Zur rechtlichen Durchsetzung von europäischen Straßen [1 ed.] 9783428493098, 9783428093090

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Zur rechtlichen Durchsetzung von europäischen Straßen [1 ed.]
 9783428493098, 9783428093090

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht

Band 43

Zur rechtlichen Durchsetzung von europäischen Straßen Von

Martina Gottschewski

Duncker & Humblot · Berlin

MARTINA GOTISCHEWSKI

Zur rechtlichen Durchsetzung von europäischen Straßen

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin Heckei, Karl-Hermann Kästner Ferdinand Kirchhof, Hans von Mangoldt Thomas Oppermann, Günter Püttner Michael Ronellenfi tsch sämtlich in Tübingen

Band 43

Zur rechtlichen Durchsetzung von europäischen Straßen Von Martina Gottschewski

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Gottschewski, Martina: Zur rechtlichen Durchsetzung von europäischen Straßen I von Martina Gottschewski. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht ; Bd. 43) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09309-7

D 21

Alle Rechte vorbehalten 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

©

ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-09309-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1996 der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Inaugural-Dissertation vorgelegt. An dieser Stelle möchte ich dem Erstgutachter, Herrn Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch, für die wertvollen Gespräche und Anregungen während der Erstellung dieser Arbeit meinen Dank aussprechen. Danken möchte ich auch dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Thomas Oppermann, für die Anregungen, die er mir in seinem Gutachten gegeben hat sowie Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum für die Aufnahme meiner Arbeit in die "Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht". Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, ohne deren großzügige Unterstützung diese Arbeit nie begonnen und auch nicht beendet worden wäre. Abschließend möchte ich mich bei Anne Eberhardt für ihre Geduld und ihr Zuhören bedanken. Tübingen, im März 1998 Martina Gottschewski

Inhaltsverzeichnis A.

Einleitung..............................................

15

B.

Deutsche Fernstraßenplanung unter besonderer Berücksichtigung des Bedarfsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

19

Stufen der deutschen Fernstraßenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

19

1.

Ausbauplanung nach dem FStrAbG .....................

20

a)

Bedarfsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

21

b)

Fünfjahresplan.................................

23

c)

Jährlicher Straßenbauplan .........................

24

d)

Zusammenfassung ..............................

25

Das Raumordnungsverfahren nach § 6 a I ROG . . . . . . . . . . . ..

25

I.

2. 3.

Die Linienbestimmung nach § 16 FStrG ..................

27

a)

Inhalt .......................................

27

b)

Verfahren ....................................

28

Die Planfeststellung nach § 17 FStrG ....................

29

Politische Bedeutung des Bedarfsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

30

1.

Erfordernis.......................................

31

2.

Einstufung und Richtquerschnitt von Fernstraßen ............

33

3.

Priorität von Straßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

33

III. Materielle Anforderungen an Fernstraßenplanung ...............

33

4. 11.

1.

2.

Grundsätzliche Gestaltungsfreiheit ......................

34

a)

Dogmatische Herleitung der planerischen Gestaltungsfreiheit .

34

b)

Planerische Gestaltungsfreiheit in der Bedarfsplanung . . . . ..

34

Begrenzungen.....................................

35

a)

Allgemeinrechtliche Schranken .....................

36

aa)

Die planungseröffnende Planrechtfertigung .........

37

bb)

Planungsleitsätze ...........................

40

Inhaltsverzeichnis

8

cc)

Elemente der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Abwägungsdirektive (generelle Planungsziele,

b)

konkrete Planungsleitlinien) ................

42

(2) Planungsgrundsätze ......................

45

(3) Das Optimierungsgebot ...................

47

Bedarfsplanspezifische Schranken ...................

49

aa)

Verfassungsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . ..

50

(1) Abwägungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

50

(2) Verhältnismäßigkeitsgebot .................

51

bb)

Straßenrechtliche Anforderungen ................

52

cc)

Raumordnungsrechtliche Anforderungen. . . . . . . . . ..

53

(1) Grundsätze der Raumordnung. . . . . . . . . . . . . ..

53

(2) Landesplanung .........................

54

(3) Bundesraumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

55

Sonstige Anforderungen ......................

56

IV. Funktion des Bedarfsplans im System der Femstraßenplanung ......

57

Europäische Straßenplanung unter besonderer Berücksichtigung der Art. 129 b-d EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

59

Europäische Infrastruktur-, Straßenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

59

dd)

c.

41

I.

I.

Gemeinsame europäische Verkehrspolitik bis 1992 - Schwerpunkt: Infrastrukturvorhaben ...............................

59

a)

Konferenz von Messina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

61

b)

Die Empfehlungen der Kommission vom 21.06.1960 und 25.07.1961 über den Ausbau der europäischen Verkehrswege

61

c)

Die Denkschrift über die Grundausrichtung der gemeinsamen Verkehrspolitik ................................

63

d)

Das Aktionsprogramm für die gemeinsame Verkehrspolitik..

63

e)

Der Bericht und Vorschlag der Kommission vom 08.04.1964

64

t)

Die Entscheidung des Rates vom 28.02.1966 über die Einführung eines Konsultationsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

66

g)

Die Entscheidung des Rates vom 20.02.1978 über die Einführung eines Beratungsverfahrens und zur Schaffung eines Ausschusses auf dem Gebiet der Verkehrsinfrastruktur . . . . . . ..

67

Inhaltsverzeichnis h)

Verkehrswegeplanung mit sekundärrechtlichen Finanzierungsinstrumenten seit 1982 ...........................

69

i)

Bedeutung der Untätigkeitsklage von 1985 für die Infrastrukturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

70

j)

Bedeutung der Einheitlichen Europäischen Akte und der Weißbücher der Kommission für die Infrastrukturpolitik . . ..

72

k)

Zusammenfassung ..............................

72

Andere europäische Infrastrukturplanungsinstitutionen . . . . . . . ..

73

a)

ECE........................................

74

b)

CEMT ......................................

74

c)

Paneuropäische Verkehrskonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

74

d)

AIT/FIA.....................................

75

Art. 129 b bis d EGV ..................................

75

1.

Entwicklung......................................

76

a)

TEN als Teil des Binnenmarktes ....................

76

b)

Verhältnis zu vorherigen Infrastrukturentscheidungen .. . . .,

77

c)

2.

11.

9

2.

Kompetenzkonkurrenz ...........................

78

Erläuterung ......................................

79

a)

Art. 129 b EGV

79

b)

Art. 129 c EGV

81

aa)

Aufstellung von Leitlinien, Art. 129 c 1 1. Strich EGV .

81

bb)

Interoperabilität der Netze, Art. 129 c 1 2. Strich EGV .

81

cc)

Finanzielle Anstrengungen, Art. 129 c I 3. Strich EGV.

82

dd)

Koordinierungsverpflichtung, Art. 129 c 11 EGV .....

82

ee)

Außenbeziehungen, Art. 129 c III EGV ...........

82

c)

Art. 129 d EGV

III. Leitlinien 1.

83 84

Aufstellung von den Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

84

a)

Vorschlag der Kommission vom 29.03.1994 ............

84

b)

Christophersen-Gruppe...........................

85

Arbeitsweise..............................

85

(I) Brüsseler Tagung des Europäischen Rates im Dezember 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

85

aa)

10

Inhaltsverzeichnis (2) Die Korfu-Tagung des Europäischen Rates im Juni 1994 ............................. (3) Die Essen-Tagung des Europäischen Rates im

2.

Dezember 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

87

bb)

Legitimation ..............................

87

cc)

Ergebnisse................................

90

c)

Geänderter Kommissionsvorschlag vom 22.02.1995 .......

92

d)

Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 18.05.1995 (Erste Lesung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

93

e)

Geänderter Vorschlag der Kommission vom 19.06.1995 ....

94

t)

Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 28.09.1995 ......

94

g)

Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 13.12.1995 (Zweite Lesung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

95

h)

Stellungnahme der Kommission vom 24.01.1996 . . . . . . . ..

96

i)

Vermittlungsausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

96

Finanzierung der TEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

97

a)

Finanzierungsanforderungen .......................

97

aa)

Volumen.................................

97

bb)

Besondere Merkmale ........................

98

Bestehende Finanzierungsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

98

b)

c)

D.

86

aa)

Partnerschaften des öffentlichen und des privaten Sektors. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

98

bb)

Öffentliche Haushalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

99

cc)

Sonstige Gemeinschaftsinstrumente .............. 100 (1) EIB

100

(2) ElF

101

Ergänzende Finanzierung ......................... 101 aa)

Darlehen und Garantien ...................... 102

bb)

Inanspruchnahme von Haushaltsmitteln . . . . . . . . . . .. 102

Berücksichtigung der Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan 104 I.

Auslegung von Art. 129 b/c EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104 1.

Allgemeines zur Auslegung ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104

2.

Wortlaut-Auslegung ................................ 106 a)

Allgemein.................................... 106

Inhaltsverzeichnis b)

Art. 129 b I EGV: Allgemeine Zielsetzung

c)

Art. 129 b 11 EGV: Präzisierende Zielsetzung ........... 108

d)

Art. 129 c I EGV: Maßnahmen ..................... 108

e)

o 3.

107

aa)

Leitlinie als ungekennzeichneter Rechtsakt ......... 108

bb)

Begrifflichkeit der Leitlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 110

Art. 129 c 11 EGV: Koordinierungsverpflichtung ......... 112 Zusammenfassung .............................. 112

Systematische Auslegung ............................ , 113 a)

Allgemein.................................... 113

b)

Verhältnis von Titel XII EGV zu anderen Titeln ......... 113

c)

Vergleich zu vorangegangener Entscheidung des Rates. . . .. 114

d)

Zusammenfassung .............................. 115

4.

Historische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 115

5.

Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 116 a)

b)

c) 6.

11.

11

Allgemein.................................... 116 aa)

Vertragsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ., 116

bb)

Lehre von den "implied-powers" ................ 117

cc)

Effektivitätsgrundsatz - "effet utile" ..... . . . . . . . .. 117

Art. 129 b/c EGV ............................... 118 aa)

Vertragsziele ............. . . . . . . . . . . . . . . . .. 118

bb)

Lehre von den "implied-powers" ................ 120

cc)

Effektivitätsgrundsatz - "effet utile" ...... . . . . . . .. 122

Zusammenfassung .............. : ............... 122

Zusammenfassung .................................. 123

Berücksichtigung verfassungsrechtlich geboten, Art. 23 GG . . . . . . .. 123 1.

Entstehung und Anwendungsbereich des Art. 23 n.F. GG ...... 123

2.

Art. 23 I n.F. GG .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 125

3.

a)

Mitwirkung der BRD an Entwicklung der EU - Art. 23 I 1 GG ......................................... 125

b)

Übertragung von Hoheitsrechten - Art. 23 I 2 GG ........ 126

c)

Struktur- und Entscheidungsprinzipien für die Union ...... 127

Bedeutung des Art. 23 I GG für die Berücksichtigung der Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127

12

Inhaltsverzeichnis a)

Mitwirkung der BRD an der Entwicklung der EU - Art. 23 I 1 GG ......................................... 128

b)

Übertragung von Hoheitsrechten - Art. 23 I 2 GG ........ 129

c)

Strukturprinzipien ............................... 131 aa)

Demokratische Grundsätze .................... 131 (1) Allgemein............................. 131

(2) Konkret .............................. 133 bb)

Rechtsstaatliche Grundsätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133 (1) Allgemein............................. 133

(2) Konkret .............................. 134 cc)

Soziale Grundsätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135

dd)

Föderative Strukturmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136 (1) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136

(2) Konkret .............................. 137 ee)

Grundsatz der Subsidiarität .................... 137 (1) Definition . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137

(2) Justitiabilität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 139

...................... Konkret .......................... .. (a) Auschließliche Zuständigkeit ............

(3) Begründungszwang (4)

"

140 141 141

(b) Ziel der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (c) Ziel auf Mitgliedstaatenebene nicht erreicht . . 142 (d) Ziel besser auf Gemeinschaftsebene erreicht

144

(5) Ergebnis .............................. 146 ff) d)

Grundrechtsschutz .......................... 146

Zusammenfassung .............................. 147

III. Berücksichtigung aus dem FernstraßengesetzIFernstraßenausbaugesetz. 147

1.

§ 1 I FStrAbG .................................... 147

2.

§ 1 11 1 FStrAbG i.V.m. § 1 I FStrG

3.

FStrAbGlFStrG ................................... 148

4.

Ergebnis ........................................ 149

.................... 148

IV. Berücksichtigung aus dem Raumordnungsgesetz (ROG) ........... 149 1.

§ 1 III ROG ...................................... 150

Inhaltsverzeichnis

2. V.

13

a)

Geltung für Bundesfernstraßenplanung

b)

Schaffung der räumlichen Voraussetzung für Zusammenarbeit im europäischen Raum ........................... 151

c)

Zur Bindungskraft .............................. 151

150

Andere Normen des ROG ............................ 152

Berücksichtigung auf Grund anderer Gesetze .................. 152

VI. Zusammenfassung..................................... 152

E.

Tatsächliche Berücksichtigung von europäischen Straßen und europäischer Bedarfsplan .................................. 153 I.

11.

Relevanz der Leitlinien bei Entsprechung der Straßenprojekte mit Bedarfsplan ......................................... 153 1.

Entsprechung der Straßenprojekte für Deutschiand mit dem Bedarfsplan ...................................... 153

2.

Relevanz der Leitlinien .............................. 156 a)

Leitlinien als Planungsleitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 156

b)

Leitlinien als abwägungssteuernde Regelung ............ 156

Relevanz der Leitlinien bei Nichtentsprechung der Straßenprojekte mit Bedarfsplan ......................................... 158

III. Europäischer Bedarfsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 159

F.

1.

Entwicklung zu einem möglichen europäischen Bedarfsplan

159

2.

Geltung eines europäischen Bedarfsplans für deutsche Fernstraßenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 160

Gesamtergebnis und Stellungnahme ........................... 162

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 164 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 186

A. Einleitung Die verkehrspolitische Sicht in der Bundesrepublik Deutschland hat sich seit der Wiedervereinigung und seit der Öffnung Ost-, Mittel- und Südosteuropas nachhaltig verändert. So liegt Deutschland durch die Öffnung des Ostens seit nunmehr fast sechs Jahren im Zentrum vehement ansteigender Verkehrsströme in West-Ost, aber auch in Nord-Süd Richtung. Derzeit durchqueren jährlich fast 370.000 PKW Deutschland im Ost-West Transit, im Nord-Süd Transit sind es rund 500.000. 1 Die Anzahl der Transitfahrten wird in den nächsten 15 Jahren dramatisch steigen: Im Ost-West Verkehr sollen es dann über 9 Mio. PKW sein - also mehr als das 25-fache -, im Nord-Süd Transit 1,1 Mio PKW. 2 Auch beim LKW-Verkehr hat es einen rasanten Anstieg gegeben. So hat sich der LKW-Transit aus den östlichen Nachbarländern seit 1990 fast verzehnfacht. 3 Diese Zunahme von grenzüberschreitenden Verkehrsströmen aus dem Osten wird ergänzt durch verstärkten Verkehr innerhalb der Europäischen Union als Folge der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes und des einheitlichen Europäischen Wirtschaftsraums. Insgesamt handelt es sich um einen überproportionalen Anstieg grenzüberschreitenden Verkehrs im Vergleich zum innerdeutschen Verkehr. Während zum Beispiel im Straßengüterverkehr zwischen 1982 und 1992 die deutsche Binnenverkehrsleistung (einschließlich Nahverkehr) nur von 90.7 Mrd. tkm auf 156,5 Mrd. tkm zunahm (+ 72.5%), wuchs der Transitverkehr um 112% (von 6,8 Mrd. tkm auf 14,4 Mrd tkm) und der grenzüberschreitende Verkehr um über 113% (von 24,0 Mrd. tkm auf 51,2 Mrd. tkm). Damit hatte der internationale Verkehr in der Bundesrepublik 1992 bereits einen Anteil von fast 30% an der gesamten Straßengüterverkehrsleistung. 4

; Krause, Int. Verkehrswesen 1993, S.21 I. 2

Krause, Int. Verkehrswesen 1993, S.212.

3

Wissmann, Spektrum 1995/2, S.102.

• Fonger, Int. Verkehrswesen 1994, S.621.

16

A. Einleitung

Einen vergleichbaren Anstieg an Verkehr gab es in keinem anderen Land der EU. Deutschland ist zum Transitland Nr. 1 in Europa geworden ist. Auf diese Verhältnisse muß die Verkehrsinfrastrukturpolitik reagieren. Fraglich ist, ob die deutsche Verkehrsinfrastrukturpolitik die aus diesen Verhältnissen resultierenden Probleme alleine bewältigen kann oder ob sie sich in einen größeren europäischen Kontext einreihen sollte. Die Verkehrsinfrastrukturpolitik in Europa ist bisher weitgehend als nationale Aufgabe des jeweiligen Staates gesehen worden, da die Planung der Fernverkehrswege auf nationaler Ebene in der Vergangenheit den realen Verkehrs verhältnissen, die weitgehend von innerstaatlichen Verflechtungen geprägt war, entsprach. Durch die aufgezeigte Mobilitätsentwicklung treten allerdings immer stärker die Schwächen der national orientierten Infrastrukturplanungen zu Tage. Als wichtigste Schwachpunkte gelten dabei: 5 unzureichender Ausbau wichtiger internationaler Verkehrsachsen, vor allem im Ost-West Verkehr, Engpässe und mangelnde Verknüpfung der Verkehrsinfrastrukturen in den Grenzräumen, mangelnde Kompatibilität der Verkehrssysteme, insbesondere im Schienenverkehr, Abstimmungsprobleme bei grenzüberschreitenden Infrastrukturplanungen und Finanzierungsengpässe, die zu einer allgemeinen Verlangsamung des Infrastrukturausbaus geführt haben. Nach Überzeugung der Europäischen Kommission behindern diese Probleme die wirtschaftliche Entwicklung und Kohäsion Europas. Sie schwächen damit nachhaltig die Weubewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Daher setzt sich die Europäische Kommission - auf Basis der Ausführungen der Maastrichter Verträge - nachdrücklich für die Schaffung leistungsfähiger transeuropäischer Netze (TEN) im Verkehrs-, Energie und Telekommunikationsbereich ein.

5 Vgl. zu den von der Europäischen Kommission herausgestellten Schwachpunkten: Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Weißbuch Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, Brüssel 1993, Teil B, Kap. 11 3. Transeuropäische Netze, Abschnitt 3.1; Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, KOM (94) 106 endg., Brüssel 1994, S.8 f.

A. Einleitung

17

Ziel dieser Netze soll es sein, den Bürgern, den Wirtschaftsbeteiligten, sowie den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in vollem Umfang die Vorteile zugute kommen zu lassen, die sich aus der Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen ergeben. 6 Damit sollen Wohlstand und Lebensqualität der Bürger und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft gesichert werden. Aus diesem Oberziel lassen sich mehrere sektorale Zielsetzungen ableiten: Verkehrspolitisches Ziel: sicherer, kostengünstiger und umweltfreundlicher Verkehr durch intra- und intermodale Verknüpfung der Verkehrsträger; Regionalpolitisches Ziel: effektive Verbindung der europäischen Randregionen und der miuelosteuropäischen Staaten mit den wirtschaftlichen Zentren; Raumordnerisches Ziel: Ordnung des europäischen Raumes und Verbesserung der Erreichbarkeit peripherer Regionen, um negative Ballungseffekte zu vermeiden. Basierend auf dieser Problemanalyse und den oben genannten Zielen hat die Europäische Kommission 1992 mit den Vorarbeiten zur Verwirklichung transeuropäischer Infrastrukturnetze in den Sektoren Verkehr, Energie und Telekommunikation begonnen. Für den Verkehrs sektor wurden Leitlinien entworfen, die nach 3-jährigen Verhandlungen im Juli 1996 schließlich angenommen worden sind. 7 Ziel dieser Arbeit ist es aufzuzeigen, inwiefern diese Leitlinien die deutsche Fernstraßenplanung beeinflussen werden. Zu erarbeiten ist, ob die Leitlinien eine rechtliche Durchsetzungskraft entfalten und wieweit sich diese gegebenenfalls erstreckt. Um den Einfluß des straßenrechtlichen Teils der Leitlinien der transeuropäischen Netze auf die deutsche Fernstraßenplanung zu überprüfen, bedarf es zunächst einer Darstellung der deutschen Femstraßenplanung mit den ihr eigenen Stufen und den sie begrenzenden Elementen (s. Teil 1). Danach soll dargelegt werden, wie sich die europäische Infrastrukturplanung, hier besondere die Strassenplanung entwickelt hat, angefangen von der Konferenz von Messina, über den Art. 129 b-d EGV bis zu den Leitlinien (s. Teil 2).

• Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Weißbuch Wachstum, WettbewerbsHihigkeit, Beschäftigung, Brüssel 1993, Teil B, Kap. II 3. Transeuropäische Netze, Abschnitt 3.t. 7

Endgültiger Bericht lag bei Abgabe der Arbeit noch nicht vor.

2 Gouschewski

18

A. Einleitung

Im dritten Teil soll untersucht werden, inwiefern sich die Berücksichtigung der Belange europäischer Straßen für den deutschen Bedarfsplan aus der Auslegung von Art. 129 b-d EGV ergibt bzw. verfassungsrechtlich oder einfachgesetzlich geboten ist. Teil 4 beleuchtet dann die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit der Leitlinien auf die deutsche Fernstraßenplanung und zeigt Möglichkeiten auf, die ein zu entwickelnder "Europäischer Bedarfsplan" für die Durchsetzung europäischer Belange bergen könnte.

B. Deutsche Fernstraßenplanung unter besonderer Berücksichtigung des Bedarfsplans I. Stufen der deutschen Fernstraßenplanung Der Bau einer Bundesfernsstraße wird in der Regel über die Bedarfsplanung (Entwicklungsplanung für das Verkehrswesen), das Raumordnungsverfahren, das Linienbestimmungsverfahren und das Planfeststellungsverfahren konkretisiert. Im Gegensatz zu anderen Planstrukturen des deutschen Rechts l vollzieht sich die Planung einer Bundesfernstraße in einem komplizierten System von Gesamtplanung und fachplanerischen Vorstufen. Sie ist das Resultat eines langwierigen und komplexen Vorgangs der Informationsverarbeitung, der nicht erst mit der Eröffnung des Verwaltungsverfahrens nach §§ 9, 22 VwVfG beginnt. 2 Vielmehr handelt es sich um ein sogenanntes unecht gestuftes Verfahren, bei dem die Stufenentscheidung nur verwaltungsinterne Bindungswirkung entfaltet, ehe das verbindliche Zulassungsverfahren - das Planfeststelltungsverfahren - beginnt. Die Besonderheit solcher gestufter Verwaltungsverfahren 3 ist die sukzessive Abarbeitung des Gesamtproblems und Konkretisierung der Entscheidung. 4 Durch diese Stufung soll eine schrittweise Bearbeitung und Abschichtung der planerischen Probleme von der Grob- zur Detailplanung ermöglicht werden. s Der Legislative wurde vom BVerfG und auch vom BVerwG ein weites Ermessen zugestanden, ob sie sich für ein gestuftes Verwaltungsverfahren entscheidet

I

Zur Planung allgemein s. Mäding, Infrastrukturplanung, S.82 ff; Dietrich Frank, S.l5 ff.

2

KWßner, S.48; Ronellenfitsch, Planungsrecht, S.l28.

Kliißner, S.48; davon zu unterscheiden ist der mehrstufige Verwaltungsakt, dort geht es um die rechtliche Qualifizierung von Mitwirkungsakten anderer Behörden auf einer Verfahrensstufe, vgl. dazu Maurer § 9 Rn.30; zur Unterscheidung in echte und unechte gestufte Verfahren vgl. Ronellenfitsch,OVBI. 1991, S.926. J

4

Wahl, OÖV 1975, S.375; Steinberg, Nachbarrecht, S.295.

