Wo denn bin ich?: Einige essentielle Fragen der Philosophie
 9783787330010, 9783787330003

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Steen O. Welding

Wo denn bin ich? Einige essentielle Fragen der Philosophie

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-3000-3 ISBN eBook: 978-3-7873-3001-0

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.  Wo denn bin ich? – Das Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.  Die behavioristische Fehldeutung der Handlung . . . . . . . . . . . 27 3.  Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen . . 37 4.  Die inkompatible Struktur wissenschaftstheoretischer ­Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5.  Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten – Zur Frage der Kohärenz in Wittgensteins Spätwerk . . . . . . . . 53 6.  Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems . . . . . . . 63 7.  Ein destruktives Dilemma der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 8.  Die Analyse der logischen Gültigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Vorwort

 D

ie vielfach anzutreffenden Vorurteile und Missverständnisse über den Sinn der Philosophie lassen sich vermutlich auf dem kürzesten Weg durch Fragen entkräften, die sich wissenschaft­ lichen Forschungen entziehen und sich dennoch nicht vermeiden lassen. Sobald wir uns auf die Erörterung dieser Fragen einlassen, Stellung beziehen und die eine oder andere Auffassung vertreten, verwickeln wir uns in philosophische Überlegungen, nach denen wir nicht mehr bereit sind, den Sinn der Philosophie in Zweifel zu ziehen. In dieser Weise werden im Folgenden exemplarisch Probleme der Philosophie, des Geistes, der Erkenntnis, der Sprache und der Logik erörtert. Für die Frage Wo denn bin ich im Hinblick auf das Bewusst­ sein der eigenen Existenz? sind die großen Fortschritte der Hirnforschung insofern provozierend, als den zerebralen Ereignissen mentale Zustände zugeschrieben werden, deren Existenz sich nicht epistemisch feststellen lässt. Unter dieser Voraussetzung scheint es erforderlich zu sein, beispielsweise mir selbst bewusst zu werden, wie oder inwiefern ich eine phänomenale Erfahrung habe, was für sie charakteristisch ist und wie es für mich möglich ist, das Phänomen der eigenen Existenz zu erfassen. Wenn wir davon ausgehen, dass eigene phänomenale Erfahrungen in Sinnesempfindungen und Emotionen bestehen, wie kann ich dann durch sie zu dem Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz gelangen? Diese besondere Erfahrung scheint sich durch unbewusste Lernprozesse der Sinneswahrnehmungen aus Sinnesempfindungen und der Gefühle aus Emotionen zu entfalten. Das eigene Selbst ist mir vorgegeben, es kann weder von mir noch von einem anderen als existierend festgestellt oder nachgewiesen werden. Da dessen phänomenale Erfahrung von Ereignissen in meinem Körper abhängig ist, irritiert mich die utopische Frage nach dem Bewusstsein der eigenen Existenz, wenn es weder bei noch in meinem Körper ist. Mit der behavioristischen Fehldeutung der Handlung wird zwar eingeräumt, dass das Verhalten des Menschen aufschlussreich ist   |  7

für seine Handlungen, dass es jedoch nicht identisch sein kann mit ihnen. Für eine Handlung ist es essentiell, dass sie ein phänomenales Subjekt hat, und zwar auch in Fällen einer Fehlhandlung oder Unterlassungshandlung, wenn nämlich jemand unbeabsichtigt oder versehentlich etwas tut oder unterlässt zu tun. Eine Handlung kann daher weder als ein Ereignis aufgefasst noch durch ein Ereignis kausal erklärt werden. Wenn jemand es unterlässt, etwas zu tun, dann kann er für die Folgen verantwortlich sein oder gemacht werden, seine Unterlassungshandlung ist jedoch nicht selbst eine Handlung. Mit der epistemischen Differenz zwischen Meinung und Wissen wird auf die Frage eingegangen, inwiefern das Wissen von etwas behauptet werden kann. Im Hinblick auf Bestrebungen, den Begriff des Wissens auf eine Definition festzulegen, nämlich auf die irgendwie allgemein einflussreiche Lehrmeinung »Knowledge is justified true belief«, hat Gettiers Widerlegung dieser Definition weltweit endlose, zuweilen leidenschaftliche Erörterungen zur Folge gehabt. Gettier wendet sich gegen diese Definition mit dem Argument, die gerechtfertigte wahre Überzeugung einer Person könne auch dann vorliegen, wenn die Person gerechtfertigt ist, etwas zu glauben, was nur zufällig wahr ist; dann könne man jedoch nicht behaupten, die Person wisse, dass p. Seltsamerweise ist die zugrunde gelegte Auffassung von Wissen als gerechtfertigte wahre Überzeugung bisher nicht überprüft worden. Aus entsprechenden Beispielen wird ersichtlich, dass die Behauptung einer Person, sie wisse, dass p, nur dann als Wissen akzeptiert wird, wenn sie für ihr Wissen einen hinreichenden Grund angeben kann; ist ihr Grund unzureichend, dann ließe sich konstatieren, sie wisse nicht, dass p. Beruht dagegen ihre Überzeugung, dass p, auf einem unzureichenden Grund, dann könnte ihre Überzeugung gerechtfertigt sein, wenn sich herausstellt, dass p wahr ist, wir würden jedoch nicht feststellen, sie wisse, dass p. Es besteht also zwischen der Behauptung des Wissens und der Überzeugung von etwas eine epistemische Differenz. Die Struktur wissenschaftstheoretischer Erklärungen ist inkompatibel mit der Lehrmeinung, es bestehe ein Zusammenhang zwischen Logik und Erkenntnis. Das Bedingungsverhältnis im Fall von wissenschaftstheoretischen Erklärungen bezieht sich auf Er8  |  Vorwort

eignisse und insofern ist es vollkommen verschieden von einem logisch gültigen Schlussverfahren. In kausalen Gesetzesaussagen werden kausale Beziehungen nicht behauptet, sondern als Hypothesen unterstellt. Wegen der Möglichkeit von »störenden Bedingungen« in wissenschaftstheoretischen Bedingungsverhältnissen ist es erforderlich, diesen wenig beachteten Sachverhalt systematisch zu untersuchen und nicht nur Aussagen über Ereignisse, sondern auch über Handlungen und Zustände einzubeziehen. Durch den begrifflichen Unterschied zwischen Hypothesen und generellen Aussagen wird ersichtlich, dass nur Wahrscheinlichkeitserkenntnisse für wissenschaftstheoretische Erklärungen grund­ legend sein können. In den Ausführungen über Spiele, Sprachspiele und Familien­ ähnlichkeiten kommt es, abgesehen von einigen allgemeinen Überlegungen zum Spätwerk Wittgensteins, auf den Gesichtspunkt an, dass seine Beispiele für Begriffe ohne Grenzen nicht geeignet sind, Begriffsdefinitionen in Frage zu stellen oder zu verwerfen. Wie ungenügend die Annahme der Familienähnlichkeiten von verschiedenen Begriffen ist, wird aus Wittgensteins zusammenhanglosen Bemerkungen ersichtlich und aus deren Einschätzung für die Philosophie der Sprache. Das Universalienproblem scheint aus einer unzureichenden Konzeption von Begriffen und Individuen hervorzugehen. Durch eine Analyse auf der Basis von Freges Unterscheidung zwischen den Eigenschaften und den Merkmalen eines Begriffs werden die Gründe herausgearbeitet, warum es weder von Begriffen noch von Individuen möglich ist, zu behaupten, sie seien Entitäten der realen Welt. In dem Zusammenhang kann der destruierte Bestand von Begriffen ohne Grenzen dargestellt werden. Mit dem destruktiven Dilemma der Logik werden offenbar folgenreiche Schwierigkeiten bei der Interpretation der bekannten logischen Prinzipien expliziert, dem Prinzip der Identität p → p, des Nicht-Widerspruchs ¬ (p ∧ ¬ p) und des ausgeschlossenen Dritten p ∨ ¬ p. Wenn man von einigen Einwänden gegen traditionelle Auslegungen dieser Prinzipien absieht, dann ist der Umstand bedeutsam, dass die Unterscheidung zwischen ein- und zweistelligen Aussagenverknüpfungen für die Interpretation dieser Prinzipien problematisch ist, nämlich in Hinsicht auf die Feststellung, Vorwort  |  9

dass die Affirmation und die Negation von p jeweils durch zwei Wahrheitsmöglichkeiten und -bedingungen und die Konjunktion, Disjunktion und Implikation jeweils durch vier Wahrheitsmöglichkeiten und -bedingungen bestimmt werden. Obgleich die drei logischen Prinzipien durch unterschiedliche zweistellige Aussagen­ verknüpfungen ausgedrückt werden, ist es für sie eigentümlich, dass sie jeweils nur zwei Wahrheitsmöglichkeiten und -bedingungen haben. Danach scheint es nicht möglich zu sein, die Frage zu beantworten, ob mit den drei logischen Prinzipien etwas über zwei Aussagen oder nur etwas über eine Aussage festgestellt wird; die eine wie die andere Interpretation ist inkohärent. Bei der Analyse der logischen Gültigkeit wird die Irritation aufgegriffen, dass das wiederholte Vorkommen eines Terms oder einer Aussage in logisch gültigen Formeln oder Schlüssen bisher nicht geklärt werden konnte und dass es infolgedessen nicht möglich ist, die logische Folgerungsbeziehung in einem Schluss von der Wahrheit der Prämissen auf die Wahrheit der Konklusion begrifflich zu analysieren. Die gelegentlich vertretene Annahme, mit dem wiederholten Vorkommen von ›p‹ werde in einer Formel wie p → p oder p ∨ ¬ p die Wiederholung einer Aussage p behauptet, ist wegen der logischen Konstruktion dieser Formeln unverständlich. Um dem destruktiven Dilemma der Logik zu entgehen, scheint es notwendig zu sein, die Feststellung zu treffen, dass mit den logischen Junktoren nicht Aussagen, sondern nur deren Wahrheitswerte miteinander verknüpft und daher als einstellige bzw. als zweistellige Wahrheitswertrelationen definiert werden. Danach kann sich ein zweistelliger Junktor nicht nur auf die Wahrheitswerte von zwei verschiedenen Aussagen, sondern auch auf die Wahrheitswerte von nur einer Aussage beziehen. So wird zum Beispiel in p → p oder p ∨ ¬ p eine reflexive Beziehung zwischen den Wahrheitswerten von p ausgedrückt und behauptet, der jeweilige Wahrheitswert von p sei mit sich selbst identisch oder die beiden Wahrheitswerte von p seien miteinander unvereinbar. Die logische Gültigkeit einer Formel geht aus einer reflexiven Wahrheitswertrelation hervor wie auch in einem gültigen Schluss die reflexive Folgerungsbeziehung. Es ist infolgedessen möglich, gültige Formeln oder Schlüsse nur auf deren reflexive Determination zu beschränken und irrelevante Komponenten auszuschließen. 10  |  V  orwort

Durch die Erörterung der hier vorliegenden essentiellen Fragen der Philosophie wird die provokante Forderung nach einem Umdenken erhoben, mit dem sich der kürzeste Weg zu einer philosophischen Auseinandersetzung ergeben könnte. Für die Zusammenstellung und die Korrekturen des Manuskripts und für einige Vorschläge danke ich herzlich D. Schadt M. A., insbesondere im Hinblick auf seine eigenen ausgewiesenen Erfahrungen. Für die Durchsicht des Manuskripts und für einige Korrekturvorschläge danke ich herzlich last, but not least Dr. R. Fabian.

Vorwort  |  11

1. Wo denn bin ich? Das Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz

Wenn eine Theorie des Geistes in Frage gestellt wird, erscheint selbst dann vielen Autoren wissenschaftsmethodologisch die Ansicht plausibel, die Introspektion von mentalen Zuständen entspreche der Wahrnehmung. So ergibt sich eine Problemstellung, wie sie beispielsweise von Nagel erörtert wird: »Anstatt Gedanken, Empfindungen, Nachbilder usw. mit Gehirnprozessen zu identifizieren, schlage ich vor, den Sachverhalt, daß eine Person die Empfindung hat, mit dem Sachverhalt zu identifizieren, daß ihr Körper in einem physikalischen Zustand ist oder einem physikalischen Prozess unterliegt.«1

Was sind eigentlich die Gedanken, Empfindungen oder Nachbilder einer Person? Sie sind offenbar so seltsam und eigenartig, dass es notwendig ist, die Phänomene ihres Erlebens zu reflektieren. Es ist dann unvermeidlich, sich auf entsprechende eigene Erfahrungen zu besinnen und beispielsweise hervorzuheben, dass meine Nachbilder nur etwas für mich sind, dass sie nur so lange existieren, wie sie mir bewusst und gegenwärtig sind; sie können von anderen nicht festgestellt, sondern ihnen nur mitgeteilt werden und sie sind vielmehr nur für denjenigen verständlich, der schon selbst einmal ein Nachbild gehabt hat. Phänomene des eigenen Erlebens habe ich bei meinen Sinneswahrnehmungen und Gefühlen, diese Phänomene sind mir bewusst und sie existieren für mich nur so lange, wie ich sie habe, aber das betrifft nicht meine Sinneswahrnehmungen oder Gefühle, denn die Blumen, die ich beispielsweise sehe oder über die ich mich freue, sind auch für andere sichtbar, wohingegen es ihnen verschlossen bleibt, dass es mir bewusst ist, sie zu sehen oder mich über sie zu freuen. Mir kommt es darauf an, dasjenige, was ich in meinen Sinneswahrnehmungen oder Gefühlen unmittelbar empfinde oder erfahre, was nur für mich existiert   |  13

und nur mir bewusst ist, von dem zu differenzieren, was in ihnen außerhalb von mir existiert oder existieren könnte, um mit den eigenen phänomenalen Erfahrungen und verschiedenartigen Wahrnehmungen das Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz aufzugreifen zu können. I. Diese jeweils eigene Sinneserfahrung habe ich, wenn ich beispielsweise behaupte, etwas zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken oder zu ertasten; ihren sinnlichen Gehalt erfassen die Empiristen angeblich durch die Perzeption von Eindrücken oder Sinnesdaten, die beispielsweise nach der Ansicht von Ayer in dem »argument from illusion« unvermeidlich auftaucht: »If we examine the reasons which philosophers have in fact given in favour of the view that only sense-data are directly perceived, we find that they mainly rest upon what is known as the argument from illusion. The starting point of this argument is that objects appear differently to different observers, or differently to the same observer under different conditions […] Now considering first the fact that appearances vary, we may argue that this proves at least that people sometimes do not perceive things as they really are. If, to take a familiar example, a coin looks at the same time round to one person and, from a different angle, elliptical to another, it follows that it is to one of them at least presenting a deceptive appearance. The coin may be in fact neither round nor elliptical; it cannot in any case be both. So that if each of these persons judges that he is perceiving the coin as it really is, at least one of them will be undergoing an illusion.«2

Da die Perspektive des jeweiligen Beobachters austauschbar ist und er daraufhin berichten kann, dass auch für ihn die Münze oval oder dass auch für ihn die Münze rund aussieht, kann sich keiner auf eine nur für ihn eigene visuelle Erfahrung wie auf ein Nachbild berufen. So verhält es sich auch mit der subjektiven Beschreibung der Erfahrung von Searle:

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»Mithin ist das Vokabular, dessen ich mich bediene, um den Tisch zu beschreiben, (›Rechts ist eine Lampe, links eine Vase und in der Mitte steht eine Statuette‹), genau dasselbe wie das, dessen ich mich bediene, um meine bewußten Erlebnisse vom Tisch zu beschreiben. Um die zu beschreiben, müßte ich sagen: ›Ich habe den visuellen Eindruck, daß rechts eine Lampe ist, links eine Vase und eine Statuette in der Mitte.‹«3

Wenn jemand beschreibt, wie etwas für ihn aussieht, dann kann er offenbar nicht feststellen, dass es nur für ihn so aussieht, auch nicht wie in dem folgenden Beispiel: »Es mag mir so scheinen, als sei da draußen vor dem Fenster jemand, der sich in den Büschen versteckt, auch wenn dieser Eindruck einfach durch ein eigentümliches Spiel von Licht und Schatten auf dem Gebüsch entstanden ist.«4

Wenn ich solch einen Eindruck habe oder es mir so scheint, dass ich etwas sehe, dann kann auch ein anderer diesen Eindruck haben oder ihm scheinen, es zu sehen. Zweifellos kann ich dann nicht behaupten, dass etwas für mich nur durch die mir eigenen visuellen Erfahrungen, Eindrücke oder Sinnesdaten so aussieht. Diese Schwierigkeit ergibt sich auch bei Russell5, wenn er anläss­ lich seiner Unterscheidung zwischen einer Rotwahrnehmung und einer Rotempfindung (sensation) konstatiert, bei der roten Farbe oder bei etwas, was rot ist, ein Sinnesdatum zu sehen. Wenn dementsprechend jeder ein anderes Sinnesdatum wahrnimmt,6 ist es offensichtlich nicht möglich, zwischen einer Rotempfindung und einer Rotwahrnehmung zu differenzieren. Da wir ohne Sinnesempfindungen zweifellos keine Sinneswahrnehmungen haben, ist die Frage naheliegend, ob es möglich ist, Sinnesempfindungen zu haben, ohne etwas sinnlich wahrzunehmen. Dieser Aspekt ergab sich7 für Blindgeborene, die im Erwachsenenalter operiert wurden und dennoch unfähig waren, mit einer Starbrille Gegenstände visuell zu erkennen.8 Die ihnen chaotisch erscheinenden Licht- und Farbempfindungen belasteten sie so schwer, dass sich einige von ihnen das Leben nahmen. Es war ihnen trotz großer Bemühungen nicht möglich, Flächen, Formen, Das Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz  |  15

Körper usw. visuell zu identifizieren. Wir müssen daher annehmen, dass die visuellen Sinnesempfindungen notwendige Voraussetzung für einen Lernprozess bereits in der frühesten Kindheit sind, in dem wir lernen, etwas visuell wahrzunehmen, zu erkennen, wiederzuerkennen oder visuell zu identifizieren. So muss ich mir Merkmale optischer Erscheinungen gemerkt oder eingeprägt haben, wenn sich wiederholt die Hand oder das Gesicht meiner Mutter vor mir bewegte. Bei den anderen Sinnesempfindungen bestand der ständig wachsende Lernprozess darin, mir dasjenige einzuprägen, was mich befähigt, es als dasselbe oder als etwas Ähnliches sinnlich zu erkennen, nämlich es zu sehen, zu hören, zu tasten oder zu schmecken. So muss ich beispielsweise irgendwann wiederholt bemerkt haben, ob sich etwas vor mir bewegt oder nicht bewegt, und irgendwann muss mir aufgefallen sein, dass sich etwas vor mir nicht bewegt und ich mich nur selbst bewegt habe. So lernte ich zu erfassen, ob sich ein Gegenstand vor mir bewegt oder hinter einem anderen verschwindet, ob dieser Gegenstand rund ist oder beispielsweise vier Füße hat, eine Katze ist, die ich in ihren unterschiedlichen Positionen wiederzuerkennen suchte. Bei diesen frühen Lernversuchen ist mir nicht bewusst, welche Merkmale sich mir eingeprägt haben, wenn es sich darum handelte, etwas zu ­sehen, zu hören, zu riechen oder zu tasten. Dieser Lernprozess sinnlicher Wahrnehmungen durch die eigenen Sinnesempfindungen ist anfänglich unabhängig von der Aneignung der Muttersprache, er wird grundlegend erweitert durch den Erwerb der Muttersprache, durch die ich dazu übergehen konnte, das jeweils Wahrgenommene nicht nur unmittelbar wiederzuerkennen, sondern auch seine Eigenschaften zu beschreiben und es begrifflich einzuordnen. Meinen Sinneswahrnehmungen ist es offensichtlich eigentümlich, dass ich etwas erkannt, herausgefunden oder vielleicht sogar entdeckt habe; es handelt sich dabei um Wahrnehmungsleis­ tungen, die ich ohne den Lernprozess durch die entsprechenden Sinnesempfindungen nicht hätte erbringen können. Obgleich der epistemische Zusammenhang zwischen Sinnesempfindungen und Sinneswahrnehmungen, nämlich zwischen »sensations« und »observations«, von Ryle nicht systematisch untersucht und geklärt wird, ist seine Annahme der Inventionalität der Wahrnehmungen 16  |  Wo denn bin ich? 

im Gegensatz zu den entsprechenden Sinnesempfindungen aufschlussreich: »Wenn es von jemandem heißt, er sei dabei, etwas zu überwachen, zu mustern oder es anzusehen, es anzuhören oder es zu kosten, dann ist teilweise, aber nur teilweise damit gemeint, daß er Gesichts-, Gehörs- oder Geschmacksempfindungen hat. Aber um etwas zu beobachten, muß der Beobachter auch zumindest versuchen, etwas herauszufinden. Seine Musterung kann daher als sorgfältig oder oberflächlich, als flüchtig oder eindringlich, als methodisch oder aufs Geratewohl, als genau oder ungenau, sachkundig oder stümperhaft beschrieben werden. Beobachtung ist eine Aufgabe, die ziemlich anstrengend sein kann, und wir können darin mehr oder weniger geschickt sein. Aber keine dieser Arten, die Ausübungen von jemandes Beobachtungsgabe zu beschreiben, kann auf das Haben von Gesichts-, Gehörs- oder Geschmacksempfindungen angewendet werden. Man kann sorgfältig zuhören, aber nicht sorgfältig ein Klingen in den Ohren haben; man kann etwas systematisch anschauen, man kann nicht systematisch Flimmerempfindungen haben […]«9

Es ist also erforderlich, zwischen sinnlichen Empfindungen, die wir haben, nicht jedoch herausfinden können, und Sinneswahrnehmungen zu differenzieren, in denen etwas zutreffend, fehlerhaft oder falsch festgestellt, herausgefunden oder entdeckt wird. Wenn wir etwas sehen, etwas beobachten oder durch ein Mikro- oder Teleskop betrachten, dann können wir uns dabei fragen, ob dasjenige wirklich so ist, wie es aussieht. Diese Frage habe ich jedoch nicht, wenn ich behaupte, dass eine Münze oval oder rund oder dass die rechte hintere Schreibtischecke spitz- oder stumpfwinklig aussieht, und wenn ich dabei unwillkürlich die jeweils entsprechende Perspektive einnehme; denn wegen meiner räumlich-visuell koordinierten Wahrnehmung kann ich nicht dazu verleitet werden, zu glauben oder zu behaupten, die Münze sei oval oder die Schreibtischecke sei spitzwinklig. Die erlernte jeweils räumlich strukturierte Wahrnehmung wird von Ayer nicht in Betracht gezogen, wenn er das variierende Aussehen einer Münze der Wahrnehmung von Sinnesdaten zuschreibt und daher als eine Sinnestäuschung Das Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz  |  17

auslegt, die ebenso wenig vorliegt, wenn ein gerades Ruder im Wasser gekrümmt zu sein scheint; der eine wie der andere Sachverhalt wird durch Gesetze der Optik erklärt wie derjenige eines Sonnenaufgangs oder -untergangs durch die Gesetze der Physik. Sinneswahrnehmungen sind keine Erscheinungen wie Halluzinationen, Einbildungen, Wahrnehmungsanomalien, -störungen oder durch Drogen bewirkte Zustände, sie erweisen sich vielmehr als Bemühungen, etwas festzustellen, herauszufinden oder nicht feststellen oder herausfinden zu können. Da Sinneswahrnehmungen inventional sind, ist die Annahme von nicht-epistemischen Sinneswahrnehmungen nicht haltbar, wie sie von Dretske10 erörtert wird. Wenn jemand X sieht und X identisch ist mit Y, dann kann nach Dretske behauptet werden, er sehe Y oder er habe Y gesehen.11 Wenn z. B. Ödipus die Königin von Theben sieht und sie seine Mutter ist, dann kann ihm nicht die Sehleistung zugeschrieben werden, er sehe seine Mutter oder er habe seine Mutter gesehen. Ödipus kann sie nur unter der Beschreibung sehen, mit der er sie identifiziert. Eine Aussage von einer Wahrnehmung ist offensichtlich von deren Zuschreibung verschieden wie zum Beispiel diejenige von Willaschek, Kleinkinder oder Tiere könnten einen Kühlschrank sehen, »ohne zu wissen, was ein Kühlschrank ist«.12 Durch den gleichzeitigen Lernprozess bei meinen anderen Sinneswahrnehmungen muss es eine wirksame Unterstützung gewesen sein, dass ich dasjenige, was ich visuell erkannte, auch dadurch identifizierte, dass ich es hören, tasten oder schmecken konnte. Ursprünglich waren meine sinnlichen Wahrnehmungen insofern passiv, als ich mir offenbar nur dasjenige einprägte, was an mich herankam und meine Aufmerksamkeit erregte, wohingegen ich mit zunehmendem Alter lernte, mich aktiv dem zuzuwenden, was ich sinnlich herausfinden oder entdecken wollte. So lernte ich auch, dass ich nicht die Wahrnehmungen anderer haben kann, dass sie jedoch die Gegenstände ihrer Wahrnehmung so oder so ähnlich beschreiben wie ich. Diese Möglichkeit besteht z. B. nicht im Fall einer natürlichen Beschränkung der visuellen Empfindungen etwa bei jemandem, der von Geburt an farbenblind ist und sich fragt, wie es für ihn wäre, wenn er eines Tages Farben sähe:

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»[…] Würde man die Farbe später im Leben als eine Art Zusatz­ele­ ment erhalten, wäre es eine Überforderung, eine Fülle von Informationen, die man nicht bewältigen könnte. Alles sähe anders aus, ein Vorgang, der mich völlig aus dem Tritt bringen würde. Vielleicht würden die Farben mich auch enttäuschen, nicht das sein, was ich erwarte – wer weiß?«13

