maria, eine Möglichkeit sah, mit Jesus in der Passion mitzuleiden und aus dem Vertrauen auf die Fürsprache und den Schutz durch die Jungfrau Maria, vertrauensvoll Hoffnung zu ziehen.174 Die besondere Verehrung der Patronin Maria als Zufluchtsort und Schutz gewährende Macht wird von Lucas immer wieder betont: Für die, die im Kopf leiden, das heißt im Geist, weil sie durch die Geschosse der Laster verwundet wurden, ist es zweifellos nötig, die Gottesmutter Maria um Hilfe anzuflehen, und bei ihr Zuflucht unter ihrem Schutz zu suchen und aus innerstem Herzensgrund zu sagen: ›Unter deinen Schutz flüchten wir, wo schon so viele Kranke ihre Stärke wiedergefunden haben und der Jungfrau und Gottesgebärerin davon berichten und Dank sagen‹.175

Die intensive Kreuzverehrung und die Verbindung von Christi Geburt und Christi Tod am Kreuz vertiefte die prämonstratensische Spiritualität auch auf eine innige Marienverehrung hin. Für die frühe Kreuzverehrung sind unter anderem wieder die Norbertviten heranzuziehen: Denn kurz vor der Professablegung in Prémontré schilderten beide Norbertviten eine Vision, nach der einem der Prämonstratenser der Platz geoffenbart worden war, an dem das Stift errichtet werden sollte: Nach der älteren, nach Norberts Tod, aber vor 1155 entstandenen Vita Norberti A sah einer der Gefährten Christi Kreuz, von dem sieben helle Sonnenstrahlen ausgingen (»vidisse videlicet se in parte loci illius in cruce dominum nostrum Iesum Christum, super quem septem solis radii mirabilis claritatis fulgebant«), und von den Seiten näherten sich Pilger mit Taschen und Stöcken und beugten die Knie und beteten den Erlöser an.176 Der Kompilator der

174 Petit: La spiritualité, S. 59. Lucas von Mont Cornillon: Moralitates, Sp. 572A: »Unde et Simeon ad beatam Mariam dixit: ›Et tuam ipsius animam pertransibit gladius (Luc. II);‹ quasi diceret: Dolor passionis et mortis Christi Filii tui pertinget et vulnerabit intima penetralia cordis tui; sicque veram eius genitricem te esse comprobabis, cum ei in cruce morienti intimo cordis affectu compatieris«. 175 Lucas von Mont Cornillon: Moralitates, Sp. 520B: »Qui ergo in capite, hoc est in mente, vitiorum telis vulnerati dolent, isti sine dubio necesse est ut auxilium et opem sanctae Dei Genitricis Mariae implorent, et ex intimo affectu cordis dicant: ›Sub tuam protectionem confugimus, ubi infirmi acceperunt virtutem, et propter hoc Dei Genitrix virgo tuae dignitati referimus gratiarum actionem‹«. So schon: Petit: La spiritualité, S. 55; Ders.: Spirituality, S. 60. 176 Vita Norberti A, cap. 12, S. 684, Z. 49–S. 685, Z. 1: »Ibi cum sederet homo Dei cum societate sua consolationem Dei expectans, facta communi oratione apparuit cuidam revelatio manifesta satis et evidens. Quam cum viro Dei retulisset – vidisse videlicet se in parte loci illius in cruce dominum nostrum Iesum Christum, super quem septem solis radii mirabilis claritatis fulgebant, et a quatuor partibus multitudo magna peregrinorum cum peris et baculis

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Vita Norberti B fügt einerseits hinzu, dass damit der Standort der Kirche bezeichnet worden sei (»ubi praesens sita est ecclesia«) und andererseits, dass das Tal, in dem Prémontré liegt, die Beschaffenheit einer Kreuzesform hat (»sicut in quatuor introitus loci illius esse dignoscitur in modum crucis«), so dass die Pilger aus Nord und Süd und Ost und West dorthin pilgern konnten.177 Gott hatte folglich den Ort für die Kirche, für diesen Wallfahrtsort, bestimmt. Und diese Vision ist auch bei Hermann von Tournai noch einmal zu finden.178 Nach Georg Schreiber spielt bei dieser Schilderung die Kreuzzugsmystik eine Rolle, er vermutet die Aufnahme von Berichten von Jerusalempilgern, die den Ort, an dem Christi Kreuz stand, andächtig beschrieben.179 Früh waren erste Prämonstratenser ins Heilige Land gezogen und der Stolz auf die Ausdehung der prämonstratensischen Bewegung bis ins Heilige Land ist in der älteren Gottfriedvita zu spüren.180 Schon früh wurden Texte zum Lob Mariens verfasst. In der Amtszeit Abt Odos von Bonne-Espérance (ca. 1126 – ca. 1157, res.), unter dem Philipp von Harvengt Prior war und der selbst aus dem Kreis um Lucas de Cuissy und wie dieser aus Laon stammte, wurden im dortigen Skriptorium hundertzwanzig Manuskripte der heiligen Schrift und der Kirchenväter geschrieben, und ein Kanoniker namens Heinrich beteuerte, dass er die ganze Bibel zu Ehren der Jungfrau Maria und zum Dienst an den Brüdern, die Gott in der Kirche von Bonne-Espérance dienen, abgeschrieben habe.181 In Steinfeld soll Abt Albert von Steinfeld (um 1184–1189) ein Buch über die Freuden der Jungfrau Maria geschrieben haben: De gaudiis beatae Mariae virginis, dass die Gottesmutter nach der Vita des seligen Hermann Josef eben diesem zu lesen empfahl.182 Und Hermann Josef selbst, der um 1155/1160 geboren

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properabant et flexis genibus adorato suo redemptore et pedibus eius dato osculo recessuri revertebantur«. Vita Norberti B, cap. Nr. 58, Sp. 1297B: »Cumque multi multis et assidui assiduis precibus Domino consilium hoc commendarent obnixe suae beneplacitum voluntatis nimia afflictione ieiunio et orationibus exquirentes, apparuit cuidam revelatio manifesta satis et evidens evidenter locum et quae in loco et de loco erant ventura, aperta siginificatione denuntians, nam ibidem, ubi praesens sita est ecclesia, Dominus noster Iesus Christus sicut in cruce visus est, super quem septem solis radii mirabilis claritatis fulgebant et a quatuor partibus, sicut in quatuor introitus loci illius esse dignoscitur in modum crucis, multitudo magna peregrinorum cum peris et baculis properabat et, flexis genibus adorato suo Redemptore et pedibus eius dato osculo, quasi per licentiam recessuri revertebant«. Saint-Denis (Hg.): Hériman de Tournai: Les miracles de Sainte Marie, lib. III, cap. 10, S. 226. Vgl. Ehlers-Kisseler: 900 Jahre Prémontré, S. 231. Schreiber: Prämonstratensische, S. 191. Vgl. auch Ders.: Prämonstratenserkultur, S. 14. Niemeyer et al.: Die Viten Gottfrieds, Vita Godefridi I, cap. 7, S. 114, Z. 4–6: »Radices vinee huius ipse plantavit, que iam usque ad mare, immo et ultra mare palmites suos opulatione dextere extendit?«. Vgl. dort Anm. 55. Macarenko: Ego, S. 139–141. Joester: Äbte und Chorherren, S. 66.

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worden sein muss und nach mehrjährigem Aufenthalt zur Ausbildung in Mariengaarde bei Hallum in Friesland schließlich nach Steinfeld zurückkehrte, dann im Refektorium zum Tischdienst eingeteilt war und später dem Sakristan diente, sah seine Berufung im Dienst in den Frauenstiften. Zum Priester geweiht war er als Seelsorger in Frauenkonventen tätig. Hermann, der rigorose Askese, unter der seine Gesundheit litt, mit inniger Frömmigkeit verband, verstarb nach dem 7. November 1225, dem Todestag des Erzbischofs Engelbert von Köln, dessen Tod er vorausgesehen hatte.183 Nach der Vita überreichte Hermann Josef dem Jesusknaben eines Madonnenbildnisses in der Kirche St. Maria im Kapitol, die er oft zum Gebet aufsuchte, einen Apfel und Maria beugte sich nieder, um ihn anzunehmen.184 In einer anderen Vision belehrt ihn die Gottesmutter, dass er nicht der Tröstung bedürfe, weil er wegen seines Dienstes im Refektorium weniger Zeit für das persönliche Gebet habe, denn es gäbe kein größeres Gebot, als den Brüdern in Liebe zu dienen.185 Nach der Vita Hermann Josefs soll er selbst nicht nur einen weiteren Hohelied-Kommentar verfasst haben, sondern auch die Lebensbeschreibung der Zisterzienserin Elisabeth von Hoven. Beide Werke sind verschollen. Den Hymnus auf die heilige Ursula und ihre 11.000 Gefährtinnen, den Mariengruß über die fünf Freuden Mariä sowie die Gebete an Christus, die die Vita nennt, glaubt man identifizieren zu können, wie auch weitere Hymnen: Duodecim gratiarum actiones, Iubilus de s. Ursula et sociis, Iubilus de b. Maria virgine, De quinque gaudiis b. Mariae, Iubilus de domino nostro Iesu Christo.186 Wahrscheinlich hat er auch den Hymnus Summi regis cor aveto verfasst – der das Herz Jesu als Gnadenquelle hervorhebt187 – und das rheinische Marienlob.188 Seine große Marienverehrung fand Ausdruck in der Form der Brautmystik, die in seiner mystischen Verlobung mit Maria, ›seiner Rose‹, gipfelte.189 Während Hermann Josef Maria als ›seine Rose‹ bezeichnet, besingt er Ursula und die Gefährtinnen als ›Rosen Christi‹.190 Das Prämonstratenserinnenstift Sanctae Mariae in Dolni Kounice (Kanitz/Kaunitz, heute Tschechien) bei Brünn in 183 Kugler: Hermann Josef, S. 26–32; Worstbrock: Hermann Josef, Sp. 1063. – Zu den engen Kontakten zwischen Steinfeld und Mariengaarde vgl. auch Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 37f. 184 Henschen et al.: Vita des Hermann Josef, 1, S. 11; Koch et al.: Die Vita; Kugler: Hermann Josef, S. 32. 185 Henschen et al.: Vita des Hermann Josef, 1, 3; Koch et al.: Die Vita, S. 42f.; Kugler: Hermann Josef, S. 45. Schon Philipp von Harvengt betonte Marias Bedeutung als Lehrmeisterin, vgl. Wouters: Filip, S. 42. 186 Worstbrock: Hermann Josef, Sp. 1064f. 187 Schreiber: Die Prämonstratenser, S. 16. Wisniewski: Das rheinische Marienlob, S. 161. 188 Wisniewski: Das rheinische Marienlob, S. 178. 189 Kugler: Hermann Josef, S. 100. 190 Ebd., S. 101–104. Vgl. zu Hermanns Ursulaverehrung auch Levison: Das Werden, S. 134–137.

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Mähren hieß auch »Rosa Coeli«. Sein weiblicher Gründungskonvent kam aus dem böhmischen Zˇeliv (Selau) und dessen 1149 gegründeten Frauenkonvent in Lounˇovice pod Blaníkem (Launiowitz, heute Tschechien), die selbst von Steinfeld und dessen Tochterstiften, also rheinischen Prämonstratenserinnen unter anderem aus dem Marienstift in Dünnwald besiedelt worden waren.191 Die Bezeichnung Mariens als Rose verweist auf die Beziehungen zwischen dem Rheinland, Friesland und den Steinfelder Tochterstiften in Mähren und Böhmen. In der Vita des fünften Abts von Mariengaarde, Siard (1194–1230), der Vitae abbatum Orti Sancte Marie wird mehrfach ausdrücklich auf das Hohelied Bezug genommen und auf den Bräutigam angespielt (cap. 19–20).192 Und die Mirakelliste endet mit einem Lobgesang auf Maria193. Der siebte Abt von Mariengaarde, Jarich (1238–1240) verfasste Predigten und einen Kommentar zum Hohelied, ferner ein Gedicht über die dort aufbewahrte Marienreliquie (Vita Iarici, cap. 22).194 Und auch die in Hane in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebende Mystikerin Christina von Christus, die irrtümlich als Christina von »Retters« bekannt geworden ist, mit dem Stift Retters im Taunus jedoch nichts zu tun hat,195 zeigt die große Marienverehrung der Prämonstratenser. Christinas Vita, ein Bericht über das Leben, die Askese und exstatischen Visionen der mystisch begabten Christina, stammt wohl von einem Zeitgenossen aus dem Orden, der unmittelbar ihr Leiden miterlebte, ein mit der Seelsorge in Hane betrauter Prämonstratenser. Bruno Krings wies nach, dass der Autor Propst Gotsmann von Hane (urk. 1287) war, der 1297 Abt in Rothenkirchen wurde.196 Während der Text 191 Vgl. die Urkunde 1274 September 26: Druck: Ehlen (Hg): Die Prämonstratenser-Abtei, Nr. 88, S. 67: Der Propst Nikolaus und das Prämonstratenserinnenstift Dolni Kounice (Kanitz/Kaunitz), auch Sanctae Mariae oder Rosa Coeli, bei Brünn (an der Iglawa in Mähren), übertragen mit Genehmigung des Abtes von Selau einen Hausanteil zu Köln, der ihrer Konventualin Bliza gehört, an deren Bruder Florkin. Vgl. auch Groß: Frauen- und Männerstifte, S. 265, Anm. 1397, S. 268, Anm. 1422, S. 275 und S. 277. – Lounovice selbst hatte ebenfalls Maria als Patronin, die Maria Himmelfahrtskirche aus dem 14. Jahrhundert ist im Barrockstil umgebaut bis heute erhalten, Rosa Coeli ist als Ruine gesichert worden. 192 Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 44; Vita Siardi, cap. 1, S. 248, cap. 3, S. 256, cap. 6, S. 276, cap. 19, S. 312, cap. 20, S. 315. 193 Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 34; Vita Siardi, Miracula, S. 320–348, hier S. 348, Z. 17–18: »Ave gemma celi luminarium, Maria – Ave Sancti Spiritus sacrarium, Maria«. 194 Lambooij: Sibrandus Leo, S. 416; Lambooij et al.: Vitae abbatum, S. 23, 25, 47, 54. 195 Der Rommersdorfer Abt Petrus Diederich, der Heiligenviten des Ordens sammelte, hatte sie in das Prämonstratenserinnenstift Retters im Taunus lokalisiert (er verunechtete die einzige überkommene Handschrift im Rahmen seiner Bemühungen um die Restitution des 1559 aufgehobenen, einst Rommersdorf unterstehenden Prämonstratenserinnenstifts Retters). Vgl. Köster: Christina von Hane, Sp. 1225–1228; Krings: Das Prämonstratenserinnenkloster, S. 34, Anm. 51; Ders.: Vom Schwesternkloster, S. 45; Ders.: Die Frauenklöster, S. 188–192. 196 Als Propst von Hane ist er am 9. 04. 1287 bezeugt, am 13. 12. 1293 wurde er Abt von Rothenkirchen. Bis zum Beginn seines Abbatiats schrieb er die Vita als Augenzeuge: »Ich

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folglich aus dem 13. Jahrhundert stammt, ist er aber nur in einer Abschrift aus dem 15. Jahrhundert überliefert.197 Die 1269 in eine adelige Familie geborene Christina kam mit sechs Jahren (1275) ins Stift, mit zehn besuchte sie die Stiftschule und betete mit den anderen Schwestern das gesamte Chorgebet (1279) und legte 1281 die Profess ab. Als ministra infirmorum kümmert sie sich um die Kranken.198 Ihre Christusmystik zentriert sich in der Passion Christi, »die freundlicheren Seiten ihrer mystischen Schau verknüpfen sich mit Maria: als Vorbild geistlichen Lebens (magistra disciplinae) zeigt sie doch überwiegend mütterliche Züge«199. Auch Rupert von Deutz hatte Maria als magistra apostolorum bezeichnet.200 Christina nimmt auch großen Anteil an der Verehrung der hl. Ursula und deren Gefährtinnen (Kult der 11.000 Jungfrauen), von denen es Reliquien in Hane gab. Zu Norberts Reliquiensuche in Köln gibt die Vita Norberti Auskunft.201

3.

Marienverehrung in der Marienlegende

Schon in den ersten Vitenfassungen ist davon die Rede, dass in Visionen der richtige Ort gezeigt wird, an dem die erste Gründung entsteht (vgl. 2.3. Schriften). Nach einer bald nach den Viten fassbaren Legendenüberlieferung soll Maria involviert gewesen sein.202 Nach Cappenberger Tradition wird von einer Erscheinung des heiligen Augustinus berichtet, der Norbert persönlich die Regel überreicht haben soll, so weiß der Verfasser der älteren Gottfriedvita zu berichten, dort ist aber nicht explizit von Maria die Rede.203 Dieser Text wird aber auf Bitten Abt Hugos von

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Bruder, der das schreibt, war auch zugegen… , ich sah das selber mit meinen Augen« (Kap. 57 u. 80). Danach gibt er nur noch Aufzeichnungen der drei Schwestern in indirekter Rede wieder, da er selbst eben schon in Rothenkirchen war. Vgl. Krings: Rezension, S. 158f. Mittermaier: Lebensbeschreibung, 17. 1965, S. 209–225 (Einleitung zur Edition); Kirakosian: Die Vita, S. 24, 62, 68 und 71 legt sich auf keinen bestimmten Autor fest. Krings: Wülfersberg, S. 34; Ders.: Vom Schwesternkloster, S. 45. Köster: Christina von Hane, Sp. 1227. Kritisch zu Christinas Marienverehrung: Gottzmann: Christina v. Hane, S. 53f. Deutz et al.: Rupertus Tuitiensis: Commentaria, Einleitung, S. 31. Vgl. auch Schreiner: Maria, S. 122. Vita Norberti A, cap. 12, S. 682). Vgl. Levison: Das Werden, S. 110. Zák: St. Norbert, S. 43. Auch die Vita Ludwigs von Arnstein berichtet von einer himmlischen Bestätigung des Ordensgewands. Niemeyer et al.: Die Viten Gottfrieds, Vita Godefridi I, cap. 8, S. 114f, hier S. 115, Z. 10–18: »›Scio‹, inquit, ›unum ex professionis nostre fratribus, cui de regula nostra studiosius indaganti non quidem suis meritis, immo confratrum suorum orationibus beatus visus est Augustinus, qui et auream regulam a latere suo dextro prolatam illi porrexit, seque ipsum luculento ei sermone intimavit dicens: Quem vides, Augustinus ego sum, Yponensis

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Fosses durch die Cappenberger Prämonstratenser an die Vita Norberti B angehängt, so dass er später Eingang in die Ordensüberlieferung findet. Hermann von Tournai, der sich auf den mündlichen Bericht Hugos von Fosses stützen kann, berichtet zumindest von einer weiteren – über die Viten hinausgehenden – nächtlichen Vision, die Norbert allein den Standort Prémontré bestätigt – denn weil der Ort, den Norbert sich in Begleitung des Laoner Bischofs Bartholomäus ausgesucht hatte, so abgelegen lag, übernachtete der Bischof in Anizy – während Norbert die Nacht vor Ort in der Kapelle, die Johannes dem Täufer geweiht war, verbrachte.204 Für Hermann begründet diese Übernachtung Norberts in der kleinen Kapelle den endgültigen Entschluss, hier das Gründungswerk zu beginnen. Was Norbert im Einzelnen gesehen haben soll, wird nicht gesagt. Die nachträglich 1143 von Bischof Bartholomäus von Laon ausgestellte Urkunde, berichtet von dem Vorfall: Norbert soll ausgerufen haben, »ich sehe, dass der Ort mir von Gott vor aller Zeit vorbestimmt war«.205 Hermanns erste Vision in der Kapelle ist aber wohl der Beginn der Legende, nach der Norbert der Habit von Maria persönlich übergeben worden sei. Denn der um 1390/1395 geborene Michael Ausse, der 1416 in das Prämonstratenserstift Wilten eintrat, 1426/1427 als Prior urkundlich belegt ist und von 1430 bis 1433 Pfarrer in Ampaß war und zugleich Kaplan des Tiroler Landesfürsten und 1443 in Ampaß verstarb, verfasste um 1425 eine Kompilation der Norbertviten, worauf schon Walter Neuhauser aufmerksam gemacht hat.206 Hier ist Marias Rolle bei der Gründung von Prémontré hervorgehoben.207 Michael Ausse schiebt nach der Platzsuche mit Bischof Bartholomäus einen Text ein, dessen Kernaussage er aus einer anderen Quelle zu haben scheint, die er aber sehr umständlich formuliert unter eine eigene Überschrift stellt.208 Dort ist von einer Marienerscheinung die Rede, die wörtlich wiedergegeben wird und in der Maria

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episcopus; ecce habes regulam, quam ego conscripsi, sub qua, si bene militaverint confratres tui, filii mei, securi Cristo astabunt in extremi terrore iudicii‹«. Während die Vita Norberti A und auch die Fassung B dazu nichts schreiben, berichtet Hermann von Tournai (Saint-Denis (Hg.): Hériman de Tournai: Les miracles de Sainte Marie, lib. III, cap. 3–4, S. 206–208) von einer nächtlichen Vision in der Kapelle Saint-Jean Baptiste. Vgl. Ehlers-Kisseler: 900 Jahre Prémontré, S. 230f.; Grauwen: Bartholomeus, S. 207. 1143: Regest: Grauwen: Lijst, Nr. 82, S. 168 (dort auch zur Datierung: Die Indiktion und die Konkurrenten weisen auf 1143, die Epakten auf 1142); Druck: Le Paige: Bibliotheca, 1, S. 372f: »Quem vir Domini considerans: ›locum inquit, video secundum cor meum a Deo michi ante omnia tempora preparatum‹«. So schon Grauwen: Bartholomeus, S. 207. Neuhausser: Das Opusculum, S. 53–56. Ebd., S. 83: »Die Bedeutung Mariens für den Prämonstratenserorden wird darüber hinaus in zahlreichen Einführungen und Überleitungen deutlich gemacht, durch welche sich Ausses Text von dem der Viten abhebt«, vgl. auch S. 60f, S. 87–89. Ebd., S. 268 (fol. 73rb): (11) »Ordo sanctus premonstratensis suo cum loco plantacione habitu regula postulacione intytulatione confirmatione et nomine, hic sic nun exordium sumit«.

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sich als Mutter des Erbarmens und der Gnade (»mater misericordie materque gracie«)209 vorstellt und Norbert nicht nur ankündigt, dass sie ihm die Ausrichtung der Lebensweise zeigt (»ritu disposicione et forma prout tibi sum iam ostensa hic«), sondern auch einem seiner Brüder den Ort Prémontré, und ihm durch ihren secretarius Augustinus die Anweisungen am Weihnachtstag erteilen wird in Form der Regel, die von Papst Honorius II. und Kaiser Lothar bestätigt werden wird. Außerdem prophezeit sie seine Wahl zum Erzbischof von Magdeburg und seinen Tod an einem Junitag.210 Es scheint so, als habe Michael Ausse die Norbertviten inklusive der Cappenberger Zusätze mit Hermann von Tournai verbunden. Dabei vermisste er aber offensichtlich die Beteiligung der Gottesmutter, die er entweder selbst formulierte oder aus einer weiteren Überlieferung in seine Kompilation einfließen ließ. Auch die 1860 publizierte Klever Chronik Cronica comitum et principum de Clivis et Marca, Gelriae, Juliae et Montium, necnon archiepiscoporum Coloniensium usque ad a. 1392, die aus älteren Texten um 1465 bis 1500 kompiliert wurde,211 erweitert das Chronicon Bernense, indem es bei der Ordensgründung von einer visionären Erscheinung Marias spricht.212 209 Die seit dem 13. Jh. fälschlich Anselm von Canterbury zugeschriebene Admonitio morienti (Cantuariensis Anselmus: Hymni et psalterium, Sp. 685–688; vgl. Steer: Anselm, Sp. 378) formuliert ebenso, Sp. 687B: »Maria, mater gratiae, mater misericordiae, tu nos ab hoste protege, et hora mortis suscipe: per tuum ergo, Virgo, Filium, per Patrem, et Spiritum sanctum, praesens adsis ad obitum meum, quia imminet exitus. Amen«. 210 Neuhausser: Das Opusculum, S. 268 (fol. 73rb): (12) »Tandem cum huic placuit qui eum sue Norpertum matris ex utero segregavit sine quo, vel quo pretermisso, nullum rite fundatur exordium […] Hinc est quod ipsa virgo gloriosa virgo maria veluti institutrix et auctrix eius ordini (!) plantacionis regule loci et ipsius nominis una cum aliis die quodam ut ipse vir dei Norpertus eiusque devotus capellanus dei eodem ut sibi adhuc solus exquireret locum in solitario et valde loco deserto prout postea eadem virgo gloriosa prout iam supra per omnia toto in habitu candido sibi Norperto hylariter apparuit seque ipsam luculento ei sermone intimavit dicens ›Ego sum mater misericordie materque gracie quam vides […] ritu disposicione et forma prout tibi sum iam ostensa hic et in isto loco nullo modoque alio quem olim ab antea mei ad vissionem (!) premonstratum promisi appellari huius rei in memoriam ut tu ab incolis terre, nec non et post similiter per visionem unius tuorum confratrum […]. Qua propter tibi secretarium meum dilectum Augustinum yponensis ecclesie episcopum in die natalis Domini mittam […]‹«. 211 Seibertz: Cronica, S. 121–253, z. T. auf älteren Vorlagen beruhend, aber im 15. Jahrhundert kompiliert. Überliefert ist das Werk vollständig in 6 Handschriften aus dem 16. und 17. Jh. Vgl. Kastner: Die Territorialpolitik, S. 9. 212 Van den Hurk: Betrekkingen, S. 26 mit Verweis auf: Chronicon Bernense: »… ordo Premonstratensis incepit per dominum Norbertum, postea Magdeburgensem episcopum«. Und den Auszug aus der Klever Chronik: »[…] ordo praemonstratensis ao. Dni. 1120 orsus est a sancto et nobili viro Nortberto de Gennep Xanctensi praeposito, indeque Magdeburgensi archiepiscopo, quemadmodum diva virgo Maria in visione praemonstraverat«. – Dort ist auch explicit davon die Rede, dass sich Folcold, der Stifter von Berne der Jungfrau Maria übergeben habe: »[…] sese devovit, promittens […] cum equo Mosae fluctibus sese ingerens […], pulcherrimam virginem post ipsum in equo residentem se vidisse asserens«.

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Und diese Erzählung kennt auch der französische König Ludwig XI. (1461– 1483), der zusätzlich zur militärischen eine klerikale Erziehung genossen hatte und hochgebildet, aber zugleich von einer »an Aberglauben grenzenden Frömmigkeit« geprägt gewesen sei.213 Er erwähnt das von Maria übergebene Ordensgewand 1475 in seiner Urkunde für Prémontré.214 Ludwig XI., der sich auf viele alte Dokumente beruft, die ihm vorgelegt worden seien (»multis authenticis documentis, historiique probatissimis«), betont gegenüber dem Generalabt, dass dem Orden auf wunderbare Weise von der Jungfrau Maria nicht nur sein Gründungsort enthüllt, sondern auch das Ordensgewand (habitus) gegeben worden sei, wodurch man erfahren habe, wo das Haupt des Verbandes zu errichten sei.215 Anschließend bestätigt er alle Rechte und Privilegien. Allerdings fehlt die Szene in der Norbertvita im Weissenauer Traditionskodex, der unter Abt Jakob Murer (1523–1533) entstand – hier wird der weiße Habit in Analogie zum Gewand der hohen Priester und der Engel gewählt – und es sind zwei Ausführungen der Kreuzeserscheinung zu sehen, die zeigen, wie man anhand der Strahlen den Grundriss des Gründungsbaus festlegte.216 Kurz darauf wird aber im Rheinland auf einem Glasbild aus dem unter den Äbten Johannes Schuys von Ahrweiler (1517–1538)217 begonnenen und Jakob II. von Panhuysen (1540–1582)218 1557 vollendeten Glasgemäldezyklus im Steinfelder Kreuzgang die Szene dargestellt: Dort waren auf dem Fenster neben der Küche auf dem Sockelfeld Johannes der Täufer und die Gottesmutter zu sehen, die Norbert den Habit reicht, auf dem Hauptfenster links Adams und Evas Vertreibung aus dem Paradies durch den Erzengel Michael mit Gottes Aufforderung ›crescite et multiplicamini‹, rechts wie Adam und Eva von der verbotenen Frucht essen, daneben im Bogen die Erschaffung des Menschen und Johannes 213 Contamine: Ludwig XI., Sp. 2186–2189. 214 So schon Janssens: Als de Bliksem, S. 18. 215 Le Paige: Bibliotheca, 2, S. 762: »[…] imo miraculosam institutionem Praemonstratensis Ordinis qui magnis iam defluxis temporum curriculis, mystico spiramine ac beatissma et gloriosissima Maria Virgine Christi Redemptoris nostri Matre reuelante, per pium illius Ordinis Patrem primumque Institutorem beatum Norbertum virum quidem vitae sanctimonia, multisque coruscantem clarentemque miraculis noscitur institutus; Atque ille candidus dicti Ordinis habitus pariter atque locus, in pago Laudunensi, per eandem beatissimam et gloriosissimam Virginem Mariam, vbi Praemonstratense Monasterium praefati Ordinis caput et fundamentum construi deberet, praemonstratus«. – Die Edition: Lettres de Louis XI, roi de France. T. VI. Lettres de Louis XI, 1475–1478, publiées d’après les originaux pour la Société de l’histoire de France, par Joseph Vaesen et Étienne Charavay, Paris 1883– 1909, war mir leider nicht zugänglich. 216 Jázai: Die Ausstellung, S. 333–337. – Das Original von 1525 befindet sich im Fürstlichen Gesamtarchiv von Waldburg-Zeil, eine Kopie in der Bayerischen Staatsbibliothek München (Clm 21305). 217 Joester: Äbte und Chorherren, S. 135–139. 218 Ebd., S. 142–150.

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Evangelist, zugleich Verfasser der Offenbarung: ›Et factum est praelium‹.219 Die Szene, in der Maria Norbert den Habit überreicht, findet sich auch auf einem Glasgemälde im Kreuzgang der Prämonstratenserabtei Park bei Löwen, das kurz darauf entstand.220 1622 folgte die Gravur der Brüder Cornelius und Theodor Galle aus Antwerpen nach der Norbertvita des Johannes Chrysosthomus Van der Sterre, deren Unterschrift lautete: Gloriosa coelorum Regina S. Norberto apparet in Capella S. Ioannis Baptistae Praemonstrati pernoctanti: quae preces ipsius exauditas denunciat, locumque, ubi primum Ordinis sui Coenobium extrueret praemonstrat: candidumque similiter habitum exhibet, his additis verbis: ›Fili accipe Candidam vestem‹ atque ita Norbertus eodem ipso anno 1120 in vere sub Candido suo vexillo Socios conscribere incipit.221

Das ist dann die Grundlage für Jean Le Paige, der wie Hermann von Tournai zwei Visionen schildert und sich dabei auf Hugo von Fosses beruft, dem Norbert selbst erzählt habe, dass ihm die Gottesmutter Maria in der ersten Nacht in Prémontré erschienen sei und ihm das weiße Gewand der Prämonstratenser überreicht habe: Mit den Worten: »Sohn Norbert, nimm das weiße Gewand (›fili Norberte, accipe candidam vestem‹)«. In einer zweiten Vision werden die Prämonstratenser den letztendlichen Bauplatz gemeinsam in der Kreuzesvision sehen.222 Zahlreiche Ölgemälde der Szene sind erhalten, wie das Augustijn Thijssens de Jonge (1650–1670) zugeschriebene aus Sint-Catharinadal in Oosterhout223 oder das im Kapitelsaal in Geras hängende (wohl zu einer Reihe im Kreuzgang ge-

219 Oidtmann: Über die Glasgemälde, S. 78f. Die Glasfenster befinden sich heute größtenteils im Victoria and Albert Museum. Vgl. Collections.vam.ca.uk. – Nur zwei Scheiben kamen nach Steinfeld zurück: Neuss (Hg.): Die Glasmalereien. 220 Norbert empfängt das weiße Ordensgewand von Maria, Glasmalerei von Jan de Caumont (1577–1659) im Kreuzgang der Parkabdij in Löwen, in: van Lani et al.: Als de bliksem, S. 19, Abb. 15. 221 Norbert empfängt das weiße Ordensgewand von Maria, Gravur in dem Buch, Johannes Chrysosthomus Van der Sterre, Vita sancti Norberti, Antwerpen 1622, abgebildet, in: Horstkötter: Norbert von Xanten, S. 32 [ND 2004, S. 150]. 222 Paige: Bibliotheca, 1, cap. 11, S. 372: »Ecce enim repente ei apparet Deipara Virgo gloriosissima, Angelorum Choris vndequaque stipata, lumineque coruscans, quae exauditas eius orationes denunciat, et locum, vbi caput sui Ordinis fundare deberet, ei demonstrat. Vnde merito Praemonstratensis ordo cognomentum induit: Habitum quoque quo se suosque induere deberet, ostendens, sic affatur: ›fili Norberte, accipe candidam vestem‹. Quibus dictis, vna cum Angelorum comitatu et luce disparuit«. – Die zweite Vision schildert er Ebd. cap. 18, S. 385f. – Zák: St. Norbert, S. 43. Auch die Vita Ludwigs von Arnstein berichtet von einer himmlischen Bestätigung des Ordensgewands. 223 Ölgemälde: Augustijn Thijssens de Jonge (1650–1670), Norbert empfängt das weiße Ordensgewand von Maria, aus der Sammlung von Sint-Catharinadal, Foto von Wim Vermeeren, in: 750 Jaar Sint-Catharinadal, S. 28.

