Worte für jeden Tag: Gesammelt aus den Schriften Nathan Söderblooms [Reprint 2022 ed.] 9783112623282

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Worte für jeden Tag: Gesammelt aus den Schriften Nathan Söderblooms [Reprint 2022 ed.]
 9783112623282

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W ortt ftitjtöm Mg gesammelt aus den Schriften

LlathanKöderbtoms

ALFRED TÖPELMANN.BERLIN'W 35

W orte für jeden (Tag

Vorwort Die Herausgabe dieses Buches fasse ich als einen Auftrag auf. Während der vergangenen Jahre habe ich aus meiner Lektüre Worte gesammelt und diese Worte für die einzelnen Tage des

Jahres niedergeschrieben.

In verschiedener Auswahl habe ich

daraus Erinnerungsbücher gemacht,

Freunde,

je eines für zwei junge

eines für einen meiner Sohne und eines für meinen

Mann. Er sagte: „Du solltest diese Bücher herausgeben.

Es

kann Menschen gut tun, wenn sie etwas für jeden Tag im Jahr

zu lesen haben." Die Erinnerung an diese seine Worte nmrde für mich zum

Auftrag. Ich habe aus Nathan Söderbloms eigenen Schriften

Worte zur Erbauung, Erweckung und Labung ausgesucht und zusammengestellt. Sie machen zusammen ein Jahr aus. Er wünschte, daß die Kirchen offen ständen. Er meinte, daß man in den geöffneten Kirchen Andachts- und Gebetsbücher vor­

finden sollte, als Hilfe zu Andacht und Stille für Menschen, die nicht daran gewöhnt sind und die nach einem Ausdruck für ihre

Gedanken verlangen. Heutzutage bringen viele Menschen auf ihrem Wege zur oder von der Arbeit manche Stunde am Tage auf der Eisenbahn, der elektrischen Bahn oder im Omnibus zu. Vielleicht könnte dies

kleine Buch ein Begleiter für sie werden.Man kann es in die Rock­ tasche oder in die Handtasche stecken.

Ich führe einige Worte aus der Begrüßungsrede bei einer der

allgemeinen Kirchentagungen an. „Die freie Neigung des Herzens und die Zucht des Lebens­ wandels gehören zusammen in einem christlichen Leben. Für unser evangelisches Christentum kommt es in größerem

Ausmaß als bisher darauf an — wie jemand sich ausdrückte — den unendlichen Schatz, den wir erhalten haben, in Kleingeld umzuwechseln für den täglichen Bedarf des einzelnen und der

Gemeinde. Wir bedürfen der Anweisung. Eine Hilfe ist uns in dem kleinen Gebetbuch am Schlüsse unseres Gesangbuches ge­ geben, abxr wir brauchen mehr. Wir brauchen Bücher, die wir

suchenden Seelen reichen können, denen, die auf ihre Heiligung

bedacht sind.

Die Menschen bedürfen der Gebete für jeden Tag, Anweisungen mit Gebetsseufzern, die sie wie das Vaterunser auswendig können, um sie zu benutzen, wenn sie in ihrem Hause sitzen oder auf der Straße gehen, wenn sie sich niederlegen und wenn sie aufstehen. Die Menschen schreiben oft Bibelworte auf ihre Wände. Das kann von Nutzen sein, aber wichtiger ist, daß man getreulich mit dem Bibelwort umgeht und mit solchen Gebeten, die von dem Umgang mit Gott durchhaucht sind." Uppsala, den 5. März 1932. Anna Söderblom geb. Forsell.

Für die Keele zum Atemholen

während des Tages Tast und Hitze Ansgars Gebet:

Herr, mach mich aus Gnaden zu einem guten Menschen! Birgittas Gebet:

Herr, weise mir den Weg und mache mich willig, ihn zu gehen! Gustav Adolfs Gebet:

Herr, hilf mir, heute zu deines heiligen Namens Ehre zu leben!

* Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die uni der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;

denn das Himmelreich ist ihr.

Matth. 5, 3—10

1. Januar

Unsere Losung Läutet die Gotteszeit ein! Herz und Hand, Gedanke und Zunge,

das Volk, unser Land, Alte und Zunge,

Tat und Beruf ehrt Gott aus Erden! Die ganze Welt

soll Kirche werden. Laß deinen Mißmut, o Seele, niemals vergißt der Herr dein.

Zum Heil, o mein Volk, Ihn erwähle! Läutet das Gottesjahr ein.

Singet die Arbeitszeit ein!

Reihen von Ahnen zu euch treten, Dichter, die mahnen, Kämpfer, die beten, der Mühe Blut, der Arbeit Werke

erfordern Mut. Glaube gibt Stärke.

Heilger Erinnerung Spur leuchtet ins Dunkel hinein. „Vorwärts!" sei Losung uns nur.

Singet das Arbeitsjahr ein. Betet die Friedenszeit ein! Brüder alljetzt, während wir wandern, sei uns gesetzt: „Helfen den andern!"

Unrechte Tat bedrückt das Herz; die Gottesgnad wirft ab den Schmerz.

Vergiß der Vergangenheit Land, der Vater will milde dir sein. Dein Wohl ruht in seiner Hand.

Betet den Frieden ein!

1

1

Woüe für jeden Tag

2. Januaf Nart der Daum stehen bleiben? Die Sache wird bedenklich, wenn ein jeder von uns über sich selbst und über seinen Platz im Weinberg des Herrn nachdenkt.

Auch der, sür den das vergangene Jahr schweren Kummer und harte Verluste in sich schließt, muß erkennen, wieviel Gutes er von der

Hand des Herrn empfangen hat. Was für Nutzen bringt unser

Baum? Wozu hatte der Herr uns bestimmt? Was sind wir ge­ worden? Trägt der Baum gute Früchte? Oder ist er nur zum An­ schauen da? Leben wir unser Leben mit ganzem Ernst? Oder wandeln

wir wie im Traum? Dies Leben ist ja nur von kurzer Dauer, und wir dürfen unser Herz nicht darin begraben. Wir werden wohl leicht

von den Dingen dieser Welt in Anspruch genommen, legen aber dabei doch nicht rechten Ernst und wirkliche Kraft in unsre Arbeit.

Wieviel will man in der Zukunft fertig bringen! Es wimmelt von Vorsätzen und Ansätzen. Aber wieviele leben mit der Gewissen­ haftigkeit und dem Ernst des Ewigkeitswanderers für die vor ihnen

liegenden Pflichten? Bringen wir aber etwas zu stand, ist es dann wohl so, wie es der

Herr von seinen Dienern verlangt? Kennt ein jeder seine Verant­ wortung gegen die andern? Neben aller gutherzigen Hilfsbereit­ schaft gibt es viel Herzenskälte und Mangel an Liebe und Barm­

herzigkeit. Keiner, der mit sich selbst ins Gericht geht, kann dem Wort des Herrn entrinnen, das an ihn ergeht: „Siehe, ich bin nun Jahr für Jahr kommen und habe Frucht gesucht auf diesem Feigenbaum und finde sie nicht. Haue ihn ab! Was hindert er das Land?" Aber so wie Jesus für sein Volk bat, bitten wir nun für uns selbst: „Herr, laß den Baum noch dies Jahr stehen"!

Mach in mir deinem Geiste Raum,

laß mich als einen guten Baum mn Lebenswasser grünen.

So will ich dir und deiner Ehr allein und keinem andern mehr hier und dort ewig dienen.

Luk. 13,6-9

3. Januar

Jesu Lebenükunst ist, daß er im Jetzt, in Gott lebte. Er nahm jede Stunde hin als eine Gabe Gottes. Jede Stunde und jeden Tag verwandelte er in Ewigkeit, indem er seine Zuversicht und seine Liebe hineinlegte.

Seine Worte sind für den voller Trost, der durch Not und Trübsal

versucht wird, an Gottes Treue zu zweifeln und die innere Freudig­ keit zu verlieren. Die Zusammenhänge sind dunkel. Unser Leiden wird für uns

begreiflicher, wenn wir es mit unsern eigenen Fehlern und Ver­ säumnissen verbinden können. Unser Leiden steht auch mit andern Menschen in Zusammenhang. Dunkle Fäden verbinden die Ge­

nerationen untereinander und ihre Glieder. Wenn der Blick auch trübe ist und das Herz brennt und der Zusammenhang uns in Klein­ glauben und dumpfe Verzweiflung niederziehen will, dann müssen wir in Christi Leiden und Sterben die höchste Offenbarung von

Gottes Liebe sehen.

Deshalb fragen wir nicht nach Erfolg und

Glück. Haben wir ein Recht, glücklich zu sein? Wir haben ein höheres Recht, das zugleich unsre Schuldigkeit ist. Wir haben recht,

über Gottes Treue fröhlich zu sein. Sie hat sich während des ver­ gangenen Jahres erwiesen, auch wenn wir in unserer Kurzsichtig­ keit nicht auf Gottes Güte geachtet haben. Laßt uns an all das

denken, wofür wir dem Herrn zu danken haben, und jetzt und alle­ zeit unser Gebet und Flehen, ja, auch unsere Klagen und Tränen,

wenn wir deren Trost erfahren dürfen, mit Danksagung und Freude über Gottes Treue verbinden. Das neue Jahr ist für uns ein ungeschriebenes Buch. Was seine

Blätter enthalten werden, können wir nicht voraussehen. Aber eins ist sicher. Jedes Blatt und jedes Kapitel wird zuletzt zu einem Zeugnis von Gottes Treue, wenn unser Herz nur an ihm festhält.

Deshalb schreiben wir, wenn auch mit zitternder Hand, auf die erste Seite des neuen Jahres unsere Gewißheit von Gottes Treue und unsere Freude über seine Treue.

Klagelieder 3, 22-24

1*

4. Januar

Die Tauke Ich bin getauft. Schon als kleines Kind, da ich auf keine Weise für mich sorgen konnte, nahm mich der christliche Glaube

der Gemeinde in seine Obhut, brachte mich in der Taufe dar

und legte mich in die Arme des ewigen Erbarmers. Denn wir Menschen können nicht für uns selbst sorgen, noch viel weniger für andere. Wir vertrauen unsere Lieben Gottes gütigem Schutz an.

Ich bin getauft. 3ch bin in Gottes Kirche auf Erden als Mit­

glied ausgenommen. Das ist eine hohe Würde. Ich kann mich niemals einer solchen Ehre würdig erweisen. Gottes Barmherzigkeit ist ein unverdientes Geschenk, das mir im sichtbaren Zeichen der Taufe zuteil geworden ist, schon ehe ich selbst denken und handeln konnte.

Ich bin getauft. Das soll mir in der Versuchung helfen; die

Taufe soll mich zurückhalten, wenn mich etwas Boses lockt. Wer

getauft ist, darf nicht handeln, wie es ihm gerade beliebt. Er gehört Gottes Kirche und Gemeinde an. Er ist durch die Taufe denen ein­ verleibt, die sich, um den Meister scharen. Schon in seiner zarten Kindheit hat er eine Segnung empfangen. Kann einer von uns

sagen, wann die erste Ahnung von dem Wahren, Rechten und Schonen plötzlich im Kindesgemüt aufleuchtete? Wir können keinen

Zeitpunkt und kein Alter angeben, wann das Werk des Geistes beginnt. Deshalb hat die Kirche von altersher die zarten Kindlein dem Meister dargebracht, sowie die Mütter es taten, während er

auf Erden wandelte. Wir bitten wie sie, daß er sie segne. Preis sei Dir für des Lebens Wort,

für der Taufe Bad und der Gnade Brot! Gib Frieden uns hier in der Zeit

und Leben in der Ewigkeit!

Matth. 28, 18-20

Mark. 10,13-16

S. Januar Der Gruß der Engel

hat dieselbe Anordnung wie das Vaterunser. Zuerst wird der Blick erhoben. Er darf nicht beim Persönlichen stehen bleiben und sich in das einwühlen, was den Sinn beschäftigt und beunruhigt, was schreckt und anklagt, in das Unabänderliche, was geschehen ist und

nicht ungeschehen gemacht werden kann, was Schmerz verursacht und mit Verzweiflung droht, in eine kommende Möglichkeit, vor der wir Furcht empfinden. Ein Negerhäuptling erzählte Livingstone, daß es ihm vor einem Manne grauste, der ihn im Traum mit einem

langen Spieß verfolgte. Aber als er das Weihnachtsevangelium

und den Gruß der himmlischen Heerscharen gehört hatte, träumte er den Traum nicht mehr, sondern fühlte Zuversicht und Frieden. Das Kind wagt aus Furcht vor bösen Träumen nicht einzu­ schlafen. Der Erwachsene wagt aus Furcht vor der bösen Wirk­

lichkeit nicht aufzuwachen. Deshalb erhebt der Gruß der Engel

zuerst unsere Gedanken zu Gott, seiner Herrlichkeit, seiner Ehre, seiner Liebe, seiner Gnade. Wir dürfen uns selbst, unsere Sorgen, unseren Unftieden, unsere Untauglichkeit, unsere Furcht in seinen Namen, in seine Ehre einschließen. Erst nachdem der Lobgesang

zu Gottes Ehre erklungen ist, folgt als Wirkung: Friede auf Erden.

Der Friede muß von oben kommen. Er kann nicht von unten her,

aus dem eignen Vorsatz und der Kraft des Menschen geschaffen werden. Er muß eine Gabe Gottes, ein Abglanz von Gottes Ehre sein. Steh auf, o Menschheit, werde licht, den Glauben hin auf Christum richt!

Er ist dein Ehr und Seligkeit. Dein Name sei nun „Christenheit".

Gelobet sei des Herren Gnad und Macht und wunderbarer Rat, gelobt in alle Ewigkeit

des Ewigen Barmherzigkeit!

Luk. 2, 8-14

6. Januar

Epiphanias Offenbarung bedeutet, daß Gott sich vernehmbar macht, daß das

Göttliche hindurchschimmert. Die Augen der Menschheit, um das Göttliche zu sehen, sind zwei: Die Unendlichkeitssehnsucht und

der Trieb zum Idealen. Die Unendlichkeitssehnsucht schaut vor allem die Erhabenheit der göttlichen Wirklichkeitswelt über den kleinen Sorgen dieser Welt und ihrem Zeitmaß und offenbart sie uns in ihren Genien. Aber damit diese Ferne das Göttliche nicht

verflüchtige, muß der Trieb zum Idealen, der Hunger und Durst nach der unendlichen Schärfung und Erhöhung des Lebens dazu­ kommen. Er dringt kühn vorwärts und erreicht das Unmögliche: Gewißheit über das Wesen der Wirklichkeit, über Gottes eignes Wesen in seiner positiven, überwältigenden Macht und Majestät.

Wo? 2n der Natur, in der Bewegung der Gestirne, im Verlauf und der Entwicklung des Lebens? Ja, aber nur dunkel, zweifel­ haft — die Offenbarung muß schon vorher aus einem innerlicheren

Gebiet, im Gewissensleben, in der Geschichte, erlebt und gesehen worden sein. Die Offenbarung ist immer diesen Weg gegangen und

geht ihn nach wie vor. Nirgends ist die Gewißheit von Gottes Wesen stärker und reiner als bei Jesus. Bei keinem andern hat diese Ge­ wißheit auf eine persönlich und historisch wirkungsvollere Weise

das ganze Wesen durchdrungen. Keiner ist deshalb so wie er Offen­ barung. Bei keinem schimmert das Göttliche gleich stark hindurch.

Dein Wort, o Jesu, bleibe stehn als Stern, in dessen Schein wir gehn.

Laß deine heilge Lehre geleiten uns in dieser Zeit! Uns Licht und Kraft beschere

in Lebenssorg und Streit; und in dem Tod dann kehre das Herz zur Ewigkeit.

Joh. 14, 6; 10, 30

7. Januar

Die Gewißheit von dem lebendigen Gott erlangen wir wie die Propheten und Apostel, wenn wir des Lebens Gottes teilhaftig werden. Ze mehr wir uns mit ganzem Herzen

an die Wirklichkeit hingeben, das heißt der Forderung des Lebens in Besserung und Gehorsam, in heißer Bemühung, in stillem Sichüberlassen und Ruhen, desto sicherer gewinnen und behalten wir die Gewißheit, daß Gott ist und daß Gott unergründlich mächtige

Güte ist, die sich durchsetzt und die uns vorwärts zu tragen vermag. Wenn wir ganz aufrichtig und genau sind, müssen wir gestehen,

daß wir nicht gerade viel von Gottes Offenbarung sehen können. Das ist in jedem Fall unsere, nicht Gottes Schuld. Und doch sind wir ihm in unserem Leben begegnet; wir verspüren, wenn wir zurück­

blicken, seine Führung. Die Geschichte entschleiert uns zuweilen Gottes Handlungsweise. In einer Lage, die uns trostlos und un­ verbesserlich erscheint, schimmert vielleicht eine Ahnung von Gottes

Absichten durch. — Sollen wir wagen, sie festzuhalten und an sie zu glauben? Wir müssen trotz allem glauben. Wir müssen gegen

jede Erwartung hoffen. Droht aber das tote Geschehen alles zu überwuchern und die Offenbarung zu verdecken, dann müssen wir zur Bibel greifen. Da ist der Himmel offen, und das Licht leuchtet durch den grauen Nebel unseres Daseins und durch das schreckende

Dunkel. Ze mehr wir beten und arbeiten, desto besser vermögen wir die Offenbarung festzuhalten. Nur als tätiger Kämpfer für das ewig Gute bei sich und andern befindet sich der Mensch in der Sphäre,

in der er eigentlich mit Gott umgehen darf. Für den, der betet und kraft seines Gebetes auch geistig arbeitet und, soweit es möglich

ist, auch körperlich arbeitet, hat es wenig oder keine Bedeutung, nach

Gottes Wirklichkeit und Gottes Werk zu fragen. „So jemand will des Willen tun, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst rede."

M. 7,17

8. Januar

Aus der Tieke „Weit in der Ferne kann man Gottes Stadt wie eine fleckenlose Perle sehen. Sie ist so wunderbar, daß man meint, ein Kind konnte

sie an einem Sommertag erreichen. Und ein Kind kann das auch. Aber mit uns ist es anders. Man kann eine Sache in einem einzigen Augenblick erfassen, aber man verliert sie wieder in den langen

Stunden, die mit bleiernen Füßen folgen. Es ist schwer, sich auf den Hohen zu halten, die die Seele erreichen kann. Unsre Gedanken gehören der Ewigkeit an, aber wir selbst bewegen uns langsam durch die Zeit; und wie langsam die Zeit im Gefängnis und im Kranken­ haus vergeht, darüber braucht man nicht zu reden, auch nicht über

die Müdigkeit und Verzweiflung, die immer wieder mit besonderer Hartnäckigkeit in die Zelle unsres Herzens zurückkriechen. Man

muß sein Haus gleichsam für ihre Ankunft schmücken und kehren wie für einen willkommenen Gast oder einen strengen Herrn oder

auch einen Sklaven, dessen Sklave man selbst durch Schicksal oder aus eigner Wahl geworden ist." Jedes Menschenherz ist eigentlich ein edles Metall, das wunder­

bar bearbeitet, jedoch auch trübe, rostig und zerfressen ist. Ein un­ barmherziges Ereignis kann es schleifen, so daß es augenblicklich ein herrliches Bild klar widerspiegelt.

Tiefer Fall! Getrennt vom Herrn! Mein an Staub gebundner Geist

schaut des Vaters Haus von fern und die Fessel nicht zerreißt. Doch er ahnt des Vaters Güte, und die still genährten Sorgen, Reu und Sehnsucht im Gemüte künden der Erlösung Morgen.

Ps. 130, 90 Matth. 12,44

9. Januar

Gott ehren Unsere Erde ist keineswegs voll von Gottes Ehre. Die Menschen suchen ihre eigene Ehre. Die Welt hallt wider von Namen, die

gepriesen und beneidet oder gepriesen und geliebt werden. Macht, Ehre und Ruhm, die sie gewonnen, sind meistens sehr zerbrechlich

und vergänglich. Sie sind Könige für einen Tag. Heute sind die Zeitungen voll von ihren Großtaten. Bald verschwinden sie, wie es scheint, spurlos in Vergessenheit. Die Namen anderer leben

weiter. Haben sie ihre eigene Ehre oder Gottes Ehre gesucht? Man braucht um Gott zu ehren keine besonderen Vorschriften, Zeremonien und Übungen zu erfüllen. Man braucht keine Lob­

gesänge anzustimmen und lange Gebete zu sagen. Es ist auch nicht damit getan, daß man bestimmte, anerkannte Frommigkeitsgebote erfüllt, während das Herz vielleicht gar nicht aus Liebe zu Gott

und zum Guten, sondern von selbstischem Begehren nach dem Ver­ gänglichen getrieben wird. Gott preisen heißt: 3m Leben und im Tod auf ihn trauen und seinen Willen tun. Du kannst niemand größere Ehre erweisen, als

daß du all deinen Glauben und dein Vertrauen in chn und allein in ihn setzest. Ein solches Vertrauen muß sich unwillkürlich in Ge­ horsam äußern. Verläßt du dich auf jemanden mehr als auf alles andere in der Welt, so muß es dein natürliches und höchstes Ver­

langen sein, dich nach seinem Willen zu richten. Gott läßt sich nicht mit Huldigungen oder Zeremonien abspeisen. Er fordert das ganze Leben. Und wollt ihr Kinder sein bei Gott,

so lebt und sterbt für sein Gebot.

Luk. 2, 14

2. Mose 20, 3

10, Januar

Line kortgesetzte Kchöpkung Gerade die Erscheinung schöpferischer Geister läßt uns ahnen,

daß das Leben seinem Wesen nach eine fortdauernde Schöpfung ist. Kommende Geschlechter werden nicht müde, sich in die Werke genialer Menschen zu vertiefen und aus ihnen immer neue Lehren und neue Erbauung zu schöpfen. Und für uns, meine Herren Professoren, liegt eine heilsame Warnung in dem Paradoxon, daß die

Großen allezeit recht haben, auch wenn sie einander widersprechen. Aber hiermit ist die ganze Bedeutung der schöpferischen Wirk­ samkeit des Genies noch nicht einmal angedeutet. Sie besitzt eine andere, fast noch bemerkenswertere Seite, die man selten beachtet. Ich kann sie so bezeichnen: Der organische Zusammenhang zwischen

Gottes ganzem, fortdauerndem Schöpfungswerk und der Arbeit

des Genies. Das Genie ist zum Dolmetscher für Gottes Schöpfung gesetzt. Das Dasein ist schwer zu deuten. Es erscheint oft sinnlos,

schmerzlich sinnlos. Durch sein Eingreifen, seine Persönlichkeit, seine Schöpfungen hilft uns das Genie im Dasein einen Sinn zu

ahnen oder zu sehen. Und das nicht nur, ja nicht einmal in erster

Linie als Denker, sondern auch als Held, Märtyrer, Prophet und Heiliger, wie auch als Künstler, Entdecker und Dichter. Seine besondere Begabung zeigt uns aus diese Weise eine geheimnisvolle Verbindung mit der Schöpfung selbst.

„Auf der langen und mühevollen Bahn der Menschheit hat Gott

uns hin und wieder Menschen von besonderer Art auf den Weg gestellt, damit sie auf verschiedene Weise und durch verschiedene

Mittel aus ihrem Inneren Bilder schaffen und darstellen können, die einen Schein von Gottes Ordnung wiedergeben" (Geijer).

11. Januar

Der Lwölkjähn'se Von diesem Sohn, dem zwölfjährigen Jesus heißt es: „Und er

ging mit ihnen hinab und kam gen Nazareth und war ihnen unter­ tan". Er blieb nicht zu lange in Jerusalem. Seine Aufmerksamkeit, seinen Gehorsam, sein lebendiges und bezauberndes Wesen, seine

ansteckende Freude behielt er nicht den gelehrten Männern vor,

die er in der Hauptstadt des Landes traf, sondern all dies und noch mehr, sein ganzes junges Sein, seine Herzenswärme, seine hilf­ reiche Hand, seinen bereitwilligen Fuß und seine liebevolle Um­ sicht, alles brachte er wieder mit zurück in das kleine Heim in Na­

zareth. Um sich selbst zu finden, muß das Kind vor allem den rich­

tigen Platz einnehmen und lernen, daß keiner sich selbst genug ist, am allerwenigsten ein Kind, sondern daß wir einander dienen sollen.

VieleMenschen, Kinder und Erwachsene, verschwenden ihre Liebens­ würdigkeit an andere Menschen, wenn sie draußen in der Welt sind; aber zu Hause lassen sie dem alten Adam freien Lauf. Das wird vielleicht geradezu als wünschenswerte Aufrichtigkeit und Wahrheitstreue angesehen. Man soll sich nicht verstellen. Als ob

schlechte Laune und verletzter Eigenwille zum wahren Ich des Menschen gehörten! Wir sollen einander dienen und helfen. Ein Kind kann dienen und helfen, nicht nur mit dem, was es verrichtet und sagt und tut, sondern mit seinem ganzen Wesen, mehr als es

selbst ahnt. Ein Kind kann in Trübsal und Not Stärke und Trost sein. Der dienstwillige Gehorsam des Knaben zu Hause steht nicht

in Gegensatz zu der Treue gegen seine Neigung und Berufung. Sie gehören zusammen. Der Gehorsam zu Hause in Nazareth

bereitete ihn zu seiner Berufung vor und war die kindlich frohe Seite seines Gehorsams bis in den Tod.

Luk. 2, 41-52

12. Januar

Das Lind Es gehört zur Eigentümlichkeit des Christentums, daß in ihm

kein Mensch bloß Mittel ist, sondern er ist gleichzeitig sein eigener Zweck, Gottes Ziel. Dies gilt auch für die verschiedenen Lebens-

alter. Ich glaube nicht, daß man Jesu Stellung zum Kind ver­ steht, bevor man dieses Geheimnis entdeckt hat.

Das Kind bedeutet für uns vor allem die Zukunft. Was soll das Kind werden? Kindheit und Jugend sind der Weg zu dem,

was uns eigentlich wichtig ist, zur Persönlichkeit und Stellung des Erwachsenen. Aber für Jesus ist das Kind nicht nur und in

erster Linie ein Durchgang, eine Vorstufe zu seiner eigentlichen Bestimmung, nämlich zu dem Beruf und der Aufgabe des Er­

wachsenen. Wir dürfen uns durch die Erzählung vom Zwölfjährigen im Tempel nicht zu einem solchen Mißverständnis von der Stellung Jesu zum Kind verleiten lassen. Das Kind ist für ihn etwas

in seiner Art Echtes und Ganzes. Jesus fragt nie, was für eine Beschäftigung ein Mensch hat, oder was er in der Welt er­ reicht hat, sondern er fragt, was er in seinem Herzen ist. Deshalb wird das Kind für ihn ebenso bedeutsam und wichtig wie der Er­ wachsene.

„Zinnen von Zukunftshoffnung bauen wir auf dir auf."

Laßt die Eltern Pläne für die Zukunft machen! Wenn es Luft­

schlösser gewesen sind, wenn es ganz anders wird, vielleicht auf eine entsetzliche Weise anders, als sie denken und träumen, macht ihnen

doch das Bauen selbst Freude, und Gott gönnt chnen diese Freude. Aber bei Jesus wie bei Eltern, die das Herz auf dem rechten Fleck

haben, ist nicht der Gedanke vorherrschend, was aus dem Kinde einmal werden soll, sondern das Kind als Kind erregt seine Anteil­

nahme und lenkt seine Liebe auf sich.

Matth. 18,2. 3

Mark. 10, 13^16

13. Januar Mach der Lindheit Nach der Kindheit nimmt das Leben seinen Fortgang. Das Leben ist schwer und gefährlich. Das Leben kann grausam sein. Das Bose lauert, und der Pfad ist irrsam. Ein Leitstern ist

aufgegangen. Der Stern leuchtet hell, er glitzert und winkt. Aber die Irrlichter der Erde halten den Blick gefangen. Sie er­ scheinen, sie knistern, sie leuchten und erloschen. Der Stern hört

niemals auf zu funkeln. Vielleicht wird er einmal beachtet. Wenn nicht früher, so doch dann, wenn Neue und Angst den Wanderer am Weitergehen hindern. Wenn die Lichter der Erde irresühren wollen, zeigt der Stern dem einsamen Wanderer einen geraden Weg, wenn er nur wagt, den Kopf zu erheben. Aber es gibt viele Abwege. Vielleicht sind sie vom lockenden Schein des Freuden­

feuers beleuchtet. Sie scheinen breiter, bequemer zu sein als der gerade Weg — dem Stern nach. Erreicht der Wanderer einmal das Ziel? Wissen wir es? Wenn

er es erreicht, wie sieht er dann aus? Nach der Kindheit haben der Mann und die Frau während chrer Wanderung vielerlei auf­ gesammelt. An der Pforte der Ewigkeit fällt das alles ab, wie Flicken oder Flitter. Was bleibt?

Während der Wanderung verändert sich das Kinderherz. Viel­ leicht bricht es und blutet. Oder es wird hart, gleichgültig und gefühllos. Aber trotzdem haben doch alle noch das Kinderherz. Die

harte Schale kann weich werden. Das blutende Herz kann geheilt

werden. Das gleichgültige Herz kann wieder Gefühl und Kraft bekommen. Sonst könnte ja keiner umkehren und wie ein Kind

werden, und keiner dürfte eingehen in Gottes Reich. Als Kind allein, im Herzen rein darf ich in deines Vaters Haus einst sein.

Matth. 2, 9; 18, 3

14. Januar Hunger und Durst nach Gerechtigkeit Herr, laß uns nicht in Sattheit und Selbstzufriedenheit 6e; harren.

Laß uns nicht stillstehen! Wir danken dir für jeden

schmerzenden Sporn, den du in den alten Menschen stößt, wenn er uns in träger Ruhe fesseln will.

Herr, laß uns den Hunger und Durst der Seele mit nichts anderem und Schlechterem als mit Gerechtigkeit stillen. Gib, daß wir uns nicht an Traber gewöhnen! Die Gewohnheit'ist die

furchtbarste aller Zauberinnen. Das erstemal, als man nachgab,

tat das Herz weh. Verrat! Betrug!, flüsterte eine unerbittliche Stimme. Aber die Zeit verrichtete unmerklich ihr Werk. Allmählich

wurden die Ideale je nach dem Bedürfnis etwas bequemer gemacht.

Dann betrachtete man die zurechtgeschnittenen, zusammen­ geschrumpften und geflickten Ideale als Gäste, auf die man schwer­ lich stolz sein kann und die man nicht gern vorstellt, die jedoch weniger peinigend sind. Halb widerstrebend findet man sich in ihren Umgang. Der Edle ist heruntergekommen. Er sieht sich gezwungen, seinen eignen Kreis zu verlassen und in einen einfacheren Kreis herabzusteigen. Zuletzt gewöhnt er sich. Merkwürdig, wenn man daran denkt, daß es jemals anders war. Schließlich wird einem

das Neue so natürlich. Vielleicht kommst du eines Tages so weit, daß du über deine jugendlichen Ansprüche lächeln kannst, als du

noch nach Gerechtigkeit Hunger und Durst empfandest, als du glaubtest, denk nur, als du glaubtest, du würdest satt werden. Herr, lasse uns den edlen Hunger und Durst. Du hast versprochen, wir sollten an Gerechtigkeit satt werden. Laß uns nicht mit elender

Kost zufrieden sein, mit irgend einer Hungerkost, die man unserem Geist in seiner Gefangenschaft und Belagerung bietet.

Amos 8, 11

Matth.

6

15. Januar

Heilige Einige der wahren und großen Heiligen der Christenheit offen­

baren in ihrem begnadeten Geist etwas von Gottes eigenem Wesen;

sie lassen uns fühlen, daß der Vater Jesu Christi bis heute lebt und wirkt. Aber von keinem gilt das in höherem Maße als von Luther. Sei es, daß man seine Originalität und die prophetische

Bedeutung seiner Gedanken betrachtet oder die Unmittelbarkeit, die Kraft und den Reichtum seiner Persönlichkeit als Zeuge von

Gottes lebendiger Nähe. Wenn starke Geisteshelden bewußt und mit ganzem Herzen Gott dienen, werden sie Heilige. Die Lehre von

den Heiligen ist in der evangelischen Theologie zu kurz gekommen, gleichzeitig damit, daß ihr Kult im Namen des Evangeliums ge­

strichen wurde. Ich gebe in der Lehre von den Heiligen der römischen Theologie und Kirche insofern recht, als „Heilige" Christen sind, die in besonderem Maße Gottes Macht offenbaren; aber die gött­

liche Macht braucht nicht auf primitive Weise in ungewöhnliche Fälle von Suggestion verlegt und als Wunder bezeichnet zu werden. Sie soll in Übereinstimmung mit dem christlichen Gottesbegriff

aufgefaßt werden. Das Wort „Heilige" hat in verschiedener Hinsicht eine schiefe Bedeutung bekommen. Man hält sie für Gegenstände des Kultus und der Verehrung, als ob sie etwas aus sich selbst wären. Nach

eignem Zeugnis haben sie nichts voll sich selbst, zu eignem Lob, sondern alles von Gott. Ich kenne keine andere richtige Beschreibung als diese: Heilige sind Menschen, die im Leben, im Wesen

und im Handeln klar und unzweideutig beweisen, daß Gott lebt. Soll ich unter den jetzt Lebenden einige aufzählen, oder unter denen, deren Wesen und Leben, auch nachdem sie die

Erde verlassen haben, noch so lebendig vor uns stehen, wie damals, als sie noch hier in unserem Kreis oder in unserer Nähe waren?

Ich glaube nicht, daß es notig ist, hier Namen zu nennen. Zeder

Nachdenkliche findet sie selbst.

Matth.

48; 7, 21

Eph. 3, 16. 17

2. Tim.

17

16. Januar

Wo sehen wir Gottes Herrlichkeit? Das Kind wandert mit seinem Vater unter dem Sternenhimmel dahin. Für die kindliche Einbildung werden die Himmelslichter Öffnungen, durch die himmlische Klarheit hindurchdringt, wie der Lichterglanz eines Festes durch die Fenster in die kalte, dunkle

Nacht hinausleuchtet.

Andere Fenster gibt es, die noch klarer und schöner etwas von Gottes Herrlichkeit ausstrahlen. Das sind die klaren, strahlenden Kinderaugen.Möchten sie nie durch meine oder deine Schuld fragend, ängstlich, traurig oder verletzt werden. Hier auf Erden gibt

es nichts Schöneres und Reineres als das Kinderauge.

Es ist gedankenvoll, es ist vertrauensvoll. Es läßt Gottes Herr­ lichkeit durchscheinen.

Sieh, wie Hingabe und Reinheit um die Konfirmandin Wache stehen. Die Sehnsucht nach Vollkommenheit beseelt und verschönt ihr ganzes Wesen. Ohne Streben nach Vollkommenheit verfehlt der Mensch seine Bestimmung. Sieh den Jüngling an! Wie etwas

von ihm ausstrahlt! Menschen wenden sich um und schauen chm nach. Sie werden froh. Finstere Gesichter heitern sich auf. Eisige Blicke tauen auf. Mürrische Lippen lächeln. Bei Männern und Frauen können selbst unbedeutende oder

häßliche Züge durch Aufrichtigkeit, Nachdenken oder den stillen Glanz der Güte verklärt und durchleuchtet werden.

Ein Geistlicher sieht vom Altar oder von der Kanzel in Andacht versunkene Menschen. Kein Anblick kann schöner sein. Sei es nun, daß das innere Leben stark und bewußt ist oder daß es nur als Er­ griffenheit, als Sehnsucht empfunden wird, so zeugen die Blicke

von einer höheren Menschlichkeit. Durch Ehrftrcht vor dem Helligen und durch die Nähe des Heiligen werden die Seelen über sich selbst erhoben. Sie offenbaren in dieser Gemeinschaft ihr wahres, für gewöhnlich verdunkeltes Wesen. Der Mensch kann verklärt werden.

Luk. 11, 34-36

Matth. 19,13. IS

17. Januar

Heraus aus der Belagerung Man sagt: Du kommst nicht vorwärts. Das ist vielleicht recht traurig, aber wahr. Auf sittlichem Gebiet heißt es: Aufopferung,

unendliche Pflicht, ideale Forderungen — das sind nur schone

Redensarten. Nein, Berechnung ist die einzig richtige, haltbare Triebfeder. Unsere Gerechtigkeit ist nur ein glücklicher Kompromiß

zwischen den Ansprüchen der Natur und derMenschheit. Nach einer solchen Gerechtigkeit hungert und dürstet man nicht. Gerade das Gegenteil. Hunger und Durst erregen nur Sinnestäuschung und

Gaukelei. Wir wollen den unsicheren Boden überschwenglicher

Gefühle und Forderungen verlassen! Dein phantastischer Zugendmut streckt sich nach Zielen, die in der Welt der Träume liegen. Gott, Geist, ewiges Leben! Versperre die Aussicht dorthin! Hat die Menschheit nicht lange genug gelebt,

um verständig zu werden? Wir wollen uns endlich wie kluge Men­ schen einrichten. Ist unsere Welt nicht groß genug in dem, was vor Augen ist? Gib dich zufrieden, spähender Menschengedanke. Weiter

kannst du nicht kommen. Man befiehlt uns also, in einer belagerten, eingeschloffenen Stadt zu bleiben. Alle verzweifelten Ausfälle, sagt

man, schwächen die Kräfte. Gott sei Dank, daß sich der Menschengeist doch nicht beruhigt. Sollten wir uns mit dieser Hungerkost zufrieden geben? Sollten wir in der eingeschlossenen Stadt zu unserem Tagewerk gehen und von ihm zurückkommen, ohne sehnende Blicke nach dem Horizont der Unendlichkeit werfen zu dürfen? Nein, keine spitzfindige Weis­ heit, sollte sie auch den hohen Namen der Wissenschaft tragen, kann

den Durst des Menschengeistes verbieten.

Deshalb muß er sein Gefängnis sprengen. Heraus aus der Be­ lagerung! Verzweifle nicht! Hinter den verdeckenden Wällen und einschließenden Feinden öffnet sich die Aussicht; der Weg führt hin zu goldenen Ernten, die sich im Sonnenschein wiegen, hin zu

erquickenden Wafferquellen.

Joh. 4,14 2

Ps.42

Worte für jeden Tag

18. Januar

Die persönliche Liebe Der Mensch kann niemals und darf niemals als Mittel ange­ wandt werden. Der Mensch besitzt einen eigenen Zweck, der ver­ fehlt wird, wenn er sich selbst genug sein will und nur an sich denkt. Dieser Endzweck wird nur im gemeinsamen Reich der Persönlich­

keiten unter Gottes Herrschaft erreicht. Der einzelne Mensch hat in Gottes Reich immer zuletzt sich selbst zum Ziel. Er vertiert sich

selbst, um sein wahres Leben in Gottes Welt zu gewinnen. Er darf nicht allein eines andern Zweck werden. Doch das Wunder ge­ schieht, daß ein anderer Mensch unsern richtig erfaßten Lebenszweck

in seine eigne Bestimmung einschließt. Das ist das Wesen der

wahren persönlichen Liebe. Der Endzweck des einen wird nicht dadurch verrückt oder vermindert, daß er sich in die Aufgabe und Selbstverwirklichung des andern einordnet. Beide gewinnen sich

selbst, indem sie sich verlieren, und finden die Förderung der beider­

seitigen Lebensziele, indem sie dem Lebenszweck des andern dienen, chn läutern und fordern.

Wenn zwei sich gesunden und im Glauben an Gott und einander es gewagt haben, ihre Geschicke zu vereinen, wußte Jesus, daß es

Gottes Werk war, das Menschen und ihre Launen, ihr Eigensinn, ihre Meinungen und ihre Leidenschaften, des Herzens Harte und seine Schwächen nicht auflösen dürfen. Wenn Zügellosigkeit und

Zersetzung wuchern, muß ein klarer und scharfer Strich zwischen andern Verbindungen und Ehe im christlichen Sinn gezogen werden.

Die Ehe kann auf vielerlei Weise verletzt werden, auch durch Un­ zucht, Versäumnis und Verfehlungen in der Ehe selbst; aber sie ist fürs Leben eingegangen worden. Denn sie ist von Gott eingesetzt

und vom Erlöser geläutert worden. Diese Stiftung ist heilig. Ihre Heilighaltung muß in Jesu Christi Namen unter uns auf­ recht erhalten werden. Allen Eheleuten, die chre Ehe in Heiligkeit halten, gebe Gott Freude und Stärke.

1. Mose 1, 27. 28; 2, 18; 2, 24 Matth. 19, 3-12

19. Januar Treue in der Ehe Wir müssen bedenken, daß nichts, auch nicht die Ehe, auf bloße

Gefühle aufgebaut werden kann. Der Mensch soll sich selbst er­ füllen. Er soll seine Anlagen entwickeln. Das ist wahr. Aber nicht die schlechten. Er soll nicht ohne weiteres seinen Lockungen und Neigungen folgen. Niemals kann aus einem Menschen wirklich

etwas werden, der nicht entschlossen das abschneiden kann, was um der Errettung willen abgeschnitten werden 'muß. Es ist besser, in das Leben als ein Krüppel einzugehen als im Besitz aller seiner

Glieder zu sein und geistig unterzugehen. Der Krieger, der seinen Mut mit Wunden und Narben bezahlen mußte, hat mehr Ehre

als der, der mit heiler Haut aus dem Kampf geflohen ist. Die Ehe ohne Treue, ohne Gefühl für Verpflichtung, ohne Selbstüberwin­

dung, ohne Willen und Vorsatz auszuhalten, ist undenkbar. Dann wachsen die beiden in Freude und Schmerz zusammen.

2n Auflehnung gegen frühere unbarmherzige Pflichtmoral ist man jetzt in das Gegenteil umgeschlagen und hat der Ungebunden­ heit und Zuchtlosigkeit die Zügel schießen lassen. Wenn die Lust

das Wort ergreift, kann sie dem Verstand auf wunderbare Weise blauen Dunst vormachen und vor sich selbst das rechtfertigen, was eine haarsträubende Ungerechtigkeit gegen die Nächsten, Mann oder

Frau, Kinder, Angehörige und gegen Gott ist. Man gibt auch ein unverantwortliches Vorbild, das am gefährlichsten für den Ver­ irrten ist, der zu spät, wenn nämlich das Freudenfeuer abgebrannt ist oder wenn die Mißstimmung und der Schmerz des Gekränkten sich gelegt haben, das bereut, was nicht mehr ungeschehen gemacht

werden kann. Überwinde die Versuchung! Dann kommen die Engel und dienen dir. Sei getreu bis in den Tod! So lautet das Gebot des Christentums. Eine Sache kann durch verringerte Forderungen erleichtert

werden. Das ist nicht Jesu Art. Er steigert die Forderungen. Er erhöht das Ideal, und immer wieder gibt es, Gott sei Dank, in den Menschenseelen einen unausrottbaren Trieb zum Vollkommenen.

Matth. 4, 11 Off. Joh. 10b Matth. 19, 16-22 Kol. 5, 14 Matth. 18, 8 2*

20. Januar

Die Würde des Heims Die Ehe ist nicht nur das Privawergnügen zweier Menschen, son­

dern eine sehr ernste Angelegenheit, die den Staat und die Zukunft angeht. Die Beiden, die chre Geschicke vereinen, bilden ein neues

Glied in der unübersehbaren Kette der Geschlechter. Darin liegt

eine große und schone Aufgabe, die Verpflichtungen mit sich bringt.

Der Mensch ist kurzsichtig, und der moderne Mensch ist trotz der

Erweiterung unserer Erkenntnis und der Geschwindigkeit unserer Verkehrsmittel noch kurzsichtiger als früher geworden. Früher wurden dle Ehe, ihre Vorbereitungen, ihr Eingehen, ihr Geschick

grell von dem Licht beleuchtet, das von vergangenen und kommenden Generationen ausging.

Der Individualismus, der ohne Zweifel in gewissem Maße mit protestantischer Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe zusammenhängt, wird seinem Ursprung schmerzlich untreu, wenn er um des eignen

armen 3chs und seines Wohlbehagens willen vergißt, daß ein jeder von uns dazu da ist, dem Ganzen zu dienen. Wir sind flüchtige Gäste auf dieser Erde. Der sichtbare und unsichtbare Nutzen, den wir gebracht, hängt davon ab, in wie weit wir alles, was wir sind und haben in den Dienst des Ganzen gestellt haben. Die Ehe ist eine der Zellen, aus denen sich der Organismus aufbaut. Keiner kann un­

gestraft den Pflichten und Ausgaben des Hauses, von Mann und

Kind oder von Frau und Kind entfliehen, um irgendwo anders sein Vergnügen zu suchen. Familie und Familienleben werden zerbrochen. Das bringt Unordnung in die Schöpfung Gottes. Wenn menschliche Schwachheit, Verirrung und Erniedrigung die Ehe durch Untreue, Unredlichkeit und Lieblosigkeit brechen, so ist es doch noch besser, nicht den Bruch durch Scheidung zu vollenden,

sondern, solange es möglich ist, die Lebenskunst anzuwenden, dle

Buße und Besserung, Vergebung und neues Leben heißt.

21. Januar Gott liebt dich Durch Christus wurden die Pforten des Himmels geöffnet. An

Stelle des verzehrenden Feuers und des angsteinfiößenden, starren Antlitzes, das die Menschen dort oben ahnten, dürfen wir unsere irren­ den, verschmachtenden Blicke in eine ewige, unendliche, verzeihende

Barmherzigkeit versenken. Hierin liegt der Kern des Evangeliums. Gott liebt dich. Ein einfacher Satz, leicht zu lernen, leicht zu wiederholen. Die Wahrheit über alle Wahrheiten; das erste und das letzte, was ein Mensch zum Leben und zum Sterben zu wissen

braucht. Aber eine Wahrheit, die gegenüber allen von außen oder von innen kommenden Widersprüchen schwer festzuhalten ist. Sie verur­

sachen Kummer und Unfrieden. Der Friede flieht aus dem Herzen. Die Angst lauert und ist schnell bereit, die Stelle des Friedens ein­

zunehmen. Aber wir sind, Gott sei Dank, nicht auf Gefühle ange­ wiesen. Dann wäre es bald aus mit uns. Vielmehr ist Jesus ge­

kommen, um uns Gewißheit über den Willen des Vaterherzens zu schenken. Was auch unsere Gefühle sagen, was der Lauf der Welt und unser Schicksal uns einflüstern mögen, dürfen wir, wenn wir

uns an die Wahrheit halten, doch nicht die Gewißheit fallen lassen, die über alle Gewißheit ist, die Wirklichkeit, die über alle Wirklichkeit

ist, die Wahrheit, die einmal für alle offenbar und sichtbar geworden

ist in Jesu Person, in seiner Predigt, in seinen: Werk und am Kreuz, die Wahrheit, daß Gott lebt und daß sein Wesen Liebe und Erlösung ist. Mit dieser Gewißheit trotzte Martin Luther Sünde, Tod und Teufel. Ja, er ging in der erobernden Verwegenheit seines Glaubens soweit, daß er im Unfrieden des Herzens einen Beweis für den

Frieden sah, den es dort oben gibt, wenn auch die Feinde des Frie­ dens das arme Herz nicht die Süßigkeit des Friedens genießen und die selige Sicherheit vom Frieden Gottes fühlen lassen wollen. Der Herzensfriede kann nur dadurch kommen, daß wir — trotz allem —

an Gottes Liebe glauben und danach leben, danken und loben, ihm gehorchen und ihm dienen.

Joh. 14,27

Phil. 4,7

Kol. 3,1$

22. Januar

Die Verantwortung All unsere Arbeit in der Verantwortung, die Gott uns auferlegt hat, ist zu unserer eignen Erlösung notwendig. Wir sollen uns freuen, unsere Kraft für einen so hohen Preis opfern zu dürfen.

Ich kann niemals im Dienste Gottes etwas noch so Kleines oder

noch so Großes tun, ohne daß es zur Erlösung meiner eignen armen Seele unumgänglich notwendig ist. Es ist Unsinn, zu sagen: Erst Erlösung, dann das andere. Wenn ich die vielseitigen Pflichten des Lebens betrachte, so muß ich, auch wenn jemand meint, ich konnte

wohl dies oder jenes unterlassen, von allen Dingen sagen: Weh mir, wenn ich es nicht tue. — Auch das gehört in seiner Weise zu meiner Erlösung.

So wichtig, so groß ist jede Aufgabe, die der

Herr uns zuweist. Aber die tiefste Verantwortungsfreudigkeit liegt in dem Um­ gang mit Gott, den er uns in der Verantwortung selbst eröffnet. „Es ist mir alles übergeben von meinem Vater." So konnte er,

der Eine sprechen. Aber auch dir und mir und jedem Christen ist etwas von Gott übergeben worden. Gott hat uns großes Ver­

trauen bewiesen. Er geht mit uns um. Unsere Verant­

wortung in der Gemeinde — sowie jeder Auftrag, den Gott gibt —ist eine Gemeinsamkeit mit Gott, die uns

zwingt, eifrig seine Hilfe zu suchen. Es ist etwas Großes, von Gott mit einer Verantwortung betraut zu werden. Zwingt er uns dazu, so wollen wir darüber fröhlich sein. Denn je größere Verantwortung er uns gibt, desto größere Gnade beweist er uns.

Und je tiefer wir in die Verantwortung gezwungen werden, desto näher kommen wir Gott, desto vertrauter dürfen wir mit Gott um­ gehen. Daraus entspringt die rechte Verantwortungsfreudigkeit. Die Verantwortung wegschieben heißt die Hand wegschieben, die uns Freude schenken und uns näher zu Gott ziehen will. Gott gebe uns Mut, unsere Verantwortung voll auf uns zu

nehmen und ihm dadurch immer näher zu kommen.

Luk. 10, 22

23. Januar

Die Last der Verantwortung Ein evangelischer Geistlicher darf sich nach Kräften nicht der Last der Verantwortung entziehen. Am schwersten lastete sie auf dem Erlöser. „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen." Kummer und Enttäuschung erwarten jeden, der solche Verant­

wortung auf sich nimmt. Deswegen dürfen wir aber nicht die Ver­

antwortung von uns abwälzen. Gott will aber auch nicht, daß wir uns ohne Verantwortungsfreudigkeit abmühen. Sie ist eine herr­ liche Sache. 3ch habe dies Wort früher kaum gelesen. Aber wenn

auch das Wort neu ist, so ist doch die Sache alt. Sie bezeichnet eine seltene und gesunde sittliche Kraft. Bei bedeutenden und starken Geistern quillt die Ver­

antwortungsfreudigkeit aus

einem natürlichen Kraft­

gefühl, das einen Ausfluß sucht und es vorzieht, lieber

etwas unter Gefahr und Verantwortung zu voll­ bringen, als in Ruhe zu leben. Solche Menschen sind die Zuversicht Tausender und bleiben Lichtpunkte in der Geschichte der Völker. Aber solches Machtgefühl und solche Verantwortungsfreudigkeit lassen sich nicht mit den innigen und zarten Angelegenheiten ver­

einigen, die zum Beruf eines evangelischen Geistlichen gehören.

Nehmen wir ihn ernst, so soll er, wie alle persönlichen Angelegen­ heiten, den noch mehr mit der Last der Verantwortung beschweren, der nicht feige und mit der Vorsicht der Bequemlichkeit seine

Seele der Verantwortung, der Last der Verantwortung entzieht. Es ist sicher so, daß unser Verantwortungsgefühl, wenn wir es wirklich besitzen und wenn es tief bis in den Herzpunkt unserer

Berufung eindringt, uns meist als Sorge niederdrückt. Wir fühlen das Mißlingen, das eigene Unvermögen und die begangenen Fehler, die, mit der persönlichen Anklage verbunden, einen womöglich noch schärferen Stachel gegen uns richten: Du hast durch deine Untaug-

lichkeit, durch deine Person und dein persönliches Verhalten der Helligen Sache, die dir anvertraut war, geschadet: dem Zugang des Evangeliums zu den Menschenseelen, zu deren Heil und Freude. Aber es ist nicht Gottes Absicht, daß wir in der Sorge der Ver­

antwortung verharren.

Matth. 23, 37

24. Januar

Die Freude der Verantwortung Jesu einzigdastehende Vollmacht und Berufung brachte die strahlendste Verantwortungsfreude mit sich, die diese Erde je gesehen. Er feilschte von seiner Verantwortung nichts ab. Denn alles war ihm von seinem Vater übergeben. Aus einer so allum­

fassenden, göttlichen Verantwortung quoll eine Freude hervor, die geeignet ist, jedes Herz, wenn man ihr begegnet, zu erwärmen.

Wir Horen darüber: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und

beladen seid". Der Apostel des Herrn, der von der Gemeinde in

Korinch geplagt und verkannt wurde, konnte trotz allem noch etwas von der Freude fühlen, für das geistliche Wohlergehen der Brüder

zu wirken. „Denn das Siegel meines Apostelamtes seid ihr in dem

Herrn." Auch uns darf niemand einer solchen Freimütigkeit berau­ ben. Denn wir reden an Christi statt. Wir wissen, daß das Evan­ gelium, das wir verkündigen, das einzig Wichtige für die Menschen

ist. Wir sind geringe Sprachrohre für eine ewige Wahrheit. Deshalb müssen wir, auch wenn wir ihn nicht sehen, an Erfolg glauben. Wir

müssen fröhlich sein

in der Gewißheit, daß die frohe

Botschaft in ihren idealen Forderungen und in ihrer holden Gewißheit der göttlichen Gesinnung der größte

Gewinn ist, den wir den Menschen bringen können.

Dazu kommt die Freude, in und mit dieser Verantwortung mit Furcht und Zittern an unserer eigenen Erlösung arbeiten zu dürfen. Wenn Paulus von all der Mühe spricht, der er sich um der Verant­ wortung willen, die Gott ihm auferlegt hat, gerne unterwirft, fügt

er hinzu: „Solches aber tue ich um des Evangeliums willen, auf daß ich sein teilhaftig werde".Mehr will er nicht. Das ist ihm genug.

Es kommt also vor allem auf die eigene Erlösung an. Nicht als ob sie unser eigenes oder irgend eines andern Menschen Werk wäre. Gott ist es, der sie in uns wirkt.

1. Kor. 9, 2

Matth. 23, 37; 11, 28 Phil 3, 12. 13 1. Kor. 9, 23

25. Januar

Aut der Treppe 2n der Erzählung von dem Knecht des Hauptmanns wird von der Finsternis draußen gesprochen, wo „Heulen und Zähneklappen" sein wird. Warum nicht alle hereinlassen in Licht und Wärme und

Freude? Es leuchtet durch die Fenster. Vielleicht hort man von drinnen Gesang und Spiel, Wohlbehagen und Fröhlichkeit. Draußen herrschen Dunkel und Kälte, Traurigkeit und mit der Zeit Bitter­

keit und Jammer. Am liebsten mochte man so dunkle Worte des Erlösers aus dem Evangelium streichen. Wie kann er so hart sein,

manche draußen zu lassen? Erzählt er nicht hier, wie sonst immer ganz einfach, was Wirklichkeit ist? Die Wirklichkeit ist so, daß, wer einschläst, wenn er einschlafen kann, am liebsten nicht wieder auf­

wachen möchte. Aber das Gewissen sagt ihm, daß Flucht Feigheit ist. Jesus läßt uns weder schlafen noch träumen. Er will uns völlig wach haben. Was sehen wir da? Die Pforte

trennt. Es gibt ein Draußen. Wenn der Mensch entdeckt, daß er draußen steht, so kommt Heulen und Zähneklappen über ihn. Ach wer da drinnen stünde, bei Gott, im wirklichen Leben, in der

Liebe und dem Glauben und der ewigen Hoffnung, die allein den

Namen menschliches Leben verdienen! Aber du stehst draußen und wirfst gequälte und sehnsüchtige Blicke nach der geschlossenen Tür.

Keiner kann die Tür dem andern öffnen. Der Mensch kann sich einzig und allein als Bettler auf der Treppe zur Pforte aushalten,

anklopfen, bitten und rufen: „Offne, laß mich herein!" Bleibt die Tür geschloffen, so kann der Bettler nichts anderes tun, als stehen bleiben und geduldig warten. Vielleicht wird der reiche Mann, der allein reiche und mächtige, der da drinnen wohnt, die Tür auftun

und den Bettler eines Blickes, eines Wortes, einer Gabe würdig erachten, vielleicht auch der Wärme und des Glanzes in seinem herrlichen Heim.

Matth. 8, 5-12

Jes. 28,16

1. Kor. 16,13

Luk. 16, 19-31

26. Januar

Die Worte des Himmels Das Leben auf Erden ist öde und leer. Das Leben in Sünde und

Selbstsucht und Unreinheit ist unwürdig und befleckt uns. Gott?

Gibt es einen Gott? Gibt es einen dort, jenseits, der meine Klagen hort, auch meines Herzens verborgene Klagen? Was kann die Seele tun, um Antwort auf solche Fragen zu bekommen, um selbst

in den Glauben, in die Gewißheit einzugehen, dahin das Verlangen

aller aufrichtigen Seelen offen oder heimlich steht? Hin und wieder erscheinen Bücher und Bekenntnisse, deren Ver­ fasser mit Eifer bekennen, daß die Tür sich ihnen geöffnet hat. Sie

fühlen das Bedürfnis, von ihrer Bekehrung zu zeugen, von der Er­

lösung ihrer Seele aus der Leere, dem Sklavendienst des Eigen­ willens und der Macht der Sünde. Es war nicht leicht und ver­

lockend, draußen zu stehen und anzuklopfen, ungewiß darüber, ob jemand hören und antworten würde. Man war zaghaft und ver­ lassen. Die Finsternis brach herein. Es wurde schrecklich und ge­

fährlich. Da fühlte die Seele ihre Ohnmacht, fühlte sie tief.

Aber das Wunder geschah. Die Tür wurde geöffnet. Und der

ängstlich Klopfende fand etwas da drinnen, das ein Glück, eine

solche Seligkeit hervorrief, daß er fast die Sprache verlor und in

Zungen redete, um das Unaussprechliche zu sagen. Einer kam zum Fuß des Kreuzes, auf das Golgatha der Ver­ söhnung, ans Kreuz der Vergebung, unter das blutige Kreuz des Erlösers. Sein ganzes Bekenntnis vereinigte sich in dem Ruf: Jesus! Denn des Erlösers Name ist hold. Er ist Licht in der Finster­ nis der Seele. Ave Crux, spes unica. „Gegrüßt seist du Kreuz,

unsere einzige Hoffnung." Ein anderer hat den göttlichen Sinn in demselben Dasein ge­

funden, das ihm vorher von Stunde zu Stunde grausamer und sinnloser erschien. Die Sonne ging ihm auf. Die Sonne heißt Gottes

Vaterliebe. Doch nun, o Bruder, weiß ich inniglich: im Leben und im Sterben werde ich von Gottes mächtgem Willen stets getragen.

Noch ein anderer hat den Weg heimgefunden. Er ist nicht mehr im fremden Land. Er ist nicht mehr einsam. Gott hat eine Gemeinde

26. Januar (Forts.)

aus Erden. Der eben noch Irrende und Verirrte fühlt sich in die Fürbitte von Brüdern und Schwestern eingeschlossen, von ihrer Hilfe und Freude umgeben. Wenn aber der Lobgesang des ersten lautet: Ich glaube an Gott

den Vater, den Allmächtigen; wenn der Lobgesang des zweiten

lautet: Ich glaube an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, meinen Herrn; und wenn des dritten Lobgesang lautet: Ich glaube

an den heiligen Geist, die Gemeinschaft der Heiligen, so ist doch der Inhalt überall der gleiche. Zeder, der so mit seiner Zunge, und, was mehr und wichtiger ist, mit seinem veränderten Lebenswandel ver­

kündet, daß er nicht mehr draußen in der Finsternis steht, sondern von der Hand einer unfaßlichen Barmherzigkeit in das Vaterhaus geführt worden ist, kann damit gewiß nicht die Tür öffnen, die

überhaupt keine Menschenhand zu öffnen vermag, aber er kann heil­ same Tränen in der Menschenseele lösen und das Verlangen stärken,

das anklopft an die Tür.

Wer anklopft, dem wird aufgetan.

Ich eile aus der Erde Not dem Himmel zu, wo du, mein Gott,

mein Beten hast vernommen. Ich weiß, daß du — so gnädiglich —

der Kinder dein, die suchen dich, nicht eines läßt umkommen. Littest, strittest, voll Erbarmen für mich Armen, mir zu geben

bei den Selgen ewges Leben.

Matth. 7, 7. 8

27. Januar

Der ursächliche Lusarnmenhans des Geschehens Der Kausalitätsgedanke schließt oft die grausamste Sinnlosigkeit

in sich. Wird er in einem höheren Lichte einmal ihre befriedigende

Erklärung erhalten? Trotzdem bleibt immer etwas übrig. Die Offen­

barung bedeutet nicht nur eine Übersetzung des Kausalzusammen­ hanges, einen anderen Einblick in ihn; sie bedeutet Kampf gegen Widerstand. Auf allen Gebieten des Lebens erblicken wir ganz deut­ lich den Gegensatz zwischen dem Trägen, Toten, das hemmt, er­ stickt und schließlich selbst der Auflösung anheimfällt, und der auf­ wärtsstrebenden, oft fast überwundenen und doch unausrottbaren,

siegreichen Lebenskraft. Auf den höheren Lebensgebieten spitzt sich

dieser Gegensatz noch zu. Außerhalb und innerhalb der menschlichen Welt gibt es im Geschehen etwas, das niederzieht und hindert. Gottes dauernde, fort währende Schöpfung ist zugleich ein Kampf.

Ich weiß, wie widersinnig das für das Streben nach einer einheit­

lichen Welterklärung ist. Und ich bin mir lebhaft der Unvollkommen­ heit des gedanklichen Versuchs bewußt, die Wege der Wirklichkeit

und das Leben Gottes erfassen und ausdrücken zu wollen. Aber es

wird mir immer klarer, daß die Wirklichkeit des Lebens, je mehr wir ihr zu Leibe rücken, nicht durch das monistische Prinzip, sondern durch das dualistische Denken richtiger wiedergegeben wird. Aller­ dings nicht durch den absoluten Dualismus, sondern durch einen

Dualismus, der Hoffnung und Gewißheit auf eine letzte Einheit in sich trägt. Wiegt sich jemand in monistische Ruhe ein, so hat er nicht die Tiefen des Satans gesehen. Ich gönne es ihm, dem zu

entgehen. Aber gilt es, unser Dasein zu deuten, so hat er kaum An­ spruch darauf mitzureden. Von der Offenbarung ausgehend dringen wir tiefer ein, als der bloße Verstand es vermag. Denn hier lassen

wir uns auf Gnade oder Ungnade mit der Wirklichkeit selbst ein.

Das ist kein Gedankenspiel, auch keine Erforschung oder Ausein­ andersetzung. Sondern wir wollen in die Wirklichkeit selbst ein­ dringen und ihr lauschen. Oder vielmehr: Gott selbst drängt sich

uns auf.

28, Januar Die Llarheit des Gedankens Keine höhere und edlere Fähigkeit ist dem Menschen gegeben als das Denken. Der Gedanke birgt eine Welt in sich, die hoher und

bedeutender ist als alle Sonnensysteme des Universums, der Ge­

danke, der das Unmeßbare mißt und das Unwägbare wägt. Der Gedanke als Kraft und Ausfluß des ewigen Geistes macht das

schwache Menschenwesen zum Herrn der Schöpfung.

Auch wenn es Gott und die ewigen Dinge betrifft, ist es Ehre

und heilige Pflicht des Menschen, nach bestem Vermögen die Klar­ heit und Schärfe des Denkens, seinen durchdringenden Ernst und

die besten Regeln bis zum äußersten anzuwenden. Die geistige Träg­

heit will es anders. Sie will sich in der Religion mit Gefühl und Willkür oder mit bequemem Nachreden begnügen. Aber seit den

Worten des Paulus von der Weisheit, die er den Vollkommenen verkündet, und seit der Anstrengung seines willensstarken Geistes,

die Wege Gottes und das Geheimnis der Erlösung zu erforschen und klarzulegen, gehört es auch durch die ganze Geschichte der Kirche hindurch zu ihrer besten Tradition, die Offenbarung Gottes in der Geschichte und im Menschenherzen nach bestem Vermögen mit dem

Gedanken zu durchdringen und auszulegen, und dazu die Errungen­ schaften der Erkenntnis, die Hilfsquellen der derzeitigen Philo­

sophie, der Selbsterkenntnis und des Weltbildes dieser Zeit zu benutzen. Dieses Forschen und die Lehre von Gott und Gottes Reich kön­ nen jedoch nicht objektiv betrachtend bleiben und gleichgültig lassen.

Denn hier gilt es Leben oder Tod. Der erdgebundene Menschen­ wurm kann mit seinen himmelstürmenden Gedanken doch niemals die erschütternde Majestät des Ewigen, seine unergründliche Barm­

herzigkeit und seine dunkeln Wege erfassen. Die Gotteserkenntnis muß deshalb immer mit Naturnotwendigkeit in Anbetung münden. Lehre und Lobgesang können in der Religion und im Christentum niemals von einander getrennt werden.

29. Januar Glaube und Lleinglaube Warum soll sich der Mensch einer beliebigen Weltanschauung überlassen? Warum soll er nicht selbst alle seine Kraft dafür einsetzen, die beste zu erobern? Den Glauben an die Vernünftigkeit des Daseins kann man nicht wie eine Sache besitzen, die man in der

Schublade oder in einem ebenso unempfindlichen und gleichgültigen Gemüt verwahrt. Er muß immerfort aufs neue gewonnen und be­

hauptet werden. Aber dieser Glaube hat auch, sofern er nur von der Wirklichkeit seines Gegenstandes überzeugt ist und sich so in vollstem Ernst auf ihn einstellt, die wunderbare Kraft in sich, beizutragen, das zu erzeugen, woran er glaubt. Der Glaube gehört, wenn er nur inhaltsreich und willig ist, mit zu der schöpferischen Kraft in

der Welt. Letzten Endes kann die Menschheit ja nur von Schöpfung leben

und nicht von Untersuchungen. Das Christentum ist die große schöpferische Geistesmacht in der Welt. Vergleichen wir es mit seinem bedeutendsten Mitbewerber in der Religionsgeschichte, dem

Buddhismus, so finden wir, daß das Christentum ein großes schöpferisches Za, ein Es werde, ein Glaube ist. Der Buddhismus

dagegen ist die verstandesmäßige Flucht aus des Lebens Not und Gefahr; eine Flucht, die durch Erörterungen gefunden worden ist, und die der Wille mit gesammelter Energie ausführt.

Wir müssen von einem Glauben leben. Wir haben nicht zwischen Wissenschaftlichkeit und Glauben zu wählen, sondern zwischen

Glauben und Glauben, zwischen Glauben und Kleinglauben. Viel­ leicht erhält der erwählte Glaube den wissenschaftlichen Beweis

seiner Richtigkeit oder Unrichtigkeit nicht eher als am jüngsten

Gericht oder einem ebensolchen andern Tag. Aber dann kann es geschehen, daß, wer sein Leben nach einem allzu dürftigen Glauben gerichtet hat, von einem getreuen und begeisterten Kämpfer ungefähr

das hören muß, was Heinrich IV. von Frankreich dem allzu saum­ seligen Crillon sagte: „Geh und erhänge dich, Crillon! Wir haben

bei Arques gekämpft, und du bist nicht dabei gewesen."

Matth. 8, 23-27

Mark. 9, 23

Eph. 6, 10. 16. 17

30. Januar

Frieden gewinnen So oft der Friede von der Oberfläche des wahrnehmbaren Lebens

verschwindet, müssen wir tiefer tauchen, um ihn zu jeder Stunde neu gewinnen zu können. Die Jünger schützten sich durch Flucht,

als das Schlimmste kam. Jesus hatte größeren Frieden denn sie,

als er gefangen von den Obersten der Juden zu den Römern ge­ führt wurde, als er den leugnenden Petrus mit seinen traurigen, liebevollen Augen ansah und zu den Frauen sagte: „Weinet nicht über mich"; als er für die bat, die ihn kreuzigten, als er an seine

Mutter dachte und an die Übeltäter an seiner Seite. Selbst im Todeskampf am Kreuz nach dem Angstruf, dessen Anklage weit hinausdrang in die Welt, wußte er, daß der Vater, wenn das Er-

losungswerk vollbracht war, seinen geliebten Sohn in seinen Schoß

aufnahm. Jesu Jünger dagegen waren friedlos. Aber sie erhielten chren Frieden von dem Gekreuzigten zurück, als er sich ihnen als der Lebendige offenbarte und sie mit dem Friedensgruß grüßte: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch".

Von Jesus geht ein Strom des Friedens aus in die Welt, in die Menschenherzen. Er ist noch sichtbar in den Flammen der Scheiter­ haufen der Märtyrer und hat einen Schein zurückgelaffen in jeder

Menschenseele, die an ihrem geringen Teil ehrlich den Heldenkampf für das wahre Gute kämpft. Jesus gibt nicht, wie die Welt gibt.

Deshalb mußte er für den Frieden kämpfen. Und wollt ihr seinen Frieden erben, so müßt chr leiden mit ihm und sterben;

und wollt ihr Kinder sein bei Gott,

so lebt und sterbt für sein Gebot.

Matth. 27, 31-50 Joh. 20, 21; 14, 27 2. Kor. 4, 6

31. Januar

Der vollkommene Friede Frieden findet man nicht, indem man dem Ernst und der Gefahr

ausweicht, die uns oft hart ans Herz greisen. Der Friede ist nicht ein flüchtiges Spiel, eine holde Stimmung oder ein Schwall berauschenden Glücksgefühls. Wie ost hat man nicht hinterher den

Eindruck, als ob ein solcher Glücksrausch als Vorschuß genommen worden sei auf unser mageres Gegenbuch mit den wirklichen Ein­ gängen des Lebens. Wie Jesus allein unter allen Menschen den Frieden vollkommen in seiner Person verwirklicht hat, so ist er auch

der einzige, der sagen darf: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer

Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht". Daß Er, auf den unser

Herz ganz vertraut, und dem es deshalb auch gehorcht, nicht wankt und uns nicht enttäuscht, gibt uns vollkommenen Frieden. Aber

dieser Friede Jesu ist nicht ein Schah, den man hinter Schloß und

Riegel verwahren kann. Er steht jeden Augenblick in Gefahr ver­ loren zu gehen. Auch Jesus hat in Gethsemane in angstvollem Gebet seine Hände gerungen. Auch Jesus hat am Rande der Verzweiflung

gefragt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Aber der Friede kam. Er war der Untergrund des Leidens. Der Gekreuzigte sagte, ehe er den Geist aufgab: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände".

Hab ich dich in meinem Herzen, du Brunn aller Gütigkeit,

so empfind ich keine Schmerzen auch im letzten Kampf und Streit.

Ich verberge mich in dich; kein Feind kann verletzen mich. Wer sich birgt in deine Wunden, der hat glücklich überwunden.

Joh. 14, 27

Matth. 27, 46

Luk. 23, 46

1. Februar

Wie Arbeiter im Weinberg Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg hat von jeher zu Verwunderung und Fragen Anlaß gegeben. Die so spät kamen,

daß sie nur noch eine Stunde mitarbeiten konnten, erhielten eben­ soviel Lohn wie die, die des Tages Last und Hitze getragen und von früh bis spät gearbeitet hatten. War das gerecht? Das Gefühl

bäumt sich dagegen auf. Keines der Gleichnisse Jesu erweckt wohl soviel Anstoß wie dieses; besonders bei der Jugend. Man fragt mit demselben Verdruß wie die ermüdeten Arbeiter, als sie ihren Tage­

lohn erhielten, und als die Zuletztgekommenen ebensoviel erhielten wie sie. Sie murrten gegen den Hausvater und sagten: „Diese

letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich­ gestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben". Wenn

man älter geworden ist und etwas mehr vom Leben gesehen hat und auch selbst mehr mit diesem wunderlichen Hausvater zu schaffen

hatte, dann kann es sein, daß man seine merkwürdige Rechenkunst

und seine anstößige Gerechtigkeit segnet, die das Gesetz der Ver­ geltung durchbricht. Siehst du darum scheel, daß ich so gütig bin? Denn hier handeln Güte und Barmherzigkeit und nicht die austeilende Gerech­

tigkeit. Es besteht nicht eine Abmachung zwischen Gott und den Menschen, wonach Gott bestimmte Verpflichtungen eingeht, wenn der Mensch seinerseits bestimmte Obliegenheiten erfüllt. Nein. Das wäre ein gar zu jämmerlicher Gottesbegriff. Aber er hat zu einem großen Teil die Religion auf unserer Erde beherrscht, und auch heute zeigt er sich noch. Gott wird dadurch auf die Ebene des

Menschen herabgezogen, ja noch tiefer, denn als Vorbild dient nicht

der Mensch, der der Mahnung des Herzens folgt. Gott sei Dank, er verteilt nicht automatisch Gut und Böse, sondern vor seiner Erhabenheit und Unerforschlichkeit kann der Mensch nur mit Zittern und Zuversicht anbeten. Was bedeutet es für den Abstand zwischen der Sonne und unserem Planeten, ob ein Mensch auf

dem Hügel droben oder hier unten in der Kirche steht? Praktisch gesehen ist der Abstand beide Male unendlich. So auch zwischen Mensch und Gott. Gott ist nicht fern. Er ist einem jeden von uns näher, als wir einander sind. Aber seine Heiligkeit steht so viel hoher

3

Worte für jeden Tag

1. Februar (Forts.)

Über uns, als der Himmel höher ist als die Erde. Seine Handlungsweise wird ihm nicht von der Berechnung des armen Menschen­

verstandes vorgeschrieben. Mit Gott kann man nicht nach einer Abmachung oder nach der Regel von Gabe und Gegengabe ver­ handeln. Wir müssen uns ohne Vorbehalt unter ihn beugen und

uns ihm unterwerfen und das um so mehr, wenn wir unsre Mängel,

unsere Unreinheit und unsere Sünde einsehen. Wir können nichts fordern. Alles, was wir erhalten, ist ein Geschenk. Wir können ihm

nur danken und ihn für seine unverdiente Güte preisen. Wenn er

dem letzten ebensoviel gibt wie dir, der du zuerst kamst, so ist das nicht nur sein unumschränktes Hausrecht, sondern auch alles, was er dem ersten wie dem letzten schenkt, ist nichts als unverdiente Gnade

und Barmherzigkeit. Jegliches vorherrschende Moralisieren und Berechnen in der Religion wird hier von Jesus unbarmherzig ver­

urteilt und beseitigt. Der dürftige Gottesbegriff des Menschen

vermag nicht eine einzige arme Menschenseele zu trösten oder zu erlösen. Er vermehrt nur ihre Not. Helfen kann nur der wirkliche,

wahre Gott, der so ganz anders ist, als unsere Gedanken. Wenn man von dem Richterspruch des natürlichen Menschen geplagt

worden ist, wenn man immerfort von der berechnenden und ver­ geltenden Gottheit gehört hat, dann ist es im wahrsten Sinne eine

Offenbarung, eine andere Welt, eine neue, ungeahnte und unfaß­

liche Wirklichkeit, die sich uns austut, wenn Jesus von diesem Haus­ vater und seiner Güte erzählt, die jeglicher menschlichen Rechen-

kunst trotzt.

Matth. 20,1-16

2. Februar

Gehl komm! Bedenke, wie schon es wäre, wenn Gott von uns sagen könnte:

„Wenn ich zu einem von ihnen sage: Geh hin! so geht er, oder zu

einem andern: Komm! so kommt er". Das wäre unser Friede und unser Glück, wenn es so wäre. Aber wir sind ungehorsam und auf­ sässig. Daher kommt all unser Unglück und unsere Gewissensangst.

Es kommt nur allzu oft vor, daß wir ärgerlich sind und nicht ge­ horchen wollen; wir kommen nicht, wenn Gott sagt: Komm! und gehen nicht, wenn Gott sagt: Geh! Das ist Mangel an Vertrauen.

Jesus Christus soll uns dazu verhelfen, daß wir voll­ kommenes Vertrauen zu Gott und seinem Tun haben. Wenn Gott uns etwas schickt, oder wenn er uns etwas befiehlt, so

unterwerfen wir uns vielleicht und gehorchen der harten Not­ wendigkeit mit innerem Murren, anstatt daß wir wissen und glauben,

daß Gott unser Bestes will und weiß, was uns zum Besten dient. Wir machen es Gott durch unseren Mangel an völligem Ver­ trauen und freiem Gehorsam schwer. Wenn wir an Gottes Hilfe glauben, und danach handeln, so wird es leichter für ihn, uns durch

alle Not zum Himmelreich hindurchzuhelfen. So beten wir auch

in einem der alten Kirchengebete: „O allmächtiger, ewiger Gott, sieh mild herab auf unsere Schwachheit und beschirme uns mit

deiner mächtigen Hand, durch Jesus Christus, unsern Herrn. Amen! 2m Herren will ich wandern, gehorsam sein und treu;

verlassen mich die andern, — ich folg 2hm ohne Reu. Will trinken auch mit Freuden

den Kelch, den Gott mir reicht; geläutert durch die Leiden wird mir Sein Weg dann leicht.

Matth. 8, 5-13 t>*

3. Februar

Lausche Gottes Nede und lies feine Kchrikt! Laß das Mensch gewordene Wort Gottes nicht vergeblich für dich gesprochen sein! Verweile bei dem Erlöser und laß ihn zu deinem Herzen reden! Sinne über die frohe Botschaft vom Erlöser nach!

Lies das Buch der Bücher, betrachte das Wort, das Fleisch geworden ist! Bedenke, wie Gottes Barmherzigkeit dich in der

Taufe entgegengenommen hat, als du noch ein kleines Kind warst,

das selbst nichts empfinden oder denken konnte. Empfange im Sakrament des Altars die Gewißheit, daß Jesus Christus sein Leben als Losegeld für dich gegeben hat. Aus dem Füllhorn der Schrift wird der Christenheit zu allen Zeiten reichlich Gottes Wort geschenkt. Lausche der Verkündigung Gottes und dessen,

den er gesandt hat. Lerne das edle Schristum ebenso wie die ein­

fachsten Lieder und Zeugnisse kennen. Sie vermitteln deiner Seele Gottes Wahrheit und Liebe. Sprich zu deinem Nächsten so, wie Gott zu dir sprechen soll. Luther sagte: Wir sollen ein jeder für den

andern ein Christus werden. Erforsche Gottes Absichten in seinen

Schickungen und in den Geschehnissen der Welt. Schaue Gottes

Majestät in der sich ständig erneuernden Wunderwelt der Natur!

Aber vor allem, laß es um dich und in dir stille werden, sodaß du Gottes Stimme in deinem eignen Herzen horst! Es ist die Stimme

eines Vaters, die zu dir spricht. Um dir die letzte Gewißheit zu geben, sodaß keine Möglichkeit zu Zaudern oder Zweifel bleibt, ist das Wort Gottes, das Zeugnis von Gottes Liebe, sein Evangelium mit dem Zeichen des Kreuzes

besiegelt und bestätigt. Es ist mit dem Herzblut des Erlösers selbst

geschrieben.

Ps. 19, 2

Röm.

1,19f.; 2,

IS

Joh. 3,16; /, 39

4. Februar

Die schmale Tür der Vergebung Das Glücksgefühl der Frömmigkeit oder die Seligkeit ist nicht etwa eine seelische Haltung, die man durch besonderes Zutun und

besondere Mittel und Wege erreicht. Sie wird durch das Wort

Vergebung

als

eine

schöpferische

Tat

des Willens

Gottes bezeichnet. Gleichzeitig liegt in demWort„Ver-

gebung der Sünden", daß

diese Seligkeit durch und

durch sittlich bestimmt ist. Sie ist untrennbar mit dem strengen Ernst des Gewissenslebens verknüpft und setzt es voraus. Die Bibel kennt keinen kürzeren, auch keinen llmweg zur Seligkeit als

den, durch die schmale Tür der Vergebung. Aber diese gewinnt dadurch für den religiösen Zustand eine ausreichende Zusammen­ gehörigkeit mit allen wirklichen Lebensfragen.

Wir sehen, wie innig die beiden Charakterzüge Zusammenhängen.

Gottes Handeln, seine wirksame Nähe äußert sich vor allem in einer schöpferischen Tat:

der Vergebung. Der ethische Inhalt

des Verhältnisses zu Gott kann mithin keinen Moralismus be­ wirken, der der Innigkeit und dem Abhängigkeitsgefühl Eintrag

tut. Vielmehr rührt dieser ethische Gehalt aus dem Wesen Gottes her und wird durch die göttliche Tat der Vergebung aufrecht­

erhalten. Wer die Bibel von der übrigen Neligionsgeschichte aus betrachtet, dem kann nicht entgehen, daß diese beiden genannten Züge sich neben andern durch die ganze Bibel hindurchziehen und ihre Bücher

kennzeichnen, wenn auch auf verschiedener Stufe. Wir bemerken eine wesentliche Einheitlichkeit, die um so bedeutsamer ist, als die einzelnen Bücher der Bibel im Verlauf eines sehr langen und eines

gewaltig wechselnden historischen Prozesses entstanden sind. Nach dem Wort des Erlösers sind in seines Vaters Haus viele Wohnungen. So hat auch die biblische Frömmigkeit Platz für

viele Gemütsarten und Typen. Aber je mehr wir uns in die Bibel vertiefen, desto stärker empfinden wir Gottes lebendige Macht und die ethische Unbestechlichkeit der göttlichen Barmherzigkeit.

Matth. 7,13.14

Joh. 20, 23; 14, 2

Luk. 1, SO

Eph.2,4

5. Februar

Jesus kommt und nimmt sie Jesu Königsmacht ist so stark, daß sie von den tyrannischsten der

kleinen und großen Herren befreit, die ihrerseits einen Menschen mit Beschlag belegen: Sünde, Tod und Teufel, nennt sie wie ihr wollt, alle die Lichter auf Erden, die nur Schein und lockender Trug sind, all die Finsternis, die schreckt und verwirrt, die gefangen nimmt und erstickt; die lauernde, unheimliche Macht der Böswilligkeit

und Verdorbenheit, die ihr Spiel treibt. Jesus ist, soviel ich sehen kann, die einzige Macht in der Welt des Geistes, die wirklich zu

überwinden vermochte, die nicht bloß eine leidliche Unterwerfung oder den Heldentod erreichte, sondern Sünde, Tod und Teufel

überwand. Deshalb wächst mit der Unterwerfung unter ihn die Frecheit.

Denn diese Unterwerfung ist freiwillig. Von einer anderen will Jesus nichts wissen. Noch nicht einmal von einer Dankbarkeit, zu der man sich durch all das, was er für uns getan hat, verpflichtet fühlt. „Komm und nimm sie", sagte der tapfere Grieche zu dem,

der begehrte, er solle die Waffen ausliefern. Jesus will keine aus­ gelieferten Waffen haben, überhaupt keine solche Unterwerfung; sondern er kommt selbst und nimmt sie. Ach, nicht um waffenlose

Gefangene in seinem Zuge mit sich zu führen, sondern um denen, die unbedingt hilflos kapitulieren und überwunden werden, die

Waffen eines neuen Geistes: einen neuen Mut und neue Kampfes­ freudigkeit zu geben. Das einzige, was er brauchen kann, das einzige,

was er von uns haben will, ist Liebe, und die gibt er uns ja selbst. Die geläuterte, erleuchtete, überwundene und gewonnene Liebe erkennt wieder wer er ist, daß er unser Führer ist, dem in Leben

und Tod zu dienen allein Seligkeit und Freiheit ist. Sammle Du uns und führ uns an,

führ uns zum Sieg, Du starker Mann; Du nur seist unser Herrscher.

Röm.

3, 2; 8,

3 8ff.

1. Kor. 15, SSff

2. Tim. 1, 10; Off. Joh.

1,

18

6. Februar

Das Geheimnis von Jesu Königtum Zesu Königtum ist ein Dienst; das ist das Geheimnis seines

Königtums. Das Geheimnis, warum seine Ansprüche so unbegrenzt sein dürfen. Denn er sucht nicht das Seine. Nichts ist deutlicher

in der Geschichte Zesu. Er gebraucht keinen als Mittel für seine Zwecke, sondern wenn er für sein Königtum eintritt und seine

Macht ausübt, dann wirkt er für das Wohl der Seinen. „Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen und die Mäch­

tigen unter ihnen haben Gewalt. Aber also soll es unter euch nicht sein. Sondern welcher will groß werden unter euch, der soll euer

Diener sein; und welcher unter euch will der Vornehmste werden,

der soll aller Knecht sein. Denn auch des Menschen Sohn ist nicht

gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zur Bezahlung für viele." Menschenmacht, Königsmacht muß um der Gerechtigkeit und

um der Freiheit willen eingeschränkt und genau begrenzt werden.

Jesu Macht braucht eine solche Einschränkung nicht, denn er sucht nicht das Seine. Er sieht und sucht nur das Wohlergehen der

Menschen. Gilt es das eigne Wohlergehen eines Menschen, so ist es geradezu sehr gefährlich, ihm etwas von seiner Macht abhandeln

zu wollen. Weil aber Jesu Königsmacht ein Dienst der Liebe ist, bedeutet sie Freiheit und Befreiung. Sie bewirkt Erlösung; sie

wird in ihrer Vollendung, im Leiden und Sterben ein Lösegeld

für viele.

Keiner Krone Schein hüllt unsern König ein;

ohn' Pracht in irdschen Dingen kann er den Tod bezwingen.

Matth. 20, 2J-28

7. Februar

Die Zeugen des Königtums Die Königsmacht Christi wird nicht nach ihrer Ausdehnung gemessen. Sie wird nach denen gemessen, die im Ernst sein eigen

sind und ihm in seinem Reich nahestehen. Das sind die Heiligen. Die berühmten wie die vergessenen, die ohne Feilschen und ohne romantisch übersteigerte Märtyrerschaft, still, demütig Jesu Leiden

mitleiden und seinen einsamen und doch nicht einsamen Kampf durchkämpfen. Zu allen Zeiten gab es deren nur wenige. Das zeigt sich unter anderem darin, daß es unter allem religiösen Schrifttum nur wenige wirklich echte Bücher über das Christentum gibt.

Soll man irgendeinem wünschen, zu diesen Heiligen oder Mär­ tyrern zu gehören? Um im tiefsten und vollsten Ernst Jesu Königs­

macht zu erleben und widerzuspiegeln, dazu gehört so viel Er­

fahrung von Not und Tod, so viel Leiden und so viel Einsamkeit, durch die Jesu wirkliche, alles überwindende Königsmacht offenbar wird, daß man einem Menschen nicht ohne weiteres ein solches Leiden wünschen kann.

Ich vermag nicht zu wissen, ob ein einziger von uns, die wir hier versammelt sind, dazu erwählt ist, ein Zeuge dieses Königtums

Jesu in der Kraft des Leidens und der Vollendung zu sein. Wenn du bei dem Gedanken an eine solche Möglichkeit dich innerlich er­

hoben fühlst, dann bist du es sicher nicht. Wenige sind auserwählt. Trotzdem biirfen wir anderen dabei

sein. Jesus sprach einmal von den vielen: „Ich gebe mein Leben zu einer Erlösung für viele". Ich weiß, daß Jesus Christus in seiner Menschlichkeit unser Bruder, und zwar er allein, unumschränkt unser einziger anerkannter König werden und die Seele von Zwang

und Schuld und der Übermacht der Versuchung freimachen kann.

Herr, du weißt alle Dinge, Du weißt, daß ich dich lieb habe.

Matth. 20,28

Joh. 21,17

8. Februar

Das Gewand des Messias Die Besten im Volke Gottes hatten viele Jahrhunderte hindurch

aus ihren Erfahrungen, ihrem Glauben und ihrer Hoffnung ein wunderbares Gewebe als Gewand für Jesus gewoben. Das Ge­ wand wurde Messias genannt. Die Kette in diesem Gewebe war: Der Glaube, daß Gott sein Volk heim suchen würde. Der Ein­ schlag wurde ganz verschiedenartig, je nachdem ob er von dem groben

Garn der irdischen Hoffnungen genommen war, das die edle Art

der Kette zu zerstören oder ganz zu verdecken drohte, oder ob er

aus den feinen schimmernden Fäden der himmlischen Gottessehn­ sucht gemacht war. Diese Fäden wurden von den besten Söhnen Israels in Not, Leiden und Finsternis gesponnen, und viele heiße Tränen netzten sie. Deshalb wurde das Gewand zuletzt so schön: das Messiasgewand, die Gedanken, die Erwartungen über den

Gesalbten des Herrn, der sein ewiges Werk ausrichten sollte. Stolz war in dieses Gewand eingewebt, auch Liebe und Zuversicht zu Gott, aber vor allem Sehnsucht, innige Sehnsucht. Wie die Braut ihr feinstes Linnen herrichtet, ihre köstlichste Seide als Gabe für

den herrlichen Bräutigam herbeiholt, — den Erwarteten, der aber noch säumt, obwohl die Stunden fliehen und die Tage eilen —, so bereitete Israels Liebe und Hoffnung ein Gewand für seinen Bräutigam, der aller schmachvollen Einsamkeit und Verlassenheit

ein Ende machen und es in Ehren zur Hochzeit und zu seinem Thron führen sollte. Man wartete auf den Trost Israels.

Das schöne Messiasgewand, das von himmlischer, erhabener Schönheit war, oder in grellen irdischen Farben prangte, lag fertig da. Aber niemand konnte es aufnehmen. Sollte das Kleinod, in mühevollen Jahrhunderten zusammengefügt, als nutzlose Arbeit

verhöhnt werden, als verschwendete Kraft beweint werden? Jesus kam. Petrus sah das schöne Messiasgewand, blickte auf den Meister und sagte: „Du bist Christus".

Mark.

27-30

Matth. 16, 15-17

9. Februar

Der Pulsschlag des Lebens Wäre die Gestalt Jesu erdichtet, dann wäre sie, wie die Juden

sich den Messias oder wie die Griechen sich den Logos, das Wort,

vorstellten, aber nicht wie die Evangelien Jesus von Nazareth

verkünden. Wenn das Evangelium eine Dichtung wäre, ohne den Hintergrund der Wirklichkeit, dann wäre Jesus wohl mit mancherlei

guten Eigenschaften versehen, und die edelsten Handlungen würden ihm zugeschrieben: aber der Unterschied zwischen einem erdichteten und unserem eigenen Evangelium wäre der gleiche, wie der zwischen

den Heiligenlegenden und der Geschichte oder der Unterschied

zwischen den schonen Gesichtern in den Modeheften und den Bild­

nissen wirklicher Menschen. Bei der Dichtung selbst unterscheiden wir zwischen mehr oder weniger wertloser Konstruktion und dem Künstlerischen und Wahren. 2n der christlichen Verkündigung wird Jesus oft zu einer schablonenmäßigen und leblosen Helligen­ gestalt gemacht, die mit allen nur erdenklichen schonen Beifügungen ausgestattet ist. Die heilige Persönlichkeit, von der das Evangelium

berichtet, die in der Geschichte als Grund und Ursprung des Christen­ tums dasteht, wird von einer wohlmeinenden, aber barbarischen

Bewunderung zu einem starren und gezierten Heiligenbild aus­ gearbeitet, vollkommen in seinem goldenen Glanz, aber ohne Leben, ohne die Kraft, zu erwecken und zu trösten. Solcherlei erzählt nicht

das Evangelium. Der Jesus des Evangeliums ist nicht eine schon abgerundete Summe guter Eigenschaften, sondern er ist kantig und wunderbar, den Juden ein Ärgernis

und den Griechen eine Torheit. Bei ihm empfinden wir den Pulsschlag des Lebens. Jesus Christus veraltet nicht und wird nicht abgenutzt, weil etwa menschliche Worte und Namen und Darstellungen der Vergangenheit angehören. Mitten unter uns lebt ja das Evangelium. Darin ist er selbst

das lebendige Leben.

1. Kor. 1,23

l.Joh. 1, 1-2

10. Februar

Linder wissen Antwort auf Fragen Wie kann Jesus Gottes Stimme hören? Erwachsene mochten

so etwas gern aus rationalistische Weise wegerklären. Oder sie

fertigen einen solchen Ausdruck als Mythologie ab, über die sie selbst hoch erhaben sind. Ein musikalisches Kind hatte ein Bild gesehen,

auf dem Beethoven mit weggewendetem Kopf dasitzt und die Finger über die Tasten gleiten läßt, ohne daß auf dem Ständer Noten stehen. Er hort die Tondichtung in seinem Kopf. Das Kind sagt

ganz von selbst: „So wie Beethoven die Musik in seinem Kopf hört, so hat auch wohl Jesus Gottes Stimme gehört".

Ein Kind ist durch den Tod aus dem Kreis der Geschwister weg­

genommen worden. Wo ist sie, die Kleine? Die Mutter antwortet: „Sie ist bei Gott. Sie ist jetzt froh und glücklich. Sie weint nicht. Sie klagt nicht mehr über Schmerjen." Aber die Geschwister hatten an der Beerdigung teilgenommen. Das war eine merkwürdige Feier, die aus das Gemüt der Kinder einen starken Eindruck machte. Die Kirche, die Fahrt, der kleine abgelegene Friedhof. Niemals

war die kleine Schwester in einem so feinem Wagen gefahren. Seht

doch die feinen Pferde, den Wagen und den Kutscher. Und alle die Blumen auf dem weißen Sarg! Aber auf dem Friedhof wurde sie in die Erde gesenkt. Erde wurde über den Sarg geschaufelt.

Eine Tanne, eine Weihnachtstanne wurde auf das Grab gepflanzt. Am Weihnachtsfest, das bald kam, wurde sie mit Lichtern geschmückt,

und Weihnachtslieder wurden gesungen. Die Kleine war in die Erde gebettet worden. Wie konnte sie da bei Gott sein? Wo war sie eigentlich? Ein Bruder wußte es. Der kleine Körper, der

Tag und Nacht wimmernd liegen mußte, der gepflegt und gehütet werden mußte, der lag da draußen auf dem Kirchhof. „Aber die kleine Schwester, die sang und plauderte, nach den Vögeln zeigte

und so fröhlich war, die ist bei Gott."

11. Februar

LknderaugM Gottes Stadt ist unseren Blicken verborgen. Die Sorgen des Lebens, seine Arbeit, sein Kummer, aber ebenso der Genuß der

Güter im Leben, Glück und Erfolg suchen uns Gottes ewiges

Reich zu verbergen. Auch wenn in der Seele die Sehnsucht nach Gott und dem, was ewig ist, geweckt wird, blendet doch die Welt

mit allem, was sie hat und bietet, die Sinne und Gedanken. Die Vorstellung findet nicht den rechten Weg. Sie ist schwach und

schwankend. Sie vermag nicht, wirklich die Augen emporzuheben. Der Blick ist erdgebunden. Die Möglichkeiten sind so armselig und spärlich. Kinderaugen sind noch nicht so gründlich verwirrt und verblendet. Sie können durch das, was den Erwachsenen gewaltig

und wichtig erscheint, hindurchsehen, was aber, wenn es das eigent­ liche Leben gilt, brüchig und unhaltbar ist und sich in trügerischem

Schein auflost. Kinderaugen schauen geradeaus in den Himmel.

Ihr Mund kann uns erzählen wie es dort ist. Das Kind kann, was unser Glaube umfaßt, in Bilder und Vorstellungen kleiden; wir aber werden durch Geistesträgheit und die Umwege unsres gewohnten Denkens gehindert, dies in einer Vision zu schauen. Der zwölfjährige Jesus, der die Priester mit seinen Fragen und

Antworten in Erstaunen versetzte, hatte viel gehört, gelernt und noch mehr gedacht. Aber das Allerschönste hatte er noch nicht hören

oder lesen oder voll Freude innerlich aufnehmen dürfen. Denn er hatte noch nichts vom Erlöser, vom Jesuskind und dem Manne Christus gehört. Er sollte ja selbst erst der Erlöser der Menschheit

werden.

Das Röselein so feine, das duftet ja so süß. Mit seinem hellen Scheine vertreibts die Finsternis. Wahr Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allen Leiden, rettet von Sünd und Tod.

Matth. 18, 1-5

Luk. 2, 41-52

12. Februar

Gesetzeügebundenheit, Vergeltung, Erlösung 2n den zwei klassischen Ländern der Religion auf unserer Erde, in dem kleinen Israel und dem großen Indien, erscheint die Gesetzes­

gebundenheit des Geschehens charakteristisch verschiedenartig ge­

deutet. 2n Indien liegt der Zusammenhang in den Folgen, die die Handlung, das Karma, mit Naturnotwendigkeit für dieses Leben und für alle kommenden Existenzen der Reihe nach in sich trägt,

ein unpersönlicher Kausalzusammenhang; in Israel wurde der

Zusammenhang als Vergeltung betrachtet. Gott straft oder belohnt nach Verdienst. Ich leide, folglich habe ich gesündigt. Das Gesetz des Lebens ist unerbittliche, gerechte Vergeltung.

Nun wendet sich das Blatt. Dieselbe feste Ordnung, die von Willkür und von Ungewißheit befreit hat, wird ihrerseits zur Not des Menschenschicksals. Der Schrei der Seele ertönt in Indien: Erlösung vom Karma! In Israel: Erlösung von der Vergeltung.

Das hat hier seinen Grund in der überwältigenden Kraft des

mosaischen und prophetischen Gotteserlebnisses. 3n unsterblichen Worten und Gleichnissen hat Jesus den Ge­ danken der Vergeltung ausschlaggebend durchbrochen. Paulus müht sich mit ihm ab. Er mußte ihn um seines eigenen Lebens­

geheimnisses und um seiner Berufung willen überbieten und tut

das durch andere Gedankengänge. Er spricht von Verheißung, Glaube oder Erwählung. Aber auch noch in spätkirchlichen Formu­ lierungen hat man dieErlösung und Versöhnung unter dem Gesichts­

punkt der Vergeltung auszusprechen gesucht. Das Gesetz der Ursache, das einst als Befreiung von Willkür und Ungewißheit angesehen wurde, wird seinerseits zu einem Not­ stand, aus dem sich die Menschenseele sehnt, erlöst und befreit zu werden. Ist die naturnotwendige Verbindung von Ursache und Wirkung des Daseins letztes Wort?

Der Glaube an Christus antwortet: Der innerste Sinn dieses

infamen Daseins ist ein Wille, der Leben und Erlösung will.

Röm 10, 4. 7. 8

13. Februar

Des Nazareners Geheimnis Sag uns dein Geheimnis, Nazarener! Warum ist deine Stirn so klar, dein Blick so durchdringend und mild, deine Liebe so stark, dein Wille so gut und eifrig? Warum ist dein Leben trotz des Leidens — ach, gerade durch sein Leiden — so mächtig? Weswegen ist deine Persönlichkeit so, daß du trotz deiner scheinbar unsinnigen Ansprüche

nicht wie ein Narr oder überheblich wirkst? Du Einsamer, wie hast

du so viele um dich zu versammeln vermocht? Soll Jesus die Erklärung für sein Amt und seine Macht geben, dann antwortet er:

„Mein himmlischer Vater". Das ist gewiß: Jesus glaubte an die Menschen wie keiner vor ihm, seine

Aufgabe.

Aber

beides

er glaubte auch an

gründete

sich

auf

den

Glauben an Gott. Dieser Glaube erhielt ihn am Leben. „Meine Speise ist die, daß ich Gottes Willen tue."

Wenn es im Dasein und in der Geschichte eine Erscheinung gibt, die über sich selbst und über diese Welt hinaus nach der Wirklichkeit des Geistes und Gottes weist, so ist es Christus — der Höhepunkt

des Menschenlebens und aller Lebensentwicklung. Deshalb vermögen wir bei der Erfassung des Mysteriums aller

Dinge nicht hoher zu gelangen als bis zum Menschensohn, zu seinem Glauben und zu seinem Gott. 3ch kenne keine höhere göttliche Offenbarung, um darauf das Leben zu gründen, als die Kraft und Liebe in der Persönlichkeit Jesu. Ist die Überzeugung etwas wert, daß dieses irrsame Dasein zuinnerst ein Wille ist, der Leben und

Erlösung will? Selig, selig, der Dich kannte

und der traute Dir alleine, wahrer Gott, der zu uns sandte, Ihn, daß Er uns Dir vereine.

Jesus Christ, Du solltest werden Weg und Wahrheit uns und Leben, und im Himmel und auf Erden

ist kein andrer Nam" gegeben.