Dieser von Geburt an farbenblinde Mann hat keinen Verlust erlitten und kann daher keine Vorstellung von Farben haben und sich nicht an sie erinnern, und insofern ist es ihm nicht möglich, herauszufinden, dass er farbenblind ist; von anderen erfährt er, dass es da so etwas wie Farben gibt, aber das ist ihm unverständlich. Hätte er früher Farbempfindungen gehabt und bei seinen visuellen Wahrnehmungen von anderen gelernt, wie die einzelnen Farben benannt werden, und wäre er danach durch eine Erkrankung farbenblind geworden, dann hätte er einen Verlust erlitten und noch eine Vorstellung von Farben; er wäre dann in der Lage, seine Achromatopsie selbst feststellen zu können. Wer also Farbempfindungen und entsprechende visuelle Wahrnehmungen hat, lernt erst von anderen, dass das, was er sieht, Farben sind. Bei meinen Sinneswahrnehmungen habe ich die entsprechenden Sinnesempfindungen, die jedoch nicht von den Sinneswahrneh­ mungen abhängig sind, wie beispielsweise Merleau-Ponty annimmt: »Der Versuch, Empfindung als reine Impression zu definieren, schlägt fehl. Doch beim Sehen sind Lichter und Farben, beim Hören Laute, beim Empfinden Qualitäten gegeben; genügt es nicht, ein Rot gesehen, ein C gehört zu haben, um zu wissen, was Empfinden ist? – Rot und Grün sind aber nicht Empfindungen, sondern Empfundenes, Qualitäten sind nicht Bewußtseinselemente, sondern Eigenschaften eines Gegenstandes.«14

Eine Rotempfindung habe ich beispielsweise durch ein besonderes Flimmern meiner Augen selbst dann, wenn ich nicht sagen könnte, dass es Rotempfindungen sind. Dem Umstand, dass ich etwas sehe, was rot ist, entnehme ich nicht erst, dass ich Rotempfindungen habe. Meine Farbempfindungen bestehen eigentlich nur in unterschiedlichen Lichtempfindungen; ich kann nur sagen, dass ich Das Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz  |  19

eine Rotempfindung oder ein Bewusstsein von etwas Blauem habe, wenn ich schon gelernt habe, dass etwas rot oder blau genannt wird. Wird von diesem besonderen Lernprozess abgesehen, dann kann zwischen der Rotempfindung und der Wahrnehmung von etwas, was rot ist, oder, wie Moore15 gegen Berkeley zu bedenken gibt, zwischen der Existenz einer Blauempfindung in dem eigenen Bewusstsein und dessen, was blau ist, differenziert werden. Meine Sinnesempfindungen habe ich nur insofern, wie sie mir bewusst sind, und nur so lange, wie sie in meinem Bewusstsein sind; sie fallen mir zu, ich habe sie, ich erlebe sie, ich kann sie nur benennen, wenn ich bereits Sinneswahrnehmungen habe und von anderen lerne, wie sie benannt werden. Ich habe sie also, ohne feststellen zu können, zu glauben oder zu wissen, dass ich sie habe. Wenn sie mir also nur zufallen und ich nicht etwas tue oder tun könnte, um sie zu haben, dann ist es irreführend zu behaupten, ich hätte zu meinen Sinnesempfindungen einen privilegierten Zugang, nämlich so etwas wie eine innere Wahrnehmung, und könne daher bestätigen, dass meine Sinnesempfindungen privat seien und die Eigenschaft hätten, unkorrigierbar zu sein.16

II. Mit meinen Sinnesempfindungen hatte ich schon als Kleinkind Emotionen, wenn mir ein Licht, ein Laut, ein Geruch, ein Geschmack oder eine Berührung angenehm oder unangenehm waren oder wenn ich andererseits satt oder hungrig war oder mir warm oder kalt, wohl oder unwohl war.17 Durch das Verhalten meiner Mutter oder einer anderen Bezugsperson lernte ich, diese Emotionen zu differenzieren und mit ihren Handlungen zu assoziieren. Mit meinem Spracherwerb lernte ich, wie die jeweilige Emotion benannt wird, wenn mir zum Beispiel gesagt wurde, mir würde etwas schmecken, ich sei satt oder hungrig, mir sei warm oder kalt. Mit meinem zustimmenden oder ablehnenden Verhalten erwuchs zunehmend meine Aufmerksamkeit für die Reaktion meiner Mutter oder Bezugsperson, wenn sie mich streichelte, mich lobte oder bewunderte oder ungeduldig, gereizt oder ärgerlich war.18 So zeichnete sich durch ihr und durch mein Verhalten ein inventio20  |  Wo denn bin ich? 

nalistisch noch undurchsichtiges Muster für die Gründe meiner oder ihrer Gefühle ab. Die elementare Tatsache, Emotionen als angenehm oder unangenehm oder allgemeiner als positiv oder negativ zu erfahren, steuerte offenbar den epistemischen Lernprozess, meine Emotionen im Zusammenhang einer wiederholt ähnlich auftretenden Situation auf dasjenige zu beziehen, was ich haben oder nicht haben wollte, was ich also positiv oder negativ bewertete und ich daher als einen Grund für mein Gefühl einzuordnen suchte. Im Zuge dieser Entwicklung erfasste ich die Gründe meiner Gefühle. Wenn ich mich beispielsweise über meinen verlorenen Wohnungsschlüssel ärgerte oder mich über die Anerkennung meiner Arbeit freute, begründete ich meinen Ärger beziehungsweise meine Freude mit der negativen Bewertung meines eigenen Verhaltens oder mit meiner positiven Bewertung des Verhaltens eines anderen: Wäre es mir dagegen gleichgültig, meinen Wohnungsschlüssel verloren zu haben oder eine Anerkennung für meine Arbeit zu finden, dann hätte ich mich nicht geärgert oder gefreut. Ganz entsprechend ist mir das Gefühl eines anderen verständlich durch den Grund, den er mir angibt oder mir mit seinem Verhalten unwillkürlich mitteilt. Dieser inventionalistische Aspekt ist Gegenstand einer kognitivistischen Theorie, die von Hartmann zusammenfassend vorgestellt wird: »Kognitivistische Ansätze gehen davon aus, dass Gefühle intrinsisch mit kognitiven Komponenten wie Überzeugungen, Urteilen oder Bewertungen verbunden sind. Diese kognitiven Komponenten fungieren nicht bloß als mögliche kausale Ursache eines Gefühls, sie sind vielmehr wesentlicher Bestandteil des Gefühls, sie sind in ihrer Spezifität nötig, um ein Gefühl als Gefühl zu identifizieren und um das eine Gefühl vom anderen abzugrenzen. Wir sind auf jemanden wütend, weil wir glauben, dass er uns belogen hat; wir schämen uns unserer Leseschwäche, weil wir annehmen, Lesen gehöre in unseren Breitengraden zu den Grundvoraussetzungen intellektueller Kompetenz; wir sind eifersüchtig auf den Bekannten unserer Frau, weil wir vermuten, dass sie ihn begehrens­wert findet. Ohne diese Überzeugungen, Annahmen oder Ver­mutungen wären wir, so die These des Kognitivismus, nicht wütend, voller Scham oder eifersüchtig.«19 Das Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz  |  21

Es kommt Hartmann darauf an, dass die kognitiven Komponenten aufzeigen, worauf sich das Gefühl richtet oder bezieht; er beruft sich dabei auf Brentanos20 Lehrmeinung, ein psychisches beziehe sich im Unterschied zu einem physischen Phänomen intentional auf ein Objekt: So würden wir beispielsweise sagen, dass wir uns über oder an etwas freuen, dass wir über etwas trauern, dass uns etwas schmerzt oder leid tut. Die intentionale Beziehung auf ein Objekt wird also durch die entsprechenden kognitiven Komponenten wie folgt verdeutlicht: Ein Gefühl an, über, auf oder allgemeiner durch etwas besteht nur dann, wenn für jemanden die eigene Bewertung des Sachverhalts X ein Grund für sein Gefühl Y ist und X möglicherweise unabhängig von ihm existiert. Tiefgreifende Erlebnisse können jemandem eine evaluative Beurteilung eines Sachverhalts gleichsam zwingend auferlegen. Durch besonders einschlägige Lebenserfahrungen verfüge ich über Maßstäbe für meine evaluativ eingeschätzten Sachverhalte, denen ich ohne eine weitere Abwägung entnehme, dass für mich dasjenige, was ich sehe, höre, schmecke oder taste, psychisch bedeutsam ist und sich darin durch das jeweilige aufkommende Gefühl manifestiert. Entfällt eine emotionale Taubheit, wie sie unter anderem Autisten zugeschrieben wird, ist es mir in den evaluativ vorgegebenen Fällen möglich, etwas spontan oder unmittelbar psychisch wahrzunehmen. So kann ich mich direkt auf das beziehen, worauf ich mich freue, warum ich traurig bin, was mich schmerzt oder was mir leid tut. Danach finde ich mit den Wahrnehmungen meines Gefühls unter der mehr oder weniger stillschweigenden Voraussetzung eines entsprechenden evaluativ angenommenen Sachverhalts den Grund meines Gefühls heraus, und insofern erweisen sich meine psychischen Wahrnehmungen als inventional. Ich kann mich dagegen bei der Wahrnehmung eines Gefühls irren, wenn ich den betreffenden Sachverhalt evaluativ unzutreffend als den Grund meines Gefühls unterstellt habe. Die Feststellung meiner psychischen Wahrnehmung kann von anderen nicht überprüft, jedoch unter Umständen im Hinblick auf den jeweils evaluativ eingeschätzten Sachverhalt angenommen oder zurückgewiesen werden. Bei dem Variantenreichtum begründeter Gefühle ist es für manche von ihnen charakteristisch, dass wir uns beispielsweise 22  |  Wo denn bin ich? 

schon über etwas freuen oder über etwas wütend sind, wenn wir es uns nur intensiv und lebhaft vorstellen. So ergeben sich auch Gefühle, wenn sie bereits dadurch begründet werden, dass wir uns etwas intensiv wünschen, dass wir etwas intensiv erwarten, glauben oder vermuten. Emotionen habe ich, sie widerfahren mir, Gefühle differenziere ich in meinen psychischen Wahrnehmungen.21 Der außerordentlich vielseitige Bestand von Emotionen22 ist für die Differenz psychischer Wahrnehmungen instruktiv, ohne die es für uns nicht möglich wäre, zu entdecken oder herauszufinden, was uns jeweils selbst angeht oder betrifft wie z. B. das eigene oder fremdes Verhalten, Beziehungen zu anderen, zu Gegenständen, Ereignissen etc. Für mentale Phänomene wie Sinnesempfindungen oder Emotionen ist es eigentümlich, dass ich sie habe, dass sie unwillkürlich auftauchen oder vergehen, ohne sie epistemisch erfassen zu können. Bei einem Nachbild besteht eine Besonderheit darin, dass meine phänomenale Erfahrung davon abhängig ist, etwas visuell zu erkennen. Ich kann meine Emotionen einem anderen nur mitteilen, wenn er sie so oder so ähnlich schon selbst einmal gehabt hat; ich habe sie nicht wie Ereignisse in meinem Gehirn, ich kann nicht nachweisen, dass ich sie habe, auch nicht dadurch, dass mein Körper »in einem physikalischen Zustand ist oder einem physikalischen Zustand unterliegt«.23 Meine phänomenalen Erfahrungen habe ich; wären sie Ereignisse, dann müsste ich sagen können, ich hätte Ereignisse. Diese epistemische Differenz zeigt sich darin, dass wir Ereignisse, nicht jedoch phänomenale Erfahrungen beobachten können. Die Lehrmeinung, dass eine Emotion von Ereignissen im Kör­ per des jeweiligen Menschen abhängig ist, kann zufolge der außer­ordentlich reichhaltigen und bewundernswert detaillierten neuro­biologischen Forschungsresultate generell als unumstritten angenommen werden; nach ihnen ist es also nicht möglich, ohne diese Abhängigkeit eine Emotion zu haben. Neurobiologen wie auch viele andere Autoren24 erklären diese Abhängigkeit durch eine kausale Beziehung oder durch die Annahme einer Identität. So wird offensichtlich auf Humes Argument Bezug genommen, das Ereignis A sei die Ursache des Ereignisses B immer dann, wenn in unzähligen Fällen festgestellt wird, dass auf das Ereignis  A ausDas Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz  |  23

nahmslos das Ereignis B folgt. Die Neurobiologen reflektieren jedoch nicht den für sie häufig auftretenden Fall, dass auf ein beobachtbares Ereignis A ständig etwas folgt, was weder beobachtbar noch ein Ereignis ist, sondern eine Emotion wie z. B. die Schmerzen, von denen ich ihnen berichte, und das kann nur für denjenigen verständlich sein, der schon selbst einmal Schmerzen gehabt hat. Nehmen wir an, mit A ließen sich genau diejenigen Gehirnvorgänge von Menschen identifizieren, die berichten, dass sie gerade ein Nachbild haben, dann könnten Neurobiologen, denen Nachbilder fremd sind, B nicht erklären. Ungeachtet der Tatsache, dass Neurobiologen B, nämlich mein Nachbild, weder beobachten noch nachweisen können, erklären sie B durch A unter der stillschweigenden Bedingung, dass sie selbst schon einmal ein Nachbild gehabt haben. Ganz entsprechend können sie die Identität zwischen A und B nur unter der Voraussetzung der jeweils eigenen phänomenalen Erfahrung von B behaupten. Wie die kausale Erklärung, so impliziert auch die Annahme der Identität einen neurobiologistischen Psychologismus; denn es wird entweder von beobachtbaren Ereignissen auf mentale Phänomene übergegangen oder Letztere werden mit Ereignissen identifiziert.25 Dieser Bruchstelle ist zu entnehmen, dass bei der einen wie auch bei der anderen Erklärung die phänomenale Erfahrung von B unweigerlich involviert ist, ohne wissenschaftsmethodologisch zulässig zu sein. So wie Ereignisse und mentale Zustände miteinander inkompatibel sind, so werden sie unabhängig voneinander erfasst: Ereignisse werden festgestellt, beobachtet oder der Erforschung zugänglich gemacht, mentale Zustände werden nur jeweils selbst erlebt und können anderen nur mitgeteilt werden, wenn sie ähnliche mentale Zustände schon einmal erfahren haben. Die Tatsache ist paradox, dass derjenige, der einen bestimmten mentalen Zustand hat, sich nicht vorstellen könnte, sich zu fragen, ob er ihn hat, dass er sich aber mit der Frage beschäftigen kann, warum es sich bei ihm so verhält. Neurobiologen könnten ihm, wenn der Forschungsstand dies zuließe und sie eine ähnliche phänomenale Erfahrung schon einmal gehabt haben, die entsprechende Funktion in seinem Gehirn, nicht aber seine mentale Erfahrung erklären. Aus ihren Erkenntnissen resultieren medizinische Forschungsresultate, die es erst ermöglichen, durch Eingriffe oder Medikamente mentale Phänomene ihrer Patienten 24  |  Wo denn bin ich? 

zu steigern, zu minimieren, zu verändern oder zu verhindern, auch wenn oder obgleich sie ihnen selbst fremd sind. In meinen phänomenalen Erfahrungen der Sinnesempfindungen und Emotionen ist es mir möglich, durch sozial induzierte Lernprozesse zu der Fähigkeit sinnlicher und psychischer Wahrnehmungen von etwas zu gelangen, was außerhalb von mir in der Welt ähnlich für andere existiert. Hätte ich nur Emotionen und Sinnesempfindungen, jedoch keine Wahrnehmungen, dann würden mir vermutlich nur vielfältige chaotische Reize gleichsam in dem Dämmerzustand eines Schlafes widerfahren. Mit meinen langsam fortschreitenden sinnlichen und psychischen Wahrnehmungen entwickelt sich offensichtlich das Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz. Ich kann mich nicht von der Frage lösen, warum es so ist, dass ich bin, dass ich ein Bewusstsein von mir selbst habe. Dieses Selbst kann ich nicht feststellen, sondern nur von anderen lernen, wie darüber gesprochen wird, während es für sie unbekannt und nicht existent ist. Das phänomenale Subjekt einer Person kann nicht identifiziert werden, wie Nagel von sich selbst zu bedenken gibt: »Selbst wenn alles, was in der angegebenen Weise gesagt werden kann, gesagt und die Welt in einem Sinne vollständig beschrieben worden ist, scheint eine Tatsache übrig zu bleiben, die nicht ausgesprochen wurde, und das ist die Tatsache, dass ich Thomas Nagel bin.«26 Wie das eigene Selbst mir vorgegeben ist, so habe ich es nur außerhalb der mir epistemisch zugänglichen Welt; da es fern und mir nahe ist und ich weder dort noch nicht dort bin, wo mein Körper ist, zeigt sich mir das Utopische des eigenen Selbst, wenn ich mich frage: Wo denn bin ich?

Das Phänomen des Bewusstseins der eigenen Existenz  |  25

2.  Die behavioristische Fehldeutung der Handlung Für den Begriff der Handlung sind gegenwärtige Auseinandersetzungen27 über Feststellungen irritierend wie z. B. »Jemand verursacht den Tod eines Menschen dadurch, dass er ihn nicht verhindert hat« und »Jemand verursacht etwas und hat dadurch den Tod eines Menschen verhindert«. Wenn er zum einen nichts tut, wie kann er dann den Tod eines Menschen verursacht haben, und wenn er zum anderen den Tod eines Menschen verhindert hat, wie kann da etwas sein, was nicht existiert? Um diese Fragen erörtern zu können, scheint es notwendig zu sein, drei Problemkreise zu klären, die sich im Zusammenhang von (I) Verhaltens- und Handlungsbeschreibungen, (II) Handlungen und Unterlassungshandlungen und (III) Ereignissen und Handlungen ergeben.

I. Für die Beschreibung der Handlung einer Person ist anscheinend ihr Verhalten aufschlussreich wie z. B., wenn wir sehen, dass ein Mann die Tür eines Ladens öffnet, in den Laden geht, mit einer Zeitung herauskommt und einige Schritte weiter bei der Bushaltestelle stehen bleibt. Wir können dann berichten, er sei in den Laden gegangen, habe eine Zeitung gekauft und anschließend auf den Bus gewartet. Würden wir ihn fragen, was er gerade getan habe, dann könnte er uns glaubhaft erklären, er habe nur zufällig die Klinke der Tür berührt, sich dann erst entschlossen, die Tür zu öffnen und in den Laden zu gehen, ihm sei die Zeitung vom Vortage geschenkt worden und er sei dann einige Schritte weiter unschlüssig stehen geblieben. Ähnlich geht es uns, wenn wir beispielsweise sehen, dass Monika von außen die Tür öffnet. Dann sind wir spontan der Meinung, sie habe die Tür öffnen wollen, obgleich wir einräumen müssten, dass wir weder sehen noch beobachten konnten, ob sie willentlich, absichtlich, unabsichtlich, versehentlich oder zerstreut die Tür geöffnet hat oder ob ihr als Schlafwandlerin oder unter   |  27

irgendwelchen Drogen nicht bewusst war, dass sie etwas getan hat. Mit diesem Verhalten von etwas werden beobachtbare Sachverhalte beschrieben wie die Bewegungen eines Körpers, der Beine, eines Arms, einer Hand und der Tür; wird das Verhalten Monika zugeschrieben, dann wird es mentalistisch interpretiert. Wir beobachten die Bewegungen von etwas, nicht jedoch von einer Person und auch nicht dasjenige, was sie beabsichtigt oder tun will. Bei einer Handlung wird der handelnden Person eine Intention zugeschrieben, in der Annahme, ihr sei bewusst, was sie tut, auch wenn sie unbeabsichtigt, zerstreut oder versehentlich etwas tut.28 Wir unterscheiden danach zwischen einer Handlung und einer Fehlhandlung. Dagegen liegt eine Scheinhandlung vor, wenn der handelnden Person nicht bewusst ist oder nicht bewusst sein konnte, was sie tat; es kann dann nur ein Ereignis festgestellt werden. Eine Ausnahme von Handlungen besteht dann, wenn die handelnde Person nicht wissen konnte, was sie tat, wenn z. B. Ödipus die Königin von Theben heiratet, ohne zu wissen, dass sie seine eigene Mutter ist. Nur bei einer Handlung oder einer Fehlhandlung kann die handelnde Person sinnvoll gefragt werden, warum sie so, oder wie es geschehen konnte, dass sie so gehandelt hat. Andererseits können wir uns in der Meinung täuschen, ein Ereignis zu sehen, ohne mit ihm eine Handlung zu erfassen. Wenn wir beispielsweise sehen, dass ein Mann vom Pferd gefallen ist, dann nehmen wir an, es sei ein Unglück, also ein Ereignis geschehen; es könnte jedoch sein, dass der Mann rasch aufsteht und sich veranlasst sieht, uns zu versichern, er sei ein Artist und übe, so vom Pferd zu fallen, dass die Menschen den Eindruck haben, es sei ein Unglück geschehen. Wir konnten durch sein Verhalten nur ein Ereignis beobachten, nicht jedoch seine Handlung. Wir beobachten ständig, wie sich etwas verhält, beispielsweise eine Sturmflut, ein Brand oder die Funktion einer Maschine. Wird das Verhalten dagegen einer Person zugeschrieben, dann kann es probabilistisch der Annahme einer Handlung zugrunde gelegt werden. In alltäg­ lichen Situationen bemerken wir nicht, wie das beobachtete Verhalten fälschlich mit der Handlung einer Person identifiziert wird wie z. B. bei der Behauptung »Sie biegt links ab« oder »Er telefoniert gerade«. Wir haben dann den falschen Eindruck, wir hätten sehen können, dass sie links abbiegen und er etwas telefonisch mitteilen 28  |  Die behavioristische Fehldeutung der Handlung 

wollte. Die Interpretation des Verhaltens von etwas ist für die Annahme einer Handlung instruktiv, jedoch nicht ausreichend. Wenn wir beispielsweise behaupten, dass Monika die Tür öffnet, dann können wir beobachtet haben, Monika habe ein Ereignis, nämlich die Öffnung der Tür, herbeigeführt. Sie ist nicht selbst die Ursache dieses Ereignisses, vielmehr ist die Ursache der Öffnung der Tür der von ihr ausgeübte Druck gegen die Tür, der genauso gut durch irgendeine andere Kraft, wie z. B. durch einen Sturm, durch einen Durchzug oder durch einen Gegenstand, der gegen die Tür fällt, verursacht werden könnte. Grundlegend sind also zwei Ereignisse, die zueinander in einem kausalen Verhältnis stehen, von denen wir nur das letztere beobachten können: Wir sehen nicht die von Monika vermutlich absichtlich ausgeübte Kraft gegen die Tür, sondern nur die Öffnung der Tür. Würden wir von ihrer Absicht oder ihrem Willen gänzlich absehen, wie das der Fall wäre, wenn sie unter extremen Bewusstseinsstörungen oder als Schlafwandlerin den Druck gegen die Tür ausübte, dann würden wir die Öffnung der Tür nur als ein Ereignis beschreiben können, das stattgefunden hat. Die von Monika ausgeübte Kraft gegen die Tür kann nicht beobachtet, sondern nur von ihr selbst empfunden werden. Da wir über analoge Erfahrungen verfügen, ist die Annahme für uns plausibel, Monika habe durch ihre Muskelkraft einen Druck gegen die Tür ausgeübt und dadurch die Öffnung der Tür verursacht. Dabei ist es bemerkenswert, dass zwei Ereignisse in Abhängigkeit von ihr stattfinden. Dieser Sachverhalt verändert sich bei einer Fehlhandlung nur unwesentlich, wenn beispielsweise behauptet wird, Monika habe unbeabsichtigt oder versehentlich die Tür geöffnet. Normalerweise unterstellen wir, dass jemandem auch dann bewusst ist, was er tut, wenn er bei seinen Handlungen nicht konzentriert, unaufmerksam, leichtfertig oder »nicht bei der Sache« ist. In solchen Fällen ist er für seine Handlung verantwortlich, und zwar auch dann, wenn er dasjenige, was er getan hat, eigentlich nicht tun wollte. Für die handelnde Person ist es entscheidend, dass sie sich dessen bewusst ist, dass sie etwas tut oder getan hat. Um begriffliche Verwirrungen zu vermeiden, ist es notwendig, die Absicht der handelnden Person auf deren phänomenale Erfahrung zu beschränken und von ihrem Motiv inhaltlich zu trennen. Mit einer Handlung wird eine Tatsache, nämlich etwas Die behavioristische Fehldeutung der Handlung  |  29

beschrieben, was die handelnde Person tatsächlich tut oder getan hat, und daher ist es möglich, ihre Handlung nach moralischen oder rechtlichen Maßstäben oder hinsichtlich der sachlichen Angemessenheit zu beurteilen, ohne ihre Motive, Gesinnung, Wünsche und Intentionen zu kennen. So kann zum Beispiel ihr Motiv als niederträchtig oder verwerflich beurteilt werden, auch wenn ihre Handlung moralisch oder rechtlich als gut oder richtig eingeschätzt wird. Begrifflich ist es daher missverständlich, eine Handlung als ehrenwert oder heimtückisch aufzufassen; denn dabei wird die Beurteilung der Gesinnung der handelnden Person nicht von der Beurteilung ihrer Handlung unterschieden. Die Differenz zwischen dem Motiv und der Absicht einer Person ist zwar umgangssprachlich nicht bedeutsam, sie ist jedoch für die Wider­ legung einer gesinnungsethischen Lehrmeinung29 unentbehrlich.

