Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft: Dominanzkritische Perspektiven auf interkulturelle Bildung [1. Aufl.] 978-3-658-26738-4;978-3-658-26739-1

Alina Ivanova liefert eine fundierte, anhand empirischer Beispiele illustrierte Systematisierung pädagogischer Wissensbe

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Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft: Dominanzkritische Perspektiven auf interkulturelle Bildung [1. Aufl.]
 978-3-658-26738-4;978-3-658-26739-1

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-X
Einleitung (Alina Ivanova)....Pages 11-28
Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität in verschiedenen Ansätzen interkultureller Bildung (Alina Ivanova)....Pages 29-56
Synchrone Analyse des Diskursfeldes interkulturelle Bildung unter Berücksichtigung chronologischer Entwicklungen – Systematisierung und Beschreibung (Alina Ivanova)....Pages 57-273
Zusammenfassung und Ausblick (Alina Ivanova)....Pages 275-285
Back Matter ....Pages 287-351

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Alina Ivanova

Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft Dominanzkritische Perspektiven auf interkulturelle Bildung

Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft

Alina Ivanova

Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft Dominanzkritische Perspektiven auf interkulturelle Bildung

Alina Ivanova München, Deutschland Dissertation Bergische Universität Wuppertal, 2018 u.d.T.: Alina Ivanova: „Zeitgemäße Lehrer*innenbildung in der Migrationsgesellschaft. Dominanzkritische Perspektiven auf interkulturelle Bildung“.

ISBN 978-3-658-26738-4 ISBN 978-3-658-26739-1  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26739-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhaltsverzeichnis

5

Danksagung An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei allen bedanken, die diese Arbeit ermöglicht und unterstützt haben. Mein größter Dank gilt der Erstbetreuerin meiner Dissertation, Professorin Dr. Astrid Messerschmidt (Bergische Universität Wuppertal), für die hervorragende Unterstützung, die überaus hilfreichen Ratschläge und die wertvolle Kritik. Mein herzlicher Dank gilt zudem der Zweitbetreuerin dieser Arbeit, Professorin Dr. Heidi Rösch (Pädagogische Hochschule Karlsruhe), die die Anfertigung meiner Dissertation immer interessiert und konstruktiv unterstützt hat. Beiden Betreuerinnen danke ich auch dafür, dass sie das Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell- migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ ins Leben gerufen haben, in dessen Rahmen die Erhebung des für diese Arbeit relevanten empirischen Materials stattfinden konnte. Ebenso möchte ich den Teilnehmerinnen an den Projektworkshops für ihre Beteiligung an der Reflexionsarbeit danken. Mein besonderer Dank gilt meiner Kollegin im Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ Myriam Brunner, die mich bei der Auswertung von Teilnehmerinnen-Reflexionen hervorragend unterstützt hat. Nina Simon (Universität Bayreuth) und Adina Küchler (Ludwig-MaximiliansUniversität München) danke ich ganz herzlich für das Korrekturlesen, die überaus hilfreichen Anmerkungen und wertvollen Denkanstöße. Tim Brosch danke ich für die außerordentliche Motivation und den immerwährenden Rückhalt bei meinen Projekten und Vorhaben.

Inhaltsverzeichnis

7

Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung................................................................................................... 11

1.1

Entstehungskontext und Zielsetzung der Arbeit ................................ 11

1.2

Theoretischer Rahmen....................................................................... 16

1.3

Aufbau der Arbeit und methodisches Vorgehen ............................... 21

1.4

Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden ................................................................................ 23

2

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität in verschiedenen Ansätzen interkultureller Bildung .............................................................. 29

2.1

Interkulturelle Bildung: Begriffsbestimmung ................................... 29

2.2

Die Geschichte interkultureller Bildung in Deutschland ................... 32

2.3

Chronologische Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung ... 35

2.4

Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung ........... 45

2.5

Fazit ................................................................................................... 54

3

Synchrone Analyse des Diskursfeldes interkulturelle Bildung unter Berücksichtigung chronologischer Entwicklungen – Systematisierung und Beschreibung ...................................................................................... 57

3.1

Tabellarische Systematisierung ......................................................... 57

3.2

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien ................................. 64 3.2.1

Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Defizit/ Veränderungsbedarf ..................................................................... 65

3.2.1.1

Leitmotiv: Migrant*innen als defizitär/veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Problematisierung kultureller Differenz ............................ 67

3.2.1.2

Leitmotiv: Migrant*innen als defizitär/veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Problematisierung sprachlicher „Defizite“ ........................ 80

3.2.1.3

Bezüge zu defizitorientierten Perspektiven in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ ........................................................ 91

8

Inhaltsverzeichnis 3.2.1.4 3.2.2

Fazit ................................................................................. 103

Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Defizit/ Veränderungsbedarf ................................................................... 105

3.2.2.1

Leitmotiv: gesellschaftliche Strukturen als defizitär/ veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Kritik systemischer und struktureller Defizite ........................... 106

3.2.2.2

Leitmotiv: gesellschaftliche Strukturen als defizitär/veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Dominanzkritik ................................................................ 111

3.2.2.3

Bezüge zu struktur- und dominanzkritischen Ansätzen in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ .................................................................. 122

3.2.2.4

Fazit ................................................................................. 126

3.2.3

Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Differenz/ Diversität ......... 128

3.2.3.1

Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: Kritik der Defizitorientierung: kulturelle Diversität als Ressource ................................................................... 129

3.2.3.2

Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: „Kompetenz“ und „Integration“ als Lösungen für die Praxis ................ 134

3.2.3.3

Bezüge zu kulturdifferenzorientierten Perspektiven in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ .................................................................. 147

3.2.3.4

Fazit ................................................................................. 151

3.2.4

Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Differenz/Diversität .............. 154

3.2.4.1

Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kulturalisierungsanalyse und Kulturalisierungskritik ..... 155

Inhaltsverzeichnis

9

3.2.4.2

Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kritik des interkulturellen Kompetenzansatzes ................................ 173

3.2.4.3

Bezüge zu kulturalisierungskritischen Perspektiven in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ .................................................................. 176

3.2.4.4

Kulturalisierungs- und kompetenzkritische Perspektiven: Fazit .......................................................... 180

3.2.4.5

Leitmotiv: Differenz/Diversität im Kontext der (gesamt-)gesellschaftlichen Diversität; Bezugskategorie: Analyse und Berücksichtigung vielfältiger Differenzlinien in der Gesellschaft ............... 183

3.2.4.6

Bezüge zur Thematisierung von Diversität im Kontext der (gesamt-)gesellschaftlichen Diversität in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ .................................................................. 201

3.2.4.7

Wahrnehmung kultureller Diversität im Kontext der (gesamt-) gesellschaftlichen Diversität: Fazit ................. 205

3.2.5

Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Rassismus ......................... 209

3.2.5.1

Leitmotiv: Rassismus als Vorurteil; Bezugskategorie: Rassismus als individuelles Vorurteil.............................. 209

3.2.5.2

Leitmotiv: Rassismus als Vorurteil; Bezugskategorie: „Weiterentwicklungen“ des Vorurteilsbegriffs ............... 223

3.2.5.3

Vorurteilsbezogene Deutungen von Rassismus in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ .................................................................. 231

3.2.5.4

Fazit ................................................................................. 239

3.2.6

Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Rassismus ............................. 241

3.2.6.1

Leitmotiv: Rassismus als konstitutives Merkmal (post-)moderner (Migrations-)Gesellschaften; Bezugskategorie: Antirassismus ...................................... 241

10

4

Inhaltsverzeichnis 3.2.6.2

Leitmotiv: Rassismus als konstitutives Merkmal (post-)moderner (Migrations-)Gesellschaften; Bezugskategorie: Rassismuskritik ................................... 248

3.2.6.3

Bezüge zu antirassistischen und rassismuskritischen Perspektiven in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ .................... 260

3.2.6.4

Fazit ................................................................................. 270

Zusammenfassung und Ausblick ............................................................. 275

4.1

Perspektive: Defizit/Veränderungsbedarf........................................ 276

4.2

Perspektive: Differenz/Diversität .................................................... 278

4.3

Perspektive: Rassismus ................................................................... 282

Literaturverzeichnis .......................................................................................... 287 Anhang.............................................................................................................. 337 Tabellenverzeichnis .......................................................................................... 351

1 Einleitung 1.1 Entstehungskontext und Zielsetzung der Arbeit Zulassung von Ambivalenz und Festhalten an Ordnungen der Eindeutigkeit,1 zunehmende Globalisierung und Rückbesinnung auf ethnisch-nationale Zugehörigkeiten,2 demokratische Gesellschaftsordnung und autoritäre politische Bewegungen3 – diese Pole markieren (neben vielen weiteren) ein Spannungsfeld, in dem sich Bildung aktuell bewegt. Als wichtige gesellschaftliche Akteur*innen sind Bildungsinstitutionen von gesellschaftlichen Ordnungen abhängig, „die [unter anderem] durch soziale Ungleichheit, hegemoniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse, kapitalistische Interessenskonflikte, asymmetrische Geschlechterverhältnisse sowie internationale Grenz- und Migrationsregimes gekennzeichnet sind“4. Damit einhergehende Konflikte beeinflussen somit unmittelbar die Gestaltung von Bildungsprozessen.5 Darüber hinaus prägen die den jeweiligen institutionell-systemischen Bedingungen innewohnenden Spannungen das Handeln der Bildungsinstitutionen, wie bspw. die Divergenz zwischen der geforderten Individualisierung der Bildungsprozesse und der Orientierung an strikten Vorgaben der Bildungsstandards.6 Gerade professionell Tätige in der schulischen Bildungsarbeit bewegen sich stets im Spannungsfeld zwischen der ressourcenorientierten Anerkennung der lebensweltlichen Diversität der Schüler*innenschaft einerseits und schulischen Homogenisierungs- bzw. Normierungsroutinen andererseits. So widerspricht die bildungspolitisch geforderte7 Berücksichtigung soziokultureller, sprachlicher, religiöser und migrationsbedingter Heterogenität der Schüler*innen den Prinzipien der Selektion und Vereinheitlichung, die dem dreigliedrigen Schulsystem in

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Bauman 2005, S. 12. Vgl. Robertson 1998; Bauman 1996; zusammenfassend Wagner 2002 Vgl. Decker/Brähler 2016; Herrmann 2001, S. 181 ff. Vgl. Riegel 2016, S. 7 Vgl. Messerschmidt 2017 Vgl. Götz/Müller 2005; Boller/Rosowski/Stroot 2007, S. 12. Vgl. bspw. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) (1996, i.d.F. von 2013)

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Ivanova, Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26739-1_1

12

Einleitung

Deutschland zugrunde liegen.8 Dieser Widerspruch speist sich wiederum aus allgemeingesellschaftlichen und politischen Diskussionen um migrationsbedingte Heterogenität, in denen es nie nur um Vielfalt, sondern auch um Vorstellungen gesellschaftlicher Normalität und Zugehörigkeit geht.9 Das professionelle Handeln von Pädagog*innen wird dadurch in einen paradoxen Kontext versetzt, bei dem die vorhandene lebensweltliche Diversität der Schüler*innenschaft und damit verbundene Notwendigkeit einer ressourcenorientierten und individuellen Förderung auf homogenisierende, normierende und nicht zuletzt performativ ausgrenzende Strukturen stoßen. Gerade bei der Diskussion um Chancengleichheit in der Bildung, die nach dem so genannten PISASchock mit bisher ungesehener Kraft entflammte, wurde dieser Widerspruch zum Gegenstand aktiver Debatten. Dabei wurden die Vorstellungen der gesellschaftlichen Norm und Einheit einerseits und der migrationsbedingten Abweichung andererseits permanent aufgegriffen, indem die Erklärungsansätze für Unterschiede im Bildungserfolg ausländischer und einheimischer Schüler*innen mit Kategorien wie kulturelle Differenz oder Anderssprachigkeit operierten.10 Zum anderen wurden Gegenpositionierungen sichtbar, die die Notwendigkeit postulierten, einen kritischen Blick auf die ungleichheitsfördernden Strukturen zu richten.11 18 Jahre nach der ersten PISA-Untersuchung12 gehen die Debatten weiter und markieren das Aktionsfeld der Schulen zwischen struktureller Reformierung und Durchsetzung des institutionellen Homogenisierungszwangs gegenüber sich permanent verändernder Schüler*innenschaft. Pädagogisches Handeln ist unter solchen Bedingungen „in hochgradig unsicheren, ungewissen, reflexivitätsbedürftigen Problemlagen situiert“.13 „Reflexionsbedürftig“ sind die Problemlagen deshalb, da sie je nach Auslegung unterschiedliche Handlungsoptionen auf der Ebene der Schulpolitik und -praxis nach sich ziehen, die wiederum verschiedene Pole in dem Spannungsfeld zwischen Inklusion und Exklusion bestimmter Schüler*innengruppen markieren. In besonderem Maße reflexionsbedürftig sind sie aber auch deshalb, da das Lehramtsstudium in Deutschland bisher im Zeichen von Normierungsorientierung steht und dement-

8 9 10 11 12

13

Vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 117 Vgl. Kappus 2010, S. 63 Vgl. Kapitel 3.2.1. „Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Defizit/Veränderungsbedarf“ Vgl. Kapitel 3.2.2. „Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Defizit/Veränderungsbedarf“ Zu den Ergebnissen vgl. Stanat/Artelt/Baumert/Klieme/Neubrand/Prenzel/Schiefele/Schneider/ Schümer/ Tillmann/Weiß 2002 Schneider/Widt 2010, S. 78

Entstehungskontext und Zielsetzung der Arbeit

13

sprechend keine oder kaum Räume für ein kritisches Hinterfragen institutionell und strukturell produzierter Ausgrenzungen bietet.14 Im Lehramtsstudium und Referendariat internalisierte Vorstellungen der schulischen Normalität führen bei der Begegnung mit realer Diversität der Schüler*innen nicht selten zur gefühlten Belastung und Überforderung der Lehrkräfte.15 Durch eine Fokussierung auf Normierungs- und Homogenisierungsmaßnahmen soll der Zustand des Unbehagens überwunden werden16 – die damit einhergehende Reproduktion der ausgrenzungsfördernden Selektionslogiken wird dadurch jedoch nur verstärkt. 17 Vor diesem Hintergrund wächst die Bedeutung der pädagogischen Professionalisierung in der Migrationsgesellschaft im Sinne einer Befähigung zum reflexiven Handeln, welches entgegen dem geläufigen subjektorientierten Verständnis der Reflexivität nicht primär die individuellen Positionen der Pädagog*innen fokussiert, sondern „das im pädagogischen Denken aufscheinende und wirksam werdende erziehungswissenschaftliche, kulturelle und alltagsweltliche Wissen; ein Wissen, welches möglicherweise als unhinterfragte Selbstverständlichkeit auftritt und kaum bewusst das Deuten und Handeln anleitet.“18 Dieses Wissen formt sich im Laufe der Entwicklung des pädagogischen, politischen und alltäglichen Umgangs mit migrationsbedingter Diversität (im Sinne von Heterogenität und Pluralität) und Differenz (im Sinne von Andersheit). Dementsprechend umfasst der aktuelle Bereich interkultureller Bildung ein breites Spektrum an unterschiedlichen, klar voneinander abgrenzbaren oder subtil miteinander verwobenen, historisch gewachsenen und neu geformten, übereinstimmenden oder gegensätzlichen Positionen. Um Pädagog*innen die Möglichkeit zu bieten, eigene Wissensbestände in diesem komplexen Feld zu erkennen und zu verorten, erscheint es sinnvoll, eine Systematisierung pädagogischen Wissens über den Umgang mit migrationsbedingter Diversität und Differenz vorzunehmen. Eine Möglichkeit der Orientierung bieten chronologische Systematisierungen, die eine lineare Entwicklung von Diskussionen im Bereich interkultureller Bildung skizzieren.19 Solche Systematisierungen können einen ersten Überblick über die prägnanten Tendenzen im pädagogischen Diskurs über sog. „Migrati-

14 15

16 17 18 19

Vgl. Messerschmidt 2016 a Vgl. Marburger/Helbig/Kienast 1997; zusammenfassend vgl. Ivanova/Kollmannsberger/Kiel 2017 Vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 117 Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2013; Gomolla/Radtke 2009; Imdorf 2008 Doğmuş/Karakaşoğlu/Mecheril 2016, S. 7 Vgl. Kapitel 2.3 „Chronologische Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung“

14

Einleitung

onsandere“20 gewähren, sie gehen jedoch mit der Gefahr einher, zu suggerieren, dass bestimmte Formen des Umgangs mit migrationsbedingter Diversität überwunden bzw. durch andere Ansätze „abgelöst“ seien. Der Blick auf die Kontinuitäten bestimmter Wissensbestände bzw. die Verflechtungen historischer und aktueller Denkmuster und Handlungspraxen geht dabei leicht verloren. Rein synchron orientierte Systematisierungen21 tendieren auf der anderen Seite dazu, zu verkennen, dass eine bestimmte Perspektive je nach zeitlicher (und dementsprechend gesellschaftlich-politischer) Prägung teilweise unterschiedliche Äußerungsformen und Gegenstandsfokussierungen aufweisen kann. Ein zentrales Anliegen dieser Arbeit ist deshalb, die Nachteile der beiden Zugänge zu überwinden und eine Systematisierung zu entwickeln, die synchron die unterschiedlichen Perspektiven im Bereich interkulturelle Bildung beschreibt und gleichzeitig die Besonderheiten in deren chronologischer Entwicklung berücksichtigt. Die analytische Beschreibung der aus der Systematisierung erfolgenden Perspektiven macht einen wesentlichen Teil dieser Dissertation aus. Besondere Aufmerksamkeit liegt auf der Verbindung von erziehungswissenschaftlichen Diskursen zu Interkulturalität mit öffentlichen und politischen Thematisierungen von Migration und Migrationsanderen. Dabei wird die gängige Auffassung von Wissenschaft und insbesondere den Erziehungswissenschaften/der Pädagogik als politisch „neutral“ in dieser Arbeit mit Skepsis betrachtet.22 Hingegen wird von einer engen Verflochtenheit von (Erziehungs-)Wissenschaft(en) und Politik in den Fragen des Umgangs mit den Kategorien „Migration“, „Kultur“ und „Zugehörigkeit/Nichtzugehörigkeit“ ausgegangen,23 die sich u. a. in der gegenseitigen Einflussnahme äußert: Während erziehungswissenschaftliche bzw. pädagogische Diskussionen auf politische Denkmuster, Thematisierungskonjunkturen und soziale Bewegungen zurückgreifen, werden diese wiederum selbst von den er-

20

21 22 23

Mit dem Begriff „Migrationsandere“ soll auf den Konstruktionscharakter der Andersheit bzw. Fremdheit hingewiesen werden: „‘Migrationsandere‘ stellt eine Konkretisierung politischer und kultureller Differenz- und Dominanzverhältnisse dar, mit denen sich Pädagogik dann beschäftigt, wenn sie sich Migrationsphänomenen zuwendet. ‚Migrationsandere‘ ist eine Formulierung, die auf die Charakteristika der Prozesse und Strukturen verweist, die ‚Andere‘ herstellt. [...] ‚Migrationsandere‘ ist ein Werkzeug der Konzentration, Typisierung und Stilisierung, das auf Kontexte, Strukturen und Prozesse der Herstellung der in einer Migrationsgesellschaft als Andere geltende Personen verweist.“ (Mecheril 2010 a, S. 17) Vgl. Kapitel 2.4. „Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung“ Vgl. bspw. Analyse Bourdieus Überlegungen zu Wissenschaft und Politik bei Mauger (2014) Vgl. Messerschmidt 2011

Entstehungskontext und Zielsetzung der Arbeit

15

ziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Diskussionen beeinflusst.24 So kommt es zur Entstehung von besonders komplexen, emotionsgeladenen Diskursen, die eine „objektive“ oder „neutrale“ Bezugnahme auf die Objekte der Diskussion schwer bis unmöglich machen. Neben der Strukturierung und Ordnung des komplexen Feldes interkultureller Bildung erscheint mit Blick auf das oben genannte Ziel der reflexiven Professionalisierung von Pädagog*innen besonders bedeutsam, die mit der jeweiligen Perspektive einhergehenden Konsequenzen für den pädagogischen Umgang mit „Migrationsanderen“ aufzuzeigen sowie kritisch zu reflektieren. Um dies zu gewährleisten, soll in dieser Arbeit explizit Bezug auf kulturalisierungs- und dominanzkritische Positionen der Migrationspädagogik25 genommen werden. Pädagogische Diskurse sollen dementsprechend auf die Fragestellung hin analysiert werden, wie durch die Auseinandersetzung mit Differenz die eingangs erwähnten gesellschaftlichen Verhältnisse von In- und Exklusion in Bezug auf bestimmte Personengruppen reproduziert und bestätigt werden.26 Diese Orientierung bestimmt auch die Ausrichtung praktischer Implikationen, die im Ergebnisteil dieser Studie beschrieben werden: Es sollen Wege eines reflexiven, machtund ungleichheitssensiblen professionellen pädagogischen Handelns in der Migrationsgesellschaft aufgezeigt sowie Desiderata für eine nachhaltige Modifikation von Bildungsstrukturen formuliert werden, die schlussendlich das Ziel verfolgen, Chancengleichheit für alle gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen.

24 25 26

Vgl. Groenemeyer 2003, S. 14 Vgl. Mecheril 2004; Mecheril/Dirim/Castro Varela /Kalpaka/Melter (Hg.) 2010 Vgl. Mecheril 2008, S. 17

16

Einleitung

1.2 Theoretischer Rahmen Für die Bestimmung des theoretischen Rahmens dieser Dissertation sind insbesondere die im Folgenden erläuterten Ausgangspunkte relevant.

Dekonstruktiver Zugang zu natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit In dieser Arbeit wird eine dekonstruktive Perspektive auf gesellschaftliche Zugehörigkeiten eingenommen: Kategorien wie „Kultur“, „Ethnie“, „Nation“ oder „Migrationshintergrund“ werden nicht als gegebene Zugehörigkeitsmerkmale, sondern in erster Linie als gesellschaftlich einflussreich gewordene Überzeugungen und Bedeutungsrahmungen27 verstanden.28 Diese knüpfen an die in der Gesellschaft kursierenden, durch mediale, öffentliche und politische Diskurse konstituierten Deutungsmuster29 an und gewinnen durch die situative Herstellung aktueller Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen soziale Bedeutsamkeit.30 „Kulturen“, „Nationen“ und „Ethnien“ werden als bedeutsam gemachte Ordnungsmuster betrachtet, da sich diese Kategorien auf Gemeinschaftsvorstellungen beziehen, die erst in einem Vergleichs- bzw. Unterscheidungsprozess hervorgebracht werden. Gleichzeitig sind diese Kategorien „real“, da sie nicht nur Ergebnis, sondern auch Mittel der Unterscheidung und Abgrenzung von bestimmten Personengruppen darstellen, was mit konkreten Auswirkungen einhergeht.31 Diese Auswirkungen sind sowohl auf der Mikroebene (Individuum) als auch auf der Makroebene (Gesellschaft) sichtbar. So wird auf der Mikroebene (in der interpersonellen Kommunikation zwischen Personen mit als unterschiedlich identifizierten kulturellen Hintergründen) oft ein „interkulturelles Interaktionsparadox“ beobachtet, bei dem die Beteiligten allein aufgrund der Zuordnung ih-

27

28 29

30 31

In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf das Konzept des Framings (vgl. Wehling 2016) hingewiesen: In politischen und öffentlichen Debatten seien nicht Fakten an sich, sondern gedankliche Deutungsrahmen (Frames) von entscheidender Bedeutung. Frames, die durch bestimmte sprachliche Gebrauchsweisen hervorgebracht und gefestigt werden, entscheiden darüber, welche Themen aus der gesamten Diskussion im Bewusstsein der Rezipient*innen als wichtig oder nebensächlich eingestuft werden, und beeinflussen dementsprechend die Entwicklung und den Ablauf gesellschaftlicher Diskurse. Vgl. Wenning 2007 a, S. 23 Der Begriff „Deutungsmuster“ bezieht sich laut Diehm/Radtke (1999, S. 38) auf geteilte Wissensbestände. Vgl. Groenemeyer 2003, S. 27 Vgl. Wenning 2015, S. 63

Theoretischer Rahmen

17

res*r Gesprächspartners*in zu einer anderen „Kultur“ bzw. der damit einhergehenden Annahme des Andersseins des Gegenübers ihre Kommunikation anders als gewohnt gestalten.32 Somit werden die in der klassischen Literatur zu interkultureller Kommunikation als „gegeben“ erachteten „interkulturellen Überschneidungssituationen“33 von den Kommunikationsteilnehmer*innen aktiv als solche konstruiert.34 Auf der Makroebene können sich reale Wirkungen von kulturellen Kategorisierungen in politischen Umgangsweisen mit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen äußern – beispielsweise in der unterschiedlichen Zuteilung von Rechten und Pflichten (etwa im Aufenthaltsrecht, im Arbeitsförderungsgesetz, in Integrationsregelungen und Einwanderungsbegrenzungen).35 Dementsprechend basiert die Auseinandersetzung mit natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnungen in dieser Dissertation einerseits auf der Explikation der kategorialen Konstruktionsprozesse und andererseits auf der Analyse der realen Wirkungen bestimmter Gebrauchsweisen dieser Kategorien in (bildungs)professionellen, aber auch politischen und alltagsweltlichen Kontexten.36 Kulturelle bzw. ethnische Zugehörigkeit und Differenz werden folglich nicht als Erklärung für bestimmte Phänomene herangezogen, sondern stehen selbst im Mittelpunkt einer Analyse, die die Funktionsweise dieser Kategorien in spezifischen sozialen Beziehungen und Kontexten untersucht.37 U. a. soll danach gefragt werden, wie der Blick auf soziale Zusammenhänge durch die Orientierung an „Kultur“ „in spezifischer Weise präformiert“38 wird. Daran knüpft eine Problematisierung der entlang bestimmter Kategorisierungen vollzogenen, in spezifischer Weise tradierten und institutionalisierten sozialen Bedeutungsgebungen an, die zur Vereindeutigung gesellschaftlicher Realität und zur Festschreibung bestehender Dominanzverhältnisse beitragen.39 Es gilt zu bedenken, dass mit der – wenn auch kritisch reflektierten – Verwendung von (Zu-)Ordnungskategorien wie „Personen mit Migrationshintergrund“ oder „Migrant*innen“ die Problematik einhergeht, gesellschaftlich dominante Unterscheidungen und Normalitätsvorstellungen zu reproduzieren. Da jedoch über diese Kategorien der Anschluss an historische und aktuelle Diskussionen in Schule, Bildungspolitik und Gesell-

32 33 34 35 36 37 38 39

Vgl. Knapp-Potthoff 1997, S. 190 Vgl. bspw. Grosch/Leenen 1998 Vgl. Knapp-Potthoff 1997, S. 190 Vgl. Ha/Schmitz 2006, S. 234 ff. Mecheril 2008, S. 26 Vgl. Groenemeyer 2003, S. 31 Mecheril 2008 S. 26 f. Vgl. Wenning 2015, S. 92

18

Einleitung

schaft erfolgt, erscheint der Rückgriff darauf im Rahmen dieser Arbeit unvermeidbar.40 Dominanzkritik als Analyseperspektive Das Verständnis von Kritik in dieser Arbeit knüpft eng an das migrationspädagogische Kritikverständnis an, das wesentlich von einer dominanzkritischen Perspektive getragen wird. Der Begriff Dominanzkritik knüpft an das Konzept der Dominanzkultur (Rommelspacher 1995) an: Dominanzkultur wird durch Herrschaftssysteme und -erfahrungen einer Gesellschaft konstituiert, die Grundlage für bestimmte Formen der strukturellen Ausgrenzung (wie bspw. Rassismus, Sexismus oder Ableismus) bilden. Dominanzkritik tritt somit als Instrument zur Analyse, Kritik und Veränderung von dominanzkulturellen Formen der gesellschaftlichen Existenz auf. Mit einer so verstandenen Kritik verbindet sich der Anspruch, „implizite, z. T. explizite Tendenzen und als Nebenfolgen verstehbare Risiken“41 von bestimmten Umgangsweisen mit „Kultur“, „Migration“ und „Migrant*innen“ im Bereich interkultureller Bildung zu thematisieren. Eine solche Kritik untersucht, inwiefern die längs der oben erwähnten Kategorien „Kultur“, „Sprache“, „Migrationshintergrund“ etc. gezogenen Selbst- und Fremdpositionierungen zur „Ressource der Abgrenzung (werden), auf die man sich berufen kann, wenn es für die Verfolgung von Interessen und Zielen hilfreich erscheint“.42 Sie untersucht die Entstehung gesellschaftlicher und politischer Herrschaftsstrukturen, wobei Herrschaft nicht als etwas Aufgezwungenes verstanden wird, sondern „als eine Struktur, der bereitwillig entsprochen wird, weil sie diejenigen Vorteile sichert, die ihr entsprechen.“ 43 Durch die kritische Auseinandersetzung mit der Verwendungsweise von Differenzmarkierungen können subtile, verdeckte Machtformen offengelegt werden. Mit Bezug auf die thematische Verortung dieser Arbeit im Kontext der Lehrer*innenbildung und -professionalisierung macht die oben beschriebene kritische Perspektive eine Darstellung der gesellschaftlichen Positionierung von Lehrkräften notwendig. Lehrer*innen werden entsprechend als Träger*innen

40 41 42 43

Vgl. Quehl 2010, S. 185 Mecheril 2008, S. 19 Groenemeyer 2003, S. 23 Messerschmidt 2009 a, S. 9

Theoretischer Rahmen

19

einer machtvollen Position verstanden, die sowohl Ausgrenzungs- als auch Anerkennungspraktiken hervorbringen kann. Diese Praktiken knüpfen wiederum an allgemeingesellschaftlich, politisch und strukturell tradierte Diskurse über Migration und Migrant*innen an. Zentral für die in dieser Dissertation vorgenommene Analyse ist es also, die Involviertheit der Pädagog*innen in Prozesse der stets mit Rückgriff auf bestimmtes Wissen erfolgenden Zugehörigkeits- und Nichtzugehörigkeitskonstruktion aufzuzeigen. Diskursbeschreibung als theoretischer Zugang Ein pädagogischer Umgang mit migrationsbedingter Diversität und Differenz reagiert auf allgemeingesellschaftliche und politische Einflüsse, die Problembestimmungen vornehmen und Lösungen für die Praxis anbieten. Diese Einflüsse können als diskursiv verstanden werden, weil sie einen Komplex machtvollen Wissens und wirkungsvoller Handlungsvorstellungen herstellen und damit einen Diskurs über Migration und Migrant*innen in der Bildung erzeugen.44 Dementsprechend werden die in dieser Arbeit systematisierten Thematisierungen des Umgangs mit Schüler*innen mit „Migrationshintergrund“ als Ausprägungen eines bestimmten im Bildungsbereich verorteten Diskurses definiert und vor dem Hintergrund ihrer Wechselwirkung mit weiteren, im politischen und öffentlichen Bereich verlaufenden Diskursen über Migration, Differenz und Diversität analysiert. Das Diskursverständnis in dieser Arbeit orientiert sich an dem Diskursbegriff nach Foucault. Anders als der in der Diskursethik verwendete Diskursbegriff, welcher – in der Tradition von Habermas – einen Diskurs als argumentative Auseinandersetzung deutet, bezieht sich Foucaults Diskursbegriff auf die Praxis einer geregelten Produktion von Aussagen sowie das durch diese Regeln charakterisierte Ordnungssystem. Foucaults diskursanalytische Vorgehensweise zielt auf die Untersuchung bestehender Wissensordnungen und Machtdispositive,45 wobei unter dem Wissensbegriff „alle Erkenntnisverfahren und -wirkungen“ subsumiert werden, die „in einem bestimmten Moment und in einem bestimmten Gebiet akzeptabel sind.“46. Der Diskurs im Sinne Foucaults stellt also einen

44 45 46

Vgl. Brunner/Ivanova 2015, S. 25 f. Vgl. Foucault 1981, S. 74 Foucault 1992, S. 32

20

Einleitung

Raum dar, „in dem ein Subjekt von einer bestimmten Position aus in bestimmter Weise, mit bestimmten Begriffen etwa, über die Gegenstände sprechen kann.“ 47 Diskurse sind nach Foucault immer von Machtbeziehungen durchzogen, da durch Macht entschieden wird, was (un-)sagbar ist.48 Dabei wird unterschieden zwischen Wissensordnungen und daran anknüpfenden diskursiven Praktiken (Handlungsweisen, in denen sich das Sagbare formt).49 Diskursive Praktiken sind Äußerungsakte, die an Wissensordnungen, also an ein bestimmtes soziales, politisches etc. Wissensfeld, geknüpft sind.50 Im Kontext dieser Arbeit beziehen sich solche Wissensordnungen wesentlich auf Vorstellungen von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit, während sich diskursive Praktiken in einem Sprechen über (Nicht-)Zugehörigkeit äußern. Durch eine dominanzkritische Reflexion bestimmter diskursiver Praktiken kann erarbeitet werden, wie Diskussionsgegenstände gebildet werden bzw. durch welche Prozesse bestimmte Konstrukte als natürlich und gegeben bzw. „wahr“ und „real“ hergestellt werden.51 Die Reproduktion diskursiver Praktiken äußert sich in der Wiederholung von Äußerungsakten. Diese vollziehen sich wiederum im Kontext von Diskursen, die sie zitierend aufgreifen.52 Wichtig anzumerken erscheint hier, dass ein*e Sprecher*in sich niemals ganz „in“ einem Diskurs befinden kann: „Niemals lässt sich eine Praxis absolut gleich oder identisch wiederholen, immer existiert eine Art von Andersheit in der Wiederholung [...], sodass sich [...] eine Möglichkeit ergibt, dass die repetitiven Praktiken mit den ihnen vorangegangenen Kontexten, kulturellen Codes oder symbolischen Strukturen brechen oder diese verschieben.“53 Diskurse stellen folglich Kontexte dar, die nicht bloß aufgegriffen und zitiert, sondern - durch die eben erwähnte Unmöglichkeit der eins zu-einsWiedergabe – permanent transformiert werden.54 Somit kann ein*e Sprecher*in eine bestimmte Diskursstruktur niemals vollständig „repräsentieren“.55 Daraus ergibt sich mit Bezug auf die in der Arbeit vorgenommene Beschreibung diskur-

47 48 49 50 51 52 53 54 55

Reh 2012, S. 279 f. Vgl. ebd., S. 280 Vgl. Foucault 1981, S. 74 Vgl. Wrana 2012, S. 201 Vgl. ebd., S. 196 und Wrana 2005, S. 2 Vgl. Wrana 2012, S. 198 Moebius 2008, S. 62 Vgl. Reh 2003, S. 61 Vgl. Wrana 2012, S. 201 f.

Aufbau der Arbeit und methodisches Vorgehen

21

siver Praktiken der Anspruch, punktuell Bezug auf bestimmte diskursive Praktiken und die diesen zugrunde liegenden Wissensordnungen zu nehmen. Der Einbezug des Diskursbegriffes im Sinne Foucaults ist in dieser Dissertation nicht an ein methodisches Vorgehen der Diskursanalyse geknüpft, sondern dient lediglich der Bestimmung und Verortung des theoretischen (Orientierungs)Rahmens. Das bedeutet, dass auf diskurstheoretisches Begriffsinstrumentar insofern Bezug genommen wird, als die in Literatur beschriebenen Praktiken bestimmte Diskurse erzeugen, indem sie „systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“56.

1.3 Aufbau der Arbeit und methodisches Vorgehen Wie oben bereits dargelegt, handelt es sich bei dieser Arbeit um eine dezidiert aus dominanzkritischer Perspektive argumentierende und anhand empirischer Analysebeispiele verdeutlichte Bestimmung und Beschreibung von Diskurssträngen, die den Umgang mit Migration und Migrant*innen in schulischen Bildungskontexten thematisieren. In diesem Rahmen werden Texte, die auf den Wissenskomplex „Migration und Schule“ bezogen sind, miteinander verglichen, einander gegenübergestellt bzw. kontrastiert, um anhand eines intertextuellen Zusammenhanges (oder die Abgrenzung verschiedener Zusammenhänge voneinander) nachzuzeichnen, wie bestimmte diskursive Praktiken konstituiert sind.57 Im ersten Schritt wurde die Rekonstruktion des Forschungsstandes vorgenommen, indem ein vorläufiger Korpus an Schlüsseltexten über die Entwicklung von Ansätzen interkultureller Bildung bestimmt wurde. Als Schlüsseltexte wurden jene breit rezipierten erziehungswissenschaftlichen Arbeiten erfasst, in denen eine Systematisierung von Ansätzen interkultureller Bildung vorgenommen wurde (Niedrig 1996; Diehm/Radtke 1999; Mecheril 2004; Krüger-Potratz 2005; Gogolin/Krüger-Potratz 2006; Nieke 2008; Nohl 2010). Im zweiten Schritt wurde der bestehende Textkorpus um weitere Schlüsseltexte ergänzt, die eine ausführliche Beschreibung und Charakterisierung der einzelnen Ansätze innerhalb des Feldes interkulturelle Bildung vornehmen (Niekrawitz 1990; Auernheimer

56 57

Foucault 1981, S. 74 Vgl. Reh 2012, S. 279

22

Einleitung

1996, 2003 und 2012; Mecheril 2010; Kalpaka/Mecheril 2010). Dabei fungierte die (kritische) Rezeption durch Vertreter*innen anderer Perspektiven als wichtiges Korrelat zu den Selbstpräsentationen der jeweiligen Ansätze und Konzepte. In einem nächsten Schritt erfolgte eine Analyse des vorhandenen Textkorpus mit dem Ziel, Darstellungen zu verschiedenen Ansätzen interkultureller Bildung zusammenzufassen, zu strukturieren und zu ordnen. Darauf aufbauend wurde eine synchrone Systematisierung von Diskurssträngen im Diskursfeld interkulturelle Bildung entwickelt, die zugleich unterschiedliche pädagogische Perspektiven auf den Umgang mit „Migrationsanderen“ markieren.58 Einzelne Diskursstränge wurden dann anhand entsprechender Bezugskategorien charakterisiert und beschrieben. Hierbei wurden weitere Quellen aus unterschiedlichen Zeitperioden herangezogen, die mithilfe themenrelevanter Schlagwörter bzw. Wortkombinationen (z. B. „Ausländer in der Schule“, „kulturelle Diversität“, „antirassistische/rassismuskritische Bildung“ usw.) recherchiert worden sind. Die Zuordnung der Literaturquellen zu den einzelnen Diskursbereichen bzw. Perspektiven erfolgte jedoch nicht (allein) anhand der Titelbezeichnungen oder ausgewiesenen Inhaltsangaben, sondern anhand der im Laufe der Textanalyse eigenständig ermittelten Thematisierungen, Argumentationsmuster und Gegenstandsfokussierungen. So wurden beispielsweise einige Texte, die laut dem Titel kulturdifferenzorientierten Perspektiven zugeordnet werden konnten, in den Inhalten jedoch verstärkt die diskursiven Formationen der defizitorientierten Perspektiven aufwiesen, entsprechend defizitfokussierten Diskurssträngen (Fokus: Migrant*innen, Analyseperspektive: Defizit) zugeordnet. Der theoriebasierten Beschreibung der Diskursstränge folgt jeweils ein kurzer empirischer Analyseteil. Hierbei werden Ergebnisse der Auswertung von Reflexionen der Lehramtsstudierenden in dem Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“59 exemplarisch vorgestellt, um zu veranschaulichen, inwiefern bzw. auf welche Weise sich die zuvor im theoretischen Teil beschriebenen Wissensordnungen und diskursiven Praktiken in konkreten Gegenstandbestimmungen, Argumentationen und Schlussfolgerungen der künftigen Lehrkräfte niederschlagen bzw. mit welchen Konsequenzen dies für den Umgang mit verschiedenen Schüler*innengruppen in der Klasse (bspw.

58

59

Vgl. Kapitel 3 „Synchrone Analyse des Diskursfeldes interkulturelle Bildung unter Berücksichtigung chronologischer Entwicklungen – Systematisierung und Beschreibung“ Zum Vorgehen vgl. Kapitel 1.4. „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“

Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden

23

hinsichtlich der (Re-)Produktion von Kategorien der (Nicht-)Zugehörigkeit und daran geknüpften Praktiken der Anerkennung und Ausgrenzung) einhergeht. Schließlich sollen mit Rückgriff auf die theoretischen und empirischen Analyseergebnisse relevante Implikationen für die migrationsgesellschaftliche, reflexionsorientiert und dominanzkritisch angelegte Professionalisierung von Lehrkräften zusammengefasst sowie mögliche Wege für die entsprechende Gestaltung pädagogischer Praxis aufgezeigt werden.

1.4 Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden Bei dem im Rahmen dieser Arbeit analysierten empirischen Material handelt es sich um schriftliche Reflexionen von Studierenden verschiedener Lehramtsstudiengänge (Lehramt Grund-, Mittel- und Realschule sowie Europalehramt60) an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, die an den Workshops „LehrerIn sein in der Migrationsgesellschaft“ im Rahmen des Projekts „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ teilgenommen haben. Das Projekt wurde von 2012 bis 2015 an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe durchgeführt und hatte die Entwicklung und nachhaltige Verankerung eines Moduls zu interkulturell-migrationsgesellschaftlicher Professionalisierung der Lehramtsstudierenden zum Ziel.61 Im Rahmen der Modulentwicklung wurden theoretisch-reflexive und zugleich praxisorientierte Workshops zu den Themen Migration und migrationsbedingte Lebenslagen, Interkulturalität, gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnisse, Rassismus und Diskriminierung sowie Selbst- und Fremdpositionierungen konzipiert, in zwei Durchgängen erprobt und evaluiert.62

60

61

62

Das Europalehramt bildet ein Profil innerhalb des Lehramts für Grundschulen/Haupt-, Werkrealund Realschulen an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. „Das Europalehramt integriert im Sinne von CLIL (Content and Language Integrated Learning) ein oder zwei Sachfächer sowie die Zielsprache Englisch oder Französisch. So können die Sachfächer bilingual unterrichtet werden.“ (Pädagogische Hochschule Karlsruhe 2016 a). Ausführlich zu dem Projekt, den darin konzipierten Workshops und den Projektergebnissen vgl. Brunner/Ivanova 2015, S. 9 ff. Vgl. Pädagogische Hochschule Karlsruhe 2016 b

24

Einleitung

Die Teilnahme an den Workshops konnte als Wahlpflichtfach belegt werden. Im ersten Workshop-Durchgang haben 10 Personen an den Workshops teilgenommen, im zweiten Workshop-Durchgang 18 Personen – insgesamt also 28 Teilnehmende.63 Die Gruppe bestand, mit Ausnahme der ersten Veranstaltung im zweiten Workshopdurchlauf, ausschließlich aus Frauen. Auch die analysierten Reflexionen wurden nur von weiblichen Teilnehmenden erstellt, weshalb nachfolgend von Teilnehmerinnen gesprochen wird. Erhebung der Reflexionen Um die Wissensbestände, (Vor-)Erfahrungen und Einstellungen zum Themenbereich Migration und Interkulturalität sowie damit verbundene Handlungsstrategien der Studierenden zu untersuchen, wurde zu Beginn der Workshops eine Reihe von Reflexionen anonym erhoben. Unter „Reflexionen“ wurden im Projekt schriftliche Textproduktionen der Teilnehmenden zu einem bestimmten Thema verstanden, in denen es um eine analytische und selbstbezogene (d. h. eigene Gedanken, Erfahrungen und Bewertungen explizit mit einbeziehende) Auseinandersetzung mit einem Themenbereich bzw. einem Fall geht. Im Projekt wurde mit verschiedenen Reflexionsformen gearbeitet, von denen zwei – eine Begriffsreflexion und eine Fallreflexion – ausführlich ausgewertet wurden: 1) Begriffsreflexion Bei der Begriffsreflexion ging es um die Ermittlung assoziativer Gedanken und Vorstellungen der Teilnehmenden zum Thema Migrationsgesellschaft. Der Auftrag an die Teilnehmenden lautete dabei wie folgt: „Beschreibe bitte – wenn möglich, in einem Fließtext – deine Gedanken, Assoziationen und Vorstellungen zu dem Begriff ‚Migrationsgesellschaft‘“. Die Teilnehmerinnen bekamen dafür ca. eine halbe Stunde Zeit (die nach Wunsch um weitere 10 Minuten verlängert wurde), was in den meisten Fällen ausreichend war, um erste Gedanken und Assoziationen zu ordnen und in Form eines Fließtextes zusammenzubringen. Nichtsdestotrotz finden sich bei der Be-

63

Aufgrund der geringen Teilnehmendenzahlen kann die im Projekt vorgenommene Erhebung (s. u.) nicht als repräsentativ gelten.

Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden

25

griffsreflexion vereinzelt ganz knapp ausgefallene oder stichwortartige Reflexionen, die nur bedingt zur Analyse herangezogen werden konnten. 2) Fallreflexion Bei der Fallreflexion ging es um Analyse und Entwicklung von Lösungsstrategien für einen konkreten Problemfall, welcher aus dem ebenfalls im Rahmen des Projektes erhobenen Erfahrungsbericht einer Studentin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe stammt und den Workshop-Teilnehmerinnen in der Originalversion (ohne jegliche Korrekturen) vorgelegt wurde: „Tagesfachpraktikum, in der Klasse waren seit einigen Wochen 2 Schüler (Geschwister, 1 Mädchen & 1 Junge), welche aus Frankreich ausgewiesen worden waren und welche einen Sinti- und Roma-Hintergrund (genaues weiß ich nicht) hatten. Beide sprachen kein Wort Deutsch, die Klasse war eine 8. Klasse einer Hauptschule in einer ländlichen Gegend. Weder der Fachlehrer (der Rektor der Schule) noch die Mitschüler/innen konnten irgendetwas mit den beiden anfangen, sie wurden in keinster Weise in den Unterricht oder soziale Aktivitäten innerhalb der Klasse eingebunden. Der Rektor, welcher unser Mentor war, wies uns an, die beiden einfach zu ignorieren, sprach abfällig von den ‚Zigeunerkindern‘ und beklagte sich, nicht zu wissen, wie er die beiden losbekommen könne (wörtlich). Ich selbst war darüber empört, wie sich der Rektor verhielt und wie er über die Situation und die Kinder dachte und fragte mich, wieso er sich das als Person, die in der Öffentlichkeit steht, erlauben kann. Gleichzeitig war ich aber auch ratlos, wie ich es in meinem Unterricht genau handhaben sollte, denn die beiden waren zudem auch noch sehr zurückhaltend und wirkten regelrecht eingeschüchtert. Wie also mit ihnen umgehen? Den Rat des Rektors zu befolgen war für mich eigentlich keine Option. Jedoch muss ich zugeben, dass ich vermute, dass mein Unterricht letztlich doch an den beiden vorbeiging, ich bezweifle, dass die Stunde sie in irgendeiner Weise weitergebracht hat. (Wobei es natürlich auch schwierig ist, in einem Tagespraktikum auf solche Umstände zu reagieren.)“ Folgende Reflexionsfragen zu dem Fall wurden an die Studierenden gestellt: 1.

Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation?

2.

Wie könnte darauf reagiert werden?

3.

Welche Fragen bleiben bei dir zurück?

26

Einleitung

Auswertung der Reflexionen Die Auswertung der Reflexionen im Projekt erfolgte mithilfe von zwei unterschiedlichen Auswertungsmethoden. Zum einen wurde eine Kategorienbildung und eine Phänomenanalyse in Anlehnung an die Vorgehensweise der Grounded Theory64 vorgenommen, jedoch ohne Anspruch, dieser komplexen Methodologie in ihrer Zielsetzung – nämlich der Entwicklung einer gegenstandsbegründeten Theorie – gerecht zu werden. Vielmehr wurden im Auswertungsprozess einzelne methodische Schritte der Grounded Theory (offenes und axiales Kodieren)65 dazu genutzt, das Material aufzubrechen, zentrale Kategorien sowie Subkategorien herauszuarbeiten und komplexe Phänomenzusammenhänge zu identifizieren. Hierfür fand im ersten Schritt im Prozess des offenen Kodierens eine Vorabstrukturierung des Materials statt, bei der einzelne themenbezogene, in den Reflexionen explizit oder implizit von den Teilnehmerinnen angesprochene Konzepte und Phänomene herausgefunden wurden. Nach der Identifikation der ersten Konzepte wurden diese zu abstrakteren Kategorien gruppiert, die dann im Prozess des axialen Kodierens zueinander in Beziehung gesetzt wurden. Zudem wurden phänomenbezogene Zusammenhänge innerhalb der entwickelten Kategorien festgestellt.66 Dazu wurden die Ursachen für die jeweiligen Phänomene, der Kontext, die intervenierenden Bedingungen, die Strategien zum Umgang der Akteur*innen (in diesem Fall – der Teilnehmerinnen) mit dem jeweiligen Phänomen sowie entsprechende Konsequenzen analysiert.67 Der letzte Schritt – die Bildung einer Hauptkategorie und die Subsumierung der bisher erarbeiteten Phänomene und Kategorien unter diese Kernkategorie68 – erfolgte im Projekt nicht, es fand also keine Ausarbeitung eines theoretischen Modells statt, sondern lediglich eine analytische Betrachtung, Erschließung und Systematisierung der Daten, die es den Forscherinnen im weiteren Verlauf des Projekts ermöglicht hat, bedarfsorientierte Zielsetzungen für den weiteren Workshopverlauf auszuarbeiten. Zum anderen erfolgte – unabhängig von der Kategorienbildung nach der Grounded Theory – eine rekonstruktiv-interpretative Untersuchung von Teilnehmerinnen-Reflexionen. Während die Methoden des offenen und axialen Kodierens

64 65 66 67 68

Original vgl. Glaser/Strauss 1967 Vgl. Glaser/Strauss 2010 Vgl. Wollny/Marx 2009, S. 472. Vgl. Strübing 2008, S. 28 Vgl. Wollny/Marx 2009, S. 473

Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden

27

nach Grounded Theory, wie oben bereits erläutert, zum Zweck der Strukturierung des Materials, Entwicklung von (für die Ausarbeitung weiterer Workshopinhalte relevanten) Kategorien und Herstellung von (ebenfalls im weiteren Workshopverlauf zu berücksichtigenden) interkategorialen Bezügen eingesetzt wurden, erfolgte die rekonstruktiv-interpretative Analyse der Reflexionen mit dem Ziel, auch implizite Wissensbestände und Einstellungen der Lehramtsstudierenden aufzudecken. Diese sollten dann bei der weiteren inhaltlichen und methodischen Planung von Projektmaßnahmen bedacht werden – bspw. durch die Schaffung von Möglichkeiten einer kritischen Auseinandersetzung mit korrespondierenden (bildungs-)politischen, alltagsweltlichen und medialen Diskursen in den Workshops. Das Vorgehen bei der rekonstruktiv-interpretativen Untersuchung von Teilnehmerinnen-Reflexionen orientierte sich im Wesentlichen an der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring. Das Ziel der qualitativen Inhaltsanalyse ist eine systematische Textanalyse mithilfe von theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriensystemen.69 Mayring (2002, 2007) beschreibt drei konkrete Vorgehensweisen der qualitativen Inhaltsanalyse: die Zusammenfassung (die Reduktion des Materials), die Strukturierung (das Ordnen des Materials – z. B. als Typisierung) und die Explikation (die Deutung des Materials). Mit Blick auf die Projektziele erschien die Explikation des Datenmaterials als ein besonders geeignet, um (latente) themenbezogene Einstellungen und Denkmuster der Lehramtsstudierenden zu ermitteln. Im Prozess der Explikation geht es vordergründig um die Heranziehung weiterer Daten zur Interpretation von Texten bzw. Textstellen.70 Bei der Explikation von Teilnehmerinnen-Reflexionen wurde sowohl das das zusätzliche Material aus benachbarten Textabschnitten (enge Explikation) als auch zusätzliche Quellen herangezogen (weite Explikation), um eine Vielfalt an Deutungen zu ermöglichen. Bei der weiten Explikation wurden vor allem verschiedene chronologische und thematische Stränge von Diskursen über kulturelle und migrationsbedingte Diversität in der Bildung an das Material herangeführt, um die durch die Teilnehmerinnen in den Reflexionen direkt oder indirekt angesprochenen Phänomene diskursiv einordnen zu können. Folgende Leitfragen waren dabei ausschlaggebend:

69 70

Mayring 2002, S. 114 Vgl. ebd., S. 117 f.

28

Einleitung

-

Welche im theoretischen Teil beschriebenen Wissensordnungen greifen die Teilnehmerinnen in ihren Argumentationen auf?

-

Inwiefern werden entsprechende diskursive Praktiken in der eigenen Argumentation der Studierenden reproduziert bzw. modifiziert?

-

Welche pädagogischen Handlungsstrategien knüpfen an die Übernahme bestimmter Wissensbestände und darauf bezogener diskursiver Praktiken an?

Bei dem Vergleich vom theoretischen und empirischen Material wurde also gezielt nach Parallelen und Verbindungen zwischen den in der analysierten Literatur beschriebenen Diskurssträngen und den Argumentationen der Lehramtsstudierenden gesucht. Genau dieser Teil der umfangreichen Inhaltsanalyse von Reflexionen der Teilnehmenden am Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturellmigrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ ist hier von besonderem Interesse. Deshalb wird im Weiteren auf Ausführungen zum Vorgehen und den Ergebnissen der Kategorienbildung in Anlehnung an die Grounded Theory sowie auf weitgehende Teile der inhaltsanalytischen Textinterpretation ausdrücklich verzichtet. Es wird ausschließlich auf ausgewählte Stellen aus der Analyse zurückgegriffen, die die Verbindungen zwischen der Makroebene (gesellschaftliche und (bildungs-)politische Diskurse über Interkulturalität und Migration) und Mikroebene (individuelle Denk- und Interpretationsmuster der Teilnehmerinnen) aufschlüsseln. Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass nicht das methodische Vorgehen und nicht die ausführliche Darstellung der umfassenden Datenanalyse im Fokus dieser Arbeit steht. Ausgewählte praktische Auswertungsergebnisse dienen lediglich der Veranschaulichung relevanter Aspekte der theoretischen Systematisierung. Diese Vorgehensweise wird in sämtlichen weiteren Kapiteln und Abschnitten beibehalten.

2 Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität in verschiedenen Ansätzen interkultureller Bildung Mit dem Begriff natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit soll auf das Problem der alltäglichen Konstruktion von Andersheit aufmerksam gemacht werden, bei der Kategorien wie „Nation“, „Ethnizität“ und „Kultur“ häufig verschwimmen: „Die wechselseitige Verwiesenheit der Kategorien ‚Nation‘, ‚Ethnizität‘ und ‚Kultur‘ und ihre Verschwommenheit und Unklarheit sind zugleich auch Bedingung ihres politischen und sozialen Wirksamwerdens. Denn diese Unklarheit ist der Hintergrund, vor dem es möglich wird, Imaginationen, Unterstellungen und sehr grobe Zuschreibungen vorzunehmen, die dem Gebrauch solcher Bezeichnungen wie ‚türkisch‘, ‚italienisch‘, ‚deutsch‘, ‚arabisch‘ zugrunde liegen.“71 Dabei ist „[d]ie Imagination des natio-ethno-kulturellen ‚Wir‘ [...] häufig damit verknüpft, dass Differenz nach außen projiziert wird. Das Andere des natio-ethno-kulturellen ‚Wir‘, das ‚Nicht-Wir‘, zeichnet sich in der Fantasie, die dieses ‚Wir‘ ermöglicht, dadurch aus, dass es nicht hierher, an diesen Ort gehört und deshalb hier vermeintlich legitimerweise über weniger Rechte verfügt.“72 (ebd.).

2.1 Interkulturelle Bildung: Begriffsbestimmung Obwohl die Begriffe interkulturelle Bildung und interkulturelle Pädagogik im wissenschaftlichen Diskurs häufig synonym verwendet werden,73 wird im Rahmen dieser Arbeit aus Gründen der Übersichtlichkeit eine Unterscheidung vorgenommen. Interkulturelle Bildung wird im Folgenden als Oberbegriff für verschiedene Ansätze und Konzepte zum pädagogischen Umgang mit sprachlichkultureller bzw. migrationsbedingter Heterogenität in der Schule verwendet, während sich der Begriff interkulturelle Pädagogik auf einen bestimmten pädagogischen Ansatz innerhalb der interkulturellen Bildung bezieht. Die Deutung

71 72 73

Mecheril 2010 a, S. 14 Ebd. Vgl. bspw. Reich 1994; Lengyel/Sandfuchs (Hg.) 2018

Fürstenau

(Hg.)

2012;

Gogolin/Georgi/Krüger-Potratz/

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Ivanova, Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26739-1_2

30

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

der interkulturellen Bildung als Oberbegriff für verschiedene pädagogische Ansätze, die den Umgang mit kultureller und migrationsgesellschaftlicher Diversität fokussieren, ist demnach von dem in der Bildungsverwaltung, der pädagogischen Praxis und in der öffentlichen Diskussion teilweise noch verbreiteten Verständnis von interkultureller Bildung abzugrenzen, wonach diese ausschließlich Schulen bzw. Klassen mit hohem Migrant*innen-Anteil betrifft.74 Ebenfalls benötigt die „interkulturelle“ Komponente des Begriffs interkulturelle Bildung einer Erklärung. Der Begriff „interkulturell“ kann auf Ansätze verweisen, die „Kultur“ bzw. „kulturelle Differenz“ der Schüler*innen als einen besonders wichtigen Faktor bei der Erforschung von Bildungs- und gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen ansehen (z. B. klassische interkulturelle Pädagogik). Diese Deutung des „Interkulturellen“ wirft die Frage auf, ob Ansätze, die sich vorwiegend auf die Analyse kulturunabhängiger Faktoren konzentrieren und/oder den Umgang mit Heterogenität in der Schule aus einer macht- und diskriminierungssensiblen Perspektive analysieren (z. B. Migrationspädagogik), überhaupt unter dem Oberbegriff „interkulturelle Bildung“ subsumiert werden können. Das Problem besteht in dem performativ kulturalistischen75 Charakter des Begriffs „interkulturell“: auch wenn damit anderes beabsichtigt wird, werden durch die Identifikation als „interkulturell“ immer wieder die kulturalistischen Unterscheidungen reproduziert. Das Festhalten an dem Label „interkulturell“ kann demzufolge als Wunsch interpretiert werden, die Welt der Migrationen national-kulturell zu ordnen. In dieser Arbeit wird die „interkulturelle“ Komponente des Begriffs interkulturelle Bildung nicht mit der thematischen Fokussierung der jeweiligen Ansätze in Verbindung gebracht, sondern als diskursiver Ausgangspunkt verstanden. Das bedeutet, dass die Frage des angemessenen Umgangs mit Kultur und Interkulturalität bei sämtlichen Ansätzen, die unter dem Oberbegriff „interkulturelle Bildung“ zusammengefasst werden, als zentraler Ausgangspunkt einer wissen-

74 75

Vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 32 Unter Kulturalismus/Kulturalisierung wird in dieser Arbeit durchgehend ein Prozess der Herstellung von Differenzen verstanden, bei dem die Unterschiede zwischen Individuen und Gruppen vordergründig auf deren bestimmten, als relativ starr und im entscheidenden Maße das Denken und Handeln der Personen/Gruppen prägend verstandenen kulturellen Hintergrund zurückgeführt werden. Mit dem Prozess der Kulturalisierung ist also zum einen die Herstellung kulturdeterministischer Zusammenhänge und zum anderen die Überbetonung bzw. Überbewertung des Kulturellen gegenüber anderen Faktoren (wie bspw. sozialer Hintergrund oder gesellschaftlicher Status) verbunden. (Zum Prozess der Kulturalisierung in der Pädagogik s. bspw. Messerschmidt 2008 a).

Interkulturelle Bildung: Begriffsbestimmung

31

schaftlichen Diskussion und Theoriebildung fungiert. Denn all diese Ansätze kreisen in der einen oder anderen Form um die Frage, ob und inwiefern die „Kultur“ der Schüler*innen für ein zeitgemäßes pädagogisches Handeln von Bedeutung ist – und die Antwort auf diese Frage wird zum wichtigsten Kriterium, nach dem die Ansätze voneinander abgegrenzt werden können. So war für die Entstehung der Ausländerpädagogik die Suche nach Möglichkeiten, sprachliche und (teilweise auch) kulturelle „Defizite“ der eingewanderten Schüler*innen auszugleichen, entscheidend. Interkulturelle Pädagogik entstand als Reaktion auf die mangelnde Würdigung der anderskulturellen Hintergründe der Schüler*innen durch die Ausländerpädagogik – und die Prämissen der Migrationspädagogik formten sich im Zuge der Kritik an dem „Reden über Kultur und Schweigen über Struktur“76. Eine permanente Auseinandersetzung mit „Kultur“ bzw. Interkulturalität bildete somit stets eine Basis für die Modifikation bestehender und die Formung neuer Theorien und Handlungskonzepte. Demnach verweist der Begriff „interkulturelle Bildung“ auf verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit der kulturellen oder als solche gedeuteten Heterogenität in der Klasse sowie damit einhergehend auf unterschiedliche Konsequenzen für die pädagogische Praxis. Die Verwendung des Begriffs interkulturelle Bildung ermöglicht zudem eine Abgrenzung dieser pädagogischen Disziplin von Disziplinen, für deren Konzeptionalisierung andere Schwerpunkte ausschlaggebend waren (Schwerpunkt Inklusion/Ability: inklusive Bildung, Schwerpunkt Gender: gendergerechte/gendersensible Bildung, etc.). Diese Abgrenzung kann allerdings nur theoretisch – mit dem Ziel, sich auf einen bestimmten Gegenstandsbereich bzw. ein bestimmtes Diskursfeld verstärkt zu konzentrieren – erfolgen, denn in Realität sind zahlreiche Differenz- bzw. Zugehörigkeitsmerkmale der Schüler*innen, die für die pädagogische Praxis von Bedeutung sind, eng miteinander verwoben. Die Untersuchung dieser komplexen Verbindungen ist Gegenstand der intersektionalen Pädagogik.77

76 77

Kalpaka 2015, S. 302 Vgl. Kapitel 3.2.4.5. „Leitmotiv: Differenz/Diversität im Kontext der (gesamt-)gesellschaftlichen Diversität; Bezugskategorie: Analyse und Berücksichtigung vielfältiger Differenzlinien in der Gesellschaft“; Abschnitt „Intersektionalitätsansatz“)

32

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

2.2 Die Geschichte interkultureller Bildung in Deutschland In einschlägigen Publikationen fängt die Schilderung der Entwicklung interkultureller Bildungsansätze in Deutschland meistens mit der ersten Gastarbeiter*innenanwerbung in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts bzw. mit der Etablierung der so genannten Ausländerpädagogik in den 1970er Jahren an. Durch diese zeitliche Eingrenzung wird Fokus auf Diskurse und Praktiken gelegt, die zur Formung des aktuellen bildungspolitischen Umgangs mit Migrant*innen beigetragen haben. Auf der anderen Seite bewirkt eine solche Fokussierung möglicherweise, dass die jahrhundertlange Geschichte des pädagogischen Umgangs mit sprachlich und kulturell „anderen“ Schüler*innen vor der Gastarbeiter*innenanwerbung aus dem Blick gerät. Dabei ist „[d]ie Frage, ob bzw. unter welchen Bedingungen Kinder ausländischer Staatsangehörigkeit und/oder mit einer anderen Familiensprache als Deutsch die öffentliche (staatliche) Schule besuchen sollten, [...] Teil der Schulgeschichte seit Ende des 18. Jahrhunderts.“78 Der 18. Jahrhundert markiert deshalb den Anfang der Auseinandersetzung mit dem Thema sprachlicher bzw. natio-kultureller Diversität in der Schule, weil Bildung „im modernen Sinne“79 im Laufe des 18. Jahrhunderts konzipiert wurde – „parallel zum Aufbau des modernen Staates mit seiner umfassenden Verwaltung, Rechtsprechung und Armee.“80 In dem Buch „Interkulturelle Bildung – eine Einführung“ (2005) gibt Marianne Krüger-Potratz einen umfassenden Überblick über die Geschichte des bildungspolitischen Umgangs mit sprachlich-kultureller Heterogenität in der Schule ab dem 18. Jahrhundert und macht an mehreren Stellen deutlich, inwiefern historisch gewachsene Strategien zum Umgang mit Schüler*innen einer anderen Nationalität oder Sprache die Basis für bestimmte bildungspolitische und schulpädagogische Maßnahmen nach der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in den 1960er Jahren bildeten. Im Folgenden seien einige wichtige Erkenntnisse knapp zusammengefasst: -

78 79 80

Die nationale Schule war immer mit einer sprachlich, national, ethnisch und kulturell heterogenen Schüler*innenschaft konfrontiert, eine gezielte Suche nach geeigneten Strategien zum Umgang mit solchen Schüler*innen lässt sich jedoch erst ab dem 18. Jahrhundert verzeichnen. Die zu dieser Zeit an-

Krüger-Potratz 2005, S. 55 Allemann-Ghionda 1997, S. 111 Ebd.

Die Geschichte interkultureller Bildung in Deutschland

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-

33

gestoßenen Diskussionen über Bedingungen der Einschulung von ausländischen Kindern bzw. Kindern mit einer anderen Familiensprache als Deutsch wurden im 19. Jahrhundert fortgeführt und weiterentwickelt. Als Leitidee für entsprechende Konzepte setzte sich die Vorstellung einer nationalen Bildung durch, die auf einem starren national-kulturellen Selbstbewusstsein beruhte und die Abwehr „fremder“ Sprach- und Kultureinflüsse als Aufgabe proklamierte.81 Das Ziel, die nationale Identität Deutschlands zu fördern und vor „fremden“ Einflüssen zu schützen, nimmt in der Zeit des Nationalsozialismus besonders gewaltige Formen an – nicht nur mit Blick auf die umfassende Förderung des nationalen Denkens bei deutschen Bürger*innen durch Bildungsinstitutionen aller Art, sondern auch bezogen auf den bildungspolitischen Umgang mit nationalen, ethnischen und sprachlichen Minderheiten. Im Zuge der offiziellen „Minderheitenpolitik“ setzen nationale Bildungsinstitutionen gezielt Maßnahmen zur Verhinderung der sprachlichen und kulturellen Eingliederung von Minderheitengruppen v. a. auf okkupierten Territorien um. So werden gemäß den Bestimmungen zur Verhinderung der „Eindeutschung“ polnischer Minderheiten die Schulen u. a. damit beauftragt, polnischen Schüler*innen im Rahmen des Deutschunterrichts ein nur aufs Nötigste beschränktes Vokabular beizubringen. Grammatik, Phonetik und Stilistik sollten im Rahmen des Deutschunterrichts gänzlich ignoriert werden, damit die polnischen Schüler*innen an ihrer fehlerhaften Aussprache bzw. Ausdrucksweise erkannt werden konnten. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass polnischen Minderheiten Chancen auf die gesellschaftliche Akzeptanz und berufliche Entwicklung verwehrt bleiben.82 Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges fand keine offizielle Revision bisheriger Minderheitenpolitik statt. Es wurden keine einheitlichen Regelungen zum bildungspolitischen Umgang mit Personen einer anderen Nationalität oder Sprache getroffen, was letztendlich zur Aufrechterhaltung und gar zur Stärkung bereits etablierter national und monokulturell orientierter Bildungsstrukturen führte.83

Auch Allemann-Ghionda (1997) betont, dass die geschichtliche Formierung des deutschen Nationalstaates „gemäß dem heute noch vitalen Grundsatz ‚ein Terri-

81 82 83

Vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 95 Vgl. ebd., S. 79 f. Ebd., S. 81

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Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

torium, eine Sprache, eine Kultur, eine Nation‘“84 erfolgte und somit auch das nationale Bildungssystem zum „wirksamen Instrument des Aufbaus einer nationalen Identität“85 wurde. Dies hatte bspw. zur Folge, dass Minderheitensprachen und Dialekte stark zurückgingen bzw. komplett in den privaten Bereich zurückgedrängt wurden. Dabei ging die „Monopolstellung der Nationalsprache [...] Hand in Hand mit der Weitergabe von Inhalten und kulturell geprägten Sichtweisen zur Umsetzung der Grundidee, eine nationale und monokulturelle Identität zu formen.“86 Auch im 20. Jahrhundert blieb diese monolinguale und monokulturelle Ausrichtung des deutschen Bildungssystems zunächst unhinterfragt – trotz einer längeren Geschichte sprachlich-kultureller Heterogenität an Schulen wurde kein System etabliert, welches unterschiedliche Voraussetzungen und Hintergründe der Schüler*innen berücksichtigt. Vielmehr hätten sich, so Krüger-Potratz (2005), normbestimmende und Abweichung sanktionierende Strukturen etabliert bzw. verfestigt.87 Im Zuge der (Arbeits-)Migration nach Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts formen sich erste Konzepte zum Umgang mit natio-ethno-kulturell heterogener Schüler*innenschaft, die mit der fortschreitenden Entwicklung entsprechender bildungspolitischer Diskurse zunehmend ausdifferenziert werden. Die Versuche, diese Konzepte zu systematisieren, sind zum einen mit der Schwierigkeit verbunden, der historischen Entwicklung der Bildungsdiskurse in der Bundesrepublik Rechnung zu tragen, ohne die jeweiligen Entwicklungsphasen als linear, einheitlich und abgeschlossen darzustellen. Eine weitere Herausforderung bezieht sich auf die Notwendigkeit, einen umfassenden Überblick über verschiedene Konzepte und Perspektiven zu geben und dabei deren vielfältige und komplexe Verbindungen angemessen zu berücksichtigen. Geläufigen Ordnungsmodellen von Ansätzen interkultureller Bildung kann eine chronologische oder eine synchrone Systematisierungsweise zugrunde liegen. Diese beiden Vorgehensarten sollen im Folgenden genauer erläutert werden. Dabei orientiert sich die nachfolgend unternommene Differenzierung von chronologischen und synchronen Ansätzen sowie die Unterscheidung verschiedener Darstellungsarten jeweils innerhalb der chronologischen und der synchronen Vorgehensweise in Teilen an der Systematisierung der Entwicklungen interkul-

84 85 86 87

Allemann-Ghionda 1997, S. 111 Ebd. Ebd., S. 112 Vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 101

Chronologische Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung

35

tureller Bildung durch Krüger-Potratz (2005), nimmt dabei jedoch – basierend auf der im Kapitel 1.3 erläuterten Literaturanalyse – auch eigene Fokussierungen und Kategoriebildungen vor.

2.3 Chronologische Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung Bei der chronologischen Systematisierung wird eine Einteilung des Feldes interkulturelle Bildung in verschiedene Entwicklungsphasen vorgenommen, wobei die jeweiligen Ansätze sowie damit einhergehende Konzepte, Programme und Perspektiven zeitlich eingeordnet und als Abfolge von einander ablösenden Phasen dargestellt werden. In Anlehnung an Krüger-Potratz88 werden Ansätze in dieser Arbeit als übergeordneter Begriff für die Sammlung von inhaltlich relativ einheitlichen bzw. übereinstimmenden Konzepten, Perspektiven und Programmen verstanden. Unter dem Begriff Programme werden Vorschläge für die Entwicklung der Bildung in der Migrationsgesellschaft zusammengefasst, die lediglich Zielvorstellungen und Forderungen enthalten, während ein Konzept darüber hinaus auch Voraussetzungen, Ziele, Wege, Methoden und konkrete Umsetzungsvorschläge zusammenhängend und begründet erfasst. Mit dem Begriff der Perspektive soll speziell auf die Art und Weise hingewiesen werden, in der ein bestimmtes Thema von den Autor*innen betrachtet bzw. analysiert wird. Von der Ausländerpädagogik zu der interkulturellen Pädagogik Viele chronologische Systematisierungen beschreiben die Entwicklungsphasen interkultureller Bildung anhand der Entwicklung von den ausländerpädagogischen hin zu den interkulturell-pädagogischen Ansätzen.89 Dabei wird die Vor-

88 89

Vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 113 f. So bietet bspw. Niekrawitz (1990) einen Überblick über die chronologische Entwicklung von Strömungen und Tendenzen in der interkulturellen Bildung, indem er Ausländerpädagogik, Kritik der Ausländerpädagogik sowie Interkulturelle Pädagogik als Entwicklungsetappen der interkulturellen Bildung beschreibt. Ähnliche Modelle lassen sich bspw. bei Marburger (1991), Griese (1995), Kiesel (1996), Roth (2002) oder aktuell bei Große (2015) finden.

36

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

herrschaft ausländerpädagogischer Defizitperspektiven chronologisch den 1960er und 1970er Jahren, und die im Laufe der zunehmenden Kritik an der Ausländerpädagogik geformten interkulturell-pädagogischen Kulturdifferenzperspektiven den 1980er Jahren zugeordnet.90 Demnach entsteht Ausländerpädagogik als „jene erste […] pädagogische Reaktion darauf […], dass als Nicht-Einheimische verstandene, behandelte und hervorgebrachte Personen eine spezifische, (zunächst vor allem schul-)pädagogische Aufmerksamkeit erforderlich zu machen schienen.“91 Defizitorientierung wird von vielen Wissenschaftler*innen zu der wichtigsten Charakteristik der Ausländerpädagogik erklärt:92 Sprachliche und kulturelle Andersheit der zugewanderten Schüler*innen wird in ausländerpädagogischen Konzepten als Mangel betrachtet, welcher durch zielgruppenspezifische kompensatorische Fördermaßnahmen überwunden werden soll.93 In der ersten Phase der Ausländerpädagogik werden verschiedene Deutschfördermaßnahmen eingerichtet mit dem Ziel, das sprachliche Niveau der „Einwandererkinder“ an das ihrer deutschen Kommiliton*innen anzugleichen. Die „mitgebrachten“ Sprachkenntnisse der Schüler*innen werden dabei nicht nur ignoriert, sondern gar als Hindernis für eine erfolgreiche Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen in Deutsch angesehen,94 wodurch es zur Abwertung vorhandener Kenntnisse und Kompetenzen und schlussendlich zur Stigmatisierung von Migrant*innen-Kindern als „normabweichend“ kommt.95 Mit der Weiterentwicklung der Ausländerpädagogik lässt sich zusätzlich zu der Diskussion über sprachliche Barrieren eine implizite oder explizite Fokussierung auf die kulturelle Andersheit von Migrant*innen beobachten. So werden zunehmend Beiträge veröffentlicht, in denen die „Heimatkultur“ von Migrant*innen und die „deutsche“ Kultur einander gegenübergestellt werden, wobei als Ergebnis häufig die Unvereinbarkeit kultureller Orientierungen von (v. a. „türkischen“ bzw. muslimischen, aber auch „südländischen“) Migrant*innen und der deutschen Mehrheitsgesellschaft postuliert wird.96 Dementsprechend werden die Schulen mit der Aufgabe betraut, ausländischen Schüler*innen grundlegende

90 91 92

93 94 95 96

Vgl. Baquero Torres 2009, S. 312 Mecheril/Rigelsky 2010, S. 76 Vgl. bspw. Definitionen von Ausländerpädagogik nach Wenning 2003, Krüger-Potratz 2005, Nohl 2010 Vgl. Czock 1993 Vgl. Berg/Jampert/Zehnbauer 1999, S. 3 Vgl. Mecheril/Rigelsky 2010, S. 76 Beispiele vgl. Kruger-Potratz 2005, S. 123 ff.

Chronologische Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung

37

Orientierungen der „deutschen“ Kultur zu vermitteln. Relevante Maßnahmen orientieren sich dabei meist an einem starren und homogenisierenden Kulturbegriff – und das vermittelte kulturelle Wissen konzentriert sich größtenteils auf die Vermittlung historischer Traditionsvorstellungen und landeskundlicher Informationen.97 Gleichzeitig wird mit der Übernahme der politischen „Doppelstrategie“ im Umgang mit den Kindern von Arbeitsmigrant*innen die Erhaltung der Rückkehrfähigkeit von Migrant*innen zum weiteren erklärten Ziel ausländerpädagogischer Maßnahmen. Daher werden neben kompensatorischen Deutschförder- bzw. „Kulturvermittlungs“maßnahmen auch Maßnahmen zur Förderung der fremdkulturellen Identität von „Gastarbeiterkindern“ entwickelt. Konkret umgesetzt werden diese zunächst durch getrennten Unterricht in so genannten Nationalklassen und später durch ergänzenden Unterricht in der Muttersprache der Kinder, der durch ausländische Lehrkräfte außerhalb des Regelunterrichts verwirklicht wird.98 Interkulturell-pädagogische Ansätze formen sich im Zuge der Kritik an oben beschriebenen Defizitkonzepten der Ausländerpädagogik.99 Dabei bildete die explizite Abgrenzung von der in den ausländerpädagogischen Ansätzen dominierenden Defizitpespektive und die Hinwendung zur Beachtung von kultureller Differenz die Grundlage für die Konzeptionalisierung der Interkulturellen Pädagogik: „Unterschiede [sollen] eben als Unterschiede, jedoch nicht als Mängel definiert werden.“100 Während die Ausländerpädagogik also in einer anderen national-kulturellen Herkunft der Schüler*innen primär eine Quelle für Probleme in der Schule und im gesellschaftlichen Leben sieht, hegt die interkulturelle Pädagogik den Anspruch, kulturelle Differenz als „gegeben“ zu akzeptieren, ja diese sogar als Ressource zu betrachten. Dementsprechend tritt die Forderung nach Integration, bei der eine fremdkulturelle Identität von Migrant*innen akzeptiert und wertgeschätzt werden soll, als (wünschenswerte) Alternative zu Assimilation im Sinne einer einseitigen sprachlichen und kulturellen Anpassung von Minderheiten an die Mehrheitsgesellschaft auf.101 Während ausländerpädagogische Maßnahmen, so die Kritik, ausschließlich ausländische Schüler*innen als Adressat*innen fokussierten und eine Sensibilisierung der deutschen Schüler*innen nicht für notwendig erachteten, wird in inter-

97 98 99 100 101

Krüger-Potratz 2005, S. 122 Vgl. bspw. Auernheimer 2003, S. 38; Niekrawitz 1990, S. 14 ff. Vgl. Auernheimer 1996, S. 14 Vgl. Marburger 1991, S. 28 Vgl. bpsw. Bender-Szymanski/Hesse 1987; Hamburger 1989, S. 32

38

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

kulturell-pädagogischen Programmen die Erweiterung der Zielgruppe postuliert. Schlüsselqualifikationen für den Umgang mit Fremdheit und Differenz sollen demensprechend an Mehrheits- wie Minderheitenschüler*innen vermittelt werden.102 Kulturelle Differenz und ihre Auswirkungen auf den interpersonellen Umgang sollen zum Gegenstand der Analyse und Interpretation werden, und die Kenntnis anderskultureller Werte und Normen wird als Basis für eine erfolgreiche Kommunikation verschiedener kultureller Gruppen gesehen. Kulturelle Begegnung wird dabei zu einem wichtigen Schlagwort und der gegenseitige Austausch, z. B. im Rahmen gemeinsamer Feste, beim Besuch von religiösen Stätten oder ausländischen Familien gilt häufig als Instrument zum Erwerb interkultureller Kompetenz.103 Hierbei ist jedoch kritisch anzumerken, dass die Praxis interkultureller Bildung dem Anspruch der gegenseitigen kulturellen Sensibilisierung oft nicht gerecht wurde (und wird), da interkulturelle Begegnungsmaßnahmen häufig einseitig auf die Erweiterung des Horizonts der Mehrheitsangehörigen durch den Einblick in „fremde“ und exotische Kulturen abzielen bzw. diesen Effekt auch ungewollt produzieren können. Bis heute dominieren diejenigen „interkulturellen Trainings“ die deutsche (Weiter-)Bildungslandschaft, die trotz formeller Offenheit für alle Zielgruppen ausschließlich die an den Interessen und Bedürfnissen von Mehrheitsangehörigen orientierten Inhalte anbieten.104 Varianten innerhalb der chronologischen Darstellung ab den 1980er Jahren Im Folgenden soll am Beispiel von Auernheimer (2012) und Nieke (2008) exemplarisch auf mögliche Varianten chronologischer Systematisierung eingegangen werden, die – ähnlich wie die oben erläuterten Systematisierungsmodelle – die Ausländerpädagogik als die erste Phase der Entwicklung von Ansätzen interkultureller Bildung definieren, jedoch die Entwicklung nach Ausländerpädagogik jeweils unterschiedlich darstellen.

Beispiel 1: Systematisierung von Auernheimer (2012) Wenngleich 1980er Jahre, wie aus dem vorangehenden Abschnitt deutlich hervorgeht, in einigen Systematisierungen zu chronologischer Entwicklung interkul-

102 103 104

Vgl. Dietrich 2005, S. 2 Vgl. Allemann-Ghionda 1997, S. 122 ff. Vgl. Kalpaka/Mecheril 2010, S. 79 ff.

Chronologische Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung

39

tureller Bildungsansätze primär als Zeit der Etablierung der „klassischen“ interkulturell-pädagogischen Perspektiven105 beschrieben werden, machen andere Systematisierungsversuche auf die Ausdifferenzierung pädagogischer Ansätze ab den 1980er Jahren aufmerksam. So benennt bspw. Georg Auernheimer (2012) die verstärkte Aufmerksamkeit für rechtliche und soziale Benachteiligung von Migrant*innen als eine weitere (neben der Akzeptanz kultureller Differenz) Folge der Kritik an der Ausländerpädagogik und verweist damit auf strukturkritische106 Konzepte und Ansätze, wie bspw. Franz Hamburgers „Pädagogik des Ausgleichs von Benachteiligungen“.107 Das Nebeneinanderexistieren von unterschiedlichen Konsequenzen aus der Ausländerpädagogik – dem „Plädoyer für eine Erziehung zum interkulturellen Verstehen“108 und der Forderung nach einer „strukturellen und sozialen Integration“109 im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe von Migrant*innen an der Gesellschaft bezeichnet Auernheimer als „die Kontroverse seit den 1980er Jahren“110 – und impliziert damit, dass dieser Widerspruch bis heute nicht aufgehoben ist. Die 1990er Jahre werden in Auernheimers Systematisierung durch eine Wende charakterisiert, bei der sich der erziehungswissenschaftliche Diskurs zunehmend der Analyse von Diskriminierung und Rassismus widmet.111 Der Autor führt diese Entwicklung auf politische Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Aufstieg von rechtsextremen Verbrechen zurück, die eine verstärkte wissenschaftliche Rezeption der Rassismustheorien und antirassistischen Konzepte nach sich zogen. Als Ergebnis der zunehmenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Rassismus erfolgt die Etablierung eines eigenständigen deutschsprachigen Diskurses über Rassismus und antirassistische Arbeit (mit Annita Kalpaka, Nora Räthzel, Birgit Rommelspacher, Rudolf Leiprecht, Siegfried Jäger und Paul Mecheril als bedeutende Vertreter*innen).112

105

106 107 108 109 110 111 112

Unter dem Begriff der klassischen interkulturellen Pädagogik sollen in Anlehnung an Nohl (2010) Konzepte subsumiert werden, die sich entgegen der ausländerpädagogischen Defizitorientierung vorwiegend auf die Analyse kultureller Differenzen konzentrieren mit dem Ziel, das gegenseitige Verständnis zwischen verschiedenen Kulturen zu fördern und Vorurteile anzubauen (vgl. Nohl 2010, S. 54). Vgl. Kapitel 3.2.2.: „Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Defizit/Veränderungsbedarf“ Vgl. Hamburger 1983, S. 273; Hamburger 1984, S. 59 Auernheimer 2012, S. 42 Ebd. Auernheimer 2012, S. 42 Vgl. auch Baquero Torres 2009, S. 301 Vgl. Auernheimer 2012, S. 43

40

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

Gleichzeitig befördere diese Auseinandersetzung auch „ein[en] entscheidende[n] Perspektivenwechsel […] weg von den Migranten [und hin zu] den Defiziten der pädagogischen Institutionen“113, was zunehmend Forderungen nach dem Abbau von institutionellen und strukturellen Barrieren nach sich ziehe.114 Seit ca. 2000er Jahren rücken, so Auernheimer, die allgemeine gesellschaftliche Vielfalt, und mit ihr die Aufmerksamkeit für verschiedene Differenzlinien und daran anknüpfende gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse, in den Vordergrund der wissenschaftlichen Diskussion.115 Der Diversity-Ansatz, welcher zunächst Eingang in die interne Politik international agierender Unternehmen fand und vorwiegend als Instrument zur optimalen Ressourcennutzung und Marketingverbesserung angesehen wurde, bezeichnet in den pädagogischen Feldern eine Perspektive, die „die Vielfalt der Differenzlinien, abgewerteten Sozialkategorien und sozialen Disparitäten“116 fokussiert. Diversity kann darüber hinaus als Meta-Perspektive betrachtet werden, die zu einem „selbstreflexiven Umgang mit eigenen Identitätskonstruktionen, sozialen und kulturellen Einbettungen sowie deren Verschränkung mit Dominanz- und Unterordnungsstrukturen“117 auffordert.

113 114 115 116 117

Ebd. Vgl. ebd., S. 43 f. Vgl. Auernheimer 2012, S. 44 Ebd. Hormel/Scherr 2004, S. 207, zit. n. Auernheimer 2012, S. 45

Chronologische Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung

41

Die oben beschriebenen Entwicklungen lassen sich tabellarisch wie folgt zusammenfassen: Periodisierung

Pädagogischer Ansatz

Perspektive

1970er Jahre

Ausländerpädagogik

1980er Jahre

„Klassische“ interkultu- Differenz relle Pädagogik Strukturkritische Pädagogik

Defizit

Soziale/rechtliche Ungleichheit

1990er Jahre

Antidiskriminierungspä- Diskriminierung und dagogik/ Antirassistische Rassismus Pädagogik

2000er Jahre

Diversity-Pädagogik

Verschiedene Dimensionen von Vielfalt in Verschränkung mit gesellschaftlicher Ungleichheit

Tabelle 1: Eigene Systematisierung in Anlehnung an Auernheimer 2012, S. 38 ff.

Beispiel 2: Systematisierung von Nieke (2008) Eine breit rezipierte Variante der chronologischen Systematisierung von Konzepten interkultureller Bildung, die im Vergleich mit den anderen, sich oft stark überschneidenden Publikationen zur chronologischen Entwicklung interkultureller Bildungsansätze einer eigenen Logik folgt, bietet Wolfgang Nieke. Aktuell (3. Auflage, 2008) unterscheidet er sechs Phasen der Entwicklung der interkulturellen Bildung und Erziehung in Deutschland: 1) Gastarbeiterkinder an deutschen Hochschulen: „Ausländerpädagogik“ als Nothilfe 2) Kritik an der „Ausländerpädagogik“ 3) Konsequenzen aus der Kritik: Differenzierung von Förderpädagogik und interkultureller Erziehung 4) Erweiterung des Blicks auf die ethnischen Minderheiten

42

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität… 5) Interkulturelle Erziehung und Bildung als Bestandteil von Allgemeinbildung 6) Neo-Assimilationismus.118

Nach der mit den obigen Schilderungen der Entwicklung ausländerpädagogischer Ansätze weitgehend korrespondierender Beschreibung der Ausländerpädagogik als erster Entwicklungsphase interkultureller Bildungs- und Erziehungsansätze sondert Nieke die Kritik an entsprechenden Programmen und Maßnahmen als eine eigenständige Phase aus. Dabei geht er zum einen auf die durch den Verband der Initiativgruppen in der Ausländerarbeit angestoßene Kritik an der „Pädagogisierung des Ausländerproblems“119 ein, die argumentiert, dass die Ursachen von schulischen Problemen der „Einwandererkinder“ im gesellschaftlich-politischen Bereich liegen und demensprechend nicht durch „vorschnelle“ pädagogische Hilfsangebote zufriedenstellend gelöst werden können.120 Aus dieser Kritik leitet Nieke in Anlehnung an Hamburger (1983) die Forderung ab, „statt einer zielgruppenorientierten Ausländerpädagogik die Bemühungen um die Kinder von Wanderarbeitnehmern und Zuwanderern allgemein in den übergreifenden Zusammenhang einer ‚Pädagogik des Ausgleichs von Benachteiligungen‘ [...] zu stellen.“121 Zum anderen beschreibt Nieke die Kritik am Leitbegriff der Integration, welcher in ausländerpädagogischen Konzepten faktisch als Assimilation und Akkulturation gedeutet wurde. Die Etablierung von Konzepten einer interkulturellen Erziehung wird als Konsequenz aus dieser Kritik erfasst.122 Somit nimmt Nieke, ähnlich wie Auernheimer (2012), eine Differenzierung zwischen interkulturell-pädagogischen und strukturkritischen Ansätzen vor. Interessant ist hier jedoch, dass Nieke bei der Erläuterung der dritten Phase („Konsequenzen aus der Kritik: Differenzierung von Förderpädagogik und interkultureller Erziehung“) lediglich auf die Weiterentwicklung von Konzepten der interkulturellen Erziehung bzw. deren Abgrenzung gegenüber additiven Fördermaßnahmen für Migrant*innen-Kinder eingeht und nicht darauf, inwiefern strukturbezogene Konsequenzen aus der Kritik an ausländerpädagogischen Konzepten weiterentwickelt worden sind.

118 119 120

121 122

Vgl. Nieke 2008, S. 13 f. Vgl. Griese 1981 Vgl. Nieke 2008, S. 15; ausführlich zur Kritik vgl. Kapitel 3.2.2.2. „Leitmotiv: gesellschaftliche Strukturen als defizitär/veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Dominanzkritik“; Abschnitt „Kritik der ‚Pädagogisierung der sozialen Probleme‘“ Ebd. Vgl. ebd., S. 16

Chronologische Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung

43

Die vierte Phase bezeichnet Nieke als „Erweiterung des Blicks auf die ethnischen Minderheiten“123 und stellt dazu fest, dass der Fokus der Forschung in dieser Phase nun von der spezifischen Situation der Gastarbeiter*innen auf die Lebenslagen der „übrigen ethnischen Minderheiten“124, bspw. der Flüchtlinge, Sinti und Roma oder sprachlichen Minderheiten, erweitert wurde. Eine solche Blickerweiterung führe, so Nieke, automatisch auch zu der generellen Berücksichtigung von „strukturell benachteiligten und als andersartig definierten Gruppierungen in der Gesellschaft, ohne dass diese Gruppierungen zahlenmäßig in der Minderheit sein müssen.“125 Diese Fokuserweiterung wird von Nieke in der nächsten Phase „Interkulturelle Erziehung und Bildung als Bestandteil von Allgemeinbildung“ nur teilweise aufgegriffen, indem er darauf hinweist, dass eine „Vorbereitung auf ein vernünftiges Zusammenleben von Angehörigen differenter Lebenswelten in einer pluralen und damit auch multikulturellen Gesellschaft“126 nun als „selbstverständlicher und obligatorischer Bestandteil aller Bildungsbemühungen“127 angesehen wird. Gleichzeitig führt er die „Vorbereitung auf künftige Berufstätigkeit in globalen Kontexten“128 sowie die Entwicklung einer interkulturellen Kompetenz als einer erforderlichen Kompetenz für ein gelingendes „Zusammenleben innerhalb der eigenen Gesellschaft“129 als einen weiteren Aspekt „interkulturelle[r] Erziehung als Bestandteil der Allgemeinbildung“130 an und macht damit deutlich, dass auch „klassisch“ interkulturell-pädagogische Konzepte, die nicht mit dem erweiterten Begriff der Lebenswelten arbeiten, weiterhin bestehen bleiben. Mit der letzten Phase gerät die bisherige Weiterentwicklung der bisher geschilderten Perspektiven komplett in den Hintergrund bzw. scheint von „neoassimilationistischen“ Tendenzen in der (Bildungs-)Politik abgelöst oder zumindest überschattet zu sein. Seit den Terroranschlägen in New York im Jahre 2001 stünden, so Nieke, „alle Muslime unter einem – zwar unbegründeten, aber offenbar von vielen heimlich unterstützten – Generalverdacht, mit Gewalt ihre Vorstellung von einem Gottesstaat auch in Deutschland durchsetzen zu wollen.“131

123 124 125 126 127 128 129 130 131

Vgl. Nieke 2008, S. 18 Ebd. Ebd. Ebd., S. 19 (Hervorhebungen A.I.) Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 20

44

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

Infolge dominierender Diskurse über „muslimischen Terror“ hätten Akkulturationsforderungen an Migrant*innen in der bundesdeutschen (bildungs-)politischen Diskussion einen Aufschwung erlebt.132 Pädagogische Maßnahmen würden sich daher zunehmend von der interkulturellen Erziehung und Bildung abwenden und sich „hin zu einer Integrationsförderung mit Akkulturationsunterstützung“133 entwickeln.