Joh. 4, 34

14. Februar

Der Friede der Gottessemeinschakt „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und

Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil." Die Seligkeit besteht, nach dieser, aus tiefer Anfechtung geborenen

Gewißheit, in Gottes eigener lebendiger Nähe, in nichts

anderem, in nichts mehr und nichts weniger. Ist Gott nahe, so kann auch die Hölle des Leidens, da Leib und Seele verschmachten,

uns nicht die Seligkeit nehmen. Fehlt der Herr, so hat der Psalmist

auch kein Verlangen nach dem Himmel oder nach dem Glück der Erde. Für die Bibel ist die Seligkeit untrennbar verbunden

mit der ethischen Empfindlichkeit eines erweckten Ge­ wissens. Ein solches Glücksgefühl lebt unter harten Bedingungen.

Es ist nicht eine holde Stimmung, in die man sich durch erprobte Mittel versenkt. Am Tor der Seligkeit steht ein Engel mit einem bloßen Schwert. Wem gelingt es hineinzukommen? Bei Jesus, in seiner Lehre und in seinem Leben wird die Forderung

eindringlich und unerbittlich. Man konnte versucht sein zu sagen: übermenschlich wie niemals vorher oder nachher. Damit wird wie

in keiner andern Religion das Seligwerden in Frage gestellt. Das Wichtige ist, daß trotzdem Harmonie und Friede der Gottes­

gemeinschaft nicht ausgehoben werden, daß sie vielmehr einen festeren Grund erhalten, auf dem sie ruhen, nämlich die Ver­ gebung. Die biblische Entwicklung strebt dahin, das Wesen der

Seligkeit in der Vergebung zu verankern. Unter deinen Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei;

laß von Ungewittern rings die Welt erzittern, mir steht Jesus bei, wenn die Welt in Trümmer fällt,

wenn gleich Sünd und Holle schrecken; Jesus will mich decken.

Ps. 73, 25. 26

1$. Februar

Die letzte Wanderung Jesus tritt mit seinen Jüngern die letzte Reise nach Jerusalem

an. Die Wanderung endet auf Golgatha. Wir wollen ihn begleiten. Hier können wir Wichtiges sehen und ihm lauschen. Jesus sagte

selbst, als die Menschen sich über alle seine Taten wunderten:

„Fasset ihr zu euren Ohren diese Rede: Des Menschen Sohn muß überantwortet werden in der Menschen Hände". „Siehe, wir ziehen hinaus gen Jerusalem, und des Menschen

Sohn wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten überant­

wortet werden; und sie werden ihn verdammen zum Tode und werden ihn überantworten den Heiden, zu verspotten und zu geißeln und zu kreuzigen; und am dritten Tag wird er auferstehen." Viele Wanderungen in der Geschichte der Menschheit sind es

wert, daß man sich ihrer erinnert. Aber vor allen andern denken wir an die letzte Reise Jesu und seiner Jünger. Sie waren auf dem Weg hinauf gen Jerusalem. Die Stunde und die Stimmung

prägte sich ihnen für immer ein. Markus gibt die ungewisse Angst wieder, die die Jünger beunruhigte. „Und Jesus ging vor ihnen, und sie entsetzten sich, folgten ihm

nach und fürchteten sich." Noch heute sehen wir die kleine Schar

vor uns. Erst Jesus, in Gedanken versunken. Dahinter die Jünger, mit bebendem Herzen, in ungewisser, unbestimmter Unruhe, die wir gut kennen. Ahnungen und Befürchtungen, die durch den Wider­

stand der Machthaber erweckt wurden, steckten auch die andern an, die folgten. Sie waren von Furcht erfüllt.

O Lamm Gottes unschuldig, am Stamm des Kreuzes ge­ schlachtet,

allzeit erfunden geduldig, wiewohl du wärest verachtet; all Sünd hast du getragen, sonst müßten wir verzagen; erbarm dich unser, o Jesu!

Luk. 9, 44

Matth. 20,18.19

Mark. 10, 32-34

16. Februar

Jesus verkündet sein Leiden Jesus mußte den Zwölfen darlegen, was ihn erwartete. Als

er die Gewißheit seiner Berufung zum Messias Gottes erlangt hatte, stellte sich mit Notwendigkeit der Gedanke ein, daß er der

Freiheitsheld oder der Wundertäter werden solle, auf den das Volk

wartete. Dieser Gedanke wurde für Jesus zu einer Versuchung, die er überwand. Aber bei den Jüngern lebte er ungebrochen weiter.

Jesus hatte zwei lichte, besondere Gelegenheiten ergriffen, um ihnen seine Berufung zum Messias zu offenbaren, ein Geheimnis, das nicht Blut und Fleisch, sondern sein Vater im Himmel ihm offen­

bart hatte. Das erste Mal geschah das nach dem Bekenntnis des

Petrus: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes". Freude weitete sein Herz, als er bezeugte: „Selig bist du, Simon,

Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel". Der Augenblick war nun

gekommen: Er verkündet ihnen zum erstenmal das Leiden des Menschensohnes. Nach der Verklärung auf dem Berge suchte Jesus abermals den Jüngern etwas von den Gottesgedanken, die ihnen Furcht einflößten, nahezubringen. Die Seligkeit der Stunde hätte die Kraft ihres Geistes, ihre Empfänglichkeit verstärken sollen. Als sie herunterkamen und im geheimen durch Galiläa wanderten, sprach Jesus wieder zu seinen Jüngern davon, daß des Menschen­ sohn in der Menschen Hände sollte überantwortet werden, daß er getötet und am dritten Tage wieder auferstehen werde. Heute hören wir zum drittenmal von seinem Leiden. Nun war

der Entschluß gefaßt. Die Wanderung begann, die aus Golgatha

enden sollte. Jeder Jünger und Freund Christi muß ihm auf dieser Wanderung folgen. Christi Kirche und Gemeinde rüstet sich in

jedem Kirchenjahr, die Passion zu ihrer Besserung und Erlösung,

zu ihrer Demütigung und ewigen Freude zu bedenken. Aber noch

wichtiger als die Betrachtung der Passionszeit und die Anbetung des Gekreuzigten ist die eigene Erfahrung der Seele vom Leidens­ weg des Erlösers.

Matth. 16, 13-17; 17, 1-13; 20, 17-19 4

Worte für jeden Tag

17. Februar

Könnt ihr den Leich trinken, den ich trinke? Unmittelbar nachdem Jesus sein Leiden verkündet hatte, kamen

die Sohne des Zebedäus mit ihrer Bitte. Armer Meister! Außer dem Schmerz, der Ablehnung und der Schmach des Kreuzes mußt

du auch noch die Verstocktheit deiner eigenen Jünger tragen! Sie können nicht eine Stunde mit dir wachen und beten. Ihr kindliches

Gemüt scheint ganz unfähig, über einem Gefühl unbestimmter Angst auch nur das Geringste von dem Beruf des Menschensohnes

zu ahnen. Sie bitten um die ersten Plätze. Jakobus und Johannes traten

vor und sprachen: „Meister, wir wollen, daß du uns tust, was wir dich bitten werden". Sie baten, wie Kinder zu bitten pflegen. „Versprich mir erst, daß ich bekomme, worum ich bitte"! Keine

Stelle in der heiligen Schrift gibt uns mehr Veranlassung, die väterliche und mütterliche Geduld des Erlösers mit seinen Jüngern zu bewundern. Die Stunde berührte Jesu Herz derart, daß kein hartes Wort über seine Lippen kam. Jesus fragt: „Was wollt ihr,

daß ich euch tue?" Sie antworteten: „Gib uns, daß wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herr-

lichkeit". Diese Bitte gab chnen nicht nur Hochmut oder naives Begehren nach Glanz und Macht ein. Nein, die beiden wollten dem Meister an seinem großen Tage am nächsten sitzen, wenn sie mit ihm und ihren Gefährten die Geschlechter Israels richten würden.

Bemerken wir das wehmütige Lächeln um die Lippen des Erlosers? Schwebt nicht die gleiche Wehmut noch heute über seinen

verklärten Zügen, wenn er den Unverstand seiner Jünger bemerkt? Er sagte zu chnen: „Ähr wißt nicht, was ihr bittet". Sie wußten

nicht, wovon sie sprachen, wie auch heute noch viele warmherzige Menschen, die schön und erwartungsvoll von dem christlichen Leben sprechen, im Grunde nicht wissen, was es bedeutet. Es handelt sich nicht um den Platz in dem Reich der Herrlichkeit,

sondern

um

die Nachfolge

des Meisters

auf seinem

Wege.

SO

Mark. 10, 35-4S

18. Februar

Die Größe in Gottes ZKeich Wer die kleine Schar auf dem Wege nach Jerusalem sah, konnte sicherlich nicht ahnen, was für Gedanken sich in ihren Herzen

regten und was für Worte über ihre Lippen kamen, llber sie muß man immer wieder nachdenken, da sie etwas von der verborgenen

Art des Menschenherzens und dem Geheimnis von Gottes Herr­

schaft offenbaren. Die Spannung im Bericht von der begonnenen Pilgerfahrt hält mit unverminderter Kraft an. Alle waren von dem gleichen Unverstand beseelt, von der gleichen Hoffnung, die die Begeisterung für die Persönlichkeit des Meisters in ihren engen

Seelen zu hellen Flammen entfacht hatte. Sollen wir trotzdem

den beiden Söhnen des Zebedäus danken? Nicht deshalb, weil wir so oft fteiwillig oder unfteiwillig den Jüngern in ihrem Op­

timismus, in ihrer Furcht, in ihrer Verständnislosigkeit für den

Erlöser und seinen Weg gleichen, sondern weil der törichte Wunsch der beiden Brüder und der Zorn der andern Jünger die erhabenen, königlichen Worte Jesu zur Folge hatten. In seinem Reich gelten

andere Gesetze. Aber wenn auch Jesus in seinem Reich der Wahrheit die neue Gesetzgebung mit aller Klarheit vollzieht und sie mit seinem eigenen

Dienen, seiner Liebe bis zum Tode besiegelt hat, herrscht doch in der Christenheit auch heute noch trostloses Unvermögen und Un­ willigkeit, das Gebot und Vorbild Christi anzuerkennen und an­

zuwenden: „Welcher will groß werden unter euch, der soll euer Diener sein; und welcher unter euch will der Vornehmste werden,

der soll aller Knecht sein". Diener ist der Ehrentitel in Jesu

Reich. Der Sinn

des Zusammenlebens,

seine Stärke, besteht darin,

dienen und gern und

sein

Glück,

daß wir getreu einander

ohne Hochmut Dienste vonein­

ander annehmen. Der Menschensohn war gekommen, um uns allen zu dienen. Ein jeder, der nicht widerspenstig oder sich selbst genug ist, fühlt in der Armut des Geistes, im Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit, daß er des ewigen Dienstes des Menschensohnes

bedarf.

Matth. 20, 24-28; Mark. 10.43

19. Februar

Verlieren und behalten Lange hatte Jesu Denken bei der Bedeutung des Leidens im

Weltplan Gottes geweilt. Mehr als einmal hatte er die Jünger

auf die wunderliche Rechenkunst von Gewinnen und Verlieren

hingewiesen. „Wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren;

aber wer sein Leben verliert um meinet- und des Evangeliums willen, der wird es behalten". Das Johannesevangelium hat im zwölften Kapitel ein bedeutungsvolles Wort Jesu bewahrt. Etliche Griechen wollten Jesus sehen. Sie wandten sich an Philippus; er seinerseits wandte sich an Andreas. Die beiden faßten Mut und sagten es

Jesus. Er antwortete: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibts

allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte. Wer sein Leben lieb hat, der wirds verlieren, und wer sein Leben auf dieser Welt

hasset, der wirds erhalten zum ewigen Leben." Zweifellos kannte Jesus die griechische Sprache. Man sprach sie in mehreren Städten,

in denen er sich aufhielt. Mit seinem Scharfsinn und seiner Gabe der Einfühlung hat er auch den griechischen Geist durchdrungen

und erfaßt. Für hellenisches Denken starb das Weizenkorn gewiß

nicht. Aber neben den in ihrer Harmonie und Schönheit unver­ gleichlichen Gestalten der griechischen Kunst, oder vielmehr über

ihnen erhebt sich „ein Haupt voll Blut und Wunden". Offen­ barung einer höheren Schönheit, eines größeren Reichtums, eines

Lebens, das aus dem Tod und eines Gewinns, der aus der Selbst­

aufopferung hervorgegangen ist. O Haupt voll Blut und Wunden,

voll Schmerz und voller Hohn, o Haupt, zum Spott gebunden

mit einer Dornenkron. O Haupt, sonst schön gekrönet mit höchster Ehr und Zier,

jetzt aber höchst verhöhnet, gegrüßet seist du mir.

Mark. 8, 35

Matth. 10,39

Luk. 17, 33

Joh. 12, 20ff.

20. Februar

Der Dutt der Kalbe Von dem Weib mit dem Alabastergefäß und der kostbaren Salbe, die das Haus mit ihrem Wohlgeruch erfüllte, wird man überall

reden. Man wird es überall preisen, wo die frohe Botschaft ver­ kündet wird.

Der Duft der Salbe hat die Welt erfüllt, soweit der echte Geist des Evangeliums reicht. Das Gefäß zerbrach. Es ist zum Symbol für den Überfluß der Liebe geworden, die sich nicht spart, sondern

alles, was sie besitzt, mit vollen und verschwenderischen Händen hingibt. Sie gibt sich selbst. Die Liebe ist bereit, das Leben zu opfern.

Das Zerbrechen des Gefäßes ist ein Bild des Menschen geworden, der sich selbst verliert, um sich selbst zu gewinnen, des Weizenkorns, das stirbt, um Frucht zu bringen, des Opfers, das der Gekreuzigte für viele darbrachte. Jesus erzürnte sich über alle Kleinlichkeit.

Er gab dem Herzen in seinem freigebigen Impuls gegenüber der kühlen Nechenweise des Verstandes recht. Sein Wort von der Salbe hat auch noch eine andere Bedeutung. Es räumt alledem im Menschenleben einen Platz ein, was nicht

berechnet werden, nicht in Mark oder in Speise und in Kleider oder andere nützliche Dinge umgesetzt werden kann. Er sah den Nutzen im Unnützen, die Notwendigkeit im Unnötigen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Die Natur verschwendet, aber ist das nur

Verschwendung? Hat dieser Reichtum, diese Schönheit und Üppig­ keit über ihren direkten Nutzen hinaus nicht noch eine Aufgabe im Haushalt der Schöpfung? Jesus befürwortet nicht den Luxus.

Das Weib suchte nicht seine eigene Bequemlichkeit, nicht Schmuck noch Genuß oder Befriedigung der Eitelkeit. Sie begehrte für sich selbst nur das Glück des Gebens. Jesus gibt der Schön­ heit, der Kunst und der Anmut recht. Jesus versteht auch das, was

man die ästhetische Wirksamkeit zu nennen pflegt, die ihre Freude und Befriedigung in sich selbst birgt. Er wählt seine Gleichnisse

vom Schmuck, von der Perle. Er hat Sinn für das, was schön und wertvoll ist. Kühnheit und hochherziger Überfluß sind nicht verboten. Ist nicht die ganze Lebensform, die Jesus selbst helden­ mütig durchführt und auch den Seinen befiehlt, ein Wagnis, ein Abenteuer? Heldenverehrung und Heldenleben können auch im

20. Februar (Forts.)

Stillen und Verborgenen wohnen. Seine Rede sprüht und blendet,

sie erweckt Zorn und Begeisterung. Das Leben im Lichte des Evangeliums ist nicht eintönig. Die Größe des Dienens liegt darin,

daß man dem Nächsten wohl mit des Lebens Notdurft beisteht, daß man aber auch die düstere Einförmigkeit mit Schönheit, Glanz

und Freude übergießt. Das Christentum will diese wunderliche Welt nicht in ein System von Wohlsahrtseinrichtungen verwandeln. Für das Außerordentliche wird stets die Pforte offen gehalten.

Das Glas zerbrach, das Öt ist ausgegoffen.

Sein Duft erfüllt der Welten Trauerhaus. Und von des Himmels Wohlgeruch umflossen,

vergißt die Seele Erdenstaub und -graus. Das Glas laß brechen, laß die Narden fließen,

hochherzig sei bereit zu Fest und Rast,

und laß der Liebe Überfluß ergießen das Beste für der Seele hohen Gast!

Luk.

7,

36-50 Matth.

4,

4

21. Februar

Gottes Wege sind nicht selten für uns unbegreiflich Wir fragen: warum? warum? Herr, was meinst du? Warum

muß das sein? Warum muß ich diesen Weg gehen? Wir bekommen

keine Antwort. Mit demselben Staunen und mit derselben Angst fragte Paulus den Herrn wegen der anstößigen Schwachheit,

die ihn plagte und ihn in seiner opferwilligen Arbeit im Dienst des

Herrn hinderte. Der Apostel klagt über den Pfahl im Fleisch, den Engel des Satans, der ihn ins Angesicht schlug. Er hatte immer

wieder um Befreiung von dieser Heimsuchung zum Herrn gefleht. Aber er erhielt keine andere Antwort als diese: „Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig".

Auch wir bekommen keine andere Antwort. Trotz allem reicht die Gnade des Herrn aus. Wir erkennen nur stückweise, er weiß alles. Damit die Versuchung uns nicht überwältige, ist auch der starke

Held unter den schwachen Menschenkindern, Christus selbst, ver­ sucht worden. Gottes Gedanken waren ihm und den Jüngern unbegreiflich. Zum letztenmal wurde er auf dem Ölberg versucht.

Jesus bangte und bebte in Gethsemane. Aber Gott behielt recht. Seine Gedanken schlugen zum Segen aus. Gottes Gedanken sind immer richtig; wenn wir nur in allen Lebenslagen das erwägen,

was ihm zukommt. In der schwersten Versuchung zur Überheblich­ keit, wenn das Glücksrad uns in die Hohe trägt, oder in der

Stunde der Verzweiflung, wenn wir in das Dunkel des Abgrundes hinabgeschleudert werden. Schon in diesem Leben dürfen alle Menschen, die Jungen und die Alten, an sich erfahren, was dem Erlöser geschah, nachdem er

die Versuchung in der Wüste überwunden hatte. Die Engel kamen und dienten ihm. Ein reines, himmlisches Glück besiegelte jeden

Sieg über die Versuchung. Wenn die große Versuchung des Lebens

und seine ganze Not überstanden ist, werden Engel kommen und dem dienen, der treu geblieben ist.

Köm. 11, 33

2. Kor. 12, 9

22. Februar

Die Versuchung Wache, Seele, und bete! Die Versuchung kann von lauter guten Gedanken eingegeben werden. Sie haben den Fehler, daß sie

Menschengedanken sind. Die Versuchung besteht darin, daß wir

auf menschliche Weise rechnen und nicht nach der Weise Gottes. Wir folgen lieber unserer eigenen Berechnung, unserem Eigensinn,

unseren Machtgelüsten, unserer verletzten Eitelkeit und ihren Ein­ gebungen. Wir folgen lieber unserer schwachen Liebe, unserer ge­

dankenlosen guten Absicht, unserer weichlichen unserer törichten Hoffnung,

Empfindlichkeit,

unserem Hochmut — als Gottes

Stimme. Wir können uns leicht einreden, daß wir einen andern Weg als den uns von Gott vorgeschriebenen und von dem Erlöser begangenen gehen sollen; der Weg, auf dem wir uns selbst, unseren

Eigenwillen, überwinden und Gottes Willen geschehen lassen. Wo Uneinigkeit eingerissen ist, da steckt sicher viel Versuchung

dahinter. Solche Versuchung wirkt in verschiedener Gestalt. Ein

jeder muß in sich gehen und bedenken, was Gott zukommt. Ein jeder muß sich vor Gottes Angesicht über seine Verantwortung klar werden,

sodaß jede Täuschung vor Gottes Klarheit weicht.

Laßt uns darauf acht geben, daß wir nicht für einander zum Stein des Anstoßes werden! Das braucht nicht in böser Absicht zu geschehen. Die Versuchung kommt ebenso oft aus guter Absicht,

vielleicht einer unwissenden und gedankenlosen, aber doch aus dem

aufrichtigen Wunsch, denen zu nützen, die wir lieben. Wir müssen einander auch Mühe und Anstrengung, Kampf, Gefahr und Müdig­

keit auf dem schmalen Wege gönnen.

Auch auf andere Weise werden wir leicht eine Versuchung für einander. Schon bei Kindern sieht man, welche Lockung darin liegt, andere zu necken und geneckt zu werden. Wie viele Menschen bleiben

in dieser Sache ihr ganzes Leben lang Kinder! Sie können der lockenden Neigung, sich selbst, ihr kleines Ich, durch aufreizende

Worte oder Taten zur Geltung zu bringen, nicht widerstehen.

Selbstzucht und Selbstüberwindung allein vermögen eine solche Neigung und Verlockung zu besiegen.

Wenn wir sehen, wie leicht wir Menschen ganz unfreiwillig, in guter Absicht oder gedankenlos für andere zu einer Versuchung

22. Februar (Forts.)

werden, müssen wir uns mit aller Kraft vor wissentlicher und willentlicher Versuchung hüten. Wir können wenigstens über uns

selbst wachen, sodaß wir einander nicht mit vollem Bewußtsein

der Versuchung aussetzen. Wie mancher junge Mann ist ins 93er; derben gestürzt worden, wenn ältere Kameraden ihn halb im Scherz oder aus Leichtsinn einer Versuchung ausgesetzt haben, deren Folgen

weder sie noch er übersehen konnten. Wie schrecklich ist es, wenn wir daran denken, wie viele solcher Versuchungen täglich und stünd­

lich uns umlauern. Man denkt: Es ist nicht so schlimm. Du kannst

ruhig mitmachen. Man macht mit, nicht nur diesmal, sondern auch das nächste Mal. Was für andere vielleicht ein unschuldiger oder

nicht unschuldiger Zeitvertreib nach der Arbeit war, wird für den Versuchten Lebensinhalt. Er vergißt darüber alles andere. Er träumt sich in eine unwahre Welt hinein. Der Genuß gewinnt

Macht über ihn. Die Versuchung verführt ihn nicht nur zu einem

Sündenfall, sondern sie beansprucht seinen ganzen Charakter und verwüstet sein Leben. Es gibt Menschen, die empfänglicher sind als andere. Was der

eine kaum fühlt, wird für den andern zu einem Leid. Was den einen kaum kümmert, kann für eine empfindlichere Natur zu einer unglück­

seligen Versuchung werden. Wir fürchten uns im Dunkel des Lebens, wenn wir die Macht der Versuchung unter uns und bei uns selbst sehen. Freunde, denkt ihr daran, was Martin Luther sagt: „Wir sollen der eine für den andern ein Christus sein". Laßt uns

Gott bitten, daß wir einander wenigstens nicht zum Teufel, zum Versucher werden. Wache, Seele, und bete.

Matth. 4,1-11

23. Februar

Leine Leit Wir erinnern uns des Gleichnisses von dem Menschen, der Samen

aufs Land warf und schlief und aufstand Nacht und Tag; und der Same ging auf und wuchs, daß ers nicht wußte, bis die Frucht

kam. Er ging nicht ungeduldig umher und zog an der aufkeimenden

Saat und trieb auch nicht zur Eile an. Er ließ sich Zeit. Vor nichts

hat die Kulturbegeisterung solche Angst als vor dem Warten. Es gibt Leute, die immer Eile haben. Sie fürchten, zu früh zum

Zug zu kommen, denn dann müssen sie warten. Sie nehmen lieber die Gefahr auf sich, zu spät zu kommen. So ist es auch mit der Eile

im Kulturleben. Sie läßt nicht zum Leben kommen.

Wenn man meint, daß die Kulturentwicklung keine Zeit lasse für das Innenleben, keine Zeit habe zu warten, daß ihr Leben schon mannigfaltig und reich genug sei, antworten wir nicht: weniger

Leben, gemäßigtes Leben, sondern wir antworten: Es ist Mangel

an Leben, wir fordern mehr Leben, reicheres, tieferes Leben. Oder wenn die Kultur aus das Ideal menschlicher Schönheit und Selbstherrlichkeit hinweist, das sie verwirklichen will, ant-

Worten wir nichts Weniger Schönheit, sondern: schafft Schönheit, die verklärt sei vom Schein christlicher Liebe. — Wir kennen noch

etwas Menschlicheres und Schöneres als die hohe, stolze Gestalt der Aphrodite. Wir kennen ein dornengekröntes Haupt.

Oder richten wir die Aufmerksamkeit auf die gewaltige Kraft­ entwicklung, die die Kultur der Gegenwart auszeichnet, so dürfen

wir nicht im Namen des Christentums mit Wahrhaftigkeit sagen: Tötet die Kraft, dämpfet die Kraft; es lebe die Schwachheit! Sondern wir weisen auf eine tiefere Kraft mit unüberwindlicher Siegesmacht hin, von der Jesus zu den Griechen bei Johannes

spricht; jenes Wort des Evangeliums, das sich gegen die Kraft

aller sich selbst genügenden Kulturbegeisterung richtet: „Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt, so bleibts allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte".

Mark. 4, 26-29

Joh. 12, 20-38

24. Februar

Der äußere Kaum der Keele Den inneren Gast trifft man nicht im äußeren Raum der Seele.

In der Seele gibt es zwei Räume. Im äußeren, im Vorgemach, wohnt die verflossene Zeit und

die Zukunft, da drängen sich Erinnerungen, Strebungen und

Pläne. Traurige Erinnerungen, frohe Erinnerungen. Vielleicht liegen sie in einer Truhe verborgen, aber sie sind da. Bei manchen mag es sich lohnen, sie hervorzuholen, sie abzustauben und ihnen

neuen Glanz zu geben, um sich an ihrem Anblick zu erfreuen. „Was Gutes ich besaß und genossen,

ist aus deiner Gnade geflossen."

Aber andere Erinnerungen verschließen wir, wenn möglich, mit einem doppelten Schloß. Wenn man sie verbrennen konnte! Dann

sind noch da all die Eindrücke und Angelegenheiten des gegen­ wärtigen Lebens. Alles, was noch getan werden soll. Hier herrscht

reges, vielleicht unruhiges Leben wegen all der Arbeiten und Inter­ essen. Wenn wir uns im äußeren Raum der Seele umsehen, finden

wir, daß er eine Werkstatt ist. Es sind viele Werkzeuge da. Sie sind nötig. Denn wie sollte alles fertig werden? Scheint die Sonne durch die Fenster und singen die Vögel draußen, geht man mit Lust und Liebe an die Arbeit. Aber nun ist es düster und still. Der Arbeiter sitzt da, den Kopf in die Hände

gestützt, und grübelt über all das Ungetane und über das schlecht

Getane. Sein Gemüt ist voller Angst und wie tot. Seine Hände erlahmen, denn sein Sinn findet keine Ruhe und Sicherheit. Er

hat endlich gefunden, daß Arbeit nicht Genüge tut. Der Gedanke an alles, was getan werden soll, läßt ihm keine Ruhe, keine Muße mehr. Aber ohne Stille und Gelassenheit bekommt man trotz allem

Eifer keine wirkliche Kraft. Da wird der Arbeiter in den inneren Raum der Seele gezwungen.

Luk. 17,10

25. Februar

Der innere Kaum Der Arbeiter wird in den inneren Raum seiner Seele gezwungen. Erleichternd ist es, von allen Plänen, allen Auseinandersetzungen,

von all den beängstigenden und beunruhigenden Gedanken an das,

was nicht erreicht oder was versäumt und schlecht gemacht wurde, von all der verwirrenden und beirrenden Unruhe fort in das Innere

der Seele zu fliehen. Es ist notwendig und erleichternd, die Werk­

zeuge hinzulegen. Es ist ein Bedürfnis, denn Arbeitsmühe kann das Gemüt nicht vollkommen befriedigen. — Das Lot ist in die Tiefe gefallen. Kein Eifer kann es wieder Heraufziehen. Es bedeutet

Erleichterung, in die Einsamkeit zu fliehen, in die wirkliche, tiefe

Einsamkeit. Denn in der Seele gibt es einen inneren Raum. Dort ist Stille. Keine Werkzeuge rasseln. Kein munteres Arbeits­ lied stört die Stille. Keine Mühe, keine Pläne. Nur ein Gegen-

wärtigsein. Nur ein Hingeben, ein Aufgeben. Es wird nicht gear­ beitet. Wenn es aber doch geschieht, dann arbeitet ein anderer als ich selbst. Wenn es eine Werkstatt ist, dann gehört sie einem anderen

und größeren als mir. Es ist keine Werkstatt. Aber da wächst etwas in der Stille. Das ist das Leben. Das ist mein Leben; wenn ich

überhaupt Leben habe. Ist nun der gefahrvolle Schritt dahinein getan, hat der Arbeiter vollkommen den Anspruch auf Selbsthilfe aufgegeben, läßt er alles hinter sich und begibt sich in diese Einsamkeit, so muß er Dank sagen dafür, daß er alles loslassen, verlassen darf, daß er eingehen und stille sein darf.

Wenn auch Not und Schmerzen

wühlen in dem Herzen, laß mich, Du, bei Dir Ruh, Fried und Zuflucht finden, laß die Wolken schwinden!

26. Februar

Das Leben wächst Da drinnen fühlt er fein Wachstum. Wie der Baum, der ohne sein Zutun wächst, der vom Regen getränkt und vom Sonnenr

schein erwärmt wird. Man wird durch keine Aussicht, durch keine Fenster gestört. Und doch ist es dort nicht dunkel, sondern hell. Denn man erhält Licht von oben. Da drinnen im inneren Raum der Seele wächst es still. Das ist das Leben. Nun verstehe ich ein Gleichnis,

das kürzeste von

allen Gleichnissen Jesu, so ganz anders, so viel besser. Ich finde, daß es von allen das schönste und trostvollste ist: „Ein Mensch wirft

Samen aufs Land und schläft und stehet auf Nacht und Tag; und der Same gehet auf und wächst, daß ers nicht weiß". Jetzt

verstehe ich, daß das Leben wächst und nicht künstlich gemacht werden kann. Eine Trennungswand fällt vor meinen Augen. Es war meine

eigene Vergeßlichkeit oder meine Unerfahrenheit von den wahren Bedingungen des Lebens, die die Scheidewand zwischen meinem tätigen Geist und dem unbekannten, halb gefürchteten Inneren

aufgerichtet hatte. So wird der Raum in der Seele doch eins, ist eins. Die Werkstatt ist ein Garten. Die Schönheit eines Menschen­ lebens liegt darin, daß es wächst und wächst, bis es annähernd zu

dem geworden ist, was es werden könnte. Die Poesie des Lebens

besteht im Grunde darin, daß ein Mensch sich selbst dichtet, daß sein Leben zur Dichtung wird. Ein Christ läßt Gott sein Leben

dichten. Herr, reiße den Baum nicht aus! Der Garten, da unser Leben wächst, ist ja dein. Reiße den Baum nicht aus! Laß ihn stehen!

Tränke ihn! Schütze ihn! Hüte mich! Dichte mich nach deinem Sinn! O, daß ich dich willig mein Leben dichten lassen möchte nach deinem Willen. Schreib in mein Wesen deinen Sinn,

mein Vater und mein Gott.

Mark. 4, 26—29

Luk. 13, 6—9

Eph. 3,16

27. Februar

Der innere Gast der Keele Innerlichkeit, das heißt Persönlichkeit im eigentlichen, christlichen

Sinn, das bedeutet teilhaben an einer höheren Wirklichkeit, an einem göttlichen Leben. Deshalb dürfen wir von dem Freund oder dem inneren Gast sprechen. Bei ihm findet die Seele Gericht und

Ernst, Ruhe und Hilfe, Gesundheit und Einheit, Tiefe und Kraft.

Christus hat chn strenger und zugleich huldvoller offenbart als früher, sodaß ich bei ihm, der der Halt des Lebens ist, Sicherheit finde. Niemals hört das Gespräch zwischen dem Ich und dem Du auf. Das ist das Gebet. Ze tiefer ich eindringe, je vollständiger die Über­

einstimmung wird, je inniger ich mit dem inneren Gast vereinigt werde, desto klarer fühle ich, daß dies wirklich ein Umgang, eine

Zuflucht, eine Vereinigung, Ergebenheit ist. Das 3ch und das Du

sind kein Schein, der etwa einmal ein Ende nimmt, wenn das Blindekuhspiel des Bewußtseins aufhört.

Durch diesen Umgang gewinnt der Mensch sein innerstes Selbst.

Denn das zufällige, selbstsüchtige Ich kann nicht dorthinein ge­

langen. Es verbirgt nur Leere, wenn nicht das wahre, tieferliegende 3ch darunter zu seinem Recht kommen darf. Das 3ch, das mit dem hohen, geheimnisvollen und doch vertrauten Gast redet und verkehrt, wird in demselben Maß mein innerstes 3ch, wie der Ver­

kehr wahr und innig wird. Da fallen die Kleider ab, bis mein Wesen bloß dasteht; Herr erbarme dich! Herr, hilf mir! 3ch schrecke vor der vollen Aufrichtigkeit und Hingabe zurück. Aber der innere Gast ist mein Freund. Vor chm wird mein Gemüt stille. O laß mich immer Zugang zu dieser Zuflucht haben.

3ch danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen, da du's so gut gemeint, ach gib, daß ich mich halte zu dir und deiner Treu,

und wenn ich nun erkalte, in dir mein Ende sei!

Joh. 15, 5. 7. 9

l.Joh. 4,10. 13. 16

28. Februar

Der Weg M dem inneren Gast Der Weg zu dem inneren Gast ist das Gebet. Der Weg kann durch Ohnmacht versperrt sein, sodaß der Mensch nicht auf diesem inneren Weg hingelangen und nach Entblößung und Sichüberlassen

wieder getrost werden kann. Er kann versperrt sein durch sittliche

und physische Ohnmacht. Sittliche Ohnmacht, so daß der Betende nicht zu glauben wagt, daß er sich überlassen darf und soll. Er braucht eine Autorität, die ihn zwingt, den Frieden zu empfangen, die ihn

in die Vergebung hineinzwingen kann. Physische Ohnmacht, so

daß die Gedanken wie unruhige Nachtschmetterlinge umherflattern, ohne irgendwo einen Halt zu finden. Angst und Unruhe herrschen.

Man vermag sich nicht zu sammeln, man kann keinen Gedanken festhalten. Man verliert ihn immer wieder. Zn beiden Fällen gelingt

es nicht auf dem inneren Weg. Willensanstrengung ist ausgeschlossen.

Etwas Sichtbares muß herbei und helfen. Etwas Sichtbares, das bei aller sittlichen Ohnmacht helfen kann; vielleicht auch bei phy­

sischer, wenigstens mehr als anderes. Das ist der Gekreuzigte. Wenn überhaupt etwas, so vermag dies Bild zu helfen und zu fesseln. „O caput cruentatum“, „O Haupt voll Blut und

Wunden". Dies Bild vermag mich von diesem elenden 3ch zu

befreien, das durch sittliche oder physische Ohnmacht gezwungen wird, die Gedanken umherschweifen zu lassen. Die physische Ohnmacht hat Jesus selbst gefühlt. Am Kreuz.

Als er keinen Gedanken mehr festzuhalten vermochte, als noch viel weniger sein Geist etwas schaffen konnte, da war alles, was die Religion seines Volkes ihm bot, ein Ausdruck für seine Angst, ein

Wort, um es hinauszuschreien: „Eli, Eli, lama asabthani“. Nicht

einmal seinen eigenen Gottesnamen: Abba, wandte er an. Aber wir haben mehr als er. Wir haben das Bild des Gekreuzigten.

Matth. 27,46

Joh. 14,6.27

1. Kor. 1,23

29. Februar

Vernachlässige nicht den Gast in deinem Inneren 2m inneren Raum der Seele bin ich nicht allein. Da drinnen spreche und bete ich zu dem inneren Gast der Seele. Vernachlässige

nicht den Gast in deinem Innersten! Du bereitest dein Haus für

alle möglichen anderen Gäste. Du hast es eilig, ihnen Aufmerksamkeiten und Artigkeiten zu erweisen. Aber darüber vergißt du

den hohen Gast, der da drinnen auf dich wartet. Nimm dir auch für ihn einmal Zeit! Sprich mit ihm! Das wird

dir ein neues Heimatgefühl geben. Deine Seele ist eine Herberge.

Mache sie zu einem Heim. Du kannst das nicht. Aber dazu wird sie, je mehr der Gast da drinnen zu seinem Recht kommt und selbst

heimisch wird. Strenger, holder Gast! Die Menschen haben zu

allen Zeiten etwas von dir gefühlt und Sehnsucht nach dir gehabt. Bilder und Vorstellungen, auch äußere Bilder, hat man sich

von dem inneren Gast gemacht. So daß die sittliche, geistige, prophetische Gottesverehrung eines Mose alle Bilder verbieten

mußte. Aber endlich kam einer, der sagen konnte: „Wer mich siehet, der siehet den Vater". Die Vorstellung vom Göttlichen erhielt

in Christus einen neuen Anhalt.

Kein Wunder, daß man im

Christentum bei dem Umgang mit dem inneren Gast in ihm den auferstandenen und verherrlichten Erlöser wiedererkannt hat. Er hat Zesu gesegnete Gestalt für die Augen der Seele angenommen. Daß Zesu Gestalt am Kreuz vor meinem inneren Auge stehen möge, und daß weder Angst noch Müdigkeit sie mir rauben können, ist die größte Gnade, die

ich mir für meine Sterbestunde erbitte. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir, wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür,

wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.

2. Kor. 5,19

Joh. 14,9

Kol. 2,9

1. März

Was kanaanäische Veib Diese Geschichte hat ihre Ecken und Kanten und gehört zu den

schwierigsten des Evangeliums. Es ist eine Regel aller Wissen schäft und Psychologie, nicht über das Unbegreifliche oder Schwerbegreif­ liche Hinwegzugleiten. Das Leben ist schwer zu deuten. Die großen

Persönlichkeiten handeln nicht nach Vorschrift. Was das Genie in einem schwer wiegenden Augenblick tut, kann dem Durchschnitts­

menschen unrichtig und sonderbar erscheinen, einfach deshalb, weil er nicht begreift, worum es sich handelt. Am allerwenigsten läßt

sich Jesus in ein gegebenes Ideal einordnen. Gerade wenn ich an das Außerordentliche seiner Aufgabe denke, ist es für mich von

vornherein nicht unwahrscheinlich, daß uns aus seinem Leben Geschehnisse in Worten und Taten überliefert sind, die wir niemals

verstehen werden. Auch Jesus war eine suchende Seele. Das gehörte zur wahren

Menschlichkeit des Erlösers. Von dem kanaanäischen Weib läßt er sich belehren. Die weibliche Geisteskraft der bedrängten Mutter lehrt ihn etwas, wird seine Mithelferin, seine Bezwingerin und

erweitert seine Berufung. Die Wirklichkeit ist bewegt, schwellend, von hoher Empfindlichkeit. Nicht mit starren Prinzipien, sondern

nur mit einem wachen, gelehrigen, elastischen Willen und hingeben­ der Versenkung kann sie behandelt werden. Handelte es sich um eine verführerische Stimme, die man ab­

weisen mußte? Die weibliche Hellsichtigkeit der Mutter, ihre Not, die sie erfinderisch macht — läßt Jesus in

ihrem

Hilferuf

die Stimme

Gottes,

des Vaters,

wiedererkennen. Es ist nicht das einzige Mal, daß die Logik des weiblichen Gefühls in der Welt der Religion eine Rolle spielt. Was wird ihr zu teil? Beifall? Nein, aber ein Ausruf der Be­

wunderung von Jesu Lippen. Ihr Name ist unbekannt. Ein kanaanäisches Weib. Sie selbst aber wandelt sich in unserer Erin­ nerung zu der Heidin, die Jesus Bewunderung abgewann: „O Weib, dein Glaube ist groß".

Matth. 15, 21-28

Ü

Worte für jeden Tag

2. März Liebe aus der Höhe „Daran haben wir erkannt die Liebe, daß er sein Leben für uns gelassen hat." Christus ist der einzige allen sichtbare und unwider­

legliche Beweis von der Liebe als der tiefen Grundmacht des Lebens. Sind wir weit genug auf dem Lebensweg gekommen, gehören

wir zu denen, die in den Abgrund des Satans haben schauen müssen, und die von Verzweiflung über die harte Unbarmherzigkeit des

Daseins gepackt worden sind — welche Abgründe von Schlechtig­ keit, Unreinheit und Schmerz sind vielen glücklichen oder unwissen­

den Menschen Gott sei Dank verborgen geblieben! — so steht doch

immer noch Christus vor uns als der Zeuge und Spender der Liebe, ja, als die Verkörperung der Liebe. In ihm hat Gottes Liebe menschliche Gestalt angenommen. Die Liebe ist von Gott, wo sie auch auftreten mag — zu allen Zeiten und auf dem ganzen Erdenkreis. Neben einer für uns un­

faßlichen Gefühllosigkeit und Grausamkeit in fernen Kulturen finden wir die Liebe bei den Besten der Menschheit aller Zeiten.

In Christus aber quillt ein neuer, warmer, heißer Strom aus dem göttlichen Innern des Daseins. Seine Liebe ist brennend, sie kommt

auch zu dem Allergeringsten und Unwürdigsten. Er gab sein Leben

für uns Undankbare. Durch ihn kennen wir die Liebe. Himmlische Liebe

Du uns beschere!

lehr uns zu leben Dir nur zur Ehre! 'über die Erde

geh' Deine Lehre! Dein Reich komme!

l.Joh. 5, 16a

3. Marz

Gedanke - Anbetung Der Mensch besitzt keine edlere Gabe als das Denkvermögen.

Er soll sie brauchen, soweit er vermag. „Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!" Wir danken Gott für das Licht des Verstandes, für die durchdringende Schärfe des Gedankens, für die Klar­

heit der Vernunft und für alle Errungenschaften des Menschengeistes. Die geistige Arbeit, durch die wir in das

Mysterium des Daseins und der Erlösung einzudringen suchen, ist ein Gottesdienst, der niemals aufhören darf. Der Mensch darf

sich nicht zufrieden geben und im Suchen nach der Wahrheit stehen bleiben. Wenn er aber seine Überheblichkeit und seinen Hochmut überwunden hat, dann erkennt er sein Unvermögen. Die größten

Denker der Menschheit sind zur Demut herangereift.

So müssen auch wir, wo Gedanke und Verstand ihre

Grenzen erreicht haben, niederfallen und den

Herrn

und sein Werk anbeten. Wie sollten wir Gottes Wesen und sein Werk erfassen können? Wie sollten wir, in den Banden der Sünde und der Vergänglich­

keit gefangen, das Geheimnis der Erlösung begreifen und wieder­ geben können? Zum Glück braucht der Kranke nicht die Zusammen­

setzung und den Ursprung des Heilmittels zu kennen, um geheilt zu werden. Zum Glück kann einer in Not befindlichen Seele von dem Erlöser geholfen werden, ohne daß sie mit dem Verstand seine Person und das Mysterium der Erlösungstat zu fassen vermag.

„Die reinen Herzens sind, werden Gott schauen", hat Jesus gesagt. Durch Herzensläuterung wird der Mensch fähig, etwas vom Ge­

heimnis der Erlösung zu ahnen. Aber hier aus Erden können wir

niemals diese Zusammenhänge durchdringen. Wir verharren in Anbetung und Dankbarkeit. Wir beugen uns in Staub und Asche. Wir fallen nieder vor der heiligen Majestät Gottes und preisen ihn, der seine Allmacht am meisten in der Vergebung unserer Sünden

beweist.

Matth. 6, 23b;

8

4. März

Vie wird es sein, wenn einmal der Medel verschwunden ist, der sich über dieses Leben breitet? Unser verdunkelter Blick trägt die Schuld an dem, was die

schwedische Dichterin so treffend und wahr bekennt: Denn hier auf dieser Erden herrscht Sünde mit Gewalt,

verleihet all dem Schönen ein ander, fremd Gestalt.

Aber für Jesus war das nicht so. Der Regen, der fällt, und die

Sonne, die scheint, offenbarten ihm Gottes unergründliche Liebe. Die Saat, die wächst, und das Netz, das in den See geworfen wird, der Ackersmann und der Fischer, der Kaufmann und der

Weingärtner, sie alle werden für ihn zu Trägern von Gottes Wahr­ heit und Werk. Noch am letzten Abend braucht Jesus ein Gleichnis, das für alle Zeiten die Erfahrung gläubiger Herzen von dem Geheimnis

der Erlösung und der Gemeinschaft in sich bergen sollte. „Gott

offenbart nicht alles, und Gott verbirgt nicht alles. Denket dem Herrn nach in frommem Sinn und suchet ihn mit einfältigem Herzen! Denn er läßt sich finden von denen, so ihn nicht versuchen,

und erscheint denen, die ihm nicht mißtrauen. Denn die Menschen

sind Gottes unwürdig und doch imstande ihn auszunehmen, un­ würdig durch das Verderben der Sünde und doch imstande ihn

zu empfangen durch das Gottesbild in ihnen" (Pascal). Brot und Wein wurden für Jesus zum Sakrament, das heißt zu sichtbaren Trägern von Gottes ewiger Wahrheit. So waren auch die Natur um ihn her, die Geschehnisse des Alltags und der Geschichte für

ihn Sakramente, d. h. Träger, sichtbare Offenbarungen von Gottes Willen und Werk. „Nehmet das Brot, das ist mein Leib, nehmet den Wein, das ist mein Blut." Nachdem sein Leib gebrochen und sein Blut vergossen war, sollten Brot und Wein bei der Mahlzeit

sichtbare Offenbarer seiner Gegenwart bleiben.

Luk. 22,19,20

Röm. 1,19-21

Matth. 6, 26-30

S. März

Der Geist offenbart sich im Ktoftlichen Die Inkarnation, das ist die Menschwerdung, war nicht eine vereinzelt dastehende Tatsache. Wir finden, wie Jesus in allen

Dingen, die ihn umgaben und nicht durch Sünde entstellt waren, Gedanken des Vaters wiedererkannte: Die Menschwerdung soll

fortgesetzt und ausgedehnt werden. Wort und Wahrheit sollen

körperliche Gestalt gewinnen im Menschenleben, in der menschlichen Gesellschaft. Das Wort darf nicht dabei stehen bleiben, ein

Gedanke, ein Laut zu sein.

Es muß verwirklicht

werden, „muß Fleisch werden".

Die Natur soll unseren geöffneten Augen Gottes Gegenwart offenbaren. Sein Wille soll in unserem Leben Gestalt gewinnen. Gottes Volk, die ganze Menschheit und alle menschlichen Ver­ hältnisse sollen von Gottes Absichten durchsäuert werden. Gott

will das ganze Dasein zum Sakrament machen, in dem

seine Liebe Fleisch wird. Das Unterpfand hierzu sind Brot

und Wein bei der Mahlzeit. Gottes ewiger Ratschluß, der Logos, das Wort, das im Menschensohn Gestalt angenommen hat, legt in das Sakrament sein gesegnetes Geheimnis.

„Herr, du bist nicht hinter Wolken verborgen, hinter dem Sirius und dem großen Bären, sondern du wirkst in der Menschheit wie die Hefe im Teig, und dein ewiges Wort verkörpert sich in leben­ digen Geschöpfen, die deinen Willen tun und freiwillige Diener deines zukünftigen Reiches sind und ein Werkzeug für die Erlösung

der Welt." Gnade, Wahrheit und Versöhnung steigen nieder auf die Erde, daß ein frommes Herz zur Wohnung hier des Heilgen Geistes werde.

Mit dem armen Menschenwesen Gottes Hoheit sich vereinigt,

Sohn der Magd wird auserlesen, wird zum Opfer, das uns reinigt.

Joh. 1,14

6. März

Dachs Vassionsmusik Z. S. Bachs große Messe in H-Moll gibt das Glaubensbekennt­ nis in der nicänischen Form wieder, das den Schöpfer machtvoll schildert. Es folgt das tiefste Geheimnis der H-Mollmesse. Schon

bei dem Gedanken an diese Tone wird die Seele in andachts­ volles Beben angesichts der Tragik des Lebens und des Mysteriums der Erlösung verseht. Es handelt sich hier noch nicht um das „ge­ kreuzigt unter Pontius Pilatus", sondern um die Worte, die davor

stehen: „Er hat Fleisch angenommen". Weihnachten soll geschildert werden, das Kind in der Krippe. Über den schweren, dumpfen H-Mollschlägen der Bässe, die in tiefere Tiefen hinabwandern und zuletzt halb widerstrebend in die ausdrucksvolle Trauermelodie der Oberstimmen einklingen, spielen die Violinen eine Tonfolge, die Seufzer und fallende Tränen darstellen könnte. Der Alt beginnt

ein durchdringendes Thema in Moll zu singen, das den Anfang von Christi Leiden in den Beginn seines Erdenlebens verlegt, nicht

erst nach Golgatha.

Als ich die Matthäuspassion zum erstenmal hörte, kam mir der Gedanke, daß wir in Bachs Passionsmusik und seinen anderen Tonschöpfungen ein fünftes Evangelium neben den vier

neutestamentlichen besitzen. Ich verstehe darunter eine tiefe und richtige Deutung vom Wesen des Evangeliums, die es aber dank der Ausdruckskraft der Töne für die erfahrende und ahnende Seele reicher ausdeutet, als Worte es auszudrücken vermögen.

Hierin sind diese Tonschöpfungen Handlungen vergleichbar, die, wenn man sie an schaut, ausführt oder erlebt, mehr sagen, als Worte

streng genommen unmittelbar auszusagen vermögen. Jedoch ist die Voraussetzung für chren Widerhall im Menschenherzen wenig

beneidenswert. Hier herrscht ein geheimes Wissen und Verständnis zwischen denen, die wissen, was leiden heißt und die auch etwas von Verklärung erlebt haben.

7. März

Eine Stimme kam vom Himmel Das Volk hörte ein Donnern. Andere vernahmen einen Engel, der mit dem Erlöser sprach. Jesus erfaßte den Sinn der Worte.

2n der Geschichte, im Kleinen wie im Großen, in unsrer eigenen Lebensgeschichte, in der Geschichte des Volkes und der Menschheit

vernehmen wir zuweilen ein Getöse wie von Donner. Jesus ver­

stand, was da geschieht. Andere nach ihm haben es auch gelernt, zu lauschen und durch eifriges Lauschen das Geschehen zu ahnen und zu vernehmen. Was aber geschieht denn? Jesus antwortet: „Jetzt gehet das Gericht über die Welt, nun wird der Fürst dieser

Welt ausgestoßen werden". Dies ist das eine, was stets eintrifft,

wenn unsre Ohren durch das Donnergetöse verwirrt und betäubt werden. Aber gleichzeitig geschieht noch ein anderes. Jesus sagt: „Ich will sie alle zu mir ziehen".

Beides vernehmen wir schon in unserem eigenen Leben, manch­

mal auch dunkel in dem, was in der Welt vor sich geht. Da wurde ein Wesen verurteilt, das leer geworden war und sich selbst über­ lebt hatte, das keine Wahrheit in sich trug, sondern vor überheblich-

keit geschwollen war. Da sprang eine Saite, die eigenmächtig

gespannt war. Saiten werden von Eigenwillen und Rachsucht gespannt, die nichts gelernt haben; auch sie sind verurteilt zu springen. Je größer die Überheblichkeit, desto furchtbarer das Ende. Das

Ewige, das in der Geschichte geschieht, besteht aus Gericht und Er­ lösung, obwohl wir sicherlich nicht immer hören oder sehen können,

worin Gericht und Erlösung bestehen. „Der Fürst dieser Welt

wird ausgestoßen". Wenn er am schlimmsten tobt, dann wird er vielleicht gerade ausgestoßen. In einer bedeutsamen Stunde er­ zählte Jesus seinen Jüngern eine Erscheinung. „Ich sah wohl den Satan fallen vom Himmel wie einen Blitz". Wir brauchen immer wieder — wenigstens einige Auserwählte unter uns — brauchen

immer wieder die Gnade solchen Schauens. Wir müssen die Macht des Menschensohnes empfangen, um die Schlangen und Skorpione

und alle Macht der Hölle zu zertreten.

Joh. 12, 31. 32

Luk. 10,18

8. März

Das Wetzenkorn „Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt,

so verbleibt es allein. Aber wenn es stirbt, so trägt es viele

Früchte." Das Wort vom Weizenkorn gilt von allem Menschenleben. Es

muß täglich verloren werden. Ich lege meine Kleider ab, „das Bild der Sterblichkeit". Dies Wort bezieht sich nicht nur auf Kleider.

Wir dürfen weder bei dem Vergangenen noch bei dem Gegen­

wärtigen ausruhen. Das ist uns verwehrt. Wollen wir es behalten und betrachten, wollen wir bei der Erinnerung oder bei genossenem Glück verweilen, so entgleitet das Leben unseren Händen. Wir

müssen es verlieren. Der Weg versinkt hinter uns, so wie der Künstler

an der südlichen Kupfertür der Offenbarungskirche in Saltsjöbaden die Lebenskunst des Paulus geschildert hat. „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, das da vorne ist und jage nach dem vorgesteckten Ziel". Der Weg versinkt hinter uns, aber er führt,

solange wir wandern, vorwärts. Wir müssen die Schiffe verbrennen und ohne Zuflucht und Rückhalt leben. Wie weit ein Mensch durch Berechnung kommen kann, ist schwer zu sagen. Zm inneren Leben selbst kommt man wohl nicht weit damit. Gewiß haben wir das Bedürfnis, in unsere Höhle zu kriechen, uns zu verbergen, allein

zu sein und auszuruhen — des Menschen Sohn hatte keine solche Zuflucht — aber dergleichen sind nur Stationen, Herbergen, keine bleibende Stätte, kein wahrer Hort. Jesus begriff dieses Gebot vollkommen. Das zeigt sich sowohl

bei den Synoptikern als auch bei Johannes. Und doch fühlte er Unruhe und Angst. Denn er war ja wahrer Mensch. Er weiß: Das Weizenkorn muß sterben. Und doch ist seine Seele voller Angst. Was wird er wohl sagen? „Vater, hilf mir aus dieser Stunde." Die Wirklichkeit erscheint oft grausam. Wir begreifen nichts. Aber wir glauben, daß Jesus recht hat. Wir halten uns an Christi

Gesetz: Sterben, um zu leben.

Joh. 12, 24. 25

Phil. 5, 13. 14

Joh. 12, 27

9. Marx Wie durchs Feuer hindurch erlöst Was das Leben gefährlich und verantwortungsreich macht, ist dies Zwiefache: Gericht und Christus, der trotz aller seiner Pein

doch nicht nachgibt, sondern immer mehr Menschen zu sich zieht. Wir fühlen mit Paulus im Römerbrief, wie das Gericht ständig

auch über uns hingeht. „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?" Was kann in unsrem Leben, in unsrer Arbeit vor Gottes Prüfung bestehen? Wenn wir erlöst werden,

so geschiehts wie durchs Feuer hindurch — mit knapper Not.

Wir erleben, daß Gericht und Erlösung zusammengehören. Hast du einmal gefühlt, wie es dir erginge, wenn Gottes Hilfe und Er­ lösung von dir genommen würden? Wenn von dem, was dir Stütze ist, auch nur das geringste Teil fortgenommen würde? Hast du

gefühlt, daß du dann versinken und hilflos untergehen müßtest? Nicht nur, daß du unbedeutender würdest, aber doch immer noch angenehm und erträglich vor den Menschen und deiner eigenen verborgenen Welt? Nein, du würdest untergehen, schlecht unter den Schlechtesten, verloren unter den Verlorenen, verurteilt unter den

Verurteilten. Der Abgrund öffnet sich einen Augenblick lang. Dir

schwindelt. Er schlürft ein und zieht, und dir schaudert. Nur so­ lange Gott hilft, geht es. Deshalb müssen wir uns hineinstürzen in die helfende, göttliche

Huld. Das geschieht in Christi Werk, in Arbeit und Verantwor­

tung, in einem segensreichen, persönlichen Band des Vertrauens und der Verehrung, in all dem Beistand, den Gott uns darreicht. Vor allem aber in Christi Werk. Er zieht uns zu sich. Das brau­

chen wir in jedem Augenblick des Lebens, um nicht zurückzubleiben

und im Gericht ausgestoßen zu werden. Wir wissen, daß es nicht

genug ist, das Gleichnis vom ersterbenden Weizenkorn zu betrachten und es tiefsinnig zu finden, sondern wir müssen unser eigenes Leben

hergeben. Wir müssen ständig vernichtet werden, um ständig aufs

neue lebendig zu werden.

Röm. 7, 24 Joh. 12,24

1. Kor. 5, IS Off.Joh. 6, 17

10. März Menschen, deren die Welt nicht wert war Gott hat sich im menschlichen Geist unzweideutig zu erkennen

gegeben. Es gibt Persönlichkeiten, die in ihrer Gesinnung und in ihrem Leben eine Macht und ein Dasein offenbaren, die der Vers

gänglichkeit trotzen und Ewigkeit in sich bergen. Von solchen Tatr Zeugnissen seiner Jünger spricht Jesus, wenn er will, daß wir, durch

die Taten leuchtender Güte gezwungen, nicht Menschen, sondern

den Vater im Himmel loben. Ein in der Schrift bewanderter Apostel zeichnet solche menschlichen Gottesoffenbarer und zahlt

Menschen auf, die durch einzelne Werke oder durch das Ziel all ihrer Sehnsucht und chres ganzen Lebens, durch geduldig erlittene

Schmach und Opfertod eine feste Zuversicht bezeugt des, das man

hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht siehet. Er nennt sie: „Menschen, deren die Welt nicht wert war". Ein Heiliger

ist, wer im Herzen und im Leben offenbart, daß Gott lebt und wirkt.

Aber über all diesen menschlichen Zeugen in ihrer Schwachheit und Große erhebt sich eine Gestalt. „Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherleiweise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet

durch den Sohn, welchen er gesetzt hat zum Erben über alles, durch welchen er auch die Welt gemacht hat; welcher, sintemal

er ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat gemacht die Reinigung unsrer Sünden durch sich selbst, hat er sich gesetzt zu der Rechten der Majestät in der Höhe."

Hebr. 11, 1; 1, 1-3; 11, 32-40 (vgl. 381)

11. Marz Der eine leidet für den andern Nur wer selbst um Kreuzigung weiß, kann angesichts des Kreuzes

verstehen, wer da hängt und aus welchem Grunde, und kann daraus wahren Trost schöpfen. Christus hängt da an unsrer Statt. Der eine leidet für den

andern. So ist es nun einmal in dieser Welt. Der eine leidet um des andern willen. Kinder leiden für die Übeltaten ihrer Väter, Eltern leiden um ihrer Kinder willen, eine Schwester für den Bruder, ein Bruder für den andern oder für seine Schwester, ein

Freund für den Freund und so fort in allen Beziehungen des Lebens.

Dieses Lebensgesetz mag grausam erscheinen. Aber es gibt noch eine andere Blickrichtung, wenn wir an den

Zusammenhang der Menschheit denken. Wir brauchen nicht mit rückwärts gerichtetem Blick stehen zu bleiben und nach dem Warum

zu fragen und uns in die Antwort, die Sünde und Tod heißt, zu vertiefen. Da versinkt unser Grübeln immer tiefer in Finsternis. Wir müssen unser Fragen vorwärts richten: Warum, wozu dient das? Dann erhalten wir die Antwort der Gnade und des Lebens. Wir sehen das in den Verhältnissen des täglichen Lebens. Mühe

und Leiden des einen dienen zum Schutz der andern. Der eine schläft ruhig, während andere um seinetwillen wachten. Viele sitzen sicher zu Hause, während andere für sie äußerste Mühsal, ja

sogar das Leben opfern. Auch da, wo gemeinsame Schuld vorliegt und die Menschen an ihren Fluch bindet, zeigt die Erfahrung, daß

geduldig ertragenes Leiden auch andern zur Hilfe gereicht und zur Reinigung und Genugtuung dient. Es gibt viel solch versöhnendes Leiden in der Welt. Aber einen einzigen.leidenden Menschen hat

Gott über alle gesetzt.

Bei Christus finden wir die göttliche Kraft einer solchen Liebe und die Macht einer solchen Reinheit, daß sein Kreuz uns allen Genüge getan hat. Kein Mensch vermag mit ihm zu tauschen. Er

ist und er bleibt es, der am Kreuz hängen muß, und kein anderer. Wir wollen das Kreuz nicht aus dem Boden der Erde herausreißen. Wie demütigend ist es für jeden von uns, daß Jesus so leiden

mußte, sicherlich infolge der Ordnung der Welt und der Be­ schaffenheit der Menschen, aber vor allem unsertwegen und zu

7S

11. März (Forts.) unsrer Erlösung. Wir können das Kreuz nicht entbehren. Wir müssen

ihm danken, daß er für uns litt und starb. Wir müssen sein Leiden

entgegennehmen als ein Geschenk unverdienter, göttlicher Liebe. Schauet her, ihr Menschenkinder wie die Plage Jesus schlägt!

Weinet, klaget, all ihr Sünder, weil Er unsre Schulden trägt.

So wie Jesu Schmerz und Pein kann kein Schmerz auf Erden sein. Hast du, Menschenkind, ein Herze, ist dein bester Freund dir lieb, fühl die Sündenschuld mit Schmerze,

denn für sie das Kreuz 2hm blieb. So wie Jesus dich geliebt,

niemand jemals Liebe gibt.

Röm. §, 32; 14, 7-9 Gal. 2, 20; 3, 13 2. Kor. S, 21 1. Tim. 2, 5. 6 1. Petr. 2, 24 1. Joh. 2, 2

12. März

Die Bußpredigt des Kreuzes Am liebsten würden wir uns selbst helfen. Es ist erniedrigend,

die Hilfe eines andern annehmen zu müssen. Als Jesus am Abend des letzten Donnerstages den Jüngern die Füße waschen wollte, wehrte Petrus dem Meister, ihnen diesen einfachen Dienst zu er­

weisen. Es widerstrebte ihm, sich von dem Herrn die Füße waschen zu lassen; denn wie beglückend und ehrend wäre es für die Jünger

gewesen, dies ihrem Meister zu tun! Nun aber sagt Jesus ein Wort, das die Gedanken des Jüngers plötzlich umstimmte: „Werde ich

dich nicht waschen, so hast du kein Teil mit mir". Der Meister sollte dem Jünger noch einen unvergleichlich größeren Dienst tun. Ihn

entgegenzunehmen, mußte noch viel demütigender sein. Er sollte für ihn sterben. Er sollte sein Leben zu einer Erlösung für viele

geben. Es kommt der Augenblick,

da unser Hochmut zer­

brochen wird. Wir blicken angstvoll umher, bis unser

Blick am Kreuz verweilt. Wir finden keinen anderen

Ausweg. Wir können uns nicht selbst Frieden schaffen.

Da keimt vielleicht in der Seele eine Gewißheit auf, die der Ver­ stand niemals ganz zu erklären vermag. Denn sie gehört zu den: Geheimnis inniger Verbundenheit der in die Not des Schuld­

bewußtseins und in die Kraft der leidenden Liebe Eingeweihten. Ich meine die Gewißheit, daß Christi Tod auch mich und dich an­

geht. Das Kreuz ist eine beständige Bußpredigt. Es predigt auch dann noch Buße, wenn es uns von Gottes Barmherzigkeit über­ zeugt hat. Hört das Kreuz auf, Buße zu predigen, so nimmt der Mensch einen falschen Trost vom Kreuz. Denn Besserung und

Glauben gehören zusammen. Aber der Glaube erkennt im Kreuz das stellvertretende Leiden. Da wird das Kreuz nicht bloß zur Buß­ predigt, sondern auch, und das vor allem, zu einem starken und ewigen Trost, den uns nichts, nicht einmal die Verzweiflung un­

seres eigenen Herzens rauben darf.

Joh. 13, 1-20

Matth. 20, 28

13. März

Der Lusammenhang Keiner lebt für sich selbst. Wenn einer glaubt, sich selbst genug

zu sein und aus eigne Faust handeln zu können, irrt er sich. Vielleicht ist er gerade dann in Mächte verstrickt und gefangen, die ihn gegen

oder mit seinem Willen führen und leiten. Sein Tun kann verborgen und unbedeutend sein. Das Wort verklingt im Raum und schwindet

dahin. Ach, es ist doch nicht entschwunden. Es ist noch da. Äther-

wellen tragen es weiter. Ein rechter Empfänger kann es nah oder fern ausfangen. Jedes Handeln zieht Folgen nach sich. Diese breiten sich aus, sie sind unberechenbar. Sie verbinden sich mit anderen

Handlungen und deren Folgen. Keiner kann diesen Knäuel ent­ wirren. Man kann einzig und allein mit ganzer Seele aus der gött­

lichen Voraussetzung eines guten Willens eine Tat, eine Anstren­ gung, ein Lebenswerk so beginnen, daß dadurch der gesamte ur­

sächliche Zusammenhang in eine neue Richtung gezwungen wird. Keine menschliche Rechenkunst kann das Parallelogramm der Kräfte

in der Menschheit ablesen und ausdeuten. Aber das allgemeine Gesetz muß ein jeder mit etwas Lebenserfahrung erkannt haben. Die Menschen wirken auf einander ein, helfen einander, versuchen

einander, stützen einander, sie führen einander in die Leere und die

Obe, oder sie geben auch neue Impulse zu geistigem Leben. Wir sind darauf angewiesen, daß einer des andern Bürde und die Last seiner Seele trage. Wir übernehmen

Schuld, mit oder ohne unseren Willen, wir hinterlassen kommenden Geschlechtern oder denen, die uns umgeben, schuldhaftes Tun, das diese übernehmen müssen. Keiner kann sein Erbteil an der gemeinsamen Erbschaft der

Menschheit ausschlagen. Wer sich lieblos absondert, sperrt damit auch den Zustrom der geistigen Lebenskräfte ab, die durch

den verderbten Organismus derselben Menschheit fließen und die ihren stets neuen und wahren Zufluß und ihre ewig fließende Quelle in dem Herrn Jesus Christus haben.

Röm. 5.12

Phil. 2, 4

14. März

Das A>ah der Besserung „Es muß ein jeglicher mit Feuer gesalzen werden. Habt Salz

bei euch und habt Frieden untereinander."

Um Frieden zu stiften, muß das Salz der Besserung in den Leib des alten Menschen gebracht werden, der voller Keime des Unfrie­

dens, des Haffes und der Bitterkeit ist. Es ist beachtenswert, daß Zesus in diesen Worten den Frieden nicht vom Süßen und Lieb­

lichen im Leben, sondern vom Salz herleitet. Er hat recht. Denn wenn man die Menschen sich selbst überläßt, gibt es nicht Frieden, sondern Unfrieden. Unfrieden im Herzen, Unfrieden im Zusammen­

leben. Jedes Menschenleben muß durch Buße und Schmerz, durch Züchtigung und Verzicht gesalzen werden, damit es nicht verfault.

Nimm beizeiten Gottes Züchtigung entgegen. Vielleicht sendet

er uns sein heiliges Gesetz oder das Leiden. Denn in irgend einer Form muß das Opfer unsres Lebens zu Gottes Ehre dargebracht

werden. Jeder Mensch muß mit oder gegen seinen Willen durch Reinigung und durch Läuterung und durch Vernichtung eines Lebens, soweit es kein Salz in sich hat, der Ehre Gottes dienen.

Kein

wirklicher Friede kann

zustande kommen,

ohne

daß das Salz der göttlichen Gerechtigkeit angewendet wird und sich wirksam erweist. Jesus will, daß wir^as Salz auf uns selbst wirken lassen. Dann, sagt er, kommt der Friede. Denn aus aufrichtiger Reue wird der Glaube geboren, welcher ist Friede mit Gott. „Habt Salz bei

euch und habt Frieden untereinander." Kein Kampf ist notwendiger als der gegen unser eigenes, hoffärtiges und erbärmliches Ich. Kein

Sieg ist großer und seltener als der Sieg über uns selbst. Die Selbst­ überwindung ist der schmale Weg zum Frieden der Herzen und zum Frieden mit dem Nächsten.

Mark. 49. 50 2. Tim. 3,16. 17

Hebr. 12, 5-7. 11

15. März

Salz und dfrieben Keine selbstsüchtigen Berechnungen, mögen sie noch so klug sein, können wahren Frieden bewirket!. Dazu ist etwas ganz anderer

Art nötig, das Salz und die Macht der Wahrheit. Es bedarf keiner großen Anstrengungen, um Unfrieden und Entzweiung zu schaffen.

Man braucht nur dem Eigenwillen, der Selbstsucht und der Leiden­ schaft freien Lauf zu lassen. Deshalb sprach Jesus vom Salz und nicht vom Zucker. Ein jeder will das tun, wonach ihn gelüstet. Die

Menschen sehen kurzsichtig nur ihre eigenen Interessen. Eine un­ erhörte Anstrengung ist nötig, um Frieden zu schaffen. Eine ganz

neue Sache ist notwendig. Sie ist nicht angenehm. Wohl aber ein

bitteres und gesundes Heilmittel: Der Sieg über sich selbst. Das Salz brennt. Seine Wirkung muß das Bekenntnis eigener

Fehler und Versäumnisse und die Umkehr sein. Wie wäre es, wenn die Männer, die das Vertrauen des Volkes besitzen, ihre Zusammenarbeit damit begönnen und weiterführten, daß sie offen ihre Irrtümer eingeständen und den großen Schatz

ihrer gemeinsamen Erfahrung, Macht und ihres Scharfsinnes dazu anwendeten, um den besten Weg zu einer weisen und macht­

vollen Ordnung in unsrer ungeordneten Welt zu finden, wenn sie darüber offen und ehrlich im hellen Licht der Öffentlichkeit berieten.

Dies würde unsrer müden und bedrückten Zivilisation das ver­

schaffen, was sie am meisten braucht, nämlich eine freiwillig an­ erkannte, sittliche Autorität. Sicherlich weist unsre Zeit eine große Machtentwicklung auf. Es wird befohlen und kommandiert, aber sie ist bedenklich arm an der Autorität, die sogar ohne äußere Macht

ausgeübt wird.

Der Apostel schreibt hierüber: „Sondern mit

Offenbarung der Wahrheit beweisen wir uns wohl an allerMenschen

Gewissen vor Gott".

SO

2. Kor. 4, 2b

Matth.

13. 14

16. Marz

Wie wiederhergestellte Gemeinschaft mit Gott Eine Tat, selbstlose Güte und opferwillige Tapferkeit, üben ihre

Wirkung in weitem Umkreis aus. Die Atmosphäre wird gereinigt. Der eine erhält durch das Gesetz dieses Lebens Anteil an dem Opfer

des anderen. Wenn Jesus durch die seltsame Verflechtung der Ereignisse, der geistigen Richtungen und der menschlichen Gesellschäft im Gehorsam gegen den Willen des Vaters sich selbst im

Leben und im Tod willig hingibt, so kommt diese Opfertat der Menschheit zugute, soweit wie ihre Wirkungen in den Organismus

der Menschheit durch die Zeiten und Volker hindurch ausstromen. Aber auch jeder einzelne muß einsehen, wessen er bedarf und es

anerkennen; er muß bußfertig und demütig das empfangen, was

zur Bezahlung seiner Schuld nötig ist. Diese Bilder sind unseren menschlichen Verhältnissen entnommen, sei es, daß es sich um die Schuld des Verbrechens handle, das der Strafe bedarf, um zur

Versöhnung geführt zu werden, oder sei es, daß es sich um eine Geldschuld handele, die, vielleicht mit vieler Mühe, bezahlt werden

soll, oder um irgend eine ähnliche Verschuldung. Hier, im geistigen und sittlichen Zusammenhang, drücken solche Gleichnisse nur sehr

unvollkommen aus, worum es sich handelt. Auf Gegenseitigkeit kommt alles an. Der eine vermag, was der andere nicht vermag. Jesus Christus vermag, was kein anderer vermag und was alle

anderen zusammen nicht vermögen. Daher sagt er: „für euch".

Der Bund zwischen

und

unauflöslich

Gott und den Menschen ist fest

mit

der Person

Jesu

Christi

und

seiner Opfertat verknüpft. Von Gott aus gesehen ist er ein Zeichen seiner Treue und Barmherzigkeit, die kein Mittel scheute, ihr Ziel zu erreichen und die Seelen aus den erniedrigenden Bin­

dungen, die sie gefangen halten, zu befreien und mit ihnen einen ewigen Bund zu schließen, der sie errettet, erhebt und freimacht.

Luk. 22,19. 20 Röm. 3, 23. 24; 5,1 6

Worte für jeden Tag

1. Tim. 2, 5. 6

17. März

Die Bedingung des Bundes Um der Menschheit willen wird vom Menschensohn ein neuer

Bund aufgerichtet. Er schließt eine Verpflichtung für jeden ein,

der Anteil an seinem Opfer haben und in den Bund eingeschlossen werden will. Darüber spricht Jesus am letzten Abend vor und auch nach der Mahlzeit noch viel mit seinen Jüngern. Auf dem Wege der Buße und Besserung müssen die einzelnen ihre Schuld bekennen, um nach Vernichtung vor sich selbst ihren Anteil an der von Christus herbeigeführten Gottesgemeinschaft empfangen zu können. Ein Glied kann für sich genommen nicht von einem andern

Leben genährt, von anderen Kraftsäften aufgebaut werden, als die den Körper in seiner Gesamtheit erhalten. Sindwirsodurch den neuen Bund dem Herren einverleibt worden, so

müssen wir sein Leben leben und seine Lebensregel an­ wenden, die im gegenseitigen Dienst besteht. Der Eigen­ wille muß getötet werden. Denn er trennt den einzelnen von dem

Gesamtzusammenhang des neuen Bundes. Er nahm das Brot und brach es. So soll ein jeder seinen Leib hingeben. So soll eines jeden Körper niederbrechen zum Nutzen, ja, zu einer Erlösung für

viele. Er reichte den Kelch herum, und jeder durfte daraus trinken. So muß der Mensch seine Kräfte hingeben, die Gaben, das Können,

das chm anvertraut ist, zum Nutzen des Ganzen, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat. Das soll nicht heißen, daß man sich in sinnloser Dienstfertigkeit vergeudet und verzettelt. Aber man soll nichts für sich selbst behalten, sondern muß sein Leben in ziel­ bewußtem Dienen aus ganzem Herzen hingeben. Sonst hat man

kein Teil am Bund. Augustinus schreibt: „Du hörst; Christi Leib

und antwortest: Amen. Sei ein Glied an Christi Leib, damit dein

Amen wahr sei".

Joh. 13, 34. 35

Luk. 22, 19. 20

18. März

Die Verpflichtung Der Bund und die Mahlzeit des Bundes tragen ihre Verant­

wortung, ihre Bedingungen und ihre Verpflichtung in sich. Man kann sagen, daß der Bund Gott und die einzelne Menschen­

seele betrifft. Gott und die Seele. Diese beiden allein. Werden

sie zueinander kommen? Oder werden sie vergeblich einander suchen und sich nach einander sehnen? Werden sie in Seligkeit vereint sein? Wird die Seele es wagen, mit Furcht und Zittern nach oben zu

streben und an Gottes Vaterherz zu glauben, das Jesus Christus offenbarte? Am Abendmahl Jesu und dem neuen Bund, dem dieses Mahl zugehort, ist das Wichtigste, daß der Mensch nicht allein, wie Mystik und andere Frömmigkeit, zumindest in ihrer Ausartung

und Einseitigkeit meinen, selbstsüchtig Gottes Gemeinschaft ge­ nießen und in dem neuen Bund leben kann, ohne sich um die Brüder zu kümmern. Wir haben schon gesehen, daß Jesus, der Trennungs­ wände niederriß, auch in unauflöslicher Einheit verbunden hat,

was vorher und außerhalb seines Reiches getrennt war. Ich meine

Religion und Sittlichkeit, die Liebe zum Nächsten, Gottes Geschenk und dessen Verpflichtung für uns. Die Einsamkeit der Seele mit Gott wird im Abendmahl von einer Gemeinschaft umgeben, die die selige Versenkung der Seele in den Erlöser und sein Werk nicht stört, aber erst diese Ge­

meinschaft erfüllt, indem sie die einzelne Seele fester in die Brüderschaft um den Erlöser einfügt. Da das Abendmahl eine innerliche Gemeinschaft bedeutet, ist keine andere Bedingung einer würdigen Teilnahme wichtiger als die gegenseitige Vergebung, die Jesus

unermüdlich

einschärft.

Die wichtigste Vorbereitung zum Abendmahl muß sein, daß wir mit Gottes Hilfe alle Bitterkeit aus unserem Herzen reißen. Wie

sollte der Vergebung erlangen, der selbst nicht vergibt? Beten wir

nicht im Vaterunser, wie Jesus uns gelehrt hat: „Vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern"?

Luk. 22, 7—20 1. Kor. 10, 14—33 Luk. 11, 4 Joh. 15, 4-12 st*

19. Marz

Der erste Ltzarne des Abendmahls „Er nahm das Brot, dankte und brachs und gabs den Jüngern. Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den." Jesus dankte. Er sprach das Tischgebet. Er segnete die Gaben.

Das Tischgebet unterscheidet den Menschen vom Tier. Eine Mahlzeit wird durch Dankbarkeit geheiligt. Sie wird aus der Sphäre des rein Kreatürlichen herausgehoben. Der Mensch empfängt seine Nahrung wie alle guten Gaben von dem Geber

aller guten Gaben. Die Mahlzeit selbst wird wie die verschiedenen Beschäftigungen des Lebens zu einem Umgang mit Gott. Dank­ barkeit ist die beste Würze der Mahlzeit. Durch Dankbarkeit erhält sie Anmut und Gewinn für Sinne, Seele und Leib, einen Wert, der ihr sonst fehlen würde. Selbst das reichlichste Mahl wird ohne

Danksagung leicht friedlos und freudlos. Ein kärgliches Mahl kann zum Sakrament der Liebe und des Vertrauens werden, wenn es mit Dank und Freude verzehrt wird und das gemeinsame Gefühl der Dankbarkeit die Gemüter der Tischgäste froh macht und ihr

Antlitz erhellt. Jesus folgte seiner Gewohnheit. Er folgte der frommen Gewohnheit seines Volkes. Er dankte und segnete stets vor der Mahlzeit. Es ist merkwürdig, daß es gerade die Danksagung war, die sich

zuerst und zutiefst der Erinnerung der ersten Gemeinde und des Urchristentums einprägte. Die „Danksagung" gab dem Liebesmahl

und

dem

Abendmahl

sein

Gepräge.

Als

dann das Abendmahl als fest geordneter Gemeindegottesdienst von dem Liebesmahl, der Agape, getrennt wurde, da erhielt es seinen

vornehmsten Namen Eucharistia, das heißt Danksagung.. Dank sei Dir für unser täglich Brot!

Schenk festen Glauben und seligen Tod!

Luk. 22,19. 20

20. März

Die gegenseitige Gerneinschatt Der älteste Name des Abendmahls in der Christenheit ist, wie wir gesehen haben, „die Danksagung". In den westlichen Ländern wurde seine übliche Bezeichnung communio — Gemeinschaft. In einzelnen Konfessionen und Sprachen wird das Abendmahl Kommunion genannt. Die Gemeinschaft mit dem Erlöser brachte für die Jünger wechselseitige Gemeinschaft mit sich. Sie wurde durch das Mahl gestärkt und geheiligt. Schon von altersher hatte man erkannt, daß das gemeinsame Essen eine Verbindung unter den Tischgästen mit sich brachte. Das gilt für jede Mahlzeit. Hat einer mit dem andern das Brot geteilt, so ist es schmachvoll, ihm zu schaden. Daher auch der Verdruß des Psalmisten: „Der mein Brot isset, tritt mich mit Füßen". Dies Wort aus dem Psalter wird im vierten Evangelium angeführt. Noch inniger und verbindender wird die Tischgemeinschaft, wenn es sich um ein Opfermahl handelt. Und wahrhaftig, wenn überhaupt eine Mahlzeit auf Erden den Namen eines Opfermahles verdient, dann das Abendmahl, zu dem die Jünger sich am letzten Abend in Jeru­ salem um den Meister scharten. Es überbietet alle sonstigen Opfer­ mahlzeiten. Es schafft sie ab und gestaltet gleichzeitig das Schatten­ bild und Vorbild zur Wirklichkeit um. Die Mahlzeit, die Priester und Opfernde in Verbindung mit dem Schlachten der Tieropfer oder dem Darbringen der Früchte der Erde miteinander feierten, wird zu einem historischen Ereignis umgewandelt, das von allen christlichen Völkern zu allen Zeiten weitergeführt wird. O Jesus, mit den Deinen willst Du zusammen sein, aus bittrer Pein und Weinen selige Frucht verleihn. Du liebst sie bis zum Sterben und willst sie allzugleich empfangen einst als Erben in Deines Vaters Reich.

Matth. 26,20-30

Ps. 41, 10

Joh. 13,18

21. März

Die Gemeinschaft am IbendmahlStisch ist Gemeinschaft mit der leidenden Menschheit. Wieviel Mühe liegt nicht schon in der Herstellung des Brotes, das zu dieser

heiligen Mahlzeit gehört. Wenn man an die Arbeit des Bauern

denkt, der da pflügt, an die Ernteleute, die zur Scheune fahren,

an den Bauern, der zur Mühle kommt, an das Mehl im Backbetrieb, wo die Nachtruhe geopfert wird, um der erwachenden Menschheit frisches Brot zu geben, wenn man an all diese Zusammenhänge

denkt, wird man angesichts des Brotes von Ehrfurcht ergriffen. Denkt man an all die verschiedenen Verhältnisse und Lebenslagen,

an einsame, gequälte, kranke, unglückliche, verzweifelte Menschen, die den Erlöser im Abendmahl suchen und da von der gleichen

Erlöserliebe ausgenommen werden, so wird die Gemeinschaft noch

gestärkt.

Abendmahl bedeutet Gemeinschaft mit der sündigen

Menschheit. Keiner kann sich freisprechen von der Schuld an dem Verbrechen auf Golgatha unter Pontius Pilatus. Ein Mensch mag sich für

noch so ehrenwert halten, er mag noch so viel allgemeines, öffent­ liches Ansehen genießen, er gehört dennoch zu denen, die Jesus ans

Kreuz gebracht haben. Die Eiferer der Frömmigkeit, die Obrigkeit der Kirche, des Staates, die Vaterlandsfreunde, die treuen Unter­ tanen und die gedankenlose Menge. Alle sind dabei. Wir selbst waren dabei. Jede feine oder grobe Unwahrheit, deren sich einer

unversehens oder mit Überlegung schuldig gemacht hat, trägt dazu bei, den Erlöser ans Kreuz zu heften. Jede Nachgiebigkeit den Trieben oder dem Eigennutz gegenüber, jeder Zug von Neid, Hart­ herzigkeit und Unredlichkeit macht uns mitschuldig. Die Gemein­ schaft mit der sündigen Menschheit bedeutet nicht nur Solidarität

mit unserem Geschlecht, sondern sie schließt eine persönliche Mit­ schuld am Tode Christi in sich ein.

Matth. 26, 26. 27

22. März

Oberirdische Gerneinschatt Das heilige Mahl vereint uns mit der gläubigen

Menschheit. „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben"! Wie viele verschie­

denartige Gedanken haben sich mit dem Abendmahl in den verschiede­

nen Zeiten, Kirchen und Gemeinden, Sprachen und Himmelsgegen­ den verbunden. Mer das Gemeinsame ist der Glaube an den HerrnZesusChristus, die Zuversicht und die Gewißheit,

daß er und allein er uns zu helfen vermag. Die Jünger, die am letzten Donnerstag abend mit Jesus zu Tisch saßen, waren

keine Heiligen. Sie verstanden wenig oder nichts von dem, was geschah, aber sie waren eins in der Anhänglichkeit an den Meister. „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens."

Schon ehe der Glaube an die Auferstehung Christi ihnen seine Be­ rufung zum Messias und seine Aufgabe als leidender Gottesknecht

zur Gewißheit gemacht hatte, gaben sie doch eine gemeinsame,

demütige und zaghafte, aber aufrichtige Zusicherung: Herr, du weißt alles, du weißt, daß ich dich lieb habe, trotz allem, trotz meiner Schwachheit, trotz meiner Sünden, trotz meiner Verleugnung.

Diese

Gemeinschaft vereint

uns

mit

der gläubigen

Menschheit, mit all den vielen, deren Glaube unklar, schwach und zerbrechlich ist, aber auch mit den Helden und Heldinnen des Glaubens aller Zeiten. Der Glaube vereint uns mit den Gläubigen

im Himmel und auf Erden. Wir sehen alle gemeinsam hin auf Jesus, „den Anfänger und Vollender des Glaubens". Die Er­ lösten aller Zeiten, Kirchen und Erdteile sind unsichtbar bei uns,

wenn wir uns um den Tisch des Herrn versammeln. Seliger Bund, der sie und uns schließt ein! wir noch im Dunkel, sie in hehrem Schein,

doch alle eins, denn alle sind wir Dein. Halleluja!

Mark.

24

Joh. 6, 68; 21, 15-17

23. März Tischgespräch Den Jüngern war das Mahl mit dem Meister nichts Neues.

Das ganze Leben hindurch blieben ihnen die unvergeßlichen und schonen Erinnerungen an Stunden, da sie mit ihm in Galiläa und Zudäa gegessen und getrunken hatten. Manche der wichtigsten Worte

Jesu

gewesen.

in

den

Evangelien

sind

Tischgespräche

Lukas hat denkwürdige Aussprüche Jesu gesammelt,

die er während der Mahlzeiten tat. Eine Mahlzeit wird durch Dank-

barkeit und Verantwortungsgefühl — Ausdruck dafür ist das

Tischgebet —, durch freudige Stimmung und Vertraulichkeit während der Mahlzeit selbst zu menschlicher Würde emporgehoben.

Worte geben sich dann von selbst. Auch ein Gemüt, das sonst von

übermäßiger Arbeit und großer Mühe beschwert ist, fühlt sich erleichtert. Von keinem andern Jünger des Meisters besitzen wir einen solchen Reichtum an Gedanken, Humor, Herzlichkeit und Geist wie von Martin Luther in seinen Tischgesprächen.

Die Mahlzeit soll das tägliche Fest des Heimes und des Freundes­

kreises sein. Jeder trägt durch seine Gemütsstimmung dazu bei. So wird die Mahlzeit zugleich zur Schule der Selbstbeherrschung

und des Vertrauens. Die Mahlzeit stellt vor allem eine Gemein­ schaft dar. Die vier Erzählungen von Jesu Abschiedsmahl deuten

seinen Sinn als eine Bundesschließung. Von alters her ist ein gemeinsames Mahl als Zeichen für eine vorhandene Gemeinschaft

betrachtet worden, aber auch, und vielleicht noch mehr, als Unter­ pfand für das Eingehen einer innigen gegenseitigen Verbindung und als ein Mittel, tiefe und unauflösliche Zusammengehörigkeit zu schaffen.

Behüt unser Heim und segne das Brot! segne die Erde, allmächtiger Gott! gib Frieden, Gnade, Kraft uns heut,

um Dir zu dienen allezeit.

Matth. 26, 20-30 Mark. 14, 17-26 Luk. 22, 14-23 Joh. 13, 21-30

24. März

Die Matur, die Geschichte Ostern ist das Fest des Lebens, das Fest der Feste, das vornehmste von allen, die auf unsrer Erde gefeiert wurden und gefeiert werden. Kein Fest hat eine solche Geschichte und eine solche Bedeutung.

2n der Natur, in der Geschichte, im Menschen offenbart sich Gott. Deshalb verehren wir Gott als den Herrn der Natur, den

Herrn der Geschichte, den Herrn der Persönlichkeit und des Geistes.

Wir begegnen Gott und seinem Werk in der Schöpfung, im Lauf der Gestirne, in den geheimen Eigenschaften, Zusammenhängen

und Bewegungen der toten Dinge der Natur, im Wechsel der Jahreszeiten, in Saat und Ernte, in dem Gewimmel der Tierwelt auf dem Lande, im Meer oder in der Luft, die unsere Planeten einhüllt. Beobachtung und Gedanke verlieren sich im unendlich

Großen und im unendlich Kleinen.

Sn der Verkettung der Menschenschicksale ebenso wie in einzelnen

Ereignissen schauen wir Gottes Heiligkeit und Macht, seine Ge­ rechtigkeit und seine Treue. Völker werden auf Wegen geführt, die sie nicht verstehen, zu Zielen, die sie selbst nicht kennen. Das Schicksal der menschlichen Gesellschaft wäre noch schwerer zu

deuten, wenn nicht an manchen Stellen der Geschichte ein Licht aus dem Innern der Geschichte selbst hervorbräche. Die Kinder Israel sahen das Verhängnis ihres Unglücks und ihre Zukunfts­ hoffnung im Licht der wunderbaren Rettung aus Ngyptenland. Hat der Mensch es einmal gelernt, in der Geschichte eine göttliche Beziehung zu ahnen uiib zu verehren, die Erziehung durch Sünden­

fall und Leiden, den Kampf zwischen der Macht des Bösen und

der Erneuerung, ist einmal das Streben der Menschheit unter den Gesichtswinkel der göttlichen Gerechtigkeit und des Erlösungs­ willens gestellt worden, dann wird alles, was geschieht, für den

aufmerksam Lauschenden immer mehr zur Offenbarung der Hei­ ligkeit und Gnade Gottes.

Röm. 1, 19-21

Apostelg. 17, 24-30

25. März

Nie Mutter Jesu Gibt es ein schöneres und reineres Bild auf Erden als die Mutter mit dem Kinde? Die Christenheit ist auch nicht müde geworden, Maria mit ihrem 'Erstgeborenen darzustellen. Die Reinigung und Erneuerung der Kirche im 16. Jahrhundert

hat viel Heidentum hinweggefegt, das auch in die öffentliche Gottes­ verehrung der Gemeinde eingedrungen war. Zwei Marientage

wurden im evangelischen Schweden beibehalten, weil sie ihren Ur­

sprung im neuen Testament haben. An Mariä Lichtmeffe wird der Kirchgang Mariä gefeiert, bei dem die jungen Eltern Maria

und Joseph ihr Kind dem Herrn darbrachten und Simeons Lob­

gesang hörten. Heute, am Fest der Verkündigung Maria, erzählt der alte Altartext aus dem Lukasevangelium von der zitternden

Erwartung der jungen Mutter, als sie die Botschaft hörte: „Gegrüßet seist du Holdselige, der Herr ist mit dir". Kein Wunder, daß das Bild der Maria der Christenheit im Ge­ dächtnis blieb. Sie vereinigt und symbolisiert in ihrer Person das höchste und reinste Glück der Mutterschaft, aber auch ihren unend­

lichen Schmerz. Ein Schwert ging durch ihre Seele. Wie andere Mütter hatte auch sie in ihrem Herzen mancherlei bewahrt und

bedacht. „Meine Seele erhebet den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes." Dieser Lobgesang der Maria aus dem ersten Kapitel des Lukas gleicht einem Schmuckstück, das mit strahlenden Worten aus den Psalmen und Propheten, dem Buch

Hiob und den Geschichtsbüchern besetzt ist. Der Lobgesang kommt

aus einer Seele, die das heilige Zeugnis des alten Bundes int Herzen trug und seine Sprache redete.

Luk. 2, 22-40; 1, 28; 1, 46. 47

26. März

Der Gottesknecht muß leiden und sterben Der bevorstehende Tod erfüllte die Gedanken des Meisters. Er war nicht länger im Ungewissen. Sicherlich hatte er schon von dem

Anschlag der Hohenpriester und Pharisäer gegen sein Leben Kenntnis erhalten. Gewiß hatte er geahnt und geschaut, was in der Brust des Judas Äschariot vorging. Aber er wußte schon aus dem Buch

des Jesaia, daß der Gottesknecht leiden und sterben müsse. Seine

ganze Berufung zum Messias gestaltete sich, wie die Versuchungs­ geschichte klar zeigt, in immer stärkerem Gegensatz zu den Er­ wartungen der Nation und der Frommen. Deshalb hatte er nach so großen Augenblicken wie dem Bekenntnis des Petrus im Norden bei Cäsarea-Philippi und sechs Tage später nach der Verklärung auf dem Berge seinen Jüngern offenbart, was ihm von Seiten

der Machthaber bevorstünde. Trotz ihres Unvermögens, das Ge­ schehen zu begreifen, hatte er ihnen etwas von dem zu sagen ver­

sucht, was er durch die heilige Schrift und den Gebetsumgang mit dem Vater erfahren hatte. Auf den Verdruß der Jünger über die Ansprüche der Zebedäussöhne folgte die große Leidensver­ kündigung. 2n seinem Reiche groß sein, heißt der Diener der andern

sein. „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene." Der drohende Tod war nach dieser Einsicht kein schwarzer Strich durch sein Lebens­

werk, sondern er ordnete sich als Schlußtat in seinen

Dienst ein. Innerlich hatte Jesus schon eingewilligt. Aber er war ein Mensch von Fleisch und Blut, mit Gefühlen und Gedanken.

Angst und unaussprechliche Qual warteten seiner. Gehörte dies Sterben wirklich zu seiner Aufgabe, so war es nicht vergeblich. „Des Menschen Sohn ist gekommen, daß er diene und gebe sein

Leben zu einer Erlösung für viele." Die Menschen liegen in Fesseln. Der Tod des Menschensohnes soll sie freimachen. Er tritt für sie ein. Er, der Eine, gibt sein Leben als Lösegeld für viele.

Jes. 53 Matth. 4, 1-11; 16, 13-20; 17, 1-13; 20, 20-28; 20, 17-19

27. März

Einheit mit dem Erlöser Ze fester die Menschen mit dem Erlöser vereinigt sind, desto inniger sollten sie untereinander verbunden sein. Das Abendmahl ist das vornehmste Symbol der Gemeinschaft, um derentwillen Jesus

starb. Haben wirklich seine Jünger, die sein Abendmahl für das Heiligste auf Erden ansahen, neue Trennungsmauern aufgerichtet, die ebenso fest und unerbittlich sind wie die alten? Die christlichen

Kirchen hadern und streiten um die Bedeutung des Abendmahles. Sie halten es für eine Todsünde, Jünger des Herrn, die einer andern Gemeinschaft angehören, zu ihrem Abendmahlstisch zuzulassen, mö­ gen diese auch mit ganzem Herzen dabei sein. Dieser engherzige und eigensinnige Unverstand der Jünger muß das Herz des Erlösers

betrüben. Das heilige Mahl, das alle Jünger vereinen sollte, trennt sie. Wenn sie sich zur Betrachtung Gottes versammeln und dessen,

den er gesandt hat, können sie doch nicht Abendmahl miteinander halten. Viele christliche gläubige Herzen empfinden Schmerz und Anstoß über solch unchristliche Ungastlichkeit bei dem Mahl des

der

Herrn.

Jeder,

Kirche

und Gemeinde Christi

ein

warmes

Empfinden

und

für

die

ihre Einheit hat,

muß durch Gebet und Arbeit danach streben, Gottes

Gemeinde von dem Abgott zu befreien,

der Abson­

derung anderer Jünger des Herrn vom eigenen Abend­ mahlstisch heißt. Wir wollen dem Erlöser darin gleichen, daß wir das Böse, auch wenn es altgewohnt ist, nicht friedlich bestehen lassen. Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, daß einst bei

der Vollendung dieser Feier im Gottesreich ein und derselbe Tisch für alle gedeckt sein wird. Schon hier muß die Feier des

Herrnmahls gereinigt werden zu dem, was sie sein soll, nämlich zum Zeugnis der Gemeinschaft in ihm und inmitten einer Welt der Entzweiung und Kaltherzigkeit zu einer Verkündi­

gung der Liebe und Wahrheit, des ewigen Gesetzes in Gottes

Herrscherwelt.

1. Kor. 11, 17-34

28. März Das Gedenken an den Meister Jesus wollte, wenn auch unsichtbar, bei den Jüngern sein; er wußte, sie würden ihn nicht vergessen. Wenn das Brot gebrochen

und der Kelch herumgereicht wurde, sollten sie an ihn und an dieses Mahl denken. Durch die Jahrhunderte hindurch und in allen Teilen der Kirche Christi hat man dieser Mahnung gehorcht: „Solches

tut zu meinem Gedächtnis"! Er selbst war der Mittelpunkt der Mahlzeit. Alle Blicke richteten sich voll Zuversicht und Erwartung

oder unruhig und ängstlich auf ihn, der in ihrer Mitte saß. Oft hat man vergessen, daß jedes Abendmahl uns vor allem in den

kleinen Kreis nach Jerusalem versetzt. Die Schar hat sich während der Jahrhunderte vergrößert. Und sie vergrößert sich jedes Jahr, mit jeder Generation. Der Herr allein kennt die Gesinnung, mit der wir an seinem Mahl teilgenommen haben. Wenn wir zum Tisch

des Herrn gehen und wenn wir von seinem heiligen Mahl sprechen, ist es heilsam, an die Mahlzeit zu denken, von der es abstammt. Löst man das Sakrament davon los, verliert es seine eigentliche

Kraftquelle. Wir müssen — wie die Tischgäste unseres Herrn am letzten Abend vor der Kreuzigung — unsre Blicke auf ihn richten,

der der Mittelpunkt des Evangeliums und des Abendmahls ist. Solches tut zu meinem Gedächtnis. „Solches tut, so oft ihr's

trinket, zu meinem Gedächtnis." Die Mahlzeit soll die Jünger

vor allem an den Meister erinnern, an ihr Zusammensein mit ihm und die Mahlzeit am letzten Abend vor seinem Tod. Wie sollten

sie sich in vertrautem Kreis wieder versammeln können, ohne an ihn zu denken? Auch die Jünger späterer Zeiten sind vom Meister berufen worden. Im Geiste nehmen sie durch die Jahrhunderte hindurch einer nach dem andern, Geschlecht auf Geschlecht, Platz in der kleinen Schar, die mit ihm zu Tische saß und Brot und Kelch

aus der Hand des Erlösers empfingen. Wo ist dein Platz? Bei Thomas, dem Zweifler? Oder neben Matthäus, dem Zöllner? Oder neben dem redlichen Nathanael? Vielleicht bei Petrus, dem Bekenner und Verleugner? Oder nahe bei Philippus, der so kind­ lich gern den Vater sehen wollte? Oder bei dem irregeleiteten Judas?

Wagst du dich dorthin? Wir zaudern, weil der Meister dabei ist.

„Herr, gehe von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch." Aber sein

28. März (Forts.) Ruf duldet keinen Widerspruch, nicht einmal von dem Zittern und

Zagen des kleingläubigen Herzens. Vor dem Kreis der ersten Jünger braucht keiner zu erschrecken. Sie waren keine Musterchristen. Matthäus, der Zöllner, die Söhne des Zebedäus, die um den Vor­ rang stritten, und Petrus, der eifrige Sprecher im Namen der

Gesamtheit. Er bereitete dem Meister eine der großen Feierstunden seines Lebens, als er ihm seine Gewißheit bezeugte: „Du bist

Christus, der Sohn des lebendigen Gottes". Er bereitete dem Meister brennenden Schmerz, als er ihn verleugnete. Jesus hatte

die Gegensätzlichkeit seines impulsiven Charakters wohl erkannt. Die aufbrausende Begeisterung und die Unzuverlässigkeit im Augen­

blick der Entscheidung. Noch verschiedenartiger ist die Schar der

Tausende und Millionen, die sich im Lauf der Zeiten als Abendmahlsgemeinde an den Kreis der Jünger angeschlossen haben. Aber für alle ist doch gemeinsam, daß das Mahl ihnen den Meister

vor Augen stellt und sie im Geiste zu der kleinen Schar führt, die

beim Abendmahl in Jerusalem Jesu Worte hörte und seine sym­ bolische Handlung sah. Vom Himmel kamst Du in die Zeit, Dein Leben war für uns ein Streit. Den Kreuzestod Du für uns littest;

den erogen Frieden uns erstrittest.