II. Wenn wir beobachten, dass Monika an einer Tür vorbeigeht und sie nicht öffnet und wir ihr keinen Grund zuschreiben, die Tür zu öffnen, dann können wir nicht behaupten, sie habe es unterlassen, die Tür zu öffnen. Eine Unterlassungshandlung wird dagegen angenommen, wenn sie mit negativen Folgen verbunden ist, wenn zum Beispiel Monika versehentlich nicht die Herdplatte ausschaltet und dadurch der Brand des Hauses verursacht wird. Es scheint irritierend zu sein, dass jemand etwas nicht tut und insofern ein bestimmtes Ereignis nicht stattfindet und dass gerade dadurch ein anderes Ereignis so stattfindet, als hätte er es verursacht. Unter diesem Eindruck bezieht sich zum Beispiel Dowe auf Ereignisse, die nicht stattfinden, entweder weil sie unterlassen oder weil sie verhindert werden: »We might be tempted to think that preventions, such as ›the father’s grabbing the child prevented the accident‹, and cases of causation by omission, such as ›the father’s inattention was the cause of the child’s accident‹, are examples of causation. Such cases are ›causation‹ by prevention or omission, and they almost always involve negative events or facts as one or both of the relata.«30 30  |  Die behavioristische Fehldeutung der Handlung 

Dowe sieht sich veranlasst, hierfür einen besonderen Begriff der Kausalität anzunehmen und führt dann aus: »For example, in ›the father’s inattention was the cause of the accident‹, the effect is a real occurrence, but the cause is an omission, a failure to do something. On the other hand, in ›his grabbing the child prevented the accident‹, the cause is a real occurrence but the effect is the nonoccurrence of something. The former is omission, the later prevention, but in both cases we have causation*, and both cases involve negative events or facts.«31

Unvermeidlicherweise sieht sich Dowe daraufhin mit verwirrenden Fragen konfrontiert: »How can anything cause an event to not happen? Or how can something that doesn’t exist actually cause anything?«32

Die Behauptung »the father’s inattention was the cause of the accident« bezieht sich, nehmen wir einmal an, auf den folgenden Vorfall: Der Vater ergriff in seiner Unaufmerksamkeit nicht das Kind, das in den Fluss fiel und ertrank. Die Folgen seiner Unterlassungshandlung bestehen in zwei Ereignissen, nämlich in dem Fallen des Kindes und in dessen Tod, die beide unabhängig von dem Vater stattfinden und auch unabhängig von ihm beobachtbar sind. Wenn jemand es unbeabsichtigt unterlässt, E zu tun (z. B. das Kind zu ergreifen), dann lässt er es geschehen, dass E nicht und stattdessen E1 stattfindet und möglicherweise dadurch E2 verursacht wird. Viele Ereignisse wie z. B. ein Erdbeben können wir nicht, einige von ihnen wie z. B. den Brand eines Hauses können wir verhindern. Ereignisse werden als destruktive Folgen von Unterlassungshandlungen nur in Betracht gezogen, wenn sie verhindert werden könnten und nach allgemeiner Meinung verhindert werden sollten. Wenn es für jemanden möglich ist, E zu tun und seine Unterlassung von E die Ereignisse E1 und E2 zur Folge hat, dann kann zwischen seiner Unterlassungshandlung und diesen Ereignissen ein Zusammenhang nicht deskriptiv festgestellt, sondern nur evaluativ beurteilt werden. Die Tatsache, dass E1 und E2 als Folgen der Unterlassungshandlung des Vaters stattfinden, ist dem Die behavioristische Fehldeutung der Handlung  |  31

Umstand geschuldet, dass er sie nicht verhindert hat, obgleich er sie hätte verhindern können. Die Frage, wie diese Unterlassungshandlung die beiden Ereignisse bewirkt, kann daher nicht sinnvoll gestellt werden: »Wie kann etwas, was nicht stattfindet, bewirken, dass etwas anderes stattfindet?«33 Wenn andererseits der Vater das Kind ergreift, dann führt er kausal ein Ereignis herbei und verhindert dadurch ein Ereignis, das nicht stattfindet, nämlich dass das Kind in den Fluss fällt und dass dieses Ereignis die Ursache dafür ist, dass das Kind ertrinkt. Da die beiden Ereignisse, nämlich das Ergreifen des Kindes und sein Fallen in den Fluss nicht zusammen stattfinden können und das erstere das Stattfinden des letzteren ausschließt, kann es zwischen ihnen insofern kein kausales Verhältnis geben, als mit dem Ausdruck ›Das Fallen des Kindes in den Fluss‹ kein Ereignis beschrieben wird. Wenn jemand vergisst, die Herdplatte einzuschalten, dann ist die ausfallende Erwärmung der Herdplatte kein Ereignis, und insofern gibt es dieses Ereignis nicht. Es ist also nicht möglich, ein Ereignis, das nicht stattfindet, kausal mit einem Ereignis in Verbindung zu bringen. Das unabsichtlich unterlassene Ereignis E würde also, wenn es stattfände, dazu führen, dass E1 nicht stattfinden und E1 nicht die Ursache von E2 sein könnte. Aus der Analyse einer unterlassenen wie auch einer verhinderten Handlung resultiert daher nicht ein neuer Aspekt der Kausalität.34 Wenn der Vater z. B. in seiner Unaufmerksamkeit das Kind nicht ergreift, obgleich er es hätte ergreifen können, und das Kind in den Fluss fällt und ertrinkt, dann hat er den Tod des Kindes verschuldet, ohne ihn gewollt, verursacht, irgendwie herbeigeführt oder bewirkt zu haben. Im Hinblick auf solch einen Fall kann man nicht wie Birnbacher35 behaupten, durch ein Nicht-Eingreifen von jemandem werde der Tod eines anderen bewirkt. Es ist erforderlich, in Rechnung zu stellen, dass er den Tod des anderen weder bewirken konnte noch bewirken wollte, er hat ihn nicht getötet, er hat nur seinen Tod nicht verhindert, obgleich er ihn hätte verhindern können. Wenn er dagegen absichtlich nicht eingreift, wenn er z. B. ein lebenswichtiges Medikament einem Schwerkranken vorenthält und dessen Tod erwartet, der auch tatsächlich eintritt, dann hat er ihn bewirkt oder dadurch herbeigeführt, dass er dessen Tod absichtlich nicht verhindert hat. In der Annahme, man 32  |  Die behavioristische Fehldeutung der Handlung 

werde ihm die vorgetäuschte Unterlassungshandlung nicht nachweisen können und ihm glauben, er habe unabsichtlich dem Kranken das Medikament vorenthalten, versucht er zu kaschieren, dass er den Tod des Kranken herbeigeführt hat. Während die Folgen bei einer Unterlassungshandlung von der betreffenden Person unverantwortlicherweise nicht beachtet und insofern nicht verhindert werden, werden sie bei einer vorgetäuschten Unterlassungshandlung dazu instrumentalisiert, dass sie absichtlich nicht verhindert werden. Der Tod des Schwerkranken ereignet sich unabhängig von der Frage, ob ihm das lebenswichtige Medikament absichtlich oder unabsichtlich vorenthalten wird. Obgleich sein Tod weder in dem einen noch in dem anderen Fall wie durch Vergiftung, Gewalt oder dergleichen verursacht wird, erfüllt die vorgetäuschte Unterlassungshandlung den Tatbestand einer vorsätzlichen Tötung. So wird der Tod eines Menschen bei einer Unterlassungshandlung verschuldet36, nicht jedoch herbeigeführt und bei einer vorgetäuschten Unterlassungshandlung verschuldet, herbeigeführt, nicht jedoch kausal herbeigeführt. Für die Frage, wie und in welcher Weise eine Handlung, eine Fehlhandlung, eine Unterlassungshandlung als Fehlhandlung oder wie eine vorgetäuschte Unterlassungshandlung als Handlung jeweils einzuschätzen sei, ist es erforderlich, verschiedenartige, vielfältige und zuweilen äußerst schwer zugängliche Sachverhalte für eine moralische Sichtweise oder für die Rechtsprechung herauszufinden. Einige der erwähnten Autoren versuchen, mit der Annahme einer exzeptionellen Kausalität die Beziehung zwischen Unterlassungshandlungen und deren Folgen durch die Erörterung eines Problems zu klären, wie es beispielsweise von Moore formuliert wird: »How are we to make sense of this moral distinction except with a metaphysical distinction between killing and not-saving, or more generally, between actions causing and omissions failing to prevent?«37

Es ist wichtig, begrifflich zu beachten, dass es weder möglich ist, ein Ereignis, das nicht stattfindet, mit einem Ereignis noch eine Handlung, die nicht stattfindet, mit einer Handlung zu identifizieren.38 Der Gesichtspunkt, dass eine Unterlassungshandlung mit Die behavioristische Fehldeutung der Handlung  |  33

mindestens einem Ereignis verbunden wird, das stattfindet, ist daher genauso wenig undurchsichtig wie der Gesichtspunkt, dass ein Ereignis stattfindet, durch das ein anderes verhindert wird.

III. Wenn Handlungen einer Unterklasse von Ereignissen angehören, dann ist es nach Davidson möglich, auch Handlungen kausal zu erklären: »Wenn ich sage, Schmidt habe das Haus angezündet, um die Versicherungssumme zu kassieren, erkläre ich seine Handlung zum Teil dadurch, daß ich eine ihrer Ursachen nenne, nämlich seinen Wunsch, die Versicherungssumme zu kassieren.«39

Oder: »Hat Brutus Caesar mit der Absicht ermordet, einen Tyrannen zu beseitigen, dann war der Wunsch der Tyrannenbeseitigung eine Ursache seiner Handlung und der Tod Caesars war eine Wirkung.«40

Wie kann der Wunsch von Schmidt oder die Absicht von Brutus als ein unbeobachtbares Ereignis als die Ursache eines beobachtbaren Ereignisses festgestellt werden? Das phänomenale Subjekt von Handlungen wird offenbar aufgelöst, wenn das Verhalten von jemandem oder von etwas zunehmend mit einem Ereignis identifiziert wird. In dieser Hinsicht wird eine Argumentation von Birnbacher41 offensichtlich zugespitzt: »Im Prozess der Säkularisierung wird das, was für den Theisten Handlungen Gottes und für den Animisten Handlungen von Geistern sind, zu neutralen Ereignissen ohne personalen oder quasipersonalen Hintergrund. Einschneidende Lebensereignisse wie Partnerwahl, Schwangerschaft, Geburt, schwere Krankheit und Tod werden nicht mehr, sofern sie als positiv erlebt werden, als Gottesgaben, sofern sie als negativ erlebt werden, als Prüfungen 34  |  Die behavioristische Fehldeutung der Handlung 

oder Strafen aufgefasst, sondern als Eckpunkte einer von einer nicht-personalen naturgesetzlichen Ordnung vorbestimmten Existenz. Die Frage nach dem Nicht-Eingreifen Gottes mutiert zur Frage nach den Möglichkeiten einer Verhinderung oder Abmilderung des Übels mit den Mitteln von Bildung, Moral, Technik, Medizin und Psychotherapie. Aus Handlungen werden Naturereignisse, aus Unterlassungen Naturkatastrophen, natural erklärbare Erkrankungen und statistisch erwartbare Funktionsmängel.«42

Birnbacher fügt etwas weiter unten ergänzend hinzu: »Mit dem Fortschritt der Automatisierung werden mehr und mehr Verrichtungen von personalen Akteuren an technische Systeme ohne direkten personalen Akteur delegiert. Immer mehr Formen des Handelns werden auf automatische, insbesondere computergestützte nicht-personale Prozesse verlagert. Mit der Grenze zwischen Handlungen und maschinellen Abläufen wird damit auch die zwischen Unterlassungen und maschinellen Fehlfunktionen durchlässig. Wenn heute eine Banküberweisung beim Empfänger nicht wie beabsichtigt eingeht, ist in der Regel nicht mehr das Fehlverhalten des Bankangestellten im Spiel, sondern ein Fehler in der Funktionsweise eines Großrechners.«43

Durch computergestützte Abläufe können Handlungen wie auch Unterlassungshandlungen simuliert werden, sie sind jedoch selbst weder das eine noch das andere. Wenn die Banküberweisungen wiederholt nicht die Empfänger erreichen, dann wird man darauf angewiesen sein, die Funktions­ weise des Großrechners zu überprüfen. Man kann dem Großrechner ein Fehlverhalten zuschreiben, in diesem Sinne jedoch nicht dem Bankangestellten; denn die fehlende Banküberweisung könnte als eine Unterlassungs- oder als eine vorgetäuschte Unterlassungshandlung interpretiert werden. Man kann daher der Frage nachgehen, ob er unabsichtlich und versehentlich oder ob er beabsichtigt und willentlich das Geld nicht überwiesen hat. Dagegen scheint es Birnbacher auf die behavioristische Lehrmeinung über das Fehlverhalten des Großrechners anzukommen:

Die behavioristische Fehldeutung der Handlung  |  35

»Handlungen sind eine Untergruppe – wenn auch eine besonders herausgehobene – von Ereignissen wie Unterlassungen eine Untergruppe von Nicht-Ereignissen.«44

Wir stoßen hier wiederholt auf die epistemische Bruchstelle zwischen Ereignissen und Handlungen: Wir können Ereignisse im Gehirn oder Ereignisse in der Welt beobachten, von denen einige herbeigeführt und andere nicht verhindert werden, wohingegen es nicht möglich ist, eine Handlung oder die Absicht der handelnden Person zu beobachten. Diesem epistemischen Argument ist die Schlussfolgerung zuzuschreiben, eine behavioristische Fehldeutung liege vor, wenn Handlungen als Ereignisse interpretiert oder durch Ereignisse kausal erklärt45 oder Unterlassungshandlungen mit Handlungen identifiziert werden.

36  |  Die behavioristische Fehldeutung der Handlung 

3.  Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen Solange die Menschen von der jährlich wiederkehrenden Nilschwemme überzeugt waren, haben sie sich offensichtlich nicht wie Thales gefragt, warum es sich so verhält. Obgleich sich Thales in seiner Erklärung irrte, die dennoch hätte richtig sein können46, war vielmehr seine rationale Argumentation für die Nilschwemme entscheidend; denn sofern er für sie einen hinreichenden Grund fand, konnte er behaupten, zu wissen, warum sie stattfindet.47 Es schien dann unvermeidlich zu sein, zu klären, was Wissen eigentlich sei, und dabei auf den Begriff der Meinung oder Überzeugung zurückzugehen. So taucht bei Platon die These auf »… wahre Meinung verbunden mit Erklärung sei Wissen«48, die irgendwie den Rang einer Standardauffassung der Definition für den Begriff des Wissens eingenommen hat. I. In einem epochemachenden Artikel geht es Gettier49 um die Widerlegung der angeblichen Standardauffassung von Wissen als gerechtfertigte wahre Meinung (Überzeugung)50, nach der jemandem durch die Erfüllung von drei Wissensbedingungen ein entsprechendes Wissen zugeschrieben wird. Wenn (1) die Aussage p wahr ist, (2) eine Person S glaubt, dass p, (3) S gerechtfertigt ist zu glauben, dass p, dann könne festgestellt werden »S weiß, dass p«. Aus der zweiten Wissensbedingung geht nicht genügend deutlich hervor, inwiefern S eigentlich glaubt, dass p. Aus Anwendungsbeispielen können wir jedoch entnehmen, dass sich S bei seiner Meinung auf einen Grund bezieht. Danach ergibt sich die Rechtfertigung einer Meinung folgendermaßen: Wenn S einen Grund hat, zu glauben, dass p, und sich herausstellt, dass p wahr ist, dann   |  37

ist S gerechtfertigt, zu glauben, dass p. Die erforderlichen Wissensbedingungen sind nach Gettier auch dann erfüllt, wenn die zweite Wissensbedingung abgewandelt wird und S einen Grund hat, etwas zu glauben, was nur zufällig wahr ist und daher von S nicht gewusst werden kann. Da damit die Standardauffassung erschüttert und mit ihr die Lehrmeinung von der Definition des Wissens infrage gestellt wurde, hat Gettiers Einwand eine immense Irritation und eine endlose Diskussion ausgelöst, die von Beckermann dramatisch beschrieben wird: »Die traditionelle Antwort auf die Frage, was denn Wissen sei, wenn es nicht einfach mit wahrer Überzeugung gleichgesetzt werden kann, lautete bis 1963: Wissen ist gerechtfertigte wahre Überzeugung. In diesem Jahr zeigte Edmund Gettier jedoch, dass es durchaus Fälle gibt, in denen jemand über eine gerechtfertigte wahre Überzeugung verfügt, in denen wir aber trotzdem nicht sagen würden, diese Person wisse das, wovon sie überzeugt ist. Seither ist eine nicht enden wollende Debatte darüber entbrannt, wie man die traditionelle Wissensdefinition verbessern oder verändern müsse, um mit diesen sogenannten Gettier-Fällen fertig zu werden.«51

Nach Grundmann ist daher von einer »Wende in der Erkenntnistheorie« auszugehen.52 So wird auf das Gettierproblem programmatisch Bezug genommen, wenn dessen Voraussetzung festgeschrieben wird wie zum Beispiel von Bernecker: »Der Standardanalyse von Wissen zufolge weiß eine Person, dass p, genau dann, wenn p der Fall ist, wenn die Person davon überzeugt ist, dass p, und wenn sie in dieser Überzeugung gerechtfertigt ist.«53

Es ist auffallend, dass die Standardauffassung von Wissen als gerechtfertigte wahre Meinung (Überzeugung) allgemein übernommen, jedoch niemals anhand eines Beispiels getestet wird. Diese Möglichkeit besteht, wenn die Wissensbedingungen in Gettiers Beispielen nicht für die Widerlegung, sondern für die Anwendung der Standardauffassung als Fälle von Wissen in Betracht gezogen werden: 38  |  Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen  

(a) Die Aussage »Jones ist der Eigentümer eines Fords« ist wahr. (b)  Da Jones offensichtlich seit Jahren ständig mit demselben Ford unterwegs ist, glaubt Smith, Jones sei der Eigentümer dieses Wagens. Nach den beiden Wissensbedingungen (a) und (b) ließe sich nach der Standardauffassung die dritte Bedingung formulieren: (c) Smith ist gerechtfertigt zu glauben, Jones sei der Eigentümer eines Fords und daraufhin feststellen: »Smith weiß, dass Jones der Eigentümer eines Fords ist.« Würde ihn jemand fragen: »Woher weißt du, dass Jones der Eigentümer des Fords ist?«, dann würde er vermutlich einräumen, er wisse es eigentlich nicht, er nehme es vielmehr an, weil Jones immer mit diesem Ford unterwegs sei. Wir können Smith zustimmen, er habe einen guten Grund für diese Meinung, wir würden jedoch entschieden den Standpunkt vertreten, er könne nicht behaupten, zu wissen, dass Jones der Eigentümer dieses Wagens ist, und er habe es auch nicht gewusst, wenn es sich tatsächlich so verhält; denn der von ihm angegebene Grund und auch der Umstand, dass er gerechtfertigt ist, diese Meinung zu haben, reichen offensichtlich nicht dafür aus, dass er es weiß oder gewusst hat. Bei einer polizeilichen Vernehmung würde die Meinung oder Überzeugung von Smith nicht akzeptiert werden. Der Polizist würde stattdessen die Einsicht in Jones’ Kraftfahrzeugbrief einfordern und wird in dem Fall, dass die Angaben von Smith bestätigt werden, in die Lage versetzt, behaupten zu können, zu wissen, dass Jones der Eigen­ tümer des Fords sei; dabei stützt sich der Polizist auf einen Grund, den er als hinreichend einschätzt, ohne dabei Zweifel oder eine Fälschung vollständig ausschließen zu können. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich bei Gettiers anderem Beispiel. Aus den beiden Wissensbedingungen: (a') Die Aussage »Derjenige bekommt die Stelle, der zehn Münzen in seiner Hosentasche hat« ist wahr. und (b') Durch die Zusicherung des Chefs der Firma glaubt Smith, dass Jones die Stelle erhalten wird, der, wie Smith unlängst festgestellt hat, zehn Münzen in seiner Hosentasche hat. Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen  |  39

ergibt sich die dritte Wissensbedingung (c') Smith ist gerechtfertigt, zu glauben, dass Jones die Stelle bekommt, der zehn Münzen in seiner Hosentasche hat. Daraufhin wird behauptet: Smith weiß, dass Jones die Stelle bekommt. Auch in diesem Fall können wir Smith zustimmen, seine Meinung oder Überzeugung sei gerechtfertigt, aber wir würden nicht sagen, er wisse, dass Jones diese Stelle bekommt. So wäre nicht die Auskunft des Chefs über die Anstellung von Jones, sondern Jones’ Arbeitsvertrag ein hinreichender Beleg beispielsweise für einen Wohnungsvermieter dafür, dass Jones die Stelle bei dieser Firma bekommen hat. Für die Standardauffassung verweist Gettier auf ein ähnliches Argument von Ayer, der sich ebenfalls auf drei Wissensbedingungen beruft: »I conclude then that the necessary and sufficient conditions for knowing that something is the case are first that what one is said to know be true, secondly that one be sure of it, und thirdly that one should have the right to be sure.«54

Aus der zweiten Wissensbedingung von Ayer wird nicht ersichtlich, auf welche Kriterien der Sicherheit eigentlich Bezug genommen wird. Im Hinblick auf die Frage, ob Jones der Eigentümer des Fords ist, könnte Smith sicher sein, weil er beobachtet hat, dass Jones ständig mit dem Ford unterwegs ist, oder Smith könnte sicher sein, weil er Jones Kraftfahrzeugbrief in der Hand gehabt hat. Die Standardauffassung von Wissen ist also durch die zweite Wissensbedingung fragwürdig, nach der es nicht möglich ist, die unterschiedliche Qualität von Gründen für p bei der Meinung und bei dem Wissen, dass p, auseinander zu halten. Die drei Wissensbedingungen sind offensichtlich für die Feststellung eines Wissens nicht zielführend. Es scheint mir notwendig zu sein, diesen Umstand genauer zu untersuchen.

40  |  Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen  

II. In sehr vielen unterschiedlichen Gesprächssituationen sprechen wir davon, dass etwas der Fall ist, dass sich etwas ereignet, oder von einem Sachverhalt, ohne dass wir uns genauer damit befassen, was wir übereinstimmend meinen oder zu wissen behaupten. Bei diesen Gesprächsgewohnheiten kommt es gelegentlich vor, dass ich eine Person, die von einem Sachverhalt p spricht, verwundert, neugierig, interessiert, skeptisch fragen könnte: »Warum bist du der Meinung, dass p?«, und zwar unter der Voraussetzung, sie habe diese Meinung. Sie könnte dann ihre Meinung begründen durch etwas, was sie gehört, gelesen oder jemand ihr erzählt hat, oder indem sie auf noch nicht abgeschlossene Untersuchungen verweist; sie hat eine Meinung, ich kann sie ihr nicht nehmen, nicht absprechen und auch nicht behaupten, sie habe diese Meinung nicht, ich kann ihr jedoch entgegnen, dass ich ihre Meinung nicht teile oder nicht habe. Die Meinung oder Überzeugung, dass p, kann sie haben, auch wenn sie sich auf einen Grund für p beruft, der subjektiv, unwahrscheinlich oder äußerst unplausibel ist. Würde ich sie in dem Gespräch stattdessen fragen: »Woher weißt du, dass p?«, dann würde ich mit meiner Frage stillschweigend voraussetzen, sie sei kompetent, einen hinreichenden oder mehrere Gründe als hinreichend für p aufzuzeigen. So könnte ein Sachverhalt ein hinreichender Grund dafür sein, dass etwas der Fall ist, wie andererseits ein Ereignis ein hinreichender (kausaler) Grund dafür sein könnte, dass etwas geschehen ist. Beurteile ich ihre Gründe für p als unzureichend, dann erweist sich meine Frage als verfehlt, da ich zu dem Schluss gelange, sie wisse offensichtlich nicht, dass p; ich kann ihr also absprechen, dieses Wissen zu haben. Die verschiedenartigen Fragen nach einer Meinung oder nach einem Wissen werden zum Beispiel von Tetens im Zusammenhang mit einer Begründung nicht in Rechnung gestellt: »Eine Begründung beantwortet die Frage, warum man glaubt, dass eine bestimmte Aussage wahr ist.«55 Wenn also jemand etwas behauptet, dann können wir ihn entweder fragen »Warum glaubst du das?« oder »Woher weißt du das?«. Bezieht er sich auf einen unzureichenden Grund, dann behauptet er, eine Meinung zu haben, hat er dagegen einen hinreiDie epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen  |  41

chenden Grund, dann kann man feststellen, dass er es weiß. Die Angabe eines Grundes kann immer in Frage gestellt werden, zweifelhaft, revisions- oder ergänzungsbedürftig sein. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch nicht die Nivellierung der Differenz zwischen Meinung und Wissen, dass p, wenn p wahr ist; diese Differenz wird absorbiert, wenn zum Beispiel Tetens allgemein feststellt: »Die Ideale der Wissenschaft kreisen alle um das eine Ziel, die Irrtümer und Einseitigkeiten in unseren Überzeugungen von der Welt aufzudecken und durch wahre und vollständige Überzeugungen zu ersetzen.«56 So wäre es zum Beispiel für Veronika außerordentlich bedeutsam, ob ein Arzt den Grund feststellt, warum er der Meinung ist, oder ob er einen Grund für sein Wissen angibt, dass sie Tuberkulose hat. Ähnlich verhält es sich, wenn sie darauf besteht, von einem Kraftfahrzeugmechaniker zu erfahren, ob er der Meinung ist oder ob er feststellt, dass er weiß, dass ihr Auto einen Motorschaden hat. Es gibt natürlich Situationen, in denen jemand für die Feststellung eines Wissens hinreichende Gründe hat und es dennoch vorzieht, diese Gründe noch zu überprüfen und nur seine Meinung zu äußern. Wenn wir dagegen über weithin anerkannte hinreichende Gründe für p verfügen, dann ist es irreführend, unaufrichtig oder möglicherweise bewusst täuschend zu sagen, wir seien der Meinung, dass p. In Rezensionen oder Forschungsberichten wird zum Beispiel genau unterschieden, ob wir meinen oder ob wir wissen, dass etwas der Fall ist. So wäre es bei solchen Gelegenheiten unverständlich zu bemerken: »Ich glaube, dass die Erde sich um die Sonne bewegt« oder »Wir sind der Überzeugung, dass Kupfer Strom leitet«. Bei vielen Aussagen eines Wissens werden Gründe als ausreichend oder hinreichend akzeptiert, die bei einer anderen Gelegenheit als schwach eingeschätzt und daher gänzlich zurückgewiesen werden. In einer bestimmten Situation könnte jemand sagen: »Ich weiß das, weil ich das in der Schule so gelernt habe«, »Das weiß ich von meinem Onkel« oder »Das weiß ich, weil ich es soeben in einem Lexikon nachgeschlagen habe«.57 Solche Gründe könnten gelegentlich als ausreichend oder hinreichend eingeschätzt werden, wohingegen sich jemand bei einer anderen Gelegenheit mit derartigen Gründen lächerlich machen würde. 42  |  Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen  