, Steinberg, Nachbarrecht, S.295; Vetterl, S.204; Kliißner, S.48; Wahl, OÖV 1975, S.375 f; Wagner, NVwZ 1992, S.232; zum Verhältnis zwischen politischer Führung und Verwaltungsebenen beim Fernstraßenbau s. Maywald. S.34 ff. 2*

20

B. Deutsche Fernstraßenplanung

und wie sie Rechtswirkungen und Regelungsgehalt der verschiedenen Verfahrensstufen gewichten möchte, vor allem ob sie einer vorangegangenen Stufe schon Rechtswirkungen für die nächste Stufe beimessen möchte. 6 Die straßenrechtliche Planfeststellung ist Bestandteil eines gestuften Systems hintereinandergeschalteter Verfahren der Objektplanung7 und der integrierten Raumplanung. 8

1. Ausbauplanung nach dem FStrAbG Die Fernstraßenplanung beginnt auf oberster Stufe mit der Ausbauplanung nach dem Fernstraßenausbaugesetz (FStrAbG).9 Sie ist überörtlich und erstreckt sich auf das gesamte Bundesgebiet. Bevor es die Ausbauplanung gab, wurde von Fall zu Fall entschieden, ob ein Straßenzug durch Ausbau zu verbessern, unter Umständen durch eine Neubaustrecke zu ersetzen oder das Straßennetz in bestimmten Bereichen durch Neubauten zu verdichten sei. Es wurde jedoch klar, daß ein den Anforderungen entsprechendes Gesamtnetz mit einem solchen Verfahren nicht erreicht werden konnte und daß bei einem solchen Vorgehen die Gesamtmenge der finanziellen Lasten nicht zu überschauen war. lO Diese Erkenntnis und die Notwendigkeit, für die vermehrten Straßenbauleistungen besondere Finanzierungsmaßnahmen einzuleiten,11 erzwangen die Ermittlung des voraussichtlichen Bedarfs an Stra-

• BVerfG, V.v. 24.04.85 - 2 BvF 2, 3, 4/83 und 2/84 - BVerfGE 69, 1 (53); BVerwG, V.v. 11.04.86 - 4C 51.83 - BVewGE 74, 124 (131), unter Hinweis auf BVerwG, V.v. 19.02.85 - 7C 65.82 - DVB\. 1986, S.l90 ff; BVerwG, V.V. 11.12.78 - 4 C 13.78 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr.8; Wahl, DÖV 1975, S.373; Schmidt-Aßmann, DVB\. 1981, S.334 ff. 7

Zur Definition der Planungsarten s. KodallKrämer, S.880 ff; Maywald, S.37 ff.

Ossenbühl bezeichnet den Wechsel in Entscheidungsfonnen und Kompetenzen "die Planung als kombinierte Gewalt": Ossenbühl, VJh, S.303; ders., Gutachten, S.79. K

9 Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen (Fernstraßenausbaugesetz - FStrAbG) vorn 30.06.1971 (BGB\. I, S.873 0, geändert durch 2.FStrAbÄndG vorn 25.08.1980 (BGB\. I, S.l614), 3.FStrAbÄndG vorn 21.04.1986 (BGB\. I, S.557), Art. 27 Drittes Rechtsbereinigungsgesetz vorn 28.06.1990 (BGB\. I, S.1221) und Gesetz vorn 15.11.1993 (BGB\. I, S.1877), Bekm. der Neufassung vorn 15.11.1993 (BGB\. I, S.1878). 10

KodallKrämer, S.893.

11

KodallKrämer, S.372.

I. Stufen der deutschen Femstraßenplanung

21

ßen und die Integrierung der zu seiner Deckung erforderlichen baulichen Leistungen zu einem Gesamtplan. 12 Das FStrAbG stellt für die Ausbauplanung drei Planungsinstrumente zur Verfügung: den Bedarfsplan, den Fünfjahresplan und den Straßenbauplan. Diese Pläne nennt man, auch wenn sie verschiedene Planungsstufen darstellen, aus Gründen der Übersichtlichkeit in ihrer Gesamtheit die Stufe der Ausbauplanung. 13

a) Bedarfsplan

Ausgangspunkt eines jeden Ausbaus des Bundesfernstraßennetzes ist der Bedarfsplan. Dieser wird dem FStrAbG nach dessen § 1 I S2 als Anhang beigefügt und stellt somit einen in Gesetzesform festgelegten Plan dar. 14 Als Grundlage für den Bedarfsplan dient die übergreifende Bundesverkehrswegeplanung, deren Ziel es ist, die Bundesverkehrswege - i.e. das Schienennetz, die Bundesfernstraßen, die Bundeswasserstraßen und den Flugverkehr - ausgewogen auszubauen. 15 Da der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) eine exekutive Planung ist, geht der in Gesetzesform ergehende Bedarfsplan vor. Trotz dieser Vorrangstellung besteht eine enge Verwobenheit zwischen Bedarfsplan und Bundesverkehrswegeplan. Der Bundesverkehrswegeplan enthält die Eckdaten für den Bedarfsplan, da der Bedarfsplan in den Bundesverkehrswegeplan integriert ist. 16 Der Teil des Bundesverkehrswegeplans, der die Bundesfernstraßenplanung umfaßt,

12

KodaVKrämer, S.893.

lJ

Ausführlich dazu Ossenbühl, VJh., S 297 ff.

14

Vitzthum, S.114 ff; Ossenbühl, VJh., S.303.

I~ ZU Konzeption, Entwicklung und Stand der Bundesverkehrswegeplanung s. Moosmayer, ZVerkWiss 1985, S.79 ff. I.

Vetterl, S.25 f, 276 f, KWßner, S.49.

22

B. Deutsche Fernstraßenplanung

ist gleichzeitig immer der Entwurf des Bedarfsplanes, der als Anlage zum FStrAbG gesetzlich festgelegt wird. 17 Obwohl der Bedarfsplan Vorrang hat, richten sich in der Praxis die Bestimmungen des Bedarfsplans somit grundsätzlich nach dem Inhalt der exekutiven Bundesverkehrswegeplanung. IH Die Maßnahmen der übergreifenden Bundesverkehrswegeplanung sind zuletzt im Bundesverkehrswegeplan 1992 dargelegt worden,19 der am 15.07.1992 vom Bundeskabinett beschlossen wurde und den ersten gesamtdeutschen Bundesverkehrswegeplan darstellt. 20 Der Bedarfsplan besteht in Form einer Übersichtskarte (Format 75 x 115 cm) im Maßstab 1:750.000 und zeigt die bereits bestehenden und die zu bauenden Bundesfernstraßen (Neu- und Ausbau). Von den neuen Bundesfemstraßen werden grundsätzlich nur die Anfangs- und Endpunkte der geplanten Strecke und in vereinfachter Darstellung die Linienführung dargestellt. 21 Dadurch, daß es sich hier um einen großen Maßstab handelt, wird die Linienführung nur sehr grob dargestellt. Im Linienbestimmungsverfahren nach § 16 FStrG wird diese dann verfeinert. 22 Der erstellte Gesamtplan wurde nie ausschließlich vom BMV, d.h. "von oben" erstellt. Vielmehr bürgerte sich der ,,Modus einer Planung von unten" ein. Dabei sammelt der Bund die Anmeldungen einzelner Vorhaben durch die Länder und versucht anhand seiner Ziele und Bewertungsfaktoren, die nach seinen Kriterien bauwürdigen Projekte auszuwählen. Diese Entscheidung wird mit den Ländern - überwiegend bilateral - abgestimmt und vom Bundestag verabschiedet. 23 Bedarfspläne sind darauf gerichtet, den Bedarf an Straßen zu decken. Die ihnen zugrundeliegende Bedarfsschätzung ist auf ein zeitliches Ziel ausgerichtet, wobei die Bedarfsdeckung erfahrungsgemäß weit hinter dem Prognosejahr liegt. Da die Bedarfsplanung sich nicht innerhalb eines bestimmten Zeitrau-

17

Kliißner, S.49.

IM

Ossenbühl, VJh., S.302; Vetterl, S.277; Kliißner, S.49/50.

19

BVWP 1992, Beschluß der BReg vom 15.07.1992.

20 Diirries, S.371 ff; Huber, Int. Verkehrswesen 1991, S.345 ff; KraftIDeffkeIDiirries, Int. Verkehrswesen 1992, S.368 ff. 21

Vetterl, S.25; Kliißner, S.50.

22

Schroeter, VJh, S.437; KodallKrämer, S.912 ff.

23

Reh, Politikverflechtung, S.29; Aberle, Int. Verkehrswesen 1974, S.65.

I. Stufen der deutschen Femstraßenplanung

23

mes verwirklichen läßt, ist der Bedarfsplan für die Bundesfemstraßen seit dem FStrAbG 1991 unbefristet. 24 Die Bedarfsplanung ist jedoch weiterhin in Zeitabständen zu kontrollieren und ge~ebenenfalls zu überarbeiten und durch einen neuen Bedarfsplan zu ersetzen. Nach § 4 FStrAbG prüft das BMV nach Ablauf von jeweils 5 Jahren, ob der Bedarfsplan anzupassen ist. 25 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß im Bedarfsplan abschließend der Bedarf an künftig zu bauenden Bundesfernstraßen und Autobahnen festgelegt wird, wobei nur eine Grobtrassierung unter Festlegung der Anfangs- und Endpunkte erfolgt. 26 Da hierbei keine unmittelbare Zuordnung von Baumaßnahme, Zeit und Geld für konkrete Vorhaben erfolgt, handelt es sich beim Bedarfsplan nicht um ein Bau- oder Finanzierungsprogramm, sondern um eine politische Entscheidung,27 ob ein nach Netzverknüpfung und Richtquerschnitt beschriebenes Straßenbauprojekt planerisch weiterzuverfolgen ist. 28

b) Fünfjahresplan Nach § 5 I SI FStrAbG soll der Bedarfsplan durch Fünfjahrespläne ausgefüllt werden. Zuständig für die Verwirklichung des Bedarfsplanes ist der Bundesminister für Verkehr (BMV). Es handelt sich hierbei demnach im Gegensatz zum Bedarfsplan um eine exekutive Entscheidung. 29 Die Fünfjahrespläne sind Bauprogramme. Sie enthalten eine Auflistung der in den nächsten Jahren durchzuführenden Baumaßnahmen. Die Fünfjahrespläne legen fest, welche Vorhaben konkret verwirklicht werden sollen und geben an, welche Finanzmittel dafür voraussichtlich zur Verfügung gestellt werden können. Auch wenn hierin ein Finanzvolumen festgelegt wird, werden dadurch noch keine Finanzmittel an konkrete Vorhaben gebunden. 30

24

Kodal/Krämer, S.894.

2.'

Zur Vollzugsproblematik s. Bolme, ZVerkWiss 1977, S.l35 ff.

2/;

Kliißner, S.51.

27

Beeker, S.l3; Wagner, NVwZ 1992, S.232; Sehmeter, VJh, S.437.

U

Amt!. Begr. BT-Drs. 1992 12/3480 S.6; Kodal/Krämer, S.894 f; KWßner, S.51.

29

Becker, S.158 ff; Kliißner, S.52; Vetterl, S.l55.

,n Becker. S.159; Vetterl, S.29; Spingob, S.92; KWßner, S.52.

24

B. Deutsche Fernstraßenplanung

Es handelt sich somit bei den Fünfjahresplänen nicht um ein Finanzierungsprogramm, allerdings können sie wegen ihres Zeitrahmens für konkrete Vorhaben als Bauprogramme angesehen werden. 3l Die mittelfristigen Fünfjahrespläne verbinden die langfristige Bedarfsplanung und die jährliche Straßenbauplanung. 32 Hierdurch kommt es zu einer Verklammerung zwischen der im Bedarfsplan dargelegten Aufgabenplanung und der in den Straßenplänen zum Ausdruck kommenden Finanz- und Haushaltsplanung.

c) Jährlicher Straßenbauplan

Drittes Instrument, um den Netzausbau der Bundesfernstraßen zu verwirklichen, ist der Straßenbauplan. 33 Die Fünfjahrespläne bilden nach § 5 I S2 FStrAbG den Rahmen für die in der Regel jährlich aufgestellten Straßenbaupläne 34 nach Art. 3 des Straßenbaufinanzierungsgesetzes (StraFinG).35 Die Straßenbaupläne werden gern. Art. 3 I StraFinG dem Bundeshaushaltsplan als Anlage beigefügt. Sie sind Bestandteile des Haushaltsplanes und ergehen somit wie auch der Bedarfsplan in Gesetzesform. Ziel der Aufstellung eines vom Haushaltsplan gesonderten Straßenbauplans war es, eine klarere und übersichtlichere Darstellung der Ausgabenwirtschaft des Straßenbaus zu erreichen. 36 Im Straßenbauplan werden nun dem Fünfjahresplan entsprechend konkrete Baurnaßnahmen bestimmten Finanzmitteln zugeordnet. Allein die Aufnahme einer Maßnahme in den Straßenbauplan entscheidet über ihre Verwirklichung. Es handelt sich hierbei somit um ein Bau- und Finanzierungsprogramm. 37 Dabei erfolgt die Festsetzung des konkreten Vorhabens auch im Straßenbauplan notwendigerweise pauschal. Während beim geplanten Neubau von Bundes-

" Vetterl, S.29; KWßner, S.52; Springob, S.92. 32

Vetterl, S.29; Springob, S.92 f.

33

Becker, S.l65.

34 Der Straßenbauplan kann nach Art. 3 III StraFinG für mehrere Rechnungsjahre aufgestellt werden. Von dieser Möglichkeit wurde aber nur für die Jahre 1960/61 Gebrauch gemacht. Seither umfaßt der Straßenbauplan nur noch ein Rechnungsjahr. Ossenbühl, VJh., S.299; Huber, StrA 1976 S.82/83; Vetterl, S.32.

35

Straßenbaufinanzierungsgesetz vom 28.03.1960, BGBI I, S.201.

,. KWßner, S.52. 37

Vetterl, S.32 f; KWßner, S.52.

I. Stufen der deutschen Fernstraßenplanung

25

fernstraßen auch hier lediglich die Anfangs- und Endpunkte der geplanten Strecke angegeben werden,38 müssen bei Ausbauarbeiten über die bloße Benennung des Linienzuges hinaus auch Kostenberechnungen, Pläne und Erläuterungen vorliegen. 39

d) Zusammenfassung

Steinberg kennzeichnet die Fernstraßenausbauplanung durch folgende "Planungs-Kaskade":'") den langfristigen Bedarfsplan: zeitlich relativ offen und ohne Finanzplan, den mittelfristigen Fünfjahresplan: zeitlich geschlossen mit Finanzplan und den jährlichen Straßenbauplan: zeitlich geschlossen mit konkreter Finanzzuweisung und höchster Planverbindlichkeit. Fernstraßenvorhaben werden auf dem Weg vom Bedarfsplan über den Ausbauplan als Mehrjahresprogramm (mit Querverbindung zur Finanzplanung) bis hin zum Mittelansatz im jährlichen Straßen bauplan zeitlich und finanziell konkretisiert, während die sachliche Konkretisierung der Vorhaben auf dem Weg vom Ausbauplan über die Linienbestimmung zur Planfeststellung erfolgt. 41

2. Das Raumordnungsverfahren nach § 6 a I ROG Für den Bau einer Bundesfernstraße, die der Entscheidung nach § 16 FStrG bedarf, ist wegen ihrer Raumbedeutsamkeit und möglicherweise erheblichen Einwirkung auf die Umwelt in der Regel ein Raumordnungsverfahren nach § 6 a ROG durchzuführen, wenn das Vorhaben von überört1icher Bedeutung ist (§ 6 a II ROG i.V.m. § 1 Nr.8 RoV 42).43

JK

Vetterl, S.33; Kliißner, S.53.

J'

Becker, S.l66.

4" Steinberg, Nachbarrecht, S.309; Maywald, S.34 f. 41

KodaVKrämer, S.896.

42 Verordnung zu § 6 II des Raumordnungsgesetzes (Raumordnungsverordnung - RoV) v. 13.12. 1990, BGBI. I S.2766. 4J

Zum Raumordnungsverfahren: Zoubek, S.18 ff; Dicksehen, S.5 ff.

26

B. Deutsche Fernstraßenplanung

Gegenstand des Raumordnungsverfahrens ist ein einzelnes Projekt, hier der Bau einer Bundesfernstraße. Dieses Projekt wird in einem möglichst frühen Planungsstadium von der Landesplanungsbehörde auf seine Raumverträglichkeit und Vereinbarkeit mit anderen Vorhaben geprüft, um so frühzeitig vor der abschließenden Zulassungsentscheidung Sicherheit für die weitere Planung zu erhalten. 44 Diese Vorklärung übernimmt das Raumordnungsverfahren. 45 Das Raumordnungsverfahren dient der Vermeidung von Fehlplanungen, der Abwehr oder Reduzierung von Eingriffen in schutzwürdige Bereiche sowie der Information anderer Planungsträger und der Öffentlichkeit.46 Gern. § 6 a I 2 ROG wird durch das Raumordnungsverfahren festgestellt, ob raumbedeutsame Planungen oder Maßnahmen mit den "Erfordernissen der Raumordnung übereinstimmen und wie raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen unter den Gesichtspunkten der Raumordnung aufeinander abgestimmt oder durchgeführt werden können. Dabei sind gern. § 6 a I 3 ROG die raumbedeutsamen Auswirkungen der Planung oder Maßnahme auf die in § 2 ROG genannten Belange unter überörtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Die Landesplanungsbehörde kann in begründeten Einzelfällen von der Durchführung eines Raumordnungsverfahren für den Bau einer Bundesfernstraße (§ 6 all ROG i.V.m. § 1 Nr.8 RoV) abweichen. Dazu hat der Bundesgesetzgeber in § 6 a III ROG Ausnahmetatbestände geschaffen. 47 Gern. § 6 a V 1 ROG sind die in § 4 V ROG genannten Stellen zu unterrichten und zu beteiligen. Gern. § 6 a VIII 1 ROG hat die Landesplanungsbehörde zunächst innerhalb von vier Wochen nach Einreichung der hierfür erforderlichen Unterlagen zu entscheiden, ob für das beabsichtigte Projekt die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens geboten ist. Hält sie die Durchführung des Raumordnungsverfahrens für erforderlich, ist das Verfahren gern. § 6 a VIII 2 ROG innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach Vorliegen der vollständigen Unterlagen durchzuführen. Hinsichtlich des Ergebnisses des Raumordnungsverfahrens bestimmt § 6 a IX ROG, daß es von den in § 4 V ROG genannten Stellen bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zu berücksichtigen ist.

... Ronellenjitsch, WiVerW 1985, S.168 ff; ders. DVBI. 1991, S.928; Wagner, DVBI. 1993, S.587. 45

BVerwG, V.v. 20.01.1984 - 4 C 43.81 - NVwZ 1984, 367 (369).

~

Ronel/enjitsch, DVBI. 1991, S.928.

Zur Besonderheit für die neuen Länder nach dem Verkehrswegep1anungsbesch1eunigungsgesetz s. Kaueh, S.l4 ff. 47

I. Stufen der deutschen Femstraßenplanung

27

3. Die Linienbestimmung nach § 16 FStrG Bei der Planung von Bundesfernstraßen ist ferner vor dem abschließenden Planfeststellungsverfahren ein Linienbestimmungsverfahren durchzuführen. 48 Hierzu wird in § 16 I 1 FStrG geregelt, daß der Bundesminister für Verkehr die Planung und Linienführung der Bundesfernstraßen zu bestimmen hat. Das Raumordnungsverfahren und das Linienbestimmungsverfahren waren bislang nacheinander durchzuführen. 49 Die Linienbestimmung ist ebenfalls eine verwaltungsinterne Vorstufe der Planfeststellung. so Ziel dieses zusätzlich vorgelagerten Verfahrens ist eine besondere Standort- und Trassenprüfung für das geplante Vorhaben, wobei dieser Prüfung eine behördeninterne Bindungswirkung für das weitere Verfahren zukommt. sl Sie gilt als "vorbereitende Grundentscheidung".s2 Adressaten der Linienbestimmung sind gern. § 16 I FStrG nur die Straßenbaubehörden der Länder. Rechtswirkungen nach außen entfaltet die Linienbestimmung erst dadurch, daß sie in den Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses ihren Niederschlag findet. s3 Während es sich bei der Bedarfsplanung nach dem FStrAbG um eine staatsleitende Planung handelt,s4 die das gesamte Netz der Bundesfernstraßen in der BRD zum Gegenstand hat, behandelt die sich daran anschließende Linienbestimmung die Planung eines bestimmten Straßenzuges. ss

a) Inhalt

Da der Inhalt der Linienbestimmung nicht gesetzlich geregelt ist, war und ist es der Praxis des BMV überlassen, mit welchem Inhalt die Linienbestimmung



MeKay, Möglichkeiten, S.64.

~7 Me Kay, Verkehrspolitische Konzepte, S.53; Erdmenger, EG unterwegs, S.33. ~. Darlehen der EIB, der Europäische Regionalentwicklungsfond, Euratom, Mittel der World Bank, etc.; vgl. Me Kay, Verkehrspolitsche Konzepte, S.52 f; ders., Möglichkeiten, S.52 f. ~9 Erdmenger, EG unterwegs, S.33; MeKay, Möglichkeiten, S.53. tiO

Seherler, S.139; a.A. Massenberg, S.96.

PemthalerlPrantl, S.153, mit dem Hinweis, daß das Beratungsverfahren innerhalb des neunjährigen Tätigkeitszeitraums des Ausschusses insgesamt nur zweimal eingeleitet worden sei. Vgl. Dreijahresbericht der Kommission über die Tätigkeit des Ausschusses für Verkehrsinfrastruktur in den Jahren 1984-1987, Kom (88) 289 endg., S.6 ff. ti1

ti1 ABI. EG C 207/S.7 f v. 02.09.1976, geändert durch ABI. EG C 89/S.4 f v. 10.04.1980 sowie Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hg.) Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 9. Jg. 1976, Nr.6, S.15 f.

70

C. Europäische Straßenplanung

bis zu einem bestimmten Prozentsatz der Gesamtkosten gewährt. Daneben war eine Kontrolle durch den Rechnungshof und eine Überprüfung der Umsetzung des Vorhabens vorgesehen. Die Kommission konnte die Finanzhilfe kürzen oder widerrufen, wenn die vorgesehenen Bedingungen nicht eingehalten wurden. Auch konnten die Zahlungen ausgesetzt werden, wenn das Vorhaben ohne Genehmigung der Kommission bedeutend geändert wurde. 63 Ab 1982 wurden vom Rat nunmehr spezielle Verordnungen erlassen, die Zusschüsse aus den Haushaltsmitteln für infrastrukturelle Verkehrsprojekte vorsahen und ein bis zwei Jahre gültig waren. 64 Die Idee dieses Finanzierungsinstruments wurde auch für die Durchführung eines Aktionsprogrammes auf dem Gebiet der Verkehrsinfrastruktur von 1990 übernommen. 65 Diese mehrjährigen Finanzierungsprogramme, für die die Ziele der Finanzhilfe klar festgelegt worden sind, werden bis zum Inkrafttreten besonderer Ausführungsbestimmungen des Unionsvertrages so gelassen. 66

i) Bedeutung der Untätigkeitsklage von 1985 für die Infrastrukturpolitik

Die Untätigkeitsklage des Parlaments gegen den Rat vom 16.09.1982 richtete sich in erster Linie gegen die Untätigkeit des Rates auf dem Gebiet der Dienstleistungsfreiheit im internationalen Verkehr. 67 Umstritten war aber auch die Zuständigkeit der Union für die Bereiche der Planung, der Erstellung, des Unterhalts und der Finanzierung von Verkehrsinfrastrukturen und zwar auf Grund der vertraglichen Unbestimmtheit und der

03 Seherler, S.139 f, PerthalerlPrantl, S.155; MeKay, Möglichkeiten, S.64 f; Gwilliam, lnfrastructure policy, S.483; Reh, Verkehrspolitik der EG, S.40; Erdmenger, Gemeinsame Binnenverkehrspolitik, S.94. M VO (EWG) Nr. 3600/82 des Rates; VO (EWG) Nr. 3620/84 des Rates; VO (EWG) Nr. 1889/84 des Rates; VO (EWG) Nr. 4059/86 des Rates; VO (EWG) Nr. 4070/87 des Rates; VO (EWG) Nr. 4048/88 des Rates; Bericht im Namen des Verkehrsausschusses über Vorschlag für VO betr. Gewährung von Finanzhilfe für Verkehrsinfrastrukturvorhaben, Dok A2-0241-87 v. 07.12.1987, in dem Kritik daran geübt wird, daß der Rat sich mit diesem Procedere so gut arrangiert hat, daß er nicht mehr gewillt ist, eine Rechtsgrundlage zu schaffen.

os VO (EWG) Nr. 3359/90 des Rates. VO (EWG) Nr. 1738/93 des Rates vom 25.06.1993 zur Durchführung eines Aktionsprogrammes auf dem Gebiet der Verkehrsinfrastruktur im Hinblick auf die Vollendung des integrierten Verkehrsmarktes (ABI.L 161/4,02.07.1993).

