Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung: Zugleich ein Beitrag zur Kollision von Wissenschaftsfreiheit und Lebensschutz am Lebensbeginn [1 ed.] 9783428477081, 9783428077083

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Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung: Zugleich ein Beitrag zur Kollision von Wissenschaftsfreiheit und Lebensschutz am Lebensbeginn [1 ed.]
 9783428477081, 9783428077083

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht

Band 17

Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung Zugleich ein Beitrag zur Kollision von Wissenschaftsfreiheit und Lebensschutz am Lebensbeginn Von

Dr. Bernhard Losch

Duncker & Humblot · Berlin

BERNHARD LoseH

Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht flerausgegeben von Wotfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin flecket, Ferdinand Kirchhof flans von Mangotdt, Thomas Oppermann Günter PüUner sämtlich in Tübingen

Band 17

Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung Zugleich ein Beitrag zur Kollision von Wissenschaftsfreiheit und Lebensschutz am Lebensbeginn

Von Dr. Dr. Bernhard Losch

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Loseh, Bernhard: Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung : zugleich ein Beitrag zur Kollision von Wissenschaftsfreiheit und Lebensschutz am Lebensbeginn / von Bernhard Loseh. - Berlin: Duncker und Humblot, 1993 (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht ; Bd. 17) Zugl.: Tübingen, Univ., Habil.-Schr. ISBN 3-428-07708-3 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: W. März, Tübingen Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin 49 Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-07708-3

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1991/92 von der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen. Das Schrifttum, das bis 1991 erschienen war, konnte grundsätzlich berücksichtigt, einzelne bis Mitte 1992 erschienene Schriften konnten noch nachgetragen werden. Sämtlichen Mitgliedern der Fakultät, insbesondere den Fachvertretern des Öffentlichen Rechts, bin ich zu Dank verpflichtet, daß sie Geduld für einen den Zugang zur Arbeit näher erschließbaren Umgestaltungsprozeß zeigten. Besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Günter Püttner für die Ermöglichung der Zusammenarbeit und die Bereitschaft, das Thema in seinen Tätigkeitsbereich einzubeziehen. Für entscheidende Anregungen und für seine fördernde Beratung bin ich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann zu Dank verbunden. Außerdem danke ich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Graf Vitzthum für sein freundliches Entgegenkommen bei der Aufnahme der Arbeit in die Tübinger Schriftenreihe. Tübingen, im November 1992

Bemhard Losch

Inhaltsverzeichnis

I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit I. Einleitende Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15

1.1 Zunahme der Wissenschaftsgefahren

15

1.2 Bedürfnisse des Rechtsgüterschutzes

16

1.3 . Maßgebende Diskussionsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

1.4 Rechtliche Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . ... . .

17 19

2. Sachprobleme 2.1

19

Überblick

2.2 Hochschulreform und Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

2.3 Umweltschäden

23

2.4 Gentechnologie

25

2.5 Militärische Forschung ...

27

2.6 Humanmedizin........

28

2.6.1 Grundlagen.................... . . . . . . . . . . . . .

28

2.6.2 Künstliche Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

29

2.6.3 Pränatale Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2.6.4 Genomanalyse . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

2.6.5 Gentherapie

................................

34

2.6.6 Forschung am beginnenden Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

2.7 Daten- und Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2.8 Tierschutz

.....................................

41

2.9 Allgemeine Problemaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

2.9.1 Risikoproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

2.9.2 Verantwortungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

44

2.9.3 Wissenschaftsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

2.9.4 Internationaler Zusammenhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

2.9.5 Wissenschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

8

Inhaltsverzeichnis

55

3. Rechtsprobleme 3.1

55

Schutzbereich Forschung und Lehre

3.2 Schrankenlosigkeit . . . . . . . . . . .

57

3.3 Grundrechtskollisionen .. .

58

3.4 Risikoprävention

60

3.5 Kollision mit sonstigen Verfassungswerten ...

61

3.6 Wissenschaftsförderung. Wissenschaftssteuerung. antwortung . . . . . . . .

Wissenschaftsver-

11. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . .

62

65 65

Schrankenlose Gewährleistung

65

l.2 Verfassungs rechtliche Anknüpfung

65

1.3 Konkrete Schrankenbestimmung . . . . . . . .

66

1.1

2. Schrankenbestimmung durch Rechtsschutzkollision

.. .

66

2.1 Kriegsdienstverweigerung kontra Wehrpflicht .. . .

66

2.2 Kunstwerk kontra Persönlichkeitsrecht

67

3. Abwägung der Schutzinteressen 3.1

Konkrete Gewichtung ...

69 69

3.2 Verfassungsrechtlicher Sinnzusammenhang . . . . . . .

70

4. Anwendung auf die Wissenschaftsfreiheit . . . . . . . . . . .

70

4.1

Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Schutzgrenzen . . . .

70

4.2 Berücksichtigung gleichberechtigter Beteiligungsrechte . . . . .

71

4.3 Berücksichtigung legitimer Amtspflichten .. .

72

4.4 Zugangs-. Teilhabe- und Schutzrechte .... .

72

5. Bestimmung des Schutzbereichs . . . . . . . .

74

Begriffliche Grundlage . . . . . . . . . . .

74

5.2 Relevanter Handlungsbereich . . . . . . .

75

5.3 Frage der rechtskonformen Interpretation

76

6. Objektive Grundrechtswirkung . . . . . . . . . . . .

77

5.1

Inhaltsverzeichnis

9

7. Bestimmung der Kollisionsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

79

8. Folgenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

9. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

81

111. Stellungnahmen im Schrifttum

83

1. Dogmatischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

2. Entwicklung zum pragmatischen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

85

3. Systematischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

4. Systemorientierter Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

5. Weiterführung des dogmatischen Ansatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

6. Weiterführung des pragmatischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

92

7.1 Zwischen Freiheitsgewährleistung und Rechtsgüterschutz . . . . . . . .

92

7.2 Verfassungsrechtliche Schutzgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

7.3 Abwägungsproblem................................

93

7.4 Konkretisierungsproblem

............................

93

7.4.1 Qualifizierte Verfassungswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

93

7.4.2 Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

7.4.3 Verfassungsrechtliches Menschenbild. . . . . . . . . . . . . . . . .

94

7.4.4 Orientierungsgesichtspunkte

......................

94

7.4.5 Allgemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

7.4.6 Risiken und Gefahren

95

7.4.7 Ethische Orientierung

95

7.5 Folgenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

7.5.1 Schrankenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

7.5.2 Sachpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

7.5.3 Rechtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

7.6 Wissenschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

10

Inhaltsverzeichnis

IV. Ausgewählte Fragestellung

97

1. Überblick

97

2. Rechtspraktische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

3. Rechtsdogmatische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

99

3.1 Ansatzbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Begriffsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

3.1.2 Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

3.1.3 Objektive Grundrechtswirkung . . . . . . . ... . .... . ... . .

101

............... .

102

3.1.5 Schrankenprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

3.1.1

3.1.4 Zusammenhang der Schutzwirkungen

v.

Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

1. Begriff, Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Begriffsbestimmung

104 104

.............................. .

104

1.2 Offenheit, Verfahrensrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

1.3 Praktische Erkenntnisinteressen

................ . ...... .

110

............... .

115

2. Bedeutung, Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121

1.4 Vorbereitungs- und Verwertungshandlungen

2.1

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121

2.2 Kulturstaatliche, wirtschaftliche und staatskonstitutive Bedeutung .. .

124

............................ .

129

2.4 Schutzfunktionen . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . .

131

Überblick..................................

131

2.3 Menschenwürdekontext 2.4.1

2.4.2 Subjektive Rechte

........................... .

132

2.4.2.1 Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . .. .

132

2.4.2.2 Funktioneller Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .

135

Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

2.4.2.2.2 Besondere Schutzrechte . . . . . . . . . . . . .

137

2.4.2.2.3 Teilhaberechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150

2.4.3 Objektive Grundrechtswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

2.4.2.2.1

11

Inhaltsverzeichnis 2.4.3.1 Rechtsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

2.4.3.2 Sachbereichsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

2.4.3.3 Institutioneller Schutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

159

3. Schrankenlose Gewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

170

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

170

1.1 Allgemeine Rechtsbindung

170

1.2 Entwicklung der Schrankendiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

1.2.1 Vorbereitung (Weimarer Reichsverfassung) . . . . . . . . . . . ..

177

1.2.2 Ausgangspunkte (Grundgesetz)

....................

179

1.2.2.1 Schrankensystematische Ansätze . . . . . . . . . . . . ..

179

1.2.2.2 Allgemeine Freiheitsschranke, Schranke des Gemeinwohls, immanente Nichtstörung . . . . . . . . . . . . . .

182

1.2.3 Verfassungsrechtlicher Rechtsschutzkonflikt

............

184

1.2.4 Schrankenübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

1.2.4.1 Allgemeinschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

1.2.4.2 Ethische Elementarschranke . . . . . . . . . . . . . . . ..

190

1.2.4.3 Schranken im Kommunikationsbereich . . . . . . . . . .

192

1.3 Verfassungsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

1.3.1 Konfrontation von Schutzgeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

193

1.3.2 Rangstufen, Prävalenzen

........................

195

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .... . ..

199

1.3.4 Schrittweise Schrankenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . ..

202

2. Schrankenbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

204

2.1 Allgemeine Mißbrauchsschranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

204

2.2 Friedliches Zusammenleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

206

2.3 Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

208

2.4 Grundrechte anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211

2.5 Staatsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

215

2.6 Kompetenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

218

1.3.3 Abwägung, Anpassung

12

Inhaltsverzeichnis

3. Besondere Rechtslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

222

3.1 Staatliche Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

222

3.2 Sachliche und institutionelle Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230

3.3 Überschneidungen und Regelungskonkurrenzen

..............

236

4. Kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

238

4.1 Wissenschaftsverantwortung

..........................

238

4.2 Qualifizierte Verfassungswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

239

4.3 Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241

4.4 Verfassungsrechtliches Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

242

4.5 Orientierungs gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

243

4.6 Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

244

4.7 Internationaler Zusammenhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

246

4.8 Wissenschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

247

5. Differenzierende Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

248

VII. Besondere soziale Verantwortung

254

1. Freiheitsgewährleistung und Verantwortungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . ..

254

1.1 Notwendigkeit der Freiheitsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

254

1.2 Wachsender Verantwortungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

256

1.3 Zwischen rechtlicher Freiheit und sozialer Verantwortung . . . . . . ..

259

2. Probleme der rechtlichen Begrundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

2.1 Bisherige Ansatzpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

2.1.1 Technikgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

267

2.1.2 Informationspflicht

269

2.1.3 Hochschulaufgaben

273

2.1.4 Mißbrauchsabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275

2.1.5 Würdevorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

276

2.2 Immanente Sozialbindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

276

3. Probleme der praktischen Realisierbarkeit ... . . . . . . . . . . . . . . . . ..

284

3.1 Staatliche Forschungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284

3.2 Institutionelle Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

288

Inhaltsverzeichnis

13

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

293

1. Wissenschaftlicher Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...

293

2. Entwicklung der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

299

3. Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

308

................. .

309

3.l Befruchtungskontrolle. Forschungsverbot

3.2 Verbot von Geschlechtswahl und vererbbaren Eingriffen

....... .

311

3.3 Verbot der Klonung. Hybridisierung und Tier-Mensch-Verbindung ..

312

3.4 Regelungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

313

4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

4.1 Verfassungsrechtliche Auslegungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . .. .

319

4.1.1 Wissenschaftsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

4.1.2 Lebens- und Gesundheitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

334

4.1.2.1 Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

334

4.1.2.2 Mißbrauchsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... .

342

4.1.2.3 Abwägung.......................... ..

343

4.1.3 Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... .

347

4.1.4 Begriffs- und Wertungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . .

357

4.2 Regelungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...... .

361

4.2.l Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

361

4.2.2 Widersprüchlichkeit

369

5. Differenzierungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

370

5.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

370

5.2 Folgerungen für die Verbotstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

374

6. Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...

380

IX. Zusammenfassung

388

1. Wissenschaftsgefahren. Wissenschaftsschranken. Wissenschaftsverantwortung

388

2. Schutzbereichsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

389

14

Inhaltsverzeichnis

3. Schrankenbestimmung

389

4. Verantwortungsproblem

390

5. Erörterungsbeispiel ...

391

Literaturverzeichnis

392

Abkürzungen richten sich nach Hildebert KirchnerlFritz Kastner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 3. Aufl. Berlin / New York 1983.

I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit Die gesamte Neuzeit ist als Epoche der Wissenschaft zu verstehen. Mit der Veränderung des mittelalterlichen Weltbildes hat sich die Wissenschaft zur führenden Kraft des Fortschritts und zur unbezweifelten Autorität entwickelt. Die Einführung der Wissenschaftsfreiheit kann als Folge und Bekräftigung dieser Entwicklung aufgefaßt werden. Erst in jüngster Zeit begann sich ein Wandel in der Einschätzung der Wissenschaftsfreiheit anzukündigen. Die gefahrbringenden Seiten der wissenschaftlich begründeten Lebensveränderung rückten immer deutlicher ins Bewußtsein. Damit wurde in wachsendem Maße die Frage nach den Schranken der Wissenschaftsfreiheit aufgeworfen. So schob sich neben dem lange Zeit als selbstverständlich betonten Freiheitsgrundsatz die Schrankenfrage immer deutlicher in den Vordergrund. Welchen Einfluß dieser Wandel auf die Wissenschaftsfreiheit hat, soll im folgenden näher untersucht werden.

1. Einleitende Übersicht 1.1 Zunahme der Wissenschaftsgefahren Die Wissenschaftsfreiheit, die im Grundgesetz besonders nachdrücklich geschützt wird!, stößt auf wachsende Kritik2 . Je deutlicher der Zusammenhang zwischen der wissenschaftlichen Forschung und der Entwicklung der Technik in Erscheinung tritt, desto näher liegt es, die vielfältigen Technikgefahren zugleich als Gefährdungen durch die Wissenschaft zu verstehen. Außerdem dringt die wissenschaftliche Forschung selbst immer weiter in Gefahrenbereiche vor. Daher werden der Wissenschaftsfreiheit in zunehmendem Maße wichtige Schutzbedürfnisse entgegengehalten. Vor allem die Probleme des Umweltschutzes und die damit verbundenen Fragen der Energietechnik haben allgemeine Aufmerksamkeit dafür gewinnen

! Art. 5 Abs. 3 GG: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." 2 Wie die steigende Zahl der Stellungnahmen zeigt, die sich mit den Schranken der Wissenschaftsfreiheit und der Verantwortung der Wissenschaftler auseinandersetzen; näher dazu im folgenden. Vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 27-117.

16

I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

lassen, daß der wissenschaftlich-technologische Fortschritt erhebliche Gefahren birgt, die zu Vorkehrungen zwingen. Daneben ist seit dem militärischen Einsatz von Giftgas und dem Abwurf von Atombomben die militärische Forschung als besonders bedrohliche Gefahrenquelle bewußt geworden. Die neue technische Revolution, die in der Einführung der elektronischen Automatisierung und Informationstechnik zu sehen ist, läßt die Gefährdung hergebrachter Kommunikationsprozesse durch automatische Steuerungsprogramme und vor allem des Selbstbestimmungsrechts über persönliche Daten unübersehbar werden. Insbesondere läßt auch die neueste technische Revolution, die gentechnische Erschließung der Welt des Lebens, den Zusammenhang zwischen den damit verbundenen Gefahren und der wissenschaftlichen Forschung hervortreten. Im Vorfeld der gentechnologischen Entwicklung werfen Fortschritte der Befruchtungstechnik und pränatalen medizinischen Behandlung beim Menschen schwerwiegende Fragen über den Umgang mit dem menschlichen Leben auf.

1.2 Bedürfnisse des Rechtsgüterschutzes Je stärker die Gefahren, die von der wissenschaftlichen Entwicklung ausgehen, im sozialen Leben in Erscheinung treten, desto mehr verdichten sie sich zu einem Konflikt zwischen der Wissenschaftsfreiheit und anderen Verfassungsgütern, so vor allem dem Lebens-, Gesundheits- und Persönlichkeitsschutz. Die Erweiterung des medizinischen Zugriffs auf die Erzeugung des Lebens und die genetischen Lebensgrundlagen, die an die Wurzeln der herkömmlichen Selbsteinschätzung des Menschen rührt, läßt das zentrale Schutzprinzip des Grundgesetzes, die Achtung vor der Menschenwürde, als wichtiges Orientierungsprinzip hervortreten. Damit wird die Frage nach den Schranken der Wissenschaftsfreiheit weitergeführt in eine grundsätzliche Auseinandersetzung darüber, wie die Stellung der Wissenschaftsfreiheit in der Verfassung und wie das Verhältnis zwischen der Freiheitsgarantie und den objektiven Bedingungen für ihre Verwirklichung zu sehen ist.

1.3 Maßgebende Diskussionsbereiche Angesichts der Gefahren- und Konfliktbereiche, in die sich die Wissenschaft verwickelt sieht, sind die warnenden Stimmen fast unzählbar geworden. Zu unterscheiden sind im wesentlichen vier Bereiche, in denen die Schranken der Wissenschaftsfreiheit erörtert werden. Dem Umfang nach steht an erster Stelle die lebhaft geführte ethische Diskussion, die in den Technik-

1. Einleitende Übersicht

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gefahren und den mit gefährlichen Entwicklungen befaßten Forschungsgebieten ein dankbares Thema gefunden hat3 • An zweiter Stelle ist die Meinungsbildung in der scientific community und die wissenschaftliche Selbstkontrolle durch das individuelle Ethos und die fachliche Beratungspraxis zu nennen4 . Ferner sind die überfachlichen Foren und Kommissionen hervorzuheben, die aus der interdisziplinären Zusammenarbeit und der staatlichen Informationspolitik hervorgehen 5 • Im zweiten Fall wird der Zusammenhang mit der Rechtspolitik und Rechtspraxis deutlich, so insbesondere, wenn es sich um die Vorbereitung gesetzlicher Regelungen handelt6 . An vierter Stelle steht der rechtliche Regelungsbereich, der zur Konfliktbewältigung anleitet. Neben der rechtlichen Diskussion darüber, wie Streitfragen zu beurteilen sind, schafft die Einführung besonderer Regelungen verbindliche Entscheidungsmaßstäbe?

1.4 Rechtliche Diskussion Die rechtliche Diskussion darüber, wieweit der Wissenschaftsfreiheit Schranken erwachsen, beschäftigt sich sowohl mit einzelnen Schrankenfragen als auch mit dem Schrankenproblem im allgemeinen8 • Die rechtliche Interpretation der Wissenschaftsfreiheit hat neben der Frage, wie der Freiheitsschutz zu verwirklichen ist, einen zweiten Schwerpunkt in der Frage gefunden, wie die Freiheit beschränkt werden kann. Während die Wissenschafts3 Vgl. statt vieler Erben, Wissenschaft zwischen Verantwortung und Freiheit, 1989, sowie die Sammelbände von Ströker, Ethik der Wissenschaften, 1984; Baumgärtner I Staudinger, Entmoralisierung der Wissenschaften, 1985; LenklRapahl, Technik und Ethik, 1987; GuhalPapcke, Entfesselte Forschung, 1988; Gatzemeier, Verantwortung, 1989; Steigleder I Mieth, Ethik in den Wissenschaften, 1990. 4 Dazu Erben, a.a.O., S. 8 f.; Dürr, Netz des Physikers, 1988, S. 154-163; vgl. vor allem die nationalen und internationalen Stellungnahmen und Richtlinien zur künstlichen Befruchtung beim Menschen und zur Humangenetik ( Deutsch, Recht der klinischen Forschung, 1979, S. 99-151; Giesen, Probleme künstlicher Befruchtungsmethoden, 1985; Eser, Forschung mit Embryonen, 1987, S. 273-284). S Vgl. Bark, Verfahren vor den Ethik-Kommissionen, 1984; In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, 1985; CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken der Gentechnologie, 1987. 6 Vgl. neben den bei den zuletzt genannten Arbeiten auch den Abschlußbericht des Arbeitskreises "Ethische und soziale Aspekte der Erforschung des menschlichen Genoms", 1990.

7 Ein exponiertes Beispiel stellt das Embryonenschutzgesetz vom 13. Dez. 1990 dar, BGBI I S. 2746. Weitere gesetzliche Regelungen werden bei der Darlegung der Sachprobleme (unten 2.) genannt. 8 Näher dazu in den beiden folgenden Kapiteln.

2 Losch

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I. Schranken probleme der Wissenschaftsfreiheit

freiheit herkömmlich als Schutzprivileg gilt, wird zunehmend verlangt, daß sie sich rechtfertigt. Demnach wäre nicht mehr nur die Zulässigkeit einer ausnahmsweisen Einschränkung, sondern auch die Ausübung der garantierten Freiheit legitimationsbedürftig. Darin könnte eine Wertung gesehen werden, die vom Prinzip der möglichst weitgehenden Freiheit für die Wissenschaft bei gleichzeitiger Beschränkbarkeit der technischen Anwendung abrückt und die Schranken zulässigen HandeIns stärker in die Wissenschaftsfreiheit vorverlegt. Begründet wird diese Betrachtungsweise damit, daß die Einbettung der Wissenschaftsfreiheit in die Verfassung eine nähere Anpassung an die verfassungsrechtliche Ordnung verlangt. Insbesondere die Diskussion darüber, in weIchem Ausmaß die Techniken der künstlichen Befruchtung beim Menschen und der medizinischen Behandlung im pränatalen Bereich als zulässig zu erachten sind, zeigt, wie sehr das Schrankenproblem in den Vordergrund rückt. Die Tendenz zur Betonung der Schranken tritt besonders in der Diskussion um die Humangenetik hervor. Die pränatale und molekulargenetische Forschung ist zu einem Prüfstein für die Tragweite der Wissenschaftsfreiheit geworden. Inzwischen haben die Stimmen, die der innovationsperspektive die Gefährdungsperspektive entgegenhalten, dazu geführt, daß mit dem sogenannten Embryonenschutzgesetz ein gegenüber der Wissenschaftsfreiheit beschränkend wirkendes Gesetz verabschiedet werden konnte9 • Die dramatische Entwicklung, die sich mit dem wissenschaftlichen Fortschritt zugleich in der rechtlichen Beurteilung der Wissenschaftsfreiheit angebahnt hat, fordert zur näheren Untersuchung der Schrankenprobleme heraus. Zum einen ist von der verfassungsrechtlichen Rechtslage nach der geschichtlichen Entwicklung und dem herkömmlichen Verständnis auszugehen, also ein Eindruck vom verfassungsrechtlich gesicherten Rechtsstand zu gewinnen. Zum anderen sind die aufgeworfenen Fragen an die Rechtslage heranzutragen und auf ihre Auswirkung zu untersuchen. Zum dritten stellt sich die Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit, die durch die Schrankendiskussion herausgefordert wird und schließlich auch Anschluß an das Verständnis der Freiheitsrechte im ganzen gewinnt.

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Vgl. Fn. 7.

2. Sachprobleme

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2. Sachprobleme 2.1 Überblick Da sich die rechtliche Diskussion aus dem Anwachsen der Wissenschaftsgefahren und dem steigenden Bewußtsein von gefährlichen Folgewirkungen der Forschung entwickelt hat, soll auf die praktische Seite etwas näher eingegangen werden. Es ist nicht so sehr entscheidend, an welcher Stelle der Entwicklung man den Ausgangspunkt nehmen will, vielmehr kommt es darauf an, einen Überblick über einige der wichtigsten Problem bereiche zu gewinnen. Diese haben sich zwar im Zusammenhang mit den jüngsten wissenschaftlich-technischen Neuerungen manifestiert, waren aber schon in den Bedingungen der Wissenschaftsentwicklung angelegt. So ist die praktische Orientierung der Forschung nicht etwa eine auf die jüngste Vergangenheit beschränkte Errungenschaft, sondern war für den neuzeitlichen Wissenschaftsfortschritt weithin die treibende Kraft lO • Die staatliche Beteiligung an der wissenschaftlich-technischen Entwicklung im 19. Jahrhundert war nicht nur durch die Aufgaben der Förderung und Überwachung, sondern auch der Verbreitung von Anwendungswissen und der eigenen Forschungs- und Entwicklungsleistung gekennzeichnet ll . Der große Erfolg der wissenschaftlich begründeten Technisierung und das politische Interesse an der Entfaltung wirtschaftlicher Macht erlaubte keinen Zweifel an der Priorität der wissenschaftlich-technischen Entwicklung, und der rasante Fortschritt12, den man als eine Abfolge vor allem von mechanischer, chemischer, energietechnischer und elektronischer Revolution bezeichnen kann neuerdings fortgesetzt mit der biochemischen und molekulargenetischen Revolution -, ließ die Zweckforschung immer stärker in den Vordergrund und die Bereiche der Grundlagen- und Zweckforschung immer enger zusammenrücken. Außerdem hatte die zunehmende Technisierung eine Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche zur Folge!3, die den wissenschaftlichtechnischen Entwicklungsgang immer stärker forciert. Die anhaltende Diskussion über die Technik- und Wissenschaftsgefahren wurde durch die Erörterung einer Reihe von globalen Problemen des wissen-

Vgl. Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986, S. 156-161. Ebd., S. 161-242; Lundgreen/Hom/Küppers/Paslack, Staatliche Forschung, 1986. 12 Vgl. v. Westfalen, Geschichte der Technik, 1984; Niemann, Vom Faustkeil zum Computer, 1985; Pörtner, Sternstunden der Technik, 1986. 13 Vgl. Kreibich, Wissenschafts gesellschaft, 1986, bes. S.243-417; vgl. Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, 1971, S. 154-172; Schu/z, Philosophie, 1984, S. 17-245. 10

II

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schaftlich-technischen Fortschritts vorbereitet, deren Auftreten und Spezifizierung im nationalen Rahmen immer größere Beachtung fand. Neben die Rüstungsproblematik, die sich mit der Anhäufung eines weltbedrohenden Zerstörungspotentials verband l4 , traten zunächst vor allem Fragen nach dem Umgang mit den Rohstoffkapazitäten und den Auswirkungen des Energieverbrauchs sowie der energiepolitischen Entscheidungen l5 . Daran schloß sich eine zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit für die Erscheinungsformen, die Gründe und Konsequenzen von Umweltschäden an l6 • Inzwischen sind die negativen Auswirkungen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung unübersehbar geworden; sie können den eingeschlagenen Weg aber nicht abbrechen oder in die umgekehrte Richtung wenden lassen. Vielmehr verlangen sie weitere wissenschaftlich-technische Anstrengungen, um den eingetretenen Schäden entgegenwirken und unschädliche Entwicklungsalternativen finden zu können. Außerdem sind die Wissenschafts- und Technikgefahren in globale Perspektiven hineingewachsen und sind gleichzeitig mit den weltweiten Problemen der Bevölkerungsexpansion und des politisch-wirtschaftlichen Machtgefälles zwischen den Staatengruppen verknüpft 17 • Die Rechtsfragen der Wissenschaftsfreiheit, die sich aus den Wissenschaftsgefahren ergeben, reichen daher auch in internationale Zusammenhänge hinein, die sich auf die nationalen Regelungsaufgaben auswirken können. 2.2 Hochschulreform und Universität Im Vorfeld der erwähnten Gefahrendiskussion hatte die soziologische Wissenschaftskritik, die eine der Grundlagen der Studentenunruhen bildete, zu einer grundSätzlichen Debatte über die gesellschaftliche Bedeutung und 14 Vgl. Brauch/Schrempf, Giftgas, 1982; Dürr/Harjes/Kreck/Starlinger, Verantwortung für den Frieden, 1983; Quitzow, Naturwissenschaftler zwischen Krieg und Frieden, 1986. 15 Vgl. Meadows, Grenzen des Wachstums, 1972; ders., Das globale Gleichgewicht, 1974; ders., Wachstum bis zur Katastrophe, 1974; vgl. Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986, S. 23 f.; zur Kemenergiedebatte Dürr, Netz des Physikers, 1988, S. 188241. 16 Dazu v. Ditfurth, Apfelbäumchen, 1985; ders., Innenansichten, 1989, S. 390-411. Vgl. die Dokumentation über das Umweltprogramm der Bundesregierung bei Küppers / Lundgreen/Weingart, Umweltforschung, 1978 und die Darlegung der Leitlinien des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei Kreibich, Wissenschafts gesellschaft, 1986, S. 458-511. 17 Vgl. Dürr, Netz des Physikers, 1988, S. 181; Erben, Wissenschaft zwischen Verantwortung und Freiheit, 1989, S. 40 f.

2. Sachprobleme

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Wirkung der Wissenschaft geführt 18 • Die Kritik war vor allem gegen das Webersche Paradigma von der Wertfreiheit der Wissenschaft gerichtee 9 , das an das Postulat von der Voraussetzungslosigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis anknüpfte - ins Feld geführt gegen politische Einflußnahmen auf die Universitäeo. Schon Spranger hatte die allgemeine Wendung der Wissenschaftsauffassung erörtert21 , die den epocheabschließenden, positivistischen Standpunkt Webers vielschichtig hinterfragte 22 und der späteren Kritik vorarbeitete23 ; diese wurde vor allem unter den Gesichtspunkten des kritischen Rationalismus, des Politik-Zusammenhanges (als kritische Theorie) und Funktionalismus geführt24 • Die Studentenbewegung übernahm die politische Zielrichtung der Kritik, um für eine Belebung des demokratischen Gedankens in der Gesellschaft und die Erweiterung der Mitbestimmung an der Universität einzutreten. Die Hochschulreform hat versucht, den richtigen Weg zur Verbindung der Aufgaben der Universität in Forschung, Lehre und Ausbildung mit der grundrechtlichen Stellung der Beteiligten und dem Zusammenwirken zur Erfüllung der Aufgaben zu finden 25 • In diesem Zusammenhang hatte sich das Bundesverfassungsgericht vor allem mit der Frage der besonderen grundrechtlichen

18 Vgl. die Hinweise (vor allem zum Einfluß von Marcuse) bei Erben, a.a.O., S. 21-23. 19 Weber, Sinn der "Wertfreiheit", 1918. In diesem Zusammenhang wird oft der Vortrag "Wissenschaft als Beruf', 1919, zitiert, der aber nur knapp wiederholend auf die Wertfreiheit eingeht (S. 598-605); von größerer Bedeutung ist die früher gelegte Grundlage in dem Aufsatz über die "Objektivität", 1904. 20 Mommsen, Universitätsunterricht und Konfession, in: ders., Reden und Aufsätze, 1905, S.432, 434; vgl. Huber, Verfassungsgeschichte IV, 1969, S.961-963. Näher dazu Rossmann, Wissenschaft, 1949. 21 Spranger, Sinn der Voraussetzungslosigkeit, 1929. 22 Vgl. die parallele Entwicklung von der Begriffs- zur Interessen- und Wertungsjurisprudenz. 23 Spranger hebt gleichzeitig die Grenzen hervor, die diese im Ansatz berechtigte Wissenschaftskritik in einer kritischen Dialektik zu finden hat; in diesen Zusammenhang bezieht er auch die Methodenvielfalt der Rechtswissenschaft ein (S. 12 Fn. 15). 24 Vgl. Adomo u.a., Positivismusstreit (1961-1965), 1987; vgl. auch Habermas, Technik und Wissenschaft, 1968; ders., Erkenntnis und Interesse, 1968. Vgl. zum Positivismusstreit auch Eckert, Wissenschaft und Demokratie, 1971, S. 9-26; Patzig, Objektivität und Wertfreiheit, 1979; Schutz, Philosophie, 1984, S. 158-178; Lenk, Wahrheitspostulat, 1989. 25 Vgl. grds. Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, 1971; zur Stellung der Beteiligten Küchenhoff, Grundgesetz und Hochschulreform, 1964; Klein, Demokratisierung, 1968; MalimannlStrauch, Verfassungsgarantie der freien Wissenschaft, 1970; Oppermann, Praktische Konsequenzen, 1973.

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I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

Differenzierung im Rahmen der grundsätzlich gleichberechtigten Mitwirkung zu befassen 26 ; das Gericht stellt fest, daß die Hauptaufgabe der Universität darin besteht, die wissenschaftliche Entfaltungsfreiheit der Beteiligten zu sichern. Von diesem Grundsatz war auch bei der Frage auszugehen, ob das hessische Universitätsgesetz zu Recht vom einzelnen Wissenschaftler verlangen kann, daß er die gesellschaftlichen Folgen seiner Tätigkeit mit zu bedenken und die Universität zu informieren hat, wenn schwere Gefahren nicht auszuschließen sind27 • Die damit thematisierte Verantwortung des Wissenschaftlers für die Folgen seines Tuns greift einen Gedanken der soziologischen Wissenschaftskritik und eine daran anschließende Forderung der Studentenbewegung auf, die beide in der späteren Verantwortungsdiskussion eine Fortsetzung gefunden haben. Die Entscheidung akzeptiert die eingeforderte öffentliche Verantwortung des Wissenschaftlers grundsätzlich, soweit sie in einer politisch neutralen Form geltend gemacht wird. Zur Begründung hebt das Bundesverfassungsgericht die besondere Bedeutung der Universität als öffentliche Wissenschaftsinstitution mit umfassenden Aufgaben hervor und sieht die Tätigkeit des einzelnen Wissenschaftlers als in diesen öffentlichen Aufgabenbereich einbezogen und daher auch einer erweiterten Berücksichtigung öffentlicher Belange unterworfen. Andererseits läßt die Entscheidung keinen Zweifel daran, daß die Inpflichtnahme der Wissenschaftler nur in den Grenzen der durch die Verfassung vorgezeichneten Bindung der Wissenschaftsfreiheit durch andere Verfassungsgüter gesehen werden kann und die wissenschaftliche Selbstbestimmung. über das Maß der Informationspflicht zu wahren ist, daß also jede politische Instrumentalisierung ausgeschlossen zu sein hat. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert vor allem die Einschätzung der Universität als öffentliche Wissenschaftsinstitution, der eine besondere Rolle auch für die Vermittlung des wissenschaftlichen Fortschritts an die Gesellschaft zukommes. Die Pflege der Wissenschaft an der Universität kann angesichts dieser Aufgabe nicht auf die Vorstellung einer einsamen Freiheit ausgerichtet sein29 • Der damit gewonnene Ansatz zu einer besonderen wissenschaftspolitischen Rolle der Universität, die bei der Frage der rechtlichen Zulässigkeit und gesellschaftlichen Akzeptanz ausgesprochen

26

11. 6. 27

28 29

BVerfGE 35, 79 - Hochschulurteil; vgl. Oppermann, a.a.O. Näher dazu unten BVerfGE 47,327 - Hess. UG. Näher dazu unten 11. 8. Vgl. grds. Oppermann, Universität und Wissenschaft, 1983. Vgl. Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, 1971.

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gefahren trächtiger Forschungen zur Geltung kommen könnte, wurde zunächst jedoch verdrängt durch die Organisationsfragen, die mit der Hochschulreform verbunden waren. Inzwischen haben sich Fragen der Kooperation mit der Wirtschaft in den Vordergrund geschoben und eine verstärkte praktische Orientierung der Universitäten eingeleiteeo. Die pragmatische Politik stößt jedoch ebenfalls an Grenzen der Instrumentalisierung, wenn sie zu einer Überformung der Wissenschaftsfreiheit führen sollte, vor der die staatliche Institutionalisierung gerade schützen soll. Dieses Problem hat sich langfristig schon im Ansteigen der Finanzierung durch Drittmittel, durch die Praxis der Projektförderung und die Dynamik von Großprojekten abgezeichnet 3 ). Es fordert daher das traditionelle institutionelle Verständnis der Wissenschafts freiheit heraus, das den Staat als neutralen Garanten der Freiheitsentfaitung betrachtet.

2.3 Umweltschäden Eine bedrückende Bilanz nachteiliger Technik-Folgen kommt in den wachsenden Umweltschäden zum Ausdruck 32 . Das Schadensproblem läßt jedoch auch die wissenschaftliche Grundlage der technisch-wirtschaftlichen Praxis ins Blickfeld treten und fordert gleichzeitig die Aufmerksamkeit dafür heraus, daß es vor allem der wissenschaftlichen Hilfe bedarf, um die Schäden wirksam bekämpfen und unschädliche technische Alternativen entwickeln zu können. Die Gefährlichkeit von umweltbelastenden Techniken wurde für die Allgemeinheit vor allem durch tragische und zerstörerische Fälle begreiflich. Die Stichworte Tschernobyl, Seveso und Prinz-Williams-Sund sollen hier genügen. In zunehmendem Maße lebensbeeinträchtigend wirkt sich die Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung aus; dafür kommen jeweils komplexe Ursachen in Betracht, die sich in örtlichen, überörtlichen und überregionalen Bedingungen und Auswirkungen verbinden. Wesentliche Bedeutung bei der Umweltschädigung kommt der Energietechnik zu, deren Abfallprodukte die

30 Mit den Stichworten Technik-Kooperation und Technologietransfer, vgl. Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986, S.637-643, 692-706; Eser, Forscher, 1987, S. 939 f. Vgl. auch Püttner / Mittag, Rechtliche Hemmnisse der Kooperation, 1989; Schuster, Handb., 1990. 31 Zum Problem der Forschungslenkung an den Hochschulen Flämig, Forschungsauftrag, 1982, S. 907 f. Vgl. Oppermann, Universität und Wissenschaft, 1983, S. 859 f.; ders., Freiheit, 1989, S. 833 Rn. 41. 32 Vgl. oben Fn. 16.

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I. Schranken probleme der Wissenschaftsfreiheit

Hauptbelastung darstellen. Die Verbrennungsvorgänge vor allem durch Kraftwerke, Heizung und Kraftfahrzeuge geben hohe Schadstoffmengen in den Luftraum ab, beeinträchtigen aber nicht nur die Lufthülle, sondern schlagen sich auch auf die Böden nieder und belasten den Wasserhaushalt. Als Ausweg erscheint die Kernenergie, die nach dem heutigen Stand der Entwicklung aber mehrfache, noch nicht bewältigte Risiken birgt. Ebenfalls zur Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung trägt das Abfallproblern bei, denn durch die Verbrennung und Ablagerung werden weitere Schäden verursacht33 • Ausschlaggebend beteiligt am Abfallproblem ist die chemische Industrie, die auch hinter dem Einsatz von Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln steht, der die Boden- und Wasserverschmutzung steigert. Alle Beispiele zeigen, wie sich lebenserhaltende Erfordernisse und lebensverbessernde Vorteile mit Nachteilen und Schäden verbinden, die das herkömmliche Kosten-Nutzen-Schema unerbittlich erweiterungsbedürftig machen und das Risiko des Umschlagens in die irreparable Zerstörung in sich bergen. Die weltweite Luftverschmutzung scheint nicht ohne verändernde Auswirkung auf das Klima der Erde zu bleiben. Es ist zu vermuten, daß die gesteigerte Absorptionskraft der Atmosphäre zu einem Treibhauseffekt führt, der katastrophale Folgen haben könnte 34 • Das Abholzen der tropischen Urwälder im Interesse der Holzverarbeitung vennindert den natürlichen Sauerstoff- Kohlendioxidaustausch und führt gleichzeitig zur Freisetzung von im Holz gespeicherten Kohlenstoffmengen, unterstützt die Schädigung der Atmosphäre daher nachhaltig und hat Veränderungen im Wasserkreislauf zur Folge. Technische Nutzungssysteme und Überforderungen im Landwirtschaftsbereich verbinden sich mit Auswirkungen der Lufterwärmung zur Verwüstung gewaltiger Bodenareale. Chemische Mittel wirken an der Veränderung des Ozonschildes mies. Ein Zeichen für das Ausmaß der schädlichen Zivilisations- und Technikfolgen stellt der Verlust an Pflanzen- und Tierarten dar, der die Verschlechterung auch der Lebensbedingungen des Menschen erkennen läßt. Zwar erscheinen die Umweltschäden vornehmlich als Problem der technisch-wirtschaftlichen Anwendung wissenschaftlicher Forschungserfolge, sie lassen jedoch erkennen, daß die Forschung sich langfristig auch äußerst nachteilig auswirken kann, und wie gefährlich das Zusammenrücken von For-

33 Dazu Sinn, Aufgabe der wissenschaftlichen Gesellschaften, 1990, S. 296-301, 312 f. 34 Dazu Flohn, Aktuelle Auswirkungen des Treibhauseffekts, 1990. 35 Dazu Fabian, Ozon-Frage, 1990.

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schung und Technik mit dem Ziel der unmittelbaren Umsetzung in die praktische Anwendung ist. Damit wird die herkömmliche Trennung der Verantwortungsbereiche problematisch. Die Freiheitsgarantie für die Wissenschaft erhält einen Wirkungsgrad, der ihr nicht zugedacht sein kann, und die Gefahrenabwehr im technischen Bereich wird überfordert. Diese muß sich von der repressiven Eindämmung zur präventiven Kontrolle ausdehnen, um die ständige Weiterentwicklung mit ihren Risiken in den Griff zu bekommen36 . So stellt die Praxisbezogenheit der Wissenschaft und die Notwendigkeit der Gefahrenvorsorge die Wissenschaftsfreiheit in praktische Verantwortungsbereiche hinein, die einerseits die Wissenschaft zunehmend als Überwachungshilfe herausfordern, andererseits das Schranken problem in den Vordergrund rücken und die Frage nach einer besonderen Verantwortung des Wissenschaftlers aufwerfen.

2.4 Gentechnologie Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Problemfeld der Umweltschäden und der Gefahrenabwehr steht die Gentechnologie im tierischen und pflanzlichen Bereich37 . Auf diesem Gebiet zeichnen sich neue Möglichkeiten der Biotechnologie ab, die vor allem in der Ernährungswirtschaft, bei der ArzneimittelhersteIlung und bei der Bekämpfung von Umweltschäden Anwendung finden könnten. Die künstliche Veränderung von Erbanlagen, die das Ziel verfolgt, für menschliche Zwecke günstige Eigenschaften hervorzurufen, zu verstärken oder zu übertragen, könnte aber den damit ausgestatteten Lebewesen nicht beabsichtigte Fähigkeiten oder Wirkungen zukommen lassen, die sich als Gefahr erweisen. Zur Produktion von Arzneimitteln gentechnisch instand gesetzte Bakterien oder zur Abwehr schwerer Krankheiten gentechnisch veränderte Viren könnten etwa nicht vorhergesehene tödliche Wirkungen, naturwidrige Überlebensvorteile oder genetische Kombinationsfähigkeiten entfalten, die sich zu Lebensbedrohungen entwickeln. Auch könnte der Umgang mit Krankheitserregern zum Zweck der gentechnischen Forschung und Produktion dazu führen, daß es zur unbeabsichtigten Freisetzung kommt, die gefährlich werden könnte. 36 Vgl. die Beispiele der Kernenergie (AtomG), der Gentechnik (GentechnikG) und der Pharmaindustrie (ArzneimitteiG). 37 Dazu Gareis, Biotechnologie, 1986; Altner, Nutzungsziele, 1987; Hobom, Gentechnologie, 1987; Saedler, Gentechnologie, 1987; Friedrichsen, Gentechnologie, 1988; Thurau, Gute Argumente, 1990. Vgl. auch die Dokumentation von Catenhusen/Neumeister, Chancen und Risiken der Gentechnologie, 1987.

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I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

Das letzte Beispiel schließt ohne weiteres an den vertrauten Rahmen der Gefahrenabwehr an, läßt aber erkennen, daß das Ausmaß der Gefahrenpotentiale besondere Anforderungen stellt. Daher stehen den vorteilhaften Seiten der Gentechnologie erhebliche Risiken gegenüber. Weder eine undifferenzierte Verbots- noch Duldungspolitik kann diesem Spannungsfeld gerecht werden, das durch die Verbindung von Nichtvoraussehbarkeit und Höchstgraden an Zerstörungswirkung besonders belastet wird. Das Gentechnikgesetz stellt den Versuch dar, die Gefahren möglichst weitgehend einzudämmen, ohne der Entwicklung nachteilhafte Fesseln aufzuerlegen 38 • In besonderem Licht erscheint das Problem der Gefahrenabwehr auch dadurch, daß die Gentechnologie durch ein enges Zusammenrücken von Forschung und Praxis gekennzeichnet ist. Zum einen geht die Forschung selbst in die praktische Auswirkung über, indem sie gentechnisch verändertes Leben herstellt und auch seine Eigenschaften testet. Zum anderen ist die Forschung sowohl auf Anwendungsfragen als auch auf möglichst schnelle Umsetzung in die praktische Nutzung angelegt. Es erscheint offensichtlich, daß sich die Forschungsfreiheit nicht gegen eine Gefahrenabwehr gegenüber ihren praktischen Auswirkungen durchsetzen kann, die durch Erfordernisse des grundgesetzlieh gewährleisteten Rechtsgüterschutzes im Einzelfall und zugunsten der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. So ist nichts dagegen einzuwenden, daß Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz zu beachten und ungenügend gesicherte gemeingefährliche Experimente zu verhindern sind. Andererseits ist ebenso offensichtlich, daß die Gefahrenabwehr nicht zu einer forschungsverhindernden Prävention gesteigert werden darf. Dieser Gedanke wird dadurch einsichtig gemacht, daß die gentechnologische Forschung nicht nur lebensverbessernde Fortschritte ermöglicht, sondern auch auf dem Gebiet der Lebens- und Gesundheitsgefahren unschätzbare Abwehrund Schutzmöglichkeiten erlangen hilft, auf die zu verzichten, umgekehrt eine Risikoduldung darstellen würde. Die Frage läuft daher auf eine vernünftige Risikobegrenzung hinaus, die mit den Nutzungszwecken und der Garantie der Wissenschaftsfreiheit abzustimmen ist.

38 Gesetz vom 20. Juni 1990 (BGBI I S. 1080). Vgl. Graf VitzthumIGeddert-Steinacher, Zweck im Gentechnikrecht, 1990; Pohlmann, Neuere Entwicklungen, 1990; ferner Lukes, Biotechnologie und Recht, 1986; Scholz, Instrumentale Beherrschung, 1986; LukeslScholz, Rechtsfragen, 1986; CatenhusenlNeumeister, a.a.O.

2. Sachprobleme

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2.5 Militärische Forschung Sowohl aus dem Bereich der Umweltschäden als auch der Gentechnologie sind Brücken zur militärischen Forschung zu schlagen, die sich dem gezielten Einsatz der erwähnten Zerstörungskräfte widmet. Seit den Gasangriffen und der intensiven militärischen Giftgasforschung im Ersten Weltkrieg, seit dem Manhattan-Projekt zur Entwicklung der Atombombe in Los Alarnos, das zum Einsatz in Hiroshima und Nagasaki geführt hat, und seit dem Bekanntwerden von Versuchen mit biologischen Waffen ist eine besonders gefährliche Alternative der Forschungsfreiheit bewußt geworden 39 • Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß ein hoher Prozentsatz aller Naturwissenschaftler heute direkt oder indirekt an der Rüstungsforschung beteiligt ist40 • Im Gegensatz zu den Forschungsgefahren im gentechnologischen Bereich etwa werden die Gefahren der militärischen Forschung aber kaum in die Öffentlichkeit getragen. Nur gelegentlich, so bei der Frage der Zulässigkeit von Waffenexporten oder anläßlich von Auskunftsbegehren über universitäre Forschungsprojekte, wurde das Problem der Rüstungsforschung in der jüngsten Vergangenheit öffentlich aufgegriffen. Die Friedensbewegung hat sich jedoch im Zusammenhang mit ihrem Eintreten für die Abrüstung auch grundsätzlich gegen das Ausmaß der militärischen Forschung gewandt41 • Bei der Forschung zur Herstellung von Vernichtungswaffen erscheint das Forschungsziel als solches an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen gerückt. Zwar läßt sich zwischen der Forschung, der Herstellung und dem Einsatz unterscheiden, aber immerhin ist die Forschung auf den Vernichtungserfolg ausgerichtet. Andererseits bedeutet die Zulässigkeit der militärischen Verteidigung, daß der Wissenschafts freiheit in diesem Rahmen keine Schranken gesetzt sind. Besondere Konsequenzen könnten sich aus Art. 26 Abs. 1 GG, wonach Vorbereitungen zu einem Angriffskrieg verboten sind, und aus internationalen Vereinbarungen, wie derjenigen gegen den Einsatz chemischer und bakteriologischer Waffen 42 , ergeben.

39 Vgl. Harris / Paxmann, Eine höhere Form des Tötens, 1983, S. 13-131; Easlea, Väter der Vernichtung, 1986, S. 99-162; Quitzow, Naturwissenschaftler zwischen Krieg und Frieden, 1986, S. 48-176. 40 Vgl. Meyer-Abich, Wissenschaft als Beruf, 1982, S. 441; Altmann, Star Wars, 1988, S. 38; Angerer, Chemische Waffen, 1985; Quitzow, a.a.O., S. 177-231. 41 Vgl. Dürr/Harjes/Kreck/Starlinger, Verantwortung für den Frieden, 1983; Quitzow Naturwissenschaftler zwischen Krieg und Frieden, 1986, S. 232-323. 42 Vgl. Brauch/Schrempf, Giftgas, 1982, S. 241-262; Uth/Rudolph, Pest als Waffe, 1984, S. 91-99.

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2.6 Humanmedizin 2.6.1 Grundlagen

Ein besonders traditionelles und zugleich in. äußerst aktuellem Licht erscheinendes Problemfeld der Wissenschaftsfreiheit stellt die medizinische Forschung am Menschen dar43 • In ihren Zielsetzungen verschränken sich individuelle und Interessen des Allgemeinwohls besonders deutlich, da die allgemeine Wohltat des medizinischen Fortschritts für jeden Einzelnen ohne weiteres zur existentiellen Frage werden kann. Eine grundSätzlich unübersteigbare Schranke für die Forschung stellt jedoch das Leben und die Gesundheit des Einzelnen dar. Diese beiden Leitbegriffe haben eine früher unzugängliche Erweiterung erfahren, die der Forschung neue Räume eröffnet und gleichzeitig neue Fragen über die Aufgaben und Grenzen der Therapie aufwirft44 • So wurde mit der Organtransplantation nicht nur der Schritt von der künstlichen zur künstlich in den Organismus eingefügten natürlichen Prothese gewagt, sondern auch neue Vorstellungen von der leiblichen Integrität, dem Lebensbegriff und der medizinischen Therapie geschaffen. Diese Vorstellungen sehen sich erneuten Veränderungen durch die Technik der künstlichen Befruchtung, den Einblick in das genetische Programm und die sich anbahnenden Möglichkeiten der Gentherapie ausgesetzt. Das alte Problem, wie zwischen Wohltat und unzulässigem Eingriff abzugrenzen ist, stellt sich damit in ständig erweiterter Form. Die nähere Schrankenziehung für die Forschung am Menschen richtet sich nach der objektiven Zulässigkeit des Vorgehens und der Einwilligung des Patienten oder Probanden. Die Zulässigkeit des Vorgehens hängt von der Einwilligungsfähigkeit und diese zugleich vom Ziel des Vorgehens ab; bei therapeutischen Eingriffen können lebensgefährdende und schwere Schäden verursachende Handlungen dem Zweck der Lebenserhaltung dienen und daher einwilligungsfähig sein, dagegen stellen sie beim reinen Experiment eine nicht disponible Schranke dar. Wie bei der therapeutischen Behandlung, ergeben sich auch bei der Forschung eine ganze Reihe von Fragen dazu, wie die Wirksamkeit des Einwilligungsprinzips gewahrt werden kann45 • Eine wichtige Rolle spielt die Frage, in welchem Ausmaß über die Art und die

43 Vgl. Deutsch, Recht der klinischen Forschung, 1979; Schimikowski, Experiment am Menschen, 1980. 44 Zur Vielschichtigkeit des medizinischen Krankheitsbegriffs v. Kirchbach, Wissenschaftsfreiheit und Arzneimittelkontrolle, 1985, S. 197-200. 45 Vgl. auch Püttner / Brühl, Fortpflanzungsmedizin, 1987.

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Risiken der Behandlung aufgeklärt werden muß. Teilweise, so etwa beim sozial psychologischen Experiment, bereitet es Schwierigkeiten, wie ausreichend aufgeklärt werden kann, ohne die experimentelle Fragestellung zu beeinträchtigen46 • 2.6.2 Künstliche Befruchtung

Auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung sind erhebliche Fortschritte erzielt worden. So bedeutet etwa die Befruchtung außerhalb des Körpers mit der nachträglichen Einpflanzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter eine prinzipielle Erweiterung der künstlichen Unterstützung für die natürliche Lebensentstehung. Die Forschung auf diesem Gebiet sieht sich jedoch einer ganzen Reihe von Einwänden ausgesetzt, die mit Bedenken gegen die Zulässigkeit von technischen Möglichkeiten der Befruchtung und gegen das Vordringen des menschlichen Erkenntnisstrebens in den Bereich des beginnenden Lebens zusammenhängen. Zu unterscheiden sind verschiedene Ebenen der rechtlichen und eine intensive ethische Diskussion, die sich mit dem Fragenkomplex befaßt haben; unter anderem sind das interdisziplinäre Beratungsgremium, das unter der Bezeichnung Benda-Kommission bekannt wurde47 , und die Beratung auf dem 56. Deutschen Juristentag48 hervorzuheben. Inzwischen ist der Fragenbereich im Embryonenschutzgesetz einer gesetzlichen Regelung unterworfen worden49 • Die rechtliche Diskussion war zum einen auf rechtstechnische Probleme, wie Einwilligungsfragen, Statusfragen und Fragen nach Auskunftsrechten ausgerichtet, die sich vor allem in den Fällen der nicht im Rahmen einer Ehe und der heterolog vorgenommenen künstlichen Befruchtung ergeben. Zum anderen bezog sich die Diskussion auf Ordnungsfragen höherer Ebene, so vor allem auf den Ehe-, Farnilien- und Gesundheitsschutz und das persönliche Selbstbestimmungsrecht der an der künstlichen Befruchtung Beteiligten. Eine dritte Ebene der Diskussion war besonders hervorgehobenen Ordnungsgrundsätzen, wie dem Lebensschutz und dem Schutz der Menschenwürde, gewidmet.

46 Vgl. Wiese, Persönlichkeitsrechtliche Grenzen, 1977; Deutsch, Rechtliche Grenzen, 1980; Eberbachl Schuler, Aufklärungspflicht, 1982. 47 In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, 1985; vgl. Benda, Erprobung der Menschenwürde, 1985, ders., Humangenetik und Recht, 1985. 48 Starck, Künstliche Befruchtung, 1986; Coester- Waltjen, Künstliche Befruchtung, 1986. 49 Vgl. oben Fn. 7.

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I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

Will man nicht jede Fonn der künstlichen Befruchtung als unnatürlichen Eingriff betrachten und einen grundsätzlich ablehnenden Standpunkt einnehmensa, der sich jedoch mit herkömmlichen Grundsätzen der Therapie nicht vereinbaren ließe, eröffnet sich eine ununterbrochene Weiterung von Fragen, die bis zu den Fundamenten der Wissenschaftsfreiheit reichen. Es scheint aber, daß in dem Konflikt, der zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem Schutz anderer Verfassungsgüter entstanden ist, die Wissenschaft vor allem als gefährlicher Eindringling betrachtet wird und daß bei der Wendung zur Gefahrenvorsorge, die sich auch in diesem Bereich durchsetzt, die Differenzierung, die gleichzeitig erforderlich ist, um die Entwicklung offenzuhalten, zum Nachteil der Wissenschaftsfreiheit in den Hintergrund gedrängt wird. Hält man die künstlich herbeigeführte Befruchtung in corpore zwar für rechtlich zulässig, lehnt aber zum Beispiel die Kühlkonservierung von Keimzellen und die zeitlich gegenüber der Keimzellengewinnung verschobene Befruchtung ab, sperrt man zugleich die Forschung, soweit sie des wirklichkeitsgetreuen Beobachtungsvorganges bedarf. Dieser Standpunkt wäre nicht nur mit wissenschaftlichen, sondern auch mit praktischen medizinischen Interessen unvereinbar, da die Umstände eine flexible Wahl des Befruchtungszeitpunkts erzwingen können. Öffnet man die Möglichkeit der Befruchtung mit konservierten Keimzellen, liegt eine zeitliche Begrenzung nahe, um die natürliche Generationenfolge nicht durcheinander zu bringen. Dieser praktische Gesichtspunkt gibt zugleich der Wissenschaft Spielraum für verwertungsfahige Beobachtungen. Daneben stellt sich die Frage nach Ausnahmen für Forschungszwecke. Würde man die künstliche Befruchtung außerhalb des Körpers, die Invitro-Fertilisation, als unnatürlich und daher als menschenunwürdig verurteilen, würde man nicht nur praktischen Bedürfnissen, die auch zur Achtung der Menschenwürde beitragen, sondern auch der Wissenschaftsfreiheit einen Riegel vorschieben. Jedoch dürfte der Ausdruck, den die Achtung der Menschenwürde im Schutz der Wissenschaftsfreiheit findet, in demjenigen Wissens bereich besonders schwer wiegen, in dem es um das Verständnis der Lebensentstehung geht, also um die Grundlagen der menschlichen Selbsterkenntnis als einem der Menschenwürde und dem menschlichen Wissensstreben besonders eng verbundenen Wissensgebiet. Die Zulassung führt aber auch zu einer Reihe von Ordnungsfragen, deren Beantwortung allein unter dem Gesichtspunkt der Übereinstimmung mit herkömmlichen Vorstellungen vom individuellen Werden des menschlichen Lebens unzureichend sein dürfte. 50 Vgl. Hoffmann, Biotechnologie, 1985; Laufs, Künstliche Befruchtung, 1987; Giesen, Biotechnologie, 1989.

2. Sachprobleme

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Grundsätzlich ist mit der In-vitro-Fertilisation das Problem verbunden, daß die Befruchtung stärker als im natürlichen Entwicklungsgang verselbständigt wird. Auch wenn die Befruchtung außerhalb des Körpers eng an den Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft gebunden wird, wie im Embryonenschutzgesetz vorgeschrieben, läßt sich ein Auseinanderfallen nicht verhindern, denn selbst wenn Befruchtungen nur zum Zweck jeweils nur eines Einpflanzungsvorganges vorgenommen werden dürfen, ist nicht ausgeschlossen, daß es nicht zur Einpflanzung kommen kann, weil sich die Umstände, zum Beispiel der Entschluß der Beteiligten oder der Gesundheitszustand der Patientin, geändert haben. In dieser Situation erhebt sich die Frage, ob die befruchteten Eizellen zu vernichten oder ob sie der Forschung zugänglich zu machen sind. Zur Diskussion über diese letztere Möglichkeit, die im Embryonenschutzgesetz verworfen wird, die aber an den Kern der Wissenschaftsfreiheit rührt, ist in diesem Abschnitt noch näher einzugehen. Die In-vitro-Fertilisation eröffnet auch die Möglichkeit, befruchtete Eizellen auf Frauen zu übertragen, die nicht mit der Eispenderin identisch sind. Das im Embryonenschutzgesetz bestimmte Verbot der Übertragung, das gegen die Herbeiführung einer Fremd- oder einer Leihmutterschaft gerichtet ist und soziale Komplikationen verhindern will, schließt aus, daß praktische Erfahrungen gesammelt und die Forschung auf diesem umstrittenen Feld der sozialen Beziehungen zur Klärung der Probleme und zur Einführung differenzierter Regelungen beitragen kann. 2.6.3 Pränatale Diagnose

Auch die medizinische Untersuchung des werdenden Lebens, die über das Ziel einer Schwangerschaftstherapie hinausgeht, ist teilweise umstritten 51 • Die Erkennbarkeit schwerster Gesundheitsschäden beim Embryo kann die Frage des Schwangerschaftsabbruchs aufwerfen und zu Gewissenskonflikten der Eltern führen 52 • Die Verfeinerung diagnostischer Verfahren, die vor allem auch durch gentechnische Methoden erzielt werden kann, und ihre allgemeine Anwendung könnte zu sozialem Druck bei der Frau führen, wieweit gesundheitliche Schäden beim Kinderwunsch in Kauf genommen werden. Es könnte sich eine eugenische Selektion entwickeln, die für die soziale Einstellung zum Gesundheitsbegriff und für die Stellung der Behinderten in der

51 Vgl. Schreiber, Erprobung des Humanen, 1987, S. 95-100; Günther, Pränatale Diagnose, 1987, S. 225-235. 52 Vgl. Rehder, Pränatale Genomanalyse, 1989, S. 60-66.

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I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

Gesellschaft bedenkliche Folgen haben könnte 53 • Diese Überlegung läßt Einwände gegen die Zulässigkeit der pränatalen Diagnose laut werden, die sich auch gegen die Fortschritte der medizinischen Forschung auf diesem Gebiet wenden. Die Probleme werden durch die Entwicklung der künstlichen Befruchtung außerhalb des Körpers erweitert, die neue Diagnoseverfahren ermöglicht. Zwar erhebt sich anläßlich der In-vitro-Diagnose nicht die Frage des Schwangerschaftsabbruchs, aber die Probleme, die sich für den Umgang mit dem entstandenen Leben ergeben, werden nicht ausgeräumt. Daher steht auch in diesem Fall eine Beschränkung der medizinischen Behandlung und Wissenschaft zur Debatte. Insbesondere werden die Überlegungen auf einen neuen Prüfstand gestellt, indem die In-vitro-Diagnose durch gentechnische Methoden ausgebaut und durch Paralleluntersuchungen an Zellen, die zu diesem Zweck abgespalten und nicht an die unbeeinträchtigte Weiterführung des Lebens gebunden werden könnten, ausgeweitet werden könnte. Ferner könnten die therapeutischen Möglichkeiten durch die medizinische Forschung an Präembryonen verbessert werden. Das Embryonenschutzgesetz schränkt die Zulässigkeit der Diagnose auf den Zweck der Schwangerschaftserzeugung mit den jeweils untersuchten Zellen des beginnenden Lebens ein und untersagt jede individuelle und generelle Erweiterung. 2.6.4 Genomanalyse

Zu den bahnbrechenden Entdeckungen in diesem Jahrhundert gehören die molekularen Informationsträger des Lebens, die Voraussetzung für die Entwicklung und Erscheinung des Lebens sind54 • Das Verständnis für die genetischen Lebensgrundlagen könnte vor allem wertvolle Möglichkeiten der Krankheitsbekämpfung eröffnen und einen fundamentalen Schritt vom vielfach aussichtslosen Kampf mit Symptomen zur Heilung im Ursachenbereich bedeuten. Der Weg VOn der Entdeckung der genetischen Lebensbausteine bis hin zu einer zusammenhängenden Kenntnis ihrer heute noch unüberschaubaren Informationsfülle und Wirkungsweisen sowie der Fähigkeit, zum Vorteil des Lebens damit umzugehen, erscheint jedoch unendlich weit. Ein erstes Ziel ist zunächst, die Lage und Bedeutung der Vielzahl der einzelnen Gene in den Trägerketten festzustellen, die das genetische Pro-

53 Dagegen auf Grund der Zahlenverhältnisse Bülow, Rechtsfragen der Genomanalyse, 1991, S. 132. 54 Vgl. die allgemeinverständlichen Darstellungen bei Asimov, Beginnings, 1987; ders., Geheimnisse, 1985.

2. Sachprob1eme

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gramm bilden. Inzwischen sind weltweit Forschungsprojekte in Gang gekommen, um dieses Ziel zu erreichen 55 • Die Entschlüsselung des genetischen Codes würde ermöglichen, das genetische Muster des einzelnen Menschen festzustellen und Einblick in seine individuellen Erbanlagen zu gewinnen. Zwar bedeutet die Kenntnis der genotypischen Daten, des Genoms, natürlich nicht, daß damit auch das Erscheinungsbild des jeweiligen Trägers in seiner tp.it der Umwelt korrelierten Fülle aufgedeckt werden könnte, aber vor allem die Abweichungen von vollständigen Funktionsgrundlagen und damit die Erbkrankheiten und Erkrankungsdispositionen könnten erschlossen werden. Die Vorstellung, daß es möglich werden könnte, die genetischen Datenmuster aufzudecken, ruft den Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts auf den Plan und läßt Bedenken gegen eine Übersteigerung der Verwaltbarkeit des Einzelnen wach werden. Vor allem in drei Hauptbereichen könnte die Genomanalyse von Bedeutung werden. An erster Stelle ist die schon erwähnte Krankheitsbekämpfung zu nennen. An zweiter Stelle erscheinen Auswirkungen auf die Stellung im Arbeitsleben sowie in der Krankenversicherung wahrscheinlich. Außerdem könnte der Nachweis der genetischen Identität bei der Strafverfolgung und bei sonstigen Verfahren der Personenfeststellung Wichtigkeit erlangen. In allen drei Bereichen könnte es zu mißbräuchlicher Wissensverwertung kommen, was, ebenso wie auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung und pränatalen Diagnostik, eine wissenschaftliche Informations- und Beratungsdiskussion ausgelöst hat. So wurde jüngst der Abschlußbericht des Arbeitskreises "Ethische und soziale Aspekte der Erfassung des menschlichen Genoms" vorgelegt; zum selben Thema erschienen ebenfalls noch in jüngster Zeit weitere interdisziplinäre Forschungsbeiträge56 . Die wichtigste Sorge, die im Zentrum der Überlegungen steht, ist, daß mit zunehmender Kenntnis der menschlichen Erbanlagen die genetische Krankheitsbekämpfung ein zu starkes Gewicht bekommen und unmerklich von der Behebung von Defekten in die Verbesserung von nicht als krankhaft einzuschätzenden Eigenschaften übergehen könnte. Die Genomanalyse könnte dieser Befürchtung nach zum Wegbereiter einer Eugenik werden, die meistens als grundsätzlich unvereinbar mit dem Schutz der Menschenwürde abgelehnt wird. Von dem Standpunkt aus, der keinen vernünftigen oder menschenwürdigen Umgang mit den Möglichkeiten der Gentherapie für realisierbar, sondern den Mißbrauch für unabwendbar hält, stellt schon die Erforschung des geneti-

55 Vgl. die Forschungsprogramme und offiziellen Stellungnahmen bei Sass, Genomanalyse und Gentherapie, 1991, S. 125-170, 197-223. 56 Abschlußbericht, 1990; Sass, a.a.O.

3 Losch

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I. Schranken probleme der Wissenschaftsfreiheit

schen Codes einen Irrweg dar, der zu unterbinden ist. Das gleiche gilt für die Auffassung, daß die Möglichkeit zur Bestimmung des individuellen Genoms zwangsweise zum Mißbrauch durch staatlich verordnetes oder in Arbeits- und Versicherungsverträgen auferlegtes Screening mit nachteiligen Folgen und sozialem Druck auf die Träger erblicher Defekte führen müsse. Dem steht die Meinung gegenüber, daß es schädlich wäre, die Entwicklung der Genomanalyse und den damit verbundenen Beitrag zur Krankheitsbekämpfung zu unterbinden, und daß nur eine differenzierte Mißbrauchsabwehr in Frage kommt. Danach wären Forschungsbeschränkungen allenfalls bei mißbräuchlichem Vorgehen in Betracht zu ziehen. 2.6.5 Gentherapie

Die Diskussionen, die sich anläßlich der erwähnten Fortschritte der Medizin entfacht haben, werden wie von einem Magneten von der Gentherapie als dem zentralen Thema angezogen, zu dem die Überlegungen alle hinlaufen 57 • Die Gentherapie stellt zweifellos ein großes Ziel dar, um den erblich bedingten Krankheiten entgegenwirken zu können. Gleichzeitig wirft sie das Problem auf, wie zwischen der Krankheitsbekämpfung und darüber hinausgehenden eugenischen Maßnahmen ein Trennstrich gezogen werden kann. Daher erheben sich warnende Stimmen, die es entweder überhaupt für mißbräuchlich halten, die konstitutiven Grundlagen des Lebens anzutasten, oder davon ausgehen, daß sich segensreiche Möglichkeiten und ihre mißbräuchliche Ausnutzung nicht voneinander trennen lassen 58 . Vor allem in Deutschland besteht - nach den negativen Erfahrungen im Nationalsozialismus - größte Abneigung gegen genetische Utopien, die mit Vorstellungen einer menschenwürdigen Gesellschaftsordnung in Konflikt geraten 59. Die völlige Ablehnung der Gentherapie konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird die Auseinandersetzung vor allem darum geführt, ob nur die somatische Therapie, die sich allein am einzelnen Patienten auswirkt, oder auch die Therapie, die sich auf das Erbprogramm in den Keimzellen auswirkt und daher zu weitervererbbaren Veränderungen

57 Vgl. Ethische und rechtliche Probleme, 1984; In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, 1985; Däubler-Gmelin, Forschungsobjekt Mensch, 1986; CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken, 1987. 58 Vgl. Hoffmann, Biotechnologie, 1985; Schreiber, Erprobung des Humanen, 1987. 59 Vgl. Wagner, Manipulierung, 1969; Flämig, Gentechnische Manipulation, 1985, S. 19-31.

2. Sachprobleme

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führt, ein zulässiges Ziel darstellt6o• Zur überwiegenden Ansicht ist geworden, daß die individuell beschränkte Gentherapie keinen Unterschied im Vergleich zur herkömmlichen Krankheitsbekämpfung bedeutet, was die Begründung und Begrenzung der Therapie betrifft. Das Problem ist vor allem, daß die Voraussetzungen der Anwendung noch weitgehend unerforscht sind. Gegenüber der vererblich wirkenden Gentherapie werden weiterhin die erwähnten Bedenken erhoben. Die Befürchtung ist groß, daß sich leichtsinnige oder anmaßende Praktiken durchsetzen, daß eugenische Tendenzen an Boden gewinnen oder in gewaltsamen Mißbrauch umschlagen oder daß sich gentechnische Korrekturen langfristig negativ auswirken könnten. Jedoch scheinen undifferenzierte Zurückweisungen an Boden zu verlieren und die Auseinandersetzungen sich mehr und mehr auf das Bemühen zu konzentrieren, über die einzelnen Krankheiten und die Möglichkeiten der Bekämpfung, über den Forschungsbedarf und über die Frage, wie eine verantwortungsvolle Handhabung gesichert werden kann, mehr Aufschluß zu gewinnen 61 • Von dem Standpunkt aus, der jede Form der vererblich wirkenden Gentherapie ablehnt, wird auch die Zulässigkeit der Forschung auf diesem Gebiet bestritten. Teilweise wird zwar die Einführung gentherapeutischer Verfahren, die vererblich wirken, nicht grundsätzlich abgelehnt, jedoch im Widerspruch dazu die Möglichkeit der Forschung stark beschränkt. Das gilt vor allem für die Frage, die im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung schon erwähnt wurde, ob und wieweit die Forschung am beginnenden Leben mit den Grundsätzen der Verfassung vereinbar ist. 2.6.6 Forschung am beginnenden Leben

Als die medizinische Technik die künstliche Befruchtung außerhalb des menschlichen Körpers ermöglicht hatte, war nicht nur ein wichtiger Schritt zur Hilfe bei Hindernissen gegen eine Schwangerschaft getan, sondern auch ein neuer Ausgangspunkt für die medizinische Forschung erreicht. Das Forschungsinteresse war naturgemäß zunächst vor allem darauf gerichtet, der Befruchtungstechnik zu weiterem Erfolg zu verhelfen, also die Bedingungen

60 Vgl. v. d. Daele, Mensch nach Maß, 1985; Eser, Genetik, 1985; ders., Humangenetik und Recht, 1987; Graf Vitzthum, Gentechnologie und Menschenwürde, 1987; ders., Gentechnik, 1990. Vgl. ferner die Zusammenstellung bei Döring, Technik und Ethik, 1988, sowie die Sammelbände von Flöhl, Genforschung, 1985; Lukes/Scholz, Rechtsfragen, 1986; Braun/Mieth/ Steigleder, Ethische und rechtliche Fragen, 1987; Schlegel, Gentechnologie, 1988; Schuller/Heim, Der codierte Leib, 1989. 61 Vgl. den Sammelband von Sass, Genomanalyse und Gentherapie, 1991.

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I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

für das Zustandekommen der Befruchtung, für die Aufrechterhaltung des entstandenen Lebens und eine erfolgreiche Einpflanzung in den menschlichen Körper näher kennenzulernen. Gleichzeitig konnte sich an die Entstehung befruchteter Eizellen und ihre Weiterentwicklung eine Fülle zusätzlicher Forschungsaufgaben anschließen, so vor allem hinsichtlich der Bedingungen der Weiterentwicklung und - im Gefolge der traditionellen medizinischen Aufgaben - vor allem hinsichtlich der Frage, welche Möglichkeiten der Krankheitsdiagnose und -therapie sich eröffnen 62 • Diese Frage erlangte durch die Fortschritte der Genetik und die Möglichkeiten der Gentherapie außerordentliches Gewicht. Damit wuchsen die Forschungsaufgaben schnell über das engere Forschungsanliegen, eine erfolgreiche Schwangerschaft herbeizuführen, hinaus. Es lag daher nahe, die befruchteten Eizellen, die wegen veränderter Umstände nicht zur Einpflanzung verwendet werden konnten, nicht einfach absterben zu lassen, sondern der Forschung zugänglich zu machen. Die Herausforderung, die damit an die Forschung am beginnenden Leben gerichtet war, rief jedoch, ähnlich wie schon die Befruchtung außerhalb des Körpers oder die Intensivierung der pränatalen Diagnose oder vor allem das Thema der Gentherapie, großen Widerspruch hervor, der vor allem unter ethischen Gesichtspunkten geäußert wurde und sich teilweise energisch gegen die Ausdehnung der Forschung wandte. Die Diskussion in Deutschland war nachhaltig durch die negativen Erfahrungen über den Umgang mit menschlichem Leben im Nationalsozialismus geprägt63 • Während im angelsächsischen Bereich die öffentliche und die medizinische Fachdiskussion die Forschung am beginnenden Leben nicht grundsätzlich verurteilte64 und während etwa totalitäre Regimes, so die ehemalige DDR, keine Zaghaftigkeit an den Tag legten 65 , überwogen im westlichen Teil Deutschlands die Bedenken dagegen, die Forschung am beginnenden Leben als zulässig zu erachten. Der grund gesetzliche Schutz des Lebens und der Menschenwürde wurde zur unüberwindlichen Bastion erklärt.

62 Vgl. bes. Vogel, Zukunftsaufgaben, 1978; Hofschneider, Gentechnische Methoden, 1985; CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken, 1987, S.40-187; z. d. Mühlen, Gentechnologie, Vortrag im Fernsehprogramm S 3 am 2.9.1990. Grds. Markl, Evolution, 1986; v. Ditfurth, Unbegreifliche Realität, 1987, S. 344-353. 63 Vgl. Müller-Hili, Tödliche Wissenschaft, 1984; Heldrich, Freiheit, 1987, S. 1416. 64 Vgl. die Stellungnahmen und Richtlinien bei Deutsch, Recht der klinischen Forschung, 1979, S.99-151; Giesen, Probleme künstlicher Befruchtungsmethoden, 1985; Eser, Forschung mit Embryonen, 1987, S. 273-284. 65 Vgl. den Hinweis bei Classen, Gentechnologie, 1988, S. 276.

2. Sachprobleme

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Zunächst wurde aber nicht ausgeschlossen - so zum Beispiel das Votum der Benda-Kommission -, daß ohnehin todgeweihte Lebenskeime zu lebenswichtigen medizinischen Forschungen eingesetzt werden könnten 66 • Andererseits entwickelte sich zur überwiegenden Meinung, daß eine generelle Freigabe zur Forschung und die Ausdehnung der künstlichen Befruchtung auch auf das Ziel, befruchtete Eizellen für Forschungszwecke herzustellen, einen zu weitgehenden Eingriff in den Lebensbeginn bedeuten würden. Schließlich setzten sich die Stimmen durch, die jede Forschung am beginnenden Leben ablehnen 67 • Vor allem erscheinen bestimmte Manipulationen mit den Lebenskeimen, die sich als Forschungsmöglichkeiten abzeichnen, verwerflich. So wird die Klonung in der Form der Abspaltung noch undifferenzierter Zellen mit dem Ziel, identische Lebenskeime herzustellen, oder in der Form der Einbeuung entwickelter Zellkerne in neu entstandene Zellen mit dem Ziel, neue Erbprogramme zu entwickeln, die mit der Erbinformation im Zellkern identisch sind, als Verstoß gegen die natürliche Lebensidentität bezeichnet68 • Ebenso wird sowohl die Kombination mehrerer Erbprogramme im noch nicht differenzierten Stadium der Zellentwicklung als auch die Kombination menschlicher und tierischer Erbprogramme als unerträglicher Übergriff abgelehnt69 • Die Argumentation geht aus von der Gleichsetzung der ersten Lebensstadien mit dem voll entwickelten Leben, die damit begründet wird, daß sich vernünftige Differenzierungen nicht treffen lassen 7o . Daher wird das menschliche Leben von der Verschmelzung der Keimzellen an unter den vollen Lebens- und Menschenwürdeschutz gestelleI. Außerdem wird der

66 In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, 1985, S. 28-30; vgl. die Problemerörterung bei v. d. Daele, Mensch nach Maß, 1985, S. 38-47; Graf Vitzthum, Menschenwürde und Humangenetik, 1986, S. 823-825; ders., Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 274-284; ders., Gentechnik, 1990, S. 195-197; Püttner, Forschungsfreiheit und Embryonenschutz, 1987; Eser, Humangenetik, 1987, S. 50 f.; Schreiber, Erprobung des Humanen, 1987. 67 Vgl. Eibach, Experimentierfeld, 1983; Ostendorf, Experimente, 1984, S. 599; CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken, 1987, S. 189; Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 37-40; Giesen, Biotechnologie, 1989. 68 Gröner, Klonen, 1987. 69 In-vitro-Fertilisation, 1985, S. 33-35; Vgl. Eser, Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 144-146. 70 Ostendorf, Experimente, 1984, S. 598 f.; Eser, Biotechnologie, 1986, S. 117-119; Schreiber, Erprobung, 1987, S. 46-54; Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 42-51. 71 Vgl. Graf Vitzthum, Gentechnologie, 1985, S. 252 f.; ders., Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 276 f.; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 18 f.; ders., Gentechnologie, 1988, S. 25 f.; Laufs, Fortpflanzungsmedizin, 1987, S. 103 f.

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I. Schranken probleme der Wissenschaftsfreiheit

Schutz wegen der MIßbrauchsgefahr, die vor allem unter gentechnisch-eugenischen Gesichtspunkten befürchtet wird, als unantastbar erklärt72 • Die Betonung der eugenischen MIßbrauchsgefahr führt dazu, daß teilweise sogar die genetische Forschung an Keimzellen als bedrohlich und daher unzulässig und verbotswürdig betrachtet wird73 • In der neuesten Diskussion scheint sich jedoch eine Sicht durchzusetzen, die nicht nur auf die gefährlichen Nachteile fixiert ist, sondern auch die unentbehrlich erscheinenden Vorteile der Genforschung, die zu gnadensreichen therapeutischen Entwicklungen führen könnte, anerkenne4 • Damit rückt auch das Problem, ob und wieweit die Forschung am beginnenden Leben zulässig sein könnte, in verändertes Licht. Insbesondere wird die Frage nach Differenzierungsmöglichkeiten unter den Lebensstadien, den Forschungszielen und Forschungsverfahren nicht mehr als erster Schritt ins Unheil empfunden75 • Die Weichen für eine gesetzliche Regelung wurden jedoch zu einem Zeitpunkt gestellt, als jedes Antasten eines einmal erzeugten Lebens, auch wenn der Vernichtung preisgegeben, als verwerflich erschien. Daher untersagt das Embryonenschutzgesetz jegliche Forschung am beginnenden Leben. Die Vermutung liegt jedoch nahe, daß mit einem undifferenzierten Verbotsgesetz die Schutzprobleme, die auch zugunsten der Wissenschaftsfreiheit zu berücksichtigen sind, nicht bewältigt werden können. 2.7 Daten- und Geheimnisschutz Ähnlich wie die Selbstbestimmung über die körperliche Integrität, ist auch die prinzipielle Unverfügbarkeit der persönlichen Daten zu achten und ein rechtlich zulässiges Verfahren der Auswertung einzuhalten76 • Wissenschaftliche Interessen können zwar ein erhöhtes Bedürfnis nach Zugang zu persönlichen Daten rechtfertigen, erlauben aber nicht, daß das informationelle

72 Ostendoif, Juristische Aspekte, 1983, S. 186; ders., Experimente, 1984, S. 595; Benda, Erprobung, 1985, S. 222 f. Vgl. Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 19-31; ders., Genetische Manipulation, 1985 (2), S. 5-11. 73 Günther, Pränatale Diagnose, 1987, S. 241-245; vgl. Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 17. 74 Vgl. bes. den Sammelband von Sass, Genomanalyse und Gentherapie, 1991. Ferner Köbl, Gentechnologie, 1985; Fechner, Menschenwürde und generative Forschung, 1986; ders., Nachträge, 1987; Scholz, Instrumentale Beherrschung, 1986, S. 79-81. 75 Vgl. bes. Fletcher, Ethische Diskussion, 1991. 76 BVerfGE 65, 41 - Volkszählung.

2. Sachprobleme

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Selbstbestimmungsrecht übergangen wird 77 . Datenschutz- und Archivgesetze müssen um einen Interessenausgleich bemüht sein 78 • Vielfach richtet sich der wissenschaftliche Informationsbedarf nicht auf die persönliche Zuordnung, sondern den sachlichen Aussagewert der Daten; in diesem Fall kann sich durch Anonymisierungsverfahren dem Datenschutz Rechnung tragen lassen 79 . Bei der teilnehmenden Beobachtung, etwa im Zusammenhang mit der amtlichen Aufgabenwahrnehmung oder mit der kriminologischen Forschung, zum Beispiel in der Drogenszene, können Probleme des staatlichen Geheimnisschutzes oder der Verwicklung in Straftaten die Probleme des Datenschutzes erschweren8o . Soweit es um unmittelbare staatliche Schutzinteressen geht, fragt sich, welchen Einfluß die Wissenschaftsfreiheit auf die staatliche Datenautonomie ausübt81 • Für den beamteten Wissenschaftler, der zugleich Geheimnisträger ist, kann sich ein Konflikt zwischen seinem Grundrechtsschutz und seiner Geheimhaltungspflicht ergeben82 . Eine Konfliktsituation kann nicht nur hinsichtlich der privaten wissenschaftlichen Interessen des Amtsträgers entstehen, sondern auch für den Fall, daß er sich bei der Amtswahrnehmung seiner wissenschaftlichen Erkenntnis mehr als entgegenstehenden politischen Erfordernissen verpflichtet fühlt 83 . Grundsätzlich hat der Staat zu beachten, daß die Wissenschaftsfreiheit auch im öffentlichen Interesse besteht und daher der wissenschaftliche Informationsbedarf nicht ohne weiteres zurückzutreten hat oder die Entscheidung über die Auskunfterteilung nicht ins staatliche Belieben gestellt ist. Das betrifft auch die Frage, unter welchen Bedingungen staatliche Informationen zugänglich gemacht und welche Auflagen für die Verwertung und Veröffentlichung erteilt werden dürfen.

OVG Rheinland-Pfalz DVBI 1983, 600 - Einblick in archivierte Akten. Vgl. Hillebrand, Datenschutz und Wissenschafts freiheit, 1976; Bull/Dammann, Wissenschaftliche Forschungen und Datenschutz, 1982; Berg, Datenschutz und Forschungsfreiheit, 1984; Simitis, Programmierter Gedächtnisverlust, 1987; Wyduckel, Archivgesetzgebung, 1989. 79 Vgl. Boruch, Statistische und methodische Prozeduren, 1976. 80 Vgl. die einschlägigen Beiträge (bes. von Baacke/Ebe/Wein/Schmied, Blasi, Eser, Nejelski/ Peyser und Gollner) in: Eser/Schumann, Forschung im Konflikt, 1976. 81 Vgl. BVenvG DÖV 1986, 475; BVerfG NJW 1986, 1243 - Akteneinsicht zu Forschungszwecken. Grds. Barker, Einbruch in die Geheimnissphäre der Regierung, 1976; AvenariuslIngenkamp, Forschung und Lehre sind frei, 1980; Eser, Forscher, 1987, S. 937 f. 82 Vgl. BVerfGE 37, 265 - Veröffentlichung einer Dissertation; Schrödter, Wissenschaftsfreiheit des Beamten, 1974, S. 163-172. 83 Vgl. Kitzinger, Freiheit, 1930, S. 499-502. 77

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I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

Gegenüber privaten Geheimhaltungsinteressen läßt sich die Wissenschaftsfreiheit nicht unmittelbar legitimieren, vielmehr hat sich der interessierte Wissenschaftler an die allgemein eröffneten Informationsmöglichkeiten zu halten. Es wurde jedoch schon die Frage aufgeworfen, ob in besonderen Fällen ein Vertraulichkeitsschutz des Wissenschaftlers gegen gesetzliche Aussagepflichten, so etwa ein Aussageverweigerungsrecht im Strafverfahren, in Betracht kommen könnte, um ihm den Zugang zu privaten Daten zu erleichtern 84 • Auf eine grundsätzliche Einschränkung der wissenschaftlichen Publizität zielt die Frage, ob bei mißbräuchlich erlangten Forschungsergebnissen, zum Beispiel bei verbotswidrigen Forschungen am Menschen, und bei Ergebnissen, die mißbräuchlich ausgenutzt werden könnten, zum Beispiel in der Drogenforschung, Veröffentlichungsverbote oder -einschränkungen in Betracht kommen. Gegenüber der Selbstkontrolle der wissenschaftlichen Fachwelt dürften Veröffentlichungskontrollen aber keinen Vorteil bedeuten, abgesehen davon, daß sie sich mit dem allgemeinen Zensurverbot nach Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG nicht vertragen würden. Eine andere Frage ist, ob Verbreitungsverbote, wie im Bereich von jugendgefährdenden Schriften, auch auf wissenschaftliche Publikationen Anwendung finden können 85 und ob zum Beispiel der strafrechtliche Schutz von Staatsgeheimnissen auch gegenüber wissenschaftlichen Veröffentlichungen eingreifen kann 86 • Auf eine Verstärkung der Publizität richtet sich umgekehrt die oben berührte Frage, ob dem Wissenschaftler kraft Fachkompetenz eine öffentliche Informationspflicht für den Fall zuwachsen kann, daß ihm Einsichten zugänglich werden, die im Interesse der Allgemeinheit nicht unterdrückt werden sollten, so etwa über die Möglichkeit gefährlicher Auswirkungen bestimmter Forschungsvorhaben oder -maßnahmen. Daran schließt sich die Frage an, in welcher Form etwaige Informationspflichten wahrgenommen werden könnten. Es wird erwogen, ob auf diesem besonderen Feld der wissenschaftlichen Publizität dem Wissenschaftsjournalismus87 oder den öffentlichen Wissenschaftsinstitutionen88 eine spezielle Verantwortung zuzuerkennen ist.

84 Vgl. die Beiträge von Blasi und Nejelskil Peyser in: Eser / Schumann, Forschung im Konflikt, 1976. 85 Vgl. für die Frage im Kunstbereich BGH NJW 1990, 3026 - Pornographie als Kunstwerk, Opus Pistorum. 86 Vgl. Ridder/Stein, Freiheit der Wissenschaft und Schutz von Staatsgeheimnissen, 1962. 87 Vgl. Spinner, Erst kommt das Wissen, 1990, S. 220-229. 88 Vgl. Altmann, Star Wars, 1988, S. 53; Brandt, Schafft die Forschung die Probleme, 1989, S. 114.

2. Sachprobleme

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2.8 Tierschutz Im Zusammenhang mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes kam es zu teilweise erregten und in weite Bevölkerungskreise hineingetragenen Debatten darüber, wie die Tierversuche, zum Beispiel in der phannakologischen und kosmetischen Industrie sowie im medizinischen Bereich, abgeschafft oder eingeschränkt werden könnten. Das Tierschutzgesetz konnte sich den teilweise extremen Forderungen nicht anschließen, sorgte jedoch mit einer Reihe von Kontrollvorschriften dafür, daß die Versuche näherer Legitimation bedürfen und überwacht werden können89 • Soweit dadurch die wissenschaftliche Forschung betroffen ist, könnte sich ein Widerspruch zu ihrer Freiheitsgarantie ergeben. Zwar leuchtet ohne weiteres ein, daß Tierversuche nicht zu jedem beliebigen Zweck und nicht ohne besonders begründbare Erforderlichkeit freigegeben sein sollten. Das wissenschaftliche Vorgehen aber darf grundsätzlich keiner besonderen Rechtfertigungs- und Kontrollpflicht unterworfen werden, wenn nicht der Schutz eines betroffenen Verfassungsgutes einschränkende Maßnahmen verlangt. Eine besondere Schutzvorschrift zugunsten des Tierschutzes ist im Grundgesetz jedoch nicht enthalten. Er ist lediglich im Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen des Bundes aufgeführt (Art. 74 Nr. 20 GG). Das Problem ist, ob diese Organisationsvorschrift dazu legitimieren kann, grundSätzlich uneinschränkbaren Rechtspositionen Beschränkungen aufzuerlegen90 , oder ob es dafür besonderer Rechtsgrundlagen bedarf.

2.9 Allgemeine Problemaspekte 2.9.1 Risikoproblem

Das Zusammenrücken von Wissenschaft und praktischer Anwendung sowie der wissenschaftliche Vorstoß in neue Dimensionen der Auswirkung läßt das Problem der Entstehung von Risiken und der dadurch veranlaßten Gefahrenabwe~l immer stärker mit der wissenschaftlichen Arbeit verbunden erscheinen92 • Es ist daher verständlich, daß es zu allgemeiner Skepsis

Vgl. :'. Heydebrand u. d. LasalGruber, Tierversuche, 1986. Als nicht problematisch übergangen in BVerfGE 48, 376 - Tierversuche; vgl. Erbel, Rechtsschutz für Tiere, 1986; Kloepfer, Tierversuchsbeschränkungen, 1986. 91 Vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985. 92 Vgl. Beck, Risikogesellschaft, 1986. 89

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I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

gegenüber der Wissenschaftsentwicklung gekommen ise 3 und die Wissenschaftsgefahren stärker in den Vordergrund gerückt werden. Auch literarische Beispiele, wie die unheilvolle Frankenstein-Gestalt, stehen als Mahnbilder wieder auf4 • Die Frankenstein-Assoziation trifft das Risikoproblem aber nur ungenau, da die Gestalt vornehmlich auf die individuellen Folgen bezogen ist und damit im Bereich des traditionellen Forscherethos mit der Bereitschaft zum persönlichen Risiko haftet, das gerade nicht gemeint ist. Ähnliches läßt sich zum Faust-Motiv sagen, das einen literarischen Hintergrund der FrankensteinFigur bildet. Jedoch vermitteln die beiden Mahnbilder auch die beispielhafte Aussage darüber, was in der Wissenschaftsentwicklung bedenklich werden kann: die Erzeugung inhumaner Technik auf der Grundlage bedingungslosen Erkenntniswillens. Ausdrücklich der Risikoeskalation, die für die gesamte Menschheit bedrohlich wird, widmet sich Dürrenmatts Stück "Die Physiker", das die Frage behandelt, was durch die Entscheidung zur Wissenschaftsverweigerung erreicht werden könnte 95 • Das Ergebnis ist, daß sich Rückzugsgefechte selbst betrügen. Grundsätzlicher führt Brechts Galilei die alte Weisheit vor, daß der wahrheitssuchende Wissensfortschritt auf Dauer unbesiegbar ist96 • Das mit diesem Fortschritt sich steigernde Risiko fordert die traditionelle Gefahrenabwehr heraus. Sie läßt sich aber zum einen nicht mehr vornehmlich unter dem individualistischen Blickwinkel begreifen, der die persönliche Selbstbestimmung mit der individuellen Freiheitsbeschränkung in Beziehung setzt, sondern muß zunehmend unter dem Aspekt der sozialen Verbreiterung gesehen werden, die zu wirtschaftlicher Machtentfaltung führt, der eine zentralisierte Schutzaufgabe gegenübersteht. Zum anderen hat sie sich aus ihrer vornehmlich reaktiven auf eine präventive und aus ihrer isolierten, neben der Entwicklung stehenden, auf eine integrative, in neue Entwicklungskonzeptionen einbezogene, Wirkungsweise umzustellen.

93 Vgl. Meyer-Abich, Versagt die Wissenschaft, 1980; ders., Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 15-17. 94 Vgl. Easlea, Väter der Vernichtung, 1986, S. 45-51; Spinner, Frankenstein, 1989. Vgl. zur literarischen Technik-Kritik Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986, S.328-330. 95 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker. Eine Komödie in zwei Akten, Neufassung 1980, Zürich 1985 (= Werkausgabe, Bd. VII). 96 Bertaft Brecht, Leben des Galilei. Schauspiel, in: ders., Gesammelte Werke, Stücke 2, Frankfurt am Main 1967, S. 1229-1345.

2. Sachprobleme

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Das Problem liegt stets darin, ob sich Risiken als so schwerwiegend erweisen, daß sie als nicht mehr hinnehmbare Gefahren für schützenswerte Rechtsgüter zu betrachten sind. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß mit der Garantie der unbeschränkten Wissenschaftsfreiheit gleichzeitig das Bekenntnis zum Risiko, das mit der Erkenntnis des Unbekannten verbunden ist, ausgesprochen wird. Außerdem ist festzustellen, daß die eingetretenen Überlebensprobleme allein durch den wissenschaftlichen Fortschritt gelöst werden können und daß sich die wissenschaftliche Erkenntnissuche auch auf einen kulturellen Horizont richtet, der die umfassende Auseinandersetzung mit dem Risikoproblem erst ermöglicht97 • Daher kann in der allgemeinen Hemmung der wissenschaftlichen Entwicklung kein Ausweg gesehen werden, und die im Zusammenhang mit der pränatalen Humanmedizin teilweise verlangte Forschungsverlangsamung98 kann nur bedingt dazu beitragen, das Risikoproblem zu entschärfen; sie könnte höchstens im Detail und mit dem Zweck als zulässig betrachtet werden, daß konkrete Gefahren zu vermeiden sind. Ein Forschungsstopp wäre nur bei verfassungswidriger Forschung zulässig und verhindert grundsätzlich, daß Risiken erkannt, richtig eingeschätzt und vermieden werden können 99 • Diese Feststellung gilt auch gegenüber dem viel in die Debatte geworfenen Zauberlehrling-Argument, daß Risiken, die durch die Forschung geschaffen werden, nicht hinreichend beherrschbar sein könntenJ()(). Damit wird zugleich ein wichtiger Aspekt des Risikoproblems, die Mißbrauchs gefahr, angeschnitten. Vor allem in der Diskussion um die pränatale und gentechnische Humanmedizin spielt dieses Argument eine große RollelOl, das auch in der Form des "Wehret den Anfängen" oder als Warnung

97 Zum kulturellen und kulturstaatlichen Kontext grds. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 6-17; ders., Freiheit, 1989, S. 820 f. Vgl. auch Häberle, Freiheit, 1985, S. 356 f. 98 Vgl. Laufs, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 775; ders., Arzt, 1989, S. 154; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 35; ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, 1988, S. 28; Schreiber, Erprobung, 1987, S. 62; Giesen, Biotechnologie, 1989, S. 65 f. 99 Vgl. Ropers, Technische Probleme, 1991, S. 238; Rüdiger, Genomanalyse, 1991, S. 78; Pflanz, Diskussionsprotokoll, 1991, S. 336. 100 Goethe, Der Zauberlehrling, in: ders., Werke. Hamburger Ausg., 10. Aufl., Bd. I, München 1974, S. 276-279. - Vgl. die Stellungnahme von Cook-Deegan, Herausforderungen bei DNS-Kartierung, 1991, S. 194 f. 101 Grds. dazu Cook-Deegan, a.a.O.; Fletcher, Ethische Diskussion, 1991. Vgl. v. d. Daele, Mensch nach Maß, 1985, S. 193-198; Graf Vitzthum, Gentechnologie, 1985, S. 254 f.; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 35 f.; Günther, Strafrechtlicher Schutz, 1987, S. 143 f., 168 f.; Eser, Neue Möglichkeiten, 1987, S. 254.

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I. Schranken probleme der Wissenschaftsfreiheit

vor dem unaufhaltsamen ins Rutschen Kommen ausgesprochen wird. Unterstützt wird das Argument dadurch, daß die wissenschaftliche Spezialisierung teilweise die Einsicht in den Wirkungszusammenhang der Forschung verlorengehen läßt und daß der Wissenschaftsbetrieb weitgehend in den Dienst wirtschaftlicher Interessen gestellt und damit zugleich von der Finanzierung durch die gewinnorientierte praktische Anwendung abhängig gemacht wird. Andererseits bedeutet die Zusammenarbeit mit der technisch-wirtschaftlichen Praxis auch, daß in erhöhtem Maße Rückinfonnationen über die praktische Anwendung zur Verfügung stehen. Die wissenschaftliche Selbstkontrolle, die infonnationsnah und konkurrenzbewußt ausgeübt werden kann, spricht im übrigen dafür, daß sich mißbräuchliche Praktiken nicht in großem Stil durchsetzen können 102 • Außerdem erlaubt die Wissenschaftsfreiheit nicht, daß ihr pauschale Schranken auferlegt werden, sondern verliert ihre Legitimation nur, wenn sie zur konkreten Rechtsverletzung führt. Das Argument der Mißbrauchsgefahr hilft daher nicht weiter, solange es nur aus Angst vor dem Fortschritt angeführt wird und verhindern will, daß differenzierte und wirksame Wege der Gefahrenabwehr entwickelt werden. 2.9.2 Verantwortungsproblem

Je stärker die Zunahme der Wissenschaftsgefahren ins allgemeine Bewußtsein drang, desto zahlreicher erhoben sich die Stimmen aus dem Bereich der Wissenschaftsethik 103 • Vor allem die schwierigen Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Fortschritt der künstlichen Befruchtung beim Menschen, der pränatalen Diagl}ose, der Genomanalyse, der Gentherapie und der Forschung am beginnenden Leben ergeben, ließen die ethischen Stellungnahmen explosiv anwachsen 104 •

102 Dazu Fletcher, Ethische Diskussion, 1991, S. 242-267. - Skeptisch gegenüber anfänglich vielversprechenden Ansätzen Wille, Wissenschaft im Gen-Rausch, 1988. 103 Vgl. die Sammelbände von Ströker, Ethik der Wissenschaften, 1984; Baumgartner / Staudinger, Entmoralisierung der Wissenschaften, 1985; Lenk/Ropohl, Technik und Ethik, 1987; Guha/Papcke, Entfesselte Forschung, 1988; Gatzemeier, Verantwortung in Wissenschaft und Technik, 1989; Steig leder / Mieth, Ethik in den Wissenschaften, 1990. Vgl. auch Jonas, Prinzip Verantwortung, 1984. 104 Vgl. die Sammelbände Ethische und rechtliche Probleme der Anwendung, 1984; Flöhl, Genforschung, 1985; Lenk, Humane Experimente, 1985; Braun/ Mieth/ Steigleder, Ethische und rechtliche Fragen, 1987; Schlegel, Gentechnologie, 1988; Schuller/ Heim, Der codierte Leib, 1989; Sass, Genomanalyse und Gentherapie, 1991. Ferner Eibach, Experimentierfeld, 1983; v. d. Daele, Mensch nach Maß, 1985; Schreiber, Erprobung des Humanen, 1987; Döring, Technik und Ethik, 1988.

2. Sachprobleme

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Im Zentrum des ethischen Diskurses steht die Frage nach der Begründung und dem Maßstab der Verantwortung für das menschliche Handeln. Dem Ausgangspunkt der neueren Verantwortungsdiskussion entsprechend, wird eine folgenorientierte Verantwortungshaltung in den Vordergrund gerückt und gegenüber einer kategorischen, aus einer bestimmten Gesinnung heraus vorgeschriebenen Handlungsweise und einer vor allem auf die einzelne Handlungssituation beschränkten Verhaltensanleitung als unentbehrlich gewordene Erweiterung hervorgehoben. Verantwortlich wahrgenommene Wissenschaftstätigkeit bedeutet danach, daß die erkennbaren Möglichkeiten der damit verbundenen praktischen Auswirkung bei der Behandlung der wissenschaftlichen Aufgaben berücksichtigt werden. Die besondere Verantwortung der Wissenschaftler für ihre Tätigkeit wurde zu einem herausgehobenen Begriff. Diskutiert werden die Ansatzmöglichkeiten der Verantwortungswahrnehmung bei der Fragestellung, der Wissenserarbeitung, der Diskussion und der Veröffentlichung 105 sowie die unterschiedlichen inhaltlichen Aspekte der Verantwortung in den verschiedenen Wissenschaftsgebieten 106 • Nach außen überschneidet sich die Folgenverantwortung mit der politischen Verantwortung für die Entwicklung der Gesellschaft; die Frage ist, wie die besondere wissenschaftliche Verantwortung sich stärker ins allgemeine Blickfeld setzen kann 107 . Teilweise wird eine besondere Verantwortung der Wissenschaft im Sinne der politischen Mitverantwortung, die zugleich auch die Gefahr der politischen Instrumentalisierung mit sich bringt, aber ausdrücklich abgelehnt 108 • Nach innen führt die Verantwortungsfrage zu der Forderung, daß sich die wissenschaftliche Tätigkeit im einzelnen zu rechtfertigen lO9 , Klarheit über ihre Zwecksetzungen zu schaffen llO und sinnvoller Orientierung 1ll zu folgen hat. Aus einer Ethik der

105 Vgl. Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 136-151; Ropohl, Neue Wege, 1987; Sachsse, Ethische Probleme, 1987. 106 Vgl. Marquard, Neugier, 1984, S. 24 f.; Erben, Wissenschaft zwischen Verantwor.ung und Freiheit, 1989. 107 Vgl. Mittelstraß, Wissenschaft als Kultur, 1986, bes. S. 87 f.; Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 136-151. 108 Krings, Bedenken zur Wissenschaftsethik, 1985; Lübbe, Wissenschaften und praktische Verantwortung, 1985. - Zur Unterscheidung zwischen moralischer und politischer (d. h. auch politisch instrumentalisierbarer) Verantwortung Erben, Wissenschaft zwischen Verantwortung und Freiheit, 1989. 109 Mittelstraß, Praktisches Fundament, 1973. 110 BenseIer, Wissenschaft als Hoffnung, 1985; Markl, Evolution, 1986, S. 38,41 f. S.a. Geiger, Wissenschaftsfreiheit, 1984, S. 9-12; Turner, Freiheit, 1986, S. 24-28. 111 Oelmeier, Zum Begriff Verantwortung, 1985; Böckle, Universität, 1986, S.38; Schwan, Wahrheit in der Kommunikation, 1989.

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Furcht heraus wird etwa die wissenschaftliche Selbstbeschränkung zum obersten Zie1 1l2 • Die dem einzelnen Wissenschaftler obliegende Verantwortung erscheint, wenn es um die Frage der Einlösung geht, zugleich als ein Kontrollproblem, das sich mit dem Problem überschneidet, ob und wieweit der Wissenschaftsfreiheit Schranken auferlegt werden dürfen. Neben der persönlichen Selbstkontrolle stehen Formen der fachinternen und interdisziplinären Kontrolle auf der Institutions- und den übergreifenden Ebenen der scientific community oder Formen der öffentlichen Kontrolle zum Beispiel durch wissenschaftliche Gesellschaften, durch ministerielle oder parlamentarische Gremien oder durch den Wissenschaftsjournalismus und die durch diesen unterrichtete Allgemeinheit. Voraussetzung für die Wahrnehmung von Kontrollaufgaben ist die ausreichende Information. Das Verantwortungsproblem erscheint demnach weitgehend als ein Problem der Informationsbeschaffung und des Informationsaustauschs 113 • Es verlangt daher eine Beschäftigung mit den Auswirkungen der wissenschaftlichen Tätigkeit und geht über in die Aufgabe der forschungsbegleitenden Folgenabschätzung und der Folgenforschung Il4 . Im wesentlichen ungeklärt ist, von der oben erwähnten hessischen Regelung, die den Wissenschaftlern an der Universität eine Reflexions- und Informationspflicht auferlegt, abgesehen, ob und wieweit das Verantwortungsproblem neben einer ethischen auch praktische rechtliche Bedeutung gewinnen kann. 2.9.3 Wissenschaftsorganisation

Die Erläuterung des Verantwortungsproblems im vorigen Abschnitt mündet auch in organisatorische Fragen ein. Diese lassen sich zu der Überlegung erweitern, ob die bestehende Wissenschaftorganisation grundsätzlich für eine angemessene Ausrichtung auf die Schranken- und Verantwortungsprobleme geeignet ist. Kritische Stimmen wenden sich vor allem gegen die organisatorische Verflechtung von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft und drücken die Befürchtung aus, daß das Prinzip der wissenschaftlichen Selbstverwaltung nicht in Gestalt einer ausreichenden praktischen Autonomie verwirklicht

112 Jonas, Warum die Technik, 1983; ders., Ethik der Selbstbeschränkung, 1984; ders., Technik, 1987. 113 Grds. Beck, Risikogesellschaft, ·1986; vgl. Meyer, Neue Medienpolitik, 1988; Brandt, Schafft die Forschung, 1989, S. 113; Mittelstraß, Gestörte Verhältnisse, 1990. 114 Meyer-Abich, Wissenschaft als Beruf, 1982, S.458 f.; ders., Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 146-151; Sinn, Aufgabe der wissenschaftlichen Gesellschaften, 1990, S. 307-310.

2. Sachprobleme

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werden kann 115 • In der Tat ist, wie oben im zweiten Abschnitt schon erwähnt, nicht zu übersehen, daß selbst an den Universitäten, die die große institutionelle Tradition der staatlich geschützten wissenschaftlichen Selbständigkeit und Entfaltungsfreiheit fortsetzen, die Einflußnahme durch projektgebundende Drittmittel von staatlicher oder wirtschaftlicher Seite ein erhebliches Ausmaß erlangt hat, das eine Konkurrenz zum Gedanken der Selbständigkeit darstellen könnte. In den überwiegend staatlich finanzierten großen Förderungsorganisationen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Max-Planck-Gesellschaft sowie in den ebenfalls erheblich staatlich unterstützten Großforschungseinrichtungen sind die Leitungsgremien gemeinschaftlich aus Vertretern des Staates, der Wirtschaft und der Wissenschaft zusammengesetzt 116 und lassen den Gedanken einer ausgewogenen Wissenschaftspolitik gegenüber wirtschaftlichen Interessen zumindest flexibel gehandhabt erscheinen. Die staatlichen Forschungsinstitutionen sind vornehmlich der Ergänzung staatlicher Verwaltungsaufgaben und der Wahrnehmung funktioneller staatlicher Wissenschaftsinteressen gewidmet ll7 , sie sind daher nicht für die Entwicklung gegenläufiger oder übergreifender Fragestellungen vorbestimmt, könnten aber teilweise dafür eingesetzt werden. Die mit über 70% der Gesamtausgaben weit im Vordergrund stehende Forschung im wirtschaftlichen Bereich richtet sich nach ökonomischen Interessen. Projekte der Begleit- und Folgenforschung, mit denen die soziale Integration des wissenschaftlichen Fortschritts und die Auswirkungen, vor allem die möglichen Gefahren, untersucht werden könnten, dürften auf der skizzierten Grundlage nur in einem engen, unmittelbaren Nutzen versprechenden Rahmen attraktiv sein. Außerdem zeigt vor allem das Beispiel der Kernforschung, der Elektronik und der Gentechnologie, daß die Forschung in großem Maßstab im Verbund zwischen Wirtschaft, Staat und Wissenschaftsinstitutionen organisiert wird, um eine schnelle und wirksame Entwicklung zu erreichen 118 • Die moderne Technologie läßt sich vielfach ohne beträchtlichen Aufwand nicht mehr kon115 Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt und politisches System, 1970; Tuppy, Wissenschaftsfreiheit und Forschungsorganisation, 1979; Osietzki, Wissenschaftsorganisation und Restauration, 1984. Grds. aber Karpen, Spannungsverhältnis, 1990. 116 Vgl. neben der obigen Fn. auch ScheUer, Ökonomische und forschungspolitische Grundlagen, 1989, S. 203-206. Grds. Dickert (Fn. 2), S. 64-104. 117 Lundgreen/ Horn/ Küppers / Paslack, Staatliche Forschung, 1986.

118 Vgl. Eckert/Osietzki, Wissenschaft für Macht und Markt, 1989; ScheUer, Ökonomische und forschungspolitische Grundlagen, 1989; ferner Papcke, Wissenschaft und Ethik, 1988; Lippert, Zum hochschulpolitischen Hintergrund, 1989; May, Mensch, Wissenschaft und Markt, 1991.

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kurrenzfähig halten und weiterentwickeln 1l9 • Als Beispiel dafür kann auch die europäische Technologiepolitik angeführt werden 120. Die Wissenschaftsfreiheit wird damit in den Sog von Großprojekten geleitet, mit denen eine staatlich-wirtschaftliche Wissenschaftssteuerung großen Stils betrieben wird. Die Großprojekte entfalten eine Eigendynamik, die alternative Fragestellungen nur schwer aufkommen läßt. Teilweise haben die Hochschulen aber interdisziplinäre und folgenorientierte Programme entwickelt, die ein wichtiges Zeichen setzen könnten l2l . Wie ebenfalls oben erwähnt, könnte den Universitäten als grundsätzlich am unabhängigsten organisierten und auf umfassende Wissenschaftspflege angelegten Institutionen bei der Wahrnehmung der erörterten Wissenschaftsverantwortung eine wegweisende Rolle zukommen. 2.9.4 Internationaler Zusammenhang

Die internationale und nationale Diskussion zur Entwicklung der Gentechnologie und Gentherapie, vor allem zur Frage der Forschung am beginnenden menschlichen Leben, hat den Widerspruch deutlich werden lassen, der zwischen der internationalen Wissenschaftsentwicklung und den nationalen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes eintreten kann. So wurde in der Gentechnologie die Sicherheitsfrage in Deutschland stärker als in anderen Ländern in den Vordergrund gestellt, und in der Gentherapie und pränatalen Forschung sah sich die Meinungsbildung in Deutschland angesichts der Belastungen durch die nationalsozialistische Vergangenheit und die Hervorhebung des Menschenwürdeschutzes im Grundgesetz besonders in die Verantwortung genommen. Bei der Vorbereitung von gesetzlichen Regelungen wurde versucht, aus interdisziplinären Stellungnahmen ein konsensfähiges Meinungsbild zu entwickeln. Während zur Gentechnik ein Gesetz erlassen wurde, das einen differenzierenden Ausgleich zwischen der Anerkennung der neuen Technik und den Forderungen der Gefahrenabwehr zu finden versucht, wurde für die künstliche Befruchtung und die Forschung am beginnenden Leben ein reines Gefahrenabwehrgesetz erlassen, das der Forschung die Tür weitgehend zuschlägt. Daher drängt sich die Frage auf, ob nationale Alleingänge der Forschungsbeschränkung mit dem internationalen Zusammenhang, in dem sich die wissenschaftliche Erkenntnissuche bewegt, nicht in unüberwindlichen Widerspruch geraten. Vgl. auch Oppennann, Deutsche Universität und Wissenschaft, 1983, S. 863 f. 120 Vgl. Oppennann, Europarecht, 1991, S. 721-730, vgl. bes. die Forschungsprogramme S. 725, 727-730. 121 Vgl. etwa die Angebote an der Rhein.-Westf. Techn. Hochschule Aachen; ferner Wolff, Technikfolgenbewertung an der Universität Tübingen, 1990. 119

2. Sachprobleme

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Zu unterscheiden ist zunächst zwischen der Unterdrückung der wissenschaftlichen Wahrheit als solcher und dem Fall, daß bestimmte Verfahren der wissenschaftlichen Erkenntnissuche, weil unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Rechtsgüterschutz, eingeschränkt werden. Der erste Fall, der in der Geschichte der wissenschaftlichen Entdeckungen eine unrühmliche Erscheinung darstellt und zu dem etwa das oben erwähnte Stück von Brecht eine literarische Verarbeitung liefert, wird durch die Garantie der Wissenschaftsfreiheit gerade bekämpft. Wie wichtig die Schutzgarantie auch in freiheitlichen Verfassungssystemen ist, zeigt die Gefahr, die von der mehrheitlichen Meinungsbildung für die freie Informations- und Erkenntnisgewinnung ausgehen kann. Als Beispiel dafür wird vielfach der vorübergehende amerikanische Streit über die Darstellung der Evolutionslehre in der Schule angeführt. Das Beispiel zeigt zugleich, wie wenig sich Freiheitsrechte und totalitäre Gesinnung vertragen. Für die Gefahr, daß die Wissenschaftsfreiheit in totalitären Systemen unterdrückt wird, gilt als Beispiel die jahrelange sowjetische Verfälschung der Vererbungslehre 122 . Gegen die Unterdrückung spendet die Einsicht wenig Trost, daß sich die Wahrheits suche auf Dauer nicht in Fesseln legen läßt. Im zweiten, oben unterschiedenen Fall, in dem nicht die Erkenntnissuche, sondern nur ein nicht rechtens erscheinender Weg dafür eingeschränkt wird, besteht die Gefahr, daß die Einschränkung zur Behinderung der Erkenntnis mißbraucht wird. Dagegen vorzubeugen, ist ebenfalls Aufgabe der Wissenschaftsfreiheit. Die jeweilige Abgrenzungslinie, die unter der nationalen Verfassungsordnung zu finden ist und Rechtsverletzungen zu verhindern hat, die Wissenschaftsfreiheit aber so wenig wie möglich einschränken darf, hat den Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden Vorschriften angemessen zu berücksichtigen. Dazu gehört die Überlegung, daß die wissenschaftliche Erkenntnis allgemeingültigen Regeln folgt und die Wissenschaftsfreiheit auf Offenheit und damit auch auf internationalen Erfahrungsaustausch angelegt ist 123 • Daher ist nicht zu fragen, wieweit der offene Charakter der Wissenschaftsfreiheit ins Gewicht zu fallen hat, sondern, wieweit er allenfalls verengt werden darf. Zu überlegen ist ferner, wieweit der wissenschaftliche und der dadurch vermittelte wirtschaftliche Anschluß an die internationale Konkurrenz im nationalen Interesse steht und wieweit die Nachteile in Kauf genommen werden können, die entstehen, wenn die Forschung behindert

122 Beide Beispiele werden jüngst wieder erwähnt bei Cook-Deegan, Herausforderung bei DNS-Kartierung, 1991, S. 173,177. 123 Vgl. Pflanz, Diskussionsprotokoll, 1991, S. 336; zur globalen Struktur der Informationstechnik Henrichs, Menschsein, 1990, S. 58.

4 Losch

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wird 124 • Das Beispiel der Wissenschaftsfreiheit nimmt daher für seinen Bereich das Prinzip vorweg, daß die Verfassung sich zur internationalen Verständigung und Zusammenarbeit bekennt und daher grundsätzlich auch in diesem Sinne auszulegen ist. Das schließt auch die umgekehrte Aufgabe ein, für die internationale Verständigung über die Aspekte des Rechtsgüterschutzes zu werben, die gegenüber der Wissenschaftsfreiheit nicht zu vernachlässigen sind 125 • 2.9.5 Wissenschaftsbegriff

Ähnlich wie bei der Kunstfreiheit, wird das Schrankenproblem bei der Wissenschaftsfreiheit dadurch erschwert, daß der Wissenschaftsbegriff auf Offenheit angelegt und in weitester Allgemeinheit anwendbar ist. Als Wissenschaft gilt die Erkenntnissuche nach objektiv nachvollziehbaren Verfahrensweisen und die Darstellung der Ergebnisse 126 ; eine inhaltliche Festlegung würde dem Wesen des Erkenntnisstrebens und dem Freiheitsschutz grundsätzlich widersprechen. Wegen der Weite der Begriffsvoraussetzungen und der gleichzeitigen Schrankenlosigkeit des Freiheitsschutzes wird die Anpassung des Freiheitsrechts an die Verfassungsordnung problematisch. Daher wird teilweise versucht, das Schrankenproblem dadurch einzugrenzen, daß die Begriffsgrundlage der Wissenschaftsfreiheit verengt wird. In einem Vorfeld der begrifflichen Verengung bewegt sich der Vorschlag, den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit zu begrenzen. Die Möglichkeit dazu wäre, nur rechtlich erlaubte Handlungen mit dem Schutz vor Eingriffen zu begünstigen und dadurch das Feld für mögliche Konflikte zu ver kleinern 127 • Ein Anhaltspunkt dafür wäre in der Rechtsprechung zur Berufsfreiheit zu finden 128 oder in der gelegentlichen Neigung der Rechtsprechung, bei der Bestimmung des Schutzbereichs von Freiheitsrechten die beschränkenden Rechte von vornherein zu berücksichtigen 129 •

124 Vgl. Oppermann, Deutsche Universität und Wissenschaft, 1983, S. 863; ders., Freiheit, 1989, S. 819 Rn. 21, S. 843 Rn. 62. 125 Vgl. Eser, Forscher, 1987, S. 947 f. 126 Vgl. BVerfGE 35, 79 (113) - Hochschu1urteil- sowie unten 11.4.1. 127 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, 1991, S. 162 f. Rn. 700-703, S. 165 Rn. 709-711. 128 BVerfGE 7, 377 (397) - Apothekenurteil -; w.N. bei Scholz, in: Maunz/ Dürig, 1981, Art. 12 Rn. 18,24-29. Vgl., auch zum folgenden, Dickert (Fn. 2), S. 251-298. 129 Vgl. Kloepfer, Grundrechtstatbestand, 1976.

2. Sachprobleme

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Eine andere Möglichkeit, den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit zu begrenzen, wäre, die Wissenschaftsfreiheit nur auf solche Träger anzuwenden, die durch ihre organisatorische Stellung näher ausgewiesen sind, wie zum Beispiel fachlich besonders qualifizierte Mitarbeiter an wissenschaftlichen Institutionen. Dieser Vorschlag wurde etwa bei der Frage in Erwägung gezogen, ob Wissenschaftlern ein besonderer Vertraulichkeitsschutz eingeräumt werden könnte, der ihnen den Zugang zu persönlichen Daten erleichtern könnte 130. Ein weiterer Vorschlag, der sich auf den Schutzbereich bezieht, besteht darin, zwischen dem allgemeinen Grundrechtsschutz und demjenigen, der für eine staatlich eingeräumte Funktion im Wissenschaftsbereich gilt, zu unterscheiden. Damit würde die Grundrechtswahrnehmung im staatlich-institutionellen Bereich aus dem allgemeinen Grundrechtsschutz ausgeklammert; gleichzeitig würden die Schrankenprobleme, die sich aus dem Verhältnis zwischen der individuellen und kollektiven Grundrechtswahrnehmung und aus der staatlichen Rückbindung ergeben, teilweise in den Schutzbereich vorverlagert 13l • Den Wissenschafts begriff, der dem Freiheitsrecht zugrundeliegt, würde man verändern, wenn man nur bestimmte Themenbereiche und Verfahren als Voraussetzung für den Freiheitsschutz anerkennen würde; damit könnte etwa die angewandte Wissenschaft aus dem Schutzbereich ausgeklammert J32 oder die Beachtung bestimmter Fragestellungen vorausgesetzt und der kognitiv-formale durch einen arbeitsorientiert-sozialen Wissenschaftsbegriff ergänzt werden J33 • Das Problem wäre aber, wie besondere Qualifikationserfordernisse überprüft werden könnten, ohne dem Schutzzweck des Grundrechts zu widersprechen. Weiterhin erhebt sich die Frage, ob der herkömmliche Wissenschaftsbegriff, der die objektiv nachvollziehbare Erkenntnis zum Kriterium erhebt, nicht von einer Objektivitäts- und Wahrheitsvorstellung bestimmt wird, die ins Wanken geraten ist. Zum einen wurde an der Entstehung und Entwicklung des Weltalls und des Lebens die Vielschichtigkeit und Veränderlichkeit der Wirklichkeit in einem Maße durchschaubar, das die Ausprägung der Naturgesetze auch als einen in diesen angelegten Wandlungsprozeß begreifen läßt 134 • So haben die Relativitätstheorie und Quantenphysik gezeigt, daß die

130

Vgl. Eser, Risiken und Privilegien, 1976, S. 24, 27-3l.

131

Vgl. Hailbronner, Freiheit von Forschung und Lehre als Funktionsgrundrecht,

1979.

Vgl. Köttgen, Freiheit, 1954, S. 301-306. Vgl. Blankenagel, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S. 47-52. 134 Vgl. die allgemeinverständlichen Darstellungen bei Asimov, Beginnings, 1987; ders., Geheimnisse, 1985; v. Ditfurth, Anfang, 1976. - Zur evolutionären Erkenntnis132 133

4"

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Erkenntniskategorien von Raum und Zeit nicht voneinander unabhängige und unveränderliche Erscheinungsbedingungen sind und daß im subatomaren Bereich eine feststehende, vom Beobachter unabhängige Objektivität nicht vorzufinden ist 135 • Daher erweist sich die erfaßbare Wirklichkeit als Darstellung von Mittelwerten aus möglichen Erscheinungsalternativen, die sich unter den jeweiligen raumzeitlichen Ausprägungsbedingungen entwickeln. Dazu kommt, daß diese Erscheinungsformen selbst vielfach nicht nach festen Mustern ablaufen, sondern dissipative Strukturen bilden können, die sich in nicht vorausberechenbaren, chaotischen Abläufen ausformen 136 ; die Vorstellung von objektiven Gesetzmäßigkeiten der Wirklichkeit muß daher durch die Einsicht in ein kompliziertes Zusammenspiel veränderlicher Bedingungen ersetzt werden 137. Zum anderen wurde die Autorität des wissenschaftlichen Objektivismus und damit verbundenen Wahrheitsbegriffs dadurch erschüttert, daß die wissenschaftliche Erkenntnisarbeit als vielfach mit der sozialen Wirklichkeit verflochtener Bedingungszusammenhang durchschaubar wurde und an ihrer Eigengesetzlichkeit ebenfalls erhebliche Kritik geübt werden kann. So weist die Kuhnsche Paradigmenstudie auf die Abhängigkeit der Erkenntnisbildung von allgemein anerkannten Leitmotiven der wissenschaftlichen Interpretation und Verständigung hin, die den Erkenntnisfortschritt als einen Kommunikationsprozeß verstehen lassen, der von Richtigkeitsüberzeugungen und sozialen Legitimationsmechanismen ebenso wie von der sachlichen Erkenntniserweiterung gesteuert wird 138 • Die neuere, vor allem soziologisch bestimmte Wissenschaftskritik untersucht etwa die sozialen Bedingungen der wissenschaftlichen Interessenerweiterung 139 , die Sozialisationsmechanismen des wissenschaftlichen Arbeitsablaufs, die sozialen Prozesse der wissenschaftlichen

theorie Lorenz, Rückseite, 1973; Riedl, Begriff und Welt, 1987; RiedllWuketis, Evolutionäre Erkenntnistheorie, 1987; Spaemann/ Koslowski, Evolutionstheorie, 1984. 135 Allgemeinverständlich Asimov, Geheimnisse, 1985; S. 285-371, 455-461. Vgl. Hawking, Geschichte der Zeit, 1988; Dürr, Netz des Physikers, 1988, S. 26-49. Ferner v. Weizsäcker, Garten des Menschlichen, 1978, S. 169-205; Popper, Logik der Forschung, 1989, S. 167-197; ders., Objektive Erkenntnis, 1984. 136 Vgl. Nicolis / Prigogine, Erforschung des Komplexen, 1987; Gleick, Chaos, 1987; Davies, New Physics, 1989. 137 Grds. Bachelard, Der neue wissenschaftliche Geist (1934), 1988. 138 Kuhn, Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 1976, bes. S. 57-64, 156-158, 182-184. 139 Vgl. Boehme Iv. d. Daele I Krohn, Alternativen, 1972; dies., Finalisierung, 1973. Vgl. auch Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986, S. 142-144; Meyer-Abich, Wissenschaft, 1988, S. 40-77.

2. Sachprobleme

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Schulenbildung l40 oder die Selektions wirkung der wissenschaftlichen Rationalität 141 und die Auswirkungen der modernen Informationstechnik l42 • Die Entwicklung hat das vertraute Bild von einer objektiven, jedermann in gleicher Weise zugänglichen BeobachtersteIlung und einer objektiven, der Beobachtung unveränderlich zugänglichen Gegenstandswelt revolutioniert. Die Vernetzung zwischen Gegenstand, Bearbeiter, Verfahren und Situation wird immer deutlicher und läßt einen Eindruck von der Relativität der wissenschaftlichen Erkenntnis entstehen, gemessen am Ideal der objektiven, zweckfreien Wirklichkeitserfassung. Dadurch wächst auch das Verständnis dafür, daß sich der wissenschaftliche Objektivismus aus einem adäquaten Wirklichkeitszusammenhang herauslöst und daß damit zugleich gefährliche Rückwirkungen in ihm angelegt sind l43 • Diese erhalten durch die enge Verbindung von Wissenschaft und praktischer Anwendung außergewöhnliche Realisierungsmöglichkei ten. Neben die verschiedenen verfahrenstechnischen Ansätze der Wissenschaftskritik treten grundsätzliche Auseinandersetzungen mit dem Wissenschaftsbegriff, die auf eine Überwindung des analytisch-reduktionistischen Erkenntnisideals hinwirken wollen und an die Stelle einer einseitigen wissenschaftlichen Rationalität etwa die demokratische Diskussion l44 , eine mystisch-mythische Weltsicht l45 , ein holistisches Wirklichkeitsverständnis l46 , die Entwicklung zu einem adäquat komplexen und differenzierten Wahrheitsverständnis 147 oder eine strukturelle Neuorientierung an der Zeitlichkeits-

140 Zu beiden Knorr, Fabrikation von Erkenntnis, 1984; dies., Vorgang, 1985, sowie die weiteren Aufsätze in dem Sammelband. Vgl. Weingart, Anything goes, 1984. 141 Vgl. Mittelstraß, Fundament, 1973; Feyerabend, Erkenntnis für freie Menschen, 1981. 142 Vgl. Spinner, Erst kommt das Wissen, 1990, S. 198, 22, 215-218. 143 Vgl. Meyer, Neue Medienpolitik, 1988; Papcke, Wissenschaft und Ethik, 1988. Zum Reduktionismus Cook-Deegan, Herausforderungen, 1991, S. 192-194; krit. gegenüber der Kritik auch Erben, Wissenschaft zwischen Verantwortung und Freiheit, 1989, S. 37-40. - Zur Wurzel des wissenschaftlichen Objektivismus in Sprach- und Denkstrukturen v. Weizsäcker, Sprache als Information, in: ders., Einheit der Natur, TB, München 1982, S. 39-60. 144 Feyerabend Erkenntnis für freie Menschen, 1981. Zur daraus folgenden Wissenschaftszensur Erben, a.a.O., S. 36 f. 145 Vgl. Kamper, Abenteuerlust, 1989, S. 23-25; krit. Erben, Wissenschaft zwischen Verantwortung und Freiheit, 1989, S. 37-39. 146 Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988. - Krit. Erben, a.a.O. 147 Schwan, Wahrheit in der Kommunikation, 1989. Zur Relativität und Komplexität unterschiedlicher Erkenntnisziele Weisskopf, Frontiers and Limits, 1983. - Zur

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I. Schranken probleme der Wissenschaftsfreiheit

qualität der Wahrheit 148 setzen. Soweit die Wissenschaft nicht ersetzt oder beliebig verfügbar gemacht werden soll, tendieren die Überlegungen dazu, die Konzeption der pluralistischen Selbststeuerung und Selbstergänzung der Erkenntnisleistungen nicht in weitem Ausmaß der sozialen Instrumentalisierung zu überlassen, sondern als Erkenntnisauftrag in den Wissenschaftsbegriff selbst zu übernehmen und diesen mit einer erweiterten Wahrheitsverantwortung zu verbinden. Diese Überlegungen reichen in die philosophischen Grundlagen des Begriffsverständnisses hinein und bedürften, um begriffspraktisch zu werden, einer kulturellen Wandlung der Wissenschaftsauffassung. Sie finden aber einen pragmatischen Ausdruck in der ebenfalls durch das Bewußtsein der Wissenschaftsgefahren ausgelösten Forderung nach einer besonderen sozialen Verantwortung für die wissenschaftliche Erkenntnisarbeit und einer ge zielten Begleit- und Folgenforschung, mit der die Verantwortungsfrage in praktische Bahnen gelenkt werden könnte l49 • Die veränderte Einschätzung der objektiven Erkennbarkeit der Wirklichkeit, die Einsicht in die vielfältige Steuerung der Erkenntnisinteressen, die Informationen über die Leistungsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb und die Beobachtung, daß die wissenschaftliche Entwicklung und die technischwirtschaftliche Praxis immer enger zusammenrücken und die gefährlichen Auswirkungen sich dadurch steigern, könnten die Frage aufwerfen, ob die Wissenschaftsfreiheit nicht auf zu weiter begrifflicher Grundlage fußt und die unbeschränkte Schutzgarantie daher weiter reicht als mit dem Schutzzweck der Gewährleistung beabsichtigt. Das Schrankenproblem wäre demnach eine wenigstens teilweise vermeidbare Folge des umfassenden Wissenschaftsverständnisses, das im Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit zum Ausdruck kommt. Deutlicher ausgedrückt lautet die Frage, ob durch besondere Voraussetzungen des Wissenschaftsverständnisses der Anwendungsbereich der Freiheitsgarantie eingeschränkt werden könnte. Jedoch will der weit angelegte Schutzzweck grundSätzlich verhindern, daß der tatbestandliche Schutzbereich oder d~e Schutzwirkung als solche begrenzt werden.

neuen Epistemologie der Fundamentalkomplexität Bachelard, Der neue wissenschaftliche Geist, 1988. 148 Picht, Begriff der Natur, 1989, wonach die Zerstörung der Natur durch die Wissenschaft auf der Entwicklung eines einseitigen, zeitlosen Objektbegriffs beruht. 149 Näher oben 2.9.2.

3. Rechtsprobleme

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3. Rechtsprobleme 3.1 Schutzbereich Forschung und Lehre Die Wissenschaftsfreiheit wird im Grundgesetz besonders nachdrücklich geschützt. Wie bei der Glaubens- und Kunstfreiheit, steht der Schutz der Wissenschaftsfreiheit unter keinem Vorbehalt, der einschränkende Regelungen erlaubt. Das gilt jedenfalls unvermindert für die Forschungsfreiheit als dem einen der beiden Teilbereiche der Wissenschaftsfreiheit, die im Grundgesetz hervorgehoben sind. Dagegen wird für die Lehrfreiheit in Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG festgestellt, daß der Freiheitsschutz nicht von der Treue zur Verfassung entbindet. Ob sich daraus auch Auswirkungen auf die Forschungsfreiheit . ergeben, hängt davon ab, welcher Zusammenhang zwischen den Schutzbereichen besteht. Während die wissenschaftliche Forschung auf die Erkenntnissuche nach wissenschaftlichen Verfahrensweisen gerichtet ist, betrifft die Lehre die erläuternde Darlegung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch qualifizierte Interpreten. Die Qualifizierung kann auf der eigenen Beteiligung an der Forschung und der Darstellung eigener Forschungsergebnisse beruhen, doch bedeutet der für die lehrhafte Darstellung erforderliche Verständiszusammenhang, daß mindestens die ergänzende Vermittlung fremder Forschungsergebnisse vom Schutzbereich nicht ausgeschlossen werden kann. Darüber hinaus ist anzunehmen, daß auch ausschließlich fremde Forschungsleistungen zum Inhalt der Lehre gemacht werden können, wenn ein Qualifikationszusammenhang in der Person des Vermittlers besteht und dieser für die Art der Darstellung eigenverantwortlich ist l50 . Eine strikte Unterscheidung von Forschungs- und Lehrfreiheit wäre möglich, wenn jede Veröffentlichung von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen als Lehre im Sinne der Lehrfreiheit zu betrachten wäre l51 . Die Forschung vollzieht sich aber auch im Informationsaustausch, und die Darlegung von Forschungsergebnissen ist daher mit der Ausübung der Forschung notwendig verbunden. Andererseits läßt sich die Lehre nicht auf den engen Begriff der Lehrveranstaltung oder der ausgesprochenen Lehrschrift festlegen, sondern umfaßt jede über den Forschungsdialog hinausgehende, zur belehrenden Information geeignete Darstellung. Daher überschneiden sich die Schutz150 Vgl. BVerfGE 62, 45 (51 f.) - Tutoren; Schalz, in: Maunz/Dürig, 1977, Art. 5 Abs. 3, Rn. 104 f.; Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 12; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 831 Rn. 38. - Für engere Verknüpfung mit eigener Forschungstätigkeit Bauer, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S. 52-62. - Umgekehrt Bleckmann, Staatsrecht H, 1989, S. 722 f., und grds. Knemeyer, Lehrfreiheit, 1969, bes. S. 10-24,31-35. 151 So Knemeyer, Lehrfreiheit, 1969, S. 33-35.

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I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

bereiche, und es fragt sich, wieweit im Einzelfall der Anwendungsbereich der Treueklausel reicht. Wie der Wortlaut der Klausel nahelegt, kann darin eine von vornherein vorbehaltene Bindung des Schutzbereichs gesehen werden; ob sie zugleich als tatbestandliehe Begrenzung aufzufassen ist, hängt davon ab, ob mit dem Verstoß gegen die Bindung zugleich der sachliche Zusammenhang mit der Darstellung von wissenschaftlichen Lehrinhalten verlorengeht 152 • Das muß nicht der Fall sein 153 , und daher erscheint die Bindungsklausel als grundsätzliche Einschränkung des Freiheitsschutzes, der für die Lehre garantiert wird. Sie verdeutlicht die Voraussetzung für die Gewährleistung der Lehrfreiheit I54 , kann aber nicht auf die Identifikation mit der Verfassung gerichtet sein, sondern nur auf die Anerkennung ihrer Rechtsverbindlichkeit. Daher kommt es nicht auf die persönliche Einstellung zur Verfassung und die Gesinnung an 155 • Die Bindungsklausel bezieht sich auf den Bestand und die Funktion des Staates, der Voraussetzung für die Gewährleistung der Lehrfreiheit ist, und steht in systematischem Zusammenhang mit den demokratieschützenden Bestimmungen der Verfassung l56 . Sie schränkt nicht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Staatsordnung ein, sondern richtet sich nur gegen die damit verbundene schädliche Herabsetzung 157. Die Treuebindung bedeutet mehr als ein Mißbrauchsverbot, ist daher auch nicht durch Art. 18 GG überflüssig geworden. Soweit die Voraussetzungen der Verwirkung vorliegen 158, kann der Schutzzweck der Bindungsklausel ein Eingreifen 159 auch

152

So v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 271.

Auch nicht, wenn man die Achtung vor der wissenschaftlichen und vor der verfassungsrechtlichen Wahrheit in eine übergeordnete Verbindung bringen wollte, vgl. Wehrhahn, Lehrfreiheit, 1955, S. 38-43, 65; andernfalls würde die Bindungsklausel zur Kommentierung der Lehre gestempelt. 154 Vgl. Schmitt, Lehrfreiheit, 1966, S. 10; v. Münch, in: GG-K, Bd. I, 1985, Art. 5 Rn. 155 Vgl. Thoma, Lehrfreiheit, 1952, S. 26-29; Denninger, Freiheit, 1989, Rn. 45. 153

n.

156 V gl. Wehrhahn, Lehrfreiheit, 1955, S. 9-11; Schmitt, Lehrfreiheit, 1966, S. 6-8; Schotz, in: Maunz/Dürig, 1977, Art. 5 Abs. 3, Rn. 198 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 272; Denninger, Freiheit, 1979, Rn. 44. 157 Vgl. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 385 f.; Scholz, a.a.O., Rn. 199; v. Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O. 158 Unter Berücksichtigung der Besonderheiten, die mit der Lehrfreiheit verbunden sind; vgl. Stober, Grundpflichten, 1979, S. 34 f. 159 Beamten- oder vertragsrechtlieh im öffentlich-rechtlichen Bereich; gegenüber dem Privatgelehrten dagegen unmittelbar nur in Form der Mißbilligung. Vgl. Schotz, a.a.O., Rn. 202 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Rn. 272 f.

3. Rechtsprobleme

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unabhängig von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verwirkung erfordern; zu beachten ist nur, daß das Entscheidungsmonopol nicht umgangen wird und keine verwirkungsgleichen Maßnahmen ergehen. Die Treuebindung verlangt andererseits weniger als die Bereitschaft, jederzeit aktiv für die Verfassungsziele einzutreten. Sie überschneidet sich beim beamteten Wissenschaftler zwar mit dem hergebrachten beamtenrechtlichen Grundsatz, daß die Tätigkeit im Dienst des Staates das Eintreten für dessen Bestand und Ziele voraussetzt, im besonderen Tätigkeitsbereich der wissenschaftlichen Lehrfreiheit aber ist grundsätzlich die spezielle Bindungsklausel maßgebend, die auf die Eigengesetzlichkeit der wissenschaftlichen Lehre Rücksicht nimme 60 . Daher gilt bei der Ausübung der Lehre nur die Treueklausel, unabhängig davon, daß der Beamte im Grundsatz an die beamtenrechtliche Einstandspflicht gebunden ist. Im Gegensatz zur Lehrfreiheit ist die Forschungsfreiheit keiner ausdrücklichen Bindung unterworfen und auch nicht ausdrücklich in das Mißbrauchsverbot des Art. 18 GG einbezogen. Soweit sich die Ausübung der Forschungsfreiheit jedoch auch auf die Darlegung von Forschungsergebnissen erstreckt, kann sie zugleich in den Schutzbereich der Lehre gelangen, und in diesem Fall ist, wie erwähnt, zu klären, ob gleichzeitig die für die Lehrfreiheit geltende Treuebindung eingreift. Außerdem können beim beamteten Wissenschaftler Rücksichten auf die beamtenrechtliche Rechtsstellung erforderlich werden, soweit diese in Verfassungsgrundsätzen verankert ist, die von der Forschungsfreiheit nicht übergangen werden dürfen. Der dadurch mögliche Konflikt ist ein Spezial fall der Schrankenwirkung, die grundsätzlich von kollidierenden verfassungsrechtlichen Schutzvorschriften ausgehen kann und die auch gegenüber der Forschungsfreiheit zur Geltung kommt.

3.2 Schrankenlosigkeit Das Schrankenproblem ist desto stärker in die Diskussion geraten, je stärker neben den revolutionären Erfolgen auch die Gefahren bewußt geworden sind, die von der Wissenschaft und wissenschaftlich begründeten Technik ausgehen. Während die oben genannten Umweltschäden, die militärische Forschung und der Datenschutz vor allem das Problem der Wissenschaftsund Technikfolgen hervortreten ließen, wurde am Beispiel der Gentechnologie und Humanmedizin, vor allem der Forschung am beginnenden Leben, die Gefährlichkeit der Forschung selbst zum Thema. Neben der Gefährlichkeit

160 Vgl. Schmitt, Lehrfreiheit, 1966, S. 8 f.; Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 74 f. Rn. 69; anders Scholz, a.a.O., Rn. 203; v. Mangoldt/ Klein/Starck, a.a.O.

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I. Schranken probleme der Wissenschaftsfreiheit

von Auswirkungen der Forschung und dem Vorstoß in Bereiche, die von traditionellen Schutzvorstellungen aus als schwerlich antastbar gelten können, hat vor allem das Zusammenrücken von Wissenschaft und praktischer Anwendung die Aufmerksamkeit für die möglichen negativen Folgen der wissenschaftlichen Arbeit gesteigert. Daher sieht sich die Wissenschafts freiheit plötzlich vor Legitimationserfordernisse gestellt, obwohl sie ohne Einschränkungsvorbehalt gewährleistet wird. Den Schlüssel dazu bietet die Möglichkeit, die Wissenschaftsfreiheit zu beschränken, wenn sie mit anderen Schutzgewährleistungen in Konflikt gerät. Je mehr diese als beeinträchtigt gelten können, desto eher läßt sich die Wissenschaftsfreiheit in die Defensive drängen. Bei der Gegenüberstellung der Freiheitsgarantie mit dem Schutz anderer Verfassungswerte ist jedoch zu fragen, ob nicht die Tatsache, daß die Wissenschaftsfreiheit schrankenlos gewährleistet wird, besonders ins Gewicht zu fallen hat l61 • Zwar könnte die Schrankenlosigkeit der Gewährleistung sich vornehmlich auf die geistige Erkenntnisleistung beziehen und daher für den Fall des praktischen Vorgehens an Legitimation verlieren; andererseits könnte der Schutzzweck des Freiheitsrechts aber gerade auch in diesem Fall verlangen, daß die Schrankenlosigkeit besonders zur Geltung kommt. Der Schutzzweck, der auf möglichst unbeeinträchtigte Entfaltung gerichtet ist, könnte jedoch wegen der zunehmenden praktischen Auswirkung der Wissenschaftsfreiheit einen Wandel erfahren haben. Andererseits könnte das steigende Risiko, daß es zu Rechtsschutzkonflikten kommt, ohne weiteres mit der Intention des Freiheitsrechts vereinbar sein. Die dafür erhebliche Frage nach der Bedeutung und dem Schutzzweck des Freiheitsrechts berührt sich mit der Erwägung, ob wegen der Schrankenlosigkeit der Gewährleistung und der Offenheit des Wissenschaftsbegriffs schon der Schutzbereich eingeschränkt werden könnte, indem alles unerlaubte Vorgehen ausgeklammert oder der Wissenschaftsbegriff eingeengt wird. Diese Erwägungen zielen darauf hin, die Wissenschaftsfreiheit weniger als wissenschaftliche Erkenntnis- und mehr als wissenschaftliche Handlungsfreiheit zu verstehen, der engere Grenzen zu ziehen sind. 3.3 Grundrechtskollisionen Eine wichtige Grundlage für die Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit stellen die Grundrechte anderer, vor allem der Lebens-, Gesundheits- und

161

Vgl. Pierothl Schlink, Grundrechte, 1991, S. 83 Rn. 381.

3. Rechtsprobleme

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Persönlichkeitsschutz dar162 • Der Schutz dieser Rechtsgüter ist prinzipiell unverfügbar oder nur in engen Grenzen disponibel. In Ausnahmefällen kann im überwiegenden Interesse des Allgemeinwohls der Schutzgrundsatz relativiert werden, so zum Beispiel im Interesse von Militär- und Polizeidienst oder zur Bekämpfung allgemein bedrohlicher Gesundheitsgefahren, soweit im Interesse des öffentlichen Gesundheitsschutzes erforderlich. An diese Grundsätze ist auch die Forschung gebunden, die so Beeinträchtigungen erfahren kann; das gilt auch für die Forschung am beginnenden Leben. Seit die Technik der künstlichen Befruchtung die Möglichkeit eröffnet hat, menschliches Leben außerhalb des Körpers zu erzeugen, ist die Diskussion darüber nicht mehr verstummt, ob das beginnende Leben nur dem Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft dienen oder ob es unabhängig davon für Forschungszwecke eingesetzt werden darf1 63 • So könnte es ausnahmsweise, soweit die Erforschung schwerer Gesundheitsgefahren für die Allgemeinheit zur Debatte steht, zum Beispiel mit dem Ziel, gegen allgemeingefährliche Viruserkrankungen gentechnische Bekämpfungsmöglichkeiten zu finden oder Erbkrankheiten gentherapeutisch behandeln zu können, im überwiegenden Allgemeininteresse liegen, das beginnende Leben der Forschung zugänglich zu machen. Ein erster Schritt läge darin, die Paralleldiagnose an abgespaltenen Zellen vor der Spezialisierung der Entwicklung zuzulassen und das abgespaltene Leben in den Dienst der Gesundheitsvorsorge für das zur Weiterführung erzeugte Leben zu stellen. Ein weiterer Schritt, aber noch gebunden an den Zweck, beginnendes Leben grundsätzlich weiterzuführen, wäre getan, wenn die Forschung darüber, wie der Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft erfolgreich unterstützt werden kann, an nicht für die Schwangerschaft vorgesehenen Präembryonen zugelassen würde. Weitere therapeutische Ziele würden die Forschung noch weiter ausgreifen lassen und in den Bereich der Allgemeinwohlinteressen verlagern. Problematisch wäre, wie etwa die Diskussion um die Gentherapie zeigt, die Grenze für die Zulässigkeit von Forschungsinteressen zu ziehen, das heißt auch dafür, wieweit das beginnende Leben zu Forschungszwecken aufrechterhalten und weiterentwickelt werden darf. Die herrschende Meinung, die auch im Embryonenschutzgesetz Ausdruck gefunden hat, lehnt jede Forschung am beginnenden Leben ab, die nicht zu-

162 Grds. Dreier, Forschungsbegrenzung, 1980; Hailbronner, Grenzen der Forschungsfreiheit, 1980; Turner, Freiheit der Forschung, 1986; ders., Grenzen, 1986; ferner Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974; Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977. 163 V gl. oben 2.6.