Wenn eine Person behauptet, sie wisse, dass p, dann könnte sie feststellen, sie sei sicher, dass p, aber das besagt nicht, wie Grundmann annimmt, sie habe dann eine feste Überzeugung: »Es scheint ein einfaches Argument für die Richtigkeit der Überzeugungsbedingung zu geben. Es ist nämlich absurd zu sagen ›Ich weiß, dass Aristoteles der Schüler von Platon war, aber ich bin mir total unsicher.‹ Doch wenn Wissen mit Unsicherheit unverträglich ist, dann erfordert Wissen offenbar subjektive Sicherheit, das heißt, eine feste Überzeugung.«58

Diejenige Person, die behauptet, sie wisse, dass p, und dazu feststellt, sie sei sicher, dass p, bezieht sich auf den von ihr als hinreichend eingeschätzten Grund und nicht auf ihre Überzeugung oder feste Überzeugung, dass p; sie würde sich wegen dieser Sicherheit widersprechen, würde sie behaupten: »Ich weiß, dass p, aber ich bin mir nicht sicher.« Wenn sie dagegen nicht sicher ist und die Wahrheit von p in Zweifel zieht, weil es einen Grund für dessen Falschheit geben könnte, dann ist mit ihrer Behauptung, nicht zu wissen, dass p, vereinbar, sie glaube dennoch, dass p wahr ist. Diese Meinung könnte sie nicht konsistent vertreten, hätte sie einen hinreichenden Grund für die Falschheit von p. Ist also jemand der Meinung, dass p, dann bezieht er sich auf einen unzureichenden Grund für p, wenn er beispielsweise feststellt, er sei sicher, nicht sicher oder mehr oder weniger sicher und gerade deswegen nur der Meinung oder Überzeugung, dass p. Die jeweilige Einschätzung von q als Grund für p ist also entscheidend dafür, ob jemand sicher oder nur relativ sicher oder vielleicht auch nicht sicher ist, dass p. Von der Sicherheit im Fall der Meinung oder des Wissens unterscheidet sich die Gewissheit oder eine andere Art von Sicherheit, dass p. Eine Person beruft sich auf die phänomenale Erfahrung einer großen oder geringen Gewissheit bei ihrer Behauptung, etwas selbst wahrzunehmen oder sich an etwas selbst zu erinnern. Benutzt sie das Wort ›Wissen‹ unreflektiert, könnte sie zum Beispiel temperamentvoll sagen: »Ich weiß das, weil ich es selbst gesehen habe« oder »Ich weiß das, weil ich mich deutlich daran erinnere«. Sie kann mit ihrer Gewissheit auf keinen Grund verweisen und auch keinen Grund transparent Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen  |  43

machen, der für die Behauptung eines Wissens oder einer Meinung in Frage käme.59 Offensichtlich ist die jeweilige Einschätzung des Grundes (der Gründe) für p entscheidend: Wird q als ein hinreichender Grund für p aufgefasst, dann könnte q der Grund für eine Person sein, zu behaupten, sie wisse, dass p, und wenn q als ein unzureichender Grund für p beurteilt wird, dann könnte q für sie ein Grund sein, zu meinen oder zu glauben, dass p. Da es einer Person überlassen bleibt, wie sie q als Grund für p einschätzt, ist ein phänomenaler Aspekt für ihre Behauptung des Wissens oder der Meinung, dass p, unentbehrlich. Wegen dieser Abhängigkeit von einem phänomenalen Subjekt kann einem Rechner weder ein Wissen noch eine Meinung zugeschrieben werden; es ist daher absurd, beispielsweise zu behaupten, der Rechner glaube oder wisse, an der TU Braunschweig seien zurzeit 28.112 Studierende immatrikuliert. Da es keine allgemeingültigen Kriterien für hinreichende oder für unzureichende Gründe der Wahrheit einer Aussage p unabhängig von der Beurteilung eines Subjekts gibt, ist es nicht möglich, den Begriff der Meinung oder den des Wissens zu definieren.

44  |  Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen  

4.  Die inkompatible Struktur wissenschaftstheoretischer Erklärungen In der weitreichenden Annahme, zwischen Erkenntnis und Logik60 bestehe ein Zusammenhang, der für Hypothesen und für die Rechtfertigung und Geltung von Naturgesetzen instruktiv sei, haben Popper und Hempel die Lehrmeinung entwickelt, es sei möglich, wissenschaftstheoretische Erklärungen von Ereignissen durch ein logisches Bedingungsverhältnis zu explizieren. Da die Beziehung zwischen Logik und Erkenntnis in wissenschaftstheoretischen Erörterungen bisher nicht genau untersucht worden ist, scheint es notwendig zu sein, sich mit der Konzeption dieser Beziehung bereits in ihrem Ansatz kritisch auseinanderzusetzen. Es ist daher erforderlich, (I) auf die einflussreiche Argumentation von Popper, nachfolgend auf die Position von Hempel und einiger Autoren zurückzugehen, um die Aspekte herauszuarbeiten, (II) dass das von ihnen beanspruchte Bedingungsverhältnis nicht mit einer logischen Schlussfolgerung61 und (III) dass eine Hypothese logisch nicht mit einer generellen Aussage vereinbar ist.

I. Im Zuge der Ablehnung induktiv gewonnener Verallgemeinerungen vertritt Popper62 die Ansicht, es sei möglich, Folgerungen aus Hypothesen »auf logisch-deduktivem Wege« abzuleiten und sie nach Gesichtspunkten der Erfahrung zu beurteilen: »Einen Vorgang ›kausal erklären‹ heißt, einen Satz, der ihn beschreibt, aus Gesetzen und Randbedingungen deduktiv ableiten. Wir haben z. B. das Zerreißen eines Fadens ›kausal erklärt‹, wenn wir festgestellt haben, dass der Faden eine Zerreißfestigkeit von 1 kg hat und mit 2 kg belastet wurde. Diese ›Erklärung‹ enthält mehrere Bestandteile; einerseits die Hypothese ›Jedesmal, wenn ein Faden mit einer Last von einer gewissen Mindestgröße belastet   |  45

wird, zerreißt er‹ – ein Satz, der den Charakter eines Naturgesetzes hat; andererseits die besonderen, nur für den betreffenden Fall gültigen Sätze [in unserem Beispiel sind es zwei]: ›Für diesen Faden hier beträgt diese Größe 1 kg‹, und: ›Das an diesem Faden angehängte Gewicht ist ein 2-kg-Gewicht‹.   Wir finden also zwei verschiedene Arten von Sätzen, die erst gemeinsam die vollständige ›kausale Erklärung‹ liefern: [1] allgemei­ ne Sätze – Hypothesen, Naturgesetze – und [2] besondere Sätze, d. h. Sätze, die nur für den betreffenden Fall gelten – die ›Randbedingungen‹. Aus den allgemeinen Sätzen kann man mit Hilfe der Randbedingungen den besonderen Satz deduzieren: ›Dieser Faden wird, wenn man dieses Gewicht an ihn hängt, zerreißen‹. Wir nennen diesen Satz eine (besondere oder singuläre) Prognose.«63

In dem von Popper angeführten Beispiel wird offensichtlich eine Analogie zu einem logisch gültigen Schluss in der Art eines modus ponens zugrunde gelegt und die enge Beziehung zur Logik ausdrücklich hervorgehoben, wenn er konstatiert: »Corroboration has no inductive aspect; and the logic of prediction consists, simply, in deducing predictions from hypotheses plus initial conditions. In other words, the logic of prediction is the ordinary deductive logic and nothing else.«64

Die einflussreiche Konzeption wissenschaftstheoretischer Erklärungen65 wird systematisch von Hempel und Oppenheim66 in ihrem »deduktiv-nomologischen Schema« zusammengefasst, das Hempel gelegentlich wie folgt erläutert: »Die kausale Erklärung erhebt also implizit den Anspruch, daß es allgemeine Gesetze – sagen wir G1, G2, . . ., Gr – gibt, kraft derer das Auftreten der in A1, A 2, . . ., A k beschriebenen kausalen Ante­ zedenz-Bedingungen hinreichend für das Auftreten des Explanandum-Ereignisses ist. Die Beziehung zwischen kausalen Faktoren und der Wirkung spiegelt sich in unserem D-N-Schema wider: kausale Erklärungen sind zumindest implizit immer deduktiv-nomologisch. Ich möchte diesen Punkt noch allgemeiner formulieren. Wenn man sagt, daß ein Einzelereignis b durch ein 46  |  Die inkompatible Struktur wissenschaftstheoretischer Erklärungen  

anderes Einzelereignis a verursacht wurde, dann will man damit sicher auch behaupten, daß immer, wenn ›die gleiche Ursache‹ realisiert ist, ›die gleiche Wirkung‹ eintreten wird.«67

Es ist zweifelhaft, ob Hempel und viele andere Autoren tatsächlich davon überzeugt waren, wissenschaftstheoretische Erklärungen hätten die logische Struktur eines gültigen Schlusses; dennoch wird er für ihre Zielsetzung fortwährend in Anspruch genommen.68

II. Für die Frage nach dem Zusammenhang deduktiv-nomologischer Erklärungen mit einem logisch-gültigen Schlussverfahren ist es erforderlich, (a) die Feststellung einer kausalen Gesetzesaussage, (b) die Beziehungen der beiden Randbedingungen und (c) das Bedingungsverhältnis zwischen den Prämissen und der Konklusion zu analysieren. (a) Mit einer kausalen Gesetzesaussage wird eine Annahme über die Sukzession oder die Folge von Ereignissen behauptet, die nicht stattgefunden haben, sondern stattfinden könnten. Da kausale Beziehungen in Naturgesetzen nicht erwähnt werden, haben einige Autoren69 die Meinung in Erwägung gezogen, man könne auf den Begriff der Kausalität verzichten, und nicht bemerkt, dass dieser besondere Aspekt von Naturgesetzen dadurch zu erklären ist, dass eine kausale Beziehung nicht beobachtet, sondern als Hypothese unterstellt wird. Eine gesetzesartige Aussage ist als eine Annahme von Ereignissen, die stattfinden könnten, grundlegend verschieden von einer Aussage der Subordination wie zum Beispiel des Typs »Alle F sind G«. (b) Der Unterschied zwischen verschiedenartigen Aussagen wird mit dem deduktiv-nomologischen Schema als Modell einer wissenschaftstheoretischen Erklärung von Ereignissen wegen der abweichenden Interpretation der logischen Junktoren nicht in Betracht gezogen, wenn von dem Explanans bestehend aus der Gesetzesaussage und der ersten Randbedingung auf das Die inkompatible Struktur wissenschaftstheoretischer Erklärungen  |  47

Explanandum-Ereignis bestehend aus der zweiten Randbedingung geschlossen wird. Das Schlussverfahren, das Popper in dieser Weise exemplarisch vorstellt, scheint sogar für Logiker überzeugend zu sein, wie das Beispiel von Read70 zeigt: »Alle Streichhölzer entzünden sich, wenn sie angestrichen werden. Dieses Streichholz steht im Begriff, angestrichen zu werden, also wird sich dieses Streichholz entzünden«, oder einfacher ausgedrückt: »Wenn alle Streichhölzer, die angestrichen werden, sich entzünden, und dieses Streichholz angestrichen wird, dann entzündet sich dieses Streichholz.«

Im Gegensatz zu diesem vermeintlichen Bedingungsverhältnis würde ein logisch gültiger Schluss sogar durch eine zusätzliche Konjunktion einer Aussage in den Prämissen erhalten bleiben, jedoch nur, wenn dadurch kein logischer Widerspruch in den Prämissen erzeugt wird. Dagegen hat eine ähnliche Prämissenerweiterung verheerende Folgen wie beispielsweise in: »Wenn alle Streichhölzer, die angestrichen werden, sich entzünden und dieses Streichholz angestrichen wird und auf dieses Streichholz Wassertropfen fallen, dann entzündet sich dieses Streichholz.« So kommt es zum Beispiel bei einer gesetzesartigen Aussage zusammen mit der ersten Randbedingung ständig darauf an, das Auftauchen einer derartigen Prämissenerweiterung als eine »störende Bedingung«71 in Erwägung zu ziehen und definitiv auszuschließen. Diese Möglichkeit wird von Popper nicht reflektiert. Würde zum Beispiel an den Faden ein Gewicht von zwei Kilogramm gehängt und dieses Gewicht durch einen starken Magneten aufgehoben werden, dann ließe sich nicht prognostizieren, dass der Faden zerreißen werde. Ähnlich verhält es sich, wenn durch eine Prämissenerweiterung aus einer rechtlichen Schlussfolgerung die Konklusion nicht hervorgeht. Ausgehend von dem Rechtssatz »Schwerer Diebstahl wird mit Gefängnis bestraft«, also von einer Aussage über Handlungen, die stattfinden könnten, wäre zum Beispiel bei dem Schluss »Wenn schwerer Diebstahl mit Gefängnis bestraft wird und Hans einen schweren Diebstahl begangen hat, dann wird Hans mit Gefängnis bestraft« in Folge einer »störenden Bedingung« oder einer gerechtfertigten Ausnahme die Konklusion hinfällig, wenn Hans 48  |  Die inkompatible Struktur wissenschaftstheoretischer Erklärungen  

in den Prämissen zusätzlich eine besondere Eigenschaft oder eine besondere Handlung zugeschrieben wird, derentwegen von dieser Bestrafung abzusehen ist. Wenn auch in solch einem Fall ein Bedingungsverhältnis aufgehoben werden kann, dann scheint es erforderlich zu sein, das Auftreten von »störenden Bedingungen« in verschiedenartigen Bedingungsverhältnissen begrifflich genauer zu erklären. (c) Es ist auffallend, dass Logiker Aussagen über Ereignisse, Handlungen oder Zustände bedenkenlos in Beispiele für junktorenlogische Verknüpfungen integrieren: »Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist«72, »Wenn ein Einbruch geschehen ist oder ein Brand ausgebrochen ist, dann zahlt die Versicherung«73, »Ob du arbeitest oder nicht arbeitest, so musst du das Geld für deinen Unterhalt beschaffen«, »Wenn ich verreise und falls ich verreise, mich erhole und falls ich mich erhole, besser arbeiten kann, so kann ich besser arbeiten«74, »Wenn die Sonne scheint, regnet es nicht, und wenn es regnet, scheint die Sonne nicht«, »Peter verkauft nur, wenn er keinen Verlust hinnehmen muss«75, »Wenn die Wechselkurse fixiert sind und die Inflationsrate in der Bundesrepublik niedriger als die Inflationsraten bei ihren Handelspartnern ist, erzielt die Bundesrepublik einen Exportüberschuss«.76 Wenn ein Ereignis, eine Handlung oder ein Zustand stattfindet, dann gibt es hierfür jeweils eine raum-zeitliche Beschreibung, jedoch nicht, wenn dieses Ereignis etc. nicht stattfindet. So wie wir beispielsweise beobachten können ob eine Kugel in ein Loch rollt oder nicht, verhält es sich nicht mit einem Ereignis etc.; wir können nur das Ereignis etc. beobachten, das stattfindet. Wenn die Alarmanlage versagt, dann hat es keinen Alarm gegeben; wir können dann nur einen Zustand beschreiben, wie er beispielsweise bestanden hat, bevor diese Alarmanlage installiert wurde. Eine Aussage wie »Das Wetter ändert sich oder es ändert sich nicht« ist nicht logisch gültig; wenn sich das Wetter ändert, dann ergibt sich durch ein hinzukommendes Ereignis wie zum Beispiel einen Sturm oder einen Temperatursturz eine andere Wetterlage, Die inkompatible Struktur wissenschaftstheoretischer Erklärungen  |  49

und wenn sich das Wetter nicht ändert, dann findet ein Zustand statt, der so lange gleich bleibend ist, wie er nicht durch ein hinzukommendes Ereignis als eine andere Wetterlage zu beschreiben ist. Es kann also nicht von demselben Wetter behauptet werden, dass es sich verändert oder dass es sich nicht verändert. Wenn ein bestimmtes Wetter nicht stattfindet, dann kann ihm keine Eigenschaft zugeschrieben werden. Es ist aufschlussreich, auf das vorher genannte Beispiel zurückzukommen: »Wenn alle Streichhölzer, die angestrichen werden, sich entzünden, und dieses Streichholz angestrichen wird, und auf dieses Streichholz Wassertropfen fallen, dann entzündet sich dieses Streichholz«, denn diese zusätzliche Aussage über ein Ereignis in den Prämissen ist offensichtlich die Ursache dafür, dass weder das Ereignis der ersten noch das Ereignis der zweiten Randbedingung stattfindet. Der Fall wäre noch einfacher, wenn wir von der zusätzlichen Prämissenerweiterung absehen und feststellen würden, dass aus gesetzesartigen Aussagen und der ersten Randbedingung keine Aussage über das Ereignis der zweiten Randbedingung folgt, wenn dieses Ereignis überhaupt nicht stattfindet. Durch die Möglichkeit, dass ein Ereignis, eine Handlung oder ein Zustand nicht stattfindet, wird die Konzeption einer formal nachgebildeten Bedingungsstruktur wissenschaftstheoretischer oder deduktiv-nomologischer Erklärungen endgültig aufgelöst.

III. Offensichtlich werden gesetzesartige Aussagen nicht genügend konsequent als Hypothesen in Betracht gezogen. So konnte die Frage auftauchen, wie diese Aussagen von generellen Aussagen zu unterscheiden sind wie zum Beispiel nach Goodman77 zwischen Aussagen wie »Butter schmilzt bei 65 Grad Celsius« und »Alle Münzen in meiner Hosentasche sind aus Silber«. Daher sieht sich Stegmüller veranlasst, das folgende Problem in Betracht zu ziehen: »Angenommen, wir würden keine weiteren einschränkenden Bedingungen der Gesetzesartigkeit formulieren und jede Art von Allsätzen als gesetzesartige Aussagen zulassen. Dann können wir 50  |  Die inkompatible Struktur wissenschaftstheoretischer Erklärungen  

sofort absurde Beispiele von Argumenten konstruieren, die sämtliche Adäquatheitsbedingungen für wissenschaftliche Systematisierungen erfüllen und die daher auf Grund dessen als erklärende Argumente akzeptiert werden müßten, die aber ganz offensichtlich keinerlei Erklärungen liefern.«78

Ein Schluss wie »Wenn alle Bewohner dieses Hauses kurzsichtig sind und Fritz ein Bewohner dieses Hauses ist, dann ist Fritz kurzsichtig« hätte nach Stegmüller die absurde Konsequenz, »allgemein die Krankheit einer Person damit erklären zu wollen, dass diese Person in einem Haus lebt, dessen sämtliche Bewohner von dieser Krankheit befallen sind«.79 Stegmüller ist offenbar entgangen, dass die Konklusion logisch gültig und die generelle Aussage in den Prämissen nicht gesetzesartig sein kann; denn die allgemeine Aussage »Alle Bewohner dieses Hauses sind kurzsichtig« bezieht sich auf eine nur bestimmte Anzahl von Bewohnern und daher wird mit ihr eine Hypothese definitiv ausgeschlossen. Ungeachtet derartiger Fälle ist der Unterschied zwischen generellen Aussagen und Hypothesen grundlegend, der jedoch u. a. von Popper80 nicht geteilt wird, wenn eine allgemeine Aussage wie eine generelle Aussage behandelt und die Falsifikation einer Hypothese als Negation der entsprechenden generellen Aussage ausgelegt wird. Es ist zwar zutreffend, dass die Falschheit einer singulären Aussage für die Falsifikation der entsprechenden generellen Aussage ausreicht, jedoch nicht für die Widerlegung einer Hypothese. Eine Hypothese kann durch einzelne Instanzen bestätigt, bekräftigt, entkräftet, eine Hypothese kann akzeptiert, verworfen oder fallengelassen werden, sie kann jedoch nicht wie eine generelle Aussage verifiziert oder falsifiziert werden. Wenn der Kontext fehlt, ist nicht klar, ob beispielsweise eine Aussage wie »Alle Raben sind schwarz« als eine Hypothese oder als eine generelle Aussage zu interpretieren ist. Als Hypothese könnte ihre Verallgemeinerung durch einzelne Raben und als gesetzes­ artige Aussage durch eine genetische Erklärung des schwarzen Gefieders von Raben bestätigt werden. Wird dagegen diese Aussage logisch als eine generelle Aussage interpretiert, dann wird mit ihr eine Subordination des einen Begriffs unter den anderen festgestellt. Die inkompatible Struktur wissenschaftstheoretischer Erklärungen  |  51

Die Aussage »Alle Raben sind schwarz« wird als Hypothese missverstanden, wenn Hempel81 konstatiert, deren Kontraposition »Wenn etwas nicht schwarz ist, dann ist es kein Rabe« impliziere »das Paradox der Bestätigung«. Sie kann genauso wenig wie deren logische Umformung »Alle Raben sind schwarz« als eine Hypothese durch einzelne Beispiele bestätigt werden. Da es nicht möglich ist, durch die logische Struktur eines Schlusses eine Erkenntnis wissenschaftstheoretisch zu erklären, ist es offenbar unvermeidlich, Auseinandersetzungen mit wissenschaftstheoretischen Erklärungen ausschließlich auf probabilistische Argumente zu beschränken.

52  |  Die inkompatible Struktur wissenschaftstheoretischer Erklärungen  

5.  Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten Zur Frage der Kohärenz in Wittgensteins Spätwerk

Die analytische Sprachphilosophie wird weltweit durch die hinterlassenen Arbeiten von Wittgenstein vielfältig bestimmt oder maßgeblich beeinflusst, ohne den außergewöhnlichen Umstand der fehlenden zusammenhängenden Textgrundlage zu bedenken, die Wittgenstein in dem Vorwort seiner Philosophischen Unter­ suchungen zu erklären sucht: »In dem Folgenden veröffentliche ich Gedanken, den Niederschlag philosophischer Untersuchungen, die mich in den letzten 16 Jahren beschäftigt haben. Sie betreffen viele Gegenstände: Den Begriff der Bedeutung, des Verstehens, des Satzes, der Logik, die Grundlagen der Mathematik, die Bewußtseinszustände und Anderes. Ich habe diese Gedanken alle als Bemerkungen, kurze Absätze, niedergeschrieben. Manchmal in längeren Ketten, über den gleichen Gegenstand, manchmal in raschem Wechsel von einem Gebiet zum andern überspringend. […] Wesentlich aber schien es mir, daß darin die Gedanken von einem Gegenstand zum andern in einer natürlichen und lückenlosen Folge fortschreiten sollten.   Nach manchen mißglückten Versuchen, meine Ergebnisse zu einem solchen Ganzen zusammenzuschweißen, sah ich ein, daß mir dies nie gelingen würde. Daß das Beste, was ich schreiben konnte, immer nur philosophische Bemerkungen bleiben würden; daß meine Gedanken bald erlahmten, wenn ich versuchte, sie, gegen ihre natürliche Neigung, in einer Richtung weiterzuzwingen. […] So ist also dieses Buch eigentlich nur ein Album.«82

Wie dieses Buch »den Eindruck eines schlecht geordneten Zettelkastens« macht,83 so verhält es sich mit allen seinen Arbeiten seit dem Tractatus logico-philosophicus mit Ausnahme einer Vor­ lesung über Ethik.84 Obgleich dieser Sachverhalt von Wittgenstein offen eingeräumt wird, sieht sich z. B. Hacker in einer Arbeit mit   |  53

dem Untertitel »Wittgenstein über Philosophie und die Metaphysik der Erfahrung« 85 veranlasst, Wittgenstein in seinem Spätwerk eine »vollständige Lehre« zuzuschreiben, ungeachtet der Tatsache, dass er sich an keiner Stelle mit Kant oder mit der Metaphysik der Erfahrung ausdrücklich auseinandersetzt, und ungeachtet vor allem der Frage, ob denn überhaupt eine Kohärenz zwischen den Bemerkungen Wittgensteins von 1929 bis kurz vor seinem Tode 1951 angenommen werden könne. Viele Autoren sind sich nicht einig, ob oder wie diese vielen Bemerkungen auf eine Sprachphilosophie, Sprachtheorie oder nur auf ein Programm zu beziehen sind. 86 Es ist unwahrscheinlich, dass man die Frage nach der Kohärenz von Wittgensteins Spätwerk allgemein überzeugend beantworten kann; es scheint mir stattdessen aufschlussreich zu sein, sich nur mit Wittgensteins Bemerkungen über Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten kritisch zu befassen. Die diversen Ähnlichkeiten zwischen verschiedenartigen Spielen vergleicht Wittgenstein87 mit einer Analogie zu Familienähnlichkeiten, um dadurch zu zeigen, dass die Definition des Spiels gegenstandslos sei.88 Zu dieser Auffassung gelangt Wittgenstein durch die folgenden Ausführungen: »Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir ›Spiele‹ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele u.s.w. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: ›Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ›Spiele‹ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn, wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau! – Schau z. B. die Brettspiele an, mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über: hier findest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspielen übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren. – Sind sie alle ›unterhaltend‹? Vergleiche Schach mit dem Mühlfahren. Oder gibt es überall ein Gewinnen und Verlieren, oder eine Konkurrenz der Spielenden? Denk an die Patiencen! 54  |  Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten 

In den Ballspielen gibt es Gewinnen und Verlieren; aber wenn ein Kind den Ball an die Wand wirft und wieder auffängt, so ist dieser Zug verschwunden. Schau, welche Rolle Geschick und Glück spielen. Und wie verschieden ist Geschick im Schachspiel und Geschick im Tennisspiel. Denk nun an die Reigenspiele: Hier ist das Element der Unterhaltung, aber wie viele der anderen Charakterzüge sind verschwunden! Und so können wir durch die vielen, vielen anderen Gruppen von Spielen gehen. Ähnlichkeiten auftauchen und verschwinden sehen.   Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun: Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen.«89