Kritisch anzumerken in Bezug auf die oben nur kurz zusammengefassten Systematisierungsmodelle von Nieke (2008) und Auernheimer (2012) ist, dass darin zwar auf die Ausdifferenzierung von kulturdifferenzorientierten und strukturorientierten Konzepten eingegangen wird, jedoch gerade die strukturkritischen Ansätze bei der Beschreibung der Entwicklung interkultureller Bildungskonzepte nach 1990 außer Acht gelassen werden.134 Dadurch entsteht der Eindruck, als wären strukturkritische Perspektiven in den weiteren Entwicklungsphasen interkultureller Bildung in den Hintergrund getreten oder gar durch bspw. allgemein diversitätsorientierte Konzepte abgelöst. Dabei formt sich gerade in den 1990er Jahren der Ansatz der Migrationspädagogik, welcher mit der Zeit immer größeren Einfluss auf Diskussionen zum bildungspolitischen Umgang mit Migrant*innen erlangte. Die Auslassung von Migrationspädagogik durch Auernheimer135 und Nieke ließe sich zwar möglicherweise dadurch erklären, dass die beiden Autor*innen Migrationspädagogik nicht als einen Ansatz interkultureller Bildung betrachten. Gerade die Vertreter*innen der Migrationspädagogik selbst kritisieren die Bezeichnung „interkulturell“ als zu eingeschränkt, um migrationsbedingte Prozesse angemessen zu beschreiben – und grenzen sich dementsprechend davon ab, als Teil interkultureller Bildung subsumiert zu werden.136 Da

132 133 134

135

136

Vgl. ebd. Ebd., S. 21 Zwar sondert Auernheimer Antirassismus als eine Entwicklungsphase der interkulturellen Bildung in den 1990er Jahren aus, betrachtet diese jedoch nicht (auch) in Verbindung mit der Strukturkritik der 1980er Jahre, sondern ausschließlich als ein aus dem angloamerikanischen Raum übernommenes Konzept. Migrationspädagogik kommt in Auernheimers Übersichtswerk „Einführung in die interkulturelle Pädagogik“ zwar vor, jedoch nicht als ein (von Mecheril entwickelter) pädagogischer Ansatz, sondern als Sammelbegriff für vorhandene praktische Integrationshilfen für Migrant*innen: „Während interkulturelle Bildung die unzureichende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bewusst macht, arbeitet Migrationspädagogik praktisch daran, dass Menschen mit Migrationsgeschichte daran teilhaben (können).“ (Auernheimer 2012, S. 154). Vgl. bspw. Mecheril 2004, S. 17

Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung

45

Auernheimer jedoch antirassistische Konzepte, die sich ebenfalls entschieden von interkulturellen- bzw. Multikulturalismus-Konzepten abheben, als eine Entwicklungsphase der interkulturellen Bildung anführt (und Nieke die pädagogische Fokussierung auf strukturell benachteiligte Gruppen als eine Entwicklungstendenz innerhalb interkultureller Bildung beschreibt), erscheint die Auslassung des (mittlerweile) prominenten und einflussreichen migrationspädagogischen Ansatzes gewissermaßen unlogisch.137

2.4 Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung Während chronologische Systematisierungen den Verlauf der Diskussionen über den Umgang mit kultureller bzw. migrationsbedingter Heterogenität diachron analysieren, werden bei der synchronen Ordnung des Feldes verschiedene Ansätze, Konzepte, Programme und Perspektiven interkultureller Bildung ohne primären Fokus auf deren zeitliche Entwicklung analysiert. Als Analyse- bzw. Systematisierungskriterien können bei synchronen Systematisierungsversuchen unterschiedliche Merkmale der jeweiligen Ansätze, bspw. „Problemdefinition“, „Adressat*innen“, „Zielsetzungen“, etc.138 auftreten. Systematisierung nach pädagogischen Ansätzen bzw. Konzepten Häufig fungieren die jeweiligen pädagogischen Ansätze, wie diese teilweise auch in den chronologischen Systematisierungen auftauchen, als Analysekriterium für eine synchrone Beschreibung von interkulturellen Bildungskonzepten. Dabei kann ein chronologischer Bezug gezielt weggelassen oder, im Gegenteil, explizit berücksichtigt werden.

137

138

Zum Ansatz der Migrationspädagogik vgl. Kapitel 3.2.2.2. „Leitmotiv: gesellschaftliche Strukturen als defizitär/veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Dominanzkritik“; Abschnitt „Weiterentwicklung dominanzkritischer Ansätze“; Kapitel 3.2.4.1. „Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kulturalisierungsanalyse und Kulturalisierungskritik“; Abschnitt „Kulturalisierungskritik in der Migrationspädagogik“; Kapitel 3.2.6.2. „Leitmotiv: Rassismus als konstitutives Merkmal (post-)moderner (Migrations)Gesellschaften; Bezugskategorie: Rassismuskritik“; Abschnitt „Kritik in der Rassismuskritik“ Vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 114

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Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

Systematisierungen nach pädagogischen Ansätzen bzw. Konzepten ohne chronologischen Bezug am Beispiel von Niedrig (1996) Ein Beispiel für eine Systematisierung, die keine diachronen Bezüge aufweist, stellt das Modell von Heike Niedrig (1996) dar: Problemsicht sprachliche und sozialisationsbedingte „Defizite“ der Einwandererkinder

Pädagogisches Konzept139 Ausländerpädagogik

Adressaten „ausländische“ bzw. „ausgesiedelte Kinder“ (Minderheitenkinder)

„kulturelle Diffeinterkulturelle begegnungsorien- alle Kinder der renz“, z. B. unter- Erziehung tierter resp. kon- multikulturellen schiedliche Deufliktorientierter Gesellschaft tungsmuster, WertAnsatz vorstellungen, Rollendefinitionen, Sprachen Fremdenfeindlichkeit, rassistisch motivierte Gewalt, Ausgrenzung von Minderheiten

antirassistische Pädagogik

„deutsche Kinder“ (Kinder der Mehrheitsbevölkerung)

Tabelle 2: Konzepte interkultureller Pädagogik nach Niedrig 1996, S. 13

In dieser Systematisierung ordnet Niedrig bestimmte Sichtweisen auf diagnostizierte „Probleme“ der Schule im Umgang mit sprachlich-kultureller Diversität entsprechenden pädagogischen Konzepten und weist darüber hinaus auf die Zielgruppe der jeweiligen Konzepte bzw. Ansätze hin. Bspw. wird die Ausländerpädagogik als ein pädagogisches Konzept gefasst, welches „sprachliche und sozialisationsbedingte ‚Defizite‘ der Einwandererkinder“140 als Problem betrach-

139

140

Niedrig bezeichnet mit dem Begriff des pädagogischen Konzeptes das, was bei Krüger-Potratz (2005) als pädagogischer Ansatz definiert wird. Niedrig 1996, S. 13

Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung

47

tet und sich dementsprechend auf „Minderheitenkinder“141 richtet. Die pädagogische Aufmerksamkeit für unterschiedliche Herkunftssprachen und Kulturen wird mit Konzepten der interkulturellen Erziehung einerseits und mit begegnungsund konfliktorientierten Ansätzen andererseits in Verbindung gesetzt, die sich an alle Kinder in der multikulturellen Gesellschaft richten (sollen)142 – wobei die Autorin außerhalb der Tabelle auf Varianten innerhalb der interkulturellen Erziehungskonzepte aufmerksam macht, die bspw. zwar alle Kinder und Jugendlichen ansprechen, jedoch in der Praxis nur ausländische Schüler*innen als erklärungs- bzw. förderungsbedürftig behandeln.143 Schließlich beschreibt Niedrig antirassistische Pädagogik als Ansatz, der sich mit rassistisch motivierter Gewalt auseinandersetzt und Maßnahmen zur Rassismusprävention bei „Kinder[n] der Mehrheitsbevölkerung“144 entwickelt. In Bezug auf die Interpretation ihrer Systematisierung betont Niedrig die Gleichzeitigkeit von beschriebenen Konzepten. So hätte bereits die Ausländerpädagogik Problemdefinitionen hervorgebracht, die in dem oben zitierten Systematisierungsmodell interkultureller Erziehung bzw. begegnungs- und konfliktorientierten Ansätzen zugeordnet sind – und umgekehrt fungiere der Begriff interkultureller Erziehung in der Praxis oft als Ersatzbegriff für die Ausländerpädagogik. Die Tabelle sei dementsprechend nicht von oben nach unten, sondern von links nach rechts zu lesen.145 Anders als bei chronologischen Systematisierungsmodellen sind ähnliche Darstellungen folglich nicht als zeitlicher Verlauf, sondern als periodisierungsunabhängige Zuordnungen zu betrachten. Ähnlich argumentieren Lutz und Wenning (2001), indem sie betonen, dass „Defizit- und Differenzperspektive [in der Ausländerpädagogik und der interkulturellen Pädagogik] nicht konsekutiv oder alternativ, sondern zeitgleich parallel existieren.“146

141 142 143 144 145 146

Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 14 Ebd., S. 13 Vgl. Niedrig 1996, S. 13 Lutz/Wenning 2001, S. 15

48

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

Systematisierungen nach pädagogischen Ansätzen bzw. Konzepten mit chronologischem Bezug am Beispiel von Diehm/Radtke 1999 (ergänzt durch KrügerPotratz 2005) Anders als im oben angeführten Systematisierungsversuch von Niedrig (1996) wird in weiteren synchronen Modellen teilweise eine explizite Zuordnung von pädagogischen Konzepten und zeitlichen Periodisierungen (Entwicklungsphasen) der interkulturellen Bildung vorgenommen. Im Folgenden soll dies zunächst am Beispiel der Systematisierung von Isabell Diehm und Frank-Olaf Radtke (1999) gezeigt werden, welches durch Krüger-Potratz (2005) um das – bei Diehm/Radtke zwar ausführlich erläuterte, jedoch nicht in die Tabelle reingenommene – Konzept der Antidiskriminierung ergänzt wurde. Laut Diehm und Radtke kreisen die Debatten im Bereich Migration und Erziehung hauptsächlich um die Leitbegriffe Defizit, Differenz und Diskriminierung. Diese Begriffe geben jeweils eine andere Interpretationsrichtung vor: Probleme im Umgang mit nationalen, kulturellen oder sprachlichen Unterschieden können entweder durch Defizite von Migrant*innen oder durch kulturelle Differenzen erklärt werden. Indem man die Folgen dieser Interpretationsweisen kritisch betrachtet, nimmt man Diskriminierungsperspektive ein.147

147

Vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 20 ff.

Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung Periodisierung/ Konzepte

Diagnose

Adressaten

Praxis

Ziele

Gesellschaftsmodell

(1)

(2)

(3)

Defizit

Migranten (-kinder)

Kompensati- Rückkehr homogene on/ Förder- und / oder „Kultur“ maß- nahAssimilation men/ Muttersprache

Interkulturel- Differenz le Pädagogik

alle Schüler

Mehrperspektivität/ Kulturrelativismus/ Muttersprache

Antidiskrimi- Diskriminierung nierung

Bildungspolitiker/ Bildungsplaner/ Institutionen

Professionali- Erziehung sierung des und Bildung Personals als Inklusionshilfe, Veränderung Anpassung institutionel- der Bildungsler Struktu- insti- tutioren/ Routinen nen an die veränderten gesellschaftlichpolitischen Verhältnisse

Ausländerpädagogik

(4)

49

(5)

Anerkenmultikulturelnung/ Erhalt le Gesellkultureller schaft Identität

Einwanderungsgesellschaft, (Sozial-)Staat mit dem Merkmal Ungleichheit

Tabelle 3: Pädagogische Konzepte nach den drei "D's" (Defizit, Differenz, Diskriminierung), vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 128, ergänzt durch Krüger-Potratz 2005, S. 120

Anhand dieser Systematisierung soll deutlich werden, dass jedes der drei „D’s“ unterschiedliche pädagogische Konzepte (Ausländerpädagogik, interkulturelle Pädagogik und Antidiskriminierung) zum Umgang mit der veränderten Schüler*innenschaft hervorbringt. Diesen Konzepten werden jeweils bestimmte übergreifende Ziele (bspw. Rückkehr oder Assimilation bei der Ausländerpädagogik, Anerkennung und Erhalt kultureller Identität bei der interkulturellen Pädagogik und Reformierung von Bildungsinstitutionen beim Konzept der Antidiskriminierung) sowie konkrete Maßnahmen (bspw. kompensatorische Maßnahmen bei der Ausländerpädagogik; Maßnahmen, die verschiedene kulturelle Identitäten berücksichtigen, bei der interkulturellen Pädagogik und strukturverändernde Maß-

50

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

nahmen bei der Antidiskriminierung(-spädagogik)) zugeordnet, um den Zusammenhang zwischen den jeweiligen Problemdefinitionen und der Gestaltung pädagogischer Praxis aufzuzeigen. Schließlich wird die gesellschaftlich-politische Dimension einbezogen, indem auf die Frage eingegangen wird, an welche Gesellschaftskonzepte bzw. Vorstellungen der gesellschaftspolitischen Ordnung die jeweiligen Ansätze und Perspektiven anknüpfen. Im Unterschied zu dem oben angeführten Modell von Niedrig werden Ausländerpädagogik, interkulturelle Pädagogik und Antidiskriminierung in dem durch Krüger-Potratz ergänzten Modell von Diehm/Radtke nicht nur als drei Konzepte, sondern zugleich auch als drei Entwicklungsperioden ausgewiesen, wodurch ein chronologischer Bezug hergestellt wird. Jedoch bleibt die Darstellung insofern synchron, als dass die Einteilung in drei Perioden nicht primär als zeitliches, sondern als logisches Modell zu verstehen ist. So wird „Ausländerpädagogik […] als die ‚nachträgliche Rekonstruktion einer kritisierten Praxis‘ definiert, die aus dem Bemühen der Interkulturellen Pädagogik, sich ein eigenes Profil zu geben, entstanden sei“148 – man könnte also „überspitzt [...] sagen, dass die ‚Perioden‘ als nebeneinander geordnete oder auch miteinander konkurrierende Ansätze gelesen werden können.“149 Ähnlich nimmt Allemann-Ghionda (2002) in ihrem Systematisierungsmodell Bezug auf die chronologische Zuordnungsweise, indem sie von einer „Entwicklung in Stadien“150 (Ausländerpädagogik, interkulturelle Pädagogik, Kritik an der interkulturellen Pädagogik, Pädagogik der soziokulturellen und sprachlichen Vielfalt) spricht. Auch sie verzichtet jedoch darauf, die damit einhergehenden Konzepte (Assimilationismus in der Ausländerpädagogik, Multikulturalismus in der interkulturellen Pädagogik, Kritik am Multikulturalismus und Primat der Integration als Teil der „Kritik an der interkulturellen Pädagogik“, Pluralismus und Annahme der soziokulturellen Herkunft in der „Pädagogik der soziokulturellen und sprachlichen Vielfalt“) als eine zeitliche Abfolge zu analysieren.151 Dadurch würde ihre Systematisierung, so Krüger-Potratz, „die (korrekte) Vorstellung [vermitteln], dass die Paradigmen sich zwar nacheinander und in Reaktion aufeinander entwickelt haben, aber nun nebeneinander existieren.“152

148 149 150 151 152

Krüger-Potratz 2005, S. 119 f. Ebd. Allemann-Ghionda 2002, S. 487, zit. n. Krüger-Potratz 2005, S. 118 Vgl. ebd. Krüger-Potratz 2005, S. 119

Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung

51

Systematisierungen ohne Bezug zu pädagogischen Ansätzen bzw. Konzepten am Beispiel von Mecheril (2004) Schließlich seien synchrone Zuordnungsversuche erwähnt, in denen gänzlich auf einen Bezug zu den jeweiligen pädagogischen Ansätzen bzw. Periodisierungen verzichtet wird. Beispielhaft soll im Folgenden auf einen Systematisierungsvorschlag von Paul Mecheril (2004) eingegangen werden. Defizit Kulturelle Identität

Ressource

(1)

(2)

Diagnose: (Modernisierungs-) Rückstand

Diagnose: „different but equal“

Tendenz: Kulturrassismus/Ethnozentrismus

Tendenz: Kulturalismus/ „Othering“

Migrationsandere als Minderbemittelte

Migrationsandere als die Anderen

Diskriminierung (3) Diagnose: Ausschluss Tendenz: mangelzentriert Migrationsandere als Opfer

(4) Diagnose: (Selbst-) Positionierung Tendenz: Überschätzung der Subalternen/ Paradoxien der Subjektorientierung Migrationsandere als Handlungssubjekte

Tabelle 4: Analytische Felder der pädagogischen Beschäftigung mit Migrationsanderen nach Mecheril 2004, S. 101

Die Tabelle zeigt verschiedene Perspektiven in der pädagogischen Beschäftigung mit Migrationsanderen.153 Bei der Analyse und Interpretation von migrationsbedingter Realität wird in der Pädagogik entweder eine Fokussierung auf die Di-

153

Unter dem Begriff „Migrationsandere“ werden verallgemeinernd alle nach dem Herkunftskriterium als „anders“ hervorgebrachte und betrachtete Personen subsumiert, bspw. „‘Ausländer(kinder)‘, ‚Migranten(-jugendliche)‘, ‚Allochthone‘, ‚Fremde‘“etc. (Mecheril 2004, S. 100)

52

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

mension „kulturelle Identität“ oder auf die Dimension „Diskriminierung“ vorgenommen. Die beiden Dimensionen können jeweils unter einer defizit- oder unter einer ressourcenorientierten Perspektive betrachtet werden. Das Zusammenspiel von fokussierter Dimension und Beobachtungsperspektive ergibt „vier analytische Felder, die den Raum der pädagogischen Konstruktion, Untersuchung und Behandlung der Migrationsanderen wiedergeben.“154 So ergibt sich das erste Feld „Migrationsandere als Minderbemittelte“ aus der Betrachtungsweise auf Migrationsandere, bei der „kulturelle Identität“ im Mittelpunkt steht und unter einer Defizitperspektive betrachtet wird. Migrant*innen wird aufgrund ihrer kulturellen Differenz ein (Modernisierungs-)Rückstand gegenüber der Mehrheitsgesellschaft attestiert. Eine solche Betrachtungsweise neigt, so Mecheril, in Richtung Kulturrassismus und Ethnozentrismus, da der konstatierte „Rückstand“ einseitig auf die als statisch und unveränderbar betrachtete kulturelle Identität von Migrant*innen zurückgeführt wird. Das zweite Feld „Migrationsandere als die Anderen“ entsteht, wenn kulturelle Differenz nach dem Motto „different but equal“ betrachtet wird und kulturelle Identitäten der Minderheiten als Ressource angesehen werden. Die ressourcenorientierte Sichtweise auf kulturelle Identität beruht auf der Deutung kultureller Zugehörigkeit als Voraussetzung für die soziale Handlungsfähigkeit des Subjektes.155 Gleichzeitig neigt eine solche Betrachtungsperspektive gerade durch die einseitige bzw. übermäßige Konzentration auf kulturelle Differenzen zur Überbewertung des Kulturellen bzw. zur Essentialisierung und Stilisierung von Andersheit. Das dritte analytische Feld „Migrationsandere als Opfer“ ergibt sich durch die Fokussierung auf Diskriminierung von Migrationsanderen. Dabei werden vor allem Hindernisse und Grenzen für Migrant*innen in Betracht gezogen, die zum Ausschluss und Benachteiligung dieser gesellschaftlichen Gruppe führen. Dadurch, dass die Fähigkeit von Personen mit Migrationshintergrund zum kreativen und produktiven Umgang mit der eigenen marginalisierten Position vernachlässigt wird,156 tendiert eine solche Betrachtungsweise zur Viktimisierung von Migrationsanderen.

154 155 156

Mecheril 2004, S. 81 Vgl. ebd., S. 103 Vgl. ebd., S. 104

Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung

53

Auch im letzten dargestellten Feld „Migrationsandere als Handlungssubjekte“ stellt Diskriminierung eine zentrale Analysedimension dar – jedoch liegt hier der Fokus primär auf Ressourcen, die Migrationsandere nutzen (können), um „auch marginalisierte und restringierte Aufenthaltsräume prinzipiell sinnvoll zu gestalten.“157 Somit werden Migrant*innen als eigenmächtige Handlungssubjekte betrachtet. Jedoch besteht bei einer solchen Deutungsweise die Gefahr, die Handlungs- und Veränderungsmöglichkeiten von Minderheiten idealistisch zu überschätzen. Wird diese Überschätzung reflektiert, so „kommen die Paradoxien jener Handlungsfähigkeit in den Blick, die in einem Kontext zustande kommt und auf diesen Kontext bezogen ist, der als heteronom und degradierend beschrieben werden kann“.158 Durch die Darstellung dieser unterschiedlichen Felder gelingt es Mecheril zum einen, einen Überblick über verschiedene Muster des pädagogischen Umgangs mit Migrationsanderen zu geben, welches gleichzeitig bedeutende Schwerpunkte für Kritik entsprechender Perspektiven und Maßnahmen liefert. Zum anderen dient seine Systematisierung auch explizit dazu, wichtige „Untersuchungsgegenstände einer migrationspädagogischen Perspektive“159 zu ermitteln. Diese beziehen sich – ausgehend von den in der Systematisierung aufgezeigten Analyseund Kritikpunkten – auf die Kritik an der Kulturalisierungstendenz, die Beachtung von Dominanzverhältnissen und die Förderung der Handlungsfähigkeit unter Bedingungen der Ungleichheit.160 Somit stellt Mecherils Systematisierung zugleich ein Instrumentarium zur Analyse und Zuordnung verschiedener Thematisierungen von migrationsbedingter Heterogenität in der Bildung dar.

157 158 159 160

Ebd. Ebd., S. 105 Ebd. Vgl. ebd.

54

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

2.5 Fazit Anhand der knappen Übersicht der chronologischen und synchronen Systematisierungen in diesem Kapitel lassen sich Vor- und Nachteile der beiden Zugänge ermitteln. So kann anhand einer chronologischen Aufteilung der pädagogischen Ansätze ein guter Überblick über die wichtigsten Entwicklungstendenzen im Feld interkultureller Bildung geliefert sowie bedeutende kritische Argumentationen nachgezeichnet werden, die entscheidende Ausgangspunkte für Veränderungen und Neuorientierungen bildeten. Gleichzeitig stellt sich bei der Analyse chronologischer Systematisierungen generell die Frage, anhand welcher Kriterien der Anfang und das Ende der jeweiligen Phase bestimmt werden sollen. Bspw. könnte mit Bezug auf Niekes (2008) chronologischen Systematisierungsvorschlag kritisch hinterfragt werden, inwiefern die Tendenz zur „Zwangsakkulturation“ zum Ausgangspunkt der pädagogischen Wende und zum Hauptmerkmal aktueller Bildungsdiskurse erklärt werden kann, wenn auch weitere bedeutende Tendenzen, wie bspw. die Akzeptanz von Vielfalt und Verschiedenheit, eine wichtige Rolle spielen.161 Mit anderen Worten: Wird die Entwicklung pädagogischer Diskussionen innerhalb einer bestimmten Zeitperiode lediglich auf eine markante Perspektive reduziert, so bleiben die Verschiedenheit, Widersprüchlichkeit und Uneinheitlichkeit der Diskurse unberücksichtigt. Zudem kann dadurch suggeriert werden, dass jede „neue“ Phase einen Entwicklungsschritt gegenüber den „alten“ Perspektiven darstellt.162 Dabei werden zeitlich übergreifende Gemeinsamkeiten und Parallelen sowie mögliche Nachwirkungen bestimmter Perspektiven ignoriert. Jeder Versuch zeitlicher Einordnung bringt ferner das Risiko mit sich, dass Publikationen, die in einem bestimmten zeitlichen Rahmen veröffentlicht werden, „automatisch“ der entsprechenden Entwicklungsphase zugeordnet werden – ungeachtet dessen, ob sie inhaltliche Neuorientierungen enthalten oder, im Gegenteil, stark von „vergangenen“ Konzepten geprägt sind. Folglich ist die chronologische Zuordnung nur bedingt für die Analyse der bildungspolitischen Diskurse geeignet, da sie – trotz oder gerade wegen ihrer Eindeutigkeit und Plausibilität – oft ein simplifiziertes und pauschalisiertes Abbild der pädagogischen Diskurse liefert. Auch diejenigen chronologischen Systematisierungsmodelle, in

161

162

Vgl. Kapitel 3.2.3.1 „Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: Kritik der Defizitorientierung: kulturelle Diversität als Ressource“ Vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 43

Fazit

55

denen bedeutende Dynamiken und Kontroversen innerhalb der Entwicklung verschiedener Konzepte explizit berücksichtigt werden (wie bspw. Auernheimer 2012), laufen aufgrund ihres Phasencharakters Gefahr, als linear interpretiert zu werden bzw. direkte Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge dort herzustellen, „wo […] lediglich zeitlich korrekt die Ereignisse hintereinander“163 angeordnet werden.164 Synchrone Zuordnungsmodelle versuchen, diese Schwierigkeiten zu vermeiden. Sie können dabei an bestehende chronologische Klassifikationen anknüpfen, indem bspw. auf die in der chronologischen Periodisierung verwendeten Kategorien zurückgegriffen wird. Der Unterschied gegenüber chronologischen Systematisierungen besteht darin, dass bei synchronen Modellen verschiedene Ansätze bzw. Konzepte explizit als zeitlich nebeneinander existierend betrachtet werden – selbst wenn (auch) ein diachroner Bezug hergestellt wird. Synchrone Systematisierungen können eine Zuordnung von Konzepten zu entsprechenden Adressat*innen, Maßnahmen und Zielen herstellen, wodurch Pädagog*innen in die Lage versetzt werden, praktische Maßnahmen entsprechend einzuordnen. Wird darüber hinaus Auskunft darüber gegeben, welches Gesellschaftsverständnis den jeweiligen Ansätzen zugrunde liegt und welche Bildungsmaßnahmen an dieses Gesellschaftsverständnis geknüpft sind, kann dadurch zudem Reflexion über die Wirkungen bestimmter Ziele und Maßnahmen ermöglicht werden. Dieses Wissen könnte (zukünftige) Pädagog*innen dazu befähigen, die „Problemstellungen der Berufspraxis durch die Linsen der unterschiedlichen Konzepte [...] zu betrachten“165 , und „zu prüfen, ob die theoreti-

163 164

165

Ebd., S. 51 Bezogen auf das angeführte Beispiel von Auernheimer (2012) wird das besonders deutlich, wenn man seinen zusammenfassenden Absatz zu der Entwicklung pädagogischer Ansätze analysiert: „Versucht man die Entwicklungsschritte von der Ausländerpädagogik bis heute zu rekonstruieren, so könnte man sagen: zuerst richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Orientierungs- und Verhaltensmuster in Migrantenfamilien. […] Mit der Abwendung von der Ausländerpädagogik gerieten die einheimischen Heranwachsenden und ihre Vorurteile in das Blickfeld. […] Die rechtsextremen Tendenzen unter Jugendlichen lenkten dann […] von der eigenen Umgangsweise mit Fremdheit und auch von der strukturellen Benachteiligung der Migranten ab. […] Mit der Forderung nach interkultureller Öffnung und schließlich dem Diversity-Ansatz erfuhr die kritische Aufmerksamkeit für die Institutionen eine positive, praktische Wendung.“ (Auernheimer 2012, S. 45 f., Hervorhebungen A. I.) Nohl 2010, S. 10, in Anlehnung an Diehm/Radtke 1999, S. 189

56

Umgang mit natio-ethno-kultureller Diversität…

schen Fundamente des jeweiligen Konzeptes angemessen sind und welche Folgen dieses Konzept hat.“166 Synchrone Systematisierungsmodelle können sich aber auch an anderen Kategorien als “Konzept“, „Ansatz“, „Adressat*innen“ oder „Zielsetzung“ orientieren und dadurch neue Blickwinkel auf das Feld interkultureller Bildung ermöglichen. Am Beispiel von Mecheril (2004) wird deutlich, dass solche Systematisierungen nicht nur einen Überblick über verschiedene Thematisierungen von migrationsbedingter Heterogenität in der Pädagogik bieten, sondern zugleich wichtige Kriterien für eine kritische Analyse pädagogischer Realität aus einer bestimmten theoretischen Perspektive (in diesem Fall Migrationspädagogik) liefern können. Diese Funktion von Systematisierung soll auch in der vorliegenden Dissertationsarbeit berücksichtigt werden (vgl. Kapitel 3.1 „Tabellarische Systematisierung“ in dieser Arbeit). Schließlich ist mit Bezug auf die Anwendung von chronologischen wie auch synchronen Modellen kritisch anzumerken, dass verschiedenen Ordnungsversuchen jeweils unterschiedliche Beobachtungsperspektiven zugrunde liegen, die ihrerseits andere Schwerpunkte hervorbringen. Daher bleibt die Darstellung der analysierten Bereiche und Diskurse in verschiedenen Systematisierungsmodellen interkultureller Bildungsansätze zwangsläufig unvollkommen, weshalb diese nicht als feste Klassifikationsvorgaben, sondern lediglich als Orientierungen verstanden werden sollten.

166

Ebd.

3 Synchrone Analyse des Diskursfeldes interkulturelle Bildung unter Berücksichtigung chronologischer Entwicklungen – Systematisierung und Beschreibung

3.1 Tabellarische Systematisierung Wie bereits im vorigen Kapitel angemerkt, erscheint eine synchrone Analyse des Feldes interkulturelle Bildung im Vergleich mit der chronologischen als geeigneter, um eine angemessene Auseinandersetzung mit der Breite an (sich konzeptionell überschneidenden oder, im Gegenteil, konkurrierenden) Perspektiven und Maßnahmen zu ermöglichen. Daher soll im Folgenden eine synchrone Systematisierung des Bereichs interkulturelle Bildung vorgenommen werden, deren Fokus auf Verbindungen und Parallelen einerseits sowie auf Abgrenzungen zwischen den unterschiedlichen Konzepten der interkulturellen Bildung andererseits gelegt wird. Um darüber hinaus ein besseres Verständnis für die dynamische Entwicklung pädagogischen Thematisierungen zu befördern, soll bei der im nächsten Kapitel erfolgenden Beschreibung ermittelter Diskursstränge auch der zeitliche Hintergrund stets berücksichtigt werden, indem bspw. auf unterschiedliche Ausprägungen von defizit- und differenzorientierten oder strukturkritischen Perspektiven in verschiedenen Zeitperioden eingegangen wird. Zum anderen soll die in dieser Arbeit vorgenommene Systematisierung, dem im Kapitel 2.4 „Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung“ analysierten Beispiel von Mecheril (2004) folgend, nicht nur der Zusammenfassung und Ordnung vielfältiger Thematisierungen dienen, sondern auch Impulse für die Weiterentwicklung relevanter Ansätze und Konzepte liefern. Ähnlich wie bei Mecheril, der seinen Systematisierungsvorschlag dezidiert anhand migrationspädagogischer Schwerpunktbestimmungen entwickelt, bildet die dominanzkritische Perspektive die Grundlage für die Festlegung von Kategorien und (Zu-)Ordnung von theoretischen Argumentationen und praktischen Maßnahmen.167 Die im Folgenden erläuterte Systematisierung soll demnach Instrumente für eine dominanzkritische Analyse von Thematisierungen interkultureller Bildung und daran

167

Vgl. Kapitel 1.2 „Theoretischer Rahmen“; Abschnitt „Dominanzkritik als Analyseperspektive“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Ivanova, Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26739-1_3

58

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

ankn0üpfenden Ansätzen, Konzepten und Programmen liefern. Dadurch, dass bei der Beschreibung der relevanten Diskurse168 auch auf die kritische Rezeption daran anknüpfender Konzepte und Ansätze eingegangen wird, sollen weitere Entwicklungsbedarfe sichtbar werden. Die in den Kapiteln 2.3 „Chronologische Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung“ und 2.4. „Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung“ beschriebenen chronologischen und synchronen Darstellungsarten von interkulturellen Bildungsansätzen machen deutlich, dass Diskurse über natioethno-kulturelle Diversität im Bereich interkultureller Bildung generell unter zwei verschiedenen Fokussierungen (Fokussierung auf Migrant*innen vs. Fokussierung auf die gesamte Gesellschaft) verlaufen können. Bei der Fokussierung auf Migrant*innen konzentrieren sich die Diskussionen vorwiegend auf „Ausländer*innen“ bzw. „Migrant*innen“ als Objekte der Forschung und/oder als Adressat*innen pädagogischer Maßnahmen. Bei der Fokussierung auf Gesellschaft steht hingegen die gesamte Gesellschaft mit ihren Strukturen, Mechanismen, institutionellen und bildungspolitischen Praktiken, etc. im Mittelpunkt, was vorwiegend strukturelle, und nicht (allein) zielgruppenspezifische Maßnahmen notwendig macht. Diese Fokussierungen sollen dann im Kapitel 3.2 „Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien“ entlang unterschiedlicher Analyseperspektiven beschrieben werden. Die Analyseperspektiven bezeichnen die Blickwinkel, unter denen die Phänomene innerhalb des Diskursfeldes interkulturelle Bildung systematisiert werden (können). Da in der vorliegenden Dissertation der Anspruch erhoben wird, diese Phänomene dominanzkritisch zu erfassen, wurden hierfür Analyseperspektiven gewählt, die eine kritische Reflexion der Entstehung und der Auswirkungen von Zuschreibungen der Fremdheit bzw. Andersheit ermöglichen. In Anlehnung an das im Kapitel 2.4 „Synchrone Ordnung von Konzepten interkultureller Bildung“ analysierte Systematisierungsmodell von Diehm und Radtke (1999) 169 wurden die Defizitperspektive und die Differenzperspektive (hier jeweils als Defizit-/Veränderungsbedarfsperspektive170 und Differenz-

168

169 170

Vgl. Kapitel 1.2 „Theoretischer Rahmen“; Abschnitt „Diskursbeschreibung als theoretischer Zugang“ Vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 128 Die Feststellung der Defizite (aufseiten von Migrant*innen oder gesellschaftlichen Institutionen) geht häufig mit der Postulierung der Veränderungsnotwendigkeit dieser einher, wobei die Grenzen zwischen Defizit- und Veränderungsbedarfsfokussierung sehr schwammig sein können.

Tabellarische Systematisierung

59

/Diversitätsperspektive171 bezeichnet) sowie ergänzend dazu die Rassismusperspektive zur Analyse der Diskurse über Migrant*innen einerseits und die Gesellschaft im Allgemeinen andererseits in dieser Arbeit herangezogen. Die Wahl der Rassismusperspektive statt der bei Diehm und Radtke vorfindbaren Diskriminierungsperspektive lässt sich zum einen durch den Wunsch nach thematischer Eingrenzung172 und zum anderen durch das Bestreben, Ansätze interkultureller Bildung, die explizit das Phänomen Rassismus untersuchen (Antirassismus und Rassismuskritik) angemessen zu berücksichtigen. Anhand der gewählten Analyseperspektiven soll zum einen die Identifikation und Zusammenfassung von bedeutungsvollen (theoretischen) Prämissen bzw. Orientierungen (hier: „Leitmotiv“) und praktischen bzw. programmatischen Impulsen („Maßnahmen“) erfolgen, die in der untersuchten Literatur geäußert werden. Zum anderen können anhand der Analyseperspektiven Defizit/Veränderungsbedarf, Differenz/Diversität und Rassismus die jeweiligen „Bezugskategorien“ – also übergeordnete Phänomene, unter denen diskursiv bedeutende Themen, Argumentationsmuster und Darstellungsweisen subsumiert werden können, identifiziert und beschrieben werden. Die unter diesen Prämissen entwickelte Systematisierung von Leitmotiven, Maßnahmen und Bezugskategorien im Diskursfeld interkulturelle Bildung kann wie folgt tabellarisch zusammengefasst werden:

171

172

Auch wenn Begriffe „Differenz“ und „Diversität“ in der Literatur über den bildungspolitischen und institutionellen Umgang mit Migrant*innen oft synonym verwendet werden, wird in dieser Arbeit eine Unterscheidung vorgenommen. Differenz druckt dementsprechend den Zustand des Unterschiedes, des „Anders-Seins“ aus, während sich Diversität auf den Zustand von Vielfältigkeit bzw. Vielseitigkeit bezieht. Verschiedene Ansätze, Konzepte und Perspektiven interkultureller Bildung können sich dementsprechend bspw. stärker auf die kulturellen Unterschiede konzentrieren, oder aber primär die allgemeine Verschiedenheit bzw. Vielfalt von Kulturen oder Lebensweisen berücksichtigen (bspw. klassische interkulturelle Pädagogik vs. reflexive interkulturelle Pädagogik oder Pädagogik der Vielfalt). Der Diskriminierungsbegriff ist im Vergleich zu dem Rassismusbegriff weiter gefasst und markiert eine Perspektive, die sich auch gänzlich außerhalb natio-ethno-kultureller Andersseins- und Defizitzuschreibungen bewegen kann – während sich Rassismus speziell auf die im Kontext von Interkulturalität und Migrationsgesellschaft relevant werdenden herkunftsbezogenen Merkmale bezieht.

60

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Diskursfeld interkulturelle Bildung: tabellarische Systematisierung 1.

Fokus: Migrant*innen

AnalyseperLeitmotiv: Migrant*innen spektive: Defi- als defizitär/ zit/Verändeveränderungsbedürftig rungsbedarf Maßnahmen: Defizitdiagnostik, kompensatorische Angebote Bezugskategorien: -

Problematisierung kultureller Differenz Problematisierung sprachlicher „Defizite“

2.

Fokus: Gesellschaft

Leitmotiv: gesellschaftliche Strukturen als defizitär/ veränderungsbedürftig Maßnahmen: -

Feststellung systemischer und struktureller Defizite

-

Bewusstseinsbildung für, Kritik und Überwindung von institutioneller und struktureller Diskriminierung

Bezugskategorien: -

Kritik systemischer und struktureller Defizite

-

Dominanzkritik

AnalyseperLeitmotiv: kulturelle Diffe- 1) spektive: Diffe- renz als Forschungs- und Leitmotiv: kulturelle Differenz renz/Diversität Praxisschwerpunkt als gesellschaftliches AusgrenMaßnahmen: zungskonstrukt -

Förderung kultureller Diversität

-

interkultureller Kompetenzerwerb

Bezugskategorien: -

Maßnahmen: -

Kulturalisierungskritische Analysen

-

Dekonstruktion von „Kultur“ und „interkultureller Kompetenz“

Kritik der Defizitorientierung: kulturelle Bezugskategorien: Diversität als Res- Kulturalisierungsanalyse source

Tabellarische Systematisierung -

61

„Kompetenz“ und „Integration“ als Lösungen für die Praxis

und Kulturalisierungskritik Kritik des interkulturellen Kompetenzansatzes

2) Leitmotiv: Differenz/Diversität im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Diversität Maßnahmen: -

intersektionelle Analysen

-

gleichheits- und differenztheoretische Analysen

Bezugskategorie: Analyse und Berücksichtigung vielfältiger Differenzlinien in der Gesellschaft Analyseperspektive: Rassismus

Leitmotiv: Rassismus als Vorurteil Maßnahmen: -

Wissenserwerb über „die Anderen“ Empathieentwicklung Selbstpositionierung gegen Vorurteile

Bezugskategorien:

Leitmotiv: Rassismus als konstitutives Merkmal (post-) moderner (Migrations-) Gesellschaften Maßnahmen: -

Gegenpositionierung/ antirassistischer Widerstand

-

Rassismuskritische Selbstund Gesellschaftsreflexion

-

Rassismus als individuelles Vorurteil Bezugskategorien:

-

„Weiterentwicklungen“ des Vorurteilbegriffs -

Antirassismus Rassismuskritik

Tabelle 5: Systematisierung des Diskursfeldes interkulturelle Bildung

62

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Im Folgenden soll die vorgenommene Systematisierung kurz erläutert werden:

1 a) Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Defizit/Veränderungsbedarf Diskurse, die auf Migrant*innen fokussieren und dabei einen defizitorientierten Blick einnehmen, sind durch die Herstellung eines defizitären bzw. kompensationsbedürftigen Bildes von Migrant*innen gekennzeichnet. Eine Defizitorientierung wird in vielfältigen gesellschaftlichen Diskursen und bildungspolitischen Maßnahmen sichtbar, die von Abwertung und Ausgrenzung der Anderen aufgrund (zugeschriebener) „Mängel“ bis hin zu wohlmeinenden „Integrationshilfen“ reichen. Gemeinsam bleibt die größtenteils unreflektierte Behauptung der Notwendigkeit einer Veränderung von Migrant*innen im Sinne der einseitigen Anpassung an bestehende kulturelle und gesellschaftliche Standards, die ihrerseits als nicht veränderungsbedürftig betrachtet werden. Maßnahmen, die aus einer defizitorientierten Fokussierung auf Migrant*innen hervorgehen, konzentrieren sich primär auf die Entwicklung von Instrumenten zur Identifizierung der (vermeintlichen) Defizite bzw. des Förderbedarfs der Migrant*innen sowie auf die Konzeption entsprechender Angebote. 2 a) Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Defizit/Veränderungsbedarf Innerhalb des Diskursfeldes, das nicht vordergründig die Defizite einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe (Migrant*innen) untersucht, sondern gesellschaftliche Strukturen kritisch in den Blick nimmt, lassen sich zwei Diskursstränge ermitteln, die sich häufig überschneiden, aber auch unabhängig voneinander verlaufen können: -

-

Beim ersten Diskursstrang (Kritik systemischer und struktureller Defizite) liegt das Hauptaugenmerk auf der Ermittlung von strukturellen Problemen sowie der Formulierung entsprechender Änderungs-/Reformvorschläge. Im Unterschied dazu stehen beim zweiten Diskursstrang (Dominanzkritik) nicht (nur) die „objektiven“ Defizite von Strukturen im Blick, sondern (auch) die Frage, wie die bestehenden Strukturen zur Herstellung bzw. Legitimation von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen beitragen bzw. wie dadurch Ausgrenzungen und Diskriminierungen produziert werden. Auf programmatischer Ebene wird eine konsequente kritische Perspektive eingefordert, die eine dominanzkritische Analyse struktureller und institutioneller Ausgrenzungsmechanismen verfolgt.

Tabellarische Systematisierung

63

1 b) Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Differenz/Diversität Dieses Diskursfeld umfasst verschiedene Ansätze und Konzepte, deren eine Orientierung an „Kultur“ und „kultureller Differenz“ (und damit aus dominanzkritischer Sicht einhergehende, mehr oder weniger deutlich ausgeprägte Ignoranz von strukturellen Ungleichheitsmechanismen) zugrunde liegt. Die Differenzorientierung bedeutet bei der Fokussierung auf Migrant*innen primär die Auseinandersetzung mit der (vermeintlichen) kulturellen Andersheit Letzterer. Auch Diskurse, die programmatisch eine Orientierung an vielfältiger gesellschaftlicher Diversität bzw. eine kritische Reflexion und Revision des Kulturbegriffs proklamieren, jedoch in ihren theoretischen Überlegungen und/oder praktischen Impulsen das Hauptaugenmerk auf kulturelle Differenz bzw. Migrant*innen als Sinnbilder der Andersheit legen, werden hinzugezählt.

2 b) Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Differenz/Diversität Innerhalb der Diskurse, die die Fragen von Differenz und Diversität auf die gesamte Gesellschaft beziehen, lassen sich zwei wichtige Zugänge ermitteln: -

-

Beim ersten Zugang wird die Kategorie „kulturelle Differenz“ kritisch analysiert. Der Fokus liegt v. a. auf der Veranschaulichung von Mechanismen gesellschaftlicher Konstruktion von kultureller Differenz, Zugehörigkeiten und Nichtzugehörigkeiten, sowie auf der Analyse und Kritik von Kulturalisierungsmustern und ihrer Auswirkungen. Beim zweiten Zugang wird der Differenzbegriff von seiner einseitigen Fokussierung auf Kultur losgelöst und auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext übertragen. Es geht um die konsequente Analyse und programmatische Berücksichtigung vielfältiger, ineinandergreifender Differenzlinien in (post)modernen Gesellschaften (Alter, Gender, soziale „Schicht“/Milieu etc.).

Die beiden Zugänge werden oft kombiniert (vgl. bspw. Mecherils Konzept von natio-ethno-kulturellen (Mehrfach-)Zugehörigkeiten173 oder Nohls „Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten“174), können aber losgelöst voneinander angewendet werden (vgl. „Pädagogik der Vielfalt“ von Prengel175).

173 174 175

Vgl. bspw. Mecheril 2003 Vgl. Nohl 2006 Vgl. bspw. Prengel 2006

64

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

1 c) Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Rassismus Dieses Feld umfasst Diskurse, die die Rassismusphänomene unter dem Begriff des Vorurteils subsumieren. Dabei lassen sich zwei unterschiedliche Bezugskategorien ermitteln: -

-

Zum einen Diskurse, die von individualisierenden Deutungen von Rassismus als Wissenserwerb, interkulturelle Begegnungen und Empathieentwicklung aufseiten der Mehrheitsgesellschaft überwunden werden können. Zum anderen Diskurse, die den Vorurteilsbegriff von der individuellen Ebene lösen und durch Bezüge zu strukturellen und gesellschaftlichen Ungleichheitsmechanismen erweitern.

2 c) Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Rassismus Hier werden Diskurse zusammengefasst, die Rassismus explizit als strukturelles Merkmal von (post-)modernen bzw. postkolonialen (Migrations-)Gesellschaften analysieren. Innerhalb dieser soll zwischen antirassistischen und rassismuskritischen Perspektiven unterschieden werden: -

-

Antirassistische Perspektiven haben die Überwindung eines „äußeren“ Rassismus zum Ziel, wobei die antirassistische Selbstpositionierung eine bedeutende Rolle spielt. Rassismuskritische Perspektiven nehmen hingegen eine nach innen gerichtete Perspektive ein. Dementsprechend tritt neben der Kritik von rassistischen gesellschaftlichen Strukturen die Analyse der eigenen Rolle bei deren (Re)Produktion in den Vordergrund.

3.2 Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien In diesem Kapitel soll eine ausführliche Beschreibung der im obigen Systematisierungsmodell zusammengefassten Diskursstränge erfolgen. Wie bereits im Punkt 1.3. „Aufbau der Arbeit und methodisches Vorgehen“ erläutert, bildet der schulische Bildungs- bzw. Erziehungskontext mitsamt der dort vorfindbaren Deutungsmuster und Handlungspraktiken zum Umgang mit natio-ethno-kulturell ausdifferenzierter Schüler*innenschaft den Rahmen dafür. Die bei der Diskursbeschreibung verwendeten Literaturquellen stellen vorwiegend erziehungswissenschaftliche und pädagogische Ausarbeitungen zu interkultureller Bildung

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

65

bzw. Schule in der Migrationsgesellschaft dar. Darüber hinaus wird auf bildungswissenschaftliche, (sozial-)pädagogische, (sozial-)psychologische und soziologische Analysen zurückgegriffen, die zu pädagogisch relevanten Themen im Kontext der Interkulturalität und Migrationsgesellschaft Stellung nehmen (bspw. in Bezug auf den Bildungserfolg, die Sprachkenntnisse und die Sozialisation von Schüler*innen mit Migrationshintergrund). Um auf bestimmte thematisch bedeutsame Ausprägungen beschriebener Thematisierungen in der medialen und politischen Öffentlichkeit hinzuweisen, werden vereinzelt auch Zeitungsartikel und Internetquellen herangezogen. Zur empirischen Veranschaulichung theoretischer Erkenntnisse werden, wie bereits im Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“ dargelegt, ausgewählte Ergebnisse der Auswertung von Reflexionen der Lehramtsstudierenden im Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ präsentiert. Es handelt sich dabei zum einen um Reflexionen zum Begriff Migrationsgesellschaft und zum anderen um Reflexionen zu einer Problemsituation. Die im Folgenden vorgenommene Zuordnung von Reflexionen zu entsprechenden theoretischen Perspektiven (bspw. defizitorientierten Perspektiven, differenz-/diversitätsorientierten Perspektiven, rassismuskritischen Perspektiven, etc.) orientiert sich dabei nicht an der Art der Reflexion, sondern erfolgt anhand des Vergleichs der in den Reflexionen ermittelten Wissensordnungen, diskursiven Praktiken und Handlungsstrategien mit den im theoretischen Teil beschriebenen theoretischen Prämissen, praktischen Impulsen und Bezugskategorien (vgl. Kapitel 3.1 „Tabellarische Systematisierung“).

3.2.1 Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Defizit/ Veränderungsbedarf Die Defizitfokussierung in Bezug auf Migrant*innen kann sich auf verschiedene Aspekte beziehen.176 Zum einen kann der (vermeintlich) „fremdkulturelle“ Hintergrund bzw. die sich daraus ergebende Diskrepanz mit „deutschen“ (Verhaltens-)Normen und Werten als Ursache von Problemen sowohl auf der Ebene der Kommunikation und Sozialisation als auch auf der Ebene der Bildung und per-

176

Zur Übersicht vgl. bspw. Diehm/Radtke 1999, S. 51 ff.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

sönlichen Entwicklung betrachtet werden. Häufig ist damit auch die negative Einschätzung der familiären Umgebung verbunden. So werden Eltern mit Migrationshintergrund bspw. mit Vorwürfen der mangelhaften Vorbereitung ihrer Kinder auf die Schule und fehlender Unterstützung im Bildungsprozess konfrontiert, die häufig mit „kulturtypischen“ (traditionellen, autoritären, negativ sanktionierenden – oder, im Gegenteil, permissiven) Erziehungszielen177 oder mit der Unfähigkeit der Eltern, sich neue kulturelle Muster anzueignen bzw. eigene „rückschrittliche“ Erziehungsvorstellungen abzulegen,178 erklärt wird. Derartige explizit kulturdefizitorientierte Erklärungsmuster tauchen in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion über natio-ethno-kulturelle Diversität in der Schule nicht mehr auf, sind jedoch nach wie vor fester Bestandteil pädagogischer Diskussionen in der Praxis.179 Zudem lässt sich v. a. mit Blick auf die Rezeption der Bildungserfolgsstudien wie PISA, IGLU und TIMMS eine Tendenz zum Einbezug der Kategorie „kulturelle Differenz“ als mögliche Erklärung für festgestellte Leistungsunterschiede zwischen verschiedenen Schüler*innen-Gruppen feststellen,180 die, wie im nachfolgenden Kapitel dargelegt werden soll, kritisch als implizite Defizitorientierung gedeutet werden kann. Neben kulturalisierenden Erklärungen spielt der Aspekt der (als unzureichend empfundenen) deutschsprachlichen Kompetenz von Migrant*innen eine entscheidende Rolle für die argumentative Untermauerung defizitorientierter Perspektiven.181 Die Grenze zwischen der bedarfsorientierten kompensatorischen Sprachförderung und der diskriminierenden „Ablehnung der Bedeutung des Erwerbs und Förderung bestimmter Herkunftssprachen […] zugunsten einer Überbewertung des Erwerbs der Zielsprache Deutsch“182 ist oft fließend, was eine kritische Überprüfung institutionellen Umgangs mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit notwendig macht. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Defizitzuschreibungen an Schüler*innen mit Migrationshintergrund sich in der Regel nicht nur auf ein bestimmtes Differenzmerkmal (kulturelle Andersheit, familiärer Einfluss oder sprachliche Defizite) beziehen, sondern Ergebnis der Interaktion/des intersektionellen Zu-

177 178 179

180 181 182

Vgl. bspw. Koch 1970, S. 61 f., kritisch vgl. Kiesel 2002, S. 4 Vgl. bspw. Malecha 1982, S. 43 Vgl. kritisch Weber 2003; Auernheimer 2005, S. 133; Lüddecke 2005, S. 40; Wischmeier 2012, S. 184 f. Vgl. bspw. Kristen 2003 Vgl. Nohl 2010, S. 27 Ruin-Koch 2012, S. 1

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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sammenwirkens mehrerer Faktoren sind.183 Beispielsweise machen “‚Sprachdefizite‘ und184 ‚fehlender oder lückenhafter Kindergartenbesuch‘ […] Migrantenkinder zu bevorzugten KandidatInnen für ausgrenzende und schulzeitverlängernde Förderstrategien [...], die nicht zuletzt durch eine institutionelle Präferenz für alters- und leistungshomogene (Regel-)Klassen motiviert sind”.185 Daher ist die im Folgenden vorgenommene Trennung der Bezugskategorien „Problematisierung kultureller Differenz“ und „Problematisierung sprachlicher Defizite“ ausschließlich analytisch begründet. In der Realität können diese Faktoren – bzw. auch andere Differenzlinien, wie Alter, familiärer Hintergrund, Geschlecht/Gender, etc. – aufeinander aufbauen, kumulativ auftreten oder sich gegenseitig begründen. 3.2.1.1 Leitmotiv: Migrant*innen als defizitär/veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Problematisierung kultureller Differenz Zunächst sei betont, dass in dieser Arbeit nicht nur diejenigen diskursiven Phänomene als Defizitzuschreibungen definiert werden, die offen negative Bewertungen der Andersheit vornehmen. Vielmehr soll auf unterschiedliche Ausprägungen von „gut gemeinten“, aber performativ defizitzuschreibenden Diskursen verwiesen werden, die kulturelle Differenz (implizit) als Normabweichung darstellen bzw. eine Inkompatibilität kulturell abweichender Lebensmuster mit dem, was als vertraut und normal erlebt wird, deklarieren und dabei die tatsächliche Individualität, Flexibilität, Offenheit und Veränderbarkeit kultureller Orientierungen vernachlässigen.186 Auch die Argumentationen innerhalb der jeweiligen Defizitdiskurse können unterschiedlich sein. So kann eine Defizitfeststellung rassistisch begründet werden (biologistische Zuschreibung bestimmter negativer Eigenschaften an bestimmte Menschengruppen/“Kulturen“/“Rassen), sich auf strukturbezogene Argumente stützen (Vorstellung von sozialer Integration als einer Leistung, die Migrant*innen – einseitig – zu erbringen haben) oder normativ argumentieren (z. B. die Forderung, normabweichende „kulturelle“ Handlungen zu sanktionieren).

183 184 185 186

Vgl. Gomolla/Radtke 2000, S. 333 f. Hervorhebung A.I. Gomolla/Radtke 2000, S. 333 Zum Thema Problematisierung des kulturellen Hintergrundes s. ausführlicher Sökefeld 2004, S. 22 ff.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Trotz ihrer unterschiedlichen Ausprägungen und Begründungen gehen kulturalisierende bzw. kulturreduktionistische Defizitzuschreibungen von den folgenden gemeinsamen Prämissen aus: -

-

der Vorstellung, dass es bestimmte kulturell bedingte Eigenschaften von Menschengruppen (Ethnien, Nationen, Völkern etc.) gibt, die die Denkweise und die Handlungsmuster dieser Gruppen in entscheidendem Maße prägen und bestimmen (kulturalistische Komponente); der Überzeugung, dass Probleme von Migrant*innen – bzw. die als solche interpretierten gesellschaftlichen Probleme („Integrationsschwierigkeiten“, unzureichende gesellschaftliche Teilhabe, mangelnder Bildungserfolg etc.) größtenteils auf die Unvereinbarkeit bestimmter fremdkultureller Orientierungen mit den „deutschen“ Normen/Werten zurückzuführen sind (defizitzuschreibende Komponente).

Somit treten kulturdeterministische Problemdeutungen in kulturalistischen Defizitdiskursen187 gegenüber individuellen, sozialen, ökonomischen oder geschichtlichen Erklärungen in den Vordergrund.188 Die Grundzüge der kulturalistischen Defizitdiskurse sollten im Folgenden an einigen Beispielen aus erziehungswissenschaftlichen Arbeiten zum Verhältnis von Kultur/Migrationshintergrund und Bildungs-/Sozialisationserfolg illustrieren, die sich chronologisch unterschiedlichen Phasen im Diskurs interkultureller Bildung zuordnen lassen. Das Ziel dabei ist, zu zeigen, wie kulturdeterministische Defizitzuschreibungen in ihren jeweiligen Ausprägungen die Problemdefinition bzw. -interpretation und die Entwicklung geeigneter Lösungsstrategien (mit-)bestimmen.

187

188

Aktuelle Beispiele sind Diskurse über Frauenfeindlichkeit im Islam, die an eine pauschale Infragestellung der Integrationswilligkeit von Muslim*innen anknüpfen, oder Diskurse über ethnischkulturell bedingte Tendenz zur Aggression und Gewalt, die als dominante Erklärung für das diskursive Phänomen ‚Ausländerkriminalität‘ fungieren (vgl. bspw. Haug 2010; Streifler 2008; Walter/Trautmann 2003) Vgl. dazu bspw. Oswald de Cantero 2008 (Perspektive der Sozialarbeit/Sozialpädagogik auf Kulturalisierung); Groenemeyer/Mansel (Hg.) 2003 (Perspektive der Soziologie); Griese 2004 b (Perspektive der Pädagogik)

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Beispiel 1: Fremdkulturelle Identität als Ursache für Sozialisationsprobleme Dieses Beispiel stammt aus einer über zwanzig Jahre nach dem Anfang der Anwerbung türkischer Gastarbeiter*innen erschienen Sammlung von pädagogischen Beiträgen zum Thema Identität.189 Die Herausgabe fand v. a. in Forschungen zu „muslimischer Identität“ eine breite Rezeption.190 In den Beiträgen werden Phänomene der Diskriminierung von Frauen, Distanz, abwertenden Haltung191 bzw. Feindlichkeit gegenüber der westlichen Kultur192 sowie Idealisierung des Familienlebens in der dörflichen Struktur des Heimatlandes als die wichtigsten Bestandteile der türkisch-islamischen Kultur aufgeführt. Die festgestellte unzureichende Integrations- und Bildungsleistung von türkischen Migrant*innen wird mit der angenommenen kulturellen bzw. religionsbedingten Unfähigkeit der Türk*innen, die westliche progressive Kultur zu akzeptieren, verbunden. So käme es bei türkischen Migrant*innen, die als „Gefangene in ihrer Kultur“193 gesehen werden, angeblich „zu einem nicht mehr frei gelebten, sondern krampfhaften und von daher auch innerfamiliär konfliktreichen Festhalten an überkommenen Traditionen.“194 V. a. der Beitrag von Marie-Luise Abali195 befasst sich mit der Frage der problematischen „fremdkulturellen Identität“. Die Autorin vertritt eine essentialistische Position, die von der Existenz der so genannten kollektiven Identitäten wie Geschlecht, Rasse, Nation oder Kultur ausgeht, die durch eindeutige, im Verlauf der Zeit relativ stabil bleibende Eigenschaften gekennzeichnet sind. Der Identitätsbegriff ist laut ihrer Auffassung „kulturspezifisch“, also gekoppelt an die Nationalität, Ethnizität und kulturelle Zugehörigkeit. Diese Verbindung macht es möglich, von der kulturellen Identität einer Nation bzw. eines Volkes zu sprechen, die sich „aus [der] Geschichte [des Volkes], seiner Sprache, der geographi-

189 190 191

192

193 194 195

Vgl. Elsas 1983 (Hg.) Vgl. bspw. Schmidt-Koddenberg 1989; Hoffmann 1990 So wird u. a. behauptet, dass deutsche Frauen von männlichen muslimischen Migranten aufgrund ihrer Kleidung geringgeschätzt und deshalb belästigt werden (vgl. Elsas 1983, S. 121) S. z. B.: „Muslime können sich […] zwar geduldig im Vertrauen an Gottes Allmacht verhalten, auch die Möglichkeit von daher einbeziehen, dass ein heutiger Feind morgen ein Freund sein kann. Sie können aber schwer den ersten Schritt zur Verständigung tun, wenn sie eine Infragestellung ihrer Praxis als Angriff auf die Würde der Muslime und von daher auf den Islam ansehen.“ (Elsas 1983, S. 130) Elsas 1983, S. 121 Ebd. Vgl. Abali 1983

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

schen Lage des Landes, dem Brauchtum, den kulturellen Werten und den gemeinsamen Hoffnungen und Zukunftserwartungen der Menschen“196 zusammensetzt. Auch die persönliche Identität wird laut dieser Position wesentlich durch die Kultur geprägt, in die der Mensch hineingeboren wird und an deren Regeln, Symbolen, Strukturen und Praktiken er sich orientiert. Der Soziologe und Mitbegründer von Cultural Studies, Stuart Hall (2003), fasst dieses Verständnis der kulturellen Identität folgendermaßen kritisch zusammen: „The first position defines ‘cultural identity’ in terms of one, shared structure, a sort of collective ‘one true self’, hiding inside the many other, more superficial or artificially imposed ‘selves’, which people with shared history and ancestry hold in common. Within the terms of this definition, our cultural identities reflect the common historical experiences and shared cultural codes which provide us, as ‘one people’, with stable, unchanging and continuous frames of reference and meaning, beneath the shifting divisions and vicissitudes of our actual history.”197 Ein weiteres Merkmal von essentialistischen Positionen ist die Favorisierung eines dauerhaften, konfliktlosen und widerspruchsfreien Selbstbildes einer Person und die Betonung der Wichtigkeit einer „unversehrten“ Identität für die soziale und kulturelle Integration. Gestützt wird diese Position maßgeblich durch die traditionelle Entwicklungspsychologie, die Kontinuität und Einheitlichkeit von Identität als eines der wichtigsten Identitätsmerkmale definiert.198 Identität wird dementsprechend als Fähigkeit beschrieben, „die relative Einheitlichkeit der Einstellungen, Gefühle und des Verhaltens trotz wechselnder Umweltbedingungen und des Fortschreitens der Zeit“ zu bewahren.199 Eine Veränderung der Identität wird als ein langwieriger und problematischer Prozess dargestellt, der für Verwirrung und Desorientierung sorgt. Um diesen Zustand zu überwinden, sei die Entwicklung und Festigung einer neuen Identität durch die Schaffung einer soliden „Lebensbasis in dem neuen Land“200 notwendig. Speziell im Text von Abali wir diese „Lebensbasis“ jedoch nicht etwa mit umfassender Partizipation am öffentlichen Leben, dem Zugang zum Arbeitsmarkt, gleichberechtigter Behandlung, der Schaffung einer würdigen materiellen

196 197 198 199 200

Abali 1983, S. 174 Hall 2003, S. 234 Vgl. Erikson 1973 Brunner/Zeltner 1980, S. 100 Abali 1983, S. 175

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Existenzbasis o. Ä. in Verbindung gesetzt, sondern auf die Etablierung von Kontakten, den Spracherwerb und das „Kennenlernen der Interaktionsmuster“ 201 im Aufnahmeland reduziert. So wird in dem o. g. Beitrag bspw. die Situation einer jungen türkischen Migrantin geschildert, die wegen Misshandlung durch ihren Vater in ein Heim gekommen ist und unter psychischen Problemen leidet. Nach der Analyse ihrer Lebensposition kommt die Autorin des Beitrags zum Fazit, dass das Mädchen „durch ihre negative Einstellung […] zu deutschen Verhaltensnormen“202 kein gutes Verhältnis zu ihrer Umgebung entwickeln könne und dass ihre Identitätskrise daraus resultiere, „dass sie in Deutschland ihr türkisches Wertsystem nicht revidiert, um sich an die veränderten äußeren Umstände innerlich anpassen zu können, sondern es stattdessen starr aufrechterhält.“203 Im Beitrag finden sich keine Hinweise auf mögliche kulturunabhängige Ursachen für Probleme dieses Mädchens – die Schuld an der Situation wird allein der Betroffenen selbst zugeschrieben. Demgegenüber stehen „positive“ Beispiele von Jugendlichen, die eine hohe Anpassungsbereitschaft an den Tag gelegt und dadurch ihre Sozialisationsprobleme bzw. Identitätskrisen erfolgreich überwunden haben sollen. Sehr anschaulich ist das Beispiel von einer Zwölfjährigen, die, so Abali, „überhaupt nicht wie ein türkisches Mädchen“204 aussah und in einer Familie lebte, die versucht hat, sich „an die Maßstäbe der deutschen Umwelt anzupassen“205. Trotzdem hatte das Mädchen psychische Probleme, für die die Autorin nicht mehr die angeblich mangelhafte Integrations- und Sozialisationsbereitschaft des Mädchens verantwortlich machen konnte. An dieser Stelle werden dann auch nichtkulturelle Faktoren als eine mögliche Erklärung herangezogen – z. B. eine frühe körperliche Entwicklung, die das Mädchen unter anderen auffällig machte, oder die Unentschlossenheit der Eltern, ob sie in Deutschland bleiben oder in die Türkei zurückkehren wollen. Dank der hohen Anpassungsleistungen sei es dem Mädchen dennoch gelungen, trotz dieser temporären Schwierigkeiten eine stabile Identität zu entwickeln.206

201 202 203 204 205 206

Ebd. Abali 1983, S. 184 Ebd. Abali 1983, S. 185 Ebd. Vgl. Abali 1983, S. 185 ff.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Der Artikel von Abali steht hier exemplarisch für explizit assimilationsorientierte politische und pädagogische Programme bzw. Konzepte, die die Ermöglichung einer erfolgreichen Integration von Zugewanderten (und damit einhergehend die Überwindung des Defizitären in der eigenen „Kultur“ bzw. Identität) zum Ziel erklären. In ihrer extremsten Ausprägung fordern solche Konzepte von Migrant*innen eine Assimilation im Sinne von „allmähliche[r] totale[n] Angleichung der Ausländer an die Deutschen“207 ein, wie (in diesem Beispiel bezogen auf die türkischen Migrant*innen): „Eintausch der türkischen Staatsbürgerschaft gegen die deutsche, Übernahme des Deutschen als Muttersprache, Einübung deutscher Kultur- und Lebensgewohnheiten und Verweisung der türkischen Volkskultur allenfalls auf den Stand von immer exotischer werdenden Bildungsinhalten, viele Heiraten zwischen Deutschen und Türken, Konversion der Muslime zu einer der beiden christlichen Konfessionen oder Hinübertreten in den Status des säkularreligionslos lebenden Bürgers.“208 Perspektiven wie diese mögen wissenschaftlich als überholt gelten, haben jedoch v. a. in alltagsweltlichen und teilweise noch (bildungs-)politischen bzw. pädagogischen Diskursen nicht komplett an Bedeutung verloren.209

Beispiel 2: Kulturelle Defizitorientierungen bei der Diskussion um den Bildungserfolg von Migrant*innen Wie bereits erwähnt, können kulturelle Defizitzuschreibungen und daran geknüpfte Assimilationsforderungen explizit oder implizit formuliert werden. Als Beispiel für eine implizite Defizitorientierung wird häufig die Herstellung eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen ethnisch-nationaler Herkunft (und damit einhergehend einer bestimmten kulturellen Prägung) und schulischen Leistungen angeführt.210 Die Aufmerksamkeit der Forscher*innen gilt dabei der Frage, inwiefern die Orientierung an der Herkunftskultur für Bildungs(miss)erfolg der Schüler*innen verantwortlich ist. Untersucht werden in diesem Zusammenhang unterschiedliche Wertevorstellungen, kulturell bedingte Differenzen in der bildungsbezogenen Motivation von bestimmten Mig-

207 208 209 210

Colpe 1983, S. 2 Ebd. Vgl. dazu Aumüller 2009; Gerdes/Bittlingmayer 2011; Krüger-Potratz 2005, S. 172 f. Vgl. bspw. Entorf 2005; Walter/Taskinen 2008

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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rant*innen-Gruppen sowie kulturtypische Geschlechts- und Familienrollenorientierungen, die einen negativen Einfluss auf den Bildungserfolg haben können.211

Studie von Leenen, Grosch und Kreidt (1990) In der breit rezipierten Untersuchung von Wolf Rainer Leenen, Harald Grosch und Ulrich Kreidt (1990)212 zum Bildungsverständnis, Platzierungsverhalten und Generationenkonflikt in türkischen Migrantenfamilien“ wird ein Zusammenhang zwischen den geringeren Leistungen türkischstämmiger Schüler*innen im Vergleich mit ihren deutschen Altersgenossen und herkunftsbedingten kulturellen (Defizit-)Mustern von Migrant*innen festgestellt. Im Rahmen einer qualitativen Interviewbefragung stellen die Autoren eine größere Bildungsdistanz bei türkischen Schüler*innen fest, die durch eine kulturell geprägte „vormoderne Haltung“213 gegenüber Bildung in türkischen Familien bedingt sei. Diese äußere sich bspw. in der Wahrnehmung der Lehrer*innen-Rolle als Hauptverantwortliche*r für den Bildungserfolg der Schüler*innen.214 Die „autoritativ215 sachgebunden[e]“ vormoderne Haltung (der Türk*innen) wird der „instrumentell[en] und individualistisch[en]“216 modernen Haltung (der Deutschen) gegenübergestellt. Das Resümee der Autoren lautet, dass Kinder, die solche traditionellen Muster der Herkunftskultur übernehmen, in der Schule in der Regel nicht erfolgreich werden – während diejenigen, die eine „Selbstplatzierung“217 vornehmen – also eine eigene Haltung bzgl. ihrer Bildungsziele und -wege entwickeln – problemlos das deutsche Bildungssystem durchlaufen.218

211 212

213 214 215 216 217

218

Überblick dazu mit Verweisen auf entsprechende Literatur s. Segeritz 2014, S. 49 ff. Leenen und Grosch sind Gründer des Kölner Instituts für interkulturelle Kompetenz e. V. und haben breit rezipierte Konzepte interkulturellen Lernens, interkulturellen Kompetenzerwerbs und interkultureller Trainings entwickelt (vgl. bspw. Grosch/Leenen 1998; Grosch/Groß/Leenen 2000) Leenen et al. 1990, S. 762 Vgl. Leenen et al. 1990, S. 760 f. Leenen et al. 1990, S. 762 Ebd. Leenen et al. 1990, S. 762. Den Begriff „Platzierung“ verwendet u. a. auch der Soziologe Hartmut Esser: Bei der Platzierung „werden [Akteur*innen] in ein bereits bestehendes und mit Positionen versehenes soziales System eingegliedert“ (Esser 1999, S. 16) Vgl. Leenen et al. 1990, S. 762

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Die Selbstplatzierung wird dabei einerseits mit der Emanzipation gegenüber Familie in Verbindung gebracht, die sich in der Vertretung eigener Interessen gegenüber schulischen Instanzen sowie im Treffen eigener Entscheidungen bzgl. der eigenen Lern- und Bildungsgestaltung äußert.219 Diese emanzipatorisch orientierte Deutung der Selbstplatzierung übernehmen aktuell bspw. Mansel und Spaisel (2010), indem sie Selbstplatzierung als eine „hohe Entscheidungssicherheit und Bereitschaft, eigene Vorstellungen durchzusetzen“220 zur Komponente der erfolgreichen Handlungskompetenz im Bildungskontext machen. Jedoch ist die eigene Entscheidungsfreiheit bei Leenen et al. weniger mit tatsächlich eigenbestimmten Entscheidungen (die sich ja auch in einer bewussten und freiwilligen Übernahme der familiären bzw. „traditionell“ kulturellen Orientierungen äußern können), sondern zwingend mit der Übernahme der kulturellen Muster (oder konkret: kulturell bedingter Haltungen zum Wissen, Lernen und Bildungserfolg) der „Aufnahmegesellschaft“ verbunden. Modernisierung und Individualisierung, die laut Leenen et al. Komponenten der Selbstplatzierungsfähigkeit sind, werden als ein Bestandteil einer erfolgreich abgelaufenen Akkulturation verstanden:221 „Die „bildungserfolgreichen“ Jugendlichen entwickeln durch den längeren Verbleib im deutschen Bildungssystem und durch die intensivere Auseinandersetzung mit modernen Persönlichkeitsidealen Grundorientierungen der Lebensgestaltung, die sich von den traditionellen Vorstellungen der Elterngeneration entfernen.“222 Diefenbach (2010) fasst das in ihrer kritischen Rezeption der kulturalisierenden Erklärungen für die Schlechterstellung von Schüler*innen mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem folgendermaßen zusammen: „Um im deutschen Bildungssystem erfolgreich sein zu können, müssen Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien also ihre kulturellen ‚Defizite‘ gegen den Widerstand ihrer Eltern überwinden, sich also im Zuge eines Akkulturationsprozesses modernisieren.“223 Die Tatsache, dass der für Leenen, Grosch und Kreidt zentrale Begriff der Selbstplatzierung eine emanzipatorische Bedeutung transportiert, aber gleichzeitig dem kulturalisierenden und assimilationsorientierten Paradigma verschrieben bleibt, ist aus der dominanzkritischen Perspektive deshalb so wichtig, weil dadurch die oben erwähnte implizite Defizitorientierung besonders deutlich

219 220 221 222 223

Vgl. ebd. Mansel/Spaiser 2010, S. 220 f. Vgl. Leenen et al. 1990, S. 765; kritisch: vgl. Diefenbach 2010 Leenen et al. 1990, S. 765 Diefenbach 2010, S. 94

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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wird: Abweichende „Kulturen“ werden zwar nicht als per se defizitär betrachtet, werden aber einseitig (ohne angemessene Berücksichtigung möglicher weiterer intervenierender Faktoren) als ausschlaggebende Ursache für Bildungsmisserfolge herangezogen. Somit können ganze Kulturen oder bestimmte einzelne kulturelle Aspekte als dysfunktional entlarvt werden, um die Notwendigkeit entsprechender assimilativer bzw. kompensatorischer pädagogischer Maßnahmen zu legitimieren.224 Rezeption internationaler Bildungsvergleichsstudien Der Blick auf kulturelle Differenzen als eine mögliche Ursache für erhebliche Leistungsunterschiede in der Schule ist in der Bildungsdiskussion nach wie vor präsent.225 Vor allem die Vertreter*innen der empirischen Bildungsforschung betrachten den Einbezug der ethnisch-kulturellen Perspektive in die Erklärungen zum Bildungserfolg als einen Versuch, das komplexe Problem der Bildungsbenachteiligung von Schüler*innen mit Migrationshintergrund differenziert zu betrachten.226 Ditton und Aulinger (2011) erklären das wie folgt: „Der Migrationsstatus an und für sich ist ebenso wenig schon eine Erklärung für Unterschiede im Lernerfolg oder der Bildungsbeteiligung wie der soziale Status. Als vermittelnde Größen kommen eine Vielzahl von Faktoren in Betracht […] Unterschiede im sozioökonomischen Status allein scheinen jedoch zur Erklärung von Migrationseffekten nicht ausreichend zu sein. Insofern wird häufig argumentiert, dass weitere Gründe für eine Bildungsbenachteiligung auch in kulturspezifischen Werten und Verhaltensweisen der Migranten liegen könnten […] und dass im Zuge eines längeren Aufenthaltes bei zunehmender Integration bzw. Assimilation diese Ungleichheiten abnehmen sollten […].“227 Beispiele hierfür liefern insbesondere Publikationen, die sich auf die Rezeption und Interpretation von Ergebnissen der internationalen Vergleichsstudien wie PISA, TIMMS, IGLU u. a. beziehen. Im Folgenden soll exemplarisch auf ein

224 225

226 227

Vgl. Diefenbach 2004, S. 241 Exemplarisch hierfür stehen breit rezipierte Publikationen wie Herwartz-Emden 2005, Kristen 2003 oder Kristen/Granato 2007 Vgl. Segeritz 2014, S. 38; Khan-Svik 2010, S. 25 Ditton/Aulinger 2011, S. 98 f.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Kapitel unter dem Titel „Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund“ von Petra Stanat,228 Dominique Rauch und Michael Segeritz (2010) aus dem Sammelband „PISA 2009. Bilanz nach einem Jahrzehnt“ eingegangen werden, in dem ein Versuch unternommen wird, die Bedeutsamkeit (sozio-)kultureller Faktoren für den Schulerfolg zu erforschen. Das Interesse dabei gilt der Frage, inwiefern der Einbezug der Kategorie „ethnische Herkunft“ in die Erforschung des Bildungserfolges von Migrant*innen kulturalisierende und defizitorientierte Sichtweisen reproduzieren kann. In dem untersuchten Kapitel werden – als Teil einer größeren Analyse zu „ausgewählte[n] Bereiche[n] des soziokulturellen, ökonomischen und familiären Hintergrunds der fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schüler“229„vertiefende Analysen zu den Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund“230 durchgeführt, mit besonderem Fokus auf dem Vergleich der Unterschiede in der Lesekompetenz zwischen bestimmten ethnischen Herkunftsgruppen. Durch den Einbezug von Indikatoren für die ethnische Herkunft sollen „differenziertere Ergebnisse“231 erreicht werden. Zu Beginn des o. g. Artikels beziehen sich die Autor*innen auf eine Reihe früherer Analysen zu PISA-Ergebnissen, die deutliche Unterschiede in der Bildungssituation von Schüler*innen mit Migrationshintergrund und deutschen Schüler*innen einerseits sowie erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen verschiedenen Herkunftsgruppen andererseits festgestellt haben.232 Dies führen die Autor*innen auf Faktoren wie „Unterschiede in Bezug auf den Bildungshintergrund der Eltern, Bleibeperspektiven, Zugang zu Maßnahmen der Integrationsförderung (z. B. Sprachkurse), wahrgenommene Akzeptanz der eigenen Herkunftsgruppe durch die Aufnahmegesellschaft oder kulturell geprägte Werte und Einstellungen“233 zurück, weisen aber gleichzeitig darauf hin, dass sich keine eindeutigen Aussagen darüber treffen lassen, inwieweit diese und weitere Faktoren bei der Entstehung von Differenzen in den Kompetenzniveaus zwischen den Herkunftsgruppen zusammenwirken. Die differenzierte Analyse des Leistungserfolges nach ethnischer Herkunft erscheint den Autor*innen jedoch dafür geeignet

228

229 230 231 232 233

Petra Stanat hat mehrere Expertisen in Bezug auf die Ergebnisse großflächiger Schulerfolgsvergleichsstudien (u. a. PISA 2003, 2006 und 2009) geleistet. Stanat et al. 2010, S. 199 Ebd. Ebd. Ebd., S. 213 Ebd.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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zu sein, zu ermitteln, „bei welchen Schülergruppen besonderer Förderbedarf besteht.“234 Stanat, Rauch und Segeritz schlussfolgern, dass die von Schüler*innen mit Migrationshintergrund erreichten Kompetenzen mit dem sozioökonomischen Status und Bildungshintergrund ihrer Eltern, dem Zeitpunkt der Migration der Familie (vor oder nach Geburt des Kindes) sowie dem jeweiligen Herkunftsland zusammenhängen.235 Durch den Vergleich der Herkunftsgruppen innerhalb Deutschlands wurde eine deutliche Schlechterstellung von Schüler*innen türkischer Herkunft „im Hinblick auf den sozioökonomischen Status, den Indikator für kulturelle Ressourcen und das Bildungsniveau der Eltern“236 ermittelt – sowohl im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund als auch im Vergleich zu Jugendlichen, deren Eltern aus der ehemaligen UdSSR oder aus Polen zugewandert sind. Dazu kommt, dass in der Gruppe der Jugendlichen, deren Familien aus der Türkei stammen, keine Verbesserung der sozialen Lage von der ersten zur zweiten Generation zu beobachten ist.237 Die Kompetenznachteile zwischen den türkischstämmigen Schüler*innen und Schüler*innen ohne Migrationshintergrund würden sich zwar nach Kontrolle von Merkmalen des ökonomischen und kulturellen Kapitals deutlich reduzieren, dennoch blieben sie weiterhin signifikant,238 was aus Sicht der Autor*innen ein Indiz dafür ist, diese Schüler*innen-Gruppe als in besonderem Maße förderbedürftig zu betrachten. Bei der Interpretation der Studienergebnisse weisen Stanat et al. darauf hin, dass offensichtlich „weitere, in den vorliegenden Auswertungen noch nicht erfasste Faktoren zur schwachen Lesekompetenz von türkischstämmigen Jugendlichen beitragen.“239 Als eine mögliche Erklärung benennen die Autor*innen die unrealistisch hohen bildungsbezogenen Aspirationen der „türkischen“ Familien, die Stanat et al. in Anlehnung an Kristen (2002) mit der mangelnden Informiertheit der türkischstämmigen Eltern über notwendige Voraussetzungen für den Erfolg im deutschen Bildungssystem verbinden.240 Die Autor*innen betonen ausdrücklich, dass diese Erklärung eine Annahme sei241 – zu fragen ist hier allerdings,

234 235 236 237 238 239 240 241

Ebd. Vgl. ebd., S. 202 Ebd., S. 225 Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 223 Ebd., S. 227 Vgl. ebd., S. 227 Vgl. ebd.

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warum ausgerechnet diese Annahme als eine mögliche Erklärung für Leistungsnachteile der untersuchten Gruppe in Betracht gezogen wird, während zugleich die (bspw. in den Studien von Gomolla und Radtke242 indizierten) Befunde zu institutioneller bzw. struktureller Diskriminierung und Rassismus mit dem Hinweis auf mangelnde „konsistente Hinweise auf diskriminierende Schullaufbahnempfehlungen“243 explizit verworfen werden. Tatsächlich benennen Stanat et al. eine „mangelnde Wertschätzung und Akzeptanz türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in Deutschland“244 bzw. (unbewusste) „negative Stereotype [vonseiten der Lehrkräfte] über türkischstämmige Migrantinnen und Migranten“ (ebd.) als einen weiteren möglichen Faktor für schulische Benachteiligung der Kinder mit türkischem Migrationshintergrund – und betreiben aus dominanzkritischer Sicht durch die einseitige Ursachenrückführung auf die Ebene der Lehrkräfte-Einstellungen und die Ausblendung systemischer bzw. struktureller Faktoren eine Individualisierung des Problems.245 Somit werden zwei gleichsam individualisierende Erklärungen – das mangelnde Wissen türkischstämmiger Eltern über die Funktionsweise des deutschen Bildungssystems und die Vorurteile der Lehrkräfte gegenüber den „türkischen“ Schüler*innen – durch Stanat et al. als die wichtigsten Desiderata der Studie gefasst: „Türkischstämmige Familien haben oft einen eher niedrigen sozioökonomischen Status, aber damit allein lässt sich der geringere Schulerfolg dieser Gruppe nicht erklären. Denn zugleich haben die Eltern sehr hohe Bildungsaspirationen. [...] Möglicherweise wissen die Eltern aber nicht, wie sie ihre Kinder unterstützen können, um ihre Ambitionen umzusetzen, etwa indem sie darauf achten, dass die Hausarbeiten gemacht werden. Denkbar ist aber auch, dass die Lehrer unbewusst von negativen Stereotypen beeinflusst werden. Möglicherweise haben sie weniger

242 243 244 245

Vgl. bspw. Gomolla/Radtke 2009 Stanat et al. 2010, S. 202 Ebd., S. 227 Stanats These von intentionellen Vorurteilen aufseiten der Lehrkräfte widerspricht darüber hinaus anderen empirischen Leistungsforschungsbefunden, die gezeigt haben, dass italienische Kinder im deutschen Bildungssystem von allen Nationalitäten am schlechtesten abschneiden (vgl. Boldt 2010; ausführlich vgl. Hunger/Thränhardt 2001). Da pädagogische und alltagsgesellschaftliche Stereotype über die „italienische Kultur“ bekanntlich deutlich positiver aus als Stereotype über die „türkische Kultur“ ausfallen, kann der Hinweis auf mögliche Vorurteile aufseiten der Lehrer*innen hier als eine Erklärung nicht geltend gemacht werden. Hingegen könnte der Einbezug des Faktors strukturelle Diskriminierung weiterführend sein.

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hohe Erwartungen für bestimmte Schülergruppen und fordern diese darum weniger.“ 246 Es fällt auf, dass in diesem Zitat – eindeutiger als in dem oben analysierten wissenschaftlichen Beitrag – ein direkter Zusammenhang zwischen dem ethnischkulturellen Hintergrund der Familie und dysfunktionalen Vorstellungen der Eltern von der Rolle der Schule bzw. der eigenen Rolle im Schulprozess hergestellt wird. Dies weist Parallelen zu den im vorigen Abschnitt angeführten Argumentationen von Leenen et al. (1990) auf, die von einer herkunftsbedingt „vormodernen“247 Haltung der „türkischen“ Eltern im Bildungsprozess berichten. Herkunftsunabhängige Faktoren oder allgemeingesellschaftliche Tendenzen, die zur festgestellten Disparität zwischen den hohen bildungsbezogenen Aspirationen und dem tatsächlichen Leistungsrückstand führen können, werden nicht angesprochen. Indem – basierend auf den o. g. individualisierenden Problemerklärungen – auf die Notwendigkeit hingewiesen wird, zusätzliche Förderangebote speziell für die zweite Generation türkischstämmiger Schüler*innen (jedoch ohne Berücksichtigung der sozialen Lage der Familie) zu intensivieren, wird diese Gruppe (basierend einseitig auf natiokulturellen Zuschreibungen) in einer unangemessenen Weise herausgestellt und implizit für defizitär erklärt.248 Die Folge ist die Verstärkung von bereits existierenden, negativ besetzten Diskursen über bestimmte Herkunftsgruppen von Migrant*innen. Kritik derartiger Argumentationen kommt v. a. aus den Reihen der reflexiven interkulturellen Pädagogik und Migrationspädagogik.249 So spricht Mecheril (2010 b) von einer „Stärkung ausländerpädagogischer Positionen“250 als Folge

246 247 248 249 250

So Stanat in einem Interview für die Zeitung „Tagesspiegel“, vgl. Kühne 2013 Leenen et al. 1990, S. 762 Dirim/Mecheril 2010, S. 108 Vgl. dazu zusammenfassend Sitter 2016, S. 127 ff., 273 ff. Mecheril 2010 b, S. 58. Mit Blick auf die Ergebnisse der in dieser Arbeit vorgenommenen Analysen erscheint es jedoch angemessener, statt einer „Stärkung ausländerpädagogischer Perspektiven“ (ebd.) allgemein von der Stärkung der defizitorientierten Perspektiven zu sprechen, da sich defizitorientierte Sichtweisen nicht primär und nicht allein im Zeitraum der Dominanz der Ausländerpädagogik verorten lassen. Des Weiteren beherbergt die Verschiebung des defizitorientierten Diskurses in die Zeit der Ausländerpädagogik den Trugschluss, dass defizitorientierte Perspektiven maßgeblich durch die ausländerpädagogischen Konzepte geprägt wären. Tatsächlich existiert – v. a. in Bezug auf den Umgang mit migrationsbedingter Zweisprachigkeit – eine deutlich längere Tradition kompensatorischer Assimilationsmaßnahmen (vgl. KrügerPotratz 2005). Diese auf das ‚Erbe‘ der Ausländerpädagogik zu reduzieren, suggeriert die Linea-

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der öffentlichen Diskussion nach PISA. Karakaşoğlu (2009) weist auf eine „Wiederbelebung des Kulturdefizitansatzes zur Erklärung von Bildungsbenachteiligung“251 hin, die sich darin äußere, dass das Bildungssystem auf migrationsbedingte Veränderungen vorrangig mit der Erweiterung förderpädagogischer Angebote für „Andere“ und nicht mit der Überwindung diskriminierender Selektionsmechanismen und ausgrenzender pädagogischer Haltungen reagiert.252 Mitverantwortlich dafür macht sie u. a. die oben am Beispiel von Stanat et al. dargestellten Schlussfolgerungen der Schulleistungsforschung, die keine Bezüge zum „monolingualen Habitus“ der deutschen Schule253 wie auch zu „institutioneller Diskriminierung“254 enthalten.255 3.2.1.2 Leitmotiv: Migrant*innen als defizitär/veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Problematisierung sprachlicher „Defizite“ Sprachliche Defizitorientierung als immerwährender Bestandteil pädagogischer Praxis In der wissenschaftlichen Rezeption wird die Fokussierung auf sprachliche Defizite bei Migrant*innen und die damit einhergehende Konzentration auf kompensatorische Sprachförderangebote häufig vordergründig auf Ansätze bezogen, die sich chronologisch der Periode der Ausländerpädagogik zuordnen lassen. In der Tat standen die „sprachlichen Mängel“ (eine generalisierende Formulierung, die zumeist nicht als Hinweis auf allgemeine Artikulationsprobleme, sondern als Umschreibung für nicht „ausreichende“ Deutschkenntnisse benutzt wird) der Migrant*innenkinder im Mittelpunkt der ausländerpädagogischen Fördermaßnahmen. Durch die zunehmende Aufenthaltsdauer der Migrant*innenfamilien wurde die Entwicklung der eigenen Didaktik des Deutschen als Zweitsprache (DaZ) forciert, die die Phase der Förderung in Deutsch als Fremdsprache (DaF) ablöste. Gleichzeitig orientierte sich das deutsche Schulsystem ab den 1970er Jahren an der von der Kultusministerkonferenz empfohlenen „Doppelstrategie“ (Integration bei gleichzeitiger Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität

251 252 253 254 255

rität der bildungspolitischen Entwicklung und verschleiert die Nachwirkungen des Umgangs mit sprachlich/kulturell ‚Anderen‘ vor der Gastarbeitereinwanderung. Vgl. Karakaşoğlu 2009, S. 179 Vgl. ebd. Vgl. Gogolin 1994 Vgl. Gomolla/Radtke 2007 Vgl. Karakaşoğlu 2009, S. 179

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im Sinne der Unterstützung von Rückkehrfähigkeit), weshalb der muttersprachliche Unterricht ergänzend zu dem Deutschunterricht eingeführt wurde.256 Am Beispiel der Ausführungen von Herbert R. Koch in seinem Referenzwerk „Ausländerkinder an deutschen Schulen“ (1970) wird die dominante Stellung des Deutscherwerbs in ausländerpädagogischen Maßnahmen deutlich. Die Beherrschung der deutschen Sprache wird als „Voraussetzung für den vollen Zugang zu den gesetzlich gebotenen Möglichkeiten schulischer und beruflicher Ausbildung“257 sowie als wichtigste Bedingung für die Anpassung an die deutsche Gesellschaft bezeichnet.258 Dementsprechend wird von allen zuständigen Bildungsakteur*innen und Institutionen die Umsetzung von effektiven Maßnahmen zur sprachlichen Förderung von Migrant*innen gefordert.259 Das Kriterium der Effektivität bezieht sich dabei weniger auf die Qualität, sondern eher auf die Geschwindigkeit des Spracherwerbs: Je schneller Migrant*innen Deutsch lernen, desto schneller wird ihre Integration in das bestehende System gewährleistet. Bemerkenswert ist, dass das Ziel des möglichst schnellen Deutscherwerbs unter Umständen auch zu Lasten anderer Schulfächer realisiert werden darf: „Verbesserte Deutschkenntnisse sind zweifellos zu erreichen durch den Wegfall des Englischunterrichts ab Klasse V (1. Hauptschulklasse). So gewinnt man 5 Wochenstunden Deutsch und in mehr Fällen als heute den glatten Durchgang durch die Hauptschule sowie den Anschluß an Aufbauschulen und Aufbaugymnasien.“260 Auch der durchgehende Einsatz von „geeignete[n] deutsche[n] Kind[ern] als Mentor[en] [...] [f]ür alle Ausländerkinder in deutschen Klassen“261 erscheint Koch für die schnellstmögliche sprachliche Assimilation der Schüler*innen sinnvoll. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit der „sprachliche[n] Anpassung“262 der „Gastarbeiter“kinder vom Autor explizit vom „Sprachfetischismus“263 abgegrenzt und damit begründet, dass deutsche Sprachkenntnisse einem eine bessere Orientierung im soziokulturellen System Deutschlands ermöglichen.264 Auch von ausländischen Lehrkräften (gemeint sind Lehrkräfte für den so genannten mut-

256 257 258 259 260 261 262 263 264

Vgl. Auernheimer 1996, S. 6 f. Koch 1970, S. 25, Hervorhebung im Original Vgl. ebd., S. 139 Vgl. ebd., S. 25 Ebd., S. 170 Ebd., S. 129, Hervorhebung A.I. Koch 1970, S. 160 Ebd. Vgl. ebd.

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tersprachlichen Unterricht) wird gefordert, möglichst schnell Deutsch zu lernen.265 Aus den obigen Zitaten wird deutlich, dass die Verbesserung der Deutschkompetenz bei „ausländischen“ Schüler*innen für Koch eine nachteilausgleichende Funktion hat: Je zügiger sprachliche Defizite eliminiert werden, desto schneller können Migrant*innenkinder am Bildungssystem und dem gesellschaftlichen Leben teilhaben. Das emanzipatorische Potenzial der Deutschförderung wird in ausländerpädagogischen Konzepten jedoch häufig durch die einseitige Sichtweise auf unvollkommene Deutschkenntnisse als die wichtigste Ursache für schulische Probleme, Integrationsschwierigkeiten, mangende Sozialisation etc. beeinträchtigt.266 Bei der Diskussion um die Rolle von Deutschkenntnissen treten die sprach- und kulturdefizitären Argumentationen in Bezug auf Migrant*innen oft zusammen auf. So plädiert Koch dafür, „die Zweisprachigkeit nicht als ein apartes sprachliches Problem zu begreifen“267, sondern zusätzlich zu berücksichtigen, dass beispielsweise „Kinder aus dem europäischen Süden […] ein anderes Temperament als ihre Altersgenossen in unseren Breiten“268 hätten und deshalb normabweichende Reaktionen an den Tag legen würden („die einen eingeschüchtert, fast verstört; andere geraten ‚außer Rand und Band‘“269), die insbesondere dann vorkommen würden, wenn diese Kinder im Laufe des Schuljahres in sprachlich fortgeschrittene Klassen kämen.270 Ähnlich führt Schnorr (1976) in ihrem Artikel zu „Lernstörungen bei ausländischen Kindern“ die Störungen im seelisch-geistigen Bereich darauf zurück, dass „Gastarbeiterkinder ständig mit gedanklichen Übersetzungsarbeiten belastet“271 seien, wenn ihre Kenntnisse des Deutschen ungenügend seien. Dies – in Verbindung mit weiteren kulturellen und sozialen Defiziten – führe zur Übermüdung der Kinder und sei verantwortlich für ihr Scheitern in der Schule.272 Essinger et al. (1981) erfassen die „eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten“273, aufgrund derer die ausländischen Kinder „zur Sprachlosigkeit verurteilt“274 seien, in Verbindung mit der familiären Situa-

265 266 267 268 269 270 271 272 273 274

Vgl. ebd., S. 139 f. Vgl. Marschke 2014, S. 80 Koch 1970, S. 129, Hervorhebung A.I. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Schnorr 1976, S. 32 f. Vgl. ebd. Essinger et al. 1981, S. 36 Ebd.