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I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

gleich therapeutische Zwecke im Rahmen der Herbeiführung einer Schwangerschaft des jeweiligen Lebenskeimes verfolgt. Sie argumentiert damit, daß der Menschenwürdegrundsatz eine absolute Schranke für die Forschung aufrichte, wo diese den individuellen Lebensschutz aus Allgemeinwohlinteressen überschreiten wolle. Die Frage ist aber, ob damit die Abwägungsaufgabe, die sich bei der Rechtsschutzkollision stellt, ausreichend bewältigt werden kann.

3.4 Risikoprävention Der eben angeführte Standpunkt setzt voraus, daß das beginnende Leben in der Schutzwürdigkeit mit dem voll entwickelten Menschen gleichzusetzen ist, und verstärkt den Schutz außerdem, da er jede Verfügbarkeit im Allgemeinwohlinteresse verneint. Die Gleichsetzung läßt sich jedoch mit guten Gründen in Zweifel ziehen. Der maßgebende Gedanke des Standpunktes liegt auch in der Prävention vor der mißbräuchlichen Ausuferung und nicht im konkreten Schutzbedarfl64 • Der Präventionsgedanke dominiert so gründlich, daß er sogar die Forschung an befruchteten Eizellen, die zur Herbeiführung einer Schwangerschaft keine Verwendung finden können und der Vernichtung preisgegeben sind, als unbedingt unzulässig erscheinen läßt. Wie sehr der Präventionsgedanke in den Vordergrund gestellt wird, zeigt auch die Auffassung, daß die gentherapeutische Forschung nicht nur an befruchteten Eizellen, sondern vorbeugend auch an den menschlichen Keimzellen untersagt werden müsse. Jedenfalls gehen die Argumentationen mit dem Menschenwürdeschutz und der Mißbrauchsgefahr eine enge Verbindung ein, die gegen jede genauere Differenzierung abgeneigt ist. Das Beispiel der Forschung an befruchteten Eizellen zeigt, wie Forschungsrisiken zur Forschungsschranken erhoben werden. Daran läßt sich die Frage anknüpfen, ob nicht genauer festzustellen ist, wo in dem weiten Bereich des mit der Wissenschaftsfreiheit in Kauf genommenen Risikos, Unbekanntes zu entdecken, und den dadurch tatsächlich verursachten Risiken die Gefahrenschwelle überschritten wird, die eine Schranke zu setzen hat. Unbedingte Forschungsverbote sind jedenfalls grundsätzlich mit der Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar. Sie müßten in jeder Hinsicht durch eine unerträgliche Gefahrenverdichtung gerechtfertigt sein. Es ist fraglich, ob dieser Grundsatz etwa durch eine "Ethik der Furcht" unterlaufen werden darf165 •

164 165

Vgl. oben 2.9.1.

Vgl. oben 2.9.2.

3. Rechtsprobleme

61

3.5 Kollision mit sonstigen Verfassungswerten Weitere Schranken neben den kollidierenden Grundrechten und dem Menschenwürdegrundsatz sind in den sonstigen Verfassungswerten zu finden, mit denen die Wissenschaftsfreiheit in Konflikt geraten könnte. Das gilt etwa für den Bestand des Staates und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Über beides darf auch der Staat selbst, der die Wissenschaftsfreiheit zu schützen hat, grundsätzlich nicht verfügen. Für die Lehrfreiheit ist die Treuebindung und daneben die Verwirkung bei Mißbrauch gegen die freiheitlichdemokratische Grundordnung (Art. 18 GG) ausdrücklich festgelegt. Soweit sich die Lehr- mit der Forschungsfreiheit überschneidet, wirkt sich die Festlegung auch auf die Forschungsfreiheit aus. Diese kann zwar den Staat zum Gegenstand ihrer Interessen machen, aber sie darf von der Erforschung staatlicher Ordnungsvorschriften nicht zum unmittelbar verändernden Experiment übergehen. Die Bindung der Wissenschaftsfreiheit an die staatliche Ordnung kommt aber schon bei der Frage zum Ausdruck, welche Informationen über den Staat für die Forschung zur Verfügung stehen dürfen, und wieweit sich der Staat auf übergeordnete Interessen zur Geheimhaltung berufen kann 166. Nicht nur die Wahrung innerstaatlicher Belange, sondern auch der Schutz der Wissenschaftsfreiheit stehen im staatlichen Interesse; daher handelt es sich um einen Konflikt, der nicht einseitig entschieden werden darf. Ebenso wie bei der Grundrechtskollision die staatlichen Schutzpflichten, die für die betroffenen Rechtsgüter bestehen, in Konflikt geraten und abgewogen werden müssen, treffen bei der wissenschaftlichen Untersuchung des staatlichen Bereichs verschiedene staatliche Schutzpflichten aufeinander. Der Staat ist nicht nur Adressat des grundrechtlichen Abwehranspruchs, sondern wegen der Bindungswirkung der Grundrechte dem Schutzauftrag auch objektiv verpflichtet. Daher darf er wissenschaftliche Interessen an seinen eigenen Angelegenheiten nicht einseitig zurückdrängen. Die Frage, wieweit die Wissenschaftsfreiheit an Ordnungsvorschriften der Verfassung Schranken finden kann, ist anläßlich der Gesetzgebungskompetenz für den Tierschutz diskutiert worden l67 • Nach der einen Meinung kann die Kompetenzvorschrift als solche nichts gegen die Wissenschaftsfreiheit ausrichten; der anderen Meinung zufolge, kann die Kompetenz dagegen die Grundlage für wissenschaftsbeschränkende Regelungen darstellen l68 . Der

166

Vgl. oben 2.7.

161

Vgl. oben 2.8.

168

Näher unten 11.7.

62

I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

ersten Meinung zufolge, könnte der Forscher, dem eine Beschränkung aufgrund einer kompetenzmäßig ergangenen Regelung vorgehalten wird, sich darauf berufen, daß seiner Forschung gegenüber die Kompetenz als solche nichts zu besagen und daher auch die Regelung, soweit sie· sich auf die betreffende Kompetenz stützt, keine Wirkung hat. Nach der anderen Auffassung könnte er allenfalls darlegen, daß die Art, in der die Kompetenz wahrgenommen wird, seine Rechte nicht berücksichtigt. Welcher Meinung zu folgen ist, hängt davon ab, ob in den Kompetenzvorschriften ausschließlich Organisationsregeln oder auch inhaltliche Festlegungen zu sehen sind; der zweite Fall braucht aber nicht zugleich zu bedeuten, daß eine Einschränkungsermächtigung erteilt wird. 3.6 Wissenschaftsförderung, Wissenschaftssteuerung, Wissenschaftsverantwortung Die Wissenschaftsfreiheit stellt, ihrem Wortlaut nach, einen Verfassungsgrundsatz dar, der zugleich die subjektive Grundrechtsgewährleistung und eine grundSätzliche Ordnungsentscheidung zum Ausdruck bringt 169 • Wegen der allgemeinen Bindungswirkung der Grundrechte sind diese grundsätzlich zugleich als objektive Wertentscheidungen aufzufassen, die Leitlinien für das staatliche Handeln ziehen 17o. So hat der Staat die Möglichkeit der Grundrechtsausübung nicht nur möglichst wenig zu behindern, sondern auch nach Kräften zu fördern. In der objektiven Form der Wissenschaftsfreiheit kann eine Bestätigung und Hervorhebung der objektiven Grundrechtswirkung gesehen werden. Der Rechtstradition nach bedeutet die Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit außerdem einen besonderen Sachbereichsschutz 171 , indem der Staat über die Förderung der Wissenschaft hinaus zur Wissenschaftspflege ver-

169

Näher unten II.6.

Als Verstärkung der grundrechtlichen Geltungskraft, vgl. BVerfGE 7, 198 (205) - Lüth; grds. BVerfGE 35, 79 (114 f.) - Hochschulurteil. Ausf. Stern, Staatsrecht 111/ I, 1988, § 69 S. 888-994 (Ausstrahlungs-, Schutz-, Verfahrensgestaltungs-, Berechtigungswirkung). Vgl. auch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 286-303. 171 Vgl. BVerfGE 33, 303 (329); 35, 79 (114 f.); 37, 104; 39, 258; 39, 276. Vgl. Waibel, Rechtsprechung, 1966, S. 29; ferner Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974. - Wie Alexy, Theorie, 1985, S. 58-61 verdeutlicht, vermittelt der objektiv-indikative Text des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG weder ein subjektives Grundrecht noch einen Sachbereichsschutz. Beides folgt vielmehr erst aus präzisierend zugeordneten Grundrechtsnormen, die kraft korrekter Begründung den Verfassungstext erweitern oder erschließen. 170

3. Rechtsprobleme

63

pflichtet ist 172, und einen besonderen institutionellen Schutz, indem der Staat für die unbeeinträchtigte Ausübung der Wissenschaftsfreiheit an dafür geeigneten Institutionen zu sorgen hat 173 • Die diesem Ziel dienende staatliche Trägerschaft für die Universitäten setzt ein hohes Maß an staatlicher Zurückhaltung voraus, um die Aufgabe, einen Freiraum für die wissenschaftliche Entfaltung zu schaffen, nicht durch dominierende Einflußnahme zu verfehlen. Daher ist durch die Organisationsregeln für die möglichst weitgehende Selbständigkeit der Institutionen und zugleich für die individuelle Entfaltungsfreiheit zu sorgen; die Selbständigkeit verlangt Selbstverwaltung, und das organisatorische Zusammenwirken hat die gleichberechtigte individuelle Entfaltungsfreiheit zu achten. Dadurch entsteht ein Ordnungsrahmen, in dem sich kollidierende Freiheitsrechte, ihre gemeinschaftliche Organisation und die staatliche Gewährleistung aufeinander abzustimmen haben. Die staatlich organisierte Grundrechtsausübung stellt daher ein Konfliktfeld dar, dessen Organisationsregeln zur bestmöglichen Aufgabenerfüllung beizutragen haben 174 • Im Bereich der staatlichen Förderung der Wissenschaft wiederholt sich der Grundkonflikt zwischen der staatlichen Einflußmöglichkeit und der für die Wahrnehmung der Wissenschaftsfreiheit notwendigen wissenschaftlichen Selbständigkeit. Daher hat der Staat darauf zu achten, daß er bei der Förderung im Bereich der selbstverwalteten Wissenschaftspflege die wissenschaftliche Eigenständigkeit nicht zu stark bindet. Diese Frage ist oben unter dem Gesichtspunkt der Wissenschaftsorganisation schon aufgegriffen worden. Indem sich die Förderungsaufgabe, wie die Aufgabe der institutionellen Trägerschaft, als Ausdruck der objektiven Grundrechtswirkung darstellt, hat sie sich zugleich auch nach deren Maßstäben zu richten und besondere staatliche Forschungszwecke mit diesen abzustimmen. Es ist daher problematisch, wieweit die staatliche Wissenschaftspflege der freien Wissenschaftsentwicklung verpflichtet ist und wieweit sie zur Wissenschaftssteuerung aus irgendeinem, zum Beispiel dem wirtschaftlichen Interesse werden darf. Die wichtige Rolle, die der Wissenschaft für die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens zukommt, und die sich über die technisch-wirtschaftlichen Interessen hinaus auf den gesamten kulturellen Stand der Gesellschaft bezieht, läßt die Wissenschaftsförderung zu einem umfassenden Entwicklungsinstrument werden. Daß dieses nicht zu einseitiger InteressenwahrnehVgl. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 76-107, 292-410. 173 Grds. Oppermann, a.a.O.; vgl. Rupp, Hochschulwesen, 1982; Thieme, Hochschulrecht, 1986; Kimminich, Wissenschaft, 1988; Bethge, Wissenschaftsrecht, 1990 Ueweils unt. Hinw. auf die näheren Bestimmungen im Landesverfassungsrecht). 174 Vgl. unten 11.4.2, 11.6. 172

64

I. Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit

mung verengt werden darf, geht nicht nur aus dem Freiheitsrecht selbst, sondern auch aus der universalen staatlichen Aufgabenverantwortung hervor. Die in der Wissenschaftsfr~iheit zum Ausdruck kommende kulturstaatliche Tradition l75 hat Anspruch darauf, in der Vielfältigkeit ihrer wissenschaftlichen Aspekte nicht vernachlässigt zu werden. Wissenschaftsförderung bedeutet daher auch, Wege finden zu helfen, auf denen die Wissenschaft weiterentwickelt werden kann, ohne zur Überlebensgefahr zu werden. Daher trifft sich die staatliche Verantwortung für die Wissenschaft mit der wissenschaftlichen Verantwortung für die Gefahren, die durch die Wissenschaftsentwicklung heraufbeschworen werden 176. Die staatliche Wissenschaftsförderung darf also auch an den Aufgaben der Folgenabschätzung und Folgenforschung nicht vorbeigehen. Auf diesem Gebiet sind Anforderungen zu erfüllen, die sich zunehmend als unumgänglich erweisen und eine wichtige Zukunftsinvestition darstellen. Außerdem hat die Wissenschaftsförderung in umstrittenen Wissenschaftsbereichen nach Wegen zu suchen, auf denen, etwa durch einen angemessenen Verfahrensschutz, das wissenschaftliche Interesse mit anderen rechtlichen Interessen, die sich der Wissenschaftsfreiheit entgegenstellen, möglichst weitgehend vereinbart werden kann. Mit Wissenschaftsverboten würde sie dagegen nicht nur dem Geist der Wissenschaftsfreiheit 177 , sondern auch ihrer Integrationsaufgabe, die zu einem wesentlichen Teil darin besteht, Gefahren vermeiden zu helfen und die Entwicklung auch zu diesem Zweck voranzutreiben 178 , zuwider handeln.

175 176

Vgl. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 76-84, 108-119. Vgl. oben 9.2.

177 Vgl. Markl, Evolution, 1986; Stock, Vorwärtsschreiten, 1989, S. 105; Henrichs, Menschsein, 1990, S. 55. 178 Vgl. Pflanz, Diskussionsprotokoll, 1991, S. 336.

11. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1. Ausgangspunkt Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat sich vielfach mit der Frage befaßt, ob auch unbeschränkt gewährleisteten Grundrechten rechtliche Schranken auferlegt werden können. Diese Frage war - zumeist im hochschulrechtlichen Bereich - auch für die Wissenschaftsfreiheit zu entscheiden. Die wichtigsten Ergebnisse der Rechtsprechung sollen zunächst in einem Überblick dargestellt werden.

1.1 Schrankenlose Gewährleistung Die rechtliche Betrachtung hat von folgenden Voraussetzungen auszugehen. Die Wissenschaftsfreiheit ist ausdrücklich als Grundrecht gewährleistet. Damit entfaltet sie unmittelbare Rechtsgeltung und Bindungswirkung gegenüber der Rechtsordnung. Der Gesetzgeber ist zu einer Beschränkung des Grundrechts nicht unmittelbar ermächtigt. Die Rechtsgewährleistung ist jedoch an die Bedingungen ihrer Einräumung gebunden. Diese liegen in der gleichzeitigen Geltung der übrigen Verfassungsrechtssätze. Soweit sich daraus Konflikte mit dem Geltungsbereich der Wissenschaftsfreiheit ergeben, sind die jeweiligen Geltungsgrenzen näher abzustecken. Daraus kann sich die Notwendigkeit zur Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit ergeben. Nur die auf diese Weise begründbaren immanenten oder inhärenten Schranken können der Wissenschaftsfreiheit entgegengehalten werden. Voraussetzung für die Feststellung dieser Schranken ist, daß die verfassungsrechtlichen Geltungsbereiche und die Konfliktlagen genau bestimmt und adäquate Konsequenzen für die Rechtswirkung gezogen werden.

1.2 Verfassungsrechtliche Anknüpfung Die Einsicht in diese Zusammhenänge ist grundsätzlich nicht neu, mußte aber, wie noch zu erläutern, erst schrittweise präzisiert werden. Insbesondere mußte das begriffliche Verständnis dafür entwickelt werden. So war mit der Annahme einer für die Verfassungsintegration sorgenden Allgemeinwohlschranke der differenzierten Normtechnik des Grundgesetzes nicht gerecht zu 5 Losch

66

H. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

werden l ; insbesondere konnte damit die Garantie einzelner, ganz bestimmter Grundrechte nicht verdrängt werden. Auch die Berufung auf verfassungsrechtlich zwar zugrundegelegte und thematisierte, aber nicht näher konkretisierte Gemeinschaftsgüter konnte den zu beschränkenden Rechten und ihrer besonderen Gewährleistung nicht ausreichend gerecht werden. Erst die Bestimmung konkreter Anknüpfungspunkte für die Grundrechtseinschränkung 2 ließ diese auf ausreichend sichere Bahnen gelenkt erscheinen.

1.3 Konkrete Schrankenbestimmung Außerdem mußte der Versuch, die Anwendbarkeit ausdrücklicher Schrankenvorbehalte auf nicht beschränkte Grundrechte zu erweitern, unzulänglich erscheinen. Zum einen würde damit die Schrankentechnik des Grundgesetzes, die keine die Grundrechte im ganzen relativierende Schranke3 , sondern nur spezielle Schrankenregelungen setzt, übergangen. So wurde im Elfes-Urteil deutlich, daß die weiten Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG auf die besonderen Freiheitsrechte nicht unmittelbar übertragen werden können4 . Zum anderen würden die Rechtswirksamkeit und Bindungswirkung der Grundrechte, die in Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG angeordnet werden, ohne ausdrückliche Legitimation eingeengt. Daher mußte eine selbständige, konkrete Schrankenbestimmung gefunden werden.

2. Schrankenbestimmung durch Rechtsschutzkollision 2.1 Kriegsdienstverweigerung kontra Wehrpflicht Der entscheidende Schritt ging vom Bundesverfassungsgericht aus, das zwar an die prinzipielle Eingebundenheit der Grundrechte in die Verfassung anknüpfte, aber als Voraussetzung für immanente Grundrechtsbeschränkungen einen näher bestimmbaren verfassungsrechtlichen Rechtskonflikt verlangte. Damit wurde die konkrete Rechtskollision zum Ausgangspunkt für die

1 So die frühere Rspr. des BVerwG, vgl. BVerwGE 1, 48 (52) und die weiteren Nachweise bei v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 90-101. 2 Durch den vom BVerfG vorausgesetzten, verfassungsrechtlich im einzelnen begründeten Schutzkonflikt; näher dazu im folgenden. 3 Wie zunächst aber vorgesehen, vgl. v. Doemming / Füßlein / Matz, Entstehungsgeschichte, 1951, S. 43. 4 BVerfGE 6, 32; vgl., auch für die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 15-67.

2. Schrankenbestimmung durch Rechtsschutzkollision

67

Bestimmung rechtlicher Schranken, die auch gegenüber unbeschränkt gewährleisteten Grundrechten eingreifen. Vorbereitet war die Anknüpfung an die Verfassung durch deren Verständnis als kohärente und wertsetzende Regelungskonzeption5 • Auf dieser Basis erläuterte das Bundesverfassungsgericht in einer frühen Entscheidung die allgemeine Wehrpflicht6 als mit dem Grundrecht auf Gewissensfreiheit vereinbar und das unbeschränkt gewährleistete Grundrecht als unter den Vorbehalt des Schutzes seiner staatlichen Grundlagen gestellt. Zwar ging das Gericht von einem Konflikt zwischen Grundrechtsberechtigung und verfassungsrechtlich legitimierter Inpflichtnahme aus, stellte den Einzelkonflikt aber in den Rahmen der Sozialgebundenheit des verfassungsrechtlichen Menschenbildes und hob damit die Verbindung zur prinzipiellen Ebene eines allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalts der Grundrechtsausübung hervor. Sehr viel deutlicher ging das Gericht dagegen in der zweiten Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung 7 auf den verfassungsrechtlichen Schrankenzusarnmenhang ein. In dieser Entscheidung formulierte es den Leitsatz, der in ständiger Rechtsprechung zur Grundlage der immanenten Grundrechtsbeschränkung wurde: "Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen." Das Gericht legte dar, daß der Regelungskonflikt nur nach Aussage der betroffenen Verfassungsbestimmungen zu lösen sei. In einem späteren Urteil zur Kriegsdienstverweigerung 8 hob das Gericht hervor, daß der Gesetzgeber nicht zu einer sachlichen Grundrechtsbeschränkung berechtigt sei, sondern nur die verfassungsrechtlich begründeten Regelungsgrenzen offenlegen dürfe. 2.2 Kunstwerk kontra Persönlichkeitsrecht Wie eine nähere Erläuterung des oben genannten Leitsatzes wirkt es, wenn das Gericht im Mephisto-Beschluß9 feststellt, daß die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit nicht durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden

5 BVerfGE 1, 14 (32) - Südweststaat, vgl. Badura, Verfassung, 1976, S. 2 f.; BVerfGE 2, 1 (12) - SRP. 6 BVerfGE 12,45 (50 f.). 7 BVerfGE 28, 243 (261). 8 BVerfGE 48, 127 (163). 9 BVerfGE 30,173 (193).

5*

68

11. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

darf "welche ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt und ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherung auf eine Gefährdung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter abhebt." Im Anschluß daran betont der Beschluß zur abgelehnten Bluttransfusion lO, daß die Grenzen der Glaubensfreiheit nur VOn der Verfassung selbst bestimmt werden dürfen. Diesen Grundsatz wiederholt - wiederum unter Bezug auf die Kunstfreiheit der Beschluß über die Verbringungsverbote 11 mit der Ergänzung, daß es sich um "oberste Grundwerte" der Verfassung zu handeln habe. Durch den Mephisto-Beschluß wurde also unmißverständlich klargestellt, daß es der konkreten verfassungsrechtlichen Anknüpfung bedarf, um unbeschränkt gewährleisteten Grundrechten Schranken auferlegen zu können. Dieser Ausgangspunkt wurde für die ständige Rechtsprechung zum unabdingbaren Grundsatz der Schrankenfrage. In diesem Sinne stellt der Beschluß zur Kirchensteuerpflicht 12 etwa fest, daß gesetzliche Bestimmungen, die sich beschränkend auf ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht auswirken, nur Bestand haben können, "wenn sie sich als Ausgestaltung einer Begrenzung durch die Verfassung selbst erweisen." Gegenüber nur summarischer judikativer Beurteilung formuliert die Entscheidung über die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Herrnburger Bericht)13 den Leitsatz, daß sich Einschränkungen der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit "nicht formelhaft mit dem ,Schutz der Verfassung' oder mit der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege rechtfertigen" lassen. Das Gericht führt dazu aus: "Eine solche pauschale Betrachtung würde dem hohen Rang dieser Grundfreiheit sowie dem Umstand nicht gerecht, daß das Grundgesetz auf verfassungsrechtlicher Ebene nur ganz bestimmte Vorkehrungen zu ihrem Schutz vorsieht 14 . Es ist daher geboten, anhand einzelner Bestimmungen des Grundgesetzes die konkret verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter festzustellen, die bei realistischer Einschätzung der Tatumstände der Wahrnehmung des Rechts aus Art. 5 Abs. 3 GG widerstreiten ... " Ergänzend wird angefügt, daß "schutzwürdige Verfassungsinteressen höherer Art" für diese Feststellung allein nicht genügen.

BVerfGE 32, 98 007 f.). BVerfGE 33, 52 (71). 12 BVerfGE 44, 37 (50). 10

11

13 BVerfGE 77, 240 (255). 14 Der Sinnbezug dieses Satzteiles ist nicht eindeutig und weder auf "Betrachtung"

noch "Grundfreiheit" anwendbar; vermutlich ist er auf den Hinweis auf die Verfassung im vorhergehenden Satz gerichtet.

3. Abwägung der Schutzinteressen

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3. Abwägung der Schutzinteressen 3.1 Konkrete Gewichtung Die zweite Voraussetzung für die Einschränkung vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte ist die "ausreichende rechtsstaatliehe Sicherung"15. Sie stellt den Zusammenhang zwischen der verfassungsrechtlichen Anknüpfung und der konfliktregelnden Entscheidung her. Diese hat zwischen den entgegengesetzten Rechtsaussagen zu vermitteln und eine angemessene Abgrenzung zu treffen. Zur Frage, wie vorzugehen ist, um im Konfliktfall eine Lösung zu finden, verweist die zweite Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung 16 auf die Bewältigung der jeweiligen Spannungslage zwischen Art. 21 GG und Art. 38 GG. Es müsse "ennittelt werden, welche Verfassungsbestimmung für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat"; keine dürfe jedoch verdrängt, es dürfe sich vielmehr nur um ein Zurückdrängen handeln, soweit jeweils unumgänglich. Die Mephisto-Entscheidung 17 fügte ergänzend hinzu, daß der Konflikt "nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung"18 und "unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles"19 zu lösen sei. Damit war das "Abwägungsgesetz,,20 der verhältnismäßigen Anpassung herausgestellt; der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts über die Verbringungsverbote 21 hob diesen Gesichtspunkt hervor, indem er eine Prüfung der Umstände "im Lichte" des betroffenen Grundrechts verlangte22 . Zur Abwägung gehört vor allem, daß die Intensität der jeweiligen Betroffenheit zu berücksichtigen ist und daß die Schutzwirkung der Grundrechte desto stärker wird, je mehr ihr Kembereich berührt wird. Daher ist, wie die 15 BVerfGE 30, 173 (193) - Mephisto. 16 BVerfGE 28, 243 (261). BVerfGE 30, 173 (193). 18 St. Rspr. zur Frage der immanenten Grundrechtsbeschränkung, vgl. die oben angeführte Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung BVerfGE 28, 243 (261) sowie BVerfGE 33, 23 (29) - Eidesverweigerung; 44, 37 (50) - Kirchensteuer; 52, 223 (246 f.) - Schulgebet; BVerfGE 49, 24 (55) - Kontaktsperre. 19 St. Rspr. zur Konfliktentscheidung, vgl. BVerfGE 35, 202 (225) - Lebach; 77, 240 (253) - Herrnburger Bericht. 20 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 146-150. 21 BVerfGE 33, 52 (71). 22 St. Rspr. zur Abwägung, vgl. die Leitentscheidung zur Schrankenwirkung der allgemeinen Gesetze nach Art. 5 Abs. 2 GG, BVerfGE 7, 198 - Lüth; im vorliegenden Zusammenhang BVerfGE 77, 240 (253) - Herrnburger Bericht. 17

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11. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Entscheidung zum Herrnburger Bericht23 ausführt, rein tatsächlich zu vermuten, daß die Kunstfreiheit im Bereich des künstlerischen Schaffens (im "Werkbereich") größeren Schutz beanspruchen kann als bei der Präsentation und Verbreitung (dem "Wirkbereich"). Die rechtliche Bewertung hat jedoch von der ungeteilt vorbehaltlosen Gewährleistung des Grundrechtsschutzes auszugehen und den je nach Art der künstlerischen Äußerung unterschiedlichen und fließenden Übergang von Werk- und Wirkbereich sowie den unterschiedlichen Direktbezug des Wirkbereichs auf das Kunstwerk zu berücksichtigen.

3.2 Verfassungsrechtlicher Sinnzusammenhang Zur verfassungsrechtlichen Würdigung der Grundrechtsaussage wird in der Mephisto-Entscheidung24 auf den "Menschenwürdegehalt" der Kunstfreiheit hingewiesen. Dasselbe geschieht in der Entscheidung zur abgelehnten Bluttransfusion 25 • im Hinblick auf die Glaubensfreiheit. Damit soll der hohe Rang der betroffenen Grundrechte als Ausgangspunkt der Abwägung festgestellt werden. Zugleich wird der verfassungsrechtliche Zusammenhang, der die Grundlage für die Konfliktentscheidung darstellt, in seinem jeweils hinter den konfligierenden Normen stehenden Ausschnitt verdeutlicht und in die Abwägung eingebracht26 • Indem diese andererseits alle Einzelfallumstände zu berücksichtigen hat, wird der verfassungsrechtliche Aussagegehalt auf die konkrete Entscheidung zugespitzt.

4. Anwendung auf die Wissenschaftsfreiheit 4.1 Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Schutzgrenzen Die geschilderte Rechtsprechung zur Beschränkbarkeit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte hat ohne weiteres auch für die Wissenschaftsfreiheit zu gelten. Im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum Hessischen Universitätsgesetz27 wird dieser Standpunkt ausführlich dargelegt. Der Be-

24

BVerfGE 77, 240 (254). BVerfGE 30, 173 (193).

25

BVerfGE 32, 98 (107 f.)

23

In diesem Sinne vor allem die Berufung auf die Menschenwürde und das damit verbundene Toleranzgebot bei BVerfGE 52,223 (247) - Schulgebet. 27 BVerfGE 47, 327 (369 f.). 26

4. Anwendung auf die Wissenschafts freiheit

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schluß geht aus von der Konfliktlösungsformel, die in der Mephisto-Entscheidung geprägt wurde. An die anschließende Feststellung, daß der Wissenschaftsfreiheit nicht schlechthin Vorrang zukomme, wird angefügt, daß es auf die Güterabwägung im Einzelfall ankomme, die der Bedeutung der verfassungsrechtlichen Aussagen und deren angemessener Abstimmung Rechnung zu tragen habe. Dabei müsse der Grundgedanke der Wissenschaftsfreiheit, daß eine gesellschaftlich und politisch unbeeinflußte Wissenschaft zu gewährleisten dem Staat und der Gesellschaft am besten diene, besonders berücksichtigt werden. Mit den weiteren Ausführungen geht die Entscheidung auf den Bereich der staatlichen Universitäten ein. Aus dem verfassungsrechtlich zugrundegelegten, dem Einzel- und Gemeinwohl dienenden Schutzzweck der Wissenschaftsfreiheit folge, daß gerade auch die staatlich institutionalisierte Wissenschaft nicht aus dem Zusammenhang der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter herausgelöst sei und daher auf die sonstigen staats- und gesellschaftspolitischen Aufgaben der staatlichen Wissenschaftsinstitutionen Rücksicht zu nehmen habe. Diese Feststellung zieht die Folgerungen, die sich aus dem verfassungsrechtlichen Schutzzusammenhang für den Sonderfall der staatlich institutionalisierten Wissenschaft ergeben. Sie verdeutlicht aber zugleich den Ausgangspunkt, daß der verfassungsrechtliche Zusammenhang für das Freiheitsrecht ausschlaggebend bleibt.

4.2 Berücksichtigung gleichberechtigter Beteiligungsrechte Die zentrale hochschulrechtliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das Hochschulurteil 28 , bezieht sich ebenfalls auf die besondere Ebene der staatlich institutionalisierten Wissenschaft und behandelt einen damit zusammenhängenden Sonderaspekt der Schrankenproblematik. Die Pflege der Wissenschaftsfreiheit an den staatlichen Universitäten bedarf der Organisations- und Verfahrensnormen; indem diese zur Ausübung der Wissen schafts freiheit beitragen und sie in großem Umfang erst ermöglichen, müssen sie jedoch im Interesse der Funktionsfähigkeit der Institutionen gleichzeitig Beteiligungs- und Koordinationsregelungen treffen, die zu Einschränkungen der prinzipiell zu sichernden Wissenschaftsfreiheit bei den beteiligten Grundrechtsträgem führen können. Die staatlichen Organisationsnormen haben für eine möglichst weitgehende Übereinstimmung zwischen der Grundrechtslegitimation und der Stellung innerhalb der Institution sowie

28

BVerfGE 35, 79 (114-124).

11. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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für die jeweils möglichst gleichberechtigte Grundrechtswahrnehmbarkeit zu sorgen 29 •

4.3 Berücksichtigung legitimer Amtspflichten Auf eine weitere Ebene der Schranken problematik führt die Grundrechtswahrnehmung im staatlich gebundenen Bereich. So verdeutlicht etwa die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Veröffentlichung einer Dissertation lO den Konflikt, der sich zwischen Amtswalterpflichten, in diesem Fall der grundgesetzlich legitimierten Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, und dem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit ergeben kann. Die Rechtsprechung geht auch bei dieser Gegenüberstellung davon aus, daß die Schranken des Grundrechts durch Abwägung festzulegen sind. Dasselbe Problem stellt sich auf der Ebene der institutionell gesicherten Grundrechtswahrnehmung, soweit sich die Amtspflicht zur Erfüllung des Tätigkeitsauftrags mit der entsprechenden Grundrechtsberechtigung und die Pflicht zur damit verbundenen Beteiligung an den organisatorischen Voraussetzungen dazu sowie die allgemeine Amtspflicht zur Wahrung von Amtsgeheimnissen und zur Verschwiegenheit gegenüberstehen.

4.4 Zugangs-, Teilhabe- und Schutzrechte Anders beurteilt die Rechtsprechung die Frage, ob und wieweit der Staat als Informant oder Forschungsgegenstand für einen nicht unmittelbar am Informationsbereich Beteiligten zur Verfügung zu stehen hat. In diesem Fall stehen sich nicht Grundrechtsberechtigung und Amtspflichten in der Person des Grundrechtsträgers gegenüber, sondern fragt sich, wieweit mit dem Recht auf ungestörte Wissenschaftsausübung der Staat als Auskunftgeber in Pflicht genommen werden kann. Die Rechtsprechung sieht in diesem Fall den abwehrrechtlichen Schutzbereich überschritten und geht daher nicht von einem Konflikt zwischen grundrechtlicher Berechtigung und staatlicher Rechtswahrnehmung aus. Vielmehr beurteilt sie die Rechtslage nach besonders begründeten Zugangs- und Teilhaberechten sowie aus der Grundrechtsgarantie ableitbaren objektiven Schutzpflichten, die zur Regelung einer erweiterten Grundrechtswahrnehmbarkeit veranlassenl !. Danach kommt erst im Rahmen

29

Näher unten 6.

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BVerwGE 37, 265 (267-269).

3! Vgl. BVerwG NJW 1986, 1277 und BVerfG NJW 1986, 1243 - Archivbenutzung.

4. Anwendung auf die Wissenschaftsfreiheit

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solcher zusätzlich eröffneten Bereiche des Grundrechtsschutzes der Konflikt mit staatlichen "Vorrechten" im Sinne des Geheimnisschutzes und mit kollidierenden Grundrechten 32 zum Tragen, der über die jeweilige Reichweite des Ausübungsschutzes Näheres bestimmen lassen könnte. Nicht gemeint sind mit Beteiligungsrechten unmittelbar aus dem Grundrechtsschutz folgende Teilhaberechte, wie sie vom Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt des Berufsgrundrechts erörtert wurden 33 • Daß der Schutzzweck der abwehrrechtlich angelegten Grundrechte in positive Leistungspflichten umschlagen könnte, läßt sich nicht schon damit begründen, daß der Staat eine Voraussetzung für die Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens darstellt. Auf dieser allgemeinen Grundlage ist der Staat grundsätzlich nur objektiv dazu verpflichtet, das Gemeinwohl zu fördern; der subjektive Schutz der Grundrechte beschränkt sich auf die Freiheit von Eingriffen und begründet keinen individuellen Anspruch auf Subvention34 • Nur wenn diese Ausgangssituation widersprüchlich würde, weil der Staat sämtliche Voraussetzungen für die grundrechtliche Freiheitswahrnehmung monopolisiert, könnte der Schutzzweck auf seine Realisierungsmöglichkeit erstreckt werden und ein subjektiver Einräumungsanspruch entstehen35 • Soweit aber staatliche Leistungsbereiche geschaffen werden, trägt der Grundrechtsschutz durch Teilhaberechte in Form der gleichberechtigten Beteiligung zur gerechten Verteilung bei 36 • Dies gilt für den Zugang zu Förderungsleistungen und zu Institutionen, mit denen Förderungsleistungen verbunden sind, sowie für die Beteiligung an den Leistungen innerhalb der Institution. Der vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Anspruch auf grundrechts wahrende Organisation an den zur Ausübung des Wissenschaftsgrundrechts dienenden Universitäten 3? erscheint aber primär nicht als Leistungsanspruch, sondern als Ausdruck des Anspruchs darauf, im Rahmen der institutionell ermöglichten Grundrechtswahrnehmung nicht beeinträchtigt zu werden. In dieser Ausrichtung konkretisiert sich der Abwehranspruch als positiver Schutzanspruch. Mit dieser von der

32 Zum Konflikt mit dem Persönlichkeitsrecht bei der Benutzung archivierter Personalakten zu wissenschaftlichen Zwecken OVG Rheinland-Pfalz DVBI 1983, 600 = NJW 1984, 1135. 33 BVerfGE 33, 303 (330-335) - Numerus clausus. 34 Vgl. zur Theatersubventionierung BVerwG NJW 1980, 718; OVG Lüneburg NJW 1984, 1138. 35 Vgl. die Erwägungen in der Numerus-clausus-Entscheidung (Fn. 33). 36 Maßgebend durch das Gleichheitsgrundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG. 37 BVerfG 35, 79 (116) - Hochschulurteil; vgl. BVerfGE 43, 242 (265) - Hamburger Universitätsgesetz.

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11. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Rechtsprechung in weiteren Zusammenhängern erschlossenen Dimension des Grundrechtsschutzes38 könnten sich auch im Bereich des Wissenschaftsgrundrechts weiterführende Rechtswirkungen verbinden.

5. Bestimmung des Schutzbereichs 5.1 Begriffliche Grundlage Schließlich überschneiden sich Schrankenprobleme und Fragen nach der Reichweite des Schutzbereichs; darin kommen sowohl Definitions- und Abgrenzungsprobleme für den Tatbestand Wissenschaft als auch Fragen der rechtlichen Einordnung der immanenten Schranken zum Ausdruck. Je weiter der Wissenschafts begriff definiert und je weniger tatbestandlichen Einschränkungen er unterworfen wird, desto mehr sind die Schranken der Freiheit herausgefordert. Die Rechtsprechung legt Art. 5 Abs. 3 GG einen sachbestimmten, formalen Wissenschafts begriff zugrunde. Im Hochschulurteil 39 definierte das Bundesverfassungsgericht als wissenschaftliche Tätigkeit "alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist. Dies folgt unmittelbar aus der prinzipiellen Unabgeschlossenheit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis." Aus dem Bundesbericht Forschung übernimmt das Gericht die Beschreibung der Forschung als "geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen"40. Wissenschaft bilde den Oberbegriff für Forschung und Lehre; die Forschungsfreiheit betreffe, wie im Entwurf zum Hochschulrahmengesetz ausgeführt, "insbesondere die Fragestellung und die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung"41. Nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts sind die entscheidenden Tatbestandsmerkmale der Wissenschaftsfreiheit, die die Grundlage für den Schutzbereich bilden, der wahrheitsbezogene Erkenntniszweck und die darauf ausgerichtete Verfahrensweise. Damit werden Pseudowissenschaften, die ohne objektivierbares Verfahren vorgehen, und wissenschaftliche Arbeitsgänge mit wissenschafts fremder Zweckrichtung aus dem Schutzbereich aus-

Vgl. BVerfGE 53, 30 (69 ff.) - Mülheim-Kärlich. BVerfGE 35, 79 (113) in Anlehnung an Smend, Freie Meinungsäußerung, 1928, S. 67; ebenso BVerfGE 47, 327 (367). 40 Bundesbericht Forschung III, BT-Drucks.V /4335, S. 4. 41 Vgl. § 3 Abs. 2 HRG. Zur Freiheit der Lehre vgl. § 3 Abs. 3 HRG (inhaltliche und methodische Gestaltung sowie Äußerung von Lehrmeinungen). 38

39

5. Bestimmung des Schutzbereichs

75

geklammert. Beispiele dafür geben die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Unterscheidung von Wissenschaft und politischer Aktion42 • Die auf die Erkenntnis als solche bezogene Begriffsbestimmung vermeidet zwar jede inhaltliche Bindung und entspricht damit grundsätzlich dem Sinn des Freiheitsrechts, jede verfälschende Einflußnahme auf die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung und -verbreitung zu verhindem 43 • Zugleich wird aber der Freiheitsschutz auf eine Fülle von Erkenntisinteressen erstreckt, die mit den Zielen der wissenschaftlichen Erkenntiserweiterung verbunden sind. Damit erlangt er eine Weite, die auf dem Feld der Erkenntnis mehr in Schutz nimmt, als im Bereich der praktischen Auswertung gut sein kann. Das Freiheitsrecht als solches bekennt sich zum Erkenntnisgewinn ohne Vorbehalt und ohne Risikobegrenzung. 5.2 Relevanter Handlungsbereich Aus diesem Grunde wird zum einen die gen aue Unterscheidung des Schutzbereichs von allen außerhalb des Schutzzusammenhanges liegenden Handlungen besonders wichtig. So muß das Schutzprivileg für die wissenschaftliche Arbeit eng auf diese selbst begrenzt werden. Andererseits darf der Schutz nicht dadurch verkürzt werden, daß der Handlungszusammenhang willkürlich unterbrochen und notwendige Zuarbeit ausgeschlossen wird. Die Rechtsprechung hat zu dieser Frage nicht ausdrücklich Stellung genommen; aus den Entscheidungen zur Kunstfreiheit und Pressefreiheit läßt sich aber der Grundsatz ableiten, daß der funktionelle Zusammenhang zu beachten ist und alles vom Schutz umfaßt wird, was dem Bereich der geschützten Tätigkeit einheitlich und notwendig zuzuordnen ist44 . Jedoch sind Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von nicht unmittelbar relevanten Vorbereitungs- und Begleithandlungen kaum zu vermeiden. Das gilt auch für die Frage, wo die Grenzen für den Übergang zur praktischen Verwertung zu ziehen sind. Da der Wissenschafts begriff nach Art. 5 Abs. 3 GG mit seiner Zusammenfassung von Forschung und Lehre auch die öffentliche Darlegung der Erkenntnisarbeit und -ergebnisse umfaßt, gehört die darauf abgestellte Auswertung der Forschung einschließlich damit verbunde-

42 BVerfGE 5, 85 (146) - KPD; 34, 69 (76 f.) - Politisches Mandat der Studentenschaft; vgl. VG Berlin, JZ 1971, 615 sowie OVG Berlin, JZ 1973, 209 - Rote Zelle Germanistik. 43 BVerfGE 35, 79 (112) - Hochschulurteil. 44 BVerfGE 30, 173 (189) - Mephisto; 77, 240 (254) - Herrnburger Bericht; sowie 50, 234 (240) - Ausschluß von öffentlicher Verhandlung - m.w.N.

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11. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

ner Vergütungen zum Schutzbereich. Nicht geschützt ist dagegen die weitergehende wirtschaftliche Verwertung, die in andere Regelungsbereiche führt. Auch dazu hat die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Kunstfreiheit Stellung genommen45 • Das eigentliche Problem liegt aber nicht in der Reichweite des Freiheitsschutzes für die V~rwertungsinteressen des einzelnen Wissenschaftlers, sondern in dem Risiko, daß mit dem weiten und vorbehaltlosen Schutz der Erkenntnisinteressen keinerlei Grenzen für die Umsetzung in praktische Auswertungen aufgerichtet werden .. Darauf ist noch einzugehen. Mit der Erstreckung des Schutzbereichs auf alle wissenschaftsrelevanten Handlungen verbindet sich die Frage, wieweit der persönliche Geltungsbereich der Grundrechtsberechtigung reicht. Wie im Bereich der Kunstfreiheit, könnte auch im Bereich der Wissenschaftsfreiheit dem Vermittler, also dem Verleger und außerhalb der institutionellen Lehre stehenden Interpreten, soweit es um die Tätigkeit im Wirkbereich geht, ein eigenständiger Grundrechtsschutz zustehen46 • Diese Frage ist bisher nur für die Kunstfreiheit entschieden worden. 5.3 Frage der rechtskonformen Interpretation Wegen der Weite des tatbestandlichen Normbereichs wird zum anderen, um an den oben begonnenen Gedankengang wieder anzuschließen, die Frage wichtig, ob der Schutzbereich ebenso vorbehaltlos eingeräumt wird, wie seine begriffliche Grundlage zu verstehen ist. Dafür spricht die vorbehaltlose Gewährleistung des Freiheitsr~chts. Das würde andererseits aber bedeuten, daß auch Unrechtstatbestände vom Schutzbereich umfaßt werden, so etwa der Fall der illegalen Informationsbeschaffung. Daher könnte die erforderliche rechtliche Integration des Freiheitsrechts zu weit in den Bereich der nachträglich aufzuerlegenden, aus der immanenten Rechtsbindung erschließbaren Schranken verlagert sein. Es geht also um die Frage, ob die oben dargelegte immanente Bindung allein im Wege der Freiheits- oder Rechtsfolgenbeschränkung oder schon als Restriktion der Tatbestandsgrundlage zur Auswirkung kommen kann. Die Rechtsprechung zur immanenten Grundrechts-

4S Vgl. BVerfGE 31, 229 (239 f.) - Urhebergesetz; darauf bezieht sich BVerfGE 71, 162 (176) - Ärztliches Werbeverbot. 46 So BVerfGE 30, 173 (191) für den Verleger; E 36, 321 (331) für den Schallplattenhersteller; E 67,213 für den Theaterveranstalter; E 77,240 für den Schauspieler.

6. Objektive Grundrechtswirkung

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beschränkung und insbesondere zur Beschränkung der Kunstfreiheit beantwortet die Frage nicht eindeutig47 • Würde man in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Berufsfreiheit48 den Schutzbereich von Kunst- und Wissenschaftsfreiheit auf das Feld der grundsätzlich durch die Rechtsordnung erlaubten Handlungen begrenzen49 , so wären breite Konfliktzonen von der Schrankenfrage ausgenommen und prinzipiell erlaubtes Handeln unter besonderen Schutz gestellt. Der speziell verbürgte Freiheitsschutz wäre gleichwohl nicht überflüssig, da er besonders nachdrücklich vor Eingriffen bewahren könnte. Stärker noch als bei der Kunstfreiheit erhebt sich dagegen jedoch das Bedenken, daß durch die Tatbestandsverengung der Schutzzweck der Norm unterlaufen werden könnte. Allenfalls ließe sich von einer Berücksichtigung immanenter Kollisionsschranken schon im tatbestandlich begründeten Schutzbereich ausgehen, soweit die gleichberechtigte Beteiligung an der Organisation der Universitäten betroffen ist. In diesem Fall erscheint die durch die Beteiligung mittelbar wahrgenommene Wissenschaftsfreiheit nicht nur als Folge der jeweils angetretenen Beteiligung, sondern von vornherein durch die gleichen Mitwirkungsrechte begrenzt. Ebenso könnte es sich unter sonstigen teilhaberechtlichen Bedingungen verhalten, soweit überhaupt ein Anspruch eröffnet ist.

6. Objektive Grundrechtswirkung Diese Überlegung führt weiter zur objektiven Grundrechtswirkung, die von der Rechtsprechung für das Wissenschaftsgrundrecht besonders herausgestellt wurde. Wie das Hochschulurteil50 ausführt, äußert sich die objektive Bedeutung des Grundrechts in der Eigenschaft als Grundsatznorm, die eine verpflichtende Leitlinie für das Staatshandeln darstellt. Der Stellenwert des Grundrechts für den Einzelnen und die Gesellschaft und die traditionelle staatliche Verantwortung für die Wissenschaft verlangen, daß der Staat neben der Wissenschaftsförderung auch für einen umfassend geschützten Raum der

47 Vgl. etwa die Feststellung, die Reichweite der Kunstfreiheit erstrecke "sich von vornherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zweck der künstlerischen Entfaltung", BVerfG NJW 1984, 1293 - Sprayer. Näher zur Rspr. in diesem Zusammenhang Kloepfer, Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken, 1976; vgl. Pierothl Schlink, Grundrechte, 1989, S. 82 Rn. 375 f., S. 164 Rn. 715. 48 BVerfGE 7,377 (397) - Apothekenurteil - und oben 1.2.9.5. 49 So der Vorschlag von PierofhlSchlink, Grundrechte, 1991, S. 165 Rn. 109-111 (vgl. oben 1.2.9.5). 50 BVerfGE 35, 79 (114-124).

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II. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Wissenschaftspflege und -entfaltung sorgt. Daher· verdichtet sich das Grundrecht in seinem objektiven Aussagewert zu einem institutionellen Schutzauftrag an den Staat51 • Bei der Wahrnehmung dieses Auftrags durch die Einrichtung der Universitäten hat der Staat eine organisatorische Ordnung an den Institutionen vorzusehen, die deren Zweck, dem Grundrechtsschutz zu dienen, möglichst weitgehend erfüllt. Die staatliche Organisationsmacht wird daher durch den Grundrechtsschutz begrenzt, andererseits muß der individuelle Schutzanspruch sich an die Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit der Institution zur Erfüllung ihrer das Wissenschaftsgrundrecht schützenden und weiteren legitimen Aufgaben einschließlich des oben erwähnten gleichberechtigten Grundrechtsschutzes der beteiligten Grundrechtsträger - anpassen52 • In diesem Fall bedarf es der Abwägung zwischen den Zwecken der Institutionalisierung und der einzelnen Grundrechtsposition53 sowie den Grundrechten untereinander54 • Vor allem findet die Gleichberechtigung der beteiligten Gruppen eine Grenze an der Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrer, deren besondere Qualifikation ihnen eine besondere Stellung verleiht. So ist ihnen auf die Entscheidungen über die Lehre ein maßgebender und auf die Entscheidungen über die Forschung ein weitergehender ausschlaggebender Einfluß vorzubehalten 55 • Damit ergeben sich, abgesehen von den funktionellen Grenzen, in denen die wissenschaftliche Tätigkeit ermöglicht werden kann, auch rechtliche Schranken für den Grundrechtsschutz. Die objektive Grundrechtswirkung kann sich in diesem Fall als durch die besondere Erweiterung des Grundrechtsschutzes vermittelte Grundrechtsbegrenzung auf zweiter Ebene auswirken. Vergleichbare Fragen ergeben sich bei der Wissenschaftsförderung. Der objektive Schutzauftrag zur Förderung der Wissenschaft steht, wie die Numerus-c1ausus-Entscheidung aus der Perspektive der Teilhabeberechtigung dar-

51 Der sich mit der teilweise anerkannten Verknüpfung des subjektiven Grundrechtsschutzes mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des traditionellen Regelungsbestandes zur Sicherung des Grundrechts (das hieße mit einer institutionellen Garantie der Universität) überschneidet. Die Rspr. hat sich auf diese besondere institutionelle Sehweise nicht festgelegt; vgl. BVerfGE 15, 256 (264) - Berufung ins Lehramt; 35, 79 (16) - Hochschulurteil. 52 Oben 4.2. 53 Vgl. BVerfGE 57, 70 - Tätigkeit von Hochschullehrern in der Krankenversorgung. 54 Vgl. BVerfGE 42, 242 - Dozenten als Hochschullehrer; 51, 369; 56, 192; 61, 210 - jeweils Gruppe der Professoren; 54, 363 - Differenzierung zwischen Professoren. 55 BVerfGE 35, 79 014-124) - Hochschulurteil; 55, 37 (58 f.) - Bremer Hochschulgesetz.

7. Bestimmung der Kollisionsgüter

79

legte56 , in Konkurrenz mit anderen Staatszwecken und Staatszielen, die ebenfalls Berücksichtigung verlangen. Sie schränken die Förderungsmittel und grundsätzlich die Beliebigkeit der Förderung ein und veranlassen gleichzeitig zur gezielten Förderung bestimmter Forschungsbereiche und -aufgaben. Daran schließt sich die Frage an, wieweit bei der Mittelbereitstellung und -vergabe die Grundentscheidung für die Wissenschaftsfreiheit und der individuelle Grundrechtsschutz zu berücksichtigen sind.

7. Bestimmung der Kollisionsgüter Die Rechtsprechung zu Schrankenproblemen, wie sie sich bei der Wissenschaftsfreiheit und anderen unbeschränkt gewährleisteten Grundrechten ergeben, behandelt im übrigen noch zwei Fragenbereiche von grundsätzlicher Bedeutung, die am Schluß dieser Übersicht aufzugreifen sind. Der eine betrifft den Kreis der geschützten Rechtsgüter, die zur Grundrechtsbeschränkung legitimieren, der andere bezieht sich auf die Folgenverantwortung. Die Frage, welche Verfassungsgüter neben den Grundrechten anderer als kollidierende Schutzgüter in Betracht kommen, führt von der grundrechtlichen Ebene in den Bereich der objektiven Staatsordnung. Gerade in den unterschiedlichen Wirkungsbereichen und Regelungszwecken liegt das Problem. Darauf bezieht sich einer der Einwände, den das Sondervotum zur dritten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kriegsdienstverweigerung erhob 57 • Der Einwand macht darauf aufmerksam, daß das schrankenlos gewährleistete Grundrecht der Gewissensfreiheit nicht nach Maßgabe staatlicher Ordnungsgrundsätze, sondern umgekehrt diese nach Maßgabe des Grundrechts zu gelten haben. Ausführlicher geht das Sondervotum zu einem späteren Urteil über die Kriegsdienstverweigerung 58 auf die Frage ein und wendet sich ebenfalls dagegen, daß Ordnungsvorschriften, vor allem Kompetenzbestimmungen 59 , als grundrechtseinschänkendes Verfassungsrecht gewertet werden. Die Kritik an der Schrankenwirkung sonstiger, neben den Grundrechten stehenden Verfassungswerte hebt folgende Bedenken hervor. Die Anknüpfungspunkte für Einschränkungen vorbehaltloser Grundrechte würden unüber-

BVerfGE 33, 303 (330-335). BVerfGE 48, 127 (185-206, 1890. 58 BVerfGE 69, 1 (58-66). 59 Für materielle Legitimationswirkung auch BVerfGE 53, 30 (56 f.) - MülheimKärlich. 56

57

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II. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

sehbar. Es fehle außerdem an verfassungsrechtlichen Anleitungen für die Abwägung. Die schrankenlosen Grundrechte würden daher zu weitgehend für staatliche Ordnungsinteressen verfügbar gemacht. Diese Kritik setzt in der Tat an einer Stelle an, an der die Schrankenanknüpfung stark erweitert und auf Konflikte unterschiedlicher Regelungsebenen erstreckt wird. Mindestens dürfte das Abwägungsschema, das bei der Kollision von Rechtspositionen gleicher Art anzuwenden ist, in den anderen Fällen nicht ohne Differenzierungen heranzuziehen sein.

8. Folgenverantwortung Die zweite Frage, die Frage nach der Folgenverantwortung des Wissenschaftlers, wird durch die grenzenlose Weite und Absolutheit des Freiheitsschutzes herausgefordert, die keine Rücksicht auf die praktischen Folgewirkungen nimmt. Das Freiheitsrecht dient gerade dazu, im Interesse des kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts den Fächer der Erkenntnis möglichst weit aufzuschlagen 60 • Daher liegt der unmittelbare Schutzzweck der Norm in der Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Arbeit. Zugleich wird aber das Risikoproblem, das dadurch aufgeworfen wird, daß die unbeschränkte Gewährleistung der Forschungsfreiheit auch gefährlichen Auswirkungen Vorschub leistet, vernachlässigt. Solange sich Gefahren, die mit der technisch-wirtschaftlichen Anwendung verbunden sind, nicht im Bereich der wissenschaftlichen Arbeit selbst manifestieren und die Voraussetzungen für die Einschränkung des Grundrechts erfüllen, brauchen sie den Wissenschaftler nicht zu kümmern. Die Frage ist daher, wieweit sich der Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Arbeit und gefährlichen Auswirkungen konkretisieren muß, um eine Inpflichtnahrne des Wissenschaftlers rechtfertigen zu können. Darauf bezieht sich die weiter oben schon erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 6 des hessischen Universitätsgesetzes 61 . Diese Bestimmung ordnet eine Informationspflicht über die Möglichkeit gefährlicher Auswirkungen der wissenschaftlichen Arbeit an. Wie die Entscheidung ausführt, sei die Anordnung zu rechtfertigen, weil sie sich als Verdeutlichung der Schranken verstehen lasse, die der wissenschaftlichen Arbeit durch den Schutz anderer Verfassungs güter auferlegt sind, und weil sie nur soviel verlange, wie der einzelne Wissenschaftler jeweils unter Ab-

60 Vgl. die oben erwähnten Ausführungen in BVerfGE 35, 79 (114) und BVerfGE 47, 327 (370). 61 BVerfGE 47,327.

9. Zusammenfassung

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wägung mit dem Freiheitsrecht als immanente Bindung anerkennen könne. Die Entscheidung steckt das Spannungsfeld zwischen dem unmittelbaren Normzweck der Wissenschaftsfreiheit, der Unabhängigkeit, ihrem tieferen Ziel, der positiven Entwicklung, und ihren Schranken, den verfassungsrechtlichen Schutzgütern, ab und betont, daß besonders an der staatlichen Universität dieser grundsätzliche Zusammenhang nicht außer acht gelassen werden kann 62 • Mit der Rückbindung der Unabhängigkeit an die Bedingung ihrer sinnvollen' Weitergewährleistung, wie der dem Freiheitsrecht zugrunde liegende Bezug auf das Einzel- und Gemeinwohl auch ausgedrückt werden könnte, läßt sich der Weg andeuten, auf dem der Freiheitsgarantie in vorsichtiger Verdeutlichung genauere verfassungsrechtliche Konturen vennittelt werden könnten. Das eine Problem liegt auch in diesem Zusammenhang in der Bestimmung der Verfassungsgüter, die der Freiheit Schranken setzen können. Das andere liegt in den Bedingungen für die Schutzwirkung, die mit dem Begriff Kollision bezeichnet werden. Vennutlich umfaßt dieser Begriff ganz unterschiedliche Konfliktlagen. Die Beziehung zum Gefahren- und Risikobegriff bedarf ebenfalls der Verdeutlichung. Zunächst ist davon auszugehen, daß der Schutz des Freiheitsrechts keine durch Folgerisiken veranlaßte Beschränkung erlaubt, die Verantwortung des Wissenschaftlers also auf die Voraussetzungen für seine Tätigkeit begrenzt ist. Im Schrifttum wird aber die Forderung nach einer Überbrückung der Verantwortungs bereiche und nach einer Verantwortung des Forschers für die Folgen der Forschung immer lauter.

9. Zusammenfassung Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, die sich mit der Frage befaßt, ob und wieweit die Wissenschaftsfreiheit rechtlichen Schranken unterliegt, richtet sich nach den Entscheidungsgrundsätzen, die zu anderen unbeschränkt

62 Dazu sei folgender Ausschnitt zitiert (S. 370): "Aus alledem folgt, daß der Staat für die Regelung des wissenschaftlichen Lebens in seinen Universitäten nicht auf die absolute Freiheit für die Forschungs- und Lehrtätigkeit des einzelnen Wissenschaftlers unter Vernachlässigung aller im Grundgesetz geschützten Rechtsgüter festgelegt ist, zu deren Wahrung die Universität ebenfalls berufen ist oder die durch ihren Wissenschaftsbetrieb betroffen sind. Die Distanz, die der Wissenschaft um ihrer Freiheit willen zu Staat und Gesellschaft zugebilligt werden muß, enthebt sie auch nicht von vornherein jeder Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen. Dieser Freiraum ist nach der Wertung des Grundgesetzes nicht für eine von Staat und Gesellschaft isolierte, sondern für eine letztlich dem Wohle des Einzelnen und der Gesellschaft dienende Wissenschaft verfassungsrechtlich garantiert."

6 Losch

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11. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

gewährleisteten Rechten herausgebildet wurden. Danach können Schranken durch kollidierende Verfassungsbestimmungen gesetzt werden. Voraussetzung für die Erfassung der Kollisionssituation und die Gewichtung der Schutzinteressen ist, daß die einander gegenüberstehenden Schutz- und Ordnungsbereiche genau bestimmt werden. Grundlage der Wissenschaftsfreiheit ist ein an der Sache orientierter offener und neutraler Wissenschaftsbegriff. Die mit dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit verbundene objektive Grundrechtswirkung, die zur Förderung des Grundrechtsschutzes veranlaßt und verpflichtet, prägt sich auch als institutionelle Aufgabe aus. Organisationsnormen haben darauf zu achten, daß der individuelle Rechtsschutz soweit wie möglich gestärkt und möglichst wenig beeinträchtigt wird. Dasselbe hat sinngemäß für die Wissenschaftsförderung zu gelten. Problembereiche ergeben sich insbesondere bei der Frage, weIche verfassungsrechtlichen Bestimmungen im einzelnen als kollidierende Rechte in Betracht kommen, und weIche Schutzinteressen in weIchem Maße bei der Abwägung zu berücksichtigen sind. Davon wird auch das Problem der Folgenverantwortung bestimmt. Die Rechtsprechung, die dem Grundsatz der konkreten Schrankenbestimmung folgt, geht von der Grundrechtsgewährleistung aus und setzt dieser die Schranken, die durch entgegenstehende Schutzinteressen erzwungen werden. Der Blickpunkt liegt auf dem Freiheitsrecht, und die Schrankenbestimmung verlangt einen konkreten Schutzkonflikt. Jede nicht ausdrücklich legitimierbare Beschränkung wird ausgeschlossen. Wie weit in den beschriebenen Problembereichen die Schrankenwirkung jeweils zur Geltung kommen kann, hängt davon ab, weIches Gewicht den zu beachtenden Schutzinteressen zukommt. Die konkrete Schrankenbestimmung erlaubt nur bedingt die Verallgemeinerung zur generellen Schrankenziehung, wie sie teilweise für notwendig erachtet wird.

III. Stellungnahmen im Schrifttum Die Stimmen, die sich im neueren Schrifttum ausführlich zu den Schranken der Wissenschaftsfreiheit äußern, schließen sich grundsätzlich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, unterscheiden sich aber bei der Frage, welche Konsequenzen aus der Kollisionsformel im einzelnen zu ziehen sind. Grundsätzlich lassen sich zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen unterscheiden. Die eine geht von der Grundrechtsverbürgung aus und versucht, die Schranken gleichsam von innen her zu erschließen. Sie könnte als dogmatischer Ansatz bezeichnet werden. Die andere geht von der Schrankenfrage aus und will sich von der Konfrontation der Wissenschaftsfreiheit mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld leiten lassen. Daher könnte man diese Betrachtungsweise im Unterschied zur anderen als pragmatischen Ansatz kennzeichen. Unter Berücksichtigung der beiden unterschiedlichen Ausgangspunkte soll ein Überblick über die wichtigsten Stellungnahmen gegeben werden. Es erscheint sinnvoll, in den siebziger Jahren zu beginnen, da im Anschluß an die lebhaft diskutierten Fragen der Hochschulreform in dieser Zeit die Wissenschaftsfreiheit zu einem viel erörterten Thema wurde!. Jedoch sollen die Arbeiten, die sich auf die Hochschule und Hochschulorganisation spezialisieren, hier im Hintergrund bleiben.

1. Dogmatischer Ansatz Unter den Verfassern, die sich grundsätzlich zur Wissenschaftsfreiheit und ihren Schranken äußern, hebt Schmitt Glaeser hervor, daß zunächst die genaue Bestimmung des Normbereichs erforderlich sei, um klare Ausgangspunkte für die Schrankenbestimmung zu gewinnen 2• Auf diese Weise könnten Scheinkollisionen, die Konflikte mit anderen Rechten vortäuschen, als Abgrenzungsfragen aufgedeckt werden. Von begrifflich streng ansetzender Warte aus, die keinerlei Einflußnahme auf die Offenheit des Wissenschafts-

1 Vgl. Küchenhoff, Grundgesetz und Hochschulrefonn, 1964. - Roellecke, Wissenschaftsfreiheit als institutionelle Garantie, 1969; Knemeyer, Garantie der Wissenschaftsfreiheit, 1969; Schlink, Grundgesetz und Wissenschaftsfreiheit, 1971. - Klein, Demokratisierung, 1968; Rupp, Stellung der Studenten, 1969. - MallmannlStrauch, Verfassungsgarantie, 1970; Oppermann, Praktische Konsequenzen, 1973. 2 Schmitt Glaeser, Freiheit der Forschung, 1974; ders., Freiheit der Forschung, 1976.

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III. Stellungnahmen im Schrifttum

begriffs in Kauf nehmen will, muß die oben erwähnte, durch § 6 des hessischen Universitäts gesetzes auferlegte Informationspflicht über Wissenschaftsgefahren als inhaltliche Determinierung erscheinen, die der begrifflichen Offenheit der Wissenschaftsfreiheit grundsätzlich widerspricht. Eine Konkretisierung der Schranken ziehenden Grundrechte und anderen Verfassungsgüter wird im echten Strafrechtsbereich verwirklicht gesehen. Die Kritik an der Anknüpfung an sonstige Verfassungswerte neben den Grundrechten wird zurückgewiesen, da die Abwägungs- und Begründungsbedürftigkeit für die notwendige Differenzierung sorge und die richtige Gewichtung durch die verhältnismäßige Zuordnung der Schutzbelange mit dem Ziel der jeweils optimalen Wirksamkeit zu erreichen sei. Die Überlegungen werden ergänzt durch eine kritische Stellungnahme zur objektiven Grundrechtswirkung, die zur Zurückdrängung der abwehrrechtlichen Grundrechtsbedeutung führen könne, und durch die Frage nach Schranken für den teilhaberechtlichen Aspekt, der sich jedoch als gesetzlicher Regelung bedürftig erweise; Regelungsgrenzen seien allein in der Wesensgehaltsgarantie nach Art. 19 Abs. 2 GG zu finden. Nach Scholz entscheidet zunächst der offene, keiner Wertung unterworfene Wissenschaftsbegriff über die Weite des Schutzbefeichs, der nur durch entgegenstehende verfassungsrechtliche Positionen Schranken finden kann 3 • Zur Legitimation der Kollisionsschranken aus den Grundrechten Dritter lasse sich auf den in Art. 2 Abs. 1 GG ausgesprochenen Vorbehalt der Rechte anderer zurückgreifen. Über die Drittrechte und besonders genannte Verfassungsgüter hinaus sei die Wissenschaftsfreiheit auch einer "ethisch-immanenten" Schranke unterworfen, die der Begrenzung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch das "Sittengesetz" entspreche und sich - neben den Grundrechten anderer - im typischen "Kriminalstrafrecht" auspräge. Auch im staatlich gebundenen Bereich könnten der Grundrechtsausübung nur Schranken erwachsen, soweit durch verfassungsrechtlich legitime Zwecke zu rechtfertigen. Als Anwendungsfall wird die beamtenrechtliche Bindung der Hochschullehrer erläutert. Ergänzend wird ebenfalls die Wechselwirkung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsförderung aufgegriffen, mit der auch beschränkende Wirkungen verbunden sein können. Grenzen der Förderung seien grundsätzlich nur durch Art. 3 Abs. 1 und 19 Abs. 2 GG gesteckt. Der dogmatische Ansatz stellt die Begriffsgrundlage und die tatbestandlichen Voraussetzungen des Schutzbereichs in den Vordergrund. Erst wenn der Raum des Freiheitsrechts abgeschritten ist, werden die Schranken des Frei-

3 Schoh, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs.3, 1977; vgl. auch ders., Instrumentale Beherrschung, 1986, S. 68-70.

2. Entwicklung zum pragmatischen Ansatz

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heitsschutzes erörtert, die im Konflikt mit gleichberechtigten Verfassungsbestimmungen sichtbar werden. Zum Teil werden sie durch die Rechtsordnung in typischen Schutzrechten konkretisiert; darüber hinaus ist durch Einzelabwägung die jeweilige Schrankenwirkung festzustellen. Zwischen der eingriffs- oder abwehrrechtlichen und der förderungs bezogenen oder teilhaberechtlichen Perspektive wird klar zu unterscheiden versucht.

2. Entwicklung zum pragmatischen Ansatz Gegenüber der auf die Freiheitsgewährleistung gerichteten Perspektive von Schmitt Glaeser und Scholz stellen Hailbronner und Dreier den Wandel in der Blickrichtung vom Freiheitsschutz auf die Freiheitsgrenzen in den Vordergrund. Von diesem Ausgangspunkt her erscheint die Schrankenformel der Rechtsprechung weniger als abschließende Leitlinie für die Schrankenbestimmung, sondern mehr als Grundlage für die Erörterung neuer Fragestellungen. So beschäftigt sich Hailbronner insbesondere mit der Unterscheidung zwischen dem Bereich gesellschaftlicher Schutzinteressen und verfassungsrechtlich konkret geschützter Rechtsgüter und stellt fest, daß es weiterreichende Schutzinteressen gibt, die sich nicht in rechtliche Schranken der Wissenschaftsfreiheit ausprägen lassen4 • Ferner wird die Frage aufgeworfen, wieweit auch Risiken und Gefahren zur Rechtsgüterkollision führen; damit wird auf mögliche Erweiterungen des Rechtsgüterschutzes aufmerksam gemacht. Außerdem wird die Frage, ob der Forscher für Folgen der Forschung zur Verantwortung gezogen werden kann, ausführlicher erörtert, als nach traditioneller dogmatischer Sicht erforderlich, die sich auf die freiheitswahrende Tatbestandserfüllung und die rechtlich gesetzten Schranken konzentriert. Die Frage, welche Maßstäbe für die Mittelverteilung zu beachten sind, wird ebenfalls ausführlicher erörtert; so tritt die Überlegung in den Vordergrund, welche Direktiven für die Förderung sich aus dem Regelungszweck der Wissenschaftsfreiheit im einzelnen ergeben könnten. Im Anschluß an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geht Dreier vor allem auf die Frage ein, wie der Begriff des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgutes oder mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswertes zu verstehen ist5 • Diese Frage wird am Beispiel des in Form einer Kompetenzbestimmung verfassungsrechtlich gesicherten Tierschutzes verdeutlicht. Wäre die Kompetenzvorschrift als Eingriffsgrundlage - im Sinne des legiti4 Hailbronner, Grenzen der Forschungsfreiheit, 1980; vgl. ders., Freiheit von Forschung und Lehre, 1979. 5 Dreier, Forschungsbegrenzung als verfassungsrechtliches Problem, 1980.

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III. Stellungnahmen im Schrifttum

mierenden Rechtswertes - zu verstehen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip demnach als Eingriffsschranke anzuwenden, würde der Grundrechtsschutz weitgehend relativiert und im Ergebnis einem Gesetzesvorbehalt unterworfen. Wenn sich dagegen auch Rechtsgrundsätze als begrenzende Rechtswerte verstehen ließen, erschiene das Verhältnismäßfgkeitsprinzip auf der Seite des zu begrenzenden Grundrechts als Ausübungsschranke, die aus sich heraus, ohne unmittelbaren Rückgriff auf einen geschriebenen Verfassungsrechtssatz, zur Anpassung der Grundrechtsberechtigung führen könnte. Offen bleibt freilich, wie die Geltung begrenzender Rechtsgrundsätze im einzelnen zu begründen wäre und ob die dafür empfohlene Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse über die gesamten Lebensverhältnisse nicht eine zu weitgehende "Mediatisierung" der Verfassung oder der Rechtsordnung bedeuten würde. Auch ist zur Aufspaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Bedeutung als Eingriffs- oder Ausübungsschranke anzufügen, daß dessen Aufgabe gerade darin besteht, diese Komponenten miteinander zu verbinden. Weiterhin wird die Frage erörtert, ob die angewandte oder zweckgebundene Forschung weniger schutzbedürftig als die Grundlagenforschung sein könnte, was wegen der Gefahr der Fremdsteuerung jedoch abzulehnen sei. Vielmehr könnte die Freiheitsgarantie bedeuten, daß unvenneidliche Einflußnahmen auf die angewandte Forschung, wie sie mit der gezielten Förderung verbunden sind, jeweils näherer Begründung bedürften. Damit wird die Brücke von der Schrankenfrage zur Förderung geschlagen und die Überlegung angestellt, ob sich aus dem Freiheitsrecht mittelbare Schranken für die Förderung ableiten lassen. So könnte die Freiheitsgarantie auch bedeuten, daß jedenfalls ein notwendiger Bestand an Grundlagenforschung gewährleistet werden müsse. Besonders deutlich stellt Geiger den pragmatischen Ansatz heraus 6• Er bezeichnet die Schranken der Wissenschaftsfreiheit als das entscheidende Problem und sieht die Freiheitsgarantie grundsätzlich durch ihren sozialen Zusammenhang in Pflicht genommen. Danach bedeutet das Recht zur Freiheit zugleich die Pflicht, Schaden zu venneiden. Wegen des engen Zusammenhanges zwischen Forschung, praktischer Verwertung und deren Folgen muß diese Pflicht sich auch auf die Wirkungen der Verwertung beziehen. Ein dogmatischer Ansatzpunkt zur rechtlichen Begründung der Schadensvenneidungspflicht lasse sich in der Bindungsklausel der Lehrfreiheit sehen. Die dort verlangte Respektierung der Verfassung könne zum allgemeinen Maßstab des Freiheitsgebrauchs in der Wissenschaft erweitert werden. In

6

Geiger, Wissenschaftsfreiheit als Problem, 1984.

3. Systematischer Ansatz

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Verbindung mit den Prinzipien der demokratischen Lebensform ergebe sich daraus ein Gebot zur Offenlegung der Entwicklung und damit zusammenhängender Gefahren. Die Ermöglichung der öffentlichen Information und Diskussion mit dem Ziel, unschädliche Alternativen der Entwicklung zu verwirklichen, müsse Vorrang vor herkömmlichen Geheimhaltungs- und Konkurrenzinteressen haben. Gemeinsam ist der Entwicklung zum pragmatischen Ansatz, daß die Anknüpfung an sonstige Verfassungswerte, die neben dem Schutz der Grundrechte anderer der Wissenschaftsfreiheit Schranken setzen können, auf ihre Tragweite untersucht wird. Das Problem ihrer Beziehung zu Risiken und Gefahren, der Vergleich mit der Anknüpfung an Rechtsgrundsätze oder an die Pflicht zur Respektierung der Verfassung sowie ihre Erweiterung durch das Gebot der demokratischen Transparenz werden in den Vordergrund gerückt.

3. Systematischer Ansatz Von einem pragmatisch-systematischen Ansatzpunkt aus behandelt Oppermann das Schrankenproblem in einer die grundlegenden Fragenbereiche aufgliedernden, umfassenden Siche. Er erläutert zunächst die wissenschaftlichen Tätigkeitsbilder der Forschung und Lehre, um die Schutzbereiche jeweils abzugrenzen. Im Zusammenhang damit wird der Gesichtspunkt der wissenschaftlichen Selbstkontrolle zur Sprache gebracht, die durch die fachspezifischen Anforderungen und die wissenschaftliche Öffentlichkeit zustande kommt. In einem zweiten Schritt werden die rechtlichen Fragen aufgegriffen, die sich aus der Einbeziehung der Wissenschaftsfreiheit in die Rechtsordnung ergeben. Zunächst werden die selbstverständlichen Grenzen erläutert, die durch den gleichberechtigten Rechtsgüterschutz gezogen und durch die allgemeine Rechtsordnung verdeutlicht werden. Darauf folgt eine Erörterung der besonderen Problembereiche, die sich durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt herausgebildet haben und etwa mit Datenschutz, Gentechnik und Kernphysik gekennzeichnet werden können. Bei der Abwägung der betroffenen Rechte ist nach der Stellungnahme VOn Oppermann besonders zu berücksichtigen, daß die Wissenschaftsfreiheit vorbehaltlos geWährleistet wird, und daher darauf zu achten, daß sie sich möglichst weitgehend entfalten kann. Zur Ergänzung wird auf den ethischen Hintergrund der Schrankenfragen hingewiesen. Er bildet ein Vorfeld der rechtlichen Auseinandersetzung. So-

7

Oppermann, Freiheit von Forschung und Lehre, 1989, S. 822-827 Rn. 25-33.

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III. Stellungnahmen im Schrifttum

weit daher unter dem Gesichtspunkt der ethischen Verantwortung Rechtspflichten zur Folgenabschätzung auferlegt werden sollen, ist eine Grenze zwischen der selbstverständlichen Mitwahrnehmung und der unzulässigen Bevormundung zu ziehen. Anschließend an die Darlegung der rechtlichen Schranken werden die faktischen Grenzen der Wissenschaftsfreiheit hervorgehoben, die durch die Grenzen der Förderungsmittel und durch die Mittelvergabe gesetzt werden und zugleich im Rahmen der institutionellen Wissenschaftspflege zur Geltung kommen. Die Regelung der institutionellen Beteiligung und Verwaltung hat für einen angemessenen Ausgleich zu sorgen. Schließlich bedeutet die Einbindung der Wissenschaft und Wissenschaftsinstitutionen in das öffentliche Gemeinwesen auch eine Verbindung von wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit und staatlich-gesellschaftlichen Interessen. Ebenso kann der Zusammenhang mit der internationalen Entwicklung nicht außer acht gelassen werden. Der systematische zeichnet sich gegenüber dem dogmatischen und pragmatischen Ansatz dadurch aus, daß die Schrankenfrage zugleich von ihren verschiedenen rechtlichen und praktischen Seiten aus beleuchtet und der übergreifende staatlich-gesellschaftliche Kontext einbezogen wird. Damit wird das problembestimmende Beziehungsgefüge verständlich und gewinnen die verfassungsrechtlichen Abwägungsfragen erweiternde Orientierung.

4. Systemorientierter Ansatz Einen auf die gesamte Staats- und Gesellschaftsordnung bezogenen Ansatz vertritt Häberle, der, von den gefahrbringenden Seiten der Wissenschaftsentwicklung ausgehend, das daraus erwachsende Kontrollproblem hervorhebt, das zwischen der wissenschaftlichen Selbstkontrolle und staatlichen Bindungen angesiedelt sei 8 • Zunächst wird die rechtliche Regelung der Wissenschaftsfreiheit unter dem Gesichtspunkt ihrer gesellschaftlichen Bedeutung betrachtet. Staatsentwicklung, Wissenschaftsfreiheit und pluralistische Ordnung sind danach untrennbar verbunden und bedingen sich gegenseitig, ähnlich, wie persönliche Freiheit, gesellschaftliches Subsystem und Gesamtgesellschaft einen Bedingungszusammenhang bilden. Das Schrankenproblem sei sowohl grundrechtsdogmatisch als auch nach den Maßstäben der staatlichen Gesamtordnung zu behandeln. Damit könnten zur Schrankenregelung neben zentralen Staatszwecken auch besondere Belange des Gemeinwohls fruchtbar gemacht werden.

8

Häberle, Freiheit der Wissenschaften, 1985.

4. Systemorientierter Ansatz

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Ausschlaggebend sei im übrigen, daß die Offenheit der gesellschaftlichen Entwicklung im Interesse der individuellen und sozialen Sinnerfüllung gesichert werde. Mit der abschließenden Feststellung, daß der Wissenschaft und Wissenschaftsfreiheit in der Gesamtheit der Verfassungsordnung nur eine relative Bedeutung zukomme, wird nicht nur neben die tragende Rolle der Wissenschaftsfreiheit auch ihre Beschränkbarkeit gestellt, sondern zugleich der zunächst in den Mittelpunkt gerückte fundamentale Zusammenhang mit der Staats- und Gesellschaftsordnung abgeschwächt. Weder vornehmlich unter dem dogmatischen Aspekt der Grundrechtsinterpretation noch unter dem praktischen Gesichtspunkt der Wissenschaftsgefahren, sondern aus der Gegenüberstellung der Ordnungsbereiche der Wissenschaftsfreiheit und der sonstigen Verfassungsordnung betrachtet Kirchhof die Frage der Koordination und damit auch der Schranken für die Rechtsausübung 9 . Auf diese Weise läßt sich ein erweitertes Verständnis dafür gewinnen, daß die Wissenschaft sowohl der Eigenständigkeit als auch der Einbettung in die Kultur- und Rechtsordnung bedarf. Es wird deutlich, daß die Wissenschaft zugleich vor der Gesellschaft abgeschirmt und durch Belange der Gesellschaft beschränkt werden muß. Vom Standpunkt der grundsätzlich abzugrenzenden Rechtssphären aus läßt sich eine Verantwortlichkeit für die Folgen der wissenschaftlichen Forschung nicht akzeptieren, da mit fremdbestimmendem Einfluß verbunden; andererseits muß von seiten der Wissenschaft aber Wertungsbewußtheit erwartet werden, die zur Verständigung über die Ordnungsbelange beiträgt. Diese wird durch den rechtlichen Rahmen der Verfassung geleitet, mit dem die Wissenschaftsfreiheit einen Interessenausgleich zu finden hat. Anhaltspunkte dafür liegen in der Tradition, der Vorstellung eines Normalzustandes, den einzelnen Normen, der internationalen Wissenschaftsentwicklung und der ständigen Rückinformation. Den systemorientierten Ansatz kennzeichnet ein Ausgangspunkt, der zwischen dem individuellen Grundrechtsschutz und der objektiv-institutionellen Grundrechtsbedeutung vermittelt. Er rückt das Schrankenproblem vornehmlich in die Blickrichtung der Allgemeinwohlbedürfnisse und der gesamten staatlich-gesellschaftlichen Ordnung und erläutert den Konflikt mit dem individuellen Freiheitsschutz als Interdependenzfrage. Ziel ist die Überwindung des Konflikts durch Orientierung an Maßstäben des gemeinsamen Interesses, das an einer sinnvollen Weiterentwicklung besteht.

9

Kirchhof, Wissenschaft in verfaßter Freiheit, 1986.

90

III. Stellungnahmen im Schrifttum

s. Weiterführung des dogmatischen Ansatzes Konzentriert auf die konkrete Grundrechtsberechtigung und ausgehend von den Leitlinien der Rechtsprechung zur verfassungs immanenten Grundrechtsbeschränkung, steckt Starck das Schrankenproblem ab 10. Zunächst weist er auf die Notwendigkeit hin, den geschützten Handlungsbereich gegenüber bloßen Vorbereitungs- und Begleithandlungen abzugrenzen. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Darstellung der Grundrechtsschrankenil betont er die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Schutzbereich und Beschränkung, befürwortet jedoch, daß der Grundrechtsschutz gegenüber Mindestanforderungen der rechtlichen Legitimation nicht übersteigert wird und daß offensichtlich rechtswidrige Tatbestandsalternativen aus dem Schutzbereich auszuklammern sind. Entscheidend für die Möglichkeit der Freiheitsbeschränkung sei der Rückgriff auf ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut, das vor allem im Menschenwürde- l2 , Lebens-, Gesundheits-, Freiheits- und Persönlichkeitsschutz sowie im friedlichen Zusammenleben und Eigentum liege l3 . Zugunsten des kompetenzrechtlich zwar in die Verfassung aufgenommenen, aber nicht näher bewerteten Tierschutzes soll auf das verfassungsrechtliche Menschenbild zurückgegriffen werden 14. Damit wird Anschluß an ein materielles Schutzgut gesucht. Nur in dieser Eigenschaft lassen sich demnach die sonstigen Verfassungswerte neben den kollidierenden Grundrechten verstehen. Mit der Berufung auf das verfassungsrechtliche Menschenbild wird jedoch ein summarischer und ausfüllungsbedürftiger Begriff zum unmittelbar rechtswirksamen Schutzgut erhoben. Zwar zieht das Bundesverfassungsgericht den Begriff ebenfalls heran, aber nur, um damit die Notwendigkeit der verfassungsimmanenten Grundrechtsbeschränkung plausibel zu machen 15 • Mit der Frage, wie die Anknüpfung von Schranken an kollidierende Verfassungswerte begründet und begrenzt werden kann, beschäftigen sich auch Pieroth / Schlink. Sie vertreten den Standpunkt, daß die Vorbehaltlosigkeit der unbeschränkt gewährleisteten Grundrechte darauf schließen lasse, daß diese in besonderem Maße geschützt werden sollten. Daraus sei zu folgern, daß nur

10 v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 221-229,255-271; vgl. Starck, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, 1987. 11 v. Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Art. 1 Rn. 170,202 f. 12 Dazu auch Starck, Künstliche Befruchtung, 1986. 13 v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 262,265 f.

14

15

A.a.O., Rn. 269. Vgl. BVerfGE 30, 173 (193) - Mephisto.

6. Weiterführung des pragmatischen Ansatzes

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besonders qualifizierte Verfassungswerte für eine Schrankenwirkung in Betracht gezogen werden könnten. Zu denken sei an die herausgehobenen Verfassungswerte des Art. 79 Abs. 3 GG, also den St;hutz der Menschenwürde, die Grundrechte und die Grundprinzipien der Demokratie 16 . Weiterhin wird vorgeschlagen, den Schutz der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit auf prinzipiell erlaubtes Verhalten zu begrenzen 17. Die Wissenschaftsfreiheit betreffe zwar nicht ein so weitgehend mit dem alltäglichen Leben verflochtenes Verhalten wie die Kunstfreiheit, für die eine entsprechende Begrenzung besonders naheliege, wissenschaftliche Tätigkeit könne aber ebenfalls ohne weiteres geschützte Drittrechte wie Leben, Gesundheit, Eigentum und Freiheit beeinträchtigen. Eine Berücksichtigung dieser Rechte im Schutzbereich erscheine daher empfehlenswert. Die Weiterführung des dogmatischen Ansatzes bemüht sich vor allem darum, die Schrankenanknüpfung, die an den sonstigen Verfassungswerten neben den Grundrechten ansetzt, inhaltlich zu qualifizieren. So wird anstelle der Heranziehung von Kompetenzvorschriften auf das verfassungsrechtliche Menschenbild zurückgegriffen. Ebenfalls auf eine Begrenzung der Schrankenanknüpfung ist der Vorschlag gerichtet, nur besonders hervorgehobene Verfassungswerte als Beschränkungsgrundlage anzuerkennen.

6. Weiterführung des pragmatischen Ansatzes Von der sozialen Verantwortung der Wissenschaft, der zwiespältig gewordenen Einstellung zum wissenschaftlichen Fortschritt und den Technikgefahren ausgehend, bemüht sich Turner um eine Aufhellung des Schrankenproblems, indem er sich vor allem dem Verhältnis der rechtlichen zur ethischen Verantwortung, dem gegenüber wissenschaftlichen Interessen zu wahrenden Menschenwürdeschutz und der Folgenverantwortung widmet 18 • Ethische Belange dürften nicht aus der rechtlichen Wertung ausgeklammert werden, und der Begriff der Menschenwürde habe die Wesenhaftigkeit des Menschen zu wahren. Die Orientierung auf gefährliche Folgen dürfe nicht zur Perspektivenverengung führen. Eine Trennung der Verantwortungsbereiche in wissenschaftliche und praktische Verantwortung sei jedoch nicht möglich. Um die Verantwortung der Wissenschaft für die Wissensanwendung und ihre Auswirkungen nicht zu vernachlässigen, seien Verfahren der Diskussion, der Information der Öffentlichkeit und der ethischen Beratung erforderlich.

\6 17 \8

PierothlSchlink, Grundrechte, 1991, S. 83 Rn. 381. A.a.O., S. 160 f. Rn. 700-703, S. 163 Rn. 709-711. Turner, Freiheit der Forschung, 1986; ders., Grenzen, 1986.

92

III. Stellungnahmen im Schrifttum

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Wahl, der darlegt, daß mit dem Verfassungsrecht nur eine rechtlicher Rahmen gesetzt, aber keine ethische Orientierung gegeben wird l9 • Dem Schutz der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft könnten nur gleichrangige Schutzpflichten entgegengehalten werden. Kompetenzvorschriften allein seien dafür nicht ausreichend. Mit dem Verständnis der Menschenwürde als einem nicht der Abwägung zugänglichen Grundsatz werde, wie an den schwierigen Fragen im Bereich der Embryonenforschung zu erkennen, die Verfassung überfordert. Andererseits helfe das Prinzip der Abwägung als solches nicht weiter, wenn keine inhaltlichen Problemdifferenzierungen erarbeitet würden. Es wird wiederholt, daß der Rechtsschutz für die wissenschaftliche Fragestellung und Durchführung unterschiedlich stark zur Geltung komme; jedoch wird das Problem hervorgehoben, daß die wachsende Rechtsbindung im Bereich der Durchführung auf die Freiheit der Fragestellung zurückwirken kann. Innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens sei die wissenschaftliche Selbstkontrolle und ethisch orientierte Problemdiskussion unentbehrlich. Die Weiterführung des pragmatischen Ansatzes erzielt im einzelnen widersprüchliche Ergebnisse. So wird einerseits eine Ethisierung des Verfassungsrechts und eine gründliche Auswertung des Menschenwürdegrundsatzes vorgeschlagen, andererseits wird eine ethische Integration abgelehnt und der Menschenwürdegrundsatz wegen seiner künstlichen Starrheit als unzulänglicher Maßstab betrachtet. Einigkeit besteht dagegen grundsätzlich in der Feststellung, daß die Zuhilfenahme und Aktivierung außerrechtlicher Verhaltenssteuerungen erforderlich sei, wenn dies zum einen auch vornehmlich für die Fragen der Folgenverantwortung, zum anderen dagegen für das gesamte Schrankenproblem betont wird.

7. Zusammenfassung 7.1 Zwischen Freiheitsgewährleistung und Rechtsgüterschutz Die Schrankenprobleme der Wissenschaftsfreiheit erscheinen je nach dem Ausgangspunkt der Betrachtung in unterschiedlichem Licht. Von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit aus gesehen, handelt es sich um die Bewahrung der Freiheitsgarantie innerhalb der unumgänglichen Schutzgrenzen, die von der Verfassungsordnung auferlegt werden. Von der Tragweite der Gewährleistung ausgehend, richtet sich der Blick eher auf die Schutzgüter, die dem Freiheitsanspruch gegenüber zu bewahren sind.

19

Wahl, Freiheit der Wissenschaft, 1987.

7. Zusammenfassung

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Wichtig für beide Betrachtungsweisen ist es, Klarheit über die begriffliche Grundlage und den Schutzbereich des Freiheitsrechts zu gewinnen. Der schrankenorientierten Blickrichtung geht es aber vor allem um die Kriterien für die Zulässigkeit von Beschränkungen und um die Frage, ob eine besondere Verantwortung für die wissenschaftliche Tätigkeit begründet werden kann. 7.2 Verfassungs rechtliche Schutzgüter Die Stellungnahmen im Schrifttum beschäftigen sich vor allem mit der Frage, welche verfassungsrechtlichen Schutzgüter neben den Grundrechten anderer eine Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit legitimieren können. Die Stimmen reichen von der nicht in Frage gestellten Übernahme der Rechtsprechung bis zu dem Versuch, die Schrankenwirkung auf materiellrechtliche Schutzpositionen oder auf besonders hervorgehobene Schutzgüter einzuengen. 7.3 Abwägungsproblem Neben der Bestimmung der Schutzgüter bereitet die Frage Schwierigkeiten, welche Schutzinteressen im einzelnen bei der Abwägung zu berücksichtigen sind. Einerseits gilt die Abwägung als eine Art selbstregulatives, Aussageinhalte oder Interessen einander zuordnendes Verfahren, andererseits wird sie als sachlich verkürzender Mechanismus kritisiert. Tatsächlich müssen Interessenbestimmung, Interessengewichtung und Abwägung als wechselbezüglich betrachtet werden. Die Bestimmung der Schutzgüter und Schutzinteressen ist daher von wesentlicher Bedeutung. 7.4 Konkretisierungsproblem 7.4.1 Qualifizierte Verfassungswerte

Die verfassungsgerichtliche Anknüpfung von Schrankenwirkungen an sonstige Verfassungsgüter neben den Grundrechten Dritter wird als zu weit betrachtet. Insbesondere wird die Meinung vertreten, daß Kompetenzvorschriften als Ordnungsnormen nicht für eine inhaltliche Schrankenziehung ausreichen. Außerdem wird die Schrankenlosigkeit der Grundrechtsgewährleistung als Ausdruck dafür betrachtet, daß nur besonders wichtige Verfassungsgüter als Grund für verfassungsunmittelbare Schranken gelten können. Daher sollen nur die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Rechtsgüter Schrankenwirkung entfalten können.

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III. Stellungnahmen im Schrifttum

7.4.2 Rechtsgrundsätze

Nach anderer Meinung sollten ebenfalls nicht prinzipiell vorschriften, sondern neben materiellen Schutzgütern nur liche Rechtsgrundsätze zur Beschränkung herangezogen Grundrechtsausübung in verhältnismäßigem Rahmen zu könnten zu weitläufige Beschränkungen vermieden werden.

alle Verfassungsverfassungsrechtwerden, um die halten. Dadurch

7.4.3 Verfassungsrechtliches Menschenbild

Ähnliches soll damit erreicht werden, daß der unbeschränkt gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit ausschließlich materielle Schutzgüter, darunter auch das verfassungsrechtliche Menschenbild, entgegenzuhalten sein sollen. Darin äußert sich ebenfalls das Verlangen nach einer inhaltlichen Qualifizierung von Schrankennormen. 7.4.4 Orientierungsgesichtspunkte

Weniger der Verschärfung von Beschränkungen als der richtigen Abwägung zwischen Wissenschaft,sfreiheit und Rechtsbindung sollen Orientierungsgesichtspunkte dienen, die den Blick von konkreten Schrankenfragen auf die Einbeuung in Kontextbereiche, wie die staatlich-gesellschaftliche Gesamtund die internationale Entwicklung oder die Tradition richten wollen. Dazu gehört auch der Hinweis, daß der Schutzzweck der Wissenschaftsfreiheit besondere Beachtung verlangt. Solche Wertungsmaßstäbe können sich gestaltend im Vorfeld notwendiger Beschränkungen auswirken, aber auch die Interessenabwägung bei Kollisionen leiten. Sie können sich einerseits einengend, andererseits aber auch unterstützend für die wissenschaftliche Handlungsfreiheit auswirken. 7.4.5 Allgemeinwohl

Als eine Zusammenfassung der Orientierungsgesichtspunkte für die Abwägung erscheint es, wenn die Notwendigkeit zur Berücksichtigung der Allgemeinwohlbelange herausgestellt wird, denn sowohl die Freiheit als auch ihre Schranken stehen im Allgemeininteresse. Dessen Betonung und inhaltliche Verbindung mit den Staatszwecken läßt aber den Schwerpunkt auf die Gemeinschaftsgebundenheit der Wissenschaftsfreiheit rücken.

7. Zusammenfassung

95

7.4.6 Risiken und Gefahren

Einen Schritt zur Erweiterung der Beschränkungsmöglichkeiten stellt die Überlegung dar, wieweit auch Risiken und Gefahren für verfassungsrechtliche geschützte Rechtsgüter zu berücksichtigen sind. Zugleich wird der Blick damit auf die Folgenverantwortung gerichtet. 7.4.7 Ethische Orientierung

Die Forderung nach verstärkter ethischer Orientierung, die teilweise erhoben wird, soll die Beurteilung der rechtlichen Schutzinteressen durch ethische Perspektiven ergänzen und läuft auf eine Betonung der Schranken hinaus. Insbesondere läßt sie die Folgenverantwortung stärker ins Blickfeld gelangen. Mit der überwiegenden Ablehnung einer ethischen Überformung der Rechtslage wird jedoch der Hinweis verbunden, daß die Kontrollprobleme bei der Wissenschaftsfreiheit nicht allein in der rechtlichen Dimension zu bewältigen sind. 7.5 Folgenverantwortung 7.5.1 Schrankenfrage

Vom herkömmlichen Verständnis der Wissenschaftsfreiheit aus gesehen, erscheint die Frage, ob wissenschaftliche Tätigkeit mit einer rechtlichen Verantwortung für gefährliche Auswirkungen verbunden werden kann, als Frage der Beschränkungsmöglichkeit. Die Einbeziehung von Gefahren und Risiken in den Rechtsgüter- oder besser Schutzpflichtenkonflikt deutet in die Richtung, in der die Möglichkeit zu größerer rechtlicher Berücksichtigung der Folgenverantwortung liegen könnte. 7.5.2 Sachpflicht

Für ein ethisch erweitertes Verständnis der Wissenschafts freiheit ergibt sich die Verantwortung für gefährliche Folgen aus der Sache selbst. Die Einlösung der Verantwortung bleibt aber im wesentlichen ein ethisches Problem und ist durch wissenschaftliche Selbstkontrolle und Aufklärungsbereitschaft zu bewältigen.

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III. Stellungnahmen im Schrifttum 7.5.3 Rechtspflicht

Der Vorschlag, das Freiheitsrecht mit einer Schadensverhinderungspflicht zu verbinden, versucht, die Folgenverantwortung auf eine selbständige rechtliche Grundlage zu stellen. Ein rechtstechnischer Weg dazu wird in der Erstreckung der Treueklausel, die für die Lehrfreiheit gilt, auf die Forschungsfreiheit gesehen. 7.6 Wissenschaftsförderung Als rechtlicher Rahmen für die Wissenschaftsförderung, die einen Ausdruck der objektiven Grundrechtswirkung darstellt, gelten die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG und das Gleichheitsrecht des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser Rahmen wird durch nähere Anhaltspunkte für die Förderungspraxis zu verdeutlichen versucht, so durch die Pflicht zur Wahrung der pluralistischen Neutralität oder zur Mindestberücksichtigung der Grundlagenforschung.

IV. Ausgewählte Fragestellung 1. Überblick Mit dem großen Erfolg der Wissenschaftsentwicklung hat sich auch die rechtliche Grundlage, die Wissenschaftsfreiheit, als äußerst erfolgreich erwiesen. Mit dem Erfolg ist jedoch zugleich die Gefahr verbunden, daß die wissenschaftliche Arbeit und der Freiheitsschutz vor schädlicher Anmaßung nicht gefeit sind und zu schädlichen Folgewirkungen führen. So wird etwa im Bereich der Humanexperimente und der Technikgefahren die Ambivalenz des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner grundlegenden Schutzgarantie sichtbar. Das bedeutet, daß die Frage immer dringlicher wird, wieweit der Schutz für die Wissenschaftsfreiheit jeweils reicht und wo seine Schranken liegen. Damit verlagert sich die rechtliche Blickrichtung; neben die Frage, wie das Freiheitsrecht möglichst effektiv durchgesetzt werden kann, tritt verstärkt die Frage, wieweit es zugleich an die Rechts- und Verfassungsordnung zurückgebunden ist. Je mehr der Schwerpunkt auf die zweite Frage rückt, desto mehr verselbständigt sich das Schrankenproblem. So tritt neben die Frage, wie die Schranken der Wissenschaftsfreiheit rechts staatlich begründet und festgelegt werden können, auch die Frage, ob aus den verfassungsrechtlichen Schrankenansätzen übergreifende Leitlinien zu gewinnen sind oder wieweit die im Einzelfall mögliche Schranken ziehung generalisiert werden kann.

2. Rechtspraktische Fragen Aus den oben unter 1.2 aufgeführten Sachproblemen gehen eine ganze Reihe praktischer Fragen hervor. Im folgenden sollen davon einige grundlegende herausgegriffen werden. So hat sich im Anschluß an die Hochschulreform die Frage ergeben, ob der, Universität als zentraler Wissenschaftsinstitution eine besondere Verantwortung für die Erfassung und Erforschung gefährlicher Wissenschaftsfolgen zukommen könnte. Ferner ist die Frage aufgeworfen worden, ob das Anwachsen der projektgebundenen Finanzierung im universitären Forschungsbereich und die Entwicklung einer engen Kooperation mit dem Wirtschaftsbereich nicht der Freiheit der Wissenschaft an der Universität widerspricht. Ähnlich erhebt sich die Frage, ob die Großprojektierung in bestimmten Forschungsbereichen, so zum Beispiel in der Gentechnologie, die staatliche 7 L",ch

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IV. Ausgewählte Fragestellung

Verantwortung für die Wissenschaftsfreiheit nicht einer zu starken Instrumentalisierung unterwirft. Der Problem bereich der Umweltschäden fordert die Frage heraus, ob das enge Zusammenwachsen von Wissenschaft und technischer Anwendung nicht bedeutet, daß die Wissenschaftsfreiheit praktisch zweckentfremdet wird. Die zunehmende Relevanz für die Praxis müßte durch eine besondere Verantwortung für die Freiheitsgewährleistung aufgewogen werden. Im gentechnologischen Bereich zeigt sich jedoch besonders deutlich, daß der Gedanke der Gefahrenabwehr auf den Risikogedanken trifft, der mit der Wissenschaftsfreiheit verbunden ist. Es erhebt sich die Frage, wie am besten zwischen der gefahrvermeidenden Stagnation und der risikoreichen Weiterführung der Entwicklung vermittelt werden kann. Der Inkaufnahme von Risiken könnte die Notwendigkeit entsprechen, dem Wissenschaftler eine besondere öffentliche Verantwortung abzuverlangen. Der militärischen Forschung könnten vor allem durch das grund gesetzliche Verbot eines Angriffskrieges Schranken gesetzt sein; es fragt sich, welche Konsequenzen aus dem Verbot abzuleiten sind. In der Humanmedizin, in der sich die traditionelle Frage nach der Zulässigkeit des Heileingriffs mit der Zulässigkeit der Forschung überschneidet, war eines der Hauptthemen in jüngster Zeit die Zulässigkeit der Forschung an befruchteten Eizellen. Das Embryonenschutzgesetz spricht ein grundsätzliches Forschungsverbot aus. Die Frage ist, ob sich die Entscheidung mit der Garantie der Wissenschaftsfreiheit vereinbaren läßt. Gegen die aktuelle Forschungsaufgabe, das genetische Programm des Menschen zu entschlüsseln, werden ebenfalls Bedenken laut, da die Fähigkeit zur Genomanalyse zur mißbräuchlichen Herrschaftsausübung über den Einzelnen führen könnte. Die Frage ist auch in diesem Bereich, wieweit die Befürchtung, daß neue medizinische Techniken zum Mißbrauch führen könnten, sich schon gegen die Erforschung der Grundlagen dazu ins Feld führen läßt. Auf diese Frage spitzt sich auch die Auseinandersetzung um die Zulässigkeit gentherapeutischer Verfahren zu, die auf die Frage, ob und wieweit die humanmedizinische Forschung auf diesem Feld für zulässig zu erachten ist, zurückwirkt. Im Bereich des Datenschutzes, den die Genomanalyse um den Schutz der genetischen Daten erweitern würde, können Forschungsinteressen mit dem Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Datenträger kollidieren. Die Frage ist, wo die Grenze zwischen der Verwertbarkeit für die Forschung und der Wahrung der Schutzinteressen verläuft. Die gleiche Frage stellt sich bei der Erforschung staatlicher Entscheidungen gegenüber dem staatlichen Geheimnisschutz; dieser dürfte nicht dazu geeignet sein, Forschungsinteressen grund-

3. Rechtsdogmatische Fragen

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sätzlich abzuwehren, vielmehr hat der Staat die Belange der Wissenschaftsfreiheit nach Möglichkeit zu unterstützen. Für den Tierschutz ist selbstverständlich, daß nicht jeder beliebige Forschungszweck Experimente beliebiger Art zulässig macht. Die rechtliche Grundfrage ist, welcher Verfassungswert der Forschung an Tieren Grenzen setzen könnte. Mit der Fülle der Einzelfragen sind einige grundsätzliche Fragen verbunden, so etwa zum Verhältnis von Forschungsrisiken und Forschungsbeschränkung aus Gründen der Gefahrenabwehr, zur Verantwortung des Wissenschaftlers für die Information über Wissenschaftsgefahren, zu den Grenzen der gezielten staatlichen Forschungsförderung oder zum Einfluß der internationalen Forschungsentwicklung auf die verfassungsrechtliche Würdigung von Forschungsvorhaben. Das Schrankenproblem hat auch die Frage aufwerfen lassen, ob der im Grundgesetz zugrundegelegte Wissenschaftsbegriff nicht zu weit angelegt ist und durch pragmatische Begriffsmerkmale eingegrenzt werden könnte.

3. Rechtsdogmatische Fragen 3.1 Ansatzbereiche Die Rechtsfragen, die hinter den praktischen Einzelfragen stehen, haben im wesentlichen an drei verschiedenen Seiten der Grundrechtsregelung anzusetzen. Zum einen betreffen sie den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit und richten sich auf die begriffliche Grundlage, die den Schutzbereich absteckt, und den Normzweck, der zwischen der begrifflichen Grundlage und dem Freiheitsschutz vermittelt. Zum anderen hängen die Rechtsfragen vielfach von der Art und der Wirkung des Freiheitsrechts als subjektives oder objektives und als Abwehr-, weitergehendes Schutz- oder Teilhaberecht ab. Daher ist der Einfluß dieser Regelungswirkungen auf die Schrankenprobleme zu untersuchen. Zum dritten beziehen sich die Rechtsfragen auf die Legitimation der Grundrechtsbeschränkung, die sich, da es an einem Schrankenvorbehalt mangelt, unmittelbar auf die Verfassung zu stützen hat. Probleme bestehen vor allem bei der Bestimmung der Kollisionsgüter und der Abwägung der Schutzinteressen. 3.1.1 Begriffsgrundlage

Die oben mitgeteilte Bestimmung des Wissenschaftsbegriffs, der die Verständnisgrundlage der Wissenschaftsfreiheit bildet, sieht sich verschiedenen Einwänden ausgesetzt, die zwar nicht die Frage der Grundrechtsbeschränkung

100

IV. Ausgewählte Fragestellung

betreffen, aber darauf Einfluß nehmen. So könnten der Erkenntnis- und der diesen leitende Wahrheitsbezug, mit dem der Begriff Wissenschaft erläutert wird, als zu weit ansetzende oder zu stark abstrahierende Grundlage für den Freiheitsschutz erscheinen, denn die Objektivität der Erkenntnis - das Kriterium der Wissenschaftlichkeit und Wahrheit - hat sich im Wissenschaftsfortschritt als komplexes, differenziertes und relatives Merkmal erwiesen, das den Wahrheits- und Erkenntnisbezug interpretationsbedürftig macht. Ein gleichwohl generell und abstrakt ansetzendes Verständnis könnte zum einen in Ungenauigkeit ausufern, zum anderen den sozialen Sinnzusammenhang der wissenschaftlichen Erkenntnisarbeit verfehlen, zum dritten mit unzureichenden Maßstäben, wie der Tradition, dem fachlichen Konsens oder der zeitbedingten Anerkennung ausgefüllt oder zum vierten durch einseitige Nützlichkeitsinteressen willkürlich gesteuert werden. Daher könnte erforderlich sein, den Wissenschaftsbegriff an zusätzliche Kriterien zu binden, mit denen die Aufgaben der Wissenschaft und ihre Bedeutung für die Gesellschaft näher umschrieben werden könnten. Ähnliche Einwände richten sich gegen die formale Definition des Wissenschaftsbegriffs, mit der jede inhaltliche Verkürzung des Freiheitsschutzes verhindert werden soll. Die verfahrensbezogene Definition, die inhaltliche Festlegungen vermeidet, könnte an den zugrundeliegenden erkenntnisleitenden Interessen und an wichtigen praktischen Bedürfnissen vorbeigehen. Schließlich könnte die Offenheit der Erkenntnis, auf die der abstrakte und formale Wissenschaftsbegriff gerichtet ist, als Einwand dagegen angeführt werden, daß eine sachlich abgrenzende, objektive Tatbestandsbestimmung getroffen werden kann. Demnach müßte die Frage, ob eine Tätigkeit die Voraussetzungen für den Freiheitsschutz erfüllt, im Zweifel willkürlich beurteilt werden. Damit ist zugleich der Zusammenhang mit dem Schrankenproblem angedeutet, das von der begrifflichen Weite des Schutztatbestands seinen Ausgang nimmt. Die Frage leitet über zum Schutzzweck der Norm, der den weit eröffneten Schutzbereich mit näherer Orientierung versehen könnte. 3.1.2 Schutzzweck

Der Schutzzweck der Wissenschaftsfreiheit liegt grundsätzlich in der Bewahrung vor staatlicher Unterdrückung. Das Grundrecht gewährleistet, daß die sachbestimmte, eigengesetzliche Wahrheits suche von jeder staatlichen Fremdbestimmung frei bleibt. Die objektive Grundrechtswirkung erweitert den Schutzzweck zur Verpflichtung des Staates, einen Freiraum für die wissenschaftliche Arbeit zu schaffen. Mit dieser grundsätzlichen Schutzpflicht verbinden sich mehrere Fragen, die sich auf die Reichweite des Schutzes beziehen. Sollte die Einführung des Grundrechts in die Frankfurter Reichs-

3. Rechtsdogmatische Fragen

101

verfassung allein dem Schutz der staatlich-akademischen Wissenschaft gedient haben, könnte die Allgemeinheit des Grundrechtsschutzes bezweifelt werden. Außerdem könnte in der Beschränkung auf den staatlich-akademischen Bereich zugleich eine Beschränkung des Freiheitsrechts auf den gedanklichen Forschungsprozeß und die Grundlagenforschung enthalten sein. Umgekehrt könnte sich der Schutzzweck von Anfang an auf jede wissenschaftliche Tätigkeit in weitestem Sinne gerichtet haben. Damit verbunden wäre ein Bekenntnis zur emanzipatorischen Wirkung des Grundrechts, zu seiner Bedeutung für den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt, zum Risiko beim Vorstoß in neue Wissens bereiche und zur Achtung vor der wissenschaftlich ergründeten Wahrheit auf allgemeinster staatlich-politischer Ebene. Die Tatsache, daß der Grundrechtsschutz vorbehaltlos gewährleistet wird, läßt sich ebenso als Argument für das engere wie für das weitere Grundrechtsverständnis auffassen; im zweiten Fall könnte die Schrankenlosigkeit der Gewährleistung nicht nur als Ausdruck des weitgefaßten Schutzzwecks, sondern auch als Konsequenz aus der grundsätzlichen Anerkennung des Schutzguts verstanden werden. Eine Erweiterung des Schutzzwecks über den Wissenserwerb und den damit verbundenen gesellschaftlichen Fortschritt hinaus liegt in der allgemeinen Öffentlichkeitswirkung des Grundrechts, die es zu einem konstitutiven Pfeiler der freiheitlich-demokratischen Grundordnung werden läßt. Freie Meinungs- und Willensbildung, Wahrheitsorientierung, Gerechtigkeitsstreben und Friedenswahrung lassen sich nicht als voneinander isolierte Prozesse verstehen. Der Wissenschaftsfreiheit dürfte daher eine staatsfundamentale Bedeutung zukommen, die den unmittelbaren Grundrechtsschutz überlagert. Besonders enge Beziehungen bestehen zum Menschenwürdegrundsatz, der in der Wissenschaftsfreiheit eine elementare Konkretisierung erfährt. Die angedeutete Erweiterung des Schutzzwecks dürfte sich erheblich bei der Frage auswirken, wieweit sich das Grundrecht unumgänglichen Schranken anzupassen hat. Der Schutzzweck des Grundrechts könnte auch zur Beantwortung der Frage beitragen, ob und wieweit die Schranken der Gewährleistung, die aus der Verfassung abzuleiten sind, sich schon bei der Bestimmung des Schutzbereichs auszuwirken haben. 3.1.3 Objektive Grundrechtswirkung

Die Auslegung des Schutzzwecks wirkt sich sowohl auf die Bedeutung des subjektiven Rechts und die staatliche Bindung an den subjektiven Schutzanspruch als auch auf die Reichweite der objektiven Grundrechtswirkung aus. Im Förderungsbereich kann die Erfüllung des objektiven Schutzzwecks auch an Grenzen stoßen, die dieser zugleich einzuhalten gebietet, ferner an die Grenzen, die der subjektive Grundrechtsschutz zieht. Daraus ergibt sich etwa

102

IV. Ausgewählte Fragestellung

die Frage, ob grundsätzliche Förderungsdirektiven bestehen und wieweit diese und der Grundrechtsschutz der Empfänger bei der Miuelvergabe zu beachten sind. Ähnliche Fragen erheben sich zum institutionellen Grundrechtsschutz. Nicht ausreichend geklärt erscheint etwa das Verhältnis der Institutionen und ihrer eigenständigen Aufgaben zur individuellen und kollektiven Grundrechtsausübung im institutionellen Rahmen, das sowohl durch freiwilliges Zusammenwirken als auch durch Kooperationspflichten und Koordinierungsrechte bestimmt wird. Daraus ergeben sich nicht nur innerinstitutionelle organisatorische Probleme, sondern auch Auswirkungen auf die Bewältigung neuer Wissenschafts- und wissenschaftspolitischer Probleme, wie der Risiko-, Folgen- und Begleitforschung, der wissenschaftlich-techr.ischen und wissenschaftlich-sozialpolitischen Kooperation, der Forschungstransparenz, der Wahrnehmung informeller Selbstkontrollmöglichkeiten oder der Einbeziehung internationaler Entwicklungen. 3.1.4 Zusammenhang der Schutzwirkungen

In erster Linie wird die Schrankenfrage gegenüber der abwehrrechtlichen Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit aufgeworfen. Bei der teilhaberechtlichen Bedeutung geht es dagegen nicht um den Nichtstörungsanspruch, sondern um die Eröffnung von Ausübungsmöglichkeiten, also einen Anspruch auf Leistung, für den besondere rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Damit verbunden ist jedoch ein Abwehranspruch gegen Grundrechtsbeeinträchtigungen, die mit der Leistung verknüpft werden könnten. Beispiele dafür sind die Gruppenbindung und Stimmrechte in der Universität oder die Vergabebedingungen bei der Förderung. Daher ist darauf zu achten, daß bei Beteiligungsfragen die abwehrrechtlichen Ansprüche nicht verkürzt werden. Für den Fall, daß der Staat durch die objektive Grundrechtswirkung in Pflicpt genommen wird, kann sich eine Verdichtung zu subjektiven Schutzansprüchen ergeben, die den abwehrrechtlichen Wirkungsbereich des Grundrechts gegenüber der teilhaberechtlichen Konstellation erweitern. Mit einer oberflächlichen Unterscheidung der beiden Grundrechtsfunktionen ist diesem Fall nicht gerecht zu werden. Er führt in die grundSätzliche Diskussion um die Grundrechtsfunktionen hinein. Vor allem bei der Frage, ob und wieweit sich wissenschaftliche Informationsinteressen gegenüber der Staatsverwaltung durchsetzen lassen, bedarf das Verhältnis der abwehr-, schutz- und teilhaberechtlichen Grundrechtswirkungen noch näherer Untersuchung.

3. Rechtsdogmatische Fragen

103

3.1.5 Schrankenprobleme

Die Erörterung der eigentlichen Schranken, die dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit auferlegt werden können, hat mit den Begriffen der Kollision und der Abwägung die maßgebenden Bezugspunkte gefunden. Beide haben sich aber nicht nur als Leitbegriffe der Schranken bestimmung, sondern auch als Problembereiche erwiesen, an die sich ungeklärte Fragen anknüpfen. So besteht Uneinigkeit darüber, welche weiteren Verfassungswerte neben den Grundrechten anderer als schrankensetzende Rechte in Betracht kommen. Die Frage nach Art und Umfang von schranken setzenden Schutzgehalten überschneidet sich mit dem Abwägungsproblem. Im Rahmen der Abwägung ist -das Verhältnis von absoluten Abwägungsgrenzen und relativen Schranken sowie die Bestimmung der Schutzinteressen und die Gewichtung zumindest teilweise ungeklärt. Insbesondere dürfte die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit vielfach unterschätzt werden. Bei der Gegenüberstellung mit Schutzgütern, wie zum Beispiel der Menschenwürde oder dem Gesundheitsschutz, wird die Frage aufgeworfen, wieweit ethische Überlegungen rechtlich berücksichtigt werden können oder wieweit die internationale Wissenschaftsentwicklung Maßstäbe setzen kann. Offene Fragen bestehen auch zum Verhältnis zwischen der situativ zu ermittelnden Schrankenwirkung und der gleichzeitig für möglich gehaltenen Generalisierung von Abwägungsergebnissen. Im Bereich der Schutz- und Teilhaberechte ist die Schrankenfrage nicht vorschnell mit der Frage der Begründung dieser Rechte gleichzusetzen; zu beachten ist insbesondere, daß sich Abwägungs-, Schutz- und Teilhaberechte überschneiden. Grundsätzlich ungeklärt ist, ob und wieweit sich die Forderung nach einer Verantwortung für die Folgen der wissenschaftlichen Tätigkeit rechtlich begründen läßt. Diese Frage bezieht sich nicht nur auf die grundrechtliche Normtechnik und den verfassungsrechtlichen Zusammenhang, also das Zusammenspiel von tatsächlichen Voraussetzungen und dafür gewährtem Rechtsschutz im Rahmen des gesamten verfassungsrechtlichen Schutzinventars. Sie führt auch weiter zu den Grundlagen des verfassungsrechtlichen Freiheitsbegriffs und zu den Konsequenzen seiner Beanspruchung, die über die Berücksichtigung einzelner Rechtspositionen hinausreichen. Die aufgezeigten dogmatischen Fragenbereiche führen zu einer großen Zahl von möglichen Einzelfragen, die durch ausgewählte Beispiele jedoch nicht annähernd erschöpft werden könnten. Der Schwerpunkt der Untersuchungen konzentriert sich auf die zugrundeliegenden Zusammenhänge.

v. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit 1. Begriff, Schutzgut 1.1 Begriffsbestimmung Dem Wortlaut der Wissenschaftsfreiheit nach stellt der Begriff Wissenschaft den Oberbegriff dar, der näher erläutert wird durch die Unterbegriffe Forschung und Lehre, in denen sich die wissenschaftliche Tätigkeit ausprägt l . Der Schutz der Wissenschaftsfreiheit wird daher durch zwei voneinander unterschiedene Schutzbereiche gewährleistet. Forschung ist zu verstehen als Erkenntnissuche, Lehre als die Verbreitung von Forschungserkenntnissen 2• Gemeinsamer Bezugspunkt ist das Schutzgut Wissenschaft, in dessen Mittelpunkt die wissenschaftliche Erkenntnis steht. Der Schutzzweck, der in der Freiheitsgewährleistung zum Ausdruck kommt, wird durch die verschiedenen Arten und Funktionen des Rechtsschutzes als subjektives Recht und objektiver Rechtsgrundsatz und deren verschiedene Ausformungen verdeutlicht. Da sich die Lehre auf die Forschung als Erkenntnisquelle bezieht, bildet diese den vornehmlichen Ansatzpunkt der Wissenschaftsfreiheit. Die Erkenntnissuche steht daher auch im Zentrum der Begriffsbestimmung, die das Bundesverfassungsgericht für die wissenschaftliche Tätigkeit trifft 3• Als Wissenschaft gilt danach die wahrheitsbezogene Erkenntnissuche4 zum Zweck der Erkenntniserweiterung, charakterisiert durch Ernsthaftigkeit, Planmäßigkeit,

I BVerfGE 35, 79 (113); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3,1977, Rn. 9, 81, 85; Schulz-Prießnitz, Einheit, 1981, S. 23; v. Münch, in: GG-K, Bd. I, 1985, Art. 5 Rn. 66; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 830 Rn. 37; Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 721 f. Davon zu unterscheiden ist der Begriff der Einheit von Forschung und Lehre, der sich als Wesensmerkmal der deutschen Universität entwickelt hat und der seit der Humboldtschen Formulierung und der Berliner Universitätsgründung als Leitbild betrachtet wird; vgl. Huber, Verfassungsgeschichte I, 1957, S. 285-290; Paulsen, Pädagogische Abhandlungen, 1912, S. 151-188; Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 76-82; Schulz-Prießnitz, a.a.O., 1981. 2 Zur Begriffsbestimmung auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 118-230. 3 In Anlehnung an Smend und amtliche Formulierungen, BVerfGE 35, 79 (113); vgl. BVerfGE 47, 327 (367) - UG Hessen; BVerwGE 29, 77 - Kustos. 4 Auf der Grundlage der Formulierung Humboldts von der prinzipiellen Unabgeschlossenheit der Erkenntnis (vgl. Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, 1971, S. 41-62).

1. Begriff, Schutzgut

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Methodik, Systematik und Überprüfbarkeit. Der Umschreibung der Erkenntnissuche als "Versuch zur Ermittlung der Wahrheit" bedarf es in dieser Zuspitzung nicht, da die notwendige Interpretation des Wahrheitsbegriffs auf den Erkenntnisbegriff zurückführts und dieser zugleich die Begriffe Wirklichkeit und Objektivität thematisiert, ohne ihre Relativität zu übergehen und sie in bestimmter Ausschließlichkeit zugrunde zu legen6 • Kritische Anmerkungen zum Begriff Planmäßigkeie unter Hinweis auf den genialen Spontaneinfall erübrigen sich, da ein gewisser Kontext, in dem der Einfall geboren werden und seine Wirkung entfalten kann, auch für diesen vorausgesetzt werden muß 8 und umgekehrt die Planmäßigkeit nicht im engsten Sinne verstanden werden kann. Auch das Erfordernis der methodischen Art und Weise des Vorgehens 9 - ergänzt durch Systematik lO -, das über die Planmäßigkeit hinaus einen technischen Mindeststandard verlaTlgt, ist nicht als Einschränkung, sondern als Qualifikationsmerkmal zu verstehen, das sich auf die Objektivierbarkeit bezieht; daneben bedarf es nicht des Merkmals der Ernsthaftigkeit!!, das die sachliche Qualifikation ebenfalls sichern soll, aber nicht ersetzen kann. Planmäßigkeit und Methodik sind als vorbereitendes und tragendes, nicht aber den Erkenntnisgewinn ersetzendes oder hemmendes Rüstzeug zu verstehen. Die Überprüfbarkeit - als zentrales Kriterium der Wissenschaftlichkeit!2 - meint nicht Beaufsichtigung und Schulgerechtigkeit; sie unterschei-

5 v. Weizsäcker, Garten des Menschlichen, 1978, S. 95-101; Skirbekk, Wahrheitstheorien, 1977; v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 221. 6 Vgl. die knappe Definition bei Knemeyer, Lehrfreiheit, 1969, S. 26 als sachorientiertes Erkenntnisstreben (s.a. die Stellungnahme S. 29-31); ferner Scholz, in: Maunz/ Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 95 f.; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 815. 7 Zugeordnet zur Methodik bei Pieroth/Schlink, Grundrechte, 1989, S. 162 Rn. 706 f. 8 v. Mangoldt/ Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 222. 9 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 91 f.; Schulz-Prießnitz, Einheit, 1981, S. 31; Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 15,68 Rn. 62,76 Rn. 71; Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 725, krit. S. 727. Zur Unzulänglichkeit der Methodik Chargaff, Verfolgte Wahrheit, 1984. 10 VgI. die Begriffsbestimmung bei Bleckmann, a.a.O., S. 727: Systematische Verbindungen zwischen Fakten. Zur Methodik und Systematik Schrödter, Wissenschaftsfreiheit, 1974, S. 35 f.; zur historischen Entwicklung v. d. Stein, System als Wissenschaftskriterium, 1968. 11 Krit. auch Knemeyer, Lehrfreiheit, 1969, S. 29; Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 116; SchoJz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 91. 12 Dazu Schmidt, Freiheit, 1929, S. 114-1 17. Grundlegend Popper, Logik der Forschung, 1973; vgl. zu Bestätigungsmethode und Falsifikationstheorie auch Kuhn,

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

det vielmehr nur Behauptung und Erleuchtung 13 von Erkenntnis, deren Wissenschaftlichkeit darin besteht, daß sie aus der subjektiven Erkenntnis- und Erlebnisfähigkeit heraus der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit zugänglich oder objektiv verständlich gemacht werden kann. Die Überprüfbarkeit erscheint allein als Frage der wissenschaftlichen, nicht aber der staatlichen oder gesellschaftlichen Kontrolle 14 . Die objektivistisch-rationale Seite der Wissenschaft 15 schließt andere Erkenntniswege nur von der offiziell anzuerkennenden Wissenschaftlichkeit aus 16 ; die Objektivierbarkeit und allgemeine Nutzbarkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis ist der Preis für die allgemeine Anerkennung und den darum zu geWährleistenden sozialen Schutz. Die vorgetragene Begriffsbestimmung beschreibt die Tätigkeit der wissenschaftlichen Forschung; der Freiheitsschutz bezieht sich, wie das Bundesverfassungsgericht in Anlehnung an die damals noch nicht in Kraft getretene Umschreibung im Hochschulrahmengesetz ausführt, auf die Fragestellung, die Methodik sowie die Bewertung und Verbreitung der Ergebnisse. Die Freiheit der Lehre betrifft die Abhaltung von Lehrveranstaltungen sowie die inhaltliche und methodische Gestaltung einschließlich der Äußerung von Lehrmeinungen 17 • Mit diesen begrifflichen Erläuterungen wird die wissenschaftliche Tätigkeit als Schutzgut näher charakterisiert und die Grenzen der dafür geltenden Schutzbereiche abgesteckt. Jedoch erheben sich eine ganze Reihe von Fragen, die sich auf die genauere Bestimmung der Schutzbereiche beziehen.

Struktur, 1976, S. 156-158. Vgl. auch Radnitzky, Wissenschaftlichkeit, in: H. Seiffert / G. Radnitzky (Hrsg.), Handlexikon der Wissenschaftstheorie, S. 399-405; Diemer, Wissenschaft, 1964, S. 31-41,67-75. Vgl. Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 68 Rn. 62 (Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen). Ablehnend zum (veränderlichen) Kriterium der Wissenschaftlichkeit und für die Anhaltspunkte Irrtumsoffenheit und Öffentlichkeit Denninger, in: AK-GG, 1989, Art. 5 Abs. 3 S. I, Rn. 15-17. - Neben erkenntnistheoretische Beweisfragen sind zunehmend praktische Problemlösungs- und Innovationsstrategien getreten, vgl. Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986, bes. S. 355-438,602-713. 13 Oder Meinung und Glauben, vgl. Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 68 Rn. 62; Diemer, Wissenschaft, 1964, S. 76-83. 14 Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 113-115. Vgl. Häberle, Freiheit, 1985, S. 336 mit dem Hinweis auf die ausdrückliche Neutralitäts- (vom Ergebnis her ausgedrückt: Pluralismus-) Klausel in der portugiesischen Verfassung. 15 Zum Rationalitätsbezug Diemer, Wissenschaftsbegriff, 1970, S. 8 f. Nicht gemeint sind irrationale Erkenntnisweisen des rationalen Erkenntnisgewinns (v. Mangoldt/ Klein/ Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 222). 16 Zur Frage der Homöopathie in diesem Zusammenhang Püttner, Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftspluralismus, 1987. 17 Vgl. § 3 HRG sowie die Erläuterungen bei Dallinger/Bode/Dellian, HRG, 1978; Reich, HRG, 1979; Denninger, HRG, 1984; Hailbronner, HRG, 1990.

1. Begriff, Schutzgut

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Kennzeichen der erläuterten Definition ist, daß sie unter dem Bezugspunkt der Erkenntniserlangung die Bedingungen des wissenschaftlichen Vorgehens, d.h. den Rahmen des wissenschaftlichen Verfahrt'ns beschreibt 18 ; zugleich sind die Bedingungen so gewählt, daß über das Verfahren nur derjenige Einfluß ausgeübt wird, der zur fonnalen Sicherung der Wissenschaftlichkeit von Ergebnissen unentbehrlich erscheint. Prinzip ist die Rationalität des Verfahrens und die Offenheit der Verfahrensergebnisse; zugleich sorgen die Verfahrensbedingungen für eine entsprechende Qualifizierung der Ergebnisse ihrer Rationalität nach. Das Verfahren dient neben der Aufstellung der Qualifikationsbedingungen dem Ziel, Ergebnisse zu erweitern und neue Ergebnisse zu erlangen. Die Offenheit bezieht sich also auf Erkenntniszuwachs der Fonn und dem Inhalt nach; dieser wird aber zugleich den Qualifikationsbedingungen des Verfahrens unterworfen. Nur die Offenheit der Erkenntnis, die auch im Ergebnis den für das Verfahren der Erkenntnissuche geltenden Bedingungen entspricht, erfüllt die Voraussetzungen der Wissenschaftlichkeit.

1.2 Offenheit, Verfahrensrahmen Da die Begriffsbestimmung, wie bei der Kunstfreiheit, auf Offenheit gerichtet ise 9, werden Schwierigkeiten der begrifflichen Abgrenzung betont; teilweise wird daraus ein sogenanntes Definitionsverbot für den begrifflichen Geltungs- und davon abhängigen Schutzbereich abgeleiteeo. Ferner wird vorgeschlagen, die subjektive Einschätzung potentiell Grundrechtsberechtig-

18 Ausgerichtet an Wirklichkeitsbezug und Objektivität und entsprechend deren differenzierter Zugänglichkeit im Sinne eines propositionalen Wissenschafts begriffs, vgl. Seiffert, Wissenschaft, in: ders. / G. Radnitzky (Hrsg.), Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, 1989, S. 391-399 (398 f.); zum Verfahrensbezug Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 114 f. im Sinne der Eigengesetzlichkeit, vgl. S. 117; ders., Freiheit, 1976, S. 79 f.; Scholz, in: MaunzlDürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 100 im Sinne der Selbständigkeit des Vorgehens (als Grundsatz, der je nach dem organisatorischen Standort Modifikationen verträgt; Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 727 f.). Vgl. Oppermann, Freiheit, 1989, S. 815, 832 f. 19 Zur Kunstfreiheit BVerfGE 67, 213 (225) und Pierothl Schlink, Grundrechte, 1991, S. 161 f. Rn. 694 f., 697; vgl. Knies, Kunstfreiheit 1967, S. 134-176; Müller, Freiheit der Kunst, 1969, S. 35-48. - Zur Wissenschaftsfreiheit Häberle, Freiheit, 1985, S. 356 f.; Kirchhof, Wissenschaft, 1986, S. 1; Leibholz, Gutachten, 1982, S. 8. 20 Vgl. entsprechend Knies, Kunstfreiheit, 1967, S. 217-229; dagegen Greiffenhagen, Kunstfreiheit, 1969, S. 249-251; Henschel, Kunstbegriff, 1985, S. 351 f. - Zur Wissenschaftsfreiheit Schrödter, Wissenschaftsfreiheit, 1974, S.41-43; Bauer, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S. 25 f.; Häberle, a.a.O., S. 352; PierothlSchlink, a.a.O., S. 160 Rn. 697; Dickert (Fn. 2), S. 168-176.

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

ter21 oder das Urteil kompetenter Dritter 2 über die Erfüllung der begrifflichen Voraussetzungen für den Schutzbereich entscheiden zu lassen. Die Offenheit des Begriffs bedeutet aber kein Definitions-, sondern nur ein Verengungsverbot und beseitigt nicht die Notwendigkeit, von den auf Offenheit ausgerichteten und diese sichernden Begriffsbedingungen sowie von einem verbindlich definierbaren Tatbestand als Voraussetzung für die Anwendung der Rechtsfolge auszugehen 23 • Daher darf dieser auch nicht von der subjektiven Einschätzung etwa Berechtigter oder völlig vom Utteil besonderer Sachverständiger abhängig gemacht werden. Die Tatsache, daß der Schutzbereich sich auf rechtlich nicht im einzelnen vorgeprägte Lebenssachverhalte bezieht, bedeutet zwar, daß die Sachgesetzlichkeit der wissenschaftlichen Tätigkeit24, nicht aber auch, daß die Lebenssachverhalte als solche über die Tatbestandsvoraussetzungen entscheiden25 • Diese haben vielmehr als Maßstab der im einzelnen zugrunde zu legenden Sachverhalte zu dienen. Daher läßt sich auf eine Umschreibung des Grundrechtsbegriffs Wissenschaft nicht verzichten 26 . In diesem Zusammenhang kann das Verhältnis zwischen Norm und Sachverhalt grundsätzlich wie folgt charakterisiert werden. Die traditionelle Feststellung, daß Norm und Sachverhalt unterschiedliche Wirklichkeits ebenen darstellen 27 , heißt nicht, daß damit eine unüberbrückbare Kluft zwischen

21 Dazu v. Münch, in: GG-K, Bd. I, 1985, Art. 5 Rn. 60, 60a; Köttgen, Freiheit, 1954, S. 294; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 89. Vgl. die grds. Stellungnahme gegen den Subjektivismus der Grundrechtsauslegung von Isensee, Wer definiert, 1980; zu berücksichtigen ist jedoch, daß sowohl das subjektivistische als auch das objektivistische Verständnis an der Verfassungsentwicklung mitwirken; vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, bes. S. 216-220. 22 Dazu Schrödter, Wissenschaftsfreiheit, 1974, S. 44-46; v. Münch, a.a.O., Rn. 60 b, c - naheliegend als Verständnishilfe, soweit nicht eine besondere Definitionsmacht eingeräumt wird; in diesem Sinne auch Scholz, a:a.O., Rn. 26, 89. 23 Zur tatbestandlichen Rechtsschutzfunktion Kloepfer, Grundrechtstatbestand, 1976; vgl. auch die Stellungnahme von Schulz-Prießnitz, Einheit, 1981, S. 25 f.; ferner Bauer, a.a.O., S. 26 f. Grds. Isensee, Wer definiert, 1980, bes. S. 17-19,30 f., 35 f. 24 Zur Anlehnung an die außerrechtliche Eigengesetzlichkeit und Offenheit Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 87 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 221. 25 Vgl. die Rspr. zur Kunstfreiheit bei v. Münch, in: GG-K, Bd. I, 1985, Art. 5 Rn. 60; klarstellend zur Wissenschaftsfreiheit Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 108-110. 26 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 25, 88. Umschreibend unter Ablehnung von Definitionen Le.S. v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 221 f. Zum Problem der Vermittlung von empirischem und normativem Wissenschaftsbegriff Schumacher, Wissenschaftsbegriff, 1973. 27 Nach Kelsens begrifflicher Normlogik, dazu Göldner, Integration, 1977, S. 7.

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beiden zu bestehen hat. Weder eine positivistisch-begriffsjuristische oder neukantisch-idealistische Separation von Norm und Sachverhalt28 noch eine soziologische Relativierung der rechtlichen Normativität auf Faktizitätsanteile 29 , sondern nur die Anerkennung einer kategoriellen Vermittlung auf der Stufe der praktischen Möglichkeieo ist heute noch rechts theoretisch nachvollziehbar. Dort treffen sich potentielles Sein als verwirklichbare Zukunft und Sollen als Verwirklichungsprogramm; die Vermittlung ist Teil des Verwirklichungsprozesses. Der vermeintliche Gegensatz von Sein und Sollen wird daher durch den Blick auf unterschiedliche Verwirklichungsebenen hervorgerufen, ohne daß der Zusammenhang zwischen beiden aufgedeckt wird. Auf der besonderen Wirklichkeitsebene des Potentiellen bilden Sein und Sollen aber eine Wirkungseinheit31 • Das Sollen als Verwirklichungsprogramm hat grundsätzlich keine andere Qualität als andere praktischen Möglichkeiten auch, nur setzt es besondere Bedingungen: Durch Rechtszwang wird eine qualifizierte Verwirklichungsmöglichkeit geschaffen. Die Norm hat zu bestimmen, in welchem Umkreis Sein und Sollen auf der Ebene der Möglichkeiten für ein vermitteltes Sein zusammengeführt werden sollen. Sachverhalte als Realisierungsleistungen sind nicht ohne weiteres in Realisierungsmöglichkeiten umdeutbar. Dafür bedarf es des Regelungsprogrammes, das darüber entscheidet, welche Sachverhaltsmerkmale für die Regelung zu gelten haben. Die weitgehend formale Begriffsbestimmung des Wissenschafts begriffs gerät in Schwierigkeiten, soweit sie auch auf wissenschaftlich angelegte Verfahrensweisen zutrifft, die nicht auf ein wissenschaftliches Erkenntnisziel ausgerichtet sind. Daher stellt der inhaltliche Bezug des Wissenschaftsbegriffs auf die Fortführung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes 32 eine wesentliche Ergänzung der formalen Begriffsbestimmung dar. Nicht die Erkenntnissuche im allgemeinen, sondern nur diejenige zur Wissensvermehrung über das spezialisierte Einzelwissen und über das Gesamtwissen der Gesellschaft

Vgl. die Darstellung bei Fikentscher, Methoden, 1977, S. 383-386. 29 Vgl. Geiger, Soziologie des Rechts, 1964; zur Ergänzung Becht/er, Soziologischer Rechtsbegriff, 1977. 30 v. Weizsäcker, Garten des Menschlichen, 1978, S. 315. 31 Nicht nur im Sinne der dialogischen, analogen oder natürlichen Äquivalenz (Kaufmann, Problemgeschichte, 1989, S. 91), sondern auch der funktionellen Multivalenz und finalen Konkurrenz, was der Beteiligung der konditionalen Möglichkeit ihren Sinn und der argumentativen Verknüpfung ihre Rechtfertigung gibt. 32 Vgl. v. Münch, in: GG-K, Bd. I, 1985, Art. 5 Rn. 67; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 832. 28

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

hinaus 33 - gerichtet auf die Erweiterung des Wirklichkeitsverständnisses ist als Beitrag zur Wissenschaft qualifiziert. Zur Beurteilung, ob ein entsprechender Zusammenhang besteht, kann die fachliche Anerkennung wesentliche Anhaltspunkte liefern 34 . Gleichwohl bedeutet die Offenheit des wissenschaftlichen Erkenntnishorizonts, daß sich gegenüber anderen Formen des Wissenserwerbs Abgrenzungsprobleme ergeben. Vor allem soweit wissenschaftliche Randgebiete, wissenschaftsnahe Traditionen und Neuansätze betroffen sind, kann die Abgrenzung auch zur Freiheitsbegrenzung werden 35 • Letztlich ist mit wissenschaftlicher Genauigkeit unter Einsatz gerade derjenigen Erkenntniswege, die in den Schutzbereich fallen, über die Qualifikation bestimmter Vorgehensweisen zu bestimmen. Gegen die Gefahr der einseitigen Verengung spricht die Vielseitigkeit der Wissenschaften und verschiedenen Erkenntnisverfahren sowie die formale Offenheit, die einen umfassenden Begriffsrahmen bildet. 1.3 Praktische Erkenntnisinteressen Jedoch wächst der Offenheit des Wissenschaftsbegriffs von zwei Seiten her eine Erweiterung zu, die den Anwendungsbereich der Wissenschaftsfreiheit immer stärker ausdehnt und daher die Möglichkeit, daß der Schutz der Wissenschaftsfreiheit mit d~r allgemeinen Rechtsordnung in Konflikt gerät, erheblich vergrößert. So sorgt die Spezialisierung und Relativierung der wissenschaftlichen Fragestellung in Form der zunehmenden Differenzierung der Erkenntnisziele und der Aufspaltung des Objektivitätsbegriffes36 dafür, daß immer weitere Fragenbereiche für die wissenschaftliche Durchdringung erschlossen werden 37 • Zugleich werden die praktischen Lebensbereiche immer stäker zum Gegenstand der wissenschaftlichen Technisierung38 • Daraus 33 Vgl. Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 15 (Erkenntnisvermehrung); Pieroth/ Schlink, Grundrechte, 1991, S. 164 Rn. 706 f. (Bezug auf jeweiligen Kenntnisstand). Vgl. Oppermann, a.a.O. (m.w.N.). 34 Vgl. Denninger, in: AK-GG, 1989, Art. 5 Abs. 3 S. I, Rn. 18; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 824. 35 Stellvertretend Püttner, Wissenschaftsfreiheit, 1987. 36 Näher dazu oben I. 2. 9. 5. 31 Und nur der pluralistisch-evolutionistische Weg in Betracht kommt, vgl. Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 114 f.; ders., Freiheit, 1976, S. 81; Scholz, in: Maunz/ Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 95;· Bauer, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S.38-51; Häberle, Freiheit, 1985, S. 336, 342 f., 356 f.; Püttner, Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftspluralismus, 1987. 38 Vgl. Pörtner, Sternstunden der Technik, 1986; Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986.

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folgt nicht nur eine Erweiterung und Vertiefung, sondern auch ein zunehmendes Eindringen der wissenschaftlichen Fragestellung in den praktischen Alltag. Damit verschiebt sich der Anwendungsbereich der Wissenschaftsfreiheit immer stärker zur praktischen Erkenntnis; zugleich entwickelt sich die durch die Wissenschaftsfreiheit geschützte Erkenntnisfreiheit zunehmend zur wissenschaftlichen Handlungsfreiheit. Je stärker der Schutzbereich des Freiheitsrechts aktiviert wird, desto deutlicher treten die Schrankenprobleme hervor. Vom Idealfall, der Erkenntnissuche um der Erkenntnis willen, spannt sich ein weiter Bogen der unterschiedlichsten Erkenntnisinteressen bis zur Erkenntnissuche mit ausschließlich praktischem Zweck, der praktischen Erprobung. Die Ausrichtung auf Erkenntniserweiterung und die formale Grundlage dafür im Wissenschaftstatbestand erlauben nicht, die vielfältigen praktischen Interessen, in deren Dienst oder zu deren Berücksichtigung die wissenschaftliche Forschung vorangetrieben wird, aus dem Bereich des wissenschaftlichen Erkenntnisbemühens auszuklammern. Wesentlich ist nur, daß der Erkenntnisbezug gewahrt wird; entscheidend ist das auf Erkenntnisgewinn gerichtete Verfahren, auch wenn der Erkenntniszweck über die Verfahrensbedingungen mitbestimmt. Daher beschränkt sich Wissenschaft nicht auf die Grundlagenforschung, sondern bezieht die Zweck- oder angewandte Forschung soweit ein, als sie auch der Erweiterung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes diene9 . So kann die wissenschaftliche Begutachtung auch unmittelbar auf bestimmte praktische Fragen gerichtet sein40 • Schwierigkeiten der Abgrenzung liegen nicht im Übergangsbereich von der Grundlagen- zur angewandten Wissenschaft, sondern im Grenzbereich zur praktischen Erprobung und Produktion. Erst am ausschließlich praktischen Erkenntniszweck findet die wissenschaftliche Erkenntnisorientierung ihre Grenze. Damit wird der weite und sich ständig erweiternde Kreis der wissenschaftlichen Fächer und Spezialgebiete als differenzierter Bereich der wissenschaftlichen Erkenntnisarbeit verständlich und finden auch Wissenschaftsdisziplinen mit besonderen kulturellen Grundlagen und besonderer Zweckrichtung, wie Theologie 4 1, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft, ihre Zuordnung 42 •

39 Anders Köttgen, Freiheit, 1954, S. 296-306, der einen extremen Wissenschaftsidealismus vertritt und das Grundrecht auf den geistig-akademischen Bereich beschränkt sehen will. 40 Vgl. Schatz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 98; Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 731. 41 Dazu v. Campenhausen, Theologische Fakultäten, 1982, S. 1022-1024; Heckel, Organisationsstrukturen, 1987, S. 30-33. 42 Modernen Objektivitätsdifferenzierungen folgend, besteht nur ein fließender Übergang zu sog. exakten, aber gleichwohl paradigmatisch vorgeprägten Wissen-

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

Die Grenze liegt beim Umschlagen in die praktische Anwendung, so bei der politischen Agitation43 oder der technischen Produktion. Der formale Charakter des Wissenschaftsbegriffs und die Offenheit des Erkenntnisbezugs erlauben aber vielfach keIne strikte Unterscheidung der Vorgehensweisen, sondern lassen Übergangsbereiche zwischen der Zweckforschung und technischen Anwendung entstehen, die nicht ausschließlich als Wissenschaft oder als Technik zu klassifizieren sind. Als Beispiel für den Zusammenhang von wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnisinteressen und die Überschneidung von wissenschaftlicher und technischer Forschung läßt sich etwa das Manhattan-Projekt zur Entwicklung der Atombombe anführen44 • Die große Forschungsmaschinerie, die in Gang gesetzt wurde, um der deutschen militärischen Forschung zuvorzukommen, war auf das Ziel der militärischen Einsatzfahigkeit gerichtet und als Zweckforschung angelegt; zu lösen war die Forschungsaufgabe aber nur durch Vertiefung und Erweiterung der Grundlagenforschung zur Kernspaltung, also durch Wissenszuwachs auf einem fundamentalen Wissensgebiet. Daher zeigt das Beispiel, wie wenig Grundlagen- und Zweckforschung im Einzelfall voneinander zu unterscheiden sein können. Auch das praktische Experiment, der Test, der die Annahmen von der Auslösbarkeit einer Explosion und deren Sprengkraft zu überprüfen hatte, war zweckgerichtete Wissenserprobung und Vorgehen zur grundlegenden Wissenserweiterung zugleich. Erst die technische Produktion und der taktische Einsatz ließ die wissenschaftliche Interessenbeteiligung in den Hintergrund treten und wurde ausschließlich zur praktischen Aktion. Je nachdem, wie eng der Zusammenhang zwischen der Zweckforschung und der technischen Erprobung gestaltet ist, überschneiden sich wissenschaftliche Forschung und technische Praxis mehr oder weniger; eine eindeutige Zuordnung zum einen oder anderen Bereich dürfte vielfach nicht möglich sein. So ist etwa der Therapieversuch auf wissenschaftlichem Neuland Forschung und praktische Anwendung zugleich. In diesem Fall werden die Regelungen, die für die praktische Seite gelten, nicht dadurch verdrängt, daß zugleich die Wissenschaftsfreiheit in Anspruch genommen werden kann; sie haben sich jedoch, soweit sie sich auf die Wissenschaftsfreiheit auswirken,

schaften; vgl. Zimmerli, Geisteswissenschaften, in: H. SeiffertlG. Radnitzky (Hrsg.), Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, 1989, S. 88-99 (98 f.). 43 Näher Scholz, in: Maunz IDürig , Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 93 f. (unt. Hinw. auf BVerfGE 5, 85 (146) - KPD). Vgl. auch oben 11.5.1; ferner Hailbronner, Funktionsgrundrecht, 1979, S. 154-158; Heldrich, Freiheit, 1987, S. 22-24; Denninger, in: AKGG, 1989, Art. 5 Abs. 3 S. I, Rn. 19. 44 Nachw. oben 1.2.5.