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hörende), das wohl um 1750 entstanden ist.224 In der Pfarrei Coesfeld befindet sich ein aus Cappenberg stammendes Altarbild von Hermann Veltmann von 1696, das hinter dem heiligen Augustinus, der Norbert die Regel übergibt, die Gottesmutter zeigt, gleichsam alles überwachend.225 Eine solche ›Gnadentreppe‹ zeigt auch das Altarblatt aus Steingaden.226 Möglicherweise aus derselben Zeit stammt eine Fassung aus Bonne-Espérance bei Binche in Belgien.227 Auch die barocken Deckenfresken aus Roggenburg, Schussenried, Steingaden, Osterhofen und Rot an der Rot zitieren die Szene.228

Fazit Schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts scheinen Berichte über Visionen Norberts in Umlauf gewesen zu sein, von denen nur einige Eingang in die beiden Norbertviten fanden. Zu nennen sind die Augustinuserscheinung nach Cappenberger Tradition und die nächtliche Vision Norberts in der Kapelle von Prémontré, die Hermann von Tournai berichtet. Die Verbindung dieser Legenden mit der Vision der Übergabe des Ordensgewandes durch Maria ist zumindest seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts belegt – Michael Ausse starb bereits 1443 –, sie mag erst da erfolgt sein, könnte aber auch lokal mündlich weitergegeben worden sein, weil man bei einer Verschriftlichung die Kritik der theologisch Gebildeten fürchtete. 224 Schadow: Gemäldezyklus, S. 36f und S. 76f. 225 Stahlheber: Die Ikonographie, S. 241f, Abb. Farbtafel VIII. 226 Wohl vom Konstanzer Maler Johann Christoph Storer. Es zeigt in Form einer »Gnadentreppe« unten den Heiligen, der von Engeln das weiße Ordenskleid und vom hl. Augustinus die Ordensregel erhält. In der oberen Bildhälfte thront Maria mit dem Kind, rechts von Johannes dem Täufer und Johannes Evangelist begleitet. Foto: Ricardalovesmonuments 2020 auf: https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Werke/s-z/Steingaden.html. 227 Maré: Un poème. – Charly de Maré verweist auf die Internetseite von Wikimedia: https://up load.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b7/Bonne-Esperance_Refectoire1.jpg. 228 In Roggenburg entstand im nordwestlichen Eckbau zwischen 1750 und 1760 ein Fresko, das darstellt, wie die Muttergottes mit Kind das Ordensgewand und der hl. Augustinus die Regeln überreicht, von Franz Martin Kuen. Vgl. Kunze et al: Franz Martin Kuen, S. 66. – In Schussenried gestaltete Johann Zick 1745 die Decken- und Obergadenzonen des Langhauses und die Gewölbe der Seitenschiffe. Im Langhaus, wo schon seit 1650 ein Tonnengewölbe vorhanden ist, malte er ein grosses Hauptfresko mit Szenen aus dem Leben des hl. Norbert: https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Werke/s-z/Schussenried.html. – Das Deckenfresko in Rot an der Rot malte Meinrad von Ow 1780 zum Thema der Übergabe des weißen Ordenskleides an den Ordensgründer, den hl. Norbert. Foto: Norbert Schnitzler 2006: https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Werke/s-z/Rot_an_der_Rot.html. – In Osterhofen zeigt das Kuppelfresko des Chors, wie der hl. Norbert in einem scheinperspektivischen Rundtempel von der Muttergottes mit Kind das Ordensgewand empfängt, während der hl. Augustinus die Regeln überreicht. Foto: Bieri 2016. https://www.sueddeutscher-barock.ch /In-Werke/s-z/Osterhofen.html.

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Das hinderte Einzelne aber nicht daran, sich schon früh auch literarisch mit mariologischen Fragen zu beschäftigen, wie Lucas von Mont-Cornillon, der nicht nur den Terminus der advocatrix in die Hohelied-Exegese einführte, sondern Maria auch daran Anteil am Erlösungswerk zubilligte, indem er das sechste, gegenwärtige Zeitalter mit Maria beginnen ließ. Allerdings hat er seine Schrift nur auf den direkten Wunsch des Bischofs Milo von Therouanne verschriftlicht. Auch Philipp von Harvengt wäre hier zu nennen. Die Prämonstratenser waren eingebettet in ein Netzwerk von Regularkanonikern, Benediktinern, Zisterziensern, Kartäusern und Eremiten, das teilweise schon von Norbert geknüpft worden war, und teilten sich mit ihnen die Verehrung der Gottesmutter. Die Eigenart der prämonstratensischen Marienverehrung wird aber nicht nur in den Lebensbeschreibungen des Cappenberger Stifters Gottfried, der friesischen und der Steinfelder Vorsteher, derjenigen Hermann Josefs und der Christina von Hane deutlich, bei letzteren vor allem in deren mystischen Erfahrungen, sondern auch in den Schriften des Lucas von Mont-Cornillon, im Gebetbuch der Gräfin von Arnstein oder den hier vorgestellten Zeugnissen aus den Prämonstratenserinnenstiften Bedburg, Dünnwald und Wenau. Die bleibende Bedeutung Mariens wird neben diesen Texten auch daran erkennbar, dass auf die ›patrona praecipua‹ im Segensgebet bei der Professfeier im Prämonstratenserorden verwiesen wurde. Auch die mehrfache Nennung Mariens als Lehrmeisterin zeigt die Anhänglichkeit an die Gottesmutter. Schon früh lässt sich das Feiern des Marienoffiziums und der verschiedenen Marienfeste nachweisen. Neben weiteren Texten zeigen auch Hymnen, Antiphonen und Sequenzen die große Marienverehrung schon der frühen Prämonstratenser. Die besondere Nähe zu Maria wird auch an der Patrozinienwahl deutlich, denn es kann davon ausgegangen werden, dass alle Stifte der Anfangszeit zumindest ein Nebenpatrozinium der Gottesmutter hatten. Unter anderem aus Gründen der Unterscheidung der vielen Marienstifte nahmen die meisten Stifte Nebenpatrozinien hinzu, die nachher in der Benennung das Marienpatrozinium zurückdrängten. Auch Vorlieben einzelner Vorsteher und Anpassung an die örtlichen Traditionen mögen eine Rolle gespielt haben, das Marienpatrozinium durch weitere Patrone zu ergänzen. Zudem dürfte nicht jedes Marienstift auch Marienreliquien besessen haben und da in zunehmendem Maße auch mit Hilfe der Reliquien Schutz und Hilfe erbeten wurde, traten die tatsächlich vorhandenen Reliquien in den Vordergrund.

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Ingrid Ehlers-Kisseler

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Das Marienpatrozinium und die Marienverehrung

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Ingrid Ehlers-Kisseler

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Das Marienpatrozinium und die Marienverehrung

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Waldemar Rozynkowski

Erscheinungsformen des Kults der Heiligen Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten im Mittelalter im Gebiet des Ordensstaats in Preußen

Abstract: Manifestations of the Cult of St. John the Baptist and St. John the Evangelist in the Middle Ages within the Borders of the State of the Teutonic Order in Prussia The subject of this article is to present selected manifestations of the cult of one of the most popular saints in the Church in the Middle Ages, namely St. John the Baptist and St. John the Evangelist. In terms of territory, the work concerns the territory of the state of the Teutonic Order in Prussia, excluding Gdan´sk Pomerania. The article recalls selected manifestations of the memory of saints: their presence in the liturgy (liturgical calendar), patronage over sacral buildings, patronage over fraternities and towns, patronage over people, presence in art, references found on bells and the presence of Saint John in the revelations of Bl. Dorothy from Ma˛ty. Keywords: St. John the Baptist; St. John the Evangelist; cult; state of the Teutonic Order in Prussia

Einführung Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die Darstellung ausgewählter Aspekte des Kults von zwei der populärsten Heiligen der katholischen Kirche im Mittelalter: des hl. Johannes des Täufers sowie des hl. Johannes des Evangelisten. In territorialer Hinsicht befasst sich der Text mit dem Gebiet des Ordensstaats in Preußen mit Ausnahme des Danziger Pommerns. Von der kirchenrechtlichen Gliederung her umfasst der Untersuchungsraum vier Bistümer ab 1243: Kulm (Chełmno), Pomesanien, Ermland sowie das Fürstbistum Samland. Alle diese Diözesen unterstanden ab 1255 dem neugegründeten Erzbistum Riga. Das Danziger Pommern gehörte Anfang des 14. Jahrhunderts in weltlicher Hinsicht zum Ordensstaat, kirchenrechtlich jedoch zum Bistum Leslau (Włocławek) und damit zum Erzbistum Gnesen (Gniezno).1 Prof. Dr. Waldemar Rozynkowski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, ORCID: https:// orcid.org/0000-0003-2332-3497. 1 Rozynkowski: Powstanie, S. 29–33; Radzimin´ski: Kos´ciół.

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Waldemar Rozynkowski

Wir werden im Folgenden auf mehrere Orte eingehen, in denen im Mittelalter der Kult der beiden heiligen Johannes und die Erinnerung an sie besonders ausgeprägt waren. Eingangs ist festzustellen, dass in den mittelalterlichen Quellen häufig die Zuordnung schwierig ist, welcher der beiden Heiligen gemeint war: der Täufer oder der Evangelist. Nehmen wir das Beispiel des Patroziniums der Pfarrkirche in der Altstadt von Thorn (Torun´).2 Die mittelalterlichen Quellen beschränken sich zumeist auf die Angabe, dass die Kirche dem heiligen Johannes geweiht war.3 Es ist eine Ausnahme, dass wir für das Jahr 1361 die präzise Angabe finden, dass die Kirche Johannes dem Täufer geweiht war (»ecclesie sancti Johannis baptiste in Thorun«).4

Die beiden Johannes in der Liturgie Wir können davon ausgehen, dass die frühesten Formen des Kults des hl. Johannes des Täufers und des hl. Johannes des Evangelisten in dem uns interessierenden Gebiet in liturgischen Bezügen lagen. Wann können sie entstanden sein? Ein konkretes Datum zu nennen, ist schwierig; wir können aber annehmen, dass zumindest auf dem Gebiet der Diözese Kulm schon in den 1230er Jahren Johannesliturgien regelmäßig gefeiert wurden. Die Rahmenbedingungen dafür gab der liturgische Kalender vor, der für jedes Jahr die Tage angab, zu denen bestimmter Heiliger besonders zu gedenken sei. Im Mittelalter galten auf dem Gebiet des Ordensstaates ebenso wie im ganzen katholischen Europa und damit auch in den polnischen Diözesen mehrere Daten mit Bezügen auf einen der beiden hier behandelten Heiligen.5 Ein Blick auf die liturgischen Kalender, die im Ordensstaat und damit wahrscheinlich auch in den genannten Diözesen galten, ergibt das folgende Bild: – 6. Mai: hl. Johannes Apostel vor dem Lateinischen Tor, Ritus III Lesung; – 24. Juni: Geburt des hl. Johannes des Täufers, Ritus duplex; – 29. August: Martyrium des hl. Johannes des Täufers, Ritus IX Lesung; – 27. Dezember: hl. Johannes Apostel und Evangelist, Ritus totum duplex.6 Rufen wir bei der Gelegenheit in Erinnerung, dass die Liturgien zum Gedenken bestimmter Heiliger im Ordensstaat und in den preußischen Diözesen hierarchisch abgestuft waren, und zwar von oben nach unten: totum duplex, duplex, 2 Rozynkowski: Patrocinia, S. 58–60; Ders.: S´redniowieczny, S. 86–89. 3 Woelky (Hg.): Urkundenbuch, 1, Nr. 159; Hein et al. (Hg.): Preussisches, 2/1, Nr. 310; Toeppen (Hg.): Acten, 4, Nr. 385; Trzebin´ski (Hg.): Wykaz, S. 186–196. 4 Woelky (Hg.): Urkundenbuch, 1, Nr. 308. 5 Wa˛sowicz: Kalendarz, S. 358–359, 382–383, 387–388. 6 Rozynkowski: Omnes, S. 49, 53, 54, 55, 59.

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Erscheinungsformen des Kults der Heiligen Johannes d. T. und Johannes d. E.

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semiduplex, novem lectionum, trium lectionum sowie commemoratio (memoria).7 Daraus geht hervor, dass in diesem System der Kult des hl. Johannes des Evangelisten im Ordensstaat in Preußen höherrangig war als der des Täufers. Denn sein wichtigster Gedenktag, der 27. Dezember, wurde nach dem höchsten Ritus, d. h. als totum duplex gefeiert.

Patrozinien sakraler Objekte Heilige waren in der Vorstellungswelt des Mittelalters insbesondere als Schutzheilige präsent. Hieraus leitet sich die Gewohnheit ab, ihnen sakrale Objekte zu weihen. Dies wurde als patrocinium oder Widmung bezeichnet.8 Beide heilige Johannes, insbesondere der hl. Johannes der Täufer, gehörten im Mittelalter zu den beliebtesten Patronen sakraler Objekte. In dem hier untersuchten Gebiet war von den beiden Johannes der hl. Johannes der Täufer entschieden der populärere. Vielleicht lag dies daran, dass das Gebiet des Ordensstaats in Preußen stark als Missionsgebiet wahrgenommen wurde. Damit ging einher, dass Bekehrung und Taufe als besondere Aktivitäten des hl. Johannes des Täufers Grundlagen der Christianisierungsaktivitäten im Kulmer Land und in Preußen waren.

1.

Patrozinien von Pfarrkirchen

Auf dem hier analysierten Terrain finden wir knapp 40 Pfarrkirchen, die im Mittelalter dem hl. Johannes dem Täufer bzw. dem hl. Johannes dem Evangelisten geweiht waren.9 Leider fehlen für die allermeisten dieser Kirchen die Stiftungs- oder Konsekrationsdokumente, also diejenigen Quellen, die das Patrozinium im vollen Wortlaut wiedergegeben hätten. Generell sind im übrigen Informationen über die Patrozinien von Kirchen in den Quellen äußerst selten; man kann im Grunde sagen, dass sie nur sporadisch auftreten. Oft finden wir Hinweise auf die Patrozinien von Kirchen erst in Quellen der Frühen Neuzeit. Das bedeutet für das hier diskutierte Gebiet vor allem Berichte über Gemeindevisitationen; diese stammen aus dem späten 16. sowie dem 17. Jahrhundert. Da jedoch Patrozinien in der Regel dauerhaft sind, können wir unter Bezug auf Quellen der Frühen Neuzeit annehmen, dass sie auch aussagekräftig für die Verhältnisse im Mittelalter waren; ein solches Vorgehen ist mehr als zulässig, es scheint sogar angezeigt. 7 Piwon´ski: Kult ´swie˛tych, S. 318; Rozynkowski: Omnes, S. 46–47. 8 Witkowska: Titulus, S. 49–58. 9 Tidick: Beiträge, S. 368–373, 445–447; Rozynkowski: Omnes.

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Waldemar Rozynkowski

In elf Fällen begegnen uns die beiden Heiligen, denen dieser Beitrag gewidmet ist, als Patrone von städtischen Gemeinden. Unter den Patrozinien städtischer Pfarrgemeinden ist damit das Johannespatrozinium das häufigste. Das erlaubt die Feststellung, dass die beiden heiligen Johannes die populärsten Patrone städtischer Pfarrgemeinden im betrachteten Gebiet waren. Es handelt sich im Einzelnen um: – Bartenstein (Bartoszyce): hl. Johannes der Evangelist; – Bischofswerder (Biskupiec) (Bistum Pomesanien): hl. Johannes der Evangelist (?);10 – Bischofsburg (Biskupiec) (Bistum Ermland): hl. Johannes der Täufer; – Braunsberg Neustadt (Braniewo Nowe Miasto): hl. Johannes der Täufer (?);11 – Freystadt (Kisielice): hl. Johannes der Evangelist (?);12 – Marienwerder (Kwidzyn): Allerheiligste Jungfrau Maria und hl. Johannes der Evangelist; – Löbenicht (Lipnik): hl. Barbara und hl. Johannes der Täufer; – Marienburg (Malbork): hl. Johannes der Täufer und hl. Johannes der Evangelist; – Wormditt (Orneta): hl. Johannes der Täufer und hl. Johannes der Evangelist; – Thorn Altstadt (Torun´ Stare Miasto): Johannes der Täufer;13 – Saalfeld (Zalewo): hl. Johannes der Evangelist.14 Auch bei Dorfpfarrkirchen sind Johannespatrozinien verbreitet, nämlich in 26 Ortschaften. Für Landgemeinden sind die beiden Johannes neben hl. Nikolaus, hl. Katharina und der Jungfrau Maria die häufigsten Patrone dörflicher Pfarrkirchen: – hl. Johannes der Täufer in: Alt Blumenau (Błonowo), Brosau (Brzozie Lubawskie), Jonkendorf (Jonkowo), Lichtenau (Lechowo), Königlich Neudorf

10 Auf Siegeln und im Stadtwappen finden wir den Adler, der auch das Symbol des hl. Johannes des Evangelisten ist. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass derselbe Heilige auch der Patron der Pfarrkirche gewesen sein könnte. Vgl. Gumowski: Piecze˛cie, S. 9–10. 11 Es ist nicht völlig klar, ob im Mittelalter die Kirche in der Neustadt von Braunsberg (Braniewo) eine eigenständige Pfarrkirche oder eine Filialkirche der Gemeinde der Altstadt Braunsberg war. Im 18. Jahrhundert war es mit Sicherheit eine Filialkirche. Vgl. Litak: Kos´ciół łacin´ski, S. 410. 12 Auf Siegeln finden wir den Adler, der, wie wir wissen, auch das Symboltier des hl. Johannes des Evangelisten ist. Das kann bedeuten, dass dieser Heilige auch der Patron der Pfarrkirche war. Vgl.: Gumowski: Piecze˛cie, S. 97–98. 13 In dieser Kirche wurde auch der hl. Johannes der Evangelist verehrt, so dass wir nicht völlig ausschließen können, dass er Mitpatron war. Vgl. Rozynkowski: Patrocinia, S. 58–60; Ders.: S´redniowieczny, S. 86–89. 14 Ders.: Omnes, S. 91–96.

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Erscheinungsformen des Kults der Heiligen Johannes d. T. und Johannes d. E.



– – –

2.

239

(Nowa Wies´ Królewska), Schöneberg (Ostaszewo), Johannisburg (Pisz) (?)15, Richnau (Rychnowo), Alt Thorn (Stary Torun´), Swierczynki (S´wierczynki), Lokau (Tłokowo), Glockstein (Unikowo), Gross Wolz (Wełcz Wielki), Wolfsdorf (Wilczkowo) und Sanskau (Zaja˛czkowo); hl. Johannes der Evangelist in: Groß Bertung (Barta˛g), Langewalde (Długobór), Fischau (Fiszewo), Reimerswalde (Ignalino), Kockendorf (Kawkowo), Niezywienc (Niez˙ywie˛c´), Pluskowenz (Pluskowe˛sy), Schlitt (Skolity) und Siegfriedswalde (Z˙egoty); hl. Johannes der Täufer und Erzengel Michael in Baumgarth (Ba˛gart); hl. Nikolaus und hl. Johannes der Evangelist in Schönbrück (Sza˛bruk); Allerheiligste Jungfrau Maria und hl. Johannes der Täufer in Posilge (Z˙uławka Sztumska).16

Patrozinien über Klosterkirchen

Johannespatrozinien finden wir auch bei drei Klosterkirchen in dem besprochenen Gebiet. Die Kirche der Augustiner-Eremiten in Rößel (Reszel) wurde hl. Johannes dem Täufer anempfohlen, das Patrozinium über die Kirche der Zisterzienserinnen-Benediktinerinnen in Kulm übten hl. Johannes der Täufer und hl. Johannes der Evangelist gemeinsam aus. Bei der Kirche der Zisterzienserinnen-Benediktinerinnen in Thorn dagegen teilte sich der hl. Johannes der Evangelist das Patronat mit dem Heiligen Kreuz.17 Insgesamt gab es im besprochenen Gebiet 16 Klosterstiftungen.

3.

Patrozinium über ein Hospital

In einem Fall begegnet uns der hl. Johannes als Patron einer Spitalkapelle. Leider ist es nicht mehr festzustellen, welcher der beiden es war. Der Fall betrifft die Ortschaft Schönsee (Kowalewo) in der Diözese Kulm.18 Dabei war es im Mittelalter schwierig, sich ein Hospital oder ein Armenhaus ohne eine dazugehörige Kirche, Kapelle oder zumindest einen entsprechenden Altar vorzustellen.19

15 Die Anfänge der Gemeinde liegen weitgehend im Dunkeln. Man kann jedoch nicht ausschließen, dass Pisz/ Johannisburg bereits im Mittelalter Sitz einer Pfarrgemeinde war. Die Ansichten hierzu sind in der Literatur geteilt. Vgl. Białun´ski: Kolonizacja, S. 37, 60. 16 Rozynkowski: Omnes, S. 108–115. 17 Ebd., S. 126–127. 18 Ebd., S. 142–143. 19 Vgl.: Wis´niowski: Parafie, S. 317–327.

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240 4.

Waldemar Rozynkowski

Patrozinien über Filialkirchen und Filialkapellen

Anscheinend finden wir die beiden heiligen Johannes in zwei Fällen als Patrone selbständiger Filialkirchen. So konnte, wie bereits bemerkt, hl. Johannes der Täufer der Patron der Kirche sein, die sich in der Vorstadt der Altstadt von Braunsberg (Braniewo) befand.20 Der zweite Fall betrifft eine Kapelle außerhalb der Stadtmauern von Lubawa, für die der hl. Johannes der Täufer als Mitpatron nachgewiesen ist – neben dem Erzengel Michael.21 Es scheint, dass wir annehmen können, dass der hl. Johannes der ursprüngliche Patron war. In dem besprochenen Gebiet finden sich etwa 30 Filialkirchen und -kapellen. Das bedeutet, dass hl. Johannes der Täufer und hl. Johannes der Evangelist bei den weniger bedeutenden und kleineren Sakralobjekten als Patrone seltener waren als in den vollgültigen Pfarrkirchen, wo sie als Patrone, wie gezeigt, eine große Rolle spielen.

5.

Patrozinien über Kapellen und Altäre

Die beiden heiligen Johannes waren nicht nur Patrone selbständiger Sakralbauten. Ein besonderes Interesse und detaillierte Bearbeitung verdienen die Johannespatrozinien für Objekte im Innern von Kirchen. Es geht hier um die Widmungen von Kapellen und Altären. Wir können annehmen, dass den beiden Johannesheiligen geweihte Altäre sich generell in den genannten selbständigen Sakralbauten fanden, denen diese als heiligen Fürsprechern insgesamt geweiht waren. In diesen Kirchen waren sicherlich vor allem die Hauptaltäre für sie reserviert. Verehrt wurden unsere Heiligen aber auch im Innern von Kirchen, die insgesamt anderen Heiligen geweiht waren. Hierfür lassen sich aus dem Mittelalter zwei Beispiele finden. Einen Altar des hl. Johannes (wir wissen nicht genau, welchen von beiden) finden wir in der der Allerheiligsten Jungfrau Maria geweihten Pfarrkirche in Kulm.22 In der Pfarrkirche der Altstadt von Elbing (Elbla˛g), die unter dem Patrozinium des hl. Nikolaus stand, befand sich im Turmbereich eine Kapelle des hl. Johannes des Täufers.23

20 Wie bereits oben zu den Pfarrkirchen erwähnt, lässt sich nicht ausschließen, dass diese Kirche auch die Funktion einer Pfarrkirche für die Neustadt von Braunsberg (Braniewo) erfüllte. 21 Biskup (Hg.): Formularz, Nr. 46, S. 28; Rozynkowski: Omnes, S. 134. 22 Olin´ski: Fundacje, S. 182. 23 Ebd., S. 234.

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Schirmherrschaft über Bruderschaften Die heiligen Johannes waren nicht nur Schutzheilige für Sakralbauten. Wir finden sie auch als heilige Fürsprecher im Milieu der Bruderschaften, auch wenn dies in dem hier untersuchten Gebiet eher selten vorkam. Sicher ist, dass an der Pfarrkirche der Elbinger Altstadt eine dem hl. Johannes dem Täufer geweihte Bruderschaft existierte. Der Bruderschaft gehörten Angehörige zweier Berufsgruppen an: der Brauer und Mälzer. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass sie ihre Versammlungen in der dem hl. Johannes dem Täufer geweihten Kapelle abhielt.24

Patronat über Ortschaften Bezüge auf die heiligen Johannes finden sich auch in den ältesten Siegeln und Stadtwappen. Hierdurch wurden die Heiligen zu Vertretern ganzer lokaler Gemeinschaften gemacht. In unserem Untersuchungsgebiet trifft dies für zwei Fälle zu: die Altstadt von Thorn sowie Freystadt (Kisielice). Für die mittelalterliche Thorner Altstadt kennen wir drei auf Johannes bezogene Siegeldarstellungen. Die eine zeigt den hl. Johannes den Täufer in seinem charakteristischen Tierfell. Er steht zwischen zwei Bäumen auf einem kleinen Hügel. Die rechte Hand hält er auf der Brust, die linke hingegen erhebt sich in einer Segensgeste. Diese Darstellung des Heiligen finden wir auf dem sog. Sekretsiegel.25 Dass der hl. Johannes der Täufer Eingang ins Stadtsiegel fand, hängt mit seinem Patrozinium über die Pfarrkirche zusammen. Das zweite Beispiel betrifft die Ortschaft Freystadt. Auf den ältesten Siegeln und später im Wappen der Stadt finden wir den Adler. Nach der biblischen Symbolik verbirgt sich hinter der Darstellung des Adlers der hl. Johannes der Evangelist. Auch hier dürfte die Genese der Präsenz gerade dieses Apostels in der städtischen Symbolik auf sein Patrozinium der Pfarrkirche zurückzuführen sein.26

Die beiden heiligen Johannes als Namenspatrone Bei der Einschätzung der Bedeutung der beiden heiligen Johannes ist ein Aspekt nicht zu übersehen: die Vergabe von Taufnamen. Das Christentum war eine der Hauptquellen, aus der sich über Jahrhunderte die Vornamen speisten, und es hob 24 Ebd. 25 Ciesielska: Herb, S. 11. 26 Rozynkowski: Omnes, S. 93.

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die Bedeutung des Namens selbst und dessen Vergabe durch das Sakrament der Taufe besonders hervor. Die Quelle der christlichen Vornamen war ursprünglich in erster Linie die Heilige Schrift, und auch die Vornamen von heiligen Märtyrern und Bekennern, insbesondere aus der Periode des frühen Christentums waren von Bedeutung. Im Laufe des Mittelalters nahm der Bestand christlicher Vornamen erheblich zu.27 Johannes war im Mittelalter einer der beliebtesten männlichen Vornamen. Ein Blick in mittelalterliche Quellen, vor allem solche städtischer Provenienz, macht dies deutlich. Zu der Beliebtheit des Vornamens Jan im Untersuchungsgebiet hat der Historiker Krzysztof Mikulski für die Thorner Altstadt eine Statistik der in den Steuerlisten der Stadt für die Jahre 1394 bzw. 1455 angegebenen Vornamen erstellt. Die Liste für 1394 führt 1.250 männliche Personen auf, die für 1455 mit 1.265 nur unwesentlich mehr. Die Namen verteilen sich auf 86 bzw. 71 verschiedene Positionen. Dabei waren die populärsten männlichen Vornamen in der Thorner Altstadt 1394: Jan/Johannes (284 Nennungen), Mikołaj/Nikolaus (227) sowie Piotr/Peter (153). Die 60 Jahre später entstandene Liste von 1455 zeigt, dass sich an der Reihenfolge nichts geändert hatte: Jan/Johannes führte mit 239 Nennungen, es folgten Mikołaj/Nikolaus mit 190 sowie Piotr/Peter mit 95 Erwähnungen.28 Im Lichte der angeführten Quellen erweist sich also Johannes als der wahrscheinlich populärste männliche Vornahme in der mittelalterlichen Thorner Altstadt. Es ist schwierig zu begründen, aber wahrscheinlich verbirgt sich dahinter auch das Patrozinium der Heiligen Johannes in der Altstädter Pfarrkirche, die dort in besonderer Weise verehrt wurden. Unzweifelhaft waren im Mittelalter im christlichen Kulturkreis der liturgische Kalender und der Patron der Gemeindegemeinschaft, der man angehörte, die wesentlichen Inspirationsquellen für die Namen, die Eltern ihren Kindern ins Leben mitgaben. Ähnliche Forschungen, wie sie Krzysztof Mikulski für die Gesamtheit der Thorner Steuerbürger vorgelegt hat, hat Radosław Krajniak für den engeren Personenkreis der Geistlichen vorgenommen, die im Mittelalter in die Domkapitel in Preußen aufgenommen wurden. Auch hier war Jan/Johannes der populärste Vorname. Nachgewiesen ist, dass 177 Geistliche diesen Namen trugen. Im weiteren Verlauf ist allerdings bei den Geistlichen eine breitere Varianz der Vornamen zu finden: Nikolaus (Mikołaj, 82), Heinrich (Henryk, 60), Jakob (Jakub, 22), Andreas (Andrzej, 17), Peter (Piotr, 15), Konrad (14), Hermann (13), Michael (Michał, 13), Martin (Marcin, 11), Laurentius/Lorenz (Wawrzyniec, 11), Bertold (10), Paul (Paweł, 10) sowie Thomas (Tomasz, 10).29 27 Ebd., S. 241–250. 28 Mikulski: Pułapka, S. 261, 263. 29 Krajniak: Imiona, S. 87–89.

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Die heiligen Johannes in der Kunst Ein weiterer Bereich, in dem uns die heiligen Johannes im Mittelalter begegnen, sind ihre Darstellungen in der sakralen Kunst. Beide zählten zu den populärsten Heiligen, daher haben wir zu ihnen ein umfangreiches Anschauungs- und Analysematerial zur Verfügung. Ikonographisch wird Johannes der Täufer meist als erwachsener Mann dargestellt, der in ein Tierfell gehüllt ist. Seine besonderen Attribute sind: das Lamm Gottes, ein Lamm, ein Kopf auf der Schüssel, ein Taufbecken, etwa eine Muschel. Der hl. Johannes der Evangelist hingegen wird meistens als junger Mann in Tunika oder Mantel dargestellt, mit den Attributen Adler, Taube, Kelch mit Hostie oder Schlange, Buch bzw. Schriftrolle.30 Auch auf dem Gebiet des Ordensstaates in Preußen finden wir eine Vielzahl von Darstellungen vom hl. Johannes dem Täufer bzw. hl. Johannes dem Evangelisten, die noch ihrer umfangreichen Erforschung harren. Hier sollen nur einige Beispiele genannt werden. In der Pfarrkirche der Thorner Altstadt findet sich im Chor eine um 1360 entstandene Wandmalerei. Sie stellt beide Johannesheiligen dar. In den Franziskanerkirchen in Kulm und Thorn finden wir mittelalterliche Wandmalereien, die den hl. Johannes den Täufer zeigen, wie er mit dem Finger auf das Lamm weist. An mehreren Stellen finden sich Skulpturen oder Reliefs mit dem Kopf des hl. Johannes des Täufers auf der Schale, zum Beispiel in der Kirche der Zisterzienserinnen in Kulm, der Pfarrkirche in Strasburg an der Drewenz (Brodnica) oder derjenigen in Wormditt (Orneta).31 Schlusssteine mit dem Symbol des hl. Johannes des Apostels, also mit dem Adler, haben sich in den Kapellen der Ordenshäuser in Marienburg (Malbork) und Thorn erhalten.32 Bis heute steht in der Kirche in Neumark (Nowe Miasto Lubawskie) eine Statue des hl. Johannes des Evangelisten vom Ende des 15. Jahrhunderts als Teil einer Kreuzigungsgruppe.33 Eine zwischen 1330 und 1350 entstandene Statue desselben Heiligen aus der Kirche der heiligen Johannes in Thorn wird heute in der Sammlung des dortigen Bezirksmuseums aufbewahrt.34

Glocken Unter den Orten, die Bezüge auf die beiden Johannesheiligen aufweisen, verdienen Kirchenglocken besondere Aufmerksamkeit. Jede größere Glocke erhielt im Mittelalter einen Namen, der seine Einzigartigkeit unter den Gegenständen 30 31 32 33 34

Vgl.: Knapin´ski: Europejski, S. 41–74; Marecki et al.: Jak czytac´ ´swie˛tych?, S. 299–300, 304. Jakubek-Raczkowska: Tu ergo flecte, S. 274–275, 293, 303. Pospieszna (Hg.): Fundacje artystyczne, S. 40, 43. Ebd., S. 262–263. Ars sacra, S. 35.

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betonen sollte, die den Menschen insbesondere im sakralen Raum umgaben.35 Wir können annehmen, dass auf den Namen Johannes getaufte Glocken zumindest in einigen der Kirchen vorhanden waren, die als Ganze den beiden Heiligen geweiht waren. Da Glocken über Jahrhunderte eine begehrte Kriegsbeute waren und oft auch durch den Gebrauch beschädigt wurden, sind von den ältesten, noch im Mittelalter gegossenen Glocken nur wenige erhalten geblieben. Trotzdem lassen sich in unserem Untersuchungsgebiet einige Beispiele solcher Glocken finden. Wir finden Inschriften mit Bezug auf die beiden Johannesheiligen auf insgesamt fünf Glocken aus der Zeit um 1500.36 Eine Glocke aus der Kirche in Frydland von 1495 trägt die Inschrift »in di ere gotis marien unde des liben sancti johannes«.37 In der dem hl. Johannes dem Täufer geweihten Kirche in Bartenstein (Bartoszyce) findet sich eine 1505 gegossene Glocke mit der Inschrift »Hilf Got Maria und alle Heiligen Gottes. Vollendet in di ere St. Johannis M.D.K«.38 Aus dem Jahr 1512 stammt eine Glocke des Doms von Marienwerder (Kwidzyn´), dessen Inschrift lautet: »ora pro nobis sancte iohannes«.39 Schließlich ist die von 1545 stammende Glocke aus der Kirche in Ortelsburg (Szczytno, heute in Przechlewo/Prechlau) zu nennen, auf der steht: »sancte ioh(ann) het ich / meister gert got mich«.40 Einen direkten Bezug auf den hl. Johannes den Täufer und den hl. Johannes den Evangelisten finden wir auf der Thorner Glocke »Tuba Dei«.41 Sie hängt im Turm der Johanneskirche, wiegt 7238 kg, und ihr unterer Durchmesser beträgt 227 cm. Gegossen wurde sie wahrscheinlich im Jahre 1500. Die Inschrift der von Martin Schmidt gegossenen Glocke lautet: »anno d[omini] m. v XXII die sep[tembris] ego tuba dei i[n] laude[m] Dei et s[an]ctoru[m] ioh[ann]is bapt[iste] et Eva[n]geliste p[at]ronoru[m] h[uius] te[m]pli fusa su[m]«.42 Die Glocke weist ansonsten nicht viele Schmuckelemente auf: Oben finden sich einzelne Kreise, und auf dem Glockenmantel finden sich vier Reliefs: hl. Katharina, hl. Johannes der Täufer, hl. Barbara und hl. Johannes der Evangelist.