Wittgenstein zählt verschiedene übergeordnete oder untergeordnete Arten von Spielen auf und stellt fest, dass unter ihnen einmal diese und ein anderes Mal jene Ähnlichkeiten bestehen, ohne sich auf die für alle Spiele charakteristischen Eigenschaften zu berufen: »Wie ist denn der Begriff des Spiels abgeschlossen? Was ist noch ein Spiel und was ist keines mehr? Kannst du die Grenzen angeben? Nein. Du kannst welche ziehen: denn es sind noch keine gezogen […].« »Aber wenn der Begriff ›Spiel‹ auf diese Weise unbegrenzt ist, so weißt du ja eigentlich nicht, was Du mit ›Spiel‹ meinst.« – »Wenn ich die Beschreibung gebe: ›Der Boden war ganz mit Pflanzen bedeckt‹, – willst du sagen, ich weiß nicht, wovon ich rede, ehe ich nicht eine Definition der Pflanze geben kann?«90

Wittgensteins Ansicht findet eine Entsprechung in einer üblichen Verfahrensweise, nach der wir ständig Begriffe verwenden, die uns nur teilweise bekannt sind. Wir unterscheiden eine Tulpe von einer Hyazinthe, eine Eiche von einer Linde und so weiter an nur einigen Eigenschaften von ihnen, ohne zu wissen, welche Eigenschaften für eine Tulpe, für eine Hyazinthe, für eine Linde oder Eiche charakteristisch sind. Für Wittgenstein entfällt daher mit der Feststellung der Ähnlichkeiten unter verschiedenartigen Spielen die Frage nach der Definition des Spiels, insbesondere durch die Annahme einer Analogie zu Familienähnlichkeiten: Zur Frage der Kohärenz in Wittgensteins Spätwerk  |  55

»Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren, als durch das Wort ›Familienähnlichkeiten‹; denn so übergreifen und überkreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament etc. etc. – Und ich werde sagen: die ›Spiele‹ bilden eine Familie.«91

Wir sehen bei diesen Beispielen kein »kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen«. Offensichtlich kann es ein Familienmitglied geben, das keinem anderen ähnlich ist. So kann es sich auch verhalten mit den Eltern, die ja in der Regel miteinander nicht verwandt sind und daher miteinander keine Familienähnlichkeiten haben. Ähnlich ließe sich der Fall einwenden, dass die Eltern ein mit ihnen nicht verwandtes Kind adoptieren, das dann ohne Ähnlichkeiten mit ihren anderen Kindern ist. Es ist nur möglich, die Ähnlichkeit von Familienmitgliedern, nicht jedoch die von Spielen genetisch kausal zu begründen. Offensichtlich gibt es zwischen ähnlichen Familienmitgliedern und ähnlichen Spielen kein tertium comparationis. Auf Wittgensteins Bemerkungen über Familienähnlichkeiten wird weder eingegangen noch werden sie in Betracht gezogen, wenn zum Beispiel Schulte unmittelbar zu einer argumentativ unzugänglichen, gravierenden allgemeinen Einschätzung übergeht: »Diese Konzeption der Familienähnlichkeiten markiert eine der entscheidenden Stellen, an denen Wittgenstein mit dem größten Teil der philosophischen Tradition bricht. Er zeigt, daß das herkömmliche Muster ›gleicher Begriff, gleiche Merkmale‹ unzulänglich ist, und zwar gerade auf dem Gebiet der alltagssprachlichen Ausdrücke mit besonders umfassendem Anwendungsbereich, also auf dem Gebiet, dem die Philosophie ihre zentralen Begriffe entnimmt.«92

Unter ähnlich fragwürdigen Umständen gelangt zum Beispiel Lütterfelds93 zu der Position, Wittgenstein könne den klassischen Intentionalismus »durch seine These der Familienähnlichkeit ersetzen«.94 56  |  Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten 

Wie können Vorgänge oder Tätigkeiten oder entsprechend verschiedenartige Spiele irgendwelche Ähnlichkeiten aufweisen, wenn die Annahme einer für alle Spiele gemeinsamen Eigenschaft abgelehnt wird? An dieser Auffassung hält Wittgenstein entschieden fest, wie er schon früher hervorgehoben hat: »Dieses Streben nach Allgemeinheit ist das Ergebnis einer Anzahl von Bestrebungen, die mit bestimmten philosophischen Verwirrungen verbunden sind. Da ist (a) Die Bestrebung nach etwas Ausschau zu halten, das all den Dingen gemeinsam ist, die wir gewöhnlich unter einer allgemeinen Bezeichnung zusammenfassen. Wir sind z. B. geneigt zu denken, daß es etwas geben muß, das allen Spielen gemeinsam ist, und daß diese gemeinsame Eigenschaft die Anwendung der allgemeinen Bezeichnung ›Spiel‹ auf die verschiedenen Spiele rechtfertigt; während Spiele doch eine Familie bilden, deren Mitglieder Familienähnlichkeiten haben. Einige haben die gleiche Nase, einige die gleichen Augenbrauen und andere wieder denselben Gang; und diese Ähnlichkeiten greifen ineinander über. Die Vorstellung von einem Allgemeinbegriff als einer gemeinsamen Eigenschaft seiner einzelnen Beispiele ist mit anderen primitiven, allzu einfachen Vorstellungen von der Struktur der Sprache verbunden.«95

Wittgenstein scheint sich bei verschiedenen Spielen intuitiv verschiedene Vorgänge vorzustellen. Wir zitieren noch einmal die oben bereits angeführte Stelle: »Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir ›Spiele‹ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele u.s.w. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: ›Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ›Spiele‹‹ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn, wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe.«96

Wittgenstein unterscheidet offensichtlich nicht zwischen den Vorgängen eines bestimmten Spiels und der Art eines Spiels: Wenn wir Zur Frage der Kohärenz in Wittgensteins Spätwerk  |  57

Vorgänge »Spiele« nennen, dann handelt es sich beispielsweise um eine Partie Halma oder Tennis und nicht um den Begriff des Spiels ›Halma‹ oder ›Tennis‹. Woher wissen wir eigentlich, dass ihre Tätigkeiten auf ein Spiel gerichtet sind? Wenn wir diese Vorgänge »Spiele« nennen, dann ist es nicht klar, ob sie nur »Spiele« genannt werden oder ob sie auch Spiele sind. Diese Disjunktion wird nicht genügend deutlich, wenn Bambrough97 die Aussagen »all games have in common that they are games« und »all games have nothing in common except that they are called games« erörtert. Wenn Spiele nur so genannt werden, ohne Spiele zu sein, dann kann man von Spielen nicht behaupten, sie hätten nur die Eigenschaft, so genannt zu werden. In anderer Weise irrt sich Wennerberg 98, wenn er der Ansicht widerspricht, »[…] dass alle unter einen gegebenen Begriff fallenden Entitäten eine Gemeinsamkeit aufweisen müssen«; denn er beachtet nicht, dass Entitäten nur dann unter denselben Begriff fallen, wenn sie eine gemeinsame Eigenschaft haben. Wittgenstein zählt offensichtlich eine Reihe von diversen Vorgängen von verschiedenartigen Spielen auf, die untereinander diese oder jene Ähnlichkeiten aufweisen, offensichtlich in der Meinung, er könne nach diesem Verfahren beobachtete Vorgänge als Spiele identifizieren, ohne zu beachten, dass Vorgänge Ähnlichkeiten mit einem Spiel haben können, auch wenn sie nicht Vorgänge eines Spiels sind. Es ist daher nicht zu vermeiden, auf die Frage zu insis­ tieren: »Was ist für die Vorgänge eines Spiels oder für den Begriff eines Spiels eigentlich charakteristisch?« Bei Spielen bewegen wir uns in einer Scheinwelt, in der Vorgänge eines Spiels im Zusammenhang mit dem Verhalten der Spielteilnehmer mehr oder weniger genau oder ungenau durch Regeln festgelegt werden. In der realen Welt können wir Karten kaufen, in der Scheinwelt eines Kartenspiels können wir sie nicht kaufen; in der realen Welt erfüllt eine Partie Bridge keinen Zweck, in der Scheinwelt des Kartenspiels hat sie den Zweck, der durch entsprechende Regeln vorgegeben ist. Um die für alle Spiele gemeinsamen Eigenschaften explizieren zu können, ist es notwendig, sich mit den akribischen Untersuchungen von Huizinga99 auseinanderzusetzen, um das Spiel als ein Kulturphänomen einordnen zu können. Auch wenn eine allgemein zufriedenstellende Definition des Spiels wegen der besonderen Vielfalt der Phänomene 58  |  Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten 

nicht konzipiert werden kann, ist es dennoch möglich, Teilbereiche verschiedenartiger Spiele durch deren gemeinsame Eigenschaften zusammenzufassen, um sie von etwas abgrenzen zu können, was kein Spiel ist. Wenn jemand die Pflanzen kennt, die den Boden bedecken, dann fragt er nicht nach der Definition von Pflanzen, er wird sie jedoch haben, wenn er dort ein fremdartiges Lebewesen findet, um mittels der botanischen Definition entscheiden zu können, ob dieses Gewächs eine Pflanze ist oder nicht. Gibt es keine charakteristischen Eigenschaften für Pflanzen oder für Spiele, haben diese Begriffe also keine Grenzen, dann handelt es sich bei ihnen um destruierte Begriffe.100 Mit den Notizen über Spiele und Familienähnlichkeiten hängen offenbar auch Wittgensteins Bemerkungen über Sprachspiele zusammen: »Wieviele Arten der Sätze gibt es aber? Etwa Behauptung, Frage und Befehl? – Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir ›Zeichen‹, ›Worte‹, ›Sätze‹, nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und werden vergessen. (Ein ungefähres Bild davon können uns die Wandlungen der Mathematik geben.)   Das Wort ›Sprachspiel‹ soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.   Führe dir die Mannigfaltigkeit der Sprachspiele an diesen Beispielen, und andern, vor Augen: Befehlen, und nach Befehlen handeln – Beschreiben eines Gegenstands nach dem Ansehen, oder nach Messungen – Herstellen eines Gegenstands nach einer Beschreibung (Zeichnung) – Berichten eines Hergangs – Über den Hergang Vermutungen anstellen – Eine Hypothese aufstellen und prüfen – Darstellen der Ergebnisse eines Experiments durch Tabellen und Diagramme – Eine Geschichte erfinden; und lesen – Zur Frage der Kohärenz in Wittgensteins Spätwerk  |  59

Theater spielen – Reigen singen – Rätsel raten – Einen Witz machen; erzählen – Ein angewandtes Rechenexempel lösen – Aus einer Sprache in die andere übersetzen – Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen, Beten.«101

Da es nach Wittgenstein keine allen Spielen gemeinsame Eigenschaft gibt, ist es nicht möglich, zwischen Sprachspielen zu unterscheiden, die Spiele sind, und solchen, die es nicht sind. Mit der Sprache oder, genauer, mit dem Sprechen oder Singen von Worten werden Sprachspiele verbunden, die tatsächlich Spiele sind wie Rätselraten oder einen Reigen singen, nicht jedoch Tätigkeiten wie das Übersetzen von einer Sprache in die andere, Danken, Fluchen oder Beten. Da Sprech- oder Sprachhandlungen der letzteren Art als regelgeleitete Tätigkeiten eine Ähnlichkeit mit Spielen aufweisen, ohne Spiele zu sein, handelt es sich bei ihnen um eine Metapher, nicht um eine Analogie.102 Die erwähnten Merkmale für Sprachspiele, die für diesen Begriff aufschlussreich sein könnten, beachtet Wittgenstein nicht, wenn er anschließend notiert: »Wem die Mannigfaltigkeit der Sprachspiele nicht vor Augen ist, der wird etwa zu Fragen geneigt sein wie dieser: ›Was ist eine Frage?‹ – Ist es die Feststellung, daß ich das und das nicht weiß, oder die Feststellung, daß ich wünsche, der Andre möchte mir sagen . . . . ? Oder ist es die Beschreibung meines seelischen Zustandes der Ungewißheit?«103

Schließlich verwirft Wittgenstein begriffliche Merkmale für Sprach­ spiele: »Hier stoßen wir auf die große Frage, die hinter allen diesen Betrachtungen steht. – Denn man könnte mir nun einwenden: ›Du machst dir‘s leicht! Du redest von allen möglichen Sprachspielen, hast aber nirgends gesagt, was denn das Wesentliche des Sprachspiels, und also der Sprache, ist. Was allen diesen Vorgängen gemeinsam ist und sie zur Sprache, oder zu Teilen der Sprache macht. 60  |  Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten 

Du schenkst dir also gerade den Teil der Untersuchung, der dir selbst seinerzeit das meiste Kopfzerbrechen gemacht hat, nämlich den, die allgemeine Form des Satzes und der Sprache betreffend.‹   Und das ist wahr. – Statt etwas anzugeben, was allem, was wir Sprache nennen, gemeinsam ist, sage ich, es ist diesen Erscheinungen garnicht Eines gemeinsam, weswegen wir für alle das gleiche Wort verwenden, – sondern sie sind miteinander in vielen verschiedenen Weisen verwandt. Und dieser Verwandtschaft, oder dieser Verwandtschaften wegen nennen wir sie alle ›Sprachen‹.«104

Mit der Behauptung einer Verwandtschaft oder einer Familienähnlichkeit kann offensichtlich nicht zwischen einem Sprachspiel und einem Spiel unterschieden werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit Wittgensteins Bemerkun­ gen über Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten ist offensichtlich obsolet, wenn ihnen beispielsweise von Lütterfelds105 eine philosophisch grundlegende Weichenstellung zugeschrieben wird: »Nach dem üblichen Verständnis hat Wittgenstein in seiner Spätphilosophie mit der These der Familienähnlichkeit, des RegelSkeptizismus sowie der Vagheit der Begriffe die traditionelle Wesensmetaphysik verabschiedet. Sowenig es ein begrifflich Gemeinsames der Dinge gibt, das als deren allgemeines Wesen gelten kann, wovon es wiederum eine eindeutige begriffliche ­Definition gibt, sowenig läßt sich auch die kategoriale Differenz des gemeinsamen Wesens zu den zufälligen Eigenschaften und Bestimmun­ gen der Dinge aufrechterhalten. Die Dinge seien nicht durch ein Essen­t iell-Allgemeines miteinander verknüpft, sondern durch ein Bündel von Verwandtschaftsbeziehungen. Und auch die Bedeu­ tung der handlungsleitenden Regeln eines Sprachspiels könne nicht als ein allgemeiner Sachverhalt vor der einzelnen Handlungspraxis im Geiste antizipiert werden. Schließlich ließen sich über unsere Begriffe von den Dingen durch Definitionen keine klaren Einsichten gewinnen, und zwar vor allem wegen ihrer offenen Anwendungspraxis, die den Inhalt der Begriffe mit festlegt.«

Es ist zweifellos notwendig, Wittgensteins Eintragungen über Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten genau zu lesen und Zur Frage der Kohärenz in Wittgensteins Spätwerk  |  61

sorgfältig zu interpretieren; sie enthalten eingängige Beispiele, assoziative Einfälle und zerstreute Ansichten über Sprache und philosophische Verwirrungen, werden aber paradoxerweise von manchen Autoren106 als Innovation einer »Philosophie der normalen Sprache«107 bewertet, ungeprüft in eigene Überlegungen übernommen und pseudophilosophisch erörtert. Wie haben wir dann die provokanten, originellen, innovativen oder vielleicht gelegentlich überflüssigen Einträge zu verstehen, die Wittgenstein von einem auf ein anderes Manuskript überträgt, ohne sich mit deren Inhalt zu befassen? Der Eindruck drängt sich unweigerlich auf, dass Wittgenstein bei seinen vielfältigen Bemerkungen einer Selbsttäuschung unterliegt; sie haben keine philosophischen Untersuchungen zum Gegenstand, sondern nur ein ideenreiches Rohmaterial, gewissermaßen etwas wie Bilder oder Landschaften, die Wittgenstein wichtig sind und auch uns u. a. als teure philosophische Fundstücke: »Die philosophischen Bemerkungen dieses Buches sind gleichsam eine Menge von Landschaftsskizzen, die auf diesen langen und verwickelten Fahrten entstanden sind.   Die gleichen Punkte, oder beinahe die gleichen, wurden stets von neuem von verschiedenen Richtungen her berührt und immer neue Bilder entworfen. Eine Unzahl dieser war verzeichnet, oder uncharakteristisch, mit allen Mängeln eines schwachen Zeichners behaftet. Und wenn man diese ausschied, blieb eine Anzahl halbwegser übrig, die nun so angeordnet, oftmals beschnitten, werden mußten, daß sie dem Betrachter ein Bild der Landschaft geben konnten. – So ist also dieses Buch eigentlich nur ein Album.«108

62  |  Spiele, Sprachspiele und Familienähnlichkeiten 

6.  Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems Seit Platon ist immer wieder die Frage gestellt worden, ob oder inwiefern Universalien oder Partikularien oder – anders ausgedrückt – ob oder inwiefern Begriffe oder Individuen ontologisch grundlegend seien für die reale Welt. Der gelehrten Tradition folgend handelt es sich um einen Sachverhalt, wie er beispielsweise von Russell skizziert wird: »[…] a universal will be anything which may be shared by many particulars, and has those characteristics which, as we saw, distinguish justice and whiteness from just acts and white things. When we examine common words, we find that, broadly speaking, proper names stand for particulars, while other substantives, adjectives, prepositions, and verbs stand for universals.«109

Wie können oder sollen wir uns vorstellen, dass es Eigenschaften, Relationen oder Begriffe gibt, und wie verhält es sich mit Einzeldingen oder Individuen? Existieren Begriffe oder Universalien wirklich? Wie steht es mit den Partikularien oder Individuen, werden sie in der realen Welt nur vorgefunden, beispielsweise als »particular things that are given in sensation«?110 Ist es möglich, dass keine dieser Fragen sinnvoll gestellt werden kann? Diese Zweifel ergeben sich bei der Beschäftigung mit Wittgensteins sprachanalytischen Bemerkungen, die gelegentlich für oder gegen eine Position des Universalienproblems in Anspruch genommen werden.111 Wittgensteins Versuch, innovative Aspekte dem Sprachgebrauch zu entnehmen, evoziert offensichtlich riskante Interpretationen, von denen ich nur auf diejenige eingehen möchte, (I) nach der angenommen wird, seine Auffassung von Begriffen ohne Grenzen richte sich gegen den Essentialismus. Für die Erörterung dieses Standpunktes wird (II) die ursprünglich sokratische Frage nach dem Wesen eines Begriffs aufgenommen, um (III) durch die Ausarbeitung der logischen Konstruktion der Struktur eines Begriffs und   |  63

eines Individuums die Gründe für die Inkonsistenz des Universalienproblems freizulegen. I. Ein besonderes Anliegen seiner zerstreuten Bemerkungen in den »Philosophischen Untersuchungen«112 verfolgt Wittgenstein mit seinen einfallsreichen Beispielen für den Spracherwerb, für die Funktion oder Bedeutung von Worten oder sprachlichen Ausdrücken, zum Beispiel seine Annahme von Begriffen ohne Grenzen oder mit nur verschwommenen Grenzen. Wie wir im vorhergehenden Kapitel bereits untersucht haben, ist es Spielen nach Wittgenstein eigentümlich,113 dass sie keine gemeinsamen Eigenschaften haben und dass es daher nur möglich ist, zwischen ihnen eine Verwandtschaft oder Ähnlichkeiten festzustellen. Ich nehme die oben bereits mehrfach angeführten Bemerkungen Wittgensteins zum Begriff des Spiels hier noch einmal auf: »Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir ›Spiele‹ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele u.s.w. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: ›Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ›Spiele‹‹ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn, wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau! – Schau z. B. die Brettspiele an, mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über; hier findest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspielen übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren.«114

Wittgenstein beruft sich anscheinend bei Begriffen ohne Grenzen auf einen zunächst vorliegenden Sachverhalt: »Wie ist denn der Begriff des Spiels abgeschlossen? Was ist noch ein Spiel und was ist keines mehr? Kannst du die Grenzen ange64  |  Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  

ben? Nein. Du kannst welche ziehen: denn es sind noch keine gezogen.«115

So gelangt Wittgenstein zu der Auffassung: »Man kann sagen, der Begriff ›Spiel‹ ist ein Begriff mit verschwommenen Rändern. – ›Aber ist ein verschwommener Begriff überhaupt ein Begriff?‹ – Ist eine unscharfe Photographie überhaupt ein Bild eines Menschen? Ja, kann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen?«116

Wenn es zweifelhaft ist, ob ein Begriff mit verschwommenen Rändern überhaupt noch ein Begriff ist, wie kann er dann gerade das sein, »was wir brauchen«? Dieser Gesichtspunkt wird offenbar von Pitcher117 aufgegriffen, ohne bei Wittgenstein eine Textvorlage für den Standpunkt zu finden, es gehe ihm bei Begriffen ohne Grenzen um einen »Angriff auf den Essenzialismus«: »Wir neigen dazu anzunehmen, daß allen Pferden, allen Tischen, allen Menschen, allen Spielen, allen Religionen usw. etwas gemeinsam ist. Und das ist eine ganz natürliche Annahme. Zum Beispiel kann die Klasse der Pferde keine bloße Zufallsauswahl sein. Was zu ihr gehört, die einzelnen Pferde, müssen irgendwelche Eigenschaften gemeinsam haben – jedenfalls meinen wir das –, denn anders würde und könnte man sie nicht mit dem allgemeinen Ausdruck ›Pferd‹ bezeichnen.«118

Offensichtlich fixiert Pitcher unter der Voraussetzung, Begriffe ohne Grenzen hätten kein Wesen, den Wittgenstein zugeschriebenen Gegensatz zum Platonismus in der folgenden Passage: »Diese gemeinsamen Eigenschaften machen das Wesen – die Essenz – der Art von Dingen aus, machen die ›Pferdheit‹ aus. Und da alles zu irgendeiner Art gehört – […] hat alles ein Wesen. Der mächtige Einfluß, den diese Vorstellung auf das menschliche Denken von Plato bis zur Gegenwart ausgeübt hat, ist nicht zu bestreiten.«119 Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  |  65

Wenn wir uns nicht auf eine gemeinsame Eigenschaft beziehen können, die für alle Pferde charakteristisch ist, wenn es also keine Essenz des Begriffs ›Pferd‹ gibt, wie ist es dann möglich, dennoch von einem Begriff ›Pferd‹ auszugehen und von ihm festzustellen, er habe keine Grenzen? Wie kann einem Begriff die Essenz abgesprochen werden und an der Annahme eines Begriffs festgehalten werden? II. Um diese Frage genauer klären zu können, scheint es mir aufschlussreich zu sein, den ursprünglichen Gedanken von Platon für die grundlegenden Fragen des Universalienproblems aufzugreifen und in diesem Zusammenhang die logische Struktur der Feststellung eines Begriffs herauszuarbeiten. Der platonische Sokrates sieht sich immer wieder veranlasst, wenn irgendetwas Beliebiges als fromm, gerecht oder tugendhaft bezeichnet wird, auf die grundsätzliche Frage loszusteuern, was denn eigentlich oder an sich fromm, gerecht oder tugendhaft sei. Bei einer zufälligen Begegnung mit Euthyphron wird Sokrates mit der Frage konfrontiert, ob es fromm (gut) sei, seinen eigenen Vater des Mordes zu verklagen. Sokrates ist der Auffassung, er könne diese Frage nur beantworten, wenn sich klären lasse, was denn eigentlich fromm oder das Fromme sei. So ergibt sich der folgende Dialog zwischen Sokrates und Euthyphron: »Sokrates: Dir ist doch klar, dass ich dich nicht bat, mich das eine oder das andere über das Frommsein zu lehren, sondern die besondere Form selbst (eidos), durch die alles Fromme fromm ist; denn du gabst doch zu, durch eine Form (idea) sei das Unfromme unfromm und das Fromme fromm, oder besinnst du dich nicht mehr darauf? Euthyphron: Ja sehr. Sokrates: So belehre mich doch, was es eben mit dieser Form (idea) auf sich hat, damit ich beim Sehen auf sie, mich ihrer als Muster bedienend, alles, was solcher Art ist, als fromm erkläre, was du oder sonst auch jemand betreibt, was aber nicht solcher Art ist, davon ausschließe.«120 66  |  Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  

Für Platon ist es also erforderlich, auf die Form zu sehen oder EinSicht in dasjenige zu nehmen, was eigentlich fromm ist, um von einer bestimmten Handlung sagen zu können, ob sie fromm sei. Der Umstand, dass sich Platon dabei mit tugendhaften Eigenschaften befasst, wird von Graeser mit Recht hervorgehoben, der sich, der überwiegend kontinentalen Tradition folgend, bei Platon nicht auf Formen, sondern auf Ideen bezieht: »So wissen wir, dass sich Sokrates in der Stilisierung Platons nie mit Beispielen für gut, gerecht, besonnen, tapfer usw. zufrieden geben will; was er ins Auge gefasst wissen möchte, ist streng genommen eine Begründung (logos) dafür, warum ein Beispiel überhaupt Beispiel ist. Aber eben diese Begründung, die anders als die sogenannten Beispiele dann nicht deskriptiven, sondern normativen Charakter hat, kann nur aus dem Ideenwissen heraus gegeben werden, und nicht umsonst lässt Platon seinen Sokrates Wert auf die Feststellung legen, ›Schau nicht auf die individuellen frommen Handlungen, sondern auf die Idee, aufgrund derer fromme Handlungen fromm sind‹.«121

Mit dem Schauen auf die Form oder die Idee des Frommen werden epistemische Maßstäbe oder Kriterien für dasjenige eingefordert, was eigentlich oder jedenfalls fromm ist. Offensichtlich möchte Sokrates nicht wissen, was in beliebigen Fällen eine fromme Handlung ist, sondern unter welchen besonderen Umständen eine Handlung an sich oder eigentlich fromm ist. Ohne dem besonderen Aspekt der normativen Formen Rechnung zu tragen, geht Platon über zu deskriptiven Formen durch Fragen wie, was an sich gerade, ungerade oder gleich ist. Die letzteren Fälle erklärt Graeser schematisch: »Denn wenn wir als Platoniker einer Reihe von Gegenständen den Prädikator S zuschreiben, dann tun wir dies in der Regel aus der Annahme heraus, dass es sich bei diesen Gegenständen um Dinge handelt, welche bestimmte Charakteristika aufweisen, die wir, aus welchen Gründen auch immer, als essenzielle Charakteristika zu betrachten geneigt sind.«122

Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  |  67

Aus der Lehrmeinung Platons, das Wesen beispielsweise des Begriffs ›Pferd‹ ergebe sich aus der Erkenntnis der nur für Pferde gemeinsamen Eigenschaften, wird eine folgenreiche Unterscheidung thematisiert, wie sie offensichtlich vorausgesetzt worden ist zwischen der Eigenschaft, ein Pferd zu sein, und den einzelnen Dingen, die Pferde sind. So taucht mit der Unterscheidung zwischen Universalien (Begriffe, Eigenschaften, etc.) und Partikularien oder Individuen das Problem auf, wie sie auf Entitäten der realen Welt zu beziehen sind.123 III. Bei den verschiedenartigen Problemen kommt es darauf an, unabhängig von ontologischen Implikationen festzustellen, was mit einem Begriff und was mit einem Individuum eigentlich konzipiert wird. Für diese Fragen ist eine logische Unterscheidung von Frege instruktiv: »Unter Eigenschaften, die von einem Begriffe ausgesagt werden, verstehe ich natürlich nicht die Merkmale, die den Begriff zusammensetzen. Diese sind Eigenschaften der Dinge, die unter den Begriff fallen, nicht des Begriffes. So ist ›rechtwinklig‹ nicht eine Eigenschaft des Begriffes ›rechtwinkliges Dreieck‹; aber der Satz, dass es kein rechtwinkliges, geradliniges, gleichseitiges Dreieck gebe, spricht eine Eigenschaft des Begriffes ›rechtwinkliges, geradliniges, gleichseitiges Dreieck‹ aus; diesem wird die Nullzahl beigelegt. In dieser Beziehung hat die Existenz Aehnlichkeit mit der Zahl. Es ist ja Bejahung der Existenz nichts Anderes als Verneinung der Nullzahl.«124

Um zwischen der Eigenschaft eines Begriffs und eines Individuums differenzieren zu können, ist es nach Frege notwendig, beispielsweise von dem Begriff F (erster Stufe) zu behaupten, er werde durch das Merkmal F zusammengesetzt, das zugleich die Eigenschaft von mindestens einem oder keinem Individuum ist; im ersteren Fall hat der Begriff F die Eigenschaft der Existenz, im letzteren der Nicht-Existenz.125 Um logische Widersprüche bei der Unterscheidung zwischen den Eigenschaften und den Merkmalen 68  |  Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  

eines Begriffs F auszuschließen, ist es notwendig, die Vereinbarung zu treffen, dass der Begriff F nicht aus einem Merkmal zusammengesetzt wird, das zugleich eine Eigenschaft des Begriffs F ist. Platon beschäftigt die Frage, was das Fromme an sich oder was für alle frommen Handlungen eigentlich charakteristisch sei, und dafür fordert er Einsicht in das Wesen des Begriffs der Frömmigkeit unter der Voraussetzung, dass es das Fromme gibt. Dessen Existenz geht jedoch nicht aus den nur für fromme Handlungen charakteristischen Eigenschaften, also nicht aus dem Begriff der Frömmigkeit hervor. Der Essentialismus, den beispielsweise Pitcher126 vertritt, »[…] da alles zu irgendeiner Art gehört – […] hat alles ein Wesen«, wird offensichtlich ohne die Vereinbarung falsch ausgelegt, es sei im Gegensatz zu Platons und Aristoteles’ Auffassung möglich, die Definition oder das Wesen eines Begriffs auch im Fall der Nicht-Existenz festzustellen wie beispielsweise bei den Begriffen ›(natürliches) Einhorn‹ oder ›gleichseitiges und rechtwinkliges Dreieck‹. Mit der Existenz oder mit der Nicht-Existenz des Begriffs F wird genau genommen von dessen Merkmal F behauptet, dieses Merkmal F sei eine Eigenschaft von mindestens einem oder von keinem Individuum.

Wie verhält es sich dagegen mit der angeblichen Annahme von Begriffen ohne Grenzen wie beispielsweise von dem des Spiels? Da es unter dieser Voraussetzung nicht möglich ist, mit dem Ausdruck ›Spielsein‹ eine Eigenschaft zuzuschreiben, wird der Begriff des Spiels strukturell dadurch destruiert, dass er kein Merkmal hat.127 Andere Probleme tauchen auf mit der Frage nach der Existenz von Individuen oder Partikularien. Ein Individuum fällt unter den Begriff F oder – anders ausgedrückt – hat die Eigenschaft F, ohne selbst ein Begriff oder eine Eigenschaft zu sein.128 Wie ist dann ein Individuum im Unterschied zu einem Begriff konzipiert? Diese Unterscheidung ist nach Frege129 vom sprachlichen Gebrauch des unbestimmten beziehungsweise des bestimmten Artikels im Singular abhängig. So ergibt sich für ihn eine »sprachliche Härte«, »wenn wir behaupten: der Begriff Pferd ist kein Begriff«; durch den bestimmten Artikel habe der Ausdruck ›der Begriff Pferd‹ seine prädikative Eigenschaft verloren: Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  |  69

»Ähnliches kommt vor, wenn wir mit Beziehung auf den Satz ›diese Rose ist rot‹ sagen: das grammatische Prädikat ›ist rot‹ gehört zum Subjekt ›diese Rose‹. Hier sind die Worte ›das grammatische Prädikat ›ist rot‹‹ nicht grammatisches Prädikat, sondern Subjekt. Gerade dadurch, daß wir es ausdrücklich Prädikat nennen, rauben wir ihm diese Eigenschaft.«130

Weil er nicht zwischen einer Objekt- und einer Metasprache unterscheidet, sieht sich Frege offenbar genötigt zu behaupten, ›der Begriff Pferd‹ bezeichne einen Gegenstand, ohne in Rechnung zu stellen, dass es dann nicht möglich ist, die Eigenschaften von Begriffen und deren Beziehungen untereinander noch kohärent beschreiben zu können.131 Der Sprachgebrauch des bestimmten Artikels im Singular reicht als Kriterium für die Bezeichnung eines bestimmten Individuums offenbar nicht aus. Wie die kompatiblen Eigenschaften G und H den Umfang des Begriffs F bestimmen, so kann der Umfang dieses Begriffs durch weitere kompatible Merkmale wie in dem Begriff G-M verringert werden; wird dieses Verfahren fortgesetzt, dann kann man zu dem Begriff G-O gelangen, unter den nur ein bestimmtes Individuum fällt, das die Eigenschaften G-O hat; daher kann es durch den Ausdruck ›das G-O‹ bezeichnet werden. Mit dem bestimmten Artikel im Singular oder einem entsprechenden Demonstrativpronomen wird also die Bedingung der Einzigkeit für ein Individuum durch die Eigenschaften G-O festgestellt, die dieses Individuum eindeutig beschreiben. Wenn also ein Individuum a unter den Begriff F fällt, dann muss logisch ein Begriff zugrunde gelegt werden wie ›G-O‹, dessen Merkmale nur Eigenschaften von a sein können. Wird diese Bedingung nicht erfüllt, dann kann kein Individuum eindeutig beschrieben und beispielsweise durch ›a‹ bezeichnet werden; infolgedessen ist es logisch nicht möglich, von einem Individuum die Existenz zu behaupten. Bei der Beschreibung eines Individuums kann auch von einem monadischen Begriff wie zum Beispiel dem des Erdmonds132 ausgegangen werden, der nur ein Merkmal hat und die Eigenschaft eines Individuums ist, das unter diesen Begriff fällt. Ein Individuum ist nicht etwas, das sich in der Welt befindet oder vorgefunden wird, sondern etwas, das wörtlich genommen unteil­ 70  |  Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  

bar ist und durch irgendeine zutreffende eindeutige Beschreibung zu einem Individuum gemacht und folglich begrifflich konstruiert wird: In diesem Sinne ist etwas als eine ungeteilte Ganzheit, als ein Einzelding oder als eine einzelne Einheit ein Individuum wie zum Beispiel eine bestimmte Bibliothek, ein bestimmtes Buch dieser Bibliothek, eine bestimmte Seite des betreffenden Buches, Paris oder Karl der Große. Es ist logisch nicht möglich, ein Einzelding zu teilen und dennoch anzunehmen, es handele sich dabei um ein Indi­ viduum. Deshalb können Individuen selbst nicht mit irgend­etwas identifiziert werden, was in der Welt beobachtet werden kann, wie offensichtlich zum Beispiel Goodman behauptet: »Der Nominalismus beschreibt die Welt als aufgebaut aus Individuen.«133 Eine solche grundlegende Ontologie, die »objektive Einzeldinge enthält«, wird auch von Strawson134 vertreten; danach sei die Welt aus »von uns selbst zum Teil unabhängigen Dingen« zusammengesetzt. Eine objektsprachliche Behauptung wie »Paris ist ein Individuum« ist ebenso verfehlt wie »Pegasus ist kein Individuum«. Da also ›Individuum‹ keine Eigenschaft eines Einzeldings und folglich kein Merkmal eines entsprechenden Begriffs sein kann, ist es nicht möglich, die Existenz von Individuen, also etwa der jeweils einzelnen Pferde als Individuen, festzustellen; etwas kann vielmehr nur strukturell als ein Individuum betrachtet werden. Viele Individuen erhalten einen Namen oder Eigennamen, um eindeutige Beschreibungen der betreffenden Individuen durch diesen zu ersetzen. Wenn dagegen ›Pegasus‹ nicht der Name eines Individuums und auch nicht ein Begriff sein kann, dann ist es nicht möglich, einen Satz wie »Pegasus ist nicht«135 oder »Pegasus gibt es nicht« zu analysieren. Durch die mythische Beschreibung von Pegasus als das geflügelte Pferd, das von Bellerophon gefangen wurde, kann erklärt werden, ›Pegasus‹ sei angeblich, nicht jedoch tatsächlich der Name eines Individuums. Ist die eindeutige Beschreibung eines Individuums unzutreffend, dann hat entweder mehr als ein Individuum oder kein Individuum die betreffenden Eigenschaften. Der letztere Fall stiftet Verwirrung beispielsweise bei einem Satz wie »Die runde eckige Kuppel von Berkeley College ist nicht.«136 Da die Merkmale des Begriffs ›runde eckige Kuppel von Berkeley College‹ aus logisch inkompatiblen Eigenschaften bestehen und daher eine Subsumption Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  |  71

unter diesen Begriff entfällt, kann mit dem Ausdruck ›die runde eckige Kuppel von Berkeley College‹ logisch kein Individuum beschrieben werden. Im Gegensatz zur Auffassung von Quine ist die Analyse des Satzes »Die runde eckige Kuppel von Berkeley College ist rosa« durch Russells Theorie der Kennzeichnung überflüssig; denn im Fall dieser logisch imkompatiblen Beschreibung wird niemand Russells methodisch einschneidende Frage noch stellen, ob etwas rosa oder nicht rosa ist, wenn von ihm weder das eine noch das andere ausgesagt werden kann. Für den Namen oder Eigennamen eines Individuums ist es eigentümlich, dass auf ihn gewöhnlich nicht durch eine bestimmte, sondern durch eine beliebige zutreffende eindeutige Beschreibung abgehoben wird.137 Es wäre widersinnig, den Namen eines Individuums zu verwenden, ohne sagen zu können, um welches Individuum es sich dabei handelt, es sei denn, diese Frage soll noch gerade geklärt werden. Wenn es darum geht, nicht von einem Individuum, sondern von einer Eigenschaft oder von einem Begriff etwas auszusagen, dann werden Eigenschaftswörter wie z. B. ›gerecht‹, ›fromm‹ oder ›gleich‹ substantiviert, um dadurch die Möglichkeit zu erhalten, sich metasprachlich auf die Eigenschaft oder den Begriff der Gerechtigkeit, Frömmigkeit oder Gleichheit zu beziehen; eine analoge Unterscheidung besteht zwischen ›Pferd-Sein‹ und dem Begriff des Pferds, nicht jedoch der Pferdheit.138 Aus Aussagen über einen beliebigen Sachverhalt kann nicht auf die Ontologie von Begriffen oder Universalien geschlossen werden. So behauptet z. B. Quine: »Die Ontologie, die man hat, ist grundlegend für das Begriffssys­ tem, mit dessen Hilfe man alle Erfahrungen interpretiert, auch die alltäglichsten. Beurteilt man sie innerhalb eines bestimmten Begriffssystems – und wie sonst könnte man sie beurteilen? – dann ist eine ontologische Aussage selbstverständlich. Sie benötigt überhaupt keine besondere Rechtfertigung. Ontologische Aussagen folgen unmittelbar aus allen Arten von gelegentlichen Aussagen über Alltagstatsachen […].«139

Aus Aussagen wie »Es gibt rote Häuser, rote Rosen, rote Sonnenuntergänge« kann nicht, wie Quine meint, wegen der gemeinsa72  |  Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  

men Eigenschaft auf die Existenz eines Attributs, sondern nur auf die Existenz des Attributs oder des Begriffs der Röte geschlossen werden; denn aus der Behauptung »Es gibt rote Häuser« geht zum Beispiel hervor, dass es etwas gibt, was rot ist, und das lässt sich metasprachlich ausdrücken durch die Aussage »Es gibt den Begriff der Röte«, und zwar insofern, als auf etwas Bezug genommen wird, was rot ist und daher unter diesen Begriff fällt. Wie aus Aussagen der Art »Diese Rose ist rot« oder »Sokrates ist ein Philosoph« die Existenz der Röte oder eines Philosophen hervorgeht, kann nicht entsprechend aus metasprachlichen Aussagen wie »›Rotsein‹ ist ein Begriff« oder »›rechtwinkliges, geradliniges, gleichseitiges Dreieck‹ ist ein Begriff« auf die Existenz, sondern nur auf das jeweilige Merkmal oder auf die jeweiligen Merkmale des betreffenden Begriffs geschlossen werden. Von Aussagen über etwas in der Welt kann daher »innerhalb eines bestimmten Begriffssystems« nur auf die Existenz der ihm entsprechenden Begriffe geschlossen, es kann jedoch nicht allgemein die Existenz von Begriffen behauptet werden oder nach Quine allgemein, »was es gibt«. Es ist nicht möglich, allein von Begriffen oder Universalien festzustellen, dass sie eine Ontologie, eine Wissenschaft oder eine Lehre vom Seienden implizierten, wie es auch nicht möglich ist, von Individuen oder Partikularien zu behaupten, sie implizierten Entitäten in der realen Welt. Wegen ihrer internen Struktur sind Begriffe und Individuen unvereinbar mit einer ontologischen Position und daher sind sie begrifflich entscheidend für die Auflösung des Universalienproblems.

Die logische Inkonsistenz des Universalienproblems  |  73

7.  Ein destruktives Dilemma der Logik Bei der Interpretation von Aussagen geht es uns um deren Inhalt, wir versuchen also herauszufinden, was in ihnen behauptet oder eigentlich festgestellt wird. Mit den Prinzipien oder Gesetzen der Logik oder den so genannten Denkgesetzen, also mit den Prinzipien der Identität des zu vermeidenden Widerspruchs und des tertium non datur, wird bei deren Interpretationen ähnlich verfahren140 , wenn erklärt wird, was in ihnen logisch behauptet wird. Es scheint möglich zu sein, zu zeigen, dass die Interpretation dieser Prinzipien begrifflich nicht kohärent ist mit ihrer jeweiligen logischen Beschreibung durch eine zweistellige Aussagenverknüpfung. Um diesen Defekt herauszuarbeiten, ist es erforderlich, zunächst darauf einzugehen, wie die Prinzipien vom Nicht-Widerspruch oder vom ausgeschlossenen Dritten interpretiert werden, und zwar unter der junktorenlogischen Voraussetzung, dass eine wahrheitsdefinite Aussage jeweils nur einen von zwei Wahrheitswerten haben kann und dass auf dieser Basis die ein- und zweistelligen Aussagenverknüpfungen definiert werden.

I. Junktorenlogisch augedrückt wird nach dem Nicht-Widerspruchsprinzip141 mit ¬ (p ∧ ¬ p) behauptet, die beiden Aussagen p und ¬ p könnten nicht gemeinsam wahr sein, und nach dem Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten142, die beiden Aussagen p und ¬ p könnten nicht gemeinsam falsch sein: Offenbar besteht zwischen ihnen ein komplementäres Verhältnis. So stellt z. B. Stebbing143 fest: »It should be observed that both the principle of excluded middle and the principle of contradiction are required to define ›contradictory propositions‹. The principle of contradiction alone does not suffice to show that p and -p are contradictories; they might be contraries.«   |  75

Ähnlich behauptet Tarski144, erst nach beiden Prinzipien seien p und ¬ p kontradiktorische Aussagen; denn nur aus dem Prinzip vom Nicht-Widerspruch gehe hervor, »that one of these sentences must be false«, und nur aus dem Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten, »that one of the two sentences must be true«. Ähnlich konstatiert Blanché145, wenn er zum Nicht-Widerspruchsprinzip erläutert, p und ¬ p könnten nicht gemeinsam wahr und eine der beiden Aussagen müsse wenigstens falsch sein, und nach dem Prinzip vom ausgeschlossen Dritten könnten die beiden Aussagen nicht gemeinsam falsch und wenigstens eine von ihnen müsse wahr sein; erst aus der Konjunktion der beiden Prinzipien, die er für das »Prinzip der Alternativität« hält, gehe hervor, dass von beiden Aussagen nur die eine wahr und die andere falsch sein könne. Bei dieser weit verbreiteten Interpretation der beiden Prinzipien wird beim Nicht-Widerspruchsprinzip offenbar von der Negation der Konjunktion und bei dem Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten von der Disjunktion ausgegangen, ohne in Rechnung zu stellen, dass p jeweils nur einen der beiden Wahrheitswerte haben kann und dass es infolgedessen nicht möglich ist, p und ¬ p gemeinsam denselben Wahrheitswert zuzuschreiben. Dieser Umstand lässt sich durch eine entsprechende Wahrheitstafel verdeutlichen, bei der sich herausstellt, dass sie für beide Prinzipien genau übereinstimmt. Für ¬ (p ∧ ¬ p) und p ∨ ¬ p ergibt sich die folgende Wahrheitstafel: 1 2 3 4

p w w f f

¬p w f w f

entfällt w w entfällt

Aus der Wahrheitstafel wird ersichtlich, dass die beiden Aussagen p und ¬ p weder zusammen wahr noch zusammen falsch sein können und dass daher nur die beiden Wahrheitsmöglichkeiten und -bedingungen (2) und (3) für diese Prinzipien in Betracht kommen. Wenn p und ¬ p nicht denselben Wahrheitswert haben können, dann ist es widersinnig, in diesen Prinzipien für beide Aussagen 76  |  Ein destruktives Dilemma der Logik 

einen Wahrheitswert gemeinsam auszuschließen und den anderen gemeinsam zuzulassen. Die Annahme ist daher unvermeidlich, in diesen Prinzipien bestehe eine inhaltliche Übereinstimmung; dann jedoch kann nicht voneinander abweichend das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten alternativ interpretiert werden wie zum Beispiel in der intuitionistischen oder mehrwertigen Logik. Für die Interpretation dieser traditionellen Prinzipien scheint nur übrig zu bleiben, in ihnen logisch unterschiedlich festzustellen, dass p und ¬ p kontradiktorische Aussagen sind.

II. Der »aussagenlogisch kontradiktorische Widerspruch«146 wird auch147 von Hoyningen-Huene so verstanden, dass p und ¬ p nicht nur nicht zusammen wahr, sondern auch nicht zusammen falsch sein können: »[...] die beiden Aussagen müssen immer entgegengesetzte Wahrheitswerte haben, oder: Die eine Aussage muß die Negation der anderen Aussage sein. [...]   A: Der Mond ist aufgegangen.   B: Der Mond ist nicht aufgegangen.   Wenn man hier von den Übergangsfällen absieht, wo der Mond gerade halb über den Horizont blinzelt, dann können diese beiden Aussagen weder zugleich wahr noch zugleich falsch sein; ihre Wahrheitswerte sind einander gerade entgegengesetzt. Das ist natürlich deshalb der Fall, weil B die Negation von A ist.«148

Die Feststellung, ¬ p sei die Negation von p, geht aus der Definition der einstelligen Aussagenverknüpfung, und zwar der Negation von p hervor. In der Formel ¬ (p ∧ ¬ p) wird offensichtlich nur auf den jeweiligen Wahrheitswert der Aussage p und nicht, wie nahezu allgemein angenommen wird, auf verschiedene Aussagen Bezug genommen, nämlich auf p und ¬ p als kontradiktorische Aussagen. Danach müsste also mit der Formel ¬ (p ∧ ¬ p) behauptet werden, p könne nicht wahr und falsch sein, und entsprechend mit p ∨ ¬ p, p sei wahr oder falsch. Diese Auslegung scheitert jedoch an der Ein destruktives Dilemma der Logik  |  77

Konjunktion wie an der Disjunktion als einer Verknüpfung zweier Aussagen, nämlich von p und ¬ p, die sich jedoch in einer entsprechenden Wahrheitstafel nicht darstellen lässt. Ganz entsprechend wäre das Prinzip der Identität p → p im Hinblick auf die einstellige Aussagenverknüpfung der Affirmation von p in dem Verhältnis der gleichen Wahrheitswerte zueinander von p zu interpretieren. Danach würde diese Formel besagen, die Aussage p sei identisch mit sich selbst, ohne die Implikation als eine Verknüpfung von zwei Aussagen in Rechnung stellen zu können. Die Interpretation dieser drei traditionellen Prinzipien erweist sich daher als unvereinbar mit ihrer jeweiligen Beschreibung durch eine zweistellige Aussagenverknüpfung. Anders ausgedrückt ist die Interpretation der Formeln p → p, ¬ (p ∧ ¬ p) und p ∨ ¬ p weder jeweils als eine Aussage über eine noch über zwei Aussagen logisch haltbar. Dieses für die Logik destruktive Dilemma ist extrem seltsam, noch seltsamer ist vielleicht, dass es bisher niemandem aufgefallen ist.149

78  |  Ein destruktives Dilemma der Logik 

8.  Die Analyse der logischen Gültigkeit Die grundlegende Feststellung von Kneale150 »Logic is concerned with the principles of valid inference« findet ungeteilte Zustimmung durch unterschiedliche Beweismethoden für die logische Gültigkeit von Schlüssen, obgleich es noch immer nicht möglich ist, deren logische Gültigkeit begrifflich zu erfassen. Seit Aristoteles’151 bahnbrechender Arbeit über die Syllogistik ist es eine opinio communis festzustellen, Schlüsse seien logisch gültig, wenn aus wahren Prämissen die Wahrheit der Konklusion zwingend folgt. Für einen Schluss wie »Wenn alle Menschen Lebewesen und alle Lebewesen sterblich sind, so sind alle Menschen sterblich«152 ist es charakteristisch, dass in ihm drei Terme vorkommen, die alle wiederholt werden, einer von ihnen in den Prämissen und die beiden anderen in der Konklusion. Durch akribische Überlegungen ist Aristoteles zu der Erkenntnis gelangt, dass dieser Sachverhalt für die Konstruktion verschiedenartiger gültiger Schlüsse instruktiv ist.153 Ähnlich verhält es sich bei einem aussagenlogisch gültigen Schluss wie (p → q ∧ q → r) → (p → r) und dem entsprechend wiederholten Vorkommen von ›p‹, ›q‹ und ›r‹. Mit dem zwingenden Schluss von der Wahrheit der Prämissen auf die Wahrheit der Konklusion ist per definitionem vereinbar, dass die Konjunktion der Prämissen falsch und die Konklusion wahr bzw. falsch ist; danach besteht eine entsprechende Abhängigkeit zwischen den Wahrheitswerten der Konklusion von den Wahrheitswerten der Prämissen. Die Bedingungen für einen gültigen Schluss, nach dem die Wahrheit der Prämissen mit der Falschheit der Konklusion unvereinbar ist, werden auch erfüllt, wenn die Prämissen logisch falsch oder die Konklusion logisch wahr ist. Die Gültigkeit solcher Schlüsse resultiert danach entweder nur aus der logischen Falschheit der Prämissen oder der logischen Wahrheit der Konklusion. Obgleich derartige Schlüsse in Anwendungsfällen als unsinnig zu beurteilen sind, kann deren Gültigkeit nicht bestritten werden. Die Bemühungen, sie als logisch nicht relevant auszuschließen154 und nur den zwingenden Schlüssen von der Wahrheit der Prämissen   |  79

auf die Wahrheit der Konklusion Relevanz zuzuschreiben, scheint auf eine willkürliche Vereinbarung hinauszulaufen; denn die Frage nach einer begrifflichen Analyse der logischen Gültigkeit wird weder für die einen noch die anderen Schlüsse geklärt: Warum ist ein Schluss wie (p → q ∧ p) → q logisch gültig und warum ist eine Formel wie p ∨ ¬ p logisch wahr? Warum werden zum einen p und q und zum anderen p eigentlich wiederholt? Die Ansicht, ohne die Voraussetzung solch einer Wiederholung könne eine Formel nicht logisch wahr und ein Schluss nicht logisch gültig sein, wird nicht in Zweifel gezogen, auch wenn es bisher nicht gelungen ist, für diese Voraussetzung eine Erklärung zu finden.155 Es scheint mir möglich zu sein, eine Inkonsistenz in der Konzeption der logischen Junktoren aufzuzeigen und dadurch das wiederholte Vorkommen von Aussagen in gültigen Formeln überzeugend zu klären und die Grundlagen für den Begriff der logischen Folgerung zu explizieren. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, (I) junktorenlogische Verknüpfungen und einige logisch gültige Formeln zu exemplifizieren und (II) herauszuarbeiten, dass das wiederholte Vorkommen von ›p‹, ›q‹ in gültigen Formeln unvereinbar ist mit der traditionellen Konzeption der Aussagenverknüpfung oder der Wahrheitsfunktion und (III) dass eine reflexive Relation zwischen den Wahrheitswerten von Aussagen bestimmend ist für die Analyse der logischen Gültigkeit. I. Es lässt sich nicht vermeiden, einige unentbehrliche Grundlagen der Aussagen- oder Junktorenlogik zu skizzieren. Die Verknüpfungen von Aussagen werden durch die unterschiedliche Verrechnung ihrer Wahrheitswerte in entsprechenden Wahrheitstafeln definiert. So ist es möglich, ein- bzw. zweistellige Aussagenverknüpfungen unterschiedlich auszudrücken wie z. B. in den folgenden Äquivalenzbeziehungen: p↔¬¬p p→q↔¬p∨q ¬ (p ∧ ¬ q) ↔ ¬ p ∨ q 80  |  Die Analyse der logischen Gültigkeit 

Bei jeder beliebigen Annahme des Wahrheitswertes für p bzw. für p und q wird die Äquivalenzbeziehung zwischen den beiden Formeln erfüllt. In modernen Lehrbüchern der Logik werden gelegentlich die drei folgenden Formeln als Gesetze oder Prinzipien der Logik vorgestellt: p→p ¬ (p ∧ ¬ p) p∨¬p Wie diese Prinzipien werden auch die folgenden vier Formeln in entsprechenden Wahrheitstafeln als gültig ausgewiesen: pq → p p → (q → p) q → (¬ p ∨ p) (p ∧ ¬ p) → ¬ q Abgesehen davon, dass die jeweilige logische Ausdrucksweise einer gültigen Formel für deren Interpretation bedeutsam ist, können die letzten vier Formeln aus operativ zulässigen Gründen übereinstimmend durch p ∨ ¬ q ∨ ¬ p ausgedrückt werden. Dieser Formel ist zu entnehmen, dass die Gültigkeit dieser vier Formeln von der Disjunktion p ∨ ¬ p abhängig und die Disjunktion ¬ q überflüssig ist. Durch diesen Umstand ist es jedoch möglich, durch entsprechende Umformungen dieser Formel in dem Fall der logischen Falschheit der Prämissen oder der logischen Wahrheit der Konklusion absurde Schlüsse zu ziehen, die insofern absurd sind, als die Wahrheitswerte der Konklusion von den Wahrheitswerten der Prämissen unabhängig sind.