Luk. 22,7-23 1. Kor. 11,17-34 Joh. 20, 25-27 Matth. 9, 9 Joh.1,47 Matth. 16, 16; 26, 70.71.74 Joh. 14,18; 13, 26 Luk. 5,8 Matth. 20, 20-28

29. März Lomrn in den Lreis der Jünger Komm in den Kreis der Jünger! Du siehst das Brot und den Wein; du siehst die knieende Schar und den Diener am Wort, der

Brot und Wein austeilt. Das hast du schon oft gesehen. Siehst du nicht, daß noch einer unter der Schar weilt? Hast

du seine himmlische Schönheit jemals früher geschaut? Er schreitet zu den Abendmahlsgästen, von dem einen zu dem andern. Er wieder­ holt die Worte der Mahlzeit in Jerusalem: „Für dich dahin gegeben, für dich vergossen". Er ist uns nicht unbekannt. Es ist derselbeMann, der am Donners­

tagabend mit den Seinen das Osterlamm aß, als Beginn der großen Festzeit, für die andern des Freudenfestes des Volkes und der Erde, für ihn aber des Osterfestes des Himmels und der Ewig­ keit. Aber nun ist sein Sinn ruhiger, vielleicht noch milder. Die Wellen der Furcht und der Unruhe wogen nicht mehr über seine Seele

dahin. Er fühlt nicht mehr Schaudern und Schrecken vor dem Opfer, das die ganze Aufopferung seines Lebens krönen soll. Aber

seine Stirn ist blutgerötet von der Dornenkrone. Die Hände haben römische Kriegsknechte mit ihren Nägeln zerfetzt. Wenn die Abend­ mahlsgäste sie sehen, so müssen sie traurig werden in ihrem Herzen, nicht über ihn, sondern nach Jesu Wort über sich selbst, über die

Macht der Welt und die Macht der Sünde in ihren Herzen und

in chrem Leben. Aber der Herr ist hold und stark. Er flüstert in jedes Ohr, das hören kann und hören will: „Das habe ich für dich getan. Für dich wurde mein Leib zerbrochen, wie das Brot gebrochen wird. Für dich wurde mein Blut vergossen, wie die funkelnde Flut des Weines ausgegossen wird." Sieh auf ihn! Kannst du in diese Augen sehen? Du zagst. Möchtest dich gerne heimlich zu ihm schleichen,

ungesehen, und seinen Mantel berühren. Er aber sieht dich an. Du darfst getrost in diese Augen schauen. Die Schamröte auf deiner Wange wandelt sich in Hingabe und Sicherheit.

Matth. 26, 20-30

Luk.

40-48

30. März

Vas Fest der Feste Auf der Erde gibt es ein einziges Fest, das im Lauf der Jahr­

tausende die Naturreligion, die geschichtliche Offenbarung und das göttliche Leben des Geistes in sich vereinigt hat.

2n die ältesten Zeiten führt das Opferlamm, ein Überbleibsel des uralten Frühlingsopfers der Hirten. In der Schafherde wuchsen

die ersten jungen Lämmchen heran. Um ihre Dankbarkeit zu be­

zeigen und um sich die Gunst der Mächte zu erhalten, brachten von alters her die Nomadenstämme ihre ersten Lämmer der Gottheit

zum Opfer dar. Das ungesäuerte Brot versetzt uns in eine spätere Kultur­

epoche, als man anfing, die Erde zu bebauen. Es ist das uralte Frühlingsopfer der Bauern. Nachdem die Erde ihre erste Ernte

hervorgebracht hatte,

wurde ein aus

zartem Korn gebackener

Kuchen der Gottheit dargebracht.

Zum Unterschied von den heidnischen Völkern lernte Israel Gott

auch als den Herrn der Geschichte kennen. Wenn es dunkel oder trostlos aussah, lenkten die Psalmisten und Propheten ihre

und des Volkes Gedanken hin aus die über allen andern stehende

Großtat, die der Herr, Jahve, ausführte, als er sein auserwähltes

Volk aus Agyptenland rettete. Ostern wurde aus dem Dunkel der Naturreligion in das Licht der Geschichte gerückt. Das Fest der Hirten und der Bauern aus heidnischen Zeiten wurde zum Gedächtnis der Geburt des Volkes durch die Errettung aus Ägypten.

Die Religion war nicht mehr nur Verehrung der Natur, sie gründete sich vielmehr auf die Offenbarung Gottes im Schicksal der Völker. Durch die heilige Woche in Jerusalem, die wir miteinander nicht

nur in der Erinnerung durchleben, sondern als einen gegenwärtigen, sich immer neu wiederholenden und für alle Zeiten gültigen Lebensvorgang begehen sollen, wurde Ostern in den Bereich des eigenen persönlichen Lebens gerückt. Es offenbart das Geheimnis des Geistes und die Siegeskrast stellver­ tretenden Leidens. Das Kreuz ist der Beweis für die

Erwählung des Menschengeschlechtes und für Gottes

Treue.

Ps. 81,11 3er. 2, 6 Ps. SO, 14. IS. 23 Hebr. 9-10

31. März

Kie stehen vor Gottes Ktuhl Das heilige Mahl bestätigt uns die Gemeinschaft mit all denen, die auf Gottes Macht vertrauen. Gegen das dumpfe und unklare

Gemurmel des eigenen Herzens unb der Welt oder ihre wütenden

und verzweifelten Neinrufe singen sie überzeugungsvoll das ewige

Za des Erlösers. Für alle Heiligen, die nun ruhn vom Streit, die gläubig Dich bekannt hier in der Zeit, sei Dir, o Zesu, Lob in Ewigkeit.

Halleluja!

So vereint uns das Abendmahl mit den Seligen, mit der Mensch­

heit, die mehr ist, als der irdische Mensch, weil sie die Grenzen der irdischen Welt überwunden hat. Wir stimmen den himmlischen Lobgesang an. Wenn wir während des Abendmahles die innigen, stillen Lieder von der Treue und Versöhnung des Erlösers, von unsrer Schuld und von der Vergebung singen, die uns am Kreuz Zesu zuteil wird, dann soll auch ein Zubelklang aus der Ewigkeit

unser Lied durchklingen. Ist schwer der Tag, der Seele Mühsal lang, still, horch von Ferne tönet Siegessang!

Das stärkt den Arm, das Herz ist nicht mehr bang. Halleluja!

Sie haben gesiegt, sie haben gewonnen. Sie sind der großen Trübsal entgangen. „Darum sind sie vor dem Stuhl Gottes

und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Stuhl sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie wird nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne oder irgend eine Hitze; denn das Lamm mitten im Stuhl wird sie weiden und leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen, und Gott

wird abwischen alle Tränen von ihren Augen."

Off. Joh. 7,14-17 7

Worte für jeden Tag

1. April

Die Woche des heiligen Abendmahls Die heilige Woche ist die Woche des heiligen Mahles. Oder, vielmehr, in der Geschichte des christlichen Gottesdienstes ist die

heilige, stille Woche nach und nach um das Mahl am Donners­ tag abend aufgebaut und ausgestaltet worden. Es ist bezeichnend, daß die Feier des Abendmahls am Gründonnerstag der älteste Bestandteil der heiligen Woche war, um den sich später die übrigen

Erinnerungen gruppierten, bis dann der Gemeindegottesdienst eine feste Liturgie für jeden Tag hatte, oder doch wenigstens für die wichtigsten Tage, Palmsonntag, Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag. Die älteste, bis auf unsre Zeit überlieferte Gottes­ dienstordnung aus Jerusalem gehört dem vierten Jahrhundert an.

Es wird darin erzählt, wie die Christen am Donnerstag abend und in der Nacht von Donnerstag auf Freitag die erinnerungsreichen Orte auf dem Olberg und in Gethsemane besuchten und dann

nach Jerusalem zurückkehrten. Nach der Mahlzeit am Donnerstag abend in Jerusalem wanderten sie, wie Jesus und die Jünger, über den Bach Kidron nach dem Garten Gethsemane und auf den Olberg. Nicht ohne Rührung lesen wir die Vorschrift: „Wenn

der Hahn zu krähen beginnt, steigt man nieder, hin zu dem Ort, wo der Herr betete, wie es im Evangelium geschrieben steht". Aber

der Ausgangspunkt, der feste Punkt, ist das Abendmahl des Herrn mit den Jüngern. Die heilige Woche ist die Woche des heiligen Mahles.

Am Morgen, wenn ich früh aufsteh, such ich zuerst des Herren Spur, und — wie Maria — geh ich nur

dort hin, wo ich im Geist ihn seh.

Matth. 26, 20-30; 36-46

2. April Die Woche, die uns durch alle Wochen des Lebens hindurch Helten kann, das Mahl, das alle unsere Mahlzeiten heiligen sollte Wer mit dem Erlöser durch die heilige Woche gegangen ist, weiß,

wohin ihn auch die mancherlei Wege des Lebens führen mögen: Du gehst nicht allein, Jesus Christus ist vor dir schon da gewesen.

Bei Ehrungen etwa, ebenso wie bei Schmach und Schande, bei körperlichem Schmerz, in Seelenangst, an: Heiligen Abend in einem

warmen, Hellen Saal inmitten der nächsten Freunde und im kalten,

unbarmherzigen Dämmerlicht, wenn härtestes Tagewerk und schwerstes Lebensopfer bevorstehen, Christus ist diesen Weg gegangen — vor uns. Sn Gemeinschaft mit Jesus begegnen wir in der heiligen Woche den Mitmenschen. Sein Blick stellt uns mit Pharisäern

und Sünderinnen, mit erbärmlichen Feiglingen und Freundes­

verrätern und mit einer willenlosen Menge dicht zusammen. Das heilige Mahl, das alle unsere Mahlzeiten heiligen sollte,

heiligt besonders die Mahlzeit des heiligen Abends und die Abschieds­ mahlzeiten mit unseren Lieben. Sn unsrer kleinen Welt dürfen wir erleben, wie der Raum, das Heim, durch einen teuren Freund, der von uns geht, geheiligt wird, wie Gegenstände, die er berührt, einen wunderbaren Wert für uns erhalten, wie Worte und ihr Ton­

fall bedeutungsvoll für uns werden. Hier aber ist es der Erlöser, der das Brot bricht, den Kelch reicht, die Worte spricht. Dieses Mahl mit den Jüngern am Gründonnerstag abend in Jerusalem

hat mit seinem unendlichen, geheimnisvollen Inhalt alle merk­ würdigen Opfermahlzeiten seit undenklichen Zeiten in sich auf­ genommen. Alle sakralen Mahlzeiten des Orients, Hellas' und

Roms, alle Deutungen der christlichen Kirchen, die mystischen und

rationalistischen, alles sammelt sich in einem Brennpunkt, in einem historischen Ereignisse, dessen Ursprung merkwürdig genug ist: Wenige junge Männer aus Galiläa halten das Mahl mit ihrem Meister, der am Tage darauf als Übeltäter hingerichtet wird.

Matth. 26, 20-30

3. April

Unsere Abendmahlsgänge Der Glaube kann Christus umfassen auch ohne die äußere Hand­

lung, die zu seinem Gedächtnis geschieht. Aber der schwache Glaube erhält eine Hilfe in der heiligen Handlung. Der Herr gibt einen äußerlichen Bürgen für seine Treue. Es gibt viele, die nicht darüber

nachdenken, was das Sakrament für den Schwachen, Leidenden und Sterbenden bedeutet. Der müde gewordene Gedanke darf hier ausruhen. Das Mahl führt den einzelnen in selige Gemein­

schaft, da Gläubige und Mendmahlsgäste von jeher sich um ihren großen Bruder in Gottes Haus versammeln. Ein Frömmigkeitstypus von heute erklärt vielleicht, daß der

Glaube an sich genug sei. Wir konnten diese äußeren, sonderbaren Zeremonien vergangener Zeiten beiseite lassen. „Gott ist Geist,

und die chn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten." Aber der Geist wirkt niemals ohne ein Werk­

zeug hier auf Erden. Das Wort muß Fleisch werden. Wir können nicht nur von Verstand und Gefühlen leben. Das Gemütsleben der Menschen ist verschieden. Damit müssen wir

rechnen, wenn wir den Ausdruck und die Form der Gottesverehrung und Gottesgemeinschaft erwägen. Aber Gott sei Lob und Dank

für eine Gelegenheit, da unser Verstand ausruhen darf, da wir kindlich anbeten und uns in das Geheimnis versenken dürfen, das das eigene Geheimnis der Liebe Gottes und das Myste­ rium der Erlösung ist. In dem Herrn Jesus Christus, in seinem Leben, seinen Worten, seinem Tun und Leiden sowie dem Mahl, das er einsetzte, ist der Ewige

Geist in die Geschichte der Menschheit eingetreten. Er legte die geistigen Dinge in die körperlichen. Das

Natürliche war ihm heilig. Blumen und Vögel brachten Kunde

von seinem himmlischen Vater. So ließ er auch das Brot und den Wein zu Trägern geistlicher Gaben werden. Sollten wir uns nicht bemühen, sein Geschenk zu bewahren?

Joh. 4, 24; 1,14

4. April Wohl vorbereitet Du hast recht, du mußt dich vorbereitend Der Gedanke an den bevorstehenden Abendmahlsgang wird für dich eine Aufforderung

und Hilfe zur Selbstprüfung und zur notwendigen, täglichen, so leicht versäumten Besserung und Gewissenhaftigkeit. Du kannst

nicht in deiner Selbstgenügsamkeit und Lieblosigkeit verharren.

Du kannst nicht länger durch falsche Zahlen täuschen. Du kannst nicht länger gegen Hilfesuchende hart sein. Du kannst nicht leicht­ sinnigen und gefährlichen Gedanken Raum geben. Du kannst

dich nicht dem verlockenden Anlaß zur Versuchung überlassen.

Du kannst nicht bei schreiender Ungerechtigkeit gleichgültig bleiben. Das Abendmahl, das du gefeiert hast, und das Abendmahl, zu

dem du gehen wirst, stellt nicht nur ein paar ideale Gebote vor dein

Auge, sondern das Ideal selbst, den Herrn Jesus Christus, und mahnt dich, würdig in deiner christlichen Pflicht zu wandeln. Willst du gewiß sein, daß du das heilige Abendmahl mit Segen

empfangen hast, so gib darauf acht, wie du dich gegen deinen Nächsten verhältst (Luther). Verlech uns, allmächtiger Herr, die Gnade deines heiligen Geistes,

daß wir das Gedächtnis deines Sohnes in der Mahlzeit, die zu halten er uns selbst befohlen hat, recht begehen und daß wir in dieser

Stunde seine heilige Nähe empfinden. Vereine uns miteinander und mit allen Heiligen im Himmel und auf Erden. Sammle deine heilige Kirche in rechtem Frieden und rechter Eintracht, wie das

Korn in diesem Brot zusammengekommen und eins geworden ist. Füge uns als lebendige Neben ein in den wahren Weinstock. Heilige selbst unsren Leib und unsre Seele zu einem lebendigen Opfer,

so daß nicht nur unsre Worte, sondern auch unsre Werke deinen heiligen Namen stets loben und preisen.

Joh, IS, 1-8

1. Kor. 11,27-29

5. April

Das Testament des Meisters Jesus hatte nicht lange Zeit. Er wußte es. Es war ihm viel daran

gelegen, sein Testament zu machen. Hast du, der du dies liest oder horst, dein Testament gemacht? Ich meine damit nicht das Bestellen

deiner irdischen Hinterlassenschaft. Auch das muß beizeiten besorgt werden. Aber wichtiger ist dein geistiges Testament. Hast du die

Worte gesagt, die du deinen Lieben gesagt haben mochtest, ehe dein Mund für immer verstummt und ihre Ohren nicht länger hören

können? Oder sollen sie unausgesprochen bleiben, bis es zu spät ist?

Jesus schrieb kein Testament nieder. Von ihm heißt es nur, daß er in den Sand die Vergebung schrieb, die die Schuld auswischte. Die Anklage verschwand, wie

die Schrift im Sande. Aber er schrieb seine Worte und sein Testament in die Herzen der Menschen. Jesus war ein Vater für die Seinen. Er nennt sie „liebe Kinder". Er weiß, daß er sich von ihnen trennen muß, aber er will nicht von ihnen gehen, ohne ihnen klar und deutlich seine Hinterlassenschaft

gegeben zu haben, die hilft und die keiner von ihnen nehmen kann.

Er gibt ihnen etwas, wovon sie leben, womit sie sterben können, etwas, das er ihnen erworben hat. Jesus gab seinen Jüngern zwei Dinge, die unauflöslich zusammen­ gehören und einen einzigen Schah bilden, zum Erbe. „Ein neu

Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebet." „Den

Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch." Dies ist Jesu Erbe: Liebe und Frieden.

Hast du Jesu Erbe aus­

genommen? Man erkennt die Christen daran, daß sie Jesu Erbe besitzen. „Dabei wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so

ihr Liebe untereinander habt."

Joh.8,6-11; 13, 33-3S; 14,27

6. April

Warum, Jesus, mußt du so leiden? „Warum sollen andere schlafen, die Jünger dort, die Vögel in

den Bäumen, den Kopf unter die Flügel gesteckt, die Menschen ringsum, große und kleine, in ihren Betten und Wiegen, warum sollen sie der süßen Ruhe genießen und du mußt wachen? Warum soll die große, stille Nacht sie alle umfangen und nur dich ausstoßen, damit du in Einsamkeit leidest, ohne daß irgend einer bei dir ist, der deine Stirn abtrocknen kann? Warum sollst du es so schwer

haben? Hast du größere Schuld als andere, weil das Dasein für

sie so mild und für dich so hart ist? Hast du all die schweren Stunden verschuldet, die du in der Einsamkeit durchkämpfest, und

hast du diese Nacht in Gethsemane, die schwerste von allen, ver­

dient?" In seiner Hauspostille läßt Martin Luther Jesus in Gethsemane

klagen: „Ich bin so verzagt, ich habe so Angst, so daß ich vor Angst sterben kann". Jesus in Gethsemane tut uns sogar den Dienst, sich uns als ein wirklich natürlicher Mensch zu offenbaren, der wirkliches Fleisch und ein menschliches Herz hat, da ihn der Tod

so erschreckt. Aber daß er sich Gottes Willen überläßt und in solcher Not obsiegt, das beweist die göttliche Kraft in ihm. Der Verfasser des Hebräerbriefes schreibt: „Und er hat in ben

Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei

und Tränen geopfert zu dem, der ihm von dem Tode konnte aus­ helfen; und ist auch erhöret, darum, daß er Gott in Ehren hatte. Und wiewohl er Gottes Sohn war, hat er doch an dem, das er litt, Gehorsam gelernt. Und da er vollendet war, ist er geworden

allen, die ihm gehorsam sind, eine Ursache zur ewigen Seligkeit." Jesu Jünger ist niemals sicher. Er kann jederzeit von Müdigkeit

und Versuchung überfallen werden. Deshalb soll er wachen und

beten.

Matth. 26, 36-46

Hebr. /, 7-9

7. April

Gehorsam „Mein Vater, ist's nicht möglich, daß dieser Kelch von mir gehe,

ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille!" Das Bild in der Dreifaltigkeitskirche in Uppsala, auf dem der Erlöser hart auf der Erde liegt, das Gesicht zum Boden gewendet, ist wohl wahrer als die herkömmlichen Gethsemanebilder, auf denen er so rührend zum

Himmel blickt. Ist es nicht ganz aus mit ihm? Hat er nicht alle menschliche und sittliche Würde aufgegeben? Ist er nicht ein Bild vollkommener Machtlosigkeit? Er steht nicht aufrecht da, wie es das Vorrecht der menschlichen Gestalt ist. Er kniet auch nicht mehr. Er liegt wie

ein Wurm hingestreckt auf der Erde, das Gesicht zu Boden gedrückt. Mer da und erst da wird er wieder aufgerichtet, erhält er seine Würde zurück. Wenn gar nichts mehr von seinem eignen Willen übrig ist, wenn Gottes Willen ihn vollständig beherrscht, dann ist Jesus imstande, mit übermensch­

licher Kraft das Schwerste von allem zu vollbringen.

Er ist bereit. Die vollständige Unterwerfung gibt ihm vermehrten 9)?ut und vermehrte Kraft, Gottes Willen zu erleiden und Gottes Willen zu gehorchen.

Nun kommt er wieder zu den Jüngern und findet sie schlafend. Seine Stimme hat einen andern Klang. Er spricht nicht mehr

mit Angst und Seufzen und Schmerz über die Einsamkeit der Seele in den Stunden der Entscheidung, da sie allein ist mit ihren: Gott: „Die Stunde ist hier, daß des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird. Stehet auf, laßt uns gehen!" Der

Erlöser leerte den Becher des bitteren Todestranks bis zur Neige. Mer er nahm mit seinem Schmerz und Gebet, mit seinem Sieg dem Tode den Schrecken, sodaß die Märtyrer jubeln und singen konnten, wo seine Seele betrübt war bis zum Tod.

Matth. 26, 42. 4S. 46

Phil. 2, 7. 8

8. April

Vie konntest du, Petrus, deinen Herrn, den du über alle andern lieb hattest, verleugnen?

Ehe noch irgend einem andern Jünger das Wort über die Lippen kam, hattest du bekannt, daß er, Jesus von Nazareth, der Messias war, der Sohn des lebendigen Gottes. Du hattest in der Tiefe und

Aufrichtigkeit deines Herzens gelobt, dich niemals von ihm zu trennen, auch nicht, wenn es um Leben oder Tod ginge. Nun wurdest

du auf eine leichte Probe gestellt. Wäre es so gefährlich gewesen,

deine Bekanntschaft mit dem Meister zuzugeben? Wäre es nicht eine Ehre gewesen, für einen seiner Jünger gehalten zu werden, mit chm vielleicht leiden zu dürfen? Petrus, du, der vornehmste unter den Zwölfen, der du in einer

großen Stunde selig gepriesen wurdest von deinem Meister,.war es notwendig, daß du ihn so schmählich im Stich ließest und so tief

fielest, damit dein Übermut gebrochen wurde? Dein selbstsicheres Gelübde: „Wenn sie auch alle sich an dir ärgerten, so will ich doch mich nimmermehr an dir ärgern," und „Herr, warum kann ich dir diesmal nicht folgen? 3ch will mein Leben für dich lassen",

mußte in die Antwort verwandelt werden, die du betrübt und

gedemütigt auf die wiederholte Frage des Meisters gabst: „Simon, Jona's Sohn, hast du mich lieb?" Ahr Ton war anders: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe." Zudas, Petrus, Pilatus stehen in der Leidensgeschichte unsres

Herrn für alle Zeiten als ein von uns allen erkanntes und bestätigtes Beispiel, wie ein gefährlicher und böser Gedanke, eine Un-

Wahrheit,

eine

Unredlichkeit,

die

in

die Seele

ein­

gedrungen sind, zu einer Macht werden können, wenn man sie nicht schnell und tapfer abweist. Sie ergreift Besitz vom Menschen und verdirbt sein Leben. Nun bedurfte es

keines Knechtes und keiner Magd mehr, um Petrus aus dem Hof zu weisen. Er ging von selbst. Die Evangelisten erzählen: „Er ging

hinaus und weinte bitterlich". 2m Schlußwort heißt es von der Versündigung der beiden Jünger: Judas ging hinaus, und es war

Nacht. Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.

Matth. 26, 69-75. 31-35; 16, 17 Joh. 21, 15. 17 Joh. 13, 37 Matth. 26, 75 Joh. 13, 26

9. April Der Lönis der Wahrheit Jesus sagt: „Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme". Das Reich der Wahrheit, der König der Wahrheit, der Herold der Wahrheit. Wäre Jesus doch nur bei diesen Worten geblieben!

Aber es war niemals seine Gewohnheit, etwas nur allgemein zu sagen. Jesus sagte niemals Wahrheiten um ihrer selbst willen,

sondern um der Menschen willen, die ihm zuhorten. Wahrheit war

für

ihn

gleichbedeutend

nicht

mit

einem

oder

mehreren allgemeingültigen Sätzen, die deshalb jeder­ zeit wiederholt werden können und

sollen. Wahrheit

war für ihn das, was eine Menschenseele in einem be­

stimmten Augenblick ihrer

Erweckung,

zu

nötig hat, zu ihrem Trost oder

ihrer

Demütigung

oder

ihrer

Führung. Die Wahrheit und das Reich der Wahrheit werden nicht zum Gegenstand einer interessanten Auslegung gemacht.

Er war kein Wahrheitszeuge im Philosophenmantel, der bei den

hohen Beamten Anklang für seine Lehre suchte. Jesus wird Seel­ sorger zum Gericht oder zur Erlösung, soweit es möglich ist, für jede Seele, die ihn im Ernst sucht. Der Satz ist kurz und einfach: „Wer aus derWahrheit ist, der höret meine Stimme". Er bedeutet

keine direkte Anklage. Er wendet nur das Bekenntnis Jesu an, daß er im Reich derWahrheit König sei. Deshalb hat seine Macht in jedem Menschen einen heimlichen Verbündeten, insofern dieser Mensch von der Wahrheit ist, das heißt, die Wahrheit in feinem Herzen und Leben zu ihrem Recht kommen läßt. Jesus nimmt den zum Untertanen an, der, koste es, was es wolle, die Wahrheit

erkennt und ihr gehorcht. Hier steht der König derWahrheit, wenn auch gebunden und angeklagt. Bist du aus derWahrheit, Pilatus?

Gibst du der Wahrheit Raum in deinem Leben? Bedeuten Recht und Gewissen etwas für dich? Ja, dann erkennst du den König

der Wahrheit wieder. Dann hörst du seine Stimme.

Joh. 18, 37

10. April

Künstliche Kreuze und wirkliche Kreuze Könnte es höhere Ehre geben, als dem Erlöser helfen zu dürfen, an seinem Leiden teilzuhaben und sein Leiden zu vollenden, wie

Paulus schreibt: „Nun freue ich mich in meinem Leiden, das ich

für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was noch mangelt an Trübsalen in Christo, für feinen Leib, welcher ist die Gemeinde".

An dieser Ehre will ein Christ gerne teilhaben. Viele greifen des­

halb selbst zum Kreuz und fügen sich selbstgewählte Leiden zu oder wenigstens selbstgewählten Schmerz. Aber das widerstreitet dem

Vorbild Christi und den Regeln seiner wahren Nachfolger. Das

Kreuz,

das Menschen

für

sich

selbst zuschnitzen, hat

keinen Wert. Es bedeutet nur, daß ihnen die richtige Vorstellung

fehlt, was Kreuz und Leiden heißt. Wenn Gott einem Menschen sein Kreuz geschickt und es ihm auf die Schulter gelegt hat, wenn

er es auf sich genommen hat, wird es ihm nicht einfallen, an Gottes Stelle zu treten und sich und andere mit selbstgemachten Kreuzen

zu plagen. Das Leben und die Wirklichkeit enthalten genug und übergenug an wirklichem Leiden. Wer an einem, vielleicht sehr brutalen, plumpen, ungehobelten Kreuz trägt, braucht nicht der­ artige künstliche und gezierte Kreuze, wie sie die methodische Askese von jeher hergestellt hat, um durch sie das Kreuz zu ersetzen, das Gott auferlegt. Simon von Cyrene wählte sich nicht das Kreuz. Er kam unversehens des Weges. Er wußte nicht, was bevorstand.

Wahrscheinlich erkannte er Jesus doch wieder. Ihm bot sich ein

unerwarteter und grausiger Anblick. Die Kriegsleute legten das

Kreuz auf seine Schultern, und er trug das Werkzeug des Leidens hinauf nach Golgatha. Wer nimmt das Kreuz auf seine Schultern und trägt es hin zum Ziel?

Kol. 1,24 Matth. 27,32 Luk. 14, 27 Matth. 16, 24

11. April

Das tiefste Mbel Die Herrlichkeit, die sich im Menschenleben offenbart, am schönsten

in der Gestalt des Herrn Jesus Christus, hilft gegen viel Finsternis

und gegen die kleineren Teufel, gegen Trägheit, Neid, Gier, Welt­ liebe und Begierden. Glücklich die Menschen, die mit Hilfe dieser Herrlichkeit im Leben zurecht kommen. Glücklich die Menschen, denen niemals die großen Teufel begegnet sind! Martin Luther

merkte, daß man das Evangelium nicht verstand, das er von dem übernommen hatte, der nicht zu den Gesunden, sondern zu den Kranken gekommen war, um sie zu heilen. Er sagte mehr als einmal,

wenn seine Gegner so gar nicht fassen konnten, was ihn bewegte und seine Seele so ganz beschäftigte, daß sie von den kleineren Teu­

feln ganz in Anspruch genommen seien. Kommt aber der starke Teufel, er, der des Menschen Sünde vergrößert, und bedrängt er chn mit Schuldgefühl, Angst und Ver­

zweiflung, dann reichen Lehrer, Propheten und Helden nicht aus. Dann wird mehr verlangt. Demütigend ist es, daß der Helfer und Erlöser um unsertwillen leiden muß. Aber wenn das nicht geschieht, haben wir kein Teil mit ihm. Jedes selbstauferlegte Kreuz ist unwahr und von Übel. Laßt den Menschen, solange es geht, ohne Kreuz sein! Das Kreuz kommt noch zeitig genug. Das Paradoxon, das die Menschheit seit Jahrtausenden geahnt hatte, wurde auf Golgatha volle Wirklichkeit, abstoßende und grausige Wirklichkeit.

Das Paradoxon, daß das Leiden stärker ist als jede andere Kraft, daß der Leidende einen Sieg erringt, den er vor dem Leiden

mit all seiner übermenschlichen, strahlenden Kraft nicht erringen

konnte. Noch unsinniger erscheint es, daß man vom Kreuz Freude gewinne! 2n der äußersten Not, in der Angst der Seele oder am Ende

des Lebens, bedeutet das Kreuz und der Gekreuzigte die einzige

wirksame Hilfe.

Luk. 5, 31

12. April

Der Hohepriester

der zukiinktigen Güter Zesus konnte nicht wie die Opferpriester geschützt und geehrt in der Sicherheit einer geordneten Religionsgemeinschaft und in Würde und Annehmlichkeit unter den Menschen seinen Dienst er; füllen. Nein — sein Amt folgte seinem eigenen, neuen Gesetz.

„Und wiewohl er Gottes Sohn war, hat er doch an dem, das er litt, Gehorsam gelernt. Und da er vollendet war, ist er geworden

allen, die ihm gehorsam sind, eine Ursache zur ewigen Seligkeit."

Zesus brachte seinen Opferdienst und sein Opfermahl nicht in

einem Tempel dar, der von Menschenhand gebaut war. Die andern Priester dienten in einem Heiligtum, das höchstens ein Abbild und

ein Schatten des himmlischen war. „Christus aber ist kommen, daß er sei ein Hoherpriester der zukünftigen Güter, und ist durch

eine größere und vollkommenere Hütte, die nicht mit der Hand gemacht, das ist, die nicht von dieser Schöpfung ist, auch nicht

durch der Böcke oder Kälber Blut einmal in das Heilige ein­ gegangen und hat eine ewige Erlösung erfunden." Der Saal, wo er aß, die Stelle, wo man ihn griff, die Räume, wo er verhört und verurteilt wurde, die Schädelstätte, das Heiligtum des Grauens,

sie waren nicht für die Gottesanbetung und die feierlichen Gottes­ dienste der Kirche eingerichtet. Aber sie gehörten zu Gottes Schöpfung. Die Menschenseele und Gott, das arme, verirrte Adamsgeschlecht und sein Schöpfer feierten dort, unter den schwierigen Bedingungen des gestörten Weltzusammenhanges eine Opferfeier miteinander, die einen neuen Bund begründete und das abschaffte, was bis dahin

Religion genannt worden war. Die Opfer, die Gott annimmt, sind ein zerschlagener und gedemütigter Geist, ein betendes Gemüt,

ein gehorsames Herz und ein Leben in Liebe und Gerechtigkeit.

Hebr.

8. 9; 9, 11. 12

13. April Die drei Hohkreuze auf Golgatha wurden abgenommen wie andere, ähnliche Geräte für die grausame Todesstrafe ab

genommen worden sind, wenn sie ihren Dienst getan hatten. Aber

Jesu Kreuz hatte seinen Dienst nicht beendet. Wenn auch nicht

vor unsrem leiblichen Auge, so stehen die drei Kreuze doch vor unsrem geistigen Auge auf Golgatha, solange die Erde Menschen beherbergt.

Jesus hatte unumschränkte Macht zu verwandeln. Den Namen Samariter machte er zu einem Ehrentitel. Die besondere Be­

zeichnung für die Frommen, die Pharisäer, wurde durch ihn zum Tadel. So wurde auch der Galgen, das Kreuz zum heiligsten

Symbol derMenschheit gewandelt. Das Kreuz sammelt unsere zerstreuten Gedanken und unsere flat­ terhafte Andacht. Das Kreuz zeigt dem Blick im Heiligtum seine

Richtung an. Wir sollen die Hilfe nicht gering achten, die dieses

heilige Symbol in einem Raum, in einer Kirche dem zerstreuten Sinn oder dem ängstlichen Herzen geben kann. Wenn das eigene Kreuz im Leben und im Tod drückt, hebe man den Blick auf zu

dem Kreuz des Erlösers. Es ist für uns ein Bürge der all­ mächtigen Barmherzigkeit Gottes. Das Kreuz will uns daran erinnern, daß wir uns selbst kreuzigen sollen mit unseren Lüsten und Begierden.

O, daß ich das Kreuz des Erlösers in meiner Todesstunde schaute! Erbarme dich, gnädiger Herre Gott!

Das Kreuz richtet, das Kreuz erlöst. Der Gekreuzigte wird zunl Weltenrichter. Er übt bereits seine Macht aus als Richter der

Seelen. Aber es kommt der Tag, da auch der Erlöser-Richter seinen Dienst getan hat. „Wenn aber alles ihm untertan sein wird, alsdann wird

auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles untergetan hat, auf daß Gott sei alles in allem."

HO

Luk. 17,16

Matth. 23,13

1. Kor. IS, 28

14. April

Wie welthistorische Tatsache der Zlukerstehuns Was meinen wir mit einer historischen Tatsache? Menschen sind geboren worden und sind gestorben. Sie haben gegessen und ge­ trunken, gearbeitet und geruht; mancherlei hat sich täglich und stündlich auf dieser Erde ereignet. Aber damit eine Begebenheit als historische Tatsache angesprochen werden kann, muß sie den Lauf der Geschichte merkbar beeinflußt haben. Nicht das vereinzelte Ereignis, sondern das mit übersehbaren oder unübersehbaren Wir­ kungen verbundene Ereignis hat den Charakter einer geschichtlichen Tatsache. Daher hat auch mehr als einer der größten Historiker unserer Zeit die beiden eng verbundenen Sätze ausgesprochen: Christi Auferstehung ist eine welthistorische Tatsache. — Keine Tatsache der Weltgeschichte ist eingreifender und des­ halb gewisser als die Auferstehung Christi. Dieser historischen Einsicht kann keiner entgehen, der den offenbaren und elementaren Sachverhalt bedenkt. Ein „Meister" aus Nazareth wird verurteilt und dann grausam und schimpflich als Aufrührer und Lästerer getötet. Seine Jünger werden zerstreut wie die Spreu im Wind. Sie fühlen sich bitter enttäuscht. Sie sind ratlos. Anstatt in Macht und Glanz als Befreier und Wohltäter des Volkes auf­ zutreten, wird der vermeintliche Messias-König aus den Annalen seines Volkes gestrichen. Sucht man seinen Namen, so findet man ihn in den Reihen der Verbrecher. Mit. feinem Leben war es in der Tat aus. Aber nichts hat in der Geschichte der Menschheit gleiche Wirkungen hervorgebracht wie die Osteroffenbarung des Gekreuzigten vor den erlahmten und zerstreuten Jüngern. Es brannte noch unter der Asche in den Herzen der Jünger. Dunkelheit hüllte sie ein. Die Flamme des Glaubens war ver­ borgen, fast erstickt. Ein Funke von oben war notwendig, um das Feuer wieder zu entfachen.

1. Kor. iS, 12-20

15. April

Der Glaube an die Auferstehung Christi Das Menschenleben hat seine Rätsel. Die Geschichte hat chre Rätsel. Angesichts der unwiderleglichen und gewaltigen Tatsache,

die da heißt: Glaube an Christi Auferstehung, kann man nur die menschliche Unfähigkeit erkennen, das Dunkel der Nacht zu durchs

dringen. Es wird licht gegen den Ostermorgen hin. Der Glaube an die Auferstehung beruht keineswegs auf etwas,

das fehlt, aus etwas Negativem, auf einer Leere, auf einem geöffneten Grab, das den toten Körper nicht mehr birgt. Der Glaube an die Auferstehung beruht auf etwas Positivem, auf einem Wunder, auf dem, was die Jünger und die

Frauen erlebten, als ihr Gemüt — wie der Leichnam des ge­ liebten Erlösers — in Dunkel gehüllt war, wenn sie ihm auch noch

weiter in Zuneigung ergeben waren. Der Glaube an die Auf­ erstehung beruht auf der Erscheinung des Gekreuzigten vor seinen Jüngern. Auch hier liegt das Feld offen für den ehrlichen Versuch

des menschlichen Denkens, diese Offenbarungen und Erscheinungen

mit unsrer allgemeinen Erfahrung und mit den Forschungsergeb­ nissen der Wissenschaft und ihren Folgerungen bei mehr oder weniger

verwandten Erscheinungen in Verbindung zu bringen. Es lohnt sich kaum, bei diesen Versuchen zu näherer Erklärung und Deutung

zu verweilen, aus welche Weise der Jünger Glaube durch göttliches Eingreifen, durch ein Wunder Gottes aus dem Grab der Ent­ täuschung und Verzweiflung zu einem neuen und verklärten Dasein auferstand. Die Tatsache besteht. Ist sie auch schwer deutbar für dieWissenschaft, so liegt doch darin keines­ wegs die Berechtigung, sie aus den Annalen derMensch-

heit als unmöglich und undenkbar zu streichen. Dann müßte die gesamte Geschichte nach Christi Erdenleben

von

Grund aus verändert werden. Der verherrlichte

Herr ergriff wieder die Macht über die Seelen seiner Jünger und hat durch sie und andere schwache Werk­ zeuge seine Herrschaft über unser Geschlecht befestigt

und ausgebreitet.

„Jetzt gehet das Gericht über die Welt;

nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden. Und ich, wenn ich erhöhet werde von dieser Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen."

15. April (Forts.) Des Erlösers Werk endet nicht am Kreuz. Er ging durch den Tod ein zum Leben und zieht die, die ihm angehoren, nach sich durch

allerlei Tod zum Leben. Alle Knie sollen sich in Jesu Namen beugen. Aber auch der Sohn dient dem, der größer ist als er und alle andern.

Er wird die Herrschergewalt Gott dem Vater übergeben, „wenn er ausheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt.

Er muß aber herrschen, bis daß er alle seine Feinde unter seine

Füße lege. Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod. Denn er hat ihm alles unter seine Füße getan. Wenn er aber sagt,

daß es alles untertan sei, ists offenbar, daß ausgenommen ist, der ihm alles untergetan hat. Wenn aber alles ihm untertan sein wird,

alsdann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles

untergetan hat, auf daß Gott sei alles in allen." Jesus Christ, des Lebens Leben,

Du, der kämpfte und gewann;

Du gewannst, da Du's gegeben. Nun weiß ich, daß niemand kann Reinheit, Liebe, Wahrheit töten,

Gott erlöst, zeugt aus den Nöten Leben, das kein Tod je fällt.

Gott ist stärker als die Welt.

Luk. 24,1-12 Joh. 12, 31.32 1. Kor. 15, 24b-28; 15, 12-20 8

Worte für jeden Tag

16. April

Das Geschenk des Lebens Das Gebot „Du sollst nicht töten!" schließt auch das eigene Leben ein. Das Leben ist eine Gabe, ein Pfund, das wir verwalten

sollen. Die Gabe kann Freude geben und hoch gewürdigt werden,

sie kann als eine Gunst genossen werden. Sie kann auch Schwierigkeiten mit sich bringen und chr Besitz kann uns äußerst lästig sein, sodaß sich ein Mensch am liebsten ihrer entledigen möchte. Aber kein Mensch lebt für sich selbst. Er muß getreu und tapfer das

Geschenk, das ihm anvertraut ist, verwalten. Judas mußte der Gedanke an Selbstmord kommen als die furchtbare Folge eines

furchtbaren und rätselvollen Verbrechens. Er konnte das Leben

nicht mehr ertragen. Für einen andern hat die Wertlosigkeit des

Lebens ihren Grund in Krankheit, Leiden, in Schwermut und

Mangel an Lebenslust. Das Geschenk des Lebens kann auf mancherlei Weise für den Menschen zum Problem, zur schweren Aufgabe werden. Aber das

Christentum verbietet dem Menschen ohne jeden Vorbehalt, sein

Leben abzukürzen. Es ist unbedingte Pflicht, das Leben zu achten. Es gibt schöne, gleichzeitig ermunternde und demütigende Offen­ barungen christlicher und menschlicher Größe, die uns Zuversicht, Glauben und Liebe zeigen, einem Lebensschicksal gegenüber, das

durch Plagen, Verluste und Qualen für gewöhnliche menschliche

Auffassung wertlos und widerwärtig erscheint. Der Mensch ist mit Leib, Seele und Geist Gottes Eigentum. Er hat nicht das Recht, sich an dem zu vergreifen, was nicht

sein ist. Wie schwer auch die Aufgabe sein mag, er muß sie doch

ausführen und bis ans Ende ausharren. Mag chm der Boden unter den Füßen noch so heiß werden, er muß darauf stehen bleiben.

Mag das Dasein ihm noch so sinnlos erscheinen, er muß es dennoch ertragen. Durch Geduld geübt wird er eines Tages eine Erklärung

finden. Er soll die Folgen seiner Handlung ertragen, aber das Herz in Reue erleichtern und Vergebung empfangen.

2. Mose 20, 13

1. Mose 9, 6

17. April Der Larnpk lohnt sich Trachtet jemand am ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, so muß er ausharren im Kampf. Hoch zu Pferde rennt St. Georg seinen Speer dem Drachen in den Schlund. Aber der Drache lebt wieder auf. Er schleicht umher, lauert un­

sichtbar dem Züngling auf, wenn er allein oder mit seinen Freunden zusammen ist. Hast du deinen Speer zur Hand, oder fällst du dem

Drachen zur leichten Beute anheim? Der Kampf lohnt sich. Wo jemand aufrichtig, ohne sich zu schonen, das Rechte sucht,

nach dem Reich Gottes trachtet und seiner Gerechtigkeit, sorgt

Gott für das andere, das ist gewißlich wahr und hat sich tausend­

fach bestätigt. Engel kamen und dienten Jesus, so oft er die Ver­ suchung überwand. So heißt es in der Schrift. So ergeht es auch jedem Kind, jedem Jüngling, jedem Mädchen, jedem erwachsenen

Menschen. Bist du getreu, dann darfst du wohl einmal

die Berührung einer unsichtbaren Vaterhand spüren, die nicht verläßt, sondern stützt und führt. Jesus, der solche Worte ausspricht, suchte nur Gottes Reich

und seine Gerechtigkeit. Er suchte es unverdrossen, er ging seinen Weg geradeaus und unerschrocken weiter. Er ging den Hinder­ nissen nicht aus dem Weg. Er endete am Kreuz. Wir feiern jedes

Jahr die Passionszeit.Wir gehen da mit ihm nach Jerusalem hinein und stehen mit Maria und Johannes am Kreuz. Aber auch an ihm, vor allem an ihm bewahrheitete sich das Wort, daß chm alles andere zufiel, als er entgegen aller menschlichen Berechnung, gegen sein eigenes Wohlergehen den Weg des Kreuzes wählte. Er kämpfte

und gewann. Er geht voran und hilft jedem, der aufrichtig nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachtet.

Matth. 6, 33; 4,11 Ps. 42,6; 73,23-26; 23,4

18. April

Mr können Gottes Handlungsweise nicht überschauen Unser Blick ist begrenzt. Könnten wir Gottes Handlungsweise erfassen und überschauen, wären wir selbst Götter. Ein dänischer

Verkündiger hat mit feiner Ironie versucht, dies sich selbst und

uns klar zu machen. Selbst die Katzen, so schreibt er, warten auf ihren Messias, ihren Retter. Denn die Welt ist in Unordnung.

Wenn die hungrige Katze mit einem Sah den Vogel fangen und

so ihr wohlverdientes Mittagsmahl erhalten will, fliegt er fort. Eine unbegreifliche Welt, an der sie Anstoß nehmen muß. Sie grübelt über die grausame Ungerechtigkeit der Weltordnung nach. Aber sie rettet ihren" Glauben an Gerechtigkeit und Vernunft.

Sie wartet auf einen Messias. Was wird dieser tun? Er wird die Vögel ihrer Flügel berauben. Der Psalmist benutzt zwei andere Auswege, um in der Stunde der Not den Glauben an Gottes Treue festhalten zu können. Er

ruft das Vergangene ins Gedächtnis zurück. „Wenn ich denn des inne werde, so schütte ich mein Herz aus bei mir selbst; denn ich

wollte gerne hingehen mit dem Haufen und mit chm wallen zum Hause Gottes mit Frohlocken und Danken unter dem Hausen

derer, die da feiern." Da wird es eine Weile hell im Herzen. Der Fromme hält fest, was er in verflossenen Zeiten er­ fahren hat. Glücklich, wer aus seinem eigenen Leben dankbar solche Erinnerungen im Gedächtnis behält

und sie in der Stunde der Angst und Zweifel oder der Verzweiflung von Gottes Treue zeugen läßt. Der

Psalmist richtet seinen Blick auch nach vorwärts. Die Hoffnung ist nicht gestorben. „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist

so unruhig in mir? Harre auf Gott! Denn ich werde ihm noch danken, daß er mir hilft mit seinem Angesicht." Hoffen, vertrauen, fest­

halten! Wir Christen haben aber einen noch besseren Grund zur Freude über Gottes Treue. Wir wissen, daß Gott gerade dort ist, wo Leiden ist.

Ps. 42, $. 6

19. April Feurige Meile kommen, Pteilo der Versuchung, Geschosse der Mot und des Unglücks Ihren unergründlichen, dunklen Ursprung nennt der Apostel, wenn er sie die feurigen Pfeile des Bösewichts nennt. Wenn sie ihr Ziel erreichen, verwunden sie. Werden dieWunden nicht gepflegt

und geheilt, führen sie zum Tode. Die beiden Köcher des Bösewichts werden niemals leer. In dem einen hat er die Pfeile der Versuchung

mit ihren mannigfaltigen Namen. Im andern Köcher hat er Un­

glück und Not, Krankheit und Sorge, all das Elend des Lebens, und zuletzt den Tod. Sie brennen, diese Pfeile. Gesundheit und Freimütigkeit des Geistes, seine Spannkraft und sein Leben sind

in dauernder Gefahr. Den Schild, auf den Paulus hinweist, den Schild des Glaubens reicht uns Jesus selbst dar. Er heißt: „Glaubt an Gott und glaubt an mich"! Haltet diesen Schild immer fest! Mit seiner Hilfe wird der Kampf niemals hoffnungslos. Er schlägt

wohl Wunden, aber er macht hart. Er wirkt nicht den Tod. Der Schild ist die Zuversicht, die Jesus uns in blutigem Kampf ge­

wonnen und bewahrt hat, die Zuversicht, daß der innerste Sinn des Lebens nicht grausamer Zufall oder tote Kälte ist, sondern daß über allen Mächten Gottes erlösende Barmherzigkeit

und Liebe steht, die im Sohn ihre Seligkeit und ihre Siegeskraft offenbart hat. Sie will dem Menschen­ herzen gegen Sünde und Not beistehen und ihm gegen die Mächte des Abgrundes helfen. Zu diesem Glauben an Gottes ewige, helfende, verzeihende Liebe gehört der Helm des

Heils. Denn wo die Vergebung der Sünden ist und wo wir Gewiß­ heit von Gottes Gnade haben, da ist Leben und Heil. Wir brauchen

auch eine Angriffswaffe, ein Schwert, das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes: Das Evangelium von Gottes großer Tat, von Jesu Predigt und Liebeswunder, von seinem Leben, Sterben und Auferstehen. Sehen wir hinein in das Herz des

Kämpfers, finden wir dort den Ausdruck der Zuversicht, das Gebet,

das den Glauben aufrecht hält und den Geist stärkt im Kampf um die Krone des Lebens. „Und betet stets in allen Anliegen mit

Bitten und Flehen im Geist!"

Eph. 6, 16-18a

Joh. 14, 1

20. April

Jesu Willen tun Die Erkenntnis der Wahrheit ist untrennbar verbunden mit

dem Lebenswandel. Das ist es, was Jesus und nach ihm die großen Geister der Menschheit gemeinhin erfahren und geltend gemacht

haben. Wie soll jemand entscheiden können, ob Jesu Lebensregel wahr ist? Jesus wurde hierüber befragt und gab einen klaren Be­ scheid: „So jemand will des Willen tun, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei oder ob ich von mir selbst rede". Die

Voraussetzung ist beschwerlich. Es wird ganz einfach verlangt,

Jesu Willen zu tun. Wie die exakte Wissenschaft unaufhörlich Ver­ suche anstellen muß, um ihre Sätze zu prüfen, so ist es auch mit der Wahrheit Jesu. Sie kann nur durch den praktischen Versuch

geprüft und bestätigt werden, wenn ein Mensch im Ernst die Wahr­ heit in seinem Herzen und seinem Leben anwendet. Wie sollen Junge und Alte etwas von dem Höchsten wissen und von seinen wunderlichen Wegen mit den Menschenkindern erfassen können? Wie soll ein Mensch etwas vom Wesen Gottes schauen können?

Die Antwort wird in der Bergpredigt gegeben. „Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen." Da reichen sichere und schnelle Auffassung und ein scharfer Verstand nicht aus,

sondern das Herz, das innerste Wesen eines Menschen, muß auf die Wahrheit hin gerichtet werden. Sein Sinn muß geläutert werden. Nur wo man sich von ganzem Herzen an die Wahrheit hingibt, da kann der Mensch die Freiheit gewinnen und zu einem freien Geschöpf werden, das seine Bestimmung zu erfüllen imstande ist. Das hat auch Jesus in diesem Zusammenhang nach dem achten Kapitel des

Johannesevangeliums immer wieder betont. Der Evangelist wen­ det mit Vorliebe den Ausdruck „bleiben" an, für „leben in Jesu Wort, in Jesu Lehre, in seiner Wahrheit". „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen."

Joh.7,17 Matth. 5,8

Joh. 8,31.32

21. April

Lin Kunstwerk in Mppsala, „die Flügel", stellt eine junge Gestalt dar, die von der Körperschwere zur Erde gezogen wird. Aber ein Adler schwebt über ihr mit aus­ gebreiteten Flügeln, und der Jüngling ergreift den Vogel im Feder­ kleid, um sich an ihm auftecht zu halten und ihm in die Höhe zu

folgen. Man sieht an dem Ausdruck im Antlitz des Jünglings und

an seiner ganzen Gestalt, daß dieser doppelte Zug ihm Schmerz und Mühe bereitet.Man fragt sich, wie wir uns alle selbst ftagen müssen,

jedes junge Leben, jeder Knabe, jedes Mädchen, jeder Mann und jede Frau: Wer wird den Sieg behalten? Die Schwere, die ihn willenlos zur Erde beugen will, oder die Kraft der Flügel, die ihm vorwärts und aufwärts hilft? Der Geist ist willig, aber das

Fleisch ist schwach. Es gibt vieles, was niederzieht. Vor allem die Trägheit selbst. Sie kann sich in Lässigkeit, Stumpfheit und tatenloser Gleich­ gültigkeit äußern. Es kann auch vorkommen, daß viele Dinge in

der Einbildung leben und spielen und Anlaß sind zu Eifer und ver­ schiedenartigen Beschäftigungen, aber gerade ernsthafte, geordnete Arbeit verhindern, die zum Ziel führen kann. Vergnügen und

Zerstreuung haben ihren berechtigten Platz im Leben der Jugend.

Sobald aber das Vergnügen die Oberhand über Ernst und Pflicht gewinnt, zieht es nieder. Ma l ist nicht mehr sein eigener Herr, sondern der Sklave des Vergnügens.

Danach kommt die Versuchung zu unreinen Gedanken, unreinen Worten und unreinen Taten. Mancherlei Stoff sammelt sich in der Seele an. Luther sagt von der Versuchung und den versuchlichen

Gedanken: „Du kannst es nicht verhindern, daß der Vogel über dein Haupt fliegt. Aber du kannst verhindern, daß er sein Nest in dein Haar baut." Wenn die unreinen Gedanken ungehindert in

deiner Seele nisten dürfen, dann werden sie bleischwer. Die Flügel der Seele flattern immer matter, sie fallen schließlich hoffnungslos zusammen. Herr, erbarme dich!

Matth. 26, 41

Röm. 7,18

Phil. 2, 13

22. April

Das zweite Lunstwerk in Uppsala Auf der andern Seite des Weges steht „eineMutter". Sie schlingt den Schal fest um die abgezehrten Schultern und sieht ihrem Zungen

nach, der in die Welt hinausgeht. Sie hat ihm in Schmerzen das Leben gegeben. Sie strebt und arbeitet für das Kind. Ihre Ge­ danken sind immer bei ihm, auch wenn der Sohn oder die Tochter

die Mutter vergißt, und sie betet: „Gott, segne und schütze mein geliebtes Kind vor Versuchung und Gefahr"!

Vergeßt, liebe junge Freunde, niemals das Elternhaus, seine Liebe und Fürsorge! Wo gibt's eine Liebe, die bis zum Tod stets unverändert in Freude und Not

als Engel Gottes über dir wacht, nichts für sich fordert, sich alles versagt?

Auf dieser Erde kann es allein die Liebe einer Mutter sein.

Vergiß nicht, was du dem Heim, das dich erzogen, schuldest!

Dann darfst du vielleicht auch einmal an das Heim denken, das

du selbst gründen wirst. Ein sechzehnjähriger Sportsmann und Schüler in der Neuen Welt vertraute einem Kameraden sein täg­ liches Gebet an: O Gott, hilf mir, daß ich heute in allem ein Mann

bin, daß ich meine Gedanken und Taten nach dem richte, was selbst­ lose Männlichkeit fordert, daß ich nichts tue, worüber ich mich schämen müßte, wenn meine Lieben es wüßten; daß ich immer

das Ziel vor Augen habe: „leben, um zu dienen", und daß ich dazu tauglich werde. So gebührt- euch allen zu beten oder mit den Worten Ansgars:

„Herr, würdige mich eines einzigen Zeichens! Mache mich aus

Gnaden zu einem guten Menschen!"

Spr. 30,17

1. Tim. S, 4

23» April „S>o jemand meines Vaters Villen tut,

der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst rede." Wer sich im Ernst mit Gott und Christus einlassen will, erhält keine leichteren Bedingungen. Er muß den Versuch wagen. Er

muß Gottes Willen tun, Jesu Weisung folgen. Nur wer seine Lebensregel erprobt hat und nicht nur darüber nachdenkt, kann

Gewißheit darüber erhalten, kann etwas von Gottes Wesen und

Wegen erkennen. Was gefordert wird, ist Aufrichtigkeit, Herzens­ reinheit, lauterer Sinn. „Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!"

Aber das Menschenherz ist nicht rein. Von Geburt an birgt es gefährliche und schwierige Anlagen. Es wird dauernd verunreinigt,

von außen und von innen. Es muß durch den Umgang mit dem Reinen, der geistige Reinigung, das heißt Vergebung, bewirken kann, gereinigt werden. Deshalb mahnt Jesus die Seinen: „Wachet und betet"! Wenn wir mit enthülltem Angesicht, nach Entfernung alles Verbergenden, die Herrlichkeit des Herrn schauen, dann werden wir nach den Worten des Paulus verklärt werden: „Nun

aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbige Bild von einer Klarheit zur andern, als vom Herrn, der der Geist ist". Wessen inneres Leben sich durch Gottes Führung und die Ge­ schicke des Lebens entsaften durfte, der hat ein kind­ liches oder reifes Verständnis für das Göttliche, das

vielen an sonstigen Erkenntnissen reichen und begabten

Menschen fehlt. Das Versprechen, das denen, die reinen Herzens sind, gegeben wird, ist verwirrend groß. Wer reinen Herzens ist, kann im wechselvollen Geschehen des Lebens etwas von dem schauen, was der himmliche Vater will und meint. Er kann seine Nähe spüren und ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Nicht allein

in Gefühlen und Worten, sondern auch in der Gestaltung seines Le­ bens. Einmal aber werden sie, befreit von der Vergänglichkeit, sich schauend versenken dürfen in den Urgrund aller Güte, Schönheit

und Wahrheit.

Joh. 7, 17

Matth. J, 8; 26, 41

2. Kor. 3, 18

24. April

„Ihr habt mich nicht erwählet; sondern ich habe euch erwählet." Keiner, der etwas von Gottes Gericht und Erlösung erfahren hat, keiner, der sich von Gottes Gnade umfangen und geführt weiß, kein solcher Mensch kann auf seine eigne Wahl verweisen.

Sonst weiß er nicht viel von Sünde und Not der Welt und von Gottes Macht. Zeder, der irgendwelche Erfahrung im Christentum

erlangt hat, weiß: Gott ist es, der uns in seiner unverdienten Gnade erwählet hat und der beides in uns wirkt: Den Willen und die Tat.

Woran sollen wir uns sonst halten, wenn wir nicht unser zerbrech­ liches Lebensschifflein in der Tiefe der festen Gnade Gottes und seines Ratschlages verankern dürfen?

Ze mehr wir uns einleben in die Anliegen des Lebens, in seine Forderungen und seine Sorgen, desto notwendiger und unumgäng­

licher wird für uns, daß wir nicht unser eigen sind, sondern — so gut wir können — dem Befehl des Herrn folgen, auch in unsag­

barem Kummer über unsere Unachtsamkeit oder Versäumnis,

wodurch wir Unglück verursacht oder vielleicht geradezu eine Seele zu Fall gebracht oder sie in Versuchung geführt haben. Der höchste

Wunsch ist, wenn das Tagewerk zu Ende ist, sagen zu können: „Herr, wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu

tun schuldig waren".

Joh. IS, 16

Luk. 17,10

25. April

Das Gebet in Jesu Marnen bedeutet an seiner Stelle beten, in seinen Kleidern, so, als wenn es Jesus selbst wäre, der betet. Der Betende nimmt den Heiland

mit in sein Gebet, sodaß das Gebet in seinem Sinn und in seinem

Geist geschieht, das heißt: nach Gottes Willen, weil Jesus eins war mit dem Willen des Vaters. Wie der Apostel Johannes schreibt:

„Das ist die Freudigkeit, die wir haben zu ihm, daß, so wir etwas bitten nach seinem Willen, so höret er uns". Erst durch Christi Tod und Erhöhung konnte es zu der innigen Verschmelzung zwischen dem Betenden und dem Geist des Erlösers kommen; darüber spricht Paulus, wenn er sagt: „Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus

lebt in mir". Ich bete, doch nicht ich, sondern Christus betet

in mir. Ein solches Gebet in Jesu Namen, das an seiner Stelle, in seinem Geist und in seiner Gemeinschaft zum Vater aufsteigt, wird immer erhört. Und fragen wir schließlich, was Gebetserhörung bedeutet, so

sagt Jesus: „Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir".

Daß Gott dein Gebet erhört, bedeutet, liebe Seele, vielleicht nicht die Erfüllung deiner Wünsche. Aber es bedeutet etwas weit Wich­

tigeres. Es bedeutet, daß du nicht einsam bist, denn Gott ist bei

dir und handelt mit dir trotz allem nach seiner Gnade.

Keiner von uns kann dieMacht des Gebetes ermessen und den geheimnisvollen Zusammenhang zwischen der erobernden Kraft des gläubigen, reinen, gottergebenen

Willens im Gebet und Gottes Ordnung. Der Gedanke verliert sich in der Vereinigung von Christus und der

Seele; das ist das Geheimnis der Erfahrung eines Christenmenschen. Jesus spricht darüber im Gleichnis vom Weinstock und den Reben. Der Beter und Christus treten gemein­

sam vor Gott. Wie kann ein Mensch auf Gottes Weltenlenkung einwirken? Der Apostel weiß, daß wir Gottes Mitarbeiter sind. Keine Mitarbeit aber ist wichtiger als das Gebet.

1. Joh. 5, 14 Gal. 2, 20a Joh. 8,16 1. Kor. 3, 9

26. April

(Erfülle dein Herz mit dem „Vater unser" Vater unser! Wir sollen uns hier an das Einfachste im Christen­ tum halten. An das, was wir fast zuerst als Kinder lernten, an das, was unsre Lippen vielleicht in der letzten Stunde flüstern werden. Wir sollen Jesu gesegneter Stimme lauschen. Wir sollen ihn Horen,

der uns beten lehrt, mit seinem himmlischen Vater reden lehrt, der auch unser himmlischer Vater ist.

Dieses Gebet, das „Vater unser", ist Allgemeingut im Christen­ tum, ja, wohl das allgemeingültigste große Wort, das in der Mensch­ heit gesprochen wurde. Das Wort, das am geeignetsten ist, alle Volker und Zungen zu gemeinsamer Fürbitte zu vereinen. Wir

sind an dieses Gebet so gewohnt, daß viele von uns kaum seinen Wert, seine Besonderheit, seine klassische Einfachheit bedenken — vor allem aber seine einzigartig dastehende Fähigkeit, die Be­

dürfnisse der Menschheit und des einzelnen auszudrücken, so wie es Jesu Offenbarung ausdrückt. Der Mensch ist eigentlich ein heiliger Tempel Gottes. Erst müssen die Händler und Käufer

ausgetrieben werden, nämlich Bilder, Phantasien und was sonst noch von Eigenwillen in den erschaffenen Wesen lebt. Der Tempel muß auch mit Tränen gewaschen werden, bis er rein ist. Erfülle das Herz mit dem „Vater unser", mit Gottes heiligem Namen, mit Gottes Macht, mit Gottes

Willen. Wo bist du? Daheim, draußen, bei der Arbeit, allein im Zimmer,

an einem Sonntagabend in der Natur, in der Kirche vor dem ersten Lied, im Bett, soeben erwacht? Bete nachdenklich das „Vater unser"! Bestimme für jeden Tag eine Stunde, in der durch das

„Vater unser" deine Anliegen hervorgeholt, gesammelt und zu Worten geformt vor den himmlischen Vater gebracht werden!

Bis hinein in die niedrige Hütte unsres Herzens soll das Große kommen/das unser Leben und die Welt verwandeln kann: Gottes

Name, sein Reich, sein Wille, Gott selbst.

Luk. 11, 1-13

27. April

Abba, lieber Vater „Vater unser, der du bist im Himmel!" Jesus muß diesen Namen ost auf den Lippen gehabt haben, stüh und spät, da er sich in solcher

Umgebung befand. Nicht nur dieser Gottesname, dessen häufige Anwendung Jesus eigentümlich war, ist bis auf unsre Zeit bewahrt worden. Die Evangelisten und das neue Testament geben selbst

Form und Klang wieder, die das Wort in Jesu Mund und in Jesu

Umgangssprache hatte, Abba, lieber Vater, das holdeste und ver­ trauteste von allen Worten in der Religion, Jesu Anrede für Gott. Vater klingt in verschiedenen Sprachen feierlich und schon. Aber Jesus wandte die vertraulichere und kindlichere Form an, als er,

der vor allen andern Mündige, den Herrn aller Welt anredete.

3ch kenne nichts Entsprechendes in der Religionsgeschichte. So vertraulich hat Jesus Gott den Allmächtigen angeredet, obgleich er der Religion angehorte, die vor allen andern die strengsten Vorschriften für die Verehrung des Gottesnamens hatte, aus

Furcht vor Gott, in Gottesfurcht, in des Wortes eindrucks­ vollstem Ernst, aber auch in abergläubischer Verirrung und in Angst. Wir besitzen im Evangelium ein Echo der Angst des Juden­

tums vor der Nennung des Gottesnamens. 2m übertriebenen Ge­ horsam vor dem Gebot „Du sollst den Namen des Herrn, deines

Gottes, nicht mißbrauchen!" sprachen die Juden den Namen Gottes

überhaupt

nicht

aus. Matthäus

spricht

immer vom

„Himmelreich" anstatt von „Gottes Reich". Jesus ist ein echtes Kind dieser strengen prophetischen Überlieferung in ihrer Sorge, Gottes Geistigkeit und Erhabenheit unverletzlich zu erhalten. Aber Gott, sein himmlischer Vater, war ihm ständig so nahe, daß er

vertraulich mit ihm redete, so wie ein Kind sich Vater und Mutter mitteilt. „Abba, lieber Vater!"

Luk. 11, lf.

2. Mose 20,1

körn. S, 15.16

28. April

Die alten Gebete Eines Tages erwacht das Bedürfnis zu beten, dringend und

angsterfüllt. Seufzer, hervorgestammelte Worte, Klagerufe! Wenn

im Herzen Friede eingekehrt ist und in das Gebet Danksagung eingeschlossen wird, vergißt man gerne die alten Gebete. Es ist gut und eine natürliche Äußerung der Befreiung, mit eigenen Worten beten zu können. Keine Formeln, eigene freie Gebete! Aber nach

der Zeit der Begeisterung stellen sich Prüfungen ein. Es gilt, das Gebet zu einer ständigen Lebensäußerung zu machen. Da will das Gebetsleben erlahmen. Die vielen starken, schönen, brausenden

Worte stellen sich nicht mehr ein. Kommen sie aber doch auf die

Lippen, so geschieht es mehr gewohnheitsmäßig als aus Eingebung des Herzens. Sie nehmen sich ganz wunderlich aus. Der Auf­

richtige muß sich nicht ohne Angst manchmal selbst fragen: Warum ist mein Gebet so leer? Wer ist nicht beim gemeinsamen Beten in der Gemeinde manchmal ermüdet, ja geplagt worden durch solch

freie Gebete, die Worte aneinanderrechten und nach Eingebung jagten, ohne daß doch das Herz etwas eingab? Wer hat in solchen Stunden nicht nach des Herrn Gebet gehungert und gedürstet oder nach einem bekannten Liedervers, dem das betende Gemüt seine Flut von Dank und Anbetung anvertrauen konnte? Für das Gebetsleben kommt der Augenblick, da ein altes Gebets­

wort sich von selbst ergibt. Die alten Gebete, von echten, erprobten Betern gestaltet, stellen sich ein. In der eignen Müdigkeit und Einsamkeit lassen sie mich zu

meinem Gott von dem reden, was mein Herz braucht. Da werden die Gottesworte, die ich im Gedächtnis habe, für mich zu wirklichen Gebeten. Immer mehr lege ich hinein in die alten Gebete. Nein, es liegt schon vorher darin. Aber ich selbst muß wachsen, mein geistiges Leben, meine Gebetsanliegen müssen

reicher werden und zunehmen, um die alten Gebete wirklich aus­ füllen zu können. Je mehr ich mich in sie einlebe, desto mehr ent­ decke ich von chrer Tiefe.

Apostelg. 2, 42

Ps. 63, 7

1. Thess. 5,17

29. April

Das Vater Nnser ist in Mei Stockwerken autgebant Jesus führt uns zuerst hinauf in den oberen Stock. Dort ist man

hoch unter dem Dach mit freier, schwindelnder Aussicht über Gottes

Herrschergewalt und Gedanken. Erst nachdem Jesus uns dort hinaufgeführt und unsre erdgebundenen Blicke mit Gottes Namen

und Gottes Willen gesättigt hat, nimmt er uns wieder brüderlich

an der Hand und führt uns die Treppe hinunter in den unteren Stock, wo unsre kleinen persönlichen Kümmernisse und Bedürft

niffe ihre Heimstatt haben. Unser Gebet verweilt am liebsten beim Eigenen. Das beschäftigt

unsre Gedanken. Das ängstigt uns. Das freut uns. Hat nicht jeder von uns eine empfindliche Stelle, vielleicht eine immer blutende

Wunde in der Seele? Wie die Zungenspitze unfreiwillig den kranken Zahn sucht, wie die Hand ebenso unfreiwillig nach dem Körperteil

tastet, der wund ist und schmerzt, so verweilen die Gedanken, und Gebete Tag und Nacht bei dem Kummer, der unser Kreuz und unser Geheimnis ist. Oder es geschah etwas, ein Wort wurde

gesprochen oder geschrieben, das uns beschäftigt. Oder wir ertappen uns ständig dabei, etwas in der Seele zu wälzen, was schlecht

gemacht wurde oder was noch ausgeführt werden muß. Mögen wir noch so niedergedrückt sein, mag unser Gesichtskreis

noch so eingeengt sein in den engen Mauern des Kummers, mögen

wir uns selbst und das Unsrige noch so hartnäckig und kindisch gedankenlos zum Mittelpunkt des Daseins machen, Jesus zwingt

uns aus dieser Verzauberung heraus, indem er uns Gottes große Sache in der Welt zeigt.

Ich sage nicht, daß er unser Eigenes vernachlässigt. Aber ehe er die Gedanken niedergleiten läßt zu unsern besonderen Angelegen­ heiten, stellt er unser Leben in den rechten Zusammenhang. Dann sieht alles anders aus, der Verlust sowohl wie unsre Freude. Gottes

Name soll geheiligt werden, das ist die Hauptsache. Gott soll über uns herrschen, Gott führt seine Herrschaft auf eine Weise durch,

die wir nicht verstehen. Gottes Wille geschehe!

Matth. 4, 10

Luk. 11, iß

Dan. 9, 18

30. April

Die vierte Mitte Sobald Jesus nach den Bitten um das „Deine", nämlich um Gottes Sache, übergeht zu den Bitten um das Unsre, macht er

einen fast anstößigen Anfang. Er nennt zuerst etwas so Prosaisches und Irdisches wie das tägliche Brot.

Viele Beter wiederholen die vierte Bitte gedankenlos.' Sie legen

sich allabendlich satt zu Bett. Das Brot für den Tag, oder was das schwerzudeutende griechische Wort vielleicht bedeutet, das Brot für den kommenden Tag, hat ihnen niemals Sorge verursacht.

Deshalb liegt auch in ihrer Bitte kein Ernst. „Wer nie sein Brot

mit Tränen aß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte" (Goethe). Und doch: Wer sich am wenigsten um das tägliche Brot zu sorgen

braucht, bleibt vielleicht gerade in der vierten Bitte stecken. Er kommt nicht weiter. Wieviel Eigentum er auch zusammenhäuft, er kommt doch nicht über die leiblichen Bedürfnisse hinaus. Sie erfüllen seine Gedanken. Der Haufen von Besitz wird so hoch, daß er ihm die Aussicht verdeckt. Anstatt nach Jesu Weisung um das

tägliche Brot zu bitten, läßt er den Mammon seine Seele gefangen nehmen. Da geht die Dankbarkeit verloren. Gedankenlos genießt er das Gute im Leben. Jesus lehrt uns in diesem Gebet, das tägliche Brot zu schätzen und Gott für alles, was er uns für unsre irdische Notdurft beschert,

Dank zu sagen. Das Gebet soll jede Mahlzeit heiligen. Wir sind doch keine unvernünftigen Tiere. Das Gebet hebt die Mahlzeit darüber hinaus, lediglich eine Befriedigung triebhafter Bedürfnisse zu sein. Es macht sie erst zu einer menschlichen Angelegenheit.

Ohne Dankbarkeit — kein Glück! Im kleinen und im großen hängt die Zufriedenheit unsres Gemütes von der Würdigung des Guten ab, das wir genießen. Der eine ist unzufrieden, obwohl er mit Gutem im Leben und mit Wohltaten der Menschen überhäuft

ist. Ein anderer strahlt vor Glück, obgleich er Mangel leidet und

Sorge trägt.

Luk. 11, 3

l.Mai

Gesegnet sei die Macht des Gesetzes Der Rechtsstaat wird in der Schrift als Gottes Werk angesehen,

weil er uns Sicherheit und Freiheit gewährleistet. Man führt oft

das Wort des Propheten an: „Da werden sie ihre Schwerter zu

Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen." Aber gewöhnlich vergißt man hinzuzufügen, wie sich der Prophet diesen Frieden aufgerichtet

denkt. „Er wird recht richten vor vielem Volk." „Des Friedens

wird kein Ende sein in seinem Königreich, daß er es zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit." „Des Herrn Knecht wird das Recht unter dem Volk ausbreiten." So bedeutet die Ausdehnung des Rechtes über die Grenzen der

Nationen hinaus sowie der immer weiter fortschreitende Ersatz von

Gewalt und Willkür durch gesetzliche Ordnung für die christliche Lehre eine Fortführung von Gottes Schöpfung. Ordnung und Licht folgen auf das Chaos. Darin liegt die wunderbare Kraft des Gesetzes.

Recht bedeutet nicht nur formelles Recht. Man soll nicht nur jedem das Seine geben und sich an die Wahrheit halten. Das ist

wohl viel. Aber „Recht" bedeutet in der Bibel mehr. Nicht nur, daß man Unrecht unterläßt, sondern daß man dieWerke

der Liebe tut. Beides ist im Alten Testament untrennbar verbunden: Recht

und Liebe. Recht üben heißt, dem Schwachen zu seinem Recht verhelfen und dem Gebot der Liebe folgen, das dir, o Mensch, verkündet ist. Die Liebe zwingt den eifrigen Kämpfer, in allen Gegensätzen des

sozialen Lebens daran zu denken, daß auch die Gegner Menschen sind. Die Liebe glaubt nicht unbesehen bösen Gerüchten, sondern prüft sie. Die Liebe deutet nicht gleich alles zum Schlechten, sondern sucht redlich zu verstehen. „Es ist dir gesagt, o Mensch, was gut ist, und was der Herr

von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott."

Jes. 2, 4; 9, 6

9

Micha 6, 8

Worte für jeden Tag

2. Mai

Kpiele nicht mit der Versuchung Fliehe den Anlaß zur Versuchung!

Wir sollen uns davor hüten, uns der Versuchung auszusetzen.

Zeder hat seine besondere Versuchung. Wenn wir recht nachdenken und gegen uns selbst aufrichtig sind, weiß wohl jeder von uns,

welcher Versuchung er am leichtesten unterliegt. Seien es starke

Getränke, Unkeuschheit und Unreinheit oder Geiz, Nachlässigkeit und Verschwendung, oder Unaufrichtigkeit, Unredlichkeit, Prahlerei und Schmeichelei, oder Heftigkeit, harte, verletzende Worte und Taten, aufbrausendes Wesen, Halsstarrigkeit, oder Faulheit und Trägheit, oder Hochmut und Eitelkeit, oder was es immer sonst

sein mag; sie alle geben Anlaß zur Versuchung und erschweren den Widerstand. Man denkt: Niemals will ich das wieder tun. Hütet

man sich nicht, so wird man von der Versuchung überrumpelt.

Wir lassen die Versuchung an uns herankommen. Sie soll nicht die Oberhand gewinnen, denken wir. Aber gute Vorsätze kommen

leicht zu Schaden. Deshalb gibt Jesus eine strenge Regel: Fliehe gerade den Anlaß zur Versuchung, nimm es nicht leicht mit der Gefahr. Halte dich fern. Es ist keine Heldentat, sich in Ver­

suchung zu begeben. Es ist mutiger und tüchtiger, wenn man die Verführung niemals an sich herankommen läßt. Es ist keine Groß­ tat zu trinken. Sondern es ist eine Tat, überhaupt keine starken

Getränke zu versuchen und sich so gar nicht der Versuchung aus­ zusetzen. Bist du bei einem Vergnügen im Zweifel, so lasse es lieber sein. Gehe dem aus dem Wege, was dein Gewissen beunruhigt.

Spiele nicht mit der Versuchung!

Jesus Sirach 18, 30; 21,2. 3

Matth. 6, 13

3. Mai

Gott spricht auf mancherlei Weise mit uns Es kommt darauf an, zu horchen und etwas von seiner Absicht zu erfassen, um darnach zu leben und sich darnach einzurichten.

Wo horst du Gottes Stimme? Der Dichter antwortet: Am lieblichsten erklingt sie mir im Herzen

Und stillet Schmerzen. Nicht immer am lieblichsten, sondern vielleicht sehr niederdrückend

kann des Herrn Stimme zu unserem Herzen in der stillen Ein­

samkeit sprechen, niederschmetternder als durch das Getose der Welt. Der Herr erkennt überhaupt keine Gemeinschaft mit sich

an, wie innerlich und hold sie auch sein möge, die nicht Tätigsein

bei uns auslöst. Das heutige Christentum und die heutige Kirche sind überreich

an Tätigkeiten. Neue werden geschaffen. Sie sind notwendig.

Aber weit mehr als bloßes Tätigsein sind, meine ich, Opferwilligkeit und Wagemut im Dienste Gottes, das

heißt im Dienste menschlichen Leidens vonnöten. Aber wieviel Geisteskraft wohnt in diesem Tätigsein? Kommt

es aus innerem Trieb, oder ist es, vielleicht nicht allzuselten, wie wir es aus unserem eigenen Leben wissen, in Wirklichkeit nur eine

Flucht, ausgefüllt mit Arbeit, Eifer und Mühe, aber doch eben eine Flucht vor dem, was Gott in der Stille eigentlich von uns

fordert, wenn wir seiner Stimme lauschen? Man entzieht sich gerade der drückenden und gefahrvollen Verantwortung und widmet

sich als Ersatz allen möglichen Tätigkeiten für das Reich Gottes. Wir fassen viele Entschlüsse — vielleicht, um nur nicht den einen entscheidenden Entschluß zu fassen, der unumgänglich ist, wenn wir in die Stille eingehen zu Gott.

Hat Gott dich ergriffen, oder gehst du auf eigene Faust deinen Weg?

Matth. 25. 35-40

4. Mai Bist du deinem Gott

in der Einsamkeit begegnet? 2n der Stille ist die Seele allein mit ihrem Gott. Keiner ist wirklich von Gott ergriffen, der nicht mit ihm allein gewesen ist, wie sehr er auch von den Weltereignissen oder von kleineren Ge­ schehnissen, von der eigenen oder der Tätigkeit anderer ergriffen sein mag. Dann wird seine Tätigkeit nicht von innen her beseelt; sie steht nicht unter Gottes unumschränktem Befehl. So ist es aber,

wenn die Seele sich daran gewöhnt hat, in der Einsanlkeit mit Gott umzugehen und sich seinem Schutz anzuvertrauen. Dies ist ein Geheimnis, das die Propheten des natürlichen Lebens der Weltereignisse, der Tat und des Eifers nicht kennen. Kein Eifer,

kein Verlangen, keine Furcht, keine Sporen können dem Pferd zu seiner größten Schnelligkeit verhelfen. Ja, doch vielleicht zur

Entfaltung seiner äußersten eigenen Kraft und Geschwindigkeit. Aber nicht zu einer Geschwindigkeit, die eigentlich über seine natür­

lichen Möglichkeiten hinausgeht. Dazu kann dem edlen Tier nur durch den guten, strammen Zügel des sicheren Reiters verhelfen

werden. So ist es auch mit der Seele. „Sie waren gut emgefahren", schreibt Kierkegaard von den Aposteln des Herrn. Das gilt zu allen Zeiten von seinen Jüngern. Erst unter Gottes gütiger, strenger Hand kann der Seele und dem Menschen dazu

verholfen werden, sein Bestes zu geben — mehr als er vermag. Da wagt und vermag er das Unmögliche. Nein, nicht er, sondern Gott vermag es durch das mangelhafte, schwache,

aber von chm geschaffene Menschenwesen hindurch. Da wird die Tätigkeit viel mehr als nur Sehnsucht und Eifer, Begeisterung oder Furcht. Seele, bist du deinem Gott in der Einsamkeit be­

gegnet, im Seelenkampf des Gebetes, in seiner Unruhe und seinem Frieden? Hat er dich ergriffen und wirst du geleitet nach seinem Willen, nicht nach deinem eigenen Willen?

2. Kor. 12, 9

5. Mai

Brüder, freuet euch! Wenn das Herz sich in fremdem Lande weiß, was hilft ihm da

der Zuruf: „Singe"? Die Traurigkeit hat keine leichten Schwingen:

Wer kann in Seelennot mit Freude singen?

Es gibt soviel bittere, schmerzliche Trauer im Leben, daß keine Tränenfluten ausreichen, um sie zu ertränken, und daß keine Ger

sänge sie zu übertönen vermögen. Wer kann unter der Hand des Schmerzes, unter dem Druck der Welt, bei den Wunden der Trauer,

dem lauernden Tod gegenüber, wer kann da singen? Am schlimmsten

ist das dunkle Geheimnis des Herzens, seine Unwahrheit, Unrein­ heit, sein Neid und Hochmut. Da entsteht ein schneidender Ton

aus Selbstvorwürfen und Scham. Für einen Menschen, der sich aufrecht halten will und zu seinem wahren Ich kommen will, ist

der Kampf ernst und hart. Kriegsweisen paffen da besser als Freuden­ klänge. Es ist eindrucksvoll, einen verzweifelten Menschen zu sehen, der den Schein wahrt. 2n dem, was man so oft verächtlich nur

als guten Ton und Konvention bezeichnet, liegt eine keineswegs

verachtenswerte Schule der Selbstzucht und Selbstbeherrschung.

Wir helfen einander, wenn wir uns nicht aufgeben, auch nicht wenn der Mut sinkt. Als Paulus seine Freunde in Ephesus ermahnte, Psalmen und Loblieder zu singen, meinte er damit wahrlich nicht die Freuden­

stimmung der Unwissenheit oder des Vergessens. Er kannte die Sklaverei des Vergänglichen, er hörte, wie die ganze geschaffene Menschheit seufzte und sich ängstigte. Er fühlte sich gefangen unter

dem Gesetz der Sünde, als er klagte: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?" Und doch mahnt Paulus nicht nur vereinzelt oder ausnahms­ weise zur Freude. Am häufigsten hallt diese Mahnung im Philipper-

brief wider: „Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich: Freuet euch"! Er will, daß das Herz singe und klinge.

Eph, 5, 19

Röm. 7, 24

Phil. 4, 4

6. Mai Gott offenbart sich

dem sehnenden Gemüte Man darf nichts Geringeres sein, man muß Mensch sein. Zum Menschen gehört ein nach Gerechtigkeit hungernder und dürstender Geist. Der Menschensohn Jesus Christus ist uns gegeben, damit

dieser Hunger und Durst bei den Menschen nie mehr aushören soll. Die Gerechtigkeit hat in ihm solche Gestalt gewonnen, daß

auch die stolzesten menschlichen Ideale durch ihn gerichtet und gleich­ zeitig überhöht werden. Wir brauchen einen ständigen Anreiz, der

uns niemals zur Ruhe kommen läßt. Sind wir uns einig über unseren Anspruch auf Hunger und Durst

und darüber, daß Jesus ihn in allerhöchster Vollmacht weckt?

Aber ist es nicht doch eine Gaukelei, ein Irrtum, dieses: „sie sollen satt werden"? Können wir wahrhaft seligpreisen, die nach Wahr­ heit, nach Gerechtigkeit hungern und dürsten? Meine Brüder, dieser Hunger und Durst ist nicht nur das beste,

sondern das einzige Mittel, die Wahrheit zu erkennen, die Gottes Welt ist. Was durch kein Mikroskop und durch keine Schluß­ folgerungen erreicht werden kann, enthüllt sich der dürstenden, sich sehnenden, sich mühenden Seele. Dem Glauben und der Hoffnung werden im Gebet und in der Sehnsucht die überschwenglichen Wirklichkeiten zuteil, um derentwillen allein das Leben lebenswert ist. Die religiöse Sehnsucht zieht allen geistigen Stoff für die mensch­

liche Gedankenarbeit heran. Jede Philosophie vom Übersinnlichen schöpst-ihren Inhalt aus der Religion, und die Religion ist in ihrem

letzten Gehalt

die Offenbarung

Gottes

selbst

an die hungernde und dürstende, an die betende Seele. Jesus ist der beherrschende Berggipfel im Geistesland der Mensch­

heit. Deshalb haben wir die Zuversicht, daß der unverdrossene und unermüdliche Gerechtigkeits- und Wahrheitssucher ihn schließlich finden wird.

Matth.

6

Joh. 10) 30

7. Mai

Im Neiche Gottes bart man sich nicht seiner Micht entziehen Das wäre vielleicht am klügsten. Unsere Sprache kennt solche Weisheitsregeln. „Was man nicht ansängt, braucht man nicht

auszuführen." Das ist wahr und spart viel Mühe, Kummer und Streitigkeiten. Bis zu einem gewissen Grade ist es auch richtig. Wer sich mit vielerlei beschäftigt, verliert leicht das Gefühl für

seine wirkliche Pflicht und seine eigentliche Aufgabe. Man befaßt

sich gerne mit dem, was lockt und angenehm ist, und hat dann die

Illusion einer Arbeit, weil die Zeit rasch vergeht. Man beteiligt sich an vielenr mit geteilter Verantwortung, anstatt eine einzige

Sache als die eigene zu besorgen und sich seiner eigenen, ungeteilten Verantwortung bewußt zu sein. Vielbeschäftigtheit bedeutet also keineswegs, daß ein Mensch wie die Stadt auf dem Berge ist oder ein leuchtendes Licht. Aber die Weltklugheit, die jeder besitzt oder

allmählich bekommt, rät dem Menschen, sich überhaupt von allem fern zu halten, was schwierig und verantwortungsvoll ist. Sage

nichts, tue nichts, denn, so denkt man, mag kommen, was will, du trägst dann keine Verantwortung. Es war nicht meine Schuld, ich war nicht dabei. Das ist die Kunst, sich „draußen zu halten".

2n der Klasse soll ein Streich verübt werden. Man beschließt, daß alle zusammen die Fensterscheibe mit der Feuerzange durch­ stoßen sollen. Hast du es getan? Nein. Hast du es getan? Nein. Keiner war es, denn alle waren es. So geht es im Großen und im Kleinen zu. Keiner nimmt wirklich die Verantwortung auf sich.

Wenn man tut, was alle tun, tut man doch wohl nichts Boses! Aber Jesus sagt: Glaubst du, daß das Licht, das du bekommen hast,

unter den Scheffel gestellt werden darf, sodaß Gut und Bose in der Dämmerung nicht zu unterscheiden sind und keine Menschen­ seele ihre eigene Verantwortung erkennt?

Matth. 5.15

8. Mai

Das am meisten Kennzeichnende für echte Religion ist das Heilige Die Achtung vor dem Heiligen ist aller wahren Religion, der

höheren und der niederen, gemeinsam. In allen Stadien sondert die Heiligung den Menschen ab von dem Profanen, dem bloß Weltlichen. Zn allen Stadien gilt der als fromm, der etwas heilig hält. Es besteht kein Anlaß, von dieser Definition von Religion

abzugehen. Wenn das llberweltliche in der Welt verwirklicht werden soll, schafft es sich Formen, die Wert haben, solange sie von Leben und

Geist erfüllt find. Ohne diesen Inhalt aber werden sie leicht Herde der Unwahrhaftigkeit und anderer Unreinlichkeit, während sie

gleichzeitig den Anspruch aufrecht erhalten, eine höhere Lebensform

darzustellen. Das Menschenleben kann in heiliger Form gelebt werden, auch ohne besondere oder alleinige Heilighaltung bestimmter Berufe und Lebensstellungen. Es gibt ein gewisses Auftreten, ein

gewisses Benehmen, das für fromm gilt und durch das man die Kinder der Welt von den Kindern Gottes zu unterscheiden meint. Überweltlichkeit und Unweltlichkeit werden durch mehr oder weniger

strenge äußerliche Absonderung vom gewöhnlichen menschlichen

Leben gekennzeichnet. Zn der Religionsgeschichte hat keiner so vollkommen wie Martin Luther mit diesem Frommigkeitstypus, mit jeder äußerlichen oder

innerlichen Formung des Menschen im Namen der Religion, gebrochen. Die Gottesverehrung im Geist und in der Wahrheit, wie sie im Evangelium steht, hat mit grundsätzlicher Klarheit die

Unabhängigkeit der neuen Heiligkeit von allem äußerlichen Wesen dargestellt. Heiligkeit besteht darin, daß das Herz ganz und un­ geteilt Gott gehört. Aber die Gottseligkeit muß geübt werden. Viele Menschen können einer Übung in der Andacht nicht entbehren. Nur wenige tief ver­ anlagte Menschen befinden sich in der religiösen Lage, für die der

Trost des Glaubens das Allbeherrschende im Leben wird.

. Joh. 4t 24

9. Mai

MnendlichkeitSmxstik und DersönlichkeitSmxstik Das Kennzeichen der Unendlichkeitsmystik ist „Holdseligkeit,

Ruhe, Hingabe und Frömmigkeit". Der heilige Franz vernahm

das Spiel der Engel auf der himmlischen Geige. Der Ton war von solch unendlicher Süße und Schönheit, daß ein Bogenstrich mehr ihn aus lauter Seligkeit zum Tod geführt hätte. Die Unendlichkeitsmystik, wir meinen sie hier immer in ihren reinsten

Formen, sucht sich hin zur Begegnung mit dem Göttlichen, indem

sie Stück für Stück das Kreatürliche hinter sich läßt, sich aller Bestimmungen entledigt und sich leise hinaustastet jenseits von

Sein und Nichtsein. Außerhalb der äußersten Linie bewußten Erlebens liegt das Ziel, in Nebel eingehüllt. Es ist ohne Raum

und Gestalt, ohne Namen und Vorstellung. Die Stunden der

wirklichen Ekstase können nicht einmal geschildert werden, denn

das Bewußtsein ist erloschen. Sie sind nur in unaussprechliche Heiligkeit gehüllt. Anders ist es in der Welt der Persönlichkeitsmystik, bei einem Zeremias, Paulus, Augustinus, Luther, Pascal. Kierkegaard, Herr,

laß mich los! Geh fort von mir! O culpa mea! Meine Schuld! Das arme Menschenwesen zittert und bebt, blutet und wimmert.

Dort eine ausgestreckte Hand, ein sehnender, träumender Blick. Hier ein Mensch, der zurückbebt und die Augen nicht zu erheben wagt. Dort eine Himmelfahrt. Hier ein Kampf im Dunkel des Todes. Der in Gnaden Heimgesuchte fühlt Gottes gewaltigen Griff über sich und erbebt darunter. Aber er entweicht nicht, er will nicht entweichen, ach, er küßt und segnet die Hand. Denn sie hebt ihn in eine andere Welt, in das selige Reich des Lebens und hält ihn

so fest und sicher, daß er Sünde, Tod und Teufel zu trotzen vermag. Dort Freiheit im weiten Raum der Unendlichkeit. Hier Freiheit in des Allmächtigen Hand. Dort das Streben nach dem Einen, Großen, Unaussprechlichen. Hier ein Begegnen in der Stille, in

der Wüste, in der Arbeit mit einem fordernden, lebendigen, tätigen Willen, mit einer überschwellenden, überwältigenden persönlichen Lebensfülle von Heiligkeit und Liebe, für die alles andere, was Leben heißt, wie ein schwindender Rauch ist. Dort die große Stille,

9. Mai (Forts.)

die ferne Unergründlichkeit des Göttlichen. Hier ein lebendiger, unsagbar tätiger, zermalmender und erlösender Gott. Ekstase im

höchsten Sinne bezeichnet nicht die wichtigen und wesentlichen Erfahrungen der Persönlichkeitsmystik.

Wir dürfen nicht vergessen, daß der Eine, der selbst die unendliche Lebensfülle von Gottes Wesen in dem Brennpunkt seines persönlichen Lebens der Liebe birgt und mitteilt, Jesus Christus,

in seiner unergründbaren Verbundenheit mit dem Vater keine

Zeichen der Ekstase aufweist, aber auch nichts von den terrores,

der Gewissensangst und von den angustiae, der geistigen Not, so wie sie die Gottesmänner vor und nach ihm gekannt haben.

Gethsemane und Golgatha sind der Raum für die Angst über alle Angst und die Not über alle Not. Aber nie hört man ein: O culpa

mea ... o, meine Schuld.

Matth. 26, 36f.

10. Mai

Wer auf Gott vertraut, besitzt alles in seinem Glauben Er besitzt das Vergangene. Denn der Glaube liest im Text

der Geschichte — in der Geschichte der Menschheit und in der eigenen Geschichte — von der Liebe Gottes. Der Glaube vermag,

jeden Verlust in Gewinn zu verwandeln. Das grausamste Schicksal bringt geistige Werte hervor, die ohne die Sünde und das Unrecht, die vorangegangen waren, nicht hätten gewonnen werden können.

Aus Bösem wird Gutes geschaffen. Durch die Liebe wird das Leiden zur Versöhnung. Christus litt einmal für alle. Sein Golgatha und das Golgatha aller Menschheit wird

durch den Glauben

zum Sieg. „So wird", nach Luthers Wort, „ein Christ der mäch­ tigste Künstler und ein bewundernswerter Schöpfer, der aus Trauer Freude machen kann, aus Schrecken Trost, aus Sünde Gerechtig­

keit, aus Tod Leben". Der Glaube besitzt das Zukünftige. Er ist eine unwider­

stehliche Triebkraft für das Leben. Die Zuversicht ist ein guter Baum, der gute Früchte tragen nüiß. Wahres Vertrauen ist „ein göttliches Werk in uns, das uns umwandelt". Der Glaube „fragt

nicht, ob man gute Werke tun soll, sondern ehe man fragt, hat er

sie getan und ist immer dabei, sie zu tun". Der Glaube verzweifelt nicht am Zukünftigen. Und ob es währt bis in die Nacht

und wieder an den Morgen, so soll mein Herz an Gottes Macht

verzweifeln nicht, noch sorgen.

Aber vor allem besitzt der Glaube das Gegenwärtige, ein ewiges Jetzt, nämlich Gottes Gnade, die uns die Gewissens­ qual nimmt und uns von der Sklaverei unter dem Gesetz befreit. Freiheit durch Gottvertrauen ist bei Luther das Kennzeichen

der Religion. Luthers höchstes Amt war, durch das Evangelium zu trösten und von Gewissensqual zu befreien.

11. Mai

Lieber Mensch, wieviel hast du wesgegeben? Luther belebte wieder Christi Grundsatz neu: Die Liebeswerke

haben allein den Zweck, dem Nächsten zu helfen und etwas Nütz-

liches zu tun, nicht eigenes Verdienst vor Gott zu erlangen. Die Liebeswerke dürfen auch nicht als Mittel oder Anlaß benutzt werden, um jemanden geistig zu beeinflussen. Erst Speise und Hilfe,

Blumen und andere Freundlichkeiten, nachher die Predigt, denkt man. Za, geistiger Trost an Stelle von Brot und Kleidern wird für den Bedürftigen zu Steinen statt Brot. Die Bitte „Unser

täglich Brot gib uns heute!" kommt vor der Bitte „Vergib uns unsre Schuld"! Besteht ein geheimer oder ausgesprochener Gedanke, Menschen Hilfe und Wohltaten zu erweisen, nicht um der Hilfe und um ihrer selbst willen, sondern um dann Gehör und

Aufmerksamkeit für geistige Beeinflussung zu gewinnen, so ist das gegen das Evangelium. Denn die Liebeswerke dürfen nur zur Hilfe dienen und nicht als Mittel für anderes mißbraucht werden, wäre

dies andere auch noch so wichtig und erhaben. „Wenn du Ohren hast zu hören und ein Herz zu verstehen", sagt Luther in der Kirchenpostille, „so höre und lerne um Gottes Willen,

was gute Werke sind und heißen. Ein gutes Werk heißt gut, weil es für den nützlich und wohltuend und eine Hilfe ist, dem man es

erweist. Warum sollte es sonst gut genannt werden? Denn es ist ein Unterschied zwischen guten Werken und großen, breiten, zahl­ reichen und prunkenden Werken." Lieber Mensch, Gott wird dich beim Tode und bei dem jüngsten

Gericht nicht fragen, wieviel du hinterlassen hast, sondern wieviel du sortgegeben hast.

Matth. 6, 3 Jak. 4,17

Luk. 17,10 2. Kor. 9, 7

12. Mai

Wachet Die Mahnung kehrt im Munde unseres Erlösers häufig wieder.

Wachet, daß ihr nicht einschlaft! Seid bereit, dem Herrn in jeder

Stunde zu begegnen! Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung

fallet! Folgen wir dieser Mahnung des Erlösers? Er fordert von den Seinen, daß sie sich nicht durch des Lebens Annehmlichkeit und

Wohlbehagen beschweren lassen, sodaß man die Tage gedankenlos

verstreichen läßt, oder auch von den Sorgen des Lebens, sodaß nur Kummer und Sorge für das Irdische im Menschen leben, der

Geist aber erstickt oder eingeschläfert wird.

Damit die Seele immer wacht und wartet, empfiehlt Jesus ständige Wachsamkeit und Nüchternheit. Er weiß, daß es Aufgaben im christlichen Leben gibt, die besondere Vorbereitungen er­ fordern. Die geistige Kraft wird durch Enthaltsamkeit und Selbst­ disziplin gestärkt. Die Hauptsache ist, daß wir dem Herrn Jesus

Christus begegnen, daß unser Herz von ihm erobert und gefangen genommen wird, damit Gott in unserem Leben herrscht. Um aber nicht zurückzufallen und von Versuchung, Trägheit und Weltlich­ keit verlockt zu werden wieder einzuschlafen, brauchen wir Hilfe, die uns wach erhält. Wir bedürfen der Hilfe und Stütze besonderer

Andachtsübungen, religiöser und sittlicher Verpflichtungen, unserer

Freunde, unserer Umgebung und der Gemeinde. Aber wir bedürfen keiner außergewöhnlichen oder künstlichen Vorkehrungen, um uns zu üben und wach zu bleiben. Gott liebt nicht unnatürliche Kinder. Preis Dir, der nicht zu schlafen mir gestattet der Sünde Schlaf; mein Mund niemals ermattet

zu loben Dich und Deiner Gnaden Gabe; mein Herz nimm hin, o nimm die kleine Gabe.

Matth. 26, 41

13. Mai

Ein Driek mit Gottes Kchrikt Wenige Verirrungen im religiösen Denken waren so schicksals­

schwer wie die Vorstellung, daß man Gottes Werk nur in dem

erblicken könne, was eine Durchbrechung

des naturgesetzlichen

Laufs der Dinge bedeute. Der Zusammenhang, den das Erkenntnis­ vermögen aufzeigt und im Dasein immer mehr ausdehnt, sollte den lebendigen Gott ausschließen. Nur in den Lücken unserer Er­ kenntnis, nur da, wo wir bis auf weiteres ein Fragezeichen setzen, sollte Gott Platz haben. Aber die Lücken werden ausgefüllt. Kein

Wunder, daß die Wissenschaft von einer solchen Auffassung als Feind angesehen wird, dem der Glaube nur notgedrungen weicht. Kein Wunder, daß dieselbe Auffassung im Lager des Unglaubens die Wissenschaft als das Reich des Lichtes betrachtet, das sich Stück

für Stück in dem Dunkel ausdehnt, wo die Religion noch bis auf weiteres mit kindlichen Erklärungen einen dämmerigen Schein

verbreitet. Was nützt ein solcher Glaube, der von der Gnade der Wissenschaft lebt, und was nützt ein Gott, der immer mehr auf den Aussterbeetat gesetzt wird? Der Glaube erblickt im Zusammenhang der Ereignisse Gottes Werk. Er weiß, daß das Ganze einen göttlichen Sinn, eine himm­

lische Deutung birgt. Er weiß, daß Gottes Gnade das vollkommene

Gesetz ist. In den Einzelheiten wagt der bescheidene Glaube nicht, den dunkeln Sinn des Geschehens zu deuten. Denn er hat nicht in Gottes Rat gesessen. Aber von den Ereignissen, die dem Außen­

stehenden tot und sinnlos erscheinen, greift uns das eine oder andere im eigenen Leben zuweilen so ans Herz wie ein Brief, in dem wir Gottes Schrift lesen.

Wie empfind ich Deine Nähe, Herr Du, der Unendlichkeit, und erbebe, wenn ich sehe Glanz, Herr, Deiner Herrlichkeit!

Mag mein Geist, Dich zu erleben,

auch umsonst die Schwingen heben, leb und web ich doch in Dir, Herr, mein Gott — so nahe Dir!

14. Mai Andacht In schönen Worten schildert der Psalmist seine Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn. Soviel bedeutete der Gottesdienst für

ihn und seinesgleichen. Wir wissen, daß Gott nicht nur im Heiligtum wohnt, sondern in jeder Seele, die aufrichtig seinen Namen anruft. Der Vater kann im Geist und in der Wahrheit in jedem Raum angebetet werden. Jesus ging hinaus in die Natur, um mit seinem himm­ lischen Vater zu reden. Was mich anbetrifft, so ist es mir schwer verständlich, daß man

besondere Einrichtungen braucht, um Gottesdienst zu feiern und sich befriedigt zu fühlen. Ästhetisierendes Wichtigtun hat ebenso

wenig Wert wie wohlfeiler Vereinfachungseifer, wenn es der

Freude und Feierlichkeit des Gottesdienstes gilt.