35 36 37 38 39 40 41 42

Rozynkowski: Kilka uwag, S. 363–369. Kowalski: Inskrypcje, S. 193–196. Ebd., S. 356. Ebd., S. 353. Ebd., S. 195. Ebd., S. 196. Rozynkowski: Dzwony, S. 52. Krakowiecka-Górecka: Torun´skie, S. 277.

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Die Johannesheiligen in den Visionen der selig gesprochenen Dorothea von Montau Ein weiterer Bezug auf die Johannesheiligen im Ordensstaat in Preußen findet sich in den Visionen der selig gesprochenen Einsiedlerin Dorothea von Montau (1347–1394).43 Wir denken hier insbesondere an die geistlichen Erlebnisse der selig gesprochenen Dorothea, wie sie in Ksie˛ga o ´swie˛tach (Liber de festis) notiert wurden.44 Sie wurden in den Jahren 1397–1400 von ihrem Beichtvater, dem Ordensgeistlichen Jan von Kwidzyn´/Johannes von Marienwerder, aufgezeichnet und redigiert. Ihr Inhalt betrifft die Vorbereitungen Dorotheas auf das liturgische Begehen von kirchlichen Feiertagen zu Ehren des Herrn, der Jungfrau Maria und anderer Heiliger des Herrn sowie die Visionen, die sie an diesen Tagen von Gott erhalten habe. In dieser Quelle finden sich an mehr als zehn Stellen direkte Bezüge auf den hl. Johannes den Täufer und den hl. Johannes den Evangelisten. Dabei kommt der hl. Johannes der Evangelist weit häufiger vor als der Täufer. Das ist nicht erstaunlich angesichts des Standorts der Einsiedelei der Seliggesprochenen, in der sie etwas mehr als das letzte Lebensjahr verbrachte. Selbst wenn wir nicht in der Lage sind, diesen Standort genau zu benennen, so wissen wir doch, dass sich die Einsiedelei im Dom von Marienwerder befand, die u. a. dem hl. Johannes dem Evangelisten geweiht war. Auf den hl. Johannes den Täufer geht Johannes von Marienwerder nur an einer Stelle der Offenbarungen der Einsiedlerin ausführlicher ein, wenn er schreibt: »Danach schickte der Herr ihr am Tage des Martyriums des hl. Johannes des Täufers fünfmal den Heiligen Geist und erwies ihr ähnliche Wohltaten seiner Zuneigung. Diese und viele weitere wurden aus Platzgründen nicht in dieses Werk aufgenommen.«45 Wie schon erwähnt, sind die Bezugnahmen auf den hl. Johannes den Evangelisten und Apostel in den Visionen der selig gesprochenen Dorothea wesentlich häufiger.46 An den Tagen des liturgischen Gedenkens an diesen Heiligen erfuhr die Eremitin tiefe mystische Erlebnisse. Nachstehend führen wir drei Auszüge aus diesen Visionen nach der Niederschrift von Johannes von Marienwerder an: Am dritten Tag nach Christi Geburt, nämlich am Tag des heiligen Johannes des Evangelisten, erschien der Braut Christi in ihrer Rekluse die mächtige Herrin, die Jungfrau 43 Vgl.: Rozynkowski: S´w. Jakub, S. 61–72; Kowalczyk: Bł. Dorota; Łbik: Kult. 44 Wojtkowski (Hg.): Ksie˛ga o ´swie˛tach. 45 »Naste˛pnie w s´wie˛to S´cie˛cia S´wie˛tego Jana Chrzciciela Pan znowu pie˛ciokrotnie posłał jej Ducha S´wie˛tego i udzielił jej podobnych dobrodziejstw swej z˙yczliwos´ci. To i wiele innych, dla krótkos´ci, nie zostało zamieszczone w tym dziele«; Ebd., S. 201. 46 Vgl. Index, Ebd., S. 239.

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Maria. Sie erschien teilweise sitzend, teilweise zurückgelehnt, als ob sie läge, mit großer Grazie, und hielt ihren Sohn schön und hochachtungsvoll auf ihrem Schoß, den Herrn Jesus, dessen Köpfchen nahe der rechten Hand der Jungfrau Maria war, und die Füßchen nahe der linken. Das Kindlein war zu sehen mit einem heiteren Mündchen, splitternackt, und es vergnügte sich auf die Weise, wie – wie man sagt – Säuglinge Pfeile verschießen.47 Am Tag des Heiligen Johannes des Evangelisten wurde sie großmütig getröstet. Sie hatte nämlich für ihn eine besondere Verehrung, hörte sehr gern Predigten über ihn und erhob sich hoch zur klaren Kontemplation des Herrn, von Liebe so entzündet wie verwundet. Sowohl der Brand der Liebe als auch eine unaussprechliche Freude waren an diesem Tag besonders groß. Deshalb sah sie am letzten Fest dieses heiligen Apostels, als sie in der Nacht von der Liebesentrückung wieder zu sich kam und immer noch von der Liebe ganz erfüllt war, die ihr der Herr am Tage des heiligen Stephanus geschenkt hatte, großmütig erleuchtet durch eine Überhimmlische Helligkeit sah sie den liebsten Jesus, schöner als tausend Engel, wie er hochmächtig mit Reichtümern, Ruhm und Ehre zu ihr kommen wollte. Heiß brennend versuchte sie, sich wie immer auf Sein Kommen vorzubereiten, und sie konnte dieses Kommen aus brennender Begierde kaum erwarten. […] Denn der Herr und seine hochwürdigste Mutter erwiesen sich als sehr freundlich ihr gegenüber, und sie wollte sich diesen durch Schmeichelei würdig zeigen. Nachdem dies eine gute Weile gedauert hatte, sprach der Herr zu ihr: ›Ich bin zu Dir mit verschiedenen Gütern gekommen, um Dich gemeinsam mit meiner liebsten Mutter und dem Evangelisten Johannes, der mir sehr viel Gutes und Süßes abgesogen hat, zu bereichern und zu trösten. Mit ihm sollst Du heute neue und besondere Freuden erfahren.‹48

47 »Trzeciego dnia od Narodzenia Chrystusa, mianowicie w dniu s´wie˛tego Jana Ewangelisty, ukazała sie˛ Oblubienicy w pustelni władcza Pani, Dziewica Maryja. Ukazała sie˛ cze˛´sciowo siedza˛ca, a cze˛´sciowo oparta jakby lez˙a˛ca, z wielka˛ czcia˛, pie˛knie i zacnie piastuja˛c na swym łonie synka, Pana Jezusa, którego główka była przy prawej re˛ce Dziewicy Matki, a nóz˙ki w strone˛ lewej. Dziecia˛tko widac´ było z pogodna˛ buzia˛, nagusien´kie, bawia˛ce sie˛ w sposób, którym mówi sie˛, z˙e niemowla˛tka godza˛ strzałami«; Ebd., S. 57. 48 »W s´wie˛to S´wie˛tego Jana Ewangelisty cze˛sto wspaniałomys´lnie była pocieszana. Z˙ywiła bowiem do niego szczególne naboz˙en´stwo, bardzo lubiła słuchac´ kazania o nim i wysoko wznosiła sie˛ do jasnej kontemplacji Pana, zapalana i raniona była miłos´cia˛. Zarówno poz˙oga miłos´ci, jak niewymowna rados´c´, zwykła byc´ tego dnia wybitnie wielka. Dlatego w ostatnie s´wie˛to tego s´wie˛tego apostoła, kiedy noca˛ z porwania wróciła do siebie i była jeszcze w wielkiej opływaja˛cej miłos´ci, która˛ Pan dał jej w dniu ´swie˛tego Szczepana, bardzo wspaniałomys´lnie os´wiecona nadniebna˛ ´swiatłos´cia˛ ujrzała Oblubien´ca Jezusa, nad tysia˛ce aniołów pie˛kniejszego, z˙e chce do niej przyjs´c´ przepote˛z˙nie z bogactwami, chwała˛ i zaszczytem. Gora˛co płona˛c usiłowała przygotowac´ sie˛ na jego przyjs´cie, jak zwykła, i tego przyjs´cia z gora˛cego swego pragnienia ledwie mogła sie˛ doczekac´. […] Mianowicie Pan i najgodniejsza jego Matka ukazali sie˛ jej bardzo przyjaz´ni, którym jak mogła najlepiej okazała sie˛ wdzie˛czna przymilaja˛c. Po jej przymilaniu trwaja˛cym dobra˛ chwile˛ Pan rzekł jej przyjaz´nie: ›Ja przyszedłem do ciebie z róz˙norodnymi dobrami bogaca˛c i pocieszaja˛c z Matka˛ moja˛ najukochan´sza˛ i Janem Ewangelista˛, który bardzo wiele dóbr i słodyczy ze mnie wyssał i pozyskał. Z nim masz dzis´ miec´ nowe i szczególne rados´ci‹«; Ebd., S. 191–192.

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Um die erste Vesper des Johannes vor dem Lateinischen Tor zeigte sich der Braut Christi der Herr mit seiner Mutter und einer Menge der Heiligen. Sie alle zogen die Braut mächtig zum ewigen Leben hin. Deshalb erfuhr sie eine große Energie hin zum ewigen Leben.49

Die vorstehenden Beschreibungen der Visionen harren sicherlich noch einer genaueren Erforschung. Ihre Analyse würde ein vollständigeres Bild von der Anwesenheit der heiligen Johannes, insbesondere des Apostels, im geistlichen Leben der selig gesprochenen Dorothea ergeben können und einen weiteren Aspekt der Erscheinungsformen des Kults der beiden Heiligen in den Grenzen des Ordensstaats in Preußen fassbarer machen.

Schlussbemerkungen Die im vorstehenden Beitrag genannten Orte, an denen wir Bezüge auf den Kult des hl. Johannes des Täufers bzw. des hl. Johannes des Evangelisten finden, bilden in ihrer Gesamtheit eine Art Checkliste, die wir anwenden können, wenn wir vorhaben, den Kult dieser beiden Heiligen auf dem Gebiet des Ordensstaates in Preußen zu untersuchen. Die vorgestellten Beispiele zeigen klar, dass die heiligen Johannes zu den populärsten Heiligen in dieser Region gehörten. Ergänzen wir zum Schluss, dass ihr Kult, der im Mittelalter begonnen hat, auch in den folgenden Jahrhunderten fortgeführt wurde. [Übersetzung: Elz˙bieta Marszałek und Reinhard Lauterbach]

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49 »Koło pierwszych nieszporów Jana przed Brama˛ Latyn´ska˛ Pan ukazał sie˛ Oblubienicy ze swa˛ Matka˛ i mnogos´cia˛ s´wie˛tych. Wszyscy oni mocno pocia˛gali Oblubienice˛ do z˙ycia wiecznego. Dlatego doznawała wielkiej energii na z˙ywot wieczny«; Ebd., S. 199.

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Michalina Duda / Sławomir Józ´wiak

Die Bedeutung der rechten Hand bei der Eidesleistung im spätmittelalterlichen Lateineuropa

Abstract: The Importance of the Right Hand when Taking an Oath in Late Medieval Latin Europe Throughout Christian Europe, a gesture made with the right hand was a visual sign of an oath. At least from the 12th to the early 15th century in the British Isles and Romance countries, the whole hand was used in such a ceremony. However, in areas of Central Europe, fingers were used, most often two fingers of the right hand. It is uncertain when the practice of using three fingers for this purpose emerged in what is now Switzerland and Alsace, and the earliest can be observed at the beginning of the 15th century. It is difficult to decide whether the use of the left hand in the oath ceremony would have been a clear sign of perjury for the people of that time. Source records indicate that this form of taking the oath was inadvisable and could only be justified in extraordinary circumstances. Keywords: oath; gesture; late middle ages; symbols; right hand

In den letzten Jahren erschienen in der Geschichtsschreibung immer mehr Arbeiten, die sich auf die Eidesleistung im spätmittelalterlichen Europa beziehen.1 Diese Geste sowie die Haltung der an einem solchen Akt Beteiligten weckten bereits das Interesse der Forscher.2 Doch im Zusammenhang damit gibt es noch gewisse Fragen, die besondere Aufmerksamkeit erfordern. Dazu gehören zweifelsohne die Verwendung der rechten Hand als ein visuelles Zeichen der Eidesleistung sowie die allgemein anzuerkennenden formalen Regeln der Richtigkeit dieser Geste in dieser Zeitspanne in dem genannten Gebiet. Eben damit möchten sich die Autoren in dem vorliegenden Beitrag auseinandersetzen. Nur einige Quellen bestätigen, dass im mittelalterlichen Lateineuropa auf die positive Symbolik der rechten Hand grundsätzlich großer Wert gelegt wurde. Als Dr. Michalina Duda, Staatsarchiv in Torun´, ORCID: https://orcid.org/0000-0002-5058-1507. Prof. Dr. Sławomir Józ´wiak, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, ORCID: https://orcid.org /0000-0002-8228-4347. 1 Siehe beispielsweise: Kolmer: Promissorische Eide; Laurent (Hg.): Serment; Berend: Oath Taking in Hungary, S. 42–49; Duda et al.: Ze ´swiata; Dies.: On What Were Oaths Taken, S. 143–157. 2 Poeck: Rituale der Ratswahl; Duda et al.: Gestures and Forms of Oath, S. 81–104.

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Beispiel soll hier ein Fragment der an der Wende der 60er und 70er Jahre des 12. Jahrhunderts redigierten Chronik Helmolds, des Propstes von Bosau in Wagrien (heute Bosau bei Lübeck) dienen. Dem Chronisten zufolge ist der Gegenkönig Rudolf in einer entscheidenden Schlacht mit dem Kaiser Heinrich IV. (15. Oktober 1080) an seiner rechten Hand schwer verwundet worden. Im Angesicht des nahenden Todes soll er sich an seine Höflinge mit den folgenden Worten gerichtet haben: Seht ihr meine Rechte mit blutender Wunde? Mit dieser Hand schwor ich Herrn Heinrich, dass ich weder ihm Schaden zufügen noch seinen Ruhm verringern werde. Doch verleiteten mich der Befehl des Apostolischen Stuhls sowie die Forderungen der Bischöfe dazu, eidbrüchig zu werden und mir den nicht gebührenden Titel anzueignen. Ihr seht doch, was für ein Ende uns erwartet: Ich wurde an derjenigen Hand tödlich verletzt, mit der ich meinen eigenen Eid brach. Daher sollen jene, die uns dazu verleiteten, erfahren, wie wir dazu bewegt wurden, so dass wir zufälligerweise nicht ins Verderben geführt werden und das ewige Heil verlieren.3

Der im letzten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts (zwischen 991 und 998) tätige Chronist Richer von Reims, der die Schicksale des westlichen Teils des Frankenreichs (zur Zeit seines Untergangs) und die Anfänge der Herrschaftszeit der Vertreter der neuen Dynastie, d. i. der Kapetinger, beschrieb, schildert eine interessante Geschichte mit einem Eid im Hintergrund. Ihm zufolge verständigt sich der Bischof von Laon Adalbéron, der Anhänger des neuen Herrschers Hugo Kapet, mit Karl von Lothringen, dem Enkel Karls III. des Einfältigen, der diese Stadt zu jenem Zeitpunkt regierte, dass er dessen Macht anerkennt und wird in das dortige Bischofsamt wieder eingesetzt; und im Gegenzug schwört er dem Karolinger einen Treueid, und zwar mit der rechten Hand auf die heiligen Reliquien. Der Bischof erfüllte diese Bedingung,4 obwohl er laut dem Chronisten 3 »Porro Rodulfus vulneratus in manu dextra fugit Marcipolim mortique iam proximus dixit ad familiares suos: ›Videtis manum dexteram meam de vulnere sauciam? Hac ego iuravi domno Henrico, ut non nocerem ei nec insidiarer gloriae eius. Sed iussio apostolica pontificumque peticio me ad id deduxit, ut iuramenti transgressor honorem michi indebitum usurparem. Quis igitur finis nos exceperit, videtis, quia in manu, unde iuramenta violavi, mortale hoc vulnus accepi. Viderint ergo hii qui nos ad hoc instigaverunt, qualiter nos duxerint, ne forte deducti simus in precipicium eternae dampnacionis‹«, Schmeidler (Hg.): Helmoldi Presbyteri, S. 56–57. 4 »Adsunt sancta, superponite dexteram, fidem contra omnes spondete […]. Super sancta dextram extendit [der Bischof], non veritus jurare quodcumque propositum fuit. Unde et cunctis credulus, nulli suspectus fuit. In nullo negotio a quoque vitatur«, Poinsignon (Hg.): Richeri Historiarum, S. 414–415. Der Quellenherausgeber ließ neben dem lateinischen Originaltext auch seine französische Übersetzung drucken. An dieser Stelle ist in der Übersetzung die Rede davon, dass der Bischof »auf die Reliquien der Heiligen« schwor, was in der lateinischen Fassung nicht expressis verbis angeführt wurde. Man kann aber die Richtigkeit dieser Übersetzung anerkennen, denn etwas früher ist die Rede davon, dass der Bischof im Gespräch mit Karl darin einwilligte, den Eid auf »sanctorum reliquiae« abzulegen (Ebd., S. 408). Es gibt

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Die Bedeutung der rechten Hand bei der Eidesleistung

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sein Versprechen gar nicht halten wollte, denn er hatte vor, die Stadt in die Hände Hugo Kapets zu übergeben, was er auch bald darauf tat.5 Eine interessante Form der Eidesleistung wird auf einem der Fragmente des vermutlich in den 1070er Jahren angefertigten Teppichs von Bayeux geschildert, der in dieser sehr beeindruckenden, visuellen Stickform die Geschichte der Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm den Eroberer zeigt.6 In Szene 23 sieht man, wie der Prätendent auf den Thron Harald, der Vertreter der englischen Mächtigen, seinem späteren Konkurrenten Wilhelm einen Treueid leistet (es geht hier um die Ereignisse im Jahr 1064). Auf der linken Seite sitzt der Normannenherzog auf dem Thron, schaut nach rechts und hebt leicht seine linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger. In der Mitte der Szene steht Harald, dem Betrachter zugewandt ( jedoch mit seinem Kopf Wilhelm betrachtend). Links und rechts von ihm stehen auf schwer zu bestimmenden Sockeln/Podesten zwei Reliquienschreine in Form von Hallenkirchen. Einer davon, auf der linken Seite aufgestellt (in der Nähe von Wilhelm), wird vom Schwörenden von oben mit zwei Fingern der rechten Hand (dem Zeige- und Mittelfinger) an der Stelle des die Wand des Reliquiars krönenden Kreuzes angetastet. Harald berührt auch den zweiten Schrein (auf der rechten Seite), aber diesmal vermutlich mit der ganzen linken Handfläche (an dieser Stelle ist die Szene ein wenig beschädigt). Es gibt keine Zweifel, was die Szene 23 des Teppichs von Bayeux darstellt, denn oben wurde eine Inschrift in lateinischer Majuskel mit den Elementen der Minuskel eingenäht: »hAROLD : SACRAMENTVM : FECIT : hIC hAROLD : DVX VVILLELMO DVCI«.7 Auch in den späteren Schriftquellen, was bisher der Aufmerksamkeit der Forscher entgangen ist,8 stößt man auf Erwähnungen, die im Zusammenhang

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also keine Zweifel, dass er eben auf diese Weise erfolgte. Andererseits ließ der Herausgeber aus unbekannten Gründen in der französischen Übersetzung die im hier angeführten Originaltext der Chronik im Zusammenhang mit dem Eid hervorgehobene rechte Hand aus. Ebd., S. 414–417. Ausführlich zu dieser Quelle vgl. Parisse: La tapisserie de Bayeux. Les yeux d’Argus Blog: La Tapisserie. Beispielsweise versuchte die französische Forscherin Hélène Debax, die keine in ihrer Aussage eindeutigen Quellenbeweise finden konnte, die die Verwendung der rechten Hand in den Zeremonien der feudalen Eidesleistung in den Gebieten des Languedoc und der Provence im 11. und 12. Jahrhundert bestätigen, dies durch relativ entfernte Analogien aus dem Bereich des mittelalterlichen Rechts, Kriegs bzw. der Strafen zu beweisen. Im Resultat kam sie zum Schluss, dass die Eidablegung mit der linken Hand hätte ausgeschlossen sein können; vgl. dazu Débax: Le serrement des mains. Éléments, S. 16, 19–22; Dies.: Le serrement des mains: le rituel, S. 511, 513–515. In Wirklichkeit hätte die Forscherin daraus sichere Schlussfolgerungen ziehen können, wenn sie einfach die relativ zahlreichen (auch wenn sehr zerstreuten) ikonografischen und schriftlichen Quellen, welche direkt an den spätmittelalterlichen Eid anknüpfen, analysiert hätte, wo man größtenteils expressis verbis bei dieser Handlung die rechte Hand erwähnt. Es gibt aber auch Ausnahmen, die Debax, ohne die Quellen gut zu kennen, ausschloss.

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mit dem Eid eine bestimmte Hand nennen, obwohl die Suche nach ihnen wegen einer großen Zerstreuung der wenigen Quellenmaterialien viel Zeitaufwand erfordert. Die französische Forscherin Hélène Debax führte eine detaillierte Analyse der Zeremonie der feudalen Eidesleistung im Languedoc, in der Provence und in Nordkatalonien im 11.–12. Jahrhundert durch. Aus ihren Forschungsergebnissen schließt man, dass eine solche Zeremonie in vier Phasen erfolgte. In der vorletzten Etappe drückte der Senior die Hand des Vasallen,9 woraufhin dieser den Eid ablegte und seine Hand auf die Reliquien, und in der späteren Zeit (nach der Mitte des 12. Jahrhunderts) auf die Evangelien legte. Obwohl die über diese Zeremonie berichtenden Quellen die Hand, die man bei diesem Schwur verwenden sollte, an keiner Stelle nennen, bemühte sich Debax, die nach Analogien zur Bedeutung der rechten Hand im Mittelalter suchte, zu zeigen, dass es sich dabei ausschließlich um diese handeln konnte,10 obwohl in dieser Hinsicht der Verlauf der Zeremonie selbst gewisse Zweifel hätte wecken können. Wenn der Senior tatsächlich die rechte Hand des Vasallen gedrückt hat, wie kann der letztgenannte gleichzeitig mit derselben Hand den Eid auf die Reliquien oder Evangelien geleistet haben? Die französische Forscherin kam aber zum Schluss, dass die beiden Handlungen nacheinander erfolgten. Zunächst drückten sich der Senior und der Vasall die rechten Hände und erst danach leistete der letztgenannte den Treueid, indem er dieselbe rechte Hand auf eines der oben erwähnten Heiligtümer legte.11 In einer der Rechtssammlungen des Höchsten Gerichts des Königreichs Jerusalem, im sog. Buch des Jakobs von Ibelin,12 das in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts schriftlich redigiert wurde, finden sich Regelungen zum Ablauf der Wahl und der Eidesleistung durch den Herrscher und die Vasallen. Der neugewählte Herrscher verpflichtete sich dazu, alle Rechte, Sitten und Gesetze der Kirche und des Königreichs zu befolgen sowie die Untertanen zu schützen. Er schwor kniend auf die heiligen Evangelien Gottes, auf die die Innenseite seiner 9 Auf demselben Gebiet gab es zur selben Zeit auch einen anderen Brauch, dem zufolge der Vasall seine gefalteten Hände in die Hände des Senioren legte, und dieser sie daraufhin drückte. Leider ist es schwierig zu erklären, woraus diese Dualität des Ritus resultierte. 10 Debax wies darauf hin, dass man im Falle eines feudalen Eidbruchs im mittelalterlichen Frankreich gewöhnlich als Strafe das Abschneiden der rechten Hand auferlegte, was dafür sprechen sollte, dass sie während der Zeremonie verwendet wurde. Die Forscherin überlegte nur, ob eine so scharfe Restriktion dadurch verursacht wurde, dass man auf die Reliquien schwor oder die rechte Hand des Seniors drückte – Débax: Le serrement des mains. Éléments, S. 16; Dies.: Le serrement des mains: le rituel, S. 511. Dazu vgl. auch: Kolmer: Promissorische Eide, S. 14–15. 11 Débax: Le serrement des mains. Éléments, S. 14–22; Dies.: Le serrement des mains: le rituel, S. 509–516. 12 Mehr zum Thema der Rechtssammlungen des Königreichs Jerusalem zusammen mit ihrer ungefähren Entstehungschronologie siehe in: Nielen-Vandevoorde: Un livre méconnu des ›Assises‹, S. 103–130.

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Die Bedeutung der rechten Hand bei der Eidesleistung

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rechten Hand gelegt war.13 Eine solche Eidesform (entweder in zwischenstaatlichen Verträgen oder in Innenbeziehungen) war zwischen dem 12. und dem Anfang des 15. Jahrhunderts auf den Britischen Inseln und in den romanischen Ländern eine feste Regel.14 Bei diesem Ritual spielte nicht nur die richtige Hand eine wesentliche Rolle. In verschiedenen Teilen Europas ergänzten auch bestimmte Finger diese Geste. Sofort sollte man aber anmerken, dass man spätestens seit dem 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des Mittelalters (bis Anfang des 15. Jahrhunderts) in Italien, Spanien, Frankreich oder England keinen Eid nur mit getrennten Fingern ablegte. Den Autoren dieser Arbeit sind mindestens keine Quellen bekannt, die eine solche Form bestätigen könnten. Im dort gültigen Verfahren der Eidesleistung verwendete man nur die ganze Handfläche, was sich aus allen erhaltenen sowohl ikonografischen als auch schriftlichen Quellenüberlieferungen ergibt.15 Es genügt hier auf einige Beispiele hinzudeuten. Auf den Siegeln der Gerichtsbeamten der Burgunder Herzöge wurde seit den 1270er Jahren eine sitzende Mannesgestalt, etwas nach rechts gerichtet, abgebildet. Die linke Hand berührte einen hochgehobenen Wappenschild, die rechte befand sich auf einem auf einer Erhöhung gelegenen aufgeschlagenen Buch. Man kann dem Vorschlag Robert Jacobs beipflichten, wonach darin die Texte der Evangelien zu finden waren. Der Kopf der sitzenden Gestalt war dem Buch zugewandt. Es gibt aber keine Zweifel, dass derartige Siegelabbildungen die Geste eines Eides schilderten. Auf einer, die auf das Jahr 1280 datiert wird, ist auf den Blättern eines aufgeschlagenen Buches sogar eine lateinische Inschrift deutlich sichtbar: »JURO« – »ich schwöre«.16 Noch andere Haltungen werden in den französischen ikonografischen Quellen nachgewiesen. In einer Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, die die Stiftungen des Königs Ludwigs IX. von Frankreich beschreibt, sieht man auf einer dort abgebildeten Miniatur einen schwörenden Knienden vor einem seitlich zu ihm sitzenden Richter, der ihm mit der rechten Hand das aufgeschlagene Buch der Evangelien reicht. Der Schwörende berührt die Buchseiten mit beiden geöffneten Handflächen.17 Eine interessante Haltung und die Gesten der Eidablegung werden auf einer der farbigen Miniaturen in einer aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammenden und in der Nationalbibliothek in Paris aufbewahrten Handschrift des letzten Teils der Legende vom König Artus und den Rittern der Tafelrunde geschildert, wo die Suche nach dem Heiligen Gral und der Tod des Königs Artus beschrieben werden. Die Miniatur zeigt den Eid, den einer 13 »Lors deit estre aportée l’Evangille, et le seignor se deit agenoillier et metre la paume destre dessus […]«,Beugnot (Hg.): Assises de Jérusalem, 1, S. 453–454. 14 Siehe Duda et al.: On What Were Oaths Taken, S. 144–147; Guenée: Non perjurabis, S. 246. 15 Die Zusammenfassung des Wissenstandes dazu in: Duda et al.: Ze ´swiata, S. 23–150. 16 Jacob: Images de la justice, S. 82–85. 17 Ebd., S. 139.

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der Helden, d. i. Galaad, ablegte. Die Zeremonie erfolgt im Tempel. Vor dem Altar steht ein Geistlicher (Bischof ?), mit dem Gesicht dem Kircheninnern zugewandt und in liturgische Gewänder gekleidet. In beiden Händen hält er vor sich ein aufgeschlagenes Buch (sicherlich zumindest mit den Texten der vier Evangelien). Ihm gegenüber kniet auf beiden Knien ein Ritter in Rüstung, der seine ausgestreckte rechte Hand auf das linke Buchblatt legt, während die linke Hand das Buch von unten hält. Hinter dem Rücken des Schwörenden stehen 14 Ritter in voller Rüstung zusammen mit dem König.18 Die hier geschilderte Miniatur ist eine seltene ikonografische Darstellung des Eidesrituals auf die Bücher der Evangelien mit beiden Händen gleichzeitig in voller kniender Haltung. Die Aufmerksamkeit verdient auch ein am 18. Juni 1309 in Marseille ausgestelltes Notariatsinstrument. Darin berichtete man über eine an diesem Tag erfolgte feierliche Eidesleistung durch den König von Sizilien, Titelkönig von Jerusalem und Grafen der Provence Robert (aus der Dynastie d’Anjou) sowie die Selbstverwaltung und die Bürger Marseilles, die den ein halbes Jahrhundert früher (1257) vom Großvater des Herrschers Karl I. (Bruder Ludwigs IX. von Frankreich) mit dieser Stadt geschlossenen Friedensvertrag zu befolgen versprechen. Die Feierlichkeit fand in der lokalen Marienkirche statt, wo der König den Thron bestieg. Er schwor »auf die heiligen Evangelien Gottes«, also sicherlich mit der rechten Hand, die auf das vermutlich aufgeschlagene, in den Händen des öffentlichen Notars Hugos de Fonte gehaltene Buch gelegt wurde, und versprach den Vertrag von 125719 und die Privilegien der Stadt20 zu befolgen. Dagegen forderte Robert seinerseits von den Stadtbürgern, ihm den Treueid abzulegen. Einige Vertreter des Rates taten es höchstwahrscheinlich in einer ähnlichen Form wie der Monarch, d. i. mit der rechten Hand auf dem aufgeschlagenen Buch der Evangelien und durch Aussprechen einer entsprechenden Formel. Da es aber, wie der Autor der Überlieferung betonte, schon spät und heiß war und es langwierig gewesen wäre und lange gedauert hätte, wenn die im Tempel Versammelten individuell ihren Eid hätten ablegen müssen, forderte der Monarch, dass die Anwesenden ihre rechten Hände erheben und in dieser Haltung entsprechende Formeln aussprechen, was sie auch unverzüglich taten.21 18 Bibliothèque nationale de France (weiter: BnF): Département des manuscrits, Français 343, Fol. 7. 19 Wie es aus der Erinnerung an die im ersten Teil des Notariatsinstruments beschriebenen Ereignisse hervorgeht, schworen Karl I. und seine Ehefrau auch 1257 »ad sancta Dei Evuangelia«, diesen Vertrag zu befolgen. 20 »[…] juravit super sancta Dei Evuangelia in manibus Hugonis de Fonte notarii publici […]«, Boyer: Entre soumission au prince et consentement, S. 207. 21 »Unde aliqui de concilio civitatis vicecomitalis Massilie in suis manibus juraverunt et fecerunt sacramenta fidelitatis secundum formam Pacis capitulorum. Et cum hora esset magna et magnus calor vigeret et esset difficile et tardissimum quod omnes homines dicte universitatis possent facere inibi sacramenta fidelitatis, prefatus dominus rex voluit et precepit quod

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Die Bedeutung der rechten Hand bei der Eidesleistung

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Die Eidablegung mit beiden Händen (doch war die rechte Hand dominierend), die aber nach verschiedenen Paramenten ausgestreckt waren, ist in einigen Fällen beim Abschluss und bei der Bestätigung von einigen französisch-englischen Friedensverträgen des Hundertjährigen Krieges zu erkennen. Aus einigen erhaltenen Quellenüberlieferungen erfährt man also, dass der Regent Karl, der im Mai 1360 in Paris in der Karmeliterkirche vor dem Altar in Anwesenheit der englischen Gesandten schwor (es ist aber unbekannt, ob stehend oder kniend), die Bedingungen des Vertrags von Brétigny zu befolgen, seine rechte Hand nach der Patene mit dem Leib Christi (der geweihten Hostie) ausstreckte, ihn aber nicht berührte. Die linke Hand legte er dagegen auf das Messbuch (es ist unbekannt, ob es aufgeschlagen oder geschlossen war), in dem sich auch die Texte von vier Evangelien befanden.22 Sofort nach dem erfolgten Akt der Eidesleistung ließ der Regent etliche seiner Vertreter, die Zeugen eines ähnlichen vom König Eduard III. geleisteten Aktes sein sollten, zusammen mit den Paris verlassenden englischen Gesandten entsenden. Es kam dazu am 15. Mai 1360 in der Marienkirche in Louviers in der Normandie.23 Der Monarch stellte bei dieser Gelegenheit eine bestätigende Urkunde aus, deren Inhalt in extenso in der französischen Chronik angeführt wird. Der englische Herrscher billigte nämlich die Vertragsbeschlüsse und gab zugleich bekannt, dass er seinerseits »auf die heiligen Evangelien, berührt mit unserer Hand vor dem heiligen geweihten Leib Unseres Herrn Jesu Christi, mit der zweiten, rechten Hand ihm gegenüber«24 schwor, sie zu befolgen. Die hier angeführte Erwähnung ist sehr interessant. Daraus ergibt sich nämlich, dass sich die linke Hand des Monarchen während der Eidablegung auf dem Buch der Evangelien befand, während er die rechte Hand zur Hostie hob, sie aber sicherlich nicht berührte. omnes homines predicte universitatis inibi existentes in signum sacramenti fidelitatis manus dexteras levarent. Quo precepto facto, omnes universi et singuli homines dicte universitatis inibi existentes eorum manus dexteras elevarunt, dicentes et respondentes se paratos facere dicto domino regi sacramenta fidelitatis quandocumque sibi placuerit juxta formam predictorum Pacis capitulorum«, Ebd., S. 207–219 (der Autor veröffentlichte das Notariatsinstrument vom 18. 07. 1309 als Beilage zu seinem Artikel). 22 »[…] il [der Regent] devoit aler à l’autel, et l’une des mains sur le corps Jhesu-Crist sacré, sanz y touchier, et l’autre main mise sur le Missel, devoit jurer […]«; »[…] et (nous) avons juré sur sains euvangiles, touchiez de nostre main, devant le saint corps Nostre-Seigneur Jhesu-Crist sacré, l’autre main dreciée envers lui, le dit accort tenir et garder […]«, Delachenal (Hg.): Chronique des règnes, 1, S. 315, 301. »Idem Karolus, dexteram suam super patenam cum Corpore Dominico et laevam super missale imprimens, dixit: ›Nos K[arolus], juramus ad sacrosancta Corpus Dominicum et Evangelia […]‹«, Tait (Hg.): Chronica Johannis de Reading, S. 138. Der französische Chronist bediente sich nur der Begriffe »mit einer Hand«, »mit zweiter Hand«. Genauer bestimmt sie die englische Überlieferung. 23 Delachenal (Hg.): Chronique des règnes, 1, S. 317–318. 24 »Le quel traictié et accort nous avons ferme et aggreable, et avons juré sur saintes euvangiles, touchiées de nostre main, devant le corps de Notre-Seigneur Jhesu-Crist sacré, l’autre main destre envers li […]«, Delachenal (Hg.): Chronique des règnes, 1, S. 302.