", Vgl. Beispiele bei Scherler, S.140, Fn.113; Frohnmeyer, Art.74, Rn.97 f.

0' Vgl. Me Kay, Verkehrspolitische Konzepte, S.68.

I. Europäische Infrastruktur-, Straßenp1anung

71

problematischen Eigenständigkeit gegenüber den Verkehrsträgern. 6R Während sich die erste Verordnung zur finanziellen Unterstützung von Verkehrsinfrastrukturen nur auf den EGV als Ganzes stützte, nannte die darauffolgende Verordnung Art. 235 EGV als Grundlage. 69 Der EuGH unterließ es jedoch in seinem Urteil von 1985, auf die Problematik der Verkehrswegeplanung einzugehen und forderte vielmehr den Rat auf, "zusätzlich zu den Liberalisierungsmaßnahmen Begleitrnaßnahrnen in der ihm richtig erscheinenden Reihenfolge zu ergreifen".") Der Europäische Rat zog am 28. und 29. Juni 1985 in Mailand seine Schlußfolgerungen aus dem Urteil. 71 Danach sollte sich die gemeinsame Verkehrspolitik nicht mehr auf die Gestaltung des Verkehrsmarktes durch Ordnungsvorschriften beschränken. Auch die "hardware" des Verkehrssystems, das Wegenetz, brauche eine europäische Dimension. Dies wurde vom Verkehrsrat in dem am 14.11.1985 verabschiedeten Masterplan ausdrücklich anerkannt. 72 Der Masterplan sah weiterhin einen gemeinschaftlichen Gesamtplan für das Verkehrswesen vor. Danach sollte eines der Hauptziele die Organisation der für die Gemeinschaft wichtigen Verkehrsachsen sein, die schrittweise bis zum 31.12. 1992 erreicht werden sollten.73 Das gemeinschaftliche Interesse lag in der Notwendigkeit, die Verkehrs achsen den Erfordernissen des Binnenmarktes anzupassen. Diese Aufgabe der Gemeinschaft besaß zwei Teile, die beide in den bisherigen Arbeiten bereits mehrfach, aber insgesamt vergeblich in Angriff genommen worden waren. Es ging einmal um die Koordinierung der Ausbauplanungen der Mitgliedstaaten, damit die Investitionsentscheidungen, die die Achsen von europäischem Interesse berühren, in räumlicher und zeitlicher Hinsicht aufeinaner abgestimmt werden konnten. Zum anderen ging es aber auch darum, daß die Gemeinschaft Finanzhilfen gewährte, damit Anreize dafür geschaffen würden, daß die Mitgliedstaaten auch

.. Vgl. Frohnmeyer, Art. 74, Rn.77; Seherler, S.l38. 09 Seit 1986 wurden die einschlägigen Verordnungen gern. h.M. (Erdmenger, in: EWGV-Kommentar, 4.Aufl., Art. 74, Rn.6; Frohnmeyer, Art. 74, Rn.7; Seherler, S.139) auf Art. 75 EGV gestützt. Bis zum Vertrag von Maastricht hat sich die Einstellung zur gemein-schaftlichen Verkehrswegeplanung maßgeblich geändert, wie man an der Aufnahme des XII. Titels über die transeuropäischen Netze ins primäre Gemeinschaftsrecht sehen kann.

70

Frohnmeyer, Art. 74, Rn.75; vgl. auch Reh, Verkehrspolitik der EG, S.36.

71

Me Kay, Verkehrspolitische Konzepte, S.71; Blonk, S.90 f.

72

Erdmenger, Gemeinsame Binnenverkehrspolitik, S.l03.

7J

Me Kay, Verkehrspolitische Konzepte, S.72 f.

72

C. Europäische Straßenplanung

solchen Projekten Prioritäten einräumten, die nicht unmittelbar in ihrem nationalen Interesse lägen, die aber für den großräumigen europäischen Verkehr von Bedeutung seien. 74

j) Bedeutung der Einheitlichen Europäischen Akte und

der Weißbücher der Kommission für die Infrastrukturpolitik Ziel der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) war es, Eckdaten für den im Jahre 1993 zu vollendenden Binnenmarkt zu setzen. So formulierte man auch verkehrspolitische Zielsetzungen, die sich auf den gemeinsamen Verkehrsmarkt richteten. Für den Verkehrsinfrastrukturbereich wurde die Errichtung einer Abstimmungsordnung der Investitionen zwischen den EG-Mitgliedstaaten in Infrastrukturbelangen gefordert. Ein verwirklichter gemeinsamer Verkehrsmarkt sollte für die Union folglich gemeinsame Aktionen zur Planung und Finanzierung der großen Infrastrukturachsen umfassen. 75 In die gleiche Kerbe schlugen die beiden in den vergangenen Jahren von der Kommission aufgelegten verkehrspolitisch bedeutsamen Weißbücher über die "Vollendung des Binnenmarktes"76 und über "Die künftige Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik".77 Diese stellten keine normative Grundlage dar, umrissen aber klar die Politik, welche in den Jahren bis zum Erreichen des Binnenmarktes und darüber hinaus zu verfolgen war. 78

k) Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich über die Zeit von 1955 bis 1992 sagen, daß ein Bestreben nach gemeinsamer Infrastrukturpolitik stets gegeben war. Doch wie

74

Erdmenger, Gemeinsame Binnenverkehrspolitik, S.103; Braun-Moser, S.54.

7~ Scherler, S.58; Piisel, S.17, Me Kay, Möglichkeiten, S.13 ff. 76 Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Rat, Luxembourg 1986, KOM (85) 310 endg. 77 "Die künftige Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik, Globalkonzept einer Gemeinschaftsstrategie für eine auf Dauer tragbare Mobilität", Mitteilung der Kommission, Brüssel 02.12.1992, KOM (92) 494 endg.

70

Seherler, S.75.

I. Europäische Infrastruktur-, Straßenplanung

73

bei allen Politikbereichen, die eine Kompetenzübertragung seitens der Mitgliedstaaten erfordert hätten, ging der Wunsch hierzu in der allgemeinen Diskussion über die Integration unter.

2. Andere europäische Infrastrukturplanungsinstitutionen Die EG stellt nicht die einzige internationale Organisation dar, die sich mit der Planung von Infrastruktur auf gesamteuropäischer Ebene beschäftigt. Bereits zum Zeitpunkt der Gründung der EWG konnte diese auf brauchbare Gedanken und Erfahrungen zurückgreifen, die internationale Institutionen gesammelt hatten. 79 Als klassisches Beispiel wird stets die Mannheimer Akte genannt. Sie wurde 1868 zwischen Baden, Bayern, Frankreich, Hessen, den Niederlanden und Preußen geschlossen und beruhte auf einem vom Wiener Kongreß formulierten Grundgedanken: Die Schiffahrt auf dem Rhein soll frei und niemandem verboten sein. 80 Gleichsam als Nebenprodukt dieses Liberalisierungskonzeptes wurden die Anliegerstaaten verpflichtet, das Fahrwasser des Rheins " .. .innerhalb der Grenzen ihres Gebietes .. .in guten Stand zu setzen und darin zu erhalten".81 Damit wurde eine Investitionspolitik postuliert, die nicht allein am eigenen Interesse orientiert ist, sondern auch dem der übrigen Anliegerstaaten entgegenkommt. In der EG-Terminologie würde das heute heißen: Der Rhein ist für die Mitgliedstaaten von gemeinwirtschaftIichem Interesse. 82 Aktuellere Beispiele vor allem für die Straßenplanungen stellen die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (ECE) und die Europäische Konferenz der Verkehrsminister (CEMT) dar.

79

Meyke, S.l3 ff; Woelker, S.36; Schaus, Les transports, S.21 ff.

Mannheimer Akte, Revidierte Schiffahrtsakte vom 17.10.1868, Duisburg-Ruhrort 1961, Artikel I, S.6; gültig heute aufgrund der am 07.10.1969 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschiffahrtsakte Ld.F. der Art. 354 bis 362 des Versailler Vertrages vom 28.06.1919, geändert durch das Straßburger Übereinkommen vom 20.11.1963 (BGBI. 1966 11 S.560), zuletzt geändert durch das 4. Zusatzprotokoll (BGB!. 199011 S.615). KU

81

Ebenda, Art.28, S.15.

82

Vg!. Meyke, S.14.

74

C. Europäische Straßenplanung

a)ECE

Die ECE wurde 1947 als regionale Unterorganisation der UNO mit Sitz in Genf gegründet. Ziel der ECE ist die Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa. Die europäische Verkehrspolitik und -integration wird durch den Binnenverkehrsausschuß mit den Unterausschüssen Straßenverkehr und Schienenverkehr, insbesondere aber durch die Arbeitsgruppe "Koordinierung des Verkehrs" mitgestaltet. Die ECE erstellte den Plan über den Bau von internationalen Hauptverkehrsstraßen - als ,,Europa-Straßen" bekannt -, der am 16.09.1950 von den Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde. 83 b) CEMT

Die Europäische Konferenz der Verkehrsminister (CEMT) wurde am 17.10. 1953 mit dem Ziel gegründet, das europäische Verkehrswesen zu fördern und insbesondere in bezug auf die nationalen Verkehrsinvestitionen - zu koordinieren. Sie ist eine der OECD verwaltungsmäßig angegliederte Organisation, die die OECD-Länder im Bereich des Verkehrs organisiert und auf der Basis von Empfehlungen arbeitet. Seit 1987 hat die CEMT die damaligen RGW-Staaten Osteuropas Schritt für Schritt verkehrspolitisch in die Zusammenarbeit einbeLogen. 84 Darüber hinaus gibt es diverse internationale Organisationen, die sich allgemein mit Verkehrsfragen beschäftigen, so der Europarat, oder mit ganz speziellen Problemen einer Verkehrsgattung, so beispielsweise Eurocontrol, die sich um eine stärkere europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Flugsicherung bemüht, oder ICAO, die die Zusammenarbeit im zivilen Flugbereich fördern will. 8S c) Paneuropäische Verkehrskonjerenz

Neuere Beispiele internationaler Zusammenarbeit sind die paneuropäischen Verkehrskonferenzen von Prag 1991 und Kreta 1994, die darauf abzielen, den

RJ

Meyke, S.14; Erdmenger, EWGV-Kommentar, 4.Aufl., Vorbm. zu Art. 74-84, Rn.37.

Sandhäger, Integration Osteuropas, S.23; Erdmenger, EWGV-Kommentar, 4. Aufl., Vorbem. zu Art. 74-84, Rn.38 . 114

01

Erdmenger, EWGV-Kommentar, 4. Aufl., Vorbem.zu Art. 74-84, Rn.39.

11. Art. 129 b bis d EGV

75

Aufbau eines gesamteuropäischen Verkehrs systems auch in Absprache mit den Mittel- und Osteuropäischen Staaten zu fördern. Die zweite Gesamteuropäische Verkehrs konferenz vom 14.-16.03.1994 auf Kreta war ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer koordinierten Verkehrspolitik und -infrastruktur auf gesamteuropäischer Ebene. Das Hauptergebnis war die neuerliche Bekräftigung des gemeinsamen politischen Willens, die Präzisierung der Grundsätze und Vorgehensweise der Zusammenarbeit sowie die Bestandsaufnahme und Bewertung der Fortschritte seit der Ersten Gesamteuropäischen Verkehrskonferenz vom Oktober 1991 in Prag. Auch wenn die Veranstaltung enttäuschend für diejenigen war, die schon auf praktisch wirksame Festlegungen gehofft hatten, gab sie doch einen politischen Impuls, der auch in Westeuropa im Zusammenhang mit den transeuropäischen Netzen dringend benötigt wurde. 86

d) AlT/FIA

Speziell der Ausbau des europäischen Fernstraßennetzes ist das Anliegen der AITIFIA, der europäischen Dachorganisation der Automobilclubs. Die AITIFIAVerkehrskommission erarbeitete bei ihrem Treffen im September 1993 in Genf in Abstimmung mit den Europäischen Mitgliedsverbänden Empfehlungen und Standards für die Struktur eines Paneuropäischen Fernstraßennetzes. Dabei basiert die Entwicklung auf zwei Grundsätzen: Das Paneuropäische Straßennetz soll aus ausgewählten Abschnitten der nationalen Straßennetze bestehen und direkt an diese angebunden sein. Außerdem sollen die Abschnitte, die für den internationalen Verkehr ausgewählt wurden, zum Vorteil der Autofahrer bezüglich Design, Markierungen und Serviceeinrichtungen europaweit einheitlich sein. 87

11. Art. 129 b bis d EGV Im folgenden sollen die durch den Maastrichter Vertrag neu eingefügten Art. 129 b-d EGV, die die Gesetzesgrundlage für die transeuropäischen Netze darstellen, näher erläutert werden.

R.

Vgl. Kulke-Fiedler, Int. Verkehrswesen 1994,5.217 ff.

R7

AITIFIA-Verkehrskomrnission 11/94.

76

C. Europäische StraBenplanung

1. Entwicklung

a) TEN als Teil des Binnenmarktes 1m Laufe der neunziger Jahre machte die EU einen entscheidenden Schritt bei der Errichtung europaweiter Verkehrsinfrastrukturen. Es wurde eingesehen, daß die Verkehrswege zur Erreichung des Binnenmarktes, d.h. zur Erreichung des grundlegenden Ziels der Freizügigkeit von Personen und Waren über nationale Grenzen hinweg, eine Schlüsselrolle spielen. sH Binnen-Markt bedeutet nicht zuletzt auch grenzüberschreitenden Binnen-Verkehr der unterschiedlichsten Art. 89 So leistet zum Beispiel die Straße einen besonders wichtigen Beitrag zum Gesamtverkehrssystem: Im Durchschnitt werden 90% des transeuropäischen Personenverkehrs und mehr als 70% des Güterverkehrs über die Straße abgewickelt.9() Die Verkehrsnetze von heute weisen jedoch noch fehlende Verbindungen und Engpässe von zum Teil erheblichem Ausmaß auf. ,Diese werden sich bei weiterer Vertiefung des Binnenmarktes und der Beziehungen unter den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten aufgrund wachsenden Verkehrsaufkommens noch deutlich erhöhen. Eine im Auftrag des Europaparlaments erarbeitete Studie beziffert die finanziellen Verluste wegen des Fehlens ineinander übergehender Netze im Verkehrs-, Telekommunikations- und Energiebereich auf heute jährlich zwischen 3,5 und 6 Milliarden ECU. 91 Infolge der enormen Ausweitung des Austauschs wird diese Einbuße bis zum Jahr 2010 auf 13,6 Mrd. hochgerechnet - das wäre das Ergebnis fortdauernder und zunehmender Überlastung der Infrastrukturen, des Zusammenbruchs der verschiedenen Transportsysteme und ausbleibender Integration der einzelstaatlichen Infrastruktur zu europäischen Systemen. 92

"" Baum, Vortragsmanuskript, S.l; Fanger, Int. Verkehrswesen 1994, S.621. R9

SO Rambow, Vorbemerkung zu Art. 129 b-d, Rn.l; Mickel, TEN, S.332; Constantinesco, S.394.

'11'

Kommission, Die transeuropäischen Straßen, S.6.

91

IMK, Transeuropäische Netze, S.2.

92 Beispiele: Autobahnen enden in Grenznähe - der Eurotunnel unter dem Ärmelkanal bildet in Frankreich den Ausgangs- bzw. den Endpunkt einer Hochgeschwindigkeitsstrecke, auf der englisc'.';.;n Seite bisher inkompatible Techniken im privaten Funkspruch- oder Videotext-Verkehr machen curopaweite Kommunikation unmöglich.

11. Art. 129 b bis d EGV

77

Der in Maastricht unterzeichnete Vertrag über die EU, der am. 01.01.1993 in Kraft trat, weitet den Zuständigkeitsbereich der Union hinsichtlich der Entwicklung von transeuropäischen Netzen aus. Hierfür ist der Titel XII mit den Artikeln 129 b-d in den EG-Vertrag neu eingefügt wordenY3 Titel XII sieht den Aufbau von transeuropäischen Netzen in den Bereichen der Verkehrs-, Telekommunikation- und Energieinfrastruktur vor. 94 Dabei werden nicht die Trassen im einzelnen, sondern nur die großen Transversalen und die Kontaktpunkte vereinbart. 95 Der neue institutionelle Rahmen wird von einem politischen Willen flankiert, der auf allerhöchster Ebene bekräftigt wurde. Anläßlich mehrerer aufeinanderfolgender Räte bestanden die Staats- und Regierungschefs darauf, die transeuropäischen Netze bis zum Jahr 2010 zu vollenden. 96 Die Netze sollen dazu beitragen, die Infrastruktur stärker als bisher über nationale Aufgaben hinaus auf den gemeinsamen Wirtschaftsraum auszurichten, um dazu beizutragen, daß Europa wieder, "den Weg zum Wirtschaftswachstum findet, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gestärkt und der Arbeitsmarkt weiterentwickelt wird".97

b) Verhältnis zu vorherigen Infrastrukturentscheidungen Während die Kommission behauptet, daß die EU zum Erreichen dieses Zieles der transeuropäischen Netze - der Vollendung des Binnenmarktes mit gestärktem Wirtschaftswachstum - klare politische Verpflichtungen eingegangen sei,9R erscheint der Text des Titels XII eher unklar und auch widersprüchlich. 99

'3

Wuermeling, S.276.

Allgemeine Hinweise zu den Zielen dieser neuen Politik: "Die künftige Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik. Globalkonzept einer Gemeinschaftsstrategie für eine auf Dauer tragbare Mobilität". Mitteilung der Kommission, Brüssel, 02.12.1992, KOM (92) 494 endg., S.53 ff, sowie auch Mitteilung der Kommission "Verkehrsinfrastruktur", KOM (92) 231 endg., Kommission der EG, Telekommunikation in Europa, Brüssel, Luxembourg, 1989, S.7 ff. '.. !

•s Cartou, S.475 . .. Brüssel, Dez. 1993; Korfu, Juni 1994; Essen, Dez. 1994; Marsei11e, Juni 1995. '7

Kommission, Die transeuropäischen Straßen, S.6 .

• R Dies.,

S.6.

•• So auch Rambow, Vorbm. zu Art. 129 b-d, Rn.3.

78

C. Europäische Straßenplanung

Die Einführung der Artikel 129 b-d EGV beruht nicht auf einem stringenten Konzept. So befürchtet Rambow, daß sich für die Anwendung dieser Bestimmungen erhebliche Schwierigkeiten daraus ergeben werden, daß für die Sachbereiche, auf die sie sich beziehen, durchaus unterschiedliche gemeinschaftliche oder nationale politische Zielsetzungen bestehen. lIXI So bestand zum Beispiel im Verkehrsbereich auf Grund einer Entscheidung des Ministerrates vom 29.10. 1993 schon ein Plan für ein transeuropäisches Straßennetz. lUl Auch wenn dieses Konzept zum 30.06.1995 auslaufen sollte, war für diesen Bereich die Netzgebung durch die TEN somit schon vorprogrammiert. 1U2 Diese enge Verbindung zwischen Netzen und einer Netzpolitik mit der dazu gehörigen Sachpolitik wird in den Artikeln 129 b-d EGV jedoch nicht erwähnt. Eine klarere Abgrenzung oder auch Verbindung zwischen den bis jetzt erarbeiteten Konzepten zur gemeinsamen Infrastrukturpolitik und den neuen Art. 129 b bis d EGV wäre wünschenswert gewesen.

c) Kompetenzkonkurrenz

Hiermit zusammenhängend stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die neuen Kompetenzen nach Titel XII zu den bereits bestehenden Kompetenzen des EG-Vertrages stehen, nach denen ebenfalls Beschlüsse über Netze und deren Ausführung gefaßt werden können. Dieses Problem stellt sich deshalb, weil der EuGH die Frage der ,,richtigen" Kompetenz und ihre Bezugnahme im jeweiligen Rechtsakt für maßgeblich hält und sogar soweit geht, Beschlüsse aufzuheben, wenn sie seiner Meinung nach auf der "falschen" Kompetenz beruhen. Für unzulässig hält es der EuGH auch, wenn mehrere Rechtsgrundlagen nebeneinander herangezogen werden, jedoch eine einzige Rechtsgrundlage ausgereicht hätte. 103

"" Rambow, Vorbm. zu Art. 129 b-d, Rn.3. 1111 Entscheidung 93/629/EWG des Rates vorn 29.10.1993 zur Schaffung eines transeuropäischen Straßennetzes, ABI L 305 v. 10.12.1993. 102 Weitere Vorstellungen existierten bereits für ein Leitschema zum Bahn-Hochgeschwindigkeitsnetz - Vorschlag der Kommission KOM (94), 107 endg., ABI C 134 v. 17.05.1994 - , zum Binnenschiffahrtsnetz - Entscheidung 93/630 EWG des Rates vom 29.10.1993, ABI L 305 v. 10.12.1993 - und zum kombinierten Verkehr - Entscheidung 93/628/EWG des Rates, ABI L 305, v. 10.12.1993 -; vgl. Wuermeling, S.276. 103

Vgl. Rambow, Vorbm. zu Art. 129 b-d, RnA.

11. Art. 129 b bis d EGV

79

Eine Kompetenzkonkurrenz von Art. 129 b-d EGV könnte vor allem zu Titel IV, i.e. den Vorschriften über die Verkehrspolitik nach den Art. 75 ff, und zu denen der Art. 100, 100 a EGV, den Vorschriften zur Rechtsangleichung, bestehen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß der neue eingefügte Titel es nicht ausschließt, die bestehenden Kompetenzen im Infrastrukturbereich als Grundlage heranzuziehen, insbesondere dann, wenn die Sachkompetenz weiterreicht als die nach Art. 129 b-d EGV. Dies gilt zum Beispiel für die allgemeine Kompetenz für Verkehrspolitik in Art. 75 EGV, auf den sich die Gemeinschaft seit 1986 stützt, um Programme zum Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen zu beschließen und den Mitgliedstaaten dazu Finanzhilfen zu gewähren. 104 Eine Kompetenzkonkurrenz könnte auch bei der Rechtsangleichung auftreten, wobei aber fraglich ist, ob Titel XII für diesen Bereich überhaupt noch eine Existenzberechtigung bleibt. lOS In Fällen der Kompetenzkonkurrenz könnte es bei Beschlüssen über transeuropäische Netze - auf Grund der schwer nachzuvollziehenden EuGH-Rechtsprechung zu Parallelkompetenzen - bis zu einer Festigung der EuGH-Rechtsprechung zu erheblicher Rechtsunsicherheit kommen.

2. Erläuterung 106 a) An. 129 b EGV

Art. 129 b EGV beschreibt in seinem ersten Absatz die Zweckbestimmung des Titels XII: Die Tätigkeit der Gemeinschaft soll einen Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarktes (Verweis auf Art. 7 a EGV) und zur Verwirklichung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft (Verweis auf Art. 130 a EGV) leisten. Der Beitrag der Gemeinschaft nach dieser Vorschrift soll "den Bürgern der Union, den Wirtschaftsbeteiligten sowie den rc:~ionalen und lokalen Gebietskörperschaften in vollem Umfang die Vorteile zugute kommen lassen, die sich aus der Schaffung eines Raumes ohne Binnen-

11>4

Ramb()w, Vorbm. zu Art. 129 b-d, Rn.4.