Was wir fordern, sind zwei Dinge in ihrer Verbindung, nämlich Stille und Leben. Es gibt eine lebendige Stille, die von Andacht erfüllt ist; sie ist der Gegensatz zu einem toten und gleichgültigen,

müden und inhaltsleeren Schweigen. Wir haben zu wenig davon in unseren Kirchen und unseren Gottesdiensten. Es ist ein schöner Beweis der Freundschaft und des Vertrauens, wenn man sich

zusammen wohlfühlt, ohne etwas zu sagen. Unser Zusammensein im Tempel mit dem Herrn und miteinander muß reicher werden

an inhaltsreicher Stille und Frieden. Und kommt die Menschenstimme oder die Stimme der Orgel

zu Wort, muß darin Leben und Freude sein. Nur zu oft geht der Gottesdienst maschinenmäßig vor sich, weil es nun einmal so sein soll. Ein nach Stimmung jagender Eifer macht nichts besser. Lange ist man dafür eingetreten, die Kirchen zu offnen. Es scheint, daß wir dem Ziel einen kleinen Schritt näher gekommen sind. Natürlich strömen die Scharen nicht sogleich herzu; aber einzelne

kommen nach und nach. Wir rechnen in unserem Gottesdienstleben

zu wenig mit dem einzelnen.

Ps. 42; 63; 84

15. Mai

Fugend und Frühling (1892) Im Frühling ist das Gefühlsleben des Menschen am reichsten.

Wir Jungen stehen dazu noch im Frühling des Lebens. KeinWunder, daß sich die beiden im Überschwang der Gefühle begegnen. Das

ist das Leben, das seinen eigenen Reichtum fühlt. Es ist nur schade, daß sich so viel Unreines in diese Frühlingsfreude mischt. Bowlen­

dunst verpestet sie, und die Gemeinheit zieht sie nieder in den Schmutz.

Aber gewiß sollen wir uns davor hüten, das natürliche und mensch­ liche Empfinden der Fülle des Lebens, die das jugendliche Gemüt im Frühling erfüllt, zu unterdrücken.

Ich sagte, daß es der Frühling mit sich bringt, daß uns das Leben reicher und voller erscheint. Gleichzeitig aber macht sich auch ein

anderes Gefühl stärker geltend, das zu unserem Leben gehört. Ich meine das Gefühl der Wehmut, der Leere und Sehnsucht, das

Gefühl eines unaussprechlichen Verlangens. Es ist, als ob unser Herz sich weitet und sehnt, etwas zu erfassen, was es nicht besitzt. In der ganzen Schöpfung wird die Lebenslust von einer starken,

schwellenden Sehnsucht begleitet. Die Menschen täuschen sich in diesem Gefühl. Es kann zurückhaltend, es kann auch stark sein. Sie suchen für das unruhige Herz bald hier, bald da Befriedigung. Aber sie ist immer trügerisch, solange wir innerhalb dieser Welt ver­ weilen, die als Kennzeichen Unvollkommenheit und Sünde hat.

Das ist die alte Geschichte seit der Schöpfung der Welt.

Wir wissen es wohl, wonach sich unser Herz so unendlich sehnt. „Wie der Hirsch schreit nach ftischem Wasser, so schreit meine

Seele, Gott, zu dir." In der Tiefe jugendlicher Schwermut und hinter den Gefühlen des Frühlings liegt eine Sehnsucht, die sich

über sich selbst bewußt und klar werden muß.

Möge dies unsere Deutung der wunderlichen jugendlichen Gefühle im Frühling sein: „Wie der Hirsch schreit nach ftischem Wasser, so

schreit meine Seele, Gott, zu dir!"

Ps. 42, 2

16. Mai Freiheit und Mngebundenheit Niemand hat auf dieser Erde so tiefe, dauernde und umfassende Veränderungen herbeigeführt wie Jesus. Und doch änderte er gar keine Einrichtungen. Im Gegenteil, wir hören, daß er, der ja von

den Priestern nicht immer gut behandelt wurde und vom Opfer­ dienst nicht viel hielt, da er ja durch seine Lehre und seinen Opfer­

tod der Opferreligion ein Ende gemacht hat — wir hören, daß er

dem Aussätzigen befahl, zu tun, wie geboten war, zum Priester zu gehen und die gesetzlichen Opfergaben darzubringen. Jesus war für sich und andere darauf bedacht, die Ordnungen der religiösen

und bürgerlichen Gemeinde zu befolgen. Er unterschied zwischen

der geistigen Freiheit, die er selbst besaß und anderen gewann, und einer unfreien Zügellosigkeit, die oft als Freiheit verkündet wird. Jesus wußte, daß es leicht war, Einrichtungen zu ändern, aber

schwer, den Sinn der Mitmenschen zu ändern, und am schwersten,

wenn es nötig ist, sich selbst zu ändern.

Es ist ein Vorzug, gehorchen zu dürfen. Für mehr als einen, der durch Regellosigkeit gefallen ist und dem es schwer fällt, wieder Festigkeit zu erlangen, kann die feste Ordnung geradezu eine Rettung vor dem Untergang werden. Im Augenblick der Gefahr sind strenge

Ordnung und die Pflicht unbedingten Gehorsams eine gute und notwendige Stütze. Ohne Disziplin und Unterwerfung kann nichts

gemeinsam ausgerichtet werden. Disziplin ist zur Erziehung des einzelnen wie für das Gesamtwohl notwendig.

Aber ohne Vertrauen werden Gehorsam und Disziplin eine tote und tötende Maschine. Jesus preist den Glauben, das Vertrauen, die Zuversicht und den Gehorsam als Folge des Vertrauens. Ge­ horsam und Vertrauen in Gottes Welt brauchen die Menschen sowohl untereinander als auch in ihrem Verhältnis zu Gott.

Matth. 10

1-4

Worte für jeden Tug

17. Mai

Der Mrngsns, das Schicksal Der Christ soll Gottes Güte und Heiligkeit in seinen Worten, seinem Benehmen und seinem ganzen Wesen offenbaren. Dann wird nach Luther einer für den andern ein Christus. In den Be-

kenntnisschristen unserer Kirche schreibt Luther, daß das Evangelium

uns auf mancherlei Weise gegen die Sünde hilft, nämlich durch Predigt von der Vergebung der Sünden, durch die Taufe und das Sakrament des Altars, aber auch „durch gegenseitiges Gespräch

und Trost der Brüder". Wir sollen einander im Namen Gottes

trösten. Mit Gottes Gemeinschaft,

mit dem Wort, seinem Geist, mit Brüdern in Freundschaft, mit dem Mahl, das uns speist,

harren wir der Tage, die kommen, mit Mut. Uns führt ja der Hirte; wir kennen chn gut.

Gott spricht nicht nur durch das Wort zu uns, sondern auch durch Schicksale, die uns widerfahren. Samuels Mutter Hanna sagte in chrem Glück: „Nun hat der Herr meine Bitte gegeben,

die ich von chm bat." Hiob sagte in seinem Unglück: „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen; der Name des Herrn sei gelobt." Durch Treue in unserem Beruf, durch fleißiges Lesen

von Gottes Wort, durch Wachsamkeit und Gebet lernen wir ver­ stehen, was Gott uns durch das, was geschieht, sagen will.

Wer Gott vertraut,

hat wohl gebaut in Not und in Gefahr.

1. Sam. 1,27

Hiob 1,21

18. Mai Der Geist bricht hervor Wir sind alle mehr oder weniger musikalisch — nehmen wir es wenigstens so an. 2n uns lebt etwas von Musik. Wenn aber Bach

oder Beethoven das Unaussprechliche mit ungeahnten Ausdrucks­ mitteln gestalten, dann sind das für uns nicht nur zwei ungleich

musikalischere Menschen als wir, sondern Offenbarungen der Musik selbst. In chnen begegnen wir dem Geist der Musik. Daß in Bach der Höhepunkt der Musik für alle Zeiten grundsätzlich erreicht ist

und daß Plotin die ewige Vollendung der Unendlichkeitsmystik

darstellt, ist für mich fast ebenso gewiß wie, daß Christus in der

Geschichte der Gottesoffenbarung nie übertroffen oder erreicht werden kann. Natürlich kann dies nicht unter Beweis gestellt werden. Ähnlich ist es in der Religion. Wir alle tragen Unendlichkeits­ sehnsucht, Nechtfertigungsverlangen oder Gewiffensleben in uns;

hier ist nicht, wie bei der Musik, eine Einschränkung notwendig.

So haben wir auch Tell am Leben der Religion; wir sind nicht

ausgeschlossen — kein einziger aus dem Leben des Geistes und des Geistes Gottes. Aber bei manchen bricht der Geist mit solcher Macht hervor, daß sie für uns Zeugen von Gott und der Religion

werden. An ihnen begegnet uns Gott. Wenn wir sie sehen, sehen wir etwas von Gott — wenn auch keiner von ihnen so wie Christus sagen kann: „Wer mich siehet, der siehet den Vater". Sie spiegeln in chrem Wesen etwas von Gottes Macht und Liebe wider. Lucher

will, daß jeder für den andern ein Christus sein soll.

Komm, heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläubigen und entzünd in ihnen das Feuer deiner göttlichen Liebe,

der du durch Mannigfaltigkeit der Zungen die Völker der ganzen Welt versammelt hast zur Einigkeit des Glaubens.

Halleluja! Halleluja!

Joh. 14, 9 10*

19. Mai Der suchende Kinn Es gibt Eroberungen, die in der Nähe gemacht werden können: in derWelt der Bücher, in derWelt der Ideen. Nichts gleicht dem

Zauber einer solchen Entdeckung. Es kommt vielleicht einmal der Tag, an dem der Student, wenn er das Rüstzeug dazu besitzt, an

der Grenze seiner Wissenschaft steht und nach erprobten Methoden und mit Hilfe seiner Phantasie neuen Boden für die menschliche Erkenntnis oder neue Erklärungen und neue Zusammenhänge für

das seit langem Behandelte und Bekannte zu gewinnen

sucht.

Etwas von der gleichen Entdeckerfreude kann einen an sich wenig merkwürdigen, wissenschaftlichen Gewinn in der Schule oder an der Universität vergolden, wenn er nicht bloß eine gelernte Lektion

ist, wenn vielmehr der Schüler von dem suchenden Sinn getrieben wird. Er findet nichts Neues. Tausende sind erwacht und haben dasselbe gesehen. Und doch ist es für ihn neu. Ein Gedanke, ein

Satz blitzt vor seinen Augen auf, eine Persönlichkeit tritt aus dem Dunkel hervor, wird für ihn Wirklichkeit, Inspiration, Wegweiser.

Was unserer Kultur wie der einzelnen Persönlichkeit Adel und Würde verlecht, ist die freie Anerkennung der geistigen Macht des

Größten und Einen in unserem Geschlecht. Keine Studenten­ erinnerung leuchtet klarer als diese auch in dem alternden Menschen noch frische Gedankenverbindung, die sich an Augenblicke in der Einsamkeit oder in der Gesellschaft mit Freunden, bei Wanderungen

mit einem einzigen Freund, ini Heiligtum oder in einer Gemein­ schaft knüpfen, wo Gedanken erklärt oder besprochen wurden, Augenblicke bei Musik und Dichtung, Augenblicke, in denen der junge Geist ahnte oder eroberte, oder, richtiger gesagt, etwas von

der Menschheit großem Erbe zum Geschenk erhielt; wenn dies auch in der Regel nicht ohne vorhergehende Mühe geschah. Ich beglück­

wünsche euch alle, ihr Jungen, die ihr von dem suchenden Sinn

beseelt seid.

20. Mai Wissen und Lein Wissen und Sein eines Menschen stehen miteinander in Ver­ bindung.Was bedeutet das Wissen einesMenschen für sein Wesen und sein Handeln? Was bedeuten Wesen und Handeln eines Menschen für sein Wissen? Um das Rechte zu tun, muß der Mensch wissen, was recht ist. Um die Wahrheit zu verwirklichen, muß der Mensch die Wahrheit

erkennen. Aber in welchem Maße ist das Wissen einesMenschen von seinem Charakter abhängig? Inwieweit wird die Erforschung der Wahrheit durch Gehorsam gegen die Wahrheit im persönlichen

Leben gefordert?Mag es sich nun um einzelne größere oder kleinere Erfahrungen in der Forschung handeln, oder betrifft es eine Ein­ sicht, die ein Licht wirft auf das Dasein und den Lebensweg, so darf man die Wahrheit nicht nach dem beurteilen, der sie ausspricht.

Luther schreibt, die Wahrheit sei deshalb nicht weniger wahr, ob

sie nun Barrabas oder Kaiphas ausgesprochen habe. Aber die Erforschung der Wahrheit ist vom eigenen Wesen des Forschers nicht unabhängig. Das Wissen hängt mit dem Sein

zusammen. Mängel im Charakter erstrecken sich leicht bis in die geistige Arbeit des Menschen. Fehlen unbestechliche Redlichkeit und Verantwortungsbewußtsein, so muß die Genauigkeit der Forschung mit der Zeit darunter leiden. Energie, Unermüdlichkeit, Geduld,

Selbstzucht, Wahrheitsliebe werden ebensosehr in Anspruch ge­ nommen wie die Klarheit und Schärfe des Gedankens. Die Er­ kenntnis eigener Irrtümer und willige Berichtigung auch von Lieblingsmeinungen sind ohne die Voraussetzung einer ethischen

Haltung des Menschen undenkbar. Die Bedeutung, die der Ver­ such für die exakte Forschung hat, findet sich in gewissem Maße wieder in dem Verhältnis von Lebensanschauung und wesentlicher,

sittlicher Einstellung des Menschen. Ohne Versuch und Erprobung erhält man keine Gewißheit. Ähnlich ist es im geistigen Leben des Menschen. Gewisse Zusammenhänge und Verhältnisse werden nur dem offenbar, der den Versuch wagt. Christus sagt: „So jemand will des Willen tun,

der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst rede." Die theoretische Gewißheit wird hier von dem

20. Mai (Forts.)

ethischen Versuch abhängig gemacht. Lob sei 2hm, der das Licht des Verstandes, die Klarheit des Gedankens, den unbestechlichen Ernst der Forschung und die Kraft des Genies geschaffen hat! Gesegnet sei Er, der in den Geist des Menschen den reinen Trieb gelegt hat, die Wahrheit zu suchen, das Rechte zu wollen, Gesetze zu stiften und recht zu richten; der den Willen gegeben hat, Schmerz zu lindern, Krankheit zu Hellen und das Leben und den Glauben an die Macht der Wahrheit zu fördern.

ISO

Joh. 7,17; 18, 37

21. Mai

Die ewige Gerechtigkeit Erinnerst du dich der (Stimme, die Pascal in der Nacht horte, als seine Seele sich in einem einzigen, angstvollen Hilferuf zu Gott entlud und nur das rätselvolle, schauerliche Dunkel des Welten­

himmels ihn anstarrte? Da vernahm er eine ruhige Stimme: „Du würdest mich nicht suchen, wenn du mich nicht schon kenntest."

Vierhundert Jahre früher erzählte der persische Mystiker Djelal Eddin Rumi von einem betenden Mann, der, als der Teufel seine unbeantworteten Gebete verhöhnte, durch einen Engel Gottes

Wort horte: „2n jedem Ruf ,o mein @ott', den du erhebst, liegt leise eingeschloffen Gottes Antwort: ,Hier bin ich^; denn dies Gebet

und all das innere Brennen und Weh waren Botschaft von mir." „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden." Die Seligkeit liegt nicht im Durst,

sondern in dem Versprechen, daß er gestillt werden soll. Der Hunger

muß mit dem gestillt werden, dem er-gilt, einzig und allein mit Gerechtigkeit. Es sieht freilich trübe damit aus, wenn dein bißchen

Gerechtigkeit dich beurteilt und verurteilt und dir unbarmherzig vor alledem einen Abscheu einflößt, womit du versucht warst, deinen

Hunger zu stillen. Dann reißen halbvernarbte Wunden, die die Sünde an Leib und Seele geschlagen hat, wieder auf und beginnen zu schmerzen. Es gibt Wunden, die sorgfältig verborgen werden.

Du sprichst nicht von ihnen. Du wagst nicht, sie deinem besten

Freund zu zeigen. Aber man hat stillschweigend die peinliche Emp­ findung, daß sie da sind. Der Durst nach Gerechtigkeit wird aber doch gestillt werden. Denn es gibt eine ewige Gerechtigkeit, die der innerste Sinn der

Welt ist. Das ist Gott selbst.

IM Matth. /, 6

22. Mai Der Jubel der Matur, der Jubel des Menschenherzens Die scheue Pracht des nordischen Sommers breitet sich über

Felder und Hügel aus. Unsere christlichen Feste sind aus der Ebene der Naturreligion zu geschichtlicher Offenbarung emporgehoben

worden. Wenn wir Weihnachten, Ostern, Pfingsten feiern, vergessen wir ihren vorchristlichen Ursprung als Naturfeste. Für uns bedeuten sie die Geburt des Erlösers, seine Versöhnung und seinen Tod, seinen Sieg über die Vergänglichkeit und die Entrückung

des ersten christlichen Pfingstfestes, die der Gemeinde viele neue Glieder zuführte und sie zu unüberwindlicher Glaubenskrast ent­ flammte. Aber die Stimmung in der Natur, die die Feiertage begleitete, bildet auch noch bei uns einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Feier.

Sie werden in unserer Vorstellungswelt von verschiedenartigen Farben, Tonen und Naturbildern umgeben. Und doch enthält

Pfingsten im Grunde für uns nicht den Jubel der Natur, sondern

den Jubel des Menschenherzens über die Macht des Geistes. Der Geist ist ein und derselbe. Aber die das Werk des Geistes

empfangen, sind verschieden beschaffen. Die Art, wie der Geist wirkt, bleibt sein Geheimnis. Gottes Geist ist immer derselbe.

Aber die empfangenden Menschen sind verschieden. Deshalb sind es auch die ekstatischen Äußerungen, die heute wie auch bei andern Gelegenheiten in der Geschichte der Kirche Erweckung und neu­

erwachtes Glaubensleben begleiten. Die Hauptsache ist, daß der Mensch von der Macht des Geistes

beherrscht und von der Sklaverei seines eigenen Willens, der Sünde

und der Welt befreit wird. Es mag sein, daß bei gewissen Naturen ein gewaltsamer Gefühlsrausch notwendig ist, der den Menschen über die Grenze des Bewußtseins erhebt, damit die Macht des Geistes für ihn völlig offenbar und wirklich wird. Das Menschen­

leben und die Menschenseele bergen viele Rätsel in sich. Wir können dem Geist keine Gesetze vorschreiben. Wir können Gott nur für das gesegnete Werk des Geistes danken.

Apostelg. 2, lf.

23. Mai Das Erbe Jesu schallt ein rechtes Pfingsten Das Erbe Jesu ist weder eine Lehre noch ein Gebot. Das gute Erbe Jesu ist Friede und Freude. Er sagt: „Meinen Frieden lasse

ich euch."

Das Erbe Jesu schafft ein rechtes Pfingsten.

Pfingsten feiern wir recht, wenn Jesu Freude und Friede, das

heißt, wenn sein Geist in unseren Herzen und Leben herrscht. Des Lichtes Vater, Dir sei Preis! Dein Licht zu uns auch komm,

Dein Wort, es macht den Frommen- weis und macht den Weisen fromm. Wie hold und herrlich sprichtst Du doch

in diesem teuren Wort

zu mir, zu Deinem Kind, das noch auf Erden wandelt fort. Gott offenbart seine Herrlichkeit und seine Weis­ heit schon in der Natur, die uns umgibt.

Natur in reicher Pracht mir sagt,

in vieler Stimmen Schall, dem Herze mein, das so verzagt: Gott herrscht doch überall.

Der Sonne Lauf, der Blumen Pracht verkünden früh und spat

uns seine Herrlichkeit und Bracht und wunderbaren Rat. Aber wenn es gilt, Gottes Sinn zu erkennen, dann kann uns die Natur keine klare Antwort geben. Ist der Mensch etwas anderes und mehr als nur ein Stäubchen, das in der toten Bewegung des Weltalls mitschwingt?

Doch

153

23. Mai (Forts.)

Doch war verborgen mir Dein Sinn, Dein Herze ich nicht fand, in weite Ewigkeiten hin

ich mir wie Staub entschwand.

Der Dichter geht von der allgemeinen, noch undeutlichen Offen­ barung über zu der besonderen Offenbarung, wie die heilige Schrift sie widerspiegelt. Moses gab das Gesetz am Sinai. Auf dem Berg Tabor

sprach

der

Herr Jesus Christus

selbst,

er, der Gottes vollkommene Offenbarung und seines Wesens Ab­

bild ist. Auf Sinai noch Dämmrung war, Tabor strahlt hell uns allen;

die Seele sieht ohn' Nebel klar Dein Recht, Dein Wohlgefallen. Verklärt vor mein Gewissen tritt

der Herr der Heiligkeit und teilt dem Herzen Gnade mit, und Trostes Lindigkeit. Nun kann der Dichter nicht länger schildern. Er gerät in Ver­

zückung. Er hat das Kirchenjahr geschildert: Des Herrn Ankunft im Advent, seine Geburt zu Weihnachten, seine Offenbarung für die suchende Menschheit am Dreikonigstag, seine Predigt und seine Liebeswerke, sein Leiden, seinen Tod und seinen Sieg über

den Tod. Und nun vereinigen sich am Pfingsttag Himmel

iinb Erde. Der Geist sucht die Seelen heim und versetzt sie in Entzückung, sodaß sie voller Jubel sind. Etwas davon finden wir in I. O. Wallins Offenbarungslied. Nachdem er die Offenbarung in der Natur und in der heiligen Geschichte geschildert hat, hält er an und bricht in die Worte aus:

Der Zeiten Qual, die ewige Ruh, sie sind nun im Verein,

und Himmelsfrieden strömet zu der Brust voll Reu und Pein.

23. Mai (Forts.)

Durch Jesus Christ du alles kannst, Er selbst dich nchtrg führt,

wenn du nur seinen Geist gewannst und seine Lieb dich rührt.

Auch die Geschichte birgt viele Rätsel und Schwierigkeiten. Gewiß ist wahr, daß, wenn nur unverrückt den Glauben an

Gottes Liebe und an die Liebe als bte höchste Macht im Dasem

festhalten können, doch nur em Teil der Geschichte eine unzwei­

deutige Offenbarung darstellt, der Teil nämlich, der von Jesus Christus handelt, und der ihn zum Ausgangspunkt hat. Wenn das Göttliche unsern Augen verborgen und in den schon ohnedies oft merkwürdigen Geschicken der Geschichte unverständ­

lich ist, so steht dies in Einklang mit Jesu eigenen Worten: „Nie­ mand kennet den Vater, denn nur der Sohn und wem es der Sohn will offenbaren." Aber vom Herrn Jesus Christus und der Offen­ barung, bte bie Schrift bezeugt, rührt eine Gemeinde her, die zu allen Zeiten im Himmel und auf Erdem von Gottes Heil zeugt; es ist dies Christi Kirche und seine Gemeinde, in der der heilige

Geist durch das Wort Vergebung der Sünden und ewiges Leben wirkt.

Joh. 14, 27

Matth. 11,27

24. Mai

Vergebung Selig sind, trotz ihrer augenblicklichen Armut, die nach Gerech-

tigkeit hungern und dürsten. Die Gerechtigkeit, die uns satt macht,

genugtut und rechtfertigt, heißt Vergebung. Die Forderung wird nicht verkürzt. Um Vergebung zu erlangen, muß man diese Forde­ rung ganz und vorbehaltlos anerkennen und sich zu eigen machen.

3st eine Seele da, die sich nach Gerechtigkeit zu Tode hungert?

Was wird dir geboten? Vielleicht eine Lehre von guten Werken? Tu deine Pflicht, dann hast du ein gutes Gewissen. Das ist wahr und gut. Aber in deinen Ohren klingt es wie blutiger Hohn. 2ß,

sagt man zum Hungrigen. Aber du hast ja nichts, womit du dich ernähren kannst, da du unter deiner Ungerechtigkeit leidest und stöhnst unter den anklagenden alten Erinnerungen, unter dem Durst

nach Gerechtigkeit, da du zu Gott flehst um das Brot des Lebens für die Seele, um lebendiges Wasser. Vielleicht siehst du die Quelle, aber für dich scheint sie verschüttet

zu sein, durch eigene auftauchende Zweifel, vielleicht durch solche, die dir während deiner redlichen Studien gekommen sind und die dich nun schrecken, weil sie die alten, lieben Aussichten zu verdecken

und zu verwandeln scheinen. Vielleicht bebt einer, weil all das wankt, was er für so fest hielt und worauf er seinen Glauben baute.

Mein Freund! Es wird wohl um dich stürmen wie um andere vor dir. Klammere dich nicht an Dinge, die mit dir über Bord gespült

werden können. Stelle dich auf sicheren Boden! 3ch weiß, was du brauchst: Vergebung, Vergebung, Vergebung! Ich weiß, daß der feste Grund da ist, daß er durch deine neuen Einsichten nicht ins Wanken gerät. Siehe, du hast Vergebung. Du sollst vorwärts schreiten. Die Hand ist da, die dich leiten kann. Die Stimme ist da, die dir antwortet: Jesu Gerechtigkeit. Vergebung durch Jesu

Gerechtigkeit!

Matth.

6

25. Mai Die gestillte Kehnsucht nach Gerechtigkeit Es war einmal ein ganz schlichter Mensch, der einem armen Studenten einen unvergeßlichen Dienst erwies. Der war durch all seine Forschungen und Überlegungen in tiefe Seelennot geraten. Er fühlte, daß ihm die Stütze zerbrach. Er rief um Hilfe, ohne

Antwort zu bekommen. Da wurde er von einem einfältigen Christen

vor ein Wort im Evangelium gestellt: „Wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muß des Menschen Sohn erhöht

werden, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." Es war nicht einfach die alte Erzählung an und für sich von den todkranken Israeliten, die nur

die eherne Schlange anzusehen brauchten, um am Leben zu bleiben, die das Wunder bewirkte. Vielmehr wurde der Blick unwillkürlich

auf das Kreuz gerichtet. Da wurde die Blindheit weggenommen. Da war alles, wonach die Seele hungerte. Daß sie das nicht vorher

gesehen hatte! Da war Gerechtigkeit, die den Hunger stillen konnte, da war Vergebung. „Selig sind, die da hungert und dürstet!" Nicht selig in ihrem Durst, in ihrer Armut. Aber deshalb selig, weil

sie satt werden sollen. Sie erhalten Vergebung und auch eine neue, höhere Sehnsucht nach Gerechtigkeit. „Das ganze Leben der Gläubigen sei eine stete oder unaufhörliche Buße", heißt es in den Worten, die als der Anfang der evangelischen Reformation be­ zeichnet werden. Das gilt für unser ganzes Leben. Wir dürfen uns

niemals für fertig halten und stehen bleiben. Aber dem Hunger

nach Gerechtigkeit ist das Versprechen gegeben, daß er gestillt wird.

Gott gibt uns, was wir jeden Tag und zu jeder Zeit brauchen. Ich glaube, daß dies auch für das kommende Leben gelten wird.

Denn Jesus ist da mit seinem Geist, mit demselben Sinn, wie er im Evangelium bezeugt ist. Keinesfalls kann Seligkeit in seiner Gemeinschaft eitel Ruhe und Frieden bedeuten. Nein, höhere Sehnsucht nach Sättigung durch die Gerechtigkeit.

Joh. 3,14. 15

Matth.

6

26. Mai

Die Vollendung Die Welt muß neu werden, sagt unser Erlöser. Ist das möglich?

Die Welt ist so verkehrt, so verderbt, so dunkel, sie ist so voller Un­ recht, Schande und Tod, daß man kaum an die irdische Vollendung

von Gottes Reich glauben kann. Aber Jesus ist gewiß, daß die Welt neu werden wird. Vor allem muß das Menschenherz neu werden. Wir selbst müssen neu geboren und neue Menschen werden.

Jesus weiß auch, daß Gottes Herrschaft in dieser Welt auf­ gerichtet werden wird, sodaß Liebe und Gerechtigkeit herrschen an Stelle von Selbstsucht. Manch einer ist verzweifelt über den

Laus der Welt. Jesus sah die Macht des Bösen deutlicher und tiefer als jeder andere. Dennoch sagt er, daß die Welt neu werden wird. Niemand kann das Reich der Vollendung beschreiben. „Wir warten aber eines neuen Himmels und einer neuen Erde nach

seiner Verheißung, in welchen Gerechtigkeit wohnet." Wenn Gottes Herrschaft anbricht, kommt das Gericht. Niemand

kann der Rechenschaft und dem Gericht entgehen. Ein jeder wird nach der Einsicht, die er von der Wahrheit hatte, geprüft und gerichtet werden. Je besser wir wissen, was Christus besohlen hat, desto größer wird auch unsere Verantwortung. Der Knecht, der den Willen seines Herrn kennt und nicht danach tut, hat größere

Schuld als der, der ihn nicht kennt. Geschlechter kommen, Geschlechter gehen; die Welt geht ihren Lauf, gedankenlos und nicht eingedenk der Mahnung Jesu. Aber Gottes Herrschaft naht sich ihrer Vollendung in Gericht und Er­ lösung. Die Hauptsache ist, daß wir ständig bereit sind und daß wir durch Vertrauen auf Gott das ewige Leben haben. Jesus sagt: „Wachet!" „Lasset eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herren warten,

wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, aus daß, wenn er kommt

und anklopft, sie ihm alsbald auftun."

ISS

2. Petr. 3.13

Matth. 26.41

Luk. 12. 3S. 36

27. Mai

Die Demut vor Gott „Wandle in Demut vor deinem Gott." Was gibt der Liebe

Kraft zu opfern, Mut zu hoffen, die Möglichkeit zu lieben und

zu glauben, auch da, wo die Hoffnung uns im Stich läßt?

Das ist die Demut vor Gott. Demut freilich erniedrigt, wenn sie einem unwürdigen Gegenstand gilt. Vor der Macht wird

Demut leicht zu Kriecherei und verbindet sich mit unmännlicher Rücksichtslosigkeit.

Es gibt eine Demut, die den Menschen erniedrigt. Es gibt aber auch eine Demut, die seine Würde erhöht. Eine Demut ist un­

bedingt gut. Von der kann der Mensch niemals genug, nie zuviel haben. Je demütiger er in dieser Demut wird, desto stärker ist er.

Das ist die Demut vor Gott. Sie ist selten. Demut bedeutet Ge­ horsam. Demütig und gehorsam sein vor Gott heißt, daß ein Mensch Gottes Macht empfindet und unter Gottes Herrschaft

lebt. 2n den Schwierigkeiten und in den Prüfungen des Lebens lernt die Seele Gottes Macht kennen. Hat man einmal etwas

von echter Demut vor Gottes Macht bei einer heimgesuchten Seele

erblickt, so vergißt man das niemals. Sind wir, meine Freunde, durch das, was unsere Gedanken

beunruhigt und beschäftigt, zur Demut vor Gott gekommen? Wissen wir, daß Gott die Macht hat? Wandeln wir vor ihm in

Demut und Gehorsam, und halten wir getreu bis zum Tod aus in der Liebe und dem Recht? Das ist der Weg zum Leben.

Die Demut ist nicht das, was fibrig bleibt, wenn alles fort­

genommen wird. Sie ist die Schönheit, die die Persönlichkeit er­ langt, wenn sie völlig von der Herrlichkeit des Ideales, von der Griße der Aufgabe und von der Güte Gottes und der Menschen erfüllt ist. Deshalb ist sie unbewußt. Das gehört zu ihrem Wesen. Die Demut ist wie das Auge, das alles sieht, nur sich selbst nicht.

Micha 6, 8

28. Mai

Der Änkänger und Vollender des Glaubens Die Entwicklung bedeutet nicht, daß Neues im eigentlichen

Sinn auf die Bahn gebracht wipd. Das Neue in der Welt ist die Person Christi. „Von dem Meinen wird er's nehmen und euch

verkündigen." Die Entwicklung des Christentums soll sich also

nicht von dem alten Evangelium lostrennen, sondern sich im Gegen­

teil immer inniger mit ihm verknüpfen. Im Christentum gibt es etwas, das ewig ist. Alle wahre Entwicklung seht ein Prinzip voraus,

das bleibt, einen Ausgangspunkt, der nie wegfallen kann, sondern der immer mehr zu seinem Recht kommt. Wie hoch auch der Baum werden mag, es wird doch nichts anderes aus ihm, als was der

Same barg. So ist es auch hier. Das Bestehende im Christentum ist die Person Christi. „Denn er wird nicht von ihm selber reden; von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen." Christi

Kraft wird durch die ganze Entwicklung hindurch empfunden.

Das bloße Denken findet es sonderbar, daß nicht neue Christi auf­ stehen sollen, herrlicher als der unter Pontius Pilatus gemarterte und gekreuzigte, so wie Hinduismus und Buddhismus und andere Religionen immerdar neue Offenbarungen lehren. Aber die Lehre

des Christentums ist klar: Es gibt nur einen Christus. Von ihn; wird der Geist nehmen. Er ist das Ewige. Er ist der Einzige. Er wird wachsen. Andere nehmen ab. Der Anfänger des Glaubens

in der Welt ist auch sein Vollender. Jesus sagt: „Ich habe euch noch viel zu sagen." Der Geist wird die Seelen lehren und sie zu Christus führen. Du wertes Licht, gib uns deinen Schein,

lehr uns Jesum Christ kennen allein, daß wir an ihm bleiben,

dem treuen Heiland,

der uns bracht hat zum rechten Vaterland. Erbarme Dich, Herr.

Joh. 16,12-14

29. Mai Wir müssen treu an der erkannten Wahrheit teschalten Niemand von uns weiß, in welchen äußeren und inneren geistigen Formen Christi Geist zukünftig in der Welt wirken wird. Unsere

Gedanken sind begrenzter als Gottes Gedanken. Wo wir nur Gefahr erblicken für die Zukunft der Kirche, da hat Gott vielleicht einen neuen Weg für sein Evangelium bereitet. Wenn man sich an etwas Fertiges und Vergangenes festklammert, kann das ein Zeichen von Müdigkeit, Verzagtheit und Verzweiflung sein. Es

kann auch eine Zuflucht für geistige Trägheit sein, die sich nicht regen will oder kann. Oder vielleicht will man auch in auftichtiger Fürsorge für Religion und Seele eine Freistatt erlangen, wo der Glaube nicht mehr zu wachen und zu kämpfen braucht, sondern

sich aus zeitlicher und menschlicher Arbeit in unberührten Frieden rettet. Wie verständlich solches Streben auch sein mag, das den

Seelenfrieden von jeder Verbindung mit der Mühe des Denkens lind des Lebens befreit, gibt der Glaube doch dadurch seinen Beruf auf, ein Sieg zu sein, der die Welt überwindet. Nichts Wertvolles wird ohne Mühe errungen. Die Lehre des Geistes empfängt man

nicht, wenn man schläft und träumt, sondern nur durch Wach-

samkeit, Arbeit und die innere Ruhe, die die Seele braucht, um nicht kraftlos zu werden. Der Geist will die Christenheit wie den einzelnen immerfort und immermehr lehren. Sicherlich geschieht

das auch nicht auf die entgegengesetzte Weise, daß er nämlich der

Denkrichtung des Tages nachgibt. Das Christentum kann sich nicht der Zeit anpassen, dann verliert es seine Kraft. Aber es muß die Sprache der Zeit

sprechen,

sonst wird es nicht verstanden. Christliche Gedanken, die man beiseite geschoben hatte, können in späterer Zeit durch die Führung des Geistes eine ungeahnte Bedeutung erlangen. Wir müssen die Tiefe des Glaubens und der Offenbarung ergründen und auf das

horchen, was das Wort und das Schicksal uns lehren, um mehr

von den Geheimnissen Gottes zu erfahren.

Joh. 16,13. 14 11

Worte für jeden Tag

30. Mai

Das Gericht des Geistes, die Führung des Geistes Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Es ist euch gut, daß ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch.

Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten."

An zwei Grundgedanken in diesem Wort wollen wir uns halten. Der eine kann durch ein sehr ModernesWort ausgedrückt werden:

Entwicklung. Unser Geschlecht stellt sich die Entwicklung als eine

Art automatischer Bewegung vor, die zu größerem Glück und zu größerer Güte hinführt. Aber den treibenden inneren Willen, der dem Geschehen einen inneren Sinn zu geben vermag, vergißt man.

Blind und vergeßlich redet man sich steten Fortschritt ein, während die Geschichte laut vom Verfall zeugt. Hier bedeutet die Ent­

wicklung beides, Gericht des Geistes und Führung des

Geistes. Der Geist überführt uns der Sünde, des Rechtes und Gerichtes Christi. Der Fürst der Welt ist nun gerichtet. 2m

Prinzip ist die Sache entschieden. Doch das Gericht, das über die Welt geht, wird unbarmherzig fortgesetzt; für die Dabeistehenden ist es rätselhaft. Wir können Gottes Absichten nicht deuten. Es ist ein schwieriges Unterfangen, Sünde und Strafe in der gegen-

wärtigen Geschichte abwägen zu wollen, wenn es sich nicht darum

handelt, uns selbst zu richten. Bebend ahnen wir Gottes Hand über dem Weltgeschehen. Mit furchtbarem Ernst fühlen wir für unser Volk wie für jeden einzelnen die Notwendigkeit, alle Kräfte anzuspannen, um nicht zu versinken. Daneben weist unser Text

aus

die

Führung

des

Geistes hin. In der gedrückten Stille des letzten Gründonnerstag­ abends eröffnen diese Worte eine Aussicht, die weit hinaus über die Zeiten reicht. Jesu Worte bewahrheiten sich. „Ich habe euch noch viel zu saget!, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen." „Der Geist wird euch in alle Wahrheit leiten." Die Worte sind auch

heute noch gültig. Christus hat der Menschheit noch viel zu sagen. Das Christentum ist nicht ein Grab, das wir hüten sollen, sondern Leben, das wir in der Welt leben sollen.

Joh. 16, 7.12.13

31. Mai

Der Htoeig kann nicht von sich allein Jfrudjt tragen Ein spannendes Schauspiel: Was wird mit dem Zweig werden? Wir hatten droben auf dem Hügel eine schone Birke. Aber sie war verdorrt. Man wollte sie fällen, aber ich bat für den Baum, und er blieb stehen. Da sproßte neues Grün aus einem Seitenast! Es

war Leben in ihm, wenn auch verborgen. So kann es auch mit

Christi Gemeinde und mit dem einzelnen Menschen sein. Man konnte meinen, sie seien geistig verdorrt und unfähig, noch Früchte des Geistes zu tragen. Aber wartet! Seid geduldig! Der Geist wirkt

unsichtbar. Die Liebe sprießt verborgen. Eines Tages bricht da wieder Leben hervor, wo alle Hoffnung aus zu sein schien. Wir mußten die meisten Zweige der Birke abschneiden, sogar die stolze

Spitze. Aber der Baum erholte sich und wuchs wieder. So be­ dürfen auch die Jünger der Pflege. Jede Rebe, die Früchte trägt,

wird vom Weingärtner gereinigt, damit sie noch mehr Früchte trage. Deshalb sollen wir auch in Zeiten der Schwachheit nicht an Christi Gemeinde verzagen, weder in unserem Kirchspiel, noch in unserer Kirche im Ganzen, vielmehr sollen wir an den Geist glauben, der die ganze Gemeinde Christi durchströmt.

Es kann vorkommen, daß äußere Gewalt, Sturm oder Mut­ willen oder vielleicht auch die allzu große Fülle der Früchte den

Zweig geknickt haben, sodaß er hilflos herunterhängt, ohne daß die Verbindung mit dem Stamm unterbrochen ist. Dann ist es Liebespflicht, einen solchen Zweig aufzubinden und zu stützen. Es

kann Menschen im Leben schlecht ergangen sein, sie können so heim­ gesucht worden sein, daß wir Mitleid mit ihnen haben. In ihren:

Wesen haben sie eine immer blutende Wunde, und doch finden wir bei ihnen, wenn wir sie kennen lernen, reichlicher als bei andern die Früchte des Geistes: Geduld, Danksagung, Selbstüberwin­ dung. Solche Zweige werden von dem Weingärtner besonders

gewürdigt.

Luk. 13,6-9 li*

1. Juni

„Bleibet in mir und ich in euch" 2n ihm, in Christo bleiben, das heißt in seiner Liebe bleiben. Denn er ist die Liebe. Er ist die Offenbarung, die einzige, reine,

volle Offenbarung der Liebe des Vaters. „Gleichwie mich mein Vater liebet, also liebe ich euch auch; bleibet in meiner Liebe!" SeinWort, seinWille, sein Gebot sollen durch unseren Gehorsam neues Leben in uns erhalten. Die Christen haben

von jeher die Liebe des Vaters und Christi Liebe haben wollen, aber ohne diese beschwerliche Bedingung, selbst nach des Heilands Gebot, in seiner Liebe zu leben. Das aber ist eine Täuschung, die

zuschanden wird. Der alte Adam ist behend und schlau. Ein solcher

Widerspruch zwischen der Ergebenheit für den Heiland und dem

Gehorsam gegen sein Gebot wird früher oder später offenbar. Das Gebet ist ein Prüfstein. Wer das Vaterunser recht betet, muß sich bei jeder Bitte selbst fragen: Heilige ich wirklich mit Leben und Lehre Gottes Namen? Herrscht Gott wirklich in meinem Herzen

und in meinen Handlungen? Geschieht durch mich Gottes Wille,

oder wirke ich durch Ungehorsam und Eigenwillen Gottes gütigem und gnädigem Willen entgegen? Unwahrhaftigkeit im Lebens­ wandel verhindert das Gebet in Jesu Namen. Es wird da zu einer

selbstsüchtigen Verrichtung. Der Betende nimmt dann nicht den Helland mit in sein Gebet auf. Wenn wir dagegen getreu in seiner Liebe verbleiben, können wir

in seinem Namen beten. Dann wird unser Gebet auch reicher an Kraft und Wahrheit. Was sollen wir beten? Jeden Morgen das Vaterunser und unsere morgendliche Bitte: „Herr, hllf mir, heute

zu deines heiligen Namens Ehre zu leben"! Herr, hilf mir, daß ich heute Liebe übe mit reinem Herzen, gutem Gewissen und un­ geheucheltem Glauben.

Joh. 15.4.9

2. Juni

Ständiges Gebet Vor jedem Beginnen, vor jeder Mahlzeit, vor jedem Unterricht sollen wir dem Herrn danken und seinen Namen segnen. Wir sollen ständig unseren Kummer, unsere Not und unsere Freude

vor chn bringen. Bei Gott sollen wir Frieden und Ruhe suchen für unser unruhiges Herz. Das ist nicht immer leicht. Das Gebet fordert Anstrengung und Konzentration unseres Willens. Denn die Gedanken flattern gerne nach rechts und links. Wenn die Un­ ruhe unser Herz ergriffen hat, läßt sie sich nicht vertreiben. Darauf

müssen wir unsere ganze Kraft und Aufmerksamkeit hinlenken, daß wir mit dem Herrn reden, ohne uns von unserer Angst,

unserem Kummer und all dem, was den Geist beschäftigen und ablenken kann, stören zu lassen. Um diesen Zweck zu erreichen,

können wir beim Beten besonderer Hilfsmittel bedürfen, wie Ein­ samkeit, die Gebete erprobter Beter, wiederholte Übung und Aus­ dauer im Gebet. Vielleicht müssen wir auch niederknien, um da­

durch unsere Seele zu sammeln. Das Gebet soll aus unserem Herzen kommen, auch wenn es nicht unsere einzige Beschäftigung ist. Immer soll das Gebet auf

unseren Lippen leben. Es ist nicht so wichtig, daß sich die Lippen bewegen. Die Hauptsache ist, daß das Gebet in unserem Herzen lebt. Das Gebet hilft uns, in der Liebe zu verbleiben. Die Treue gegen die Liebe Gottes hilft uns, mit Kraft und Ernst zu beten.

Zu beten Gott uns selbst gebot; das heischt auch unsre eigne Not. Gott sieht dein Herz, und Gott erhört, was du mit gläubigem Sinn begehrt.

Fühlst du, wie treu er's mit dir meint?

Du bittest Gott als deinen Freund.

US

Eph. 6,18

3. Juni Vater, Kohn und heiliger Geist Herr, sei vor uns und leite uns, sei hinter uns und zwinge uns, sei unter uns und trage uns, sei über uns und segne uns! Sei um

uns und schütze uns, sei in uns, so daß Geist, Seele und Leib, dein Eigentum, dir recht dienen und deinen Namen heiligen! Jesus hat oft von der Gemeinschaft der Seinen mit ihrem Herrn gesprochen. „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen,

da bin ich mitten unter ihnen." „Bleibet in mir, und ich in euch." Aber nirgends hat er die Abhängigkeit seiner Jünger von ihm und die innige geistige Verbundenheit in der Gemeinde Christi schöner zum Ausdruck gebracht als in dem Gleichnis vom rechten Weinstock.

Dieses Gleichnis ist uns für den Trinitatissonntag als Text gegeben,

und es paßt für diesen Sonntag. Wer ist der Weingärtner? Unser himmlischer Vater, den wir im ersten Artikel bekennen. Er hat

den rechten Weinstock gepflanzt,

welcher unser Erlöser Jesus

Christus ist, den wir im zweiten Artikel bekennen. Wir alle sollen

Reben sein und unser Leben von dem empfangen, der der Stamm ist, und dadurch die Lebenssäfte in unser Wesen aufnehmen, sodaß wir Frucht tragen können. Jetzt, da der Saft in den Bäumen

steigt, werden wir lebhafter als sonst an dieses Gleichnis erinnert.

Was bedeutet der Lebenssaft des Baumes, der in seinem Fluß unterbrochen ist, wo Zweige gebrochen und verdorrt sind, der sonst aber Blätter, Blüten und Frucht hervorbringt? Was bezeichnet er

im Gleichnis, wenn nicht den verherrlichten, den in der Gemeinde gegenwärtigen und wirkenden Herrn Jesus Christus, den heiligen

Geist, den wir im dritten Artikel bekennen: Ich glaube an den

heiligen Geist, eine heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben.

Matth. 18, 20

Joh. 11,1s.

4. Juni

Was kein menschliches Auge gesehen Schreite vorwärts, suche Gerechtigkeit! Bleibe ja nicht stehen, suche höhere Gerechtigkeit, suche reinere Wahrheit! Wer sucht, wird

demütig. Dem Demütigen gibt Gott Gnade. Ich fürchte mich nicht zu sagen: Vorwärts! Denn ich glaube, daß wer un­

verdrossen

„gute Perlen sucht",

schließlich

„die köst­

liche Perle" finden muß. Jesus selbst stellt ja keine Bedin­

gungen. „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerech­

tigkeit, denn sie sollen satt werden!" War es ihm vielleicht nicht gewiß, daß alle wirklich

Hungrigen schließlich zu ihm kommen

werden? Oder was meinte er damit, als er sagte: „Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu nur"? Beachte, daß er hinzufügt:

„Und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen". Können wir nicht dieselbe Zuversicht haben? 2m Tale sieht man nicht weit, aber steigt man in die Höhe, immer weiter — so hat

einmal jemand gesagt —, um die Gipfel zu erreichen, wie sie sich vor den Blicken des Wanderers immer höher hintereinander türmen, dann müssen alle Bergwanderer, die aus derselben Ebene kommen, sich schließlich einander nähern, indem sie sich derselben Bergkette nähern, die das Land beherrscht. Sie sind einsam gewandert — ohne das Gefühl der Gemeinschaft. Aber hier, hier in der hohen, freien, reinen Bergluft, wo der Tageslärm verstummt, hört man

schon die aufmunternden Stimmen der andern. Alle haben ja dasselbe Ziel: Die eiskristallene Pracht, die kein menschliches Auge je geschaut hat.

2n dem Tal, in dem du jetzt stehst, mein Freund, ist dir Jesus vielleicht durch andere Größen verborgen. Es lohnt sich kaum, daß ich mit dir von chm rede, ehe du selbst Sehnsucht hast „über die hohen Berge hinweg". Fange nur die Wanderung an! Hinter

den verdeckenden Höhen schaust du bald seine Gestalt.

Matth. 13, 45. 46; 5, 6

Joh. 6, 37

Herr, sei uns ein Vater, mach uns demütig vor dir wie Kinder! Laß uns die Nähe des Herrn Jesu fühlen und sehen, so daß all unser elender Hochmut in fernen mannig­

faltigen Formen und Schlupfwinkeln die Flucht ergreifen muß! Laß uns fühlen, daß wir nichts anderes sind als ein Häuflein armer Menschenseelen, die Deiner bedürfen, um zu leben und nicht zu

vergehen! Gib uns Mut zum Wagnis des Glaubens, daß du unser Vater bist! Meine Brüder! „Nicht, daß ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; lch jage ihm aber nach, ob ich's auch ergreifen

möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin." Dieses Bekenntnis, das ich hier zu meinem eigenen mache, ja, in

das jeder Christ einstimmen muß, schrieb Paulus an die Gemeinde

in Philippi. Es war dies seine Lieblingsgemeinde. Man fühlt, daß es für Paulus eine Erleichterung und ein Glück bedeutete, dieses

Bekenntnis aussprechen zu dürfen. Es mag merkwürdig erscheinen, daß Paulus, der um des Evangeliums von Christo und seines Er­

folges willen seine eigene apostolische Autorität in den Gemeinden aufrecht erhalten mußte und sie auch wirklich aufrecht erhielt,

sagt: „Nicht, daß ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei". Dies widerstreitet den gewöhnlichen menschlichen Berech­

nungen, die wenigstens bei einem Lehrer in der Gemeinde eine fertige Überzeugung voraussetzen, nach der er sagen kann: Ich habe es erreicht, ich bin vollkommen, ich habe es ergriffen. Aber auf der andern Seite ist dieses Wort aus der kämpfenden,

glühenden Seele des gewaltigen, herrlichen Apostels eine Hilfe und ein Trost für jeden Menschen, der unter nützlichen Demütigungen sattsam erfahren darf, daß er nicht vollkommen ist oder es ergriffen hat, der ihm aber nachjagt und sich zu dem streckt, da das vorne lst,

und der als Stütze und Hoffnung dieses Einzige für seinen Glauben

hat: Ich bm ergriffen von Christus Jesus.

Phü. 5,12

6. Juni

Mein Vater wirket bisher Nicht durch rein begriffliches Denken über das Dasein, sondern

durch ernsthaften Einsatz im Dasein gewinnen wir Gottesgewißheit. Die einzig und allein theoretische Haltung läßt das Dasein ein

Stück entgleiten und verliert die überzeugende Verbindung mit ihm. Die Frage, wie ich Gewißheit über das Leben erhalten kann, beant-

wortet sich folgendermaßen: Das Leben kann nicht bewiesen werden,

aber ich besitze eine unmittelbare Gewißheit davon. Ze intensiver ich lebe, je stärker mein Leben durch Freude und Schmerz betont ist, je mehr es von Arbeit und Inhalt erfüllt ist, um so mehr verstärkt sich die Gewißheit vom Leben. Ich gewinne die Überzeugung,

einer allumfassenden Lebensbewegung und einem Kampf des Lebens anzugehören. Ze stärker mein Lebensbewußtsein ist, desto größere

Gewißheit erlange ich, daß das Leben, zumal das streng und ideal ausgerichtete Leben, kein beliebiger Anhang oder Parasit an einem

physikalischen, toten All ist; vielmehr ist das Wesen der Wirklich­

keit Leben. Zhr Sinn ist die Steigerung des Lebens in höhere Formen, so daß sich das physikalische Weltall irgendwie als abhängig von

dieser Wirklichkeit erweist. Ist aber die Wirklichkeit ihrem Wesen

nach Leben, dann muß zu ihrer Erkenntnis eine Gemütsart ge­ fordert werden, deren Kennzeichen Lebendigkeit und Aktivität des

Menschen selbst ist. Er muß mit Wissen und Willen in der eigenen Wirkungsweise des Lebens stehen, um etwas von seinem Sinn zu schauen und zu erfassen. Aktivität ist die Voraussetzung für diese Gewißheit. Nur auf dem Boden des reinen Willens und des Tätigseins kann eine Überzeugung von Gott wachsen, nur da kann sie gedeihen. Aber Aktivität der Seele schließt nicht immer gleich­

zeitig auch praktische Wirksamkeit in sich. Sie ist zu ihrer Zeit

notwendig und darf sich nicht in ein Traumleben oder in jagende Hast verflüchtigen. Zu der erforderlichen Aktivität gehört eine

völlige Selbstaufgabe, eine Ruhe, ein Sich-llberlassen, ein Un­

bewegtsein, eine Hingabe, da Herz und Wille doch intensiv beteiligt sind, wo sie ihre Kraft durch Ruhe gewinnen. Das ist nicht die

tote Schwere des Steines auf dem Felde, nicht der Sturz des Leichnams oder des Betrunkenen, vielmehr ist es die Ruhe des

6. Juni (Forts.)

Kindes, wenn es auf den Schoß der Mutter kriecht und sich zur Ruhe legt. Für unseren christlichen Glauben ist das Leben in seinem Wesen, in seiner Macht, in seinem Gericht, in seiner Erlösung nichts Ge­ ringeres als der Wille des lebendigen Gottes, der uns in Wahrheit lebendig machen kann.

Joh. /, 17

7. Juni

Die Gkkenbarungükette Das einzelne Glied der Kirche wird in eine lebendige Tradition

hineingeboren. Es empfängt den Gottesglauben. Zu dem Erkennt-

nisstoff gehört auch die Deutung der Erfahrung, die in der Kultur gegeben ist, in die ein Mensch hineingeboren wird. Die mannig­

faltigsten Umstände können den Gottesglauben ins Wanken bringen

oder ihn geradezu vernichten. Vielleicht behält man ihn auch nur als ein Erbe bei, bis etwa der dritte Artikel durch den Durchbruch

des persönlichen Gebetes volle Wahrheit wird: Ich besitze — in der

Gemeinde durch Christus — die Vergebung der Sünden und göttliche Fürsorge. Aber man kann in der Christenheit von der Objektivität des Gottesglaubens auch in einem anderen Sinn sprechen als dem der Vertiefung der eigenen Persönlichkeit durch das Leben und

das Bewußtsein vom Werk des Geistes. Die großen Männer

des Gotterlebens sammeln sich zu einer heiligen Geschichte, zu einer

Offenbarungskette. Sie sind gleichzeitig Vertiefer des Menschen­

lebens und Zeugen des lebendigen Gottes. In der Geschichte bilden sie einen fortlaufenden Zusammenhang. Stetten wir sie aber in die Welt der Persönlichkeit, dann müssen wir Christus über sie alle setzen. Das darf jedoch keineswegs bedeuten, daß Christus isoliert wird. In Reaktion gegen die natürliche Religion hat man ihn in

der neueren Theologie so einsam auf ein hohes Piedestal gestellt, daß die Grundlage der Gottesgewißheit spröde und eng zu werden

drohte, während man sie gleichzeitig hart und aus reinem Metall machte. Historisch gesehen geht die Offenbarungslinie durch die

biblischen Religionen hindurch. Ideell gesehen kann man aber unter die Zeugen des inneren Lebens, die zusammengehören und sich zu einer objektiven Macht vereinigen, auch solche Persönlichkeiten außerhalb der biblischen Religionslinie zählen, die auf einer niedereren oder höheren Stufe eine im Wesentlichen gleichbedeutende Gottes­ erfahrung hatten.

8. Juni

Die Zeugen des Gottesglaubens Gott gehört nicht der äußeren, sondern der inneren Erfahrung

an. Aber soll bie Gewißheit von Gott objektiv werden, so kann das

nur durch die Vertiefung des Subjektes und seiner Erfahrung geschehen. Objektivität kann nur erreicht werden, wenn das ganze Menschenleben an Klarheit, Kraft und Wahrhaftigkeit gewinnt

und dadurch eine tiefere und vielseitigere Berührung mit der Wirk­ lichkeit erhält. Eine solche Objektivierung des Gottesglaubens geht bei jedem in der Christenheit vor sich, der sich des Werkes des Geistes

und der Abhängigkeit seines eigentlichen, höheren Lebens von diesem bewußt wird.

Die Reihe der Zeugen des inneren Lebens endigt nicht mit dem

neuen Testament, sondern sie erweitert sich noch. Jeder, der mehr oder weniger bewußt, trotzdem aber wesentlich von Christus abhängig ist und zur Gotteserfahrung, zur inneren Befreiung und Lebens­ erneuerung durchdringt, tritt damit gleichzeitig in die Geschichte

der Offenbarung ein. Soll von der Objektivität des Gottesglaubens anders gesprochen werden, als daß er Wahrheit und Wesentlichkeit

der persönlichen Überzeugung bedeute, das heißt: Soll der Gottes­ glaube des einzelnen sich zu etwas objektiv Gegebenem hinwenden, um sich zu verstärken und zu vertiefen, so in erster Linie zu diesem Heer von Zeugen und vor allem zu Christus, dem Vollender des Glaubens. Hierin liegt die gesegnete Objektivität des Christen­

tums. Es fühlt und erkennt in sich eine Macht, die selbst unsichtbar, aber in Offenbarern und Wirkungen sichtbar wird, die größer ist als

alle menschliche Geisteskraft. Wenn wir zu denen gehen, die von der Konzentrierung ihres Lebens aus das Wesentliche Zeugnis ablegen, die Gottesersahrung am reichsten und klarsten wider­ spiegeln, dann suchen wir die Vertiefung der Persönlichkeit, um

zu einer unbedingten, unbedingt gebietenden und zwingenden Wirk­ lichkeit vorzustoßen. Nur auf diesem Wege wird der Gottesglaube

objektiv, in diesem Sinne ist er in der Christenheit objektiv.

9. Juni Meine Lindlein, laßt uns nicht lieben mit Worten noch mit der Lunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit Wecken die Worte des Apostels von der Liebe einen Widerhall

in deiner Seele? Das Wort „Liebe" ist so gebräuchlich, so schon, aber so abgenutzt.

Der Apostel ist seiner Sache gewiß. Er weiß, worin das Wesen

des ewigen Lebens besteht. Das ewige Leben ist Anteil an Gottes Leben. Und Gottes Wesen kann in unserer menschlichen Sprache

nicht besser als mit dem Wort „Liebe" wiedergegeben werden. Der schwedische Dichter gab das Zeugnis: Denn von der Liebe, die über die Erde geht,

Fiel auch ein Strahl in meine Seele.

Die Worte werden abgenutzt. Die Liebe steht in der Welt nicht hoch im Kurs. Aber wenn es den bitteren Ernst des Lebens betrifft,

so kriecht die menschliche Hoffart zu Kreuz. Und man dankt Gott für den, der vielleicht vieles sonst Hochgeschätzte entbehrt, der aber

Liebe besitzt. Die aufrichtige Liebe hat das letzte Wort. Ich sage: Brüder, haltet fest an der Liebe. Wenn wir wirklich aufrichtig sind, müssen wir sagen, daß in den Augen der Menschen in der Regel

andere Werte viel mehr gelten als Güte. Das soll uns nicht irre machen. Wenn wir genug vom Leben gesehen haben, dann wissen wir, daß Freundlichkeit und Güte für des Menschen Glück und

Frieden doch am Ende mehr bedeuten als die Eigenschaften, die die Welt so hoch schätzt. Deshalb danken wir Gott für jede Seele, in der die Flamme der Liebe entzündet wird und brennt, ohne von Berechnung und Eigennutz erstickt oder von rauhen Winden aus­ gelöscht zu werden. Die geistigen Bedürfnisse der Menschen sind mannigfach; das Kapital an Liebe muß in Kleingeld umgewechselt werden, damit man es täglich und in jeder Lebenslage zu Nutz und

Fronlmen verwenden kann. Gottes Liebe soll jeder Seele ver­ mittelt werden.

l.Joh. 3,18

10. Juni

Streng und barmherzig Dasselbe Prachtgewand, das dem einen Geschlecht das Er­ kennungszeichen für den Erlöser war und das vor Tausenden von

Augen erglänzte, erscheint einem späteren Geschlecht fremd und sonderbar. Das Gewand, durch das einmal offenbar wurde, wer

und wie Jesus ist, wird ein ander Mal zu einer verbergenden Um­ hüllung, die die suchenden Blicke hindert, ihn selbst zu finden.

Die Menschen unserer Zeit sind dabei, neue Gewänder zu weben.

Sowohl das Messiasgewand wie das Logosgewand, das Gewand des Opferpriesters und viele andere geistige Kleider, die Jesus er­ hielt, sind uns wohl altertümliche, verehrungswürdige Gewänder,

so wie man sie in den Museen beschaut, aber in ihnen ist uns Jesus

fremd. Wie sehen nun die geistigen Kleider aus, die aus dem Garn der Hoffnung und Sehnsucht, mit den Fäden der Ahnungen ge­ woben und genäht werden? Zwei Züge wollen wir im Bild des Erwarteten erwähnen. Er muß streng und barmherzig sein. Strenger als alle andern muß er in seiner Forderung sein. Der Christusträger der alten Legende wollte dem Stärksten dienen.

Die Besten unserer Zeit wollen keinem anderen als dem Strengsten dienen. Die geistige Macht, die sie als Befreier von der Anarchie

der Schwäche und der Herrschaft anspruchsvoller Mittelmäßigkeit anerkennen und begrüßen sollen, darf nicht nur ein überstarker

Wille sein. Die alles überwindende Stärke des Ersehnten soll sich in der allgewaltigen und strengen Herrschaft der Wahrheit in sei­ nem eigenen Leben offenbaren. Nur so kann er „derMann sein, der

den andern die Wahrheit sagt". Seine Strenge wird Befreiung, nicht Tyrannei. Denn er wird mit dem Recht der Liebe fordern. Seine Liebe wird von Eifer brennen und vom Glauben an die Menschen genährt werden.

11. Juni Ist es der Mühe wert zu glauben? Man spricht doch vom seligmachenden Glauben. Hat das irgend­

welchen Sinn? Soll man an eine Menge mehr oder weniger un­ verständlicher Dinge glauben und schließlich zur Belohnung Selig­

keit in einem anderen Leben erhalten? Soll man sich die Seligkeit

verdienen, indem man ja und Amen sagt zu allem, was die Kirche

lehrt? Muß nicht die Forderung nach Wahrheit und Ehrlichkeit sich gegen einen solchen Gedanken auflehnen: Glaube, der selig

macht? Es bedarf nur ein wenig Nachdenkens; dann wird mir jeder recht geben: Wer glaubt, der ist selig. Das Seligmachende im

Glauben ist gerade das Vertrauen, die Zuversicht. Wir wollen ganz von dem absehen, an was man glaubt. Wir wollen uns nur an den Affekt des Glaubens selbst halten. Man wird mir nicht wider­ sprechen können, wenn ich sage, es ist seliger zu glauben als zu

zweifeln. Ich habe große Achtung vor jedem ehrlichen Zweifel. Ich empfehle niemanden, deshalb zu glauben, weil es so sein soll, gegen seine Überzeugung zu glauben. Das ist kein Glaube. Aber ich frage: Wer von beiden ist seliger: Einer, der glaubt — an seine gerechte Sache glaubt, an die Macht des Guten, an eine Weltordnung, an

die Zukunft, an sich selbst, an Gott — wer ist seliger, einer, der

glaubt, oder einer, der zweifelt, an sich selbst, an andern, an seiner Aufgabe, an allem in der Welt? Ersterer schreitet vorwärts in jubelndem Vertrauen auf Gott, letzterer zweifelt, schwankt, wendet sich bei jedem Schritt um, hält an, erlahmt. Um es ganz deutlich zu machen, um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, daß

wir von ehrlichem Zweifel und unehrlichem Glauben sprachen, laßt mich sagen: Wer ist seliger, einer der glaubt, oder einer der

verzweifelt? Wer Licht sieht, oder wer Dunkel sieht? Luther hatte beides erfahren. Er sagt, daß Himmel, Holle und Fegefeuer sich wie Glaube, Verzweiflung und halbe Verzweiflung zu einander verhalten.

17S

12. Juni

Die Lhristuümenschen Es kommt darauf an,. in der Geschichte solche Stellen zu suchen, wo nichts verdeckt ist, sondern wo wir von der Innigkeit

und der Nähe Gottes ergriffen werden.

Wo sie zu finden sind, darüber brauchen wir nicht im Zweifel zu

sein. Es handelt sich um die tiefen Persönlichkeiten. Wenn wir sie kennen lernen, hebt sich bald eine Linie in der Geschichte des inneren

Lebens gegen die übrigen deutlich ab, die Linie, auf der die wesent­ liche Innerlichkeit, die Persönlichkeitsmystik, auftritt. Es ist keine

Wertbestimmung, nur eine Analyse notig, um zu sehen, daß die

Innerlichkeit innerhalb eines gewissen Gebietes, das die Kirche die heilige Geschichte nennt, ein bestimmtes Gepräge hat. Soweit

wir sie im geschichtlichen Lichte rückwärts verfolgen können, bildet

sie eine zusammenhängende Erscheinung, von Moses' prophetischer Erfahrung des lebendigen Gottes an über die übrigen Propheten.

Sie erreicht chre Vollendung in Jesus Christus, in seiner Einheit

mit dem himmlischen Vater, um dann nach ihm in den großen Christusmenschen fortgesetzt zu werden. Es kommt darauf an, zu Christus zu kommen. Er ist der Reiche.

Aber der Weg zu ihm kann über einen Christusmenschen gehen, der der Zeit und unserer Begrenzung näher steht. Selig alle sind, die hören,

was der ewig Gute lehrt;

selig sind, die tun und lieben, was der Heilige begehrt;

die von seinem Geist geleitet, die verklärt von seinem Schein gehn zu seinem Hause ein.

Solcher Glaube überwindet

alle irdsche Eitelkeit, solche Liebesfiamm erhellet

liebelose Weltlichkeit. Hoffnung in des Lebens Wandel

und des Lebens Abendstund ruht auf felsenfestem Grund.

13. Juni

Christliche Innerlichkeit Die christliche Innerlichkeit begnügt sich nicht damit, den Lebensmüden in ein blumengeschmücktes Grab zu betten. Sie ist neues Leben, sie besteht nicht in einer Flucht, sondern in dem Ergriffen­

werden von einer neuen, tieferen Lebensmacht, Christi Macht, in

der Wiedergeburt zu einem ewigen Leben. Die christliche Inner­ lichkeit weiß, daß sie bei Gott ist. Wir können nicht einen Zoll davon abweichen: Die christliche Innerlichkeit in ihrer tiefsten Erfahrung

ist ein Leben in Gott selbst, dem Schöpfer, dem Erhalter, dem Ur­

grund, Sinn und Ziel alles Lebens. Deshalb weiß die christliche

Innerlichkeit nicht nur von ihrem seligen Zustand, vom Frieden der Innerlichkeit, sondern sie weiß auch etwas von dem Grund und Sinn aller Wirklichkeit. Der Lebensgrund ist erlösende Liebe.

Diese Innerlichkeit kann die Wissenschaft und den Menschengeist nicht in Frieden lassen, um sich das Weltbild nach Belieben zu

gestalten. Sie kann die Kultur nicht in Frieden lassen, um aus dem Menschenleben zu machen, was sie gerade will. So schafft sie das Problem der Bildung und der christlichen Innerlichkeit.

Innerlichkeit im christlichen Sinn ist ein Leben, das mit einer heiligen Geschichte in der Vergangenheit rechnet, die in der Gegenwart fortgesetzt wird. Das ist ein Leben, das in der Zeit zur Wirksamkeit für das Zukünftige gezwungen wird. Das Leben soll in dieser Zeit voll und ganz gelebt

werden. Wenn Christi Liebe in uns brennt, dann muß sie uns dazu treiben, die Zeit zu erkennen, zu verstehen und mit ihr zu fühlen. Wir haben einen doppelten Zweck. Wir empfangen die Gaben des gütigen Gottes, die der ehrlichen Arbeit an der Kultur entspringen.

Soweit Beruf und Begabung es ermöglichen, sollen wir danach streben, die Bildung unserer Zeit ganz wirklichkeitsnahe zu machen, so daß die geistige Wirklichkeit des Christentums darin zu ihrem Recht kommt.

12

Worte für jeden Tag

14. Juni

Das Jetzt Der Mensch lebt gerne in der Erinnerung oder doch wenigstens in jüngeren Zähren noch lieber in der Hoffnung und in der Zukunft.

Aber Jesus lebte im gegenwärtigen Augenblick. Er nutzte jede Stunde, jede Begegnung mit den Menschen, die auf seinen Weg

geführt wurden, jede Aufgabe, jeden Tag, den Gott ihm gab, so

gut und so viel wie möglich aus. Deshalb steht Jesu Bau, obwohl er nur wenige Jahre währte, für alle Jahrhunderte, ja, für die

Ewigkeit. Dieselbe Regel ist uns gegeben. Aber sie ist schwer zu befolgen. Wir behandeln gerne den Tag, der heute ist, als etwas Nebensächliches. Wir denken an das, was war, mit Vorwürfen und Angst, oder wir verweilen vielleicht mit Genuß und Freude in der Erinnerung. Vielleicht genießen wir sie wie eine Süßigkeit. Oder

aber wir verlegen den Schwerpunkt unseres Lebens in die Zukunft.

Da soll etwas anderes daraus werden. Da werden wir das fertig machen, was wir jetzt nur flüchtig erreichen oder irgendwie bequem erledigen. Im Leben gibt es keine solchen Nebensächlichkeiten. Gott erkennt sie nicht an, sondern die Bauarbeit währt immer, jede Stunde! Jesus ermahnt uns, uns selbst und das, was Gott uns verliehen hat, in jeder Stunde der Arbeit

und Ruhe voll und ganz einzusetzen, so daß jede Stunde und jede Arbeit unseres eigentlichen Berufes ein Stück

Ewigkeit wird. Da werden die Stunden kostbar, nicht beängsti­

gend und beschwerend, auch nicht leer. Jesus warnt uns vor Sorgen. Er lenkt unseren Blick auf die Schönheit der Lilien und unser Ohr auf das Gezwitscher der Vogel. Bete und arbeite, und überlasse

Gott die Zukunft!

Matth. 6, 25. 26. 28

15. Juni Die Liebe ist das wahre Leben Das wahre Leben, das Leben, das diesen hohen Namen verdient, muß in Liebe bestehen. Wenn der Mensch keine Liebe besitzt,

dann ist er tot, geistig und menschlich tot, wie lebendig und tätig, wie bedeutend, einflußreich, geachtet und mächtig er sonst auch sein mag. Er wohnt doch im Lande

des Todes. Der Totschläger tötet einen anderen, er nimmt ihm

aus Haß oder Gewinnsucht oder im Jähzorn das Leben.-Aber das ist Täuschung. In Wirklichkeit tötet er sich selbst, das Beste, das

Lebendige in sich. Ebensowenig wie der Erlöser kann der Apostel bei der äußeren Handlung stehen bleiben. Er ist anspruchsvoller.

Schon der Haß, der Übermut, böse Worte und Gefühle gegen einen Menschen sind Zeichen des Todes. „Wer seinen Bruder haßt, der

ist ein Totschläger; und ihr wisset, daß ein Totschläger nicht hat das ewige Leben bei ihm bleibend." Aufbrausendes Wesen, Neid,

harte Urteile, Rachsucht, die sich an dem Gedanken erfreut: „Das soll dir heimgezahlt werden"! Böswilligkeit, Entstellung der Vo­

tive und Handlungen des Nächsten, all dies geschieht nur deswegen, weil der Mensch sich selbst behaupten, sich selbst zur Geltung bringen will, um sich aus diesem Wege ein Gefühl von Lebenssteigerung zu

verschaffen. Aber, sagt der Apostel, alles das sind Todeszeichen. All dies erwürgt den Atem des ewigen Lebens.

Wir müssen uns selbst erforschen. Ein jeder muß sein eigenes Herz und Leben fragen: Liebst du die Brüder, oder schließt du dein Herz vor deinem Bruder zu? Nur wer die Brüder liebt, ist vom

Tode ins Leben eingegangen. Uber ihn hat der Tod keine Macht mehr.

16. Juni

Das Wesen der Lirche Das wahre, innere Wesen der Kirche offenbart sich in der un­

unterbrochenen Folge von Verbindung der Seelen mit der Offen­

barung durch den lebendigen Geistesstrom. So setzt sich die heilige Geschichte, die Geschichte der Offenbarung fort. Eine jede Seele, die von dem Geist Christi durchdrungen und vom selbstischen und

weltlichen Leben grundsätzlich abgesondert ist, reiht sich in den heiligen, überirdischen Zusammenhang der Offenbarung Gottes

ein. Groß ist dies Geheimnis, die echte Mystik der Kirche. Jesus spricht von dem Weinstock und den Reben. Der Apostel sieht, wie die Gemeinde in der geistigen Welt durch lebendige Glieder zu

einem geistlichen Organismus heranwächst, jetzt noch im Werden, aber der Vollkommenheit entgegengehend. Er weicht nicht vor dem

Gedanken zurück, daß dieses Wachstum, das den Leib Christi vollen­ det, ein Teil von Gottes eigener Selbstverwirklichung ausmacht.

Kirche bedeutet, daß im Leben der Menschheit, in der Welt, ein unmeßbarer Faktor mitspielt, der bewußt geworden ist. Es geht nicht an, ihn in gesellschastswiffenschastliche Formulierungen einzufangen.

Kirche bedeutet z. B.

nicht Schwedens nationales

Leben, religiös gefaßt und christlich vertieft im Gegensatz zu der

allgemeinen Kirche. Vielmehr bedeutet es Schweden als ein Glied in der Christenheit auf Erden. Wir wollen Ernst machen mit der Losung: Schwedens Volk — ein Volk Gottes, soweit und auf

welche Weise wie christlicher Gottesglaube das Wort „Volk" mit „Gottes" verbinden kann. Die Auffassung von Schweden als einem Volk Gottes bedeutet zuerst die Einsicht: Gott leitet die Welt. Dann bedeutet es eine Aufgabe. Wir müssen uns selbst, unser Volk, unsre Bildung mit dem Geist Gottes durchdringen. In jedem Volk hat die Kirche die Aufgabe^ die Seele der Nation zu werden und dem Dasein des Volkes einen geistigen Inhalt zu geben.

Joh. 15ff. Köm. 12, 4ff. Eph. 4,1-16 Kol. 2,19

17. Juni

Der christliche Charakter „Weiter, liebe Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was

gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach!"

Diese Bibelstelle ist das neutestamentliche Wort vom christlichen Charakter. Die Frömmigkeit bleibt gerne bei Gefühlen, bei Ansätzen, bei einer Begeisterung, bei dilettantischen Versuchen in

dieser oder jener Richtung stehen — wenn sie sich nicht gar mit

einer äußeren Schale begnügt, ungefähr, wie wenn der Pracht­ einband eines Buches einen beliebigen Inhalt in sich schließt.

Nach dem Apostel soll der Christ eine bestimmte Prägung, oder, wie es auf Griechisch heißt, einen Charakter erhalten. Wie der Künstler in seiner Schöpfung die Gestalt vor sich sieht, die er ab­ zubilden beabsichtigt, und wie er nicht bei gewissen, allgemeinen

Eigenschaften, Schönheit, Kraft, Pracht, Anmut, Trauer, Freude, Ernst, die er darstellen will, stehen bleiben darf, sondern wie er sie

in einer konkreten Gestaltung sehen muß, so will Gott auch

bei seiner Schöpfung, daß wir in unserem Wesen und unserem Leben des Schöpfers Gedanken ausgestalten sollen. Kierkegaard sagt, daß ein Menschenleben ein Gedicht sein soll. Ein Mensch dichtet sein Leben oder soll es tun. Aber ein Christ läßt Gott sein Leben dichten. Und wenn Erik Gustav Geijer des

Schöpfers Gedanken so deutet, daß jeder Mensch irgend etwas besser können soll als alle anderen, so hat er damit die Individua­ lisierung angedeutet, die allem Lebenden und deshalb auch der echten Kunst eigen ist. Sie zeichnet im höchsten Grade die Schöp­

fungen des eigentlichen Künstlers, nämlich Gottes Werk aus, die Menschen, die der Anweisung des Schöpfers folgen und in den

guten Werken wandeln, für die er sie bestimmt hat.

Phil. 4, 8

18. Juni Unser Vermögen vermehrt sich, wenn es in den Dienst des Herrn gestellt wird Das Streben, die menschliche Gesellschaft zu bessern, ohne daß man gleichzeitig selbst ein opferwilliger Diener am Nächsten ist,

ist eine billige Ehre und ein vermessener Anspruch. Es ist widerlich, gewisse anspruchsvolle Schreihälse zu sehen und zu hören, die nicht

scharf genug den Staat und ihre Mitmenschen anklagen können, die aber in dem, was sie selbst betrifft, das Ganze recht gleichmütig

und bequem nehmen. Es fällt ihnen nicht ein, daß auch sie eine

Pflicht haben zu helfen. Es gibt Menschen, deren Hilfstätigkeit sich eigentlich nur auf Kritik an dem beschränkt, was andere in Herzenseinfalt tun, um

dem Nächsten beizustehen. Ist noch nicht genug getan worden für die Arbeitslosen? Gibt es wirklich richtige Not? Wie kann man

nur Geld bis nach Südrußland senden? Man billigt niemals das, was tatsächlich getan wird. Sondern man will es anders haben. Ich habe in vielen Fällen den llrhebern, und traurig genug, auch den Urheberinnen solcher Kritiken im Privatleben und in der Presse nachgeforscht, und ich habe fast ohne Ausnahme gefunden, daß diese Menschen sich im Grunde nur über die Mühe und Aufopferung der andern ärgern. Sie stört sie in ihrer behaglichen Ruhe: sie ist

ja so unpraktisch. Selbst tun sie in der Regel fast gar nichts. Sie trösten sich selbst, ihren wohlgefüllten Geldbeutel und ihre Ber quemlichkeit damit, daß es ja wohl nicht so schlimm sein wird, wie die Leute sagen.

Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß diejenigen, die auf der einen Seite helfen, auch höchst bereitwillig Mühe und Mittel für andere Zwecke opfern. Unser Vermögen vermehrt sich, wenn es

in den Dienst des Herrn gestellt wird, so wie das Brot und die Fische, mit denen die vielen Hungrigen gespeist wurden.

Matth. 14, 13-21

19. Juni

Das Kchuld§5ki'chl wird ab§efchwächt Dem geistigen und sittlichen Leben unserer Zeit fehlt sein Fieber­ thermometer. Wenn der Körper krank ist, zeigt es das Fieber an. Das Fieber ist eine Warnung. Es ist die Reaktion des Körpers.

Es ist ein Zeichen, nach dem man sich richten muß. Man muß das Übel angreifen, damit es sich mehr ausbreiten und den Organismus verheeren kann. Dieselbe Aufgabe baben in unserem geistigen Orga­

nismus das Gewissen, die Gewissensnot und das Schuldgefühl.

Blicken wir nur in die geheime Werkstatt der Untreue, der Unter­ schleife und des Leichtsinnes, dann merken wir, wie das Schuld­ gefühl abgeschwächt wird, so daß die schleichenden Seuchen der

Seele ungestört ihr Zerstörungswerk tun können, ohne daß die Gewissensnot warnt. Das Gefühl für Recht und Unrecht er­

schlafft, schläft em, erstirbt.

Wann endlich kommt, gewaltig wie eine Flut, die Forderung nach Reinheit und Wahrheit und fegt alle Irrlehren fort, die den Blick verdrehen und das Gewissen verwirren? Wann wird sie die Gewissensnöte der Seele frischer und stärker machen, so daß sie nicht nach Vergnügen und Zerstreuungen, nach Abwechslung und

Bequemlichkeit und nach all den Äußerlichkeiten des Lebens, sondern nach Erlösung und Frieden rufen?

Wir brauchen Mut, um klar zu sehen. Denn Scharfsichtigkeit

ist für mich selbst gefährlich. Sie richtet mich selbst. Jedoch kann

die sittliche Gesundheit nicht billiger erlangt und bewahrt werden. Der Eingriff muß oft schmerzhaft und tief fein. Aber sittliche Fäulnis ist der Tod. Wie glänzend diese Fäulnis auch erscheinen

mag, wie listig sie sich auch imrec allerhand Lebensäußerungen ver­ bergen mag, die prächtig und schön und großartig erscheinen, es komme doch schließlich auf den Unterschied zwischen Recht und Unrecht, zwischen Wahrheit und Unwahrheit an.

20. Juni

Das sittliche Sehvermögen ist in unserer Leit verstockt und verdorben Man richtet die Lehre nach dem Leben. Darin liegt ein gewisses

Bedürfnis nach Übereinstimmung, nach Wahrhaftigkeit. Man ist nicht mehr mit der konventionellen Lüge zufrieden, die eine gewisse

Meinüng darüber, wie es sein soll aufrecht* erhält, die aber ebenso

konsequent und ohne Gewissensnot ständig dagegen sündigt. Man will nicht in einer falschen, schützenden Hülle gehen. Deshalb wird die Lehre selbst heruntergedrückt und in Übereinstimmung mit der

Schwachheit, Erbärmlichkeit und Willkür des Lebens gebracht. Das Größere wird nach dem Kleineren gemessen. Diese Nivellierung beschneidet das Ideal, so daß es leichter gehandhabt werden kann.

Man macht moralisch Konkurs, man sucht nicht den Schein sicherer,

sittlicher Werte aufrecht zu erhalten. Dies ist eine Karikatur der Wahrheitsliebe und ein Bankerott für den Menschen und seine

Zukunft. Die Lehre richtet sich nach den Unarten des Lebens. Wenn wir wählen sollen, so kann doch wohl kein Zweifel darüber herrschen, was besser ist: Den Forderungen etwas abzuhandeln, bis sie meine

eigene Schlechtigkeit und Erbärmlichkeit in meinen eigenen und den Augen anderer erträglich und genügend machen. Oder sollen

wir die Forderungen aufrechterhalten, wenn es mir dabei auch selbst schlecht ergeht? 2m letzteren Falle verursachen die sittlichen

Forderungen Unzufriedenheiten mit mir selbst. Das ist der wich­ tigste Hebel für sittliche Aufrichtung und sittliche Entwicklung.

Es ist besser, die Wahrheit anzuerkennen, sich vor ihr zu beugen und sich selbst zu richten, als die Wahrheit enthaupten zu lassen, damit ich nicht selbst gerichtet werde. Es ist besser, wenigstens das Rechte anzuerkennen, wenn es auch leider übertreten wird, als die Lehre selbst zu verschlechtern und die Wahrheit zu verleugnen.

21. Juni

Der Meikache Wert jeder Arbeit Jede Beschäftigung, auch die wenig verlockende, besitzt einen

zweifachen Wert. Einmal durch die Arbeit selbst. Muskeln und Aufmerksamkeit werden in Anspruch genommen und geübt. 2n dem Tätigsein an sich liegt ein Glück. Zum andern liegt ihr Wert in

dem, was vollbracht wird. Das Bewußtsein, daß etwas vollbracht wird, gibt Glück. Ist die Arbeit auch niedrig oder schwer, so ist sie doch notwendig. Sie ist für das Ganze notwendig. Einer muß sie

tun. Ohne deinen Handgriff, dort in der Ecke der Werkstatt, kann

die Arbeit all der vielen andern nicht weitergehen. Ist das Feld, das du pflügst, auch nur klein, so gäbe es ohne dich doch weniger

Brot im Lande. Es ist notwendig, daß der Mensch sich unentbehr­

lich fühlt. Der Arbeitende selbst erwirbt sich — so sollte es wenig­ stens sein — auch durch geringe und unangenehme Arbeit seinen Lebensunterhalt. Ich will hier hinzufügen: Es ist eine falsche Lebensregel, daß man das tun soll, wozu man Lust hat. Lust und Neigung sollen ja chr entscheidendes Wort bei der Wahl des Lebensberufes mit­

reden. Aber wenn die Pflicht nicht die Führung übernimmt, wird er unerträglich. Wenn man nur daran denkt, es schon zu haben,

wird das Leben gewöhnlich langweilig. Das gilt sowohl für Kinder

als auch für Erwachsene. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu,

und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu;

denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verläßt er nicht.

18S

22. Juni Ich vergesse,

was dahinten ist, und strecke mich zu dem, das da vorne ist, und jage nach dem Ziele Im vergangenen Sommer sah ich auf einer Eisenbahnstation

die Ankündigung eines Pferderennens. Das Bild stellte zwei nach vorn gestreckte Pferdekopfe mit nach hinten gelegten Ohren und

keuchenden Nüstern dar. 2n den Augen wahnsinniger Elfer, die

Mundwlnkel von den hart angezogenen Zügeln aufgerissen. Ob-

wohl man nur den Kopf sehen konnte, erhielt man doch den Eindruck

von größter Schnelligkeit des Pferdes. Laß dre Pferde ohne Zaumzeug laufen, ohne Reiter, ohne Zügel,

ohne Sporen. Laß sie sich in Freiheit bewegen und selbst über ihre Kraft und Schnelligkeit gebieten. Laß sie außer sich sein aus Furcht

vor einem vorbeieilenden Zug, so daß sie sich in äußerster Hast in Sicherheit zu bringen versuchen, laß die Trift oder der Stall sie

locken, laß Spiel und Lebenslust ihre Sprünge anfeuern — nie werden sie dieselbe Schnelligkeit erreichen, die der Reiter zu bewirken vermag. Wenn aber der Reiter das Tier mit Entschlossenheit in die Hand nimmt und es seinen festen Griff und seine Macht fühlen läßt, so wird dem Organismus eine Fähigkeit abgewonnen, die er, sich selbst überlassen, niemals vorweisen kann.

Ebenso ist es mit dem Menschen ohne Zucht und dem Menschen mit Zucht, dem Menschen ohne Pflichtgefühl und dem Menschen

unter dem Zwang der Pflicht. Ebenso ist es mit dem Menschen mit Gott und dem Menschen ohne Gott. Der natürliche Mensch

kann das Leben recht gleichmütig nehmen oder sich von Lockungen,

Versuchungen, von Obliegenheiten, Beschäftigungen, auch von

Furcht hierhin und dorthin ziehen lassen. Ohne die Zucht und die Pflicht als Reiter gerät er leicht auf gefährliche Abwege. Laßt euch nicht durch Abgestumpftheit und Gleichgültigkeit der Festig­

keit und des Zieles berauben. Meine jungen Freunde, wachet und betet!

Phil. 3, 13. 14

23. Juni

Die Iflüsel der Keele Schon die vorchristliche Ewigkeitssehnsucht wußte, daß der

Mensch nicht nur ein Kind der Erde, sondern auch des sternen­ bedeckten Himmels ist. Der uralte Mythos der Vermählung von

Himmel und Erde wurde zu einem Symbol des geist-körperlichen Wesens des Menschen erhöht. Der Geist strebt empor.

„Der Geist, der Ewigkeit Sohn, landflüchtig,

gekettet in Zeiten,

Reißt an den Ketten und zerrt, strebt wie die Flamme empor." Hier sind nicht viele Worte nötig. Denn ein jeder von uns findet

sich wieder. „Gott hat uns zu sich hin geschaffen, und unser Herz

ist in Unruhe, bis es Ruhe findet in ihm." Die Flügel ziehen und heben uns empor. Laßt sie nicht vergeblich emporstreben!

Der Engel ist nicht weit weg. Here aus dem Evangelium, wann Gott dem Herzen seine Boten mit Trost und Freude sendet! Als

Jesus den Versucher abgewiesen hatte, um Gott allein zu dienen,

„da verließ ihn der Teufel; und siehe, da traten die Engel zu ihm

und dienten ihm". Die schicksalsschwere Frage lautet: „Was von all dem vielen, das auf junge und ältere Gemüter einwirkt, soll Macht bekommen

und die Gedanken und die Einbildung beschäftigen, die Seele er­ füllen und die Kunst beherrschen?" „Weiter, liebe Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine

Tugend, ist etwa ein Loo, dem denket nach!" Derart ist die Freude, die auf ihren Flügeln die Seele empor­

hebt und sie durch das Leben in die Ewigkeit trägt und daran hindert, in dem Morast des Lebens und dem Staub der Erde stecken zu

bleiben.

Matth. 4.11

Phil. 4, 8

24. Juni

Irdische Güter und die Aeele „Da der Jüngling das Wort horte, ging er betrübt von ihm; denn er hatte viele Güter." Für den reichen Jüngling galt es, frei

zu werden. „Geh hin! Verkaufe! Komm! Folge mir!" Eine er­

schreckende Reihe von Imperativen! Der arme junge Mann saß fest! Er schleppte an allzuschwerem Gepäck. Die Seele soll über

die Güter herrschen. Die Güter dürfen nicht die Seele beherrschen. Wenn das Herz an dem toten Gepäck hängt, bleibt nicht viel übrig für die Reisekameraden. Wieviel Herzenskälte, Mißtrauen, Härte,

und Bitterkeit haben nicht darin ihren Grund, daß tote Dinge

die Seele mit Beschlag belegen! Dafür aber haben wir keine Zeit auf unsrer kurzen Fahrt. Jesus will die Seele aus dem Plunder von Nichtigkeiten hervor­ holen, die der Mensch und die Welt ihr aufgeladen haben. Jesus

nimmt das Nichtige weg, das die Seele beschwert und tötet. Auf den Schultern des befreiten Menschen muß es Platz geben für das, was er tragen soll: das Kreuz. Kreuz ist die Verantwortung, die Gefahr, das Ungewisse, das in der Hinfälligkeit aller irdischen

Verhältnisse liegt; Kreuz ist die uns persönlich auferlegte Aufgabe;

Kreuz ist Mühe und Leiden, ist Last und Seelennot, die der Mensch

tragen muß, um das Einzige zu gewinnen und zu besitzen, das Not ist: Wachsamkeit und Geduld, Selbstüberwindung und Verzicht. Das Kreuz muß getragen werden. Wer sich ihm entziehen und es zurücklassen will, muß zurückgehen und es dort holen, wo er es gelassen hat. Jetzt sehen wir, wie Christus es haben will: Keinen Kreis von Bewunderern, die ihm schone Namen geben, aber im

Irdischen stecken bleiben. Vielmehr ein Reisegefolge, das mit ihm

vorwärtsstrebt, dem Himmel entgegen. Das ist keine Reise zum Zeitvertreib, sondern eine Wanderung mit recht schweren Bürden. Da hort man federnde, freimütige Schritte. Man hort auch müde,

schwere Schritte. Wir müssen einander helfen. Die schwerste Last trägt Christus selbst. Er hilft auch den andern. Kraft und Leben

strömen aus von der Gemeinschaft mit ihm.

Matth. 19, 22

25. Juni

Die Lebensregel kann auf mancherlei Weise zusammengefaßt werden und jede an sich ist richtig. In der Bergpredigt finden wir von Jesus eine Formulierung, die für mich in unzähligen kleinen und großen

Schickungen, Problemen,

Entscheidungen

und Aufgaben

eine

sichere Richtschnur war. Ich meine dieWorte des Erlösers:„Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes unb nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen." Die Regel ist nicht immer leicht zu befolgen. Allerlei Nebenrücksichten stellen sich ein. Soll man

es so oder so machen? Soll man so oder so antworten? Soll man es glauben, oder nicht? Jesus verweist uns darauf, unsere ganze

Aufmerksamkeit und Kraft gerade auf die Sache zu richten, die vorliegt, und, ohne nach rechts oder links zu schielen, das zu suchen, was am besten und recht ist, denn das Rechte ist immer das Beste. Bleibe nicht stehen und sieh zu, sondern suche im Großen und

im Kleinen auszurichten, was Gott will. Hilf mit, handle es sich nun um einen schweren Schiebkarren oder um jemand, dem es wohltut, ein fröhliches und liebevolles Gesicht zu sehen und einen starken und guten Willen an seiner Seite zu wissen. Ich kann niemals eine Regel vergessen, die ein Kind gab: „Mache

nicht auf Schwächen aufmerksam!" Die Schwächen treten schon genug bei den andern hewor. Sie sind vielleicht ärgerlich und ver­ drießlich. Aber sei ritterlich und stark, verbirg sie, schwäche sie-ab! Unterstreiche sie nicht! Folge nicht dem Impuls der Schwäche,

Bedauerliches und Ungenügendes, Fehler und Mängel hewor-

zuheben; laß die Toten ihre Toten begraben! Laß solche Schwächen und Fehler in Unbemerktheit und Vergessenheit versinken, die bei einem beschwerten und müden Menschen auftreten, der viel mehr

als du unter diesen Mängeln und kläglichen Verhältnissen leidet, die dich so leicht verdrießen und die zu verschlimmern du versucht bist. „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen."

Matth. 6, 33

Luk. 9, 60

Gal. 6, 2

26. Juni Das Ideal, das beunruhigt und emporhebt „Wenn man ihnen predigt, so richtet sich keiner auf", sagt der Prophet. Hebt einer die Flügel? Sind die Flügel stark genug, die Flügel der Unzufriedenheit, der Unzufriedenheit mit der Ungerechtig­ keit, der Unzufriedenheit mit uns selbst?

Man vergißt leicht die Mahnung, die Flügel zu heben und den Fuß auf den Pfad zu setzen, der emporführt. Der Mensch bedarf

der Sehnsucht nach Vervollkommnung, nichts weniger.

Seid

vollkommen! Dieses Verlangen ist das Adelszeichen und Losungs­ wort des Menschenlebens. Wer sollte in der menschlichen Gesell­

schaft das Ideal, das beunruhigt und emporhebt, das prüft und züchtigt, vertreten, wenn nicht die Jugend! In dem Reich, das

der Menschensohn „Gottes Herrschaft" nennt, gibt es streng genommen nicht das sichere Wohlbehagen des Sich-zu-HauseFühlens. „La nostalgie de la perfection“, die Sehnsucht

mit ihrer Unruhe mischt sich mit einer geheimen, kaum zugestan­ denen Gewißheit von dem Anteil an dem in die Geschichte ein­ gewobenen und doch übergeschichtlichen, ja überweltgeschichtlichen

Erbteil der Menschheit. Jetzt und immer verwechseln die Menschen wirkliche Autorität und geistige und sittliche Macht mit der Kraftäußerung und Macht­

stellung, die mit äußeren Mitteln der Gewalt aufrecht erhalten werden. Was der Mensch braucht, ist nicht einen Tierbändiger,

sondern einen Herrn. Die Autorität muß freiwillig anerkannt

werden. Sie muß so sein, daß sie sich, wie Paulus sagt, ohne jede Heimlichkeit und Arglist offen selbst bezeugt und sich dem Gewissen

eines jeden rechtdenkenden Menschen aufzwingt, das heißt: seiner inneren Urteilskraft. Eine solche Autorität und Macht brauchen wir heute. Nach einem solchen Sich-zu-Hause-fühlen sehnt sich der Geist.

27. Juni

Die Tat Meine Freunde, habt ihr schone und klare Gedanken über das

Leben und die Welt und über einander? Habt ihr gute, ernste und freundliche Worte für einander? Es ist ein großes Ding um gute

Gedanken und gute Worte. Aber mehr als alle Gedanken und Worte ist eine einzige rechte Tat. Man denkt viel Gutes, für den Gedanken gibt es so viele

Möglichkeiten. Was wird man nicht alles tun! Wenn die Stunde des Handelns schlägt, muß man statt all der Möglichkeiten, womit

wir in Gedanken spielen und unser Herz erwärmen, eine einzige Sache ergreifen und ausführen. Eine einzige uneigennützige Tat ist wertvoller als alle freundlichen Worte. Eine einzige Handlung der Güte ist mehr wert als alle warmen Ge­

danken. Eine Tat der Selbstaufopferung bedeutet mehr als die eifrigsten Versicherungen. Wie spärlich wird es oft, wenn man

von Worten zu Taten übergehen sott. Wie unzuverlässig sind nicht

Worte, wie ohnmächtig die Gedanken! Am schlimmsten steht es nut uns selbst, wenn wir nach all dem Eifer und allen guten Ge­

danken handeln sollen — und unentschlossen vor dem stehen, was getan werden muß. Die Tat hat größeren Wert als Gedanken und Worte, sowohl für den, dem etwas Gutes erwiesen wird, als auch für den, der das Gute tut. Heilger Geist, o Geist der Kraft, ach komm, uns zu beleben!

Lenk unser Herz mit Liebesmacht,

auf daß wir Früchte geben. Heilige unsern Mut und Sinn, daß wir zum Himmel streben.

28. Juni Leine Lehre Wir müssen dem Ausdruck „reine Lehre" volles Recht angedechen

lassen. Das Christentum ist nicht ausschließlich Stimmungssache

oder beliebiger warmer Liebeseifer. Es ist ein bestimmtes gesetz­ mäßiges Geschehen in der Menschenseele, das zu der Geschichte

der Offenbarung, zu Gott und der Welt in Beziehung steht. Es gilt, richtig, scharf und klar diese Erfahrung und den Gegenstand

des Glaubens zu untersuchen und wiederzugeben und herauszu­ heben, was dabei erlösend und wesentlich ist. Das ist reine Lehre

im Gegensatz zu unrichtiger, wirklichkeitstreue Theologie im Gegen­ satz zu falscher. Die Religion erfordert eine solche Wissen­ schaft über

sich selbst.

Die

Lehre

ihrerseits

erklärt,

leitet und stärkt das Leben. Orthodoxie in diesem Sinne

ist

ein

wissenschaftlicher

und

religiöser

Ehrentitel.

Die heutige Theologie hat nicht eher ihren Dienst verrichtet, als

bis sie das Christentum wahrer, tiefer, richtiger ausgedrückt und

Christus, den Erlöser, mehr in den Mittelpunkt gerückt hat und seinem Geist getreuer ist als die Theologie vergangener Zeiten. Ein wenig Nachdenken sagt uns, daß frühere Dogmen und Aus­ drücke für das Christentum nicht aus der Luft gegriffen oder arg­

listig zusammengestellt waren, um die Leute zu quälen. Sie sind

aus Wirklichkeit gegründet, wenn sie auch das Gepräge menschlicher Unzulänglichkeit tragen. Der Fehler bei der Lutherischen Orthodoxie lag also nicht im Programm: Reine Lehre, ebensowenig im In­ halt: Alleinherrschaft der Glaubenserfahrung, sondern der Fehler lag in ihrer scholastischen Methode, in dem toten Stoff, der mit­

geschleppt wurde, und besonders in der intellektualistischen Ab­ götterei der Lehre.

Heilger Geist, der Wahrheit Geist,

ach komm, uns zu geleiten! Laß uns nicht irrend fallen hier,

wollst uns zum Ziel begleiten. Tröstend sende des Glaubens Licht,

Weisheit in irdischen Zeiten.

29. Juni

Das Einfache ist schwer „Meine Kindlein, laßt uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit."

Der Mensch macht die Dinge gern schwieriger, als sie sind. Denn das Einfache ist schwer. Uber die Pflicht, die christliche Pflicht,

kann nach den Worten des Apostels kein Zweifel herrschen. Er hat nicht viel Achtung vor schönen Worten und einer gewandten Zunge, sondern er fordert Tat und Wahrheit. Eine noch so kleine Liebestat bedeutet mehr als alle schönen Versicherungen und Auf­ forderungen. Es fällt dem Menschenherzen nicht schwer, alles so zu drehen, daß das Gebot von der Liebe ungefährlich wird. Die Lehre von

der Liebe kann so erhaben werden, daß man mit Geringschätzung auf die Menschen herabsieht, die ihre Herzen nicht verschließen,

sondern ganz einfach so handeln, wie der Apostel hier schreibt.

Wenn er sieht, daß sein Bruder Not leidet, so hilft er ihm. Die Pflichten der Liebe sind mannigfaltig. Hierüber spricht der Apostel

mit einer Herzlichkeit, die jedes Gemüt weich machen sollte. Es bedeutet keineswegs, daß die Liebe in dieser schlichten, ja anstößig

einfachen Form in der Welt auf Wertschätzung rechnen kann. Andere Eigenschaften werden höher gewertet, Tüchtigkeit, Scharf­

sinn, Fähigkeiten, Klugheit, Berechnung, Kraft und Begabung. Wer möchte nicht begabt und gewandt, klug und schön genannt werden, selbst wenn im Urteil der Gedanke an Unbarmherzigkeit und Härte liegen sollte! Wer will lieb genannt werden? Die Wörter werden abgenutzt. Aber wie wir auch die Sache ansehen mögen, es liegt doch ein deutlicher Unterschied vor zwischen dem Urteil des

Apostels und der üblichen Auffassung bei den Menschen. Wir segnen

den aufrichtigen Willen, dort beizustehen und zu helfen, wo es notig ist.

l.JoK. 3,18 13

Worte für jeden Tag

30. Juni

Anstrengung und Leistung Der Mensch kann von Ehrgeiz, Genußsucht, Gelbsucht oder durch etwas anderes zu Anstrengung und Leistung getrieben werden. Aber seine ganze Fähigkeit, ja, mehr als er hat, kann er erst geben,

wenn er von dem harten aber sicheren Griff der Pflicht erfaßt worden ist. Alle vom Schöpfer verliehenen Gaben und Mögliche

feiten, die in ihm schlummern, kommen nur dann zur Anwendung und bringen mehr zuwege, als er selbst und andere denken und hoffen

können, wenn er von Gottes Macht und Willen in Christus er­ griffen ist. Wenn Gott ihn anfaßt, geschieht es nicht zart und sanft.