II. Da in den Formeln p → p, p ∨ ¬ p und ¬ (p ∧ ¬ p) die logische Gültigkeit durch das wiederholte Vorkommen von ›p‹ bestimmt wird, scheint sich durch die zweistelligen Verknüpfungen der Implikation, der Disjunktion und der Konjunktion die Annahme zu Die Analyse der logischen Gültigkeit  |  81

ergeben, in diesen Formeln werde etwas über zwei Aussagen festgestellt. So ist z. B. Hoyningen-Huene der Meinung, es sei notwendig, für die Erklärung der Wiederholung einer Aussage den Begriff der Aussage in Betracht zu ziehen: »Damit nämlich überhaupt davon gesprochen werden kann, daß eine Aussage wiederholt vorkommt, muß eine Aussage etwas sein, das einer Wiederholung fähig ist. Damit aber kann in der Aussagenlogik das mit dem Begriff ›Aussage‹ Gemeinte kein physisches Vorkommnis wie eine konkrete Äußerung (eine in einem bestimmten Zeitintervall an einem bestimmten Ort vorkommende Lautfolge) oder eine physisch vorliegende Inschrift sein. Ein solches physisches Vorkommnis ist notwendigerweise historisch einmalig und kann daher nicht wiederholt werden. Der für die Aussagenlogik einschlägige Begriff der Aussage muss demnach etwas Abstrakteres bezeichnen, eben etwas, das der Wiederholung fähig ist.«156

Wie sinnvoll kann es sein, eine Aussage zu wiederholen? Wenn sie tatsächlich wiederholt wird, dann ist sie offensichtlich überflüssig; so lassen sich zum Beispiel p ∧ p, p ∨ p, ¬ p → p auf die Affirmation von p reduzieren. Das wiederholte Vorkommen von ›p‹ in Formeln wie p → p oder p ∨ ¬ p ist dagegen offensichtlich unentbehrlich. Im allgemeinen Sprachgebrauch sind Formulierungen einer reflexiven Relation auffallend wie zum Beispiel in den Aussagen »Hans ist sein eigener Verleger« oder »Hans ist sein eigener Freund«, die formal durch das wiederholte Vorkommen von ›Hans‹ ausgedrückt werden in den Aussagen »Hans ist ein Verleger von Hans« oder »Hans ist ein Freund von Hans«, in denen jeweils etwas anderes, nicht jedoch jeweils etwas anderes wiederholt von Hans behauptet wird. Eine analoge Interpretation von p → p oder p ∨ ¬ p läge vor, würde in diesen Formeln nur etwas über den jeweiligen Wahrheitswert von p beziehungsweise von der Wahrheit und Falschheit von p behauptet werden, sie scheitert jedoch an der junktorenlogischen Definition der Implikation und der Disjunktion als Verknüpfungen von zwei Aussagen;157 infolgedessen ist es nicht möglich, für das wiederholte Vorkommen von ›p‹ eine Erklärung zu finden. Es scheint daher notwendig zu sein, grundlegend auf die Frage zu82  |  Die Analyse der logischen Gültigkeit 

rückzugehen, wie Aussagen über die Affirmation oder Negation von p, über die Konjunktion p ∧ q, die Disjunktion p ∨ q oder die Implikation p → q begrifflich eigentlich aufzufassen sind. Beeinflusst von Frege158 wurde von Whitehead und Russell die Abhängigkeit der Wahrheitswerte beispielsweise von p ∨ q, p ∧ q und so weiter von den Wahrheitswerten von p und q als eine jeweils entsprechende Wahrheitsfunktion interpretiert: »It will be observed that the truth-values of p ∨ q, p ▪ q, p ᴐ q, ~ p, p ≡ q depend only upon those of p and q, namely the truth-value of ›p ∨ q‹ is truth if the truth-value of either p or q is truth, and is falsehood otherwise; that of ›p ▪ q‹ is truth if that of both p and q is truth, and is falsehood otherwise [...]«159

Die Wahrheitsfunktionen werden von ihnen offensichtlich auf Basis der Affirmation von p als eine funktionale Dependenz ähnlich wie eine mathematische Funktion konzipiert: »We may call a function f (p) a ›truth-function‹ when its argument p is a proposition, and the truth-value of f (p) depends only upon the truth-value of p.«160

Mit der Festlegung, dass die Wahrheitswerte beispielsweise der Affirmation von p oder der Konjunktion p ∧ q abhängig sind von den Wahrheitswerten von p oder von p und q, wird irrtümlich eine funktionale Dependenz angenommen. Zweifellos ist die Wahrheit der Aussage »2 ist eine Primzahl« davon abhängig, dass 2 eine Primzahl ist, und die Falschheit der Aussage »4 ist eine Primzahl« davon abhängig, dass 4 keine Primzahl ist; der Wahrheitswert einer Aussage bezieht sich also auf deren jeweiligen Inhalt. Wie die Wahrheitswerte der Aussage »x größer y« von den jeweiligen Zahlenpaaren, so hängen die Wahrheitswerte von p ∧ q von den jeweiligen Wahrheitswerten der Aussagen p und q ab: Aus der Wahrheitswertabhängigkeit geht nicht hervor, ob etwas über das Verhältnis verschiedener Größen oder verschiedener Aussagen festgestellt wird. Dieser Unterschied zu einer funktionalen Dependenz wird nicht erfasst, wenn beispielsweise Barwise und Etchemendy ausführen: Die Analyse der logischen Gültigkeit  |  83

»Die Junktoren ∧, ∨ und ¬ sind wahrheitsfunktional. Wie bemerkt, bedeutet dies Folgendes: Der Wahrheitswert eines komplexen Satzes, der mittels eines dieser Symbole gebildet ist, ergibt sich einfach aus den Wahrheitswerten der unmittelbaren Bestandteile des Satzes. Um also zu wissen, ob P ∨ Q wahr ist, müssen wir nur die Wahrheitswerte von P und Q kennen. Dieser einfache Zusammenhang erlaubt es uns, die Bedeutungen wahrheitsfunktionaler Junktoren mittels Wahrheitstafeln darzustellen.«161

Danach werden die Junktoren im Hinblick auf komplexe Sätze in Wahrheitstafeln nur schematisch, nicht begrifflich zugeordnet. Wie sie seit Frege162 als Aussagenverknüpfungen zugrunde gelegt werden, so ist es üblich geworden, in entsprechenden Wahrheits­ tafeln die Affirmation von p und q, p ∧ q, p ∨ q und p → q durch einoder zweistellige Aussagenverknüpfungen darzustellen. Es wird jedoch, wie mir scheint, dabei nicht genügend genau beachtet, dass nicht Aussagen, sondern nur deren Wahrheitswerte miteinander verknüpft und insofern Wahrheitswertrelationen gebildet werden, die sich in entsprechenden Wahrheitstafeln als ein- oder zweistellige nonfunktionale Wahrheitswertrelationen definieren lassen. Die Relationen zwischen den Wahrheitswerten von p und q sind dann nicht definitorisch auf verschiedene Aussagen für ›p‹ und ›q‹ beschränkt und infolgedessen kann eine Relation auch zwischen den Wahrheitswerten von nur einer Aussage p bestehen wie zum Beispiel in der Implikation p → p oder in der Disjunktion p ∨ ¬ p.

III. Was wird in den drei Formeln im Gegensatz zu den entsprechenden logischen Prinzipien eigentlich ausgesagt? Mit p → p wird festgestellt, der jeweilige Wahrheitswert von p impliziere sich selbst oder sei mit sich selbst identisch. Mit ¬ (p ∧ ¬ p) wird behauptet, der jeweilige Wahrheitswert von p sei unvereinbar mit seiner Negation oder mit seiner Kontradiktion, und mit p ∨ ¬ p wird behauptet, der jeweilige Wahrheitswert von p schließe dessen Negation aus. Durch das wiederholte Vorkommen von ›p‹ ist es möglich, unter der Voraussetzung, die Implikation, die Konjunktion und die 84  |  Die Analyse der logischen Gültigkeit 

Disjunktion seien zweistellige Wahrheitswertverknüpfungen, die drei logischen Formeln übereinstimmend durch die Feststellung der reflexiven Relation zwischen den Wahrheitswerten von p zu interpretieren. Diese Relation ist nicht auf die Wahrheitswerte von nur einer Aussage beschränkt, sie kann beliebig erweitert werden auf die Wahrheitswerte von nicht-reflexiven Relationen wie u. a. zwischen p und q. Wenn wir z. B. p → q für ›p‹ in ¬ p ∨ p einsetzen, dann erhalten wir ¬ (p → q) ∨ (p → q) und behaupten, der jeweilige Wahrheitswert von p → q schließe dessen Negation aus. Aus den beiden folgenden Umformungen dieser Relation ¬ (p → q) ∨ (¬ p ∨ q) und [¬ (p → q) ∨ ¬ p] ∨ q ergibt sich durch eine weitere Umformung (p → q ∧ p) → q der bekannte Schluss modus ponens: Aus der Wahrheit seiner Prämissen folgt zwingend die Wahrheit der Konklusion, wenn nämlich p und q gemeinsam wahr sind, wenn jedoch q falsch ist, dann folgt aus der Falschheit der Prämissen die Falschheit der Konklusion. Anders ausgedrückt könnte man feststellen, die Wahrheit der Prämissen p → q ∧ p sei unvereinbar mit der der Konklusion ¬ q, nämlich in: ¬ [(p → q ∧ p) ∧ ¬ q] Aus der reflexiven Disjunktion (p → q) ∨ ¬ (p → q) ergeben sich also durch entsprechende logische Umformungen verschiedene gültige Formeln auf der Basis der Wahrheitswerte von p und q. Die Konzeption der reflexiven Wahrheitswertrelation ist aufschlussreich für die Feststellung, dass die Wahrheitswerte der Konklusion abhängig sind von den Wahrheitswerten der Prämissen, und zwar auch in den Fällen, dass die Konklusion oder die Konjunktion der Prämissen falsch sind. So wird der Wahrheitstransfer von den Prämissen auf die Konklusion in der reflexiven Relation zwischen den Wahrheitswerten der Konklusion und den Prämissen abgebildet. Die reflexive Wahrheitswertrelation ist danach das entscheidende Kriterium für die logische Gültigkeit einer aussagenlogischen Formel. Wenn weder logisch wahre noch logisch falsche Wahrheitswertrelationen und keine überflüssigen Wahrheitswertrelationen in den Prämissen und in der Konklusion eines Schlusses enthalten sind, dann ist es möglich, die Prämissen und die Konklusion auf eine reflexive Folgerungsbeziehung festzulegen. Die Differenz zur Prädikatenlogik ergibt sich durch die analoge Konzeption einer refleDie Analyse der logischen Gültigkeit  |  85

xiven Begriffsrelation wie zum Beispiel in der Formel (x) (fx → fx), in der die reflexive Beziehung des Begriffs f zu sich selbst festgestellt wird. Wenn f jedoch nicht die Eigenschaft der Existenz hat, wenn also kein x die Eigenschaft f hat, dann ist diese Formel wahr, nicht jedoch auf der Basis einer reflexiven Begriffsrelation. Für die weitere Ausgestaltung der Logik und logischer Beweisverfahren ist es unerlässlich, nur die reflexiven Relationen zwischen den Wahrheitswerten von Aussagen oder die reflexiven Relationen zwischen Begriffen der Analyse der logischen Gültigkeit zugrunde zu legen. Durch die Konzeption der reflexiven Folgerungsbeziehung ist es möglich, wie mir scheint, mit einer Erklärung der logischen Gültigkeit einen systematischen Einblick zu finden, der gegenwärtige Ausführungen vertiefen könnte wie beispielsweise diejenigen von Hintikka und Sandu: »It is far from clear what is meant by logic or what should be meant by it. It is nevertheless reasonable to identify logic as the study of inferences and inferential relations. The obvious practical use of logic is in any case to help us to reason well, to draw good inferences. And the typical form the theory of any part of logic seems to be a set of rules of inference. This answer already introduces some structure into a discussion of the nature of logic, for in an inference we can distinguish the input called a premise or premises from the output known as the conclusion. The transition from a premise or a number of premises to the conclusion is governed by a rule of inference. If the inference is in accordance with the appropriate rule, it is called valid.«163

Ganz entsprechend sind die Bemerkungen von Schroeder-Heister und Contu: »Wenn man mit einem einzigen Stichwort ausdrücken will, um was es in der Logik geht, so ist es nicht unangemessen, den Begriff der Folgerung oder (synonym) den der Konsequenz heranzuziehen. Seit Aristoteles ist die Logik vornehmlich eine Theorie des Schließens, d. h. der Gesetze, an die sich folgerichtiges Denken und Argumentieren zu halten hat. Diese Gesetze kann man in Form von Konsequenzen ausdrücken. Eine Konsequenz ist dabei 86  |  Die Analyse der logischen Gültigkeit 

eine Beziehung zwischen bestimmten Aussagen, den Prämissen, und einer weiteren Aussage, der Konklusion, die besagt, daß man von den Prämissen zur Konklusion übergehen darf. Man spricht auch von Konsequenz- oder Folgerungsrelation [...].«164

Die Analyse der logischen Gültigkeit  |  87

Erstveröffentlichungsnachweise Der zweite Aufsatz wurde geringfügig korrigiert und übernommen von: www.digibib.tu-bs.de/?docid=00055959. Die Aufsätze fünf, sechs und sieben wurden komplett umgearbeitet, frühere Versionen findet man unter: www.tu-braunschweig.de/philosophie/personen/welding.

Anmerkungen T. Nagel, »Physikalismus« [engl. 1965], in: P. Bieri (Hrsg.), Ana­ lytische Philosophie des Geistes, 2. Aufl. Bodenheim 1993, (56–72) 58. 2  A. J. Ayer, The Problem of Knowledge, Harmondsworth 1956, 87. 3  J. S. Searle, Die Wiederentdeckung des Geistes [engl. 1992], München 1993, 151. 4  Ebd., 167 f. 5  B. Russell, The Problems of Philosophy, London 1912, 12. 6  Vgl. G. E. Moore, »Some Judgements of Perception« (1918), in: R. J. Swartz (ed.), Perceiving, Sensing, and Knowing. A Book of Readings from Twentieth-Century Sources in the Philosophy of Perception, London 1965, (1–28), 17 f. 7  Vgl. Ch. v. Campenhausen, Die Sinne des Menschen, 2. Aufl. Stuttgart/New York 1993, 233. 8  Die Frage, ob eine blind geborene Person, die neuerdings sehen könnte, in der Lage wäre, einen Würfel und eine Kugel visuell zu differenzieren, hat bereits Locke beschäftigt. Vgl. J. Locke, Über den menschlichen Verstand [engl. 1690], 3. Aufl. Hamburg 1976, Buch II, Kap. 9, § 8. 9  G. Ryle, Der Begriff des Geistes [engl. 1949], Stuttgart 1969, 276 f. 10  F. I. Dretske, Seeing and Knowing, London 1969, 4. 11  Vgl. entsprechend R. Schantz, Der sinnliche Gehalt der Wahrnehmung, München 1990, 144 ff. 12  M. Willaschek, »Phänomenale Begriffsverwendung und die Rechtfertigungsfunktion der Wahrnehmung«, in: Th. Grundmann (Hg.), Erkenntnistheorie. Positionen zwischen Tradition und Gegenwart, Paderborn 2001, (264–282) 269 ff. 13  O. Sacks, Die Insel der Farbenblinden [engl. 1996], Reinbek 1997, 93. 14  M. Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung [frz. 1945], Berlin 1966, 22 f. 15  G. E. Moore, »The Refutation of Idealism« (1903), in: ders., Philo­sophical Studies, London 1922, (1–30) 26 ff. 16  Vgl. A. J. Ayer, »Privacy«, in: ders., The Concept of a Person, 1 

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New York 1963, (52–81), 79; R. Rorty, »Incorrigibility as the mark of the mental«, The Journal of Philosophy 67, 1970, (399–424) 413. 17  Vgl. die genaue empirische Beschreibung der anfänglichen Entwicklung eines Kleinkinds, auch im Hinblick auf die unten folgenden Ausführungen, in: J. Bauer, Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen, Hamburg 2005, 60 ff. 18  Vgl. P. Hobson, Wie wir denken lernen. Gehirnentwicklung und die Rolle der Gefühle [engl. 2002], Düsseldorf/Zürich 2003, 10, 231 ff. 19  M. Hartmann, Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären, Frankfurt a. M., 2., aktualisierte Aufl. 2010, 53 f. 20  F. Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. 1 (1874), Hamburg 1955, 124 ff. 21  Die vielfach angenommene Unterscheidung zwischen ›sensations‹ und ›propositional attitudes‹ (Empfindungen und Einstellungen) ist für phänomenale Erfahrungen nicht konstruktiv. Vgl. C. McGinn, The Character of Mind, Oxford/New York 1982, 8 ff.; J. Kim, Philo­ sophie des Geistes [engl. 1996], Wien/New York 1998, 23–26; vgl. entsprechend A. Beckermann, Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, Berlin, 2., aktualisierte Aufl. 2001, 13. 22  Vergleiche dazu die aufschlussreichen, akribischen Untersuchungen von Ronald de Sousa, Die Rationalität des Gefühls [engl. 1987], Frankfurt a.M. 1997, fünftes und sechstes Kap.; R. C. Roberts, Emotions: An Essay in Aid of Moral Psychology, Cambridge 2013. 23  S. o. Nagel, »Physikalismus« (Anm. 1), ebd. 24  Vgl. u. a. Kim, Philosophie des Geistes (Anm. 21), 62 ff., 139 ff. 25  Danach kann die Frage nach der Identität von B mit einem Gehirnprozess nicht sinnvoll gestellt werden. Vgl. u. a. dazu die viel erörterten Beiträge: U. T. Place, »Is Consciousness a Brain Process?«, British Journal of Psychology 47, 1956, 44–50; J. J. C. Smart, »Postscript to ›Sensations and Brain Processes‹«, Philosophical Review 58, 1959, 141–156; D. Armstrong, A Materialist Theory of the Mind, Ithaca 1968. 26  Vgl Nagel, »Physikalismus« (Anm. 1), 68. 27  D. Birnbacher, »Negative Kausalität – das Dilemma und ein Vorschlag zur Auflösung«, ZphF, 66, 2012, (487–512) 487 ff.; D. Birnbacher / D. Hommen, Negative Kausalität, Berlin/Boston 2012, 4 ff.; I. Puppe, »Negative Kausalität und Jurisprudenz. Ein Diskussionsbei90  |  Anmerkungen 

trag zu Birnbacher und Hommen«, ZphF, 67, 2013, 632–643 und weitere Literaturangaben in diesen Arbeiten; vgl. dagegen: M. S. Moore, Causation and Responsibility. An Essay in Law, Morals and Metaphysics, Oxford 2009, Ch. VI. 28  Vgl. die einflussreiche Abhandlung: G. E. M. Anscombe, Absicht [engl. 1957], Berlin 2011, § 1 ff. 29  Vgl. A. Reiner, »Die Gesinnungsethik«, in: J. Ritter / K. Gründer, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, Basel 1974, 135. 30  P. Dowe, Physical Causation, Cambridge [u. a.] 2000, 123; diese und ähnliche Beispiele vgl.: ders., »A Counterfactual Theory of Prevention and ›Causation‹ by Omission«, Australasian Journal of Philosophy, 79, (216–226) 216 f.; H. Beebee, »Causing and Nothingness«, in: J. Collins / N. Hall / L. A. Paul (eds.), Causation and Counterfactuals, Cambridge/Mass. 2004, (291–308) 291 ff.; Birnbacher, »Negative Kausalität …« (Anm. 27), ebd.; vgl. dagegen Moore, Causation and Responsibility (Anm. 27), 445 f. 31  Dowe, Physical Causation (Anm. 30), ebd. 32  Ebd. 33  Birnbacher/Hommen, Negative Kausalität (Anm. 27), 4. 34  Danach braucht das Problem der Kausalität nicht mehr erneut durchforstet zu werden, genauso wenig wie die Farbenlehre bei einer Farbsinnstörung (vgl. Puppe, »Negative Kausalität und Jurisprudenz …« (Anm. 27), 636 ff.; Birnbacher/Hommen, Negative Kausalität (Anm. 27), Kap. 3). 35  Birnbacher, »Negative Kausalität …« (Anm. 27), 488. 36  Die besonderen Umstände müssen genauer berücksichtigt werden; so ist z. B. nicht jede Fahrlässigkeit schuldhaft. 37  Moore, Causation and Responsibility (Anm. 27), 448. 38  S. u., Kapitel 4. 39  D. Davidson, »Handeln« [engl. 1971], in: ders., Handlung und Ereignis, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1998, (73–98) 79. 40  Ebd., 79. 41  Vgl. dagegen: D. Birnbacher, Tun und Unterlassen, Stuttgart 1995. 42  Birnbacher, »Negative Kausalität …« (Anm. 27), 492. 43  Ebd. 44  Ebd., 499. 45  Vgl. S. O. Welding, »Ist die ethische Disjunktion Determinismus oder Indeterminismus lösbar?«, ARSP, 99, 2013, (556–563). Anmerkungen  |  91

Thales war der Ansicht, das Wasser des Nils werde durch nörd­ liche Winde daran gehindert, abzufließen, und daher ergebe sich durch den Rückstau die Nilschwemme, die jedoch tatsächlich durch jährlich auftretende starke Regenfälle im Quellgebiet des Nils zustande kommt. 47  Vgl. H. Tetens, Wissenschaftstheorie. Eine Einführung, München 2013, Kap. 3. 48  Platon, Theaetetus 201 c , in: J. Burnet (ed.): Platonis Opera Vol. I, Oxford 1900 (übersetzt von E. Martens: Theätet, Stuttgart 1981, 193). 49  E. Gettier, »Is justified true belief knowledge?«, Analysis 23, 1963, (121–123). 50  Ohne Erläuterung verweist Gettier auf Platon (Menon 98 und Theätet 201) und auf Ayer, The Problem of Knowledge, London 1956. 51  A. Beckermann, »Zur Inkohärenz und Irrelevanz des Wissensbegriffs. Plädoyer für eine neue Agenda in der Erkenntnistheorie«, Zeitschrift für philosophische Forschung 55, 2001, (571–593) 572 f.; vgl. entsprechend: R. M. Chisholm, Erkenntnistheorie [engl. 2. edn., 1977], München 1974, 149 ff.; E. Sosa, »How do you know?«, American Philosophical Quarterly 11, 1974, 113–122; R. K. Shope, The Analysis of Knowing. A Decade of Research, Princeton 1983, ch. 1; E. Craig, Was wir wissen können, Frankfurt a. M. 1993, 55 ff.; L. Zagzebski, »The Inescapability of Gettier Problems«, The Philosophical Quarterly, Vol. 44, No. 174, 1994, 65–73; T. Grundmann, Analytische Einführung in die Erkenntnistheorie, Berlin 2008, 99 f.; G. Ernst, Einführung in die Erkenntnistheorie, 3. Aufl. Darmstadt 2011; und ferner viele andere Autoren, neuerdings insbes. die Beiträge in G. Ernst / L. Marani (Hrsg.), Das Gettierproblem. Eine Bilanz nach 50 Jahren, Münster 2013. 52  Th. Grundmann, »Die traditionelle Erkenntnistheorie und ihre Herausforderer«, in: ders. (Hrsg.), Erkenntnistheorie – Positionen zwischen Tradition und Gegenwart, Paderborn 2001, (9–29) 11 f. 53  S. Bernecker: »Warum das Gettierproblem kein Scheinproblem ist«, in: G. Ernst / L. Marani (Hrsg.), Das Gettierproblem (Anm. 52), (29–48), 29. 54  A. J. Ayer, The Problem of Knowledge, London 1956, 35. 55  Tetens, Wissenschaftstheorie (Anm. 47), 23. 56  Ebd., 26 f. 57  J. L. Austin, »Other Minds«, in: ders., Philosophical Papers (J. O. Urmson / G. J. Warnock eds.), Oxford 1961, (76–116) 97 f. 46 