"'5

Ramb()w, Art. 129 b, Rn.5.

"'. Zur Einführung der Art. 129 b-d EGV s. Pieper, S.920.

80

C. Europäische Straßenplanung

grenzen ergeben".I07 Dieser Zusatz hat neben der allgemeinen Zweckbestimmung keine faßbare weitergehende Bedeutung. 108 Art. 129 b Absatz 2 EGV erklärt genauer, worauf sich der Beitrag der Gemeinschaft gemäß dieses Titels bezieht. Die Gemeinschaft soll den Verbund (1) und die Interoperabilität (2) dieser Netze sowie den Zugang (3) zu ihnen fördern. Der Tätigkeitsbereich, den Absatz 1 der Gemeinschaft eröffnet, ist durch Absatz 2 somit eingegrenzt. 109 Art. 129 b Absatz 2 EGV konkretisiert darüber hinaus die sachliche Ausrichtung der Gemeinschaftspolitik, die im Rahmen eines Systems offener und wettbewerbsorientierter Märkte erfolgen soll. Die Zuständigkeit der Gemeinschaft liegt bei den transeuropäischen Netzen ausschließlich in den Bereichen Verkehr, Telekommunikation und Energie. Während der Vertragsverhandlungen war auch der Bildungssektor als transeuropäisches Netz im Gespräch gewesen, den man dann jedoch ganz bewußt nicht in den Titel XII aufgenommen hat. llo Art. 129 b EGV ist somit nur Rechtsgrundlage für die drei genannten Bereiche. Schon dem Titel ist es zu entnehmen, daß es sich hierbei um transeuropäische Netze handeln soll. Der Auftrag der Gemeinschaft erstreckt sich somit nicht auf Netze von nur regionaler oder gar lokaler Bedeutung. Transeuropäisch sind auch nicht solche Verbindungen, an denen nur zwei Mitgliedstaaten Interesse haben. lll Bei der Tätigkeit der Gemeinschaft handelt es sich lediglich um einen Beitrag zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze. Der Gemeinschaft wird durch diesen Titel keine eigenständige Kompetenz zur Infrastrukturpolitik erteilt. Sie hat sich vielmehr an den einzelstaatlichen Netzen zu orientieren, die die eigentliche Substanz der transeuropäischen Netze sind und bleiben sollen. 112

1U7

Kinnock, Speaking note zu Piecyk-Report, 18.05.1995.

Hili

Rambow nennt diesen Zusatz "wenig klar und vollmundig", Art. 129 b, Rn.!.

H" Rambow hält dies für einen bewußten Schritt, um auszuschließen, daß unter Berufung auf Absatz I die durch den Absatz 2 gesetzten Grenzen der Gemeinschaftskompetenzen ausgeweitet werden. Rambow, Art. 129 b, Rn.6. IIU

Vgl. zur Bildungspolitik Art. 126 und 127 EGV.

111

Rambow, Art. 129 b, Rn.3.

112

Vgl. dazu unten Definition von Beitrag; Cloos u.a., S.298.

11. Art. 129 b bis d EGV

81

b) Art. 129 c EGV Art. 129 c EGV erläutert - bezugnehmend auf die Zielsetzung in Art. 129 b EGV - die Vorgehensweise der Gemeinschaft. Die Tätigkeit der Gemeinschaft bezieht und beschränkt sich nach diesem Titel auf drei Bereiche: Aufstellung von Leitlinien, Aktionen zur Interoperabilität und Unterstützung der finanziellen Anstrengungen der Mitgliedstaaten in bezug auf die transeuropäischen Netze. 113

aa) Aufstellung von Leitlinien, Art. 129 c I 1. Strich EGV Gemäß Art. 129 c Absatz 1 erster Strich EGV soll die Gemeinschaft Leitlinien aufstellen. Der Begriff der Leitlinie ist nicht näher definiert. In den Leitlinien sollen die Ziele, Prioritäten und Grundzüge der zu planenden Aktionen festgelegt werden. Die Leitlinien sollen darüber hinaus Vorhaben von gemeinsamem Interesse ausweisen. Es wird aber nicht weiter erörtert, was die Ausweisung eines Vorhabens von gemeinsamem Interesse bezwecken soll. Vermutet wird, daß die Ausweisung als solche weder bewirkt, daß das Vorhaben finanziell unterstützt werden muß, noch daß es garantiert auch durchgeführt wird. 114 Die Ausweisung wird aber wohl Voraussetzung dafür sein, daß die Gemeinschaft das Vorhaben finanziell überhaupt unterstützt.

bb) Interoperabilität der Netze, Art. 129 c I 2. Strich EGV Ziel ist es, die einzelstaatlichen Netze möglichst ohne Hindernisse grenzüberschreitend benutzbar zu machen. Mit dieser Vorschrift werden die technischen Voraussetzungen geschaffen. ll5 Die Interoperabilität soll vor allem durch die Festlegung gemeinsamer technischer Spezifikationen erzielt werden. 116

113 Der in Art. 129 c enthaltene Aktionskatalog ist abschließend, er wird nicht durch ein "insbesondere" eingeleitet, s. Rambow, Art. 129 c, Rn.1.

114

Wuermeling, S.276; C/oos u.a., S.299.

IIS

Mückenhausen, Art. 74, Rn.4; Kommission, Die transeuropäische Straße, S.9.

Beispiele dafür sind die unterschiedlichen Spurweiten der Eisenbahnen in Portugal, Spanien und Finnland im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten; s. Rambow, Art. 129 c, Rn.9. 116

6 Gottschewski

c. Europäische Straßenplanung

82

cc) Finanzielle Anstrengungen, Art. 129 c I 3. Strich EGV Die Unterstützung der Mitgliedstaaten soll insbesondere durch Durchführbarkeitsstudien, Anleihebürgschaften und Zinszuschüsse erfolgen. Das "insbesondere" macht deutlich, daß es sich nicht um eine abschließende Aufzählung von Unterstützungsformen handelt, sondern daß auch andere Maßnahmen denkbar wären. 1l7 In den sog. Kohäsionsländern kann die Gemeinschaft zu Verkehrsinfrastrukturvorhaben auch über den Kohäsionsfond beitragen, für den in den Jahren 1993-1999 immerhin rd. 30 Mrd. DM zur Verfügung stehen. lIK Extra hervorgehoben wird, daß die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des V orhabens berücksichtigt werden muß. Damit soll ausgeschlossen werden, daß die Gemeinschaft die Lebensfähigkeit durch ihre Subventionen erst herstellt, und verhindert werden, daß transeuropäische Netze entworfen werden, für die ein wirtschaftlicher Bedarf nicht wirklich besteht. 119

dd) Koordinierungsverpflichtung, Art. 129 c 11 EGV Die Mitgliedstaaten sind in Verbindung mit der Kommission zur Koordinierung ihrer Politiken verpflichtet, die sich auf die Ziele gern. Art. 129 b EGV auswirken können. Die Kommission kann diese Koordinierung auch aus eigener Initiative fördern. 120

ee) Außenbeziehungen, Art. 129 c III EGV Darüber hinaus kann die Gemeinschaft mit dritten Ländern zusammenarbeiten, um Vorhaben gemeinsamen Interesses zu fördern und die Interoperabilität der Netze zu gewährleisten. 121

117

Rambow, Art. 129

llR

Christophersen-Gruppe, S.l8 ff.

119

Geiger, Art. 129

C,

Rn.4; Rambow, Art. 129

1211

Geiger, Art. 129

C,

Rn.5.

121

Geiger, Art. 129

C,

Rn.6; Constantinesco, S.397.

C,

Rn.l6; Cartou, S.476. C,

Rn.17.

11. Art. 129 b bis d EGV

83

c) Art. 129 d EGV

Art. 129 d EGV setzt sich mit der Beschlußfassung der Leitlinien und der übrigen Maßnahmen auseinander. Die Leitlinien werden vom Rat auf Vorschlag der Kommission nach dem Mitentscheidungsverfahren des Art. 189 b EGV aufgestellt. Auch bei der Ausweisung einzelner Vorhaben von gemeinsamem Interesse nach Art. 129 c I, erster Strich EGV wird das Mitentscheidungsverfahren verwendet und nicht nur die Kommission beauftragt. Dies liegt daran, daß die Ausweisung nicht lediglich eine Durchführungsmaßnahme darstellt, sondern einen wesentlichen Bestandteil der vom Rat - mit Europäischem Parlamene 22 - zu erlassenden Vorschriften. Da die Ausweisung die finanzielle Unterstützung durch die Gemeinschaft bedeuten kann, ist dies nachvollziehbar und vernünftig. 123 Die Leitlinien und die Ausweisung der Vorhaben von gemeinsamem Interesse bedürfen außerdem der Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaates. Sollte ein Projekt - wie bei transeuropäischen Netzen häufig - grenzüberschreitend sein und somit mehrere Mitgliedstaaten tangieren, muß ein jedes seine Zustimmung abgeben. Dieses Zustimmungserfordernis der einzelnen betroffenen Mitgliedstaaten kann für das Verfahren der Mitentscheidung zu Problemen führen, denn das Europäische Parlament kann sich über das Zustimmungserfordernis nicht hinwegsetzen. 124 Dieses ist nicht Teil des Mitentscheidungsverfahrens. Vielmehr muß die Zustimmung der Mitgliedstaaten zu dem im Mitentscheidungsverfahren ergehenden Ratsbeschluß hinzukommen. 125 Die übrigen Maßnahmen nach Art. 129 c EGV werden nicht im Verfahren der Mitentscheidung, sondern in dem der Zusammenarbeit erlassen. Darin kommt zum Ausdruck, daß diese Maßnahmen im Vergleich zu den Leitlinien als weniger wichtig angesehen werden. Zudem soll die Anwendung dieses - einfacheren - Verfahrens der Beschleunigung dienen. 126

122

Vgl. dazu Barav zur Stellung des Parlaments vor und nach Maastricht, S.789.

123

Rambow, Art. 129 d, Rn.1; EP working dokument, The Maastricht Treaty, En-3-1992, S.14 f.

124 Cartou, S.276; EP-Verkehrsausschuß, Berichterstatter: Derek Prag, Opinion of the Committee on Transport on the results of the Maastricht Treaty, A3-0000/92, 23.03.1992, S.27.

m Rambow, Art. 129 d, Rn.3, Constantinesco, S.402. 126

6*

Rambow, Art. 129 d, Rn.5; C/oos, S.301; Geiger, Art. 129 d, Rn.2.

84

C. Europäische Straßenplanung

III. Leitlinien 1. Aufstellung von den Leitlinien

Bei der aufgrund von Art. 129 c I EGV durchgeführten Aufstellung der Leitlinien hat es sich um ein besonders langwieriges Verfahren gehandelt. Die wichtigsten Stationen des Gesetzgebungsprozesses sollen hier aufgeführt werden. a) Vorschlag der Kommission vom 29.03.1994

Am 29.03.1994 hat die Kommission gemäß Art. 189 bIll EGV dem Europäischen Parlament und dem Rat einen umfassenden Entscheidungsvorschlag für eine Entscheidung über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes vorgelegt. 127 Dieser Vorschlag galt der schrittweisen europaweiten Vernetzung der einzel staatlichen Land-, See- und Luftverkehrsinfrastrukturen bis zum Jahr 2010. Das Netz umfaßt Straßen, Eisenbahnstrecken, Binnenwasserstraßen, Häfen, Flughäfen, Navigationseinrichtungen, Umschlagsanlagen und Rohrleitungen sowie die für den getrennten oder kombinierten Betrieb dieser Infrastrukturen notwendigen Dienstleistungen, einschließlich der Verkehrsmanagementsysteme. 128 Zu den Prioritäten der Aktion zählen u.a. die Schaffung von Verbindungen, um Engpässe zu beseitigen, Lücken zu schließen und Fernverkehrsverbindungen zu ergänzen, ferner die verkehrstechnische Erschließung von Randgebieten, Inseln und sonstigen Lagen mit schlechter Verkehrsanbindung, die Effizienz der vorhandenen Infrastruktur sowie der Ausbau der Verkehrsknoten. 129 Für das Straßennetz (Autobahnen und gleichgestellte Straßen), das Eisenbahnnetz, das Binnenwassernetz, Seehäfen und das Flughafennetz sowie das kombinierte Verkehrsnetz ist dem Vorschlag ein umfangreiches Kartennetz beigegeben, das den geplanten Ausbau zeigt. 130

127 Vorschlag der Kommission für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, vorgelegt am 07.04.94, Dok KOM (94) \06 endg. v. 29.03.94, ABl.EG C 220, 08.08.1994. 12'

Art. 3 des Vorschlags.

129

Art. 5 des Vorschlags.

"11 Anhang I des

Vorschlags.

III. Leitlinien

85

Anhang II des Vorschlages nennt Projekte von gemeinsamem Interesse, wobei als solche definiert werden, die gesamtwirtschaftliche Rentabilität versprechen und eine der in Artikel 5 aufgeführten vorrangigen Aktionen betreffen. 131 Für Deutschland waren folgende Straßenverbindungen genannt: Luxembourg-Saarbrücken; Emden-Rheine-Bielefeld-Osnabrück; Strasbourg-Ludwigshafen; KölnBlankenheim-Daun (Al)-Trier; Kassel-Frankfurt; Lübeck-Fehmarn; ErfurtBamberg; Erfurt-Würzburg; Magdeburg-Halle; Dresden-(Prag); Nord-Ost-Umfahrung Hamburg-Lübeck-Rostock-(Stettin); Göttingen-Halle; RoyermondMönchengladbach; Kassel-Wommen; Bad Hersfeld-Görlitz; Schweinfurt-Bayreuth; NÜffiberg-(Prag); München-Memmingen-Wangen; München-pöcking. 132 Der Vorschlag soll die bereits im Oktober 1993 verabschiedeten, bis 30.06. 1995 befristeten Entscheidungen für transeuropäische Straßen- und Binnenwasserstraßennetze sowie den kombinierten Verkehr 133 ablösen. 134 Hinsichtlich der Zuständigkeit der geplanten Maßnahmen nennt der Vorschlag die Gemeinschaft gemeinsam mit den Mitgliedstaaten, wobei die Aufstellung der Leitlinien der Gemeinschaft obliegen sollen, die Festlegung der genauen Einzelheiten, des Zeitplans und der verschiedenen Stufen für die Fertigstellung der für das Netz erforderlichen Infrastruktur dagegen den Mitgliedstaaten. 135

b) Christophersen-Gruppe aa) Arbeitsweise (1) Brüsseler Tagung des Europäischen Rates im Dezember 1993

Auf seiner Brüsseler Tagung im Dezember 1993 faßte der Europäische Rat auf der Grundlage der im Weißbuch zum Thema "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung"136 enthaltenen Vorschläge der Kommission eine

131

Begründung des Vorschlags der Kommission, KOM (94), 106 endg., S.13.

132

Anhang 11 des Vorschlages, Abschnitt 2.

m Entscheidung des Rates 93/629fEWG, 93/630fEWG, 93/628fEWG, ABl.EG L 305 v. 10.12. 1993, S.1.

n. Einleitung des Vorschlages. m Begründung des Vorschlags der Kommission, KOM (94) 106 endg., S.8/9. 136

KOM (93), 700 endg. v. 05.12.1993.

86

C. Europäische Straßenplanung

Reihe wichtiger Beschlüsse mit dem Ziel, den Aufbau der TEN zu beschleunigen. m Einer dieser Beschlüsse bestand darin, eine besondere Gruppe der persönlich Beauftragten der Staats- und Regierungschefs unter dem Vorsitz des Kommissionsvizepräsidenten Christophersen - die Christophersen-Gruppe - einzusetzen, die die Kommission bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Bereich der Verkehrs- und Energie- (und später Umwelt-)infrastruktur unterstützen sollte. 138 Ferner wurde eine Gruppe unter dem Vorsitz des Kommissionsmitglieds Bangemann eingesetzt, die dem Europäischen Rat über die im Bereich der Telekommunikation-lInformationsinfrastruktur zu treffenden Maßnahmen Bericht erstatten soll. 139 Die Christophersen-Gruppe sah ihre Aufgabe hauptsächlich darin, die in der Union und den Mitgliedstaaten laufenden Arbeiten zu den transeuropäischen Netzen zu beschleunigen und zu erleichtern. Damit sollten die Entscheidungen über Prioritäten und Projekte im Rahmen der vorzubereitenden Leitlinien erleichtert werden. 140 Ab Juli 1994 nahmen auch persönliche Beauftragte der Staats- bzw. Regierungschefs der vier Beitrittsländer an den Arbeiten der Gruppe teil.

(2) Die Korfu-Tagung des Europäischen Rates im Juni 1994 Auf seiner Tagung in Korfu im Juni 1994 hörte der Europäische Rat den Zwischenbericht der Gruppe. Auf der Grundlage des Berichts einigte sich der Europäische Rat auf eine erste vorrangige Liste mit elf größeren Verkehrsprojekten und hob die Bedeutung hervor, die er den anderen im Zwischenbericht aufgeführten wichtigen Verkehrsprojekten beimaß. 141

137 Transeuropäische Netze, Bericht der Gruppe der persönlichen Beauftragten der Staats- bzw. Regierungschefs ( im folgenden zitiert als "Christophersen-Gruppe"), S.32.

n. Bericht der Christophersen-Gruppe. S.32.

m Bericht der Christophersen-Gruppe. S.32. 14('

Bericht der Christophersen-Gruppe, S.33 f.

141

Bericht der Christophersen-Gruppe. S.32.

III. Leitlinien

87

(3) Die Essen-Tagung des Europäischen Rates im Dezember 1994 Im Dezember 1994 nahm der Europäische Rat auf seiner Tagung den endgültigen Bericht der Christophersen-Gruppe an. 142 Dieser enthielt neben einer Liste mit prioritären Verkehrsvorhaben Aufforderungen an den Europäischen Rat, seine Bemühungen im Bereich der transeuropäischen Netze zu intensivieren. Er gab explizite Forderungen hinsichtlich der Verkehrsnetze, der Energienetze, der Umweltnetze, der Anbindung der Netze von Drittländem, der Finanzierung und öffentlich-privater Partnerschaften und des ordnungspolitischen Rahmens. 143

bb) Legitimation Die Einsetzung der Christophersen-Gruppe stellte einen außerordentlichen politischen Akt dar. l44 Weder der EU-Vertrag noch die Geschäftsordnung des Europäischen Rates sehen ein solches Mittel zur Arbeitsaufteilung vor. 145 Laut Gipfel-Beschluß von Brüssel sollte die Berufung der Christophersen-Gruppe der Beschleunigung des Ausbaus der transeuropäischen Netze dienen. Der Ausbau der Netze sollte dadurch - "bei gleichzeitiger Beachtung der Zuständigkeit der Unionsorgane und der Mitgliedstaaten entsprechend den Vertragsbestimmungen und ohne Wiederholung bereits laufender Arbeiten"l46 - größeres Gewicht erhalten. Insbesondere sollten vorrangige Projekte von gemeinsamem Interesse für den Ausbau transeuropäischer Netze ermittelt und beschleunigt werden, bei denen die Gruppe ihren Beitrag für besonders nützlich hielt. Die Einsetzung der Christophersen-Gruppe hat vor allem beim Europäischen Parlament viel Kritik hervorgerufen. 147 Es wurde die Art und Weise verurteilt, wie über den Kopf des Parlaments hinweg mögliche Vorentscheidungen getrof-

142

Europäische Zeitung, Nr.1/1996, S.1/ll.

141

Bericht der Christophersen-Gruppe, S.9 ff.

144

Bericht der Christophersen-Gruppe, S.10.

14~

ABI. EG L 268 v. 25.10.1979.

I'" SO der Bericht der Christophersen-Gruppe S.34. 147 EP-Generaldirektion Wissenschaft - Arbeitsdokument, Verfasser: Franco Piodi, Die Finanzierung der transeuropäischen Verkehrsnetze, W 7-10-1994, S.22, der die Christophersen-Gruppe die "Ombudsstelle der staatlichen Interessen" nennt; Bericht über Vorschlag für Entscheidung über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, Berichterstatter: Wilhelm Piecyk, A4-0096/95 v. 25.04.1995, S.60.

88

C. Europäische Straßenplanung

fen wurden, es wurde kritisiert, daß zur Gruppe lediglich persönliche Beauftragte der nationalen Regierungen berufen wurden und niemand vom Europäischen Parlament, und es wurde in Frage gestellt, welche Bindungskraft die Beschlüsse der Gruppe überhaupt entfalten sollten. Tatsächlich ist die Berufung einer solchen Gruppe von Vertretern der Regierungschefs rechtlich fragwürdig. Es ist hier nicht der Platz, zu Befugnissen des Europäischen Rates Stellung zu nehmen. Es sei jedoch kurz auf die Aufgaben und Funktionen des Europäischen Rates einzugehen. In einem Kommunique des Jahres 1974, in dem die zukünftigen Gipfelkonferenzen institutionalisiert und strukturiert wurden, wurde als Ziel definiert, daß der Europäische Rat die notwendige Kohärenz zwischen der Tätigkeit der Gemeinschaften und der europäischen politischen Zusammenarbeit gewährleisten sollte. 148 Durch die Einrichtung des Europäischen Rates sollte eine übergreifende politische Entscheidungsebene geschaffen werden, auf der unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten der Gemeinschaft Orientierungen für die weitere Entwicklung erarbeitet werden könnten. Wichtigste Aufgabe des Europäischen Rates ist es demnach, Anstöße zur Fortentwicklung der Gemeinschaft zu geben. Dies geschah meistens in der Form von Schlußfolgerungen des Präsidenten, aber auch durch Erklärungen des Europäischen Rates. 149 Da der Europäische Rat zu komplexen Themen Stellung bezieht, ist es selbstverständlich, daß er sich Zuarbeiter aus den jeweiligen Sachbereichen bedient. Die Christophersen-Gruppe stellt im Prinzip eine solche Zuarbeitergruppe dar, die ausnahmsweise institutionalisiert worden ist. Unter rechtlichen Gesichtspunkten ist die Frage nach der Verbindlichkeit der Ergebnisse des Europäischen Rates gestellt worden. ISO Da die Äußerungen des Europäischen Rates, selbst wenn das Wort "entscheidet" darin vorkommt, nicht nach den Verfahrensregeln des EU-Vertrages zustande kommen, wird man im Rahmen der Gemeinschaftsordnung eine Rechtsverbindlichkeit im eigentlichen Sinne verneinen müssen. 151 Dies muß auch dann gelten, wenn der Rat die Kommission und das Parlament ersucht, Maßnahmen zur Durchführung der

14.

Gipfelkonferenz in Paris, 09./10. 12.1974, Bull. EG Nr.12/1974, S.7.

'w Glaesner, S.27. 150 Dondelinger, S.45; Everling, in: Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäischer Integration, Band 32, S.21; ders., Rechtliche Wirkung von Beschlüssen, S.147 ff; Hi(f/Pache, EEA, Art. 2, Anrn.9; Borhe, S.768 ff. 151

Glaesner, S.30.