Es gibt am Menschen vieles, was Gott verurteilen und entfernen muß, vieles, das ihm anhängt und ihn beschwert, das den Menschen träge und untauglich macht oder ihn aus Abwege lockt. Aber es ist des Menschenkindes Rettung und Glück, sich in des Herrn Hand

zu geben und sich von Christus anspornen, treiben und leiten zu lassen, nachdem er ihn ergriffen und gewonnen hat. Da ist er nicht länger sein eigen, sondern er wird von einer sichereren

und mächtigeren Hand gelenkt. Da muß er nicht wanken, erschrecken, sich hier- und dorthin ziehen lassen von alldem, was im Leben lockt oder erschreckt. Nein, er braucht nur eins zu tun, zu gehorchen. Es ist selig, so ganz und ausschließlich gehorchen zu

dürfen, ohne etwas auf eigene Rechnung zu tun.

Paulus wußte davon. Er jagte nach dem Ziele, denn er war von Christus Jesus ergriffen und erfaßt und konnte von ihm nicht loskommen. Sein Leben hatte eine Richtung, sein Lebenslauf einen Reiter, einen Sporn, einen straffen Zügel bekommen, der ihn vollkommen sicher machte und aus seinem menschlichen Wesen alles Lebenstaugliche und Lebenstat herausholte.

Verwendbare zu einer gesammelten

l.Juli

Die Lehn Gebote Gottes Wir müssen uns heutigen Tages wahrlich an das Einfache,

Schwere, Ursprüngliche halten, das leicht vergessen oder verdunkelt wird. Die Zehn Gebote werden täglich und stündlich auf mancherlei Weise übertreten.

Von vielen Seiten wird über die Sittenlosigkeit geklagt, die dem Zusammenleben der Jugend in weiten Kreisen die Reinheit raubt. Scham und Selbstzucht kommen immer mehr abhanden. Unersetzliche Werte gehen dadurch verloren. Schamlosigkeit wird

bitter mit Trauer und Schande gebüßt. Fast jede Zeitung berichtet von der Unterschlagung anvertrauter Gelder und ähnlicher Unredlichkeit. Die Schilderungen haben wenig Nutzen. Sie können die Phantasie schwacher Seelen in gefährliche

Bahnen lenken. Der Griff eines Hungrigen nach einem Bissen Nahrung ist nicht mit den Betrügereien und Darlehnsgeschäften

eines schwelgenden und spekulierenden Großschiebers gleichzustellen. Woher kommt diese Auslosung und Unredlichkeit? Die Ant­ wort heißt: Das Vergnügen ist für viele zum Inhalt und Sinn

des Lebens geworden, das um jeden Preis befriedigt werden muß. Und der Unterschied zwischen Gut und Bose ist verwischt worden. Trennt eine klare und bestimmte Grenze Recht unb Unrecht? Die Grenze ist für viele in unserer Zeit undeutlich geworden. Und wo man eine solche Grenze anerkennt, wird sie wohl als der Gesellschaft dienlich und zuträglich, aber nicht als unbedingte Forderung an­

gesehen. Das Gefühl für das Heilige, für die unantastbare Heilig­ keit und übermenschliche Autorität der Gebote ist erschlafft und verschwunden. Wie wäre es, wenn jeder Mitbürger sich täglich

selbst prüfte, indem er die Zehn Gebote liest?

2. Mose 20 13*

Röm. 5, 20

Gal. 3, 24

2. Juli

Dritte dich selbst! Du sollst nicht andre Götter haben neben mir. Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht miß­

brauchen. Du sollst den Feiertag heiligen.

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Du sollst nicht töten.

Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen.

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib oder alles, was sein ist.

Frage dich selbst: Habe ich Gott über alles geliebt? Habe ich meinen Nächsten wie mich selbst geliebt? Prüfe dein

Leben an Hand der goldenen Regel: Habe ich den Menschen alles das getan, was sie mir tun sollen?

So wird das Gesetz ein Erzieher zu Christus. Wer mit sich selbst

vor Gott ins Gericht geht, muß rufen: Herr, erbarm dich über

mich! Vergib mir meine Schuld. Er lernt das Vaterunser recht beten. Durch Selbstprüfung und Umgang mit Gott bereiten wir uns

täglich auf das Leben vor. Wir bereiten un$ täglich auf den Tod

vor, dem viele keinen Gedanken widmen, noch viel weniger eine Vorbereitung, obgleich der Tod das einzig Sichere in jedemMenschenleben ist. Man tut, als ob er nicht da wäre. Man wagt nicht, an

ihn zu denken. Die menschliche Würde mahnt uns, ständig zun:

Ausbruch bereit zu sein, aber gehorsam auf dem Posten auszuhalten,

wohin ein jeder gestellt wurde, bis Gott uns ruft.

2. Mose 20 Luk. 11,1s. Matth. 7, 12 Gal 3, 24

3. Juli

Gott sagt mir, was mein Deruk ist Kein Mensch kann mir sagen, wozu ich berufen bin. Aber wir

finden unseren Beruf, wir stehen mitten in ihm. Ein aufmerksames und lebendiges Gemüt nimmt ihn Stück für Stück auf. Am häufigsten geschieht das ohne viel Nachdenken. Hier ist etwas, das

getan werden muß. So muß ich es wohl versuchen. Wem ist es

gegeben, seine Pflicht immer klar zu sehen? Wir müssen oft lange im Dunkeln tappen. Da ist die pflichtmäßige Treue zu einer ge­

gebenen Beschäftigung eine segensreiche Hilfe. Ungeduldig schlagen

wir auf den Lebensstoff ein. Er antwortet mit dumpfem, totem

Klang. Da bleibt nur eines übrig: Weiter arbeiten! Sicher wird dann einmal der rechte, metallische Klang uns entgegenklingen.

Ich sagte, daß kein Mensch uns Antwort geben kann auf die Frage: Wozu bin ich berufen? Nur Gott kann das. Er sagt es mir,

nicht durch Zeichen und Wunder, sondern durch die Menschen, die

uns nahe stehen, oder die er auf unsern Weg sendet und durch seine Schicksalsführung in unserm Leben. Ich meine, unser ganzes Leben

ist Zeichen und Wunder. Die Menschen stehen nicht getrennt, nur jeder allein für sich, in der Welt. Auf wunderbare, verwickelte Weise greifen die Lebens­ bahnen, Beschäftigungen und Menschenleben ineinander. Es gilt für jeden, einigermaßen klar seinen Beruf zu erkennen, sich seinem

Ernst hinzugeben und sich an seinem Reichtum zu freuen. Denn

der Berus ist der Lebensraum, den ein jeder erhält, um darin er selbst zu werden, um erlöst zu werden und andern ein Segen zu sein. Aber weit mehr als das Heim ist sein Bewohner. Der Mensch ist weit mehr als sein Beruf. Am besten fühlt er das in den Höhe­ stunden seines Wirkens, die andern verborgen, ihm aber Offen­ barung göttlichen Lebens sind.

4. Juli

Die Stärfee von Schwedens Lirche Die Stärke von Schwedens Kirche ist ihre Stellung im Volk gewesen. Wo wir auch beginnen, oben oder unten, beim Bauer hinter dem Pflug oder beim Bürger in seinem Laden, beim Krieger

auf dem Schlachtfeld oder bei der Frau in ihrem Heim, bei der

Sennerin, die ihr Lied singt, oder bei dem weltumfassenden und weltberühmten Genie; zur Zeit Gustavs III. wie zur Zeit Gustav

Adolfs: immer findet der Forscher in der Kultur Schwedens den­

selben Grund der Gottesfurcht. Die sich im Leben als Feinde gegenüberstanden, begegnen sich in derselben Zuversicht — ihre

Lieder klingen Seite an Seite in demselben Gottesdienst. Die Worte Gustav Adolfs in Zönköping von „der Majestät des Vater­ landes und von Gottes Kirche, die in jenem ruht", sind für den, der

die Sache genau untersucht, nicht nur der Ausdruck seiner persön­ lichen Überzeugung. Sie drücken vielmehr besser als ein anderer

vorher aus, was Schwedens Kirche für die welthistorische Tat Schwedens, für unsere hohe Kultur, für unser Volksleben, gewe­

sen ist. Wie verschiedenartig diese Menschen auch sind, von den reli­ giösen Charaktergestalten in ihrer erhabenen Schönheit bis zu ganz alltäglichen Menschen haben sie alle doch eines gemeinsam. Wenn alles aus ist, sind sie doch nicht am Ende. Sie besitzen

noch etwas, woran sie glauben und wovon sie leben können. Wir sind wählerischer und empfindlicher geworden in

alledem, was unsere religiöse Vorstellungswelt betrifft. Vielleicht ist uns die Art fremd, wie sie sich den Gottesgedanken, Vorsehung, Versöhnung, Himmel und Seelennot veranschaulichten. Und doch ist die Religion, wenn wir Anteil an chr haben, für uns noch das gleiche wie für sie. Religion bedeutet nach Harnacks schönem Ausspruch, daß wir immer etwas in Besitz haben, eine innere Welt, die nicht zerbricht. Sie ist Trost und Stärke des Herzens. Sie ist der Schatz, den die Kirche durch

die Jahrhunderte trägt.

5. Juli

&iefje, ich mache alles neu Sicherlich ist die Zukunft ungewiß. Wir müssen bereit sein und

zusammenhalten. Wir müssen gute und böse Tage hinnehmen.

Wir denken an das Schicksal der einzelnen. Es hat darin dunkle

Tage gegeben, Gott hat einen Lichtstrahl gesandt. Wer zählt alle Freuden? Wer zählt stummen Schmerz, schweigende Angst, brennende und dumpfe Sorge, die weiß, daß es nie besser werden kann, die das Schlimmste befürchtet und die sich fragt, ob sie aushalten

kann? Wird die Heimsuchung als Folge und Strafe für Ver­ fehlungen und Vergehen betrachtet, dann liegt wohl darin eine

Genugtuung für das Gewissen des Leidenden, aber die Last wird dadurch nicht leichter. So wie die Hand unwillkürlich die brennende

Wunde betastet, so sucht auch der Gedanke immer wieder die emp­

findliche, quälende Stelle in der Seele.

Blicken wir auf das Vergangene, dann gibt es nur einen Clus­ weg: Besserung, Vergebung und für einen jeden von uns, wie auch sein Leben sich gestaltet hat, demütige Dankbarkeit gegen Gott für so viel mehr Gutes, als wir bedenken.

Schauen wir vorwärts, so gibt es nur einen Ausweg: Bete und arbeite. Überlasse Gott die Zukunft! Ausharren bis zum Schluß

ist die gemeinsame Regel für alle, die in der Ungewißheit und dein Schimmer der Erwartung wandern, und für alle, die müde ge­ worden auf dem Lebensweg dahin gehen. Gott allein vermag Neues zu schaffen. Er sitzt auf dem Throne

und spricht: „Siehe, ich mache alles neu". Seine Gnade ist jeden Morgen, jedes Jahr neu. Er schafft Neues. Er allein vermag unseren

Mut und unseren Sinn zu erneuern.

Wenn wir uns ganz Gott überlassen, dann kommt neue Zu­ versicht, dann wird wirklich Neuanfang in unserer Seele. „Gott wird mit ihnen sein und wird abwischen alle Tränen von ihren Augen."

Joh. Offenb. 21, S

6. Juli

Ein verbesserter Doppelgänger Vor einigen Jahren machte ich gelegentlich die Bekanntschaft

eines Knaben, der den ungewöhnlichen Namen Svengars trug. Er existierte nicht in Wirklichkeit, sondern er war, wie so viele Knaben

und Mädchen, ein Idealbild kindlicher Phantasie. Ein verbesserter Doppelgänger, der das ausführte, was der wirkliche Knabe in seinen besten Stunden wollte, aber leider wohl nicht immer ver­ mochte. Dieser Svengars besserte alles aus, was entzwei war.

Wenn seine Mutter etwas verloren hatte oder nicht wußte, wo die

Brille war, eilte er gleich herzu und half suchen. Er war niemals mißmutig oder ungehorsam. Er stand gleich auf, wenn er geweckt wurde. Wurde ein kleinerer Kamerad von einem größeren überfallen,

eilte Svengars gleich zu Hilfe. Es war eine Freude, an Svengars zu denken. Und nun hinterher ist es mir so, als ob ich ihn persönlich

gekannt hätte. Solch ein Svengars ist für jedes Alter notwendig. Wohl gibt es für einen Jüngling größere Schwierigkeiten zu

durchkämpfen als die, die Svengars überwand. Aber, daß der Knabe redlich und aufrichtig ist und sich selbst in Zucht und Ord­ nung hält, das legt den Grund zum Charakter des Jünglings.

Knabe, folgst du treulich deinen besten Träumen,

dich die Göttin einmal wiedersieht, spielt mit dir wie einst in Waldesräumen, singet tröstend dir das Nunenlied; öffnet weit vor dir deiner Kinderjahre Blumengärten,

wenn im Streit du sehnest dich dahin.

7. Juli Das Gebet des einzelnen Menschen ist sein Geheimnis mit Gott und entzieht sich den Blicken anderer. Jesus mahnt in der Bergpredigt: „Geh in dein Kämmerlein und schließe die Tür hinter dir zu."

Das Gebet, das also am liebsten sein eigentliches Leben verbirgt, ist mehr als alles andere die Äußerung des Christentums. „Du bist kein Christ, wenn du nicht ein Beter bist." Luther nennt das

Gebet eines Christen Handwerk. Wenn jemand wissen mochte was Frömmigkeit und Religion ist, dann sagen wir ihm: „Geh

zu den Betern und zu den Gebeten, in denen die Vertrauten des Gebets — das sind Gottes Vertraute — ihr Herz ausgeschüttet haben. Nein, geh zu Gott, bete selbst."

Das Gebet quillt ebenso mit Notwendigkeit aus dem Herzen des Christen hewor wie der Atem aus den Lungen, wie das Wasser

aus der Quelle oder aus dem Schwamm, der zusammengepreßt

wird. So preßt der Druck der Not und der Freude das Gebet hewor. Ein Christ weiß keinen anderen Rat. Luther rief: „Ich,

armer Mensch, voller Sünde, der ich an mir selbst, meinem Werk und allen meinen Kräften verzweifle, ich habe nichts, das ich geben kann, außer zu beten und deine Barmherzigkeit anzurufen." Ein Mensch ohne Gebet ist mit einem Vogel verglichen worden,

der nicht fliegen kann, mit einem Fisch, der nicht schwimmen kann. In seiner Entwicklung beginnt der Betende mit den gelernten Kindergebeten. Und der Tag ist gesegnet, an dem er durch die Sehnsucht der Seele getrieben, vielleicht auch von Angst und Schmerz gezwungen, den Vorhang durchbricht und mit eigenen stammelnden Worten oder mit unaussprechlichem Seufzen betet. Später findet er in den echten Gebeten der großen Beter, vor allem im Gebet

des Herrn, Hilfe und Ruhe. Die kindlich Gläubigen dürfen ebenso wie die Helden des Gebets zu Gott beten und von dem

sprechen, was sie wollen und brauchen. Aber das, worauf das Gebet eigentlich hinzielt und braucht, ist Gott selbst, Gott allein.

Matth. 6, 6ff.; 7, 7ff.

8. Juli Das Leben des Geistes geht weiter Das Kraftaufgebet der Technik gibt unsrer Epoche eine einzig­ artige Stellung in der Geschichte der Menschheit. Kein Wunder,

daß das Motorfahrzeug zu Land, zu Wasser und in der Luft, daß Rundfunk und das unfaßliche Wunder der Elektrizität die Auf­ merksamkeit und die Sinne der Gegenwartsmenschen an das ketten, was wir Materie nennen. Aber das Wunderbarste und Bemerkens­

werteste an dieser Sache ist, daß dieselbe Wissenschaft, dieselbe Physik, die durch die Methode der Mathematik die ungeahnten Kräfte der Natur dem Menschen untertan gemacht und das geistige

und sittliche Leben in den Schatten gedrängt, gleichzeitig diese

Materie derart aufgelost hat, daß sie für alle Zukunft der Lehre

ein Ende macht, die das Wirkliche auf das sinnlich Wahrnehmbare und in der Vorstellung Gestaltbare beschränkt. Der menschliche

Gedanke wird über oder hinter oder in der Welt der Sinne in eine

Wirklichkeit, in eine Beziehung, in einen Zusammenhang gezwungen, von dem wir wenigstens soviel sehen müssen, daß er Verwandtschaft mit dem menschlichen Gedanken hat. Die Blicke werden von einem märchenhaften Kraftaufgebot aus den Quellen der Materie ge­

blendet. Gleichzeitig wird der Gedanke gezwungen, das Wirkliche,

oder wie wir den geheimnisvollen Hintergrund dieses Daseins nennen mögen, in etwas anderem zu suchen als in der Welt der

Sinne. Das Leben des Geistes geht in von uns ungeahnten Formen weiter.

(Diktiert während der letzten Krankheit.)

9. Juli

Mimm Gottes Villen hin Dein Wille geschehe! Wir denken zunächst an Ergebung. Sie ist

kein passives Hinnehmen. Um den Willen Gottes hinzunehmen,

kann es notwendig werden, daß die Seele ihre ganze Energie ein­ setzen muß, so wie es Jesus in Gethsemane tat. Aber das Gebet hat noch eine andere Bedeutung. Es gilt auch, Gottes Willen auszusühren. Für junge Menschen ist dieser Inhalt der Bitte

„Dein Wille geschehe" leichter zugänglich und zugleich wesentlicher

und besser zu verstehen. Gottes Wille geschehe! Das Vaterunser prüft auch zugleich unsere Herzen. „Tue ich eben, was recht ist?" „Lebe ich recht?" „Herrscht die Wahrheit in meinem Leben?"

Jesus richtet Versäumnis strenger als Vergehen. „Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ichs

meine; und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf

ewigem Wege." Von jeder Bitte im Vaterunser gilt, daß sie gleich­ zeitig eine Frage ist, die leicht zur Anklage wird.

2n der ersten Hälfte des Vaterunsers werden wir und das Unsrige in Gottes große Sache in der Welt eingeschlossen. Luther schreibt im Kleinen Katechismus, daß auch ohne unser Gebet

Gottes Name geheiligt wird, Gottes Reich kommt, Gottes Wille geschieht. Aber wir bitten in diesen Bitten, daß es auch bei uns

und durch uns geschehen möge. So erinnern uns die drei ersten Bitten im Vaterunser an unser Zdeal, an unser Ziel. Sie rufen uns, sie stärken uns, damit wir

durch Glauben und Handeln Gottes Mitarbeiter seien. Das ist unsere Bestimmung, die in Gottes großes, die Welt erfüllendes Werk einbeschlossen ist.

Matth. 26, 36f. Luk. 11,1s. Ps. 139,23.24

10. Juli

Das Herz kann fingen, auch wenn es Mot kühlt Die großen Tondichter haben das in der Musik geschildert. Die große, echte Musik gibt das Leben in zusammengedrängter

Form wieder. Aber sie tut es viel reicher und vollkommener, als Worte es vermögen. Das Herz erkennt sich wieder. Es wird in seinen Gefühlen weiter und reiner. Lausche, wie der große Ton-

dichter den Schmerz und das Dunkel aufsteigen läßt, von den

Stimmen des Orchesters emporgehoben, die sich an Eindringlich­ keit und Ausdruckskraft überbieten. Er hält nicht an, hält nicht zurück, sondern läßt den herzzerreißenden Rhythmus die Irrwege

des Leidens und der Angst durchwandern. Aber das ist nicht alles. Das Gemüt wird nicht nur aufgewühlt; es wird auch emporgehoben

und ahnt eine Versöhnung. Aus dem Brausen tritt ein himmlischer Ton hervor. Manchmal liegt in ihm eine so unaussprechliche Süßig­ keit und reine Freude, daß das Auge feucht wird und die Seele die Entzückung fühlt. Dieser Ton, der nicht die Schmerzenslaute lärmend übertönen

will, sondern sich verklärend mit ihnen mischt, der aus ihnen wie

eine Auferstehung geboren wird, ist der Ton der Liebe. Die Freude ist das versöhnende Lied der scharfsichtigen und unüberwindlichen Liebe und Güte. Sie ist

Himmelston.

Einmal erklang

dieser Ton so stark in einem Winkel der Welt, daß der Widerhall andauert, solange die Erde steht und darüber hinaus.

„Wenn die Sterne ihre schönen Augen schließen wie

Kinder, die zur Ruhe gehen."

Ein mächtiger Ton läßt die anderen stummen Saiten mitklingen. Jesus Christus ist der mächtige Ton der Freude in der

Welt. Bei seinem Klang beginnen die Saiten des Herzens zu klingen. Sie werden mit hineingezogen in Gottes großes Orchester. Möchte es einen Klang, eine Saite in der Seele geben, die bei dem Hinimelston mitklingen kann!

11. Juli

Das Kchitk gleitet einsam und bereit hinaus auf das Wasser Braucht diese Welt, als brauchtet ihr sie nicht! Solange unser

Leben währt, soll es, wenn uns dazu Gesundheit und Kraft ver­ liehen werden, neben der notwendigen Erholung emsigem Streben gewidmet sein. Aber in all der Mannigfaltigkeit des Lebens, in Freude und Trauer, währt die Arbeit der Seele ohne Unterlaß,

und dieses innere Leben des Geistes bindet uns immer fester an das

Ewige und Himmlische, sodaß das Gemüt von dem Irdischen losgelöst wird. Was Gegenstand unserer Arbeit, unserer Fürsorge, unserer Mühe ist, darf sich nicht wie Staub aus die Flügel der

Seele legen, sie zu Boden drücken und sie daran hindern, sich zu

Gottes Himmel aufzuschwingen. Nein, im Glauben ist der Christ ein Herr aller Dinge. Durch Vertrauen erhebt sich die Seele aus

den Banden des Irdischen und atmet frei die frische selige Luft in den Tiefen und Hohen der Ewigkeit. Je fester uns der Glaube an Gott und seine Barmherzigkeit bindet, desto geringer wird die Gefahr, daß wir uns von den Sorgen der Erde, von ihrem Glücke

und ihrer Qual gefangen nehmen lassen. Das Schiff ist im Bau

begriffen. Es steht am Stapelplatz am Strande nahe dem Wasser. Pfähle und Balken stützen es auf allen Seiten. Es scheint auf mannigfache Art mit dem Strande durch allerlei Einrichtungen verbunden zu sein, die es umgeben und die für den Gang der Arbeit notwendig sind. Aber der Rumps hat sein Gleichgewicht gefunden,

obwohl dies dem unkundigen Zuschauer verborgen ist. Eines Tages werden die Stützen zerschlagen. Das schlanke Fahrzeug gleitet ein­

sam und vollendet ins Wasser hinaus, wo es sich, obgleich es doch

am Strande gebaut und aufgeführt wurde, in seinem eigentlichen Element bewegt. So sollen auch wir diese Welt brauchen. Wenn die Zeit gekommen ist, soll das Schiff der Seele bereit sein, hinauszugleiten in das Meer der Ewigkeit, nicht gekettet an die Dinge oder Vorhaben, denen sie hier mit pflicht­ treuem Ernst ihre Fürsorge und ihre Arbeit gewidnlet hat.

12. Juli

Jfür Gott leben alle Dunkel ist die Flut des Todes. Scharf ist die Grenze zwischen den Lebendigen und den Toten. Ein Abgrund tut sich auf zwischen

dem Land der Lebendigen und dem Reich der Toten. Kein Fernglas vermag hinüberzusehen.

Zuweilen ist es doch, als ob die Pforten sich öffneten und Tod und Leben ineinanderfloffen. Das ist dann, wenn das Leben zu einen:

Höhepunkt emporgehoben wird. Bei solcher Hochspannung in Freude oder Trauer verliert der Tod etwas von seiner Macht und seiner ihm eigenen trennenden Schärfe. Besonders dann ist dies

der Fall, wenn ein Mensch dahingeht, der uns nahe stand, so daß

sein und unser Leben innig miteinander verflochten sind und seine

ganze Persönlichkeit in unserem eigenen Leben inbegriffen ist. War dem Heimgegangenen eine ungewöhnliche Lebenskraft, eine Inten­ sität des Fühlens, Liebens und Wollens eigen, so wehren sich die

Hinterbliebenen instinktiv, die Trennung durch den Tod anzu­ erkennen. Nach einer kurzen Zeit schmerzhafter Trennung weilt eine solch starke und innige Natur, die dahingegangen ist, dauernd bei uns. Der oder die Hinterbliebenen, die mit dem Heimgegangenen innig

verbunden waren, können den Tod nicht als eine Trennungsmauer anerkennen, sondern nur als einen Schleier, der für die kurze Zeit der wenigen Jahre, die ihnen noch bleiben, die lieben, im Grabe vermodernden Züge verbirgt. Der Heimgegangene ist noch in feinern

Heim, bei seiner Tätigkeit, bei seinen Kindern, bei Mann oder Frau, bei den Vertrauten seiner Seele. Der Mensch klopft und klopft an die Tür des Todes. Und sie

hat der ewigen Sehnsucht und Gemeinschaft mit dem Heim­ gegangenen nachgegeben, sodaß Glaube und Hoffnung gelernt haben, jenseits des Todes ein sich fortsetzendes oder ewiges Leben

zu erkennen.

Matth. 22, 32 Joh. 11,21.26

1 3. Juli

Wenn du fastest, salbe dein Haupt Die da weinen, sollen weinen, als weinten sie nicht. Weine!

Der Herr mißgönnt es dir nicht. Weine dich aus in Trauer und Schmerz, so wie Jesus es selbst am Grab des Lazarus tat. Aber wie tief du auch in den Abgrund der Angst und Trauer niedersinkst, wie tief dich die Prüfung und Heimsuchung auch in den Sumpf

der Betrübnis stoßen mag, vergiß nicht, daß in der Tiefe

ebenso wie im Himmel Gott wohnt.

Wenn du dich an

ihn hältst, so steht er hinter dirund ist bereit, deinen Arn: zu nehmen, gerade wenn du nach all den mühevollen Anstrengungen, dich allein

aufrecht zu halten, den festen Grund verlierst und fällst, so wie die

Mutter über das vorwärtsstolpernde Kindchen wacht, während es

versucht, die ersten Schritte zu machen, und es in ihre Arme nimmt, sobald es wirklich fällt. Erst dann fühlt sich das Kind wirklich in Sicherheit, wenn es das Gleichgewicht und die Möglichkeit sich

aufrecht zu halten verloren hat; wenn es die kleine Kraft, sich selbst zu Helsen, verliert, wenn es hinfällt, dann kommt die große, völlige

Sicherheit in den wartenden und treuen Armen der Mutter. Die sich freuen, sollen sich freuen, als freuten sie sich nicht. Es wäre schnöder Undank gegen das Befreiungswerk unseres Herrn Christus, wenn wir uns wie verurteilte Verbrecher durch das Leben stehlen wollten. Jesus geht in der Bergpredigt so weit, daß er auch zu denen, die Anlaß zu Trauer und Betrübnis haben, sagt: „Wenn

du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein- Angesicht." Kein Tränenstrom fließt so nachhaltig und so bitter, daß er nicht einmal versiegt. Keine Freude ist so jubelnd und groß, daß sie nicht einmal schweigt. Gott sei Dank, daß tvir Lachen und Weinen in seine Treue versenken dürfen!

Matth. 6, 17

Joh.il, 1-45

1 Kor. 7, 29. 30

14. Juli Der Lnabe und der Mann Der Knabe sitzt mitten unter den Lehrern. Sein Gemüt war

ganz erfüllt von der gegenwärtigen Stunde, von dem, was sein Herz und Sinn aufnahmen. Er dachte an nichts anderes. Sein ganzer Geist sammelte sich in dem Vorhaben. Finden wir nicht

schon bei dem Zwölfjährigen einen Zug, der Jesu eigenartige Lebenskunst auszeichnet? Er ist voller Ehrfurcht für das Vergangene.

Die Schicksale und Aufgaben seines Volkes zu allen Zeiten sind

seiner Seele gegenwärtig. Er streckt sich nach vorne. Das Reich soll mit Macht hereinbrechen. Er spricht von der Zukunft. Er

warnt, er tröstet, er mahnt die Seinen, den Blick zu erheben,

wenn das Unglück der letzten Zeit über die Welt hereinbricht. Und doch lebt er sein eigentliches Leben weder in der Vergangenheit

noch in der Zukunft. Er lebt ganz im Jetzt, in der gegenwärtigen Stunde. Sie gehört für ihn nicht dem hastig dahinschwindenden

Tag an. Er lebt das ewige Leben schon hier in der Zeit. Er füllt die Stunden mit Ewigkeit, nicht etwa durch ängstliches

Sorgen, nicht durch Verachtung der gewöhnlichen Bedürfnisse,

Sorgen und Freuden der Menschen. Er hilft den Leidenden. Er geht in das Trauerhaus des Jairus. Er nimmt Teil an der Hochzeit zu Kana. Es gehört zu Jesu Vorbild, daß er die fliehende Stunde

als Gabe Gottes ergreift und hinnimmt. Er ist mit ganzer Seele da, wo er gerade ist, nicht geteilt, zersplittert, nicht zerst-reut, fremd und schwach durch Gleichgül­

tigkeit und flatterhaften Sinn. Er ist mit ganzem Herzen bei allem, was er unternimmt. Eine solche Eigenschaft zeichnet die Kinder aus und gewann den Kindern Jesu Zuneigung. Für das Kind ist das Spiel Ernst.

Für den Erwachsenen wird leider der Ernst oft zum Spiel. Der Zwölfjährige sitzt da und vergißt alles andere.

Luk. 2t 41-52

Mark. 5, 22f.

Joh. 2, lf.

15. Juli Eine wunderbare Erinnerung Wenn die Jünger an ihr Zusammensein mit dem Meister zurück­ dachten, standen sein Leiden und sein Tod wie eine schwarze Wolke über seinem Erdenleben. Das hinderte sie nicht, sich der Zeiten

und Gelegenheiten zu erinnern, da er von glühender Begeisterung

umgeben und selbst von Freude erfüllt gewesen war. Aber sein Leben trug im Ganzen das Gepräge des Leidens. Jetzt war das Leiden vorüber, und der Erlöser war zur Herrlichkeit eingegangen. Da fiel neuer Glanz aus eine wunderbare Erinnerung, die seine drei

Vertrautesten von dem Geschehen auf dem Berge der Verklärung

hatten. Sie erschien ihnen wie eine Vorahnung seiner Herrlichkeit nach Niedrigkeit und Leiden. Ganz plötzlich kam die wunderbare Stunde. Jesus hatte keine

Vorbereitungen in ihrer Gegenwart getroffen. Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne. Seine Kleider glänzten weiß. Die Heiligen des alten Bundes sprachen mit ihm, die Vertreter des Gesetzes und der Prophetie, Moses, der Gesetzgeber durch Gottes Willen, und unter den Propheten die Gestalt, deren harte Leidenszüge sich

am tiefsten und nachhaltigsten in die Erinnerung des Volkes ein­ prägt hatte, Elias, der Thisbiter. Die Entzückung kam unerwartet

über die Jünger, ohne daß sie etwas dazu getan hätten. Sie hatten sich nicht geübt. Sie waren nicht in der Absicht, etwas Außer­ ordentliches zu erleben, mit dem Erlöser auf den Berg gekommen.

Es lohnt sich nicht, nach dem Glück zu Haschen. Aber streben wir redlich vorwärts, dann steht das Glück vielleicht wie eine Blume am Wege. Auf den Berg der Verklärung führt uns keine mensch­ liche Anstrengung, kein Eifer, keine besondere Regel. Weder die Seligkeit, noch das Kreuz können dem Menschen zur Beute werden. Aber wenn der Jünger sich an den Meister und

im Gehorsam an sein Gebot hält und so in seiner Liebe verbleibt, dann nimmt der Meister eines Tages den Jünger, wenn er es am

wenigstens ahnt, an der Hand und führt ihn dort hinaus.

Matth. 17,1-9 14

Worte für jeden Tag

16. Juli

Das Vertrauen des Meisters Jesus betete immer. Er suchte die Einsamkeit auf. Nur wenige Male Horen wir, daß er seine nächsten Freunde mitnahm, als er

betete. Das geschah, als er auf den Berg der Verklärung und als er in den Garten Gethsemane ging — zwei sehr verschiedenartige

Beweise von Jesu Vertrauen. Weder die Seligkeit noch das Kreuz soll sich ein Mensch auf eigne Hand zu verschaffen suchen. Beide Male erzählt Lukas, daß die Jünger schliefen. Es war

zu viel für sie, sowohl die Seligkeit wie die Trauer. Beide Male erkennen wir das Wesentliche: Der Meister war bei chnen.Wir sollen

uns treu an ihn halten. Das geschieht durch das Gebet. Aus Jesu

Vorblld wie aus seinen Worten ersehen wir, daß das vornehmste und rechte Gebet in der Einsamkeit geschieht. Die Jünger durften Jesus nicht oft beten sehen. 9lber auf dem Berg der Verklärung

betete er in ihrer Gegenwart.

Sie betrachteten chn. Eine Verwandlung ging vor sich. Und doch kannten sie ihn wieder. Sie verwunderten sich aber nicht über alle Maßen. Denn es war derselbe, geliebte Meister. Er war nur noch mehr als sonst — Er selbst. Sein Antlitz wurde ver­ klärt. Es ist nicht Willkür oder Erfindung, sondern Wahrheit und Wiedergabe der Wirklichkeit, wenn Jesus und seine Jünger, Gottes

Freunde, mit einem Strahlenglanz, einer Glorie um das Angesicht abgebildet wurden. Sie bemerkten noch etwas anderes, als sie Jesus beten sahen. Er war nicht allein, als er betete. Die Geister

der Seligen waren um chn. Sie zeigten sich einen Augenblick dem inneren Schauen der Jünger. 2m Glauben seh ich einen Schein vom erogen Vaterlande, wo ich werd immer bei Dir sein, frei von der Sünde Bande.

Luk. 9, 28f.; 22, 40f.

17. Juli

Mer Berg der Verklärung Wenn Gott redet und die ewige Welt uns etwas von ihrem Ge­ heimnis erschließt, soll der Mensch stille schweigen und warten. Als Petrus auf dem Berg der Verklärung seinen kindlichen Wunsch

vorbrachte: „Herr, hier ist gut sein. Willst du, so wollen wir hier

drei Hütten machen", wurde sein Blick verdeckt. So geht es immer

bei selbstsüchtigen Gebeten, die nicht wissen, wie man anbeten und

hinnehmen muß; denen an ihren eigenen Wünschen und ihrem eige­ nen Willen gelegen ist, nicht aber an Gottes Wunsch und Willen.

Es ist wichtiger, daß wir erfahren, was Gott will, als daß Gott erfährt, was wir wollen. Das weiß er schon

im voraus, schon ehe wir es aussprechen, wenn es auch für uns ein unabweisbares Bedürfnis ist, ihm unser Herz zu offnen und es von seiner Bürde, Trauer und Freude in Anbetung und An­

rufung zu erleichtern. Ein jeder bewahrt unter seinen Erinnerungen das Gedenken an

eine Stunde der Entzückung, einer kurzen aber kostbaren Seligkeit, die doch nur ein flüchtiges Zeichen für Gottes immerwährende Gnade und Treue ist. Freude wollte das Herz sprengen; das ganze Wesen war von Anbetung erfüllt. Oder die Verklärung wurde

als eine stille Freude empfunden, ein Sonnenstrahl fiel in das Dämmerlicht des Lebens.

Der Augenblick der Verklärung kann nicht nach einem Rezept bereitet werden. Heiligung und Andacht kommen von oben her, wenn sie echt sind. Man kann sie sich nicht nehmen. Trauer kann uns ebensogut wie Jubel erheben. Gethsemane

liegt im Leben des Christen ebenso hoch wie der Berg der Verklärung. Das Wesentliche bei beiden ist die Gegenwart des Meisters.

Das Gefühl genießt nur für kurze Minuten den Frieden. Aber, liebe Seele, kommen Not und Zweifel, dann ist der Erlöser doch da. Wisse, daß Gott da ist, und traue auf ihn!

Matth. 17, 4 Ps. 7, 2; 11, 1; 16, 1; 2$, 20; 31, 2 14*

IS. Juli

Das Grab Hab Ruhe, Jesu, wohne du in meines Herzens tiefer Ruh, hab, Jesu, hier dein Kämmerlein,

so fahr ich froh zum Grabe ein. Für uns Christen ist der Körper ebenso wie die Fähigkeiten des

Geistes und der Seele eine gute Gabe, die Gott, der Schöpfer, uns verliehen hat, damit wir sie auf rechte Weise anwenden. Wohl kann

man sich sehr nach dem Ende sehnen. Aber wir fühlen unsere Verant­

wortung, und wir fragen mit Paulus, ob wir nicht mehr von Nutzen

sein können, wenn wir bleiben und weiterstreben. 2n jedem Fall

lautet die Grundregel, treu bis zum Ende auszuharren. Wenn wir die irdischen Überreste unserer Lieben beerdigen, dann

klingen die uralten Worte der Bestattungsformel zuweilen fast schmeichelnd und holdselig: Von Erde bist du genommen und sollst

zu Erde werden. Wir denken an die Worte im 90. Psalm: „Kommt wieder, Menschenkinder". Und wir erinnern uns an das altkirchiche Lied: Schließ', Erde, deinen besten Sohn,

den Menschen schließ' in deinen Schoß. Aber dieser stille Akkord des Todes ist noch nicht verklungen, und schon übertönt das Leben, der Herold des ewigen Lebens mit seiner Posaune Tod nnb Vergänglichkeit und verkündigt: Jesus Christus, unser Erlöser, wird dich am jüngsten Tag auferwecken. Jesus hat keine Antwort für die Neugier, die seit altersher wissen

will, wie das Dasein nach dem Tod sich gestaltet. Wir halten uns an das Zeugnis, das Jesus abgelegt hat und an die christliche Er­

fahrung vom ewigen Leben, vom unzerstörbaren Leben des Geistes. „Wer da lebet nnb glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben."

1. Mose 1, 19 Matth. 10, 22 Ps. 90, 3 Joh. 11. 26; 6. 39

19. Juli In den Mhestunden der Keele stehen wir dem Gedanken an den Tod nahe Die Grenze in der Tiefe des Daseins ist überschritten. Bei Gott

sind Tod und Leben eins. Sie werden zu verschiedenen Formen des Daseins. Die sonst undurchdringliche Mauer zwischen Leben­

digen und Toten fällt, nicht für den Blick der Neugier, wohl aber für die Gewißheit, daß Gott der Herr über Leben und Tod ist. Als

die Sadduzäer den Meister damit fangen wollten, daß sie die Auf­

erstehung und das ewige Leben leugneten, antwortete Jesus: „Aber von den Toten, daß sie auferstehen werden, habt ihr nicht gelesen

im Buch Moses bei dem Busch, wie Gott zu ihm sagte und sprach:

Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? Gott aber ist nicht der Toten, sondern der Lebendigen Gott, denn für ihn leben alle." Für Gott sind alle lebendig. Wer mit ihm vereinigt ist, ist vom Tode in das Leben eingegangen. In­

mitten des höchsten Lebensgefühles ist uns der seines Schreckens entkleidete Tod gegenwärtig. An dem großen Feiertag der Trauer

erscheint das Erdenleben als eine kurze Episode in der ungestörten Gemeinschaft des ewigen Lebens. Da ist der Tod nicht mehr der

Knochenmann, wenn er auch dem natürlichen Menschen Furcht einjagt. Der Tod selbst wird der Diener des höheren Lebens. Die

Stunden der Verklärung hienieden in dem Dunkel und der Un­ klarheit der Erdenzeit geben einen Vorgeschmack von dem, was

kommen wird: Wenn alles Weh zu End wird gehn, darf ich den Himmel offen sehn;

Dein Angesicht im erogen Licht

wird ewig vor mir stehn. Dann ist mein Blick nicht mehr verdeckt, mein Leib nie mehr vom Tod erschreckt,

ich leb ohn Leid im weißen Kleid

verklärt und auferweckt.

Mark. 12, 26

Luk. 20, 37f.

20. Juli

Gottes Güte überwältigt Wir müssen in den Prüfungen des Erdenlebens und inmitten um

serer eigenen Erbärmlichkeit zuweilen einen Schein der Verklärung

sehen. Wir dürfen die Religion nicht mit der grauschmutzigen Lange­ weile und der Eintönigkeit färben, die vielleicht in unserem Gemüt und unserem Leben herrschen. So prosaisch und werktägig darf die

Religion nicht werden, daß nicht zuweilen auch der Glanz des Himmels durch die Wolken bricht. Religion ohne ideale Forderung

und Erhebung ist eine Profanierung. Eine Empfindung von dem Licht und der Seligkeit des Berges der Verklärung erhalten wir

als Geschenk in einer seltenen Stunde am gewissesten einmal, nicht indem wir danach streben, sondern wenn wir mit dem ganzem Ernst

unsres Herzens auf dem vorgezeichneten Weg in den Fußspuren des Meisters wandern. Wir sollen uns selbst solche Stunden gönnen. Worte reichen

nicht aus, um sie zu beschreiben. Warst du schon auf dem Berg der Verklärung? Es war einer bedrückt von seiner Sünde und Un­

fähigkeit. Es sah hoffnungslos aus. Der Zweifel an sich selbst war

zur Gewißheit der eigenen Untauglichkeit geworden. Vielleicht

wollte der Zweifel noch weiter gehen und auch an Gott zweifeln, an seiner Wahrheit und seiner Gnade. Die Not zwang dich herunter auf die Knie. Denn Not kann den Menschen ebenso gut auf die Knie zwingen wie anbetende Andacht. ?lber das Gebet half nichts.

Der Unfriede wuchs, die Seufzer wurden zum Stöhnen. Da be­

wahrheitete sich vielleicht unvermutet die Verheißung der göttlichen Hilfe. Es wurde der Seele klar, daß sie nur auf den Erlöser sehen mußte. Alles andere war ausgelöscht. Allein Christus war da. Da

leuchtete der Seele das Licht, die himmlische Gewißheit, daß auch sie in die Rechen derer einbegriffen ist, die Gott erlöst und um Zesu Christi willen angenommen hat. Gottes Güte kann uns so überwältigen, daß wir ihm nur danken

und chn preisen können.

Matth. 17, 1-9

Jes. 54, 7. 8

21. Juli Der Widerschein von Gottes Klarheit Gebet und Andacht veredeln immer das Angesicht eines Menschen.

Haben wir einmal einen Menschen gesehen, der ganz in Anbetung und Anrufung versunken war, alles um sich vergessend, dann be­ greifen wir die Verwandlung in des Erlösers Antlitz. Man betrachtet nicht zudringlich das Gesicht eines Menschen, der wahrhaft betet.

Aber wenn wir es einmal gesehen haben, bleibt es uns als ein heiliges Bild, als eine Erinnerung, die wir bewahren sollen. Wir lernen

auch verstehen, daß der aufrichtige Beter nicht allein, sondern von

einer heiligen Schar umgeben ist. 3ch habe oft bemerkt, daß Menschen schön, ja, fast verklärt werden,

wenn man sie im Gottesdienst sieht, wenn sie erhabene Musik hören oder wenn sie lauschen auf etwas, das ihre Herzen ergreift.

Ein Schein, der matte Widerschein von Gottes Klarheit, weilt auf ihrem Antlitz, wenn sie selbstvergessen sich in Betrachtung und

Versenkung, in Nachdenken und in Begeisterung hingeben.

Mein Blick zum Heilgen Berge geht, wo Jesus Christ verkläret steht, im Glanz so rein wie Sonnenschein,

und Gottes Odem weht. Mit Vätern längst entschwundner Zeit

spricht er von seinem Tod und Streit, daß ers vollbringt, daß er gewinnt uns allen Seligkeit.

Er gibt uns seines Glaubens Kraft, die uns die Seligkeit verschafft.

Das ewge Heil wird uns zuteil durch Gottes Vaterschaft.

Matth. 17, 1-9

2. Kor, 5, 28; 4, 6

22. Juli Der Deruk ist Keine kertige Arbeit Beruf bedeutet etwas viel Reicheres und Schöneres als etwa nur eine Tätigkeit und ein fest eingerichteter Dienst in der Gesell-

schäft. Der Berus eines Menschen enthält für gewöhnlich ein solches Amt. Eine Ausnahme bilden die Fälle, wo das Genie oder besondere Bedürfnisse sich eine Aufgabe schaffen, vielmehr von

Gott eine Aufgabe erhalten, die unabhängig ist von den durch das Zusammenleben und den Bau der Gesellschaft gegebenen

Stellen.

Handwerker, Professor,

Bauer, Hausfrau,

Richter,

Dienstmädchen, Arzt, Geistlicher, Student, das sind Berufszweige, die vor allem ihre Erfüllung verlangen. Gott sei Dank für die klar

vorgezeichnete Pflicht! Aber nun kommt eine Reihe feiner und dringender Berufungen hinzu: Mutterpflicht, Vaterpflicht, Kindes­ pflicht, Geschwisterpflicht, Freundespflicht, noch andere, Erweckerpflicht, Helserpflicht, die Ausgabe, sich mit andern zu freuen, zwischen harten Gegensätzen und Gemütern zu vermitteln, Tröster,

Kamerad, Büßer, Versöhner zu sein. Keinem Menschen fehlen

solche besonderen Pflichten, in denen er leben soll. Der Beruf ist niemals fertig. Er wird allmählich von den Arbeiten und mensch­

lichen Beziehungen unserer Umwelt aufgebaut. Vielmehr: Er

wächst. Denn der Beruf ist etwas Lebendiges. Und das Lebendige wird niemals fertig. Es ist immer im Werden. Um das Gerippe

einer gegebenen Arbeit wächst der Beruf, um seine Form, seine schone Form zu erhalten. Sie wird oft verletzt, denn wir sehen die Verpflichtung nicht, zu der wir gerufen sind. Wir überlassen uns der Verpflichtung nicht in so blinder Treue, daß sie um uns auf­ wachsen kann. Oder wir greisen ruhelos nach Dingen, die nicht zu unserem Pflichtenkreis gehören, vielleicht als Entschädigung, vielleicht auch, um das Gewissen zu betäuben.

Dein Beruf, mein Beruf erwächst, wird erbetet, wird erlebt, wird geschenkt, Stück für Stück, Tag für Tag.

Nichts von

dem, was im Leben wertvoll ist, kann man ohne ein suchendes Gemüt und wache Empfänglichkeit erlangen oder behalten.

23. Juli Kchau den wirklichen Heiland an Man hat, um Christus auf rechte Weise, in prächtigem Gewände zu ehren, das Leben in ihm zwiefach erstickt. Das geschah durch die

Dogmen, die ihn zu einem Halbgott und zu einem unwirklichen Gedankenbild machten, statt daß man Gottes Vollkommenheit sich in ihm offenbaren ließ. Weiter hat man Jesus zu einem sündlosen Tugendmenschen, zu einem moralischen Musterbild gemacht. Es war nicht einfach, diese Art Vollkommenheit mit dem Evan­

gelium in Einklang zu bringen. Es war schwierig wegzuerklären,

daß Jesus gegen die Pharisäer so böse sein konnte, daß er sogar zur Peitsche griff, um die Händler aus dem Tempel zu treiben. Solch böse Worte und Gebärden kleideten den schlecht, der in sich doch alle Tugenden vorbildlich vereinigen sollte. Schau den wirklichen Heiland an! Es kochte und brauste in seiner Brust. Was wissen wir von den Gedanken und Kämpfen seiner

Seele in der Einsamkeit mit seinem Gott! Er war ohne Sünde. Aber in keiner noch so prächtigen Reihe von Tugenden lag seine Vollkommenheit, sondern in einem brennenden und verbrennenden Feuer, das ihn verzehrte und die Seelen um ihn entzündete. Ein Jesuswort, das Origenes, nicht aber das neue Testament, bewahrt hat, lautet: „Wer mir

nahe ist, ist nahe dem Feuer; wer fern von mir ist, ist fern dem Reich."

Er ist auf Erden kommen arm, daß Er unser sich erbarm

und in dem Himmel machet reich und Seinen lieben Engeln gleich. Kyrieleis.

Matth. 21,12

Mark. 11,11

Luk. 19, 45

24. Juli Wer nur den lieben Gott läßt walten Laß nicht die Sorge überhand nehmen! Fange den Tag mit Gebet an und führe ihn mit Gebet fort! „Herr, hilf, daß ich heute zu deines heiligen Namens Ehre lebe." Das Gebet soll Dank­

sagung und Anbetung in sich schließen, wie Jesus uns im Vater­ unser gelehrt hat. „Dir, Christus, dem Kenner und Freund der

Seelen, danken wir, daß du uns verstehst und uns hilfst, auch durch das Gebet der Gebets, indem wir unsere Blicke und Gedanken

auf Gottes Ehre und Herrlichkeit hin richten." Da wird die Seele aus chrem engen Gefängnis herausgehoben. Die Tagesarbeit wird

entsprechend den drei ersten Bitten im Vaterunser ein Dienst an Gottes Namen, seinem Reich, seinem Willen, wenn wir sie mit betendem Gemüt vollbringen, das die Verbindung mit dem Himmel bewahrt. Die Arbeit wird zu Gottes Ehre getan. Dann lagert sich vielleicht, wenn du müde zur Ruhe gehst, Friede über die Seele.

„Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht."

Wer nur den lieben Gott läßt walten und hoffet auf chn allezeit, den wird er wunderbar erhalten

in aller Not und Traurigkeit. Wer Gott, dem Allerhöchsten traut,

der hat auf keinen Sand gebaut.

Matth. 6, 9f.

Ps. 121

25. Juli Die Gnade bescheret Nettung von Künden Es ist bemerkenswert, daß das Gesetz der Liebe vermag, was das Gesetz der Vergeltung niemals ausrichten kann. Die einzelnen Menschen — und das gilt auch für die Staaten und Volker —

behandeln einander nach dem Gesetz der Vergeltung. Bald will sich der eine rächen, bald der andere. So kommt es nie zu Frieden, Sicherheit und Glück in der Welt. Wer die Macht hat, denkt:

Jetzt bin ich an der Reihe, jetzt räche ich mich für das, was ich früher von anderen erleiden mußte.

Aber die vornehmste Macht in der Welt ist die Macht der Liebe. In ihr liegt Gottes Allmacht. In einem Kirchengebet heißt es,

daß Gott seine Allmacht am stärksten beweist in Schonung und

Vergebung dessen, was verfehlt wurde. Gebete, so warme, all wir vereinen,

richt nicht uns Arme, sieh wie wir's meinen! Gott Dich erbarme! Schenke den Deinen Gnade und Rettung.

Gnad' ich begehre, laß sie mich finden!

Gnade beschere uns, die in Sünden vor Deiner Ehre schattenhaft schwinden — Staub, der verweht.

Laß uns nicht fallen, laß Fürbitte gelten,

wie sie uns allen, den Sündengequälten Christ ließ erschallen. O Herr aller Welten, Dich rufen wir an!

Röm. 13,10

26. Juli

Hiobs Crtahruns Beten bedeutet, daß ein Mensch allein mit Gott redet, und daß Gott mit einer Menschenseele redet. Denn dies Wunder kann

geschehen, wie die Kinder Israel am Berge erfuhren, „daß ein Volk Gottes Stimme gehört habe aus dem Feuer reden, wie du

gehört hast, und dennoch lebet". Von solchem Herzensgebet gilt

Jesu Versprechen: „Und alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubet, werdet ihr's empsahen." Wir haben einen Schutz, eine Hilfe, nein, einen Helfer, einen Mitbeter und Fürbitter bei unserem

Gebet, den Moses und die Menschen des alten Bundes nicht hatten, den Meister selbst. Er heißt uns in seinem Namen beten. Wir wissen nur wenig von dem, was Jesus in seinen einsamen Gebeten sagte. Eine Ausnahme bildet Gethsemane. Es ist nicht gesagt, daß sich für unsere einsamen Gebete Worte

einfinden. Hanna, die Mutter Samuels, redete in ihrem Herzen. Nur ihre Lippen bewegten sich, aber man horte ihre Stimme nicht.

Der Apostel sagt: „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf." Gottes Antwort kann von Ferne erklingen, so geschah es dein

Propheten Jeremia, als Gott in der hoffnungslosen Zeit der Feind­ seligkeit und Verfolgung ihm und dem Volke versicherte: „Ich habe dich je und je geliebt." Des Herrn Antwort kann von naheher ertönen; sie kann sogar als der eigentliche Inhalt in der zerbrech­

lichen Hülle liegen, die aus den schwachen Worten oder wortlosen

Seufzern unseres Herzens gebildet wird. Ohne Zweifel sollt auch ihr die Erfahrung machen, die Hiob machte: Wie sollte ich dich beten lehren, wenn nicht durch Not

und durch alles das, was deine Kraft prüft?

Aber wartet nicht auf den Zwang äußerer Sorge, sondern redet oft mit eurem Gott! Er hat geistigen Reichtum, den er euch geben will, wenn ihr ihm nur eure Herzen öffnet; das heißt: Betet zu ihm!

Matth. 21, 22 1. Sam. 1, 13 Jer. 31, 3 Röm. 8, 26

27. Juli

Die gestörte Gemeinschaft Wenn irgend eine Sache in Unordnung geraten ist, muß unter

Umständen viel Mühe aufgewandt werden, um sie wieder in Stand zu setzen. Noch schwieriger ist es, wenn es sich um das Leben und

um lebendige Wesen handelt. Hat die Entzündung um sich gegriffen, ist vielleicht ein Eingriff notwendig, der den Organismus recht gewaltsam heimsucht und tief in seine empfindlichen Teile einschneidet.

So geht es auch mit dem Organismus der Gesellschaft und der

Menschheit. Der Krankheitskeim und die Vergiftung sind so tief in die einzelnen Menschenseelen, in die Zusammengehörigkeit der Menschen untereinander und in ihr Zusammenleben eingedrungen, der Zusammenhang zwischen den Generationen und der Zusammen-

hang im menschlichen Handeln sind so krank und verderbt geworden,

daß ein gewaltsamer und schmerzhafter Eingriff gemacht werden muß, um das Leben zu retten und die Gesundheit, wenn möglich, wiederherzustellen. Das ist das Gesetz für alles Lebendige. Man

hat es von altersher geahnt. Es liegt dem Opferwesen zu Grunde.

Die Menschheit muß Christus dankbar sein, der, selbst am Kreuzes­ stamm geopfert, den blutigen Opferdienst abgeschafft hat. Das Licht hat den Alpdruck heidnischer Gottesverehrung vertrieben. Trotzdem liegt im Opferbrauch die dunkle Ahnung einer Störung

im Dasein der Menschheit, die zurechtgestellt werden muß. Der

neue Bund kostete Schmerz und Aufopferung. Er kostete der Menschheit kostbarstes und bestes Blut, den eingeborenen Sohn, die edelste Gestalt unter den Heiligen und Helden. So von Grund aus müssen wir die Sache nehmen; so unerhört war der Zusammen-

hang. Die Bosheit mußte sich in ihrer Scheußlichkeit zeigen. Man

konnte sie nicht einfach verbergen, sich stellen, als ob sie nicht da wäre, ihr aus dem Wege gehen, sondern man mußte ihr von Angesicht zu Angesicht, Brust gegen Brust gegenübertreten auf

dem geraden Weg, der Gottes Weg ist. Gottes Weg führte aber über Golgatha.

Hebr. 9, 11-15; 7, 26s.

28. Juli

Aklave und doch frei Jesus sagte zu den Jüngern: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte, wir haben

getan, was wir zu tun schuldig waren." Das ist das Sklavenwort

im Evangelium. Es erscheint uns streng, summarisch, gefühllos.

Es ist eine Sklavenregel. Dies tritt noch mehr hervor, wenn wir

uns an das Gleichnis erinnern. Der Knecht ist draußen und pflügt oder weidet das Vieh. Wenn er vom Felde heimkommt, sagt der

Herr nicht zu Hm: „Setze dich zu Tisch!", sondern: „Richte zu, was ich zu Abend esse, schürze dich und diene mir! Darnach sollst

du auch essen und trinken." Der Herr dankt auch nicht dem Knecht besonders, daß er getan hat, was ganz einfach seine Schuldigkeit war. Also auch ihr! Ein hartes Wort. Ich sage: Das verläßlichste und trostreichste

Wort. Man braucht nicht darauf hinzuweisen, daß wir nicht jeden einzelnen Zug im Gleichnis ausdeuten dürfen. Nur darauf kommt es an, daß jede Andeutung des Lohngedankens oder der eigenen Auszeichnung, des Verdienstes oder Lobes hier ausgeschlossen wird.

Bei dem Knecht ist kein Raum für Willkür, Unternehmungsgeist oder eigene Wahl, kein Raum für Eigenes. Das Leben wird voll­

kommen dem einen untergeordnet: Das ist dir auferlegt, du hast

nur zu tun, was du zu tun schuldig bist.

Luk. 17, 10; 17, J-10

29. Juli

„Wir sind unnütze Knechte" „Wir haben nur getan, was wir zu tun schuldig waren." Unnütze

Knechte — in diesen beiden Worten sind die Niedrigkeit und Erhabenheit des christlichen Berufs ausgedrückt. „Unnütz" — nur

ganz einfach die Schuldigkeit — nichts Außerordentliches — nichts für uns selbst. Die Große liegt in dem „Knechte" — denn das

bedeutet Diener des Herrn, erhoben zu seinem Dienst, in seinem

Haus. Es ist die große unverdiente Ehre, seinem Hause anzugehören und der geringste, aber treue Knecht in seinem Hause zu sein.

Wenn der Knecht seinen Dienst getan hat, was sängt er dann an? Wartet er aus die Wirkung? Beunruhigt ihn sein Werk? Ich weiß etwas davon: Er wirft sich vor, was er vergessen und ver­

säumt hat. Seine Gedanken kreisen voller Sorge und Angst um das Getane. Darf er verweilen und sich am Erfolg freuen — die

Früchte einernten? Nein. Nun werde ich erzählen, was der Knecht tun muß, wenn eine Arbeit zu Ende ist. Er geht an die nächste. Er sammelt in der Stille seine Gedanken tatkräftig für die nächste

Obliegenheit. Das ist die Regel für ein sicheres Leben. . Die Tage sind verschieden: Arbeitstage — Ruhetage. Die Ar­

beiten sind verschiedenartig: schwere Arbeiten — leichte Arbeiten. Tage, die prickeln und berauschen wie Frühlingsluft im Sonnen­

schein. Tote, lustlose Tage. Arbeiten, bei denen es in uns singt und klingt von großer Erwartung und Freude, von neuen Möglichkeiten.

Arbeiten, vor denen uns graut. Da sind vollkommene Selbst­ beherrschung und Wagemut notwendig, um in chnen unterzutauchen. Gott helfe uns, daß wir seine Hand so stark über uns fühlen, daß für uns gar nicht die Frage austaucht, ob wir uns chr entziehen können. Herr, halte deine Hand fest um uns! Zwinge uns in deinen

Dienst! Entziehe uns jede Wahl, alle Ansprüche! Mache uns

gehorsam, getrost und selig!

Luk. 17,10

30. Juli

Das ist dir auferlegt Es ist kein Raum da für die eigene Freiheit. Wir mochten uns gerne dies oder jenes vornehmen, was unsere Einbildung lockt und vielleicht unsere Gedanken beschäftigt. Ich meine, wir mochten gerne etwas Besonderes oder anderes tun als das uns Auferlegte. Aber wir finden bald, daß darin unsere Unsicherheit und unser Unglück liegen. Das einzig Sichere und Tröstliche ist, die Sklaven­

arbeit bei dem Herrn auszuführen. Wir müssen lernen, wachsam,

im Gebet und mit suchendem Gemüt zu sehen, zu finden, zu fühlen, was uns auserlegt ist, und es ohne Umschweife zu tun. Diese Regel allein vermag uns annähernd eine bleibende Erfahrung von Freiheit

und Sicherheit zu geben. Denn es gibt keine andere Freiheit, die diesen Namen verdient, als die, unter dem Zwang des Herrn zu leben. Hier handelt es sich nicht um eine abstrakte Pflichtenlehre,

die uns ein gutes Gewissen verleiht, sondern es handelt sich um

das Leben als Dienst, in dem wir nur lauter, gehorsam und ohne

Hintergedanken zu fragen haben: Was ist mir auferlegt? Nichts anderes kann uns aus der flatternden Unruhe unseres eigenen Herzens und der Verhältnisse heraushelfen als dieses Jm-Dienst-stehen, bei dem wir keine Wahl haben und keinen Dank erwarten können.

Beugen wir uns unter den harten Griff, dann merken wir, daß es ein seliger Zwang ist, daß es ein fester und wohltätiger, väter­ licher Zugriff ist. In diesem Sinn sollen wir jeden Dienst tun, der uns auferlegt wird — an jedem Tag, der uns gegeben ist.

Umwertung „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." „Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan."

Jesus erscheint uns in der Gestalt von Menschen, die unserer Hilfe bedürfen. Auch die geringste Erfahrung einer solchen Begegnung mit dem Erlöser, wie Jesus es hier in den Worten an­

deutet, macht uns deutlich, daß kein Glanz, keine Schönheit, keine Große in Kirche oder Kunst und Wissenschaft oder irgendeiner anderen menschlichen Tätigkeit der Offenbarung von Christi Liebe und Heiligkeit in gegenseitiger Hilfe und Vergebung der Menschen gleichkommt. Wer nicht das Große in den kleinen Verpflichtungen

und Ereignissen des Lebens erkennen kann, dem ist die reinste Schön­ heit verborgen, so wie er sich ängstlich die brutale Not des armen Menschenlebens zu verbergen sucht. Das Bild, das Jesus vor uns hinstellt, läßt sich so sehr auf unsere

eigenen Verhältnisse und Möglichkeiten anwenden, daß wir kaum

in all das einzudringen wagen, was das Bild uns zu bedenken zwingt. Das Piedestal, das die Verehrung der Menschheit für

Jesus aufgebaut hat, ist mit der Zeit immer höher geworden. Es

ist nichts anderes als eine schuldige Gabe für ihn. Aber zugleich ent-

ftemdet und entfernt ihn diese Erhöhung in gewissem Maße von uns. In der Geschichte von denen, die zu seiner Rechten, und

denen, die zu seiner Linken stehen, kommt er einem jeden von uns gefährlich nahe und stellt die üblichen Ansichten und Gewohnheiten

auf den Kopf. Er verwandelt die üblichen Werte, er nimmt eine Umwertung vor, die uns verzweifelt klein und schuldig werden läßt.

Herr, erbarme dich unser!

Matth. 25. 40. 45; 25, 31-45; 25, 41 15

Worte für jeden Tag

1. August

Ja und Mein Hatte Goethe nicht recht, als er sagte, daß der große Kampf in

der Welt um Glauben und Unglauben geht? Dieser Kampf ist ein Streit zwischen Za und Nein. Paulus schildert im zweiten

Korintherbrief den Glauben als das Za und Amen der Geschichte, die Bestätigung der Verheißungen Gottes. „Denn der Sohn Gottes, Zesus Christus, der war nicht Za und Nein, sondern es

war Za in ihm. Denn alle Gottesverheißungen sind Za in ihm und sind Amen in ihm, Gott zu Lobe durch uns." Der Glaube

ist nicht eine Ansicht, zu der man gelangt, wenn man untersucht hat, wie es in der Welt aussieht und zugeht, sondern der Glaube ist eine Eroberung. Ohne Glaube ist keine Erkenntnis möglich. Zede Ansicht, die mit einer geistigen oder materiellen Wirklichkeit

rechnet, ruht zuletzt auf einem Willensakk des Menschen. Jede

Wissenschaft, die damit rechnet, daß ihr Gegenstand wirklich ist,

gründet sich auf einen Glaubensakt. Denn keine Untersuchung kann

feststellen, daß etwas wirklich da ist. Wir bedienen uns unsrer Sinneswahrnehmungen. Sie sind in uns, nicht außerhalb von uns. Nehmen wir an oder „wissen" wir, daß etwas unabhängig von uns selbst Dasein besitzt, so beruht dies auf einem kühnen Sprung unseres Glaubens, der sich zu einer solchen Gewißheit außerhalb

unserer Sinneswahrnehmungen berechtigt fühlt. ?lber hier wird von dem christlichen Glauben noch weit mehr

bejaht, nicht nur, daß überhaupt etwas da ist, sondern die Wirk­ lichkeit aller Wirklichkeit, Gottes Schöpferwille, sein Erlösungs­ ratschluß, der von Jesus Christus ausgeführt wurde. Nur ein solcher

Glaube vermag meinem Leben und der ganzen Geschichte Sinn und Ziel zu geben. Wohl sieht der Glaube, daß die Welt, das Leben und die Geschichte keineswegs sich so harmonisch gestalten, wie unsere gute Meinung und unser Denken es wünschten; vielmehr

ist unser Geschlecht durch eigene Schuld in eine, wie es scheint,

hoffnungslose und jedenfalls tragische Verwicklung geraten. Aber das Ja ist im Grunde doch da hinter allem Nein. Jesus ist bei uns ini

Schiff. Gott ist der Herr, der es lenkt. Wir verstehen nichts. Aber der Glaube ergreift die einzig zuverlässige und wahre Wirklichkeit in allem Scheinwesen, hinter allem Vergänglichen und unter all

dem im Weg Stehenden und Aufsehen erregenden Vielerlei, das dazu verurteilt ist, im Feuer des Gerichtes zu verbrennen.

2. Kor. 1,19.20

2. August

Trachtet am ersten nach dem Deiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit Das Große an der heutigen Wissenschaft ist, daß die Erkenntnis

der Zusammenhänge gewachsen ist. Der Zusammenhang ist der

Zauber der Erkenntnis. Wir sehen und verstehen, wie alles mit­ einander verbunden ist. Dieser große Zusammenhang in der Welt

erscheint uns als eine Entwicklung von unten nach oben, vom Niedrigen, Unentwickelten auf einem Weg mit vielen Meilen­

steinen zu den höheren Lebensformen.

Dieses von unten her Gewordensein ist nicht etwas, was uns hier unten festhält. Nein, in der Entwicklung offenbart sich, was von oben ist, mit immer stärkerer Macht. Da kommt ein Leben zum

Vorschein, das nicht für das, was diese Erde ist oder hat, gelebt wird, sondern für höhere Werte; ein „du sollst" tritt auf, das sich gegen die Begierde, gegen jede kluge Berechnung erhebt, es ist unerbittlich; ein „du darfst" tritt auf und überströmt das Leben

mit einer Seligkeit und Gnade, wie die Welt sie nicht kennt. „Herr,

wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde." Sag an, was ist wirklicher, die Pflanze und das Tier, die wachsen und sterben, oder der Glaube und die Liebe, die in der Gestalt Jesu

dem Tod und der Vergänglichkeit trotzen? Was ist wirklicher, was hat mehr Bestand, und was birgt mehr Wahrheit in sich: Die grünenden Felder der Erde oder „das heilige Reich", das „nicht

von dieser Welt ist"? Gewiß ist, daß jeder vor die Wahl gestellt wird und daß ihr keiner entgehen kann. Willst du wie die Pflanze, wie das Tier leben, als Menschentier, oder willst du für Recht und Gerechtigkeit leben, dafür, daß das Bild der Wahrheit und Schönheit in deiner Seele Wirklichkeit wird? Willst du für Macht und Genuß leben, oder willst du für

den Sieg der Liebe über Trägheit, Hochmut und die Lust in dir selbst und in der Welt kämpfen? Willst du als Menschentier oder als Menschen soh n leben?

Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit!

Matth, 6,33 15*

Ps. 73, 25

Joh. 18, 36

3. August Von unten hinsuk Sag, was steht in deinem Leben an erster Stelle, das von Unten

oder das von Oben? Welches von beiden ist die wahre Wirklichkeit? Was schätzest du hoher, Gottes Welt droben oder das Leben hier

unten? Es ist weit von unten nach oben. Wie kann man zu dem höheren Leben gelangen? Soll man sich wie Münchhausen selbst hochheben?

Es gibt einen, der steht hoher und reicht die Hand, wenn du es wagst, ihm deine Hand entgegenzustrecken. Fühlst du dich schwach, daß du die Hand nicht erheben und hinaufreichen kannst — fühlst du

eine Scheu, so daß du nicht in seine Hand einschlagen magst? Dann kommt er und nimmt dich brüderlich in den Arm, damit du weißt, daß du dorthin gehörst, zu dem, was droben ist, zu Jesus, dem Bruder,

in Gottes Welt, auch wenn dich das Gewissen daraus verbannt.

Je treuer wir in dem leben, was droben ist, desto gewisser wird uns, daß diese Wirklichkeit alles übersteigt. „So jemand will seinen

Willen tun, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder

ob ich von mir selbst rede."

Erhöre, Herr, erhör mein heißes Flehen! Im Streite schwankend, ruf ich immer wieder. Laß des Erlösers Retterhand mich sehen;

wie Petrus sink ich in die Tiefe nieder. Ich glaube, Herr, besiege Du mein Zagen! Zur Besserung stärk meinen matten Willen und laß mein Fleisch nicht mehr nach Jrdschem jagen, laß Deine Liebe meine Sehnsucht stillen.

Joh. 7,17

4. August

Güte ist stärker als Gewalt Jesus stellt in der Bergpredigt zwei Grundgesetze einander gegenüber, das Gesetz der Vergeltung und das Gesetz der Liebe. Es gibt für den natürlichen Menschen nichts Selbstverständ­

licheres und Natürlicheres, als daß man Gleiches mit Gleichem vergüt. Wenn dir jemand eine Wohltat erwiesen hat, so sollst du

chm wieder eine Wohltat erweisen. Das Zusammenleben wird wie ein Handel oder wie ein Geschäft geregelt. Mit dem Guten, das ich tue, erkaufe ich mir Vorteile, Freundlichkeit und Gegengaben von meinen Nächsten. Das scheint ein ehrliches Geschäft zu sein.

Aber Jesus billigt ein solches Verfahren nicht. Wenn man Gäste einlädt, um wieder eingeladen zu werden, so hat eine solche Freund­

lichkeit für Christus keinen sittlichen Wert. Wenn du Unrecht leidest, so ist der erste Gedanke des alten Adam

in deinem Herzen: Das will ich ihm heimzahlen! Und du freust dich bei dem Gedanken, deinem Nächsten als Vergeltung Un­

annehmlichkeiten oder Schaden zuzufügen. Vergeltung ist süß. Rache ist süß. Wenn dich jemand schlecht behandelt hat, wirst du zornig und willst es ihm gleich zurückzahlen. Man findet es erniedri­

gend und beschämend, böse Worte, Streiche oder Schläge entgegen­ zunehmen, ohne sie zurückzugeben.

Hier sagt nun Jesus gerade das Gegenteil: Es ist mutiger und männlicher, sich zu beherrschen, als wiederzuschlagen. Wie soll ein

Christ dann dem Unrecht begegnen? Antwort: Nicht mit gleichen Waffen, sondern mit andern Waffen, mit den Waffen der Liebe. Dies ist die einzige Art, wie man das Bose wirklich überwinden

kann. Paulus befolgte Jesu Anweisung und ermahnte: „Ver­ gilt nicht Boses mit Bösem; laß dich nicht das Bose überwinden,

sondern überwinde das Bose mit Gutem"! Diese Regel mag uns wunderlich erscheinen. Aber wer sie er­

probt, erfährt chre Richtigkeit. Güte ist stärker als Gewalt.

Röm. 12, 17-21

Matth. 5, 32f.

5. August

Außerhalb des Leiches der Wahrheit Ein Mensch ist von Natur liebenswürdig, vielleicht begabt. Er ist in seiner Einstellung loyal, ist vielleicht ein guter Bürger.

Solche Menschen sind wertvolle Glieder der Gesellschaft. Sie erfüllen die Forderungen bürgerlicher Gerechtigkeit, gelten vielleicht als Christen. Aber Gottes Reich ist nicht in ihnen; sie kennen nicht das Leben des Geistes. Sie empfinden wohl seinen Hauch in der

Berührung mit Religion, Musik, Dichtkunst und in den bered-

ten Geschehnissen des Menschenlebens. Sie nehmen ihren gege­ benen Platz im Reiche der Natur und in der Welt der mensch­ lichen Gesellschaft ein. Aber ihr Platz im Reich der Wahrheit ist leer und wartet traurig auf sie. Dies ist wehmütig, gerade wenn man daran denkt, was ihr An­ teil am Reich der Wahrheit für ihren ganzen Lebenskreis bedeuten

könnte. Er würde ihrer Seele Hunger und Durst nach Gerechtig­ keit einimpfen. Er würde vieles unbarmherzig verurteilen, was

unbeanstandet in ihrem Leben mit unterläuft, und sie einer un­ geahnten Strenge gegenüberstellen. Er würde ihr Gewissen pein­

lich schärfen, vor allem sich selbst gegenüber, wenn Liebe und Gerech­ tigkeit gegen den Nächsten und im öffentlichen Leben es fordern.

Aber der Platz, der im Reich der Wahrheit auf sie wartet, bedeutet gleichzeitig, daß sie auf den Boden der Ewigkeit hinübergezogen würden, mit ihren Forderungen, mit ihrem Ernst, aber auch mit ihrer holden, unverrückbaren Gewißheit. Die Zugehörigkeit zum Reich der Wahrheit heiligt die Gaben der Natur, erhöht und steigert unser Ideal vom sozialen Leben.

Aber das ist nicht die Hauptsache, sondern die Tatsache ist unend­ lich wehmütig, daß die Seele heimatlos ist, solange sie nicht der Stimme der Wahrheit lauscht, ihrem Reich angehört, ihrem Kö­ nige huldigt und ihn liebt. „Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme." Jesus denkt, daß seine Wahrheit für das Men­

schenherz wie ein Heimatklang ist.

Röm. 13,1

Matth. 5,6

Joh.8,37

6. August

Ich Will, daß ihr seid, wo ich bin Thomas sagte zu Ihm: „Herr, wir wissen nicht, wo Du hingehst;

und wie können wir den Weg wissen?" Jesus würde weggehen. Wohin? Auf welchem Wege? Der Weg ist dunkel und irrsam. Gibt es nicht sehr viele, allzuviele Wege? Welches ist der rechte Weg? Lockende Wege, schwere Wege, breite Wege, schmale Wege, wohin führen sie? Welchen soll ich ein schlagen?

Es kann auch vorkommen, daß sich überhaupt kein Weg bietet.

Kannst du überhaupt einen Weg sehen? Der Weg ist aufgerissen. Er hort auf. Vorne ist der Abgrund oder die undurchdringliche Felswand. Es ist unmöglich weiterzukommen. Ein Plan ist dazu da, Anweisungen zu geben. Die Pläne, die

zur Weisung der Menschen die Lebenswege vorzeichnen, nennen

wir Lehren, Religionen, Philosophien, Methoden. Sie sind nütz­

lich und notwendig. Aber was Jesus für uns zuwege gebracht und

uns hinterlassen hat, ist weder ein Plan, noch eine Lehre, noch eine Religion im gewohnten Sinne. Er sagt: „Ich selbst bin der Weg. Der sicherste Weg, recht zu gehen und nicht irre zu gehen, ist, einem zu folgen, der vorangeht, der den Weg kennt und über alle Hinder­ nisse hinweg zum Ziel gelangt. Ergreife Jesu Hand, folge ihm, so findet sich ein Weg, wo du deinen vorher gesehen, und du schlägst

den rechten ein unter all den irrsamen Pfaden. Von dem Weg des Lebens und dem Weg, der zum Vater führt, erklärt Jesus, daß Er allein ihn kennt. Niemand kommt zum Vater denn durch Ihn.

So nimm denn meine Hände und führe mich

bis an mein selig Ende und ewiglich.

joh, 14,;

7. August

„Gott sitzt im Legimente" Das Unkrallt, das Böse, das Unglück? Jesus hat keine andere Erklärung als diese: Der Feind hat es getan. Es ist Gottes Welt fremd. Später hat man es zeitgemäß gesunden, den Teufel vom theologischen Konto abzuschreiben. Auf dem Papier geht das leicht.

Jesus nahm die Sache gründlicher. Sein Leben war ein einziger

Kampf gegen den bösen oder irregeleiteten Willen, gegen schuld­ hafte Verstrickung, Not und Tod in der Welt. Er wollte den Teufel vernichten. „Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht

gepflanzt hat, soll mit der Wurzel ausgerottet werden." Gott wird im Regiment sitzen. Wer leben will, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich ohne Erbarmen dem Gericht und dem Dienst der

Wahrheit zu unterwerfen. Leben mit Christus bedeutet, einen reinen,

starken Willen haben, der allem zum Trotz vertrauensvoll im Dienst der Liebe wirkt. Vertrauensvoll deshalb, weil der innerste Sinn und das gewisse Ziel des Daseins Leben ist, der Sieg des erlösenden

Gotteswillens. Solcher Art ist der Lebensglaube und der Gottesglaube des Christentums. Brüder, man scheut sich, die großen, herrlichen Worte im Neuen Testament in den Mund zu nehmen. Kleiden wir uns in die Gewänder der bedeutenden religiösen Männer, so

tritt die Armseligkeit und Dürftigkeit unserer eigenen Religion um so schlimmer hervor. Man wächst ja nicht dadurch, daß man

das Gewand eines größeren anzieht. Aber wir bedürfen trotzdem der Großen. Es ist töricht, nicht mit ihnen umzugehen. Sie können helfen und den Gesichtskreis erweitern.

Was unsre Großen stets gesucht auf Erden ihr ganzes reiches, schönes Leben lang, wohl ist es wert von uns gesucht zu werden. O, es ist schön, sich chnen anzureihen,

auch wenn wir nur die Kleinsten, Letzten seien. Denn was sie getan haben, haben sie auch für uns getan.

Matth. 13, 24-30; 15, 13; 25, 40

8. August

Von oben her, von unten her Man hat versucht, Jesus in die Ferne zu rücken, chn zu einer Art Gott oder Halbgott zu machen, so hoch erhaben über uns und so weit von uns, daß er nicht mehr richtig mit uns reden kann. Man läßt ihn höchstens herablassend umhergehen wie einen Priester auf

einem Fest für Arme. Nein — der Sinn des Christentums ist der, daß sich das Göttliche nur hier unten unter den Menschen wirklich offenbaren kann. Jede Gotteserkenntnis, die irgendwo anders be­ ginnt — bei einem thronenden Weltenherrscher oder bei einer Art

Weltgeist, der das Wetter beherrscht — ist eigentlich Heidentum. Die christliche Gotteserkenntnis fängt in dem Menschen Jesus Christus damit an, daß wir das Göttliche in einem menschlichen Leben sehen, und sie besteht in der Erfahrung sittlicher Erlösung. Heidentum ist es auch, wenn Christus selbst zum Abgott wird.

Jesus sagt nicht: „Ich bin von oben her, Gott — chr seid von

unten her, Menschen. Ich bin von oben her, von einem andern Ge­ schlecht als ihr. Ihr seid von unten her, Menschen." Nein, Jesu Wort gilt den Pharisäern, nicht den Menschen. Das ist von größter Bedeutung. Das ist wohl offenkundig, aber es wird nicht an­

gewandt. Wir sind hinieden nicht einsam. Jesus Christus ist bei uns. Hier wird ein Unterschied im sittlichen Urteil gemacht, aber kein Rassenunterschied zwischen Gottheit und Menschheit. Dieses Urteil ist furchtbar. Denn die Pharisäer glaubten ja, daß sie alles wohl

bestellt hätten. Deshalb waren sie des Todes — von unten her. Gott helfe uns, daß unsere Welt niemals so fertig und abgerundet und abgeschlossen wird, daß kein Lufthauch von oben her mehr

hineinkann.

Der Psalmist hebt seine Augen auf zu den Bergen, da er sich nach Hilfe sehnt. „Meine Hilfe kommt von dem Herrn." Göttliche Hilfe, göttliche Erlösung, das bedeutet das Von oben her des

Geistes.

Ps. 121

Joh. 8, 23; 3, 31

9. August

Tieker herunter, höher hinauk Unterklasse, Oberklasse. Jesus sagte zu den Pharisäern: Ihr

seid von unten her, ich bin von oben her. Unten, oben. Wer will nicht nach oben gehören? Hinaust höher! Excelsior! Was liegt

nicht alles in einem solchen Ruf! Er hallt in jeder Menschenseele

wider.

Von altersher haben die Menschen die Blicke aufwärts

gerichtet, sehnende Blicke und betende Hände. „Ich hebe meine Augen auf zu dem Berg und der Wohnung Gottes." Jesus sagt: „Ich bin von oben her, aber ihr seid von unten her." Es wurde ihm eng unter ihnen, in diesem Leben von unten her. Er gehörte der Welt an, die droben ist. Er mußte häufig dorthin,

um Atem zu holen. Das geschah im Gebet. Hier konnte er frei atmen. Aber der harte Zusammenhang der Vergänglichkeit und

der Druck des Bösen drangen gewaltsamer auf ihn ein als aus andere, so daß es für seine beklommene Seele schwer wurde, hinaufzugelangen und Atem zu holen. Folge ihm, wenn er seine Zuflucht

zu dem nimmt, was droben ist. Er wollte nicht allein sein. Kommt

mit, sagte er zu Johannes und Jakobus und Petrus. Wachet mit mir, betet mit mir! Er wollte sie bei sich haben. Aber es gelang nicht.

Von oben her! Was meint ihr, wie erwies er sich? Ich habe nie an die Gethsemanebilder glauben können, die ein emporgerichtetes

Antlitz und gefaltete Hände zeigen. Eher glaube ich da dem Bilde in der Dreifaltigkeitskirche, das einen Menschen darstellt, der sich in Angst windet und das Gesicht in den Händen verbirgt. Hinunter, hinein, tiefer hinunter, höher hinauf — nennt es, wie ihr wollt. Das ist Jesus von oben her. Er kam vorwärts. Er lebte und atmete in Gottes Welt. Dort in Gethsemane stand er am höchsten. „Es erschien ihn; aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn."

Joh. 6, 23 Matth. 26, 36f. Mark. 14, 32f. Luk. 22, 43

10. August

Gibt es Einen — dort droben? Wir sind f)uneben — mit unserer Mühe, mit unserer Kultur,

unserer Geschichte, unserem Leiden, unserem Mitleid, mit der Aus­ bildung unserer Persönlichkeit, unserer andächtigen Bewunderung,

mit schönen christlichen Idealen. Betrachtet die geistige Welt, in der wir leben, in ihrer Mannigfaltigkeit! Wir sind die Herren der Erde

und gewillt sie zu verwandeln. Gibt es Einen dort oben? Wir sind hier mit richtunggebenden Gedanken. Wir sind überzeugt, daß Leben und Arbeit ohne den Glauben an eine alles umfassende

Vernunft, an einen allem innewohnenden Sinn, an Gott, sinnlos und wertlos werden, wir sind überzeugt, daß dieser Glaube not­ wendig ist. Wir sind hier — ach wären wir nur alle hier! — und

arbeiten heldenmütig mit der stolzesten Hypothese — aber gibt es

wirklich Einen dort oben? Gibt es einen, der uns hört? Gibt es einen, zu innerst, in der Tiefe unseres Innern? Nicht nur als das Echo unserer eigenen

Stimme, unseres eigenen Wesens, das aus der dunklen Tiefe der Persönlichkeit widerhallt, sondern eine Wirklichkeit, reicher und größer als unsere eigene, jemand, den wir anbeten, dem wir uns anvertrauen können? Der innerste Raum in der Seele weitet er sich, nicht, wie die Alten glaubten, daß sich die Gräber zu einem Totenreich weiteten, fonbern vereinigen sich die Lebensräume in der verborgenen Tiefe der Herzen, da, wo wir die Knie beugen und Hilfe suchen, vereinigen sie sich zu einem Lebensreich? Gibt es Einen da drinnen?

Auf diese Frage kann keine Wissenschaft Antwort geben. Weder Gedankenarbeit noch Beweise können uns davon überzeugen. Aber wenn jemand die überwältigende Erfahrung gemacht hat,

dann trotzt die Gewißheit der geistigen Welt und der Wirklichkeit Gottes allen verstandesmäßigen Überlegungen und allen wider­ streitenden Erscheinungen. Nichts vermag diese Gewißheit, wo sie ernstlich als Lebenshypothese aufgestellt wird und sich dann

bewahrheitet, umzustoßen.

11. August

Ich erachte es kür ein Glück, wenn auch ein teuer erkauktes, wenn ein Mensch sich des Augenblicks erinnern kann, da der Vor­ hang im Allerheiligsten der Seele zerriß und man einen Blick tun durfte in das, was drinnen ist: Gottes Herz. Diese Erfahrung kam nach Zeiten der Unklarheit und äußerster Anstrengung. Nach

Gebeten und Flehen, die scheinbar nicht hinaufgelangten. Gibt

es einen, der uns hort? Ist nicht das Ganze ein Irrtum? Laß mich dich fühlen, Herr! Hilf mir! Nichts empfanden wir als eine noch

schrecklichere Leere, Angst und Verdammung. Der Zweifel in der Seele wurde noch verstärkt durch unvoll­ kommene Formulierungen, die, als sie unrettbar zusammenstürzten, das bißchen Glauben und Sicherheit, das noch im Herzen war,

mit sich zu ziehen drohten. Wer das erlebt hat, kann die theologische Frage nach einer rechten Lehre niemals gering achten oder mit

Gleichgültigkeit hinnehmen. Wer nicht selbst in seinem inneren Leben einen schmerzhaften und furchtbaren Kampf mit ererbten kirchlichen und religiösen Vorstellungen durchgekämpft hat, der hat nicht das gleiche Recht, auch nicht die Autorität, über alte oder neuere Theologie zu urteilen. Die Schmähungen gegen alte

oder neue Theologie, die nicht einen Glaubenskampf hinter sich

haben, wirken leichtfertig. Aus dem Zweifel und der sittlichen Angst wurde ein Gefängnis. Die engen Wände versperrten die Aussicht. Der Geist pochte und rief, er bebte und sank müde in sich zusammen. Schwerer Schlaf

kam nach langen, heißen Gebeten. Waren es nicht aussichtslose, einsame Rufe ins All? Still — ach, ich wage nicht zu lauschen!

Steht nicht einer höhnend hinter mir? Man wagte nicht aufzu­ hören aus Furcht vor der kühlen Schlußfolgerung, die sich ein­

stellen und allem ein Ende machen würde.

Bis es wie eine

Offenbarung durch des Gekreuzigten Bild über uns kam: Rufe

nicht, Er ist ja ganz nahe bei dir!

12. August

Das Leben hat alles wunderbar gefügt, wenn wir darauf zurückblicken. Etwas, das für uns Leben oder Tod bedeutete, entschied sich durch das Zusammentreffen von Er­ eignissen so wunderbar, daß ein ernsthafter Mensch nicht an einen

günstigen Zufall glauben kann. Aber davon kann man nicht leicht mit anderen sprechen. Die schwere Verpflichtung, etwas von seinem Eigensten zu offenbaren, entsteht nicht, wenn es sich um äußere Ereignisse handelt, die je nach dem Ausgangspunkt der Betrachtung

verschiedenartig erscheinen.

Auch in dem rein inneren Leben ist die Krisis, mit der vielleicht

ein persönliches religiöses Leben begonnen hat, nicht unbedingt der einzige Anhaltspunkt, der eine zeitlich genau bestimmbare Er­

innerung zu bieten vermag. Das Leben verfloß vielleicht in warmer Hingabe an erfolgreiche

Arbeit. Licht fiel auf den Weg; der Beruf war gesegnet. Licht fiel in die Seele. Sorget nicht für den morgenden Tag! Jeder Tag

war reich genug, um seine Arbeit freimütig zu verrichten. Da kam wie ein zermalmender Schlag die furchtbare Gewißheit, daß Gott unendlich viel strenger ist, als wir ahnten oder dachten. Keiner kann

ihn sehen und leben. Herr, gehe von mir! Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.

Wer des Herrn Griff gefühlt hat, kann vielleicht im Kleinen oder Großen von dem Weg abweichen, den er gehen soll, aber diesen Griff kann er niemals vergessen, und er wird immer nahe oder ferne die Gewißheit eines Wächters, Richters und Helfers über

sich fühlen. Hilf uns, milder Herre Gott!

Maith. 6, 34

Hebr. 10, 31

13. August

Die Lraktquelle und der Becher Vor Gott leben bedeutet: täglich die Kraftquelle gebrauchen!

Der Becher, mit dem man sich Labung holen kann, heißt persön­

liche Wahrheit und Auftichtigkeit. Benutzt man diesen Becher nicht, so wird das Wasser kraftlos oder wirkt verderblich. Die Gewißheit einer geistigen Wirklichkeit können wir ohne

besondere, mit dem Verstand nicht genau bestimmbare Erfahrungen besitzen. Sie kann ein ohne persönliche Krisis dankbar übernommenes Erbteil christlicher Vorfahren sein oder auch eine Lebenslust, die

man in der Christenheit einatmet und sich zunutze macht, ohne sie

jemals zu bezweifeln oder zu untersuchen. Die Gottesgewißheit kann auch immer mehr zu einer persön­

lichen Gewißheit werden, wenn wir sie — vielleicht mit dem Mut der Verzweiflung — zu einer Lebenshypothese machen. Man wagt den Versuch. Das Gewissen fordert es. Und es gelingt. Ze treuer sich ein Mensch an die göttliche Wirklichkeit hält, desto gewisser

wird sie ihm. Ze strenger er dies, sein Dasein zu einer Welt der Pflicht macht, zu einem „Gewissensleben", desto klarer und näher sieht er Gottes Himmel sich darüber wölben. Die Pflicht erwächst seinem Leben als ein allbeherrschender, seliger Zwang, in dem er

sich aus dem Naturzusammenhang in einen göttlichen Zusammen­ hang gehoben fühlt. Dieser absolute Zwang ist die Freiheit. Diese

Welt der Notwendigkeit ist Gottes Welt der Freiheit. Wer es daraus ankommen läßt und wartet, erhält nichts. Wer strebt, gewinnt. Wer anklopft, dem wird aufgetan. Dringe tief ein, nimm die Bürde auf dich, lausche, bete, sei getreu!

Matth. 7, 8

14. August

Lratt im Gebet Die Frömmigkeit der Propheten von Moses und Jeremias bis

Luther „ergießt ihr Herz" unwillkürlich, ohne Methode und Re­

flexion.

Die Not und Sehnsucht der Seele entlädt sich. Das

Gebet quillt mit unwiderstehlicher Notwendigkeit hervor. Es ist

eine Gottesgabe, der Mensch kann es kaum als sein eigenes Werk betrachten, noch weniger als eine methodische Beeinflussung des Seelenlebens. Aber das Gebet fordert gleichzeitig gesammelte Energie. Der Umgang mit Gott ist zuweilen wie ein gewaltiger

Kampf, bei dem es doch zuletzt gilt, sich selbst zu überwinden und Gottesgewißheit, die Erlösung und den Trost der Seele zu er­

obern. Daher kommt die dramatische Spannung der großen Beter, die echte Bußstimmung und das scharf Gegensätzliche im Gebet — „untermenschliches Elend und übermenschliche Zuversicht". Daher

die hinreißende und lebensspendende Kraft in ihrem Gebetsleben. Auch „Dein Wille geschehe"! bedeutet für diese Frömmigkeit

nicht nur ein heiliges Sichfügen und kühle Gleichgültigkeit, son­ dern es wird zur aktiven Unterwerfung eines geläuterten, wenn auch leidenden Willens unter Gottes Willen im Vertrauen darauf, daß Gott es besser weiß als wir. Ja, es bedeutet mehr noch als

Unterwerfung: Wir sind auch bereit, Gottes Willen zu tun. Unser Gesangbuch besitzt keinen innigeren und stärkeren Vers, um die

Heimatlosigkeit der Seele in der Welt auszudrücken, ihre Sehn­ sucht und ihr einziges wirkliches Glück, bei Gott zu sein, wie auch das äußere und innere Schicksal des Lebens sich im übrigen gestalten mag, als diesen:

Denn in der ganzen Welt so weit ist Unruh, Sorg und Eitelkeit,

doch Fried bei Dir alleine. Wenn auch in Qual mein Seel und Leib

verschmachten soll, so Du doch bleib mein Herzenstrost alleine.

Matth. 6,10

l.Joh. 5, 4

15. August

Die Heilishaltung der Mahlzeit Bei den Mahlzeiten gebot früher das oft sehr lange Tischgebet

ein Schweigen, das mit wenigen Unterbrechungen so lange währte, wie man zu Tische saß. Noch heute herrscht diese Sitte in Häusern, wo das Zusammenleben durch Tradition und Ehrfurcht vieler

Generationen Würde und Stil erhalten hat. Das trifft besonders auf manche Bauernfamilien zu. Die Heilighaltung des Schweigens

bei der Mahlzeit im Hause erstreckte sich auch auf die Mahlzeiten

während der Mahd und Erntezeit aus Wiesen und Feldern. Die Häupter wurden entblößt, die Müdigkeit trug zu der andachts­ vollen Stimmung bei, in der die mitgebrachte Nahrung, die Gottes­

gabe, verzehrt wurde.

Bei Jesu Mahlzeiten herrschte kein Schweigen. Lukas und die

übrigen Evangelisten erzählen von denkwürdigen Tischgesprächen, wenn Jesus zu Gast war. Der jugendliche Kreis der Jünger, den er um sich versammelt hatte, bewahrte vor allem die letzte Mahl­ zeit im Gedächtnis, die die Gemeinde seitdem, immer wieder um

den Meister geschart, wiederholt. Auch an viele andere Mahlzeiten

mit dem Meister erinnerten sie sich. Unsere Mahlzeiten sollen die Feierstunden des Heimes sein.

Das Gebet will ihnen Freude, Vertraulichkeit und Heiligung

geben. Das Gebet macht das ganze Leben, auch die Stunden der Mahlzeit, zum Sakrament. Deshalb soll auch, so weit wie möglich, dafür gesorgt werden, daß die Menschen in allen Lebensgemein­ schaften sich in Dank und Freude bei den gemeinsamen Mahlzeiten vereinigen können. Man vergißt leicht, daß Jesus von unserem täglichen Brot

spricht, nicht nur von meinem oder deinem täglichen Brot. Das Gebet wird zur Frage: Wie gebrauche ich das tägliche Brot und all das, was mir anvertraut wurde? Teile ich mit von dem Meinen? Kann ich in Wahrheit das Vaterunser beten? Verzehrst du vielleicht

dein tägliches Brot im Überfluß und weißt, daß andere hungern,

ohne daß du versuchst, chnen zu helfen?

Matth. 6, 9f.; 26, 20f. Mark. 14,17 Luk. 22,14 Joh. 13,21

16. August

Die Ztzotdurkt des Leibes und der Keele Nach der Notdurft des Leibes wird im Vaterunser die Notdurft

der Seele genannt. Was entspricht im seelischen Leben der leib­ lichen Nahrung? Die Liebe. Nach dem täglichen Brot kommt die Bitte um Vergebung, die tägliche Vergebung — das tägliche Brot

der Seele. Das braucht die Seele am notwendigsten von Gott und vom Nächsten. Hier ist auch die Bedingung gestellt: „Wie

wir vergeben unsern Schuldigem". Wir leben von der Ver­ gebung, von Gottes Barmherzigkeit und von der Ver­ gebung, die wir einander schenken. Das nächste geistige Bedürfnis ist Hilfe gegen Versuchung.

„Führe uns nicht in Versuchung!" Jeder kennt seine besondere

Versuchung. Jeder weiß, was seine besondere Versuchung ver­ anlaßt und begünstigt. Es ist verlockend, sich auf dem gefährlichen

Grenzpsad der Versuchung zu bewegen. Jesus sagt: Geh fort!

Niemand kann diese Bitte recht beten, ohne daß er sich mit aller Kraft entschließt, den Anlaß zur Versuchung zu meiden. Man kann leicht böse Geister hereinlassen. Man braucht sie nicht zu zwingen

oder aufzufordern, in die Seele, ins Volksleben einzudringen, wie es während der Kriegsjahre geschah. Sie schleichen sich heimlich

ein, wenn nur ein offener Spalt da ist. Sind sie aber einmal drill, dann ist es schwer sie hinauszutreiben. Zuletzt wird all unsere Not, Bosheit und' Sünde, Schmerz und Tod, in einem Ruf zusammengesaßt: „Erlöse uns von dem UM"! So führt uns Jesus im Gebet durch dieses, unser mensch­

liches Dasein und verbirgt nichts von unserem Elend und unserer

Not.

Du einziger Trost aus Erden ich lasse nicht von Dir. Ich will nicht müde werden,

mein Seufzen spricht zu Dir. Verzweiflung mich nicht fasse, zum Abgrund führt chr Steg,

Den Herren ich nicht lasse,

Er segne meinen Weg.

Matth. 6, 9f. 16

Worte für jeden Tag

17. August

Anbetung Wenn wir Gottes Wohltaten empfangen, wenn wir sehen und erkennen, wie viel Gutes er uns gibt, dann füllt sich das Herz mit Freude. Es kann eine gute Nachricht sein, die Schönheit der Natur,

ein sonniger Tag während der Ernte, Regen nach Dürre, eine Freundlichkeit, die uns zuteil wurde, ein Erfolg, den wir hatten, ein

Lichtstrahl in dem Dunkel, das uns umgibt, Klarheit, Linderung im Schmerz. Es kann auch eine große, für unser Leben entscheidende Erfahrung sein. Es kann Christi Versöhnung sein, die Gewißheit,

daß Gott sich um mich kümmert, und daß er meine Seele erlösen

will und kann. Alles dies muß uns mit Dankbarkeit erfüllen und Lob, Preis und Dank in der Tiefe des Herzens wecken.

Aber Anbetung ist noch etwas anderes und mehr. Zn Anbetung

gedenken wir nicht irgend einer besonderen Wohltat Gottes, sondern wir denken an Gott selbst. Oder unser Denken vertieft sich in alle Wohltaten Gottes. Wir sind von Gottes Wohltaten überwältigt,

und wir können nicht beim Werk des Schöpfers verweilen, sondern werden zu ihm selbst geführt. Alles, was Gott gemacht hat, weist

uns auf ihn hin, den Ursprung aller Gnade und Kraft, der weit

mehr gemacht hat und machen kann, als wir begehren oder denken. Vertiefen wir uns in ihn, in seine unendliche Macht, seine Weis­

heit und Liebe, die wir durch die Offenbarung und alle Werke Gottes fühlen oder ahnen, dann versinkt die Seele in Betrachtung, Verehrung und Anbetung. Weilen wir bei Gott, dann muß all unsere Not in Anbetung münden, so wie wir es bei den Gottes­ männern sehen. Die Anbetung ist das Vorrecht des Christen­

menschen. O Gott, wir loben Dich, Herr, wir bekennen Dich,

o Gott, wir preisen Dich alle Tage, wir lobsingen Deinem Namen

von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Matth. 4, 10

18. August

Selbstbeherrschung gehört zur Herzensbildung Der Wille bedeutet mehr als die Muskeln. Auch wenn es die körperliche Übung betrifft. Der Sport soll den Menschen zum Herrn über seinen Körper machen, so daß nicht der Körper ihn beherrscht,

wie es bei so vielen sportlichen und nicht sportlichen Menschen der Fall ist, sondern er soll den Körper beherrschen. Die rechte Ordnung

in einem Menschenleben, das diesen Namen verdient, ist eine Dienst­

ordnung, nach der Seele und Wille befehlen und der Körper Knecht ist, aber nicht eine schmähliche Anarchie, in der der Körper mit seinen Trieben, Lockungen und Gebrechen zum Tyrannen der Seele

und des Willens wird. Viele Menschen üben gerade Fremden gegenüber eine nützliche Selbstbeherrschung, aber zu Hause und im Verkehr mit ihren

Nächsten sind sie so aufrichtig, daß sie dem alten Adam keine Fesseln

anlegen, sondern sie lassen Gereiztheit und Gefühlsausbrüchen, Nachlässigkeit und Mutwillen, Unfreundlichkeit und Empfind­ lichkeit freien Laus.

Im Alltag des Lebens sind Selbst­

beherrschung und Freundlichkeit Grundbedingung des Anstandes und der Herzensbildung. Überall da, woMenschen

als Menschen und nicht als Parteien oder Gesellschaftsklassen zusammenkommen, werden wir zu unserem Segen an die Wahrheit erinnert, daß es im Leben nicht darauf ankommt, was für einen

Beruf der Mensch hat, sondern wie er seine Arbeit ausführt und ob er seinen Mitmenschen zur Freude und zum Nutzen gereicht.