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tion (mangelnde Aufsicht vonseiten der Eltern) der Migrant*innenkinder als Faktoren, die eine erfolgreiche Identitätsbildung unmöglich machen.275 Es erscheint in Bezug auf die zeitliche Verortung defizitorientierter „ausländerpädagogischer“ Perspektiven wichtig zu betonen, dass defizitorientierte Praktiken „weder eine überwundene Phase noch ein Relikt aus vergangenen Zeiten“276 sind, sondern über Jahre hinweg mal stärker, mal weniger stark pädagogische Argumentationen bezüglich des Umgangs mit „Anderen“ mitbestimmen, wobei die Größe ihres Einflusses u. a. von den jeweiligen politischen Konjunkturen abhängig ist. So erlebten defizitorientierte Sichtweisen auf die Sprachkompetenz von Migrant*innen v. a. in den 1990er Jahren vor dem Hintergrund der Spätaussiedler*innen-Zuwanderung einen Aufschwung277 – und seit 2000 sorgen insbesondere die ernüchternden und enttäuschenden Befunde der auf politischer Ebene intensiv diskutierten Studien wie PISA, IGLU, TIMMS u. a. für den starken Fokus auf Sprach(in)kompetenz von Migrant*innen, der häufig mit Ausblendung weiterer wichtiger Faktoren einhergeht und dadurch zur Reproduktion von oben geschilderten Sichtweisen beiträgt.278 Exemplarisch soll in diesem Kontext auf die Publikation von Entorf (2005) zu den Ergebnissen der PISA-Studie 2000 verwiesen werden. Darin wird zwar an mehreren Stellen angemerkt, dass in kaum einem anderen europäischen Land der sozialökonomische Status der Familie eine dermaßen große Rolle für die Leistung der Schüler*innen spielt, jedoch bezeichnet der Autor nicht den Abbau von strukturellen Barrieren und Verbesserung des sozialen Status, sondern die Sprachförderung von Migrant*innen und ihren Familien als den „Schlüssel zum Erfolg einer leistungsfördernden Integration“279 bzw. als „die wesentliche bildungspolitische Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie“280. Sprach- und Integrationsförderung im Elternhaus sollen, so Entorf, eine höhere Arbeitsproduktivität ermöglichen, eine verantwortungsbewusste und demokratische Gesellschaft begünstigen und sogar „abweichendes Verhalten wie z. B. Teenagerschwangerschaften und Kriminalität“281 verhindern. Gute

275 276 277 278 279 280 281

Vgl. ebd. Mecheril/Quehl 2006, S. 10 Vgl. Dirim/Mecheril 2010, S. 99 Vgl. bspw. Mecheril et al. 2010, S. 8; Mecheril 2010 b, S. 58; Karakaşoğlu 2009, S. 179 Entorf 2005, S. 147 Ebd. Ebd., S. 148

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Deutschkenntnisse werden als Garant für ein erfolgreiches Berufs- und Sozialleben dargestellt, während die erschreckenden Befunde über die Wirkung von sozialen und ökonomischen Disparitäten wenig Beachtung finden. Eine ähnliche Tendenz stellen Mecheril, Dirim, Gomolla, Hornberg und Stojanov (2010) nach einem Vergleich von Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) aus den Jahren 2002 und 2006 mit den Empfehlungen aus dem Jahr 1996 fest: Während in den Empfehlungen von 1996 der Fokus auf „ausländische Kinder“ als „Problem“gruppe weitgehend wegbleibe und die Aspekte der Identitätsentwicklung, des sozialen Lernens und der demokratischen Bildung der Schüler*innen in den Vordergrund rückten, kämen in neueren Empfehlungen verstärkt assimilatorische und defizitfokussierende Orientierungen vor, die sich in der Inszenierung von Sprache als Schlüssel zu Integration bei gleichzeitiger Ausblendung struktureller Faktoren äußerten.282 Schließlich sei in diesem Kontext auf weitere aktuelle bildungspolitische Dokumente hingewiesen, in denen „Migrationshintergrund“ und damit indirekt die herkunftsbedingte Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit der Kinder als primäre Ursache für die Benachteiligung im Bildungssystem dargestellt werden. Am Beispiel des Bildungsberichtes 2010283 kritisieren Scarvaglieri und Zech (2010) ein in der bildungspolitischen Diskussion kursierendes Argumentationsmuster „Zwar gibt es soziale Benachteiligung, aber durch den „Migrationshintergrund“ wächst die Benachteiligung noch“284 dahingehend, dass der Benachteiligungseffekt, welcher durch migrationsspezifische Unterschiede hervorgerufen wird, „im Vergleich zum sozioökonomischen verschwindend gering“285 sei. „Zwar besuchen Kinder mit hohem sozio-ökonomischem Status und „ohne Migrationshintergrund“ (61 %) häufiger das Gymnasium als Kinder mit dem gleichen sozioökonomischen Status „mit Migrationshintergrund“ (50 %), aber dieser Unterschied von elf Prozentpunkten ist deutlich geringer als der zwischen niedrigem und hohem sozioökonomischem Status: bei Kindern „ohne Migrationshintergrund“ beläuft sich hier der Unterschied auf 48 Prozentpunkte, bei Kindern „mit Migrationshintergrund“ auf 39 Prozentpunkte.“286 Die Autor*innen konstatieren: „Anstatt das eigentliche „Skandalon“, die soziale Ungleichheit, in den Blick zu rücken, wird

282 283 284 285 286

Vgl. Mecheril/Dirim/Gomolla/Hornberg/Stojanov 2010, S. 8 Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010 Scarvaglieri/Zech 2013, S. 220 Ebd. Scarvaglieri/Zech 2013, S. 221

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[…] der Fokus auf die offenbar benachteiligten Jugendlichen „mit Migrationshintergrund“ gelenkt.“287 Der „Wert“ der Sprachen „Wenn die auflagenstarke Boulevard-Zeitung „Express“ titelt: „Alarmierende Zahlen für Köln – jedes 3. Kind spricht kein Deutsch“, meint sie damit, dass jedes dritte Kind zuhause kein Deutsch, sondern eine andere Familiensprache spricht“288, schreibt Amirpur (2010) in einer Publikation zu den Bedingungen des Spracherwerbs durch Personen mit Migrationshintergrund. Tatsächlich drehen sich, wie oben bereits angemerkt, die alltagsweltlichen und alltagspädagogischen Diskussionen über mangelnde Sprachkenntnisse von Migrant*innen und ihren Kindern meistens nicht um die allgemeinen Artikulationsprobleme, sondern speziell um deren mangelnden – bzw. als solche gewerteten – Deutschkompetenzen. Die Kenntnis einer anderen Herkunfts- bzw. Familiensprache scheint für die Diskussion häufig nicht von Belang zu sein oder wird sogar als nachteilig für die schulische und soziale Integration empfunden.289 Auch auf der wissenschaftlichen Ebene wird teilweise argumentiert, dass Deutschförderung gegenüber der Förderung von Familiensprachen eine wichtigere Aufgabe sei, weshalb den Weg der monolingualen Assimilation der Förderung von sprachlicher Diversität vorzuziehen sei. Diese Position wird u. a. durch Forschungsergebnisse des Soziologen Hartmut Esser gestärkt. Esser orientiert sich zum einen an dem Kriterium politischökonomischen Nützlichkeit von Sprachen. Der Wert von Sprachen wird dementsprechend ausgehend von ihrem weltpolitischen und globalwirtschaftlichen Status bestimmt: „Sprachen sind wie Währungen, sie haben einen unterschiedlichen Verkehrswert. Und da ist Englisch normalerweise wichtiger als Finnisch, Slowenisch oder Türkisch. In der Regel bringt, mit Ausnahme von Englisch, die Muttersprache auf den entscheidenden Feldern von Bildung und Beruf keinen Gewinn.“290

287 288 289 290

Ebd. Amirpur 2010, S. 60 Vgl. ebd. So Hartmut Esser in einem Streitgespräch mit Yasemin Karakaşoğlu (vgl. Spiewak 2010)

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Zum anderen stützen sich Essers Argumentationen auf die Ergebnisse einschlägiger wissenschaftlicher Studien, in denen zwar keine negativen, aber auch kaum positive Wirkungen von Mehrsprachigkeit auf die kognitiven Fähigkeiten der Kinder festgestellt werden konnten. Zur Erforschung dieses Themas hat Esser eine umfassende Analyse einschlägiger multivarianter statistischer Erhebungen aus den USA, Kanada, Großbritannien sowie anderen westeuropäischen Ländern durchgeführt, wobei die Situation in Deutschland insbesondere auf der Basis von Befragungen aus den 80er Jahren (KITTY-Studie) sowie anhand der PISAStudie und des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) untersucht wurde.291 Als Ergebnis wurde festgestellt, dass die Kompetenzen in der Herkunftssprache keinen erkennbaren Einfluss auf die schulischen Leistungen der Kinder hätten. Hingegen würden die fehlenden Kenntnisse der Landessprache zur sozialen und strukturellen Ungleichstellung von Migrant*innen führen: „Ungleichheiten im Zugang zu Bildung, Einkommen, den zentralen Institutionen und gesellschaftlicher Anerkennung ebenso wie soziale Kontakte sind wesentlich, wenngleich nicht allein, durch sprachliche Kompetenzen in der jeweiligen Landessprache bedingt.“292 Wer, so Esser, die Sprache des „Aufnahmelandes“ nicht „umfassend“ beherrsche, „kann auch durchaus vorhandene und wertvolle eigene Kenntnisse und Berufserfahrungen kaum nutzen.“293 Auch mit Blick auf die von den Befürworter*innen der Mehrsprachigkeitsförderung oft als Argumentation herangezogene Interdependenzhypothese294 hält Esser fest, dass es hierfür „allenfalls schwach[e]“295 Belege gebe. Deshalb wirft er Forscher*innen, die für eine mehrsprachige Förderung plädieren, eine rein politisch motivierte Argumentation vor.296 Vor allem angesichts der begrenzten finanziellen Mittel für Integrationsförderung empfiehlt Esser schließlich, „alles Geld in die Deutschförderung [zu] stecken, und zwar möglichst früh und mit zuvor erprobten Programmen.“297

291 292 293 294

295 296

297

Vgl. Esser 2006 Ebd., S. i Ebd., S. iv Interdependenzhypothese besagt, dass die Kompetenz der Kinder in der Zweitsprache von dem Kompetenzniveau in der Erstsprache abhängig ist: „[...] academic language proficiency transfers across languages such that students who have developed literacy in their L1 will tend to make stronger progress in aquiering literacy in L2.” (vgl. Cummins 2000, S. 173) Esser 2006, S. 63 „Eine besondere Wirkung von Programmen der bilingualen Erziehung auf das Erlernen der Landessprache und die schulischen Leistungen wird (bislang) durch die empirische Forschung nicht bestätigt.“ (Esser 2006, S. iii); vgl. auch Essers Ausführungen im Streitgespräch mit Karakaşoğlu (Spiewak 2010) Vgl. Essers Interview in Spiewak 2010

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Essers Argumentation macht somit auf zwei wichtige Aspekte aufmerksam, die bei der aktuellen bildungspolitischen Diskussion um „Sprachförderung“ m. E. ernst genommen werden sollten: Zum einen methodische Mängel und die teilweise unzureichende Aussagekraft von Studien, die einen positiven Effekt einer bilingualen bzw. mehrsprachigen Förderung auf den Schulerfolg von Migrant*innenkindern zu beweisen versuchen, und zum anderen die im Vergleich mit einer monolingualen Förderung deutlich höheren Kosten von mehrsprachigen Förderprogrammen. In einem gesellschaftlich-politischen System, das vom Prinzip der maximalen Effizienz bei minimalem (Kosten-)Aufwand ausgeht, sind Maßnahmen, die den gewohnten Effizienzkriterien nicht entsprechen, logischerweise immer umstritten. Jedoch gilt zu bedenken, dass die wirtschaftlich orientierte Perspektive die Wünsche und Bedürfnisse der Minderheiten selbst vernachlässigt,298 die nicht (immer) von dem Kriterium der Effizienz ausgehen (wollen).299 Indem die subjektive Bedeutung von Muttersprache für Migrant*innen ignoriert und der Wert der Mehrsprachigkeit jenseits des wirtschaftlichen Nutzfaktors verkannt wird,300 lehnen Esser sowie weitere wirtschaftlich argumentierende Forscher*innen die Anerkennung der Eigenheit anderer kulturell-ethnischer Gruppen ab, die zugleich als grundlegendes Prinzip einer pluralen Gesellschaft anerkannt wird.301 Des Weiteren kann mit Blick auf Essers Argumentation kritisch angemerkt werden, dass darin nicht die Mehrsprachigkeit an sich, sondern speziell migrantische Mehrsprachigkeit in Frage gestellt wird. Esser wendet sich nämlich nur gegen diejenigen bilingualen Schulmodelle, die das Ziel der Förderung von Migrant*innensprachen haben, jedoch nicht gegen Programme, die z. B. eine zweit-

298

299 300

301

Eine Reihe von wissenschaftlichen Positionen geht davon aus, dass aus dem Artikel 3 des GG: "Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden" bzw. aus seiner internationalen Entsprechung – dem Artikel 2 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – eine staatliche Verpflichtung zur Förderung der Erstsprachen von Kindern abgeleitet werden kann, auch wenn diese sich von der Nationalsprache unterscheiden. Ausführlich dazu vgl. Schroeder 2007, S. 8 Vgl. Dirim 2010, S. 107 Die Verkennung des Wertes von bestimmten Sprachen jenseits des wirtschaftlichen Nutzfaktors lässt sich jedoch auch in zahlreichen Argumentationen für die Förderung von Migrant*innenSprachen feststellen – vgl. bspw. BAMF-Expertise zu Mehrsprachigkeit (vgl. Meyer 2008) bzw. die Stellungnahme des Autors der o.g. Expertise in einem Interview mit Goethe-Institut (vgl. Brammertz 2009). Vgl. Wenning 2010, S. 193 f.

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sprachige Förderung in Deutsch und Englisch realisieren. Dies kann als Ausdruck von Linguizismus interpretiert werden – einer speziellen Form von Rassismus, die sich in Abwertungen oder gar Sanktionen gegenüber Menschen ausdrückt, die eine bestimmte politisch/ökonomisch nicht als „wertvoll“ geltende Sprache oder eine Sprache „in einer durch die Herkunft beeinflussten spezifischen Art und Weise verwenden“.302 Dirim (2010) deutet Linguizismus daher als Instrument der Machtausübung gegenüber sozial schwächer gestellten Gruppen, die der Herstellung und Erhaltung einer bestimmten Machthierarchie dient.303 Da Esser außerdem einen direkten Zusammenhang zwischen der Pflege der Heimatsprache und ungenügenden Deutschkenntnissen herstellt (z. B. indem er die Kommunikationsmöglichkeiten in der Herkunftssprache im Wohn- bzw. Familienumfeld, die Nutzung von anderssprachigen Medien und den Wunsch, die Familiensprache beizubehalten, explizit als hinderlich für den Deutscherwerb erklärt),304 werden diejenigen negativ markiert, die für den eigenen Lebensweg andere Alternativen als sprachliche Assimilation wählen.305 In der Schulpraxis manifestiert sich diese negative Bewertung bspw. in den Diskussionen um das so genannte Deutschgebot, welches in der Praxis eher als Verbot von Minderheitensprachen gedeutet wird, da nicht-deutschen (Herkunfts-)Sprachen ihre Legitimität als Kommunikationsmittel abgesprochen wird.306 Auch hier erscheint der Weg der einseitigen sprachlichen Anpassung offenbar angemessener als die Entwicklung motivierender und effektiver Angebote zur Mehrsprachigkeitsförderung.

Deutschkenntnisse, Mehrsprachigkeit und Integration Neben der im obigen Abschnitt bereits angesprochenen Ignoranz des subjektiven Wertes von Familiensprachen lässt sich bei der defizitorientierten Diskussion um mangelnde Sprachkenntnisse bei Migrant*innen auch das Motiv der einseitigen Verknüpfung von Deutschkenntnissen und dem „Integrationsstatus“ von Migrant*innen feststellen. Da Sprache nicht nur als Kommunikationsinstrument, sondern auch als Instrument zur Herstellung bzw. Bewahrung kultureller Identi-

302 303 304 305 306

Dirim 2010, S. 91 Vgl. ebd. Vgl. Esser 2006, S. II f, S. 66 Vgl. Wenning 2010, S. S. 193 f. Vgl. Dirim 2010, S. 102

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tät angesehen werden kann,307 können die als mangelhaft wahrgenommenen Deutschkenntnisse bzw. die „unvollkommene“ Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit von Migrant*innen als Ausdruck einer nicht gelungenen Integration interpretiert werden. Beide Diskussionen knüpfen häufig an eine essentialistische Vorstellung von Sprachen an, die von einem „perfekten“, homogenen Sprachsystem bzw. einer homogenen Sprachgemeinschaft ausgeht.308 Dieses Sprachverständnis bildet den Kern einer einflussreichen Sprachtheorie des amerikanischen Linguisten Noam Chomskys (1965). Chomsky benutzt das Konstrukt des „idealen Sprecher-Hörers“ als Instrument für die Analyse und Beschreibung von grammatischen Strukturen einer Sprache. Die Sprachproduktion wird bei diesem Ansatz unabhängig von individuellen, sozialen bzw. soziokulturellen, politischen, rechtlichen etc. Faktoren betrachtet – es handelt sich vielmehr um einen bewusst konstruierten Idealzustand, der nur schwer auf die gelebte Realität der sprachlichen Kommunikation übertragen werden kann. Wird diese Übertragung dennoch vollzogen, so entsteht gerade im Kontext der Zwei-/Mehrsprachigkeit ein unrealistischer Anspruch an Migrant*innen, zwei oder mehrere Sprachen gleich gut und auf einem „perfekten“ Niveau beherrschen zu müssen.309 Diese Maximen spiegeln sich häufig auch in der Selbstwahrnehmung von Menschen mit Migrationshintergrund wider, wenn sie ihre Zwei- oder Mehrsprachigkeit als Problem empfinden.310 Auf der anderen Seite führt die direkte Verknüpfung von Sprachniveau und kultureller Zugehörigkeit zur Betrachtung einer makellosen Beherrschung des Deutschen als Garantie für und Anzeichen von einer erfolgreichen Integration. Dieses Motiv ist im politischen und öffentlichen Diskurs nach wie vor präsent und wird insbesondere in politisch initiierten (Werbe-)Kampagnen und Maßnahmen für den Deutscherwerb genutzt. Ein Beispiel hierfür stellt die massiv unterstützte und mit dem Kulturpreis Deutsche Sprache ausgezeichnete311 Kampagne „Raus mit der Sprache. Rein ins Leben.“ der Deutschlandstiftung Integration dar, bei der Prominente mit Migrationshintergrund unter diesem Motto zeigen, „dass der Erwerb der deutschen Sprache eine wichtige Voraussetzung dafür ist, sich in Deutschland zu integrieren und die deutsche Kultur zu bereichern.“312 Aufgrund

307 308 309 310 311 312

Vgl. bspw. Hüllen 1992; Schubert 1994 Vgl. Hinnenkamp 2010, S. 32 Vgl. Dirim/Mecheril 2010, S. 101 f. Vgl. Gemende 2002, S. 165 Vgl. Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration 2011 Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration 2011

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des Appells an Migrant*innen, die deutsche Kultur zu bereichern, das an eine aus dominanzkritischer Sicht problematische Vorstellung von „Leitkultur“ anknüpft, erntete die Kampagne bereits kurz nach ihrem Start zahlreiche Kritiken. Aber auch die Tatsache, dass Mehrsprachigkeit in dieser Kampagne „symbolisch mit den Farben Schwarz-Rot-Gold übermalt und abgewertet“313 wurde, sorgte für kritische Stimmen. Wenngleich sich aktuell die allgemeine politische und wissenschaftliche Haltung zu migrationsbezogener Mehrsprachigkeit deutlich in Richtung Wertschätzung und Förderung wendet, findet sich das oben angesprochene Motiv der Deutschfokussierung auch weiterhin in medial wirksamen Quellen – vor allem in denen, die Werbung für Integration machen. Ein Beispiel hierfür stellt der Artikel „Eine Chance für die neue Heimat“314, der auf den Seiten der Beauftragten für Integration der Bundesregierung veröffentlicht wurde und offensichtlich dazu dienen soll, Migrant*innen durch das Aufzeigen von best-practice-Beispielen für Integrationskurse zu begeistern. Tina, die Titelfigur des Artikels, ist eine hochgebildete junge Frau, die der Liebe wegen nach Deutschland emigriert ist. Sie berichtet über die Bedeutung der deutschen Sprachkenntnisse für ihre Integration in die „neue Heimat“ Deutschland, wobei sie ihre guten Englischkenntnisse als hilfreich bewertet (sie kommuniziert mit ihrem Mann vorwiegend auf Englisch, auch ihre Arbeitgeber*innen empfinden ihre exzellenten Englischkenntnisse als Ressource), den Wert ihrer Herkunftssprache jedoch in ihrer „Erfolgsgeschichte“ ausblendet. Darüber hinaus wird im Artikel Tinas Bemühung hervorgehoben, vorwiegend Kontakte mit Deutschen und internationale Kontakte „natürlich auf Deutsch“315 zu pflegen, was sie selbst stark mit der Vorstellung einer gelungenen sozialen Integration verbindet. Die Protagonistin sieht den Deutscherwerb zudem als Schlüssel zur Entwicklung einer neuen Identität an, die die „alte“ Identität verdrängen soll. Dieses Motiv der erwünschten einseitigen sprachlich-kulturellen Anpassung verbindet sich im Artikel mit der Negativbewertung der Erfolgschancen einer Mehrfachintegration in zwei unterschiedliche soziokulturelle Systeme: „Bislang fuhr sie alle drei Monate nach Belgrad zu ihrer Familie, was ihr das Gefühl gab, mit einem Bein in Serbien und mit dem anderen in Deutschland zu

313 314 315

Migrationsrat Berlin und Brandenburg e. V. 2010 Vgl. Karrasch 2016 Ebd.

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stehen. Jetzt möchte sie nicht mehr so häufig in die alte Heimat reisen, um der neuen eine Chance zu geben.“316 Die Tatsache, dass nicht eine Geschichte der gelungenen sprachlich-kulturellen Mehrfachintegration, sondern die Geschichte der – öffentlich oft nach wie vor als Wunschzustand angesehenen – Assimilation zum Aushängeschild für Integrationskurse gewählt wurde, macht nicht nur auf die oben angesprochene eindeutige Verknüpfung von Sprache und Integration bzw. Sprache und kultureller Identität aufmerksam, sondern stellt den Integrationserfolg in eine einseitige Abhängigkeit von dem Wunsch und den Bemühungen des Einzelnen und ignoriert strukturelle und institutionelle Barrieren. Inwiefern das Beispiel einer bildungserfolgreichen Migrantin, die durch ihre Heirat einen sicheren Aufenthaltsstatus besitzt, als Motivation für Menschen in marginalisierten sozialen Positionen gelten kann, bleibt darüber hinaus fraglich. 3.2.1.3 Bezüge zu defizitorientierten Perspektiven in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ Im Folgenden soll am Beispiel der Reflexionen von Lehramtsstudierenden aus dem Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“317 exemplarisch veranschaulicht werden, in welchen Formen kultur- und sprachdefizitorientierte Vorstellungen und Zuschreibungen in den Ein- und Vorstellungen angehender Lehrer*innen vorzutreffen sind bzw. welche Rolle sie bei der Interpretation migrationsgesellschaftlicher Phänomene oder der konkreten Problemsituationen im schulischen Kontext spielen. Die Reflexionsbeispiele werden hier sowie im weiteren Verlauf der Dissertation immer wörtlich wiedergegeben. Um den Lesefluss so wenig wie möglich zu unterbrechen, werden lediglich die orthographischen und grammatikalischen Fehler mit [sic] gekennzeichnet. Fehlende Interpunktionszeichen werden in eckigen Klammern eingefügt (bspw. [,]). Groß- und Kleinschreibung wird ebenfalls mithilfe der eckigen Klammern korrigiert. Wortfolge- und stilistische Fehler werden nicht gekennzeichnet. Die Hervorhebung der inhaltlich für die Interpretation besonders relevanten Textstellen erfolgt stets durch die Autorin.

316 317

Ebd., Hervorhebung A.I. Vgl. Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Problematisierung kultureller Differenz

Fremdkulturelle Identität als Ursache für Sozialisationsprobleme 1) Beispiel 1: Auszug aus Reflexion I – 3 a318 […] viele Kinder dieser „ausländischen“ Familien werden in Deutschland geboren, bekommen einen deutschen Pass und sind dann meiner Meinung nach keine Ausländer mehr. Sie besitzen zwar ausländische Wurzeln, sind aber größtenteils mit der deutschen Kultur aufgewachsen. Warum sind denn dann in einer Klasse aber so viele Ausländer? Für mich ist die Antwort ganz deutlich[:] [W]eil sich viele SuS319 selbst zu „Ausländern“ machen. Oftmals fallen solche Bemerkungen wie [„][J]a[,] dem geben Sie nur das, da er deutsch ist.[“] Durch so ein Verhalten werden sie von den Mitschülern erst als Immigranten wahrgenommen, kennen ihre „Heimat“ oftmals aber nur von Bildern. Durch solch eine Einstellung ist Deutschland auch erst zu einer Migrationsgesellschaft geworden. Da ist der Drang stärker, durch seine andere Nationalität anders sein zu wollen und sich abzugrenzen[,] größer [sic] als die Integration in die bestehende Gesellschaft. Durch dieses Verhalten geben sich die Migranten selbst keine Chance[,] ein Teil des Ganzen zu werden. Das Resultat davon ist Abschottung und Ausgrenzung von dem Land[,] in dem man sich entschlossen hat zu leben. Analyse/Interpretation: Die Teilnehmerin stellt zunächst fest, dass trotz der Erfüllung von formellen Zugehörigkeitskriterien bzw. trotz Sozialisation in Deutschland („mit der deutschen Kultur aufgewachsen“) viele Schüler*innen in der Klasse dennoch als Fremde – von der Teilnehmerin durchgehend als „Ausländer“ bezeichnet –

318

319

Im Zuge der Anonymisierung wurde ein folgender Schlüssel für die Codierung der Reflexionen entwickelt: Die römische Nummer bezeichnet den Workshop-Durchgang, die arabische Nummer bezieht sich auf die Zuordnung zu der jeweiligen Teilnehmerin, der lateinische Buchstabe bezieht sich auf die Art der Reflexion: unter a) sind Reflexionen zum Begriff ‚Migrationsgesellschaft‘ erfasst, unter c) die Problemreflexionen (Reflexionen unter b) bezogen sich auf eine andere vergleichende Reflexion, die kein Material für diese Dissertation darstellt und deshalb nicht näher erläutert werden soll). Die Abkürzung SuS steht für „Schülerinnen und Schüler“

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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auffallen, und fragt nach möglichen Gründen dafür. Die Frage wird mit der These der Selbstethnisierung beantwortet: Die Schüler*innen übernehmen durch die Abgrenzung von „Deutschen“ bewusst die Rolle eines Fremden bzw. Fremdkulturellen. Somit distanziert sich die Teilnehmerin zwar von der Sichtweise auf Migrant*innen als Opfer ihrer (angeborenen oder anerzogenen) anderskulturellen Identität und macht sie zu aktiven, handelnden Subjekten, die ihre (in diesem Fall fremdkulturelle) Positionierungen frei wählen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Teilnehmerin diese frei gewählte kulturelle Selbstpositionierung negativ bewertet. Sie führt ein Beispiel an, bei dem Schüler*innen mit Migrationshintergrund ihre Lehrkraft auf (von den Schüler*innen als solche wahrgenommene) Benachteiligung bzw. Rassismus hinweisen: „[D]em geben Sie nur das, da er deutsch ist“. Die Aussage der Schüler*innen interpretiert die Teilnehmerin jedoch nicht als direkten Hinweis auf (rassistische) Diskriminierung, sondern als Methode der Schüler*innen mit Migrationshintergrund, sich (durch die Hervorhebung ihrer Herkunft) von den „deutschen“ Schüler*innen und der Lehrkraft abzugrenzen. Durch diese einseitige Deutung der Situation, die mit einer Schuldzuweisung an Schüler*innen mit Migrationshintergrund verbunden ist, entzieht sich die Teilnehmerin der Notwendigkeit, (ihr eigenes) pädagogisches Handeln kritisch zu hinterfragen. Eine Migrationsgesellschaft stellt für die Teilnehmerin ein Ergebnis der gezielten kulturellen Separation bzw. Selbstethnisierung von Migrant*innen dar. In dieser Deutung zeigt sich eine Tendenz zur Personalisierung: Der Begriff „Migrationsgesellschaft“ wird nicht auf migrations- und globalisierungsbedingte gesellschaftliche Veränderungen bezogen, sondern vielmehr als „Migrantengesellschaft“ gedeutet. In diesem Kontext gilt die (unterstellte) Selbstpositionierung der Schüler*innen als (kulturell/ethnisch) „anders“ für die Teilnehmerin als Ursache von Konflikten bzw. Integrationsverweigerung: „Da ist der Drang stärker, durch seine andere Nationalität anders sein zu wollen und sich abzugrenzen[,] größer [sic] als die Integration in die bestehende Gesellschaft.“ Interessant ist der Gebrauch des Wortes „Drang“, welches auf die Vorstellung einer unbewussten und unkontrollierbaren inneren Triebkraft rekurriert, wodurch eine Anknüpfung an essentialistischen Identitätsbegriff erfolgt. Offen bleibt, ob die Teilnehmerin den Begriff „Nationalität“ rechtlich-politisch deutet oder eher – gemäß

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

einer verbreiteten alltagsweltlichen Auffassung320 – mit „Kultur“ bzw. Ethnizität verbindet. Mit einer „ganz deutlich[en]“ Meinung, „viele SuS“ [mit Migrationshintergrund] würden sich „selbst zu ‚Ausländern‘ machen“, macht die Teilnehmerin (viele) Migrant*innen vordergründig oder ausschließlich für „Integrationsverweigerung“ verantwortlich. Das Motiv der Defizitfestschreibung bzw. der einseitigen Schuldzuweisung an Migrant*innen äußert sich darüber hinaus in der nicht hinterfragten Herstellung des direkten Zusammenhangs zwischen frei gewählter und offensiv vertretener Anderskulturalität und „Abschottung und Ausgrenzung“ als Folge dessen. In dem Satz „Das Resultat davon ist Abschottung und Ausgrenzung von dem Land[,] in dem man sich entschlossen hat zu leben“ bringt die Teilnehmerin das Verständnis der Gesellschaft in Deutschland als eines einheitlichen Ganzen zum Ausdruck, in welches sich Migrant*innen zu integrieren haben. Diese Darstellung, die die inneren gesellschaftlichen, entlang unterschiedlichster Achsen (sozialer/materieller Status, Bildungsstand, Gender etc.) gezogenen Differenzen, die strukturelle Bedingungen und bestehende Macht- und Dominanzverhältnisse ausblendet, knüpft deutlich an die in den theoretischen Ausführungen bereits problematisierten defizitorientierten Zugänge an.

2) Beispiel 2: Auszug aus Reflexion I – 5 a Der Begriff [Migrationsgesellschaft] hat oft eine negative Konnotation. Die Migranten und Einheimischen sind zwar im selben Land, bilden aber dennoch einzelne Grüppchen. Sie sind nicht richtig eingegliedert und haben privat nur mit ihren Landsleuten zu tun. Deshalb können (und vielleicht wollen) sie die Sprache und die Bräuche ihres Migrationslandes nicht lernen. Analyse/Interpretation: Auch in dieser Reflexion wird das Phänomen des freiwilligen Festhaltens an der eigenen kulturellen Identität (Selbstethnisierung) durch Migrant*innen als Erklärung für migrationsgesellschaftliche Probleme (hier: expliziter Hinweis auf eine „negative Konnotation“ des Begriffs „Migrationsgesellschaft“) angeführt. Mit

320

Zur Gleichsetzung von Kultur und Nationalkultur vgl. bspw. Sarma 2012, S. 10

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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der Aussage „Sie sind nicht richtig eingegliedert und haben privat nur mit ihren Landsleuten zu tun“ knüpft die Teilnehmerin an Diskurse über die kulturelle Separation von Migrant*innen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft an. Markant ist hier, dass es die Teilnehmerin an dieser Stelle nicht für nötig hält, zu präzisieren, wer genau mit „sie“ gemeint wird (das Personalpronomen „sie“ könnte sich nämlich – unter Berücksichtigung des vorigen Kontextes – auch auf Einheimische beziehen, was eine Präzisierung eigentlich erforderlich macht). Da die Teilnehmerin diese Präzisierung offensichtlich nicht als notwendig erachtet, kann darauf geschlossen werden, dass sie das Vorhandensein einer gleichen Wissensbasis bei dem*der Rezipienten*in voraussetzt, welche die Erfassung des Sinns dieser Aussage auch ohne die grammatische Korrektheit ermöglicht. Die Teilnehmerin geht also davon aus, dass es dem*der Rezipienten*in sowieso klar ist, um wen es bei der Schilderung der negativen „Tatsachen“ geht, zumal die in der Reflexion angesprochenen Themen im medialen, öffentlichen und gesellschaftlichen Diskurs über Migrant*innen präsent sind und die Phänomene der kulturellen Integration und Desintegration häufig einseitig auf Migrant*innen bezogen werden.321 Mit der Behauptung, Migrant*innen wären „nicht richtig eingegliedert“, übernimmt die Teilnehmerin die dominante Perspektive der Mehrheitsgesellschaft, die bestimmte, als Maßstab für die Bestimmung von erwünschtem und unerwünschtem sozialen Verhalten fungierende Integrationskriterien festlegt. Durch die Aussage der Teilnehmerin „Sie sind nicht richtig eingegliedert“ wird zwar nicht verneint, dass Menschen mit Migrationshintergrund bereits Teil des gesellschaftlichen Systems sind – ihre Integrationsleistung wird jedoch ausgehend von o.g. Integrationskriterien bemessen, bewertet und schließlich als nicht ausreichend, „nicht richtig“ befunden. Mit der Behauptung, Migrant*innen hätten in ihrem Privatleben „nur mit ihren Landsleuten“ zu tun, geht die Teilnehmerin von der durch Migrant*innen freiwillig vollzogenen Separation nach dem Kriterium der Nationalität bzw. Ethnie/Kultur aus.322 Da dieses Argument politisch und alltagsweltlich bedeutende323 Diskurse über die Integrationsunwilligkeit von

321 322

323

Vgl. dazu kritisch Foroutan 2015 Wie auch in einigen Reflexionen anderer Teilnehmerinnen der Fall, ist hier ein unreflektierter Begriffsgebrauch zu beobachten, der auf die im bundesdeutschen „Gastarbeiterdiskurs“ verwurzelte Verwendung der Bezeichnung „Ausländer“ für alle in Deutschland lebenden Migrant*innen bzw. Kinder von Migrant*innen rekurriert. Vgl. dazu kritisch bspw. Kuhn/Wamper 2011

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Migrant*innen wiedergibt, erhält der Anspruch, darüber zu urteilen, mit wem Menschen in ihrer Freizeit zu tun haben, eine Legitimation. Der festgestellte Rückzug von Menschen mit Migrationshintergrund in ihr eigenes Herkunftsmilieu wird durch die Teilnehmerin in einen kausalen Zusammenhang mit der Anpassungsverweigerung gebracht („Deshalb können (und vielleicht wollen) sie die Sprache und die Bräuche ihres Migrationslandes nicht lernen.“) Hierbei wird zum einen deutlich, dass die Teilnehmerin die deutsche Gesellschaft als homogene Gemeinschaft mit einer Sprache und gemeinsamen Bräuchen auffasst. Die bestehende sprachliche und kulturelle Vielfalt – auch innerhalb der „deutschen“ Gesellschaft – wird ignoriert. Zum anderen werden die politischen, sozialen, strukturellen etc. Ausgrenzungsmechanismen, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung marginalisierter Gruppen haben, von der Teilnehmerin nicht berücksichtigt. Die andere natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit der Migrant*innen wird als einzig relevante Ursache für ihre (angebliche) Desintegration gesehen.

Kulturelle Defizitorientierungen bei der Diskussion um den Bildungserfolg von Migrant*innen Beispiel: Auszug aus Reflexion II – 5 a Unter Migrationsgesellschaft verstehe ich eine Gesellschaft[,] die nicht aus einer einheitlichen Kultur besteht, sondern aus vielen unterschiedlichen Kulturen und ihren eigenen Sprachen, Traditionen, Sitten und Normen. Auch wenn Kinder in Dtl. zur Welt kommen und ihre Eltern einen Migrationshintergrund haben, tragen auch diese Kinder dazu bei, dass wir weiterhin eine Migrationsgesellschaft bleiben. In den Schulen[,] v.a. [der] Hauptschule[,] ist die Mehrheit der Schüler mit Migrationshintergrund, die ihre Probleme mit der Sprache haben, obwohl sie in Dtl. zur Welt gekommen sind. In den Kindergärten werden immer zunehmend Kurse oder Förderprogramme für Kinder angeboten, um die Sprache zu verbessern. Diese ganzen Angebote sind aus dem Kinderbzw. Schulalltag nicht mehr wegzudenken. Analyse/Interpretation: Am Anfang ihrer Reflexion baut die Teilnehmerin einen Gegensatz zwischen zwei Gesellschaftsformen auf: einer Gesellschaft, die „aus einer einheitlichen

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Kultur besteht“, und einer Migrationsgesellschaft, die kulturell, sprachlich und normativ ausdifferenziert ist. Das von der Teilnehmerin beschriebene Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in dem eine aus einer „einheitlichen“ Kultur bestehende Gesellschaft einer Gesellschaft gegenübergestellt wird, die „aus vielen unterschiedlichen Kulturen“ besteht, knüpft an den traditionellen Herderschen Kulturbegriff an, laut dem Kulturen relativ homogene, deutlich voneinander abgegrenzte, autonome Einheiten darstellen.324 Dieser statische Charakter von „Kultur“ wird besonders deutlich, indem die Teilnehmerin auf die Vererbbarkeit (und somit auf Festigkeit, Stabilität und Unabhängigkeit von bspw. Milieu) des kulturellen Hintergrundes verweist, wodurch die soziale Komponente von „Kultur“ in den Hintergrund tritt und kulturelle Zugehörigkeiten biologisiert werden. Die Defizitzuschreibung kommt hier v. a. durch die Herstellung einer direkten und einseitigen Ursache-Folge-Beziehung zwischen dem vererbten fremdkulturellen Hintergrund bzw. dem dadurch entstandenen migrationsgesellschaftlichen Zustand und „Probleme[n] mit der Sprache“ (sprich: mit der deutschen Sprache) bei Migrant*innen zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund der „Sprachprobleme“ der Migrant*innen-Kinder hält die Teilnehmerin kompensatorische Sprachförderangebote für einen notwendigen, ja obligatorischen Teil der Schulbzw. Kindergartenmaßnahmen.

Im nächsten Abschnitt sollen anhand weiterer Reflexionsbeispiele Problematisierungen sprachlicher Differenz analysiert werden.

Problematisierung sprachlicher Differenz Problemfallreflexion Für die Veranschaulichung der defizitorientierten Diskurse über Sprache/n und Mehrsprachigkeit in den Reflexionen der Workshop-Teilnehmerinnen wurden in diesem Kapitel ausgewählte Fallreflexionen verwendet, bei denen es um eine

324

Vgl. Herder 1774

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Analyse und Entwicklung von Lösungsstrategien für einen konkreten Problemfall ging.325 In der Auswertungsphase der Kategorienbildung und Phänomenanalyse326 zeigte sich bereits, dass die meisten Teilnehmerinnen das sprachlich bedingte Kommunikationsproblem als die wichtigste – und manchmal sogar als die einzig wichtige – Schwierigkeit in der Situation ansehen. Im Zuge der rekonstruktivinterpretativen Untersuchung von Reflexionen konnten dann die konkreten Diskurse, die sich in der Wahrnehmung der Situation und der Entwicklung eigener Argumentationen und Handlungsstrategien durch die Teilnehmerinnen widerspiegelten, ermittelt werden. Im Folgenden sollen exemplarisch zwei Beispiele für eine defizitorientierte Wahrnehmung der sprachlichen Andersheit durch die Teilnehmerinnen am Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ erläutert werden. Es handelt sich dabei um Beispiele einer subtilen Defizitorientierung, bei der die Teilnehmerinnen die Anders- bzw. Mehrsprachigkeit nicht abwerten bzw. sogar Vorschläge zu ihrer produktiven Nutzung (im Unterricht) einbringen, sich jedoch so stark auf die Behebung „sprachlicher Mängel“ konzentrieren, dass die komplexe Problemsituation und die damit einhergehende Notwendigkeit, den Fokus nicht einseitig auf die Quereinsteiger*innen, sondern auch auf den Rektor und andere Schüler*innen zu legen, nicht wahrgenommen wird. Als Ergebnis entsteht eine Konstellation, bei der die sprachliche Integration der Kinder als Garantie für ihre soziale Einbindung in die Klasse fungiert und Barrieren anderer Art bzw. Einflüsse, die von anderen Akteur*innen ausgehen, nicht berücksichtigt werden, was unbeabsichtigt zur Problematisierung der eigentlich Betroffenen führt.

Beispiele 1) Beispiel 1: Reflexion II – 15 c a) Die größte Herausforderung stellt für mich definitiv der Mangel an Deutsch-Kenntnissen [sic] der beiden dar. Denn ohne eine sprachli-

325 326

Situationsbeschreibung und Aufgabenstellung vgl. S. 25 und 345 Vgl. Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“, Abschnitt „Auswertung der Reflexionen“

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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che Verständigung wird es schwer[,] sich gegenseitig auszudrücken bzw. etwas zu vermitteln. b) Deshalb ist es wichtig, entweder eine zweite Lehrperson hinzuziehen, welche französisch spricht, und welche fest in den Unterricht mit involviert wird, und welche die Schüler auf [F]ranzösisch betreut und ihnen die Sachverhalte übersetzt und erklärt. Nebenbei sollte allerdings eine Förderung der Sprache [D]eutsch stattfinden, damit sie möglichst schnell in den deutschsprachigen Unterricht involviert werden können und die „Extraförderung“ durch eine zweite Lehrperson hinfällig wird. Natürlich kann auch der Unterricht an sich „medialer“ gestaltet werden, damit die zwei eine größere Chance haben, den Inhalt zu verstehen, der durch die visuelle oder auditive Vermittlung klarer werden kann. c) Eine Frage, die bei mir zurückbleibt[,] ist, ob sich durch die Förderung durch eine zweite Lehrperson nicht zu sehr eine Sonderposition der beiden Geschwister herausbildet und das wiederum Diskriminierung ist. Zusätzlich könnte dadurch evtl. Mobbing von Seiten der Klassenkameraden auftreten. Analyse/Interpretation: Die Defizitorientierung kommt in dieser Reflexion dadurch zum Ausdruck, dass die Herausforderung in der geschilderten Situation primär auf die Überwindung der fehlenden Deutschkenntnisse bezogen wird. Die Teilnehmerin sieht den „Sprachmangel“ als die einzige Ursache für das Unwohlbefinden der neuen Schüler*innen an bzw. gibt keine Hinweise auf andere wichtige Anhaltspunkte für die beobachtete Isolation der Kinder. Dementsprechend konzentriert sich die Teilnehmerin in ihren Handlungsvorschlägen nur auf einen Aspekt des Problems, nämlich die Anderssprachigkeit, die mit einer Kommunikationsunfähigkeit gleichgesetzt wird. Die Vorschläge zum Unterrichtsgeschehen zielen auf eine Handlungsbefähigung der Quereinsteiger*innen durch den Einsatz ihrer (von der Teilnehmerin vermuteten) Herkunftssprache sowie durch Maßnahmen zur Deutschförderung. Da die Arbeitsaufträge im Unterricht gemäß dem Vorschlag der Teilnehmerin den Quereinsteiger*innen auf Französisch individuell erklärt werden sollen bzw. keine speziellen Arbeitsblätter in zwei Sprachen vorgesehen sind, kann man darauf schließen, dass durch den Einsatz der Herkunftssprache der Quereinsteiger*innen im Unterricht nicht die Mehrsprachigkeit in der Klasse gefördert, sondern die Unterrichtsinhalte für die Quereinsteiger*innen verständlich ge-

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

macht werden sollen, sodass sich die neuen Schüler*innen am Unterrichtsgeschehen beteiligen können. Die Mehrsprachigkeit wird somit als kompensatorische und v. a. vorübergehende Maßnahme eingesetzt (die Teilnehmerin sieht dieses Vorgehen nur als Alternative für die „Übergangszeit“ an, in der die neuen Schüler*innen nicht ausreichend Deutsch sprechen können). Durch den Einsatz der (vermuteten) Erstsprache Französisch strebt die Teilnehmerin die Integration der neuen Schüler*innen in den Unterricht an. Die Frage der sozialen Integration der beiden Kinder in die Klassengemeinschaft bleibt für sie jedoch irrelevant.

2) Beispiel 2: Auszug aus Reflexion I – 2 c Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation? Zuerst stellt natürlich die sprachliche Barriere eine große Herausforderung dar. Außerdem bleibt zu bedenken, dass die Kinder und ihre Familie vermutlich ziemlich abrupt aus ihrem Umfeld, aus ihrer Heimat gerissen wurden, was durchaus psychische Folgen gehabt haben wird. (Daher evtl. auch das zurückhaltende/schüchterne Verhalten der beiden). Wie könnte darauf reagiert werden? Die Reaktion des Rektors war in meinen Augen das Schlimmste, was man tun könnte: ignorieren. Denn werden die beiden nicht einbezogen oder auch angesprochen, bekommen sie ja überhaupt keinen/kaum sprachlichen Input und lernen erst recht nicht, sich zu verständigen. Man könnte anfangen, den beiden Floskeln und Phrasen beizubringen, die im (Schul-)Alltag hilfreich sind. Dies würde ihnen erlauben, mehr am Unterricht und sozialen Aktivitäten teilnehmen zu können. Außerdem können sie sich durch grundlegende Kenntnisse andere Wörter und Sätze vielleicht erschließen/sich selbst helfen. Fächer wie Musik oder Sport können hier möglicherweise ein guter Ansatzpunkt sein, um die Kinder vor allem sozial in die Klasse einzubinden. Akzeptanz in der Klassengemeinschaft wiederum wird automatisch das Erlernen der Sprache beschleunigen/fördern. Ich würde trotzdem als Lehrerin aufpassen, die Probleme der beiden nicht großartig zu thematisieren, denn das würde sie vermutlich eher bloßstellen und „exotisieren“. Sollte Ausgrenzung stattfinden, kann immernoch [sic] interveniert werden.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Analyse/Interpretation: Im Unterschied zu dem ersten Reflexionsbeispiel deutet diese Reflexion auf den ersten Blick auf eine differenziertere Wahrnehmung der Situation durch die Teilnehmerin hin: Als Problemursache wird neben den sprachlichen Mängeln auch die psychisch belastende Lebenssituation der Kinder benannt. Die Auseinandersetzung mit dem sprachlichen Aspekt macht jedoch den größten Teil der Reflexion aus. Gleich zu Beginn ihrer Reflexion benennt die Teilnehmerin die „sprachliche Barriere“ als Herausforderung und präzisiert dabei nicht, ob diese Barriere von ihr als Defizit von Quereinsteiger*innen (fehlende Deutschkenntnisse), oder anderen Schüler*innen bzw. Lehrer*innen (fehlende Kenntnisse der Familiensprache der Quereinsteiger*innen aufseiten anderer Kinder in der Klasse und der Lehrperson) – oder vielleicht auch Beides – betrachtet wird. Im Folgenden wird jedoch klar, dass sich die Teilnehmerin bei der Feststellung der „sprachliche[n] Barriere“ ausschließlich auf die fehlenden Kenntnisse des Deutschen bei Quereinsteiger*innen beruft, denn sie verweist nicht auf die Möglichkeit für die Klasse/die Lehrperson, die Sprache der Quereinsteiger*innen zu lernen bzw. sich mithilfe einer anderen Fremdsprache mit den neuen Schüler*innen zu verständigen, konzentriert sich aber auf die Vorschläge zum Erlernen der deutschen Sprache durch die neuen Schüler*innen. Welche Stellung das Erlernen des Deutschen im Vergleich mit der sozialen Integration für die Teilnehmerin einnimmt, ist zunächst nicht ganz klar. Es entsteht teilweise der Eindruck, als ginge es ihr primär nicht darum, dass die Kinder durch die Handlungen des Rektors von der Klasse abgeschottet werden, sondern darum, dass sie keine Chance bekommen, Deutsch zu lernen: „Die Reaktion des Rektors war in meinen Augen das Schlimmste, was man tun könnte: ignorieren. Denn werden die beiden nicht einbezogen oder auch angesprochen, bekommen sie ja überhaupt keinen/kaum sprachlichen Input und lernen erst recht nicht, sich zu verständigen.“ Offensichtlich erachtet die Teilnehmerin das Erlernen des Deutschen durch die neuen Schüler*innen deshalb als prioritär, da die Überwindung der sprachlichen Barriere für die Bewältigung der sozialen Isolation hilfreich wäre. Die Haltung des Rektors ist aus der Sicht der Teilnehmerin also deswegen problematisch, weil die Möglichkeit, Isolation zu überwinden, durch das unangemessene Verhalten der eigentlich für die Integration verantwortlichen Person verwehrt wird. Die Teilnehmerin geht das angesprochene Problem an und bietet einige Lösungsvorschläge (den neuen Schüler*innen Floskeln und Phrasen beibringen, sie sozial in die Klasse einbinden, die selbständige Arbeit der Schüler*innen fördern). Mit der Behauptung, „Akzeptanz in der Klassengemeinschaft [würde]

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

wiederum […] automatisch das Erlernen der Sprache beschleunigen/fördern“ gibt die Teilnehmerin erstmalig einen Hinweis auf die Beteiligung anderer Schüler*innen in der Klasse. Von ihnen ist „Akzeptanz“ gefordert, um den Quereinsteiger*innen die sprachliche und soziale Integration in die Klassengemeinschaft zu erleichtern. Die Teilnehmerin versteht die Akzeptanz seitens der Klasse, die sich in der psychischen Unterstützung der neuen Schüler*innen durch andere Schüler*innen in der Klasse äußert, als Instrument zum effektiveren Sprachlernen, wobei letzteres offenbar nicht als Selbstziel, sondern als Mittel zur Überwindung sozialer Isolation gesehen wird. In dieser Aussage kommt das Verständnis der Teilnehmerin von der starken Wechselwirkung zwischen der sprachlichen und sozialen Integration erneut deutlich zum Ausdruck. Die Teilnehmerin verfolgt in ihren Lösungsvorschlägen einen praxisnahen Ansatz, der vorrangig auf die sprachliche, aber auch auf die soziale Einbindung der neuen Schüler*innen in die Klassengemeinschaft setzt. Gleichzeitig übersieht die Teilnehmerin den Einfluss rassistischer Haltungen des Rektors, welche ebenfalls ein Grund für das Unwohlbefinden der Quereinsteiger*innen sein können. Indem sich die Teilnehmerin auf das „praktische“ Problem konzentriert, wird die Ebene der Haltungen, Einstellungen und Handlungen der mehrheitsgesellschaftlichen Akteur*innen und damit verbundene weitere Problemdimensionen (Würde sich die Einstellung des Rektors ändern, wenn die Kinder anfangen, Deutsch zu sprechen? Ist der Rektor nur diesen Schüler*innen gegenüber negativ eingestellt oder tendiert er dazu, auch andere Gruppen der Schüler*innen zu diskriminieren? Wie ist die Haltung der Klasse gegenüber den neuen Schüler*innen? Wodurch ist das Verhältnis innerhalb des Kollegiums geprägt?) ausgespart – auch wenn hier kritisch angemerkt werden muss, dass der Handlungsrahmen einer Praktikantin im Vergleich mit dem einer Lehrerin stark begrenzt ist.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien 3.2.1.4

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Fazit

Auch wenn kultur- bzw. sprachbezogenen Defizitzuschreibungen an Migrant*innen häufig als Bestandteil einer als überholt und überwunden betrachteten ausländerpädagogischen Praxis angesehen werden,327 so legt die Beschäftigung mit Literatur zum pädagogischen Umgang mit Migrationsanderen nahe, dass sich diese über verschiedene chronologische Perioden der Entwicklung interkultureller Bildungsdiskurse hinwegziehen bzw. je nach dem allgemeingesellschaftlichen und politischen Kontext einen Aufschwung erleben. Insbesondere bei der Interpretation von PISA-Ergebnissen zeigt sich aus dominanzkritischer Perspektive oft eine vereinfachte problematisierende Darstellung migrationsbedingter kultureller oder sprachlicher Differenz, die mit der Vernachlässigung exkludierender Effekte von sozialen, rechtlichen, strukturellen und institutionellen Faktoren einhergeht. So sehr die Absicht der Forscher*innen, durch die Erfassung ethnisch-nationaler Hintergründe bei der Diskussion um Bildungserfolg einen differenzierteren Blick auf die Ursachen der Bildungsbenachteiligung bestimmter Schüler*innenGruppen zu gewähren, verständlich ist,328 so anspruchsvoll ist die Suche nach geeigneten Forschungsmethoden, die eine komplexe und differenzierte Abbildung der Realität ermöglichen. Die Herausforderung besteht vor allem darin, komplexe Wechselwirkungen zwischen individuellen und familiären Voraussetzungen, der sozialen und materiellen Lage, kulturellen Orientierungen, Migrationserfahrungen und Diskriminierung zu erfassen.329 Die methodisch für solche Studien wohl unumgängliche getrennte Betrachtung von einzelnen bedeutsamen Faktoren für den Bildungserfolg führt häufig zu einer verkürzten Interpretation der Studienergebnisse, bei der ein direkter Zusammenhang zwischen dem jeweiligen ausgesonderten Faktor (z. B. ethnischer Hintergrund) und dem Problem hergestellt wird. Diskurse über eine (große) Distanz von Migrant*innen zur Majoritäts-/Zielkultur (oft in Verbindung mit religiöser Zugehörigkeit) oder Ermittlungen „kulturtypischer“ Einstellungen zu Bildung, die als Erklärung für die

327 328

329

Vgl. bpsw. Mecheril/Rigelsky 2010, S. 76; Krüger-Potratz 2011, S. 48 Da die großen internationalen Vergleichsstudien „deutliche Zusammenhänge zwischen sozialer und kultureller Herkunft einerseits und Schulleistung, erworbenen Kompetenzen und Beteiligung an höheren Bildungsgängen andererseits“ (Dresel et al. 2010, S. 335) gezeigt haben, erscheint es logisch, neben dem Faktor „sozialer Status“ auch herkunftsbezogene Faktoren zu untersuchen. Zu der Zusammenwirkung einzelner Kategorien vgl. bspw. Klemm 1994

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ermittelte Schlechterstellung von Kindern mit bestimmten natiokulturellen Hintergründen herangezogen werden können,330 transportieren zudem „eine eingeschränkte und auch assimilative Vorstellung von ‚kultureller Integration‘.“331 Somit lässt sich als Fazit formulieren, dass sämtliche Versuche, „herkunftsbedingte“ Faktoren (ethnischer/kultureller Hintergrund, Nationalität, Sprache) als Erklärung für den Bildungs(miss)erfolg bestimmter Schüler*innen-Gruppen heranzuziehen, performativ dazu tendieren, eine allgemeine Diskussion über die herkunfts- bzw. migrationsbedingten Defizite der Schüler*innen und/oder ihrer Familien anzustoßen bzw. zu verstärken,332 was u. a. zur Legitimation kompensatorischer Assimilationsmaßnahmen, die oftmals trotz kaum veränderter Zielsetzung als Integrationsmaßnahmen bezeichnet werden,333 führen kann.334 Dies bedeutet jedoch nicht, dass additive Fördermaßnahmen mit sprachlichem oder (sozio-)kulturellem Bezug aus der Pädagogik „verbannt“ werden sollen. Die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Förderung von sozialen und (deutsch)sprachlichen Kompetenzen für eine ausgewogene Teilhabe von Schüler*innen mit Migrationshintergrund an der Bildung und am gesellschaftlichen Leben gilt auch wissenschaftlich als unumstritten, jedoch erscheint es gerade vor dem Hintergrund der komplexen gegenwärtigen Situation sozialer und ökonomischer Ungleichheit nicht angemessen, kulturell akzeptierte Verhaltensformen oder gute Deutschkenntnisse allein als ausschlaggebend für eine erfolgreiche „Integration“ darzustellen.335 Aus dominanzkritischer Perspektive gilt es daher, zu hinterfragen, inwiefern die Hervorhebung der Wichtigkeit von kultureller Anpassung oder von Deutschkenntnissen für die Integration bzw. die Reduzierung des Integrationsprozesses

330 331 332 333 334

335

Vgl. Karakaşoğlu 2009, S. 180 Ebd. Vgl. Ditton/Aulinger 2011, S. 100 Vgl. Löffler 2011, S. 181 So wurde die unreflektierte Herstellung eines direkten Zusammenhangs zwischen dem Sprachniveau und der Integrationsbereitschaft von Personen mit Migrationshintergrund zum prominenten Motiv in (bildungs-)politischen Diskussionen und fungiert nach wie vor als Begründung für die Notwendigkeit von (verpflichtenden) Integrationsmaßnahmen. Der Bildungsreport zur sprachlichen Integration von Migrant*innen, der ein Teil des umfassenden, im Auftrag der Bundesregierung erstellten Integrationsreports ist, sieht die Kompetenz in der deutschen Sprache explizit als Kriterium und Maßstab für die Integration von Migrant*innen an (vgl. Haug 2008, S. 5) und die so genannten Integrationskurse für Einwanderer*innen bestehen zu 90% aus einem Sprachkurs (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2013). Mecheril/Dirim/Gomolla/Hornberg/Stojanov 2010, S. 8

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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auf sprachliche Kompetenzentwicklung und Übernahme bestimmter Werte eine einseitige Verantwortungszuweisung an Migrant*innen begünstigt und bestehende gesellschaftliche Asymmetrien nicht bzw. nicht angemessen berücksichtigt. Sowohl die in diesem Kapitel dominanzkritisch reflektierten Forschungsergebnisse als auch die exemplarisch analysierten Reflexionen der Lehramtsstudierenden an der PH Karlsruhe machen auf die Korrelation zwischen Defizitzuschreibungen an Personengruppen, die als kulturell bzw. sprachlich anders konstruiert werden, und einer unkritischen Akzeptanz teilweise stark ausgrenzender (bildungs-)politischer Strukturen sowie institutioneller Praktiken aufmerksam. Wenn das Ziel der Bildungsinstitutionen jedoch sein soll, eine gleichberechtigte Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen an der Bildung zu ermöglichen, so wäre gerade das Hinterfragen von normativen Vorannahmen des bestehenden Schul- und Bildungssystems essentiell, um nicht-diskriminierende Bildungspraktiken nachhaltig zu etablieren.

3.2.2 Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Defizit/ Veränderungsbedarf Neben Diskursen, die die Ursachen von Bildungs- und Sozialisationsproblemen der Migrant*innen vorwiegend vor dem Hintergrund sprachlicher, kultureller, sozialer etc. Defizite derselben zu erklären versuchen, lassen sich in allen Entwicklungsphasen bzw. Ansätzen der interkulturellen Bildung auch Diskurse feststellen, die strukturell-systemische Aspekte kritisch hinterfragen. Dabei können unterschiedliche Fokussierungen vorgenommen werden. Zum einen lassen sich – vor allem in ausländerpädagogischen, aber auch in interkulturellpädagogischen und antirassistischen Ansätzen – Schwerpunktsetzungen erkennen, die sich primär auf die Kritik festgestellter (ausgewählter) struktureller bzw. institutioneller Defizite konzentrieren und bestimmte Mängel bestehender gesellschaftlicher Strukturen, Institutionen und Praktiken als eine (zusätzliche) Erklärungsperspektive für gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse betrachten. Eine andere Perspektive nehmen macht- und dominanzkritische Argumentationen ein, die die Grundlage migrationspädagogischer und rassismuskritischer Ansätze bilden. Diese Diskurse gehen über die Feststellung und Kritik bestimmter struktureller Defizite hinaus und legen den Fokus auf umfassende Reflexion und Kritik von grundlegenden, meist als Norm wahrgenommenen Dominanzstrukturen

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und -systemen, die durch die Herstellung von Defizit und Differenz bestehende Machtasymmetrien – und damit verbundene Privilegien der Machtvolleren – stärken.336 Im Folgenden sollen beide Diskursarten auf den Kontext Bildungssystem bezogen und am Beispiel ausgewählter Fragmente aus wissenschaftlichen und schulpraktischen Ausarbeitungen zu Schüler*innen mit Migrationshintergrund veranschaulicht werden. 3.2.2.1 Leitmotiv: gesellschaftliche Strukturen als defizitär/ veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Kritik systemischer und struktureller Defizite

Ausländerpädagogik: „Anfänge“ strukturkritischer Ansätze Bei der Auseinandersetzung mit der chronologischen Entwicklung von Ansätzen interkultureller Bildung entsteht häufig der Eindruck, als würden ausländerpädagogische Diskurse ausschließlich Defizite von eingewanderten Schüler*innen und ihren Familien fokussieren und strukturelle Mängel gänzlich ausblenden.337 Tatsächlich vertreten Ansätze, die in der Forschungsliteratur unter dem Begriff der Ausländerpädagogik zusammengefasst werden, zu einem großen Teil die Sichtweise, dass die Funktion der Bildungsinstitutionen des Aufnahmelandes in der Vorgabe allgemein gültiger Standards und Kontrolle über deren Einhaltung besteht.338 Die Schlechterstellung von Kindern mit Migrationshintergrund im Schulsystem wird daher häufig als Problem einzelner Individuen, bestimmter Herkunftsgruppen oder Migrant*innen im Allgemeinen, und nicht als systemischer Mangel, erfasst. Diese Defizitorientierung im Hinblick auf die „Betroffenen“ wird in der kritischen Rezeption der ausländerpädagogischen Ansätze immer wieder hervorgehoben.339 Weniger Berücksichtigung findet jedoch die Tatsache, dass auch die Kritik (ausgewählter) systemischer und struktureller Missstände und Forderung der Bildungsgleichheit für alle Kinder unabhängig von

336

337 338 339

Zur Wirkungsweise von Dominanzstrukturen vgl. bspw. Amersberger/Halbmayer 2008; Mecheril 2004, S. 24; Rommelspacher 1995 Vgl. bspw. die Darstellung der Ausländerpädagogik bei Nieke 1986, S. 462 f. Vgl. ebd., S. 463 Vgl. Wenning 2003; Krüger-Potratz 2005; Nohl 2010

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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ihrer Herkunft einen wesentlichen Aspekt „ausländerpädagogischer“ Diskussionen bildete. 340 Kritische Perspektiven etablieren sich ca. ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre als Gegenpol zu einseitig individuellen bzw. gruppenspezifischen (sprachlichkulturellen) Defiziterklärungen. Den Kernpunkt der Kritik bildete die These, dass die einseitige Feststellung individueller bzw. gruppenbezogener Defizite keine ausreichende Erklärung für Probleme ausländischer Kinder und ihrer Familien bieten kann bzw. dass die aus dieser Defizitperspektive folgende einseitige Konzentration auf Sprachförderung und Akkulturationsmaßnahmen nicht als dauerhafte Lösung angesehen werden kann.341 Bedeutende Aspekte dieser Kritik wurden bereits in Kochs bekannter Publikation „Gastarbeiterkinder an deutschen Schulen“ (1970) aufgegriffen. So nimmt der Autor u. a. ausgrenzende Bildungsstrukturen in den Blick und entlarvt die Diskrepanz zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen („Die Kinder der ausländischen Arbeitnehmer sind in ihrem Recht auf Bildung und Erziehung denen des Gastlandes gleichgestellt.“342) und der tatsächlichen Situation an Schulen, die durch (strukturelle) „Barrieren mannigfacher Art“343 geprägt ist. Mit Verweis auf das Schreiben des Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vom 22. Juli 1970 interpretiert Koch den „weitgehende[n] Ausschluß der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer von der Ausbildungsförderung“344 als einen politisch etablierten Mechanismus zur Herstellung von Randgruppen. Die Erschwerung bzw. Verwehrung des Zugangs zur Ausbildungsförderung für ausländische Kinder sei, so Koch, insbesondere deshalb ungerecht, da die meisten Gastarbeiter*innenFamilien einen erheblichen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands leisten würden. Der Autor betont, dass es die Pflicht des Staates sei, den Weg zur Ausbildung für alle an dem Sozialsystem Beteiligten zu ermöglichen, da die staatliche Ausbildungsförderung aus Steuermitteln bezahlt würde.345 Koch fordert die Umsetzung der „grundsätzlichen Gleichheit der Bildungschancen für die ausländischen Arbeiter und ihre Kinder“346, die sich in konkreten

340 341 342 343 344 345 346

Vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 172 f. Vgl. Auernheimer 1996, S. 7 Koch 1970, S. 24 Ebd. Ebd., S. 25 Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 24

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Bildungszielen und -maßnahmen manifestieren soll (vgl. den Hinweis auf die „[g]leiche Förderung wie die der deutschen Kinder (in der Schule und Berufsausbildung)“347 als wichtiges Bildungs- bzw. Unterrichtsziel). Strukturelle Eingliederungsmaßnahmen dürfen sich dabei nicht nur auf die jüngere Generation beschränken, sondern sollen die Gastarbeiter*innen selbst einbeziehen. Daher fordert Koch vor allem die von der Beschäftigung ausländischer Arbeiter*innen profitierenden Unternehmen auf, Sprachförderangebote als Maßnahme zur strukturellen Integration von Gastarbeiter*innen zu etablieren.348 Einen bedeutenden Aspekt in Kochs Strukturkritik stellt die Vernachlässigung der besonderen Situation der Gastarbeiter*innen-Familien dar, die mit individuellen bzw. gruppenspezifischen Schuldzuweisungen an Letztere auf (bildungs)politischer Ebene einhergeht. So kritisiert Koch die seiner Meinung nach zu hohen politischen Erwartungen an Gastarbeiter*innen dahingehend, dass darin meist nur der Aspekt der individuellen Integrationsbereitschaft betont wird, während die schwierige soziale und finanzielle Lage der Gastarbeiter*innen (Trennung von der Familie, teure Wohnung, Probleme der Kinder in der Schule), Diskriminierungserfahrungen (zu hohe Wohnungskosten für eine mangelhafte Wohnungsqualität, geringere Bezahlung als deutsche Arbeiter*innen usw.)349 und andere strukturell-systemische Faktoren unberücksichtigt bleiben. Dies soll laut Koch in der Schule – innerhalb wie außerhalb des Unterrichts (z. B. im Rahmen von Vorträgen, gemeinsamen Treffen, Gesprächen und Rollenspielen) – thematisiert werden. Das Ziel dabei soll sein, deutsche Schüler*innen für die Perspektive der Gastarbeiter*innen zu sensibilisieren, bei ihnen Empathie und Anteilnahme zu wecken und auf diesem Wege eine gute Atmosphäre in der Klasse herzustellen. Gleichzeitig geht Koch davon aus, dass die Thematisierung der schwierigen strukturell-sozialen Lage der Gastarbeiter*innen deutsche Schüler*innen zu einer Reflexion über die bestimmte strukturelle Mängel in Deutschland (wie bspw. schlechte Bezahlung der Gastarbeiter*innen, gesellschaftliche Ausgrenzungserfahrungen) sowie über die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und anderen Nationalitäten bewegen soll.350

347 348 349 350

Ebd., S. 132 Vgl. ebd., S. 138 Vgl. ebd., S. 154 Vgl. ebd., S. 159

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Weiterentwicklung strukturkritischer Ansätze Kochs erste Kritikansätze beinhalteten wichtige Impulse für nachfolgende Analysen struktureller Missstände in der schulpädagogischen Literatur. Auf der institutionellen Ebene wird bspw. die Ausrichtung von Schule auf Schüler*innen aus der sozialen Mittel- und Oberschicht und die damit einhergehende Nichtberücksichtigung von Interessen und Bedarfen der Familien aus der so genannten „Unterschicht“ bzw. ausländischer Eltern kritisiert, die zu einer vergleichsweise geringen Bereitschaft Letzterer zu einer aktiven Kooperation mit der Schule führt.351 Eine entsprechende Studie von Brühl und Knake (1976), die sich mit dem Einfluss der Eltern auf die Leistungen der Schüler*innen beschäftigt, widerlegt die im Bildungs- wie Alltagsdiskurs verbreitete Auffassung, Eltern aus den unteren Schichten bzw. Migrant*innen-Eltern seien an dem schulischen Vorankommen ihrer Kinder kaum interessiert und somit für den Misserfolg ihrer Kinder verantwortlich, und fordert von der Institution Schule Akzeptanz aller Schüler*innen-Familien unabhängig von deren sozialem bzw. soziokulturellem Hintergrund. Kritiken auf curricularer bzw. inhaltlich-didaktischer Ebene verweisen u. a. darauf, dass die vorgesehenen curricularen Unterrichtsinhalte weder die Vorkenntnisse (z. B. die „mitgebrachten“ Herkunftssprachen) noch die Interessen und Motivationen der ausländischen Kinder berücksichtigen.352 Vor diesem Hintergrund wird die verbreitete defizitäre Sichtweise auf ausländische Schüler*innen kritisiert, die in gut gemeinten, aber faktisch ausgrenzenden „Sondermaßnahmen“ (bspw. der Einsatz qualitativ und quantitativ begrenzter Lerninhalte bzw. des geistig/intellektuell weniger anspruchsvollen Materials für die Arbeit mit Migrant*innen-Kindern) resultiert.353 Ein Appell an Schulen lautet daher, speziellen Förderbedarf dieser Schüler*innen nicht mit einer geringen Begabung gleichzusetzen und besondere Kompetenzen, ebenso wie die psychosoziale Situation dieser Schüler*innen im Unterricht zu berücksichtigen.354 Auch die „höhere“ Ebene der Bildungspolitik soll die unterschiedlichen Lebenssituationen und Bedürfnisse ausländischer Schüler*innen beachten. So sollen sämtliche Infrastruktur- und Bildungsmaßnahmen den besonderen Familienkonstellationen, der spezifischen Sozialisation der Kinder „in – oder richtiger: zwi-

351 352 353 354

Vgl. Brühl/Knake 1976, S. 574 Vgl. Malecha 1982, S. 39 Vgl. ebd., S. 33 und 39 Vgl. ebd., S. 33 f.

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schen zwei Kulturen“355 Rechnung tragen sowie an dem Abbau struktureller Barrieren auf dem Weg zur Bildung arbeiten, anstatt wie bisher wenig durchdachte Maßnahmen zu „Pseudointegration“ ausländischer Schüler*innen (bspw. die Einschulung in Regelklassen ohne gezielte Vorbereitung und Förderung) anzubieten.356 Die Diskussion um die Rolle struktureller Faktoren als Ursache für ungleiche Bildungschancen in Deutschland erlebt im Kontext der Rezeption von erschütternden PISA-Ergebnissen eine bedeutende Weiterentwicklung,357 die sich u. a. in einer stärkeren Tendenz zur Hinterfragung der normativen Grundlagen des Schulsystems äußert. So wird bspw. die Frage der Reformierung des gegliederten Schulsystems engagiert diskutiert.358 Tillmann (2010) analysiert in diesem Zusammenhang die Sonderstellung des Gymnasiums, welches nicht nur über die Jahrhunderte seine Position als unantastbar verteidigt hat (das Gymnasium wurde nie zugunsten einer gemeinsamen Schule aufgehoben), sondern auch weiterhin – trotz vermehrter kritischer Stimmen – diese Sonderstellung bekräftigt.359 Ähnlich spricht von Saldern (2007) von dem markanten Phänomen des Festhaltens aller Bundesländer am gegliederten Schulsystem trotz der Ergebnisse internationaler Schulvergleichsstudien360 und wirft in diesem Kontext die Frage auf, warum das Streben nach homogenisierender Selektion gerade in deutschsprachigen Ländern so vehement verteidigt wird.361 Weitere Schwerpunkte der Systemkritik nach PISA beziehen sich auf einseitig defizitorientierte Erklärungen für den Schulmisserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund362 bzw. strukturell verankerte Vernachlässigung kulturunabhängiger Faktoren zugunsten kulturalisierender pädagogischer Maßnahmen,363 die Ausrichtung der Institution Schule und ihrer Akteur*innen auf Homogenität als Norm364 bzw. die Gewährleistung der Reibungslosigkeit von Organisationsabläufen durch Ausgrenzung der „normabweichenden“ Schüler*innen;365 die institutionell verankerte Praxis der Zuweisung

355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 365

Sayler 1980, S. XI (Hervorhebung im Original) Vgl. ebd., S. 44 Vgl. Schümer et al. 2002; Krüger et al., S. 7 Vgl. Tillmann 2010, S. 138; Hovestadt/Klemm 2002, S. 60 ff. Vgl. Tillmann 2010, S. 138 f. Vgl. Von Saldern 2007, S. 44 Vgl. ebd., S. 50 Vgl. Hamburger 2009, S. 88 Vgl. Diehm/ Radtke 1999, S. 87, S. 149 Vgl. Wischer 2007, S. 38 Vgl. Wenning 2007 b, S. 153 f.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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„problematischer“ Migrant*innen-Schüler*innen auf Sonderschulen,366 strukturelle Barrieren bei Übergängen im Bildungsverlauf367 u. v. m. 3.2.2.2 Leitmotiv: gesellschaftliche Strukturen als defizitär/veränderungsbedürftig; Bezugskategorie: Dominanzkritik

Zum Begriff der Dominanzkritik Die normative Grundlage der modernen demokratischen Gesellschaften bildet das Gleichheitspostulat aller Gesellschaftsmitglieder.368 Von Anfang an war dieser Begriff eng an die politische Diskussion um Bildungschancen gebunden: die von der SPD Anfang der 1960er, von der CDU Anfang der 1970er-Jahre aufgenommene sozialpolitische Maxime lautet, dass alle Gesellschaftsmitglieder das Recht auf gleiche Lebens- und Sozialchancen in Ausbildung und Beruf haben sollen.369 Ähnlich definiert die aktuelle Duden-Definition Chancengleichheit als „gleiche Ausbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten für alle ohne Rücksicht auf Herkunft und soziale Verhältnisse“.370 Trotz weitgehender politischer Einigkeit über die Funktion von Chancengleichheit als Garant und Anzeichen für Gerechtigkeit in demokratischen Gesellschaften steht die Forderung der Chancengleichheit effektiv in Konkurrenz zu realen gesellschaftlichen Ausgrenzungsprozessen. Dieses Paradox prägt alle Sphären der Gesellschaft und insbesondere das (Selbst-)Verständnis und die institutionelle Praxis der Bildung: Einerseits versteht sich das Bildungswesen als Mittel zur gesellschaftlichen Teilhabe, andererseits wohnt dem Bildungssystem das Selektionsprinzip inne, das unvermeidlich Ausgrenzungsprozesse herstellt und fördert.371 Die Ausgrenzung erfolgt dabei nicht losgelöst von Kategorisierungen entlang der Herkunft, Hautfarbe, Sprache, etc., die deshalb so wirksam sind, weil sie typische soziale Ordnungsfaktoren darstellen, die weitgehend akzeptiert wer-

366 367

368 369 370 371

Vgl. Kornmann 2013, S. 71 ff. Vgl. bspw. Siebholz /Schneider/Busse/Sandring/Schippling (Hg.) 2013; Büchner/Koch 2001; Maaz 2006 Vgl. Spetsmann-Kunkel et al. 2010, S. 14 Vgl. Schubert/Klein 2016 Duden 2018 Vgl. Spetsmann-Kunkel et al. 2010, S. 14 f.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

den.372 Bedeutsam werden diese Faktoren, „wenn sie im Verteilungskampf um den sozialen Status und materielle oder symbolische Vorteile eingesetzt werden können und sich mit ihnen Über- und Unterlegenheitsverhältnisse (Dominanz und Subordination) begründen lassen.“373 Daher können auch – und gerade – Bildungsfragen in erster Linie als Machtfragen begriffen und interpretiert werden.374 Diesen Zugang wählen dominanzkritische Ansätze, indem sie das Konzept der „Dominanzgesellschaft“375 als zentrale Analysekategorie für gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse verwenden und strukturelle Ungleichheit als Folge eines gesellschaftspolitischen Kampfes um Ressourcen und Privilegien interpretieren. Eine Dominanzgesellschaft ist durch die Macht der „Zuschreibungen und Projektionen gesellschaftlicher Fremdheit, kultureller Inkompatibilität und politischer Gefährlichkeit“376 charakterisiert, wie auch durch das Privileg der Mehrheitsgesellschaft, unhinterfragte, als selbstverständlich geltende, in national-ethnischkulturellen Normalitätskonstruktionen wurzelnde377, in staatlichen bzw. institutionellen Systemen sowie im Denken einzelner Akteur*innen verfestigte normative Orientierungen hervorzubringen und erfolgreich zu verteidigen. Diese Orientierungen bestimmen bspw. die Konstrukte von Eigen- und Fremdkulturellem, wobei die eigene Kultur als normativer Maßstab und die „fremde“ Kultur als Abweichung gilt. Ein anderes Beispiel stellt der weit verbreitete Topos „Sprachkenntnisse von Migrant*innen“ dar, bei dem die einen die Macht haben, die sprachliche Kompetenz der Anderen zu evaluieren, und die Anderen sich immer in einer Rechtfertigungssituation befinden.378 Ein dominanzkritischer Blick bedeutet dementsprechend, Funktionsmechanismen von bestehenden Strukturen zu identifizieren, die das Verhältnis der „Dominanz und Unterwerfung“379 bestärken. Für die konkrete (pädagogische) Praxis bedeutet das u. a., problematische Situationen, die oftmals einseitig mit individuellen oder kulturellen Ursachen in Verbindung gebracht werden, primär als ein

372 373 374 375

376 377 378 379

Vgl. Diehm/ Radtke 1999, S. 82 Ebd. Vgl. Spetsmann-Kunkel et al. 2010, S. 17 Der Begriff Dominanzgesellschaft ist angelehnt an das Konzept der Dominanzkultur von Birgit Rommelspacher (vgl. Rommelspacher 1995) Ha/Schmitz 2006, S. 253 Vgl. Dirim/Mecheril 2010, S. 116 f. Vgl. Hamburger 2009, S. 79 f. Ebd., S. 80

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Struktur- bzw. Machtprobleme zu begreifen und zu bearbeiten.380 Der in den dominanzkritischen Ansätzen geforderte Blick auf Strukturen ist also a priori nicht mit dem psychologisierenden Blick auf Individuen oder einzelne Personengruppen vereinbar, da diese jeweils andere Wirklichkeiten konstruieren, Probleme anders erfassen und andere Konsequenzen formulieren.381 Aspekte wie psychologische Probleme der Einwanderer*innen, individuelle Diskriminierungsfälle, Vorurteile, etc. stehen demnach per definitionem nicht im Fokus dominanzkritischer Ansätze. Zum Unterschied struktur- und dominanzkritischer Ansätze Strukturkritische Analysen, die keinen dominanzkritischen Ansatz verfolgen, beschäftigen sich zwar (mehr oder weniger umfassend) mit Kritik struktureller Mängel, nehmen diese jedoch nicht – bzw. nicht explizit – als Ausdruck einer bestimmten Machtkonstellation wahr und interpretieren diese nicht vor dem Hintergrund der Herstellung von Dominanzverhältnissen. Mechanismen und Wechselwirkungen, die zur Entstehung struktureller Defizite beitragen, werden zwar angesprochen, jedoch nicht als politisches Instrument zur Sicherung von Privilegien gedeutet. Es erfolgt also eine Feststellung und Kritik bestehender struktureller Defizite und Diskriminierungen, nicht jedoch eine Analyse von Diskriminierung als Grundlage der von Ungleichheit geprägten modernen Gesellschaftssysteme. Dazu lässt sich kritisch anmerken, dass die Frage, wo eine „gewöhnliche“ Strukturkritik aufhört und eine dominanzkritische Kritik anfängt, oft nur schwer zu beantworten ist. So hat bspw. Wilhelmine Sayler in den 1980er Jahren die politische Verweigerung Deutschlands gegenüber der Tatsache, Einwanderungsgesellschaft zu sein, als Auslöser für das „Ausländerproblem“ beschrieben,382 eine Diskrepanz zwischen dem proklamierten Status als demokratischer Rechtsstaat und der tatsächlichen Isolation von Migrant*innenfamilien festgestellt383 sowie den dominanten assimilativen Integrationsverständnis bzw. die herkunftsbedingte Diskriminierung der Schüler*innen kritisiert.384 Somit hat sie – ohne explizit

380 381 382 383 384

Vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 155 Vgl. ebd., S. 156 Vgl. Sayler 1980, S. XI Vgl. ebd., S. 44 Vgl. ebd., S. XI

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den Begriff der Dominanzkritik verwendet zu haben – bestehende Herrschaftsstrukturen kritisiert und deutlich gemacht, dass diese verändert werden müssen. Selbst die Vorschläge der Ausländerpädagogik zur Herstellung der Chancengleichheit durch additive strukturelle Veränderungen (z. B. durch die Ausrichtung der Curricula auf die Lebensrealität der Gastarbeiter*innenfamilien und Berücksichtigung von Kenntnissen und Kompetenzen ausländischer Kinder in der Schule) setzten eine Reflexion von Funktionen und Aufgaben des Schulsystems voraus – ganz zu schweigen von den aktuellen Forderungen der Bildungswissenschaftler*innen nach grundlegenden systemischen Veränderungen (z. B. die Abschaffung des Gymnasiums und Einführung eines Gesamtschulmodells), die implizit eine Schwächung dominanter Strukturen des Bildungssystems befördern.385 Somit kann die Unterscheidung in strukturkritische und dominanzkritische Ansätze nur bedingt vorgenommen werden – Überschneidungen bleiben bestehen. „Anfänge“ dominanzkritischer Perspektiven Vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit vorgenommenen Auseinandersetzung mit einschlägiger Literatur aus unterschiedlichen Zeitperioden erscheint es wichtig zu betonen, dass bereits ausländerpädagogische Bestrebungen nach Chancengleichheit wichtige Impulse für die Entwicklung dominanzkritischer pädagogischer Haltungen lieferten. Exemplarisch hierfür soll im Folgenden die 1974 veröffentlichte Publikation von Jander, Küpper und Lobner unter dem Titel „Zur Lage der ausländischen Arbeiter in der BRD“ analysiert werden, die in dem Band „Ausländische Arbeiter in unserer Gesellschaft“ erschien und eine Handreichung für Lehrkräfte zur Behandlung des Themas „Gastarbeiter*innen“ im Unterricht darstellte. In dieser Arbeit unternehmen die Autor*innen den Versuch, Ursachen für schulischen Misserfolg „ausländischer“ Kinder mehrperspektivisch zu analysieren. Sie schildern eine Reihe von leistungsbeeinträchtigenden Faktoren, die sich auf individuelle (ungenügender Schulbesuch), gruppenspezifische (Rückkehrwunsch der Eltern, „möglichst frühzeitige Beteiligung der Kinder am Verdienen“386) und strukturelle Defizite (mangelnde pädagogische Unterstützung, die durch ungünstige institutionelle Voraussetzungen bedingt ist) bezie-

385 386

Vgl. bspw. Horstkemper/Tillmann 2004; Feldmann 2005, S. 178 ff.; Hartmann 2009 Jander et al. 1974, S. 36

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hen.387 Die Kritik der Autor*innen wendet sich u. a. gegen die weitgehend akzeptierte Überbetonung der Rolle des Deutscherwerbs für den Erfolg in der Schule sowie gegen die einseitige Schuldzuweisung an diejenigen, die sich die deutsche Sprache nicht auf dem geforderten Niveau aneignen konnten. Jander et al. betrachten diese Überbetonung und Schuldzuschreibung explizit als Vorwand, unter dem vorhandene Systemdefizite verschleiert werden, und weisen sogar auf die vermutete absichtliche Vernachlässigung der besonderen (Förder)Bedarfe von Migrant*innen durch die Bundesregierung und die Länder hin, die mit einer strukturell verankerten ausgrenzenden Haltung gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen eingeht.388 Programmatisch plädieren Jander et al. dafür, ausländerpädagogische Konzepte und Maßnahmen in einen umfassenden Kontext der Friedenserziehung einzubeziehen, die an die gesamte Gesellschaft, und nicht an „Ausländer*innen“ als Sondergruppe appellieren soll. Eine der zentralen Forderungen ist dabei, dass „Ausländerarbeit“ immer an die Analyse von gesellschaftlichen Prozessen gebunden sein soll, „in denen personale oder strukturelle Gewalt wirksam ist und in denen soziale Ungerechtigkeit herrscht.“389 Die Berücksichtigung strukturell einflussreicher Mechanismen und sozialer Ungleichheiten hat für den „Gastarbeiter*innendiskurs“ zur Folge, dass nicht nur moralische bzw. ethische, psychologische und sozialisationsbedingte Probleme von Individuen und Gruppen, sondern auch Aspekte individueller und struktureller Diskriminierung, Unterdrückung, Ausbeutung und sozialer Isolierung von Migrant*innen zum Thema werden sollen.390 Ferner sei das Verständnis der Ursachen für die Phänomene struktureller Unterdrückung und sozialer Ungerechtigkeit wichtig. Hier verweisen die Autor*innen auf weltökonomische Ungleichheitsverhältnisse, die u. a. für die ungleiche Arbeitsverteilung auf der Welt sorgen (Beschäftigung der Arbeiter*innen „aus so genannten unterentwickelten Ländern in den hochindustrialisierten Ländern“).391 Die Vernachlässigung dieser ökonomisch-strukturellen Aspekte in der Wissenschaft und Praxis sowie die einseitige Konzentration auf individuelle Aspekte, wie Schwierigkeiten, Nöte, Ängste etc. der Gastarbei-

387

Vgl. ebd. Vgl. ebd. 389 Jander et al.1974, S. 9 390 Vgl. ebd., S. 10 391 Ebd. 388

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ter*innen bzw. Vorurteile und Ängste der Aufnahmegesellschaft werden von den Autor*innen entschieden kritisiert:392 „Der Bezug auf den Einzelnen mündet oft in gutgemeintes Moralisieren, ohne daß bedacht wird, daß das angedeutete Syndrom in wesentlichen Aspekten Resultat der Tatsache Ausländerbeschäftigung ist, deren Hauptfunktion […] in der Bildung einer ‚industriellen Reservearmee‘ der hochindustrialisierten Länder gesehen werden muß. Daraus aber folgt: auch die meisten individuellen Schwierigkeiten der angeworbenen ausländischen Arbeiter können letztlich nur eine ökonomischgesellschaftliche Lösung finden […].“393 Jander et al. ziehen entsprechend das Fazit, dass sich Unterrichtspläne und entwürfe nicht allein auf die Problematik der individuellen Vorurteile und Diskriminierungen beschränken dürfen, sondern die ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge einbeziehen sollen, die zum besseren Verständnis der Lage der ausländischen Arbeiter*innen und ihrer Familien beitragen können.394 Jedoch wird diese Forderung zugleich relativiert, indem darauf hingewiesen wird, dass es „dem jeweiligen Erzieher oder Lehrer in seinen konkreten pädagogischen Arbeitsbedingungen überlassen bleiben [soll], wieweit er die im folgenden dargestellten Zusammenhänge in ähnlicher Komplexität auch unterrichtlich vermitteln kann und will.“395 Somit bleibt die von den Autor*innen angestoßene kritische Reflexion gesellschaftlich-struktureller und politischer Ausgrenzungsmechanismen in der BRD gewissermaßen konsequenzlos. Neben der Publikation von Jander et al. erschienen in den 1970er Jahren zahlreich weitere Publikationen – größtenteils zum Thema Friedenserziehung – die sich mit dem Aspekt struktureller Macht und Gewalt und deren Auswirkungen auf das Bildungssystem beschäftigten. So legen bspw. Küpper und Lobner (1970) strukturelle Mechanismen offen, die eine Benachteiligung ausländischer Schüler*innen im Bildungssystem produzieren, und betrachten soziale Macht-

392

393 394 395

Parallelen zu dieser Thematisierung finden sich bspw. in kritischen Analysen der aktuellen politischen Diskurse über Zuwanderung durch Ha und Schmitz (2006), die weltpolitische Ungleichverhältnisse sowie die Bestrebung deutscher Mehrheitsgesellschaft nach „effiziente[r] und reibungslose[r] Verwertung nützlicher ArbeitsmigrantInnen“392 offenbaren (vgl. Ha/Schmitz 2006, S. 235). Jander et al.1974, S. 10 Vgl. ebd., S. 10 f. Ebd., S. 11

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asymmetrien als eine der wichtigsten Ursachen für Bildungsungleichheit.396 Das Thema struktureller Gewalt im Bildungssystem nimmt auch bei Galtung (1975) eine zentrale Stellung ein. Der Autor sieht die wichtigste Aufgabe der Friedenserziehung in der Kritik und Überwindung sozialer Ungleichheiten. Ähnlich postuliert Richter (1974) das Konzept der Solidarität als Aufforderung zum Abbau von Benachteiligungen. Solidarität, deren Mangel vom Autor als Zeichen industrieller Gesellschaften gesehen wird, wird explizit als „Gegenprinzip zu Rivalität und Herrschaft“397 definiert und zum globalen Lernziel erklärt. Kritik der „Pädagogisierung der sozialen Probleme“ Bezogen auf das Bildungssystem äußerten sich dominanzkritische Impulse wesentlich in der Kritik an der Pädagogisierung der sozialen Probleme, die sich ab dem Anfang der 1980er Jahre fest in der wissenschaftlichen Diskussion etablierte. Angesichts der verbreiteten Diskurse über Defizite von Migrant*innen stellten sich kritisch argumentierende Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen der Frage, inwiefern die Dominanz dieser Diskurse ein Indiz für eine „Pädagogisierung“ anderer gesellschaftlicher Bereiche darstellt und ob mit diesen Diskursverknüpfungen ein neues hegemoniales Wissen verbunden ist.398 Die Anfänge der Kritik wurden bei der Jahrestagung des Verbandes für Initiativgruppen in der Ausländerarbeit (VIA) unter dem Titel „Wider die Pädagogisierung der Ausländerprobleme! – Diskussion der neuen Aufgabenstellungen der Pädagogik“ angestoßen.399 Initiiert wurde die Tagung im Jahre 1980 vom Pädagogen Hartmut M. Griese, der sich bereits in den 1970er Jahren zu den Fragen der rechtlichen Situation der Ausländer*innen in Deutschland, „Fremdheit und Begegnung“400, „Abwehrmechanismen der aufnehmenden Gesellschaft“401, Ausländerfeindlichkeit, der stigmatisierenden Wirkung der Ausländerpädagogik und der unhinterfragten Routine des Sprechens über Betroffene402 kritische Stellungen genommen hat. So weist Griese bei der Beantwortung der Frage, „[w]em das Ganze genützt

396 397 398 399 400 401 402

Vgl. Küpper/Lobner 1970, S. 51 Richter 1974, S. 42 Vgl. Höhne 2004, S. 30 f. Vgl. Niekrawitz 1990, S. 23 Griese 2004 a, S. 2 Ebd. Vgl. Griese 1984, S. 6

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[hat]“403, auf die Stärkung von politischen Dominanzverhältnissen durch ausländerpädagogische Defizitdiskurse hin und hinterfragt vor diesem Hintergrund kritisch den Auftrag von Wissenschaftler*innen: „[I]st man nicht gerade jetzt, innerhalb des Prozesses der ‚Pädagogisierung‘ und Verschleierung der politischökonomischen Ursachen […] dazu aufgerufen, aktiv zu werden, Ideologiekritik zu üben, Stellung zu beziehen? Was ist die Funktion und Verantwortung des kritischen Wissenschaftlers?“404 Das von Griese maßgeblich angestoßene Thema der Pädagogisierung der Ausländerprobleme405 wurde rasch von interessierten Wissenschaftler*innen und Pädagog*innen aufgegriffen, zahlreiche Publikationen entstanden zu verschiedenen Aspekten der Pädagogisierung des Sozialen. So betont Brumlik (1984) die Wichtigkeit der Berücksichtigung von „Milieus, Kontrollinstanzen und ökonomischen Rahmenbedingungen“406 und fordert die Pädagogik auf, Wirkungsweisen dieser Faktoren zu erforschen, statt permanent die „problematischen“ Gruppen als Forschungsobjekt zu missbrauchen und dadurch zur Reproduktion von Ausgrenzung beizutragen.407 Rist (1980) plädiert für die Analyse von politischen Bedingungen, die die ausländischen Kinder benachteiligen und für den Bildungsaufstieg der deutschen Schüler*innen sorgen.408 Hopf (1981) widmet sich der Kritik der Schulstrukturorganisation, Störungen des Übergangs und der damit verbundenen Benachteiligungen.409 Hamburger, Seus und Wolter (1981) machen in ihrem breit rezipierten Artikel „Über die Unmöglichkeit, Politik durch Pädagogik zu ersetzen“ deutlich, dass vorschnelle pädagogische Angebote die politisch erzeugten Probleme nicht lösen können bzw. dass bestehende Benachteiligungen nur politisch zu überwinden sind.410 Die darin geäußerte Kritik hatte zur Konsequenz, die Verabschiedung des Konzepts Ausländerpädagogik zu proklamieren, welches, so die Kritik, durch die Konstruktion des „Ausländerproblems“ die eigene Existenz legitimiert hätte.411

403 404 405

406 407 408 409 410 411

Ebd., S. 5 Griese 1984, S. 6 (Hervorhebung im Original) Vgl. Griese 1981. Mit ‚Pädagogisierung‘ ist dabei die Umcodierung sozialer Probleme (vgl. Proske 2001, S. 17) bzw. die Umdeutung sozialstruktureller Problemlagen (vgl. Hamburger 1984, S. 59) gemeint. Brumlik 1984, S. 29 Vgl. ebd. Vgl. Rist 1980, S. 228 Vgl. Hopf 1981, S. 860 Vgl. Hamburger et al.1981 Vgl. Auernheimer 2006, S. 265

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

119

Weiterentwicklung dominanzkritischer Ansätze Die Idee der Verabschiedung der Ausländerpädagogik als Spezialdisziplin entwickelt Hamburger (1984) weiter, indem er ein Plädoyer für die Entstehung einer „Pädagogik des Ausgleichs von Benachteiligungen“412 formuliert, die die an dem zufälligen Kriterium „Ausländer“413 bzw. der Ausgrenzung nach einem ethnozentrischen Muster orientierte Ausländerpädagogik ersetzen soll. Die Grundlage der „Pädagogik des Ausgleichs von Benachteiligungen“ soll das Bestreben nach Chancengleichheit sein, das an die Kritik der bestehenden diskriminierenden Routinen und Strukturen des Schulsystems anknüpft.414 Demgegenüber stehen Positionen, die nicht die Etablierung einer „neuen“ Pädagogik, sondern die stärkere Ausrichtung bestehender interkulturellpädagogischer Konzepte an der Beachtung von strukturellen Dominanzverhältnissen (unter Beibehaltung der analytischen Fokussierung auf „Kultur“ und „Interkulturalität“) fordern. So kritisiert Barkowski (1984) in seinem Beitrag zum interkulturellen Lernen, dass „viele kritische Positionen gegenüber der deutschen Gesellschaft und allgemeine politisch-soziale Kenntnisse“415 in der unmittelbaren (interkulturell-)pädagogischen Praxis „häufig unbemerkt aufgegeben“416 werden. Dies bezeichnet Barkowski als „Distanzverlust“417 und meint damit den Verlust einer kritisch-distanzierten Haltung gegenüber der eigenen Gesellschaft, welcher zu einer paternalistischen „Fürsorgehaltung“ der Mehrheitsangehörigen führe und dadurch bestehende politische und soziale Ungleichheitsverhältnisse verstärke, eine Festschreibung von Migrant*innen auf ihren „Ausländer-Status“ befördere sowie die koloniale Haltung Deutschlands bestätige, die die Normen der deutschen Kultur selbstverständlich zum Maßstab erhebt und die anderen als sich anzupassende definiert.418 Er verweist somit auf Mechanismen mehrheitsgesellschaftlicher Dominanz, welche durch den Mangel an Kritik an eigener Gesellschaft bestehende Dominanz- und Inferioritätsverhältnisse bestätigen, und

412 413

414 415 416 417 418

Hamburger 1984, S. 59; Hamburger 1983, S. 273 „Eine ‚Ausländerpädagogik‘, die den Rechtsstatus ‚Ausländer‘ zum dominanten Status hypostasiert, bewirkt eine gravierende Entstrukturierung der Handlungssituation von ausländischen Kindern und Jugendlichen im Interesse der herrschenden Ausländerpolitik“ (Hamburger 1983, S. 280.) Vgl. Hamburger 1984, S. 65 Barkowski 1984, S. 172 Ebd. Ebd., S. 179 Vgl. ebd., S. 172 ff.