III. Leitlinien

89

Entschließung des Europäischen Rates vorzunehmen. 152 Die gleiche Situation stellt sich dar, wenn sich der Europäische Rat die Vorschläge einer Zuarbeitergruppe - hier der Christophersen-Gruppe - zu eigen macht und als die seinen darstellt. Auch nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht über eine Europäische Union haben sich vorstehende Überlegungen, insbesondere hinsichtlich der rechtlichen Aspekte nicht geändert. 153 Art. D EUV legt nun entsprechend der bisherigen Praxis fest: "Der Europäische Rat gibt der Union die für ihre Entwicklungen erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielsetzungen für diese Entwicklung fest." Etwas anderes gilt nur insoweit, als dem Europäischen Rat in Art. 109 j und 109 k EGV echte Entscheidungsbefugnisse im Rahmen eines gemeinschaftsrechtlich organisierten Verfahrens übertragen worden sind. Rechtliche Einwirkungen der Ergebnisse des Europäischen Rates gibt es somit nicht. Allerdings ist nicht auszuschließen, daß der Rat durch Orientierungen des Europäischen Rates politisch festgelegt ist. 154 Diese Schwierigkeiten können insbesondere dann auftreten, wenn für den Erlaß eines Rechtsaktes durch den Rat nicht nur die Konsultation des Parlaments vorgeschrieben ist, sondern das Mitentscheidungsverfahren nach Art. 189 b EGV. 1S5 Die Einsetzung der Christophersen-Gruppe ist somit zwar ein außerordentlicher politischer Akt; dabei hat sich der Europäische Rat aber nicht außerhalb seiner Kompetenzen bewegt. Dies hat sich vor allem dann gezeigt, als der Europäische Rat von Marseille 156 sich nicht vollständig an die Vorschläge der Gruppe gehalten hat. 157

152

Glaesner, S.30.

153

Glaesner, S.3\.

154

Eroord, S.68; Feger, JA 1985, S.429; Bothe, S.768 ff.

ISS

Glaesner, S.33.

Vgl. Gemeinsamer Standpunkt Nr.22/95 des Rates, festgelegt am 28.09.1995 im Hinblick auf den Erlaß der Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, ABI. EG, C 331, S.I ff. 156

m Ever/ing, Zur rechtlichen Wirkung von Beschlüssen, S.135.

90

C. Europäische Straßenplanung cc) Ergebnisse

Die Christophersen-Gruppe hatte sich verschiedene Einzelziele gesetzt. Dazu gehörten die Ermittlung vorrangiger Projekte und der Hindernisse, die ihrer raschen Durchführung im Wege stehen, die Beseitigung der Hindernisse bei den einzelnen Projekten und die Bemühung um die Beseitigung horizontaler Hindernisse beim Aufbau von TEN im allgemeinen und insbesondere innerhalb des ordnungspolitischen Rahmens. 158 Auf der Grundlage vereinbarter Auswahlkriterien ermittelte die Gruppe vorrangige TEN-Projekte, bei denen ein zusätzlicher Nutzen zu erwarten sei. 159 Die angewendeten Auswahlkriterien erstreckten sich dabei auf: das gemeinsame Interesse an den transeuropäischen Netzen, zum Beispiel an grenzüberschreitenden Abschnitten, den großen Umfang, unter Berücksichtigung der Projektart und der Größe der unmittelbar betroffenen Mitgliedstaaten, die volkswirtschaftliche Rentabilität und Möglichkeiten einer privaten Beteiligung, den Beitrag zur Erreichung von Zielen der Union, wie dem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Ausgereiftheit der Projekte. Auf der Grundlage der Auswahlkriterien wählte die Gruppe einvernehmlich Verkehrs- (und Energie-)projekte aus, die sie für vorrangig im Hinblick auf die transeuropäischen Netze hielt und bei denen nach Ansicht der Gruppe die Einstufung als vorrangig deren Durchführung erleichtern würde. 160 Die Einstufung der Projekte als vorrangig und die Aufnahme in die Listen sollten nur stattfinden, wenn dies von Nutzen für die Projekte und die Netze sei. Projekte, die auch ohne besondere Maßnahmen durchgeführt werden könnten, und unrealistische Projekte wurden ausgeschlossen. Nach Ansicht der Gruppe beinhaltete die Einstufung einer begrenzten Anzahl von Projekten als vorrangig eine politische Unterstützung für wichtige Projekte der transeuropäischen

'S8

Bericht der Christophersen-Gruppe, S.ll.

'so Bericht der Christophersen-Gruppe, S.ll. '60

Bericht der Christophersen-Gruppe, S.ll.

III. Leitlinien

91

Netze, wodurch die umfassenderen Arbeiten an den Leitlinien für transeuropäische Netze gemäß den Bestimmungen des Vertrages unterstützt würden. 161 Neben Projekten innerhalb der heutigen EU wurde auch die Anbindung der Netze von Drittländern behandelt. Die Gruppe empfahl, die Verfahren zur Koordinierung und Absprache mit Nachbarländern auf diesem Gebiet zu intensivieren und schlug verschiedene Verkehrsprojekte vor. 162 Bezüglich der Finanzierung der TEN forderte die Gruppe den Europäischen Rat auf, öffentlich-private Partnerschaften zu fördern und die Optimierung der finanziellen Beteiligung des Privatsektors an vorrangigen Projekten anzustreben. Weitere Vorschläge im finanziellen Bereich beziehen sich auf die Durchführung der Unterrichtung bei auftretenden Schwierigkeiten. 163 Ordnungspolitisch schlägt die Gruppe vor, den Abbau der rechtlichen Hindernisse bei den Projekten voranzutreiben. Hierbei solle qie Kommission prüfen, ob dafür Maßnahmen auf Unionsebene erforderlich seien. 1M Unter Berücksichtigung der genannten Auswahlkriterien hat die Gruppe eine Liste der prioritären Verkehrsvorhaben aufgestellt. Diese ist in prioritäre Vorhaben und andere wichtige Vorhaben, in europaweite Vorhaben und Vorhaben zur Anbindung von Drittländern eingeteilt. Straßenprojekte165 , die die Bundesrepublik betreffen, befinden sich lediglich: im Bereich "andere wichtige Vorhaben", Untergruppe "Projekte, die weiter geprüft werden müssen" und zwar die feste Verbindung vom Fehmarnbelt zwischen Deutschland und Dänemark und im Bereich "Vorhaben zur Anbindung von Drittländem", und zwar als "prioritäres Vorhaben" die Straßenverbindung Berlin-Warschau-Minsk-Moskau und als "andere wichtige Vorhaben" die Straßenverbindungen Dresden-Prag und Nürnberg-Prag.

IM

Bericht der Christophersen-Gruppe, S.12.

162

Bericht der Christophersen-Gruppe, S.17.

16J

Bericht der Christophersen-Gruppe, S.20.

IM

Bericht der Christophersen-Gruppe, S.21 f.

165

Vgl. Liste der prioritären Vorhaben im Bericht, S.24 ff.

92

C. Europäische Straßenplanung c) Geänderter Kommissionsvorschlag vom 22.02.1995

Am 22.02.1995 änderte die Kommission gern. Art. 189 all EGV ihren ursprünglichen Vorschlag ab. 166 Zur Begründung gab sie an, daß Veränderungen eingetreten seien, die eine Abänderung des Vorschlages rechtfertigten bzw. forderten. 167 So wiesen die Gipfel von Korfu (Juni 1994) und Essen (Dezember 1994) auf die Notwendigkeit hin, Impulse für die Realisierung prioritärer Projekte zu geben. Außerdem war die Union zum 01.01.1995 um drei neue Mitgliedstaaten angewachsen. Der Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens machte eine Anpassung des Anhangs I des ursprünglichen Vorschlags erforderlich und sah nunmehr auch eine Ausarbeitung von Karten mit den entsprechenden Netzschemata für diese Länder vor. Weiterhin wurde Art. 10 des ursprünglichen Vorschlags bezüglich des Eisenbahnnetzes geändert, um neben gegenwärtigen auch künftige technologische Entwicklungen auf dem Gebiet des Hochgeschwindigkeitsnetzes mit in Betracht zu ziehen (z.B. Transrapid).168 Darüber hinaus wurde ein neuer Anhang III eingeführt, der eine Liste von Vorhaben vorsah, die innerhalb der nächsten fünf Jahre begonnen werden sollte. Durch diese Ergänzung kam die Kommission den Empfehlungen des Europäischen Rates von Essen hinsichtlich prioritärer Projekte für den Aufbau der TEN nach. 169 Die Liste der Projekte sollte für den Aufbau der TEN entsprechend der Leitlinien Anhaltspunkte für Infrastrukturinvestitionen in den ersten fünf Jahren des auf insgesamt 15 Jahre angelegten Zeitrahmens liefern, wobei die Anhaltspunkte sowohl an die Mitgliedstaaten als auch an die Organe der Gemeinschaft, Finanzinstitute und private Geldgeber gerichtet waren. 170 Die Liste findet sich teilweise bereits im Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung".171 Sie wurde von der Kommission aufgrund der Ergebnisse der Arbeiten der Christophersen-Gruppe überarbeitet.

'M Geänderter Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, KOM (95) 48 endg. vom 22.02.1995, ABI. EG C 97, v. 20.04.1995. '07

Erläuterung des geänderten Vorschlags der Kommission, KOM (95) 48 endg., S.l.

I.' Ebenda, S.2.

''''' Europäische Zeitung, Nr.1/1996, S.l/l1. 1711

Erläuterung, S.3.

171

KOM (93) 700 end., Kapitel 3, Transeuropäische Netze, Projektverzeichnis, S.91 ff.

III. Leitlinien

93

Die Liste umfaßte die 14 Projekte, denen der Europäische Rat in Essen Priorität und ausreichende Ausgereiftheit für einen Start in den Jahren 1995/96 zuerkannte, und 21 weitere wichtige Vorhaben, die die vorstehend genannten 14 Projekte im Sinne eines strukturierten Ausbaus des transeuropäischen Verkehrsnetzes ergänzen, wobei jedoch kein deutsches Straßenprojekt dazugehören sollte. 172

d) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 18.05.1995 (Erste Lesung)

Gern. Art. 189 b 11 2 EGV hat das Europäische Parlament am 18.05.1995 in seiner ersten Lesung zum geänderten Kommissionsvorschlag Stellung genommen. 173 Dabei forderte es Korrekturen an den transe~ropäischen Netzen. So

wurde beispielsweise eine stärkere Berücksichtigung der Umweltbelange angemahnt. Mit einem gesonderten Umweltartikel (Art. 7a neu)174 sollte erreicht werden, daß die Prüfung der Umweltauswirkungen nicht auf eine Alternative beschränkt bleibt, sondern daß ein Optimierungsansatz gewählt wird, der mehrere Alternativen berücksichtigt. Dieser Ansatz enthält vier Elemente: eine strategische Beurteilung der Umweltauswirkungen des Gesamtnetzes, verkehrsträgerübergreifende Korridoranalysen der berührten Teilräume, Umweltrisikoeinschätzungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen gemäß der Richtlinie des Rates (85/337/ EWG).175 A.n der vom Essener EU-Gipfel im Dezember 1994 in Aussicht genommenen Liste wurden diverse Projekte gestrichen,176 andere dafür aufgenommen. 177 Die deutschen Straßenprojekte wurden fast ausnahmslos gebilligt. l7R

172

Erläuterung, S.3.

m Protokoll der Sitzung des Europäischen Parlaments vorn 18.05.1995, PE 190.442, S.6, 17 ff. 114 Änderungsantrag 12 vorn Bericht über den Vorschlag und den geänderten Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, Berichterstatter: Wilhelm Piecyk, A4-0096/95.

m Begründung des Berichts A4-0096/95, S.62. 176

Z.B. Flughafen Malpensa in Mailand.

177

Z.B. Projekte des Schienenverkehrs in Italien.

17M

Ausnahme: Verbindungsautobahn A73 zwischen A9 und ASI über Nümberg und Bamberg.

94

C. Europäische Straßenplanung

Das EP anerkannte, daß gern. Art. 129 d EGV eine rechtliche Bindung der Mitgliedstaaten in bezug auf die Durchführung der Projekte sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht nur schwer möglich ist. Allerdings empfand es das EP als wünschenswert, zu einer stärkeren rechtlichen Verpflichtung bei den Projekten des "gemeinsamen europäischen Interesses" zu gelangen. 179 Mit Hilfe des Kriterienkatalogs für die bezuschußungsfahigen prioritären Vorhaben, insbesondere mit dem Erfordernis der Baureife, wurde nun ein Weg aufgezeigt, die Vorhaben in einen gewissen zeitlichen Rahmen zu binden. ISO

e) Geänderter Vorschlag der Kommission vom 19.06.1995 Die Kommission legte nunmehr am 19.06.1995 wieder gern. Art. 189 a 11 EGV einen geänderten Vorschlag VOr. 181 In diesem nahm sie teilweise die vom Europäischen Parlament geforderten Änderungen auf, so zum Beispiel den gewünschten Artikel zu Umweltbelangen (Art. 7). Die Änderungen sind zum großen Teil redaktioneller Art bzw. ändern den Aufbau des ursprünglichen Kommissionsvorschlags.

f) Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 28.09.1995

Gern. Art. 189 b 11 2 EGV legte der Rat am 28.09.1995 seinen gemeinsamen Standpunkt fest. 182 Es wurde beschlossen, alle Projekte gleichwertig zu bewerten, ohne einen Vorrang einzuräumen. 183 Deshalb wurde die anläßlich des Gipfels von Essen beschlossene Liste der 14 vorrangigen Projekte nicht als solche dem Text beigelegt. Alle Projekte gehören nunmehr zu denen, die der Rat als "Projekte gemeinsamen Interesses" behandelt und die somit von der Gemeinschaft als förderungs-

179

Begründung des Berichts, A4-0096/95, S.60.

IM

Ebenda, S.62/63.

IRI Geänderter Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäiscben Verkehrsnetzes, KOM (95) 298 endg. vom 19.06.1995. IR2 Gemeinsamer Standpunkt vom Rat Nr.22/95 festgelegt am 28.09.1995 im Hinblick auf den Erlaß der Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes - ABI. EG C 331/1.

103

Gemeinsamer Standpunkt, ABI. EG C 3311103 f.

111. Leitlinien

95

würdig eingestuft werden. Unabhängig davon, daß der Rechtstext des Rates nicht die 14 vorrangigen Projekte zitiert, ist es klar, daß die Mitgliedstaaten auf politischer Ebene das in Essen von den Staats- und Regierungschefs unternommene Engagement respektieren,184 nämlich die vorrangige Umsetzung der 14 festgelegten Projekte. Eine politische Erklärung, die dem Protokoll beigelegt ist, bestätigt die in Essen beschlossenen Prinzipien und Orientierungen. 18S Zu den vorrangigen Projekten gehört jedoch - wie schon erwähnt - kein deutsches Straßenprojekt. Dagegen sind deutsche Straßenprojekte sehr wohl Bestandteile der "Projekte von gemeinsamem Interesse" .186 Die vom Rat aufgestellte Liste von deutschen Straßenprojekten deckt sich mit den von der Kommission vorgeschlagenen Projekten.

g) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 13.12.1995 (Zweite Lesung) Auf seiner Plenarsitzung vom 13.12.1995 hat das Parlament den Wortlaut des gemeinsamen Standpunktes geändert und hierzu 111 Änderungsanträge eingereicht. Diese beziehen sich in erster Linie auf eine stärkere Betonung des Umweltschutzes l87 und die Beteiligung des Verkehrsinfrastrukturausschusses bei der Festlegung der Vorhaben von gemeinsamem Interesse. 188 Darüber hinaus wurde vom Europäischen Parlament gefordert, daß die Liste der prioritären Projekte wieder in die Entscheidung über die Leitlinien mitaufgenommen werden sollte. Bezüglich der deutschen Straßenprojekte wurden bis auf die Hinzufügung der Umgehungsstraße um Gießen keine Änderungsanträge erhoben. 189

'M Feger, JA 1985, S.439; Bothe, S.768 ff. lOS Agence d'europe, 21.06.1995, S.6; Everling, Zur rechtlichen Wirkung von Beschlüssen, S.134 f.

,.. Vgl. Gemeinsamer Standpunkt, ABI. EG C 331 S.103 f. 107

Änderungsantrag 1-5, 14.

'" Änderungsantrag 7. ,•• Änderungsantrag 40.

96

C. Europäische Straßenplanung

h) Stellungnahme der Kommission vom 24.01.1996 Am 24.01.1996 gab die Kommission gern. Art. 189 II c EGV eine erneute Stellungnahme ab, der sie einen geänderten Vorschlag beifügte. l90 Von den 111 Änderungsanträgen des Parlaments hat die Kommission 39 befürwortet und 72 abgelehnt. Sie hat insbesondere den Änderungsanträgen zugestimmt, die mit dem Vorbehalt der Kommission zum gemeinsamen Standpunkt des Rates übereinstimmen und diesen ergänzen und verbessern. Wichtig für diesen Komplex bleibt festzuhalten, daß die Kommission den Änderungsantrag 40 des Europäischen Parlaments hinsichtlich der Umgehungsstraße um Gießen angenommen hat, aber darüber hinaus an den deutschen Straßenprojekten nichts verändert hat.

i) Vermittlungsausschuß Gern. Art. 189 b III EGV war es nun erforderlich, daß der Rat die vom EP geforderten Abänderungen billigt. Der Rat weigerte sich jedoch, sich diversen Abänderungsanträgen zu beugen. So herrschte insbesondere bei der Frage nach Integrierung einer Liste von prioritären Projekten in den Text der Leitlinien und bei bestimmten Fragen des Umweltschutzes Streit. 191 Da eine Zustimmung des Rates nicht mehr zu erwarten war, wurde der Vermittlungsausschuß gern. Art. 189 b III EGV einberufen. Dieser besteht aus Mitgliedern des Rates oder deren Vertretern und ebenso vielen Vertretern des Europäischen Parlaments und hat die Aufgabe, mit der qualifizierten Mehrheit der Mitglieder des Rates oder deren Vertreter und der Mehrheit der Vertreter des EP eine Einigung über einen gemeinsamen Entwurf zu erzielen (Art. 189 b IV 1 EGV). Die Kommission nimmt gern. Art. 189 b IV 2 EGV an den Arbeiten des Vermittlungsausschusses teil und ergreift alle erforderlichen Initiativen, um auf eine Annäherung der Standpunkte des Europäischen Parlaments und des Rates hinzuwirken. Gern. Art. 189 b V EGV muß der Vermittlungsausschuß

190 Stellungnahme der Kommission gern. Art. 189 bIld EUV zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments des gemeinsamen Standpunktes des Rates betreffend den Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, KOM (96) 16 endg. vom 24.01.1996. 191

Europe Nr. 6657, 01.02.1996.

III. Leitlinien

97

einen gemeinsamen Entwurf innerhalb von 6 Wochen nach seiner Einberufung billigen. Im Rahmen des europäischen Verkehrsrechts ist es das erste Mal gewesen, daß ein Vermittlungsausschuß einberufen wurde. 192 Da die deutschen Straßenprojekte jedoch nicht umstritten sind, ist zu erwarten, daß sie so beschlossen werden, wie sie die Vorschläge der Institutionen jeweils schon genannt haben, es sei denn, der Vermittlungsausschuß kommt zu keinem Ergebnis bzw. der Vorschlag des Vermittlungsausschuß wird gern. Art. 189 b VI abgelehnt, so daß die Entscheidung bezüglich der Leitlinien als gescheitert gilt.

2. Finanzierung der TEN Auch wenn laut Zalm das größte Problem der TEN nicht ein finanzielles, sondern ein politisches und administratives ist,193 soll doch noch auf die finanziellen Gesichtspunkte der TEN eingegangen werden.

a) Finanzierungsanjorderungen 194 aa) Volumen Im Weißbuch wurde der Investitionsbedarf für das transeuropäische Verkehrsnetz für den Zeitraum der finanziellen Vorausschau vorläufig auf 220 Mrd. ECU veranschlagt. 195 Gespräche zwischen der Kommission und den Vertretern der Mitgliedstaaten in den Arbeitsgruppen, die sich mit Vorhaben von gemeinsamem Interesse in den verschiedenen Verkehrssparten befaßten, ergaben darüber hinaus, daß der gesamte Investitionsbedarf bis zum Jahr 2010 rund 400

192

Europe Nr. 6684, 09.03.1996.

193

Zalm, S.l4.

194

Zu Infrastrukturinvestitionen vor den Leitlinien s. Dousset, S.l97 ff.

Weißbuch zu Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, KOM (93) 700 endg. v. 05.12.1993, Kapitel 3, Transeuropäische Netze, Die Infrastrukturen im Verkehrsbereich: ein Finanzierungsproblem, S.86 f. 195

7 GoUschewski

98

C. Europäische Straßenplanung

Mrd. ECU erreichen könnte. 196 Die von der Christophersen-Gruppe geprüften ausgereiftesten Verkehrsprojekte machen hierbei nur einen Bruchteil aus. Doch dIe neuesten Kostenvoranschläge für diese Projekte, die auf der Grundlage von Daten der Mitgliedstaaten erstellt wurden, bestätigen im großen und ganzen die Schätzungen des Weißbuchs. 197

bb) Besondere Merkmale Die Christophersen-Gruppe hat betont, daß alle vorrangigen Projekte in den Bereichen Verkehr und Energie dem Rentabilitätstest standhalten müssen. 198 Sie sollten der Gesellschaft nach Berücksichtigung sowohl der volkswirtschaftlichen als auch der direkten Kosten und Nutzen einen substantiellen Gewinn bringen und positiv zur Wettbewerbsfähigkeit und technologischen Entwicklung der EU-Wirtschaft beitragen. Im Verkehrsbereich bedeutet dies allerdings nicht, daß die Projekte im engen finanziellen und betriebswirtschaftlichen Sinne rentabel sein müssen, d.h. daß die Einnahmen alle Kosten abdecken und den Investoren darüber hinaus - ohne staatliche Hilfen - einen angemessenen Ertrag bringen müssen. Diese Rentabilitätsprobe werden wahrscheinlich nur wenige Verkehrsvorhaben bestehen. l99

b) Bestehende Finanzierungsquellen

aa) Partnerschaften des öffentlichen und des privaten Sektors Nach dem Weißbuch muß der größte Teil der erforderlichen Finanzierungsmittel für TEN-Investitionen auf der Ebene der Mitgliedstaaten - über öffentliche Haushalte, öffentliche Unternehmen oder private Investoren und Kreditgeber - aufgebracht werden. 2(XI Angesichts der Besonderheiten von Verkehrs-

1% Mitteilung der Kommission "Finanzierung transeuropäischer Netze", SEK (94) 860 endg. v. 15.06.1994, S.3.

1"7

Mitteilung der Kommission, S.3.

I.K

Mitteilung der Kommission, S.4.

''''' Mitteilung der Kommission, S.4. 21"

Weißbuch zu Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, S.86 f.

III. Leitlinien

99

vorhaben wird der öffentliche Sektor wahrscheinlich der größte Geldgeber für Verkehrsvorhaben bleiben. 201 Angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte, durch die sich der Spielraum für direkte Beihilfen des Staates einschränkt, wird die rasche Durchführung der ehrgeizigen JEN-Programme auch im Verkehrs bereich unweigerlich Partnerschaften zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor erfordern. 202 Eine wesentliche Voraussetzung ist die Schaffung eines geeigneten rechtlichen und administrativen Rahmens für die Risikoteilung, gegebenenfalls mit der Übertragung des Rechts, transeuropäische Netze zu errichten, zu betreiben oder Eigentum an ihnen zu halten. 203 Zweitens müssen staatliche Hilfen gezielter so eingesetzt werden, daß eine Beteiligung des privaten Sektors erleichtert wird. Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Bereitstellung privater Finanzmittel von folgenden Faktoren abhängt: Die meisten privaten Investoren haben einen kürzeren Zeithorizont als der öffentliche Sektor?04 Die Erträge müssen den Risiken entsprechen. 20s Bei Infrastrukturvorhaben spielt für private Investoren möglicherweise nicht nur das betriebswirtschaftliche Risiko, sondern auch das mit der "public policy" verbundene Risiko eine Rolle (Gesetzesänderungen oder künftige Investitionsentscheidungen des öffentlichen Sektors, die sich auf die Rentabilität auswirken).206

bb) Öffentliche Haushalte Der Löwenanteil der Beihilfen in Form von Zuschüssen wird von den Mitgliedstaaten selbst kommen. Nach derzeitigen Planungen belaufen sich die Kostenanteile der Staaten auf 1/4 bis 1/3 der gesamten Investitionskosten. 207

201

ECIS, S.4.