Das Menschenleben muß auf ein Ideal, ein einziges großes Ziel hin gerichtet werden, „Gottes Berufung von oben in Christus Jesus". Über den mancherlei Pflichten des Lebens dürfen wir nicht

das große bestimmende Ziel vergessen. Es kann mit des Erlösers

Namen selbst bezeichnet werden. Denn seine Gestalt steht vor uns

als die des Menschensohnes, des Idealbildes geistiger Kraft und Reinheit, der Gerechtigkeit und des Mutes, der Wahrheit und der Güte.

Hebr. 1, 1 10*

19. August

Die Einheit der Christen Der Kampf im Leben des Christen ruht nie. Jesus ermahnt uns, zu- wachen und zu beten. Bosheit, Lieblosigkeit und Entzweiung im eigenen Herzen und in unserem eigenen Leben sind unsere nächsten und gefährlichsten Feinde. Diesen Kamps muß jeder allein mit Gottes und Christi Hilfe ausfechten. Aber auch die Fürbitte, das

Vorbild und der Ernst der Freunde helfen uns. Die Liebe in ihren

Seelen stärkt die Widerstandskraft bei uns selbst. Aber Selbstsucht und Unwahrheit und die Macht der Lust machen sich in dieser Welt breit. Deshalb muß auch der Kampf gegen sie

gemeinsam geführt werden. Vereinzelt sind wir jämmerlich schwach.

Vereint würden wir stärker sein. Christi Sache wird nicht selten in anstrengender Arbeit — gleichsam ruckweise — von einem eüv zelnen oder irgend einer Gemeinschaft herbeigeführt. Was könnte erreicht werden, wenn die Christen ihre Kräfte vereinten und gemein-

sam dem Dreister geduldig und unüberwindlich nachfolgten! Ertönt der Ruf nicht lauter und weitreichender als früher: „Wo ist

Christi Kirche? Wo sind die Nachfolger des Meisters, des Friede­ fürsten?" Wir sollen aus dem Frieden des Heiligtums heraustreten.

Man ruft uns. Lasset uns aufstehen und ihm folgen und unsrerseits trösten, heilen, helfen, lernen und lehren! Wir wollen mit Herz und Gemüt, in Wort und Tat den Menschen etwas von Gottes Frieden zeigen. Wenn wir Jesus folgen und uns im eifrigen Dienst an den Brüdern und im Vorwärtsstreben selbst vergessen, dann

werden wir unserem Meister und damit auch unwillkürlich, fast unbewußt, einander näher kommen und eins werden.

Matth: 26, 41

20. August Das Zeugnte von der Einheit der Christenheit Der Einheit und Gemeinschaft der Jünger Christi entspricht keine der Gemeinschaften in der Christenheit, weder die größte

noch die kleinste. Keine Organisation kann der wahren Kirche und

Gemeinde Christi entsprechen oder sie darstellen. Sondern der Glaube, der das Unsichtbare mit seinem unbeirrbaren Wahrheits­ auge schaut, weiß sich der Christenheit zugehörig, die Christus erlöst hat und die einst am Strande der Ewigkeit aus getrennten Völkern und Gemeinschaften versammelt sein wird.

Die Einheit der Christen ist gewißlich nicht ohne Zeugnis. Sie erweist sich vor allem in den Werken der Liebe, in der Hingabe der

Liebe, in selbstvergessener Aufopferung und Geduld der Liebe. Des weiteren im Wort Gottes, im Glauben, im Gebet, vor allem

im Gebet des Herrn, in den heiligen Handlungen. Ein Leib und

ein Geist ist — nach des Apostels Wort — überall, in allen Ländern. Deshalb dürfen wir jetzt und in Zukunft nicht mehr von der schwe­

dischen, englischen, lutherischen, wesleyanischen, römischen, griechi­ schen Kirche sprechen, als ob es Nlehrere Kirchen gäbe. Denn es gibt

nur eine Kirche und Gemeinde Christi. Sie umfaßt alle gläubigen

Herzen. Statt dessen sollen wir von der Kirche in Schweden, Deutschland, England, Rom sprechen, so wie im Neuen Testament von den Kirchen in Jerusalem, Korinth, Smyrna, Philadelphia

gesprochen wird. In diese Kirche müssen wir alle einschließen, die den Vater in Wahrheit in diesem Lande, an diesem Orte anbeten, und wir er­

schauen im Geist eine Zeit,, da ihre geistige Einheit einen deut­ licheren und wirksameren äußeren Ausdruck erhalten wird. „Wir glauben an den Heiligen Geist, eine heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden, Auf­

erstehung des Fleisches und ein ewiges Leben."

Matth. 6, 9f.

Eph. 4, 4

Joh. 4, 24

21. August

Die in Gott leben, sind eins Die Mystik des Johannes sagt von dem Vater und dem Sohn: „So, wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, so sollen auch sie in uns sein." So innig war Jesus mit seinem himmlischen Vater

vereinigt. Er kann sich nicht neben den Vater stellen, wie man es in der christlichen Vorstellung und Kunst getan hat, sondern der Vater war in ihm. Wer Jesus sah, der sah den Vater. Jesus lebte

sein Leben bei Gott, in Gott. Ebenso, innig will Jesus seine Jünger

mit dem Vater und sich selbst vereinen und zusammenbeten. Die in Gott leben, sind eins. Sie alle sind eins, wie der Vater und der

Sohn eins sind. Eifer und reges religiöses Leben können wir unserer Zeit nicht

absprechen. Viele treue Herzen arbeiten eifrig und opferwillig, um der Not zu steuern und die Mission und andere christliche Liebes­

werke aufrecht zu erhalten. Alles wird mit Ernst vor Gottes An­ gesicht gebracht: Der Versuch, das unergründliche Geheimnis der

Erlösung auszudrücken, das Verhalten der Völker zueinander, die soziale und wirtschaftliche Lage im Staat. Aber wie steht es um das Leben der Seele in Gott? Wie viele leben ihr Leben in Gott? Wie viele nehmen sich Zeit, der stillen

Stimme zu lauschen, die hier für die Ihren bittet? In Gott wird die Seele geprüft, durchleuchtet, offenbar, so daß nichts verborgen werden kann. Da wird der Glaube geläutert und gefestigt. Da

darf er an Gottes Gnade satt werden. Der Sohn kannte von Ewigkeit her den liebevollen Schlag des Vaterherzens. Dieselbe

unendliche Liebe schlägt auch uns entgegen, wenn wir zum Herren kommen. Es ist mit ihm so wie mit andern Freunden. Je mehr wir mit ihm umgehen, desto vertrauter werden wir mit-ihm. O, welches

Beben, welche Seligkeit bei Gott!

22. August

Siner ist es, der uns vereint Es ist nicht eines, das uns vereint, sondern es ist Einer, der uns vereint. Nichts, auch nicht das Eindrucksvollste und Mächtigste,

gibt uns im Innersten Stärke und Einheit, sondern Einer steht in unserer Mitte, unser gesegneter, gekreuzigter, lebendiger Heiland. Wir wollen das Kreuz hoch erheben. Nichts darf in unserer Kirche

so hoch erhoben werden, daß es ein Stück vom Kreuz verbirgt,

weder Zeichen noch Wunder noch andere Einrichtungen. Wir wollen

am Mensch gewordenen Gotteswort Jesus Christus festhalten: gestern, heute und derselbe in Ewigkeit. Bedenken wir den unver­

gleichlichen Schatz, der uns in der Christenheit eine heilige Aufgabe

gibt! Wir wollen das Erbteil nicht in Weltlichkeit, Sünde und Unglauben ertränken, es nicht vergeuden und durch Aberglauben

verunreinigen. Wir wollen festhalten, was wir haben, daß niemand

unsere Krone nehme. O Herr, wir sind selbst unwürdig und bitten Dich um des allein Würdigen, um Jesu Christi willen. Vergönne deinen Dienern ein Zeichen, daß wir durch deine Gnade in täglicher Reue und Er­ neuerung bessere Menschen werden mögen, so daß deine heilige Wahrheit durch unser Zeugnis im Leben und in Worten, oder, wenn es dein Wille ist, auch ohne uns, ja selbst gegen uns und unsere Gedanken und Bemühungen, wenn sie töricht sind, int Herzen

eines jeden Menschen sich selbst bezeugt, auf daß deine Gemeinde

ihre Sicherheit und Stärke allein in deiner heiligen Wahrheit finden möge.

Herr, wir danken dir, daß du uns begnadet hast, in keiner heiligen

Gemeinde Dienst zu tun. Aber dein Dienst ist ein heiliger Dienst.

Herr, heilige unsere Gedanken, Worte und Werke! Mache uns zu reinen Gefäßen deiner ewigen Wahrheit und Liebe.

Hebr. 13, 8

Off. Joh. 3, 11

23. August

Die Herrlichkeit des Erbes Unser geistiges Erbe ist über die Maßen groß und verpflichtend.

Als Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, war er darauf bedacht, seinen Jüngern und der Gemeinde, die aus ihrem Kreis

erwachsen war, ein Erbe zu hinterlassen. Sein Erbe besteht weder aus Lehren, noch aus Gesetzen. Er sagt: „Den Frieden lasse ich

euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich, wie die Welt gibt." Erbschaft ruft leicht Streit hervor. So hat weltliche Gesinnung

auch Jesu heiliges Erbe behandelt. Denn für irdisches Erbe gilt die Regel: Je mehr Erben, desto kleinere Erbteile. Aber so ist es

nicht mit dem Erbe, das Jesus hinterließ. Ein jeder bekommt

seinen Frieden und seine Freude ungeteilt. Manch einer vergißt

oder verschleudert das Erbe. Aber je mehr Menschen ihr in der Liebe Gottes ruhendes Erbe heben und bewahren, desto reicher offenbart sich des Erbes Herrlichkeit.

Keine Menschenseele ist in ihren eigenen Augen und in denen anderer so elend, daß sie nicht den Erlöser beerben darf. Kein Mensch ist so vortrefflich, daß er nicht Gottes Vergebung und seinen Frieden braucht.

Gegen die Unseligkeit der Schuld, den Unfrieden der Welt und

den Stachel des Grams reicht nicht eine einzelne Gabe Gottes aus. Die Menschenseele begehrt nichts weniger als Gott selbst. Und in der Tat verspricht Jesus jedem, der ihn liebt und sein Wort hält: „Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu chm kommen

imb Wohnung bei ihm machen." Aber niemand kann Gott lieben und den Frieden bei ihm genießen, ohne daß er die Brüder liebt. „Wer aber mich liebt, der wird mein

Wort halten. Haltet ihr meine Gebote, so bleibt ihr in meiner Liebe."

Keiner kann Frieden haben, ohne dem Frieden zu dienen.

Joh. 14, 27; 14, 23; IS. 6-13

24. August

Jesus mahnt zur Vergebung Er kann keine Zahl angeben, wie oft ein Bruder dem andern

Vergebung schuldig ist. Das beruht gerade darauf, daß Vergebung nicht ein für allemal gegeben werden kann. Es bleibt eine Wunde im Herzen zurück, die nicht vernarbt und die beim geringsten An­

laß wieder brennen oder bluten kann. Das Unrecht pstanzt im Grunde des Herzens eine Wurzel der Bitterkeit; die Vergebung vermag sie nicht gleich zu entfernen, wenn sie auch alles, was aus

der Bitterkeit aufsprießt, abschneidet. Diese Wurzel treibt leicht neue Schößlinge. Wenn man glaubte, daß sie für immer ver­

schwunden sei, so sprießen schnell neue Triebe auf. Sie wachsen erstaunlich schnell. Schneidet man sie auch unbarmherzig ab, so

sprießt doch unaufhörlich neue Üppigkeit aus der Saat der Ver­ sündigung und des Unsegens. So ist die Vergebung ein Werk

der Liebe, das alle Tage,

das ganze Leben hindurch

dauert und das wir alle für einander tun müssen. Jeder braucht

Vergebung. Jeder schuldet dem Nächsten Vergebung. Wo Jesus ist, herrscht Friede und Versöhnlichkeit. Ein paar Kinder spielten an einem sonnigen Sommertag an einem waldigen Abhang. Ein

kleiner Knirps rief plötzlich und scheinbar unvermittelt: „Jetzt fühle ich, daß Jesus mit dabei ist". Die Stimmung war warm

und glücklich, ohne Groll, ohne Mißgunst. Ein unsichtbares Band vereint die Menschen; zuweilen wird an dem Band gezerrt, so daß es im Herzen, wo es befestigt ist, sehr wehe tut, wenn es nicht

geradezu auseinanderzureißen droht. Das Kind hatte ein unmittel­ bares Gefühl von Glück und Frieden. Jesus war mit dabei. So ist es auch mit Gottes Kindern — und Kinder sind wir ja alle, unser ganzes Leben lang, Kinder für Gott, unseren himmlischen Vater. Die erwachsenen und die kleinen Kinder fühlen den Geist des Friedens und der Vergebung stark und mächtig in ihrer Mitte,

wenn der Herr Jesus bei ihnen ist.

Matth. 18, 21-35

25. August

Die Mission ist die Motin des Friedens Die Missionare sind zu nichts Geringerem berufen, als die ge­ ringen Herolde des großen Herrschers zu sein, der sie würdigt, als

seine Botschafter zu den Menschenseelen zu kommen, denen der

Friede noch nicht verkündigt wurde. Friede begehrt jedes lebendige Menschenherz. Ohne Frieden im

Herzen kann es auch keinen Frieden unter den Menschen geben. Das Christentum kennt die Macht der Vergänglichkeit und des

Bösen. Das Christentum weist uns aus dem Unftieden der Welt

hin zum Frieden des Herzens. Aber hier ist das Innere mit dem Äußeren verbunden. Gott selbst tritt in dem Herrn Jesus Christus

in die Geschichte ein. Das geschieht nicht in holder Harmonie,

vielmehr bricht sich die Offenbarung Gottes am Weltgeschehen. Das Kreuz ist der Punkt, wo sich Gottes ewige Liebe im eigenen Zusammenhang der Geschichte offenbart. Mitten in der Welt ist es aufgerichtet, aber es gehört nicht der Welt an, sondern Gottes

überirdischer Macht. Wir haben die Verpflichtung zu dienen,

wie er diente. Wer glaubt, an der Erlösung teilhaben und die Welt selbstsüchtig ihrem Schicksal überlassen zu können, der ist kein Christ. Er verleugnet das Kreuz Christi. Wenn Jesus und seine Jünger sich zurückgezogen hätten, dann wäre es ihnen nicht so

schlecht ergangen. Aber so offenbart sich im Kreuz eine Liebe, die aller menschlichen Berechnung trotzt. Wie der Heiland durch das

Kreuz in seiner Person den Zaun zwischen Juden und Heiden niederriß, um aus beiden eines zu machen, so soll er auch durch das Kreuz in seiner Person die Feindschaft und das gegenseitige Nicht­ verstehen der verschiedenen Konfessionen, Traditionen und Gemüter, Völkerschaften und Länder töten.

„Er ist gekommen, hat verkündigt hu Evangelium den Frieden euch, die ihr ferne wäret, und denen, die nahe waren."

Eph.

2,

17

26. August

Das Gesetz der Vergeltung Jesus sagte: „Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, daß ihr dem Übel nicht wider­ streben sollt, sondern wenn einer dich auf die rechte Backe schlägt,

so biete ihm auch die linke; und so jemand mit dir rechten will um deinen Nock, dem lasse auch den Mantel. Und so dich jemand nötigt

eine Meile, so gehe mit ihm zwei." Wie gewöhnlich begnügt sich Jesus nicht damit, etwas zu ver­ bieten. Wir dürfen Böses nicht mit Bösem vergelten. Du darfst nicht wiederschlagen. Du darfst nicht dem Zorn in deinem Herzen

folgen, auch dann nicht, wenn er ganz gerecht ist. Du darfst keine

giftigen Pfeile benutzen, auch wenn dich jemand mit solchen an­

greift. Jesus verbietet die Vergeltung. Aber er begnügt sich nicht damit. Zu dem Verbot fügt er auch hier ein Gebot. Du sollst dem, der dir Unrecht zufügt, Liebe er­ weisen. Das drückt Jesus auf seine drastische, wie man zu sagen pflegt, paradoxe Art so aus: Reiche die andere Wange, gib nicht nur das Hemd, sondern auch den Rock, gehe nicht nur eine Meile

mit, sondern zwei; tu nicht weniger, sondern mehr, als du sollst. Gib mehr, als man erbittet. Ein Kind hörte diese Worte des Hei­

landes und verstand sie besser als mancher von uns Alteren. Das Kind sagte: „Wenn mich jemand bittet, ihm den Karren zur Garten­ tür zu schieben, so will ich ihm auch den Weg hinaufhelfen."

Die Liebe rechnet nicht. Sondern die Liebe ist freigebig und über­ schwenglich. Die Liebe bedarf keiner Regeln. Sie findet selbst

einen Ausweg: Liebe ist erfinderisch. Sie ersaßt Jesu Geist.

Matth.

38-41

Röm. 12, 17

1. Kor. 13

27. August

Die Waüen „Ergreifet den Harnisch Gottes, auf daß chr an dem bösen Tage

Widerstand tun und alles wohl ausrichten unb das Feld behalten möget. So stehet nun, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angezogen mit dem Panzer der Gerechtigkeit." Der Apostel vergleicht den christlichen Glauben mit einem Harnisch, der nie abgelegt werden darf. Er ist immer notwendig zur Stärkung des

Streiters in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Gewiß

erinnert uns die Beschreibung dieser Rüstung an das in helden­ mütigem Kampf erprobte Waffenkleid des Apostels Paulus. Aber

den Kampf gibt es für jedes Alter und jeden Menschen; den Kampf gegen die Macht des Eigenwillens, der Begehrlichkeit und der

Weltlichkeit, gegen Weichlichkeit und Bequemlichkeit, gegen Hoch­ mut und Angst, gegen Mißmut und Überheblichkeit. In diesem Kampf braucht jedes Alter die für es paffenden Teile dieser Rüstung. Sie allein, Gottes Wehr und Kraft, können den Sieg gewinnen und bewahren. Umgürtet euch mit der Wahrheit, mit der Genauigkeit und Ehrlichkeit der Wahrheit, mit ihrem unbestechlichen Wirklich­ keitssinn! Zu der Umgürtung mit der Wahrheit gehört der Panzer der Gerechtigkeit. Keine heimliche Zauberei, keine Ausflüchte dürfen

von einem evangelischen Streiter im Kampf zu seinem Schutz an­ gewandt werden; er darf nur das im Dienst des Herrn mannhaft

geschmiedete Panzerhemd der Gerechtigkeit tragen. Daran erkennt Jesus seine Streiter wieder: Nicht, die zu mir Herr, Herr sagen, sondern die den Willen tun meines Vaters, das heißt, die in Liebe und Wahrheit leben.

Eph. 6,13.14

Matth. 7, 22

28. August

Die Werke der Barmherzigkeit „Das ist schon, daß Sie Werke der Barmherzigkeit tun; sehen Sie, ich bin erlöst, ich brauche das nicht." So sprach eine Magd zu ihrer Herrin, welche es für ihre Pflicht hielt, ernstlich zu helfen.

Ähnliche Worte werden nicht immer ausgesprochen, aber man kann sie schweigend in den Gedanken bei Reichen und Armen finden. Die Pflicht zu helfen schlummert wohl in der Brust vieler, die vielleicht nicht ganz ohne Ernst Trost aus Gottes Gnaden­ versprechen schöpfen. Ein derartiger Zustand ist entstelltes Christen­

tum und entstelltes Luthertum. Der alte Adam in christlicher Ver­ kleidung nimmt gerne die Gnade als Deckung für seine selbstsüchtige Trägheit im Liebeswerk.

Die Erlösung wird nicht durch Werke der Liebe gewonnen. Aber die Erlösung verpflichtet uns zu dem Liebeswerk. Wir denken daran,

daß Gott durch seinen Diener Luther die Lehre vom eigenen Ver­ dienst fortgenommen hat, welche der Seele den Sonnenschein der Vergebung verbirgt. Unsere Erlösung und unsere Zuversicht brau­ chen in keiner Weise von etwas so Unsicherem und beunruhigend

Zerbrechlichem wie dem eigenen Tun abzuhängen. Sie beruhen aus­

schließlich auf Gottes Werk durch Christus. Sollte die Christen­

heit in unserem Land nicht ihre Dankbarkeit für einen so großen

Vorzug beweisen? In allen Lebenslagen braucht man Liebe. Keine Wohltätigkeits­ vereinigung kann einen Menschen von der Notwendigkeit befreien, persönlich dem Nächsten, den Gott ihm auf seinen Weg schickt, zu helfen, solange er vermag. Diese Pflicht ist ein Vorzug. Aber da­ gegen wird täglich und stündlich gesündigt, bis eines Tages über­ raschend der Vorwurf lautet: „Ich war hungrig, und ihr habt mich nicht gespeist". Lieber Mensch! Gott wird dich nicht fragen, wieviel du hinter­

lassen, sondern wieviel du fortgegeben hast.

2n Matth. 25, 35

29. August

Gottes Herrschet „Dein Reich komme!" Gottes Herrschaft soll anbrechen. Gott soll in unseren Herzen herrschen — Gottes Reich ist inwendig

in euch — und in der Welt. Wird die Wandlung auf einmal kommen? Oder ist die Geschichte das Weltgericht, das allmählich ausscheidet und das Gute vorwärtskommen, sich Vorwärtskämpfen

und sich vorwärtsleiden läßt, bis zur Reife? Das Wesentliche

ist Jesu Glaube, den er auch uns gibt, daß, mag es noch so dunkel

aussehen, doch Liebe und Recht die Oberhand gewinnen werden.

Man kann arbeiten, ohne zu beten. Aber man kann nicht recht beten, ohne zu arbeiten. „Dein Reich komme!" Aus den Seufzern des Herzens soll Entschlossenheit erwachsen. Luther sagt wohl:

„Gottes Reich kommt wohl ohne unser Gebet." Gott ist nicht von

uns abhängig. Aber er will unsere Hilfe haben. Wir sollen helfen, daß Gottes Reich kommt. Zuerst zu uns selbst, sodann aber auch

zur Umwelt. Wir sollen arbeiten und nicht verzweifeln. Wir dürfen nicht an uns selbst verzweifeln. Noch weniger an Gottes Reich, das heißt am Sieg und der Macht der Liebe.

Er kommt, ja, er kommt, der Tag, des wir warten, da die Völker sich einen in Liebe unb Treu. Der Herr des Himmels wird König auf Erden,

in seligem Frieden vereint er sie neu. Der Tag, da der Heiligen Flehen erfüllet, der Tag, da der Glaube im Schau'n wird gestillet. Er kommt, ja, er kommt, der Tag, des wir warten, der lichteste Tag, der der Welt je erschien,

da Gott, unser Herr, alleine regieret, und Satan und Sünde sein Angesicht fliehn. Die Schöpfung erlöset von Sünden und Streiten, verkündet sein Lob bis in ewige Zeiten.

2S4

Matth. 6,10

Luk. 17, 21

30. .August XIL Sonntag nach Trinitatis (1925)

Jesus sagte: „Wo Zwei oder Drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen."

Wir sind mehr als zwei oder drei. Doch wie viele Hunderte wir

auch sein mögen und wie viele Tausende und Millionen unsre Ver­ sammlung auch vertreten möge, wie kluge und tüchtige, wie mäch­

tige und einflußreiche Menschen es sein mögen — aus der Menge und

aus der Stellung in der Welt folgt doch keine Vollmacht und Kraft

in Gottes Reich. Solche Vollmacht beruht darauf, ob Jesus mit dabei ist. Ist Jesus mit dabei, sind Menschen in seinem Namen versammelt,

in seinem Geiste, so daß Er mitten unter ihnen ist, dann vermag

der kleine Kreis, der in Jerusalem zusammenzukommen pflegte in

dem Söller um Maria und Johannes, die Welt zu erobern. Da können Augustinus und seine Mutter Monika die Himmelsräume durchwandern. Waldes und seine Freunde, die Armen von Lyon (Pauperes de Lugduno), bildeten eine geringe Gemeinde,

welche doch kein menschliches Machtaufgebot zu zerstören vermochte. Christi Liebe machte den Heiligen Franz und seine Begleiter un­ widerstehlich. Die Lieder unb Bibelworte, die auf der „Mayflower" trotz Sturm und Not erklangen, tönen noch heute wie ein kräftiger Generalbaß durch Nordamerikas Institutionen und Volkstum.

Der Vorsatz, den die Brüder Wesley und ihre zwei Kameraden hinter den nun dunkelgewordenen Mauern von Lincoln College

faßten, veränderte, ohne daß sie es wollten, den Gang der Kirchen­ geschichte. Nicht einmal der Einsame braucht allein zu sein. Jesus sagte

von sich selbst: „Ihr werdet zerstreut werden und mich allein lassen. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir." Von uns sagte Jesus: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen."

Der einsame Paulus rühmte sich seiner Schwachheit, auf daß Christi Kraft bei ihm wohne. Weil Christus bei ihm war, beeinflußte der einsame Luther die Weltgeschichte tiefer und nachhaltiger als irgendein Marin nach

30. August (Forts.) dem Heiland. Der einsame Zean Calvin baute sein Genf, die

Stadt im wunderschönen Tale, geistlich zu einer Stadt auf dem Berge. „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern

an Gottes Barmherzigkeit."

Der Herr ist mit uns gewesen. Er war es, welcher uns nötigte.

Sein ist das Werk. Wir haben die Macht seines Geistes vernommen. Während unsrer Versammlung haben wir bebend, in Anbetung und Danksagung, die strenge Zucht des Herrn und seine unfaß­

bare Barmherzigkeit erfahren. Zwei sind hier versammelt. Johannes, der Apostel der Innigkeit und Beschaulichkeit, hatte an des Herrn Brust gelernt, was es heißt: „Brüder, liebet einander!" Paulus, der größte Apostel des

Heilandes, bezeugte: „Ich habe mehr gearbeitet denn sie alle — doch nicht ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist." Sein Glaube

war tätig durch die Liebe. Der dritte, Petrus, des Züngerkreises Sprecher, zögert noch.

Die Christenheit erscheint gesondert; Christus aber ist einer.

Die Sonderung kann nicht nach seinem Sinne sein. Wenn sich die Christenheit in „Leben und Werk" um den Heiland schart, wird Er mitten unter uns sein, unwiderstehlich durch die Allmacht der Liebe. „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin

Ich mitten unter ihnen."

Matth. 18,20 Joh. 16,32 Joh. 14, 23 2. Kor. 11, 30; 12, 5 Röm. 9, 16 1. Kor. 15,10

31. August

Kcheue keine Nnstrenguns Es gibt viel Lebhaftigkeit, der jede Ahnung fehlt von geistiger Anstrengung, von der gedanklichen Mühe, die zur Lösung von Schwierigkeiten aufgewandt werden muß, von den Bemühungen der Liebe, Wege und Möglichkeiten zu finden da, wo es hoffnungs­ los aussieht. Jede geistige Arbeit erzieht die Seele.

Aber ohne das Gebet gibt es keine rechte Wachsamkeit. Bei einer

Menschenseele, die im Gebet lebt, ist da ein ständiges Hinwenden

und Rufen zu Gott in Dank und Ergebung, oft auch in Angst,

die aber doch im Grunde weiß, daß Gott helfen wird. Wohl bedarf ein Herz voll Angst, das sich in Verzweiflung vergräbt, Luthers

Mahnung: „Du mußt lernen, zu rufen und nicht allein herum­ zusitzen, den Kops hängen zu lassen, dich in deinen Kummer zu verbeißen, dich mit deinen Gedanken zu zernagen, zu trauern und

zu suchen, wie du entwischen kannst, und an nichts anderes zll denken,

als wie schlecht es dir geht, wie schade es um dich ist, was für ein

trauriger Mensch du bist. Nein, steh' auf, du Fauler, falle auf die Knie, erhebe die Hände und die Augen zum Himmel, bete einen Psalm oder das Vaterunser und lege deine Bitte dar vor Gott!" All dies gehört zur angespannten Unruhe des Dieners, während er seinen Herrn erwartet. Wie wir auch das Evangelium zu ver­ tiefen und zu deuten suchen, so können wir uns doch nicht dem

Schweren und Einfachen, das für Jesus die Hauptsache ist, ent­

ziehen: Der Liebe zum Nächsten. Auf seinen Herren warten, bedeutet für den Christen: Den Brüdern dienen, sich um sie be­ kümmern und nach besten Kräftell um ihr Wohl besorgt zu sein. „Selig sind die Knechte, die der Herr wachend findet, wenn er kommt."

Luk. 12, 37 17

Worte für jeden Tag

1. September

Lösegeld, Loskaukung, Erlösung Noch vor kurzer Zeit schienen dies den Menschen unserer Zeit altertümliche, fast unbegreifliche Ausdrücke zu sein. Sie stammen

nämlich von der nun abgeschafften Sklaverei her, sie spielen auf die Freikaufung eines Sklaven an. Der Weltkrieg hat diese Worte

wieder zur Wirklichkeit gemacht. Einer Stadt, einem Land, einem Dorf, einzelnen Menschen wurde mit Verderben, mit Vernichtung

gedroht, wenn sie nicht ihre äußerste Kraft aufboten, um ein teures Losegeld zu bezahlen. Drohende Mächte erheben auf uns alle Anspruch. Der Mensch

ist in ihrer Gewalt. Bei einer Visitation horte ich, wie eine Lehrerin fragte: „Was brauchte Gott nicht zu schaffen?" Die eingelernte Antwort lautete: „Die Finsternis". „Was mußte Gott erst schaffen?" Antwort: „Das Licht". Man mag über solche Schul­ weisheit lächeln. Denkt man jedoch näher über die Sache nach, so

erinnern uns die Antworten an düstere und wunderliche Gedanken­ gänge innerhalb der Kirchengeschichte, die das Weh der Schöpfung und die Erlösung betreffen. Vielleicht birgt diese naive Schul­ weisheit mehr Wahrheit in sich, als sie selbst ahnt. Das Dunkel

ist da. Das Dunkel macht Anspruch auf uns; das Dunkel der Sünde, der Bosheit, der Versuchung. Weiterhin die Finsternis der Seele, die Anklagen, Mutlosigkeit, Angst, Gram und Klein­ glaube; zuletzt das Dunkel des Todes und der Vergänglichkeit.

Die Mächte der Finsternis nlachen Anspruch auf uns. Sie um­ geben uns. Sie sind in unserm eigenen Herzen. Sie herrschen über den Menschen. Aber Jesus bezahlte das teuerste Losegeld, sein eigenes, unschuldiges Leben und Blut, um diesen Mächten jeglichen Anspruch und jedes

Recht auf uns zu nehmen. Seitdenl das Kreuz in der Welt auf­ gerichtet und Christus daran genagelt wurde, können wir zu Sünde,

Tod und Teufel sagen: Fort mit euch! Auf mich habt ihr kein Recht mehr! Sein Liebesdienst und sein Lösegeld ist genug für viele, es reicht aus, alle die zu erlösen, die sich mit chm zu ähnlichem Dienst

vereinen.

Röm. 13,12f.

2. September

Von Gott Mor bereitete Werke Was ist die Bestimmung des Menschen? Wozu sind wir ge­ schaffen? Wozu sind wir auf der Welt? Diese Frage des den­

kenden Menschen

zu aller Zeit beantwortet

der

Apostel so:

„Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten

Werken, zu welchen Gott uns zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen." Die Antwort enthält zwei wichtige Aussagen;

eine unendlich stolze und verantwortungsvolle Verheißung und eine praktische Anweisung. Schon in unserem Ursprung liegt die Verbindung mit Christus Jesus: in ihm geschaffen, dem Erstgeborenen von allem Geschaffenen, eingeschlossen in seine Erlösung und Bestimmung. In Gott leben, weben und sind wir. Unser Leben ist eingeschlossen in das Wesen Gottes, des Schöpfers. Dieses Dasein in Gott wird uns durch

Gottes ewigen Lebenswillen und Heilsgedanken vermittelt, näm­ lich durch das Wort, das Fleisch und Mensch geworden ist in Christus Jesus. Hieran knüpft der Apostel eine Mahnung. Wir sind in und zu

guten Werken geschaffen. Diese Werke sind zuvor von Gott bereitet,

damit wir in ihnen wandeln sollen. Hiermit meint der Apostel keine fertige, stereotype Lebensform, in die alle Christen sich einzwängen sollen. 2m Gegenteil, der Apostel meint hiermit einen Reichtum cm guten Werken, die als Ausdruck für die Güte des Herzens sich dem ganzen Menschenleben einordnen sollen.

Bemerkenswert ist, daß diese guten Werke im voraus von Gott gedacht sind, damit wir in ihnen wandeln sollen. Wir brauchen nicht unsicher und irrend hier und dort zu suchen, sondern es gibt etwas, das man das Ideal des Christenmenschen nennen kann. Der Apostel kannte eine Lebensform, die den Christen auszeichnet:

„Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, was eine Tugend ist."

Eph. 2, 10 17*

Apostels 17, 28

Phil. 4, 8

3. September

Lautet die Leit aus! Das überwältigende Gefühl der Vergänglichkeit aller Dinge

darf keine Unlust und Gleichgültigkeit in unserm Gemüt wecken, vielmehr sollen wir aus des Apostels Wort und Christi Vorbild lernen: „Alles, was ihr tut in Worten und Werken, das tut im

Namen des Herrn Jesus!" Tut alles zu Gottes Ehre! Der gute Arbeiter wird doch auch nicht lässig in seiner Arbeit, weil die Sonne sinkt und der Arbeitstag sich dem Ende zuneigt.

Wenn die Uhr ihm zeigt, daß nur noch wenige Minuten Zeit ist,

verdoppelt er seine Anstrengung, um die Arbeit fertig zu bekommen. Wir sollen Zeit und Gaben, die wir erhalten haben, wohl anwenden,

sodaß die kleinen Gaben nicht verloren gehen und die großen nicht zersplittert werden. Die Welt soll von uns so gebraucht werden, daß die bestmögliche Ernte auf den großen und kleinen Feldern wächst, die uns der Herr in Pacht gegeben hat. Keines ist so klein, daß der, der es erhalten hat, in des Herrn Arbeitsordnung entbehrlich wäre. Die Kürze der Zeit mahnt uns, die Mühe nicht in

dem törichten Gedanken aufzugeben, daß es sich kaum lohnt. Der

Schuljunge, der seine Aufgaben machen soll, sieht, daß nur noch eine halbe Stunde Zeit ist. Lohnt es sich da noch, das Buch zu

offnen und anzufangen? Eine gefährliche Folgerung! Wir sollen die Zeit wohl auskaufen. Die Zeit, die uns gegeben ist, besteht aus Augenblicken. Wir sollen die Welt sorgfältig ausnutzen. Die Kürze der Zeit darf keine Hast verursachen, die nachlässige und halbe Arbeit tut. Nein — wir sollen die Dinge, die uns auferlegt sind, mit der nötigen Sorgfalt und ohne nervöse Unruhe aus-

führen, aber auch gleichzeitig bereit sein, die Arbeit $u verlassen,

wenn die Abendglocke läutet.

Kol.

1,17

Eph. /, 16

Joh. 9, 4

4. September

Mein Lind, warum hast du uns das getan? Es ist naheliegend, daß es Eltern — unbedacht, vielleicht ganz unbewußt — selbstverständlich erscheint, das Kind sei um ihretwillen da. Jesus war der Erstgeborene.

Das Kind ist die

große, langersehnte Freude der Eltern. Es besitzt ihre ganze Liebe.

Sind mehr Kinder da, so wird die Liebe doch nicht geteilt, sondern

nach der eigenen Rechenkunst des Vaterhauses fällt die ganze Liebe jedem Kinde zu. Ein Kind kann seinen Eltern durch mangel-

Haftes Betragen Sorge bereiten. Ein Kind kann seinen Eltern auch unfreiwillig Enttäuschungen bereiten, wenn es nämlich seinen ihm

bestimmten Weg gehen muß, den aber die Eltern nicht verstehen

können.

Das Kind ist auf die Welt gekommen, um ein

Mensch für sich zu werden. Weder der Eltern Fürsorge noch chre Liebe kann dem Kind sein eigenstes, persönliches Leben ersetzen,

das sich nach der Absicht des Schöpfers gestalten und bis zur Reife

entwickeln soll. Sanfter und unsanfter Zwang können nichts Gutes ausrichten, wenn die rechte Bestimmung des Kindes nicht weise

und klar erkannt wird. Die Kunst besteht darin, die junge Pflanze frei und doch fürsorglich umhegt und beschützt im Sonnenschein der Liebe aufwachsen zu lassen, in einer Pflege, die aber nicht aus

Schwäche Unarten und Verdorbenheit ungestraft läßt. Gestaltet

sich der Weg des Kindes aber anders, als die Eltern dachten, dann fühlt die zärtliche Liebe sich oft verletzt, auch wenn das Kind seiner

Berufung und seinem eigentlichen Wesen treu bleibt. „Mein Sohn,

warum hast du uns das getan?" Vielleicht verstehen die Eltern nichts von der Antwort: „Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist?"

Luk. 2, 48f.

S. September

Geistige Freiheit Die Erinnerung an die Reformation zeigt uns im großen, was

ein Menschenleben im Kampf um sein Ideal erleben muß. Die Wahrheit, die sich selbst in unserem Innern bezeugt, steht in ihrem

Glanz und ihrer Schönheit uns vor Augen. Soll sie aber von uns

verwirklicht werden, so treiben menschliche Unzulänglichkeit lind Sünde ihr Spiel. Die Hoffnungslosigkeit, die jüngere und lebens­

kräftigere Schwester der leeren Begeisterung, spricht bann leicht

ihre verräterische Sprache. Dann sind wir versucht, durch geringe Anforderungen an uns viel zu gewinnen, indem wir das Bild der

Wahrheit beschneiden und verstümmeln.

Aber wenn wir die Wahrheit, die wir erkannt haben, in uns wirken lassen, ohne sie ihrer richtenden und helfenden Kraft zu berauben, führt sie uns zu Siegen, allerdings zu Siegen unter Demütigungen und anderen Formen, als wir dachten, aber doch zu wirklichem Gewinn für unser eigenes Leben und das derMenschen

untereinander. Was ist der Gewinn, der für uns so erstrebenswert ist? Ich nenne

chn geistige Frecheit, Freiheit den Meinungen gegenüber — die modernsten stehen den alten und abgedroschenen in Tyrannei nicht

nach! — Freiheit gegenüber den Menschen, Freiheit uns selbst

gegenüber. Aber Freiheit setzt eine Befreiung voraus. Befreien kann uns nur eine Macht, die selbst stärker ist als wir. 2m Evangelium

begegnet uns Einer, dem wir gehorchen müssen, der Macht hat zu vergeben, der uns zu jeder Stunde das Bekenntnis abzuringen

vermag: Du bist mein Herr. Einen solchen Glauben brauchen wir aus den schwindelnden Höhen, wo wir erbeben und wo die

neuen, weiten Aussichten, die die Forschung unseren Blicken öffnet,

uns beklemmen. Diesen Glauben brauchen wir auf den engen, tiefen Pfaden, wo wir vor Dunkel und Müdigkeit keinen Schritt des Weges vor uns sehen können. Geistige Freiheit ist das Erbe der

Reformation für uns.

2. Kor. 3.17

Röm.8.18ff.

6. September

Die goldene Negel gab es von altersher bei Juden, Griechen, Chinesen und anderen Völkern. Sie lautet: „Was ihr nicht wollt, daß euch die Leute

tun sollen, das tut ihr ihnen auch nicht!" Das ist ein wichtiges

Gebot. Gedenke dieser Regel, ehe du deinem Nächsten etwas Böses zufügst. Prüfe dich selbst! Möchtest du, daß man dir etwas

Ähnliches zusügt? Vergiß nicht dieses wichtige Gebot! Jesus fordert aber noch mehr. Wir sollen nicht allein den Menschen das nicht zufügen, was wir für uns selbst nicht erwünschen. Nein — wir sollen ihnen das tun, was wir von chnen erwarten. „Darum

alles, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sotten, das tut ihr ihnen auch!" Hier wie überall sonst verschärft und erhöht Jesus die Forde­ rungen der Gerechtigkeit. Er begnügt sich nicht damit, daß wir

Fehler, Unrecht und Sünden vermeiden. Er verurteilt ebenso streng die Unterlassungssünde. „Was ihr nicht getan habt einem unter

diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan." Das alte Gesetz sagt im Gebot: Du sollst nicht! Aber Jesus sagt: Du sollst!

So vollendet er auch diesen allgemeinen Grundsatz für das Handeln der Menschen. Diese sogenannte goldene Regel findet sich, wie

gesagt, seit altersher bei vielen Völkern. Aber Jesus begnügt sich nicht mit der Mahnung, daß man andern nicht tun soll, was wir

uns selbst nicht wünschen, denn Jesu ganze Ethik ist positiv. Es ist nicht genug damit, daß wir uns hüten, Böses zu tun. Nein, tu dem Nächsten Gutes, so wie du auch möchtest, daß der Nächste dir Gutes tut. Jesus fordert, daß wir etwas

Gutes verrichten. Höher als alles in der Welt schätzt er die reine Güte, die nicht leben kann, ohne dem Nächsten zu dienen und chm Liebe zu erweisen.

Matth. 7,12;

25.40.45

7. September Jesu Jünger erhalten die Erde krisch Es ist besser, daß die Forderung der Gerechtigkeit tm Gewissen

brennt, als daß ein Menschenleben behaglicher Trägheit und Stumpf­

heit anheimfällt. Wenn die Fäulnis allmählich ein Menschenleben erfaßt, so merkt man das nicht gleich. Man läßt ihr freien Lauf.

Man nimmt es nicht so genau. Man hält es nicht für gefährlich. Man scheut Gerechtigkeit und Wahrheit. Denn es tut weh, wenn

das Bose und Unreine in uns gestraft und gerichtet wird. Man hat den nicht gern, der uns die Wahrheit sagt. Es ist angenehmer,

wenn man sich dem Salz der Gerechtigkeit fernhält. Aber eines schonen Tages merkt man, daß das Herz Schaden gelitten hat. Die Fäulnis hat sich weiter ausgebreitet. Deshalb hat Jesus Angst, daß das Salz der Jünger „dumm"

wird. Dann taugt das Christentum nichts. Wer es mit recht und

unrecht, mit wahr und unwahr nicht genau nimmt, der ist kein Salz der Erde. Wenn das Salz nicht mehr brennt, kann es auch die Fäulnis nicht mehr verhindern. Dann taugt es zu nichts mehr.

Es verdient nur fortgeworfen zu werden. Deshalb mahnt Jesus: „Das Salz ist gut. Habt Salz und haltet untereinander Frieden!"

Es gibt Menschen, die allein durch ihr Dasein und ihre Gegen­ wart als Salz wirken. Vielleicht sprechen sie nicht viel und machen nicht viel Wesens von sich. Aber ob sie reden oder schweigen, sie

wirken doch wie Salz. In ihrem Wesen und Wandel liegt eine sittliche Kraft. Man schämt sich, in ihrer Gegenwart etwas Häß­ liches oder Unreines zu sagen oder zu tun. Wenn man an sie denkt, wird einem brennend heiß ums Herz. Man kann sich nicht der Un­ reinheit und Eitelkeit überlassen. Ohne es selbst zu wissen, geben

solche Menschen der Seele einen Stich. Jemand hat einmal gesagt, der größte Dienst, den man einem andern er­ weisen könne, sei, daß man ihn mit sich selbst unzu­ frieden mache.

Matth.

13

Mark. 9, SO

8. September

Der WettLampk Die Kämpfer werden von den Zuschauern angefeuert. Das ist nichts Neues für unsere Zeit. Der Hebräerbrief hat vom Volks­

fest und der Zuschauermenge, die mit ihren Blicken und Zurufen

den Kämpfenden folgt, das Bildjn einer schönen Darstellung des

Kampfes und der Ausdauer, die in einem Christenleben notwendig sind, genommen. Die Zuschauer beim Wettkampf sind uns ein

Gleichnis der Menschen, die hier tin irdischen Leben ehrlich um die Krone des Lebens gekämpft und gerungen und den Lohn der

Treue empfangen haben. Von der Empore der Ewigkeit schauen sie dem Wettkampf des Erdenlebens zu. Mit teilnehmenden Blicken und mit Fürbitten folgen sie unserem Streben, unserer Schwach­

heit und unseren Bemühungen. Wir lesen: „Darum auch wir, dieweil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasset uns ablegen die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht, und lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist." Die Kämpfenden müssen viel Mühe, Schmerz und auch Ent­

täuschung ertragen.

Es gehört zum guten Sportgeist, daß sich

der Kämpfer nicht mißmutig in die Ecke stellt, wenn er kein Glück hat, und sich selbst bedauert. Der Sport fordert aufrichtige und wahre Kameradschaft und ein Gemüt, das mit demselben

Gleichmut Mißerfolge und Erfolge erträgt. Der Mann, der die Bergpredigt hält, fordert mehr. Auch wenn Trauer im Herzen wohnt und wir hart heimgesucht werden, mahnt

er: „Wenn ihr fastet, so sollt ihr nicht sauer sehen". Der natür­ liche Mensch bedauert sich gerne selbst und übertreibt dabei fein wirkliches

oder vermeintliches Unglück. Wie erfrischend wirkt

dagegen die Tugend der Männlichkeit, die über sich selbst Herr ist und nicht der Sklave von Neigungen und Ereignissen.

Hebr. 12, 1

Matth. 6, 16

9. September

Geschwistersinn Wie uns die Anrede „Vater" Kindersinn lehrt, so will uns die Beifügung „unser", „unser Vater", Brudersinn, Geschwistersinn

lehren. Wenn wir auch noch so einsam sind und wenn es auch

unserm eigensten, innersten Herzensbedürfnis gilt,

so läßt uns

Jesus Gott nicht anrufen, ohne daß wir den Kreis der Geschwister miteinschließen, unsere Nächsten, alle die Gott mit uns verbunden und denen gegenüber er uns besondere Pflichten auferlegt hat; alle

Menschen, die Gott auf unseren Weg führt lind für die wir irgendwie verantwortlich sind. Keine selbstsüchtige Absonderung ist für

den möglich, der das Vaterunser recht betet. „Hier stehen wir, deine schwachen Kinder, hilf mir, meinen Bruder hüten!" Das

Vaterunser lost den einzelnen nicht aus der Menschheit, aus dem Kreis der armen Sterblichen, sondern stellt ihn noch fester in die

Schar der Brüder. Jesus selbst war nicht gekommen, daß er sich

dienen lasse, sondern daß er diene. Er bezeugt: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein".

Diese gemeinsame Verantwortung hat jeder Sehende seitdem in der Anrede „unser Vater" gesehen und gefühlt. Aber man

vergißt leicht, daß „unser" auch ein stolzes Wort ist, das uns mit den Helden des Glaubens, des Gedankens und der Liebe zusammen­ faßt. Wagen wir es, uns auf Gemeinsamkeit zu berufen? Dürfen

wir denselben Vater anrufen, den die Jünger aller Zeiten und die Heiligen angerufen haben?

Wenn wir „Vater unser" sagen, vereinigen wir uns mit all denen, die unseren Glauben stärken, ebenso mit allen, deren Glauben

wir stärken sollen. Aber am kühnsten und zugleich unendlich trost­ reich ist es, daß wir bei der Anrede „Unser Vater" auch Ihn mit einschließen, der uns das Gebet gelehrt hat, der wie kein anderer uns zum Vater führt, uns hilft, mit dem Vater zu verkehren und als des Vaters Kind zu leben.

Matth. 6, 9ff.; 20, 28; 23, 11

10. September

Handeln, Leiden verbindet Jedes Handeln, an dem ich nicht nur aus bloßem Trieb teichabe oder bei dem ich nicht aus blindem Zwang mitgeschleppt werde, trägt zur Gestaltung meines Wesens bei. Man bekommt eine ganz

andere Einsicht in das Leben, wenn man nicht nur zuschaut. Was in den Worten und Gedanken anderer in den gewöhnlichen Ver­

hältnissen des Lebens alltäglich und nichtssagend ist, wird für den, der ernsthaft dabei ist, herrlicher und schöner als alle Ausgeburten

unserer Phantasie. Der beste Mensch, vielleicht auch im tiefsten Grunde der glücklichste — auch wenn er es nur dunkel erkennt —,

ist der Mensch, der sich ganz in seiner Aufgabe vergißt. Aber besser als Handeln ist Leiden; nicht das stumpf erduldete, sondern das auf lebendige Weise ertragene Leiden. Für den Leiden­

den und für den, um dessentwillen er leidet, für beide besitzt das

Leiden höheren Wert als das Handeln. Denn das Leiden setzt das Handeln fort und vewollkommnet es, wo die Kraft der Hände zu Ende ist. Das Leiden verbindet mehr, als irgend eine Handlung es vermag. „Wenn ich dir nicht dienen darf, wenn ich nicht für dich leiden darf, so hast du kein Teil an mir." Das Leiden besiegelt die natürlichen Bande zwischen Mutter und Kind, zwischen Mann

und Frau. Leiden schafft neue Bande. Und Leiden läutert, es birgt eine noch größere Läuterung in sich als das Handeln. Die Liebe, die uns zu einem lebendigen Bau aufbaut, benutzt das Leiden,

um die Steine schöner lind fester miteinander zu verbinden.

Er selbst ging dahin, bereitete mild

im ewigen Hause dort oben die Wohnung für alle, des Friedens Bild,

da die Seinen den Herren loben. Er wartet dort aller, die gläubig hier gehn, den Blick zum Himmel erhoben.

2. Kor. 1,7

Joh.l4,lf.

11. September

mit Gold oder Silber Jesus sprach zu ihnen: „Wer Sünde tut, der ist der Sünde

Knecht." Wir müssen die äußeren Folgen unserer Sünde und auch der Sünde anderer tragen. Das teuflisch verwirrte Netz von Be­

gierden, Vererbungen, Handlungen und deren Wirkungen zieht uns nicht nur ins Dunkel der Sünde, sondern das Böse, das wir getan, und das Gute, das wir versäumt, wirft seinen Schlag­ schatten über unseren weiteren Weg. Dieser Schlagschatten ist

das Unglück, das wir verursacht haben, der Unfriede im Gewissen und die Sklaverei der Schwäche und des Unrechts.

Am Ende dieser so verdüsterten Wanderung, ob sie nun lang oder kurz ist, lauert der Tod. Der Tod herrscht über die Menschen. Alle müssen sterben, und aus Furcht vor dem Tode sind die Menschen

ihr ganzes Leben lang der Leibeigenschaft verfallen. Die Macht der Vergänglichkeit hält den armen Menschen in kläglicher Skla­ verei, und die Unseligkeit des Herzens gibt dem Tod und der

Vergänglichkeit ihren bitteren Stachel.

Unter solcher Herrschaft ist der Mensch unselig. Ob er es nun weiß und fühlt oder nicht, ist er doch verloren und verdammt, in Leibeigenschaft bei fremden Herren. Der Helfer kam. Er hat „mich erlöset, erworben und gewonnen". Es war nicht leicht für ihn, die Sklaven von Sünde, Tod und Teufel zu befreien und selbst ihr neuer Herr zu werden. Er mußte sich selbst dafür opfern.

Der Erlöser wich nicht zurück. Er kämpfte getreu und gab in

unschuldigem Leiden und Sterben sein heiliges und teures Blut dahin. Es ist demütigend für uns, daß wir aus solche Weise erlöst unb gewonnen wurden. Unsere eigene Würdigkeit — sollten wir

meinen, sie überhaupt zu besitzen — sinkt vor dem Gekreuzigten hilflos in den Staub.

Joh. 8, 34

Ps. 90

Hebr.

27

12. September

Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit Der Dienst für Jesus Christus erhebt und richtet uns ohne alles

Verdienst auf. Er ist unser Herr geworden, damit wir in seinem Reiche unter ihm sein und leben sollen. Den Dienst in Christi Reich beschreibt Luther in den drei Worten:

„Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit". Gerechtigkeit ist der

Leitstern und das Gesetz unseres Lebens. Wie aber können wir der Gerechtigkeit dienen, solange wir von unserer eigenen, lähmenden

Ungerechtigkeit zu Boden gedrückt werden? Deshalb fügt Luther hinzu: Unschuld. Nicht die kindliche Unschuld, die der Heiland

liebte und pries, sondern die Unschuld, das Freisein von Schuld, das Zesus uns erworben hat.

Man kann je nach Beschaffenheit der Schuld auf verschiedene Weise von ihr befreit werden. Eine Geldschuld kann zurückgezahlt werden, eine Dankesschuld kann vielleicht auch in gewissem Maße

vergolten werden, ein Unrecht kann irgendwie gutgemacht werden,

und die Strafe, die man leidet, kann wenigstens für den Gestraften in ihrer Weise eine Erleichterung bedeuten. Aber die Schuld, die die Sünde uns Gott und den Menschen gegenüber zugezogen hat,

kann nur durch Vergebung ausgelöscht werden! Diese Unschuld, die Befreiung von Schuld, meint Luther, wenn er den Dienst in Christi Reich als Gerechtigkeit und Unschuld schildert.

Wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit. Nicht nur durch Gerechtigkeit wird das Leben in Christi Reich

gekennzeichnet, sondern auch durch Seligkeit, Frieden und Freude. Denn nur da wird das Verlangen der Seele gestillt.

13. September

Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn Wenn wir wissen, daß unser Leben durch sein Eingeschloffensein in Christi Leben erst seinen rechten Zweck erreicht, ist selbst das

Sterben unser Gewinn. Denn dann können wir mit dem Apostel bezeugen: „Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt

in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebet hat und sich selbst für mich

dargegeben." Dann gehören wir dem Herrn, ob wir leben oder sterben. „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben

wir dem Herrn." „Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegen­

wärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in

Christo Jesu ist, unserem Herrn." In diesem Sinne wollen wir die Gaben des Herrn empfangen und chm in Treue dienen, so daß

in all unserem Streben, in unserem Weinen und in unserer Freude, in unserer Häuslichkeit und in unserer Arbeit, unsere Mitbürger­ schaft im Himmel beschlossen ist. Denn niemand kann uns das Reich des Herrn nehmen, nicht einmal der letzte Feind, der Tod.

In diesem Reiche wird, wenn es vollendet ist, Gott abwischen alle Tränen von ihren Augen. „Und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerzen werden mehr sein; denn das erste ist vergangen." Da ist des Apostels Mahnung nicht mehr

notig. Da hat der Schmetterling seine Flügel freigemacht. Lehr mich, du leichter Schmetterling,

was Gott mir will verkünden, so wie du dein Gefängnis sprengst und aufwärts dich zum Lichte drängst, soll meine Seel nach ird'schem Ding

den Weg zum Himmel finden.

Phil. 1, 21 Röm. 38f.; 14, 7 Gal. 2, 20 Off.Joh. 21, 4

14. September

Der Beter unter dem hohen Kimmel Der Beter sehnt sich danach, sein Herz vor Gott auszuschütten. Er will mit seinen Sorgen, vielleicht Sorgen ums tägliche Brot,

zeitlicher Not, Krankheit, Heimsuchung, vielleicht Herzenskummer, Schuld, Versuchung und all dem Bösen im Schicksal des Menschen

und im Lauf des Lebens zu Gott kommen. Aber Jesus erlaubt ihm nicht, gleich in das unterzutauchen, was seine Gedanken ständig beschäftigt und sein Herz quält. Ehe der Betende zu seinen eigenen

Sorgen und Noten kommen darf, führt ihn Jesus hinaus unter Gottes freien Himmel und läßt ihn Gottes unergründliche Große

und Gnade ahnen und schauen. Gottes Name, Gottes Herrschaft, Gottes Wille, der Inhalt der drei ersten Bitten, das ist das Große, Wichtige, einzig Notwendige. 2n sie darf der Beter seine angst­

vollen oder eifrige» Gedanken einschließen. Er ahnt einen höheren

Zusammenhang, und sein Herz wird still, wenn er in diesen ersten

Bitten des Vaterunsers so wie im Lobgesang des Engelgrußes „Ehre sei Gott" unter den hohen Himmel gestellt wird, wo er frei atmen kann und wo er wenigstens blitzartig sein eigenes, kleines Leben, seine Freude und sein Elend im Lichte der Ewigkeit zu

schauen vermag. So ist es auch mit der Arbeit am Tage und dem einsamen Grübeln in der Nacht. Wenn du aufwachst, sitzen die schwarzen Vögel des Unftiedens auf deinem Bettrand und wachen. Aber von jeher empfand der Grübler Hilfe und Erleichterung,

wenn er aus der Eingeschlossenheit seiner Gedanken herauskam. Geh ins Freie, vernimm die Natur! Die Sonne, die Luft, die Weite, die Aussicht über Berg und Tal, das Laub der Bäume nnb der Gesang der Vögel, die weiße Schneedecke und der Ernst des tiefblauen Sternenhimmels lassen uns Menschen Gottes Macht ahnen und unsere Zugehörigkeit in einen Zusammenhang,

den wir nicht durchdringen können, dessen innerster Sinn aber die erlösende Liebe ist.

Matth. 6, 9ff.

Luk. 2, 14

Matth. 6, 2Sff.

15. September

Die Mission — Gottes Torheit Viele Menschen fragen heute immer lauter und ängstlicher:

Sind wir betrogen? War all das, was man Idealismus nannte, eine Illusion? Gibt es in dieser Welt nichts, was nicht menschlichen

Zwecken dient, mögen sie auch noch so notwendig und berechtigt sein? Da weisen wir auf die christliche Mission hin, gerade in ihrer Torheit — vom menschlichen Standpunkt aus gesehen. Man pflegt

als Beweis für das Christentum auf die Siege der Weltmission

hinzuweisen. Das ist auch richtig. Aber für mich liegt das Ent­ scheidende und Beweisende, soweit es das Christentum und die

Sache der Mission in dieser Welt betrifft, nicht in den Erfolgen

der Mission, sondern gerade in der unvernünftigen Selbstlosigkeit, der göttlichen Torheit, die Mission treibt und getrieben hat. Ihr

hat die Mission ihre große Ausbreitung zu verdanken. Ohne sie könnte sie auf die Dauer nicht bestehen. Wenn der Apostel von einer Torheit spricht, die weiser ist als Menschen, von

einer Schwachheit

Gottes, die stärker ist als

Menschen, so meint er die Torheit und Schwachheit des Kreuzes. Deshalb wollen wir in all unserer Arbeit und all unseren Vor­ bereitungen zu christlicher Arbeit den Mittelpunkt, nämlich Christi Kreuz, als den Ausdruck göttlicher Schwachheit behalten, die stärker

ist als jede menschliche Kraft. Alle Missionsbestrebungen und alle ihre Organisationen müssen sich darin einig sein, daß sie nicht auf

menschliche Kraft und Berechnung bauen dürfen, wie unbegrenzt diese auch in Anspruch genommen werden müssen. Wir sollen immer mehr lernen, in der Mission die göttliche Torheit zu erkennen, die klüger ist als wir, und die göttliche Schwachheit, die stärker ist als wir, die uns und unserer Arbeit die notwendige Kraft gibt und die sie auch vielleicht erhalten kann. Das schenke uns der Herr aus Gnade

und Barmherzigkeit!

1. Kor,

1,

25

16. September

Die Gewißheit eines göttlichen Wirkens in der Geschichte ist nicht aus der Betrachtung des Ganges der

Ereignisse und der Triebkräfte der Kultur entstanden, sondern aus einer zentralen religiösen Erfahrung persönlicher Art bei den Pro­

pheten. Der Offenbarungsglaube lebt stets unter denselben Be­

dingungen. Es ist leicht zu zeigen, wie die Entwicklung als der Grundgedanke unserer Zivilisation von der biblischen Offenbarung herkommt, von der doch letztlich unsere Kultur lebt, wenn auch

der Optimismus der modernen Evolutionsenthusiasten von der Gerichtspredigt der Propheten weit entfernt ist. Es liegt offen zutage, daß das Nachdenken über das Geschehen und den Lauf

der Welt, wenn es sich Zeit läßt, in den andern Kulturkreisen und

auch in unserer Kultur, sofern es von naturalistischen Voraus­ setzungen ausgeht, unfehlbar in den ewigen Kreislauf eingemündet ist und noch heute einmündet.

Das einzige, was der westlichen Bildung eine Seele gibt und

unsere Kultur vor Selbstwiderspruch und Selbstzerstörung rettet,

ist die Gewißheit, daß das Dasein in seinem Grunde Wille, Schöpfung, Offenbarung ist und eine auf diese Gewißheit ge­ gründete Lebensform.

Aber eine solche Einsicht ging in ihrer geschichtlichen Entstehung nicht aus der Spekulation über die menschliche Kultur und Ge­ schichte hervor, sondern aus der Mystik des persönlichen Umganges

mit Gott. So hat sie auch immer und zu allen Zeiten bei den Menschen, die auf eine religiös und geschichtlich wirkungsvolle

Weise eine solche Gewißheit durchlebt und beibehalten haben, ihren Grund nicht in Schlußfolgerungen, die man aus dem äußeren Weltenlauf und aus den Bedingungen der Kultur gewinnt, sondern in den inneren Konflikten und dem Durchbruch des persönlichen

Lebens. Der Mensch muß durch Seelennot und durch die Zugkraft des Geistigen aus Geschichte und Kultur herausgezwungen werden und Gottes Macht empfinden, um zu lernen, Gottes. Offenbarung

in der Geschichte zu sehen.

18

Worte für jeden Tag

17. September

Das Undurchdringliche, das das kleine Gebiet unsrer Erkenntnis umschließt, besteht nicht aus Gefängnismauern, die den Geist einschließen

und plagen. Vielmehr meint der Forscher, wenn das Dunkel anfängt, am Strande des Meeres zu gehen. Der frische Luftzug läßt

ihn tiefer atmen, und die Stille flößt ihm Ruhe ein. Die Alten

stellten sich den Ozean uinb um die Länder der Erde gebreitet vor. Unser eigenes Weltbild wird ebenso von dem Unbekannten um­ schlossen.

Der Forscher fühlt, daß er der geringe Diener an einem im Grunde unfaßbaren Zusammenhang ist. Wozu arbeitet die Wissenschaft? Um die Herrschaft über die Natur zu gewinnen. Damit sie sich selbst in ihrer Welt zurechtfinden und sich leichter in ihr helfen kann.

Aber es gibt eine Forschung, die keine dieser praktischen Beweg­

gründe hat. Sie wird vom Erkenntnistrieb geleitet. Woher kommt dieser unwiderstehliche Drang zu forschen und zu suchen, das ganze

Leben etwas so Unnützem wie dem Wahrheitsdurst zu opfern? Es kann geschehen, daß ein Forscher in unerschütterlicher Treue gegen sein Verfahren ein Problem gelost und neue Einsichten

gewonnen hat, ohne sich auch nur im Geringsten bewußt zu sein, welchen Wert sie für das Leben und die Zukunft der Menschheit haben können. Vielleicht wird lange nach Beendigung einer so selbstlosen, halbvergessenen Forscherarbeit ihr Ergebnis in uiv geahnter Weise im Dienst der geistigen oder materiellen Kultur verwandt. Diese Tatsache bekräftigt vielleicht die Richtigkeit

einer Empfindung in der Seele des Forschers, wenn er, ohne daß er um das Endziel weiß, sich in Gehorsam bemüht, Klarheit zu

erlangen. Er hat die Empfindung, als Diener mit begrenzten Be­

fehlen vor einem großen, sinnvollen Zusammenhang, vor einem übermenschlichen Zusammenhang zu stehen, wo die Treue unwill­ kürlich zum Gottesdienst wird.

18, September

Die Wahrheit wird euch krei machen Wenn auch diese Worte Jesu nicht mit goldenen Buchstaben

an jeder Schule, den höheren und den niederen, in unserer westlichen

Kulturwelt angeschrieben sind, so sollen sie doch alle Arbeit im Dienst der Bildung beseelen.

Ist das wahr? Bewirken Kenntnisse sittliche Freiheit? Können manche Einsichten nicht ebenso wie Telefon und Flugzeug sowohl

vom Teufel als von Gott angewandt werden? Ist das Wissen an

sich nicht sittlich gleichgültig, dient es nicht dem Guten oder dem Bösen, je nach dem Willen, der es gebraucht?

Besitzt der Mensch eine edlere Gabe als die Klarheit des Ver­

standes? Weckt bei Jung und Alt den Sinn für Kenntnisse, Studien, geistige Beschäftigung, geistige Genüsse! Die Seele wird dadurch in eine höhere Sphäre erhoben, die sie veredelt. Geistige Übung hält der Macht der niederen Triebe im Menschen das Gleichgewicht. Die einfachste Beobachtung bekräftigt meine Worte. Der Er­

kenntnistrieb ist ein Teil des Wahrheitsdurstes, der den Menschen

zum Menschen macht und ihn an dem großen und wachsenden geistigen Erbe der Menschheit teilhaben läßt.

Aber Jesu Wort „Die Wahrheit wird euch frei machen" gilt nicht allen

möglichen Wahrheiten

Jesus spricht von der Wahrheit.

und Erkenntnissen,

sondern

Die Wahrheit bedeutet bei

Jesus nichts weniger als unseres Lebens tiefsten Sinn. Unser Ver­

stand kann die Wahrheit nicht durchdringen und fassen. Wohl aber

kann unser Herz, als der Inbegriff unseres Wesens, von der Wahr­ heit ergriffen und frei von chr überzeugt werden, sodaß es sie mit

allen Kräften und ganzem Vermögen umfaßt. Die Wahrheit

gestattet nicht, daß sich das Erkenntnisvermögen vom sonstigen

Wesen des Menschen isoliert, denn wir können Kenntnisse und Er­ kenntnisse in .unseren Dienst stellen. Aber die Wahrheit als der

Sinn des Lebens muß uns selbst in ihren Dienst nehmen. Sonst

haben wir an der Wahrheit nicht teil.

Joh. 8, 32; 14, 6 18*

19. September

Die Bibel ist das Buch von Gott und der Keele. Die Schriftgelehrsamkeit wird überall zunl Umgang mit Gott selbst, in der Schrift, im Studium, im Gebet, im Sichversenken und Nachdenken, im Amt, in der Einsamkeit, im Leben und in den Gedanken der Gottesmänner. Überall gibt Gott sich der Seele zu erkennen. Es gibt viele Lehrmeister, viele geschriebene und ungeschriebene

Hilfsmittel in der Schule des Lebens. Aber Jesus will uns zu Jüngern in Gottes Reich haben. Gott soll herrschen. Das ist das A und O der Bibelweisheit. Wer im Himmelreich Jünger wird,

dringt durch die Schale, die im Leben und in der Bibel Gottes Werk einschließt und womöglich verbirgt. Weil die Bibelgelehrsamkeit leicht in etwas Äußerlichem stecken

bleibt, verursacht sie oft llneinigkeit. Die Streitigkeiten der Theo­ logen sind sprichwörtlich geworden. Aber auch hier weiß Jesus Rat.

Wenn wir Jünger im Himmelreich werden, dann kommt eine tiefe innere Einheit zustande. Es gibt mancherlei Ungleichheiten und muß sie geben. Jeder sieht nur Stückwerk. Wir müssen uns zu­ sammensetzen und beraten, Rat annehmen und Rat geben. Aber ein gemeinsames Programm bewirkt nicht unbedingt wirkliche

Einheit. Jesus zeigt hier den einzigen Weg zu wahrhaftem Ein­

verständnis. Wenn man von einem Menschen weiß, daß er Jünger im Himmelreich ist, dann hat man eine beglückende Gewißheit des Einvernehmens im Wesentlichen, wenn es ernstlich darauf ankommt. Man braucht sich nicht zu verständigen. Man weiß

trotzdem, was Gottes Reich fordert. Man braucht kein gemeinsames Programm, keine Abmachungen. Unter all denen, die wechsel­ seitig davon überzeugt sind, daß sie — koste es, was es wolle an Selbstüberwindung,

Mißverstehen,

Widerstand

und

anderen

Schwierigkeiten — auftichtig und ohne Fleisch und Blut zu fragen Gott herrschen lassen wollen, wird ein Vertrauen hergestellt, eine Einheit, die auf keine andere Weise zustande gebracht werden kann.

1. Kor. 13. 9

20. September

Die Vrophetenreligion Jesus gehört nicht der Geschichte der Kulturreligion an. Er ist die Erfüllung von Moses und den Propheten. Er war nicht ge­

kommen, um eine neue Religion zu stiften, sondern um die Religionen aufzuheben und das Reich Gottes zu gründen. Eine

Religion mit all ihren Merkmalen ist aus seinem Erbe erstanden. Aber sie ist nur ein Mittel für Gottes Reich, ein Durchgang. Es

ist noch incbt offenbar, was wir werden sollen. Die Prophetenreligion ist nicht ein Stadium in der Entwicklung

der Religion, sondern eine Erscheinung für sich. Versuche, sie zu

einem Entwicklungsprodukt der Volksreligion zu machen, stehen — wie anziehend sie auch sein mögen — in Widerspruch zum Zeug­ nis der Religionsgeschichte. Die für die religiöse Geschichte der Menschheit eingreifendste

und bedeutungsvollste Gotteserfahrung und Gottesoffenbarung, in der Prophetenreligion, tritt in einer sehr niedrigen Kultur auf — seitab von dem großen, allgenieinen Flußbett der Gesellschafts-, Moral-, Kultur- und Geistesentwicklung. Die Kultur hat sie später ausgenommen, durch sie eine neue Seele erhalten und ist

dadurch vor Selbstzerstörung bewahrt worden. Dabei hat sie

ihrerseits auf die prophetische Religion eingewirkt, ohne ihr jedoch eine neue religiöse Kraft geben zu können. Die Prophetenreligion bedeutet für die Religionswissenschaft

ein anderes und weit schwierigeres Problem als die Natur- und Kulturreligion. Es wird nicht durch die Behauptung gelöst: Wir

sehen keinen Zusammenhang, also ist es Gottes Werk. Das ist ein ebenso gefährliches wie bequemes theologisches Verfahren, Gott

da einzusetzen, wo der Zusammenhang dunkel ist. Nein, das Gött­ liche erscheint im Menschlichen. Irgend eine Lücke im historischen

und psychologischen Zusammenhang sehen wir nicht im Leben des Propheten. Wenn wir mit den Augen Gottes sähen, würde alles

klar in seinem Zusammenhang vor uns liegen.

Matth.

17

21. September

Der Jubel Jesu Christi Jesus frohlockt darüber, daß er den Vater kannte, wie keiner ihn je gekannt hat und wie keiner ihn jemals kennen wird. Seit Anfang

der Welt hatten alle Menschenherzen, die diesen Namen verdienen,

nach Gott getastet und gesucht. „Und er hat gemacht aller Menschen Geschlechter — daß sie den Herrn suchen sollten, ob sie doch ihn

fühlen und finden mochten; und zwar er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns." Viele hatten etwas von Gottes Wesen geahnt oder erfahren. Aber hier steht nun einer, der weiß, daß, ehe

er kam, Gottes Wesen verborgen war. „Keiner kennt den Vater

außer dem Sohn und wem es der Sohn will offenbaren." Jesus hat in Gottes Vaterherz gesehen. Er weiß, was kein andrer weiß — ein ungeheurer Anspruch! ?lber hat er nicht recht? Wer kann die Wahrheit dieses überwältigenden Glücksgefühls, das wir uns kaum vorstellen können, bestreiten? Gott zu kennen! „Ich kenne

Gott!" Wenn einmal, als wir es am wenigsten ahnten, ein Strahl in unsere Seele fiel und sie mit himmlischer Klarheit erleuchtete,

dann können wir andern armen Menschenkinder uns vielleicht eine

sehr schwache Vorstellung davon machen, was es bedeuten mußte, als es Jesus klar wurde, daß er sich vor allen andern mit dem Ver­

trauen des Vaters beschenkt wissen durfte. Daß er und der Vater eins sind, daß er den Vater kennt und ihn allein offenbaren kann.

Der Menschengedanke vermag nicht j« fassen, daß ein Einziger

unter den unzähligen Millionen seine Stimme erhebt und redet unb die Wahrheit spricht, wenn er sagt: „Niemand kennet den

Vater denn nur der Sohn". Im Himmel und auf Erden ist uns kein andrer Name gegeben.

Joh. 10,15 Apostelg. 17, 27 Matth. 11, 27 Joh. 10,30 Apostelg. 4, 12

22. September

Wunder im religiösen Kinn Vieles, vielleicht das meiste von dem, was in der Natur und im

Menschenleben geschieht, ist für uns entweder ohne Interesse oder dunkel oder rätselvoll, vielleicht sogar eine Versuchung zum Zweifel

oder zur Verzweiflung. Es kommt vor, daß absolut nichts Geheim­ nisvolles in diesen Ereignissen ist, daß der Kausalzusammenhang vielleicht so deutlich, natürlich und alltäglich wie nur möglich ist.

Es kommt auch vor, daß in diesen Ereignissen für die wissenschaft­ liche Erklärung Schwierigkeiten liegen. Aber für den Glauben

sind sie tot, sinnlos oder rätselvoll und beunruhigend. Der Glaube kann nicht in den geistigen Zusammenhang eindringen, er versteht

nicht, was Gott meint. Eine solche Tatsache ist vielleicht merk­ würdig, verursacht Streit und Untersuchungen, aber sie ist kein Wunder im religiösen Sinn. Wo der Glaube von einem Wunder

spricht, da ist er daheim, da versteht und weiß er: Gott hat das

zur Erlösung der Menschheit, ju Hilfe und Trost für den, der es erlebt, getan. Das betreffende Ereignis kann für die Wissenschaft

ein ewiges, großes Problem sein, wie die Person Jesu und der Ur­ sprung des Christentums, oder die natürlichste Sache der Welt,

ein Ereignis im Leben eines Menschen, das für andere unbedeutend, für ihn aber wichtig ist. Vom religiösere Gesichtspunkt aus ist das

Ereignis bedeutungsvoll und inhaltsvoll, denn hier begegnet Gott dem Menschen. Gott gibt sich der Menschheit oder einem einzelnen zu erkennen. Eine solche Begegnung gehört der Welt des inneren Lebens an, aber sie ist mit der Geschichte, vor allem mit dem Er­ scheinen Ä)risti, verknüpft.

Für Christus war alles Wunder. Er sah überall das Wirken Gottes. Die Helden und Heiligen der Christenheit vermochten auch da Gottes Werk zu sehen und dem Göttlichen zu begegnen,

wo der gewöhnliche Mensch gedankenlos an Gottes

vorbeigeht.

Wunder

23. September

Vor einem neuen Lebensjahr Je klarer sich der Mensch über sich selbst wird, desto deutlicher sieht er, daß keine Forschung und Berechnung ihm das Lebens­

elixier schaffen kann, das Begeisterung und Vertrauen heißt. Gerade

im Wesentlichen, im Wichtigsten, wenn es dem Sinn und der menschlichen Würde unsres Lebens gilt, müssen wir wie unsre

Väter und alle kommenden Geschlechter von der Pflicht und von Gottes Barmherzigkeit leben und nicht von Berechnung. Die

Lebensbedingung für einen jeden ist, in Gewissensgehorsam imb Treue gegen die Aufgabe, die er erhalten oder ersehnt hat, in Gottes

Namen vorwärtszugehen. Wir können nur eine kurze Wegstrecke überblicken, imb wir sehen

vielleicht gar nicht, daß etwas zustande kommt. Aber mit geschlossenen Augen fühlen wir das Erhebende, daß wir in dem großen, uns und alle Geschlechter umfassenden Wunder des Lebens stehen. Wenn wir aber die Augen offnen, wollen wir in dem schmalen Lichtstreifen,

der bis zu uns herniederreicht, geradeaus weiterschreiten. Denn

nur so kann man dennoch etwas gewinnen. Arbeite treulich und verzweifle nicht. Nur so gewinnen wir auch unser eigenes Leben, unsre Seligkeit. Nicht etwa als Ergebnis einer Glücksberechnung, sondern als das Geschenk des Himmels,

das dem redlichen Arbeiter in seinem Streben zuteil wird. Unsere einzig sichere und allein glückbringende Losung ist: Die Pflicht und Gottes Barmherzigkeit. Ein neues Jahr wird uns durch Gottes Barmherzigkeit gegeben. Jeder Tag ist ein unschätzbares

Geschenk von Gottes Barmherzigkeit. Deshalb will ich froh verrichten

alles, was mir Gott befiehlt; treu erfüllen des Tages Pflichten, harren, woraus sein Wille zielt.

Wie der Vogel will ich singen bei des Tages Müh und Last;

Gott wird Schutz und Frieden bringen,

wenn ich geh zur Abendrast.

24. September

Ihr werdet Äugen kinden, die selbst den himmlischen Glanz geschaut haben Studenten, setzen Sie Ihre Studien fort ohne Furcht, bei

jemand Unbehagen zu erregen! Ich beglückwünsche Sie, daß Sie mit einem Amos, Hosea, Jesaja, Jeremia,

Paulus, Augustin,

Franziskus, Luther, Pascal, Kierkegaard umgehen dürfen. Und hoch über ihnen allen der Meister, Jesus Christus, der Herr, der

vor unseren Blicken wächst, je näher wir ihm kommen. Ihn sollt ihr euer» Brüdern zeigen, die ihr dadurch befreit seid, daß ihr euch seinem Joch unterworfen habt. Das Menschenherz soll euch in der

Religionsgeschichte

sein

innerstes

Geheimnis

verraten:

Die

Sehnsucht nach Gott. Auch in dunkeln Zeiten, im Dunkel von

Unwissenheit und Sünde, wird euch diese Sehnsucht wie ein heiliges Feuer entgegenleuchten, in dessen Licht ihr vieles ahnen oder verstehen werdet, was euch widerspruchsvoll oder verschlossen

war. In den abergläubischen Gebräuchen der Wilden und ihrem verwirrenden Geisterglauben, für die die Unwissenheit nur Ver­ achtung übrig hat, werdet ihr das Gefühl des Unendlichen spüren.

In

den Lehrformeln der christlichen Kirche, die der heutigen

Begriffswelt äußerst fremdartig sind und für die die Unwissen­

heit

nur Ablehnung hat, werdet ihr

tröstliche Heilswahrheiten

wiedererkennen. Schon in der überall wahrnehmbaren Sehnsucht nach dem Gött­

lichen werdet ihr den Abglanz eines himmlischen Lichtes wieder­

erkennen. Wenn es hier matter und dort leuchtender ist, beruht das nicht auf der Unzulänglichkeit der Lichtquelle, sondern auf der Stellung und der Empfänglichkeit dessen, der es auffängt. Aber

ihr werdet mehr finden als diesen Abglanz. Ihr werdet auch

Augen finden, die selbst den himmlischen Glanz gesehen haben, und ihr werdet Zungen Horen, die von seiner Herrlichkeit

reden können.

Sir. 17,11

2S. September

Beethovens Musik Bei Beethovens Musik empfinde ich etwas von dem, was ich

bei den tiefsten Erfahrungen des Menschenlebens und dem Myste­ rium des Daseins fühle. Bei Beethoven findet man, besonders in

seinem späteren Schaffen, Gefühle und Gedanken, Hoffnung und Schmerz, Versöhnung, Tapferkeit, Ergebung, Lichtschimmer im

Dunkel auf eine Weise abschattiert und verbunden, wie es Worte nicht ausdrücken oder vermitteln können, die aber der versteht, der durch das Fegefeuer des Lebens, durch Himmel und Holle der Seele

gegangen ist. Sein Werk hat deshalb dieselbe tröstende und klärende, ja versöhnende und stärkende Wirkung wie jeder echte und geistes­ verwandte Ausdruck für die sonst unklare, brausende, nicht immer mitteilbare Reaktion der Seele auf das Dasein. Wenn ich irgendwelche Werke Beethovens besonders nennen sollte, so wären dies wohl die letzten Sonaten. Es ist noch nicht lange her, daß ich tiefer in sie eingedrungen bin. Das wurde mir eigentlich erst durch Wilhelm Kempffs Wiedergabe vor etwa zehn Jahren im Erlist möglich.

Hier bewahrheitet sich, was Martin Luther einmal unter dem Druck der Schwermut schrieb oder bei Tisch äußerte, daß es, wenn

ein Christenmensch ausharrt, gegen Abend heller für ihn wird. Oder soll ich den lieblichsten Ton nennen, den ich in der ganzen Welt der Musik kenne, am Schluß des Mittelsatzes in As-dur der

der C-Moll-Symphonie. Man wartet und graut sich davor, wann er kommen wird, und jedesmal, wenn man ihn hort, denkt man an den heiligen Franz und seinen Traum: Der Engel spielte so holdselig auf seiner Geige, daß die Seele, wenn er noch einen Strich

getan hätte, vor Wollust gestorben lväre.

Ein gelehrter Kontrapunktiker gab Ludwig van Beethoven das höchste Lob, das ich je gehört habe: Er nannte ihn die Fleischwerdung der Musik.

26. September

Das Wesen der Gebetserhörung Das Wesel, der Gebetserhörung besteht darin, daß wir Gottes Nähe empfinden. Jesus erhielt nicht, worum er so eifrig bat. Wenn die Gebetserhorung darin bestünde, daß wir das, was wir begehren,

erhalten, dann wäre Gethsemane das Gegenteil einer Gebetserhörung. Aber statt dessen ist es das große Zeugnis davon, wie

Gott Gebete erhört. Schon im Gebet selbst liegt Erleichterung und Trost. Gott legt seine Antwort in den Klageruf der Menschen­ seele zu ihm. „Ehe sie rufen, will ich antworten." „Wenn sie noch reden, will ich sie hören."

Wenn wir das Herz in einem aufrichtigen und mutigen Gebet erleichtern, das sich nicht auszusprechen scheut, was das Herz be­ drückt, auch wenn es gefährlich sein sollte, solche Gedanken zuzu­ geben, erhalten wir Stille und Stärkung von Gott. Gottes Ant­ wort für den kämpfenden Beter ist Kraft und Klarheit. Also liegt

das Wesen des Gebets in der Empfindung der Nähe Gottes.

Jesus fühlte, daß er nicht allein war, sondern daß Gott bei ihm war. Er sagte: „Siehe, es kommt die Stunde, und sie ist schon gekommen, daß ihr zerstreut werdet, ein jeglicher in das Seine

und mich allein lässet. Aber ich bin nicht allein. Denn der Vater ist bei mir." Was der Apostel schreibt, bewährt sich an uns: „Sorget nichts, sondern in allen Dingen lasset eure Bitten im Gebet und

Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden. Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen

und Sinne in Christo Jesu." Für unser Gebet gilt das gleiche Gesetz, für uns ist die gleiche väterliche Barmherzigkeit und Gebetserhörung da, wie für dell

Erlöser in Gethsemane. Aber die Bedingung ist, daß wir zu allem, was Gott uns schickt, und zu allem, was er uns befiehlt, sagen können: „Dein Wille geschehe, nicht wie ich will, sondern wie du willst".

Matth. 26. 36ff. Jes. 65. 24 Joh. 16. 32 Phil. 4. 6f. Matth. 6.10

27. September

Die Stille in Gottes Mähe Auch deine Tränen sind vergänglich. Ja, sogar beine tränenlose

Trauer wird aushören. Du müde Seele, du verschmachtendes,

liebendes Herz, tausendmal gibst du dich zum Opfer ohne Lohn, unb doch bist du immer und immer wieder bereit, dich aufs

neue zu schenken. Traure, aber verkrieche dich nicht, schließe dich nicht ein in deinen Kummer wie in eine traurige Freistatt, wie die Belagerten es vorziehen, ihre Tage ohne Hoffnung in dem

voll innen verriegelten Kellerraum der Festung tatenlos dahinzu-

schleppen, wenn sie nicht mit flatternden Fahnen und klingendem Spiel hinausziehen können. Du mußt wissen, daß auch die Trauer vergänglich ist, auch sie. Mache nicht die Trauer zu deinem Lebens­ inhalt, sondern lebe von der Barlnherzigkeit Gottes, die erlösen

kann. „Denn ich halte es dafür, daß dieser Zeit Leiden der Herr­

lichkeit nicht wert sei, die an uns soll offenbart werden." Lächle, aber freue dich in dem Herrn. Baue dein Glück und deine

Sicherheit nicht aus irdische Freude und Erfolg. Erleuchte dein Leben nicht allein mit dem Licht der Gesundheit und des Glückes,

der Beliebtheit und Schönheit. Irdisches Glück ist oft ein Fest­ feuer, das ebenso sicher erlischt wie das großartigste Feuerwerk. Wenn du dann kein anderes Licht hast, das dir leuchtet, wird es

zuletzt dunkel und kalt in deinem Leben. Wir müssen immer wieder dann und wann die lärmende Festes­

freude oder die feierliche Freude und all den schneidenden Mißton irdischen Elends verlassen und unsere Seele, die vom Lärm er­ müdet, in Verzweiflung geraten ist, erquicken, indem wir der

beredten Stille in Gottes Nähe lauschen und die Sterne schauen, die sich im tiefen Wasser der Ewigkeit spiegeln.

Röm. 8,18 Ps. 32; 104, 34 Jei.61,10 Hab. 3,18 Tob.13,8 Phil. 4, 4

28. September

Die Musik des Menschenlebens Eure Herzen, ihr Jungen, bürfeti nicht verdorrt sein. Es muß ein Widerhall darin sein für den Ton vom Himmel. Er klingt wohl zuweilen strömend und brausend in eurer Brust. Aber wißt

ihr, was notig ist, damit Lebensmusik daraus wird? Dazu genügt nicht der warme Ton überströmenden Gefühls und der Begeisterung, auch nicht irgend ein tönender Reichtum. Damit Musik

daraus wird, bedarf es des Rhythmus und des Taktes.

Und

immer wieder Rhythmus — Takt! Ohne Rhythmus keine Musik. Haltet Maß! Wie so sauer wird Musik, so süß sonst, wenn die Zeit verletzt

und Maß und Eintracht nicht geachtet wird! So ist's mit der Musik des Menschenlebens. Shakespeare läßt das König Richard II. sagen, während er

grübelnd im Gefängnis von Pemfret auf- und abgeht. Ohne festen und sicheren Rhythmus kann das Saitenspiel der Seele nicht wohllauten. Den Rhythmus, den Takt im Leben nennen wir Charakter. Der Wille schlägt den Takt. Du mußt wissen,

was du willst, du mußt wissen, was du sollst, um du selbst zu sein. Lerne das zu tun, was du willst. Der Seher hörte das neue Lied vor Gottes Thron von den einhundcrtvierundvierzigtausend Versiegelten der Geschlechter Israels.

„Und ich hörte eine Stimme vom Himmel als eines großen Wassers

und wie eine Stimme eines großen Donners; und die Stimme, die ich hörte, war wie von Harfenspielern, die auf ihren Harfen spielen." Das ist der Gesang der Seelen vor Gott. Gottes himm­ lisches Orchester, in das wir mit dem Saitenspiel unseres Herzens einstimmen dürfen, wenn es nach all den schrillen Mißtönen den richtigen Ton gefunden hat.

S8J Öff.Joh.i4,2

29. September

Das Lind — Leich Gottes „Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen." Was entzückt den Erlöser an den Kindern? Vor allem ganz einfach die Lieblichkeit des Kindes. Er, dessen Blick die Lilien auf dem Felde und die Vogel unter dem Himmel

liebkoste, mußte noch mehr die kleinen Menschenwesen lieben, die noch ein Blumenleben führen und späterhin auch eine Weile wie

der Vogel leben sollen, während die schlummernden menschlichen

Anlagen für Gut und Bose gleichzeitig mit dem Erwachen des Geistes ihr Recht beanspruchen.

Ferner schätzt Jesus an den Kindern, daß sie von jeder Künstelei frei sind. Nicht Leichtsinn, Irrtum, Versäumnis aller Art bestraft Jesus am meisten, wie streng er auch gegen all dieses Unrecht ist.

Am widerlichsten waren ihm Unwahrhaftigkeit und Heuchelei. Jesus mag keine Künstelei, am wenigsten religiöse Künstelei und Wichtig­ tuerei. Die Aufrichtigkeit, die Geradheit und der klare Blick des

Kindes gewannen sein Herz. Weil das Kind die Dinge viel gerader und einfacher sieht als

wir Alteren, deshalb fand wohl der Heiland, daß das Kind es näher hat zu Gottes Stadt als wir. Gottes Stadt, Gottes Herr­ schaft rückt für uns in die Ferne. Wie können wir den Gedanken

und die Hoffnung daran mit der Welt verbinden, in der wir leben? Einmal zerstreut sich der Nebel. 2n einem begnadeten Augenblick schauen wir einen Schimmer von Gottes Herrlichkeit. Aber für das Kind ist der Weg kürzer. Das Kinderauge braucht kein Fern­

glas. Es schaut Gottes Himmel. Selig sind, die reines Herzens sind, Denn sie werden Gott schauen.

Luk. 18,17

Matth. /, 8; 6, Mf.

30. September

Das Lind erfüllt eine menschliche Aufgabe Das Kind ist nicht nur eine Vorstufe zum Manne. Das Kind ist eine Gestaltungssorm des Menschen, die ihre eigene Aufgabe

und Stellung im Reiche

Gottes hat. Diese Auffassung Jesu

gibt uns die Antwort auf wichtige Fragen, ja auf Rätsel, die uns begegnen. Das Kind hat schon als Kind eine menschliche Aufgabe erfüllt. Es will als richtiger Mensch behandelt werden. Wir fragen

uns zuweilen, warum dieser oder jener die besondere Zuneigung und das Vertrauen des Kindes gewonnen hat. Das Geheimnis liegt darin, daß er das Kind nicht spielerisch, sondern ernsthaft nahm. Er suchte nicht, sich aus den Standpunkt des Kindes herab­ zulassen. Er sprach zu ihm wie zu einem Erwachsenen. Er behandelte

das Kind wie einen richtigen Menschen. Nur wenn man das Kind

so behandelt, kann es für uns Altere den Nutzen haben, zu dem es fähig ist. Ein Kind ist für den Heiland etwas Vollständigeres und Vollkommeneres als ein von allerhand seelenlosen Sorgen und Genüssen

zerrissener

und

erdgebundener

erwachsener Mensch.

Ein milderes Licht fällt auch über die frühen Gräber. Jesus zählt nicht die Jahre, sondern er sieht auf die Seele. Der Schmerz

über den Verlust bleibt derselbe. Der Heiland erbarmte sich der Witwe zu Nain. Aber das Kind ist nicht nur eine Verheißung. Es ist eine Erfüllung, eine ganze Menschenseele. Und oft wird es ihm leichter, sich von dieser Welt loszulösen, wenn seine Stunde gekommen ist. Denn das Kind konnte ja noch nicht so viel Staub auf die Flügel seiner Seele sammeln.

Luk. 7, Uff

1. Oktober

Arbeitslohn und Arbeitsfreude Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg gibt uns un­

geahnten Aufschluß über die Berechnungsmöglichkeit des Arbeits­

lohnes. Wer trotz seines Wunsches nicht arbeiten darf, braucht doch für die Seinen Nahrung und Kleider, Wohnung und Lebens­ unterhalt ebenso gut wie einer, der in Arbeit steht und den man

darum nicht glücklich genug preisen kann. Soll nun der Lohn nach Stunden und Tagen berechnet werden, so entsteht dadurch große

Ungerechtigkeit. Hier im Gleichnis — leider nicht in der Wirk­ lichkeit — wollen alle arbeiten. Alle sind gewillt, näher oder weiter

in den Weinberg zu gehen, wo sich ihnen Arbeit bietet. Alle haben

dieselben menschlichen Bedürfnisse für ihren Unterhalt. Die soziale Erfahrung unserer Zeit gibt dem Meister im Evangelium recht. Der Lohn muß die Lebensbedürfnisse in Betracht ziehen.

Dasselbe Gleichnis kann uns noch eine Lehre geben: die Kunst, dem Leben mehr Freude abzugewinnen. Die Unzufriedenen be­

trachteten die Arbeit als schwere und harte Notwendigkeit. Sie

hatten noch nicht unter dem Fluch der Arbeitslosigkeit gestanden. Sie verstanden daher nicht die Freude der Arbeit.

Wir haben mancherlei Arbeiten, unseren Beruf, unsere Erwerbs­ arbeit. Aber wir haben noch andere Obliegenheiten. Wir haben unsere Verwandten, unser Heim, unsere Angehörigen, unsere

Freunde, den Nächsten, der unserer Hilfe bedarf, kleinere und größere Kreise, die Gesellschaft und allgemeine Angelegenheiten. Wir haben uns selbst; in unserem Wesen liegen Gebiete brach, die gepflügt und bebaut werden müssen, um Frucht zu bringen.

All dies faßte der Heiland in dem einen Wort „Dienst" zusam­ men. Und er sagte, daß es seine Ausgabe in der Welt war, mit allen Kräften, allen Möglichkeiten, die er besaß, zu dienen, sein ganzes Leben in diesem Dienst hinzugeben. Diese Lebensregel und Lebenskunst müssen wir von Jesus lernen, mn dem Leben mehr Freude abzugewinnen.

Matth. 20, lff. Matth. 20, 28 Luk. 22, 27 Phil. 2, 7

2. Oktober

Arbeit gibt Freude Jede redliche Arbeit und Mühe, jede ehrliche Ausbildung und Anwendung der Kräfte des Körpers und der Seele, jede tätige

Fürsorge für den Nächsten ist ein Dienst, ein Beitrag zunl Ganzen. Wenn wir fleißig unsere Kraft, unsere Zeit in solchem Dienst

brauchen, gibt uns das Freude. Die Arbeitslosigkeit, wenn auch nicht gerade eine Erfindung, so doch ein Nebenprodukt unserer industrialisierten und rationalisierenden Zeit, ist auch deshalb grausam, weil sie ihren Opfern diese Möglichkeit zur Freude verweigert. Man staunt über das Interesse, das intelligente und kenntnis­

reiche Menschen auch einer mechanischen Arbeit abgewinnen können,

die von anderen Arbeitsgruppen so gerne verachtet wird. Sie ist für das Ganze notwendig.

Um so trauriger ist die Faulheit, die nicht die Möglichkeit zur Arbeit benutzt. Darum wünschen wir jedem jungen und jedem älte­ ren Menschen die Entdeckung von Jesu Lebensregel und der großen

Freude, mit ganzem Herzen die Gaben zu gebrauchen, die ein jeder erhalten hat, und die kostbare, fliehende Zeit zu nutzen.

1. Kor. 7,7 1. Petr. 4, 10 Eph. f, 16 Kol. 4, 5 19

Worte für jeden Tag

3. Oktober

Die arbeitswilligen Arbeitslosen Die zuerst gekommen waren, murren über den Hausvater und

sagen: „Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze ge­

tragen haben." Sie vergessen ganz, wie es war. Diese letzten hatten niemals darum gebeten, ohne Arbeit bleiben zu dürfen. Umgekehrt, als der Hausvater um die elfte Stunde kommt und noch einige ohne Arbeit auf dem Markt stehen sieht, fragt er sie: „Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig?", und sie antworten ihm: „Es hat uns niemand gedingt". Sie wünschten sich nichts sehnlicher,

als arbeiten zu dürfen. Aber es gab für sie keine Arbeit. Die Treff­

sicherheit in Jesu Beobachtung bewahrheitet sich. Unser Zeitalter ist mit Recht stolz auf Fortschritte und Erfindungen, Technik und Wunder, von denen sich vergangene Zeiten nichts träumen ließen.

Aber wer hätte in dieser Zeit, wo aus der toten Materie Maschinen geschaffen wurden, die die Arbeit von Tausenden von Menschen

verrichten und so dem Menschen helfen wollen, geahnt, daß sich ein Gespenst einstellen könnte, dem die Menschheit in früheren,

von uns gering geachteten Zeiten nicht ins Auge gesehen hat, nämlich die Arbeitslosigkeit! Ihr Unglück, ihren Fluch, ihr Problem brauche ich hier nicht näher zu entwickeln. Sie verursacht Not.

Und aufgezwungene Beschäftigungslosigkeit ist eine furchtbare moralische Versuchung. Die ersten, die den ganzen Tag, vielleicht den ganzen Lebenstag arbeiten dursten, haben keinen Anlaß, denen gegenüber überheblich zu sein, die zur sechsten oder neunten oder gar zur elften Stunde Arbeit erhielten. Umgekehrt müssen sie aus

vollstem Herzen ihr Glück preisen, daß sie nicht nur eine Stunde, sondern den ganzen Tag arbeiten durften. Hier gibt also nicht die Zahl der Arbeitsstunden den Ausschlag, sondern die Arbeits­

willigkeit, das heißt der Wunsch, einen Dienst verrichten zu dürfen.

Matth. 20, 1-16

4. Oktober

Das Himmelreich ist nahe Es gehörte nicht zu Jesu Berufung, die vielen verschiedenen Berufe und Aufgaben des Menschenlebens zu schildern. Dazu hatte er keine Zeit. Nicht aus Eile, sondern weil er Wichtigeres zu tun

hatte. Wir können im Evangelium nirgends einen Zug von Hast

entdecken. 2m Gegenteil, es liegt über ihm die Stimmung der Ruhe. Sie hat Menschen veranlaßt, den Menschensohn mit einer Blume zu vergleichen, die unbekümmert wächst und von der Freude

und Ruhe des Augenblickes erfüllt ist. Das Fehlen alles dessen, was an Eile erinnert, beruht nicht auf einem Überfluß an Zeit,

sondern auf der Stärke des Mannes, von dem das Evangelium

handelt. Die Zeit war kurz und äußerst kostbar. Denn das Himmelreich

war nahe. Die Entscheidung stand vor der Tür. Jeden Augenblick

konnte Gottes Herrschaft mit unwiderstehlicher Macht hereinbrechen. Das Gericht stand bevor. Tut Buße! Die Befteiung stand bevor. Selig seid ihr! Es konnte nicht mehr lange währen. Als Jesus die Zwölfe aussandte, weissagte er ihnen: „Wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende

kommen, bis des Menschen Sohn kommt." Und ein ander Mal. „Gehet aber und predigt und sprecht: ,Das Himmelreich ist nahe

herbeigekommen^. Machet die Kranken gesund, reiniget die Aus­ sätzigen, wecket die Toten auf, treibet die Teufel aus!" Sie sollten frei und unbeschwert von dem Ballast des Lebens und zeitlicher Sorge wandern, so wie er es tat, ohne Geld im Gürtel, ohne Tasche oder Bettelsack. Es war hohe Zeit. Sie sollten Jesu Auftrag aus­ führen, verkündigen und helfen. Er gab ihnen Vollmacht. Du Licht der Welt,. Du gleichst dem Morgensterne,

gehst auf, erleuchtest, wärmest, schirmst so gerne die Erdenkinder, die zum Himmel streben.

Ich schaue Dich, Dir folg ich all mein Leben.

Matth. 3, 2; 4, 17; 10, 7ff.; 10, 23 Luk. iff

S. Oktober

Das Leichen und die Lache Wir müssen uns abgewöhnen, über das Mysterium des Daseins und über Gott ungefähr wie über eine Gleichung ersten Grades zu reden. Eine untrügliche Gewißheit, derart, daß em Mensch

dafür sterben konnte, birgt keineswegs die Fähigkeit eines ent­ sprechenden Ausdrucks in sich. Wir kleinen, erdgebundenen Menschen

suchen in umfassenden Symbolen die entscheidenden Erfahrungen der Geschichte und des Lebens zu ergreifen. Die menschliche Klügelei

verbirgt gerne unter sauberer logischer Genauigkeit das Fehlen

wirklicher Lebenserfahrung. An Stelle der wichtigen, innigen Ein­ fühlung in die Wirklichkeit, die es betrifft, tritt leicht ein Jong­

lieren mit Sätzen und Symbolen, das in seiner vollkommenen

Sicherheit die Sache selbst verliert unb nur die leere Form behält. Das Gefühl für den wunderbaren und unfaßlichen Reichtum,

der hinter all unseren Ausdrücken vom Göttlichen liegt,

muß

das Bewußtsein lebendig erhalten für das Provisorische und Un­

vollständige jeden Ausdrucks. Die Tauglichkeit und die Durch­ sichtigkeit der Symbole bedeutet nicht ihre begriffsmäßige Voll­

endung. So dürfen wir Ausdrücke wie: Gott, Geist, Wirk­

lichkeit, Wahrheit, himmlischer Vater, Gottes Person, Wesen, Leben, niemals anwenden, ohne daß das Wunder der Wirklichkeit hmdurchschimmert. Lassen wir Staub und Schmutz auf diesen Fenstern, die unsere religiösen Ausdrücke darstellen, sich ansammeln oder übermalen wir sie sogar, damit sie uns nicht blenden, so er­

blicken wir nichts mehr von der Welt des Geistes, die sie uns zeigen sollten. Wir sehen nur sie selbst, das Zeichen an Stelle der Sache, das Fenster, nicht das Licht und das Bild, die es hindurchlassen sollte. Unleugbar fehlt uns häufig bei geistlichen Reden, bei alten

und neuen, gelehrten und ungelehrten, der Hintergrund der Wirk­ lichkeit, die allein die Worte aus bloßen, leeren Lauten, das heißt auf diesem Gebiet von Profanierung oder Lästerung umwandeln

kann zu Tellhaftigkeit am Wesen und am Leben.