120

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

geht somit Rommelspachers bekannter Aussage „Dominanzkultur stabilisiert sich durch den Mangel an Kritik“419 gewissermaßen voraus. Borrelli (1986) nimmt mit seinem Ansatz „Interkulturelle Pädagogik als pädagogische Theoriebildung“ eine im Vergleich mit begegnungspädagogischen Konzepten gänzlich unterschiedliche Orientierung interkulturell-pädagogischer Arbeit vor, indem er die theoretische und didaktische Fundierung der interkulturellen Pädagogik strukturorientiert und dominanzkritisch ausrichtet. Die von ihm entwickelten zentralen Aspekte der interkulturellen Pädagogik als Theorie und Didaktik beziehen sich auf die Analyse von geschichtlichen (eigene historische Befangenheit), gesellschaftlichen (soziale (Un-)Gleichheit, soziale Schichten, Klassen und Rollen), politischen (politische Systeme und Machtinteressen), ökonomischen (Wirtschaftsformen, Produktionsformen, Güterverteilung), sprachlichen (Verhältnis von Sprache und Denken) und ideologischen (Funktionsweise von Herrschaftsverhältnissen) Gegebenheiten.420 Hervorgehoben wird die Notwendigkeit, legitimierende Voraussetzungen von Herrschaftsstrukturen zu ermitteln, indem bspw. eine kritische Analyse politischer und religiöser Systeme, der Bildungs- und Erziehungsvoraussetzungen und deren Begründungen vorgenommen wird.421 Ähnlich hebt Essinger (1986) in seinem Beitrag zu „Dimensionen und Prinzipien erzieherischen Handelns in einer multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft“ die Bedeutung der politischen Dimension der interkulturellen Pädagogik hervor und plädiert dafür, interkulturelle Pädagogik als „in höchstem Maß politisch“422 bzw. gar als „politische Pädagogik, Polit-Pädagogik“423 zu verstehen. Jedoch dürfe, so Essinger, auch die kulturelle Dimension nicht vernachlässigt werden, denn jeder Mensch sei ein kulturelles Wesen und besitze bestimmte kulturell geprägte Werte, Normen und Traditionen, weshalb jede ökonomisch bewegte Migration („Arbeitsmigration“) auch als eine Kulturmigration zu deuten sei.424 Gerade diese Beibehaltung der Fokussierung auf kulturelle (und damit einhergehend nationale und ethnische) Zugehörigkeit kritisiert Hamburger als „Mo-

419 420 421 422 423 424

Rommelspacher 1995, S. 22 Vgl. Borrelli 1986, S. 32 f. Vgl. ebd., S. 33 Essinger 1986, S. 74 Ebd. Vgl. Essinger 1986, S. 75 f.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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ment des gesellschaftlichen Konflikts“425, in dem „die einheimische Mehrheit ihre Interessen gegenüber eingewanderten Minderheiten durchsetzt.“426 Diskurse über die multikulturelle Gesellschaft würden, so Hamburger, die Gefahr der Instrumentalisierung kultureller Differenz als Legitimation für gesellschaftlichen Ausschluss beherbergen.427 Demensprechend fordert Hamburger einen gänzlichen „Abschied von der Interkulturellen Pädagogik“428 und eine Hinwendung zum Konzept der „reflexiven Interkulturalität“, das sowohl gegenüber kulturellen Zugehörigkeiten bzw. kulturellen (Misch-)Formen (plurale Identitäten, Mehrfachzugehörigkeiten) als auch gegenüber strukturellen und gesellschaftlichen Ausschluss- und Abgrenzungsmechanismen aufmerksam bleibt.429 Ähnliche Positionen zum Umgang mit gesellschaftlichen Dominanzverhältnissen sind in migrationspädagogischen Ansätzen vertreten. Im Zentrum der migrationspädagogischen Analysen stehen gesellschaftliche (Nicht-) Zugehörigkeitsordnungen, die „jene machtvollen Zusammenhänge [bezeichnen], die durch eine komplexe Form der Ermöglichung und Reglementierung, der symbolischen, kulturellen, politischen und biographischen Einbeziehung und Ausgrenzung auf Individuen produktiv Einfluss nehmen.“430 Diese (Nicht)Zugehörigkeitsordnungen sind deshalb machtvoll, „da migrationsgesellschaftliche Zusammenhänge in der Regel Dominanzzusammenhänge darstellen, für die charakteristisch ist, dass bestimmte natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeiten gesetzlich, politisch und kulturell gegenüber anderen privilegiert sind.“431 Die Konstruktionen von Zugehörigkeiten stützen sich auf Gegenüberstellungen wie „das Eigene – das Fremde“. Durch die Verwendung dieser Konstruktionen wird „kulturelle Identität“ zur „Ressource der Abgrenzung, auf die man sich berufen kann, wenn es für die Verfolgung von Interessen und Zielen hilfreich erscheint.“432 Daher können Dominanzverhältnisse als eine Struktur verstanden werden, „der bereitwillig entsprochen wird, weil sie diejenigen Vorteile sichert, die ihr entsprechen.“433 Aus der engen Verwobenheit des Zugehörigkeitsdiskurses mit dem

425 426 427 428 429 430 431 432 433

Hamburger 1990, S. 65 Ebd. Vgl. ebd., S. 66 f. Hamburger 2009 Vgl. Hamburger 2009, S. 129 Mecheril et al. 2013, S. 28 Ebd. Groenemeyer 2003, S. 23 Messerschmidt 2009 a, S. 9

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Machtdiskurs ergibt sich die Forderung an Bildungsprozesse, bestehende Machtkonstruktionen offen zu legen, indem die Auseinandersetzung mit der Konstruktion von Gegenoppositionen sowie der Verwendungsweise von Differenzierungen vorgenommen wird434 – also die Frage, von wem, wie und zu welchem Zweck „Wir“/“Sie“-Oppositionen bzw. natio-ethno-kulturelle Unterscheidungen benutzt werden, beantwortet wird.435

3.2.2.3 Bezüge zu struktur- und dominanzkritischen Ansätzen in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ In diesem Kapitel soll am Beispiel einer im Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ erhobenen Reflexion zum Begriff „Migrationsgesellschaft“436 gezeigt werden, in welchen Formen strukturkritische Ansätze bzw. Impulse Eingang in die Überlegungen der Lehramtsstudierenden an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe zum Stichwort finden. Beispiel: Reflexion I – 4 a Stichwort Migrationsgesellschaft Geschichtliche Situation: In Deutschland erst seit wenigen Jahren, da zuvor „Ausländer“ Gastarbeiter waren, die wieder in ihr Heimatland gehen sollten. Man stellte dann fest, dass die Gastarbeiter ihre Familien nachholten, wodurch es [sic] die Zahl an Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland zunahm. Dies vernachlässigte die Politik stark. Erst seit wenigen Jahren gibt es Debatten zur Integration und Deutschland ist dabei[,] sich als Migrationsgesellschaft zu verstehen. Wie ich mir eine Migrationsgesellschaft vorstelle: -

434 435 436

Die Menschen in ihr sind von gegenseitigem Respekt geprägt.

Vgl. Baquero Torres 2004, S. 67 Vgl. Mecheril 2008, S. 25 Vgl. Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

123

-

Es existieren gemeinsame Grundrechte und -pflichten, an die sich alle halten. → Z. B. Gleichberechtigung von Mann und Frau.

-

Die Menschen mischen sich stärker, d. h. z. B., dass Deutsche ohne Migrationshintergrund und mit gemeinsam Feste veranstalten, gemeinsame [sic] Hobbys oder ähnliches[sic] nachgehen.

Wie die Migrationsgesellschaft in Deutschland meiner Ansicht nach ist: -

Viele Menschen sind stark von Vorurteilen geprägt.

-

Migranten und Migrantinnen bleiben oft separiert: in Wohnblocks, in Freizeit, beim Einkaufen (Stichwort türkischer Supermarkt) etc. → Diese Separation wird sowohl von Deutschen als auch den Migranten ausgelöst (s. Vorurteile).

-

Bei jungen Menschen ist es schon normaler, dass Deutsche verschiedenste Wurzeln und Kulturen haben.

-

Ungerecht, da die Sprachförderung nur mangelhaft betrieben wird und sich dadurch nicht alle Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Leistungsmöglichkeiten entfalten können.

Migrationsgesellschaft im Lehramtsstudium: -

Sie wird nur ansatzweise thematisiert.

-

Es gibt zu wenige Seminare dazu.

Ich habe kaum Freunde mit Migrationshintergrund im Studium. Zum einen ist dies der Fall, weil es von dieser Bevölkerungsgruppe nur wenige Studenten des Lehramts gibt. Zum anderen[,] weil sich Gruppen bilden, die aus entweder hauptsächlich Deutschen ohne Migrationshintergrund oder hauptsächlich mit [Migrationshintergrund] bestehen → Separation. Analyse/Interpretation: Am Anfang der Reflexion schildert die Teilnehmerin die geschichtliche Situation der Einwanderung nach Deutschland. Sie führt die Tatsache, dass in Deutschland ein Diskurs über Migrationsgesellschaft erst seit kurzem besteht, auf die historischen Entwicklungen im Zusammenhang mit der so genannten Gastarbeiterpoli-

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

tik und die damit verbundene vorherrschende politische Einstellung zurück, laut der die Gastarbeiter*innen in Deutschland eben als vorübergehende „Gäste“ gesehen wurden. Die unangemessene Reaktion des Staates auf migrationsbedingte Veränderungen wird dabei weitgehend losgelöst von komplexen politischen Hintergründen dargestellt (vgl. die Formulierung „Man stellte dann fest, dass die Gastarbeiter ihre Familien nachholten“, die den Eindruck vermittelt, als hätte der Staat selbst nichts vom Familiennachzug gewusst bzw. nicht damit gerechnet). Dennoch erfasst die Teilnehmerin mit ihrer kritischen Behauptung, die Politik hätte migrationsbedingte Veränderungen und damit verbundene Herausforderungen (über eine längere Zeit) ignoriert, eine wichtige Ursache struktureller Diskriminierung von Schüler*innen mit Migrationshintergrund, die – wie die oben angeführte Analyse von exemplarischen Werken der Ausländer- und interkulturellen Pädagogik gezeigt hat – in kritischen Analysen des deutschen Bildungssystems immer wieder hervorgehoben wird. In Bezug auf die aktuelle politische Situation spricht die Teilnehmerin von einem nicht abgeschlossenen Prozess der Anerkennung migrationsgesellschaftlicher Realität, der mit entsprechenden Meinungsverschiedenheiten und Kontroversen („Debatten“) bezüglich des Themas Integration einhergeht, und bringt somit eine offene Vorstellung von der Migrationsgesellschaft als im dynamischen Entwicklungsprozess begriffen zum Ausdruck. Mit dieser Vorstellung versucht die Teilnehmerin der migrationsgesellschaftlichen Realität Rechnung zu tragen, die von Widersprüchen, Ambivalenzen und Aushandlungspotenzialen geprägt ist. Die durch die Teilnehmerin angedeutete Strukturkritik bezieht sich explizit auf die aktuelle Funktionsweise des Bildungssystems in Deutschland. In diesem Zusammenhang verweist die Teilnehmerin auf die aus mangelnden Sprachförderungsangeboten für Migrant*innenkinder resultierende ungleiche Chancenverteilung unter den Schüler*innen und geht somit auf einen wichtigen Aspekt struktureller Benachteiligung von Migrant*innen ein. Dabei versteht die Teilnehmerin nicht die Versäumnisse der Kinder oder ihrer Familien als Ursache des Problems, sondern macht das staatliche Schulbildungssystem, welches den Schüler*innen nicht genug Sprachförderungsmöglichkeiten bietet, für die schulischen Misserfolge der Kinder mit Migrationshintergrund verantwortlich. Schlechte Deutschkenntnisse der Kinder sieht die Teilnehmerin somit nicht explizit als ein individuelles bzw. gruppenbezogenes Defizit, sondern als Anlass zur Veränderung des Bildungssystems an. Gleichzeitig bewegt sich die Teilnehmerin mit

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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ihrer Kritik durchaus im Rahmen des bestehenden monolingualen Habitus,437 welchen sie offenbar als Norm annimmt bzw. nicht grundsätzlich hinterfragt. Am Ende der Reflexion bezieht die Teilnehmerin das übergreifende Thema Migrationsgesellschaft unmittelbar auf ihre persönlichen Studienerfahrungen und formuliert eine weitere strukturkritische Anmerkung, indem sie auf die ihrer Meinung nach mangelnde Beachtung des Themas Migrationsgesellschaft im Lehramtsstudium an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe bzw. allgemein in der Lehrer*innenausbildung hinweist sowie Bedarf an einer tieferen bzw. umfassenderen Thematisierung migrationsgesellschaftlich relevanter Themen im Studium äußert. Die obigen Schilderungen machen auf die in der vorliegenden Reflexion vorhandenen Ansätze einer strukturellen (in Bezug auf historisch-politische Entwicklungen) und systemisch-institutionellen (in Bezug auf fehlende Förderangebote) Kritik aufmerksam. Von einer grundlegend kritischen Haltung der Teilnehmerin kann im Falle dieser Reflexion jedoch nicht ausgegangen werden. Dafür spricht zum einen die Beschränkung der systemisch-politischen Handlungsoptionen auf Ausgleichsangebote (Integrations- und Sprachförderung), die zwar explizit zum Zwecke der Herstellung der Chancengleichheit eingefordert werden, jedoch den grundlegenden normativen Annahmen der Gesellschaft mitsamt ihren Systemen unhinterfragt folgen. Zum anderen blenden die von der Teilnehmerin beschriebenen Wunsch- und Realitätsvorstellungen von einer Migrationsgesellschaft strukturelle Aspekte vollkommen aus. Lediglich in der Formulierung gemeinsamer Gesetze für die gesamte Gesellschaft („Es existieren gemeinsame Grundrechte und -pflichten, an die sich alle halten.“) wird die Ebene der grundlegenden Strukturen aufgegriffen. Es könnte angenommen werden, dass die Teilnehmerin durch die Proklamierung gemeinsamer Rechte (die Rede ist sogar von Grundrechten) und Pflichten (auf Grundlage der gesetzlichen Normen und Regelungen) als Basis einer gut funktionierenden Migrationsgesellschaft eine indirekte Kritik an bestehenden Strukturen ausübt, die eben nicht die gleichen Rechte und Pflichten für alle garantieren können. Durch die Wahl eines Beispiels zur Veranschaulichung dieser Forderung („Gleichberechtigung von Mann und Frau“) stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die Teilnehmerin wirklich an alle gesellschaftlichen Gruppen appelliert, da der öffentliche Diskurs über Gleichberechtigung von Mann und Frau sehr oft

437

Vgl. Gogolin 1994

126

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

einseitig als Diskurs über patriarchalische Verhältnisse in türkischen bzw. muslimischen Familien geführt wird.438 Es bleibt also unklar, ob die Teilnehmerin mit ihrem Beispiel auf gesamtgesellschaftlich verbreitete sexistische Einstellungen und institutionalisierte Praktiken aufmerksam machen oder eine implizite Kritik an einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe ausüben möchte. Für Letzteres würde die Tatsache sprechen, dass die Teilnehmerin in ihrem Satz über die „Separation“ von Migrant*innen und Deutschen zwar explizit von einer von beiden Seiten ausgehenden Abgrenzung schreibt (so wird „Vorurteilsbildung auf beiden Seiten“ als Ursache für die festgestellte Separation angeführt), als Beispiel jedoch nur ein Klischee der gesellschaftlichen Abgrenzung durch Migrant*innen anführt („türkischer Supermarkt“) und damit eine einseitig defizitzuschreibende Perspektive einnimmt.439 3.2.2.4

Fazit

Mit Blick auf die in diesem Kapitel vorgenommenen Literaturanalysen lässt sich feststellen, dass Kritik an der Vernachlässigung struktureller Barrieren bzw. an der ungleichen Machtpositionierung in der gesamten Gesellschaft sowie speziell im Bildungssystem keine Erfindung der aktuellen migrationspädagogischen und rassismuskritischen Ansätze ist, sondern bereits in den 1970er und 1980er Jahren geäußert (und argumentativ weiterentwickelt) wurde. Neben der Kritik an bestehenden strukturellen Barrieren (u. a. ausgrenzende Bildungsstrukturen und rechtliche Rahmenbedingungen) lässt sich in ausländerpädagogischer sowie interkulturell-pädagogischer Literatur teilweise auch eine Kritik der bestehenden Dominanzverhältnisse vorfinden. Der dominanzkritische Blick tritt dabei als eine Analyse- und Erklärungsperspektive für strukturell angelegte Kritik auf, indem strukturelle Barrieren explizit als Ausdruck von gesellschaftspolitischen Machtverhältnissen betrachtet werden. Die Kritik bestehender struktureller Defizite geht hierbei stets mit der Analyse von bestehenden – auch impliziten – Machtasymmetrien bzw. Prozessen der Machtdurchsetzung einher.

438 439

Vgl. Hafez/Schmidt 2015, S. 12 ff. Vor diesem Hintergrund fragt es sich natürlich auch, ob bspw. der Hinweis der Teilnehmerin auf die geringe Anzahl der Studierenden mit Migrationshintergrund im Lehramtsstudium nicht auch eher als Hinweis auf gruppenbezogene Defizite als auf systemische Mängel interpretiert werden sollte.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Im Zuge der Ausformung migrationspädagogischer und rassismuskritischer Ansätze nimmt Dominanzkritik konzeptionell eine zentrale Rolle ein, indem sie als grundlegendes Instrument zur Erkennung und Analyse von machtvollen gesellschaftlichen (Nicht-)Zugehörigkeitsordnungen und damit verbundenen strukturellen Ausgrenzungsmechanismen verwendet wird. Bemerkenswert an dieser Entwicklung ist eine beachtliche Zeitspanne, die zwischen der Formulierung von ersten dominanzkritischen Entwicklungsimpulsen (bereits zu den Zeiten der Ausländerpädagogik) und der umfassenden konzeptionellen Berücksichtigung von Dominanzkritik (bspw. in der Migrationspädagogik) liegt. Hier ließe sich mit Blick auf weitere Untersuchungen u. a. die Frage stellen, inwiefern eine solche Weiterentwicklung bzw. Konzeptionalisierung möglicherweise durch gesellschaftliche, politische, aber auch wissenschaftliche „Gegentendenzen“ verhindert worden ist. Eine genauere Untersuchung der Entwicklungsdynamik konkurrierender Diskurse könnte darüber hinaus Erklärungen für das aktuell oft zu beobachtende Phänomen liefern, bei dem zwar eine hohe mediale und öffentliche Aufmerksamkeit für strukturelle Benachteiligungen vorhanden ist, jedoch zugleich eine deutliche Tendenz zur individualisierenden Schuldzuschreibung an marginalisierte Gruppen besteht. Auch am Beispiel der im vorigen Kapitel analysierten Reflexion wird deutlich, dass die Übernahme strukturkritischer Argumentationen nicht automatisch mit der Abwendung von individuell defizitorientierten Perspektiven einhergeht. Vielmehr treten die strukturbezogenen und die gruppenbezogenen (bzw. implizit kulturbezogenen, da bspw. von Vorurteilen aufseiten von Migrant*innen und Deutschen besprochen wird) Argumentationsweisen in der analysierten Beispielreflexion parallel auf und es wird nicht deutlich, weshalb sich die Teilnehmerin der einen oder der anderen Argumentation bedient. So ist es bspw. unklar, warum die Teilnehmerin die festgestellte räumliche Segregation einseitig auf individuelle/gruppenbezogene Vorurteile zurückführt (ohne strukturelle Ursachen hierfür zu benennen), aber die schulischen Nachteile von (offensichtlich) Schüler*innen mit Migrationshintergrund ausschließlich durch die „mangelhaft“ organisierten Sprachförderangebote erklärt (ohne individuelle Nachteile von Schüler*innen bzw. ihren Familien als eine mögliche Erklärung heranzuziehen). Die Reflexion der Teilnehmerin ist also eher fragmentarisch und argumentativ widersprüchlich – möglicherweise reproduziert die Teilnehmerin einzelne, (für sie persönlich) relevante Diskurse aus verschiedenen Gebieten (Segregationsdiskurs aus dem Alltag, Sprachförderungsdiskurs aus dem Lehramtsstudium), ohne diese jedoch in einen übergreifenden Zusammenhang zu bringen. Dieser Zusammenhang könnte durch die Verknüpfung struktur- und dominanzkritischer Perspektiven hergestellt werden. So versucht bspw. der migrationspä-

128

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

dagogische Ansatz, neben der Feststellung struktureller Entwicklungsbedarfe auch die übergreifenden Ursachen für die kritisierten Strukturmängel zu ermitteln. Durch die Anwendung der dominanzkritischen Perspektive kann offengelegt werden, wie eine ungleiche Verteilung gesellschaftlicher Deutungsmacht die Entstehung und Bewahrung solcher „Mängel“ begünstigt. Zudem kann durch dominanzkritisch angelegte Gesellschaftsanalysen deutlich werden, wie durch den Mangel an Kritik und (somit) Unterstützung von bestehenden Dominanzstrukturen die marginalisierte Position derer verfestigt wird, die in individuell defizitorientierten Diskursen selbst als Ursache des Problems angesehen werden. Es kann also dargelegt werden, inwiefern individualisierende Defizitzuschreibungen an bestimmte gesellschaftliche (Minderheiten-)Gruppen als Instrument zur Machterhaltung der dominierenden (mehrheitsgesellschaftlichen) Gruppen fungieren können, wodurch ein kritischer Umgang mit gängigen Defizitattributionen angeregt werden kann.

3.2.3 Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Differenz/ Diversität Die Ablehnung kulturdefizitorientierter Sichtweisen auf Migrant*innen äußerte sich, wie bereits im Kapitel 3.2.2. „Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Defizit/Veränderungsbedarf“ veranschaulicht, zum einen in der theoretischen und programmatischen Fokusverschiebung von problematisierten „Anderen“ hin zu den Probleme hervorbringenden gesellschaftlichen Strukturen. Gleichzeitig haben sich in der pädagogischen Diskussion auch Positionen verfestigt, die die Fokussierung auf kulturbedingtes Anderssein beibehalten, den defizitorientierten Blick jedoch durch einen differenz- bzw. diversitätsorientierten Blick ersetzen. Unter diesem Blick erscheinen Migrant*innen nicht als problematisch oder rückständig, sondern als „anders“.440 Dementsprechend wird nicht der Ausgleich der (vermeintlichen) Defizite, sondern das Kennenlernen, Verstehen und Tolerieren bzw. Akzeptieren der (vermeintlichen) Differenz bzw. das Sichtbarmachen und Wertschätzen kultureller Diversität in der Gesellschaft zum Schwerpunkt pädagogischer Maßnahmen. Im Folgenden sollen kulturdifferenz- bzw. diversitätsorientierte Diskurse am Beispiel der Bildungsdiskurse aus verschiedenen Zeitperioden veranschaulicht

440

Vgl. Krüger-Potratz 1999, S. 155; zusammenfassend Mecheril 2010 b, S. 57 und 61

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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werden. Dabei ist wichtig zu bemerken, dass es in diesem Kapitel vor allem um Diskurse geht, die in ihren theoretischen Überlegungen und/oder in der praktischen Umsetzung das Hauptaugenmerk auf das Thema „kulturelle Andersheit“ legen. Das gilt gleichermaßen für Diskurse, die programmatisch eine Orientierung an Intersektionalität bzw. eine kritische Reflexion und Revision des Kulturbegriffs proklamieren, jedoch eine vorrangige Orientierung am Thema „Kultur“ und „kulturelle Differenz“ beibehalten. 3.2.3.1 Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: Kritik der Defizitorientierung: kulturelle Diversität als Ressource Die Hinwendung zur Differenz- bzw. Diversitätsorientierung manifestierte sich begrifflich wie programmatisch in dem Wandel von Ausländerpädagogik zu der interkulturellen Pädagogik. Auch wenn der Begriff „interkulturelle Pädagogik“ von vornherein nicht unumstritten war,441 etabliert er sich fest in den Erziehungswissenschaften und fungiert als eine Art Sammelbegriff für sämtliche pädagogische Ansätze, die „die Vielfalt der Kulturen nicht als Belastung, als Problem, als Konfliktpotential [...], sondern als Bereicherung des gesellschaftlichen wie des individuellen Lebens“442 begreifen und durch Diskurse über Anerkennung und Förderung von kultureller Differenz und Vielfalt wichtige und bis heute aktuelle Schwerpunkte für das Konzept einer multikulturellen Gesellschaft bilden.443 Für die Arbeit an Schulen hat die theoretisch-programmatische Orientierung an dem Paradigma kultureller Differenz vor allem die Forderung in der Konsequenz, dass schulische Strukturen und Akteur*innen von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Kulturen ausgehen und die Präsenz kulturell „anderer“ Schüler*innen als Bereicherung wahrnehmen sollen.444 Daraus ergibt sich die Zielsetzung für Schulen, das Kennenlernen und die Akzeptanz ethnischkultureller Unterschiede zu fördern, die in der Praxis jedoch nicht zwingend einen Abschied von assimilatorisch-kompensatorischen Angeboten für Schü-

441 442 443 444

Vgl. dazu bspw. Gamm 1986 Nieke 1991, S. 4. Vgl. Mecheril 2010 b, S. 57 Vgl. Essinger/Graf 1984 a, S. 11

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

ler*innen mit Migrationshintergrund zur Folge hat(te): Mit dem Argument, solche Angebote würden den Schüler*innen den Zugang zu den kulturellen Mustern der Mehrheitsgesellschaft eröffnen und sie in dem sozialen System der Gesellschaft handlungsfähig machen, wurde – und wird – die nicht unbedeutende Position der „defizitausgleichenden“ interkulturellen Maßnahmen in der pädagogischen Praxis für berechtigt erklärt.445 Die Forderung nach einer stärkeren Beachtung und Anerkennung migrantischer Herkunftskontexte in schulischen Bildungskonzepten446 knüpft an die Empfehlung an, die Herkunftskulturen von Migrant*innen und Minderheiten gezielt zum Ausgangspunkt für einen gegenseitigen Lernprozess im und außerhalb des Unterrichts zu machen. Der Schule kommt dementsprechend die Aufgabe zu, im ersten Schritt „die kulturelle Vermittlung, das gegenseitige Kennenlernen und Verständlichmachen des kulturell Verschiedenen“447 zu ermöglichen und im zweiten Schritt „im Rückbezug auf die gemeinsame Personalität die Maßstäbe und Werte eines künftigen Zusammenlebens erneut zu reflektieren“.448 In diesem Zusammenhang gewinnt das Konzept der Begegnungspädagogik eine besondere Bedeutung für die Gestaltung pädagogischer Praxis. Das Motiv der kulturellen Begegnung zieht sich durch die gesamte Geschichte interkultureller Bildung. So schreibt Koch in den 1970er Jahren von der Notwendigkeit des „Aufeinanderzukommen[s]“449 von „Gastarbeiter*innen“ und Deutschen – „individuell und in Gruppen“450. Sayler ruft in den 1980er Jahren zu einem „Aufeinanderzugehen“ 451 und dialogischem Lernen auf - und in den 1990er Jahren betont Auernheimer die Wichtigkeit der persönlichen kulturellen Begegnung und der interkulturellen Verständigung durch kulturellen Wissenserwerb.452 Begegnungspädagogische Ansätze betrachten die Schule und den Unterricht explizit als Orte für persönliche Begegnungs-, Dialog- und Lernmöglichkeiten. Pädagog*innen haben deshalb die Aufgabe, Kulturen und Lebenswelten der „anderen“ Schüler*innen in die Unterrichtsthemen und das Schulleben aktiv einzubeziehen. Als konkrete Maßnahmen sind bspw. das Kennenlernen von

445 446 447 448 449 450 451 452

Vgl. Kiesel 2003, S. 10 Vgl. ebd. Dickopp 1986, S. 43 f. Ebd. Koch 1970, S. 27 Ebd. Sayler 1987, S. 5 Vgl. Auernheimer 1996, S. 227 ff.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Musik, Kunst, Literatur, Geschichte und der aktuellen sozialpolitischen Situation in anderen Ländern, kulturelle Kontrastierungen sowie die Suche nach kulturellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu erwähnen.453 Dabei kommt ausländischen Schüler*innen häufig die Rolle der Expert*innen für ihre Heimatländer bzw. Heimatkultur454 zu. Indem Schüler*innen mit Migrationshintergrund ihren Kommiliton*innen ohne Migrationshintergrund die jeweiligen kulturellen Traditionen, Bräuche und Besonderheiten nahebringen, soll der interkulturelle Lernund Verstehensprozess aufseiten der mehrheitsgesellschaftlichen Schüler*innen angestoßen werden. Pädagog*innen kommt in diesem Kontext die Aufgabe zu, den interkulturellen Verstehens- und Lernprozess zu moderieren bzw. methodisch anzuleiten. Dabei sollen Lehrer*innen eigenes Metawissen über Kultur und Interkulturalität nutzen, um Diskussionsfragen anzustoßen sowie um Expert*innen bei ihrer Darstellung der jeweiligen kulturellen Besonderheiten unterstützend zur Seite zu stehen.455 Zudem werden Pädagog*innen dazu aufgerufen, selbst „[w]enigstens bescheidene”456 Kenntnisse über die Herkunftskulturen der Schüler*innen zu erwerben, um einen persönlichen Zugang zu ihren Schüler*innen finden zu können.457 Ähnlich tritt die Kenntnis von migrantischen Herkunftssprachen als Brücke zu der Lebenswelt der Schüler*innen verstärkt als Ziel von pädagogischen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen auf. Durch die Herstellung eines persönlichen Zugangs zu kulturell und sprachlich „anderen“ Schüler*innen sollen Probleme besser bewältigt, eine schnellere Sozialisation der Kinder ermöglicht, Stabilisierung der ich-Identität gewährleistet und das Selbstvertrauen der Kinder gefördert werden.458 Wichtig für die Programmatik differenzorientierter Ansätze ist aber auch, dass die Erschließung „fremder“ Kultur- und Sprachelemente nicht nur darauf abzielen soll, persönlichen Kontakt herzustellen oder das Fremdenverständnis zu erlangen, sondern auch darauf, der*dem Andere*n eine Anerkennung als gleichwertig zu signalisieren.459 Daran knüpft ein weiteres erklärtes Ziel interkulturellen Lernens – die Schwächung von Ungleichheitsverhältnissen und der Ab-

453 454 455 456 457 458 459

Vgl. Schmitt 1985, S. 73 ff. Vgl. Auernheimer 1996, S. 227 Vgl. ebd. Ebd., S. 228 Vgl. ebd. Vgl. Uçar 1984, S. 229 Vgl. Auernheimer 1996, S. 228

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

bau von Diskriminierungen – an.460 Ähnlich formulierte Zielsetzungen nehmen bereits in den Publikationen der 1970er und 1980er Jahren eine bedeutende Stellung ein, die sich dem Thema „Friedenserziehung“461 bzw. „Erziehung zu Solidarität“462 widmen. Durch die an deutsche wie ausländischer Schüler*innen gerichtete Solidaritäts- bzw. Friedenserziehungsmaßnahmen soll der Paternalismus der defizitorientierten Perspektiven überwunden werden.463 Zugleich sollen folgende Lernziele verfolgt werden:464 1) Abbau von kulturellen/nationalen/ethnischen465 Vorurteilen auf beiden Seiten Durch den gegenseitigen Abbau von Vorurteilen soll die Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Nationen, Ethnien und Kulturen erleichtert werden sowie die Emanzipation eigener Vorstellungen aufseiten von Migrant*innen erfolgen. Das wichtigste Ziel des Vorurteilsabbaus liegt jedoch nicht auf der individuellen, sondern auf der gesellschaftlichen Ebene: „[D]urch den Abbau von Vorurteilen [kann] die diskriminierende Behandlung von Minderheiten, wie sie die Gruppe der Mehrheit darstellt, verhindert oder zumindest verringert werden. Das gesellschaftliche Aggressionspotential kann auf diese Weise gesenkt werden.“466 2) Erziehung zur Empathie Die Fähigkeit, den Anderen zu verstehen bzw. sich in ihn hineinversetzen zu können soll eine wichtige Grundlage für einen vorurteilsfreien, friedlichen Umgang miteinander bilden. 3) Erziehung zur Solidarität Im Rahmen einer Erziehung zur Solidarität soll vor allem das Ziel der Überwindung von Egozentrismus und der Entwicklung eines nation-, ethnie- und kulturübergreifenden Gemeinschaftssinns verfolgt werden. Schüler*innen mit Migrati-

460 461 462 463 464 465

466

Vgl. Auernheimer 2012, S. 42 Vgl. bspw. Essinger/Graf 1984 b Vgl. bspw. Richter 1974 Vgl. Niekrawitz 1990, S. 25 Im Folgenden nach Essinger/Graf 1984 b, S. 24 ff. Essinger und Graf setzen die Begriffe „Kultur“, „Ethnizität“ und „Nationalität“ weitgehend gleich. Dadurch, dass das Kulturelle austauschbar mit dem Nationalen wird, findet eine Kulturalisierung der Kategorie Nation statt. Deren politische Implikation wird verdeckt. Essinger/Graf 1984 b, S. 24 f.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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onshintergrund, die Solidarität im Heimatland oder mit der eigenen Herkunftsgruppe in Deutschland erfahren, können ihre Erfahrungen der Solidarität in den Unterricht einbringen, um andere Schüler*innen in der Klasse für das Thema zu sensibilisieren. 4) Erziehung gegen das Nationaldenken Durch eine Erziehung, die die Relativität eigenkultureller bzw. nationaler Muster vor Augen führt, sollen die verbreiteten friedensbedrohenden „Blut-und-BodenIdeologien“ geschwächt bzw. überwunden werden. 5) Erziehung zur Konfliktfähigkeit Einen wichtigen Teil der Friedenserziehung nimmt die Entwicklung der Fähigkeit ein, mit kulturbezogenen Konflikten angemessen umzugehen. Der angemessene Umgang umfasst zum einen die Fähigkeit, Ursachen solcher Konflikte zu verstehen und den eigenen Standpunkt zu vertreten und zum anderen die Bereitschaft, Konflikte beiseitelegen zu können.

Die oben angeführten Lernziele bleiben für differenz- bzw. diversitätsorientierte pädagogische Programmatiken nach wie vor aktuell – auch wenn mittlerweile explizit von antidiskriminierenden bzw. antirassistischen statt von „friedenserziehenden“ Maßnahmen gesprochen wird.467 Der Abbau von Diskriminierungen bzw. das Empowerment von Betroffenen gelten als wichtige Ziele der diversitätsorientierten interkulturellen Pädagogik.468 Die Kritik dieses Ansatzes bezieht sich im Wesentlichen auf die mangelnde Berücksichtigung struktureller Ebene und die Vernachlässigung von gesellschaftlichen Machtasymmetrien.469

467 468 469

Vgl. bspw. Lüddeke et.al. 2001 Vgl. bspw. Freise 2006, S. 59 Vgl. Kapitel 3.2.4.1 „Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kulturalisierungsanalyse und Kulturalisierungskritik“

134

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

3.2.3.2 Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: „Kompetenz“ und „Integration“ als Lösungen für die Praxis Auch wenn in der Programmatik der diversitätsorientierten Ansätze betont wird, dass sich interkulturelle Erziehung gleichermaßen an Mehrheits- wie Minderheitsangehörige richten soll,470 lässt sich mit Blick auf die Praxis sowie die an das Paradigma der kulturellen Differenz anknüpfenden öffentlichen Diskurse feststellen, dass interkulturelles Lernen je nach Kontext häufig als Aufgabe ausschließlich der „deutschen“ Mehrheitsgesellschaft oder ausschließlich der natioethno-kulturell Anderen betrachtet wird. Um das zu veranschaulichen, soll im Folgenden auf den interkulturellen Kompetenzdiskurs als Beispiel für eine Anforderung an Mehrheitsangehörige und den Integrationsdiskurs als Beispiel für eine Anforderung an Migrant*innen eingegangen werden. Interkulturelle Kompetenz als Anforderung an Mehrheitsangehörige Mit der Orientierung an kultureller Differenz geht die Forderung an Kommunikationsakteur*innen einher, kulturrelevante Kenntnisse zu erwerben und Instrumente zum erfolgreichen Agieren in interkulturellen Kontexten zu erlernen bzw. zu entwickeln. Diese beiden Aspekte kommen im Konzept der interkulturellen Kompetenz zum Ausdruck, das insbesondere in den berufsprofilbezogenen oder professionsspezifischen Handlungskontexten eine große Rolle spielt.471 So gilt interkulturelle Kompetenz als eine der wichtigsten Qualifikationsanforderungen im Bereich (länderübergreifender) interkultureller Kommunikation.472 Auch Bildungseinrichtungen und Schulen sehen die Herausbildung interkultureller Kompetenz bei ihren Akteur*innen oft als eine der zentralen Entwicklungsaufgaben an.473 Trotz der im Rahmen der kulturdifferenzorientierten Ansätze unbestrittenen Postulierung interkultureller Kompetenz als zentrales Element interkulturellen Lernens bzw. interkultureller Professionalisierung besteht keine Einigkeit über

470 471 472 473

Vgl. Nieke 1991, S. 4 Vgl. Straub 2007, S. 35 Vgl. bspw. Thomas/Kinast/Schroll-Machl (Hg.) 2003; Lustig/Koester 2012 Vgl. bspw. Kapitel VI in Nicklas/Müller/Kordes (Hg.) 2006; auch: Volkmann/Stierstorfer/ Gehring (Hg.) 2002

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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konkrete Ziele, Bedingungen und Komponenten der interkulturellen Kompetenz. Dementsprechend ist die Spannweite an verschiedenen Definitionen interkultureller Kompetenz beinahe unübersichtlich.474 Laut Straub (2007) fällt bei dem Versuch, das Diskursfeld „interkulturelle Kompetenz“ zu beschreiben, in erster Linie eine Diskrepanz zwischen normativen, idealisierenden und metaphysischen Definitionen (wie bspw. bei Mansell 1981475) und explizit handlungsbezogenen, erfolgs- und effizienzorientierten, technischen Konzepten (wie bspw. bei Chen/Starosta 1996476) auf.477 Daran anknüpfend lassen sich zwei unterschiedliche Fokussierungen von Modellen interkultureller Kompetenz feststellen: Auf der einen Seite stehen Modelle, die das Ziel der persönlichen Weiterentwicklung478 verfolgen und somit die kognitiv-affektiven bzw. reflexions- und kommunikationsbezogenen Aspekte interkultureller Kompetenz fokussieren, auf der anderen Seite befinden sich enger umrissene, ökonomisch orientierte Konzepte, die „in ihrer Definition interkultureller Kompetenz im weitesten Sinn auf das Gelingen und die Produktivität einer interkulturellen Interaktion abzielen und interkulturelle Kompetenz dementsprechend als Erfolgsinstrument positionieren.“479 Konzepte interkultureller Kompetenz, die persönliche Weiterentwicklung verschiedener gesellschaftlicher Akteur*innen zum Ziel haben, lassen sich vor allem im theoretischen Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften finden. Eine zentrale Stellung nehmen in solchen Konzepten spezifische interkulturelle Haltungen und Einstellungen (z. B. eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber interkulturellen Kommunikationssituationen, Fokussierung auf die Potenziale einer heterogenen Gesellschaft, Bereitschaft zum Wissenserwerb über verschiedene Kulturen, Offenheit für und Wertschätzung von kultureller Vielfalt

474 475

476

477 478 479

Vgl. Straub 2007, S. 40 So betrachtet Mansell die Herausbildung eines „ästhetischen Bewusstseins“ als zentrales Element der interkulturellen Kompetenz. Durch die Entwicklung des „ästhetischen Bewusstseins“ sollen Personen in die Lage versetzt werden, individuelle Wahrnehmungen der Welt zu transformieren und ein Gefühl der Einigkeit bzw. Entität zwischen dem Selbst und der Umgebung zu erzeugen (vgl. Mansell 1981, S. 99, zit. n. Straub 2007, S. 40) Chen und Starosta fokussieren explizit interkulturelle Überschneidungssituationen und definieren interkulturelle Kompetenz spezifisch als effektive und angemessene Interaktion zwischen Vertreter*innen unterschiedlicher symbolischer Umgebungen (vgl. Chen/Starosta 1996, S. 358, zit. n. Straub 2007, S. 40) Vgl. Straub 2007, S. 40 Vgl. Rathje 2006, S. 4 Ebd., S. 3

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

und ein neugierig-unvoreingenommener Umgang mit kulturell Anderen480) sowie die Reflexionskompetenz (Reflexion über die eigene ethnozentrische Beschränktheit, Erkennung der Relativität der eigenen Sichtweise, Relativierung bzw. Überwindung der Vorstellung von der eigenen kulturellen Überlegenheit, Entwicklung des Einfühlungsvermögens gegenüber den Einstellungen und Lebensbedingungen des Anderen481) ein. Eine anschauliche Zusammenfassung von wichtigen Komponenten eines solchen interkulturellen Kompetenzverständnisses bietet bspw. das breit rezipierte Modell von Martine C. Gertsen (1990).482 Gertsen unterscheidet zwischen kognitiven, affektiven und konativen Aspekten als Teilzielen der interkulturellen Kompetenz. Kognitive Aspekte umfassen Kulturwissen und interkulturelles Verständnis, affektive Aspekte beschreiben die Einstellung einer Person in Bezug auf kulturelle Differenzen in einer interkulturellen Kommunikationssituation. Konative Aspekte betreffen soziale und kommunikative Fähigkeiten, die besonders wichtig für einen erfolgreichen Ablauf interkultureller Begegnungen sind.

480 481 482

Vgl. Boecker 2008, S. 8 Vgl. Nestvogel 1987, zit. in Niekrawitz 1990, S. 43. Vgl. Gertsen 1990, zit. n. Behrnd 2010, S. 81 f.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien Kognitiv -

-

-

-

-

Affektiv

Verständnis des Kulturphänomens in Bezug auf Wahrnehmung, Denken, Einstellungen sowie Verhaltens- und Handlungsweisen Verständnis fremd- kultureller Handlungszusammenhän- ge Verständnis der Kul- turunterschiede der Interaktionspartner

-

Verständnis der Be- sonderheiten interkultureller Kommunikationsprozesse Metakommunikations- fähigkeit

-

Ambiguitätstoleranz Frustrationstoleranz Fähigkeit zur Stressbewältigung und Komplexitätsreduktion Selbstvertrauen Flexibilität, Empathie Rollendistanz, Vorurteilsfreiheit

137 Konativ Kommunikationswille und bereitschaft Kommunikationsfähigkeit Soziale Kompetenz (Beziehungen und Vertrauen zu fremdkulturellen Interaktionspartnern aufbauen können)

Offenheit, Toleranz Geringer Ethnozentrismus Akzeptanz / Respekt gegenüber anderen Kulturen Interkulturelle Lernbereitschaft

Tabelle 6: Komponenten interkultureller Kompetenz nach Gertsen 1990, zit. n. Behrnd 2010, S. 82

Effizienzorientierte Modelle interkultureller Kompetenz haben sich v. a. im ökonomischen Sektor durchsetzen können: Interkulturelle Kompetenz wird dort als Schlüssel- bzw. Basisqualifikation beschrieben und wird sowohl vom Personal eingefordert als auch von der Leitung erwartet. Viele große Unternehmen verfügen mittlerweile über eigenständige Abteilungen für Interkulturelles Management bzw. Diversity Management, die für die Optimierung der Arbeitsprozesse in multikulturellen Teams zuständig sind.483 Konkret befassen sich diese Abteilungen meistens mit der Lösung oder Prävention von Problemen, bei der Kom-

483

Vgl. Gogolin/Krüger-Potratz 2010, S. 111

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

munikation in kulturell heterogenen Arbeitskontexten entstehen (können).484 Das übergreifende Ziel der effizienzorientierten Kompetenzmodelle ist es, einen reibungslosen Ablauf des Geschäfts zu gewährleisten.485 Die Ausbildung der interkulturellen Kompetenz, die sich nicht vorrangig darum bemüht, fremdkulturellen Kontext zu verstehen, sondern ein konkretes Methodenrepertoire bietet, um Interaktionen erfolgreich zu steuern, fungiert als zentrale Aufgabe so genannter interkultureller Trainings,486 die besonders häufig im ökonomischen Sektor im Rahmen von Personal- oder Leitungsebenefortbildungen angeboten werden. Im Fokus interkultureller Trainings steht dementsprechend meist nicht die Herausbildung von persönlichen Grundhaltungen, sondern eine isolierte Förderung von zielkulturellen oder kulturübergreifenden kommunikativen Einzelkompetenzen,487 die durch entsprechende informations- oder interaktionsorientierte Methoden488 verwirklicht werden soll. Konkrete Methoden, die sich einer großen Popularität erfreuen, sind bspw. der Culture- (oder Cultural)Assimilator,489 Culture-Awareness-Simulationen, die nicht nur im wirtschaftlichen Bereich, sondern auch im Fremdsprachenunterricht breite Rezeption gefunden haben,490 Contrast-Culture-Ansätze491, länderspezifische Trainings u. v. m. Im deutschsprachigen Raum nutzen diese Ansätze häufig die Theorie der Kulturstandards von Thomas492 oder die Theorie der Kulturdimensionen von Hofstede493 als Grundlage und arbeiten methodisch mit verschiedenen Fallbeispielen für interkulturelle Problemsituationen (vgl. bspw. das Konzept der Critical Incidents494), die kulturspezifisch analysiert und mithilfe theoretischer sowie methodischer Hilfestellungen erfolgreich gelöst werden sollen. Der in der Praxis dominierende Bezug von Konzepten interkultureller Kompetenz auf Effektivität und Angemessenheit ist auch unter den Vertreter*innen der interkulturellen Kompetenzansätze stark umstritten. So wird häufig kritisch ge-

484 485 486 487 488 489

490 491 492 493 494

Vgl. Straub 2007, S. 39 Vgl. Gogolin/Krüger-Potratz 2010, S. 111 Vgl. Leenen 2007, S. 776 Vgl. Bolten 2006, S. 11 Zur Typologisierung interkultureller Trainings vgl. Gudykunst et al.1996 Ursprünglich bei Fiedler et al. 1971; im deutschsprachigen Raum vgl. bspw. Müller/Thomas 1991 Vgl. bspw. Tomalin/Stempleski 1994; Risager 2012 Vgl. Bittner/Reisch 1994 Vgl. Thomas 1996 Vgl. bspw. Hofstede 1980 Vgl. Flanagan 1954

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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fragt, was genau unter Effektivität bzw. Angemessenheit der Handlung verstanden werden soll bzw. wie diese Kriterien zu bestimmen sind.495 Zudem sehen die Kritiker*innen in einer am Effizienzkriterium orientierten Definition interkultureller Kompetenz „die Gefahr der Instrumentalisierung interkultureller Kompetenz zur Durchsetzung eigener Vorteile, bzw. der Vorteile des jeweils mächtigeren Interaktionspartners.“496 Die Kritik an der Nichtbeachtung von Machtasymmetrien betrifft jedoch nicht nur die explizit an der Effizienz ausgerichteten, sondern auch die oben bereits geschilderten haltungs- und reflexionsbezogenen Modelle interkultureller Kompetenz. Eine Folge dieser Kritik ist die Entwicklung von machtsensiblen Modellen interkultureller Kompetenz. Als aktuelles Beispiel kann das an das verbreitete Stufenmodell interkultureller Trainings nach Grosch und Leenen497 angelehnte Schema von Auernheimer (2012)498 erwähnt werden, bei dem Aspekte wie „Aufmerksamkeit für rassistische Strukturen“ und das „Bewusstsein um Machtasymmetrien“ als integrale Bestandkomponenten der interkulturellen Kompetenz gelten:

495 496 497 498

Vgl. Straub 2007, S. 41 Rathje 2006, S. 4 Vgl. Grosch/Leenen 1998, kritisch: Auernheimer 2012, S. 125 Vgl. Auernheimer 2012, S. 125

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes… Modell von Grosch und Leenen (1998) 1) Erkenntnis der generellen Kulturgebundenheit 2) Identifikationen fremdkultureller Muster, Dezentrierung 3) Identifikation eigener Kulturstandards, Einsicht in die Auswirkungen auf die Kommunikation 4) Erweitertes Deutungswissen über bestimmte Kulturen 5) Verständnis und Respekt für fremdkulturelle Muster 6) Erweiterung der eigenen kulturellen Optionen (normative Flexibilität etc.) 7) Aufbau interkultureller Beziehungen, konstruktiver Umgang mit interkulturellen Konflikten

Modell von Auernheimer (2012) 1) Offenheit, Kontaktbereitschaft, Bemühen um Verständnis, Ernstnehmen, Anerkennung der bzw. des Anderen 2) Erkennen von Stereotypisierungstendenzen, Reflexion eigener Vorurteile, Aufmerksamkeit für rassistische Strukturen 3) Einsicht in die Kulturgebundenheit menschlichen Verhaltens generell, Dezentrierung, Eingeständnis eigenen Befremdens, Umgang mit Angst 4) Fähigkeit interkulturellen Verstehens und Kommunizierens in Bewusstsein um Machtasymmetrien 5) Befähigung zum Dialog

Tabelle 7: Vergleich der interkulturellen Lernmodelle nach Grosch/Leenen 1998 und Auernheimer 2012

Versuche, die Aufmerksamkeit für strukturelle Ungleichheiten und Machtasymmetrien in die Modelle interkultureller Kompetenz mit reinzunehmen, werden von Vertreter*innen der strukturkritischen Ansätze dahingehend kritisiert, dass eine bloße Erweiterung des interkulturellen Kompetenzmodells um strukturkritische Komponenten bei gleichzeitiger Beibehaltung der Fokussierung auf kulturelle Zugehörigkeiten nicht dazu geeignet sei, real existierende Diskriminierungsstrukturen zu überwinden. Denn wird davon ausgegangen, dass die folgenreichste Diskriminierung nicht von Individuen, sondern von Institutionen und gesellschaftlichen Strukturen ausgeht, so ist die Schwächung diskriminierender Strukturen konsequenterweise an ein strukturorientiertes, und nicht ein kulturorientiertes Vorgehen gebunden. Da durch Orientierung an „Kultur“ oder die Orientierung an „Struktur“ jeweils andere Problemdefinitionen erzeugt und andere

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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handlungspraktische Konsequenzen formuliert werden, ließe sich, so zusammenfassend Diehm und Radtke, der Gegensatz zwischen psychologisierenden bzw. individualisierenden (Blick auf Menschen und ihre Zugehörigkeiten) und soziologisierenden (Blick auf Strukturen und ihre Beschaffenheit) Perspektiven theoretisch nicht auflösen.499 Bei der Konzeption entsprechender Bildungs- und Praxisangebote wird daher die Frage relevant, ob eine programmatische Verknüpfung beider Perspektiven überhaupt sinnvoll ist. Nutzt man bspw. das oben angeführte Lernmodell von Auernheimer (2012) als Ausgangspunkt für die Konzeption interkultureller Kompetenzmaßnahmen, so wäre aus strukturkritischer Sicht zu klären, inwiefern die darin als Lernziel ausgewiesene „Einsicht in die Kulturgebundenheit menschlichen Verhaltens“500 oder die „Fähigkeit interkulturellen Verstehens und Kommunizierens“501 möglicherweise zum Einsatz essentialisierender bzw. kulturalisierender praktischer Maßnahmen verleiten kann, die eine strukturkritische Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität nicht gerade fördern. Ebenso ließe es sich fragen, inwiefern die Konzentration auf die „Reflexion eigener Vorurteile“502 möglicherweise individualisierenden Sichtweisen auf Rassismus Vorschub leistet und mit der zugleich geforderten „Aufmerksamkeit für rassistische Strukturen“503 im Widerspruch steht. Gleichzeitig sei darauf hingewiesen, dass ein rein strukturorientiertes Vorgehen, welches den „gänzliche[n] Verzicht auf ‚(kulturelle) Differenz‘ als begriffliche Bezugsgröße“504 einfordert, ebenso als problematisch angesehen werden kann. Mecheril (2008) macht aus der Perspektive der Migrationspädagogik darauf aufmerksam, dass „‘(kulturelle) Differenzen‘ auf zentrale alltagsweltliche Konzepte verweisen, in denen sich Alltagssubjekte wechselseitig identifizieren und beschreiben.“505 „Kultur“ stellt laut Mecheril ein bedeutsames Muster der Identifikation, Verortung und Selbstpositionierung der Subjekte dar.506 Wer folglich „‘Kultur‘ nicht gelten lässt, blendet eine wesentliche Dimension der Selbstthe-

499 500 501 502 503 504 505 506

Vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 155 Vgl. Auernheimer 2012, S. 125 Ebd. Ebd. Ebd. Mecheril 2008, S. 31 Ebd. Vgl. ebd., S. 32

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

matisierung und des Handelns der Subjekte aus.“507 So betrachtet könnten Kompetenzmodelle, die relevante kulturelle und strukturelle Aspekte gleichermaßen berücksichtigen, als Versuch betrachtet werden, differenztheoretische und strukturtheoretische Zugänge sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Kulturelle Integration als Aufgabe der Minderheitenangehörigen Positionen, die ein Paradigma der Anerkennung und Wertschätzung der kulturellen Diversität aller Gesellschaftsmitglieder vertreten, trugen historisch betrachtet wesentlich zu einer Neuorientierung in der Diskussion um Migration und Interkulturalität bei: An die Stelle der Einwanderungsdebatte trat die Integrationsdebatte, die ehemaligen „Ausländerbeauftragten“ wurden großenteils zu „Integrationsbeauftragten“ umbenannt.508 Seit den 1990er Jahren ist die migrationspolitische Debatte in Deutschland nun vom Integrationsdiskurs gekennzeichnet – politische Forderungen nach Assimilation sind in Verruf geraten und Integration wird zur „zentrale[n] Aufgabe der Gesellschaft“509 erklärt. Dabei kann der Begriff Integration je nach politischer Ausrichtung und theoretischem Hintergrund unterschiedlich konnotiert werden. Verbreitet sind bspw. Positionen, die eine Integration im Sinne eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen mit Migrationshintergrund und einheimischen Deutschen bei gleichzeitiger Erhaltung der Migrant*innen-Integrität in allen Lebensbereichen fordern.510 Im Kontext interkultureller Bildung bedeutet diese Orientierung, dass „die Integration von Einheimischen und Zuwanderern in die von Pluralität gekennzeichnete mehrkulturelle Gesellschaft“511 als ein allgemeines Ziel interkultureller Bildung aufgefasst wird. Demgegenüber stehen assimilative Integrationskonzepte,512 die Integration als Eingliederung von Vertreter*innen fremder Kulturen in die deutsche Gesellschaft bzw. die Mehrheitsgesellschaft aufgrund gemeinsamer Werte und Normen definieren.513 Ähnliche Deutungen lassen sich sowohl in ausländerpädagogi-

507 508 509 510 511 512 513

Ebd., S. 31 Vgl. Bielefeldt 2007, S. 11 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007, S. 1 Vgl. Bielefeldt 2007, S. 12 Freise 2006, S. 55 Vgl. kritisch Terkessidis 2010, S. 40 Vgl. die Definition auf der Seite der Bundesausländerbeauftragten: „[Integration bedeutet] die Eingliederung in ein Ganzes, die Herstellung einer Einheit aus einzelnen Elementen oder die Fä-

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

143

schen514 als auch in interkulturell-pädagogischen515 Programmatiken feststellen und prägen wesentlich den aktuellen politischen (weniger den wissenschaftlichen) Integrationsdiskurs.516 Im Zentrum der assimilativen Integrationskonzepte steht die Orientierung an gemeinsam getragenen Werten und Normen, die mit einer besonderen Betonung der Ebene der kulturellen Integration einhergeht. Dabei wird eine (implizite) Betrachtung der Migrant*innen als „Gefangenen ihrer Kultur“ reproduziert, der ein essentialistischer Kulturbegriff zugrunde liegt.517 Integration wird als eine Anpassungsleitung der Migrant*innen an bestimmte Standards der „Aufnahmegesellschaft“ definiert.518 In Anlehnung an Nohl (2010)519 können zentrale Aspekte dieses Integrationsverständnisses folgendermaßen zusammengefasst werden: 1) Verbindliche kulturelle Werte und Normen („Mehrheitskultur“ bzw. „Leitkultur“) werden als einheitsstiftender und sinnbildender Kern einer Gesellschaft gesehen. Damit die Gesellschaft stabil bleibt, sollen alle Mitglieder der Gesellschaft die gemeinsamen „Kernwerte“ vertreten. 2) Familie tritt als Sozialisationsinstanz auf, deren wichtigste Funktion in der Norm- und Wertevermittlung besteht. Entfernt sich die Familie von den „Kernwerten“, kommt es zu Desintegration. 3) Da in Migrant*innen-Familien häufig andere Werte und Normen als die der Mehrheitskultur transportiert werden, wird die Sozialisation von

514

515

516

517 518 519

higkeit einer Einheit, den Zusammenhalt der Teilelemente auf Grundlage gemeinsamer Werte und Normen zu erhalten.“ (Bundesausländerbeauftragte 2009) Vgl. bspw. das Verständnis der Integration als „allmähliche totale Angleichung der Ausländer an die Deutschen“514, wie (in diesem Beispiel bezogen auf die türkischen Migrant*innen): „Eintausch der türkischen Staatsbürgerschaft gegen die deutsche, Übernahme des Deutschen als Muttersprache, Einübung deutscher Kultur- und Lebensgewohnheiten und Verweisung der türkischen Volkskultur allenfalls auf den Stand von immer exotischer werdenden Bildungsinhalten, viele Heiraten zwischen Deutschen und Türken, Konversion der Muslime zu einer der beiden christlichen Konfessionen oder Hinübertreten in den Status des säkular-religionslos lebenden Bürgers.“ (Colpe 1983, S. 2) „Integration […] kann nicht im Bereich reiner Leistungsforderung gelingen, sondern muss entscheidend als sozial-emotionale Eingliederung und Wertevermittlung verstanden werden“ (Sayler 1987, S. 15 f.) Vgl. den Begriff Neo-Assimilationismus bei Baros 2006 und Nieke 2008, S. 20. Zu aktuellen assimilatorischen Tendenzen im Integrationsdiskurs s. bspw. Bielefeldt 2007, S. 12 Vgl. Hess/Moser 2009, S. 17 Vgl. Kiesel 2003, S. 4 Vgl. Nohl 2010, S. 42 f.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes… Migrant*innenkindern erschwert. Dadurch wird die Stabilität der Gesellschaft bedroht. 4) Folglich ist es die Aufgabe der Gesellschaft, Anpassung von Migrant*innen an die „Kernwerte“ und Normen der Mehrheitskultur zu gewährleisten.

Aktuell spiegelt sich dieses Integrationsverständnis bspw. im Zuwanderungsgesetz von 2005 sowie in dessen Neufassung von 2007,520 in den umstrittenen Paragraphen zur Integrationsverpflichtung in dem 2016 vor dem Hintergrund der so genannten „Flüchtlingskrise“521 beschlossenen Integrationsgesetz.522 Dieses Integrationsverständnis zeigt sich auch in den vor dem Hintergrund gespannter Beziehungen mit der Türkei von politischen Akteur*innen immer häufiger geäußerten Appellen an die (v.a. türkische,523 aber auch allgemein migrantische524) Bevölkerung, sich zum deutschen Staat und seinen Werten zu bekennen. Es kommt zu einer politischen Inszenierung der „Werteübernahme“ als Schlüssel zur Integration.525 Da assimilative Konzepte – nicht zuletzt wegen des hierarchischen Aufbaus und der normbildenden Funktion des deutschen Schulsystems – im pädagogischen Denken und Handeln sowie in übergreifenden Schulstrukturen eine bedeutende Rolle spielen, erscheint eine Analyse die Rolle der Schule bzw. des Bildungssystems bei der Formung von Integrationsdiskursen besonders wichtig. Mit Blick auf die Geschichte des schulischen Umgangs mit dem Thema Integration lässt sich feststellen, dass das bereits in den 1980er Jahren formulierte Ziel, durch entsprechende pädagogische Maßnahmen die Integration bzw. Akkulturation von

520 521

522

523 524 525

Vgl. dazu kritisch Hess/Moser 2009, S. 12 Der Begriff „Flüchtlingskrise“ bezeichnet sozialpolitische Entwicklungen im Zusammenhang mit der Einreise von hunderttausenden Geflüchteten nach Deutschland und Europa (vor allem im Herbst 2015), die v. a. in der politischen und medialen Öffentlichkeit als besonders problematisch, ja krisenhaft wahrgenommen wurden und werden. Der Begriff steht (zunehmend) in der Kritik, da dieser einseitige Schuldzuweisungen an Geflüchtete befördert und den Umstand ignoriert, dass der Grund für die festgestellte „Krise“ maßgeblich in der Unfähigkeit der deutschen und europäischen Politik- und Verwaltungsinstitutionen liegt, auf (durchaus vorhersehbar) gestiegene Einwanderungszahlen angemessen zu reagieren (vgl. Gerwing 2015). Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales o. J., S. 4; kritisch vgl. Deutsche PresseAgentur 2016 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2016 a Vgl. Chatzimarkakis 2016 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2016 b

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ausländischen Kindern zu gewährleisten,526 nach wie vor als zentrale Aufgabe der so genannten „interkulturellen Arbeit“ an Schulen fungiert.527 Die Kritik an assimilativen (Integrations-)Konzepten erfasst v. a. Aspekte wie Suggerieren der Vorstellung von der inneren Homogenität der deutschen Gesellschaft (wobei es unklar bleibt, an Standards welcher gesellschaftlicher Gruppen sich Migrant*innen anpassen bzw. in welches soziales Gebilde sie sich integrieren sollen),528 Verschleierung von Machtasymmetrien, Verdrängung der Prozesshaftigkeit der Integration zugunsten einer Vorstellung endgültigen Zustandes529 sowie die Ignoranz individueller Vorstellungen von Integration. Darüber hinaus spielt die dem Begriff innewohnende wählerische Konzentration auf das Kriterium „Migrationshintergrund“ eine wichtige Rolle. Fragen wie: Inwiefern kann eine Hausfrau ohne Migrationshintergrund als integriert gelten, wenn sich ihr Leben zum größten Teil zu Hause abspielt und sie weder beruflich noch gesellschaftlich-politisch aktiv ist? machen diesen Kritikpunkt deutlich. Mehrere wissenschaftliche und politische Akteur*innen lehnen den Integrationsbegriff in Folge gänzlich ab und schlagen Alternativbegriffe wie Repräsentation,530 Inklusion,531 gesellschaftliche Teilhabe oder Demokratie532) vor. Dass sich diese Alternativvorschläge bisher nicht durchsetzen könnten, liegt, so Bielefeldt (2007), vor allem an der allgemeinen Schwierigkeit, einen anderen Begriff zu finden, der die vielfältigen Aufgaben der politischen Gestaltung des Zusammenlebens in der Einwanderungsgesellschaft beschreiben könnte.533

526 527 528 529

530 531 532 533

Vgl. bspw. Sayler 1987, S. 15 Vgl. Nieke 2008., S. 21 Vgl. Terkessidis 2010, S. 27. Wenn auf der politischen Bühne der Inhalt des Integrationsbegriffes, also die Frage, was „integriert zu sein“ eigentlich bedeutet, immer wieder zum Gegenstand lebhafter Diskussionen wird, scheint Klarheit in Bezug auf die prozessuale Seite von Integration zu herrschen: Die Formulierung „integriert zu sein“, die eindeutig das Verständnis der Integration als ein Stadium, das erreicht werden kann, zum Ausdruck bringt, scheint weitgehend akzeptiert zu sein. Von diesem Verständnis gehen die Behörden z. B. bei der Einbürgerung aus: Es heißt, der individuelle Prozess der Integration muss vor der Einbürgerung abgeschlossen sein (vgl. Terkessidis 2010, S. 59). Dabei wird Integration zu einer Leistung, dessen einzelne Komponenten man anhand „objektiver“ Kriterien messen, in Form von Skalen, Statistiken und Tabellen erfassen und – wiederum den Eindruck der vollkommenen Objektivität vermittelnd – auswerten kann. Kisoudis 2009 Hoffmann o. J. WELT 2011 Vgl. Bielefeldt 2007, S. 13

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Wichtig zu betonen ist darüber hinaus, dass assimilatorische Forderungen differenzorientierte öffentlich-mediale, politische und bildungsbezogene Diskurse in gleichem Maße wie defizitorientierte Diskurse prägen. Die formale Akzeptanz kultureller Vielfalt in Gesellschaft und Politik bedeutet nicht automatisch eine Verabschiedung assimilationsorientierter Herangehensweisen. Gerade die aktuellen Diskurse über Migration und Integration machen dies deutlich: Die „Heimatkulturen“ der Migrant*innen werden explizit als wertvoll und kennenlernwürdig empfunden, die Botschaft der Wertschätzung anderer Kulturen nimmt eine prominente Stellung in (bildungs-)politischen Diskursen ein und prägt wesentlich die öffentliche Diskussion über Einwanderung und Integration – man nehme die Betonung der „Integration als Bereicherung“ in der Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Veranstaltung „60 Jahre Gastarbeiter in Deutschland“534, die regelmäßige Unterstützung von Projekten zur Förderung kultureller Vielfalt durch die Bundesregierung535 oder die zahlreichen Bekenntnisse sozialer, politischer und wirtschaftlicher Organisationen zur Wertschätzung kultureller Diversität als Beispiele. Gleichzeitig wird der Widerspruch dieser wertschätzenden Haltung mit den effektiv assimilatorischen und folglich implizit defizitorientierten Appellen und Maßnahmen weitgehend nicht wahrgenommen. Die politischen und bildungsbezogenen Felder zeigen hier eine sehr ähnliche Entwicklung: Wie bei der interkulturellen Pädagogik die Wertschätzung der kulturellen Differenz großgeschrieben wird, die sozialpolitischen Machtverhältnisse jedoch teilweise ausgeklammert werden, betont auch die Politik kulturelle Offenheit und Akzeptanz, ohne dabei den tatsächlich ausgrenzenden Charakter vieler migrationspolitischer Maßnahmen zu reflektieren. In gewisser Weise kann die Postulierung der „Vielfalt als Chance“ als Neuauflage der defizitorientierten Perspektive gesehen werden, bei der Begriffe zwar verändert und Akzente verschoben, der Kern der Problemwahrnehmung und die Mechanismen der Problemkonstruktion jedoch unverändert bleiben.

534 535

Vgl. Die Bundesregierung 2015 Bspw. im Arbeitsmarktbereich: vgl. Die Bundesregierung 2008; im Sozialen- und Bildungsbereich: Projekte von BAMF: vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2016

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

147

3.2.3.3 Bezüge zu kulturdifferenzorientierten Perspektiven in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ Im Folgenden soll am Beispiel ausgewählter, im Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ erhobener Reflexionen536 gezeigt werden, in welchen Formen kulturdifferenz- bzw. diversitätsorientierte Ansätze und daran anknüpfende Diskurse in den Deutungen und Argumentationen der Lehramtsstudierenden an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe zum Begriff „Migrationsgesellschaft“ auftauchen. Insbesondere soll dargelegt werden, wie die Wahrnehmung von „kulturell Anderen“ mit den oben geschilderten wissenschaftlich, politisch, medial und alltagsweltlich wirksamen Diskursen über Migration und Integration korrespondiert. Beispiel 1: Reflexion II – 10 a Eine Migrationsgesellschaft ist eine moderne Gesellschaft, in der viele Kulturen zusammen leben. Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen (Beruf, finanzielle/politische Gründe etc.) in ein fremdes Land ziehen, passen sich an die Gesellschaft hinsichtlich [der] Sitten etc. an, bringen allerdings auch ihre eigene Kultur, Religion etc. mit in das Land. Dadurch wird niemand bevormundet und alle können ihre Religion und Kultur frei ausleben. Positiv ist daran, dass die Menschen voneinander lernen können und neue Erfahrungen sammeln. Dies wird u. a. unter dem Begriff Integration verstanden. Das heißt, dass die Migranten keine Kultur „übergestülpt“ bekommen, was bei Assimilation der Fall ist, sondern sich nur mit ihrer Kultur in die andere integrieren und somit beide Kulturen erhalten bleiben. Eine Migrationsgesellschaft ist also offen für andere Kulturen. Die Regierung sollte daher aber auch Wert auf Bildung legen. Besonders die Sprachbarrieren stellen ein großes Problem dar. Analyse/Interpretation: Die Teilnehmerin definiert eine Migrationsgesellschaft in erster Linie über das Merkmal „kulturelle Vielfalt“. Die Offenheit für andere Kulturen wird von ihr zusammenfassend als zentrales Element einer Migrationsgesellschaft gesehen

536

Vgl. Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“

148

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

(„Eine Migrationsgesellschaft ist also offen für andere Kulturen“). Diese Offenheit setzt eine Akzeptanz unterschiedlicher Kulturen durch die (Mehrheits)Gesellschaft voraus, was auch mit einer Ablehnung von Akkulturationszwang einhergeht. Dabei spielt das Konzept von Integration eine wichtige Rolle bei der Charakterisierung des Begriffs der Mehrheitsgesellschaft durch die Teilnehmerin: Kulturen der Einwanderer*innen sollen sich in eine gemeinsame, übergreifende Kultur integrieren. Die Teilnehmerin grenzt den Begriff der Integration entschieden von dem Begriff der Assimilation ab. Gleichzeitig wird das dem Konzept der Assimilation innewohnende Prinzip der Anpassung von der Teilnehmerin nicht verworfen: So behauptet die Teilnehmerin, dass sich Migrant*innen an die „Sitten etc.“ der (Mehrheits-)Gesellschaft anpassen und sich „mit ihrer Kultur in die andere integrieren“ sollen. Der Unterschied der Integration von der Assimilation besteht ihrer Meinung nach darin, dass infolge der Integration „beide Kulturen erhalten bleiben“ sollen. Interessant ist dabei, dass die Teilnehmerin bei der Herstellung eines Gegensatzes zwischen Assimilation und Integration assimilative Konzepte durch eine entsprechende Wortwahl als gewaltvoll und alternativlos erscheinen lässt, diese also überzeichnet („Kultur „überstülpt“ bekommen“), während das Integrationsmodell hingegen – obwohl dieses von der Teilnehmerin explizit mit Anpassungsleistungen in Verbindung gebracht wird – als eine gewaltlose, ja keinen besonderen Aufwand erfordernde Handlung dargestellt wird („[D]ie Migranten [sollen sich] nur [...] integrieren“). Man beachte insbesondere die Verwendung der Partikel „nur“, die die o. g. Vorstellung unterstreichen soll. Obwohl die Teilnehmerin Integration offenbar als vollkommen zwangsfrei und verbunden mit geringem Aufwand versteht, macht sie gleichzeitig die dominante Stellung der deutschen Kultur gegenüber „migrantischen“ Kulturen deutlich. Die Teilnehmerin verwendet zwar nicht den Begriff der Leitkultur, jedoch definiert sie Integration nicht durch bspw. gleiche Teilhabe aller Gesellschaftsmitglieder am gesellschaftlichen Leben, sondern explizit durch die Kompatibilität von „fremden“ Kulturen mit der deutschen Kultur. Eine Integration, die ein von der Teilnehmerin eingangs erwähnte (friedliche) Zusammenleben verschiedener Kulturen ermöglicht, ist also geknüpft an die gleichzeitige Einordnung von Migrant*innen-Kulturen in das universelle, normdefinierende Gefüge der Leitkultur. Diese Einordnung hat für die Teilnehmerin jedoch nicht die Entstehung einer neuen Kultur, sondern das weitere Bestehen von zwei verschiedenen Kulturen zur Folge. Die Herkunftskultur von Migrant*innen wird somit zwar an die Leitkultur angepasst, gleichzeitig jedoch weder durch die Leitkultur eingenommen noch zum Bestandteil einer neuen, gemeinsamen Kultur gemacht. Vielmehr

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

149

existiert die Kultur von Migrant*innen in der Vorstellung der Teilnehmerin trotz vollzogener Anpassung (weiterhin) autark. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die von der Teilnehmerin vertretene Auffassung von Integration mit dem im Kapitel 3.2.3.2. „Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: ‚Kompetenz‘ und ‚Integration‘ als Lösungen für die Praxis“; Abschnitt „Kulturelle Integration als Aufgabe der Minderheitenangehörigen“ beschriebenen, hierarchisch geprägten multikulturellen Integrationsbegriff korrespondiert: die mehrheitsgesellschaftliche Dominanzkultur bildet einen normativen Maßstab, nach dem andere Kulturen auf Kompatibilität bzw. „Integrationsbereitschaft“ geprüft werden sollen. Die von der Teilnehmerin postulierte Offenheit der Migrationsgesellschaft „für andere Kulturen“ kommt somit nur darin zum Ausdruck, dass die Andersheit überhaupt zugelassen wird – jedoch nicht z. B. darin, dass Elemente anderer Kulturen zum Bestandteil der Leitkultur werden. Die Teilnehmerin weist zwar auf die Möglichkeit hin, „voneinander[zu] lernen“, spricht jedoch explizit nur von einer Anpassung der migrantischen Kultur an die „Sitten“ in Deutschland und erwähnt keine Implikationen aus dem Lernprozess aufseiten der Mehrheitsangehörigen. Beispiel 2: Reflexion II – 12 a Ich stelle mir unter dem Begriff „Migrationsgesellschaft“ eine Gesellschaft vor[,] in die aus anderen/ verschiedenen Ländern eingewandert wurde. Für mich steht dieser Begriff in einem positiven Zusammenhang [mit der] „Multi-Kulti-Gesellschaft“. Eine Gesellschaft[,] in der viele Kulturen, verschiedene Menschen ihren Platz haben und zusammen leben. Durch „das Einwandern“ sind diese Menschen nun Teil der Gesellschaft und bedürfen eine [sic] Eingliederung in die Bestehende. Damit meine ich keines Falls [sic] die Assimilation, sondern die Integration. Dies sollte im Idealfall aus beiden Parteien erfolgen. Eine Migrationsgesellschaft sollte nicht voreingenommen sein gegenüber Mehr- oder Minderheiten, sondern versuchen[,] diesen Leuten eine Chance zugeben [sic], die natürlich von „den Anderen“ genutzt werden sollte. Es ist für mich ein Miteinanderleben und nicht nebeneinander! Ein Gebilde aus Toleranz und Akzeptanz für das Neue und Bestehende, um dem eigentlichen Begriff –Gesellschaft – gerecht zu werden.

150

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Analyse/Interpretation: Den Begriff Migrationsgesellschaft bezieht die Teilnehmerin deutlich auf die nationale Zugehörigkeit der Bürger*innen, wobei die Nationalität durch die Herstellung eines direkten Zusammenhangs zwischen der grenzüberschreitenden Einwanderung („aus anderen/verschiedenen Ländern“) und einer kulturellen Ausdifferenzierung der Gesellschaft („Multi-Kulti-Gesellschaft“) an die kulturelle Komponente geknüpft wird. Eine multikulturelle Gesellschaft betrachtet die Teilnehmerin explizit als positiv. Bei der genaueren Definition der „Multi-Kulti-Gesellschaft“ erwähnt sie sowohl den Aspekt der kulturellen („viele Kulturen“) als auch der individuellen („verschiedene Menschen“) Differenz und geht damit – angenommen, mit der Formulierung „verschiedene Menschen“ werden vorrangig verschiedene individuelle Lebensstile gemeint – über die rein kulturelle Definition von Migrationsgesellschaft hinaus. Der Ausdruck „[v]erschiedene Menschen“ kann jedoch auch als „Menschen aus verschiedenen Kulturen“ gedeutet werden. Bezieht man den nachfolgenden Satz („Durch ‚das Einwandern‘ sind diese Menschen nun Teil der Gesellschaft und bedürfen eine [sic] Eingliederung in die Bestehende“) zur Erklärung der Formulierung „verschiedene Menschen“ mit ein, so wird klar, dass sich diese wohl nicht auf die gesamte Gesellschaft, die aus unterschiedlichen Gruppen besteht, sondern explizit auf Migrant*innen bezieht. Eine Migrationsgesellschaft wird somit durch die sichtbare Präsenz kulturell Anderer definiert. Interessant ist in diesem Kontext auch die Formulierung der Teilnehmerin, verschiedene Kulturen und Menschen (also: verschiedene Migrant*innen-Gruppen) hätten „ihren Platz“ in der Migrationsgesellschaft. Bezieht man den nächsten Satz („Durch ‚das Einwandern‘ sind diese Menschen nun Teil der Gesellschaft und bedürfen eine [sic] Eingliederung in die Bestehende“) als eventuelle kontextuelle Erläuterung mit ein, so wird deutlich, dass dieser Platz für Migrant*innen durch Integration gefunden werden kann. Integration grenzt die Teilnehmerin entschieden von Assimilation ab und erklärt, dass die Integrationsbemühungen „im Idealfall“ sowohl durch die Mehrheitsgesellschaft als auch durch die Minderheiten erbracht werden sollen. Dabei greift sie die im Integrationsdiskurs weit verbreitete explizit positiv formulierte Forderung der gemeinsamen Verantwortung für die Integration auf („Eine Migrationsgesellschaft sollte nicht voreingenommen sein gegenüber Mehr- oder Minderheiten, sondern versuchen[,] diesen Leuten eine Chance zugeben [sic], die natürlich von ‚den Anderen‘ genutzt werden sollte“). Gleichzeitig wird deutlich, dass die Teilnehmerin ein unterschiedliches Maß an Integrationsbemühungen von den jeweiligen Parteien einfordert: Während es die Aufgabe der Mehrheit ist, der Minderheit gegenüber „nicht vor-

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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eingenommen [zu] sein“, und zu „versuchen“, diesen eine Chance zu geben, soll die Minderheit die gewährte Chance „natürlich“ annehmen. Die Erwartungshaltung der Teilnehmerin gegenüber den Minderheitsangehörigen ist somit offensichtlich größer als die gegenüber der Mehrheitsangehörigen: Während es für die aufnehmende Gesellschaft ihrer Meinung nach ausreichend ist, offen zu sein und (unverbindlich) zu versuchen, Migrant*innen im Integrationsprozess unterstützend zur Seite zu stehen, wird die Akzeptanz dieser Unterstützung durch Minderheitenangehörige quasi voraussetzt. Die Vorstellung vom „Miteinanderleben“, welches die Teilnehmerin explizit einem Nebeneinander(leben) zweier Gesellschaftsgruppen gegenüberstellt, bezieht sich für die Teilnehmerin genau auf diese klar definierte Rollenverteilung: Die Mehrheitsgesellschaft bietet Chancen, die Einwanderer*innen nehmen diese an. Damit sind die Rollen und Pflichten der jeweiligen Parteien klar definiert und das dem assimilativen Integrationsverständnis zugrundeliegende Dominanzverhältnis wird nicht hinterfragt. 3.2.3.4

Fazit

Mit Blick auf die obigen Ausführungen zu kulturdifferenz- bzw. kulturdiversitätsorientierten Ansätzen lässt sich vor allem feststellen, dass die Wahrnehmung kultureller Differenz als wertvoll und bereichernd zu einer Neuorientierung der bildungspolitischen Ziele beigetragen hat und aktuell sowohl pädagogische Diskurse als auch bildungspolitische Maximen wesentlich prägt. Theoretische und praktische Empfehlungen, die den Aspekt der Berücksichtigung kultureller Unterschiede fokussieren, sehen interkulturelle Begegnungen und kulturellen Wissenserwerb als Werkzeuge zum „Fremdverstehen“ sowie zur Gestaltung konfliktfreier interkultureller Kommunikation an. Wichtige Rolle kommt dabei der Reflexion über und Relativierung von eigenkulturellen Mustern537 sowie der Aufarbeitung von Vorurteilen auf beiden Seiten zu.538 Auernheimer (2012) spricht in diesem Kontext von Anerkennung von Anderssein und von Bewusstsein für Diskriminierung als gemeinsamer Leitidee verschiedener interkulturellpädagogischer Konzepte (auch wenn er kritisch anmerkt, dass je nach Fachrichtung bestimmte Schwerpunkte stärker gewichtet werden können).539 Die Anerkennung von Diversität, die explizite Ablehnung von Defizitorientierung und die

537 538 539

Vgl. Essinger/Graf 1984 b, S. 20. Vgl. Schmitt 1985, S. 73 ff. Vgl. Auernheimer 2012, S. 59

152

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Aufmerksamkeit für Diskriminierungen weisen auf ein erhebliches emanzipatorisches Potenzial kulturdiversitätsorientierter Ansätze hin. Jedoch machen vor allem stärker praxisorientierte Konzepte interkultureller Pädagogik auf Problematiken aufmerksam, die mit einer Orientierung an kultureller Zugehörigkeit bzw. Diversität in Verbindung gebracht werden können: -

Zum einen wird ein Widerspruch zwischen der antidiskriminierenden Haltung der o. g. Ansätze und der effektiven Ausrichtung von daran anknüpfenden Maßnahmen auf individueller bzw. gruppenspezifischer, nicht jedoch auf struktureller Ebene deutlich. Die mangelnde Beachtung struktureller Wirkungsmechanismen steht in der Gefahr, Machtasymmetrien bei der Deutung von Problemen und der Entwicklung von Lösungen zu übersehen.

-

Zudem wird kritisiert, dass die Macht- bzw. Diskriminierungssensibilität in kulturdifferenz- bzw. diversitätsorientierten Konzepten häufig nur als Erweiterung der vorhandenen kulturorientierten Perspektive fungiert und nicht zur grundlegenden Revision der kulturalisierenden Vorgehensweise führt.

-

Darüber hinaus offenbaren praktische Konzepte interkultureller Bildung trotz programmatischer Ausrichtung auf Mehrheitsgesellschaft wie Minderheiten häufig eine tatsächliche Orientierung an nur einer der beiden Zielgruppen – in der Regel auf diejenigen, die als „Migrant*innen“ identifiziert werden. Exemplarisch hierfür steht das Konzept interkultureller Kompetenz als Anforderung an die Mehrheitsgesellschaft und das Konzept der Integration als Anforderung an Minderheitenangehörige.

-

Mit Blick auf (bildungs-)politisch, medial und gesellschaftlich verbreitete Integrationsdiskurse lässt sich feststellen, dass trotz offizieller Begriffsänderung von Assimilation bzw. Anpassung zu Integration häufig einseitig assimilatorische Orientierungen, die sich insbesondere auf die die Forderung der Übernahme der Deutungsmuster, Werte und Normen der deutschen Mehrheitsgesellschaft durch Migrant*innen beziehen, das Verständnis von Integration definieren.

Die exemplarisch analysierten Reflexionen der Teilnehmenden am Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ zum Begriff „Migrationsgesellschaft“ korrespondieren wesentlich mit den in diesem Kapitel analysierten kulturzentrierten differenz- bzw. diversitätsorientierten Diskursen. Hervorzuheben ist insbesondere die Postulierung kultureller Vielfalt als Hauptmerkmal einer Migrationsgesellschaft sowie die explizit positive Deutung kultureller Heterogenität. Gleichzeitig gehen die Teilnehmerinnen bei der Beschreibung von migrationsgesellschaftlichen Anforderungen von einem kultu-

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

153

ralisierenden und assimilatorischen Integrationsverständnis aus, womit auch die für kulturorientierte Differenz- bzw. Diversitätsdiskurse typische Nichtbeachtung struktureller Machtasymmetrien einhergeht. Die Tatsache, dass die Teilnehmerinnen den Assimilationsbegriff explizit kritisieren, in ihren Argumentationen jedoch beständig reproduzieren, spiegelt aus der Perspektive der Dominanzkritik das bereits seit Längerem kritisierte Paradox der kulturdifferenzorientierten Ansätze wider: Durch die (dem Integrationsdiskurs a priori zugrunde liegende) beständige Feststellung der Andersheit wird die Unterscheidung gegenüber dem Eigenen erst hervorgebracht, die genug Raum für politische Instrumentalisierungen bietet. Trotz des Anspruches interkultureller Pädagogik, auch die Differenzen im Eigenen zu thematisieren, wird die Kategorie „kulturelle Differenz“ vor allem dann diskursiv in Anspruch genommen, „wenn es um die in der Migrationsgesellschaft als Andere Geltenden geht, die dadurch als Andere hergestellt werden.“540 Die Feststellung kultureller Differenz aufseiten der als anders Hervorgebrachten fungiert dann als Rechtfertigung für die Etablierung besonderer Maßnahmen speziell für diese Zielgruppe, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die „andere Seite – Menschen ‚ohne Hintergrund‘– sich als nicht besonders, nicht integrationsbedürftig, sondern als normal und fraglos am richtigen Ort verstehen“541 können. Bezogen auf den kulturell argumentierenden Integrationsdiskurs wird „kulturelle Differenz“ dazu genutzt, die „‘nützlichen Anderen‘ von den weniger ‚nützlichen Anderen‘, die – in moderner Terminologie – ‚integrationsbereiten und -fähigen‘ Anderen, von den das Gefüge gesellschaftlicher Ordnung problematisierenden Anderen […], zu unterscheiden“.542 Um diese implizite Defizitorientierung zu überwinden, recht es also nicht, Differenzen positiv zu behaften. Vielmehr müssen die Bedingungen der Herstellung von Andersheit selbst hinterfragt sowie alternative „Formen der Überschreitung der traditionellen Grenzen erprobt und eingeübt werden.“543 Dies erfordert ein durchgängig kulturalisierungskritisches Vorgehen, welches im Kapitel 3.2.4.1. „Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kulturalisierungsanalyse und Kulturalisierungskritik“; Ab-

540 541 542 543

Mecheril 2015, S. 6 Ebd., S. 5 Ebd., S. 6 Ebd., S. 7

154

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

schnitt „Kulturalisierungskritik in der Migrationspädagogik“ erläutert werden soll.

3.2.4 Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Differenz/Diversität Im Folgenden soll auf Thematisierungen eingegangen werden, die eine Abkehr von einseitig kulturbezogenen Fokussierungen vollziehen und die Beachtung bzw. Ankernennung von verschiedenen Differenz- bzw. Diversitätsdimensionen als Ziel pädagogischer Forschung und Praxis postulieren. Dies erfolgt zum einen durch eine kritische Analyse der Konstruktions- und Funktionsweise von „Kultur“ und „kultureller Differenz“ (Leitmotiv „Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt“), die sich unter anderem in einer kritischen Auseinandersetzung mit kulturalisierenden Zuschreibungen (vgl. Kapitel 3.2.4.1. „Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kulturalisierungsanalyse und Kulturalisierungskritik“) und dem Konzept der „interkulturellen Kompetenz“ (vgl. Kapitel 3.2.4.2. „Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kritik des interkulturellen Kompetenzansatzes“) äußert. Zum anderen kann die Abkehr von einseitigen Kulturfokussierungen auch eine programmatische Auseinandersetzung mit kulturunabhängigen gesellschaftlichen Differenzdimensionen, wie bspw. „Gender“/Geschlecht, Alter, Bildungsniveau etc., bzw. mit gesellschaftlich-politischen Bedingungen, die diese Differenzkategorien hervorbringen oder beeinflussen, zur Folge haben (vgl. Kapitel 3.2.4.5. „Leitmotiv: Differenz/Diversität im Kontext der (gesamt-)gesellschaftlichen Diversität; Bezugskategorie: Analyse und Berücksichtigung vielfältiger Differenzlinien in der Gesellschaft“). Diese beiden Zugänge treten oft zusammen auf bzw. bedingen sich gegenseitig. So knüpft bspw. die kritische Analyse von Kulturalisierungspraktiken in der Migrationspädagogik an die Aufforderung an, Diversität auch jenseits kultureller Vielfalt zu denken und bei der Analyse von migrationsgesellschaftlicher Wirklichkeit gesamtgesellschaftliche Differenzlinien zu berücksichtigen.544 Nimmt man jedoch die Pädagogik der Vielfalt oder die Heterogenitätsforschung als Beispiel, so wird es deutlich, dass diese pädagogischen Ansätze zwar verschiedene Differenzkonstruktionen und damit einhergehende Benachteiligungen un-

544

Vgl. Mecheril 2003

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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tersuchen, jedoch kaum Kulturalisierungskritik im Sinne einer analytischkritischen Erforschung von Ursachen und Folgen der Kulturalisierung betreiben, insbesondere weil eine Auseinandersetzung mit national-identitären Kulturkonzepten ausbleibt. Deshalb sollen die beiden Leitmotive („Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt“ und „Differenz/Diversität im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Diversität“) im Folgenden getrennt voneinander beschrieben werden. 3.2.4.1 Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kulturalisierungsanalyse und Kulturalisierungskritik Im vorigen Dissertationskapitel wurde ein exemplarischer Einblick in kulturdifferenz- bzw. diversitätsorientierte Diskurse gewährt, deren Fokus auf der Analyse und Interpretation von (fremd-)kulturellen Mustern liegt. Es wurde betont, dass kulturdifferenzorientierte Ansätze gegenüber defizitorientierten Ansätzen eine deutliche emanzipatorische Orientierung aufweisen, da sie einen Paradigmenwechsel zu einer ressourcenorientierten Auseinandersetzung mit kultureller Diversität in Forschung und Praxis forcierten. Gleichzeitig wurde auch auf problematische Aspekte hingewiesen, die sich insbesondere auf die Verwendung eines statischen Kulturbegriffs, die Überbewertung der Rolle von „Kultur“ bzw. die einseitig kulturelle Deutung gesellschaftlicher Phänomene beziehen. Diese Problematiken lassen sich unter dem Oberbegriff der Kulturalisierung subsumieren.545 Die Kritik negativer Wirkungen von kulturalisierenden Praktiken, der sich dieses Dissertationskapitel widmet, begleitet seit jeher wissenschaftliche Diskussionen über Migration und Interkulturalität in der Bildung. Je nach Forschungsansatz, Zeitperiode und Autor*in nimmt die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Kulturalisierung jedoch unterschiedliche Stellung in der pädagogischen Diskussion ein. In mehreren „älteren“546 und einigen aktuellen547 Publikationen aus dem Bereich der interkulturellen Pädagogik wird die Gefahr der Überbewertung des

545 546

547

Zur Systematisierung des Kulturalisierungsbegriffs vgl. Reckwitz 2016 Vgl. bspw. Essinger/Graf 1984 a; Brenig 1986; Droste/Sayler/Thomas 1987; Auernheimer 1994. Kritisch dazu vgl. bspw. Dittrich/Radtke 1990; Radtke 1994 Vgl. bspw. Freise 2006; Kiel 2016

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Kulturellen kaum thematisiert. Demgegenüber stehen Positionen, die nach Möglichkeiten einer angemessenen Verortung der interkulturellen Pädagogik im Spannungsfeld zwischen der Anerkennung und Überbewertung kultureller Differenz suchen.548 Die Auseinandersetzung mit Kulturalisierungsmechanismen und deren Folgen nimmt auch eine zentrale Stellung in reflexiven interkulturell-pädagogischen,549 migrationspädagogischen,550 macht- und dominanzkritischen sowie rassismuskritischen551 Ansätzen ein. Der bedeutende Unterschied dieser Ansätze gegenüber interkulturell-pädagogischen Ansätzen besteht in der unterschiedlichen Funktion der Kulturalisierungskritik: Während Kulturalisierungskritik in interkulturellpädagogischen Ansätzen als Inhalt bzw. (ein thematisch untergeordnetes) Analysegegenstand erscheint, wird sie bspw. in migrationspädagogischen Ansätzen als grundlegendes Analyseinstrument verwendet. Kulturalisierungskritik als Inhalt führt zu der Weiterentwicklung und Modifizierung bestehender Begriffe, Konzepte und Methoden (z. B. hinsichtlich einer Erweiterung des Kulturbegriffs) – Kulturalisierungskritik als Analyseinstrument tritt als Perspektive auf, ausgehend von der gesellschaftliche Phänomene beschrieben und eingeordnet werden können. Dementsprechend gewinnt auch „interkulturelle Kompetenz“ im Kontext grundlegend kulturalisierungskritischer Perspektiven eine neue Bedeutung: Sie wird nicht mehr als Ziel interkultureller Bildung bzw. nicht nur als Fähigkeit zu einer angemessenen Auseinandersetzung mit „Kultur“ verstanden, sondern bezeichnet das Vermögen, kulturelle Zuschreibungen im Hinblick auf deren gesellschaftlichen, institutionellen, interaktionellen Bedingungen sowie Wirkungen analysieren zu können.552 Um verschiedene Formen der Kulturalisierungskritik bzw. den unterschiedlichen Stellenwert der Kulturalisierungskritik in verschiedenen pädagogischen Ansätzen zu veranschaulichen, sollen im Folgenden kulturalisierungskritische Argumentationslinien exemplarisch anhand ausgewählter Literatur aus der interkulturellen Pädagogik, reflexiven interkulturellen Pädagogik und Migrationspädagogik herausgearbeitet werden. Der Fokus liegt dabei sowohl auf der Beschreibung der jeweiligen Argumentationslinien und als auch auf der Schilderung von Kon-

548

549 550 551 552

Vgl. bspw. Auernheimer 2012; Holzbrecher/Over 2015; Gogolin/Krüger-Potratz 2010 – zum Überblick vgl. bspw. Gogolin 1998 Vgl. bspw. Hamburger 2009 Vgl. bspw. Mecheril 2004 Vgl. bspw. Scharathow/Leiprecht 2009 Vgl. Kalpaka/Mecheril 2010, S. 92 f.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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sequenzen für die pädagogische Praxis, die sich aus der jeweiligen Argumentation ergeben. Kulturalisierungskritik in der interkulturellen Pädagogik Bei der Analyse von Literatur aus verschiedenen Perioden der Entwicklung interkultureller Bildung fällt auf, dass kritische Perspektiven auf Kultur eine bedeutende Diskussion innerhalb der Ansätze, die unter der Bezeichnung „interkulturelle Pädagogik“ zusammengefasst werden, angestoßen haben. Diese Diskussion hatte zwei grundlegend unterschiedliche Entwicklungen zur Konsequenz, die im Weiteren beschrieben werden sollen.