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In der Nationalbibliothek in Paris befindet sich eine in der Mitte des 15. Jahrhunderts angefertigte französische Übersetzung der lateinischen Chronik Hollands, Seelands und der Friesen von Johannes de Beke (in der Originalfassung in der Mitte des 14. Jahrhunderts redigiert), die von einem anonymen Kopisten dem Herzog von Burgund Philipp dem Guten gewidmet wurde. Auf einem der Blätter dieses Werkes findet sich eine Miniatur mit der Szene, in welcher Wilhelm II. von Holland während seiner Eidesleistung zum Ritter geschlagen wird. Auf der linken Seite dieser Darstellung kniet der Herzog in Rüstung, umgeben von stehenden weltlichen und kirchlichen Würdenträgern. Ihm gegenüber kniet der Bischof im Pontifikalgewand mit der Mitra auf dem Kopf, welcher ein Buch (vermutlich mit den Texten der Evangelien) in beiden Händen hält. Interessanterweise ist die rechte Hand des Herzogs in seiner Mitte geschlossen. Die linke Hand ist unsichtbar (verdeckt). Vermutlich hält sie das Buch von unten.25 Jedenfalls sind die Autoren des vorliegenden Beitrags in der ganzen beschriebenen Zeitspanne auf keine ähnliche Eidesdarstellung mit der rechten Hand, geschlossen im Buch, gestoßen. Ungewöhnlich ist die Information in einer Aussage vom 15. Januar 1311, die vor der päpstlichen Kommission vom Kommandeur der Häuser Lagny-le-Sec und Sommereux (Diözese Beauvais) Raoul de Gizy gemacht wurde. Er erwähnt nämlich, dass er sich einmal (um 1306), nachdem die Gerüchte über die Fehler der Tempelritter bereits in Umlauf gebracht worden waren, an den damaligen Generalvisitator des Ordens in Frankreich und England Hugues de Pairaud mit der Bitte um Erklärungen wandte. Die beiden begegneten einander in der Kommende Vaulx-Milieu bei Lyon. Der Würdenträger soll »mit der Hand auf dem Kreuz gelegt, das er auf seinem Mantel trug«, geschworen haben, dass er entsprechende Handlungen diesbezüglich vonseiten des Hochmeisters erwarte, der bald de ultra mare ankomme. Solle sich dieser nicht damit auseinandersetzen, tue es der Visitator selbst, der von anderen Tempelrittern dazu angehalten werde.26 Wie sah dieser Eid aus? Zweifelsohne berührte Hugues de Pairaud in einer stehenden Haltung mit seiner rechten Hand das Kreuz, das auf der linken Seite seines Ordensmantels aufgenäht war. Es ist eine spätere Analogie eines solchen Eides aus dem Gebiet des Deutschordensstaates in Preußen vorhanden. Vor der Kommission in der Domkirche in Marienwerder erschien am 25. Oktober 1404 während des Seligsprechungsprozesses von Dorothea von Montau der Hochmeister Konrad von Jungingen, der der Quelle zufolge nicht aufgefordert worden war, sich dazu einzufinden, und nicht darum gebeten worden war, einen for25 BnF: Département des manuscrits, Français 9002, Fol. 94. 26 »[…] et juravit, manu posita super crucem quam ferebat in mantello suo […]«, Satora (Hg.): Processus, S. 481.

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Die Bedeutung der rechten Hand bei der Eidesleistung

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malen Eid wie im Falle der Zeugen abzulegen (die Frage ist, ob jemand ihn unter solchen Umständen vom Ordensvorsteher und Staatsherrscher überhaupt einfordern konnte). Jedenfalls, wie die Überlieferung angibt, erschien der Hochmeister vor der Kommission freiwillig, denn er wollte persönlich die Lebensfrömmigkeit Dorotheas und die Wunder, die dem Orden und dem Staat durch sie zuteil wurden, bestätigen. Um den Wahrheitsgehalt seiner Aussage zu bekräftigen, schwor Konrad von Jungingen selbst, indem er »[…] seine Hand auf das eigene Ordenszeichen oder das Kreuz legte, das er auf dem weißen Mantel vor sich trug«.27 Weil sich das Kreuz auf den Ordensmänteln höchstwahrscheinlich immer auf der linken Seite befand,28 würde sich aus dem Inhalt der Überlieferung von 1404 ergeben, dass der Hochmeister es mit seiner rechten Hand berührte. Vermutlich tat er dies stehend. Bei den Tempelrittern dürfte es ähnlich verlaufen sein. In Mitteleuropa war die rechte Hand bei einer Eidablegung selbstverständlich auch dominierend,29 aber im Gegensatz zu Westeuropa waren bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts in diesen Gebieten die Fingergesten gleichermaßen wichtig, unabhängig von der Anzahl der Finger und ihrer Haltung während der Zeremonie selbst. In der höchstwahrscheinlich am Anfang des 14. Jahrhunderts in Elbing in ostmitteldeutscher Sprache redigierten ältesten Sammlung des polnischen Rechts wurde in Absatz 5, der die Zeugenbenennung im Gerichtsverfahren regelt, mehrmals der Eid auf das Heilige Kreuz (Kruzifix) erwähnt, wobei die Angaben in Abschnitt 8 von besonderer Bedeutung sind. Der Schwörende soll zwei Finger seiner rechten Hand (die Finger neben dem Daumen, d. h. der Zeigeund Mittelfinger) auf den Fuß (die Basis) des Kreuzes gelegt haben. Hätte er die Finger an eine andere Stelle gelegt, hätte seine Aussage keine Rechtskraft gehabt.

27 Das ganze Zitat: »Eadem die Magnificus vir frater Conradus de Jungingen Magister Generalis totius Ordinis Beate Marie Theotonicorum et Dominus terre Prussie, etatis 50 annorum et ultra, non monitus, non rogatus, non citatus neque per Arnoldum procuratorem in huiusmodi causa canonisationis productus, sed sponte, libere et voluntate coram dominis Commissariis existentibus in ecclesia Pomezaniensi et capella beate Dorothee et penes sepulchrum, manum ponens ad ordinem suum seu crucem, quam ante se in mantello albo gerebat, sub conscientia et ordine suo dixit et deposuit ut sequitur«, Stachnik (Hg.): Die Akten des Kanonisationsprozesses, S. 63–64. 28 Zur Position des Kreuzes auf den Ordensmänteln siehe: Kwiatkowski: Zakon Niemiecki, S. 111–112. 29 In den Prozessakten zwischen Polen und dem Deutschen Orden aus Warschau von 1339 findet sich eine Erwähnung, der zufolge einer der daran teilnehmenden Geistlichen den Eid vor den päpstlichen Richtern abgelegt haben soll, indem er mit der rechten Hand die heiligen Evangelien berührte (»Quod facere dictus magister Petrus se dixit et eciam iuravit in manibus dictorum dominorum nunciorum, executorum et iudicum apostolicorum et huius cause tactis corporaliter manu sua dextra sacrosanctis Evangeliis«), Zakrzewski (Hg.): Lites ac res geste, 1, S. 94.

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Der Schwörende sollte zunächst die Formel sprechen und erst danach das Kreuz berühren.30 In dem Gebiet Böhmens sind die Erwähnungen von zwei Fingern der rechten Hand, entweder hochgehoben oder das Kreuz berührend, bei den Eidesformeln in dem in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts redigierten Schöffenbuch von Brünn stark hervorgehoben.31 Die richtige Verwendung derselben Formel erfuhr in dieser Quelle sogar eine gewisse theoretische Erklärung. In Absatz 457 erwog man, ob man aus rechtlicher Sicht den mit der hochgehobenen ganzen Hand (also mit fünf Fingern) bzw. durch das Auflegen der Hand auf das Kreuz abgelegten Eid für gültig erklären könne. Der Autor dieses Abschnittes erklärte, dass der auf eine solche Weise geleistete Eid anzuerkennen sei, soweit er nicht als Resultat der Unverschämtheit, des Vorsatzes, der Vergesslichkeit oder anderer Unaufmerksamkeit abgelegt worden sei. Er begründete dies dadurch, dass »die größere Anzahl die kleinere umfasse« (der Autor dachte hier vermutlich an die Finger). Auf diese Weise ist der gewohnheitsmäßige Eid mit zwei Fingern auch in der Geste der ganzen Hand enthalten. Diese Aussage fasste er mit den Worten zusammen, dass für die Anerkennung des Eides in einem solchen Falle nicht so sehr die Geste selbst, sondern die bei dieser Gelegenheit richtig ausgesprochene Wortformel von Bedeutung sei.32 Aus derselben Quelle geht hervor, dass die Eidesleistung mit einem Finger (unabhängig davon, ob der rechten oder der linken Hand) in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Böhmen grundsätzlich untersagt war. Darüber informiert der Absatz 453 des Schöffenbuches von Brünn, der »Vom Eid, der nur mit einem Finger abgelegt wird« betitelt wurde. Man stellte dabei fest, dass keiner der erhobenen Ansprüche befriedigt wird, wenn der Eid mit einem hochgehobenen bzw. auf dem Kreuz gelegten Finger (vermutlich dem Zeigefinger der rechten Hand) geleistet wird, weil »in den ursprünglichen Stadtrechten« (vom Autor nicht näher bestimmt) geschrieben wurde, dass die Eidablegung mit zwei Fingern bzw. mit der ganzen Handfläche erfolgen sollte. Der Autor führte diesen

30 »Zo sal her legin czwene vinger der rechten hant, den by dem dumen unde den mittelsten vinger, uffe des cruczes vuse. Wo her andirs dy vinger leget, zo wirt im bruch. Dy wort zal her vorsprechin unde den daz crucze ruren«, Matuszewski (Hg.): Najstarszy zwód prawa polskiego, S. 162–163. 31 Rössler (Hg.): Die Stadtrechte von Brünn, S. 210–213. 32 »De juramento facto cum tota manu. Qui cum quinque digitis, hoc est cum tota manu, coram judicio levando vel in cruce non ex protervia et ex praesumtione, sed ex oblivione vel ex alia negligentia iuramentum fecerit, quum major numerus minorem includat, cum duobus digitis juravit, nec est censendus, male jurasse. Si tamen formam juramenti non servavit, unde adversario excipiente holunge perdidit, et de novo, sicut consuetum est fieri, jurabit«, Rössler (Hg.): Die Stadtrechte von Brünn, S. 211–212.

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Die Bedeutung der rechten Hand bei der Eidesleistung

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Brauch auf die Heilige Schrift zurück, wo es heißt, dass »durch zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werden soll«.33 Die seit dem Ende des 13. Jahrhunderts angefertigten Miniaturen, die Schwörende in den bis heute relativ zahlreich erhaltenen Handschriften des Sachsenspiegels darstellen, zeigen die stehenden Gestalten mit den ohne Ausnahme erhobenen rechten Händen und zwei ausgestreckten Fingern, die auf den Reliquienschrein gerichtet sind.34 Es ist schwierig, die Frage eindeutig zu beantworten, seit wann im Gebiet der heutigen Schweiz bzw. des Elsasses die Gepflogenheit, den Eid mit einer hochgehobenen rechten Hand mit drei ausgestreckten Fingern (dem Daumen, Zeigeund Mittelfinger) zu leisten, gepflegt wurde. Es ist auf jeden Fall auf die Miniaturen in der Chronik Diebold Schillings des Älteren, des Onkels Diebold Schillings des Jüngeren, aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hinzuweisen. Beispielsweise im Zentrum der Abbildung, die das Gericht über Petrus von Hagenbach im Frühling 1474 darstellt, zeigt man einen schwörenden Mann. Seine zwei Finger (Zeige- und Mittelfinger) der erhobenen rechten Hand sind ausgestreckt.35 Auf einer anderen Miniatur in diesem Werk, die das Gerichtsverfahren der wegen des Verstoßes gegen die Kleiderordnung angeklagten Frauen von Bubenberg präsentiert, heben zwei schwörende Frauen die rechte Hand mit drei ausgestreckten Fingern hoch (dem Daumen, dem Zeige- und Mittelfinger), aber bei den danebenstehenden Männern, die das gleiche Ritual vollziehen, sind eindeutig nur zwei Finger (ohne Daumen) sichtbar.36 Die Situation zeigt sich auch in einer Abbildung der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts redigierten Berner Chronik, in der dreizehn schwörende Gestalten dargestellt sind. Unter ihnen heben eine Frau und zwei Männer ihre rechten Hände mit zwei ausgestreckten Fingern (Zeige- und Mittelfingern) hoch, und fünf andere Gestalten 33 »De juramento facto cum uno digito solum. […] Qui uno digito elevato, vel cruci supposito iurat, non obtinet intentum, quia semper in juribus originalibus civitatum scribitur, quod juramenta fierent cum duobus digitis vel cum sola manu, et hoc est tractum de scriptura sacra, ubi dicitur: Quod in ore duorum vel trium testium stat omne verbum«, Rössler (Hg.): Die Stadtrechte von Brünn, S. 211. Hubert Drüppel, der sich auf diese Quelle berief, stellte fest, dass die Geste mit der Verwendung von einem Finger ausschließlich dem Zeigen vorbehalten war, vgl. Drüppel: Iudex civitatis, S. 254. Es ist aber eine Überinterpretation des Forschers, denn in der Quelle selbst wird auf diese Frage gar nicht eingegangen. 34 Z. B.: Universitätsbibliothek Heidelberg: Sign. Cod. Pal. germ. 164: Eike von Repgow: Heidelberger Sachsenspiegel. 35 Fehr: Das Recht im Bilde, S. 43; Abb. 27, 18. 36 Ebd., S. 42–43; Jacob: Images de la justice, Repr. XVIII. Hinter diesen Gestalten steht ein Mann, dessen drei Finger der erhobenen rechten Hand auch ausgestreckt sind. Es ist aber nicht sicher, ob man ihn zum Kreis der Schwörenden rechnen kann. Im Gegensatz zu ihnen richtet sich seine Hand mit der Oberseite, und nicht der Innenseite nach dem Gericht. Vielleicht ist er also nur in Gedanken versunken und hält seinen Kopf mit dem Zeige- und Mittelfinger.

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(eine Frau und vier Männer) schwören mit drei ausgestreckten Fingern (dem Daumen, dem Zeige- und Mittelfinger) der hochgehobenen Hände. Die Gesten der übrigen Teilnehmer dieses Ereignisses zeigt man nicht.37 Interessanterweise wurde höchstwahrscheinlich auch im Gebiet der heutigen Schweiz, und zumindest in der Nähe des Bodensees, im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts ein didaktisch-satirisches Poem unter dem Titel Des Teufels Netz von einem anonymen Autor redigiert. Darin knüpfte man auch an einen mit der hochgehobenen (höchstwahrscheinlich rechten) Hand mit drei ausgestreckten Fingern abgelegten Eid an. Die Finger sollten Gott den Vater, den Sohn (Jesus Christus) und den Heiligen Geist symbolisieren, aber aus der Quelle ergibt sich nicht, welchem Finger das angegebene Attribut zugewiesen wurde. Dieses Werk ist ein allegorisches Gespräch des Teufels mit einem Eremiten, das dem Autor als Grundlage dafür diente, die Sünden der zeitgenössischen Obrigkeit und der einzelnen Sozial- und Berufsgruppen scharf anzuprangern. Der im Titel genannte Teufel lockt die Menschen mit allen zugänglichen Mitteln in sein Netz. In einem für diese Erwägungen wichtigen Abschnitt erwähnt der Autor das Vergehen, ein falsches Zeugnis unter Eid abzulegen.38 Wie sah die Verwendung der linken Hand im Schwurritual im Zusammenhang mit einem eventuellen Meineid im spätmittelalterlichen Lateineuropa aus? Die einzige den Autoren dieses Artikels bekannte zeitgenössische Schriftquelle, in der auf die Frage der Anerkennung der Gültigkeit bzw. der Ungültigkeit des mit der linken Hand abgelegten Eides theoretisch eingegangen wurde, ist das schon angeführte Schöffenbuch von Brünn aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Absatz 451 soll nach dem Autor die Frage beantwortet haben: »Ist der Eid, der mit der linken Hand abgelegt wird, gültig?«. Im Zusammenhang damit erinnerte man an einen Fall, als einer wegen der Verletzung der rechten Hand mit der linken schwor. Die Schöffen der Stadt, denen man diese Sache zur Entscheidung vorgelegt hatte, hatten aber Zweifel, ob eine solche Form gültig ist.39 Abschließend stellte man fest, dass die ursprüngliche Rechtstradition (es wird aber keine genau benannt) die Hände bei dieser Handlung nicht unterschied. Sie wies aber deutlich darauf hin, dass der Reinigungseid mit zwei Fingern und dem Kreuz (durch sein Berühren bzw. Ausstrecken der Finger nach ihm) geleistet werden sollte. 37 Burgerbibliothek Bern: Mss.h.h.I.3: Diebold Schilling: Amtliche Berner Chronik, 3. 38 »[…] So ainer ainen aid swert,/ Als ich von ainem maister lert,/ Hept ainr dri vinger uff,/ Das schätzt ainr für ainen guff./ Das ist der vatter, sun und hailig gaist,/ Sind sin zügen allermaist/ Die im der red helffen wend/ So er uff hept sin hend./ Ist, das er unrecht gesworn hat,/ Verlognet hat er die ewig gothait […]«, Barack (Hg.): Des Teufels Netz, S. 81; Fehr: Das Recht in der Dichtung, S. 278, 284. 39 »Jurati de Prazca proposuerunt, quod quidam apud eos pro vulneribus sinistra manu juravit et in juramento non erravit, quaesierunt ergo, utrum ceciderit in causa«, Rössler (Hg.): Die Stadtrechte von Brünn, S. 210.

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Daher wäre der Eid von jemandem, der beispielsweise keine Hände gehabt hätte, nur aufgrund der richtig ausgesprochenen Wortformel gültig gewesen. Bisher habe man es aber, wie die Rechtsgeber behaupteten, für üblich angesehen, dass die rechte Hand bei einer solchen Handlung verwendet werden sollte. Aus diesem Grund sei die Sache für ungültig zu erklären, falls jemand bei der Eidesleistung »aus Unverschämtheit und Hartnäckigkeit die linke Hand erhoben und damit das Kreuz anstatt mit der rechten Hand berührt habe«. Soll es schon passiert sein, dass jemand aus Vergesslichkeit oder trügerisch den Eid eben auf diese Weise geleistet habe, sei er nicht zu wiederholen, sondern für gültig zu erklären. Doch sollte man bei jeder darauffolgenden Eidablegung die rechte Hand verwenden, sonst verliert der Schwörende die Sache.40 Wie es sich also aus dem hier angeführten Abschnitt der Quelle ergibt, wurde der mit der linken Hand abgelegte Eid nach dem Recht, das damals in den böhmischen Städten galt, für gültig erkannt, und zwar in jenen Situationen, in denen die rechte Hand des Schwörenden körperlich verletzt war (bzw. er sie gar nicht hatte) oder er sie bewusst bzw. unbewusst einmalig verwendete. In den übrigen Fällen war bei dieser Handlung die rechte Hand zu verwenden.41 In den mittelalterlichen ikonografischen Quellen erscheinen aber gelegentlich Abbildungen von mit der linken Hand Schwörenden. Als guter Ausgangspunkt für diese Erwägungen dient eines der Flachreliefs der Nordsäule in der Dreifaltigkeitskirche des ehemaligen Prämonstratenserinnenklosters in Strzelno (Mittelpolen), das auf ca. 1180 datiert wurde42 und die Laster darstellt. Es zeigt eine 40 »Super quo diffinitum fuit, quod ex rigore juris utraque manus valet et est sufficiens ad jurandum, sicut ad quemlibet alium actum legitimum exercendum; jura enim originalia non distingunt inter manum dextram et sinistram, sed simpliciter dicunt, quod jurans debet se expurgare duobus digitis in cruce. Unde etiam, si aliquis utraque manu truncatus jurare debet, causam suam defendere vel obtinere posset jurando solum verbis, dummodo formam debitum non mutaret, non enim manus mutatio, sed formae juramenti variatio juramentum salvat vel corrumpit, quia tamen ex approbata et communi consuetudine iuramentum dextra manu fieri consuevit; si jurans ex protervia et pertinacia voluntarie manum sinistram levaret, seu cruci supponeret pro dextra, causam perdet. Si autem ex oblivione et dolose hoc contingit, jurans in causa non cadit, nihilominus ut consuetudo servetur; si causa est criminalis ita, quod in juramentis holung non habeatur, qui jurat sinistra manu, judicandus est, tantum holung perdidisse, et debet postea dextra manu jurare; et tunc secundum formam juramenti, quam servat vel non servat, causam obtinet vel amittit«, Ebd., S. 210. 41 Es scheint, dass ein ähnlicher Fall 1399 vor dem Gericht in Krakau entschieden wurde. Es hat sich erwiesen, dass der schwörende Miczka von Oludz keine Finger der rechten Hand hatte. Ihm wurde daher erlaubt, während des Aussprechens einer entsprechenden Formel das Kruzifix »mit anderen Fingern«, also vermutlich denen der linken Hand, zu berühren, vgl. Wojciechowska: Przysie˛ga »na krzyz˙«, S. 380. 42 So wird dieses Denkmal von den meisten Forschern datiert. Zbigniew Sroka, der auf gewisse Werkstattähnlichkeiten zu anderen Werken dieser Art hinwies, schlug zuletzt die Zeitspanne 1180–1190 vor – vgl. Sroka: Roman´skie kolumny, S. 203, wobei sich sein Vorschlag viel mehr auf Vermutungen als auf Beweise stützt.

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stehende Mannesgestalt im kurzen Gewand mit erhobenem Unterarm und ausgestrecktem Zeigefinger der linken Hand, während die rechte Hand mit nach oben gerichtetem Daumen einen Gegenstand, vermutlich ein Buch, ergreift.43 Beinahe alle bisherigen Forscher interpretierten diese Darstellung als Meineid,44 wobei ihrer Meinung nach die Geste der erhobenen linken Hand mit dem Zeigefinger nach oben als Symbol dafür gelten sollte.45 Nach den bisherigen Untersuchungen kann man dieser These nicht beipflichten, und die Interpretation der geschilderten Geste als Visualisierung des Eides ergibt sich aus einer einfachen Unkenntnis dieser Frage. Laut der ausführlichen Analyse der erhaltenen schriftlichen und ikonografischen Quellen stieß man auf Gesten des Eides, die man mit dem Zeigefinger (unabhängig von der Hand) machte, im Gebiet des christlichen Lateineuropas im Spätmittelalter eigentlich nicht. Die Autoren der vorliegenden Arbeit kennen nur einzelne Fälle solcher Gesten aus dem 14. Jahrhundert aus Böhmen und Kleinpolen.46 Daraus würde sich ergeben, dass die Geste der linken Hand auf dem Flachrelief in Strzelno keinen Eid symbolisieren sollte, sondern als eine Form von Warnung galt: »Denke daran, die abgelegten Eide zu befolgen«. Von Bedeutung hingegen ist hier die Geste der rechten Hand, die vermutlich das Buch mit den Texten der Evangelien hielt. Am Rande sollte man hinzufügen, dass eine solche Eidablegung am Ende des 12. Jahrhunderts in den romanischen Ländern (im heutigen Italien, Spanien, Frankreich, auch in den lateinischen Staaten der Kreuzfahrer im Heiligen Land) üblich und verbreitet war. Sie war aber weder im Reich noch in Polen üblich.47 Daraus ginge hervor, dass die KünstlerBildhauer, die Schöpfer dieser Vorstellungen auf den Säulen in Strzelno, aus einem dieser romanischen Gebiete (Frankreich?) hätten kommen können. Symbolisierte also die Darstellung des mit der linken Hand geleisteten Eides in der mittelalterlichen Ikonografie tatsächlich den Meineid? Diese Frage ist nicht 43 Die Reproduktion dieses Flachreliefs in: [S´wiechowski et al.] (Hg.): Strzelno roman´skie, S. 82. 44 Zuletzt stellte nur Z. Sroka mit überraschender Sicherheit fest, dass diese Abbildung die Personifizierung der Rache ist – vgl. Sroka: Roman´skie kolumny, S. 139–143. Leider stützt sich seine Argumentation auf lose, mit keinen Beweisen begründete Assoziationen, und zu einer solchen Interpretation verleitete ihn wohl die Überzeugung, dass das Attribut, das von dieser Gestalt mit ihrer rechten Hand berührt wurde, ein kurzes Schwert, ein Dolch bzw. Messer ist. In Wirklichkeit genügt es, eine andere Personifizierung von Lastern und Vergehen, auf derselben Säule dargestellt, zu betrachten, die einen Mann schildert, der in der rechten Hand ein Schwert hält, um zum Schluss zu kommen, dass die beiden Gestalten das besagte Attribut völlig anders halten (eine andere Haltung der Finger). Das schließt die Feststellung des Autors aus, dass die erste Gestalt in ihrer Hand ein kurzes Schwert, einen Dolch bzw. ein Messer hält. Im Resultat kann man die von ihm vorgeschlagene Interpretation ablehnen. 45 Die Zusammenfassung der bisherigen Forschungsergebnisse dazu in: S´wiechowski: Strzelno roman´skie, S. 37–38. 46 Vgl. oben. 47 Ausführlich dazu in: Duda et al.: Ze ´swiata, S. 32–33, 68–150.

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eindeutig zu entscheiden. Auf zwei im Buch des französischen Forschers Robert Jacobs berücksichtigten Miniaturen aus einer der am Ende des 13. Jahrhunderts angefertigten Abschriften des auf Französisch redigierten Werkes von Philippe de Rémi (Philippe de Beaumanoir) aus den Jahren 1279–1282, das das Gewohnheitsrecht für das Gebiet Beauvaisis beschreibt (Les coutumes de la comté de Clermont-en-Beauvaisis),48 wurde der Schwörende in sitzender Haltung dargestellt bzw. er berührt mit seiner auf einer Erhöhung (einem Pult) gestützten linken Hand das aufgeschlagene Buch der Evangelien und hält die rechte Hand auf dem linken Schenkel bzw. er hebt auf ähnliche Weise seine linke Hand in einer Eidesgeste, mit offener Handfläche auf der Höhe seines Halses, und richtet sie zum Empfänger. Zwischen den Gesprächspartnern fügte man einen Schreiber hinein, der sein Zeugnis auf eine Schriftrolle niederschreibt.49 Leider führte man bisher keine detaillierten Untersuchungen durch, die es erlauben würden, ausreichend zu erklären, ob diese zwei auf den Miniaturen dargestellten Fälle ein Resultat des Fehlers des Künstlers sind oder ob der mit der linken Hand geleistete Eid damals auf dem Gebiet Frankreichs zulässig war. Und zwar deswegen, weil ungefähr aus derselben Zeitspanne noch eine ähnliche Darstellung kommt. In einer in der Nationalbibliothek in Paris aufbewahrten und aus dem Jahr 1274 stammenden französischen Handschrift mit der legendären Geschichte Lancelots zusammen mit der Erzählung über die Suche nach dem Heiligen Gral und dem Tode des Königs Artus befindet sich eine farbige Miniatur, die einen der Helden, Galaad, der dem Herrscher schwört, darstellt. Auf der linken Seite sieht man den auf dem Thron sitzenden Monarchen, der in seiner linken Hand die Basis eines hochgehobenen Kreuzes hält und mit der rechten Hand seinen rechten Arm berührt. Ihm gegenüber kniet der im Titel genannte Held der Miniatur mit seiner erhobenen linken Hand und offener Handfläche auf der Höhe des Gesichts. Er richtet sie zum Kreuz. Hinter seinem Rücken stehen einige Gestalten.50 Aus dem Inhalt des Werkes ergibt sich aber nicht, dass der Eid Galaads eine bestimmte Form des Meineids war. Das gleiche Ereignis wird auf einer farbigen Miniatur in einer anderen französischen Handschrift aus demselben Zyklus aus der Wende des 14. und des 15. Jahrhunderts dargestellt. Diesmal wird Galaad auf der linken Seite der Szene dargestellt, und zwar als ein auf beiden Knien kniender Ritter in voller Rüstung, umgeben vom Monarchen und den Mächtigen. Mit seiner linken Hand berührt er das linke Blatt eines aufgeschlagenen Buches, das beinahe senkrecht auf einem besonderen Holzpult liegt und, wie es sich aus 48 Veröffentlicht am Ende des 19. Jahrhunderts: Salmon (Hg.): Philippe de Beaumanoir: Coutumes de Beauvaisis, 1. 49 Jacob: Images de la justice, S. 139. Robert Jacob bemerkte keine Außergewöhnlichkeit dieser Darstellungen. 50 BnF: Département des manuscrits, Français 342, Fol. 65.

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einem der Miniatur beigelegten Text ergibt, die heiligen Evangelien enthält (»sur les saintes euuangilles«). Die rechte Hand des Helden ist leicht erhoben, gewissermaßen in der Luft erstarrt auf der Höhe seiner Brust.51 Die obigen Vorstellungen erlauben es nicht, eine eindeutige Schlussfolgerung zu formulieren, ob es hier ein einfacher Fehler der Künstler vorlag oder ob der Eid mit der linken Hand im Spätmittelalter im romanischen Kreis pejorativ betrachtet wurde. Es ist rätselhaft, zumal andere derartige Vorstellungen aus demselben Kulturkreis nicht zufällig sind. Denn in einer Handschrift vom Anfang des 15. Jahrhunderts, die auch die Legende des Königs Artus und der Ritter der Tafelrunde beschreibt, wurde eine farbige Miniatur eingefügt, die den Meineid eines der Helden, Bertolais’, schildert. Sie zeigt auf der linken Seite einen auf dem Thron sitzenden König, vor dem auf einem Pult ein aufgeschlagenes Buch liegt (höchstwahrscheinlich mit den Texten der Evangelien). Dem Herrscher gegenüber kniet ein Schwörender, der in Anwesenheit einiger Zeugen seine rechte Hand auf das Buch legt.52 Ohne die inhaltlichen Informationen des Buches hätte nichts darauf hingewiesen, dass die besagte Miniatur einen Meineid schildert. Und doch kommt in einer anderen Handschrift vom Anfang des 15. Jahrhunderts mit derselben Geschichte ein völlig anderes Bild des den Meineid ablegenden Bartolais vor. Diesmal wird auf der farbigen Miniatur der auf dem Thron sitzende König gezeigt, der mit seinem Finger auf ein aufgeschlagenes Buch hindeutet (vermutlich mit den Texten der Evangelien), das auf dem Pult vor ihm liegt. Der auf der rechten Seite stehende negative Held legt in Anwesenheit der Zeugen seine linke Hand auf das rechte Blatt des aufgeschlagenen Buches.53 Wollte der Künstler diesmal den Meineid eben auf eine symbolische Art und Weise schildern? Vermutlich. Leider sind den Autoren des vorliegenden Artikels keine anderen Quellen bekannt, die diese Mutmaßung bestätigen könnten. Um die obigen Erwägungen zusammenzufassen, kann man feststellen, dass eine jedwede Eidesform im christlichen Lateineuropa unter Verwendung der rechten Hand erfolgte, doch mit dem Unterschied, dass man mindestens seit dem 12. bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts auf den Britischen Inseln und in den romanischen Ländern während einer solchen Zeremonie unverändert mit der ganzen Handfläche schwor, während in Mitteleuropa die Finger, und zwar am häufigsten zwei Finger (der Zeige- und Mittelfinger) der rechten Hand, benutzt wurden. Es ist nicht sicher, wann sich im Gebiet der heutigen Schweiz und des Elsasses die Gepflogenheit verbreitete, zu diesem Zweck drei Finger (neben den obigen 51 Ebd., Français 120, Fol. 526. 52 BnF: Bibliothèque de l’Arsenal, fonds ancien: manuscrits français 3479, Fol. 606. 53 Ebd.: Département des manuscrits, Français 118, Fol. 275v.