6. Oktober

Die sittliche Kehkrakt ist verwirrt Das Auge wird getäuscht, denn der Blick wird von der Vielheit

der blendenden und irremachenden Erscheinungen verwirrt. Die Aufmerksamkeit wird von allen möglichen Dingen in Anspruch

genommen. Es bleibt kein Interesse mehr übrig für das Innere, das Wesentliche. Das Getriebe ist lärmend unb scheint auf allen Gebieten zuzunehmen. Aber was bringt dieses Getriebe zuwege?

Verändert es den Menschen als Menschen? Höchstens insoweit, als der Mensch zrr einer Sache wird. Kommt es ihm

einmal

völlig zum Bewußtsein, daß er etwas anderes ist als ein mehr oder

weniger zufriedengestellter Teil dieser immer komplizierteren Ein­ richtung, die Zivilisation heißt, mit all chren wachsenden Bedürf­

nissen, Bedingtheiten, ihren Zerstreuungen und ihrem Gleichschritt der Arbeit? Die Versuchung flüstert leise

oft mir zu in meiner Not: Mach die Steine doch zu Brot! Und die Seele suchet Speise

hier im Staube, der doch nie Nahrung könnte sein für sie. Die Einrichtungen der Zivilisation wachsen unerhört. Aber,

gleichzeitig wird leicht das Gefühl für die geistigen Werte abgestumpft. Die einfachen, ewigen Fragen von Recht und llnrecht, Gut und Böse erscheinen fast altmodisch in einer Welt, die nach

außen hin so verwandelt, wie es scheint, so viel reicher und inter­

essanter ist als früher. Auf allen Gebieten kann man dies beob­ achten. Wenn man eine Reise macht, wird sie bequemer, je weniger man außer dem Notwendigen mit sich führt. Aber wie häufig

„vergißt man in unserer Zeit den Sinn und das Ziel der Lebens­ reise wegen der Ungelegenheiten mit dem Gepäck". Die Bestimmung des Menschen ist das Leben der Seele in Gott, das im Tun und

im Leben der Menschen untereinander die Liebe und den Frieden der ewigen Welt ausstrahlt.

Matth. 4t 3

7. Oktober

Auk den Tag der heiligen Birgitta Wenn der erste schwedische Erzbischof in dem Vorwort zu seinem

Meisterwerk „Die schwedische Kirchenordnung" „gottesfürchtige schwedische Könige" aufzählt, die sich um den christlichen Glauben

große Verdienste erworben haben, gilt dies nicht nur der Obrigkeit, sondern auch der Kirche als solcher innerhalb der Grenzen Schwedens.

Wir haben in Schweden vor und nach der großen Kirchenerneuerung em und dieselbe Kirche, die ein Teil ist der allgemeinen Christenheit.

Zu diesen Sendboten Gottes, die den ewigen Reichtum unserer Kirche vermehren mit) von ihrer eigentümlichen Gemütsart zeugen, gehört in erster Linie die heilige Birgitta. Wir buldigen Birgitta

nicht als einer Vorläuferin der Reformation. Mit ihrem klöster­ lichen Ideal und ihrem Marienkult ist sie dem Geist der Refor­ mation fremd. Auch hat die unhistorische Vorstellung von Vor­ läufern lange genug ihr Wesen getrieben, um für nichtig erklärt

zu werden. Eine schöpferische Epoche wie die Martin Luthers zieht das Licht auf sich, dessen Abglanz nicht nur die Zukunft, sondern auch das frühere Geschehen beleuchtet. Die Auffassung der Re-

forniation hat dadurch nicht gewonnen, daß man diese oder jene Persönlichkeit losriß, um als Vorläufer der Reformation zu dienen. Die Reformation hatte ihre Wurzeln in der heiligen Schrift und

in Luthers Erlösungserlebnis. In der Reformation trat eine Glaubensgewißheit zutage, die das ganze Mittelalter hindurch nach Ausdruck gesucht hatte. Wer sich in das Christentum und in die mittelalterliche Frömmig­ keit vertieft, muß sehen, daß die evangelische Christenheit eine echte Fortsetzung und Erneuerung der Kirche darstellt. Birgittas Gebet: „O Herr, komm bald und erleuchte die Nacht!

Wie Sterbende sich sehnen, sehne ich mich nach Dir. Zeige mir den Weg und mache mich willig, chn zu gehen! Es ist gefährlich zu säumen und schrecklich weiterzugehen. Erfülle mein Verlangen

und weise mir den Weg!"

8. Oktober

jformen der Anbetung Es gibt Menschen und geistige Bewegungen, die nicht von den herkömmlichen Formen

der Anbetung befriedigt werden.

Sie

suchen für das heiße Verlangen ihres Geistes nach etwas Neuem

und Außerordentlichem. 2n meiner Kindheit und Jugend war ich oft bei solchen Versammlungen. Diese frommen Kreise hatten nicht genug an den gewöhnlichen Gottesdiensten der Kirche. Sie

erschienen vielen zu steif und förmlich. Man wollte etwas Persön­

liches ausdrücken, das frei aus dem Herzen kam. Da kam man in den Häusern zusammen. Auf dem Wege dorthin und zurück sangen

die Leute geistliche Lieder. Bethäuser wurden gebaut. Die Beter wurden wegen derartiger besonderer Maßregeln getadelt. Man

war im Namen der guten Ordnung und der gesetzlichen Frömmig­

keit entrüstet. Sicher lief manche Unrichtigkeit bei den Zusammenkünften mit unter. Aber im Grunde waren sie von Eifer nach Gerechtigkeit und Erlösung getragen. Wenn sich in den Seelen ein solches Bedürfnis regt, nimmt es

in unseren Tagen leicht einen anderen, vielleicht entgegengesetzten Ausdruck an. Man findet den gewöhnlichen Gottesdienst tot und trocken. Man möchte gerne auf persönlichere Art Zeugnis ablegen

und anbeten. Mehr als einer würde, wenn er dürfte, die Kerze in die Hand nehmen und in feierlicher Prozessiion unter den alter­ tümlichen, von der Mystik genährten Gesängen in der Kirche im

Umzug mitgehen. Die Ähnlichkeit liegt nicht nur in dem Streben nach einer stärkeren und persönlicheren gemeinsamen Gottesverehrung. Die Ähnlich­ keit zeigt sich auch darin, daß diese unsere heutigen Eiferer für

einen reicheren Ritus ihrerseits getadelt und verhöhnt werden, so wie die Eiferer einer formloseren Gottesverehrung vor ihnen.

Aber wir brauchen keines von beiden. Ein gewöhnlicher Gottes­ dienst, der mit Geist und Leben erfüllt ist, ist weit mehr als die meisten besonderen Andachtsübungen.

Joh. 4.24

9. Oktober

Der Inhalt des christlichen Glaubens Wie, wenn sowohl der resignierende, moderne liberale Theologe,

der kaum noch den eingeschrumpften Wahrheitskern besitzt, als

auch der Buchstabengläubige und der Feind des Christentums Unrecht bekämen, weil sie den christlichen Glauben quantitativ und nicht qualitativ messen!

Das Glaubensbild ist nicht em toter Gegenstand, den bic Zeit abnutzt. Das Christentum ist vielmehr ein lebendiger Organismus, der immerzu wächst und nach neuem Ausdruck sucht. Es gehört

zur Art alles Lebendigen, daß es sieb verändert. Manches bat seinen

Dienst getan und erfüllt keine Aufgabe mehr an der Entwicklung

des Organismus. Neue Schößlinge und Zweige sprießen. Der Baum zeigt immer unverfälschter seine besondere Eigenart. Eine

solche Glaubensauffassung kann sich nicht mit einem Mindestmaß an Glauben begnügen. Sie muß immer auf ein Höchstmaß hin­ streben. Der Glaube, der Inhalt des wahren christlichen Glaubens ist

nicht eine größere oder kleinere Zahl von Sätzen, sondern der In­

halt des Glaubens und der Zuversicht ist Gott selbst. Der Glaube lebt in Gott mit Christus und kann nicht auf ein Maß beschränkt werden. Er wird vielmehr überströmt von Gottesfülle in der Schrift,

in der Geschichte, im Leben des einzelnen, in dem bald vertraulichen, bald mühseligen Gebetsumgang mit dem Höchsten, in der Gemein­ schaft mit dem lebendigen Heiland, wie er in den Evangelien spricht

und handelt, leidet und stirbt und wie er verherrlicht mitten unter seinen Jüngern ist, im Werk des Geistes innerhalb der Gemeinde und in unseren Herzen. Wie soll der Glaube all diesen Reichtum, die Offenbarung, Gottes unaufhörliche Wirksamkeit zum Aus­ druck bringen, die selbst die bittere Tragik des Menschenlebens

durchschneidet und durch unser schwaches und zerfahrenes Leben wie ein tiefer und mächtiger Orgelton hindurchklingt? Seine

Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Wenn der Mensch sich

alles noch so schon zurechtgelegt hat, so daß der ganze Weltlauf sich zu einer recht schönen, wenn auch zeitweise gestörten Harmonie ordnet, dann kommt unbarmherzig die Wirklichkeit auf den Plan und zerstört das schöne Bild. Wir müssen mit Schmerzen sehen,

9. Oktober (Forts.)

wie unsere Fähigkeit nicht ausreicht. Die schneidenden Gegen­

sätze stehen wie spitze Berggipfel vor dem Horizont. Wir kommen nicht über sie hinweg. Aber mitten in diesem mangelhaften und

sckmerzlichen Wirrsal begegnet uns eine göttliche Liebe, die uns

einen höheren Zusammenhang und einen tieferen Sinn ahnen läßt, als wir ihn zu sehen und klarzulegen vermögen. So ist es Gott,

mit dem wir eigentlich in unserem Leben und in dem merkwürdigen Lauf der Welt zu rechnen haben. Das Mysterium der Erlösung durchdringt, nein, durchbricht das Dasein. Wenn wir teil daran haben, sollen wir dann um diesen oder jenen Satz streiten und un-

fteiwillig die Aufmerksamkeit von Gott in Christus ablenken? Dieses Feilschen ist eine Beleidigung gegen ihn, der uns in seiner Barmherzigkeit ein neues Leben geschenkt hat und der in dieser Zeit durch Leiden und Prüfung, durch Gedankenarbeit, durch Menschen und Verhältnisse sich und sein Werk wie selten für

frühere Geschlechter offenbarte. Wir müssen Gottes Werk be­ schreiben und preisen, sodaß die Augen geöffnet werden, um die

Wunder zu sehen, die er getan hat und noch tut. Da, in diesem Leben des Geistes, erhält alles seinen Platz, nicht als Latten in einem versperrenden Zaun, von denen man mit der Zeit die eine oder andere abgerissen hat, um besser in den Garten gelangen zu können, sondern als Bauholz im Schiff des Glaubens. Was das für eine

„Arche Noah" ist, die die Seele vor der Sintflut bewahrt und den Sumpf der Trostlosigkeit hinter sich läßt, darüber kann für mich kein Zweifel herrschen. Es ist das Geheimnis des Kreuzes. Für mich wird alles von der großen Frage der Versöhnung und

Genugtuung verschlungen. Sehen wir Gottes Anstoß erregenden, aber allein erfolgreichen Weg durch das entsetzliche Wirrwarr der Welt? Er geht nicht an der Tragik vorbei, weicht ihr auch nicht aus, sondern er führt mitten durch die Tragik des Lebens hindurch.

Jes. SS. 8

1. Mose 6

10. Oktober

Der Mensch muß bei all seiner Arbeit mit einer Grenze rechnen Er kann nicht über das Grenzenlose verfügen. Betrifft es nun Mathematik, Geschichte oder Kunst, betrifft es ein riesiges Kraftaufgebot für ein gewaltiges Unternehmen oder mein oder dein

gewöhnliches Tagewerk, immer müssen wir eine Grenze sehen.

Wie würde es mit den Aufgaben des Schülers gehen, wenn nicht ein Stückchen weiter im Brich ein Bleistiftzeichen wäre, das das Ende der Aufgabe bezeichnet? Die Grenze bedeutet einen Halte­ punkt, einen Stützpunkt. Ohne die Grenze wird die Arbeit un­

möglich; ihre Konturen zerfließen. Sowohl die Sinne und Ge­ danken des Menschen als auch seine praktische Tätigkeit rechnen mit einer Grenze. Aber damit sind wir noch nicht am Ende. Es gehört zum Adel des Menschen, daß er zugleich über die Grenzen hinausstrebt, nennen wir es „über unsere Kraft", einen Kampf für das Ideal oder das Streben nach Vollkommenheit oder Heldentat und Groß­

tat. Genügsamkeit ist eine Tugend. Aber wehe der Genügsamkeit, in der ein Mensch an sich selbst kleine Anforderungen stellt und die

Faulheit und Begehrlichkeit des eigenen, oft recht lumpigen Ich gern übersieht! Es ist traurig, wie viele sich im sittlichen Leben wie in der Arbeit zufrieden geben, ohne auch nur das Maß des Gewöhnlichen erreicht zu haben. Was den Menschen adelt und erhebt, ist der Trieb, über das Gewöhnliche hinauszugelangen, der Trieb, sich anzustrengen, sich in Zucht unb Übung zu halten für

ein würdiges Ziel, wenn es darauf ankommt, alle Kräfte des Leibes und der Seele zu sammeln, sich selbst nicht zu sparen, sondern über sich selbst hinauszuwachsen. Es gibt kein höheres Ziel als das in Ansgars Bitte enthaltene, daß Gott ihn jh einem guten Menschen machen möge.

11. Oktober

Mit Furcht und Zittern arbeiten an unserer Erlösung, das ist unsere Hauptaufgabe im Leben, was wir auch sonst noch vorhaben mögen. Nicht etwa, daß wir uns mit unseren Frömmigkeitsübungen und Anstrengungen Seelenfrieden

und Erlösung erwerben könnten. Nein, „Gott wirkt in uns beides,

das Wollen und das Vollbringen". Aber Gott kann das nicht, ohne daß wir an unserer Erlösung arbeiten. Diese Arbeit beschrankt sich nicht auf bestimmte Minuten, Stunden oder Tage, sondern

jede Verpflichtung, die uns in unserem Beruf auferlegt ist, gehört zu unserer Erlösung. Das ist eine schwere Arbeit. Wir können nie-

mals zuviel tun, ja noch nicht einmal genug. Wenn einer getan hat,

was er zu tun schuldig war, so kann er nach Jesu Wort doch nicht

mehr sagen als dies: Ich bin bloß ein geringer, ein unnützer Knecht, ein Diener, der nie mehr ausführen kann, als er zu tun schuldig

ist, und noch nicht einmal dies. Dabei sind wir es nicht einmal, die etwas auszurichten vermögen, sondern, wenn bei uns und durch uns etwas Gutes geschieht, so richtet Gott das aus. Dennoch muß

unser ganzes Dichten und Trachten auf die Erlösung unsrer Seele gerichtet sein. In dem Brief an die Freunde in Philippi, der sonst

von Freude und Ermahnung zur Freude und Dankbarkeit widerhallt, ermahnt Paulus sie, mit Furcht und Zittern an ihrer Er­ lösung zu arbeiten. Wir dürfen nicht erlahmen. Das Leben, sagt

Paulus, soll ein Opfer, ein Tempeldienst sein. In demselben Maße, wie wir uns mit ganzem Herzen in diesem Tempeldienst hingeben,

wird uns auch Freude beschert werden. Denn mit Furcht und Zittern meint der Apostel keineswegs ein erkünsteltes und er­ zwungenes Auftreten. Furcht und Zittern müssen im Herzen vor Gott gepaart sein mit Zuversicht und Liebe.

Phil. 2,12s.

Luk. 17, 10

Röm. 12, lff.

12. Oktober

Gottes großes Orchester Wir sind alle nötig für Gottes großes Orchester, für bie Har­

monie der Schöpfung. Gott legt das Ohr an und lauscht. Da hört er, daß ein Ton fehlt. Wessen Stimme fehlt da? Wessen Stimme verursacht einen Mißton im Zusammenklang? Jede Seele hat ihren ganz eigenen Ton. Der ist keinem anderen ganz gleich.

Der Ton kann schwach, der Platz im Orchester mag untergeordnet

und unwichtig sein.

Und doch ist er zur Vollkommenheit des

Ganzen notwendig. Du kannst nicht viel leisten. Denke nicht, daß

es gleichgültig ist, wenn du schweigst. Du sollst doch im Orchester mitklingen. Oder bist du von deiner eigenen Stimme so entzückt, daß du sie nicht in dem vielstimmigen Chor mitklingen lassen

willst? Es ist von Wichtigkeit, daß jeder seinen Platz ausfüllt. Nichts mehr und nichts weniger. Dre Hauptsache ist, daß jeder nach seiner Art feine Pflicht tut. Die Persönlichkeit bringt nur dadurch den

ihr eigentümlichen Ton hervor, daß sie ihren Platz findet und sich ganz ihrem Beruf widmet. Dessen bedarfst du ebensowohl um deiner- wie auch um des Ganzen willen. Wir stehen nicht losgelöst

und isoliert, sondern einer für alle und alle für einen. Jede Ver­

suchung, die wir überwinden, ist eine Hilfe für das Ganze. Em wahrheitsliebender Mensch ist für seine ganze Umgebung eine Hilfe. Es hebt den Ton und reinigt die Lebenslust in einer Gemein­ schaft, wenn es Menschen gibt, die sich streng an Wahrheit und Recht halten. Sie erregen wohl Anstoß, aber sie sind notwendig. Jede Verfehlung, jede Unwahrheit, auch die versteckteste, schadet

dem Ganzen. Ein jeder ist es sich selbst, seinem Amt, seiner Familie, seinem Nächsten, seinem Land, der Menschheit schuldig, seine Pflicht zil tun. Und das nicht widerwillig, sondern mit singendem Herzen:

Singet und spielet dem Herrn m euerm Herzen!

Eph.

5,

19

13. Oktober

Der Arzt ein Ltzachkolger Christi Nirgends hat der Menschengeist in unserer Zeit größere Siege errungen als in der Heilkunst. Nirgends erscheint klarer, was das

bewußte oder unbewußte Ziel der Wissenschaft ist: Dem Leben zu dienen. Hier müssen wir an etwas denken, das größer ist als das Ergeb­

nis, nämlich an die Triebkräfte der modernen Heilkunst. Vor allem

sind es Barmherzigkeit und Liebe, die sich bereitwillig opfern, um zu helfen.

Die zweite Triebkraft ist der Glaube, der zu allen Stimmen der Mutlosigkeit und des Stillstandes, zu jedem „Das geht nicht, das ist zu schwierig", sein Nein sagt. Nur der Glaube, daß die Arbeit sich lohnt und die Mühe nicht vergeblich ist, hält all unsere für die

Zukunft taugliche Kulturarbeit aufrecht. In diesem Glauben hat die Heilkunst mit ihren Hilfstruppen Wunderdinge vollbracht.

Wer hat der warmen, einfachen, sich selbst vergessenden, helfenden Liebe des Herzens Recht und Rauni vor allem andern in der Welt

gegeben? Vor allem Tiefsinn und aller Berechnung, vor der feinsten Geistigkeit, vor aller liebeleeren Frömmigkeit? Wer hat uns das gezeigt, was nur m ständiger Ausübung ergriffen und erfaßt werden kann? Wer hat uns diese helfende, lebensfördernde Liebe als die Wirklichkeit aller Wirklichkeit, als Gottes eigenstes Wesen gezeigt?

Das ist Jesus. Alle Großtaten vertrauensvoller Liebe in der Welt zeigen Verwandtschaft mit ihm. Der Arzt, der nicht von Berech­ nung, nicht von kühlem Pflichtbewußtsein m seinem Beruf ge­

trieben wird, sondern von warmer und einfacher Menschenliebe, ist hierin weit mehr em echter Nachfolger Christi als die Art der Frömmigkeit, die bei all ihrem Eifer und all ihren Werken im Herzen nicht die warme Flut menschlicher Barmherzigkeit und christlicher Ehrfurcht vor den Menschenseelen kennt. Liebe ist größer als Opfer.

14. Oktober

Drei Artikel über die Ethik der Forschung Strenge sittliche Zucht und Selbsterziehung liegen in der Me­ thode der Wissenschaft. Die Forschung lehrt uns Gehorsam. Denn die Sache ist alles. Neigung und Wünsche dürfen nicht mitreden.

Vielleicht wird es notwendig, Lieblingsansichten aufzugeben, und vieles, was für die Überzeugung wesentlich war, wird erschüttert.

Die Forschung begnügt sich mit nichts Geringerem als der rich­ tigen Erkenntnis, mag der Weg, sie zu finden, auch noch so mühe­

voll und langwierig sein. So wird man in Geduld geübt. Äußerste

Genauigkeit im Großen und im Kleinen wird eine Tugend. Das Gewissen wird geschärft. Das bloß Ungefähre oder große Worte taugen nichts, ebensowenig nachlässige und verallgemeinernde Ur­

teile. Die Kritik wird für den Forscher zur Selbstkritik. Sie macht ihn bescheiden, vorsichtig und gerecht in seinem Urteil über andere. Alle höhere Bildung unserer Zeit bedarf vor allem der Ehrfurcht vor

der Wahrheit, in der Form des Exakten, genau Geprüften und

Nichtigen, ebenso wie in der Gestalt der tiefen Überzeugung der Seele. Die Wissenschaft macht den Menschen demütig. Er lernt seine Grenzen kennen. Ze mehr wir studieren und untersuchen, desto

besser sehen wir, wie wenig wir wissen. Das ABC aller Wissen­ schaft ist, die eigne Unwissenheit einzusehen. Die teuer erkaufte Einsicht des Forschers sagt ihm, daß er wenig oder nichts weiß. Aber wer sich seines Nichtwissens bewußt ist, besitzt eine wichtige

Erkenntnis mehr als der, welcher in dem behaglichen Irrtum lebt,

er wisse viel, vielleicht fast alles. Die Wissenschaft ist ein strenger, sehr anspruchsvoller, ja unbarmherziger Herr. Die Wahrheit be­ gnügt sich nicht mit der Stellung eines Dieners bei dem Menschen.

Dann verliert sie ihre Flügel, sie fällt zu Boden. Die drei Artikel über die Ethik der Forschung sind: Unweltlich­ keit, Selbstzucht, Demut.

15. Oktober

Sport Wettkampf bedeutet Streben nach Vervollkommnung. Es ist des Menschen Aufgabe im Großen wie im Kleinen, in allen Ob­

liegenheiten nach Vervollkommnung zu streben. Nirgends ist der

Sport höher geachtet worden als im griechischen Volkstum, in das das Christentum Eingang fand. Paulus hat die Spannung

im Stadion geteilt, als er mit der Volksmenge den Anstrengungen der Spieler zusah. Er schreibt: „Wisset ihr nicht, daß die, so in den Schranken laufen,

die laufen alle,

aber

einer

erlanget das

Kleinod? Laufet nun also, daß ihr es ergreifet!" Eine Gefahr beim Sport besteht darin, daß er alles andere ver­ schlingt und die höheren Anlagen der Menschenseele, das Streben nach den höheren Zielen des Menschenlebens, erstickt. Der Apostel spricht von einem Wettkampf, der das ganze Leben hindurch währt.

„Jene, daß sie eine vergängliche Krone empfangen, wir aber eine

unvergängliche." Er weiß, für welches Endziel er lebt. Die Schick­ sale und Mühsale des Lebens haben für ihn eine Aufgabe. „Ich laufe aber also, nicht als aufs Ungewisse." Man kann die ver­ schiedenen Aufgaben und Ziele des Lebens groß oder klein nennen.

Das hängt von der Wertung ab. Der Mensch gibt den Dingen ihren Wert. Aber das Menschenleben darf nicht durch Ausrichtung auf nur zufällige Ziele zerrissen werden. Es muß sich auf ein ein­ ziges, großes Ziel richten, das der Apostel Gottes Berufung von oben in Christo nennt. Bei den vielerlei Pflichten des Lebens dürfen

wir nicht das große Ziel vergessen. Man kann es mit des Erlösers eigenem Namen bezeichnen. Denn seine Gestalt steht vor uns als die des Menschensohnes, des göttlichen Bildes geistiger Kraft und

Reinheit, der Gerechtigkeit und des Mutes, der Wahrheit und der Güte. Alle Aufgaben des Lebens, die Berufsarbeit, unsere Pflichten und der ehrliche Wettstreit im Zusammenleben müssen

unter ein einziges, letztes Ziel eingeordnet werden.

1. Kor. 9,24ff.

16. Oktober

Humor Der Humor hat einen Blick für das Menschliche in seiner Klein­ heit wie in seiner Große. Er findet auch da Anlaß zu Scherz und

Lächeln, wo alltägliche Augen nur ein langweiliges Grau in Grau oder steife Feierlichkeit sehen. Auch für das Komische und Ver­

drehte hat der Humor ein herzliches Verständnis. Was der Humor aber unbarmherzig verwirft, ist Künstelei. Gelächter nnb Scherz

können uns peinlich die Wahrheit sagen. Eine angenommene oder

bei Gelegenheit angelegte unpassende Maske wird vom Scherz abgerissen. Der leichte wie auch der kräftige Scherz haben vor allem die Aufgabe zu erquicken und gehören schon in dieser Eigenschaft

zu den Hilfsmitteln des Lebens. Aber ein unwiderstehliches Lachen kann außerdem sittliche Bedeutung haben, weil es in einer ver­

wirrten Lage die Dinge wieder zurechtrückt und eine mehr oder

weniger heuchlerisch unwahre Stimmung verjagt. Nur die Ver­ stocktheit klagt den Humor des Majestätsverbrechens an, weil er sogar in einer wichtigen Situation, die den ganzen Menschen fast Über­

mäßig beansprucht, sich doch ein Gebiet für die unmaßgebliche und spontane Freiheit des Gemütes vorbehält und ganz unbewußt ein kleines Guckloch für einen spielenden und erspähenden Blick be­ nutzt. Niemand kann den Humor eines Mangels an Gemütskraft

deshalb anklagen, weil er auch bei geliebten und verehrten Menschen Schwächen sieht. Denn die Gesinnung des echten Humors ist Liebe. Aber eine empfindliche Aufrichtigkeit macht chn bei jeder Art affektierter Sentimentalität und Künstelei zum „enfant

terrible“. Der Humor sieht das Kleine, Unbedeutende, Lustige auch im Großen; er erfaßt auch im Lächerlichen und Geringgeachteten etwas Wertvolles, vielleicht Großes.

Der Humor ist ein Sicherheitsventil, das in einem Leben unter Hochdruck doppelt notwendig ist. Ein solches Leben ohne die Ab­ leitung des Humors könnte auch eine Heldenseele sprengen.

17. Oktober

Luthers Lehre vorn Beruk Im letzten Grunde bleibt alles schöpferisch Neue in der Ger

schichte der Religion ein Geheimnis. Und eine Neuschöpfung ist auch Luthers Lehre vom Beruf. Luther hat über die Arbeit und die Alltagsbeschäftigungen eine Poesie ausgegossen, wie keiner vor

ihm und kaum einer nach ihm. Im Alltäglichsten, das alle bis zum

Überdruß gesehen und getan haben, Gottes Wunder zu entdecken

— das war Jesu Kunst. Luther besaß etwas von derselben Kunst.

Man kann den Menschen keinen größeren Dienst tun, als ihnen die Schönheit und den Wert dessen zu zeigen, was sie schon besitzen. Das Gewöhnliche und Alltägliche erhielt durch Luthers herz­

lichen Humor einen warmen Schein, den niemand vorher dort vermutet hätte. Der Hausvater kommt nach des Tages Mühe müde nach Hause. „Liebe Tochter, benimm dich immer so gegen deinen Mann, daß er froh wird, wenn er auf dem Heimweg das

Dach eures Hauses sieht!" Es liegt eine persönliche Betonung in seinen Worten vom irdischen Beruf, eine Herzlichkeit und Wärme, die die Verwandtschaft mit seinem humorvollen Gemüt erkennen lassen. Ihr Tonfall hat einen

Klang, der von einem ursprünglichen Gefühl, nicht nur von einer klaren Überzeugung herrührt.

„Gottes Geheiß und Berufung sind der beste Schmuck der

Christen. Wer also auf unseres Herrn Geheiß geht, der geht in Gottes eigenem Schmuck einher."

Luchers Regel heißt: Man

dient Gott durch Treue in jedem menschlichen Berus. Sie be­ deutet mehr als ein Wiederaufleben der Lehre der Apostel. Sie bedeutet eine Neuschipfung innerhalb des Christentums.

Äm Beruf, und nur im Beruf, kann der Mensch seinen Gottes­ dienst ausüben, sich selbst finden und seine Bestimmung verwirk­

lichen, treu und selig sein.

20

Worte für jeden Tag

18. Oktober

Der Vagabund der Ewigkeit 3n der Großstadt wohnen Tausende eng beisammen. Die Engig­ keit entwürdigt unsere Großstädte und viele andere Orte allent­ halben. Es ist schwer, Obdach zu bekommen, für viele fast un­

möglich. Ermessen wir, was es bedeutet, arbeiten wollen, um sich und die Seinen zu ernähren, aber trotz aller Anstrengung keine Be­ schäftigung erhalten und deshalb zusehen müssen, wie die Seinen

hungern und stieren? Es gibt auch empfindliche und ungesellige

Seelen, denen es schwer fällt, sich in den genau aufgeteilten Raum

des Gemeinwesens zu finden, der noch obendrein oft schon über­ füllt ist. Zn dem Buch eines Quäkers las ich kürzlich von dem Vagabunden

der Ewigkeit. Es wird ihm schwer gemacht, seinen Platz in der Gemeinschaft zu finden. Aber er sehnt sich hinaus, der Wandertrieb

in seiner Seele ist stark. Sein Weg führt ihn zur Ewigkeit hin. Wird dort Platz für ihn sein? Ach, er weiß wohl, daß im Himmel wie auf Erden wenig Platz für ihn ist unter all den ausgezeichneten

und vortrefflichen Menschen. Diese Frommen haben auch natür­

lichen Anspruch auf die goldenen Säle des Himmels. Außerdem würde sich der Vagabund der Ewigkeit kaum wohlfühlen in diesen feinen Räumen. Er denkt sich, daß es dort im Himmelsschloß

für alle diese Frommen Wohnungen gibt. Da wird er nicht hin­ kommen. Er würde sich unter feinen Leuten und unter den Frommen niemals heimisch fühlen. Aber hinten, ganz unten im Himmelsgarten

liegt vielleicht ein unansehnliches Gebäude. Auch der Himmel hat wohl ein Armenhalls. Dorthin sehnt er sich. Er sehnt sich da­

nach, daß er müde und durchnäßt von der Wanderung ganz leise an einem dunkeln Abend die Tür öffnen und zum Feuer gehen, sich hinsetzen und die Schuhe ausziehen darf. Zn des Vaters Haus sind viele Wohnungen für alle, die den Weg zu ihm finden.

Joh. 14.2

19. Oktober

Das geräumige Haus des Vaters Wenn wir fragen, warum der Raum in des Vaters Haus

unbegrenzt ist, ist die Antwort nicht schwer, denn die Wohnungen sind ja aus Gottes Barmherzigkeit gemacht. Wenn wir fragen,

warum des Vaters Haus zum Unterschied von allen anderen Ge­ bäuden so gut gebaut ist und niemals umfällt, nie abgerissen werden kann, auch dann nicht einmal, wenn unser Planet, nachdem er

seinen zitternden Lauf vollendet hat, auseinanderfällt, so ist auch

diesmal die Antwort nicht schwer. Die Wohnungen in des Vaters

Haus sind aus dem einzig haltbaren Material gebaut, aus dem

Bauholz der Liebe, das auch bleibt, wenn alles andere vergeht.

Der Weg führt zu des Vaters Harrs. Da kommt Philippus

mit seiner Frage: „Herr, zeige uns den Vater!" Den Vater kann man nicht sehen. Sich Bilder von ihm zu machen, wird in der Bibel

verboten. Im Alten Testament kommen noch Gotteserscheinungen vor, aber nicht mehr im Neuen Testament. Im neuen Bund ist Gott allen sichtbar geworden.

Wir sollen Gott in dem sehen, was geschieht, und in dem, was

ist. Wir sollen ihn in den Ereignissen und in der Natur, im Ver­ langen unseres Herzens nach Frieden, im Trieb nach Wahrheit und im Gewissen erkennen lernen. Aber ein zuverlässiges Bild vom Vater gibt es nicht außer Christus. „Solange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht?" „Wer mich siehet, der siehet den Vater." Wir sollen uns damit begnügen, Gott in Christus zu sehen. Oder vielmehr: Gott wird in demselben Maße mehr und größer für uns, als wir Ihn in Christus wieder­

erkennen. Da können wir Ihn sehen; nicht in der Welt. Erst dann,

wenn wir Gott in Christus gesehen haben, können wir Ihn und

Sein Werk mit größerer Sicherheit im Leben, in der Welt, in un­ serem Herzen erblicken.

Joh. 14, 2; 14, 8f. Joh. 1,18; 12, 45

2. Mose 20, 4

20. Oktober

Gott hat in jedes Menschenherz ein Kartenspiel gegeben Es soll mitklingen in seiner Schöpfung Harmonie. Wenn wir

aber sehen, wie schlecht das Saitenspiel der Seele gehütet wird, müssen wir bitterlich weinen. Es wird verstimmt und muß für unzarte und plumpe Handhabung bereitliegen. Man tritt darauf

herum und zerbricht das feine Instrument in der Menschenseele.

Man muß das Innerste mit Heiligkeit und Ernst umgeben. Man darf keine neugierigen, achtlosen Hände, nicht Wind und Wetter hereinlassen. Das Innere soll das Allerheiligste sein. Laß keine Verwüstung hinein! Nicht selten wird so bei Kindern und jungen Menschen andauernd

und unbehutsam auf den feinen Herzenssaiten gespielt und herum-

gefingert, sie werden so abgenutzt, daß sie dann schlaff herunter­ hängen und die Möglichkeit, sich zu spannen und zu klingen, ver­

loren zu haben scheinen. Eine intensive religiöse Gefühlsstimmung in der Kindheit rächt sich oft bei dem Erwachsenen mit Haß oder

stumpfer Gleichgültigkeit. Die Seele scheint ihre Resonanz ver­ loren zu haben, die später in sich den Widerklang von des Lebens wunderbarem Ton sammeln und so zu einem echten religiösen Ge­ fühl werden konnte. Die Saiten hängen schlaff. Die Seele bleibt

völlig unbeeinflußt von den: brausenden, raunenden Leben. Manche Gemüter sind wie aus Holz. Man kann nicht mehr auf ihren

Herzenssaiten spielen. Man schlägt immer wieder an. Aber sie

geben keinen Ton von sich. Gerade solche Frömmigkeit, die besonders sangerfüllt und freimütig sein möchte, hat oft in ihrer Seele überhaupt kein Singen, sondern nur äußerliches Geschwätz und Rede­

gewandtheit. Wenn es im Herzen fingen und spielen soll, muß vor

allem die Seele zum Klingen gebracht werden. Die Hauptsache ist, daß das Saitenspiel in der Seele da ist. Dann kommt auch Gott einmal und spielt auf den Saiten, daß sie erklingen.

21. Oktober

Taten der Liebe Jesus zeigt seinen Jüngern, wie sie andern zur Erkenntnis des

Vaters helfen können. „Wer an mich glaubet, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und wird größere denn diese tun." Die Liebe, Reinheit und Güte der Jünger Jesu soll den Vater offenbaren.

Denn alle derartigen Taten sind durch den Vater getan. „Sie sind sein Werk", so wie Jesu Taten des Vaters Werk waren. Mitten im

namenlosen Elend des Lebens imb der Not der Welt, die immer zugegen und jedem hellsichtigen und suchendenAuge sichtbar ist, die aber während der Weltkrise ihre ©reuet wie niemals vorher unserer Generation gezeigt hat, mitten in dieser Not leuchten die Taten der Liebe, solche Taten, wie die Welt sie selten gesehen hat. Sie leuchten vor unseren Augen als die Taten der wahren Nach­

folger Christi. Sie zeigen uns den Vater. Denn sie zwingen die Dankbarkeit unseres Herzens, nicht bei Menschen stehen zu bleiben, sondern zu Gott aufzusteigen, zu seiner Offenbarung in Jesus Christus.

2n Gottes Kraft sind die Taten der Liebe getan. Jemand fragte den

nun

dahingeschiedenen schwedischen General Brändstrom,

ob er sich nicht wegen seiner Tochter beunruhige.

Sie war in

Sibirien geblieben, um den Kriegsgefangenen zu helfen. Sie be­

fand sich auf einem in vieler Hinsicht lebensgefährlichen Posten. Seit vielen Monaten war man ohne Nachricht. Er antwortete auf seine einfache Art — aber es lag ein Glanz über ihm: „Un­ ruhig kann ich ihretwegen nicht sein. Sie geht ja auf Gottes Wegen."

Vertrau auf Gott im Streite

und fürchte nicht die Welt,

ist dir der Herr zur Seite, sie bald zu Boden fällt.

Sein Kraft er allen schenket, die Seines Willens sind,

zum Besten er es lenket für jedes Gotteskind.

Joh. 14,12

22. Oktober

Anbetung ohne Ende Wie wichtig die Anbetung ist, zeigt uns am besten unser Heiland im Vaterunser. Denn ehe er uns da zu unseren eigenen Angelegenheiten kommen läßt, lehrt er uns an Gottes Namen, Gottes Reich,

Gottes Willen zu denken. Er stellt uns vor Gottes Majestät. Er will unsere Seelen mit Anbetung erfüllen. Er hilft uns, uns Gottes

Macht zu unterwerfen und demütig Gottes Herrlichkeit zu be­

trachten. Er schließt uns selbst, unser ganzes Leben und dieses ganze menschliche Dasein in Gottes unergründliches, übermenschliches Wesen ein. Eine solche Anbetung befreit uns von uns selbst und vom Druck der Welt. Sonst schauen wir Gottes Nähe wie durch Wolken, die bald licht, ja rosenrot, bald finster drohend erscheinen

wie Gewitterwolken. Aber die Anbetung jagt wie ein frischer Wind die Wolken weg, sodaß der Betende von der Wärme und Kraft des göttlichen Wesens übergossen wird und seine eigene Niedrig­ keit und Ohnmacht von Gottes Größe verschlungen fühlt, so wie

unser leibliches Wesen von Licht und Wärme der Sonne durch­ strömt wird. Deshalb sollen wir Gott anbeten. Die Religion beginnt

in der Geschichte der Menschheit und im Leben des einzelnen da, wo eine Menschenseele gezwungen wird, ihre Ohnmacht zu fühlen und sich dem Göttlichen zu unterwerfen. Erst wenn er in Anbetung niedersinkt, erhält der Mensch seine menschliche Würde. Gewiß

ist, daß wir in unserem Gebet, in Ausübung der Religion, niemals weiter kommen können als bis zur Anbetung. Gewiß ist auch, daß die Anbetung hilft und tröstet und in unsere Seele die Freude gießt, die das ständige Kennzeichen eines Christen sein sollte. Wir

glauben und wissen, daß das Gebet, das aus des Erdenlebens Schwachheit und Elend aufsteigt, einmal ausmünden wird in die Anbetung ohne Ende.

Matth.

6, 9ff.

23. Oktober

Mnser Auge wird durch Gehorsam

geläutert werden Kannst du dich an ein Wunder erinnern in deinem Leben: an Begegnungen mit Gott selbst, an ganz bestimmte Augenblicke, die du gewiß niemals vergißt, als du Gottes Hand drückend, leitend,

emporhebend fühltest? Wenn es solche Erinnerungen in deinem Le-

ben gibt, brauchst du nicht nach ihnen zu suchen. Sie sind dir mit flammender Schrift ins Herz geschrieben. Du hast gefühlt, daß der

göttliche Kraftstrom, der durch die Welt geht, in diesem Augen­ blick in dein Herz geleitet wurde. Wer nicht so bestimmte, außerordentliche, in

das Leben ein­

schneidende Stunden erlebt hat, soll sich deshalb nicht arm fühlen. Am wenigsten soll er tatenlos auf sie warten. Gott führt uns auf

verschiedenen Wegen, je nach unserer Veranlagung und unseren Bedürfnissen. Ich bin sicher, daß eine wahre Frömmigkeit sich

auch ohne solche Erfahrung voll Wunderll in diesem besonderen

Sinn voll und ganz entwickeln kann. Die Hauptsache ist, daß wir nicht von Gefühlen und Erinnerungen leben, sondern in Gehorsam und Zuversicht vor Gottes Angesicht. Für Jesus redete alles von seinem Vater. Alles, die Natllr unb

die Geschichte, war für ihn Offenbarling und Wunder — in ihrer

schönen Gesetzlichkeit.

Dahin sotten auch wir kommen. Ze mehr unser Auge durch Gehorsam geläutert wird, desto besser werden wir die himlnlische Verklarung über unserem Wege sehen. Das ganze Leben, jeder Tag, jede neue Kraft soll gegenüber dem schreckenden Hintergrund

unserer eigenen Schwachheit lmd der Mächte des Dunkels wie ein Wmlder göttlicher Barmherzigkeit dastehen. Gott hat mein Seel errettet vom Tod und tiefem Fall, Er trocknet meine Tränen,

Lob sei 3hm überall!

24. Oktober

Gott ist der Stärkste Der rechte Glaube wagt der Wirklichkeit ins Angesicht zu sehen, mag sie auch noch so gefährlich sein. Darin besteht ja der Mut des Glaubens. Der Glaube begnügt sich nicht mit Unwahrheit, mit

Selbstbetrug. Der Glaube verbirgt nichts. Der Glaube will nicht in Sicherheit eingeschläfert werden. Der Glaube will nicht mit Un­ redlichkeit getröstet werden. Die erste Bedingung, um von wirk­

lichem Glauben sprechen zu können, ist, daß wir die Dinge sehen, wie sie sind. Der Schleier muß fortgezogen werden. Deshalb ver­

binden sich im Christentum Reue und Besserung mit Glauben. Wagst du, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen? Wagst du einzu­ sehen, wie schlecht es um dich bestellt ist? Wie schlecht die Aus­

sichten für unsre Zukunft sind? Es gibt in der Welt keinen mäch­ tigeren Glauben als den christlichen Glauben. Aber keine Welt­

anschauung hat das Bose des Menschenherzens und die unergründ­

liche Macht des Bösen im Dasein tiefer ergründet als gerade das Christentum. Diese beiden gehören zusammen. Der Mut, die Ge­

fahr und die Not in ihrem ganzen Umfang zu erkennen, und die Fähigkeit, trotz allem doch nicht zu verzweifeln,

sondern in Gebet und Arbeit die Zukunft getrost in Gottes Hände zu legen. Deshalb weiß der Christ, daß sich keiner selbst Glauben nehmen kann.

Der Glaube dringt hindurch bis zur Wirklichkeit und findet die

Lage ernst, ja geradezu hoffnungslos. Da hilft keine menschliche Macht. Aber Gottes Macht ist in dem Schwachen mächtig. Der Glaube gibt den Kampf nicht verloren. Denn er weiß, daß Gott stärker ist als der Teufel.

Verzweiflung mich nicht fasse, zum Abgrund führt ihr Steg.

Den Herren ich nicht lasse, Er segne meinen Weg!

2. Kor. 12,9

25. Oktober

Ich will euch auf einen Berg, einen nicht hohen Berg führen, nicht um euch alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zu zeigen, sondern nur so hoch, um euch das menschliche Leben und seine Un­ gewißheit sehen zu lassen. Wir sitzen droben aus der Höhe im Grase, die Stadt liegt unter uns. Es ist Sonntag, und die Menschen

wandern frei ins Land hinaus. Von hier sehen sie wie kleine schwarze Würmchen auf dem hellen Wege aus. Wir können erkennen, daß

dort ein alter Mann geht, daß hier Kinder umherspringen, da kommt

ein junges Paar, im Kinderwagen ruht sicher ihr Erstgeborener. Ihre Sorgen und Arbeiten beschäftigen sie wohl auch auf bem Spaziergang. Aber nun ist Ruhe und Sonnenschein und Leben, das liebe Leben! Was für eine Riesengestalt taucht dort vor unseren erstaunten

Blicken auf? Sie sehen ihn nicht, sie ahnen ihn nicht, wie er da seinen Weg achtlos weitergeht. Was liegt ihm daran, wohin sein

Fuß zufällig tritt? Aber, wenn eines der kleinen Menschenwesen unter seinen schweren Fuß gerät, wird es ohne Erbarmen zertreten.

Das ist der Tod. Wo sein Fuß hintritt, preßt er Zammerschreie

hervor. Gibt es keinen, der dem achtlosen Zerstörer Halt gebieten kann? Vermag niemand seinen drohenden Tritt abzuwenden? Der Vater, dessen Sohn krank zu Kapernaum lag, glaubte, daß Jesus es könne und eilte zu ihm — so wie alle Väter und Mütter, die in Unruhe

und Verzweiflung sind, zu dem Arzt eilen, auf den sie noch zu

hoffen wagen. Jesus sagte: „Dein Sohn lebt". Das war ein un­ vergeßlicher Tag in biefetn Hause. Hätte der Tod seinen Raub erhalten, so wäre es auch ein großer

Tag geworden. Die Nähe des Todes hinterläßt unauslöschliche Spuren. Wer am Totenbett eines Lieben gestanden hat, dessen

Auge wird verwandelt. Er sieht die Welt und das Leben anders an. Denn der Tod zwingt das Herz näher heran an das Geheimnis des Lebens. Das erschlossene Gemüt vernimmt etwas von dem mächtigen, stillen Frieden aus Gottes Geist.

Matth. 4, 8

Joh. 4, 47ff.

26. Oktober

Das Wunder Es ist etwas Wunderbares, wenn ein Mensch, der von einer tödlichen Krankheit erfaßt war, plötzlich gerettet wird. Man sieht, wie das Zerstörungswerk des Todes beginnt, und man darf sehen, wie sich das Leben als Sieger behauptet. Ich kann niemals die

schnelle, merkliche Veränderung vergessen, die ich bei einem Kinde mit Diphtheritis nach einer Serumeinspritzung beobachtete. Ge­

segnete Heilkunst! Jesus, der Prediger, läßt uns leicht Jesus, den Arzt, vergessen. Wird er aber beachtet, so ist es Jesus, der Wundertäter, der den Arzt verdeckt, obwohl wir ganz klar und deutlich sehen, daß nicht Zeichen und Wunder in Jesu Absicht stehen, sondern die Hilfe. Wie saßt das Matthäusevangelium Jesu Wirksamkeit zusammen? „Jesus ging umher in ganz Galiläa,

lehrte in den Schulen und predigte das Evangelium — und heilte allerlei Seuchen und Krankheiten im Volk." Jesus tat keine Zeichen und Wunder, um zu überzeugen. Hätte der Königliche etwas

Derartiges für seinen Glauben begehrt, hätte Jesus das Zeichen verweigert. Der Evangelist läßt Jesus erst antworten: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht". Aber

er horte, daß ein anderer Klang in des Vaters Stimme lag: „Herr, komm hinab, ehedenn mein Kind stirbt". Was lag ihm an Zeichen und Wundern? Er war ein Vater, der für sein sterbendes Kind

bat. Da sagte Jesus: „Gehe hin, dein Sohn lebt". Der Mann im Evangelium glaubte. Er hatte ein Wunder Gottes erlebt.

Das Wunder, nicht im Sinne einer Merkwürdigkeit, auch nicht das Wunder als das Unerklärliche. Das liegt in den Tiefen und an den Grenzen des Daseins, in der Geschichte, wo etwas Neues hervortritt, in so vielen Rätseln, wo jedes ernsthafte menschliche

Denken voller Fragen und Andacht steht. — Wohl aber das Wunder im Sinne von Gottes besonderer und außer­ ordentlicher Hilfe.

Matth. 4, 23

Joh. 4, 47ff.

27. Oktober

Jesus heilt Wer Jesu Art zu heilen und zu helfen zu den Unbegreiflichkeiten und Merkwürdigkeiten im Evangelium rechnet, wer nichts damit anzufangen weiß, der folge Luthers Regel: Nimm den Hut ab

und geh vorbei! Fragen wir, woher Jesu Macht zu Helsen kam, so ist ein Teil

der Antwort so offenbar wie möglich. Das wird in den verschiedenen Erzählungen von Jesu Heilungen betont. Wir bestätigen diese Wahrheit täglich im Leben der Menschen untereinander. Der

Glaube an Jesus ist es, der ihm einen Teil seiner Macht gibt. Er

ist Voraussetzung für seine Kraft zu helfen. Wir werden noch einen Schritt weiter geführt, zu der Kraft, Vertrauen einzuflößen. Das lenkt den Schritt tiefer in die verr

borgenen

Zusammenhänge

des

menschlichen

Zusammenlebens.

Die Kraft, segensreich zu wirken, richtet sich nach dem Vertrauen,

das von einem Menschen ausstrahlt. Deshalb ist der beste Dank

an einen Menschen: ihm zu vertrauen. Jesus besaß das Geheimnis, Vertrauen zu wecken. Kein anderer konnte so wie er Glauben gewinnen und Glauben bewahren. Wenn wir die Eigenart der Taten Jesu betrachten und auf die

Ausdehnung seiner Macht sehen, werden wir noch einen Schritt weiter in die Werkstatt geführt, wo seine Kraft entstand. Ich meine damit die Heiligkeit und Reinheit seines Gemütes. Tiefe, innerliche

Seelen haben von altersher wahrgenommen, daß Hingabe und Reinheit des Gemütes Macht bedeuten. Je näher man Gott in gehorsamer, sich opfernder Ergebung, in Freiheit und Liebe kommt,

desto näher ist man der Herrschaft über die Kräfte des Lebens.

Sein Königskron ist Heiligkeit, Sein Zepter ist Barmherzigkeit;

all unsre Not zu End Er bringt, derhalben jauchzt, mit Freuden singt; gelobet sei mein Gott, mein Heiland groß von Tat!

ns

28. Oktober

Die Bedingung für Jesu Macht Ein jeder hat an seinem Teil erfahren, wie die Hingebung und Heiligkeit des Gemüts Freiheit und Macht gibt über die Kräfte des Körpers, über Mißgeschick und Widerwärtigkeiten. Die Be­ dingungen für die Macht des Geistes sind Heiligung des Geistes, Läuterung des Willens zur Einheit mit dem erlösenden Grund­

willen im Dasein. Wenn diese Bedingungen ganz erfüllt sind, in einem Herzen, das ohne Schuld und ohne Vorbehalt Gottes Willen ergeben und im Vertrauen vollkommen ist, wer kann da

Grenzen ziehen für die Macht des Geistes? Geijer sagt hierüber etwas im Ostervers seines Weihnachtsliedes:

Dein Sieg bezeugt in Ewigkeit: Wer lebt in Reinheit, Heiligkeit,

nur der allein ist mächtig. Bei unserer sehr unvollkommenen Erfahrung von der Macht der starken und reinen Persönlichkeit ist es am ratsamsten, die

außerordentlichen Möglichkeiten in Jesu Leben nicht zu eng zu begrenzen. Wenn wir auf die Bedingungen für Jesu Macht eingehen, von dem Glauben an chn bis zu seiner Fähigkeit, Glauben einzuflößen

— von da weiter bis zu seiner Einheit mit dem Vater im Glauben und Gehorsam, so reicht das noch nicht aus. Hinter der Reinheit und Ergebung des Gemütes liegt das eigene Geheimnis der Per­

sönlichkeit. Hier endet unser Blick bei jeder Persönlichkeit in dunkeln

Tiefen. In Jesu Persönlichkeit, in dem verborgenen Heiligtum seines Erlösergemütes, das uns zuweilen blitzartig durch Ereig­ nisse seines Lebens erleuchtet wird, das aber für unsere Unter­ suchungen undurchdringlich ist, verweilen die Gedanken derMenschen in Andacht und Anbetung. Denn hier hat eine tiefe Erfahrung eine nie versiegende Quelle zur Läuterung und Stärkung des Lebens gefunden.

29. Oktober

Der Streit um Meues und Altes, Altes und Meueü Der Gegensatz zwischen Altem und Neuem verursacht Beun­ ruhigung in der Gemeinde. Man hält sich an das Alte. Das Neue

ist deshalb gefährlich, weil es neu ist. Das Alte ist gut, weil es alt ist. Ein anderer denkt umgekehrt. Er sucht das Neue. Das Alte, Abgestandene möchte er begraben. Das Alte ist schlecht, weil es

alt ist. Das Neue ist gut, weil es neu ist. In beiden Fällen fragt man nach etwas Äußerlichem, anstatt nach der Sache selbst zu

fragen. Jesus sagt: „Ein jeglicher Schriftgelehrter, zum Himmel­

reich gelehrt, ist gleich einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorträgt." Der Wert des Alten liegt nicht darin, daß es alt ist, und der Wert des Neuen nicht darin, daß es neu ist. Sondern beide besitzen in dem Maße Wert, als sie von Gottes Herrschaft zeugen. Mancher denkt, weil das Alte früher gute Wirkung gehabt hat, müsse es diese auch heute noch haben. Bleibt es ohne Wirkung, dann

liegt es an den Menschen. Oder man sucht sich bei der drückenden Konkurrenz durch das Angebot des Allerneuesten zu helfen. Der gute Hausvater handelt ganz anders. Er hat Altes und Neues

in seinem Vorrat. Wenn die Jünger des Himmelreiches das Alte

aus ihrem Vorrat hervorholen, so ist es neu. Es wirkt wie eine Entdeckung. Es besitzt mehr Frische und Kraft als das Aller­

neuste. Denn darin offenbart sich etwas von Gottes immer leben-

digerMacht, etwas vom Geheimnis des Reiches Gottes. Es kommt darauf an, den Menschen Gottes Herrschaft und Wahrheit in dem zu zeigen, was ganz nahe bei uns liegt. Sieh, wie wichtig und

neu das Gewöhnliche wird, wenn Gott sich uns darin offenbart!

Matth. 13,12

30. Oktober

Ein lebendiger Mensch Die großen Geister der Christenheit und die, deren Namen in

der Geschichte mit außerordentlichen Taten verbunden werden und wurden, stehen nicht allein da als Zeugen, daß Gott lebt. Jede Handlung sittlicher Freiheit und Treue offenbart ein Stückchen von Gottes Welt. Sag an, warum handelst du so? Der Freie anb wertet: Ich muß, ich kann nicht anders. — Ist es irgend ein Um­ stand oder ein Mensch, der dich zwingt, oder ist es deine eigene

Natur? Wagst du nicht anders zu handeln? Antwort: Mein Ge­ wissen befiehlt es mir, es ist nicht ratsam, gegen das Gewissen zu

handeln. Eine Seele, die zum Äußersten getrieben wird, stürzt sich auf Gedeih und Verderb in Gottes Barmherzigkeit. Eine Seele nimmt sich Zeit zu beten und nachzudenken. Dadurch gewinnt sie Gewißheit und geht unerschrocken vorwärts, denn sie weiß

nun: Hier ist mein Weg; dahinaus muß ich gehen. Oder sie sieht keinen Weg, dann tastet sie sich behutsam und doch eifrig vorwärts

und ist nur darauf bedacht, das Richtige zu tun. Was aus der inneren Sammlung eines aufrichtigen Gemütes und

dem

demütigen

Gefühl

von

Gottes

Zwang

kommt,

das stammt aus des Menschen wirklichem Wesen bei Gott und ist eine Neuschöpfung. Kein Schauspiel ist wunder­ barer. Wenn die Seele sich entschlossen zu Gott hinwendet, wenn du mutig, ehrlich, in Buße und Treue dein eigenes Wesen bekennst,

wenn das brennende Verlangen nach Erlösung und Aufrichtigkeit reinen Tisch macht und jeden Vorbehalt hinwegfegt, dann geschieht ganz stille in der heiligen Stunde etwas Neues, dann schafft Gott.

Das geistige Leben taucht auf in seiner Frische. Geht ein Mensch

sich selbst und seinem Beruf auf den Grund und sucht er redlich Ver­ zeihung und neues Leben, dann kommt das Ursprüngliche zu seiner Erscheinung. In dem Maße, wie sich ein Menschenleben zu völliger, allesumfassender Hingabe an die Wahrheit sammelt, wird es den Heiligen gleich.

31. Oktober

Der Abend vor dem Allerheiligentag Der Abend vor Allerheiligen! Die Worte haben im Laufe der Zeit einen Inhalt und einen Kreis von Gedankenverbindungen

erhalten, so daß der Name fast einem der großen Feste der Christenheit gleicht. Der Mann, der die Thesen anschlug, ist nicht, wie so viele der

freiwillig oder unfreiwillig lärmenden und in der Geschichte einen breiten Raum einnehmenden Gestalten von späteren Personen übertont oder in den Schatten gestellt worden. Umgekehrt — er

ist ihnen allen über den Kopf gewachsen und im Lauf der Zeiten immer großer geworden. Freunde und Feinde haben darin gewett­

eifert, ihn zu verkleinern. Die Freunde haben ihn zum Schulmeister der reinen Lehre oder zu einem Herold der Gedankenfreiheit gemacht, beides Gestalten, die der Vergänglichkeit unterworfen waren, die es aber nicht vermochten, die Auferstehung des also ehrwürdig

Begrabenen zu verhindern. Die Feinde haben Luther frühzeitig in die Schar der Ketzer und Sektierer eingeordnet.

2m Bewußtsein seiner Bedeutung hat man Luther römischer­

seits zuweilen mit dämonischen Zügen ausgestattet — jedenfalls eine nützliche Berichtigung der frommen Harmlosigkeit der offiziellen Lutherbilder des späteren Luthertums. Denn wenn Luther selbst zu Worte kommt, sprengt er das Maß. Luther gehört nicht der Reihe gewöhnlicher oder ungewöhnlicher

Verkünder der Kirchenlehre an, sondern er ist einer der schöpferischen

Geister der Religion. Nun freut euch, lieben Christen gmein,

und laßt uns fröhlich springen,

daß wir getrost und all in ein mit Lust und Liebe singen, was Gott an uns gewendet hat

und seine große Wundertat;

gar teur hat er's erworben.

1. November

Allerheiligen Heilige sind Menschen, die als Salz der Erde dazu beigetragen

haben, die Welt vor Fäulnis zu bewahren. Heilige sind Menschen, die das göttliche Licht voll ausstrahlen lassen, für sich und andere.

Heilige sind Menschen, die durch chr Wesen, chr Leben und ihre Taten zeigen, daß Gott lebt. Sie leuchten durch die Zeiten. Sie

erleuchten unser Leben, denn das Licht, das aus ihnen hervorbricht,

strahlt Gottes Macht und Jesu Herrlichkeit wider. Für alle Heil'gen, die nun ruhn vom Streit, die gläubig Dich bekannt hier in der Zeit,

sei Dir, o Jesu, Lob in Ewigkeit.

Halleluja! Du warst aus Erden chnen festes Haus, Dein Wort führt vorwärts sie in Kampfgebraus,

Dein Licht strahlt hell in Finsternis und Graus.

Halleluja!

Wir kämpfen treu, mit Mut und Tapferkeit, wie Deine Scharen einst in heiligem Streit, dann winkt die goldne Kron' der Ewigkeit. Halleluja!

Seliger Bund, der sie und uns schließt ein! Wir noch im Dunkel, sie in hehrem Schein, doch alle eins, denn alle sind wir Dein. Halleluja!

Ist schwer der Tag, der Seele Mühsal lang, —

still! horch! Von ferne tönet Siegessang! Das stärkt den Arm, das Herz ist nicht mehr bang! Halleluja!

Matth. J, 13f.

2. November

Heilige sind unter uns Daß sie da sind, macht uns das Leben werter und leichter zu

leben. Sie helfen uns und lassen uns erfahren, daß Gott lebt. Sie bilden keinen Kreis, keine Partei, keine Organisation; nicht einmal Gesinnungsgenossen im herkömmlichen Sinn sind sie. Sich selbst

wahrscheinlich unbewußt, vermitteln sie uns etwas, nicht etwa durch die Möglichkeiten, die ihr Leben aufweist für uns, unsre Sache

und die Unfdgen, sondern durch das, was sie selbst sind, durch die Redlichkeit, Liebe und Lauterkeit ihres Wesens. — Wenn sie sich vielleicht selbst als Nehmende fühlen, demütigen oder belehren sie

uns. Fühlen sie sich vielleicht ohnmächtig, so richten sie uns doch aus. Das heißt nicht, daß wir mit ihnen umgehen, Dienste und Gegendienste des täglichen Lebens von ihnen verlangen. Fügt es

sich so in unsrer Arbeit, dann ist es eine Freude und ein Glück. Fügt es sich nicht so, dann begehren wir es nicht; aber wir danken

Gott, daß es Heilige gibt. Es ist unser aller Aufgabe, unserem hemmenden und armseligen Wesen zum Trotz, Gottes Leben selbst

hindurchleuchten zu lassen. Es ist unser aller Aufgabe, davon

zu zeugen, daß Gott lebt. Der Kreis weitet sich über die zwölftausend Versiegelten aus jedem der Stämme Israels bis zur ganzen Christenheit auf Erden.

Za darüber hinaus bis zu denen aus allen Völkern, Zeiten und

Sprachen, die nicht für diese Erde oder um eigenen zeitlichen Ge­ winnes willen gelebt haben, sondern für das ewig Gute. Bis zu allen denen hin, die beweisen, daß diese Menschheit nicht nur ein Kind dieser Erde ist, sondern daß sie zur seligen Gemeinschaft mit

Gott bestimmt ist. Wenn uns Mißmut und Müdigkeit überfallen, wenn wir den Kampf entweder sinnlos, hart und verkrampft, unklar verwickelt

oder gar fast unwirklich und wunderlich spröde finden, dann wollen wir den Blick aufrichten zu „der großen Schar, welche niemand zählen konnte aus allen Heiden und Völkern und Sprachen".

Off. Joh. 7, S. 9 21

Worte für jeden Tag

3. November

Der Inhalt der Deformation ist derart, daß ihre Verwirklichung zu einer unübersehbaren Auf­

gabe und Zukunstshoffnung für den wird, der allem zum Trotz Hoffnung und Zuversicht zu hegen vermag. Wir legen gerne etwas davon in Luthers eschatologischen Ausspruch vom Mangel des

Erdenlebens und der Herrlichkeit des Jenseits: „Dieses Leben ist nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein

Wesen, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Es ist noch nicht getan oder geschehen, aber es ist im Gang. Es ist

nicht das Ende, es ist aber der Weg." Die Zeit der Reformation ist einer Stadt vergleichbar, die

Monumentalbauten über den Ebenen der Geschichte errichtete. Wohl imponieren sie auch in der Nähe. Aber erst in einiger Ent­

fernung zeigen sie chre ganze Majestät. Bei jedem Stück des Weges, das man zurücklegt, wachsen sie, solange sie in Sicht sind.

Ein Wald von Spitzen und Türmen erhebt sich. Eine Gestalt steht hoch über allen andern. Allein Luther war keine isolierte Er­

scheinung, sondern der mächtigste Geist in einer großen Erneuerung. Gott suchte die Erde heim. Eine Verwandlung trat ein. Durch

alle Äußerungen des geistigen Lebens hin zieht sich das Streben zum Idealen und ein neuer Ernst. Dichter und Künstler, Denker und Persönlichkeiten des evangelischen und kacholischen Glaubens

sind von einem Pathos erfüllt, das sich scharf gegen die Flachheit der gerade vorhergegangenen Zeit abzeichnet. Bis heute hat jedes neue Jahrhundert die Bedeutung der Reformationszeit besser erkennen gelernt und vor allem die Persönlichkeit Martin Luthers und sein Werk immer hoher eingeschätzt. Was er eines Tages bei

Tisch äußerte, bewahrheitet sich: „Wenn die Geschichte unsrer Zeit auf die Nachwelt kommt, werden sie unser Tun achten und sie viel lauter als wir selbst verkündigen, die wir uns mitten darin

befinden und zum Teil selbst mit im Spiel sind".

4. November

Die erste von Luthers Thesen lautet: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: ,Tut

Buße!^ will er, daß das ganze Leben seiner Gläubigen eine un­ aufhörliche Buße sein soll." Sobald wir glauben, fertig zu sein,

sind wir keine Kinder der Reformation. Reformation muß fort­ gesetzte Besserung, ständige Bewegung sein. Sie erreicht weder bei der Kirche noch bei dem einzelnen ihr Ziel in dieser Welt. Aber es muß redlich und unverdrossen verfolgt werden. Der Glaube ist nicht eine träge Besinnung, sondern die eigentliche Aktivität des Geistes. Wir leben inmitten der Wohltaten der Reformation. Gerade

deshalb aber gibt es manchen, der sie nicht sieht, sondern als selbst­ verständlich annimmt, was mit äußerster Mühe errungen wurde

und was lauernde Feinde der evangelischen Wahrheit und Freiheit uns gerne wieder nehmen mochten. „Halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme!" Keine Schwachheit, keine kurz­ sichtige gute Absicht darf unserem Volk die von Gott selbst auf­ erlegte Verantwortung verdunkeln,

Heimstätte und Wehr für

evangelische Zuversicht und Freiheit in der Welt zu sein. Hier gilt das Gesetz des stärkeren Druckes. Der Glaube muß unter uns gestärkt und in der Liebe wirksamer werden, wenn wir dem uns

von der Gnade Gottes verliehenen Reichtum und unsrer Aufgabe

entsprechen wollen. Diese Aufgabe umfaßt freilich nicht nur unsere Provinz der Kirche Christi, sondern die ganze Christenheit, nicht nur das kirchliche Leben, sondern das gesamte Menschenleben. Denn die Reformation hat gewirkt und wirkt heute noch weit über die

Grenzen des evangelischen Christentums hinaus. Ein jeder, der Sinn hat für die Höhen und Tiefen der Seele, jeder Freund einer charaktervollen persönlichen Selbständigkeit und eines kühnen

Glaubens, der jedem Menschen ohne Unterschied das Beste von allem bietet, nämlich Gottes Gnade in Christo, ohne Vorbehalt, damit er durch den Glauben frei werde, muß sich dem Geist der

Reformation verwandt fühlen.

Off. Joh. 5, 11 21*

Kol. 2, 12

Luk. 17, 5

5. November

Die Arbeitsteilung der Geschichte Die Geschichte zeigt im Großen eine Arbeitsteilung, die nicht

von Menschen eingerichtet worden ist. In der Welt der Religion unterscheiden wir zwei hohe Berufe — unter anderen. Das geistige Erbe muß geklärt, geläutert und angewendet werden.

Das Verhältnis zu Gott muß für das Leben und für den Gedanken

geordnet und klargelegt werden. Der Glaube muß geweckt, Liebe und Hoffnung müssen gestärkt, das Denken muß erleuchtet und

das Leben gereinigt werden. Hier finden die Lehrer und Diener

der Kirche ihre großen und kleinen Aufgaben. Wir alle sind ihnen

Dank schuldig. Aber es gibt noch eine höhere Ausgabe, die keiner selbst auf sich nehmen oder sich wählen kann. Ein Ursprüngliches teilt sich aus

dem göttlichen Leben selbst mit. Unentbehrliche Werte machen

sich mit elementarer Gewalt geltend. Wenn auch der Gedanke die religiöse Offenbarung nicht sofort

oder jemals vollkommen in ihren Zusammenhang einzuordnen vermag, ahnt und empfindet er doch bei den schöpferischen Menschen den Ausfluß einer höheren Vernunft. Das religiöse Sehnen des Menschen und Gottes Kraft treten bei ihnen mit solcher Macht

und zwingender Notwendigkeit zutage, daß sie sich dem empfäng-

lichen Gemüt geradezu aufdrängen.

Es ist nicht gesagt, daß das Neue bei einem solchen Helden der Religion genau bestimmt und in Worte gefaßt werden kann. Viel­ leicht ist der wesentliche Inhalt seiner Botschaft schon vorher er­ klungen. Aber es wird von ihm mit einer Frische und Klarheit

erfaßt und wiedergegeben, die es zu etwas Neuem werden lassen. Auch wenn der religiöse Inhalt einigermaßen deutlich in Worte gefaßt werden kann, ist er doch im innersten Kern unauflöslich ver­

bunden mit der Seele, die ihn hervorgebracht hat.

6. November

Gustav sldolk Die evangelische Kirchengemeinschaft wartet noch auf ihre letzte Erfüllung. „Gottes heilige Gemeinde in unsrem lieben Vaterland"

bedeutete für Gustav Adolf „die wahre christliche Religion" durch

„Gottes reines und klares Wort", frei von „Abgötterei und mensch­

licher Erfindung und menschlichem Dichten". Gottes Kirche, die keine Gewissensunterdrückung und Seelentyrannei duldete, sondern

Freiheit forderte, war für Gustav Adolf eins mit der wahren

Christenheit. Die größte Gefahr für die Religionsfreiheit und für die Freiheit

überhaupt liegt noch heute bei solchen Richtungen, die das Un­ persönliche über die Persönlichkeit sehen, die bereit sind, alles, sich selbst und die Menschheit, einem System, einer Einrichtung, einer Lehre zu opfern. Gegen diese Gefahr ist das evangelische Christen­

tum berufen, klar und in Einigkeit für sein Wesen einzustehen,

nicht aber unklar und zersplittert. Gustav Adolf gehört zu den Vorboten der ökumenischen Gesin­

nung in der Christenheit. Sein Werk zeigt, daß das, was Menschen­ augen unmöglich erschien, mit Gottes Hilfe Wirklichkeit werden kann. Deshalb wollen wir vorwärts blicken bis zu dem Tag hin,

da das evangelische Zusammengehörigkeitsgefühl in unverletzter Treue gegen das geistige Erbe und die geistige Eigenart eines jeden so stark geworden ist und auch im Äußeren einen solchen Ausdruck erhalten hat, daß sich neben dieser evangelischen Katholizität, d. h.

Allgemeinheit, jede kirchliche Verstockung, auch die umfassendste, als sektiererische Absonderung selbst richtet. Mit solchem Streben huldigen wir auf rechte Weise dem Gedächtnis des großen Königs

und setzen den Kampf und Sieg des Glaubens in der Welt fort. Wir gedenken der mühevollen und schicksalsschweren Schritte, die unsre Vorfahren auf dem vom Novemberwetter aufgewühlten

Boden bei Lützen taten. Das Leben ist keine Festprozession, sondern ein mühseliger Aufmarsch, bei dem jeder wirklich ernsthafte Kämpfer

seine beste Kraft einsetzen muß.

32S

2. Kor.

5,17

7. November

Der Mut der Heiligen Es gibt keinen besseren Mannesmut und Frauenmut — es gibt keinen besseren Heiligenmut —, als daß ein Mensch seine Ver­ antwortung ganz auf sich nimmt und sich ihr nicht entzieht. Das

ist die Stadt auf dem Berge. Das ist das Licht, das allen leuchtet, die int Raume sind. Sn einer dunklen Ecke der Seele liegt das Bewußtsein und brütet: „Du solltest diese Sache in Angriff

nehmen". Man darf es nicht zum Schweigen bringen. Eine müh­

selige, schwierige Sache stellt sich Dir in den Weg. Du darfst keinesfalls an ihr vorbeigehen. Allgemeine Wahrheitsbezeugungen in Zeitungen, Büchern und auf der Kanzel bedeuten nicht viel

und kosten nicht viel. Aber das bedeutet und kostet etwas, wo ein Mensch seine Verantwortung, wie sie chm zuwächst, voll und ganz

auf sich nimmt, wo er tut, was er soll. Gewiß geht es nicht ohne

Irrtum, Verdruß und Enttäuschung ab — aber mit Gottes Hilfe tut er, was er kann. Es geht ein Leuchten aus von solch einem Menschen und seinem Leben. Die Heiligen strahlen ein solches Licht aus. Jesu Jünger sollen ihr Licht leuchten lassen, so daß Gott

durch sie geehrt wird. Merkwürdigerweise ist etwas Derartiges möglich. Es gibt Menschen, deren Leben und Werke zu tiefster

Dankbarkeit Anlaß geben. Aber der Dank bleibt nicht bei ihnen stehen; er wird unwillkürlich emporgehoben. Dankbarkeit und

Bewunderung werden hier gleichsam mit Flügeln geboren und steigen unwillkürlich über das Menschliche hinaus. Sie werden zu einem Lobpreis, der dem Menschen nicht ins Grab folgt, sondern der zur Ehre Gottes fortlebt.

8. November

Ein Hirtenbriek „Nicht daß wir Herren seien über euren Glauben, sondern wir

sind Gehilfen eurer Freude, denn ihr stehet im Glauben." Der Glaube beruht nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gotteskraft. Er darf nicht vom Wohlwollen oder der Herrschsucht der Menschen seine Bestimmung erhalten, sondern allein vom

heiligen Geist.

Allen unchristlichen Herrschaftsansprüchen über die Gemeinde und ihren Glauben soll nicht etwa die Herrschaft der Gemeinde entgegentreten, sondern der Wille, zur Freude der Gemeinde bei-

zutragen. Unter dem Namen Freudenbotschaft, Evangelium, kennen wir noch heute das echte Christentum. Jesu letzte Verkündigung

an die Jünger hatte den Zweck, daß seine Freude in ihnen wohnen möge und daß ihre Freude vollkommen sei. Sie waren voll Traurig­ keit, sie würden noch weinen und klagen, aber ihre Traurigkeit würde in Freude verwandelt werden. „Euer Herz soll sich freuen,

und eure Freude soll niemand von euch nehmen." Als Paulus in Rom in Ungewißheit über Tod und Leben gefangen saß, schrieb er an seine Lieblingsgemeinde, die Heiligen in Philippi, und er­ mahnte sie: „Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals

sage ich euch: Freuet euch!"

Vom Anfang bis zum Ende erstrebt so das Christentum Freude,

wenn auch der Weg dahin durch Traurigkeit geht. Es erklang einst eine Freudenbotschaft in der Welt. Neben dem Glück, sie vernommen zu haben und wirklich zu glauben, daß sie

wahr ist, gibt es kein größeres Vorrecht, als die Botschaft in Wort und Tat anderen zu verkünden, sodaß sie wissen, Gott lebt und nimmt sich ihrer in Barmherzigkeit an.

2. Kor. 1.24

Joh. 16. 22

Phil. 4. 4

9. November

Wo Vergebung der Künden ist, da ist auch Leben und Seligkeit Luther war entzückt über die ewige Melodie der Versenkung in

Gott und schrieb den christlichen Text dazu. Jahrelang, nachdem

er die neuen wunderbaren Melodien, die noch heute aus seiner liederreichen Seele über die Christenheit erklingen, gefunden hatte,

finden wir bei ihm den und jenen stillen, spröden Ton aus dem Kreuzesglauben der Mystik. Manch einer empfindet Andacht vor der Unendlichkeit, Ehrfurcht

vor dem Heiligen; er hat Sinn für religiöse Stimmung, auch für selbstentsagenden Eifer, aber ec vermag nicht den kühnen Glauben des Christentums zu verstehen. Es ist leichter, Frieden außerhalb

des Getriebes der Welt zu suchen, als an die Güte des Lebens­

grundes selbst zu glauben. Wäre Luther bei der Versenkung der Mystik stehen geblieben, so hätte er manch einem zugesagt, der heute Anstoß an ihm nimmt. Niemals aber hätte er eine neue Zeit in der Neligionsgeschichte eingeleitet. Die Mystik gab Luther nicht genug. Seine Seele war zu warm und zu leidenschaftlich. Die

Gewiffensfrage nach Schuld und Vergebung neben der brutalen Not des Lebens, die sich bei Luther zu tiefer Melancholie konzen­

trierten, machte ein planmäßiges Ruhen der Seele in Gott un­ möglich.

Nach Tagen und Nächten des Grübelns ging Luther das Wort des Nömerbriefes von Gottes Gerechtigkeit auf. Da stand: Der

Gerechte wird seines Glaubens als einer Gabe Gottes leben. Das Wort Rechtfertigung hat eine Bedeutung, die sonst nicht in

unsrer Sprache vorkommt, die aber dem Wort Sündenvergebung noch am nächsten kommt. Diese Stunde prägte sich, trotz ihrer wenig feierlichen Umstände, tief in Luthers Gedächtnis ein. „Da fühlte ich mich geradezu neu geboren und meinte, durch die geöffnete

Tür ins Paradies einzugehen."

Nun war Luther eingegangen in das Allerheiligste des Christen­ tums. Hier schien Gottes helle Sonne und keine von Menschen­ händen gemachten Lichter.

Röm. 1) 17

10. November

Luther Luther war heiter und fröhlich, hochherzig und zuverlässig. Er

konnte zornig werden, aber er war schnell bereit zu vergeben. Viele hingen an seinen dunklen, tiefen Augen, aus denen es wie Feuer

leuchtete und brannte. Die Schwermut blickte aus ihnen, sie lag ihm im Herzen und brütete. Er verjagte sie mit Musik und Gesang, in dem Gespräch mit Freunden und in Gottes freier Natur, vor

allem mit seiner übermenschlichen Arbeit. Aber seine eigentliche Hilfe in der Angst der Seele und des Leibes war die Gewißheit

von der Liebe Gottes. Das Gebet quoll aus seinem Herzen hewor wie frisches, reines, überfließendes Quellwaffer. Er war stark wie

ein Held. Er war einer der großen genialen Menschen, die die Welt­ geschichte kennt. Er war demütig und aufrichtig wie ein Kind.

Mitten unter den Anfechtungen der Seele und den Krankheiten

des überanstrengten Körpers, im Widerstand gegen die Feinde oder gegen gefährliche Unternehmungen törichter Freunde, setzte Luther seinen prophetischen Auftrag fort:

Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen!

Dein gnädig Ohr neig her zu mir und meiner Bitt es öffne;

denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, Herr, vor dir bleiben? Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht bauen; auf ihn allein verlassen mich

und seiner Güte trauen, die mir zusagt sein wertes Wort;

das ist mein Trost und treuer Hort, des will ich allzeit harren.

11. November

Das Evangelium des Vertrauens Die meisten Seelen schlafen. Erwachen sie, dann werden sie leicht furchtsam oder übermütig. Luther errang sich die Demut und den Mut der Zuversicht. Die Gesetzesreligion kennt höchstens den Büßer; die Mystik, wenn es hoch kommt, den Menschen, der sein Entzücken in Gott findet, der in seliger Abgeschiedenheit des

Friedens wie ein gleichgültiger Fremdling durch die Mühe, Freude und Trauer des Lebens geht. Das Evangelium des Ver­ trauens kennt dagegen das freie Kind Gottes.

Die Konzentration des ganzen Lebensproblems auf das Religiöse und innerhalb der Religion auf das Vertrauen ist Luthers Größe. Der Mensch muß zuerst das

Wesentliche in Ordnung bringen. Ist der inneren Not abgeholfen, dann verbleiben für Luther keine Schwierigkeiten mehr. Sein

ganzes Leben faßte sich in einem einzigen Ruf zusammen. Wenn der beantwortet war, kam alles andere von selbst. Das Vertrauen brachte alles in Ordnung. Aber die Sache ist nicht so einfach. Nicht alle Menschen werden von Luthers religiösem und sittlichem Pathos getrieben. Nicht alle sittlichen Probleme können durch Vergebung gelöst werden. Luthers

Konzentration hat auch Schwierigkeiten zur Folge gehabt. Die reine und unwandelbare Idealität seines Denkens vernachlässigte andere Hilfsmittel, welche zur Erziehung vieler Menschenkinder

notwendig sind. Auch die Zwischenregifter der Seele müssen in Anspruch genommen werden. Luthers Empfindlichkeit gegen jedes Eindringen gesetzlicher Bindung in die Sphäre christlicher Frecheit

ist von andern als Zugang zu sittlicher und geistiger Faulheit ge­ wertet worden. Luther mußte Enttäuschungen erleben. Wir aber bedürfen seiner. Es gibt viele Mitläufer, viele Pädagogen, aber

wenige Helden des Glaubens und der Liebe. Zu Luchers Zeit war die Religion von unbegreiflichen oder lügnerischen Phrasen und Formeln verdeckt.

Auch in unsrer Zeit wird die Religion für manchen durch un­ begreifliche, gelehrte und merkwürdige Worte und immer wieder

Worte verdeckt. Was ist gemeint? Meint man überhaupt etwas?

12. November

Das Weltbild hat sich verändert Das Weltbild hat sich tatsächlich verändert. Die Kirche stellt sich gerne so, als habe diese Revolution gar nicht stattgefunden. Mit dem Universum hat die Gottesvorstellung, wenn ich töricht reden darf, gewiß an Umfang zugenommen, wenn auch ihr Inhalt das Evangelium nicht überbieten kann. Menschen leben tatsächlich

nebeneinander in verschiedenen Zeitaltern. Aber für den, dessen

altes Weltbild zerstört wurde, erscheint manches in der üblichen Lehrweise als Mythologie und Scholastik, die Gottes Willen und

Versprechen mehr verbirgt als enthüllt. Nur wenige vermögen

das Wesentliche im Vergänglichen zu sehen. Das soll nicht be­ deuten, daß man erst Theologie und Geschichte studieren und mit einer Art heiliger Sprache vertraut werden muß, um Gottes Zwie­ sprache mit der Seele zu verstehen. Mit Lucher und seiner Zeit müssen wir heute darüber klagen, daß das Evangelium nicht auf

dem Leuchter steht, sondern von manch einer ernsthaften Seele

unter dem Scheffel heworgesucht werden muß. Ich empfehle als Leuchter nicht irgend eine moderne Scholastik. Aber viel Seelen­

arbeit ist notwendig, um die frohe Botschaft Christi und der Re­ formation den suchenden Seelen unsrer Zeit leichter zugänglich

zu machen. Die Menschen, die der Welt den größten geistigen Nutzen gebracht und am tiefsten auf die Geschichte eingewirkt haben, waren keine Neuerer, sondern sie holten neue Werte aus alten Schatzkammern hervor.

Die geistige Unterernährung, an der die Kinder unsrer Zeit lange gelitten haben, beruht nicht auf Mangel. Man stopft sich ständig mit schwacher, wertloser oder ungesunder geistiger Kost

voll. Und doch ist das Höchste allen zugänglich. Die Tatsache, daß es vielen zuteil wird, bedeutet nicht, daß es vermindert, vielmehr, daß es vermehrt wird. Ist jemand mitten im Überfluß geistig so unterernährt, daß er nicht die Bibel liest, so mochte ich bemerken,

daß

Joh.

die Heilige Schrift der Weltliteratur angehört.

39

13. November

Die Erben des Evangeliums Wir, die Erben des Evangeliums, können kein anderes Zeichen

als das des Propheten Jona anerkennen, das heißt die Wahrheit, die sich dem Menschenherzen selbst bezeugt. Wenn man die Wahr­ heit hört, dann muß der Aufrichtige zugeben und sagen: „So ist es, das ist wahr", auch wenn man dadurch eigene Unzulänglichkeit

und Versäumnis anerkennen muß. Eine Stimme in uns gibt der

Wahrheit, auch wenn sie gegen uns steht, recht. Hier ist mehr als Salomo. Hier ist auch mehr als Jona, der Prophet. Hier ist mehr als eine Predigt. Hier ist das Wort

Fleisch geworden. Hier ist Wahrheit in lebendiger Gestalt. Jesus Christus ist die Wahrheit. Hier ist unsre Autorität, unsre

Macht. Wenn irgend einer meint, er könne sich auf den Geist verlassen,

so können wir es noch viel eher, die wir eine Wolke von bedeutenden

Männern der Forschung, des Denkens und Dichtens und des Gemeinschaftslebens haben. Beruft sich jemand auf Schönheit und Feierlichkeit der Gottesverehrung, so tun wir es auch. Denn

aus evangelischem Glauben sind Johann Sebastian Bachs Tone herausgeboren. Verweist jemand aus selbstlose, aufopfernde Liebe,

so können wir das ebenfalls tun, ohne die rechtmäßige Ehre irgend

eines Christen oder eines andern Menschen in Gottes Reich zu verringern und ganz abgesehen davon, zu welcher Gruppe oder Richtung er sich hier auf Erden zählt. In edlem Wettstreit sollen wir uns über die Güte in einem Leben oder über die Schönheit

einer Seele freuen, wo sie sich auch offenbaren mag. Aber all dies, was für uns ein Gewinn ist, muß unsre evangelische Christenheit um Jesu Christi willen weit Wichtigerem gegenüber

als gering erachten, nämlich gegenüber der^Wahrheit, die richtet und erlöst. Die Wahrheit, die Christus selbst verwirklicht.

Joh. 1.14; 14,6

Luk. 11, 29-32

14. November

Das K>ah der Heiliskeit Es geht abwärts mit einer Gemeinschaft, mit einem Kreis von Menschen. Äußerlich geht es ihnen noch gut, aber, ohne Widerstand zu finden, schleichen sich Leichtsinn, Eigennutz oder Falschheit ein und gewinnen in aller Ruhe Macht über sie. Es ist erschreckend, wie leicht und schnell ein Mensch oder ein Kreis von Freunden oder

eine andere Gemeinschaft in Verweltlichung versinken und das Gewissen verlieren kann. Da ist des Herrn Salz notwendig. Ein Gewissen erwacht, wird gequält und zum Handeln getrieben. Das

ist nicht leicht. Unzufriedenheit, Mißverständnisse, Schwierigkeiten entstehen, wo vorher alles wie von selbst ging. Denn es bedarf keiner

Anstrengung, um zu sinken. Aber es bedarf der Anstrengung, um sich oben zu halten. Die Fäulnis nimmt ihren normalen Verlauf, wenn man ihr nicht entgegentritt. Aber das Salz macht einen Ein­ griff und verhindert sie. Ein unbestechlicher sittlicher Wille macht

sich in einer Gemeinschaft bemerkbar. Er ist lästig. Jedes Körnchen

wirklicher Heiligkeit brennt. Aber es verhindert die Fäulnis.

Es ist die Aufgabe der Jünger Christi, solch ein Salz zu sein. Diese Aufgabe richtet sich ebenso sehr gegen die eigene Neigung, das Salz zu verlieren und „dumm" zu werden, wie gegen die Welt, in der wir leben. Wie leicht wird nicht ein Menschenleben fad und schal! Halten wir an, machen wir uns das klar, dann empfinden wir Ab scheu!

Hat das Böse auch große Macht, so wirkt das Salz der Heilig­ keit doch bewahrend. Der Herr sagt: „Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihrer willen dem ganzen

Ort vergeben." Kennzeichnend für einen Jünger Jesu ist also, daß das Salz in seiner Seele der eigenen Verdorbenheit entgegenwirkt und daß

er ein Salz gegenüber der Verweltlichung um ihn her ist.

Matth. 5,13

1. Mose 18, 26

15. November Wir sollten nun nicht von den Windeln sprechen, auch nicht von dem Mantelsaum, durch dessen Berühren das Weib nach zwölfjähriger Krankheit geheilt wurde.

Der Glaube des Weibes galt dem Herrn Jesus. Da kann selbst ein so einfaches Ding wie ein Mantelsaum zu ihrer Rettung dienen.

2m Vergleich mit dem Menschensohn selbst sind alle Mittel, zu ihm zu gelangen, gering. Seine Hilfe ist so mächtig, daß auch das

geringste Mittel, sobald es der Glaube anwendet, kostbar und groß wird. An dem Tage, da das Weib geheilt wurde, wetteiferte das

Volk darum, seinen Saum zu berühren. An einem andern Tag warfen ein paar römische Soldaten das Los um seinen Mantel. Die Worte des Evangelisten, mit denen er von Jesu letztem

weißen Gewand spricht, haben eine merkwürdige Ähnlichkeit mit denen, die von dem ersten weißen Gewand berichten, in welches Maria ihren Sohn legte. Sollen wir da von Jesu rotem Gewand sprechen? Wir meinen

das blutige, das der letzte Lohn seines Volkes wurde. Einmal trug er wirklich den roten Fürstenmantel. Der irdische Königsmantel wurde chm nicht zuteil. Er offenbarte eine andere Größe als die, die sich in feine Kleider hüllt und in Königshäusern

wohnt. „Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen und die Oberherren haben Gewalt. So soll es nicht sein unter euch", sagt Jesus, „sondern so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei

euer Diener; und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht, — gleichwie des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer

Erlösung für viele". Einmal durfte Jesus sein schlichtes Gewand ablegen, um sich

in Krone und Purpurmantel zu kleiden. Aber die Krone war aus Dornen geflochten, und die leuchtende Farbe seines Mantels sollte bald mit dem Blut vertauscht werden.

Matth. 9,18ff.; 14, 36; 27, 35; 20, 25-28; 27, 27f.; 28, 3

16. November

Jesu Kleider Von dem jüdischen Messiasgewand und der griechischen Logos­ gestalt müssen wir, obwohl sie während vieler Jahrhunderte aus feinstem Material und von den ersten Meistern unter den Völkern auf unsrer Erde verfertigt worden sind, doch, wie der fromme Sanger singen:

Und wär die Welt vielmal so weit mit Edelstein und Gold bereit, so wäre sie doch viel zu klein,

um eine Wiege Dir zu sein. Dasselbe dürfte auch von den Bezeichnungen gelten, die die

hohen außerchristlichen Kulturen in Indien und Ostasien ihm geben werden und ihm aus ihrem eigenen Schatz schon heute geben, um sich Jesus anzueignen.

So groß ist Jesu Herrlichkeit. Die geistigen Kleider, in welche wir chn kleiden, sind kein vollkommener Ausdruck für sein Wesen. Je nach den verschiedenen Gaben, die man von ihm empfangen hat,

nennt man ihn gern mit verschiedenen Namen. So ist er für den einen vorzugsweise der milde Seelenfreund, für den andern der strenge Richter aller Halbheit und Ungerechtigkeit, für den dritten vorzugsweise der Freund der Armen, für den vierten der, der gött­ liche Vollmacht hat zu verzechen, für den fünften vor allem der vollkommene, harmonische, schone Mensch. Wir dürfen den Menschen nicht das Recht verweigern, ihm das Gewand zu geben, in dem sie ihn zuerst erkannt und lieben gelernt

haben. Keiner aber kennt Jesus vollkommen außer dem himmlischen Vater. Jeder, der sich ihm nähert, erkennt immer wieder, wie wenig

er von ihm erfaßt hat.

Joh. 10,15

17. November

Der Gehorsam und das Vertrauen in Gottes Welt Das Christentum besteht darin, daß jeder einzelne von uns etwas von Jesu Macht erlebt und unbedingtes Vertrauen zu ihm ge-

winnt. So wird uns aus unsrer Not geholfen — aus der eigent­ lichen Not der Seele. Das gehört zu der spärlich bemessenen Seligkeit dieses Erden­ lebens, daß wir im Herzen das Vertrauen aufkeimen und wachsen

fühlen, daß wir auch zu den Menschen Vertrauen haben oder daß es, wo es gestört wird, durch Reue und Vergebung wiederhergestellt

wird. Jesus ist der Mittelpunkt der Menschheit; und das nicht etwa durch Dienstleistung oder durch den Zwang äußerer Maß­

regeln oder gewaltsamer Beeinflussung; sondern durch die Rein­

heit und Kraft seines Wesens sammelt er das Vertrauen und die Liebe der Seelen um sich und benutzt diese Macht zu chrer Hilfe

und zu ihrem Segen. Deshalb kann es bei Christus nicht zum Gegensatz zwischen Gehorsam und Vertrauen kommen. In menschlichen Verhält­

nissen ist man zuwellen gezwungen zu gehorchen, ohne daß man von der Nichtigkeit des Befehls überzeugt ist, auch ohne daß man zu dem Befehlenden Vertrauen hat. Mit Christus verhält es sich

anders, denn er will einzig und allein unser Bestes und weiß, was zu unsrem Besten dient. Der Gehorsam, den er fordert, kommt niemals durch ein äußeres Machtgebot; er entspringt dem freien Vertrauen, das er einflößt. Hier spiegelt sich in Jesus die Herrscherweise Gottes selbst. O Menschenkind, du hörst und weißt, was Gott von dir begehrt,

was immer Er auch tun dich heißt, zur Seligkeit gehört.

Röm. 8, 28

18. November

Das Bittere an der Strafe Die Bitterkeit des Unglücks und des Todes wird durch einen

doppelten Umstand verschärft und vertieft. Der erste ist allgemein

bekannt und in der kirchlichen Literatur sowie in den Zeugnissen

des Umganges mit Gott ausführlich behandelt worden. Die Bitterkeit der Strafe und des Gerichtes rührt von dem Schuldgefühl

her. Gott allein weiß, wie sehr der Kummer plagt und die Wunde brennt. Gott weiß, wie die Trauer drückt und peinigt. Trauer über dich selbst, über das, was du verfehlt und versäumt hast. Du

siehst, wie vollkommen du gescheitert bist. Es wird schlimmer, als

die düstersten Ahnungen dich erwarten ließen. Alle Hoffnung ist

am Ende. Ihre Zeit ist vorbei; das Schreckliche ist unentrinnbare Wirklichkeit geworden. Du kannst dich nicht wie Hiob daran stoßen,

denn du hast ein helleres Licht gesehen. Du hast erfahren, wie streng Gottes Forderung ist. Der Mensch ist elend, nichts als ein Fetzen, ein Werkzeug, das wert ist, fortgeworfen zu werden. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Strafe entgegenzunehmen. Aber das Leiden wird durch das Bewußtsein der eigenen Schuld noch bitterer. Ze auftichtiger wir dies erkennen, je strenger wir uns selbst prüfen

und richten, desto sicherer fühlen wir allem zum Trotz — die Nähe Gottes.

Zweitens aber wird das Leiden noch bitterer, unsaßlicher und schwerer zu durchkämpfen und zu ertragen, wenn wir erkennen, daß sich die Heimsuchung auch auf andere erstreckt, daß wir an

der Schande und Schmach anderer Menschen innerlich mitschuldig

werden. Das ist ein Kapitel, das in der Literatur der Kirche und von den Zeugen des Umganges mit Gott bisher wenig berührt worden ist. Das Erleiden der Strafe und sein Zusammenhang mit dem Schicksal anderer Menschen.

Kyrie eleison!

W

Sir. 36' 1 22

Worte für jeden Tag

19. November

Leiden und Strafe Wir können uns nicht enthalten, den Zusammenhängen nach­

zuspüren. Der Aufrichtige, der gegen sich selbst nicht weich ist, bleibt unwillkürlich dabei: Was mir widerfährt, ist Strafe, ist Gericht. Wie hart es auch klingen mag, es liegt für den Menschen doch eine heilsame, wenngleich bittere Befriedigung darin, das Leiden, das chm widerfährt, als Strafe für eigene Verfehlungen und Ver­

säumnisse zu betrachten. Wir können niemals zuviel von uns fordern. Allerdings können wir sehen, wie das Leiden noch einen anderen,

höheren Sinn hat, als nur Strafe zu sein. Es kann Prüfung und

Läuterung bedeuten, es kann sogar ein Versöhnungsleiden sein, ein Opfer, das der Heilige zu einer Erlösung und Hilfe für viele

darbringt. Von anderen und insbesondere von Jesus Christus, dem leidenden Gottesknecht, müssen wir mit Zesaja sagen: „Er hat

niemand Unrecht getan". Aber so können wir uns selbst nicht beur­ teilen. Wir können nicht wie Hiob Anstoß daran nehmen und unsre

Unschuld anführen. Wir müssen Strafe und Gericht entgegen­

nehmen. Gott hat uns fühlen lassen, wie hoch und streng seine Forderung ist. Wir leiden, was unsre Taten wert sind. Die Schuld des bußfertigen Räubers war brutal, offenbar und äußerlich. Aber

er hatte genügend Redlichkeit im Gemüt, um sich unter eine sitt­ liche Rechtsordnung und Weltordnung zu stellen und seine Schuld

anzuerkennen. Indem wir uns selbst in den Zusammenhang der Gerechtigkeit einordnen, suchen wir auf Kosten jeder eigenen Würdig­ keit Genugtuung. Die Strafe dient aber nicht nur zur Besserung, sondern die Strafe ist ein sittliches Bedürfnis für den Schuldigen.

Er muß die Strafe erleiden, um Genugtuung zu erlangen. Es ist schade um den, der etwas Böses getan hat und keine Strafe dafür leiden muß. Christe eleison!

Jes. 53. 9

20. November

Teilhaktiskeit an der Schmach und Schande unsrer Mitmenschen. Das Leiden kann allen sichtbar sein, so wie das Leiden der Mär­ tyrer. Es kann wie ihr Leiden allen verständlich sein, da es aus dem

verwickelten Zusammenhang menschlicher,

wechselseitiger Soli-

darität herausgenommen ist.

Weiterhin kann das Leiden persönlicher und innerlicher Art fein,

aber auch hierbei kann es offen bekannt werden und im Angesicht der Menschen geschehen. Darm liegt eine Linderung. Aber das Leiden kann auch ein Geheimnis sein, das der Leidende mit ins Grab nimmt, das er im Angesicht Gottes erträgt und aus sich nimmt, ohne die Linderung zu suchen, die in der Mittellung

liegt. Denn Wohl und Wehe der andern sind im eigenen Schmerz einbegriffen. Gram und Kummer können die Sünde und Er­

niedrigung anderer einschließen und darin ihren Grund haben. Liebe gibt Verbundenheit. 2n dem Verbundensein der Menschen untereinander liegt ein Schmerz, der wahrscheinlich in Ewigkeit nicht ganz vergessen werden kann, sondern die ewige Seligkeit bei Gott stören muß, well die Vorwürfe dich niemals loslaffen, wenn dein Nachdenken auch aus kein bestimmtes Versäumnis oder eine

Verfehlung Hinweisen kann. Wenn diese auch unbewußt sind, so entspringt doch größte Bitterkeit daraus, daß womöglich Un­ glück für andere daraus erwächst. Sind andere durch deine Nach­ lässigkeit und deinen Irrtum, vielleicht auch durch deine Fehler

und Tatsünden in die Irre gegangen und der Macht der Sünde und dem unentrinnbaren Strafgericht anheimgefallen, so kannst du dich der Mitverantwortung nicht entziehen. Das ist das Ge­ heimnis des Bösen. Das Netz der Sünde ist verwirrt, sodaß wir die Schuld und chre Folgen, die Vergehen und das Gericht nicht

klar sehen können, sondern nur das Elend wie einen undurchdring­ lichen, weichen, saugenden Sumpf. Kyrie eleison!

Die Getreuen des Herrn aller Zeiten haben gewußt, daß es

niemals so verzweifelt aussieht, nie so schlimm und schmerzlich ist, daß es nicht noch schlimmer werden kann. „Es ist nicht das Schlimmste, solange du sagen kannst: Dies ist das Schlimmste".

Deshalb sollen wir Gott danken, daß er uns jeden Tag für sich

20. November

(Forts.)

allein gibt und uns die Zukunft verbirgt. „Es ist genug, daß ein jeder Tag seine eigene Plage habe."

3n dieser qualvollen Ungewißheit, in diesem Dunkel, ja, in dieser Gewißheit, die an Verzweiflung grenzt, muß die Seele sich dennoch

an Gott halten. Er ist ihr einziger Ausweg. Gott stoßt dich nicht zurück. Du verstehst nichts. Oder du verstehst und ahnst den harten

Zusammenhang des Gerichts. Aber du weißt eins, daß nur in Gott dein Leben und deine Erlösung ist. Gottes Barmherzigkeit ist größer

als alles andere, selbst als die schreiende Angst und die dumpfe Ver­ zweiflung. Wenn uns unser Herz anklagt, so ist Gott größer als unser Herz und erkennt alle Dinge. Daß die Seele mit Gott reden darf, ist ihr einziger sicherer Trost. Selbst im Gericht wollen

wir Gott danken. O Gott, wir preisen Dich alle Tage

und lobsingen Deinem Namen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Sei uns heute gnädig, Herr,

und bewahre uns ohne Sünde! Erbarme Dich über uns, Herr,

erbarme Dich über uns!

Deine Barmherzigkeit sei über uns, die wir auf Dich hoffen. Auf Dich hoffe ich, Herr, ich werde nimmermehr zu Schanden werden.