Konsequenz 1: Umfassende Kulturalisierungskritik Zum einen mündeten kulturalisierungskritische Diskussionen in der Postulierung der Notwendigkeit einer durchgehenden Kulturalisierungsanalyse und -kritik im Sinne einer stets reflexiven, strukturorientierten und dominanzkritischen Einordnung und Beschreibung (migrations-)gesellschaftlicher Phänomene. Eine so verstandene Kulturalisierungskritik macht den Kern von reflexiver interkultureller Pädagogik und Migrationspädagogik aus. Wissenschaftler*innen, die Kulturalisierungskritik in diesem Sinne betreiben, entwickeln ihre Argumentationen größtenteils vor dem Hintergrund der darauf basierten kritischen Ansätze und verorten ihre Publikationen deshalb nicht mehr unter dem allgemeinen Titel der „interkulturellen Pädagogik“. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass auch Publikationen, die unter dem Titel „interkulturelle Pädagogik“ verfasst wurden oder werden, sich auf eine ähnlich reflexive, analytische und kritische Weise mit kulturalisierenden und essentialisierenden Zuschreibungen gegenüber „Migrationsanderen“ auf individueller wie struktureller Ebene auseinandersetzen können. Das gilt sowohl für Arbeiten, die chronologisch in der ersten Phase der Kritik an der interkulturellen Pädagogik entstanden sind und deshalb (noch) unter dieser Zuordnung verfasst wurden553 als auch für aktuelle Publikationen, dessen Autor*innen aus unterschiedlichen

553

Vgl. bspw. Borrelli 1986, Essinger 1986

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Gründen an der „interkulturellen“ Komponente festhalten.554 Der Unterschied dieser Arbeiten gegenüber bspw. Arbeiten aus dem Bereich der Migrationspädagogik besteht, wie in der Einführung bereits andeutet, in der Kontinuität, der Gewichtung und der Funktion der Kulturalisierungskritik. Kulturalisierungskritische Argumentationen erscheinen als einer der Inhalte der interkulturellpädagogischen Ansätze, der zwar als wichtig erachtet wird, aber nicht die Grundlage der inhaltlichen Konzeption und des methodologischen Zugangs (Kulturalisierungskritik als Analyse- und Beschreibungsinstrument) der gesamten Richtung bildet. Im Folgenden sollen nun umfassende kulturalisierungskritische Argumentationen aus dem Bereich der interkulturellen Pädagogik exemplarisch am Beispiel der – mittlerweile über 30 Jahre alten – Herausgabe von Michelle Borrelli unter dem Titel „Interkulturelle Pädagogik: Positionen – Kontroversen – Perspektiven“ geschildert werden.555 Trotz auffällig uneinheitlicher wissenschaftlicher Selbstpositionierungen (so tauchen in verschiedenen Artikeln unterschiedliche Bezeichnungen für die thematisierte wissenschaftliche Disziplin: Es wird von der „interkulturellen“ oder „multikulturellen“ Pädagogik, einer „interkulturellen“ oder „multikulturellen“ Erziehung, einer „Erziehung in der Einwanderungsgesellschaft“, einer „Erziehung zur internationalen Verständigung“, einer „kulturüberschreitenden Bildung“ gesprochen) ist dem Großteil der Autor*innen in dem Band eine kritische Sichtweise auf kulturalisierende politische und bildungsbezogene Praktiken im Umgang mit Migrant*innen gemeinsam. Besonders aufschlussreiche Analysen bietet dabei die Publikation von Elke Esser556 unter dem – offenbar noch unter dem Einfluss des ausländerpädagogischen Vokabulars stehenden – Titel „Ausländerforschung und Vorurteile“. Darin arbeitet die Autorin am Beispiel ausgewählter Zeitungsartikel über türkischstämmige Einwanderer*innen sowie anhand einschlägiger wissenschaftlicher Quellen eine Reihe von kulturalisierenden Argumentationen heraus, die sie als exemplarisch für mediale, politische, öffentliche und teilweise wissenschaftliche Diskurse über die „Ausländer*innen“ betrachtet. Im Fokus des Beitrags steht die Kritik der pauschalisierenden Sichtweisen auf „türkische Frauen“, die von der Autorin jedoch nicht explizit als Kulturalisierung bezeichnet, sondern unter dem für den ausländerpädagogischen wie interkulturell-pädagogischen Ansatz gut vertrauten Begriff „Vorurteile“ subsumiert werden.

554 555 556

Bspw. Auernheimer 2012; Gogolin/Krüger-Potratz 2010; Karakaşoğlu 2012 Vgl. Borrelli (Hg.) (1986) Vgl. Esser 1986

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Im Mittelpunkt Essers Kritik steht die kulturalistische Reduzierung der allgemeinen Folgen der Einwanderung auf angebliche Besonderheiten einer bestimmten kulturell bzw. ethnisch-national gefassten Gruppe („Türken und Türkinnen“). Bei der Analyse der einschlägigen Literatur stellt die Autorin eine wiederkehrende Stilisierung von türkischstämmigen Migrant*innen als besonders problematischer Einwanderer*innengruppe fest. Dabei spielen Kulturdefizitannahmen eine große Rolle: Die in der analysierten Literatur behauptete kulturelle Distanz der „Türk*innen“ fungiert als Legitimation für die dieser Gruppe unterstellten Sozialisations- und Integrationsprobleme.557 So werden beispielsweise die negativen Sozialisationsbedingungen oder andere Defizite sozioökonomischer, kultureller oder politischer Natur in den Herkunftsländern vorrangig zum Verständnis der Probleme ausländischer Frauen herangezogen. Als Beispiel greift Esser kritisch Argumentationen auf, die die vielfältigen Problemursachen ausschließlich auf ländlich-konservative (und damit einhergehend traditionell-islamische) Sozialisationsbedingungen zurückführen, was nach der Meinung der Autorin zur einer Exotisierung der Akteur*innen bzw. ihrer Lebenssituation führt. Zudem macht Esser auf die Diskrepanz zwischen quantitativen wissenschaftlichen Erhebungen zum Hintergrund der Einwanderer*innen einerseits und dem dominanten Fokus der qualitativen Studien andererseits aufmerksam: Trotz mehrerer Hinweise darauf, dass die Familien der Gastarbeiter*innen in der Mehrzahl nicht aus ländlichen, sondern aus städtischen, industriell entwickelten Gebieten kommen, wird in wissenschaftlichen Untersuchungen häufig eine Beschränkung auf „die einfachen Frauen, die aus den Dörfern Anatoliens stammen“558 vorgenommen. Die Autorin konstatiert hier eine Art Zwang zur Exotisierung, der aus einer Faszination der deutschen Mehrheit für Fremdheit entsteht.559 Somit schneidet Esser das Thema der Projektionen von Fremdheit an: Türkische Frauen werden als anders wahrgenommen, weil die Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft an die Vertreter*innen anderer Kulturen und Nationen von exotisierenden Vorstellungen geprägt sind, die ungeachtet der tatsächlichen Konstellation auf die Objekte der Kulturalisierung übertragen werden. Einen ähnlichen Mechanismus stellt die Autorin bei der Interpretation von Aussagen zu der „türkischen Familie“ fest: Es erfolgt eine Wiederaufnahme einer idealisierten Vorstellung von der glücklichen Familiengemeinschaft in der Türkei, die als Gegensatz zur

557 558 559

Vgl. ebd., S. 53 f. Weische-Alexa 1980, S. 41, zit. n. Esser 1986, S. 54 Vgl. Esser 1986, S. 54 f.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Anonymität der modernen Familie in hochentwickelten Industrieländern dargestellt wird. Dadurch wird, so Esser, ein „kultureller“ Gegensatz zwischen Deutschland und der Türkei konstruiert. Die kulturübergreifende Abhängigkeit verschiedener Familienformen von der Berufsgruppe und Einkommensschicht wird nicht beachtet.560 Einen weiteren bedeutenden Aspekt in der Kritik von Esser bildet die Analyse der pauschalisierenden und monokausalen Sichtweise auf das Geschlechterverhältnis in „türkischen“ Familien, die unter anderem durch ein „dogmatische(s) Konstatieren des Unterdrückungspotenzials“561 des Islams geprägt sei. Zusammen mit der pauschalisierenden Postulierung der ländlichen Herkunft der türkischen Migranten tritt die Zugehörigkeit zum Islam, so Esser, als Erklärung für die diagnostizierte „Rückständigkeit“ türkischer Einwanderer*innen auf.562 Hier macht die Autorin auf die Zusammenwirkung von religiösen und soziokulturellen Zuschreibungen bei der Entstehung negativ kulturalisierender Denkmuster aufmerksam. Essers unter dem Label der interkulturellen Pädagogik verorteten kulturalisierungskritischen Argumentationen kommen den Argumentationen der reflexiven interkulturellen Pädagogik und Migrationspädagogik sehr nahe, da sie die Folgen kulturalisierender Zuschreibungen in ihrer Vielförmigkeit erfassen und diese auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Dominanzverhältnisse (Mehrheitsgesellschaftsangehörige haben eine Deutungsmacht in Bezug auf Migrant*innen) beschreiben. Da sie jedoch nicht in den Gesamtkontext eines umfassenden kulturalisierungs- und dominanzkritischen Konzeptes eingeflochten sind, ist deren analytischer Bezug zu der strukturellen Ebene der Diskriminierung weniger ausgeprägt.

Konsequenz 2: Partikulare Kulturalisierungskritik Zum anderen äußerte sich die Reaktion auf kulturalisierungskritische Artikulationen in partikularen programmatischen „Verbesserungen“ innerhalb der bereits bestehenden kulturfokussierten Konzepte. So reagierten viele Vertreter*innen der interkulturellen Pädagogik auf die (auch aus den eigenen Reihen kommen-

560 561 562

Vgl. ebd., S. 55 f. Vgl. ebd., S. 59 Vgl. ebd., S. 59 f.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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den) Kulturalisierungsvorwürfe mit der Aufnahme eines postmodernen Kulturbegriffs (anstelle des modernen ethnisch-national gefassten Kulturbegriffs) in ihre Konzepte. Dies hatte zur Folge, dass der aktuelle theoretische Diskurs zu interkultureller Pädagogik größtenteils mit einem offenen, lebensweltlich orientierten Kulturbegriff operiert, der u. a. soziale, (welt-)politische und strukturelle Aspekte berücksichtigt und den Raum für individuelle Deutungen offen lässt.563 Auch in nicht-pädagogischen Feldern interkultureller Arbeit scheint der traditionelle Kulturbegriff endgültig in Verruf geraten zu sein. Blickt man bspw. auf aktuelle Publikationen zum interkulturellen Lernen oder zur interkulturellen Kompetenz im Bereich Organisations- und Personalentwicklung, so stellt man fest, dass darin größtenteils komplexe Kulturdefinitionen favorisiert werden, die dem Alltag (post-)moderner globalisierter Gesellschaften, den damit verbundenen Aspekten wie „weltweite[r] Vernetzung, Offenheit und d[er] fortwährende[n] Überwindung von Grenzen, […] [dem] dynamische[n] Wandel und kulturelle[r] Hybridisierung“564 sowie der soziokulturellen Diversität und Heterogenität versuchen Rechnung zu tragen. Die weite Fassung des Kulturbegriffs erlaubt es gewissermaßen, ihn für die Beschreibung vielschichtiger gesellschaftlicher Phänomene zu verwenden, was in der Praxis interkultureller Arbeit jedoch oftmals an Grenzen stößt. In diesem Kontext sei bspw. auf die Kluft zwischen den z. T. enorm ausdifferenzierten theoretischen Überlegungen zum Phänomen „Kultur“ und der in der (interkulturell-pädagogischen) Praxis nach wie vor dominanten verkürzenden Sichtweise auf „Kultur“ und „Interkulturalität“ hingewiesen. Erziehungswissenschaftler und interkultureller Trainer Jürgen Henze sieht die Ursache dieses Phänomens in einem „Zwang zur Komplexitätsreduktion“565, welcher sich vor allem im Rahmen von strukturierten Aktivitäten (Trainings, Fortbildungen) ergibt bzw. durch diesen Rahmen selbst hervorgebracht wird. Dieser Zwang zur Vereinfachung entwächst dem Anspruch der Kunden nach zielgruppenspezifischen Empfehlungen für die Praxis, die ein „erfolgreiches“ Handeln in interkulturellen bzw. als solche verstandenen Situationen ermöglichen sollen.566 Die wissenschaftliche Forderung nach einer „Auseinandersetzung um die angemessene wissenschaftstheoretische und ideologiekritische Positionierung von Konzepten und deren

563 564 565

566

Vgl. bspw. Bolten 2012, S. 18 ff., Rathje 2006, S. 10 Gruber/Rothfuß 2016, S. 125 Henze 2016, S. 70 – zur ausführlichen historisch-vergleichenden Analyse der Komplexitätsreduktion in der Interkulturalitätsforschung vgl. Haas 2009 Vgl. ebd.

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Trägern“567 widerspricht dem Wünsch der Zielgruppe nach den für die eigene (berufliche) Tätigkeit unmittelbar umsetzbaren Methoden. Das führt u. a. dazu, dass aus der breit gefächerten theoretischen Diskussion zu Interkulturalität gerade diejenigen Positionen und Methoden in der Praxis Verbreitung finden, die wissenschaftlich als umstritten bis „überholt“ gelten. Auf diese Problematik versuchen interkulturell-pädagogische Konzepte zu antworten, indem sie verschiedene Möglichkeiten einer theoretisch fundierteren, reflektierten und differenzierteren Gestaltung praktischer Angebote zum interkulturellen Lernen anbieten – bspw. in Form von reflexionsorientierten Trainingskonzepten, die das verbreitete Verständnis der „Fremdheit als Ergänzung und als Chance“568 (z. B. durch die Auseinandersetzung mit der Subjektivität der Fremdheitswahrnehmung) gezielt dekonstruieren und ein wissenschaftlich konsensfähigeres Verständnis von „Fremdheit als Komplementarität“569 als Alternative durchsetzen. Solche Trainings zielen u. a. auf die Entwicklung der Fähigkeit ab, gängige Konstrukte der Andersheit kritisch zu reflektieren und sich selbst als Andere*r zu verstehen.570 Als ein weiteres Beispiel können Trainings- und Fortbildungskonzepte genannt werden, die eine Umkehr von der „fremden“ Kultur als Bezugspunkt zu einem „kulturgeprägten Denken“ vollziehen und sich dementsprechend mit individuellen, historischen, sozialen (und somit immer kontextbezogenen) Wahrnehmungs- und Denkprozessen beschäftigen.571 Vonseiten der grundlegend kulturalisierungskritischen Konzepte wird jedoch die praktische Unzulänglichkeit solcher Lösungsansätze kritisiert – zum einen weil ein Kulturbegriff, der ausdifferenzierte soziale, ökonomische, allgemeingesellschaftliche etc. Phänomene umfasst, uferlos zu werden droht und daher eine geringe Anschlussfähigkeit an die Praxis bietet und zum anderen weil das Verharren in einem kulturfokussierten Analyseschema das Problem der NichtBerücksichtigung des Strukturellen gerade durch die Fokussierung auf Kultur als Phänomen und die damit einhergehende Vernachlässigung von Kultur als Unter-

567 568

569 570 571

Ebd. Laut der von Holzbrecher (2004, S. 15 ff.) in Anlehnung an Schäffter (1991) vorgenommenen Klassifizierung der Deutungsmuster im Diskursfeld „Umgang mit Fremdheit“ entspricht das Verständnis der Fremdheit als Ergänzung und Chance einer Wahrnehmungs- bzw. Deutungsperspektive, bei der Fremdes als Bereicherung der eigenen Entwicklung wahrgenommen wird (vgl. Holzbrecher 2004, S. 17). Vgl. Holzbrecher 2004, S. 17 Vgl. Bronfen/Marius 1997, S. 6 f. Vgl. Aydt 2016

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scheidungs- und Ausgrenzungsmittel immer wieder hervorbringt.572 Diese Kritik versucht das Konzept der reflexiven Interkulturalität angemessen aufzuarbeiten. Kulturalisierungskritik in der reflexiven interkulturellen Pädagogik Das von Franz Hamburger gegründete Konzept der reflexiven Interkulturalität, welches in der Etablierung eines neuen wissenschaftlichen Ansatzes – der so genannten reflexiven interkulturellen Pädagogik – mündete,573 räumt kulturalisierungskritischen Analysen eine zentrale Stellung ein. Zusammenfassend lassen sich Hamburgers kulturalisierungskritische Argumentationen mit Bezug auf folgende zentrale Kritikpunkte darstellen:

Unangemessenheit der Verwendung von „Kultur“ als Deutungsschema für soziale Phänomene Hamburger kritisiert, dass Kulturkonflikte als Erklärungsmuster für beliebige gesellschaftliche Phänomene und pädagogische (Problem-)Situationen herangezogen werden, ohne dass eine eindeutige Ursache-Folge-Beziehung überhaupt nachgewiesen wäre.574 So merkt er in Anlehnung an Manfred Hohmann575 an, dass mit der Bestimmung der Kultur zum Untersuchungsobjekt der interkulturellen Pädagogik die Folgen der Migration in öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen häufig als Konflikt zwischen verschiedenen kulturellen Systemen gedeutet werden, obwohl Migrationsbewegungen größtenteils durch sozioökonomische und nicht durch kulturelle Ursachen ausgelöst werden. Die Bezeichnung von (migrations-)gesellschaftlichen Phänomenen als „kulturell“ bzw. der daran anknüpfenden Handlungskonzepte als „multikulturell“ oder „interkulturell“ kann deren sozialen Natur folglich nicht gerecht werden.576

572 573 574 575 576

Vgl. Mecheril 2008, 19 ff; Hormel/Jörding 2016, S. 222 f. Vgl. bspw. Hamburger 2009 Vgl. Hamburger 1982, S. 15 Vgl. Hohmann 1983, zit. n. Hamburger 2009, S. 22 Vgl. Hamburger 1988, S. 22 und 34

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Reduzierung der sozialen Vielfältigkeit und Segmentierung von Wirklichkeit Indem kulturalisierende Zuschreibungen vorgenommen werden, wird, so Hamburger, eine einheitliche, nationalkulturell definierte Identität der „Anderen“ konstruiert, bei der sowohl vielfältige Selbstbilder von Migrant*innen als auch weitere individuelle und gesellschaftliche Zugehörigkeiten der Personen keine Berücksichtigung finden.577 Die komplexe Lebenswirklichkeit in einer pluralen Gesellschaft wird auf das Zusammenleben verschiedener (National-)Kulturen bzw. Ethnien und Religionen reduziert. Solche Reduktionen bedingen monokausale Problemerklärungen und erzeugen Wissensbestände, die sowohl von Mehrheits- als auch von Minderheitenangehörigen internalisiert und operationalisiert werden (können). Als Beispiel führt Hamburger eine authentische Situation aus der Schulpraxis an, bei der die Eltern ihr Kind aus finanziellen Gründen nicht an einer Schulfahrt teilnehmen lassen wollen und diese Entscheidung gegenüber der Lehrkraft mit kulturbezogenen bzw. religiösen Argumenten versuchen zu untermauern. Hamburger deutet die Situation folgendermaßen: Kulturelle Argumentation wird aufgegriffen, weil sich die Eltern der Normalität von kulturalisierenden Zuschreibungen bewusst sind und somit auch wissen, dass Begründungen, die auf diesen Zuschreibungen beruhen, aufseiten der Mehrheitsangehörigen ohne Widerstand anerkannt und akzeptiert werden. Die Eltern instrumentalisieren also unbewusst die an das Allgemeinwissen anknüpfenden kulturalisierenden Begründungen, um das eigentliche Problem (die Armut der Familie, für die sie sich schämen), zu verbergen.578

Kulturalisierende Konstruktion des Anderen Indem Migrant*innen aufgrund ihrer ethnisch-nationalen bzw. kulturellen Zugehörigkeit als eine Sondergruppe betrachtet werden, werden sie gleichzeitig als anders (im Sinne eines „Nicht-Ich“ bzw. „Nicht-Wir“)579 wahrgenommen. Diese kulturalisierende Konstruktion taucht in verschiedenen Formen auf, sei es die Verwendung der Begriffe wie „Personen mit Migrationshintergrund“ als distinktive Praxis580 oder die einseitig an dem Kriterium „Herkunftsland“ ausgerichtete

577 578 579 580

Vgl. ebd., S. 37 und Hamburger 2009, S. 54 Vgl. Hamburger 2009, S. 87 Vgl. Linnemann et al. 2013, S. 11 Vgl. ebd., S. 41

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Unterscheidung der Schüler*innen-Sprachen.581 Die Konstruktion des Anderen geht häufig mit einem exotisierenden Ethnozentrismus einher („Die Kultur des Einwanderungslandes ist fraglos gegeben, die Kultur der Einwandererminoritäten ist das Besondere und Bemerkenswerte“582). Darüber hinaus kommt es häufig zu einer essentialisierenden und negativ aufgeladenen Gegenüberstellung von „wir“ und „die anderen“.583 Als Beispiel führt Hamburger Diskussionen nach PISA an, in denen unter anderem darüber spekuliert wurde, wie die Ergebnisse aussehen würden, wenn Deutschland keine Kinder mit Migrationshintergrund hätte.584 Auch die politisch und medial verbreitete Darstellung von Islam als „aggressiv und ängstlich“585 begünstigt laut Hamburger die Konstruktion von „wir – sie“-Gegensatzpaaren, bei denen das „Wir“ für „westliche Modernität“ und das „Sie“ für „islamische Rückständigkeit“ steht.586 Das implizite Motiv dieser Gegensatzkonstruktionen sei eine aktive Abwehr des Fremden: Das „christliche Abendland [soll] zum Kreuzzug gegen Kopftücher in den heimischen Schulen“587 mobilisiert werden.

Instrumentalisierung des Kulturbegriffs für (macht-)politische Zwecke Kulturalisierung führt laut Hamburger zu einer Verschleierung machtverwobener gesellschaftlicher Phänomene.588 In dem permanenten Rekurs auf die „Kultur“ und „kulturelle Identität“ von Migrant*innen sieht Hamburger den Ausdruck eines Ungleichheitsverhältnisses, bei dem die Mehrheitsgesellschaft das Monopol auf die Identifikation und Zuschreibung der Andersheit besitzt. Die „Dominanz der Fremdzuschreibung“589 ermöglicht eine Instrumentalisierung kultureller Zugehörigkeiten durch die einheimische Mehrheit zur Durchsetzung der Interessen gegenüber eingewanderten Minderheiten.590 Als eine mögliche Folge eines solchen gesellschaftlichen Ungleichverhältnisses betrachtet Hamburger den

581 582 583 584 585 586 587 588 589 590

Vgl. Hamburger 1988, S. 40 f. Ebd., S. 39 f. Vgl. ebd., S. 38 Vgl. Hamburger 2009, S. 77 Ebd., S. 54 Ebd., S. 53 Hamburger 2009, S. 54 Vgl. ebd., S. 67 Hamburger 1990, S. 64 Vgl. ebd., S. 65

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Ausschluss von Migrant*innen von der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben: „In der Allerweltsformel von der ‚multikulturellen Gesellschaft‘ steckt nun die Gefahr, daß die Unterschiedlichkeit und der Gegensatz von Kulturen in den Vordergrund rücken und in der Folge den gesellschaftlichen Ausschluß legitimieren.“591

Die oben angeführten kritischen Argumentationen machen deutlich, dass es Hamburger bei der Diskussion um den Stellenwert von Kultur und Interkulturalität in der Pädagogik nicht primär um die Kritik der Definition von Kultur, sondern um die Kritik der Instrumentalisierung des Kulturbegriffs geht. Hamburgers Kritik verweist dementsprechend auf die Notwendigkeit, die „interkulturelle Perspektive“ angemessen zu verwenden. Eine grundsätzliche Ablehnung der Fokussierung auf „Kultur“ geht damit (jedoch) nicht einher.592 Hamburger versucht, in dem Spannungsfeld zwischen Thematisierung und Dethematisierung von kulturellen Differenzen eine Argumentation aufzubauen, die kulturelle Differenz nicht ontologisiert und gleichzeitig gegenüber der Bedeutung von Kulturen für Selbstdefinitionen von Menschen und Gesellschaften aufmerksam ist:593 „Die ‚interkulturelle Erfindung‘ besteht darin, die ganze Tiefe einer – beispielsweise nationalen – Tradition zu erfassen und gleichzeitig […] dem Reichtum einer konkreten menschlichen Begegnungssituation Rechnung zu tragen.“594 Gerade weil kulturelles Wissen, so Hamburger, menschliche Handlungs- und Denkmuster wesentlich beeinflusst,595 betrachtet er die Reflexion der eigenen Befangenheit in Kultur als besonders wichtig. Darauf gründet das Konzept der

591 592 593

594 595

Ebd., S. 65 f. Vgl. Hamburger 2009, S. 67 Hamburger greift hier den berühmten Streit zwischen dem Kulturtheoretiker Auernheimer und dem Systemtheoretiker Radtke in der Zeitschrift für Pädagogik 1995/96 auf, der sich um (De-) Thematisierung von Differenzen drehte (vgl. Auernheimer 1994; Radtke 1995). Während Radtke der interkulturellen Pädagogik vorwarf, durch die Thematisierung kultureller Differenzen bestehende Selektions- und Diskriminierungsmechanismen zu stärken, bemängelte Auernheimer, dass Radtkes Zugang dazu tendiere, die individuelle Bedeutung kultureller Zugehörigkeiten zu ignorieren (vgl. Hamburger 2009, S. 106 f.) Hamburgers Konzept „reflexiver Interkulturalität“ kann als Versuch betrachtet werden, die Schwächen beider Argumentationen auszugleichen. Hamburger 2009, S. 142 Hier zeigen sich Parallelen zu Beobachtungen von Diehm und Radtke: Obwohl alltägliche und wissenschaftliche Beschreibungen der Wirklichkeit beobachtungsrelative Konstruktionen seien, würden sie so gelebt, als seien sie „echt“, was sie besonders wirkungsvoll mache (vgl. Diehm/ Radtke 1999, S. 34).

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„reflexiven Interkulturalität“, welches die Frage, in welchen Kontexten „Kultur“ als Bezeichnung und als Analysekomponente für gesellschaftliche Phänomene angemessen ist, zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher und pädagogischer Überlegungen macht.596 Interkulturelle Bildung deutet Hamburger dementsprechend als ein flexibles Vorgehen, bei dem interkulturelles Lernen situativ erfolgt und nicht dauerhaft institutionalisiert wird. Deshalb schlägt er die Aufhebung der interkulturellen Pädagogik als gesonderter pädagogischer Richtung vor und plädiert für Politik- und Bildungskonzepte, „die die Strukturierung der Gesellschaft nach anderen Kriterien als der (National-)Kultur durchsichtig mach[en]“597 und allgemeingültige Werte, Leitbilder und Handlungsgrundsätze herausarbeiten.598 Situatives interkulturelles Lernen soll laut Hamburger bspw. dann relevant werden, wenn es um die Entstehung neuer Formen der religiösen und kulturellen Selbstdefinition geht, aber auch in kritischen Situationen, wenn z. B. die Präsenz der Schüler*innen mit Migrationshintergrund in der Klasse nicht als selbstverständlich angesehen wird und keine Gleichberechtigung herrscht. In diesem Fall muss diese Situation, so Hamburger, zeitlich begrenzt durch interkulturelles Lernen, welches auf die „Erweiterung von Toleranz und Solidarität“599 abzielt, „bearbeitet“ werden. In allen anderen Fällen sei interkulturelles Lernen nicht notwendig, da es die gewünschte Selbstverständlichkeit der Diversität störe und Migrant*innen zu Fremden mache.600 Kulturalisierungskritik in der Migrationspädagogik Da migrationspädagogische Ansätze Grenzziehungen anhand kultureller Zugehörigkeiten und damit verbundene gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse als konstitutives Element der Wirklichkeit betrachten, fungiert Kulturalisierungskritik ebenso als konstitutives Element des migrationspädagogischen Forschungszugangs. Kulturalisierungskritik wird als ein wichtiges Instrument zur „Rekonstruktion institutioneller, symbolisch-diskursiver, interaktiver und biographischer Strukturen, in denen sich in migrationsgesellschaftlichen Kontexten Macht und

596 597 598 599 600

Vgl. Hamburger 2009, S. 107 f. Hamburger 1988, S. 46 Vgl. ebd. Hamburger 2009, S. 108 Vgl. ebd., S. 107 f.

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Herrschaft entfalten“601 angewendet. Daher liegt der Fokus der kulturalisierungskritischen Analysen in der Migrationspädagogik weniger auf „Kultur“ als (Untersuchungs-)Phänomen, sondern vorwiegend auf Dominanzstrukturen, die durch einen bestimmten Umgang mit der Kategorie „Kultur“ hervorgebracht und verfestigt werden. Im Folgenden sollen anhand Mecherils Argumentationen die wichtigsten Schwerpunkte der migrationspädagogischen Kulturalisierungskritik zusammenfassend geschildert werden:

Kulturalistische Reduktion migrationsgesellschaftlicher Verhältnisse Ähnlich wie Hamburger kritisiert Mecheril die Verwendung des Kulturbegriffs als Oberbegriff für Prozesse der Pluralisierung sozialer Kontexte. In Folge der kulturalistischen Reduktion des Sozialen wird die Anerkennung der Differenz verschiedener Lebensformen, welche als zentrales Bildungsziel der interkulturellen Pädagogik postuliert wird, ausschließlich auf die Anerkennung kultureller Differenz beschränkt. Das ermöglicht die Positionierung der Kategorie „Kultur“ als zentraler Differenzdimension, entlang der die Unterschiede von Personen und Gruppen gezogen werden. Politische, ökonomische, rechtliche sowie individuelle Faktoren treten bei einer solchen Sichtweise in den Hintergrund. Deshalb hält Mecheril die Bezeichnung einer erziehungswissenschaftlichen Fachrichtung, die sich mit Pluralität als Folge von Migrationsprozessen auseinandersetzt, als „interkulturelle Pädagogik“ für unangemessen.602 Die theoretische Auseinandersetzung mit Kulturbegriff und Kulturalisierung in der interkulturellen Pädagogik betrachtet Mecheril als weitgehend folgenlos. Kulturalisierungskritische und systemtheoretische Stimmen hätten zwar die Diskussion innerhalb der interkulturellen Pädagogik wesentlich beeinflusst und zur allgemeinen Durchsetzung eines differenzierten und flexiblen Kulturverständnisses bzw. zu der Postulierung des Diskriminierungsbewusstseins als Zielvorgabe interkulturellen Lernens geführt, jedoch folge vor allem die Praxis der interkulturellen Pädagogik nach wie vor einem homogenisierenden Konzept, mit dem natio-ethno-kulturelle Andere603 hergestellt werden. Je praxisnaher die jeweili-

601 602 603

Mecheril 2013, S. 157 Vgl. Mecheril 2010 b, S. 62 ff. Vgl. Mecheril 2004, 80 ff.

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gen interkulturell-pädagogischen Konzepte sind, desto stärker rückt man von der in der Theorie favorisierten Komplexität des Kulturbegriffs ab und verwendet diesen in einer direkten Verknüpfung mit „Nationalität und Ethnizität“, was zwingend eine eingeschränkten Sichtweise auf individuelle Positionierungen und gesellschaftliche Zugehörigkeiten nach sich zieht.604 Aus diesen Gründen plädiert Mecheril für eine theoretisch fundierte und praktisch wirksame Abkehr von der Fokussierung auf „Kultur“ und für eine Hinwendung zu der Fokussierung auf Dominanz- und Ungleichheitsverhältnisse. Dies soll durch die Subsumierung der forschungsrelevanten Phänomene unter dem Begriff der „Migrationspädagogik“ deutlich werden. Mit „Migrationspädagogik“ kommt eine wissenschaftliche Perspektive zum Ausdruck, die eine Orientierung an dem umfassenden Begriff der Migrationsgesellschaft vornimmt und die durch Migrationsphänomene angestoßenen Prozesse der „Pluralisierung und der Vereinseitigung, der Differenzierung und der Ent-Differenzierung, der Segregation und der Vermischung des Sozialen“605 untersucht.606

Kulturbegriff als Ausdruck des „Inseldenkens“ Mit Rückgriff auf Welschs Konzept der Transkulturalität607 kritisiert Mecheril das vor allem in der interkulturell-pädagogischen Praxis verbreitete Kulturverständnis, dem die Vorstellung von Kulturen als voneinander getrennten „Inseln“ naheliegt.608 Diese nach Vereinfachung strebende Kulturdefinition ist laut Mecheril nicht (mehr) in der Lage, komplexe Phänomene der Überschreitung kultureller Grenzen, der Vermischung und Hybridisierung zu erfassen. Zudem führe die Vereinheitlichung des Kulturbegriffs zu der Gleichsetzung von „Kulturen“ mit „Nationen“ oder „Völkern“ und somit zur Herstellung eines Gegensatzes von Eigen- und Fremdkultur.609 Gleichzeitig kritisiert Mecheril Welschs Konzept der Transkulturalität dahingehend, dass dieses einen unauflösbaren Widerspruch zwischen der Forderung

604

605 606 607 608 609

Vgl. Mecheril 2008, 19 ff.; zur Thematisierung dieser Problematik in aktuellen Ansätzen zur interkulturellen Kompetenz und Kommunikation vgl. bspw. Otten/Scheitza/Crynim (Hg.) (2007) Mecheril 2010 a, S. 19 Vgl. ebd. Vgl. bspw. Welsch 1997; Welsch 2000; Welsch 2010 Vgl. Bolscho 2005, S. 29, zit. n Mecheril 2010 b, S. 64 Vgl. Mecheril 2010 b, S. 65 in Anlehnung an Welsch 1997

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nach der Überwindung des Gegensatzes zwischen Eigen- und Fremdkultur und dem Ziel der Anerkennung des Anderen in seiner Andersheit produziert sowie dazu tendiert, wirksame Dominanz- und Diskriminierungsverhältnisse aus dem Blick zu verlieren.610 Parallelen zu Ausländerpädagogik Mecheril verweist auf die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der interkulturellen Pädagogik, ausländerpädagogische Denkmuster und Praktiken zu überwinden, und der tatsächlichen Wahrnehmung von Migrant*innen als einer „Sondergruppe“, die sich bspw. in der weitgehenden Konzentration der pädagogischen Praxis auf Sondermaßnahmen für Migrant*innen äußert:611 „Die interkulturelle Pädagogik und ihre in die Welt pädagogischen Handelns gekommenen Ideen führen das ausländerpädagogische Projekt weiter, wenn sie die praktische Frage, wie eine Migrationsgesellschaft auf das „Ausländerproblem“ […] reagieren sollte, mit einer Intensivierung der pädagogischen […] ‚Förderung der Anderen‘ antwortet und eine grundlegende Kritik der exkludierenden Prozess- und Struktureigenschaften gesellschaftlicher Wirklichkeit zurückstellt und dadurch Dominanz- und Herrschaftsstrukturen verhüllt.“612 Als Beispiel führt Mecheril den Aufschwung kompensatorischer Maßnahmen zur Sprachförderung von Migrant*innenkindern nach PISA an.613

„Kultur“ als Ersatz für „Rasse“ In Anlehnung an Balibar (1990) macht Mecheril auf das Phänomen des so genannten „Kultur-Rassismus“614 aufmerksam. Unter Kultur-Rassismus, oder kulturellem Rassismus615 wird der Vorgang verstanden, bei dem Gruppen anhand einer (zugeschriebenen) kulturellen Zugehörigkeit definiert werden und eine entsprechende Hierarchisierung dieser Gruppen vorgenommen wird.616 In An-

610

611 612 613 614 615 616

Vgl. Mecheril 2010 b, S. 65. Zur Kritik des Verständnisses von Transkulturalität bei Welsch vgl. auch Mecheril/Seukwa 2006. Vgl. Mecheril 2010 b, S. 65 Ebd., S. 66; Hervorhebung im Original Vgl. ebd., S. 65 Vgl. Balibar 1990, S. 34, zit. n. Mecheril 2010 b, S. 66 Balibar benutzt darüber hinaus den Begriff „Rassismus ohne Rassen“ Vgl. Balibar 1990, S. 34, zit. n. Mecheril 2010 b, S. 66

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lehnung an Leiprecht617 stellt Mecheril fest, dass „Kultur“ in Diskursen über Einwanderung häufig als Äquivalent bzw. Ersatz für „Rasse“ gebraucht wird. Diese Benutzung von Kultur als „Sprachversteck für Rassekonstruktionen“618 wird, so Mecheril, nur selten von der interkulturellen Pädagogik benannt und unzureichend analysiert, was zu einer Verdeckung des Problems führt.

Migrationspädagogische Alternativen zu dem oben kritisierten Verständnis von Kultur beziehen sich v. a. auf die Blickverschiebung von den „Differenzen des Verstehens und der Werthaltungen zwischen Kulturen“619 hin zu gesellschaftlichen „Machtungleichgewichten und Transformationen“.620 Kultur soll demensprechend als sozial-symbolische Praxis definiert werden, die unter spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen geformt wird und durch symbolische Deutungen Sinn stiftet. Kulturelle Praxen erzeugen Unterschiede und werden gleichzeitig selbst durch gesellschaftliche Differenzierungsschemata produziert. Somit erweist sich Kultur als eigebunden in komplexe Machtverhältnisse, die eine Auskunft über die Bedeutung und Konsequenzen von symbolischen Unterscheidungen geben können.621 Für die pädagogische Theoriebildung und Praxis bedeutet das, dass „Kultur“ primär nicht als real existierendes Phänomen, sondern als Instrument zur Konstruktion von Unterschieden und Legitimation von Ungleichbehandlungen zu verstehen ist. Vor allem der diskursive Gebrauch der Kategorie „Kultur“ ist in diesem Kontext von Interesse. Migrationspädagogische Ansätze vollziehen somit eine Umkehrung von „Gibt es kulturelle Unterschiede?“ bzw. „Was sind die

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618 619 620 621

„So wird beispielsweise in Deutschland (oft von politisch rechts stehenden Gruppierungen und Parteien) auf fremde Kulturen hingewiesen, die mit der deutschen Kultur unvereinbar seien und deren Vertreterinnen und Vertreter von daher – manchmal sogar als Eigeninteresse von Eingewanderten formuliert – in ihr Heimatland zurückkehren müssten, um dort ihre eigene Kultur zu ‚bewahren’, genauso wie durch eine solche Separierung eine vorgestellte angeblich homogene deutsche Kultur vor negativen und verfremdeten Einflüssen ‚geschützt’ werden müsse, damit sie gewissermaßen in ‚reiner’ Form erhalten bliebe“ (vgl. Leiprecht 2001, S. 29) Mecheril 2010 b, S. 66, in Anlehnung an Leiprecht 2001 Kalpaka/Mecheril 2010, S. 96 Ebd. Vgl. ebd.

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jeweiligen kulturellen Unterschiede?“ zu „Unter welchen Bedingungen benutzt wer mit welchen Wirkungen wie ‚Kultur‘?“622 Es geht also „nicht so sehr um die Frage, welche Kultur spezifische Migrantengruppen haben, wie diese Kultur zu beschreiben ist und wie unter den unterschiedlichen kulturellen Gruppen Verständigung möglich ist und so weiter, sondern es geht vielmehr um die Frage, aufgrund welcher kulturellen Praktiken in pädagogischen Zusammenhängen zwischen ‚Migranten‘ und ‚Nicht-Migranten‘ unterschieden wird, aufgrund welcher Bedingungen, ‚Migranten‘ als Migranten wahrgenommen werden, wie Kinder lernen, sich als ‚Nicht-Ausländerin‘ oder ‚Fremde‘ zu verstehen […].“623 Auch der Begriff der interkulturellen Kompetenz gewinnt unter dieser Perspektive eine neue Bedeutung und bezeichnet die Fähigkeit, kulturelle Zuschreibungen nicht als essentielle Tatsache, sondern als ein „aktives und zu veränderndes Handeln“624 wahrzunehmen und im Hinblick auf deren gesellschaftlichen, institutionellen, interaktionellen Bedingungen sowie Wirkungen analysieren zu können.625Dadurch tritt die Analyse- und Reflexionskompetenz in Bezug auf gesellschaftliche Verbindungen von Kultur und Macht in den Vordergrund. Die oben geschilderten kulturalisierungskritischen Argumente somit das Anliegen der Migrationspädagogik deutlich, die normalisierte kulturalisierende „Praxis des Unterscheidens“626 zu revidieren. Dies wird insofern als wichtig für die pädagogische Praxis erachtet, als deren machtvolle Akteur*innen durch den unreflektierten Rückgriff auf kulturell argumentierende Unterscheidungspraxen gesellschaftliche Ausgrenzungen und Diskriminierungen beständig reproduzieren (können). Ähnlich argumentiert auch Hamburger in seinen Ausführungen zu kulturalisierender Konstruktion des Anderen.627 Während Hamburger jedoch, wie bereits erwähnt, (klassisches) kulturelles Lernen in bestimmten Kontexten, also situativ, zulässt, distanziert sich Mecheril gänzlich davon und benutzt die Kategorie „Kultur“ ausschließlich als Instrument zur Beschreibung der Wirklichkeit und Einordnung bzw. Deutung von gesellschaftlichen Phänomenen.

622 623 624 625 626 627

Mecheril 2008, S. 26 Mecheril 2015, S. 7 Kalpaka/Mecheril 2010, S. 93 Vgl. ebd., S. 92 f. Mecheril 2010 a, S. 17 Vgl. Hamburger 2009, S. 41

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Dementsprechend kann resümiert werden, dass mit der Perspektive „Migrationspädagogik“ eine komplette Umdisponierung des Forschungsblicks von „Kultur“ als Analysegegenstand zu „Kultur“ als Analyseinstrument einhergeht,628 die bei der reflexiven interkulturellen Pädagogik nicht gänzlich vollzogen wird. 3.2.4.2 Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kritik des interkulturellen Kompetenzansatzes Im Kapitel 3.2.3.2. „Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: ‚Kompetenz‘ und ‚Integration‘ als Lösungen für die Praxis“ wurden in Anlehnung an die Systematisierungsvorschläge von Rathje (2006) und Straub (2007) die wichtigsten Diskussionsstränge innerhalb des interkulturellen Kompetenzdiskurses umrissen sowie exemplarische Modelle interkultureller Kompetenz vorgestellt. Im Folgenden sollen Perspektiven geschildert werden, die eine grundlegende Problematisierung des Diskurses zur interkulturellen Kompetenz vornehmen. Es erscheint dabei wichtig, diese grundlegend kritischen Konzepte von den Debatten innerhalb des interkulturellen Kompetenzdiskurses abzugrenzen:629 Während letztere mit ihrer kritischen Analyse verschiedener theoretischer und empirischer Problemstellungen in dem Rahmen des interkulturellen Kompetenzdiskurses bleiben, hinterfragen grundlegend kompetenzkritische Perspektiven – auch wenn sie sich in ihrer Argumentation zum Teil auf ähnliche Kritikpunkte stützen630 – die Sinnhaftigkeit des Konzepts interkultureller Kompetenz an sich. Ein wichtiger Grund für diese skeptische Haltung liegt zum einen in der festgestellten Unfähigkeit interkultureller Kompetenzansätze, „die grundlegenden

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629 630

„Die entscheidende Frage heißt also nicht: Gibt es kulturelle Unterschiede? Die bedeutsamere Frage lautet vielmehr: Unter welchen Bedingungen benutzt wer und mir welchen Wirkungen ‚Kultur‘“? (Mecheril 2008, S. 26) Vgl. Überblick bei Rathje 2006; Otten/Scheitza/Crynim (Hg.) (2007) Exemplarisch kann hier Kritik Leiprechts angeführt werden, dass interkulturelle Kompetenzmodelle einen Eindruck von Messbarkeit der Kompetenzen vermitteln würden (vgl. Leiprecht 2002, S. 90), die auch der kritischen Diskussion zwischen persönlichkeits- und effizienzorientierten Konzepten interkultureller Kompetenz zugrunde liegt (vgl. ausführlich Kapitel 3.2.3.2 „Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: „Kompetenz“ und „Integration“ als Lösungen für die Praxis; Abschnitt „Interkulturelle Kompetenz als Anforderung an Mehrheitsangehörige“)

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diskriminierenden gesellschaftlichen Strukturen“631 angemessen aufzuarbeiten – eine These, die die postkoloniale feministische Theoretikerin Castro Varela am Beispiel einer interkultureller Fortbildungsmaßnahme für Behördenmitarbeiter*innen illustriert.632 Castro Varela kommt in Folge der dominanzkritischen Auseinandersetzung mit dem Prinzip und der Wirkungsweise interkultureller Kompetenztrainings zum Schluss, dass interkulturelle Kompetenzkonzepte nicht imstande seien, die fundamentalen Strukturen der gesellschaftlichen Ausgrenzung zu thematisieren, da sie selbst in die Professionalisierungslogik der bestehenden hegemonialen Verhältnisse eingebunden seien.633 Die Problematik des Professionalitätsverständnisses von Konzepten interkultureller Kompetenz wird in zahlreichen weiteren kompetenzkritischen Publikationen aufgegriffen. So schreibt Kalpaka (1998) von der mit dem Begriff der interkulturellen Kompetenz verbundenen „Suggestion, dass es sich dabei um etwas Festgefügtes handelt, was ein für allemal erworben werden kann.“634 Mecheril spricht in diesem Zusammenhang von der „technologische[n] Verwertungstendenz“635 als Kern einer Professionalisierungslogik, die der überwiegenden Mehrheit von Konzepten interkultureller Kompetenz zugrunde liegt. Laut Mecheril wird in interkulturellen Kompetenzansätzen ein linearer Zusammenhang zwischen der interkulturellen Professionalität und dem Handlungserfolg hergestellt, wonach erworbene Kompetenzen (z. B. das Wissen über kulturelle Unterschiede) als Garanten erfolgreichen Handelns in Kommunikationssituationen, die als interkulturell interpretiert werden, erscheinen.636 Abgesehen von der problematischen Verknüpfung von kulturellem Wissen und (vermeintlichem) Handlungserfolg, die die jeweiligen Kontextbedingungen, individuelle, strukturelle, soziale usw. Faktoren ignoriert, birgt ein solches Kompetenzverständnis die Gefahr der machtvollen Vereinnahmung des Anderen, wenn die mehrheitsgesellschaftlich geprägten, kulturalisierenden und essentialisierenden Wissensbestände interkultureller Kompetenztrainings als Mittel zur Durchsetzung hegemonialer Ziele instrumentalisiert werden. Um dieser Gefahr zu entkommen, sei ein Perspektivwechsel von der Postulierung des Wissens als Mittel zum Verstehen des Anderen

631 632 633 634 635 636

Castro Varela 2007, S. 159 Vgl. Castro Valera 2002 Vgl. Castro Varela 2007, S. 159 ff. Vgl. Kalpaka 1998, S. 78, zit. n. Kerber/Strosche 2008, S. 9 Mecheril 2008, S. 25 Ebd.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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zur Anerkennung des Nicht-Wissens als Ausdruck der Anerkennung der Unzugänglichkeit des Anderen notwendig.637 Das eigene Nicht-Wissen soll nach Verständnis von Mecheril und Kalpaka eine Basis für „wissens- und verstehensskeptische“638 Bildungsprozesse sein.639 Diese Perspektive bildet die Grundlage für Mecherils Konzept der „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Mit dieser überspitzten und ironischen Bezeichnung soll die Abkehr von traditionellen Wissens- und Kompetenzkonzepten symbolisiert werden. Die dabei geforderte „Verschränkung von Wissen und Nicht-Wissen“640 als Zielvorgabe ist zweierlei zu deuten: Zum einen soll anstelle der Orientierung an (kulturellem) Wissen über „Andere“ ein Wissen über Dominanzstrukturen und deren Auswirkungen sowie ein allgemeines differenztheoretisches Wissen erworben werden.641 Zum anderen soll ein grundlegend reflexives Verhältnis zu dem eigenen professionellen Handeln, seinen Bedingungen und Konsequenzen herausgebildet werden,642 welches vor allem das Nachdenken über Möglichkeiten, Widersprüche, (implizite) Problematiken und Grenzen des eigenen professionellen Handelns impliziert. Zentrale Fragen sind dabei beispielsweise, wann eigenes professionelles Handeln (unabsichtlich) zur Reproduktion der gesellschaftlich dominanten Gegenüberstellung von eigen- und fremdkulturell beiträgt,643 wann und mit welchem Ziel Kultur als bestimmende nationalisierte Kategorie verwendet wird und welche Wirkungen dadurch erzielt werden.644 In Bezug auf interkulturelle Bildungsangebote kann sich die Reflexion auf die Frage beziehen, inwiefern bzw. wie in diesen Angeboten Lebenslagen unterschiedlicher Personengruppen berücksichtigt werden, inwiefern der Kulturbegriff reflektiert wird und welche Folgen das für die Adressat*innen dieser Angebote hat.645

637 638 639 640

641 642 643 644 645

Vgl. Kalpaka/Mecheril 2010, S. 97 Ebd. Vgl. ebd. Mecheril 2008, S. 28. Über das Verhältnis von Wissen und Nicht-Wissen s. auch Castro Varela (2002), die in Anlehnung an Spivaks (vgl. Spivak 1992) Begriff des Verlernens das NichtWissen als Instrument zur Destabilisierung hegemonialer Strukturen betrachtet. Vgl. Mecheril 2008, S. 31 Vgl. ebd., S. 25 Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 26 Vgl. ebd., S. 32

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Mecheril betont, dass sich „Kompetenzlosigkeitskompetenz“ nicht im gängigen Sinne „erwerben“, sondern in reflexiven Bildungsprozessen ausbilden lässt.646 Eine wichtige Bedingung ist hierbei jedoch die strukturelle Einbettung: Reflexionsprozesse sollen durch die Schaffung entsprechender Strukturen professionellen Handelns unterstützt werden.647 Konkret bezieht sich das auf das Vorhandensein von Orten, „die in Bezug auf Interkulturalität reflexiv und selbstreflexiv sind“648– also Orten, an denen Pädagog*innen über eigene Haltungen und vor allem über Wirkungen dieser Haltungen in den jeweiligen sozialen Kontexten nachdenken sowie Fragen formulieren können.649 3.2.4.3 Bezüge zu kulturalisierungskritischen Perspektiven in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ Im Folgenden soll am Beispiel einer Reflexion aus dem Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“650 gezeigt werden, inwiefern bzw. in welcher Form die Auseinandersetzung mit dem Konstruktcharakter von „Kultur“ und „kultureller Differenz“ sowie daran anknüpfenden ausgrenzenden Wirkungen kulturalisierender Praktiken Eingang in die Überlegungen der Teilnehmerin zum Thema „Migrationsgesellschaft“ findet. Beispiel: Reflexion II – 8 a Zunächst assoziiere ich mit dem Begriff Migrationsgesellschaft meine persönliche Identitätsbildung. Damit meine ich, dass ich selbst einen Migrationshintergrund habe und mich mein Leben lang schon mit diesem Teil auseinandersetze. Das führt mich auch zum nächsten Punkt: [I]ch muss mich damit auseinandersetzen, weil mein Umfeld mich ständig darauf hinweist, dass es etwas in meiner Geschichte gibt, dass [sic] mich anders macht, anscheinend anders als der [sic] Großteil.

646 647 648 649 650

Vgl. ebd., 33 Vgl. ebd., S. 25 Vgl. ebd., S. 33 Vgl. Brunner/Ivanova 2015, S. 23 Vgl. Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Ich verbinde [damit] allerdings auch den Begriff Realität, denn schaue ich um mich im Alltag, dann stelle ich fest[,] dass eigentlich ein sehr großer Teil [der Menschen] ebenfalls „Migrations-Erfahrungen“ [sic] gemacht hat. Es ist also etwas, das ständig präsent ist. Ungleichheit, Unverständnis und Diskriminierung auf der einen Seite und irgendwie gleichzeitig auch eine gegenläufige Bewegung: Offenheit, Integration, Bestreben nach Chancengleichheit und Bewegungen gegen Diskriminierung. Austausch, neue Möglichkeiten, neue Denkansätze. Eigentlich verbinde ich viel Positives mit dem Begriff Migrationsgesellschaft, auf einer persönlichen Ebene und in einem Hochschulkontext. Denke ich allerdings an einzelne Situationen, so sehe und meine ich immer wieder, dass zu viele Menschen nicht aufgeklärt sind und viel Handlungsbedarf besteht. Analyse/Interpretation: „Zunächst assoziiere ich mit dem Begriff Migrationsgesellschaft meine persönliche Identitätsbildung. Damit meine ich, dass ich selbst einen Migrationshintergrund habe und mich mein Leben lang schon mit diesem Teil auseinandersetze. Das führt mich auch zum nächsten Punkt: [I]ch muss mich damit auseinandersetzen, weil mein Umfeld mich ständig darauf hinweist, dass es etwas in meiner Geschichte gibt, dass [sic] mich anders macht, anscheinend anders als der [sic] Großteil.“ Am Anfang ihrer Reflexion bringt die Teilnehmerin den Begriff „Migrationsgesellschaft“ in einen unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer „persönliche[n] Identitätsbildung“ und begründet diesen mit dem eigenen Migrationshintergrund. Die unmittelbare Verknüpfung von „Migrationsgesellschaft“ und „Migrationshintergrund“ sowie das Fehlen anderer Hinweise auf die Komplexität des Begriffs (z. B. der Hinweise auf allgemeine Migrationsbewegungen, Globalisierungsfolgen etc.) macht deutlich, dass der Begriff „Migrationsgesellschaft“ von der Teilnehmerin vorrangig auf eingewanderte Personen bzw. Personen mit Zuwanderungsgeschichte bezogen wird. „Migrationsgesellschaft“ wird somit als „Migrantengesellschaft“ definiert. Die Teilnehmerin konkretisiert den Hintergrund der von ihr vorgenommenen Verknüpfung zwischen „Migrationsgesellschaft“ und ihrer persönlichen Identitätsentwicklung, indem sie angibt, dass sie sich mit dem eigenen Migrationshintergrund als Teil ihrer Persönlichkeit ihr Leben lang auseinandersetzt. Im nach-

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folgenden Satz („Das führt mich auch zum nächsten Punkt: [I]ch muss mich damit auseinandersetzen, weil mein Umfeld mich ständig darauf hinweist, dass es etwas in meiner Geschichte gibt, dass [sic] mich anders macht, anscheinend anders als der [sic] Großteil“) macht sie deutlich, dass diese Auseinandersetzung gewissermaßen erzwungen stattfindet („ich muss mich damit auseinandersetzen“), da diese durch permanente Hinweise „von außen“ initiiert wird („weil mein Umfeld mich ständig darauf hinweist“). Den „ständig[en]“ Hinweis auf ihren Migrationshintergrund durch ihr (mehrheitsgesellschaftliches) Umfeld empfindet die Teilnehmerin als eine Zuschreibung des Andersseins, wobei sie mit der Wortverbindung „anscheinend anders als der [sic] Großteil“ gleichzeitig deutlich macht, dass dieses Anderssein ihrer Meinung nach kein objektives Phänomen darstellt, sondern lediglich der Perspektive des*der Beobachters*in geschuldet ist. Dabei bleiben die Persönlichkeitsmerkmale, anhand derer die Zuschreibung der Fremdheit gegenüber der Teilnehmerin vorgenommen wird, sehr unkonkret – es geht um ein „[E]twas“ in der Geschichte der Teilnehmerin, das sie (in den Augen der Mehrheit) anders macht. Hier kommt der willkürliche Charakter von Zuschreibungen sowie die begriffliche Uneindeutigkeit und funktionale Unzulänglichkeit des Begriffs „Migrationshintergrund“ zum Ausdruck. Da diese Fremdheitszuschreibungen nicht auf objektiv unterscheidenden Merkmalen, sondern auf subtilen Abgrenzungsmustern beruhen, kann sich Teilnehmerin diesen offenbar nicht entziehen („ich muss mich damit auseinandersetzen“). Die Selektion nach dem Kriterium „Migrationshintergrund“ produziert somit eine ausgrenzende Praxis der Unterscheidung, der sich die Teilnehmerin – ungeachtet ihrer eigenen Selbstpositionierungen und Wünsche – gewissermaßen ausgeliefert sieht.651 „Ich verbinde [damit] allerdings auch den Begriff Realität, denn schaue ich um mich im Alltag, dann stelle ich fest[,] dass eigentlich ein sehr großer Teil [der Menschen] ebenfalls ‚Migrations-Erfahrungen‘ [sic] gemacht hat. Es ist also etwas, das ständig präsent ist.“ An dieser Stelle in ihrer Reflexion verweist die Teilnehmerin darauf, dass kulturelle Zugehörigkeiten nicht nur zugeschrieben, sondern gleichzeitig auch real sind. An dieser Stelle ergeben sich deutliche Parallelen zu Hamburgers652 und Mecherils653 Verständnis von Kultur als Konstrukt und Wirklichkeit zugleich.

651 652 653

Vgl. Hamburger 2009, S. 41 Vgl. ebd., S. 107 f. Vgl. Mecheril 2008, S. 31 f.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Indem die Teilnehmerin feststellt, dass ein „sehr großer“ Teil der Menschen, mit denen sie im Alltag zu tun hat, ebenso wie sie selbst über „MigrationsErfahrungen [sic]“verfügt, nimmt das ursprünglich „[S]cheinbar[e]“ und schwer Greifbare konkrete Formen an. Mit dem Resümee „Es ist also etwas, das ständig präsent ist“ betont die Teilnehmerin diesen Wirklichkeitsbezug und verweist darüber hinaus möglicherweise auch auf die Realität kultureller bzw. migrationsbezogener Unterschiede. Die Feststellung des objektiven Vorhandenseins von „Anderen“ verbindet sich in der Darstellung der Teilnehmerin mit der indirekten Positionierung des Andersseins als Teil der Normalität, womit sich nun ein Widerspruch zu der oben dargestellten Sichtweise der Mehrheitsgesellschaft ergibt. „Ungleichheit, Unverständnis und Diskriminierung auf der einen Seite und irgendwie gleichzeitig auch eine gegenläufige Bewegung: Offenheit, Integration, Bestreben nach Chancengleichheit und Bewegungen gegen Diskriminierung.“ Die Teilnehmerin thematisiert eine widersprüchliche gesellschaftliche Entwicklung, bei der sie zum einen den negativen „Ist-Stand“ („Ungleichheit, Unverständnis und Diskriminierung“) und zum anderen die gegenläufigen Bestrebungen in der gesamten Gesellschaft bzw. der Mehrheitsgesellschaft („Offenheit“ – möglicherweise für das Anderssein bzw. die Diversität, „Integration“ als Mittel der sozialen Eingliederung, „Bestreben nach Chancengleichheit“ und „Bewegungen gegen Diskriminierung“ als egalitätsorientierte gesellschaftliche Entwicklungen) identifiziert. Bezieht man diesen Abschnitt der Reflexion auf den unmittelbar vorausgehenden Kontext, in dem die Teilnehmerin über den Widerspruch zwischen der Zuschreibung von Andersheit und der allgemeinen Präsenz bzw. Normalität dieser „Andersheit“ schreibt, so kann eine deutliche Parallele zu dem dort konstruierten Gegensatz „bestehende Ungleichheit vs. Streben nach Chancengleichheit“ konstatiert werden. Offensichtlich betrachtet die Teilnehmerin die kulturalisierende Zuschreibung von Andersheit als Ausdruck einer (diskriminierenden) Ungleichbehandlung – und die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Diversität als Normalität verknüpft sie mit einer Haltung der „Offenheit“, die sich gegen diskriminierende Zustände positioniert. „Austausch, neue Möglichkeiten, neue Denkansätze. Eigentlich verbinde ich viel Positives mit dem Begriff Migrationsgesellschaft, auf einer persönlichen Ebene und in einem Hochschulkontext. Denke ich allerdings an einzelne Situationen, so sehe und meine ich immer wieder, dass zu viele Menschen nicht aufgeklärt sind und viel Handlungsbedarf besteht.“

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Die von der Teilnehmerin eingebrachten positiven Aspekte der Migrationsgesellschaft beziehen sich auf (offenbar weit gefasste) „Austausch“möglichkeiten für verschiedene Mitglieder der Gesellschaft, sowie neue Wissensbestände und Handlungsimpulse („neue Denkansätze“), die möglicherweise Folgen dieses „Austausch[s]“ sind. Diese und weitere, nicht im Einzelnen ausgeführte Aspekte („viel Positives“) – prägen die ressourcenorientierte Sichtweise der Teilnehmerin auf eine plurale Gesellschaft. Jedoch stellt die Teilnehmerin gleichzeitig einen großen Handlungs- bzw. Aufklärungsbedarf bei einem großen Teil der Gesellschaft fest – wobei es aus der Reflexion nicht deutlich wird, worauf sich dieser Bedarf konkret bezieht. Im Kontext der vorausgehenden Ausführungen der Teilnehmerin könnte es hier darum gehen, dass sich ein großer Teil der Gesellschaft („zu viele Menschen“) gegenüber anderen diskriminierend verhält, wogegen man sich positionieren muss. Da jedoch weder ausgeführt wird, welche Art Aufklärung („dass zu viele Menschen nicht aufgeklärt sind und viel Handlungsbedarf besteht“) hier nötig wäre noch wie diese zu erfolgen hat, ist es nicht möglich, diesen Abschnitt der Reflexion weiter zu konkretisieren. 3.2.4.4

Kulturalisierungs- und kompetenzkritische Perspektiven: Fazit

In diesem Kapitel wurde auf verschiedene Formen der Kulturalisierungskritik eingegangen, die, wie sich anhand exemplarischer Literaturanalysen nachvollziehen lässt, sowohl die Diskussion innerhalb der „klassischen“ interkulturellpädagogischen Ansätze nachhaltig beeinflusst haben als auch den Kern von grundlegend reflexiven Perspektiven, wie bspw. der reflexiven interkulturellen Pädagogik und Migrationspädagogik, gebildet haben. Mit Blick auf den Inhalt und den Gegenstand der Kulturalisierungskritik lassen sich zwischen den Ansätzen der interkulturellen Pädagogik, reflexiven interkulturellen Pädagogik und Migrationspädagogik bedeutende Gemeinsamkeiten feststellen. Diese beziehen sich insbesondere auf die Kritik der Diskrepanz zwischen ausdifferenzierten theoretischen Konzepten zu Kultur und kultureller Differenz und dem reduktionistischen sowie essentialisierenden Umgang mit diesen Kategorien in der interkulturell-pädagogischen Praxis. Die Suche nach Möglichkeiten, diese Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überwinden, bestimmt im Wesentlichen die aktuelle Diskussion innerhalb der interkulturell-pädagogischen Ansätze. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang, dass Versuche interkultureller Pädagogik, Kulturalisierung bei gleichzeitig beibehaltener Fokussierung auf „Kultur“ und damit einhergehender Vernachlässigung struktureller Machtverhältnisse zu überwinden, von vornherein zum Scheitern verurteilt seien. So geht mit der häufig als Lösung proklamierten Erweiterung des Kulturbegriffs zwingend eine Subsumierung

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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ausdifferenzierter gesellschaftlicher Phänomene unter dem Begriff „Kultur“ einher, die strukturtheoretisch argumentierenden Wissenschaftler*innen unangemessen erscheint.654 Die Verlegung des Fokusschwerpunktes von „Kultur“ auf „Struktur“ bzw. „strukturelle Ungleichheit“ manifestierte sich in der Etablierung neuer pädagogischer Ansätze (Migrationspädagogik, diskriminierungs- und rassismuskritische Pädagogik655). Diesen Ansätzen wohnt eine grundlegend kulturalisierungskritische Perspektive inne, die sich bedeutend von der in kulturdifferenzorientierten Konzepten geübten Kulturalisierungskritik unterscheidet: „Kultur“ wird in strukturorientierten bzw. dominanz- und diskriminierungskritischen Konzepten nicht als real existierendes Phänomen, sondern ausschließlich als Instrument zur Konstruktion von Unterschieden und Legitimation von Ungleichbehandlungen analysiert.656 Dementsprechend wird nicht die Frage der Bestimmung und angemessenen Erfassung des Kulturellen, sondern die Analyse dessen, „unter welchen – gesellschaftlichen, institutionellen, interaktionellen – Bedingungen ‚Kultur‘ zum Einsatz kommt“657 bzw. welche Selbstverständlichkeiten bezüglich „Kultur“, „kultureller Differenz“, „kultureller Identität“ die pädagogische Praxis bestimmen,658 zum zentralen Forschungsziel. Als „Zwischenposition“ zwischen dem kulturtheoretischen und strukturtheoretischen Pol kann Hamburgers Konzept reflexiver Interkulturalität angesehen werden. Zur Beschreibung und Einordnung migrationsgesellschaftlicher (bei Hamburger „einwanderungsgesellschaftlicher“) Phänomene schlägt der Autor ein flexibles analytisches Vorgehen vor, bei dem „Kultur“ je nach Kontext als Orientierungs- und Identifikationskategorie (und somit als Lebenswirklichkeit) von Personen und Personengruppen oder als Mittel zur Produktion von strukturellen Ausgrenzungen fokussiert wird. Der Begriff der Reflexivität bezieht sich bei Hamburger somit vordergründig auf die Frage, wann welche Fokussierung vorgenommen werden sollte. Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, können von Pädagog*innen Maßnahmen verschiedener Art angeleitet werden.

654 655

656 657 658

Vgl. Mecheril 2004, S. 17 Vgl. dazu Kapitel 3.2.6.2 „Leitmotiv: Rassismus als konstitutives Merkmal (post-)moderner (Migrations-)Gesellschaften; Bezugskategorie: Rassismuskritik“ Vgl. bspw. Mecheril 2008, S. 26 Kalpaka/Mecheril 2010 S. 93 Vgl. Kalpaka/Mecheril 2010 S. 93

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Stärker als reflexive interkulturelle Pädagogik verfolgt Migrationspädagogik das Vorhaben, Verknüpfungen von Kultur und Macht transparent zu machen und eine durchgehend kritische (Selbst-)reflexionsperspektive bei Pädagog*innen zu stärken. Die Kritik bezieht sich somit auf diskriminierende Wirkungen machtvoller Strukturen, die bspw. in der Kulturalisierung, Essentialisierung und einer reduktionistischen Kategorisierung von „zu Gruppen gemachten Gruppen“659 zum Tragen kommen. Daran knüpft auch die Kritik des interkulturellen Kompetenzkonzeptes an, die sich in der Ablehnung jeglicher „einfacher“ professioneller Handlungsrezepte äußert und ein grundlegend reflexives Verhältnis zu dem eigenen professionellen Handeln, seinen Bedingungen und Folgen sowie die Schaffung entsprechender reflexionsfördernder Strukturen einfordert.660 Migrationspädagogik grenzt sich somit entschieden gegenüber kulturtheoretischen Argumentationen ab und wendet sich einer durchgehend strukturorientierten und strukturkritischen Analyseperspektive zu. Am Beispiel der Reflexion einer Teilnehmerin im Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ konnte die ausgrenzende Problematik kulturalisierender mehrheitsgesellschaftlicher Praktiken aufgezeigt werden. Anhand der Reflexion lässt sich die Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Entwicklungen im Umgang mit diesen Ausgrenzungen sowie die Widersprüchlichkeit in der eigenen Wahrnehmung der Teilnehmerin (Differenz als konstruiert und gleichzeitig als real) nachvollziehen. Durch die Feststellung dieser Widersprüchlichkeit stellt die Teilnehmerin eine Verknüpfung zu wissenschaftlichen Diskursen her, die Kultur als gesellschaftliches Konstrukt fassen, welches reale Wirkungen produziert. Des Weiteren fällt auf, dass die Teilnehmerin an keiner Stelle der Reflexion eine reduzierende Beschreibung der gesellschaftlichen Diversität als kultureller Diversität vornimmt – selbst der assimilatorisch aufgeladene Begriff „Integration“ wird von der Teilnehmerin bei der Schilderung egalitätsorientierter Bewegungen eingesetzt. Jedoch lässt sich die Position der Teilnehmerin zu mehrheitsgesellschaftlicher Dominanz aufgrund z. T. sehr vager Formulierungen nicht bestimmen, weshalb auch nur von Anzeichen für eine kulturalisierungskritische Orientierung der Reflexion, und nicht von einer grundlegend kritischen Haltung im Sinne von bspw. Migrationspädagogik gesprochen werden kann.

659 660

Messerschmidt 2015, S. 7 Mecheril 2008, S. 25

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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3.2.4.5 Leitmotiv: Differenz/Diversität im Kontext der (gesamt-) gesellschaftlichen Diversität; Bezugskategorie: Analyse und Berücksichtigung vielfältiger Differenzlinien in der Gesellschaft Dieses Kapitel befasst sich mit Konzepten, die Differenz und Diversität nicht einseitig auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeiten, sondern auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext beziehen und dementsprechend verschiedene (interagierende) Differenzkategorien sowie die Bedingungen ihrer Konstruktion untersuchen. Im Fokus stehen Intersektionalitäts- und Diversity-Paradigmen und daran anknüpfende pädagogische bzw. erziehungswissenschaftliche Ansätze. Diese sollen exemplarisch vorgestellt und sowohl im Hinblick auf die forschungstheoretische Ausrichtung als auch mit Bezug auf mögliche Implikationen für die Praxis verglichen werden. Intersektionalitätsansatz Das Konzept der Intersektionalität liefert ein Instrumentarium für die Erklärung des interdependenten Zusammenwirkens verschiedener Differenzkategorien in einer von Machtasymmetrien geprägten Gesellschaft. Die Hauptthese von Intersektionalität besteht darin, dass sozial konstruierte, hierarchisch angeordnete und gesellschaftlich wirksame soziale Kategorien wie bspw. ethnische Zugehörigkeit, Gender oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse nicht getrennt voneinander, sondern gleichzeitig zusammenwirken, und dementsprechend auch nicht additiv, sondern in der Gesamtheit ihrer Interaktionen, Verbindungen und Überkreuzungen („intersections“) betrachtet werden sollen.661 Dabei stehen materielle, soziale und individuelle Effekte des Zusammenwirkens zwischen verschiedenen Differenzkategorien, die durch bestehende Dominanz- und Ungleichheitsverhältnisse hervorgebracht bzw. beeinflusst werden, im Fokus.662 Nach einem knappen Überblick über die Herkunft der Intersektionalitätsforschungsansätze und die aktuelle Diskussion im deutschsprachigen Raum soll im Folgenden mit Hinblick auf das Thema der vorliegenden Dissertation exemplarisch auf die aus Sicht dieser Arbeit besonders relevanten Implikationen des Intersektionalitätsansatzes für die Theorie und Praxis interkultureller bzw. migra-

661 662

Vgl. Walgenbach 2012 a, S. 81 Vgl. Riegel 2012, S. 41

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tionsgesellschaftlicher Bildung eingegangen werden. Dabei ist die Frage zentral, welche Phänomene und Prozesse aus Sicht der Intersektionalitätsforschung bei der Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Migration und Interkulturalität in der Bildung“ berücksichtigt werden sollen bzw. welche konkreten Anforderungen an die pädagogische Praxis damit einhergehen.

Ursprung und Entwicklung in Deutschland Die Ursprünge der intersektionalen Perspektive liegen in feministischen Diskussionen der 1970er und 1980er Jahre, speziell im Black Feminism.663 Den Ausgangspunkt der Diskussion bildete die Kritik von Frauen of Color am Weißen, bürgerlichen Feminismus, welcher ausschließlich Ungleichheitserfahrungen Weißer Mittelschichtsfrauen thematisiert hat und daher und im Hinblick auf die Position von Frauen mit anderen Zugehörigkeiten als ausgrenzende Praxis problematisiert wurde.664 Erste theoretische Impulse für das Intersektionalitätskonzept lassen sich im Black Feminist Statement (1977) des Combahee River Collectives identifizieren.665 Das Combahee River Collective, eine lesbischsozialistische Vereinigung Schwarzer Frauen, analysierte die Situation Schwarzer Frauen in der gleichzeitigen Wirkung von Rassismus, Sexismus, Homophobie und sozialer Ungleichheit und vertrat u. a. die These, dass eine Schwarze Frau in den USA nicht zuerst als Schwarze oder Frau und dann als Lesbe oder Arbeiterin diskriminiert wird, sondern dass all diese Kategorien gleichzeitig wirken.666 In die wissenschaftliche Diskussion fand der Begriff der Intersektionalität („Intersectionality“) jedoch erst Eingang, als die Schwarze USamerikanische Juristin und Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw im Jahr 1989 in ihrer Publikation zu Black Feminist Critique auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung von sich überkreuzenden Diskriminierungserfahrungen Schwarzer Frauen hingewiesen hat.667 Ihr Verständnis von Intersektionalität macht Crenshaw anhand der Metapher einer Straßenkreuzung deutlich:

663 664 665 666 667

Vgl. bspw. Collins 1991 Vgl. Riegel 2012, S. 42; vgl. Lutz/Herrera Vivar/Supik 2010, S. 10 Vgl. Combahee River Collective 1977 Vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999, S. 33 Vgl. Crenshaw 1989

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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„The point is that Black women can experience discrimination in any number of ways and that the contradiction arises from our assumptions that their claims of exclusion must be unidirectional. Consider an analogy to traffic in an intersection, coming and going in all four directions. Discrimination, like traffic through an intersection, may flow in one direction, and it may flow in another. If an accident happens in an intersection, it can be caused by cars traveling from any number of directions and, sometimes, from all of them. Similarly, if a Black woman is harmed because she is in an intersection, her injury could result from sex discrimination or race discrimination. “668 So anschaulich diese Metapher auch ist, erscheint es angesichts Crenshaws umfangreicher einschlägiger Themenanalysen angemessen, theoretische Implikationen des Intersektionalitätskonzepts nicht ausschließlich darauf zu reduzieren. Walgenbach (2012b) arbeitet anhand von Crenshaws Publikationen weitere relevante Bedeutungsebenen von Intersektionalität heraus:669 -

-

-

Zum einen verweist Intersektionalität auf die Überkreuzungen von Differenzkategorien und Herrschaftsstrukturen (race/gender und racism/sexism). Deutlich wird dies bspw. in Formulierungen wie „intersectional subordination“ oder „structural intersectionality“.670 Mit den Begriffen wie „intersectional locations“671 oder „intersectional experiences“672 kommt der Bezug von Intersektionalität auf die „Konzeptualisierung der sozialen Position Schwarzer Frauen innerhalb sich überlappender Systeme (overlapping systems) von Subordinationen und am Rande von Feminismus und Antirassismus“673 zum Ausdruck. Schließlich kann Intersektionalität im Sinne eines politischen Identitätskonzeptes gefasst werden, welches mehrere Zugehörigkeiten berücksichtigt, vgl. den Begriff der „multiple identities“.674

Als zentrale Differenzkategorien, mit denen der Intersektionalitätsansatz operiert, wurde ursprünglich die Trias race – class – gender (Klasse, „Rasse“, Ge-

668 669 670 671 672 673 674

Crenshaw 1989: 149 Vgl. Walgenbach 2012 b Crenshaw 1995, S. 358 und 159, zit. n. Walgenbach 2012 b Ebd., S. 367, zit. n. Walgenbach 2012 b Ebd., S. 315, zit. n. Walgenbach 2012 b Walgenbach 2012 b Vgl. Crenshaw 1995, S. 358, zit. n. Walgenbach 2012 b

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schlecht) kategorisiert. Mit der Übertragung des Ansatzes in den deutschsprachigen Raum675 wurde die Trias jedoch kritisch hinterfragt. Die Kritik bezog sich zum einen auf die Übertragbarkeit der Kategorie „race“, die, so die Kritiker*innen, aufgrund unterschiedlicher historischer Entwicklungen und (macht)politischer Prägungen nicht mit dem Konzept der „Rasse“ gleichgesetzt werden könne. Als geeignete Kategorie wurde deshalb die Kategorie „Ethnie“ vorgeschlagen, die nicht nur auf phänotypische, sondern auch auf religiöse, nationale und kulturelle Zuschreibungen verweisen kann.676 Zum anderen wurde die Frage diskutiert, welche weiteren Analysedimensionen außer der o. g. Trias für das Konzept relevant sein können bzw. sollten.677 Diskutiert wurde u. a. die Erweiterung der Trias um die Kategorie Sexualität678 oder „Körper“ (gemeint werden dabei körperliche Merkmale wie Alter, Attraktivität, Gesundheit und der körperliche Zustand, entlang derer ebenfalls gesellschaftliche Ein- und Ausschlussprozesse verlaufen).679 Prominent in der deutschsprachigen Diskussion ist die Arbeit von Lutz und Wenning (2001),680 in der von ganzen 13 Differenzlinien gesprochen wird: Geschlecht, Rasse“/Hautfarbe, Ethnizität, Nation/Staat, Kultur, Klasse, Sexualität, Gesundheit, Alter, Herkunft, Besitz, Nord- Süd/Ost- West, gesellschaftlicher Entwicklungsstand.681 Festzuhalten bleibt mit Blick auf den aktuellen Stand der Intersektionalitätsforschung, dass die Berücksichtigung mehrerer Kategorien zwar ein common sense in der Diskussion darstellt, jedoch die Frage nach Auswahl und Anzahl der zu berücksichtigenden Kategorien bisher nicht gelöst werden konnte.682

675

676 677 678 679 680 681 682

Walgenbach (2012 b) macht darauf aufmerksam, dass Intersektionalitätsdebatten nicht ausschließlich als US-Import diskutiert werden dürfen, da bspw. in der BRD Schwarze Deutsche, Migrantinnen, jüdische Frauen und Frauen mit Behinderungen wichtige Impulsgeberinnen des Intersektionalitätsparadigmas waren (für einen detaillierten Überblick vgl. bspw. Walgenbach 2007, S. 27 ff.) Vgl. Winker/Degele 2009, S. 14 Vgl. ebd., S. 15 ff. Vgl. Verloo 2006 Vgl. Winker/Degele 2009, S. 206 Vgl. Lutz/Wenning 2001 Vgl. ebd., S. 20 f. Vgl. Winker/Degele 2009, S. 15

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Forschungstheoretische Implikationen des Intersektionalitätskonzeptes am Beispiel der migrationspädagogischen Diskussion um „Zugehörigkeiten“ Migrationspädagogische Ansätze greifen auf das Konzept der Intersektionalität zurück, indem sie verschiedene Funktions- und Wirkungsweisen gesellschaftlicher Zugehörigkeitsordnungen untersuchen. Dabei wird von der Grundthese ausgegangen, dass vielfältige Zuordnungen der Individuen zu verschiedenen Kategorien (z. B. Geschlecht/Gender, Ausbildungsgrad, Religion, sexuelle Orientierung, regionale und nationale Herkunft, Sprache(n), kultureller/ethnischer Hintergrund, Arbeit/Beruf, soziales Engagement, politische Ausrichtung, gesellschaftlicher Status, juristischer Status) durch gesellschaftliche Ein- und Ausschlussmechanismen hervorgebracht bzw. wesentlich beeinflusst werden. Selbstund Fremdverständnisse der Individuen werden in der Migrationspädagogik als durch natio-ethno-kulturell kodierte Zugehörigkeits- und Nichtzugehörigkeitsordnungen vorstrukturiert begriffen, die wiederum mit anderen Ordnungen, wie bspw. Geschlechterordnungen intersektional verschränkt sind.683 Entsprechend der grundlegenden These des intersektionellen Paradigmas gehen migrationspädagogische Konzepte davon aus, dass Kategorien, entlang derer die Zugehörigkeitsordnungen gebildet werden, nicht einfach „gegeben“ sind, sondern aus Unterscheidungspraxen in der sozialen Interaktion hervorgehen.684 Somit stellen „Zugehörigkeiten“, „Nichtzugehörigkeit(en)“ oder Mehrfachzugehörigkeit(en)685 keine statischen Eigenschaften von Personen und Personengruppen dar, sondern sind als Ergebnis eines kontinuierlichen Zuschreibungs- und Aushandlungsprozesses in einer von (Deutungs-)Machtasymmetrien geprägten Gesellschaft zu verstehen.

683 684 685

Vgl. Mecheril 2016, S. 20 Vgl. Thompson 2016, S. 68 Oft wird der Begriff der Mehrfachzugehörigkeiten benutzt, um eine Erscheinung zu beschreiben, bei der man sich nicht nur einem, sondern zwei oder auch mehreren natio-ethno-kulturellen Systemen zugehörig fühlt (vgl. Mecheril 2003, Kap. IV; Mecheril et al. 2010, S. 13). Der aktuelle Stand der Forschung betont v. a. ressourcenorientierte Perspektiven auf solche Zugehörigkeiten, vgl. z. B. das Konzept des „Dritten Stuhls“ von Badawia (vgl. Badawia 2002), welches eine alternative Sichtweise auf Zugehörigkeiten postuliert, die dem gängigen „Entweder-Oder“ ein „Sowohl-als auch“ gegenüberstellt. Diese Identitätsposition ermöglicht den Personen, Elemente mehrerer kultureller Systeme zu verbinden und kreativ, aktiv und produktiv mit eigenen Zugehörigkeiten umzugehen (vgl. Brunner/Ivanova 2015, S. 204) In diesem Dissertationsabschnitt werden Mehrfachzugehörigkeiten jedoch weiter als natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeiten gefasst und beziehen sich auch auf kulturunabhängige gesellschaftliche Kategorien.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Der Begriff „Zugehörigkeitsordnung“ bezieht sich somit auf gesellschaftliche Strukturen, „die durch eine komplexe Form der Ermöglichung und Reglementierung, der symbolischen, kulturellen, politischen und biographischen Einbeziehung und Ausgrenzung auf Individuen produktiv Einfluss nehmen.“686 Der machtvolle Charakter der Zugehörigkeitsordnungen ergibt sich aus politischen und gesellschaftlichen Dominanzzusammenhängen, die in ihrem Einflussbereich habitualisierende, normierende, disziplinierende und zwangsläufig auch in- und exklusive Wirkungen entfalten.687 Migrationsgesellschaftliche Ausdifferenzierungsprozesse, die die Festlegung symbolischer Grenzen der Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit beeinflussen,688 werden somit in erster Linie als intersektional wirkende Dominanzprozesse gedeutet.689 Dementsprechend wird eine Forschungsperspektive eingenommen, die darauf abzielt, „herauszuarbeiten, wie Unterschiede praktisch hervorgebracht und mit Geltung versehen werden.“690 Daran knüpft die Forderung an, die gesellschaftliche Herstellung der Zugehörigkeitsordnungen in ihrer (historischen) Entwicklungsdynamik zu untersuchen. Konkret wird dann bspw. die in Deutschland stark ausgeprägte Tendenz zu einer nicht-ganzheitlichen, segmentierten Wahrnehmung, Vereinfachung und Vereindeutigung von Identitäten und Zugehörigkeiten691 aus historischer Sicht hinterfragt und der historische Verlauf der Nationalstaatsbildung in Deutschland sowie dessen Auswirkungen auf Vorstellungen eines ethnisch und kulturell homogenen „Wir“ im kollektiven Gedächtnis und Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft analysiert.692 Auch synchrone Analysen aktueller Diskurse zu intersektioneller Diskriminierung (z. B. intersektionelle Verknüpfungen von Rassismus und Sexismus)693 oder Rassismus (bspw. als Produktion von ausgrenzenden Zugehörigkeitsordnungen entlang der Differenzkategorien „Sprache“ und „Hautfarbe“)694 werden – wenn auch zögerlich695 – forschungstheoretisch angegangen.

686 687 688 689 690 691 692 693 694 695

Mecheril et.al. 2013, S. 28 Vgl. ebd. Vgl. Mecheril et al. 2010, S. 12 Vgl. Mecheril et al. 2013, S. 28 Thompson 2016, S. 68 Vgl. Messerschmidt 2012, S. 1; Messerschmidt 2014 a, S. 110 Vgl. Messerschmidt 2012 Vgl. Leiprecht 2016, S. 239 Vgl. Dirim 2016, S. 322 Vgl. Melter/Schäfferling 2016, S. 290

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

189

Forschungspraktische Implikationen des Intersektionalitätsansatzes Forschungspraktische Implikationen aus dem intersektionellen Ansatz ergeben sich aus der Forderung, mittels intersektioneller Analysen mehrdimensionale Diskriminierungserfahrungen angemessen zu erfassen bzw. die unterschiedlichen Wirkungsebenen von Diskriminierungsprozessen transparent zu machen,696 um daraufhin praktische Maßnahmen zu konzipieren, die die Komplexität von Ausgrenzungs- und Diskriminierungsmechanismen umfassend berücksichtigen können. So ergibt sich bspw. bezogen auf das Thema Benachteiligung von Trans*Personen die Forderung an die Wissenschaft, nicht ausschließlich die für diese Gruppe „spezifischen“ Diskriminierungserfahrungen zu untersuchen, sondern auch die Tatsache zu beachten, dass Trans*personen überdurchschnittlich häufig von Arbeitsverlust, Arbeitslosigkeit sowie Armut betroffen sind. Diese Erkenntnis macht Präventionsprogramme nicht nur auf der Ebene der Einstelllungen (transphoben Verhaltensweisen entgegenwirken), sondern auch auf der strukturellen Ebene notwendig (Benachteiligungen durch institutionalisierte Umgangsweisen mit Transgeschlechtlichkeit).697 Ähnliche Fokussierungen gilt es im Kontext (Schul-)Bildung vorzunehmen: Das Bildungssystem soll mehrdimensional im Hinblick auf diskriminierende Wechselwirkung von Differenzlinien Geschlecht, soziale Lage, Behinderung und Migrationshintergrund – also denjenigen Differenzlinien, die laut Ergebnissen verschiedener internationaler Vergleichsstudien eine benachteiligende Wirkung in allen europäischen Bildungssystemen entfalten698 – analysiert werden. Die Tendenz zu einer isolierenden Betrachtung von Ungleichheitslinien, die insbesondere nach PISA deutlich wurde,699 ist entsprechend zu kritisieren. Einen wichtigen Implikationsbereich des Intersektionalitätskonzeptes in der Migrationspädagogik stellt die Analyse des Zusammenwirkens gesellschaftlicher

696 697 698 699

Vgl. Adusei-Poku 2012, S 47 Vgl. Franzen/Sauer 2010, S. 5 Vgl. Schroeder 2010, S. 171 Verschiedene Interpretationen v. a. der ersten PISA-Ergebnisse betonen den Umstand, dass Schüler*innen an Schulen mit einem hohen „Migrationsanteil“ einen Leistungsrückstand gegenüber Schüler*innen an Schulen mit national-ethnisch homogener Zusammensetzung aufweisen. Dabei wird jedoch häufig nicht beachtet, dass bei zusätzlicher Berücksichtigung der sozioökonomischen Lage der gesamten Schüler*innenschaft und der damit verbundenen ungünstigen Eingangsvoraussetzungen der Effekt des Anteils an Jugendlichen mit Migrationshintergrund deutlich geringer wird (vgl. Quehl 2010, S. 196).