92  |  Anmerkungen 

Grundmann, Analytische Einführung in die Erkenntnistheorie, Berlin 2008, 89. 59  Dagegen gibt es eine analoge Gewissheit, wenn jemand glaubt und versichert, dessen gewiss zu sein, zum Beispiel im Lotto oder bei einem Preisausschreiben zu gewinnen. 60  Vgl. hierzu die Beiträge von M. Schlick, R. Carnap, H. Hahn etc. in: H. Schleichert (Hrsg.), Logischer Empirismus. Der Wiener Kreis. München 1975. A. J. Ayer, Sprache, Wahrheit und Logik, aus dem Engl. übers. u. hrsg. v. Herbert Herring [engl. 1936], Stuttgart 1970. Ders. (ed.), Logical positivism, New York 1959. 61  Vgl. S. O. Welding, »Gibt es eine Forschungslogik?«, in: ders., Logik und Erkenntnis, Aachen 2011, 11–20. 62  K. Popper, Logik der Forschung [1934], Tübingen, 7. Aufl. 1981, 7. 63  Ebd., 31 f. [Hervorhebungen im Original]. 64  Popper, »Replies to my critics«, in: P. A. Schilpp (ed.), The Philosophy of Karl Popper, vol. 2, La Salle, Illinois 1974, 1030. 65  Vgl. W. Stegmüller, »Erklärung, Begründung, Kausalität« in: ders., Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Bd. 1, Berlin, 2. Aufl. 1983; S. v. Kutschera, Wissenschaftstheorie, 2 Bände, München 1972. 66  C. G. Hempel / P. Oppenheim, »Studies in the logic of explanation« (1948), in: C. G. Hempel, Aspects of Scientific Explanation and Other Essays in the Philosophy of Science, New York [u. a.] 1968, 245–290. 67  C. G. Hempel, Aspekte wissenschaftlicher Erklärung, Berlin, New York 1977, 21. 68  Vgl. H. Poser, Wissenschaftstheorie: Eine philosophische Einführung, 2. Aufl. Stuttgart 2012, 44 ff. 69  Vgl. B. Russell, »On the Notion of Cause«, in: ders., Mysticism and logic and other essays, London 1919, (173–199) 173. E. Scheibe »Ursache und Erklärung«, in: L. Krüger (Hrsg.), Erkenntnisprobleme der Naturwissenschaften, Köln 1970, (253–275) 264 f. 70  S. Read, Philosophie der Logik [engl. 1994], Hamburg 1997, 52; vgl. zu demselben Beispiel: N. Goodman, Tatsache, Fiktion, Voraussage [engl. 1955], Frankfurt a. M. 1988, 19 ff. Aufschlussreiche wissenschaftstheoretische Beispiele finden sich bei T. Keutner, »Wissenschaftstheorie«, in: H. Busche (Hrsg.), Einführung in die theoretische Philosophie anhand ihrer Disziplinen, Hagen 2009, (103–122) 104 f. 58 

Anmerkungen  |  93

W. Stegmüller, »Erklärung, Begründung (Anm. 65), 185 f. 72  P. Hoyningen-Huene, Formale Logik. Eine philosophische Einführung, Stuttgart 1998, 78. 73  Ebd., 48. 74  D. Hilbert / W. Ackermann, Grundzüge der theoretischen Logik, 6. Aufl. Berlin 1972, 41. 75  F. von Kutschera / A. Breitkopf, Einführung in die moderne Logik, Freiburg 1971, 39. 76  L. Czayka, Grundzüge der Aussagenlogik, 2. Aufl. MünchenPullach 1972, 69. 77  N. Goodman, Tatsache, Fiktion, Voraussage (Anm. 70), 37. 78  W. Stegmüller, »Erklärung, Begründung (Anm. 65), 320. 79  Ebd., 321. 80  K. Popper, Logik der Forschung (Anm. 62), 44 f. 81  C. G. Hempel, »A purely syntactical definition of confirmation«, The Journal of Symbolic Logic 8, New York 1944, (122–143) 128; vgl. ders., Aspects of Scientific Explanation and Other Essays in the Philosophy of Science, New York 1965, 14–20. 82  L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. Kritisch-gene­ tische Edition, hrsg. von J. Schulte, Frankfurt a. M. 2001 [kurz: PU], 741 f. 83  Vgl. E. v. Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache. Eine kritische Einführung in die Ordinary Language Philosophy, Frankfurt a. M. 1993, 13. 84  L. Wittgenstein, Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften [engl. 1965], hrsg. und übers. von J. Schulte, Frankfurt a. M. 1989. 85  P. M. S. Hacker, Einsicht und Täuschung. Wittgenstein über Philosophie und die Metaphysik der Erfahrung [engl. 1972], Frankfurt a. M. 1978, 10. 86  Vgl. ausführlich hierzu: H. Lenk, »Zu Wittgensteins Sprach­ theorie«, in: H. Lenk / M. Skarica (Hrsg.), Wittgenstein und die schemapragmatische Wende, Berlin 2009, 81–118, insb. 81–84 und die zahlreichen Literaturhinweise. 87  Vgl. Wi PU § 65–71. 88  Vgl. die systematische Darstellung: G. P. Baker / P. M. S. Hacker, An analytical commentary on the Philosophical Investigations, Vol. 1, Wittgenstein. Understanding and Meaning, Oxford 1980, 325 ff. 89  PU § 66. 71 

94  |  Anmerkungen 

PU § 68 und § 70. 91  PU § 67. 92  J. Schulte: Wittgenstein. Eine Einführung, Stuttgart 1980, 151 f. 93  W. Lütterfelds: »Familienähnlichkeit als sprachähnliche Kritik und Neukonzeption des metaphysischen Essentialismus?« in: K. Gloy (Hrsg.), Unser Zeitalter – ein postmetaphysisches?, Würzburg 2004, (147–152) 150. 94  Vergleiche entsprechend: J. R. Bambrough, »Universals and Family Resemblance«, in: R. J. van Iten (ed.), The Problem of Universals, New York 1970, 250–260; L. Pompa »Family Resemblance«, The Philosophical Quarterly, Vol. 17, No. 66, 1967, 63–69 und L. Geldsetzer, Wittgensteins Familienähnlichkeitsbegriffe, 1999 (OnlineVeröffentlichung: www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/philo/geldsetzer/ famaenl.htm). 95  L. Wittgenstein, Das blaue Buch [engl. 1958], in: ders.: Schriften 5 (hrsg. von R. Rhess, G. E. M. Anscombe und G. H. von Wright), Frankfurt a. M. 1970, 37 f. 96  PU § 66. 97  J. R. Bambrough, »Universals and Family Resemblance« (Anm. 94), 255. 98  H. Wennerberg, »Der Begriff der Familienähnlichkeit in Wittgensteins Spätphilosophie«, in: E. v. Savigny (Hrsg.), Klassiker aus­ legen. Ludwig Wittgenstein. Philosophische Untersuchungen, 2. Aufl. Berlin 2011, (33–61) 33. 99  J. Huizinga, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Amsterdam 1938. 100  Vgl. unten, Kapitel 6. 101  PU § 23. 102  Vgl. H.-J. Glock, Wittgenstein-Lexikon [engl. 1996], 2. Aufl. Darmstadt 2010, 326. 103  PU § 24. 104  PU § 65. 105  Lütterfelds, »Familienähnlichkeit …« (Anm. 93), 147. 106  Vgl. E. v. Savigny, Ludwig Wittgenstein (Anm. 98); M. Kroß, »Philosophieren in Beispielen. Wittgensteins Umdenken des Allgemeinen«, in: H. J. Schneider / M. Kroß (Hrsg.), Mit Sprache spielen. Die Ordnungen und das Offene nach Wittgenstein, Berlin 1999, (169–190) 179 ff.; A. Baumert, »Kein Ende, zu dem wir kommen, ist wesentlich 90 

Anmerkungen  |  95

das Ende. Von der Präzision zur Familienähnlichkeit: Ludwig Wittgenstein«, in: W. Krämer (Hrsg.), Sternstunden der deutschen Sprache, Paderborn 2003, (383–389) 387. 107  Vgl. zu diesem Term: G. Ryle, »Ordinary Language«, The Philosophical Review, Vol. 62, No. 2, 1953 (167–186). 108  PU, 742. 109  B. Russell, The Problems of Philosophy, London 1912, 93; vgl. entsprechend M. J. Loux, »The Existence of Universals«, in: ders. (ed.), Universals and Particulars: Readings in Ontology, Notre Dame/London 1976, (3–24) 4 ff. 110  Vgl. Russell, Problems of Philosophy (Anm. 109), ebd. 111  Vgl. G. P. Baker / P. M. S. Hacker, An analytical commentary on the »Philosophical investigations«, Vol. 1: Understanding and meaning, Oxford [u. a.] 1980, Ch. 3; W. Stegmüller, Das Universalien­ problem einst und jetzt, in: Glauben, Wissen und Erkennen. Das Universalienproblem, Darmstadt 1956, 80; J. R. Bambrough, Universals and Family Resemblance, in: R. J. van Iten (ed.), The Problem of Universals, New York 1970, 250–260. 112  L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen [PU] (Anm. 82). 113  Vgl. PU §§ 66–71. 114  PU § 66. 115  PU § 68. 116  PU § 71. 117  G. Pitcher, Die Philosophie Wittgensteins. Eine kritische Einführung in den Tractatus und die Spätschriften [engl. 1964], Freiburg [u. a.] 1967, 253 ff. 118  Ebd., 252. 119  Ebd., 253. 120  Plato, Euthyphro, 6 d 9 – 6 e 6, in: J. Burnet (ed.): Platonis O ­ pera, Vol. I, Oxford 1900 (Übers. v. Verf. in Anlehnung an F. Schleiermacher). 121  A. Graeser, Platons Ideenlehre: Sprache, Logik und Metaphysik. Eine Einführung, Berlin [u. a.] 1975, 28 und seine Verweise auf die internationale Platon-Forschung. 122  Ebd., 41; vgl. dazu den Überblick zu Platon und Aristoteles in: F. Zabeeh, Universals: A new Look at an old Problem, Den Haag, repr. 1972, Part I and II. Platons Theorie der Formen wird nicht weiter in Betracht gezogen, und auf Aristoteles’ Kritik und seine Abwandlung der platonischen Lehre kann hier nicht eingegangen werden. 96  |  Anmerkungen 

Vgl. die einflussreichen Differenzierungen von Porphyrius in: ders., [Isagoge], »Einleitung in die Kategorien«, in: Aristoteles, Kategorien. Lehre vom Satz (Organon I/II), Hamburg 1962, 11; (aus heutiger Sicht:) M. Gosselin, Nominalism and Contemporary Nominalism. Ontological and Epistemological Implications of W. V. O. Quine and of N. Goodman, Dordrecht 1990, Ch. 1 and 2. 124  G. Frege, Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch-mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl. Auf der Grundlage der Centenarausgabe herausgegeben von Christian Thiel, Hamburg 1988, § 53, S. 64. 125  Die von Frege etwas später verfassten Arbeiten über »Funktion und Begriff« und seine Metapher von der Ergänzungsbedürftigkeit einer Funktion werden hier ausdrücklich nicht einbezogen. (Vgl. S. O. Welding, »Schwierigkeiten in Freges Grundlagen der Logik«, KantStudien, Bd. 68, 1977, 420–446.) 126  Pitcher, Die Philosophie Wittgensteins (Anm. 117), ebd. 127  Für die Explikation der für alle Spiele charakteristischen Eigenschaften ist eine Untersuchung von Huizinga instruktiv, nach der das Spiel als ein Kulturphänomen in Betracht zu ziehen ist (vgl. J. Huizinga, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Amsterdam 1938). 128  Vgl. die Erörterung: B. Russell, »On the Relation of Universals and Particulars«, in: ders., Logic and Knowledge: Essays 1901–1950, London 1956, 105–124. 129  G. Frege, »Über Begriff und Gegenstand«, in: ders., Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Schriften, Göttingen, 7. Aufl. 1994, (66–80), 71. 130  Ebd., 71, Anm. 8; vgl. dazu S. O. Welding, »Frege’s Sense and Reference related to Russell’s Theory of definite Descriptions«, Revue Intern. de Philosophie. 94, 1971, (389–402) 389 ff. 131  Vgl. dagegen die Interpretation der sprachlichen Abhängigkeit: H. W. Noonan, »The Concept Horse«, in: P. F. Strawson / A. Chakrabarti (eds.), Universals, Concepts and Qualities. New Essays on the Meaning of Predicates, Ashgate 2006, 155–176. 132  Vgl. Frege, Grundlagen der Arithmetik, 65. 133  N. Goodman, »Eine Welt von Individuen«, in: W. Stegmüller (Hrsg.), Das Universalien-Problem, Darmstadt 1978, (226–247) 231. 134  P. F. Strawson, Einzelding und logisches Subjekt (Individuals): 123 

Anmerkungen  |  97

Ein Beitrag zur deskriptiven Metaphysik [engl. 1959], Stuttgart 1972, 10. 135  Vgl. W. V. O. Quine, »Was es gibt« [engl. 1948], in: W. Stegmüller (Hrsg.), Das Universalien-Problem, Darmstadt 1978, (102–122) 103 ff. 136  Vgl. ebd., 106 ff. 137  Vgl. entsprechend Strawson, Einzelding und logisches Subjekt (Anm. 134), 233 f. 138  Vgl. die spöttische Bemerkung von Antisthenes. 139  Quine, »Was es gibt« (Anm. 135),111 f. 140  Vgl. S. Körner, »Laws of Thought«, in: P. Edwards (ed.), Encyclopedia of Philosophy, Vol. 4, New York 1967, 414–417. 141  Vgl. Aristoteles, Metaphysica Γ 6, 1011 b 13–14, ed. by W. Jaeger, Oxford [u. a.] 1973. 142  Vgl. ebd. Ι 7, 1057 a 33. 143  L. S. Stebbing, A Modern Introduction to Logic, London, 7. Aufl. 1950, 191. 144  A. Tarski, Introduction to Logic and the Methodology of Deductive Sciences, transl. by Olaf Helmer, New York, 3. Aufl. 1965, 135 f. 145  R. Blanché, L’Axiomatique, Paris 1955, 42. 146  P. Hoyningen-Huene, Formale Logik (Anm. 72), 146. 147  Vgl. Aristoteles, De interpretatione VII, 17b 16–20, in: L. MinioPaluello (ed.), Aristotelis categoriae et liber de interpretatione, Oxford 1949; E. Husserl, Logische Untersuchungen. Erster Band: Prolegomena zur reinen Logik, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. von E. Ströker. Hamburg 1992, 179 f. 148  Hoyningen-Huene, Formale Logik (Anm. 72), ebd. Zur Fragwürdigkeit dieses Beispiels vergleiche oben, Kapitel 4. 149  Siehe dazu das folgende Kapitel. 150  M. und W. Kneale, The Development of Logic, Oxford 1962, 1. 151  Vgl. Aristoteles, Analytica priora, in: ders., Analytica priora et posteriora, ed. by W. D. Ross / L. Mineo-Paluello, 2nd ed. Oxford 1978. 152  Die jeweiligen Sätze werden nicht als Verallgemeinerungen oder Hypothesen aufgefasst. 153  Vgl. G. Patzig, Die aristotelische Syllogistik: logisch-philologische Untersuchungen über das Buch A der »Ersten Analytiken«, 3. Aufl. Göttingen 1969; M. und W. Kneale, The Development of Logic (Anm. 150), 67 ff. 98  |  Anmerkungen 

Vgl. hierzu W. Ackermann, »Begründung einer strengen Implikation«, Journal of Symbolic Logic 21 (1956), 113–128; A. Anderson / N. Belnap, Entailment: The Logic of Relevance and Necessity, I–II, I Princeton N. J., 1975, II (mit J. M. Dunn), Princeton N. J. 1992; S. Read, Relevant Logic. A Philosophical Examination of Inference, New York 1989. 155  Vgl. im Hinblick auf die Folgerungsbeziehung: P. HoyningenHuene, Formale Logik. Eine philosophische Einführung, Stuttgart 1998, 122. 156  P. Hoyningen-Huene, Formale Logik (Anm. 72), 153 f. [Hervorhebungen im Original]. 157  Vgl. oben das Kapitel »Ein destruktives Dilemma der Logik«. 158  G. Frege, »Funktion und Begriff«, in: ders., Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, hrsg. von G. Patzig. 7. Aufl. Göttingen 1994, 18–39; S. O. Welding, »Schwierigkeiten in Freges Grund­ lagen der Logik«, Kant-Studien 68 (1977), 420–445. 159  A. N. Whitehead / B. Russell, Principia Mathematica, vol. I, 2nd ed. Cambridge 1927, 7 f.; vgl. ähnlich: D. Hilbert, P. Bernays, Grund­ lagen der Mathematik I. 2. Aufl. Berlin/Heidelberg/New York 1968, 45; W. V. O. Quine, Methods of Logic, 2nd rev. ed. London 1970, 8; J. Barwise / J. Etchemendy, Sprache, Beweis und Logik, Bd. 1: Aussagen und Prädikatenlogik [engl. 2002], Paderborn 2005, 97; R. Kamitz, Logik – Faszination der Klarheit, Bd. 1, Berlin 2007, 350. 160  Whitehead/Russell, Principia Mathematica (Anm. 159), 8. 161  Barwise/Etchemendy, Sprache, Beweis und Logik (Anm. 159), 97. 162  G. Frege, Begriffsschrift [1879], Hildesheim 1964. 163  J. Hintikka / G. Sandu, »What is logic?«, in: D. Jacquette (ed.), Philosophy of Logic, Amsterdam 2007, (13–39) 13. 164  P. Schroeder-Heister / P. Contu, »Folgerung«, in: W. Spohn /  P. Schroeder-Heister / E. Olsson (Hrsg.), Logik in der Philosophie, Heidelberg 2005, (247–276) 247. 154 

Anmerkungen  |  99

Personenregister Aristoteles 43, 69, 79, 86

Kant, I. 54

Ayer, A. J. 14, 17, 40

Kneale, M. u. W. 79

Bambrough, J. R. 58

Merleau-Ponty, M. 19

Barwise, J. 83

Moore, G. E. 20, 33

Beckermann, A. 38

Nagel, T. 13, 25

Berkeley, G. 20

Pitcher, G. 65, 69

Birnbacher, D. 32, 34 f.

Platon 37, 43, 63, 66–69

Blanché, R. 76

Popper, K. 45–48, 51

Brentano, C. 22

Quine, W. V. O. 72 f.

Contu, P. 86

Read, S. 48

Davidson, D. 34

Russell, B. 15, 63, 72, 83

Dowe, P. 30 f.

Ryle, G. 16

Dretske, F. I. 18

Sandu, G. 86

Etchemendy, J. 83

Schroeder-Heister, P. 86

Frege, G. 9, 68–70, 83 f.

Searle, J. 14

Gettier, E. 8, 37–40

Sokrates 66 f., 73

Goodman, N. 50, 71

Stebbing, L. S. 75

Graeser, A. 67

Stegmüller, W. 50 f.

Grundmann, T. 38, 43

Strawson, P. F. 71

Hacker, P. M. S. 53

Tarski, A. 76

Hartmann, M. 21 f.

Thales von Milet 37

Hempel, C. G. 45–47, 51

Wennerberg, H. 58

Hintikka, J. 86

Whitehead, A. N. 83

Hoyningen-Huene, P. 77, 82

Willaschek, M. 18

Huizinga, J. 58

Wittgenstein, L. 9, 53 ff.

  |  101



Sachregister Alternativität, Prinzip der 76 Aussage, generelle 51 Aussagen, kontradiktorische 76 f. Aussagenverknüpfung 75, 77 f., 80

Gefühl 7, 13, 21 ff. Gesetzesaussage 9, 47 Gültigkeit, logische 10, 79–87 Hypothese 9, 45 ff., 50 ff., 59

Bedingung, störende 48 Begriff des Wissens 8, 37 Begriffe ohne Grenzen 9, 65 Bestätigung, das Paradox der 52 Bewusstsein der eigenen Existenz 7, 13 f., 25 Beziehung, kausale 9, 23, 47 Bruchstelle, epistemische 36 Denkgesetze 75 Disjunktion 10, 58, 76, 78, 81-85 Emotion 7, 20-25 Erfahrung, phänomenale 7 f., 14, 23 ff., 29, 43 Erklärung, deduktiv-nomologische 46 f., 50 Erklärung, wissenschaftstheoretische 8 ff., 45 ff., 50, 52 Essentialismus 63, 69 Explanans 47 Explanandum-Ereignis 46, 48 Familienähnlichkeit 9, 53–62 Falsifikation 51 Fehlhandlung 8, 28 f., 33

Ideen 67 Individuum/Individuen 63, 68 f., 71, 73 Intention 22, 28, 30 Introspektion 13 Junktor 10, 47, 49, 75, 80, 82, 84 Kausalität 31 ff., 47 Kognitivismus 21 Konjunktion 10, 48, 76, 78, 79, 81,83 ff. Lernprozess 7, 16, 18, 20 f., 25 Metaphysik der Erfahrung 54 modus ponens 46, 85 Naturgesetz 35, 45 ff. Nicht-Widerspruchsprinzip 9, 75 f. Partikularien 63, 68 f., 73 Phänomene, mentale 23 f. Prinzipien der Logik 75 ff., 81 Prinzip der Identität 9, 75, 78   |  103

Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten 9, 75 ff. Psychologismus, neurobio­ logischer 24 Scheinhandlung 28 Schlussfolgerung, rechtliche 48 Schlussverfahren, logisches 9, 47 f. Selbst, das phänomenale 8, 25, 34 Sinnesdaten 14 f., 17 Sinnesempfindung 7, 15 ff., 19 f., 23, 25 Sinnestäuschung 17 Sinneswahrnehmung 7, 15–20 Spiel 9, 53-62 Sprachhandlung 60 Sprachphilosophie 53 f. Sprachspiel 9, 53 f., 59 ff. Standardauffassung von Wissen 37 f., 40

Subjekt, phänomenales 8, 25, 34, 44 Syllogistik 79 Universalien 9, 63 f., 66, 68, 72 Unterlassungshandlung 8, 27, 30 ff., 35 f. Wahrheitsfunktion 80, 83 f. Wahrheitswert 10, 75–86 Wahrheitswertrelationen, reflexive 10, 84 f. Wahrnehmung, psychische 22 f., 25 Wissen 8, 37-45 Wissensbedingungen 37-40 Zustand, mentaler 7, 13, 24

Günter Fröhlich Der Affe stammt vom Menschen ab Philosophische Etüden über unsere Vorurteile Blaue Reihe. Ca. 320 Seiten ISBN 978-3-7873-2988-5 Kartoniert ca. € 21,90 Erscheint im Oktober 2016

D

as Genre der études philosophiques ist im französischen Sprachraum weit verbreitet. Es gibt mehrere Zeitschriften dieses Namens und an den Universitäten werden häufig unter einem solchen Titel Veranstaltungen angeboten. In diesem Buch erprobt der Philosoph Günter Fröhlich das hierzulande noch wenig eingeführte Konzept der philosophischen Etüde: Denn wie das Klavierspiel (man denke etwa an Chopins »Etüden«) oder eine handwerkliche Fertigkeit lässt sich auch das Denken üben, wenn wir häufig, bewusst und geregelt über etwas nachdenken – und wie etwa beim sportlichen Training ist es wichtig, nicht einfach »drauflos zu denken«. Der Autor nimmt sich in 24 kleinen und überschaubaren Übungsstücken gängiger Vorurteile und vorgefasster Meinungen an. Ansichten wie »Der Mensch stammt vom Affen ab«, »Wahrheit ist relativ« oder »Schön ist, was gefällt« werden zunächst vorgestellt und möglichst stark gemacht, um sie anschließend in Zweifel zu ziehen und zu erschüttern. Die Etüden sind so gestaltet, dass eher ungewohnte Argumente vorgebracht und verblüffende Betrachtungen angestellt werden, weil beim Denken jederzeit mit Überraschungen zu rechnen ist; und sie sind offen gehalten, weil es auf das selbstständige Weiterdenken ankommt und nicht allein auf den Bezug auf die philosophische Tradition.

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Rico Hauswald | Jens Lemanski | Daniel Schubbe (Hg.) Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Wandel und Variationen einer Frage Blaue Reihe. 2013. 389 Seiten ISBN 978-3-7873-2459-0 Kartoniert € 36,00

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ie Frage ›Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?‹ gehört zu den ebenso traditionsreichen wie umstrittenen Problemen der Philosophie. Der Band nimmt sich der ›Grundfrage‹ in einer ideengeschichtlichen Perspektive an. Dabei stellt sich heraus, dass die systematisch keineswegs erst mit Leibniz auftauchende Frage in ihrer Geschichte von der Antike bis zur gegenwärtigen analytischen Philosophie nicht nur jeweils unterschiedliche Antworten provoziert hat, sondern vor allem auch ganz verschieden gestellt worden ist: Formuliert Leibniz »Pourquoi il y a plus tôt quelque chose que rien?«, heißt es bei Schelling »Warum ist nicht nichts, warum ist überhaupt etwas?«, während Schopenhauer ihr eine existentielle Wendung gibt (»Lieber nichts als etwas«). Heideggers Auseinandersetzung mit dem Nihilismus führt zu der Frage: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?«, während Arendt sie ins Politische wendet (»Warum ist überhaupt jemand und nicht niemand?«). Abgerundet wird der Band wird durch einen Überblick über die vielschichtige Diskussion der ›letzten Warum-Frage‹ in der Tradition der Analytischen Philosophie sowie einen Antwortversuch aus Sicht der aktuellen Physik und Kosmologie.

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