1. Begriff, Schutzgut

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verfassungsrechtlich im einzelnen zu rechtfertigen. In diesem Sinne hat zum Beispiel die Rechtsprechung zur Kunstfreiheit entschieden, daß sich die Tatbestände von Kunst und Pornographie überschneiden können und der Kunstvorbehalt, der im Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften ausgesprochen wird, nur soweit durchgreift, als die Schutzbedürftigkeit der Kunst überwiegt45 . Diese Beurteilung gilt entsprechend für die Wissenschaftsfreiheit. Daher bleiben bei Überschneidungen mit anderen Regelungen, zum Beispiel mit dem strafrechtlichen Schutz von Staatsgeheimnissen oder dem Datenschutz46 , diese soweit anwendbar, als die von ihnen geschützten Verfassungsgüter auch gegenüber dem wissenschaftlichen Vorgehen Schutz verlangen. Die Möglichkeit der tatbestandlichen Überschneidung ergibt sich konsequent aus der Offenheit des Wissenschaftsbegriffs; damit beantwortet sich gleichzeitig die Frage, ob der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit grundsätzlich an unerlaubten Handlungen eine Grenze finden und auf gesetzestreues Vorgehen beschränkt werden kann47 . Nicht nur die Treueklausel für die Lehrfreiheit, sondern auch die Offenheit des Wissenschaftsbegriffs spricht gegen eine Verkürzung der tatbestandlichen Tragweite. So wäre es übereilt, von der unbeschränkten Rechtsfolge der Wissenschaftsfreiheit auf die Notwendigkeit von Restriktionen im Tatbestand zu schließen. Zwar lassen sich Tatbestand und Rechtsfolge nicht unabhängig voneinander verstehen, sondern beeinflussen sich gegenseitig, was in der Interpretationslehre besonders im Zusammenhang mit begriffsüberschreitend-argumentativen Auslegungsverfahren 48 und der Rechtsfolgenberücksichtigung 49 bewußt geworden ist. Daher könnte schon am Tatbestand die Freiheits- als Rechtsgarantie nähere rechtliche Ausformung erfahren, indem der Sach- als Rechtsbegriff besonderer Legitimation bedarf. So erscheint die Einbeziehung offensichtlicher Unrechtstatbestände in den Freiheitsschutz nicht undifferenziert hinnehmbar. Jedenfalls widerspricht es zunächst einem rechtsbewußten Denken, daß nur über die Frage der Reichweite, die der Rechtsfolge zugestanden wird, eine Ausgrenzung erreicht werden so1l50. Daraus könnte abzuleiten sein, daß

45 Vgl. BVerwG NJW 1987, 1429 - Stählerner Traum; BGH NJW 1990, 3026 Opus Pistorum. 46 Oben 1.2.7. 47 Vgl. oben 1.2.9.5. 48 Vgl. Kaufmann, Problemgeschichte,1989, S. 113-116, 127-130. 49

Vgl. Luhmann, Ausdifferenzierung, 1981, S. 46-49.

50 Das betont - aus der Perspektive der Kollision - Starck, Grundrechte, 1981,

S.245 f.; ebenso v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985. Art. 1 Rn. 202 f.; dagegen unterscheidet er - aus der Perspektive der Schranken - "neutral" zwischen 8 Losch

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

dann, wenn Wissenschaft sich in Unrechtstatbeständen ausprägt, wie es etwa vom Dritten Reich her bekannt geworden ist51 , der Sachverhalt nicht unbegrenzt als Normgrundlage dienen kann. Andererseits läßt sich nicht davon ausgehen, daß auf der Tatbestandsseite alle Fragen der Regulation entschieden werden sollen, weil diese maßgebend erst in der Rechtsfolge zum Tragen kommt. Die Frage läßt sich unter grundsätzlicher weltanschaulicher oder rechtspolitischer Sicht betrachten, womit sich Stellung gegen eine Anerkennung von Willkür oder willkürlichen Freiheitsprivilegien nehmen läßt 52 . Konsequent weitergedacht, führt die darin liegende Rechtlichkeitsauffassung aber zu einem Rechtsbegriff, der keine natürliche Freiheit anerkennt und nur als zulässig erachtet, was ausdrücklich erlaubt wird. Das Verhältnis von Tatbestand und Rechtsfolge ist auch nicht nach bestimmten Rechtmäßigkeitsmaßstäben festgelegt, sondern für Übergänge offen. Nur mit einem beweglichen Mechanismus sind die vielfältigen Regelungsbedürfnisse zu bewältigen. Außerdem läßt sich ein pauschaler Unrechtsbegriff nicht annehmen, da die unterschiedlichen Voraussetzungen, die für die Rechtswidrigkeit in unterschiedlichen Regelungsbereichen und im Einzelfall gelten, zu unterschiedlich begründetem Unrecht führen, dem unterschiedliche Sanktionen angemessen sind. Daher erscheint es nicht widersprüchlich, wenn der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit Unrechtstatbestände umfaßt. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, daß die Tatbestandsvoraussetzungen sich an der allgemeinen Rechtsordnung messen lassen müssen, und daß bei gesetzwidrigem Vorgehen eine besondere Legitimation für das wissenschaftliche Verfahren erforderlich ist. Darauf ist bei der Abgrenzung des geschützten Handlungsbereichs noch zurückzukommen.

Schutzbereich und Schranken, vgl. ebd., § 1 Rn. 170-177; ebenso Starck, Auslegung, 1989, S. 8-10. Dem Anliegen, nicht jeden Konflikt auf dem grundrechtlichen Nenner austragen zu müssen, läßt sich, wie im folgenden zu zeigen, besser als durch eine abstrakte Kollisionsvorprüfung und Schutzbereichskorrektur durch Berücksichtigung der grundsätzlich geltenden Rechtsbindung entsprechen. 51 Vgl. die Stellungnahme von Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehr, 1988, S. 98-102 gegen die Bedenken, die sich aus weltanschaulicher (Anerkennung von Willkür) und rechtspolitischer (Freiheitsprivileg) Sicht gegen die weite Tatbestandsauffassung richten. 52 Vgl. die Erörterung bei Lübbe-Wolff, a.a.O.

1. Begriff, Schutzgut

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1.4 V orbereitungs- und Verwertungshandlungen

Ähnlich wie bei der Kunstfreiheit53 , läßt sich auch bei der Wissenschaftsfreiheit zwischen Werk- und Wirkbereich unterscheiden. Die Lehrfreiheit erscheint als ein selbständig geschützter Teil des Wirkbereichs, der sich mit der Forschungsfreiheit verbindet und könnte sich seinerseits in einen Werkund Wirkbereich unterteilen lassen. Während sich der Werkbereich auf den schöpferischen Erkenntnis- und Lehrprozeß bezieht, löst sich der Wirkbereich davon ab und betrifft die Weitervermittlung. Demnach könnte der Werkbereich den Kern des Schutzbereichs bilden und der Wirkbereich eher auf die Randzonen des Freiheitsschutzes zu verweisen sein. Die Frage berührt sich mit der tatbestandlichen Abgrenzung des Schutzbereichs. Wie der Wirkbereich sich in den kommunikativen Verbreitungsprozeß hinein erstreckt und dort seine Grenze an der Verwertung findet, die über den Verbreitungszweck hinaus geht, erstreckt sich der Werkbereich in ein tatbestandliches Vorfeld, das von allgemeinen Vorbereitungshandlungen abzugrenzen ist. Die Offenheit des Tatbestandes verlangt, daß er neben der Wahl der Erkenntnis ziele und Darlegungsthemen und der Ausführung von Forschungsund Lehrhandlungen auch vorbereitende Maßnahmen umfaßt, die den Forschungs- und Lehrvorgang erst ermöglichen54 • Zugleich spricht die im Tatbestand zugrundegelegte Dispositionsfreiheit dafür, den Kreis der Vorbereitungshandlungen möglichst weit offen zu halten 55 • Andererseits kann er der subjektiven Beliebigkeit nicht grenzenlos überlassen werden, da neben der subjektiven Zwecksetzung auch ein objektiver Zusammenhang erforderlich ist und rechtliche Grenzen zu beachten sein können, die der subjektiven Willkür gesetzt sind. So wäre die Dispositonsfreiheit überfordert, wenn sie für private Bequemlichkeiten in Anspruch genommen werden sollte oder wenn sie sich ohne Notwendigkeit über die allgemeine Rechtsordnung hinwegsetzen wollte. Der Tatbestand ist daher durch die Voraussetzung eines unmittelbaren objektiv-funktionellen Handlungszusammenhanges zu begrenzen. Davon unabhängige Vorbereitungs- und Begleithandlungen kommen für den Freiheitsschutz nicht in Betracht56 • In Übergangsbereichen zu alltäglichen Verhaltensformen

53

Vgl. oben 11.5.2; Henschel, Kunstfreiheit, 1990, S. 1939.

Vgl. zur Pressefreiheit BVerfGE 50, 223 (240) - Ausschluß von öffentlicher Verhandlung - m. w.N. 55 Anders Köttgen, Freiheit, 1954, S. 296-306, der das Grundrecht auf den geistigen Erkenntnisvorgang als solchen beschränken und Vorbereitungshandlungen grundsätzlich ausklammern möchte. 56 Als Akzidenzien außerhalb des unmittelbaren Zusammenhanges, vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 263; Wehrhahn, Rechtslage, 1967, S. 81 f. 54

8'

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

und im Überschneidungsbereich mit neutral erscheinenden oder besonders qualifizierten Handlungen, die sich der Wissenschaftler für seine Zwecke verfügbar machen kann 57 , bedarf es neben dem objektiv-funktionellen Zusammenhang auch der subjektiven Zwecksetzung, um die tatbestandliche Reichweite bestimmen zu können. Für den Fall, daß ein Konflikt mit der allgemeinen Rechtsordnung entsteht, muß das Vorgehen als notwendig dargelegt werden können, damit der Freiheitsschutz in Anspruch genommen werden kann. Das ergibt sich daraus, daß der Freiheitsschutz nicht bedeutet, daß die Rechtsordnung aufgehoben wird. Nur wenn der Konflikt unvermeidbar ist, um das wissenschaftliche Interesse durchsetzen zu können, ist darüber zu entscheiden, ob der Freiheitsschutz Vorrang hat. Das Verfahren der Erkenntnissuche ist daher prinzipiell an die allgemeine Rechtsordnung gebunden, ohne einem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze, wie er nach Art. 5 Abs. 2 GG für die Meinungsfreiheit gilt, unterworfen oder auf erlaubtes Vorgehen beschränkt zu sein 58 • Bei der Erfüllung von Straftatbeständen durch wissenschaftliches Vorgehen ist festzustellen, wieweit gleichzeitig der Wissenschaftstatbestand erfüllt und nicht durch eine andere Zwecksetzung ausgeschlossen wird. Außerdem kann die Wissenschaftsfreiheit nur Privilegien gewähren, wenn die verbotene Handlungsaltemative unumgänglich erscheint. Daher ist die Beliebigkeit des wissenschaftlichen Vorgehens durch die Rechtsordnung eingeschränkt. Die Wissenschaftsfreiheit erlaubt dem Wissenschaftler grundsätzlich so wenig wie jedem anderen Teilnehmer am Rechtsverkehr, seine Interessen auf rechtswidrige Weise zu verfolgen. Soll wissenschaftliche Ungebundenheit gegen die Rechtsordnung zum Zug kommen, muß ein Grund zur Durchbrechung der Rechtsordnung bestehen, der sich aus der Wissenschaftsfreiheit ableiten und durch sie rechtfertigen läßt. Dafür bedarf es einer wesentlichen Einschränkung, die durch die Rechtsordnung auferlegt wird 59 • Der grundsätzliche Vorrang, der für rechtmäßige Handlungsformen gilt, reicht dafür nicht aus. Umgekehrt richtet sich der verfassungsrechtliche Vorrang der Wissenschaftsfreiheit nicht gegen die grundSätzliche Rechtsbindung.

57 Vgl. etwa das Problem der teilnehmenden Beobachtung; dazu Hajerkamp, Kriminalsoziologische Forschung, 1976. 58 Umgekehrt dagegen (Schutz für erlaubtes Verhalten) Pieroth/Schlink, Grundrechte, 1991, S. 162 f. Rn. 700, S. 165 Rn. 709-711 (vgl. S. 80 f. Rn. 363-371) mit der Begründung, daß der Schutz kollidierender Rechte für eine entsprechende Ausrichtung des Schutzbereichs spricht und die besondere Tätigkeitsweise einerseits von vornherein vom rechtlichen Umfeld abgehoben ist, ihre Auffälligkeit andererseits aber einen eigens eingeräumten Schutz vertragen kann. 59 Vgl. die Unterscheidung in "freiheitsbelassende" und "freiheitshindernde" Rechtsnormen bei Schmidt, Freiheit, 1929, S. 100 f.

1. Begriff, Schutzgut

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Ob die Grundsätze unvereinbar aufeinandertreffen, hängt von ihrer Konkretisierung im Einzelfall ab und läßt sich nicht ohne Rücksicht auf die Interessenlage beantworten. Daher sind für die Frage, ob sich die Gebundenheit überhaupt als Beeinträchtigung auswirkt, sowohl die Regelungsinteressen und -mittel auf seiten der Rechtsordnung als auch die Erkenntnisinteressen und -verfahren auf seiten der Wissenschaftsfreiheit zu berücksichtigen und jeweils unter dem Gesichtspunkt von Bindung und Beeinträchtigung in Beziehung zu setzen60 • Nur wenn sich der Verzicht auf rechtswidrige Alternativen als Unterdrückung der wissenschaftlichen Entfaltungsfreiheit auswirkt, kommt es auf eine Gegenüberstellung der verfassungsrechtlichen Schutzgüter an. Bloße Unbequemlichkeiten, Erschwerungen und sonstige Behinderungen durch die Rechtsordnung genügen nicht. Bei sachlich gleichwertigen Alternativen kann sich der Wissenschaftler nicht auf die rechtswidrige berufen, wenn sie nicht unentbehrlich für seine Arbeit oder wenn die Anpassung an die Rechtsordnung nicht unzumutbar erscheint. Darüber hinaus muß die Wahl eines Vorgehens, das die Rechtsordnung durchbricht, erforderlich sein, um eine Beschränkung der Dispositionsfreiheit zu vermeiden, die der Erkenntnisarbeit unzumutbare Fesseln auferlegt61 • Daran ändert sich auch nichts, wenn der Schutzbereich des Grundrechts unter dem Zeichen der Grundrechtseffektivierung62 erweitert und gegen jede Art hemmender Auswirkung gerichtet wird. Jedenfalls ergibt sich daraus kein Anspruch auf Freistellung von der Rechtsordnung.

60 Vgl. BGH NJW 1966, 647 - Reichstagsbrand. Die Entscheidung betraf jedoch den Überschneidungsbereich von wissenschaftlich unterbauter oder eingekleideter Tatsachen- und Meinungsmitteilung auf Grund vermeidbar mangelhafter wissenschaftlicher Dokumentation und bot daher keinen Anlaß für eine über die Schrankenziehung durch Art. 5 Abs. 2 GG hinausgehende weitere Abwägung (und daher auch keinen Raum für die Inkaufnahme leicht fahrlässiger Mängel bei der Erlangung und Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, die grds. zu einem "Haftungsprivileg" führen, vgl. Heldrich, Freiheit, 1987, S. 46-58). 61 Ausgehend von der typusentsprechenden Tatbestandsfeststellung bei Müller, Positivität, 1969, S. 98-102, aber nicht erst auf der Ebene des Kollisionsausg1eichs (Schmitt Glaeser, Freiheit der Forschung, 1974, S. 119 0; die Gefahr einer Grundrechtsfremdbestimmung durch die Rechtsordnung (ebd., S. 119) wird durch die erwähnte Interessenabwägung vermi~den. 62 Zu unterscheiden ist die überflüssig gewordene Fortsetzung der grundrechtsverstärkenden Weimarer Auslegungstradition - dazu Graf, Grenzen der Freiheitsrechte, 1970, S. 23 - von der im GG angelegten Grundrechtsbeachtlichkeit (Achtungs- und Schutzpflicht zugunsten der Menschenwürde, Bindungswirkung, rechts- und sozialstaatliehe Orientierung); vgl. v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 75; Schneider, Wesensgehalt, 1983, S. 90.

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

Geht der Wissenschaftler eigenmächtig vor, müssen Notwendigkeit und Unzumutbarkeit auch im Hinblick auf die Rechtsförmlichkeit der Geltendmachung bestehen, sonst bedarf es keiner weiteren Abwägung. Die Zerstörung lästiger Lärrnquellen oder auch der Einbruch ins Archiv, um Akten, auf deren Einsichtnahme an sich ein Anspruch besteht, der Auswertung zugänglich zu machen, dürfte daher grundsätzlich außerhalb des Schutzbereichs bleiben. Eine Durchbrechung von Geheimhaltungsgeboten bleibt ohne Unumgänglichkeit der Verwertung für den wissenschaftlichen Zweck ebenso von einer Rechtfertigung ausgeschlossen. Begeht der wissenschaftlich tätige Arzt an seinem Patienten Körperverletzungen, um deren Auswirkungen zu erforschen, dürfte bei einem entsprechenden Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Fragestellung von einer Vorbereitungshandlung auszugehen sein, für die eine Rechtfertigung aber nur in Betracht kommt, wenn sie als Selbsthilfe zur Erfüllung der wissenschaftlichen Aufgabe rechtfertigbar erscheint, was grundsätzlich nicht anzunehmen ist. Wie die Überlegungen zeigen, erscheint die begriffliche Weite des Wissenschaftstatbestandes zwar als Ausgangsproblem für die weitere Interpretation der Wissenschaftsfreiheit, aber schon auf tatbestandlicher Ebene lassen sich Abschichtungen vornehmen, die der Reichweite des Freiheitsrechts Konturen verleihen. Die Freiheitsgarantie läßt die Geltung der allgemeinen Rechtsordnung grundsätzlich unangetastet und kann sich nur darüber hinwegsetzen, wenn die Rechtsordnung sich im Einzelfall als nicht gerechtfertigte Behinderung der wissenschaftlichen Entfaltung erweist. Der Fall einer möglichen Durchbrechung der Rechtsordnung erscheint daher als Ausnahmefall unter ganz besonderen Bedingungen, die eintreten müssen, um eine Gegenüberstellung der Rechtssphären zu erlauben 63 • Das Risiko dafür liegt beim Wissenschaftler. Er hat zwar nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für sein Vorgehen und die einschränkende Wirkung darzulegen, um den Freiheitsschutz in Anspruch nehmen zu können. Wenn die Einschränkung aber

63 Die gelegentlich als Bestätigung für die Rechtsgebundenheit der Wissenschaftsfreiheit oder die Bindung an Rechte Dritter angeführte Entscheidung BVerwGE 18, 34 (37 f.) - Archivbenutzung - schließt ausdrücklich mit der Bemerkung ab, das störende Verhalten, das zum Benutzungsverbot führte, habe mit der Wissenschaftsfreiheit nichts zu tun, und kann insofern, als es um Handeln nur bei Gelegenheit der Wahrnehmung von Forschungsinteressen und die Rechtsbindung dieses Verhaltens ging, nichts über die Rechtsbindung, die für die Wahrnehmung der Forschungsfreiheit als solcher zu gelten hat, aussagen. Die weitere Frage, wieweit die Wirkung der auferlegten Folge auf diese Wahrnehmung mit dem dafür garantierten Grundrechtsschutz vereinbar sein kann, und die im Zweifel einer genauen Prüfung bedurft hätte, erschien offenbar mangels zu veranschlagender Forschungsinteressen (oder der stillschweigenden Subsumtion unter einen Gemeinschaftsvorbehalt) nicht erörterungsbedürftig.

1. Begriff, Schutzgut

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durch überwiegende verfassungsrechtliche Interessen legitimiert werden kann, muß der Freiheitsschutz zurücktreten. Im Wirkbereich der Forschungsfreiheit überschneiden sich die Schutzbereiche von Forschung und Lehre. Soweit jede Weitergabe von Forschungsergebnissen als Lehre verstanden wird64 , geht der Wirkbereich der Forschungsfreiheit im Schutztatbestand der Lehrfreiheit auf. Jedoch ist die Information über Forschungsarbeiten und die kommunikative Vermittlung im Forschungsbereich nicht von der Forschungsarbeit zu trennen und ein Teil des dafür geltenden Schutzbereichs65 • Wird die Lehrfreiheit andererseits nicht auf formal als Lehre gekennzeichnete Tatbestände beschränkt, besteht ein Übergangsbereich zwischen der Lehre und der forschungsbezogenen Weitergabe von Forschungsergebnissen. Die Lehrfreiheit als Teil der Wissenschaftsfreiheit verlangt einen wissenschaftlichen Zusammenhang, in den die Lehre hineingestellt ist, und der sowohl durch die Qualifikation des Lehrenden als auch durch den Zweck und die Adressaten der Lehre hergestellt wird. Je unabhängiger von einer zugrundeliegenden Forschungstätigkeit die Lehre ausgeübt wird, desto höhere Anforderungen sind an die Forschungsrelevanz zu stellen. Während die populärwissenschaftliche Darstellung durch einen mit selbständig wahrzunehmenden Forschungsaufgaben betrauten Fachvertreter als wissenschaftliche Lehre betrachtet werden kann, bedarf es bei weniger forschungsrelevanter Qualifikation des fachlich qualifizierten Lehrverfahrens und Lehrpublikums. Im Überschneidungs bereich mit der Forschungsfreiheit ist die Treueklausel anwendbar. Wie bei der Forschung bedeutet bei der Lehre nicht, daß der Freiheitsschutz die Rechtsordnung außer Kraft setzt. Nur wenn sich Rechtsvorschriften als nicht vermeidbare Beschränkung auswirken würden, haben sie sich gegenüber dem Schutz der Lehre besonders zu legitimieren. Der Wirkbereich der Wissenschaftsfreiheit endet, soweit Forschungs- und Lehrinformationen nicht nur verbreitet, sondern auch verkauft werden. Die Wissenschaftsfreiheit schützt zwar die Entscheidung über die Verwertung und die Verwertung als Beitrag zur Forschung und Lehre, nicht aber die wirtschaftliche Verwertung und den wirtschaftlichen Gewinn66 . Auch bei der Auftragsforschung und wissenschaftlichen Begutachtung schützt die Wissenschaftsfreiheit nur die wissenschaftliche Tätigkeit, aber nicht die kaufmänni-

Vgl. oben 1.3.1. Vgl. BVerfGE 35, 79 (114); § 3 Abs. 2 HRG; Thieme, Hochschulrecht, 1986, S.65 Rn. 59, S. 76 Rn. 71; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 83. Zur Parallele mit Art. 4 GG Herzog, Freiheit des Gewissens, 1969, S. 719 f. 66 Vgl. oben II.5.2 sowie Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 84; ferner Henschel, Kunstfreiheit, 1990, S. 1939. 64 65

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

sche oder unternehmerische Seite. Nur wenn etwa die Möglichkeit privater Forschung und Lehre oder die Dispositionsfreiheit über die wissenschaftliche Tätigkeit auf dem Umweg über wirtschaftspolitische Maßnahmen eingeschränkt würde, wäre neben der Eigentums-, Berufs- und Wirtschaftsfreiheit auch die Wissenschaftsfreiheit betroffen. Arbeits- und dienstrechtliche Bindungen dürfen sich nicht gegen die Möglichkeit der wissenschaftlichen Tätigkeit als solche und den für diese zugrundegelegten Freiraum richten 67 • Soweit sich im Bereich der Zweckforschung das wissenschaftliche Experiment und die praktische Erprobung nicht eindeutig unterscheiden lassen, bleibt die Wissenschaftsfreiheit anwendbar; einschränkende gesetzliche Regelungen können sich daher nur durchsetzen, soweit sie verfassungsrechtliche Schutzbedürfnisse erfüllen, die nicht außer acht zu lassen sind. Die eingangs erwähnte Frage, ob der Werkbereich im Zentrum des Schutzes steht und der Wirkbereich in die Randzone fällt und daher eher eingeschränkt werden kann, hängt vom Schutzzweck und von der Situation, in der die Beschränkung erforderlich wird, ab. Wie schon zum Ausdruck gebracht, ist der Schutzzweck der Wissenschaftsfreiheit nicht auf das forum internum der Erkenntnissuche, oder den geistigen Erkenntnisprozeß begrenzt, sondern umfaßt auch die praktische Vorbereitung dazu, ebenso wie die Weitergabe. In Form der Lehre erfüllt der Werkbereich der Forschungsfreiheit teilweise einen besonderen Schutztatbestand. Je nach der Intensität des Zusammenhanges zwischen der Weitervermittlung mit dem Erkenntnisprozeß ist auch die Schutzwirkung zu beurteilen. Soweit bei der Zweckforschung der Forschungsprozeß von der technischen Anwendung nicht genau unterschieden werden kann, bleibt der Schutz der Forschungsfreiheit zwar bestehen, muß sich aber gleichzeitig mit den Regelungen, die für die Praxisbereiche gelten, in die der Forschungsprozeß übergreift, auseinandersetzen. Je mehr im Einzelfall die Forschung betroffen ist, desto stärker ist ihr Schutz zu berücksichtigen. Bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, die etwa in Konflikt mit dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften gerät oder den staatlichen Geheimnisschutz oder den privaten Datenschutz herausfordert, oder die gemeingefährliche Informationen über die Herstellbarkeit von Giften enthält, wird das Überschreiten der internen Forschungskommunikation eher in Konflikt mit anderweitigen Regelungsbereichen geraten als der Forschungsprozeß selbst.

67 Vgl. zum Nebentätigkeits- und Arbeitnehmererfindungsrecht im Hochschulbereich PüttnerlMittag, Rechtliche Hemmnisse der Kooperation, 1989, S. 182-239 (m.w.N.); zum Nebentätigkeitsrecht auch Schrödter, Wissenschaftsfreiheit, 1974; Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 540-549; Dieterich, Nebentätigkeitsrecht, 1984; Weissauer, Nutzungsentgelt, 1986.

2. Bedeutung, Schutzzweck

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Daher kann der Übergang zum Wirkbereich verstärkte Regelungskonflikte auslösen und eine entsprechende Anpassung verlangen. Das gleiche gilt sinngemäß aber für den Forschungsprozeß selbst, der in Form von praktischen Handlungen vorgenommen wird, die der allgemeinen Rechtsordnung unterliegen. Wenn etwa die Wahl des Erkenntniszieles, die oft als völlig uneinschränkbar bezeichnet wird, mehr sein soll als eine an sich uneinschränkbare Gedankenfreiheit, muß sie sich mindestens insoweit dokumentieren können, als zur Erforschung angesetzt oder das Erkenntnisziel zur wissenschaftlichen Diskussion gestellt wird. Ob der Freiheitsschutz mit der Aufnahme der praktischen Tätigkeit im geschützten Handlungsbereich einer verstärkten Einschränkung unterliegen kann, richtet sich sowohl nach der Überschneidung mit anderweitigen Regelungen als auch nach dem Zusammenhang, der zwischen der Ausübung der Forschungs- und Lehrtätigkeit im engeren und weiteren Sinne besteht. Die Unterscheidung zwischen Werk- und Wirkbereich erscheint daher als Teil der umfassenderen Frage, wieweit sich Forschung und Lehre in praktische Regelungsbereiche erstrecken können, so in Form des praktischen Experiments, der Lehrdemonstration und der Beteiligung an der technischen Anwendung, und je stärker sich die Wissenschaftsfreiheit mit praktischen Handlungszusammenhängen überschneidet, desto mehr sind auch deren Regelungen zu berücksichtigen. Das gilt für den Werk- und Wirkbereich in gleicher Weise.

2. Bedeutung, Schutzzweck 2.1 Grundlagen Die Einführung der Wissenschaftsfreiheit in die Frankfurter Reichsverfassung 68 und, davon abgeleitet, in die preußische Verfassung 69 um die Mitte des letzten Jahrhunderts war ein konsequenter Schritt bei der verfassungsrechtlichen Anerkennung und Garantie der Grundrechte. Die Formulierung der ersten Lesung des Verfassungsausschusses zeigte schon die Zusammenfassung mit der Kunst und neben der Freiheitsgewährleistung auch die

68 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte 11, 1968, S. 774-783; Zwirner, Wissenschaftsfreiheit, 1973, S. 322-324. 69 Aus den Frankfurter Entwürfen in die oktroyierte preußische Verfassung vom 5. Dez. 1848 übernommen und weitergegeben an die revidierte preußische Verfassung vom 31. Jan. 1850; vgl. Zwimer a.a.O., S. 325 f.; Huber, Dokumente, 1961, S. 385; Schmidt, Freiheit, 1929, S. 72-74. - Zur Grundlage der modernem Entwicklung im preußischen Allgemeinen Landrecht Oppennann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S.77-84.

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

Schutz- und Pflegeverpflichtung, wie später in Art. 142 der Weimarer Reichsverfassung; zunächst wurde das Freiheitsrecht aber auf die Wissenschaft und ihre Lehre beschränkeo. Einerseits schloß sich die Wissenschaftsfreiheit unmittelbar an den Kreis der Grundrechte an, die zur Sicherung der individuellen Freiheit in den demokratisch gegründeten amerikanischen Staaten und zur Befreiung von staatlicher Unterdrückung in der französischen Revolution zum Fundament der Staatsverfassungen erhoben wurden und nach französischem Vorbild in. der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Eingang in die deutschen Verfassungen fanden 7l . Andererseits gehörte die Wissenschaftsfreiheit nicht zum elementaren Bestand der Bürgerrechte, mit denen um demokratische Freiheit gerungen wurde, und zeigt die nachträgliche Einführung, daß sich das Prinzip Wissenschaft erst als Freiheitsgrundlage durchsetzen mußte. So erscheint die Einführung der Wissenschaftsfreiheit als eine Ergänzung der hergebrachten politisch-bürgerlichen Freiheitsrechte, zugleich stellt sie eine wesentliche Sicherung der geistigen Grundlagen für die Weiterentwicklung dar. Das neue Grundrecht schloß zum einen an den politischen Auftrag zur individuellen Befreiung an, zum anderen bildete es eine Konsequenz aus der Verselbständigung der Wissenschaften und dem machtvollen Bewußtwerden ihrer gesellschaftlichen Kraft. Erst die allgemeine geistige Befreiung der Wissenschaften durch das Postulat der Eigengesetzlichkeit der Erkenntnis und der Priorität der Vernunft vor der Tradition72 schuf die Voraussetzung dafür, daß das gemeinsame wissenschaftliche Prinzip der objektiven Wirklichkeitserforschung zum grundlegenden Schutzprinzip erhoben werden konnte. Zugleich ließ die Zurückführung auf die Grundlage der individuellen Vernunft die Verallgemeinerung der Wissenschaften zu einem umfassenden sozialen Instrument in den Vordergrund treten, gefördert durch die allgemeine Erschließung der sozialen Freiheitsbereiche. Ein wichtiger Anlaß zur Einführung der Wissenschaftsfreiheit war das Bedürfnis, die Bewegungsfreiheit im akademischen Raum zu sichern. Die

70 Vgl. SchoUer, Grundrechtsdiskussion, 1973; Huber, Verfassungsgeschichte n, a.a.O.; Schmidt, a.a.O., S. 60-72. 7l Zur Geschichte der Grundrechte Schnur, Geschichte, 1964; Oestreich, Geschichte, 1978; Stern, Staatsrecht III! 1, 1988, § 59 I-IV S. 47-99. Zur Bedeutung der amerikanischen und französischen Tradition sowie zum unterschiedlichen politischen Charakter der Liberalisierungsaufgabe Kriele, Geschichte, 1973. Zur Verfassungsgeschichte der Grundrechte in Deutschland Stern, a.a.O., §§ 59 V, 60 S. 100-169; Huber, Verfassungsgeschichte I, 1967, S. 350-360; Bd. n, 1968, S. 763 f., 767-783; Bd. III, 1963, S. 100-120. n Grds. Schulz, Philosophie, 1984, S. 88-106; ferner Schmidt, Freiheit, 1929, S. 2360; Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, 1971.

2. Bedeutung, Schutzzweck

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moderne Universitätskonzeption, die auf die staatliche Sicherung der geistigen Unabhängigkeit gerichtet war, und die politischen Auseinandersetzungen um die akademische Lehrfreiheit hatten dieses Becürfnis in den Vordergrund rücken lassen73 • Jedoch war die gesamte neuzeitliche Entwicklung der Wissenschaften vornehmlich auf praktische Nutzanwendung bezogen74 , und mit der Wende zum 19. Jahrhundert nahm die technisch-wirtschaftliche Wissenschaftsentwicklung einen erheblichen Aufschwung, der auch zu einer breiten Entfaltung von staatlichen Aktivitäten im wissenschaftlich-technischen Bereich führte 75 • So forderte das Problem der staatlichen Universitätpolitik und der traditionellen Wissenschaftskontrolle zwar unweigerlich die Freiheitsgarantie heraus, aber die längst eingetretene praktische Instrumentalisierung von wissenschaftlichen Erkenntnisverfahren und die nachdrücklich in Erscheinung getretene technisch-wirtschaftliche Bedeutung der wissenschaftlichen Entwicklung verliehen dem Freiheitsrecht ein politisches Gewicht und eine Aktualität, die weit über den Bereich der akademischen Gelehrsamkeit hinausreichten. Das Freiheitsrecht wurde daher von Anfang an unter zugleich idealistische und zweckbestimmte Perspektiven gestellt. Die Einführung des Freiheitsrechts förderte sowohl die Selbständigkeit und Allseitigkeit der wissenschaftlichen Entwicklung als auch ihre praktische Indienstnahme, und bei des begünstigte die oben erwähnten problematischen Folgen. Inzwischen drängen aber die fortschreitende quantenphysikalische, die neue evolutionäre und die ökologische Siche6 - den elementaren, den entwicklungsgeschichtlichen und vitalen Grundlagen nach - zu integrativen Konzeptionen, um deren Erarbeitung und weltpolitische Durchsetzung heute gerungen wird. Jedenfalls entsprach der Schutz der Wissenschaftsfreiheit sowohl ihrer geistigen Wertschätzung als auch den praktischen Interessen für die Entwicklung des Allgemeinwohls, und während das Wissenschaftsgrundrecht im Katalog der elementaren

73 Zur Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit in der aufklärerisch-idealistischen Tradition und zum Einfluß der Metternichschen Reaktion Schmidt, Freiheit, 1929, S. 43-52 (mit näheren Ausführungen zu Fichte, S. 43 f., Schleiermacher, S. 45 f. und Humboldt, S. 47 f. sowie zu den Karlsbader Beschlüssen, S. 49-52). Zur fortschrittlichen Weiterentwicklung im 19. Jh. ebd., S. 53-60. Vgl. zur geistesgeschichtlichen Tradition auch Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, 1971 (zu Humboldt S. 41-62, 72-78,109-113, 116-122; zu Schleiermacher S. 50-53; zu Fichte S. 78-87); ferner Thieme, Geschichtliche Voraussetzungen, 1967. 74 Vgl. Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986, S. 156-242; Bumann, Begriff, 1970, S. 74 f. 75 Kreibich, a.a.O.; vgl. Lundgreen/Horn/Küppers/Paslack, Staatliche Forschung, 1986, S. 29-177. 76 Vgl. oben 1.2.9.5.

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

bürgerlichen Freiheitsrechte zunächst eher einen Fremdkörper dargestellt hätte, konnte es, getragen von der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung, ein halbes Jahrhundert später als allgemeines Schutzanliegen verständlich werden.

2.2 Kulturstaatliche, wirtschaftliche und staatskonstitutive Bedeutung Die objektive Formulierung, die, wie bei der Einführung ins Grundgesetz, auch bei der ursprünglichen Einführung der Wissenschaftsfreiheit gewählt wurde, zeigt, daß die Wissenschaft umfassend geschützt werden sollte und die individuelle Berechtigung nicht in derselben Weise im Vordergrund stand, wie es für die grundlegenden bürgerlichen Freiheiten selbstverständlich war77 . Andererseits besteht kein Zweifel daran, daß die Wissenschaftsfreiheit als Grundrecht eingeräumt werden sollte, wie die Stellung in der Verfassung, die Verbindung mit der Lehrfreiheit und die Grundrechtstradition zeigen78 • Mit dem subjektiven Freiheitsschutz und dem objektiven Freiheitsgrundsatz wurde einer der Grundpfeiler des Kulturstaatsprinzips gesetzt, das den Staat zur fördernden Teilnahme, aber gleichzeitig zur Wahrung der Selbständigkeit der kulturellen Entwicklung anhält79 • Die Wissenschaftsfreiheit wurde dafür in einem Bereich zum vorbildlichen Grundsatz, der die höchsten Stufen der Ausbildung und die wissenschaftlichen Grundlagen sämtlicher Kulturbereiche umfaßt80 • Die Reform der staatlichen Kulturverwaltung und die neuen Universitätsgründungen 81 , die das Verhältnis von staatlicher Trägerschaft und akademischer Selbstverwaltung grundsätzlich ins Licht gerückt hatten, arbeiteten dem Freiheitsrecht vor. Indem sich der Staat zur Freiheit

77 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte 11, 1968, S. 774-783; Zwirner, Wissenschaftsfreiheit, 1973, S. 322-324. 78 Für die Frankfurter Verfassung Schmidt, Freiheit, 1929, S. 60-72; Huber, Verfassungsgeschichte 11, 1968, S. 776-780; Asche, Hochschulautonomie, 1975, S. 70 f.; für die Weimarer Nationalversammlung Schmidt, a.a.O., S. 83-90. 79 Vgl. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 6-11, bes. S.9 f.; ders., Kultur, 1983; ders., Ergänzung des Grundgesetzes, 1984; ders., Freiheit, 1989, S. 820 f. Rn. 23 f. Ferner Huber, Kulturstaat, 1958; Maihofer, Kulturelle Aufgaben, 1983; Grimm, Kulturauftrag, 1984; Steiner, Kulturauftrag, 1984; Häberle, Kulturstaatlichkeit, 1985. Ders. betont die Aufgabe einer "Verfassungslehre als Kulturwissenschaft" (1982) und einer vergleichenden "Textkulturwissenschaft" (Textstufen, 1989); jedoch kann darin nur eine Hilfe für das rechtliche Verständnis gesehen werden, dazu ders., a.a.O., 1982, S. 76-78. 80 Grds. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 29-34,76-119, 292-434. 81 Grds. Oppermann, a.a.O., S. 77-84.

2. Bedeutung, Schutzzweck

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der Wissenschaft bekannte, entschied er sich für die freiheitlich-pluralistische Kulturentwicklung und legte das Kulturstaatsprinzip in einem führenden Bereich verfassungsrechtlich fest. Die Wissenschaftsfreiheit erscheint als ein Eckpfeiler und eine verpflichtende Leitlinie des Kulturstaatsprinzips. Gleichzeitig wird die grundrechtlich veranlaßte Pflege des Wissenschaftsbereichs durch das Prinzip bekräftigt und vertieft. Das Kulturstaatsprinzip um faßt im wesentlichen die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Kunst, stellt aber eine weite Klammer um eine Fülle unterschiedlicher Erscheinungformen des kulturellen Lebens dar. Während in Art. 7 Abs. 1 GG die staatliche Verantwortung für das Bildungswesen zum Ausdruck gebracht wird, garantiert die Wissenschaftsfreiheit die Freiheit von jeder Bevormundung und anerkennt die geistige Eigengesetzlichkeit. Zugleich enthält die Garantie einen umfassenden Förderungs- und Pflegeauftrag zugunsten des Freiheitsbereichs. Ebenso wird gegenüber der Kunst jeder Zwang untersagt. Zusammen mit der Glaubensfreiheit und den Kommunikationsfreiheiten wird daher ein freiheitliches gesellschaftliches Leben begründet, in dem sich Bildung und Kultur, gefördert und unterstützt durch den Staat, ungehindert entfalten können. Wesentliche Aspekte der kulturstaatlichen Verantwortung sind Offenheit, Neutralität und Toleranz82 • Das in den kulturellen Freiheitsgarantien verankerte Kulturstaatsprinzip ergänzt die ausdrücklich aufgeführten Staatszielbestimmungen, verdeutlicht gegenüber den technisch-zivilisatorischen die auf kulturellen Ausgleich gerichteten Staatsaufgaben und leitet die staatliche Verantwortung dazu an, die Selbständigkeit und Entfaltungsfreiheit im kulturellen Bereich zu unterstützen 83 • Im Universitätsbereich bekräftigt das Kulturstaatsprinzip die traditionelle Universalitätsidee, wonach sich die Wissenschaften im gegenseitigen Kontakt an einer gemeinsamen Wirkungsstätte umfassend zu entfalten und den geistigen Zusammenhang des Wissenschaftsfortschritts zu pflegen und zu repräsentieren haben 84 • Ein Beispiel dafür stellt die Integration der theologischen Fakultäten in die staatliche Universität dar8s • Daraus sollen sich aber keine Fesseln für die freiheitliche Wissenschaftspflege ergeben; so hat der Staat auf dem Boden der pluralistischen Wissenschaftsfreiheit, der Neutralität sowie der jeweiligen Selbständigkeit von Staat und Kirche, auch unter Berücksichtigung des Kooperationsgedankens 86, in der Entscheidung darüber Vgl. Oppermann, Kultur, 1983; ders., Freiheit, 1989, S. 821 Rn. 24. 83 Oppermann, Ergänzung des Grundgesetzes, 1984, S. 15 f., 19 f. 84 Vgl. Oppermann, Selbstverwaltung, 1982, S. 258 f. 85 Vgl. v. Campenhausen, Theologische Fakultäten, 1982. 86 Eingehend zu diesen Gesichtspunkten Heckel, Theologische Fakultäten, 1986, S. 1-46. Vgl. ders., Organisationsstrukturen, 1987. - Zur Auseinandersetzung über das 82

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

freizubleiben, ob er für die Hochschullehrer, die ihre kirchliche Lehrbefugnis verlieren, ein staatliches Lehramt aufrecht erhalten Will 87 . Der Grundrechtsschutz braucht nicht von der Bindung an die ursprünglichen Voraussetzungen für seine institutionelle Ausübbarkeit enthoben zu sein. Andererseits soll er dem kirchlichen Bestimmungsrecht nicht ausgeliefert, aber auch keine Plattform gegen die kirchliche Theologie sein. Wie weit der Staat daher auf Grundrechtswahrnehmung in Anspruch genommen werden kann, hängt von der Situation im einzelnen ab. In ein Spannungsfeld mit der Universalitätsidee gerät der Ausbau der technisch-wirtschaftlichen Wissenschaftszweige88 und die gesteigerte Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsbereich89 • So hat die ausbildungstechnische, wirtschaftsfunktionelle und forschungspraktische Rolle immer größeres Gewicht erlangt. Die komplexe kulturstaatliche Verantwortung hat sowohl dem Ausbildungs- und staatlich unterstützten Wissenschaftsbedarf der Wirtschaft Rechnung zu tragen als auch zu verhindern, daß der wissenschaftliche Horizont im ganzen verengt wird. Sie hat im Einklang mit der Universalitätsidee auch darauf hinzu wirken, daß die Wissenschaftsgefahren stärker berücksichtigt werden und integrative technische Entwicklungskonzeptionen erarbeitet sowie die Folgenforschung ausgebaut wird. Die objektive Begriffswahl für die Wissenschaftsfreiheit läßt erkennen, daß das Ziel der Freiheitsgarantie bei seiner Einführung nicht allein der Schutz der akademischen Wissenschaft waro, sondern das Freiheitsrecht auf allgemeiner Ebene angelegt sein sollte. Zwar stand die akademische Wissenschafts- und vor allem die Lehrfreiheit im Vordergrund der Beratungen, die über die Aufnahme des Grundrechts in die Frankfurter Verfassung vorgenommen wurden, aber eine Beschränkung auf den akademischen Bereich stand nicht zur Debatte91 • Vielmehr hatte sich, wie erwähnt, eine umfassende Trennungs- und Kooperationsprinzip neuerdings Renck, Trennung, 1988; Maunz, Kooperation, 1988. 8? Vgl. die differenzierte Behandlung der Frage bei Heckel, Theologische Fakultäten, 1986. Zur kirchlichen Selbständigkeit und staatlichen Verantwortung im kirchlichen Hochschulbereich ders., Hochschulfreiheit, 1986. 88 Vgl. Oppennann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 88,296-304. 89 Vgl. unten 2.4.3.3. 90 Vgl. Rothenbücher, Freie Meinungsäußerung, 1928; Smend, Freie Meinungsäußerung, 1928, S. 56-65; Huber, Verfassungsgeschichte III, 1963, S. 119; Waibel, Rechtsprechung, 1966, S. 30 f.; Roellecke, Wissenschaftsfreiheit, 1969. 91 Ausf. Schmidt, Freiheit, 1929, S. 60-72 unt. Hinw. auf begriffliche Unklarheiten und das offengebliebene Verhältnis zwischen dem akademischen und allgemeinen Bezug; entsprechend für die preußische Verfassung S. 72-74. Vgl. auch Schrödter, Wissenschaftsfreiheit, 1974, S. 49-57.

2. Bedeutung, Schutzzweck

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staatliche Aktivität im Wissenschaftsbereich entwickelt, die neben der akademischen Wissenschaftspflege auf die grundlegenden Ziele des neuzeitlichen Kultur- und Wirtschaftsstaates, die Förderung durch Information, Beratung und beispielhafte Entwicklung und die Erarbeitung von Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten ausgerichtet war. Damit hatte der technisch-wirtschaftlich orientierte Wissenschaftsaufschwung auch im staatlichen Bereich breiten Fuß gefaßt und einen Begriff von dem bedeutenden wirtschaftlichen Innovationspotential der wissenschaftlichen Entwicklung vermittelt. Daher entfaltete die Wissenschaftsfreiheit von Anfang an sowohl eine grundlegende kulturstaatliche als auch eine maßgebende wirtschaftlich-zivilisatorische Bedeutung, und diese beiden Aspekte bestimmen die grundrechtliche Wirkungskraft heute in gesteigertem Umfang weiter. Die Größenordnung der Forschung im technisch-wirtschaftlichen Bereich92 zeigt, daß die Wissenschaftsfreiheit in hohem Maße ein technik- und zivilisationsinnovatives Grundrecht darstellt, das sich nicht in seiner kulturellen Bedeutung erschöpft. Die Wissenschaftsfreiheit erscheint daher auch mit dem Staat in seiner Rolle als Regulator des Wirtschaftssystems93 eng verbunden. Grundsätzlich besteht eine vitale Wechselwirkung zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung und dem technisch-wissenschaftlichen Fortschritt einschließlich desen Grundlage in einem produktiven Bildungssystem94 . Die Wissenschaftsfreiheit stellt daher eine wesentliche Voraussetzung für die technisch-wirtschaftliche Weiterentwicklung dar. Diese muß aber zunehmend auch dazu eingesetzt werden, technisch-wirtschaftliche Fehlentwicklungen mit schädlichen Folgen, die aus der vorschnellen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse resultieren, zu korrigieren helfen. Einen dritten wesentlichen Aspekt bildet die staatskonstitutive, demokratische Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit, die das Prinzip der objektiven Wahrheit zu einem zentralen Schutzprinzip erhob. Damit fügte sich die Wissenschaftsfreiheit nicht nur in die Reihe der klassischen Grundrechte ein, die zur sozialen Befreiung und rechtlichen Gleichstellung drängten und die Grundlage für die demokratische Organisation von Staat und Gesellschaft legten, sondern wurde auch zu einer wichtigen Voraussetzung für diese Entwicklung. So trägt die Wissenschaftsfreiheit wesentlich zur Orientierung der Meinungs- und Willensbildung an Vernunft und Objektivität bei, ermöglicht ständig verbessertes Wissen als Allgemeingut, fördert die allgemeine Entfaltungsfreiheit und schafft sachlich begründete Orientierungsmöglichkeiten. In 92 Vgl. Graf Stenbock-Fermor, Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, 1982; Grellert, Industrielle Forschung, 1982. 93 Vgl. Püttner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1989, bes. S. 229-274. 94 Vgl. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 157.

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

der Entsprechung von Demokratieprinzip und Wissenschaftspluralismus liegt außerdem die gegenseitige Anregung zu Vielfalt und unaufhörlicher Auseinandersetzung um bessere Einsicht in Wissens- und Ordnungsprobleme. Auch in dieser dritten Rolle ist die Wissenschaftsfreiheit ein unentbehrlicher Bestandteil des modernen Staates geworden 95 ; in der Orientierung an der möglichst richtigen Wirklichkeitserfassung als Voraussetzung für Gerechtigkeit und Frieden findet der demokratische Ordnungsgedanke seine innere Erfüllung. Die Wissenschaftsfreiheit trägt daher nicht nur zur äußeren Voraussetzung der demokratischen Entwicklung, sondern auch wesentlich zu ihrer inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeit bei. Die Achtung vor der Freiheit der Wirklichkeitserforschung und Wissensverbreitung bedeutet die Anerkennung von pluralistischen Forschungs- und Lehrkonzeptionen und daher das Bekenntnis zur Offenheit gegenüber der Erkenntnissuche, zur Neutralität und Toleranz96 • Die Wissenschaftsfreiheit ist daher ein Leitprinzip, das weit über den Schutzbereich der wissenschaftlichen Forschung und Lehre hinauswirkt und eine Grundlage sämtlicher staatlich-gesellschaftlicher Ordnungs- und Entwicklungsprinzipien bildet. Die Wissenschaftsfreiheit stellt in einem aller rechtlichen Rahmengebung und politischen Entscheidung vorausgehenden Sinn die Grundlage für Wahrheit und Richtigkeit dar, auf der sich die Möglichkeit, Staat und Gesellschaft nach objektiver Einsicht zu gestalten, freiheitlich entwickeln kann. Daher ist der Staat im allgemeinen öffentlichen Interesse zugleich mit der Bindung an das Grundrecht auch dazu aufgerufen, die Freiheit der Wissenschaft zu ermöglichen und zu schützen und trifft sich die ausdrückliche Regelung mit einer grundSätzlich angelegten Notwendigkeit. Mit der Wirksamkeit der Schutzgarantie steht und fällt auch die Entwicklungsfähigkeit und Optimierungsmöglichkeit der freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung; weder die Unterdrückung wissenschaftlicher Wahrheiten noch die Vereinnahmung zu politischen Zwecken kann einen verantwortlich wahrgenommenen sachund sinnadäquaten Orientierungsprozeß ersetzen. Der Staat anerkennt mit dem Grundrecht daher nicht nur vorbehaltlos und konsequent das menschliche Erkenntnisstreben und das darin liegende evolutive Prinzip, sondern stellt auch seine eigene Wirklichkeit und Wahrheit zur wissenschaftlichen Disposition, scheut also nicht die restlose Aufklärung auch über seine eigene Voraussetzung, Leistung und Legitimation. Das kommt

95 Zur Aufnahme des Grundsatzes in die Länderverfassungen und in andere europäische Verfassungen Schmidt, Freiheit, 1929, S. 90 f.; Häberle, Freiheit, 1985. 96 Vgl. Häberle, a.a.O., S. 332, 342 f., 349 f., 356 f., 360 f. Grds. Püttner, Toleranz als Verfassungsprinzip, 1977. Vgl. auch Eckert, Wissenschaft und Demokratie, 1971.

2. Bedeutung, Schutzzweck

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grundsätzlich auch in den Auseinandersetzungen um die Lehrfreiheit zum Ausdruck97 • So ergibt sich ein Zusammenhang mit der Öffnung zur aufgegliederten Staatsorganisation und demokratisch diskutierten politischen Entscheidung; das Grundrecht vermittelt daher heute die Entsprechung zwischen dem Demokratie- und Grundrechtsprinzip und schafft einen umfassend geöffneten Staat98 • Die Wissenschaftsfreiheit erscheint so zum einen als unentbehrlicher Bestandteil der freiheitlichen Staatskonzeption, zum anderen setzt sie diese, um weitestmöglich zur Geltung zu kommen, auch voraus. Der auf größtmöglichen Vorteil aller gerichtete Staat ist daher auf die Wissenschaftsfreiheit genauso angewiesen, wie diese selbst auf die staatliche Schutzgarantie. Dafür, daß daraus keine Wissenschaftsdiktatur wird, sorgen der allgemeine Freiheitsschutz, der Pluralismus der Staatszwecke und die politisch-demokratische Entscheidungsfreiheit; daß umgekehrt die Wissenschaftsfreiheit sich nicht im staatlich-wirtschaftlichen Machtnetz verstrickt, ist auch Anliegen und Auftrag der Freiheitsgarantie.

2.3 Menschenwürdekontext Die Einführung der Wissenschaftsfreiheit in der Mitte des letzten Jahrhunderts schloß eine Lücke im traditionellen Freiheitsschutz, indem sie dem Wissensfortschritt Unabhängigkeit zusicherte und damit zugleich die wissenschaftliche Grundlage von Gesellschaft und Staat als verfassungsrechtliches Schutzgut anerkannte. Das Grundrecht bezieht sich auf den für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation zentral gewordenen Aspekt der gesellschaftlichen Verhaltensfreiheit, der auf die menschliche Veranlagung zur Auseinandersetzung mit der Umwelt zurückgeht und sich im kulturellen Entwicklungsgang immer mehr durchgesetzt hatte. Die Einführung der Wissenschaftsfreiheit war die Konsequenz aus der voranschreitenden geistigen Befreiung, die das Ziel verfolgte, die Sachgesetzlichkeit der Welt vorbehaltlos verstehen zu lernen. Zum einen zog die Einführung der Wissenschaftsfreiheit nur die Konsequenz aus dem Durchbruch der wissenschaftlichen Leistungen; zum anderen gab sie dem Siegeslauf der neuzeitlichen Bewußtseinsform, indem sie ihn auf die Ebene der verfassungsrechtlichen Garantie 97 Dazu Rothenbücher, Freie Meinungsäußerung, 1928, S.32-39; v. Doemming/ Füßlein/ Matz, Entstehungsgeschichte, 1951, S. 89-92; ferner Wehrhahn, Rechtsstaat, 1967, S. 57 f. Die staatskonstitutive Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit einerseits, aber ihre nur relative staatspolitische Bedeutung andererseits betont Häberle, Freiheit, 1985, S. 350, 361. 98 Hervorgehoben von Häberle, Freiheit, 1985, bes. S. 350, 357, 360-362. Vgl. den Hinweis auf den konfliktiven Prozeß der offenen Auseinandersetzung um die Verfassungsentwicklung bei Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 301,343.

9 Losch

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

hob, sichere staatliche Rückendeckung. Außerdem band sie den Staat selbst in die von ihm zum Schutzgut erklärte Entwicklung ein. Der praktische wurde damit auch zum rechtlichen Durchbruch und der menschliche Wissensdurst mit der rechtlichen Anerkennung zur offiziellen Institution. Die Wissenschaftsfreiheit ergänzt die Freiheitsrechte mit einem speziellen Freiheitsschutz, der einem grundlegenden menschlichen Freiheitsbedürfnis Rechnung trägt und eine Lücke im Schutz dieser Freiheiten füllt. Gleichzeitig unterstützt er die anderen Freiheitsgarantien, indem er ihre Erforschung, ihr Verständnis und ihre Entwicklung fördert und sichern hilft. Die Wissenschaftsfreiheit vermittelt vor allem den Kommunikationsfreiheiten 99 und der Bildungsfreiheie oo einen tieferen Sinn, indem sie die Erkenntnis- und Wahrheitsorientierung, auf die hin diese Freiheiten wesentlich ausgerichtet sind, zum selbständigen Schutzgut erklärt. Sie vervollständigt aber nicht nur den grundrechtlichen Freiheitsschutz, sondern stellt darüber hinaus auch eine zentrale Verbindung zum obersten Verfassungsprinzip, dem Schutz der Menschenwürde, her. Diese findet in den einzelnen Grundrechten einen wesentlichen Ausdruck 101 • Zum einen schützt die Wissenschaftsfreiheit aber ein Fn:iheitsbedürfnis, das wie kein anderes zum Wesenszug des Menschen gehört, der als homo sapiens zur globalen Entwicklung angetreten ist 102 • Daher findet im menschlichen Wissensdrang die menschliche Selbstverwirklichung und Würde einen besonders charakteristischen Ausdruck. Zum anderen schützt die Wissenschafts freiheit mit der fundamentalen menschlichen Qualität der Wissens- und Wahrheitssuche auch die wichtigste Grundlage der menschlichen Kultur und Zivilisation, in denen sich die Menschenwürde verkörpert. Daher besteht ein enger konstitutiver Zusammenhang zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem Schutz der Menschenwürde, der sich sowohl auf der persönlichen als auch auf der sozialen Ebene auswirkt. Da in der Wissenschaftsfreiheit über die gegenseitige Bedingtheit und Ergänzung der Grundfreiheiten hinaus deren Wissens- und Erkenntnisgrundlagen mitgeschützt werden, ist ihre Beachtung ein besonders dringendes Gebot und ein besonders hoch einzustufendes Anliegen des Menschenwürdeschutzes. Die Wissenschaftsfreiheit stellt daher ein außerordentlich tief gegründetes Schutzgebot dar, durch das der Menschenwürdeschutz in besonderem Maße Vgl. IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 1989, §§ 141-144. Dazu Oppermann, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen, 1976; ders., Bildung, 1988. 101 Zur selbständigen subjektiven Bedeutung v. MangoldtlKleinlStarck, Bonner GG, 1985, Art. 1 Rn. 17 f.; vgl. auch Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990. 102 Vgl. Lorenz, Rückseite, 1973; Markl, Evolution, 1986; zur anthropologischen Wissenschaftskonzeption Diemer, Wissenschaftsbegriff, 1970, S. 6 f.; ferner Häberle, Freiheit, 1985, S. 333. 99

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2. Bedeutung, Schutzzweck

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Verwirklichung findet. Diese Feststellung wird dadurch unterstützt, daß die Wissenschaftsfreiheit auch die Erarbeitung der Wissensgrundlagen für die Richtigkeit der menschlichen Entscheidungsprozesse schützt. Ohne die Freiheit der Erkenntnis erscheint daher eine menschenwürdige Lebensordnung nicht gewährleistet. 2.4 Schutzfunktionen 2.4.1 Überblick Die objektive Formulierung der Wissenschaftsfreiheit, die auch ins Grundgesetz übernommen wurde 103 , drückt aus, daß neben dem individuellen Schutz auch der objektive Sachbereich unter staatlichen Schutz gestellt wird. Darin liegt eine erhebliche Erweiterung der objektiven Schutzwirkung, die durch die allgemeine Bindung an den Grundrechtsschutz erzielt wird lO4 • Die objektive Grundrechtswirkung bedeutet, daß auf die subjektiven Schutzanliegen grundsätzlich Bedacht zu nehmen ist und die Bedeutung des Grundrechtsschutzes nicht geschmälert werden darf, sondern nach Möglichkeit zur Geltung zu bringen ist. Das gilt in gleicher Weise gegenüber den unterschiedlichen Funktionen des Grundrechtsschutzes, der sich nicht nur in Abwehr-, sondern auch in positiven Schutz- und Teilhabe- sowie in Organisationsrechten ausprägt. Weitergehend bedeutet der Sachbereichsschutz, daß die Schutzaufgaben mit einer praktischen Förderung für den Ausbau, mit einer umfassen Betreuung und mit der organisations- und verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des grundrechtlichen Lebensbereichs verbunden werdenlOs. Die traditionelle Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit umfaßt darüber hinaus den institutionellen Schutz, den der Staat mit der Trägerschaft für die Universitäten leistet. Die Organisation als Staatseinrichtung schafft besondere Ordnungs- und Förderungsaufgaben, um die individuellen und kollektiven Schutzanliegen erfüllen zu können.

103 Zur Textgeschichte für das GG v. Doemming / Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte, 1951, S. 89-92; Schulz-Prießnitz, Forschung und Lehre, 1981, S. 38-42. 104 Vgl. oben 11.6. 105

9*

Vgl. Stern, Staatsrecht I1I1l, 1988, § 69 S. 931-977; Jarass, Grundrechte, 1985.

132

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit 2.4.2 Subjektive Rechte 2.4.2.1 Persönlicher Geltungsbereich

Zwar ist die Wissenschaftsfreiheit als Jedennannsgrundrecht gewährleistd 06 - der subjektive Grundrechtsschutz folgt aus dem im Rahmen des Grundgesetzes 107 und der Entwicklung des Wissenschaftsgrundrechts 108 als selbstverständlich vorausgesetzten Nonnzweck, in erster Linie die in Betracht kommenden Grundrechtsträger zu schützen 109 -, der sachliche Geltungsbereich stellt aber Qualifikationsanforderungen, die nur schwer zu erfüllen sind. Der Nachweis im Einzelfall erübrigt sich, soweit eine sachlich angemessene persönliche Qualifikation mit einer als qualifiziert anzuerkennenden wissenschaftlichen Tätigkeit verbunden wird. In diesem Fall kann für den jeweiligen Tätigkeitsbereich der Grundrechtsschutz prinzipiell in Anspruch genommen werden. Das wichtigste Beispiel dafür stellt der Universitätsprofessor dar, der erhebliche Qualifikationsnachweise zu leisten hat und sein Amt zum Zweck der Ausübung von Forschung und Lehre übertragen bekommt llo. Beim wissenschaftlichen Assistenten dagegen ist zu fragen, wie weit im Einzelfall die persönliche Qualifikation und der Tätigkeitsauftrag die selbständige Ausübung von Forschung und Lehre ermöglichen 111. Beim Studenten kann die Lernfreiheit in die aktive und selbständige Beteiligung an Forschung und Lehre übergehen und die Anwendung der Wissenschaftsfreiheit erlauben. Grundsätzlich fehlt es jedoch an der persönlichen und fachli-

106 BVerfGE 15, 256 (263 f.) - Berufung ins Lehramt; 35, 79 (112 f.) - Hochschulurteil - sowie h.M., vgl. Wehrhahn, Rechtslage, 1967, S. 27-29; Scholz, in: Maunz/ Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 81; v. Mangoldt/ Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 255; Oppennann, Freiheit, 1989, S. 828. 107 Schneider, Wesensgehalt, 1983, S. 93-97, 148-152; Stern, Staatsrecht 11111, 1988, § 65, bes. S. 530-558; zur Wissenschaftsfreiheit Wolf, Grundrecht, 1970, S. 201-209. 108 Schmidt, Freiheit, 1929, S. 60-90. 109 Daneben betont BVerfGE 35, 79 (112 f.) den objektiven Schutzauftrag, so auch BVerfGE 30, 173 (188) zur Kunstfreiheit, vgl. die krit. Bemerkung bei Pieroth/ Schlink, Grundrechte, 1991, S. 160 Rn. 693; näher dazu m.w.N. zur Rspr. Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 124-134 (128); vgl. Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 65 Rn. 58, S. 66 Rn. 60; w.N. zu Rspr. und Schrifttum bei Stern, Staatsrecht 11111, 1988, § 68 S. 810 Fn. 293; ferner Denninger, in: AK-GG, 1989, Art. 5 Abs. 3 S. 1, Rn. 27. 110 Vgl. Laubinger, Beamten- und korporationsrechtlicher Status, 1982; BVerfGE 35, 79 - Hochschulurteil. 111 Vgl. Reich, Wissenschaftliche Mitarbeiter, 1982.

2. Bedeutung, Schutzzweck

133

chen Qualifikation ll2 . Umgekehrt wie bei der Forschung und Lehre an der Universität kann, unabhängig von der Frage der persönlichen Qualifikation, der Auftrag zu einer Tätigkeit in nichtwissenschaftlicher Form den Grundrechtsschutz dafür prinzipiell ausschließen, so etwa bei der Lehre im Fachhochschulbereich 113 . Soweit der Nachweis der persönlichen Qualifikation und ein wissenschaftlicher Tätigkeitsauftrag verbunden sind, kann auch im Wissenschaftsbereich außerhalb der staatlichen Universitäten, so an Privatuniversitäten und an staatlichen und nichtstaatlichen Forschungsinstitutionen, der Grundrechtsschutz für den betreffenden Tätigkeitsbereich prinzipiell in Anspruch genommen werden. Die Besonderheiten des Grundrechtsschutzes, die für die Wissenschaftler an den staatlichen Universitäten gelten, haben zu der Überlegung veranlaßt, ob sich die allgemeine Grundrechtsberechtigung für die amtlich mit Forschungs- und Lehraufgaben Betrauten zu einem besonderen Funktionsgrundrecht verwandelt, das unter Berücksichtigung der institutionellen Voraussetzungen zu verstehen ist und die Anpassungsschwierigkeiten, die in diesem Fall für die allgemeine Grundrechtsberechtigung bestehen, vermeidet 114 . Diese Überlegung kann das Verständnis für die staatlich-institutionellen Organisationsprobleme erheblich erweitern, macht aus der Notwendigkeit der sachlichen aber eine grundsätzliche Differenzierung, die in der einheitlichen Grundrechtsgeltung nicht angelegt ist. So bedeutet die gleichberechtigte Teilhabemöglichkeit an staatlich organisierter Forschung und Lehre auch nicht die Konsequenz einer Vergesellschaftung 115 , weil Gleichberechtigung nicht Gleichheit bedeutet, und wird der Schutz vor gesellschaftlichem Machteinfluß unter der staatlichen Trägerschaft nicht relativiert 116 , weil der Staat dem Grundrecht ungeschmälert verpflichtet bleibt; ferner lassen sich Qualifikationserfordernisse nicht als einerseits aus tatbestandlichen Voraussetzungen begründet, aber andererseits nur institutionell funktions bezogen rechtfertigbar betrachten 117, da beides zusammenwirkt.

112 Vgl. Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 638-665; vgl. BVerfGE 55, 37 - Bremer Hochschulurteil. 113 Vgl. BVerfGE 61, 210 - Integrierte Gesamthochschule.

114 Hailbronner, Funktionsgrundrecht, 1979. Vgl. Küchenhoff, Grundgesetz und Hochschulreform, 1964, S. 603. Der Hinweis auf die institutionelle Veränderung des "Jedermannsgrundrechts" in ein "Funktionsgrundrecht" bei MallmannlStrauch, Verfassungsgarantie, 1970, S. 53 f. dürfte nicht normativ, sondern deskriptiv gemeint sein. 115 Hailbronner, a.a.O., S. 12-23. 116 Ebd., S. 83-88. 117 Ebd., S. 85 f., 95-101, 257 f.

134

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

Auch braucht die organisationsrechtliche Koordination der Rechtspositionen durch die allgemeine Grundrechtsberechtigung nicht unterlaufen zu werden ll8 , sondern kann eine im Sinne des Grundrechts liegende Empfindlichkeit gegen funktionell begründete Pflichten erfahren, ohne daß damit Funktionserfordernisse beeinträchtigt werden. Schließlich untersagt das Grundrecht nicht die staatliche Förderung der Zweckforschung an der Institution 1l9 , da es nicht auf Grundlagenwissenschaft spezialisiert ist, und außerdem berechtigt es nicht dazu, die verfassungsrechtlich gestützten Dienstpflichten zugunsten von wissenschaftlichen Nebentätigkeiten zu beeinträchtigen 12o • Immerhin arbeiten die Überlegungen über ein besonderes Funktionsgrundrecht aber die Differenzierungsprobleme deutlich heraus und tragen damit zu ihrer angemessenen Bewältigung bei. Ähnlich wie bei der Kunstfreiheit, könnte sich auch bei der Wissenschaftsfreiheit die Frage erheben, ob der Vermittler, der nicht unmittelbar am Werkbereich beteiligt ist, aber im Wirkbereich eine selbständige Rolle ausübt, den Grundrechtsschutz in eigener Person geltend machen kann 121. Diese Frage könnte sich vor allem für Verleger und Wissenschaftsjournalisten stellen. Die Argumente, die bei der Kunstfreiheit dafür sprechen, daß die Vermittler in den Grundrechtsschutz einzubeziehen sind, treffen teilweise auch für den Bereich der Wissenschaftsfreiheit zu; jedoch läßt sich die Wissenschaftsfreiheit nicht in die Reihe der allgemeinen Kommunikationsgrundrechte einfügen, die unmittelbar auf die allgemeine Vermittlung und Korrespondenz durch die Allgemeinheit angelegt sind, sondern ergänzt diese durch den Schutz eines besonderen Kommunikationsbereichs, der unter eigengesetzlichen Bedingungen steht und für die Allgemeinheit nicht unmittelbar zugänglich, seiner unmittelbaren Erscheinung nach daher kein Gegenstand der Alltagskommunikation ist. Andererseits trägt die zunehmende Verwissenschaftlichung sämtlicher Lebensbereiche dazu bei, daß die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in immer breiter werdendem Strom an die Öffentlichkeit herangetragen wird. Im Unterschied zum Künstler arbeitet der Wissenschaftler aber grundsätzlich nicht für das allgemeine Publikum, sondern für den Erkenntnisfortschritt auf besonders qualifizierter Ebene. Die wissenschaftliche Lehre als Vermittlung des Erkenntnisfortschritts setzt einen angemessenen Qualifikationszusammenhang für ihre Ausübung voraus und richtet sich primär an ein qualifiziertes Publikum. Beides könnte für die wissenschaftlich vorgebildeten Wissenschaftsverleger zutreffen, es fehlt jedoch am selbständi-

Ebd., S. 64, 148-150, 158-160,265-271. Ebd., S. 258 f. 120 Ebd., S. 259 f. 121 Vgl. Henschel, Kunstfreiheit, 1990, S. 1939 f. 118 119

2. Bedeutung, Schutzzweck

135

gen Kontakt mit dem Forschungsbereich und an der Einbeziehung der Weitervermittlung in einen entsprechenden Lehrzusammenhang, der Forschung und Ausbildung miteinander verbindet. Allenfalls bei demjenigen Verleger, der in den wissenschaftlich erforderlichen Kommunikationszusammenhang eingeschaltet ist, ein selbständiges Forum für die Forschung und Lehre zur Verfügung stellt und eigenverantwortlich für ein wissenschaftlich nicht nur allgemein qualifiziertes und interessiertes, sondern auf die Verlagstätigkeit zugleich auch angewiesenes Publikum tätig ist, läßt sich eine eigenständige Wissenschaftlichkeit der Tätigkeit annehmen. Der Verleger erscheint in diesem Fall als verlängerter Arm des Wissenschaftlers, ohne sich in Hilfsfunktionen zu erschöpfen. Über diesen engen und für die jeweilige Publikations.tätigkeit gesondert festzustellenden Kreis der selbständig im Wissenschaftsbetrieb agierenden Wissenschaftsvermittler hinaus, die eine wissenschaftsinterne, forschungs- und lehreergänzende Tätigkeit leistet, läßt sich die Wissensehaftsfreiheit nicht auf nicht am Wissenschaftsprozeß unmittelbar Beteiligte erstrecken. Der nicht mit der Forschung und Lehre aufs engste verbundenen und in diese einbezogenen Verlags- oder Publikationstätigkeit fehlt es an der selbständigen Wissenschaftlichkeit. Demnach muß sich die nicht unmittelbar mit der wissenschaftlichen Tätigkeit verbundene Vermittlung mit dem Schutz durch die sonstigen Freiheitsrechte begnügen 122 . Jedoch wird die Verlagstätigkeit in der Person der beteiligten Wissenschaftler mittelbar geschützt. 2.4.2.2 Funktioneller Geltungsbereich

2.4.2.2.1 Abwehrrecht Nach der klassischen Grundrechtsfunktion hat die Wissenschaftsfreiheit in erster Linie als Abwehrrecht zu gelten, mit dem gegen staatliche Eingriffe in die Freiheit der Grundrechtswahrnehmung vorgegangen werden kann. Der Schutzzweck des Grundrechts richtet sich danach gegen jede Form der staatlichen Unterdrückung und Behinderung und verfolgt das Ziel, die wissenschaftliche Entfaltung von staatlicher Bevormundung freizuhalten 123. Mit der Entwicklung vom Obrigkeits- zum demokratischen Rechtsstaat hat sich

122 Für die Einbeziehung in den besonderen Grundrechtsschutz dagegen Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 736. Zur Ausdehnung des wissenschaftlichen "Haftungsprivilegs" bei der Mitteilung von Forschungsergebnissen auch auf Verleger Heldrich, Freiheit, 1987, S. 41-58 (54-58). 123 Vgl. Schatz, in: MaunzlDürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 110; Bauer, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S. 38-51.

136

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

die Ausgangslage für die klassische Grundrechtsfunktion jedoch verändert; vor allem hat sich das vorausgesetzte Schema der Konfrontation vielfach in den Bereich der Kooperation verschoben, was Erweiterungen und Ergänzungen der abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion erforderlich machte 124 • Die neuen oder in neuem Umfang eröffneten Möglichkeiten der staatlichen Einflußnahme verlangen nach zusätzlichen Formen der Abgrenzung. So hat sich auch im Wissenschaftsbereich etwa mit der Ausdehnung der staatlichen Förderung der Begriff des Grundrechtseingriffs auf mittelbare und faktische Beeinträchtigungen erweitert, wurden organisations- und teilhaberechtliche Fragen aufgeworfen, positive Schutzbedürfnisse erkennbar und das Verhältnis zwischen dem individuellen Grundrechtsschutz und der objektiven Grundrechtswirkung unter neue Voraussetzungen gestellt. Insbesondere erhebt sich die Frage, wie weit die abwehrrechtliche Bedeutung gegenüber der Einflußnahme durch die Förderung an sich und die mit der Förderung verbundenen Maßgaben gewahrt werden kann l2s • Der erste Teil der Frage führt in den Bereich der objektiven Grundrechtswirkung und zum Verhältnis zwischen dem staatlichen Bereichs- und dem individuellen Grundrechtsschutz; der zweite Teil läßt die Notwendigkeit, die abwehrrechtliche Schutzfunktion zu erweitern, deutlich werden. Das gilt auch für den Fall, daß Zugang zu staatlichem Informationsmaterial begehrt wird, das nicht unter Geheimnisschutz steht, und dessen Weitergabe ebenfalls eine Form der Wissenschaftsförderung darstellen kann. Von den Fragen, wie weit die Förderung an bestimmte Projekte und Themen gebunden werden darf und welche Rechte etwa beim Zugänglichmachen von Informationsmaterial bestehen, zunächst abgesehen, dürfte einleuchten, daß willkürliche Bedingungen und Auflagen, aber auch unangemessene Vorbehalte, wie Auswertungsbeschränkungen, Genehmigungsvorbehalte oder Veröffentlichungsbeschränkungen, bei der Förderung unzulässig sind und eine Möglichkeit zur Abwehr bestehen muß 126. Die Tatsache, daß die Einflußnahme mit der Förderung verbunden wird, darf die Eingriffswirkung nicht absorbieren. Umgekehrt leuchtet ebenso ein, daß die Möglichkeit bestehen muß, legitime staatliche Interessen an der Vorantreibung der Forschung, an der zweckentsprechenden Verwendung der Mittel oder an der Einhaltung von Schutzbelangen bei der Förderung geltend zu machen. Die Förderung

Grds. Karpen, Auslegung, 1987. Vgl. oben 1.2.2 und 1.2.9.3. 126 Vgl. Rostek, Rechtliche Kollisionen bei empirischer Forschung, 1976; Ouo, Pädagogik, 1980; Ingenkamp, Freiheit der pädagogisch-psychologischen Forschung; Avenarius, Informationszugang, 1980; Brustenl Eberweinl Feltes I GoUner I Schumann, Freiheit, 1981. 124

125

2. Bedeutung, Schutzzweck

137

läßt sich in diesem Rahmen nicht wie eine beschränkende Maßnahme messen. Wenn jedoch auf die Förderung ein Anspruch besteht, der gemindert wird, oder wenn ein angemessener Zusammenhang mit dem Förderungszweck überschritten wird oder wenn darüber hinaus eine verfassungsrechtlich nicht rechtfertigbare Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit mit der Förderung verknüpft wird, muß sich der Grundrechtsschutz gegen die einschränkende Wirkung durchsetzen können. Das Problem ist vielfach, daß der Schutz nicht geltend gemacht wird, um die Förderung nicht zu verscherzen, und der Staat daher keiner ausreichenden Kontrolle unterliegt. Daher könnten sich gesetzliche Rahmenbestimmungen für die Förderung als sinnvoll erweisen, um die Rechtslage näher festzulegen und der Abwehr mehr Rückhalt zu verleihen. Deutlicher als im Förderungsbereich wird die Anwendbarkeit der abwehrrechtlichen Grundrechtsbedeutung in der Hochschulorganisation betont, die in erster Linie dem Zweck dient, der individuellen Grundrechtswahrnehmung eine institutionelle Entfaltungsmöglichkeit zu sichern, und die daher auf die Beachtung der individuellen Freiheit eingestellt ist 127 • Der Abwehranspruch gegenüber Benachteiligungen organisationsrechtlicher Art richtet sich aber vielfach nicht auf die Unterlassung von Eingriffen, sondern auf die gleichberechtigte, angemessene Beteiligung am organisatiorischen Zusammenwirken, mit welcher der Grundrechtsschutz organisationsrechtlich eingelöst wird. Der individuelle Abwehranspruch kann sich mit einem kollektiv-institutionellen Abwehranspruch verbinden oder auf diesen übergehen, soweit die kollektivinstitutionelle Selbständigkeit als Verstärkung der individuellen Freiheit betroffen ist. Gleichzeitig können im Innenverhältnis zwischen der grundrechtssichernden Institution und dem grundrechtsberechtigten Mitglied ebenfalls Abwehransprüche entstehen, soweit die individuelle Rechtsstellung über das Maß des Zusammenwirkens hinaus in Anspruch genommen oder vernachlässigt wird. 2.4.2.2.2 Besondere Schutzrechte Das Beispiel der institutionellen Organisation zeigt, daß der Abwehranspruch, wenn der Grundrechtsschutz durch ungenügende organisations- und verfahrensrechtliche Sicherung verletzt würde, als Anspruch auf grundrechtswahrende Organisation erscheinen kann 128 • In diesem Zusammenhang wird

127

128

Vgl. oben 11.6. V gl. oben 11.5.1.

138

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

die verfahrensrechtliche Bedeutung der Grundrechte herausgefordere 29 und die Notwendigkeit der verfahrensrechtlichen Sicherung des Grundrechtsschutzes deutlich 130. Der Anspruch verbindet sich mit dem objektiven Schutzzweck, die Grundrechtsausübung institutionell zu gewährleisten. Auch bei wissenschaftlichen Interessen an staatlichen Informationen erhebt sich die Frage, ob die abwehrrechtliche Bedeutung des Grundrechts in ihrer Schutzwirkung zu erweitern ist. Probleme ergeben sich vor allem aus der Konkurrenz mit staatlichen Geheimhaltungsinteressen 131 • Prinzipiell sind diese der demokratischen und wahrheits orientierten Ordnung verpflichtet und daher nicht als Selbstzweck anzuerkennen 132 • Pauschale Geheimhaltungsbereiche lassen sich demnach nur in engen Grenzen rechtfertigen, und die Einschränkung oder der Ausschluß der Publizität müssen jeweils begründet und als angemessene Interessenwahrnehmung dargelegt werden können 133 • Mit der Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit hat sich der Staat außerdem selbst unter die wissenschaftliche Wahrheit gestellt und darf daher den wissenschaftlichen Zugriff nicht grundsätzlich abwehren. Sowohl bei der Förderungsverteilung als auch bei der Genehmigung und Unterstützung hinsichtlich von Forschungsvorhaben, die sich mit der staatlichen Aufgabenerfüllung beschäftigen, darf sich der Staat daher nicht zum willkürlichen Sachwalter aufspielen, sondern hat weitestmäglich Entgegenkommen zu zeigen. Nur soweit rechtfertigbare Schutzbelange dem Schutz-

129 Die im Gefolge von BVerfGE 53, 20 (69 ff.) - Mülheim-Kärlich, vgl. auch BVerfGE 35, 79 (115 f.) - Hochschulurteil, stark in den Vordergrund gestellt wurde. Vgl. statt vieler Bethge, Grundrechtsverwirklichung, 1982; ders., Wissenschaftsrecht, 1990, S. 703, 754; Ossenbühl, Grundrechtsschutz, 1982; Staupe, Parlamentsvorbehalt, 1986, S. 203-211, 234; Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, S. 373-376; im vorliegenden Zusammenhang Eser, Risiken und Privilegien, 1976, Nejelskil Peyser, Entwurf eines Forscherschutzgesetzes, 1976. 130 Vgl. auch Jarass, Grundrechte, 1985, bes. S. 378-381, 385-388, 394 f.; v. Mutius, Urteilsbesprechung, 1987. 131 Grds. Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, S. 102-126,420 Fn. 34, S. 420-422. Vgl. zur Amtsverschwiegenheit § 39 BRRG, § 353 b StGB; die Stellungnahme von BVerfGE 28, 191 (196-198) zum obrigkeitsstaatlichen Charakter der Strafvorschrift wirkt reichlich oberflächlich. Die demokratische Grundrechtlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit der Verfassung erscheint unter dem Gesichtspunkt staatlicher Geheimhaltungsinteressen als Vorzimmer, das zum traditionellen staatlichen Innenraum grundsätzlich geschlossen ist. Vgl. die krit. Stellungnahme von Häberle, a.a.O., S. 35, 123126,460. 132 Vgl. auch Grünwald, in: GoUner, Konfliktträchtigkeit moderner Forschung, 1976, S. 151; ferner Day, Geheirnhaltungsprivilegien, 1976, S. 115, 118 f. 133 Vgl. Häberle a.a.O. Zur Bedeutung der Grundrechte als Argumentationslastregeln, die dem Staat einen Begründungszwang auferlegen, v. Kirchbach, Arzneimittelkontrolle, 1985, S. 168-170.

2. Bedeutung, Schutzzweck

139

gebot für die wissenschaftliche Entfaltungsfreiheit entgegenstehen, darf das Forschungsinteresse zurückgewiesen werden. Die Rechtslage verlangt, daß diese Frage nicht überschlägig und vordergründig behandelt, sondern soweit wie möglich dargelegt und erörtert wird und ein Verfahren eingeschlagen wird, das einen Interessenausgleich fördern und zu bestmöglichen Lösungen führen kann. So ist eine nicht spezifizierte staatliche Abschirmungspolitik, wie sie etwa hinsichtlich von Forschungsvorhaben im staatlichen Schul bereich kritisiert wurde 134, sowohl mit dem demokratischen Transparenzgebot als auch mit dem Schutzgehalt der Wissenschaftsfreiheit unvereinbar135 • Ein Mangel besteht auch darin, daß es an gesetzlichen Bestimmungen fehlt, die ein Verständigungs verfahren, das für die Berücksichtigung der jeweiligen Belange sorgt, vorsehen und die Rechtslage aufarbeiten helfen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das Beispiel stellvertretend zu sehen l36 . Es zeigt sich, daß sich die Zugangs- und Schutzproblematik, die hinsichtlich staatlicher Handlungs- und Datenbereiche als Forschungsgegenstand besteht, nicht mit der herkömmlichen Grundrechtsinterpretation bewältigen läßt, ohne die Rechtslage ungerechtfertigt zu verkürzen. So hat bei der Frage nach Zugangsrechten die Wissenschaftsfreiheit als Abwehrrecht, wie es scheint, grundsätzlich keinen Anwendungsbereich, und die objektive Grundrechtswirkung, die den Staat zur Beachtung der Wissenschaftsfreiheit verpflichtet, vermittelt grundsätzlich keinen subjektiven Anspruch. Der teilhaberechtliche Grundrechtsgehalt läßt sich nicht im Sinne eines unmittelbar eingeräumten Leistungsanspruchs verstehen, und eine Vermittlung über ein teilhabefähiges Staatshandeln setzt eine staatliche Vorleistung für die Frage der Beteiligung daran voraus. Dieser Weg kann spezialgesetzlich eröffnet sein, wie in Archiv- oder Statistikgesetzen 137; für Forschungsinteressen lassen sich daraus auf das Wissenschaftsgrundrecht gestützte, analog-gleichheitliche oder erweiternd verstandene Berechtigungen ableiten, die aber auf den Rege-

134 Dazu Otto, Pädagogik, 1980; lngenkamp, Freiheit, 1980. Vgl. die entsprechenden Beobachtungen aus dem Strafrechts- und öffentlichen Verwaltungsbereich bei BrustenlEberweinlFelteslGaUnerlSchumann, Freiheit, 1981; ferner Eser, Risiken und Privilegien, 1976; Rostek, Rechtliche Kollisionen bei empirischer Forschung, 1976; Haferkamp, Kriminalsoziologische Forschung, 1976. 135 Näher Avenarius, Informationszugang, 1980, S. 75-88; Eser, Risiken und Privilegien, 1976. 136 Gegen den regellosen Zustand auch Haferkamp, in: GaUner, Konfliktträchtigkeit moderner Forschung, 1976, S. 154. Zur Einschätzung gesetzlicher Unterstützung der Forschungsfreiheit in der Sozialwissenschaft Brustenl Eberwein I Feltes I GaUner I Schumann, Freiheit, 1981. 137 Vgl. Wyduckel, Archivgesetzgebung, 1989; Dammann, Zugang der Forschung zur amtlichen Statistik, 1976, bes. S. 316 f.

140

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

lungsrahmen bezogen bleiben. Eine allgemeine wissenschaftliche Zugangsberechtigung läßt sich daraus nicht gewinnen. Wissenschaftliche Zugangsinteressen darüber hinaus sind daher der objektiven Staatsanleitung zur Berücksichtigung der Grundrechtsbelange anheimgestellt. Soweit der "Gesetzesvorbehalt", der im Sinne eines Ausgestaltungsauftrags im Hinblick auf die teilhaberechtliche Grundrechtsdimension vorausgesetzt werden muß 138 , nicht ausgeführt wird, hat die Forschuq.g das Nachsehen. In diesem Fall bleibt es bei den informationsrechtlichen und informellen Wegen 139 , mit denen im rechtlichen Zwielicht eine freiheitsbelastende Praxis geübt werden kann, die nur teilweise der Grundrechtsintention entspricht. Sowohl das Bundesverwaltungs- als auch das Bundesverfassungsgericht haben sich zu der restriktiven Beurteilung der Rechtslage bekanne 40 • Daß diese Situation unhaltbar ist, ergibt sich aber aus dem Wissenschafts grundrecht und wird unterstrichen durch die - in Parallele zur verfassungsgerichtlichen Einschätzung der allgemeinen Kommunikationsgrundrechte l41 , aber vertieft zu sehende - staatskonstitutive Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit, die den Staat zu besonderer Berücksichtigung der wissenschaftlichen Belange verpflichtet. Zwar liegt ein Anspruch auf Ausübung der Forschungsfreiheit im positiven Sinne, der als Leistungsanspruch auf die zur Ausübung erforderlichen Mittel verstanden werden kann, prinzipiell außerhalb des Schutzbereichs. Der Zugangs an spruch läßt sich aber auch als Frage der unbeeinträchtigten Ausübbarkeit verstehen, denn der grundrechtliche Abwehranspruch konstituiert sich nicht nur mit einem zielgerichteten Eingriff in das Freiheitsrecht, sondern auch dann, wenn die Grundrechtswahrnehmung an sonstige Grenzen stößt, die sich einschränkend auf den Grundrechtsanspruch auswirken l42 • Diesen Fall im hier behandelten Zusammenhang als Teilhabeproblem zu betrachten, das den Gebrauch der Grundrechtsfreiheit als Zuteilungsteilhabe erscheinen

138

95 f.

Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 121-123; ders., Freiheit, 1976, S. 83, 89 f.,

139 Zu Abschirmungs- und Zugangstaktiken Müller, Prestige und Verantwortlichkeit, 1976, S. 330-337. 140 BVerwG DÖV 1986, 475; BVerfG NJW 1986, 1243 - Akteneinsicht zu Forschungszwecken. 141 Zur Meinungsfreiheit BVerfGE 7, 198 (208) - Lüth; zur Informationsfreiheit BVerfGE 27,71 (81) - ÜberwachungsG; zur Pressefreiheit BVerfGE 20, 162 (174 f.) - Spiegel; zur Rundfunkfreiheit BVerfGE 35, 202 (221) f.) - Lebach. 142 Zur Erweiterung des Blickwinkels beim Eingriff von der Handlung auf die Auswirkung Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 338-344 (unt. Hinw. auf Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, 1970, und Kirchhof, Mittelbares Einwirken, 1977).

2. Bedeutung, Schutzzweck

141

ließe, würde die Grundrechtsberechtigung zur Verwaltungsaufgabe in staatlicher Hand machen und von staatlicher statt Bürgerfreiheit ausgehen. Der Grundrechtseingriff konstelliert sich vielmehr auch durch Grundrechtswahrnehmung, sofern sich diese im Garantiebereich bewegt und auf einschränkend wirkende Staatsrnaßnahmen trifft!43. In dieser Situation geht es nicht um eine Leistung des Staates, mit der die Grundrechtsausübung ermöglicht werden kann, sondern um die Unterlassung oder Aufhebung einer Einschränkung, die der Grundrechtsausübung entgegensteht. Die Sach- und Rechtslage erscheint als Parallele zum mittelbaren und faktischen Grundrechtseingriff, die bei grundrechtsbeeinträchtigenden Regelungen oder Handlungen in Betracht kommen!44. Zugleich ergibt sich eine Entsprechung zum Fall des rechtlich präfonnierten Grundrechtsschutzes!45, indem die Grundrechtswahrnehmung eine Schutzbereichskonkretisierung schafft, der gegenüber bestimmte Ausübungsgrenzen wie Eingriffe erscheinen und nicht einen Anspruch auf Grundrechtserweiterung, sondern auf Zurücknahme der Einschränkung hervorrufen. Daher läßt sich von der Aktualisierung eines latenten Abwehranspruchs sprechen. Diese Sicht findet in allgemeinen grundrechtsdogmatischen Stellungnahmen Unterstützung. So wird hervorgehoben, daß in entsprechenden Fällen über die Schritte zur Erweiterung des Eingriffsbegriffs bei faktischen und mittelbaren Beeinträchtigungen hinaus zur funktionalen Schutzbereichsbestimmung überzugehen und danach die Frage der Grundrechtsverletzung zu beurteilen ist, da die Kriterien zur Eingriffsbezogenheit nicht genügen!46. Nach ähnlicher Auffassung lassen sich nicht ausschließlich auf Eingriffsabwehr ausgerichtete Freiheitsrechte als Handlungsrechte verstehen, die Tätigkeiten erlauben und bei Verhinderung einen Abwehranspruch hervorrufen!47. Außerdem wird darauf hingewiesen daß je nach Schutzbereich auch die Verweigerung staatlicher Leistungen als Eingriff und in diesem Fall auch präfor-

143 Dem erweiterten Eingriffsverständnis entspricht die am Normzweck orientierte Schutzbereichsauslegung (vgl. Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 342, 343 f.), daher ergänzen beide einander. Vgl. Bleckmannl Eckhoff, Mittelbarer Grundrechtseingriff, 1988, S. 378. 144 Vgl. Ramsauer, Schutzbereich, 1981, S. 89-99; BleckmannlEckhoff, Mittelbarer Grundrechtseingriff, 1988. 145 Vgl. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988. 146 Ramsauer, Schutzbereich, 1981, unt. Hinw. darauf, daß bei aktiver Geltendmachung der Schutzbereich gleichzeitig immanent relativiert wird (102 f.). Vgl. den Hinw. bei Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 338, 342 f. auf nicht übergehbare öffentliche Interessen. 147 Merlen, Handlungsrechte, 1982, bes. S. 103-109.

142

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

mierende staatsinterne Regelungen als Beeinträchtigung zu betrachten sem können 148 • Eine Ergänzung erfahren der gesetzlich begründete und- grundrechtlich gestützte Zugangsanspruch sowie der Anspruch auf Beseitigung beschränkender Behinderung der Grundrechtsausübung durch eine grundrechts begleitende objektive Schutzpflicht, die vermeiden hilft, daß der grundrechtliche Abwehranspruch zu stark isoliert wird und daher zu kurz kommt, und die der objektiven Grundrechtswirkung im Sinne der rechtlichkeitsfördernden Verhaltenspflicht Geltung verschafft 149 • So ist mit einigen Grundrechtsbestimmungen explizit eine besondere Schutzpflicht verbunden, die, von der individuellen Geltendmachung abgesehen, eine objektive Gewährleistungspflicht des Staates anordnd 50 • Was damit an Aufmerksamkeit des Staates für die Grundrechtsverwirklichung verlangt wird, läßt sich von der allgemeinen PflichtensteIlung des Staates als Grundrechtsadressat nicht grundsätzlich trennen. Diese PflichtensteIlung beschränkt sich nicht auf die Abhilfe von unzulässigen Grundrechtseingriffen, sondern umfaßt selbstverständlich die vorausschauende Berücksichtigung der Grundrechte und das Bemühen, den Abhilfefall zu vermeiden sowie Abhilfe nicht von vornherein zu vereiteln l5l . Jedem Grundrechtsanspruch korrespondiert daher nicht nur die Pflicht, auf seine Geltendmachung rechtlich korrekt zu reagieren, sondern auch, den Grundrechtsschutzbereich im Hinblick auf seine Gewährleistung entsprechend in Anschlag zu bringen und vor Verletzungen zu bewahren. Die begleitende Schutzpflicht verbreitert bei allen Grundrechten die objektive Seite der staatlichen Gewährleistung 152 • Je nach dem Inhalt der Grundrechte kommt die stillschweigende Schutzpflicht stärker zum Tragen oder bleibt eher im Hintergrund; beim Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit werden entsprechende Schutzpflichten unmittelbar vom Schutzbereich umfaßt und erscheinen als wesentlicher Inhalt der staatlichen Garantenstellung 153 • Aber auch jedes andere

BleckmannlEckhoff, Mittelbarer Grundrechtseingriff, 1988, bes. S. 378 f. Jarass, Grundrechte, 1985, S. 378-381,394-396. ISO Art. I Abs. I S. 2, Art. 6 Abs. I, 4 GG; vgl. Stern, Staatsrecht 111/1, 1988, § 69 S. 934 f., 938. 151 Als Konsequenz der Rechtsbindung nach Art. lAbs. 3 GG, die nicht nur eine Mindestpflicht anordnet, sondern aus dem gesamten Zusammenhang mit der grundrechtsbestimmten (Rechts-)Staatlichkeit zu verstehen ist. Vgl. Stern, a.a.O., S. 943950. 152 Deutlich bei der Gewährleistung objektiver Schutzbereiche, wie hinsichtlich Wissenschaft und Kunst; vgl. Stern, Staatsrecht III / 1, 1988, § 69 S. 936 f. 153 Grds. Hennes, Schutz von Leben, 1987. 148 149

2. Bedeutung, Schutzzweck

143

Grundrecht verlangt eine aktive Unterstützung seiner Schutzanliegen, die über wohlwollende Behandlung hinausgeht und die Grundrechte durchweg in ein objektiv-rechtliches Licht rückt. Auf der Grundlage der grundrechtsbestimmten Staatsordnung läßt sich die Schutzpflicht darüber hinaus als allgemeines Prinzip verstehen, das den Staat zugleich in einer negativen und positiven Garantenstellung erscheinen läße 54 • Zwischen der aktiv-schutzrechtlichen Seite der Grundrechte und der teilhaberechtlichen Grundrechtsinterpretation läßt sich zwar eine gedankliche Verbindung herstellen, die grundsätzliche Unterschiedlichkeit der Schutzrichtungen widerspricht aber einem engen rechtlichen Zusammenhang l55 • Auch ein subjektiver Schutzanspruch würde sich auf den Freiheitsanspruch und die Eingriffsabwehr beziehen und keine zu dessen Materialisierung erst hinführende Vorleistungspflicht bedeuten. Unabhängig davon äußert sich die Schutzpflicht nicht ohne weiteres zugleich in einem entsprechenden subjektiven Anspruch l56 • Andererseits läßt sich zwischen der objektiv-rechtlichen Schutzpflicht und schutzzweckentsprechenden Abwehransprüchen, die sich als subjektive Schutzansprüche auswirken, keine starre Trennlinie ziehen 157. So liegt es nahe, einen subjektiven Schutzanspruch gerade in den Fällen herausgefordert zu sehen, in denen sich staatliche Ordnungsbereiche beschränkend auf die Grundrechtsausübung auswirken, und davon auch einen Leistungsanspruch auf Zugang oder Erlaß von zugangsermöglichenden Regelungen umfaßt zu sehen l58 ; mindestens wird unter dem Gesichtspunkt der Schutzpflicht deutlich, daß die Ermessensausübung bei der Anwendung beschränkend ins Feld geführter Bestimmungen oder entsprechender Berufung auf die Rechtslage durch die Forschungsbelange eingeengt sein kann l59 • Aber auch ein Schutzanspruch darüber hinaus dürfte nicht generell abzuleh-

154 Vgl. Stern, a.a.O. - Der Zusammenhang zwischen beiden darf jedoch nicht außer acht gelassen werden, um den Schutzauftrag vor dem Umschlagen in grundrechtsverkürzende Auswirkungen und politische Anmaßung zu bewahren. Vgl. BVerfGE 39, 1 - Schwangerschaftsabbruch - abweichende Meinung S. 68-95 (73 f., 76-78, 80 f., 86-90, 94). Vgl. ferner Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht, 1989; Pietzcker, Drittwirkung - Schutzpflicht - Eingriff, 1990. - Dagegen betont den Zusammenhang mit der Drittwirkung Classen, Ableitung von Schutz pflichten, 1987. 155 Zum Versuch, die Schutzpflicht aus teilhaberechtlichen Grundlagen abzuleiten, Stern, Staatsrecht IIIIl, 1988, § 69 S.948 (m.w.N.). Krit. Hund, Staatliche Schutzpflichten statt Teilhaberechte, 1987. 156 Grds. zu dieser Frage Stern, a.a.O., S. 978-993. 157

Grds. Robbers, Sicherheit, 1987, bes. S. 129-157.

Zurückhaltend Jarass, a.a.O., S. 379-381, 395 (Evidenz und Nachhaltigkeit der Beeinträchtigung). 159 Vgl. Jarass, a.a.O., S. 381. 158

144

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

nen sein. Je nach Fallkonstellation kann sich die objektive Schutzpflicht zu einem subjektiven Schutzanspruch konkretisieren oder umgekehrt der subjektive Anspruch auf Nichtbeeinträchtigung in einen Schutzanspruch umschlagen, der die objektive Schutzpflicht auf den Punkt der subjektiven Einforderbarkeit bringt 160 Die Beseitigung der Beeinträchtigung kann im übrigen, je nach Ausgestaltung des Schutzbereichs, auch als Beteiligung an Schutzmaßnahmen erscheinen 161 ; je nach deren Charakter als eher beeinträchtigungsabwehrend oder schutzbereichserweiternd bilden in diesem Fall abwehr- und leistungsrechtliche Grundrechtswirkungen einen näheren Zusammenhang. Diese Erwägungen finden bei der Forschungsfreiheit, deren grundsätzliche, über den individuellen Störungsabwehranspruch hinausreichende Bedeutung bezeichnend ist, breiten Anwendungsbereich. Eingriffsabwehr-, Schutzbereichswahrungs- und Schutzanspruch fügen sich zu einem Kreis von Ausübungsgewährleistungsrechten zusammen, die zu einem angemessenen Grundrechtsschutz verhelfen. Soweit eine gesetzliche Grundlage auf Zugang besteht, braucht der grundrechtliche Anspruch daher nicht allein auf gleichberechtigte Wahrnehmungsmöglichkeit gerichtet, sondern kann mit einem Behinderungsabwehranspruch verbunden sein, der über die Reichweite der gesetzlichen Grundlage für den Zugang hinausreichen kann; in diesem Fall verselbständigt er sich zum ausübungskonkretisierten Abwehranspruch, der die staatlich gesetzte Grenze besonders überprüfen läßt. Soweit es an gesetzlichen Zugangsrechten fehlt, kann sich im grundrechtlich geprägten Wahrnehmungsbereich die Versagung des Zugangs als Grundrechtseingriff erweisen, der einen Abwehranspruch hervorruft. Daneben kommt in Betracht, daß ein selbständiger Schutzanspruch zur Wahrung der Grundrechtsgewährleistung geltend gemacht werden kann. Voraussetzung dafür ist jeweils, daß es sich um eine schutzbereichsgemäße, für die Grundrechtswahrnehmung geeignete Ausübungsform handelt, bei der es nicht um Expansion, sondern um Verwirklichung des grundSätzlich eingeräumten Grundrechtsschutzes geht, und deren Unterbindung eine dem Schutzzweck widersprechende Beschränkung bedeutet. In diesem Fall ist es unangemessen, die Schematik von Eingriffsabwehr und Regelungsteilhabe nur vordergründig und abhängig vom Belieben der staatlichen Regelungsmacht anzuwenden 162 •

160 Vgl. Hennes, Schutz von Leben, 1987, S.208-218; Stern, Staatsrecht 111/ I, 1988, § 67 S. 743 f.9 161 So bes. in organisations- und verfahrensrechtlichen Bereichen: vgl. Stern, a.a.O., S.986. 162 Ganz in diesem Sinne Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1987, S. 211-219, 242247.

2. Bedeutung, Schutzzweck

145

Aufgrund der Freiheitsgarantie kann daher der Zugang zu nicht ohne weiteres zur Verfügung stehenden Forschungsunterlagen beantragt und die Grundrechtswahrnehmung rechtlich konkretisiert werden; bei Ablehnung verwandelt sich der latente in einen konkreten Abwehranspruch, der als Zugangsanspruch, begründet mit der Schutzptlicht für die Forschungsfreiheit und, unabhängig davon, mit der Rechtswidrigkeit der Versagung als Grundrechtsverletzung, geltend gemacht werden kann l63 • Nur indem der latente Abwehr- und Schutzanspruch konkretisiert und eingebracht werden kann, lassen sich etwaige Tendenzen zu einer staatlichen Abschirmungspolitik grundrechtsgerecht auffangen; der teilhaberechtliche Maßstab und das Verschieben auf eine unerfüllte gesetzgeberische Aufgabe sowie eine objektivrechtliche Ptlichtbindung, die nicht überprüft werden können, gehen am Sinn und Zweck des Grundrechts und der ausdrücklichen Bindung der Staatsgewalt vorbei. Nur die subjektiv-rechtliche Aktualisierung des Grundrechtsschutzes kann zudem auch der objektiv-rechtlichen Grundrechtsbedeutung, die in der Wissenschaftsfreiheit in hohem Grad verdichtet ist, zu ihrer angemessenen Durchsetzung verhelfen, ohne auf ein rückständiges, an der demokratischen Grundbedeutung der Wissenschaftsfreiheit vorbeigehendes Verständnis des Grundrechts festgelegt zu sein. Der Staat erfüllt seine verfassungsrechtlichen Aufgaben zugunsten der Wissenschaftsfreiheit nicht nur durch Institutionalisierung und Förderung, er hat sich vielmehr selbst unter das Gesetz der wissenschaftlichen Erforschbarkeit zu stellen 164. Bestand und Ausmaß der Nichtbeschränkungsptlicht oder der Abgrenzungsberechtigung sind auf einer weiteren Stufe zu untersuchen. Nur wenn verfassungsrechtlich geschützte Interessen dem Grundrechtsanspruch entgegenstehen, muß dieser sich beschränken lassen, kann aber nur soweit zurückgedrängt werden, wie diese Interessen die geltend gemachten wissenschaftlichen Interessen überwiegen. Als Voraussetzung des Anspruchs ist die Wissenschaftlichkeit des geltend gemachten Interesses nachzuweisen und dessen Tragweite darzulegen; soll die Einschränkung gerechtfertigt werden, ist ihre verfassungsrechtliche Legitimation nachzuweisen und ihr Gewicht darzulegen. Zwischen dem wissenschaftlichen und dem entgegenstehenden staatli-

163 Vgl. die Kriterien zur Frage der Schutzbereichsbeeinträchtigung bei Ramsauer, Schutzbereich, 1981, S. 103-105 (besondere Dichte der Erfolgsbeziehung und davon abhängende Intensität der Beeinträchtigung), die sich je nach Grundrechtsanspruch und Sachlage nicht nur restriktiv auswirken. 164 Vgl. auch Barker, Einbruch in die Geheimsphäre der Regierung, 1976. - Das Zugangs problem im Hinblick auf private Machtbereiche behandelt Schumann, Ethische und rechtliche Probleme, 1976; in diesem Bereich ist ein Zusammenhang mit Fragen des Forscherschutzes zu erkennen (dazu weiter unten), die sich auf die Position des Forschers auswirken.

10 [.,eh

146

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

chen Interesse ist abzuwägen mit dem Ziel, einen soweit wie möglich wissenschaftsschützenden Weg zu finden. Der Nachweis der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anerkennung des wissenschaftlichen Interesses steht keiner wertenden, sondern nur einer sachlich feststellenden Überprüfung im Sinne der oben genannten Kriterien offen; das darzulegende Gewicht des wissenschaftlichen Interesses ist nicht nach der unmittelbaren Fragestellung allein zu bewerten, sondern unter seiner öffentlichkeitsbezogenen, allgemeinwohlbestimmten Bedeutung zu würdigen. Der staatlichen Seite obliegt es, die Unverzichtbarkeit entgegenstehender Interessen zu rechtfertigen. Nur soweit eine Informationssperre ausreichend begründet werden kann, hat sich das wissenschaftliche Interesse zu bescheiden. Vielfach werden vermittelnde Wege in Betracht kommen, die dem wissenschaftlichen Interesse Raum geben, aber legitime staatliche Belange zu wahren erlauben 165 • Zwar ist der Grundrechtsschutz dieser Darlegung nach nicht von einer gesetzlichen Vermittlung abhängig, wohl aber die rechtlich begründbare Durchsetzbarkeit des Schutzes praktisch mit vielen Schwierigkeiten behaftet, unter denen nur der Zusammenhang zwischen der staatlichen Förderung und bestimmten Beschränkungsinteressen angedeutet werden soll, der über den Einfluß im Wege der Förderung die Ausgangspositionen nachhaltig zugunsten der staatlichen Interessen verschieben kann 166 . Daher erscheinen gesetzliche Regelungen zur Aufbereitung der Problematik unentbehrlich. Das Grundrecht verlangt eine verfahrensrechtliche Ausgestaltung, die seine Wahrnehmbarkeit weitestmöglich öffnet. Außerdem besteht das Problem, wie für eine wissenschafts- und interessenneutrale Beurteilung der Allgemeinwohlbedeutung des wissenschaftlichen Forschungsanspruchs gesorgt werden kann, ohne in freiheitswidrige Bewertung zu verfallen. Die überwiegende Meinung tendiert zur Einrichtung unabhängiger Kommissionen, die bei Beurteilungsfragen eingeschaltet werden können 167 • Dieser Weg erscheint richtig, um die staatliche, notfalls justizielle Beurteilung zu entlasten oder zu vermeiden. Eine weitere Frage bilden dafür aufzustellende Organisations- und Verfahrensregeln, auch unter dem Aspekt der Zusammenarbeit mit den schon bestehenden Wissenschaftsinstitutionen.

165 Zu konfliktvermeidenden Forschungsverfahren Boruch, Statistische und methodische Prozeduren, 1976. 166 Vgl. Rostek, Rechtliche Kollisionen bei empirischer Forschung, 1976; Ouo, Pädagogik, 1980; Ingenkamp, Freiheit der pädagogisch-psychologischen Forschung, 1980; BrustenlEberwein u.a., Freiheit, 1981. 167 Vgl. Müller, Prestige und Verantwortlichkeit, 1976, S. 337 f.; Weis, Ausnutzung der Beforschten, 1976, S. 235-237.

2. Bedeutung, Schutzzweck

147

Die dargestellte Rechtslage wird von den erwähnten Entscheidungen des Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgerichts zum Anspruch auf Akteneinsicht zu Forschungszwecken nicht näher erörtere 68 ; sie beschränken sich im wesentlichen auf die Wiederholung der herkömmlichen Alternative von Abwehr- und Teilhabeanspruch. Nicht ausreichend erscheint die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, daß die behördliche, auf Akten- und Geschäftsordnungen beruhende Freigabepraxis der erforderlichen verfahrensrechtlichen Ausgestaltung Rechnung trage. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen lassen vielmehr zu wünschen übrig, wenn praktische Grundsätze als Verfahrensrecht, zudem zur unentbehrlichen Sicherung besonders weitgehend geschützter Grundrechtsgüter, ausgegeben werden. Das Bundesverfassungsgericht schloß sich der Beurteilung der Rechtslage hinsichtlich der Wissenschaftsfreiheit an und äußerte sich nicht näher zum verfahrensrechtlichen Aspekt. Damit finden die angestellten Ausführungen eine kritische Unterstreichung. Ähnliche Probleme, wie beim Zugang zu Informationen, bestehen bei der staatlichen Verwertungsbeschränkung, insbesondere den Veröffentlichungsvorbehalten, die teilweise als rechtswidrig zu betrachten sind. Mindestens die pauschale Form des Genehmigungsvorbehalts für die Veröffentlichung dürfte grundSätzlich gegen die Wissenschaftsfreiheit verstoßen. Der Wissenschaftler hat in dieser Hinsicht den gleichen Schutz- und Eingriffsabwehranspruch wie für die Wahrnehmung seiner Forschungsinteressen. Zu unterscheiden ist zwischen Verfügungsvorbehalten bei der Förderung, bei der Erteilung von Forschungsaufträgen und bei der Bereitstellung von Informationen zur Wahrnehmung staatsunabhängiger wissenschaftlicher Interessen. Grundsätzlich richtet sich die Zulässigkeit bestimmter Vorbehalte nach der Zulässigkeit besonderer Förderungszwecke und der Angemessenheit in deren Rahmen. Je nach Gewicht der besonderen staatlichen Forschungsinteressen löst sich die Bindung an die Forschungsfreiheit und erscheinen Verfügungsvorbehalte zulässig 169 • Soweit sich Forschungsaufträge eher im Bereich der allgemeinen Forschungsförderung bewegen, wären summarische Vorbehalte unangemessen und daher auch durch Einwilligung nicht gerechtfertigt. Soweit überwiegende staatliche Forschungsinteressen bestehen und der Zusammenhang mit der Forschungsfreiheit zurücktritt, wird die Einwilligung des betroffenen Wissenschaftlers zulässig, jedoch nur bis zur Grenze der Willkür für die Vorbehalte nach Umfang und Intensität; bei finanzieller

BVerwG DÖV 1986,475; BVerfG NJW 1986, 1243. Jedoch nicht allein nach fonnellen Kategorien, wie der "Auftragsforschung"; vgl. Amelung, Einwilligung, 1981, S. 38 f. 168

169

148

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

Abhängigkeit könnte außerdem die Freiwilligkeit der Einwilligung problematisch und die Einwilligung daher unwirksam werden 170 • Beim Zugang zu Forschungsinformationen im staatlichen Bereich sind Vorbehalte gegenüber der freien Verfügung über die Forschungsergebnisse nur soweit zulässig, als kein ungeschmälerter Anspruch auf freien Zugang zur Information besteht. Diese Frage ist nicht allein informations- und teilhaberechtlich, sondern auch unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in grundsätzlich berechtigte Forschungsinteressen zu beurteilen. Ergibt sich danach kein unbegrenztes Zugangsrecht, können Verwendungsvorbehalte dem Forschungsinteresse dienen. Auch in diesem Fall sind Einwilligungen nur bis zur Willkürgrenze zulässig und mangels ausreichender Aufklärung über die Angemessenheit unwirksam l7l • Jedoch sollte auf diesem Gebiet ebenfalls gesetzliches Licht in das Dunkel der informellen Verkürzung des Grundrechtsschutzes gebracht werden. Ähnlich, wie es bei Forschungsinteressen gegenüber dem staatlichen Informationsbereich zu Interessenkonflikten kommen kann, sind Konflikte auch nicht ausgeschlossen, wenn das staatliche Strafverfolgungsinteresse sich auf Informationen aus dem Forschungsbereich bezieht. So kann in Spezialgebieten der empirischen Sozialforschung ein Bedürfnis danach bestehen, daß die beteiligten Forscher ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen und selbst vor der Strafverfolgung geschützt werden können. Durch den Vertraulichkeitsschutz könnte der Zugang zu persönlichen Informationen erleichtert und die Forschung daher unterstützt werden 172 • Andererseits ist die Konflikt!age nicht von der gleichen Allgemeinheit und Intensität der Beziehungen, wie in den Kontaktbereichen, auf die sich das geltende Zeugnisverweigerungsrecht der §§ 52-53a StPO bezieht. Einerseits wird festgestellt, daß je allgemeiner der Kreis der geschützten Forscher gezogen werde, desto geringere Schutzbestimmungen durchgesetzt werden könnten, andererseits erscheint aber eine amtlich-institutionelle Klassifizierung für die Schutzqualifikation zu eng. Funktionelle oder staatsbezogene Abgrenzungen, die einen engeren Kreis von Berechtigten herausheben, wären nicht mit dem gleichberechtigten Grundrechtsschutz vereinbar, der durch die wissenschaftliche Qualifikation begründet wird. Daher kommt es allein auf die besondere Schutz-

170 171

Grds. Amelung, a.a.O., S. 26-46, 82-104. Zur Freiwilligkeit und Aufklärungspflicht ebd., S. 97-102.

172 Eser, Risiken und Privilegien, 1976; ders., Forscher als "Täter" und "Opfer", 1987; Gollner, Konfliktträchtigkeit, 1976, S. 151 f.; Haferkamp, Kriminalsoziologische Forschung, 1976; Nejelski/ Peyser, Entwurf eines Forscherschutzgesetzes, 1976; Rostek, Rechtliche Kontrollen, 1976; Brnsten/ Eberwein/ Feltes / Gollner / Schumann, Freiheit, 1981.

2. Bedeutung, Schutzzweck

149

situation an und wären situationsbezogene Kriterien für die Zuerkennung eines Zeugnisverweigerungsrechts erforderlich. Wie weit ein solches Recht zum Schutz der Informanten angebracht ist und zugleich zur Erleichterung von Forschungen, die sich auf persönliche Aussagen stützen, beitragen kann, läßt sich aufgrund der bisher vorliegenden Informationen aber nicht im einzelnen beantworten. Ob außerdem über das allgemeine Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO hinaus auch ein spezielles Immunitätsrecht für Wissenschaftler, etwa um Verfahren der teilnehmenden Beobachtung zu erleichtern, erforderlich ist, dürfte noch schwerer zu beantworten sein 173 • Dieser Sonderbereich wirft schwierige Fragen zur Abgrenzung zwischen Forschungsinteressen und Interessen der Strafverfolgung auf. Bei Forschungsvorhaben, die in einem Überschneidungsbereich liegen, dürften individuelle Schutzvorkehrungen eher in Betracht kommen als generelle Regelungen. Es dürfte auch schwierig zu beurteilen sein, ob die Probleme der teilnehmenden Beobachtung in Bereichen, die sich der allgemeinen Überprüfbarkeit weitestgehend entziehen, nicht ohnehin so vielfältig sind, daß sie einen einheitlichen Wissenschaftsschutz ungeeignet erscheinen lassen. In diesem Zusammenhang kann noch angefügt werden, daß der Schutz der Informanten und Probanden - unabhängig von der Frage eines Zeugnisverweigerungsrechts zu ihren Gunsten - auch verlangt, daß ihnen durch wissenschaftliche Verfahren nicht das Selbstbestimmungsrecht streitig gemacht werden darf. Der Freiheitsschutz für die Wissenschaft endet, wo der Persönlichkeitsschutz die Achtung vor der individuellen Dispositionsfreiheit und Würde verlangt 174 • Die zuletzt erwähnten Schutzfragen führen zugleich von der individuellen Rechtsposition in den Bereich der objektiven Grundrechtswirkung, die dem Staat ein grundrechtsbestimmtes und grundrechts förderndes Verhalten gebietet. Außerdem führen sie in den Bereich der Grundrechtsschranken, die sich etwa durch staatliche Sonderinteressen, die dem wissenschaftlichen Informationsinteresse entgegenstehen, sowie durch die Grundrechte anderer ergeben können. Dazu ist unter der jeweiligen Blickrichtung noch Stellung zu nehmen.

Vgl. GaUner, a.a.O., S. 64-66; Haferkamp, a.a.O.; BrustenlEberwein u.a., a.a.O. Vgl. Kühne, Fragen, 1976, Wiese, PersönlichkeitsrechtIiche Grenzen, 1977; EberbachlSchuler, Aufklärungspflicht, 1982; Eser, Forscher, 1987. 113

114

150

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

2.4.2.2.3 Teilhaberechte Der im vorigen erwähnte positiv-schutzrechtliche Gehalt der abwehrrechtlichen Grundrechtsbedeutung ist nicht mit dem Teilhaberecht zu verwechseln, das für den Fall, daß der Staat eine Grundlage für gleichberechtigte Beteiligungen schafft, aus dem Grundrechtsschutz hervorgehen kann 175 • Auch der objektive Schutzgehalt läßt sich nicht zum Teilhaberecht verdichten; er läßt sich aber bei der Interpretation von gesetzlichen Zugangs- und Beteiligungsrechten im Sinne der Förderung der Wissenschaftsfreiheit entsprechend zur Geltung bringen und wirkt sich in diesem Falle als Erweiterung der subjektiven Ansprüche aus, kann daher auch in einem teilhaberechtlichen Gewand erscheinen. Die teilhaberechtliche Sicht darf jedoch nicht überfordert und auf jede Art der Beteiligung angewandt werden, wie zum Beispiel die allgemeine Wissenschaftsförderung oder den Zugang zu staatlichen Informationen 176 • Gleichzeitig und unabhängig davon kann aber, wie erwähnt, der Ausschluß von wissenschaftlicher Informationsgewinnung einen Abwehranspruch begründen, der sich als Inanspruchnahrnerecht auswirkt. Die Teilhaberechtsfrage, die immer wieder aufgeworfen wird, beschränkt sich auf die Beteiligung an staatlichen Vorleistungen und die darauf bezogene Gleichberechtigungsproblematik 177 und erscheint daher im wesentlichen als eine abwehrrechtlich relevante Frage der Verkürzung des Grundrechtsschutzes 178 • Ein selbständiger Leistungsanspruch über grundrechtsbegleitende Schutzansprüche hinaus folgt aus dem Freiheitsrecht nicht und ist auch der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß ein Anspruch des einzelnen Grundrechts-

175 Als derivatives Leistungsrecht, dem der objektive Schutzbereich des Grundrechts vora:beitet; grds. Stern, Staatsrecht IIIIl, 1988, § 67 S. 700-715, 749 f. Vgl. oben 11.4.4. 176 So aber Avenarius, Informationszugang, 1980, S.73-75; Wyduckel, Archivgesetzgebung, 1989, S. 335-337. Zustimmung verdienen insofern BVerwG DÖV 1986, 475 sowie BVerfG NJW 1986, 1243 über die Akteneinsicht zu Forschungszwecken; das Entscheidungsergebnis war oben jedoch zu kritisieren. Vgl. die Eingrenzung der teilhaberechtlichen Sicht auf Forschungseinrichtungen und Mittelzuweisung bei Dreier, Forschungsbegrenzung, 1980, S. 472. 177 Vgl. statt vieler Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 120-124; Hailbronner, Funktionsgrundrecht, 1979, S. 61-64; Leibholz, Wissenschaftsfreiheit, 1982, S. 21-24; Flämig, Forschungsauftrag 1982, S. 892; PierothI Schlink, Grundrechte, 1991, S. 31 Rn. 123. - Vgl. die Behandlung der Frage im Hinblick auf die Ausstattung des Hochschullehrers in BVerwGE 52, 339. Grds. Erichsen, Freiheit, Gleichheit, Teilhabe, 1983. 178 Zum Bezug auf grundrechts schützende Rechte vgl. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988.

2. Bedeutung, Schutzzweck

151

berechtigten auf Maßnahmen bestehe, die zur Grundrechtswahrnehmung uner1äßlich sind 179 , nicht zu entnehmen. Die Feststellung des Gerichts bezieht sich auf den staatlich organiserten Wissenschafts bereich und erscheint als verdeutlichende Charakterisierung der damit verbundenen objektiv-rechtlichen Gewährleistungspflicht, die zugleich subjektiv- und abwehrrechtlich zur Geltung kommen kann, wenn im staatlich zur Verfügung gestellten Gewährleistungsbereich eine dem Grundrechtsschutz widersprechende Beeinträchtigung der Rechtsstellung des einzelnen Beteiligten vorgenommen oder eine mit der Einräumung der Wahrnehmungsmöglichkeiten im Einzelfall unerläßliche Berücksichtigung versagt wird 180. Ein Teilhaberecht über den rechtlich vorgeformten oder hervorgerufenen Abwehrund Gleichberechtigungsanspruch hinaus ist der Entscheidung nicht zu entnehmen 181. Die teilhaberechtliche Seite des Grundrechtsschutzes bedarf vielmehr der gesetzlichen Ausgestaltung l82 ; damit wird der Blickwinkel vom Begriff der grundrechtlich begründeten Teilhabe darauf gelenkt, daß die auf Ausstattung gerichtete Grundrechtsförderung, die einen Rückhalt und eine Anleitung in der objektiven Grundrechtswirkung findet, grundsätzlich auf der Ebene der staatlichen Aufgabenwahrnehmung zu realisieren ist und der grundrechtsgebundenen parlamentarischen Verantwortung unterliegt. 2.4.3 Objektive Grundrechtswirkung 2.4.3. J Rechtsgrundsatz

Daß die Wissenschaftsfreiheit einen bindenden Rechtsgrundsatz darstellt, der bei allen staatlichen Entscheidungen, die die Freiheit der Wissenschaft berühren, zu beachten ist, wird durch die Bindungswirkung der Grundrechte und die objektive Textfassung hervorgehoben I83 • Entsprechendes gilt zum Beispiel auch für die Kunstfreiheit. Die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit als verfassungsrechtliches Prinzip wird aber dadurch herausgehoben, daß sie sich nicht auf einen abgegrenzten Wirkungsbereich beschränkt, sondern die Grundlagen der Wirklichkeitserkenntnis schützt und damit eine der wichtig-

BVerfGE 35, 79 (116) - Hochschulurteil. Ausdrücklich auf Grundrechtsbeschränkung und -beeinträchtigung abhebend BVerfGE 43, 242 (265) - Hamburger Universitätsgesetz. 181 Mag der Wortlaut, isoliert gesehen, auch anders klingen; gegen diesen ausdrücklich Hai/bronner, Grenzen, 1980, S. 103. 182 Vgl. Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 122; ders., Freiheit, 1976, S. 83. 183 Vgl. oben 1.3.6,11.6. Ferner Dickert (Fn. 2), S. 137-147. 179

180

152

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

sten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung und fortschrittliche Staatsverwirklichung darstellt. Gleichzeitig bildet sie, da auf die Freiheit der Erkenntnissuche und -verbreitung gerichtet, eine grundlegende geistige Voraussetzung für die freiheitlich-demokratische Staatsordnung. Die Bindungswirkung bedeutet daher nicht nur, daß dem Freiheitsgebot nicht entgegengewirkt werden darf und hemmende Einflußnahmen zu unterlassen sind, sondern auch, daß eine Verwirklichung weitestmöglich anzustreben und zu fördern ist. Damit erhält die Bindungswirkung eine aktive Seite, die den Schutzgehalt unterstreicht. Dieser Gesichtspunkt hat, wie erwähnt, eine Rolle bei der staatlichen Infonnationspolitik gegenüber wissenschaftlichen Recherchen zu spielen; auch bei der staatlichen Infonnationsbeschaffung und bei der Frage der Orientierung an wissenschaftlichen Erkenntnissen darf die Pflicht zur Beachtung und Unterstützung der Freiheit der Wissenschaftsentfaltung nicht außer Betracht bleiben. Bei der Gefahrenabwehr ist die richtige Abwägung zwischen dem Sicherheitsschutz und der wissenschaftlich-technischen Weiterentwicklung anzustreben und darf der wissenschaftlichen Forschung kein Riegel vorgeschoben werden. Das gilt zum Beispiel für die Atom- und Gentechnologie oder für die pharmazeutische Forschung und Entwicklung. Vielfach lassen sich bestimmte Sicherungsverfahren nicht im einzelnen festlegen oder bestimmte Grenzwerte nicht festschreiben, um das Verhältnis zwischen wissenschaftlichtechnischer Entwicklung und Gefahrenabwehr nicht unangemessen zu fixieren und um eine Anpassung an die Entwicklung im Interesse der Forschung und der Gefahrenabwehr zu ermöglichen. Das ist der Sinn der gesetzlichen Verweisung auf den Stand von Wissenschaft und Technik, mit der der Rahmen der Gefahrenabwehraufgabe ausgefüllt wird l84 . Voraussetzung für die richtige Abwägung ist, daß ausreichende Infonnationen zur Verfügung stehen. Eine der notwendigen Staatsaufgaben besteht daher darin, diese Informationen zu beschaffen. Teilweise können sie durch den Wissenschafts- und Wirtschaftsbereich zur Verfügung gestellt werden, teilweise sind auch staatliche Forschungs- und Kontrollinstitutionen erforderlich. Die Erfüllung der Infonnationsaufgabe verlangt grundsätzlich, daß auf eine umfassende wissenschaftliche Entwicklung zurückgegriffen werden kann. Die spezielle Sicherheitsaufgabe trifft sich daher mit der allgemeinen Aufgabe zur Förderung der Wissenschaft.

184 Vgl. die auf den Stand der Wissenschaft oder Technik bezogenen Vorschriften in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG, § 28 Abs. 1 StrlSchV, § 5 Abs. 1 BlmSchG oder im Arzneimittelgesetz; vgl. Wolf, Stand der Technik, 1986; Fischer, Umweltschutz, 1989, bes. S. 27-30, 33-35; v. Kirchbach, Arzneimittelkontrolle, 1985, S. 207-251.

2. Bedeutung, Schutzzweck

153

2.4.3.2 Sachbereichsschutz Die objektive Formulierung des Wissenschaftsgrundrechts läßt den Freiheitsgrundsatz gegenüber der subjektiven Rechtseinräumung hervortreten und als eigenständiges Schutzanliegen erscheinen, das über die Bedeutung der objektiven Grundrechtswirkung hinausgeht und sich zu einem Schutzgebot für den Sachbereich Wissenschaft verdichtd 85 . Der Hauptinhalt des Schutzgebots ist die Förderungsaufgabe, die dem Sachbereich zur Entfaltung verhilft. Der Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit übernimmt daher stillschweigend die Schutzpflicht und die Aufgabe der Beteiligung an der Pflege, die in Art. 142 S. 2 der Weimarer Reichsverfassung hervorgehoben waren 186 . Die Förderungsaufgabe hat dem Sinn und Zweck des Freiheitsschutzes Wirkung zu verschaffen. Daher ist dafür zu sorgen, daß sich der geförderte Sachbereich möglichst selbständig und unbeeinträchtigt entfalten kann 187 • Daraus folgt die Verpflichtung zu gleichberechtigtem pluralistischem Schutz. Nicht ausgeschlossen ist aber die sachlich begründbare Differenzierung der Förderung, soweit sie nicht zur Vernachlässigung der allgemeinen Förderungspflicht führt. Vielmehr stellt die auswählende, anregende und steuernde Förderung ein wichtiges Mittel der Wissenschaftspolitik dar 188 • Wie bei anderen Förderungsaufgaben, sind verschiedene Aspekte der Förderung zu unterscheiden, so die finanzielle und Sachförderung, die Organisation der Förderung, die Ordnung des geförderten Bereichs und die Ergänzung der Förderung durch unterstützende Maßnahmen, etwa eine angemessene Beratungs- und Informationspolitik, auch über den Förderungsbereich und über nationale Grenzen hinaus 189 • Die staatlichen Pflege- und Betreuungsaufgaben erstrecken sich daher auf einen weiter als durch die wissenschaftliche Tätigkeit gezogenen Bereich der "Wissenschaftskultur"l90. Die in der Förderungsaufgabe enthaltene Sachförderung findet eine spezielle Rechtsgrundlage in der herkömmlichen institutionellen Schutzaufgabe des Staates, zu der sich der Sachbereichsschutz verdichtet. Neben der daVgl. oben 1.3.6. Vgl. Schalz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 9. 187 Vgl. Scha/z, a.a.O., Rn. 117. Grds. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S.427-434. 188 Vgl. Oppermann, Freiheit, 1989, S. 821 Rn. 24. 189 Grds. zur internationalen kulturellen Zusammenarbeit Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 604-636; vgl. zur europäischen Forschungspolitik ders., Europarecht, 1991, S. 722-730. 190 Vgl. Oppermann, Freiheit, 1989, S. 821 Rn. 24; Heckel, Die theologischen Fakultäten, 1986, S. 1, 17 f.; Häberle, Freiheit, 1985, S. 329-333, 356; Schalz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 8. 185

186

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

durch als Staatsaufgabe überkommenen staatlichen Trägerschaft für die Universitäten hat sich die Sachförderung durch die Unterhaltung weiterer staatlicher Institutionen zu bewähren, die über die enge Verbindung mit staatlichen Verwaltungsaufgaben hinaus zur Wissenschaftsentfaltung beitragen. Soweit der Staat Institutionen der freien Forschung unterhält 191 , trägt er zur Erfüllung seines Förderungsauftrags bei; soweit er Forschungseinrichtungen zur Ergänzung seiner Verwaltungsaufgaben unterhäle 92 , kann er sich auf die Verwaltungskompetenzen stützen; darin findet der staatliche Einsatz zugleich seine Grenzen. Die Wissenschaftsfreiheit bedeutet nicht, daß die staatliche Eigenforschung auf ein Minimum zurückzudämmen ist, denn die rechtlichen Grundlagen der staatlichen Ressortforschung und der staatlichen Wissenschaftsverantwortung berühren sich prinzipiell nicht und bilden unabhängige Aufgabenbereiche. Außerdem stellt die staatliche Forschung grundsätzlich keine freiheitsmindernde, sondern eine die freiheitliche Entfaltung fördernde Konkurrenz dar. Die staatliche Initiative ist vor allem in denjenigen Bereichen von Bedeutung, die aus wirtschaftlichen Gründen vernachlässigt werden oder an deren Entwicklung ein erhebliches öffentliches Interesse besteht 193 • Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang auch die wissenschaftlichen Hilfseinrichtungen, so das Bibliotheks-, Archiv- und Dokumentationswesen 194 . Im Wissenschaftsbereich hat sich neben der von der Wirtschaft getragenen und der universitären Forschung in weitem Umfang das Betreiben von Großforschungseinrichtungen durchgesetzt, das unter maßgebender staatlicher Finanzhilfe ermöglicht wird 195 ; außerdem wird die Förderung immer stärker auf Großprojekte konzentriert 196 • Da die Wissenschaftsförderung im Grundsatz nicht einer bestimmten Wissenschaftsentwicklung, sondern der Freiheit der Entfaltung zu dienen hat, darf sie nicht ausschließlich zur Zweckförderung im Dienste bestimmter Förderungsaufgaben werden. Dafür sorgt prinzipiell die Einrichtung der Universitäten und deren universale WissenschaftspfIege, die nach der eigenständigen institutionellen Entscheidung ausgerichtet wird, ferner die Förderung selbständiger Wissenschaftsinstitutionen, die über die Mittel in einem nicht

191 Vgl. den Überblick bei Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 412-420; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, 1982. 192 Vgl. Lundgreen u.a., Staatliche Forschung, 1986. 193 Vgl. Flämig, Forschungsauftrag, 1982, bes. S. 880-889. 194 Dazu Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 420-427. 195 Vgl. oben 1.2.9.3; sowie Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 410-420; ders., Universität und Wissenschaft, 1983, S. 859 f., 864; Meusel, Außeruniversitäre

Forschung, 1982. 196 Vgl. oben 1.2.9.3.

2. Bedeutung, Schutzzweck

155

im einzelnen festgelegten Rahmen verfügen können. Grundsätzlich bedeutet auch die mit der Förderung zugleich verbundene Notwendigkeit, eine Auswahl zu treffen, sowie die Rückbindung der Förderung an den Staatshaushalt und die Erfüllung anderer Staatsaufgaben eine vorgegebene Beschränkung, die einer Abwägung der unterschiedlichen Interessen bedarf. Mit dieser Ausgangslage verbinden sich mehrere Problemaspekte. Zum einen besteht das Problem, in welchem Größenverhältnis sich die frei verfügbaren Förderungsleistungen zur sonstigen, stärker festgelegten Förderung zu bewegen haben l97 • Eine abstrakte Beurteilung läßt sich aber nicht abgeben, da sich der staatliche Einsatz nach der Gesamtsituation der Forschung und nach der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung zu richten hat 198 und nach Ermessen einzuschätzen ist. Zum anderen besteht das Problem, wie auf die Entscheidungen der selbstverwalteten Wissenschaftsinstitutionen ein im Interesse der Förderung ausreichender staatlicher Einfluß gewahrt werden kann, ohne die freiheits wahrende Selbstveranwortung aufzuheben l99 • Die Selbstverwaltung der Wissenschaftsinstitutionen soll auch grundsätzlich nicht völlig unabhängig von öffentlichen Förderungs- und Entwicklungsinteressen über die Wissenschaftsentwicklung entscheiden. Daher ist sie unter Beteiligung von Staats- und Wirtschaftsvertretern organisiert2°O. Die prinzipiell einleuchtende Interessenverteilung birgt jedoch die Gefahr, daß der wissenschaftliche Interessenbereich zurückgedrängt und von instrumentellen Interessen überlagert wird. Zum dritten fragt sich, wie weit die staatliche Projekt- und im einzelnen gebundene Förderung, zum Beispiel in Form der Drittmittelförderung der Universitäten, gegenüber der im Grundsatz freibleibenden Förderung ausgedehnt werden darf. Der Wandel "vom absoluten zum instrumentalen Wissenschaftsverständnis..201 ist eine Folge der zunehmenden Verwissenschaftlichung der Technik und der technischen Aufwendigkeit der modernen Forschung und wird durch die Forschungsaufgaben erzwungen, richtet sich also wiederum nach der Einschätzung dieser Aufgaben. Dafür ist die nationale und internationale Wirtschafts-, Technik- und Wissenschafts entwicklung maßgebend. Für die Vielfalt der Förderung und der Anregung durch die Förderung hat die Vielfalt der staatlichen Förderungszuständigkeiten aufgrund

197 Vgl. etwa die Frage, ob bestimmte Quoten einzuhalten sind, bei Köstlin, Wissenschaftsverwaltung, 1990, S. 50. 198 Vgl. Oppennann, Freiheit, 1989, S. 834 Rn. 43, S. 843 f. 199 Vgl. Meusel, Möglichkeiten und Grenzen, 1982. 200 Vgl. oben 1.2.9.3. 201 Oppennann, Universität und Wissenschaft, 1983, S. 859.

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

der vertikal und horizontal aufgeteilten Staatsorganisation zu sorgen. Im Kulturstaat hat sich die Wissenschaftsförderung ihrer geistig-kulturellen Verpflichtung bewußt zu bleiben und für die ausgewogene Entfaltung sowohl auf wirtschaftlichem als auch auf kulturellem Gebiet zu sorgen. Die grundsätzliche Aufgabe des Staates zur Lebenssicherung hat darüber hinaus darauf zu achten, daß den Wissenschaftsgefahren, die mit der Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung und der Großforschung steigen, nach Möglichkeit entgegengewirkt wird und die Forschungspolitik auch zum Fortschritt bei der Vermeidung und Bewältigung gefährlicher Auswirkungen eingesetzt wird. Vielfach wird die Befürchtung ausgesprochen, daß die weitgehende Konzentration der Entscheidungskompetenzen auf den staatlichen Verwaltungsbereich dazu beiträgt, daß sich neben der damit ermöglichten Flexibilität auch eine Neigung zur Konzentration auf bestimmte Interessenschwerpunkte entwickeln kann, die mit dem Gedanken der Wissenschaftsfreiheit und den unterschiedlichen Aufgabenaspekten in Konflikt geräeo2. Zwar können die Eigeninteressen der verschiedenen Ressorts sowie die pluralistische Staatsstruktur03 als Garanten für eine vielseitige Berücksichtigung der unterschiedlichen Aufgaben betrachtet werden, aber die Gefahr, daß die Gewichtung einseitig wird, ist nicht auszuschließen. Das Verhältnis zwischen Bundes- und Länderkompetenzen im Wissenschaftsbereich, das vom grundsätzlichen Primat der Länder ausgeht, mußte sich zunächst zu einer realistischen Kompetenzverteilung entwickeln. Die Grundgesetzänderung von 1969, die unter anderem die Einführung der Gemeinschaftsaufgaben, darunter auch Hochschulbau und Wissenschaftsförderung, der Rahmenkompetenz des Bundes für die Grundsätze des Hochschulwesens und der konkurrierenden Kompetenz für die Wissenschaftsförderung brachte204 , war das Ergebnis der zentralistischen Ausrichtung. der praktischen Politik und traf auf sachliche Bedürfnisse im Wissenschaftsbereich205 . Die wichtige Rolle, die der 202 Vgl. oben 1.2.9.3. 203 Grds. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 549-603; vgl. Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, S. 238-271 unt. krit. Darstellung der Zentralisierungstendenzen. Unter speziellem Blickwinkel Dittmann, Technologiepolitik, 1990, bes. S. 221-229. 204 Als "Entmachtung der Länder", Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt, 1970, S. 135. Im Hinblick auf die Gemeinschaftsaufgaben wird die Finanzreform von 1969 als Institutionalisierung des kooperativen Föderalismus betrachtet. Grds. Püttner, Vierzig Jahre, 1989, bes. S. 76 f. 205 Eingehend zur politisch-rechtlichen Entwicklung seit 1945 Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, S. 75-389. Zur vereinheitlichenden Auswirkung vgl. Staatszielbestimmungen, 1983, S. 109 Rn. 174. Zur neueren Entwicklung im einzelnen Oppermann, Ergänzung des Grundgesetzes, 1984, S. 6-14; vgl. ders., Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau, 1990.

2. Bedeutung, Schutzzweck

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Zweckforschung, vor allem der Kernforschung, bei diesem Prozeß zukam206 , zeigt, daß dem Ordnungsgedanken der Wissenschaftsfreiheit, soweit er sich auf die unabhängige Interessenentfaltung bezieht, auf der politischen Ebene, auf der es um die Wahrnehmung der Staatsaufgaben geht, nur begrenzter Einfluß zukomme07 • In welchem Verhältnis die verschiedenen Interessen der Wissenschaftspflege zueinander zu stehen haben, ist nicht festgelegt, sondern muß auf die Sachlage abgestimmt werden. Der Bereichsschutz in Form der staatlichen Trägerschaft und der Förderung selbständig verwalteter Institutionen ist als Pflicht zu verstehen, für die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Entfaltung im erforderlich und im Kreis der staatlichen Aufgaben angemessen erscheinenden Umfang zu sorgen. Daneben ist der Staat dazu aufgerufen, die wissenschaftliche Entfaltung möglichst vielfältig und allseitig zu unterstützen. Die traditionelle Verflechtung von Staat, Wissenschaft und Wirtschaft ist daher durch die Fortführung der Freiheitsgarantie nicht in Zweifel gezogen worden; es ist nach wie vor Sache der demokratischen Entscheidung, innerhalb der verfassungsrechtlich vorgezeichneten Linien den Gang der Wissenschaftspolitik näher zu bestimmen. Das Problem liegt daher weniger in der Vielfalt der staatlichen Aufgaben als in der Verteilung der Entscheidungsverantwortung für die Art und Weise ihrer Erfüllung. In dieser Hinsicht scheint ein Zusammenspiel zwischen der traditionellen Aufgabenzuständigkeit und den staatlichen Sonderinteressen zu bestehen, das eher von der herkömmlichen staatlichen Verwaltungsmacht als von der parlamentarischen Legitimationsfrage bestimmt wird, die von der grundrechtsverpflichteten demokratischen Staatsform stärker in den Vordergrund gerückt wurde 208 • Diese Frage wird durch die Wissenschaftsautonomie, die mit dem Grundsatz der wissenschaftlichen Selbstverwaltung im Bereich der staatlich getragenen und maßgebend finanzierten Wissenschaftsinstitutionen verbunden ise09 , nur teilweise relativiert, da der Staat über zahlreiche Einflußmöglichkeiten verfügt und die wissenschaftliche Selbstverwaltung ihm vielfach entgegenkommen kann 21O • So freiheitlich das Zusammenspiel von staatlicher

EckertlOsietzki, Wissenschaft für Macht, 1989, S. 23-31, 37-95. 207 Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt, 1970, S. 142-144. 208 Ausführlich zum Verfahren der staatlichen Wissenschaftspolitik Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt, 1970, S. 111-127, 136-279; Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, bes. S. 340-343, 387-392. 209 Näher, auch zur personellen Zusammensetzung im einzelnen, Hirsch, a.a.O., S. 162, 198-240. Zur Beratung des Themas bei der Entstehung des GG und zur Nachkriegsentwicklung Osietzki, a.a.O., S. 310-320, 344-368, vgl. S. 235 f. 210 Vgl. Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt, 1970, bes. S. 162-279; Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, bes. S. 329-389; EckertlOsietzki, Wissen206

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

Förderung und Selbstverwaltung im Wissenschafts bereich dem Grundsatz nach auch erscheint211 , so problematisch hat es sich im Hinblick darauf erwiesen, existentiellen Forschungsaufgaben über die aktuellen staatlichen und wirtschaftlichen Interessen hinaus die notwendige Beachtung Zll sichern, denn gegenüber schädlichen Folgewirkungen und der Notwendigkeit umfassender Folgenforschungen hat sowohl die staatliche Interessenentscheidung als auch die wissenschaftliche Beurteilung Zurückhaltung erkennen lassen 212 • Das Anliegen des Deutschen Forschungsrates, eine wissenschaftliche Politikberatung und zusammenhängende wissenschaftliche Beobachtung der natürlichen Existenzgrundlagen hinsichtlich der zivilisatorischen Auswirkungen zu etablieren 213 , hat sich nicht als überflüssig und nicht ohne weiteres durch die staatliche Aufgabenverantwortung und den Selbstregulationsprozeß der wissenschaftlichen Erkenntnisinteressen ersetzbar erwiesen. Der Vorstoß in existenzumwälzendes Neuland verlangt wiederum wichtige wissenschaftspolitische Entscheidungen. Daher erhebt sich die Frage, ob über die Prioritäten und Schwerpunkte der Förderung eine parlamentarische Diskussion geführt werden sollte, die nicht nur im Anschluß an die administrativ gesteuerte Wissenschaftspolitik ansetzt, und ob die Förderungspolitik durch grundlegende Wissenschaftsförderungsgesetze unterstützt werden könnte 214 • Das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit, das einerseits für gesetzlich gesicherte Transparenz spricht, setzt andererseits Regelungsgrenzen nur, soweit beeinträchtigende Reglementierungen eingeführt werden sonten. Für die Grundsätze der Förderung, die Schwerpunkte der Förderungsinteressen, die Förderungsarten und die Vergabeverfahren ist daraus kein Regelungshindernis abzuleiten. Neben der Rahmenziehung für die Förderung könnten der Grundsatz der Freiheit der Mittelverwendung gesichert und Verfahren zur Behandlung staatlicher Förderungsinteressen vorgesehen werden. Die wissenschaftliche Selbstverwaltung könnte dadurch gestärkt, die legitime Geltendmachung staatlicher Förderungsinteressen in überprüfbare Formen gebracht, und gleichzeitig könnte für

schaft für Macht, 1989, bes. S. 11-15,29-31,37-95,200-207. Vgl. Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986, S. 644-709. 2lI Ausführlich zum politischen Entscheidungsprozeß über die bundesdeutsche Wissenschaftsorganisation Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, bes. S. 235-389. 212 Vgl. oben IIlA.3. 213 Näher, auch zu den wissenschaftlichen Kommissionen des Deutschen Forschungsrates sowie zu seiner Integration in die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, S. 380-386, 343-359. 214 Eckert, Wissenschaft und Demokratie, 1971, S. 35-40, 55-58; Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 151-172; Zaruba, Bedeutung des Rechts, 1979.