Matth. 6, 34

iiJoh. 3, 20

21. November

Kelbstprittung Während meiner ersten Studentenjahre schrieb ein älterer Herr,

ein Offizier, den ich seit meiner Kindheit kannte, einen Brief an mich, den ich niemals vergessen konnte. Er schrieb: „Prüfe dich selbst und deinen Tag jeden Abend, ehe du einschläfst!" Erforsche

mich Gott und erkenne mein Herz!

Hast du dich einer Unwahrheit schuldig gemacht, so heißt die Frage: Brennt die Unwahrheit in dir? Hast du eine Unredlichkeit

begangen, so heißt die Frage: Brennt die Unredlichkeit in dir? Hast du dich einer Unreinheit schuldig gemacht, so heißt die Frage:

Brennt die Unreinheit in dir? So lautet die Frage bei deiner Härte, deiner Faulheit, bei jedem feineren und gröberen Verstoß gegen

das, was du für recht und wahr hältst, gegen die Forderungen der Liebe und Gerechtigkeit. Das Brennen im Herzen ist eine Pein.

Aber zugleich ist es die Hoffnung auf Rettung, auf seelische Ge­ sundung. Danke Gott für das Urteil des Gewissens. Würden wir für unsre Verfehlungen und Versäumnisse nicht verurteilt, so müßte das bedeuten, daß Gott uns keine menschliche Verant­

wortung und Würde zuerkennt. Brennt das begangene Unrecht nicht in deiner Seele, so bitte Gott darum, daß es geschehe. Denn der Brand der Selbstvorwürfe gleicht dem Brand des

Fiebers im menschlichen Körper. Das Fieber ist die Reaktion des Organismus. Der Körper setzt sich zur Wehr. Das Fieber ist eine Warnung. Sonst könnte die Krankheit unbemerkt ihr Zerstörungs­ werk vollbringen. Das Fieber kann so hoch steigen, daß es den Tod herbeiführt. Der Brand im Herzen kann die Worte Kains hervor-

pressen: „Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir vergeben werden möge". Gott bewahre einen jeden von uns vor der brütenden Angst

und Verzweiflung. Der Brand soll warnen, aufwecken und zur Gesundung führen. Das geschieht, wenn Buße und Besserung in der Vergebung Gottes die Antwort finden.

Ps. 139,23

1. Mose 4, 13

22. November

Das Gericht Das Gericht erfolgt. Es ist im Gange. Mer es wartet auch. Das Gericht ist unentrinnbar. Keiner ist von ihm ausgenommen.

Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht. Das Gericht geschieht nicht nach Willkür oder aufs Geratewohl, wenn es auch für die Menschen überraschend kommt, ja geradezu anstößig ist, sowohl bei der großen Entscheidung wie

jetzt hier im Leben. Dem Gericht geht die Prüfung voraus. Wir tun gut, mit dieser Prüfung ohne Zögern zu beginnen, sofern es

nicht schon geschehen ist. Jeder muß sich selbst, sein Herz, sein Leben prüfen. Dann ist eine wichtige und unumgängliche Angelegenheit

für das Gericht bis zu einem gewissen Grad erledigt. Vielmehr: Wir sollen durch geistige Anstrengung, mit unsrem Verstand und

Willen, Gott täglich Prüfung und Gericht in unsrem Herzen abhalten lassen. „Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ichs meine." Das Gericht geschieht

nach dem höchsten Gesetz, das Gott geoffenbart hat. Das heißt, es wird von 2hm abgehalten, der uns Menschen Gottes Wesen, seine heilige Liebe offenbart hat. Jesus Christus hat in dem Gleichnis von den Schafen und den

Bocken ebenso wie an anderer Stelle zu erkennen gegeben, daß der

Menschensohn auch gleichzeitig der Weltenrichter ist. Darin liegt keine Willkür und Übergebung. Denn er war dazu gesandt, den

Menschen Gottes Willen zu verkündigen. Das Gesetz, das Jesus

in der Bergpredigt und in seiner ganzen Lehre gibt, ist noch von keinem andern Überboten worden. Es wird auch niemals Überboten werden können, wie lange das Dasein der Menschen auch dauern mag, wohin es unser Geschlecht auch führen mag, was für Propheten

und führende Geister auch ausstehen mögen. Christus wird der

Weltenrichter, wie er es heute schon ist, wenn bei der Begegnung mit ihm des Herzens Gedanken offenbar werden. Herr, richte mich hier in der Zeit in deiner heiligen Wahrheit, so daß ich durch derne

Barmherzigkeit einstmals im Gericht bestehen kann!

Hebr.9,27 Ps 139,23 Matth. 25, 31ff.; Matth. 5-7

23. November

Ist das Gottes Hand? Die Schwäche unsrer Zeit ist der Mangel an Schuldbewußtsein bei den Menschen. Eine verabscheuenswerte Selbstschätzung kann

in solchen Worten liegen: Ich erkenne meine Schuld, d. i. ich bin bußfertig und gerecht. Aber weiß einer um das Leiden, so findet

er keineswegs eine Erleichterung in der eigenen Bußfertigkeit. Dazu drückt das Leiden zu schwer. Und doch zeugt auch die Strafe, wie schwer sie sein mag, davon, daß Gott sich um dich kümmert. Er hält dich für würdig, sich mit dir zu besassen. Weiß ein Mensch um Gott und daß er sich um ihn kümmert, so ist das Leid, mag

das auch unwahrscheinlich klingen, doch leichter für tf)ii zu ertragen.

Er erkennt darin die Strafe für Versäumnis und Missetat. Er

darf nichts anderes erwarten, er hat nichts anderes verdient. Auch wenn er in seinem vergangenen Leben keine besondere Ursache vor­ findet zu der Schmach, die ihn getroffen hat, ahnt er doch den ver­ borgenen Zusammenhang göttlicher Gerechtigkeit. Ist es auch wirklich Gottes Hand, die ihn drückt und die sein armes klopfendes Herz so quält, befindet er sich nicht doch in den Klauen des Teufels oder in einer Verwicklung, die ihren Grund in einem toten, un­

versöhnlichen Verlauf von Ursache und Wirkung hat? Erkennt er in der Heimsuchung Strafe unb Gericht, dann kommt er auch Gott näher. Er wird gezwungen, sich auf Gnade oder Ungnade

zu ergeben und seine Zuflucht zu ihm zu nehmen.

O Du, der mich schuf, mein Heiland sei! Dein Geist mich stärke und lenke, Dein Friede mach mein Gewissen frei, in Trost meine Tränen versenke! Gott, sei mir Sünder gnädig!

Ps. 90

24. November

In dem alten Evangelium zum Konntag Zsudica, das von den Schafen und den Böcken handelt, wird von der Be­ stürzung erzählt, die aus beiden Seiten entsteht, wenn das Gericht des Gottesreiches offenbar wird. Man hatte sich die Sache ganz

anders gedacht. Das Gericht ist unentrinnbar. Was wird nach dem

Tode sein? Keiner ist aus dem andern Land zurückgekommen und hat es berichtet. Der Horizont ist für das Auge durch eine scharf

gezeichnete Linie abgeschlossen. Wohl gibt es viele Landschaften dahinter, Gesichtskreise, Höhen und Täler, brennend heiße Wüsten

und kühlende Wasser, steile Pfade und sanft abfallende Wege aus einem Wäldchen. Die Menschen fragen nach einem Zwischen­ zustand, nach Aufschub der Entscheidung und nach verschieden­ artigen Zuständen in der andern Welt. Viel ist in der Literatur

der Menschheit, in geistreichen Gedichten oder in vorwitzigen Dar­ stellungen von dem andern Lande gesagt worden. Aber unser Er­ löser befriedigt nicht die Neugier. Er stellt vielmehr den Menschen

vor die Entscheidung. Prüfung und Gericht erleiden wir an jedem

Tag unsres Lebens als eine Vorbereitung auf das entscheidende Gericht des Herrn. Laßt uns die Prüfung und das Gericht nicht aufschieben! Laßt uns unsre Augen durch Selbstprüfung für Gottes

Gericht offnen! Wir werden nach dem höchsten Gesetz gerichtet werden. Wir dürfen uns nicht mit Selbstzufriedenheit betrügen, indem wir auf unsre Gerechtigkeit pochen oder uns vielleicht im

Geheimen auf unsre Bußfertigkeit verlassen. Gott hat uns das höchste Gesetz in lebendiger Gestalt, im Herrn Jesus Christus,

offenbart. Er ist der Richter. Sollten wir nicht unsre Lebenstage

dazu verwenden, uns mit dem Richter vertraut zu machen? Wir können uns nicht bei ihm einschmeicheln. Aber wir wissen, daß er nicht für die gekommen ist, die sich für gerecht halten, sondern für die Sünder, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten und die deshalb in Furcht und Zittern zu dem Richter—Erlöser gezogen werden.

Matth. X, 6; 9, 13

Phil. 2., 12

25. November

Wir dürken nicht das eigentliche Mysterium des Christentums und der Erlösung abschwächen oder durch Klügelei wegdeuten Die Erfahrung der aufrichtenden und versöhnenden Macht des

Kreuzes und des Leidens, die noch vor kurzer Zeit so altmodisch und anstößig war, ist eine der handgreiflichsten und notwendigsten

Wahrheiten der Religion geworden, ja, die Wahrheit schlechthin, wie immer sie auch ausgedrückt werden mag. Gott liebt uns trotz allem. Seine Liebe ist stärker als die Macht

der Sünde und des Bösen. Sie ist stärker als alle List der Welt. Sie ist größer als unser eigenes zweifelndes Herz, wenn es durch Schuldbewußtsein

in Kleinglauben und

Verzweiflung

nieder­

gedrückt wird. „So uns unser Herz verdammet, ist doch Gott größer als unser Herz und erkennet alle Dinge."

Deshalb haben die Dichterseelen das Beste,

das sie hatten,

hervorgeholt und es Christus in den warmen und innigen Huldi­ gungen der Kreuzeslieder zum Opfer dargebracht. Die Freude,

daß Gott die Erlösung der Menschen, wieviel sie auch koste, ernst nimmt, kennt keine Grenzen. Denn Gottes Liebe und der Wert der Menschenseele sind beide unendlich. Im Kreuz erblicken wir die Große des Ernstes und die Größe der Freude.

.

Das Schicksal der Menschheit erfährt eine neue Einstellung.

Die Buße, die uns auferlegt wird, ist keine Strafe mehr, sondern ein Anteil an Christi Leiden. Sollten wir uns nicht darüber freuen und fröhlich sein, daß wir von Gottes Liebe und nicht von den anderen Mächten im Dasein beherrscht werden? Mein Herr hat mich „verlorenen und verdammten Menschen erlöset, erworben

und gewonnen, von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und

Sterben; aus daß ich sein eigen sei und in seinem Reiche unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit".

l.Joh. 3,20; 3, 16; 4, 16

26. November

Jesus und die Keele Wir sind leicht geneigt, einen Menschen nach seinen Leistungen zu beurteilen. Jesus sieht auf das Wesen eines Menschen. Weil

wir ausschließlich danach fragen, was ein Mensch erreicht hat, vermögen wir nur so schwer in einem Menschenleben, das früh­

zeitig abgebrochen wurde oder sonst unfertig blieb, einen Sinn zu erblicken. Jesus sieht auf die Seele. Deshalb ist ihm das Kind nicht nur eine Hoffnung: Was wird es werden? Was wird er oder sie leisten? Sondern dasMnd — wenn es ist, wie es sein soll, echt

und wahr —, ist für Jesus ein ganzer Mensch, in seiner Art voll­ ständig und deshalb vorbildlich. Jesus erfaßt den Menschen so, wie er seinem Wesen nach ist. Er fragt nicht danach, was er erreicht

hat. Auch der in der elften Stunde kam, wird vom Hausherrn gut behandelt. Auch wenn jemand das vollkommenste und längste Lebenswerk hinter sich hat, ist er für Jesus höchstens ein Kind in

Gottes Reich. Jesus sieht auf die Seele. Gewiß fordert er Arbeit. „Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir

auch nicht getan." Er sucht Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.

Aber er ftagt nicht: Was hat er erreicht? Sondern: Wie ist seine

Seele? Wie sind Leben und Taten, die aus seiner Gesinnung ent­ springen? Ist in der Seele Zuversicht und Anbetung, Sehnsucht und Liebe, die gerne von sich und dem Ihren gibt, und Treue, die

ausharrt? Hat ein Mensch noch so viel erreicht, mag er noch so viele gewaltige Taten vollbracht haben, ist aber seine Seele dabei verdorrt, dann erkennt ihn der Erlöser nicht an.

Ich bin, o Gott, ohn alles Recht allzeit nur dein unnützer Knecht.

Matth. 25. 45; 20. 9

27. November

Die Neligion der Arbeit Wir beurteilen einen Menschen nach seiner Arbeit. Das gehört zu den Verdiensten unsrer Zeit. Wir erkennen keine Luxusmenschen, keine Schmarotzer, keine Faulenzer und keine Drohnen an. Wenn ein Mensch als sittliche Persönlichkeit gelten will, muß er seine

Kräfte zur Arbeit gebrauchen. Auch wer nicht arbeiten kann, hat seine Aufgabe in der Gesellschaft. Aber der Staat wird durch Arbeit

aufgebaut. Der Apostel Paulus gebraucht das Bild von dem Gebäude, das zusammengefügt wird und sich erhebt. Er gebraucht

von der Gemeinde ein anderes Bild, das auf jede andere mensch­ liche Gemeinschaft angewendet werden kann. Er spricht von den verschiedenen Gliedern des Körpers, die alle notwendig sind und

einander nötig haben, wenn sie auch nicht die gleiche Verrichtung

haben. So muß sich der Staat im allgemeinen, wie die Kirche Christi im besonderen, zu einer Arbeitsgemeinschaft ordnen, in der

alle — weil ihr Zusammenwirken notwendig ist — durch Treue in ihrer Arbeit zu der Wohlfahrt des Ganzen beitragen sollen. Die Religion der Arbeit hat im modernen Protestantismus nicht nur die Regel des Paulus von der Zusammengehörigkeit der Glieder

angewandt, sondern auch die Verpflichtung zu treuer Arbeit am gemeinsamen Ziel der Menschheit erkannt. Nach diesem Glauben

wird jeder treue Arbeiter zum Mitarbeiter Gottes. Das Ziel der Kulturarbeit geht über unsre Blicke hinaus. Sie ordnet sich nach Gottes Bestimmung in den Weltenplan ein und gliedert den einzelnen nicht bloß als vollberechtigten Diener am Ganzen in den Staat ein, sondern auch in den unergründlichen Zusammen­

hang aller Dinge, der das Gerippe dieses ganzen, wundersamen

Daseins bildet. Die Religion der Arbeit ist aus christlichem Denken aufgebaut

worden. Sie ist in dem christlichen Glauben enchalten. Aber sie reicht nicht aus. Der Mensch darf nicht nur als Mittel betrachtet

werden. Er hat auch ein Ziel in sich selbst.

Eph. 2,21

1. Kor. 12, 12ff.

28. November

Des Lebens wahre Heldensage Unsre Kultur ist angesichts des entschleierten Wehes dieses Da-

seins vor dem Schicksal bewahrt worden, das den anderen großen

Kulturstrom der Jndogermanen auf dem Boden Indiens getroffen hat. Ihre Flut hat sich nicht in die windstillen, vom Mitleid ver­ süßten Landseen der lebensmüden Resignation ausgelaufen. Sie

hat vielmehr den Weg zu dem großen Salzmeer gefunden, wo weite Wege die Augen der Segler schärfen und harte Stürme ihren

Mut stählen. Die Richtung wurde ihr von den Zuflüssen gewiesen, die sich vor mehr als neunzehnhundert Jahren mit ihr zu vermischen

begannen. Erlitt die Glücksgewißheit der schönen, edlen Humanität

auch Schiffbruch an der verborgenen Klippe, die das Auge nicht erspähen und der ihr Kiel nicht trotzen konnte, so brauchte ihre Mann­ schaft doch nicht unterzugehen. Es gibt ja ein anderes Fahrzeug,

in dessen Vordersteven die Runen harten Heldenlebens eingeritzt

stehen. Es gibt eine andre Segelfahrt: Des Lebens wahre Helden­

sage zu suchen, und nicht nach der Insel der Glückseligkeit zu forschen. Wollen ist nicht des Daseins Weh. Wollen heißt: Das Gute wollen. Die Autorität dieses Willens liegt in ihrer eigenen Ausübung.

Wer das Gute tun will, die allmächtige Forderung der Jesus­

gerechtigkeit, der wird erkennen, ob diese Lehre von Gott ist oder

nur ein betrügerisches Menschenwort. Denn des harten

Heldenlebens Runen lauten: Schnöde Riesen mußt du schlagen,

für die Schwachen alles wagen, froh verzichten,

niemals klagen, kämpfen hoffnungslos und sterben namenlos. Das ist des Lebens wahre Heldensage. Suche niemals nach des Glückes Land!

2. Kor. 13,7 Gal. 6, 9f. 2. Thess. 3,13 3. Joh. 11 Joh. 7, 17

29. November

Angesichts der Adventszeit Das winterliche Dunkel, das zunimmt, während wir Advent und Weihnachten feiern, ist sinnbildlich als Zeichen für die Un­ empfänglichkeit des Menschenherzens. Aber das Licht geht auf und erlischt nicht. Nach der längsten Winternacht nimmt die Dunkel­

heit ab. Die Sonne siegt. Das Licht nimmt zu. So wird im sinn­ reichen Lauf des Kirchenjahres Gottes Sieg über den Widerstand des

Menschenherzens symbolisiert.

2n einem Hause pflegte man am ersten Advent ein Licht an einem Wacholderzweige anzuzünden. Am zweiten Advent waren es zwei,

am dritten drei und am vierten vier, bis es dann viele Lichter am

Weihnachtsbaum waren. Einer, der das Vaterhaus verlassen hatte, schrieb darüber:

„Wenn es Advent ist, dann ist auch wieder Frühling im Herzen, ein neuer Frühling mitten im kalten Winter, ein neuer Sommer zu Weihnachten, da der Tag am kürzesten und die Kälte am härtesten

ist. Wenn alles draußen gefroren ist, tauen wir ein wenig auf, von

einem himmlischen Licht erwärmt. Wir werden Menschen für ein paar Tage..Die Adventszeit gibt ein neues Herz. Man hat keine bösen Gedanken, wenn man Weihnachten erwartet und der Weg zum Friedefürsten zu leuchten beginnt. Die Lichter zeigen den Weg zur Königswohnung hin, auch wenn es nur mit einem Licht

am Zweig anfängt. Wir hören die Lieder, wir jauchzen in Ver­ wunderung und Erwartung in den Adventsliedern: ,Er kommt, er kommt/ bis das ,Ehre sei @ott!' am Weihnachtsmorgen mit voller Stimme hindurchklingt, obgleich wir vielleicht in der Be­

geisterung uns als die menschlichen Pfeifen in der gewaltigen Orgel des Lebens nicht erkennen, ehe wir abermals vor einem Kreuz stehen, wenn der Frühling der Natur kommt und Ostern läutert

reinigt und erlöst." Macht hoch die Tür, die Tore weit,

das Herz zum Tempel macht bereit, die Palmen der Gottseligkeit streut hin mit Andacht, Lust und Freud!

Ps. 24, 7

30. November

Die Liebe ist die Grundmacht im Dasein Die eigentliche Grundmacht im Dasein ist nicht leicht zu ver­

wirklichen. So oft wir die Ereignisse vergangener Zeiten deuten, suchen wir nach den Ursachen des Geschehens, und das Ganze wird dann natürlich für uns, ja, es wird geradezu notwendig. Es

konnte nicht anders geschehen. Wer aber in den Dingen drinstand,

erkannte und wußte, daß das Ziel nur mit äußerster Not, mit Aufbietung der letzten Kräfte, mit dem Mut und Opfer der Ver­ zweiflung erreicht werden konnte. So ist es im sittlichen Leben des

einzelnen, so ist es immer im Leben der Völker. Die Grundmacht

im Dasein ist nicht etwas Selbstverständliches, das fast automatisch oder mechanisch wirkt. Die allgemeinen Gesetze der Entwicklung und des Fortschritts sind nicht leicht und verlockend. Denn die

Grundmacht im Dasein ist ein Liebeswille, der sich durch Not und Anstrengung verwirklicht. Und doch ist die Liebe die Allmacht, und die Tat der Liebe ist das Verzeihen. Jesus legt selbst in den Begriff der Vollkommenheit des himmlischen Vaters die Barm­

herzigkeit, die das Bose nicht zurechnet, sondern verzecht. So zeigt sich Gottes Allmacht am größten darin, daß er ver­

zeihen kann, was verfehlt wurde. Die Allmacht ist keine tobende, gewaltsame Kraftäußerung. Gottes Herrschermacht steht unter einem anderen Gesetz, als es sich Menschen einreden und denken. Die Liebe bewies ihre Allmacht auf Golgatha. Alles auf Erden

errungen kann werden durch Liebe, die leidet.

Matth.

48

1. Dezember

Gesegnet l — Kreuziget l Der natürliche Mensch freut sich bis zu einem gewissen Grade an Jesus und der Schönheit des Evangeliums, auch an der Wärme

und Feierlichkeit eines christlichen Festes, besonders wenn man von Kindheit an daran gewöhnt ist. Aber Jesus kommt näher und sagt: Alle Herrlichkeit der Welt ist vergängllch. Er kommt noch

näher und sagt: Weh dir, der du gegen dich selbst unwahr und gegen andere heuchlerisch bist! Findet er empfindsame Freude oder Mit­ leid, so wird er noch eindringlicher und sagt: Weint über euch selbst!

Er züchtigt unbarmherzig und straft auch die seinen Sünden, von denen die Welt und wir selbst uns nicht trennen wollen. Dann ruft ihm unser natürlicher Mensch nicht „Willkommen" und

„Gesegnet!" zu, sondern „Hebe dich hinweg!" und „Kreuziget!".

Sobald Jesus wirklich kommt, gibt es schließlich nur zwei Rufe, entweder: „Gesegnet!", oder „Kreuziget!". Viele sind gleichgültig. Aber so kann es nicht bleiben. Eine Entscheidung muß kommen. Er fordert nicht weniger von uns, als daß wir ihn lieben und ein­

ander helfen sollen, und daß wir seine Nachfolger sein sollen. Wir wollen ihn willkommen heißen, ihm danken für das, was er für uns getan hat, ihn bitten, in Gottes Namen zu uns zu kommen und mit uns nach seinem Willen zu tun. Sei uns willkommen, edler Gast, den Sünder nicht verschmähet hast und kommst ins Elend her zu mir, wie soll ich immer danken Dir?

Joh. 14, 15ff. Matth. 4, 19; 10, 38; 16, 24 Joh. 8, 12; 12,26

2. Dezember

Bereitet dem Herrn den Weg! Es ist nicht Willkür, daß wir uns zu Jesus hinwenden. Man fragt: Warum gerade zu ihm? Die Religionsgeschichte antwortet:

Der Trieb zum Idealen hat keine andere Wahl. Denn die Wir­ kungen seines Erscheinens sind derart, daß sie ihm einen zentralen und einzigartigen Platz anweisen. Gestalt und Wirkung seiner

Persönlichkeit sind wesentlich dadurch bedingt, daß er selbst nicht isoliert dastand, sondern in einer Reihe von Zeugen der Gottes­

gewißheit, in einer Geschichte, die mehr als bloß typisch ist. Wie

keine andere Geschichte birgt sie einen reichen Offenbarungsschatz in sich. Sowohl diese Persönlichkeiten — die Großen mit dem Trieb

zum Idealen vor und nach Christus bis zum heutigen Tage, vor allem er selbst — als auch diese Geschichte erscheinen uns in besonderem

Sinne als Offenbarungsgeschichte, weil nie.in irgend einer Ge­ schichte die Motive, Kräfte und Konflikte von den beteiligten selbst auf solche Weise klargelegt, durchlebt und verwertet wurden

wie von den Propheten in der biblischen Geschichte. Die Propheten und ihre Nachfolger sind Märtyrer geworden für ihren Glauben

an den Gott der Geschichte. Ich meine damit nicht, daß irgend eine Orthodoxie ihren Glauben als Ketzerei verurtellt hat. Sondern ihre Forderung eines ethischen Kernes in der Geschichte hat sie

in eine tragische innere Spannung versetzt, selbst wenn diese sie nicht alle zu äußerem Leiden oder blutigem Tod geführt hat. Christi Leben und die Geschichte, in der es steht, ist vornehm-

lichste Gottesoffenbarung innerhalb des Menschengeschlechtes. Da wird die kalte Hülle des Weltenwesens gesprengt, und das glühende, wärmende Feuer des Urgrundes alles Seins, des gött­

lichen Geistes, bricht hervor, ist immerfort wirksam, als der Geist des auferstandenen Herrn.

3S2

Jes. 40, 3

3. Dezember

Wir preisen Gott für seine unaussprechlich reiche Gabe Die kirchliche Erneuerung im 16. Jahrhundert war von durch­ greifenden Folgen für die Kirche, die Wissenschaft und die bürger­ liche Gesellschaft begleitet. Aber im Tiefsten drehte sich die Re-

formation nur um den Frieden des Herzens. Für den Frieden

kämpfte Martin Luthers Heldenseele. Er gewann Frieden, als Gott ihnl offenbarte:

Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren. Es streit für uns der rechte Mann,

den Gott selbst hat erkoren.

Gottes Frieden kann kein Mensch dem andern geben. Nur Gott

vermag sich selbst mit seiner Barmherzigkeit einer Seele zu schenken, die wacht, betet und glaubt. Gott ist es, der in uns sowohl Umkehr

und Glauben als auch Wachsamkeit und Gebet wirkt. Aber wir müssen die Friedensbotschaft weitertragen zu denen, die das Evan­ gelium vom Friedefürsten noch nicht gehört haben. „Wie sollen

sie aber predigen, wo sie nicht gesandt werden?"

Die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Wandel an die Menschen außerhalb der Grenzen der Christenheit gehört zu der Liebestat, ohne die wir nicht in Gott verbleiben und seinen Frieden besitzen können.

Wir preisen Gott für seine unaussprechlich reiche Gabe. Wir danken ihm, daß er mit seinem Frieden unsre ftiedlosen Herzen heimsuchen will. Friede von Gott, unsrem Vater und unsrem

Herrn Jesus Christus sei mit uns allen! Barmherzigkeit, Friede und Liebe mögen sich bei uns vermehren! „Habt Salz bei euch und habt Frieden untereinander!"

2. Kor. 9,15 Röm. 10,15 Matth. 28, 19f. Philem. 3 83

Worte für jeden Tag

Mark. 9, 50

4. Dezember

dünkt euch von Gottes Keich? Die Frage nach dem Gottessohn hat die Christenheit zu allen

Zeiten beschäftigt. Dazu gesellt sich in unserer Zeit mit größerem Nachdruck als je zuvor die zweite Frage, die der ersten gleich ist: Was dünkt euch von Gottes Reich? Denn was war Jesu Auftrag? Die Evangelisten geben Auskunft: Er predigte das Evangelium

vom Reiche. Die Christenheit hat schwerlich richtig bedacht, was Gottes Reich oder, deutlicher ausgedrückt, Gottes Herrschaft

uns gibt und was sie uns auferlegt.

Fordert Gottes Herrschaft von uns Menschen nur Unterwerfung in Zittern und Glauben, oder schließt sie auch eine sittliche Ver­ pflichtung und ein Ziel für unser Streben in sich? Ist das Reich

ein durch und durch überweltliches Werk, oder umfaßt es auch Auf­ gaben innerhalb der geschichtlichen Grenzen? Die Antwort aus die

Frage nach Christus lautet nicht in wechselseitiger Ausschließlichkeit: Er ist wahrhaft göttlich, oder: Er ist wahrhaft menschlich. Sondern er ist beides gleicherweise. So lautet auch die Antwort auf die Frage nach Gottes Reich. „Was dünkt euch von Gottes Reich?":

Es ist durch und durch Gottes Werk. Der Heiland lehrt uns beten, daß Gott selbst seine Herrschaft herbeiführen möge. Es komme

dein Reich! Aber wenn er uns mahnt zu beten, daß Gottes Reich komme, so wendet er sich auch an unseren Willen und unsere Tat. Gott regiert die Welt nach seinem unergründlichen Willen mit Gericht und Erlösung. Wir Menschen verstehen und vermögen

nichts. Zuweilen sind wir versucht, Anstoß an etwas zu nehmen, aber wir haben keinen andern Ausweg, als uns demütig zu beugen. Wenn auch die Welt und unser eigenes Herz widersprechen, müssen wir dennoch glauben, daß Gott es ist, der regiert. Weil Gott uns um Christi Willen vergibt und uns als seine Kinder aufnimmt, beruft er uns auch, an seinem Werke mitzuarbeiten. Alle Kräfte, die er uns verliehen hat, sollen wir in seinen Dienst stellen.

Matth. 22, 42; 4, 23; 6,10

5. Dezember

Der wirkliche Heiland war dem erwarteten sehr unähnlich; so geht es immer mit Jesu Ankunft — wenn er ernstlich zu einem

Menschen kommt, wenn seine Gedanken und sein Leben einigere maßen in einer Gemeinschaft verwirklicht werden. Das war nicht die erwartete Messiasgestalt, die erlöste, sondern der wunderliche,

widersinnige und Ärgernis erregende Mann, der unter Pontius

Pilatus gekreuzigt wurde. Es ist niemals irgenb ein Idealbild, das erlöst, sondern der wirkliche Christus, in ben wir uns zu feiner Herr­ lichkeit bei den Evangelisten und Paulus und bei allen getreuen Zeugen versenken. Christus wird in der Christenheit leicht zum

Idealbild. Diese oder jene Seite seines Wesens wirb hervorgeholt und nach den Bedürfnissen des Augenblicks oder dem Geschmack

der Zeit gestaltet. Das liegt in der Natur der Sache. Für die eine Zeit ist Jesus der Reformator der Gesellschaft. Für eine andere

der Einsame, der dem Einsamen zu Menschenwürde verhilft und ihm die Kraft gibt, trotz Sünde und Not zu leben. Es ist gut, bei Jesus etwas Bestimmtes zu finden. Aber die üblichen Bilder, die

man von ihm entwirft, haben die Neigung, sich vom Grund des Evangeliums loszulösen und für sich allein, als leicht zu handhabende Jdealgestalt, ein schwächeres Leben zu leben. Jede Erneuerung der

Kirche und der Frömmigkeit ist ein Advent gewesen, das heißt, man hat sich in Jesu Leben vertieft. Er ist gekommen, wie er ist. So war es bei der Kirchenerneuerung im dreizehnten Jahrhundert durch den heiligen Franz. So war es bei der noch tieferen Er­ neuerung im sechzehnten Jahrhundert durch Martin Luther. Advent feiern heißt: Christus zu uns kommen lassen, wie er ist. In den wirklichen Christus sollen wir uns vertiefen, der nicht eins

ist mit den Gedanken an ein Idealbild, sondern der eine Macht besitzt, die jene nicht haben.

3SS

6. Dezember

Das Leben ist am besten, wenn es einer Bergbesteigung gleicht Wir haben es schmerzlich erfahren, wie leicht und frei es ging, wenn wir bergab stiegen. Ein recht unzartes Wachgerütteltwerden kann für den notwendig sein, der meint, auf lieblicher Straße zur

Glückseligkeit zu gehen, wo er in Wirklichkeit in die Welt der Träg­ heit und des Eigennutzes hinübergleitet.

Das Ziel, das allein allen Strebens und kühnen Vertrauens wert ist, ist nicht derart, daß Wachstum der Natur und Kultur

es erreichen können, sondern es kann nur durch Erlösung gewonnen

werden. Die Hindernisse für Besserung, für das Reich vollkommener Liebe und vollkommenen Friedens, sind derart, daß keine grad­ linige Entwicklung sie wegräumen kann. Arglist und böse Mächte sitzen tief drinnen und haben große Macht.

Das geistige Zukunftsgebäude der Menschheit ist nicht ein Auf­ bau auf dem Palast der Kultur. Es fordert ein tieferes Fundament. Die Gestaltung des wahren Menschen geschieht nicht durch Er­ höhung der natürlichen Lebenslust, durch Steigerung des Ge­

gebenen. Erst wenn die natürliche Lebenslust an ihrem Ende steht,

dann handelt es sich im Ernst darum, bis in die Tiefe des Wesens zu dringen und der Persönlichkeit einen sichereren Grund zu schaffen. Erst hier wird die neue Menschheit aufgebaut. Das Ziel wird

nur durch Errettung und Erlösung gewonnen. Aber die Kräfte eines höheren Lebens wirken. Wenn euch die Finsternis überfällt, verzweifelt nicht! Wenn dies alles geschieht, hebt euer Haupt,

denn dann naht eure Erlösung! Die Ritter des Lichtes haben oft im Schatten gekämpft. Aber sie haben ihr Pulver trocken bewahrt und haben sich nicht durch Schwelgen und Sauferei und die Sorgen

dieses Lebens beschweren lassen.

7.

Dezember

Die Zeit ist immer kurz, selbst wenn Millionen von Jahren vor der Menschheit auf ihrem

Wege lägen. Denn dem einzelnen kann in jedem Augenblick das Unvermeidliche zustoßen. Und in Augenblicken des stärksten, konzen­

triertesten Lebens steht der Tod ohne Schrecken vor uns. Leben

und Tod verschmelzen da in der Glut eines wirklicheren Lebens

ineinander. Die tiefsten Geister in der Geschichte haben inmitten einer zukunftsreichen Arbeit in einer endzeitlichen Stimmung gelebt. „Die Nacht ist vorgeschritten und der Tag ist nahe." Jesus gewann seine Gültigkeit für jede Zeit und für jedeMenschen-

seele nicht durch Abstraktion, nicht dadurch, daß er von den ge­ gebenen Verhältnissen wegsah und sich außerhalb von ihnen stellte,

sondern durch sein tiefes Untertauchen in das Leben in dem be­ stimmten Augenblick, in den er gestellt war. Keine Persönlichkeit ist fester in der Geschichte verankert als Jesus.

Die baldige Enderwartung gehört unveräußerlich mit zum Evangelium. Denn sie drängte Jesu Verkündigung zu einer ewigen

Wesentlichkeit zusammen, der nichts auf der Welt gleicht. Sie hob seine sittlichen Forderungen zu einer Idealität empor, die niemals ein erreichter Meilenstein, sondern immer nur ein leuchtendes Ziel für unser Geschlecht sein kann. Sie flößte seinem Leben die große

Ruhe ein. Das Wunderbare ist, daß wir von Ihm, der in unmittel­ barer Erwartung des Endes dieser Welt und des gewaltig nahenden Gottesreiches lebte, so wenig über die äußere Umwälzung hören, wovon die heilige Tradition der Juden doch soviel wußte. Um so mehr aber hören wir von der inneren Umwälzung im Menschen­ herzen. So wenig wir von der Hoffnung hören, die in einem Kommen­

den lebt, um so mehr von der gesammelten Energie entschlossener Treue der Berufung, die sich ganz auf das Gegenwärtige richtet.

Röm. 13,12

1. Petr. 4,7

8. Dezember

Das Ja des Christentums Es ist keineswegs unsre Unwissenheit und das Dunkel des Pro-

blems, die das Göttliche im Werk der Propheten anzeigen. Nicht Schwierigkeit und Dunkel, die die Entstehung der prophetischen

Religion umgeben, sind das Bestimmende, sondern die klare Einsicht, daß ein neuer Strom von durchgreifend religiösem Lebensinhalt, der selbst auf unmittelbare Berührung mit Gott als seiner Quelle

hinweist, durch die Propheten in die Welt gekommen ist. „Jedes Genie auf Erden ist ein Rätsel für die Geschichte."

Die Kraft einer Religion wird nicht nach ihren Lobgesängen, sondern nach ihrer Erfahrung von des Lebens Elend und Finsternis gemessen. Nur eine Religion ist ebenso tief wie die Religion des

Weltschmerzes in Indien, ja sogar noch tiefer als sie in diesen Ab­

grund untergetaucht. Das ist das Christentum. Aber die Erlösungs­ botschaft ist im Buddhismus pessimistisch; das rechte Leben ist die Stille des Todes. 2m Christentum ist sie jedoch optimistisch,

trotz aller Abgründe ein ewiges Ja gegen alles Nein. Jesus hat

den Dualismus verschärft, nicht gemildert. Weiter als bis zu seinem „Der Feind hat es getan", ist niemand im Problem des Bösen gekommen. Die Losung der Religion heißt: Nicht Vergoldung der Welt, nicht Weltflucht, sondern Überwindung der Welt. Uni) wenn die Welt voll Teufel wär

und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr,

es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, wie saur er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht, ein Wörtlein kann ihn fällen.

l.Joh.

4

Matth. 13, 28

9. Dezember

Liebet eure Feinde Unsere Hoffnung und unser Glaube ist dies: daß die strenge und wunderbare Macht der christlichen Liebe, die Gottes Macht ist, immer mehr den Willen der Menschen durchdringe und endlich über Haß und Feindschaft siege. Jesu Worte richteten sich an den

einzelnen. Jeder einzelne soll zuerst prüfen und sehen, wie leicht

es doch für uns ist, alle Bitterkeit und Schadenfreude unsern Gegnern gegenüber wegzunehmen und aufrichtig ihr Wohl zu

wünschen. Wir wollen nicht in einer spröden guten Absicht aus der schweren

Verantwortung und den harten Bedingungen des Lebens heraus­ springen. Wir wollen die Lasten mit unsern Brüdern tragen. Wir können die wunderlichen, durch viele Ursachen bedingten Verhält­

nisse dieser Welt nicht auf einen Schlag ändern. Aber wir sollen jedes Predigen von Haß und jede Verlockung dazu in uns unver­ söhnlich bekämpfen. Versucht jemand ernsthaft, Haß, Bitterkeit, Neid und Schadenfteude im eignen Herzen auszurotten, so wird

er besser als vorher zu schätzen wissen, was es bedeutet, in der Stunde

der Not einen Gott zu haben, zu dem man fliehen kann, ohne daß er erst ein Zeugnis unsrer Güte verlangt, der vielmehr seine Sonne leuchten läßt über Gute und Böse. So finden wir auch den einzigen Weg, auf dem wir Gewißheit über Gottes Dasein und Macht er­

langen können, trotz aller Widersprüche im Lauf der Welt. Das christliche Gebot der Liebe stellt ein Ausrufezeichen in der Welt auf, aber auch ein peinigendes Fragezeichen. Doch wir sehen, daß die­

ses Gebot das größte ist. Wir sehen ein, daß es uns Gott offenbart. Wir selbst gewinnen nur die Gewißheit über den unergründlichen Liebeswillen, indem wir uns in bußfertiger Hingabe ihm nähern. Je mehr wir mit dem großen Gebot bei uns selbst Ernst machen, desto mehr erhalten wir Kraft und Gnade, an seine Mitwirkung in den Weltereigniffen zu glauben und sie zu schauen.

M9

Matth. /, 44

10. Dezember

Meine These vom Frieden Auf dem breiten Weg, da der Mensch seine Selbstzufriedenheit und seine Begierden ruhig gewähren läßt, kommt man nicht zum Frieden. Nur auf dem schmalen Weg, da der Mensch sich selbst

nicht in Frieden läßt, sondern den unversöhnlichen Krieg gegen den alten Adam bei sich selbst und bei andern aufnimmt, führt

der Weg vorwärts zum Frieden.

Unsre Generation hat nicht nur eine Weltkatastrophe im äußeren Sinn, sie hat auch eine gewaltsame innere Umwälzung erlebt.

Der Glaube an die Entwicklung meinte automatisch auf dem Wege

zum Paradies zu sein, bis sich die Menschheit plötzlich in der blutigen Holle des Hasses und der Lüge befand. Angsterfüllte Fragen wollten

unsere Herzen sprengen: Hat die Kirche, die sich nach dem Namen des Friedesürsten nennt, ihre Pflicht erfüllt? Wird nicht jeden

Sonntag gesungen: „Ehre sei Gott in der Hohe und Friede auf Erden"? Wird nicht an jedem Wechnachtsfest gelesen: „Denn alle Rüstung derer, die sich mit Ungestüm rüsten, und die blutigen Kleider werden verbrannt und mit Feuer verzehrt werden", „auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf

dem Stuhle Davids und in seinem Königreich, daß er's zurichte

und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit"? Wir waren in den verschiedenen Ländern und Konfessionen eine große Schar, die zur Erkenntnis einer doppelten und doch einheit­ lichen Ausgabe erweckt wurden. Eine einige Christenheit, eine wenigstens im Blick auf das Wesentlichste im Christentum, für das Leben nach dem Gebot der Liebe geeinte Christenheit würde mehr fertigbringen. Zu den Grunderkenntniffen der Religion und Moral gehört einerseits die Geltung der Liebesbotschaft über die Grenzen des eigenen Volkes hinaus — sie wurde von dem Erlöser mit unzweideutiger Klarheit im Gleichnis vom barmherzigen

Samariter, dem Sohn des verhaßten Nachbarvolkes, dargelegt —; andrerseits die Auffassung des Christentums von der Rechts­

ordnung, ihrer Ausbreitung und Heilighaltung als einer fort­ gesetzten göttlichen Schöpfung.

Matth. 7, 14

Jes.

4f.

Luk. 2, 14; 10, 33f.

11. Dezember

Die Heilighaltung des NechtS Nach der Anschauung des Christentums sind das Bewußtsein

von Recht und Unrecht und die daraus erwachsenen Gesetze und

Staatsordnungen Gottes Gaben an die Menschen. Das Evan­ gelium setzt für seine Wirksamkeit wenigstens eine elementare Staatsordnung voraus. Jede vorhandene Rechtsordnung ist un­

vollkommen und muß je nach der Entwicklung des sittlichen Be­ wußtseins vervollkommnet werden. Die Kirche Christi muß aus diesem Grunde in Christi Namen die Heilighaltung des Rechts verteidigen und seine weitere Ent­

wicklung fordern. Sie muß dies zunächst mit aller Kraft im eigenen Lande tun, aber es ist ihre unabweisbare Pflicht, nach Kräften die Arbeit am internationalen Ausbau des Rechts zu unterstützen.

Sie muß daher jede Verherrlichung von Gewalt und Macht auf Kosten des Rechts bekämpfen und betonen, daß auch die Hand­

lungen der Volker und Staaten ebenso wie die des einzelnen Menschen ethischen Grundsätzen unterworfen sind und daß ihr Zusammen­

leben auf die Grundsätze der Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe aufgebaut sein muß. Was die Kirche hierin versäumt hat, muß sie demütig erkennen und mit aller Kraft nachholen. Der Wert der Rechtsformen innerhalb eines Volkes und unter den Völkern ist insofern begrenzt, als sie, um wirksam zu sein, immer von innerer sittlicher Überzeugung getragen sein müssen. Eine solche Gesinnung christlicher Bruderliebe, Selbstzucht und gegenseitiger Gerechtigkeit zu schaffen ist die vornehmste Pflicht der Kirche auf diesem Gebiet.

Röm. 13

12. Dezember

Der Beruk des Dieners an der Gemeinde Das Leben eines Christenmenschen und besonders der Beruf des Dieners an der Kirche Christi und an der Gemeinde bedeutet

einen ständigen Kampf, bei dem es gilt festzuhalten, was du hast, daß keiner deine Krone nehme. Der Streit ist ein Kampf gegen

die Macht des Bösen in der Welt und in uns selbst. Der Sieg wird nicht ein für allemal gewonnen, sondern Tag für Tag wird er von neuem mit Wachen und Beten erkämpft. Jeder Beruf hat

seine besonderen Versuchungen. Das galt sogar von dem Beruf unseres Erlösers. Der Versucher kann verschiedene Gestalten an­

nehmen. Er kann in der Gestalt von Freunden auftreten, die uns schmeicheln oder die nicht bedenken, was Gott gebührt, sondern was den Menschen gefällt. Er kann in Form eines Widerstandes auftreten, der keine Mittel scheut. Am gefährlichsten ist er, wenn

er durch die Neigungen unsres eigenen Herzens spricht. Der Kampf

kann dem Trotz oder der Trägheit gelten, der Verlegenheit oder

Härte, der Unredlichkeit oder Weltlust. Für den einen ist der Kampf

schwerer als für den andern. Das bedenken die Menschen selten. Stürme und Stille in der Menschenseele gestalten den Weg ihres Geistes sehr verschieden. Menschenurteil ist äußerlich und beschränkt

und wenig bedeutet es für uns, daß sich einer zum Richter über uns setzt. Der Herr hält Gericht.

Er ist strenger, aber

auch barmherziger als Menschen.

Wie leicht beurteilen Menschen das Christentum nach unsern Versäumnissen und Fehlern! Darin liegt ein Irrtum. Wer nachdenken kann und nachdenkt, soll umgekehrt uns nach dem Christen­ tum beurteilen. Wenn Gottes Name uns manchmal heiß

auf der Stirn brennt, soll das zugleich ein tröstendes und linderndes Zeichen unsrer gottgebundenen Leib­ eigenschaft in Christus sein.

Off. Joh.

5,11

13. Dezember

Die an Christus glauben, sind Mitarbeiter an Gottes Leich Ist es Gott, der in unserem Herzen und in unserem Leben und dadurch auch in unserm Vaterland, im Zusammenleben der

Brenschen, Stände und Völker die Herrschaft hat? Kein wirk-

licher Friede kann im Lande und unter den Völkern einziehen, wenn Gott nicht in den Herzen herrscht. Ist das wirklich der Fall, so dienen wir auch seinem Reich, soweit sich unser Beruf und unsre

menschliche Wirksamkeit erstreckt. In diesem Sinne sollen wir beten: Es komme dein Reich in unsere Herzen, in unser Leben, in Gottes Kirche und Gemeinde,

in unser Volk und in die Welt! Durch Jesu Verkündigung von Gottes Herrschaft will Gott die Christenheit unsrer Zeit zu erneuter Buße und neuem Eifer

erwecken, ihre Liebe stärken, ihren Blick erweitern, ihren großen Vorzug und ihre heilige Pflicht ihr vor Augen stellen. Jesu Wort

vom Sauerteig bedeutet das Eindringen des Reiches Gottes in

den ganzen Organismus des Menschenlebens und in alle Verhält­

nisse des Gemeinwesens. Der Apostel nennt die gläubigen Christen Mitarbeiter an Gottes Reich. Solches Vertrauen erzeigt Gott uns trotz unsrer Untaug­

lichkeit. Daß Gott geruht, uns in seinen Dienst zu stellen, ist

geeignet, uns niederzudrücken; gleichzeitig richtet es uns aber auch auf. Wir sollen uns freuen über solche Gunst, die uns Menschen beschert worden ist. Es soll unsre höchste Ehre sein, Gott in unsrem Nächsten und in unsrem Beruf zu dienen und zu wirken, solange

es Tag ist, wie der Erlöser Gottes Werk wirkte und seinen Dienst

erfüllte bis zum Tod. Dein König kommt, Er wirkt und stellt

Sein Reich weit über alle Welt, baut Seinen Thron auf Fried,

auf Wahrheit, Gnad und Güt fest hin für Zeit und Ewigkeit.

Matth. 13, 33f.

1. Kor. 3,9

Joh.9,4

14. Dezember

Das vorweihnachtliche Freudenfest. (Bei der Einführung der Geistlichen 1927) Bei diesem vorweihnachtlichen Freudenfest

drängen sich der

Seele viele Gedanken und Gefühle auf, Gefühle der Dankbarkeit

und der Hoffnung. Zunge Kräfte, die sich an den heiligen Dienst

hingegeben haben, werden nun nach Studien und Vorbereitungen von der Gemeinde feierlich empfangen, um ihren Auftrag zu erfüllen. Viele Geschäfte und mancherlei Arbeiten warten euer.

Eure hohe Aufgabe ist es, nach der Weisheit und Liebe, die Gott

schenkt, in der Predigt, der Lehre, im Verkehr und Gespräch, in

scheinbar geringen Arbeiten eurer Pflicht und in mancherlei Dienst die Seelen zu hüten. Wer zu groß ist, um zu helfen, der ist zu klein,

um Geistlicher zu sein. Aber von eurem Auftrag, von eurer ganzen zukünftigen Wirksamkeit, chrem Freimut und ihrem Kleinmut, ihren Mißverständnissen, ihren Enttäuschungen und Erfolgen, von all dem, was euch erwartet und was chr berufen seid zu erfüllen,

kann doch schon in dieser Stunde eines mit Sicherheit gesagt

werden. Tut ihr es ohne Gebet, so strömt kein bleibender Segen daraus.

Aber wenn ihr treulich wachet und betet, ist damit alles gesagt. Man kann arbeiten, ohne zu beten. Aber man kann nicht beten, ohne zu arbeiten. Wenn chr durch das Gebet die Verbindung mit

Gottes Macht und Willen behaltet, so wird trotz eurer eigenen Ohnmacht und allen Widerwärtigkeiten, die kommen, Segen gesät werden und erwachsen, möget ihr ihn nun sehen dürfen oder nicht.

Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Gottes Antwort kann ganz nahe, aus dem eigenen Herzen, erklingen. Sie kann als der

eigentliche Inhalt in der gebrechlichen Hülle liegen, die aus des Herzens schwachen Worten und wortlosen Seufzern gebildet wird.

Der Herr, dein Gott, sei dir gnädig und nahe! Bleibe bei ihm, indem du dein Herz ihm offen hältst, seiner Stimme lauschst und

mit chm redest!

Röm.

26

2. ChrQn. 30, 18

Ps. 67, 2; 103, 8

15. Dezember

Ein junger Mann hatte viel über Gott nachgedacht Er forschte in den Schriften. Er las die Bibel in dem Verlangen nach Klarheit, in aufrichtigem, demütigem Nachdenken und in

der Gewißheit, daß Gott selbst und sein heiliger Geist ihm dort

begegneten. Er hatte den Herrn mit der Gemeinde angerufen und chn angebetet. Er hatte von Kind aus Gebete gelernt. Ein in der

Christenheit getauftes Kind muß so ftühzeitig die Kindergebete lernen, daß der Erwachsene nicht weiß, wann das Gebet zum erstenmal im Herzen und auf den Lippen erklang. Noch mehr, der junge

Mann war vor Gott gewandelt und hatte seinen Weg rein bewahrt,

er hatte ehrlich für seine unbefleckte Ehre gekämpft und gute Ge­

danken und hohe Ideale gehegt. Aber er hatte nicht ganz persönlich mit Gott geredet. Er hatte

niemals gewagt, ihm sein Herz zu öffnen. Ein Vorhang, aus Ehr­

furcht und heilsamem Beben gewebt, trennte ihn von Gottes An­ gesicht. Der Vorhang war niemals beiseite geschoben worden. Das Herz hatte niemals gewagt, bis hin vor Gottes Angesicht zu treten.

Das Licht, das dort leuchtet, ist erschreckend und zugleich anziehend und hold. Er hatte noch nicht im Licht des Angesichtes Gottes

gestanden. Der Weg zur Vertraulichkeit mit Gott, dem Herrn, geht durch das freie Gebet des Herzens. Dieser Weg war noch nicht offen.

Der junge Wahrheitssucher kam eines Tages heim. Eine Ver­ änderung war mit ihm geschehen. Man sah es an seinem Blick, an seinem ganzen Gesicht. Er hatte mit Gott geredet. Davon hatte

sein Auge einen Glanz bekommen. Er aber wußte es nicht. Er fühlte sich vielleicht noch geringer als vorher, gedemütigt wie nie zuvor. Die Verwandlung war ihm unbewußt geschehen. Wer mit Gott

spricht, merkt, Gott sei Dank, selbst nicht, wie er dadurch wird. Er merkt nur, wie Gott ist.

16. Dezember

Gottes Angesicht ist sichtbar. (Bei einer Ordination 1921) Was ich in dieser Weihestunde euch jungen Freunden als ein persönliches Wort, eine Mahnung, ein Losungswort zu sagen habe,

das ist: Tretet mit Beben und mit Zuversicht vor Gottes Süv gesicht! Laßt seine Klarheit in eure Seelen leuchten, forschend

und richtend — vor ihm ist nichts verborgen, vor ihm kann nichts

verborgen werden —, aber gleichzeitig auch tröstend unb ver­ klärend. Nehmt die Decke fort, durch die euch Gewohnheit und

Zaghaftigkeit von eurem Gott trennen, wenn diese Decke nicht schon durch die Kühnheit des Glaubens fortgeschoben worden ist.

Redet frei mit eurem Gott! Täglich muß man mit ihm umgehen. Eine Ferne kann uns von ihm trennen, eine Ferne, an der wir,

nicht er, schuld sind. Aber laßt euch durch keine Ferne abhalten, sondern gelobt euch selbst und eurem Gott hier in dieser Stunde

vor dem Altar des Herrn, daß ihr, was auch mit euch geschehen möge, immer zu Gott kommt, mit ihm redet und so immer ver­

trauter mit ihm werdet.

Ist dann eure Person und euer Wandel Zeuge von eurem Um­ gang mit Gott in der Einsamkeit, so wird dadurch eure Seelsorge gefördert.

Aber davon werdet ihr nichts merken oder wissen, denn euer ganzes Dichten und Trachten wird nur darauf gerichtet sein, den

Herrn zu sehen und ihn zu erkennen und ihm in eurem Beruf zu dienen, in jedem einzelnen Glied eurer Gemeinde und in jeder Seele, die auf euren Weg geführt wird.

2m Neuen Bunde wurde Gottes Angesicht uns Menschen in Jesus Christus sichtbar. Wer mit ihm umgeht, trägt die Spur

davon.

Sir. 39, 24

Joh. 14, 9; 7, 38

17. Dezember

Unsere eigene Wntauglichkeit „Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren."

Jesus nimmt uns ganz unbedingt und unbarmherzig all unsre eigene Tüchtigkeit und unser eigenes Verdienst. Gar nichts bleibt. Was wir auch tun, wie sehr wir uns auch anstrengen, wie ausgezeichnet wir auch reden und handeln mögen, wir erhalten doch kein Lob. Wir haben nichts Besonderes getan, sondern, wie weit es auch ein

Mensch im Dienen und in der Opferwilligkeit gebracht hat, bleibt

er doch nur ein unnützer Knecht, er hat nichts anderes getan, als was er zu tun schuldig war. Noch nicht einmal das ist ihm gelungen.

Jesus rottet hier unbarmherzig die Vorstellung aus, die sich in vielen Religionen und Konfessionen findet und die dem natürlichen Menschen so nahe liegt. Man unterscheidet gern zwischen dem, was

uns auferlegt ist, was Pfiicht eines jeden von uns ist, weil es ein allgemeines christliches oder religiöses Gebot ist, und zwischen dem, was Treue, Aufopferung, Heldenmut, hingebende Liebe, ver­ zeihende Kraft und selbstloses und geduldiges Wirken über die ver­

meintliche Pflicht hinaus vollbringen. So etwas ist dem Erlöser vollkommen ftemd. Ihr seid nur unnütze Knechte, was ihr auch fertigbringen möget. Nur eine aufrichtige Entblößung, oder vielmehr: nur eine auf­ richtige, nicht erkünstelte, nicht eingelernte, sondern eine durch

harte Notwendigkeit und Erfahrung gewonnene Einsicht der eigenen vollkommenen Untüchtigkeit kann der Herr brauchen. Seine Kraft ist in dem Schwachen mächtig. Es ist selig, sich im Dienst des himmlischen Herrn hingeben zu dürfen. Er sorgt für seine

Diener. Er kennt die Seinen.

Luk. 17,10 2. Kor. 12, 9 Tit. 2 1. Petr. 7 Matth.

6,

25

18. Dezember

Die höchste Aukgabe der Schule „Die Wahrheit wird euch frei machen." Diese Wahrheit ist das Ideal des Lebens. Deshalb können Kenntnisse und Erkenntnisse

sie weder darstellen noch bedeuten, sondern sie offenbart sich im

Leben selbst. Die Schule darf ihr Ziel nicht niedriger stellen, sondern es kommt darauf an, eine so hohe Berufung nicht zu verpfuschen. Wohl­ gemeinte Programme, die Schule solle bessern und veredeln, können gefährlich roerbe», wenn sie die Gründlichkeit der Arbeit und die

Vermittlung klarer Einsichten beeinträchtigen. Denn hier dreht es sich nicht um ein Ausweichen vor der Mühe, die in der Vermitt­

lung und in dem Besitz sicherer Kenntnisse liegt. Jesus begünstigt keinen Dilettantismus, sondern nur das, was ehrlich und echt ist.

Die Diener der Wahrheit können ihre Ausgabe in keiner Weise leicht nehmen. Aber ein solches Ideal für die Schule stellt fühlbare

Anforderungen auch an die Persönlichkeit des Lehrers, an das, was er selbst ist. Das Kind empfindet hierin sehr sein. Wenn es die Aufgabe der Schule ist, Einsichten nicht nur als Kenntnisse außerhalb des großen Zusammenhanges zu vermitteln, sondern als ein Glied im Dienst der Wahrheit, dann fällt dadurch ein scharfes

und prüfendes Licht auf die Persönlichkeit des Lehrers und die

Arbeit der Schule. ?lber zugleich wird dadurch die Aufgabe der Schule und des Lehrers geheiligt. Denn es gibt keine höhere Be­ rufung als die Freiheit. Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht,

und der Knecht verbleibt nicht im Hause des Herrn. Wer sich mit dem Dienst bei niedrigeren Herren als dem Höchsten begnügt, befindet sich in Sklaverei. Die Wahrheit allein, die aufrichtige, demütige Unterwerfung unter die Wahrheit, wird euch frei machen.

Joh.

31-36

19. Dezember

Geläuterte Herzen Wenn wir zum Heiligtum des Herrn gehen, dürfen wir nicht mit leeren Händen kommen. Opfer sollen wir dem Herrn dar­

bringen, rechte Opfergaben, oder, wie der Prophet sagt, Opfer in

Gerechtigkeit. Das Opfer des Neuen Bundes beschreibt der Apostel so: „Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und

Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst".

Wir opfern dem Herrn Lob und Preis. Wir bringen dem Herrn unsre Bußfertigkeit und Reue über das dar, was wir versäumt haben, über das, was wir unrecht getan haben. Wir schenken chm die einzige Gabe, die er von uns wünscht und begehrt, nämlich den

Glauben und die Liebe unsres Herzens. Wenn wir die ganze Zu­ versicht unsres Herzens dem Herrn richtig darbringen, so bedeutet

diese Gabe, daß wir chm unser ganzes Leben mit allen seinen Kräften, Möglichkeiten und Gaben widmen. Das Herz ist aus edlem Metall. Die Menschenseele wird von Gott wie Gold oder Silber geschätzt. Er hat seine Engel, das sind seine Propheten und Zeugen, gesandt, damit dieses Gold und Sil­

ber gereinigt und geläutert werde. Das geschieht dadurch, daß du dich vor Gottes Angesicht stellst und durch seine Klarheit deine Un­

wahrheit und Unredlichkeit hinwegbrennen und dein ganzes Wesen durchleuchten und durchwärmen läßt. Das geschieht, indem du

Gottes Vergebung empfängst und im Lichte seines Evangeliums wandelst. Wenn die Wahrheit unsre Herzen gereinigt und geläutert

hat, dann sollen sie als Opfergaben dem Herrn in Gerechtigkeit dargebracht werden.

Röm. 12, 1 24

Worte für jeden Tag

20. Dezember

Lirchenweihe Die ehernen Zungen der Glocken im Turme singen das Gebot: „Gedenke des Feiertages, daß du ihn heiligest"! Vergiß den heiligen Gott nicht vor dem Mancherlei, was deine Sinne beschäftigt!

Wache und bete! Das Ausrufezeichen des Turmes ruft mit den

ftohen Tonen der Glocken um die Wette: Blicke aufwärts! Suche Frieden! Heilige dein Leben! Sei treu! Das Leben ist kurz. Lebe es vor dem Helligen! Denn für Gott sind alle, auch die Dahin­

gegangenen, lebendig. Seine Eine Heilige, Christliche, Apostolische Kirche umfaßt Himmel und Erde.

Das Innere der Kirche selbst hat seine Stimme, um besser, als Worte es vermögen, den Ton vom Himmel wiederzugeben und

dadurch die Herzen, die hier Gottesdienst feiern, zu heiligen. Der Heilige ist barmherzig in all seiner Strenge. Möge Gottes Name von denen, die hier reden und singen, beten

und lauschen, immer geheiligt und geehrt werden, sodaß die Wahr­

heit, die reine unverfälschte Wahrheit des Evangeliums, zu ihrem Recht kommt. Denn um Gottes Namen zu heiligen, dazu genügt nicht eine Stunde der Heiligung und Andacht im Tempel. Die Hauptsache ist, daß wir unsre Herzen und Leben heiligen. „Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes,

daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes." Gott heiligen heißt, seinem

Gebot folgen.

Du darfst alles andere von dieser Wechestunde vergessen. Vergiß

nur nicht, daß Sinn und Ziel des Lebens ist, Gottes Namen zu heiligen. Gott helfe uns allen, Gott heilige die Gemeinde, die hier geistig erbaut wird, daß sie heute und immer zur Ehre von Gottes

heiligem Namen lebe.

3. Mose 19, 3 Matth. 26,41 Röm. 12, 1 Eph. 2, 19f.

21. Dezember

Wir haben kein Aecht, glücklich zu sein An einem der traurigsten Tage des vergangenen Jahres schrieb ich in meinen Kalender, daß wir die letzte Stunde des Jahres der Freude und Dankbarkeit über Gottes Treue widmen

sollten. Es ist nicht schwer, sich über Gottes Treue zu freuen, wenn es uns gut geht, wenn wir gesund sind, wenn wir ungestört arbeiten dürfen, wenn die Menschen und Angelegenheiten, die unsrem Herzen am nächsten stehen, uns Anlaß zur Freude geben.

Wie leicht wiegen wir uns in den Gedanken ein, daß Glück und

Gesundheit, ein Leben ohne Enttäuschung, Schmach und Betrübnis etwas Selbstverständliches sei, das uns beschert werden muß. Wir betrachten das Gute, das uns widerfährt, als unser

selbstverständliches Recht. Wir nehmen es als Beute und nicht als unverdiente Gabe von dem Geber aller guten Gaben. Die Folge davon ist, daß wir, wenn uns etwas zuwiderläuft, jammern, als ob wir eines Rechtes beraubt wären. Wer sagt, daß wir glücklich

sein sollen? Auf welches Recht können wir uns berufen? Auf gar

keines. So bringen Erfolg und Glück es leicht mit sich, daß wir Gott vergessen. Er wird höchstens zu einer feierlichen Garantie für unser

eignes Wohlbefinden, unsre erfolgreichen Unternehmen und unsre eignen guten Tage. Aber im Grunde kümmern wir uns wenig um ihn. Wir denken an uns selbst und das, was zu unserem Wohl­ ergehen beiträgt. Weiter denken wir nicht; der Gesichtskreis unsrer Gedanken ist eng begrenzt. Vielleicht vergessen wir Gott immer mehr und beten unser eigenes 3ch an, bis das Unglück uns unsanft daran

erinnert, wie schwach und elend ein Mensch ist, und uns veranlaßt zu fragen: Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst?

ps. s,;

24*

22. Dezember Ghne Autorität, ZLespekt und Gehorsam verliert das Heim seinen Halt Das Heim ist eine unvergleichliche Schule der Selbstzucht,

der gegenseitigen Vergebung und Hilfe. Um seines Friedens und seiner Eintracht willen muß der Eigenwille überwunden werden. Da lernt man das Glück des gegenseitigen Dienens kennen. Nur

wo Wahrheit und Redlichkeit herrschen, gedeihen Vertrauen und

Freude. Das christliche Heim will Alte und Junge in seine warmen und reinigenden Arme schließen. Es leuchtet wie ein Feuerschiff

für den, der draußen in der Welt wandert. Laßt geistliche Lieder in eurem Heim ertönen! Hebt nicht die Gebete und das heilige Buch auf, bis Krankheit und Tod als ungebetene Gäste kommen! Heiliget das Heim mit Gottesfurcht und Gottes Wort!

Nur Besserung und Umkehr können Erneuerung bewirken und dem Leben aus seinen verschiedenen Gebieten einen taktfesteren Gang, ein frischeres Antlitz verleihen. Wie steht es mit unsrem Glauben und unsrer Liebe? Hier hilft kein eingeschläfertes Christen­

tum! Die Seelen müssen erweckt werden, um mit Furcht und Zittern ihre Erlösung zu suchen, nicht in Gefühlsausbrüchen und

Gebärden, sondern im Ernst und in der Wahrheit. Nur so können Gemüt und Leben aus verborgenem und sichtbarem Elend gerettet werden. Nur so wird Gott im Himmel geehrt und Christus in treuem Herzen verklärt. Nur so kann die innere Leere des Menschen unsrer mit dem Leben des Geistes ausgefüllt werden. Man

geht im Unwesentlichen auf, man vernachlässigt den Inhalt um deffentwillen, was nur Schale und Form ist. Innen gähnt die Leere. Man vergißt den Sinn und das Ziel der Lebensreise über allerhand Geschäften mit dem Gepäck. Irdischer Sinn verbirgt

dem Menschen seine Bestimmung. Sagen wir, die wir Christi Namen anrufen, klar und offen, daß Christentum vor allem ein Leben der Seele in Gott ist, das in Werken und Wandel die Liebe

und den Frieden einer ewigen Welt ausstrahlt?

Phil. 2, 12

23. Dezember

Die Windeln Eine junge Mutter verwendet auf die Kleider ihres kleinen Lieb­ lings viel Mühe. Sie müssen für den kleinen zarten Körper fein

gewebt und zierlich genäht sein. Wenn die Mutter am Zlbend beim

Schein der Lichter hinaus auf die Straße geht, dann bleibt sie gern

eine Weile vor den Läden mit Kinderkleidern stehen. Selbst wenn sie es wegen der Vorbereitungen für das Weihnachtsfest eilig hat, verweilt sie doch einige Minuten davor. Und in Gedanken schmückt sie ihren Kleinen mit all dem Schönen und Feinen. Vielleicht auch in Wirklichkeit. Wer weiß es?

Sicher ist, daß Maria nicht viel für die Kleidchen ihres Erst­ geborenen anwenden konnte. Sie wickelte chn in Windeln und legte

chn in eine Krippe. Das ist alles, was der Evangelist hierüber

berichtet. Es ist auch nicht sehr wichtig. Wichtig aber ist, daß wir wissen und erfahren, daß das Kind, das sie in Windeln wickelte, unser und der ganzen Welt Erlöser wurde. Wenn wir das bedenken,

singen wir gerne: Und wär die Welt vielmal so weit

mit Edelstein und Gold bereit, so wäre sie doch viel zu klein,

um eine Wiege dir zu sein.

Die höchsten Titel, Bezeichnungen und göttlichen Namen hat man ihm als schuldige Gabe geschenkt. Die Menschheit ist nicht müde geworden, ihn mit Geschmeide, Zepter und Herrschermantel

zu zieren. Aber er ist damit nicht zufrieden. Nicht aus Bescheiden­

heit, sondern weil er größere Ansprüche stellt. Er fordert mehr. Er fordert die Zerknirschung des Herzens und feine Verwandlung.

Luk. 2,

7

24. Dezember

An alle Familien und Alleinstehenden Liebe Freunde! Zur Weihnachtszeit kann der weiße Schnee ein

reines Tuch über die unreine Erde breiten. Er kann auch ganz aus­ bleiben. Was aber nicht ausbleibt, ist die eigene weihnachtliche Stimmung von Heiligkeit, Friede und Freude. Wir müssen diese

Weihnachtsstimmung mit Dankbarkeit empfinden, in uns auf­

nehmen und ausbreiten; sie ist ein Balsam für manch wundes Herz,

eine Rast und ein Weilchen Freude für müde Glieder und manch abgehetzte Seele.

Aber das Geschenk der Weihnacht ist großer als das, und was

wir Menschen brauchen, ist mehr als das. Es gibt mancherlei Kummer und Schmerz. Mancher ist allgemein offenbar und jedem vernehmlich. Mancher ist verborgen. Der eine spricht vielleicht nicht einmal mit seinem besten Freund darüber. Um so mehr brennt es im Herzen, das weint, auch wenn das Gesicht lächelt. Weih­

nachten hat seine eigene Mahnung an uns alle, Kummer zu er­ leichtern, die Hungrigen zu sättigen, die Bedürftigen zu kleiden und die Last der andern tragen zu helfen. Wir sollen uns nicht abschrecken und uns von der Faulheit des

alten Adam einreden lassen, wir konnten nur so wenig tun, daß es sich gar nicht lohne. Diese Ausflucht ist gar nichts wert.

Es ist keiner außerstande, irgend einem andern Menschen eine Freude zu bereiten. Kein Dienst ist so gering, daß er sich nicht lohnt.

Und trotzdem vermögen wir nur so wenig zu tun. Dunkel um­ hüllt uns. Als Kinder sangen wir: „So gehst, Kind Gottes du,

wohl tief im Dunkeln". Werden wir das Licht wieder sehen dürfen? Das Licht der Hoff­

nung? Die Zuversicht gründet sich nicht auf das, was geschieht, noch weniger auf die Gefühle unseres Herzens. Unser Glaube und unsre Zuversicht müssen sich auf Gottes Werk gründen, das weder von menschlichem Wirken noch von dem Zeugnis unsrer Gefühle abhängig ist. Weihnachten hält uns deutlich die unglaubliche Wahr­

heit vor Augen, daß Jesus Christus zu unsrer Erlösung in die Welt gesandt worden ist. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Aber Gott läßt uns sehen. Weihnachten zwingt uns, Gottes ein-

24. Dezember (Forts.)

geborenen Sohn zu sehen. So wissen wir, wenn auch Dunkel uns

und unsre Herzen umgibt und des Lebens Geschehnisse uns äng­ stigen und betrüben, daß doch die Sonne von Gottes ewiger Liebe

leuchtet. Über unsrer armen Erde ist sie erschienen in der Gestalt Jesu Christi, nicht, um wie die Sonne dieser Erde unterzugehen

und eine Weile zu verschwinden, sondern um in alle Ewigkeit ihren

Schein und ihre Klarheit zu behalten.

37S Matth. 2$, 35 Gal. 6, 2 1. Kor. 1, 30 Joh. 20, 29

25, Dezember

Die Lriedensbotschakt 3st der Friede Christi in einem Herzen, so kann es auch in äuße­

rem Unfrieden sagen: „Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde".

Gegen Gottes Klarheit und Frieden in der Weihnachtsbotschaft

zeichnet sich alle menschliche Friedlosigkeit, Zerrissenheit, unser

Elend und all unser ungestillter Kummer doppelt klar und anklagend ab. Unsre Erde ist keine Stätte des Friedens. Der ungestörte Friede gehört dem Himmel und nicht der Erde an. Aber durch Christus

kann das Herz hier schon Frieden gewinnen. Nicht durch sich selbst, aber durch Gottes unverdiente Barmherzigkeit und in Seinem Dienst. Haben wir einmal in unsrem Herzen und unsrem Leben erfahren, wie Gottes Macht das wirkt, was über unsre Gedanken

und Gebete ist, haben wir Gottes Frieden empfangen, der über alle Vernunft ist, dann glauben wir an den Sieg des Friedefürsten. Friede im Herzen, die Voraussetzung für den Frieden aus Erden,

kann nur daraus entstehen, daß wir vertrauen, trotz allem auf Gottes Liebe vertrauen und danach leben, ihm danken und ihn loben, ihm gehorchen und dienen.

Zur ersten Nacht man Gottes Sohn pries, zur letzten man ihn ans Kreuz schlagen ließ,

und wollt ihr seinen Frieden erben, so müßt ihr leiden mit ihm und sterben,

und wollt ihr Kinder sein bei Gott, so lebt und sterbt für sein Gebot. Das Kind in der Krippe euch Frieden kündet,

der Friede am Kreuz Vollendung findet. Er ist kein Traum, kein leerer Schall, Friede heißt: Gott folgen überall.

Der Friede hat über die Welt sich gesenkt, als Gott uns seinen Sohn geschenkt.

Ps, 73, 25

Phil, 4. 7

26. Dezember

Weihnachtserinnerungen Mehr als alle andern Feste des Kirchenjahres ist Weihnachten bei uns das Fest des Heimes geworden. Man sucht beieinander Wärme und Licht aus Kälte und Dunkel. So wie die weiße Schneedecke den Schmutz und die Unreinheit des Bodens verbirgt

und für einige Tage rein bleibt, so breitet Weihnachten für einige Tage eine vorübergehende Stimmung des Friedens über die Gemüter der Menschen. Man spielt Frieden, Güte und BarmHerzigkeit. Vielleicht ist es auch mehr als Spiel, vielleicht kommt

uns der Gedanke, wir sollten eigentlich alle versuchen, unser Zu-

sammenleben, unsre Gemeinschaft zu einem guten Heim zu machen, wo Friede und Freude durch gegenseitiges Vertrauen und guten Willen geweckt werden.

Die Weihnachtslichter werden angezündet. Der Schnee liegt weiß auf den gefrorenen Feldern. In Hütten und Bauernhöfen, in den hohen Miethäusern der Städte herrscht Feierstimmung.

Da denken Vater, Mutter, Schwestern und Brüder, Liebste und Freunde an Sohne und Töchter oder an liebe Freunde, die weit

fort sind in fremdem Land. Mehr als sonst schließt das Heim alle die Seinen mit guten Gedanken und in herzlicher Fürbitte in seine Arme ein. Vielleicht ist ein Sohn weit fort. Er ist kein verlorener Sohn,

der sich der Sünde und dem Laster ergeben hat. So gibt es viele.

Aber seine Gedanken kreisen in Gebieten, die weit entfernt sind von denen, wohin Vater und Mutter das Gemüt des Kindes während der Weihnachtszeit geführt hatten. Es ist nicht gesagt, daß sie deshalb hoher sind. Er gehört zu den vielen, die den engen,

aber warmen und schönen Raum der Gefühle und Vorstellungen der Kindheit verlassen haben, ohne daß sie es vermochten oder wagten, sich für ihr geistiges Leben Zutritt zu einem höheren und größeren Gebiet zu verschaffen. Viele bleiben chr ganzes Leben draußen auf

der Straße in Finsternis und Kälte, oder sie suchen bei dem ersten besten warmen Platz Unterschlupf. Es sind wenige, die genug innere Tiefe haben, um nicht da zu bleiben, wo alle stehen, sondern die sich weiterarbeiten zu einer geistigen Welt, die sie mit Recht

26. Dezember (Forts.)

ihr eigen nennen dürfen, weil sie sie in ehrlicher Mühe errungen

haben. Die Erinnerungen sind vielleicht verblaßt; das Gemüt ist ab­

gestumpft. Da kommt Weihnachten mit seinen reinen Kindheits­ erinnerungen. Ein warmer und Heller Strahl fällt ins Herz. Er

schmerzt und ist ein wenig lästig, so wie die Morgensonne dem un­

willkommen ist, der noch im Halbschlaf liegt und nicht aufstehen mag. Denn Weihnachtserinnerungen sind nicht nur ein Licht­ strahl aus der Welt der Kindheit. Sie haben einen höheren Ursprung. Sie kommen für uns Christen aus Jesu lebendigem Geist.

Vater, der im Himmel ist,

hilf dem, der Vater und Mutter vergißt,

all den armen großen Toren,

die ihr Kinderherz verloren. Laß sie alle zu Dir ein,

laß sie Deine Kinder sein!

27. Dezember

Lobgesänge oder Bußpsalmen Jesus ist nicht damit zufrieden, daß sich die Weihnachtsstimmung nur für eine kurze Zeit wie ein Schleier über die wenig erfreuliche

Selbstsucht und Friedlosigkeit der Wirklichkeit breitet. Der Engel­ gruß erklingt dann mit schneidender Ironie über unsrem Haupte:

„Ehre sei Gott in der Höhe"! Ehre von Menschen, die alles daran

setzen, das Gottesbild in sich zu töten. Ehre mit Falschheit und

Ränken, mit Gewalt und Verbrechen, die womöglich in Gottes

Namen begangen wurden. Ehre mit Lästerung, die, wenn auch nicht in Worten, so doch, was schlimmer ist, in Leben und Wandel sich ausdrückt und das Beste im Menschen vernichtet. Friede auf

Erden bei Menschen, deren Leben durch das Leid der Sünde ver­ dunkelt und durch die Nichtigkeiten der Welt verwirrt ist. Frieden

unter den Menschen, die sich kein Gewissen daraus machen, mit

der scharf geschliffenen Klinge der Berechnung ihren Bruder zu töten, Friede unter den Menschen, von denen der eine in Überfluß und Bequemlichkeit lebt und der andere in unverschuldetem Mangel umkommt. Gottes Wohlgefallen über dieser Welt, die in trübe

Wolken der Lüge und Lust, des Eigenwillens und der Unbarm­ herzigkeit gehüllt ist. Sollen wir dem Gruß der Engel mit Lobgesängen oder Buß­ psalmen begegnen? Jesus ist doch gekommen, und der Engelgruß wird bei jedem Wirklichkeit, der nach seinem Glauben lebt und seiner Spur folgt. Jesus gibt Ruhe. Durch ihn wird uns Gottes Wohlgefallen offen­

bart. Er wirkt noch im Namen Gottes. Er ist Gottes Stell­

vertreter und ruft mit der Vollmacht des Kreuzes: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch er­ quicken". Elend, Not, Kreuz, Schmach und Tod soll mich, ob ich viel muß leiden,

nicht von Jesu scheiden. Duld ich schon hier Spott und Hohn,

dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu, meine Freude.

Luk. 2, 14

Matth. 11,28

28. Dezember

Die Keele schwingt sich empor Der Engelgruß vom Erdenfrieden klingt wie grimmiger, schneiden­ der Hohn, wenn wir sehen, wie blutiger oder unblutiger Unfrieden

die Menschen entzweit, ihre Sinne mit Neid und Haß, mit Miß­ trauen und Furcht befleckt und die gute Wohnstatt der Mensch­ heit, der die Engel huldigen, zu einem Kriegsplatz aller gegen alle

macht. Am schlimmsten ist der Unfrieden im eignen Herzen des Menschen. 2m besten Falle ist er ein Büßen, ein Büßen für Sünde,

um sich von Schuldgefühl und Anklagen zu befreien und Frieden

zu erlangen. Eine solche Unruhe beweist, daß es noch Frieden gibt und daß es der Mühe wert ist, danach zu streben. Wer Buße tut,

richtet sein ganzes Streben darauf hin, dort Frieden zu stiften,

wo er selbst Unfrieden verursacht hat, um dadurch auch im eigenen Herzen Frieden zu erlangen und zu fordern. Seele, du auch sollst dich schwingen

zu den lichten Hohn einmal,

wo der Engel Harfen klingen

selig in dem Himmelssaal. Laß dein Lob, dein Flehn in Not schon im voraus gehn zu Gott, da du noch auf rauhen Wegen gehst dem Vaterhaus entgegen.

29. Dezember

Dennoch bleibe ich stets an Dir Für die Vergangenheit brauchen wir Vergebung, Gottes Ver­

gebung und aufrichtige, von Herzen kommende wechselseitige Ver­ gebung. Dann können wir das Jahr beschließen.

Für das Gegenwärtige und Zukünftige müssen wir uns ganz

Gottes Führung überlassen. Dann können wir das neue Jahr

beginnen. Wir alle wissen, daß das Christentum eine solch vollkommene Ergebung in sich schließt. Wir beten ja: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden". Aber es ist etwas anderes, dies auch anzuwenden. Wir denken an das, was gewesen, und vielleicht fragen wir uns angsterfüllt: Warum hat das Schwere geschehen müssen? Hätte nicht vieles anders sein können! Bei solchem

Grübeln kommt es vielleicht wie eine Offenbarung über dich: Laß Gott nur walten! Murre nicht! Grüble nicht! Gott weiß

es besser als du. Überlasse ihm die Vergangenheit! Laß, was da­ hinten liegt; blicke vorwärts! Ursache und Wirkung gehören zusammen. Was der Mensch säet, das wird er auch ernten. Das verwickelte Gewebe menschlicher

Anlagen, Schicksale und Taten ist auf geheimnisvolle Weise zu­ sammengefügt. Diesem Zusammenhang kann keiner entrinnen. Er mag grausam erscheinen. Er ist oft grausamer, als der Gedanke

im voraus zu erfassen vermag. Aber wir sehen alles nur stückweise.

Der Verlauf der Ereignisse läßt uns zuweilen einen tieferen Zu­ sammenhang ahnen, der durch die Oberfläche des Geschehens

hindurchschimmert. Eines Tages, wenn wir zurückblicken, sehen wir, daß Gottes Barmherzigkeit mit uns war. Sonst wäre es mit uns aus gewesen. Gott helfe uns, das Verflossene in seine Hände zu legen!

Ps.73,23 Matth. 6, 9 Phil. 1,13 Gal. 6,7 1. Kor. 13,12

30. Dezember

Du hältst mich bei deiner rechten Hand Mancherlei Werte gelten in der Welt. Der Psalmist kennt einen

Wert über allen andern, nämlich Gott und seine Güte. Wenn wir

aufrichtig sind, empfinden wir gewiß, je mehr wir das Leben kennen lernen, daß das Wertvollste die Güte ist. „Reinheit, Klarheit,

Güte", sagte kürzlich jemand. Sorge bedrückt unser Land, viele Menschen, viele Familien.

Wir beten um Arbeit im kommenden Jahr. Möge sie uns werden. Wir beten für die, auf deren Schultern die Verantwortung liegt. Möge das Gebet ihre Verantwortung stärken, aber auch ihren

Überlegungen zu voller Klarheit und Aufrichtigkeit verhelfen. Täglich bete ich das Gebet Birgittas: „Herr, weise mir den Weg und mache mich willig, ihn zu gehen". Wir bitten für die Leidenden und Traurigen. Wir bitten für

die Familien in unserer Gemeinde und im ganzen Lande. Wir

bitten um Eintracht und Frieden auf Erden. Vor allem bitten

wir um Herzensfrieden, den wir bei Gott erlangen, wenn wir uns

ihm ganz und gar überlassen, unsern Hochmut und Kleinmut

wegnehmen und uns Mut geben lassen. Wir sollen alte Sünde und Schande begraben und nur vorwärts sehen. Dann können wir auf die Macht der Erneuerung trauen, auch im neuen Jahr, das nun seinen Lauf beginnt. Wir dürfen das Blatt mit all seinen Flecken und Durchstreichungen wenden und mit Gottes Hilfe besser auf das neue, weiße, unbeschriebene Blatt schreiben. Nein, wir dürfen Gott unser Leben darauf schreiben lassen.

Ps. 73, 23; 36, 6; 27, 11

31. Dezember

Wu kührest mich nach deinem ZLat und nimmst mich endlich in Ehren an Ist es uns erst einmal klar geworden, daß all unser Grübeln

vergeblich ist, daß wir trotz allem und m allem auf Gottes uner­ gründliche Führung trauen müssen, dann sind wir bis zum Grunde gelangt. Dann haben wir die Wahrheit gefunden. Dann kehrt

vielleicht trotz allem unvermerkt Friede im Herzen ein, und wir erhalten eine Kraft, die wir kaum zu ahnen wagten. Dieses vollkommene Sichüberlassen ist eine Tat unsres Glaubens,

eine notwendige Folge unsres aufrichtigen Vertrauens, em Willens­ akt und zugleich wieder nicht unser Werk. Denn wir können höchstens

zu einer Resignation gelangen, einem Fatalismus, einer Unter­ werfung unter das Unabänderliche. Aber ein Sichüberlassen be­

deutet etwas anderes und mehr. Wir überlassen Gott das Ver­ gangene. Wir glauben an seine Führung, auch wenn wir sie noch

nicht merken können. Für die Zukunft bitten wir Gott um seinen Schutz. Ein schwedischer Dichter sagt:

Leb in Gottes Gnad und Huld,

bet und leide mit Geduld, denn der Herr will ewiglich,

Seele, nie vergessen dich.

In dieser Stunde beten wir auch mit einem andern Dichter:

Geduld gib und Gelassenheit in der Erde Not und Streit.

Jede Stunde unsres Lebens ist ein Ende und zugleich ein neuer Anfang. 2n jeder Stunde können wir ewiges Leben erleben, wenn wir uns Gott überlassen. Wenn wir das auch allzu oft im Wechsel und Wandel der Zeiten vergessen, so werden wir doch vielleicht bei

dem Zwölfuhrschlag dieser Neujahrsnacht daran erinnert.

Ps. 73, 24

Sachregister Abendmahl 84—88. 92—95. 97—101 Advent 349 Anbetung 29. 67. 310 Andacht 143. 215 Arbeit 181. 260. 288—290. 299. 347 Anstrengung 194. 257 Artikel, die drei 26. 27 Auferstehung 111. 112 Autorität 190 Barmherzigkeit 253 Bekehrung 26 Beruf 197. 216. 305 Bibel 36. 276. 331 Birgitta, heilige 294 Brändstrom, Elsa 309 Brot, täglich 128 Bund, der neue 81. 82 Buße 79. 323

Charakter 149 christl. 181 Christentum 161. 358. 372 Christusmenschen 176

Einheit der Christen 244. 245 in Gott 247 der Kirche 255 Einsamkeit 132 Endzeit 357 Erbe Christi 248 Ergebung 381 Erkenntnis 29 Erlösung 45. 73. 253. 258. 268. 299. 345 Erwählung 122 Evangelium 331. 332. 353 Ewigkeitssehnsucht 17

Feindesliebe 359 Feste, christliche 152 Fleischwerdung 68 Forschung 149. 274. 302 Freiheit 145. 262. 318 christl. 3. 23 Freude 133. 284 Freundschaft 146 Friede 31. 32. 79. 80. 112. 248. 353. 360. 376. 380 Fruchtbringen 2.163 Führung 55. 381-383

Gebet 124—126.165. 201. 218. Dasein Gottes 235. 236 220. 239. 241.242. 257. 271. Demut 159. 168 283. 335. 364. 365 Denken 67 Dienen 51. 224. 225. 250. 362. . Gebote, zehn 195.196 Gehorsam 35. 104. 121. 145. 363 311. 336 Dualismus 28 Geist, heiliger 147.152.162.163 Ehe 18—20 Geistlicher, ev. 327. 362. 364. 366 Ehre Gottes 9

Gemeinschaft 83. 300

Güte 229

Genie 10

Güte Gottes 214

Gerechtigkeit 14. 134. 269 Gerechtigkeitssehnsucht 157

Güter, irdische 188

Gericht 71. 341. 342. 344 Geschichte 324

Gesetz 45. 129. 154 Gewissen 341 Glaube 30. 46. 142. 175. 226.

311. 312. 328. 330 christl. 296 Glaubensmut 312 Gleichnisse:

Arbeiter im Weinberg 33.

288 Böcke u. Schafe 342. 344 Feigenbaum 2.163 Fußwaschung 77 Knechte, unütze 222. 223

Perle, köstliche 167

Salz der Erde 79. 80. 264.

290. 333 Samariter, barmh. 361 Unkraut u. d. Weizen 232 Wachsen, vom stillen 58

Weinstock 166 Weizenkorn 52. 72. 73

Glück 371 Gnade 219 Gott, lebendiger 169

Hand, Gottes 132 Handeln 267

Heilen 301. 315

Heilige 15. 74. 320. 321. 326.

333 Heiligkeit 136 Heiligung 164

Heim, christl. 372. 377 Herrschaft Gottes 232

Herz, menschl. 308

Hilfe 182. 234

Himmel 306. 307 Himmelreich 291

Humor 304 Hunger u. Durst 14 Innerlichkeit, christl. 176. 177 Jesus, 12jähr. 11 Jesus 42. 174. 217. 315. 332.

334.335.351.352.355.357. 373 Jugend 119. 120.144. 148. 200 Jünger Jesu 264

Gottesdienst 295

Karwoche 98. 99

Gotteserkenntnis 148. 281

Kausalität 28

Gottesgemeinschaft 47

Kind 11.12.16.43.44.261.286.

Gottesgewißheit 7. 238

287 Kinderherz 13

Grab 212 Grenzen d. Menschen 298

Gustav Adolf 325

25

Worte für jeden Tag

Kirche 180.198 Kirchenweihe 370

Königtum Jesu 38—40

Kreuz 107. 110. 296 Krone des Lebens 265. 303 Kultur 58

Leben, in Christus 270

Offenbarung 6. 28. 46. 68. 69.

89.134. 147. 153. 171.172. 273. 324 Opfer 81. 221. 369 Jesu 109 Ostern 89.96

des Geistes 202 menschl. 52. 208. 348. 356 pers. religiöses 237 und Tod 313 Lebenskunst 3

Passionsmusik 70

Pfingsten 153 Pflicht 135. 238. 280 Prophetenreligion 277

Lebensregel 178.189 Lebensweg 280 Lehre, christl. 324

reine 192 Leid 3 Leiden 114. 116. 267. 338. 339

Recht 361

Reformation 262.322. 323

Regel, goldene 263

Reich Gottes 115. 156. 227.

Leiden Jesu 91.103

254. 354. 363 Reinheit 119

stellvertr. 75. 77 LeidenSverkündigg. Christi 49

Religion 136.198

Leidensweg Jesu 48

Reue 312

Liebe 18. 21. 66. 102. 173. 179.

Salbung (Sünderin) 53

193. 219. 248. 309. 350 Losung, unsere 1

Schicksal 146 Schöpfung 10.153

Luther 15. 305. 319. 328—330 Mahlzeiten 240 Menschwerdung 69 Messias 41

Mission 250. 272. 353 Musik 204. 282 Mut 326

Mutter 120 Jesu 90

Mystik 137

Schuld 78.189

Schule 368 Seele 59—64. 187. 205. 346

Selbstbeherrschung 243 Seligkeit 269 Sittlichkeit 293

Sport 303 Sterben, (u. Leben) 52.212.213 in Christus 270

Jesu 91 Stimme Gottes 131

Nachfolger Jesu 50

Strafe 337. 338. 343

Neujahr 381—383

Streben 186

Sünde 8. 73. 75. 77—79. 108. 130.183.184.195.196. 221.

Verleugnung des Petrus 105 Versuchung 56. 117. 130

241.258.268.333.337—339.

Vertrauen 139. 336. 383

369

Verwerfung 25

Takt 288

Wachsamkeit 191. 257

Tat 131.191

Waffen, des Christen 262

Taufe 4

Wahrheit 106. 161. 184. 230.

Testament, Jesu 102 Teufel 108

275. 332. 368 Weg, Jesus der 261

Tod 206. 213. 313

Weib, kanaan. 65

Trauer 207

Weihnacht 374. 377. 379

Treue, Gottes 3

Welt, Gottes 228

Trinitatis 166

Werke, gute 140. 253. 259. 309

Unglück 117

Wissen 149

Willen, Gottes 203

Unschuld 269

Wissenschaft 142 Wort Gottes 36

Vater u. Sohn 278

Vater unser 123—125.127.266.

Wort-(Sache) 292 Wunder 279. 314

278. 310 Verantwortung 22—24. 135 Vergebung 37. 47. 156. 241.

Zukunft 199

249. 328. 381 Vergeltung 45. 251

Zweifel 175. 236

Verklarung 16. 209—211

Zucht Gottes 186 Zusammenhang 78. 337—339

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TOR

ANDRAE

Mathan Söderblom Autorisierte Übersetzung aus demSchwedischen von Emmy Groening • Dr. Albrecht Völklein

Oktav. VII, 232 Seilen. Mit 4 Bildtafeln. 1938. Geb. RM 4.80 „

Es ist eine der schönsten Theologenbiographien, die wir

besitzen, anschaulich und liebevoll geschrieben, dabei frei von aller Menschenverherrlichung. So liegt über diesem Buch etwas von dem

Glanz der genialen Persönlichkeit und des glücklichen, des begnadeten Lebens von Söderblom

Für die Theologen ist das Buch des­

wegen wichtig, weil es zum ersten Male die innere Entwicklung Söderbloms und den Ursprung seiner ökumenischen Gedanken klarstellt " Lutherische Kirche vom 15. Januar 1938.

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ALTMANN

Stehet im Glauben Gottesdienstliches Handbuch für die Kriegszeit

Oktav. V, 55 Seiten. 1939. Kartoniert RM 1.20 Eine „KriegSagenbe", die Eingangsworte für die Gottesdienste und

Kriegsandachten enthält, daneben Buß- und Gnadenworte, Eingangs­ gebete und eine reiche Auswahl von Fürbitten- (Schluß-) Gebeten.

Seiner ganzen Haltung nach will das Büchlein an seinem Teile dazu helfen, daß die Gottesdienste unserer Gemeinden in ernster Zeit für sie zu Quellen höchster Kraft werden.

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ULRICH ALTMANN -ERNST KÖLLN

Kirchenbuch kür evangelische Gemeinden Band I:

Die Gottesdienste

Oktav. 4., verbesserte und vermehrte Auflage. In Vorbereitung.

Band II:

Die Handlungen

Wir sind des Herrn. Eine Agende für die kirchlichen Handlungen.

Zweite,.umgearbeitete Auflage.

Oktav. IX, 192 Seiten. 1938. Geb. RM 4.—. .. mit klarem Blick für die Sprache und Bedürfnisse der Gegen­ wart geschrieben, ein schönes Werk, das

viele Hilfe und Be­

lehrung bei Kasualhandlungen erschließen kann." Lic. Müller, Evangelisches Kirchenblatt für Schlesien, 17. 7. 38.

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Vom heimlichen Leben der Keele Eine Einführung in die Frömmigkeit der deutschen Mystik 2., verbesserte Auflage. Oktav. VII, 152 Seiten. 1939. Geb. RM3.— „Schon

bie erste Auflage dieses Büchleins, das auf der Grundlage von

Vorträgen ... entstanden ist, hat ihren guten Dienst getan, indem sie

gebildeten Laien eine zuverlässige, kurz gefaßte Einführung in die Frömmigkeit der deutschen Mystik gab. Die jetzt vorliegende 2. Auflage wird bei den tendenziösen Deutungen, die die Frömmigkeit der deut­

schen Mystik seither erfahren hat, eine ausgedehntere Aufgabe zu er­

füllen haben ... Es ist geraten sich gerade an den nüchternen und

zuverlässigen Darstellungen von der Art der vorliegenden Altmann-

fchen zu unterrichten..."

Protestantenblatt v. 23.4.1939.

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Die Mergpredigt und die Gleichnisse Jesu im Unterricht Oktav. X, 106 Seiten 1939. RM 2.6o

Zum rechten sachlichen Verständnis der Bergpredigt legt das Buch den Hauptnachdruck auf eine gründliche und klare Er­ läuterung der Heilandsworte und gibt damit den Religions­ lehrern und Pfarrern das wesentlichste Rüstzeug für ihren

mannigfachen Unterricht in die Hände.

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Vostille Mit einem Geleitwort von Rudolf Otto Predigtrufe aller Zeiten an unsere Zeit in kurzen Lesungen für Wochen-/ Schul- und Hausanbachten

Groß-Oktav. 212 Seiten. 1927. RM 1.80/ geb. 2.80

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ALFRED

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Ethik Christliche Sittenlehre Oktav. XIV, 468 Seiten. 1937. RM 7.50, gebunden 8.50

(Sammlung Töpelmann: Die Theologie im Abriß, Band 4) „Es ist zu wünschen, daß recht viele sich in das Werk von A. D. Müller vertiefen. Sie werben viel Anregung empfangen und manche neue Gesichtspunkte finden. Es ist bas einzige Werk dieser Art, das bewußt in der neuen Zeit stehl." Ethik, 2/1937.

HERMANN

MULERT

LonkessionüKunde Die christlichen Kirchen und Sekten von heute

2. neubearbeitete Auflage. 1937. RM 10.75, geb. 12.50 (Sammlung Töpelmann: Die Theologie im Abriß, Band 5)

„Das abgeschlossene Lehrbuch der Konfessionskunde neuerer Art, das in der vortrefflichen Sammlung Töpelmann'Die Theologie im Abriß' herauskam und so große Verbreitung fand, liegt in der zweiten ver­ besserten Auflage vor. Die Anlage des Ganzen ist unverändert geblie­ ben, aber die einzelnen Ausführungen wurden gehörig, auch mit Hilfe von besonderen Spezialkennern der morgenländischen, anglikanischen und katholischen Kirche mitbearbeitet. Das Übergewicht gilt der Dar­ stellung des römischen Katholizismus. Für Nichtfachleute sind die griechischen und lateinischen Texte übersetzt und vereinzelte griechische Worte sogleich durch lateinische Lettern lesbar gemacht worben. Die Konfessionskunde, die zum großen Teil Wissenschaft von den Spaltun­ gen der Christenheit ist, findet hier ihre vortreffliche Darstellung. Das Werk ist so modern, baß es auch schon die allerneuesten Probleme in der Konfessionskunde behandelt, z. B. die Gruppenbewegung. Laien und Theologen werden gleicherweise sich hier auf das vortrefflichste über alle Fragen der Konfessionen orientieren können." Evangelischer Weg, ALFRED TÖPELMANN PERLAG BERLIN W 3 5

GUSTAVPFANNMÜLLER

Jesus im Urteil der Jahrhunderte Die bedeutendsten Auffassungen Jesu in Theologie, Philosophie,

Literatur und Kunst bis zur Gegenwart 2.,verb.Aufl. 8°. XI, 574S.Mit20 Tafeln. 1939. Geb. RM 6.80

„Über den Wert eines solchen Buches ist kein Zweifel. Freilich gibt

es ähnliche Darstellungen, in denen der Eindruck der Gestalt Jesu auf die verschiedensten Gebiete des geistigen Lebens beschrieben wird; aber

unter den vorhandenen ist diese zweifellos die vollständigste. Für den Pfarrer ist damit ein unentbehrliches Nachschlagewerk geschaffen, das

seine Verkündigung sehr bereichern kann. Aber auch für alle die hat

das Buch seinen hohen Wert, die an dieser Frage Anteil nehmen, und Die Furche. April 1939

welcher Christ sollte bas nicht?"

MARTIN

DIBELIUS

Jesus Sammlung Göschen Bb. 1130. 134 Seiten. 1939. Gebunden RM 1.62

ALFRED TÖPELMANN VERLAG-BERLIN W 31

HANS LIETZMANN

Geschichte der Alten Lirche Bd. 1 Die Anfänge. Oktav. VIII, 326 S. 2. Ausl. 1937. Geb. 4.80 Bd. 2 Ecclesia catholica. Oktav. VIII, 339 S. 1936. Geb. 4.80 Bd. 5

Die Reichskirche.

Oktav. VIII, 346 S. 1938. Geb. 4.80

Das grundlegende Werk zur Erkenntnis derAnfänge und des innersten WesenS

der christlichen Religion

„Ein Buch nicht nur für Gelehrte/ sondern für alle, die gerade

heute eine nähere Kenntnis/ ein Wissen um die geistigen und tatsäch­

lichen Grundlagen des umkämpften christlichen Glaubens suchen . .. eine Arbeit, die geeignet ist, wieder einmal aus den Bereichen der Uni­ versität Hinüberzugreifen in die Bezirke der gesamten lebendigen Bil­

dung der Zeit."

Deutsche Rundschau, Berlin

VERLAG WALTER DE GRUYTER & CO • BERLIN W 3 S

EUTHYMIUS HAAS

Der vergnügte Theologe Eine Sammlung von Anekdoten aus Kirchengeschickte und kirchlicher Gegenwart Erste Sammlung. 3. Auflage. 1932. (10.—15. Taus.) RM 2.—,

gebunden RM 2.50 • Zweite Sammlung. 1930. (1.—5. Taus.) RM 1.—, geb. 1.50 • Dritte Sammlung. 1937. Kart. RM —.90

Aus Besprechungen: .. Hat eine Pfarrfrau noch Gelb für Weihnachten, daß sie ihrem

Manne etwas schenken kann, hier wüßte ich ein Buch! Und sie wird selbst gerne drin lesen.

Neues sächs. Kirchenblatt.

„Den trockenen Ton habe ich nun sattalso nahm ich den EuthymiuS Haas zur Hand und freute mich, was wir doch für glückliche Leute sind, daß wir an unsern mancherlei Schwächen solche Freude haben

können. Nach Weihnachten erzählte mir ein Jurist, er habe seiner Tochter, einer stud. theol. im 2. Semester, ein zweibändiges theologi­ sches Werk geschenkt, ganz ohne fachmännische Beratung! Was warö?

Der vergnügte Theologe Bb. 1 und 2! Man mache eS nach, und wer keine der GotteSgelahrsamkeit beflissene Tochter, Enkelin, Nichte und

dergleichen hat, der schenke sichS selber!

Pastoralblätter.

ALFRED TÖPELMANN VERLAG-BERLIN W 35