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Die Bedeutung der rechten Hand bei der Eidesleistung

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auch den Daumen) zu verwenden, aber sie war spätestens seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts geläufig. Es ist auch nicht sicher, ob die Verwendung der linken Hand in der Eideszeremonie für die Zeitgenossen ein eindeutiges Zeichen eines Meineids war, obwohl, wie es sich aus der Chronik Helmolds oder aus den böhmischen Normativquellen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts ergibt, eine solche Form der Eidesleistung unangebracht war und nur durch außerordentliche Umstände gerechtfertigt werden konnte. [Übersetzung: Liliana Lewandowska]

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Wojciech Mrozowicz

»Rache, rache, crze, crze…«. Zur Frage der Wahrnehmung der Deutschen im spätmittelalterlichen Polen1

Abstract: »Rache, rache, crze, crze…«. The Late Medieval Poland Perception of Germans A short version of the Gesta Romanorum collection from the Benedictine monastery in Tyniec near Kraków from the end of the 15th century (the original manuscript was burnt in 1848 and only a fragmentary copy from 1847 is known to exist) contains an unusual story. Among numerous fictitious themes, albeit referring to authentic characters or events, some German motifs were included. These include a vision of how the German language was created, supposedly modelled on the »speech« of frogs by some of the biblical builders of the Tower of Babel (whom God punished by making languages unintelligible). Almost all of these themes reflect an anti-German attitude shared by part of Polish society in the late Middle Ages. Keywords: Middle Ages; Polish-German relations; German; national stereotypes; historiography; literature; frogs

Wie schon die polnischen Namen der deutschen Nachbarn und ihrer Sprache (niemiecki, Niemcy) bezeugen, werden sie von den Polen, aber auch von anderen slawischen Völkern, als unverständlich empfunden. Etymologisch wird die Bezeichnung auf das Adjektiv niemiecki (stumm) zurückgeführt, wie zum Beispiel Alexander Brückner angibt: »Die ersten Deutschen, denen Slawen begegneten, wurden von ihnen mit diesem abfälligen Spitznamen für die ›unverständlichen‹ und daher scheinbar stummen Leute belegt«.2 Es ist bezeichnend, dass das Wort Pole und seine Ableitungen in einigen deutschen Dialekten identisch verstanden werden, was auf eine besonders undeutliche, fremde Sprache hindeutet.3 Andererseits hat Jan Stanisław Bystron´, der bedeutende polnische Volkskundler und Univ.-Prof. Dr. Wojciech Mrozowicz, Universität Wrocław, ORCID: https://orcid.org/0000-0002 -4407-0698. 1 Dem herausragenden Kenner auf dem Gebiet der verlorenen Handschriften, Herrn Professor Jerzy Kaliszuk (Warschau), danke ich herzlich für die Anregung und für die Bereitstellung seiner Notizen zu der in diesem Beitrag verwendeten Handschrift. 2 Brückner: Słownik etymologiczny, S. 360; siehe auch Borys´: Słownik etymologiczny, S. 361–362 (Stichwort: niemy). Vgl. auch Szarota: »Pole«, S. 68–69. 3 Szarota: »Pole«, S. 69–70.

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Soziologe, schon in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts auf einen anderen Aspekt der Unverständlichkeit der Sprache aus der Sicht der fremdsprachigen Nachbarn hingewiesen. Er bemerkt, dass »die fremde, unverständliche Sprache immer einer der wichtigsten Faktoren für die Abneigung oder den Stammhass und ein Thema für unfreundliche oder spöttische Ideen ist«; weiter heißt es bei ihm: »Ein Mann, der eine fremde Sprache spricht, ist nicht der unsere, er ist geheimnisvoll, schlau, dumm oder lustig, aber auf jeden Fall fremd«.4 Wie man vermuten kann, bezog sich bereits im Mittelalter eine der Erzählungen auf das Problem des Klangs der deutschen Sprache im polnischen Ohr, die in die Sammlung der Gesta Romanorum in einer Handschrift der ehemaligen Universitätsbibliothek Lviv (Lemberg) aufgenommen wurde. Bevor ich diese Handschrift eingehender bespreche, möchte ich zunächst einige Bemerkungen zur Sammlung der Gesta Romanorum machen. Sie entstand im 13. Jahrhundert und war im Spätmittelalter besonders beliebt. Sie wurde häufig von Predigern gebraucht, die ihre Geschichten gerne als Exempel verwendet haben. Heute sind mindestens 270 mittelalterliche Handschriften mit dem Text der Gesta Romanorum bekannt,5 darunter stammen mindestens 32 Kodexe aus den polnischen Gebieten.6 Wichtigste Bausteine der Gesta Romanorum waren Anekdoten bzw. Motive, die aus den Werken der antiken Autoren, auch aus der Bibel, geschöpft wurden. Die einzelnen handschriftlichen Überlieferungen dieser Sammlung von Kurzgeschichten unterschieden sich voneinander,7 und das im Weiteren vorgestellte Beispiel zeigt, dass sie durch verschiedene neue Materialien ergänzt werden konnte, die lokale historische Überlieferungen und volkstümliche Motive verwendet haben. Anhand dieser Tatsachen wird deutlich, dass man von einem großen Einfluss der Exempel der Gesta Romanorum auf die öffentliche Meinungsbildung sprechen kann, sowie auch umgekehrt, dass sich in ihnen die landläufigen Meinungen widerspiegeln. Wie es scheint, haben wir es im Fall der Überlieferung der Gesta Romanorum in der genannten Lemberger Handschrift genau damit zu tun. Sie stammt aus dem ältesten polnischen Benediktinerkloster Tyniec (Tinz). Infolge der Auflösung des Klosters 1816 gelangte sie nach Lemberg. Mit einem Teil der Tinzer Bücher befand sich die Handschrift als Deposi-

4 Bystron´: Megalomania, S. 170. Vgl. auch Borst: Der Turmbau, 4, S. 1980–1981. 5 Wawrzyniak: Gesta Romanorum, Sp. 1202, 1210; Weiske: Gesta Romanorum, 2, S. 124–144; vgl. auch Bennett: Gesta Romanorum, URL: https://doi.org/10.1002/9781118396957.wbemlb313 (20. 03. 2023), wo die Rede von »over 350 manuscripts« ist; Gesta Romanorum (89 Handschriften). 6 Szostek: Exemplum, S. 29–30. 7 Wawrzyniak: Gesta Romanorum, Sp. 1201–1206; Weiske: Gesta Romanorum, 1, S. 10–29; Schwarzbach-Dobson: Exemplarisches Erzählen, S. 207–210.

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tum in der 1784 entstandenen Bibliothek der Lemberger Universität.8 Leider existiert diese Handschrift heutzutage nicht mehr. Sie wurde Opfer eines Brandes, der während der Revolutionen 1848/1849, genau am 2. November 1848, den Großteil der Sammlungen der Universitätsbibliothek vernichtete.9 Alle Informationen über die Tinzer/Lemberger Überlieferung der Gesta Romanorum verdankt man den Aufzeichnungen von August Bielowski (1806– 1876), dem bekannten Herausgeber der ersten drei Bände der Monumenta Poloniae historica.10 Seine Aufzeichnungen befinden sich in einer Handschrift in dem Teil der ehemaligen Bibliothek des Ossolin´ski-Instituts, der zur Zeit in der Nationalen wissenschaftlichen Stefanyk-Bibliothek der Ukraine aufbewahrt ist (Sign. 2391/I).11 Sie tragen den Titel O re˛kopisach znajduja˛cych sie˛ w bibliotekach lwowskich i przemyskich (Über die sich in den Lemberger und Przemys´ler Bibliotheken befindlichen Handschriften). Für die Beschreibung der Handschrift mit den Gesta Romanorum konnte Bielowski diese nicht persönlich benutzen, da sie in der Lemberger Bibliothek des Ossolin´ski-Instituts nur vorübergehend aufbewahrt war und sich nicht in ihrem Besitz befand. Bielowski musste also 1847 Jan Szlachtowski (gest. 1871), den damaligen Kustos der Handschriften und Universitätsprofessor, der darüber hinaus anerkannte Herausgeber von mittelalterlichen Texten (u. a. der ältesten polnischen Chronik von Anonymus gen. Gallus) war, um Hilfe bitten.12 Szlachtowski bereitete für ihn einen vorläufigen Bericht über die uns interessierende Handschrift. Die gewonnenen Angaben, deren Authentizität heute nicht mehr angezweifelt werden kann, wurden vom dankbaren Bielowski in seine Aufzeichnungen aufgenommen.13 Szlachtowski hat vor allem einen Kolophon gefunden und abgeschrieben, der versteckt Informationen über den Kopisten verrät. Man liest: »Et sic est finis istius boni operis, scilicet Gesta Romanorum. Finitum per STANI proponendo, SLAV hiis adiungendo, ultimum S fini dando, que scripsi hiis nomen pando. STRE iungendo, CZA ponendo K et A finiendo cognomen vobis pando. Deum 8 Über die Geschichte der Tinzer Klosterarchivalien und -bibliothek nach der Säkularisation siehe v. a.: Gronowski: Zwyczajny klasztor, S. 35–37; Gwioz´dzik: Benedictina, S. 29–57. 9 Ke˛trzyn´ski et al. (Hg.): Kodeks dyplomatyczny klasztoru tynieckiego, S. IX. Es gab einige Missverständnisse über das Ausmaß der Schäden an der Tinzer Sammlung, von der ein Teil nach Tarnów gelangte, wo er glücklicherweise überlebte. Das Problem klärte Jolanta Marszalska auf: Marszalska: Inkunabuły tynieckie, S. 565–567; siehe auch Gwioz´dzik: Benedictina, S. 33–34. 10 Über ihn: Semkowicz: Bielowski August, S. 58–59. 11 Львівська національна наукова бібліотека України імені Василя Стефаника: Sign. 2391/I: O re˛kopisach (weiter: Ossol.). Ich benutze die digitale Kopie der Handschrift 2391/I, die mittels der Seite der polnischen Ossolin´ski-Bibliothek in Wrocław (Biblioteka Zakładu Narodowego im. Ossolin´skich) zugänglich ist: URL: https://dbs.ossolineum.pl/kzc/wyniki_pl.php?R L-000478 (23. 03. 2023). 12 Über Jan Szlachtowski s. Estreicher: Dr Jan Kanty Szlachtowski. 13 Ossol., f. 39r–43v.

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verum colendo sub annis [!] Domini Millesimo CCCC Nonagesimo [1490]«.14 Der Vorname und Name wurde in einem einfachen Rätsel versteckt und lautet: Stanislaus Streczaka.15 Er wird im allgemeinen als Mönch des Klosters von Tinz angesehen, man verfügt jedoch über keine genaueren Informationen über ihn.16 Die weiteren Angaben von Szlachtowski zur Handschrift sind ziemlich allgemein.17 Er beschränkte sich vorwiegend auf Hinweise auf die Werke, die im Kodex kopiert wurden. So befindet sich darin auf den ersten 60 Blättern ein nicht näher bestimmtes Speculum regulae sancti patris nostri Benedicti. Weitere 39 Blätter wurden mit dem Rosarium Bibliae von Peter von Rosenheim beschrieben (inc.: Per hos versus epilogos cognoscitur nomen libri, cuius [r.: numerus] capitulorum libri, ordo librorum ac quotus liber sit et de quo tractat quilibet liber. Astra polum iuncta terra genesis que patres…). Die folgenden beiden Texte, das Viridarium presbiterorum de dignitate sacerdotum, das wohl von Simon von Rosenberg verfasst wurde,18 und die nicht näher bestimmte Stella clericorum, nehmen die nächsten 32 Blätter ein. Die folgenden 19,5 Blätter wurden als Predigtsammlung bestimmt, die die Problematik einiger Todsünden (superbia, avaricia, luxuria, ira, gula, invidia) und Tugenden (humilitas, elemosina, castitas, paciencia) berührt. Dass es sich um Predigten handelt, wird durch den Schluss des (letzten) Textes der Sammlung bestätigt: Explicit sermo.19 Aus der Beschreibung von Szlachtowski geht hervor, dass die Gesta Romanorum das letzte Stück im Kodex sind, die auf den nächsten 12,5 Blätter niedergeschrieben wurden. Dem Umfang nach zu urteilen, handelt es sich um eine relativ bescheidene Version dieser Sammlung, da sie in anderen Handschriften ein Vielfaches an Platz einnehmen kann.20 Dieses Werk betrachtete Szlachtowski unerwartet ausführlicher im Vergleich zu den vorhergehenden Texten. Nach dem Zitieren des Incipits der Sammlung (Dorotheus Imperator etc.) und Erklärung, wie die einzelnen Exempel kommentiert wurden (mistice – mystisch), schrieb Szlachtowski ein umfangreicheres Fragment ab, das das gesamte Werk krönt.21 Diese Erzählung hat keine Ent14 Ebd., f. 43r. 15 Vgl. Wattenbach: Das Schriftwesen, S. 517; Mrozowicz: Mittelalterliche Kolophone, S. 239–241. 16 Vgl. Nagrobek Bolesława Chrobrego, S. 319–320; Birkenmajer: Epitafjum, S. 2; Kürbis: Epitafium, S. 275; Wiszewski: Domus Boleslai. W poszukiwaniu, S. 71. 17 Alle Angaben nach: Ossol., f. 40r. 18 Vgl. Bayerische Staatsbibliothek München: Handschrift Sign. clm 3812 (ihre Beschreibung: URL: http://bilder.manuscripta-mediaevalia.de/hs//projekt-Muenchen-Augsburg-pdfs/Clm %203812.pdf, 20. 03. 2023). 19 Die Kargheit von Szlachtowskis Angaben macht die nähere Bestimmung der Predigten unmöglich. 20 Vgl. z. B. die Angaben zum Umfang der Gesta Romanorum-Sammlungen auf der Seite Mirabile. 21 Die Edition des lateinischen Textes und seine polnische Übersetzung bereite ich zur Zeit vor.

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sprechung in anderen Versionen der Gesta Romanorum. Sie entbehrt einer moralisierenden Aussage22 und bezieht sich auf Fantasiethemen, in die ab und zu historische Ereignisse und Gestalten eingeflochten wurden. Sie fängt mit der Darstellung des Turmbaus zu Babel an, um weiter auf die frühe Geschichte Polens und König Bolesław des Tapferen (Chrobry) aufmerksam zu machen. Dieses letzte Thema in Verbindung mit der Aufnahme eines Gedichts für Bolesławs Grabstein, das mit den Worten »Hic jacet in tumba princeps generosa columba« (»Hier ruht im Grabe ein edler Herzog, mit einem taubengleichen Herzen«) beginnt, hat in der polnischen Mediävistik besonderes Interesse geweckt. Dieses Epitaph gilt als eines der ältesten literarischen Denkmäler, die auf polnischem Boden geschrieben wurden und stammt möglicherweise bereits aus dem 11. bzw. 12. Jahrhundert.23 Ich werde im Weiteren noch auf eines der Themen dieses Gedichts eingehen, hier beschränke ich mich nur auf die Feststellung, dass sein Vorhandensein im Text von Gesta Romanorum möglicherweise auf den Wunsch zurückzuführen ist, die polnische Geschichte mit der Weltgeschichte zu verbinden.24 In der diskutierten Erzählung der Gesta Romanorum gibt es auch interessante deutsche Themen. Eine Episode, in der der Autor seiner Fantasie freien Lauf lässt, befasst sich mit den Ursprüngen der deutschen Sprache. Als Gott die Erbauer des Turms zu Babel für ihre Torheit (nequicia) bestrafte, indem er ihre Zungen verwirrte, zerstreuten sie sich, ohne einander zu verstehen. Einer von ihnen, er hieß Theucher, genannt Vater der Deutschen (pater Theutonicorum), floh mit seiner Frau Rana (Frosch) in das Land der Amoräer und Gomorrha. Dort gingen sie einst an einem Sumpf entlang und hörten Frösche singen: »Rache, rache, crze, crze, ggye, ggye und andere«. Die Geräusche, die die Frösche machten, gefielen ihnen so gut, dass sie sie lernten und untereinander verwendeten, und das war die deutsche Mundart (»didicerunt lingwas earum et loquebantur inter se ydyomathe Theutnico«).25 Diese Passage ruft zweifellos negative Assoziationen hervor. Obwohl Frösche manchmal als Symbol der Fruchtbarkeit und Wiedergeburt gelten,26 wurden sie jedoch im Mittelalter eindeutig mit dem Bösen in Verbindung gebracht und mit dem Teufel gleichgesetzt.27 In gewisser Weise war dies eine Folge davon, dass Frösche in der Bibel als 22 Vgl. z. B. Weiske: Gesta Romanorum, 1, 2. Teil: Zum Deutungssystem der »Gesta Romanorum«. 23 Grundlegende Informationen zu Editionen und Studien des Epitaphs s.: Kaliszuk et al. (Hg.): Clavis scriptorum, Nr. 181; darüber hinaus: Wiszewski: Domus Boleslai. Values, S. 55–66; We˛cowski: Pocza˛tki Polski, S. 166–171. 24 We˛cowski: Pocza˛tki Polski, S. 170. 25 Ossol., f. 40v. 26 Siehe z. B. Kobielus (Hg.): Fizjologi, S. 27; Forstner: S´wiat symboliki, S. 310–311; Kopalin´ski: Słownik symboli, S. 509–511. 27 Hüppauf: Vom Frosch, S. 30.

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unreine Geschöpfe behandelt wurden (vgl. besonders Offenbarung des Johannes 16, 13: »Dann sah ich aus dem Maul des Drachen und aus dem Maul des Tieres und aus dem Maul des falschen Propheten drei unreine Geister hervorkommen, die wie Frösche aussahen«).28 Es lässt sich nicht feststellen, was den Autor dieser Erzählung dazu veranlasst haben könnte, Vergleiche mit Fröschen anzustellen, da Frösche in der polnischen Geschichtsschreibung des Mittelalters nur ausnahmsweise vorkommen. In diesem Zusammenhang ist auf die Chronik von Meister Wincenty Kadłubek zu verweisen, der in der Beschreibung der Abkehr der Gethen (Preußen) vom christlichen Glauben diese mit schleimigen Fröschen vergleicht: »Denn bald springt jene geile Schamlosigkeit der Frösche in den Abgrund der Abtrünnigkeit zurück, versinken sie umso unzüchtiger in den eingewurzelten Sünden der Götzendienerschaft«.29 Aber nicht nur die Frösche, sondern auch ihre »Sprache«, d. h. dieses disharmonische Quaken, das in der Tinzer Erzählung der Gesta Romanorum als Lied (canticum) bezeichnet wird, erregte demnach ebenfalls negative Gefühle. Deren Übertragung auf die deutsche Sprache sollte beim Leser zweifelsohne eine Anspielung auf die im spätmittelalterlichen Polen allgemeine Wahrnehmung des Deutschtums hervorrufen.30 Ein Rückgriff auf die Zeugnisse der damaligen Zeit bestätigt diese Art von negativer Einstellung gegenüber den Deutschen voll und ganz. Johannes Ostroróg, einer der Beamten des polnischen Königshofes und Diplomat (gest. 1501), warnte zum Beispiel davor, dass aufgrund des ewigen Gegensatzes des Polnischen zu dem Deutschen »in dieser [deutschen] Sprache keine Predigten gehalten werden. Derjenige, der in Polen leben will, muss die polnische Sprache erlernen«.31 Noch aussagekräftiger wurde die Abneigung gegen die Deutschen zu Beginn des 16. Jahrhunderts von dem deutschen Humanisten Rudolf Agricola (gest. 1521) beschrieben: »Es ist mir sehr unangenehm länger in Krakau zu verweilen. Jeder Deutsche wird schlimmer behandelt als ein Jude. Der ganzen Stadt ist nicht mehr zu trauen, vor allem nicht den polonisierten Deutschen, die uns Fremden lieblos entgegenkommen«.32 28 Zu dieser und anderen Erwähnungen der Frösche in der Bibel siehe z. B. Laskowski: Z˙aby w Biblii, S. 321–347. 29 Mühle (Hg.): Die Chronik der Polen, S. 293; das lateinische Original siehe ebd., S. 292: »Mox enim salax illa ranunculorum lubricitas in apostasie resilit gurgitem, inolitis idolatrie sordibus obscenius inmergitur«. 30 Darüber beispielsweise: Piskorski: Die Deutschen, S. 375–378. 31 Pawin´ski (Hg.): Ostrorog: Monumentum, S. 148: »hortor ne in Polonia sermo [Germanicus] praedicetur. Discant Polone loqui, si qui Poloniam habitare contendunt«. Deutsche Übersetzung nach: Piskorski: Die Deutschen, S. 377. Vgl. auch Strzelczyk: Deutsch-polnische Schicksalsgemeinschaft, S. 112, 123. 32 Brief an Joachim Vadian vom 17. 09. 1510, in: Arbenz (Hg.): Vadianische Briefsammlung, S. 309: »ibidem [Cracovie] diutius immorari molestissimum mihi sit. Non est Germanus, quin ipsi ludaeis omnibus postponantur; nulla fides toti Cracovie et praesertim Polonicatis Ger-

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Auf der Suche nach Vergleichen zwischen menschlicher und tierischer Sprache in mittelalterlichen Materialien stieß ich auf ein interessantes Gedicht, das in den Text der Chronik des Klosters Zbraslav (Königssaal, in Böhmen) eingewoben ist. Ihr Verfasser Peter von Zittau (gest. 1339), der selbst deutscher Abstammung war, schrieb über den sächsischen Dialekt, dass er für die Bayern unverständlich sei, die wie ein Ochse sprechen, und dass die Verständigung zwischen ihnen so sei wie zwischen einer Eule und einer Elster.33 Äneas Silvius Piccolomini hingegen beschrieb in einem Brief vom 5. Dezember 1443 den Lärm in der deutschen Kanzlei in Graz und verglich ihn mit dem Geräusch von Elstern oder Krähen im Wald oder Fröschen in den Sümpfen.34 Es ist jedoch schwer zu sagen, ob es sich dabei um Lärm im Allgemeinen oder um die Wahrnehmung der deutschen Sprache handelt. Wie die Gießener Forscherin Gisela Naegle, auf deren Studien ich mich hier beziehe, feststellt, gehörte die deutsche Sprache im Mittelalter nicht zu den besonders beliebten Sprachen.35 Die deutschen, größtenteils frei erfundenen Motive werden in der Erzählung der Tinzer Fassung der Gesta Romanorum noch einige Male auftauchen, fast jedes Mal zweifelsohne mit einem abwertenden Unterton. Der polnische Verfasser, über den man hier zweifellos rätselt, stellt die Deutschen spöttisch dar und bringt die Überlegenheit seines Volkes gegenüber den Deutschen zum Ausdruck. So sollten die Deutschen an ein gewisses Idol glauben, das sie anbeteten und dessen Hintern sie als Zeichen der Verehrung küssten, wie dies die hl. Birgitta mit den folgenden Worten bezeugen sollte: »ydolum Theutnici credunt et eum adorant in culum osculantes«. Solche Anschuldigungen sind nichts anderes als Diffamierung.36 Die größte Aufmerksamkeit widmete der Verfasser den polnisch-deutschen Beziehungen in der Zeit von Bolesław I. dem Tapferen (Chrobry), dem polnischen Großfürsten (maximus terre Polonie dux), der – laut der Erzählung – die preußischen Gebiete bis zum Fluss Szolava (wohl Saale) verwüstete, wo er die

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manis, qui nos exteros nullo amore tenent«. Deutsche Übersetzung nach Piskorski: Die Deutschen, S. 377. Zˇitavský: Kronika, S. 16: »Sic vice tutoris manet hic Saxo brevis oris / Lingwe velocis, subtilis erat quoque vocis; / Saxo recolligit os, Bauarus loquens boat ut bos, / Exaltans vocem grossam nimis atque ferocem. / Hinc tua vox Saxo redolet Bauaro, quasi saxo / Undarum stille, quia non intelligit ille / Linguam saxonicam, sicut nec noctua picam, / Et velut sompnis agnoscit Bauarus omnis / Saxonie verba, si dulcia sint vel acerba, / Quamvis Thewtunici possunt ambo bene dici«; Albrecht (Hg.): Die Königsaaler Chronik, S. 53. Wolkan (Hg.): Der Briefwechsel, Nr. 99, S. 236: »vivo enim inter clamores […], nos uno in conclavi velut oves in septis alter alterum premimus, […] tantumque inter nos servamus silentium, ut picas in nemoribus vel cornices aut in paludibus ranas audire te censeas«. Naegle: Diversité, S. 278. Der hier beschriebene Kuss gehörte zu häretischen Ritualen, vgl. z. B. Durrant: The Osculum, S. 36–59; Durrant et al.: Historical Dictionary, S. 149 (Obscene kiss). Der erwähnte angebliche Brauch der Deutschen konnte in den Schriften der hl. Birgitta nicht gefunden werden.

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Grenze Polens festlegte.37 Danach besiegte er Kaiser Otto den Roten auf dem großen Feld an der Donau bei der Stadt Wien, wie man die Bezeichnung Vehenna (oder Vchenna) Civitas verstehen könnte. Den gefangenen Kaiser brachte Bolesław nach Sandomir, wo er ihn drei Jahre lang inhaftierte. Der Kaiser wurde erst freigelassen, als er Bolesław von allen Verpflichtungen gegenüber dem Reich befreite. Er erhielt vom Kaiser die Lanze und den Schild des hl. Georg als Zeichen der künftigen Unabhängigkeit der polnischen Herrscher.38 Auch die Deutschen sollten den Polen Tribut bis zum Fluss Rhein (Ryn) zahlen, ebenso wie die Ruthenen, Litauer und Ungarn (»omnes tributa solvebant ei usque ad fluvium dictum Ryn«).39 Wie man sich denken kann, geht es hier um die Umkehrung der tributären Abhängigkeit Polens vom Reich zur Zeit Mieszkos I., über die Thietmar in seiner Chronik schrieb,40 die aber bei den polnischen mittelalterlichen Geschichtsschreibern keinen Widerhall fand. In der Erzählung der Tinzer Fassung der Gesta Romanorum findet man noch eine weitere Erwähnung der Deutschen. Auch diesmal ist es erfunden – es geht um den Verkauf von Juden und Deutschen in die Sklaverei und ihre Zerstreuung über die ganze Welt, wobei der hier auftretende Vergleich zwischen der jüdischen Diaspora und den Auswirkungen der deutschen Kolonisation besonders rätselhaft ist, wie man die Formulierung über die Judei und Theotonici, die »dispersi sunt omnes per orbem universum et in gentibus undique manent usque in diem hodiernum«,41 verstehen könnte. In einem anderen Fall, diesmal ohne das oben erwähnte Überlegenheitsgefühl, findet sich ein deutsches Thema, und zwar in der bereits erwähnten gedichteten Grabinschrift von Bolesław dem Tapferen, die vollständig in der Erzählung angeführt wurde. Die darin enthaltene Charakterisierung von Bolesław ist führt zwei Aspekte an – der König wird als Kämpfer für den christlichen Glauben und als guter Herrscher dargestellt.42 Der letzte Aspekt wurde mit Kaiser Otto III. verbunden, der Bolesław die königliche Krone verliehen hat: »Ob famamque bonam tibi contulit Otho coronam« (Otto hat dir wegen deines guten Rufs die Krone gebracht).43 Diese Nachricht bezieht sich auf Informationen aus der 37 Dieses Motiv ist in der polnischen Geschichtsschreibung des Mittelalters gut bekannt, siehe v. a. Maleczyn´ski (Hg.): Galli Anonimi chronicae, S. 16–17; dazu auch: Rosik: Z˙elazem znaczona, S. 35–45; Pleszczyn´ski: Die Deutschen, S. 28–29; Rhode: Die ehernen Grenzsäulen, S. 331–353; Gawlas: The Perception, S. 124. 38 Der Überlieferung nach soll es sich um die Lanze des Heiligen Mauritius handeln, vgl. z. B. Rokosz: Wawelska włócznia; Dulinicz: Lancea sacra. 39 Ossol., f. 42r–v. 40 Zu diesem Tribut siehe letztens Jurek: »Usque in Vurta fluvium«. 41 Ossol., f. 43r. 42 Zum Problem der Krönung siehe z. B. Wiszewski: Domus Boleslai. Values, S. 62–66; Wiszewski: Rex in regno, S. 276–303. 43 Ossol., f. 42v.

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Chronik des Anonymus gen. Gallus, der zu Beginn des 12. Jahrhunderts darüber berichtet hat.44 Das Auftauchen dieses Gedichts, insbesondere der Passage mit einer völlig anderen Aussage als in den früheren »deutschen« Erwähnungen, scheint zu beweisen, dass nicht nur unfreundliche oder bösartige, kulturell stereotypisierende Motive in der polnischen Sicht auf den westlichen Nachbarn im Spätmittelalter vorhanden sind.45

Bibliografie Archivalische Quellen Bayerische Staatsbibliothek in München: Handschrift Sign. clm 3812 (Beschreibung: URL: http://bilder.manuscripta-mediaevalia.de/hs//projekt-Muenchen-Augsburg-pdfs/Clm %203812.pdf, 20. 03. 2023). Львівська національна наукова бібліотека України імені Василя Стефаника [L′vìvs′ka nacìonal′na naukova bìblìoteka Ukraïni ìmenì Vasilâ Stefanika]: Sign. 2391/I: O re˛kopisach znajduja˛cych sie˛ w bibliotekach lwowskich i przemyskich.

Gedruckte Quellen Albrecht Stefan (Hg.): Die Königsaaler Chronik. 2014. Arbenz Emil (Hg.): Vadianische Briefsammlung, 2. 1891. Ke˛trzyn´ski Wojciech / Smołka Stanisław (Hg.): Kodeks dyplomatyczny klasztoru tynieckiego, 1. 1875. Kobielus Stanisław (Hg.): Fizjologi i Aviarium. S´redniowieczne traktaty o symbolice zwierza˛t. 2005. Maleczyn´ski Karol (Hg.): Galli Anonimi chronicae et gestae ducum sive principum Polonorum. 1952. Mühle Eduard (Hg.): Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius. 2014. Nagrobek Bolesława Chrobrego 1025–1034, in: Bielowski August (Hg.): Monumenta Poloniae historica, 1. 1864, S. 319–320. Pawin´ski Adolf (Hg.): Ostrorog Joannes: Monumentum pro comitiis generalibus Regni sub rege Casimiro pro Reipublicae ordinatione congestum, in: Pawin´ski Adolf: Jana Ostroroga z˙ywot i pismo ›O naprawie Rzeczypospolitej‹. Studium z literatury politycznej XV w. 1884, S. 123–181. Wolkan Rudolf (Hg.): Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini, I, 1. 1909. Zˇitavský Petr: Kronika zbraslavská, in: Emler Josef (Hg.): Fontes rerum Bohemicarum, 4. 1884, S. 1–337.

44 Maleczyn´ski (Hg.): Galli Anonimi chronicae, S. 19. 45 Vgl. Pleszczyn´ski: Die Deutschen, S. 43–44; Mrozowicz: Between Real Experience, S. 320.

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Zur Frage der Wahrnehmung der Deutschen im spätmittelalterlichen Polen

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Wiszewski Przemysław: Rex in regno suo? Wokół wyobraz˙en´ i propagandy władzy królewskiej Piastów (do 1296 r.), in: Wihoda Martin / Reitinger Lukásˇ (Hg.): Promeˇna strˇedovýchodní Evropy raného a vrcholného strˇedoveˇku. Mocenské souvislosti a paralely. 2010, S. 416–483.

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Adam Szweda

Das Verhältnis zwischen den Königen von Polen und abhängigen Herrschern. Auf der Suche nach einem Modell*

Abstract: The Relationship between Polish Kings and Dependent Rulers: In Search of a Model Although in the realities of the political system of medieval Poland, the feudal system existed only to a very limited extent, its solutions were willingly referred to in relations with other rulers. Casimir the Great established fief relations with Mazovia in the mid-14th century. Relevant sources cite the right terms for this system. In terms of the attitude of kings and Polish elites to the local Piasts, close kinship and descent from the family of the former rulers of the Kingdom also played a significant role. Regarding the hospodars of Moldavia, terms referring to feudal dependence were most consistently used. This was also reflected in the opinions of the Polish elites. This took a different turn in the case of the grand masters of the Teutonic Order after 1466. The actual extent of their dependence was unclear even to contemporaries. As monks, they did not pay a classic homage but took the oath according to the group specified in the documents of the Second Peace of Torun´. All dependent rulers fulfilled their duties, especially when it came to military aid for Polish kings. Keywords: feudal homage; Poland; Mazovia; Moldavia; Teutonic Order

Das Staatssystem des mittelalterlichen Polens ging in kleinerem Maßstab auf die Elemente des Lehnswesens zurück.1 Doch im 13. Jahrhundert waren sie in den Verhältnissen zwischen den auf den polnischen Gebieten herrschenden Fürsten Univ.-Prof. Dr. Adam Szweda, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, ORCID: https://orcid.org/ 0000-0003-0138-9575. * The text is the effect of the project of National Science Centre, Poland No 2018/29/B/HS3/00793 Royal vassals. In search of a model of relations between Polish kings and dependent lords (from the second half of the 14th century until the early 16th century) / Der Beitrag ist das Ergebnis des Projekts des Nationalen Wissenschaftszentrums (Polen) Nr. 2018/29/B/HS3/00793 Königliche Vasallen. Auf der Suche nach einem Modell der Beziehungen zwischen polnischen Königen und abhängigen Herren (von der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis zum frühen 16. Jahrhundert). 1 Die Analyse und Darstellung von Ursachen dieses Phänomens bei: Gawlas: Dlaczego; Ders.: O kształt, S. 87–88; Jurek: Omagialitas; Kurtyka: Odrodzone, S. 148–155; Dygo: Czy istniał. In diesen Werken ist auch weitere Fachliteratur zu finden.