2. Bedeutung, Schutzzweck

159

flexible Förderungsmöglichkeiten gesorgt werden. Der Staat wäre im übrigen gezwungen, die Grundentscheidungen über seine Förderungspolitik ausdrücklicher als in Form der Haushaltsgesetze parlamentarisch beraten zu lassen 215 • Der Gewinn gegenüber der ausführlichen Informationspolitik, die in Form der Forschungsberichte geleistet wird, wäre darin zu sehen, daß die allgemeine und parlamentarische Aufmerksamkeit stärker von der nachträglichen Information über die Ermächtigung und Tätigkeit der Verwaltung 216 auf die Ausgangspunkte und Grundlagen konzentriert und der staatsrechtliche Hintergrund für die Verwaltungstätigkeit stärker zur öffentlichen Geltung kommen und mitgedacht werden könnte. Die Forderung nach verstärkter demokratischer Legitimation der Wissenschaftspolitik gewinnt angesichts der grundlegenden Bedeutung der Wissenschaft für die gesellschaftliche Entwicklung einen gewissen Nachdruck, der mit dem wachsenden Bewußtsein von den Wissenschaftsgefahren und der Notwendigkeit, die Wissenschaftsentwicklung auch darauf abzustimmen, zunimmt. Daher erscheint der Parlamentsvorbehalt, der bei grundrechtsrelevanten Fragen zum Zuge komme l7 , auch in diesem Zusammenhang herausgefordert. Er spricht dafür, die Wissenschaftsförderung mit ihrem steuernden Einfluß nicht allein durch die haushaltsrechtliche Rahmensetzung parlamentarisch zu legitimieren. Mit Grundsatzregelungen könnte die Gefahr von zu weitgehenden Festlegungen vermieden, die Bedeutung der wichtigsten Förderungsaufgaben und der freien Wissenschaft aber zugleich gestärkt werden.

2.4.3.3 Institutioneller Schutz Im Sachbereich Wissenschaft hat der Staat die traditionelle Aufgabe, durch die Unterhaltung von Universitäten für unabhängige Zentren der freien Wis-

215 Zur allgemeinen Kritik an der haushalts gesetzlichen Ermächtigungspraxis statt vieler Hennes, Parlamentsgesetz, 1988, bes. S. 116. 216 Vgl. die Bundesberichte Forschung (seit 1965; EckertlOsietzki, Wissenschaft für Macht, 1989, S. 29, 33, 35 f.; Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986, S. 36-63) sowie die Regierungsprogramme zur Forschungsförderung in Form von Kabinettsbeschlüssen, wie das Förderprogramm Biotechnologie 2000, vorgestellt am 31.8.1990 (lt. Presseberichten vom 1.9.1990). Grds. zum steuernden Einfluß der Informationspraxis von Regierung und Parlament Kirchhof, Mittelbare Einwirkung, 1977, S. 116126; zum Zusammenwirken von Regierung und Verwaltung ebd., S. 155-157. 217 Als Erweiterung des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalts, vgl. Stern, Staatsrecht I, 1984, § 20 S. 811-815; Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat, 1987, S. 1020 f.; Staupe, Parlaments vorbehalt, 1986; Hennes, Parlamentsgesetz, 1988, S. 18-28.

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

senschaftsentfaltung zu sorgen 218 • In erster Linie richtet sich der Freiheitsschutz gegen die staatliche Unterdrückung in jeder, auch in indirekter Form; im staatlich geschützten Freiraum wird damit zugleich die Pflicht übernommen, auch die Unterdrückung durch andere Machtbereiche auszuschließen 219 . Der staatlich-institutionelle Freiheitsschutz bedeutet daher, daß ein unbegrenzter Wissenschaftspluralismus nach Interessengebieten, Ansatzweisen, Erkenntnisprozeß und Wissensverbreitung zur ermöglichen und zu sichern ist. Der traditionelle Charakter der staatlichen Wissenschaftspflege in Form der Universitäten könnte dafür sprechen, daß mit der Wissenschaftsfreiheit auch eine institutionelle Garantie für die staatliche Universität verbunden ist, was bedeuten würde, daß der überkommene Regelungsbestand im Sinne einer kennzeichnenden Umschreibung unverzichtbarer Gestaltungsformen 220 einen Teil des Freiheitsschutzes darstellen würde. So bahnte sich unter der Weimarer Reichsverfassung ein Wandel von der individualrechtlichen zur vorwiegend institutionellen Auffassung an 221 , die bei der Interpretation der Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz aufgegriffen und fortgeführt wurde222 •

Vgl. oben II.6. Vgl. Heckel, Theologische Fakultäten, 1986, S. 18. 220 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 11 S. 350 f., Bd. III 11, 1988, § 68 S. 754-887; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, 1988, S. 138 f. 221 Eingeleitet durch Smend, Meinungsäußerung, 1928, S. 59-69 (dessen oft wiederholter Hinw. auf Paulsen, Pädagogische Abhandlungen, 1912, S. 199 sich auf die Lehrfreiheit bezieht); vgl. ferner Kitzinger, Artikel 142, 1930; Anschütz, Verfassung, 1933, S. 662-664. Zu dieser Entwicklung Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 79 f.; vgl. Klein, Hochschulrecht, 1965, S. 132-135; Weber, Neue Aspekte, 1969, S. 3-7; Rupp, Stellung der Studenten, 1969, S. 115 f.; Zwirner, Wissenschaftsfreiheit, 1973, S. 330-335; Asche. Hochschulautonomie, 1975, S. 92-109. 222 Vgl. Köttgen, Grundrecht der deutschen Universität, 1959; Küchenhoff, Hochschulreform, 1964; Weber, Neue Aspekte, 1969, und die überwiegende Meinung im Schrifttum; vgl. Kimminich, Wissenschaft, 1988, S. 845; Stern, Staatsrecht III/1, 1988, § 68 S. 810 f. (m.w.N.); Bleckmann, Staatsrecht II, 1989, S. 731 f.; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 818 f., 837 f., 842; Bethge, Wissenschaftsrecht, 1990, S. 714. Abzulehnen ist die Folgerung, daß dem einzelnen Wissenschaftler innerhalb der Universität nur ein korporationsrechtliches Grundrechtsderivat zustehe (Lorenz, Wissenschaftsfreiheit, 1976, S. 23); diese Voraussetzung ist für die Durchsetzung der kirchlichen Bindung der - dadurch definierten - Lehrtätigkeit nicht erforderlich. Nach Roellecke, Wissenschaftsfreiheit, 1969, folgt aus der Zuordnung zur Meinungsfreiheit und der daraus folgenden Beschränkung auf das staatliche Wissenschaftspersonal (so auch Rothenbücher, Freie Meinungsäußerung, 1928), daß das Grundrecht nur individualrechtlich zu verstehen ist. Vgl. die Entgegnung von Knemeyer, Wissenschaftsfreiheit, 1969; Schlink, Wissenschaftsfreiheit, 1971, S. 244-247 und die w.N. bei v. Münch, in: GG-K, Bd. I, 1985, Art. 5 Rn. 70. 218 219

2. Bedeutung, Schutzzweck

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Die grundrechtlich gestützte und herausgeforderte staatliche Wissenschaftspflege mit den beiden Bestandteilen der Förderung und Trägerschaft von Wissenschaftseinrichtungen weist im zweiten Bereich im Hinblick auf die Universität die Herausbildung eines Regelungsbestandes auf, der als Gegenstand einer institutionellen Garantie aufgefaßt werden könnte. Von der Intention des Wissenschaftsgrundrechts her wäre Bestandteil der Garantie die staatlich organisierte Zusammenfassung von Forschung und Lehre, verbunden mit einem möglichst weitgehenden Selbstverwaltungsrecht im wissenschaftlichen Bereich zur Sicherung der wissenschaftlichen Unabhängigkeit. Vom traditionellen Erscheinungsbild her zeigt die Universität aber kein festliegendes Bild, sondern eine allmähliche Entwicklung von Aufgaben, Organisation und Selbstverwaltung unter der Vorstellung von Universalität, Einheit von Forschung und Lehre und größtmöglicher Selbständigkeit, jedoch in unterschiedlicher Vollständigkeit, Gewichtverteilung und organisatorischer Gestaltung 223 • Außerdem sieht sich die Universität eingefügt in einen weitergefaßten Hochschulbegriff, der erkennen läßt, daß die staatliche Verantwortung für den Wissenschaftsbereich durchaus in differenzierten Formen wahrzunehmen ist und Raum bestehen muß für organisatorische Beweglichkeit; darüber hinaus läßt sich die wissenschaftliche Selbständigkeit nicht auf einen fixierten Selbstverwaltungsbegriff festlegen, sondern kann je nach Aufgabenstellung, Organisation und Unabhängigkeitsbegriff unterschiedlich ausgebaute Kooperationsbeziehungen oder staatliche Aufsichtsbefugnisse bedeuten 224 . Schließlich könnte eine bestimmte Objektivierung des wissenschaftlichen Entfaltungsraumes durch den traditionellen organisatorischen Rahmen auch eine Festlegung bedeuten 225 , die der Freiheit der wissenschaftlichen Entfaltung und der Entwicklung unabhängiger Objektivitätsperspektiven entgegenwirkt. Ferner liegt das Ausmaß der staatlichen Trägerschaftspflicht nicht fest, diese könnte vielmehr im Rahmen der freiheitlichen Staatsverfassung von der ursprünglichen staatlichen Befreiungsaufgabe und von der umfassenden Schutz- und Gewährleistungsaufgabe, zu der sie sich entwickelt hae26 , teilweise entlastet worden sein, indem die allgemeine Entfaltungsfreiheit im

223 Vgl. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 76-107, 292-410; Roellecke, Geschichte, 1982. 224 Vgl. Oppermann, a.a.O.; Rupp, Hochschulwesen, 1982; Thieme, Hochschulrecht, 1986, Kimminich, Wissenschaft, 1988, Bethge, Wissenschaftsrecht, 1990, jeweils unter Hinweis auf die näheren Bestimmungen im Landesverfassungsrecht. 22S Vgl. Roellecke, Wissenschaftsfreiheit, 1969, S. 732; Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 126. 226 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte I, 1967, S. 264-266; ders., Kulturstaat, 1958; Topitsch, Freiheit, 1969; Heckei, Theologische Fakultäten, 1986, S. 18; Kirchhof, Wissenschaft, 1986, S. 2; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 810-814. Zur instituionellen "Umhegung" auch ders., Staatliche Hochschulaufsicht, 1982, 387.

11 Losch

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

Staat auch private Initiativen im Hochschulbereich begünstigt 227 • Damit könnte sich in diesem Bereich ebenfalls eine gemischte Verfassungs lage entwickeln, die sich statt streng getrennter staatlicher und gesellschaftlicher Verantwortungsbereiche grundsätzlich eingebürgert hat und unentbehrlich ist 228 . Außerdem läßt sich die Erweiterung der staatlichen Schutzaufgabe im Universitätsbereich, die sich auch gegen gesellschaftliche Machteinflüsse zu richten hat, durchaus als differenziert wahrzunehmende Ordnungs- und Förderungsaufgabe denken, die auch im Bereich privater Hochschulen für eine pluralistische Freiheitssicherung sorgen kann 229 • Aus diesen Gründen ist mit dem Bundesverfassungsgericht die ausdrückliche Anerkennung einer durch die Wissenschaftsfreiheit gewährleisteten institutionellen Garantie für die Universität zu vermeiden 230 ; dagegen ist nicht zu bezweifeln, daß der Grundrechtsschutz eine Gewährleistungspflicht

227 Vgl. Oppennann, Universität und Wissenschaft, 1983, S. 865. Zur Gründungsfreiheit für private Hochschulen Blankenagel, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S. 45 f.; Heidtmann, Grundlagen, 1980; Lorenz, Nichtstaatliche Hochschulen, 1982, S. 11341136; Geiger, Wissenschaftsfreiheit, 1984, S. 16: Heckei, Hochschulfreiheit, 1986; Thieme, Privathochschulen, 1988, S. 19 f.; Oppennann, Freiheit, 1989, S. 829 f.; Bethge, Wissenschaftsrecht, 1990, S. 715 (m.w.N.). Zur Beleuchtung der staatlichen Trägerschaft Oppennann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 320 f. Vgl. den wissenschaftssoziologisch befürworteten Bestandsschutz für die staatliche Universität bei Blankenagel, a.a.O., S. 53-78. 228 Vgl. Oppennann, Auf dem Wege zur gemischten Rundfunkverfassung, 1981, S. 728-730; vgl. ders., Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 15-17. - Grds. Böckenförde, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, 1972; Rupp, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, 1987. 229 Vgl. § 70 HRG und die Stellungnahmen von Baldus, Kirchliche Hochschulen, 1982, S. 1111 f.; Lorenz, Nichtstaatliche Hochschulen, 1982, S. 1140 f.; Geiger, Wissenschaftsfreiheit als Problem, 1984, S. 17 f.; Heckei, Hochschulfreiheit, 1986, S. 514 f.; Thieme, Privathochschulen, 1988, S. 19-40. 230 BVerfGE 15, 256 (264) - Berufung ins Lehramt; 35, 79 (116) - Hochschulurteil. Vgl. die Stellungnahme von Kimminich, Hochschule, 1982, S. 61-65; ferner Flämig, Forschungsauftrag, 1982, S. 890-892; Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 66 f., 97; Badura, Staatsrecht, 1986, S. 133. Differenziert Scholz, in: Maunz/ Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 116, 131-136, 161, der den Charakter der Gewährleistung als flexible organisationsrechtliche Garantie erläutert. Vgl. Häberle, Freiheit, 1985, S. 338-340, 358 f. (Wissenschaft als Staatsaufgabe mit korporativer Dimension). Vermittelnd zwischen grundgesetzlicher Bindungswirkung für die Grundrechte und traditionell ergänzenden Garantieelementen ("Konnex- und Komplementärgarantie") Klein, Neuere Entwicklungen, 1965, S. 132-139; gegen eine organisationsrechtliche Garantie, aber für eine "verfaßte" Freiheit Rupp, Stellung der Studenten, 1969, S. 117-121; gegen eine "institutionelle Transformation" Schlink, Grundgesetz und Wissenschaftsfreiheit, 1971, S. 249-267; ders., Wissenschaftsfreiheit, 1973, S. 541 f. Vgl. Dickert (Fn. 2), S. 147-152.

2. Bedeutung, Schutzzweck

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für die staatliche Aufgabenwahrnehmung im Hochschulbereich umfaße 31 . Im ganzen gesehen, ergibt sich kein Unterschied zur Annahme einer in beweglichem Rahmen gehaltenen institutionellen Garantie232 • Doch bleibt für Organisationsfragen mehr Spielraum. Rechtliche Schwierigkeiten der Konzeption liegen vor allem in den Konkurrenzbereichen zwischen Staat und Selbstverwaltung233 , zwischen diesen und den durch diese zu schützenden Grundrechtsträgern sowie zwischen den einzelnen Grundrechtsträgern selbst234 • Neben der Sicherung der Einrichtungs-Selbständigkeie35 bestehen Schwierigkeiten darin, die subjektiven Freiheitsbereiche zu einem organisatorischen Zusammenwirken zu veranlassen 236 • Voraussetzung für funktionierende Freiheitsbereiche ist neben der Organisation237 die Ausstattung 238 ; beide bilden jeweils zugleich Begrenzungen. Daraus ergeben sich vielschichtige Verständigungs probleme, deren Lösung eine ständige Aufgabe darstellt. Eine Anpassung der Universitätsorganisation an den massenhaften Ansturm von Studenten und den notwendigen Ausbau des institutionellen Schutzbereichs stellte die Verankerung der Selbstverwaltung in der Gruppenbeteiligung dar 239 • Zwar läßt sich der Gedanke der demokratischen Repräsentation und davon abgeleiteten Legitimation, der die Staatsorganisation bestimmt, nicht einfach auf einen besonderen Aufgabenbereich innerhalb dieser

231 So bes. BVerfGE 35, 79 (114-116). Vgl. in diesem Zusammenhang die krit. Stellungnahme von Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 275-277 zur staatlichen Sorgepflicht zugunsten von Institutionen. 232 Vgl. Oppermann, Praktische Konsequenzen, 1973, S. 434 f.; Gleichsetzung mit objektiver Schutzwirkung bei v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 239 (unt. Betonung des Selbstverwaltungsrechts, Rn. 230-233). 233 Vgl. v. Mangoldt, Universität und Staat, 1979. 234 v. Münch, in: GG-K, Bd. I, 1985, Art. 5 Rn. 70; Starck, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, 1987, S. 1544. 235 Lorenz, Wissenschaft, 1981; Knemeyer, Hochschulautonomie, 1982; ders., Freiheit, 1982; Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 89 f.; Oppennann, Freiheit, 1989, S. 838-840. Krit. im Hinblick auf eine gesellschaftsfremde Verse1bständigung Asche, Hochschulautonomie, 1975, bes. S. 13-56, 113-152, 155-167. 236 Rupp, Gruppenuniversität, 1974; Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 206211; Karpen, Rechtsprechung, 1983, S.927-930; Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 91-95; Oppennann, Freiheit, 1989, S. 840-842. 237 Thieme, Organisationsstrukturen, 1982; Scho[z, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 131-136; Häberle, Freiheit, 1985, S. 338-340. 238 Karpen, Hochschulfinanzierung, 1989, bes. S. 23, 33-40; ders., Finanzverfassung, 1989; Rollmann, Hochschulfinanzierung, 1987. 239 Vgl. Oppennann, Universität und Wissenschaft, 1983, S. 860-863.

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V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

Organisation übertragen 24O , aber sofern der Bereich zum Zweck der staatsfreien, selbständigen Aufgabenwahrnehmung geschaffen wird, läßt sich eine Organisation kaum als sachgerecht betrachten, die den Mitgliedern, die zum Zweck der Aufgabenwahrnehmung zusammenwirken, größtenteils das Mitspracherecht versagt. Vielmehr kann der demokratische Gedanke, der in den Selbständigkeitsbereich hineinwirkt, die Zusammenarbeit fördern, zur Versachlichung persönlicher Einflußbereiche beitragen, die Selbständigkeit betonen und dadurch die Unabhängigkeit unterstützen. Andererseits darf er die grundrechtliche Stellung der Beteiligten nicht mindern; daher ist die Mitwirkungsbefugnis nach der unterschiedlichen Sach- und Grundrechtslegitimation zu differenzieren 241 • Die angeführten Gesichtspunkte der Mitwirkung sind an der Grundrechtsberechtigung und der institutionellen Aufgabe zur Sicherung der grundrechtlichen Entfaltungsfreiheit orientiert; der Mitwirkungsgedanke schlägt jedoch auch eine Brücke zur allgemeinen Öffentlichkeit der Institution, indem er die durch die Beteiligung repräsentierte Öffentlichkeit bei den Entscheidungen über die Aufgabenerfüllung berücksichtigt. Darin kann sowohl eine unzulässige Bindung an eine fachlich nicht qualifizierte Öffentlichkeit als auch eine selbstverständliche Entsprechung zur Einbettung der Institution und ihrer Aufgabenerfüllung in die allgemeine Öffentlichkeit gesehen werden. Da die Universität gleichzeitig der fachlich freien und für die Gesellschaft förderlichen Wissenschaftsentfaltung zu dienen hae42 , braucht gegenüber der fachlichen Selbst- und der interessengebundenen Zwecksteuerung 243 die aus ihrem Beteiligtenkreis hervorgehende Öffentlichkeitsorientierung aber nicht grundsätzlich als Nachteil oder unzulässige Bindung beurteilt zu werden. Die differenzierte Mitwirkung läßt sich daher als ein Weg bezeichnen, der den Gedanken der Freiheitssicherung durch Selbstverwaltung mit einer demokratischen und sozialen Rückbindung verknüpft, indem er die Beteiligten verantwortlich einbezieht und damit zugleich eine interne Öffentlichkeitsrepräsentation schafft. Der letzte Aspekt, der die Demokratisierungsdiskussion im Vor-

240 Grds. Püttner, Mitbestimmung in kommunalen Unternehmen, 1972; ders., Mitbestimmung in öffentlich-rechtlich organisierten Unternehmen, 1984; ders., Mitbestimmung und demokratische Legitimation, 1988. - Scharflinig, aber zu eng kategorisiert, abgegrenzt bei Klein, Demokratisierung, 1968. Vgl. die - nicht scharflinig realisierbare, sondern zu vermittelnde - Entgegensetzung bei Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, 1987. 241 So BVerfGE 35, 79 - Hochschulurteil, näher oben II.6; dagegen das Minderheitsvotum, das den Mitwirkungsgedanken zu stark relativiert sieht. 242 So BVerfGE 35, 79 - Hochschulurteil; 47, 327 - Hess. UG; vgl. oben 11.8. 243 Dazu noch im folgenden.

2. Bedeutung, Schutzzweck

165

feld und im Zusammenhang mit der Hochschulreform teilweise überfrachtete 244 , gewinnt neue Bedeutung durch die Verantwortungsdiskussion, die auf eine stärkere soziale Integration der Wissenschaftsentwicklung drängt245 • Neben der fachlichen Selbststeuerung und der Einflußnahme durch die staatliche "Angebotspolitik"246 im Förderungsbereich könnte in der Aufgabe, sich um Integrationsfragen zu bemühen, nicht allein, wie nach herkömmlicher Ansicht247 , ein Schrankenproblem liegen, sondern auch eine besondere Dimension der Entfaltungsfreiheit zum Vorschein kommen 248 . - Anzufügen ist, daß die grundrechtsbestimmte Organisation zu einer Verrechtlichung geführt hat, die der Entfaltung von Initiative und ungestörter Leistung im Wege stehen kann 249 . Entscheidend ist daher, daß Organisationsfragen nicht zum Selbstzweck werden, sondern die Funktionsfähigkeit der Institution im Vordergrund steht. Eine Konkurrenz zur Aufgabe der freien Wissenschaftsentfaltung könnte sich durch die Überformung des autonomen Universitätsbereichs durch gebundene Förderungsprojekte250 und durch eine zweckbestimmte Kooperation mit der Wirtschaft251 oder gesellschaftlichen Gruppen 252 entwickeln. Die Bewegungsfreiheit, die vom Staat gesichert werden soll, droht auf diese Weise praktisch erheblich eingeschränkt zu werden. Andererseits soll die Selbständigkeit keine Entfremdung von praktischen Aufgaben bedeuten und sorgt die Spezialisierung und Vielseitigkeit der Forschungsrichtungen und Projekte für eine Abrundung im ganzen. Wie der einzelne Wissenschaftler an der Universität sich aber nicht so weit durch Projekte festlegen lassen darf, daß er seiner amtlichen Aufgabe, staatsunabhängige und der freien wissen-

244

V gl. oben 1.2.2.

245 246 247 248

Näher oben 1.2.9.2. So grds. für die Wissenschaftspolitik Oppermann, Freiheit, 1989, S. 821 Rn. 24. BVerfGE 47, 327 - Hess. UG; vgl. oben 11.8. Dazu unten VII.

2490ppermann, Universität und Wissenschaft, 1983, S. 858, 861 f. Vgl. unten VI.3.2. 250 Zur Problematik der staatlichen Forschungslenkung an den Hochschulen Flämig, Forschungsauftrag, 1982, S. 907 f.; vgl. Heckmann, Drittmittelforschung, 1982; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 833 Rn. 41. Vgl. ders., Universität und Wissenschaft, 1983, S. 859 f. 251 Zur Technologie-Kooperatio.1 Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986; S. 637643,692-706; Eser, Forscher, 1987, S. 939 f.; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 833 Rn. 41; ders., Hochschulrecht, 1990, S. 501 f. Vgl. auch PüttnerlMittag, Rechtliche Hemmnisse der Kooperation, 1989. 252 Vor allem mit den Gewerkschaften; dazu Kirchhof, Kooperationsvereinbarungen, 1976. Vgl. Flämig, Forschungsauftrag, 1982, S. 908 f.

166

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

schaftlichen Tätigkeit verpflichtete Forschung und Lehre wahrzunehmen253 , nicht mehr ausreichend nachkommen kann, so hat sich auch die Institution im ganzen den Charakter einer unabhängigen Stätte der Wissenschafts pflege und -entwicklung zu bewahren. Für die Grenzziehung im einzelnen bedeutet das Freiheitsrecht aber einen eigenverantwortlichen Spielraum. Dieser Charakter befähigt die Universität auch, kritische Einstellungen zur Weiterentwicklung zu entfalten und an alternativen, ergänzenden oder interdisziplinären Konzeptionen arbeiten zu helfen. Die Universität könnte daher zu einer Stätte der besonderen Wissenschaftsverantwortung werden, die angesichts der zunehmenden praktischen Verstrickung der Wissenschaft immer deutlicher angemahnt wird.

3. Schrankenlose Gewährleistung Daß die Wissenschaftsfreiheit schrankenlos gewährleistet wird, bedeutet kein versehentliches Versäumnis 254 , wurde bei der Übernahme ins Grundgesetz aber auch nicht näher erörtert. Zunächst hatte der Herrenchiemseer Konvent vorgesehen, im Anschluß an die Wissenschaftsfreiheit den Technikvorbehalt des Art. 12 der Landesverfassung Bremen in das Grundgesetz aufzunehmen 255 • Der Vorbehalt betrifft jedoch nur die Kontrolle der technischen Praxis und ist daher nicht auf die Wissenschaftsfreiheit anwendbar; er unterstreicht eher deren besonderen Schutzzweck; andererseits lenkt er den Blick mit Nachdruck auf die notwendige Kontrolle im Bereich der praktischen Anwendung. Die Absicht, den Vorbehalt ins Grundgesetz aufzunehmen, wurde nicht weiterverfolgt; an seine Stelle trat vielmehr die Treueklausel für die Lehrfreiheit. Da auch der Vorschlag, einen Generalvorbehalt für die Grundrechte ins Grundgesetz einzuführen, nicht verwirklicht wurde256 , blieb es bei der schrankenlosen Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit in der überkommenen Form. Diese entspringt aber nicht einer gedankenlosen Tradition, sondern ergibt sich unmittelbar aus dem Schutzgut und dem Sinn und Zweck der Freiheitsgarantie. Die wissenschaftliche Erkenntnis verträgt grundsätzlich keine von außen herangetragene Relativierung, wenn sie nicht als Selbstzweck aufgehoben werden soll. Die Freiheitsgarantie richtet sich aber ausdrücklich auf die wissenschaftliche Erkenntnis an sich und die da-

Vgl. Hai/bronner, Funktionsgrundrecht, 1979, S. 101-146. 254 Wie Knies, Schranken der Kunstfreiheit, 1967, für die redaktionelle Anordnung des Abs. 3 des Art. 5 GG annimmt; die Grundrechte des Abs. 3 müßten demnach mit den Grundrechten des Abs. 1 gleichzustellen und Ausprägungen einer gemeinsamen Kommunikationsfreiheit sein. 255 Vgl. v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte, 1951, S. 89-92. 256 Vgl. ebd., S. 176 f. 253

3. Schrankenlose Gewährleistung

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durch gesicherte Wissenserweiterung. Wenn sich der Staat dazu bekennt, die wissenschaftliche Wahrheit in ihrer logischen Eigenständigkeit zu schützen, muß der Schutz absolut sein, um die Eigenständigkeit zu wahren und keinen Weg zur Beeinträchtigung der Sachgesetzlichkeit zu öffnen. Außerdem läßt der Schutzzweck, der darauf gerichtet ist, die staatliche Unterdrückung der wissenschaftlichen Erkenntnis auszuschließen, keinen Vorbehalt zu, der dem Staat eine Einwirkung gestatten könnte. Mit einem klassischen Schrankenvorbehalt hätte daher nur ein Widerspruch in die Gewährleistung hineingetragen werden können. Bei der ursprünglichen Einführung der Wissenschaftsfreiheit bestand ohnehin kein Anlaß, sich über mögliche Konflikte mit der Rechtsordnung Gedanken zu machen, da die Gewährleistung nicht als unmittelbar .geltendes Vorrangrecht erging und mit der Wirkungskraft als Programmsatz oder Gesetz keine besonderen Schrankenprobleme verbunden waren 257 . Außerdem bezieht sich der Schutz auf den geistigen Entwicklungsprozeß und ist nicht auf praktische Handlungsfreiheit oder Rechtskonflikte eingestellt. Der praktische Handlungszusammenhang, der mit dem geistigen Erkenntnisvorgang verbunden ist, und praktische Auswirkungen konnten grundsätzlich der allgemeinen Rechtsordnung zugeordnet werden. Ein bestimmter Rechtskonflikt sprang nur bei der Lehrfreiheit ins Auge; für diese wurde daher auch die voraussetzbare Rechtsbindung bekräftigt. Die mit der Wissenschaftsfreiheit verbundene wissenschaftliche Handlungsfreiheit erschien daher ohne weiteres in die allgemeine Rechtsordnung eingebettet. Sowohl die rechtlichen als auch die sachlichen Voraussetzungen haben sich jedoch erheblich verändert. Zum einen wurde die Wissenschaftsfreiheit zu unmittelbar geltendem Recht, das Vorrang vor der allgemeinen Rechtsordnung genieße 58 ; zum anderen sind mit dem wachsenden Ausmaß der Wissenschaftstätigkeit auch die praktischen Vorgehensweisen und Auswirkungen stärker in den Vordergrund gerückt und haben immer deutlicher erkennen lassen, daß darauf bezogene Beschränkungen nicht entbehrt werden können 259 • Dennoch wurde im Einklang mit dem Schutzzweck keine Schran-

257 Vg!. den Hinw. auf den Motivenbericht zur preußischen Verfassung bei Zwirner, Wissenschaftsfreiheit, 1973, S. 325 f.; vg!. ferner Huber, Verfassungsgeschichte III, 1963, S. 119; ders., Dokumente, 1961, S. 385, 401. Vg!. das Grundrechtsgesetz vom 21. Dez. 1848 (RGB!. S. 49); Sachs, Diskriminierungsverbot, 1987, S. 12 f. 258 Vg!. Art. 1 Abs. 3 GG. Näher zur Durchsetzung der Grundrechte als bindendes Recht Stern, Staatsrecht III/ 1, 1988, § 60 III S. 166 f., § 61 II S. 189 f. (unt. Hinw. auf die staatsrechtliche "Wende" unter der WRV), § 65 I S. 481-491 (unt. Hinw. auf die veränderten Voraussetzungen der Bindungswirkung), § 72 I-IlI S. 1177-1209 (unt. ausf. Hinw. auf die historische Entwicklung), § 73-75 S. 1253-1508 (zur Bindungswirkung im einzelnen). 259 V gl. den oben erwähnten Technikvorbehalt, der in die Bremer Verfassung vom 21. Okt. 1947 aufgenommen wurde.

168

V. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit

kenbestimmung vorgesehen, als die Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz verankert wurde. Immerhin wäre denkbar gewesen, die Freiheit der Erkenntniserweiterung durch einen Nutzen- oder Gefahrenvorbehalt für die Auswirkungen zu regeln, der zwar nicht die wissenschaftliche Wahrheitssuche eingeschränkt, aber ihre Verwertbarkeit an Bedingungen geknüpft hätte. Damit wäre aber der Schutz der zweckfreien Erkenntnis indirekt verengt und wäre außer acht gelassen worden, daß in der grundsätzlichen Zweckfreiheit der Erkenntnis die Voraussetzung für eine umfassende Entwicklung von Erkenntnisinteressen liegt, mit denen auch die Vorbehaltsinteressen ausgefüllt werden können. Die Schrankenlosigkeit der Wissenschaftsfreiheit ist daher nicht nur ein sachgesetzliches Erfordernis, sondern ergibt sich zugleich aus dem Allgemeininteresse am Vorteil der Erkenntnissuche, auch zum Zweck des richtigen Umganges mit der Erkenntniserweiterung. Ausdrückliche Beschränkungen würden daher auch den im Interesse von Beschränkungszwecken liegenden Erkenntnisgewinn vermindern. Die Schrankenlosigkeit ist demnach ein Sacherfordernis, das zugleich als Schutzinteresse hinter dem Schutzzweck der unbeeinträchtigten Erkenntniserweiterung steht. Die sachgesetzlich bestimmte und im Interesse des Freiheitsschutzes liegende Schrankenlosigkeit bedeutet, daß eine staatliche Legitimation zur Unterdrückung der wissenschaftlichen Erkenntnissuche ausgeschlossen ist. Daraus folgt ein absolutes Verbot staatlicher Eingriffe, deren Zweck in der Behinderung des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts liegt. Dieses Verbot bleibt auch gegenüber der verhältnismäßigen Einschränkung, die zum Schutz anderer Rechtsgüter unentbehrlich erscheint, bestehen. Nur soweit gleichberechtigte Schutzinteressen mit dem Freiheitsschutz für die Wissenschaft in Konflikt geraten und nicht anders als durch Einschränkungen dieses Schutzes angemessen zu wahren sind, wird eine verhältnismäßige Anpassung oder Beschränkung der Schutzgarantie erforderlich, die aber nur das unentbehrliche Mittel zum Zweck der gleichberechtigten Rechtswahrung und kein Selbstzweck sein darf. Soweit über die Modalitäten hinaus auch die Substanz der Erkenntnissuche betroffen ise60 , steht der unverfügbare Kernbereich der Wissenschaftsfreiheit auf dem Spiel, wird die Grenze zur Einschränkung als Selbstzweck überschritten und setzt sich das Einschränkungsverbot durch. Ferner bezieht sich die Konfliktentscheidung auf den einzelnen Fall; soweit sie zur Regelung verallgemeinert wird, wendet sie sich ins Reguläre, wo allein die Ausnahmeregelung in Betracht kommt. Daher müssen Versuche zur normativen Ausfüllung der inhärenten Bindung an die Verfassung, mit denen zur Regel erhoben werden soll, was im Einzelfall als unzulässiger Übergriff in andere Rechte zu gelten hat, entweder zur formelhaften Wiederholung der

260

Vgl. Hailbronner, Grenzen, 1980, S. 104; Oppermann, Freiheit, 1989, S. 823.

3. Schrankenlose Gewährleistung

169

inhärenten Verfassungs bindung geraten oder so verklausuliert werden, daß die Wirkung als allgemeine Schrankenregelung ausgeschlossen wird. Die gesetzliche Aufbereitung verfassungsrechtlicher Konfliktbereiche birgt daher die Gefahr, daß Regeln gebildet werden, die dem Sinn der Wissenschaftsfreiheit widersprechen. So wirken sich undifferenzierte Zugangs- und Verwertungs verbote, etwa im Datenschutzbereich, als zu weitgehende Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit aus; umgekehrt sind Vorbehalte zugunsten der Wissenschaft, wie etwa im Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, nicht als Freistellungen, sondern als Abwägungsklauseln zu betrachten. Die schrankenlose Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit bekennt sich mit der Freiheit der Erkenntnissuche auch zum Risiko, das mit der Erkenntnis verbunden ist. In der Achtung vor der Erkenntnis liegt der gewaltige geistige und praktische Fortschritt begründet, der mit dem gleichzeitigen Bekenntnis zur Vernunft und der ebenfalls rechtlich geschützten freien Diskussion für die Entwicklung von Staat und Gesellschaft möglich wurde. Die bedenklichen Auswirkungen von Forschung und Technik haben inzwischen jedoch erkennen lassen, daß die abstrahierende Unterscheidung von Forschung und Praxis zwar eine unentbehrliche Voraussetzung für die Vielfalt und Lebhaftigkeit der Entwicklung darstellt, daß aber allein durch die Überwachung der praktischen Nutzbarmachung nicht erreicht werden kann, daß Fehlentwicklungen unterbleiben. Vielmehr zeigt sich, daß zunehmend mit dem Prinzip der Gefahrenvorsorge gearbeitet werden muß, um ausreichend gegen schädliche Folgewirkungen gewappnet zu sein. In diese Entwicklungen ist die wissenschaftliche Forschung auf doppelte Weise einbezogen. Zum einen muß sie zur Gefahrenerkennung und -bekämpfung herangezogen werden; zum anderen muß ihr eine Vorausschau auf die mit ihren Entdeckungen verbundenen Auswirkungsmöglichkeiten abverlangt werden, um von einer aggressiven, isolierten Technisierung zu einer schonenden, integrativen Nutzanwendung zu gelangen. Mit einer Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit ist dieser Weg jedoch nicht gangbar zu machen. Beschränkungen sind nicht nur verfassungsrechtlich untersagt, sondern würden auch dem Anliegen, eine erweiterte Wissenschaftsleistung zu erlangen, zuwiderlaufen. Daher läßt sich die Formel von der Verantwortung der Wissenschaft, die in diesem Zusammenhang zu einem Leitbegriff geworden ist, nicht vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Wissenschaftsschranken, sondern eines verstärkten Einsatzes der wissenschaftlichen Erkenntnisarbeit auffassen. Möglichkeiten einer rechtlichen Grundlegung haben sich demnach nicht allein an den Schrankenproblemen zu orientieren 261 .

261

Näher unten VII.

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit 1. Verfassungsrechtliche Grundlage 1.1 Allgemeine Rechtsbindung Als Rechtsvorschrift kann die Wissenschaftsfreiheit nicht ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit und als Freiheitsrecht nicht ohne Rücksicht auf andere Rechte Rechtspositionen einräumen. Zur Begründung für die Rechtsanpassung, der alle Rechte unterworfen sind, erscheint weder die (als "Innentheorie" bezeichnete) Auffassung, daß die Reichweite des einzelnen Rechts mit seiner Einräumung vorgegeben ise, noch die (als "Außentheorie" bezeichnete) Auffassung, daß sich die einzelnen Rechte als solche gegenseitig begrenzen 2 , als ausreichend. Der erste Standpunkt vernachlässigt den Rückbezug auf die soziale Wirklichkeit und geht von einem in sich geschlossenen Rechts- oder abschließenden Regelungsmodell aus 3, während der zweite zwar die Ebene des Wirklichkeitsbezugs berücksichtigt, diesen aber nicht als solchen zum Maßstab erheben kann; erforderlich ist eine rechtlich gesteuerte Vermittlung auf der Ebene der rechtlichen Wirkungsbeziehungen4 • Die Innentheorie fußt auf einem rechtsintegrativ vorgeprägten Regelungs- oder zusammenfassenden Rechts- und einem davon bestimmten Freiheitsbegriff, während die Außen1 So Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, bes. S. 51-67, 128-130, 179 f. - nach Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 66 f. nicht als eine präformierte, sondern eine auf Begrenzung hin angelegte Schutzwirkung zu verstehen; die Begrenzung soll nach Häberle aber gleichwohl in einer anflinglichen Textur begründet sein. 2 v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 149-151; Wülfing, Gesetzesvorbehalte, 1981, S. 104, 123; Schneider, Wesens geh alt, 1983, S. 40-48, 169176; Sachs, Diskriminierungsverbot, 1987, S. 49-91. J Wird daher durch die offene verfassungsrechtliche Regelungstechnik des GG widerlegt, vgl. Alexy, Grundrechtstheorie, 1985, S. 251. 4 Auf der Grundlage der gleichen Rechtsgeltung in Form von Güterabwägung und Verhältnismäßigkeitsprinzip; vgl. statt vieler Alexy, a.a.O., S. 143-154. 5 So Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, S. 145-154 (Stellungnahme gegen einen auf natürliche Handlungsfreiheit und natürlich begründete Freiheit bezogenen Rechtsbegriff), S. 20, 23-25, 128-130 (Hinweis auf einen wesensgemäß in sich beschränkten Rechtsbegriff), S. 70-125 (Darlegung der institutionellen Grundrechtstheorie), S. 30 f., 40, 46 f., 56, 59, 94, 99-102, 115, 126, 146, 193 (ständige Wiederholung der Wertgebundenheit, Ordnungsbezogenheit, Begrenztheit, Sozialpflichtig-

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

171

theorie einen technisch differenzierten Rechts- und einen offenen Freiheitsbegriff zugrundelegt6 . Richtig kann nur sein, im Sinne der Außentheorie von der unmittelbaren Verbindung von rechtlicher und tatsächlicher Freiheitsmöglichkeit auszugehen 7, aber im Sinne der Innentheorie auf der Ebene der Rechtswirksamkeit den normativen Bezug zu klären, der ein Interdependenzgefüge bildet, das dem Einzelrecht Grenzen setzen kann 8• Der normativ-faktische Zusammenhang ist sowohl für den Rechts- als auch den Freiheitsbegriff und sowohl auf der Ebene der gesamten Rechtsordnung als auch der einzelnen Rechtsnorm vorauszusetzen; die Wirkungsbeziehungen beeinflussen sich auf der normati-

keit, Verantwortlichkeit, Rechtlichkeit, Norrnativität, Eingebundenheit und nicht Beliebigkeit der Freiheit), S. 53, 94, 120, 123, 126, 128, 152, 183 (vielfache Wiederholung der Parole vom "Ineinanderstehen von Recht und Freiheit"). Vgl. auch Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974, S. 18-25 (der sich im umgekehrten Sinne auf Naturrecht bezieht, S. 122, 127-130); Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 258263. 6 Wie die Rechtsprechung zur immanenten Grundrechtsbeschränkung mit der Wende vom pauschalen Gemeinschaftsvorbehalt des BVerwG zum Verfassungsgütervorbehalt des BVerfG zunehmend verdeutlicht hat (dazu unten 1.2). Grundsätzlich zur Unterscheidung von Freiheit und Grundrechtsberechtigung und der grundrechtlich vorausgesetzten Beliebigkeit der Freiheit Schnur, Buchbesprechung Häberle, 1965; ähnlich, im Sinne der Selbstbestimmungsfreiheit Denninger, Freiheitsordnung, 1975, S. 545-548; Schlink, Freiheit durch Eingriffsabwehr, 1984, S. 457, 467 (Freiheit als staatsvorausliegend oder nicht rechtfertigungsbedürftig); Schnapp, Toleranzidee, 1985 (grundrechtlicher Ausgangspunkt staatsfreier Sphäre); Bleckmann, Grundrechtsverzicht, 1988, S. 58, 60; ders., Staatsrecht 11, 1989, S. 202 (Ausrichtung auf freies Belieben); Stern, Staatsrecht III/I, 1988, § 66 11 S. 624-643 (Verhaltensfreiheit und Selbstbestimmung). 7 Vgl. die grundlegende Erörterung dieser Streitfrage bei Lübbe- Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 55-102 unter Einbeziehung naturrechtlicher (S. 79 f., 89 f.), auf Art. lAbs. 2 GG bezogener (S. 79 f.), philosophischer (S. 82-84), praktischer (Staats- und Lebenswirklichkeit, S. 84 f.), rechtstechnischer (Schutzbereichsweite, Schrankenbestimmung, S. 88 f., 97), weltanschaulicher und folgenbezogener (Freiheitsperversion und -privilegierung, S. 99-101) Argumentation sowie eingehender Rechtsprechungsanalyse (S. 90-98) mit dem Ergebnis, daß zumindest eine rechtstechnische Unterscheidung von rechtlicher und nichtrechtlich begründeter Freiheit angenommen werden kann und diese der grundgesetzlichen Regelungsintention entspricht (S. 85 f., 101 f.). Zur nicht bezweifelbaren Anknüpfung an reale oder natürliche Freiheit Schneider, Wesensgehalt, 1983, S. 169-176, 214; Alexy, Theorie, 1985, S.346. 8 Wobei die Sachverhalts- in die normative Ebene transponiert wird, weshalb auch das allgemeine, nicht durch grundrechtliche Abwehransprüche im einzelnen aktualisierte Dürfen als rechtliche und nicht natürliche Freiheit erscheint; vgl. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S.48. Grds. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 137-256.

172

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

ven Grundlage der Rechtsgeltung in ihrer jeweiligen Reichweite, ohne dadurch schon für den Ausgleich abgesteckt zu sein9 • Vielmehr ist in der Vernetzung der Wirksamkeitsbedingungen ein Vermittlungsverfahren erforderlich, um die normativen Beziehungen erschließen und ihre Wirkung auf die einzelne Wirksamkeitsfrage festlegen zu können 10. Diese Rolle übernimmt neben der einzelnen Rechtseinräumung die Erörterung und Festlegung der SchrankenlI. Nur eine Parallele dazu stellt die Frage dar, ob die in der Rechtsnorm als solcher oder in deren Einbettung in die Rechtsordnung zu sehenden immanenten oder inhärenten Schranken im Sinne angeschriebener negativer Tatbestandsmerkmale oder ungeschriebener Schrankenvorbehalte zu sehen sind 12 ; folgt man der Außentheorie, ist eine Aufgliederung in Schutzbereichsfeststellung und -abgrenzung konsequent. Eine einseitige Festlegung der Grundrechtsinterpretation auf die Eingriffsperspektive, wonach der Grundrechtsschutz nur bei staatlichen Eingriffen in den Schutzbereich zum Zuge kommt 13 , braucht damit nicht verbunden zu sein 14 •

9 Vgl. die Klarstellung bei Schnur, Buchbesprechung Häberle, 1965, S.490, daß der in der Rechtsordnung selbstverständlich enthaltene allgemeine Gesetzesvorbehalt als solcher noch keine Regelung enthält. 10 Zur Effektivierung sowohl der Rechtsbefugnisse als auch der rechtlichen Grenzen im Sinne des richtigen Ausgleichs; vgl. zur Rechtsschutzfunktion der SchutzbereichsSchranken-Gliederung Alexy, Theorie, 1985, S. 249-298. Zur Frage einer Freiheitslastigkeit und ihrer rechtstechnischen Auffangbarkeit Lübbe-Wolf!, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 100-102; zur grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Verrnittlungsaufgabe hinsichtlich der individuellen und sozialen Freiheit Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983. 11 Vgl. (neben Alexy, a.a.O.) Wülfing, Gesetzesvorbehalt, 1980, S. 21-25; v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 149 f. Die dort genannte Gefahr der Immanenzlehren, die eine vorgegebene Grundrechtsbeschränkung annehmen, daß sie die allgemeine Rechtsordnung in unübersehbarer Weite und Willkür an die Stelle verfassungsrechtlich begründbarer Argumentation setzen, wirft umgekehrt Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 258-271 der Rspr. vom Verfassungsvorbehalt vor. 12 Im ersteren Sinne überwiegend die älteren Meinungen, befürwortet auch von Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974, S. 132-135; vgl. die krit. Darstellungen bei v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981; Schneider, Wesensgehalt, 1981; Lawrence, Grundrechtsschutz, 1989, S. 98-109. Zur Auseinandersetzung mit der ersteren (engen) und der zweiteren (weiten) Tatbestandstheorie Alexy, Theorie, 1985, S.280-299. 13 Zu deren dogmatischem Vorteil und Anwendbarkeit in präformierten Grundrechtsschutzbereichen anstelle der Argumentation mit der objektiven Grundrechtswirkung Lübbe-WolfJ, Eingriffsabwehrrechte, 1988. Vgl. andererseits Sachs, Diskriminierungs verbot, 1987. 14 Vgl. die vehemente Kritik am Eingriffs- und Schrankendenken durch Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983 und die Stellungnahme von Lübbe-Wolf!, a.a.O., S. 6369 unter Hinweis auf die Gegenkritik; sie trifft die Feststellung, daß Häber/es institu-

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

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Versteht man die Freiheitsrechte ausschließlich als Anspruch gegenüber dem Staat auf unbeeinträchtigte Wahrnehmbarkeit der freigestellten Tätigkeiten, greift man zu weit, da die Freiheitsgarantie zugleich die rechtlichen Bedingungen der Freiheit, die gleiche Betätigungsmöglichkeit für alle und ihre Durchsetzbarkeit, zu berücksichtigen hae s. Das Freiheitsrecht darf nicht ohne Beachtung dieser Bedingungen ausgeschöpft werden. Beide beziehen sich auf die gleiche Freiheit, die im Rahmen der Rechtsordnung insgesamt besteht und umfassend zu schützen ist. Der Freiheitsanspruch richtet sich im Ergebnis also nur auf Freiheit, soweit mit der allgemeinen Freiheitssphäre im Sinne des damit zugleich verwirklichten Allgemeinwohls vereinbar. Diese wird durch andere Rechte und die gleiche Rechtsordnung definiert. Mit den dort gesetzten Maßstäben hat sich die Entfaltung der einzelnen Freiheitsrechte auseinanderzusetzen. Die Frage nach dem Freiheitsbegriff mündet demnach in die Frage nach der Qualität der Freiheitsrechte; die rechtliche Vermittlung der Freiheit bedeutet offenbar mehr, als ein individualistisches Abwehrsystem leisten kann und hat neben der negatorisch bewirkten Selbst- und dadurch erreichten sozialen Koordination 16 auch vermittlungs notwendige Interdependenzen ins Spiel zu bringen. Wieweit der damit angeschnittene soziale Grundrechtsgehalt ausgedeutet werden kann, ist Thema der vom rechtsstaatlichen zum sozial-

tionelles Grundrechtsverständnis und seine damit verbundene Ablehnung einer pointierten Individualfreiheit sowie eines vornehmlich durch diese bestimmten Eingriffsund Schrankendenkens (dazu den Hinweis auf die Folgediskussion bei Häberle, a.a.O., S. 243 Fn.l04) allein als Konnotationentheorie zu verstehen und nicht auf die Schrankendogmatik zu beziehen sei (S. 65-67), es richtet sich jedoch auf eine Änderung des Schrankenparadigmas von der Einschränkung zur Voraussetzung der Freiheit und grds. des vornehmlich individualistischen zugunsten eines vornehmlich kollektivistischen Verfassungsverständnisses. Vgl. dagegen die Darstellung der Vielfalt der Grundrechtsverständnisse und das Plädoyer für eine (pluralistisch-vielseitige) "kulturwissenschaftliche" Grundrechtstheorie bei Häberle im "Fortschreibungs"-Anhang der 3. Auflage (mit dem Darstellungs-Inkurs über Gestaltung und Interpretation der Grundrechtsgrenzen S. 418-421). 1\ So aus individualistischer, die Gleichberechtigungsfrage zu funktionellem Gemeinwohl hochrechnender Sicht (nach der vielfach wiedergegebenen idealistischen Formel bei Kant, Metaphysik der Sitten, 2. Aufl. 1798, Einleitung in die Metaphysik der Sitten I, IV, S. 6 f., 18 f., Einleitung in die Rechtslehre B, C, S. 31 ff.); vgl. dagegen die Betonung der Gemeinschaftsbelange, die als solche den Freiheitsrechten Grenzen setzen, bei Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, mit dem Versuch, die Prioritätsfrage in einer Wechselwirkungssynthese aufzufangen, deren pluralistische Selbststeuerung aber in Widerspruch mit der Grundrechtsbindung geraten kann. Die Frage drängt sich allerdings auf, wieweit der Spielraum für die personalistische Sicht zu ziehen ist. 16 Bleckmann, Grundrechtsverzicht. 1988, S. 59-62.

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VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

staatlichen Grundrechtsverständnis 17 erweiterten Grundrechtsdiskussion 18, die über den objektiven Wirkungsgehalt und die teilhaberechtliche Ausgestaltung hinaus nach neuen qualitativen Paradigmen sucht. Der Auffassung, daß die abwehrrechtliche Bedeutung der Grundrechte nichts von ihrer grundlegenden Regulationsaufgabe verloren hat 19 und die Weiterentwicklung des negatorischen Grundrechtsverständnisses die sozialen Anforderungen erfüllen kann 20 , stehen skeptische Meinungen 21 und neue Konzeptionen zur Überwindung der als einseitig liberalistisch abgelehnten Grundrechtstradition gegenüber. Neben der institutionellen Grundrechtsdeutung 22 wird eine stärker an den Gemeinschaftsbelangen orientierte Deutung des Freiheitssystems 23 oder ein verfassungsganzheitliches Grundrechtsverständnis vertreten 24 • Weitergehend soll die Grundrechtsinterpretation die inhaltliche Berücksichtigung der Gegenseitigkeit einschließen 25 oder die inhaltliche Sinnhaftigkeit der Grundrechte und die Verantwortlichkeit für ihre Ausübbarkeit als immanente Schranke anerkennen 26 • Die Einschätzung der Wissenschaftsfreiheit kann davon nicht unberührt bleiben; im vorliegenden Zusammenhang soll aber weniger von einem allgemeinen Standpunkt als vielmehr von den rechtlich erschließbaren Voraussetzungen ihrer Geltung als Verfassungsrechtssatz ausgegangen werden. Soweit den Rechten jeweils Schranken gezogen sind, werden die Bedingungen ihrer Einräumung näher festgelegt und der staatlichen Regelung an17 Grds. Stern, Staatsrecht I, 1984, § 21 S. 872-938; Zacher, Das soziale Staatsziel, 1987. 18 Vgl. Karpen, Auslegung, 1987. 19 Schlink, Freiheit durch Eingriffsabwehrrechte, 1984; Schnapp, Toleranzidee, 1985, S. 861 f.; Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit, 1986; Rupp, Staat und Gesellschaft, 1987, S. 1201-1203; Bleckmann, Grundrechtsverzicht, 1988. 20 Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 197-309; vgl. die Darlegung der Grundrechtsfunktionen bei Stern, Staatsrecht III /1, 1988, §§ 66-69 S. 620-993. 21 Bethge, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1985, S. 372-375; Jarass, Grundrechte, 1985, S. 397. 22 So Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983 (1962); vgl. auch Rupp, Wandel der Grundrechte, 1976, S. 172-176. 23 Wilke, Grundrechtstheorie, 1975, S. 224-240 und Krebs, Vorbehalt, 1975, S. 5359. 24 Lipphardt, Grundrechte, 1986. 25 Suhr, Entfaltung, 1976; ders., Freiheit vom staatlichen Eingriff, 1980; ders., Freiheit durch Geselligkeit, 1984; dazu Lübbe-Wolf!, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 99 f.; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976 (durch demokratisches Gesetz vermittelte Freiheit; dazu Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 288-295). 26 Brugger, Verfassungsliberale Grundrechtstheorie, 1987.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

175

heimgestellt. Der unbeschränkten Wissenschaftsfreiheit gegenüber sind die inhärenten Schranken der Garantie zum Ausdruck zu bringen, die von den gleichen sowie sonstigen Freiheitsrechten und den Voraussetzungen der Rechtsordnung für die Freiheitsrechte bestimmt werden. Geltungsgrenzen und Kollisionswirkungen sind zwar ihrer näheren Feststellung nach als von außen auferlegte Beschränkungen zu betrachten, zugleich aber auch als Sichtbarwerden innerer oder immanenter Grenzen auf der gleichen normativen Grundlage, jedoch vermittelt durch die anderen Rechte, zu verstehen. Wäre der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit eng auf den Erkenntnisvorgang als solchen beschränkt, bestünde keine Schrankenproblematik, aber auch keine Wissenschafts-, sondern nur eine Erkenntnisfreiheit. Schutzgut ist jedoch der gesamte wissenschaftliche Arbeitsprozeß, in dessen Zentrum die fortschreitende Erkenntnis steht. Soweit sich die wissenschaftliche Arbeit isoliert von jeder rechtlichen Auswirkung und Handlungsbedingung hält, entsteht der unbeschränkten Freiheit kein Problem; der wissenschaftliche Arbeitsprozeß greift jedoch weiter aus und ist daher mit dem rechtlichen Zusammenhang, in den er eingebettet ist, abzustimmen 27 . Außerdem bedeutet der Freiheitsschutz im Kern den Schutz vor staatlicher Reglementierung und behindernder Einmischung; in effektivierender Auslegung wurde daraus der Anspruch auf Freiheit von staatlicher Behinderung jeder Art. Da keine Begrenzungsmöglichkeit ausgesprochen ist, kann nur der verfassungsrechtliche Rahmen die Grenze des Freiheitsschutzes bezeichnen. Soweit die zentrale Schutzrichtung, zum einen konzentriert auf den Erkenntnisvorgang, zum anderen auf finale Eingriffe bezogen, zur Debatte steht, schließt sie mit dieser Grenze vollständig auf und läßt keine rechtlich unbestimmten Zwischenbereiche offen; sobald der Schutzanspruch aber auf jede funktionale Handlung und auf jede, auch die nicht ge zielte , die nicht unmittelbare und die rein faktische Behinderung ausgedehnt wird, entsteht eine Regelungslücke zwischen dem unbeschränkten Schutz, der für die zentrale verfassungsrechtliche Schutzrichtung gilt, und den erweiterten Schutzwirkungen, die sich bis in entferntest liegende Regelungs- und Handlungsbereiche erstrecken. Wenn für diese keine unmittelbare verfassungsrechtliche Legitimation eintreten kann, sind sie dem weit verstandenen verfassungsrechtlichen Schutzanspruch gegenüber nicht tragfähig. Damit wird eine unbeschränkte wissenschaftliche Handlungsfreiheit gewährt; die Grenzziehung bleibt beschränkt, während die Schutzwirkung und der Schutzanspruch ausgedehnt werden. So entsteht ein erweiterter Geltungsbereich, der über den engeren Legitimationsrahmen hinausreicht.

27 Vgl. den Hinweis von Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 261 f., 269 f. auf die Schrankenfrage, die sich stellt, wenn das Forum internum überschritten wird.

176

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

Versucht man, der weiten Interpretation durch Rückgriff auf den verfassungsrechtlichen Rahmen Herr zu werden, besteht die Gefahr der Verengung durch zunehmend dichter aufgestellte Schutzgrenzen. Andererseits darf sich die Freiheit nicht zu Lasten ihrer rechtlichen Grundlage auswirken. Je weiter der Freiheitsbereich jedoch ausgedehnt wird, desto größere Bedeutung erlangt auch die allgemeine Rechtsbindung, in die der Grundrechtsbereich eingefügt ises. Die rechtliche Bindung der Freiheit ist daher nicht mit ihren verfassungsrechtlichen Schranken gleichzusetzen, sondern stellt auch eine ihrer Voraussetzungen und Verwirklichungsmodalitäten dar, die unabhängig von der im Konflikt erforderlichen Aktualisierung der Schranken, grundsätzlich zu beachten sind 29 • 1.2 Entwicklung der Schrankendiskussion Die Ausuferung der Wissenschaften führte folgerichtig zu der Frage, ob die Freiheitsgewährleistung undifferenziert sowohl hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen als auch hinsichtlich der Freistellung in der Rechtsfolge aufzufassen ist und ob das Problem, welche Begrenzungsmöglichkeiten gegenüber der Freiheitsgarantie bestehen, tatsächlich erst auf einer weiteren Ebene angegangen werden kann. Die pauschale Freiheitsgewährleistung erscheint jedenfalls immer schwieriger verwirklichbar und immer schwerer akzeptabel, je mehr sich die Wissenschaft in praktischer Wirksamkeit ausprägt. Daher wird nach Wegen gesucht, die aus der verfassungsrechtlichen Isolation der Freiheitsgarantie herausfinden lassen. Die Grundlagen dafür liegen in der Entwicklung der allgemeinen Schrankendiskussion, die eng mit der Entwicklung der grundrechtlichen Geltungskraft zusammenhängt. Solange die Grundrechte nicht mit konkretem Geltungsanspruch eingeräumt und nicht als zwingendes Recht betrachtet wurden, bestand kein Anlaß, sich an Schrankenbestimmungen oder der Großzügigkeit unbeschränkter Gewährleistungen aufzuhalten 30 • Erst als sich die verfassungsrechtliche Wirksamkeit der

28

Vgl. oben V.1.4.

29 So wie auch das rechtliche Dürfen nicht mit dem Durchsetzungs- LS.d. Abwehroder Unterlassungsanspruchs aus der Freiheitsgarantie gleichzusetzen ist, worauf Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 40-53, 60-62 hinweist. Die Freiheit reicht weiter und ihr entspricht die genannte Bindung, während der Abwehranspruch aus der ausdrücklich eingeräumten Freiheitsgarantie hervorgeht und die Grundrechtsschranken sich auf diese Rechtsmacht beziehen. 30 Vgl. den weit ausholenden geschichtlichen Rückblick auf die Beschränkung von Grundrechten bei Sachs, Diskriminierungsverbot, 1987, S. 7-11.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

177

Grundrechte zu entfalten begann, traten Fragen der Reichweite und Bindungswirkung sowie der Beschränkbarkeit stärker in den Vordergrund 31 • 1.2.1 Vorbereitung (Weimarer Reichsverfassung)

So kam es nach der Einführung der Weimarer Reichsverfassung zunächst darauf an, die rechtliche Bedeutung der Grundrechte zu erschließen und die verfassungsrechtlich angelegten Differenzierungen der Geltungskraft und Bindungswirkung herauszuarbeiten 32 • Hinsichtlich der Wissenschaftsfreiheit war zunächst die Eigenschaft als Grundrecht zu klären 33 ; es konnte mindestens davon ausgegangen werden, daß die Gewährleistung zu bedeuten hatte, daß die geschützte Tätigkeit dem exekutiven Eingriff entzogen werden sollte34 • Die nächsten Schritte bestanden in der inhaltlichen Zuordnung zur Meinungsfreiheit, verbunden mit der Einbeziehung in deren Schrankenvorbehalt in Form der allgemeinen Gesetze 35 ; damit wurde die ausführliche Auseinandersetzung darüber, wie der Begriff der allgemeinen Gesetze zu verstehen sei, auch für die Reichweite der Wissenschaftsfreiheit von Bedeutung36 • Der sachliche Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit ließ Rothenbücher die Wissenschaftsfreiheit unter Vernachlässigung ihrer textlich weitergefaßten Gewährleistung als Spezialfall der Meinungsfreiheit zugunsten der beamteten Hochschullehrer erscheinen, um diesen anstelle der ihnen kraft Staatsdienerschaft verschlossenen Meinungsfreiheit eigens die wissenschaftliche Meinungsfreiheit zu eröffnen 37 • Der "Umweg" über die Meinungsfreiheit konnte deren Gewährleistungsschranken anwendbar machen. Dagegen berücksichtigte Smend die objektive Textfassung und hob die eigenständige institutionelle Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit als Schutz für einen eigengesetzlichen Sach- und Lebensbereich hervor, wonach folge-

31

Zur Entwicklung in der Staatsrechtslehre ebd., S. 11-13.

32 Vgl. Thoma, Bedeutung der grundrechtlichen Sätze, 1929, S. 31-53; Schmitt, Inhalt und Bedeutung, 1932, S. 575-577,600. Vgl. Stern, Staatsrecht III/ I, 1988 § 60 III S. 166 f., § 61 II S. 189 f. (unter Hinweis auf die staatsrechtliche "Wende" unter der WRV). Zur allgemeinen Entwicklung unter der WRV vgl. bes. Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, 1929/30; vgl. Bettermannl Neumannl Nipperdey I Scheuner, Grundrechte 1954-1967. 33 Vgl. Schmidt, Freiheit, 1929, S. 93. 34 Vgl. Anschütz, Verfassung, 1933, S. 659 (m.w.N.).

35 Rothenbücher, Freie Meinungsäußerung, 1928, S. 32-39; Häntzschel, Freie Meinungsäußerung, 1932, S. 671 f. 36 Vgl. Schmidt, Freiheit, 1929, S. 104 f.; Kitzinger, Freiheit, 1930, S. 458. 37 Rothenbücher, Freie Meinungsäußerung, 1928, S. 32-37.

12 u,sch

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VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

richtig die Schrankenfrage unter Berücksichtigung dieser Eigengesetzlichkeit zu behandeln w:u3 8 • Smend ging dieser Frage aber nicht näher nach, er ließ nur anklingen, daß die Ausübung von Forschung und Lehre nicht gegen konkret bestehende Rechte verstoßen dürfe, auf die Ausübung als solche um ihrer selbst willen jedoch keine Rechtsbeschränkungen anwendbar seien, ferner gegenüber in Betracht kommenden Strafbestimmungen die Strafbarkeit grundsätzlich ausgeschlossen werde 39 • Darin kommt zum einen die Unterscheidung von allgemeinen und Sondergesetzen zum Ausdruck, die verbunden wird mit einer Einschränkung hinsichtlich der besonderen, auf die Wahrnehmung der Wissenschaftsfreiheit als solche bezogenen Anwendbarkeit; hinsichtlich des Strafrechts scheint vor allem Tatbestandsausschluß angenommen zu werden40 • Beide Auffassungen, diejenige von der Ergänzung der Meinungsfreiheit durch die Wissenschaftsfreiheit und diejenige von der weiterreichenden Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit, wurden in der Folgezeit verbunden. Der Rückgriff auf den Schrankenvorbehalt der Meinungsfreiheit konnte offengehalten werden; seine Tragweite wurde aber je nach Einschätzung der Eigenständigkeit der Wissenschaftsfreiheit unterschiedlich beurteilt. Während nach herkömmlicher Ansicht der Gesetzesvorbehalt zugunsten der allgemeinen Gesetze durchgreifen und daher, anders als unmittelbar gegen die Wissenschaftsfreiheit gerichtetes Sonderrecht, die Wissenschaftsfreiheit auf die Grenzen der allgemeinen Rechtsordnung festlegen konnte41 , war nach der neueren Meinung bei der Anwendbarkeit der allgemeinen Gesetze der Fall einer sondergesetzlichen Auswirkung wegen Bezugnahme auf die Wissenschaftsfreiheit als solche auszuklammern. Daher kam Schmidt zu der Folgerung, daß die Frage der rechtlichen Bindung der Wissenschaftsfreiheit nicht nach dem Schema allgemeine oder Sondergesetze, sondern nach der Zweckrichtung des eingrenzenden Rechts zu behandeln sei; der Einschlägigkeit strafrechtlicher Bestimmungen werde mit der Wissenschaftsfreiheit weitgehend ein Rechtfertigungsgrund entgegengestellt42 • Dagegen hielt Kitzinger an der Unterscheidung unanwendbarer Sonder- und bindender allgemeiner 38 Smend, Freie Meinungsäußerung, 1928, S. 61-70. Zur Bedeutung des prinzipiellen Unterschiedes zwischen der überpositiv nicht gebundenen Meinungsfreiheit und der durch den Wahrheitsbezug immanent gebundenen Wissenschaftsfreiheit für die Schrankenfrage in diesem Zusammenhang Huber, Verfassungsgeschichte VI, 1981, S.980. 39 Ebd., S. 69 f., 71. 40 Vgl. die Beispiele bei Schmidt, Freiheit, 1929, S. 122 f., die sich auf Unzüchtigkeit, Gotteslästerung und Hochverrat beziehen. 41 Anschütz, Verfassung, 1933, S. 660-662 (m.w.N.). 42 Schmidt, Freiheit, 1929, S. 100-104, 117 f., 122 f.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

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Gesetze fest unter Ausschluß der sondergesetzlich wirkenden Anwendung im zweiten Fall; die Konkurrenz mit Straftatbeständen erschien ihm, ähnlich wie Smend, eher als Auslegungs- statt als Rechtfertigungsfrage43 • Gegenüber den vermittelnden Meinungen zielte der Standpunkt Smends auf die völlige Verselbständigung der Wissenschaftsfreiheit und forderte die von Nawiasky auch konsequent gestellte Frage heraus, ob noch von einem einfach-gesetzlichen Schrankenvorbehalt für das Grundrecht die Rede sein könne oder ob es zur Einschränkung eines verfassungsändernden Gesetzes bedürfe44 , eine Frage, die zwar das überbrückende verfassungsauslegende Gesetz mangels grundrechtlicher Bindungswirkung übergehen konnte, aber sich in dessen Anwendungsbereich hinein fortsetzt und entsprechend auf den heute für richtig gehaltenen verfassungsrechtlichen Kollisionsvorbehalt anwendbar ist, der sich auf der Grenze zwischen der Konkretisierung und der verfassungsändernden Rechtsfortbildung bewegt. Jedenfalls waren mit der formellen und besonderen sachlichen Grundrechtsqualität und der damit aufgeworfenen Schrankenfrage schon die Zeichen auf die Nachkriegsentwicklung eingestellt45 • 1.2.2 Ausgangspunkte (Grundgesetz)

1.2.2.1 Schrankensystematische Ansätze Die unmittelbare Geltungskraft der Grundrechte im Grundgesetz46 ließ diese deutlicher als zuvor im Gewand eines einheitlichen Rechtsbereichs erscheinen und verstärkte die Tendenz, sie als System von einer gewissen Geschlossenheit oder einander ergänzenden Anwendbarkeit aufzufassen. So wurde der Begriff von einem "lückenlosen Wert- und Anspruchssystem" gebildet, in dem sich das Bekenntnis zur Menschenwürde rechtlich ausprägen konnte47 • Daraus geht hervor, daß der Systemgedanke sowohl rechtsinhalt-

Kitzinger, Freiheit, 1930, S. 460-480. Nawiasky, in: Aussprache zu Rothenbücher und Smend, VVDStRL 4 (1928), S.74-97 (90-92) unter Hinweis auf die nach Bay. Verf. 1919 nur eingeschränkt mögliche Anwendbarkeit der allgemeinen Gesetze. 45 Zur völkischen Inpflichtnahme der Wissenschaftsfreiheit durch den Nationalsozialismus Denninger, in: AK-GG, 1989, Art. 5 Abs. 3 S. I, Rn. 11. 46 Sowie zusätzlich die Sicherung durch Wesensgehalts-, prinzipielle Nichtänderungs- und Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 2,79 Abs. 3, 19 Abs. 4 GG). 47 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. I, 1958, Rn. 13; vgl. ders., Grundrechtsverwirklichung, 1963, S. 80. Näher dazu Wilke, Grundrechtstheorie, 1975, S. 24-39; Krebs, Vorbehalt, 1975, S. 35-44; Müller, Einheit, 1979, S. 103-114. 43

44

12"

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VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

lich als auch rechtstechnisch verstanden wurde. In der ersten Hinsicht kommt zum Ausdruck, wie sehr die neue demokratische Freiheit und Humanität begrüßt und als fest in der Verfassung begründet betrachtet wurde; in der zweiten ist erkennbar, daß vor allem das entsprechende Bemühen, den Grundrechten Effektivität zu verschaffen, an der systematischen Vertiefung beteiligt war48 . Die Zuwendung zur Systematik der Grundrechte mußte aber dadurch gebremst werden49 , daß die Weite der Grundrechtsgewährleistungen 50 und die kompetenzähnliche Art und Weise der Schrankenermächtigungen eine nähere Systematisierung erschweren51 ; daher traten Probleme der praktischen Anwendbarkeit im Einzelfall und die Weiterarbeit an dogmatischen Ergebnissen aus der Zeit der Weimarer Reichsverfassung in den Vordergrund. Die Grundrechte sind zwar in langer geschichtlicher Entwicklung zum Bestandteil der deutschen Verfassungen geworden, wurden aber nicht systematisch, sondern, ausgerichtet auf bestimmte Grundinhalte, als politische Errungenschaften erarbeitet und in wechselnder zeitlicher Reihenfolge eingeführt. Außerdem erlaubte die Vielseitigkeit und Grundsätzlichkeit der Regelungsaufgaben nicht, daß die Katalogisierung zu einer engen Systematik verflochten werden konnte. Darüber hinaus stellen die Grundrechte jeweils für sich ein System dar, das in den Zusammenhang der Verfassung und der übrigen Rechtsordnung einzupassen ist52 • Auch die Schrankenbestimmungen, die zu dieser Eingliederung beitragen, lassen sich nur im Grundsätzlichen zu einem System zusammenfügen; sie sind jedoch nicht systematisch konzipiert und verbieten weitgehend den Rückgriff auf einen verbindenden

48 Vgl. die Auslegung des Art. 2 Abs. I GG in BVerfGE 6, 32 (36 f.) - Elfes sowie Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, 1958, Rn. 5-8. 49 Vgl. Wilke, Grundrechtstheorie, 1975, S. 40-44,75-110. 50 Vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, bes. S. 89-93, 197-202, 263; Stern Staatsrecht I, 1984, § 3 III S. 83 f., § 4 III S. 128; Marlak, Verfassungstheorie, 1988, S. 85-88, 105-11 O. 5\ Und der Systembegriff ohne nähere Zuordnung nichtssagend bleibt, vgl. Scheuner, Funktion der Grundrechte, 1971, S. 509 f.; daher, neben der Betonung der Entwicklungsfähigkeit (Wilke, a.a.O., S. 90-96), die heute übliche Betrachtung der Grundrechte als offenes System, Schah, Freie Entfaltung, 1985, S. 290; vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht, 1988, S. 121 f. 52 Vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, bes. S. 92; Schneider, Wesensgehalt, 1983, S. 143-147; Alexy, Theorie, 1985, S. 224, 229 (Positionenbündel); Murswiek, Technik, 1985, S. 168; Sachs, Diskriminierungsverbot, 1987, S. 19 (Multifunktionalität, m.w.N.); Starck, Auslegung, 1989, S. 7 (Offenheit); vgl. Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 197-199.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

181

Zusammenhang53 • Dennoch forderte das Grundgesetz dazu heraus, zunächst einen Überblick über die Schrankentechnik zu gewinnen. Die Schrankenproblematik, die unter der Weimarer Reichsverfassung aufgegriffen wurde, mußte stärker in den Vordergrund treten, als die Grundrechte zu bindendem Verfassungsrecht erklärt worden waren und nicht mehr ihre Geltungskraft, sondern die Verfassungsmäßigkeit der an ihnen zu messenden Gesetze zu klären war. Insbesondere das Problem, wie unbeschränkt gewährleistete Grundrechte mit der Rechtsordnung zu vereinbaren sind, verlangte nach Lösungswegen. So unterschied Klein bei dem Versuch, eine Schrankensystematik zu entwerfen, zwischen immanenten oder inhärenten Gewährleistungsschranken, die sich aus der Begriffsbestimmung für den grundrechtlichen Schutzbereich ergeben, und von außen, sei es unmittelbar durch die Verfassung oder durch verfassungsermächtigtes Gesetz oder auch dadurch ermächtigten Rechtsakt, auferlegten Vorbehaltsschranken54 • Die immanenten Gewährleistungsschranken werden als Tatbestandsbegrenzungen aufgefaßt55 . Überhaupt bezeichnet Klein die Schrankenfrage als verfehlt, da sie im Grundrechtsbegriff enthalten sei, und will sie nur zugunsten der Anwendungstechnik verstanden wissen. Die Vorbehaltsschranken werden im übrigen dadurch sachlich differenziert, daß sie sowohl tatbestandliche Gewährleistungsschranken bezeichnen als auch Rechtsfolgenschranken auferlegen können. Außerdem sollen unter die Vorbehaltsschranken solche fallen, die sich bei gleichzeitiger Anwendbarkeit schrankendivergenter Grundrechte - aus der dann hinsichtlich der eintretenden (Anwendungs-) "Kollision" vorzunehmenden Rechtsgüterabwägung - als einschlägig erweisen56 • Von der Terminologie abgesehen, wurde mit der erarbeiteten Schrankensystematik die Unterscheidung zwischen der begrifflichen Tatbestandsbestimmung, der gesetzlichen Ausfüllung vorbehaltener Rechtsfolgenbegrenzungen und den in der Verfassung enthaltenen unmittelbar wirksamen Beschränkungen deutlich gemacht und der Grund für eine klar abgesteckte Schrankenanwendung gelegt.

53 Vgl. die gegensätzlichen Auffassungen von der Schrankenkonzeption als systematisch - v. Mangoldt/Klein, Bonner GG, 1957, S. 120-133 - oder ungeordnet; so Knies, Kunstfreiheit, 1967, S. 80; Bettermann, Grenzen, 1976, S. 3; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S.445. Dazu auch Staupe, Parlamentsvorbehalt, 1986, S. 193 f.; Sachs, Diskriminierungsverbot, 1987, S. 10 m.w.N.) 54 v. Mangoldt/Klein, Bonner GG, 1957, S. 121-132. 55 Von Schranken spricht man in diesem Fall heute grundsätzlich nicht; immanente oder inhärente Schranken bezieht man (im Sinne verfassungsunmittelbarer Vorbehaltsschranken) auf die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht. 56 Darin wird heute ein Konkurrenzproblem gesehen (vgl. unten 3.3).

182

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

1.2.2.2 Allgemeine Freiheitsschranke, Schranke des Gemeinwohls, immanente Nichtstörung Was die Wissenschaftsfreiheit betrifft, setzte sich die Verselbständigung gegenüber der Meinungsfreiheit durch, obwohl die redaktionelle Zusammenfassung mit den allgemeinen Kommunikationsgrundrechten immer wieder dazu anregte, die Schrankenfrage einheitlich zu betrachten57 . Das erneut hervortretende Problem, wie die schrankenlose Gewährleistung in den rechtlichen Zusammenhang einzufügen ist, hätte, konsequent weitergedacht, wegen der verfassungsrechtlichen Wirkungskraft der Grundrechte und der Selbständigkeit der Wissenschaftsfreiheit, die verfassungsunmittelbare Vorbehaltsschranke der kollidierenden Verfassungsrechte ins Blickfeld treten lassen müssen. Doch wurde der Schritt zur unvermittelbaren Abwägung mit entgegenstehendem Verfassungsrecht aber offenbar noch als Schritt in zu weites Gelände zu umgehen versucht. So wurde in den Rückgriff auf den Schrankenvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG ausgewichen und dafür der sachliche Zusammenhang zwischen dem allgemeinen und den besonderen Freiheitsrechten geltend gemacht, obwohl die tatbestandliche und schrankentechnische Differenzierung nicht zu übersehen war s. Auch eine der frühesten Stellungnahmen zur Wissenschaftsfreiheit unter dem Grundgesetz, die Darstellung von Köttgen, schloß sich dem Rückgriff auf das allgemeine Freiheitsrecht an. Sie ging dem Schrankenproblem jedoch weitgehend aus dem Weg, indem sie sich auf eine tatbestandliche Einengung des Grundrechts festlegte. Wissenschafts bezogene Vorarbeiten auf der einen Seite und andererseits die verwertende Publikation sowie Überschneidungsfälle in Form von Zweck- und Auftrags- sowie von außerhalb des akademischen Bereichs gewerblich und beruflich wahrgenommener Forschung sollten generell aus dem Schutzbereich ausgeklammert bleiben59 • Die so bewahrt geglaubte reine Wissenschaft wurde grundSätzlich der Schrankenbestimmung des Art. 2 Abs. 1 GG unterstellt60 • Damit wurde dem zunehmend beherrschend gewordenen Versuch gefolgt, unbeschränkte Grundrechte durch systematischen Rückgriff in genannte Schrankenbestimmungen einzubeziehen. Köttgen betonte jedoch, daß mit Rücksicht auf den sachlichen Eigenwert des besonderen Freiheitsguts die allgemeinen Schranken nur unter dem Vorbehalt der wesensgemäßen Anwendbarkeit herangezogen werden könnten. Damit

57

Unten 2.3.

58

v. MangoldtlKlein, Bonner GG, 1957, S. 258-263.

Köttgen, Freiheit, 1954, S. 296-300, 306, 309. Vgl. die grds. Stellungnahme dagegen bei Heckei, Staat, Kirche, Kunst, 1968, S. 81 f. Fn. 269. 60 Köttgen, a.a.O., S. 310. 59

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

183

schloß er an die von Smend und Schmidt vertretene Linie an und bezog sich unausgesprochen sowohl auf das Verbot der Sonderanwendung als auch auf die Notwendigkeit der "Interessenabwägung" im Einzelfall61 . Mit dem Hinweis, daß die Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit für den Inhalt des subjektiven Rechts bestimmend seien, wurde außerdem eine tatbestandliche Berücksichtigung angedeutet. Diese Gesichtspunkte wiesen in die Richtung der weiteren Behandlung des Schrankenproblems. Vom Rückgriff auf die elementaren Schranken der Handlungsfreiheit ließ sich die Verbindung zu einem allgemeinen "Gemeinschaftsvorbehalt" gewinnen, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht wegen der notwendigen Rechtsverträglichkeit der Freiheitsrechte grundsätzlich voraussetzte62 . Danach "gehört es zum Inbegriff aller Grundrechte", "daß sie nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden. Denn jedes Grundrecht setzt den Bestand der staatlichen Gemeinschaft voraus, durch die es gewährleistet wird"63. Zu den geschützten Gemeinschaftsgütern zählte das Gericht unter anderem die Volksgesundheit, die Verkehrssicherheit, das Sittengesetz und das Schul- und Hochschulwesen64 . Der Vorbehalt konnte sich durchsetzen, soweit im übergeordneten Interesse der staatlichen Gemeinschaft liegend. Jedoch mußte es mit der neu gewonnenen Verfassungsstaatlichkeit als unvereinbar erscheinen, daß auf textlich nicht näher festgelegte Schutzgüter zurückgegriffen wurde. Daher bemühte sich Dürig um eine "verfassungstextnahe" Lösung; die schrankenlos gewährleisteten Freiheitsrechte sollten zwar nicht dem Schrankenvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG unterworfen werden, dieser sollte aber das Medium bilden, durch das sich ein verfassungsrechtlicher Schrankenextrakt auf eine verfassungsrechtlich gesicherte Linie bringen ließ. Das Ergebnis waren elementare Nichtstörungsschranken, die verfas-

61 Die Erwähnung der Interessenabwägung bei Schmidt, Freiheit, 1929, S. 109 (unter Hinweis auf v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927) im Zusammenhang mit der Strafbarkeitsfrage und bei Kitzinger, Freiheit, 1930, S. 503 im Zusammenhang mit der politischen Treuepflicht des Beamten deutet, verbunden mit Smends Auffassung vom Eigenwert der Wissenschaftsfreiheit, die spätere Entwicklung zur Kollisionsentscheidung durch Güterabwägung an. Zum Unterschied zwischen der Abwägung gesetzlicher Interessen und verfassungsrechtlicher Schutzgüter Roellecke, Verfassungsinterpretation, 1976, S. 27. 62 Dazu Lerche, Übermaß, 1961, S. 292-295; Knies, Kunstfreiheit, 1967, S. 93-103; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 90 f. 63 BVerwGE 1,48 (52). 64

101.

Ausf. Nachw. bei v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 90-

184

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

sungsrechtlich näher begründet werden konnten 65 . Die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG wurden daher als Interpretationsgrundlage für einen Verfassungsvorbehalt verstanden, der jedoch weniger von seinen Ausgangspunkten in verfassungsrechtlichen Kollisionsbereichen als von den herkömmlichen Bindungen der Privatrechts-, Strafrechts- und Polizeirechtsordnung geprägt und nicht als Schrankenbestimmung, sondern als Maßstab für die Tatbestandsoder Schutzbereichsauslegung zu verstehen war. Der geschilderte Weg zeigt, wie mühsam der Blick zur verfassungsrechtlichen Perspektive freigelegt werden mußte, und im Rückblick erscheint der konsequente Schritt des Bundesverfassungsgerichts, das die einzelnen verfassungsrechtlichen Schutzgüter als allein maßgebend erklärte, als notwendige und klarstellende Folge der neuen Verfassungskonzeption. Der Blickpunkt vom Verfassungsrecht aus hebt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Grundrechtsschranken in den Vordergrund, während zuvor die erforderlichen Schrankenwirkungen den Ausgangspunkt darstellten. Die Frage der Abwägung ist gleich geblieben, aber ihre Behandlung nimmt darauf Rücksicht, daß die Grundrechte zu unmittelbar bindendem Recht erklärt wurden.

1.2.3 Verfassungsrechtlicher Rechtsschutzkonflikt

Die Absage Dürigs an den summarischen Gemeinschaftsvorbehalt des Bundesverwaltungsgerichts und das Bemühen, andererseits nicht mit einem zu oberflächlichen dogmatischen Griff bestimmte Schrankenvorbehalte auf davon nicht berührte Normenbereiche für anwendbar zu erklären, zeigt, daß das Problem, die neu begründete Verfassungsgesetzlichkeit zu wahren und offenbare Regelungslücken im Einklang damit auszufüllen, nachdrücklich in den Blickpunkt getreten war. Die gefundene Lösung stellt zwar eine Verbindung zwischen dem Verfassungstext und dem Rückgriff auf einen summarischen Rechtszusammenhang, ähnlich dem Gemeinschaftsvorbehalt, her, ist aber von der Absicht bestimmt, das Schrankenproblem zuverlässig auf der verfassungsrechtlichen Ebene zu verankern. Einen weiteren Schritt bedeutete die Untersuchung Lerches zur verfassungsrechtlichen Bindung des Gesetzgebers, indem die unterschiedliche Qualität der Bindungswirkung je nach dem verfassungsrechtlichen Regelungsbezug der Gesetze näher erschlossen und die unterschiedlichen Perspektiven der Verhältnismäßigkeit dafür aufgedeckt wurden 66 • Auf die wesentlichen Gesichtspunkte der Schrankenerörterung in Schrifttum und Rechtsprechung konzentriert, formulierte alsbald v. Hippel

65 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, 1958, Rn. 8, 69-86 (unter Bezugnahme auf Maunz, Deutsches Staatsrecht; vgl. v. Hippet, Grenzen, 1965, S. 24). 66 Lerche, Übermaß, 1961.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

185

den Grundsatz der Interessenabwägung als ausschlaggebendes Schrankenprinzi p67. Bevor das Bundesverfassungsgericht mit seiner oben geschilderten Rechtsprechung zur immanenten Grundrechtsbeschränkung darlegte, daß die Schrankenfrage unmittelbar auf die verfassungsrechtliche Rechtsschutzkollision zurückzuführen und aus der Gegenüberstellung der Schutznormen zu beantworten ist, hatte es schon ausführlich zum Kohärenzgedanken im Grundgesetz und zum Erfordernis der Abwägung bei der Anwendung der Grundrechtsschranken Stellung genommen. Zwar hatte sich das Gericht nicht auf eine engere systematische Sicht festgelegt, hatte aber den Gedanken eines Sinnzusammenhanges der Verfassung 68 und einer grundgesetzlichen und grundrechtlichen Wertordnung 69 aufgegriffen und das traditionelle Vorstellungsbild von der Einheit der Verfassung fortgeführt. Das Bundesverfassungsgericht knüpfte damit an die Schmittsche und Smendsche Tradition an 70 ; es führte zwar die betonte (und schließlich mißbrauchte) Integrationsideologie nicht fort, ließ ihren verfassungsrechtlichen Hintergrund, den Gedanken vom Zusammenwirken der Verfassungsnormen zu einem sinnvollen Gerüst und einem verbindlichen Vorstellungsbild der Staats- und Gesellschaftsordnung, aber wieder aufleben 7l und bediente sich seiner als vielseitig anwendbarer Argumentationsgrundlage. Zunächst führte es den Begriff im Zusammenhang mit elementaren Grundsätzen der Staatsordnung als Interpretationsprinzip ein72 , bezog ihn später insbesondere auf die Grundrechte und die Wertordnung, die in diesen und in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als wertgebundene Ordnung zu sehen ise 3, und zog ihn schließlich in ständiger Rechtsprechung als Grundlage für die Beschränkbarkeit unbeschränkter Grundrechte durch kollidierende Verfassungsrechte heran74 •

v. Rippel, Grenzen und Wesensgehalt, 1965, besonders S. 26, 30, 34, 39 f. BVerfGE 1, 14 (32) - Südweststaat, vgl. Badura, Verfassung, 1976, S. 2 f. 69 BVerfGE 2, 1 (12) - SRP. 70 Näher Göldner, Integration, 1977, S. 8 f., 10 f. 71 Auf den Zusammenhang mit der objektiven Grundrechtswirkung, dem Grundrechtseinfluß auf die Gesetzgebung und die Verfassungsmäßigkeit der Grundrechtswahrnehmung weist Denninger, Schlüsselbegriffe, 1985, S. 281-288 hin. 72 BVerfGE 1, 14 (32). Vgl. auch Müller, Einheit, 1979, S. 80-84. 73 Vgl. BVerfGE 7, 198 (205) - Lüth; BVerfGE 19, 206 (220) - Kirchenbausteuer. 74 Vgl. BVerfGE 28, 243 (261) - Kriegsdienstverweigerung; 30, 173 (193) - Mephisto; 32, 98 (108) - Bluttransfusion. 67

68

186

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

Der Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung macht verständlich, daß die Rechtsausübung an Legitimationsschranken stößt, die sich aus der Bedingung oder der Voraussetzung der gleichberechtigten Wirksamkeit aller Verfassungsnormen ergeben können. Er macht den systematischen Zusammenhang bewußt, in den die einzelne Norm einbezogen ist und verweist auf die Notwendigkeit, bei widersprechenden Schutzwirkungen einen Ausgleich innerhalb des gemeinsamen Geltungsrahmens zu finden. Damit vermeidet er einerseits, daß ein metaverfassungsrechtlicher, summarisch auffüllbarer Maßstab als Generalklausei der Grundrechtseinschränkung eingeführt wird, andererseits trägt er an die von ihm verlangte Normabwägung auch materiell VOfgeprägte Vorstellungen einer regulativen Geschlossenheit und Harmonisierbarkeie5 heran. Auf diese Weise können auch Kompetenzvorschriften mit ihrer inhaltlichen Regelungsaussage berücksichtigt werden. Die Vorstellung von einer sinnvollen Einheit bedeutet jedoch keine ins einzelne gehende Einheitlichkeie6 , die Verfassung und Grundrechtsordnung sind vielmehr Grundlage für Vielfalt in rechtlicher und tatsächlicher Ausprägung 77 • Das Paradigma von der Einheit der Verfassung läßt sich daher nur als Auslegungsrichtlinie verstehen78 , die den systematischen Aspekt als inhaltliche Grundlage verständlich macht, aber nicht als Rechtfertigung für bestimmte Auslegungsergebnisse dienen kann79 • Diese sind vielmehr aus der Gegenüberstellung der Schutzbereiche und Schutzzwecke der kollidierenden Normen zu gewinnen. Mit dem Verständnis der Verfassung als wertgebundene Einheit bereitete das Bundesverfassungsgericht aber den Boden für die verfassungsrechtlich einleuchtende Behandlung der immanenten als kollisions- oder konfliktbeilegende und nicht in übergeordneten Begriffen verankerte Grundrechtsschranken.

75 Vgl. Ossenbühl, Verfassungsauslegung, 1965, S. 655; Müller, Einheit, 1979, S.216-224; v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 125; Hesse, Verfassungsrecht, 1988, Rn. 20, 71. 76 Oder vereinheitlichend konkretisierbare Grundordnung; ein deutliches Wort dazu sagt Roe/lecke, Verfassungsinterpretation, 1976, S. 33. 77 Weit über Antinomien und Spannungslagen hinaus, vgl. Achterberg, Antinomien, 1969; Göldner, Integration, 1977, S. 26-52. 78 Ossenbühl, Verfassungsauslegung, 1965, S. 655; v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 125; Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974, S.99. Vgl. die Charakterisierung als Schritt zur Diskussionseröffnung und Problemerschließung bei Denninger, Schlüsselbegriffe, 1985. Zur Flexibilität krit. Roe/lecke, Verfassungsinterpretation, 1976, S. 33. 79 Etwa im Zusammenhang mit dem Paradigma von der verfassungsrechtlichen Wertordnung; vgl. Krebs, Vorbehalt, 1975, S. 51.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

187

Im Bereich der Grundrechtswirkung und -beschränkbarkeit hatte das Bundesverfassungsgericht ferner den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu einem Maßstab entwickelt, an dem der differenzierte Regelungsbedarf und Bindungsgehalt sachgerecht aufgeschlüsselt werden konnteso. Damit war der Abwägungsgrundsatz, der für den gerechten Ausgleich einander gegenüberstehender Regelungszwecke oder Schutzpflichten zu sorgen hat, zu einem vertrauten Verfahren geworden. Der Schritt des Bundesverfassungsgerichts, das Problem der ungeschriebenen Schranken konsequent auf der verfassungsrechtlichen Ebene zu behandelnSI, führte daher in wegsam gewordenes Gelände, eröffnete aber die Tür zu weiteren Fragen, so vor allem, wie die abwägungsrelevanten Verfassungsgüter als solche und ihre Relevanz im einzelnen zu bestimmen sind s2 . Das Verlangen nach Perfektion und praktischer Verfügbarkeit rief die weiteren Fragen nach Güter- oder Wertrangskaien und Abwägungssubstraten in Form von grundrechtsfesten Rechtsbereichen hervors3 , womit der Fortschritt zum Verfassungsvorbehalt wieder zu einem Rückschritt zu einem Rechtsordnungs- oder Gemeinschaftsvorbehalt zu werden drohte. Gleichzeitig wurde die Abwägungsfrage mit der tatbestandlichen Immanenzperspektives4 und der weiterhin aufgeworfenen Frage nach der grundsätzlichen Bindung der Freiheitswahrnehmung an die Rechtsordnung S5 vermischt, was zu Tatbestandsauslegungsfragen und zur Verwechslung von grundsätzlicher Rechtsbindung und besonderer Einschränkung führte; auf diesem gemusterten Boden konnte sich die von Lerche erläuternd dargelegte Mißbrauchsgrenze S6 zu einem vermeintlichen Ausweg zwischen dem überwundenen Gemeinschafts- und dem wenig griffig erscheinenden Verfassungs vorbehalt entwickeln 87 •

80 Vgl. etwa BVerfGE 7, 198 - Lüth; 7, 377 - Apothekenurteil; dazu Schlink, Abwägung, 1976, S. 17-24,49-59. 81 Vgl. Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 181-187; Schneider, Güterabwägung, 1979; v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 102-148; LübbeWolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 92~98. Grds. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 80-93; Alexy, Theorie, 1985, bes. S. 71-157. 82 Vgl. statt vieler Graf, Grenzen der Freiheitsrechte, 1970, S. 58-64; v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 123-143. 83 Ebd. 84 Zur verfassungsrechtlichen Praxis unter diesem Gesichtspunkt Kloepfer, Grundrechtstatbestand, 1976. 85 Vgl. oben 1.1. 86 Am Beispiel der mißbrauchsabwehrenden als teilweise grundrechtsverdeutlichenden und teilweise grundrechtseingreifenden Gesetzen; Lerche, Übermaß, 1961, S.117-125. 87 Vgl. unten 2.1.

188

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

Die Immanenz- und Rechtsbindungs-, verknüpft mit der Normzweckperspektive, ließ die Frage aufwerfen, weIche Unterschiede zwischen Ausübungs- und Eingriffsschranken bestehen88 und führte damit zu einer kritischen Reflexion gegenüber der allgemeinen, der Grundrechtseffektivierung dienenden Erweiterung des Eingriffsbegriffs 89 ; gleichzeitig deuteten sich damit aber Tatbestandskorrekturen oder Freiheitsbeschränkungen an, die der umfassenden Berücksichtigung der Grundrechtswirkung Differenzierungen abgewinnen wollen, deren Überwindung an sich angestrebt wird. Ähnlich wurden mit der Unterscheidung in Teilhabe- und Abwehrperspektive tatbestandliche Grenzen aufgerichtet, ohne das Verhältnis zur Schrankenfrage näher zu berücksichtigen90 . Prinzipiell ist die Überlegung, daß der Normzweck der Wissenschaftsfreiheit, Eingriffe von staatlicher Seite zu verhindern, nicht den Eingriff in Drittrechte erlaubt, richtig, wie auch die Feststellung, daß der Normzweck der allgemeinen Geltung der Rechtsordnung nicht entgegensteht. Diese Ausgangslage darf aber nicht mit dem Ergebnis verwechselt werden, das bei Konflikten erst zu erarbeiten ist. Die Schutzfunktionen der Grundrechte dienen nicht dem Zweck, die Schutzwirkung einzuengen und das Feld der Rechtskonflikte zu verschmälem, sondern sollen den Grundrechten weitestmöglich zur Entfaltung verhelfen. 91 • Daher schafft die Rechtsbindung zwar die Voraussetzung für den Konflikt, und die verfassungsrechtliche Regelung der entgegenstehenden Rechte stellt den Maßstab für die einzelne Berechtigung dar, aber die Schutz zwecke wollen die Bindung nicht vorwegnehmen, sondern den Freiheitsgehalt erschließen und die besonderen Konfliktgrenzen sichtbar werden lassen. Erst in diesem Fall tritt an die Stelle der Rechts- die Frage nach der Verfassungs bindung, die auf der verfassungsrechtlichen Ebene zu betrachten ist. Überschreitungen der allgemeinen Rechtsbindung entspringen keiner vorgegebenen Rechtsmacht der Wissenschaftsfreiheit, sondern sind je nach dem Normzweck und der Situation zu rechtfertigen; erst wenn der Tatbestand und die Freiheitsfolge sich als berechtigtes Anliegen erweisen, muß sich die Bindung an diesem Anliegen messen lassen. Nach dem gleichen Gesichtspunkt ist auch die Unterscheidung zwischen Teilhabe und Eingriff zu bewältigen; soweit der Normzweck und die Rechtslage eine im Einzelfall versagte Ausübung und Begünstigung als Konflikt erscheinen lassen, tritt die teilhaberechtliche Betrachtung zurück. Im Konfliktbereich kann sich aber aus dem

88 89 90

Vgl. Dreier, Forschungsbegrenzung, 1980, S. 473 f. Vgl. oben V.2.4.2.2. Ebd.

91 Zur situativen Aktualisierung der Grundrechtsfunktionen Bleckmann, Grundrechtsverzicht, 1988, S. 61.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

189

Zusammenspiel von objektiver Grundrechtswirkung und subjektivem Beeinträchtigungsvermeidungsanspruch ein rechts wahrender Schutzanspruch ergeben, der abwehr- und teilhaberechtliche Schutzgehalte verbindet. 1.2.4 Schrankenübertragung

1.2.4.1 Allgemeinschranken Vor allem die Frage nach Anpassungsmöglichkeiten für unbeschränkte Grundrechte ließ auf die Ansätze zu einer Schrankensystematik zurückgreifen. Ähnlich wie bei den Bemühungen um eine gegenseitige systematische Zuordnung der Grundrechte mußte sich jedoch zeigen, daß auch die Schranken sich nicht zu einem engen System zusammenstellen und ausbauen lassen, da sie einem viel zu uneinheitlichen Feld grundrechtlicher Bestimmungen zugeordnet und untereinander viel zu uneinheitlich ausgestaltet sind. Daher liefen sich auch in dieser Hinsicht Systematisierungsversuche fest, regten jedoch die Herausarbeitung von systematischen Gesichtspunkten, von Gemeinsamkeiten und Besonderheiten und damit auch eine Vertiefung im Verständnis der einzelnen Schranken an92 • Aus der systematischen Sicht erscheint es naheliegend, ausdrückliche Schranken bestimmungen auf unbeschränkte Grundrechte zu übertragen. So wird die Überlegung, ob die Generalschranken der allgemeinen Handlungsfreiheit verallgemeinerungsfähig sind, mit einer Reihe von Argumenten befürwortet, wie dem systematischen Zusammenhang zwischen den Freiheitsrechten93 , der rechtlich vorgegebenen immanenten Beschränkung94 oder der Eigenschaft als Elementarschranken95 , die jeweils entsprechend zu erschließen sind. Der zweite und dritte Gesichtspunkt führen in die Richtung einer Verfassungsschranke, die allein als rechtliche Bindung in Betracht kommt, wenn gesetzliche Bindungen nicht vorbehalten sind96 . Die Immanenz der Bindung

92 Vgl. statt vieler v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981 sowie die Übersicht bei v. Mangaldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 1 Rn. 170-183; ferner Krebs, Vorbehalt, 1975. 93 Nachweise bei v. Nieuwland, a.a.O., S. 15-28; v. Kirchbach, Wissenschaftsfreiheit, 1985, S. 90-93; Wipfelder, Schranken, 1981, S. 418 f. 94 Vgl. Henke, Systematik, 1984, S. 4 f.; Gallwas, Grundrechte, 1985, S. 30; sinngemäß Bettermann, Grenzen, 1976, S. 9-11, 15-21. 95 Vgl. Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 182 Fn. 132; Schatz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 185-189 und 59-63 (zur Kunstfreiheit). 96 Vgl. den Ausgangspunkt vieler folgender Darstellungen bei v. Hippel, Grenzen, 1967.

190

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

ergibt sich aber nicht aus einer elementaren rechtlichen Präformation der Freiheitsgewährleistung oder einer Beschränkung der Freiheitsfolge, sei es in Form von Friedlichkeits-, Gesittungs-, Toleranz- oder Nichtstörungsgeboten, sondern als Ergebnis inhärenter verfassungsrechtlicher Bincbmgen, die mit generell gleicher Geltungskraft gesetzt sind. Ihre Ausdifferenzierung, entsprechend den verschiedenen Regelungszwekken, verläßt die Aussageeinheit eines elementaren Rechtssatzes und schafft eine Rechtssatzvielfalt; daher lassen sich Korrekturen, die der einzelnen Gewährleistung aus der gleichzeitigen Geltung anderer Rechte aufgezwungen sind, in der Regel nicht auf den Tatbestand der Gewährleistung zurückbeziehen, sondern werden erst mit der Rechtsdifferenzierung erforderlich und von daher nachträglich auferlegt. Diese Schrankenwirkung stünde nur dann in näherer Verbindung mit dem Schrankenvorbehalt des allgemeinen Freiheitsrechts, wenn die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung mit der Verfassungsordnung gleichzusetzen wäre. Das übliche Argument gegen die Verallgemeinerungsfähigkeit der Schranken, die in Art. 2 Abs. 1 GG normiert sind, daß ein Rückgriff mit der Spezialität der jeweiligen Freiheitsgarantie unvereinbar wäre97 , findet in diesen Zusammenhängen seine Stütze. Im Ergebnis lassen sich die Schranken des allgemeinen Freiheitsrechts weder mit dem Argument des mitenthaltenen Geltungsbereichs noch mit einem Analogieschluß für die schrankenlosen Freiheitsrechte wirksam machen. Andererseits folgt aus der Einbeziehung der Wissenschaftsfreiheit in die Verfassung, daß deren Rahmen nicht durchbrochen werden darf.

1.2.4.2 Ethische Elementarschranke In dem Bemühen, die Schrankenlosigkeit der Wissenschaftsfreiheit sinnvoll aufzufangen, wird teilweise an den Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit festgehalten, soweit es sich um die ethische Elementarschranke handelt. So wird die grundsätzliche Meinung vertreten, daß jede Grundrechtsausübung der sittengesetzlichen Schranke unterliegt98 , und teilweise scheint die Schranke besonders bei unbeschränkt gewährleisteten Grundrechten Anwendung zu finden 99 • Offenbar erfährt die Sitten schranke im Zusammenhang mit der Wissenschaftsfreiheit eine Aufwertung, die mit der neuerdings

Vgl. Wülfing, Gesetzesvorbehalte, 1981, S. 106; ferner oben 11.1.3. Bettermann, Grenzen, 1976, S. 10 f.; grds. Erbel, Sittengesetz, 1971 (Schrankeninterpretationsvorbehalt). 99 Vgl. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 61-63 (zur Kunstfreiheit), Rn. 186 (zur Wissenschaftsfreiheit). 97

98

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

191

entfachten wissenschaftskritischen Verantwortungsdiskussion zusammenhängen könnte 1OO • So bestechend die Verknüpfung der Rechtsordnung mit einem ethischen Fundament und der Rückbezug der Wissenschaftsfreiheit auf ethische Verantwortung sein mögen, und so verlockend daher eine ethische Horizontierung sich darstellt, so wenig aussagekräftig erscheint sie jedoch für die Reichweite und Grenzen des Freiheitsrechts als Rechtsanspruch. Ein Blick in die Kommentierung zu Art. 2 Abs. 1 GG zeigt, daß die Formel "Sittengesetz" neben der Bindung durch die Rechtsordnung für einen weitergehenden rechtlichen Anwendungsbereich nicht erschlossen werden kann 101. Die Formel greift in den überpositiven Bereich der Verhaltensanforderungen aus 102, der jedoch rechtlich näher verfügbar gemacht werden muß 103 , was nur bei nicht willkürlicher Anwendung möglich und daher kaum denkbar ist. So verweist die Formel entweder nur auf eine rechtliche Grundlegung und Ausfüllung oder ist als Auslegungsrichtlinie für die Übersetzung allgemeiner Richtigkeitsüberzeugungen in rechtlich faßbare Regeln zu verstehen 104 • Durch das ethische Fenster in Art. 2 Abs. 1 GG findet daher keine moralische Willkür Einlaß in den Verfassungshorizont der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern nur das ethische Fundament und Konzentrat der Rechtsordnung, soweit es deren Regelungswirkung trägt und bestätigt. Beschränkungen, die üb.er einen rechtlich festgestellten Ordnungsrahmen hinausgehen, würden sich mit dem Rechtscharakter der Freiheitsgarantie und der Verfassung nicht vertragen. Daher muß nicht gerätselt werden, was sich hinter der ethischen Schranke verbergen könnte, und bedarf es auch keiner ethischen Substitution, sondern allenfalls der ergänzenden Interpretation der Rechtsordnungsschranken im Sinne ihrer ethischen Grundgedanken. Dasselbe muß prinzipiell für die ethische Schranke gelten, die auch für die Wissenschaftsfreiheit reklamiert wird. Damit ist nicht gesagt, daß im Wissen-

100 Turner, Grenzen, 1986, S. 173; ders., Freiheit, 1986, S. 14 f. Gegen eine selbständige Rolle des Sittengesetzes als Schranke der Wissenschaftsfreiheit Wehrhahn, Rechtslage, 1967, S. 81 f. 101 Vgl. etwa das ungleichgewichtige Verhältnis zwischen der Begriffserörterung und der lapidaren Feststellung von der weitgehenden Bedeutungs10sigkeit bei v. Münch, in: GG-K, Bd. I, 1985, Art. 2 Rn. 33-37. Vgl. auch Podlech, in: AK-GG, 1989, Art. 2 Rn. 66; larass, in: larasslPieroth, GG, 1989, Art. 2 Rn. 16. 102 So betont v. MangoldtlKleinlStarck, Bonner GG, 1985, Art. 2 Rn. 24. 103 Vgl. Podlech, a.a.O.; Dürig, in: MaunzlDürig, Art. 2 Abs. 1, 1958, Rn. 16 vor

a).

104 Weitergehend im Sinne einer vervollständigenden Legitimation durch überlieferte Vorstellungen v. MangoldtlKleinlStarck, Bonner GG, 1985, Art. 2 Rn. 27. Ähnlich, aber auf die Bedeutung der - ebd. enger gesehenen - Rechtsordnungsschranken verweisend, Starck, Sittengesetz, 1974, S. 262.

192

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

schaftsbereich die Freistellung von einer die Tätigkeitsvoraussetzungen als solche übersteigenden Verantwortung gilt; von der Freiheitsverbürgung könnte vielmehr eine weitergehende, mit dieser in Zusammenhang stehende rechtliche Verantwortung vorausgesetzt sein 105 . Aber der sittliche Aspekt ersetzt auch in dieser Hinsicht die rechtliche Grundlegung nicht. Das aufgeworfene Schrankenproblem wird daher vom Sinn der Regelung umfaßt und mitgetragen; es muß auch von ihm ausgehalten und ausgetragen werden. Dafür hat der Charakter der Regelung als Grundrecht und Bestandteil der Verfassung einzustehen. An diesem rechtlichen Zusammenhang sind die Grenzen des Grundrechts zu bestimmen. Ein selbständiger rechtsethischer Schrankenvorbehalt läßt sich daher nicht begründen. Ausschlaggebend ist die Konturierung der Freiheit nach deren Sinn und Zweck und ihre Begrenzung auf Grund der inhärenten Verfassungsschranken. Dafür versucht die Rechtsprechung zwar, den Gedanken von der Einheit der Verfassung fruchtbar zu machen. Der systematische Grundgedanke ist aber nicht in eine umfassende Schrankenziehung ausformulierbar, sondern leitet zur Einzelabwägung über.

1.2.4.3 Schranken im Kommunikationsbereich Wiederum naheliegend erschien daher, für das Problem der Schrankenziehung bei der Wissenschaftsfreiheit den unmittelbaren Zusammenhang mit den Kommunikationsgrundrechten anwendbar zu machen. Aber weder die vordergründige redaktionelle Erwägung, die den Abs. 3 des Art. 5 GG als versehentlich hintangesetzt betrachtet und daher die Anwendbarkeit des Schrankenvorbehaltes des Abs. 2 auf den Abs. 3 nicht ausschließen will 106, noch die systematisch-teleologische Überlegung, daß auch die Grundrechte des Abs. 3 als Kommunikationsgrundrechte zu begreifen und daher der Beschränkung zu unterwerfen sind 107 , erscheinen als ausreichende Begründung. Vor allem läßt sich die Wissenschaftsfreiheit den Kommunikationsgrundrechten nicht unterschiedslos zuordnen, da sie sich nicht auf die allgemeine Kommunikation bezieht, sondern nur auf diese übergreift, und ihr Schutzbereich einer besonderen kommunikativen Übersetzung bedarf, um für den allgemeinen Kommunikationsbereich verfügbar zu werden. Zu weit geht der Standpunkt, daß die Schranken durch die allgemeinen Gesetze als immanente Beschränkung aller Freiheitsrechte aufzufassen sind 108 . Dazu weiter unten. 106 Knies, Kunstfreiheit, 1967, S. 59-64. 107 Ebd., S. 257-282. 108 Zur Verhinderung ungerechtfertigter Privilegierungen, vgl. Bettermann, Grenzen, 1976, S. 21-29; dagegen Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 259; aus Gründen 105

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

193

Zwar leuchtet ein, daß dort, wo der engere Erkenntnisbereich der Wissenschaftsfreiheit verlassen wird, der unbedingte Freiheitsschutz problematisch wird. Aber eine Einbindung in die Schranken der allgemeinen Gesetze übergeht, daß jede einengende Wirkung ausgeschlossen werden soll. Daher hat an die Stelle der unbedingten Unterwerfung unter die allgemeinen Gesetze die grundsätzliche Bindung an die Rechtsordnung zu treten, für deren Durch·brechung eine besondere Legitimation erforderlich ist; diese kann ihrerseits aber auch nur durch verfassungsrechtlich besonders legitimierte Schranken zurückgedrängt werden.

1.3 Verfassungsschranken 1.3.1 Konfrontation von Schutzgeboten

Soweit die Wissenschaftsfreiheit in unvereinbaren Widerspruch mit der Rechtsordnung gerät, kann ihr verfassungsrechtlicher Vorrang zum Zug kommen. Dessen Reichweite bestimmt sich nicht nach der Wissenschaftsfreiheit allein, sondern nach dem verfassungsrechtlichen Zusammenhang, in dem sich ihre rechtlichen Konsequenzen auswirken. Nur soweit der Schutzanspruch nicht an anderweitige grundrechtliche Schutzansprüche oder entgegenstehende verfassungsrechtliche Regelungen stößt, kann er sich ohne weiteres durchsetzen. Stehen sich Grundrechte unterschiedlicher Grundrechtsträger gegenüber, handelt es sich auf der Seite der staatlichen Schutzverpflichtung um eine Pflichtenkollision. Die gleichzeitige Rechtsbindung an Grundrechte und sonstiges Verfassungsrecht kann zwar ebenfalls als Kollision betrachtet werderi, erscheint aber als Rechtswahrungsaufgabe unter Berücksichtigung unterschiedlicher und konfligierender Interessen. Hinsichtlich der grundrechtlichen Schutzpflichten könnte die Kollisionsperspektive aus der grundrechtsbezogenen Pflichtbindung heraus in den Vordergrund treten, jedoch vermischen sich subjektiv-rechtlich begründete und objektive Schutzpflichten im Grundrechtsbereich und fallen mit sonstigen verfassungsrechtlichen Bindungen zusammen. Die Schrankenfrage wird daher nicht nur durch kollidierende Schutzpflichten im engeren Sinne, sondern auch durch weitergehende verfassungsrechtliche Regelungskonflikte bestimme 09 . Die Konfliktsituation wird mit der Gemeinverträglichkeit, vgl. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, besonders S. 31-39; dagegen v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 50-67; als Schutzbereichsbegrenzung im allgemeinen Vorfeld des Grundrechtsschutzes, vgl. Rüjner, Grundrechtskonflikte, 1976, S.456-461. Die allgemeine Rechtsbindung liegt jedoch auf einer allgemeineren Ebene und wirkt nicht als Schutzbereichsdefinition. 109 Deutlich BVerfGE 28, 243 (261) - Kriegsdienstverweigerung. Zur Terminologie Müller, Einheit, 1979, S. 195 f. 13 l.osch

194

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

dem Begriff der kollidierenden Schutz- oder Verfassungsgüter abgekürzt zum Ausdruck gebracht llo . Wegen der Staatsgerichtetheit des Grundrechtsschutzes ist die unmittelbare Konfrontation grundsätzlich nicht möglich, kann sich aber auf dem Umweg über die allgemeine Rechtsstellung der Grundrechtsträger auswirkenIlI. Die in Art. 2 Abs. 1 GG angeordnete Berücksichtigung der Rechte anderer und der Rechtsordnung bewirkt, daß auch Grundrechte anderer, die dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können, zur Schrankenziehung geeignet sind, wenn die Beanspruchung der Handlungsfreiheit die Wahrnehmung dieser Grundrechte beeinträchtigen würde. Damit wird der subjektive Grundrechtsschutz der betroffenen Grundrechtsträger dem Freiheitsanspruch gegenüber objektiviert und als Begrenzung entgegengesetzt. Darüber hinaus versteht die Anerkennung der allgemeinen objektiven Grundrechtswirkung die subjektive Berechtigung grundsätzlich auch als objektiven Ordnungsgehalt. Dessen Schutzwirkung kann zur Kollision mit subjektiv geltend gemachten Schutzpflichten führen. Die "Konkurrenz" der gleichen Freiheitsrechte verschiedener Beteiligter an derselben Institution ist eine Frage der jeweiligen Ansprüche gegenüber der Institution und des Anspruchs auf Gleichbehandlung durch die Institution. Das grundrechtsbestimmte Selbstverwaltungsrecht der Universität verlangt, daß der Gleichbehandlungsanspruch durch unmittelbare Abstimmung unter den Beteiligten zur Geltung gebracht wird. In der Konkurrenz der Beteiligten liegen organisatorisch vermittelte Schranken für die jeweilige Grundrechtsausübung, die schon dann zu Einschränkungen werden können, wenn die Abstimmung so organisiert wird, daß es zur unverhältnismäßigen Verteilung des Grundrechtsschutzes komme l2 • Die kollisionsbezogene Betrachtung geht auf die prinzipiell gleiche verfassungsrechtliche Rechtsgeltung, die äußere Gleichrangigkeit der verfassungsrechtlichen Bestimmungen zurück, und daraus leitet sich auch die vielberufene Harmonisierungs- oder Konkordanzerzielungsaufgabe ab, die zur Lösung der Konkurrenzprobleme angebracht erscheine 13. Sie trägt der durch die Gleichrangigkeit prinzipiell beschworenen Problematik gleichzeitig

110 Vgl. statt vieler v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 107, 123 f. 111 Zur Drittwirkung im Privatrecht Stern, Staatsrecht 111/1, 1988, § 76 S. 15111595; Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 175-195. 112 Als Problem der Stimmenverteilung in der Gruppenuniversität, vgl. Bethge, Wissenschaftsrecht, 1990, S. 751-755. 113 Hesse, Verfassungsrecht, 1988, S. 127 Rn. 317 f.

1. Verfassungs rechtliche Grundlage

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wirkender unterschiedlicher Schutzpflichten Rechnung, haftet aber zu stark am formalen Vordergrund, denn die Aufgabe der Konfliktlösung reicht weit über einen verengenden Integrationsauftrag 114 hinaus. So müssen die differenzierten Regelungsaufgaben und -bedürfnisse der Verfassung, die bis in das einzelne Grundrecht hinein eine komplexe Welt der Interessenentfaltung und -berücksichtigung zur Geltung bringen, den Schwerpunkt der Betrachtung auf die zugrundeliegende Konfliktsituation und auf die Abwägung der Interessen und der durch diese repräsentierten Rechtsgüter verlagern ll5 . Der Integrations- erweist sich demnach als Systementwicklungsgedanke, der die Übereinstimmung mit der Verfassung und die Verwirklichung ihrer Vielfalt verbindet. Die Konfliktsituation ist durch ein Verfahren der Interessenverdeutlichung, -abwägung und -zuordnung zu bewältigen, dem das Verhältnismäßigkeitsprinzip zugrundeliegt 1l6 • Dieses zielt zwar auf den Harmonisierungs- und damit verbundenen Optimierungseffekt, aber nur soweit sich darin eine interessengerechte Abwägung verwirklicht, die in erster Linie der besonderen Situation verpflichtet ist. 1.3.2 Rangstufen, Prävalenzen

Unter den genannten Voraussetzungen ist die Rangfrage, die sich zur Bewältigung der unter der Kollisionsperspektive gesehenen Konfliktlagen aufdrängt, von der formalen Seite aus grundsätzlich falsch gestellt ll7 und von der inhaltlichen Seite aus nicht abstrakt zu beantworten, sondern nach der Bedeutung der Rechte in der jeweiligen Konfliktsituation zu erschließen. Die abstrakte Begriffsdeutung kann nicht mehr als eine vorsichtig heranzuziehende Verständnishilfe sein 1l8 , mit der die jeweilige Rolle und Bedeutung des Rechts im Einzelfall erwogen werden kann. Rangunterschiede zwischen den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten könnten sich aber ergeben, wenn man in der Verfassung ein Wertsystem sehen wollte, das stufenweise aufgebaut ist 1l9 • Vor allem mit der Charakte-

Vgl. Hesse, a.a.O., S. 5 f. Rn. 6 f. IIS Vgl. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 317-323; Alexy, Theorie, 1985, S. 143-154. 116 Vgl. Alexy, a.a.O., S. 143-154. 117 Zur G1eichrangigkeit Sachs, Diskriminierungsverbot, 1987, S. 53 unter Hinweis (u.a.) auf Müller, Einheit, 1979, S. 204 f. IIS Äußerst krit. aber Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 306-323. 119 Vgl. Goerlich, Wertordnung, 1973, S. 29-63. 114

13'

196

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

nSlerung der Menschenwürde als oberster Wert und Rechtsgrundsatz durch das Bundesverfassungsgeriche 20 wird ein Verständnis der verfassungsrechtlichen Wertordnung als Wertrangordnung nahegelegt, die sich im Geltungsrang der Schutzpflichten niederschlagen könnte l21 • Aber die Kritik am Wertordnungsdenken richtet sich vor allem auch dagegen, daß ihm praktische Folgerungen zugunsten von Rangverhältnissen entnommen werden l22 ; dem ist hinzuzufügen, daß das Rechtssystem zwar als Wertgewinnungssystem zu betrachten ist 123 , das vor allem im Verfassungsrecht einen Rahmen und wesentliche Orientierungs punkte setzt, daß es aber die inhaltliche Ausführung der politischen Entwicklung überläßt. Dem hat die Entscheidung im Einzelfall Rechnung zu tragen, indem sie im Wege eines vom Recht vorgezeichneten Wertgewinnungsverfahrens den politischen Wertungen eine Generalisierungs-, Abstrahierungs- und Abwägungsprobe abverlangt, mittels derer sie als rechtlich akzeptabel und im Einzelfall verbindlich festgestellt werden können. Auf diese Vermittlungsleistung des Rechts kommt es an und dafür mag in den Grundrechten eine Wertordnung gesehen werden; diese nimmt aber nicht das praktische System vorweg. Dennoch wird vielfach mit einer Reihe von Orientierungsgesichtspunkten, wie der allgemeinen Bedeutung der Schutzgüter, der Stellung in der Verfassung und der Art und Weise der rechtlichen Gewährleistung, eine verfassungsrechtliche Wertrangordnung zu begründen versucht, aus der sich bestimmte Rangverhältnisse ableiten lassen l24 • Teilweise wird eine Systematisierung im Wege der Verbindung von abstrakter Vorwertung und konkreter Einzelabwägung angestrebt 125 • Vor allem der Menschenwürde-, Lebens-, Gesundheits- und Persönlichkeitsschutz wird in den Vordergrund gestellt. Der Lebensschutz als Voraussetzung dafür, daß andere Schutzgüter zum Zuge kommen können, und die erhöhte Schutzbedürftigkeit der besonderen persönlichen gegenüber den stärker sachbezogenen Schutzgütern erlauben zwar eine

BVerfGE 5, 85 (204) - KPD; 6, 32 (36) - Elfes - und st. Rspr. 121 Zu den Ansatzpunkten der Rspr. Goerlich, Wertordnung, 1973, S. 66-75; vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, 1958, Rn. 1-14; grds. zustimmend Stern, Staatsrecht III 11, 1988, § 58 III S. 35-39. 122 Vgl. statt vieler Ossenbühl, Versammlungsfreiheit, 1971, S. 75-79; ders., Interpretation, 1976, S. 2106; Wülfing, Gesetzesvorbehalte, 1981, S. 84-90; Schlink, Freiheit, 1984, S. 462. 123 Vgl. Fikentscher, Methoden, 1977, S. 395-478. 124 Zur Rspr. vgl. Kloepfer, Grundrechtstatbestand, 1976, S. 411-420; ferner Rüjner, Grundrechtskonflikte, 1976, S. 461-465, aber unter Einschränkung für den praktischen Fall, S. 465 f.; Lawrence, Grundrechtsschutz, 1989, S. 119 f. 125 Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974, S. 141 f. 120

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grundlegende gedankliche Gewichtung der Schutzpflichten 126 ; aber erst die Situation im Einzelfall und die Abwägung der daran beteiligten Schutzpflichten kann über die konkrete Gewichtung entscheiden. So stellt der Lebensschutz zweifellos eine wesentliche Pflicht dar, die nach der tatsächlichen Vermutung nicht zurückgedrängt werden darf, aber soweit im Allgemeininteresse Forschungen mit gefährlichen Auswirkungen oder mit dem Risiko solcher Auswirkungen ohne unmittelbar konkretisierte Gefahr für den Einzelnen oder unterhalb einer konkreten Gefahrenschwelle der allgemeinen Lebensgefahr vorgenommen werden, wie im Kernforschungs- oder im gentechnologischen Bereich, braucht die Pflicht zum Lebensschutz keine Priorität zu beanspruchen. Die grundrechtliche Wertordnung setzt daher keine Werthierarchie, aus der sich bestimmte Vorrangrechte ableiten lassen. Auch die Überlegung, daß der Menschenwürdeschutz als Ausgangspunkt und Basis sämtlicher anderen Grundrechte betrachtet werden kann, führt nicht zur Annahme einer absoluten Vorrangstellung dieses Schutzgrundsatzes, da er in allen anderen Grundrechten gleichberechtigt Ausdruck findet und sich zugleich als Grundlage, Verwirklichungsmuster und Begrenzung darstellt 127 • Daran ändert im übrigen die Festschreibung durch Art. 79 Abs. 3 GG nichts, die nicht eine Höherstufung der dort genannten Verfassungsgrundsätze, sondern nur eine Verpflichtung des Verfassungsgesetzgebers auf die wesentlichen Grundlagen der Verfassung bedeutet. Gegenstand der Regelung ist eine Garantie, aber nicht ein Vorrang für die Rechtsgeltung 128 • Andererseits hat die grundlegende Bedeutung des Menschenwürdeschutzes für die grundrechtsbestimmte Verfassung angemessene Berücksichtigung zu finden. Schließlich könnte eine Vorrangstellung der Wissenschaftsfreiheit gegenüber anderen Rechten erwogen werden, die sich aus dem Zusammenhang zwischen Freiheit und Demokratie, genauer zwischen Freiheit, Wahrheit und freiheitlicher Demokratie sowie zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem Menschenwürdeschutz ergeben könnte 129 • Der Sinn der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung besteht darin, weitestmöglichen Raum für die gleichheitliche Geltung der Freiheitsrechte zu schaffen, und das heißt zugleich, den bestmöglichen Weg der Verwirklichung dafür zu finden 130. Die Murswiek, Risiken, 1985, S. 167-170. Vgl. Dickert, Naturw., 1991, S. 471-484. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, bes. S. 164-166. 128 Anders Geddert-Steinacher, a.a.O., S. 189; Stern, Staatsrecht I, 1984, § 4 III S. 152. 129 Vgl. auch oben V. 2.2, 3. 126

127

130 Vgl. stellvertretend Böckenförde, Demokratie, 1987, S.91O-913; Schuppert, Grundrechte und Demokratie, 1985, S. 527-529.

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VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

politische Entscheidung mit diesem Ziel ist von der Frage der möglichst umfassenden und zutreffenden Erkenntnisgewinnung nicht zu trennen. Das darin enthaltene Wahrheitsproblem ist mit den Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG allein nicht zu bewältigen 13l . Vielmehr ist die kompromißlose Durchsetzung freier Erkenntnismöglichkeit und die Verbindung der Kommunikationsfreiheit mit der freien Erkenntnis- und Wahrheitssuche Voraussetzung zur Materialisierung der Staatsform im Sinne der Erfüllung der Staatsziele der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie. Die Wissenschaftsfreiheit gehört daher zu den konstitutiven Grundlagen der Verfassung in einer fundamentalen Bedeutung für die Staatsverwirklichung, die sich aus dem Netz des Zusammenwirkens von Grundrechten und Staatszielbestimmungen heraushebt und selbst als Grundlage für den Leitgrundsatz der Menschenwürde aufgefaßt werden kann. Erscheint die Freiheit der Erkenntnis als Bedingung für die Erkenntnis der Wahrheit und die Wahrheit als Bedingung von Freiheit, ist der freiheitliche Staat nur auf der Grundlage der Ermöglichung freier Erkenntnis verwirklichbar. Ferner erscheint eine menschenwürdige Lebensgestaltung im kulturellen Umfeld des Grundgesetzes l32 nur in Verbindung mit der Freiheit der Wahrheitssuche gesichert, und diese ist zugleich als besonders charakteristische Ausdrucksform der Menschenwürde zu verstehen. Daß aus dieser systemtragenden und eng mit der Menschenwürde verbundenen Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit dennoch kein allgemeiner Geltungsvorrang vor anderen Verfassungsbestimmungen abgeleitet werden kann, liegt daran, daß auch dieses Grundrecht in die Rechtswirklichkeit eingefügt werden muß. Anders ausgedrückt, müssen sich die wissenschaftlichen Verfahren als soziale und Rechtstatbestände bewähren, und dafür sorgt die Einpassung in das Verfassungssystem, zu dessen Materialisierung sie zugleich unentbehrlich sind. Im Ergebnis wird aber gleichwohl deutlich, daß bei entsprechenden Abwägungen der tiefere Sinn der Wissenschaftsfreiheit nicht übergangen werden darf und ein erhebliches Gewicht zugunsten der offenen Konfrontation mit der freien Wahrheits suche und ihren Erkenntnismöglichkeiten darstellen kann. Zwar ist kein grundsätzliches Übergewicht bei Abwägungsfragen anzunehmen, aber die fundamentale Bedeutung des Grundrechts kann besondere Berücksichtigung verlangen.

131 Vgl. Schmidt-lortzig, Meinungs- und Informationsfreiheit, 1989, Rn. 6-9; Bullinger, Presse, Rundfunk, Film, 1989, Rn. 144-179. 132 Vgl. Fechner, Menschenwürde, 1986.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

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1.3.3 Abwägung, Anpassung

Dafür sorgt die Abwägung der gegeneinander stehenden Rechtsbelange, für deren Formalisierung und Kontrolle der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung herangezogen wird 133. Er bildet den Maßstab für die relevante Zuordnung der Schutzbereiche, das Gewicht der in Betracht zu ziehenden gegenseitigen Beschränkung und die Gewichtverteilung im Ergebnis und läßt damit die betroffenen Rechte nicht aus den Augen verlieren. Bei Grundrechtseinschränkungen aufgrund Gesetzesvorbehalts sorgt Art. 19 Abs. 2 GG ausdrücklich für eine Sicherung der Grundrechtswirkung l34 . Für den Fall, daß der Gesetzgeber die Konsequenz aus Kollisionslagen zieht, läßt sich eine analoge Anwendung der Bestimmung nicht von der Hand weisen; dann spricht auch nichts dagegen, den Grundsatz allgemein auf den Kollisionsausgleich anzuwenden I35 • Er unterstreicht lediglich, was im Kollisionsausgleich ohnehin angelegt ist, den das nicht restlos auflösbare, fortdauernde Gegenüberstehen der beteiligten Rechte kennzeichnet. Der Kollisionsausgleich im Einzelfall steckt die jeweilige Reichweite der gegenüberstehenden Rechte ab, um für den besonderen Fall die Grenzlinie aufzuzeigen. Verallgemeinerungsfähig daran ist vor allem das Verfahren, während das Ergebnis der Abwägung sich nicht ohne weiteres über die Abwägungssituation hinaus zur Regel erheben läßt. Zur Abwägung der kollidierenden Rechte sind die Schutzgüter gegenüberzustellen und alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen I36 . Für die Gegenüberstellung bedarf es neben der Erfassung von Bedeutung und Tragweite der Wissenschaftsinter-

1ll Als "Abwägungsgesetz" (der Reziprozität), Alexy, Theorie, 1985, S. 146-150; grds. Grabitz, Verhältnismäßigkeit, 1973; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, ausführlich zur Bedeutung des Grundsatzes für die Abwägung Schlink, Abwägung, 1976; vgl. Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974, S. 152-157; Schneider, Güterabwägung, 1979, S. 202-213; v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 130-143. 134 Str., ob nur dek1aratorisch (Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 1989, Art. 19 Rn. 7) oder mit selbständiger Wirkung (Schneider, Wesensgehaltsgarantie, 1983; Hendrichs, in: GG-K, Bd. I, 1985, Art. 19 Rn. 25) und ob nur auf den objektiven Grundrechtsgehalt bezogen (so Hendrichs, Rn. 24). I35 Hendrichs a.a.O., Rn. 21; Jarass, in: Jarass/Pieroth, a.a.O., Rn. 6. 136 Um das "Abwägungsgesetz" zu einem "Abwägungsmodell" zu erweitern, das tragfähige Begründungen finden läßt, vgl. Alexy, Theorie, 1985, S. 143-154; zur Untersuchung der einschlägigen Verfassungsrechtsprechung, allgemeiner Abwägungsmodelle und der argumentativen Bedeutung im Grundrechtsbereich Schlink, Abwägung, 1976; zur Güter- und Interessenabwägung, bezogen auf die Positionen und Modalitäten der betroffenen Rechte, Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 319323.

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VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

essen der Verdeutlichung von Inhalt und Schutz der betroffenen Verfassungsgüter. Mit der Weite wird aber zugleich die Ambivalenz der verfassungsrechtlich garantierten Elementarrechte deutlich, die einerseits Distanz vom Staat, Selbstbestimmung und freiheitlich-fortschrittlichen Entwicklungsraum schaffen können, andererseits eine inhaltliche Gestaltungsaufgabe damit verbinden, die bestimmte Festlegungen trifft. In der Kollisionsproblematik spiegelt sich diese immanente Widersprüchlichkeit, die mit dem Gegensatzpaar von Freiheit und Bindung als allgemeines Problem gekennzeichnet wird. Von wesentlicher Bedeutung ist daher das Prinzip der Offenheit, das der Verfassung als Grundordnung teilweise aufgedrängt wird, aber von ihrem freiheitlich-demokratischen Charakter her auch weitgehend vorausgesetzt werden muß. Gefragt sind daher nicht statische, sondern dynamische Lösungsmöglichkeiten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Abwägung soll keine Einebnung, sondern Anpasssungen bewirken, die beweglich bleiben. Wie der Konflikt zwischen der Wissenschaftsfreiheit und anderen Verfassungsgütern gelöst werden kann, richtet sich nach der Stellung und dem Gewicht der geschützten Interessen, nach der Schutzrichtung, dem Schutzzweck und der Schutzintensität. Daher ist eine nähere Aufschlüsselung und Bewertung erforderlich. In der Konfliktsituation verliert das Dogma von der Gleichwertigkeit der wissenschaftlichen Verfahrensweisen und Arbeitsgebiete, das für die Anerkennung als Schutzgut zu gelten hat, seine Anwendbarkeit, soweit sich der Freiheitsschutz gegenüber dem beeinträchtigten Rechtsgut rechtfertigen muß; zwar verhindert es die Unterdrückung des wissenschaftlichen Vorgehens in einem Vorfeld und sorgt dafür, daß es zur verfassungsrechtlichen Konfliktlage kommen muß. Andererseits besteht die Gefahr, daß sich eine unzulässige Wissenschaftsbewertung Eingang verschafft. Daher ist darauf zu achten, daß sich jede Rechtfertigungsanforderung, wie mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch grundsätzlich vorausgesetzt, im einzelnen selbst verfassungsrechtlich rechtfertigen läßt. Jedenfalls sind die Forschungsinteressen, soweit Rechtfertigungsbedarf im Hinblick auf die Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter besteht, zur Beurteilung ihrer Relevanz näher zu erläutern und der Forschungsprozeß zu diesem Zweck nach Voraussetzungen und Folgen einzuschätzen, abgestimmt auf die besondere Situation. Auch bei der Bewertung der kollidierenden Rechtsgüter und der Abwägung der Schutzinteressen kann die Empfindlichkeit der Erkenntnissuche gegen Beeinträchtigungen sowie die Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeit für den allgemeinen Erkenntnisgewinn zu kurz kommen. Der angemessenen Berücksichtigung der Schutzbelange sollen Optimierungs-, Konkordanz- oder Harmonisierungsformeln 137 vorbeugen; andererseits dürfen diese der erfor-

137

Vgl. stellvertretend Rüjner, Grundrechtskonflikte, 1976, S. 466 f.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

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derlichen Gewichtung nicht vorgreifen und haben daher weniger das Abwägungsergebnis als vielmehr den Rahmen für die Abwägung zu kennzeichnen, die durchaus auch zu einer asymmetrischen Gewichtung führen kann. Die Unterschiedlichkeit der Verfassungsgüter, der Schutzinteressen und Konfliktlagen läßt den beiderseits möglichst förderlichen Ausgleich daher zwar als Leitbild erscheinen, der einzelne Konflikt ist aber nach den besonderen Voraussetzungen der jeweiligen Situation zu beurteilen. Die legislatorische Arbeit an der Verfassungsverwirklichung fordert den Gesetzgeber auch zur Stellungnahme in Kollisionsbereichen heraus I38 • Die Abwägung im Einzelfall kann Anhaltspunkte dafür ergeben, wie bestimmte Konfliktlagen durch Schutzgesetze aufbereitet werden können. Einerseits erscheint die normative Behandlung als unentbehrliche Erläuterung und Anwendung der Verfassung, andererseits wird die Gefahr deutlich, daß es zu Festlegungen kommt, die zum einen über die beschränkte Verallgemeinerungsfähigkeit von KonfliktIagen I39 und zum anderen über den gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum l40 hinausgreifen. Regelungen in Kollisionsbereichen bewegen sich auf der Grenzlinie zwischen der Verfassungsverwirklichung und der Anmaßung einer verfassungsgebenden Kompetenz. So besteht die Gefahr, daß über den weiten verfassungsrechtlichen Rahmen einseitige Wertungen Einfluß gewinnen l41 • Als Mittel, auf neue Fragen der verfassungsrechtIichen Abwägung zu reagieren, könnten gesetzgeberische Pionierleistungen auch zu einer stillschweigenden Verfassungsänderung führen. Hält sich der Gesetzgeber dagegen zurück, wird die demokratisch kontrollierte Direktivensetzung übersprungen und dem Verfassungsgericht die

138 Teilweise als besondere Aufgabe im Rahmen der Verfassungsentwicklung hervorgehoben, vgl. Starck, Auslegung, 1989, S. 32. 139 Vgl. Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974, S. 32-38, Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 28 f. 140 Vgl. Heyde, Regelungsspielraum, 1987. 141 Als Problem jeder, aber insbesondere der auf einer bestimmten Grundrechtstheorie fußenden (dazu Bäckenfärde, Grundrechtstheorien, 1974; Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 197-321) sowie der auf aktuellen (Mehrheits-)Konsens (Häberle, Die offene Gesellschaft, 1975) bezogenen Interpretation. Angemessen erscheint dagegen ein Vorgehen, das sämtliche angeschnittenen Aspekte in Beziehung setzt (vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 258), wie vom BVerfG dem Prinzip nach auch angestrebt, vgl. BVerfGE 6, 55 (72) - Einkommensteuergesetz (näher Roellecke, Prinzipien, 1976, vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 166 f., 281; Sachs, Diskriminierungsverbot, 1987, S. 19 m.w.N.); ähnlich Häberle, aber unter Erweiterung zu einer rechtsvergleichend-,,kulturwissenschaftlichen" Theorie (Wesensgehaltsgarantie, 1983, S. 342-422). Zum allgemeinen Problem der Gesetzes- als Verfassungsauslegung Dreier / Schwegmann, Verfassungsinterpretation, 1976; Denninger, Schlüsselbegriffe, 1985. Vgl. auch Friauf, Grundrechte, 1971, S. 674 f.

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VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

Entscheidung überlassen 142 • Das Schrankenproblem wird damit nicht nur ein Problem der Verfassungsauslegung, sondern auch der Kompetenzverlagerung auf die Rechtsprechung 143 . Das Problem der gesetzlichen Verengung kann teilweise durch die Regelungstechnik aufgefangen werden. Soweit der Gesetzgeber nur das Konfliktfeld und den Rahmen für die Einzelfallentscheidung verdeutlicht, sowie besondere Entscheidungsverfahren vorsieht, kann er das Offenheitsproblem berücksichtigen. Bei der normativen Erschließung in Grenzbereichen, die sich starrer Regelung entziehen, kann die Einführung besonderer Erörterungs- und Verständigungsverfahren dazu beitragen, daß die beteiligten Interessen, darunter etwa auch die universellen Aufgaben der Wissenschaftsfreiheit, ausreichend berücksichtigt werden.

1.3.4 Schrittweise Schrankenbestimmung

Bei der Frage, ob die Wissenschaftsfreiheit im Einzelfall einer Schrankenwirkung unterliegt, ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit erfüllt sind oder nichtwissenschaftliche Zwecksetzungen verfolgt werden. Ferner ist zu prüfen, ob das Vorgehen auf gesetzliche Verbote stößt und ob sich in diesem Fall durch das wissenschaftliche Anliegen eine grundsätzliche Rechtfertigung für die Wahl des V orgehens feststellen läßt. Außerdem ist zu prüfen, ob der Schutzbereich begrenzt sein könnte, wie bei der Lehrfreiheit durch die Bindungsklausel. Schließlich ist zu prüfen, ob der Schutz mit anderen Schutzpflichten in Konflikt gerät; bei der Kollision von Schutzrechten kommt es darauf an, ob eines der Rechte zurückzutreten hat. Testet beispielsweise ein wissenschaftlich tätiger Arzt eine gefährliche Behandlung an ihm anvertrauten Patienten, die an einer äußerst seltenen Erscheinung einer Erkrankung leiden, könnte sein V orgehen durch Einwilligung nach entsprechender Aufklärung erlaubt sein; 142 Das aber auch sonst in den Konkretisierungsprozeß eingeschaltet ist und mit seiner Rechtsprechungslegitimation die gesetzgeberische Legitimation ergänzt; vgl. Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, bes. S. 271-287, 318 f.; Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, bes. S. 295-430; Alexy, Theorie, 1985, S.298 f., 348 f.; Stern, Staatsrecht III/l, 1988, § 73 S. 1265 f., 1304 f. 143 Die in diesem Fall nicht unmittelbar mit einer Vorbehaltsgesetzgebung zusammenwirkt, was die Problematik ihrer gestaltenden Jurisdiktion noch verschärft. Dazu grds. Püttner, Verfassungsgerichtsbarkeit, 1984; ders., Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, 1975; ders., Politik durch Gerichte, 1978; vgl. Bachof, Verfassungsrichter, 1963; ders., Richter als Gesetzgeber, 1979; Kriele, Recht und Politik, 1976; Roellekke, Verfassungsgerichtsbarkeit, 1980; ders., Bundesverfassungsgericht, 1987; Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit, 1980; Dolzer, Verfassungskonkretisierung, 1982. Vgl. die Behandlung im Gesamtrahmen der Verfassungsentwicklung bei Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, bes. S. 299-355.

1. Verfassungsrechtliche Grundlage

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handelt es sich aber um ein nicht konsentierfähiges Vorgehen, könnte der Schutz der Wissenschaftsfreiheit das Vorgehen rechtfertigen. Grundsätzlich schließt dieser Schutz die Bindung an die Rechtsordnung aber nicht aus und rechtfertigt nicht ein gesetzwidriges Verhalten, doch könnte in diesem Fall die anders kaum erreichbare Möglichkeit, die Erkrankung zu erforschen, das Vorgehen zugunsten des wissenschaftlichen Fortschritts unumgänglich erscheinen lassen. Daher erscheint der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit nicht überschritten und ist je nach der Gefährlichkeit der Behandlung zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem Gesundheits- oder Lebensschutz abzuwägen. Je größer die Gefahr erheblicher oder bleibender Gesundheitsschäden ist, desto geringeren Anspruch auf Schutz kann die Wissenschaftsfreiheit gewähren. Bei Notlagen, etwa bei gefährlichen Epidemien, die nicht anders als durch Experimente an Erkrankten zu bekämpfen sind, mag sich die Schutzpflicht zugunsten der Wissenschaftsfreiheit durch Schutzinteressen, die normalerweise entgegenstehen, verstärken. Wie das Beispiel verdeutlicht, läßt sich weder mit der Einwilligungsfrage, die sich nur auf das Maß der persönlichen Verfügbarkeit der staatlichen Schutzpflichten bezieht, noch mit der Abgrenzung des Schutzbereichs für die Wissenschaftsfreiheit, der den Ausgangspunkt für die Abwägung der Schutzinteressen darstellt, die Schrankenziehung bewältigen. Vielmehr sind die Fragen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ob der darauf und auf dem Schutz zweck beruhende Schutzbereich betroffen ist und ob die Reichweite des Schutzes einzuschränken ist, auseinanderzuhalten, um den Schutzzweck weitestmöglich zur Entfaltung zu bringen und nicht in einem Vorfeld zu schmälern. Entgegenstehende Schutzpflichten entfalten insofern eine Rückwirkung auf den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit, als sich der Schutzanspruch nicht willkürlich gegenüber der gesetzlichen Schutzordnung durchsetzt, sondern das grundsätzlich geschützte Vorgehen sich den Umständen nach als zur Erfüllung des Schutzzwecks erforderlich zu legitimieren hat. Diese Frage richtet sich allein nach den tatbestandlichen Voraussetzungen und dem Schutzzweck der Norm. Soweit der Schutzanspruch danach geltend gemacht werden kann, bedürfen entgegenstehende Schutzpflichten ihrerseits der Legitimation, um den Schutzanspruch ausnahmsweise zurückzudrängen. Wenn entgegenstehende Schutzpflichten, wie der Lebensschutz, nur in besonderen Ausnahmefallen zurückgedrängt werden dürfen, könnte sich, soweit besondere Umstände nicht vorliegen, eine stärkere Rückwirkung auf den Schutzbereich ergeben und dieser bereits als begrenzt zu betrachten sein l44 • Da sich die Konkurrenz der Schutzrechte, die zum Konflikt der Schutzpflichten führt,

144 Vgl. Pierothl Schlink, Grundrechte, 1991, S. 165 Rn. 709-711; gegen eine Behandlung auf der Normbereichsebene Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 117-119.