190

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Dominanzstrukturen im pädagogischen Alltag dar. Dies lässt sich an dem (nach wie vor aktuellen) Beispiel der Diskussionen um das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen veranschaulichen: Aus Sicht des Intersektionalitätskonzepts sind in den Diskursen, die für das Kopftuchverbot für Lehrerinnen plädieren, gleichzeitig die Kategorien Geschlecht, Religion, ethnische Herkunft und Beruf (bzw. die damit verbundene soziale Stellung) bedeutsam – denn erst das Kopftuch der Lehrerinnen löste Debatten aus, während das Kopftuch der Reinigungskräfte nicht als Störfaktor wahrgenommen wurde.700 Hier kann intersektionelles Vorgehen Versuche offenlegen, die Ausgrenzung und Benachteiligung einer bestimmten Personengruppe zu vermeiden, indem gleichzeitig eine andere Personengruppe benachteiligt oder gar instrumentalisiert wird.701 Bezogen auf das Beispiel des Kopftuchverbots für Pädagoginnen an öffentlichen Schulen werden die Kopftuchträgerinnen als negatives Vorbild für Schüler*innen dargestellt. Unter dem Vorwand der Ablehnung von nichtemanzipatorischen Symbolen wird aber gleichzeitig die emanzipatorische Vorbildfunktion einer Frau, die studiert hat, berufstätig ist und der Bildung eine hohe Bedeutung beimisst, verneint bzw. abgesprochen. Des Weiteren wird das Problem der Geschlechterdiskriminierung kulturalisiert bzw. exotisiert, weil die Tatsache ignoriert wird, dass Sexismus, geschlechtsbezogene Vorurteile und Unterdrückung auch in nicht-muslimischen Gesellschaften bzw. in der „deutschen“ Mehrheitsgesellschaft ernst zu nehmende Probleme sind.702 Ein weiteres Beispiel aus dem pädagogischen Kontext betrifft das Problem der einseitigen Deutung von schwierigen (Kommunikations-)Situationen (mit Schüler*innen und/oder ihren Eltern) durch Lehrkräfte. Studien belegen, dass Pädagog*innen in ihrer Praxis auffällig häufig auf kulturalistische Deutungsmuster zurückgreifen, die die gesellschaftliche Diskussion um „Migration“ und „Interkulturalität“ entscheidend prägen.703 Z. B. tendieren Lehrer*innen bei der Auseinandersetzung mit dem Problem der Homophobie in der Klasse dazu, homophobe Sichtweisen einseitig auf den (angenommenen) ethnischen bzw. religiösen Hintergrund der Schüler*innen zurückzuführen. Gleichzeitig verweisen wissenschaftliche Untersuchungen darauf, dass eine Orientierung am „Leitbild hegemonialer Männlichkeit“704 und die damit verbundene Abwehr der als „unmänn-

700 701 702 703 704

Vgl. Baer et al. 2010, S. 7 f. zit. n. Adusei-Poku 2012, S. 50 Vgl. Adusei-Poku 2012 S. 50 Vgl. Baer et al. 2010, S. 7 f., zit. n. Adusei-Poku 2012, S. 50 Zum Überblick vgl. Ivanova/Kollmannsberger/Kiel 2017 Kastirke/Holz 2010, S. 148

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

191

lich“ wahrgenommenen Lebensformen gerade für Schüler*innen, die in ihrem Alltag Erfahrungen von Ausschluss und Diskriminierung machen (z. B. Schüler*innen mit Behinderungen oder Schüler*innen mit Migrationshintergrund), als Mittel zur Erlangung der gesellschaftlich akzeptierten „Normalität“ gilt. Homophobie bietet, da diese nach wie vor als „unnormal“ gilt, einfache Möglichkeiten des Anschlusses an die deutsche Mehrheitsgesellschaft über die gemeinsame Konstruktion des Anderen.705 Vorrangig zu thematisieren sind deshalb nicht die Sichtweisen auf Homogenität in bestimmten Kulturen oder Religionen, sondern gesamtgesellschaftliche Normierungsprozesse und damit einhergehende Ausgrenzungen, die sich auf verschiedene Weise äußern können. Diversity-Ansätze Diversity-Ansätze gehen ursprünglich aus der Politik der Affirmative Action706 in den USA hervor, die ihre Wurzeln in den Menschenrechtsbewegungen der 1960er Jahre hatte. Die Programmatik von Diversity, die durch einen wertschätzenden und fördernden Umgang mit benachteiligten Sozialkategorien gekennzeichnet ist, hat als Zielsetzung zunächst Eingang in den Bereich der Organisationsentwicklung von (global agierenden) Unternehmen gefunden, wo sie bis heute zentral bleibt. Mit der Aufnahme der Perspektive „Diversity“ in das eigene Leitbild geht für die Unternehmen eine doppelte Aufmerksamkeit einher: Auf der einen Seite rückt die Wahrnehmung und Anerkennung von verschiedenen menschlichen Persönlichkeiten, Hintergründen und Lebensformen und auf der anderen Seite der Abbau von Diskriminierungen, die entlang der Kategorien wie „Ethnie“, Nationalität, Kultur, Geschlecht/Gender, soziale Schicht, Behinderung u. a. verlaufen, in den Vordergrund. Durch diese Differenz- und Diskriminierungssensibilität sollen Grundlagen für ein anerkennendes, gleichberechtigungsorientiertes Arbeitsumfeld geschaffen werden, das eine produktive Nutzung von Personalressourcen ermöglichen soll.707 Auch im Bereich der sozialen Arbeit und Pädagogik bezieht sich DiversityPerspektive stark auf eine ressourcen- und gleichstellungsorientierte institutionelle Entwicklung. Jedoch kann der Diversity-Ansatz in der Pädagogik nicht nur

705 706

707

Vgl. ebd., S. 148 f. Zur Geschichte der Affirmative Action vgl. bspw. Anderson 2005; zum Überblick über die aktuellen Zielsetzungen vgl. Crosby/Iyer/Sincharoen 2006 Vgl. Auernheimer 2012, S. 44

192

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

als eine Entwicklungsrichtlinie für die Praxis, sondern durchaus auch als „eine pädagogische Meta-Perspektive“708 beschrieben werden, „die Reflexionsmechanismen bezüglich des Umgangs mit eigenen wie auch gesellschaftlichen Identitätskonstruktionen, sozialen und kulturellen Hintergründen sowie Dominanzverhältnissen in Gang setzt.“709 Im Folgenden soll exemplarisch auf die Ansätze der Pädagogik der Vielfalt und Heterogenitätsforschung eingegangen werden. Diese werden in der vorliegenden Dissertation als praxisnahe Konzepte betrachtet, die konkrete Antworten auf die mit der allgemeinen Meta-Perspektive „Diversity“ einhergehenden theoretischen Impulse bieten. Dabei ist zu bedenken, dass das Diskursfeld zu Vielfalt, Heterogenität und Diversity durch eine hohe Begriffsduffusion und z. T. widersprüchliche konzeptuelle Zuordnungen geprägt ist, weshalb keine trennscharfen Abgrenzungen der einzelnen Konzepte bzw. Ansätze voneinander möglich erscheinen. Es wären deshalb weitere kontext- und anwendungsbezogene Analysen zum Verhältnis von internationalen Diversity Education-Konzepten und der Pädagogik der Vielfalt sowie Heterogenitätsforschung im deutschsprachigen Raum notwendig.710

Pädagogik der Vielfalt Dem von Annedore Prengel entwickelten und 1993 erstmals vorgestellten Konzept der Pädagogik der Vielfalt liegt die Idee der Gleichberechtigung von Verschiedenem zugrunde, die sich wesentlich an dem Postulat der egalitären Differenz bzw. der Gleichheit in Verschiedenheit orientiert. Mit dem Begriff der Gleichheit soll nicht (nur) eine gegebene Realität als „eine Form der Übereinstimmung zwischen Verschiedenen“711, sondern vielmehr ein Ziel der pädagogischen Bemühungen bezeichnet werden: „Grundsätzlich verschieden[e] [Personen] sollen in einer bestimmten Hinsicht als gleich betrachtet oder behandelt werden“712.

708 709 710

711 712

Auernheimer 2012, S. 45, in Anlehnung an Hormel/Scherr 2004, S. 207 Ebd. Anschlüsse über mögliche Zuordnungsmöglichkeiten finden sich bspw. bei Schür 2013, S. 120; Pates/Schmidt/Karawanskij/Liebscher/Fritzsche 2010, S. 96; Auernheimer 2012, S. 45 Prengel 2006, S. 30 Ebd., S. 9

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

193

Differenz und Gleichheit werden in Prengels Konzept als eng miteinander verbundene bzw. sich gegenseitig bedingende Phänomene verstanden: „Differenz ohne Gleichheit bedeutet gesellschaftliche Hierarchie, kulturelle Entwertung, ökonomische Ausbeutung. Gleichheit ohne Differenz bedeutet Assimilation, Anpassung, Gleichschaltung, Ausgrenzung von `Anderen`.“713 Gleichheit ohne Offenheit für Vielfalt würde nach Prengel folglich einer ausgrenzenden Gleichschaltung ähneln, während Vielfalt ohne Gleichheit eine hierarchische Unterdrückung des Verschiedenen bedeuten würde.714 Daraus leitet Prengel ab, dass die Entscheidung, wo eine Gleichbehandlung stattfinden soll und wo Verschiedenheit Rechnung zu tragen ist, nie den Allgemeingültigkeitsanspruch besitzen darf, sondern lediglich im konkreten Fall, ausgehend von konkreten Bedingungen gefällt werden kann.715 Da der Begriff „Gleichheit“ in Prengels Deutung eng mit dem Freiheitsbegriff verbunden ist, soll die Zielsetzung der Pädagogik nach dem Konzept der Pädagogik der Vielfalt von jeglichem Zwang z. B. in Form von restriktiven Vorgaben über den „richtigen Weg“ absehen.716 Stattdessen sollen Individuen Freiräume für die Entwicklung eigener Sichtweisen auf Diversität eröffnet werden.717 Prengels Diversitätsbegriff bezieht sich im Wesentlichen auf die Kerndimensionen der Diversität, wie diese u. a. in der Intersektionalitätsforschung und angloamerikanischen Diversity-Konzepten diskutiert wurden.718 Ausgehend von den Kernkategorien Kultur, Geschlecht und Behinderung unternimmt Prengel eine vergleichende Analyse der interkulturellen Pädagogik, der feministischen Pädagogik und der integrativen (inklusiven) Pädagogik mit dem Ziel, ein umfassendes pädagogisches Konzept zu entwickeln, welches den o. g. Arten von Diversi-

713 714 715 716

717 718

Ebd., S. 184 Vgl. Prengel 2007 Prengel 2006, S. 9 In diesem Zusammenhang kritisiert Prengel bspw. die restriktive feministische Herangehensweise, die berufliche Erfüllung und Selbständigkeit/Unabhängigkeit als Ziel der feministischen Pädagogik hervorhebt und dabei die vielfältig unterschiedlichen Lebensweisen und Ziele der Frauen außer Acht lässt oder gar abwertet. Prengels Vorschlag ist daher, „die ganze Bandbreite der Emanzipationswege, die Frauen kreieren“ (Prengel 2006, S. 132) als gleichberechtigt anzuerkennen – u. a. auch die Tatsache, dass „einige Frauen z. B. im Arbeitsfeld Schule mit Kindern praktisch tätig sein wollen, andere als Schulleiterin, Schulrätin usw. arbeiten wollen, andere sich ausschließlich der Hausarbeit und Kindererziehung in einer eigenen Familie widmen wollen und den Beruf aufgeben, wieder andere Kinder erziehen und erwerbstätig sein wollen.“ (ebd.) Vgl. Prengel 2006, S. 138 Vgl. Abdul-Hussain/Hofmann 2013

194

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

tät gleichermaßen gerecht werden soll.719 Die Grundlage dieses Konzeptes bildet der umfassende, von Prengel u. a. als „demokratisch“ charakterisierte Differenzbegriff, dessen Prämissen wie folgt zusammenfasst werden können:720 -

Zum einen soll sich der demokratische Differenzbegriff gegen Hierarchien und somit gegen jegliche Legitimation von Unterdrückung, Ausbeutung, Entwertung und Ausgrenzung durch Differenzen wenden.

-

Der Differenzbegriff soll auf starre, binäre Gegensatzkonstruktionen (Symmetrie, Polarität, Komplementarität) verzichten und eine Offenheit für die innere Heterogenität schaffen.

-

Bei der Diskussion um Differenz sollen unterschiedliche Ebenen der Differenz unbedingt beachtet werden: Es gilt, nicht nur die Makroebene (z. B. Geschlechterdifferenz), sondern auch die Mikroebene zu beachten (z. B. die individuellen Persönlichkeitsunterschiede und die innerpsychische und somatische Heterogenität verschiedener Persönlichkeitsanteile).

-

Bei der Diskussion um kollektive Differenzen ist insbesondere auf den Konstruktionscharakter dieser Kollektive zu achten, um essentialisierende „Wesens“zuschreibungen zu vermeiden. Der Differenzbegriff bezieht sich also auf die soziokulturelle Differenz im Sinne des unterschiedlichen Umgangs mit sozialen Erfahrungen.

-

Differenz zeichnet sich durch eine hohe Dynamik aus und bezieht sich somit immer auf veränderbare Bilder und Erfahrungen.

-

Differenz kann nur in ihrer historischen Entwicklung begriffen werden.

-

Differenz ist nicht einfach immer gegeben, sondern entsteht zwingend durch vielfältige Ausgrenzungs- und Unterdrückungsprozesse, z. B. wenn die von der Norm abweichenden Differenzformen verdrängt, ausgegrenzt oder entwertet werden. Deshalb soll Differenz als eine „Option gegen Hegemonie“721 immer zur Sprache gebracht und in ihrem Wert anerkannt werden.

719 720

721

Vgl. Prengel 2006, S. 12 f. Im Folgenden zusammengefasst nach dem Abschnitt „Annäherung an einen demokratischen Differenzbegriff oder: Versuch, Erkenntnisse aus drei pädagogischen Reflexionsfeldern zusammenzudenken“, vgl. Prengel 2006, S. 181 ff. Prengel 2006, S. 183

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

195

-

Diese Anerkennung soll jedoch nicht mit einer Idealisierung des Anderen verwechselt werden. Der Anspruch auf Anerkennung der Differenz bedarf keiner Legitimation durch z. B. moralische Überlegenheit oder unwidersprüchliches Handeln.

-

Es gilt anzunehmen, dass eine inhaltliche Beschreibung der Differenzphänomene aufgrund deren Veränderbarkeit nur „fragmentarisch, unvollendet und begrenzt“722 erfolgen kann. Sämtliche Phänomenbeschreibungen können sich demnach lediglich auf „vorherrschende Tendenzen in Mehrheiten oder Minderheiten von Kollektiven“723 beziehen. Diese Erfassung vorherrschender Tendenzen auf Makroebene geht zwingend mit einer bewussten Ausblendung der Mikroebene der Kleingruppen und Individuen einher und darf nach Prengel nicht mit Essentialisierung verwechselt werden.

-

Ein demokratischer Differenzbegriff wirkt entschieden gegen jegliche „puristische“ Differenzvorstellungen und erkennt den gegenseitigen Einfluss von verschiedenen differenten Lebensweisen an.

-

Ein demokratisches Differenzverständnis impliziert, dass unterschiedliche Lebensweisen gleiches Recht darauf haben, gesellschaftlich sichtbar, anerkannt und wirksam zu sein.

-

Gleichzeitig darf sich ein demokratisches Differenzkonzept nicht über die Akzeptanz von beliebigen Positionen definieren: So sind bspw. Versuche, „mit dem Verweis auf Vielfalt Hierarchien legitimieren zu wollen“724 als dem Konzept der Egalität widerstrebende Tendenzen zu begreifen und zu bekämpfen. Wichtig dabei bleibt die situationsspezifische Klärung dessen, welche Gleichheiten und welche Differenzen im Sinne einer demokratischen Politik und Pädagogik gewollt sind.

Anknüpfend an den oben geschilderten Differenzbegriff bezieht Prengel die zuvor erarbeiteten Erkenntnisse aus den drei pädagogischen Ansätzen auf den Kontext Schule und konkretisiert diese in Form von zentralen Elementen der Pädagogik der Vielfalt. Durch die Berücksichtigung dieser Elemente soll ein gleichberechtigter Zugang für alle Schüler*innen-Gruppen zu materiellen und personellen Ressourcen der Schule gesichert werden. Diese Gleichberechtigung

722 723 724

Ebd. Ebd. Ebd., S. 184

196

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

soll wiederum die Basis für die Entfaltung von individuell besonderen Lern- und Lebensmöglichkeiten schaffen.725 Zu den von Prengel dezidierten Elementen der Pädagogik der Vielfalt726 gehören die Selbstachtung und die Anerkennung der Anderen, das Kennenlernen der Anderen, die Erprobung neuer Handlungsperspektiven durch das gegenseitige Kennenlernen, der Einbezug kollektiver Erfahrungen, die Förderung der Selbstwahrnehmung durch die Entwicklung von Aufmerksamkeit für die eigene innerpsychische Heterogenität, die Ermöglichung einer Trauerarbeit,727 die Konzentration auf die Prozesshaftigkeit des (gegenseitigen) Lern- und Erkennungsprozesses, der Verzicht auf starre Definitionen und Leitbilder, die Aufmerksamkeit für die individuelle und kollektive Geschichte sowie gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen, die Achtung vor der Mitwelt im Sinne einer respektvollen Annäherung an die Umwelt, die Implementierung offener Unterrichtsformen und individueller Lernentwicklungsberichte, die gemeinsame Bestimmung von Grenzen, Ritualen und Regeln des schulischen Miteinanders, die Aufmerksamkeit für verschiedene Persönlichkeitsstörungen und die Gestaltung entsprechender Interventionsmaßnahmen, die Anerkennung der gegenseitigen Wünsche und Möglichkeiten im Kollegium sowie die Schaffung von differenzanerkennenden und egalitätsfördernden institutionellen Strukturen. Mit der Herausarbeitung dieser Elemente gelingt es Prengel, einen konkreten Vorschlag für die pädagogische Praxis zu unterbringen, der jedoch nach der Einschätzung der Autorin selbst nicht widerspruchsfrei ist und viele Fragen offen lässt.728 Heterogenitätsforschung Bildungsbezogene Heterogenitätsforschung im schulischen Kontext bezieht sich im Wesentlichen auf die Frage, wie Pädagog*innen Schüler*innen in einer grö-

725 726

727

728

Vgl. ebd., S. 185 Im Folgenden zusammengefasst nach dem Abschnitt „Elemente einer Pädagogik der Vielfalt“, vgl. Prengel 2006, S. 184 ff. Unter Trauerarbeit meint Prengel mit Rückgriff auf die Tradition der Psychoanalyse die prozessorientierte Arbeit an der Realisierung und Aufarbeitung eigener Leid- und Grenzerfahrungen, z. B. in Bezug auf die Erfahrungen der Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe: „Ich bin in einer kulturellen Umwelt aufgewachsen und in anderen nicht. Ich bin weiblich oder männlich aufgewachsen, verfüge nicht über die Erfahrungen des anderen Geschlechts, ich habe in meiner Lebensgeschichte Behinderung, Leiden, Einschränkung, Scheitern erlebt, habe auch geirrt und Fehler gemacht.“ (Prengel 2006, S. 190) Vgl. ebd., S. 196

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

197

ßeren Gruppe unterrichten können, ohne gleichzeitig die unterschiedlichen Hintergründe, Lernvoraussetzungen und Bedürfnisse des*der Einzelnen zu vernachlässigen. Dieses Thema, mit dem sich Schule bereits seit Jahrhunderten beschäftigt, rückt nach PISA erneut in den Fokus der Forschung. Vor allem die in den Studienergebnissen aufgezeigten erheblichen Differenzen in den Schüler*innenleistungen, die in einer engen Verbindung mit der sozialen Herkunft, dem ökonomischen Status der Familie und dem Faktor „Migrationshintergrund“ standen, bildeten einen bedeutenden Anlass für die Feststellung des Scheiterns eines heterogenitätsgerechten Schulsystems in Deutschland und daran anknüpfende Suche nach neuen Impulsen für einen angemessenen Umgang mit Diversität der Schüler*innenschaft.729 Heterogenitätsforschung operiert mit einem weit gefassten Differenzbegriff und bezieht nicht nur die „klassischen“ Differenzdimensionen wie soziale Herkunft, kulturelle Herkunft/Migrationshintergrund und Geschlecht/Gender, sondern bspw. auch Alter, Lerntyp, Begabung/Intelligenz, Interessen/Motivation, fachliche Leistungen, Familienstruktur, religiöse Einbindung usw. in ihre Analysen mit ein.730 Eine der umfangreichsten Listen von forschungsrelevanten Differenzdimensionen findet sich bspw. bei Altrichter/Hauser (2007): „Die Klassenzimmer sind gleichsam mit Heterogenität gepflastert, Schülerinnen und Schüler einer Klasse sind oft sehr unterschiedlich in Bezug auf

729 730

-

Erfahrungshintergrund – nach ihrer sozialen, kulturellen, nationalen Identität, Erziehungsstile der Eltern etc.

-

Kenntnisse und Vorerfahrungen, Leseverhalten, Fernsehkonsum etc.

-

Allgemeine Fähigkeiten und Begabungen und logisches Denken, künstlerische Fähigkeiten, sportliche Eigenschaften etc.

-

Persönlichkeitsmerkmale, wie Schüchternheit, Offenheit, unterschiedliche Lerntypen etc.

-

Arbeitshaltungen – Durchhaltevermögen, zielgerichtetes Arbeiten, Ehrgeiz, Langsamkeit, Entmutigung, Unsicherheit etc.

-

Arbeitstechniken im Umgang mit angebotenen Lernmaterialien

Vgl. Trautmann/Wischer 2011, S. 7 Vgl. ebd., S. 40 f.

198

Synchrone Analyse des Diskursfeldes… -

Motivation und Einstellung zu bestimmten Unterrichtsfächern

-

Arbeits- und Lerntempo, Ausdauer, Lernorganisation

-

Leistungen.“ 731

Listenmodelle von Differenzdimensionen bieten oft einen guten Überblick über die in der Praxis beobachtbaren Diversitätsphänomene. Gleichzeitig sind sie immer Gegenstand von Kritik, die sich im Wesentlichen auf folgende Aspekte bezieht: -

Der additive Charakter bzw. die beliebige Erweiterbarkeit der Differenzdimensionen: Es stellt sich die Frage, welche der vielen Diversitätsdimensionen bei der Erforschung von bspw. schulischen Leistungen der Kinder unbedingt zu berücksichtigen sind und welche außen vor bleiben können.732

-

Die Gefahr der einseitigen Reduzierung gesellschaftlicher Heterogenität auf eine „Liste möglicher Verschiedenheiten“733: Es gilt zu bedenken, dass für die Analyse des komplexen Phänomens der Diversität nicht nur die „objektiv“ beobachtbaren Differenzen, sondern auch die oft verborgenen Mechanismen zur Herstellung von Gleichheit von Bedeutung sind, die in einer Wechselwirkung mit den Prozessen der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung stehen. Die Listenmodelle suggerieren hingegen einen ontologischen Charakter von Diversität.734

Als Antwort auf die beiden Kritikpunkte wird die Aufforderung formuliert, bei der Untersuchung von Ausdifferenzierungs- und Homogenisierungsprozessen den strukturell-systemischen Kontext stärker zu beachten. Werden bspw. die beobachtete „Sehnsucht nach der Homogenität der Lerngruppe“735 bei Lehrer*innen und die daran anknüpfenden Homogenisierungsversuche analysiert, so sind diese nicht als individuelles Persönlichkeitsmerkmal einzelner Pädagog*innen, sondern allgemein als Ausdruck professionsbezogener Anforderungen und somit des Systems im Ganzen zu erforschen.736 Die strukturellsystemischen Homogenitäts- und Heterogenitätsvorstellungen sollen darüber hinaus in ihrer (historischen) Konstruktionsdynamik begriffen werden, indem

731 732 733 734 735 736

Vgl. Altrichter/Hauser 2007, S. 6 Vgl. Trautmann/Wischer S. 41 Wenning 2004, S. 578 Vgl. Wenning 2004, S. S. 569 und 578 Kaiser 2010, S. 42 Vgl. Wischer 2007, S. 38; Kaiser 2010, S. 42.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

199

bspw. die Forschungsfrage gestellt wird, „wann welche Heterogenität diskutiert wird“737 bzw. „wann welcher Mythos einer Homogenität verbreitet oder wann welcher Maßstab [für die Bestimmung eines Homogenitätszustandes] gesetzt wird.“738 Durch die oben erläuterten Akzentsetzungen rückt die Notwendigkeit einer grundlegend kritischen Auseinandersetzung mit Homogenitäts- und Heterogenitätskonstruktionen im Bildungssystem und in schulischer Praxis in den Mittelpunkt der bildungsbezogenen Heterogenitätsforschung.739 Dieser Implikation folgend untersucht Wenning (2007) die Problematisierung von Heterogenität im schulischen Kontext, indem er verschiedene Ebenen des Schulsystems analysiert:740 -

Auf der gesellschaftlichen Ebene reproduziert die Institution Schule den nationalstaatlichen Charakter des Bildungswesens. Dieser zeigt sich u. a. in der unhinterfragten Setzung des Deutschen als Mutter-/Unterrichtssprache, der Nicht-Anerkennung lebensweltlicher Mehrsprachigkeit oder einer grundsätzlich schlechteren Bewertung von „normabweichenden“ Schüler*innen.

-

Auf der institutionellen Ebene üben Regeln und Routinen eine Normalisierungsfunktion aus, die u. a. darauf abzielt, reibungslosen Verlauf von schulischen Maßnahmen zu gewährleisten. Schüler*innen, die aufgrund bestimmter Merkmale den „normalen“ (sprich: „effektiven“) Ablauf stören, werden deshalb an andere Schulformen verwiesen und/oder ausgegrenzt, um die „unproblematische“ Homogenität wiederherzustellen.

-

Auf der individuellen Ebene sind Normkonstrukte bzw. -erwartungen der Lehrer*innen besonders wirkungsvoll und prägen wesentlich die Kommunikation und Interaktion der Pädagog*innen mit Schüler*innen und ihren Eltern.

737 738 739 740

Wenning 2004, S. 578 Ebd. Vgl. Wischer 2007, S. 32 Im Folgenden zusammengeführt nach Wenning 2007 b, S. 153 ff.

200

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Diese Analyseebenen greift Wenning im nächsten Schritt auf, um konkrete Möglichkeiten für einen alternativen Umgang der Institution Schule mit Heterogenität aufzuzeigen:741 -

Auf der gesellschaftlichen Ebene soll das Ziel einer „Bildung für alle“ verfolgt werden: „Bildung für alle heißt, jede und jeden, im individuellen und im gesellschaftlichen Interesse, möglichst umfassend zu bilden. Umgekehrt folgt daraus, dass alle diskriminierenden Maßnahmen und Mechanismen, die dazu führen oder beitragen, die möglichst umfassende Bildung jeder Person zu verhindern oder zu beeinträchtigen, in gesellschaftlichem Interesse zu bekämpfen sind.“742

-

Auf der institutionellen Ebene soll die Etablierung einer inklusiven Schule, z. B. durch ein regelmäßiges Systemmonitoring, vorangetrieben werden. Daran anknüpfend sind bedarfsgerechte Unterstützungsmaßnahmen auf verschiedenen Ebenen zu etablieren. Gleichzeitig soll das Prinzip der Differenzreflexivität, z. B. im Rahmen einer diversitätsbewussten Unterrichtsentwicklung und Elternarbeit, kontinuierlich umgesetzt werden.

-

Auf der individuellen Ebene ist eine differenzreflexive Aus- und Weiterbildung der Pädagog*innen wichtig. Die Lehrer*innenbildung ist demnach vor die Aufgabe gestellt, die Aufmerksamkeit der Pädagog*innen für die sichtbaren und unsichtbaren Wirkungen unterschiedlicher Differenzkategorien zu fördern. Daraus folgt die Ablehnung des „reine[n] Rezeptwissen[s]“743 und die Konzentration auf die Ausbildung der Fähigkeit, mit Heterogenität reflexiv und situationsangemessen umzugehen. Hierbei ist insbesondere die Entwicklung der Aufmerksamkeit für (versteckte) Diskriminierungen zu forcieren – z. B. im Rahmen von gezielten Personalentwicklungs- und Supervisionsmaßnahmen.

Das am Beispiel von Wenning geschilderte analytische Vorgehen soll, so der Konsens der Heterogenitätsforschung, als grundlegende Aufgabe der allgemeinen Erziehungswissenschaft anerkannt werden. Denn die Herausforderungen, von denen wissenschaftliche Studien und praktische Akteur*innen berichten, lassen sich nicht einseitig auf den momentanen „Heterogenitätszustand“ zurückführen, sondern ergeben sich aus der Struktur des Schulsystems selbst, welches

741 742 743

Vgl. ebd., S. 157 ff. Ebd., S. 157 (Hervorhebung im Original) Ebd., S. 159

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

201

sich permanent zwischen den Polen „Homogenisierung“ und „Ausdifferenzierung“ bewegt. Dieses dynamische Spannungsverhältnis müsse die allgemeine Erziehungswissenschaft zu einer Grundlage ihrer Analysen machen, anstatt sie an (mehrere) „Sonderdisziplinen“ zu delegieren.744 3.2.4.6 Bezüge zur Thematisierung von Diversität im Kontext der (gesamt-)gesellschaftlichen Diversität in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ Um zu veranschaulichen, inwiefern die Thematisierung von Differenz und Diversität im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Diversität Eingang in Wissensbestände und Argumentationsmuster von Lehramtsstudierenden an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe findet, sollen im Folgenden zwei Reflexionen aus dem Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturellmigrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“745 exemplarisch analysiert werden. Im ersten Beispiel (Reflexion II – 16 a) werden die Anzeichen der Wahrnehmung von Differenz und Diversität als nicht ausschließlich kulturbezogen sichtbar. Im zweiten Beispiel (Auszug aus Reflexion II – 18 a) wird das Thema natio-ethnokultureller Mehrfachzugehörigkeiten angeschnitten. Beispiel 1: Reflexion II – 16 a Ich stelle mir die Gesellschaft als eine Masse vor. Diese Masse besteht aus einer Menge Individuen. All diese Individuen haben eine eigene Vorgeschichte oder einen Hintergrund. Nun wird häufig versucht[,] Menschen nach der Herkunft zu klassifizieren oder einzuordnen. Das macht auch oft genug Sinn. Denn wenn ich weiß, woher jemand oder die Erzieher desjenigen kommt/kommen, kann ich im Voraus Missverständnisse umgehen und mich auf den Horizont desjenigen einstellen. Für mich der wichtigste Punkt ist allerdings, dass jeder Mensch für sich ein Individuum ist und als dieser betrachtet werden sollte. Ein Beispielsatz ist mir einmal deutlich im Kopf hängen geblieben: „Auch ein tür-

744 745

Vgl. Wenning 2004, S. 580 Vgl. Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“

202

Synchrone Analyse des Diskursfeldes… kischstämmiger Junge kommt in die Pubertät.“ Demnach ist für mich eine Migrationsgesellschaft nichts anderes als eine Gesellschaft. Und doch schießen mir sofort Bilder in den Kopf von Untergruppen der Gesellschaft: das neugebaute Haus der Russenfamilie, in dem die fleißige Hausfrau waltet und Vodka trinkt, die „Kopftuchfrauen“, die sich beim Einkaufen treffen usw. Wie kommt es, dass ich – obwohl ich nicht danach schauen möchte – sofort in diese Falle tappe? Und warum fühlt man sich deshalb so schlecht?

Analyse/Interpretation: Die Teilnehmerin beschreibt ihre Sichtweise auf Migrationsgesellschaft bzw. die Gesellschaft im Allgemeinen als gleichzeitig einheitlich/homogen („Masse“) und in sich ausdifferenziert („eine[.] Menge Individuen“). Hinsichtlich des gesellschaftlichen Umgangs mit diesen Individuen stellt die Teilnehmerin am Anfang der Reflexion eine gestärkte (gesellschaftliche) Aufmerksamkeit für deren „Herkunft“ fest. Indem die Teilnehmerin darauf hinweist, dass die Funktion dieser Aufmerksamkeit darin liegt, Menschen „nach der Herkunft zu klassifizieren oder einzuordnen“, verweist sie auf die gegebene reduktionistische und kulturalisierende Klassifikationspraxis und somit auch implizit auf damit einhergehende Machtasymmetrien und Ausschlüsse bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Ihre eigene Position dazu ist durch einen Widerspruch zwischen dem begründeten Nachvollziehen von einseitig auf eine Zugehörigkeit festschreibenden Praktiken und dem Wunsch, sich den einschränkenden kulturalisierenden Zuschreibungen zu entziehen, geprägt. Einerseits meint die Teilnehmerin, dass die Zuordnung der Menschen zu einem bestimmten Herkunftskontext (gemeint wird offensichtlich das Herkunftsland) in vielen Fällen legitim ist („Das macht auch oft genug Sinn.“). Diese Legitimität begründet die Teilnehmerin damit, dass ein Wissen über bestimmte natio-kulturellen Gruppen zu einer besseren – bzw. problemloseren – Kommunikation beitragen würde („Denn wenn ich weiß, woher jemand oder die Erzieher desjenigen kommt/kommen, kann ich im Voraus Missverständnisse umgehen und mich auf den Horizont desjenigen einstellen.“). Diese Argumentation knüpft an „klassische“ interkulturell-pädagogische Deutungen an, die die Wichtigkeit des kulturellen Wissenserwerbs für eine reibungs-

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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lose Kommunikation postulieren.746 Auf der anderen Seite betont die Teilnehmerin die Rolle des individuellen Zugangs zu Personen unabhängig von ihrer kulturellen Herkunft. Mit dem Satz „Auch ein türkischstämmiger Junge kommt in die Pubertät“ verweist sie darüber hinaus auch auf die Relevanz von weiteren gruppenbezogenen Zugehörigkeiten für die persönliche Entwicklung und schneidet das Thema der Zusammenwirkung von verschiedenen Zugehörigkeiten an. Pubertät als eine bestimmte Entwicklungsstufe, die alle Personen unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund „durchmachen“ müssen, führt der Teilnehmerin offenbar vor Augen, dass „eine Migrationsgesellschaft nichts anderes als eine Gesellschaft“ sei – dass sich also nicht alles durch kulturelle Besonderheiten erklären, sondern sich (auch) aus dem Allgemeinen bzw. Allgemeingültigen erschließen lässt. Obwohl sich die Teilnehmerin der Grenzen des Kulturellen bzw. der Notwendigkeit, für individuelle Unterschiede, weitere bedeutende Zugehörigkeiten und allgemeingesellschaftliche, kulturunabhängige Wirkungsmechanismen aufmerksam zu sein, durchaus bewusst ist, stellt sie selbstreflexiv fest, dass ihre Wahrnehmung von Migrationsgesellschaft durch die Ignoranz von Mehrfachzugehörigkeiten und individueller Diversität sowie durch die Fokussierung auf nationalkulturbezogene Deutungen geprägt ist. Sie stellt am Ende ihrer Reflexion deshalb die Frage, warum sich nun diese reduzierende und stereotype Sichtweise trotz ihrer Bemühungen, mehrperspektivisch zu denken, (immer wieder) durchsetzt. Wichtig ist der Hinweis der Teilnehmerin auf ein „schlecht[es]“ Gefühl, das sie dabei begleitet und offenbar dadurch entsteht, dass sie dem eigenen Anspruch, jeden Menschen als Individuum (und nicht einseitig als Vertreter*in einer bestimmten Kultur) zu betrachten, nicht gerecht werden kann. Beispiel 2: Auszug aus Reflexion II – 18 a Durch Immigration leben in einem Land viele Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft. Die Gründe für die Aus- & Einwanderung sind ganz unterschiedlich: Arbeitsmarkt, Familienzusammenführung, Flüchtlinge, etc. Die Kinder oder sogar Enkelkinder der Immigranten werden häufig im neuen Land geboren und wachsen dort auf. Dies bietet Chan-

746

Vgl. Kapitel 3.2.3.2 „Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: ‚Kompetenz‘ und ‚Integration‘ als Lösungen für die Praxis“

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes… cen wie Mehrsprachigkeit (Herkunftssprache, in dem Land gesprochene Sprache) und Interkulturalität[,] aber auch gewisse Probleme, wie Unsicherheiten[,] welcher Nationalität man denn angehöre (nicht im Herkunftsland der Eltern geboren). Dieses Schubladendenken, welcher Nationalität jemand angehört, muss man heutzutage verbannen und sich auf die Chancen einer interkulturellen Gesellschaft fokussieren.

Analyse/Interpretation: Die Teilnehmerin schildert die Migrationssituation in Deutschland und richtet ihren Blick dabei vordergründig auf verschiedene Herkunftskontexte von Migrant*innen. Da diese Pluralität der Herkunftskontexte von der Teilnehmerin nicht bspw. vor dem Hintergrund der Binnenmigration betrachtet, sondern explizit als Folge einer grenzüberschreitenden Einwanderung („Immigration“) gesehen wird, ließe sich behaupten, dass es in der Reflexion offenbar ausdrücklich um unterschiedliche nationale bzw. natiokulturelle Herkunftskontexte geht. Ebenso bezieht sich die Teilnehmerin nicht auf unterschiedliche soziale und ökonomische Herkunftskontexte, erwähnt jedoch verschiedene Gründe für Migrationsbewegungen („Arbeitsmarkt, Familienzusammenführung, Flüchtlinge“), die auf die Wichtigkeit des sozialen und sozioökonomischen Kontextes schließen lassen. Der Bezug zu Sozialem wird in der Rezension jedoch nicht explizit aufgegriffen. Das Aufwachsen der „Immigranten“-Kinder „in einem neuen Land“747 betrachtet die Teilnehmerin aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln: Zum einen spricht sie von den „Chancen“, die sich aus der Migration ergeben (Mehrsprachigkeit und Interkulturalität). Mehrsprachigkeit wird dabei national gefasst („Herkunftssprache, in dem Land gesprochene Sprache“), Soziolekte und Variationen als Varianten der Mehrsprachigkeit kommen in der Schilderung der Teilnehmerin nicht vor. Interkulturalität wird von der Teilnehmerin offenbar als ein Existieren in gleichzeitig zwei (oder mehreren) Nationalkulturen definiert. Dies wird v. a. deshalb deutlich, weil die Teilnehmerin das einengende „Schubladen“-Bild eines*r zwischen zwei Nationalkulturen hin- und hergerissenen Migranten*in dem Begriff der „interkulturellen Gesellschaft“ explizit gegenüberstellt („Dieses

747

Es ist bezeichnend, dass die Teilnehmerin sogar die Enkelkinder der Einwanderer*innen als aufwachsend in einem „neuen“ Land begreift. Darin wird die restriktive Vorstellung von Fremdheit und die biologisierende Sichtweise auf den ‚Migrationshintergrund‘ als quasi vererbbarer Eigenschaft sichtbar.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Schubladendenken, welcher Nationalität jemand angehört, muss man heutzutage verbannen und sich auf die Chancen einer interkulturellen Gesellschaft fokussieren.“). Neben den Chancen ergeben sich aus der Einwanderung für die Teilnehmerin auch „gewisse Probleme“. Hier bezieht sich die Teilnehmerin auf die Ebene der persönlichen Identitätsbildung und erwähnt „Unsicherheiten[,] welcher Nationalität man denn angehört“ als eine mögliche Schwierigkeit. Diese Problemvorstellung knüpft nahtlos an die defizitbehaftete Metapher eines*r zwischen zwei Stühlen sitzenden Migranten*in an, welche die Flexibilität der natio-ethnokulturellen Zuordnungen und die Realität der Mehrfachzugehörigkeiten ignoriert. Die Teilnehmerin macht jedoch nicht klar, ob die Vorstellung, zwischen zwei Nationalitäten (gemeint werden offensichtlich Nationalkulturen) hin- und hergerissen zu sein, und das Appell, sich auf die „Chancen einer interkulturellen Gesellschaft“ – und somit auf Mehrfachzugehörigkeiten – zu fokussieren, zuschreibend auf Migrant*innen oder (selbst-)reflexiv auf die Mehrheitsgesellschaft gerichtet ist. Deutlich wird jedoch, dass die Teilnehmerin in ihrer Reflexion das Denken in „entweder – oder“ als „Schubladendenken“ ansieht, welches überwunden werden muss. Sie plädiert für die Fokussierung auf die „Chancen einer interkulturellen Gesellschaft“, die sie offenbar als Möglichkeit der Existenz von natiokulturellen Mehrfachidentitäten definiert. 3.2.4.7 Wahrnehmung kultureller Diversität im Kontext der (gesamt-) gesellschaftlichen Diversität: Fazit Da intersektionelle Analysen sehr häufig ein grundlegender Bestandteil der Diversity-Konzepte sind, ist es nicht einfach – und möglicherweise auch nicht immer zielführend – Abgrenzungen zwischen der Intersektionalitätsforschung und den Diversity-Ansätzen vorzunehmen. Dennoch sei betont, dass das Paradigma der Diversity-Ansätze prinzipiell viel deutungsoffener angelegt ist als das Paradigma der Intersektionalität. So kann sich die Diversity-Perspektive auf Differenzkategorien wie z. B. Leistungsheterogenität, Arbeitstempo, Motivation,

206

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Lernstile748 sowie Fachkompetenz oder „Dauer der Betriebszugehörigkeit“749 beziehen, die kein Gegenstand von intersektionellen Analysen sind.750 Gerade diese paradigmatische Deutungsoffenheit führt zu unterschiedlichen Auslegungen der Diversitätskonzepte. So tendieren v. a. stärker praxisangelegte Diversity-Ansätze dazu, lediglich die Anerkennung von Vielfalt als Ziel zu postulieren und dabei die in der Intersektionalitätsforschung geforderte Analyse sozioökonomischer Zusammenhänge und gesellschaftlicher Hierarchien zu vernachlässigen.751 Damit geht die Gefahr einher, dass Differenzen – entgegen dem Verständnis der Intersektionalitätsforschung, die diese stets als Ergebnis von Kämpfen um Dominanz sowie als Legitimationsdiskurse für Marginalisierung und Diskriminierung ansieht752 – gewissermaßen als „gegeben“ betrachtet werden: „Ungleichheit erscheint dann nicht mehr als Problem, denn alle sind ja darin gleich, dass sie [...] ganz vielfältig verschieden sind“.753 Der Rückgriff auf soziale Machtasymmetrien ist jedoch deshalb unerlässlich, weil Zugehörigkeiten zu einem Geschlecht, einer ethnischen Gruppe oder einer sozialen „Klasse“ in postmodernen Migrationsgesellschaften zwingend an bestimmte Positionen struktureller Dominanz oder Subordination geknüpft sind.754 Differenzkategorien stellen so betrachtet gleichzeitig Dimensionen sozialer Ungleichheit dar, die die grundlegende Struktur der Gesellschaft bilden.755 Auf der individuellen Ebene entfaltet die Ungleichheit ihre Wirkung, indem die sozialen Strukturkategorien wie Gender, Ethnie und Klasse den Zugang zur Bildung oder zur Arbeit für bestimmte Personen begünstigen oder erschweren.756 Daher wird immer wieder die Wichtigkeit einer grundsätzlicher Einbindung intersektioneller Ansätze in Diversity-Konzepte betont: Es gilt, nicht nur affirmativ die Gleichstellung von verschiedenen Differenzkategorien zu proklamieren, sondern sich auch analytisch mit der Frage auseinanderzusetzen, „[...] wo das Eintreten von Differenz und für die Pluralität von Differenz Machtverhältnisse als Dominanz- und Herrschaftsverhältnisse bestätigt und ermöglicht.“757

748 749 750 751 752 753 754 755 756 757

Vgl. Altrichter/Messner 2004, S. 66 Vgl. Stuber 2004 Vgl. Walgenbach 2012 b Vgl. Scherr 2011, S. 85 ff. Vgl. Leiprecht/Lutz 2005, S. 221 ff. Maurer/May 2011, S. 487 f.; zit. n. Mecheril/ Vorrink 2012, S. 95 Vgl. Walgenbach 2007, S. 56 Vgl. Hradil 2001 Vgl. Winker/Degele 2009, S. 25 ff. Mecheril/ Vorrink 2012, S. 99

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Intersektionalität kann somit als Analyserahmen verwendet werden, das dem Anwendungskonzept Diversity zugrunde liegt. Dieses Konzept sieht dann von der eindimensionalen bzw. additiven Erfassung der (migrations)gesellschaftlichen Wirklichkeit ab und geht davon aus, dass nicht einer singulären Zugehörigkeitskategorie pädagogische Relevanz beizumessen ist, sondern dass ein Ensemble an Differenzlinien in einem konkreten sozialen Kontext berücksichtigt werden muss. Dementsprechend rückt die Aufmerksamkeit für gleichzeitige Wechselwirkungen von sozialen Kategorien und die Analyse komplexer sozioökonomischer, natio-ethno-kultureller, religiöser, bildungsorientierter etc. Hintergründe bzw. damit einhergehender Diskriminierungen in den Fokus der pädagogischen Forschung und Praxis.758 Migrationspädagogische Ansätze, Prengels Ansatz der Pädagogik der Vielfalt sowie Ansätze zu bildungsbezogener Heterogenitätsforschung können als Versuche betrachtet werden, intersektionelle Orientierungen abzubilden. Diese Ansätze werden dem grundsätzlichen Anspruch der Intersektionalitätsforschung nach der umfassenden Analyse mehrdimensionaler Diskriminierungsmechanismen jedoch auf eine unterschiedliche Weise gerecht: Während Mecherils Migrationspädagogik, die konzeptionell auf der Analyse machtvoller Zugehörigkeitsordnungen gründet, Intersektionalität durchgehend als Forschungsinstrument verwendet, setzt Pädagogik der Vielfalt weniger am Analytischen und eher am Praktischen an. Die Tatsache, dass in unserer Gesellschaft Differenzen als Legitimation für Hierarchien und damit Abwertungen und Diskriminierungen von bestimmten Menschen gebraucht werden,759 erscheint bei Prengel zwar vergleichsweise häufig, jedoch eher als ein inhaltlicher Hinweis, und nicht als Analysegegenstand. Praktische Soll-Zustandsbeschreibungen, die aus der Feststellung der intersektionellen strukturellen Diskriminierung folgen,760 nehmen hingegen deutlich mehr Raum in Prengels Argumentationen ein. Dies macht Pädagogik der Vielfalt attraktiv für die Bildungspolitik und Praxis, birgt jedoch die Gefahr einer verkürzenden Sichtweise auf Differenzkonstruktionen.

758 759 760

Vgl. Leiprecht/Lutz 2005, S. 219 ff. Vgl. Prengel 2003, zit. n. Meyer et al. (o. J.) Z. B. die Forderung, dass im schulischen Kontext Bedingungen geschaffen werden müssen, die eine egalitäre Teilhabe aller Teilnehmer*innen ermöglichen und flexible individuelle Lernarragements entwickeln und fördern, sodass das Recht aller an Bildungsprozessen realisiert werden kann (vgl. Prengel 2006, S. 11)

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Stärker analytisch orientiert zeigen sich Konzepte der Heterogenitätsforschung, die explizit von der einseitigen programmatischen Fokussierung auf die Förderung der Heterogenität absehen.761 Stattdessen rücken systematisch ausgerichtete Analysen vereinheitlichender (z. B. rechtliche Gleichstellung) und differenzierender (z. B. Diskriminierungen) Prozesse in den Fokus, die vor dem Hintergrund der historischen Konstruktion und der aktuellen bildungspolitischen Debatten interpretiert werden.762 Die historisch und diskursanalytisch angelegte Untersuchung des Spannungsverhältnisses von Gleichheit und Differenz bildet somit den Kern der Heterogenitätsforschung und wird gerade aufgrund der geforderten systematischen Ausrichtung als Aufgabe der Allgemeinen Erziehungswissenschaft, und nicht bspw. als Aufgabe einer gesonderten Pädagogik der Vielfalt gesehen.763 Mit Blick auf die Reflexionen der Teilnehmenden am Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ an der PH Karlsruhe lässt sich anhand der analysierten Reflexionsbeispiele nur ein schwacher Bezug zu der allgemeinen Perspektive von Diversität als gesamtgesellschaftlicher Diversität feststellen. Von einer durchgehenden Argumentation im Sinne eines der oben geschilderten Ansätze kann nicht die Rede sein. Jedoch ist in den beiden exemplarisch analysierten Reflexionen die Tendenz zu Abkehr von einseitig kulturalisierenden Argumentationen und der – wenn auch nur vereinzelt vorkommende – Einbezug sozialer und individueller Zugehörigkeiten zur Erklärung des Phänomens „Migrationsgesellschaft“ vorhanden. Außerdem zeigen sich (im zweiten Reflexionsbeispiel) deutliche Parallelen zu Mecherils Konzept der Mehrfachzugehörigkeiten, welches jedoch in der Interpretation der Teilnehmerin ausschließlich national gefasst wird. Eine gezielte Auseinandersetzung mit intersektionellen und intersektionell angelegten Diversity-Konzepten erscheint deshalb produktiv, um den Blick der Lehramtsstudierenden für verschiedene Formen von Diversität sowie daran anknüpfende Dominanzverhältnisse zu schärfen.

761 762 763

Vgl. Wenning 2004, S. 565 Vgl. ebd., S. 578 Vgl. ebd.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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3.2.5 Fokus: Migrant*innen; Perspektive: Rassismus In diesem Kapitel soll exemplarisch auf Diskurse eingegangen werden, die die Phänomene der Ausgrenzung bestimmter Personen(-gruppen) auf das Vorhandensein von Vorurteilen zurückführen bzw. unter dem Begriff des Vorurteils subsumieren. Dabei wurden zwei verschiedene Bezugskategorien ermittelt: Unter der Bezugskategorie „Rassismus als individuelles Vorurteil“ werden Diskurse beschrieben, die sich mit der Entstehung und den Auswirkungen individueller Vorurteile auseinandersetzen. „Vorurteil“ wird hier v. a. mit Abneigungen, Ausgrenzungen und individueller Gewalt gegenüber „Anderen“ in Verbindung gebracht. Zudem wird die Ansicht vertreten, dass Vorurteile durch entsprechende Präventions- oder Interventionsmaßnahmen überwunden werden können. Die Bezugskategorie „Weiterentwicklungen des Vorurteilsbegriffs“ umfasst Diskurse, die dieses einfache Verständnis kritisch reflektieren und versuchen, den Vorurteilsbegriff weiter zu fassen, indem Bezüge zu strukturellen Ungleichheitsmechanismen und allgemeingesellschaftlichen Einflussfaktoren hergestellt werden. Gemeinsam ist den beiden Bezugskategorien jedoch, dass Diskriminierungsoder Rassismusphänomene unter dem Begriff des Vorurteils subsumiert werden und die Analyse entsprechender gesellschaftlicher Verhältnisse stark vor dem Hintergrund individueller Einstellungen erfolgt. 3.2.5.1 Leitmotiv: Rassismus als Vorurteil; Bezugskategorie: Rassismus als individuelles Vorurteil

Rassismus als Vorurteil: theoretische Thematisierung Bevor im Folgenden auf den individuellen Vorurteilsdiskurs eingegangen wird, erscheint es wichtig, anzumerken, dass sich mehrere wissenschaftliche Disziplinen mit der Erforschung von Vorurteilen beschäftigen. Eine Beschreibung und Systematisierung entsprechender Thematisierungen wäre im begrenzten Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Deshalb soll im Folgenden nur stellenweise auf gegebene Parallelen zu den Entwicklungen in anderen wissenschaftlichen Disziplinen als interkulturelle Bildung (Psychologie, Sozialpsychologie, Politikwissenschaften) hingewiesen werden. Die Subsumierung diskriminierender und rassistischer Praktiken unter dem Begriff des Vorurteils hat eine lange Tradition in den Erziehungswissenschaften. So widmet sich der bedeutende Theoretiker der Ausländerpädagogik Herbert R.

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Koch in seiner Arbeit mit dem Titel „Gastarbeiterkinder in deutschen Schulen“ bereits 1970 den Themen „Ressentiments“ und „stereotype Vorurteile“764 und analysiert dabei (weniger) den Prozess der Vorurteilsbildung aufseiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft und (stärker) damit verbundene Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Dabei wird der Vorurteilsbegriff nicht explizit definiert. Implizit wird jedoch ein deutlicher Zusammenhang von Vorurteilen und feindseligen Haltungen (bzw. Handlungen) gegenüber „Ausländern“ hergestellt: „[w]enn […] ein deutscher Schaffner einen Ausländer unhöflich abweist, […] der deutsche Vorarbeiter seinen griechischen Hilfsarbeiter hart beiseitestößt, […] die sonst so freundliche Nachbarsfrau einen wohnungssuchenden Italiener anbrüllt, [wenn] Erwachsene [abfällig] über die ‚Ittaker‘ herziehen […]“765 Koch stellt unter anderem fest, dass Vorurteile im Bewusstsein und Verhalten der Erwachsenen aller sozialen Schichten tief verwurzelt sind. Bei Kindern zeige sich hingegen eine andere Tendenz, nämlich die zur allgemeinen Akzeptanz bzw. sogar Beliebtheit der „Ausländer*innen“ in deutschen Klassen.766 Dieser Einschätzung, die offenbar eher auf persönlichen Erfahrungen als auf empirischen Studien beruht, stehen die Ergebnisse späterer wissenschaftlicher Untersuchungen gegenüber. Diese haben u. a. gezeigt, dass „Ausländer*innen“ von deutschen Mitschüler*innen im Verhältnis zu deutschen Klassenkamerad*innen öfter abgelehnt767 bzw. in Bezug auf ihre Persönlichkeit schlechter bewertet werden.768 Speziell mit Blick auf Pädagog*innen betont Koch eine große Ausdifferenziertheit der individuellen Überzeugungen, die sich in einem Spannungsfeld zwischen der „rührende[n] Hilfsbereitschaft und Geduld“ und „dem ausweichenden Hinweis, der Fortschritt der deutschen Kinder dürfe durch die ausländischen keinesfalls beeinträchtigt werden“769 bewegen. Auch einige wissenschaftliche Untersuchungen, die chronologisch dem Zeitraum der Ausländerpädagogik und der interkulturellen Pädagogik zugeordnet werden können, weisen auf erhebliche individuelle Unterschiede in der Einstellung der Pädagog*innen gegenüber und im Umgang mit „ausländischen“ Schüler*innen hin (z. B. Hausch/Hausch

764 765 766 767 768 769

Koch 1970, S. 12 Ebd., S. 150 f. Vgl. ebd., S. 12 und 26 Vgl. bspw. Rieger 1980 Vgl. zusammenfassend Malecha 1982, S. 40 f. Koch 1970, S. 26

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1976,770 Krumm 1979,771 Roth 1985772). Demgegenüber finden auch Studien Beachtung, die allgemeine Tendenzen zur Vorurteilsprägung unter Lehrer*innen zu bestimmen versuchen – bspw. zwei Studien von Malhotra (1973773, 1975774), in denen von einer generell neutralen bzw. explizit nicht zwingend negativen Haltung der Pädagog*innen gesprochen wird. Weitere Autor*innen stellen hingegen eine allgemeine Tendenz zur negativen Wahrnehmung und Beurteilung „ausländischer“ Schüler*innen durch Pädagog*innen fest. So spricht Müller (1974) von Vorurteilen gegenüber Ausländern und ihren Familien „in einem erheblichen Umfang“775. Er schildert dabei verschiedene negative Handlungsmuster der Lehrer*innen im Umgang mit der Andersheit (Ausschluss der „Ausländerkinder“ aus dem Unterrichtsgeschehen, Wahrnehmung von „Anderen“ als Störung und daraus folgende übertriebene Sanktionierung, Projizierung der eigenen Schwäche, des eigenen Unwillens oder Unwissens auf „ausländische“ Kinder – „Sie wollen/können nicht“)776 und beschreibt darüber hinaus die Diskrepanz zwischen dem „professionellen“ Umgang der Lehrkräfte mit dem Thema Gastarbeiter*innen (positive Thematisierung im Unterricht) und der negativen, defizitorientierten alltäglichen Einstellung von Pädagog*innen gegenüber „ausländischen“ Arbeiter*innen und ihren Familien.777 Auch in einer späteren Zusammenfassung der einschlägigen Forschungsergebnisse durch Malecha wird die Verbreitung von ablehnenden und negativen Haltungen in der gesamten Gesellschaft778 sowie speziell aufseiten der Pädagog*innen konstatiert.779 Trotz der ermittelten allgemeinen Tendenzen zur (negativen) Vorurteilsbildung bei Lehrer*innen wird in der untersuchten Literatur immer wieder betont, dass ein vorurteilgeprägtes Denken und Handeln maßgeblich durch individuelle Faktoren, wie bspw. persönliche (Grund-)Einstellungen gegenüber Fremden, bedingt sind. Diese Verknüpfung von Vorurteilen und individuellen Einstellungen bildet die Basis für die Annahme, dass in der Gesellschaft bestimmte „neutrale“ Räume existieren, in denen individuelle Vorurteile keine Rolle spielen und

770 771 772 773 774 775 776 777 778 779

Vgl. Hausch/Hausch 1977, zit. n. Roth 1985, S. 66 ff. Vgl. Krumm 1979, zit. n. Roth 1985, S. 66 ff. Vgl. Roth 1985, S. 66 Vgl. kritisch Müller 1974 b, S. 41 Vgl. kritisch Roth 1985, S. 66 Müller 1974 b, S. 39 Ebd., S. 45 f. Vgl. ebd., S. 44 Vgl. Malecha 1982, S. 76 Vgl. ebd., S. 40 f.

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Gleichbehandlung aller unabhängig von der Herkunft möglich ist. Als Beispiele für solche Räume werden die offiziellen Medien,780 das Finanzamt781 oder sogar die die „Kassen der Geschäfte“782 angeführt. Vorurteile werden somit von der angeblich neutralen, „offiziellen“ Struktur entkoppelt und auf strikt individuelle Erscheinungsformen wie „hingeworfene[.] Bemerkungen, ein vieldeutige[s] Mienenspiel, [ein] Gerücht, [..] Verleumdung, [..] private[s] Gespräch oder [...] ‚Flüsterpropaganda‘“783 reduziert. Somit erscheinen Vorurteile gewissermaßen als individueller Mangel, wofür die Personen selbst „verantwortlich“ sind, und nicht etwa als Folge struktureller Missstände. Diese Vorstellung von Vorurteilen als Mängeln bedient sich teilweise biologistischer Argumentationen, die das Vorhandensein von und die Betroffenheit durch Vorurteile(n) in die Nähe eines krankhaften, unnormalen, gar bedrohlichen Zustandes rücken. In diesem Kontext werden Epitheta wie „schädigend“, „gefährdend“, „bedrohend“, „gewaltvoll“, „ungerecht“784 für die Beschreibung der Wirkungsweise von Vorurteilen auf die „Täter“ wie auch auf die „Opfer“ gewählt. Müller (1974) konstatiert aufseiten der „vorurteilsbehafteten“ deutschen Kinder eine „Ich-Schwäche“,785 eine Störung der persönlichen Entwicklung, die sich in der Unfähigkeit äußert, Verantwortung für eigenes (Fehl)Handeln zu übernehmen. Der verinnerlichte Mechanismus der „Sündenbocksuche“ berge für „vorurteilsbehaftete“ „deutsche“ Kinder die Gefahr, in der Zu-

780 781 782 783 784 785

Vgl. Müller 1974 b, S. 39 Vgl. Koch 1970, S. 18 Ebd. Müller 1974 b, S. 39. Ebd., S. 39 f. Müllers Verknüpfung von Ich-Schwäche und Vorurteilsbildung lässt deutliche Parallelen zu Argumentationen (sozial-)psychologischer Vorurteilsforschung erkennen, die den Prozess der Vorurteilsbildung vor dem Hintergrund „allgemeine(r) psychische(r) Regeln des Denkens, Fühlens und Handelns“ (Bergmann 2006) zu erklären versucht. Einige Ansätze sozialpsychologischer Vorurteilsforschung zeichnen sich jedoch im Vergleich mit Müllers Ausführungen durch ein umgekehrtes Ursache-Wirkung-Verhältnis aus: Während Müller die konstatierte IchSchwäche als Folge der Vorurteilsbildung auffasst, geht die aktuelle psychologische Vorurteilsforschung verstärkt von der Ich-Schwäche als Ursache für die Vorurteilsbildung aus. Demnach wird die Entstehung von Vorurteilen mit inneren oder äußeren Konflikten einer Person in Verbindung gebracht, die bei schwachen Ich-Persönlichkeiten zu so genannten vorurteilsfördernden Abwehrmechanismen führen (wie bspw. Verschiebung von negativen Gefühlen auf „Ersatzobjekte“ bzw. die Projektion eigener negativen Persönlichkeitseigenschaften auf andere). Eine Möglichkeit, Vorurteile abzubauen, stelle demnach die Stärkung der eigenen Ich-Persönlichkeit, und die Entwicklung der Fähigkeit, (innere) Konflikte rational zu lösen und mit Frustrationen aller Art produktiv umgehen zu lernen (vgl. ebd.)

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kunft leichter von autoritären gesellschaftlichen und politischen Strömungen beeinflusst zu werden.786 Aufseiten der Betroffenen führt Müller u. a. die Isolation und damit verbundene (schwere) seelische und mentale Schäden als Folgen der Vorurteilswirkung auf, die sich im allgemeinen Interessensverlust, der Resignation oder auch im aggressiven Handeln zeigen können.787 Andere Publikationen, die sich mit den Auswirkungen der Vorurteile auf „ausländische“ Kinder befassen, stellen kriminelle Taten als eine (logische) Konsequenz der Ausgrenzungen durch Vorurteile und der damit verbundenen Minderwertigkeitsgefühle dar.788 Diese Fokussierung auf negative Folgen individueller Vorurteilsbildung fungiert als ein wichtiges Argument für die Berücksichtigung des Themas Vorurteil im Bildungskontext.789

Handlungsvorschläge Bezogen auf die Frage, wie man mit Vorurteilen praktisch umgehen kann bzw. sollte, zeigen sich in der untersuchten Literatur verschiedene Handlungswege, die im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden sollen:

Handlungsvorschlag 1: Wissenserwerb und Begegnungspädagogik Zum einen lässt sich in der untersuchten Literatur eine deutliche Tendenz zur Ursache-Folge-Verknüpfung von Vorurteilsbildung und mangelndem Wissen bzw. mangelndem Kontakt zwischen den Mehrheitsangehörigen und den Minderheiten feststellen.790 Bildet diese Verknüpfung die Hauptgrundlage für die Erklärung von gesellschaftlichen Spannungen, so liegt es nahe, auf den gegenseitigen Wissenserwerb und Begegnung als Lösungsweg zu setzen. Koch (1970) schlägt in diesem Zusammenhang die Einführung des Themas „Gastarbeiter*innen“ als Unterrichtsgegenstand vor. Er argumentiert, dass das Leben der Gastarbeiter*innen nun mal Teil des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland darstelle, weshalb es die Aufgabe der Lehrer*innen und Schü-

786 787 788 789 790

Vgl. Müller 1974 b, S. 39 f. Vgl. ebd., S. 39 Vgl. bspw. Malecha 1982, S. 76 f. Vgl. bspw. Müller 1974 b, S. 39 f. Vgl. bspw. Rieger 1980; Roth 1985, S. 62

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

ler*innen sei, sich darüber zu informieren – z. B. mithilfe von Literatur über die Kultur und die aktuelle Lebenslage der Gastarbeiter*innen.791 Auch die Beschäftigung mit Fakten, die verbreitete Vorurteile widerlegen, z. B. den Kriminalitätsstatistiken oder Daten zu Arbeitsmarktlage, erscheint aus seiner Sicht notwendig.792 Vorschläge weiterer Autor*innen aus dem Bereich der Ausländerpädagogik beziehen sich ebenfalls auf kulturelle wie strukturelle Aspekte: Im Landeskundeunterricht soll auf kulturelle Begebenheiten wie auch die sozioökonomische Situation in den Herkunftsländern der Gastarbeiter*innen, auf die Entwicklungsunterschiede zwischen Deutschland und anderen Ländern sowie auf verschiedene Ursachen für die Auswanderung eingegangen werden.793 In differenzorientierten interkulturell-pädagogischen Arbeiten wird die Notwendigkeit der inhaltlichen Ausrichtung des Unterrichts auf das Konzept interkultureller bzw. multikultureller Erziehung betont, bei dem kulturelles Wissen eine zentrale Stellung einnehmen soll. Aus kulturalisierungskritischer Sicht geht mit solchen Konzepten jedoch, wie im Kapitel 3.2.4.1. „Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kulturalisierungsanalyse und Kulturalisierungskritik“ bereits dargelegt, nicht selten eine (implizit) defizitorientierte Sichtweise einher, die zwar die Notwendigkeit des kulturellen Wissenserwerbs für Mehrheitsgesellschaftsangehörige wie Minderheiten betont, dieses jedoch je nach Zielgruppe gänzlich unterschiedlich ausrichtet: Während kulturelles Wissen für die gesellschaftlich-kulturelle Mehrheit auf die Erweiterung des eigenen Wissenshorizonts abzielen soll („Die sogenannte multikulturelle Erziehung ist charakterisiert durch das Ziel einer allgemeinen Erweiterung kulturellen Wissens auf der Seite der Majorität“794), geht es bei den Minderheiten um den Erwerb grundlegender Wissensbestände, die ihnen die Integration in die Aufnahmegesellschaft ermöglichen sollen („auf der Seite der Minorität [erfolgt multikulturelle Erziehung] durch eine umfassende Wissensvermehrung und die Vermittlung abstrakter, formal-logischer, universalistischer Denkschemata, deren Beherrschung als notwendige Voraussetzung für die fortschreitende Bewältigung technisierter Umwelt angesehen wird“795). Dieser Differenzierung liegt die implizite Vorstellung eines „kulturellen Defizits“ aufseiten von Migrant*innen zugrunde, der sich bspw. in der – als Eigenschaft der „evolu-

791 792 793 794 795

Vgl. Koch 1970, S. 157 f. Vgl. ebd., S. 16 und 151 Vgl. bspw. Essinger 1974, S. 98 ff.; Müller 1970, S. 202 ff. Brenig 1986, S. 11 Ebd.

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tionär weniger erfolgreichen Kulturen“796 begriffenen – „konkreten, analogistischen und partikularistischen Denkweise“797 äußert, die der abstrakteren und komplexeren Denkkultur der so genannten industriell hochentwickelten Gesellschaften gegenübergestellt wird. Die gleichzeitig vertretene These von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Kulturen798 erscheint angesichts dieses konstruierten Hierarchieverhältnisses paradox. Neben dem Wissenserwerb werden persönliche Begegnungen zwischen Migrant*innen und Mehrheitsangehörigen als unverzichtbarer Teil des gegenseitigen Wissenserwerbs dargestellt.799 So wird bspw. auf die Möglichkeit hingewiesen, (ausreichend) Deutsch sprechende Gastarbeiter*innen Vorträge an Schulen halten zu lassen.800 Dies könne im Rahmen der Betriebspraktika organisiert werden. Als mögliche Themen solcher Vorträge nennt Koch (1970) die Lebenssituation der Gastarbeiter*innen in Deutschland, die wirtschaftlichen Profite durch den Gastarbeiter*innen-Einsatz und die Benachteiligung der Gastarbeiter*innen durch die Unternehmen.801 Hierbei soll auch Raum für Diskussionen mit einheimischen Schüler*innen geschaffen werden, um deren Interesse an der Herkunftsgeschichte, den Immigrationsmotiven und aktuellen Sorgen der ausländischen Arbeiter*innen zu berücksichtigen und das Wissen der Schüler*innen über das Leben verschiedener Gruppen in Deutschland zu erweitern. Die Fremdbegegnung wird somit als Anlass zu einem Lernprozess aufseiten der Majorität gesehen, bei dem Schüler*innen als eigenständige Forschungssubjekte agieren.802 Das „Erforschen“ der Gastarbeiter*innen wird zum einen als Prozess der Kompetenzgewinnung aufseiten der deutschen Schüler*innen präsentiert („Die Schüler verbessern ihre Arbeitstechnik des Sammelns und Sichtens, des Ordnens und des Dokumentierens […]“803) Hier spiegeln sich gesellschaftliche Machtund Hierarchieverhältnisse teilweise wider: Die Schüler*innen treten zwar aus dem üblichen Status als Objekte der Wissensvermittlung heraus, die Gastarbeiter*innen jedoch werden in den Status als Objekte der Untersuchung versetzt, da sie als „Übungsfeld“ zur Kompetenzentwicklung der deutschen Schüler*innen

796 797 798 799 800 801 802 803

Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. bspw. Droste et.al. 1987, S. 72 Vgl. Koch 1970, S. 158 Vgl. ebd., S. 151 Vgl. Koch 1970, S. 157 Ebd., S. 158, Hervorhebung A.I.

216

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

instrumentalisiert werden. Zum anderen jedoch versucht Koch in seinem Vorschlag auf verschiedene Dialog- und Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Schüler*innen, ihren Eltern und den Gastarbeiter*innen hinzuweisen, indem er z. B. für einen organisierten „Wissenstransfer“ zwischen den Akteur*innen plädiert: Die mehrheitsdeutschen Schüler*innen sollen im Rahmen des Unterrichts mit den Gastarbeiter*innen diskutieren, sich dann untereinander über die Diskussionsergebnisse austauschen und die ihre Erkenntnisse ihren Eltern und den Gastarbeiter*innen selbst präsentieren.804 Gerade durch den Einbezug der Eltern sollen – Kochs bereits erwähnter Auffassung folgend, dass es meistens Erwachsene sind, die Vorurteile gegenüber „Fremden“ haben – Kommunikationsbarrieren und Vorurteile aufseiten der Mehrheitsgesellschaft abgebaut werden.

Handlungsvorschlag 2: Empathieentwicklung als Mittel gegen Diskriminierung: Migrant*innen als Opfer begreifen Die Empathieentwicklung aufseiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft wird in sämtlichen Diskussionen um den Wissenserwerb und die Begegnungsmöglichkeiten zwischen den Mehrheitsangehörigen und Migrant*innen als ein wichtiges Lernziel erwähnt oder tritt sogar als zentrales Element von Lernkonzepten auf.805 Die Entwicklung der Fähigkeit zur Empathie geht dabei mit Verschiebungen der gängigen Blickwinkel einher: Zum einen soll durch die Versetzung in die Lage einer*s durch die Vorurteile betroffenen Migrantin*en der „Blick von außen“ durch einen Blick aus der inneren Perspektive ersetzt werden. Zum anderen sollen durch die Umkehrung der Perspektive vom Blick auf Migrant*innen als Täter*innen zum Blick auf Migrant*innen als Opfer ihrer Lebenssituation gängige negative Stereotype überwunden werden. Bei der Thematisierung von Migrant*innen als Opfer werden in der untersuchten Literatur u. a. folgende Ursachen für identifizierte Ausgrenzungszustände hervorgehoben: 1) Sprachliche Defizite Immer wieder werden mangelnde Kompetenzen in der deutschen Sprache und damit einhergehende geringe Artikulationsmöglichkeiten als Ursache für die

804 805

Vgl. ebd. Vgl. bspw. Nestvogels Konzept der „Erziehung zur Empathie“ (Nestvogel 1987)

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

217

soziale Isolation von Migrant*innen betont. Bei eingeschulten Kindern wird darüber hinaus auf die Schwierigkeit, dem Unterricht in gemischten Klassen zu folgen, und damit verbundene Leistungsnachteile hingewiesen.806 2) Sozialisierung in einer anderen „Kultur“ Mehrfach werden in der untersuchten Literatur vielfältige Unterschiede zwischen der migrantischen Herkunftskultur und der deutschen Kultur sowie die daraus resultierende Hin- und Hergerissenheit der Migrant*innen zwischen den beiden Kulturen erwähnt. Es wird betont, dass die Lebensweisen, Sitten oder Bräuche der Gastarbeiter*innen bzw. ihrer Kinder anders sind, weshalb es ihnen allgemein schwerfällt, sich an die Umgebung in Deutschland anzupassen.807 Dabei wird auch darauf hingewiesen, dass kulturelle Unterschiede je nach Herkunftsland mehr oder weniger ausgeprägt sein können.808 Sayler (1980) beschäftigt sich in ihrer qualitativen Studie über die Lebenssituation von Migrant*innenSchüler*innen in Deutschland u. a. mit der Frage, wie fremdkulturelle Orientierungen zur sozialen Isolation der Kinder führen.809 Die „Abkapselung“ der Gastarbeiter*innen-Kinder von ihren deutschen Altersgenossen sieht die Autorin als erzwungen (dadurch, dass deutsche Kinder bzw. Familien Kontakte mit „Ausländer*innen“ meiden würden) und gewollt zugleich (dadurch, dass die Gastarbeiter*innen selbst und ihre Kinder Ängste vor Kontakten mit den Einheimischen hätten)810. Sehr ausführlich wird die – laut Sayler genau aus dieser Isolation resultierende – kulturelle „Entwurzelung“ der Migrant*innen-Kinder beschrieben.811 Auch Essinger (1974) erwähnt den Faktor „kulturelle Differenz“ als einen bedeutenden Grund für die Ablehnung der Gastarbeiter*innen und ihrer Kinder durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft, und schildert u. a. die Gefährdung des Identitätsbildes, Resignation oder Aggression aufseiten der Ausgegrenzten als mögliche Folgen.812

806 807 808 809 810

811 812

Vgl. bspw. Koch 1970, S. 138; Pruckner 1982 Vgl. bspw. Essinger 1974, S. 41; Sayler 1980, S. 29 Vgl. Malecha 1982, S. 27f Vgl. Sayler 1980, S. 29 ff. Hier betont Sayler negative Elterneinflüsse (z. B. die Verhinderung des Kontakts zu deutschen Altersgenossen und Familien) als Ursache (vgl. Sayler 1980, S XII f.) Vgl. Sayler 1980, S. 43 Vgl. Essinger 1974, S. 41

218

Synchrone Analyse des Diskursfeldes… 3) Vorurteile aufseiten der Mehrheitsgesellschaft

Sayler (1980) beobachtet v.a. bei Kindern, die noch nicht lange in Deutschland leben, ein ausgeprägtes Streben nach freundschaftlichen Kontakten mit ihren deutschen Altersgenoss*innen. Idyllische Bilder von gemeinsamen (Freizeit)Aktionen, die ausländische Schüler*innen im Rahmen der Untersuchung gemalt haben, beziehen sich nach der Meinung der Autorin genau auf diese Wunschvorstellungen.813 In der Realität würden die Kinder von Migrant*innen hingegen oft mit „Gedankenlosigkeit, dumme[n] Vorurteile[n] und kalte[r] Aggressivität vonseiten der deutschen Altersgenoss*innen und Erwachsenen“814 konfrontiert. Einen ähnlichen Kontrast zwischen idyllischen Vorstellungen von Deutschland und ausgrenzender Wirklichkeit thematisiert Essinger (1974) in einem seiner Unterrichtsvorschläge zu der Lebenslage der Gastarbeiter*innen (s. u.)815 4) Rechtliche und soziale Ungleichheit Durchgängig finden sich in der untersuchten Literatur Hinweise auf die rechtliche und soziale Ungleichheit der Gastarbeiter*innen, die Ausbeutung durch die Unternehmen, die Benachteiligungen auf dem Wohnungsmarkt und bei der Arbeitssuche usw.816 Besonders ausführlich wird die soziale und rechtliche Lage von Migrant*innen in den Unterrichtsmodellen von Essinger (1974) thematisiert. Die Unterrichtsvorschläge für verschiedene Altersstufen enthalten verschiedene Fallbeispiele, anhand derer die (mehrheitsdeutschen) Schüler*innen die schwierige Lebenssituation von „Gastarbeiter*innen“ und ihren Familien nachempfinden können. So wird z. B. im Unterrichtsvorschlag „Maria aus Sizilien“817 die Geschichte eines kleinen Mädchens Maria erzählt, deren Familie aus beruflichen Gründen nach Deutschland gezogen ist. Die schwierige Lage der Familie wird mit verschiedenen sozialen, finanziellen und kulturell bedingten Problemen in Verbindung gebracht. Auch wird betont, dass die deutsche Gesellschaft Maria und ihrer Familie mit hohen Anpassungserwartungen begegnet, denen Maria und ihre Familie jedoch v. a. aufgrund ihrer kulturellen Andersheit nicht gerecht werden können.818 Ähnliche Themen werden im Unterrichtsentwurf „Die Ge-

813 814 815 816 817 818

Vgl. Sayler 1980, S. 14 und 26 Ebd., S. 60 Vgl. Essinger 1974, S. 85 ff. Vgl. bspw. Koch 1970, S. 152; Jander et.al.1974, S. 10; Sayler 1980, S. XI f.; Pelinka 1982 Essinger 1974, S. 53 ff. Vgl. ebd., S. 71

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219

schichte von Mustapha el Hajaj“819 angesprochen. Der Küchenarbeiter Mustapha fühlt sich vor dem Hintergrund der ständigen Demütigung und Abwertung durch Deutsche absolut hilflos – zum einen, weil in Deutschland Mechanismen zum Schutz vor Diskriminierung fehlen. Zum anderen sind es aber auch seine herkunftskulturellen „Besonderheiten“, die mit den deutschen Normen und Werten nicht kompatibel sind und ihm das Leben erschweren (so kann es Mustapha bspw. nicht ertragen, dass Frauen ihn „rumkommandieren“, was bei ihm Aggressionen hervorruft). Das postulierte Lernziel der zwei beschriebenen Unterrichtseinheiten ist es, Schüler*innen die schwierige Lage der Gastarbeiter*innen näher zu bringen und dadurch Empathie und Verständnis für „Fremde“ zu wecken.

Handlungsvorschlag 3: Engagement gegen Vorurteile Eine Positionierung der schulischen Akteur*innen gegen die Vorurteilsbildung verfolgt in der analysierten Literatur zum einen das Ziel, die Situation von ausländischen Schüler*innen zu verbessern, indem die vermuteten negativen Auswirkungen der Vorurteile, bspw. mangelndes Lerninteresse und Motivation, Isolation, Resignation und Aggression, vermieden werden. Zum anderen soll die Erziehung zu „Vorurteilsfreiheit“ auch positiven Einfluss auf die Mehrheitsangehörigen haben, wie bspw. die Stärkung der Selbstkritik und der Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen sowie eine kritische bzw. nicht-opportunistische politische Haltung zu entwickeln.820 Es wird teilweise dafür plädiert, dass Lehrer*innen explizit eine Abkehr von der „sonst immer gefordert[en]“821 politischen Neutralität vornehmen und eine eindeutige Stellung gegen die Verbreitung unreflektierter Vorurteile beziehen. Ein entsprechend gestalteter Bildungsprozess soll eine Wertereflexion bei Schüler*innen anstoßen, bei dem (vorurteilsbehaftete) Haltungen der Kinder – auch wenn es sich um scheinbar „harmlose“ Formen, wie bspw. Spott handelt – ernst genommen werden und an der Entwicklung alternativer Haltungen gearbeitet wird.822 Lehrkräfte sollen konkrete Handlungsstrategien für den Unterricht und das Schulleben entwickeln, die einen konstruktiven und fairen Umgang mit Mig-

819 820 821 822

Ebd., S. 76 ff. Vgl. Müller 1974 b, S. 39 Roth 1985, S. 63 Vgl. Roth 1985, S. 63 und 69; Müller 1974 b, S. 39 f.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

rant*innen ermöglichen.823 Eine wichtige Rolle spielt dabei die grundlegend positive Einstellung der Lehrpersonen gegenüber Migrant*innen, wodurch nicht zuletzt auch strukturelle Veränderungen angestoßen bzw. befördert werden können: „Und wenn solche grundlegenden Veränderungen nicht immer sichtbar oder spektakulär sind, so sind sie dennoch oftmals lohnend, weil einem einzelnen geholfen wurde, der ja selbst auch wieder in Kontakt mit anderen tritt und Kinder erziehen wird, so daß sich langfristig gesehen jedes Entgegenkommen auswirkt“.824 Konkrete Formen soll das Engagement der Lehrkräfte bspw. in der aktiven Erziehung der Kinder zur Solidarisierung mit Migrant*innen im Alltag annehmen.825 Wie oben bereits angemerkt, erfolgt diese Erziehung jedoch maßgeblich über die verstärkte Viktimisierung von Minderheitsangehörigen, bei der gerade durch wiederholende Hinweise auf angenommene kulturelle Differenz oder sprachliche Defizite eine implizite Abwertung von „Fremden“ stattfindet. Situationen, in denen Migrant*innen positiv dargestellt werden, handeln interessanterweise nicht von selbstbewussten, fröhlichen, offenen und gut Deutsch sprechenden Personen, sondern betonen die Opferposition von Minderheitenangehörigen die gleichzeitig mit einem Angewiesensein auf die Hilfe der deutschen Mehrheitsgesellschaft einhergeht, wie bspw. hier bei Koch: „In klugen Elternhäusern hören unsere Kinder auch Lobenswertes über die Gastarbeiter: Vom Vater über seinen fleißigen Kumpel aus der Türkei, von der Mutter über die bescheidene und sprachlich fast hilflose Spanierin, der sie beim Einkaufen helfen konnte (Ertrag der letzten Mallorca-Reise), vom Bruder, dem Bankangestellten, über den erstaunlichen Sparsinn eines Portugiesen, der jeden Monat regelmäßig 200,- DM an seine Familie schickt, und über den Zusammenhalt und die Familienliebe der Ausländer aus Südeuropa.“826 Aktuelle Beispiele im schulischen Bereich Der Bereich der aktuellen pädagogischen (Schul-)Praxis bleibt bisher wesentlich geprägt von individuellen Vorurteilskonzepten – vor allem wenn es um konkrete Unterrichtsinhalte geht. Dies soll im Folgenden am Beispiel eines Kapitels aus

823 824 825 826

Vgl. Roth 1985, S. 69 Ebd., S. 70 f. Vgl. bspw. Müller 1974 b; Essinger 1974; Sayler 1980, S. 44; Bebelmann et al. 1982 Koch 1970, S. 151 – Hervorhebung im Original

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

221

dem Klett-Lehrbuch „Wege finden“827 veranschaulicht werden, das unter dem Motto „Vorurteile überwinden“ steht.828 Vorurteile werden in dem Kapitel ausschließlich auf individueller Ebene gedeutet – als vorschnelle, verallgemeinernde Urteile über etwas, worüber man noch nicht genug weiß.829 Der Wissenserwerb über „fremde“ Kulturen und Länder wird explizit als Mittel zur Überwindung bzw. Vorbeugung von Vorurteilen dargestellt („Wenn wir die Menschen und Kulturen anderer Länder kennenlernen, kann das helfen, Vorurteile zu überwinden oder sie gar nicht erst entstehen zu lassen.“830) Die direkte Verknüpfung von kulturellem Wissen und Vorurteilsfreiheit begegnet einem häufig in interkulturellen (Fort-)Bildungsmaßnahmen831 – ebenso wie die im Kapitel weiterhin aufgegriffene Darstellung von Respekt und Toleranz als Voraussetzungen für einen angemessenen Umgang mit kulturellen Unterschieden. Neben dem Vorurteilsbegriff operiert das Kapitel auch mit einem Rassismusbegriff, wobei Rassismus sowohl als Phänomen („Rassismus ist die Benachteili-

827 828 829 830 831

Vgl. Klett 2011 (die Autor*innen werden nicht genannt) Vgl. ebd., S. 95 ff. Vgl. ebd., S. 98 Ebd., S. 114 Insbesondere nehmen Fortbildungen zum Islam, die durch den Anspruch gekennzeichnet sind, Ressentiments gegenüber Muslim*innen durch die Aufklärung der Mehrheitsgesellschaft über religiöse Praktiken dieser Gruppe zu beheben, einen wichtigen Platz in der interkulturellen Lehrer*innen-Fortbildungslandschaft ein – siehe bspw. das aktuelle Fortbildungsprogramm für Lehrer*innen des Staatlichen Schulamtes im Landkreis München (vgl. Staatliches Schulamt im Landkreis München 2016) oder entsprechende Fortbildungsangebote der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen, einer führenden bayerischen Lehrer*innenfortbildungsinstitution (vgl. FIBS 2017). Besonders wichtig erscheint hier der Hinweis, dass dieser Anspruch teilweise auch in wissenschaftlichen Forschungen zu Islam unreflektiert reproduziert wird. Als ein besonders anschauliches Beispiel kann die Arbeit des Islamwissenschaftlers Peter Heine (1996) genannt werden, in der die Entwicklung des „Feindbildes Islam“ von der Vergangenheit bis in die Gegenwart analysiert wird. Der Autor versucht, seinem explizit formulierten Anspruch, Vorurteile und Klischees durch die Vermittlung eines objektiven und mehrperspektivischen Wissens über Islam zu entkräften, gerecht zu werden, indem die aktuelle Situation in den so genannten islamischen Ländern und insbesondere die Phänomene des islamischen Fundamentalismus und Nationalismus als Folge eines „falschen“ Islamverständnisses analysiert werden (vgl. Heine 1996, S. 148). Dadurch, dass sich der Autor selbst eines Klischees des „wahren Islams“ bedient und politische Ebene vollkommen ausblendet, stellt sich die Frage, ob die Arbeit, entgegen dem postulierten Ziel, erst zur Verstärkung von eindeutigen Bildern über „den“ Islam beiträgt.

222

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

gung aufgrund von Nationalität, Herkunft oder Hautfarbe“832) als auch als Ausdruck einer individuellen Handlung gefasst wird: „Rassistisch ist jemand, der Menschen aufgrund von Nationalität, Herkunft oder Hautfarbe benachteiligt.“833 Implizite Hinweise auf systemische Wirkungen von Rassismus werden im Kapitel durch die knappe Schilderung der Sklaverei und Diskriminierung von Schwarzen in den USA sowie Apartheid in Südafrika gegeben – es finden sich jedoch keinerlei Anknüpfungen an aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Ereignisse (bspw. im deutschen Kontext), die im Zusammenhang mit rassistischen Verhältnissen stehen und auch mit Kindern in der 5. und 6. Klasse diskutiert werden könnten. Es fällt auf, dass, obwohl die im Kapitel vorhandene Definition von Rassismus als Benachteiligung aufgrund von Nationalität, Herkunft oder Hautfarbe durchaus solche Anknüpfungen zulässt, Rassismus ausschließlich in die Vergangenheit (und außerhalb Deutschlands) gedrängt wird, was u. a. durch Fragestellungen wie „Überlege, warum die schwarze Bevölkerung in Amerika diskriminiert wurde“834 verstärkt wird. Versucht man die im Kapitel verwendeten Begriffe „Vorurteil“ und „Rassismus“ anhand gegebener Definitionen voneinander abzugrenzen, so wird klar, dass ein Vorurteil auf (vorschnelles) Urteilen und Denken und Rassismus auf diskriminierendes Handeln bezogen wird. Dabei ist die Absicht der Autor*innen deutlich, Rassismus als Folge von individuellen Vorurteilen darzustellen. So wird bspw. gezielt nach dem Zusammenhang von Sklaverei und Vorurteilen und nach der Rolle von Vorurteilen bei der Diskriminierung von Schwarzen in den USA der 1960er Jahre gefragt. Martin Luther Kings Kampf gegen rassistische Verhältnisse sowie die Schilderung von Apartheid in Südafrika werden unter dem Titel „Gegen Vorurteile und Diskriminierung“ subsumiert.835 Das Engagement der Schulen im Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ fällt unter die Rubrik „Schüler gegen Vorurteile.“836 Vorfälle des alltäglichen Rassismus, wie z. B. Gewalt gegen Asylbewerber*innen, werden explizit als eine „Folge von Vorurteilen“837 gedeutet. Schließlich sollen die Schüler*innen am Ende des Kapitels darüber reflektieren, ob sich ihre Einstellung gegenüber frem-

832 833 834 835 836 837

Klett 2011., S. 108 Ebd., S. 106 Ebd., S. 108, Hervorhebung A.I. Vgl. ebd., jeweils S. 107 und 108 Ebd.., S. 112 Ebd., S. 110

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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den Menschen verändert hat838 – wodurch die Intention der Autor*innen, durch Wissenserwerb zur Änderung der persönlichen Einstellung und zur Überwindung von Vorurteilen beizutragen, wiederholt deutlich wird. 3.2.5.2 Leitmotiv: Rassismus als Vorurteil; Bezugskategorie: „Weiterentwicklungen“ des Vorurteilsbegriffs

Erweiterung des Vorurteilsbegriffs auf die Komponente struktureller Dominanz Müller (1974) macht die Auseinandersetzung mit den Vorurteilen gegenüber Gastarbeiter*innen zum zentralen Thema in seinen Unterrichtsmodellen für die Sekundarstufe I und II. Das erklärte Ziel ist die Bekämpfung von Ressentiments aufseiten der Mehrheitsgesellschaft. Bemerkenswert ist, dass sich Müller zwar stark auf den Vorurteilsbegriff konzentriert, jedoch im Titel seiner Arbeit bereits von Diskriminierung spricht und auf die gesellschaftliche Ungleichheit (Mehrheitsgesellschaft vs. Minderheiten) verweist – auch wenn er dann in seiner Arbeit den Begriff der Diskriminierung nicht mehr aufgreift und sich teilweise einer essentialisierenden Vorstellung von strikt voneinander abgetrennten Völkern und sogar Rassen bedient. In den seinen Unterrichtsentwürfen vorausgehenden theoretischen Überlegungen kritisiert Müller den gegebenen Forschungsstand, der das Problem der Vorurteile vorwiegend auf der Ebene der individuellen Einstellungen verortet. Seine Kritik bezieht sich u. a. auf die (oben bereits erwähnte) Studie von Malhotra aus dem Jahr 1973, in der betont wurde, dass die Einstellungen der Lehrer*innen gegenüber Migrant*innen-Kindern in hohem Maße persönlichkeitsabhängig seien.839 Müller wirft dieser und weiteren ähnlich argumentierenden Publikationen einen „Verzicht auf die Entstehungs-, Vermittlungs- und Funktionszusammenhänge“840 vor. Das in den Ergebnissen empirischer Befragungen häufig konstatierte Fehlen von „Vorurteilsmustern“ bei den Lehrkräften betrachtet er als „Zeichen für die fraglos akzeptierte und unwidersprochene Faktizität von Vorurteilen, die Prakti-

838 839 840

Vgl. ebd., S. 116 Vgl. Malhotra 1973 Müller 1974 b, S. 41

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

zierung der von ihnen bestimmten Macht- und Rollenverhältnisse.“841 Müller kritisiert die Vorstellung vom autonomen Handeln der Pädagog*innen sowie die damit einhergehende Ignoranz struktureller Eingebundenheit von Bildungsinstitutionen in das politische System842 – und plädiert dafür, die in Bildungskontexten bereits angestoßene Überwindung von Vorurteilen stärker auf die Entwicklung eines kritischen Blicks auf „Defizite[.] im gesellschaftlichen Bereich, die organisiert und institutionalisiert sind“843 zu beziehen. Ausgehend von diesen Prämissen analysiert Müller die gängigen Prinzipien, an denen sich Pädagog*innen bei der Behandlung des Themas „Gastarbeiter*innen“ im Unterricht orientieren, und systematisiert diese entlang dreier unterschiedlicher Herangehensweisen (Appell, Information und Reflexion). So würden Lehrkräfte, die ihren Unterricht ausgehend vom Prinzip des Appells gestalten, die Entwicklung der Empathie bzw. des Mitgefühls gegenüber Migrant*innen bei ihren Schüler*innen gegenüber anderen Zielen priorisieren. Hinsichtlich der Angemessenheit dieses Prinzips zeigt sich der Autor skeptisch – zum einen, weil moralische Botschaften von Schüler*innen als aufgezwungen empfunden und mit dem wachsenden Streben nach Autonomie auch verworfen werden können. Zum anderen sei die Wirkungskraft solcher Appelle immer an die Autorität der Appell aussprechenden Institutionen oder Personen gebunden: Geht die Autorität aus irgendeinem Grund verloren, dann verliert auch der Appell seine Kraft. Zudem würde ein kategorisches Festhalten am Appell die binäre Aufteilung der Wirklichkeit in „gut“ und „böse“ begünstigen. Schließlich betont Müller, Appelle würden häufig einer faktischen Grundlage entbehren, was sie unglaubwürdig mache.844 Hingegen gehe mit dem Prinzip der Information der Anspruch einher, die gesellschaftliche Wirklichkeit anhand der (von moralischen Zuschreibungen befreiten) Tatsachen zu beschreiben. Lehrer*innen, die diesem Prinzip folgen, versuchen, die Tatsachen getrennt von Interpretationen und moralischen Schlüssen zu behandeln. Als Nachteil sieht Müller die bestehende Praxis der Informationsaufbereitung, bei der die Suche nach relevanten Informationen einseitig der Lehrkraft obliegt und den Schüler*innen eher passive Rolle als Rezipient*innen zugewiesen wird. Eine Beschäftigung mit (vorgegebenen) „trockenen Fakten“ wäre laut

841 842 843 844

Ebd., S. 42 Vgl. ebd., S. 43 Ebd., S. 43 Vgl. ebd., S. 51

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Müller für die Entwicklung des kritisch-reflexiven Umgangs mit Informationen ungeeignet. Gerade diese Kompetenz betrachtet der Autor jedoch als grundlegend für ein vorurteilssensibles Handeln. Daher spricht Müller seine klare Präferenz für das Prinzip der Reflexion aus, bei dem das Material durch die Lehrkräfte so aufbereitet werden soll, dass die Schüler*innen ihre Aufmerksamkeit auf die eigenen Denkmuster richten und so die vermeintlich objektive Wahrnehmung von Wirklichkeit dekonstruieren können. Allerdings stieße auch dieses Prinzip auf seine Grenzen, wenn es bspw. um Personen mit verfestigten Einstellungen geht. Ebenso müsse mit Blick auf die konkrete Unterrichtsgestaltung bedacht werden, dass die Reflexion nicht einfach als ein Unterrichtsinhalt eingeführt werden kann, sondern konsequent herausgearbeitet werden muss, was normalerweise ein langer Prozess ist.845 Um zu zeigen, wie eine angemessene Aufbereitung des Materials, die hauptsächlich dem Appell der Reflexion folgt, durch die Lehrkräfte konkret umgesetzt werden kann, entwickelt Müller Unterrichtsentwürfe für alle Altersstufen, in denen versucht wird, gesellschaftlicher Komplexität Rechnung zu tragen und sowohl kulturelle als auch politische und ökonomische Zusammenhänge zu beachten. Folgende Themen können dabei interaktiv bearbeitet werden: -

Selbstkritisches Deutschlandbild: Verantwortung Deutschlands für das Wohl der Gastarbeiter*innen und politische Fehler,846 Analyse prekärer Arbeitsverhältnisse,847 Thematisierung ökonomischer Ausbeutung;848

-

Vorurteile: Entstehung und Funktion von Vorurteilen,849 Analyse des Ausmaßes, der Art und der Folgen von Vorurteilen,850 Erkennung des „Willkürcharakters“ von Vorurteilen und der negativen Auswirkungen auf Betroffene;851

845 846

847

848 849 850 851

Vgl. ebd., S. 51 f. Vgl. Unterrichtseinheit „Mitbürger oder Fremde? Wie ausländische Arbeiter bei uns leben“, S. 60 ff.; „In der Rolle des Außenseiters – Ausländer in Deutschland“, S. 100 Vgl. Unterrichtseinheiten „Kulis für die Dreckarbeit? Ausländische Arbeiter im Betrieb“, S. 61 f.; „Wollen wir sie mit ihren Schwierigkeiten alleine lassen? Probleme und Konflikte ausländischer Arbeiterkollegen“, S. 103 Vgl. Unterrichtseinheit „Wir nennen sie Gastarbeiter – Warum haben wir sie gerufen?“, S. 57 Vgl. Unterrichtseinheit „Wie entstehen Vorurteile und welche Funktionen haben sie?“, S. 102 Vgl. Unterrichtseinheit „Vorurteile gegen ausländische Kinder“, S. 101 f. Vgl. Unterrichtseinheiten „Ist Verleumdung erlaubt? Vorurteile gegen ausländische Arbeiter“, S. 62f.; „Außenseiter in der Klasse? Eine Schule für alle Kinder“, S. 64 ff.; „In der Rolle des Au-

226

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

-

Selbstreflexion in Bezug auf Vorurteile: Erkennen des eigenen Anteils an der Vorurteilsbildung,852 Erkennen der Auswirkungen von Vorurteilen auf die eigene Persönlichkeit, Reflexion eigener Vorurteile,853 Entwicklung einer entschiedenen Haltung gegen die Vorurteile,854 Entwicklung von Solidarität gegenüber Migrant*innen (auf Basis von Empathie);855

-

Sprachgebrauch: Sensibilisierung für und kritische Analyse von der vorurteilsbehafteten Sprache, Entwicklung eines vorurteilsfreien Sprachgebrauchs,856

-

Kommunikation und Kooperation mit ausländischen Mitschüler*innen.857

Dabei flechtet Müller auch Elemente des Informationsprinzips (z. B. Wissenserwerb über die ökonomische Situation der Gastarbeiter*innen) und des AppellPrinzips (Empathieentwicklung durch den Vergleich prekärer Bedingungen der Gastarbeiter*innen mit verschiedenen Diskriminierungserfahrungen der Mehrheitsdeutschen im Arbeitsumfeld) in seine mehrheitlich reflexionsorientierten Unterrichtsvorschläge ein.