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Adam Szweda

– vor allem in Schlesien – wahrzunehmen. Sie galten als Vorbild für die Beziehungen zwischen dem großpolnischen Herzog Przemysł II. und dem Herzog von Pommerellen Mestwin II. im Zusammenhang mit dem Vertrag von Ke˛pno von 1282, auch wenn in der entsprechenden Urkunde keine Lehnsterminologie vorhanden ist.2 Auf eine solche Rechtslösung griff später König Kasimir der Große zurück. Unten wird noch auf die Frage Masowiens eingegangen, es ist jedenfalls hervorzuheben, dass der besagte Herrscher Jung Leslau (Inowrocław) und Umgebung Herzog Ladislaus dem Weißen als Lehen zur Nutzung überließ.3 Ludwig von Anjou (König von Ungarn in den Jahren 1342–1382 und König von Polen 1370–1382), der aus der Welt der besonders entwickelten Lehnsinstitutionen stammte, bezog sich gern auf solche Formen. Er verlieh sogar große Gebiete als Lehen. Empfänger dieser Verleihungen waren vor allem Ladislaus Opolczyk und der Herzog von Pommern-Stolp Kasimir IV. (Kaz´ko).4 Im 15. Jahrhundert waren die Vertreter der polnischen Eliten mit dem Lehnswesen gut vertraut. Der Krakauer Domherr und Historiker Jan Długosz, der mehrfach darauf stieß, ging unter dem Jahr 1422 sehr knapp (doch eindeutig) auf die Pflichten des Souveräns und des Lehensmannes (Vasallen) ein, und zwar im Bericht über den Versuch des Herzogs von Berg, sich unter Schutz von Ladislaus Jagiełło zu stellen.5 In der Fachliteratur wurden alle Formen der Abhängigkeit anderer Herrscher von den polnischen Königen in den Kategorien der Lehnsverhältnisse betrachtet. Es stellt sich noch die Frage, ob es tatsächlich immer so war. Und ob es ein einheitliches Modell gab, auf das man jedes Mal zurückgriff, wenn man die Verhältnisse zwischen dem polnischen Monarchen und den ihm unterstehenden Herzögen regeln wollte. Zu diesem Zweck werden im vorliegenden Beitrag drei »offenkundige« und langandauernde Rechtsverhältnisse zwischen den Königen von Polen und den von ihnen abhängigen Herrschern verglichen, um auf die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Fällen hinzuweisen. Schon in der 2. Hälfte 1352 wurden die masowischen Piasten, die Brüder Siemowit III. und Kasimir I., zu Vasallen König Kasimirs des Großen.6 Ende 1355, nach dem Tod Kasimirs I. ohne Nachkommen, gab der polnische Monarch sei2 Bieniak: Postanowienia; Gawlas: O kształt, S. 88, 198. 3 Szlachtowski (Hg.): Joannis, S. 661; S´liwin´ski: Władysław, S. 36–37. In einer der Urkunde Kasimirs des Großen wurde Ladislaus der Weiße als »princeps noster« genannt – Zakrzewski (Hg.): Kodeks, 3, Nr. 1369. 4 Marzec: Pod rza˛dami, S. 72–78. 5 Baczkowski et al. (Hg.): Joannis, 11, S. 159. Die geringe Glaubwürdigkeit dieser Überlieferung ist für das Wesen der Wahrnehmung von Lehnsverhältnissen durch den Krakauer Domherrn irrelevant. 6 Grabowski: Mie˛dzy. Die Frage des Verhältnisses zwischen den masowischen Piasten und der Krone, die schon mehrmals aufgenommen wurde, ist noch zu bearbeiten. Unten wird auf die wichtigsten Ereignisse eingegangen.

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Das Verhältnis zwischen den Königen von Polen und abhängigen Herrschern

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nem Bruder Siemowit die hinterlassene Herrschaft als Lehen aus. Die aus diesem Anlass ausgestellten Urkunden überdauerten bis heute und spiegeln die Terminologie wider, auf die die polnische Kanzlei rekurrieren konnte. Der verstorbene Herzog Kasimir I. war »feodalis« des Königs, und seine Gebiete fielen dem polnischen Herrscher »ratione feodi« zu. Doch in Würdigung der Verdienste von Siemowit III. stellte er fest, dass er ihn in diese Gebiete »infeodamus et damus sibi et suis filiis in feodum«.7 Man knüpfte an den früheren Lehnseid Siemowits III. für seine eigenen Gebiete an, sowie an das Versprechen des Königs, der im Falle seines Todes ohne Nachkommen den masowischen Herzog und seine Nachfolger »ab omagii fidelitate et exibicione serviciorum feodi« gegenüber den königlichen Erben und Nachfolgern völlig befreien werde.8 Der Herzog von Masowien bestätigte dagegen in seiner Urkunde, dass er das Lehnsverhältnis zum König erneuert und vor ihm den Homagialeid wieder ablegt (»innovamus insuper feodum […] et omagium sibi debite fidelitatis prestamus«).9 In seiner Chronik aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stellte Jan Długosz auch das Zeremoniell des Lehnseides Siemowits III. vor Kasimir dem Großen im Jahre 1355 dar. Es soll am 27. Dezember 1355 in Kalisch stattgefunden haben (mit diesem Datum sind auch die besagten Urkunden versehen). Vor dem König, der in seiner Majestät saß, erschien der Herzog zusammen mit dem Plocker Bischof Nikolaus und anderen masowischen Würdenträgern. Er legte vor ihm »das feierliche und öffentliche Homagium« ab, warf die Banner »mit den Zeichen und Wappen« zu seinen Füßen und leistete ihm als »dem einzigen und natürlichen Herrn«, »wie es der Brauch war«, einen gebührenden persönlichen Eid.10 Selbstverständlich stellt sich die Frage, ob Długosz über gewisse zeitgenössische Quellen verfügen konnte, die dieses Ereignis beschrieben, oder ob er vielmehr die Umstände, die ihm chronologisch am nächsten lagen, darstellte. In der Literatur weist man zu Recht auf die größere Wahrscheinlichkeit der zweiten Variante hin.11 Von wesentlicher Bedeutung waren die Aussagen in den besagten Urkunden, wonach das Lehnsverhältnis Siemowits III. erlösche, sobald der König ohne einen männlichen Nachkommen sterbe. In einem solchen Falle sollte der masowische Piast von jedweden Verpflichtungen gegenüber den Nachfolgern des polnischen Monarchen befreit sein.12 Demzufolge wurde Siemowit III. nach dem Tode Kasimirs des Großen am 5. November 1370 zum Herrscher des völlig souveränen Masowiens. Siemowit starb 1381, und im nächsten Jahr starb auch Ludwig von 7 8 9 10 11 12

Sułkowska-Kuras´ et al. (Hg.): Nowy, 2, Nr. 338. Ebd., Nr. 338. Ebd., Nr. 339. Budkowa et al. (Hg.): Joannis, 9, S. 271. Dalewski: Ceremoniał, S. 36–37. Sułkowska-Kuras´ et al. (Hg.): Nowy, 2, Nr. 338, 339.

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Anjou, der Neffe und Nachfolger Kasimirs des Großen auf dem polnischen Thron. Während des Interregnums in Polen nach dem Tode Ludwigs von Anjou 1382 wurde einer der Söhne Siemowits III. – Siemowit IV. – sogar als einer der bedeutenderen Kandidaten auf den polnischen Thron erwogen.13 Trotzdem wurde der neue König von Polen, Ladislaus Jagiełło, sehr schnell zum Lehnsherrn Siemowits IV. und seines Bruders Janusz. Siemowit beschloss auch, Jagiełło bei der Thronbesteigung zu unterstützen, wofür er vom litauischen Großfürsten die russischen Gebiete und die Hand von dessen Schwester Alexandra bekommen sollte. Die Erfüllung des ersten Versprechens verschob sich und es wurde anschließend wegen des Widerstands des Kronrates und der Königin Hedwig aufgehoben. Letztendlich 1388 erhielt Siemowit nur das Land von Belz.14 Der Lehnseid beider masowischer Herzöge erfolgte vermutlich kurz nach der Krönungsfeier Ladislaus Jagiełłos im Februar 1386.15 Jedenfalls erfüllten die Herzöge als Vasallen ihre tradierten Pflichten, zu denen unter anderen die militärische Unterstützung gehörte (vor allem während der Kriege zwischen Polen und dem Deutschen Orden).16 In den gegenseitigen Kontakten wurden aber die Lehnsverhältnisse nicht betont. Die Terminologie, die man benutzte, hob eher die Verschwägerung und die Verwandtschaft zwischen dem König und den Herzögen hervor. Der Lehnseid der masowischen Herzöge bekam erst in der Mitte der 1420er Jahre Bedeutung, als der polnische königliche Hof die Position der masowischen Piasten in der Thronnachfolge gegenüber den Söhnen Ladislaus Jagiełłos abschwächen wollte. Auf der Seite des Königs stand der Großfürst von Litauen Witold. Als Vorwand nutzte er die Provokation des Erzdiakons von Płock Stanislaus Pawłowski, der behauptet hatte, dass die Herzöge von Masowien weder dem König von Polen noch einem anderen Herrscher unterstehen. Der Monarch hielt dies für Anzeichen des »Widerstands und Ungehorsams«. Anschließend 13 Supruniuk: Mazowsze, S. 29–47 – hier die Quellen und Fachliteratur. 14 Ke˛trzyn´ski (Hg.): Articuli, S. 631–633; Maleczyn´ska: Ksia˛z˙e˛ce, S. 40–45; Te˛gowski: Pierwsze, S. 148–150; Weber: Król, S. 241–242; Grabowski: Dynastia, S. 99–100. Die Urkunde, die sich auf die Verleihung des Landes von Belz bezog, stellte Ladislaus Jagiełło erst 1396 aus. Der Herzog erhielt dieses Gebiet nach dem Erbrecht (iure hereditario) und verpflichtete sich, dass er selbst oder seine Hauptmänner sich an den Kriegszügen unter denselben Bedingungen wie der Adel aus dem Lemberger Land beteiligen werden. Der Herrscher betonte auch, dass er diese Schenkung ausschließlich aus seinen Gebieten, ausgenommen vor allem der Kirchengrundstücke, gibt (Sawicki (Hg.): Iura, 1, No. 45; Maleczyn´ska: Ksia˛z˙e˛ce, S. 45–48). Es handelte sich dabei also um keine Verleihung des Landes von Belz im Sinne eines Lehens an Siemowit, wie unrichtig in einem Teil der Fachliteratur beschrieben wird (We˛cowski: Mazowsze, S. 34). 15 Es gibt keine eindeutigen Quellenbelege für die Eideschronologie der masowischen Herzöge, die Angaben aus der Literatur sind einheitlich – Maleczyn´ska: Ksia˛z˙e˛ce, S. 40; Brzes´kiewicz: Struktura, S. 40; Weber: Król, S. 243; Supruniuk: Mazowsze, S. 48; We˛cowski: Mazowsze, S. 34. 16 Supruniuk: Mazowsze, S. 49–62; Sieradzan: Sa˛siedztwo, S. 22–37.

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Das Verhältnis zwischen den Königen von Polen und abhängigen Herrschern

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forderte Ladislaus Jagiełło die Herzöge Siemowit IV. und Janusz IV. in einem Brief dazu auf, am 11. November 1425 in Brest am Bug vor dem Gericht, das aus dem Monarchen selbst und seinen Würdenträgern zusammengesetzt war, zu erscheinen. Die Herzöge wurden dazu verpflichtet, alle Urkunden vorzulegen, die ihre Rechte auf die Herrschaft über die einzelnen masowischen Gebiete bekräftigten, damit der Herrscher erkennen konnte, auf welche Weise diese Länder, die ihm zustehen sollten, in Besitz der Piasten gelangt waren. Auch die Urkunden, die die russischen Gebiete betrafen, sollten dabei berücksichtigt werden. Das Verfahren sollte auch dann durchgeführt werden, wenn die Herzöge in Brest nicht erscheinen sollten. In der Fachliteratur wird das Schreiben einhellig als Felonie-Vorwurf bezeichnet. Die Empfänger des in der Aussage etwas scharfen Briefes bezeichnete man jedoch als »würdige Herzöge, ehrenvolle liebe Brüder«.17 Charakteristisch ist auch, dass die Quellen im Zusammenhang mit dem Konflikt keine Terminologie anführten, die sich auf das Lehnsverhältnis der Herrscher von Masowien bezog. Erst in der Urkunde der jungen Herzöge – Siemowits V. und Kasimirs II., ausgestellt in Brest am 14. November 1425, stellte man fest, dass ihr Vater und Onkel, Janusz I., Ladislaus Jagiełło »einen wahren Treueid« (»verum fidelitatis omagium«) ablegten. Im Resultat blieb Siemowit IV. »Herzog des Königs und seines Königreichs und der Krone Polens« (»ipse dominus Semovitus […] se esse et fuisse principem predicti domini regis et ipsius Regni et Corone Polonie profitetur«), was er nicht bestritt.18 Der alte Herzog selbst sollte dagegen zum vereinbarten Zeitpunkt vor dem König erscheinen und diese Fakten persönlich bestätigen.19 Aus späterer Zeit ist an den Waffenstillstand zwischen Masowien und dem Deutschen Orden von 1459 zu erinnern – während des dreizehnjährigen Krieges zwischen Polen und dem Deutschen Orden, in welchem Masowien auf der polnischen Seite beteiligt war. Die damaligen Herzöge – von Płock Siemowit VI. und von Warschau (Warszawa) Konrad III. der Rote – bekräftigten in ihrer Urkunde, dass »der Frieden durch Dienste oder Unterstützung, die sie und ihre Untertanen dem aufgeklärten König von Polen wie gewöhnlich leisten sollten, jedes Mal wenn sie es tun, aus diesem Grund nicht für gebrochen gehalten wird«.20 Die masowische Partei nannte keinen Grund dafür, warum das Herzogtum bereit war, Polen militärisch zu unterstützen und den König nicht als Souverän der 17 Sawicki (Hg.): Iura, 1, Nr. 71; Baczkowski et al. (Hg.): Joannis, 11, S. 212–213. Den Hintergrund und Verlauf dieses Konflikts schilderten zuletzt We˛cowski: Mazowsze, S. 34–35; Supruniuk: Mazowsze, S. 63–64; Grabowski: Dynastia, S. 105–106; Zawitkowska: Walka, S. 103– 105, diese Frage ist aber immer noch zu ergründen. 18 Sawicki (Hg.): Iura, 1, Nr. 72. 19 Ebd., Nr. 72. Siemowit IV. erschien nicht persönlich vor dem König; er starb bald darauf (6. 1. 1426) – Supruniuk: Mazowsze, S. 64; Grabowski: Dynastia, S. 106. 20 Weise (Hg.): Staatsverträge, 2, Nr. 372; Szweda: Diplomacy [im Druck].

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Herzöge zu nennen. Nachdem die westmasowische Linie der Piasten 1462 nach dem Tode Siemowits VI. und Ladislaus’ II. erloschen war, erklärte der König, dass ihre Herrschaft als verwaistes Lehen eben der Krone zuteil werden sollte. Anschließend erkannte das vom König einberufene Gericht, das aus den Kronwürdenträgern zusammengesetzt war, dem Monarchen das Land von Rawa und Gostynin nach »vollständigem Lehnsrecht« (»pleno iure feudali«) zu, und Kasimir der Jagiellone befürwortete selbst den Anschluss des Landes von Belz an die Krone aufgrund des Erbrechts.21 Aus diesem Anlass entstanden polnische Rechtsgutachten, die das Verhältnis Masowiens zur Krone beschrieben. Jan Długosz bestätigte in den speziell aus diesem Anlass angefertigten Schriften das ewige Verhältnis Masowiens zu Polen und betonte, dass diese Herrschaft nach dem Erlöschen der westmasowischen Linie »sowohl nach dem Lehns- als auch dem natürlichen Recht« dem König zustehe.22 In seinem grundlegenden Werk, den Jahrbüchern, ließ Długosz unter dem Jahr 1453 den Krakauer Bischof Zbigniew Oles´nicki sprechen: In den […] Adern der masowischen Herzöge fließe das Blut der Könige von Polen und sie seien mit dir [also dem König Kasimir dem Jagiellonen] auch durch die nächsten Verwandtschaftsbande verbunden […]. Du könnest auf ihren Gehorsam und ihre Lehnsabhängigkeit stolz sein, denn nur wenige Könige in der Welt haben so mächtige und ehrenvolle Herzöge als Vasallen.23

Es ist aber daran zu erinnern, dass Długosz seine Meinung über die Piasten aus Masowien änderte, die Rechte des Königs im Zusammenhang mit den Vorfällen aus den 1460er und den späteren Jahren befürwortete und die Lehnsabhängigkeit Masowiens hervorhob.24 Der steigende Druck vonseiten der Krone bewog die Piasten – vor allem Janusz II. und seinen Bruder Konrad III. den Roten – dazu, nach Verbündeten zu suchen. Hier zog man den Deutschen Orden in Erwägung, der nach 1466 nach der Befreiung aus der polnischen Oberherrschaft strebte, oder sogar Moskau.25 Als 1477 die Kontakte zwischen Masowien und dem Deutschen Orden an Intensität gewannen, wandte sich der Gnesener Erzbischof Jakob Sienienski (von Sienno) schriftlich an die Herzöge. Nach einem kurzen Bericht über die Treffen der Ordensgesandten und der Herzöge beschloss er, die Piasten zu ermahnen, diese Politik nicht weiter fortzusetzen. Der Erzbischof war überrascht, dass sie sich mit Leuten fremder Herkunft und Sprache verbündeten, zumal sie ein Teil des Königreichs (»membrum Regni«) waren. Sie wählten Leute 21 Sawicki (Hg.): Iura, 1, Nr. 107, 108; We˛cowski: Mazowsze, S. 49–51; Grabowski: Dynastia, S. 134–139. 22 Ke˛trzyn´ski (Hg.): Joannis, S. 623–627; ausführlich bei We˛cowski: Mazowsze, S. 143–169. 23 Baczkowski et al. (Hg.): Joannis, 12, S. 159; Grabowski: Dynastia, S. 151. 24 We˛cowski: Mazowsze, S. 170–197. 25 Szweda: Diplomacy [im Druck].

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gemeinen Standes und erniedrigten dadurch ihre Mutter, die Krone. Jakob Sienienski stellte auch fest, dass die Berater der Herzöge sie aufforderten, dem Vorbild ihrer Ahnen zu folgen. Zum Schluss griff er sogar zu Drohungen: Die Hoffnung auf Erfolg im Bündnis mit dem Deutschen Orden sei trügerisch, und alle, die sich gegen den König gewandt hatten, seien schließlich besiegt worden.26 Es wurde hier aber nicht auf das Formale der Abhängigkeit der Herzöge vom Königreich eingegangen, betont wurde dagegen ihr altherbrachtes Verhältnis zu ihm. Nach dem Tod von Janusz II. ohne Nachkommen im Jahre 1495 versuchte Konrad III. der Rote, das von Janusz hinterlassene Herzogtum Płock zu übernehmen. Er stieß aber auf den entschiedenen Widerstand des Königs Johann I. Albrechts, der Płock und andere Ortschaften mit Waffengewalt besetzte und den Herzog selbst ungeniert zu Zugeständnissen zwang. Konrad III. ließ Notariatsinstrumente anfertigen, in denen er bemerkte, dass er vor der Macht zurückgewichen sei, und seine Zustimmung zur Besetzung von Płock durch den König nicht freiwillig gewesen sei.27 Im Rahmen der Normalisierung der Beziehungen im folgenden Jahr (1496) verlieh Johann I. Albrecht Konrad III. nach Lehnsrecht das Land von Czersk (das er eigentlich die ganze Zeit regierte). Der Akt gründete auf den »brüderlichen Gefühlen« der Herrschenden sowie der Erklärung Konrads, dass er am 6. Januar 1497 auf dem Sejm in Lublin vor dem König einen Treueid ablegen werde. Er betonte auch, dass das Herzogtum Czersk, das einst infolge der Teilung unter den Brüdern Konrad zuteil wurde, rechtmäßig unter die Herrschaft des Königs zurückkehren solle, und zwar »wegen der Weigerung, uns und unserem verstorbenen Vater einen Eid zu leisten«.28 An demselben Tag verlieh ihm der Monarch, dem zufolge »der ehrenvolle Herzog Konrad, unser Bruder«, den Eid doch leisten wollte, das Warschauer Land und gewisse andere Gebiete in Masowien auf Lebenszeit.29 Herzog Konrad selbst stellte auch eine Urkunde aus, in der er sich dazu verpflichtete, den Lehnseid für das Herzogtum Czersk abzulegen und alle Pflichten eines Vasallen zu erfüllen – Ratschläge zu geben, Polen gegen alle Feinde ohne Ausnahme militärisch zu unterstützen, keine Bündnisse zum Schaden des Königreichs zu schließen und den König vor allen Bedrohungen zu warnen. Johann I. Albrecht dagegen sollte dem Herzog Schutz vor Feinden gewähren.30 Trotz ungünstiger Umstände sowie des steigenden Drucks vonseiten der Krone schaffte es Konrad III., eine relativ eigenständige Position beizubehalten. Einen Erfolg hatte auch seine Witwe, Anna Radziwiłłówna, dank deren Bemühungen ihre beiden unmündigen Söhne, Stanislaus und Janusz, von König Alexander dem Jagiellonen 1504 das Recht auf den 26 27 28 29 30

Lewicki (Hg.): Codex, 3, Nr. 249. Te˛gowski: Odła˛czenie, S. 389–397; Szweda: Starania, S. 188. Sawicki (Hg.): Iura, 2, Nr. 153. Ebd., Nr. 154. Ebd., Nr. 155.

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gegenseitigen Erbfall erlangten. Entgegen der Aussage der Urkunde, dass die Herzöge von Masowien nach dem Lehnsrecht diese »Bruder-vom-Bruder«Erbtradition bisher nicht pflegten und nicht pflegen sollten, war hier eine Praxis wahrzunehmen, die früher zwar verbreitet war, aber erst jetzt Gesetzeskraft bekam. Zudem erhielten die jungen Herzöge zusammen nach Lehnsrecht Warschau und andere Gebiete, die Johann I. Albrecht ihrem Vater nur auf Lebenszeit zuerkannt hatte.31 Für diesen und spätere Erfolge des Herzogtums Masowien waren sowohl die diplomatischen Fähigkeiten der Herzogin Anna als auch die Bedeutung ihrer Familie in Litauen, der gute Zustand der Schatzkammer des Herzogtums (der König nahm bei Anna eine Anleihe auf) und die positive Einstellung der meisten polnischen Eliten ausschlaggebend.32 Der plötzliche Tod zunächst von Stanislaus (1524) und kurz danach von Janusz III. (1526) hatte aber die endgültige Inkorporierung Masowiens in die Krone zur Folge.33 Vermutlich auch zur Zeit Kasimirs des Großen kam es zum ersten Versuch, die moldauischen Fürsten von Polen abhängig zu machen. In das Jahr 1359 setzt Jan Długosz einen Bericht über den auf Befehl des Königs unternommenen Zug nach Moldau, und zwar im Interesse eines der Thronprätendenten, Stephan, der im Austausch dagegen in seinem eigenen Namen und im Namen seiner Nachfolger und Untertanen versprach, »gegenüber dem König Kasimir und seinen Nachfolgern, den Königen von Polen, treu, folgsam und unterstellt« zu bleiben.34 Die Glaubwürdigkeit dieser Information entfachte Kontroversen. Überzeugend ist der Vorschlag für die Datierung dieses Ereignisses auf 1368 oder 1369. Die Angaben von Długosz deuten auf die frühe Herkunft der polnischen Bestrebungen nach Erlangung der Kontrolle über das Herzogtum und seine Herrscher hin.35 Die in den Quellen sehr gut nachgewiesene Reihe von moldauischen Eidesleistungen vor polnischen Herrschern begann 1387, kurz nachdem König Ladislaus Jagiełło und Königin Hedwig Rotreußen aus den Händen der Ungarn gewonnen hatten; Rotreußen grenzte direkt an Moldau. Der erste Fürst, der den Eid (in Lemberg [Lwów], am 26. September 1387) ablegte, war Peter I. Mus¸at. Er nannte sich Vasall (»omagialis«) von Ladislaus Jagiełło, und ergänzte den eigenen Homagialeid durch einen Eid nach dem Ritus der Ostkirche, also durch Küssen des

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Ebd., Nr. 171, 172. Grabowski: Dynastia, S. 195–199; Tafiłowski: Koncepcje, S. 26–28. Samsonowicz et al.: Dzieje, S. 317–319; Grabowski: Dynastia, S. 203–208. Budkowa et al. (Hg.): Joannis, 9, S. 300. Kurtyka: Te˛czyn´scy, S. 170, 182–185; zuletzt übernahm Andrzej Marzec die Datierung des Zuges bei Długosz und bemühte sich darum, viele Elemente seiner Beschreibung und der Interpretation in der Fachliteratur in Frage zu stellen, bewertete dieses Ereignis schließlich als hypothetisch (Marzec: Pod rza˛dami, S. 54–66) – es sind aber keine überzeugenden Vorschläge.

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vom Metropoliten von Kiew Kiprian hochgehaltenen Kreuzes.36 Der Bruder und Nachfolger von Peter I. Mus¸at, Roman I., leistete 1393 den Eid vor dem polnischen Königspaar nicht persönlich, sondern stellte eine entsprechende Urkunde aus, die sich darauf bezog. Es ist bezeichnend für die polnisch-moldauischen Beziehungen, dass die Aufnahme von Lehnskontakten nicht nur durch persönliche Eidesleistung des Fürsten, sondern auch durch eine Urkunde erfolgen konnte. Die Gründe davon waren in diesem Falle pragmatisch: der unruhige Charakter der Grenzgebiete und vor allem die Angst des Fürsten, der das Land und die Hauptstadt hätte verlassen müssen, vor dem Thronverlust. Roman I. versprach dem König Ladislaus, der Königin Hedwig, ihren Nachfolgern und der Krone Polens die Treue. Er erklärte auch, mit gutem Ratschlag und militärischer Unterstützung zu dienen, mit Ausnahme der Züge nach Preußen, Litauen und in die Gebiete nördlich von Krakau wegen ihrer Entfernung von Moldau.37 Der Akt Alexanders des Guten von 1402 berücksichtigte aber schon die bewaffnete Beteiligung des Fürsten ohne Einschränkungen.38 Die moldauischen Fürsten leisteten tatsächlich die zugesagte Militärhilfe, was während der späteren Konflikte zwischen Polen und dem Deutschen Orden (1410, 1414, 1422, 1433 1454–1466) eindeutig wahrzunehmen ist.39 Trotz ungarischer Bestrebungen, Moldau die Oberherrschaft aufzuerlegen, und der schwankenden Position der Fürsten selbst (besonders während des Konflikts mit Swidrygiello und des Bürgerkriegs in Litauen) war Moldau immer noch abhängig von Polen. Die darauffolgenden Krisen gingen direkt aus dem steigenden türkischen Druck und den Herrschaftskämpfen im Herzogtum in der zweiten Hälfte der 1450er Jahre hervor.40 Die Bedrohung vonseiten der Türken nach der Eroberung von Kilija und Bilhorod-Dnistrowskyj durch den Sultan im Jahre 1484 bewirkte dagegen, dass der Fürst Stephan III. der Große beschloss, einen Lehnseid vor Kasimir dem Jagiellonen zu leisten, welcher ihm unter diesen Umständen seine Militärunterstützung versprach. 1485 kam es bei Kolomea zum zeremoniellen Akt. Nach der bis heute erhaltenen Beschreibung saß der polnische Monarch in seiner Majestät, mit der Krone und den Herrschaftsinsignien, umgeben von seinen Würdenträgern. Ihnen kam der Fürst zu Pferd entgegen, an seiner Seite ein Ritter zu Pferd mit einem großen Banner mit dem Wappen von Moldau. Ihm folgten die moldauischen Bojaren, von denen jeder seine eigene kleine Fahne hielt. Mit Trompetenklang stieg Stephan ab, nahm das Banner in die Hand und näherte sich dem 36 Hurmuzaki (Hg.): Documente, 1/2, Nr. 235; Czaman´ska: Mołdawia, S. 50–56; Szweda: Zur Abhängigkeit [im Druck]. 37 Hurmuzaki (Hg.): Documente 1/2, Nr. 646; Czaman´ska: Mołdawia, S. 56; Szweda: Zur Abhängigkeit [im Druck]. 38 Hurmuzaki (Hg.): Documente, 1/2, Nr. 651. 39 Czaman´ska: Mołdawia, S. 69, 77, 78, 91, 122, 289–290. 40 Ebd.: S. 116–123; Szweda: Zur Abhängigkeit [im Druck].

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Thron, vor dem er kniete, den Kopf und das Banner zu Boden neigend, ähnlich seine Untertanen. Während der König still saß, umgeben von den stehenden Herren, wandte sich der Fürst zunächst mit einer Rede an den Monarchen und sprach anschließend die eigentliche Eidesformel, wobei er das vom Erzbischof von Lemberg Jan Wa˛tróbka von Strzelce hochgehaltene Kreuz berührte: Gnädigster König, ich lege den Eid ab und schwöre, und verspreche treu, ohne List und Betrug, Eurer Majestät, den Königen, den Nachfolgern Eurer Majestät, der Heiligen Krone des Königreichs Polen, mit allen meinen Gebieten, Würdenträgern und Leuten, die Treue und den Gehorsam für Eure Majestät, die Nachfolger, die Krone des Königreichs Polen zu bewahren, so helfe mir Gott und das Heilige Kreuz Christi.41

Daraufhin erklärte der König, dass er ihn und seine Gebiete unter seinen Schutz annehme und alle seine Rechte und die Rechte seiner Gebiete somit bestätige. Anschließend küsste der Monarch den Fürsten, nahm das Banner aus seinen Händen und überreichte es dem Marschall des Königreichs Rafał Jakub Jarosławski. Die moldauischen Bojaren warfen ihre kleinen Fahnen auf den Boden, wo sie von den königlichen Höflingen aufgesammelt wurden. Alle Machtsymbole wurden in der Schatzkammer eingeschlossen, weil der Fürst und seine Bojaren dem Bericht zufolge nicht wollten, dass diese während der Feierlichkeiten zerstört würden (wohl durch Brechen der Stangen), und baten, sie würdig aufzubewahren. Der polnische Herrscher setzte Stephan zu sich als seinen »Freund und Lehensmann«, und vor ihnen beiden leisteten die moldauischen Bojaren ihren Treueid auf den König und die Krone. Zum Schluss schlug König Kasimir der Jagiellone die moldauischen Bojaren und die jungen Höflinge zu Rittern.42 Diese Beschreibung schildert ausführlich die Lehnszeremonie, die in Polen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts üblich war, und ergänzt die Angaben von Jan Długosz. Der Eid Stephans III. des Großen hatte aber keine bahnbrechenden Konsequenzen. Der Fürst näherte sich bald Ungarn an und bemühte sich auch um die Regelung der Kontakte zur Türkei, was zur Auflockerung der Bande mit Polen führte. Als symbolisches Ende dieses Prozesses galt die Niederlage Johann I. Albrechts im Kriegszug von 1497, als Stephan mit den Türken kooperierte.43 Es ist zu betonen, dass die moldauischen Fürsten den polnischen Eliten zufolge Vasallen der polnischen Könige waren, und ihr Land unumstritten der Krone unterstand. Davon zeugen sowohl die entsprechenden Abschnitte der Chronik von Jan Długosz als auch die Angaben in den Aktenquellen. Im Zu-

41 Ohryzko (Hg.): Volumina, 1, S. 110. 42 Ohryzko (Hg.): Volumina, 1, S. 109–110; Dalewski: Ceremoniał, S. 37–38; Pilat et al.: The Ottoman, S. 224–225; Szweda: Zur Abhängigkeit [im Druck]. 43 Czaman´ska: Mołdawia, S. 153–178; Pilat et al.: The Ottoman, S. 226–251.

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sammenhang mit der Unterstellung der moldauischen Herrscher bediente man sich konsequent der Lehnsterminologie.44 Die schon früher gesammelten Quellenbeispiele für die konsequente Betrachtung Moldaus als eines Lehnsgebietes der Krone Polens ergänzt ein relevantes Beispiel aus dem Jahr 1444. Die Teilnehmer des zu diesem Zeitpunkt in Petrikau stattfindenden Generallandtags (Sejms) fassten zahlreiche Beschlüsse, und in einem davon berechtigten sie ihre Vertreter dazu, an den sich gerade in Ungarn aufhaltenden König Ladislaus von Warna ein Schreiben zu senden. Der Brief soll den Herrscher daran erinnert haben, dass Moldau »dem Königreich seit langem unterstellt sei und die polnischen Könige von den dortigen Woiwoden gewöhnlich den Eid abgenommen hätten«, weswegen der Herrscher von Fürst Stephan den Homagialeid, so wie es der König von Ungarn tat, keineswegs abnehmen durfte.45 1466 wurde der Hochmeister des Deutschen Ordens vom König von Polen abhängig. Den Rahmen dieser Abhängigkeit bestimmten die Beschlüsse des Zweiten Thorner Friedens, der den dreizehnjährigen Krieg des Ordens mit den rebellierenden preußischen Ständen und dem sie unterstützenden Polen beendete.46 Der Hochmeister, der territoriale Verluste erlitt (darunter Pommerellen und Marienburg), wurde zum »Herzog und Berater des Königs und der Krone« und sollte einen Treueid leisten. Er war darüber hinaus dazu verpflichtet, für die Angelegenheiten des Königreichs zu sorgen, dem Herrscher mit Ratschlag zu dienen und die ihm anvertrauten Geheimnisse nicht zu seinem Nachteil zu nutzen, ferner auch Polen gegen alle Feinde zu unterstützen, ähnlich wie alle Prälaten, Herzöge und Würdenträger des Königreichs. Das ist auch so zu deuten, dass das Herzogtum Preußen dem Friedensvertrag zufolge in das Königreich »inkorporiert« wurde.47 Es gibt aber keinen Hinweis darauf, dass der Ordensvorsteher polnischer Vasall war, obwohl solche Vorstellungen während der Verhandlungen vor dem Friedensschluss doch erwogen worden waren. Man verzichtete aber darauf, wohl unter dem Einfluss des Vermittlers in den Verhandlungen, nämlich des päpstlichen Legaten Rudolfs von Rüdesheim.48 Der Friedensvertrag wurde sowohl von Kasimir dem Jagiellonen als auch vom Hochmeister Ludwig von Erlichshausen nach der darin genannten Eidesformel geschlossen. Ihm folgten auch die polnischen und die Ordenswürdenträger.49 Nach den Bedingungen des Friedensvertrags wurde jeder Hochmeister (dessen 44 45 46 47

Zur Zusammenstellung der besagten Quellenbelege – Szweda: Zur Abhängigkeit [im Druck]. Ulanowski (Hg.): Trzy, S. 157; Fałkowski: Sejmy, S. 220. Biskup: Trzynastoletnia, S. 695–711. Weise (Hg.): Staatsverträge, 2, Nr. 403; Neitmann: Von der Herstellung, S. 185–210; Szweda: Princeps, S. 241–242. 48 Toeppen (Hg.): Acten, 5, Nr. 69, S. 191; Biskup: Zagadnienie, S. 302. 49 Szweda: Princeps, S. 242.