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VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

im Zweifel aber erst durch die Abwägung aufgrund der Umstände des Einzelfalles entscheiden läßt, ginge es zu weit, aus der möglichen Begrenzung des Schutzbereichs eine Regel zu machen. Vielmehr sind, um die Schutzwirkung nicht einzuengen, die Grenzen des Schutzbereichs durch eine summarische Interessenabwägung vom Standpunkt der Wissenschaftsfreiheit aus zu bestimmen und ist grundsätzlich keine tatbestandsbegrenzende, sondern eine rechtsfolgenbeschränkende Wirkung der inhärenten Verfassungsgrenzen anzunehmen. Das schließt aber nicht aus, daß die rechtliche Integration der Wissenschaftsfreiheit je nach dem einzelnen Fall schon bei der Abgrenzung des Schutzbereichs zu berücksichtigen ise 45 , vorausgesetzt, daß das Normund Schrankenschema als Grundlage für die Zuordnung der Prüfungsschritte und Abwägungsfragen nicht aus den Augen verloren wird.

2. Schrankenbereiche 2.1 Allgemeine Mißbrauchsschranke Eine grundSätzliche Schranke jeder Grundrechtsausübung könnte aus dem allgemeinen Rechtlichkeitsgedanken abzuleiten sein. Danach wäre die Geltendmachung von Grundrechten untersagt, soweit sie sich gegen den mit ihnen verfolgten Schutzzweck richten würde l46 • So könnte etwa die Forschungsfreiheit beschränkt sein, wenn unter ihrem Deckmantel und mit dem Anspruch auf Nichteinmischung staatswidrige oder wissenschaftsfremde Ziele angestrebt oder Wissenschaftsförderung für praktisch-technische Zwecke geltend gemacht würde. Das ist im Prinzip nicht zu bezweifeln, nur läßt die allgemeine Formel es an der genaueren Abgrenzung im Einzelfall fehlen l47 • Sie drückt daher zwar einen selbstverständlichen Rechtsvorbehalt aus, verweist aber auf dessen nähere rechtliche Ausgestaltung l48 und kann allenfalls zur Korrektur von rechtlich nicht im einzelnen erschließbaren, aber widersprüchlichen Auswirkungen der Berechtigung dienen. Als selbständige und immanente Beschränkung aufgefaßt, würde das Mißbrauchs verbot eine institutionelle Bindung jeder rechtlichen Freiheit voraussetzen, wie sie zwar durch die Allgemeinheit und Gleichheit des Rechts erzwungen wird, aber

145 Der sich aus dem Zusammenhang mit der Rechtsfolgenbegrenzung nicht völlig herauslösen läßt; vgl. Bauer, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S. 22; ferner oben 1.1 sowie 11.5.3. 146 Grds. Gallwas, Mißbrauch, 1967; Bettermann, Grenzen, 1976, S. 11-15. 147 Vgl. Müller, Grundrechtsdogmatik, 1976, S. 11-15. 148 Näher v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 68-79.

2. Schrankenbereiche

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nicht als vorgegeben zu betrachten ist l49 • Ähnlich verhält es sich mit dem allgemeinen Gewalt- und Selbsthilfeverbot, das zwar in der Gewährleistung des Rechts enthalten ist, aber erst durch die Rechtsordnung näher definiert wird l50 • Soweit sich Forschungen mißbräuchlich gegen den Bestand des Staates und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung richten sollten, wäre an der Frage der Wissenschaftlichkeit des Forschungszieles zwischen wissenschaftlichen und anderen Tatbeständen zu unterscheiden. Im Überschneidungsbereich von staatsdestruktiver Zweckforschung und Verbotstatbeständen l51 dürfte sich keine wissenschaftliche Legitimität begründen lassen; dagegen könnte die verschleiernde Beteiligung an der Abwehrforschung oder das Betreiben grundlegender Forschungsprojekte zur Staatssicherheit, um wichtige Informationen zum Kampf gegen den Staat weitergeben zu können, neben der Erfüllung von Verbotstatbeständen auch als Form des besonderen Grundrechtsmißbrauchs nach Art. 18 GG erscheinen 152 . Zwar wird die Forschungsfreiheit dort nicht ausdrücklich genannt, die Aufzählung der besonders in Betracht kommenden Grundrechte ist jedoch nicht abschließend. Sonstiger mißbräuchlicher Einsatz wissenschaftlicher Forschungsarbeit, etwa, um das Aggressionsverbot nach Art. 26 GG zu umgehen, müßte sich an dafür geltenden besonderen Verboten l53 und darüber hinaus an dem verfassungsrechtlichen Verbot selbst messen lassen. Für die Lehrfreiheit ist das staats sichernde Mißbrauchsverbot des Art. 18 GG als spezielle Schutzbereichsgrenze normiert. Im Bereich der Überschneidung mit der Weitergabe von Forschungsergebnissen verliert die Bindungsklausel nicht ihre Anwendbarkeit. Eine weiterreichende Anwendung auch auf die Forschungsfreiheit widerspricht jedoch der eindeutigen Zuordnung zur Lehrfreiheit und der mit dieser geschützten besonderen Publizitätsform. Auch ein ausdehnendes Verständnis der Bindungsklausel, das sie nicht nur auf den Bestandsschutz für den Staat, sondern auch auf den Schutz der gesamten

Näher oben 1.1. Das Verbot wird von Murswiek, Risiken der Technik, 1985, S. 102-110 als Grund für die allgemeine Rechtsbindung (v gl. oben 1.1) betrachtet; diese folgt jedoch aus der Voraussetzung der Rechtsgewährleistung, und das Verbot ist eine Konsequenz der darin enthaltenen allgemeinen rechtlichen Verhaltensbegrenzung. Es betrifft nicht die Wahrnehmung der Freiheit, sondern die Verhinderung von Willkür und gilt nur, soweit es nicht mit der allgemeinen Rechtsbindung in Widerspruch gerät. 151 Vgl. §§ 81 ff., 87 ff. StGB. 152 Dazu grds. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, 1968; Stern, Staatsrecht I, 1984, § 6 S. 200-206. 153 Vgl. §§ 80, 81 StGB. 149

150

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VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

Verfassung gerichtet sehen Will 154 läßt sich mit ihrem Bezug auf den Staat nicht vereinbaren. Mißbräuchliche wissenschaftliche Tätigkeit, die entweder durch ihr Vorgehen oder mit ihrer Zielsetzung gegen rechtliche Schranken verstößt und sich daher mit dem Schutzzweck der Wissenschaftsfreiheit in Widerspruch setzt, ist demzufolge nach den allgemeinen' Kriterien der Schrankenwirkung zu beurteilen. 2.2 Friedliches Zusammenleben Eine ausdrückliche Freiheitsschranke, die auch gegenüber der Wissenschaftsfreiheit gilt, richtet das Grundgesetz in Art. 26 Abs. 1 auf, der verhindern will, daß das friedliche Zusammenleben der Völker gestört und insbesondere ein Angriffskrieg vorbereitet wird. Zwar unterscheiden sich wissenschaftliche Tätigkeit und das ausschließliche Anstreben praktischer Handlungsziele grundsätzlich voneinander, aber die in den wissenschaftlichen Erkenntniszusammenhang einbezogene Zweckforschung, die wissenschaftliches und praktisches Handeln verbindet, könnte sich auch gegen die Verbote des Art. 26 GG einsetzen lassen. Auch darüber hinaus könnte wissenschaftliche Tätigkeit nur scheinbar im Einklang mit den Verboten, aber in Wirklichkeit als Mittel zu dem Zweck, die Verbote zu umgehen, vorgenommen werden. In diesen Fällen, in denen die Ausübung wissenschaftlicher Tätigkeit nicht von der verbotenen Absicht zu trennen ist, und die sich als Formen der im Sinne der Verbote böswilligen Wissenschaft darstellen, wirkt die Verbotsvorschrift als absolute Schranke, die sich sowohl auf die Wahl des Erkenntnisgegenstandes als auch auf das wissenschaftliche Vorgehen bezieht. Dagegen will und darf sie sich nicht gegen die insofern zweckfreie oder zur Sicherung des Verbotszwecks vorgenommene wissenschaftliche Betätigung richten. Eine andere Frage ist, wie die damit ermöglichte Gefahr der mißbräuchlichen Veruntreuung oder des Zugänglichmachens mißbräuchlich ausnutzbarer Informationen abgewehrt werden kann. Jedoch sind Weitergabeverbote und Veröffentlichungsbeschränkungen, die sich auf die wissenschaftliche Behandlung der mit Art. 26 Abs. 1 GG zusammenhängenden Thematik beziehen, soweit gerechtfertigt, als sie zur Sicherung der Vorschrift erforderlich erscheinen. Die gleiche Frage kann sich anläßlich der oben als Beispiel erwähnten wissenschaftlichen Untersuchung der Staatssicherheit ergeben; auch in diesem Fall können Maßnahmen des Geheimnisschutzes und Veröffentlichungsbeschränkungen in Betracht kommen, soweit zur Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und des Staatsbestandes erforderlich.

154 Vgl. die Ausdehnung von der Staats- zur Rechtswahrungsklausel bei Geiger, Wissenschaftsfreiheit, 1984.

2. Schrankenbereiche

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Dafür gilt die gleiche kritische Linie zwischen wissenschaftlicher Aufklärung und verfassungsfeindlicher Wirkung, die bei der Treueklausel als Konkretisierung des Grundrechtsmißbrauchsverbots einzuhalten ist; auch die Sicherung des Staatsbestandes rechtfertigt keine Unterdrückung, sondern nur das Verbot einer mißbräuchlich schädigenden Wahrnehmung oder die Verhinderung einer entsprechenden Auswirkung der Wissenschaftsfreiheit. Zur Wahrung der äußeren und inneren Sicherheit ermöglicht das Grundgesetz mit der Notstandsverfassung praktische Verteidigungs- und Schutzmaßnahmen l55 ; darüber hinaus umfaßt jedoch der Schutzzweck des Art. 18 GG mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zugleich den dafür grundlegenden Bestandsschutz l56 , wie auch sinngemäß die Vorschriften des Art. 9 Abs. 2 157 und ausdrücklich des Art. 21 Abs. 2 GG sich zugleich auf den Staatsbestand beziehen. Als Bedingung für den Grundrechtsschutz kann er für die grundrechtlieh gesicherte Freiheit nicht verfügbar sein. Für die militärische Forschung ergibt sich, daß sie grundsätzlich keinen Schranken unterliegt, soweit sie sich im weiten Rahmen des staatlichen Verteidigungsauftrages bewegt, der durch Art. 73 Nr.1 und 87a im Grundgesetz verankert wurde I58 • Sie kann sich daher auf die Abwehr von Angriffen mit jeder Art von Angriffswaffen ausrichten. In diesem Rahmen können auch völkerrechtliche Verträge, die ein Verbot für den Einsatz oder die Herstellung bestimmter Waffen vorsehen, keine Schranke gegenüber der staatlichen Förderung von Forschungsvorhaben aufrichten; ferner läßt sich das Aggressionsverbot generell nicht gegen die Forschung zur Verteidigung anführen. Nur solche Forschungsmaßnahmen, die unmittelbar gegen bestimmte Verbote gerichtet sind oder die Umgehung von Verboten bezwecken, verlieren den Schutz der Wissenschaftsfreiheit. Bei internationalen Waffenbeschränkungen 159 ist zu beachten, daß sie, von der staatlichen Außenbindung und deren Beachtlichkeit bei der staatlichen Ressortforschung und Forschungsförderung abgesehen, der individuellen Grundrechtsberechtigung nur, soweit sie eine gesetzliche Rechtsbindung entfalten l60 , entgegengehalten werden können und ihr nur eine diese überwindende Legitimierung abverlangen, aber keine verfassungsrechtliche Schranke aufrichten. Auch die Genehmigung für

Vgl. Art. 80a, 87a, 115a GG. 156 Vgl. Dürig, in: MaunzlDürig, Art. 18, 1964, Rn. 46; SeijertlHömig, GG, 1985, Art. 18 Rn. 3. 157 Dazu Schotz, in: MaunzlDürig, Art. 9, 1979, Rn. 127. 158 Vgl. auch Art. 51 S. 1 der UN-Satzung. 159 Vgl. oben I.2.5. 155

160 Grds. Maunz, in: MaunzlDürig, Art. 59, 1971, Rn. 18-27; vgl. das Kriegswaffenkontrollgesetz von 1955 (BGBI. 11 S. 256).

208

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

die Herstellung von Kriegswaffen nach Art. 26 Abs. 2 GG betrifft nicht die Forschung. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß zum einen eine konkrete Kriegsvorbereitungsabsicht Voraussetzung für den Verbotstatbestand ist, zum anderen wird eine konkrete Gefährdungsabsicht, die sich gegen das friedliche Zusammenleben richtet, vorausgesetzt. Militärische Forschungen, die sich im Vorfeld dieser Merkmale bewegen und deren praktische Verwendung der inoder ausländischen politischen Entscheidung anheim gestellt ist, werden durch das Aggressionsverbot nicht erfaßt. Doch kann die militärische Forschung, die sich mit vertraglichen Rüstungs- und Einsatzbeschränkungen, auch unter dem Gesichtspunkt von Verteidigungszwecken, nicht vereinbaren lassen sollte, in die Nähe der verfassungsrechtlichen Schranke des Aggressionsverbots geraten. Die militärische Forschung läßt sich daher mit verfassungsrechtlichen Schranken zwar umgrenzen, aber nicht verbieten oder hinter die Anforderungen einer Verteidigungsforschung zurückdrängen. Die Verantwortung dafür, daß unter dem Zeichen der Verteidigungsforschung keine verbotene Kriegsforschung betrieben wird, ist weitestgehend in das politische Ermessen gestellt. Dieses hat von den Bedingungen für die Erfüllung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsauftrags und bei ausländischen Auftraggebern von den für diese geltenden Bindungen auszugehen; darüber, daß sich zugleich die politische Aufgabe ergibt, an der friedensfördernden Veränderung der militärischen Voraussetzungen mitzuarbeiten, besteht kein Zweifel. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Anliegen der oben erwähnten Friedensbewegung und die Appelle der darin zusammengeschlossenen Wissenschaftler 161 begrüßenswert, sie zielen aber auf eine politische Lage, die nicht bedingungslos vorweggenommen werden kann, wenn die Voraussetzungen für ihre Verwirklichung nicht gefährdet oder preisgegeben werden sollen. Der politische und moralische Auftrag zur Abrüstung und Entmilitarisierung bedeutet jedenfalls nicht, daß die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verteidigungsforschung verändert wird.

2.3 Menschenwürde Als oberster Rechtsgrundsatz der Verfassung 162 entfaltet der Menschenwürdeschutz eine staats- und rechtsleitende Bedeutung, die sich auch im Geltungsbereich der Wissenschaftsfreiheit ausprägt. Zum einen hat der Menschenwürdeschutz der staatlichen Wissenschaftspolitik als Leitlinie zu dienen

161 162

Oben 1.2.5. V gl. oben 1.3.2.

2. Schrankenbereiche

209

und vor allem den grundsätzlichen Rang der Wissenschaftsfreiheit für Staat, Wirtschaft und Kultur zu unterstreichen. Zum anderen hat der Grundsatz darüber wachen zu lassen, daß sich keine wissenschaftliche Zügellosigkeit durchsetzt, die im Dienste einseitiger Auffassungen zu menschenverachtenden Praktiken greift. Zum dritten ergänzt der Menschenwürdeschutz in seiner grundrechtlichen Konkretisierung das Zusammenwirken der Grundrechte zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und setzt der Wissenschaftsfreiheit durch die gleichberechtigte Geltung der anderen Grundrechte Schranken. Vor allem die Schrankenwirkung ist in den letzten Jahren diskutiert worden, seit mit den Techniken der künstlichen Befruchtung und den Herausforderungen der pränatalen Humanforschung das Tor zu neuen Möglichkeiten der Medizin aufgetan wurde. Im Hinblick auf die Begrenzungsfunktion des Menschenwürdeschutzes ist jedoch Zurückhaltung angebracht, da es schwierig ist, das Schutzprinzip auf konkrete Schutzwirkungen festzulegen. Vor allem führt die Weite des Menschenwürdebegriffs 163 dazu, daß in besonderem Maße außerrechtliche Wertungen Verbindlichkeit für die rechtliche Interpretation beanspruchen 164. Daher besteht die Gefahr, daß der neutrale Boden der verfassungsrechtlichen Rechtswirkung zugunsten einseitig vorgeprägter Auffassungen verlassen wird. Diese Gefahr erhält zusätzliches Gewicht, wenn aus der Tatsache, daß der Menschenwürdeschutz als oberster Rechtsgrundsatz der Verfassung zu betrachten ist, eine besondere Vorrangigkeit des Grundprinzips gegenüber seinen speziellen Ausgestaltungen in der Grundrechts- und demokratischen Staatsordnung abgeleitet werden sollte l65 . Jedoch ist nicht von einer Vorrangigkeit im engeren Sinne, sondern vielmehr vom Erfordernis der widerspruchsfreien Verdeutlichung und der korrigierenden Rückbindung an das Prinzip auszugehen. Dasselbe Problem erscheint, wenn sich bei der Kollision unterschiedlicher Schutzpflichten die Frage erhebt, ob der Menschenwürdeschutz als unverfügbar und keiner Abwägung zugänglich zu betrachten ist. Dafür könnte die Feststellung der Unantastbarkeit sprechen, deren rechtlich verpflichtender Aussagegehalt aber auch in einer allgemeinen Grundlegung gesehen werden kann l66 • Zwar stellt Art. lAbs. 1 S.l GG die Unantastbarkeit der Menschenwürde fest und geht Art. lAbs. 2 GG von unverletzlichen 163 Zur Interpretation v. MangoldtlKleinlStarck, Bonner GG, 1985, Art. 1 Rn. 2l3; vgl. Graf Vitzthum, Menschenwürde, 1985; GeddertlSteinacher, Menschenwürde, 1990. 164 Vgl. Graf Vitzthum, Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S.275; ders., Rechtspolitik, 1987, S. 61 f. 165 Vgl. oben 1.3.2. 166 Vgl. einerseits v. MangoldtlKleinlStarck, Bonner GG, 1985, Art. 1 Rn. 19-21; andererseits Dürig, in: MaunzlDürig, Art. 1, 1958, Rn. 1-3.

14 [-",eh

210

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

und unveräußerlichen Menschenrechten aus, über die Rechtswirkung im Einzelfall wird damit aber noch keine nähere Aussage getroffen. Vielmehr zeigt die Ausgestaltung der Grundrechte, daß die Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit als Anerkennung einer grundlegenden Ausgangssituation gedacht ist, die ihre rechtliche Verbindlichkeit in den einzelnen Grundrechten erhält. Ebenso ist die Unantastbarkeit der Menschenwürde als grundlegender Leitsatz aufzufassen, der konkreten rechtlichen Gehalt durch die Achtungsund Schutzpflicht gewinnt. Mit dieser Pflicht wird die Menschenwürde zum näher konkretisierten Rechtsprinzip, das im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten zu wahren, aber nicht jeder Bewertung entzogen ist. Vielmehr läßt sich seine konkrete Bedeutung nur nach der jeweiligen Situation bestimmen, deren rechtliche Einschätzung nicht ohne Rücksicht auf den Zusammenhang der beteiligten Interessen möglich ist. Daß der Menschenwürdeschutz nicht unabhängig von der Interessenlage zu beurteilen ist, zeigt sich deutlich in den Sonderrechts verhältnissen, so etwa bei der Strafverfolgung oder im Strafvollzug, und in Notsituationen, so etwa bei der Seuchenbekämpfung oder der militärischen Verteidigung. Schließlich kommt die Gestalt- und Vermittelbarkeit des Menschenwürdeschutzes auch in den einzelnen Grundrechten zum Ausdruck, in denen er eine maßgebende Verwirklichung erfährt und in deren Abwägung bei Regelungskonflikten er einbezogen ist. Der Menschenwürdeschutz steht daher nicht außerhalb der gegenseitigen Abhängigkeit der rechtlich konkurrierenden Interessen und entsprechend in Konflikt befindlichen Schutzpflichten, sondern ist in die Abwägung einzubeziehen und dieser soweit zugänglich, als sie nicht zur Mißachtung und Preisgabe des Schutzes führt. Die Auslegungsfrage wird, so gesehen, in diesem Fall stärker von der Schutzsituation bestimmt. Damit braucht keine unzulässige Relativierung des Schutzes verbunden zu sein, vielmehr kann sich eine Polarisierung der Schutzfrage, die einseitig erweiternd oder restringierend wirkt, vermeiden lassen. Eine Besonderheit bei der Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch den Menschenwürdeschutz liegt darin, daß die Wissenschaftsfreiheit eine wesensbestimmende menschliche Eigenschaft, die als Grundbedingung der kulturellen Entwicklung zu betrachten ist, in ihrer kulturell entwickelten Erscheinungsform zum Schutzgut erhebt und damit in hervorragendem Maße zur Verwirklichung des Menschenwürdeschutzes beiträgt 167 ; nur wenn die Wissenschaft in so radikaler Weise zum Selbstzweck oder zum Mittel zu verwerflichen Zwecken werden sollte, daß sie in würdeverletzende Willkür umschlägt, verläßt sie die Grundlage ihrer Inschutznahme und hat sich durch entsprechende Beschränkungen an ihren sozialen Zusammenhang erinnern zu

167

Vgl. oben V. 2.3.

2. Schrankenbereiche

211

lassen. Der Menschenwürdeschutz ist daher nicht dazu da, die Wissenschaftsfreiheit auf eine bestimmte kulturelle Linie zu bringen, sondern hat allein die menschenverachtende Willkür zu verhindern. Nur in demjenigen Ausnahmefall, in dem die Wissenschaft den Menschen zum verächtlichen Objekt macht, setzt der Menschenwürdeschutz Schranken. Daß der Mensch andererseits grundsätzlich zum vornehmsten Objekt der Wissenschaft gehört, trägt wesentlich zur ständigen Verwirklichung der Menschenwürde und eines menschenwürdigen Zusammenlebens bei. 2.4 Grundrechte anderer Den klassischen Fall der Beschränkbarkeit schrankenlos gewährleisteter Grundrechte stellt die Kollision mit dem gleichberechtigten Rechtsgüterschutz in Form der Grundrechte anderer dar 168 • Zwar wird die Berücksichtigung der Rechte anderer nur in Art. 2 Abs. 1 GG angeordnet, die Rechtsordnung, von der die Grundrechtswahrnehmung nicht entbindet, sorgt aber grundsätzlich dafür, daß Drittrechte und damit auch der Grundrechtsschutz anderer nicht unberücksichtigt bleiben; im Privatrecht führen die Abwägungsklauseln außerdem zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 169. Staatliche Entscheidungen sind prinzipiell an die Grundrechte gebunden und haben daher die unterschiedlichen Grundrechtsinteressen zu beachten. Bei der Konkurrenz der Grundrechtsträger im Rahmen der öffentlich institutionalisierten Grundrechtswahrnehmungsmöglichkeit, wie in öffentlichen Einrichtungen 170 und, auf die Wissenschafts freiheit spezialisiert, in der Universität l7l , ist ohne weiteres einleuchtend, daß die Möglichkeit der Grundrechtswahrnehmung aufzuteilen und der Anspruch auf gleichberechtigte Einräumung zu wahren ist; je stärker die gleichberechtigte Beteiligungsmöglichkeit auf die anders nicht gleich günstige oder mögliche Ausübung einer bestimmten Grundrechtsfreiheit zugeschnitten ist, desto eher wirkt sich eine unzulängliche und vor allem gleichheitswidrige Verteilung auch als Beeinträchtigung des mit der einzuräumenden oder eingeräumten Freiheitsmöglichkeit verbundenen besonderen Grundrechtsschutzes aus. Die Beteiligungsfrage kann daher in

Vgl. oben II.2-4. Grds. Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, bes. S. 258-271. Vgl. oben V. 1.3.1 sowie v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. Rn. 191-200. 170 Vgl. Püttner/Lingemann, Aktuelle Probleme, 1984. 171 Vgl. Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 206-211; ders., Wissenschaftsrecht, 1990, S. 751-755. Vgl., auch zum folgenden, Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 427-442. 168 169

14'

212

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

einen Konflikt der konkurrierenden Grundrechte und der für diese bestehenden Schutzpflichten umschlagen. Ähnlich kommt es auf allgemeinster Ebene zum Konflikt der Grundrechtsberechtigungen, wenn ein grundrechtlicher Schutzanspruch sich mit einem konkurrierenden Anspruch aus der gleichen oder einer anderen Grundrechtsberechtigung überschneidet und die Schutzpflichten nicht ohne gegenseitige Beeinträchtigung erfüllt werden können. Dann sind die Schutzpflichten gleichberechtigt aufzuteilen, und das heißt, angemessen anzupassen. Ein Modell dafür lieferte der Mephisto-Fall 172 , in dem die Wahrnehmung des Publikationsrechts als Erscheinungsform der künstlerischen Entfaltungsfreiheit in der Person des Verlegers sich mit dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf seiten des durch die Publikation Betroffenen überschnitt. Bei der Frage, wie die Konkurrenz der in Konflikt geratenen Schutzansprüche zu behandeln war, mußten die staatlichen Schutzpflichten einander gegenübergestellt und die Schutzinteressen abgewogen werden. Ähnlich wie in diesem Beispiel, würde die Wissenschaftsfreiheit in Konflikt mit dem Persönlichkeitsschutz geraten, wenn in einer wissenschaftlichen Untersuchung persönliche Daten, etwa aus einer Patientenkartei, unbefugt preisgegeben und zum Beispiel auch einer ungünstigen, das soziale Ansehen des Betroffenen belastenden Beurteilung unterzogen würden. Auch der Schutz der wissenschaftlichen Erkenntnis und Wahrheit findet seine Grenze dort, wo verfassungsrechtlich anderweitig geschützte Interessen beeinträchtigt werden. Daher kommt es darauf an, daß die Grenze, an der die Verletzung anderr-r Rechtsgüter einsetzt, im Einzelfall genau bestimmt wird, damit nicht die wissenschaftliche Entfaltungsfreiheit als solche zurückgedrängt, andererseits aber auch keine unzulässige Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter geduldet wird. Wird die Verwendung persönlicher Daten in einer Form vorgenommen, die den Schutzbereich für das Persönlichkeitsrecht des Datenträgers nicht berührt, braucht sich das wissenschaftliche Interesse nicht einschränken zu lassen. Die Unterscheidung zwischen dem Rechtsgüterschutz im allgemeinen und dem konkreten Konflikt hat Parallelen in der früher auch in Bezug auf die Wissenschaftsfreiheit erwogenen Frage, wie die Schutzgrenze der allgemeinen Gesetze in Art. 5 Abs. 2 GG gegenüber ihrer allgemeinen Rückwirkung auf den zu begrenzenden Grundrechtsschutz ihrerseits begrenzt werden könnte 173 , und in der Frage, wo die Grenze zwischen dem allgemeinen Risiko und der konkreten Gefahr verläuft 174 .

172

Vgl. oben 11.2.2.

173 Vgl. auch Schmidt, Freiheit, 1929, S. 100-105; Rüfner, Grundrechtskonflikte, 1976, S. 456-461. 174 Vgl. oben 1.2.9.1.

2. Schrankenbereiche

213

So ist für die Begrenzung durch die allgemeinen Gesetze nur der besondere anderweitige Rechtsgüterschutz legitimiert, während Beschränkungen, die sich gegen die Kommunikationsgrundrechte richten, vom Schrankenvorbehalt nicht umfaßt werden. Dasselbe gilt für den verfassungsrechtlichen Rechtsgüterschutz, der sich der Wissenschaftsfreiheit entgegenstellen kann; er darf sich nicht gegen die Wissenschaftsfreiheit als solche auswirken, sondern hat allein den konkreten Übergriff der Grundrechtswahrnehmung auf ein konkretes Schutzgut abzuwehren. Daher darf es auch nicht zum rechtlichen Zusammenstoß zwischen wissenschaftlich begründeter Wahrheit und anderen Überzeugungen auf allgemeiner Ebene kommen. Erforderlich für eine rechtliche Auseinandersetzung ist die individuelle Betroffenheit in einem konkret bestehenden, persönlichen Schutzgut. Auch das Risiko der Betroffenheit als solches, zum Beispiel durch Forschungen mittels anonymisierter Daten, genügt nicht, um eine Beeinträchtigung von Rechtsgütern, so des informationellen Selbstbestimmungsrechts, allein wegen der Gefahr der versehentlichen Datenpreisgabe erfüllt zu sehen. Ein wesentlicher Schutz für die Grundrechte anderer wird durch die allgemeine Rechtsordnung erreicht, die zwar der Wissenschaftsfreiheit keine Schranken auferlegen darf, die von dieser aber auch nicht außer Kraft gesetzt wird. Die Rechtsordnung bedeutet eine grundsätzliche Regelung des Rechtsschutzes und nimmt den Grundrechtsschutz, der der Wissenschaftsfreiheit auf der verfassungsrechtlichen Ebene entgegengehalten werden kann, weitgehend vorweg. Wenn sich die Wissenschaftsfreiheit durchsetzen soll, muß sich ihr Schutzanliegen jeweils als legitim ausweisen lassen, um sich einer besonderen verfassungsrechtlichen Überprüfung stellen zu können. Die Möglichkeit, im Zweifel in die verfassungsrechtliche Rechtsabwägung einzutreten, bedeutet nicht nur ein Schutzprivileg zugunsten der Wissenschaftsfreiheit, sondern auch ein Mittel zur Überprüfung der allgemeinen Rechtsordnung und zur Rechtsfortbildung. Darin findet der stillschweigende Verfassungsvorbehalt einen mit der Schrankenlosigkeit ursprünglich nicht voraussehbaren, erweiterten Sinn 175 • Insbesondere der Strafrechtsschutz bewirkt weitgehend den Schutz der Grundrechte Dritter l76 , wie vornehmlich am Lebens- und Gesundheitsschutz Grds. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, bes. S. 295-430. Vgl. Wehrhahn, Rechtslage, 1967, S. 30 f., 81 f. (Geltung der Generalschranken nach Art. 2 Abs. 1 GG); Bettermann, Grenzen, 1976, S. 27 (Schankenvorbehalt der allgemeinen Gesetze); Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974, S. 168-177 (mit der Berücksichtigung der Grundrechte durch die strafrechtliche Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsinterpretation) sowie Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2, 1958, Rn. 76-83 (mit der nicht gen au abgrenzbaren Einschränkung auf materielles Kriminalunrecht, bezogen auf die allgemeine Anschauung); Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1972, 175

176

214

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

deutlich wird 177. Der Lebensschutz stellt eine unübersteigbare Schranke für die Wissenschaftsfreiheit auf. Zwar darf das menschliche Leben in allen seinen Erscheinungsformen, auch in seiner Beendigung, grundsätzlich zum Objekt der wissenschaftlichen Beobachtung gemacht werden; der Eingriff aber stößt auf einen nicht relativierbaren Schutz. So ließe sich die Tötung zu wissenschaftlichen Zwecken allenfalls in der extremen Notlage rechtfertigen, daß für mehrere tödlich erkrankte und zeitgleich dem sicheren Tode entgegengehende Patienten eine Rettung allein dadurch möglich ist, daß an einem davon eine mit einem tödlichen Eingriff verbundene wissenschaftliche Untersuchung vorgenommen wird. Bei diesem Fall handelt es sich in Wirklichkeit jedoch um eine Pflichtenkollision im Bereich des Lebensschutzes, von der die Möglichkeit zu Rettungsrnaßnahmen, nicht aber die Zulässigkeit einer wissenschaftlichen Erkenntnismaßnahme als solcher bestimmt wird. Die Rechtsordnung läßt auch die abgestufte Zulässigkeit der Verfügbarkeit über den Gesundheits- und Persönlichkeitsschutz deutlich werden. In beiden Bereichen werden der Wissenschaftsfreiheit zunächst nur Selbstbestimmbarkeits- und absolute Schranken dort gesetzt, wo die Selbstbestimmbarkeit im allgemeinen Interesse an der Wahrung der körperlichen Integrität und der Würde der Persönlichkeit ihre Wirksamkeit verliert. Das Vorrücken der Forschung in den pränatalen Bereich hat dazu geführt, daß über die individuellgrundrechtliche Sicht hinaus das Verhältnis zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem Gesundheits- und Lebensschutz verstärkt auf einer objektivallgemeinen Ebene zu betrachten ist. Wie später noch darzulegen, ist dafür mit den herkömmlichen Maßstäben nicht allein auszukommen. Im Datenschutzbereich sind ebenfalls abgestufte Zugriffsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Die Verfügbarkeit über persönliche Daten kann bei Persönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen, einerseits wegen ihrer Bekanntheit größer als im Normalfall sein, andererseits, etwa bei der Erforschung belastender Zusammenhänge wegen der damit verbundenen besonderen öffentli-

S. 14-17,24-27, 37, 60, 189 (mit ähnlicher Einschränkung, aber tendenziell pauschaler Schrankenlegitimation); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 185189 (einerseits Sittengesetz-Bindung mit "Kriminalstrafrecht", andererseits verfassungsrechtliche Abwägung); Turner, Freiheit, 1986, S. 13; ders., Grenzen, 1986, S. 172 ("Kriminalstrafrecht"); vgl. ferner v. Kirchbach, Arzneimittelkontrolle, 1985, S. 149-151 (bei zuordnungsfahigem Rechtsgut); Alexy, Grundrechtstheorie, 1985, S. 109 f. (Abwägungsfrage). 177 Dazu Lawrence, Grundrechtsschutz, 1989, S. 73; zur Einstufung Kloepfer, Grundrechtstatbestand, 1976, S.412 f.; Rüjner, Grundrechtskonflikte, 1976, S.462; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S.231-233, 239 f.; Murswiek, Risiken der Technik, 1985, S. 169.

2. Schrankenbereiche

215

chen Aufmerksamkeit, auch erschwert werden 178. Außerdem können persönliche Daten je nach dem wissenschaftlichen Erkenntniszweck und der Art und Weise der Behandlung ganz unterschiedliche Verwendung finden. Daher erscheinen starre Schranken für den wissenschaftlichen Zugang mit der Unterschiedlichkeit der Interessenlagen nicht vereinbar. Vielmehr sind Abwägungsklauseln vorzusehen oder Kriterienkataloge für die Freigabemöglichkeit zu entwickeln 179. Auch gegenüber fremdem Eigentum vermittelt die Wissenschaftsfreiheit prinzipiell keine Rechtsmacht l80 ; jedoch ist nicht in jedem Fall ausgeschlossen, daß es zu einem Konflikt kommt, in dem die Schutzinteressen abzuwägen sind. Stünde beispielsweise ein Wissenschaftler vor ~inem wichtigen Forschungsschritt, für den er ohne Zeitverlust einen Tierversuch vornehmen müßte, für den sich aber wegen besonderer Umstände keine Versuchstiere beschaffen lassen, und würde er daher zum Beispiel über ein fremdes Haustier verfügen, könnte eine Konfliktsituation anzunehmen sein, die eine Gegenüberstellung der Schutzgüter und eine Interessenabwägung verlangt. Nur bei außergewöhnlichen Bedingungen, die mit den normalen Regeln der Rechtsordnung zur Konfliktvermeidung nicht angemessen bewältigt werden können, kann der Rechtsgüterschutz der Rechtsordnung durchbrachen und eine verfassungsrechtliche Ausnahmeentscheidung herbeigeführt werden. Daher läßt sich nicht von einem unmittelbaren Gegenübertreten der Schutzpflichten, sondern nur von einem durch die Rechtsordnung vermittelten, in einer Sondersituation bestehenden Konflikt und einem dafür erforderlichen besonderen Rechtsschutzausgleich sprechen. Die Schrankenlosigkeit der Wissenschaftsfreiheit bedeutet nicht, daß über fremde Rechte verfügt werden darf oder der Rechtsschutz dafür gelockert wird, sondern daß im Ausnahmefall, wenn der Schutzzweck beeinträchtigt würde, eine besondere Beurteilung ermöglicht wird.

2.5 Staatsorganisation Zwar bezieht sich die Wissenschaftsfreiheit auf die Eigengesetzlichkeit der wissenschaftlichen Kenntniserweiterung, bezieht diese als Schutzgut aber in den verfassungsrechtlichen Zusammenhang ein. Das Grundrecht gewährt daher, obwohl keinem Schrankenvorbehalt unterstellt, nicht allein sachgesetzliche, sondern zugleich auch staatlich verantwortete Autonomie, die sich nicht

178

1.2.7.

Vgl. die Überlegungen im erwähnten Mephisto-Fall sowie die Nachweise oben

179 Vgl. die Unterscheidung zwischen privaten und öffentlich zugänglichen persönlich-genetischen Daten bei Zimmerli, Recht auf Privatheit, 1990. 180 Vgl. stellvertretend Hailbronner, Grenzen, 1980, S. 102, 144.

216

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

in unauflösbaren Widerspruch zu ihrer verfassungsrechtlichen Grundlage setzen darf. Meistens wird unter diesem Gesichtspunkt auf das Zusammenspiel der Grundrechte, d.h. auf Konkurrenzen und Kollisionen im Grundrechtsbereich und die Notwendigkeit, dafür anpassende und ausgleichende Regeln zu finden, hingewiesen, während die Verbindung mit dem staatsorganisatorischen Bereich durch Art. 18 GG und die Verfassungsschranke für die Lehrfreiheit in Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG ausreichend geregelt erscheint. Doch bestehen in dieser Hinsicht nicht nur Trennungs-, sondern vor allem auch wichtige Verbindungslinien 181. Auf der Ebene der Staatsziele stellen die Grundrechte nicht nur einen institutionell-inhaltlichen Aspekt dar, sondern durchdringen die Ziele auch von der einzelnen Aussage und Zweckrichtung her l82 . Während die Staatszielbestimmungen aber vornehmlich Rahmendirektiven für die Staatsorganisation als Grundlage für die Erfüllung der Staatsaufgaben verbindlich machen und darunter zugleich die Grundrechtsfreiheit als solche und deren Gleichheit oder Allgemeinheit sowie die Einbeziehung in das Staatsganze vertreten 183, sorgt die objektive Grundrechtswirkung in diesem Zusammenhang vor allem dafür, daß auch dem individuellen Grundrechtsgedanken und den zugrundeliegenden Schutzgütern als solchen Beachtung geschenkt wird. Der rechtliche Gehalt, der in der Wechselwirkung von Grundrechten und Staatszielbestimmungen zum Ausdruck kommt, läßt sich summarisch mit dem auch für die Strukturprinzipien selbst herangezogenen Begriff der Auslegungsrichtlinie oder des verständnisleitenden Zusammenhanges kennzeichnen, kann aber je nachdem konkretere Züge annehmen und auf den unmittelbaren Geltungsbereich der Rechtsgrundsätze treffen. In der universitären Selbstverwaltung etwa verbinden sich Anregungen des staatlichen Demokratieprinzips mit Fragen der Gleichberechtigung der grundrechtlich begründeten Rechtspositionen zur organisierten Mitwirkung. Auch in anderen öffentlichen Bereichen wird nach Organisationsmöglichkeiten gesucht, die der demokrati-

181 Die vor allem mit dem Kulturstaatsbegriff thematisiert werden; vgl. Oppennann, Ergänzung des Grundgesetzes, 1984; ferner Wahl, Grundrechte und Staatszielbestimmungen, 1987, S. 47-53. 182 Was besonders deutlich wird, wenn man die Staatsziele als Strukturprinzipien versteht und die freiheitlich-demokratische Grundordnung einbezieht; vgl. Stern, Staatsrecht I, 1984, § 16 S. 551-554, 562-573. - Zur "Assimilation" und zum "osmotischen Dualismus" von Grundrechten und Staatsorganisation Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 339-342. 183 Deutlich beim Demokratie-, Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip (Stern, a.a.O., besonders S. 625 sowie S. 788-792 und S. 879 f., 925-938), aber auch wesentlich beim föderalistischen und fundamental beim republikanischen Prinzip (ebd., S. 658 f., 661 f. und S. 582).

2. Schrankenbereiche

217

sehen und grundrechtsbestimmten Staatsordnung entsprechen 184 • Grundsätzlich ist der Zusammenhang zwischen dem demokratischen und dem grundrechtlichen Prinzip für die freiheitlich-demokratische Grundordnung charakteristisch 185 • Das Verhältnis zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem Demokratieprinzip erscheint besonders eng, wenn man die unentbehrlich gewordene Rolle der Wissenschaftsfreiheit für die demokratische Willensbildung in Betracht zieht. Die Wissenschaftsfreiheit trägt zu den informationellen Grundlagen der Staatsführung bei; umgekehrt ermöglicht der demokratisch offene, wirtschaftlich und kulturell bestimmte Staat die freie wissenschaftliche Entwicklung. Wie die zunehmenden Umweltschäden erkennen lassen, kann nur die offene Erforschung und Diskussion eine vielseitige Reaktion ermöglichen, in der eine wirksame Abhilfe zu finden ist. Das gilt für alle Entwicklungsfragen 186 • Die Verflechtung von Individual- und Allgemeininteressen auf allen Ebenen der Rechtsordnung läßt das Schrankenproblem als Teil des grundlegenden Rechtsproblems erkennen, wie die private Interessenwahrnehmung als Grundlage des öffentlichen Interessenbereichs 187 mit anderen öffentlichen Interessen vereinbart werden kann. Daher erscheint es, im Gegensatz zu vielfach angestellten Überlegungen, grundSätzlich nicht fraglich, ob auch verfassungsrechtliche Bestimmungen außerhalb des Grundrechtskatalogs zur Grundrechtsbeschränkung legitimieren können 188 ; wieweit die Schrankenwirkung jedoch im Einzelfall reicht, hängt von der jeweiligen Situation ab. Eine ausdrückliche Begrenzung am staatsorganisatorischen Teil der Verfassung findet die Wissenschaftsfreiheit durch das Mißbrauchsverbot und die Möglichkeit der Grundrechtsverwirkung, die nach Art. 18 GG zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung gelten; ferner wird die freiheitlich-demokratische Grundordnung bei der Ausübung der wissenschaftlichen Lehre geschützt, der nach Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG Respekt vor der Verfassung abverlangt wird. Der beamtete Wissenschaftler hat darüber hinaus für die

1S4 Vgl. Püttner, Mitbestimmung, 1988; zum Schulrecht Oppermann, Bildung, 1988, S. 791, 812-817; Püttner, Schulrecht, 1990, S. 783-786. - Ferner Häberle, Öffentliches Interesse, 1970 sowie Bethge, Grundrechtsverwirklichung, 1982; Ossenbühl, Grundrechtsschutz, 1982. 185 Zum grundlegenden Verhältnis von demokratischer Staatsform und Freiheitsrechten Böckenförde, Demokratie, 1987, S. 910-913; Schmitt Glaeser, Mitwirkung an der Willensbildung, 1987. 186 Vgl. Eckert, Wissenschaft und Demokratie, 1971. 187 Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 299-308. 188 Vgl. oben 11.7, III.7.2. Allgemein zu dieser Frage Zeidler, Grundrechte und Grundentscheidungen, 1980.

218

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

demokratische Staatsverfassung einzutreten l89 • Schließlich kann das Interesse an der Integrität der Staatsverwaltung und der staatlichen Aufgabenerfüllung verlangen, daß bestimmte Bereiche für die wissenschaftliche Untersuchung nicht oder nur beschränkt zugänglich sind. Wie schon hervorgehoben, bedarf es dafür aber jeweils der besonderen Begründung, da ein prinzipieller staatlicher Geheimnisschutz dem Bekenntnis zur demokratischen Offenheit und der Schutzpflicht für die Wissenschaftsfreiheit widersprechen würde. Auf der allgemeinen Ebene ist, von der beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht, die nach Art. 33 Abs. 5 GG legitimiert werden kann, abgesehen, der staatliche Geheimnisschutz, ähnlich wie die stillschweigende Kompetenz für die vorbereitenden und begleitenden Maßnahmen, die zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind l90 , in die Aufgabenkompetenz einbezogen und daher als verfassungsrechtlich legitime Aufgabe und Schutzgut zu betrachten. Soweit sich das Bedürfnis nach wissenschaftlicher Erforschung der staatlichen Aufgabenwahrnehmung näher legitimieren kann, kommt es, wie bei der Grundrechtskollision, zum Schutzkonflikt, der durch die Abwägung der Schutzinteressen zu entscheiden ist. Nur durch die Zusammenarbeit von Praxis, Ressortforschung und interner Kontrolle mit der externen wissenschaftlichen Beobachtung und Kritik kann die staatliche Aufgabenwahrnehmung ständig so verbessert und sachgemäß angepaßt werden, wie es in ihrem eigenen Interesse liegt.

2.6 Kompetenzrecht Die Frage, ob auch Kompetenzvorschriften zur Einschränkung von Grundrechten ohne Schrankenvorbehalt herangezogen werden können, wurde zwar vom Bundesverfassungsgericht schon frühzeitig positiv beantwortd 91 , traf im Schrifttum aber auch auf Ablehnung oder Zweifel, so im Hinblick auf die formale und ausfüllungsbedürftige Seite des Kompetenzrechts l92 • Der OrgaDazu und zum folgenden auch unten 3.1. Vgl. Bullinger, Ungeschriebene Kompetenzen, 1971, 237 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 73,1988, Rn. 21-23. 191 BVerfGE 28, 243 (261) - Kriegsdienstverweigerung - zuvor hatte schon Ossenbühl, Verfassungsauslegung, 1965, S. 657 die Argumentationsfigur von der Einheit der Verfassung auch auf das Verhältnis zwischen Grundrechten und Kompetenznormen bezogen (so später auch v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 124 f.; Murswiek, Risiken der Technik, 1985, S. 273), womit zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß der verfassungsrechtliche Zusammenhang nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. 192 Mit dem Argument, daß andernfalls die Kompetenznormen sich wie einfache Gesetzesvorbehalte auswirken könnten, vgl. Dreier, Forschungsbegrenzung, 1980, 189

190

2. Schrankenbereiche

219

nisationszweck der einzelnen Kompetenzbestimmung als solcher kann keine inhaltliche Schrankenregelung darstellen. Zunächst bedeutet die Kompetenzregelung die Verteilung der Regelungszuständigkeit zwischen Bund und Ländern. Gleichzeitig wird aber die sachliche Kompetenz ausgesprochen, den genannten Gegenstand zum Regelungsgegenstand zu machen und damit stillschweigend die Pflicht, diese Kompetenz erforderlichenfalls auch wahrzunehmen, da sich die Kompetenzeinräumung und die Staatsaufgabenbestimmung nicht völlig voneinander trennen lassen 193 , sondern die Erteilung der Regelungsmacht in Beziehung mit den Staatszielbestimmungen und dem Allgemeinwohlzweck der Staatlichkeit steht. Die zur Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen notwendige Aufzählung derjenigen Regelungsgegenstände, die dem Bund vorbehalten sind oder von ihm beansprucht werden können, hebt aus dem Gesamtbereich der staatlichen Regelungsaufgaben die übergeordneten Komplexe heraus, für die eine zentrale Zuständigkeit unentbehrlich erscheint. Die ausdrückliche Hervorhebung erfüllt aber nicht nur eine technische Verteilungsfunktion, sondern schafft zugleich eine sachliche Legitimation, die sich auf einen materiellrechtlichen Gehalt bezieht. Die Kompetenzbestimmungen nehmen daher eine Doppelstellung von organisatorischer und inhaltlicher Aufgabenzuweisung ein 194 • Die Ermächtigung beschränkt sich nicht darauf, die Ausgestaltung der Regelungsbereiche als gesetzliche Rechtsgüter zu vermitteln, sondern legt sie mit der Thematisierung auch als inhaltliche Grundlage verfassungsrechtlich fest. Daher ist mit der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Regelungsinteressen zugleich eine Verfassungslegitimation verbunden, ohne daß die verfassungsrechtliche Bedeutung oder Reichweite damit klar abgesteckt wäre. S.473; Kloepfer, Tierversuchsbeschränkungen, 1986, S. 207. Ähnlich sieht Kriele, Vorbehaltlose Grundrechte, 1984, S. 631, den Ausnahmecharakter der verfassungsrechtlichen Beschränkung bei Heranziehung der Kompetenznormen in sein Gegenteil verkehrt und durch die Rechtsordnung ersetzt; ähnlich v. Kirchbach, Arzneimittelkontrolle, 1981, S. 105-109. Grds. ablehnend Menzel, Gehalt der Kompetenzbestimmungen, 1983. 193 Grds. Bull, Staatsaufgaben, 1977, bes. S. 52-55. Zu unterscheiden sind die prinzipielle Pflicht zur Erfüllung der Staatsaufgaben im Allgemeinwohlinteresse, das Ermessen, ob und wieweit Regelungsaufgaben zu erfüllen sind, und die Möglichkeit der Ermessenseinschränkung im besonderen Fall. 194 Grds. Pestalozza, Garantiegehalt der Kompetenznorm, 1972, bes. S. 167-170, 184 f., 187; sowie Bleckmann, Gehalt der Kompetenzbestimmungen, 1983, bes. S. 128 f., 132, 809; vgl. Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 339-342; v. Nieuwland, Immanente Grundrechtsschranken, 1981, S. 124-127; Wülfing, Gesetzesvorbehalte, 1981, S. 116-120; Murswiek, Risiken der Technik, 1985, S. 271; Lawrence, Grundrechtsschutz, 1989, S. 125 f.

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VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

Die Regelungsbefugnis als solche kann aber nicht durch andere Verfassungssätze ausgeschlossen werden; nur hinsichtlich der gesetzgeberischen Bewegungsfreiheit kommt es auf den verfassungsrechtlichen Stellenwert der Kompetenzregel im einzelnen an 195 • In der Verhältnismäßigkeit der Ausgestaltung 196 liegt zugleich die Notwendigkeit, die Kompetenzwahrnehmung in die Rechts- und Verfassungsordnung einzupassen (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG). Am Beispiel des Tierschutzes erläutere 97 , sind dessen Regelungsinteressen etwa Eigentumsschutz, Berufsfreiheit und Gewerbefreiheit als Grundrechte und objektive Ordnungsentscheidungen vorgegeben. Über die einschlägigen Gesetzesvorbehalte gewinnt der Gesetzgeber jedoch Zugang zum Regelungsbereich der vorgegebenen Rechte und kann jede den Voraussetzungen der Gesetzesvorbehalte folgende und aus der besonderen Kompetenz ableitbare Regelung treffen, soweit sie den betroffenen Regelungsbereich nicht unverhältnismäßig verändert. Gegenüber der Wissenschaftsfreiheit fehlt es an einem Vorbehalt für Regelungen, die aus dem Kompetenz- auf den Freiheitsbereich übergreifen. Einerseits könnte für die Einbeziehung der Wissenschaftsfreiheit in die Rechtsordnung eine einschränkende Auslegung der Schutzgarantie fruchtbar gemacht werden. Da dieser Weg der Schutzintention nicht gerecht werden kann, ist andererseits von einer Konfrontation auszugehen, die das Regelungsinteresse zugleich an den Freiheitsschutz bindet. Bei der Wahrnehmung der Regelungsmacht ist daher mit dem Wirkungsbereich der Wissenschaftsfreiheit ein rechtliches Auskommen zu suchen; insbesondere gestattet die Schrankenlosigkeit der Gewährleistung keinen speziellen Zugriff auf das Recht, sondern zwingt dazu, den Schutzbereich des Grundrechts möglichst ungeschmälert zu erhalten. Betrachtet man die Neufassung des Tierschutzgesetzes unter dieser Voraussetzung, zeigt sich, daß im Bereich der wissenschaftlichen Tierversuche

195 Vergleichbar mit der Frage, ob die Kompetenznorm nur Verfassungsrang hat oder auch als Verfassungsgut zu betrachten ist; vgl. Erbel, Rechtsschutz für Tiere, 1986, S. 1237, 1249; Kloepfer, Tierversuchsbeschränkung, 1986, S.206-208. Zur Aufgabe, den materiellen Kompetenzgehalt zur ergründen, Pestalozza, a.a.O., S. 171; Bleckmann, a.a.O., S. 130 f.; Sachs, Diskriminierungsverbot, 1987, S. 230 f.; Lawrence, a.a.O., S. 126-129. 196 Bezogen auf den materiellen Stellenwert und die grundrechtsbeschränkende Wirkung; zur entscheidenden Rolle der Angemessenheit der Ausgestaltung Pestalozza, Garantiegehalt, 1972, S. 169 f., 184 f.; Bleckmann, Gehalt der Kompetenzbestimmungen, 1983, S. 130; Schnapp, Grenzen, 1978, S. 734. 197 Näher Erbei, Rechtsschutz für Tiere, 1986; Kloepfer, Tierversuchsbeschränkungen, 1986; v. Heydebrand u. d. Lasa/Gruber, Tierversuche, 1986; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 443-451.

2. Schrankenbereiche

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eine Freigabe unter Mindestbedingungen vom Gesetzgeber als die Grenze seiner Regelungsmacht angenommen wurde. Damit ist dem Schutzanspruch der Wissenschaftsfreiheit weitestmöglich Rechnung getragen; Zweifel könnten höchstens insofern bestehen, als die Freigabe außerhalb der Grundlagenforschung nur zu einer bestimmten Anzahl von Zwecken eingeräumt wird. Forschungszwecke lassen sich kaum enumerativ begrenzen; andererseits sind die einzelnen Zwecke teilweise so weit gefaßt, daß die Auflistung im Ernstfall keine sachliche Begrenzung darstellt. Ferner könnte die Voraussetzung der Unerläßlichkeit der Durchführung für Zwecke, zu denen Tierversuche freigegeben sind, zuviel verlangen; berücksichtigt man, daß die besondere Forschungsproblematik des Antragstellers nicht übergangen werden kann und die Wissenschaftsfreiheit gegenüber grundsätzlich rechtfertigbaren Belangen der Rechtsordnung keine automatische Freistellung bedeutet, ist gegen die Bedingungen ebenfalls nichts einzuwenden l98 • Soweit es sich um Länderkompetenzen zur Gesetzgebung handelt, besteht keine Regelungsmacht, die dem grundrechtlichen Freiheitsbereich gegenüber Durchsetzung beanspruchen könnte, soweit keine Schrankenvorbehalte eingreifen (Art. 31 GG). Für das Verhältnis der Länderkompetenzen zu den Bundesgrundrechten im allgemeinen bieten die Regelungsvorbehalte der Grundrechte ein Verzahnungs- und Anpassungssystem l99 ; gegenüber vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten ist der Landesgesetzgeber aber machtlos, soweit er sich nicht auf bundesverfassungsrechtlich legitimierte Schutzinteressen berufen kann. Ein Beispiel stellt neben dem Hochschulrecht unter anderem das Denkmalschutzrecht dar. Sein Regelungszweck der Erhaltung kann sich neben der Schutzwirkung zugunsten von Kunst- und Forschungsgegenständen durchaus auch gegen künstlerische Umgestaltungsinteressen und das Interesse an der ungehinderten wissenschaftlichen Auswertung richten. Der Regelungszweck findet aber gleichzeitig eine grundrechtliche Stütze, die der Rechtfertigung notwendig mit ihm verknüpfter Einschränkungen dienen kann. Dabei liegt ein Teil der Kollisionsfragen innerhalb desselben Grundrechtsbereichs. So dient die Erhaltung künstlerisch wertvoller Denkmale der Freiheit objektivierter 198 Zweifel hinsichtlich der Darlegungslast des Forschers bei Erbei, a.a.O., S. 1238. - Die unterschiedliche Behandlung der heilmedizinischen und sonstigen Forschungsbereiche stellt ein Beispiel für die Notwendigkeit der materiellen Differenzierung bei verfassungsrechtlich erzwungenen Legitimitätsfragen dar. 199 Zu den unterschiedlichen Arten und Aufgaben der Vorbehalte vgl. Bachof, Freiheit des Berufs, 1958, S. 208; mit besonderer Terminologie Lerche, Übermaß, 1961, S. 98-134; i.S. einer grds. Definitionsaufgabe des Gesetzgebers Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, bes. S. 32-38, 116-125, 180-233. Auf den Unterschied zwischen Grundrechtsregelung und Ausgestaltung der Rechtsordnung (als nicht den Grundrechtsanspruch, sondern die Grundrechtsfreiheit betreffend) legt Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 128-152 Wert.

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VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

Kunst und der Freiheit der Kunsterfahrung 2OO ; zugleich kann sie künstlerische Veränderung oder die Neugestaltung verhindern und der Kunstfreiheit dadurch Grenzen ziehen. Wie hinsichtlich der Kunstfreiheit, gilt auch für das Verhältnis von Denkmalpflege und Forschungsfreiheit unter Umständen eine Ambivalenz der Schutzwirkung, die aber den überwiegenden Förderungseffekt im allgemeinen der Benachteiligung subjektiver Forschungsansprüche im Einzelfall vorgehen läßt. Der subjektiven Freiheit ist jedoch, soweit sie nicht ohne Beschränkung bleiben kann, weitestmöglich entgegenzukommen und das Erhaltungsinteresse, das neben künstlerischen auch wissenschaftlichen Interessen dienen kann, dem individuellen Forschungsinteresse nur, soweit im allgemeinen Kunst- und Forschungsinteresse erforderlich, vorzuziehen 20I • Die Kompetenzwahrnehmung dient der Erfüllung von Staatsaufgaben und damit der Verwirklichung von Allgemeinwohlzwecken, konkretisiert durch bestimmte öffentliche Interessen; diese sind in den Kompetenzvorschriften vorformuliert und in deren Rahmen nach Maßgabe der Staatszielbestimmungen einschließlich der grundrechtlichen Ordnung näher zu bestimmen und durchzusetzen. Als Staatsorganisationsrecht sind die Kompetenznormen dem Schutzbereich der Grundrechte entzogen; unter dem Aspekt der inhaltlichen Aufgabenbestimmung können die Kompetenznormen in den Schutzbereich der Grundrechte geraten. Die Rechtswirkung der Grundrechte kann aber erst eintreten, wenn die Aufgabenbestimmung in die Aufgabenwahrnehmung, d.h. in die praktische Rechtsgestaltung umgesetzt wird. Die Ausformung des Grundrechtsschutzes entscheidet darüber, wieweit die verfassungsrechtlich vorgesehene Aufgabenwahrnehmung in der allgemeinen Rechtsordnung durchgesetzt werden kann.

3. Besondere Rechtslagen 3.1 Staatliche Aufgabenerfüllung Besondere Konfliktbereiche zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem sonstigen Verfassungsrecht bestehen, soweit bei der Erfüllung staatlicher Verwaltungsaufgaben wissenschaftliche Arbeit eingesetzt wird202 • Einerseits

Vgl. Heckel, Staat, Kirche, Kunst, 1968, S. 76-95. Was für die Genehmigungspraxis hinsichtlich privater Forschungsvorhaben zu beachten ist; vgl. Oebbecke, Bodendenkmalpflege, 1983, S. 387 f. 202 Zur Ressortforschung Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 87, 1979, Rn. 21. Der Hinweis von Meusel, Staatliche Einflußnahme, 1982, S. 1282 bezieht sich nur auf die 200 201

3. Besondere Rechtslagen

223

besteht das staatliche Direktionsrecht, andererseits die staatliche Pflicht, die Selbständigkeit der wissenschaftlichen Tätigkeit zu achten. Abzugrenzen ist in diesen Fällen nach der organisatorischen Zuordnung; wenn die wissenschaftliche Arbeit Hilfstätigkeit zum Zweck der staatlichen Aufgabenerfüllung darstellt, hat der Staat sich zwar aus der Eigengesetzlichkeit des wissenschaftlichen Erkenntnisverfahrens herauszuhalten, die Frage, zu welchem Zweck und in welchem Umfang er es einsetzen und die Ergebnisse berücksichtigen will, bleibt ihm aber zur Entscheidung vorbehalten. Auch die Freiheit des Wirkbereichs, die freie Verfügbarkeit über die Forschungsergebnisse, hat sich den staatlichen Entscheidungsinteressen anzupassen. Darin liegt zunächst keine Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit im subjektiven und objektiven Sinn, da es grundsätzlich im Ermessen des Staates liegt, wieweit er im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung durch staatliche Mittel die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung als Teil des Verfahrens vorsehen oder auf andere Weise verfügbar machen will. Setzt er sie als Teil des eigenen Tätigkeitsbereiches ein, ist er ihr nicht zu größerer Freiheit verpflichtet als bei der Möglichkeit, in freier Auswahl wissenschaftliche Erkenntnisse von außen zu übernehmen. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß die staatliche Aufgabenerfüllung prinzipiell dem Gebot der sachlichen Wahrheit und Richtigkeit unterstellt ist und keine Willkür verträgt, sondern maximale Verantwortung verlangt, das Ermessen also zur weitestgehenden Berücksichtigung wissenschaftlicher Wahrheitsinteressen angeleitet ist. Außerdem kann die Verpflichtung der Aufgabenerfüllung auf das öffentliche Wohl den Ermessensspielraum auch ausdrücklich zugunsten der Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse einengen. Grundsätzlich ist für jede Entscheidung, die von einer wissenschaftlich erarbeiteten oder zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Sachgrundlage abweicht, eine hinreichende Begründung erforderlich. Dem wissenschaftlichen oder mit wissenschaftlichen Aufgaben betrauten Mitarbeiter im Bereich der Ressortforschung verschafft das Wissenschaftsgrundrecht jedoch keine besondere Verwaltungskompetenz und keinen allgemeinen Begründungsanspruch; vielmehr richtet sich seine grundrechtliche Rechtsstellung nach der allgemeinen Reichweite der Grundrechtsberechtigung im öffentlichen Diense03 • Die Grundrechtswahrnehmung ist daher im Einklang mit

prinzipielle Grundrechtsgeltung im besonderen Gewaltverhältnis der Ressortforschung (vgl. S. 1283 die Auseinandersetzung mit Köttgen, Freiheit, 1954), ohne an dieser Stelle die Begrenzungsmöglichkeiten zu erörtern. Vgl., auch zum folgenden, Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 306-359, 458-463. 203 Oder, in allgemeinerem Rahmen, nach der Grundrechtswahmehmbarkeit im besonderen Staat-Bürger-Verhältnis; vgl. Stern, Staatsrecht III /1, 1989, § 74 III S. 1376-1394; Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 361-366.

224

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

der staatlichen Aufgabenwahrnehm'lng zu halten, deren Grenzen nach dem Sinn und Zweck der Zuständigkeit abzustecken sind. Anforderungen der staatlichen Seite sind im Rahmen des Art. 33 Abs. 5 GG oder als Verfassungsbelange auf kompetenzieller Grundlage unmittelbar mit der Grundrechtsberechtigung in Übereinstimmung zu bringen. Gleichzeitig ist der übergreifende Zusammenhang, den das Wissenschaftsgrundrecht herstellt, zu berücksichtigen und je nach der Ausgestaltung der wissenschaftlichen Aufgabenwahrnehmung ein besonderer Anspruch auf Anhörung hinsichtlich der aus der wissenschaftlichen Amtstätigkeit gewonnenen Ergebnisse anzunehmen 204 . Auch soweit es um die außerdienstliche Verfügbarkeit amtlich gewonnener Forschungsergebnisse geht, sind das staatliche Bestimmungsrecht und die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit nicht als grundsätzlich vorrangig zu betrachten. Vielmehr ergibt sich aus der Wissenschaftsfreiheit ein Abwehranspruch gegen nicht legitimierte Bindungen. Soweit daher die Umstände für ein den dienstlichen Interessen nicht widerstreitendes Verfügungsinteresse sprechen, etwa hinsichtlich der Veröffentlichung von nicht im besonderen geheimhaltungsbedürftigen Forschungsergebnissen in neutraler Form, kann die Versagung oder Behinderung eine Grundrechtsverletzung bedeuten. Jedenfalls spricht nur die allgemeine Ausgangslage zugunsten amtlicher Restriktionsrechte; im Zweifelsfall bedürfen diese aber einer besonderen Rechtfertigung 205 . In einer Gegenüberstellung von Amtsverschwiegenheit und wissenschaftlichem Veröffentlichungsinteresse hat das Bundesverwaltungsgericht vor allem wegen vorinstanzlich unterstellter zu befürchtender Auswirkungen der Veröffentlichung auf den Arbeitsfrieden in der öffentlichen Verwaltung die Geheimhaltungsinteressen als vorrangig gewertee 06 • Eine nähere Begründung für die Einschätzung der tatrichterlich festgestellten Befürchtung wird nicht mitgeteilt. Ebenso bleibt die Beurteilung des Veröffentlichungsinteresses ohne nähere Begründung207 • Grundsätzlich ist aber weder hinsichtlich der dritt-, 204 Nur wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß eine sachwidrige Unterdrückung wissenschaftlicher Erkenntnisse in einen rechtswidrigen Verstoß gegen Amtspflichten und damit in eine rechtswidrige Gebundenheit des Mitarbeiters umschlägt, steht ihm darüber hinaus der besondere Dienstweg offen (§ 38 Abs. 2 BRRG). 205 Vgl. die KlarsteIlung hinsichtlich des strafrechtlichen Geheirnnisschutzes bei Ridder / Stein, Schutz von Staatsgeheimnissen, 1986. 206 BVerwGE 37, 265 - Veröffentlichung einer Dissertation. 207 Die Äußerungen über die wissenschaftliche Bedeutung des Veröffentlichungsobjekts in diesem Zusammenhang sind nicht grundsätzlich bedenklich - so Schmitt Glaeser, in: GaUner, Konfliktträchtigkeit moderner Forschung, 1976, S. 145 -, sondern unzureichend. Zwischen der erforderlichen Feststellung der Wissenschaftlichkeit,

3. Besondere Rechtslagen

225

noch der staatsschützenden Aufgabe der Geheimhaltungspflicheo8 von einem unbedingten Vorrang vor Forschungsinteressen auszugehen; vielmehr sind die entgegenstehenden Schutzbelange jeweils abzuwägen, wofür es auch einer Beurteilung der Tragweite des wissenschaftlichen Veröffentlichungsinteresses bedarf. Ansichten, wonach aus dem verfassungsrechtlich grundsätzlich legitimierten öffentlichen Interesse an der Geheimhaltungspfliche09 eine grundSätzliche Verdrängung der - ebenfalls im öffentlichen Interesse stehenden - Wissenschafts freiheit abzuleiten ist, sind abzulehnen 21O • Wenn der Zweck der staatlichen Aufgabenerfüllung gerade der Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit dient, ergeben sich funktionelle Grenzen allein aus den Voraussetzungen für die Wahrnehmbarkeit2l1 . Über die Sicherung der existentiellen und organisatorischen Bedingungen hinaus ist in diesem Fall jede begrenzende Einflußnahme untersagt. Soweit jedoch zusätzliche Förderungsleistungen gewährt werden, können über Projekte und Aufträge auch bestimmte Steuerungsinteressen geltend gemacht werden. Außerdem ermächtigt das Eingriffsverbot den Staat nicht, gegen selbstgewählte Interessenorientierungen einzuschreiten, da er die selbstbestimmte Wahrnehmung durch die Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisationen zu achten hat, auch wenn sie eine gewisse Abhängigkeit wählt. Die schon erwähnte Gefahr auch der institutionell-autonomen Wissenschaft, zunehmend in wirtschaftlichen Interessenfeldern aufzugehen, der Steuerung durch eine projektorientierte Förderung anheimzufallen und immer stärker zum Wissenschaftsbetrieb zu werden, der in die Breite drängt212 , läßt sich teilweise auch als Folge der Freiheit und unbeschränkbaren Selbstbestimmbarkeit sehen. Je stärker aber bestimmte Sachinteressen die wissenschaftliche Entwicklung beeinflussen, desto mehr kommt die staatliche Verantwortung für eine neutrale, grundSätzlich interessenfreie Wissenschaft zum Tragen. Der Ordnungs-

unzulässigen Wertungen, die diese einschränken, und der Beurteilung des Gewichts des geltend gemachten Interesses ist zu unterscheiden. 208 Schrödter, Wissenschaftsfreiheit, 1974, S. 163-172. 209 Aufgrund verfassungsrechtlicher Anerkennung der hergebrachten beamtenrechtlichen Grundsätze in Art. 33 Abs. 5 GG; vgl. hinsichtlich der politischen Treuepflicht BVerfGE 39, 349; zur Auslegung im Lichte der Wissenschaftsfreiheit VG Berlin NJW 1989, 1688. 210 Andererseits ist der Entgegensetzung von wissenschaftlicher Überzeugung und Weisungsgebundenheit sowie Amtsverschwiegenheit bei Kitzinger, Freiheit, 1930, S. 499 f., 501 f., die zugunsten der wissenschaftlichen Wahrheit ausfällt, nicht generell, sondern nur bei Ausweglosigkeit und für den Fall überwiegender Schutzbelange auf seiten des Beamten zu folgen. 211 BVerfGE 35, 79 (122) - Hochschulurteil. 212 Vgl. oben V. 2.4.3.3. 15 l..osch

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VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

gedanke der Wissenschaftsfreiheit verbietet jedenfalls ein Ausmaß an instrumentalisierendem Einfluß, das den Autonomiegrundsatz unterläuft. Dem wirkt die Dienstpflicht zur selbständigen Aufgabenerfüllung sowie die Pflicht zur Mitteilung über die Aufgabenwahrnehmung in der Drittmittelforschung entgegen 2I3 • Zwar soll der staatlich gewährleistete Freiraum für die wissenschaftliche Entfaltung nicht zur einseitigen Wahrnehmung wirtschaftlicher, militärischer oder gesellschaftspolitischer Interessen führen. Andererseits soll die Universität aber keine Stätte der wirklichkeitsfremden Wissenschaftspflege sein. sondern hat sich auch am praktischen Wissensfortschritt und -bedarf zu orientieren und eine förderliche Wechselwirkung mit den besonderen staatlichen. den kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessenbereichen anzustreben, um ihre wissenschaftstragende Rolle umfassend auszufüllen 214 . Das schon erwähnte Problem des staatlichen Geheimnisschutzes tritt auch auf der universitären Ebene in der besonderen Form der dort wahrzunehmenden Belange auf215 . So kann es zum Konflikt von Geheimhaltungsinteressen mit den Aufgaben der Universität und mit dem Schutz zweck der Wissenschaftsfreiheit kommen. Zu unterscheiden ist zwischen dem staatlich vorbehaltenen und mit anderen externen Partnern vereinbarten Geheimnisschutz sowie selbständigen institutionsinternen Geheimhaltungsinteressen. In diesem Zusammenhang ist vor allem an militärische und im Konkurrenzbereich der Wirtschaft liegende Forschungen zu denken. Aber auch die fachwissenschaftliche Konkurrenz kann eine vorschnelle Publizität unerwünscht machen. Geheime Forschungsprojekte können sowohl an die Universität als auch an den einzelnen Wissenschaftler herangetragen werden. Im ersten Fall kann sich die Universität entscheiden, ob sie die Anregung aufgreifen. an ihre Mitglieder weitervermitteln und in welchem Umfang sie sich zur Zusammenarbeit bereit erklären will. Im zweiten Fall trifft der einzelne Wissenschaftler die Entscheidung, ob er ein entsprechendes Projekt im Rahmen seiner Dienstpflichten und organisatorischen Möglichkeiten übernehmen will und hat gegebenenfalls die Universität darüber zu informieren. Diese kann ihm seine Entscheidung nicht streitig machen, soweit die Hochschulaufgaben nicht beeinträchtigt werden und keine Lasten entstehen 216 ; sie braucht sich aber

213 Vgl. zur Einbindung der Drittmittelforschung in die Universität § 25 HRG; Heckmann, Drittmittelforschung, 1982. 214 Grds. Oppennann, Universität und Wissenschaft, 1983. 215 Grds. Altmann, Star Wars, 1988; ferner Angerer, Chemische Waffen, 1985, bes. S. 98 f., 105 f.; Quitzow, Naturwissenschaftler zwischen Krieg und Frieden, 1986. 216 Vgl. § 25 Abs. 2,3 HRG.

3. Besondere Rechtslagen

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nicht zu einer ihr nicht erwünscht erscheinenden Kooperation darüber hinaus bereit erklären. Die Entscheidung der Universität hat sich an ihren Aufgaben zu orientieren, die vor allem auf die Entwicklung der Wissenschaften, die wissenschaftliche Berufsausbildung und den wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch gerichtet sind217 • Dazu gehört - angesichts der Öffentlichkeits wirksamkeit der Aufgaben - nicht nur die Kompetenz, sondern auch die Pflicht, die Öffentlichkeit über die Aufgabenerfüllung zu unterrichten 218 . Da die Aufgabenerfüllung der freien Entfaltung der Wissenschaften zu dienen hat, ist sie grundsätzlich selbständig und in freier Entscheidung über die Forschung und Lehre wahrzunehmen. Geheime Forschungsprojekte belassen zwar die Freiheit in der Entscheidung, ob sie übernommen werden und wie sie im Rahmen der AufgabensteIlung zu bearbeiten sind, die Geheimhaltung bedeutet aber, daß der freie Erfahrungsaustausch im Forschungsprozeß und die Verfügbarkeit über die Ergebnisse grundsätzlich eingeschränkt sind, ohne daß gleichzeitig ein frei verwendbarer Wissens zuwachs und Forschungsgewinn ausgeschlossen ist. Die Impulse für die allgemeine Entwicklung können sogar beträchtlich sein, wie oft im Zusammenhang mit der Raumfahrtforschung hervorgehoben wird. Die Forschungsleistungen werden daher nicht aus der Wissenschaftsentwicklung ausgeklammert. Die freie Entfaltung der Wissenschaften an der Universität dient dem Zweck der Vermittlung, die durch die Lehre und wissenschaftliche Ausbildung sowie den Wissensaustausch geleistet wird. Diese Vermittlungsaufgabe wird im geheimen Forschungsbereich, soweit er nicht die Nachwuchsbildung einbezieht und frei verfügbare Ergebnisse liefert, erheblich eingeschränkt. Im Vergleich zu den Gesamtleistungen der Aufgabenerfüllung kann im geheimen Forschungsbereich aber ein geringer Anteil liegen. Außerdem ist die Möglichkeit des indirekten Informationsgewinns zu berücksichtigen. Die Aufgabenerfüllung kann daher durch Geheimprojekte zwar belastet werden, ein Widerspruch entsteht aber nur, wenn, wie bei der sonstigen Kooperation mit bestimmten Interessenträgern, so große Anteile der Forschungskapazitäten festgelegt werden, daß die erforderlichen Dispositionsspielräume gegenüber dem Ziel der freien Wissenschaftsentfaltung und dem Zweck der Wissens vermittlung unverhältnismäßig ausgedehnt werden. Im Hinblick auf die Information der Öffentlichkeit über die Aufgabenerfüllung ergeben sich insofern keine besonderen Probleme, als die Informa-

217 218

1990. 15'

Vgl. § 2 HRG. § 2 Abs. 8 HRG. Vgl. Meusel, Veröffentlichungspflicht und Geheimhaltung,

228

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

tionspflicht keine ins einzelne gehende Rechenschaftspflicht bedeutet und angemessen, aber nicht undifferenziert zu erfüllen ist219 • Damit verträgt sich der Geheimnisschutz von Forschungsaktivitäten, soweit diese mit der Aufgabenerfüllung vereinbar sind. Die in das Ermessen gestellte Frage, wie weit die Informationspflicht zu gehen hat, kann jedoch Schwierigkeiten bereiten, wenn nicht allein die quantitative Beteiligung an geheimen Forschungsprojekten, sondern auch deren qualitative Bedeutung ins Gewicht fällt und daher ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit an näheren Informationen unterstellt werden kann. Die Pflicht zur Tätigkeitsinformation könnte in diesen Fällen durch eine hervorgehobene demokratische Verantwortung verstärkt sein. Diese Situation könnte vor allem auf bedeutsame Forschungsprojekte, wie etwa zur Frage des Engagements in der militärischen Forschung, und auf besonders gefahrgeneigte Forschungsaktivitäten, zum Beispiel im gentechnologischen Bereich, sowie auf gesellschaftspolitisch wichtig erscheinende Projekte, wie etwa die Automatisierung im Arbeitsprozeß, zutreffen220 • Wie weit jedoch der Beitrag des einzelnen Forschers und der Universität mit ihren Projekten jeweils in diese Zusammenhänge hineinreicht und praktische Bedeutung erlangt, kann nicht allein nach der fachmännischen und der den Universitäten zugänglichen Informationslage beurteilt werden, sondern hängt auch von der Rückbindung an die Interessen der Auftraggeber ab. Die Wissenschaftler und die Universität haben daher zum einen übergeordnete Verantwortungsbereiche zu wahren; zum anderen können sie nur eine auf der Grundlage ihres Arbeitsbereichs beruhende Erwägung darüber anstellen, in welchem Ausmaß eine Informationsverantwortung anzunehmen ist. Die allgemeine politische Bedeutsamkeit bestimmter Projekte reicht für sich allein nicht aus, eine gesteigerte Informationspflicht anzunehmen. Die Universität hat daher nach eigener Einschätzung den Weg der bestmöglichen Informationspolitik zu wählen, der ein angemessenes Bild ihrer Arbeit vermittelt und der Öffentlichkeit die von ihrem Standpunkt aus vertretbaren Informationen über ihre Forschungsaktivitäten zukommen läßt, auch unter dem Gesichtspunkt, wie weit die Informationen zur Ergänzung der demokratischen Meinungsbildung jeweils geeignet sind. Zu unterscheiden von der allgemeinen Informationspflicht ist die gesetzliche Anordnung, daß die Forschungen im Drittmittelbereich veröffentlich

219 Vgl. Dallinger/Bode/Dellian, Hochschulrahmengesetz, 1978, § 2 Rn. 16; Reich, Hochschulrahmengesetz, 1979, § 2 Rn. 10; Denninger, Hochschulrahmenge-

setz, 1984, § 2 Rn. 41. 220 So werden laut Presseberichten von verschiedenen Interessengruppen immer wieder nähere Auskunftsbegehren geltend gemacht.

3. Besondere Rechtslagen

229

werden sollen221 • Damit wird bezweckt, daß auch die Forschungsleistungen, die über den von der Hochschule ermöglichten Rahmen hinaus durch Drittfinanzierung getragen werden, soweit wie möglich dem freien wissenschaftlichen Informationsaustausch zugänglich gemacht und nicht aus der grundsätzlichen Öffentlichkeit der staatlich getragenen Wissenschaftsentfaltung ausgeklammert werden. Nicht gemeint ist die Information der Öffentlichkeit über die Drittmittelforschung; diese Aufgabe ist in die allgemeine Informationspflicht einbezogen. Die einschränkende Form der genannten Veröffentlichungspflicht ist im übrigen erforderlich, um berechtigte Interessen an der Verfügung über die Forschungsergebnisse zu wahren und einem erforderlichen Geheimnisschutz Rechnung zu tragen 222 • Daraus geht gleichzeitig hervor, daß sich die allgemeine Informationspflicht über die Aufgabenerfüllung ebenfalls nicht über diese Anforderungen hinwegsetzen darf. Da der Gedanke der wissenschaftlichen Publizität und die Pflicht zur Information über die Aufgabenerfüllung der Hochschulen sich auf unterschiedliche Öffentlichkeitsbereiche beziehen, wird die Pflicht zur allgemeinen Öffentlichkeitsinformation, die sich auf die Hochschulaktivitäten im Drittmittelbereich erstreckt, andererseits auch nicht durch die dafür angeordnete besondere Veröffentlichungspflicht eingeschränkt oder ersetzt. Auch die Tatsache, daß die wissenschaftliche Veröffentlichungspraxis indirekt zur allgemeinen Öffentlichkeitsinformation beiträgt, kann die Informationspflicht über die Aufgabenerfüllung der Hochschulen und damit zugleich über die Drittmittelforschungen nicht entlasten. Wie die Pflicht im einzelnen zu erfüllen ist, bleibt aber der Hochschule überlassen. Im Verhältnis zwischen der Universität und den einzelnen Wissenschaftlern sowie zwischen diesen und den anderen Universitätsmitgliedern sind die persönlichen und die Gremienentscheidungen zu achten, auch wenn in Fragen der Geheimforschung Meinungsverschiedenheiten bestehen. Wie weit der einzelne Wissenschaftler universitäre Projekte unterstützen kann, richtet sich nach seinen Forschungskapazitäten. Darüber hinaus bleibt seine Entscheidung frei. Wieweit die Universität dem einzelnen Wissenschaftler ihre Unterstützung gewähren kann, hängt von den Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung ab; damit ist ein Ermessensspielraum für die Berücksichtigung der universitären Aufgabenpolitik verbunden. An dieser wirken die Beteiligten mit und in diese haben sie ihre Vorstellungen von der Verantwortung der Univer-

221

§ 25 Abs. 2, 2. HS HRG. Vgl. Meusel (Fn. 218).

222 Ausf. Hailbronner, Hochschulrahmengesetz, 1990, § 25 Rn. 9 (m.w.N.); vgl. Denninger, Hochschulrahmengesetz, 1984, § 25 Rn. 8 f.; strenger Reich, Hochschulrahmengesetz, 1979, § 25 Rn. 3.

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VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

sität und der Wissenschaftler einzubringen; zugleich sind SIe aber an die gemeinsam getroffenen Entscheidungen gebunden. Die immer größer gewordene Bedeutung der Wissenschaften für das praktische Leben und die damit verbundene Verantwortung der Wissenschaftler und wissenschaftlichen Institutionen für die Auswirkungen ihrer Arbeit auf die natürliche, die technische und die soziale Umwelt hat sich auch in der Informationspolitik niederzuschlagen. Doch kann diese nicht einseitig zum Instrument einer besonderen politischen Verantwortungsaufgabe ausgeweitet werden, an der die Gesamtheit der politischen Entscheidungsprozesse mitzuwirken hat. Andererseits entwickelt sich die kritische Reflexion über die Auswirkungen der wissenschaftlichen Tätigkeit und die fachmännische Stellungnahme dazu sowie die gezielte Folgen- und Integrationsforschung zu einer zunehmenden Aufgabe der wissenschaftlichen Tätigkeit an der Universität und bildet gegenüber der hergebrachten Informationspflicht einen selbständigen Verantwortungsbereich. Gerade die Universitäten, die eine Vielfalt der wissenschaftlichen Fachrichtungen pflegen und auf der Grundlage der freien, allseitig innovativen Wissenschaftsentfaltung arbeiten, erscheinen dafür geeignet, die immer dringlicher werdenden Fragen der Folgenverantwortung in ihre Arbeitsprogramme aufzunehmen. Der Sinn und Zweck der Hochschulaufgaben läßt sich heute nicht mehr anders verstehen, als durch diese Aufgabenvertiefung und -erweiterung bestimmt. Das Problem der Geheimforschung kann in diesem weiteren Rahmen eine gründlichere praktische Berücksichtigung finden, als es im Rahmen der allgemeinen Informationspflicht denkbar ist223 • 3.2 Sachliche und institutionelle Schranken Di~ Frage, wieweit durch mehr oder weniger große Anerkennung innerhalb und außerhalb der wissenschaftlichen Praxis der Einflußbereich bestimmter Wissenschaftsgebiete und -vertreter ausgedehnt oder beschränkt und dadurch der Freiheitsbereich mitbetroffen wird, läßt erkennen, daß die Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit nur einen Rahmen zur Verfügung stellt, die Tragweite im Einzelfall aber von praktischen Perspektiven her bestimmt wird. Soweit dafür nicht nur qualitative sondern auch quantitative Voraussetzungen mitverantwortlich sind, können erhebliche praktische Einwirkungen auf die Wissenschaftsfreiheit vorgenommen werden, die für die Realität der Gewährleistung eine große Rolle spielen und indirekt auch über

223

Vgl. zu entsprechenden Grenzen der Folgenforschung aber unten VII.3.2.

3. Besondere Rechtslagen

231

die Schranken mitbestimmen 224 • Die staatliche Förderungspflicht wird durch die Wissenschaftsfreiheit zwar auf möglichst umfassende und nicht einseitige Entfaltungsfreiheit festgelegt, aber die Dynamik der Entwicklung, die durch sachbestimmte Schwerpunktbildungen - veranlaßt durch den praktischen Forschungsbedarf, die Konkurrenz und die fachliche Anerkennung hervorgerufen wird, soll dadurch nicht eingeengt, sondern zum Nutzen der Entfaltungsfreiheit unterstützt werden. Wo die Schranke der sachlich angemessenen Differenzierung von Förderungsleistungen und der Steuerung durch die Wissenschaftspolitik zu liegen hat, läßt sich nur durch die Zusammenarbeit der beteiligten Verantwortungs bereiche angemessen entscheiden. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage aufgeworfen, ob auf die Ausstattung mit Arbeitsmitteln ein Anspruch besteht. Die Betrachtung allein vom grundrechtlichen Rechtsstatus aus, der prinzipiell keinen Leistungsanspruch umfaßt, ist unzureichend, da sich die Frage der Ausstattung nach der gesamten berufsrechtlichen Rechtslage richtet 225 • Eine Anstellung unter Versagung der Mittel, die zur Erfüllung des Anstellungszwecks grundsätzlich erforderlich sind, würde der Anstellung widersprechen. Ein Anspruch auf entsprechende Grundausstattung ist daher Teil der Einräumung der beruflichen Position 226 • Alles weitere richtet sich nach Gleichberechtigungsgrundsätzen und individuellen Vereinbarungen. Das Qualifikations- und ihm entsprechende System beruflicher Positionen eröffnet dem einzelnen Wissenschaftler einen wichtigen Einfluß auf den Stand und die Entwicklung der Wissenschaft. Staatliche Mitspracherechte hinsichtlich öffentlicher und öffentlich geförderter Wissenschaftsinstitutionen und Verfahren, die zur Objektivierung veranlassen, sind daher unentbehrlich. Ebenso stellen Mitspracherechte in Partizipationsbereichen keine überflüssige Belastung dar, wie teilweise betont wird 227 , sondern tragen zur Versachlichung persönlicher Einflußbereiche und zur prinzipiell erforderlichen Öffent-

224 Vgl. Oppermann, Freiheit, 1989, S. 824 f. Zur Mittelverteilung in der Hochschule Schuster, Hochschulhaushaltsrecht, 1982; vgl. Bethge, Wissenschaftsrecht, 1990, S. 735-738. 225 Grds. Hailbronner, Freiheit, 1979, S. 125-132, der von der grundrechtlichen Funktionsberechtigung die prinzipiell darauf bezogene leistungsrechtliche Seite umfaßt sieht und hinsichtlich weiterer Fragen der institutionellen Förderung die Differenzierungsproblematik erläutert (S. 272-277). 226 Die geprägt wird von der institutionellen Teilhabe und dem Zweck der Grundrechtswahrnehmungsmöglichkeiten (vgl. Oppermann, Freiheit, 1990, S. 825 Rn. 29), aber keinen unmittelbaren grundrechtlichen Ausstattungsanspruch vermittelt (vgl. Bethge, Wissenschaftsrecht, 1990, S. 737). 227 Stellvertretend Rupp, Deutsches Hochschulwesen, 1982, S.48-50; ders., Hochschulische Selbstverwaltung, 1973, S. 926-930.

232

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

lichkeit bei 228 • Die Schranken, die durch die Einbeziehung in den institutionellen Funktionsbereich und die gleichberechtigt organisierte Selbstverwaltung gesetzt werden, sind weitgehend rechtlich vermittelte Sachschranken, die sich aus der institutionellen Sicherung der Grundrechtsausübung ergeben. Sie sind daher besonders durch Gleichberechtigungsprobleme geprägt. Das komplexe Zusammenspiel zwischen staatlicher Förderung, institutioneller Organisation und individueller wissenschaftlicher Leistung wird durch die Einbeziehung in den institutionellen Rahmen maßgebend mitgeformt, da dieser einen eigenständigen Funktionsbereich schafft, dem eine gemeinsame, institutionelle Aufgabenerfüllung obliegt229 • Diese führt zu einer selbständigen wissenschaftspolitischen Rolle 230 , die sich jedoch über den institutionellen Zweck, der vor allem darin besteht, die ungehinderte Wissenschaftsentfaltung zu ermöglichen und eine neutrale Stätte der Wissensehaftspflege zu bilden, nicht hinwegsetzen darf. Gleichzeitig ist aber eine gemeinsame institutionelle Entfaltungsfreiheit zu gewinnen, die sich in einem autonomen Aktionskreis auspräge 3l , der nicht ohne selbständigen Handlungsspielraum auf der Grundlage des Zusammenwirkens auskommt. Die Frage, wie weit eine kollektive Bewegungsfreiheit nach innen besteht, kann sich auch bei der wissenschaftspolitischen Orientierung der Hochschulen auswirken, so etwa, was die erwähnte Kooperation mit der Wirtschaft und mIt gesellschaftlichen Gruppen oder den Aufbau bestimmter Forschungsschwerpunkte betrifft, einschließlich der Berücksichtigung der in jüngster Zeit angemahnten besonderen Wissenschaftsverantwortung, zum Beispiel durch die Errichtung von Ethikzentren oder durch Maßnahmen der Integrations- und Folgenforschung. Der Primärzweck der Institution erlaubt aber, soweit die individuelle Wissenschaftsfreiheit betroffen ist, nur gemeinsam getragene Entscheidungen, und das Mehrheitsprinzip darf nicht dazu dienen, die individuelle Entfaltungsfreiheit einzuschränken. Mehrheitsentscheidungen haben sich daher in einem Rahmen zu bewegen, der die Erfüllung der verschiedenen institutionellen Aufgaben ohne Beeinträchtigung der individuellen Rechtsstellung erlaubt.

228 Krit. zur Gefahr der sachfremden Politisierung von Verwaltungsentscheidungen jedoch Rupp, a.a.O., 1982, S. 46 f.; Kewenig, Wissenschaftsfreiheit, 1989, Sp. 1102. Grds. Oppennann, Universität und Wissenschaft, 1983, S. 860-863. 229 Grds. Thieme, Hochschulrecht, 1986. Zur Ausbildungsaufgabe auch Theis, Ausbildungs- und Wissenschaftsfreiheit, 1987, bes. S. 1-157; zum Weiterbildungsauftrag Battis, Wissenschaftliche Weiterbildung, 1989. 230 Vgl. Oppennann, Universität und Wissenschaft, 1983. 231 Grds. Knemeyer, Hochschulautonornie, 1982; ders., Freiheit, 1982; vgl. Oppermann, Selbstverwaltung, 1982; ders., Hochschulaufsicht, 1982; v. Mangoldt, Universität und Staat, 1979.

3. Besondere Rechtslagen

233

Soweit sich daher die Entwicklung institutioneller oder kollektiver Initiativen nachteilig auf die individuelle Bewegungsfreiheit auswirkt, ist die Zustimmung der Betroffenen erforderlich. Daraus darf aber kein Recht zur Behinderung kollektiver Anliegen abgeleitet werden. Die Stellung in der Institution verlangt vielmehr die Bereitschaft zum förderlichen Zusammenwirken und muß ein Mindestmaß an Durchsetzbarkeit kollektiver Interessen ermöglichen. Das Spannungsverhältnis erscheint als Kollision zwischen dem gleichberechtigten individuellen Grundrechtsschutz sowie zwischen dem individuellen und kollektiven Grundrechtsschutz232 einschließlich der Konkurrenz gleichzeitig einschlägiger, unterschiedlicher und unterschiedlich beschränkbarer Grundrechte233 . In § 3 HRG wird der grundrechtliche Schutzbereich in den Rahmen der zu seiner Realisierbarkeit dienenden staatlich getragenen und schutzentsprechend organisierten Institution gestellt; damit soll die verfassungsrechtliche Unantastbarkeit der Forschungsfreiheit mit den Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Freiheit vereinbart werden. Die damit ins Blickfeld gelangenden Berührungsbereiche zwischen der Selbständigkeit des Wissenschaftlers und seiner Einbeziehung in die Institution und deren Organisation, die eine wesentliche Grundlage seiner Tätigkeit bildet, werden unter den Vorbehalt gestellt, daß sie die Wissenschaftsfreiheit nicht beeinträchtigen dürfen. Andererseits ist eine selbständige Grundrechtsberechtigung der Institution und eine kollektive Grundrechtsberechtigung innerhalb der Institution 234 anzunehmen, ohne daß sich der Zweck der Berechtigungen ausschließlich individualisieren ließe. Das Verständnis der institutionell getragenen Wissenschaftsfreiheit als FunktionsgruRdrecht stellt sich eher auf die nicht ausklammerbaren Folgen ein 235 , verlegt jedoch die Auseinandersetzung zwischen der individuellen und gemeinschaftlichen Rechtsstellung nur in den Grundrechtsschutzbereich hinein. Richtig daran ist, daß die qualitative Veränderung des individuellen Freiheitsrechts im institutionellen Rahmen deutlich gemacht wird. Da

232 Vgl. Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 89-92. Dazu wird auch die Kollision zwischen der Wissenschaftsfreiheit seitens des Lehrkörpers und der Berufsfreiheit seitens der Studentenschaft gezählt (mit der möglichen Folge von Zulassungsbeschränkung und Kapazitätsgrenzenfeststellung, vgl. dazu Püftner / Loseh, Kapazitätsermittlung, 1986); vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 238, 267. 233 So hinsichtlich von beamten-, berufs- und wissenschaftsrechtlichen Grundrechtsberechtigungen; vgl. Laubinger, Status der Professoren, 1981, S. 410, 413-416. 234 Str., ob nur nach außen oder auch im Innenverhältnis; vgl. Bethge, Wissenschaftsrecht, 1990, S. 741 f. 235 Hailbronner, Funktionsgrundrecht, 1979; ders., HRG, 1990 (1978), § 3 Rn. 6 f.

234

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

dieser Rahmen inhaltliches Eigengewicht erlangt, läßt er sich nicht allein als Instrument der individuellen Wissenschaftsfreiheit verstehen. Dem Aspekt der institutionellen Selbständigkeit nach innen hat die Rechtsprechung nur in zögernden Ansätzen Beachtung geschenkt. Das Hochschulurteil vom 29. Mai 1973 weist nur flüchtig darauf hin, daß der Maßstab aller hochschulrechtlichen Regelungen, das Individualrecht der Wissenschaftsfreiheit, nicht bedeutet, daß die anderen "schutzwürdigen Interessen und Bedürfnisse ... , zu deren Befriedigung die Hochschule ebenfalls berufen ist", vernachlässigt werden dürften und erinnert in diesem Zusammenhang an die Berufsausbildungsaufgabe und die Bedeutung der Universität für die Bildungs- und Forschungspolitik, unterstrichen durch den Hinweis auf "gewichtige Gemeinschaftsinteressen,,236. Gleichzeitig verweist das Gericht auf den Vorrang der individuellen Eigen- vor der nur subsidiär koordinativ oder kompensatorisch in Betracht kommenden korporativen Initiative 237 . Das Urteil vom 8. Februar 1977 zum Hamburger Universitäts gesetz rechtfertigt die Einführung kollegialer Verwaltungsorgane u.a. mit der "Notwendigkeit zur Kooperation in der modernen Forschung,ms. Im Übernahme-Beschluß vom 26. Juni 1979 wird die zu Einschränkungen führende Eingebundenheit der Professoren in der Universität hervorgehoben, und in diesem Zusammenhang ist ausdrücklich von deren Zwecken die Rede 239 , was im Beschluß vom 7. Oktober 1980 zum Bremischen Hochschulgesetz im Hinblick auf das Zusammenwirken und den Ausbildungszweck wiederholt wird240 . Daraus geht hervor, daß sich das hochschulrechtliche Spannungsfeld nicht auf konkurrierende Rechte beschränken läßt, sondern weitergehende Interessen zu berücksichtigen sind; diese werden in großem Bogen angedeutet und als eigenständige institutionelle Aufgaben vorausgesetzt. Ein Anklang an die qualitative Eigenständigkeit, in der sich der Grundrechtsverbund an der Hochschule auswirkt, liegt auch in der vom Numerus-clausus-Urteil vom 18. Juli 1972 als Grenze für die Schutzpflichten aus dem Berufsgrundrecht herangezogenen Funktionsfähigkeit der Hochschule 241 . Dieser Begriff läßt sich nicht allein als individualrechtlicher Sammelbegriff verstehen. Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, daß die Funktionsgebundenheit des Wissenschaftsgrundrechts auch Notwendigkeiten der Einordnung ver-

236 237 238 239 240 241

BVerfGE 35, 79 (121 f.). Ebd., S. 129. BVerfGE 43, 243 (279). BVerfGE 51, 369 (379). BVerfGE 55, 37 (68 f.). BVerfGE 33, 303 (334).

3. Besondere Rechtslagen

235

ständlich werden läßt, gegen die vom allgemein-individualrechtlichen Grundrechtsschutz aus berechtigte Einwände erhoben wp-rden könnten 242 • So wird in der Koordinationsaufgabe der Hochschule eine kollektive Berechtigung gesehen, diese jedoch auf situationsgemäß besonders rechtfertigbare und sachlich begrenzte, die individuelle Initiative als vorrangig zu berücksichtigende Maßnahmen beschränkt. Im Gegensatz dazu wird die Freiwilligkeit der Koordinationsbasis als unverzichtbar erklärt243 • Dem Eigengewicht der Hochschulautonomie folgend, laufen die in § 3 Abs. 2 S.2 HRG genannten, institutionell begründeten Rechte und deren nähere Regelung an späterer Stelle im Gesetz der verfassungsrechtlichen Rechtslage nicht zuwider244 • Selbstverständlich ist, daß die Wahrnehmung der Rechte im einzelnen einen angemessenen Ausgleich suchen muß. So bestehen keine Bedenken dagegen, daß § 3 Abs. 2 S.2 HRG von der Abstimmung von Forschungsvorhaben spricht; die Weite dieses Begriffs 245 braucht den Grundrechtsschutz nicht zurückzudrängen, sondern kann ein verfassungskonformes Verständnis erleichtern. Das gleiche gilt für die sachliche Anschlußvorschrift in § 23 HRG, die eine Koordinationsaufgabe der Hochschulen hinsichtlich von Forschungsvorhaben und -schwerpunkten normiere46 • Kritische Vorbehalte dürften sich gegen den Versuch von Steuerungsmaßnahmen oder gegen Ansprüche einer Verantwortung vor der Gesellschaft richten, wie sie der Entscheidung zur Nichtberücksichtigung einer entsprechenden Verantwortungsklausel im Rahmen der Hochschulaufgaben widersprechen könnten 247 • Grundsätzlich soll jedoch nicht verhindert wer-

242

Vgl. Hailbronner, Funktionsgrundrecht, 1979; ders., HRG, 1990 (1978), § 3

Rn. 37.

243 Vgl. Laubinger, Status der Professoren, 1982, S.41O. - v. Mangoldt/Klein/ Starck, Bonner GG, 1985, S. 621 und Denninger, in: AK-GG, 1989, Art. 5 Abs. 3 S. 1, Rn. 57 (Vorrang der Eigeninitiative S. 567 Rn. 34) wiederholen den Hinweis auf die Eingebundenheit der Grundrechtsberechtigung. 244 Krit. Thieme, Wissenschaftsfreiheit, 1977. Zur grds. Kritik an der Aufwertung der hochschulischen Verwaltungsebene in der Gruppenuniversität Rupp, Hochschulische Selbstverwaltung, 1973; ders., Deutsches Hochschulwesen, 1982, S. 42. Vgl. auch oben V. 2.4.3.3. 245 Thieme, a.a.O., S. 197 f. 246 Weggefallen sind die Bestimmungen über die Hochschulplanung (§§ 67-69 HRG, BGBI 1976 I S. 185), in denen zum einen eine zu weitgehende Reglementierung im Bereich des Selbstverwaltungsrechts (§ 58 Abs. 1 S. 2 HRG) und zum anderen eine zu enge Verbindung mit staatlichen Einflußmöglichkeiten gesehen werden konnte, vgl. Karpen, Hochschulplanung, 1982; Watrin, Ökonomische Aspekte, 1982; zur Hochschulplanung auch Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 437-451. 247 Thieme, Wissenschaftsfreiheit, 1977, S. 191-193, 198.

236

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

den, daß die Institutionen eigene Initiativen entfalten 248 • Die institutionelle Stellung der Wissenschaftler gibt diesen nicht nur Rechte, sondern legt ihnen über die Pflicht zur Mitwirkung 249 hinaus auch die Pflicht auf, die Mitwirkung möglichst förderlich für die gemeinsamen Anliegen wahrzunehmen und die eigene Grundrechtsstellung nicht ohne Rücksicht darauf durchzusetzen. Im Konfliktbereich geht es daher nicht nur um die Wahrung von Rechten, sondern auch um eine Verständigung, die eine möglichst produktive Aufgabenerfüllung erlaubt und dazu beiträgt, eine eigenständige wissenschaftspolitische Rolle zu behaupten und zu entwickeln.

3.3 Überschneidungen und Regelungskonkurrenzen Wie erwähnt, führt der Ausbau der Forschung in fast sämtlichen Bereichen der Technik und Produktion zu immer weiteren Überschneidungen wirtschaftlicher mit wissenschaftlichen Handlungsprozessen, die auch die Überschneidung jeweils einschlägiger Grundrechtsbestimmungen zur Folge haben können. Daraus können sich auch Konsequenzen für die Schrankenregelungen und -geltung ergeben. Soweit man die Theorien für zutreffend hält, nach denen die Normenkonkurrenz durch Konzentration des Grundrechtschutzes auf die vorwiegend betroffene Norm und durch Verdrängung der nicht im Mittelpunkt stehenden Normen zu lösen ist250 , entscheidet man schon auf der Ebene der Normanwendung über zugleich mitgegebene Regelungsschranken. Dagegen spricht jedoch, daß dann offensichtlich einschlägige Normen verdrängt werden und der Grundrechtsschutz verkürzt wird 251 . Die verdrängende Normenkonkurrenz ist daher abzulehnen. Das heißt nicht, daß die Einschlägigkeit und Überschneidung nicht so genau wie möglich festzustellen und abzugrenzen sind 252 •

248 Vgl. Flämig, Forschungsauftrag, 1982, bes. S. 883 f., 894, 896-899, 906-909; Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 400, 405-407. Vgl. auch Karpen, Spannungsverhältnis, 1990, S. 82-85. 249 Vgl. Thieme, Hochschulrecht, 1986, S. 216-220. 250 Nach v. Mangoldt/ Klein, Bonner GG, 1957, S. 125 handelt es sich in solchen Fällen um Anwendungskollisionen, die durch Güterabwägung zugunsten des primär zu schützenden Grundrechts zu entscheiden sind. Vgl. Bachof, Freiheit des Berufs, 1958, S. 170 f. 251 Vgl. die Stellungnahme von Bleckmann, Staatsrecht H, 1989, S. 392. 252 Vgl. Oppermann, Wirtschafts werbung, 1972, S. 400, 406-408. Auf dieser Ebene liegen die ersten beiden und der vierte Fallbereich der Erörterung bei v. Mangoldt/ Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. I Rn. 186. Vgl. auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 411-422.

3. Besondere Rechtslagen

237

Dagegen ist der Ansicht von der gleichzeitigen Anwendbarkeit der jeweils einschlägigen Grundrechtsnormen zu folgen, die auf eine Schrankenkonkurrenz hinausläuft. Bezieht man die Verdrängungstheorie nunmehr auf die Schranken und richtet sich grundsätzlich nach den Begrenzungsmöglichkeiten des vornehmlich einschlägigen Grundrechts, übergeht man ausdrücklich vorgesehene, möglicherweise engere Schranken ohne ausreichende Legitimation. Hält man lediglich die geringste Einschränkungsmöglichkeit für anwendbar und privilegiert den Grundrechtsschutz nach der weitestgehenden Gewährleistung 253 , übergeht man die ausdrücklich angeordnete Begrenzungsmöglichkeit bei anderen, ebenfalls einschlägigen Grundrechten und stellt sich gegen den Verfassungstext. Entsprechend läßt die Kumulierung der Schranken, wonach grundsätzlich die schwerste Beschränkung einschlägig ist, davon abweichende Schutzinteressen außer Ache 54 • Daher ist nach dem im Einzelfall jeweils vorrangig anwendbaren Grundrecht zu fragen und die dafür geltende Schrankenregelung anzuwenden, also der Grundsatz der Idealkonkurrenz hinsichtlich der Normanwendung durch je nach der Fallkonstellation zu bestimmende Real- oder Gesetzeskonkurrenz hinsichtlich der Schrankenregelung zu ergänzen. Zu beachten ist gleichzeitig die Reichweite des konkurrierenden Grundrechtsschutzes, die nicht über den Überschneidungsbereich hinaus beschränkt werden darf und eine möglichst weitgehende Berücksichtigung unbeschränkter Schutzbereiche verlangt255 • Die zu diesem Thema angestellte Untersuchung von Berg wird durch dessen Auffassung vom inneren Zusammenhang der Freiheitsrechte und der engen Bedeutung der Entfaltungsfreiheit bestimmt. Aus dem tatbestandlichen Ergänzungsverhältnis ergibt sich in Überschneidungsbereichen die Anwendbarkeit des Grundfreiheitsrechts und seiner Schranken; darüber hinaus bleibt es bei den Schranken der sonstigen und der unbeschränkten Geltung der nach den Schranken des Grundfreiheitsrechts jeweils immanent begrenzten unbeschränkbaren Freiheitsrechte256 . Dagegen argumentiert Schwabe von der überwiegend anerkannten weiten Bedeutung des allgemeinen Freiheitsrechts und der Spezialität der besonderen Freiheitsrechte aus, womit sich die Schrankenfrage stärker verselbständigt und in ihrer Bedeutung für die jeweils

253

Nachweise bei Berg, Konkurrenzen, 1968, S. 59-63.

Ebd., S. 54-59; zu bei dem Bleckmann, Staatsrecht 11, 1989, S. 392 f. So Würkner, Wie frei ist die Kunst, 1988, S. 318 zur Überschneidung von Kunst- und Versammlungsfreiheit, was Schrankenübertragungen ausschließt; vgl. Wipfelder, Schranken. 1981, S. 460. 256 Berg, Konkurrenzen, 1968 (mit eingehender Darstellung der im Schrifttum vertretenen Meinungen). Ähnlich Graf, Grenzen, 1970, S. 80-89. 254

255

238

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

beteiligten Interessen durchschaubar machen läßt257 • Der Vorschlag, sowohl bei identisch zutreffender Einschlägigkeit als auch bei Überlagerung konkurrierender Normtatbestände einen einheitlichen synthetischen oder gesamthänderischen Tatbestand anzuwenden und entsprechend bei der Schrankenanwendung zu verfahren 258 , hält sich für die angemessene Berücksichtigung der unterschiedlichen Gesichtspunkte, die zur Anwendbarkeit der beteiligten Grundrechte und ihrer Schranken diskutiert werden 259 , offen und entspricht weitgehend der hier vertretenen Ansicht260 • Auf dem Gebiet der Technik- und Produktforschung werden die Grenzen zwischen der wissenschaftlichen Forschung und der Produktionstechnik nicht immer strikt zu ziehen sein; in Übergangsbereichen können sich sowohl die Forschungsfreiheit als auch die Berufsfreiheit, Eigentumsfreiheit und allgemeine Handlungsfreiheit als einschlägig erweisen. Soweit keine tatbestandliche Differenzierung möglich ist, kann sich die mitbeteiligte Wissenschaftsfreiheit der Einbeziehung in den besonderen Zusammenhang und ausdrücklichen Schrankenbestimmungen zu beugen haben. Nur soweit der wissenschaftliche Anteil an der Tätigkeitsentfaltung selbständig beurteil bar ist, kann dafür die Schrankenprivilegierung beansprucht werden. Die Verflechtung wissenschaftlicher mit sonstiger beruflicher Tätigkeit kann daher durchaus Folgen für die rechtlichen Begrenzungsmöglichkeiten nach sich ziehen 261 •

4: Kritische Diskussion 4.1 Wissenschaftsverantwortung Die Diskussion, die sich mit den grundsätzlichen Schrankenproblemen der Wissenschaftsfreiheit befaßt, ist zum einen auf die Frage gerichtet, wie die

Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 356-442. Vgl. Bethge, Aktuelle Probleme, 1985, S. 371 - überwölbendes Einheitsgrundrecht (m.w.N.). 259 Aber keine ausreichende Regelbildung erlauben; vgl. die kritische Darstellung der im Schrifttum vertretenen Meinungen ebd., S. 394-420. 260 Da alle geschützten Interessen berücksichtigt werden können; vgl. die "parallele" Anwendbarkeit der einschlägigen Grundrechte bei Bleclanann, Staatsrecht II, 1989, S. 393, der offenbar von einer daraus zu gewinnenden angemessenen Schrankenanwendbarkeit ausgeht. Für die Anwendbarkeit der engsten Beschränkungsmöglichkeit in diesem Fall v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. I Rn. 186. 261 Abzulehnen aber Köttgen, Freiheit, 1954, S. 306, 309, wonach bei jeder Überschneidung die Wissenschaftsfreiheit ausgeschaltet wird. 257

258

4. Kritische Diskussion

239

Schranken grundlegend legitimiert werden können, und zum anderen, welche Möglichkeiten bestehen, die als unzulänglich betrachteten Beschränkungsmöglichkeiten zu erweitern 262 • Diese beiden Fragestellungen gehen zum Teil ineinander über oder widersprechen einander, so zum Beispiel, wenn der Versuch unternommen wird, die Schrankenziehung, die neben den Grundrechten anderer auf sonstige Verfassungswerte gestützt wird, durch eine Verengung auf besonders qualifizierte Verfassungs werte zu präzisieren, oder umgekehrt, wenn durch eine Erweiterung der Legitimationsbasis auch die Möglichkeiten der Schrankenziehung ausgedehnt werden. Das Bestreben, die Schranken zu erweitern, möchte der zunehmenden Überzeugung Rechnung tragen, daß die Wissenschaftsfreiheit mit einer besonderen Verantwortung verbunden ise63 • Zentrale Ansatzpunkte dafür liegen zum Beispiel in der Behandlung der Risikoprobleme oder in der Auffassung vom Wissenschaftsbegriff. Es erhebt sich jedoch die Frage, ob die besondere Wissenschaftsverantwortung, die vor allem mit dem Begriff der Folgenverantwortung gekennzeichnet wird, mit der Abgrenzung des Schutzbereichs oder mit der Schrankenperspektive zureichend erfaßt werden kann, und ob die dogmatischen Schwierigkeiten, die sich in diesem Zusammenhang erheben, nicht ein Zeichen dafür sind, daß die angemahnte Verantwortung rechtlich in ariderer Weise zur Geltung zu bringen ist.

4.2 QualifIZierte Verfassungswerte Die Frage, ob es zur Einschränkung unbeschränkt geWährleisteter Grundrechte besonders qualifizierter Verfassungwerte bedarf, ist zu verneinen, wenn gemeint sein sollte, daß es sich um Verfassungsrecht zu handeln habe, dessen Bedeutung grundsätzlich besonders hervorgehoben ise 64 . Dagegen ist die Frage zu bejahen, wenn sie vom Ergebnis her betrachtet wird und darauf abzielt, daß nur Rechte zur Einschränkung geeignet sind, die mit dem Freiheitsschutz kollidieren und ihm eine Relativierung abringen können. Das Bundesverfassungsgericht hat vielfach festgestellt, daß eine Einschränkung unbeschränkt gewährleisteter Grundrechte nur ausnahmsweise und nur durch besonders schützens werte Rechtsgüter in Betracht kommt; der Hinweis auf die Schrankenwirkung besonders qualifizierter Verfassungswerte wird der Feststellung angefügt, daß von den Grundrechten anderer Schrankenwirkungen ausgehen können und bezieht sich daher auf das sonstige Verfassungs-

262

263 264

Vgl. oben III. Vgl. oben 1.2.9.2, 11.8, III.7.5. Vgl. oben II.7, III.7.4.1.

240

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

reche 65 • Gemeint ist aber weniger die besondere Qualifikation des einschränkenden Rechts als die besonderen Bedingungen, die für das Zustandekommen eines Schutzkont1ikts und dessen Bewältigung gelten. Wenn nach einer grundsätzlich vorgegebenen Qualifikation gefragt werden müßte, bestünde die Schwierigkeit, diese näher zu definieren, und die Gefahr, daß Bedürfnisse eines weniger qualifizierten Rechtsgüterschutzes vernachlässigt würden. Vor allem könnte daran zu denken sein, daß, ähnlich wie in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG, nur die Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung als beschränkende Rechte herangezogen werden können. Damit könnte zwar deutlich gemacht werden, daß nicht jede Organisationsvorschrift allein der Grundrechtsausübung entgegengesetzt werden kann. Im Bereich der Wissenschaftsfreiheit würde etwa hervorgehoben, daß der staatliche Geheimnisschutz nicht im jeweiligen Ausmaß seiner generellen Begründung, sondern nur, um unverzichtbare Belange zu wahren, als beschränkendes Recht eingreifen darf. Die Beschränkungswirkung würde aber zu stark auf den Schutz der Staats ordnung konzentriert und in den Zusammenhang der streitbaren Demokratie gerücke66 . Die inhaltliche Offenheit der Wissenschaftsfreiheit kann darüber hinaus zu Schutzansprüchen führen, die sich nicht mit der Verfassungsordnung vereinbaren lassen, so wenn sich der staatliche Geheimnisschutz auf wirtschaftliche, sozialpolitische oder bestimmte diplomatische Interessen oder auch nur auf geheime Abstimmungsverfahren bezieht, und wenn darauf ein wissenschaftlicher Informationsanspruch geltend gemacht wird. Der gleiche Einwand richtet sich auch gegen eine Auswahl der für eine Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit geeigneten Verfassungswerte, die sich auf die Bestimmungen beziehen, die nach Art. 79 Abs. 3 GG4 gegen eine Verfassungsänderung in Schutz genommen werden. Die Sicherungsklausel schützt die menschenwürdebestimmte freiheitlich-demokratische Grundordnung, die horizontale und vertikale Staatsgliederung sowie die grundlegenden Staatszielbestimmungen und wird als Bekenntnis gegen jedes Bestreben zur Einrichtung einer menschenrechtswidrigen, undemokratischen staatlichen Einheitsgewalt ausgesprochen 267 . Die damit verbundene Geltungsgarantie beruht zwar auf der grundsätzlichen Höchsteinschätzung der gesicherten Staatsgrundlagen und davon getragenen demokratischen Staatsform gegenüber anderen Organisationsformen der staatlichen Macht, schafft aber keine

265 266 267

Näher oben 11. Vgl. grds. Sattler, Streitbare Demokratie, 1982. Vgl. Kirchhof, Identität, 1987, S. 790 f., 802-813.

4. Kritische Diskussion

241

Rangunterschiede für den Ordnungsgehalt der geltenden Verfassungssätze. Außerdem setzt das wissenschaftliche Interesse umfassender und detaillierter an, als mit den unverrückbaren Staatsgrundlagen umrissen wird, und kann daher auch mit veränderbaren Regelungen in Konflikt geraten, ohne zur Veränderung zu legitimieren. So kommt mit dem Begriff der qualifizierten Verfassungswerte zwar zum Ausdruck, daß die Wissenschaftsfreiheit nicht durch jeden denkbaren Regelungszweck bestimmt werden kann, sondern nur durch Schutzinteressen, die widersprechenden wissenschaftlichen Interessen gegenüber sachlich legitimierbar sind; diese Frage bezieht sich aber auf die Rechtswirkung im einzelnen und nicht auf die allgemeine Qualifikation. Mit der Bezugnahme darauf wird nur umschrieben, daß bei der Kollision unterschiedlicher Schutzgebote ebenbürtige Schutzinteressen bestehen müssen, um eine Beschränkung zu rechtfertigen.

4.3 Rechtsgrundsätze Der Vorschlag, die Beschränkung unbeschränkt gewährleisteter Grundrechte auf Rechtsgrundsätze zu stützen 268 , versucht, die Bedingung, daß vom geschriebenen Verfassungsrecht auszugehen ist269 , durch Rückgriff auf den systematischen Zusammenhang zu vertiefen und zu erweitern. Damit könnte eine flexible Regelungsmöglichkeit eröffnet werden, die sowohl den Beschränkungs- als auch den Grundrechtsinteressen in erhöhtem Maße gerecht werden könnte. Insbesondere anstelle bloßer Kompetenzvorschriften, die nur zur näheren Ausgestaltung ermächtigen, könnten die Rechtsgrundsätze ermöglichen, daß die Konfliktbereiche zwischen den Regelungsinteressen und dem Grundrechtsschutz gründlicher zum Ausdruck gelangen und eine Abwägung angestellt werden kann 27o • So kann auch die systematische Grundgesetzinterpretation, die zum Beispiel in den Teilordnungen der Verfassung Anhaltspunkte für eine Auslegung sieht, die den Sinn und Zweck der einzelnen Vorschrift aus dem Zusammenhang heraus verständlich werden läßt271 , erheblich zur richtigen Einschätzung der Regelungswirkung beitragen. Jedoch bedürfen Rechtsgrundsätze selbst der näheren Konkretisierung, um als Regelung praktische Anwendung finden zu können. Auch die einzelne Verfassungsnorm stellt, dem Charakter der Verfassung als grundlegende Rechts-

269

Vgl. oben 111.2, 7.4.2. Näher oben 1.

270

Vgl. auch oben II.3.2.

268

271 Vgl. Maunz/Zippelius, Staatsrecht, 1988, §§ 23-29; gegen verengende Konkretisierungen aber Wahl, Vorrang, 1981, S. 509-513.

16 Losch

242

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

anleitung entsprechend, vielfach ein Prinzip dar, dessen Regelungsaussagen argumentativ zu erschließen sind 272 • Rechtsgrundsätze können daher die erforderliche Auslegungsarbeit nicht ersetzen, sondern nur unterstützen. Indem sie zur Präzisierung der Regelungszwecke und Schutzinteressen beitragen, können sie grundrechtseinschränkende Regelungen unterbauen; sie lassen sich jedoch nicht an deren Stelle setzen.

4.4 Verfassungsrechtliches Menschenbild Vor allem bei der Frage, welche Schranken die Wissenschaftsfreiheit am Menschenwürdeschutz zu finden hat, liegt es nahe, das verfassungsrechtliche Menschenbild als Anhaltspunkt und Grundlage der Beurteilung heranzuziehen 273 . Ähnlich wie sonstige bereichsbezogene Regelungskonzeptionen oder -zusammenhänge, kann auch die verfassungsrechtliche Vorstellung von der Position des Einzelnen in Staat und Gesellschaft dazu beitragen, daß der Regelungsgehalt der einzelnen Schutzprinzipien deutlich wird274 • So können etwa auch staatliche Aufgaben, wie der Tierschutz oder der Umweltschutz, in ihrer Rückbindung an die menschliche Persönlichkeit und die von dieser getragenen Gesellschaft als dem zentralen staatlichen Schutzprinzip verständlich gemacht und in ihrem tieferen Sinn ergründet werden 275 • Im Grundrechtsstaat, in dem die Grundrechte verbindliches Recht darstellen und der Menschenwürdeschutz als oberster Grundsatz gilt, muß es als wesentliche Aufgabe erscheinen, das Gegenbild, das die Verfassung gegenüber jeder Form von Gewaltherrschaft entwirft, durch das Menschenbild zu verdeutlichen, das, dem grundlegenden Ordnungsprinzip entsprechend, durch den staatlichen Schutz der Entfaltungsfreiheit geprägt ist. Mit dem Versuch, den verfassungsrechtlichen Grundlagen nähere Gestalt zu verleihen, ist jedoch die Gefahr verbunden, daß inhaltlich festgelegt und als Regelungsabsicht verstanden wird, was durch die freiheitliche Verfassung gerade der freien gesellschaftlichen Entwicklung und der individuellen Entscheidungsfreiheit vorbehalten werden soll. So wie die äußerliche Staatseinwirkung weitestmöglich zurückgedrängt und unter Kontrolle gebracht wird, bedeutet der Grundrechtsschutz auch, daß

272 Grds. Alexy, Theorie, 1985. Vgl. auch lsensee, Wer definiert, 1980; erweiternd Bryde, Verfassungsentwick1ung, 1982, bes. S. 272-276. 273 Vgl. oben 111.5.

Grds. Geiger, Menschenrecht und Menschenbild, 1984. Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 5 Rn. 269, Art. 1 Rn. 73; vgl. auch Graf Vitzthum, Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 268. 274 275

4. Kritische Diskussion

243

die innere Einflußnahme an der Achtung vor der Selbstbestimmung zu enden und daß jede geistige Unterdrückung ausgeschlossen zu sein hat276 • Daher ist die wertverwirklichende Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Menschenbildes eine praktisch-politische Aufgabe, die nonnativ zu sichern, aber nicht vorwegzunehmen ist, und daher eignet sich die nonnative Konzeption prinzipiell nur als Grundlage der Entfaltung, die zwar die Grenzen der Selbstbestimmung erkennbar machen, aber nicht unmittelbar zur Legitimierung von Freiheitsschranken dienen kann. So lassen sich die Wissenschaftsfreiheit und das verfassungsrechtliche Menschenbild nur im Bewußtsein ihrer Wechselwirkung einander gegenüberstellen, und das verfassungsrechtliche Menschenbild erlaubt nicht, den Freiheitsschutz für bestimmte Wertvorstellungen, Nützlichkeitsziele oder Verantwortungsbedürfnisse in Dienst zu nehmen. Es kann jedoch das Verständnis für die verfassungsrechtlich näher erschließbaren Freiheitsschranken vertiefen und gleichzeitig dazu beitragen, daß diese auch angemessen im Lichte der Wissenschaftsfreiheit gesehen werden. 4.5 Orientierungsgesichtspunkte Nicht der Beschränkung, sondern der richtigen Einschätzung der Wissenschaftsfreiheit und ihrer verfassungsrechtlichen Schranken dient der Vorschlag, die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit an einem Katalog von Gesichtspunkten zu messen, die den Horizont für die Abwägung einander entgegenstehender Schutzpflichten ergänzen können 277 • Wie der Versuch, auf übergeordnete Rechtsgrundsätze oder das verfassungsrechtliche Menschenbild zurückzugreifen, zeigt auch dieser Vorschlag, daß das Schrankenproblem aus dem Windschatten der Grundrechtsgewährleistung herausgetreten ist und sich größere Erwartungen mit ihm verbinden als nur eine Korrektur der Berechtigung. Aber ebenso wie mit den anderen Verständnishilfen, lassen sich mit bestimmten Leitgesichtspunkten weder die Schranken erweitern noch der Schutzbereich begrenzen. Andererseits kann die Auslegung der Schutzinteressen erheblich an Sicherheit und praktischer Relevanz und damit die Abwägung an Zuverlässigkeit gewinnen. Das zeigt sich auch bei der Frage, welche Berücksichtigung Risiken finden können, die mit der Ausübung der Wissenschaftsfreiheit geschaffen werden, oder wie weit die internationale Wissenschaftsentwicklung die Reichweite der Wissenschaftsfreiheit beeinflußt. Schließlich läßt sich die Verantwortungsfrage ebenfalls als Orientierungsgesichtspunkt verstehen, der sich auf die Bewertung der Schutzinter-

276 277

16*

Grds. Häberle, Verfassung des Pluralismus, 1980. V gl. oben lIlA.

244

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

essen auswirken kann; damit läßt sich jedoch die Voraussetzung, daß es sich um konkrete Schutzgüter handeln muß, wenn bei der Interessenabwägung eine rechtliche Berücksichtigung ermöglicht werden soll, nicht überspringen und nichts anderes erreichen, als mit der Risikowertung auch anzustreben ist. Es zeigt sich, daß die Orientierungsgesichtspunkte weniger bei der Beschränkung der subjektiven Grundrechtsberechtigung als bei der Auslegung der objektiven Grundrechtswirkung ins Gewicht fallen und daß ihnen eher eine politische Gestaltungswirkung als eine rechtliche Begrenzungsaufgabe zukommt. Daher richtet sich die Besinnung auf leitende Interpretationsgesichtspunkte vor allem auch auf eine grundsätzliche Veränderung in der Einstellung zur Wissenschaftsfreiheit, die zu einer möglichst umfassenden Voraussicht und integrativen Projektierung führt.

4.6 Risiko Je stärker die nachteiligen Folgewirkungen des wissenschaftlichen Fortschritts bewußt werden, desto mehr werden die Gefahren und Risiken der Wissenschaftsentwicklung betont. Dadurch kann ein Meinungsklima erzeugt werden, das sich mehr gegen den Wissenschaftsfortschritt im ganzen als gegen die Gefahren in seinem Gefolge richtet. So könnte sich auch bei der verfassungsrechtlichen Abwägung mit der Vorverlegung der Gefahrenschwelle in den Risikobereich hinein eine Kontrolle der Wissenschaftsfreiheit rechtfertigen lassen, die der Intention des Freiheitsrechts widerspricht und sich auch gegen das Interesse an einer wirksamen Gefahrenabwehr auswirken kann 278 • Das generelle Risiko, daß mit der Wissenschaftsentwicklung auch negative Folgen verbunden sein könnten, sowie das Risiko, daß mit der Forschung in bestimmten Bereichen, etwa in der chemischen Industrie, negative Anwendungsfolgen herbeigeführt werden, ferner das Risiko, daß mißbräuchliche Forschungspraktiken, etwa im medizinischen Bereich, gewählt werden, oder das Unfallrisiko, etwa bei der Forschung mit gefährlichen Stoffen, reichen in allgemeiner Form nicht aus, um ihnen gleich an der Quelle den Riegel vorzuschieben. Vielmehr bedarf es der Konkretisierung zu näher definierbaren und als Bedrohung in Erscheinung tretenden Gefahren, damit der Rechtsgüterschutz eingreifen kann und eine ge zielte Gefahrenbekämpfung möglich wird279 • Die darin zum Ausdruck kommenden Erfordernisse der Rechtssicherheit und Praktikabilität bedeuten nicht nur einen traditionellen oder systembedingten Aufwand, sondern sorgen für eine klare Abgrenzung

278

Vgl. auch oben 1.2.9.1.

279

Vgl. Graf Vitzthum, Rechtspolitik, 1987, S. 77 f.

4. Kritische Diskussion

245

zwischen der Entfaltungsfreiheit und dem Schutz vor negativen Einwirkungen auf die Lebensbedingungen. Je weniger sich diese jedoch konkretisieren und individualisieren lassen, sondern als Folge aus dem Zusammenspiel vieler unbedenklicher Nebenwirkungen hervorgehen, desto mehr muß die Gefahrenschwelle im Einzelfall herabgesetzt werden, um in der Summe das Umschlagen von Risiken in die unzulässige Gefahrenverdichtung zu verhindern 2so • Umso genauer muß der einzelne Risikobeitrag und das Zusammenspiel zu erhöhten Risiken und Gefahren durchschaubar gemacht werden, damit die Gefahrenvorsorge in einem angemessenen Verhältnis zur Verursachung und zum Gefährdungsausmaß gehalten werden kann und nicht zur unkontrollierbaren Handlungsbeschränkung wird. Insbesondere gilt diese Feststellung auch für das Risiko, das die Forschung für gefährliche Folgewirkungen bedeutet, die sich aus der technischen Anwendung entwickeln. Zwar läßt sich die Unterscheidung zwischen der Forschung als theoretische Erkenntnissuche und der praktischen Anwendung nicht genau treffen und kann nicht jeder Kausalzusammenhang zwischen der Forschung und den Auswirkungen als durch die praktische Anwendung unterbrochen betrachtet werden, aber das differenzierte Bild der Zusammenhänge berechtigt nicht dazu, die Wissenschaft mit einer Verantwortung zu belasten, die sich auf unüberschaubare Entwicklungen und Auswirkungen erstreckt. Andererseits ist nichts dagegen einzuwenden, daß von der Wissenschaft eine angemessene Aufklärung über mögliche Gefahren und negative Auswirkungen erwartet wird und daß das Vorgehen der Wissenschaft keine unzumutbaren, in Gefahren umschlagende Risiken schaffen darf. So mußte im Gentechnikgesetz ein Weg gefunden werden, der zukunftsreiche Forschungen nicht ausschließt, aber auch keine unerträglichen Risiken in Kauf nimme s1 . Die Wissenschaftsfreiheit steht jedoch für die Risikobekämpfung nicht zur Disposition, sondern verlangt eine ausreichende Begründung für jede Verengung ihres Spielraumes. Die politische Entscheidung über die Anerkennung eines Risikos als Gefahr, die ein Einschreiten verlangt und rechtfertigen kann, hat auch die Gefahren, die damit für die Wissenschaftsentwicklung und zugleich den Fortschritt in der Risikobewältigung verbunden sind, zu berücksichtigen und darf sich über die verfassungsrechtlich erforderliche Abwägung der einander entgegenstehenden Schutzpflichten nicht hinwegsetzen.

280 281

1990.

Vgl. grds. Murswiek, Risiken der Technik, 1985. Vgl. grds. Graf VitzthumIGeddert-Steinacher, Der Zweck im Gentechnikrecht,

246

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

4.7 Internationaler Zusammenhang Der internationale Zusammenhang, in den die Wissenschaft einbezogen ist282 , wirkt sich sowohl auf den wissenschaftlichen Fortschritt als auch auf die Erfordernisse des Rechtsgüterschutzes aus, der dem wissenschaftlichen Zugriff auf bestimmte Schutzinteressen entgegenzuhalten ist. Da die wissenschaftliche Erkenntnis als solche allgemeingültig, frei und unbeschränkbar ist, ist sie zugleich international austauschbar und Teil des allgemeinen Wissenschaftsfortschritts. Probleme können sich aber im Hinblick auf die Zulässigkeit bestimmter Verfahren der Erkenntnisgewinnung und -vermittlung ergeben. So hat der deutsche Gesetzgeber die Forschung an befruchteten menschlichen Eizellen und Embryonen verboten und sich damit zu einem exponierten Rechtsgüterschutz bekannt, wie er von anderen Staaten nicht für erforderlich erachtet wird283 • Soweit der verfassungsmäßige nationale Rechtsgüterschutz entsprechende Entscheidungen verlangt, kann ein Ausblenden der nationalen aus der internationalen Wissenschaftsentwicklung angebracht sein; bei der Entscheidung darüber erhebt sich auch die Frage, wie weit der nationalen Wissenschaft der Zugang zu international erarbeiteten Ergebnissen eröffnet bleibt und ob die Nachteile für den nationalen Wissenschaftsfortschritt und für die damit zusammenhängende, auch auf dem Feld der praktischen Anwendung bestehende internationale Konkurrenzfähigkeit in Kauf genommen werden können 284 • Soweit die Ergebnisse anderwärts nicht verbotener Erkenntnisverfahren zugänglich sind, kann das nationale Verbot an Bedeutung, aber gleichzeitig an Überzeugungskraft verlieren; hemmende Auswirkungen auf die praktische fachliche Erfahrung können jedoch bestehen bleiben. Besondere Anforderungen des Rechtsgüterschutzes auch an die Erkenntnisverbreitung sind nur denkbar, wenn an der Erkenntnis ein Makel haftet, der ihre Weitervermittlung als Vertiefung einer Rechtsverletzung erscheinen läßt, oder wenn die Weitervermittlung zu gefährlichen Folgen führen kann, die im Interesse des Rechtsgüterschutzes zu unterbinden sind. Im ersten Fall dürften aber nur schwerste, auch international geächtete Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Beispiel in Betracht kommen; im zweiten könnte das Verfahren zu einer für jedermann möglichen Herstellung einer verheerend wirksamen Vernichtungswaffe als Beispiel dienen. In diesen Fällen wären Einschränkungen der Lehre und wissenschaftlichen Publizität nicht ausge-

282 283

Vgl. auch oben 1.2.9.4. Vgl. oben 1.2.6.6.

284 Vgl. auch Oppermann, Universität und Wissenschaft, 1983, S. 863; ders., Freiheit, 1989, S. 843 f.

4. Kritische Diskussion

247

schlossen, soweit diese entweder die zugrunde liegenden Rechtsverietzungen unterstützen oder fortführen oder unmittelbare und nicht erträgliche Gefahren für geschützte Rechtsgüter darstellen würden. Das Ziel der Einschränkungen dürfte jedoch nicht die Erkenntnisvermittlung als soiche, sondern nur die damit verbundene Rechtsgüterbeeinträchtigung sein. Der nationale Rechtsgüterschutz kann daher zwar Besonderheiten für den Wissenschaftsprozeß erzwingen; außerdem ist dieser mit seinen äußeren Voraussetzungen in die nationale Rechtsordnung eingebunden. Der offene, formale Charakter der Wissenschaftsfreiheit ist aber auf die Teilnahme am internationalen Wissenschaftsfortschritt angelegt. Der darauf gerichtete Schutzzweck fällt bei der Abwägung der Schutzinteressen ins Gewicht und zwingt nationale Schutzbedürfnisse, sich mit der internationalen Diskussion auseinanderzusetzen. Dadurch wird eine nationale Blickverengung erschwert. Ähnlich, wie im innerstaatlichen Bereich die Wissenschaftsfreiheit nicht verfügbar sein soll und sich nur in der Situation eines Rechtsschutzkonfliktes ausgleichende Beschränkungen entgegenhalten zu lassen braucht, die allein dazu dienen dürfen, unverzichtbare Schutzpflichten zu wahren und sich darüber hinaus nicht gegen den Schutzzweck der Wissenschaftsfreiheit richten dürfen, haben sich auch auf der internationalen Ebene materielle Schutzanliegen nicht gegen den Gedanken der Wissenschaftsfreiheit zu richten. Vom Boden der in der nationalen Verfassung gesicherten Wissenschaftsfreiheit aus ist daher allen etwa aufkommenden Bestrebungen, die Wissenschaft an bestimmte weltpolitische Konzeptionen zu binden und bestimmten Nützlichkeitsvorstellungen zu unterwerfen, eine Absage zu erteilen 285 • Die Anerkennung eines international verbindlichen Rechtsgüterschutzes, die in die nationalen Rechtsordnungen Eingang findet, darf nicht zum Mittel werden, den Erkenntnisfortschritt zu binden. Allenfalls seine schutzwidrige Beteiligung an international geächteten Verstößen gegen die Menschlichkeit und das friedliche Zusammenleben kann untersagt werden, ohne daß damit mehr zum Ausdruck gebracht wird, als im Verbot der Verstöße enthalten ist. Wie auf der nationalen, ist die Wissenschaftsfreiheit auch auf der internationalen Ebene unentbehrlich für den offenen demokratischen Prozeß. 4.8 Wissenschaftsbegriff

Der Versuch, das unbegrenzt erscheinende Entwicklungspotential der Wissenschaften in eine Richtung zu lenken, die der Verantwortung für die

285 Zu entsprechenden Tendenzen der UNESCO Erben, Wissenschaft zwischen Verantwortung und Freiheit, 1989, S. 9.

248

VI. Schranken der Wissenschafts freiheit

menschlichen Lebensgrundlagen und für die förderliche Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens Nachdruck verleiht, könnte dazu veranlassen, schon an der Offenheit des Wissenschaftsbegriffs anzusetzen und als Wissenschaft nur anzuerkennen, was sich dieser Verantwortung verpflichtet weiß 286 • So verständlich und unabdingbar es ist, das Verantwortungsproblem nicht mehr aus der Wissenschaftsfreiheit auszuklammern 287 , so fragwürdig erscheint es aber, die begriffliche Grundlage zu verengen und die differenzierte Normtechnik des Freiheitsrechts teilweise rückgängig zu machen. Eine Begriffsbindung, die sich nicht in Widerspruch zu den sachlichen Voraussetzungen des Begriffs und dem rechtlichen Schutzzweck setzen wollte, müßte zu reinen Floskel werden, der allenfalls ein Appell- und Verweisungscharakter zukommen würde. Eine begriffliche Festlegung, die aber bestimmte inhaltliche Anforderungen vorschreiben würde, wäre ein Werkzeug für die politische Beherrschung, gegen die sich der Schutzzweck gerade richtet. Außerdem würde sich eine inhaltliche Bindung zu dem Prinzip der unabhängigen Sachgesetzlichkeit als Voraussetzung für einen möglichst vielseitigen und objektiven Erkenntnisgewinn in Widerspruch setzen und das Freiheitsrecht sowie die damit zum Ausdruck gebrachte Verantwortung für die größtmögliche Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft entwerten. Die Forderung nach einer besonderen Wissenschaftsverantwortung bezweckt jedoch grundSätzlich nicht, den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt zum Schaden der Entwicklung einzuschränken; vielmehr ist es ihr Anliegen, ihn um eine zusätzliche Perspektive zu erweitern. Dieser Zweck kann mit einer Bindung der begrifflichen Grundlage nicht erreicht werden. Andererseits dürfte die Möglichkeit, die Wissenschaftsfreiheit im Interesse anderer verfassungsrechtlicher Schutzpflichten ausreichend einzuschränken, dem Sinn der besonderen Wissenschaftsverantwortung nicht ausreichend gerecht werden. Ob die Verantwortungsfrage darüber hinaus zu rechtlichen Konsequenzen führen kann, ist daher gesondert zu betrachten.

5. Differenzierende Abwägung Die Abwägungsregel, die anzuwenden ist, wenn es zum Konflikt zwischen verfassungsrechtlichen Schutzpflichten kommt, hat das Ziel, einen gerechten Ausgleich der Schutzinteressen herzustellen. Dem dient die Verhältnismäßigkeit der Berücksichtigung je nach der besonderen Situation. Die Idealvorstellung ist, daß jede der beteiligten Schutzpflichten soweit wie möglich

286 287

Vgl. oben 1.2.9.5. Vgl. auch oben V.3.

5. Differenzierende Abwägung

249

befolgt wird und nur soweit zurücktreten muß, wie für das Mindestmaß der gegenseitigen Beachtung erforderlich. Daher hat sich für den Interessenausgleich der Begriff der Optimierung, Harmonisierung oder praktischen Konkordanz des Rechtsgüterschutzes eingebürgert, der die möglichst schonende Beilegung des Interessenkonflikts kennzeichnen soll288. Das Ziel eines anpassenden Ausgleichs verhilft jeder Schutzpflicht zu bestmöglicher Erfüllung und leitet dazu an, dem verfassungsrechtlichen Regelungsgedanken sorgfältig Rechnung zu tragen. Das Ausgleichsprinzip ist von der Intepretationsfigur der Einheit der Verfassung geprägt, die auch die Grundlage für die inhärente Grundrechtsbeschränkung bildet, die durch den Konflikt der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten erzwungen wird, und das Verständnis der Verfassung als Gesamtkonzeption fruchtbar mache 89 . Die ausgleichende Konfliktlösung beachtet daher nicht nur das einzelne verfassungsrechtliche Regelungsprinzip, sondern wird auch von der Verfassung als Gesamtheit gestützt; sie trägt daher zur konsequenten Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Leitregeln bei. Dem Einheitsgedanken steht jedoch das Prinzip der Offenheit der Verfassung gegenübe~90, das mit dem Leitziel des pluralistischen Freiheitsschutzes zugleich auch normative Spannungen in Kauf nimmt und durchsetzen WiUZ91 und daher das Ziel eines harmonischen Ausgleichs nicht in jedem Fall erreichbar erscheinen läßt. So ist sowohl bei der einzelnen Interessenabwägung denkbar, daß eine beidseitige Optimierung der einander entgegenstehenden Schutzpflichten nicht in Betracht kommt, sondern eine die andere überwiegt, als auch grundSätzlich anzunehmen, daß der Einheitsgedanke nicht auf Kompromisse festgelegt ist, sondern neben dem situativ erforderlichen Interessenausgleich den Raum für gegensätzliche Schutzinteressen nicht verkleinern will. Damit tritt zugleich ins Blickfeld, daß die Konfliktlösung sich nach den Umständen des Einzelfalles zu richten und den dafür erforderlichen Interessenausgleich festzulegen, aber keine Regelung darüber hinaus zu treffen hat. Zwar ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, daß verfassungsrechtliche Schutzpflichten und Schutzgüter von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen sind, und spricht der zugrundeliegende

288 Vgl. bes. Ossenbühl, Verfassungsauslegung, 1965; Hesse, Verfassungsrecht, 1988, S. 27 Rn. 72; Steril, Staatsrecht I, 1984, § 4 III S. 133. 289 Vgl. oben H. 290 Vgl. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, S. 345 f., 356-364. Der "Maßstab integrierender Wirkung" (Hesse, Verfassungsrecht, 1988, S. 28 Rn. 74) darf daher der Notwendigkeit zu systematischer Differenzierung nicht entgegenstehen (Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, bes. S. 27-93). Vgl. auch Böckenförde, Verfassungsinterpretation, 1976; Ossenbühl, Interpretation, 1976; Wahl, Vorrang, 1981. 291 Vgl. Achterberg, Antionomien, 1969; Göldner, Integration, 1977.

250

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

Gedanke der Einheit der Verfassung dafür, daß die Konfliktlösung sich ihres repräsentativen Zusammenhanges bewußt zu bleiben hat, aber ihr regulativer Charakter ist nur im Rahmen der stellvertretenden Wirkung der Fallbedingungen verallgemeinerbar. Daher ist auch skeptisch zu betrachten, daß in der Regelung verfassungsrechtlicher Schutzpflichtkollisionen grundsätzlich eine gesetzgeberische Aufgabe gesehen wird 292 • Zwar' ist der verfassungsgestaltende Auftrag des Gesetzgebers von grundlegender Bedeutung293 ; im Schutzkonflikt, der durch die schrankenlos gewährleisteten Grundrechte ausgelöst wird, reicht die Regelungsmacht aber nicht über den Rahmen der Konfliktsituation hinaus. Die Offenheit der Verfassung und ihre Aufgabe zum Schutz der Interessenvielfalt, die auch Konflikt bedeutet, spricht dafür, den Gesetzgeber möglichst genau darauf zu kontrollieren, daß er Konfliktbereiche nicht eigenmächtig beschneidet, sondern der angemessenen situativen Interessenabwägung überläßt. Die gesetzgeberische Aufarbeitung von verfassungsrechtlichen Schutzkonflikten ist daher nur bedingt geeignet, die Verfassung in konfliktlösendes Recht fortzuschreiben. Ein Ausweg aus der punktuellen Situation der Konfliktvoraussetzungen 294 und der beschränkten Regelungsmacht des Gesetzgebers liegt in der Übernahme des verfassungsrechtlichen Konfliktlösungsverfahrens in gesetzlich vorgesehenes informales Reche95 • Der Gesetzgeber kann für den Konfliktfall ein Verfahren vorsehen, in dem sachkundige Repräsentanten der Beteiligten die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten situationsgemäß abwägen und den Beteiligten einen Lösungsvorschlag unterbreiten, oder er kann bedingte Lösungen vorsehen und Fachkommissionen über die Einhaltung der Bedingungen wachen lassen. So könnte etwa das völlige Verbot der Forschung am beginnenden menschlichen Leben eine differenzierende situative Abwägung versäumen; stattdessen könnte eine Rahmenregelung erforderlich sein, wonach die Forschung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist,

Vgl. Starck, Auslegung, 1989, S. 31 f. Vgl. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983. Je nach Auffassung vom Ausmaß der rechtsgestaltenden (objektiven oder institutionellen) Wirkung der Grundrechte wird auch die Bedeutung der gesetzgeberischen Ausgestaltungsaufgabe beurteilt, vgl. die Warnung vor einem unkontrollierten Einfluß des Gesetzesrechts bei Leisner, Verfassungsmäßigkeit, 1964, bes. S. 33-35, 39 f., 48-50, 52, 66 f.; dagegen Häberle, a.a.O.; Krebs, Vorbehalt, 1975, S.72-94. Zum sozialstaatlichen Zusammenhang Scheuner, Grundrechte im Sozialstaat, 1971. Zur Vielgestaltigkeit der Umsetzungsaufgabe Bethge, Grundrechtsdoginatik, 1985, bes. S. 364-366. 294 Vgl. Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974; Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977. 295 Grds. Püttner, Der informale Rechtsstaat, 1990. 292 293

5. Differenzierende Abwägung

251

und die eine Beratung durch eine Fachkommission vorsieht. Dieses Beispiel soll aber noch näher betrachtet werden. Der pluralistischen Verfassung widerspricht es, wenn verfassungsrechtliche Schutzkonflikte vorschnell aufgearbeitet werden. Die Offenheit der Verfassung hat mit der Möglichkeit von Konflikten zu leben und will sich nicht beschränkte Konfliktlösungen aufdrängen lassen, wo unter veränderlichen Bedingungen auch die Maßstäbe der Interessenabwägung sich verändern. Daher hat neben eine differenzierende und vorsichtige Interessenabwägung im Einzelfall auch eine differenzierende und vorsichtige Beurteilung der Frage zu treten, wie weit eine gesetzliche Konfliktregelung jeweils erforderlich ist. Die eben angestellten Überlegungen sollen in einer wiederholenden Zusammenfassung noch einmal verdeutlicht werden. Mit der Möglichkeit, die Grundrechte aus der Beschränkung auf einen individuellen Einfluß 296 zur sozialen Richtschnur zu entwickeln297 , gewinnt die freiheitliche, vom Vorbild der Menschenwürde298 bestimmte Form der sozialen Integration eine Gravitationskraft, der sich die nationale und internationale Staatsentwicklung nicht mehr entziehen kann299 • Gleichzeitig geht die Herrschaft über die Grundrechtsmaterialisierung von den herkömmlichen Mechanismen staatsgestaltender Machtausübung stärker an die grundrechtsgetragene soziale Selbstbestimmung über. Dieser Prozeß wird unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert, so unter der grundsätzlichen Entgegensetzung VOn Rechtsund Sozialstaat, unter der teilhaberechtlichen Grundrechtsauslegung, und unter dem Demokratievorbehalt für jede besonders grundrechtsrelevante Staatstätigkeit. Jedoch ist die Diskussion auf vermittelnde Ebenen vorgedrungen, die ein flexibles Verständnis ermöglichen 3°O. Verfassungsrechtlich wird in diese Richtung vorgearbeitet; der demokratische Zusammenhang der Grundrechte mit den Staatszielbestimmungen und der politischen Selbstbestimmung eröffnet die Möglichkeit zu einer Verfassungsverwirklichung in grundrechtsfördernder sozialer Vielfältigkeit. Darum hat sich auch der Vorschlag, der gegenüber den gefährlichen Entwicklungen der Wissenschaftsfreiheit· den allgemeinen Grundrechtsschutz stärker objektivieren will, mit verschiedenen Einwänden auseinanderzusetzen. Die Ausgestaltung der objektiven Grundrechtswirkung bedeutet sowohl die

296 297

Püttner, Öffentliche Unternehmen, 1985, S. 91. Ebd., S. 91-95.