Erweiterung des Vorurteilsbegriffs auf die Komponente „Schichtzugehörigkeit“ – Jander et al. (1974) Den Ausgangspunkt für den kritischen Beitrag von Jander, Küpper und Lobner (1974) „Zur Lage der ausländischen Arbeiter in der BRD“ bildete die Analyse verschiedener Berichte zur „Gastarbeiter“-Situation in Deutschland.858 Das Interesse der Verfasser galt insbesondere diskriminierenden Bezeichnungen, die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf die „Gastarbeiter*innen“ verwendet werden. Jander et.al. stellten dabei fest, dass in diesen Bezeichnungen

852

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855

856 857 858

ßenseiters – Ausländer in Deutschland“, S. 100f.; „Im Banne des Vorurteils: Verfolgte und Verfolger“, S. 102 f. Vgl. Unterrichtseinheiten „Außenseiter in der Klasse? Eine Schule für alle Kinder“, S. 64 ff.; „Wie Völker und Rassen einander sehen: Stereotype und Klischees“, S. 98. Vgl. Unterrichtseinheit „Im Banne des Vorurteils: Verfolgte und Verfolger“, S. 102 f. Vgl. Unterrichtseinheiten „Ist Verleumdung erlaubt? Vorurteile gegen ausländische Arbeiter“, S. 62 f.; „Außenseiter in der Klasse? Eine Schule für alle Kinder“, S. 64 ff. Vgl. Unterrichtseinheiten „Wollen wir sie mit ihren Schwierigkeiten alleine lassen? Probleme und Konflikte ausländischer Arbeiterkollegen“, S. 103 Vgl. Unterrichtseinheit „Die Sprache des Hasses: Hetze und Verleumdung“, S. 99 ff. Vgl. Unterrichtseinheit „Vorurteile gegen ausländische Kinder“, S. 101 f. Jander et al. stützen sich dabei wesentlich auf die Zusammenfassung von Klee (1972)

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nicht nur Vorurteile gegenüber einer bestimmten Nationalität, sondern auch die allgemeinen Ressentiments gegenüber den Angehörigen der so genannten Unterschicht zum Ausdruck kommen.859 Daraus schlossen die Autoren, dass die beobachtete „Hartnäckigkeit“ 860 von Vorurteilen gegenüber den Gastarbeiter*innen und ihren Familien ohne die Berücksichtigung der ökonomischen und sozialen Bedingungs- und Funktionszusammenhänge nicht erklärt werden könne und dass es maßgeblich die strukturell marginalisierte Stellung der Gastarbeiter*innen sei, die zu deren Abwertung führt.861 Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass die sich deutsche Mehrheitsbevölkerung implizit der eigenen Schuld an der prekären Lage der Gastarbeiter*innen bewusst ist, dieses Bewusstsein jedoch aus Selbstschutz verdrängt, indem bspw. die Argumente wie „Aber es geht ihnen doch immer noch besser als zu Hause“, „Schließlich sind sie ja freiwillig gekommen“, „Sie verdienen doch gut bei uns“ usw. bei der Diskussion um die ökonomische Ausbeutung der Gastarbeiter*innen eingesetzt werden.862 Gleichzeitig entwickle sich verstärkt eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, die Ängste aufseiten der deutschen Bevölkerung schüre: Gerade aufgrund ihres höheren sozialen Status‘ würden deutsche Arbeiter*innen den Verlust ihrer Arbeitsplätze befürchten. So sei die Teilnahme an Streiks und der Einsatz für die Arbeitsrechte für die Gastarbeiter*innen wegen rechtlicher und aufenthaltsbezogener Konsequenzen problematisch, weshalb aufseiten der deutschen Arbeitnehmer*innen ein generelles Misstrauen gegenüber den Unternehmen entstehe, ob letztere nicht genau aus diesem Grund ausländische Arbeiter*innen den deutschen Arbeiter*innen irgendwann „vorziehen“.863 Durch die Vorurteile erhalten, so Jander et al., solche ökonomischen Ängste eine Rechtfertigung: Vorurteile werden benutzt, um die Aufmerksamkeit von strukturellen Missständen auf die angeblichen Defizite der strukturell Marginalisierten selbst zu lenken und dadurch die gegebenen (Macht)Ordnungen zu rechtfertigen. Denn können gesellschaftliche Missstände durch die Mängel der anderen erklärt werden, so entfällt die Notwendigkeit der Selbstreflexion und -kritik. Jander et al. kritisieren die mit dieser Logik verbundene selektive Wahrnehmung der Realität, die Herstellung klarer Unterschiede zwi-

859 860 861 862 863

Vgl. Jander et al. 1974, S. 14 Ebd., S. 22 Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 27 f.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

schen den „Guten“ und den „Bösen“ und als Folge die Verfestigung von Vorurteilen und Diskriminierungsordnungen.864 In Anlehnung an Adorno865 betrachten die Autoren die Vorurteilsbildung „nicht als individuell gegebenes moralisches Defizit, sondern als eine Schwäche der sozial vermittelten Identität“.866 Vorurteile ergeben sich, so Jander et al., aus der Unmöglichkeit, einen sicheren sozialen Status zu erlangen, ohne sich dabei in Konkurrenz mit anderen zu sehen. Da die Wurzeln des Problems nicht individuell gelöst werden können, soll eine Reihe von Lösungsvorschlägen auf politischer Ebene diskutiert werden. Ein Rotationsprinzip bei der Gastarbeiter*innenbeschäftigung (nach einer festgelegten Aufenthaltsdauer werden die in Deutschland lebenden Gastarbeiter*innen abgeschoben und durch neue „ersetzt“) weisen die Verfasser aufgrund der besonderen rechtlichen Situation (3550% der bereits in der BRD lebenden Arbeiter*innen hätten bereits aufgrund der längeren Aufenthaltsdauer rechtlichen Sonderstatus erlangt) sowie aus ökonomischen und humanitären Überlegungen zurück. Ebenso skeptisch stehen sie dem Prinzip „Export der Arbeitsplätze statt Import der Gastarbeiter“867 gegenüber, da dieser nicht die Probleme der in der BRD lebenden Arbeiter*innen lösen könne und zudem im Widerspruch zu den Grundsätzen der Entwicklungshilfe stehen würde. Als die einzige politisch sinnvolle Alternative begreifen Jander et al. deshalb eine umfassende rechtliche, politische und soziale Integration der Gastarbeiter*innen, die ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht.868

Erweiterter Vorurteilsbegriff in aktuellen wissenschaftlichen Ansätzen Die Vorurteilsforschung hat sich als wichtiges Teilgebiet u. a. in der (Sozial-) Psychologie,869 Soziologie870 und Politikwissenschaften871 etabliert. Dabei wird der Vorurteilsbegriff häufig als Oberbegriff für Rassismus und Antisemitismus

864 865 866 867 868 869

870 871

Vgl. ebd., S. 22 f. Vgl. Adorno et al. 1950, zit. n. Jander et al 1974, S. 22 Jander et al. 1974, S. 22 Ebd., S. 30 f. Vgl. ebd. Vgl. bspw. Petersen/Dietz 2006, Petersen/Six 2008; zur Übersicht relevanter Theorien vgl. Mieke 1999 Vgl. ursprünglich Allport 1954; zur Übersicht relevanter Ansätze vgl. Stolz 2000 Vgl. Pelinka 2011, Bunzl/Senfft 2008

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

229

sowie vielfältige Diskriminierungsphänomene verwendet. Eine Blindheit gegenüber sozialen und gesellschaftlichen Faktoren geht damit nicht zwingend einher. Bspw. betonen die meisten Ansätze der (sozial-)psychologischen Vorurteilsforschung die Bedeutsamkeit allgemeiner gesellschaftlicher Prozesse, wie z. B. wirtschaftliche Stagnation und anwachsende Arbeitslosigkeit (der konflikttheoretische Ansatz872), sozialer Kategorisierungen bzw. Rollenmodellen (vgl. der lerntheoretische Ansatz)873, oder Machtasymmetrien, die zu Aggressionsverschiebungen bzw. Projektionen auf bestimmte Gruppen führen (vgl. der psychodynamische Ansatz, insbesondere die Sündenbock-Hypothese874).875 Dennoch wird die Analyse von Vorurteilen (bzw. dementsprechend auch Rassismus- und Diskriminierungsphänomenen) in der (Sozial-)Psychologie, Soziologie und teilweise auch in den Politikwissenschaften trotz der Einbeziehung individuumsunabhängiger Faktoren nicht auf der Ebene gesellschaftlicher Funktionsmechanismen, sondern auf der Ebene der individuellen Einstellungen verortet (Stichwort Einstellungsforschung876). In der Tradition des berühmten Psychologen und Vorurteilsforschers Gordon Allport werden Vorurteile dementsprechend als negative Einstellungen aufgefasst, die aufgrund falscher und starrer Generalisierungen entstehen.877 Die Entstehung von Vorurteilen ist nach Allport insofern natürlich, da die Vorurteilsbildung an die Notwendigkeit gebunden sei, die Umgebung möglichst schnell analysieren und kategorisieren zu können. Darüber hinaus spielen Vorurteile eine bedeutende Rolle bei der Selbstverortung im sozialen Gefüge und der Entwicklung eines positiven Selbstbildes.878 Durch diese Verortung ist die starke Fokussierung der wissenschaftlichen Untersuchungen auf negative Einstellungen von Personen gegenüber bestimmten Gruppen bzw. ihren Mitgliedern879 bzw. die teilweise nach wie vor praktizierten Analysen von Diskriminierung insbesondere als einem intentional gerahmten Verhalten880 bedingt. Eine breite Rezeption v. a. in interkulturell-pädagogischen

872

873 874 875 876 877 878 879 880

Vgl. bspw. Campbell 1965; Modifikation des Ansatzes durch Tajfel (vgl. Tajfel 1969); zusammenfassend vgl. Antweiler 1998, S. 35 Vgl. bspw. Bandura 1979; zusammenfassend vgl. Stroebe 1988, S. 509 ff. Vgl. Dollard et.al. 1939; zusammenfassend vgl. Nolting 1993 Zum integrierten Ansatz vgl. Stroebe 1988; Lin 1999, S. 51 Vgl. bspw. Lin 1999 Vgl. Allport 1954, S. 9 Vgl. ebd. Vgl. Petersen/Six 2008; S. 109 Vgl. Duckitt 1992

230

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Konzepten fand zudem Allports Kontakthypothese, die besagt, dass Vorurteile gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen durch den häufigen Kontakt zu diesen reduziert werden können – insbesondere dann, wenn beide Seiten einen gleichen sozialen Status haben, gemeinsame Ziele verfolgen und der Kontakt von Autoritäten unterstützt wird.881 Wesentliche Implikationen für die Praxis einer vorurteilspädagogischen Arbeit beziehen sich dementsprechend auf die Veränderung der eigenen Einstellungen gegenüber „Fremden“, eine kritische Auseinandersetzung mit Generalisierungen und Objektivierungen882 sowie auf die Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten und Förderung von solidarischem Verhalten gegenüber anderen.883 Dieser Herangehensweise stehen aktuelle pädagogische bzw. erziehungswissenschaftliche Ansätze der diskriminierungskritischen und migrationspädagogischen Forschung kritisch gegenüber.884 Der Kern der Kritik lässt sich so zusammenfassen, dass es nicht angemessen sei, „Praktiken, die sich in bestimmten sozialen Situationen bzw. Kontexten und unter der Bedingung der Anwesenheit und Interaktion mehrerer Individuen realisieren, im Horizont individueller Handlungsmotive zu deuten […].“885 Mit der hier nur kurz angedeuteten kritischen Perspektive geht folglich die Ablehnung der Verwendung des Vorurteilsbegriffs als Oberbegriff für Phänomene des Rassismus einher. Rassismus wird in der Migrationspädagogik als gesamtgesellschaftliches Phänomen und soziales Herrschafts- bzw. Dominanzinstrument analysiert.886 Diese umfassende, strukturbezogene Deutung von Rassismus hat bspw. zur Konsequenz, dass nicht die Vorurteile gegenüber Muslim*innen, Roma oder Jud*innen analysiert werden, sondern die strukturellen Äußerungsformen des antimuslimischen Rassismus887, Antiziganismus888 oder Antisemitismus.889 Ein weiterer

881

882 883 884 885 886 887 888 889

Allports Kontakthypothese wurde u. a. durch die Ergebnisse einer großangelegten Metaanalyse von Pettigrew und Tropp (2006) sowie einer repräsentativen Studie von Wagner, Christ, Pettigrew, Stellmacher und Wolf (2006) bestätigt. Vgl. Hort 2007, S. 37 ff. Vgl. Lin 1999, S. 235 Vgl. zusammenfassend Rose 2012, S. 166 Hormel 2007, S. 44 Vgl. bspw. Leiprecht 2001; Rommelspacher 2002; Mecheril/Scherschel 2009 Vgl. bspw. Müller-Uri 2014; Attia (Hg.) 2007 Vgl. bspw. Winckel 2002; Stender (Hg.) 2016 Die Zuordnung von Antisemitismus zu Rassismus ist zwar umstritten, die Deutung von Antisemitismus geht jedoch weg von individuellen Vorurteilen und wendet sich der Analyse der strukturellen Beschaffenheit. Zur Antisemitismuskritik vgl. Messerschmidt 2016 b

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

231

bedeutender Unterschied der Rassismuskritik gegenüber bspw. der Vorurteilsforschung besteht darin, dass in der Rassismuskritik die Gruppen, gegen die sich die Diskriminierung richtet, als (durch Prozesse des Anders-/Fremdmachens) konstruiert bzw. konstituiert gedeutet werden, während die Vorurteilsforschung die Gruppen quasi als gegeben voraussetzt.890 Die diskursive Herstellung bzw. (Re)Produktion von Differenz wird in der Vorurteilsforschung nicht bzw. nicht in der diskurskritischen Weise thematisiert. Rassismuskritische Perspektiven nehmen aktuell eine bedeutende Stellung in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion ein und finden auch zunehmend Eingang in die Praxis.891 3.2.5.3 Vorurteilsbezogene Deutungen von Rassismus in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ Für die Analyse des individualisierenden Rassismusverständnisses in den Argumentationen der Lehramtsstudierenden sollen im Folgenden drei Reflexionen aus dem Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“892 herangezogen werden. Das erste Beispiel (Auszug aus Reflexion I – 2 a) befasst sich mit der Deutung des Begriffs „Migrationsgesellschaft“, die anderen zwei Beispiele (Reflexion I – 5 c und Reflexion I – 4 c) setzen sich mit der Problemsituation „Rektor“ auseinander.893 Beispiel 1: Auszug aus der Reflexion I – 2 a Die deutsche Migrationsgesellschaft -

890

891

892 893

Ist Deutschland eine Migrationsgesellschaft? → Ja!

Vgl. bspw. die Studien zu der so genannten „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, Heitmeyer (Hg.) 2002-2011 So werden zunehmend Handreichungen für verschiedene Zielgruppen veröffentlicht, die explizit auf rassismuskritische Perspektiven Bezug nehmen, vgl. bspw. Arndt 2017 (erstmalig 2012); Glokal e.V. 2013; Ogette 2017 Vgl. Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“ Die genauen Aufgabenstellungen sind auf S. 23 f. sowie im Anhang angeführt

232

Synchrone Analyse des Diskursfeldes… -

Warum?/ Wie kam es dazu? → Wohlstand in Deutschland, politische Lage (Demokratie), Asylpolitik, Gastarbeiterabkommen nach dem 2. WK894 (z. B. mit der Türkei)

-

Wie ging/geht die [d]eutsche Gesellschaft damit um?

→ [A]nfangs: kaum/keine Thematisierung in der Öffentlichkeit → Vorurteile, Ausländerhass („[D]ie nehmen uns die Arbeit weg“) → Problem: Asylsuchende (Unterbringen etc.) → Integration politisch nicht in die Hand genommen, thematisiert/vorangetrieben. → [A]ktuell: zunehmende Debatte, zunehmend Angebote zur Integration (Sprachkurse), aber: immer noch zu wenig! → Probleme, die sich ergeben haben aus der „laisser-faire-Politik“ [sic] der 60er/70er/80er… sind nicht beseitigt, aber zunehmend in der öffentlichen Debatte, werden zum politischen Thema (Integrationsbeauftragte etc.) Analyse/Interpretation: Die Teilnehmerin spricht über die aktuelle Situation in Deutschland und beantwortet die Frage, ob Deutschland eine Migrationsgesellschaft sei, mit einem eindeutigen „Ja!“ Diese Fragestellung knüpft diskursiv an die lange politische Diskussion über die Migration nach Deutschland und die (Nicht-)Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland an. Mit ihrem „Ja!“ spricht sich die Teilnehmerin für die Anerkennung der migrationsgesellschaftlichen Realität aus. Jedoch ist dem Kontext der Reflexion zu entnehmen, dass die Teilnehmerin unter dem Begriff der Migrationsgesellschaft eine Einwanderungsgesellschaft versteht, sodass ihr Fokus nicht auf der inneren Pluralität der Gesellschaft in Deutschland liegt, sondern auf dem Vorhandensein von natio-ethno-kulturell „Anderen“. Die Teilnehmerin listet weiterhin Gründe für die Etablierung Deutschlands als Einwanderungs- bzw. Migrationsgesellschaft auf. Sie stellt neben der Frage „Warum?“ auch die Frage „Wie kam es dazu?“, wodurch das Augenmerk stärker auf die prozessuale Entwicklung gerichtet wird. Bei der Frage nach den Gründen für die Einwanderung nach Deutschland führt die Teilnehmerin als erstes den wirtschaftlichen Aspekt an, indem sie den Wohlstand in Deutschland als einen Grund für die Einwanderung benennt. Neben dem ökonomischen Status

894

Weltkrieg – A.I.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

233

ist ihrer Meinung hat auch das demokratische politische Regime in Deutschland einen bedeutenden Einfluss auf die Migrationsbereitschaft der ausländischen Bevölkerung. Darüber hinaus nennt sie die deutsche Asylpolitik explizit als Grund für die Einwanderung, womit offenbar entsprechende Gesetze gemeint sind, die die Einwanderung für bestimmte Personengruppen ermöglichen bzw. erleichtern sollen. Schließlich erwähnt die Teilnehmerin das so genannte „Gastarbeiterabkommen“895 und führt die Anwerbung der Arbeitskräfte aus der Türkei als Beispiel an, womit die Arbeitsmigration im Allgemeinen und die Gastarbeiter*innenanwerbung im Speziellen angesprochen werden. Des Weiteren äußert sich die Teilnehmerin zu dem geschichtlichen und aktuellen gesellschaftlich-politischen Umgang mit Migration. Ihr Fokus liegt dabei wieder auf der Entwicklung von früher bis heute. Als Problem wird die anfängliche Nicht-Thematisierung der Migrationserscheinungen in der Öffentlichkeit erwähnt, die nach der Meinung der Teilnehmerin zu Vorurteilen und sogar Hass aufseiten der Mehrheitsgesellschaft geführt hat. An dieser Stelle der Reflexion werden Parallelen zu historisch wie aktuell verbreiteten Diskursen deutlich, die eine Verknüpfung zwischen der Thematisierung von Einwanderung bzw. dem Wissenserwerb über Migrant*innen und dem Vorhandensein von (negativen) Vorurteilen herstellen. Die Parole „[D]ie nehmen uns die Arbeit weg“ führt die Teilnehmerin als Beispiel für gegebene „Vorurteile“ bzw. „Ausländerhass“ an. Folgt man der von der Teilnehmerin reproduzierten Logik, Vorurteile würden im (kausalen) Zusammenhang mit mangelndem Wissen stehen, so könnte man behaupten, dass ein Wissen um die Arbeitsmarktsituation in Deutschland nötig wäre, um dieses Vorurteil zu entkräften.896 Interessant erscheint darüber hinaus, dass die Teilnehmerin gleich nach dem angeführten Beispiel für „Ausländerhass“ zur kurzen Schilderung des „Problem[s]: Asylsuchende“ übergeht und somit (unintendiert) einen Kontext schafft, in dem gängige Rechtfertigungen für Vorurteile bzw. Rassismen reproduziert werden. Von der Schilderung des „Problem[s]: Asylsuchende“ kommt die Teilnehmerin auf die Politik zu sprechen, die ihrer Meinung nach auf die Herausforderungen der Migration unvorbereitet war. Sie behauptet, dass das Thema der Integration

895

896

Um den steigenden Bedarf an Arbeitskräften zu decken, wurden „Gastarbeiter“Anwerbeabkommen mit verschiedenen Ländern unterzeichnet: 1955 mit Italien, 1960 mit Spanien und Griechenland, 1961 mit der Türkei sowie 1963 mit Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2010). Hier ergeben sich Parallelen zu Jander et al. 1974

234

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

politisch lange vernachlässigt wurde. Der Begriff „Integration“ wird zum einen im Kontext des „Problem[s]: Asylsuchende“ verwendet. Zum anderen werden an einer weiteren Stelle in der Reflexion Sprachkurse als das einzige Beispiel für Integrationsmaßnahmen erwähnt, wodurch Parallelen zum einseitig an Migrant*innen appellierenden Integrationsdiskurs hergestellt werden. Mit der Bezeichnung der Politik der 1960er, 1970er und 1980er Jahre als „laisser-faire-Politik [sic]“ will die Teilnehmerin zum einen ausdrücken, dass Integrationsmaßnahmen vom Staat nicht bzw. nicht in notwendigem Maße angeleitet worden sind. Zum anderen bringt die von der Teilnehmerin gewählte Bezeichnung der damaligen Politik den Gedanken zum Ausdruck, dass es „einwanderungsbedingte“ Probleme gegeben hätte (z. B. eine große Anzahl an Asylsuchenden, für die nur wenige Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden waren), die Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Migration hatten, aber von der Politik nicht thematisiert worden sind. Dadurch wird zum einen erneut ein Zusammenhang von Wissen/Information und Vorurteilen hergestellt und zum anderen die Tatsache ausgeblendet, dass die Einwanderung nach Deutschland im bundesdeutschen politischen und vor allem medialen Diskurs von Anfang an durchaus thematisiert wurde – jedoch oft einseitig bzw. mit überwiegender Schuldzuweisung an Migrant*innen.897 Beispiel 2: Reflexion I – 5 c Frage I: Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation? Die Situation ist in vielen Aspekten herausfordernd. Zum einen handelt es sich bei der Person aus dem Erfahrungsbericht um eine Studentin, die selbst nur 2-3 Stunden in der Klasse unterrichtete und somit die Klasse nicht kannte und zum anderen bekam sie keinerlei Unterstützung von den Lehrern oder dem Rektor der Schule. Der Rektor äußerte sich sogar abfällig über die neuen Schüler. Dazu kommt noch, dass die SuS der Klasse auch nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten, da keiner mit ihnen darüber gesprochen hatte. Außerdem beherrschten die neuen SuS die Sprache nicht, also konnten sie sich auch schwer selbst in die Klasse eingliedern und neue Kontakte knüpfen.

897

Vgl. kritisch Delgado 1972

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

235

Die längerfristige Herausforderung besteht also darin[,] den neuen Schülern die Sprache näher zu bringen und sie in die Klassengemeinschaft zu integrieren. Frage II: Wie könnte darauf reagiert werden? Da die Praktikantin nicht lange an der Schule ist, kann sie diese Herausforderungen nicht bewerkstelligen, sie kann mit ihrer Praktikumsgruppe höchstens einen Schritt in die richtige Richtung machen. Sie könnte die Arbeitsaufträge in der Stunde beispielsweise auch auf Französisch erklären oder Unterrichtsphasen in den Unterricht miteinbauen, die auch ohne Sprache durchgeführt werden können (z. B. etwas pantomimisch darstellen). Diese Ideen setzen aber alle voraus, dass die Praktikantin selbst Französisch kann. Außerdem ist es eigentlich sehr wichtig[,] mit dem Rektor der Schule (oder seinen Vorgesetzten) über die Haltung gegenüber den 2 neuen Schülern zu sprechen. Dies übersteigt aber die „Macht“ der Praktikantin, da der Rektor sie durch das Tagesfachpraktikum durchfallen lassen kann. Frage III: Welche Fragen bleiben bei dir zurück? Was kann man in so einem Fall tun? Hat man selbst Nachteile, wenn man die Einstellung des Rektors den Vorgesetzten meldet? Eigentlich kann man den Unterricht ja auch nicht wie oben beschrieben durchführen, da dieser vom Rektor bewertet wird und er ganz klar darauf hingewiesen hat, die Migranten zu ignorieren. Analyse/Interpretation: Am Anfang ihrer Reflexion gibt die Teilnehmerin zu verstehen, dass sie die Situation als komplex wahrnimmt. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, beleuchtet sie die Situation im weiteren Verlauf der Reflexion aus verschiedenen Perspektiven. Hierbei gibt sie eine Einschätzung zu den Handlungs- und Einflussmöglichkeiten der Lehrperson, der Schüler*innen und der Quereinsteiger*innen ab, die jeweils ein sehr eingeschränktes Handlungsfeld umreißen. Mit der Aussage „Der Rektor äußerte sich sogar abfällig über die neuen Schüler“ reflektiert die Teilnehmerin über die Reaktion des höher Positionierten, durch die die von der Teilnehmerin anfangs angesprochene schwache Stellung der Praktikantin im institutionellen Gefüge verstärkt wird. Dabei wird das komplexe Problem lediglich auf die abfällige Äußerung (bzw., wie im weiteren Ver-

236

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

lauf der Reflexion deutlich wird, sich dahinter verbergende negative Einstellung) des Rektors reduziert, wodurch Parallelen zu historischen und aktuellen Verortungen des Vorurteils auf der Ebene individueller Einstellungen sichtbar werden. Die in der Fallschilderung vorzufindende Information, dass sich der Rektor nicht einfach abfällig über die Schüler*innen selbst, sondern rassistisch über ihre ethnische Gruppe äußerte (diskriminierender Ausdruck „Zigeunerkinder“ für die Bezeichnung von Sinti und Roma), sowie dass sich der Rektor darüber beklagte, dass er nicht wisse, „wie er die beiden losbekommen könne“, werden von der Teilnehmerin nicht erwähnt. Zu fragen ist, ob diese rassistischen Haltungen, die eine andere Dimension als abfälliges Sprechen haben, von der Teilnehmerin nicht als solche wahrgenommen und aus diesem Grund nicht angesprochen werden, oder ob es andere Gründe für die Ausblendung des Rassismusproblems gibt (z. B. gesellschaftliche Tabuisierung des Themas Rassismus898). Die Teilnehmerin behauptet, die beiden neuen Schüler*innen konnten sich aufgrund ihrer fehlenden Sprachkompetenzen in Deutsch nicht in die Klasse eingliedern bzw. keine Kontakte knüpfen. Hinweise auf andere Gründe für die beobachtete Isolation der neuen Schüler*innen gibt die Teilnehmerin nicht. Auch stellt sie keine Vermutungen dazu, was abgesehen von sprachlicher Isolation weitere Gründe für Angst, Schüchternheit und Zurückhaltung aufseiten der neuen Schüler*innen sein könnten (z. B. die Position des Rektors, das Verhalten anderer Kinder oder die unsichere Position als Neuankömmlinge). Die Teilnehmerin konzentriert sich nur auf einen Aspekt des Problems, nämlich die Anderssprachigkeit, die mit sprachlicher Unfähigkeit gleichgesetzt wird. Das Erlernen des Deutschen durch die neuen Schüler*innen erklärt die Teilnehmerin zum längerfristigen Ziel. Scheinbar hofft sie, den beiden Kindern durch eine gezielte sprachliche Förderung eine Kontaktaufnahme mit anderen Schüler*innen zu ermöglichen und somit die in der Vorstellung der Teilnehmerin größte Herausforderung –Integration der Quereinsteiger*innen in die Klasse – zu meistern. Bei der Antwort auf die zweite Frage („Wie könnte darauf reagiert werden?“) weist die Teilnehmerin in dem Satz „Außerdem ist es eigentlich sehr wichtig[,] mit dem Rektor der Schule (oder seinen Vorgesetzten) über die Haltung gegenüber den 2 neuen Schülern zu sprechen.“ auf die Notwendigkeit hin, mit dem Rektor seine Haltung gegenüber den Quereinsteiger*innen zu klären. Dieser Vorschlag kann auf zwei Wegen verwirklicht werden: Zum einen spricht die Teilnehmerin die Möglichkeit an, mit dem Rektor in einem persönlichen Ge-

898

Vgl. Melter 2006, S. 309

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

237

spräch seine Position zu klären. Zum anderen zieht die Teilnehmerin offenbar die Option in Betracht, Hilfe bei Übergeordneten zu holen, indem sie mit den Vorgesetzten des Rektors über seine Einstellung gegenüber den neuen Schüler*innen spricht (vgl. Antwort auf die Frage III). Beachtet werden muss hier, dass die Thematisierung von Einstellungen des Rektors für die Teilnehmerin eng mit Sanktionsängsten verbunden ist („Dies übersteigt aber die „Macht“ der Praktikantin, da der Rektor sie durch das Tagesfachpraktikum durchfallen lassen kann.“; „Hat man selbst Nachteile, wenn man die Einstellung des Rektors den Vorgesetzten meldet?“). Diese Fokussierung auf mögliche negative Konsequenzen weist auf eine hohe Machtsensibilität der Teilnehmerin hin, lässt jedoch die Situation in letzter Konsequenz aussichtslos erscheinen und verhindert eine Auseinandersetzung der Teilnehmerin mit eigenen Verhaltensweisen und Handlungsoptionen. Beispiel 3: Reflexion I – 4 c Frage I: Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation? Das [sic] man als Einzelperson (leider) nicht viel ändern kann, weil man immer den Rückhalt von Kollegen braucht, um etwas Grundlegendes verbessern zu können. Außerdem ist es notwendig, dass man über theoretisch begründete Strategien verfügt und nicht nur aus gutem Wille [sic] heraus handelt. Frage II: Wie könnte darauf reagiert werden? Kinder, die gut in Französisch sind, könnten den beiden assistieren. Die Sinti- und Roma-Kinder könnten dagegen als Experten für Französisch eingesetzt werden, um so deren Selbstbewusstsein zu steigern. Dadurch werden auch Kontakte zwischen den Kindern geknüpft. Außerdem könnte man sich an eine Einrichtung wenden, die sich mit Sinti und Roma auskennt[,] und sich von ihnen beraten lassen. Empfehlenswert sind auch Bücher/Materialien, die zweisprachig sind. Eine besonders engagierte Lehrkraft könnte ihnen auch Zusatzunterricht erteilen. Frage III: Welche Fragen bleiben bei dir zurück? -

Wie kann ein Rektor[,] sprich ein Pädagoge[,] sich so abfällig über Kinder äußern und dies dazu noch in der Öffentlichkeit?

-

Wieso verfügen Lehrkräfte über keine Strategien zum Umgang mit solchen Fällen? → Es müsste doch Fortbildungen dazu geben. Oder neh-

238

Synchrone Analyse des Diskursfeldes… men Lehrkräfte, die generell Ausländer/Migranten ablehnende Haltung haben, daran gar nicht teil? -

Welche Organisationen gibt es, an die ich mich wenden kann?

Analyse/Interpretation: Auch in dieser Reflexion wird die komplexe Rassismus-Situation auf die abfälligen Worte des Rektors über die neuen Schüler*innen reduziert. Die Empfehlung des Rektors an die Praktikantin, die beiden Schüler*innen zu ignorieren, wird nicht erwähnt, ebenso wie die Tatsache, dass sich der Rektor nicht einfach abfällig über die Kinder als Personen, sondern rassistisch über ihre ethnische Zugehörigkeit äußerte. Besonders problematisch scheint für die Teilnehmerin bei der Analyse der Einstellung des Rektors die beobachtete Diskrepanz zwischen der idealtypischen Vorstellung eines Pädagogen und der verachtenden Einstellung des Rektors gegenüber den beiden Schüler*innen zu sein. Das Unverständnis der Teilnehmerin für die Reaktion des Rektors verstärkt sich dadurch, dass abfällige Äußerungen über die Schüler*innen von ihm in der Öffentlichkeit getroffen wurden. Mit der Frage „Wie kann ein Rektor[,] sprich ein Pädagoge[,] sich so abfällig über Kinder äußern und dies dazu noch in der Öffentlichkeit?“ macht die Teilnehmerin einen indirekten Hinweis auf die öffentliche Wahrnehmung des pädagogischen Berufs, mit der bestimmte Erwartungen an die Haltungen und Handlungen der Pädagogen (sich vorurteilsfrei und wertschätzend gegenüber allen Schüler*innen zu verhalten) verbunden sind.899 Auch hier wird deutlich, dass die Handlung des Rektors als individueller Verstoß gegenüber gesellschaftlich tradierten Normen und Werten wahrgenommen wird. Für die Teilnehmerin bleiben die Gründe für den fehlenden professionellen Umgang mit Situationen wie diesen bei Lehrpersonen offen, ebenso wie die Frage nach möglichen Ansprechpartner*innen, die eine Bildung im Umgang mit Situationen sprachlich-kultureller Heterogenität im Klassenraum gewährleisten können. Bei der Beantwortung der ersten Frage schwankt sie zwischen individuellpersönlichen und strukturell-ausbildungsspezifischen Gründen, wobei sie eher zu individuell-persönlichen Erklärungen neigt. So geht die Teilnehmerin davon aus, dass es spezielle Fortbildungsprogramme für Lehrer*innen gibt, und führt die

899

Vgl. Friedmann/Goos/Greiner 2014; Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München o.J., S. 3 ff.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

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Tatsache, dass (manchen) Lehrer*innen Strategien im Umgang mit solchen Situationen fehlen, auf deren ablehnende Haltung gegenüber Schüler*innen mit Migrationshintergrund zurück. Die indirekte Thematisierung von Rassismus wird also wiederum auf individueller Ebene angesetzt und mit einer Schuldzuweisung verbunden. Rassismus wird als moralisches Problem negativ voreingenommener Individuen dargestellt, wodurch eine Individualisierung von rassistischen gesellschaftlichen Mechanismen bzw. eine Vernachlässigung allgemeiner struktureller Voraussetzungen für rassistische Haltungen und Handlungen erfolgt. 3.2.5.4

Fazit

Die in diesem Kapitel vorgenommene Analyse exemplarischer Literaturbeispiele macht zum einen auf die historisch und teilweise aktuell bedeutende Stellung der Vorurteilsdiskurse im Bereich interkultureller Bildung aufmerksam. Dabei fällt insbesondere die Vielfalt an Vorurteilsdeutungen sowie die – auch in „älteren“ Arbeiten durchaus präsente – Beachtung allgemeingesellschaftlicher und machtpolitischer Faktoren bei der Analyse von Vorurteilsursachen und -wirkungen auf. Gleichzeitig konnten bei der Analyse einschlägiger Literatur deutliche Tendenzen zur Individualisierung von Diskriminierungs- bzw. Rassismusphänomenen, der Herstellung eines Intentionalitätscharakters sowie zur Viktimisierung von Betroffenen (die nach der Absicht mancher Autor*innen offenbar als Gegenmittel gegen verbreitete negative und diffamierende Einstellungen gegenüber Migrant*innen fungieren soll) beobachtet werden. Aus der dominanzkritischen Perspektive lässt sich diesbezüglich anmerken, dass selbst eine mehrperspektivische Deutung von Vorurteilsursachen und -wirkungen eine Trennung von „wir“ und „die Anderen“ bzw. die stetige Reproduktion dieser binären Opposition bestärken kann, wenn Migrant*innen ausschließlich in die Rolle der mehrfach Benachteiligten gedrängt werden, während die vorurteilssensible und gesellschaftskritische Mehrheitsgesellschaft in der Rolle des „Retters“ auftritt. Des Weiteren lässt sich anhand der analysierten Literatur eine Diskrepanz zwischen den aktuellen Ansätzen der Migrationspädagogik, diskriminierungs- und rassismuskritischen Pädagogik einerseits und der so genannten Vorurteilsforschung in anderen wissenschaftlichen Ansätzen und Disziplinen andererseits feststellen, die u. a. Diskriminierungs- bzw. Rassismusphänomene unter dem Vorurteilsbegriff subsumieren und die Analyse Letzterer dementsprechend nicht etwa auf der Ebene politischer Dominanz- bzw. gesellschaftlicher Ungleichheitsmechanismen, sondern auf der Ebene der individuellen Einstellungen veror-

240

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

ten (auch wenn damit meistens die Aufmerksamkeit für gesellschaftliche, politische und gruppendynamische Faktoren einhergeht, die individuelle Einstellungen beeinflussen können). Dass die (Sozial-)Psychologie eine solche Verortung vornimmt, ist insofern nachvollziehbar, da Psychologie als Lehre vom menschlichen „Innenleben“ den Fokus speziell auf die Erforschung der mentalen Prozesse bzw. des dadurch beeinflussten Verhaltens von Individuen und Personengruppen legt. Mit Blick auf andere Disziplinen fragt sich jedoch, ob die Fokussierung auf die Ebene individueller Einstellungen, die gerade durch die Subsumierung von strukturell verankerten, historisch-gesellschaftlich begriffenen Diskriminierungs- und Rassismusphänomenen unter dem zwingend individualisierenden Vorurteilsbegriff hervorgebracht wird, überhaupt dazu beitragen kann, Wirkungen gesellschaftlicher Macht- und Ungleichheitsmechanismen angemessen zu analysieren. Aus Sicht dieser Arbeit besteht bei einer solchen Herangehensweise immer die Gefahr, die Reproduktion bestimmter (struktureller) Praktiken in sozialen Situationen bzw. Kontexten nicht ausreichend zu thematisieren und dadurch eine alltagsweltliche Sichtweise auf Vorurteile als individuelles Verhalten, das auf falschen Generalisierungen, Fehlinformationen oder mangelndem Wissen über „die Anderen“ beruht, nur zu bestärken.900 Die untersuchten Reflexionsbeispiele machen dies deutlich, indem die Teilnehmerinnen das komplexe Phänomen Rassismus auf individuelle Vorurteile, feindselige Einstellungen gegenüber „Fremden“ oder abwertenden Sprachgebrauch reduzieren und die Einbettung dieser Rassismusformen in den strukturellen bzw. gesamtgesellschaftlichen Kontext nicht thematisieren. Um die Sensibilität der Pädagog*innen für subtil wirkende, dennoch für Betroffene nicht minder ausgrenzende Formen von Rassismus zu fördern, sollten die Lehrer*innenbildungs- und -fortbildungsangebote folglich ausreichend Raum für die kritische Hinterfragung individualisierender, moralisierender bzw. einseitig schuldzuschreibender Deutungen von Rassismus sowie zur Analyse struktureller und institutioneller Diskriminierungs- und Rassismusphänomene bieten. Im nächsten Kapitel soll auf entsprechende theoretische Ansätze und praktische Implikationen eingegangen werden.

900

Vgl. Rose 2012, S. 164 ff.

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

241

3.2.6 Fokus: Gesellschaft; Perspektive: Rassismus Im Folgenden sollen wissenschaftliche Perspektiven beschrieben werden, die Diskriminierung und Rassismus als strukturelles Merkmal von (postmodernen) (Migrations-)Gesellschaften analysieren. Dabei wird auf antirassistische, rassismuskritische und postkoloniale Ansätze eingegangen. Den Ausgangspunkt für die Analyse und Zuordnung von jeweiligen Bezugskategorien bildet die Frage nach den gemeinsamen Prämissen und Unterschieden der genannten Ansätze, wie auch die Darstellung der kritischen Rezeption und der sich daraus ergebenden Implikationen für die Theorie und Praxis. 3.2.6.1 Leitmotiv: Rassismus als konstitutives Merkmal (post-)moderner (Migrations-)Gesellschaften; Bezugskategorie: Antirassismus Antirassistische Konzepte formten sich ab den 1970er Jahren in Großbritannien und den USA vor dem Hintergrund der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung.901 Für die theoretisch-programmatische Konzeptualisierung von AntirassismusAnsätzen ist deren Abgrenzung zu den ab den 1970er-1980er Jahren immer mehr an Einfluss gewinnenden Multikulturalismus-Positionen bedeutend, die sich u. a. in der Verschiebung der Zielsetzung von der Förderung der kulturellen Diversität hin zu der Gewährung von Chancengleichheit für alle gesellschaftlichen Gruppen äußerte.902 Der deutschsprachigen Öffentlichkeit sind angloamerikanische Antirassismus-Theorien v.a. durch die Arbeiten von Philomena Essed und Chris Mullard bekannt gemacht worden, in denen speziell auf den bundesdeutschen Kontext Bezug genommen wird. Im Folgenden sollen bedeutende Thesen, Analyseinstrumente und Zielsetzungen des Antirassismus am Beispiel der breit rezipierten Publikation von Essed und Mullard (1991) zu antirassistischer Erziehung dargelegt werden.903

901 902

903

Zu antirassistischen Bewegungen in Deutschland vgl. Seibert 2008 Zur bedeutenden Literatur aus dem angloamerikanischen Raum vgl. Collins1991; Dominelli 1988; Frankenberg 1997; Banton 1977; Barker 1981; Miles 1982 und 1989. Vgl. Essed/Mullard (Hg.) 1991

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Antirassismus: Vision einer rassismusfreien Gesellschaft Zunächst fällt auf, dass der Begriff „Rassismus“ bei Essed und Mullard strukturell und nicht individuell gedeutet wird. Die sozialpsychologische Verknüpfung von Rassismus und persönlichen Einstellungen wird dahingehend kritisiert, dass dabei die soziale Konstruktion von „Rassen“ und daran anknüpfenden Unterscheidungen unberücksichtigt bleibt. Diese Konstruktion erfolge jedoch nicht nur über informelle Kanäle, wie z. B. die familiäre Sozialisation oder private Kommunikation, sondern wesentlich über formelle gesellschaftliche Strukturen, bspw. Politik, Medien und Bildung. Auf der strukturellen Ebene werden bestimmte rassistische Denkmuster und Handlungsroutinen hergestellt, etabliert, tradiert und reproduziert. Dementsprechend favorisieren antirassistische Konzepte die Betrachtungsweise auf Rassismus als makrostrukturelles Phänomen, welches bestimmte Ideologien auf sozialer Ebene sowie daran anknüpfende Ungleichheitsverhältnisse hervorbringt bzw. bestärkt.904 Essed (1991) definiert Rassismus dementsprechend als „[a]uf Konsens beruhende Macht“.905 Daran anknüpfend wird Antirassismus als Widerstand gegenüber dieser Macht verstanden, als Strategie einer beständigen Gegenpositionierung gegen etablierte Strukturen mit dem Ziel, den besagten Konsens aufzubrechen und eine gerechtere Machtverteilung zu erreichen. Dadurch, dass die antirassistische Selbstdefinition wesentlich über diesen Aktionsbezug erfolgt (vgl. Mullards Konzept der „Opposition und Aktion“906), rücken vor allem konkrete Handlungsstrategien gegen Rassismus in den Fokus. Diese stehen jedoch nicht isoliert da, sondern werden begleitet – und vorbereitet – durch kritische gesellschaftliche Analysen und strategische Überlegungen. So entwickelt Mullard (1991a) mit seinem Konzept der „Drei O“ (Orientierung, Observation und Opposition) eine grundlegende antirassistische Vorgehensweise, die gleichzeitig als Methode, Strategie und Praxis von Antirassismus zu verstehen ist.907 Mit der „Orientierung“ ist die Umorientierung der Gesellschaft gegen den „zerstörerischen und eingrenzenden“908 Multikulturalismus gemeint, die „Observation“ bezieht sich auf die Fähigkeit, Ungleichheit in all ihren – auch unsichtbaren – Formen zu erkennen, und die „Opposition“ bezeichnet eine be-

904 905 906 907 908

Vgl. Essed 1991, S. 11 ff. Ebd., S. 34 Vgl. Mullard 1991 a S. 51 Mullard 1991 b S. 93 Ebd.

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ständige Widerstandsstrategie gegen rassistische Ausdrucksformen, die sich sowohl auf „Rassen“ als auch auf Kulturen oder Ethnien beziehen können909 (wobei Essed dazu anmerkt, dass sich rassische bzw. biologische Eigenschaften mit ethnischen Eigenheiten überschneiden können).910 Durch die kontinuierliche Opposition sollen rassistische Strukturen daran gehindert werden, sich festzusetzen und weiterzuentwickeln.911 Nicht zu übersehen ist dabei die Mullards Argumentation zugrundeliegende Kampfrhetorik: Rassismus wird als „wirkliche(r) Feind“912 und als „gesellschaftliches Verbrechen“913 definiert, es gilt, Rassismus zu „entlarven“914, zu „bekämpfen“915 oder gar „auszurotten“916 – eine Aufgabe, welche die aufgeklärten Antirassist*innen übernehmen müssen. Antirassismus fungiert darüber hinaus als die einzige vertretbare Alternative zum Rassismus („[O]hne das Ende des Rassismus kann es für Weiße keine ethische oder moralische Zukunft geben“917), und eine würdige Existenz in rassistischen Verhältnissen erscheint – angesichts der oben geschilderten ethisch-moralischen Alternativlosigkeit – als unmöglich („Wenn wir uns nicht darum bemühen, dann können wir auch gleich unsere ganze Existenz vergessen.“918) Die Vision einer rassismusfreien Zukunft wird durchweg optimistisch, ja beinahe utopisch geschildert. So spricht Mullard (1991 a) von einer „ideale[n]“919 Gesellschaft, in der „alle […] leben, arbeiten, spielen und lieben können, als Menschen; nicht als schwarze oder weiße Menschen, als Deutsche oder Engländer, als Leute aus Trinidad – sondern als Menschen.“920 Eine nichtrassistische Gesellschaft wird dabei nicht nur durch die Abwesenheit von spezifisch rassistischen Ausgrenzungen, sondern allgemein durch das Fehlen jeglicher Grenzen zwischen den Personen und Personengruppen charakterisiert, seien diese auf die Klassen-

909 910 911 912 913 914 915 916 917 918 919 920

Vgl. ebd., S. 98 Vgl. Essed 1991, S. 12 f. Vgl. Mullard 1991 b, S. 94 und 100 Mullard 1991 b, S. 90 Ebd., S. 115 Ebd., S. 80 Ebd. Mullard 1991 a, S. 54 Mullard 1991 b S. 116 Mullard 1991 a, S. 55 Ebd. Ebd.

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zugehörigkeit, finanzielle Lage, gesellschaftlichen Status, Geschlechtszugehörigkeit oder ethnische Zugehörigkeit bezogen.921 Das Bildungssystem stehe deshalb vor der Aufgabe, jegliche Zugangsbarrieren abzuschaffen und sich hin zum Ort der umfassenden Gleichberechtigung zu entwickeln.922 Als ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zu dieser Vision betrachtet Mullard die politische Hinwendung zum Multikulturalismus-Konzept. Daran ausgerichtete Bildungs- und Erziehungsaufgaben, wie bspw. bei Hamburger (1991) zusammengefasst (Anerkennung und Wertschätzung des Anderen, interkulturelles Lernen für Mehrheits- wie Minderheitenangehörige mit dem Ziel, Verständigung, Toleranz und Solidarität zu entwickeln; Verzicht auf ethnizistisch begründete Ausschließung; selbstreflexive Auseinandersetzung mit Fremdheit),923 werden dahingehend kritisiert, dass diese keine oder kaum gesellschaftliche Kritik bieten und sich lediglich auf die Vorstellungen eines schönen Miteinanders von Kulturen konzentrieren würden.924 Unter anderem wird das Gerechtigkeitsverständnis des Multikulturalismus kritisiert, welches sich lediglich auf kulturelle und ethnische Gleichstellung beziehe und nicht die Verknüpfung von Struktur und Macht reflektiere.925 Generell wird das Konzept des Multikulturalismus als verwerflich, unmoralisch und bekämpfungswürdig angesehen – und soll deshalb im Zuge der antirassistischen Opposition durch die „ethischen Grundlagen antirassistischer Politik im allgemeinen und antirassistischer Erziehung im besonderen“926 ersetzt werden, die den Zustand der umfassenden Gerechtigkeit versprechen.927 Mit dem Vorwurf der Strukturblindheit, der sich pauschal an alle als „multikulturalistisch“ identifizierten Positionen richtet, werden die inneren Spaltungen, Widersprüche und kritische Positionen ignoriert, die Anfang der 1980er Jahre maßgeblich eine kritische Diskussion über die Weiterentwicklung und Modifikation multikultureller Erziehungskonzepte angestoßen haben. Indem Mullard jegliche gemeinsame Diskussionen mit inter- bzw. multikulturellen Theoretiker*innen von vornherein ausschließt,928 ignoriert er nicht nur die o.g. Wider-

921 922 923 924 925 926 927 928

Vgl. Mullard 1991 a, S. 55 Vgl. ebd., S. 46 Vgl. Hamburger 1991, S. 91 ff. Vgl. Mullard 1991 a, S. 50 Vgl. Mullard 1991 b., S. 63 Mullard 1991 b, S. 80 Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 81

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sprüche, sondern konstruiert darüber hinaus ein klares Feind- bzw. Gegenbild und stellt Antirassismus als den einzig vertretbaren und denkbaren Weg gesellschaftlicher Entwicklung dar. Dadurch gewinnt Antirassismus einen verabsolutisierenden Anspruch, welcher nicht nur jegliche Uneindeutigkeiten und Verzerrungen innerhalb des eigenen Konzeptes explizit (!) verneint („Denn in diesem Ansatz und seinem theoretischen Rahmen gibt es keine Zweideutigkeit, Verzerrung oder Unredlichkeit“929), sondern auch das eigene Involviertsein in und Geprägtsein von rassistische(n) Verhältnisse(n) ignoriert. Genau an dieser Selbstpositionierung außerhalb der rassistischen Verhältnisse setzt die Kritik am Antirassismus an. Kritik an antirassistischen Konzepten Angesichts des oben angedeuteten verabsolutisierenden und kompromisslosen Charakters antirassistischer Positionen verwundert es nicht, dass dem Schlagwort Antirassismus in der deutschsprachigen930 erziehungswissenschaftlichen Diskussion von vornherein kritisch begegnet wurde. Bedeutsam erscheint dabei die Tatsache, dass die Kritik an antirassistischen Konzepten auch vonseiten strukturorientierter, kulturalisierungskritisch argumentierender Wissenschaftler*innen geäußert wurde. So schlussfolgert Hamburger (1992), dass sich Antirassismus – in dem Bestreben, klare Feindbilder zu identifizieren und entgegen seinem Anspruch, (auch implizite) Strukturen und Funktionsweisen von Rassismus offen-

929 930

Ebd., S. 80 Hier sei kurz auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexte in Großbritannien/den USA und Deutschland hingewiesen, die durch historisch bedingt ungleichartigen Umgang mit Rassismus gekennzeichnet sind. Während im angloamerikanischen Raum in der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts eine offene und gar offensive, kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von Rassismus geführt wurde, lässt sich bei der Analyse von öffentlichen Diskursen in Deutschland nach 1945 eine Tendenz zur Vermeidung bzw. Tabuisierung des Begriffs und des Phänomens Rassismus feststellen (vgl. Chin/Fehrenbach/Eley/Grossmann (Hg.) (2009). Da das Thema Rassismus in Deutschland, bedingt im Wesentlichen durch die NS-Geschichte, immer „hochgradig emotionalisiert“ (Melter 2006, S. 14) war, wurde Rassismus stets vor allem in Verbindung mit Nationalsozialismus betrachtet (vgl. ebd.). Durch die Fixierung des Rassismusbegriffs auf die Geschichte des Holocaust im NS-Reich werde, so Messerschmidt (2008 b, S. 44) die Vorstellung aufrechterhalten, dass mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges „auch Rassismus Vergangenheit“ sei. Daher ist die bis heute andauernde Zurückhaltung gegenüber der Thematisierung von Rassismus in der öffentlichen und politischen und wissenschaftlichen Diskussion auch als Ausdruck einer im bundesdeutschen Kontext historisch statuierten Ausblendung bzw. Verschiebung von Rassismus in die Vergangenheit zu betrachten.

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zulegen, primär auf die offenen und angreifbaren Rassismusformen konzentriere. Indem die Motive, die diesen Rassismusformen zugrunde liegen, ohne jeglichen Strukturbezug als unmoralisch abgestempelt würden, erfolge eine Skandalisierung von Rassismus, die die Wahrnehmung von weniger sichtbaren, subtil wirkenden institutionellen und strukturellen Rassismen verhindere.931 Hamburger plädiert deshalb für einen „pädagogisch begründete[n] Antirassismus“932, der sich nicht von der Konstruktion von Feind- und Gegenbildern abhängig macht, situativ angemessen ist und auf Dogmatisierung und Verabsolutisierung verzichtet.933 Dementsprechend soll sich antirassistisches pädagogisches Handeln nicht an Entlarvungen und Verboten, sondern „an der Vorstellung eines gelingenden Lebens“ 934 orientieren. Als Reaktion auf die aktuelle politische Situation Anfang der 1990er Jahre (Aufstieg neonazistischer Gewalt, politische Auseinandersetzungen um die Frage der Asylrechte) wächst die Unterstützung für antirassistische Positionen. Antirassistische Konzepte finden – v. a. in Form von Trainings für verschiedene Zielgruppen – breiten Eingang in den Bildungs- und Erziehungsbereich. Der Frage, inwiefern solchen Trainings zugrundeliegende Konzepte und Methoden eine angemessene Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität ermöglichen können, ging Andreas Zick (1999) in seiner Studie nach, deren Ergebnis ein ausführliches Gutachten über die in Deutschland umgesetzten antirassistischen Trainingskonzepte war. Das Gutachten verweist auf teilweise erhebliche methodische Unzulänglichkeiten (z. B. die direkte Übertragung amerikanischer Antirassismus-Programme auf den deutschen Kontext ohne Rücksicht auf geschichtliche und politische Besonderheiten der bundesdeutschen Entwicklung) sowie auf bedeutende Problematiken inhaltlicher Art, die u. a. bereits bei Hamburger (1992) kritisch diskutiert wurden. So würden sich die meisten antirassistischen Trainings bei der Thematisierung von Rassismusformen vorrangig auf individuelle und institutionelle Ebene beschränken, auf allgemein bekannte, explizit negative Vorurteile gegenüber Minderheiten fokussieren und die Notwendigkeit antirassistischen Handelns einseitig moralisch begründen. Durch die Missachtung struktureller Ebene würden viele antirassistische Trainingskonzepte in die Nähe klassisch interkulturell-pädagogischer Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Stereotypen kommen. Schließlich sei die Eindimensionalität von Antiras-

931 932 933 934

Vgl. Hamburger 1992, S. 123 Ebd., S. 125 Vgl. ebd. Ebd.

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sismus-Programmen problematisch, da lediglich die antirassistische Komponente des Rassismusproblems, und nicht der weite soziale und historische Kontext von rassistischen Machtformen thematisiert werde. 935 Diese Kritikpunkte bereiteten im Wesentlichen die Grundlage für die Konzeptionalisierung so genannter rassismuskritischer Konzepte. Ausschlaggebend für die Etablierung von Rassismuskritik war der Versuch, die kritische Aufmerksamkeit von Antirassismus gegenüber wirkmächtigen rassistischen Strukturen beizubehalten, gleichzeitig jedoch stets auch gegenüber eigenen Verstrickungen in den Rassismus aufmerksam zu sein. Daher nimmt Rassismuskritik bewusst Abstand von der (Re-)Produktion „moralisch qualifizierte[r] binäre[r] Differenz[en]“936 („gut“-“böse“/“Opfer“-“Täter*in“) und geht – entgegen der antirassistischen Utopie – prinzipiell von der Annahme aus, dass es in der Gesellschaft keine „rassismusfreien“ Räume oder Positionen gibt und geben kann. Dies setzt keineswegs den Schluss voraus, dass ein Widerstand gegen Rassismus nicht nötig oder per se unwirksam wäre – je nach Situationskontext „können antirassistische Positionen für die Bekämpfung rassistischer Maßnahmen und für die Gegnerschaft zu rassistischen Vereinigungen [durchaus] angemessen sein“.937 Jedoch richtet die Rassismuskritik den Vektor ihres Handelns nicht auf die Bekämpfung des „äußeren“ Rassismus (die die eigene Selbstpositionierung als rassismusfreie Person quasi voraussetzt), sondern auf die Entwicklung analytischer und selbstreflexiver Kompetenzen, die es ermöglichen, die Bedingungen, Funktionsweisen und Folgen von rassistischen Ordnungen auf individueller, gruppenbezogener, institutioneller und struktureller Ebene zu untersuchen sowie über die eigene Positionierung innerhalb dieser Verhältnisse auf den o. g. Ebenen nachzudenken.938 Statt der utopischen Vision einer rassismusfreien Gesellschaft zeigt Rassismuskritik verschiedene Wege auf, nicht dermaßen auf rassistische Handlungs, Erfahrungs- und Denkformen angewiesen zu sein.939 Auf diese Wege soll im nächsten Kapitel ausführlicher eingegangen werden.

935 936 937 938 939

Vgl. Zick 1999, S. 63 ff. Mecheril/Melter 2010, S. 171 Brunner/Ivanova 2015, S. 57 Vgl. Mecheril/Melter 2010, S. 172 Vgl. Mecheril 2010 a, S. 20

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3.2.6.2 Leitmotiv: Rassismus als konstitutives Merkmal (post-)moderner (Migrations-)Gesellschaften; Bezugskategorie: Rassismuskritik

Kritik in der Rassismuskritik Kritik genießt in rassismuskritischen Ansätzen deshalb so einen hohen Stellenwert, da sich eine Dominanzkultur gerade durch den Mangel an Kritik und somit die indirekte Zustimmung stabilisieren kann.940 Wie oben bereits angedeutet, macht Rassismuskritik jedoch nicht bloß die Kritik des „äußeren“ Rassismus, sondern die kontinuierliche Analyse der eigenen Position innerhalb rassistischer Verhältnisse zum Ausgangspunkt ihrer Programmatik. Daher bleiben Rassismuskritiker*innen – als Personen, die in institutionellen Kontexten an Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Praxis agieren – stets aufmerksam gegenüber inneren Brüchen und Unstimmigkeiten innerhalb der aktuellen Bildungskonzepte, die Verstrickungen in rassistische Verhältnisse offenbaren können.941 So lässt sich bei der rassismuskritischen Analyse des deutschen Bildungssystems u. a. ein Widerspruch zwischen dem Streben nach der Anerkennung migrationsgeprägter Lebensweisen auf der einen und kulturell begründeten Fremdheitszuweisungen an Migrant*innen auf der anderen Seite feststellen – eine Entwicklung, die auf politischer Ebene als Widerspruch zwischen dem gewollt positiv formulierten Ziel der Anerkennung von Vielfalt und der ausgrenzenden staatlichen Integrationspraxis, die die Anderen beständig als defizitär inszeniert, beschreiben werden kann.942 Die Bedingungen der globalen grenzüberschreitenden Mobilität führen zum einen dazu, dass migrationsbedingte Differenzen in der Pädagogik zunehmend als normal anerkannt werden. Zum anderen ist diese Anerkennung oft an eine Wert-Schätzung von Migrant*innen gebunden: Erst wenn Personen mit Migrationshintergrund die im meritokratischen Sinne „verwertbaren“ Kenntnisse und Kompetenzen „mitbringen“, werden sie als Teil der gesellschaftlichen Normalität anerkannt – während bei der einheimischen Mehrheitsbevölkerung dieses Normalsein und Dazugehören unabhängig von „Wert“ konstatiert bzw. als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird.943 Was genau jedoch einen „Wert“ der Person ausmacht, entscheidet immer die Mehrheitsgesellschaft.

940 941 942 943

Vgl. Rommelspacher 1995 Vgl. Messerschmidt 2014 b, S. 38; auch: Messerschmidt 2009 b und Messerschmidt 2016 a Vgl. Ha/Schmitz 2006, S. 236 Vgl. Messerschmidt 2015, S. 5; auch: Mecheril et al. 2013, S. 31 f

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Besonders deutlich zeigt sich dies in der institutionellen Abwertung von migrationsbedingter Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit: Obwohl Mehrsprachigkeit in bildungs- und lebensweltlichen Kontexten als besondere Kompetenz gefördert wird, werden die Kenntnisse der (gesellschaftlich als nicht prestigeträchtig geltenden) Herkunftssprachen von Migrant*innenkindern nicht als wertvoll anerkannt, sondern als Fremdheits- und Desintegrationsfaktor betrachtet.944 Solche politisierten und institutionalisierten Praktiken der Mehrheitsgesellschaft können als ordnungspolitische Instrumente beschrieben werden: Indem bspw. soziale Gegebenheiten wie struktureller Rassismus, institutionelle Diskriminierungen und andere Ausgrenzungsformen für die Diskussion um die Chancengleichheit als wenig relevant erscheinen, werden Denk- und Handlungsordnungen geschaffen, die implizit auf die Bestärkung der mehrheitsgesellschaftlich dominanten Position abzielen.945 Darüber hinaus üben solche Praktiken eine systementlastende Funktion aus: Werden dominante Denk- und Handlungsordnungen aufrechterhalten, dann bleibt auch der Status quo der Institutionen unangetastet. Institutionelle Veränderungen, die ggf. mit größerem (finanziellen) Aufwand einhergehen, erscheinen dann als nicht notwendig.946 Mit Mecheril et al. (2013) und Messerschmidt (2015) lassen sich mit Bezug auf o. g. Überlegungen wichtige Konsequenzen sowohl für den allgemeinen Kontext der Migrationsgesellschaft als auch speziell für den Bildungsbereich ermitteln. Für den allgemeinen Kontext der Migrationsgesellschaft bedeutet die rassismuskritische Herangehensweise primär die Dekonstruktion bestehender Deutungsmuster, die rassistische Situiertheit der gesellschaftlichen Wirklichkeit bzw. das „selbstverständliche“ Handeln in rassistischen Verhältnissen ermöglichen.947 Eine besondere Rolle spielt dabei das kritische Hinterfragen der Diskurse, die den Migrationsbegriff begleiten und prägen,948 die Analyse der Narrative, in denen Migration bspw. durch wiederholtes Verweisen auf aktuelle Fluchtbewegungen enthistorisiert wird,949 oder die kritische Auseinandersetzung mit der medialen Tendenz, Erklärungen gesamtgesellschaftlicher und globaler Entwick-

944 945 946 947 948 949

Vgl. Yildiz 2010, S. 68; zum Problem des Linguizismus vgl. Dirim 2010 Vgl. Geisen 2010, S. 16; Ha/Schmitz 2006, S. 236 Vgl. Yildiz 2010, S. 68 Vgl. Mecheril 2013, S. 25 Vgl. Messerschmidt 2015, S. 4 Vgl. Mecheril 2013, S. 11

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lungen über die Kategorie „Religion“ zu liefern und dadurch die Grenzen zwischen „Wir“ und „Nicht-Wir“ zu konstituieren und zu bestärken.950 Für den Bildungskontext gilt es, Bildungsinstitutionen als Orte zu verstehen und zu analysieren, die von unreflektierten Ungleichheiten, Zuschreibungen und Machtverhältnissen verschiedenster Art durchsetzt sind.951 Die Pädagogik muss dementsprechend „selbst als soziale Praxis bzw. Normalisierungspraxis betrachtet werden […], die Migration als das außergewöhnliche hervorbringt.“952 Um an diese Normalisierungspraxis und darin verhaftete hierarchisierende Unterscheidungen „heranzukommen“, ist eine „Kritik in und an der Bildung im gegenwärtigen migrationsgesellschaftlichen Kontext“953 notwendig. Bildungsinstitutionen und bildungsbezogenen wissenschaftlichen Disziplinen kommt in diesem Kontext die Aufgabe zu, eine „Dekonstruktion ihrer selbst“954 vorzunehmen und verinnerlichte Routinen beständig zu hinterfragen. Erst dann kann die notwendige Aufmerksamkeit für ausgrenzende gesellschaftliche Strukturen erreicht und die bereits in den 1980er Jahren kritisierte und nach wie vor andauernde Pädagogisierung sozialer und politischer Probleme verhindert werden.955 Diese Aufgaben konkretisieren Mecheril und Melter (2010), indem sie folgende Handlungsperspektiven rassismuskritischer Bildungsarbeit skizzieren:956 -

Reflexion und Modifikation bildungsinstitutioneller Prozesse und Strukturen mit dem Ziel, „die ungleiche Verteilung des Gutes Bildung unter natioethno-kultureller Hinsicht [zu] reduzieren“;957

-

Rassismuskritische Performanz im Sinne eines symbolischen Engagements von Institutionen gegen Rassismus;

-

Stärkung der Bereitschaft, „rassistische Vorkommnisse und Routinen zu benennen und gegen sie vorzugehen“;958

950 951 952 953 954 955 956 957 958

Vgl. Mecheril et al. 2013, S. 23 f. Vgl. Messerschmidt 2015, S. 3 Mecheril et al. 2013, S. 7 Messerschmidt 2015, S. 1 Ebd., S. 2 Vgl. ebd., S. 3 Im Folgenden zusammengefasst nach Mecheril/Melter 2010, S. 174 ff. Ebd., S. 174 Ebd.

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-

Vermittlung des historischen und aktuellen Wissens über Rassismus, mit besonderer Aufmerksamkeit für subtile Formen und Wirkungsweisen von rassistischen Verhältnissen;

-

Thematisierung von Zugehörigkeits- und Nichtzugehörigkeitserfahrungen sowie Stärkung einer differenzierten Wahrnehmung von Rassismuserfahrungen;

-

Reflexion rassistischer Zuschreibungsmuster und Dekonstruktion eindeutiger Unterscheidungen.

Postkoloniale Rassismuskritik Eine besondere Form von Rassismuskritik stellt die Kritik in postkolonialen Studien dar. Postkoloniale Studien untersuchen die Nachwirkungen kolonial und imperial geprägter Strukturen, die sich u. a. in (Nicht)Zugehörigkeitskonstruktionen entlang der „Rasse“, Hautfarbe, Sprache, Kultur, nationaler Herkunft etc. äußern.959 Dabei wird das Wissen über die Verbundenheit von Kultur und Geschichte europäischer Staaten mit der kolonialen Moderne und den damit zusammenhängenden Macht- und Herrschaftsformen als unverzichtbare Komponente einer umfassenden Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen und Systemen vorausgesetzt. Die Rolle der Wissensproduktion für das Fortbestehen kolonialer rassistischer Praktiken ist ein zentrales Thema der postkolonialen Forschung. Die Komponente „post-“ im Begriff „postkolonial“ bezieht sich nicht nur auf die Beschreibung der Situation nach dem formalen Ende kolonialer Herrschaft, sondern bringt vielmehr die Fokussierung auf die dauerhaften Nachwirkungen kolonialer Verhältnisse zum Ausdruck. Darüber hinaus zielt die postkoloniale Kritik auf die Dekonstruktion und Überwindung kolonial geprägter Verhältnisse ab.960 Besonders relevant erscheint dabei die Tatsache, dass die eigene koloniale Vergangenheit, so Ha/Schmitz (2006), bis heute selten „als fundamentaler Bestandteil in der offiziellen Narration von deutscher Geschichte und Nationalidentität“961 zugelassen wird, weshalb eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Koloni-

959 960 961

Vgl. Ha et al. 2007, S. 9 Vgl. Konrad 2012, S. 7 Ha/Schmitz 2006, S. 226

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algeschichte oft nur am Rande stattfinden kann. Rommelspacher (2011) verweist mit Bezug auf gängige Inhalte von Angeboten zu Erinnerungskultur und Gedächtnisarbeit auf die ungleiche Aufmerksamkeit gegenüber kolonialen und nationalsozialistischen Verhältnissen: „Kolonialismus des Deutschen Reiches wurde durch die Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus gegenüber den als ‚rassistisch minderwertig‘ deklarierten Menschen sowie durch die mörderische Eroberungspolitik gegenüber ‚dem‘ Osten gewissermaßen in Schatten gestellt und weitgehend verdrängt.“962 Gleiche Ansicht teilen Eckert und Witz (2013), indem sie anmerken, dass für Deutschland nach 1945 „[d]ie „Bewältigung“ der nationalsozialistischen Vergangenheit und des Holocaust [...] auf der politischen Agenda weit oben“963 stand und deutsche Politiker*innen deshalb „zwar bereit [waren], in einem gewissen Maß die fatale Rolle des Antisemitismus in der deutschen Geschichte zu konzedieren, kolonialer Rassismus und die Ausbeutung Afrikas, Asiens und Lateinamerikas hingegen waren in diesem Blickwinkel Dinge, welche die ‚Anderen‘ zu ‚bewältigen‘ hatten.“964 Ausgeblendet wurde dabei, dass nationalsozialistische Ordnungs- und Gewaltinstrumente mit Blick auf ihre rassistische Konstruktion bedeutende Parallelen mit kolonialen Herrschaftspraktiken aufweisen, was eine Beschreibung und Deutung nationalsozialistischer Verhältnisse vor dem Hintergrund kolonialer Kontinuitäten möglich macht.965 Als ein weiterer Grund für die weitgehende Dethematisierung von Kolonialismus in der aktuellen politischen und medialen Öffentlichkeit wird die geläufige Annahme angeführt, dass Deutschland aufgrund der relativ kurzen Kolonialzeit gar nicht als „echte“ Kolonialmacht betrachtet werden könne.966 Als sich der ehemalige Außenminister Fischer auf der „Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz“ 2001 in Durban im Namen Deutschlands für Sklaverei und Kolonialismus entschuldigt hatte, wurde er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dafür kritisiert – genau mit der Begründung, dass Deutschland, im Unterschied zu Großbritannien, Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Portugal keine ausgeprägte koloniale Vergangenheit hätte und eine Entschuldigung für koloniale Verbrechen

962 963 964 965 966

Rommelspacher 2011, S. 48 f. Eckert/Witz 2013, S. 510 Ebd. Vgl. bspw. Axter 2013; Kößler/Melber 2004; Zimmerer 2003 Vgl. Eckert/Witz 2013, S. 507

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demnach unangemessen wäre.967 Aus der verhältnismäßig kurzen Dauer der kolonialen Herrschaft Deutschlands lässt sich jedoch nicht automatisch deren Irrelevanz für die deutsche Geschichte ableiten – „Kolonialbesitz ist das eine, Kolonialismus und koloniales Denken etwas anderes.“968 Vielmehr sind die Kolonialbeziehungen als ein „geschichtsmächtiges Moment der Moderne“969 zu verstehen, die historisch das Selbstbild der deutschen Mehrheitsgesellschaft geprägt und eine Basis für gegenwärtige Ein- und Ausschlusspraktiken geschaffen haben. Als ein aufschlussreiches historisches Beispiel für die alltagsweltliche Wirksamkeit kolonialer Denkstrukturen kann der Kampf um Rechte der Frauen der deutschen Kolonialmacht angesehen werden, der gleichzeitig mit der Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung in Kolonialgebieten einherging. So beteiligten sich Frauen aus der oberen bürgerlichen Mittelklasse aktiv an den Aufrufen zum Verbot von Mischehen und engagierten sich für die eigene Teilhabe an rassischer Herrschaft, indem sie sich bspw. für die stärkere Präsenz deutscher Frauen in Kolonialgebieten einsetzten.970 Aktuelle Beispiele des westlich geprägten Feminismus, die mit einer Darstellung von Frauen of Color als Opfer und Männern of Color als Täter einhergehen und dadurch zur Etablierung von feministisch begründeten Rassismen beitragen,971 könnten als Fortführung dieser Praxen – wenn auch unter anderen Vorzeichen – interpretiert werden. Ein weiteres Beispiel für aktuelle Nachwirkungen kolonialer Denkmuster bezieht sich auf die Repräsentation kolonialer Bilder im Tourismusbereich. Jystyna Staszczak (2014) analysierte dazu historische Parallelen und Repräsentationspraxen am Beispiel eines Reiseführers zu Tansania, welcher 2011 im DuMont Verlag erschienen ist. Unter anderem stellte die Autorin fest, dass die Reiseliteratur der vergangenen Jahrhunderte im Vergleich mit den heutigen Reiseführern ähnliche Muster, nach denen die Länder des globalen Südens wahrgenommen werden, aufweist. Eine wichtige Gemeinsamkeit sei vor allem die gezielte Schaffung von binären Differenzen wie „normal/üblich – exotisch“, „zivilisiert – wild“, „mo-

967 968 969 970

971

Vgl. ebd., S. 510 Ebd., S. 507 Ha/Schmitz 2006, S. 227 Vgl. Eckert/Witz 2013, S. 514 f; ausführlich zu der Rolle weißer deutscher Frauen in kolonialen und imperialen Verhältnissen vgl. Walgenbach 2006 Vgl. bspw. Rommelspacher 2009; zur Kritik des westlichen Feminismus in feministischen postkolonialen Theorien vgl. Castro Varela/Dhawan 2009

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dern – ursprünglich“, „geistig – körperbetont“ usw. Diese immerwährende Differenzherstellung illustriert die erstaunliche Beständigkeit (kolonial-)rassistischer Darstellungsformen, die, so Staszczak, als Antwort auf exotisierende und subtil rassistische Erwartungen der Reisenden zu interpretieren sind.972 Auf politischer Ebene kann v.a. die so genannte Integrationsdebatte in Deutschland vor dem Hintergrund postkolonialer Verhältnisse gedeutet werden. Statt freiwilliger Integrationsangebote wird im deutschen Aufenthaltsrecht ein Zwang zu Integrationskursen für bestimmte Personengruppen (Migrant*innen aus Nicht EU-Ländern) verankert, während EU-Bürger*innen ein auf Freiwilligkeit basierendes Optionsrecht haben und selbst bei als mangelhaft bewerteten Integrationsleistungen keine Sanktionen fürchten müssen.973 Somit gehe die Integrationsverordnung, so Ha/Schmitz (2006), davon aus, „dass Migrierte im Gegensatz zu den anscheinend aufgeklärten und zivilgesellschaftlich vollentwickelten Deutschen [bzw. EU-Europäer*innen – Anm. A.I.] die Prinzipien der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit nicht oder nur unzureichend verinnerlicht hatten.“974 Indem Migrant*innen allgemein autoritärer, sexistischer, fundamentalistischer etc. Haltungen verdächtigt bzw. „auf Inkompatibilität reduziert“975 werden, erkenne die deutsche Immigrationspolitik rassistische und v.a. orientalistisch-islamophobe Stereotype an und bediene sich kolonialer Fremd- und Feindbilder. Mit Blick auf mögliche Handlungsoptionen erscheint – bezugnehmend auf die oben geschilderten Beispiele – v. a. die Erweiterung des historischen Blicks auf koloniale Verhältnisse durch vielfältige aktuelle Bezüge wichtig. Die Zusammenhänge von Migration, Integration und Nationalstaat sowie der Aufbau moderner gesellschaftlicher Strukturen und Systeme sollen im Kontext der (post)kolonialen Verbindungen kritisch hinterfragt werden. Dadurch sollen Prozesse des Otherings in Bezug auf bestimmte Personengruppen, welche mit gleichzeitiger Bestätigung eigener (Weißer/westlicher) Überlegenheit einhergehen,976 sichtbar werden. Um diese Prozesse zu überwinden, soll eine Verschiebung der Perspektive auf Zugehörigkeit und Differenz erfolgen: Statt die eindeutige Verknüpfung von Differenz mit Nation, Ethnie („Rasse“) und Kultur unreflektiert zu übernehmen, soll ein Versuch unternommen werden, die Differenz neu zu defi-

972 973 974 975 976

Vgl. Staszczak 2014, S. 136 ff. Vgl. Ha/Schmitz 2006, S. 239 Ebd., S. 243 Ebd. Vgl. Ha et al. 2007, S. 10

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nieren, indem die Wahrnehmungen der gesellschaftlichen Verhältnisse und Alltagspraxen aus der Perspektive der Marginalisierten betrachtet werden.977 Das Ziel auf politischer Ebene ist somit die „Erweiterung migrantischer Handlungsmacht“978, welche solange forciert werden muss, solange „Integration als nationalpädagogische Herstellung mehrheitsdeutscher Autorität und kultureller Differenz verstanden wird.“979 Für den Bildungskontext bedeuten die o. g. Implikationen die Notwendigkeit der Änderung bestehender Bildungsstrukturen mit dem Ziel, gleichberechtigte Beteiligung marginalisierter Subjekte an der Bildung zu erreichen und schlussendlich deren umfassende gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen. Das Wissen über und die kritische Auseinandersetzung mit den Nachwirkungen von Kolonialismus soll dabei als Instrument zur Analyse der dominanten Positionierungen in postkolonialen Gesellschaften und somit als wichtiger Bestandteil der Bildungsprozesse anerkannt werden.980 Kritik der Rassismuskritik Rassismuskritik ist in wissenschaftlichen Kreisen nicht unumstritten, wobei die Kritik unterschiedliche Aspekte dieses Ansatzes unter die Lupe nimmt: zum einen die begrifflich-theoretische Fundierung und pädagogisch-praktische Umsetzung, zum anderen aber auch den deutlich erkennbaren politischen Bezug von rassismuskritischen Prämissen und Vorgehensweisen.981 Wesentlich angestoßen und vorangetrieben wurde die kritische Diskussion durch einen zunächst auf dem ScienceFiles Blog982 und später in dem im Sammelband von Fereidooni und Meral (2016) erschienenen Beitrag von Heike Diefenbach unter dem Titel „Rassismus und Rassismuskritik: Kritische Anmerkungen zum neuen Rassismusdiskurs in der deutschsprachigen Öffentlichkeit und Sozialwissenschaft“.983 Im Weiteren soll auf Diefenbachs Argumentationen sowie die darauf folgende Aus-

977 978 979 980 981

982

983

Vgl. Ha 2000, S. 391 Ha/Schmitz 2006, S. 250 Ebd. Vgl. Messerschmidt 2014 b, S. 40; auch: Ha 2005 Vgl. Center for Migration, Education and Cultural Studies der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2017 a ScienceFiles ist ein privates Blog von Heike Diefenbach und Michael Klein zu verschiedenen wissenschaftlichen Themen, welches sich als Beitrag zu „kritischer Wissenschaft“ positioniert (vgl. Diefenbach/Klein o.J.) Vgl. Diefenbach 2016

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

einandersetzung zwischen den ScienceFiles-Gründer*innen einerseits und einer Gruppe rassismuskritischer (DaZ-)Wissenschaftler*innen andererseits ausführlicher eingegangen werden. Dabei sollen die wesentlichen Momente der Kritik und der Reaktion auf diese dargelegt sowie die Frage gestellt werden, welche bedeutenden Implikationen, aber auch klärungsbedürftigen Fragen sich daraus für die weitere Entwicklung der Rassismuskritik ergeben. Obgleich Diefenbach in der ihrem ersten Artikel auf ScienceFiles vorausgehenden Zusammenfassung die konzeptionelle und terminologische Klärung des Rassismusbegriffs in Abgrenzung zu Rassismuskritik als Ziel ihres Beitrags verkündet,984 macht nicht die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Rassismusbegriffen,985 sondern die Hinterfragung der Legitimität der Rassismuskritik als eines wissenschaftlichen Ansatzes den Kern ihrer Veröffentlichung aus. Laut Diefenbach ist Rassismuskritik „kein wissenschaftliches Konzept […], sondern ein ideologisches Unterfangen“,986 welches „die Verwirklichung eines marxistisch inspirierten Gesellschaftsentwurfes, in dem Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit durch Ergebnisgleichheit bzw. Gleichstellung von sozialen Gruppen hinsichtlich erstrebenswerter Güter und entsprechende Verfahrensweisen ersetzt wird“987 zum Ziel hat. Da die Ergebnissicherheit im Konzept der Rassismuskritik nach dem Kriterium der kulturellen bzw. ethnischen Zugehörigkeit hergestellt werden müsse, würde die Rassismuskritik selbst auf der Praxis des Otherings basieren und die damit einhergehende „Wir“- „Sie“ Logik, die sie programmatisch zu überwinden versuchе, nur begünstigen.988 Der Widerspruch bestehe also darin, dass Rassismuskritiker*innen problematische Konstruktionen von homogenen und voneinander abgrenzbaren Gruppen kritisieren, jedoch diese selbst stets reproduzieren würden, „statt sich von diesen zu emanzipieren“.989 Dass Rassismuskritiker*innen diese Unvereinbarkeiten nicht wissenschaftlich überwinden können und wollen, sondern aus der konstatierten Unauflösbarkeit dieses Widerspruchs sogar auf die Notwendigkeit schließen, in Widersprüchen

984 985

986 987 988 989

Vgl. Diefenbach 2015, S. V Nur kurz schneidet Diefenbach in ihrem Beitrag die begrifflich-programmatische Ebene von Rassismuskritik an, indem sie auf die Gefahr des inflationären Gebrauchs von Rassimusbegriff und der damit einhergehenden Trivialisierung von Rassismus aufmerksam macht (vgl. Diefenbach 2016, S. 838 f.). Daran knüpft die am Ende des Beitrags vorgeschlagene Systematisierung von Phänomenen, die unter dem Oberbegriff des Rassismus subsumiert werden. Diefenbach 2017, S. 842 Ebd. Ebd., S. 843 f. Ebd., S. 845

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denken zu lernen,990 betrachtet Diefenbach als ein Instrument zur Immunisierung gegen jegliche Form der rationalen Kritik.991 Somit offenbare sich Rassismuskritik als ein „schlichter[s] Glaubens- und Bekennensakt“992 und erweise sich „insgesamt gesehen als außerhalb der Wissenschaft stehend.“993 Die Zuweisung der Rassismuskritik ins Spektrum des rein Ideologischen sieht die Autorin darüber hinaus darin bestätigt, dass eine empirische Fundierung von grundlegenden rassismuskritischen Prämissen – also eine Überprüfung rassismuskritischer Analyseinstrumente auf ihre Geltung hin – in rassismuskritischer Forschung gänzlich fehlen würde.994 In dem Beitrag „Nichts als Ideologie? Eine Replik auf die Abwertung rassismuskritischer Arbeitsweisen“ begegnen Dirim et al. (2016) der von Diefenbach geäußerten Kritik mit der grundlegenden Hinterfragung der Möglichkeit, Wissenschaft und Ideologie zu trennen. Dadurch, dass Diefenbach in ihrem Beitrag den Begriff „Ideologie“ nicht definiere und stets im Gegensatz zum Wissenschaftsbegriff verwende, würde zum einen suggeriert, dass Wissenschaft per definitionem nicht ideologisch sein könne.995 Mit der Behauptung der eigenen Ideologiefreiheit und Neutralität gehe die Verweigerung einher, eigene Verstrickungen in Machtverhältnisse überhaupt (an)zuerkennen. Ignoriert würden daher sowohl die (historisch geprägten und aktuell bedeutsamen) Verbindungen von Wissen und Macht als auch die eigene Rolle als Wissenschaftler*in bei der Machtproduktion und -bestätigung.996 Des Weiteren veranschaulichen Dirim et al. am Beispiel der Kategorie „Migrationshintergrund“, wie durch eine wissenschaftlich fundierte, logisch definierte und scheinbar ideologiefreie Kategorienbildung symbolische Gewalt hervorgebracht und legitimiert werden kann. Erst durch die Anwendung der „in der Tat ideologisch konturiert[en]“997 rassismuskritischen Frage, wer und in welcher Weise von dieser Kategorienbildung betroffen wird, wird es überhaupt möglich, die Ideologie eines angeblich „neutralen“ wissenschaftlichen Vorgehens sichtbar

990 991 992 993 994 995 996 997

Vgl. Kalpaka 2011, S. 38, zit. n. Diefenbach 2016, S. 848 Vgl. Diefenbach 2016, S. 848 Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 845 Vgl. Dirim et.al. 2016, S. 87 ff. Vgl. ebd., S. 91 Ebd., S. 93

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zu machen.998 Dementsprechend verstehen Dirim et al. Rassismuskritik als Beitrag zur Ideologiekritik im dem Sinne, dass rassismuskritische Betrachtungsweisen „die Ideologie eines angeblich ideologiefreien Vorgehens offenbaren“999 (können). Gerade die empirische Forschung könne kein Garant für „Ideologiefreiheit“ sein – zum einen, weil sie immer auch von partikularen Interessen und Perspektiven geprägt sei,1000 zum anderen, weil quantifizierende und präzisierende Vorgehen bei der Analyse von de facto widersprüchlichen und ambivalenten sozialen Prozessen auf ihre Grenzen stießen.1001 Das Ziel müsse deshalb nicht das Fehlen von (ideologischer) Perspektive, sondern die Offenlegung und nachvollziehbare Begründung dieser sein.1002 Bemerkenswert in jeder Hinsicht ist die weitere Entwicklung der Diskussion. Lässt sich der bei Fereidooni/Meral veröffentlichte Beitrag von Diefenbach noch als herausfordernd beschreiben1003, so kann die aktuelle Stellungnahme der Autorin zum Beitrag von Dirim et al. unter dem Titel „Die Dämonisierung der Anderen und die Inszenierung von Kritik als Häresie“1004 bestenfalls als polemisch bezeichnet werden. Im Folgenden soll auf diesen Beitrag nicht weiter eingegangen werden, da die Argumente, die für eine kritische Reflexion rassismuskritischer Konzepte und Methoden von Bedeutung sein könnten, in einem Schwall von gegen Dirim et al. gerichteten Denunziationen und Unterstellungen1005 regelrecht untergehen. Es sei jedoch kurz auf einen für die weitere Diskussion möglicherweise bedeutsamen Widerspruch hingewiesen, den Diefenbach selbst offenbar nicht wahrzunehmen scheint: Indem sie Dirim et al. (die in Augen Diefenbachs offensichtlich als stellvertretend für den gesamten rassismuskritischen Ansatz fungieren) übertriebene Emotionalität und böswillige Diffamierungsab-

998 999 1000 1001 1002 1003

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Vgl. ebd. Ebd., S. 93 Vgl. ebd., S. 88 Vgl. ebd., S. 93 Vgl. ebd., S. 88 Gewiss ist die Behauptung, Rassismuskritik würde (gänzlich) außerhalb der Wissenschaft stehen, umstritten, nichtsdestotrotz liefern Diefenbachs Argumentationen m. E. wichtige Diskussionsanlässe – bspw. hinsichtlich des Gebrauchs von Rassismusbegriff und der empirischen Fundierung rassismuskritischer Grundlagen. Vgl. Diefenbach 2017 So ist im Beitrag u. a. die Rede von Rassismuskritiker*innen, die „das eigene Machtstreben auf ihre Mitmenschen projizieren“ (S. 2), sich als „die besseren Menschen“ (S. 18) bzw. die besseren Wissenschaftler*innen (S. 5, Fußnote) betrachten, böswillig sind (S. 23, S. 30). Dem Beitrag von Dirim et al. attestiert Diefenbach eine übertriebene Emotionalität sowie die Verwendung von Unterstellungen, Beschimpfungen, diskreditierenden Zuschreibungen etc. (vgl. bspw. S. 23).

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sichten unterstellt, bekräftigt sie indirekt die von ihr aufgestellte These von der Unwissenschaftlichkeit der Rassismuskritik – verlässt jedoch mit ihrem erneuten Kritikversuch selbst den Rahmen einer wissenschaftlichen Diskussion und begibt sich auf ein Terrain, in dem aggressiv-personalisierende und verachtende Äußerungen einen weitaus größeren Platz einnehmen als sachliche Argumente. Möglicherweise lässt sich dieser Schreibstil als eine Art „berechtigte Empörung“ der Autorin angesichts der ihres Erachtens unzumutbaren Reaktion von Dirim et al. deuten – hier stellt sich jedoch die Frage, ob es Diefenbach in diesem Beitrag tatsächlich noch um wissenschaftliche Interessen oder doch eher um persönliche Herabwürdigungen geht. Dass sich die Autorin darüber hinaus affirmativ gegenüber dem ebenfalls auf ScienceFiles erschienenen Kommentar des ihr nahe stehenden Wissenschaftlers Michael Klein1006 äußert, in dem Dirim et al. sexistisch beschimpft und (unter anderem) „Defizitmenschen“ genannt werden bzw. ihr Beitrag als Ergebnis eines „geistigen Defekts“ bezeichnet wird,1007 bestärkt die Legitimation dieser Frage. Offen bleibt bisher, inwiefern die von Diefenbach (in ihrem ersten Beitrag) angestoßene Kritik einen Anlass zur kritischen Überprüfung von rassismuskritischen Grundlagen und Analyseinstrumenten bilden kann und sollte – eine Frage, die mit großer Wahrscheinlichkeit für die aktuellen Entwicklungen der Rassismuskritik ausschlaggebend sein wird. In diesem Kontext erscheint auch der Hinweis bedeutend, dass eine kritische Reflexion rassismuskritischer Prämissen und Praktiken auch innerfalb der Rassismuskritik selbst eine immer größere Rolle spielt.1008 Zentral sind dabei u. a. Aspekte wie: Klärung des Rassismusbegriffs als Gegenstand der Rassimuskritik, Präzisierung des Gegenstandes von Rassimuskritik, Auseinandersetzung mit der Rolle von Kritik in der Rassismuskritik, Auswahl bedeutsamer kritischer Anfragen sowie Diskussion über (angemessene) Wege, Formen und Effekte der Kritik.1009

1006 1007

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Vgl. Klein 2016 Des Weiteren vergleicht Klein das Vorgehen der Rassismuskritiker*innen mit dem der Islamist*innen, worauf ebenfalls kein Widerspruch vonseiten Diefenbachs folgt. Schließlich äußert sich Diefenbach in den Kleins Beitrag folgenden Kommentaren zu der Behauptung eines Forum-Nutzers „Der ‚Neger‘ von heute ist weiß, männlich, rechts, lehnt den Islam ab, zeigt keinen Ekel vor einem Trump-Poster usw.” mit einem bestätigenden „Ja, das ist, fürchte ich, tatsächlich so“ (vgl. Klein 2016, Kommentare zu dem Beitrag) Vgl. bspw. Broden 2016, Messerschmidt 2016 c Vgl. Center for Migration, Education and Cultural Studies der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2017 b, S. 1

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3.2.6.3 Bezüge zu antirassistischen und rassismuskritischen Perspektiven in den Reflexionen der Teilnehmerinnen am Projekt „LeB|in|MiG“ Mit Bezug auf die im Rahmen des Projekts „Lehrerinnenbildung: interkulturellmigrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ analysierten Reflexionen1010 lassen sich teilweise wichtige Anknüpfungspunkte an antirassistische und rassismuskritische Ansätze feststellen. Diese können sich explizit (z. B. in der offenen Thematisierung bzw. Benennung von Rassismus und Postulierung der Notwendigkeit einer Positionierung gegen Rassismus) oder implizit äußern (z. B. durch die Fokussierung auf den Aspekt der institutionellen, strukturellen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die Reflexion über die eigene Involviertheit in diskriminierende bzw. rassistische Strukturen, die Kritik institutioneller und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, etc.). Anhand der Reflexion I – 1c), die sich mit der Problemsituation „Rektor“ auseinandersetzt,1011 sollen diese expliziten und impliziten Parallelen zu bedeutenden Prämissen antirassistischer und rassismuskritischer Ansätze veranschaulicht werden. Es sollte aber auch auf Schlussfolgerungen hingewiesen werden, die zwar aus den antirassistischen/rassimuskritischen Konzepten nahe kommenden Argumentationslinien folgen, jedoch in ihrer Konsequenz eine Richtung aufweisen, die nicht unbedingt mit den theoretischen Prämissen dieser Konzepte im Einklang steht (z. B. die Ablehnung von Eigenverantwortung oder die Favorisierung der Sondermaßnahmen für Geflüchtete als Handlungsoption). Weshalb es dazu kommt, ist eine Frage, die aufgrund des fehlenden Zusatzmaterials (z. B. vertiefende Interviews mit der Verfasserin der Reflexion) nicht beantwortet werden kann. Es erscheint jedoch wichtig, mögliche Gründe für die festgestellte punktuelle, nichtkonsequente Verfolgung antirassistischer und rassismuskritischer Prämissen zumindest anzudeuten (vgl. Fazit zu diesem Kapitel). Beispiel: Reflexion I – 1 c Frage I: Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation? Die Herausforderung bei dieser Situation liegt vielschichtig und bei beiden Seiten, sowohl beim Direktor und Schule als auch bei den neuen Schülern, die Institution trägt eine sehr hohe Verantwortung. Der Di-

1010 1011

Vgl. Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“ Situationsbeschreibung und Aufgabenstellung vgl. S. 25 und 345

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rektor als Repräsentant weiß nicht[,] wie er mit dieser Situation umgehen soll. Die Klassenkameraden schauen auf ihren Lehrer und fühlen sich für den Umgang mit den Neuen noch weniger verantwortlich, da sie vor sich einen „hohen Würdenträger“ als ihr großes Vorbild haben. Es fühlt sich niemand dazu verpflichtet[,] zu schauen, was könnte den beiden helfen. Man sieht sich eher in der Opferrolle, dass man jetzt das Auffanglager geworden sei. Die Neuankömmlinge haben diverse Probleme, [wo]von die Schule einfach ein Übel ist, welches sie über sich ergehen lassen müssen, da in dem Land, wo sie jetzt wohnen, eine Schulpflicht herrscht. Die aus Frankreich ausgewiesenen Sinti und Roma waren laut Medien aus Bulgarien oder Rumänien in unser Nachbarland gelangt. Dieser Wechsel zwischen verschiedenen Ländern macht Kindern in dem pubertären Alter zu schaffen, insbesondere weil sie sich in dem Alter noch den Entscheidungen der Eltern unterordnen müssen und nicht unbedingt willentlich ihre liebgewonnen Orte verlassen mussten. Eine Ausweisung aus einem „freien“ Land, wo jeder leben darf, dient nicht unbedingt der Selbstbewusstseinsstärkung. Eine weitere Hürde stellt die Sprachbarriere dar. Sinti und Roma haben ihre eigene Sprache, auch in Deutschland lebende Minderheiten sprechen nicht Deutsch, sondern ihre Sprache. Durch das Reisen durch verschiedene Länder nehmen diese Minderheiten Sprachfärbungen des jeweiligen Aufenthaltsortes mit in ihre eigenen Konversationsmuster auf. Es ist bestimmt schwer[,] jetzt jemanden zu finden, der die Sprache spricht, die die neuen Schüler verstehen und sprechen. Frage II: Wie könnte darauf reagiert werden? Zuerst müsste überprüft werden[,] auf welchem Bildungsstand die beiden stehen. Evtl. sind sie völlig überfordert mit den Themen und der Art zu leben wie die meisten Mitschüler. Es wäre wichtig[,] eine ExtraFörderung für sie einzurichten, zumindest es zu organisieren, dass sie in solchen Institutionen wie dem „Internationalen Bund“ unterkommen. Die Bezeichnung „Zigeunerkinder“ sollte den anderen Beteiligten „abgewöhnt“ werden. Es stellt sich die Frage, wer sollte hier agieren? Ein/e Studierende/r im Tagesfachpraktikum kann es nur als Denkanstoß in der Reflektion ansprechen, ist jedoch in der Situation als der/die zu Bewertende eindeutig in der unterlegenen Position einem Schulrektor gegenüber. Die einzige Person, die meiner Meinung nach

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes… hier doch etwas Weitreichenderes bewirken könnte, zumindest die Macht hat, dem Rektor etwas zu sagen, wäre die betreuende Hochschulfachkraft. Es müsste zumindest jemand das Rückgrat haben[,] es zu thematisieren und die abwertende Bezeichnung zu tabuisieren. Der/m Studierenden bleibt nur übrig[,] die beiden nett und freundlich zu behandeln, was diese trotz Sprachbarrieren merken[;] meiner Meinung nach ist man sensibler[,] aus der Behandlungsart die Empathie des Gegenübers zu entdecken, gerade weil man ihn nicht versteht. Auf institutioneller und politischer Ebene müssten Entscheidungen getroffen werden, wie wir mit diesen Menschen umgehen wollen, zu guter Letzt aufgrund unserer nationalsozialistischen Vergangenheit und dem damaligen Genozid diesen Minderheiten gegenüber.