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Wahl vom König nicht beeinflusst wurde) zur Eidesleistung verpflichtet. Zum ersten Mal kam es dazu im November 1469 in Petrikau. In Anwesenheit des Herrschers und des königlichen Beraters schwor Heinrich Reuss von Plauen, kniend, die Hand auf dem vom Krakauer Bischof Jan Lutkowic gehaltenen Pektorale haltend, dem König auf Deutsch seine Treue und Bereitschaft, mit Ratschlag zu dienen und alle Geheimnisse zu bewahren. Nach dem Akt wurde er vom König am Arm hochgehoben und links des Monarchen platziert. In der nach dieser Zeremonie aus polnischer Initiative angefertigten Urkunde wurde der Akt als Huldigung bezeichnet (»iuramentum fidelitatis et homagii«), was den Widerstand der Ordenspartei erregte.50 Zur nächsten Eidesleistung eines Hochmeisters kam es wegen des frühzeitigen Todes Heinrichs von Plauen, nach nur einem Jahr. Diesmal erschien in Petrikau Heinrich Refle von Richtenberg, der seinen Eid auf das vom Gnesener Erzbischof Jan Gruszczyn´ski gehaltene Kreuz ablegte. Der Hochmeister sagte die Eidesformel auf Deutsch nicht sofort, sondern las sie nach und nach vor, und zwar in Abschnitten auf Latein, die vom Gnesener Erzdiakon Andrzej Oporowski ins Deutsche gedolmetscht und dann von Richtenberg wiederholt wurden. Von Bedeutung ist aber, dass in der dabei angefertigten Urkunde keine Rede vom »Eid« ist, und zwar trotz zahlreicher Ähnlichkeiten zwischen diesen Formeln und dem Akt aus dem vorigen Jahr. Man bezog sich hier nur auf den »uns gebührenden Treueid« (»iuramentum fidelitatis nobis debite«).51 Die gegenseitigen Beziehungen waren keineswegs idyllisch. Der Orden suchte eigentlich nach einer Möglichkeit, die ihn einschränkenden Bande zu lösen. Als spektakulärer Versuch galt besonders das Bündnis mit dem ungarischen König Matthias Corvinus, mit dem die Jagiellonen um den ungarischen und böhmischen Thron rangen.52 Zu diesem Zeitpunkt hatte der König keine Hemmungen, den Hochmeister, der den Treueid brach, als seinen »subditus et homagialis« zu bezeichnen.53 Nach dem polnisch-ungarischen Friedensschluss erniedrigte sich der Hochmeister Martin Truchsess im Dezember 1479 und legte den »Treueid« vor Kasimir dem Jagiellonen ab. Dieser nahm ihn als »unseren und des Königreichs Herzog und Berater« an.54 Die polnische Partei hatte keine klar formulierte Vorstellung davon, wie die Verhältnisse zum Ordenspreußen aussehen sollten. Davon zeugen die Aussagen des Primas Zbigniew Oles´nickis (des Jüngeren) während der gesamtpreußischen Tagfahrt in Thorn 1485 (unter Beteiligung der Stände des Königlichen Preußens und der Gesandtschaft des 50 Weise (Hg.): Staatsveträge, 3, Nr. 420; unklar über die Zeremonien, an denen der Hochmeister teilnahm: Dalewski: Ceremoniał, S. 42–43. 51 Weise (Hg.): Staatsverträge, 3, Nr. 422. 52 Szweda: How Did, S. 161–165; Posán: Hungary, S. 292–307. 53 Biskup: Zagadnienie, S. 307–310 – hier auch die übrigen Beispiele der Lehnsterminologie in der Praxis der bilateralen Kontakte. 54 Weise (Hg.): Staatsverträge, 3, Nr. 495.

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Herzogtums Preußen mit dem Hochmeister). Bei dieser Gelegenheit, als man die Unterstützung für den König gegen die türkische Bedrohung besprach, stellte der Würdenträger fest: »Der Hochmeister solle nun unter ein solches Joch gelegt werden, dass er es für immer schleppen werde«.55 Es war kein großer Erfolg. Der nächste Hochmeister Johann von Tiefen leistete Kasimir dem Jagiellonen 1489 den Eid »nach der Formel und dem Inhalt des ewigen Friedens«.56 Nach dem Tode des Monarchen tauchte aber die Frage der Regelung der Beziehungen zwischen dem Hochmeister und dem nächsten Herrscher, Johann I. Albrecht, auf. Der neue König forderte von Tiefen die Eidesleistung, wogegen die Ordensritter protestierten. Angesichts der hartnäckigen Haltung der polnischen Partei schlugen sie vor, dass der König auch den »ewigen Frieden« schwören sollte, zumal es ein doppelseitiges Bündnis war und nach einem Thronwechsel in Polen vom neuen Monarchen wiederholt werden sollte. Daniel von Kunheim, der den Hochmeister in den Verhandlungen vertrat, stellte darüber hinaus fest, dass der Hochmeister den anderen königlichen Untertanen nicht gleiche. Er sei »ein geistlicher Herzog« und dazu verpflichtet worden, den Frieden zu vereidigen und dem königlichen Rat beizuwohnen, und nicht zu anderen Handlungen bestimmt. Nach weiteren Verhandlungen schloss man einen Kompromiss: Johann von Tiefen legte den Eid ab, und Johann I. Albrecht schwor dem Hochmeister mündlich, dass er den Frieden erhalten wolle, so wie sein Vater ihn vereidigt habe, und dass er »gnädiger Herr und Beschützer« des Hochmeisters und des ganzen Ordens sein wolle.57 Die Hochmeister entzogen sich der durch den Zweiten Thorner Frieden auferlegten Verpflichtung zur bewaffneten Unterstützung nicht, obwohl sie versuchten, dies zu vermeiden. Als die Versuche scheiterten, sich mit dem schlechten Wirtschaftszustand Preußens zu rechtfertigen, zog Martin Truchsess schon 1485 in den Kampf gegen die Türken, wurde aber wegen der schnellen militärischen Erfolg polnischer Truppen noch an der Grenze Preußens aufgehalten.58 Nach zehn Jahren rief Johann I. Albrecht Johann von Tiefen gegen den masowischen Herzog Konrad III. den Roten zu Hilfe. Während der internen Beratungen kam die Umgebung des Hochmeisters zum Schluss, dass es keine rechtliche Möglichkeit gebe, dem König bewaffnete Unterstützung zu leisten. Man wollte diese Sache noch verschieben, und zwar mit dem Vorschlag weiterer Verhandlungen. Zu eigentlichen Handlungen kam es aber nicht, denn der polnische Monarch gelangte auf eigene Faust zur schnellen Konfliktlösung.59 Infolge 55 Górski et al. (Hg.): Akta, 1, Nr. 200, S. 311; Szweda: Princeps, S. 253–254. 56 Weise (Hg.): Staatsverträge, 3, Nr. 502. 57 Biskup: Zagadnienie, S. 324–332 (Quellenanhang); Weise (Hg.): Staatsverträge, 3, Nr. 503; Szweda: How Did, S. 165–167. 58 Szweda: Princeps, S. 255. 59 Szweda: Starania, S. 190–193.

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des polnischen Drucks beteiligte sich Johann von Tiefen 1497 selbstverständlich als Ordensheerführer am moldauischen Zug Johann I. Albrechts. Die Ordenspropaganda betonte, dass die Handlung des Hochmeisters vor allem aus der Verpflichtung des Ordens hervorging, gegen die Heiden zu kämpfen, zumal die Türken das erklärte Ziel des Kriegszuges waren. Eine symbolische Bedeutung hatte der Tod des Hochmeisters in Lemberg an der Ruhr. Die Ordenstruppen erlitten große Verluste im Kampf, den die polnische Partei verlor.60 Noch zu Lebzeiten Johanns von Tiefen dachte man daran, den sächsischen Herzog Friedrich (1473–1510) zu seinem Nachfolger zu wählen. Der Hochmeister, der aus der Herzogsdynastie abstammte, sollte dem Orden die Revision der Verhältnisse zu Polen erleichtern und sogar seine Macht in diesem Teil Preußens, der nach 1466 Polen zugefallen war (das Königliche Preußen), wiederherstellen.61 Die Wahl Friedrichs, der die Eidesleistung konsequent verweigerte, eröffnete bald ein neues Kapitel im Verhältnis zwischen dem Orden und Polen. Der Rechtsstreit brach aufs Neue auf, wandelte sich in einen militärischen Konflikt und führte schließlich zur Säkularisierung des Ordens in Preußen.62 Die oben analysierten drei Fälle von Herrschern, die von den polnischen Königen und der Krone abhängig waren, beweisen, dass es kein einheitliches Modell solcher Verhältnisse gab. Grundsätzlich griff man auf die für das Lehnsrecht typischen Lösungen zurück, betonte aber diesen formalen Aspekt paradoxerweise in den Kontakten zu den moldauischen Fürsten, die wegen der russisch-orthodoxen Konfession nicht zum westlichen Kulturkreis gehörten. Aus diesem Grund berücksichtigte man in den Zeremonien, an denen sie teilnahmen, für längere Zeit den für die Ostkirche charakteristischen Ritus, das Kreuz zu küssen. Bei den masowischen Herzögen führte man die Lehnsabhängigkeit noch lange auf ihre unumstrittenen Beziehungen zur Krone und die Erinnerung an ihre Herkunft aus der herrschenden Dynastie zurück. Dieser Umstand sowie die Popularität der masowischen Piasten bei einem Teil der polnischen Eliten waren die Ursache, dass die Könige aus der Jagiellonendynastie trotz einer entschiedenen Politik vor allem Johann I. Albrechts Abweichungen von den üblichen Lehnsregeln zumindest tolerierten, wie etwa eine Erbfolge zwischen Brüdern. Sigismund der Alte erkannte solche Befugnisse anscheinend den letzten Herzögen Stanislaus und Janusz III. formal zu. Sowohl die Fürsten als auch die masowischen Herzöge leisteten den Eid nach den Lehnsregeln. Anders war der Status der Ordenshochmeister nach 1466. Dies wird im unterschiedlichen Ritus des von ihnen abgelegten Eides und durch die Vermeidung der Lehnsterminologie in formaler Sicht deutlich. Die folgenden Ordensvorsteher ergänzten das im 60 Szweda: Fighting [im Druck]. 61 Biskup: Polska, S. 62–74; Ders.: Friedrich, S. 159–164. 62 Biskup: Polityka, S. 280–291; Szweda: How Did, S. 169.

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Zweiten Thorner Frieden festgelegte Zeremoniell, und der Versuch, König Johann I. Albrecht davon zu überzeugen – dem Vorbild seines Vaters folgend –, die Bedingungen dieses Vertrags durch Eid bestätigen zu lassen, hatte zwar keinen Erfolg, aber der Orden konnte zumindest einen Kompromiss erlangen. Alle genannten Herrscher erfüllten ihre Pflicht – auch wenn ungern. Dies zeigte sich deutlich in der bewaffneten Unterstützung für die polnischen Monarchen in den von ihnen geführten Konflikten. [Übersetzung Liliana Lewandowska]

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Das Verhältnis zwischen den Königen von Polen und abhängigen Herrschern

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Roman Czaja

Kommunale Dienstämter in Riga und Reval im Mittelalter1

Abstract: Communal Service Offices in Riga and Reval in the Middle Ages The aim of the article is to analyse the functions and remuneration system for lower officials and servants employed by the councils of Riga and Tallinn (Reval). The preserved accounting books of both towns enable long-term research, from the mid-14th century to the turn of the 15th/16th century. The author formulates a hypothesis that two different models of municipal magistrate organisation functioned in the studied cities. The administration of the city of Riga was based on a small team of servants. On the other hand, the Tallinn council sought to expand the team of servants and lower officials in the 15th century. Keywords: middle ages; Livonian cities; communal authority; municipal offices; administration

In der umfangreichen Forschung zu den Herrschaftsstrukturen der oligarchisch geprägten Stadträte des Ostseeraums im Spätmittelalter ist nach wie vor ein Defizit festzustellen: Über die Kontrollmechanismen und die Werkzeuge, mit deren Hilfe die kommunale Herrschaft ihre Aufgaben der Friedenswahrung, der Machtausübung sowie der politischen Kommunikation mit der Bürgerschaft wahrnahm, ist bisher nur wenig bekannt. In dieser Situation erscheint es als aussichtsreich, sich der Funktionsweise einer mittelalterlichen Stadtgemeinde über die Analyse ihres Verwaltungspersonals zu nähern. Dienstämter und Unterbeamte sind aber in der bisherigen Forschung zur kommunalen Herrschaft im Ostseeraum des Mittelalters kaum berücksichtigt worden. Dabei wurden sie in den Quellen unter den Bezeichnungen famuli civitatis oder familia des Rates

Prof. Dr. Roman Czaja, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´, ORCID: https://orcid.org/0000 -0002-0105-0005. 1 Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Forschungsprojekts Władztwo komunalne w hanzeatyckich miastach Prus i Inflant w ´sredniowieczu [Kommunale Herrschaft in den hansischen Städten Preußens und Livlands im Mittelalter], Nr. 2016/21/B/HS3/03099 vorbereitet, das vom National Science Center in Polen finanziert wird.

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Roman Czaja

regelmäßig erwähnt.2 Von den Beamten, die dieser Gruppe angehörten, haben bisher einzig die Ratsschreiber größeres Forschungsinteresse auf sich ziehen können.3 Das Fehlen analytischer Studien bedingt, dass auch in den Gesamtdarstellungen der Geschichte mittelalterlicher Städte diese Problematik allenfalls am Rande erwähnt wird. Die Ratsbedienstetenämter bildeten einen wichtigen Teil des Verwaltungsapparats, der den Ratsherren nicht nur ermöglichte, ihre durch städtisches und allgemeines Recht festgelegten Aufgaben zu erfüllen, sondern auch half, die Kontrolle über die Gemeinde zu wahren, die Kommunikation zu gestalten und die kommunale Herrschaft zu repräsentieren. Besonders deutlich wird die Entwicklung der kommunalen Herrschaft sichtbar, wenn man eine Langzeitanalyse des Verwaltungspersonals vornimmt. Möglich ist dies dank der erhaltenen Kämmereirechnungen der Städte Riga und Reval, die für die Zeit von der Mitte des 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts die Struktur der Ausgaben der Stadträte nachzeichnen.4 Bisher ist dieser umfangreiche Quellenbestand für die Erforschung der städtischen Verwaltung im Spätmittelalter kaum herangezogen worden. Basisinformationen zu den Rigaer Stadtdienern hat Friedrich Georg von Bunge in seiner Monographie zur Stadtgeschichte im Mittelalter geliefert.5 Paul Johansen widmete dem Dienstpersonal größere Aufmerksamkeit. Er hat jedoch die Kämmereibücher des 15. Jahrhunderts kaum ausgewertet, weil diese erst nach seinem Tode publiziert worden sind.6 Größeres Interesse erweckte in der bisherigen Fachliteratur die Finanzverwaltung der beiden livländischen Großstädte.7 Die beiden Städte, anhand deren wir uns der Thematik nähern, gehörten zu den größten des damaligen Ostseeraums. Die Einwohnerzahl von Riga wird für die damalige Zeit auf etwa 8.000 geschätzt, die von Reval auf 6.000; beide Städte beteiligten sich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts aktiv am Handel der Hanse.8 Ziel des hier vorgelegten Beitrags ist es, die Aufgaben der Dienstämter sowie die Formen der Besoldung der Ratsdiener nachzuzeichnen. Dazu werden fünf ihrer Tätigkeitsbereiche unterschieden:

2 Czaja: Urze˛dnicy najemni, S. 347–349. 3 Tandecki: Die Stadtschreiber, S. 117–137; Salminen: Obscure Hands, S. 325–577; Heckmann: Der öffentliche Notar, S. 257–166. 4 Bulmerincq (Hg.): Kämmerei-Register der Stadt Riga; Ders. (Hg.): Zwei Kämmerei-Register der Stadt Riga; Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher; Heckmann: Das Revaler Kämmereibuch; Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463; Ders. (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507. 5 Bunge: Die Stadt Riga, S. 82–84. 6 Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 236–262. 7 Kardasz: Rachunkowos´c´ i budz˙ety miast; Vogelsang: Zur Finanzverwaltung; Kotter: Tallinna rae finantsid. 8 Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 92; Benninghoven: Rigas Entstehung, S. 100.

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direkte Dienstleistungen für Rat und Gericht sowie das Rathausgebäude; Organisation des Einzelhandels; Einsatz für Gemeinnutz und öffentliche Ordnung; Dienst für die Verteidigung der Stadt und das städtische Militär; Verwaltung des kommunalen Vermögens.

In den Jahren 1363–1380 bestand die Gruppe der Ratsdiener in Reval wahrscheinlich aus 13 oder 14 Personen.9 Sechs von ihnen waren für die unmittelbare Betreuung von Rat und Rathaus zuständig (Schreiber, zwei Diener, Bote, Büttel und Scharfrichter), einige waren als Wächter tätig, vier Personen unterstützten die gewerbliche Tätigkeit des Rates. Es fällt auf, dass offenbar zu jener Zeit niemand von dem kommunalen Personal Revals mit der Betreuung des Einzelhandels betraut war. In der Zeit, für die die ältesten erhaltenen Kämmereibücher vorliegen, waren als Ratsschreiber nacheinander ein Albert und ein Hermann tätig. Ihre jährliche Vergütung betrug etwas über 10 Rigisch Mark. So erhielt Albert 1371 in zwei Raten 13 Mark, und 1374 wurden dem Ratsschreiber Hermann einmalig 11 Mark sowie in kleineren Raten weitere Beträge ausgezahlt – insgesamt 13 Mark und 3 Vierdung.10 Die Vermerke über die Vielzahl kleinerer Zahlungen für die Schreiber zeigen, dass sie auch für einzelne Kanzleidienstleistungen und Verwaltungsarbeiten sowie für die Teilnahme an diplomatischen Missionen entlohnt wurden. Weiter erhielten sie mindestens 3 Mark für Dienstkleidung und eine Dienstwohnung im Gebäude der sog. »schriverie« (scriptorium) direkt am Markt.11 In dem Ausgabenbuch des Rats für die Jahre 1363–1374 ist nur ein Ratsdiener (famulus civitatis, »stad knecht«) erwähnt; für die zweite Hälfte der 1370er Jahre dagegen schon zwei, Nicolaus und Engelbert. Der Ratsdiener erhielt ebenso wie der Schreiber ein jährliches Grundgehalt von 10 Rigisch Mark sowie Sonderzahlungen (»opfergeld«) zwischen einer und 1,50 Mark aus Anlass der wichtigsten Feiertage. Abgesehen von der Bedienung und Betreuung der Ratsherren und des Rathauses wurden die Ratsdiener auch mit Reisen und Botengängen sowie dem Transport von Briefen beauftragt.12 Zu den ältesten Ratsdienern zählte der Briefbote. In den 1360er und 1370er Jahren war ein Engelke in dieser Funktion tätig. Die Kämmereibücher ver9 Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher; Heckmann: Das Revaler Kämmereibuch, S. 186–247. 10 Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher, S. 20, 27, 79; Salminen: Obscure Hands – Trusted Men, S. 418–482. 11 Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher, S. 57, 59, 86; Heckmann: Das Revaler Kämmereibuch, S. 208, 219; Salminen: Obscure Hands, S. 230, 447. 12 Heckmann: Das Revaler Kämmereibuch, S. 211, 212, 225; Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher, S. 23, 35, 49, 50, 54, 62, 76, 79; Czaja: Städtische Läufer, S. 70–71.

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zeichnen für ihn einen Jahressold in Höhe von 2 oder 3 Mark sowie zusätzliche Zahlungen für die Ausführung bestimmter Aufträge.13 Was die Rechtsdurchsetzung angeht, so spielten Büttel und Scharfrichter die wichtigsten Rollen. Dem ersteren oblag neben der administrativen Betreuung des Gerichts auch die Aufsicht über das städtische Gefängnis, das in seinem Wohnhaus untergebracht war.14 Er erhielt vom Rat keine ständige Besoldung, sondern wurde ähnlich wie der Scharfrichter für erbrachte Dienstleistungen einzeln honoriert. Der Scharfrichter erhielt vom Rat auch Kleidergeld.15 Paweł Jeziorski hat darauf hingewiesen, dass der Scharfrichter – der in Reval seit Mitte des 14. Jahrhunderts erwähnt wird – auch die Aufsicht über die Knechte führte, die die Stadt reinigten und die Abfälle entfernten.16 Über die Wächter wissen wir kaum mehr, als dass es sie gab. Alle dienten demnach an der »Strandpforte«, dem Stadttor, das die Stadt zum Hafen hin öffnete, aber über ihre Anzahl oder ihre Vergütung ist nichts bekannt. In einzelnen Fällen sind Zahlungen in Höhe von 1 oder 0,50 Mark an Wächter notiert.17 Der Leiter des Marstalles, in den älteren Quellen noch als »stalknecht« bezeichnet, wurde später als »Marschalk« geführt.18 Im ältesten Kämmereibuch sind ihm recht regelmäßige Zahlungen von 3 Ore (1/144 Rigisch Mark) pro Woche bzw. 6 Ore für zwei Wochen zugeordnet; wahrscheinlich wurde er also wochenweise bezahlt. Neben seinem Grundsold erhielt er vom Rat auch Kleidergeld und Stiefel sowie eine Wohnung.19 Dem »Marschalk« unterstanden die Stallknechte, denen der Rat Belohnung für bestimmte Arbeiten zahlte, ohne sie jedoch dem kommunalen Personal zuzurechnen.20 Zu den im wirtschaftlichen Bereich tätigen Revaler Ratsdienern zählten auch Steinhauer, Ziegelmeister und der Kalkofenmann; der letztere erhielt, ähnlich wie der Aufseher des städtischen Pferdestalls, eine Vergütung in Höhe von 3 Ore wöchentlich.21 In den ältesten Kämmereibüchern finden sich auch Zahlungen für Dienstleistungen von Spiel13 Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher, S. 11, 15, 52, 54; Heckmann: Das Revaler Kämmereibuch, S. 206, 228, 236, 209; Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 248; Czaja: Städtische Läufer, S. 70. 14 Johansen (Hg.): Libri de diversis articulis, Nr. 127, 128, 332, 360, 427; Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 243–244; Jeziorski: Margines społeczny, S. 120–126. 15 Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher, S. 13, 47, 57; Heckmann: Das Revaler Kämmereibuch, S. 200, 224. 16 Jeziorski: Margines społeczny, S. 261, 275–276. 17 Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher, S. 16, 35, 37, 39; Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 262. 18 Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 247–248. 19 Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher, S. 10, 11, 28, 50, 57, 66, 67, 77; Heckmann: Das Revaler Kämmereibuch, S. 200, 207, 209, 216, 219, 220, 224, 226, 227, 228, 231, 232, 233, 234; Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 248. 20 Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher, S. 52. 21 Ebd., S. 39, 53, 64, 66; Heckmann: Das Revaler Kämmereibuch, S. 215, 218, 220, 228, 234.

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leuten, aber es gibt keine Grundlagen dafür, sie der Gruppe der städtischen Bediensteten zuzuordnen.22 Die späteren Kämmereibücher für die Jahre 1432–1507 ermöglichen uns, die Veränderungen im städtischen Personal von Reval über eine lange Zeit zu verfolgen. Schätzungsweise dürfte das »Team« in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts mindestens 32 Personen umfasst haben. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte sich also seine zahlenmäßige Größe gegenüber den 1370er Jahren mehr als verdoppelt. Am stärksten hat dabei die Gruppe der Bediensteten zugenommen, die unmittelbar die städtischen Behörden und das Rathaus betreuten – auf 16 Personen. Neben Schreiber, Scharfrichter und Büttel war die Zahl der einfachen Ratsdiener von zwei auf vier gestiegen, ebenso betrug die Zahl der Briefboten nunmehr vier. Fünf Musiker (zwei Trompeter und drei Flötisten) standen nun ebenfalls in städtischen Diensten; für sie war es ein Aufstieg, sie hatten vorher nicht zu den Beschäftigten des Rats gezählt. Dass die Vergütung für die Beamten und Ratsdiener gestiegen war, lag wohl vor allem an der Geldentwertung; dabei blieb freilich die Differenzierung der Gehaltshöhe entsprechend der Stellung in der Beamtenhierarchie sowie die der Formen der Gehaltszahlung erhalten. Die Spitzenverdiener waren der Schreiber und die Ratsdiener, denen auch »opfergeld« und Dienstkleidung zustanden.23 Auffällig ist der stark ausgeweitete Aufgabenbereich der Ratsdiener: Er umfasste nun nicht mehr nur die Betreuung von Rat und Rathaus, sondern auch die Aufsicht über den Handel auf dem Markt, verschiedene Dienstreisen und Gesandtschaften, aber auch Arbeit bei der Heuernte.24 Die Briefboten erhielten keinen festen Sold, sondern nur Dienstkleidung und kleinere Zahlungen für den Kauf von Getreide, während sie im Übrigen im Akkordsystem für erbrachte Dienstleistungen bezahlt wurden.25 Die Spielleute erhielten vom Rat einmalige Zahlungen, wahrscheinlich im Rahmen des »opfergelds«, außerdem Geld für den Ankauf von Speck und Getreide sowie Honorare für erbrachte Leistungen, darunter auch die Teilnahme an Feldzügen des Deutschritterordens. Außerdem erhielten sie Tuchlieferungen oder Kleidergeld.26 22 Greiffenhagen (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher, S. 14, 31, 58, 69. 23 Schreiber und Ratsdiener erhielten Anfang der 1430er Jahre 16 Rigisch Mark, ab 1434 24 Rigisch Mark, Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 13, 24, 39, 55, 68, 80, 93, 110, 143, 156, 234, 356, 373, 409, 437, 1106, 1160; Zur Vergütung des Stadtschreibers Joachim Muter (1429–1460) vgl. Salminen: Obscure Hands, S. 553–554. 24 Vogelsang (Hg): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 213, 362; Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, Nr. 1394; Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 236–237. 25 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 152, 301, 565, 887, 1049, 1062, 1089, 1106; Czaja: Städtische Läufer, S. 72; Mahling: Raum und Zeit im Briefverkehr, S. 91–140. 26 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 13–17, 68, 71, 73, 123, 126, 175, 190, 218, 239, 243, 303, 360, 437, 1106; Kreem: The Town and Its Lord, S. 81–82.

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Unter den Bediensteten des Rats, wie wir sie auf Grundlage der Quellen aus den 1470er Jahren ermitteln konnten, fehlen erstaunlicherweise Personen, die mit der Betreuung des Einzelhandels sowie mit allgemeinen Dienstleistungen für das Gemeinwohl betraut waren. Verwunderlich ist dies deshalb, weil diese Kategorien von Beschäftigten in früheren Aufstellungen des kommunalen Personals aus der Mitte des 15. Jahrhunderts bereits erwähnt worden sind. Damals waren zwei bisher nicht bekannte Beamtenfunktionen – Marktvogt und Wäger – eingeführt worden, um die Infrastruktur des Einzelhandels zu stärken. Das Amt des Marktvogts war sicherlich nach dem Vorbild der gleichnamigen Funktion in Lübeck geschaffen worden, wo es seit 1404 überliefert ist.27 Der Marktvogt erhielt keine feste Vergütung, sondern lediglich Zahlungen für den Kauf von Getreide und Fleisch sowie für Dienstkleidung und Schuhe.28 Keine feste Besoldung erhielt auch der 1439 erstmals erwähnte Wäger, wobei diese Funktion sicherlich nicht erst zu diesem Zeitpunkt eingeführt worden ist, da die städtische Waage in Reval bereits seit den 1350er Jahren bestand. Der Rat bezahlte ihn für die Erfüllung von Aufträgen, und der Wäger leitete der Stadtkämmerei die Einnahmen aus den Wägegebühren für die gehandelten Waren weiter.29 Dem Wäger standen zwei Knechte zur Seite (Waagekerle); einer von ihnen wird als Kornmesser bezeichnet und ist für 1401 nachgewiesen.30 Beide wurden wahrscheinlich aus den Marktund Wägegebühren bezahlt. Für allgemeine Gemeinwohlbelange der Stadtbewohner waren der Stadtchirurg, der Uhrenmeister, Glockenläuter, drei Anwälte (Vorsprecher) und ein weiterer Jurist zuständig, der in den Quellen als »rechtsfinder« bezeichnet wird. Seine Aufgabe bestand darin, im Gerichtsverfahren Stadtbewohner bei der Festlegung des Urteils zu unterstützen.31 Die Anwälte erhielten vom Rat nur eine bescheidene Vergütung: 2 Mark sowie eine Zuwendung in ähnlicher Höhe für Kleidung; der Jurist bekam überhaupt nur eine kleine Zuwendung (12 Skot) für Getreide und Fleisch sowie Tuch für seine Dienstkleidung.32 Der auf dem Rathausturm eingesetzte Glöckner (»glockenluder«) wird erstmals im Jahre 1434 erwähnt.33 Der Uhrenmeister erscheint in den Kämmereiabrechnungen ab 1442, als er für die Instandhaltung der Uhr auf dem Rathausturm einen Jahressold von

27 Lagemann: Polizeiwesen, S. 51. 28 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 14, 16, 19, 69, 73, 124, 193, 234, 295, 356, 437, 443, 726, 780, 810, 1107. 29 Ebd., Nr. 360, 407; Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, Anhang 1, S. 433–444, 447. 30 Salminen: Obscure Hands, S. 226–227; Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 246–247. Der Wäger wurde bei der Amtseinführung vereidigt, die Eidesformel ist erst aus dem 16. Jahrhundert bekannt. 31 Bunge: Die Stadt Riga, S. 341. 32 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 13, 68, 374, 437. 33 Ebd., Nr. 124, 295.

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12 Rigisch Mark erhielt.34 Der Stadtchirurg war nach den Quellen spätestens seit 1424 für den Rat tätig; in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ersetzte ihn ein Arzt.35 Auch für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts enthalten die Kämmereiabrechnungen keine Informationen über die Ausgaben für den Unterhalt der Torwächter. Man kann wohl annehmen, dass das städtische Militär und die Verteidigung der Stadt zu dieser Zeit auf persönlichen Dienstleistungen der Bürger beruhten, die stadtviertelweise organisiert waren, und auf Söldnern, die durch den Rat bezahlt wurden.36 Zur Betreuung des wirtschaftlichen Lebens der Stadt kamen zu den bereits aus dem 14. Jahrhundert bekannten Ämtern des »Marschalks«, Steinhauers, Ziegelmeisters und Kalkofenmanns noch ein Schmied, ein Maurer und ein Zimmermann in städtischen Diensten hinzu. Sie erhielten vom Rat Dienstkleidung sowie kleinere Gaben für den Kauf von Getreide, Fleisch und Speck, und sie wurden im Übrigen für ihre jeweiligen Arbeitsleistungen bezahlt. Der »Marschalk« erhielt zusätzlich ein »opfergeld«, und der Ziegelmeister von Zeit zu Zeit eine kleine Vergütung für Wachdienste in der Ziegelei37. Der Prozess des Ausbaus der bezahlten Dienstämter in der Stadt ist auch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu beobachten. Am Ende des Jahrhunderts umfasste diese Gruppe schon über 50 Mitglieder, was einem Zuwachs um etwa 60 % im Laufe eines halben Jahrhunderts gleichkommt. Am deutlichsten wird dieser Anstieg in der eigentlichen Rathausverwaltung (um 65 %) und in den wirtschaftsnahen Bereichen. In der ersten Gruppe wuchs die Gruppe der Ratsdiener und der Stadtmusikanten auf sechs, und die Zahl der Briefboten stieg auf fünf;38 zwar ging die Zahl der städtischen Anwälte auf zwei zurück, aber es wurden zwei neue Ämter geschaffen: ein Koch und ein Küchengehilfe. Die Gruppe zur Betreuung der Wirtschaft vergrößerte sich gleichzeitig um sechs Stallknechte und einen Zimmermannsgehilfen. Das Personal zur Sicherung der allgemeinen Sicherheit und Ordnung wuchs um mehrere Hirten und Racker (Hundefänger) an.39 Zu einem der bestbezahlten städtischen Bediensteten stieg der Stadtarzt (»der stadt arsten«) auf; ihm erstattete der Rat ab 1477 die Mietkosten für ein Haus in Höhe von jährlich 12 Rigisch Mark, und ab 1494 erhielt er 34 35 36 37

Ebd., Nr. 486. Nottbeck et al.: Geschichte und Kunstdenkmäler, S. 72. Kreem et al: Military affairs, S. 174, 178, 181. Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 13, 69, 126, 201, 203, 205, 234, 294, 295, 1106. 38 Ebd., Nr. 1125, 1160, 1190; Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, Nr. 1255, 1279, 1289, 1362, 1499, 1636, 1673, 1751. 39 Jeziorski: Margines społeczny, S. 276–277; Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 238–240, 254–255.