298 Vgl. Häberle, Menschenwürde, 1987, S. 839 f.; Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 59 f., 73-78.

299 Vgl. Bleckmann, Souveränitätsprinzip, 1985, S. 455-463; Kimminich, Völkerrecht, 1983, S. 387-416. 300

Vgl. Karpen, Auslegung, 1987.

252

VI. Schranken der Wissenschaftsfreiheit

Gefahr der vorschnellen Verfestigung als auch der Auslieferung an pauschale Meinungsbildungs- und politische Gestaltungsmechanismen, die den grundrechtlichen Ausgangspunkt relativieren und sich zu vornehmlich zeitbestimmten und weniger allgemeingültigen Werten hinwenden. So kommt der individuellen Grundrechtsidee eine wachsende soziale Kontrollaufgabe zu und ist für das Verfahren der sozialen Selbstbestimmung eine rechtsstaatliehe Rückbindung an den individuellen Freiheitsgehalt der Grundrechte unentbehrlich, um kurzsichtige Festlegungen zu vermeiden. Gleichzeitig bestehen Bedenken dagegen, die objektive Grundrechtswirkung soweit zu verdichten, daß sie in Gestalt von Schrankengesetzen eine Verfassungskonkretisierung leistet, die zum System erhebt, was der offenen Verfassungs wirklichkeit an unkontrolliertem Verfahren überlassen bleiben sollte und nur im rechtlich zugespitzten Konfliktfall entschieden werden müßte. Nicht nur die Überlegung, daß die Verfassung den Einzelfall nicht restlos aufarbeitet, sondern auch die Feststellung, daß sie Verallgemeinerungen nur bis zu einem Grad erlaubt, der ihren freiheitlichen Charakter nicht unterläuft, läßt erkennen, daß die Alternative, die zur Beliebigkeit einerseits und andererseits zur Festschreibung besteht, die Offenhaltung von nicht schematisch geregelten Freiräumen ist, in denen je nach den besonderen Voraussetzungen der Situation die eine oder die andere Komponente stärker betont werden kann. Die Festschreibung auf gesetzliche Linien könnte dagegen über den Rahmen der verfassungsermächtigten Verfassungsausführung hinausgreifen und zur Verfassungserweiterung werden, für die dem Gesetzgeber die Zuständigkeit fehlt. Vor allem die Grundrechtsausgleichs- und -begrenzungsaufgabe dürfte gegen starre Festlegungen empfindlich sein. Das läßt sich grundsätzlich an der Offenheit der Verfassung und der Wissenschaftsfreiheit im besonderen ablesen. Im Hinblick darauf ergibt es keinen Sinn, Rechts- oder Schutzkollisionen restlos auflösen zu wollen. Vielmehr sind ganz erhebliche Spannungslagen in der Verfassung angelegt, die sowohl auf das Problem, daß Rechtsordnungen ihre Regelungsaufgabe nicht absolut erfüllen können, als auch auf die Eigenschaft der Verfassungsordnung als Grundsatzregelung zurückgehen. Gerade die Wissenschaftsfreiheit stellt ein Beispiel dafür dar, daß das Verfassungsrecht den Grund für die Weiterentwicklung zu legen, aber die Entwicklung nicht aufzuhalten hat. Die spezifische Offenheit, die in der Wissenschaftsfreiheit rechtlich geschützt wird, unterstreicht die prinzipielle Offenheit der Verfassung für die Entwicklung. Der Gesetzgeber, der unbedingt verfassungsrechtliche Kollisionslagen aufarbeiten wollte, würde den Sinn der Verfassung mißverstehen. Der Versuch, den als unzureichend empfundenen Rechtspluralismus inhaltlich zu konkretisieren, könnte verkennen, daß die pluralistische Entwicklung offenzuhalten ist und aus der Ermöglichung und Sicherung auch die Verwirk-

5. Differenzierende Abwägung

253

lichung der Vielfalt zu folgen hat. Aufgabe des Verfassungsrechts und des verfassungskonformen Gesetzesrechts ist es nicht, verfassungsrechtliche Freiräume, auch wo die Freiheitsgarantien sich überschneiden und in Konflikt geraten, mit situativ begrenztem Blickwinkel aufzuarbeiten, sondern den gegensätzlichen Freiheitsansprüchen mehr als soviel abgewogene Freiheit wie möglich, nämlich konfligierende, nebeneinander verkraftete Freiheiten und Richtigkeiten zu verschaffen und die Verwirklichung unterschiedlicher Verhaltensformen nicht nur im regulativen Ansatz, im Verfahren, sondern auch im Ergebnis zu schützen301 •

301 Zur kultur- und sozial philosophischen Grundlegung Welsch, Postmoderne Modeme, 1988.

VII. Besondere soziale Verantwortung 1. Freiheitsgewährleistung und Verantwortungsbedarf 1.1 Notwendigkeit der Freiheitsgarantie Je breiter und eingehender die Auseinandersetzung mit Fragen der Wissenschaftsfreiheit sich in den letzten Jahrzehnten, vom Positivismusstreit über die Universitätsreform und die Demokratiediskussion bis zu Fragen der energie-, der kommunikations- und gentechnischen sowie der pränatalen Humanforschung, entwickelt hat, desto deutlicher trat in Erscheinung, wie wichtig der Rückhalt in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung ist und wie unentbehrlich die freie wissenschaftliche Entfaltung für die Entwicklung der Gesellschaft geworden ist. Aller erkenntnistheoretischen und praktischen Wissenschaftskritik zum Trotz, haben sich neue wissenschaftliche Revolutionen angebahnt, die neue Ebenen der wissenschaftlich fundierten Lebensgestaltung und der Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Problemen sichtbar werden lassen. Für das rechtliche Verständnis der Wissenschaftsfreiheit ist von großer Bedeutung, daß sie nicht nur als Grundrecht neben anderen zu betrachten ist, sondern eine staats- und rechtskonstitutive Funktion im Rahmen der freiheitlichen Demokratie erfüllt, die den Schlüssel zu einer menschenwürdigen Daseinsgestaltung bedeutet. Die freiheitliche Demokratie setzt nicht nur die Möglichkeit zur freiheitlichen Meinungs- und unbeeinträchtigten politischen Willensbildung voraus, sondern gründet sich auf die Bedingung dafür in Form der für jedermann bestehenden Zugänglichkeit zu Wissen und der damit verbundenen Annäherung an Wahrheit und Richtigkeit. Das heißt, daß die Wissenschaftsfreiheit als Bedingung für die Ausgestaltung der Freiheitsordnung zu betrachten ist und zugleich die Grundlage für die menschenwürdige Gestaltung der freiheitlichen Demokratie darstellt, auf der sich die grundrechtlich gesicherten Entfaltungsmöglichkeiten verwirklichen können l . Auch scheinbar unzusammenhängend neben der Wissenschaftsfreiheit stehende Bereiche, wie die Kunst- und Glaubensfreiheit, lassen sich nicht durch den grundrechtlichen Schutz allein, sondern erst durch das Wissen von

1 VgI. das Plädoyer für die Aufrechterhaltung der Wissenschaftsfreiheit gegenüber ethischen Pauschalbindungen bei Marquard, Neugier, 1984, bes. S. 26.

1. Freiheitsgewährleistung und Verantwortungsbedarf

255

ihrer Bedeutung für die menschliche Gesellschaft als angemessen gesicherte Freiheitsformen begreifen, und ähnlich verhält es sich mit den Grundlagen der freiheitlichen Demokratie sowie mit ihren stillschweigenden Verfahrensvoraussetzungen, die etwa mit Konsensfähigkeit oder Entscheidungsakzeptanz, Fairness und Toleranz umschrieben werden können 2• Auch für die richtige Einschätzung dieser Prinzipien ist das Wissen von ihrer Bedeutung unentbehrlich. Die damit umrissene, weit über den Grundrechtsbereichsschutz hinausgehende Rolle der Wissenschaftsfreiheit kommt zum Ausdruck, wenn ihre allgemeine kulturelle Bedeutung hervorgehoben wird l . Diese knappe Feststellung kann jedoch die grundlegende Wissensbeziehung, die für jeden Lebensbereich gilt, nur andeutungsweise hervorheben. Die freiheitliche Demokratie, die auf die Evolution des Wissens gegründet ist4 , kann daher nicht nur nicht darauf verzichten, der Wissenschaftsfreiheit, wie anderen Grundrechtsfreiheiten auch, grundsätzlichen Rechtsschutz einzuräumen und ihre Förderung zur Staatsaufgabe zu erheben, sondern hat auch streng darauf zu achten, daß der rechtliche Schutz keine anderen als die verfassungsrechtlich unmittelbar legitimierten Beschränkungen erfährt, insbesondere gegen politisch erwägbare, rechtlich aber nicht unumgänglich vorgeschriebene Einschränkungen gefeit bleibt. Jede Begrenzung, deren Aufhebung nicht zugleich einen Verfassungsverstoß bedeuten würde, wäre verfassungswidrig, und jede Beeinträchtigung der verfassungsrechtlichen Legitimation der Wissenschaftsfreiheit richtet sich zugleich gegen die Voraussetzungen der freiheitlichen Demokratie. Neben der rechtlichen und für die Verfassung grundlegenden Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit fällt ihre praktische Unentbehrlichkeit erheblich ins Gewicht. Kein Staat der Welt kann es sich leisten, auf wissenschaftlich begründete Technologien und Arbeitsweisen zu verzichten, und mit jedem neuen Tag wird die wissenschaftlich getragene Überlebens- und Entwicklungsmöglichkeit neu herausgeforderts. Es liegt nicht nur in der Natur des Menschen, sein Wissen zu erweitern und anzuwenden, sondern daraus folgt 2 Vgl. Böckenförde, Demokratie, 1987, bes. S. 930 f.; Püttner, Toleranz, 1977. Vgl. auch, im Zusammenhang mit Gerechtigkeitsfragen, Kaufmann, Humangenetik, 1985, S.669. 1 Zu den grundlegenden Zusammenhängen Oppennann, Kulturverwaltungsrecht, 1969; vgl. Häberle, Freiheit, 1985. Zum wechselseitigen Zusammenhang auch Mittelstraß, Wissenschaft als Kultur, 1986. Vorwiegend zum zivilisatorischen Aspekt Kreibich, Wissenschaftsgesellschaft, 1986. Vgl. zu den Konsequenzen der astronomisch begründeten, neuzeitlichen Weltbildveränderung, die bis zum modemen Grundrechtsstaat reichen, v. Ditfurth, Innenansichten, 1989, S. 106-109. 4 Böckenförde, Demokratie, 1987, S. 927 f. 5 Grds. Markl, Evolution, 1986; vgl. Erben, Wissenschaft, 1989, S. 40.

256

VII. Besondere soziale Verantwortung

auch, daß eine stetige Erweiterung und Vertiefung des wissenschaftlichen Fortschritts erforderlich ist, um die Weiterentwicklung zu ermöglichen. Die Schäden der vorschnellen und einseitigen Ausnützung wissenschaftlich-technologischer Kenntnisse6 zwingen außerdem immer mehr dazu, von einer vordergründig ökonomischen auf eine ausgeglichenere Technisierung umzuschwenken, was erfordert, daß die wissenschaftlichen Fragestellungen erheblich erweitert werden7 • Die wissenschaftliche Forschung ist unentbehrlich für die Schadens- und Gefahrenerkennung sowie für die Entwicklung von Eindämmungsmöglichkeiten und ungefährlichen Alternativen. Was im Anschluß an wissenschaftliche Entdeckungsleistungen durch die technisch-wirtschaftliche Auswertung zur Gefahr geworden ist, kann nur durch den wissenschaftlichen Beitrag zur Gefahrenverminderung und -aufhebung bewältigt werden. Zugleich ermöglicht nur der wissenschaftliche Einsatz eine Weiterführung der Entwicklung, die mit existentiellen Gefahren fertig werden kann. Dagegen tragen wissenschaftsfeindliche Standpunkte nicht zur Problemlösung bei, sondern erschweren diese oder wollen in alte Leiden zurückfallen8 • Vom staatsrechtlichen Standpunkt aus fällt aber vor allem die innere Verbindung zwischen dem freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratieprinzip und der Wissenschaftsfreiheit ins Gewicht; die Wissenschaftsfreiheit unterstützt die Bedeutung der Grundrechte für diese Staatsform und die Bedeutung der Menschenwürde als Grundprinzip, das mit der freiheitlichen Staatsorganisation im Bemühen um Wahrheit und Richtigkeit weitestgehend zur Geltung gebracht und gewährleistet werden kann.

1.2 Wachsender Verantwortungsbedarf Mit der Erschließung der Atomkraft war nicht nur der Schritt in vorher unzugängliche Dimensionen der Erkenntnis, sondern auch der praktischen Auswirkung gefunden, die mit herkömmlichen Maßstäben für die Beherrschung technischer Instrumentalisierungsmöglichkeiten nicht zu bewältigen war. Zwar schob sich zwischen die wissenschaftliche Erforschung der Vor-

Vgl. auch Rapp, Normative Determinanten, 1987, S. 31-33. Eindringlich auch Tschingis Aitmatow, Globale Industrialisierung - Entdeckungen und Verluste des Geistes, in: Aitmatow/Grass, Alptraum und Hoffnung. Zwei Reden vor dem Club of Rome. Göttingen 1989, S. 7-38. 8 Aus speziellem Blickwinkel Fletcher, Ethische Diskussion, 1991, S. 263; Rüdiger, Genomanalyse, 1991, S. 78; Pflanz, Diskussionsprotokoll, 1991, S. 336. - Grds. Kirchhof, Kontrolle der Technik, 1988. Vgl. Stock, Vorwärtsschreiten, 1989; Henrichs, Menschsein, 1990. 6

7

1. Freiheitsgewährleistung und Verantwortungsbedarf

257

aussetzungen für die Atombombe und deren Verwirklichung sowie den praktischen Einsatz die staatlich-militärische Verantwortung, und ähnlich trat zwischen die wissenschaftliche Vorbereitung der zivilen Nutzung der Atomenergie und die technische Realisierung die staatliche Verantwortung für die Gefahrenbewältigung, aber das neue dimensionale Ausmaß der Auswirkung und die Unmittelbarkeit der wissenschaftlichen Beteiligung an der Realisierung konnte die Frage nach dem sozialen Aspekt der wissenschaftlichen Forschung und nach der Verantwortung für die wissenschaftliche Tätigkeitsentfaltung und ihre sozialen Folgen nicht mehr als ausreichend beantwortet erscheinen lassen. Ähnlich ließen der Einsatz neuer Vernichtungswaffen, ferner vor allem die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und zugleich die zunehmend virulent werdenden Umweltschäden die Technikgefahren als katastrophale Bedrohung bewußt werden und forderten Fragen der Technologie- und Wissenschaftsverantwortung immer stärker heraus 9 • Das Bewußtsein, daß es sich um globale Ausmaße der Gefahrenproblematik handelt, wurde zunächst weniger unter dem Schädigungs- als dem Verschwendungsaspekt in die Öffentlichkeit getragen und als Problem einer einseitigen Wachstumsmentalität kritisiert; jedoch sorgten zunehmende Informationen über weltweite Gefährdungen, wie die Verschrnutzung der Meere, radioaktive Verstrahlung, Vergrößerung des Ozonlochs, Aufheizung der Atmosphäre, neue Seuchen und Fortschritte bei der gentechnischen Manipulation, dafür, daß moralische Stimmen immer lauter wurden und der Begriff Ethik eine neue Publizität bekam IO , von der viel älteren Sorge über die atomare Rüstung und Kriegsgefahr nicht zu schweigen 11. Zusammenfassend läßt sich vom Rüstungsproblem, dem Energieproblem, das gleicherweise Fragen der Ressourcenbewirtschaftung und Umweltbelastung umfaßt, speziellen Problemen der Umweltschädigung, wie Gewässer- und Bodenverschmutzung, und dem Gentechnologie-Problem sprechen. In jüngster Zeit haben Problemaspekte der Kommunikationstechnologie und der biologisch-medizinischen Technologien die Verantwortungsfrage erneut und besonders mit Blick auf die Humangenetik zum Problem werden lassen. Allmählich ist in das breite Bewußtsein gedrungen, daß engste Verbindungen zwischen der wissenschaftlichen Forschung und der technischen Innovation bestehen, daß aber gleichzeitig ein starkes Gefälle von der politisch-demokratischen VerantworNäher oben I. Vgl. auch Guhal Papcke, Entfesselte Forschung, 1988. Zunächst auf allgemeiner Ebene hinsichtlich der Verantwortung der Menschheit für ihre Zukunft, vgl. statt vieler Rush, Endless horizons, 1946, S. 172; Toynbee, Menschheit, 1969, S. 184-210. Starken Anstoß erhielt das Interesse an ethischen Fragen durch die im Club of Rome diskutierte Wachstumsproblematik; Meadows, Grenzen, 1972. Näher oben I.1, 1.2.3. Zur Verantwortungsdiskussion oben 1.2.9.2. 11 Vgl. Jaspers, Atombombe, 1958. 9

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17 La,eh

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VII. Besondere soziale Verantwortung

tung zur wirtschaftlichen Machtentfaltung und dem daran beteiligten Wissenschaftsbereich verzeichnet werden muß. Daher wird der modernen Technologie und der wissenschaftlichen Grundlegung neuer Techniken ein wachsendes Maß an sozialer Verantwortung abverlangt 12 • Es ist offensichtlich, daß die Zeit der grundsätzlich bedenkenlos möglichen Umsetzung wissenschaftlicher Entdeckungen in die technische Entwicklung abgelaufen ist, und daß sowohl im Technologie- als auch im vorgelagerten Wissenschaftsbereich der soziale Zusammenhang der über den unmittelbar technologisch-ökonomischen Fortschritt hinausreicht, stärkere Berücksichtigung finden muß I3 . Die herkömmliche Auffassung von der isolierten Freiheit der Wissenschaft, die sich keiner anderen als ihrer professionellen und von ihr freiwillig übernommenen Verantwortung zu unterwerfen hat, erscheint demnach nicht unverändert weiterführbar l4 . Vielfach haben die ethischen und moralischen Appelle, die wie Lauffeuer aufgeflackert sind, jedoch mit übertriebenen Reaktionen und Forderungen aufgewartet. Stellvertretend ist etwa der Vorschlag zu nennen, mit einer Ethik der Furcht die Dynamik der Wissenschaftsentwicklung zu bremsen oder die Wissenschaft wieder einer überwunden geglaubten Kontrolle und Unterdrükkung auszuliefern 15. Einerseits ist richtig an der Forderung nach ethischer Orientierung, daß die technisch-zivilisatorische Evolution mit veränderten Selektionsmaßstäben operieren muß, die auch ihre ethischen Grundlagen betreffen, und daß sie umfassender geplante, sorgsam auf die natürliche und soziale Umwelt abgestimmte Konzeptionen entwickeln muß. Andererseits erscheint aber fragwürdig, daß ethische Traditionen ohne weiteres auf ein

12 Näher oben I.1, I.2.9.2, 11.8. Zum weItpolitischen Verantwortungszusammenhang eindringlich Günter Grass, Zum Beispiel CaIcutta, in: AitmatowlGrass (wie Fn. 7), S. 39-63. 13 So der grundSätzliche Appell an die Verantwortung der Wissenschaft; vgl. Meyer-Abich, Versagt die Wissenschaft, 1980, S. 8; Turner, Freiheit, 1986, S. 18-60; Zimmerli, Wandelt sich die Verantwortung, 1987. Daneben wird vielfach hervorgehoben, daß die Wissenschaft eine besonders nachdlÜckliche Verantwortung trifft; vgl. Mittelstraß, Wissenschaft als Kultur, 1986, bes. S. 87 f.; vgl. Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 136-151; Erben, Wissenschaft, 1989; vgl. auch Kasig, Verantwortung, 1989. 14 Zur Notwendigkeit der Differenzierung der Verantwortung nach den unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen Marquard, Neugier, 1964, S. 24 f.; Erben, Wissenschaft, 1989; Steig leder I Mieth, Ethik, 1990; Sass, Genomanalyse und Gentherapie, 1991; zu den Aspekten der Verantwortungsbildung Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 136-151; Ropohl, Neue Wege, 1987; Sachsse, Ethische Probleme, 1987; Bayertz, Typen ethischer Argumentation, 1991. 15 Jonas, Ethik der Selbstbeschränkung, 1984; ders., Prinzip Verantwortung, 1984. Dagegen u.a. Cook-Deegan, Herausforderungen, 1991, S. 173, 189.

1. Freiheitsgewährleistung und Verantwortungsbedarf

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verändertes Weltbild angewandt werden. Das gilt auch für den Vorschlag, das Verantwortungsbewußtsein von handlungsbestimmten oder kausalorientierten auf stärker vorausplanende und zukünftige Belastungen einbeziehende Maßstäbe umzustellen l6 . Die getroffene Unterscheidung von retrospektiver Handlungs- und prospektiver Abwägungsverantwortung überzeugt nicht als besonderer Entwicklungsschritt, da auch die traditionelle Verantwortungsethik vorausschauend abwägt 17 • Statt die neu entstandene wissenschaftlich-technische Situation aber auf ethische Sondermaßstäbe zu verpflichten, ist ein neues ethisches Weltbild zu entwickeln l8 . Der Schritt hinter die traditionelle Lebens- und Weltkulisse kann nicht ohne Einfluß auf die hergebrachten Wertrnaßstäbe bleiben l9 . Dasselbe gilt für die rechtlichen Konsequenzen. Unbedingte Verbote der wissenschaftlichen Forschung gegenüber, die sich auf Rechtsbindungen berufen, die mit Rückgriffen in die ethische Tradition begründet werden, erkennen zwar, daß die Situation problematisch geworden ist, erscheinen aber als verfassungsrechtlich bedenklicher Ausweg 2o • Das Recht als Resultante vieler sozialer Vektoren hat sich neuen Entwicklungen nicht entgegenzustellen, sondern der sozialen Integration zu dienen. 1.3 Zwischen rechtlicher Freiheit und sozialer Verantwortung Der Rechtslage nach steht die Wissenschaftsfreiheit unter absolutem Schutz und bedarf keinerlei besonderer Rechtfertigung. Die Befreiung der wissenschaftlichen Erkenntnis aus der traditionellen kulturellen und politischen Aufsicht diente dem Zweck, die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Erkenntniserweiterung weitestmöglich offenzuhalten und in produktive Kraft zu verwandeln 21 • Zum alleinigen Maßstab für die wissenschaftliche Erkenntisarbeit wurde die Selbstbestimmung des Wissenschaftlers und die Eigengesetzlichkeit des wissenschaftlichen Verfahrens. Der Schutz gilt für die wissenschaftliche Tätigkeit als solche; ihre Entfaltungsfreiheit soll gewährleistet

16 So Jonas, Warum die Technik, 1983; ders., Ethik der Selbstbeschränkung, 1984; ders .. Prinzip Verantwortung, 1984; ders., Technik, 1987. 11 Grds. Gatzemeier, Brauchen wir eine neue Ethik, 1989; Jung, Verantwortung, 1989; Meggle, Gesinnung und Verantwortung, 1989. 18 Grds. Sass, Forschungsfortschritt, 1991. Vgl. Thiel, Wissenschaftstheorie, 1989; Zinn, Ethischer Diskurs, 1989. 19 Vgl. Spinner, Erst kommt das Wissen, 1990. 20 Vgl. Pflanz Diskussionsprotokoll, 1991, S. 336; Rüdiger, Genomanalyse, 1991, S.78. 21 Zum historischen Zusammenhang am Beispiel des Hochschulrechts Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 77-84.

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VII. Besondere soziale Verantwortung

werden, während die nichtwissenschaftlieh angelegte Erkenntnissuche und die praktische Anwendung von wissenschaftlichen Erkenntnissen nach anderen rechtlichen Maßstäben zu beurteilen sind. Die Kontrolle durch die Rechtsordnung setzt sich demnach erst durch, wenn der Erkenntnisprozeß in praktische Auswirkungen übergeht. Damit kann die Sicherheit der Erkenntnisarbeit, soweit diese in praktischen Verfahren, etwa durch den Umgang mit radioaktivem Material, vorangetrieben wird und andererseits im Produktionsbereich, der die wissenschaftliche Erkenntnis in die praktische Verwertung umsetzt, geregelt werden, ohne der Erkenntnisarbeit Direktiven aufzuzwingen, die ihren Erfindungsgeist hemmen. Mit diesem Modell der inneren Autonomie und äußeren Rechtskontrolle wird der Erkenntnisprozeß von zweckwidrigen Einflußnahrnen abgeschirmt, während seine Beteiligung am praktischen Leben und seine Beiträge an der praktischen Lebensveränderung der allgemeinen Rechtskontrolle unterstellt werden. Nur die praktische Entfaltung der wissenschaftlichen Tätigkeit, also die Erfüllung der sachlichen Vorbedingungen, der praktische Arbeitsablauf und die praktische Anwendung der Ergebnisse sind an die Voraussetzungen der Rechtsordnung gebunden, während der Erkenntnisgewinn und seine Verbreitung, soweit diese die rechtlichen Anforderungen an den Verbreitungs vorgang als solchen wahrt, von jeder Reglementierung unabhängig sind. Der Sinn der Wissenschaftsfreiheit ist, zu verhindern, daß die wissenschaftliche Erkenntnis fremdbestimmt wird; der Zweck der Garantie ist, daß jede Rechtsvorschrift, die sich gegen die Freiheit der Erkenntnis richten könnte, überprüft und in ihre Grenzen gewiesen werden kann. Auf diese Weise wird erreicht, daß die Einbettung der Wissenschaftsfreiheit in die Rechtsordnung nicht dazu führt, daß der Erkenntnisarbeit eine sinnwidrige Fessel angelegt wird. Die einzige rechtliche Schranke, die dem freien Erkenntnisprozeß daher gesetzt wird, liegt in der Verfassungs ordnung selbst, an deren gleichrangige Rechtsschutzpflichten die Wissenschaftsfreiheit gebunden ist. Im Zweifel können der Wissenschaftsfreiheit daher nur kollidierende Schutzpflichten und gleichberechtigt zu wahrende Schutzgüter entgegengehalten werden. Die Verantwortung des Wissenschaftlers hat sich allein darauf zu richten, daß er die tatbestandlichen Voraussetzungen des Freiheitsschutzes erfüllt, den Einklang mit der allgemeinen Rechtsordnung wahrt, soweit diese sich nicht gegen die Voraussetzungen der wissenschaftlichen Tätigkeit richtet, und mit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit nicht in verfassungsrechtlich geschützte Rechte eingreift. Was mit seiner wissenschaftlichen Erkenntnis geschieht, darf ihm dagegen grundSätzlich nicht vorgehalten werden; die Folgen der Anwendung sollen kein Recht dazu geben, in die Freiheit der Erkenntnis einzugreifen22 • Nur mit dem absoluten Schutz kann verhindert werden, daß unter Berufung darauf, daß die Möglich-

22

Grds. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3, 1977, Rn. 99.

1. Freiheitsgewährleistung und Verantwortungsbedarf

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keit von gefährlichen Auswirkungen besteht, die wissenschaftliche Wahrheitssuche gehemmt und unterdrückt werden kann. Eine wesentliche Aufgabe des Freiheitsschutzes ist daher, die wissenschaftliche Tätigkeit von der Verantwortung für die praktische Auswirkung freizustellen. Diese Aufgabe erfüllte bei der Einführung der Wissenschaftsfreiheit zunächst vor allem den Sinn, eine Einmischung in den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt zu verhindern, die auf etwaige politisch-ideologische Interessen gestützt werden sollte, die an der Unterdrückung der freien geistigen Auseinandersetzung bestanden 23 • Darin liegt nach wie vor der entscheidende Schutzzweck der Wissenschaftsfreiheit, der ihre fundamentale Bedeutung für die wahrheitsorientierte demokratische Staats- und Gesellschaftsform sichert. Zugleich diente der Schutzzweck aber von Anfang an auch dazu, den technisch-wirtschaftlich verwertbaren Erkenntnisfortschritt soweit wie möglich zu sichern und nicht durch einseitige Machtinteressen zu beeinträchtigen 24 • Je stärker die technisch-wirtschaftliche Entwicklung vorwärtsdrängte und die Lebensverhältnisse veränderte, desto enger wurde der Zusammenhang zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem praktischen Fortschritt. Wie weit der Rahmen geöffnet ist, in dem sich die wissenschaftliche Erkenntnisarbeit entwickeln kann, richtet sich danach, welchen Spielraum die Rechtsordnung für die allgemeine Handlungsfreiheit vorsieht und wie die wirtschaftliche und kulturelle Entfaltung gedeihen kann. Der praktische Erfolg der Wissenschaftsfreiheit ist daher abhängig von der freiheitlichen Gestaltung der Staats- und Rechtsordnung, die über die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Wissenschaftsentfaltung bestimmt25 • Je vielseitiger die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung ausgebaut werden kann, desto größer sind die Anregungen für die wissenschaftliche Erkenntnisarbeit; umgekehrt fördert deren Vielseitigkeit die allgemeine Entwicklung. Die Möglichkeit zum technisch-wirtschaftlichen Erfolg veranlaßt jedoch dazu, daß sich die wissenschaftliche Entwicklung stark in diese Richtung orientiert, und daß der kürzeste Erfolgsweg eingeschlagen wird. Damit wächst die Gefahr, daß negativen Auswirkungen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt wird. Zwar trägt die Freiheit der Entwicklung auch dazu bei, daß negative Folgen ungehindert wahrgenommen und erforscht werden können und daß sich günstige Alternativen finden lassen. Aber das technisch-wirtschaftliche Interesse versucht, sich einseitig durchzusetzen. Daher wirken sich die negativen Folgen,

Vgl. oben V.2.1. 24 Vgl. ebenfalls oben V.2.1. 25 Vgl. Oppermann, Universität und Wissenschaft, 1983, S. 858 f.; ders., Freiheit, 1989, S. 843 f. 23

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VII. Besondere soziale Verantwortung

die mit der vordergründigen Praktizierung technischer Möglichkeiten verbunden sind, immer belastender aus 26 . Der Freiheitsschutz für die wissenschaftliche Arbeit unterstützt die frei gewählte Zusammenarbeit mit dem technisch-wirtschaftlichen Bereich; je enger sich diese aber gestaltet, desto mehr wird die Wissenschaftsfreiheit zugleich zum Schutz der Technik, und desto weniger läßt sich daher daran festhalten, daß die Verantwortung der Wissenschaftler auf das wissenschaftliche Vorgehen als solches beschränkt zu sein hat. Die wachsende Bedeutung der Zweckforschung, die die wissenschaftlichen Erkenntnisinteressen immer enger mit der wirtschaftlichen Entwicklung verbindet, zieht die praktischen Auswirkungen immer stärker in den Bereich der wissenschaftlichen Arbeit hinein 27 ; die Wissenschaftsfreiheit wirkt sich damit in wachsendem Maße auch zugunsten der Heraufbeschwörung von gefährlichen Folgen aus. Einerseits ist der Freiheitsschutz erforderlich, um die Entfaltungsfreiheit zu sichern, andererseits soll er aber nicht dazu dienen, daß die Beherrschbarkeit der Folgen und die Gefahrenabwehr, die gegenüber nachteiligen Auswirkungen erforderlich sind, unterlaufen werden. Der Freiheitsschutz wird aber, indem er für einen Erkenntniszusammenhang beansprucht werden kann, der weit über die theoretischen Wissensgrundlagen hinausreicht und mit seinen Zielsetzungen der praktischen Anwendung unmittelbar vorarbeitet, über seinen Schutzzweck hinaus zur Wirkung gebracht und gefahrbringend ausgenutzt. So zeigt sich, daß der Freiheitsschutz keine praktikable Rechtsnorm bilden kann, wenn nicht ein Regulationsprozeß verfügbar ist, der mit der Freiheit zu wirtschaften versteht. Die Einführung der Wissenschaftsfreiheit hat auf die Regulation durch den inhaltlichen Bezug der Freiheit, das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse, und durch das soziale Umfeld der Freiheit, den Rechtsstaat und die durch ihn verfaßte Gesellschaft, vertraut28 • Die Selbst- und Umfeldregulierung kam aber mit der Dynamik, die aus der Freisetzung hervorging oder von ihr ermöglicht und unterstützt wurde, nicht zurecht, sondern wurde selbst von ihr erfaßt. Das Ergebnis heißt steigendes Risiko, in dem die Wissenschaft Begründungs- und Steigerungsfaktor zugleich geworden ist. Der ungemein vielfältige Prozeß von Entdeckung, Einsicht in die zugrundeliegenden Zusammenhänge, Umsetzung in die praktische Anwendung und Einsicht in die Auswirkungen, hat sich zu einseitig auf spezielle wissenschaftliche und ökonomische Interessen hin entwickelt und

26

Näher dazu oben 1.2.3.

27 Stellvertretend Guhal Papcke, Entfesselte Forschung, 1988; Dürr, Netz des Physikers, 1988, S. 164-174; Gatzemeier, Brauchen wir, 1989, S. 8. 28 Zu diesem Zusammenhang grds. Kirchhof, Wissenschaft in verfaßter Freiheit, 1986.

1. Freiheitsgewährleistung und Verantwortungsbedarf

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zur Vernachlässigung eines breiten Zwischenfeldes von lebensnotwendigen Informations- und Entwicklungsleistungen geführe9 • Gegenüber der Tatsache, daß die Wissenschaft und die technisch-wirtschaftliche Praxis immer enger zusammenrücken, erscheint daher die Modellvorstellung unzureichend, die von der Ausgrenzung und Selbststeuerung der Wissenschaft und andererseits der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung als zwei voneinander getrennten Bereichen ausgeht und in der Freiheit des einen nur den Antrieb für den anderen sieht, der problemlos auf den Gemeinwohlrahmen abgestimmt werden kann. In der gegenseitigen Abstimmung liegt ein zentrales Problem, das, wie immer deutlicher erkennbar wird, durch die vordergründige Fixierung auf den wirtschaftlichen Fortschritt mit vorläufig unschädlichen und der Bevölkerung zumutbaren Belastungen nicht zu lösen ist. Die Wissenschaftsfreiheit trägt, indem sie mit einer von der sozialen Verantwortung losgelösten Entdeckungsfreiheit gleichgesetzt wird, die neue technische Möglichkeiten ohne Rücksicht auf ihre Auswirkungen abrufbar werden läßt, dazu bei, daß die Entwicklung sich auf unzulänglichen Geleisen bewegt. Mit der Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch den Schutz der gleichberechtigten Verfassungsgüter läßt sich das Problem nicht lösen, da der Rechtsgüterschutz erst einsetzen kann, wenn er beeinträchtigt oder unerträglich gefährdet wird. Zwar könnten die Anforderungen an den Gefährdungsgrad herabgesetzt und damit der Schutz erweitert werden, um ihn der Wissenschaftsfreiheit schon in einem Vorfeld der Gefährdung entgegenzuhalten. Für diesen Weg könnte der Gedanke der Gefahrenvorsorge fruchtbar gemacht werden 30 . Aber der Schutzzweck der Wissenschaftsfreiheit verbietet jede Beeinträchtigung, die nicht unmittelbar verfassungsrechtlich legitimiert werden kann. Eine allgemeine, nicht näher konkretisierbare Gefahrenvorsorge ist damit nicht vereinbar. Außerdem gilt auch für die verfassungsrechtliche Schrankenwirkung, daß sie sich, sowie entsprechend die Bindung der Wissenschaftsfreiheit, die durch die Einbettung in die allgemeine Rechtsordnung auferlegt wird, auf ihr Schutzanliegen zu begrenzen hat und keinesfalls gegen die Wissenschaftsfreiheit als solche gewandt werden darf. Die Schrankenlosigkeit der Wissenschafts freiheit darf nicht überspielt und der Freiheitsschutz nicht entwertet werden. Daher liegt auch kein Ausweg darin, die verfassungsrechtlichen Schranken, die sich durch Schutzkollisionen ergeben, soweit wie möglich gesetzlich zu verallgemeinern und auf der Ebene der objektiven Grundrechtswirkung zu

29 30

Stellvertretend Beck, Risikogesellschaft, 1986. Vgl. oben I.2.9.1, 1.3.4.

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VII. Besondere soziale Verantwortung

grundsätzlichen Schrankenbestimmungen auszubauen 31 • Dieser Weg, der im Embryonenschutzgesetz beschritten wurde, führt ebenfalls ins Vorfeld ausgleichsbedürftiger Kollisionslagen und stellt die Grundsätzlichkeit der Freiheitsgarantie in Frage, die sich gerade gegen vorsorgliche Verengungen richtet. Die Notwendigkeit der situativen Einzelabwägung darf nicht durch Verallgemeinerungen ersetzt werden, die einseitig zu Lasten der Wissenschaftsfreiheit gehen. So würde auch nicht weiterhelfen, in Widerspruch zur Schutzgarantie den wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß in gefährlichen Bereichen einfach zu verbieten 32 oder den Erkenntnisfortschritt zu verheimlichen 33 • Auch einschneidende Steuerungs- und Überwachungsmaßnahmen wären nicht nur unzulässig und undurchführbar, sondern auch ungeeignet, weil damit zugleich die Möglichkeiten der Gefahrenbekämpfung eingeschränkt würden, und weil die Steuerung vor Fehleinschätzungen nicht bewahrt werden könnte. Vom Blickpunkt der Beschränkungsmöglichkeiten aus gesehen, hat es daher bei der Trennung der Verantwortungs bereiche für die Erforschung und die praktische Anwendung zu bleiben. Die Grundlage der Schutzgarantie, die in der Selbständigkeit des Wissenschaftlers und der wissenschaftlichen Eigengesetzlichkeit liegt, kann nicht zur Disposition gestellt werden, ohne die Garantie aus den Angeln zu heben. Das normative Modell, das den Freiheitsschutz unbeschränkbar garantiert und ihn nur soweit an andere Schutzbedürfnisse anzupassen erlaubt, als ein Schutzkonflikt entsteht, ist die Voraussetzung dafür, daß die Freiheit der Wissenschaft gewahrt werden kann. Andererseits erlaubt es nicht, daß in der zunehmenden Überschneidung von Wissenschaft und praktischer Anwendung die Bedürfnisse des Rechtsgüterschutzes, die gegenüber den praktischen Auswirkungen in Erscheinung treten, schon am Ausgangspunkt ihrer Entwicklung angemessen berücksichtigt werden können. Daher hat sich die Frage erhoben, ob dem Wissenschaftler nicht eine soziale Verantwortung dafür zuzuschreiben ist, daß er sich nicht hinter der Schutzbarriere, die zur Wahrung der Wissenschaftsfreiheit unentbehrlich ist, versteckt und blindlings oder wider besseres Wissen an Entwicklungen arbeitet, die sich erkennbar gefährlich oder nachteilig auf das menschliche Zusammenleben auswirken können 34 . Die besondere Verantwortung des Wissenschaftlers für seine Arbeit würde bedeuten, daß er sich den sozialen ZuVgl. oben VI. 5. 32 Dazu oben Fn. 8; grds. hat das Scheitern auf diesem Weg Bertalt Brecht veranschaulicht, vgl. oben 1.2.9.1. 33 Wie Friedrich Dürrenmatt verdeutlicht hat, vgl. oben ebd. 34 Vgl. die Nachw. oben 1.1.1., 1.2.9.2. Ausf. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 360-410. 31

1. Freiheitsgewährleistung und Verantwortungsbedarf

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sammenhang und die Auswirkungsmöglichkeiten bewußt machen und etwaige Bedenken, Fragen und Anregungen auf irgendeine Weise zur Geltung zu bringen hae 5 . Der Grund für diese soziale Pflicht könnte darin gesehen werden, daß die Arbeit an wissenschaftlichen Fragen sich im Zusammenhang mit der allgemeinen Wissenserweiterung vollzieht und daher nicht ausschließlich privaten Charakter zeigt, sondern einbezogen ist in die öffentliche Wirksamkeit des Wissensfortschritts36 . Da sich die Wissenserweiterung nicht ausschließlich im individuellen Erfahrungsaustausch erschöpft und nicht allein der persönlichen Erbauung dient, sondern einen Teil der Grundlage für den sozialen Fortschritt darstellt, könnte es widersprüchlich erscheinen, ihre soziale Bedeutung völlig aus dem Wissenschaftsprozeß auszuklammern und allein der praktischen Verwirklichung zu überlassen. Die Wissenschaftsfreiheit läßt sich unter dem Gesichtspunkt ihrer sozialen Wirksamkeit nicht allein als Grundlage für private Freiräume, sondern auch als Erschließung eines sozialen Zusammenhanges verstehen, die nicht Isolation, sondern Beteiligung schafft. Daraus könnte abzuleiten sein, daß die wissenschaftliche Arbeit selbstverständlich auch ein Begleitbewußtsein dafür zu umfassen hat, welche soziale Bedeutung und welche praktischen Auswirkungen mit ihr verbunden sein können 37 • Je mehr die Wissenschaft zur planvoll organisierten Gesellschaftsfunktion ausgebaut wird, desto deutlicher kommt ihre soziale Entwicklungsaufgabe zum Ausdruck und verbindet sich zugleich mit ihr eine soziale Integrationsaufgabe, die bei der wissenschaftlichen Arbeit nicht unberücksichtigt bleiben kann. Die scheinbar vernachlässigbare Pflicht, den sozialen Zusammenhang mitzubedenken, könnte in dem Maße eigenständige Bedeutung gewinnen, in dem die Integrationsaufgabe nur noch unzulänglich bewältigt werden kann, weil die technische Instrumentalisierung zu einseitig verläuft. Von daher könnte die Offenheit und Freiheit der Wissenschaft die Verantwortung des Wissenschaftlers über die professionell geleistete Arbeit hinaus zu der Pflicht erweitern, die sozialintegrative Konnotation, die mit der Erkenntnissuche verbunden ist, nicht dahingestellt sein zu lassen, sondern gleichzeitig mit dem Wissenszuwachs näher zu erschließen. Die Verantwortungsdiskussion sieht darin in erster Linie ein ethisches Problem und drängt auf moralische Pflichten, die den Wissenschaftler von gefährlichen Alleingängen und von der rücksichtslosen Beteiligung an der Näher unten 2.1.2, 2.2. 36 Stellvertretend Eckert, Wissenschaft und Demokratie, 1971. 37 Vgl. auch Markt, Evolution, 1986, S. 38, 41 f., 109 f., der neben die Verantwortung des Forschers für die Qualität und Mittel der wissenschaftlichen Arbeit die Mitverantwortung für die Zwecke stellt, soweit überblickbar. Ausführlich in diesem Sinne auch Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 136-151; vgl. Geiger, Wissenschaftsfreiheit, 1984, S. 9-12; Turner, Freiheit, 1986, S. 24-28. 35

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VII. Besondere soziale Verantwortung

technischen Instrumentalisierung zurückhalten sollen. Die Anregung zur moralischen Besinnung könnte durch interne Verhaltenspflichten bekräftigt werden, die darauf hinwirken, daß Konflikt- und Verantwortungsfragen nicht vermieden, sondern zum Gesprächs- und Verständigungs thema gemacht werden 38 • Damit wird zwar die ethische Seite des Verantwortungsproblems beleuchtet, die als wichtige Grundlage der rechtlichen Freiheit zu betrachten ist und die in Sonderbereichen bei schwierigen Abwägungsfragen herausgefordert wird 39 ; es fragt sich aber, ob die erweitert gesehene Verantwortung für die Wissenschaft nicht grundsätzlich auch besondere rechtliche Pflichten umfaßt. Letztlich bezieht sich das Verantwortungsproblem zwar auf die Überlebensfrage für die menschliche Zivilisation und kann daher Anschluß an die Frage gewinnen, worin der Sinn des Lebens im ganzen liegt. Die heute zugänglichen evolutionären und kosmologischen Aspekte könnten dazu verleiten, den Lebenssinn in größeren Zusammenhängen als dem eines begrenzten Lebenslaufs oder etwa dem Überleben der Menschheit zu sehen; damit könnte das Verantwortungsproblem - selbst in der Zuspitzung auf die drohende Selbstvernichtung der Menschheit - aus der menschlichen Zuständigkeit ausgeklammert und einem davon unabhängigen Entwicklungsprozeß zugeordnet werden. Ähnlich könnte die persönliche Verantwortung innerhalb des menschlichen Lebensrahmens auf die Ebene gesellschaftlicher Steuerungsprozesse aufsummiert und dem Vertrauen auf das gemeinsame Überlebensinteresse überlassen werden. Beides ist aber nicht praktikabel, da im ersten Fall die individuell aufgegebenen durch die übergeordneten Sinnfragen nicht ersetzt und im zweiten die individuelle Beteiligung an sozialen Steuerungsprozessen nicht vernachlässigt werden kann. Daher läßt sich die persönliche, innerhalb der individuellen Lebenszeit aufgegebene, soziale Verantwortung nicht übergehen. Da sich die besondere soziale Verantwortung der Wissenschaft rechtlich aber nicht auf einem Weg begründen läßt, der von den Schranken der Wissenschaftsfreiheit ausgeht, bedarf es neuer Überlegungen zum sozialen Verständnis des Grundrechts. Damit wird an eine allgemeine Entwicklung angeknüpft, die zur veränderten Einschätzung der Freiheitsrechte im ganzen und zu einem veränderten sozialen Verfassungsverständnis führt40 . Jedoch darf die Gefahr, daß die Freiheitsrechte, soweit sie unter dem Gesichtspunkt ihrer Vgl. Hofmann, Biotechnik, 1986; Eser, Biotechnologie, 1986. 39 Vgl. Bark, Verfahren vor den Ethik-Kommissionen, 1984; Sass/Viejhues, Güterabwägung in der Medizin, 1991. 40 Vgl. oben VI.l.l sowie Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983; ders., Freiheit, 1985, S. 353 f.; Karpen, Auslegung, 1987; Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat, 1987, bes. S. 1038; Zacher, Soziales Staatsziel, 1987, 1104-1108. Vgl. Achterberg, Gesellschaftsbezogenheit, 1978. 38

2. Probleme der rechtlichen Begründung

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sozialen Erschliessungsaufgabe und Solidaritätspflicht betrachtet werden, unzulässig verengt werden könnten, nicht unterschätzt werden. Im Interesse des Freiheitsschutzes ist dieser Gefahr nachdrücklich entgegenzutreten. Daher hat der Versuch, die Wissenschaftsfreiheit durch eine soziale Verantwortung der Wissenschaft zu ergänzen, das Freiheitsrecht nicht zu beschränken, sondern ihm eine zusätzliche Wirkung zu eröffnen. Außerdem ist zu beachten, daß das Spannungsfeld zwischen der rechts- und sozialstaatlichen Zielbestimmung nicht mit engen Festlegungen bewältigt werden kann, sondern komplexe Lösungen gefunden werden müssen, die ein differenziertes Zusammenwirken erlauben41 • Daher dürfte es erforderlich sein, für die Schrankenfragen und die Fragen der sozialen Verantwortung ein Regelungsinstrumentarium zu erschließen, das sich nicht mit der Entgegensetzung von Freiheit und Beschränkung oder Erlaubnis und Verbot begnügt, sondern zu flexiblen Lösungen führt und den Grundsatz des angemessenen Interessenausgleichs möglichst vielschichtig anwendbar werden läßt42 •

2. Probleme der rechtlichen Begründung 2.1 Bisherige Ansatzpunkte Man könnte es als ein Mißverständnis bezeichnen, daß die Verantwortung für die Wissenschaftsfreiheit an der Verantwortung für ihre tatbestandlichen Voraussetzungen zu enden habe, also die Freiheitsgewährleistung einer selbstgenügsamen und nur mittelbar zu sinnvollem Zusammenwirken fähigen Freiheit zu widmen sei. Die Wissenschaftsfreiheit ist vielmehr in einen Verantwortungszusammenhang einbezogen, der sie unmittelbar zur Verantwortung über ihre Tatbestandserfüllung hinaus aufruft. Daß die Dynamik der Tatbestandsverwirklichung für deren Rückbezug auf den Grund der Freiheit keinen Raum läßt, ist von der Freiheitsgewährleistung nicht generell eingeplant. Daher ist ihre Sozialpflichtigkeit verständlich zu machen und zur Geltung zu bringen. 2.1.1 Technikgefahren

Ein Versuch, die Wissenschaftsfreiheit einzudämmen, ohne ihr zugleich zweckwidrige Beschränkungen aufzuerlegen, war dadurch vorgesehen, daß Grds. Zacher, a.a.O., S. 1101-1104; Stern, Staatsrecht I, 1984, § 21 S. 886-89l. 42 Vgl. oben VI.5. Grds. Mayntz, Entscheidungsprozesse, 1990; Püttner, Informaler Rechtsstaat, 1990. 41

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VII. Besondere soziale Verantwortung

Art. 12 Abs. 2 LVerf Bremen an die Garantie der Wissenschafts freiheit im Grundgesetz angefügt werden sollte43 • Doch handelt es sich bei dieser Vorschrift um einen Technikvorbehalt, der den Grundsatz der gesetzlich angeordneten Kontrollmöglichkeit formuliert und in diesen Zusammenhang auch "die Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen" einbezieht. Die Wissenschaftsfreiheit selbst bleibt davon unberührt. Der Vorschlag, den Vorbehalt zu übernehmen, wurde aber ohne nähere Erörterung wieder fallen gelassen und durch die Treueklausel für die Lehrfreiheit ersetzt44 • In der Tat hätte es an einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Wissenschaftsfreiheit gefehlt. Die Vorschrift verdeutlicht nur die Rechtslage45 , die den ausdrücklichen Grundrechtsschutz allein der wissenschaftlichen Erkenntnis, nicht dagegen der technischen Anwendung einräumt. Daher vertieft sie die Kluft zwischen der Freiheitsgarantie und der Rechtslage hinsichtlich der technischen Folgen. Immerhin weckt sie aber die Aufmerksamkeit dafür, daß die besondere rechtliche Legitimation, die für die wissenschaftliche Leistung vorgeschrieben ist, nicht in die praktische Anwendung hineinzutragen ist, sondern daß dafür ausschließlich die allgemeinen, mit dem Technikvorbehalt zusammengefaßt benannten Regeln gelten. Der Vorbehalt stellt nichts anderes als einen Ausdruck des Gefahrenabwehrgrundsatzes dar, der einen viel weiteren Rahmen für die gesetzliche Regelung zieht, als es für Beschränkungen der Wissenschaftsfreiheit denkbar ist, die nur den für diese anerkannten Verfassungsvorbehalt konkretisieren können. Die Bestimmung geht daher von der traditonellen Unterscheidung zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis und der technischen Praxis aus. Auf die Wissenschaftsfreiheit läßt sie sich nicht anwenden46 . An der Berührungsstelle, die sich auf wissenschaftliche Erfindungen bezieht, verlangt im übrigen die Wissenschaftsfreiheit eine Auslegung, die den Zweck der Gefahrenabwehr eng an die technische Verwertung bindet und davon unabhängige Rückwirkungen auf die Wissenschaftsfreiheit ausschließt.

43 Ausführlich dazu Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, S.313-320. Vgl. oben III, Fn. 22. 44 Vgl. auch Roellecke, Wissenschaftsfreiheit, 1969. 45 Spitta, Kommentar, 1960, S. 51 f. (unter Hinweis auf vergleichbare Generalklausein im Länderverfassungsrecht). 46 Als Verdeutlichung möglicher Bindungen herangezogen bei Häberle, Freiheit, 1985, S. 340 f.

2. Probleme der rechtlichen Begründung

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2.1.2 Informationspflicht

Den Versuch, die Kluft zwischen dem Freiheitsschutz für die Wissenschaft und der Rechtskontrolle, die für die technische Anwendung gilt, zu überbrücken, unternimmt § 6 UG Hessen, der mit einem deutlichen Schritt über die praxisbezogene Gefahrenabwehr hinaus das Prinzip der Folgenverantwortung einführt. Der Wissenschaftler an der Hochschule wird verpflichtet, seine gedankliche Aufmerksamkeit auch auf den sozialen Kontext der Forschung zu richten und soll die Hochschule über etwa erkennbare gefährliche Folgen informieren. Die zunächst angeordnete Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit wurde in eine Aufforderung zur Information der Hochschule umgewandelt47 • Zugleich wurde die inhaltliche Bezugnahme präzisiert; statt über bedenkliche Forschungsergebnisse soll über näher umschriebene Gefahren aufgeklärt werden. Damit wird zum einen der Möglichkeit vorgebeugt, auf den Inhalt der Informationspflicht und damit zugleich beschränkend auf die wissenschaftliche Bewegungsfreiheit einzuwirken; zum anderen wird ein Maßstab eingeführt, der eine objektive Beurteilung erlaubt. Außerdem wird klargestellt, daß die Verantwortung dem Staat gegenüber besteht. Freilich wird das Anliegen damit auch von einer als unbedingt gewollten zu einer nach Möglichkeit abverlangten Pflicht vermindert und läuft daher Gefahr, als Floskel abgetan zu werden. Die Einführung der Vorschrift 1970 war äußerst umstritten48 , und gegen das Gesetz wurde alsbald der Einwand erhoben, daß die Berücksichtigung gesellschaftlicher Folgen zu weit in politische Zusammenhänge hineinführe und zu unbestimmt sei, ferner die Informationspflicht einen nicht rechtfertigbaren inhaltlichen Zwang auferlege49 • Die geänderte Vorschrift von 1974 hatte das Bundesverfassungsgericht im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu überprüfen. Die Entscheidung setzt sich eingehend mit den unterschiedlichen Auffassungen auseinander und kommt zu dem Ergebnis, daß der Wissenschaftsfreiheit zwar eine Beschränkung auferlegt wird, diese aber begrenzt zu verstehen und insofern durch die verfassungsrechtlichen Schranken der Wissenschaftsfreiheit zu rechtfertigen ist50 .

47 Zu den verschiedenen Fassungen von 1970 und 1974 BVerfGE 47, 327 (366, 371-373); jetzt § 6 UG Hessen v. 6.6.1978 (GVBI I S. 348). 48 Kupfer, Informationsverpflichtung, 1971, S. 117 f.; BVerfGE 47,327 (371-374). 49 Kupfer, a.a.O., S. 124-140. Dort wird die Aufklärungspflicht, nicht aber die Pflicht des Folgenbedenkens als zu unbestimmt erachtet (S. 124-126); umgekehrt urteilt Hailbronner, Funktionsgrundrecht, 1979, S. 301 f. Vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 376-384. 50 BVerfGE 47, 327 (366-386). Dazu Karpen, Entwicklung, 1983, S. 927 f.

270

VII. Besondere soziale Verantwortung

Die Vorschrift, die, von der Wissenschaftsfreiheit ausgehend, die Folgenproblematik zum Regelungsgegenstand erhebt, ist Ausdruck der Überlegungen über die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft, die durch die kritische Soziologie herausgestellt und im Zusammenhang mit der Mitbestimmungsbewegung von der Studentenschaft aufgegriffen und zu einem Leitpunkt der Reformideen erhoben wurdesI. Dieser Hintergrund kann auch die teilweise brüske Ablehnung erklären, mit der auf die Vorschrift reagiert wurde s2 ; jedenfalls ist verständlich, daß alles, was einen Zusammenhang mit Bestrebungen vermuten läßt, die der Wissenschaft ein politisches Mandat aufdrängen wollen, als wissenschaftswidrige Vereinnahmung wirken kann. Der wissenschaftsideologische und politische Hintergrund der Vorschrift enthebt aber nicht von der Notwendigkeit, sie unvoreingenommen auf ihre rechtliche Wirksamkeit und Aussage zu prüfen. Die weitergeführte Verantwortungsdiskussion hat erkennen lassen, daß an der Frage der sozialen Ergänzung und Rechtfertigung der rechtlichen Legitimation der Wissenschaftsfreiheit kein Weg vorbeiführt, der sich nicht eine wirklichkeits ferne Einstellung vorwerfen lassen will. Zwar erlaubt das Verständnis für die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft weder die völlige Trennung der wissenschaftlichen und technischen Verantwortungsbereiche noch die politische Beanspruchung der Wissenschaft, aber es braucht nicht betont zu werden, daß ein verfassungskonformes Verständnis der Wissenschaftsfreiheit an ihrer viel berufenen verfassungsrechtlichen Integration nicht vorbeigehen darf. Gegen die Rechtspflicht, gefährliche Folgen der wissenschaftlichen Tätigkeit mitzubedenken, läßt sich kein durchschlagender Einwand erheben. Will man die Auferlegung als zu unbestimmt, sowohl hinsichtlich des Tatbestands als auch der InpfIichtnahme dafür, beiseiteschieben, verkennt man den Sinn und Zweck der Vorschrift und die Aufgabe, ihn nicht formalistisch zu unterlaufen. Allenfalls wenn die Anordnung als Schrankenbestimmung im Sinne eines Eingriffs zu verstehen wäre, könnte das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot als Legitimationsmaßstab herangezogen werden s3 . Eher ist zu fragen, ob die Überlegungspflicht überhaupt effektiv sein kann, da sich ihr Gegenstand erst mit der Überlegung näher ausformen läßt und größere oder geringere Möglichkeiten dazu eröffnen kann. Der Sinn und Zweck der Vorschrift ist jedoch, dafür zu sorgen, daß diese Frage nicht einfach übergangen, son-

51 Ausführlich Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, S. 368-377. Vgl. auch Rupp, Deutsches Hochschulwesen, 1982; ferner Tuppy, Wissenschaftsfreiheit, 1979. 52 Vgl. bes. Schmitt Glaeser, Freiheit, 1974, S. 113-115; ders., Freiheit, 1976, S. 80 f.; Rupp, a.a.O., S. 43. 53 So BVerfGE 47, 327 (375, 377 f.).

2. Probleme der rechtlichen Begründung

271

dern erst einmal aufgeworfen wird. Damit wird ein sinnvolles Ziel angestrebt und diesem Anliegen kann durchaus Rechnung getragen werden. Sollte die auferlegte Pflicht einen beschränkenden Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit darstellen, wäre sie nur durch unumgängliche Schutzgebote zugunsten anderer Verfassungsgüter zu rechtfertigen. Die Anordnung ist aber prinzipiell nicht auf eine Einschränkung, sondern auf eine Erweiterung der wissenschaftlichen Tätigkeit gerichtet54 , auf eine gedankliche Erweiterung in einer Form, die sich nicht zugleich als Unterdrückung oder Behinderung der wissenschaftlichen Tätigkeit auswirkt, sondern diese eher anregen hilft. Dagegen, daß die auferlegten Gedankenmühen die Konzentration von der wissenschaftlichen Arbeit ablenken oder sich gegen die Unbefangenheit der wissenschaftlichen Gedankenfreiheit auswirken könnten 55 , spricht nicht nur die völlige Freiheit der Disposition, in der die Pflicht erfüllt werden kann, sondern auch die Tatsache, daß sie einem als umfassend vorausgesetzten Denkprozeß angetragen wird. Ein weiterer Gesichtspunkt liegt in der demokratischen Grundlage der Freiheitsrechte, die einen gedanklichen Rückbezug nicht als Belastung, sondern als Voraussetzung der Freiheitswahmehmung verstehen läßt. Im Hinblick auf die Wissenschaftsfreiheit ist darin mehr als in jeder anderen Hinsicht eine Selbstverständlichkeit zu sehen, an die mit der Auflage erinnert und angeknüpft wird. Die Vorschrift greift daher nicht in die Wissenschaftsfreiheit ein, sondern aktualisiert die dieser zugrundeliegende gedankliche Vielseitigkeit, Vollständigkeit und Voraussetzung, dies aber nicht in störender, willkürlicher und behindernder Absicht oder Beliebigkeit, sondern aus der gesellschaftlichen Verantwortung für die grundsätzlichen Voraussetzungen der Freiheitswahrnehmung heraus. Anders könnte die Informationspflicht zu beurteilen sein, auf die der Appell zum Mitbedenken der Auswirkungen hinzielt, soweit sie an diesen konkrete Handlungspflichten anfügt. Verfassungswidrige Ziele der Information, etwa in Form von politischem Druck auf die Informanden oder sonstigen Eingriffen in die Wissenschaftsfreiheit, lassen sich nicht unterstellen, da die Rechtsbindung des Gesetzgebers und der Informationsverwaltung zu berücksichtigen ist und die Informationspflicht ihren Sinn in der Aufklärung über gefährliche Entwicklungsmöglichkeiten findet. Sie dient daher keinem wissenschaftseinschränkenden Zweck, sondern dem Allgemeininteresse an der Gefahrenabwehr und -vorbeugung. Einschränkende Maßnahmen gegenüber der Wissenschaft dürften daraus nur abgeleitet werden, wenn zum Schutz bestimmter Verfassungsgüter unentbehrlich.

54 55

Vgl. Hai/bronner, Funktionsgrundrecht, 1979, S. 300. Vgl. BVerfGE 47, 327 (377-379).

272

VII. Besondere soziale Verantwortung·

Außerdem stellt die Informationspflicht auch keinen unmittelbaren Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit dar, da sie sich der wissenschaftlichen Tätigkeit nicht in den Weg stellt. Sie zielt im Gegenteil darauf ab, durch vorausschauende Berücksichtigung von Gefahren und Risiken den wissenschaftlichen Handlungsspielraum möglichst offenhalten zu können und nicht vermeidbar auf die Rücksichtnahme zugunsten bestimmter Rechtsgüter auflaufen zu lassen, soweit Abwehr- oder Vorbeugungsmaßnahmen in Betracht kommen; außerdem zielt die Informationspflicht auf die Ermöglichung ergänzender und begleitender Forschungsprojekte, die eine möglichst umfassende wissenschaftliche Weiterentwicklung fördern können. Schließlich erscheint die Informationspflicht, wie die Pflicht zum Mitbedenken von Gefahren und Risiken, als eine Selbstverständlichkeit, da, wie die gedankliche Vielseitigkeit und umfeldbezogene Durchdringung, auch die Verständigung über die wissenschaftliche Bemühung und der Informationsaustausch einen Teil der wissenschaftlichen Tätigkeit darstellt. Die Äußerungspflicht hinsichtlich der Gefahren ist ihrerseits als Teil des selbstverständlichen wissenschaftlichen Öffentlichkeitsbezugs zu verstehen. Es versteht sich von selbst, daß die Wissenschaftsfreiheit nicht das Recht umfaßt, Gefahren, soweit sie im ohne weiteres voraussetzbaren Überlegungsprozeß erkennbar sind, zu verschweigen, wobei die Relevanz dem wissenschaftlichen Sachverstand überlassen bleiben muß. Einer Einschränkung der Informationspflicht auf den Charakter einer Aufforderung, die nach Möglichkeit zu erfüllen ist, hätte es demnach nicht bedurft. Die Erwägungen gegen die Informationspflicht sind folglich nicht stichhaltig. Zu berücksichtigen ist im übrigen, daß die Pflicht den Wissenschaftlern auferlegt wird, die an staatlichen Hochschulen tätig sind. Als Staatsbedienstete können sie nicht auf eine mit der öffentlichen Position unvereinbare Informationsautonomie pochen, soweit es um Interessen der Allgemeinheit geht, die nicht vom Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit umfaßt sind. Die Informationspflicht läßt sich unter diesem Gesichtspunkt als dem Rechtsverhältnis immanente oder ohne weiteres damit vereinbare Begleitpflicht verstehen. Zugleich ist sie auch aus dem verfassungsrechtlichen Schutz der Wissenschaftsfreiheit zu begründen, der nicht den Zweck haben kann, die Geheimhaltung gefährlicher Entwicklungen zu unterstützen 56 , sondern mit der Einräumung der Unabhängigkeit zugleich ein Verhalten voraussetzt, das sich nicht gegen die Grundlagen dafür richtet. Daher kann eine entsprechende Informationspflicht auferlegt werden, ohne daß der Freiheitsschutz beeinträchtigt wird. Hinsichtlich der nicht in staatlichen Diensten stehenden Wis-

56 In dieser Hinsicht gewährt die Wissenschaftsfreiheit kein allgemeines Schweigerecht; anders Hailbronner, Funktionsgrundrecht, 1979, S. 303.

2. Probleme der rechtlichen Begründung

273

senschaftler wären jedoch die Arbeitgeber-Interessen zu berücksichtigen und daher eine Informationspflicht nur unmittelbar diesen gegenüber und diesen selbst aufzuerlegen. Das Problem der Informationsklausel liegt zwar nicht in ihrer Zulässigkeit, wohl aber in ihrer Effizienz. Berücksichtigt man jedoch, daß es sich nicht um Gefahrenabwehr im engeren Sinne handelt, verliert das Problem an Gewicht. Schließlich handelt es sich auch darum, eine allgemeine Bereitschaft für die Folgenwahrnehmung und -diskussion zu schaffen, und eine Bewußtseinsänderung von einer falsch verstandenen Wissenschaftsautonomie in Richtung auf eine Teilnahme an der öffentlichen Verantwortung für die Wissenschaft und ihre Auswirkungen herbeizuführen. Daher ist die Informationspflicht in eine allgemeine Aufmerksamkeit der Hochschulen für die Wissenschaftsfolgen einzubetten. Die Hochschulen sind dazu aufgerufen, die Bedeutung der Überlegungs- und Informationspflicht durch organisatorische Maßnahmen möglichst aufzuwerten. Darauf ist noch zurückzukommen.

2.1.3 Hochschulaufgaben

Die Verantwortung der Wissenschaft vor der Gesellschaft, eines der Themen der Mitbestimmungs- und Politikdiskussion der Studentenbewegung, das durch die Diskussion über die Wissenschaftsfolgen57 , die durch die Risiken bei der Nutzung der Kernenergie, durch die Umweltschäden und die Auswirkungen der technischen Automation ausgelöst und durch die Diskussion über die demokratische Legitimation für politische Entscheidungen von großer Tragweite58 - so vor allem im Zusammenhang mit der Stationierung von Atomwaffen 59 - erweitert und verdeutlicht wurde, sollte auch Eingang in die gesetzliche Regelung der Hochschulreform finden. Jedoch wurde die zunächst vorgeschriebene Bestimmung, daß die Hochschulen ihre Aufgaben im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft zu erfüllen haben, nicht in den endgültigen Gesetzestext aufgenommen 60 • In grundSätzlicher Übereinstimmung mit den Argumenten, die zu dieser Entscheidung geführt haben, ist festzustellen, daß die Verantwortungsklausel einerseits eine Selbst-

57 Wie oben mehrfach erwähnt, vgl. bes. Beck, Risikogesellschaft, 1986; Kreibich. Wissenschaftsgesellschaft, 1986; Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988. 58 Zur Mitbestimmungsfrage und zum Parlamentsyorbehalt oben V, Fn. 240, 217. 59

Vgl. BVerfGE 66, 39 - Pershing 11 und Cruise Missile.

Dazu Thieme, Wissenschaftsfreiheit und Hochschulrahmengesetz, 1977, S. 192 f. Vgl. dagegen die teilweise Berücksichtigung auf Landesebene (Bremen, Hamburg, Hessen); Flämig, Forschungsauftrag, 1982, S. 897. 60

18 l.sch

274

VII. Besondere soziale Verantwortung

verständlichkeit ausdrückt, andererseits aber Unklarheiten darüber, was sie im einzelnen ausdrückt, nicht ausschließt und sich daher als Anlaß zu nicht beabsichtigten Auseinandersetzungen erweisen sowie zum Einfallstor sachfremder Anliegen eignen könnte 61 • Daher reicht der globale Hinweis auf die Verantwortung, die der gesamten Gesellschaft gegenüber besteht, nicht aus, um als Regelungsaussage Verwendung zu finden. Der Vorgang läßt jedoch erkennen, daß die Verantwortungsfrage sich neben den rechtlichen Zuständigkeits- und Entscheidungsregelungen und der damit verbundenen Zuordnung von Legitimation und Verantwortung als eigenständiger sachlicher Vorstellungsbereich durchgesetzt hat, der im Bereich der Wissenschaftsorganisation eine ausdrückliche Berücksichtigung verlangen könnte. Das Hochschulrahmengesetz beschränkt sich jedoch auf die formale Aufgabenbeschreibung und befolgt damit den verfassungsrechtlichen Auftrag, die staatlich getragene Wahrnehmung der Wissenschaft mit dem Zweck zu organisieren, die Freiheit der Wahrnehmung zu sichern. Die Art und Weise der Wahrnehmung muß daher grundsätzlich der autonomen Entscheidung der Ausführenden überlassen bleiben. Da die Wissenschaftsinstitutionen dem Zweck der individuellen Entfaltung der Wissenschaftsfreiheit zu dienen haben, stellen sie in erster Linie einen Rahmen für die individuelle Grundrechtswahrnehnmung dar. Damit heftet sich die Verantwortungs frage im wesentlichen an den einzelnen Wissenschaftler und seine aufgabenbestimmte Autonomie. Das Zusammenspiel von staatlicher Organisation und fachlicher Entfaltung, das Gewähr für die ungehinderte Weiterführung der wissenschaftlichen Entwicklung bietet, gilt auch als Grundlage für die soziale Integration der Wissenschaft, die sich aus der Arbeit in den einzelnen Fächern, dem gesamten wissenschaftlichen Zusammenhang und dem Zusammenhang mit der praktischen gesellschaftlichen Entwicklung, das heißt aus dem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse selbst und dem vielfältigen Informationsverbund, in den es einbezogen ist, herausbildet. Daß dieser Prozeß, der als ausgewogen vorstellbar ist, durch die neuen Dimensionen der wissenschaftlichen Erkenntniserweiterung und der technischen Wissenserschließung in ein Fahrwasser gelangen kann, das Integrationsfragen übergeht, ist jedoch immer deutlicher geworden, und hat dazu geführt, die besondere öffentliche Verantwortung der Wissenschaftsinstitutionen stärker zu betonen. Soweit darauf hingewirkt werden soll, daß die fachwissenschaftliche AufgabensteIlung von sich aus erweitert und je nach den möglichen Ansatzpunkten stärker an ihrem sozialen Zusammenhang orientiert wird, verdeutlicht das Bestreben die institutionelle und individuelle wissenschaftliche Aufgabenverantwortung.

61

Vgl. etwa Thieme, a.a.O., S. 205 f.

2. Probleme der rechtlichen Begründung

275

Soweit es jedoch dazu dienen soll, ein zentrales Mandat der einseitigen Interessenwahrnehmung zu erteilen und eine Entwicklung anzuregen, die eine Verselbständigung zu sozialintegrativen Forschungseinrichtungen einleiten soll, gerät es in Konflikt mit der Freiheitsgarantie, auf der die institutionelle Organisation beruht und der diese zu dienen hat. Wie oben dargelegt62 , entscheidet die Zusammenarbeit an der Institution über die Wahrnehmung zentraler Aufgaben und Projekte; soweit die Mitarbeit der einzelnen Fachrichtungen und Fachvertreter an zentralen Forschungsaufgaben erforderlich ist, besteht keine unabhängige zentrale Befugnis zur selbständigen Organisation. Vor allem liegt es weder im Interesse der Entwicklung folgenorientierter Fragestellungen noch der wissenschaftlichen Weiterentwicklung, daß eine sowohl aus dem fachwissenschaftlichen als auch dem sozialen Zusammenhang herausgelöste Metawissenschaft eingeführt wird 63 • Der sachlich erforderliche und rechtlich vorgezeichnete Weg geht vielmehr von der fachwissenschaftlichen Aufgabenerweiterung und der vorsichtigen interdisziplinären Weiterentwicklung aus. 2.1.4 Mißbrauchsabwehr

Ein weiterführender Ansatz ist auch nicht durch Beschränkungsvorbehalte zu gewinnen, wie sie Art. 17 Abs. 3 der Verfassung der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik enthält64 • Das Mißbrauchsverbot, das darin mit Bezug auf den Frieden, die Völkerverständigung, das Leben und die Würde des Menschen ausgesprochen wird, setzt eine Verhaltensschranke, läßt sich aber nicht ins Positive umkehren und als Anleitung zu einer entsprechenden, ausdrücklich wahrzunehmenden Wissenschaftsverantwortung verstehen. Ob grundsätzlich ein Vorteil darin zu sehen ist, daß eine ausdrückliche Schranke gezogen wird, erscheint im übrigen zweifelhaft, da zum einen mit der Schrankenbestimmung nur eine selbstverständliche, verfassungsimmanente Bindung ausgesprochen wird, zum anderen die besondere Hervorhebung aber auch die Auslegungsfragen, die mit den einzelnen Vorbehalten verbunden sind, besonders hervortreten läßt und ihrem verfassungsrechtlichen Zusammenhang gegenüber verselbständigt. Damit könnte dem Schranken vorbehalt ein Gewicht verliehen werden, das weder auf die Wissenschaftsfreiheit noch auf die einzelnen Schrankenbereiche abgestimmt ist65 • Vgl. oben VI.3.2. 63 Vgl. auch unten 3.2. 64 Vgl. Häberle, Freiheit, 1985, S. 342. 65 Daher ist auch der Meinung nicht zu folgen, die eine Übernahme ins GG befürwortet, so Sieger, Verfassung der DDR, 1986, S. 63. 62

1S"

276

VII. Besondere soziale Verantwortung

2.1.5 Würdevorbehalt

Ins Grundsätzliche verallgemeinert ist der Vorbehalt in § 14 der Verfassung des Kantons Aargau, Schweiz, wonach die Wissenschaft die "Würde der Kreatur zu achten" hat66 • In dieser Bestimmung treffen Beschränkung und Schutzgebot zusammen; sie könnte daher zum Ausgangspunkt für positive Verantwortungsgebote werden67 • Die unbestimmte Weite, die sich mit der Würdeklausel verbindet, eignet sich aber kaum als Grundlage für Gebote, die auf ein festumschriebenes Ziel gerichtet sind. Um die grundsätzlich gewährleistete Wissenschaftsfreiheit zu wahren, dürften daher für die gesetzliche Ausgestaltung nur Rahmenbestimmungen in Betracht kommen. Zugleich gibt die Vorschrift aber Anlaß, die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf das darin ausgedrückte Anliegen zu richten und auf ein Wissenschaftsbewußtsein und eine Interessenentfaltung hinzuarbeiten, die den lebensintegrativen Gesichtspunkt ins Zentrum rücken. Damit wäre die Richtung eingeschlagen, auf die sich die Forderung nach einer besonderen sozialen Verantwortung der Wissenschaft konzentriert. 2.2 Immanente Sozialbindung An den dargestellten Versuchen, der Wissenschafts freiheit eine Orientierung zu vermitteln, die geeignet ist, den über die Möglichkeiten der rechtlichen Beschränkung hinauswirkenden Freiheitsschutz davor zu bewahren, in gefährliche Auswirkungen umzuschlagen, zeigt sich, wie schwierig es ist, angemessene Leitlinien zu finden, ohne den Freiheitsschutz zu beschränken. Die Auferlegung von Schranken wäre aber nicht nur rechtlich, sondern auch sachlich mit dem Freiheitsschutz unvereinbar. Die schrankenlose Gewährleistung läßt sich nicht durch einen summarischen Verfassungsvorbehalt überwinden, und die Natur der wissenschaftlichen Erkenntnis bedarf der sachlichen Autonomie, um sich entfalten zu können. Daher entspricht die schrankenlose Gewährleistung zugleich einem sachlichen Bedürfnis, und wenn sie durchbrochen würde, wäre der Freiheitsschutz der Relativierung zugänglich und daher insgesamt erschüttert. Aus diesem Grunde müssen die Versuche, den Freiheitsschutz in einer Formel aufzufangen, die seiner Rückbindung an das Gemeinwohl Ausdruck verleiht, entweder ohne genaueren

Vgl. auch Püttner, Forschungsfreiheit, 1987, S. 81 f. 67 So Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980. Textausgabe mit Kommentar (Veröffentlichungen zum aargauischen Recht, Bd. 33), Aargau / Frankfurt a.M. / Salzburg 1986, S. 89. 66

2. Probleme der rechtlichen Begründung

277

Aussagegehalt bleiben oder sich mit einer Umschreibung der verfassungsrechtlich stillschweigend bestehenden Schranken begnügen, wenn sie den Freiheitsschutz nicht unwirksam machen wollen. Dieser Weg ist daher unbrauchbar, um der besonderen sozialen Verantwortung der Wissenschaft rechtlichen Ausdruck zu verleihen. Jedoch handelt es sich bei dem Anliegen auch nicht darum, der Wissenschaftsfreiheit eine Beschränkung aufzuerlegen oder der verfassungsrechtlichen Gewährleistung eine immanente Schrankenwirkung zu entnehmen, sondern vielmehr darum, einen rechtlichen Auftrag zu verdeutlichen, der als ein Teil der Entfaltungsfreiheit zu verstehen und nicht gegen den Freiheitsschutz gerichtet ist. Im Gegensatz zu den Schranken, die dem Freiheitsrecht durch andere Rechte gesetzt sind, hat die besondere Ausgestaltung des Freiheitsrechts, die in der Pflicht liegt, den sozialen Zusammenhang des Freiheitsgebrauchs wahrzunehmen, ihren Grund in der Freiheitsgarantie selbst. Das Freiheitsrecht steht unter der Voraussetzung, daß, unabhängig von den rechtlichen Schranken des Freiheitsgebrauchs, sein sozialer Sinnbezug nicht außer acht gelassen werden darf und nicht der völlig beliebigen Verfügung unterliegt. Daß diese Bindung der Freiheit in der Gewährleistung enthalten ist, ergibt sich aus den besonderen Bedingungen, unter denen die Freiheitsgarantie steht. Wegen der weitreichenden Auswirkungen, die mit ihr verknüpft sind, bedarf es, damit ihr Zweck, dem Allgemeinwohl zu dienen, erfüllt werden kann, mehr als der Berücksichtigung anderer Rechte und der allgemeinen Gefahrenabwehr. Die Grundlage, die das Freiheitsrecht für die Entfaltung der von ihm geschützten Freiheit legt, reicht über den bezweckten Wirkungskreis hinaus und läßt sich durch andere Regelungen nicht ausreichend in Einklang mit der Rechtsordnung bringen. Der überschießende Freiheitsgehalt verlangt daher eine ergänzende Pflichtbindung, die schädlichen Folgen entgegenwirken hilft. Diese Pflicht überbrückt die Kluft zwischen den Schranken und der darüber hinausreichenden Schutzwirkung. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die in Art. 14 Abs. 2 GG durch die ausdrückliche Bindung an das Gemeinwohl vorgeschrieben wird, stellt eine Festlegung dar, mit der ein Vergleich denkbar wäre. Während beim Grundeigentum die absolute Freiheit der Verfügungsmacht sich nicht damit verträgt, daß nur ein begrenzter Lebensraum zur Verfügung steht, auf den die Allgemeinheit gleichzeitig angewiesen ist, liegt bei der Wissenschaftsfreiheit die Notwendigkeit einer Sozialbindung aber darin, daß die allgemeinen Lebensbedingungen für die Auswirkungen des Freiheitsrechts nur begrenzt zur Verfügung stehen können und die Schranken des Freiheitsrechts nicht dafür ausreichen, diese Bedingungen zu sichern. Daher kommt, je stärker die wissenschaftlich begründete Inanspruchnahme sich auswirkt, desto deutlicher die immanente Pflichtbindung zur Geltung, die verlangt, daß die Möglichkeit, daß sich Inanspruchnahmen der Allgemeinheit

278

VII. Besondere soziale Verantwortung

entwickeln, die sich nachteilig auswirken, mitbedacht und angemessen in die fachliche und öffentliche Diskussion eingebracht werden 68 • Diese Pflicht erscheint auch aus folgenden Gründen selbstverständlich und daher unmittelbar in der Freiheitsgarantie enthalten. Der Freiheitsschutz setzt eine besondere Qualifikation der Grundrechtsberechtigten voraus. Niemand anders als der entsprechend qualifizierte und infonnierte Wissenschaftler ist grundsätzlich besser imstande, sich über die Tragweite der wissenschaftlichen Erkenntnisarbeit ein Bild zu machen und die möglichen Auswirkungen einzuschätzen. Für seine qualifizierte Arbeit erhält der Wissenschaftler das verfassungsrechtliche Schutzprivileg; es kann aber nicht zugleich der Sinn der Privilegierung sein, dem Fachmann, von dem das Wohl der Gesellschaft wesentlich abhängt, ein Schweigerecht für die gefährlichen Kehrseiten zu gewähren. Vielmehr ist der Freiheitsschutz darauf angewiesen, daß der vornehmlich dazu befähigte Fachmann daran arbeitet, daß der übergeordnete Schutzzweck nicht verfehlt und der Freiheitsschutz in sein Gegenteil verkehrt wird69 • Die Privilegierung setzt daher, unabhängig davon, daß sie an den Schranken endet, die durch gleichwertige Schutzpflichten bestimmt werden, eine begleitende Pflicht zur Aufmerksamkeit für die Belange der Gesellschaft voraus, zu deren Vorteil sie gewährt wird70 • Die Pflicht verlangt, an der Aufklärung über erkennbar zweckwidrige Folgen mitzuwirken. Die konkrete Reichweite der Pflicht hängt, wie bei der Berechtigung, von den Umständen im einzelnen ab. Ein weiterer Grund, der die Pflicht zur Aufmerksamkeit für gefährliche Folgen, die sich aus der wissenschaftlichen Tätigkeit ergeben können, als selbstverständliche Begleitpflicht der Freiheitsgarantie erscheinen läßt, liegt darin, daß der Wissenschaftsfreiheit eine besondere öffentliche Bedeutung und Wirksamkeit zuzuschreiben ist. Wenn dem Wissenschaftler im Interesse der positiven Leistungen, die mit seiner Tätigkeit für die Entwicklung der Gesel!schaft gewonnen werden können, ein Schutzprivileg gewährt wird, erscheint es selbstverständlich, daß die damit verbundenen Risiken, die entsprechende Bedeutung für die Allgemeinheit erlangen können, nicht ignoriert

68 Vgl. Beck, Risikogesellschaft, 1986; Meyer-Abich, Wissenschaft als Beruf, 1982, S. 458-461; ders., Wissenschaft für die Zukunft, 1988; Meyer, Neue Medienpolitik, 1988; Brandt, Schafft die Forschung die Probleme, 1989. Grds. Pinkau, Probleme der Folgenabschätzung, 1990. 69 Zur Notwendigkeit der Erziehungsanstrengungen in diesem Zusammenhang Markt, Evolution, 1986, S. 53. Vgl. auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 384-410. 70 Vgl. den (bescheidenen) Vorschlag, den v. Weizsäcker, Didaskalia, 1976, S. 20 für den wissenschaftlichen Unterricht ausspricht.

2. Probleme der rechtlichen Begründung

279

und etwa von der Schutzwirkung umfaßt werden sollen. Das öffentliche Privileg setzt diese Achtung vor der Allgemeinheit voraus. Ein ähnliches Argument läßt sich aus dem Vergleich mit der Treuebindung der Lehrfreiheit gewinnen, denn so, wie mit dieser Pflicht nur verlangt wird, daß die rechtlichen Grundlagen für die Lehrfreiheit respektiert werden, bedeutet die besondere soziale Verantwortung nur, daß die existentiellen Grundlagen für die Wissenschaftsfreiheit nicht in Frage gestellt werden dürfen. An diesem Vergleich wird auch deutlich, daß die Sozialbindung keine Pflicht zur sozialnützigen Forschung oder zur Folgen- und Begleitforschung schafft. Zwar ergibt sich für die staatliche Forschungspolitik die Aufgabe, den Bedarf nach ent~prechenden Forschungsprojekten zu berücksichtigen und die Wissenschaftsförderung darauf einzustellen; außerdem haben sich die öffentlichen Forschungsinstitutionen bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Verantwortung darum zu bemühen, daß Forschungsaufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen, nicht vernachlässigt werden. Die besondere soziale Verantwortung, die mit der Wissenschaftsfreiheit verbunden ist, bezieht sich aber nicht auf die Wahl der Forschungsvorhaben und Forschungsthemen, sondern erscheint lediglich als Pflicht, die Ausübung der Wissenschaftsfreiheit mit der Einschätzung zu begleiten, ob sich daraus nachteilige Folgen ergeben könnten, und gegebenenfalls zur Aufklärung darüber beizutragen. Sie hat den Zweck, eine vorausschauende Beurteilung zu ermöglichen, und die Gefahrenerkennung und Vorsorge zu unterstützen. Vor allem läßt sie auch Aufschluß darüber gewinnen, welche Forschungsaufgaben sich in diesem Zusammenhang stellen. Ähnlich wie beim Eigentumsschutz, erhebt sich auch bei der Wissenschaftsfreiheit die Frage, wie die Sozialbindung, die zum Inhalt des Freiheitsschutzes gehört, von der Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit abgegrenzt werden kann. Die soziale Verantwortung des Wissenschaftlers bedeutet jedoch keine Belastung des wissenschaftlichen Arbeitsvorganges, da sie nur eine akzessorische Erweiterung der Aufmerksamkeit verlangt und die wissenschaftliche Selbstbestimmbarkeit und Sachgesetzlichkeit unberührt läße 1• Auch die bedingte Informationspflicht soll kein Eingriff in die wissenschaftliche Selbständigkeit sein; daher hat ihr eine Form zu genügen, die mit der Verfügungsmacht über den wissenschaftlichen Arbeitsprozeß und seine Ergebnisse vereinbart werden kann und keine Rechenschaftspflicht bedeutet. Reflexwirkungen auf das wissenschaftliche Interesse und die Zuwendung zu den Arbeitsvorgängen, die als Belastung und Eingriff in die Selbständigkeit des Vorgehens betrachtet werden könnten, werden von der Verantwortung für die möglichst umfassende Einschätzung der wissenschaftlichen Tätigkeit

71

Vgl. oben 2.1.2.

280

VII. Besondere soziale Verantwortung

umfaßt und können, wie diese, für die Ausführung einer entsprechend qualifizierten Arbeit als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Die Reflexionsund Informationspflicht hat jedoch in einem angemessenen Verhältnis zur zugrundeliegenden AufgabenerfüIlung zu stehen und darf daher nicht in einer Weise geltend gemacht werden, die über ihren begleitenden und erweiternden Charakter hinaus greift und die wissenschaftliche Selbständigkeit beeinträchtigt. Sie obliegt dem Wissenschaftler daher nur dem Grunde nach, während die Ausführung seiner pflichtgemäßen Entscheidung zu überlassen ist und nicht im einzelnen vorgeschrieben werden kann. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, daß es sich um eine Scheinpflicht oder eine bloße Entlastungsgeste handelt, vielmehr ergibt sich aus der staatlichen Verantwortung für die Wissenschaft, daß durch organisatorische Maßnahmen und die Förderung einer entsprechenden Bewußtseinsbildung soweit wie möglich darauf hinzuarbeiten ist, daß sich konkrete Auswirkungen aus der sozialen Begleitpflicht entwikkeIn können. Insbesondere ist an den Aufbau einer Informationsverwaltung, an die Unterstützung des Informationsaustauschs, an die Vergabe begleitender Forschungsprojekte und die Anerkennung entsprechender Bemühungen durch die Förderung zu denken. Den öffentlichen Wissenschaftsinstitutionen könnte in diesem Zusammenhang die wichtige Aufgabe zukommen, nach Wegen zu suchen, auf denen die soziale Verantwortung der Wissenschaftler für die möglichen Folgen und Auswirkungen der Wissenschaftsentwicklung sich praktisch ausdrücken kann 72 . Das Ziel ist, daß von wissenschaftlicher Seite aus dafür gesorgt werden kann, daß nicht vernachlässigbare Vorkehrungen und Ergänzungen für die praktische Entwicklung ausreichende Berücksichtigung finden, ferner, daß darauf gerichtete Forschungsaufgaben erkennbar und in Angriff genommen werden, und daß sich in wachsendem Maße integrative Entwicklungskonzeptionen herausbilden können. Vor aIlem für die Universitäten, die aufgrund ihrer Selbständigkeit und Vielseitigkeit und ihrer Ausbildungsaufgabe eine herausragende SteIlung im Berührungsbereich von Wissenschaft und GeseIlschaft einnehmen 73 , könnte es ein besonderes Anliegen darsteIlen, daß die Wissenschaftsgefahren genauer erkennbar werden, der Informationsstand verbessert wird, Projekte über die Auswirkungen des wissenschaftlichen Fortschritts entwickelt werden und sich eine umfassend verantwortungs voIle, möglichst gefahrenvermeidende Wissenschaftsauffassung ausbilden kann 74 •

Vgl. auch Sinn, Aufgabe der wissenschaftlichen Gesellschaften, 1990. Vgl. oben 11.8 sowie Oppermann, Universität und Wissenschaft, 1983. 74 Vgl. Easlea, Väter der Vernichtung, 1986, S. 200; Altmüller, Star Wars, 1988, S. 53; Brandt, Schafft die Forschung, 1989, S. 114; Kamper, Abenteuerlust, 1989, S. 26; Lippert, Zum hochschulpolitischen Hintergrund, 1989; Schwan, Wahrheit, 1989, S. 41; Mittelstraß, Gestörte Verhältnisse, 1990; Cook-Deegan, Herausforderungen, 1991, S. 182. 72

73

2. Probleme der rechtlichen Begründung

281

Auch auf der institutionellen Ebene bedeuten die Aufgaben keine Beschränkung, sondern sind Teil der Selbstverwaltungs- und Entfaltungsfreiheit, die der umfassenden Aufgabenwahrnehmung zu dienen hat. Die Art und Weise, wie besondere Sozialbezüge zu berücksichtigen sind, steht zur freien Disposition; die Freiheit der Aufgabenerfüllung wird daher durch die Berücksichtigung der sozialen Verantwortung erweitert und angeregt, aber nicht eingeschränkt. Die besondere Sozialbindung ergänzt die Wahrnehmung der Wissenschaftsfreiheit und dient dazu, das Problem, daß der konkrete Rechtsgüterschutz nur eine Schrankenwirkung entfalten kann, die den weittragenden Folgen der Wissenschaftsfreiheit nicht ausreichend entgegengesetzt werden kann, von innen heraus aufgearbeitet und vorweggenommen werden kann. Aber auch im institutionellen Bereich wären konkrete Anordnungen, wie diese Aufgabe wahrzunehmen ist, als unzulässiger Eingriff zu betrachten, und organisatorische Maßnahmen haben die allgemein geltende Grenze zwischen der freiwilligen Zusammenarbeit und der einseitigen Beeinträchtigung zu beachten. So sind die vielen Möglichkeiten, die bestehen, um auf die Wissenschaftsentwicklung einzuwirken, die Orientierung der Wissenschaftspolitik, die Ausrichtung der wissenschaftlichen Hochschulen und wissenschaftlichen Ausbildung und die öffentliche Diskussion auf allen Ebenen dafür zu nutzen, daß die rechtlich gesicherte Wissenschaftsautonomie vor einer schädlich wirkenden Entfremdung von der Allgemeinwohlbindung, die der Wissenschaftsfreiheit zugrundeliegt, bewahrt wird. Aus den angestellten Überlegungen ergibt sich, daß der Versuch des hessischen Landesgesetzgebers, ein Bewußtsein für die besondere soziale Verantwortung der Wissenschaftler anzuregen, sich nicht gegen die Wissenschaftsfreiheit richtet, sondern ihren tieferen Sinn zu Geltung bringen will. Zugleich erscheint es überzeugend, daß an die zentrale Rolle der universitären Wissenschaft angeknüpft wird. Jedoch stellen sich noch weitergehende Aufgaben. Auch die Wissenschaftler in anderen Bereichen sind dazu aufgefordert, sich ihren Einblick in soziale Zusammenhänge bewußt zu machen und an der Ausbildung einer für die Auswirkungen der wissenschaftlichen Arbeit sensiblen Wissenschaftsauffassung mitzuwirken. Davon unabhängig stellt sich die Aufgabe, im Bereich der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung eingetretene Umweltschäden zu korrigieren, schädliche Auswirkungen zu bekämpfen und unschädliche Alternativen auszuarbeiten 75 • Der wachsende Einblick in strukturelle Zusammenhänge und die Möglichkeiten der neuen Datentechnik erweitern das Verständnis für Interdependenzen und erlauben, daß diese auch bei spezialisierten Projekten vorausschauend berücksichtigt

75 Stellvertretend Beck, Risikogesellschaft, 1986; Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988; Stock, Vorwärtsschreiten, 1989, S. 105 f. Grds. Pinkau, Probleme, 1990.

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VII. Besondere soziale Verantwortung

werden können 76 • Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Wissenschaftsentwicklung nicht nur dazu beitragen muß, existentiellen Gefahren entgegenzuwirken, sondern auch, die allgemeine soziale Verträglichkeit wissenschaftlich begründeter Techniken zu verbessern. Auf diesem Gebiet sind umfassende Sozialisations- und Integrationsstrategien erforderlich77 • Für die vielen Problembereiche sind Lösungswege mit wissenschaftlicher Hilfe zu erarbeiten. Die Wissen sc hafts gefahren haben sich ständig erweitert und zu einem umfassenden Aufgabenfeld nicht nur der Technikkontrolle, sondern auch der vorausschauenden Folgenabschätzung entwickelt. So eröffnet sich ein immer unverzichtbarer werdender Bereich von Forschungsaufgaben, die zu den Fragen der Information über gefährliche Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft sowie zur Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge entstanden sind78 • Die soziale Verantwortung der Wissenschaft verlangt daher einen aktiven Einsatz, der weit über die Fragen der unmittelbaren ökonomischen Nützlichkeit hinausgeht. Unter anderem wurde anläßlich des sowjetischen Reaktorunfalles erneut bewußt, daß ein großer Informationsbedarf über die Möglichkeiten von Auswirkungen und Schutzmaßnahmen besteht. Die Stichworte Schadstoffgrenzen und Risikowerte erlangten plötzlich unvorhergesehene Wichtigkeit und ließen einen Nachholbedarf erkennen79 . Dieses Problem stellt sich immer deutlicher im Bereich der Umweltbelastungen, so im Zusammenhang mit den Waldschäden, der Smogbekämpfung und der Ozonbildung, der Wasserverschmutzung, der Trinkwasserqualität und der Bodenverseuchung. So ist ein Bewußtsein dafür entstanden, daß zwischen der wissenschaftlich bestimmten Technik und Industrie und der staatlichen Gefahrenabwehr noch Risikobereiche offenstehen. Die Notwendigkeit zur verstärkten Gefahrenabwehr fordert nicht nur den darauf spezialisierten staatlichen Wissenschaftszweig, sondern zunehmend auch die freie Wissenschaft heraus. Daher ist auch die staatlich geförderte und getragene wissenschaftliche Selbstverwaltung nicht allein als Freiheitsgarant zu betrachten, der sich vor die freie Interessenwahrnehmung zu stellen hat. Mit der Notwendigkeit der Entfaltungsfreiheit darf nicht gerechtfertigt werden, daß die Wissenschaftsentwicklung vitale Schutzfragen vernachlässigt und sich von der praktischen gesellschaftlichen Integration entfremdet. Vielmehr bedeutet die rechtlich geschützte und organisatorisch gesicherte Selbständigkeit zugleich die Pflicht, Vgl. auch Meyer, Neue Medienpolitik, 1988. Vgl. Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988. 78 Ebd., S. 146-151; Döring, Technik und Ethik, 1988; Sinn, Aufgabe, 1990, S. 307-310; Spinner, Erst kommt das Wissen, 1990, S. 199-229. 79 Grds. Beck, Risikogesellschaft, 1986; vgl. Neuberger / Sieker, Tschernobyl, 1988, S. 144 f. 76 77

2. Probleme der rechtlichen Begründung

283

den Rückbezug auf den sozialen Sinn der Wissenschaftsfreiheit nicht zu ignorieren, sondern das wissenschaftliche Sachinteresse dafür zu öffnen und verantwortlich wahrzunehmen. Die angeführten Gesichtspunkte können, wie folgt, zusammengefaßt werden. Die Überlegungen zur Begründung und Reichweite der Wissenschaftsfreiheit haben gezeigt, daß die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen zwar nicht zur völlig unbegrenzten Freistellung führt, daß aber in der unbedingten Freiheitsfolge ein Freibrief enthalten ist, der weiter reichen kann, als mit der Freistellung beabsichtigt ist. Das gilt für den Fall, daß Auswirkungen der wissenschaftlichen Tätigkeit erkennbar sind, die existentielle Gefahren darstellen oder heraufbeschwören und die staatliche Schutzpflicht für die Grundrechte in einer Weise beeinträchtigen könnten, die zu übergehen und zu verschweigen sich nicht mit der Inanspruchnahme des staatlichen Freiheitsschutzes vereinbaren ließe. Für diesen stellt die Wissenschaft zwar vordergründig einen Selbstzweck, zugleich aber ein Mittel zum Zweck der lebensfördernden Wirklichkeitserkenntnis dar. Von dieser mittelbaren Zweckbindung abstrahieren zwar Tatbestand und Rechtsfolge, um durch völlige Offenheit möglichst Schutz für ein Höchstmaß an Erkenntnisgewinnn zu erreichen; die Abstraktion verselbständigt den Schutz aber nicht soweit, daß er sich gegen seinen mittelbaren Sinn und Zweck und seine eigenen Voraussetzungen kehren dürfte. Soweit die selbstverständliche Rechtspflicht zur Wahrung der Voraussetzungen, unter denen die Rechtseinräumung überhaupt möglich wird und zugleich das selbstverständliche Verbot des Rechtsmißbrauchs in Betracht kommt, weist die ausdrückliche Bindungsklausel für die Lehrfreiheit auf diese immanenten Grenzen hin; sie können hinsichtlich der Forschungsfreiheit, deren Wahrnehmung sich nicht in gleicher Weise manifestiert, nur im Überschneidungsbereich auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Publizistik, sonst aber nicht ebenso unmittelbar geltend gemacht werden. Der Wissenschaftler wird jedoch mit der Wahrnehmung der Wissenschaftsfreiheit zum Garanten dafür, daß er Staat und Gesellschaft nicht blindlings an Gefahren ausliefert, die durch seine Rechtswahrnehmung ermöglicht und erkennbar werden. Dieser Preis für die Wahrnehmung des Rechts ist keine Fessel, die durch das Freiheitsrecht gerade verboten wird, sondern ein konstitutiver, mit der Wahrnehmung zum Vorschein kommender Teil des Rechts, der dessen Ermöglichung dient. Da die wissenschaftliche Erkenntnisarbeit sich im kommunikativen Verbund vollzieht, umfaßt die Verantwortung jede daraus erkennbare Gefährdungsmöglichkeit, gleichgültig, wieweit die eigene Forschung in den Gefahrenzusammenhang einbezogen ist. Inhaltlich scheint keine Konsequenz für die eigene oder in Form der Einmischung in fremde wissenschaftliche Tätigkeit zulässig; die Verantwortung

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VII. Besondere soziale Verantwortung

läßt sich aber als Infonnationspflicht konkretisieren, die dem Staat gegenüber besteht, der die Wissenschafts freiheit zu garantieren und für den Schutz der Lebens- und Freiheitsvoraussetzungen zu sorgen hat 80 • Die Folgenverantwortung wächst aus der tatbestandsbezogenen Verantwortung für die erkenntnisgerichtete Tätigkeit heraus, und ergänzt die Suche nach Erkenntnis um die Aufgabe zur möglichst umfassenden Beurteilung ihrer Auswirkungsmöglichkeiten sowie zur angemessenen Infonnation darüber. Diese Aufgabe erscheint nur solange als bloßer Appell, als es an organisatorischen Maßnahmen fehlt, die ihre praktische Wahrnehmung ermöglichen und erweitern können. Der individuellen Pflicht entspricht auf der institutionellen Ebene die Pflicht zur organisatorischen Unterstützung und Initiative in Fonn der Infonnationssamrnlung und -verwertung, die auch die Aufgabe, eigenständige Projekte durchzuführen, umfaßt. Der Staat kann die Pflicht dazu und die Einleitung organisatorischer Maßnahmen anordnen. Dabei handelt es sich prinzipiell nicht um eine Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit, sondern um eine Verdeutlichung der Aufgaben, die aus der Wahrnehmung des Rechts erwachsen und den Freiheitsbereich nicht verengen, sondern erweitern.

3. Probleme der praktischen Realisierbarkeit 3.1 Staatliche Forschungspolitik Um der dargelegten Wissenschaftsverantwortung praktische Bedeutung zu verleihen, ist es erforderlich, ein Infonnationsnetz aufzubauen und eine wissenschaftliche Diskussion in Gang zu bringen, die es schwer machen, sich der Beteiligung arn Infonnationsbestand zu entziehen. Ein erster Schritt dazu ist die Geltendmachung von Infonnationspflichten und die Pflicht zur Mitwirkung an der Infonnationsverwaltung. Sanktionen wegen der Vernachlässigung der Pflicht lassen sich zwar kaum vorstellen, weil die nähere Konkretisierung der Infonnationsaufgabe allein dem einzelnen Wissenschaftler vorbehalten bleiben muß. Aber schon die Geltendmachung der Pflicht erfüllt den Zweck, die Wissenschaft an ihre Verantwortung für den Lebenszusammenhang, an dem sie teilhat, zu erinnern und die Aufmerksamkeit für erkennbare Schadensfolgen als ständige Aufgabe bewußt zu machen. Von wesentlicher Bedeutung sind organisatorische Neuerungen, wie die Einrichtung einer effektiven Infonnationsverwaltung und der Aufbau einer konsequenten Folgenforschung. Von solchen weitergehenden Maßnahmen hängt es ab, ob der 80 Vgl. auch Kasig, Verantwortung, 1989, S. 322; Kreck, Ethische Verantwortung, 1988.

3. Probleme der praktischen Realisierbarkeit

285

Rechtspflicht zur Infonnation praktische Wirksamkeit verschafft werden kann. So ist für die Entgegennahme, die Auswertung und die weitere Verwendung entsprechender Infonnationen zu sorgen. Die Erfassung und Dokumentation ist nur Voraussetzung für eine ganze Reihe weiterer Aufgaben, für die der Überblick über die Gefahrenaspekte nur eine Vorstufe darstellt. Ein wesentlicher Zweck der Infonnationssammlung besteht in der Anregung zur Diskussion, zum Erfahrungs- und Meinungsaustausch und zur Bewußtseinsbildung sowohl auf der fachlichen als auch der interdisziplinären Ebene. Damit wird die Aufmerksamkeit für das Gefahrenproblem unterstützt und dessen Bedeutung hervorgehoben. Zugleich verbindet sich damit der Zweck, dem Wissenschaftsbereich Anregungen für die Folgenforschung zu vermitteln. So wäre neben der Erfassung des Forschungsstandes und der Auswirkungsmöglichkeiten zu erörtern, in welcher Form ein Vorantreiben wissenschaftlicher Forschungen verantwortbar erscheint, welche Informationspflichten sich ergeben, welche Grenzen sich hinsichtlich gefährlicher Folgen für die Anwendung abzeichnen und welche Forschungsaufgaben sich hinsichtlich gefährlicher Auswirkungen stellen. Zur Entgegennahme einschlägiger Infonnationen erscheinen in erster Linie die Trägerinstitutionen geeignet. Sie bilden für den einzelnen Wissenschaftler eine leicht erreichbare AnlaufsteIle und sind hinsichtlich ihrer institutionellen Planungen und Entscheidungen auf entsprechende Infonnationen angewiesen. Je nach Umfang, Tätigkeitsgebieten und Organisation der einzelnen Institutionen kommen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht, zum Beispiel die Informationssammlung auf der jeweiligen fachlichen Ebene und die Einrichtung einer zentralen Erfassungsstelle oder Konferenz oder die zentral angelegte, fachlich untergliederte Infonnationsannahme; neben der Eingliederung in den jeweiligen Verwaltungs bereich könnte die Bildung unabhängiger Kommissionen die Zusammenarbeit mit der Forschung erleichtern. Neben der institutionsbezogenen Infonnationsverwaltung ist für die zentrale Erfassung, Diskussion und Verwertung zu sorgen und ein Forum zu schaffen, das der fachlichen, interdisziplinären und kooperativen Wahrnehmung dieser Aufgaben dienen kann. Dem Selbstverwaltungsprinzip im öffentlichen Wissenschaftsbereich und der grundrechtlich bestimmten Ausgangslange entsprechend, erscheinen auch auf zentraler Ebene unabhängige Kommissionen als angemessene Lösung. Neben einem zentralen Forum könnten Fachkommissionen eine Vermittlerrolle übernehmen. Das Ziel, mit der Informationspflicht eine entsprechende Bewußtseinsbildung zu erreichen und dadurch zum einen eine Sensibilisierung der Forschung, zum anderen eine Zuwendung zu Folgeproblemen zu erreichen, ist im Prinzip durch die Einwirkung auf die Selbststeuerung der Wissenschaft

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VII. Besondere soziale Verantwortung

anzustreben. Von wesentlicher Bedeutung dafür ist der Aufbau einer umfassend mitberücksichtigten Folgenforschung. Dafur kann die Wissenschaftsförderung wesentliche Anregungen geben. Je mehr die Forschung in Projekten organisiert und in Großprojekten vorangetrieben wird, an der die staatliche Förderung in erheblichem Umfang beteiligt ist, desto mehr ist mit der Förderung zugleich darauf hinzu wirken, daß die ergänzenden Fragestellungen möglichst angemessen berücksichtigt werden, die neben der unmittelbaren wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Bedeutung auf die besonderen sozialen Auswirkungen gerichtet sind. Je stärker die staatliche Förderungsaufgabe zum Forschungsmanagement ausgebaut wird, desto größer wird die Verantwortung dafür, daß neben der Vielseitigkeit und Konkurrenzfähigkeit der Entwicklung auch die Sicherheits- und immer wichtiger werdenden Fragen der sozialen Folge- und Nebenwirkungen berücksichtigt werden. Vor allem die prinzipiell völlig unabhängige Wissenschaftspflege an der Universität könnte zu der erforderlichen Erweiterung des Gesichtsfeldes beitragen und daran mitwirken, daß ergänzende Forschungsaufgaben rechtzeitig entwickelt und eingeplant werden. Es handelt sich nicht darum, selbständige Forschungsbereiche ohne unmittelbaren Zusammenhang mit den Fachaufgaben und eine Art modischer Metawissenschaft zu entwickeln; das Ziel ist vielmehr, die wissenschaftliche Fragestellung prinzipiell zu erweitern und zur verdeutlichenden Umsicht anzuregen. Daher ergeben sich aus dem Gedanken der Wissenschaftsverantwortung auch wichtige Aufgaben der Wissenschaftsförderung. Das komplizierte Zusammenspiel von staatlicher Förderung und Wissenschaftsautonomie ist stärker auf die soziale Verantwortung der Wissenschaft auszurichten 81 . Zum einen muß sich ein entsprechendes Geldgeber-Interesse entwickeln und als Staatsaufgabe durchsetzen, zum anderen läßt sich die Aufnahme der Anliegen durch die freie Forschung nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie im wirtschaftlichen Interessenbereich voraussetzen. Außerdem dürfte im Bereich der Folgen- und Begleitforschung die Zulässigkeit der Forschungssteuerung durch inhaltlich gebundene Projekte eher auf Zweifel stoßen, als im Zusammenhang mit wirtschaftlich aussichtsreichen Forschungsgebieten. Die Freiheit des einzelnen Wissenschaftlers, der einzelnen Organisationseinheiten und Institutionen gewährleistet Selbständigkeit als Dispositionsmöglichkeit und daher auch das Recht zur Festlegung, soweit diese nicht ein wissenschaftliches Vorgehen unterbindet und eine zweckwidrige Verengung bedeutet. Die Grenzen zu beurteilen, wird im Prinzip der weitgehend beeinflußbaren Dispositionsfreiheit überlassen. Daher werden die Steuerungsmöglichkeiten, die sich in Abstimmung mit der wissenschaftlichen Selbstverwal81 Vgl. die (bescheidene) Forderung von Meyer-Abich, Wissenschaft als Beruf, 1982, S. 458 f.

3. Probleme der praktischen Realisierbarkeit

287

tung ergeben, auch mit grundsätzlich kritischen Augen betrachtet82 • Zum Ausgleich wird mehr Öffentlichkeit auf allen Stufen, von der Beteiligung des einzelnen Wissenschaftlers an finanziellen Mitteln bis zur Frage der parlamentarischen Mitwirkung an der Förderung, verlangt83 • - Was die Frage der finanziellen Wegbereitung und Unterstützung für Projekte der Folgen- und Begleitforschung betrifft, könnte daher sowohl unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit von Anreizen als auch der Rechtfertigung der Mittelvergabe das Bedürfnis nach näherer gesetzlicher Legitimation bestehen. Die unübersehbaren Probleme, die durch die wissenschaftlich-technische Entwicklung entstanden sind, lassen die allgemeine Grundrechtsrelevanz der Wissenschaftsförderung aus der Mittelbarkeit, die mit der Selbständigkeit der wissenschaftlichen Forschung gegenüber der technischen Anwendung grundsätzlich vorgezeichnet ist, heraustreten. Es wird deutlich, daß die Wissenschaftsförderung sich nicht in der begünstigenden staatlichen Aktion erschöpft, sondern auch mit beeinträchtigenden Wirkungen verknüpft ist. Es erscheint daher zweifelhaft, ob es mit den Grundsätzen der rechtsstaatlichen Legitimation vereinbar ist, daß die Wissenschaftsförderung weitgehend der Exekutive überlassen bleibt und die Frage, wie weit die staatliche Aufmerksamkeit für die dringlichen Aufgaben der "Überlebensforschung" einzusetzen ist, nicht zur näheren parlamentarischen Entscheidung gestellt wird. Aufgabe des Gesetzgebers könnte mindestens sein, dafür zu sorgen, daß die Frage der staatlichen Schutzverantwortung organisatorisch unabhängig geprüft und das Verantwortungsfeld näher abgesteckt werden kann. Dieses Anliegen bezieht sich nicht nur auf den staatlichen Lebens- und Gesundheitsschutz, sondern auch auf die staatliche Verantwortung für die Freiheit der Wissenschaft. Wenn die einseitige Orientierung an wirtschaftlichen Interessen in Versäumnisse bei der Förderung alternativer Programme und Projekte umschlägt, wird die Offenheit der Freiheitsgarantie verengt. Aus diesem Grunde dürfte es naheliegen, den Gesetzgeber, auch unabhängig von Fragen der "Überlebensforschung", zur näheren Entscheidung im Bereich der Wissenschaftsförderung heranzuziehen 84 • Andererseits verlangt die Förderungsaufgabe ein hohes Maß an Beweglichkeit für den Mitteleinsatz; außerdem setzt die grundrechtlich legitimierte wissenschaftliche Selbstverwaltung größtmögliche Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Miuelverwendung voraus. Daher wäre mit einer allgemeinen

82 Vgl. bes. Hirsch, Wissenschaft, 1970, S. 136-198; Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, S. 329-392; EckertlOsietzki, Wissenschaft für Macht und Markt, 1989. 83 Vgl. oben VI.3.2. 84 Von systemtheoretischer Warte aus Luhmann, Gesellschaftsstrukturelle Bedingungen, 1981, S. 121-129.

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VII. Besondere soziale Verantwortung

gesetzlichen Normierung der Förderungsaufgabe dem Legitimationsziel nur einseitig gedient; um die Fach- und Sachlegitimationen nicht mehr als erforderlich zurückzudrängen und die sachlich erforderliche Bewegungsfreiheit zu wahren, wären dagegen Grundsatz-, Rahmen- und Schwerpunktregelungen vorstellbar, die in den Förderungsbereich ein stärkeres Legitimationsgerüst einbringen und damit der demokratischen Grundentscheidung einen größeren Wirkungsbereich erschließen. Im Ergebnis bestehen erhebliche Möglichkeiten für den Staat, das öffentliche Interesse an einer tatkräftigen Folgenforschung durchzusetzen. Bei der Frage, auf welchen Gebieten und mit welchen Zielen die Mittel eingesetzt werden sollen, erhält das Mitspracherecht des wissenschaftlichen Bereichs zunehmend Gewicht. Aufgaben der Abstimmung bestehen bei der Frage, ob Förderungsmittel nur grundsätzlich oder im einzelnen zweckgebunden ausgegeben und ob bestimmte Projekte oder institutionelle Maßnahmen finanziert werden sollen. Soweit die Zuwendung zu Themen der Folgenforschung nicht dem freien Entwicklungsprozeß überlassen werden kann, kann der Staat über die Anregung und finanzielle Unterstützung hinaus auch bestimmte Maßnahmen, wie die Errichtung von Kommissionen oder die Durchführung von Projekten, treffen. Erforderlich erscheint, daß im Bereich der staatlichen Wissenschaftsförderung grundsätzlich die gezielte Folgenforschung angeregt wird.

3.2 Institutionelle Aufgaben Dem Bedürfnis nach Folgen- und Begleitforschung kann allein mit Förderungsmaßnahmen nicht ausreichend nachgekommen werden. Vielmehr erscheinen auch organisatorische Maßnahmen, wie die Einrichtung interdisziplinärer Forschungsprojekte erforderlich. Gegenüber der wissenschaftlichen Selbstverwaltung sind die Grenzen der Eigenständigkeit zu wahren, die verfassungsrechtlich garantiert ist. Die institutionelle Auslegung des Art. 5 Abs. 3 GG, die sich vor allem als Verstärkung der individuellen Schutzrichtung versteht, schließt sachliche Einflußnahmen von oben grundSätzlich aus 85 und begrenzt gleichzeitig die institutionelle Ebene in der Entfaltung von Initiativen, die in individuelle Grundrechtsbereiche hineinwirken könnten. Daher könnte es fraglich erscheinen, ob mit der Abgrenzung nach oben und der Beherrschung von unten die institutionelle Autonomie die Fähigkeit hat, zu einer integrativen Verrnittlungsstelle für neue Anliegen zu werden.

85

Zum Verhältnis im einzelnen v. Mangold!, Universität und Staat, 1979.

3. Probleme der praktischen Realisierbarkeit

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Angesichts der Notwendigkeit zur ergänzenden Neuorientierung in vielen Forschungs- und Ausbildungsbereichen sind die Hochschulen jedoch dazu aufgefordert, weitere wissenschaftspolitische Initiativen zu ergreifen und ihre eigenständige Rolle auch in den Dienst neuer Forschungsaufgaben zu stellen, die eine reflexive Ergänzung der Wissenschaftsentwicklung anstreben. Daher sollte auf der institutionellen Ebene auch Raum für zentrale Interessen bestehen. Dem Staat kommt demnach die Aufgabe zu, für die Wahrnehmung von Forschungsinteressen, die an der besonderen sozialen Verantwortung der Wissenschaft ansetzen, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Soweit die Möglichkeit besteht, zentral veranlaßte Projekte ohne belastende Auswirkungen auf die institutionelle Stellung der nicht interessierten Hochschulmitglieder und auf die sonstigen Hochschulaufgaben durchzuführen, bedarf es grundsätzlich keiner geschlossenen Zustimmung; soweit jedoch die Unterstützung und Kooperation der Hochschulmitglieder erforderlich ist, genügen Mehrheitsbeschlüsse nicht86 • Soweit bei Projekten zur Begleit- und Folgenforschung auch Forschungsbereiche auf ihre Auswirkungen zu untersuchen sind, an denen Hochschulmitglieder beteiligt sind, kann es zu schwierigen Abstimmungsfragen kommen. Daher ist eine gegenseitige Verständigung über die Forschungsinteressen und die Möglichkeit einer konfliktfreien Wahrnehmung erforderlich. Wie erwähnt, bedeutet die besondere soziale Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers nicht, daß ihm näher konkretisierte Pflichten, etwa eine allgemeine Auskunftspflicht, auferlegt werden können. Es bleibt vielmehr seiner Beurteilung vorbehalten, wie weit er es für erforderlich hält, auf sozial wirksame Zusammenhänge hinzuweisen und darüber Auskunft zu geben. Entscheidend ist, daß eine allgemeine Bereitschaft zur Verständigung entsteht, die darauf hinwirken läßt, daß Projekte zur Folgenforschung nicht als unzulässige Forschungsüberwachung und Forschungskontrolle oder als sonstige Behinderung erscheinen, sondern sich zu einer anerkannten Möglichkeit des fördernden Informationsaustauschs entwickeln können. Dazu bedarf es der vorsichtigen Informations-, Kontakt-, und Vermittlungsarbeit. Die Universitäten, die der unabhängigen und umfassenden Wahrnehmung wissenschaftlicher Interessen gewidmet sind, erscheinen besonders

86 Die Stellungnahmen in den Kommentaren zu Koordinationsfragen und Entscheidungsbefugnissen nuancieren die zentralen Zuständigkeiten im einzelnen unterschiedlich, betrachten aber grds. den verfassungsgerichtlich in den Vordergrund gerückten individuellen Grundrechtsschutz als äußerst empfindlichen Maßstab. Vgl. zu § 24 HRG Dallinger / Bode / Dellian, Hochschulrahmengesetz, 1978; Reich, Hochschulrahmengesetz, 1979; Denninger, Hochschulrahmengesetz, 1984.; Hailbronner, Hochschulrahmengesetz, 1990. Vgl. ferner Bender, Forschungseinrichtungen, 1982, bes. S. 927-934. - Vgl. oben 2.1.3 und VI.3.2.

19 I.oseh

290

VII. Besondere soziale Verantwortung

dafür geeignet, diese schwierige Vermittlungsarbeit zu leisten und kooperative Forschungskonzeptionen zu entwickeln, die weder einseitig affirmativ noch einseitig kritisch ausgerichtet sind, sondern integrative Fragestellungen ermöglichen, die unter Wahrung der beteiligten Interessen zur Perspektivenerweiterung beitragen können. Daher könnte sich an der Universität eine besondere Aufmerksamkeit für die Möglichkeiten der Folgenabschätzungsforschung entwickeln, von denen wesentliche Anregungen für die Erweiterung der Forschungsaufgaben und -interessen an anderen Forschungsinstitutionen und in der Forschungspolitik ausgehen könnten 87 • Nicht gemeint ist damit, wie erwähnt, daß sich die möglichen Fragestellungen zu übergreifenden Forschungsbereichen verselbständigen sollten, die den Zusammenhang mit der fachwissenschaftlichen Entwicklung verlieren 88 . Vielmehr dürfte der richtige Weg in einer fachintegrativen und vorsichtig interdisziplinär erweiterten Entwicklung liegen. Den Universitäten könnte am ehesten das Vertrauen in Unabhängigkeit und Neutralität entgegengebracht werden, das für eine Anerkennung der im Sinne der sozialen Integration erweiterten Forschungsinteressen und AufgabensteIlungen förderlich ist. Dazu bedarf es jedoch des sensiblen Zusammenwirkens der Interessenvertreter in der Hochschulselbstverwaltung und der Bereitschaft, die besondere, durch die Unabhängigkeit, Vielseitigkeit und Qualifikation sowie durch den Ausbildungsauftrag und die Öffentlichkeitsverantwortung gekennzeichnete Rolle der Universitäten einvernehmlich zur Geltung zu bringen 89 . In den Bereich der Öffentlichkeitsorientierung gehört auch die vielfach vorgeschlagene Kooperation zwischen den Hochschulen und einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, wie den Gewerkschaften oder den Arbeitgeber- und anderen Verbänden 90 . Soweit die Kooperation zwischen Hochschulen und sozialen Gruppen zur Aufklärung über die jeweiligen Interessen und zur Folgenorientierung der Forschung beitragen soll, und soweit keine Wissenschaftskontrolle, sondern nur eine anregende Kontaktnahme beabsichtigt ist, sollte dieser Weg der öffentlichen Problemdiskussion nicht vernachlässigt werden. Daher erscheint das Bestreben, wissenschaftliche Interessen und soziale Probleme zu gemeinsamer Diskussion zu stellen, für die gegenseitige Perspektivenerweiterung förderlich. Es ist aber Sache der einzelnen Hoch-

Vgl. Wolf!, Technikfolgenbewertung an der Universität Tübingen, 1990. 88 Vgl. etwa Kom, Aufklärungswissenschaft, 1990 (Gründung eines Forschungsinstitutes). 89 Zum Zusammenwirken von Staat und Hochschule bei Fragen der Aufgabenerweiterung v. Mangoldt, Universität und Staat, 1979, S. 21-25. 90 Grds. Eckert, Wissenschaft und Demokratie, 1971, S. 55-58; Meyer, Neue Medienpolitik, 1988; Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 154-156; vgl. Flämig, Forschungsauftrag, 1982, S. 909; Karpen, Spannungsverhältnis, 1990, S. 83. 87

3. Probleme der praktischen Realisierbarkeit

291

schule, wie weit sie sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben auch als öffentliches Forum für bestimmte Interessengebiete und als Vermittler für bestimmte Forschungsinteressen betätigen will; ebenso bleibt es dem einzelnen Wissenschaftler überlassen, wie er bei seiner Aufgabenwahrnehmung seine Forschungsinteressen einsetzt. Daher sind Kooperationsvereinbarungen zwar grundsätzlich zulässig, aber an den Rahmen der bestehenden Aufgaben und die grundsätzliche Dispositionsfreiheit, die dafür vorausgesetzt wird, gebunden 91 • Auch in den übrigen Bereichen der öffentlichen Wissenschaftsorganisation ist der besonderen Verantwortung der wissenschaftlichen Arbeit für eine Weiterentwicklung, die auf die komplexen Zusammenhänge der Lebensgrundlagen Rücksicht nimmt, soweit wie möglich Entfaltungsraum zu verschaffen. Zunächst ist auch in den spezialisierten und der Zweckforschung gewidmeten Institutionen die Aufmerksamkeit dafür zu wecken, daß Aufgaben der begleitenden Reflexion und der Information über vermutliche Gefahren und nachteilige Auswirkungen bestehen. Ferner ist für die Informationssammlung, die Diskussion und die Anregung von entsprechenden Initiativen zu sorgen. Ein wichtiges Ziel sind ergänzende Forschungsrnaßnahmen, mit denen die Forschungsaufgaben durch integrative Fragestellungen erweitert werden können. Vielfach wird hervorgehoben, daß die herkömmliche Organisation der Selbstverwaltung im außeruniversitären öffentlichen Wissenschafts bereich, die starke personelle Verbindungen mit der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung aufweist92 , nur beschränkt dafür geeignet sei, eine Umorientierung der Forschungsinteressen zu unterstützen. Auch in diesem Bereich darf die Selbständigkeit der Organisation, die dem Schutz sowohl vor der hemmenden staatlichen Einflußnahme als auch vor gesellschaftlichen Pressionen dienen soll, nicht dazu verleiten, legitime Interessen der Allgemeinheit zu vernachlässigen. Die Kombination des wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und administrativen Sachverstandes ist daher nicht nur für die schlagkräftige Förderung der technisch-wirtschaftlichen Entwicklungsinteressen, sondern auch für eine weitblickende Orientierung an allgemeinen Lebens- und Überlebensinteressen nutzbar zu machen 93 • Nicht nur die objektive Schutzwirkung der Wissenschaftsfreiheit, sondern auch die umfassen-

91 Krit. Kirchhof, Kooperationsvereinbarungen, 1976; Hailbronner, Funktionsgrundrecht, 1979, S. 293 f. Auf die Möglichkeit, die Belange der Wissenschaftsfreiheit zu sichern, weist Tettinger, Forschungseinrichtungen, 1982, S. 955 hin. 92 Statt vieler Hirsch, Wissenschaftlicher Fortschritt 1970, S. 136-198; Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, S. 344-389. 93 Krit. zur Beratungspraxis für die staatliche Wissenschaftspolitik SchmitzlRiehlel NarrlKochlAlbrecht, Staat und Steuerung, 1976; ferner Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, 1988, S. 135-172. Gegenkrit. Unger, Möglichkeiten, 1982, S. 1302 f. 19'

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VII. Besondere soziale Verantwortung

de Bindung der staatlichen Aufgabenwahrnehmung an die Interessen des Gemeinwohls verpflichten die staatliche Seite dazu, ihren Einfluß auch zur Berücksichtigung von Integrationsaufgaben geltend zu machen. Zu erwägen ist zum Beispiel die Einsetzung unabhängiger Kommissionen, die zu den Möglichkeiten und Aufgaben ergänzender Forschungsmaßnahmen Vorschläge ausarbeiten. So erscheinen unter dem Eindruck der allgemeinen Entwicklung die Anliegen, die der Deutsche Forschungsrat zur wissenschaftlich erarbeiteten Schutzvorsorge und zur Politikberatung verfolgte, in neuem Licht94 . Aber auch im außeruniversitären Wissenschaftsbereich erhebt sich das Problem, daß die Wissenschaftsfreiheit nicht durch metawissenschaftliche Projekte, die aus der Wissenschaftsverantwortung hergeleitet werden, beeinträchtigt werden darf. So wie die Wissenschaftsverantwortung als Erweiterung der Wissenschaftsfreiheit erscheint, hat auch ihre Wahrnehmung durch einzelne Maßnahmen auf eine Zunahme der Kenntnis hinzu wirken, die nicht in Wissenschaftskontrolle oder -beaufsichtigung umschlägt, sondern eine förderliche Horizonterweiterung bedeutet. Die Wege dafür ausfindig zu machen, ist eine kooperative Aufgabe, die nicht durch einseitige Anordnung oder Initiative erfüllt werden kann, sondern ein rücksichtsvolles, verständnisbereites Zusammenwirken erfordert. Die staatliche Förderung und Trägerschaft hat den Auftrag, die Aufmerksamkeit dafür zu wecken und daran mitzuarbeiten, daß sich möglichst weit ausholende Auffassungen entwickeln können.

94

Vgl. Osietzki, Wissenschaftsorganisation, 1984, S. 344-367.

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung 1. Wissenschaftlicher Fortschritt Eines der vielen Gebiete, auf denen der wissenschaftliche Fortschritt die Tore zu neuen Erkenntnissen geöffnet hat und mit großer Geschwindigkeit neues Wissen erschließt, ist die pränatale Humanforschung, die sich den Vorstufen der Lebensentwicklung, der Befruchtung, den ersten Zellteilungen und der embryonalen Entwicklung zugewandt hat l . Der logische Weg von der Lebensentstehung zu den Grundlagen des Lebens wurde durch die biologische Wissenserschließung ermöglicht, die zur molekularen Basis der Lebensvorgänge vordringen ließ. Gleichzeitig erlaubte die Entdeckung der genetischen Entwicklungsgrundlagen den Einblick in die elementaren Steuerungsvorgänge, auf denen die Lebensentwicklung beruht. Vor allem seit die Technik der künstlichen Befruchtung den ersten Schritt zur Entstehung von neuem menschlichen Leben von der Einbettung in den menschlichen Körper unabhängig machte, ergaben sich viele neue Forschungsmöglichkeiten, die in erster Linie zu großen Hoffnungen für die Krankheitsbekämpfung berechtigen 2• Wie eingangs schon erwähnt, könnte sich die Forschung an befruchteten Eizellen und den frühesten Lebensstadien zur Verbesserung sowohl der Technik der künstlichen Befruchtung als auch der medizinischen Betreuung der Schwangerschaft, ferner zur Krankheitsdiagnose und zur Therapie während der frühen Phasen der Lebensentwicklung, außerdem zur Erweiterung der medizinischen Behandlung auch auf genetisch bedingte Krankheitsursachen einsetzen lassen. Der letzte Aspekt vor allem zielt auf eine Verbesserung der Krankheitsbekämpfung, der bisher die Türen verschlossen waren und die einen entscheidenden Fortschritt gegenüber der vielfach hilflosen Behandlung von Symptomen darstellen könnte. Die weltweit vorangetriebene Entwicklung der Genomanalyse und der Erforschung der menschlichen Erbinformation 3

I Vgl. oben 1.2.6 sowie Jüdes, In-vitro-Fertilisation. 1983; ferner In-vitro-Fertilisation, 1985; Berghofer-Weichner, Von der Zeugung zur Erzeugung, 1988; Sass, Genomanalyse und Gentherapie, 1991; Kaiser, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 6-54. 2 Vgl. statt vieler Merz, Problematik, 1990, S. 43-45; Sperling, Methodische Grundlagen und medizinische Möglichkeiten, 1991; Kaiser, a.a.O., S. 15-21. 3 Vgl. Forschungsprogramme, 1991.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

läßt erwarten, daß die Heilung genetisch bedingter Krankheiten, sowohl beschränkt auf die einzelne Person, als auch erweitert auf die vererbbare genetische Information, in vorstellbare Nähe gerückt ist und einen ungeheuren Fortschritt der Medizin ermöglicht. Dieser Fortschritt würde sich aber nicht auf die in Erscheinung tretenden, genetisch vollständig festgelegten Erbkrankheiten beschränken, sondern könnte entscheidende Hilfen auch dort bedeuten, wo genetisch bedingte Veranlagungen erst durch Umwelteinflüsse zur Ausbildung von Krankheiten aktiviert werden und wo Krankheiten, die durch zellphysiologische Mechanismen ausgelöst werden, bis heute keine ausreichende Therapie erlauben, wie zum Beispiel bei den vielen virus bedingten Krankheiten, die in das zellulare Steuerungssystem eingreifen. Auf diesem Gebiet liegt der wichtigste Anwendungsbereich der gentechnischen Medizin, die daher nicht nur für denjenigen Teil der Bevölkerung, der unter Erbkrankheiten im herkömmlichen Sinne des Begriffs leidet, von lebenswichtiger Bedeutung werden könnte. Vielmehr geht es um gentechnisch erreichbare Fortschritte, die für jeden Einzelnen zur Überlebensfrage werden könnten. Im Entwicklungsfeld der zellularen und molekulargenetischen Diagnostik, Therapie und Präventiv-Medizin besteht daher eine unübersehbare Zahl von grundlegenden Forschungsaufgaben, für die der Forschung am menschlichen Bauprogramm und an den Frühstadien der menschlichen Lebensentwicklung eine entscheidende Bedeutung zukommt. Dieses Bewußtsein scheint gegenüber den Problemen, die mit der Technik der künstlichen Befruchtung und der pränatalen Humanforschung verbunden sind4 , völlig in den Hintergrund getreten zu sein. Das inzwischen ergangene Embryonenschutzgesetz berücksichtigt allein diese Probleme und sieht weitgehende Verbote im Bereich der künstlichen Befruchtung und der Forschung vor. Darauf ist noch näher einzugehen; zunächst soll, unabhängig davon, ein erster Überblick über den Problembereich gegeben werdens. Bei der künstlichen Befruchtung bestehen vor allem Begleit- und Folgeprobleme, so zum Beispiel hinsichtlich der Auswahl der Keimzellen, der Zahl der jeweils vorzunehmenden Befruchtungen und der Behandlung von befruchteten Eizellen, die, etwa wegen unvorhergesehener Umstände, nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden können. Die Frage erhebt sich etwa, ob Samen- oder auch Eispenden zur Befruchtung und Her4 Vgl. Ethische und rechtliche Probleme, 1984; In-vitro-Fertilisation, 1985; Coester-Waltjen, Künstliche Befruchtung, 1986; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986; Braun/Mieth/Steigleder, Ethische und rechtliche Fragen, 1987; Schlegel, Gentechnologie und In-vitro-Fertilisation, 1988; Abschlußbericht, 1990.

5

Näher, auch mit einzelnen Nachweisen, unten 2.

1. Wissenschaftlicher Fortschritt

295

beiführung einer Schwangerschaft ohne Rücksicht auf nähere Bindungen unter den Beteiligten erlaubt sein sollen. Da diese Frage auch zu statusrechtlichen Konsequenzen führen kann, ferner die erzeugten Personen nicht von der Information über ihre genetische Herkunft ausgeschlossen sein sollten, heften sich an die befruchtungstechnischen Möglichkeiten wichtige Ordnungsaufgaben. Ein weiteres Problem liegt zum Beispiel auch darin, ob die Austragung fremder befruchteter Eizellen durch Hilfsmütter anzuerkennen ist; die damit verbundene Aufspaltung der Mutterschaft gilt vielfach als unüberwindlicher Ausgangspunkt von Schwierigkeiten, die etwa eintreten, wenn Streit über das Recht auf das Kind entstehen sollte. Bei der Samen- und Eispende können sich zum Beispiel durch Krankheit oder durch Zeitablauf 'bedingte Auswahlprobleme ergeben. Bei der Befruchtung erhebt sich die Frage, ob Mehrfachbefruchtungen zulässig sein sollen, um mehrere befruchtete Eizellen bei einem Einpflanzungsvorgang zu verwenden oder, wenn eine Einpflanzung nicht zum gewünschten Erfolg einer Schwangerschaft führt, ohne erneute Ei-Entnahme und Befruchtung weitere Einpflanzungen vornehmen zu können. Bei dieser Technik kommt es zu überzähligen befruchteten Eizellen; aber auch wenn die Ei-Entnahme und die Befruchtung für jeden Einpflanzungsvorgang nur beschränkt zulässig sein sollte, ist nicht auszuschließen, daß die befruchtete Eizelle nicht eingepflanzt werden kann. Die Frage ist, ob überzählige befruchtete Eizellen zu vernichten sind oder für Forschungszwecke Verwendung finden können. Die einschränkende Haltung zu diesen Fragen und dazu, ob etwa auch nach der Befruchtung abgespaltene Zellen oder grundsätzlich zu Forschungszwecken befruchtete Eizellen zur Forschung verwendet werden dürfen, wird nicht nur dadurch bestimmt, daß die unbeschränkte Zulassung der befruchtungstechnischen und medizinischen Forschungsmöglichkeiten ordnungspolitische Schwierigkeiten hervorruft, sondern vor allem auch dadurch, daß die mißbräuchliche Verwendung von entstandenem Leben und von Forschungserkenntnissen befürchtet wird. So besteht eine vielfach für unüberwindlich gehaltene Schwierigkeit darin, wie die Grenze zwischen der krankheitsbedingten Therapie und dem willkürlich zu anderen Zwecken vorgenommenen Eingriff in die genetischen Lebensgrundlagen gezogen werden kann. Damit wird das Problem der Manipulation der Erbanlagen angeschnitten, das in vereinfachter Form schon bei der Frage auftaucht, ob die krankheitsbedingte Auswahl von Keimzellen zum Beispiel für den Fall der geschlechtsspezifischen Trägerschaft von Erbkrankheiten, oder etwa die Auswahl nur zur Bestimmung des zukünftigen Geschlechts zulässig sein soll. Der verändernde Eingriff in die Erbanlagen führt in einen uferlos erscheinenden Bereich der möglichen Beeinflussung des Lebens und wird daher äußerst skeptisch beurteilt. In der Erforschung der genetischen Lebensbausteine liegt aber eine grundSätzliche Herausforderung des wissenschaftlichen Fortschritts.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Das Embryonenschutzgesetz hat zwar zunächst eine ablehnende Entscheidung getroffen, das Problem aber nicht gelöst. Daher soll der Bereich als Beispiel näher erläutert werden. An dieser Stelle ergibt sich zugleich die Gelegenheit, einige grundSätzliche Überlegungen zum Fortschritt der Wissenschaft voranzustellen. So wie man die zivilisatorische Entwicklung im letzten Jahrhundert als industrielle und technische Revolution bezeichnen kann 6 , läßt sich die Entwicklung im 20. Jahrhundert als moderne wissenschaftliche Revolution auffassen?, die das Tor zu unermeßlichen Erkenntnisfortschritten aufgeschlagen hat 8 . Für das physikalische Weltbild gelang durch die Entschlüsselung der atomaren Strukturen und den Einblick in den Zusammenhang von Stoff und Energie endgültig der Schritt hinter die mechanische Kulisse, gleichzeitig wurde für das biologische Weltbild durch die Entschlüsselung der molekularen Lebensbausteine der Schritt hinter die traditionelle Kulisse der Lebenserscheinungen möglich. Damit wurden vordem nicht oder nur indirekt zugängliche Dimensionen begreiflich, die mit Hilfe neuer Techniken erforscht werden können und zu einer sensationellen Erweiterung der Lebensbedingungen führen. Die mitreißende Geschichte der wissenschaftlichen Entdeckungen sowie der daraus entwickelten Veränderungen der Lebensgestaltung zeigt vor allem auch in der Verbesserung der Gesundheitspflege viele Höhepunkte, deren Erfolge - in atemberaubendem Ringen mit einschneidenden Lebensbeeinträchtigungen - als unentbehrliche Hoffnung und Unterstützung des Lebens erscheinen9 . Gleichzeitig mit den ungeahnten Vorteilen der wissenschaftlich begründeten technisch-wirtschaftlichen, medizinischen und kulturellen Aufwärtsentwicklung traten ähnlich ungeahnte negative Auswirkungen hervor, die zum einen durch die Wucht der neuen Wissenserschließung, zum anderen aber auch als Folge der einseitigen Ausnutzung möglich wurden 10, und die den schnellen, revolutionär entfesselten Fortschritt immer deutlicher nicht nur

Vgl. Niemann, Vom Faustkeil zum Computer, 1985, S. 128-176. Auch im Sinne der wissenschaftsgeschichtlichen Phasenbetrachtung durch Kuhn, Struktur, 1976. - Näheres oben 1.1.1 und 1.2.1. Zur Verwissenschaftlichung der Technik Niemann, a.a.O., S. 190-223. 8 Vgl. statt vieler Asimov, Exakte Geheimnisse, 1985. Zur Technikgeschichte v. Westfalen, Geschichte der Technik, 1984; Niemann, Vom Faustkeil zum Computer, 1975; Pörtner, Sternstunden, 1986. Vgl. ferner Markl, Evolution, 1986, S. 110-120. 9 Statt vieler Lichtenthaeler, Geschichte der Medizin, 1975; Sigerist, Große Ärzte, 1970. 10 Vgl. die Nachweise oben 1.2.3; ferner Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 13 f. 6

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1. Wissenschaftlicher Fortschritt

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als Verfügbarkeits-, sondern auch als Bewältigungsaufgabe begreiflich machten. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als das vertraute und oben unter dem Freiheitsaspekt erörterte Problem jeder Staats- und Gesellschaftsordnung, die Vorteile und Nachteile von individueller und sozialer Freiheit in ein möglichst förderliches Verhältnis zu bringen, nur daß die individuelle Freiheit durch ihre machtvolle soziale Organisation ungeheure Verstärkungen erfährt und gleichzeitig das Ordnungsproblem unaufhaltsam zur Überlebensfrage wird, die sich über alle Stufen seiner sozialen Komplexität hinaus im globalen Rahmen stellt ll . Anders ausgedrückt, handelt es sich um den Zusammenhang von individuellem und sozialem Wohl, der in der gleichzeitigen Parallelität und Gegensätzlichkeit besteht 12 , und dessen sachliche Ausgestaltung auf allen sozialen Ebenen das politische Grund- und Alltagsproblem darstellt. Das mehrfach erwähnte Bewußtwerden der technisch-wirtschaftlichen Ambivalenz l3 hat auch die zukunfts weisenden wissenschaftlichen Fortschritte erfaßt und neigt dazu, diesen selbst den Stempel als ambivalente Leistungen aufzudrücken. Richtig daran ist, wie ebenfalls ausgeführt, daß eine reinliche Scheidung von erkenntnis gewinnendem und erkenntnisverwertendem Handeln unter dem Gesichtspunkt der praktischen Interessenwahrnehmung nicht möglich ist l4 und der Erkenntnisprozeß nicht isoliert von der Zuständigkeit für den Verwertungsprozeß abläuft. Folgenblinde Verantwortungsfreiheit läßt sich daher nicht als Bestandteil der Wissenschaftsfreiheit begreifen l5 . Verfehlt ist andererseits die unangemessene Übertreibung, die den Erkenntnisprozeß beschränken oder mit den negativen Auswirkungen der Verwertung gleichsetzen will, ohne sich um differenzierte Verfahrensweisen der sozialen Integration zu bemühen. Die aktuelle Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß der wissenschaftlich-technische Fortschritt soweit wie möglich unterstützt, aber gleichzeitig nach der Verminderung negativer Auswirkungen, der Entwicklung unschädli-

II Vgl., vom Standpunkt der Rechtsordnung aus, Rupp, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, 1987; ferner Kimminich, Völkerrecht, 1983, bes. S. 387-416. 12 Aus grundrechtlicher Sicht als Frage der gerechten Schrankenziehung - zum Zweck des Interessenausgleichs zwischen den staatlichen Allgemein- und Drittschutzsowie den Individualbelangen -, die um das Verhältnis zwischen individueller und sozialer Freiheit kreist; vgl. oben VI.l.l. 13 Vgl. auch Jonas, Technik, 1985, S. 1-3; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 21-98. 14 Für die biomedizinische Forschung ausdrücklich Kaufmann, Rechtsphilosophische Reflexionen, 1987, S. 840. 15 Vgl. oben VII.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

cher technischer Alternativen und der Möglichkeit kompensatorischer Einwirkungen gesucht wird 16 • Die wissenschaftliche Forschung stellt für jeden dieser Bereiche eine notwendige Bedingung dar; angesichts der Bevölkerungsentwicklung und der damit verbundenen Umweltprobleme wächst ihre Bedeutung für eine friedliche Lösung der Lebens- und Überlebensfragen ständig. Das gilt im besonderen auch für die medizinisch-biologische Forschung 17 • Vor allem der Einblick in die genetische Programmierung des Lebens eröffnet völlig neue Perspektiven für den Umweltschutz, die Ernährung und die Krankheitsbekämpfung 18 • Als besonders komplex erweisen sich die Probleme in der Humangenetik, weil auf diesem Gebiet die Grenzen der traditionellen Lebenserscheinungen überschritten werden und der Mensch Hand an die Voraussetzungen legt, die seine natürliche Existenz begründen. Damit werden Fragen der Zuständigkeit der menschlichen Erkenntnis für den Blick hinter die Kulissen der Schöpfung und der Zulässigkeit des wissenschaftlichen Vorgehens aufgeworfen, die sich mit Fragen der sozialen Verantwortbarkeit von denkbaren Forschungsfolgen verbinden. Die konsequente Erweiterung des menschlichen Lebensverständnisses auf die genetischen Grundlagen und der ärztlichen Krankheitsbekämpfung auf die Wurzeln von Krankheiten in bestimmten Erbanlagen gerät an ein Wissenspotential, das jede herkömmliche Vorstellung von sozial verantwortbarer Verfügungsmacht übersteigt. Der Wissenschaftsfreiheit scheinen hier lebensimmanente Grenzen gesetzt, die über ihren verfassungsrechtlichen Rahmen hinausreichen. Daher hat sich das Recht den zugleich aufgeworfenen Schrankenproblemen und den weiterreichenden Problemen der besonderen sozialen Verantwortung in vorsichtiger Form zu nähern und seine Anforderungen auf die Weite der neuen Perspektiven einzustellen.