202

Roth, S.5.

203

ECIS, S.8; Mitteilung der Kommission, S.5.

204

Mitteilung der Kommission, S.6.

205

ECIS, 5.14.

:W6

ECIS, S.17.

207 EP, Generaldirektion Wissenschaft, Verfasser: Franco Piodi, Finanzierung der TEN, Arbeitsdok. S.34; Mitteilung der Kommission, 5.6.

7"

100

C. Europäische Straßenplanung

Auch der Gemeinschaft kommt bei der finanziellen Förderung von TEN-Projekten von gemeinsamem Interesse eine besondere und ergänzende Rolle zu. Für das Unionsgebiet können nach Artikel 129 c des Vertrages Gemeinschaftsmittel insbesondere für Durchführbarkeitsstudien, Zinszuschüsse und Anleihebürgschaften in Anspruch genommen werden. TEN-Projekte in den förderungswürdigen Regionen werden außerdem aus dem EFRE und dem Kohäsionsfonds finanziert, sofern sie zu den weitergefaßten Zielen dieser Instrumente im Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhangs beitragen.208

cc) Sonstige Gemeinschaftsinstrumente

(1) EIB

Auf Gemeinschaftsebene wird die Europäische Investitionsbank (EIß) die größte einzelne Finanzierungsquelle für transeuropäische Netze sein?PJ Allein 1993 stellte sie über normale Darlehen sowie über ihre besondere befristete Darlehensfazilität Mittel in Höhe von rund 7,5 Mrd. ECU für Vorhaben von gemeinschaftlichem Interesse in den Bereichen Verkehr, Energie und Telekommunikation zur Verfügung. 2W Bei der Unterstützung von TEN-Projekten im allgemeinen und von vorrangigen Vorhaben im besonderen wird sie daher eine besonders wichtige Rolle spielen. Die Christophersen-Gruppe wurde bei den Finanzierungsaspekten von der EIß beraten. Weiterhin hat die EIß zugesagt, zur Unterstützung der transeuropäischen Netze größere Zusatzanstrengungen zu unternehmen. So könnten nach Auffassung der Bank insbesondere folgende sechs Angebote - vor allem für Verkehrsvorhaben - interessant sein: Zinsfinanzierung während der Bauphase, längere tilgungsfreie Zeiten,

2011

Me Donald, in: European Trends 1995, S.82.

Unwin, Financing the integration, S.3 ff; Me Donald, in: European Trends 1995, S.92; Roth, S.7; Em-Infonnationen, Sept. 1994, S.l f. 21)9

210

Mitteilung der Kommission, S.8.

III. Leitlinien

101

Gewährung sehr langer Laufzeiten, Festlegung der Darlehenszinsen vor Inanspruchnahme der Mittel, Kofinanzierung von Projektschulden und Rahmenkreditvereinbarungen. 211 Zusätzlich zu diesen speziellen Finanzierungsregelungen, die dazu beitragen dürften, weitere Finanzierungsquellen zu erschließen, hat die Bank angeboten, in Zusammenarbeit mit dem Projektträger und seinen Beratern, den Mitgliedstaaten, der Kommission und sonstigen Stellen bei der Strukturierung der vertraglichen und finanziellen Regelungen für vorrangige TEN-Projekte zu helfen. Die Rolle der EIB würde insbesondere darin bestehen, nach Wegen zu suchen, um die Bau- und Finanzierungskosten sowie die Risiken des Projekts möglichst gering zu halten. 2I2

(2) ElF

Auch der Europäische Investmentfonds (ElF), der im Juni 1994 ins Leben gerufen wurde,2I3 dürfte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Kapitalmarktmittel für diese Projekte zu mobilisieren. 214 Der ElF wird mit dem privaten Sektor sowie mit Partnerschaften des öffentlichen und des privaten Sektors im Hinblick auf Risikoallokation und -management zusammenarbeiten. Innerhalb der in seiner Satzung festgelegten finanziellen Grenzen soll der nach kaufmännischen Grundsätzen arbeitende ElF bei der Finanzierung von TEN als wichtiger Kofinanzierungspartner der EIB und anderer Finanzierungsinstitute fungieren.

c) Ergänzende Finanzierung

Nach Prüfung der derzeit verfügbaren Informationen über die Kosten der TEN-Programme ist die Kommission allerdings zu der Auffassung gelangt, daß die bestehenden Finanzierungsquellen nicht ausreichen werden, um den gesam-

211

Mitteilung der Kommission, S.8 f; Roth, S.7; EP Arbeitsdokument, S.32.

212

Roth, S.7; Mitteilung der Kommission, S.lO.

213

EIß-Informationen, Sept. 94, S.5.

214

Mitteilung der Kommission, S.lO; EP Arbeitsdokument, S.34.

c. Europäische Straßenplanung

102

ten Finanzierungsbedarf der TEN-Programme zu decken, wenn ein angemessenes Investitionstempo beibehalten werden sol1. 215 Verschiedene Finanzinstitute, die EIB und die Kommission haben sich über Finanzierungsmethoden, mit denen die Finanzierungslücke gefüllt werden könnte, Gedanken gemacht. So könnte mit Darlehen und Garantien einerseits und mit Inanspruchnahme von Haushaltsmitteln andererseits gearbeitet werden. 216

aa) Darlehen und Garantien Im großen und ganzen bestehen zwei Möglichkeiten: Spezielle Bürgschaften aus dem Gemeinschaftshaushalt. Sie könnten innerhalb bestimmter Grenzen für Darlehen für bestimmte Projekte bereitgestellt werden, die von der EJB kofinanziert werden. 217 Der Vertrag sieht hier die Möglichkeit von Gemeinschaftsbürgschaften vor. Für die Koordinierung mit dem ElF müßten besondere Regelungen geschaffen werden, darunter auch die Möglichkeit gemeinsamer Aktionen. 218 Mittelaufnahme der Gemeinschaft an den Kapitalmärkten zur Kofinanzierung von Kreditpaketen für einzelne vorrangige Projekte mit der EIß, wenn keine anderen Finanzierungsquellen zur Verfügung stehen. In diesem Falle würde die EIß den Erlös der Gemeinschaftsanleihen für die Gemeinschaft verwalten und parallel dazu eigene Anleihen für dieselben Projekte aufnehmen. Auch hierfür würden bestimmte Obergrenzen gelten. 219

bb) Inanspruchnahme von Haushaltsmitteln Neben der Anleihefinanzierung muß auch geprüft werden, welche Rolle die Instrumente des Gemeinschaftshaushalts bei der Förderung großangelegter Projekte von gemeinschaftlichem Interesse spielen könnten. 22o Die Mittel aus der

m Mitteilung der Kommission, S.10. 216

Me Donald, S.82; GelIner, S.534.

217

Mitteilung der Kommission, S.14; Roth, S.5; Unwin, Provision of infrastructure, S.16.

21R

Mitteilung der Kommission, S.13 ff.

219

Roth, S.5.

220

Mitteilung der Kommission, S.15.

III. Leitlinien

103

TEN-Haushaltslinie werden dabei ein wirksamer Katalysator sein. Sie liefern jedoch keine speziellen Hilfen zum Ausgleich der Kosten, die durch die Umweltauswirkungen in den Transitregionen entstehen. Bei strategischen Projekten von gemeinschaftlichem Interesse sollte eventuell ein Teil dieser Kosten von der Gemeinschaft übernommen werden, sofern dies im Rahmen der Vorausschau möglich ist.

D. Berücksichtigung der Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan Nachdem aufgezeigt wurde, wie einerseits die deutsche Bundesfernstraßenplanung bis heute gehandhabt wird, wie und von wem der Bedarfsplan aufgestellt und von welchen Faktoren er bestimmt wird, und wie andererseits die Infrastrukturplanung auf europäischer Ebene sich von reinen Überlegungen hin zur Festschreibung des Aufbaus transeuropäischer Netze in Titel xn EGV entwickelt hat, soll nun dargelegt werden, wie die auf Grund des Artikels 129 c I I.Strich EGV aufgestellten Leitlinien die Bedarfsplanung für Bundesfernstraßen in Deutschland konkret beeinflussen werden. Fraglich ist, ob und gegebenenfalls woraus sich die Berücksichtigung der Leitlinien für den Bedarfsplan ergibt und welchen Rang diese Belange in der Bedarfsplanung einnehmen werden. Konkret stellt sich die Frage, ob der Bedarfsplan die für Deutschland relevanten Projekte aus den Leitlinien übernehmen muß oder lediglich kann oder soll. Bei einer Übernahmepflicht würde sich die Frage anschließen, ob die EU die Durchsetzung erzwingen darf. Handelte es sich jedoch lediglich um Vorschläge zur Übernahme, wäre fraglich, welche Relevanz die Leitlinien überhaupt hätten. Es sollen zunächst Art. 129 b und Art. 129 c EGV auf ihre Bindungswirkung hin ausgelegt werden (A). Danach ist zu klären, ob eine Berücksichtigung der Leitlinien verfassungsrechtlich geboten ist (B), ob sie sich aus dem FStrG (C), dem ROG (D) oder aus anderen Gesetzen ergibt (E).

I. Auslegung von Art. 129 b/c EGV 1. Allgemeines zur Auslegung Angesichts der inzwischen jahrzehntelangen Praxis des Europäischen Gerichtshofes,1 der nach Art. 164 EGV (Art. 136 EAGV, Art. 31 EGKSV) der eigentli-

I Vgl. Zuleeg, EuR 1969, S.97 ff, für den die Auslegung noch einen wissenschaftlichen Streit darstellte.

I. Auslegung von Art. 129 b/c EGV

lOS

che autoritative Ausleger des europäischen Gemeinschaftsrechts ist, hat sich mittlerweile im Zusammenspiel völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Interpretationsziele eine eigene gemeinschaftsrechtliche Auslegung mit eigenständigen Prinzipien entwickelt. 2 Anknüpfungspunkt sind die bekannten Auslegungsarten. Die gemeinschaftsrechtliche Auslegung gewichtet sie jedoch in einer spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Weise und bringt zum Teil neuartige Auslegungsregeln mit ein. 3 So bedient sich der Gerichtshof grundsätzlich der klassischen Auslegungsmethoden, der wörtlichen, der systematischen, der historischen und der teleologhchen Auslegung. Bedingt durch die Umstände des Entstehens der Gemeinschaftsrechtsordnung und deren Zielsetzung, kommen die verschiedenen Auslegungsmethoden jedoch nicht in gleicher Weise zur Anwendung. 4 Global gesehen verwendet der EuGH beim Primärrecht eher objektive, beim Sefcundärrecht eher subjektive Auslegungsmethoden. 5 So greift das Gericht beim Primärrecht selten auf die Entstehungsgeschichte und den Wortlaut, sondern meistens nur auf die Ziele und die Systematik des Vertrages zurück. Dabei werden auch diese Ziele nicht der Entstehungsgeschichte, sondern dem Vertrag entnommen bzw. es werden die Ziele anvisiert, die die Vertragsschöpfer vernünftigerweise mit einer bestimmten Vorschrift verfolgen wollten. Auch beim Sekundärrecht greift der EuGH meistens nur auf die Ziele zurück; überwiegend werden dabei die Ziele akzeptiert, welche ausweislich der Begründung des Rechtsaktes der Rat oder die Kommission verfolgen wollten. 6 Darüber hinaus kommen gemeinschaftsspezifische Elemente zum Tragen. Ausgehend von der dynamischen Natur der Gemeinschaft kommt der Interpretation, die sich am "effet utile" der Norm mißt, besondere Relevanz zu. 7 in der Bestimmung von Begriffsinhalten einzelner Rechtsterrnini ist zu beachten, daß sie sich nicht zwangsläufig mit den aus der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung bekannten Rechtsterrnini decken. Abgesehen davon, daß die Definition desselben Begriffs in den verschiedenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unterschiedlich ausfallen können, ist es nicht Zweck des Gemein-

2

Oppermann, S.216; Bleckmann, NJW 1982, S.ll77 ff.

J

(Jppermann, S.216.

• Erhard, S.85; Bleckmann, NJW 1982, S.1178; Bleckmann, Studien, S.21. 5

Bleckmann, NJW 1982, S.ll78.

• Ders.• S.1178. 7

Erhard, S.85.

106

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

schaftsrechts, Begriffsinhalte der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu rezipieren, sondern die in der Natur des Gemeinschaftsrechts begründeten und an dessen Zielen orientierten Definitionen zu suchen. Die im Gemeinschaftsrecht anzuwendenden Begriffe sind als autonome Rechtsbegriffe zu verstehen. Nur so kann deren einheitliche Geltung in der gesamten Gemeinschaft sichergestellt werden. 8 Da es sich bei den Art. 129 bund c EGV um neue Bestimmungen handelt und es noch keine einschlägigen Urteile und Präzedenzfälle gibt, muß die Auslegung im wesentlichen auf einer Textanalyse im Lichte der übrigen relevanten Bestimmungen des EGV beruhen.

2. Wortlaut-Auslegung a) Allgemein Im Gemeinschaftsrecht gilt wie im Völker- und innerstaatlichen Recht ~ls erstes Prinzip, daß der Text in seinem Wortlaut zunächst einmal aus sich selbst heraus auszulegen ist. 9 Der normale und natürliche Sinn der Worte in ihrem unmittelbaren Satzzusammenhang bzw. Textzusammenhang ist zu erforschen. Eine Besonderheit des Gemeinschaftsrechts ist es, daß die Rechtstexte in allen Amtssprachen der Gemeinschaft verbindlich sind. Bei Zweifeln oder Unklarheiten sind daher die anderen sprachlichen Fassungen der Norm heranzuziehen. 1O Keinesfalls darf der Auslegende lediglich auf den von ihm aus dem nationalen Recht vertrauten Begriffsinhalt zurückgreifen, denn wie das Abstellen auf eine einzige sprachliche Fassung widerspricht dieses Vorgehen dem Erfordernis einheitlicher Auslegung des Gemeinschaftsrechts. 11 Zu prüfen ist demnach, ob sich aus dem Wortlaut der Art. 129 b/c EGV heraus ergibt, inwiefern die Leitlinien die Mitgliedstaaten zwangsläufig binden

• Erhard, S.86. 9 Oppermann, S.217; Erhard, S.86; BeutlerlBieber, S.222 f; Bleckmann, Europarecht, S.l25 f; Zu leeg, EuR 1969, S.99. 10 Erhard, S.86; Bleckmann, NJW 1982, S.1180. 11

BeutlerlBieber, S.223.

I. Auslegung von Art. 129 b/c EGV

107

und in ihnen konkrete Vorhaben festgelegt werden, oder ob sie sich darauf beschränken, einen allgemeinen Bezugsrahmen zu bieten.

b) Art. 129 b I EGV: Allgemeine Zielsetzung In Art. 129 b I EGV wird die Zielsetzung festgelegt: Die Gemeinschaft muß zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze in drei Infrastrukturbereichen beitragen, um einen Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarktes und zur Siärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts zu leisten. Es soll sich somit um einen "Beitrag" handeln, wie auch die inoffizielle Überschrift verdeutlicht. Unter Beitrag versteht der Duden einen Anteil, mit dem sich jemand an etwas beteiligt. 12 In Art. 129 b EGV wird nicht von einer rechtlich durchsetzbaren Aufforderung gesprochen, sondern lediglich von der Möglichkeit, eine Hilfestellung zum Aufbau der transeuropäischen Netze zu geben. Um zu verdeutlichen, daß es sich lediglich um eine Hilfestellung handelt, spricht der Art. 129 b I EGV gleich zweimal von "beitragen": einmal, "um einen Beitrag zu leisten", und das andere Mal "trägt die Gemeinschaft bei". Art. 129 b I EGV deutet auf Grund seiner Wortwahl somit darauf hin, daß keine konkrete Festlegung erzwingbarer Projekte angestrebt wurde, sondern lediglich eine Unterstützung der Mitgliedstaaten seitens der EU gewünscht ist. 13 Im englischen Text wird der Begriff "Beitrag" umschrieben mit "to help achieve". Der Begriff "trägt bei" ist mit "shall contribute" übersetzt. Die englische Wortwahl bestätigt die Annahme der lediglich helfenden Anteilnahme. Im Begriff des "help achieve" (= "helfen zu erreichen") wird das helfende Element besonders deutlich. Aber auch das "shall contribute" (= "soll beitragen") ist sehr stark am "beitragen" der deutschen Fassung angelehnt - sogar noch geschwächt, weil es durch das Hilfsverb "shall" (= "möge, soll") eingeschränkt wird, und nicht etwa eine Befehlsform enthält (z.B. "must contribute"). Der Vergleich mit dem englischen Rechtstext verdeutlicht somit nur das Ergebnis, daß die Gemeinschaft lediglich helfend, nicht aber bestimmend in den Prozeß des Aufbaus der transeuropäischen Netze eingreifen soll.

12

Duden, Das Bedeutungswörterbuch.

n

Rambow, S.859; C/oos, S.297.

108

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

c) Art. 129 b II EGV: Präzisierende Zielsetzung

Art. 129 b 11 EGV enthält eine Präzisierung dahingehend, daß die Tätigkeit der Gemeinschaft auf die Förderung des Verbundes und der Interoperabilität der einzelstaatlichen Netze sowie den Zugang zu diesen Netzen abzielen muß. Unter Förderung ist eine Unterstützung beim Vorankommen zu verstehen. 14 Fördern heißt wiederum Hilfestellung geben. Ein Erzwingen von Maßnahmen kann nicht darunter verstanden werden. Auch die Formulierung "auf etwas abzielen" deutet darauf hin, daß ein erstrebenswerter Sachverhalt durch einen allgemeinen Rahmen erreicht werden soll, nicht jedoch durch Verpflichtungen. 1s Der flankierende Charakter der Tätigkeit der Gemeinschaft wird noch durch Art. 3 Buchstabe n EGV bestätigt, der diese auf die "Förderung des Auf- und Ausbaus der transeuropäischen Netze" beschränkt.

d) Art. 129 c 1 EGV: Maßnahmen In Art. 129 c I EGV werden die Maßnahmen genannt, die die Gemeinschaft zur Erreichung ihrer Ziele ergreifen kann: Es handelt sich um die Aufstellung von Leitlinien, die drei Aspekte (Ziele, Prioritäten und Grundzüge) abdecken und Vorhaben von gemeinsamem Interesse ausweisen müssen (erster Gedankenstrich), um spezifische Maßnahmen, die im Hinblick auf die Interoperabilität der Netze erforderlich sind (zweiter Gedankenstrich), und um die Unterstützung der Finanzierung der Vorhaben von gemeinsamem Interesse (dritter Gedankenstrich).

aa) Leitlinie als ungekennzeichneter Rechtsakt Der Begriff Leitlinie ist nicht näher definiert. 16 Er könnte demnach ein ungekennzeichneter Rechtsakt sein. Als ungekennzeichneten Rechtsakt bezeichnet

14

Duden, Das Bedeutungswörterbuch.

U

Vgl. Stellungnahme des BMV v. 07.04.1992 zum Vorschlag der Kommission über Leitlinien;

Vinois, S.86. 16

Vgl. z.B. Oppermann, S.l72 ff; Beutler/Bieber, S.178 ff; Gauwei/er, S.52 ff.

I. Auslegung von Art. 129 b/c EGV

109

man diejenigen Rechtsakte, für die im primären Gemeinschaftsrecht nicht eine der genannten Formen des sekundären Gemeinschaftsrechts (Art. 189 EGV) vorgeschrieben ist. 17 Da Art. 129 b 11 EGV ausdrücklich nicht die Schaffung von Richtlinien, Verordnungen oder Entscheidungen vorsieht, sondern explizit Leitlinien beabsichtigt, handelt es sich hierbei um einen ungekennzeichneten Rechtsakt. Umstritten ist bei den ungekennzeichneten Rechtsakten, ob sie einem in Art. 189 EGV genannten herkömmlichen Rechsakt zuzurechnen sind oder ob es sich um eigenständige Formen des sekundären Gemeinschaftsrechts handelt. Dieses korrespondiert mit der Frage, ob die Gemeinschaftsorgane in den Fällen, in denen das primäre Gemeinschaftsrecht ungekennzeichnete Rechtshandlungen vorsieht, eine der in Art. 189 EGV genannten Arten des sekundären Gemein· schaftsrechts verwenden dürfen oder ob ihnen dieses wegen des Prinzips der begrenzten Ermächtigung 1R verwehrt ist. Rechtspolitisch sollte der jeweils ersten Alternative der Vorzug gegeben werden und zwar aus Gründen der Rechtssicherheit. 19 Der Individualrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht in Art. 173 11 EGV (Art. 33 11 EGKSV, Art. 146 11 EAGV) sieht nur Klagen gegen Verordnungen und individuelle Entscheidun· gen vor. Würde man ungekennzeichnete Rechtshandlungen als eigenständige Art des sekundären Gemeinschaftsrechts einstufen, entfiele gegen sie jeder Individualrechtsschutz. Daher sollten Bestimmungen des primären Gemein· schaftsrechts, die solche ungekennzeichneten Rechtshandlungen vorsehen, bzw. ungekennzeichnete Rechtshandlungen selbst immer dahingehend interpretiert werden, welcher Art des sekundären Gemeinschaftsrechts sie zuzuordnen sind. 20 Dies ist allerdings dort nicht notwendig, wo keine subjektiven Rechte berührt sind. Das Argument der Sicherung des Individualrechtsschutzes kommt dann nicht mehr zum Tragen. Fraglich ist demnach, ob die Leitlinien des Art. 129 d EGV subjektive Rechte berühren. Wäre das der Fall, sollte man sie mit Verordnungen nach Art. 189 EGV gleichsetzen. Sollten die Leitlinien lediglich einen Bezugsrahmen darstellen, nach dem sich die Mitgliedstaaten mit ihren nationalen Bedarfsplänen

'7

Schweitzer, S.lIO.

'8 Art. E EUV und Art. 3 b I EGV; vgl. auch Streinz, S.141.

10

So auch Schweitzer, S.I 10.

20

Schweitzer, S.1I0.

110

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

orientieren sollten, wäre keine Durchgriffsmöglichkeit und somit auch keine Berührung von subjektiven Rechten gegeben. Aber selbst, wenn es sich bei den Leitlinien um rechtlich durchsetzbare Anordnungen handelte, wären davon nur die Mitgliedstaaten betroffen. Ähnlich wie beim deutschen Bedarfsplan wäre dann nur von einer Verbindlichkeit für nachgeschaltete Verfahren und Pläne die Rede. Ein genügend großer Bezug für Individuen wäre jedoch noch nicht gegeben, da die Leitlinien so grob planen, daß subjektive Rechte noch nicht verletzt sein könnten. Da keine mögliche subjektive Rechtsverletzung vorliegt, kann die Leitlinie nicht einer Verordnung gleichgesetzt werden. Somit handelt es sich bei den Leitlinien um ungekennzeichnete Rechtsakte, die keinem Rechtsakt nach Art. 189 EGV gleichgesetzt werden müssen. Fraglich ist nun jedoch, wie die Leitlinien dann zu verstehen sind und was sie bewirken.

bb) Begrifflichkeit der Leitlinie Das Wort ,,Leitlinie" setzt eine gewisse Allgemeinheit voraus. Ein Aspekt, der von den Leitlinien abgedeckt werden muß, ist die Festlegung der Grundzüge der in Betracht gezogenen Aktionen. Es geht also um die Festlegung eines allgemeinen Bezugsrahmens, in den sich die spezifischen Maßnahmen einfügen müssen (2. und 3. Gedankenstrich). Die Formulierung, wonach Vorhaben von gemeinsamem Interesse "ausgewiesen werden", impliziert, daß es sich um ausreichend präzise beschriebene Vorhaben handelt, damit sie für die Anwendung des drittten Gedankenstrichs, der auf diese Vorhaben von gemeinsamem Interesse verweist, als Grundlage dienen können. Eine Beschränkung der ,,Leitlinien" auf eine allgemeine und abstrakte Beschreibung ist daher nicht möglich. Sie müssen ausreichend konkrete Angaben enthalten, die gegebenenfalls als Bezugspunkte für Gemeinschaftsaktionen dienen können, die auf eine etwaige technische Harmonisierung oder eine Unterstützung der Finanzierung abzielen. 21 Ausgeschlossen ist jedoch auch, daß in den ,,Leitlinien" präzise und durchführbare Einzelmaßnahmen ausgewiesen, das heißt konkrete Vorhaben bestimmt

21

Rambow. S.862.