[Die dritte Frage wurde von der Teilnehmerin nicht beantwortet] Analyse/Interpretation zu der ersten Frage: Die Herausforderung bei dieser Situation liegt vielschichtig und bei beiden Seiten, sowohl beim Direktor und Schule als auch bei den neuen Schülern, die Institution trägt eine sehr hohe Verantwortung. Der Direktor als Repräsentant weiß nicht[,] wie er mit dieser Situation umgehen soll. Die Klassenkameraden schauen auf ihren Lehrer und fühlen sich für den Umgang mit den Neuen noch weniger verantwortlich, da sie vor sich einen „hohen Würdenträger“ als ihr großes Vorbild haben. Zu Beginn ihrer Reflexion äußert sich die Teilnehmerin zu der Komplexität der Situation und stellt zwei Hauptparteien vor, die ihrer Meinung nach für die Lösung der Situation verantwortlich sind: die Schule als Institution bzw. „Der Direktor als Repräsentant“ einerseits und die Quereinsteiger*innen andererseits. Das Verhalten des Rektors (der in dem beschriebenen Fall auch Klassenlehrer ist), den die Teilnehmerin nicht als Einzelperson, sondern vor allem im Kontext seiner institutionell-systemischen Umgebung wahrnimmt, fasst die Teilnehmerin als Ausdruck von Unsicherheit/Hilflosigkeit auf. Das Verhalten der anderen Schüler*innen in der Klasse wird als unmittelbare Reaktion auf das Verhalten des Rektors interpretiert. So weist die Teilnehmerin auf die hohe Machtstellung und gleichzeitig die Vorbildfunktion des Direktors bzw. Klassenlehrers hin („hohe[r] Würdenträger“ und „großes Vorbild“) und vermutet, dass sich andere Schüler*innen in der Klasse durch die Verantwortungsentziehung vonseiten des Rektors in ihrer handlungsverweigernden Position bestätigt fühlen („noch weniger verantwortlich“). Damit betont die Teilnehmerin den Einfluss des hoch Posi-

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tionierten auf niedrig Positionierte und schneidet das Thema der Wirkungsmacht von Schulhierarchien an. Die Behauptung, dass der Lehrer/Rektor aufgrund seiner Position in der Schule ein Vorbild für die Schüler*innen ist oder sein soll, kann als impliziter Hinweis auf starre, autoritäre Strukturen innerhalb des Schulsystems gedeutet werden. Die Diskrepanz zwischen dem gehobenen Gebrauch des Wortes „Würdenträger“, der mächtigen Stellung, die ein Würdenträger innehat, und der tatsächlichen Hilflosigkeit des Rektors verleiht der Äußerung der Teilnehmerin eine sarkastische Konnotation, die sich möglicherweise auch darauf bezieht, dass die Stellung eines „Würdenträger[s]“ und der damit verbundene Würdebegriff mit dem rassistischen Verhalten, welches der Rektor an den Tag legt, unvereinbar ist. Es fühlt sich niemand dazu verpflichtet[,] zu schauen, was könnte den beiden helfen. Man sieht sich eher in der Opferrolle, dass man jetzt das Auffanglager geworden sei. Mit den Worten „es fühlt sich niemand [also niemand an der Schule, A.I.] verpflichtet[,] zu schauen, was könnte den beiden helfen“ geht die Teilnehmerin auf die institutionelle Ebene über und unterstreicht den Einfluss der Institution Schule auf die Lösung Situation bzw. die Reaktion der beteiligten Akteur*innen. Mit dem Satz „Man sieht sich eher in der Opferrolle, dass man jetzt das Auffanglager geworden sei“ rekonstruiert die Teilnehmerin offenbar die Argumentation der Schule (darauf weist u. a. auch der Gebrauch der indirekten Rede hin), mit der die Handlungsverweigerung und Verantwortungsverschiebung begründet werden. Die Schule sieht sich in dieser Situation buchstäblich als „Auffanglager“. Der Gebrauch dieses Begriffs legt Parallelen zu unreflektierter medialer Berichtserstattung über das „Flüchtlingsproblem“ offen,1012 womit die Teilnehmerin die Geprägtheit der gesamten Institution Schule durch den aktuellen politisch-medialen Diskurs deutlich macht. V. a. wird hier der Mechanismus der Viktimisierung von „Täter*innen“ angesprochen: Indem sich die Schule (bzw. die entsprechenden Schulakteur*innen) als „Auffanglager“ sehen, wird die Perspektive umgedreht, und die eigentlich Betroffenen (die beiden Geschwister) werden selbst zu störenden Problemverursacher*innen, wodurch die Handlungsverweigerung seitens der eigentlich handlungsmächtigen Personen legitimiert werden kann.

1012

Zu beachten ist die Ignoranz der spezifischen historischen Vorgeprägtheit des Begriffes „Lager“: Der Gebrauch von Wörtern wie „Auffanglager“ oder „Flüchtlingslager“ legt angesichts der deutschen Geschichte Parallelen zu Konzentrations- und Arbeitslagern offen.

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes… Die Neuankömmlinge haben diverse Probleme, [wo]von die Schule einfach ein Übel ist, welches sie über sich ergehen lassen müssen, da in dem Land, wo sie jetzt wohnen, eine Schulpflicht herrscht.

Weiterhin geht die Teilnehmerin auf die Probleme der neuen Kinder ein und macht dabei deutlich, dass der verpflichtende Besuch der Schule nur ein Problem unter vielen ist. Sie geht dabei nicht automatisch von der Auffassung der Schule als Chance für die Kinder aus, sondern stellt zunächst fest, dass der Schulbesuch eine für die Kinder „ein Übel“ ist. Mit der Formulierung „ein Übel“ (=unter vielen anderen) wird implizit auf andere Aspekte der Sozialisierung bzw. Integration in Deutschland hingewiesen, die nun Teil des Lebens der beiden Quereinsteiger*innen werden sollen. Durch die Thematisierung der Schulpflicht sowie den Verweis auf mögliche weitere Probleme im Zusammenhang mit dem Leben in Deutschland bringt die Teilnehmerin die Abhängigkeit der beiden Kinder von den Regeln des deutschen Bildungssystems und der deutschen Rechtslage im Allgemeinen zum Ausdruck. Die aus Frankreich ausgewiesenen Sinti und Roma waren laut Medien aus Bulgarien oder Rumänien in unser Nachbarland gelangt Indem die Teilnehmerin auf den möglichen politischen Hintergrund der Situation eingeht, bringt sie ihre Kenntnis der aktuellen Entwicklungen im Bereich Flüchtlingspolitik zum Ausdruck (Ausweisungen von eingewanderten Sinti und Roma in Frankreich und entsprechende Medienberichte). In ihrer gesamten Reflexion verweist die Teilnehmerin oft auf rechtliche, politische und historische Dimensionen von Migration und schlägt somit einen Zugang zum Problem ein, der nicht nur über die Kultur der „Anderen“ erfolgt. Dieser Wechsel zwischen verschiedenen Ländern macht Kindern in dem pubertären Alter zu schaffen, insbesondere weil sie sich in dem Alter noch den Entscheidungen der Eltern unterordnen müssen und nicht unbedingt willentlich ihre liebgewonnen Orte verlassen mussten. An dieser Stelle bringt die Teilnehmerin den Aspekt der Adoleszenz in ihre Überlegungen ein und setzt ihn mit dem Aspekt der Migration in Bezug. Sie beschreibt die Pubertät als Katalysator für negative Begleiterscheinungen der Migration, nämlich Fremdheit und familiäre Abhängigkeit. Die Quereinsteiger*innen sind in ihrer Migrationsgeschichte sowohl von staatlichen/politischen Entscheidungen als auch von den Entscheidungen ihrer Eltern abhängig. Die Teilnehmerin scheint hiermit auf individuelle Emanzipationsprozesse in der Phase der Adoleszenz zu verweisen, die eine solche Erfahrung noch einschneidender machen können. Ähnliches gilt wohl für das Gefühl der Fremdheit, das in der Adoleszenzphase auf die Suche nach der eigenen Identität trifft. Auch hier

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umgeht die Teilnehmerin einfache Monokausalitäten, die von Migration zu Entwurzelung und Zerrissenheit führen, sondern stellt die Migration in einen breiteren und kulturunabhängigen Kontext. Zudem macht die Teilnehmerin mit dem Verweis auf altersbezogene Besonderheiten und mehrfache Abhängigkeiten die Mehrfachzugehörigkeiten der beiden Kinder deutlich. Eine Ausweisung aus einem „freien“ Land, wo jeder leben darf, dient nicht unbedingt der Selbstbewusstseinsstärkung. Die Teilnehmerin verweist an dieser Stelle wiederholt auf den Zwangscharakter der Migrationssituation der beiden Kinder und die daraus folgenden psychischen Auswirkungen, die sie durch den Status bzw. das Selbst-/Fremdbild Frankreichs als demokratischer Rechtsstaat mit bürgerlichen Freiheiten potenziert sieht, da ein solches Vorgehen den staatlich bzw. gesellschaftlich gestellten Grundsätzen entgegensteht und die subalterne Stellung der Betroffenen unterstreicht. Möglicherweise ist in diesem Hinweis auch eine bewusste Systemkritik enthalten: Gleichheit, Freiheit, Rechtssicherheit nur für bestimmte (EU-)Bürger*innen (man beachte die Setzung der Anführungszeichen bei „freies“ Land als möglichen Ausdruck der Ironie). In diesem Kontext versteht sich die Präzisierung des „freien“ Frankreichs als Land, „wo jeder leben darf“ als Verweis auf die gängige Meinung (vonseiten der französischen oder auch der deutschen Mehrheitsgesellschaft) bzw. die mediale Selbst- und/oder Fremddarstellung Frankreichs, welche der Realität nicht (immer) entsprechen. Eine weitere Hürde stellt die Sprachbarriere dar. Sinti und Roma haben ihre eigene Sprache, auch in Deutschland lebende Minderheiten sprechen nicht Deutsch, sondern ihre Sprache. Durch das Reisen durch verschiedene Länder nehmen diese Minderheiten Sprachfärbungen des jeweiligen Aufenthaltsortes mit in ihre eigenen Konversationsmuster auf. Es ist bestimmt schwer[,] jetzt jemanden zu finden, der die Sprache spricht, die die neuen Schüler verstehen und sprechen. Bezogen auf den sprachlichen Aspekt setzt die Teilnehmerin nicht apriori die Kenntnisse des Französischen bei den Kindern voraus, sondern weist auf ein durch ständige Migration geprägtes, durch Interferenzen gekennzeichnetes Sprachbild hin. Somit verweist die Teilnehmerin darauf, dass der Hintergrund und dadurch auch die Sprachsituation der Jugendlichen komplexer sind, als sie erscheinen mögen. Die Teilnehmerin erliegt dadurch nicht dem Fehler, SpracheNation-Ethnie als Einheit zu verstehen, sondern nimmt eine multiperspektivische Haltung ein. Jedoch entkommt sie hier nicht der Gefahr, romantisierende Vorstellungen von Sinti und Roma als einem immerwährend reisenden Volk auf die beiden Kinder zu projizieren. Dabei lässt sich anhand der Situationsbeschreibung

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nicht darauf schließen, dass die beiden Geschwister wirklich ein „Nomadenleben“ geführt haben – es wäre auch möglich, dass sich die Familie eine längere Zeit nur in einem Land (Frankreich) aufgehalten hat bzw. dass die Kinder dort geboren wurden.

Analyse/Interpretation zu der zweiten Frage: Zuerst müsste überprüft werden[,] auf welchem Bildungsstand die beiden stehen. Evtl. sind sie völlig überfordert mit den Themen und der Art zu leben wie die meisten Mitschüler. In Bezug auf die möglichen Schulprobleme der Quereinsteiger*innen äußert die Teilnehmerin die Vermutung, dass die Unterrichtsthemen für die neuen Schüler*innen eine Überforderung sein können. Darauf begründet erscheint der Teilnehmerin die Feststellung des Bildungsniveaus der beiden Quereinsteiger*innen als erster notwendiger Schritt, um abschätzen zu können, inwieweit sie unabhängig von der Sprache überhaupt dem Unterricht folgen könn(t)en. Mit der Feststellung des Bildungsniveaus werden offenbar Maßnahmen gemeint, die mehr umfassen als eine bloße Feststellung des „Sprachstandes“. Als weiteren Grund der eventuellen Überforderung für die Schüler*innen benennt die Teilnehmerin die andere „Art zu leben“ der „meisten Mitschüler“. Auch hier sieht die Teilnehmerin nicht vordergründig die sprachlichen Schwierigkeiten als Problemursache. Die Formulierung „die Art zu leben“ umfasst viele Aspekte, durch die sich die Schüler*innen in der Klasse von den Quereinsteiger*innen unterscheiden können, dabei kann „Kultur“ ein Aspekt unter vielen anderen sein. Es wäre wichtig[,] eine Extra-Förderung für sie einzurichten, zumindest es zu organisieren, dass sie in solchen Institutionen wie dem „Internationalen Bund“ unterkommen. In ihrem ersten Lösungsansatz thematisiert die Teilnehmerin die Wichtigkeit der besonderen Leistungen für die Schüler*innen, die sich auf den Unterricht beziehen, aber „extra“, also außerhalb des Unterrichts, angeboten werden sollen. Die Teilnehmerin äußert sich hier nicht dazu, wer für die Organisation dieser Förderung konkret verantwortlich ist, es wird dennoch in den nachfolgenden Lösungsvorschlägen klar, dass die Teilnehmerin nicht (primär) vom Engagement der einzelnen Lehrkräfte ausgeht, sondern der Institution Schule die Verantwortung für die Lösung der Problemsituation zuschreibt. Da die Unterbringung der Kinder bei einer externen Organisation von der Teilnehmerin als Mindestvorausset-

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zung formuliert wird, kann man darauf schließen, dass diese Form der Unterstützung ihr wichtiger zu sein scheint als eine extra Förderung in der Schule. Das ist insofern nachvollziehbar, als die Teilnehmerin in einem vorherigen Reflexionsabschnitt darauf aufmerksam macht, dass die Schule auf die sprachliche und lebensweltliche Heterogenität der Schüler*innenschaft nicht gefasst und auch nicht bereit sei, die Situation zu lösen. Organisationen wie der „Internationale Bund“ sind hingegen auf der Arbeit mit Migrant*innen spezialisiert und verfügen möglicherweise auch über sprachlich wie „interkulturell“ geschultes Personal. Aus rassismuskritischer Sicht wäre eine solche Vorgehensweise jedoch als problematisch zu bewerten, da durch eine Zuweisung an eine Sonderinstitution eine symbolische Ausgrenzung der Kinder erfolgt bzw. die Sichtweise auf Migration und sprachliche Diversität als eine Art „Sonderfall“, für den die Schule keine Verantwortung übernehmen kann und will, nur bestärkt wird. Es wäre aus rassismuskritischer Sicht eher konsequent, eine Veränderung der einzelnen institutionellen Abläufe sowie die Öffnung des gesamten Schulsystems für migrationsbedingte Diversität zu fordern. Die Bezeichnung „Zigeunerkinder“ sollte den anderen Beteiligten „abgewöhnt“ werden. Dadurch, dass sich die Teilnehmerin entschieden gegen diskriminierenden sprachlichen Gebrauch durch „[die] anderen“ Beteiligten (Rektor, andere Schüler*innen in der Klasse, evtl. auch Lehrer*innen und andere Schulmitarbeiter*innen) äußert, macht sie Rassismus nicht allein zum Problem des Rektors. Einerseits thematisiert sie hier wiederholt die gegenseitigen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der Schule, die zur Folge haben, dass die Lehrer*innen sowie andere Schüler*innen in der Klasse in ihrem Umgang mit den Quereinsteiger*innen durch die Position des Rektors beeinflusst werden. Möglicherweise weist die Teilnehmerin aber auch auf die generelle Verbreitung bzw. die „Selbstverständlichkeit“ von rassistischen Haltungen in der Gesellschaft hin – also darauf, dass rassistische Diskriminierung auch unabhängig vom Einfluss der Einzelperson stattfinden kann. Mit dieser Äußerung formuliert die Teilnehmerin möglicherweise die Forderung einer konsequenten (s. das Wort „abgewöhnt“, welches die Vorstellung der Prozesshaftigkeit impliziert) Auseinandersetzung mit (sprachlicher) rassistischer Diskriminierung, die zur Folge hat, dass alle Beteiligten an der Situation auf rassistischen Sprachgebrauch verzichten. Es stellt sich die Frage, wer sollte hier agieren? Ein/e Studierende/r im Tagesfachpraktikum kann es nur als Denkanstoß in der Reflektion ansprechen, ist jedoch in der Situation als der/die zu Bewertende eindeutig in der

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Synchrone Analyse des Diskursfeldes… unterlegenen Position einem Schulrektor gegenüber. Die einzige Person, die meiner Meinung nach hier doch etwas Weitreichenderes bewirken könnte, zumindest die Macht hat, dem Rektor etwas zu sagen, wäre die betreuende Hochschulfachkraft. Es müsste zumindest jemand das Rückgrat haben[,] es zu thematisieren und die abwertende Bezeichnung zu tabuisieren.

Bezogen auf die Notwendigkeit, gegen das diskriminierende Verhalten des Rektors vorzugehen, stellt die Teilnehmerin nun die Frage nach der Person, die in dieser Situation handlungsmächtig sein könnte. Zuallererst kommt sie auf die Praktikantin zu sprechen, die die unmittelbare Zeugin des durch den Rektor geäußerten Rassismus ist, wobei die Teilnehmerin mit der allgemeinen Formulierung „ein/e Studierende/r im Tagesfachpraktikum“ deutlich macht, dass sich die Äußerung nicht nur auf diesen konkreten Fall bezieht, sondern auch allgemein gilt. Die Teilnehmerin verweist auf die Möglichkeit für die Praktikantin, dem Rektor einen Impuls zum Überdenken seiner Haltung zu geben. Diese Möglichkeit wird jedoch stark relativiert. So könnte der*die Praktikant*in das Problem nach der Meinung der Teilnehmerin „nur als Denkanstoß“ (also sehr dezent, vorsichtig und unverbindlich) in der Reflexion ansprechen. Im zweiten Teil der oben erwähnten Äußerung gibt die Teilnehmerin eine Erklärung für eine solche Zurückhaltung, indem sie – wie auch einige andere Teilnehmerinnen – auf das Machtgefälle zwischen Betreuer/Rektor und Praktikant*in zu sprechen kommt, das sich nicht nur auf die unterschiedlichen institutionellen Positionierungen bezieht, sondern insbesondere auf die Situation der Abhängigkeit von der Benotung und Bewertung des Praktikums durch den Betreuer. Sie schildert hier somit ein potenziertes Abhängigkeitsverhältnis, welches es dem*der Praktikanten*in schwermacht, seine*ihre Meinung entschieden zu äußern und das Rassismusproblem zu lösen. Die Teilnehmerin macht hier deutlich, dass individuelle Bestrebungen Einzelner an der Starrheit des Bildungssystems scheitern können. Angesichts der „schwachen“ Position der*des Praktikanten*in sucht die Teilnehmerin nach anderen Lösungsmöglichkeiten, indem sie über die bestehenden Machtverhältnisse reflektiert und vor diesem Hintergrund gezielt nach Personen fragt, die dem Rektor gleich- oder höhergestellt sind und dadurch die Macht besitzen, ihn direkt auf die Situation anzusprechen. „Die einzige“ geeignete Person scheint für die Teilnehmerin die betreuende Hochschulkraft, also der*die Angehörige der „eigenen“ Hochschule (in diesem Fall: PH Karlsruhe) zu sein. Es ist nicht ganz deutlich, ob sich die Teilnehmerin bei diesem Lösungsansatz auf ein konfrontatives oder auf ein konsensorientiertes Vorgehen bezieht. Sie fordert, die Haltung des Rektors zu thematisieren und den diskriminierenden Sprachgebrauch zu tabuisieren, was einen stärkeren Grad an Entschiedenheit

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

269

aufweist, als im obigen Lösungsansatz mit dem*der Praktikanten*in als Handelnden*r. Die Teilnehmerin scheint sich jedoch nicht sicher zu sein, ob die betreuende Hochschulkraft diese Aufgabe auch tatsächlich wahrnehmen würde. So weist sie bspw. darauf hin, dass zumindest „jemand“ die Stärke und den Mut besitzen sollte, Diskriminierung zu thematisieren. Dadurch wird die Verantwortung für die Lösung der Situation auf Unbestimmt verschoben. Mit ihren Äußerungen macht die Teilnehmerin u. a. deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Rassismus in den Bildungsinstitutionen ihrer Meinung nach (noch) nichts Alltägliches bzw. Selbstverständliches darstellt, auch nicht für Hochschuldozent*innen oder andere Lehrer*innen in der Schule, da sonst nicht unbedingt nur jemand mit „Rückgrat“ nötig wäre, um die Situation überhaupt ansprechen zu können. Letztendlich deutet die Einschätzung der Teilnehmerin auf eine sehr hohe angenommene oder reale Positionierung des Rektors, auf einen gefühlt oder real schwachen Rückhalt der Hochschule für Praktikant*innen sowie ein geringes Bewusstsein für die Problematik der Situation seitens der Hochschulkräfte. Die Frage ist, zu welchen Teilen diese Einschätzung auf die eigene Erfahrung mit dem Verhalten von PH-Dozent*innen zurückgeht und zu welchen auf die Einstellung der Teilnehmerin gegenüber der Situation (eventuell überträgt sie ihr Machtlosigkeitsgefühl auf die Dozent*innen). Der/m Studierenden bleibt nur übrig[,] die beiden nett und freundlich zu behandeln, was diese trotz Sprachbarrieren merken[;] meiner Meinung nach ist man sensibler[,] aus der Behandlungsart die Empathie des Gegenübers zu entdecken, gerade weil man ihn nicht versteht. Als eine weitere Lösungsstrategie benennt die Teilnehmerin die Äußerung der Zuwendung und Empathie gegenüber den neuen Schüler*innen. Sie konzentriert sich hier auf die emotionale Ebene und begründet die besondere Wichtigkeit einer freundlichen Haltung der Lehrperson gegenüber den neuen Kindern damit, dass gerade Kinder, die eine andere Sprache sprechen, viel sensibler auf emotionale Botschaften reagieren. Die Teilnehmerin legt die Grenzen des möglichen Handelns des*der Praktikanten*in fest: Dieses wird auf die Äußerung der Zuwendung gegenüber den beiden Kindern beschränkt. Im Unterschied zu einigen anderen Teilnehmerinnen, die die Etablierung einer positiven Willkommenskultur als Mittel zur Motivationssteigerung, (Sprach-)Lernerleichterung etc. beschreiben,1013 verbindet die Teilnehmerin keine lern- oder unterrichtsbezogenen

1013

Vgl. bspw. Reflexionen I – 2 c, I – 4 c, I – 5 c (im Anhang)

270

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

Ziele mit einer freundlichen Aufnahme, sondern hält es offenbar für wichtig, mit gutem Beispiel voranzugehen und andere Schüler*innen so zum freundlichen Umgang mit den zwei Quereinsteiger*innen zu animieren. Auf institutioneller und politischer Ebene müssten Entscheidungen getroffen werden, wie wir mit diesen Menschen umgehen wollen, zu guter Letzt aufgrund unserer nationalsozialistischen Vergangenheit und dem damaligen Genozid diesen Minderheiten gegenüber. Schließlich geht die Teilnehmerin auf die allgemein institutionelle und politische Ebene ein und weist auf die Notwendigkeit von Veränderungen in Bezug auf den Umgang mit Migrant*innen und insbesondere mit bestimmten ethnischen Gruppen (in diesem Beispiel: Sinti und Roma) hin. Die Teilnehmerin stellt – als Einzige unter den Teilnehmerinnen, die Reflexionen zu diesem Fall formuliert haben – den Umgang mit Migration und Minderheiten in den spezifisch historischen Kontext der NS-Zeit und macht deutlich, dass eine Neupositionierung hinsichtlich des Umgangs mit Minderheiten als Element der Aufarbeitung der historischen Vergangenheit auf (bildungs-)politischer Ebene notwendig ist. Somit geht sie weit über die konkrete Beispielsituation und den schulischen Bildungskontext hinaus. 3.2.6.4

Fazit

Durch den in diesem Kapitel vorgenommenen Vergleich von antirassistischen und rassismuskritischen Perspektiven konnten wichtige, u. a. auch kritische Aspekte dieser Ansätze geschildert werden. Durch die in antirassistischen Ansätzen vorgenommene Fokusverschiebung von Kultur und kultureller Differenz hin zu gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen wird es möglich, die Nachteile der individuellen Rassismusdefinition zu überwinden und „allgegenwärtige Machtund Wissensstruktur[en]“1014 des Rassismus transparent zu machen. Wie oben bereits dargestellt, ist antirassistisches Offenlegen machtvoller Strukturen jedoch u. a. mit der Problematik einseitiger moralisierender Schuldzuweisungen an Andere und damit einhergehender unkritischer Selbstpositionierung außerhalb der rassistischen Verhältnisse verbunden. Dieser Problematik wird in dem Konzept der Rassismuskritik m. E. angemessen begegnet. Dadurch, dass Rassismuskritik nicht das Bekämpfen eines äußeren Rassismus, sondern „das Bestreben,

1014

Arndt 2014, S. 17

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

271

nicht dermaßen auf rassistische Denk- und Handlungsstrukturen bzw. gesellschaftliche Verhältnisse angewiesen zu sein“1015 zum Ziel pädagogischer Analysen und praktischer Interventionen macht, werden nach innen gerichtete kritischreflexive Zugänge zu der Beschreibung und Einordnung gesellschaftlicher Wirklichkeit eröffnet. Rassismuskritische und postkoloniale Ansätze vermitteln (pädagogischen) Akteur*innen die Fähigkeit, Widersprüche und auch Gefahren wahrzunehmen, die sich aus dem Handeln in den von Rassismus geprägten gesellschaftlichen Verhältnissen ergeben (können). Auf der Ebene der pädagogischen Praxis stellt dieses kritische Bewusstsein eine wesentliche Bedingung für eine mehrperspektivische und machtsensible Entwicklung von konkreten Handlungsoptionen dar. Antirassistische und rassismuskritische Ansätze haben maßgeblich zu der Weiterentwicklung des Feldes interkulturelle Bildung beigetragen. V. a. die in rassismuskritischen und postkolonialen Ansätzen prominente Kritik an der „pluralistische[n] Erweiterung des nationalen Diskurses“1016 bildete die Grundlage für die im Bildungskontext immer mehr an Bedeutung gewinnende Orientierung an „realer“ Chancengleichheit für alle gesellschaftlichen Gruppen, die sich nicht in einer bloßen Anerkennung kultureller Verschiedenheit, sondern in der Gewährung verbesserter Partizipationsmöglichkeiten äußert.1017 So gilt Gleichheit der Chancen und Inklusion in gesellschaftliche Teilsysteme neben der Anerkennung von Vielfalt (mittlerweile) als das wichtigste Ziel der interkulturellen Pädagogik und das Wissen um strukturelle Benachteiligung sowie das Engagement für Chancengleichheit werden als vorrangige Aufgaben interkultureller Bildung angesehen.1018 Gleichzeitig wird aktuell zunehmend Kritik an rassismuskritischen Prämissen und Vorgehensweisen geübt, die – wie am prominenten Beispiel der Beiträge von Diefenbach und Klein dargelegt – teilweise mit polemischer Diskreditierung des gesamten Ansatzes Rassismuskritik sowie mit persönlicher Diffamierung von Vertreter*innen dieser Richtung einhergeht. Vor diesem Hintergrund sollte in der erziehungswissenschaftlichen Öffentlichkeit auch und gerade die Frage nach einem angemessen Umgang mit derartigen Kritikformen und möglichen Effekten diskutiert werden.1019 Andere Formen von Kritik, die

1015

Mecheril/Melter 2010, S. 172 Ha/Schmitz 2006, S. 250 Vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 151; Geisen 2010, S. 16 1018 Vgl. Auernheimer 2012, S. 19 f. 1019 Vgl. Center for Migration, Education and Cultural Studies der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2017 b, S. 1 1016 1017

272

Synchrone Analyse des Diskursfeldes…

keinen verabsolutisierenden Charakter haben, sondern konkrete konzeptionelle Prämissen, methodische Zugänge und/oder praktische Implikationen der Rassismuskritik in den Fokus nehmen, wären jedoch durchaus wichtig, um eine Weiterentwicklung von Theorie und Praxis dieses Ansatzes anzustoßen. So könnte bspw. eine Präzisierung und eine stärkere empirische Fundierung von theoretischen Grundlagen der Rassismuskritik dazu beitragen, dem „Ideologievorwurf“ angemessen zu begegnen. Bezogen auf die Umsetzung rassismuskritischer Perspektiven in der pädagogischen Praxis erscheint insbesondere die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen rassismuskritischer Perspektiven wichtig. Diese können auf theoretischer Ebene – bspw. durch die Zusammenfassung und Analyse der theoretischen Prämissen von Rassismuskritik – nachgezeichnet werden. Diese können aber auch anhand empirischen Materials ermittelt werden. So lässt sich bspw. mit Bezug auf die oben exemplarisch analysierte Reflexion einer Teilnehmerin am Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ an der PH Karlsruhe festhalten, dass es gerade die Aufmerksamkeit für macht- und wirkungsvolle gesellschaftliche und politische (Ungleichheits-)Verhältnisse ist, die ihr ermöglicht, sich die beschriebene Problemsituation über eine breite Kontextualisierung zu erschließen und dabei kulturalistische Monokausalketten zu vermeiden. Die Aufmerksamkeit der Teilnehmerin für den Einfluss institutioneller Machtverhältnisse auf die Problemsituation führt darüber hinaus zu einem (im Vergleich mit anderen Teilnehmerinnen) verstärkten Bewusstsein für die Notwendigkeit struktureller und politischer Veränderungen. Daher lässt sich allgemein die Frage stellen, ob bzw. inwiefern die Einnahme einer rassismuskritischen Perspektive möglicherweise zu einer kulturalisierungssensiblen, nichtindividualisierenden und mehrperspektivischen Wahrnehmung von (Problem)Situationen durch (künftige) Lehrkräfte beitragen kann. Gleichzeitig macht die Beispielreflexion deutlich, dass das machtkritische Bewusstsein der Teilnehmerin nicht unbedingt mit einer deutliche(re)n Wahrnehmung eigener Handlungsmöglichkeiten einhergeht. So wird die Verantwortung für den rassistischen Vorfall unter dem Vorwand der eigenen Machtlosigkeit auf andere Akteur*innen verschoben und die Teilnehmerin macht selbst keine konkreten Vorschläge zur Einbindung der beiden Kinder in das Unterrichtsgeschehen bzw. in das Klassenleben. Somit stellt sich hier die Frage, ob die durchaus mehrperspektivische, komplexe Wahrnehmung der Situation und das Bewusstsein für die Grenzen eigenen Handelns unter strukturell ungünstigen Bedingungen das Handlungspotenzial der Teilnehmerin möglicherweise sogar einschränken. Dieser Frage könnte in weiteren Studien nachgegangen werden, denn genau der Problematik, die sich simplifizierend als Widerspruch zwischen

Analyse nach ausgewählten Bezugskategorien

273

Reflexions- und Handlungsorientierung bezeichnen lässt, begegnet man stets in Bildungskontexten, in denen rassismuskritisch gearbeitet wird.

4 Zusammenfassung und Ausblick In diesem Abschlusskapitel sollen die wichtigsten theoretischen und empirischen Forschungsergebnisse der vorliegenden Studie zusammengefasst und bedeutsame Implikationen für die Praxis interkultureller bzw. migrationsgesellschaftlicher Lehrer*innenbildung und -professionalisierung formuliert werden. Der Leitidee von Krüger-Potratz (2005) folgend, dass die Entwicklung interkultureller Bildungsansätze keiner neuen oder zusätzlichen Methoden, sondern vielmehr der kritischen Überprüfung bisheriger Inhalte und Praxen bedarf,1020 wurde in dieser Dissertation eine umfassende Analyse, Systematisierung und dominanzkritisch angelegte Interpretation prominenter Diskurse im Bereich interkulturelle Bildung vorgenommen. Dabei wurde die theoriebasierte, zeitliche und politische Kontexte berücksichtigende Beschreibung der relevanten Diskursstränge durch empirische Analysen der im Rahmen der Workshops dokumentierten Reflexionen von Lehramtsstudierenden an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe ergänzt. Damit konnten Wege und Formen der Manifestation theoretisch relevanter Wissensordnungen und diskursiver Praktiken in konkreten Argumentationen künftiger Lehrkräfte nachvollziehbar werden. Unter anderem konnten dadurch Konsequenzen für die Entwicklung professioneller Handlungsstrategien durch Lehramtsstudierende aufgezeigt werden, die aus der Übernahme und Reproduktion bestimmter Wissensbestände und Deutungsmuster folgen. Die vorliegende Untersuchung bietet eine Systematisierung von historisch wie aktuell relevanten Diskursen über Migration und Interkulturalität in Erziehungswissenschaften und Pädagogik, wie sie sich in Leitideen, Konzepten und Programmatiken relevanter Ansätze interkultureller Bildung widerspiegeln. Anhand einer umfassenden, dezidiert aus dominanzkritischer Perspektive erfolgten Interpretation der beschriebenen Diskurse konnten Chancen und Risiken der daran anknüpfenden Konzepte bzw. Ansätze für eine diversitätsbewusste, dominanzund rassismussensible Lehrer*innen(weiter)bildung aufgezeigt werden. Somit können die Befunde dieser Studie gleichermaßen als Handlungsaufforderung für die Bildungspolitik dienen, pädagogische Ansätze und Konzepte, die diesem zeitgemäßen Verständnis der Lehrer*innenbildung, Weiterbildung und Praxis gerecht werden, verstärkt im Lehramtsstudium, Weiterbildungs- und Qualifikationsprogrammen sowie in Bildungsstandards zu berücksichtigen.

1020

Vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 34

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Ivanova, Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26739-1_4

276

Zusammenfassung und Ausblick

Im Folgenden sollen nun die wichtigsten Ergebnisse der Studie kurz rekapituliert werden. Dafür werden die aus den Studienergebnissen gewonnenen Elemente zeitgemäßer Lehrer*innenbildung und -professionalisierung anhand der in der Systematisierung vorgenommenen Kategorienbildung (Defizit/Veränderungsbedarf – Differenz/Diversität – Rassismus) nachgezeichnet.

4.1 Perspektive: Defizit/Veränderungsbedarf Struktur- und dominanzkritische Bildung Mit Blick auf die in dieser Studie vorgenommenen Analysen lässt sich zum einen feststellen, dass die – häufig ausschließlich mit Ausländerpädagogik in Verbindung gebrachte und als weitgehend überwunden angesehene – Defizitorientierung in Bezug auf kulturelle Zugehörigkeit und Sprachkenntnisse von Migrant*innen nach wie vor ein (fester) Bestandteil pädagogischer Diskussionen über Migration und Interkulturalität ist. Anhand der Analyse von ausgewählten Reflexionen der Lehramtsstudierenden an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe konnte veranschaulicht werden, wie die Fokussierung auf vermeintliche „Defizite“ von Migrant*innen zur Entwicklung klarer und konkreter, jedoch einseitiger pädagogischer Handlungsstrategien beiträgt, die in der Konsequenz zum Othering von Migrant*innen-Schüler*innen führen können. Besonders bedeutsam erscheint mit Blick auf die Analyse der defizitorientierten Diskursstränge die Erkenntnis, dass sich pädagogische Diskussionen in einem von Brüchen, Kontroversen und ambivalenten Entwicklungen geprägten Diskursfeld bewegen. So lässt sich zum einen ein paradoxes Verhältnis zwischen der expliziten Fokussierung auf die positiven Aspekte einer multikulturellen Gesellschaft und den gleichzeitig nach wie vor wirksamen Defizitzuschreibungen an Migrant*innen als Repräsentant*innen von abweichenden und daher oft als problematisch gedeuteten kulturellen und sprachlichen Mustern feststellen. Diese Problematik ist, wie im Rahmen dieser Dissertation festgestellt werden konnte, primär als Folge von Kulturalisierungsprozessen zu interpretieren. Daher ist die Entwicklung einer kulturalisierungskritischen Kompetenz als zentrale Aufgabe der Lehrer*innenbildung und -professionalisierung zu begreifen. Im Rahmen der kulturalisierungskritischen Professionalisierung der pädagogischen Akteur*innen, deren Wege im Abschnitt „Kulturalisierungskritische Bildung“ dieses Fazits aufgezeigt werden, soll problematisiert werden, wie eine positive

Perspektive: Defizit/Veränderungsbedarf

277

Hervorhebung von kultureller Differenz gesellschaftliche Ungleichheit herstellt und verfestigt. Darüber hinaus verweisen die Befunde auf einen weiteren paradoxen Zustand hin: Trotz zunehmender Fokussierung der Fachdiskussion auf strukturelle und institutionell-systemische Mängel ist gerade in der pädagogischen Praxis nach wie vor die Tendenz stark, Defizite vorwiegend vor dem Hintergrund der familiären und kulturellen Sozialisation von Migrant*innen-Schüler*innen zu erklären. Wie in dieser Arbeit gezeigt werden konnte, lässt sich die individualisierende Defizitorientierung nicht nur als Folge mangelnder Beachtung institutioneller und struktureller Kontexte, sondern auch als Ergebnis fehlender Dominanzsensibilität deuten. Denn wenngleich Kritik an gesellschaftlichen- und Bildungsstrukturen seit längerer Zeit ein viel diskutiertes Thema in der interkulturellen Bildung ist, bleiben dominanzkritische Argumentationen, die strukturelle Barrieren explizit als Ausdruck von gesellschaftspolitischen Machtverhältnissen deuten, nach wie vor eine Domäne migrationspädagogischer bzw. rassismuskritischer Ansätze, die bisher keine breite Rezeption im Programm der deutschen Lehramtsstudiengänge gefunden haben.1021 Diese Konstellation spiegelt sich auch in den exemplarisch analysierten Reflexionen zukünftiger Lehrkräfte wider, in denen zwar wichtige strukturkritische Argumente angeführt werden, jedoch die möglichen, aus einer ungleichen Verteilung der gesellschaftlichen Deutungsmacht folgenden Ursachen für die kritisierten Strukturmängel gänzlich außer Acht gelassen werden. Durch die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen verschiedener Gruppen innerhalb der Dominanzgesellschaft sowie mit der eigenen Rolle von Lehrer*innen als Repräsentant*innen des kritisierten Systems könnte diese Lücke geschlossen werden. Pädagog*innen könnten so dazu befähigt werden, über die Grenzen der – eben oft unkonkret an „das Bildungssystem“ oder „die Gesellschaft“ gerichteten – Kritik hinauszugehen und sich selbst als involviert in bzw. aktionsmächtig innerhalb diese(r) Systeme zu begreifen. Zudem könnten mittels einer dominanzkritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Realität implizite Abwertungsmechanismen in Bezug auf Andere offengelegt werden, die unreflektiert bleiben, solange nicht über Privilegierung und Diskriminierung gesprochen wird. Bspw. könnte im Kontext der aktuellen Fluchtbewegungen die protektionistische Haltung pädagogischer Akteur*innen gegenüber Geflüchteten und die damit einhergehende Viktimisierung und Defizitbetrachtung Letzterer erkannt und kritisch reflektiert werden.

1021

Vgl. Roth/Wolfgarten 2016, S. 128 ff.

278

Zusammenfassung und Ausblick

Als eine wichtige Implikation für die Weiterentwicklung der Angebote zur Lehrer*innenbildung und -professionalisierung lässt sich somit festhalten, dass die Überwindung der defizitorientierten Perspektive primär die Aufgabe der Entwicklung einer struktursensiblen und dominanzkritischen Haltung umfassen soll, die als Analyse- und Erklärungsperspektive für strukturell angelegte Kritik fungiert. Darüber hinaus ist für die Reflexion und Revision defizitorientierter Sichtweisen eine kritische Auseinandersetzung mit essentialisierenden und reduktionistischen Zugehörigkeitsvorstellungen, Diskriminierung und strukturellem Rassismus relevant, auf die im Folgenden eingegangen wird.1022

4.2 Perspektive: Differenz/Diversität Kulturalisierungskritische Bildung Als Ergebnis der vorgenommenen Analysen lässt sich zunächst festhalten, dass die Akzeptanz und positive Wahrnehmung kultureller Differenz (bzw. daran anknüpfende Ausrichtung der pädagogischen Praxis auf den kulturellen Wissenserwerb und die Reflexion eigen- und fremdkultureller Muster) eine prominente Stellung in historischen und aktuellen pädagogischen Diskursen einnehmen. Die Orientierung an kultureller Diversität ist einerseits als ein bedeutender Schritt auf dem Weg von der defizitorientierten hin zur ressourcenorientierten Perspektive zu verstehen. Gleichzeitig ist Kulturalisierung, die in dieser Arbeit als die Überbewertung des Kulturellen zugunsten der Vernachlässigung sozialer, struktureller, bildungs- und gesellschaftspolitischer Faktoren verstanden wird, als ein ernst zu nehmendes Risiko für die Entwicklung zeitgemäßer pädagogischer Handlungsstrategien zu betrachten. Positionen, die Prozesse der Kulturalisierung kritisch untersuchen, werden in theoretischen Konzepten und Programmatiken der interkulturellen Bildungsansätze weitgehend berücksichtigt. Deutlich weniger Akzeptanz finden diese jedoch bisher in der pädagogischen Praxis. Daher wird – mit Blick auf die im Kapitel 3.2.4.1. „Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kulturalisierungsanalyse und Kulturalisierungskritik“ ausführlich erläuterten Nachteile kulturalisierender Argumentationen – dringend empfohlen, Kulturalisierungskritik als

1022

Vgl. bspw. Mecheril/Melter 2010, S. 168; Yildiz 2010, S. 68

Perspektive: Differenz/Diversität

279

Inhalt und Methode für eine pädagogische Professionalisierung im Lehramtsstudium und in der Weiterbildung von Lehrkräften zu etablieren. Anhand von untersuchten Literaturbeispielen lassen sich hauptsächlich zwei Wege kulturalisierungskritischer Professionalisierung von Bildungsakteur*innen skizzieren: Der eine Weg umfasst die Förderung einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff und der Rolle des Kulturellen sowie die Beachtung kulturunabhängiger Faktoren als ergänzend zu „Kultur“. Der andere Weg geht über die komplette Abkehr von der Berücksichtigung kultureller Zugehörigkeit als relevante Deutungsperspektive und eine grundlegende Ausrichtung pädagogischer Arbeit an strukturellen Ursachen für beobachtete gesellschaftliche Phänomene. Auf der Suche nach einem geeigneten Weg für die Praxis der zeitgemäßen Lehrer*innen(weiter)bildung sollte bedacht werden, dass nicht nur die Überbewertung des Kulturellen, sondern auch der komplette „Verzicht auf „(kulturelle) Differenz“ als begriffliche Bezugsgröße“1023 als problematisch zu betrachten ist: Da Kultur ein bedeutendes Instrument der Selbstidentifikation darstellt, bedeutet die Vernachlässigung dieser Dimension schlussendlich die Ignoranz gegenüber Selbstverortungen und Bedürfnissen der Bildungsakteur*innen.1024 Daher wird im Rahmen dieser Arbeit – wie bereits im Fazit zum Kapitel 3.2.4.1. „Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kulturalisierungsanalyse und Kulturalisierungskritik“ zusammengefasst – für eine flexible und kontextabhängige „Zwischenposition“ plädiert, die bspw. in Hamburgers Konzept reflexiver Interkulturalität1025 äußerst treffend beschrieben wurde.

Kompetenzkritische Bildung Die aktuelle Diskussion um die Wege einer zeitgemäßen Lehrer*innenbildung offenbart eine deutliche Fokussierung auf die Frage der notwendigen professionellen Kenntnisse und Kompetenzen der Pädagog*innen. Interkulturelle Bildungsansätze greifen dementsprechend häufig auf unterschiedliche Modelle interkultureller Kompetenz zurück, die im Kapitel 3.2.3.2. „Leitmotiv: kulturelle Differenz als Forschungs- und Praxisschwerpunkt; Bezugskategorie: ‚Kompe-

1023 1024 1025

Mecheril 2008, S. 31 Vgl. ebd., S. 31 f Vgl. Hamburger 2009

280

Zusammenfassung und Ausblick

tenz‘ und ‚Integration‘ als Lösungen für die Praxis“; Abschnitt „Interkulturelle Kompetenz als Anforderung an Mehrheitsangehörige“ entlang bedeutender Anhaltspunkte zusammengefasst worden sind. Mit der Verbreitung und Stärkung migrationspädagogischer Ansätze gewinnen Perspektiven, die eine Gegenposition zu dem technologisch operationalisierten Kompetenzbegriff darstellen, immer mehr an Bedeutung. Kritische Perspektiven auf interkulturelle Kompetenz hinterfragen die gängige Sichtweise auf interkulturelle Kompetenz als Set von lernbaren Fertigkeiten, betonen die Widersprüchlichkeit und Mehrdeutigkeit der als „interkulturell“ etikettierten Kommunikationssituationen und plädieren für die Akzeptanz der unüberwindbaren Unsicherheit professionellen Handelns.1026 Pädagogische Kompetenz in der Migrationsgesellschaft wird dementsprechend von der Notwendigkeit des „objektiven“ Wissenserwerbs über die kulturelle Zugehörigkeit des Anderen entkoppelt und an die stark situations- und kontextspezifische Alltagswissensbestände (Wissen um symbolische, gesellschaftliche und politische Positionierung, materiellen, sozialen und rechtlichen Status, Zugehörigkeiten und Selbstverortungen etc.) gebunden. Dadurch soll die – von Franz Hamburger treffend als „Elend der interkulturellen Pädagogik“1027 bezeichnete – Kluft zwischen den Professionellen (Mehrheitsangehörige) und der Klientel (Minderheiten) vermindert werden. Ein weiterer bedeutsamer Aspekt der Kritik am gängigen interkulturellen Kompetenzverständnis betrifft den Prozess der Wissensbildung in der Dominanzgesellschaft. Dominanzkritische Argumentationen betonen, dass jegliches Wissen, welches sich mehrheitsgesellschaftliche Expert*innen über die Minderheiten aneignen, immer ein Herrschaftswissen bleibt, da dieses innerhalb des bestehenden nationalstaatlichen Regulierungssystems unabhängig von eigentlichen Absichten der Forscher*innen zu politischen Zwecken instrumentalisiert werden kann. Daher wird der „Wissensverlust“ bzw. die „Deprofessionalisierung“ von pädagogischen Akteur*innen als ein Weg zur Überwindung dieses asymmetrischen Machtverhältnisses betrachtet.1028 Brumliks Idee der Deprofessionalisierung wurde in Mecherils Konzept der „Kompetenzlosigkeitskompetenz“ weiterentwickelt, welches im Kapitel 3.2.4.2. „Leitmotiv: Kulturelle Differenz als gesellschaftliches Ausgrenzungskonstrukt; Bezugskategorie: Kritik des interkulturellen Kompetenzansatzes“ beschrieben wurde. Das Konzept der Kompetenzlosigkeitskompetenz bezieht sich zum einen auf die oben angesprochene Not-

1026

Vgl. Mecheril 2008, S. 29 Hamburger 2009, S. 10 1028 Vgl. Brumlik 1984, S. 25 f. 1027

Perspektive: Differenz/Diversität

281

wendigkeit, Nicht-Wissen und Unsicherheit als „Konstitut professionellen Handelns“1029 zuzulassen. Zum anderen bezeichnet die Kompetenzlosigkeitskompetenz die Fähigkeit, den Prozess der Wissensproduktion selbst dominanzkritisch analysieren zu können, um in der Konsequenz eine Perspektivenverschiebung weg vom Kulturellen und hin zum Strukturellen zu erreichen. Anstelle des Wissens über Andere soll also ein Wissen über bestehende Dominanzstrukturen und ihre Wirkungen treten, sowie über die Positionierung verschiedener gesellschaftlicher Akteur*innen in diesen.1030

Intersektionale Bildung Die in dieser Studie vorgenommenen Literaturanalysen haben deutlich gemacht, dass auch innerhalb der kulturdifferenzorientierten Ansätze die Entwicklung der Diskriminierungssensibilität neben der Herausbildung von interkultureller Kompetenz als Aufgabe der Bildung betrachtet wird. Konkret bezieht sich das Diskriminierungsverständnis der interkulturellen Pädagogik jedoch häufig auf die affirmativ geforderte Gleichstellung von Personen mit verschiedenen kulturellen, ethnischen und religiösen Hintergründen, während der Zusammenhang von Differenz und Machtposition unberücksichtigt bleibt. Daher soll als eines der Ergebnisse dieser Dissertation auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, Diskriminierungsprozesse intersektional, also unter Berücksichtigung der Überschnei1031 dung verschiedener Diskriminierungsformen, zu analysieren. Mit Blick auf die dominanzkritische Ausrichtung dieser Studie erscheint es wichtig, zu betonen, dass intersektional angelegte Diskriminierungsforschung nicht nur auf das Zusammenspiel mehrerer relevanter Diskriminierungsfaktoren aufmerksam macht, sondern ferner untersucht, auf welche Art und Weise bestimmte Zuordnungskategorien bzw. Differenzmarkierungen gesellschaftlich konstruiert und operationalisiert werden. Bedeutsam erscheint dabei die Notwendigkeit, die jeweiligen Prämissen sowie mögliche Anwendungskontexte von Ansätzen, die intersektionale Elemente beinhalten (Migrationspädagogik, Pädagogik der Vielfalt, Heterogenitätsforschung) herauszustellen sowie voneinander abzugrenzen, wie dies bereits im

1029 1030 1031

Mecheril 2008, S. 29 Vgl. ebd., S. 25 Vgl. Messerschmidt 2016 d; Riegel 2016

282

Zusammenfassung und Ausblick

Kapitel 3.2.4.5. „Leitmotiv: Differenz/Diversität im Kontext der (gesamt)gesellschaftlichen Diversität; Bezugskategorie: Analyse und Berücksichtigung vielfältiger Differenzlinien in der Gesellschaft“ erfolgt ist. Denn die unterschiedlichen Analyseinstrumente und Praxismethoden der o. g. Ansätze sind auf unterschiedlichen Gebieten anwendbar. So erscheint der Bezug auf Intersektionalität als gesellschaftsanalytisches und -kritisches Vorgehen in der Migrationspädago1032 gik besonders geeignet, um eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Diskriminierungsmechanismen zu fördern, während die in Prengels Ansatz zusammengefassten Elemente einer 1033 „Pädagogik der Vielfalt“ konkrete praktische Impulse für die Gestaltung einer diversitätssensiblen Schul- und Unterrichtspraxis geben. Konzepte der 1034 Heterogenitätsforschung haben ihrerseits insbesondere eine bildungspolitische Relevanz, da diese auf konkrete curriculare und institutionellprogrammatische Änderungsmöglichkeiten hinweisen, die gerade für professionelle Akteur*innen an Schnittstelle von Schule und Bildungspolitik von Interesse sein könnten.

4.3 Perspektive: Rassismus Rassismuskritische Bildung Argumentationen, die Rassismus und Diskriminierung vor dem Hintergrund individueller Vorurteilsbildung deuten, lassen sich sowohl in der analysierten Literatur als auch in den empirischen Reflexionen der Lehramtsstudierenden vorfinden. Im Rahmen dieser Studie konnte ermittelt werden, dass durch die Herstellung eines Kausalitätszusammenhangs zwischen dem vorurteilsgeprägten Denken und dem rassistischen Handeln das Verständnis von Diskriminierungsbzw. Rassismusphänomenen als intentional befördert wird. Der daran anknüpfenden binären Opfer-Täter-Opposition, die v. a. in Antirassismus-Ansätzen konstruiert wird, wird im Ansatz der Rassismuskritik kritisch begegnet.

1032

Vgl. Mecheril et al. 2010 Vgl. Prengel 2006 1034 Vgl. Wenning 2007 b 1033

Perspektive: Rassismus

283

Rassismuskritik zielt auf die Analyse von Formen und Wirkungen rassistischer Strukturen ab, die als gesellschaftlich wirksam und allgegenwärtig begriffen werden. Aus der Positionierung der gesamten Gesellschaft als involviert in Rassismusverhältnisse folgt die Kritik der Vorstellung, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen eine Existenz ohne Rassismus möglich wäre. Für eine rassismuskritische Praxis ergibt sich daraus – anders als in antirassistischen Konzepten – nicht das Ziel, Rassismus vollständig zu überwinden, sondern die Aufgabe, innerhalb der bestehenden rassistischen Verhältnisse angemessen agieren zu lernen, bspw. indem alternative, weniger gewaltvolle Selbstverständnisse und Handlungsweisen implementiert und eingeübt werden.1035 Die Entwicklung solcher Handlungsweisen erfolgt dabei wesentlich über Wissenserwerb, Analyse und kritische Reflexion von rassistischen Mechanismen und Funktionsweisen, die sich in politischen, medialen und alltagsweltlichen Diskursen manifestieren und gesellschaftliche Normalitätsvorstellungen sowie daran anknüpfende Unterscheidungs- und Ausgrenzungsmechanismen konstituieren. Eine bedeutende Stellung nimmt dabei die reflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle bei der (Re-)Produktion von rassistischen Verhältnissen ein, die sich jedoch – eben dadurch, dass die gesamte Gesellschaft, und nicht einzelne unaufgeklärte oder gar böswillige Individuen oder Gruppen in den Fokus genommen werden – jenseits der individualisierenden und moralisierenden Zuschreibungen bewegt. Dadurch zeigt sich das Konzept der Rassismuskritik für die Ansprüche einer strukturanalytisch ausgerichteten, kritisch-reflexiven Lehrer*innenbildung und professionalisierung als besonders geeignet. Die im Kapitel 3.2.6.2 „Leitmotiv: Rassismus als konstitutives Merkmal (post)moderner (Migrations-)Gesellschaften; Bezugskategorie: Rassismuskritik“, Abschnitt „Kritik der Rassismuskritik“ dieser Dissertation vorgenommene Auseinandersetzung mit der Rezeption rassismuskritischer Ansätze in Wissenschaft und Praxis zeigt, dass Rassismuskritik aktuell vor einigen konzeptionellen, methodischen und praktischen Herausforderungen steht. Hinsichtlich der Implikationen für die Weiterentwicklung rassismuskritischer Lehrer*innenbildung und professionalisierung erscheint hier – insbesondere mit Blick auf mögliche Unvereinbarkeiten zwischen dem rassismuskritischen Reflexionsvermögen und der pädagogischen Handlungsfähigkeit – die Frage nach der angemessenen Umsetzung rassismuskritischer Prämissen in der Praxis relevant. Aktuell erscheinen immer mehr praxisorientierte Handreichungen, die konkrete Handlungsstrate-

1035

Vgl. Mecheril 2010 a, S. 20

284

Zusammenfassung und Ausblick

gien, Methoden und Wege aufzeigen und für den Einsatz in der rassismuskritischen Arbeit mit verschiedenen Zielgruppen geeignet sind.1036 Auch im Rahmen des Projektes „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ bildete die Suche nach konkreten Umsetzungsmöglichkeiten rassismuskritischer Implikationen in der Praxis den Ausgangspunkt für die Entwicklung, Erprobung und Implementierung neuer Methoden und Übungen, die rassismuskritischer Orientierung gerecht werden und zugleich in der Lage sind, (angehende) Lehrkräfte zum Handeln in schwierigen Situationen zu befähigen. Die Ergebnisse wurden im „Praxishandbuch interkulturelle LehrerInnenbildung: Impulse – Methoden – Übungen“1037 zusammengefasst. Im Rahmen zukünftiger Forschungs-Praxis-Projekte können – und sollten – weitere Impulse für eine erfolgreiche Theorie-Praxis-Verknüpfung ermittelt und erprobt werden, bspw. mit Fokus auf Schwierigkeiten, Paradoxien und Stolpersteine in der rassismuskritischen (pädagogischen) Arbeit.1038 Vor dem Hintergrund, dass Rassismuskritik trotz zunehmender wissenschaftlicher und praktischer Relevanz an den lehramtsausbildenden Hochschulen und Universitäten in Deutschland bisher eher schwach vertreten ist, erscheint eine stärkere Verankerung rassismuskritischer Perspektiven im Lehramtsstudium unabdingbar für eine zeitgemäße Entwicklung der Lehrer*innenbildung. Das nach den Ergebnissen des Projekts „LehrerInnenbildung: interkulturellmigrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“ an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe implementierte Wahlpflichtmodul „LehrerIn sein in der Migrationsgesellschaft“1039, welches auf migrationspädagogischen und rassismuskritischen Perspektiven beruht, kann als ein wichtiger Schritt in diese Richtung verstanden werden. Seminare zu Migrationspädagogik (bspw. an den Universitäten Duisburg-Essen, Hannover, Hamburg, Oldenburg und Wuppertal) nehmen die Auseinandersetzung mit Rassismuskritik als Teilgebiet in ihre Programme ein. Eigenständige Lehrveranstaltungen zu Rassismuskritik für Lehramtsstudierende werden u. a. an den Universitäten Bielefeld, Bremen, der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Hildesheim angeboten.

1036

Vgl. bspw. DGB-Bildungswerk Thüringen e. V. 2008; Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in Württemberg e.V. 2015, Geipel/Hoffarth/Diehm/Asumang 2011; Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW) 2016. 1037 Vgl. Brunner/Ivanova 2015 1038 Vgl. Weis 2013, S. 9 1039 Vgl. Brunner/Ivanova 2015

Perspektive: Rassismus

285

Vor dem Hintergrund der oben knapp zusammengefassten Ergebnisse dieser Studie lässt sich als Ausblick festhalten, dass die Praxis der interkulturellen (Lehrer*innen-)Bildung an ein breites Angebot an unterschiedlichen theoretischen Ansätzen und Konzepten zu interkultureller bzw. migrationsgesellschaftlicher Bildung anknüpfen kann. Bei der Auswahl passender Konzepte, die die Grundlage für eine zeitgemäße Lehrer*innenbildung und -professionalisierung bilden sollen, wird mit Blick auf Ergebnisse dieser Dissertation auf der bildungspolitischen und institutionellen Ebene dringend empfohlen, sich nicht nur mit den in den jeweiligen Programmatiken formulierten Zielen, Inhalten und Methoden, sondern insbesondere auch deren Grenzen sowie gruppenbezogenen, strukturellen und allgemeingesellschaftlichen Wirkungen kritisch auseinanderzusetzen. Die Einsicht, dass die Entwicklungswege der Lehrer*innenbildung nie von einem neutralen oder objektiven Standpunkt aus festgelegt werden können, geht mit der Notwendigkeit einher, das Selbstverständnis und die Zielbestimmung von Bildungsinstitutionen und deren Akteur*innen vor allem mit Blick auf ihren Beitrag zur Bewahrung oder Veränderung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse zu definieren. Vor dem Hintergrund der oben geschilderten Ergebnisse liefern v. a. struktur- und dominanzkritische, kulturalisierungs- und kompetenzkritische, intersektional angelegte und rassismuskritische Konzepte bedeutende Anknüpfungspunkte für die Gestaltung von zeitgemäßen, diversitätsbewussten und gerechtigkeitsorientierten Bildungsprozessen.

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Anhang: Reflexionen der Lehramtsstudierenden an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe Nachfolgend sind vollständige Reflexionen der Teilnehmenden am Projekt „LehrerInnenbildung: interkulturell-migrationsgesellschaftlich (LeB|in|MiG)“1040 angeführt, die (bzw. deren Auszüge) zur Veranschaulichung bestimmter Diskurse in dieser Arbeit verwendet wurden. Reflexionen, die im Rahmen dieser Dissertation nicht analysiert wurden, werden hier nicht wiedergegeben.

Begriffsreflexionen

Aufgabe „Beschreibe bitte – wenn möglich, in einem Fließtext – deine Gedanken, Assoziationen und Vorstellungen zu dem Begriff ‚Migrationsgesellschaft‘“.

Reflexion I – 2 a Stichwort Migrationsgesellschaft Die Migrationsgesellschaft im Allgemeinen vs. speziell die deutsche Migrationsgesellschaft/ Umgang damit in Deutschland → Es gab schon immer Migration, daher auch Migrationsgesellschaften in der Geschichte. → Daraus ergeben sich Chancen/Potentiale und Probleme.

1040

Vgl. Kapitel 1.4 „Empirischer Bezug: Analyse der Reflexionen von Lehramtsstudierenden“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Ivanova, Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26739-1

338 → Beides hängt ab vom Umgang mit der sich ergebenden Vielfalt in der konkreten Gemeinschaft: -

Werden die Chancen genutzt?

-

Werden nur die Probleme gesehen?

-

Werden die Probleme möglicherweise verstärkt durch politische Entscheidungen[,] politische Haltungen etc.?

Def[inition] Migration/Migrationsgesellschaft??? → Ab wie vielen Migranten zählt eine Migrationsgesellschaft als Migrationsgesellschaft? → Migration auch innerhalb eines Landes? → Ergeben sich daraus ähnliche Probleme/Situationen wie durch Migration über Ländergrenzen hinweg? -

Wird mit unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich umgegangen in den verschiedenen Migrationsgesellschaften? Warum?

-

Gründe für Migration? Gründe für die Entscheidung für das jeweilige Ziel?

Die deutsche Migrationsgesellschaft -

Ist Deutschland eine Migrationsgesellschaft? → Ja!

-

Warum?/ Wie kam es dazu? → Wohlstand in Deutschland, politische Lage (Demokratie), Asylpolitik, Gastarbeiterabkommen nach dem 2. WK1041 (z. B. mit der Türkei)

-

Wie ging/geht die [d]eutsche Gesellschaft damit um?

→ [A]nfangs: kaum/keine Thematisierung in der Öffentlichkeit → Vorurteile, Ausländerhass („[D]ie nehmen uns die Arbeit weg“) → Problem: Asylsuchende (Unterbringen etc.) → Integration politisch nicht in die Hand genommen, thematisiert/vorangetrieben. → [A]ktuell: zunehmende Debatte, zunehmend Angebote zur Integration (Sprachkurse), aber: immer noch zu wenig! → Probleme, die sich ergeben haben aus der „laisser-faire-Politik“ [sic] der 60er/70er/80er… sind nicht beseitigt, aber

1041

Weltkrieg – A.I.

339 zunehmend in der öffentlichen Debatte, werden zum politischen Thema (Integrationsbeauftragte etc.)

Reflexion I – 3 a Migrationsgesellschaft In den letzten Jahren kamen immer mehr Einwanderer nach Deutschland, um dort zu arbeiten und zu leben. Wegen der hohen Dichte an Einwanderer [sic] kann die Bevölkerung Deutschlands als Migrationsgesellschaft bezeichnet werden. Aber sind wir das denn zwangsläufig immer? Meiner Meinung nach nein, denn viele Kinder dieser „ausländischen“ Familien werden in Deutschland geboren, bekommen einen deutschen Pass und sind dann meiner Meinung nach keine Ausländer mehr. Sie besitzen zwar ausländische Wurzeln, sind aber größtenteils mit der deutschen Kultur aufgewachsen. Warum sind denn dann in einer Klasse aber so viele Ausländer? Für mich ist die Antwort ganz deutlich[:] [W]eil sich viele SuS1042 selbst zu „Ausländern“ machen. Oftmals fallen solche Bemerkungen wie [„][J]a[,] dem geben Sie nur das, da er deutsch ist.[“] Durch so ein Verhalten werden sie von den Mitschülern erst als Immigranten wahrgenommen, kennen ihre „Heimat“ oftmals aber nur von Bildern. Durch solch eine Einstellung ist Deutschland auch erst zu einer Migrationsgesellschaft geworden. Da ist der Drang stärker, durch seine andere Nationalität anders sein zu wollen und sich abzugrenzen[,] größer [sic] als die Integration in die bestehende Gesellschaft. Durch dieses Verhalten geben sich die Migranten selbst keine Chance[,] ein Teil des Ganzen zu werden. Das Resultat davon ist Abschottung und Ausgrenzung von dem Land[,] in dem man sich entschlossen hat zu leben.

1042

Die Abkürzung SuS steht für „Schülerinnen und Schüler“

340 Reflexion I – 4 a Stichwort Migrationsgesellschaft Geschichtliche Situation: In Deutschland erst seit wenigen Jahren, da zuvor „Ausländer“ Gastarbeiter waren, die wieder in ihr Heimatland gehen sollten. Man stellte dann fest, dass die Gastarbeiter ihre Familien nachholten, wodurch es [sic] die Zahl an Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland zunahm. Dies vernachlässigte die Politik stark. Erst seit wenigen Jahren gibt es Debatten zur Integration und Deutschland ist dabei[,] sich als Migrationsgesellschaft zu verstehen. Wie ich mir eine Migrationsgesellschaft vorstelle: -

Die Menschen in ihr sind von gegenseitigem Respekt geprägt.

-

Es existieren gemeinsame Grundrechte und -pflichten, an die sich alle halten. → Z. B. Gleichberechtigung von Mann und Frau.

-

Die Menschen mischen sich stärker, d. h. z. B., dass Deutsche ohne Migrationshintergrund und mit gemeinsam Feste veranstalten, gemeinsame [sic] Hobbys oder ähnliches[sic] nachgehen.

Wie die Migrationsgesellschaft in Deutschland meiner Ansicht nach ist: -

Viele Menschen sind stark von Vorurteilen geprägt.

-

Migranten und Migrantinnen bleiben oft separiert: in Wohnblocks, in Freizeit, beim Einkaufen (Stichwort türkischer Supermarkt) etc. → Diese Separation wird sowohl von Deutschen als auch den Migranten ausgelöst (s. Vorurteile).

-

Bei jungen Menschen ist es schon normaler, dass Deutsche verschiedenste Wurzeln und Kulturen haben.

-

Ungerecht, da die Sprachförderung nur mangelhaft betrieben wird und sich dadurch nicht alle Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Leistungsmöglichkeiten entfalten können.

Migrationsgesellschaft im Lehramtsstudium: -

Sie wird nur ansatzweise thematisiert.

-

Es gibt zu wenige Seminare dazu.

Ich habe kaum Freunde mit Migrationshintergrund im Studium. Zum einen ist dies der Fall, weil es von dieser Bevölkerungsgruppe nur wenige Studenten des

341 Lehramts gibt. Zum anderen[,] weil sich Gruppen bilden, die aus entweder hauptsächlich Deutschen ohne Migrationshintergrund oder hauptsächlich mit [Migrationshintergrund] bestehen → Separation. Reflexion I - 5a Migrationsgesellschaft Eine Migrationsgesellschaft ist für mich ein Land, in dem mehr Migranten als in manch anderen Ländern leben: Der Begriff hat oft eine negative Konnotation. Die Migranten und Einheimischen sind zwar im selben Land, bilden aber dennoch einzelne Grüppchen. Sie sind nicht richtig eingegliedert und haben privat nur mit ihren Landsleuten zu tun. Deshalb können (und vielleicht wollen) sie die Sprache und die Bräuche ihres Migrationslandes nicht lernen. Für den Staat ist es schwer[,] für die Migranten einen Lebensraum zu schaffen, in dem sie sich wohlfühlen und integrieren können, da man es mit so vielen unterschiedlichen religiösen und kulturellen Gruppen zu tun hat. Genauso schwer ist es, die Einheimischen dazu zubringen [sic][,] andere Kulturen ohne Vorurteile zu akzeptieren. Der Begriff kann auch als positiv angesehen werden: Eine Migrationsgesellschaft hat eine hohe Pluralität an Bräuchen, Kulturen und Sprachen. Die verschiedenen Kulturen können voneinander lernen und so voneinander profitieren. Reflexion II – 5 a Unter Migrationsgesellschaft verstehe ich eine Gesellschaft[,] die nicht aus einer einheitlichen Kultur besteht, sondern aus vielen unterschiedlichen Kulturen und ihren eigenen Sprachen, Traditionen, Sitten und Normen. Auch wenn Kinder in Dtl. zur Welt kommen und ihre Eltern einen Migrationshintergrund haben, tragen auch diese Kinder dazu bei, dass wir weiterhin eine Migrationsgesellschaft bleiben. In den Schulen[,] v.a. [der] Hauptschule[,] ist die Mehrheit der Schüler mit Migrationshintergrund, die ihre Probleme mit der Sprache haben, obwohl sie in Dtl. zur Welt gekommen sind. In den Kindergärten werden immer zunehmend Kurse oder Förderprogramme für Kinder angeboten,

342 um die Sprache zu verbessern. Diese ganzen Angebote sind aus dem Kinderbzw. Schulalltag nicht mehr wegzudenken. Neulich kam im Fernsehen ein Film darüber, dass die deutsche Bevölkerung ohne Migranten nach und nach aussterben würde (was sie ohnehin schon tut). Dennoch brauchen wir Migranten, um die die Bevölkerung in Dtl. nicht aussterben zu lassen. Reflexion II – 8 a Zunächst assoziiere ich mit dem Begriff Migrationsgesellschaft meine persönliche Identitätsbildung. Damit meine ich, dass ich selbst einen Migrationshintergrund habe und mich mein Leben lang schon mit diesem Teil auseinandersetze. Das führt mich auch zum nächsten Punkt: [I]ch muss mich damit auseinandersetzen, weil mein Umfeld mich ständig darauf hinweist, dass es etwas in meiner Geschichte gibt, dass [sic] mich anders macht, anscheinend anders als der [sic] Großteil. Ich verbinde [damit] allerdings auch den Begriff Realität, denn schaue ich um mich im Alltag, dann stelle ich fest[,] dass eigentlich ein sehr großer Teil [der Menschen] ebenfalls „Migrations-Erfahrungen“ [sic] gemacht hat. Es ist also etwas, das ständig präsent ist. Ungleichheit, Unverständnis und Diskriminierung auf der einen Seite und irgendwie gleichzeitig auch eine gegenläufige Bewegung: Offenheit, Integration, Bestreben nach Chancengleichheit und Bewegungen gegen Diskriminierung. Austausch, neue Möglichkeiten, neue Denkansätze. Eigentlich verbinde ich viel Positives mit dem Begriff Migrationsgesellschaft, auf einer persönlichen Ebene und in einem Hochschulkontext. Denke ich allerdings an einzelne Situationen, so sehe und meine ich immer wieder, dass zu viele Menschen nicht aufgeklärt sind und viel Handlungsbedarf besteht. Reflexion II – 10 a Eine Migrationsgesellschaft ist eine moderne Gesellschaft, in der viele Kulturen zusammen leben. Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen (Beruf, finanzielle/politische Gründe etc.) in ein fremdes Land ziehen, passen sich an die Gesellschaft hinsichtlich [der] Sitten etc. an, bringen allerdings auch ihre eigene Kultur, Religion etc. mit in das Land. Dadurch wird niemand bevormundet und alle können ihre Religion und Kultur frei ausleben. Positiv ist daran, dass die

343 Menschen voneinander lernen können und neue Erfahrungen sammeln. Dies wird u. a. unter dem Begriff Integration verstanden. Das heißt, dass die Migranten keine Kultur „übergestülpt“ bekommen, was bei Assimilation der Fall ist, sondern sich nur mit ihrer Kultur in die andere integrieren und somit beide Kulturen erhalten bleiben. Eine Migrationsgesellschaft ist also offen für andere Kulturen. Die Regierung sollte daher aber auch Wert auf Bildung legen. Besonders die Sprachbarrieren stellen ein großes Problem dar. Reflexion II – 12 a Ich stelle mir unter dem Begriff „Migrationsgesellschaft“ eine Gesellschaft vor[,] in die aus anderen/ verschiedenen Ländern eingewandert wurde. Für mich steht dieser Begriff in einem positiven Zusammenhang [mit der] „Multi-KultiGesellschaft“. Eine Gesellschaft[,] in der viele Kulturen, verschiedene Menschen ihren Platz haben und zusammen leben. Durch „das Einwandern“ sind diese Menschen nun Teil der Gesellschaft und bedürfen eine [sic] Eingliederung in die Bestehende. Damit meine ich keines Falls [sic] die Assimilation, sondern die Integration. Dies sollte im Idealfall aus beiden Parteien erfolgen. Eine Migrationsgesellschaft sollte nicht voreingenommen sein gegenüber Mehr- oder Minderheiten, sondern versuchen[,] diesen Leuten eine Chance zugeben [sic], die natürlich von „den Anderen“ genutzt werden sollte. Es ist für mich ein Miteinanderleben und nicht nebeneinander! Ein Gebilde aus Toleranz und Akzeptanz für das Neue und Bestehende, um dem eigentlichen Begriff –Gesellschaft – gerecht zu werden. Reflexion II – 16 a Ich stelle mir die Gesellschaft als eine Masse vor. Diese Masse besteht aus einer Menge Individuen. All diese Individuen haben eine eigene Vorgeschichte oder einen Hintergrund. Nun wird häufig versucht[,] Menschen nach der Herkunft zu klassifizieren oder einzuordnen. Das macht auch oft genug Sinn. Denn wenn ich weiß, woher jemand oder die Erzieher desjenigen kommt/kommen, kann ich im Voraus Missverständnisse umgehen und mich auf den Horizont desjenigen einstellen.

344 Für mich der wichtigste Punkt ist allerdings, dass jeder Mensch für sich ein Individuum ist und als dieser betrachtet werden sollte. Ein Beispielsatz ist mir einmal deutlich im Kopf hängen geblieben: „Auch ein türkischstämmiger Junge kommt in die Pubertät.“ Demnach ist für mich eine Migrationsgesellschaft nichts anderes als eine Gesellschaft. Und doch schießen mir sofort Bilder in den Kopf von Untergruppen der Gesellschaft: das neugebaute Haus der Russenfamilie, in dem die fleißige Hausfrau waltet und Vodka trinkt, die „Kopftuchfrauen“, die sich beim Einkaufen treffen usw. Wie kommt es, dass ich – obwohl ich nicht danach schauen möchte – sofort in diese Falle tappe? Und warum fühlt man sich deshalb so schlecht? Reflexion II – 18 a Unter dem Begriff „Migrationsgesellschaft“ verstehe ich eine Gesellschaft, in der Menschen mit Migrationshintergrund leben. Begriff Gesellschaft: Menschen, die innerhalb eines Raumes zusammen leben und gemeinsam am öffentlichen Leben teilnehmen. Daraus schließt sich für mich, dass in einer Migrationsgesellschaft die Menschen nicht nebeneinander her leben, sondern miteinander, d.h. sich gegenseitig austauschen. Der Ursprung/Anfang von Migrationsgesellschaften liegt wohl in der Industrialisierung und die [sic] daraus gefolgte [sic] GLOBALISIERUNG, die durch ausgebaute Infrastruktur Menschen Mobilität bot. Durch Immigration leben in einem Land viele Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft. Die Gründe für die Aus- & Einwanderung sind ganz unterschiedlich: Arbeitsmarkt, Familienzusammenführung, Flüchtlinge, etc. Die Kinder oder sogar Enkelkinder der Immigranten werden häufig im neuen Land geboren und wachsen dort auf. Dies bietet Chancen wie Mehrsprachigkeit (Herkunftssprache, in dem Land gesprochene Sprache) und Interkulturalität[,] aber auch gewisse Probleme, wie Unsicherheiten[,] welcher Nationalität man denn angehöre (nicht im Herkunftsland der Eltern geboren). Dieses Schubladendenken, welcher Nationalität jemand angehört, muss man heutzutage verbannen und sich auf die Chancen einer interkulturellen Gesellschaft fokussieren.

345

Fallreflexionen

Fallschilderung und Fragestellung Fallschilderung (ohne jegliche Korrekturen): Tagesfachpraktikum, in der Klasse waren seit einigen Wochen 2 Schüler (Geschwister, 1 Mädchen & 1 Junge), welche aus Frankreich ausgewiesen worden waren und welche einen Sinti- und Roma-Hintergrund (genaues weiß ich nicht) hatten. Beide sprachen kein Wort Deutsch, die Klasse war eine 8. Klasse einer Hauptschule in einer ländlichen Gegend. Weder der Fachlehrer (der Rektor der Schule) noch die Mitschüler/innen konnten irgendetwas mit den beiden anfangen, sie wurden in keinster Weise in den Unterricht oder soziale Aktivitäten innerhalb der Klasse eingebunden. Der Rektor, welcher unser Mentor war, wies uns an, die beiden einfach zu ignorieren, sprach abfällig von den ‚Zigeunerkindern‘ und beklagte sich, nicht zu wissen, wie er die beiden losbekommen könne (wörtlich). Ich selbst war darüber empört, wie sich der Rektor verhielt und wie er über die Situation und die Kinder dachte und fragte mich, wieso er sich das als Person, die in der Öffentlichkeit steht, erlauben kann. Gleichzeitig war ich aber auch ratlos, wie ich es in meinem Unterricht genau handhaben sollte, denn die beiden waren zudem auch noch sehr zurückhaltend und wirkten regelrecht eingeschüchtert. Wie also mit ihnen umgehen? Den Rat des Rektors zu befolgen war für mich eigentlich keine Option. Jedoch muss ich zugeben, dass ich vermute, dass mein Unterricht letztlich doch an den beiden vorbeiging, ich bezweifle, dass die Stunde sie in irgendeiner Weise weitergebracht hat. (Wobei es natürlich auch schwierig ist, in einem Tagespraktikum auf solche Umstände zu reagieren.)“ Reflexionsfragen zu dem Fall: 1) Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation? 2) Wie könnte darauf reagiert werden? 3) Welche Fragen bleiben bei dir zurück?

346 Reflexion I – 1 c Frage I: Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation? Die Herausforderung bei dieser Situation liegt vielschichtig und bei beiden Seiten, sowohl beim Direktor und Schule als auch bei den neuen Schülern, die Institution trägt eine sehr hohe Verantwortung. Der Direktor als Repräsentant weiß nicht[,] wie er mit dieser Situation umgehen soll. Die Klassenkameraden schauen auf ihren Lehrer und fühlen sich für den Umgang mit den Neuen noch weniger verantwortlich, da sie vor sich einen „hohen Würdenträger“ als ihr großes Vorbild haben. Es fühlt sich niemand dazu verpflichtet[,] zu schauen, was könnte den beiden helfen. Man sieht sich eher in der Opferrolle, dass man jetzt das Auffanglager geworden sei. Die Neuankömmlinge haben diverse Probleme, [wo]von die Schule einfach ein Übel ist, welches sie über sich ergehen lassen müssen, da in dem Land, wo sie jetzt wohnen, eine Schulpflicht herrscht. Die aus Frankreich ausgewiesenen Sinti und Roma waren laut Medien aus Bulgarien oder Rumänien in unser Nachbarland gelangt. Dieser Wechsel zwischen verschiedenen Ländern macht Kindern in dem pubertären Alter zu schaffen, insbesondere weil sie sich in dem Alter noch den Entscheidungen der Eltern unterordnen müssen und nicht unbedingt willentlich ihre liebgewonnen Orte verlassen mussten. Eine Ausweisung aus einem „freien“ Land, wo jeder leben darf, dient nicht unbedingt der Selbstbewusstseinsstärkung. Eine weitere Hürde stellt die Sprachbarriere dar. Sinti und Roma haben ihre eigene Sprache, auch in Deutschland lebende Minderheiten sprechen nicht Deutsch, sondern ihre Sprache. Durch das Reisen durch verschiedene Länder nehmen diese Minderheiten Sprachfärbungen des jeweiligen Aufenthaltsortes mit in ihre eigenen Konversationsmuster auf. Es ist bestimmt schwer[,] jetzt jemanden zu finden, der die Sprache spricht, die die neuen Schüler verstehen und sprechen. Frage II: Wie könnte darauf reagiert werden? Zuerst müsste überprüft werden[,] auf welchem Bildungsstand die beiden stehen. Evtl. sind sie völlig überfordert mit den Themen und der Art zu leben wie die meisten Mitschüler. Es wäre wichtig[,] eine Extra-Förderung für sie einzurichten, zumindest es zu organisieren, dass sie in solchen Institutionen wie dem „Internationalen Bund“ unterkommen. Die Bezeichnung „Zigeunerkinder“ sollte den anderen Beteiligten „abgewöhnt“ werden. Es stellt sich die Frage, wer sollte hier agieren? Ein/e Studierende/r im Tagesfachpraktikum kann es nur als Denkanstoß in der Reflektion ansprechen,

347 ist jedoch in der Situation als der/die zu Bewertende eindeutig in der unterlegenen Position einem Schulrektor gegenüber. Die einzige Person, die meiner Meinung nach hier doch etwas Weitreichenderes bewirken könnte, zumindest die Macht hat, dem Rektor etwas zu sagen, wäre die betreuende Hochschulfachkraft.Es müsste zumindest jemand das Rückgrat haben[,] es zu thematisieren und die abwertende Bezeichnung zu tabuisieren. Der/m Studierenden bleibt nur übrig[,] die beiden nett und freundlich zu behandeln, was diese trotz Sprachbarrieren merken[;] meiner Meinung nach ist man sensibler[,] aus der Behandlungsart die Empathie des Gegenübers zu entdecken, gerade weil man ihn nicht versteht. Auf institutioneller und politischer Ebene müssten Entscheidungen getroffen werden, wie wir mit diesen Menschen umgehen wollen, zu guter Letzt aufgrund unserer nationalsozialistischen Vergangenheit und dem damaligen Genozid diesen Minderheiten gegenüber. [Die dritte Frage wurde von der Teilnehmerin nicht beantwortet] Reflexion I – 2c Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation? Zuerst stellt natürlich die sprachliche Barriere eine große Herausforderung dar. Außerdem bleibt zu bedenken, dass die Kinder und ihre Familie vermutlich ziemlich abrupt aus ihrem Umfeld, aus ihrer Heimat gerissen wurden, was durchaus psychische Folgen gehabt haben wird. (Daher evtl. auch das zurückhaltende/schüchterne Verhalten der beiden). Wie könnte darauf reagiert werden? Die Reaktion des Rektors war in meinen Augen das Schlimmste, was man tun könnte: ignorieren. Denn werden die beiden nicht einbezogen oder auch angesprochen, bekommen sie ja überhaupt keinen/kaum sprachlichen Input und lernen erst recht nicht, sich zu verständigen. Man könnte anfangen, den beiden Floskeln und Phrasen beizubringen, die im (Schul-)Alltag hilfreich sind. Dies würde ihnen erlauben, mehr am Unterricht und sozialen Aktivitäten teilnehmen zu können. Außerdem können sie sich durch grundlegende Kenntnisse andere Wörter und Sätze vielleicht erschließen/sich selbst helfen. Fächer wie Musik

348 oder Sport können hier möglicherweise ein guter Ansatzpunkt sein, um die Kinder vor allem sozial in die Klasse einzubinden. Akzeptanz in der Klassengemeinschaft wiederum wird automatisch das Erlernen der Sprache beschleunigen/fördern. Ich würde trotzdem als Lehrerin aufpassen, die Probleme der beiden nicht großartig zu thematisieren, denn das würde sie vermutlich eher bloßstellen und „exotisieren“. Sollte Ausgrenzung stattfinden, kann immernoch [sic] interveniert werden. Welche Fragen bleiben bei dir zurück? Zu allererst die Frage, was an dieser Schule eigentlich schief läuft. Weiterhin drängt sich natürlich eine Vermutung auf, dass dies kein Einzelfall ist. Muss also sich in der Lehrerbildung etwas ändern? Muss „Aufklärungsarbeit“ an Schulen (in der Lehrerschaft) geleistet werden? Reflexion I – 4 c Frage I: Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation? Das [sic] man als Einzelperson (leider) nicht viel ändern kann, weil man immer den Rückhalt von Kollegen braucht, um etwas Grundlegendes verbessern zu können. Außerdem ist es notwendig, dass man über theoretisch begründete Strategien verfügt und nicht nur aus gutem Wille [sic] heraus handelt. Frage II: Wie könnte darauf reagiert werden? Kinder, die gut in Französisch sind, könnten den beiden assistieren. Die Sintiund Roma-Kinder könnten dagegen als Experten für Französisch eingesetzt werden, um so deren Selbstbewusstsein zu steigern. Dadurch werden auch Kontakte zwischen den Kindern geknüpft. Außerdem könnte man sich an eine Einrichtung wenden, die sich mit Sinti und Roma auskennt[,] und sich von ihnen beraten lassen. Empfehlenswert sind auch Bücher/Materialien, die zweisprachig sind. Eine besonders engagierte Lehrkraft könnte ihnen auch Zusatzunterricht erteilen. Frage III: Welche Fragen bleiben bei dir zurück? -

Wie kann ein Rektor[,] sprich ein Pädagoge[,] sich so abfällig über Kinder äußern und dies dazu noch in der Öffentlichkeit?

-

Wieso verfügen Lehrkräfte über keine Strategien zum Umgang mit solchen Fällen? → Es müsste doch Fortbildungen dazu geben. Oder nehmen Lehrkräfte, die generell Ausländer/Migranten ablehnende Haltung haben, daran gar nicht teil?

349 -

Welche Organisationen gibt es, an die ich mich wenden kann?

Reflexion I – 5 c Frage I: Wo siehst du Herausforderungen in dieser Situation? Die Situation ist in vielen Aspekten herausfordernd. Zum einen handelt es sich bei der Person aus dem Erfahrungsbericht um eine Studentin, die selbst nur 2-3 Stunden in der Klasse unterrichtete und somit die Klasse nicht kannte und zum anderen bekam sie keinerlei Unterstützung von den Lehrern oder dem Rektor der Schule. Der Rektor äußerte sich sogar abfällig über die neuen Schüler. Dazu kommt noch, dass die SuS der Klasse auch nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten, da keiner mit ihnen darüber gesprochen hatte. Außerdem beherrschten die neuen SuS die Sprache nicht, also konnten sie sich auch schwer selbst in die Klasse eingliedern und neue Kontakte knüpfen. Die längerfristige Herausforderung besteht also darin[,] den neuen Schülern die Sprache näher zu bringen und sie in die Klassengemeinschaft zu integrieren. Frage II: Wie könnte darauf reagiert werden? Da die Praktikantin nicht lange an der Schule ist, kann sie diese Herausforderungen nicht bewerkstelligen, sie kann mit ihrer Praktikumsgruppe höchstens einen Schritt in die richtige Richtung machen. Sie könnte die Arbeitsaufträge in der Stunde beispielsweise auch auf Französisch erklären oder Unterrichtsphasen in den Unterricht miteinbauen, die auch ohne Sprache durchgeführt werden können (z. B. etwas pantomimisch darstellen). Diese Ideen setzen aber alle voraus, dass die Praktikantin selbst Französisch kann. Außerdem ist es eigentlich sehr wichtig[,] mit dem Rektor der Schule (oder seinen Vorgesetzten) über die Haltung gegenüber den 2 neuen Schülern zu sprechen. Dies übersteigt aber die „Macht“ der Praktikantin, da der Rektor sie durch das Tagesfachpraktikum durchfallen lassen kann. Frage III: Welche Fragen bleiben bei dir zurück? Was kann man in so einem Fall tun? Hat man selbst Nachteile, wenn man die Einstellung des Rektors den Vorgesetzten meldet? Eigentlich kann man den Unterricht ja auch nicht wie oben beschrieben durchführen, da dieser vom Rektor

350 bewertet wird und er ganz klar darauf hingewiesen hat, die Migranten zu ignorieren. Reflexion II – 15 c a) Die größte Herausforderung stellt für mich definitiv der Mangel an DeutschKenntnissen [sic] der beiden dar. Denn ohne eine sprachliche Verständigung wird es schwer[,] sich gegenseitig auszudrücken bzw. etwas zu vermitteln. b) Deshalb ist es wichtig, entweder eine zweite Lehrperson hinzuziehen, welche französisch spricht, und welche fest in den Unterricht mit involviert wird, und welche die Schüler auf [F]ranzösisch betreut und ihnen die Sachverhalte übersetzt und erklärt. Nebenbei sollte allerdings eine Förderung der Sprache [D]eutsch stattfinden, damit sie möglichst schnell in den deutschsprachigen Unterricht involviert werden können und die „Extraförderung“ durch eine zweite Lehrperson hinfällig wird. Natürlich kann auch der Unterricht an sich „medialer“ gestaltet werden, damit die zwei eine größere Chance haben, den Inhalt zu verstehen, der durch die visuelle oder auditive Vermittlung klarer werden kann. c) Eine Frage, die bei mir zurückbleibt[,] ist, ob sich durch die Förderung durch eine zweite Lehrperson nicht zu sehr eine Sonderposition der beiden Geschwister herausbildet und das wiederum Diskriminierung ist. Zusätzlich könnte dadurch evtl. Mobbing von Seiten der Klassenkameraden auftreten.

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Eigene Systematisierung in Anlehnung an Auernheimer 2012, S. 38 ff. .............................................................................................. 41 Tabelle 2: Konzepte interkultureller Pädagogik nach Niedrig 1996, S. 13 ......... 46 Tabelle 3: Pädagogische Konzepte nach den drei "D's" (Defizit, Differenz, Diskriminierung), vgl. Diehm/Radtke 1999, S. 128, ergänzt durch Krüger-Potratz 2005, S. 120 .................................................... 49 Tabelle 4: Analytische Felder der pädagogischen Beschäftigung mit Migrationsanderen nach Mecheril 2004, S. 101 ................................ 51 Tabelle 5: Systematisierung des Diskursfeldes interkulturelle Bildung ............. 61 Tabelle 6: Komponenten interkultureller Kompetenz nach Gertsen 1990, zit. n. Behrnd 2010, S. 82 ................................................................ 137 Tabelle 7: Vergleich der interkulturellen Lernmodelle nach Grosch/ Leenen 1998 und Auernheimer 2012 .............................................. 140

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Ivanova, Zeitgemäße Bildung von Lehrkräften in der Migrationsgesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26739-1