16 Immer noch in viel zu geringem Umfang, was die drei letzten Aspekte betrifft; vgl. v. Ditfurth, Apfelbäumchen, 1985. 17 Deren Aufgaben im Schrifttum, das sich mit rechtlichen Fragen befaßt, weithin nur flüchtig erwähnt werden; dagegen gehört das Gefahren- und Mißbrauchsszenario zum thematischen Standard. Zum Forschungsbedarf vor allem Catenhusenl Neumeister, Chancen und Risiken, 1987, S. 40-187 (neben den Erwähnungen im Abschnitt Grundlagen, S. 5-39); Gareis, Biotechnologie, 1986; Altner, Nutzungsziele, 1987; Saedler, Gentechnologie, 1987; Sass, Genomanalyse und Gentherapie, 1991. Vgl. die Hinweise bei Kaufmann, Prometheus, 1985, S.262 f.; ders., Humangenetik, 1985, S. 653 f.; Eser, Humangenetik, 1987, S. 38. Aus medizinischer Sicht zusätzlich Vogel, Zukunftsaufgaben, 1978; z. d. Mühlen, Gentechnologie, Vortrag im Femsehprogramm S 3 am 2.9.1990; vgl. Ho/schneider, Gentechnische Methoden, 1985. 18 Stellvertretend v. Ditfurth, Wir haben gar keine andere Wahl. Eine Lanze für die Gentechnologie, 1980, in: ders., Unbegreifliche Realität, 1987, S. 344-352. Grds. Markl, Evolution, 1986. Vgl. Cook-Deegan, Herausforderungen, 1991; Sperling, Methodische Grundlagen, 1991.

2. Entwicklung der Diskussion

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2. Entwicklung der Diskussion Seit der Entdeckung der genetischen Informationsträger und der Einsicht in die Art und Weise der genetischen Informationsübermittlung haben die Versuche eingesetzt, den genetischen Code zu entschlüsseln. Erst in jüngster Zeit sind weltweit umfassende Forschungsprogramme in die Wege geleitet worden, um diese Aufgabe beim menschlichen Erbprogramm zu lösen 19 • Gleichzeitig mit der Grundlagenforschung sind gentechnische Eingriffe in tierische und pflanzliche Organismen gelungen, die bereits mit Nutzen angewandt werden können, so zum Beispiel bei der bakteriellen Produktion von natürlichem Insulin 20 . Die unabsehbaren Vorteile, die mit der genetischen Erschließung von Lebensfunktionen im tierischen und pflanzlichen Bereich ermöglicht werden, haben zu enormen wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Aktivitäten geführt21 • Neben den Vorteilen, vor allem auf den Gebieten der Krankheitsbekämpfung, der Ernährung und der Bekämpfung von Umweltschäden, sind zunehmend auch die Gefahren bewußt worden, die sich durch die unvorhersehbare Auswirkung bestimmter Erbkombinationen und die Freisetzung von Organismen mit neuen Eigenschaften ergeben können. Von der Vernichtungs wirkung gefährlicher Krankheitserreger können Experimente mit biologischen Waffen und die Geschichte der Epidemien eine lebhafte Anschauung vermitteln. Darüber hinaus erheben sich fundamentale Bedenken gegen die biotechnische Einmischung des Menschen in die natürliche Evolution 22 • Zwar konnte sich eine grundSätzliche Ablehnung gentechnischer Methoden nicht durchsetzen, aber das Gefahrenproblem ließ eine Regelung der Gefahrenabwehr, die neben die Förderung der neuen Technologie zu treten hatte, unerläßlich erscheinen. Ein grundSätzliches Vorbild dafür konnte in der wirtschaftlichen Erschließung und gleichzeitigen sicherheitspolitischen Regelung der Kernenergie gesehen werden. Die vorwärtsdrängende Entwicklung führte zu staatlichen Regelungsinitiativen, die durch den technologischen Forschungsbedarf und die Fragen der Gefahrenabwehr, vor allem auch im Zusammenhang mit Fragen der Zulassung gentechnischer Betriebe, erforderlich wurden; gleichzeitig leitete die

Vgl. Forschungsprogramme, 1991. Vgl. Altner, Nutzungsziele, 1987; Hobom, Gentechnologie, 1990. 21 Vgl. Wille, Wissenschaft im Gen-Rausch, 1988; Scheller, Ökonomische und forschungspolitische Grundlagen, 1989. 22 Neuerdings Wimmer, Veränderte Wissens- und Handlungssituation, 1990; krit. gegenüber den Bedenken Fletcher, Ethische Diskussion, 1991. 19

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

staatliche Seite eine fachübergreifende öffentliche Informationspolitik ein 23 • Die rechtspolitischen Überlegungen und die Diskussion erstreckten sich auf den gesamten Bereich der gentechnischen Entwicklung, einschließlich der künstlichen Befruchtung beim Menschen und der pränatalen Humanforschung. Zunächst wurde die Gentechnologie außerhalb des Humanbereichs als selbständiges Regelungsthema abgegrenzt. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist das Gentechnikgesetz24 , das einen Rahmen für die Nutzbarmachung der Gentechnologie durch die rechtlich gesicherte Zulassung und die gleichzeitige Einführung bestimmter Sicherheitsstandards setd5 • Ein ähnlicher Weg hätte gegangen werden können, um die pränatale Humanforschung mit ihren wichtigen Aufgaben zu legitimieren. Seit der Entdeckung des genetischen Codes waren aber nicht nur die damit erschlossenen Möglichkeiten, die Geißel der Erbkrankheiten und der erblich bedingten Krankheitsdispositionen bekämpfen zu können, ins Blickfeld getreten. Vielmehr erschienen plötzlich auch ältere biologische Konzeptionen, die für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft entworfen worden waren, mit neuen Methoden einer positiven Eugenik rechtfertigbar, und der Vorstellung genetischer Utopien schienen keine Grenzen gesetze6 . Gegenüber der damit verbundenen Gefahr von gentechnischen Herrschaftsansprüchen mußte sich, besonders nach dem irregeleiteten Machtmißbrauch in Deutschland, eine umfassendere Besinnung auf die Bedeutung der Gentechnik beim Menschen entwickeln. Die kritischen Überlegungen sahen sich vor allem herausgefordert, als mit der Technik der künstlichen Befruchtung ein vorher nicht zur Verfügung stehendes Experimentierfeld eröffnet wurde, das den Zugriff auf die genetischen Grundlagen des menschlichen Lebens erlaubte. Als der Lebensbeginn auf diese Weise unmittelbar in die Hände des Menschen gelangte und seiner willkürlichen Steuerung offenstand, war zugleich die Schwelle zur Möglichkeit der unbegrenzten genetischen Einflußnahme überschritten. An diesem Tor der Zukunft werden die Schranken und die besondere soziale Verantwortung der Wissenschaft in einem vorher nicht 23 Vgl. Ethische und Rechtliche Probleme der Anwendung zellbiologischer und gentechnischer Methoden, 1984 (Fachgespräch im Bundesministerium für Forschung und Technologie); In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, 1985 (Benda-Kommission). Vgl. auch Däubler-Gmelin (Hrsg.): Forschungsobjekt Mensch, 1986 (Vorschläge der SPD); Chancen und Risiken der Gentechnologie, 1987 (Enquete-

Kommission). 24 Gesetz zur Regelung von Fragen der Gentechnik (Gentechnikgesetz - GenTG) vom 20. Juni 1990, BGBI I S. 1080. Grds. Pohlmann, Gentechnikrecht, 1990, bes. S. 137-189. Vgl. Deutsch, Rechtspolitische Probleme, 1982. 25 Vgl. Graf Vitzthuml Geddert-Steinacher, Der Zweck im Gentechnikrecht, 1990. 26 Vgl. Wagner, Menschenzüchtung, 1969; Flämig, Genetische Manipulation, 1985.

2. Entwicklung der Diskussion

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gekannten Ausmaß herausgefordert. Daher erhob sich weltweit eine Diskussion darüber, wie die Vorteile und Gefahren der Forschung sowie der neuen gentechnischen Entwicklung zu beurteilen sind 27 • Vor allem mußte ein Überblick über die möglichen Forschungsziele, den Forschungsbedarf und die Gefahren der Forschung sowie die neuen technischen Fähigkeiten erarbeitet werden. Grundsätzlich bestand kein Zweifel daran, daß der Forschung große Aufgaben gesetzt sind. Der Gefahr einer verfrühten und daher unverantwortlichen Anwendung gentechnischer Therapieversuche sowie der Gefahr, daß der menschliche Lebensbeginn zum verfügbaren Objekt nicht ausreichend begründeter oder unverantwortlicher Forschungen werden könnte, versuchten, wie gleich noch näher zu erwähnen, zunächst vor allem ärztliche Standesrichtlinien und Empfehlungen vorzubeugen. Die Diskussion in Deutschland wurde stark durch die administrativ und parlamentarisch in die Wege geleitete Arbeit von interdisziplinären Kommissionen bestimmt. Die Auffassung, daß die Notwendigkeit der gesetzlichen Regelung bestehe und Standesrichtlinien sowie ähnliche interne Kontrollvorschriften mit Beratungsverfahren nicht ausreichten, um die schwerwiegenden Gefahren zu bewältigen, gewann immer mehr Anhänger. Außerdem wurde die gentechnische Forschung mit Regelungsfragen der künstlichen Befruchtung zu einem einheitlichen Regelungsbereich zusammengefaßt28 • Diese Verbindung lag wegen des Zusammenhanges zwischen der künstlichen Befruchtung und der dadurch ennöglichten Forschung an der menschlichen Erbinfonnation im Frühstadium der körperlichen Entwicklung nahe. Sie ergab sich aber vor allem daraus, daß sich die Meinung durchsetzte, die sich gegen die Zulässigkeit der Forschung wandte und der es darauf ankam, die künstliche Befruchtung und die Behandlung frühester Lebensstadien ausschließlich an den Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft zu binden 29 • Das inzwischen ergangene Embryonenschutzgesetz30 regelt neben der Zulässigkeit der künstlichen Befruchtung auch den Fragenbereich der mit der extrakorporalen Befruchtung eröffneten Möglichkeit der Forschung am Lebensbeginn und untersagt jede Forschung mit dem zustande gekommenen Leben, die nicht zugleich als unmittelbare therapeutische Maßnahme für den betreffenden Lebenskeim mit dem Ziel zur Herbeiführung einer Schwangerschaft zu betrachten ist. Im Ergebnis beschränkt das Gesetz daher die ForVgl. Eser / Koch, Regelungen, 1990. Vgl. zu den Regelungsbereichen Graf Vitzthum, Gentechnik und Grundgesetz, 1990. 29 Auf eine Trennung der beiden Regelungsbereiche war der Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg gerichtet, vgl. BR-Ds. 417/8/89 v. 21.9.89. 3D Näher unten 3. 27

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302

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

schung am Entwicklungsbeginn des menschlichen Lebens einschneidend; die Begründung bezieht sich lapidar auf die Schutzpflicht für das Leben und die Menschenwürde. Bevor auf die einzelnen Bestimmungen einzugehen ist, soll aber, um das Verständnis zu erleichtern, die Diskussion, die im Vorfeld der Gesetzgebung geführt wurde, etwas näher betrachtet werden. Für die Diskussion, die im Hinblick auf die Frage, ob und wieweit ein staatlicher Regelungsbedarf bestehe, in Gang gesetzt wurde, hatten nationale und internationale Stellungnahmen und Richtlinien, die zur künstlichen Befruchtung beim Menschen und zur Humangenetik ergangen waren, das Problemfeld gekennzeichnet, das mit der Technik der künstlichen Befruchtung und der Molekulargenetik betreten worden wa2 1• Grundsätzlich ändern sich die medizinischen Ausgangsfragen, bezogen auf die Zulässigkeit und Angemessenheit der Erforschung und therapeutischen Behandlung des Lebendigen, nicht; doch vertieft die neue Dimension, die sich dem medizinischen Zugriff erschließt, die herkömmliche Fragestellung erheblich und verlangt, daß diese sich mit den neuen Möglichkeiten auseinandersetzt. Vor allem hinsichtlich der neu eröffneten Aussichten der Bekämpfung von erblich begründeten und bedingten Krankheiten, die an der Veränderung der Erbinformation ansetzt32 , wird die medizinische Verantwortung vor Probleme gestellt, die mit den herkömmlichen Maßstäben der lebenszeitlich begrenzten Therapie nicht allein zu bewältigen sind33 • In diesem Bereich kann die Therapie auch zur Eugenik und mit deren weiterreichenden Fragenkreisen konfrontiert werden. Daher zieht sich der eugenische Gesichtspunkt wie ein roter Faden durch fast sämtliche Erörterungen der gentechnologischen Entwicklungsmöglichkeiten, und die Gefahren, die sich mit dem Betreten des gen technologisch-eugenischen Feldes unvermeidlich ergeben, werden bei der Auseinandersetzung um die Weiterentwicklung stets aufs neue und fast formelhaft in den Vordergrund gerückt. So überlagert die Warnung vor ihnen auch die Fragenbereiche, die unmittelbar mit der künstlichen Befruchtung und der Forschung am beginnenden Leben verbunden sind und wirkt auf die Diskussion darüber zurück. 31 Vgl. Deutsch, Recht der klinischen Forschung, 1979, S. 99-151; Giesen, Probleme künstlicher Befruchtungsmethoden, 1985; Lanz-Zumstein, 1986, Anhang; Eser, Forschung mit Embryonen, 1987, S. 273-284; Eser/Koch, Regelungen, 1990. 32 Vgl. auch den Überblick bei Hohlfeld, Zweite Schöpfung, 1989, S. 230-237 (m.w.N.); ferner Kaiser, in: Keller/Günther/Kaiser, BSchG, 1992, S. 15-21. 33 Die Herausforderung der gesamtgesellschaftlichen demokratischen Verantwortung in diesem Zusammenhang betont vor allem Eser, Rechtliche Aspekte, 1985, S. 31; ders., Gentechnik, 1985, S. 257; ders., Biotechnologie, 1986, S. 124 f.; ders., Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 149; ders., Forscher als Täter, 1987, S. 933; ders., Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 73 f..

2. Entwicklung der Diskussion

303

Die Diskussion in Deutschland ist nachhaltig durch die Fehlentwicklungen im Nationalsozialismus34 belastet und daher hochgradig sensibel, nervös und befangen. Grundsätzlich stößt jeder Zusammenhang mit aktiv eugenischen Maßnahmemöglichkeiten auf Ablehnung 35 . Dagegen kann sich die nicht in gleicher Weise unter dem Schatten der Vergangenheit stehende internationale Diskussion, von der Einstellung totalitärer Staaten zu diesem Problem abgesehen 36 , offen mit Zukunftsfragen der negativen und positiven Eugenik befassen und traditionelles Gedankengut unter dem Gesichtspunkt neuer medizinischer Möglichkeiten überprüfen 37 • Damit lassen sich Verfahren ausfindig machen, mit deren Hilfe zwischen abwegigen, mit Vorstellungen einer menschenwürdigen Gesellschaftsordnung unvereinbaren Utopien 38 und verantwortungsvollen Beurteilungen und Verhaltensweisen unterschieden werden kann. Diese Aufgabe stellt sich unvermeidlich. Die Ansichten, die in der deutschen Diskussion geäußert werden, bilden drei Hauptbereiche, die zwar im einzelnen differenzierte Aussagen treffen, aber jeweils mit einem überwiegenden Meinungsbild hervortreten. Die medizinisch-naturwissenschaftliche Seite begrüßte vor allem die Entwicklungsmöglichkeiten und betonte gleichzeitig die Verantwortung für das Leben in seiner individuellen Gestalt und allgemeinen Bedeutung. Sie strebte daher einen vorsichtigen Umgang mit den neuen Forschungs- und Behandlungsaufgaben an 39 , wollte aber die hilfreichen Möglichkeiten, die sich eröffnen, nicht im ganzen zurückweisen. Dagegen machte die theologisch-ethische Seite weitgehend Vorbehalte gegenüber den neuen Entwicklungsmöglichkeiten geltend40 . Das beginnende Leben und die genetischen Lebensgrundlagen wurden als natürliches Vermächtnis und daher für den eigenmächtigen Ein-

Vgl. Müller-Hill, Tödliche Wissenschaft, 1984. Vgl. noch im folgenden sowie die Feststellungen bei Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 166-169. 36 Vgl. den Hinweis auf die Einstellung in der ehemaligen DDR bei Classen, Gentechnologie, 1988, S. 276. 37 Darauf weist Eser, Humanexperiment, 1978, S. 191 f. hin. 38 Zur Tradition der genetischen Utopie, zu neueren Konzeptionen, vor allem bei HJ. Muller, und zum Londoner Ciba-Symposium 1962 Wagner, Manipulierung, 1969; Portmann, Utopisches, 1969; Flämig, Gentechnische Manipulation, 1985, S. 19-31; ders., Gentechnische Manipulation, 1985 (2), S. 5-11; ferner Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 177. 39 Vgl. Winnacker, Chancen und Risiken, 1985. Zur Diskussion Döring, Technik und Ethik, 1988. 40 Stellvertretend Hoffmann, Biotechnologie, 1985, sowie die weiteren Stellungnahmen in dem betreffenden Sammelband (R. Flöhl, Gentechnologie); ferner Jonas, Technik, ebd. Krit. Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 178-180. 34

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

griff als unverfügbar betrachtet. Die Stellungnahmen von juristischer Seite lassen sich in einige unterschiedliche Aussagenbereiche zusammenfassen, die gleich noch näher gekennzeichnet werden sollen. Dahinter zeichnete sich ein grundsätzlicher Wandel ab; während zunächst die Frage, ob sich zulässige Verfahren für die neuen Forschungsmöglichkeiten finden lassen, aufgeschlossen beurteilt wurde, setzte sich allmählich die völlige Ablehnung durch. Zum einen wurde vor allem zur Besonnenheit gegenüber den neuen Entwicklungen aufgerufen41 ; damit wurde der Hinweis auf das große Regelungsinstrumentarium verbunden, das im demokratischen Rechtsstaat für die komplexen Ordnungs-, Schutz- und Förderungsaufgaben und zur Bewältigung von neu aufgeworfenen, im Fluß der Entwicklung befindlichen Verhaltensfragen zur Verfügung steht42 • Zum anderen wurde die Frage nach dem Regelungsbedarf in Fonn von gesetzlichen Vorschriften zurückhaltend beantwortet43 , unter Berücksichtigung sowohl des Entwicklungsstandes44 als auch der unterschiedlichen Regelungsmöglichkeiten, die eingesetzt werden können45 . Das Problem, ob Verbote angebracht sind, wurde nur zögernd angegangen und ein Regelungsbedarf in dieser Richtung eher vorsichtig zur Debatte gestellt46 • Außerdem wurde die Frage nach Strafsanktionen zwar

41 Vgl. bes. Eser, Humangenetik, 1987, S. 38; ders., Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 123; Deutsch, Recht der Gentechnologie, 1987, S. 310. 42 Vgl. besonders Deutsch, Recht der klinischen Forschung, 1979, S. 99-122, 167171; ders., Rechtliche Regelung, 1980, S. 180-182 (vor allem zu Kontrollmöglichkeiten); ders., Artifizielle Wege, 1985, S. 235; Schimikowski, Experiment am Menschen, 1980, S. 56-61; Eser, Gentechnik, 1985, S. 250 f.; ders., Biotechnologie, 1986, S. 108 f.; ders., Neue Möglichkeiten, 1987, S. 251; ders., Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 125; ders., Forscher, 1987, S. 941-949. 43 Grds. zu dieser Frage Graf Vitzthum, Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 289-291, 295 f.; vgl. auch Deutsch, Stellungnahme, 1984. Den Regelungsbedarf als solchen, ohne Festlegung auf die erforderlichen Regelungsmittel, betont Eser, Rechtliche Aspekte, 1984, S. 27, 31 (und Fachgespräch, ebd., S. 71 f.). 44 Gegen zu weit vorgezogene gesetzliche Regelungen Graf Vitzthum, Rechtspolitik, 1987, S. 77 f. Vgl. auch Kaufmann, Humangenetik, 1985, S. 65. Die Zeit für gesetzliche Regelungen hielt dagegen Günther, Diskussionsentwurf, 1987, S.433-435, 438 für gekommen. Vgl. ders., Strafrechtlicher Schutz, 1991, S. 139 f.; Keller, Verbrauchende Forschung, 1988, S. 71. 45 Vor allem auch im Hinblick auf die Standesrichtlinien, die sich der Regelungsfragen angenommen haben. Vgl. Wuermeling, Richtlinien, 1987 (sowie 1991), und bes. Hofmann, Biotechnik, 1986, S. 255 f.; Eser, Biotechnologie, 1986, S. 121; krit. Lukes, Biotechnologie, 1986, S. 49 f., 56; Scholz, Biotechnologie, 1986, S. 87-89. 46 Krit. gegenüber Verboten Deutsch, Stellungnahme, 1984, S. 19; ders., Artifizielle Wege, 1985, S. 246 f.; v.d. Daele, Mensch nach Maß, 1985, S. 38-40, 66,185,192, 197 f.; Benda, Humangenetik, 1985, S. 17-34; K. Deutsch, Politische Aspekte, 1989.

2. Entwicklung der Diskussion

305

aufgeworfen, aber gleichzeitig betont, daß strafrechtliche Mittel nur als äußerste Schutzmaßnahmen in Betracht kommen könnten47 • Im Gang dieser Erörterungen trat aber immer deutlicher eine restriktive Tendenz hervor, die zunehmend auf die Einführung strafrechtlicher Verbote drängte48 • Vor allem gegenüber der Forschung am Lebensbeginn und der künstlichen Veränderung der Erbinformation wurden in wachsendem Ausmaß Strafverbote für notwendig erachtet. Zunächst wurde zwar die Forschung an extrakorporal erzeugten frühesten Lebensstadien, soweit diese nicht in eine natürliche Weiterentwicklung überleitbar sind und mindestens hochrangige Forschungsziele angestrebt werden, für zulässig erachtet49 , teilweise auch ohne nähere Einschränkung 50 . Immer häufiger wurde aber die Forschung am beginnenden Leben als völlig unzulässig abgelehnt51 •

47 Vgl. bes. Eser, Biotechnologie, 1986, S. 108 f.; ders., Forschung, 1987, S. 289 f.; ders., Humangenetik, 1987, S. 41; ders., Neue Möglichkeiten, 1987, S. 251. Dazu auch Patzig, Moralische Probleme, 1988, S. 37. - Krit. gegenüber Strafsanktionen Kaufmann, Prometheus, 1985, S. 265-267; ders., Humangenetik, 1985, S. 657 f., 664 f.; ders., Rechtsphilosophische Reflexionen, 1987, S. 843; Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 189-192; Schick, Aspekte, 1985, bes. S. 201; Classen, Rahmenbedingungen, 1988, S. 246 f.

48 Vgl. die Empfehlungen der Benda-Kommission: In-vitro-Fertilisation, 1985 (mit den gegensätzlichen, die Empfehlungen einschränkenden und ausdehnenden Sondervoten von Doerffler und Petersen, S. 52-54, 55-65). Differenziert auch die Stellungnahmen in Däubler-Gmelin, Forschungsobjekt Mensch, 1986; ferner die Stellungnahmen zur Genomanalyse und Gentherapie in CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken, 1987, S. 147-190 (Strafrechtliches Verbot für Keimbahntherapie, S. 190). S.a. Laufs, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 77; ders., Fortpflanzungsmedizin, 1987, S. 107 f.; ders., Arzt, 1989, S. 155; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 52. 49 Vgl. In-vitro-Fertilisation, 1985, S. 28-30. Zur internationalen Problemdiskussion Giesen, Probleme künstlicher Befruchtungsmethoden, 1985; Eser, Forschung mit Embryonen, 1987, S. 273-284; vgl. die Problemerörterung bei v. d. Daele, Mensch nach Maß, 1985, S. 38-47; Graf Vitzthum, Menschenwürde und Humangenetik, 1986, S. 823-825; ders., Gentechnologie, 1987, S.35 f.; ders., Rechtspolitik, 1987, S. 71; ders., Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 274-284; ders, Gentechnik, 1990, S. 195-197; ferner Püttner, Forschungsfreiheit und Embryonenschutz, 1987; Schreiber, Erprobung des Humanen, 1987, S. 57-62; Eser, Humangenetik, 1987, S. 50 f. - Eine Zulässigkeit nur in engsten Grenzen erwägt Laufs, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 775; ders., Fortpflanzungsmedizin, 1987, S. 105; ders., Arzt, 1989, S. 154.; vgl. Deutsch, Artifizielle Wege, 1985, S. 240; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 35; ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, 1988, S. 27; Eser, Biotechnologie, 1986, S. 119 f.; ders., Neue Möglichkeiten, 1987, S. 253; ders., Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 142; Hofmann, Biotechnik, 1986, S. 257; Keller, Beginn und Stufungen, 1991, S. 134 f.; eingeschränkt ders., Fortpflanzungstechnologie, 1991, S. 199201; PüttnerlBrühl, Verfassungsrechtliche Probleme, 1987, S. 295 f. 50 So Scholz, Beherrschung, 1986, S. 79-81. 51 Ostendoif, Experimente, 1984, S. 599; CatenhusenlNeumeister, Chancen und 20 Losch

306

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Grundsätzlich verurteilt wurden die verschiedenen Möglichkeiten der Manipulation mit befruchteten Eizellen, die Teilung im omnipotenten Stadium, die Zellkernverpflanzung, die Erzeugung genetischer Programme aus menschlichen und tierischen Keimzellen und die genetische Kombination verschiedener menschlicher oder menschlicher und tierischer befruchteter Eizellen und Erbprogramme52 ; teilweise wurden jedoch auch in diesen Fragen differenzierte Auffassungen geäußert53 . Die somatische Gentherapie wurde zunächst überwiegend von Verbotsforderungen ausgenommen 54 , zunehmend jedoch ebenfalls als strafwürdig eingestuft55 . Dagegen wurde die vererbliehe Gentherapie grundsätzlich als unzulässig betrachtet, teilweise unter Hinweis auf die technische Gefährlichkeit56 , vor allem aber wegen Verletzung der menschlichen Integrität und der eugenischen Mißbrauchsgefahr 7 •

Risiken 1987, S. 189; Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 37, 39 f.; vgl. Giesen, Biotechnologie, 1989, S. 61, 68; Günther, Diskussionsentwurf, 1987; ders., 1991, S. 164-169; ders., Strafrecht, 1990; ders., Strafrechtliche Verbote, 1990; sowie im folgenden. 52 In-vitro-Fertilisation, 1985, S. 33-35; vgl. statt vieler Eser, Rechtliche Aspekte, 1984, S. 30 f.; ders., Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 144-146; Laufs, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 775; ders., Künstliche Befruchtung, 1987; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 45 f.; Günther, a.a.O.; Graf Vitzthum, Menschenwürde und Humangenetik, 1986, S. 822, 826 f.; ders., Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 254; Gröner, Klonen, 1991. 53 Hofmann, Biotechnik, 1986, S. 259; Feick, Rechtliche Grenzen, 1986, S. 455. 54 In-vitro-Fertilisation, 1985, S. 43 f.; CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken, 1987, S. 1083 f.; Benda, Humangenetik, 1985, S. 1733; Graf Vitzthum, Menschenwürde und Humangenetik, 1986, S. 825; ders., Verfassungs recht vor der Herausforderung, 1987, S. 272; Hofmann, Biotechnik, 1986, S. 257; Schreiber, Erprobung, 1987. S. 106 f.; Eser, Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 147. - Anders Kaufmann, Humangenetik, 1985, S. 665; vgl. auch ders., Prometheus, 1985, S. 265; ders., Rechtsphilosophische Reflexionen, 1987, S. 845. 55 Wegen der Gefährlichkeit des Eingriffs vgl. Günther, Strafrechtlicher Schutz, 1991, S. 170 f. (zur grds. Zulässigkeit ders., Pränatale Diagnose, 1991, S.239 f.); ders. Strafrecht, 1987, S. 286 f. 56 Eser, Biotechnologie, 1986, S. 123; ders., Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 146 f.; Günther, a.a.O. (vgl. aber die folgende Fn.). 57 Vgl. Eser, Rechtliche Aspekte, 1984, S. 29-31; ders., Humangenetik, 1987, S. 53 f.; ders., Neue Möglichkeiten, 1987, S. 254; Benda, Humangenetik, 1985, S. 1733; In-vitro-Fertilisation, 1985, S. 47 f.; CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken, 1987, S. 183-190; Däubler-Gmelin, Anwendung der Gentechnologie, 1986; Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 150-185. - Gegen eine pauschale Ablehnung jedoch Graf Vitzthum, Humangenetik, 1986, S. 826; ders., Rechtspolitik, 1987, S. 70; ders., Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 273; ferner v. d. Daele, Mensch nach Maß, S. 185-198; Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 187 f.; Hofmann, Biotechnik, 1986, S. 259; Schoh, Beherrschung, 1986, S. 75; vgl. Günther, Pränatale Diagnose, 1991, S. 241-244; vgl. auch Patzig, Moralische Probleme, 1988, S. 34.

2. Entwicklung der Diskussion

307

Allmählich wurde die Forderung nach Strafsanktionen immer weiter ausgedehnt. So sollte, um die Erzeugung von befruchteten Eizellen, die nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden können, zu vermeiden, jede extrakorporale Befruchtung, die nicht dem Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft dient, außerdem jeder nur unterstützende Implantationsversuch unter Strafe gestellt werden58 • Auch die Teilung befruchteter Eizellen zum Zweck der Paralleldiagnostik galt als strafwürdig59 • Außerdem wurde die Vorverlagerung der Gentherapie auf die Keimzellen als strafwürdig betrachtet60 • Nur hinsichtlich einer Reihe besonderer Fragen, die im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung61 , der pränatalen Diagnostik62 und der Genomanalyse 63 aufgeworfen werden, bestehen nach wie vor erhebliche Meinungsunterschiede darüber, ob und wieweit strafrechtliche Verbote als erforderlich zu betrachten sind. Gegenüber der Forschung am Lebensbeginn wurden die verfassungsrechtlichen Grundlagen immer mehr zu einem Rahmen, mit dem der Forschungs58 Statt vieler Benda, Humangenetik, 1985, S. 1733; Laufs, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 774; Keller, Fortpflanzungstechnologie, 1991, S. 198 f., 207. 59 Statt vieler Starck, Künstliche Befruchtung, 1986,S. 44 f.; ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, 1988, S. 28; Graf Vitzthum, Menschenwürde und Humangenetik, 1986, S. 822; Günther, Pränatale Diagnose, 1991, S. 237; ders., Strafrechtlicher Schutz, 1991, S. 170; Keller, Beginn, 1991, S. 133. 60 Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 17. 61 Was etwa heterologe Insemination, Keimzellenspende, Embryonentransfer, Ersatzmutterschaft sowie die gleichzeitige Implantation mehrerer befruchteter Eizellen betrifft; ohne grds. Verbotsempfehlung noch In-vitro-Fertilisation, 1985, S. 5-27. Zur grds. Befürwortung strafrechtlicher Verbote Keller, Fortpflanzungstechnologie, 1991; anders Baumann, Strafbarkeit, 1987. - Die Zulässigkeit der Ersatzmutterschaft, die von der Zulässigkeit der Keimzellenspende abhängt, ist besonders umstritten. Ablehnend, aber gegen eine Kriminalisierung Eser, Humangenetik, 1987, S.46-48; vgl. Graf Vitzthum, Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 287-289; zur Rechtmäßigkeit von Verboten Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S.42-44; für den Erlaß von Verboten Laufs, Arzt, 1989, S. 155; für die rechtliche Zulässigkeit dagegen Coester-Waltjen, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 79 f.; Scholz, Beherrschung, 1986, S. 78 f.; Fechner, Menschenwürde und generative Forschung, 1986, S. 662 f. 62 Vgl. statt vieler Schreiber, Erprobung, 1987, S. 95-100; Günther, Pränatale Diagnose, 1991, S. 225-235; Rehder, Pränatale Genomanalyse, 1991; Ropers, Technische Probleme, 1991. 63 Statt vieler CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken, 1987, S.144-177; Graf Vitzthum, Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 270-272; ders., Rechtspolitik, 1987, S. 68-70; Hofmann, Biotechnik, 1986, S. 257. Zu eng Classen, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, 1989, S. 245 f. Vgl. Abschlußbericht, 1990; Sass, Genomanalyse und Gentherapie, 1991. - Eingehend zur gesamten Diskussion Döring, Technik und Ethik, 1988.

20·

308

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

freiheit Schranken gezogen werden konnten, die auf den Schutz des Lebens und der Menschenwürde gestützt wurden. Allmählich bildete sich ein gewisser begrifflicher Standard, mit dem dieser Standpunkt erläutert wurde, und trotz gelegentlicher Berufung auf die rechtliche Regelungsverantwortung, die strenge Voraussetzungen an strafrechtliche Verbote stellt, oder auf die differenzierten Regelungsmöglichkeiten, die zur Verfügung stehen, wurde weitgehend auf die Notwendigkeit von Strafverboten eingeschwenkt. In dieser Form sind auch die Regelungen und die Begründung zum Embryonenschutzgesetz ausgefallen.

3. Gesetzliche Regelung Aus den erwähnten Stellungnahmen und Richtlinien und der begleitenden Diskussion entwickelten sich zahlreiche staatliche Regelungsinitiativen, die neben Regelungsvorschlägen von der Länderseite zu einem ministeriellen Diskussionsentwurf führten und in den Regierungsentwurf eines Embryonenschutzgesetzes mündeten 64 • Dieser Entwurfi 5 wurde in den parlamentarischen Beratungen nur geringfügig geändert und am 13.12.1990 als Embryonenschutzgesetz verabschiedet66 • Zum vorausgehenden Diskussionsentwurf hatte der Rechtausschuß des Bundestages ein Rechtsgutachten eingeholt, das sich die inzwischen in den Vordergrund getretene Auffassung von der Notwendigkeit strafrechtlicher Schutzvorschriften zu eigen machte und sich konsequent am Gedanken des Lebens- und Menschenwürdeschutzes orientierte67 • Im späteren Regierungsentwurf hat sich diese Auffassung durchgesetzt. So wurde der Erlaubsnisvorbehalt, der früher im Anschluß an die Richtlinien der Bundesärztekammer68 für Forschungen mit dem beginnenden Leben vorgesehen war, nicht mehr

64 Vgl. Jung, Biomedizin und Strafrecht, 1988, S. 6-11; Merz, Medizinische, ethische und juristische Problematik, 1990, S. 216-254; Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 13-15; Günther, Strafrecht und Humangenetik, 1990, S. 269-272; Deutsch, Embryonenschutz, 1991, S.721 f.; Keller, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 1992, S. 65-81. 65 BR-Ds. 417/19 v. 11.8.1989. 66 BGBI. 1990 I S. 2746; vgl. auch Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, 1991, Anhang III S. 392-396; Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 1992. 67 Vgl. Günther, Diskussionsentwurf, 1987; ders., Strafrechtliche Verbote, 1990; ders., Strafrechtlicher Schutz, 1991; ders., in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 1992, S. 81-87. 68 V gl. Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 1992, Anhang 2, S. 264275.

3. Gesetzliche Regelung

309

übernommen. Das Gesetz betont daher nicht nur innerhalb seines Geltungsbereichs seinen Schutzauftrag besonders entschieden, sondern hebt sich auch im internationalen Vergleich heraus 69 •

3.1 Befruchtungskontrolle, Forschungsverbot Um auf die Fragen näher eingehen zu können, die das Embryonenschutzgesetz im Hinblick auf die Wissenschaftsfreiheit aufwirft, ist zunächst ein Überblick über den Inhalt des Gesetzes zu geben. Das Hauptziel des Gesetzes jst, die extrakorporale Befruchtung und ihre Vorbereitung durch die Imprägnierung der Eizelle nur zu dem Zweck zuzulassen, eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt (§ I Abs. I Nr. 3, § I Abs. 2)70. Auf diese Weise soll die Möglichkeit, menschliches Leben auch außerhalb des Körpers zu erzeugen, an den natürlichen Verlauf zurückgebunden und verhindert werden, daß künstlich erzeugtes Leben für andere Zwecke verfügbar wird. Da die Technik der extrakorporalen Befruchtung aber verlangt, daß mehr Lebenskeime erzeugt werden als gewöhnlich durch eine Schwangerschaft weiterentwickelt werden können, muß zwar zugelassen werden, daß mehr Eizellen befruchtet und Embryonen erzeugt werden als vermutlich ausgetragen werden können, aber die Bindung an den Schwangerschaftszweck wird dadurch zu festigen versucht, daß nur jeweils so viele Eizellen befruchtet werden dürfen, wie auf den weiblichen Körper innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen (§ 1 Abs. 1 Nr. 5) und daß nur jeweils drei Embryonen übertragen werden dürfen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2)71. Damit soll verhindert werden, daß mehr befruchtete Eizellen erzeugt werden, als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich und daß keine überzähligen Embryonen entstehen. Zugleich wird unausgesprochen angeordnet, daß die künstliche Erzeugung von Embryonen zu anderen Zwecken, also auch zu jeder Art der Forschung und Behandlung, die nicht unmittelbar zugleich auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft gerichtet ist, verboten ist. Der mit dem Gesetz verfolgte Lebensschutzzweck wird dadurch eingeengt, daß grundsätzlich nur erlaubt wird, eine Schwangerschaft mit körpereigenen

69 Vgl. Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 13,48, 54 f.; Deutsch, Embryonenschutz, 1991, S. 724. 70 Und die "mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken" zu verbieten

(§ 1).

71 Oder durch intratubaren Gametentransfer befruchtet werden dürfen, § 1 Abs. I Nr. 4.

310

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Eizellen herbeizuführen und daher die Eizellenübertragung, die künstliche Befruchtung und ihre Vorbereitung durch Imprägnierung mit dem Ziel einer Embryospende, die Entnahme eines Embryos mit dem Ziel einer Übertragung und die Übertragung eines Embryos bei beabsichtigter Weggabe des zu erwartenden Kindes untersagt werden (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3, 6, 7, § 1 Abs. 2)72. In diesen Fällen wird der Embryonenschutz zum Leiblichkeitsschutz erweitert, der in erster Linie im Interesse des zu erwartenden Kindes angeordnet wird73 • Entsprechendes gilt für das Verbot, die künstliche Befruchtung mit postmortalen Samenspenden durchzuführen (§ 4 Abs. 1 Nr. 3)74. Die Vorschriften über die Zulässigkeit der künstlichen Befruchtung werden durch einen Einwilligungsvorbehalt ergänzt (§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 2). Der Embryonenschutz im engeren Sinne wird ausdrücklich dadurch angeordnet, daß die Veräußerung von Embryonen, die einem Körper vor der Nidation entnommen wurden oder überzählig vorhanden sind, und jede Verwendung zu einem anderen Zweck als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft als mißbräuchlich verboten wird (§ 2). Das heißt, daß für den Fall, daß die Möglichkeit der Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht unmittelbar besteht, nur die Kryokonservierung zur späteren Herbeiführung einer Schwangerschaft oder das Absterbenlassen in Betracht komme 5 • Die ausnahmsweise Übertragung auf eine Frau, von der die Eizelle nicht stammt und die Kühlkonservierung zu diesem Zweck durchbrechen das oben dargelegte Ziel des Gesetzes, gespaltene Mutterschaften und überzählige Embryonen zu verhindern, müssen aber zugunsten des Lebensschutzes als Ausweg anerkannt werden. Im Verbot der anderweitigen Verwendung liegt zugleich das Verbot jeder Art der Forschung und medizinischen Behandlung, die nicht zugleich unmittelbar bei dem betreffenden Embryo dem grundsätzlich angeordneten Schwangerschaftsziel dient. Das Verbot gilt absolut, selbst wenn dieses Ziel nicht in Betracht kommt und die Embryonen todgeweiht sind76 • Ergänzend ist anzufügen, daß die Forschung an imprägnierten Eizellen vor der Kernverschmelzung nicht von dem Verbot erfaßt wird77 ; jedoch soll die

72

Ziel.

Auch das Verbot der überzähligen Befruchtung (§ 1 Abs. 1 Nr. 5) dient diesem

73 Vgl. Keller, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 148 f. Rn. 4 f., S. 174 Rn. 4; Günther, ebd., S. 153 Rn. I (versehentl. unter Nr. 2). 74 Keller, a.a.O., S. 227 Rn. 29. 75 Vgl. Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 203-205 Rn. 37-41. 76 Vgl. Günther, a.a.O., S. 207 Rn. 50. 77

Günther, a.a.O., S. 195 f. Rn. 10, 12.

3. Gesetzliche Regelung

311

Möglichkeit, über imprägnierte Eizellen zu verfügen, durch das schon erwähnte Verbot der Imprägnierung zu einem anderen als dem Schwangerschaftsziel (§ 1 Abs. 2) grundsätzlich verhindert werden. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die Forschung an natürlich abgegangenen oder durch einen Schwangerschaftsabbruch erlangten Embryonen nicht betroffen ist, was zu dem Widerspruch führt, daß mehr Wert auf den Schutz des künstlich außerhalb des Körpers erzeugten Lebens gelegt wird als auf den Schutz des Lebens, das aus einem Stadium der natürlichen Weiterentwicklung heraus verfügbar wird78 •

3.2 Verbot von Geschlechtswahl und vererbbaren Eingriffen Unabhängig vom Gedanken des Embryonenschutzes im engeren Sinne besteht das Verbot, das Geschlecht des zu erzeugenden Kindes vorauszubestimmen (§ 3). Damit soll - als weiteres Schutzziel - ein willkürlicher Einfluß auf die natürliche Lebensentwicklung verhindert werden 79 • Dieses Ziel liegt auch dem Verbot zugrunde (das sich, soweit die Vornahme an Embryonen in Betracht kommt, mit dem grundsätzlichen Embryonenschutz überschneidet), die menschliche Erbinformation in Keimbahnzellen zu verändern und Keimzellen mit veränderter Erbinformation zur Befruchtung zu verwenden (§ 5 Abs. 1,2). Das Verbot bezweckt, jede Form der Gentherapie, die zu vererbbaren Auswirkungen führt, zu verhindern 80 . Vom Verbot ausgenommen wird die Veränderung der Erbinformation an außerhalb des Körpers befindlichen Keim- und Keimbahnzellen, wenn die Möglichkeit der vererb baren Weitergabe ausgeschlossen ist. Damit wird, soweit mit dem Ziel des Gesetzes vereinbar, der Schutz der Wissenschaftsfreiheit berücksichtigt.

78

Vgl. Günther, a.a.O., S. 199 Rn. 23.

Um einer "Züchtungstendenzen Vorschub leistenden Manipulation" entgegenzutreten. Dieses Ziel wurde nach einer Ausschußempfehlung, der sich der Bundesrat angeschlossen hat, dadurch unterstrichen, daß statt von mißbräuchlicher von verbotener Geschlechtswahl gesprochen wird, womit klargestellt werden sollte, daß diese grundsätzlich als unzulässig zu betrachten ist. 79

80 Die Begründung geht davon aus, daß der Gentransfer ohne Humanexperimente nicht entwickelt werden kann, hält diese aber ,jedenfalls nach dem gegenwärtigen Entwicklungsstand" für unzulässig. Damit erübrige sich auch eine Antwort auf die Frage, ob ein therapeutischer Gentransfer grundsätzlich als zulässig betrachtet werden könne, wobei die Mißbrauchsgefahr und die Versuchung zur Menschenzüchtung nicht zu übersehen sei. BR-Ds. 417 /19 v. 11.8.1989, Begründung S. 24-26.

312

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

3.3 Verbot der Klonung, Hybridisierung und Mensch-Tier-Verbindung Nicht im Sinne des unmittelbaren Lebens-, sondern eines Individualitätsschutzes 81 wird die künstliche Erzeugung eines Embryos, der ein Erbprogramm aufweist, das mit einem schon in anderer körperlicher Erscheinungsform vorhandenen identisch ist, verboten (einschließlich des Versuchs). Damit wird über das allgemeine Verwendungsverbot hinaus klargestellt, daß auch verboten ist, die Forschung, Untersuchung und Behandlung mittels gleicher Erbprogramme, die durch Abspaltung im noch nicht differenzierten embryonalen Anfangsstadium gewonnen werden (das heißt die pränatale Paralleldignostik), zu ermöglichen82 und daß die Forschung, die auf die Erzeugung gleicher Erbprogramme gerichtet ist, soweit sie nicht außerhalb eines unmittelbaren Ansetzens zur Verwirklichung bleibt, verboten ist. Schließlich verbietet das Embryonenschutzgesetz das Unternehmen, Embryonen unter Beteiligung mindestens eines menschlichen Embryos zu einem Zellverband zu vereinigen, ferner menschliche Embryonen mit Zellen, die eine andere Erbinformation enthalten, differenzierungsfähig zu verbinden, außerdem einen differenzierungsfähigen Embryo durch befruchtungstechnische Kreuzung von Mensch und Tier zu erzeugen oder einen Embryo, der auf eine dieser verbotenen Weisen entstanden ist, auf eine Frau oder ein Tier oder einen menschlichen Embryo auf ein Tier zu übertragen (§ 7). Damit wird zugleich gesagt, daß alle Forschungen, die sich auf die verbotenen Ziele richten und sich nicht nur im Vorfeld und außerhalb einer Verwirklichungsabsicht bewegen, verboten sind83 . Soweit es darauf ankommt, ob die Kombinationen differenzierungsfähig sind, ist zu beachten, daß nach § 8 Abs. 2 die Entwicklungsfähigkeit von befruchteten Eizellen in den ersten vierundzwanzig Stunden vermutet wird und daß außerdem die Frage möglicherweise ohne verbotene Versuche nicht beantwortet werden kann. Der Schutzzweck liegt bei diesen Verboten im Schutz der Menschenwürde, die bei den verbotenen Vorgehensweisen als besonders nachhaltig verletzt gilt84 • Nicht von den Verboten umfaßt ist die Verbindung menschlicher - mit Ausnahme totipotenter embryonaler - Zellen mit Tieren, zum Beispiel das Einschleusen 81 Da, wie die Begründung (a.a.O., S. 26 f.) sagt, die gezielte Zuweisung der Erbanlagen in krasser Weise gegen die Menschenwürde verstoßen würde.

Wegen der Risiken, die mit der Abspaltung verbunden sind; Begründung, ebd. Auch die differenzierungsfähige Kombination gesunder mit kranken Embryonalzellen zu therapeutischen Experimenten oder Therapieversuchen soll damit untersagt werden. BR-Ds. 417/19 v. 11.8.1989, Begründung, S. 27. 82 83

84 Begründung, ebd. Vgl. Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 239 f. Rn. 4 f.

3. Gesetzliche Regelung

313

menschlicher (krankheitserregender) Gene in das tierische Erbprogramm, um die Auswirkungen zu erforschen oder therapeutischen Nutzen zu erzielen85 . Ebenfalls nicht erfaßt wird bei der Mensch-Tier-Befruchtung die bloße Imprägnierung oder die Befruchtung, wenn kein differenzierungs fähiges Leben entsteht86 . Das Embryonenschutzgesetz wird durch eine - die Schutzkonzeption abrundende - Begriffsbestimmung ergänzt, die sich auf den Embryobegriff, die Entwicklungsfähigkeit der befruchteten Eizelle und den Begriff der Keimbahnzelle bezieht und unter anderem festlegt, daß der Begriff Embryo vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an zu gelten hat (§ 8)87. Ferner ist ein straf- und bußgeldbewehrter Arztvorbehalt und die Klarstellung angeführt, daß keine Pflicht zur Mitwirkung an den vom Gesetz erlaubten Maßnahmen besteht (§§ 9, 11, 12 und 10).

3.4 Regelungsziele Wie aus der Darlegung hervorgeht, verfolgt das Embryonenschutzgesetz neben seinem Hauptanliegen eine Reihe weiterer Schutzziele, die darauf gerichtet sind, gespaltene Mutterschaften zu verhindern, Einflußnahmen auf das Geschlecht des zu erzeugenden Menschen zu verhindern, gentherapeutische Maßnahmen, die weitervererbbar sind, zu verhindern, die Entstehung von Embryonen, die nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft dienen, zu verhindern und jegliche Forschung an lebenden Embryonen, die nicht zugleich eine im jeweiligen Fall unmittelbar schwangerschaftsfördernde therapeutische Maßnahme darstellt, also auch die Forschung an todgeweihten Embryonen - insbesondere ausnahmslos die Forschung, die unmittelbar auf die Gewinnung identischer Erbprogramme gerichtet ist, die auf erbliche Wirkung gerichtete genverändernde Forschung an Embryonen und die Forschung an der befruchtungstechnischen Mensch-Tier-Verbindung sowie an der Übertragung menschlicher Embryonen auf ein Tier zu verhindern 88 •

Vgl. Günther, a.a.O., S. 243 Rn. 24 f. Um etwa den Penetrationstest für menschliche Samenzellen an Hamstereiern und ähnliche Verfahren nicht unzulässig zu machen. Vgl. dazu Merz, Problematik, 1990, S. 152, 180; Günther, a.a.O., S. 244 Rn. 26. 87 Womit der Begriff auf die Lebensentstehung bezogen wird. Vgl. zum Sprachgebrauch Spielmann/Vogel, Gegenwärtiger Stand, 1989, S. 50; Kaiser, in: Keller/ Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 14 Rn. 32. Zur damit verbundenen Betonung des Schutzgedankens Eser, Forschung mit Embryonen, 1987, S. 286; ders., Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 26-28, 40; Fleteher, Ethische Diskussion, 1991, S. 277. 88 Vgl. zu den Regelungszielen (einschließlich des Selbstbestimmungsrechts über 85

86

314

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Nicht verboten werden also Forschungen am beginnenden Leben, die zugleich unmittelbar dem Schwangerschaftsziel dienen, in diesem Rahmen auch somatische gentherapeutische Forschungen und Forschungen zur genetischen Präimplantationsdiagnostik, soweit sie nicht auf die Gewinnung totipotender Zellen mit identischen Erbprogrammen gerichtet sind, also in einem differenzierten Entwicklungsstadium ansetzen89 sowie Forschungen, die nicht am beginnenden Leben selbst, so etwa an überzählig gewordenen imprägnierten Eizellen vor der Befruchtung oder an Tieren ohne genetische Verbindung mit menschlichen Keimzellen oder Embryonen vorgenommen werden90 • Zusammenfassend läßt sich das Gesetz damit beschreiben, daß es die extrakorporale Befruchtung an die Herbeiführung einer Schwangerschaft bindet und grundsätzlich alle Einflußnahmen auf das beginnende Leben, die nicht unmittelbar diesem Ziel dienen, verbietet. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß mit der Regelung eine Reihe von Widerspruchlichkeiten verbunden ist91 . Zunächst ist hervorzuheben, daß das Gesetz auf der grundsätzlichen Widersprüchlichkeit beruht, daß zwar die künstliche Befruchtung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft zugelassen, zugleich aber in Kauf genommen wird, daß dadurch schon erzeugtes Leben in Mehrzahl vernichtet wird. Für die Chance, eine Schwangerschaft mit wenigstens einem Embryo herbeizuführen, müssen mindestens zwei andere Embryonen aufgeopfert werden92 • Wenn der Einpflanzungsversuch erfolglos bleibt und wiederholt wird, sind die zunächst verwendeten Embryonen alle verbraucht und werden weitere dafür aufgeopfert, daß die Chance entsteht, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Diese Widerspruchlichkeit läßt sich nicht aufheben und mit den strengen, vom Embryonenschutzgesetz vertretenen Grundsätzen, die von der Gleichwertigkeit des Lebensschutzes für den Embryo und für den voll entwickelten Menschen ausgehen, nicht rechtfertigen93 • Wenn sie jedoch akzeptiert wird,

die eigene Fortpflanzung) Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 121 Rn. 3 f. 89 Vgl. Günther, a.a.O., S. 209 Rn. 56. Vgl. Günther, a.a.O., S. 209, Rn. 56. 90 Ferner werden Forschungen außerhalb des vom ESchG betroffenen Regelungsbereichs nicht berührt. Straffrei möglich sind, wie erwähnt, Forschungen an Embryonen, die nach der Nidation verfügbar werden. Vgl. grds. Keller, in: Keller/Günther/ Kaiser, ESchG, 1992, S. 57-61. 91 Vgl. oben 3.1. 92 Vgl. oben Fn. 31 sowie grds. Kaiser, in: Keller/Günther/Kaiser, EschG, 1992, S. 33-41. 93 Vgl. aber die weitergehenden allgemeinen Bedenken bei Hepp, Extrakorporale Befruchtung, 1987; Staudinger, Schöne neue Welt, 1987.

3. Gesetzliche Regelung

315

um durch künstliche Befruchtung Leben zu entwickeln, widerspricht es diesem Schritt, daß jede Aufopferung für andere lebenswichtige Ziele, selbst wenn dafür todgeweihte Embryonen herangezogen werden sollen, als unzulässig betrachtet und als verbotener Mißbrauch verurteilt wird. Die verbreitete Argumentation, daß im ersten Fall das Leben für ein konkretes anderes Leben aufgeopfert werde, dagegen im zweiten Fall nur zugunsten des AUgemeinwohls 94 , stellt die Voraussetzungen nicht richtig dar, da im ersten Fall das erzeugte Leben in Wirklichkeit nur für die Chance der Weiterentwicklung aufgeopfert wird. Darüber hinaus trifft das Embryonenschutzgesetz auch im einzelnen widersprüchliche Regelungen95 • Es ordnet zwar an, um das Aufopfern von erzeugtem Leben möglichst gering zu halten, daß jeweils nicht mehr als drei befruchtete Eizellen eingepflanzt werden dürfen, sieht eine Beschränkung bei der Befruchtung aber nicht VO~6. Auf die unvermeidliche Inkonsequenz bei dem nicht durchweg mit dem Lebensschutz vereinbaren Bestreben, gespaltener Mutterschaften zu verhindern, wurde schon hingewiesen97 • In diesem Zusammenhang ist außerdem der Widerspruch hervorzuheben, der zwischen der Verhinderung gespaltene Mutterschaften und dem vom Embryonenschutzgesetz auch verfolgten Ziel besteht, das Selbstbestimmungsrecht über die eigene Fortpflanzung zu gewährleisten98 • Ferner zeigen sich Regelungslücken und zusätzliche Wertungswidersprüche99 , so indem der intrauterine Gametentransfer nicht wie der intratubare oder wie die extrakorporale Befruchtung beschränkt wird 1°O oder indem die zwar die Übertragung eines menschlichen Embryos auf ein Tier, aber nicht der umgekehrte Fall untersagt wird 101 , ferner die Embryonenentnahme vor der Nidation zum Zweck der Übertragung verboten wird, obwohl der Schwangerschaftsabbruch in diesem Entwicklungsstadium straffrei ist und die

94

Vgl. unten 4.1.2.

95

Vgl. auch oben 3.1.

Zur Erklärung der unterschiedlichen Regelung und für eine Beschränkung auf höchstens vier Befruchtungsvorgänge Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 168 f. Rn. 14-19; zur Konsequenz für die Einpflanzung vgl. Keller, ebd., S. 162 Rn. 6. 97 V gl. oben 3.1. 96

98 Das durch den Einwilligungsvorbehalt des § 4 (vgl. oben 3.1) hinsichtlich der Zulässigkeit der künstlichen Befruchtung und des Embryotransfers geschützt, hinsichtlich der Art der Mutterschaft aber vom Schutz ausgeschlossen wird. 99 Grds. Günther, a.a.O., S. 88 f.; zu offen gelassenen Fragen ebd., S. 89-97. 100

Vgl. Keller, a.a.O., S. 165 Rn. 12; Günther, a.a.O., S. 168 Rn. 12.

101

Vgl. Günther, a.a.O., S. 246 Rn. 39.

316

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

verbotene Entnahme zugleich eine lebenserhaltende Alternative darstellen kann. Die verbots betonte Schutzhaltung des Gesetzes zeigt sich, unabhängig vom unmittelbaren Konkurrenzbereich mit der Wissenschaftsfreiheit, nicht nur am Embryonenschutz im engeren Sinne, sondern auch an den Beispielen der gespaltenen Mutterschaft und der verbotenen Geschlechtswahl. Obwohl die Probleme, die mit der Ei- und Embryospende zusammenhängen, in sehr unterschiedlichem Licht erscheinen 102, wurde keine differenzierende Regelung gewählt, die etwa mit Fallgruppen und Beratungspflichten arbeitet 103 . Der Widerspruch, der zur erlaubten Weggabe eines Kindes zur Adoption besteht, wird an der Bestimmung besonders deutlich, die die künstliche Befruchtung auch dann unter Strafe stellt, wenn zwar die Weggabe des Kindes geplant ist, die Befruchtung aber nicht zu einer leiblich gespaltenen Mutterschaft führen soll. Auch hinsichtlich der verbotenen Geschlechtswahl fragt sich, ob das grundsätzliche Verbot die angemessene Lösung darstellt und andere Wege, wie die Beschränkung auf eine medizinisch erforderliche künstliche Befruchtung und die Anordnung einer Beratungspflicht außer Betracht bleiben durften. Da es sich nicht um einen verändernden Eingriff in die Erbinformation handelt, läßt sich nicht von einer mit der Wahl des Geschlechtspartners oder der Samenspender völlig unvergleichbaren genetischen Manipulation sprechen, die sich menschen- oder menschheitsunwürdig auswirkt. Daß das Prinzip der natürlichen Geschlechterverteilung kein unantastbares Rechtsgut sein kann, zeigt sich schon an der Einschränkung des Verbots, die im Hinblick auf geschlechtsgebundene Erbkrankheiten vorgesehen wurde; die sonst in Betracht kommenden Fälle lassen sich nicht als unbedingt strafgesetzlich zu untersagende Gefährdung begreifen 104 • Die weitgehenden Verbote des Embryonenschutzgesetzes erscheinen nur überzeugend, wenn man dem Gesetzgeber in der ausschließlichen Betonung des Lebens- und Menschenwürdeschutzes in der von ihm jeweils gewählten Blickrichtung folgt. Jedoch besteht ein erhebliches Spannungsfeld bei den Regelungszielen und den einzelnen Regelungsfragen. Daher erheben sich die verschiedensten Zweifel daran, ob das Gesetz die Schutzpositionen nicht zu 102 Vgl. oben Fn. 61 sowie Merz, Problematik, 1990, S. 173; Keller, in: Keller/ Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 149 f. Rn. 8, S. l79-181 Rn. 2-6. 103 Ablehnend aber Keller, a.a.O., S. 62; differenziert Stolz, Grundrechtsaspekte, 1985, S. 119; FrommeI, Rechtsphilosophische Betrachtungen, 1986, S. 60; Jung, Biomedizin und Strafrecht, 1988, S. 28-30 (vgl. auch die Hinw. in der vorigen Fn.). 104 Anderer Ansicht jeweils Keller, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 215 Rn. 3 f.

3. Gesetzliche Regelung

317

einseitig bewertet. Außerdem steht das Embryonenschutzgesetz an der Schwelle eines erstaunlichen Fortschritts, der zu einer großen Fülle neuer Forschungs- und medizinischen Entwicklungsaufgaben führt lO5 • Es läßt sich daher nicht davon ausgehen, daß es im Regelungsbereich des Gesetzes keinen oder keinen relevanten Forschungsbedarf und insofern keine beachtliche Schutzkonkurrenz gibt. Folglich ist auch nicht anzunehmen, daß außer der Herbeiführung einer Schwangerschaft im Prinzip nur mißbräuchliches Verhalten in Betracht kommt. Da jedoch einer der Leitgedanken des Gesetzgebers darin bestand, die Mißbrauchsgefahren zu bekämpfen, die mit der Fähigkeit der künstlichen Lebenserzeugung verbunden sein können lO6 , wurden diese in den Vordergrund gerückt. Auch bei Forschungs- und Behandlungsverfahren, die noch nicht ausreichend risikolos durchführbar sind, entschied sich der Gesetzgeber grundsätzlich zu einem absoluten Gefährdungsschutz. Weitergehend werden teilweise ausdrückliche Verbote angeordnet, obwohl noch nicht bekannt ist, ob und wieweit die Tatbestände im einzelnen überhaupt verwirklicht werden können 107. Der Gefährdungsschutz geht in diesem Fall über in eine vorbeugende Warnung lO8 • Die Frage, ob der Pönalisierung zugestimmt werden kann, erhebt sich jedoch nicht nur in diesem Fall. Die Zweifel daran, ob der strikte Einsatz des Strafrechts mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist, beziehen sich nicht nur auf die Geeignetheit, Notwendigkeit und Angemessenheit im einzelnen, sondern auch auf die grundsätzliche Frage, an welcher Grenze der Konflikt zwischen gleichzeitig aufgetragenen und einander entgegenstehenden Schutzpflichten in die Aufhebung der einen und die Notwendigkeit zur alleinigen Durchsetzung der anderen umschlägt. Darüber entscheidet das Ausmaß der Schutzbelange und der Gefahr, daß sie einem willkürlichen Angriff ausgesetzt werden. Beides, die Frage, wieweit die staatlichen Schutzpflichten zu begründen sind und wieweit sie sich der rechtsverletzen-

105 Vgl. neben den Hinweisen weiter oben auch Lanz-Zumstein, Embryonenschutz, 1986, S.93-100; Wuenneling, Versachlichung, 1988, S.43-45; Kaiser, in: Keller/ Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 15-21,33-54. 106 Vgl. oben 3.1 bis 3.3 sowie Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 121 Rn. 3, S. 122 f. Rn. 8. 107 So vor allem hinsichtlich vererblich wirkender gentherapeutischer Maßnahmen, aber auch was einzelne Tatbestandsaltemativen hinsichtlich der Erzeugung identischer menschlicher Erbprogramme oder hinsichtlich der Verbindung menschlicher und tierischer Erbprogramme betrifft. 108 Mittels symbolischer Strafvorschriften, vgl. dazu Jung, Biomedizin und Strafrecht, 1988, S. 13 f., 33; Günther, Strafrecht und Humangenetik, 1990, S. 276 f.

318

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

den Willkür ausgesetzt sehen, wird im Embryonenschutzgesetz nicht als Problem behandelt; es anerkennt nur eine einseitige Schutzaufgabe. Die Bedenken, die gegen eine Pönalisierung als Mittel der staatlichen Schutzpflicht erhoben wurden und in der Diskussion um die künstliche Befruchtung und die Forschung an frühesten Lebensstadien zunächst überwiegend zum Ausdruck kamen 109 , traten daher völlig in den Hintergrund. Der in diesem Zusammenhang auch maßgebende Gedanke, daß jedenfalls vorläufig noch eine strafrechtliche Schranke errichtet werden müsse, bis die Entwicklung weiter fortgeschritten sei l1o , überzeugt nur teilweise, da die Vorläufigkeit die Schutzrelevanz erheblich herabsetzen kann und gleichzeitig bedeuten könnte, daß eine das Verbot umgehende, weitere Entwicklung nicht ausgeschlossen werden kann. Dem weiteren Gedanken, daß über die Auswirkung bestimmter Verfahren keine ausreichende Information bestehe und daher ein Verbot eingreifen müsse, kann ebenfalls nicht undifferenziert gefolgt werden, da die Erforschung praktikabler Verfahren den Bereich der unzureichenden Anwendung laufend verändert und da mit Verboten die Entwicklung behindert werden kann 1ll . Das Argument, daß eine spätere Überprüfung der Regelungen in Betracht kommt ll2 , hebt die Widersprüche nicht auf. So bestehen auch Bedenken gegen die strafgesetzlich gefaßte moralische Mahnung, die darin mißverstanden werden könnte, daß sie die Wichtigkeit der Wissenserweiterung und die Fähigkeit zur verantwortlichen Entscheidung nicht in Abrede steHen will. Mit Blick auf die vorausgegangene Diskussion und die vielen Abwägungsfragen lassen sich jedenfalls Bedenken nicht ausschließen, die sich gegen die strenge Strafgesetzlichkeit richten. Was den angestrebten Menschenwürdeund Lebensschutz, den Schutz der menschlichen Person und der GeseHschaft betrifft, besteht kein Zweifel daran, daß der Schutzgedanke des Gesetzes von

109 Vgl. auch die Stellungnahme zum Schwangerschaftsabbruch in BVerfGE 39, 1, abw. Meinung 68-95. Grds. Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S.408-429. Vgl. zur Diskussion im vorliegenden Zusammenhang auch Jung, Biomedizin und Strafrecht, 1988, S. 11-24; Günther, Strafrechtlicher Schutz, 1991; ders., in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 81-89. Zur Notwendigkeit von Strafverboten Keller, Verbrauchende Forschung, 1988, S.71; Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 242-244; Günther, Strafrechtliche Verbote, 1990. Zurückhaltend Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 46 f. l1oBR-Ds. 417/19 v. 11.8.1989, Begründung zu § 5, S.24, mit Bezug auf den "jetzigen Kenntnisstand". Vgl. auch In-vitro-Fertilisation, 1985, S. 46 f. 111 Vgl. Schick, Strafrechtliche und Krimonologische Aspekte, 1985, S. 201; Vogel, Probleme der Humangenetik, 1990, S. 139, 145. 112 Vgl. Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 240 f.; Günther, in: Keller/Günther/ Kaiser, ESchG, 1992, S. 87 Rn. 25.

4. Stellungnahme

319

wesentlicher Bedeutung ist. Jedoch erscheint die Überlegung erforderlich, ob sich die Waagschale ohne weiteres gegenüber der Forschungsfreiheit senkt, und ob es mit der Verfassung vereinbar ist, daß diesem Recht in dem betroffenen Regelungsbereich so gut wie kein Gewicht zugesprochen wird.

4. Stellungnahme 4.1 Verfassungs rechtliche Auslegungsprobleme 4.1.1 Wissenschaftsfreiheit

Zur Beurteilung der Frage, ob die Wissenschaftsfreiheit auf dem Gebiet der pränatalen Humanforschung so stark, wie gesetzlich vorgeschrieben, eingeschränkt werden darf, erscheint es erforderlich, die verfassungsrechtliche Bedeutung des Grundrechts noch einmal hervorzuheben. Ausgehend von der Forschungsfreiheit, ist zunächst festzustellen, daß sie als solche und in erweiterter Gestalt als Wissenschaftsfreiheit ausdrücklich als Grundrecht und objektives Rechtsprinzip in der Verfassung gewährleistet wird. Soweit die Ausübung der Wissenschaftsfreiheit mit der Rechtsordnung in Konflikt gerät, ist zu prüfen, ob es sich um eine einschränkende Wirkung auf die Wissenschftsfreiheit handelt; in diesem Fall ist eine verfassungsrechtliche Legitimation der Beschränkung und deren Begrenzung auf das Mindestmaß zu verlangen. Andernfalls wäre die Beschränkung verfassungswidrig. Der Geltungsanspruch der Wissenschaftsfreiheit wird grundsätzlich nicht durch die Rechtsordnung begrenzt und muß sich dieser gegenüber nicht legitimieren 1l3 , vielmehr steht jede Beschränkungswirkung durch die Rechtsordnung ihrerseits unter Legitimationszwang l14 • Andererseits entfaltet die

113 Nicht zu verwechseln mit dem verstärkten allgemeinen Legitimationsdruck, der für die Wissenschaftsfreiheit konstatiert wird - vgl. Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 13; ders, Genetische Manipulation, 1985 (2), S. 3 - und sich auf ihre öffentliche Einschätzung, nicht aber ihre verfassungsrechtliche Stellung bezieht. 114 Wie vor allem Eser stets betont, vgl. ders., Humanexperiment, 1987, S. 206 f.; ders., Humangenetik, 1987, S. 39, und auch als Grundsatz für die Forschung am Menschen hervorhebt; ders., Biotechnologie, 1986, S. 107; ders., Gentechnik, 1987, S.250. Vgl. Graf Vitzthum, Menschenwürde und Humangenetik, 1986, S. 817. Die Entgegnung von Lerche, Verfassungsrechtliche Aspekte, 1986, S. 89-93, die darin ein ungerechtfertigtes Forscherprivileg sehen will, setzt Rechtsbindung und Legitimation gleich; der Forschungsfreiheit sollen jedoch keine Rechtsräume, sondern nur eine besondere Legitimation geöffnet werden, die sie vor Unterdrückung bewahrt. Vgl. die Stellungnahme von Scholz, Beherrschung, 1986, S. 68-71, sowie Eser, Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 124.

320

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Rechtsordnung eine Bindungswirkung, die auch für die wissenschaftliche Tätigkeit gilt und die nicht willkürlich, sondern nur für den Fall durchbrochen werden darf, daß sie sich in einer verfassungsrechtlich nicht rechtfertigbaren Weise beschränkend auswirkt. Diese Frage hat der Wissenschaftler im Zweifel unter Berufung auf die beschränkende Wirkung klären zu lassen. Wenn wissenschaftlich legitime, mit der allgemeinen Rechtsordnung grundsätzlich übereinstimmend wahrnehmbare Interessen geltend gemacht werden, bedarf die Wissenschaftsfreiheit keiner weiteren Legitimation als ihrer immanenten Aufgabe, zu deren weitestmöglicher Erfüllung ihr die verfassungsrechtliche Respektierung garantiert ist. Nur wenn eine Beschränkung zum Schutz verfassungsrechtlich ebenbürtiger Rechtsgüter notwendig erscheint, weil sonst eine verfassungsrechtlich nicht rechtfertigbare Rechtsverletzung die Folge wäre, muß die Wissenschaftsfreiheit zurücktreten. Sie verliert in diesem Fall aber nicht ihre Legitimation. Vielmehr muß der Schutzkonflikt, der Kollisionsbereich und die Schutzwirkung der einander gegenüberstehenden Rechte bestimmt werden, um eine Abwägung zu ermöglichen. Zu einer Perspektivenumkehr kommt es dadurch nicht, denn nur wenn eine absolute Schranke eingreift, wird der Geltungsanspruch der Wissenschaftsfreiheit aufgehoben. Eine grundsätzliche Rechtfertigungspflicht würde die Freiheitsgarantie ihrer verfassungsrechtlichen Gewährleistung zuwider entwerten l15 • Zur Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit ist zu wiederholen, daß sie die Grundlage der allgemeinen Wahrheit und Richtigkeit und der ständigen Weiterentwicklung unter diesen Voraussetzungen bildet. Die wahrheits- und rechtlichkeitsfördernde Bedeutung stellt die Wissenschaftsfreiheit in engen Zusammenhang mit dem Menschenwürdegrundsatz, der prinzipiell in den Grundrechten eine wesentliche Ausprägung erfährt l16 , in der Wissenschaftsfreiheit aber eine existentielle Grundbedingung findet. Der Schutz der Wissenschaftsfreiheit bezweckt auch, Einschränkungen dieses Grundrechts als Beeinträchtigungen der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde zu verhindern. Die Bedeutung der Wissenschaft für die Sicherung der Lebensbedingungen und die Weiterentwicklung macht sie auch zu einer wesentlichen Grundlage des Grundrechts auf Leben und Gesundheit und der darauf bezogenen staatlichen Schutzpflicht. Zur praktischen Seite in diesem Zusammenhang genügt ein Blick auf die entscheidenden Fortschritte der Medizin sowie die Entwicklung der staatlichen Gesundheitspflege und Gefahrenabwehr ll7 . Die Wissenschaftsfreiheit erscheint von dieser Warte aus wie ein

115 So auch die eingehende Darlegung bei Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 484-490. 116 Statt vieler Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 164-166. 117 Vgl. Lundgreen/Horst/Küppers/Paslack, Staatliche Forschung, 1986, S. 56-87.

4. Stellungnahme

321

Bestandteil des staatlichen Gesundheitsschutzes, der unmittelbar an die Wissenschaftsfreiheit anschließt. Da es möglich geworden ist, zum physiologischen Lebensbeginn vorzustoßen und die ersten Entwicklungsstadien des individuellen menschlichen Lebens verstehen zu lernen, bezieht sich die Schutzpflicht für die Wissenschaftsfreiheit auch auf diesen Wissensfortschritt, der eine bedeutende und für jeden Einzelnen lebenswichtig erscheinende Kenntniserweiterung in Aussicht stellt. Der Forschungsbedarf, der sich auf das beginnende Leben erstreckt, richtet sich zum einen auf die künstliche Lebenserzeugung und die Herbeiführung sowie die gesunde Entwicklung von Schwangerschaften, zum anderen auf eine Vielzahl von Grundlagen- und anwendungsbezogenen therapeutischen Fragen 11 8. Das gilt auch für Forschungsanliegen im Bereich der besonders unter Verbot gestellten Klonung und Hybridisierung. Besonders wichtig erscheinen Erkenntnisfortschritte auf dem Gebiet der zellularen Teilungs- und Steuerungsmechanismen, um die Bekämpfung von damit zusammenhängenden Krankheiten 1l9 sowie von Erbkrankheiten und genetisch bedingten Krankheitsdispositionen 12o zu fördern und zu ermöglichen. Der Forschungsbedarf ist jedoch nicht im einzelnen vorhersehbar und vermischt sich mit der Fülle der Forschungsinteressen, die sich nicht unmittelbar auf das beginnende Leben beziehen. Gegenüber der so umreißbaren Sachlage geht das Embryonenschutzgesetz davon aus, daß in seinem Regelungsbereich die Wissenschaftsfreiheit durch das Lebensschutz- und Menschenwürderecht absolut beschränkt wird und, soweit Leben zu anderen Zwecken als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt und verwendet werden soll, kein Raum für einen Konflikt und eine Abwägung der Schutzinteressen besteht. Das Gesetz konzentriert sich darauf, den von ihm gesetzten Maßstab der unmittelbar schwangerschaftsbezogenen Lebensschutzpflicht durchzusetzen und der Forschung soweit unüberwindliche Schranken zu ziehen, als nicht nur das Vorfeld des entstehenden Lebens bis zur Imprägnierung der Eizelle - wenn überzählige imprägnierte menschliche Eizellen überhaupt zur Verfügung stehen sollten 118 Vgl. die Stellungnahme in den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen (Wuermeling, Richtlinien, 1987, 1991) sowie die Stellungnahmen der Max-Planck-Gesellschaft und Deutschen Forschungsgemeinschaft (v gl. den Hinweis bei Günther, Strafrechtliche Verbote, 1990, S. 163), ferner Lanz-Zumstein, Embryonenschutz, 1986, S. 93-100; Merz, Problematik, 1990, S.43-49. 119 Vgl. die Fragen, die unkontrolliertes Wachstum und Reproduzieren betreffen (auch unabhängig von der Ausbildung des Immunsystems; vgl. Günther, Strafrecht, 1990, S. 290; ders., in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 208 Rn. 52). 120 Grds. Kaiser, in: Kaiser/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 15-21.

21 I..osch

322

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

oder das Vorfeld der vererblich wirkenden Gentherapie ausschließlich der Möglichkeit, daß ein Embryo mit veränderter Erbinformation erzeugt wird, sowie das Vorfeld der Klonung und Hybridisierung und der Übertragung eines Hybrid- oder Tierembryos auf eine Frau in Betracht kommt. Diese Ausschließlichkeit zieht scheinbar klare Linien und läßt die Konzeption des Gesetzes unter dessen besonderem Blickwinkel einleuchtend erscheinen. Gegen die Forschungsverbote, die mit der Regelung verbunden sind, erhebt sich jedoch eine Reihe von grundsätzlichen und besonderen rechtlichen Bedenken, die im folgenden erörtert werden sollen 121 • Grundsätzlich weckt schon die Tatsache, daß die gesetzgeberische Entscheidung in ein Regelungsfeld eingreift, dessen Entwicklung maßgebend durch die Wahrnehmung gerade des Freiheitsrechts ermöglicht wurde, dessen Legitimation durch die Regelung tiefgreifend eingeschränkt wird, Zweifel daran, ob die Entscheidung der Sachlage gerecht wird. Das gleiche gilt auch für die Tatsache, daß die Regelung an der Schwelle grundlegend neuer Erkenntnisse steht, die eine Veränderung des überkommenen Weltbildes bedeuten und die nur mit Hilfe der Wissenschaftsfreiheit gründlich genug gewonnen und nicht zum Schaden, sondern zum Nutzen eingesetzt werden können. Schließlich erheben sich auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzgeberischen Entscheidung, da diese den Lebens- und Menschenwürdeschutz in seiner Anknüpfung an die überkommene Erscheinungsform der menschlich-sozialen Existenz und in rein begrifflicher Gleichsetzung unmittelbar auf die völlig anders geartete Erscheinungsweise des menschlichen Lebens überträgt, die von der wissenschaftlichen Forschung enthüllt wurde l22 . Zum Rahmen der Rechtslage ist außerdem festzustellen, daß wegen der Perspektivenverschiebung zu Lasten der Forschungsfreiheit die Regelungsalternativen, die in eingehender Auseinandersetzung mit den Regelungsproblemen diskutiert wurden - so vor allem der zunächst vorgesehene Erlaubnisvorbehalt für die Forschung -, übergangen werden. Das hat zugleich zu bedeuten, daß sie grundsätzlich als verfassungswidrig betrachtet werden müssen und der gesetzgeberische Regelungsspielraum weitgehend auf Verbotspflichten eingeschränkt ist. Es fragt sich jedoch, ob dieses Urteil dem Meinungsstreit gerecht wird und nicht anstelle einer auf Polariät gerichteten Entschei-

121 Abgesehen von Überlegungen zur grds. Schutzwürdigkeit therapeutischer Forschungen, vgl. Hofmann, Biotechnik, 1986, S. 659; Fechner, Menschenwürde, 1986, S. 659; ders., Nachträge, 1991, S. 53 f. - Vgl. zum vorliegenden Zusammenhang grds. Trotnow / Coester- Waltjen, Möglichkeiten, Gefahren und rechtliche Schranken, 1990. I22 Näher unten 4.1.2.

4. Stellungnahme

323

dung die Prinzipienhaftigkeit der Grundrechte und die Koexistenzmöglichkeit konfligierender Rechtsprinzipien in Betracht zu ziehen sind und eine Schrankenziehung anzustreben ist, die auf einen Ausgleich gerichtet ist. Als eines der wesentlichen Probleme bei der Beurteilung der Rechtslage hebt sich die Schwierigkeit heraus, die neu in Erscheinung getretenen und von der Rechtsordnung zu bewältigenden Regelungsaufgaben von traditionellen Erkenntnisebenen aus zu beurteilen. Die Disparität, die sich zwischen dem Weltbild, das durch die wissenschaftliche Entwicklung geformt wird, und dem herkömmlichen Verständnis des verfassungsrechtlichen Menschenbildes ergeben kann, könnte zum gefährlichen Konfliktfeld werden. Es läßt sich daher nicht befürworten, die Freiheit der wissenschaftlichen Entwicklung auf Forschungsgebieten, die ein neues Verständnis der menschlichen Existenz ermöglichen, mit den unveränderten Maßstäben einer Welt zu messen, der die Blickerweiterung versagt war. Die Neuartigkeit der Situation, vor der die zentralen Regelungsfragen stehen, könnte daran zweifeln lassen, ob die Verfassung überhaupt als Beurteilungsmaßstab herangezogen werden kann, da die neuen Erkenntnisse und Forschungsmöglichkeiten ihr Vorstellungsbild übersteigen könnten. Jedoch würde sowohl die Gleichgültigkeit gegenüber der Verfassung als auch die vorschnelle Inanspruchnahme ihrer traditionellen Rechtsprinzipien versäumen, die weiter oben erwähnte, im Prinzipiellen liegende verfassungsrechtliche Produktivkraft, die nicht allein mit Integrationsund Konformitätswirkungen gleichzusetzen ist, zur Geltung zu bringen. Die Entwicklung weiterführender Rechtsmaßstäbe unter Berücksichtigung neuer Verständnisanforderungen ist als verfassungsrechtlich vorgegebene Aufgabe zu betrachten. Neben den grundsätzlichen Vorbehalten richten sich besondere rechtliche Bedenken dagegen, daß die systematische Stellung der Wissenschaftsfreiheit nicht ausreichend beachtet wird. So besteht keine Klarheit hinsichtlich der Frage, ob die Wissenschaftsfreiheit absolut zu beschränken ist oder ob ein Rechtskonflikt besteht, der als relative Beschränkung wirkt und bedeutet, daß zwischen den Rechten, die einander entgegenstehen, eine Abwägung vorzunehmen ist 123 • Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß der Wissenschaft in diesem Zusammenhang eine Begründungslast für ihre Legitimation abverlangt wird l24 • Die damit angeschnittene Problemlage läßt sich an der Diskussion um die Zu lässigkeit der Embryonenforschung erläutern 125 •

123 124

125

21'

Vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 484-490. Stellvertretend Jung, Biomedizin und Strafrecht, 1988, S. 33. Vgl. auch oben Fn. 49; Merz, Problematik, 1990, S. 177-180.

324

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Als die Diskussion um die Regelung der Fragen, die mit der künstlichen extrakorporalen Erzeugung von menschlichem Leben zusammenhängen 126 , zu offiziellen Stellungnahmen zu führen begann, überwog der Standpunkt 127 , daß die verbrauchende Embryonenforschung zwar grundsätzlich als unzulässig betrachtet werden müsse, bei ohnehin todgeweihten, überzähligen Embryonen aber eine Ausnahme in Betracht komme, soweit besonders qualifizierte, die Inanspruchnahme des erzeugten Lebens rechtfertigende Forschungsziele verfolgt würden 128 • So wollte die Benda-Kommission die Zulässigkeit der Forschung bei hochrangigen Forschungszielen nicht ausschließen; die Erzeugung von Leben zu Forschungszwecken wurde jedoch abgelehnt 129 • Die Richtlinien der Bundesärztekammer legten die Zulässigkeit der Forschung im gleichen Rahmen zugrunde, umschrieben aber die Voraussetzung der hochrangigen Ziele etwas allgemeiner und schränkten die Zulässigkeit gleichzeitig durch eine Reihe praktischer Anforderungen ein, wie die Nichtersetzbarkeit, den klinischen Bezug, eine zeitliche Begrenzung und die Einwilligung der Keimzellenspender. Außerdem wurde eine fachliche Kontrolle und eine Informationspflicht vorgesehen. Abgelehnt wurde ebenfalls die künstliche Lebenserzeugung zu Forschungszwecken 130 • Der Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen stellte die Forschung kdiglich unter einen Erlaubnisvorbehalt der zuständigen obersten Landesbehörde; die Begründung verweist darauf, daß nur besonders hochrangige Forschungsziele für eine Genehmigung in Betracht kommen könnten. Die künstliche Befruchtung wurde nur zum Zweck der Übertragung der befruchteten Eizelle auf eine Frau erlaubt 131 •

In der Folgezeit entzündete sich die Diskussion vor allem an der Frage, wie die Hochrangigkeit der Forschungsziele zu definieren sei und welche Ziele als qualifiziert gelten könnten 132. Die Standpunkte dazu wurden

126 Grds. Coester- Waltjen, Künstliche Befruchtung, 1986; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986; Bemat, Rechtsfragen, 1989; Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik, 1991. 127 Vgl. aber die unterschiedlichen Positionen in der Gesetzesplanung, hervorgehoben von Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 17 f. 128 Vgl. oben Fn. 49 sowie Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 204; Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 17-20; Merz, Problematik, 1990, S. 177 f. 129 In-vitro-Fertilisation, 1985, S. 28-30. 130 Vgl. Wuermeling, Richtlinien, 1987, 1989, ferner die Wiedergabe u.a. in Keller/ Günther / Kaiser, ESchG, 1992, Anhang 2, S. 264-275 (266). 131 Vgl. die Wiedergabe bei Günther, Diskussionsentwurf, 1987, S. 456 f., und in Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, 1991, Anhang I, S. 349-362. 132 Stellvertretend Eberbach, Forschung an menschlichen Embryonen, 1990, S. 220 f.; Merz, Problematik, 1990, S. 43-49,177-182.

4. Stellungnahme

325

immer kritischer, gleichzeitig wurde dem Schutz des Lebens und der Menschenwürde auch zugunsten der todgeweihten Embryonen ein immer größeres Gewicht eingeräumt und folglich auch immer stärker bezweifelt, ob von dem Grundsatz, daß Forschungen im Allgemeininteresse den konkreten Lebensund Menschenwürdeschutz nicht verdrängen können 133 , bei todgeweihten Embryonen überhaupt eine Ausnahme gemacht werden dürfe 134. Es setzte sich durch, daß die Wissenschaft die Begründungslast dafür zu tragen habe, daß künstlich erzeugtes Leben, auch wenn es todgeweiht ist, mit bestimmten Forschungszielen aufgewogen werden kann 135. Diese Entwicklung führte dazu, daß im Regierungsentwurf eines Embryonenschutzgesetzes und in der als Gesetz verabschiedeten Fassung der früher vorgesehene Erlaubsnisvorbehalt für die Forschung an Embryonen aufgegeben wurde. Die Begründung des Gesetzes geht darauf nicht ein, sondern stellt nur fest, daß der Menschenwürde- und Lebensschutz für das menschliche Leben von seiner Entstehung an zu gewährleisten sei l36 • Die Forschung am entstandenen Leben, soweit sie nicht mit einer zu diessen Erhaltung im jeweiligen Einzelfall dienenden Maßnahme verbunden ist, wurde ausgeschlossen, da ein praktisch unumgänglicher Forschungsbedarf, der dem ungeschmälert zuerkannten Lebens- und Menschenwürdeschutz als unmittelbar gleichoder vorrangig entgegengesetzt werden kann, nicht nachweisbar erschien I37 • In der vorausgegangenen Diskussion wurde zwar nicht ausgeschlossen, daß der Lebens- und Menschenwürdeschutz bei todgeweihten Embryonen als relativiert und mit dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit abwägbar betrachtet werden könnte, gleichzeitig aber daran festgehalten, daß Leben grundsätzlich nur mit einem konkreten Lebensschutzzweck aufgewogen werden kann und fremdnützige Forschung dafür nicht in Betracht kommt. Der Ausgangspunkt konnte daher zu keiner vermittelnden Lösung führen. Entweder mußte der

133 Grds. Deutsch, Recht der klinischen Forschung, 1979, S. 13-18, 85, 153-166; Schimikowski, Experiment, 1980, S. 7 f. Vgl. Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 172 f.; Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 45 f. 134 Vgl. zur Diskussion auch Keller, Verbrauchende Forschung, 1988; ders., Probleme der Humangenetik, 1990, S. 185-189; Eberbach, Forschung, 1990; Merz, Problematik, 1990, S. 177-180. Zur grds. Ablehnung stellvertretend Elsässer, EmbryonenExperimente, 1988; Vollmer, S. 186-199, 204-220. I35 Grds. zu dieser Frage Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 24 f.; Merz, Problematik, 1990, S. 177-179. Zur Begriindungslast Jung, Biomedizin, 1988, S.33; Günther, Strafrechtliche Verbote, 1990, S. 164; ders., Strafrecht, 1990, S. 290 f.; ders., in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 207 Rn. 52; vgl. Keller, Rechtliche Schranken, 1991, S. 445. 136 BR-Ds. 417/89 v. 11.8.1989, Begr. S. 8 f. 137 Vgl. Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 207 f. Rn. 51 f.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Lebens- und Menschenwürdeschutz wegen der besonderen Situation des zu schützenden Lebens als relativiert und daher konsequent für fremdnützige, lebensfördernde Zwecke einsetzbar betrachtet werden oder der Lebens- und Menschenwürdeschutz mußte als ungeschmälert anwendbar und grundsätzlich nur durch gleich konkrete Schutzzwecke für aufwiegbar gehalten werden. Außerdem wurde eine Begründungslast der Wissenschaft angenommen, obwohl die Wissenschaftsfreiheit grundsätzlich eine uneingeschränkte Legitimation erteilt. Es ist zu wiederholen, daß nur dann, wenn die Wissenschaftsfreiheit an eine absolute Schranke stößt, ihre Legitimation unwirksam wird. Wenn es dagegen zu einem Schutzkonflikt kommt, der eine Abwägung der einander entgegenstehenden Rechte verlangt, muß deren jeweiliges Gewicht nach den Umständen des Einzelfalles bestimmt werden; nur in diesem Rahmen bedarf die Legitimation einer Bestätigung. In den genannten Ausgangspunkten kommt die Rechtslage daher nicht ganz deutlich zum Ausdruck. So sind die Fragen, ob und wieweit der Lebens- und Menschenwürdeschutz grundsätzlich zuzuerkennen ist und welche Folgen sich aus besonderen Umständen ergeben, voneinander zu unterscheiden. Die ausschlaggebende Frage ist nicht, ob und wie der Lebens- und Menschenwürdeschutz wegen eingetretener besonderer Umstände relativiert werden kann, sondern ob das künstlich außerhalb des Körpers erzeugte Leben in Form der befruchteten Eizelle denselben Schutz in Anspruch nehmen kann, wie er für das voll entwickelte Leben von der Geburt an gilt 138 • Wird der Schutz gleichwertig zuerkannt, ist er nicht durch ein weniger konkretes Schutzanliegen relativierbar, und die Frage, ob die nur fremdnützig mögliche Forschung an todgeweihten Embryonen zulässig sein könnte, setzt an der falschen Stelle an. Wird jedoch der Schutz für das künstlich erzeugte Leben prinzipiell nicht in derselben Weise anerkannt wie beim natürlich voll entwickelten Leben, erlaubt er generell, daß Schutzkonflikte berücksichtigt werden und zur Abwägung der einander entgegenstehenden Schutzrechte führen. Die Frage, ob fremdnützige Forschungen an Embryonen zulässig sind, ist daher von der Frage, ob es sich um todgeweihte Embryonen handelt, unabhängig und grundSätzlich zu entscheiden. Nur auf diese Weise ist eine widerspruchsfreie Beurteilungsgrundlage zu erreichen, die mit den Prinzipien des Lebens- und Menschenwürdeschutzes und der grundsätzlichen Legitimation der Wissenschaftsfrieheit übereinstimmt. Sollte der Lebens- und Menschenwürdeschutz auf das künstlich außerhalb des Körpers erzeugte Leben grundsätzlich uneingeschränkt - ohne Berücksichtigung des fundamentalen Unterschiedes zwischen dieser und der natür-

138

Grds. dazu Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 60-85, 204-220.

4. Stellungnahme

327

lich voll entwickelten Lebenserscheinung und in nur begrifflicher Gleichsetzung - für anwendbar gehalten werden, würde die Wissenschaftsfreiheit an eine absolute Schranke stoßen, die ihre Legitimation aufhebt. Zwar ließe sich der Lebensschutz auf Grund des Schrankenvorbehalts in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG gesetzlich einschränken 139, dürfte aber grundsätzlich nicht durch nicht konkret ebenbürtige Schutzanliegen zurückgedrängt werden 140. Der unterschiedslos zuerkannte Menschenwürdeschutz würde sich einer Einschränkung weitgehend entziehen. Eine Schutzkonzeption dieser Art, wie sie im Embryonenschutzgesetz zum Ausdruck kommt, erscheint zwar an sich folgerichtig, steht aber mit der dennoch zur Herbeiführung von Schwangerschaften grundsätzlich in Kauf genommenen Aufopferung von künstlich erzeugtem Leben in Widerspruch und muß die Frage aufwerfen, ob die gleichheitsbezogene Angemessenheit der Rechtsanwendung gewahrt wird. Eine prinzipiell relativiert ansetzende Schutzkonzeption würde das künstlich außerhalb des Körpers erzeugte Leben nicht mit dem natürlich voll entwickelten Leben gleichsetzen und ihm nicht denselben ungeschmälerten Schutz zuerkennen l4I . Die Folge wäre, daß der Lebens- und Menschenwürdeschutz in diesem Fall keine absolute Schranke für die Wissenschaftsfreiheit bedeuten würde, sondern ein Schutzkonflikt bestünde, der jeweils zu einer Abwägung der einander entgegenstehenden Rechte führt - unter Zugrundelegung eines im gegenseitigen Lichte gewonnenen Verständnisses und unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände. So ist auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß der Lebens- und Menschenwürdeschutz seinen Sinn und sein Maß nicht nur durch die physische Grundlegung des Lebens, sondern auch den damit verbundenen Einblick in die Entwicklungszusammenhänge erhält. Umgekehrt müßte sich der Forschungsbedarf, wenn beginnendes Leben in Anspruch genommen werden sollte, sowohl im Sinne des Lebensschutzprinzips als auch der besonderen Existenzform des Lebens gegenüber jeweils als ein erforderlich und angemessen wahrzunehmendes Anliegen erweisen. Im Rahmen der Abwägung könnte der Fall, daß es sich um todgeweihte Embryonen handelt, angemessene Berücksichtigung finden und könnten nicht schutzwürdig erscheinende Forschungsanliegen ausgeklammert werden. Um die erforderliche Abwägung der Schutzrechte zu sichern und die Schutzrechte für das erzeugte Leben davor zu bewahren, daß sie unverhältnismäßig be-

139 Vgl. stellvertretend Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 33-35, 58 f.; Keller, Probleme der Humangenetik, 1990, S. 187 f. 140 Vollmer, a.a.O., S. 207-218. 141 Zur Unterscheidung zwischen der Lebensexistenz- und der Schutzfrage Wolkinger, Lebensbeginn, 1985, S. 92 f.; Merz, Problematik, 1990, S. 176 f.

328

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

ansprucht werden, könnte, wie früher schon vorgesehen, ein Erlaubsnisvorbehalt aufgestellt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach dem sich die Abwägung zu richten hätte, würde darauf zurückwirken, welche Regelungsmittel einzusetzen und wie ein Erlaubnisvorbehalt auszugestalten wäre. Bei der Grundentscheidung für eine relativierte Schutzposition könnte der weiter oben schon erwähnte innere Zusammenhang der Wissenschaftsfreiheit mit dem staatlichen Lebens- und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden, ohne das künstlich erzeugte Leben einer nicht am Sinn der Schutzprinzipien orientierten, mißbräuchlichen Verwendung preiszugeben. Wie die Grundfrage zu entscheiden ist, muß bei der näheren Betrachtung des Lebensund Menschenwürdeschutzes untersucht werden. Über die Ablehnung der verbrauchenden Embryonenforschung hinaus dienen die besonderen Verbote, die hinsichtlich der künstlichen Veränderung der Erbinformation sowie der Klonung und Hybridisierung und der befruchtungstechnischen Kreuzung zwischen Mensch und Tier angeordnet werden, auch einem besonderen Menschenwürdeschutz 142 . Aber nur wenn die verbotenen Vorgehensweisen grundsätzlich und in jeder Hinsicht mit dem Schutz der Menschenwürde unvereinbar sind, stößt die Wissenschaftsfreiheit an eine absolute Schranke und besteht kein Raum für einen durch Abwägung zu lösenden Rechtskonflikt. Dieser Fall wurde beim Verbot der künstlichen Veränderung der Erbinformation aber nicht unbedingt angenommen. Das grundsätzlich angeordnete Verbot, das sich vor allem auch gegen gentherapeutische Maßnahmen mit weitervererbbaren Auswirkungen richtet, wird vielmehr mit dem erforderlichen Schutz vor Lebens- und Gesundheitsgefahren wegen noch nicht beherrschbarer Risiken und insofern auch mit dem Schutz vor menschenunwürdigen, weil noch unkalkulierbaren Eingriffen begründet 143 . Damit braucht über die Grundfrage anscheinend nicht entschieden zu werden 144; die Wissensehaftsfreiheit verlangt aber, daß auch die Grundfrage so differenziert wie möglich behandelt wird. So könnte für den Fall, daß eine überschaubar wirkende gentechnische Maßnahme risikolos durchführbar wird, eine Ausnahme von dem Verbot vorzusehen sein, was einen klaren Standpunkt in der Grundfrage - ob die Menschenwürde bei jeder weitervererbbaren gentechnischen Veränderung verletzt würde - voraussetze 45 .

142 Vgl. Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, S. 229 Rn. 2, S. 236 Rn. 3, 239 f. Rn. 4. 143 BR-Ds. 417/89 v. 11.8.1989, Begr. S. 24. 144 Ebd. 145 Näher zu dieser umstrittenen Frage unten 4.1.2.

4. Stellungnahme

329

Wieweit eine Gefährdung, die im Zeitpunkt der gesetzlichen Regelung noch undifferenziert besteht, ein grundsätzliches Verbot verlangt, das auch jede möglicherweise als ungefährlich verfügbar werdende Behandlung zunächst jedenfalls unter Strafe stellt, ist eine Frage, die sich unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ohnehin erhebe 46 , in wissenschaftlichen Entwicklungsbereichen jedoch nicht ohne Rücksicht darauf zu beantworten ist, daß eine grundsätzliche Legitimation von Forschungsanliegen und eine grundsätzliche Pflicht zur Förderung der wissenschaftlichen Erkenntnis besteht. Diese Rechtslage spricht dafür, anstelle eines allgemeinen Verbots eine differenzierende Lösung zu wählen, die für ausreichend kontrollierbare Eingriffe mindestens eine Ausnahme vorsieht. Damit könnten, dem Zweck des Gesetzes entsprechend, unvertretbar gefährliche Versuche unterbunden werden, die Gentherapie würde aber nicht insgesamt als strafbarer Mißbrauch verurteilt. Das Verbot geht daher in eine weit vorgreifende Strafvorschrift über und wirkt damit auf die Grundfrage zur Zulässigkeit der Gentherapie zurück, obwohl ein grundsätzliches Urteil über die Gentherapie nicht getroffen werden sollte. Auf diese Weise wird auch der Forschungsbereich unter Druck gesetzt. Zwar wird der allgemeine Erkenntnisfortschritt und die Forschung an den Grenzen des Verbotsbereichs nicht ausgeblendet, aber der untrennbar mit der Entschlüsselung des genetischen Codes und der Einsicht in die Wirkungsweise der Gene verbundene Gedanke an praktische Anwendungsmöglichkeiten wird an ein Feld des strafbaren Unrechts herangerückt. Der Hinweis, es handle sich um ein revidierbares Verbot auf Zeie 47 , kann die Bedenken nur teilweise aufheben und läßt nicht ausgeschlossen erscheinen, daß die Regelung in einen unzulässigen Rückstand geraten könnte. Schließlich deutet auch die Unsicherheit darüber, ob gentechnische Maßnahmen überhaupt zu einem nennenswerten praktischen Anwendungsbereich werden können, darauf hin, daß es sich um ein weit vorausgreifendes Verbot handeln könnte. Wenn jedenfalls das allgemeine Verbot der Embryonenforschung als unhaltbar betrachtet werden müßte, wäre im Rahmen einer nicht zur natürlichen Weiterentwicklung führenden Forschung auch das Verbot von gentherapeutischen Experimenten nicht aufrecht zu erhalten. Entsprechendes gilt für die verbotene Klonung, wenn nicht in jeder künstlich bewirkten Erzeugung identischer Erbprogramme ein Verstoß gegen die

V gl. unten 4.2.1. Grds. oben 3.4; vgl. Eberbach, Forschung, 1990, S. 223; im vorliegenden Zusammenhang Günther, Strafrecht, 1990, S. 287. 146

147

330

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Menschenwürde zu sehen ise 48 • Wiederum fragt sich, ob die Wissenschaftsfreiheit an eine absolute Schranke stößt oder ob ein Rechtskonflikt mit der Folge der Abwägung anzunehmen ist. Das in dem allgemeinen Verbot der Klonung zugleich enthaltene Verbot der Paralleldiagnostik läßt sich im übrigen, ähnlich wie das Verbot der Gentherapie, im Grunde nur auf die derzeit noch mit der Abspaltung verbundenen Gefahren stützen 149 ; die Aufopferung eines abgespaltenen Embryos zu therapeutischen Zwecken und mit dem Ziel, einen späteren Schwangerschaftsabbruch zu vermeiden, wäre mit der Aufopferung von erzeugtem Leben zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vergleichbar. Daher fragt sich, ob das allgemeine Verbot der Klonung im Hinblick darauf, daß ungefährliche Verfahren der Abpsaltung möglich werden könnten, allgemein oder zum Zweck der Paralleldiagnostik zu lockern ist. Auch die Verbote der Hybridisierung verstärken das allgemeine Verbot der verbrauchenden Embryonenforschung; sollte dieses in seiner strikten Form zu weit gehen, wäre der zusätzliche Unrechtsgehalt, der bei der Hybridisierung angenommen wird, für die Verbots frage ausschlaggebend. Es stellt sich ebvenfalls das Problem, ob der Schutz der Menschenwürde in diesem Zu sammenhang 150 eine absolute Schranke für die Wissenschaftsfreiheit aufrichtet oder ob ein Konfliktfeld mit einem Abwägungsbereich anzunehmen ist. Indem das Gesetz teilweise auf die Differenzierbarkeit der körperlichen Verbindung abstellt, durchbricht es den hinter den Regelungen stehenden Gedanken, daß schon der Versuch einer bloßen Verbindung ein menschenunwürdiges Unterfangen darstellt und deutet den Weg an, wie ein nicht absolut strafwürdiges Experimentierfeld für vorsichtig wahrgenommene therapeutische Forschungsanliegen abgesteckt werden könnte 151 • Soweit die Verbote gar nicht lebensfähige Embryo- und Embryo-ZellVerbindungen betreffen, sind sie als vorgreifliches, nur schwer begründbares Strafrecht zu betrachten. Die eigens angeordnete allgemeine Fiktion der Entwicklungsfähigkeit 152 hebt das Bedenken nicht auf, da die Strafbarkeit damit noch weiter vorverlagert wird. - Die gleichen Überlegungen gelten auch für die befruchtungstechnische Kreuzung von Mensch und Tier. Sollten der Wissenschaftsfreiheit im Bereich der Embryonenforschung nicht grundsätzlich absolute Schranken auferlegt werden können, dürfte die Möglichkeit der

149

Vgl. dazu Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 236 Rn. 3. Vgl. Günther, a.a.O., Rn. 4.

150

Günther, a.a.O., S. 239 f. Rn. 4.

148

Vgl. die Zulässigkeit des Hamsterei-Penetrationstests; Günther, a.a.O., S. 244 Rn. 26. 152 § 8 Abs. 2 ESchG. 151

4. Stellungnahme

331

Abwägung unter den verschiedenen Schutzrechten auch in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden. Ergänzend zu der vorangehenden Betrachtung ist eine Reihe von Argumentationsmustern zu behandeln, mit denen die Stellungnahmen in der Diskussion unterstrichen werden, und die auch zur Beurteilung der Wissenschaftsfreiheit herangezogen werden. Vielfach läßt sich eine Neuerungsangst beobachten, die sich als Vorbehalt gegen die Veränderung des überlieferten Weltbildes äußert 153 • Erinnert sei in diesem Zusammenhang unter anderem an den Lebensweg von Giordano Bruno und Galilei, an die Voraussagen zur Entdeckungsreise des Columbus oder an die abergläubische Seite in der volkstümlichen Einstellung gegenüber Neuerungen der Technik l54 • So wird darauf hingewiesen, daß das anthropozentrische Selbstbehauptungsstreben grundsätzlich hinter der Veränderung des Weltbildes zurückbleibt 155 • Im Umweltschutz wird dieses Problem mit Deutlichkeit erkennbar; aber während auf diesem Gebiet die Vernetzung des Lebens nicht mehr unbeachtet bleiben kann, scheint der Mensch vor der Entschleierung seiner genetischen Lebensgrundlagen zurückzuweichen, und in diesem Zusammenhang könnte die Parole bedenklich klingen, die ein Recht auf Unwissenheit oder auf Nichtwissen als Verfassungsgrundsatz in den Vordergrund stellen möchte 156 • Neue Erkenntnismöglichkeiten dürfen nicht mit der Möglichkeit des Mißbrauchs gleichgesetzt werden, und das Recht auf Unwissenheit hat mindestens dort eine Grenze, wo es zur Gefahr für andere wird. Damit soll die Ambivalenz des Wissens 157 , das die Gefahr der einseitigen Instrumentalisierung birgt 158, nicht geleugnet werden.

153 Vgl. auch K. Deutsch, Politische Aspekte, 1989, S. 164-171, ferner die Stellungnahme von Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 14. 154 Vgl. v. Ditfurth, Giordano Bruno, in: ders., Unbegreifliche Realität, 1987, S. 170-193; Hermann, Wie die Wissenschaft, 1982, S. 11-24; Bausinger, Volkskultur, 1986. 155 Vgl. v. Ditfurth, Innenansichten, 1989, S. 250-258. 156 Vgl. etwa Jonas, Technik, 1985, S. 13; grds. dagegen K. Deutsch, Politische Aspekte, 1989, S. 173 f. 157 Im vorliegenden Zusammenhang herausgestellt von Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 49-53. 158 Die sich mit Bezug auf das der Zivilisationsentwicklung zugrundegelegte Utopieparadigma als nicht bewältigbare Folge von grundsätzlichen Fehleinschätzungen vgl. Jonas, Prinzip Verantwortung, 1984, S. 280-393; ders., Technik, 1985 - oder als unvermeidliche Folge einer nicht realitätsgerechten Wissenschaftsauffassung darstellen läßt - so Picht, Begriff der Natur, 1989.

332

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Eines der Hauptargumente, das die Diskussion um die künstliche Befruchtung und die pränatale Humanforschung beherrscht, ist die Mißbrauchsgefahr. Die Konjunktur dieses Arguments fällt besonders auf, weil über den Forschungsbedarf andererseits kaum ein Wort verloren wird. Die Diskussion hat sich einseitig auf die Erörterung der möglichen Gefahren konzentriert. Grundsätzlich ist die beste Form der Vorbeugung, Gefährdungsmöglichkeiten genauer verstehen und dadurch beherrschen zu lernen. An diesem Punkt weist aber das Argument die größten Schwächen auf159 . Wenn es zur Abwertung der neuen Wissensmöglichkeiten dient, wird eine unvoreingenommene Auseinandersetzung erschwert. So verwandelt sich etwa das Argument der "eugenischen Versuchung", das zunächst nur auf das Verantwortungsproblem hinweist l60 , in die ausdrückliche Warnung vor der "Menschenzüchtung"161 und das Gespenst einer als verbrecherisch zu verstehenden "Menschenproduktion"162. Ferner wird zu bedenken gegeben, ob sich die Wissenschaft nicht in einem Reduktionismus erschöpft, der den Zusammenhang mit übergeordneten Sinnfragen verliert; angesichts der gentechnischen Möglichkeiten werden etwa die

159 Vgl. den nicht akzeptablen Vorschlag einer sittlichen "Heuristik der Furcht"; so Jonas, Prinzip Verantwortung, 1984, bes. S. 63 f.; vgl. Laufs, Fortpflanzungsmedizin 1987, S. 97. 160 Grundlegend in diesem Sinne Eser, Biotechnologie, 1986, S. 124 f.; ders., Strafrechtliche Schutzaspekte, 1987, S. 148 f. 161 Die sich in formelhafter Wendung weithin des Schrifttums bemächtigt hat (vgl. Wagner, Menschenzüchtung 1969; CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken, 1987, S. 188, 189 f.) - meistens mit der Feststellung, daß darin die Grenze der Menschenwürde erreicht wäre (vgl. Ostendorf, Juristische Aspekte, 1983, S. 186; ders., Experimente, 1984, S. 595; Benda, Erprobung 1985, S. 222 f.; Hofmann, Biotechnologie, 1986, S. 260; Graf Vitzthum, Menschenwürde und Humangenetik, 1986, S. 817; ders., Rechtspolitik, 1987, S. 71; ders., Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 273; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 48; ders., Meinungsund Wissenschaftsfreiheit, 1987, S. 1552; Häberle, Menschenwürde, 1987, S.857; PüttnerlBrühl, Verfassungsrechtliche Probleme, 1987, S. 293). - Teilweise wird eine Erläuterung versucht, so durch die Gegenüberstellung mit Heilmaßnahmen (Benda, Humangenetik, 1985, S. 1732; vgl. Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 47; ders., Gentechnologie, 1988, S. 29) oder durch die Gleichsetzung mit jeder willkürlichen Auswahlmaßnahme - wonach auch die therapeutisch-geschlechtsspezifische Samenauswahl als verbotene Züchtung erscheint; vgl. Deutsch, Artifizielle Wege, 1985, S. 246; Kaufmann, Humangenetik, 1985, S. 659; Laufs, Fortpflanzungsmedizin, 1987, S. 102. Teilweise wird die grundSätzliche Tendenz der Entwicklung zur bewußten Steuerung und damit zur unzulässigen Züchtung hervorgehoben; Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 19-31; ders., Genetische Manipulation, 1985 (2), S. 5-11. 162 Ostendorf, Experimente, 1984, S. 595.

4. Stellungnahme

333

ethischen Qualitäten der Wissenschaftsentwicklung in Frage gestellt 163 • Der Zugang zur Molekulargenetik und die sich mit ihr eröffnenden Möglichkeiten lassen sich aber nicht in der Alternative "Fluch oder Segen" erschöpfen 164 • Im übrigen ist auf das Argument der Mißbrauchs gefahr noch näher bei der Frage einzugehen, wieweit der Rechtsgüterschutz, auch durch befürchtete Gefahren legitimiert werden kann. Vielfach werden im Spannungsfeld zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem Lebens- und Menschenwürdeschutz auch die Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit geltend gemacht. Dieses Argument dient nicht nur dazu, etwa die kompensatorische Haltung des Grundgesetzes bewußt zu machen 165 oder den Gefahrenaspekt zu verdeutlichen, sondern wird auch gegen den Erkenntnisfortschritt ins Feld geführt. Menschenversuche, Menschenzüchtung und Menschenvernichtung 166 werden als Beispiele gegen Forschungsinteressen eingesetzt 167 • Was gegenüber der nationalsozialistischen Unrechts herrschaft geboten gewesen wäre, läßt sich jedoch nicht als Maßstab für die demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung ausgeben, die sich nicht als nur unzulängliche Vorkehrung gegen einen jederzeit fortsetzbaren Terror verstehen lassen will. In Verbindung mit den historischen Belastungen steht auch das Argument, das sich auf die Schicksalhaftigkeit der vorgegebenen Lebensvoraussetzungen 168 und die Verpflichtung, menschliches Leiden zu ertragen 169 , be-

163 Stellvertretend Baumgartner! Staudinger, Entmoralisierung, 1985; Bayertz, Entmoralisierung, 1989; Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 62, 9; vgl. ders., Genetische Manipulation, 1985 (2), S. 4. 164 Zu dieser Feststellung gelangt auch Flöhl, Genforschung - Fluch oder Segen, 1985, S. 375. 165 Dazu Benda, Gefährdungen, 1975, S. 15; v. Mangoldt! Klein! Starck, Bonner GG, 1985, Art. 1 Rn. 1; Podlech, in: AK-GG, 1989, Art. 1 Abs. 1, Rn. 9; Stern, Staatsrecht III /1, 1988, § 58 S. 19. 166 Vgl. Müller-Hili, oben Fn. 34. 167 Vgl. Kütemeyer, Wissenschaft, 1969; Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 122 f.; Hempel, Gentechnologie, 1989, S. 184 f. - Mindestens werden sie der Entwicklung als warnender Spiegel vorgehalten; vgl. Ostendoif, Experimente, 1984, S. 599; Kaufmann, Humangenetik, 1985, S. 666. 168 Als von "Natur" aus auferlegt; vgl. Kluxen, Manipulierte Menschwerdung, 1985, S. 19 f.; zur Schicksalhaftigkeit auch Catenhusen! Neumeister, Chancen und Risiken, 1987, S. 187 f. 169 Vgl. Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 53; v. d. Daele, Mensch nach Maß, 1985, S. 191 f.; dagegen Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 172-174. Vgl. Merz, Problematik, 1990, S. 67 f.

334

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

ruft l7O • Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen aber nicht als Rechtfertigung dafür dienen, die medizinische Krankheitsbekämpfung abzulehnen. Mit dem gleichen Recht, mit dem aus der "existentiellen Geworfenheit"I?1 des Menschen auf die Pflicht zur Achtung vor gegenwärtig noch nicht kurierbaren Krankheiten geschlossen wird, ließe sich jede Heilbehandlung als unmoralisch und jeder Fortschritt der Medizin als unsittlich verurteilen. Was auf der allgemeinen Ebene der Diskussion auffällt, ist, daß die Gefahren und Risiken den breitesten Raum einnehmen, die Forschungsinteressen aber zu kurz kommen. Wie hervorgehoben, äußert sich darin eine Perspektivenverschiebung, die der verfassungsrechtlichen Garantie der Forschungsfreiheit zuwiderläuft. 4.1.2 Lebens- und Gesundheitsschutz

4.1.2.1 Schutzpflicht Bei der Frage, ob der Forschungsfreiheit im pränatalen Bereich durch den grundrechtlich verbürgten Lebens- und Gesundheitsschutz Schranken erwachsen, stehen zunächst zwei Überlegungen im Vordergrund, zum einen, ob der Grundrechtsschutz auch auf die Frühstadien des Lebens Anwendung findet und zum anderen, ob und wieweit er unter dieser Voraussetzung einschränkbar ist. Da die Grundrechte auf Leben und Gesundheit, um nicht irreparabel beeinträchtigt zu werden, eine präventive Schutzwirkung verlangen 172, gewinnt der Gedanke der Schutzpflicht besondere Beachtlichkeit. Daher bedarf es keines Rechtsträgers, um die objektive, grundrechtskomplementäre Schutzpflicht korrespondierend zu verdichten 1?3; der Lebens- und Gesundheitsschutz verpflichtet den Staat auch unabhängig von einem etwa stimulativ wirkenden Impuls der subjektiv-rechtlich begründeten Inanspruchnahmemöglichkeit zur effektiven, den Schutzgedanken ausfüllenden Aufgabenwahrnehmung im Grundrechtsinteresse. Der Lebens- und Gesundheitsschutz wäre daher für die Frühstadien des menschlichen Lebens wirksam zu sichern, wenn der tatbestandliche Lebens- und Gesundheitsbegriff auch in diesen Bereichen Anwendung finden würde.

170

Zum historischen Zusammenhang auch Flämig, a.a.O., S. 21.

171 Ebd., S. 58.

172 Vgl. Lorenz, Recht auf Leben, 1989, S. 20; Hennes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987. 173 Vgl. v. Mutius, Embryo als Grundrechtssubjekt, 1987.

4. Stellungnahme

335

Diese Frage hat zu einer lebhaften Diskussion darüber geführt, ob die künstlich außerhalb des Körpers zustande gebrachten Anfangsstadien des Lebens als Leben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betrachtet werden können 174 und ob das beginnende Leben in demselben Umfang zu schützen ist wie der voll entwickelte Mensch 175 • Im Mittelpunkt stand vor allem die Frage nach dem Lebensbeginn im grundrechtlichen Sinne 176 • Während zunächst unter dem Blickpunkt der phänotypischen Lebensentwicklung nach Kriterien für einen über den elementaren physiologischen hinausgehenden und durch bestimmte Entwicklungsmerkmale individualisierbaren Lebensbeginn gesucht wurde I77 , setzte sich immer stärker die Auffassung durch, daß sich der Lebensbegriff nicht willkürlich nach Entwicklungsabschnitten unterteilen läßt und daher der zellulare Lebensbeginn den Tatbestand des grundrechtlichen Lebensbegriffs voll erfülle 78 . Gleichzeitig setzte sich auch die Auffassung durch, daß der grundrechtliche Lebensschutz seiner Intensität nach grundsätzlich genausowenig differenziert zur Anwendung kommen könne wie der Lebensbegriff selbst und daher die staatliche Schutzpflicht unvermindert und in weitestmöglichem Umfang auch für die Anfangsstadien des Lebens einzutreten habe 179 .

174 Vor allem auch im Hinblick auf die verfassungsgerichtliche Begrenzung des Lebensschutzes im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch, vgl. Eser, Forschung, 1987, S.290-292; Keller, Beginn, 1987, S. 122-131. Ausführlich auch Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 106-134. 175 Zu dieser Frage grds. Graf Vitzthum, Gentechnologie, 1985, S.252 f.; ders., Menschenwürde und Humangenetik, 1986, S. 815; ders., Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 276 f.; vgl. Laufs, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 774; ders., Fortpflanzungsmedizin, 1987, S. 103 f.; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 18 f.; ders., Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, 1987, S. 1551; ders., Gentechnologie, 1988, S. 25 f. 176 Vgl. Wolkinger, Lebensbeginn, 1985; Keller, Beginn, 1987; ders., Verbrauchende Forschung, 1988, S. 60-62; Adam, Grundrechtliche Probleme der Fortpflanzungsmedizin, 1989, S. 4-10; Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 65-78; Merz, Medizinische, ethische und juristische Problematik, 1990, S. 144-150. 177 Näher dazu im folgenden. 178 Vgl. dazu vor allem Ostendorf, Experimente, 1984, S. 598 f.; Eser, Biotechnologie, 1986, S. 117-119; Keller, Beginn, 1987; Schreiber, Erprobung, 1987, S. 46-59; Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 42-51; Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 71-73; Günther, Strafrechtliche Verbote, 1990, S. 162; ders., Strafrecht und Humangenetik, 1990, S. 162; ders., in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 152 f. Rn. 3; Keller, ebd., S. 248 f. Rn. 7. 179 Vgl. neben den schon genannten Hinweisen Gründel, Sittliche Bewertung, 1987; Elsässer, Embryonen-Experimente, 1988, bes. S. 85 f.; Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 207-220; Günther, Diskussionsentwurf, 1987, S. 422 f.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Hinsichtlich der Frage, ob die Anfangsstadien des menschlichen Lebens den grundrechtlichen Lebensbegriff erfüllen, leuchtet einerseits ein, daß die teilweise vorgeschlagenen Differenzierungen nach verschiedenen Entwicklungsschritten, wie dem Einsetzen der Funktionsteilung im Zellverband 180 oder dem Beginn der Herz- oder der Gehirnfunktion 181 sich nicht auf natürliche Entwicklungszäsuren stützen können und daher keine angemessene Festlegung eines besonders qualifizierten Lebensbeginnes erlauben, von dem an der rechtliche Schutz erst anerkannt werden könnte l82 • Andererseits braucht die Anerkennung der frühen Lebensstadien als grundrechtlich geschütztes Leben nicht gleichzeitig zu bedeuten, daß damit ein Schutzgut im Sinne eines am voll entwickelten Leben orientierten Lebensbegriffs vorausgesetzt werden muß 183 . Um den Schutzzweck zur Geltung zu bringen, ist nicht erforderlich, den Lebensbeginn mit dem voll entwickelten Leben gleichzusetzen und unter einen undifferenzierten Lebensbegriff zu zwingen; vielmehr genügt es, im Einklang mit der Unterschiedlichkeit von Lebensbeginn und phänotypischer Lebensentwicklung einen weit gefaßten Schutzbereich anzunehmen, ohne damit zugleich die Schutzqualität festzulegen. Dem entsprechen die beiden von der überwiegenden Meinung abweichenden Standpunkte, die am Beginn des Lebens entweder den Lebensbegriff und damit auch die Schutzpflicht nur differenziert anerkennen 184 oder unabhängig vom Lebensbegriff, die Schutzpflicht als situativ beschränkt betrachten 185 • Die Standpunkte überschneiden sich mehr oder weniger; sie aner-

180 Vgl. (mit Hinweis auf weitere Differenzierungsansätze) Eberbach, Forschung, 1990, S. 218 f. 181 Vgl. die Hervorhebung der diskutierten Differenzierungsansätze bei Wolkinger, Lebensbeginn, 1985; Keller, Beginn, 1987; Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 106134. 182 Vgl. die obigen Hinweise; stellvertretend Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 153 f. Rn. 3. Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 2 Rn. 129. 183 Vgl. den Hinw. auf die Standpunkte, die den Lebensbegriff und die Schutzpflicht jeweils differenziert verstehen, bei Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 78 f, 186-189; vgl. auch Wolkinger, Lebensbeginn, 1985, S. 92 f Vgl. die grds. Kritik an der Gleichstellungsthese aus strafrechtlicher Sicht bei Geilen, Strafschutz an der Anfangsgrenze des Lebens, 1991, bes. S. 837, 840 f, 849 f 184 Vgl. Kaufmann, Prometheus, 1985, S. 264; ders., Humangenetik, 1985, S. 655; Fechner, Menschenwürde, 1986, S.658; Hofmann, Biotechnik, 1986, S.258 f.; Scholz, Beherrschung, 1986, S. 80. 185 Vgl. v. d. Daele, Mensch nach Maß, 1985, S. 22-24; Wahl, Freiheit, 1987, S. 30

f

4. Stellungnahme

337

kennen zwar, daß es sich bei der Befruchtung um die Entstehung menschlichen Lebens handelt, sehen aber nicht über die Tatsache hinweg, daß der Lebensbeginn in anderer Form in Erscheinung tritt als die entwickelte Person, auf die der Schutztatbestand zugeschnitten ist. Der Grund dafür, daß die überwiegende Meinung die Frühstadien des Lebens von der Befruchtung an nicht nur als Form des menschlichen Lebens betrachtet, sondern mit dem voll entwickelten Leben gleichsetzt und damit zugleich ablehnt, eine nur eingeschränkte Schutzpflicht anzuerkennen, liegt darin, daß der Grundsatz der Gleichwertigkeit des Lebens, der im Hinblick auf das voll entwickelte Leben herausgearbeitet wurde, um jeder Relativierung der Schutzpflicht auf der Ebene des Schutzguts vorzubeugen und die prinzipielle Unverletzlichkeit des Lebens zu wahren l86 , von seinem hergebrachten Geltungsbereich aus bewußt auch auf die Frühformen der Lebensentwicklung außerhalb des Körpers erstreckt wurde 187 , um, wie etwa im Hinblick auf die Krankheits-, Alters- und Todesstadien, so auch im Hinblick auf die Früh- und Vorstadien, jede willkürliche Qualifizierung des Lebens und zugleich jede mißbräuchliche Untergrabung der Schutzpflicht zu verhindern. So unwiderleglich richtig dieser Gedanke im Rahmen der menschenwürdebewußten Verfassung dafür erscheint, daß der Lebensschutz für das im herkömmlichen Sinne sozial in Erscheinung tretende Leben gewahrt wird, so unübersehbar ändern sich jedoch die Voraussetzungen für seine Anwendung, wenn er auf die künstlich herbeigeführten Frühstadien des Lebens bezogen werden soll. Obwohl diese einen untrennbaren physiologischen Zusammenhang mit dem weiterentwickelten Leben bilden, erscheinen sie in einer Lebensform, die sich der sozialen Perspektive der verfassungsrechtlichen Lebenschutzpflicht nicht in gleicher Weise zuordnen läßt, wie die Krankheits-, Alters- und Todesstadien und die in körperliche Verbindung mit dem Mutterleib übergegangenen Frühstadien des Lebens l88 • Die verfassungsrechtliche Lebenschutzpflicht ist ihrem Ausgangspunkt nach konzentriert auf den Menschen als Mitglied der sozialen Gemeinschaft. So kann dem noch nicht in diese Gemeinschaft hineingeborenen Menschen der individuelle Lebensschutz nicht in derselben Verselbständigung wie dem individuell in das soziale Leben eingetretenen Menschen gewährt werden. Das wird besonders deutlich, soweit das ungeborene Leben mit dem Leben

Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2, 1958, Rn. 8-25. Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 2 Rn. 129, 138 f. 188 Vgl. die krit. Stellungnahme unter dem strafrechtlichen Aspekt bei Geilen, Strafschutz an der Anfangsgrenze der Lebens, 1991. 186

187

22 l.osch

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

der Mutter untrennbar verbunden ist und sein isolierter Schutz den Lebens-, Gesundheits- und sonstigen Persönlichkeitsschutz der Mutter beeinträchtigen würde l89 . Es ist also zunächst festzustellen, daß der Lebensschutz auch im herkömmlich geltenden Schutzbereich nicht undifferenziert zur Geltung kommen kann. Der Schutzgedanke soll zwar weitestgehend verwirklicht werden, stößt aber an sachliche Grenzen. Die Lebensschutzpflicht, die das Eingriffsverbot möglichst weitgehend wirksam werden lassen soll, wird dort begrenzt, wo Schutzmaßnahmen in einen sachlich unangemessenen Schutzzwang übergehen 190 und den Schutzgedanken in seiner Ausrichtung auf die sozial in Erscheinung tretende Person verfehlen würden. Die Frühstadien des künstlich außerhalb des Körpers erzeugten Lebens stellen eine Lebenserscheinung dar, die nicht der Vorstellung entspricht, auf die sich der verfassungsrechtliche Lebensschutz bezieht. Es handelt sich nicht nur um eine Vorverlagerung des Lebensbegriffs in früher nicht erkennbare Bereiche, sondern auch um eine Erscheinungsform, die sich von der voll entwickelten Ausprägung grundsätzlich unterscheidet. Erst die genetische Forschung hat das Prinzip der genetischen Information entdeckt, deren Zustandekommen die Voraussetzung für den Prozeß der Informationsverwirklichung darstellt. Da die genetische Signatur nicht ohne weiteres in die menschliche Gestalt umwandelbar ist und deren körperliche Erscheinung sich grundSätzlich von der genetischen Grundlage unterscheidet, läßt sich der Lebensschutz nicht undifferenziert vom Schutzgut des voll entwickelten Lebens auf die künstlich bewirkte Lebensentstehung übertragen. Daß der physiologische Lebensbeginn mit dem voll entwickelten Leben gleichgesetzt wird, läßt sich nur im Hinblick auf einen neuartigen biologisch definierten Lebensbegriff nachvollziehen, der weiter reicht als der dem Schutzzweck des grundgesetzlichen Lebensschutzes zugrundegelegte. Die so bestimmte begriffliche Grundlage läßt aber nicht zu, daraus dieselben rechtlichen Konsequenzen zu ziehen wie aus

189 Grds. BVerfGE 39, 1 (mit Sondervotum). Aus dem neueren Schrifttum Günther, Gesetzentwürfe zur Reform, 1992. Vgl. die Beschlußfassung des Bundestages zur Reform des § 218 StGB vom 26. Juni 1992. Zum Widerspruch, der auch zwischen der noch geltenden Regelung des Schwangerschaftsabbruchs und den Schutztatbeständen des ESchG besteht, Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 57; Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 83 Rn. 9. - Zwar ist richtig, daß im Bereich des ESchG nicht das gleiche Abwägungsproblem besteht (vgl. Günther, Strafrecht und Humangenetik, 1989, S. 289 f.; ders., in: Keller/Günther/Kaiser, S. 87 Rn. 24), das heißt aber nicht zugleich, daß es keine Abwägungserfordemisse, etwa mit medizinischen Forschungsinteressen, gibt. Näher dazu im folgenden. 190 Vgl. die Fragen der sog. Sterbehilfe. Dazu im vorliegenden Zusammenhang Gründel, Sittliche Bewertung, 1987; vgl. v. Mangoldt/ Klein/ Starck, Bonner GG, 1985, Art. 2 Rn. 139, 144.

4. Stellungnahme

339

dem enger konzipierten Lebensbegriff des grundgesetzlichen Lebensschutzes. An die Stelle einer begriffsjuristischen Ableitung hat vielmehr eine nach sachlicher und schutzzweckbestimmter Angemessenheit ausgerichtete Beurteilung zu treten 191. An erster Stelle ist zu prüfen, ob der rechtliche Schutz für das künstlich erzeugte Leben in seinen Frühphasen grundsätzlich jeden Eingriff verbietet, also absolute Unantastbarkeit bedeutet. Daß nicht grundsätzlich jede Rechtfertigung für einen Eingriff ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Schrankenvorbehalt, der in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG gegenüber der grundrechtlichen Gewährleistung des Lebensrechts ausgesprochen wird l92 • Problematisch ist nur, ob und wieweit jeweils ein Eingriff gerechtfertigt werden kann. Unter dem Gesichtspunkt der vom Schutzzweck geforderten Gleichwertigkeit jedes menschlichen Lebens und der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG 193 gilt der Grundsatz, daß ein Eingriff nur zum Zweck der anders nicht ausreichend erreichbaren Erfüllung des Schutzgebotes zugunsten anderer menschlicher Leben und lebenswichtiger Schutzinteressen, also nur durch Notmaßnahmen gerechtfertigt werden kann 194 Diesem Maßstab müßte auch der gesetzlich erlaubte Versuch, eine Schwangerschaft mit künstlich erzeugtem Leben herbeizuführen, standhalten. Wie weiter oben schon ausgeführt, wird in diesem Fall jedoch Leben in Mehrzahl für die bloße Möglichkeit, ein entstandenes Leben erhalten und entwickeln zu können, aufgeopfert. Hinzu kommt, daß die Absicht, den Versuch zu unternehmen, eine Schwangerschaft herbeizuführen, wegen Änderung der Umstände nicht verwirklicht werden kann und in diesem Fall das dafür vorgesehene künstlich erzeugte Leben ganz ohne lebens fördernden Einsatz aufgeopfert wird. Der Eingriff in eine Vielzahl künstlich erzeugten Lebens, der gesetzlich erlaubt wird, um die Chance der Weiterführung wenigstens eines Lebenskeimes zu gewinnen, kann daher nur gerechtfertigt werden, wenn das Lebensschutzgebot für das künstlich erzeugte Leben in seinen Frühstadien nicht

191 Zur Erforderlichkeit einer differenzierten Begriffsbildung aus strafrechtlicher Sicht Geilen, Strafschutz an der Anfangsgrenze des Lebens, 1991, S. 849 f. 192 Vgl. Keller, Verbrauchende Forschung, 1988, S. 62 f.; ders., Probleme der Humangenetik, 1990, S. 187 f.; Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 33-35, 58 f. Vgl. die Hinweise bei Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 186-189. 193 Vollmer, aa, S. 207-220. 194 Vgl. §§ 32, 34, 35 StGB. Zum Schwangerschaftsabbruch in diesem Zusammenhang Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 64-68. Zum polizeilichen und militärischen Lebenseinsatz v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, 1985, Art. 2 Rn. 138; Art. 1 Rn. 57.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

in derselben Intensität gilt wie für das voll entwickelte Leben. Unter dieser Voraussetzung wird der konkrete Lebensschutz auch gegen andere Schutzzwecke abwägbar 195 • Die Voraussetzung dazu wird dadurch erfüllt, daß die Frühformen des künstlich erzeugten Lebens, die in die menschliche Verfügungsgewalt gelangen, nicht diejenigen Merkmale des Lebens verkörpern, für deren Erscheinung der Lebensschutz verbürgt wird, sondern eine andere Erscheinungsweise darstellen, die nur durch die künstliche Lebenserzeugung eine selbständig faßbare Existenz gewinnt. Daher ist der Schluß von der phänotypisch vorgegebenen Schutzwürdigkeit auf die genetische Signatur übereilt. Er übergeht den Unterschied zwischen der in Gang gesetzten Potentialität des Lebens und der voll entwickelten Lebenserscheinung und setzt einfach Programm und Produkt gleich. Während das entwickelte Leben gegen die Beeinträchtigung seiner natürlichen Lebensfähigkeit in Schutz genommen werden soll, ist die künstlich erzeugte Frühform des Lebens nicht in vergleichbarer Weise lebensfähig. Ein Lebensschutz wie für das Leben, das sich natürlich entwickelt, ist daher nicht anwendbar. Das Schutzgebot muß sich vielmehr an die besondere Erscheinungsweise des künstlich zugänglich gewordenen Lebensbeginns anpassen. Daher muß die genetische Informationsgrundlage, in der das beginnende Leben in Erscheinung tritt, einem dieser Grundlage angemessenen Schutz unterstellt werden. In den Vordergrund rückt die Abwehr von Eingriffen in das erzeugte Leben oder die Lebenserzeugung, die einen Schaden für den Fall bedeuten würden, daß der Lebenskeim zur körperlichen Erscheinung weiterentwickelt werden soll. Ein inhaltlich gleicher Lebensschutz wie für den geborenen Menschen läßt sich jedoch nicht begründen. Vielmehr bedeuten die völlig andere Lebenserscheinung am Beginn des Lebens und die völlig anderen Lebensbedingungen und ÜberlebensHihigkeiten eine erhebliche Relativierung der für eine ganz andere Manifestation des Lebens gedachten Schutzrechte. Diese lassen sich daher nicht mit linearer Intensität auf die Frühformen der Lebensentwicklung übertragen. Wie bei dem Versuch, eine Schwangerschaft mit künstlich erzeugtem Leben herbeizuführen, dieses für die Chance, eine Weiterentwicklung zu erreichen, eingesetzt und mit weiteren Zwecken als einem konkreten Lebensschutz - so dem Versuch, den Wunsch nach einem Kind zu erfüllen - abgewogen wird, so entzieht der grundgesetzliche Lebensschutz die künstlich erzeugten Frühstadien des Lebens wegen ihrer besonderen Existenzbedingun-

195

So gegen das Selbstbestimmungsrecht in Form des Kinderwunsches.

4. Stellungnahme

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gen auch nicht einer Abwägung mit anderen Zwecken, die im Zusammenhang mit dem Lebensschutz stehen und für die der Einsatz des künstlich erzeugten Lebens erforderlich erscheint. Die Besonderheit der Ausgangssituation spricht dafür, daß sich auch die Abwägungsrelationen zwischen dem individuellen Lebens- und Gesundheitsinteresse und dem Allgemeininteresse am Fortschritt des Lebens- und Gesundheitsschutzes verschieben. So läßt sich die These, daß sich jede Abwägung mit Interessen des Allgemeinwohls verbiete l96 , mindestens für konkrete Interessen des Allgemeinwohls, die an der Verbesserung des Lebensund Gesundheitsschutzes bestehen, nicht aufrecht erhalten I97 . Aber auch gegenüber allgemeinen Forschungsinteressen ist der Lebens- und Gesundheitsschutz, der für das beginnende Leben zu gelten hat, nicht völlig unzugänglich, denn vielfach lassen sich konkrete und abstrakte Ziele nicht voneinander unterscheiden, und außerdem steht die allgemeine Erkenntniserweiterung in enger Wechselwirkung mit konkreten Forschungszielen und dem einzelnen Therapieversuch 198 • Die Erweiterung des Grundlagenwissens steht nicht ohne Zusammenhang neben speziellen und konkreten wissenschaftlichen Erkenntniszwecken, sondern erlaubt vielfach erst, daß diese entwickelt, präzisiert und angestrebt werden können. Entsprechend ist, wie noch hervorzuheben, der Lebens- und Gesundheitsschutz auch ausdrücklich in seinem Zusammenhang mit der Wissenschaftsfreiheit und daher unter dem Gesichtspunkt seiner wissenschaftlichen Fortentwicklung zu würdigen. Im Ergebnis ist festzustellen, daß das Lebensschutzgebot zugunsten des künstlich erzeugten Lebensbeginnes keine unüberwindliche Schranke gegenüber der Wissenschaftsfreiheit aufrichtet. Vielmehr gelangt die Schutzpflicht für dieses Grundrecht in eine Kollision mit dem Lebensschutz, die eine verhältnismäßige Abwägung unter Berücksichtigung der einander entgegenstehenden Belange erfordert. Das bedeutet nicht, daß der Lebensbeginn den Wissensinteressen preisgegeben wäre. Umgekehrt verhindert die Notwendigkeit der Abwägung, daß der Forschung ein sachlich nicht angemessenes und durchführbares Schutzgebot aufgezwungen wird. Zugleich wird aber nicht auf den angemessenen Schutz verzichtet. An die Stelle von Forschungsverboten

196 Zum Lebensschutz Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 48 f., 122 f.; zum Schutz der Menschenwürde Benda, Erprobung, 1985, S. 210 f.; Häberle, Menschenwürde, 1987, S. 854 f.; Graf Vitzthum, Rechtspolitik, 1987, S. 75; ders., Gentechnologie und Menschenwürde, 1987, S. 35. Vgl. auch Wiese, Persänlichkeitsrechtliche Grenzen, 1977, S.744. 197 Vgl. Lorenz, Recht auf Leben, 1989, S. 23 f. (bes. Rn. 38). 198 Grds. Deutsch, Recht der klinischen Forschung, 1979, S. 13-18, 80, 85, 153166; Schimikowski, Experiment am Menschen, 1980, S. 7 f., 38; Köbl, Gentechnologie,1985,S.I72f.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

hat daher ein Abwägungsrahmen und die Ptlicht zur verantwortungsvollen Abwägung zu treten. Dazu ist noch näher Stellung zu nehmen.

4.1.2.2 Mißbrauchsgefahr In engem Zusammenhang mit dem Schutzargument steht, wie mehrfach ausgeführt, das Argument der Mißbrauchsgefahr. Es kommt als tragendes Prinzip des Embryonenschutzgesetzes zum Ausdruck. Setzt man, wie es zur Leitlinie des Embryonenschutzgesetzes geworden ist, voraus, daß jede andere Verwendung des künstlich erzeugten Lebens als diejenige, die zum Versuch, eine Schwangerschaft herbeizuführen erforderlich ist, einen unerlaubten Eingriff in das Leben bedeutet, muß jede andere Verwendung zugleich als mißbräuchlich erscheinen. Wie oben dargelegt, bedeutet jedoch die Zulassung der Verwendung des künstlich erzeugten Lebens zum Versuch, eine Schwangerschaft herbeizuführen, notwendigerweise einen Eingriff in das Leben, der mit dem Maßstab, der für den Lebensschutz prinzipiell gelten soll, selbst nicht ausreichend gerechtfertigt werden kann. Dem Maßstab zufolge wäre es vielmehr erforderlich, die künstliche Befruchtung außerhalb des Körpers überhaupt zu verbieten. Auch wenn man, wie im Embryonenschutzgesetz, die Auffassung vertritt, daß die Aufopferung von künstlich erzeugtem Leben, die erforderlich ist, um zu versuchen, eine Schwangerschaft herbeizuführen, zwar nicht aus einer Notlage für die Lebenserhaltung heraus, aber zugunsten der Möglichkeit, mit Hilfe der künstlichen Befruchtung eine natürliche Weiterentwicklung wenigstens für einen Lebenskeim zu erreichen, ausnahmsweise in Kauf genommen werden kann, während jede andere Verwendung von künstlich erzeugtem Leben einen verbotenen Eingriff darstellt, schließt man die Mißbrauchsgefahr nicht konsequent aus, denn mit der Zulassung des Versuches, eine Schwangerschaft herbeizuführen, muß neben der bewußten und gewollten Aufopferung einer Mehrzahl von Lebenskeimen zugleich in Kauf genommen werden, daß ein vorgesehener Einptlanzungsversuch wegen Veränderung der Umstände nicht vorgenommen werden kann und auch keine andere Einptlanzungsmöglichkeit besteht, daher also nur die Alternative zwischen der Vernichtung des künstlich erzeugten Lebens oder seiner anderweitigen, mißbräuchlichen Verwendung gegeben ist und die beschworene Mißbrauchsgefahr demnach mit der Zulassung von Einptlanzungsversuchen auch dann untrennbar verbunden ist, wenn die Voraussetzungen der Zulassung so eng wie möglich begrenzt werden. Von dem gerade genannten Fall abgesehen, wird die Mißbrauchs gefahr aber grundsätzlich damit eröffnet, daß die künstliche Befruchtung überhaupt

4. Stellungnahme

343

möglich geworden ist und - mit welchen Beschränkungen auch immer zugelassen wird. Die Mißbrauchsgefahr ist unvermeidlich und nicht größer, wenn auch andere Verwendungen von künstlich erzeugtem Leben als der Versuch, eine Schwangerschaft herbeizuführen, für zulässig erachtet werden. In diesem Fall müßte anders als nach der jetzigen Rechtslage keine einseitige Mißbrauchsgrenze gezogen werden, sondern könnte der Bereich der grundsätzlich rechtfertigbaren vom Bereich der grundsätzlich von einer Rechtfertigung ausgeschlossenen Verwendung nach angemessenen Abwägungskriterien unterschieden und die Grenze der Mißbräuchlichkeit widerspruchsfrei begründet werden. . Das dagegen vorgebrachte Argument, das vom Standpunkt des tätig gewordenen Gesetzgebers aus, der den Lebensschutz als nicht relativierbare Schranke voraussetzt, allenfalls als Hilfsargument herangezogen werden dürfte, die Eröffnung anderer Verwendungsmöglichkeiten würde die Mißbrauchsgefahr unbeherrschbar werden lassen, ist widersprüchlich, da zum einen die Eskalationsgefahr schon mit der Zulassung der künstlichen Befruchtung und der Verwendung des künstlich erzeugten Lebens zum Versuch, eine Schwangerschaft herbeizuführen, eröffnet wird, und da zum anderen so gut wie eine Begrenzungsmöglichkeit für den letzten Fall unterstellt wird, sie auch für andere Fälle der Verwendung nicht verneint werden darf. Außerdem ist das Argument auch fragwürdig, da es im einen Fall das erforderliche medizinische Verantwortungsbewußtsein voraussetzt, im anderen Fall aber einfach ausschließt und da es dem Recht auf medizinische Kenntniserweiterung grundsätzlich widerspricht. Jedenfalls darf es der Wissensehaftsfreiheit nicht pauschal gegenübergestellt werden, die den umgekehrten Standpunkt zum verfassungsrechtlichen Prinzip erhebt. Daher besteht die Aufgabe, statt die Mißbrauchsgrenzen vorauszusetzen, sie unter dem Zeichen, unter dem angetreten wurde, auch konsequent und widerspruchsfrei zu begründen. Das führt zu der Frage, in welchem Rahmen die kollidierenden Schutzpflichten sich jeweils gegenüberstehen und wie im Einzelfall zwischen ihnen abzuwägen ist.

4.1.2.3 Abwägung Da davon auszugehen ist, daß das künstlich außerhalb des Körpers erzeugte Leben nicht völlig unantastbar ist und daher zum einen die Verwendung zu dem Versuch, eine Schwangerschaft herbeizuführen, als zulässig zu betrachten ist und zum anderen daher auch nicht jede andere Inanspruchnahme als mißbräuchlicher und unzulässiger Eingriff gewertet werden darf, richtet der grundgesetzliehe Lebensschutz in diesem Bereich also keine absolute

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Schranke für die Wissenschaftsfreiheit auf und kommt es folglich zur Kollision der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten, die eine Abwägung erfordert, um die gegenseitig gesetzten Schranken des rechtlichen Schutzes jeweils festlegen zu können. Als Leitlinie hat das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu gelten. Daraus ergibt sich der Grundsatz, daß je weniger von vergleichbarer Bedeutung und je allgemeiner der Zweck des umfassenden Erkenntnisschutzes im Einzelfall gegenüber dem Lebensschutzgebot erscheint, desto weniger sich der Schutz der wissenschaftlichen Erkenntnis durchsetzen kann. Außerdem folgt daraus, daß der Schutz der wissenschaftlichen Erkenntnis im konkreten Fall erforderlich sein muß, um den Erkenntnisgewinn zu ermöglichen. Nur wenn das Erkenntnisinteresse unter Berücksichtigung seiner Bedeutung für den Lebensschutz das konkret bestehende Lebensschutzinteresse unter Berücksichtigung von dessen Auswirkung auf die Wissenschaftsfreiheit und aller Umstände des Einzelfalles überwiegt, kann der Erkenntnisschutz dem Lebensschutz vorgehen. Aus dieser Grundregel folgt wiederum, daß je weniger weit fortgeschritten und lebensfähig das konkret zu schützende Leben ist, desto eher seine Aufopferung für lebenswichtige Erkenntnisse in Frage kommen kann. Unter Berücksichtigung der weiter oben genannten Differenzierungsgründe, die das künstlich erzeugte Leben in seinen Frühphasen nicht in derselben Weise als Gegenstand des Lebensschutzgebotes erscheinen lassen wie die voll entwickelte Person, während mit zunehmender Weiterentwicklung das Schutzgebot umfassender anwendbar wird, verlangt diese Regel, daß eine Grenze der Weiterentwicklung gezogen wird, über die hinaus der Lebensschutz sich grundsätzlich zu einer unbedingten Schutzpflicht verdichtet. Nur soweit eine Abwägung überhaupt eröffnet wird, besteht eine Begründungspflicht, während einem als absolut vorausgesetzten Lebensschutzgebot gegenüber für eine konkrete Argumentation gar kein Anwendungsbereich eröffnet sein kann. Dadurch, daß das zu schützende Erkenntnisinteresse von überwiegender Bedeutung zu sein hat, was nur heißen kann, daß es eine unmittelbar lebens schutz- und mit dem Lebensschutz verknüpfte, auf die Krankheitsbekämpfung bezogene Bedeutung haben muß, werden sonstige medizinische und andere Erkenntnisinteressen von der Abwägung ausgeschlossen. Andererseits ist die Bedeutung und die Notwendigkeit des Erkenntnisschutzes nicht nur nach allgemeinen Maßstäben, sondern am konkret bestehenden Erkenntnisinteresse zu messen, das heißt am jeweiligen Kenntnisstand, der Dringlichkeit seiner Erweiterung und der Verhältnismäßigkeit des Aufwands.