I. Auslegung von Art. 129 b/c EGV

III

werden, im Sinne einer Definition besonders herzustellender Verbindungen, ihrer genauen geographischen Lage, von Fristen für die Durchführung, ihrer Finanzierung, usw., denn dafür bräuchte die Gemeinschaft zum Beispiel die Verfügungsmöglichkeit über mehr finanzielle Mittel. Nur wenn sie finanziell autonom wäre, könnte sie den Mitgliedsstaaten Fristen für die Durchführung von Projekten setzen. In der momentanen Lage werden die Straßenprojekte zumal in Deutschland - finanziell zum ganz überwiegenden Teil vom jeweiligen Mitgliedstaat selbst getragen. Die Unterstützung seitens der EU beschränkt sich auf geringe Posten. 22 Die Leitlinie als Bestimmung von ganz konkreten Vorhaben zu betrachten, würde auch daran scheitern, daß die Festlegung der genauen geographischen Lage die Möglichkeiten der Gemeinschaft sprengen würde und vor allem die Beteiligung der von den Projekten individuell Betroffenen aushebeIn würde. Man sieht daran, daß die Leitlinien nicht die Ausweisung von konkreten Vorhaben beinhalten kann. Ein Arbeitsdokument des EP spricht von dem der Leitlinie immanenten Orientierungscharakter. 23 Scherler sieht den besonderen neuen Ansatz der Leitlinien darin, daß der Union die Möglichkeit gegeben wird, eigenständige zusammenhängende Visionen über die Gestaltung des Gemeinschaftsraumes zu entwerfen. Die Leitlinien werden sich demnach nicht nur darauf beschränken, nationale Planungen wiederzugeben. Allerdings bedeute deren Erstellung lediglich eine Selbstbindung der Gemeinschaftsorgane und sei in ihrer Rechtswirkung für die Mitgliedstaaten an der Grenze zwischen Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit anzusiedeln?4 Fraglich ist, ob der Vergleich mit dem englischen Text weiterhilft. Dort wird für. Leitlinien der Begriff "guidelines" verwendet. Übersetzt bedeutet guideline Richtlinie. Dies darf aber nicht mit den Richtlinien im Sinne des Art. 189 EGV verwechselt werden, da diese im Englischen "issue directives" heißen. Guideline ist ein dem englischen EU-Wortschatz fremder und somit auszulegender Begriff. Hier stößt man auf die gleichen Probleme wie im Deutschen. Der Vergleich mit dem englischen Text hilft somit nicht weiter.

22

Vgl. Finanzierung der TEN, S.97 ff.

EP Generaldirektion Wissenschaft, Arbeitsdokument ,,Finanzierung transeuropäischer Verkehrsnetze", S.7. 23

24

Scherier, S.l41.

112

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

Grundsätzlich ist die Leitlinie somit eine atypische Handlungsform, da die in den Leitlinien erstellten Grundzüge erst durch Gemeinschaftsrechtsakte und einzelstaatliche Maßnahmen umgesetzt werden, um wirksam zu sein. Ursprünglich wurde eine Klärung der Rechtsnatur und der Verbindlichkeit von der im Vertrag von Maastricht für 1996 angekündigte Neubewertung der gemeinschaftlichen Rechtsaktformen erhofft. 25 Darauf wird nun allerdings aller Voraussicht nach verzichtet werden 26 , so daß es Rechtsprechung und Lehre überlassen bleibt, den Begriff der Leitlinie zu füllen. Es deutet somit darauf hin, daß mit den Leitlinien keine verpflichtenden Beschlüsse gemeint sind. 27 Es handelt es sich demgemäß nur um Orientierungen, denen allerdings eine irgendwie geartete politische Verbindlichkeit zukommen muß, weil sie andernfalls wertlos wären?8

e) Art. 129 c JI EGV: Koordinierungsverpjlichtung

In Art. 129 c II EGV wird präzisiert, daß die Mitgliedstaaten in Verbindung mit der Kommission die einzelstaatlichen Politiken, die sich auf die Verwirklichung der transeuropäischen Netze auswirken können, untereinander koordinieren. Die Tatsache, daß die Handelnden - die Koordinierenden - die Mitgliedstaaten sind und die Kommission nur in Verbindung mit ihnen tätig wird, weist abermals darauf hin, daß die Gemeinschaftsmaßnahmen lediglich eine Unterstützung von Tätigkeiten auf einzelstaatlicher Ebene darstellen. 29 f) Zusammenfassung

Die Wortlaut-Auslegung der Art. 129 b/c EGV kommt demnach zu dem Ergebnis, daß es sich bei der Beteiligung der Gemeinschaft beim Aufbau der

2.~ ,,Erklärung zur Rangordnung der Rechtsakte der Gemeinschaft" in den Schlußakten des Vertrages über die EU v. 07.02.1992; Epiney, AlP 94, S.993 ff; Scherler, S.142. 26 Schmuck, S.ll ff; Brok, Europäische Zeitung Nr.1I1996, S.5; Schäfer, Europäische Zeitung Nr.31l996, S.l.

27

Rambow, S.861; Schweitzer, S.1lO.

2lI

Rambow, S.859; Cloos, S.299.

2. So ohne Begründung Geiger, Art. 129 c, Rn.5.

I. Auslegung von Art. 129 b/c EGV

113

transeuropäischen Netze um eine helfende Anteilnahme handelt, die mittels der Leitlinien präzisiert, aber nicht angeordnet wird.

3. Systematische Auslegung a) Allgemein Die systematische Auslegung versucht den Sinn der Norm aus der Systematik des Vertrages heraus zu finden. Diese sowohl völkerrechtlicher wie verfassungsrechtlicher Interpretation bekannte Methode wird vom Gerichtshof ständig praktiziert. 30 Systematische Auslegung kann sich auf verschiedenen Niveaus abspielen. Sie kann sich auf die Struktur der einzelnen Vorschrift, die des Abschnitts, in dem sie steht, oder diejenige des gesamten Rechtsaktes bzw. des gesamten Vertrages beziehen. 3 ! Eine Besonderheit im Europarecht ist, daß der EuGH bei dieser Auslegung aus dem Zusammenhang der Verträge gerne auf eine Reihe allgemeiner Prinzipien in den Verträgen zurückgreift, denen er jeweils gerecht werden will. Diese allgemeinen Grundsätze sind vor allem in den Prinzipien der Gleicheit, Freiheit, Solidarität und Einheit der Verträge zu sehenY

b) Verhältnis von Titel XII EGV zu anderen Titeln Fraglich ist somit, ob die Systematik des Titels XII EGV Aufschluß darüber gibt, ob es sich bei den Leitlinien nur um einen allgemeinen Bezugsrahmen handelt oder ob sie darüber hinaus Verbindlichkeiten aufstellen wollen. Die Systematik innerhalb des Titel XII EGV läßt hierüber keinen Schluß zu. Zu fragen ist jedoch, wie sich der durch den Vertrag von Maastricht neu eingefügte Titel XII im Vergleich zu den übrigen neuen Titeln verhält. Zu diesen neuen gehören die Bestimmungen des Titels VllI Kapitel 3 (Allgemeine und berufliche Bildung und Jugend), des Titels IX (Kultur), des Titels X (Gesundheitswesen) und des Titels XI (Verbraucherschutz) EGV.

J('

EuGHE 1994.417 ff - RS 101/63. st.Rspr.

31

BeutlerlBieber. S.223; Bleckmann. Studien. S.41; Zuleeg. EuR 1969. S.102.

32

Oppermann. S.217; Bleckmann. NVwZ 1993. S.826 f.

8 Gottschewski

114

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

Diese durch den Vertrag über die EU aufgenommenen Bestimmungen übertragen ausnahmslos der Gemeinschaft neue Befugnisse. Eine weitere Gemeinsamkeit haben sie in ihrem Aufbau und Inhalt: Die Gemeinschaft muß sich auf die Förderung und Unterstützung der einzelstaatlichen Politiken beschränken. Vergleicht man die Systematik des Titels XII mit den übrigen neu eingefügten Titeln, wird deutlich, daß alle Titel trotz der Übertragung der neuen Befugnisse an die Gemeinschaft keine durchsetzbaren Rechtspositionen für die Gemeinschaft statuieren. Fraglich ist darüber hinaus, ob die Abtrennung der Art. 129 b-d EGV vom eigentlichen Verkehrstitel (Art. 74-84) Aufschluß über die Frage nach der Verbindlichkeit gibt. 33 Zu überlegen ist, warum der Titel, der sich mit dem Aufbau von Verkehrsnetzen beschäftigt, nicht direkt an den Verkehrsteil angeschlossen wurde. Mit der Feststellung, daß sich Titel XII lediglich um Verkehrsinfrastruktur kümmert, würde man ihm aber nicht gerecht werden. Vielmehr handelt Titel XII ebenso von Telekommunikations- und Energienetzen. Diese Themen spielen in den Bildungs- und Wirtschafts- (lndustrie-) bereich hinein, so daß eine Ansiedlung des Titels insofern auch in deren Nähe gerechtfertigt wäre. Darüber hinaus geht das Ziel des Titels weiter, daß nämlich der Binnenmarkt (Art. 7 a EGV) bzw. der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt (Art. 130 a EGV) gefördert werden soll. Der Aufbau der transeuropäischen Netze stellt somit eine übergreifende Thematik dar, was erklärt, daß die Artikel 129 b-d EGV nicht dem Titel IV EGV angegliedert wurden. Zur Frage der Verbindlichkeit der Leitlinien trägt die systematische Abtrennung der Art. 129 b-d vom Titel IV EGV demnach nicht bei.

c) Vergleich zu vorangegangener Entscheidung des Rates

Im Jahre 1992 hatte die Kommission einen Vorschlag für die Entscheidung des Rates über die Schaffung eines transeuropäischen Straßennetzes unterbreitet. 34 Dieser stützte sich damals noch auf den Art. 75 EGV, stellte aber den

33 Erdmenger weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß darauf geachtet werden muß, daß der Zusammenhang mit den übrigen Aspekten der GVP nicht verloren geht. Erdmenger, Jahrbuch 1991/92, S.196. 34

KOM (92)231 endg.

I. Auslegung von Art. 129 b/c EOV

115

Vorläufer der TEN dar. Es hieß dort in Art. 4: "verleiht dem Schema ... einen hinweisenden Charakter, indem es die Mitgliedstaaten ... darin bestärkt, die Vorhaben durchzuführen ... Sie zieht keinerlei finanzielle Verpflichtungen nach sich". Als Vorläufer zu den Leitlinien der TEN wurde diesem Schema explizit nur hinweisender Charakter verliehen. Da davon auszugehen ist, daß die Leitlinien an die vorangegangenen Schritte anknüpfen wollen, ist zu vermuten, daß im Hinblick auf die Verbindlichkeit des Schemas - nun Leitlinien - keine Veranderung auftreten sollte. Es ist zu folgern, daß auch die Leitlinien lediglich hinweisenden Charakter haben sollten. 3s

d) Zusammenfassung

Die Systematik des Vertrages im Hinblick auf Titel XII EOV und die anderen neu eingefügten Titel bzw. den Titel IV gibt ebenso wenig Aufschluß darüber, daß eine Verbindlichkeit statuiert werden sollte wie der Vergleich zwischen Art. 129 b/c EGV mit dem den Leitlinien vorangegangenen Schema. Vielmehr ist auch hier das Ergebnis, daß die Leitlinien nur einen allgemeinen Bezugsrahmen zur Förderung der angestrebten Situation darstellen.

4. Historische Auslegung Die historische Auslegungsmethode kommt bei der Ergründung des GemeinsCilaftsrechts vergleichsweise selten zur Anwendung. 36 Das liegt einerseits daran, daß die Verhandlungsprotokolle (travaux prt!paratoires) zu den Gründungsverträgen wie auch zu den Beitrittsverträgen nicht veröffentlicht sind und deshalb als Erkenntnisquelle ausscheiden. Für die Verhandlungsprotokolle zum EU-Vertrag gilt das gleiche. Zum anderen sind die Verträge Ergebnis eines politischen Kompromisses, so daß es schwer ist, den authentischen Willen des historischen Gesetzgebers zu ermitteln. 37 Ein authentischer Wille als solcher

J~ So auch Bundesministerium für Verkehr in Stellungnahme zum Vorschlag der Kommission v. 07.04.1992, S.2; EP Generaldirektion Wissenschaft, Arbeitsdokument "Die Finanzierung der transeuropäischen Netze", S.6.

S'

J6

Erhard, S.86 f; BeutlerlBieber, S.224; Oppermann, S.219; Blecknumn, NVwZ 1993, S.825.

J7

Erhard, S.87.

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

116

ist zumal selten vorhanden. Vielmehr handelt es sich um teilweise gegensätzliche Absichten der Verhandlungsparteien, wobei man noch die Absichten der Unterhändler, die der verantwortlichen Minister sowie die der ratifizierenden Parlamente unterscheiden könnte. 38 Für das abgeleitete Gemeinschaftsrecht gelten diese Argumente nur bedingt. Teilweise werden Vorarbeiten zu den Rechtsakten veröffentlicht. 39 Die Verhandlungsprotokolle zur Einführung des Titels XII EGV sind nicht veröffentlicht worden. Es existiert somit keine Grundlage, um die Art. 129 b/c EGV historisch auslegen zu können.

5. Teleologische Auslegung

a) Allgemein aa) Vertrags ziele Der nach dem Sinn und Zweck fragenden Interpretationsmethode kommt im Gemeinschaftsrecht eine herausragende Bedeutung zu. Diese Methode ist deshalb so wichtig, weil sie über die abstrakte Suche nach Sinn und Zweck der einzelnen Norm eine weitere Dimension in den Auslegungsvorgang miteinflieBen läßt, indem die Vertragsziele zum Maßstab des Organhandelns werden. 40 Die Vertragsziele in ihrer durch die Art. 2, 3 und 3 a EGV objektivierten Form sind das stets wiederkehrende Leitmotiv bei der Anwendung des Gemeinschaftrechts.41 Es ist auch möglich, daß sich die Vertragsziele aus dem jeweiligen Regelungszusammenhang des Vertrages ergeben. 42 Gemäß Art. 4 EGV wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auch der Gerichtshof bei seiner Rechtsprechung zu den Organen gehört, die die in den Art. 2, 3 und 3 a EGV genannten Aufgaben zu erfüllen haben.

3ft

BeutlerlBieber, S.224.

39

Erhard, S.87 .

.., Oppermann, S.218; Erhard, S.87; Beutler/Bieber, S.224; Bleckmann, Studien, S.21 ff. 41 Bleckmann, Studien, S.21; Erdmenger, EWGV-Kommentar, 4.Aufl., Vorbm. zu Art. 74-84, Rn.15,der klarstellt, daß die Art. 74 ffEGV die Art. 2/3 EGV nicht verdrängen, sondern ausfüllen und ergänzen sollen.

42

Erhard, S.87; Bleckmann, NJW 1982, S.1180.

117

I. Auslegung von Art. 129 b/c EGV

bb) Lehre von den "implied-powers" Im Rahmen der teleologischen Methode bedient sich der Gerichtshof gerne bestimmter Auslegungsmethoden und -lehren, die der Sinnauslegung nähere Legitimation verleihen, sie aber zugleich auch näher konkretisieren und damit berechenbar machen. 43 Hierzu wird die Lehre von den "implied powers" gezählt, wonach den Gemeinschaftsorganen diejenigen Kompetenzen zugebilligt werden, derer sie für die Erfüllung ihrer vertraglich übertragenen Aufgaben bedürfen. 44 Die Lehre der "implied powers" ist die praktische Ergänzung auf der Tätigkeitsebene zu den abstrakt formulierten Kompetenzübertragungen und Zielsetzungen. Das für die Gemeinschaft wichtige Rechtsprinzip ist als Prinzip der Funktionsfahigkeit der Gemeinschaft bezeichnet worden. 45

cc) Effektivitätsgrundsatz - "effet utile" Auch der Effektivitätsgrundsatz ("effet utile"), wonach die Norm "ergiebig", mit "größter Nutzwirkung" , auszulegen und auszuschöpfen ist, ist gerade im EU-Recht wegen der Bezugnahmemöglichkeiten auf die allgemeinen Vertragsziele von großer Bedeutung.46 Gleichgültig ob man diese "dynamische" Auslegung als eine gemeinschaftsrechtsspezifische Auslegungsmethode oder als die teleologische Interpretation in ihrer gemeinschaftsrechtIichen Ausprägung betrachtet, ist sie im Endeffekt häufig die Ursache für den konkreten Fortschritt in der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts. Der Gerichtshof versucht, der "nützlichen Wirkung" einer Norm, sei es einer des primären oder des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, Geltung zu verschaffen, da er nur so der Dynamik des Gemeinschaftsrechts in der Rechtsanwendung gerecht zu werden glaubt. 47 43 Diese Auslegungsfiguren stammen teils aus dem Völkerrecht, teils auch dem innerstaatlichen Recht, vgl. Oppermann, S.217 f .

.. EuGH-Urteil Rs. 281/85, EuGHE 1987,S.3203; Erhard, S.87/88. 4S

lpsen in: Scheitzer/Hummer, S.201; Erhard, S.88; Zu leeg, EuR 1969, S.107 .

... EuGHE 1958/56, 312 - Rs. 8/55 - "Fedechar", sI. Rspr.: EuGHE 1974, 33 S.440; EuGHE 1980,54; EuGHE 1980, 130; Bleckmann, NJW 1982, S.1I80. 41

Erhard, S.88.

= NJW

1974,

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

118

b) Art. 129 b/c EGV

Fraglich ist nunmehr, ob Sinn und Zweck der Art. 129 b/c EGV Aufschluß über die Frage geben, ob die aufzustellenden Leitlinien lediglich einen Bezugsrahmen darstellen oder konkrete Vorgaben mit Verbindlichkeit für die nationalen Straßenkonzepte darstellen.

aa) Vertragsziele Zunächst sei das den Art. 129 b-d EGV zugrundeliegende Vertragsziel zu erläutern. Mit den Artikeln 129 b-d EGV korrespondiert direkt der durch Maastricht neu eingefügte Art. 3 n EGV, der die Förderung des Auf- und Ausbaus transeuropäischer Netze vorsieht. Der Wortlaut des Art. 3 n EGV gleicht dem des Art. 129 b 11 EGV. Da Art. 129 b EGV die Norm ist, die Art. 3 n ausfüllen soll,48 kann davon ausgegangen werden, daß beide Normen gleich ausgelegt werden sollen. Wie oben schon dargelegt,49 ist aus der Formulierung der Förderung lediglich die Hilfestellung der Gemeinschaft gegenüber den Netzen der Mitgliedstaaten herauszulesen. Eine darüber hinausgehende Interpretation in Richtung Auferlegung von Verbindlichkeiten würde die Interpretation des Wortlauts sprengen. Zieht man somit Art. 3 n EGV zu Rate, wird die Bedeutung des Art. 129 b 11 EGV hinsichtlich der reinen Förderung nur verstärkt. Zu beachten ist aber auch das Vertragsziel des Art. 3 f EGV, der eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet des Verkehrs vorsieht. Diese Zielvorgabe besteht im Vertrag seit der Gründung der EWG und war Grundlage für die Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik. so Auf sie stützte man sich, als es um Liberalisierungs- und Harmonisierungsfragen im Verkehrsmarkt ging. s1

4

Geiger, Art. 3, Rn.2.

09

S.108.

Beim alten Punkt 3 e (Verkehrspolitik) wurde durch den EUV "die Einführung einer" gestrichen und ist nun in 3 f aufgeführt, vgl. LangguthILenz, Art. 3, Rn.2. lO

SI Blanke, S.98; Button, S.29; E/sholz, ZVerkWiss. 1994, S.30; Stabenow, Europäische Verkehrsintegration, S.60 ff; Krauss, Int.Verkehrswesen 1970, S.95; Hummer, Gemeinsame Verkehrspolitik, S.98; Erdmenger, EWGV-Kommentar, 4.Aufl., Vorbm.zu Art. 74-84, Rn.4.

1. Auslegung von Art. 129 b/c EGV

119

Ohne Zweifel gehört die Infrastrukturpolitik allgemein zum Gebiet der Verkehrspolitik. Fraglich ist jedoch, ob die InfrastruktUIpolitik deshalb aus Art. 3 f EGV herausgenommen werden muß, weil das Vertragsziel Art. 3 n EGV sich genau mit diesem beschäftigt. Da der Gesetzgeber dem Aufbau der TEN eine solche enorme Bedeutung zugemessen hat, daß er ihm sowohl Art. 3 n EGV als auch Art. 129 b-d EGV gewidmet hat, erschiene es unsinnig, Infrastrukturpolitikfragen wie die der Leitlinien unter der allgemeinen Verkehrsnorm des Art. 3 f EGV zu fassen. Aber auch selbst wenn man die Leitlinien unter Art. 3 f EGV als Teil der gemeinsamen Verkehrspolitik subsumieren würde, wäre dies noch kein Beleg dafür, daß die Leitlinien zwangsläufig zu verbindlichen Vorgaben für die Infrastrukturplanung für die Mitgliedstaaten würden. Dies wäre nur der Fall, wenn die gemeinsame Verkehrspolitik soweit gefaßt würde, daß diese die gemeinsame Infrastrukturpolitik mitumfaßte, und sich aus der Aufforderung nach einer gemeinsamen Verkehrspolitik ableiten ließe, daß die aus ihr resultierenden Rechtsakte der Gemeinschaft verbindlich für die Mitgliedstaaten wären. Dann wären nämlich auch die Leitlinien verbindlich. Mit der Fragestellung, ob die gemeinsame Verkehrspolitik die gemeinsame Infrastrukturpolitik beinhaltet, haben sich seit 1957 immer wieder Verkehrswissenschaftler befaßt. So haben Pösel und Lenz sich dafür ausgesprochen, daß die europäische gemeinsame Verkehrspolitik auch die Infrastrukturpolitik umfassen soll,52 bzw. daß die Infrastrukturplanung ein wesentlicher Bestandteil der gemeinsamen Verkehrspolitik sein soll.53 Darüber hinaus gibt es diverse Verkehrswissenschaftler, die die gemeinschaftliche Dimension der Infrastrukturplanung erkennen, jedoch sich schwertun, sie aus Art. 3 f bzw. Art. 74 ff EGV ableiten zu wollen. 54 Deutlicher wird Kirchhof, der in Art. 74 EGV keine Kompetenz für eine europäische Verkehrspolitik und somit schon gar nicht für eine gemeinsame Infrastrukturpolitik sieht. 55 Krauss sieht das Problem darin, daß der EG-Vertrag überhaupt nicht vorschreibt, was der Inhalt der gemeinsamen Verkehrspolitik

52

Piisel, S.l6.

53

Lenz, EuR 1988, S.l59.

54 Reh, Verkehrspolitik der EG, S.36; Braun-Moser, S.53; Button, S.70; Donat, S.12; Jürgensenl Aldrup, S.78; Klimke, ZVerkWiss. 1995, S.66 ff; Klinkenborg, S.52 ff. 55

Kirchhof, Dt.RiZtg.l995, S.259.