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einen Jahressold von 20 rheinischen Gulden (etwa 33 Rigisch Mark).40 Aufgestockt wurde auch das Kontingent der Ratsdiener, die für die Sicherheit der Stadt zuständig waren. Neben einer schwer zu bestimmenden Zahl von Torwächtern beschäftigte der Rat zwei Militärspezialisten: einen Büchsenmacher ab 1457 und einen Hauptmann ab Ende des 15. Jahrhunderts.41 In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird eine Tendenz erkennbar, die Zahl der unteren und für einen Jahressold beschäftigten Beamten zu vergrößern, für die ihr Sold die grundlegende Einkommensquelle gewesen sein kann. Neben dem Stadtschreiber (24 Mark) und den Ratsdienern ( je 20 Mark) erhielten eine regelmäßige Besoldung auch der Uhrenmeister (24 Mark), die Anwälte ( je 20 Mark), der Arzt (33 Mark), der Büchsenmacher (30 Marek) und der hauptman (100 Mark).42 Im Vergleich dazu war die Bezahlung des Ziegelmeisters und der Hirten wesentlich bescheidener ( je 4 Mark).43 Allerdings konnten Diener und Stallknechte noch zusätzlich auf Trinkgelder und »Opfergeld« sowie Zulagen für Getreide und Fleisch hoffen. Als ein besonderer Aspekt der Vergütung der städtischen Beamten in Reval sind noch die sehr bedeutenden Ausgaben für Dienstkleidung und Schuhe für die Beamten und Stadtdiener zu erwähnen. Schon seit den 1360er und 1370er Jahren enthalten die Kämmereirechnungen regelmäßige und recht hohe Beträge für den Ankauf von Tuch und das Nähen von Kleidungsstücken für das Personal der Stadtverwaltung.44 Auch in den Rechnungen aus dem 15. Jahrhundert sind zahlreiche Ausgaben für den Erwerb von Tuch, Schuhen und Schneiderlohn verzeichnet. Das Ausmaß der Tucheinkäufe mag hier an einigen Beispielen illustriert werden. 1466 erwarb der Rat von Reval Tuch für die Einkleidung von 29 städtischen Beamten für insgesamt 111 Rigisch Mark, im darauffolgenden Jahr wurden für die Kleidung von 27 Beamten 112 Mark aufgewendet.45 1490 erhielt der Büchsenmacher neben seinem Grundgehalt in Höhe von 30 Mark Tuch für seine Dienstkleidung für 36,50 Mark. In den späten 1430er Jahren wandte die

40 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, Nr. 1614, 1721, 1768, 2240, 2373. 41 Ebd., Nr. 1063, 1360, 1705, 2083, 2501, die Torwächter werden nur einmal im Jahr 1480 erwähnt. 42 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 486, 1063, 1115, 1160; Ders. (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, Nr. 1360, 1393, 1722, 2040, 2079, 2112, 2298, 2501, 2739; die Vermutung, dass der Hauptmann eine militärische Funktion hatte, stützt sich auf die außergewöhnliche Höhe seiner Vergütung. Auszuschließen ist aber auch nicht, dass er, ebenso wie in Danzig gleichzeitig der Dienstvorgesetzte der städtischen Knechte und des Polizeipersonals war. Vgl. Kaczor: Utrzymywanie czystos´ci, S. 98. 43 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, Nr. 2079, 2115. 44 Ebd., S. 13, 17, 59, 66, 77; Heckmann: Das Revaler Kämmereibuch, S. 206, 207, 217, 226. 45 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, Nr. 1299, 1337.

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Stadt für die Dienstkleidung des Stadtschreibers jährlich zwischen 12 und 15 Mark auf, während er gleichzeitig eine Vergütung von 24 Rigisch Mark erhielt.46 In den älteren Kämmereibüchern wird in der Regel die allgemeine Bezeichnung »Kleidermaterial« (»roklaken«) verwendet. Ab den 1430er Jahren werden die eingekauften Tuche zunehmend nach ihrer Herkunft und ihrem Preis differenziert ausgewiesen. Auch auf dieser Grundlage kann man die innere Differenzierung der Gruppe der städtischen Bediensteten ermitteln. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts übernahm der Stadthaushalt die Kleidungskosten für fast 35 Personen.47 Aus den teuersten Tuchsorten (englisches und flandrisches Tuch aus Saint Omer und Ypern für jeweils 21–24 Mark pro Laken) sowie dem Tuch aus Leiden (etwa 16–17 Mark/Laken)48 wurden Kleidungsstücke für den Schreiber, den Büchsenmacher und sechs Ratsdiener genäht. Für den Schmied oder die Briefboten wurde das außergewöhnlich teure Tuch aus Saint-Omer oder Leiden nur in Ausnahmefällen verwendet.49 Billigere flandrische Tuche aus Tourcoing und Aalst (für etwa 15–12 Mark pro Laken) und aus dem niederländischen Naarden (11 Mark) gingen an die Musikanten, den Koch, die Zimmerleute, den Maurer und manchmal auch die städtischen Hirten und den Ziegelmeister. Gewöhnlich aber erhielten die beiden letztgenannten Kategorien ebenso wie der Briefbote, Marktvogt, Zimmermanns- und Küchengehilfe, Kalkofenmann, Marschall, Racker und Glockenläuter nur das billigste graue Tuch aus Lübeck für etwa 6 Mark pro Laken.50 Schauen wir jetzt nach Riga. Das Rathauspersonal der Stadt bestand Mitte des 14. Jahrhunderts aus nur acht Personen. Den Schwerpunkt bildete die eigentliche Verwaltung des Rathauses – Schreiber, Ratsdiener, Scharfrichter und Gerichtsbote (Büttel). Die Kämmereirechnungen der Jahre 1348–1361 verzeichnen regelmäßig Gehaltszahlungen für den Schreiber und zwei Ratsdiener. Auch wenn es im Laufe der Jahre gewisse kleinere Veränderungen gegeben haben mag, ist doch erkennbar, dass für diese drei Unterbeamten eine hohe Vergütung vorgesehen war: Der Rat zahlte ihnen neben ihrem Gehalt auch noch ein Trinkgeld sowie »oppfergeld«, stellte Tuch für die Dienstkleidung bereit und übernahm auch die Kosten des Nähens. Der Schreiber hatte überdies eine Dienstwohnung zur Ver-

46 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 247; Ders. (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, Nr. 2080. 47 Schreiber, Büchsenmacher, Hauptmann, Postboten, Diener, Musikanten, Anwälte, Jurist, Steinhauer, Zimmermann, Schmied, Maurer, Ziegelbrenner, Hirte, Marktvogt, Zimmermanns- und Küchengehilfe, Kalkofenaufseher und Aufseher des Pferdestalls. 48 Huang: Die Textilien, S. 222, 280, 281. 49 Vogelsang (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, Nr. 235, 1337, 1751, 2080, 2115. 50 Ders. (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463, Nr. 234, 301, 611, 887, 946, 1062, 1089, 1106, 1125, 1160, 1190; Ders. (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507, Nr. 1255, 1279, 1299, 1337, 1751, 1977, 2079, 2115, 2529.

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fügung.51 Der Wortlaut des entsprechenden Eintrags im Kämmereibuch – »Johanni notario civitatis 5 mr de vicaria et pretio« – legt die Annahme nahe, dass der damalige Stadtschreiber Johannes von Sinten (später wurde er Erzbischof von Riga) gleichzeitig die Funktion des Ratsgeistlichen erfüllte und als Vikar an der Pfarrkirche St. Peter tätig gewesen sein dürfte.52 Die Jahresvergütung des Schreibers wurde in vier Raten (am 29. September, 25. Dezember, zu Ostern und am 24. Juni) ausgezahlt und betrug gewöhnlich 6 Rigisch Mark. Die beiden Ratsdiener erhielten zu denselben Terminen je vier Mark. Einer von ihnen dürfte der Oberdiener gewesen sein, denn von seiner gehobenen Position in der Hierarchie zeugt die Tatsache, dass er noch eine Zulage zum Kauf von Getreide bekam. In den Jahren 1348–1354 amtierte in dieser Funktion Heinrich Latekop, und nach ihm ein Arnold, der zuvor zweiter Ratsdiener gewesen war. Für die Teilnahme an Dienstreisen und die Erfüllung anderer Aufträge erhielten die Ratsdiener gesonderte Vergütungen.53 Mitte des 14. Jahrhunderts zählten zum Dienstpersonal der Stadt außerdem noch ein Büttel, dem die Aufsicht über das Stadtgefängnis oblag, ein Scharfrichter, ein Wächter, der auf dem Turm der St.Peters-Kirche Dienst tat, ein Zimmermann und ein Ziegelmeister. Diesen Beschäftigten zahlte die Stadtverwaltung kleine Beträge als Kleidergeld.54 In den ältesten Rechnungen finden sich auch Vermerke über Zahlungen an Briefboten und Flötisten; aus ihnen geht aber nicht hervor, ob sie als städtische Bedienstete betrachtet wurden. Ähnliche Unklarheit herrscht über das Bedienungspersonal des Kalkofens und des städtischen Pferdestalls; beide Kategorien sind Mitte des 14. Jahrhunderts als Teil der städtischen Eigenwirtschaft genannt, aber ohne Hinweis auf das dort beschäftigte Personal.55 Aus den Kämmereirechnungen der Jahre 1405–1435 geht hervor, dass der Apparat der Kommunalverwaltung Rigas in diesen Jahren deutlich angewachsen ist und das Vergütungssystem entsprechend ausgebaut wurde. Die Besoldung des Stadtschreibers wuchs in mehreren Schritten auf 18 Mark, die Zahl der Ratsdiener wuchs auf drei, von denen einer ab 1432 den Titel des Kämmereidieners führte. Ihr Grundgehalt blieb bei 4 Mark. Anfang des 15. Jahrhunderts verstärkte sich das Personal, das unmittelbar die Verwaltung unterstützte, um einen Briefboten, den der Rat für erbrachte Dienstleistungen honorierte.56 Deutlich ausgebaut wurde der Teil des Beamtenapparats, der sich um die Ver51 Bulmenrincq (Hg.): Kämmerei-Register, S. 23, 27, 35, 36, 43, 46, 121, 123–124; Mahling: Ad rem publicam, S. 52. 52 Bulmenrincq (Hg.): Kämmerei-Register, S. 32; Czaja: Das Patriziat, S. 219. 53 Bulmenrincq (Hg.): Kämmerei-Register, S. 20–21, 122–123. 54 Ebd., S. 17, 18, 27, 43, 44, 52, 54, 57, 59; Jeziorski: Margines społeczny, S. 131, 261. 55 Bulmenrincq (Hg.): Kämmerei-Register, S. 21–22, 59. 56 Ebd., S. 96, 100; Bunge: Die Stadt Riga, S. 85, »Stadesbodenhus«, »mansio nuntiorum civitatis«.

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teidigung der Stadt zu kümmern hatte: Die Zahl der Wächter auf dem Turm der St.-Peters-Kirche wuchs auf drei, dazu kamen noch zwei Wächter für den Turm der St.-Jakobs-Kirche und ein Armbrustschütze, der auf den Türmen der Stadtmauer Dienst tat. Alle erhielten einige Mark Gehalt und außerdem »opfergeld«, Trinkgeld und Dienstkleidung. Dem Gemeinwohl im weitesten Sinne diente der Glöckner auf dem Petersturm, der lediglich Trinkgeld und »Opfergeld« erhielt, sowie ein Chirurg, ein Apotheker, ein Arzt und ein Uhrmeister, die jeweils 4 Mark Jahressold erhielten. Dieser Gruppe sind auch der Rinderhirte und der Pferdewächter zuzurechnen, auch wenn ihnen die Kämmerei nur bescheidene Gaben in Höhe von etwa 1 Mark auszahlte. Die um die Kommunalwirtschaft besorgte Beamtenschaft vergrößerte sich um einen Aufseher des städtischen Pferdestalls, der mit Getreide und Zulagen für seine Kleidung entlohnt wurde.57 Die Eintragungen in den Rigaer Kämmereibüchern aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind eher knapp gehalten und geben mit Sicherheit kein volles Bild über die Struktur des städtischen Beamtenapparats. Aber sie zeigen doch wesentliche Veränderungen in der Politik des Rigaer Rats in Hinsicht auf die Beschäftigung von Hilfspersonal. Anders als in Reval ist hier kein Anwachsen der Beschäftigung in kommunalen Diensten zu beobachten. Anfang der 1470er Jahre bezahlte der Rat den Schreiber, und dies ziemlich gut, nämlich mit inzwischen 50 Mark, sowie maximal zehn andere Personen, die kollektiv als Diener bezeichnet wurden. Einer von ihnen trug den Beinamen Diener des Bürgermeisters. Sie alle erhielten Jahresgehälter in der Größenordnung zwischen 10 und 15 Mark. Ähnlich wie in den Jahrzehnten zuvor erhielten die Rigaer Ratsbediensteten außerdem »oppfergeld«, ein Viertel Getreide sowie Dienstkleidung. Aus den Rechnungen der Jahre 1472–1474 geht hervor, dass insgesamt zehn Personen solches »oppfergeld« erhielten, ebenso viele Bedienstete erhielten außerdem Tuch. Der stallknecht erhielt vom Rat nur 3 oder 4 Mark an Kleidergeld.58 Das einzig neu eingeführte städtische Amt war das des Marktvogts, der im Kämmereibuch für die 1460er Jahre zweimal erwähnt wird.59 Dagegen verschwanden aus den Abrechnungen des Rats die Ausgaben für Handwerker, Hirten, Arzt, Apotheker, Boten und Wächter. Geringfügige Honorare erhielten noch der Uhrenmeister und der Glöckner der St.-Peters-Kirche fürs Läuten der Glocken.60 Dagegen wuchs in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Zahl des unmittelbar in der Rathausverwaltung beschäftigten Personals. Damit muss nicht gesagt sein, dass die Spezialisten und Bediensteten für die Kontrolle des Einzelhandels, bestimmte Gemeinwohlaufgaben, die Sicherheit der Stadt und die Kommunal57 58 59 60

Bulmenrincq (Hg.): Kämmerei-Register, S. 151–152, 169–170, 186–187. Ebd., S. 315, 318, 319, 320, 324, 328, 329, 332, 333. Ebd., S. 304, 307; Mahling: Ad rem publicam, S. 50. Bulmenrincq (Hg.): Kämmerei-Register, S. 251, 252, 318, 319, 323, 324, 326, 328, 332, 334. Die Kuren erhielten verschiedene Beträge zwischen 6 und 10 Mark.

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wirtschaft nicht mehr tätig gewesen seien; aber offenkundig hat der Stadtrat beschlossen, sie nicht mehr aus dem Stadthaushalt zu bezahlen und als städtische Bedienstete anzuerkennen. *** Die vorstehende Analyse hat gezeigt, dass die Zahl der Dienstämter und Unterbeamten der Stadträte von Riga und Reval zwischen der Mitte des 14. und dem Ende des 16. Jahrhunderts gestiegen ist. Allerdings wuchs die Zahl der städtischen Bediensteten in beiden Städten unterschiedlich stark. In Riga verdoppelte sich die Zahl der vom Rat besoldeten Diener von 8 auf 17, in Reval dagegen vervierfachte sie sich von 14 auf 56. Es scheint also, dass in den beiden untersuchten Städten im Spätmittelalter zwei unterschiedliche Modelle für die Organisation des kommunalen Magistrats zum Tragen kamen. Die Stadtverwaltung von Riga hielt die Zahl der Ratsbedienstetenämter niedrig, und ein großer Teil der Verwaltungsdienstleistungen wurde entweder im Rahmen persönlicher Dienstpflichten der Bürger erbracht oder gegen Honorar an Personen vergeben, die formal und dienstlich mit dem Rat nicht verbunden waren. So nutzte auch der Rat von Riga die Dienstleistungen von Spielleuten, aber sie wurden nie als famuli civitatis behandelt. Nach ähnlichen Prinzipien wurden auch die meisten Briefboten sowie die Handwerker behandelt, die die Ratsbriefe beförderten oder beim städtischen Kalkofen oder im städtischen Pferdestall arbeiteten. Ein anderes Modell der Organisation der Kommunalverwaltung sehen wir in Reval. Der Rat dieser Stadt war im 15. Jahrhundert bestrebt, das Netz der Ratsbedienstetenämter auszudehnen. Sicherlich hatte die Kommunalverwaltung des spätmittelalterlichen Revals noch nicht alle Eigenschaften einer voll professionalisierten Bürokratie; man kann aber davon ausgehen, dass die Entwicklung in diese Richtung eingesetzt hatte. Stellt man die Zahl der Ratsbediensteten in Reval ins Verhältnis zur Einwohnerzahl, dann stand Reval nicht hinter den größten Städten des Ostseeraums und des Deutschen Reiches zurück: Danzig zählte zu jener Zeit 59 städtische Bedienstete, Lübeck 200, Augsburg 160–190 und Nürnberg 250.61 Auch wenn der Sektor der Ratsbediensteten in den beiden untersuchten Städten unterschiedlich groß war, so zeigt seine Struktur doch große Ähnlichkeiten. Den größten Anteil nahmen Dienstämter und Unterbeamte ein, die direkt bei der Betreuung der Stadträte, des Gerichts und des Rathausgebäudes tätig waren. In diesem Bereich zeigt sich ein dynamisches Ansteigen der Zahl der Stadtdiener: in Reval auf das Vierfache von 6 auf 25 Personen, in Riga sehen wir 61 Isenmann: Die deutsche Stadt, S. 433; Lagemann: Polizeiwesen, S. 47; Czaja: Urze˛dnicy najemni, S. 399.

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eine knappe Verdreifachung von 5 auf 13 Bedienstete. Eine zweite bereits in den ältesten Kämmereirechnungen häufig erwähnte Gruppe von Bediensteten war jene, die in der kommunalen Wirtschaft arbeitete. Dabei verlief die zahlenmäßige Entwicklung dieser Gruppe in der untersuchten Periode unterschiedlich. In Reval vervierfachte sich die Zahl der Ratsdiener, die in der Kommunalwirtschaft tätig waren, in Riga dagegen ging sie von zwei auf einen zurück. Erst im 15. Jahrhundert kam als Neuerung in der Entwicklung der Kommunalverwaltung die Einführung von Ratsbedienstetenämtern hinzu, die allgemeine Aufgaben des Gemeinnutzes wahrnahmen: Sie kümmerten sich um den öffentlichen Raum, Hygiene und Gesundheit und die organisatorische und rechtliche Unterstützung der Bürger.62 Besonders deutlich wurde der Ausbau dieses Sektors des Kommunalpersonals im spätmittelalterlichen Reval. Es fällt allerdings auf, dass unter den famuli civitatis in beiden untersuchten Städten Fachkräfte für die Betreuung des Einzelhandels nur eine untergeordnete Rolle spielten. Es könnte verwundern, dass wir in den mittelalterlichen Kämmereibüchern von Reval und Riga wenig Informationen über durch den Rat beschäftigte Marktwächter, Messgehilfen oder Qualitätskontrolleure finden. Bedienstete dieses Typs gehörten zur notwendigen Infrastruktur des Handels und sind aus anderen Handelsstädten des Ostseeraums belegt.63 Erst im 16. Jahrhundert erwähnen die Quellen Hafenwächter, die den Handel im Revaler Hafen kontrollierten. Wahrscheinlich war es so, dass in Riga und Reval mit solchen unmittelbaren Kontrollaufgaben im Einzelhandel Knechte beschäftigt waren, die Wäger und Marktvogt direkt engagierten.64 Tor- und Turmwächter bildeten nur eine kleine Gruppe unter den städtischen Bediensteten. Ihre Bezahlung änderte sich in beiden untersuchten Städten sehr oft. Der beispielsweise in Lübeck im Spätmittelalter zu verzeichnende Tendenz, die Zahl der von der Stadt bezahlten Wächter zu erhöhen, ist in den untersuchten livländischen Hansestädten nicht zu erkennen.65 Man gewinnt den Eindruck, dass das vom Rat beschäftigte Personal für die Organisation des lokalen Militäraufgebots nicht von größerer Bedeutung war, weil dieses teils auf persönlichen Diensten der Bürger beruhte, teils auf dem Einsatz angeworbener Söldner. Für eine gewisse Professionalisierung des Verteidigungssektors der Stadt kann die Bestellung eines Büchsenmachers und eines Hauptmanns Ende des 15. Jahrhunderts in Reval ein Anzeichen sein. Wenn man nach den Funktionen der einzelnen Ratsdiener fragt, muss man berücksichtigen, dass die mittelalterlichen Ratsbedienstetenämter generell keine fest definierte Aufgabenbeschreibung besaßen. Auch in Riga und Reval ver62 Flachenecker: Von Viertelmeistern, S. 172–173; Maleszka et al.: Urban legislation, S. 107–118; Eberhard: Kommunalismus und Gemeinnutz, S. 271–294. 63 Czaja: Urze˛dnicy najemni, S. 351–352, 356, 373, 375; Lagemann: Polizeiwesen, S. 51, 53–54. 64 Johansen et al.: Deutsch und Undeutsch, S. 245–246. 65 Lagemann: Polizeiwesen, S. 57.

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richteten viele Ratsdiener – mit Ausnahme von Spezialisten wie Schreibern und Ärzten – eine Vielzahl von Arbeiten und Dienstleistungen, die mit ihrem Hauptbeschäftigungsfeld nichts zu tun hatten. Das Vergütungssystem für die famuli civitatis ist ein Ausdruck der inneren Differenziertheit dieser sozialen Gruppe. In den beiden hier untersuchten wie auch in vielen anderen Städten des Ostseeraums erhielt nur eine kleine Gruppe der höchsten städtischen Beamten (Schreiber und Ratsdiener) eine Vergütung, die als Existenzgrundlage ausreichte. Wenn in Reval die Gruppe der untergeordneten Beamten (Uhrenmeister, Anwalt, Arzt, Büchsenmacher und Hauptmann) im Laufe der Zeit ausgeweitet wurde und dabei auch diese Vergütungsform am Ende des 15. Jahrhunderts erweitert wurde, dann kann man hierin den Beginn einer Professionalisierung des städtischen Verwaltungsapparats sehen. Ein Teil der Ratsdiener (Wächter, Briefboten, Marschall und Kalkofenmann) erhielt nur einen geringen festen Sold. Die zahlenmäßig größte Gruppe aber waren solche Ratsdiener, deren feste Vergütung einzig aus geringen Geldgaben bestanden, dem sogenannten Opfergeld, das in der Regel aus Anlass der wichtigsten Feiertage ausgezahlt wurde. Aber natürlich erhielten diese Personen außerdem noch gesonderte Vergütungen als Tage- oder Akkordlohn für ihre Arbeit bzw. Dienstleistung. Das System der festen Vergütungen des Dienstpersonals sollte vor allem dazu beitragen, ein bestimmtes Potential an Dienstleistern vorzuhalten, auf deren Dienste der Rat und die Bürger bei Bedarf zurückgreifen konnten. Eine Form der Vergütung der Ratsdiener und gleichzeitig ein Mittel, ihre Zugehörigkeit zum Stadtrat zu demonstrieren, war die Dienstkleidung. In beiden untersuchten Städten machten die Ausgaben für die Dienstkleidung von Ratsdienern schon Mitte des 14. Jahrhunderts etwa 25 Prozent aller Aufwendungen für den Unterhalt des Personals aus. Im Laufe des 15. Jahrhunderts ist zu beobachten, wie die Ausgaben für Tuch immer weiter anstiegen. Vielleicht nahmen sich die Räte von Riga und Reval die Stadt Lübeck zum Vorbild, wo der Rat in den Jahren 1421–1431 insgesamt 46 seiner Bediensteten einkleidete und wo zur Dokumentation der Ausgaben für den Einkauf von Tuch ein eigenes Rechnungsbuch angelegt wurde.66 Es ging der kommunalen Macht dabei nicht nur darum, ihre Bediensteten materiell zu unterstützen, sondern auch darum, sie durch eine einheitliche Kleidung für die Gesellschaft erkennbar zu machen. Denn durch ihre einheitliche Dienstkleidung repräsentierten die famuli civitatis gleichzeitig auch die städtische Obrigkeit gegenüber den Bürgern. Dabei verdient es Beachtung, dass die Räte von Reval und Riga für ihre Beamten nicht nur einfaches graues Tuch kauften, sondern auch teures Gewebe aus England, Flandern und den Niederlanden. Mit teuren Kleidungsstücken wurden vor allem 66 Codex Diplomaticus Lubecensis, S. 414.

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diejenigen Bediensteten ausgestattet, die in der nächsten Umgebung der Ratsherren tätig waren. Das galt sowohl für diejenigen Beamten, die die höchsten Gehälter erhielten, als auch für solche, die in der Beamtenhierarchie weiter unten standen: Spielleute, der Koch und einige Handwerker. Diejenigen Ratsdiener, die in der Stadt oder vor ihren Mauern tätig waren, trugen bescheidenere Kleidung. Es ist kennzeichnend, dass selbst der Briefbote, obwohl er doch die Stadt ein Stück weit nach außen repräsentierte, sich mit einer Dienstkleidung aus billigem grauen Lübecker Tuch zufriedengeben musste.67 Man kann abschließend die Hypothese riskieren, dass das Rathauspersonal zum Element eines exklusiven Hofes des Rates wurde und so zu einem der Werkzeuge der sich im 15. Jahrhundert vollziehenden Aristokratisierung der kommunalen Macht in den Hansestädten.

Bibliografie Gedruckte Quellen Bulmerincq August von (Hg.): Kämmerei-Register der Stadt Riga, 1348–1361, 1405–1474. 1909. Bulmerincq August von (Hg.): Zwei Kämmerei-Register der Stadt Riga. 1902. Codex Diplomaticus Lubecensis, 7. 1885. Greiffenhagen Otto (Hg.): Die ältesten Kämmereibücher der Stadt Reval 1363–1374. 1927. Heckmann Dieter: Das Revaler Kämmereibuch von 1376–1380, in: Zeitschrift für Ostforschung, 41. 1992, S. 186–247. Johansen Paul (Hg.): Libri de diversis articulis 1333–1374. 1935. Vogelsang Reinhard (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1432–1463. 1976. Vogelsang Reinhard (Hg.): Kämmereibuch der Stadt Reval 1463–1507. 1983.

Literatur Benninghoven Friedrich: Rigas Entstehung und der frühhansische Kaufmann. 1961. Bunge Friedrich Georg von: Die Stadt Riga im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert. 1878. Czaja Roman: Das Patriziat in den livländischen und preußischen Städten, eine vergleichende Analyse, in: Misa¯ns Ilgvars / Wernicke Horst (Hg.): Riga und der Ostseeraum. Von der Gründung 1201 bis in die Frühe Neuzeit. 2005, S. 211–222. Czaja Roman: Städtische Läufer und Briefboten im Ostseeraum im Spätmittelalter, in: Hundt Michael / Lokers Jan (Hg.): Hanse und Stadt: Akteure, Strukturen und Ent67 Über den Zusammenhang zwischen der städtischen Boten und der Repräsentation der Kommune vergl. Hübner: Kontrollierte Verbreitung, S. 287–289.

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Roman Czaja

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Kommunale Dienstämter in Riga und Reval im Mittelalter

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Mahling Madlena: Raum und Zeit im Briefverkehr der livländischen Hansestädte mit Lübeck (1450–1500), in: Selart Anti / Thumser Matthias (Hg.): Livland – eine Region am Ende der Welt? Forschungen zum Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie im späten Mittelalter. 2017, S. 91–140. Maleszka Anna / Moz˙dz˙en´ Julia: Urban Legislation as an Instrument for the Formation and Regulation of Socio-Economic Life in 14th-century Prussian and Irish Towns, in: Stevens Matthew / Czaja Roman (Hg.): Towns on the Edge in Medieval Europe: The Social and Political Order of Peripheral Urban Communities from the Twelfth to Sixteenth Centuries. 2022, S. 93–120. Nottbeck Eugen von / Neumann Wilhelm: Geschichte und Kunstdenkmäler der Stadt Reval, 1. 1904. Salminen Tapio: Obscure Hands – Trusted Men. Textualization, the Office of the City Scribe and the Written Management of Information and Communication of the Council of Reval (Tallinn) before 1460. 2016. Tandecki Janusz: Die Stadtschreiber und ihre Rolle bei der Vereinheitlichung der Arbeitsformen der städtischen Kanzleien in Preußen, in: Tandecki Janusz (Hg.): Die Rolle der Stadtgemeinden und bürgerlichen Genossenschaften im Hanseraum in der Entwicklung und Vermittlung des gesellschaftlichen und kulturellen Gedankengutes im Spätmittelalter. 2000, S. 117–131. Vogelsang Reinhard: Zur Finanzverwaltung im mittelalterlichen Reval, in: Zeitschrift für Ostforschung, 20. 1971, S. 685–708.

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Autor*innenverzeichnis

Prof. Dr. Roman Czaja, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ [Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu] Historiker. Forschungsschwerpunkte: Geschichte mittelalterlicher Städte (insbesondere der Hansestädte); Geschichte des Deutschen Ordens und seiner Herrschaft in Preußen; historische Kartografie ORCID ID: https://orcid.org/0000-0002-0105-0005 Dr. Michalina Duda, Staatsarchiv in Torun´ [Archiwum Pan´stwowe w Toruniu] Historikerin und Archivarin. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Deutschen Ordens, deutsche-polnische Beziehungen im Grenzgebiet, gesellschaftliche Kommunikation im Mittelalter, mittelalterliche Symbolik ORCID ID: https://orcid.org/0000-0002-5058-1507 Prof. Dr. Caspar Ehlers, Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main Historiker, Mitglied der Frankfurter Historischen Kommission. Forschungsschwerpunkte: mittelalterliches Königtum zwischen Karolinger- und Stauferzeit ORCID ID: https://orcid.org/0000-0003-0610-1198 Dr. Ingrid Ehlers-Kisseler, Bad Nauheim Historikerin, Mitglied der Historischen Kommission des Prämonstratenserordens. Forschungsschwerpunkte: Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Prämonstratenser und Prämonstratenserinnen, Heiligenverehrung und Patrozinienforschung, Spiritualität der frühen Prämonstratenser Prof. em. Dr. Heinz-Dieter Heimann, Paderborn Historiker. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des europäischen Spätmittelalters und vergleichende deutsche Landes- und Kulturgeschichte

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Autor*innenverzeichnis

Prof. Dr. Sławomir Józ´wiak, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ [Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu] Historiker. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Deutschen Ordens, deutschpolnische Beziehungen im Grenzgebiet, gesellschaftliche Kommunikation im Mittelalter, mittelalterliche Symbolik, Baumeister im Mittelalter ORCID ID: https://orcid.org/0000-0002-8228-4347 Prof. Dr. Krzysztof Kopin´ski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ [Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu] Historiker und Archivar. Forschungsschwerpunkte: Archivkunde, Edition der historischen Quellen, Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ORCID ID: https://orcid.org/0000-0002-4379-9217 Univ.-Prof. Dr. Krzysztof Kwiatkowski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ [Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu] Historiker. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Deutschen Ordens, Militärgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Sozialgeschichte des Hoch- und Spätmittelalters, Deutscher Orden als Element des gesellschaftlichen Gedächtnisses und Erinnerungskultur ORCID ID: https://orcid.org/0000-0003-1827-3122 Univ.-Prof. Dr. Wojciech Mrozowicz, Universität Wrocław [Uniwersytet Wrocławski] Historiker-Mediävist. Forschungsschwerpunkte: Geschichte Schlesiens; Geschichte der mittelalterlichen Geschichtsschreibung; Handschriftenkunde; Hagiografie; Ordensgeschichte (unter anderem der Augustiner-Chorherren und Karthäuser); Editionen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen ORCID ID: https://orcid.org/0000-0002-4407-0698 Prof. Dr. Zdzisław Noga, Pädagogische Universität Kraków [Uniwersytet Pedagogiczny im. Komisji Edukacji Narodowej w Krakowie] Historiker und Archivar. Forschungsschwerpunkte: historische Kartografie, Stadtgeschichte, Geschichte Krakaus in der vorindustriellen Zeit ORCID ID: https://orcid.org/0000-0003-0061-1808 Univ.-Prof. Dr. Piotr Olin´ski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ [Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu] Historiker. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Mittelalters, Hansegeschichte, Geschichte des Deutschen Ordens, Frühhumanismus, mittelalterliche und neuzeitliche Religiosität, historische Klimatologie ORCID ID: https://orcid.org/0000-0003-3512-1948

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Autor*innenverzeichnis

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´ ski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ [UniProf. Dr. Andrzej Radzimin wersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu] Historiker und Archivar. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Kirche in Preußen und Livland, Brauchtum und Kultur des mittelalterlichen Klerus und kirchliche Quellen ORCID ID: https://orcid.org/0000-0002-9489-031X Prof. Dr. Waldemar Rozynkowski, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ [Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu] Historiker. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Herrschaft des Deutschen Ordens in Preußen, Ordens- und Kongregationsgeschichte, Religionsgeschichte des Mittelalters ORCID ID: https://orcid.org/0000-0003-2332-3497 Univ.-Prof. Dr. Adam Szweda, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ [Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu] Historiker. Forschungsschwerpunkte: Diplomatie im Mittelalter, politische Beziehungen zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden (13.–16. Jahrhundert), Quellenedition ORCID ID: https://orcid.org/0000-0003-0138-9575 Prof. em. Dr. Janusz Tandecki, Nikolaus-Kopernikus-Universität Torun´ [Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu] Historiker und Archivar. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Ordenslandes in Preußen, Städtegeschichte, historische Hilfswissenschaften (Archivkunde und Diplomatie), Quellenedition ORCID ID: https://orcid.org/0000-0003-0484-5847 Univ.-Prof. Dr. Dr. Leszek Zygner, Staatliche Ignacy-Moscicki-Fachhochschule in Ciechanów [Pan´stwowa Uczelnia Zawodowa im. Ignacego Mos´cickiego w Ciechanowie] Historiker und Theologe. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Kirche im Mittelalter und dem 20. Jahrhundert, Geschichte Masowiens und des religiösen Lebens in diesem Gebiet ORCID ID: https://orcid.org/0000-0001-9892-7426

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