4. Stellungnahme

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Daraus geht hervor, daß Forschungen am künstlich erzeugten Leben vor allem in demjenigen Bereich überwiegenden Schutz beanspruchen können, dessen Erforschung für die Verbesserung der zugelassenen Verwendung des künstlich erzeugten Lebens, also zur Förderung der Herbeiführung von gesunden Schwangerschaften erforderlich erscheint. In diesem Bereich, in dem für den Versuch zur Weiterentwicklung die Aufopferung von Leben in unbestimmter Mehrzahl in Kauf genommen wird, hat die lebensfördernde Erkenntnis einen besonders hohen Stellenwert. Ihre willkürliche Verhinderung würde sich in unaufhebbaren Widerspruch zur grundsätzlichen Zulassung des Versuchs setzen, eine Schwangerschaft mit künstlich erzeugtem Leben unter möglichweise großen Opfern an erzeugtem Leben herbeizuführen. Entsprechendes hat für den Gesundheitsschutz zu gelten. Das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse darf nicht ohne Berücksichtigung seiner Bedeutung für die Gesundheitspflege gewertet werden. Es von der Erforschung des künstlich erzeugten Lebens unter dem Gesichtspunkt, möglichst erfolgreiche, auch im Sinne von möglichst gesunden Schwangerschaften mit möglichst gesunden Embryonen herbeizuführen, auszuschließen, wäre ebenso widersprüchlich. Der verfassungsrechtliche Gesundheitsschutz wird vielmehr in diesem Fall, wie auch der verfassungsrechtliche Lebensschutz, zugleich ein Anliegen der Wissenschaftsfreiheit, deren Schutz nicht zuletzt auch im Dienste des Lebens- und Gesundheitsschutzes steht. Dieser hat daher auf seine Unterstützung durch die Wissenschaftsfreiheit Rücksicht zu nehmen, die, wie gesagt, ihrerseits nicht willkürlich über den Lebens- und Gesundheitsschutz verfügen darf. Der Lebens- und Gesundheitsschutz verlangt auch eine staatliche Vorsorge, die seine effektive Wahrnehmung ermöglicht. Er schließt die Pflicht zur Unterstützung und Vorantreibung der Forschung ein. Daher wäre es mit dem Gebot des Lebens- und Gesundheitsschutzes unvereinbar, wenn die neu erschlossenen, noch nicht in die selbständige körperliche Entwicklung übergegangenen Dimensionen der Lebenserscheinung, die entscheidende Grundlagen für den Lebens- und Gesundheitsschutz zugänglich machen können, von der Hilfe zugunsten eines weiterentwickelbaren und des voll entwickelten Lebens ausgeschlossen würden. Diese Überlegung wird dadurch unterstützt, daß die Bedeutung des Lebens- und Gesundheitsschutzes im Lichte der Wissenschaftsfreiheit aufzufassen und die neuen Möglichkeiten der Krankheitsbekämpfung dadurch als wichtiges Allgemeininteresse unterstrichen werden. Entsprechende Forschungsaufgaben zu unterbinden, richtet sich daher nicht nur gegen die Forschungsfreiheit, sondern auch gegen die staatliche Pflicht zum Lebens- und Gesundheitsschutz. Neben der Berücksichtigung der Befruchtungs- und Schwangerschaftsmedizin sind daher auch medizinische Forschungen von sonstigem, nach dem

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

jeweiligen Kenntnisstand lebenswichtigem Interesse nicht grundsätzlich davon ausgeschlossen, in künstlich erzeugtes Leben einzugreifen. Ob und wieweit ein überwiegendes Forschungsinteresse anzuerkennen ist, läßt sich nur von der fachlichen Seite her beurteilen. Von dort her sind die Maßstäbe der Abwägung näher einzugrenzen. Während der Standpunkt, der die Aufopferung von künstlich erzeugtem Leben allein für den Versuch, eine Schwangerschaft herbeizuführen, für zulässig erachtet und jeden' anderen Eingriff ablehnt, auch unvermeidlich todgeweihte Embryonen nicht von dem scheinbar grundsätzlichen Vorrang des Schutzgebots ausnimmt, führt der Standpunkt, der davon ausgeht, daß es sich um eine nicht auf der Ebene der prinzipiellen Unantastbarkeit liegende Abwägungsfrage handelt, dazu, daß todgeweihte Embryonen nur im Rahmen der Abwägung geschützt sind und daher auch die besondere Situation der Überzähligkeit berücksichtigt werden kann. Das ändert zwar nichts daran, daß der Lebensschutz nicht aufgehoben werden darf und strenge Voraussetzungen für seine Durchbrechung gelten, aber die Verhältnismäßigkeit der gegenseitigen Anpassung von Schutzpflichten kann sich in diesem Fall zugunsten der Wissenschafts freiheit verschieben. Das gleiche muß entsprechend für den Erwerb von Embryonen gelten, die nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden können. Dagegen kann bei der künstlichen Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken nicht von einer entsprechenden Relativierung der Lebensschutzpflicht ausgegangen werden. Um eine Gefährdung der Schutzpflicht zu vermeiden, dürfte es angemessen sein, die Erzeugung zu Forschungszwecken wie die Zulassung der Forschung daran zu binden, daß die Forschungszwecke die herausgeforderte Lebensschutzpflicht überwiegen, ohne daß diese dadurch relativiert wird, daß eine als schutzkonform betrachtete Verwendung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nachträglich nicht mehr in Betracht kommt. Folgt man der Auffassung, daß die verbrauchende Embryonenforschung nicht grundsätzlich unzulässig, sondern ein Abwägungsrahmen eröffnet ist, wird die dargelegte Widersprüchlichkeit der geltenden Regelung, daß die Aufopferung zwar für den Versuch, eine Schwangerschaft herbeizuführen, zulässig ist, andere Eingriffe im Interesse des Lebens- und Gesundheitsschutzes aber ausgeschlossen werden, aufgehoben. Außerdem wird der Widerspruch zum geltenden Recht des Schwangerschaftsabbruch aufgelöst. Um Schutzlücken zu schließen, sollte die Zulassung der Forschung an natürlich erzeugten und dem Körper entnommenen oder sonst zugänglich gewordenen Embryonen dem für die künstlich erzeugten Embryonen anzuwendenden Abwägungsrahmen angepaßt werden. Schließlich löst sich auch der Widerspruch gegenüber ausländischen Regelungen, die nicht von einem strikten

4. Stellungnahme

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Forschungsverbot ausgehen und damit auch die Widersprüchlichkeit, die darin liegt, daß zwar die verbrauchende Forschung verboten, ein Nutzungsverbot l99 für rechtswidrig erlangte oder aus dem Ausland bekannt gewordene Forschungsergebnisse aber nicht angeordnet wird. 4.1.3 Menschenwürde

Der Schwerpunkt der Diskussion über die Reichweite der Forschungsfreiheit im pränatalen Bereich konzentriert sich auf die Frage, wieweit sich der Vorstoß in die Anfänge des menschlichen Lebens mit dem verfassungsrechtlichen Schutzgebot zugunsten der Menschenwürde vereinbaren läßeoo . Zu diesem Thema entfaltet sich ein breiter Fächer von Überlegungen und Ansichten20I , der die Menschenwürde, ihrer ausdrücklichen verfassungsrecht lichen Stellung entsprechend, zum Schnittpunkt allgemeiner menschen- 202 und durch die Verfassung gesicherter grundrechtlicher Bedeutungsgehalte werden läßeo3• Aber nur soweit die Vielfalt der Aspekte verfassungsrecht-

199 Vgl. Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990, S. 56. Vgl. zu den Problemen im Hinblick auf den internationalen Wissensaustausch schon oben 1.2.9.4, ferner (im vorliegenden Zusammenhang) Deutsch, Embryonenschutz, 1991, S. 724 f. 200 Vgl. grds. Benda, Erprobung der Menschenwürde, 1985; Graf Vitzthum, Gentechnologie und Menschenwürde, 1985; ders., Menschenwürde und Humangenetik, 1986; ders., Gentechnologie und Menschenwürdeargument, 1987. Vgl. ferner Benda, Humangenetik, 1985, S. 1732-1734; ders., Gentechnologie, 1986, S.25-29; Eser, Gentechnik, 1985, S. 251 f.; ders., Humangenetik, 1987, S.40; Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 55-58; Scholz, Beherrschung, 1986, S. 71-74; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986; Wahl, Freiheit, 1987, S. 26-30; Classen, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, 1989; Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 86-105. Vgl. auch Häberle, Menschenwürde, 1987, S. 854-857; Podlech, in: AK-GG, 1989, Art. 1 Rn. 52 ff., 58. - Krit. Köbl, Gentechnologie, 1985; Fechner, Menschenwürde, 1986; Bimbacher, Gefährdet die modeme Reproduktionsmedizin, 1987; Blankenagel, Gentechnologie und Menschenwürde, 1987. 201 Vgl. den Hinweis bei Püttner / Brühl, Fortpflanzungsmedizin, 1987, S. 531 auf das Dilemma der gegensätzlichen Überzeugungen. 202 Vgl. Auer, Bioethisches Argument, 1989; Giesen, Biotechnologie, 1989; Hempel, Gentechnologie, 1989. - Zum internationalen Menschenrechtsschutz in diesem Zusammenhang Classen, Gentechnologie, 1988. 203 Vgl. Graf Vitzthum, Rechtspolitik, 1987, S. 61 f., der auf den Einfluß ethischer Argumente im Rahmen der Interpretation der Menschenwürde hinweist. Die "moralische Allergie" in diesem Zusammenhang hebt Fechner, Nachträge, 1987, S. 53 hervor. - Vgl. zur ethischen Konjunktur Eibach, Experimentierfeld, 1983; Ethische und rechtliche Probleme, 1984; Hö!fe, Diskussionsbemerkungen, 1985; Jonas, Technik, 1985; Catenhusen, Kodifizierung der Ethik, 1986; Feick, Rechtliche und ethische Grenzen, 1986; Braun/ Mieth/ Steigleder, Ethische und rechtliche Fra-

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

liehe Verankerung findet, darf sie als rechtlicher Maßstab anerkannt werden 204 . Aus der Fülle der Argumente, die zum Verständnis der Menschenwürde und zur Begründung von Folgerungen für die Forschungsfreiheit angeführt werden, hebt sich eine Reihe von Themenbereichen heraus, die, neben den oben schon behandelten Gesichtspunkten, als Grundbestand der Argumentation betrachtet werden können. Sie haben sich vor allem bei der Auseinandersetzung mit der Gentherapie entwickelt, werden sinngemäß aber auch auf die Frage der Zulässigkeit der verbrauchenden Embryonenforschung bezogen. Im Zentrum dieser Leitgedanken steht der Bezug auf die Natürlichkeit der Lebensprozesse und die Bedeutung des Naturhaften als Maßstab für die Menschenwürde. Die Heranziehung der Natur als Anhaltspunkt für das Verständnis der Menschenwürde wird zu mehreren unterschiedlichen Vorstellungsund Argumentationsbereichen ausgeformt. An erster und grundlegender Stelle steht der Hinweis auf den Gegensatz von natürlichem Ablauf und willkürlichem Eingriff05, der als Variante der traditionsreichen Entgegensetzung von Mensch und Natur aufs neue zur Geltung gebracht wird. Nach diesem Denkmuster hat "Naturwüchsigkeit"206 als Grund- und Menschenwürdewert zu gelten. Künstliche Veränderungen stellen die natürliche Integrität in Frage; sie werten die Eigenständigkeit des Menschen ab, unterwerfen ihn unnatürlicher Willkür und bedeuten Mißachtung und Mißbrauch als Objekeo7 . Näher ausgeformt wird dieser Gedankengang durch die Verbindung der Integritäe08, Identität209 und Individualtitäe lO der menschlichen Person

gen, 1987; Kaufmann, Rechtsphilosophische Reflexionen, 1987; Mieth, Ethische Grundfragen, 1987; Schreiber, Erprobung, 1987; Löw, Humangenetik und Ethik, 1990; Schleuning, Gentechnikdebatte, 1991. 204 Vgl. im vorliegenden Zusammenhang auch Eser, Neuartige Bedrohungen, 1990,

s.

36-38, 44.

Der kategorisch gegen die Argumentation mit der Großzügigkeit der Natur im Bereich der Lebenserzeugung - vgl. Fechner, Menschenwürde, 1986, S. 658. Vgl. auch Sass, Ethos, 1985, S. 46 f. - ins Feld geführt wird; vgl. Ostendorf, Experimente, 1984, S. 597; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 32 f.; Schreiber, Erprobung, 1987, S. 60 f.; Classen, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, 1989, S. 244. 206 Statt vieler Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 58; vgl. Laufs, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 775. 207 Und damit einen Verstoß gegen die Menschenwürde; vgl. grds. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 31-57. Vgl. Elsässer, Embryonen-Experimente, 1988, S. 89; Wuermeling, Versachlichung, 1988; Keller, Verbrauchende Forschung, 1988, S. 64; ders., Probleme der Humangenetik, 1990, S. 187 f.; Merz, Medizinische, ethische und juristische Probleme, 1990, S. 165 f., 178. 208 Mieth, Ethische Grundfragen, 1987, S. 32 f. 205

4. Stellungnahme

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mit ihrer Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit2l1 , die den gezielten Einfluß auf die Erbanlagen als Verfälschung 212 und Fremdbestimmung213 deuten lassen. Darin artikuliert sich deutlich die Gleichsetzung von Natur und Qualität oder von Beeinflussung und Minderung. Ferner wird die Schicksalhaftigkeit214 , die Vorgegebenheit und Aufgegebenheie'5 der natürlichen Erscheinung hervorgehoben und damit ausdrücklich eine moralische Wertung eingeführt. Von diesem Standpunkt aus lassen sich zwar unverzichtbare Seiten der Lebenshilfe und menschenwürdigen Lebensleistungen erschließen, zugleich werden damit aber auch Unterwerfung und Unwissenheit als Pflicht und Würde deutbar '6 . Auf der Ebene religiösen Gedankenguts wird Natürlichkeit zu "Gottebenbildlichkeit"217 und mit der Kategorie der "Heiligkeit"218 jeder Verfügbarkeit entrückt; die Frage der Menschenwürde ist damit religiös-weltanschaulich vorentschieden und keiner rechtlichen Wertung zugänglich. Von dieser Haltung aus konkurriert der in Lebensvorgänge eingreifende Mensch mit der ihm vorgeordneten "Schöpferrolle"219; er verläßt seine Kompetenz und sein Verhalten die menschliche Würde. Der Überblick zeigt, wie eng neben einleuchtenden auch übersteigerte Gedanken stehen; niemand wird die Bedeutung der natürlichen Lebensgrundlagen bezweifeln, aber wer wollte die Leistungen der Medizin, die in den Gang der natürlichen Entwicklung eingreifen, als menschenunwürdig bezeichnen? Soweit es sich um Lebenshilfe handelt, werden sogar schwerwiegende Veränderungen der natürlichen Konstitution mit der Menschenwürde für

209 Eser, Rechtliche Aspekte, 1984, S. 30; Kaufmann, Prometheus, 1985, S. 274; Benda, Gentechnologie, 1986, S. 28; Podlech, in: AK-GG, 1989, Art. 1 Rn. 52. 210 Eser, Genetik, 1985, S. 250 f.; Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 43. 211 Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S.57; Starck, Verfassungsrechtliche Grenzen, 1988, S. 27. 212 Eser, Rechtliche Aspekte, 1984, S. 30; ders., Genetik, 1985, S. 253; Kaufmann, Prometheus, 1985, S. 271-273; ders., Humangenetik, 1985, S. 665. 213 Eser, Genetik, 1985, S. 251 f.; Lanz-Zumstein, Embryonenschutz, 1986, S. 103 f.; Classen, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, 1989, S. 241, 243 f. 214 Vgl. Catenhusen/Neumeister, Chancen und Risiken, 1987, S. 187 f. 215 Vgl. Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 53. 216 Vgl. Jonas, Technik, 1985, S. 13. 217 Jonas, a.a.O., S. 11; vgl. Starck, Verfassungsrechtliche Grenzen, 1988, S. 24. Vgl. die Nachw. bei Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 166 f. 218 Jonas, a.a.O., S. 15. 219 Eser, Rechtliche Aspekte, 1984, S. 30; ders., Humangenetik, 1987, S. 57; Starck, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, 1987, S. 1552; ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, 1988, S. 30; Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, 1992, S. 81 Rn. 3.

350

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

vereinbar gehalten oder als Gebot der Menschenwürde betrachtet. So läßt sich in diesem Zusammenhang etwa auf die Organtransplantation, die Amputation, die schwere medikamentöse Einflußnahme, die Geschlechtsumwandlung oder die kosmetische Operation hinweisen. Daher ist nicht anzuerkennen, daß der Heileingriff, der an der genetischen Information ansetzt und dort eine geringe, aber für die Gesundung entscheidende Veränderung vornimmt, gegen die Menschenwürde verstoßen soll. Außerdem erscheint es völlig übereilt, mit dem Erbprogramm eine bestimmte Form und Bedeutung der menschlichen Integrität oder Identität oder auch Individualität zu verbinden, ohne noch über die Wirkungsweise der genetischen Information im einzelnen eine nähere Vorstellung zu haben. Die generelle Verurteilung gentechnischer Heileingriffe beim Menschen ist daher widersprüchlich und unangemessen; sie versteigt sich zu einer Betrachtungsweise, die das Erbprogramm absolut setzt und darüber das menschliche Erscheinungsbild in seinem Anspruch auf eine menschenwürdige Existenz aus den Augen verliert. Diese Meinung ist aber auch darum nicht mit dem Menschenwürdegebot vereinbar, weil sie dem Menschen ihre vermeintliche Richtigkeit aufzwingt und ihn einem unterdrückenden Zwang unterwirft, der weder prinzipiell noch im Einzelfall, in dem eine erforderliche Gesundheitshilfe versagt werden müßte, mit dem Menschenwürdeschutz übereinstimmt. Diese Feststellugen gelten sowohl für die somatisch begrenzte als auch die weitervererbbare Gentherapie. Gentechnische Heilverfahren erscheinen nicht als solche, sondern nur dann als unvereinbar mit dem Menschenwürdeschutz, wenn sie die Grenzen überschreiten, die auch anderen medizinischen Behandlungsweisen gesetzt sind. Diese Grenzen näher zu bestimmen, ist die entscheidende Aufgabe. Die generelle Verurteilung ist jedoch verfassungswidrig. Um auf das Argument mit der Natürlichkeit des menschlichen Erbprogrammes zurückzukommen, soll angefügt werden, daß dieser Begriff in seiner Bezugnahme auf das menschliche Leben durch alle Zivilisationsstufen der menschlichen Entwicklung geprägt ist220 und sich daher nicht grundsätzlich gegen die Menschenwürdigkeit von künstlichen Entwicklungsstützen einsetzen läße 21 • Die Frage nach der Natürlichkeit führt schon daher in grundsätzliche Schwierigkeiten, weil die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten im Umgang mit den natürlichen Voraussetzungen ihrerseits ein natürli-

Vgl. Patzig, Moralische Probleme, 1988, S. 31; Sass, Ethos, 1985, S. 46 f. Grds. zur Ambivalenz des Natürlichkeitsbegriffs Baumgartner, Wiederentdekkung, 1989; vgl. auch die kritischen Stellungnahmen von v. d. Daele, Mensch nach Maß, 1985, S. 203-206; Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 187 f.; Scholz, Beherrschung, 1985, S. 73; Blankenage/, Gentechnologie, 1987. 220 221

4. Stellungnahme

351

cher Vorgang ist222 • Was sich mit Natürlichkeit an Krankheit und menschenunwürdiger Qual verbinden kann, soll nur mit dem Hinweis auf die Geschichte der Medizin angedeutet werden. Soweit die natürliche Integrität als Maßstab der Menschenwürde gelten soll, ist gerade nicht der Ausschluß der medizinischen Hilfe gemeint. Daher darf dieser Begriff nicht ohne Rücksicht auf seine Ergänzungsbedürftigkeit angewandt werden. Ferner ist in diesem Zusammenhang erneut darauf hinzuweisen, daß die Persönlichkeitsveränderung durch die traditionelle medizinische Behandlung nicht außer acht bleiben kann. Der medizinische Eingriff in das genetische Programm braucht aber keine Steigerung gegenüber herkömmlichen Einflußnahmen zu bedeuten, und gegenüber der krankhaften Ausprägung verliert das Argument der Achtung vor der Einmaligkeit seine Überzeugung. Soweit es gegen die künstliche Erzeugung von Mehrlingen angeführt wird, trifft es nur teilweise zu, da auch durch den natürlichen Verlauf die Entwicklung eineiiger Mehrlinge nicht ausgeschlossen ist. Die künstliche Steigerung der Bereitschaft dafür trifft auf keinen grundsätzlichen Widerspruch. Daher kann die künstliche Erzeugung nicht rundweg als Verstoß gegen die Menschenwürde betrachtet werden, vielmehr kommt es auch bei der Erzeugung von Mehrlingen auf die Grenzen an, die ein achtenswertes Verhalten von unwürdigen Praktiken unterscheiden lassen. Wie bei der Frage nach der Reichweite des Lebens- und Gesundheitsschutzes können die besonderen Bedingungen, die für die Lebenserscheinung im Frühstadium gelten, nicht ohne Auswirkung auf die Anwendbarkeit des verfassungsrechtlichen Menschenwürdebegriffs bleiben. Die Kategorien der Individualität, Identität, Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit lassen sich nicht in derselben Begriffsweite wie bei der ausgebildeten Gestalt vers tehen 223 , und das Vorstellungsbild von der Behandlung als Objekt sowie der Begriff der Fremdbestimmung224 , sind, um nicht unanwendbar zu werden, auf die besondere Situation abzustimmen. Es ist erneut hervorzuheben, daß das Zustandekommen des menschlichen Bauprogrammes nicht mit der Ausprägung in der entwickelten Gestalt gleichgesetzt werden kann. Die Schutzpflichten, die für diese gelten und auf ihre soziale Erscheinung bezogen sind, können daher nicht unverändert auf die völlig andere Erscheinungsweise des genetischen Programmes angewandt werden. Das heißt nicht, daß der Schutz-

Vgl. auch Fechner, Nachträge, 1987, S. 42. Vgl. die Kritik von Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 187 f.; v. d. Daele, Mensch nach Maß, 1985, S. 191; Blankenagel, Gentechnologie, 1987, S. 392; kulturkritisch Schuller, Dialektik, 1989. 224 Krit. dazu Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 188; vgl. Lerche, Verfassungsrechtliche Aspekte, 1986, S. 107; Bimbacher, Gefährdet, 1987, S. 78 f. 222 223

352

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

gedanke entwertet werden, sondern vielmehr, daß ihm, statt illusorischer Forderungen, ein effektiver Anwendungsbereich eröffnet werden soll. Der Weg dazu liegt in der Angemessenheit anleitender Schutzregelungen. So wird mit Recht dagegen Stellung genommen, daß Veränderungen des Genoms als Verfälschung bezeichnet werden, und hervorgehoben, daß die Prämissen dafür, also der Maßstab für dieses Urteil, erst zu klären sind. Mit etwaigen krankhaften Bestandteilen kann das Genom seinerseits als verfälscht aufgefaßt werden oder mindestens nicht als verbindlicher Richtigkeitsmaßstab gelten. Der ambivalente Zusammenhang, der die Verbindung der Integrität und Individualität des genetischen Programmes mit der Menschenwürde kennzeichnet, gilt auch für die Schicksalhaftigkeit der natürlichen Lebensbedingungen. Warum das natürliche Schicksal, das mit dem Genom auferlegt wird, nur einseitig an der Menschenwürde partizipieren soll, ist nicht verständlich. Soweit damit auch Krankheit und Menschenwürde gleichgesetzt werden sollen, darf zwar ein wahrer Kern in dieser Bewertung, aber auch ihre Unzulänglichkeit nicht verschwiegen werden. Soweit die Förderung von Krankheit oder die Ablehnung von Bekämpfungsmöglichkeiten und der Erschließung des dafür erforderlichen Wissens als menschenwürdig ausgegeben werden sollen, wird das Menschenwürderecht für bestimmte weltanschauliche Auffassungen beschlagnahmt. Mit dem Argument, daß sich der Mensch mit der Anmaßung einer Schöpferrolle vor die Tore der Menschenwürde hinausbewege, müßte seine gesamte Entfaltung einem Unwerturteil unterworfen werden. Zur Menschenwürde gehört jedoch in erster Linie die Entfaltungsfreiheit des Menschen. Menschenunwürdig wäre es, unter dem Zeichen der Achtung vor dem schicksalhaften, unwiderruflichen und natürlichen Gang der Entwicklung auch heilungsfähige Leiden für unantastbar zu erklären. Der gentechnische Eingriff, ob individuell beschränkt oder zur vererbbaren Veränderung führend, ist vielmehr nach den gleichen Regeln wie die Heilbehandlung zu beurteilen; bedenklich hinsichtlich der Menschenwürde ist nicht die Möglichkeit der gentechnischen Beeinflussung, sondern die Gefahr der unqualifizierten Praktizierung und des Mißbrauchs. Die Aufgabe des Rechts besteht auch hier darin, den Fortschritt nicht zu verhindern, sondern zu fördern, und gleichzeitig der Gefahrenbewältigung zu dienen. Sollte die gentechnische Beeinflussung von menschlichem Erbgut einmal praktisch möglich werden, kommt es für die Frage der rechtlichen Zulässigkeit vor allem auf Prüf- und Entscheidungsverfahren an, die wissenschaftlich gesicherte Feststellungen zur Grundlage der Beurteilung machen und für jede einzelne in Betracht kommende Technik die Frage, ob und wieweit und unter welchen Auflagen sowie Verfahrensbedingungen eine Zulassung nicht abgelehnt werden kann, angemessen beantworten lassen. Daher bedarf es nach allen diesen Richtungen der wissenschaftlichen Forschung.

4. Stellungnahme

353

Ein weiterer zentraler Gedankenbereich, mit dem der Menschenwürdegrundsatz zu erfassen und für die Beurteilung der hier behandelten Problematik zu erschließen versucht wird, ist das Menschenbild der Verfassung 225 . Ausgehend davon, daß im Grundgesetz die Personalität zwischen Individualismus und Kollektivismus - beruhend auf der Grundlage der individuellen Rechte, die durch die Rechts- und Verfassungsordnung eingebunden sind in den sozialen Zusammenhang - zur maßgebenden Leitvorstellung ausgeformt wird, erscheint die Menschenwürde als Ausgangspunkt und Ziel und zugleich als Garantie der leitenden Voraussetzungen dieses Menschenbildes 226 • Soweit es aber etwa auf die erörterten Vorstellungen einer Natürlichkeit und davon bestimmten sozialen Ausgestaltung festgelegt werden soll, kann es auch in Widerspruch mit seinen verfassungs rechtlichen Grundlagen geraten. Vor allem ist zu berücksichtigen, daß das Bemühen um die Verwirklichung von Werten der Menschenwürde nicht mit der Einhaltung von Mindestgrenzen des Schutzes gleichzusetzen ist; bestimmte Wertvorstellungen mögen daher im Sinne der menschenwürdigen Lebensgestaltung Anerkennung finden und anzustreben sein, ohne jedoch zugleich als Maßstab für die unzulässige Verletzung des Schutzgebots gelten können. Das je nach einer bestimmten Lebensanschauung Wünschenswerte ist nicht mit dem Schutzgebot gleichzusetzen 227 . Der Begriff des verfassungsrechtlichen Menschenbildes veranschaulicht zwar die positive Aufgabe der Integration in die grundrechtlich bestimmte, demokratische Ordnung, folgt damit aber nur dem Zweck, die allgemeine Notwendigkeit der Grundrechtsbeschränkung zu begründen; darüber hinaus eignet sich der Begriff nicht dazu, die Schrankenziehung im einzelnen zu legitimieren. Dafür bedarf es besonderer Anknüpfungspunkte. So wie die wichtigsten Aspekte für die Beurteilung, ob der Menschenwürdegrundsatz gewahrt wird, die Objektformel und Integritätsvorstellung, ohne weiteres auf die Anfangsstadien des Lebens übertragen werden, soll auch das verfassungsrechtliche Menschenbild, von seiner allgemeinen Interpretationsfunktion ausgehend, zu einem Maßstab für die Schrankenziehung konkretisiert werden. Dagegen unterscheidet das Bundesverfassungsgericht aber gen au zwischen dem verfassungsrechtlichen Zusammenhang, auf

225 Vgl. Strickrodt, Rechtliche Probleme, 1969, S.221-223; Benda, Erprobung, 1985, S.207 f.; Flämig, Genetische Manipulation, 1985, S. 18, 55 f. Krit. Lukes, Biotechnologie, 1986, S.38, 45, 50; Lerche, Verfassungsrechtliche Aspekte, 1986,

S. \08 f.

Vgl. Stern, Staatsrecht III /l, 1988, § 58 S. 31-33. Das unter dem Schutzaspekt grds. nicht nach dem "ethischen Überschuß" (Lerche, a.a.O.), sondern aus der gegenüberliegenden Perspektive der Mindestgrenze zu beurteilen ist; vgl. Geddert-Steinacher, a.a.O. 226 227

23 Losch

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

354

dem die Grundrechtsbeschränkung im Prinzip beruht, und der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung für die Beschränkung im einzelnen 228 • Neben den behandelten Argumentationsmustern und der Frage nach dem verfassungsrechtlichen Menschenbild bestehen Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die Menschenwürde im Konflikt mit anderen Schutzbelangen absolute Grenzen setzt oder der Abwägung offensteht229 . Die Entscheidung darüber hängt davon ab, wie weit der Schutzbereich der Menschenwürde gezogen wird. Wenn das Recht nur für einen unverletzlichen Mindestumfang an Schutzqualität gewährt werden sol1, kann es nur als strikte Schranke wirken; wenn es dagegen ein weiterreichendes Achtungs- und Schutzgebot umfaßt, steht die Schutzpflicht, ebenso wie andere grundrechtliche Schutzpflichten auch, der Abwägung bis zur unübersteigbaren Schranke des Mindestschutzes offen. Dieser ist nicht, wie bei den nachfolgenden Grundrechten, auf die Sicherung durch Art. 19 Abs. 2 GG verwiesen, sondern in der strikten Gewährleistung des Schutzes unmittelbar enthalten. Die strenge Fassung des Schutzgebots spricht nicht davon, daß in jedem Fal1 nur der Mindestschutz gewährleistet werden sol1; diese Auffassung würde das Schutzgebot auch unnötig einengen. Daher ist der zweiten Ansicht zu folgen. Der Menschenwürdeschutz ist danach zwar als Mindestschutz jeder Verfügbarkeit entzogen, aber damit wird nicht zugleich die Möglichkeit der Abwägung verneint. Das zeigt sich etwa, wenn es um die staatlichen Grundlagen geht, die prinzipiell Voraussetzung für die Garantie des Menschenwürdeschutzes sind 230 . Wieweit die staatliche Schutzpflicht zugunsten der Menschenwürde hinter entgegenstehende staatliche Interessen zurückzutreten hat, ist nur nach der besonderen Situation zu beurteilen; aber das staatliche Integrationsinteresse stellt einen dehnbaren Begriff dar, der dem Schutzanspruch der Menschenwürde gegenüber fließende Grenzen schafft. Das kommt auch am Beispiel der Krankheitsbekämpfung zum Ausdruck, die den Staat zu einem Vorgehen zwingen kann, das im Normalfal1 als Verletzung der Menscheriwürde zu betrachten wäre. Auch soweit nicht die staatliche Integrität als solche, sondern der Gesundheitsschutz der Staatsbürger zu Notmaßnahmen veranlaßt, muß sich die Menschenwürde Relativierungen gefallen lassen, die im Al1gemeinwohlinteresse auferlegt werden. Auch bei der Kol1ision mit entgegenstehenden Schutzpflichten lassen sich Abwägungsfragen nicht aus-

228

Vgl. oben 11.3.2; ferner Frommel, Rechtsphilosophische Betrachtungen, 1986,

S.59.

Statt vieler Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 81-86; vgl. oben 1. Vgl. Graf Vitzthum, Gentechnik und Grundgesetz, 1990, S. 197; grds. zum Abwägungsproblem ders., Gentechnologie und Menschenwürdeargument, 1987, S. 35 229 230

f.

4. Stellungnahme

355

schließen. Da die Forschungsfreiheit hinsichtlich der Selbsterkenntnis des Menschen in besonders enger Verbindung mit der Menschenwürde steht, liegt dieser Fall etwa vor, wenn grundlegende Forschungsinteressen dem Schutz für das beginnende Leben gegenüberstehen. Ein weiterer Gesichtspunkt, der bei der Gegenüberstellung der Schutzpflichten zu beachten ist, betrifft den Zusammenhang zwischen der Menschenwürde und der Wissenschaftsfreiheit. Dieser Zusammenhang äußert sich in zweifacher Weise. Zum einen erscheint die Wissenschaftsfreiheit als wesentlicher Ausdruck der Menschenwürde. Daher ist bei der Auslegung des Schutzgebots, das zugunsten der Menschenwürde zu beachten ist, auch die von der Wissenschaftsfreiheit geschützte Seite der Würdeentfaltung zu berücksichtigen, und nicht außer acht zu lassen, daß diese durch die Wissenschaftsfreiheit gestärkt wird. Zum anderen kommt der Zusammenhang zwischen dem Menschenwürdeschutz und der Wissenschaftsfreiheit dadurch zum Ausdruck, daß bei der Abwägung der entgegenstehenden Schutzinteressen der Menschenwürdeschutz zusätzlich im Lichte der Wissenschaftsfreiheit zu werten ist, wie auch die Wissenschaftsfreiheit in ihrer Wechselwirkung mit dem Menschenwürdeschutz verstanden werden muß. Zwar kommt der Menschenwürdegrundsatz in der gesamten Staats- und vor allem in der Grundrechtsordnung zum Ausdruck, die auf seine Verwirklichung hin orientiert sind23 !, aber die Wissenschaftsfreiheit bildet darüber hinaus zugleich die Grundlage für die Ausgestaltung der Rechts- und Gesellschaftsordnung und das für diese maßgebende Verständnis der Menschenwürde. Die Wissenschaftsfreiheit stellt außerdem das charakteristische Merkmal des Menschen, das ihn zur Entwicklung der menschlichen Zivilisation befähigt, unter Schutz232 • Daher bedeutet die Wissenschaftsfreiheit eine Bedingung der menschenwürdigen Gestaltung der menschlichen Gesellschaft. Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit, die nicht nur dem praktischen Interessenausgleich dienen, sondern auch die wissenschaftliche Entwicklung auf allgemeiner Ebene betreffen, sind ein Widerspruch in sich und richten sich gegen die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit als Grundlage und Bedingung der menschlichen Selbstentfaltung, in der sich die menschliche Würde ausprägt233 • Eine Rechtfertigung dafür wäre nur zu finden, wenn die Wahrnehmung der Wis-

Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990. Vgl. zu den genannten Zusammenhängen Graf Vitzthum, Gentechnologie, 1985, S. 257; ders., Menschenwürde und Humangenetik, 1986, S. 827; ders., Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987, S. 283. - Vgl. auch Fechner, Menschenwürde, 1986, S. 659. 233 Vgl. Fechner, Nachträge, 1987, S. 43 f. 231

232

23*

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

senschaftsfreiheit eine Schädigung der unverzichtbaren Voraussetzungen der verfassungsrechtlich verbürgten Lebensentfaltung bedeuten würde. Da es nicht als menschenunwürdig erscheint, selbst eine Vielzahl von Lebenskeimen für den Versuch aufzuopfern, eine Schwangerschaft herbeizuführen, darf das Verdikt des Menschenwürdeverstoßes auch nicht gegen verbrauchende Forschungen erhoben werden, die die Erfolgsaussichten des Versuches fördern wollen, soweit sie den Rahmen der Verhältnismäßigkeit wahren. Das gleiche hat sinngemäß für andere lebens- und gesundheitswichtige Forschungen zu gelten, soweit sich diese mit den weiter oben genannten Voraussetzungen der inhatlichen und verfahrensbezogenen Verhältnismäßigkeit vereinbaren lassen. Nichts anderes ist für die Forschung unter Verwendung von Klonierungsverfahren und für die Forschung mit Hilfe von Hybridund Chimärenbildungen anzunehmen, soweit die Grenzen der Erforderlichkeit und Angemessenheit hinsichtlich von Zweck, Ausmaß und Vorgehensweise der Forschung nicht überschritten werden und Mißbrauchsgefahren vorgebeugt wird. Das Menschenwürdegebot wäre falsch verstanden, wenn es von der Vorstellung des erwachsenen Menschen unvermittelt auf die künstliche Erzeugung des Erbprogrammes und auf dessen Erscheinungsform übertragen würde und wenn von der Darstellung von Fabel- und Phantasiegestalten aus ein Urteil über die Zulässigkeit von höchst spezialisierten Forschungsfragen völlig anderer Dimension gefällt würde. Der Blick hat sich nicht allein vom Abstrusen bannen zu lassen sondern muß sich den Sinn für die Angemessenheit und die praktischen Grenzen medizinischer Forschungsaufgaben und -verfahren in der besonderen Erscheinungswelt der molekularen Lebensgrundlagen bewahren. Die Menschenwürde im Sinne des hergebrachten Begriffs hat keinen unmittelbaren Repräsentationsbereich in der Welt des molekularen Lebensbeginnes. Daher läßt sich die Konkretisierung des Schutzgedankens nur mit der Mißbrauchsgrenze verbinden. Diese darf, wie im Zusammenhang mit dem Lebensschutzgebot dargelegt wurde, nicht aus einer in Widerspruch mit der Aufopferung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft grundSätzlich vorausgesetzten Unantastbarkeit abgeleitet werden, sondern ist dort zu ziehen, wo das zustande gekommene Bauprogramm zu anderen als zu lebenswichtig erscheinenden Zwecken des menschlichen Gesundheitsschutzes und in nicht unentbehrlich erscheinender Weise aufgeopfert werden soll. Nicht ein in sich widersprüchliches Verwendungsverbot, sondern die Frage der Rechtfertigbarkeit der Verwendung hat über die Mißbrauchsgrenze zu entscheiden.

4. Stellungnahme

357

4.1.4 Begriffs- und Wertungsentscheidung

Wie in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt wurde, ist nicht als problematisch zu betrachten, daß sich die staatlichen Schutzpflichten für das Leben, die Gesundheit und die Menschenwürde auf die ersten Stadien der menschlichen Lebensentwicklung erstrecken, sondern nur, wie sich die Schutzpflichten konkret auszuwirken haben. Von den zunächst erwogenen differenzierten Auffassungen entfernte sich der Weg immer weiter und führte zum absoluten Schutzgebot hin, das dem beginnenden Leben stärkere Schutzwirkungen garantiert als seiner entwickelten Gestalt. Wie angedeutet, gewannen vor allem die ethischen Stimmen immer größeres Gewicht und setzten sich mit ihren Ansichten durch. Das Leben in den ersten Frühphasen wurde danach nicht nur als Bestandteil der Lebensentwicklung, sondern als Inbegriff des Lebens selbst gewertet; die Schutzgebote wurden nicht nur als anwendbares Recht, sondern als uneinschränkbare Integritätsgarantie verstanden. Diese Perspektivenverschiebung ist zwar mit Rücksicht auf die historische Situation in Deutschland und von bestimmten weltanschaulichen Standpunkten aus gut zu verstehen, aber mit der Aufgabe des Rechts, eine sachlich angemessene und nach den verfassungsrechtlichen Wertmaßstäben ausgerichtete, darüber hinaus aber weltanschaulich neutrale Beurteilung zu ermöglichen, schwerlich vereinbar. Es entsteht vielmehr der Eindruck, als habe die Ethisierung der Diskussion 234 , die sich im Zuge der wachsenden Aufmerksamkeit für die Forschungs- und Technikfolgen entwickelt hat, ein besonderes Wertbewußtsein hervorgerufen, das die rechtlichen Maßstäbe weitgehend in seinem Sinne beeinflußt hat. Gegenüber der rechtlichen Seite kann die Feststellung nicht ganz vermieden werden, daß der Auftrag zur neutralen Darlegung und Sichtung der Standpunkte und zur unvoreingenommenen Erwägung der Schutzfragen nicht in aller Deutlichkeit zur Geltung gebracht werden konnte. Jedoch scheint die neueste Entwicklung in der ethischen Diskussion diese Aufgabe nachzuholen und den ersten großen Anlauf zur Orientierung gegenüber den neuen Fragen aufzuarbeiten sowie der offensichtlichen Verengung der Standpunkte auf ein neues Diskussionsniveau zu verhelfen 235 • Die darin zum Ausdruck kommende Tendenz zur Sachlichkeit läßt die Behandlung der ethischen und rechtlichen Wertungsfragen einander annähern. Gegenüber der Diskussion, die sich zu den Schutzfragen im Bereich der pränatalen Humanforschung entwickelt hat, erscheint jedoch ein grundsätzli234 Vgl. schon Ethische und rechtliche Probleme, 1984. Krit. zur staatlichen Diskussionspolitik auch Fechner, Nachträge, 1987, S. 57 f. 235 Vgl. Abschlußbericht, 1990; Sass, Genomanalyse und Gentherapie, 1991; Deutsch, Rechtsfragen der Genomanalyse, 1991, S. 89 f.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

cher Hinweis auf das Verhältnis zwischen der rechtlichen und ethischen Wertung erforderlich. Auch ohne auf die bekannte Unterscheidung von Recht und Ethik oder Morae 36 zurückzugreifen 237 , kann festgestellt werden, daß die Verfassung den Staat zum Schutz der freien sittlich-religiösen und weltanschaulichen Entfaltungsmöglichkeiten auf neutraler Grundlage verpflichtet238 • Es besteht kein Erziehungsmandat, das dem staatlichen Bildungsauftrag, zur demokratisch-freiheitlichen Selbstbestimmung zu befähigen, widerspricht239 • Die weltanschaulichen Probleme werden weder ignoriert noch reglementiert, sondern der freien Auseinandersetzung und Entscheidung überlassen. Jede Unterwanderung dieses Grundsatzes richtet sich gegen die Verfassung selbst. Damit soll nicht übersehen werden, daß sich das Recht mit der Sittlichkeit und Moral vielfach überschneidee4O • Der Sittlichkeitsstandard der Verfassung wird aber durch ihre Schutzgehalte abgesteckt, deren verfassungskonformes Verständnis die moralische Einseitigkeit ausschließt. Die Garantie der Schutzrechte ist zwar in einer überpositiven Grundrechtsqualitäe41 und metaphysischen Staatsgrundlage242 verankert; diese sind aber an die verfassungsrechtlich gewählte Verkörperung gebunden. Mit dieser verträgt sich eine moralische Einmischung von staatlicher Seite nicht. Diese Hervorhebungen können verdeutlichen, wie problematisch es ist, die Wissenschaftsfreiheit im Bereich der pränatalen Humanforschung durch ein ausdehnendes Verständnis der staatlichen Schutzrechte für das Leben und die Menschenwürde einseitig einzuschränken. Die Entscheidung für die Ausdehnung des Lebens- und Menschenwürdebegriffs und für die Bewertung als absolut schutzwürdig gerät in Konflikt mit einer sachbezogenen, die unterschiedlichen Schutzbelange gleicherweise würdigenden Beurteilung. Wie problematisch auch die Konsequenzen für die einzelnen Regelungsfragen sind, ist noch zu erläutern. Zur Ergänzung der Wertungsfrage soll jedoch eine

236 Wobei Moral eher die außengesteuerte Anleitung und Ethik eher den Bezug auf die Gesinnung meint (nicht zu verwechseln mit der Unterscheidung von Handlungsund Gesinnungsethik). 237 Vgl. statt vieler Zippelius, Rechtsphilosophie, 1989, S. 184-186,26 f. 238 Wie sich aus der Grundrechtsordnung ergibt, grds. Bethge, Gewissensfreiheit, 1989, S. 436 f., 453-459. 239 Vgl. Oppennann, Schule und berufliche Ausbildung, 1989, S. 344-346. 240 Grds. Coing, Grundzüge, 1985, S. 95-129; vgl. Mazurek, Analytische Rechtstheorie, 1989, S. 300-302. 241 Grds. Denninger, Verhältnis von Menschenrechten zum positiven Recht, 1982. 242 Vgl. Starck, Menschenwürde, 1981, S. 463 f.

4. Stellungnahme

359

kurze Betrachtung angefügt werden, die sich auf eine Auseinandersetzung im vorliegenden Zusammenhang bezieht. Auf einer Tagung über "Biotechnologie und Recht,,243 fielen einige drastische, völlig unidealistische Worte über das beginnende Leben; die umstrittene Äußerung wurde mit der Feststellung verbunden, daß sich die Freiheitlichkeit des Rechts nicht mit religiösen Festschreibungen vertrage 244 . Dagegen wurde später eingewandt, daß die religiöse Abstinenz auch zur Verkürzung des Rechts führen könne 245 . Was zunächst zum Ausdruck gebracht werden sollte, war, daß das Recht seiner Regelungsaufgabe allein mit einer spezifisch rechtlichen Wertbezogenheit gerecht werden kann 246 . So sollte die Eigenständigkeit der rechtlichen Wertentscheidung hervorgehoben und für die klare Unterscheidung der Wertungsaufgaben plädiert werden 247 • Im Recht )wmmt es zur verbindlichen Verhaltensordnung für die Allgemeinheit; dafür sind allein die verfassungsrechtlichen Grundlagen maßgebend, deren Interpretation dem Rechtscharakter der Regelungsaufgabe verpflichtet zu sein hat248 . Als Beispiel lassen sich auch die verfassungsrechtlichen Gottesformeln anführen, die nicht im Sinne bestimmter religiöser Bindungen zu verstehen sind 249 . Unter den Voraussetzungen der pluralistischen Demokratie

243 Bitburger Gespräche, 1986/1. 244 Es handelt sich um eine Stellungnahme, die der ehern. Präsident des BVerfG, Zeidler, abgab. Vgl. Fromme, Zwischen Menschenwürde und Freiheit der Wissenschaft, Die Neue Ärztliche Nr. 11 vom 21.1.1986, S. 3; Dewald, Zeidler auf einem Irrweg, Konradsblatt Nr. 5 vom 2.2.1986. 245 Rüthers, Warum wir nicht genau wissen, 1987, S.26-39. Vgl. auch ders., Rechtsordnung und Wertordnung, 1986, S. 42-53. 246 Vgl. auch Zeidler, Ethische Probleme, 1962; ders., Grundrechte und Grundentscheidungen, 1980; ders., Zeitgeist und Rechtsprechung, 1984; ders., Ehe und Familie, 1983. Vgl. auch BVerfGE 34, 269 (287) - Allg. Persönlichkeitsrecht, wonach zwar nicht ausschließlich der Gesetzgeber, sondern die verfassungsmäßige Rechtsordnung im ganzen, aber, wie verdeutlichend hervorzuheben ist, als Rechts- und nicht als Naturrechtsordnung, über die rechtlichen Wertungen, die der Rechtsprechung obliegen, bestimmt. 247 Vgl. bes. BVerfGE 7, 198 (205 f.) - Lüth - sowie die Hinweise bei Maunz/ Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 1985, § 19 I 2, S. 146 f.; ferner grds. Goerlich, Wertordnung, 1973; Rüthers, Rechtsordnung und Wertordnung, 1986, S. 19-28. - Zur Kritik an der Wertungsrechtsprechung des BVerfG (Goerlich, vgl. Robbers, Gerechtigkeit, 1980) vgl. die Erläuterung bei Hesse, Grundzüge, 1988, S. 120 f., Rn. 299, daß es sich um das Bemühen zur Konkretisierung rechtlicher und nicht ein Abschweifen in andere Maßstäbe handle. 248 Dagegen führt die Reihung von Begriffen wie "Metaphysik", "letzte Dinge und Ziele", "Glaubensgewißheit", und "fester Halt" in ein Halbdunkel; vgl. Rüthers, Warum wir nicht genau wissen, 1987, S. 36-39. 249 Häberle, Gott im Verfassungsstaat?, 1987, S. 3-17 (9 f., 13).

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

ist die Notwendigkeit einer unvoreingenommenen Regelungspraxis offensichtlich. Die pluralistisch-rationale Autonomie des Rechts ist auch der neuen Situation der genetischen Manipulierbarkeit gegenüber nicht im Nachteil, sondern wirkt vorschnellen Festlegungen und einem Ausweichen vor der Verantwortung entgegen. So wurde auf der genannten Tagung die besondere Aufgabe der rechtlichen Wertung hervorgehoben, allgemeinverbindliche Entscheidungen auf dem Boden der allein maßgebenden verfassungsrechtlichen Grundlagen zu treffen, und betont, daß es nicht auf ethische Grundentscheidungen, sondern die Einigung über praktisch vernünftige und erforderliche Schutzgrenzen ankommeso. Dieser Rahmen läßt das Bemühen um die spezifisch rechtliche Richtigkeit, das heißt um die Behandlung der Probleme aus der praktischen Allgemeinverantwortung heraus, erkennen. Hinter der erwähnten, umstrittenen Äußerung stand die früher schon getroffene Feststellung, daß sich das Recht, je mehr es sich moralisch-metaphysisch engagiert, an Allgemeinverständlichkeit und Autorität verlieresl, Die Freiheit der Rechtsordnung erscheint zugleich als Garantie einer positiven Weiterentwicklung der Gesellschaft252 • Als wesentlich für die rechtliche Wertung ist das demokratische Prinzip zu betrachten, das Flexibilität und Fortschrittlichkeit bedeutet und sich nicht verträgt mit Lernunfähigkeit und Intoleranz 253 • Unübersehbar soll darauf hingewiesen werden, daß so gefährlich, wie die Unfähigkeit zur kreativen Ausfüllung der Freiheitlichkeit, auch die Unfähigkeit ist, sie vor nicht stets gemeinsam erarbeiteter Wertgebundenheit zu bewahren. In der Tat verlangt das pluralistisch-demokratische System im Rahmen seiner Verfassungsgrundlagen eine vorurteilsfreie Diskussionsbereitschaft.

Benda, Gentechnologie, 1986, S. 20-24; Eser, Biotechnologie, 1986, S. 105-109. 251 Zeidler, Ethische Probleme, 1962, S. 87. Vgl. - im Zusammenhang mit der Kritik am BGH - als Veranschaulichung der geforderten sachbestimmt-rechtlichen und nicht idealbestimmt-ideologischen Wertung Gemhuber, Testierfreiheit, Sittenordnung und Familie, FamRZ 1960, 326-335. 252 Vgl. Zeidler, Außerparlamentarische Bewegungen, Demonstrationsrecht und Widerstand, Aus Politik und Zeitgeschichte 1969, B 10, 3-13; ders., Gestaltung und Ordnung von Staat und Gesellschaft nach den Leitprinzipien des Grundgesetzes, Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 91 vom 7.7.1970,901-906; ders., Rechtsstaat im Spannungsfeld, 1970; ders., Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, DÖV 1972, 437-446; ders., Grundrechte und Grundentscheidungen, 1980. 253 Zeidler, Rechtsstaat, a.a.O., S. 716; ders., Außerparlamentarische Bewegungen, a.a.O., S. 8, 10. 250

4. Stellungnahme

361

Aus den angestellten Überlegungen ergibt sich, daß die Forschung an Präembryonen nicht grundsätzlich gegen den Lebens- und Gesundheitsschutz oder gegen den Schutz der Menschenwürde verstößt. Ein absolutes Forschungsverbot ist daher nicht zu rechtfertigen. Jedoch ist der Schutz zugunsten des beginnenden Lebens angemessen zu berücksichtigen und das beginnende Leben gegen eine sorglose Behandlung zu sichern. Daraus ergibt sich die Frage, wie den unterschiedlichen Schutzinteressen ausreichend Rechnung getragen werden kann. Die Frage, welche Schutzinteressen zu beachten sind, geht daher in die Frage über, wie weit der Rechtsschutz jeweils zu wahren ist und wie eine verhältnismäßige Regelung erzielt werden kann.

4.2 Regelungsprobleme 4.2.1 VerhäItnismäßigkeit Eine Regelung, die nicht von den widersprüchlichen Voraussetzungen des Embryonenschutzgesetzes ausgehen wollte, müßte einen verhältnismäßigen Rahmen festlegen, innerhalb dessen die Kollision der Schutzpflichten zu einem verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen wäre. Das Verhältnismäßigkeitsproblem darf nicht durch ein einseitiges, nicht widerspruchs frei begründbares Mißbrauchsverbot umgangen werden. Zur Verdeutlichung werden im folgenden die wichtigsten, weiter oben schon angestellten Überlegungen noch einmal zusammengefaßt. Wie schon ausgeführt, läßt sich keine abstrakt feststehende Rangordnung für die staatlichen Schutzpflichten begründen, von bestimmten Grundbeziehungen abgesehen, wie sie zwischen dem Lebensschutz als existentieller Voraussetzung und anderen Schutzinteressen anzunehmen sind 254 • Das Gewicht der Schutzinteressen, die im Einzelfall zu berücksichtigen sind, hängt vielmehr davon ab, für welche Schutzbelange jeweils die Schutzpflichten einzutreten haben. Die Überlegung, daß die Entwicklung des individuellen Lebens mit dem Zeitpunkt der Befruchtung einsetzt und daher der Lebensschutz von diesem Zeitpunkt an herausgefordert wird, ferner daß dem Lebensbeginn der Schutz der Menschenwürde einzuräumen ist, bedeutet im Gegensatz zur überwiegenden Meinung nicht, daß die Schutzpflichten zur absoluten Einschränkung der künstlichen Lebenserzeugung und zur Unantastbarkeit des künstlich entstandenen Lebens zwingen. Die Schutzpflichten stehen zwar unter dem Gebot, möglichst wirksam zur Geltung gebracht zu

254

Vgl. oben VI. 1.3 .

362

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

werden, aber angepaßt an die Erscheinungsform des Schutzgutes und die besonderen Bedingungen für die Anwendung des Schutzes. Das Embryonenschutzgesetz sieht das Ziel des Lebensschutzes allein in der Herbeiführung der natürlichen Lebensentwicklung. Daher bindet es die Zulässigkeit der künstlichen Lebenserzeugung eng an diesen Zweck und schließt die Berücksichtigung anderer Schutzinteressen weitestgehend aus. Wenn eine natürliche Weiterentwicklung nicht erreicht werden kann, genießt das erzeugte Leben nur den Schutz, keine Verwendung finden zu dürfen. Die Alternativen der Weiterentwicklung oder Nichtverwendung bleiben in diesem Fall auf die Nichtverwendung beschränkt. Darin liegt zwar der Schutz vor einer unwürdigen, aber zugleich auch der Ausschluß von einer sinnvollen Verwendung. Die Forschungsinteressen, die dem Interesse am Schutz des Lebens vor einer anderen Verwendung als der Vernichtung entgegenstehen, lassen jedoch die Schutzalternative der alleinigen Vernichtung als zweckwidrig erscheinen. Das Nichtverwendungsgebot schützt nicht das Leben an sich, das nicht aufrecht erhalten werden kann, sondern nur das besondere Integritätsinteresse, das gegenüber einer mißbräuchlichen Verwendung besteht. Eröffnet sich jedoch die Möglichkeit, das künstlich erzeugte Leben, das der Vernichtung preisgegeben ist, zur Unterstützung für die Weiterentwicklung eines anderen Lebens oder darüber hinaus für Forschungsinteressen im Dienste des Lebensund Gesundheitsschutzes einzusetzen, kann eine mißbräuchliche Behandlung nicht angenommen werden. Dann stehen sich der Schutz des Lebens vor einer zweckwidrigen Verwendung und das Schutzgebot zugunsten eines anderen Lebens, dem Hilfe zuteil werden könnte, oder des Lebens im allgemeinen, gegenüber. In diesem Fall erscheint die Vernichtung des künstlich erzeugten Lebens nicht als überzeugende Schutzalternative. Wie weiter oben schon erwähnt, ist der vorherrschenden Ansicht nicht darin zu folgen, daß das beginnende menschliche Leben grundsätzlich für Forschungsaufgaben, die im Allgemeininteresse wahrzunehmen sind, nicht zur Verfügung stehen darf. Der Schutz des individuellen Lebens kann für das beginnende Leben nicht in gleicher Weise wie für die entwickelte Gestalt in Anspruch genommen werden, da sich, wie ausgeführt, das genetische Programm nicht mit der dadurch ermöglichten Ausprägung gleichsetzen läßt. Daher ist ein Konflikt zwischen den Schutzinteressen für das beginnende Leben und Forschungsinteressen, die sich das Leben in den Anfangsstadien nutzbar machen wollen, weder grundsätzlich von der Anerkennung auszuschließen noch allein zugunsten eines einseitig verstandenen Lebens- und Menschenwürdeschutzes zu entscheiden. Vielmehr können die Forschungsinteressen, die dem Lebens- und Gesundheitsschutz und damit zugleich dem Schutz der Menschenwürde dienen, ein so erhebliches Gewicht erlangen, daß

4. Stellungnahme

363

ihre Vernachlässigung sich nicht mit den zugrundeliegenden Schutzpflichten vereinbaren ließe. Der Ausschluß der Forschung am beginnenden Leben ist daher nicht mit der Bedeutung der Schutzgüter vereinbar und daher auch nicht als erforderlich und angemessen zu betrachten. Gleichzeitig verlangt der Schutz für das beginnende Leben aber, daß die Zulässigkeit der Forschung nicht zur unangemessenen Beanspruchung des entstandenen Lebens führt. Daher ist ein Rahmen für die Forschung zu ziehen, der einen Ausgleich der Schutzinteressen finden läßt. Neben der Unantastbarkeit des beginnenden Lebens wird als Grund für die weitgehende Unzulässigkeit der pränatalen Humanforschung vor allem die Mißbrauchsgefahr hervorgehoben. Dieses Argument beherrscht zwar in erster Linie die Diskussion um die Gentherapie, wird aber auch bei der Beurteilung der Genomanalyse, der pränatalen Diagnostik und der künstlichen Befruchtung regelmäßig zu bedenken gegeben 255 • Damit die Mißbrauchsgefahr jedoch als Regelungsgrund für Schutzmaßnahmen anerkannt werden kann, die sich der Wissenschaftsfreiheit entgegenhalten lassen, muß sie sich als konkrete Beeinträchtigung auswirken, die ein Einschreiten erforderlich macht. Zunächst muß geklärt werden, was unter dem Mißbrauch im einzelnen zu verstehen ist. Betrachtet man jeden Eingriff in die natürliche Lebensentstehung als Verletzung des Lebens- und Menschenwürdeschutzes, sind der Mißbrauch und die künstliche Befruchtung gleichzusetzen256 • Wenn dagegen nur jede andere Verwendung des künstlich erzeugten Lebens als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft als unvereinbar mit der Schutzpflicht angesehen wird, besteht gleichwohl die Gefahr, daß die Möglichkeit der künstlichen Lebenserzeugung zu großzügig praktiziert wird und daher zu nicht einpflanzbaren befruchteten Eizellen und zur Konsequenz der schutzwidrigen Behandlung von künstlich erzeugtem Leben führt. Diese könnte als Mißbrauch der Lebenserzeugung betrachtet werden. Um der darin liegenden Gefahr vorzubeugen, könnte die Beschränkung der künstlichen Befruchtung erforderlich erscheinen. Da jedoch die Verwendung des künstlich erzeugten Lebens zu Forschungszwecken im Dienste der Lebens- und Gesundheitsschutzes nicht als grundsätzlich unvereinbar mit dem Schutz für das erzeugte Leben zu betrachten ist, läßt sich nicht jede Lebenserzeugung, die nicht unmittelbar dem Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft dient, als Gefahr der unzulässigen Verwendung und daher als beeinträchtigungsgleiche Mißbrauchsgefahr verstehen.

255 Vgl. Abschlußbericht, 1990; Cook-Deegan, Herausforderungen, 1991; Fleteher, Ethische Diskussion, 1991. 256 Vgl. etwa Hoffmann, Biotechnologie, 1985.

364

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Diesen Standpunkt vertritt jedoch das Embyonenschutzgesetz. Es legt die künstliche Befruchtung auf den Zweck fest, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Jede künstliche Lebenserzeugung, die sich nicht unmittelbar darauf beschränkt, wird daher als mißbräuchlich untersagt. Damit wird zugleich verneint, daß Forschungsinteressen gegenüber dem konkreten Lebensschutz überwiegen könnten. Darauf ist noch zurückzukommen. Zunächst soll auf zwei weitere Fragenbereiche im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung eingegangen werden. Das Gesetz verbietet auch die künstliche Befruchtung mit dem Zweck, die befruchteten Eizellen auf eine andere Frau als die genetische Mutter zu übertragen; ebenso wird die Übertragung von Eizellen und befruchteten Eizellen grundsätzlich untersagt. Selbst wenn man den Standpunkt des Gesetzes im Prinzip teilt, läßt sich fragen, ob der grundsätzliche Ausschluß des Eizellen- und Präembryonen-Transfers mit dem Selbstbestimmungsrecht der beteiligten Personen vereinbar ist. Auch die Frage, ob es der Schutz der Menschenwürde für das entstandene Leben gebietet, nur eine genetisch homologe Mutterschaft zuzulassen, dürfte nicht eindeutig zu bejahen sein. Denkbar wäre, daß zwar die offene Form der gespaltenen Mutterschaft durch Heranziehung von Leihmüttern, die das Austragen übernehmen, als übermäßig konfliktbeladen und daher das Selbstbestimmungsrecht mindernd und den Schutz des entstandenen Lebens herausfordernd betrachtet werden kann, daß aber die prinzipiell verdeckte Form, bei der die austragende Mutter das Kind behalten soll, wie die prinzipiell verdeckte Form der heterologen Vaterschaft, nicht mit demselben Problemdruck belastet ist und daher nicht untersagt werden kann. Der Gesetzgeber wagt sich mit seiner Regelung mindestens weit in den Bereich von schwierigen Rechtsfragen vor. Zugleich könnte auf diesem Gebiet noch ein großer Informationsbedarf bestehen; auch die Wissenschaft hat den Auftrag, die Folgen, die das neue Verfahren, Nachkommenschaft zu erzeugen, mit sich bringen kann, möglichst weitgehend zu ergründen. Das Verbot der geschlechts bezogenen Samenauswahl, das grundsätzlich ausgesprochen wird und nur für den Fall nicht gilt, daß die Weitergabe einer geschlechtsgebundenen Erbkrankheit vermieden werden soll, könnte sich damit begründen lassen, daß die Menschenwürde des zu erzeugenden Lebens nicht damit vereinbar wäre, daß dieses einer willkürlichen Geschlechtsbestimmung unterworfen wird. Der Gedanke, daß in der Auswahl eine Einflußnahme auf die Lebenserzeugung liegt, die als objekthafte Behandlung des erzeugten Lebens fortwirkt, erscheint aber nicht völlig tragfähig und steht in gewissem Widerspruch damit, daß die künstliche Erzeugung des Lebens als solche nicht denselben Bedenken ausgesetzt wird. Verständlich wird die Auffassung, wenn jeder steuernde Einfluß auf das zu erzeugende Leben, der über die Erzeugung hinausgeht, als Beeinträchtigung der durch den Menschenwürdeschutz gesicherten Integrität betrachtet werden sollte. Diese Hal-

4. Stellungnahme

365

tung läßt sich jedoch im Hinblick darauf, daß die Verhinderung vermeidbarer Krankheiten als Gebot des Lebens- und Gesundheitsschutzes und der Menschenwürde betrachtet werden kann, nicht ausnahmslos vertreten. Doch könnte die Auffassung insoweit einleuchten, als jede nicht zur Vermeidung von Krankheiten vorgnommene Einflußnahme mit dem Schutz der Menschenwürde für unvereinbar gehalten werden könnte. Damit würde aber der Unterschied zwischen der negativen oder therapeutischen und der darüber hinausgehenden, weiteren Zwecken dienenden Einwirkung auf das Leben als Differenzierungsgrund für die Zulässigkeit der Einflußnahme anerkannt. Dann wäre aber zugleich ein Grundgedanke des Gesetzes durchbrochen, der darin besteht, daß die Forschung an Präembryonen auch deshalb ausgeschlossen zu sein hat, weil sie auf eine keinesfalls und auch aus therapeutischen Gründen nicht zulässige Veränderung der Erbanlagen hinführen würde. Der Widerspruch läßt sich nur dadurch vermeiden, daß Einwirkungen auf die Befruchtung von Veränderungen des Genoms der befruchteten Eizelle unterschieden werden. Damit läßt sich auch der oben erwähnte Hinweis in der Gesetzesbegründung, daß jede Maßnahme, die einer Züchtung Vorschub leiste, zu untersagen sei, allein auf die Befruchtung beziehen und mit der getroffenen Ausnahme vereinbaren. Die Überlegungen zeigen aber, daß das Verbot der geschlechtsbezogenen Samenauswahl nicht leicht überzeugend legitimiert werden kann. Die Frage erhebt sich, ob nicht auch andere und weniger einschneidende Verfahren der Kontrolle, etwa eine besondere Beratung der Eltern oder der Frau, als ausreichend betrachtet werden könnten.

Im Hinblick auf die Krankheitsbekämpfung erscheint es im übrigen nicht zwingend, daß zwischen der Vorbeugung bei der Befruchtung und dem späteren Heileingriff grundsätzlich unterschieden wird. Diese Frage führt in den Bereich der Gentherapie hinein. Zwar wird die Veränderung der menschlichen Erbinformation außerhalb des Körpers und außerhalb befruchteter Eizellen, also an Keim- und isolierten Keimbahnzellen, nicht untersagt, aber jede Verwendung zur Erzeugung von weiterentwickeltem Leben und jede Veränderung an der Erbinformation befruchteter Eizellen werden verboten. Mit dem schon genannten Verbot, befruchtete Eizellen anders als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft zu verwenden, und dem Verbot der gentechnischen Veränderung wird jede Forschung und gentherapeutische Behandlung an befruchteten Eizellen unter Strafe gestellt. Voraussetzung dafür ist, daß der Lebens- und Menschenwürdeschutz weder die medizinische Forschung noch die Behandlung erlauben. Im zweiten Fall könnte aber ein Widerspruch dadurch entstehen, daß der Lebens- und Menschenwürdeschutz gerade für die medizinische Hilfe sprechen. Doch dagegen wird zum einen angeführt, daß dieser Grundsatz nicht für den strukturverändernden technischen Eingriff in die natürliche Integrität gelten könne; zum anderen wird das Gebot damit gerechtfertigt, daß die Gentherapie noch zu wenig erprobt und daher zu risi-

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

koreich sei. Mit dieser Begründung wird sie im a:llgemeinen auch von denjenigen Stimmen abgelehnt, die den somatisch begrenzten gentherapeutischen Eingriff grundsätzlich für zulässig halten. Wie oben dargelegt, trifft aber weder die erste Voraussetzung, daß der Lebens- und Menschenwürdeschutz das beginnende Leben für jedes Forschungsinteresse unverfügbar macht, noch die zweite, daß jede gentechnische Veränderung mit dem Schutzgebot unvereinbar ist, zu. Auch soweit sowohl in der ersten als auch vor allem in der zweiten Hinsicht nicht allein das unmittelbare Schutzgebot, sondern in erster Linie die Mißbrauchsgefahr, die gegen das Schutzgebot verstoße, als Grund für die Unzulässigkeit der Forschung und Behandlung angeführt wird, sind Bedenken zu erheben. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Mißbrauchsgefahr nicht als sachtechnisches Risiko vorgegeben ist, wie etwa bei der Erschließung der Kernenergie die Gefahr der Radioaktivität, sondern allein in den Händen der beteiligten Personen liegt. Daher erscheint es zweifelhaft, ob es angemessen ist, die Mißbrauchsgefahr wie ein natürliches Risiko vorauszusetzen. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß in den betreffenden Bereichen, in denen nicht die breite Allgemeinheit, sondern ausgebildete Spezialisten tätig werden, ein hohes Maß an Verantwortung für das praktische Vorgehen erwartet werden kann. Dazu trägt auch die fachinterne Kontrolle bei, wie sie etwa durch StandesrichtIinien und den ständigen Informationsaustausch begründet wird. Zum dritten ist zwar rjchtig, daß nicht jedes beliebige Forschungsinteresse gegen den Lebens- und Menschenwürdeschutz durchgesetzt werden darf, sondern nur Forschungsaufgaben, die in besonderem Maße im Allgemeininteresse zugunsten des Lebens- und Gesundheitsschutzes stehen. Dafür, daß diese Interessen eingehalten werden, könnte aber durch entsprechende Rahmen- und Einzelvorschriften gesorgt werden. Dagegen erscheint ein undifferenziertes Verbot unverhältnismäßig. Die Überlegungen treffen auch für die gentherapeutische Behandlung zu. Vor allem gegenüber dem gentechnischen Eingriff wird das Argument angeführt, daß die Mißbrauchsgefahr die Unterscheidung von therapeutischen und darüber hinausreichenden Zielen ungeeignet erscheinen lasse und daher auch eine beschränkte Zulassung gentherapeutischer Maßnahmen nicht erlaube. Dagegen wurde aber zu Recht eingewandt, daß die Möglichkeit, gezielte genetische Veränderungen vorzunehmen, noch in weiter Feme liegt, und daher sowohl mit einem Gefahrenbegriff argumentiert wird, dem es an der rechtlich erforderlichen Konkretisierung mangelt, als auch eine gesetzliche Regelung getroffen wird, die sich auf ein sachlich gar nicht ausfüllbares Regelungsziel richtet257 • Daher fehlt es der gesetzlichen Regelung insofern

257 Vgl. grds. Graf Vitzthum, Gentechnologie, 1985, S. 254 f.; ders, Rechtspolitik, 1987, S. 77; Kaufmann, Humangenetik, 1985, S. 65; v. d. Daele, Mensch nach Maß,

4. Stellungnahme

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an der grundsätzlichen Erforderlichkeit und Geeignetheit. Daneben besteht aber auch der Einwand, daß die Voraussetzungen der Mißbrauchsgefahr auf jeden Fall nur teilweise erfüllt sind. Es überzeugt nicht, daß eine Beschränkung der pränatalen Humanforschung auf verantwortungsvolle Forschungsinteressen nicht erreichbar wäre, und die gefahrvollen Vorstellungen, die sich mit der Gentherapie verbinden 258 , dürfen nicht zum alleinigen Maßstab werden. Daher ist ein undifferenziertes Verbot unverhältnismäßig. Schließlich ist der Grund für das Verbot der Gentherapie, der darin gesehen wird, daß die Anwendung wegen der noch nicht überblickbaren Auswirkungen derzeit noch zu große Risiken berge, unzureichend. Zum einen gelten die gleichen Einwände, wie sie oben angeführt wurden, auch bei der Anwendung gentechnischer Behandlungsmethoden. So ist nicht generell davon auszugehen, daß mit unzureichenden Techniken und nicht genügend geklärten Risiken praktiziert wird; ferner läßt sich auch auf diesem Gebiet die fachinterne Selbstkontrolle nutzbar machen. Zum anderen wendet sich das Verbot auch gegen die eintretende Möglichkeit der ausreichend vorsichtigen Behandlung und legt die Entwicklung einfach fest 259 • Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre ein differenzierte Regelung 260, die etwa die Zulässigkeit von einem fachlich anerkannten Wissensstand abhängig macht, vorzuziehen, und erheben sich einem Verbot gegenüber Bedenken261 • Im Ergebnis

1985, S. 193-198. V gl. ferner zu den Argumenten, daß die Gefahren einer Abwehr im Vorfeld bedürften, CatenhusenlNeumeister, Chancen und Risiken, 1987, S. 189 f.; daß Unkontrollierbares vermieden und potentiell Gefährliches unterbunden werden muß, Lerche, '~;rfassungsrechtliche Aspekte, 1986, S. 95; Jänisch, Chancen und Gefahren, 1985, S. 39; daß der Eskalationsgefahr vorzubeugen ist, Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 35 f.; daß die Gefahr von nicht unterbindbaren Auswüchsen bestehe, Günther, Strafrechtlicher Schutz, 1987, S. 143 f. - Vgl. grds. auch Köbl, Gentechnologie, 1985, S. 182. 258 V gl. stellvertretend Wagner, Menschenzüchtung, 1969; Strickrodt, Rechtliche Probleme, ebd.; Hempel, Gentechnologie, 1989; Schlüter, Botschaft, 1989; vgl. Hohlfeld, Zweite Schöpfung, 1989, S. 246. 259 Kein Problem gegenüber der Forschungsfreiheit sehen darin etwa Laufs, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 775; ders., Arzt, 1989, S. 154; Starck, Künstliche Befruchtung, 1986, S. 35; ders., Verfassungsrechtliche Grenzen, 1988, S. 28; Schreiber, Erprobung, 1987, S. 62; Giesen, Biotechnologie, 1989, S. 65 f. 260 Dafür grds. Eser, Rechtliche Aspekte, 1984; ders., Genetik, 1985; ders., Biotechnologie, 1986; ders., Verfassungsrechtliche Schutzanspekte, 1987; ders., Humangenetik, 1987; Graf Vitzthum, Gentechnologie, 1985, S. 255-257; ders., Gentechnologie, 1987; ders., Rechtspolitik, 1987; ders., Verfassungsrecht vor der Herausforderung, 1987; ders., Gentechnik, 1990, S. 190-197. 261 Vgl. grds. Lukes, Biotechnologie, 1986, S. 36; Fechner, Menschenwürde, 1986, S.660.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

erscheinen daher die strengen Verbote teilweise nicht begründet und vor allem nicht ausreichend differenziert. Dieser Einwand könnte sich auch gegenüber den weiteren, speziellen Verboten des Embryonenschutzgesetzes erheben. Gegenüber dem Verbot des Klonens ist nicht nur unter der Voraussetzung, daß die Forschung am beginnenden Leben nicht grundsätzlich als unzulässig zu betrachten ist, sondern auch unter der Voraussetzung, daß die künstliche Befruchtung nur zur Herbeiführung einer Schwangerschaft für zulässig zu halten ist, die Überlegung angebracht, ob die Abspaltung von Mehrlingen nicht eine wichtige Hilfe für die pränatale Diagnostik darstellen könnte, die auch dazu beitragen könnte, einen späteren, medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch zu vermeiden. Ähnlich könnte, wie in diesem Zusammenhang anzufügen ist, die pränatale Genomanalyse und Diagnostik am Anfang der Schwangerschaft dazu beitragen, daß sich durch die Früherkennung bestimmter Krankheiten, die Hinausschiebung und Erschwerung von medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen einschränken ließe. Ferner dürfte ein Ziel der gentherapeutischen Forschung auch darin bestehen, durch die Entwicklung besonderer Heilverfahren die Notwendigkeit von medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen grundsätzlich zu vermindern. Soweit das Klonen bei befruchteten Eizellen für die medizinische Forschung und Behandlung erforderlich sein kann und soweit es sich ohne Gefahr für die befruchtete Eizelle vornehmen läßt, dürfte das Verbot zu weit gehen. Ähnlich sollte ein wichtiger Forschungs- und Behandlungsbedarf, der zugleich als Mißbrauchsgrenze zu dienen hätte, auch das Klonen in anderen Formen zulässig erscheinen lassen. So ist das Klonen nicht als solches mit einem mißbräuchlichen Vorgehen gleichzusetzen. Vielmehr wäre für die Zulässigkeit zu forschungs- und therapeutischen Zwecken ein Rahmen abzustecken und zugleich eine spezielle Mißbrauchsabwehr zu entwickeln. Ähnlich ist zum Bereich der Chimären- und Hybridbildung Stellung zu nehmen. Es sollte nicht aus den Augen verloren werden, daß bei pränatalen gentechnologischen Forschungen nicht an die Fortentwicklung kombinierter Erbprogramme gedacht wird und nicht ein unwürdiges Spiel mit genetischen Informationen beabsichtigt ist, sondern die Möglichkeit genutzt werden soll, Forschungsprobleme zu lösen, bei denen nur ein bestimmtes Vorgehen Erfolg verspricht. Soweit erhebliche Forschungs- und therapeutische Interessen geltend gemacht werden können und dafür ein Rahmen gezogen werden kann, und soweit mißbräuchliche Übergriffe näher abgegrenzt werden können, greifen absolute Verbote zu weit in das Schutzinteresse für die Wissenschaftsfreiheit ein. Daher sind auch die speziellen Verbote des Embryonenschutzgesetzes nur unter der Voraussetzung zu begründen, daß das künstlich erzeugte, pränatale menschliche Leben außerhalb des Körpers und die

4. Stellungnahme

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menschliche Erbinformation aus 'Gründen des Lebens- und Menschenwürdeschutzes als Tabu für jedes Forschungsinteresse zu betrachten sind. 4.2.2 Widersprüchlichkeit

Bei der Betrachtung des Embryonenschutzgesetzes konnte nicht verborgen bleiben, daß gewisse Widersprüche in der Regelung in Kauf genommen wurden. Darauf ist weiter oben bei der Darstellung des Embryonenschutzgesetzes im einzelnen näher hingewiesen worden. An dieser Stelle folgt eine zusammenfassende Wiederholung. Das Gesetz tritt schon unter einer inneren Widersprüchlichkeit an, da es sich einerseits der Technik der künstlichen Befruchtung außerhalb des Körpers nicht verschließen kann, andererseits aber den damit vollzogenen Schritt zur Loslösung der Lebenserzeugung aus dem natürlichen Entwicklungsgang im Grunde nicht anerkennen will. Daher wird die Befruchtung zwar eng an die Herbeiführung einer Schwangerschaft gebunden und jede andere Behandlung des erzeugten Lebens untersagt. Eine gewisse Widersprüchlichkeit mit diesem Grundgedanken liegt aber schon darin, daß die Einpflanzungen nur eine begrenzte Erfolgsrate aufweisen und daher von vornherein Befruchtungsvorgänge als zulässig betrachtet werden, die nicht zum Ziel der natürlichen Weiterentwicklung führen. Ähnlich ist prinzipiell widersprüchlich, daß Mehrfachbefruchtungen nur zum Zweck der gleichzeitigen Einpflanzung erlaubt sind, obwohl dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht alle eingepflanzten Präembryonen zur Weiterentwicklung gelangen. Immerhin wird damit dem zweiten Grundgedanken des Gesetzes entsprochen, daß möglichst keine befruchteten Eizellen erzeugt werden sollen, die keine natürliche Weiterentwicklung finden können. Ein Widerspruch mit den beiden grundSätzlichen Zielen des Gesetzes ergibt sich aber daraus, daß mit der Zulassung der künstlichen Befruchtung außerhalb des Körpers zugleich in Kauf genommen wird, daß Umstände eintreten könnten, in denen befruchtete Eizellen ihrer gesetzlichen Bestimmung nicht zugeführt werden können. Dieser Fall wird stillschweigend übergangen. Weitere Widersprüche kommen darin zum Ausdruck, daß zwar die erfolgreiche Einpflanzung angestrebt wird und die therapeutische Behandlung der befruchteten Eizellen zu diesem Zweck erlaubt ist, aber die Diagnoseund Therapiehilfen, die in der Paralleluntersuchung abgespaltener Zellen mit dem gleichen Erbprogramm oder grundsätzlich in der Forschung an Präembryonen liegen, verboten werden. Widersprüchlich daran erscheint auch, daß wegen ungenutzter Untersuchungs methoden womöglich Schwangerschaften herbeizuführen sind, die später abgebrochen werden müssen. Das völlige Verbot der Forschung am beginnenden Leben führt zurück zu der grundätzlichen Widersprüchlichkeit, daß zwar die Lebenserzeugung verselbständigt

24 Losch

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wird, die damit gewonnenen Möglichkeiten der Lebenshilfe, die durch die medizinische Forschung wahrgenommen werden könnten, aber zugleich verurteilt werden und jeder Versuch, sie nutzbar zu machen, als strafwürdiges Unrecht verboten wird. Diese Widersprüche verschärfen sich in Hinblick darauf, daß zwar die Entstehung von befruchteten Eizellen, die wegen veränderter Umstände nicht eingepflanzt werden können, nicht völlig vermieden werden kann, aber auch in diesem Fall das erzeugte Leben von jeder anderen nützlichen Verwendung, wie der lebens- und gesundheitsdienlichen Forschung, ausgeschlossen wird. Weitere Widersprüche ergeben sich mit anderen Regelungsbereichen. So wurde in verschiedenen Stellungnahmen schon auf die unterschiedliche Einschätzung des Lebensschutzes gegenüber der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs hingewiesen. Zwar ist im letzteren Fall das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Frau zu berücksichtigen, aber es leuchtet dennoch nicht ein, daß der Schutz des Lebens, das schon in die natürliche Weiterentwicklung eingetreten ist, prinzipiell geringer eingeschätzt wird als der Schutz des künstlichen, außerhalb des Körpers zu erzeugenden oder erzeugten Lebens, das nur zur Herbeiführung einer Schwangerschaft dienen oder überhaupt unantastbar sein soll. Widersprüchlich erscheint etwa auch, daß die Forschung an künstlich erzeugten befruchteten Eizellen völlig verboten und unter Strafe gestellt wird, obwohl sich dadurch, neben den medizinischen Fortschritten im allgemeinen, auch Therapiemöglichkeiten entwickeln lassen könnten, die den medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch vermeidbar machen. Der ablehnende Standpunkt dürfte sich aber auch grundsätzlich nicht halten lassen.

5. Differenzierungserfordernis 5.1 Übersicht Im Anschluß an die zusammenfassende Stellungnahme sollen die Folgerungen, die sich für die Verbotstatbestände des Embryonenschutzgesetzes ergeben, erörtert werden. Vorangestellt wird zunächst eine zusammenfassende Übersicht. Darauf folgt die Einzelerörterung. Wie oben betont, erscheint das absolute Forschungsverbot, das zum Schutz des künstlich erzeugten Lebens erlassen wurde, als zu einseitig. Daher sind die Schutzinteressen näher zu würdigen und in einer differenzierten Regelung möglichst weitgehend zu berücksichtigen. Die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Gesetzgeber tätig zu werden hat, richtet sich nach der Rechtslage im einzelnen. Auszugehen ist von folgenden Grundsätzen. Die künstliche Befruchtung außerhalb des Körpers, die zur Erzeugung von menschlichem Leben führt, verstößt

5. Differenzierungserfordemis

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nicht prinzipiell gegen den Schutz des Lebens und der Menschenwürde, weil das Leben durch die künstliche Erzeugung nicht an sich geschädigt oder herabgewürdigt wird. Dieser Fall wäre jedoch anzunehmen, wenn die Erzeugung dem Zweck dienen sollte, mit dem erzeugten Leben in schutzwidriger Weise zu verfahren. Daher kommt es darauf an, welche Anforderungen bei der künstlichen Befruchtung mit dem Lebens-, Gesundheits- und Menschenwürdeschutz im einzelnen verbunden sind. Prinzipiell bedeutet der Lebensschutz, daß das Leben aufrechtzuerhalten und nicht willkürlich zu zerstören ist. Diesem Gebot läßt sich bei der künstlichen Befruchtung außerhalb des Körpers nur eingeschränkt nachkommen. Zum einen wird es durch den Versuch erfüllt, eine natürliche Weiterentwicklung zu erreichen. Zum anderen kann das erzeugte Leben aber auch künstlich aufrechterhalten werden; daß der Lebensschutz dadurch verfehlt wird, läßt sich nur feststellen, wenn diese Behandlung sinnwidrig erscheint, und keinem anderen Zweck dient, als die Tötung herbeizuführen oder eine unvermeidbare Tötung zu verzögern. Daß jede andere Behandlung als der Versuch, das erzeugte Leben natürlich weiterzuentwickeln, gegen den Sinn der künstlichen Erzeugung und des dadurch hervorgebrachten Lebens verstößt, läßt sich nicht ohne weiteres begründen. Sofern das Leben künstlich aufrechterhalten wird, um in den Dienst des Lebensschutzes zugunsten der Allgemeinheit gestellt zu werden, indem es zu lebensnotwendigen, lebenserhaltenden und lebensfördernden Forschungen und medizinischen Behandlungen herangezogen wird, braucht der Lebensschutz nicht verletzt zu sein. Das gleiche gilt sinngemäß für den Gesundheitsschutz, der eine Verletzung der individuellen Integrität der Lebenserscheinung verhindern will, und den Schutz der Menschenwürde, der sich gegen eine herabwürdigende Behandlung richtet. Die künstliche Erzeugung könnte sich nur entsprechend auf das erzeugte Leben auswirken, wenn es dadurch zur beliebigen Sache würde. Diese Wirkung wird vermieden, wenn eine natürliche Weiterentwicklung versucht oder wenn das erzeugte Leben einer anderen Sinnerfüllung zugeführt wird, die ihm die Achtung vor seiner grundlegenden Bedeutung in seiner besonderen Erscheinungsweise nicht versagt. Das ist anzunehmen, wenn das erzeugte Leben zu medizinischen Forschungen von existentieller Bedeutung herangezogen wird. Die Überzeugungskraft dieses Gedankens wird deutlich, wenn auf diese Weise auch künstlich erzeugtes Leben, das zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden soll, aber wegen besonderer Umstände dieser Zweckbestimmung nicht zugeführt werden kann, nicht einfach dem Absterben preisgegeben werden muß, sondern zu lebenswichtigen Forschungen oder therapeutischen Behandlungen dienen kann. Entscheidend ist jeweils, wo die Grenze zwischen der schutzwidrigen Verwendung und der Beachtung schutz24'

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

würdiger Belange zu ziehen ist. Die Frage richtet sich danach, welche Forschungs- und Therapiezwecke im Allgemeininteresse und zugunsten einer konkreten therapeutischen Aufgabe als so bedeutend anzuerkennen sind, daß sie den Einsatz von künstlich erzeugtem Leben in Anspruch nehmen können oder verlangen. Aus dem Verantwortungsaspekt heraus ist zur Aufklärung über die Voraussetzungen, die Risiken und die Folgen der Forschung beizutragen und nach Verfahren zu suchen, die eine vorsichtige Weiterentwicklung erlauben. Nach diesen Grundsätzen darf die künstliche Befruchtung außerhalb des Körpers nicht ausschließlich an den Versuch zur Herbeiführung einer Schwangerschaft gebunden werden. Soweit eine schutzwürdige Verwendung des künstlich erzeugten Lebens vorgesehen ist, darf die Befruchtung nicht verboten werden. Daher darf auch die Mehrfachbefruchtung über die Zahl der jeweils einzupflanzenden Lebenskeime hinaus nicht untersagt werden, sofern eine zulässige Verwendung der möglicherweise überzähligen befruchteten Eizellen gesichert ist. Das Schutzgebot zugunsten des zu erzeugenden und erzeugten Lebens verlangt jedoch Vorkehrungen, um eine schutzgemäße Praxis zu sichern. Dazu gehören auch Verfahren, die die Einwilligung der Beteiligten zur Voraussetzung machen und etwa bestimmte zeitliche Grenzen für die künstliche Aufrechterhaltung des Lebens vorsehen, die je nach den anzuerkennenden Forschungsinteressen für den Schutz des erzeugten Lebens erforderlich sind. Zunächst sollen aber noch weitere Fragen erörtert werden, die mit der Technik der künstlichen Befruchtung zusammenhängen. So erscheint es zum Beispiel fraglich, ob anders als bei der freien Heranziehung der männlichen, die Übertragbarkeit der weiblichen Keimzellen oder der Transfer befruchteter Eizellen völlig untersagt werden darf. Für den Fall, daß die Übertragung einen endgültigen Übergang in eine andere Mutterschaft bezweckt, dürfte es schwer sein, den Lebens-, Gesundheits- und Menschenwürdeschutz für das zu erzeugende Leben soweit herausgefordert zu sehen, daß er das Selbstbestimmungsrecht der beteiligten Personen einschränkt. Auch sonst dürfte kein Grund zu finden sein, der es rechtfertigt, dem Selbstbestimmungsrecht die Anerkennung zu versagen. Eher könnten die Schutzbelange des zu erzeugenden Lebens dagegen sprechen, daß eine stellvertretende Mutterschaft in Form der Schwangerschaft übernommen werden soll. Die damit verbundenen Fragen sind jedoch ohne praktische Erfahrung kaum sachgerecht zu beantworten. Ein vorsorgliches Verbot der Leihmutterschaft erscheint aber nicht ausreichend begründet; andererseits trifft die völlig freie Zulassung auf gewisse Bedenken. Daher wäre im oben genannten Fall eine eingeschränkte Zulassung zu erwägen, die etwa besondere Beratungsverfahren voraussetzt.

5. Differenzierungserfordemis

373

Um zu gewährleisten, daß die Verwendung von künstlich erzeugtem Leben nicht schutz widrig ausgedehnt wird, ist die Zulassung der Forschung und des therapeutischen Vorgehens zu umgrenzen. Dazu gehört, daß die zulässigen Verwendungszwecke und Verfahrensweisen näher festgelegt werden. Ein gesetzlicher Katalog der Forschungs- und therapeutischen Zwecke wäre jedoch unzulänglich, da sich die Angemessenheit bestimmter Zwecke und Methoden nicht im einzelnen und nicht vorwegnehmend festlegen läßt. Andererseits wäre dem Schutz des beginnenden Lebens nicht genügt, wenn nur ein allgemeiner Rahmen gezogen würde. Daher muß nach der Möglichkeit gesucht werden, durch die Verbindung einer gesetzlichen Grundlage mit einer fachinternen Anleitung ein möglichst sicheres Verfahren zu finden. Neben Anzeige- und Beratungspflichten kommen Genehmigungsvorbehalte und die Pflicht zum Nachweis besonderer Qualifikationen in Betracht. Da die Zulässigkeit der Forschung im einzelnen durch die fachinterne Kontrolle geprüft werden kann, ist für eine Überwachung gesorgt, die erübrigen könnte, daß strafbewehrte Verbote auszusprechen sind. Um den Schutz des Lebens wirksam zu sichern, könnten jedoch Verbote dagegen zu erlassen sein, daß künstliche Befruchtungen ohne entsprechende Zweckbindung und eigenmächtige Forschungen vorgenommen werden. Die angestellten Überlegungen ergeben sich aus der Konsequenz, daß der Konflikt der beteiligten Schutzrechte und Schutzpflichten nicht dadurch zu lösen ist, daß ein Schutzgedanke allein in den Mittelpunkt gesteHt wird. Vielmehr ist eine Interessenabwägung erforderlich, die das Ziel verfolgt, die Schutzanliegen jeweils soweit zu berücksichtigen, daß eine angemessene Interessenwahrnehmung zu erreichen ist. Vor aHem ist zu beachten, daß eine medizinisch indizierte, fachmännisch vorgenommene und in Übereinstimmung mit einer fachinternen KontroHe durchgeführte Forschung nicht mit dem beliebigen, ungeprüften und unnötigen Verbrauch befruchteter EizeHen gleichzusteHen ist. Das Beispiel der pränatalen Humanforschung zeigt deutlich, daß die Schranken der Wissenschaftsfreiheit nicht einfach durch andere staatliche Schutzpflichten bestimmt werden, sondern daß diese sich mit der Schutzpflicht zugunsten der Wissenschaftsfreiheit auseinanderzusetzen haben, und daß die aHgemeine Gegenüberstellung der Schutzinteressen nicht genügt, sondern daß die besonderen Umstände, die jeweils für die Wahrnehmungsinteressen in Frage kommen und die für den SonderfaH eine differenzierte Betrachtung erlauben, soweit wie möglich zu berücksichtigen sind. Die Abwägung der Interessen ist dadurch zu ergänzen, daß neben dem Schutz der Forschung vor Einschränkungen, die nicht erforderlich sind, zugleich dafür gesorgt wird, daß der Konfliktbereich durch begleitende und erweiternde Forschungsaufgaben in seinem besonderen Interessenwiderstreit näher erschlossen werden kann. Die Interessen, Gefahren und möglichen Folgen der spezieHen Forschung soHten umfassend untersucht werden, um

374

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

den Überblick über das Problemfeld zu erweitern und sowohl die besonderen Forschungsanliegen als auch die entgegenstehenden Schutzaufgaben angemessen beurteilen zu lernen. Dazu gehört, daß die Spezialforschung selbst dazu beiträgt, die kritischen Fragen, die mit entgegenstehenden Schutzinteressen verbunden sind, zu erkennen und gleichzeitig Verfahren zu finden, mit denen die Forschung in die Berücksichtigung der Schutzinteressen eingebunden werden kann, ohne an der Entwicklung gehindert zu werden. Diese selbstverständlichen Aufgaben sind durch besondere Formen der fachlichen und interdisziplinären Zusammenarbeit zu unterstützen.

5.2 Folgerungen für die Verbotstatbestände Weil das künstlich außerhalb des Körpers erzeugte Leben von Verfassungs wegen nicht absolut unantastbar ist, kann sein Schutz im Einklang mit dem Schrankenvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG eingeschränkt werden, soweit es erforderlich und angemessen und mit dem Menschenwürdeschutz vereinbar erscheint. Das Embryonenschutzgesetz anerkennt als Beschränkungsgrund allein den Zweck, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Die künstliche Lebenserzeugung und den Verbrauch von künstlich erzeugtem Leben, die zur Erfüllung dieses Zweckes vorgenommen werden, bewertet es grundsätzlich als legitim. Dagegen verwirft es andere Eingriffszwecke grundsätzlich als verbotenen Mißbrauch. Dieser Standpunkt ist, wie ausführlich dargelegt wurde, widersprüchlich, was vor allem bei der verlangten Unantastbarkeit befruchteter Eizellen, für die keine Einpflanzungsmöglichkeit besteht, deutlich wird. Ein widerspruchsfreies Bekenntnis zur künstlichen Befruchtung und dem Versuch, eine Schwangerschaft mit künstlich erzeugtem Leben herbeizuführen, setzt dagegen voraus, daß der Lebensschutz für das künstlich erzeugte, beginnende Leben nicht im einen Fall als verfügbar und im anderen als unantastbar, sondern im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung als ein der besonderen Erscheinungsform des Schutzgutes angemessen gerecht werdendes Gebot verstanden wird. Dann läßt sich der Einsatz für die Chance, die natürliche Weiterentwicklung für wenigstens einen von mehreren Lebenskeimen zu erreichen, ungewaltsam rechtfertigen. Zugleich wird vermieden, daß selbst für todgeweihte Embryonen unter dem Zeichen des Lebensschutzes eine lebensfördernde Verwendung verboten sein soll. Vielmehr erscheint der Schutz für das Leben in seinen Frühstadien mit lebensfördernden Schutzzielen abwägbar, so neben dem Versuch, eine natürliche Weiterentwicklung herbeizuführen, folgerichtig auch mit dem Versuch, andere lebenswichtige medizinische Interessen wahrzunehmen.

5. Differenzierungserfordemis

375

Orientiert an der Zulassung des Versuchs, eine Schwangerschaft herbeizuführen, erscheinen medizinische Forschungsinteressen, die die Erfolgsaussichten dieses Versuches steigern können, nicht von der Rechtfertigung einer Einschränkung des Lebensschutzes ausgeschlossen. Aber auch andere lebensund gesundheitswichtige Forschungen am beginnenden Leben können nicht als grundsätzlich mit dem Lebens- und Menschenwürdeschutz unvereinbar betrachtet werden. Daher ist der zentrale Verbotstatbestand des § 2 ESchG, der jede andere Verwendung von künstlich erzeugtem Leben und vor der Nidation entnommenen Embryonen als zum Versuch, eine Schwangerschaft herbeizuführen, als mißbräuchlich mit Strafe bedroht, mit einem verfassungsgemäßen Verständnis des Lebens- und Menschenwürdeschutzgebotes nicht zu vereinbaren. Die pauschale Abwertung jeder anderen Verwendung ist unhaltbar. Die Mißbrauchsgrenze kann nur auf Grund einer differenzierten Abwägung gezogen werden. Was nach dem Stand der medizinischen Forschung als lebenswichtiges Erkenntnisinteresse zu betrachten ist, das nicht auf andere Weise ausreichend wahrgenommen werden kann, muß von dem Mißbrauchsverbot ausgenommen werden. Daher hat an die Stelle des pauschalen Verbotstatbestandes des § 2 Abs. 1 ESchG eine differenzierte Regelung zu treten, die einen medizinischwissenschaftlichen Vorbehalt anordnet. Soweit es außerdem erforderlich erscheint, einer Kommerzialisierung im Bereich der Lebensforschung vorzubeugen, um Ausweitungstendenzen zu verhindern, dürfte das Veräußerungsverbot auch weiterhin angemessen sein. Jedoch wäre zu überprüfen, ob eine Strafsanktion angebracht ist oder ob die Untersagung als Ordnungswidrigkeit dem Schutzzweck genügen würde. Der Vorbehalt müßte den Bereich der für zulässig erachteten von dem der nicht rechtfertigbaren Eingriffe abgrenzen. Da sich dafür wegen der ständigen medizinisch-wissenschaftlichen Weiterentwicklung keine tatbestandliche Enumeration vornehmen läßt, muß ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, der die grundsätzlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit festsetzt. Zu den Voraussetzungen gehört, daß ein gewichtiges medizinisches Forschungsinteresse nachzuweisen ist, das nicht auf andere Weise in ausreichend erscheinendem Maße wahrgenommen werden kann. Außerdem muß eine zeitliche Grenze für die künstliche Weiterentwicklung des Lebens gezogen werden, von der an der Lebensschutz sich als Gestaltschutz im herkömmlichen Sinne durchsetzt. Diese Grenze ist nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis auszurichten und als Regelgrenze vorzusehen; eine Überschreitung darf nur ausnahmsweise in einem verhältnismäßig erscheinenden Umfang zugelassen werden.

376

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Geeignet für die Entscheidung über den Erlaubnisvorbehalt erscheinen, entsprechend dem Vorschlag des Diskussionsentwurfs 262 , zentrale Landesbehörden, bei denen Gutachtergremien zur fachlichen Beurteilung zu bilden wären. Nicht berechtigt wäre in diesem Zusammenhang der im Anschluß an die Facharztentscheidung des Bundesverfassungsgerichts erhobene, gegen eine fachinterne Regelungsbefugnis gerichtete Einwand, daß standesrechtliche Anordnungen keine Allgemeinverbindlichkeit beanspruchen können 263 sowie der weitere Einwand, daß die Wesentlichkeit, mit der grundrechtliche Schutzbereiche betroffen sind, die Delegation von Regelungsbefugnissen nicht erlaube264 , da die Genehmigungsbehörden nicht standesrechtlich tätig und keine Eingriffsrechte wahrnehmen würden. Die teilweise gegen die Einführung eines amtlichen Zustimmungserfordernisses angeführten Bedenken, das damit verbundene Verfahren tendiere zu Umständlichkeit und Bürokratisierung 265 , sprechen nicht gegen einen Erlaubnisvorbehalt, lassen aber ratsam erscheinen, eine zügige Verfahrensweise vorzusehen. Die weiteren Bedenken, daß sich in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Maßstäbe durchsetzen könnten 266 , erscheinen angesichts des gesetzlich vorauszusehenden Rahmens und der Verpflichtung der Beurteilung auf den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Praxis nicht unüberwindlich. Der einzuführende Erlaubnisvorbehalt wäre dadurch abzusichern, daß eigenmächtiges Vorgehen im erlaubnispflichtigen Bereich als Ordnungswidrigkeit und der nicht rechtfertigbare Verbrauch von Embryonen als Straftat verfolgt wird. Mit der Änderung des zentralen Verbotstatbestandes müßten auch die Bestimmungen, die zum Zweck des Lebens- und Menschenwürdeschutzes die Zulässigkeit der künstlichen Befruchtung einschränken, an die Rechtslage angepaßt werden. So müßte die künstliche Befruchtung außer für den Fall, daß die Herbeiführung einer Schwangerschaft beabsichtigt ist, auch für erlaubte Forschungszwecke zugelassen werden.

262

Vgl. oben 4.1.1.

BVerfGE 23, 125; vgl. Jung, Biomedizin und Strafrecht, 1988, S. 20-22, 33; Günther, Strafrechtliche Verbote, 1990"S.277 f., 291; ders., in: Keller/Günther/ Kaiser, ESchG, 1992, S. 86 Rn. 20; vgl. Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 226 f.; Merz, Medizinische, ethische und juristische Problematik, 1990, S. 210-212. 264 Grds. Pieroth/Schlink, Grundrechte, 1991, § 6 IV 2. 265 Vgl. Ffetcher, Ethische Diskussion, 1991 (im Hinblick auf Kontrollregelungen in den USA). 266 Vgl. Günther, Diskussionsentwurf, 1987, S. 452. 263

5. Differenzierungserfordemis

377

Da die verbrauchende Forschung nicht grundsätzlich als verfassungswidrig betrachtet werden kann, sondern umgekehrt das völlige Verbot den Prinzipien der Verfassung widerspricht, läßt sich auch die Erzeugung von Embryonen mit identischen Erbprogrammen nicht grundsätzlich verbieten. Mindestens soweit ein zulässiges Forschungsvorhaben durchgeführt werden soll, das den Tod des Embryos zur Folge hat, entfällt das Argument, daß die Herstellung eines Doppelgängers die Würde des vorhandenen Lebenskeimes verletze. Das Argument ist ohnehin äußerst fragwürdig, da es vom voll entwickelten Menschen auf das Zustandebringen des Erbprogrammes schließt, dem als solchem das Grundrecht der Menschenwürde nicht in derselben Weise Schutz gewährleisten kann. Außerdem ist, wie oben schon erläutert, nicht überzeugend, daß jede künstliche Mehrlingsbildung die Menschenwürde des als entwickelt gedachten Menschen beeinträchtigen würde, da die natürliche Mehrlingsbildung in dieser Hinsicht kein Problem darstellt. Daraus folgt, daß die verbrauchende Paralleldiagnostik an abgespaltenen Embryonen nicht wegen Bedenken gegen die Klonung als solche verboten werden darf. Allenfalls könnte das Verbot wegen der erwähnten Gefahren der Abspaltung gerechtfertigt sein. Das wäre aber nur anzunehmen, wenn in der medizinischen Praxis unzulängliche Abspaltungen zum Zweck eines bloßen Diagnoseversuchs in Kauf genommen werden sollten; wenn jedoch erforscht werden soll, wie sich Abspaltungen problemlos durchführen lassen, um die Paralleldiagnostik zu einem hilfreichen medizinischen Verfahren zu entwikkeIn, läßt sich ein Verbot nicht rechtfertigen. Darüber hinaus ist, wie schon ausgeführt, nicht gesichert, daß die künstliche Klonung bei Embryonen, die sich im Rahmen der auf natürliche Weise zustandekommenden Mehrlingsbildung hält, nur wegen der Künstlichkeit der Veranlassung einen Verstoß gegen die Menschenwürdeschutzpflicht darstellt. Es kommt auch in diesem Bereich auf den Rahmen an, der dem Vorgehen zu ziehen ist. Das völlige Verbot ist als unverhältnismäßige und daher verfassungswidrige Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit zu betrachten. Auch das Verbot der nachträglichen Klonung mit Hilfe von Zellen eines voll entwickelten Körpers wäre nur soweit mit der Verfassung vereinbar, als die Mehrlingsbildung nicht lebenswichtigen Forschungen, sondern einer in diesem Fall unverhältnismäßig widernatürlichen Vermehrung dienen soll. Die gleichen Bedenken, die gegen das grundSätzliche Verbot der Embryonenforschung sprechen, bestehen auch dagegen, daß die Hybrid- und Chimärenbildung von vornherein mit dem Stigma der Menschenunwürdigkeit belastet werden und prinzipiell jeder Versuch, eine körperliche Verbindung herzustellen, als Straftat gelten soll. Die Einschränkungen des Gesetzes, die

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

unter Hinblick auf die Differenzierbarkeit bei der Verbindung menschlicher Embryonen mit anderen Zellen oder bei der befruchtungs technischen Mensch-Tier-Kreuzung sowie für den Fall der Verbindung menschlicher Erbinformationen mit tierischen Körpern gemacht werden, zeigen, daß der auf die Fahne des Gesetzgebers geschriebene Grundgedanke, daß jedes Antasten der natürlichen embryonalen Integrität als Untat zu verurteilen ist, nicht im Sinne des Anspruchs durchgehalten werden kann, da praktische Anforderungen der Befruchtungs- und genetischen Medizin nicht außer Acht gelassen werden können. Der Ausweg bei den zugelassenen Alternativen, statt allein auf das Unternehmen des verbotenen Vorgehens zugleich auch auf die Differenzierungsfähigkeit der Verbindung abzustellen, durchbricht den grundsätzlichen Integritätsschutz und erhebt die Lebensfähigkeit zum ausschlaggebenden Kriterium. Damit wird aber zugleich der Weg betreten, auf dem eine vernünftige Beurteilung der rechtlichen Schutzinteressen allein möglich wird. Da sich das menschliche Erbprogramm mit dem voll entwickelten Menschen nicht unmittelbar gleichsetzen läßt, verbietet sich auch der unmittelbare Schluß von der Menschenwürdigkeit vorgestellter gestaltgewordener hybrider oder tier-menschlicher Lebewesen auf Verbindungen der Erbprogramme in frühesten Lebensstadien. Vielmehr sind für diese Fälle die gleichen Grundsätze wie für die Zulässigkeit der verbrauchenden Embryonenforschung maßgebend. Soweit wissenschaftliche Forschungen in diesen Bereichen zu lebenswichtigen Zwecken erforderlich und im Hinblick auf die zu beachtenden Schutzinteressen angemessen sind, darf ihnen das Veto der Verfassungswidrigkeit nicht entgegengehalten werden. Nur soweit die entgegenstehenden Schutzinteressen überwiegen, muß das Forschungsinteresse zurücktreten. Daher ist der Maßstab der Differenzierungsfähigkeit auf den Maßstab der Weiterentwicklungsfähigkeit und -absicht jenseits einer bestimmten zeitlichen Grenze zu erweitern. Innerhalb einer äußersten zeitlichen Entwicklungsgrenze sind die grundSätzlichen Verbote aufzuheben und Erlaubsnisse zugunsten begründeter Forschungsinteressen vorzusehen. Ähnliche Grundsätze haben auch für die Beurteilung der Frage zu gelten, ob und wieweit die Übertragung menschlicher und hybrider Embryonen auf ein Tier zu verbieten ist. Während die Übertragung hybrider Embryonen oder, was im Embryonenschutzgesetz nicht untersagt wurde, tierischer Embryonen auf eine Frau als unvereinbar mit der staatlichen Menschenwürdeschutzpflicht zu gelten hat, kann die Übertragung auf ein Tier, soweit die zeitliche Grenze für die Zulässigkeit, eine Gestaltwerdung herbeizuführen, nicht überschritten wird, nicht ohne Rücksicht auf unentbehrlich erscheinende Forschungsinteressen untersagt werden.

5. Differenzierungserfordernis

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Das Verbot, die menschliche Erbinformation künstlich zu verändern, ist von dem Ziel bestimmt, die Weitervererbung von Veränderungen zu verhindern. Daher sind Ausnahmen von dem Verbot vorgesehen, wenn die Verwendung veränderter, außerhalb des Körpers befindlicher Keimzellen zur Befruchtung sowie die Übertragung einer isoliert veränderten Keimbahnzelle oder ihre Weiterentwicklung zu einer Keimzelle ausgeschlossen ist. Die künstliche Veränderung der Erbinformation als solche und damit auch die gentechnische Forschung wird in diesen Fällen nicht untersagt. Verboten wird vielmehr nur die praktische Anwendung einer erbkonstitutiven Veränderung. Daraus folgt, daß das Verbot für die Veränderung bei Embryonen insoweit nicht aufrechterhalten werden dürfte, als es sich um zulässige verbrauchende Embryonenforschung handeln würde, weil in diesem Fall - soweit auch die Übertragung und Weiterentwicklung einer Keimbahnzelle untersagt würde die erbliche Weitergabe ebenfalls ausgeschlossen wäre. Die Gefährlichkeit des Eingriffs wirkt sich bei der verbrauchenden Forschung nicht gegen diese, sondern als Argument für die Notwendigkeit der Forschung aus. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die künstliche Veränderung der Erbinformation an sich als unvereinbar mit der Menschenwürdeschutzpflicht zu betrachten wäre. Dagegen spricht jedoch die grundsätzliche Zulässigkeit des Heileingriffs. Davon unabhängig erhebt sich die Frage, ob die erbliche Weitergabe gentechnischer Veränderungen, wie nach geltendem Recht vorgesehen, grundsätzlich verboten werden darf. Die geltende Regelung stützt sich maßgebend auf die technische Gefährlichkeit der Eingriffe und die Undurchschaubarkeit der Auswirkungen. Damit bleibt die Frage offen, ob die Veränderung der Erbinformation zum Zweck der Weitervererblichkeit nur wegen der zunächst noch unbewältigten Risiken der Auswirkung oder grundsätzlich als verfassungswidrig zu gelten hat. Wie schon dargelegt, tritt allmählich eine pragmatische Argumentation in den Vordergrund, die unter anderem darauf hinweist, daß es noch vieler praktischer Erkenntnisse bedarf, um über die Möglichkeiten und Erfordernisse gentherapeutsicher Eingriffe urteilen zu können. Zunehmend setzt sich die Ansicht durch, daß ein begrenzbarer gentherapeutische Eingriff im Prinzip nicht anders zu werten wäre als der herkömmliche Heileingriff auch. Von der grundsätzlichen Verfassungswidrigkeit gentherapeutischer Verfahren läßt sich daher nicht ausgehen. Demnach entzieht man sich der Verantwortung, wenn man auf die Revisionsmöglichkeit des angeordneten Verbots verweist. Der verfassungs gemäße Weg liegt vielmehr auch bei dieser Frage in einem Erlaubnisvorbehalt, der dafür sorgen kann, daß keine der Lebens-, Gesundheits- und Menschenwür-

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

deschutzpflicht widersprechenden therapeutischen Experimente vorgenommen werden. Ein Verbot darüber hinaus erscheint dagegen als unverhältnismäßig.

6. Regelungsvorschlag Die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes versuchen, in äußerst konfliktreichen Fragen einen Weg vorzuzeichnen, der sich möglichst eng an vertraute Verhaltensweisen anlehnt und Konflikte vermeiden hilft. Viele der Fragen führen in Wertungsprobleme hinein, die sich nicht durch sachbezogene Erwägungen allein entscheiden lassen. Daher sind unterschiedliche rechtspolitische Standpunkte unvermeidlich. Die oben angestellten Überlegungen und die folgenden zusammenfassenden Hinweise verstehen sich nicht als allein ausschlaggebend für die schwierigen Regelungsfragen. Sie sollen jedoch erkennen lassen, daß die umstrittenen Abwägungsprobleme für eine Regelungsweise sprechen können, die Konflikten nicht nur aus dem Weg zu gehen versucht, sondern die auch die Möglichkeiten der differenzierten und durch die Beteiligten selbstverantworteten, je nach der Situation freiwillig zu treffenden Entscheidung nicht ausschließt. Die zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Fragen lassen sich teilweise nur in diesem Sinne beantworten. Als eine bloße Frage der Nomenklatur erscheint es zunächst, wenn der Vorschlag auszusprechen ist, daß eine Regelung zur künstlichen Befruchtung und zum Schutz des künstlich erzeugten Lebens sich nicht zu stark auf den Begriff Embryo konzentrieren sollte. Mit diesem Begriff wird vor allem die fortgeschrittene natürliche Lebensentwicklung verbunden. Daher könnte diese Begriffsverwendung zu stark auf einen vom Regelungsgegenstand zu unterscheidenden Regelungsbereich hindeuten. Ein Gesetz zum Schutz der Frühstadien der menschlichen Lebensentwicklung (Lebensschutzgesetz) sollte die künstliche Befruchtung nicht zu eng an die Herbeiführung einer Schwangerschaft binden und nicht jede Lebenserzeugung, die nicht zu diesem Zweck unternommen wird, unter Strafe stellen. Auf die gegenteilige Weise läßt sich nicht erreichen, daß das zu erzeugende Leben vollständig geschützt wird, da nicht jede Einpflanzung zum Erfolg führt und der Fall eintreten kann, daß eine beabsichtigte Einpflanzung nicht durchgeführt werden kann. Daher wird mit der Anerkennung der künstlichen Befruchtung grundSätzlich in Kauf genommen, daß Leben erzeugt wird, das sich nicht weiterentwickeln kann. Das ist insbesondere auch dann der Fall, wenn Mehrfachbefruchtungen zum Zweck der gleichzeitigen Einpflanzung mehrerer befruchteter Eizellen zugelassen werden. Zwar werden damit die Erfolgschancen für die Weiter-

6. Regelungsvorschlag

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entwicklung, aber zugleich auch das Risiko für das erzeugte Leben erhöht, da regelmäßig nicht alle eingepflanzten befruchteten Eizellen zur Weiterentwicklung kommen. Daher ist bei der künstlichen Befruchtung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht auszuschließen, daß Leben erzeugt wird, das nicht natürlich weiterentwickelt werden kann. Außerdem ist für den Fall, daß außerhalb des Körpers befruchtete Eizellen nicht eingepflanzt werden können, neben dem Lebensschutz die Wissenschaftsfreiheit zu berücksichtigen, die für den Schutz von Forschungsinteressen spricht, für die das erzeugte Leben herangezogen werden könnte. Die Rechtfertigung für die Erzeugung besteht zunächst in der Absicht, die Weiterentwicklung herbeizuführen. Wenn diese Absicht scheitert, müßte das erzeugte Leben der Vernichtung preisgegeben werden. Die Rechtfertigung dafür kann in der Unmöglichkeit gesehen werden, eine natürliche Weiterentwicklung herbeizuführen. Der Lebensschutz kann sich in diesem Fall nur gegen eine mißbräuchliche Verwendung des todgeweihten Lebens auswirken. Die Heranziehung zu wissenschaftlichen Zwecken läßt sich aber soweit nicht als mißbräuchlicher Verstoß gegen den Lebensschutz verstehen, als sie das erzeugte Leben nicht willkürlich zu beliebigen Forschungszwecken, sondern zu anders nicht oder nicht gleichwertig erreichbaren Möglichkeiten einsetzen will, medizinischen Forschungsinteressen nachzukommen, die im Dienste des Lebens- und Gesundheitsschutzes stehen. In diesem Fall muß das todgeweihte Leben nicht einfach preisgegeben werden, sondern kann eine lebensfördernde Bedeutung erlangen. Soweit die Forschungsinteressen außerdem in einer Weise wahrgenommen werden können, die nicht zu einer unangemessenen Erschwerung der unumgänglichen Vernichtung des Lebens führen, werden sie durch den individuellen Lebensschutz, der sich gegen die mißbräuchliche Verwendung richtet, nicht verdrängt. Daher ist in diesem Fall die Verwendung zur Forschung zulässig und die Alternativen der natürlichen Weiterentwicklung oder der Preisgabe zur Vernichtung zu ergänzen. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der Lebensschutz nicht gegen die künstliche Erzeugung des Lebens, sondern nur dagegen spricht, daß Leben allein zur Nichtweiterführung oder zur mißbräuchlichen Verwendung erzeugt wird. Folglich steht der Lebensschutz der künstlichen Lebenserzeugung dann nicht entgegen, wenn diese zu einer Verwendung des Lebens im Interesse wichtiger Forschungsaufgaben zugunsten des Lebens- und Gesundheitsschutzes führen soll, die anders nicht gleichwertig wahrgenommen werden können. Der Lebens- und Gesundheitsschutz gebietet nicht, daß das künstlich erzeugte Leben völlig unantastbar zu sein hat. Auch für das weiterentwickelte Leben wird der Lebensschutz nicht ohne Einschränkung gewährt. Zwar liegt eine unausweichliche Konfliktsituation nur in der künstlichen Lebenserzeugung selbst, die zugunsten des weiterentwickelbaren Lebens auch die Vernichtung von erzeugtem Leben in Kauf nehmen muß, aber der Lebensschutz kann der

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Wissenschaftsfreiheit nur insoweit entgegengehalten werden, als sein Schutzinteresse das Forschungsinteresse überwiegt. Da das künstlich erzeugte Leben in einer elementaren physiologischen Form in Erscheinung tritt, die zwar das individuelle Erbprogramm aufweist, aber sich erst am Beginn der komplizierten körperlichen Ausformung befindet, kann der Lebensschutz nicht in derselben vollständigen Wirkung angewandt werden, wie bei der entwickelten Person. Daher sind Eingriffe zugunsten des Gemeinwohls nicht nur in akuten Notsituationen, sondern auch im Interesse des allgemeinen Lebens- und Gesundheitsschutzes, das existentielle Fragen betrifft und anders nicht wahrgenommen werden kann, zulässig. Das Selbstbestimmungsrecht der genetischen Spender über ihre Keimzellen erstreckt sich auch auf die Verwendung zur künstlichen Lebenserzeugung und damit auch auf das erzeugte Leben; es kann dessen Verwendung und die Erzeugung zu einer entsprechenden Verwendung erlauben und verlangen. Dadurch kann der Lebensschutz ebenfalls relativiert werden. Soweit daher existentielle Forschungsinteressen geltend gemacht werden können, ist der Lebensschutz nicht als unverfügbar zu betrachten. Die künstliche Befruchtung ist daher auch zur Erzeugung von Leben zulässig, das zur Wahrnehmung qualifizierter Forschungsinteressen eingesetzt werden soll. Auch der Schutz der Menschenwürde, der für das künstlich zu erzeugende und erzeugte Leben heranzuziehen ist, kann nicht dagegen angeführt werden, daß bei den Alternativen der Preisgabe zur Vernichtung oder der Verwendung zu lebens- und gesundheits wichtigen Forschungen von existentieller Bedeutung die zweite gewählt werden darf. Vielmehr erscheint es bei der elementaren Frühform des Lebens als einzige Möglichkeit der menschenwürdigen Sinnerfüllung, statt der bloßen Vernichtung eine lebens- und gesundheitswichtige Hilfe leisten zu können. Aus entsprechenden Erwägungen heraus läßt sich der Menschenwürdeschutz auch nicht gegen die künstliche Erzeugung von Leben anführen, das nicht natürlich weiterentwickelt, sondern in seiner elementaren Form für andere, nicht gleichwertig zugängliche, existentielle Forschungsinteressen Verwendung finden soll. Die Lebenserzeugung mit dem Zweck, die Wahrnehmung bestimmter Forschungsinteressen zu ermöglichen, wird dadurch nicht zur Mißachtung des zu erzeugenden Lebens. Daher wird die Wissenschaftsfreiheit im Bereich des künstlich zu erzeugenden und erzeugten Lebens nicht durch die dafür unmittelbar geltenden Schutzrechte verdrängt. Vielmehr überschneiden sich, soweit das künstlich erzeugte Leben zu wissenschaftlichen Interessen herangezogen werden soll, die Schutzbereiche und bilden ein Konfliktfeld, in dem sich prinzipiell gleichwertige Schutzpflichten gegenüberstehen. Demnach sind die Schutzpflichten gegeneinander abzuwägen und ist zu fragen, wie weit sie jeweils legitimiert und wie sie angemessen berücksichtigt werden können.

6. Regelungsvorschlag

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Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß die künstliche Befruchtung nicht ausschließlich an den Zweck gebunden werden darf, eine Schwangerschaft herbeizuführen, und daß befruchtete Eizellen, die zu diesem Zweck erzeugt wurden, die jedoch nicht dafür verwendet werden können, nicht ausschließlich der Vernichtung preiszugeben sind, ferner daß außerdem die künstliche Befruchtung, die wissenschaftliche Forschungen am erzeugten Leben ermöglichen soll, nicht grundsätzlich untersagt werden darf. WeIche Einschränkungen zulässig sind, hat aus der Gegenüberstellung der Schutzinteressen hervorzugehen. Die besonderen Fragen, die mit der künstlichen Befruchtung zusammenhängen, aber nicht die Wissenschaftsfreiheit betreffen, sollen nicht näher erörtert werden. Jedoch ist darauf hinzuweisen, daß ein gewisser Widerspruch darin gesehen werden kann, daß einerseits, um Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden, auf die Möglichkeit einer späteren Adoption verwiesen wird, daß aber andererseits die künstliche Befruchtung, die zu diesem Zweck vorgenommen werden soll, als strafwürdig zu betrachten ist. Sowohl im einen als auch im anderen Fall kann eine spätere Änderung der Einstellung zur Adoptionsfrage berücksichtigt werden; eine im zweiten Fall eingegangene Verpflichtung hat unter dem selbstverständlichen Vorbehalt zu stehen, daß sich die persönliche Einstellung der Mutter nicht ändert. Es erscheint fraglich, ob wegen der Konfliktsituation, die sich für die Mutter entwickeln könnte, das Selbstbestimmungsrecht soweit eingeschränkt werden darf, daß dieser Zweck der künstlichen Befruchtung zu verbieten ist. Statt dessen könnte eine Beratungspflicht als angemessene Lösung in Frage kommen. Dasselbe gilt für die Hilfsmutterschaft, bei der die Schwangerschaft nach Übertragung von Eizellen mit folgender Befruchtung oder von schon befruchteten Eizellen für die genetische Mutter übernommen werden soll. Am wenigsten problematisch erscheint der Fall, in dem eine Eizelle oder eine befruchtete Eizelle übertragen werden soll, um eine dauerhafte Mutterschaft bei der austragenden Mutter zu begründen. Dieses Vorgehen, das der Adoption vorgreift, zu verbieten, dürfte sich kaum ausreichend begründen lassen. Eine wesentliche Hilfe bei der Entscheidung, weIches Verhalten im Einzelfall als richtiger Weg zu wählen ist, läßt sich in Beratungsverfahren sehen, die den Betroffenen das Verantwortungsproblem ausführlich darlegen und zu einer möglichst angemessenen Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts verhelfen. In schwierige Wertungsfragen führt auch die Möglichkeit, durch Auswahl der Samenzellen das Geschlecht des zu erzeugenden Lebens vorauszubestimmen. Auch in diesem Fall könnte eine obligatorische Beratung als Versuch betrachtet werden, den beteiligten Personen zu ausreichend verantworteten Entscheidungen zu verhelfen.

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VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Ausführungen wäre vorzuschlagen, die künstliche Befruchtung grundsätzlich nicht ohne vorhergehende Beratung zu den mit ihr verbundenen sozialen Fragen zuzulassen und nicht auf die genetisch homologe Mutterschaft zu beschränken. Für den Fall, daß die bloße Hilfsmutterschaft nicht als zu weitgehende Bestimmung über Fragen, die auch das zu erzeugende Leben betreffen, betrachtet werden könnte, wäre dafür eine verschärfte Beratungspflicht für die beteiligten Personen durch eine anerkannte Beratungsstelle vorzusehen. Im Hinblick darauf, daß die Legitimität von wissenschaftlichen Interessen, die sich auf das beginnende Leben erstrecken, nicht grundsätzlich verneint werden kann, ist die künstliche Befruchtung nicht ausschließlich an den Zweck zu binden, eine Schwangerschaft herbeizuführen; andererseits läßt sich eine völlig freie Praxis nicht mit den Schutzpflichten zugunsten des zu erzeugenden Lebens vereinbaren. Daher ist eine Lösung zu finden, die die künstliche Befruchtung neben dem Zweck, eine natürliche Weiterentwicklung herbeizuführen, auch soweit zuläßt, als Forschungsinteressen berücksichtigt werden sollen, deren Schutz durch die Schutzpflichten für das zu erzeugende Leben nicht verdrängt wird. An dieser Stelle ist auf die oben zunächst offen gelassene Abwägung zurückzukommen. Den Ausgangspunkt bildet die Feststellung, daß der Schutz für das künstlich zu erzeugende und erzeugte Leben nicht von vornherein ausschließt, daß wissenschaftliche Interessen an der Verwendung des erzeugten Lebens als berechtigt und daher ihrerseits als schutzwürdig zu betrachten sind. Daran schließt sich die Frage an, ob und wie eine angemessene Abgrenzung gefunden werden kann. Als entscheidender Gesichtspunkt fällt zunächst ins Gewicht, daß der Lebensschutz (einschließlich des Gesundheitsund Menschenwürdeschutzes) nicht durch jedes beliebige und auf andere Weise wahrnehmbare Forschungsinteresse, wie etwa nicht unmittelbar medizinische oder etwa an Tieren oder an Zellkulturen durchführbare Forschungsinteressen, zurückgedrängt werden kann. Die Garantie der Wissenschaftsfreiheit bedeutet nicht, daß andere Schutzrechte auf jeden Fall zurückzutreten haben. Vielmehr kann sich das Freiheitsrecht, wenn ihm gleichberechtigte Schutzrechte entgegenstehen, nur soweit durchsetzen, als das Interesse an seinem Schutz überwiegt oder es die verhältnismäßige Anpassung der Schutzinteressen erlaubt. Daher ist festzustellen, welches Gewicht dem jeweiligen Schutzinteresse im Einzelfall zukommt, wie die Schutzinteressen danach abzuwägen sind und wie eine verhältnismäßige Anpassung gefunden werden kann. Soweit nicht Forschungsinteressen wahrgenommen werden sollen, die auf lebenswichtige Ziele, wie etwa die Herbeiführung einer Schwangerschaft bei der künstlichen Befruchtung, die Therapie vor der Einpflanzung oder erhebliche therapeutische Bedürfnisse des medizinischen Lebens- und Gesundheits-

6. Regelungsvorschlag

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schutzes, gerichtet sind, können sie dem Schutz für das künstlich erzeugte Leben nicht entgegengehalten werden. Außerdem ist die Wahrnehmung der Forschungsinteressen nicht erforderlich, wenn ihnen auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Nur soweit die Forschung am beginnenden menschlichen Leben unentbehrlich ist, um den angestrebten Zielen näherzukommen, läßt sie sich dem konkreten Lebensschutz entgegensetzen. In diesem Fall ist jeweils zu prüfen, ob und wieweit das Forschungsinteresse überwiegt oder unverzichtbar ist und wie die Schutzinteressen einander angepaßt werden können. So darf etwa ein grundsätzlich bestehender Forschungsbedarf, der zu einem bestimmten Fragenbereich besteht, nicht dazu führen, daß dafür unbegrenzte Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung und Inanspruchnahme von künstlich erzeugtem Leben geltend gemacht werden. Vielmehr muß in jedem Einzelfall begründet werden können, daß die Verwendung zur Forschung nicht nur generell, sondern für den bestimmten Fall erforderlich ist. Soweit ein schon erzeugtes Leben, das unerwartet nicht eingepflanzt werden kann, herangezogen werden könnte, darf eine neue Erzeugung zu dem beabsichtigten Forschungszweck nicht vorgenommen werden. Ferner hat der Lebensschutz vorzugehen, wenn sich die Möglichkeit ergibt, das erzeugte Leben zur Herbeiführung einer Schwangerschaft zu verwenden. Schließlich ist die Inanspruchnahme des Lebens nur im jeweils unbedingt erforderlichen Umfang zulässig. Vor allem ist eine grundsätzliche zeitliche Grenze zu ziehen, über die hinaus eine Weiterentwicklung des künstlich erzeugten Lebens, um Forschungsaufgaben wahrnehmen zu können, nicht mehr mit dem Lebensschutz vereinbar erscheint. An eine natürlich vorgegebene Grenze läßt sich dafür, anders als beim Schwangerschaftsabbruch, keine unmittelbare Anlehnung finden. Jedoch läßt sich davon ausgehen, daß es sich bei einem Zeitraum von ungefähr 14 Tagen um einen Entwicklungsbereich handelt, in dem auch die natürliche Lebensentstehung prinzipiell noch relativ ungesichert ist. Zwar besteht bei der Wahrnehmung von Forschungsinteressen keine Konfliktsituation, in der das Selbstbestimmungsrecht der vor einer Schwangerschaft stehenden Frau zu beachten wäre. Andererseits handelt es sich um eine Lebensform, die nicht selbständig fortentwickelbar ist, sowie um lebens- und gesundheits wichtige Forschungsinteressen; daher ist die Möglichkeit der Wahrnehmung nicht auf einen zu engen Zeitraum zu begrenzen. Andererseits muß jede zeitliche Ausdehnung der Verwendung erforderlich sein, um die im konkreten Fall als grundSätzlich zulässig zu erachtenden Forschungsinteressen wahrnehmen zu können. Die Inanspruchnahme des künstlich erzeugten Lebens zu Forschungszwecken ist auch bei der Wahl der Forschungsverfahren so gering wie möglich zu halten. So hat etwa die Abspaltung von Mehrlingen, die zum Zweck 25 Losch

386

VIII. Beispiel: Pränatale Humanforschung

der Paralleldiagnose vorgenommen werden soll und damit der Weiterentwicklung des erzeugten Lebens in ähnlicher Weise dient, wie die künstliche Befruchtung mehrerer Eizellen und deren gleichzeitige Einpflanzung, auf den konkret verfolgten Zweck beschränkt zu bleiben und darf für weitere Zwecke nur nach den genannten Bedingungen eingesetzt werden. Auch die Erzeugung von Mehrlingen durch den Austausch des Zellkerns ist dem Lebensschutz gegenüber, der für das künstlich erzeugte Leben zu wahren ist, nur soweit berechtigt, als sie zu Forschungs- oder Therapiezwecken im Einzelfall unentbehrlich erscheint. Dasselbe gilt für die Verschmelzung menschlicher und tierischer Keimzellen oder für die Kombination vollständiger Erbprogramme. Nur ein bestimmter therapeutischer oder Forschungszweck, der ein lebenswichtiges Interesse verfolgt, unentbehrlich erscheint und sich in den Mindestgrenzen der Inanspruchnahme des zu erzeugenden oder erzeugten menschlichen Lebens hält, kann sich dem konkreten Lebensschutz gegenüber durchsetzen. Diese Grenzen sind so eng, daß ein Mißbrauch nicht zu befürchten ist. Diese Überlegungen gelten auch für die gentherapeutischen Forschungsund Behandlungsaufgaben. Was sich verantworten läßt, ist im Einzelfall zu prüfen. Dagegen läßt sich der gentherapeutische Bereich nicht grundsätzlich als menschenwürdewidrig betrachten. Die viel erörterte Mißbrauchsgefahr rechtfertigt nicht eine Ablehnung im ganzen. Welche Forschungs- und therapeutischen Zwecke im einzelnen als lebenswichtig und unentbehrlich zu betrachten sind, ist nur nach dem jeweiligen fachlichen Kenntnisstand zu beurteilen. Hier liegt einer der Ergänzungsbereiche im Zusammenhang von Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung, aus dem heraus positive Möglichkeiten der Weiterentwicklung zu finden sind. Daher läßt sich regelungstechnisch nur ein gewisser Rahmen ziehen, der die generellen Bedingungen nennt und auf fachlich zu erarbeitende Kriterien verweist. Um sicherzustellen, daß die erforderlichen Voraussetzungen für die wissenschaftliche oder therapeutische Inanspruchnahme des zu erzeugenden oder erzeugten Lebens eingehalten werden, ist eine Anmeldung der vorgesehenen Befruchtungen unter Angabe der Gründe und ein Erlaubnisvorbehalt oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vorzuschreiben. In Zweifelsfällen ist die Stellungnahme von Fachkommissionen einzuholen. Daneben ist, im Anschluß an die grundsätzlichen Darlegungen oben, vorzusehen, daß mit der Ausführung von Forschungs- und Therapiemaßnahmen im gesetzlich erlaubten Rahmen zugleich die Pflicht zu übernehmen ist, die Fachkommissionen soweit über die Bedeutung der Maßnahmen und ihre möglichen sozialen Folgen zu unterrichten, als diese Information zur richtigen Einschätzung der neuen Forschungs- und Behandlungsmöglichkeiten und der damit verbundenen Fragen erforderlich erscheint. Eine zentrale Fachkommission hat in Verbindung mit den einzelnen Kommissionen die Informationen über die Weiterentwicklung zu sammeln und zum Informationsaustausch

6. Regelungsvorschlag

387

beizutragen sowie sachdienliche Forschungsprojekte anzuregen. Zur Erweiterung der Kenntnisse in den zugrundeliegenden Fragen sind soweit wie möglich Förderungsmaßnahmen vorzusehen. Die rechtliche Abwägung der Schutzinteressen ist demnach durch ein fachliches Beratungs- und Abwägungsverfahren sowie ein Forschungsentwicklungsmodell zu ergänzen, das die Aufgaben der Wissenschaftsverantwortung verfahrensrechtlich erschließt. Nicht gedacht ist an einen festliegenden Kontrollvorgang, der die Forschung unzulässig einschränken und mehr belasten als im zulässigen Umfang unterstützen könnte. Das Ziel ist vielmehr, den wissenschaftlichen Fachverstand für die Wahrnehmung der Wissenschaftsverantwortung zu gewinnen, die - im Überschneidungs- und Wechselwirkungsbereich von Schutzaufgaben und Aufgaben der Weiterentwicklung die grundlegenden Abwägungsfragen mit der nötigen Vorsicht zu differenzieren und entscheiden hilft. Schließlich ist anzufügen, daß Verstöße gegen den gesetzlichen Rahmen, der für die Zulässigkeit der künstlichen Befruchtung und der Forschungs- und therapeutischen Maßnahmen gezogen wird, ausdrücklich zu untersagen und mit Sanktionen zu bedrohen sind. Es ist jedoch zu empfehlen, daß nicht alle Verstöße als strafwürdiges Unrecht gewertet werden. Die Strafsanktion sollte den schwerwiegenden Verletzungen des Lebensschutzes vorbehalten bleiben. Daher ist die Verwendung von künstlich befruchteten Eizellen für nicht als zulässig festgestellte Forschungszwecke unter Strafe zu stellen, insbesondere die Bildung von Mehrlingszellen durch Zellkernverpflanzung, die Kombination von menschlichen mit tierischen Erbprogrammen (wie gesagt, unter Verwendung von befruchteten Eizellen) und die Kombination vollständiger Erbprogramme, soweit diese Vorgehensweisen jeweils nicht zur Wahrnehmung bestimmter Forschungsaufgaben durchgeführt werden, die aus fachlicher Sicht für die gesetzlich zulässigen Zwecke innerhalb des gesetzlichen Rahmens unentbehrlich erscheinen; ferner ist die künstliche Weiterentwicklung des künstlich erzeugten Lebens über die zeitliche Höchstgrenze hinaus mit Strafe zu bedrohen. Darüber hinaus sind keine Strafsanktionen vorzusehen. Die unerlaubte künstliche Befruchtung und die Weitergabe von befruchteten Eizellen zu nicht genehmigungsfähigen Zwecken sollten als Ordnungswidrigkeiten untersagt werden. Dadurch wird berücksichtigt, daß dieses Vorgehen den Lebensschutz nicht unmittelbar verletzt und nicht zwingend zur Verletzung führen muß.

25'

IX. Zusammenfassung 1. Wissenschaftsgefahren, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung Zugleich mit den revolutionären Erfolgen, zu denen die wissenschaftliche Entwicklung in diesem Jahrhundert emporgeführt hat, zeichnen sich in zunehmendem Maße auch die nachteiligen Folgen ab, die mit der technisch-wirtschaftlichen Anwendung der wissenschaftlichen Entdeckungen verbunden sind. Um den Wissenschaftsgefahren besser entgegentreten zu können, wird zum einen versucht, die Schranken der Wissenschaftsfreiheit zu verdeutlichen. Darin könnte ein Weg liegen, um den Trennstrich zwischen der Wissenschaftsfreiheit, die auch die Entwicklung gefahrbringender Neuerungen unter ihren Schutz stellt, und der Anwendungskontrolle, die teilweise erst verspätet einsetzen kann, zu überwinden. Dieser Versuch trifft jedoch auf das Problem, daß die Wissenschaftsfreiheit in der Verfassung unbeschränkt gewährleistet wird. Die dennoch erforderliche Schrankenziehung muß daher besonders legitimiert werden. Das gilt auch für den Fall, daß die Schranken stärker ausgedehnt werden sollen. Möglichkeiten dazu werden zum Beispiel in der Veränderung des Wissenschaftsverständnisses oder in der Vorverlagerung der Schranken in den Risikobereich hinein erwogen. Zum anderen wird versucht, eine besondere soziale Verantwortung der Wissenschaft zu begründen, aus der sich die Pflicht ableiten läßt, den Wissenschaftsgefahren rechtzeitig entgegenzuwirken. Umstritten ist, ob darin nur ein ethischer Appell oder auch eine rechtliche Pflicht zu sehen ist, und wie diese gegebenenfalls zu erfüllen sein könnte. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können die Voraussetzungen für die Beschränkbarkeit von schrankenlos gewährleisteten Grundrechten im einzelnen dargelegt werden. Zugleich läßt sich ein Überblick über die einzelnen Probleme gewinnen, die sich bei der Wissenschaftsfreiheit im Zusammenhang mit der Schrankenfrage ergeben. Insbesondere werden wichtige Schrankenbereiche und die unterschiedliche Behandlung der Schrankenfrage bei den einzelnen Grundrechtsfunktionen verständlich. Unter dem Gesichtspunkt der Schrankenfrage werden auch die Konturen der weiter ausgreifenden Verantwortungsfrage ins Blickfeld gerückt. Die Stellungnahmen im Schrifttum, die zum Schrankenproblem hervorzuheben sind, lassen im wesentlichen drei unterschiedliche Ansatzweisen erkennen. Der dogmatische Ansatz konzentriert sich auf die Voraussetzungen

3. Schrankenbestimmung

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für die Wissenschaftsschranken, während der pragmatische Ansatz vor allem um ihre Erweiterung bemüht ist und versucht, eine besondere Wissenschaftsverantwortung zu begründen. Der systematische Ansatz schafft ein umfassendes Verständnis für den verfassungsrechtlichen Zusammenhang und erweitert den Gesichtskreis für die rechtliche Grundlegung der Schranken- und Verantwortungsfragen. - Drei Problembereiche heben sich am Ausgangspunkt der weiteren Untersuchungen vor allem hervor, die Frage, welche verfassungsrechtlichen Schutzgüter im einzelnen in Konflikt mit der Wissenschaftsfreiheit geraten können, die Frage, wie die Schutzpflichten abzuwägen sind, und die Frage, ob und in welcher Fonn eine besondere Wissenschaftsverantwortung zu begründen ist.

2. Schutzbereichsfragen Um die Wissenschaftsschranken näher zu bestimmen, muß der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit abgesteckt und der Schutzzweck herausgearbeitet werden. Wesentliche Ausgangspunkte für die Schrankenprobleme liegen in der Offenheit des Wissenschaftsbegriffs, die auch zur Folge hat, daß sich praktische Erkenntnisinteressen aus dem Verständnis des Schutzguts nicht ausklammern lassen; ergänzend hat sich der Schutz auf den gesamten funktionellen Arbeitszusammenhang zu erstrecken. Weitere Ausgangspunkte liegen in der grundsätzlichen Bedeutung des Freiheitsrechts und in der Reichweite des Schutzzwecks, der sich auf die unterschiedlichen Grundrechtsfunktionen erstreckt, ferner in der schrankenlosen Gewährleistung, die sich keine gesetzliche Schrankenziehung vorbehält. Über die Schrankenfrage hinaus ergibt sich in diesem Zusammenhang, daß die abwehrrechtliche Bedeutung des Grundrechts durch besondere schutzrechtliche Ergänzungen zu vervollständigen ist. Die objektive Grundrechtswirkung wirft gleichzeitig mit der Erweiterung des Grundrechtsschutzes auch besondere Schrankenfragen auf.

3. Schrankenbestimmung Die Erörterung der Wissenschaftsschranken geht von der verfassungsrechtlichen Schrankenbestimmung aus. Jedem Versuch, die Schranken über die Anforderungen hinaus, die sich im konkreten Schutzkonflikt ergeben, zu erweitern, ist in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht zu widersprechen. Wesentliche Schrankenbereiche, die durch die verfassungsrechtlichen Konfliktfelder gebildet werden, sind die Grundrechte anderer und der Schutz der Menschenwürde. Außerdem ist festzustellen, daß auch im staatsorganisatorischen Bereich materielle Grundrechtsschranken begründet

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IX. Zusammenfassung

sind. Die Maßstäbe für die Schranken bestimmung ändern sich zwar nicht grundsätzlich, aber verschieben sich im staatlich gebundenen Bereich. Ergänzt werden die Wissenschaftsschranken durch die sachlichen Voraussetzungen und die besonderen institutionellen Bedingungen für die Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit. Die kritische Diskussion, die sich um eine Erweiterung der Schranken bemüht, vertieft zwar das Verständnis für einzelne Konfliktbereiche, aber die Gefolgschaft muß ihr versagt werden, soweit sie über eine angemessene Auslegung der Verfassungsschranken hinaus besondere Schrankenstandards verbindlich machen will. Vor allem sind Risiken der Entwicklung, solange sie nicht näher konkretisiert werden können, kein ausreichender Grund, den Schutz der Wissenschaftsfreiheit einzuschränken. Andererseits darf die internationale Wissenschaftsentwicklung nicht zum alleinigen Maßstab werden, der sich über verfassungsrechtliche Schutzbelange hinwegsetzt. Schließlich bildet die begriffliche Grundlage der Wissenschaftsfreiheit keinen geeigneten Ansatzpunkt, um erforderliche Freiheitsschranken durchzusetzen. Eine wesentliche Aufgabe der Schrankenbestimmung liegt darin, den Schutzzweck der Wissenschaftsfreiheit angemessen zur Geltung zu bringen, nach möglichst differenzierten Lösungen zu suchen und zu verhindern, daß die Frage, wie der einzelne Schutzkonflikt zu bewältigen ist, zur allgemeinen Regelung verleitet, die ohne Notwendigkeit über die konkrete Konfliktsituation hinauswirkt.

4. Verantwortungsproblem Die Wissenschafts verantwortung, die angesichts der Wissenschafts gefahren immer stärker in den Vordergrund gerückt wird, wächst zwar aus dem Erfordernis der Wissenschafts schranken heraus, hat aber die Aufgabe, einer angemessenen Konfliktbewältigung vorzuarbeiten und eine Gefahrenvorsorge zu ermöglichen. Sie läßt sich daher im Zusammenhang mit dem Schrankenbegriff näher erläutern, ist aber nicht als Beschränkung zu verstehen, sondern bedarf einer besonderen Begründung und ist den Wissenschaftsschranken gegenüber abzugrenzen. Zu begründen ist sie als immanente Sozialbindung, die mit dem Freiheitsrecht vorausgesetzt und mit seiner Wahrnehmung aktualisiert wird. Sie verlangt, daß zur Aufklärung über nachteilige Wissenschaftsfolgen und schonende Entwicklungsmöglichkeiten beizutragen ist. Doch darf daraus keine Beschränkung des Freiheitsrechts abgeleitet werden. Das Hauptproblem ist daher, wie die Wissenschaftsverantwortung praktisch verwirklicht werden kann. Diese Aufgabe führt in den politischen Bereich.

5. Erörterungsbeispiel

391

5. Erörterungsbeispiel Ein Beispiel für die behandelten Fragen bildet die pränatale Humanforschung, die sich zu einem besonders aktuellen Diskussionsfeld entwickelt und den Gesetzgeber zum Eingreifen veranlaßt hat. Zwar führt der Problembereich in komplizierte Wertungs- und politische Fragen hinein, verdeutlicht damit aber zugleich den Ernst, mit dem die im Mittelpunkt der Untersuchung stehende und umstritten gewordene Freiheit der Wissenschaft behandelt werden muß. Das Beispiel gibt Gelegenheit, die grundlegenden verfassungsrechtlichen Auslegungsfragen an praktischen Problemen zu erläutern und die Voraussetzungen für die Wissenschaftsschranken, die in der Abwägung der SC):lUtzinteressen liegen, zu veranschaulichen. Zum einen tritt verstärkt die Notwendigkeit hervor, die Wissenschafts schranken schutzzweckbestimmt und differenzierend zu begründen. Zum anderen hebt sich das Erfordernis heraus, der Wissenschaftsverantwortung soweit wie möglich praktische Wege zu eröffnen, auf denen ihre ergänzenden Aufgaben sich auswirken können, ohne dem Freiheitsrecht nicht legitimierbare Schranken aufzuerlegen. Es bestätigt sich die oben vertretene Auffassung, daß diese Verantwortung dazu beitragen kann, in dem Problembereich, der sich zwischen den Wissenschaftsschranken und den damit nicht allein bewältigbaren Wissenschaftsgefahren erstreckt, eine angemessene Weiterentwicklung zu ermöglichen.

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