120

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

vorsieht. 56 Mc Kay schließlich stellt klar, daß die für die Integration erforderliche Koordination eine eigenständige Grundlage benötigt. 57 Auch Oettle, Weinstock, Schlösser und Seidenfus halten eine neue Grundlage für die Infrastrukturpolitik für erforderlich, da Art. 3 f bzw. Art. 74 ff nicht ausreichen. 58 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die h.M. unter die gemeinsame Verkehrspolitik nicht die gemeinschaftliche Infrastrukturpolitik fassen wollte. Damit wäre schon die erste Voraussetzung nicht gegeben. Desweiteren sind auch die aus der gemeinsamen Verkehrspolitik resultierenden Rechtsakte selbstverständlich nicht alle per se verbindlich, sondern orientieren sich an der aus Art. 189 EGV gewählten Rechtsaktform. Somit kann aus dem Vertragsziel des Art. 3 f EGV für die Leitlinien der Art. 129 b-d EGV nicht gefolgert werden, daß diese Verbindlichkeiten entfalten müßten. Damit wird der Streit, inwiefern es Prioritäten zwischen den Vertragszielen gibt,59 gar nicht erst relevant. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das den Art. 129 b-d EGV korrespondierende Vertragsziel des Art. 3 n EGV lediglich die Förderung der TEN gebietet. Auch die teleologische Auslegung im eigentlichen Sinne führt dazu, daß die Leitlinien nur einen Rahmen für die TEN darstellen.

bb) Lehre von den ,,implied-powers" Fraglich ist, ob den Leitlinien mit Hilfe der "implied-powers"-Lehre eine Gewichtungsänderung zukommt. Dann müßten die Gemeinschaftsorgane für die Erfüllung ihrer vertraglich übertragenen Aufgaben der Kompetenz bedürfen, daß sie den Mitgliedstaaten mit Hilfe der Leitlinien vorschrieben, wie diese ihre Infrastruktur zu gestalten hätten.

s. Krauss, Int. Archiv für Verkehrswesen 1961, S.261. 57

Mc Kay, Verkehrspolitische Konzepte, S.20.

Oettle, S.66 ff; Weinstock, Integration, S.l52, Schlösser, S.42, Seidenfus, Binnenmarkt im Verkehr, S.27. SR

sO

Vgl. Bleckmann, Studien, S.21.

I. Auslegung von Art. 129 b/c EGV

121

Tatsächlich wird diese Auffassung innerhalb der Kommission und in Teilen des Europäischen Parlaments so vertreten. 60 Es wird argumentiert, daß die Zunahme des grenzüberschreitenden Verkehrs derartige Ausmaße angenommen hat, daß eine vernünftige Infrastrukturplanung nur durch eine Zentrale in Brüssel gewährleistet werden kann. Problematisch ist eine solche Forderung des Europäischen Parlaments und der Kommission im Hinblick auf die Souveränität der Mitgliedstaaten. Auch wenn, wie Bleckmann darlegt,61 nicht mehr auf die alte Formel zurückgegriffen werden darf, daß Souveränitätsbeschränkungen eng auszulegen sind und vielmehr die Souveränität der Mitgliedstaaten bei der Auslegung hinter die Vertragsziele zurücktritt, kann deshalb nicht gleich einer Kompetenzforderung der Kommission ohne weiteres gefolgt werden. Zu beachten ist, daß die Forderung lediglich aus Reihen der Kommission und des EP stammt. Der Rat hingegen - sprich die Mitgliedstaaten - sind weit von einer solchen Forderung entfernt und fürchten eher die Aufgabe weiterer Kompetenzen. 62 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß es sich hierbei um recht neue Vertragsbestandteile handelt. Hätte die Gemeinschaft die Erweiterung ihrer Kompetenzen gewollt, hätte sie diese im Vertrag von Maastricht so einfügen können. Auch für die Regierungskonferenz 1996 ist eine Änderung dieses Komplexes nicht geplant. 63 Der Gemeinschaft mit Hilfe der "implied-powers"Lehre eine derartige Kompetenz zuzusprechen, verstieße gegen das Demokratieprinzip. Die "implied-powers"-Lehre führt somit ebenso wenig zu einer anderen Beurteilung der Verbindlichkeit wie die Vertragsziele.

"" Bericht des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über eine Gemeinschaftspolitik für Verkehrsinfrastrukturen, EP, Berichterstatter: Domenec Romera i Alcazar, A3-0161-91 v. 04.06. 1991, S.7; Bericht des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, Berichterstatter: Wilhelm Picyk, A4-0096/95 v. 25.04.1995, S.60; EP-Generaldirektion Wissenschaft, Verfasser: Franco Piodi, Reihe Verkehr, W7 10-1994, S.10; Mitteilung der Kommission: Die künftige Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik, KOM (92) 494 endg. v. 02.12.1992, Rn.99 ff; Kommission: Vorschlag für Entscheidung über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, KOM (94), 106 endg. v. 07.04.1994, Begründung SJO . • , Bleckmann, Studien, S.23/25 . •2

Bericht des Ausschusses der Ständigen Vertreter an den Rat, 7959/95, 15.06.1995, S.3 .

•, Obwohl der Ausschuß für Regionalpolitik des EP dieses in seinem Bericht über die Zusammenarbeit im Bereich der europäischen Raumordnung gefordert hat, S.ll,18.

122

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

cc) Effektivitätsgrundsatz - "effet utile" Fraglich bleibt nunmehr, ob die dynamische Auslegung mit der Suche nach dem "effet utile" Bedeutung für die Einstufung der Leitlinien als Bezugsrahmen erlangt. Die dynamische Auslegung würde bedeuten, daß mit fortschreitender Integration die Einzelbestimmungen unter Rückgriff auf deren Ziele stets weiter ausgelegt werden und die Souveränität der Mitgliedstaaten zunehmend eingeschränkt wird. 64 Zur Rechtfertigung für eine solche Methode könnte man sich auf die Präambel des EUV ("In dem festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen") stützen. 65 Vorraussetzung dafür wäre jedoch, daß eine essentielle neue tatsächliche Entwicklung erfolgt wäre. Als eine solche Entwicklung könnte die Zunahme des grenzüberschreitenden Verkehrs gewertet werden. Wiederum stellt sich jedoch die Frage, ob es sich bei dieser Zunahme von Verkehr um einen plötzlich nach dem Maastrichtvertrag eingetretenen Umstand handelt. Dem ist nicht so. Der grenzüberschreitende Verkehr nimmt seit Jahren stetig zu. Eine besondere Entwicklung fand zwar nach Öffnung der Grenzen im Osten statt, nicht aber nach 1992, nach Unterzeichnung des Maastricht-Vertrages. Hätte der europäische Gesetzgeber demnach der Union weitere Möglichkeiten in der Durchsetzbarkeit im Infrastrukturbereich geben wollen, hätte er im Vertrag von Maastricht dafür die Möglichkeit gehabt. Eine Totalrevision mit der Begründung, eine neue und unerwartete Entwicklung hätte stattgefunden, wäre ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip. Es ist Aufgabe der politischen Organe, einen derartigen Prozeß einzuleiten. Darüber hinaus ist es äußerst fraglich, ob der Union lediglich auf Grund des bloßen Vertragsziels in der Präambel weitere Kompetenzen gegeben werden dürfen. Zumal dann, wenn ein Vertragsziel - hier Art. 3 n EGV - sich genau mit dem zu problematisierenden Sachverhalt befaßt. c) Zusammenfassung

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die teleologische Auslegung weder mit der Vertragszielbestinimung, noch der "implied powers"-Lehre oder der Lehre

M

Bleckmann, Studien, S.34.

6~

Ders.

11. Berücksichtigung verfassungsrechtlich geboten, Art. 23 GG

123

vom "effet utile" dazu führt, den Leitlinien aus Art. 129 b-d EGV über den allgemeinen Bezugsrahmen hinaus weiterführende Verbindlichkeitsvorgaben zu übertragen.

6. Zusammenfassung Die verschiedenen Auslegungsmethoden führen alle zum gleichen Ergebnis: Danach stellen die Leitlinien lediglich einen allgemeinen Bezugsrahmen dar, durch den Projekte von gemeinsamem Interesse gefördert werden sollen. Die Leitlinien haben somit indikativen Charakter66 bzw. "un röle de stimula-

teur".67 Die Auslegung von Art. 129 b-d EGV gibt keinerlei Hinweise darauf, daß die aufzustellenden Leitlinien rechtlich bindend sein sollen, und rechtfertigt keinen Eingriff in die Planungshoheit der Mitgliedstaate.n. Vielmehr beschränkt sich die Aktivität der Gemeinschaft darauf, die Vorhaben von gemeinsamem Interesse auszuweisen und zu fördern.

11. Berücksichtigung verfassungsrechtlich geboten, Art. 23 GG Nachdem dargelegt wurde, daß sich aus den Art. 129 b-d EGV keine rechtliche durchsetzbare Position zur Berücksichtigung der Leitlinien für den deutschen Bedarfsplan ergibt, ist nun fraglich, ob eine solche Position auf Grund von Art. 23 GG verfassungsrechtlich geboten sein könnte.

1. Entstehung und Anwendungsbereich des Art. 23 n.F. GG Der durch das Gesetz zur Änderung des GG vom 21.12.199268 eingefügte Art. 23 GG steht an der Stelle des durch Art. 4 Nr.2 EVertr. vom 31.08.199069 aufgehobenen, da durch die Wiedervereinigung Deutschlands gegenstandslos ge-

M So - jeweils ohne Begründung - das BMV in seiner Mitteilung v. 27.09.1994; Fonger, S.623; Kinnock, 10.05.1995.

'7

Vinois, S.85 .

•• BGB!. I S.2086. •9

BGB!. II S.889.

124

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

wordenen alten Art. 23 GG. 70 Dieser hatte Aussagen zum räumlichen Geltungsbereich des GG und zum Beitritt deutscher Gebiete, einschließlich der damit verbundenen Gesetzgebungsaufgaben enthalten. Der Standort des neuen Europa-Artikels an der frei gewordenen Stelle des früheren Wiedervereinigungsauftrages ist unter anderem als Signal gedacht, daß nach Erlangung der Wiedervereinigung Deutschlands die nächste zu bewältigende Aufgabe die Einigung Europas ist. 71 Die Vorschrift regelt die Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EU sowie die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat an der Willensbildung der EU. 72 Unmittelbarer Grund für die Einfügung des neuen Art. 23 in das GG war der Vertrag von Maastricht vom 07.02.1992 über die EU, der am 01.11. 1993 in Kraft trat. Mit dem neuen Art. 23 GG sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die EU zentrale Rückwirkungen auf die Souveränität der BRD hat. 73 Vor Inkrafttreten hatte man die Übertragung von Hoheitsrechten auf Art. 24 GG gestützt. Für die Schaffung der EU hatte Art. 24 I GG jedoch nicht mehr genügt,74 da die damit erreichte Einigung Europas weit über das hinausging, an was bei Erlaß des GG und der Vorschrift des Art. 24 I GG gedacht worden war. 7S Art. 23 n.F. GG enthält in seinem Abs. 1 eine an die zuständigen Bundesorgane (Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat) gerichtete besondere Ermächtigung, an der Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der EU mitzuwirken. 76 Darüber hinaus normiert Art. 23 I GG, indem es an das Europabekenntnis in der Präambel anknüpft, die EU als Staatsziel und die Mitwirkung an ihrer Entwicklung als Verfassungsauftrag. 77

70

Klein, Art. 23, Rn.I.

Vgl. die Ausflihrungen des Abgeordneten Verbeugen i.d. Sitzung des BT am 08.10.1992, PlenProt. 12.Wahlp., S.9348 und Möller i.d. Sitzung des BT am 02.12.1992, PlenProt. 12.wahlp., S.10866. 71

72

Begr. z. Regierungsentwurf des Gesetzes zur Änderung des GG, BT-Drs. 1213338, S.4.

73

Jarass, Art. 23, Rn.I.

So zumindestJarass, Art. 23, Rn.1; Ipsen, EuR 1994, S.8 f; Schotz, NJW 1992, S.2596; ders., NVwZ 1993, S.818; a.A. Schwarze, IZ 1993, S.587; OppermannlClassen, NJW 1993, S.11 m.w.N. 74

75

Sommermann, DÖV 1994, S.597; Jarass, Art. 23, Rn.1.

7.

BVerfGE 89, 155 (179) unter Hinweis auf BT-Drs. 12/3338, S.6.

77 So Sommermann, DÖV 1994, S.598 Cf; Rojahn, Art. 23, Rn.3; ähnlicb BReg., BT-Drs.121 3338,6: "Staatsauftrag" oder "Politikauftrag" .

11. Berücksichtigung verfassungsrechtlich geboten, Art. 23 GG

125

Während Art. 23 I GG die Bundesrepublik und damit alle beteiligten Staatsorgane auf das Staatsziel verpflichtet und dafür rechtliche Vorgaben und Schranken setzt, regelt Art. 23 li-VI GG Art und Umfang der Mitwirkungsbefugnisse einzelner Bundesorgane in ihrem Verhältnis zueinander. In Abs. li-V wird die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat bei der innerstaatlichen Willensbildung in Angelegenheiten der EU geregelt. Abs. VI betrifft dagegen die Wahrnehmung von Rechten, die der Bundesrepublik als Mitgliedstaat zustehen, durch einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder, wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. Diese Verfahrensnormen dienen der Kompensation von Kompetenzverlusten, die die Gesetzgebungorgane des Bundes (Bundestag, Bundesrat) sowie die Länder als Gliedstaaten infolge der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU nach Art. 24 I GG bzw. nun Art. 23 I GG hinnehmen müssen. 78 Art. 23 li-VI GG soll vor allem den integrationsbedingten Gleichgewichtsstörungen im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag sowie den zugunsten des Bundes (Bundesregierung) eingetretenen Verschiebungen im föderalen Kompetenzgefüge entgegenwirken. 79

2. Art. 23 I n.F. GG Bevor auf die Bedeutung des Art. 23 I n.F. GG für die Berücksichtigung der Leitlinien eingegangen wird, soll zunächst die allgemeine Bedeutung und Wirkungs breite des Art. 23 I GG erläutert werden.

a) Mitwirkung der BRD an Entwicklung der EU - Art. 23 I 1 GG Art. 23 I GG enthält eine an die zuständigen Bundesorgane (vgl. B 1.) gerichtete besondere Ermächtigung, an der Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der EU mitzuwirken. Insoweit konkretisiert und verstärkt Art. 23 I GG die in der Entscheidung des GG für die internationale Offenheit

7.

Rojahn, Art. 23, Rn.5.

79

Jarass, Art. 23, Rn.l9 ff; Klein, Art. 23, Rn.l8 Cf; Rojahn, Art. 23, Rn.5.

126

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

(Grundsatz der offenen Staatlichkeit)80 enthaltene Integrationsbereischaft der Bundesrepublik. Weiterhin nonniert Art. 23 I GG die EU als Staatsziel und die Mitwirkung an ihrer Entwicklung als Verfassungsauftrag. Damit verdichtet er das allgemeine Bekenntnis zum "vereinten Europas" in der Präambel des GG. 81 Der Auftrag richtet sich an die Bundesrepublik als Gesamtstaat.

b) Obertragung von Hoheitsrechten - Art. 23 I 2 GG Nach Art. 23 12 GG kann der Bund zur Ausführung seines Auftrages durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Unter Hoheitsrechten ist die gesamte Ausübung öffentlicher Gewalt im innerstaatlichen Bereich zu verstehen, gleichgültig ob es sich um Gesetzgebung, Vollziehung oder Rechtsprechung handelt. 82 Thematisch können alle Sachgebiete betroffen sein, selbst wenn sie vom Vertrag über die EU nicht angesprochen werden. Mit Übertragung ist die Rücknahme bzw. der Verzicht auf die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch die deutschen Organe zu verstehen, wobei der Zweck ist, die Ausübung der Hoheitsgewalt der EU im innerstaatlichen Bereich zu ermöglichen. 83 Eine solche Ausübung im innerstaatlichen Bereich liegt nicht vor, wenn nur Verpflichtungen zur Zusammenarbeit geschaffen werden; die Hoheitsgewalt der EU muß unmittelbar auf den innerstaatlichen Bereich durchgreifen können. 84 Die Übertragung von Hoheitsrechten unterliegt formellen Voraussetzungen. So können Hoheitsrechte auf die EU gern. Art. 23 I 2 GG nur durch ein förmliches Bundesgesetz übertragen werden, wobei das Gesetz ausnahmslos der Zustimmung des Bundesrates bedarf. 85 Die Übertragung von Hoheitsrechten gern. Abs. 12 GG bedarf gern. Abs. I 3 GG in bestimmten Fällen der in Art. 79 11 vorgesehenen Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat. Dabei handelt es sich um die Fälle der Zustimmung

HO

Jarass, Art. 24, Rn.1; Rojahn, Art. 24, Rn.1, 6 ff; Tomuschat, HdbStR VII, § 172, Rn. I.

81

Scholz, NJW 1992, S.2598; Rojahn, Art. 23, Rn.3.

82

Jarass, Art. 23, Rn.4.

83

Jarass, Art. 23, Rn.4.

114

Jarass, Art. 23, Rn.5.

85

Jarass, Art. 23, Rn.?

11. Berücksichtigung verfassungsrechtlich geboten, Art. 23 GG

127

zum Vertrag über die Begründung der EU und der Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU.

c) Struktur- und Entscheidungsprinzipien für die Union

Der Integrationsauftrag in Art. 23 I 1 GG zielt auf eine EU, die "demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet". Diese Konkretisierung soll ein Signal sein. 86 Sie dokumentiert, welche Strukturen die Bundesrepublik im vereinten Europa anstrebt bzw. daß die Bundesregierung die EU nach bestimmten inhaltlichen Prinzipien ausgestalten möchte. 87 Die "Strukturklausel" hat insbesondere Innenwirkung: Sie hält die zuständigen Organe der deutschen Integrationsgewalt (v.a. Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat) verfassungsrechtlich zur Mitwirkung an, die den genannten Strukturprinzipien entsprechen muß. 88 Das politische Gestaltungsermessen der zuständigen Bundesorgane wird unter .einen Maßgabevorbehalt gestellt,89 der zugleich positivrichtungsweisend und negativgrenzziehend ist.9()

3. Bedeutung des Art. 23 I GG für die Berücksichtigung der Leitlinien Fraglich ist nunmehr, ob die Verpflichtung der Bundesrepublik zur Mitwirkung an der Gestaltung der EU Konsequenzen für die von der EU aufgestellten Leitlinien hat. Dabei ist zu prüfen, ob die Pflicht zur Umsetzung der Leitlinien unter das Staatsziel ,,Mitgestaltung der EU" fällt, ob die formellen Vorgaben des Art. 23 I 2 GG (Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates) erfüllt sind und drittens ob das Aufstellen der Leitlinien bzw. die daraus erwachsene

116

Rojahn, Art. 23, Rn.!?

H7

Bundesregierung, BT-Drs. 1213338, S.4.

RH

Jarass, Art. 23, Rn.!; Rojahn, Art. 23, Rn.!?; Klein, Art. 23, Rn.6 .

•9

Breuer, NVwZ 1994, S.421 ff.

!l1l

Rojahn, Art. 23, Rn.!?

128

D. Belange europäischer Straßen für den Bedarfsplan

Verpflichtung der Mitgliedstaaten den materiellen Vorgaben des Art. 23 I 1 2. HS GG, hier vor allem dem Grundsatz der Subsidiarität entspricht.

a) Mitwirkung der BRD an der Entwicklung der EU - Art. 23 I I GG Sollte sich aus Art. 23 I 1 GG eine Pflicht für die Bundesrepublik ergeben, die Leitlinien zu übernehmen, müßte diese Übernahme Teil der Mitwirkung der BRD an der Entwicklung der EU sein. Zweifelsohne würde eine Übernahme seitens der Bundesrepublik eine Mitwirkung hin zur Europäisierung der Infrastrukturpolitik darstellen. Fraglich ist jedoch, ob eine derartige Mitwirkung noch von dem Ziel - nämlich der Entwicklung der EU - gedeckt wäre. Es ist höchst umstritten, was unter "Entwicklung der EU" zu verstehen ist, insbesondere wie weit (bis zu welchem Integrationsgrad) die Entwicklung der EU letztlich gehen soll und kann. 91 Zum Teil wird vertreten, daß die Entwicklung bis zur Schaffung eines europäischen Bundesstaat gehen kann. 92 Die überwiegende Meinung jedoch vertritt die Auffassung, daß Art. 23 GG keine Möglichkeit zur Überführung in einen europäischen Bundesstaat bietet, sondern lediglich in einen Integrationszustand, der durch den Maastricht-Vertrag geschaffen wurde. 93 Eine Streitentscheidung wäre dann erforderlich, wenn die Pflicht der Bundesrepublik, Infrastrukturvorschläge der EU annehmen zu müssen, nur dann zulässig wäre, wenn die Bundesrepublik Mitglied eines europäischen Bundesstaat wäre und umgekehrt eine Überstrapazierung der Mitgliedspflichten innerhalb einer lediglich lockeren politischen Union darstellte. Wäre dem so, könnte die Bundesrepublik keinerlei bindenden Beschlüsse der EU annehmen, so lange sie sich nicht einem europäischen Bundesstaat unterworfen hätte. Diese Vorstellung ist absurd und wirklichkeitsfremd, da sich die Bundesrepublik Deutschland seit Schaffung des Art. 189 EGV mit der Möglichkeit, seitens der EU Verordnungen und Entscheidungen zu beschließen, in abgestecktem Maße Beschlüssen

9. Breuer, Sackgasse, S.444, der davon ausgeht, daß Art. 23 GG keine Lösungen anbietet, sondern daß vielmehr politische Lösungen erforderlich sind. 92

Tomuschat, S.52 f; Pemice, DV 26 (1993), S.449, 472, 486; Jers. DVBI. 1993, S.922 ff.

Herdegen, EuGRZ 1993, S.590; Everling, DVB1.1993, S.943; Sommermann, DÖV 1994, S.599; DiFabio, Der Staat 1993, S.198 f; Breuer, NVwZ 1994, S.423; Rojahn, Art. 23, Rn.11; Philipp, ZRP 1992, S.437; Ossenbühl, DVB1.1993, S.629; Murswiek, Staat 32, 1993, S.165. •3

11. Berücksichtigung verfassungsrechtlich geboten, Art. 23 GG

129

fügt. Grundsätzlich wäre es somit für die Bundesrepublik möglich, auch in einem lockeren Zusammenhalt als politische Union infrastrukturpolitische Beschlüsse der EU anzunehmen. Eine Streitentscheidung, wie weit die Entwicklung der EU letztlich gehen soll, ist somit hier nicht relevant. Man kann demnach sagen, daß die Übernahme von Leitlinien bezüglich der 1EN eine Mitwirkung der BRD an der Entwicklung der EU im Sinne des Art. 23 I 1 GG darstellen würde. Ob es sich jedoch um eine erlaubte Mitwirkung handelt, liegt daran, ob sie den formellen und materiellen Vorgaben gerecht wird.

b) Übertragung von Hoheitsrechten - Art. 23 12 GG Fraglich ist nun, ob die Bundesrepublik jemals Hoheitsrechte hinsichtlich der Planung von Infrastrukturvorhaben und vor allem der rechtlichen Durchsetzung bezüglich dieser an die EU übertragen hat. Unter Hoheitsrechten ist, wie oben dargelegt,94 die gesamte Ausübung öffentlicher Gewalt im innerstaatlichen Bereich zu verstehen, gleichgültig, ob es sich um Gesetzgebung, Voll ziehung oder Rechtsprechung handelt. Das Aufstellen der Leitlinien entspricht dem deutschen Bedarfsplan, der ein legislatorischer Akt ist. 9s Somit würde die Übertragung des Rechts, einen Bedarfsplan aufzustellen, die Übertragung eines Hoheitsrechts bedeuten. Fraglich ist jedoch, ob eine Übertragung stattgefunden hat. Der Begriff der Übertragung ist mißverständlich. Mit ihm ist die Rücknahme bzw. der Verzicht auf die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch deutsche Organe zu verstehen mit dem Zweck, die Ausübung der Hoheitsgewalt der EU im innerstaatlichen Bereich zu ermöglichenY6 Die Bundesrepublik müßte demnach auf die Ausübung des Erlasses des Bedarfsplanes verzichtet haben und dies durch ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates artikuliert haben. Ein solches Gesetz hat der Bundestag jedoch nie erlassen.

9